<<

Inhaltsverzeichnis Plenarprotokoll 18/69

Deutscher

Stenografischer Bericht

69. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014

Inhalt:

Begrüßung des Präsidenten des Parlaments (CDU/CSU) ...... 6521 B der Republik Estland, Herrn Eiki Nestor . . . 6495 A Dr. Rolf Mützenich (SPD) ...... 6521 C () (BÜNDNIS 90/ Tagesordnungspunkt I: (Fortsetzung) DIE GRÜNEN) ...... 6523 B a) Zweite Beratung des von der Bundesregie- (CDU/CSU) ...... 6524 B rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Johannes Kahrs (SPD) ...... 6526 D zes über die Feststellung des Bundes- haushaltsplans für das Haushaltsjahr (BÜNDNIS 90/ 2015 (Haushaltsgesetz 2015) DIE GRÜNEN) ...... 6528 A Drucksachen 18/2000, 18/2002 ...... 6495 B (SPD) ...... 6529 B b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrich- Sigrid Hupach (DIE LINKE) ...... 6530 C tung durch die Bundesregierung: Finanz- Rüdiger Kruse (CDU/CSU) ...... 6531 C plan des Bundes 2014 bis 2018 Drucksachen 18/2001, 18/2002, 18/2826 . 6495 B Martin Dörmann (SPD) ...... 6533 A (CDU/CSU) ...... 6534 A I.8 Einzelplan 04 Siegmund Ehrmann (SPD) ...... 6535 C Bundeskanzlerin und Bundeskanzler- amt (Essen) (SPD) ...... 6536 C Drucksachen 18/2823, 18/2824 ...... 6495 C Dr. (DIE LINKE) ...... 6495 D Namentliche Abstimmung ...... 6537 C (CDU/CSU) ...... 6500 B Ergebnis ...... 6539 C Dr. , Bundeskanzlerin ...... 6501 C I.9 Einzelplan 05 Dr. (BÜNDNIS 90/ Auswärtiges Amt DIE GRÜNEN) ...... 6507 C Drucksachen 18/2805, 18/2823 ...... 6537 D (SPD) ...... 6512 D (DIE LINKE) ...... 6538 A Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ (SPD) ...... 6541 B DIE GRÜNEN) ...... 6514 A Dr. (BÜNDNIS 90/ (DIE LINKE) ...... 6515 C DIE GRÜNEN) ...... 6543 B Volker Kauder (CDU/CSU) ...... 6517 D (CDU/CSU) ...... 6544 B Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/ Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister DIE GRÜNEN) ...... 6521 A AA ...... 6546 B II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. , Mittwoch, den 26. November 2014

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 6548 C DIE GRÜNEN) ...... 6576 A Jan van Aken (DIE LINKE) ...... 6548 D (SPD) ...... 6577 C Philipp Mißfelder (CDU/CSU) ...... 6550 C Ingo Gädechens (CDU/CSU) ...... 6578 C (DIE LINKE) ...... 6551 D Dirk Vöpel (SPD) ...... 6579 D (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 6553 A I.11 Einzelplan 23 Bundesministerium für wirtschaft- Norbert Spinrath (SPD) ...... 6554 B liche Zusammenarbeit und Entwick- Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) ...... 6555 B lung Drucksachen 18/2823, 18/2824 ...... 6580 D Norbert Spinrath (SPD) ...... 6555 D Michael Leutert (DIE LINKE) ...... 6581 B (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 6556 A (CDU/CSU) ...... 6582 C Dr. (DIE LINKE) ...... 6556 C Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/ Heike Hänsel (DIE LINKE) ...... 6557 A DIE GRÜNEN) ...... 6584 B Dr. (CDU/CSU) ...... 6558 B Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU) ...... 6584 D Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ (SPD) ...... 6586 C DIE GRÜNEN) ...... 6559 B (BÜNDNIS 90/ Thomas Dörflinger (CDU/CSU) ...... 6560 C DIE GRÜNEN) ...... 6587 D Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU) ...... 6588 C I.10 Einzelplan 14 (DIE LINKE) ...... 6590 C Bundesministerium der Verteidigung Drucksachen 18/2813, 18/2823 ...... 6562 A Dr. Bärbel Kofler (SPD) ...... 6592 A Michael Leutert (DIE LINKE) ...... 6562 B Claudia (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 6594 A Bartholomäus Kalb (CDU/CSU) ...... 6563 D Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU) ...... 6595 C Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 6565 B Axel Schäfer (Bochum) (SPD) ...... 6597 B Karin Evers-Meyer (SPD) ...... 6567 D Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU) ...... 6599 A Dr. , Bundesministerin BMVg ...... 6569 B Nächste Sitzung...... 6600 D Katrin Kunert (DIE LINKE) ...... 6571 D (SPD) ...... 6573 A Anlage (CDU/CSU) ...... 6574 D Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 6601 A Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6495

(A) (C)

69. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. : Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.8 auf: Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Einzelplan 04 Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt herzlich zum zweiten Tag unserer Haushaltsberatungen. Drucksachen 18/2823, 18/2824 Auf der Ehrentribüne hat der Präsident des Parla- ments der Republik Estland, Herr Eiki Nestor, mit Berichterstatter sind die Abgeordneten Rüdiger seiner Delegation Platz genommen. Kruse, Bernhard Schulte-Drüggelte, Johannes Kahrs, Gesine Lötzsch, Tobias Lindner und Anja Hajduk. (Beifall) Ich begrüße Sie, Herr Präsident, im Namen aller Kollegin- Zum Einzelplan 04 liegt ein Änderungsantrag der nen und Kollegen, von denen Sie einige bereits gestern in Fraktion Die Linke vor. Über diesen Einzelplan werden Gesprächen persönlich kennengelernt haben, herzlich. wir später namentlich abstimmen. (B) (D) Wir erinnern uns im Gedenkjahr 2014 nicht nur an Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für den 25. Jahrestag des Berliner Mauerfalls. Wir haben die Aussprache 224 Minuten vorgesehen. – Dazu höre hier im Deutschen Bundestag auch an das großartige und ich keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren. erfolgreiche Freiheitsstreben der baltischen Staaten erin- nert, die vor einem Vierteljahrhundert mit dem „Balti- Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der schen Weg“ und einer spektakulären Menschenkette Kollegin Sahra Wagenknecht, Fraktion Die Linke. durch Estland, Lettland und Litauen europäische Ge- (Beifall bei der LINKEN) schichte geschrieben haben.

Wir freuen uns, Herr Präsident, über die immer en- Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE): gere Zusammenarbeit zwischen unseren Ländern, auch Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! und gerade zwischen unseren Parlamenten, seit dem Bei- tritt Estlands zur Europäischen Union. Wir wollen diese Frau Bundeskanzlerin, Sie werden hier gleich ans enge Zusammenarbeit im Lichte der neuen Herausforde- Mikrofon treten und wieder ausgiebig Ihre Politik loben. rungen, die in diesem Jahr deutlich geworden sind, gerne (Unruhe bei der CDU/CSU) fortsetzen. Wir setzen jetzt unsere Haushaltsberatungen – Tages- Aber wenn man sich die derzeitige Politik und die der- ordnungspunkt I – fort: zeitige Situation in Deutschland, in Europa und in der Welt ansieht und wenn man vor allen Dingen Ihre ganz a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung persönliche Mitverantwortung für diese Situation in eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Rechnung stellt, dann fragt man sich schon, wie Sie da- Feststellung des Bundeshaushaltsplans für rauf auch noch stolz sein können. das Haushaltsjahr 2015 (Haushaltsgesetz 2015) (Beifall bei der LINKEN) Drucksachen 18/2000, 18/2002 Ja, wir leben in einem reichen Land, das gute Autos b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haus- und international gefragte Maschinen produziert. Aber haltsausschusses (8. Ausschuss) zu der Unter- es ist ein zutiefst gespaltenes Land. Es ist ein Land, in richtung durch die Bundesregierung dem selbst fleißige Arbeit nicht mehr vor Armut schützt und in dem inzwischen die Auswahl des Elternhauses Finanzplan des Bundes 2014 bis 2018 wichtiger geworden ist als die Auswahl des Berufs. Es Drucksachen 18/2001, 18/2002, 18/2826 ist ein Land, in dem kaum noch investiert wird, in dem 6496 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014

Dr. Sahra Wagenknecht (A) Straßen und Brücken verrotten, in dem viele Kinder in könnten. Die deutsche Wirtschaft stagniert. Alle Progno- (C) verwahrlosten Wohngebieten aufwachsen, sen für das nächste Jahr mussten nach unten korrigiert werden. ( [CDU/CSU]: Sprechen Sie jetzt von Afrika?) Aus konjunkturellen wie aus prinzipiellen Gründen braucht dieses Land endlich mehr Investitionen. Sie ha- in dem ihnen elementare Bildung vorenthalten wird. ben nun lauthals ein Investitionsprogramm angekündigt. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Um Gottes Aber was sieht man, wenn man in das Kleingedruckte willen! Wo leben Sie eigentlich?) schaut? Dann sieht man, dass nach Ihren eigenen Pla- nungen der Anteil der Investitionsausgaben des Bundes Was tun Sie, Frau Bundeskanzlerin? Statt Problemlö- weiter sinken soll, nämlich von aktuell 10,1 Prozent auf sungen liefern Sie Taschenspielertricks, statt solider nur noch 8,3 Prozent im Jahr 2018. So viel wirtschafts- Finanzierungen liefern Sie kreative Buchführung, und politische Ignoranz kann einem wirklich die Sprache statt wirtschaftspolitischer Rationalität liefern Sie ok- verschlagen. kulte Opferrituale vor Ihrer neuen Göttin, der schwarzen Null, die Ihnen trotz aller Beschwörungsformeln im (Beifall bei der LINKEN – Norbert Barthle nächsten Jahr wieder nicht erscheinen wird. [CDU/CSU]: War das ein Versprechen? – [CDU/CSU]: Das wäre (Beifall bei der LINKEN – Unruhe bei der schön! Wir wollen Gysi!) CDU/CSU) – Sie können sich ruhig aufregen. Es wäre aber besser, Solide öffentliche Finanzen gibt es eben nicht ohne wenn Sie sich nicht nur aufregen würden, sondern auch eine dynamische Wirtschaft. Es gibt sie nicht ohne Kon- Konsequenzen ziehen würden. sumenten, die genug Geld in der Tasche haben, um sich ein gutes Leben leisten zu können, und es gibt sie auch (Beifall bei der LINKEN) nicht ohne Unternehmen, die genau wegen dieser Nach- frage Anreize haben, zu investieren, statt ihr Geld zu Es geht nicht nur um Straßen, es geht auch nicht nur bunkern oder ihre Aktionäre mit immer neuen Rekord- um Brücken, es geht auch um Zukunftstechnologien und dividenden glücklich zu machen. Es gibt solide öffentli- Innovationen. Wer meint, dafür wird schon der Markt che Finanzen auch nicht, wenn gerade die reichsten Fa- sorgen, der sollte sich einmal fragen, warum sich eigent- milien und die größten Konzerne kaum noch einen lich alle wichtigen digitalen Technologien heutzutage in müden Euro zur Finanzierung des Gemeinwesens beitra- der Hand von US-Unternehmen befinden, die Möglich- gen und der Staat dabei wegschaut. keit zur globalen Überwachung inklusive. Nicht, weil der Markt jenseits des Atlantiks so viel besser funktio- (B) Und deswegen ist für mich die schwarze Null ei- niert, sondern weil sich der Staat das zumindest früher (D) gentlich ein Ausdruck einer Null-Kompetenz in der ziemlich viel hat kosten lassen. Fast die gesamte Tech- Wirtschaftspolitik. nologie, die heute in einem iPhone steckt, ist doch nicht in Steve Jobs Garage entwickelt worden. Die ist in staat- Das ist das Urteil des Wirtschaftsweisen Peter Bofinger lichen Forschungszentren entwickelt worden. Wer über Ihre Politik, Frau Kanzlerin. Vielleicht erinnern Sie glaubt, dass ein fundamentaler technologischer Um- sich auch noch, was Sie im August im schönen Lindau bruch wie die Energiewende möglich wäre ohne massive am Bodensee von den Wirtschaftsnobelpreisträgern zu öffentliche Investitionen in die Erforschung und Umset- hören bekommen haben. Ich gebe eine kleine Kostprobe: zung alternativer Technologien, der hat wirklich nichts Merkel verfolgt … eine völlig falsche Politik. verstanden. Merkel scheint den Ernst der Lage nicht kapiert zu (Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse- haben. Brömer [CDU/CSU]: Sie hatten doch nur Ro- botron! Die größten Chips der Welt!) Merkels Rede sei eine einzige Katastrophe gewesen. Wohlgemerkt: Das ist kein Mitschnitt aus einer Mitglie- Aber statt über solche Fragen auch nur nachzudenken, derversammlung der Linken. Das waren die Urteile in- verhandelt diese Regierung lieber über Investorenschutz. ternational renommierter Wirtschaftsnobelpreisträger Genau genommen verhandelt sie nicht, sondern der über Ihre Politik, Frau Merkel. Wenn Sie einmal zuhören Wirtschaftsminister führt einen unglaublichen Eiertanz könnten, vielleicht würde Ihnen das zu denken geben; auf, um der Öffentlichkeit Sand in die Augen zu streuen. Ich rede von den geplanten Freihandelsabkommen (Beifall bei der LINKEN) CETA und TTIP, aber offensichtlich interessiert Sie das überhaupt nicht. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Eine Weggucken, wegducken, wegreden – das ist Ihr Drei- große Chance! Die müssen wir schnell umset- klang im Umgang mit den Gefahren und Problemen der zen!) Gegenwart. und ich rede von den Sondergerichten für große Kon- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das zerne, mittels derer diese Konzerne den deutschen Staat sieht die ganze Welt anders!) in Zukunft für jede Mindestlohnerhöhung und für jedes Umweltschutzgesetz vor den Kadi ziehen können. Aber die Gefahren sind einfach zu groß und die Pro- bleme zu ernst, als dass wir so weiter mit ihnen umgehen (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6497

Dr. Sahra Wagenknecht (A) Aber offensichtlich hat Herr Gabriel in seiner politi- Ihnen ja ab, dass Sie über die Enthüllungen nicht beson- (C) schen Laufbahn nicht mehr vor, den Mindestlohn zu er- ders verblüfft waren. Auch ich war nicht besonders ver- höhen oder die Umwelt zu schützen. Zumindest habe ich blüfft. Es ist lange bekannt, dass es solche Steuerspar- vernommen, dass er der Öffentlichkeit mitgeteilt hat, modelle gibt, und zwar nicht nur in Luxemburg, sondern diese Sondergerichte ließen sich – leider, leider – nicht auch in vielen anderen EU-Staaten. Es ist auch bekannt, mehr aus dem Abkommen CETA herausverhandeln. Ja, dass dem deutschen Staat – dem Bund, den Ländern und Herr Gabriel, wenn sich diese Sondergerichte nicht mehr auch den Kommunen – schätzungsweise 100 Milliar- herausverhandeln lassen, dann muss Deutschland diese den Euro im Jahr entgehen, weil es solche Modelle gibt. Abkommen eben ablehnen. Dann muss man CETA ab- 100 Milliarden Euro! lehnen, und das Gleiche gilt auch für TTIP. Die Unternehmen gehen sogar ganz offen damit um, (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten dass sie das praktizieren. Die Deutsche Bank zum Bei- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) spiel lobt sich in ihrem Geschäftsbericht ausdrücklich dafür, dass sie durch eine, wie es vornehm heißt, vorteil- Beide Abkommen haben doch im Kern nur das Ziel, hafte geografische Verteilung ihres Konzernergebnisses Löhne, Sozialstandards und Verbraucherschutz noch ihre Steuerzahlungen minimiert, sprich die Öffentlich- weiter auf Sinkflug zu schicken und den Kapitalismus keit kräftig geschädigt hat. Ich finde, das muss man sich endgültig vor den Zumutungen der Demokratie zu schüt- einmal auf der Zunge zergehen lassen: Eine Bank, die es zen; das ist doch das, worum es bei diesen Abkommen ohne die Milliardenzahlungen der Steuerzahlerinnen und geht. Das ist das Letzte, was wir brauchen. Denn dann Steuerzahler überhaupt nicht mehr gäbe, die bankrott ge- kann man auf Wahlen und Parlamentarismus konsequen- wesen wäre, ist auch noch stolz darauf, dass sie solche terweise auch ganz verzichten. Wenn wir hier im Bun- Modelle nutzt und dadurch die Öffentlichkeit in Milliar- destag keine Gesetze mehr machen können, die den Ban- denhöhe schädigt. Natürlich ist das kriminell. ken und Konzernen nicht gefallen, dann verkommt das, was wir hier tun, wirklich zu einer schlichten Theater- (Beifall bei der LINKEN) vorstellung. Da muss ich Ihnen sagen: Für ein Theater ist Aber genauso kriminell ist eine Politik, die die pas- dieses Haus wirklich zu teuer und am Ende vielleicht senden Gesetze dafür liefert oder eben die passenden auch zu wenig unterhaltsam. Gesetze akzeptiert. Da muss man sich gar nicht hinter (Beifall bei der LINKEN) der EU verstecken. Natürlich könnten wir solche Prakti- ken hier in Deutschland verhindern. Man muss einfach Der bekannte Ordoliberale Alexander Rüstow – viel- gesetzlich festlegen, dass Zinsen, Lizenz- oder Patentge- leicht gibt es bei Ihnen noch den einen oder anderen, der bühren, die im Empfängerland nicht mit wenigstens ihn kennt – hat bereits vor einem halben Jahrhundert ge- (B) 25 Prozent besteuert werden, in Deutschland nicht mehr (D) warnt, dass – ich zitiere – steuerlich abzugsfähig sind. Das könnte man doch ge- der Staat, der damit anfängt, die Raubtiere der orga- setzlich regeln. nisierten Unternehmerinteressen zu füttern, letzten (Beifall bei der LINKEN) Endes von ihnen verschlungen wird. Wenn Sie zu einem so einfachen Gesetz nicht in der Gerade deshalb haben die Ordoliberalen ja immer wie- Lage sind, dann hören Sie, verdammt noch mal, auf, der der davor gewarnt, Unternehmen oder auch Banken so Bevölkerung zu erzählen, was in diesem Land alles an- groß oder so mächtig werden zu lassen, dass sie die All- geblich nicht finanzierbar ist, zum Beispiel eine gute gemeinheit erpressen oder ihr schlicht auf der Nase he- Rente. Es ist noch keine Woche her, dass das Statistische rumtanzen können. Es war ihre zentrale Botschaft, dass Bundesamt alarmierende Zahlen veröffentlicht hat. Da- das verhindert werden muss. nach ist das Armutsrisiko älterer Menschen seit 2006 „Versagt der Staat auf diesem Felde, dann ist es bald kontinuierlich gestiegen. Immer mehr ältere Menschen um die soziale Marktwirtschaft geschehen“, war Ludwig müssen Grundsicherung beantragen. Das heißt ganz bru- Erhards knappe Prognose zu diesem Thema. Gerade Sie tal: Sie müssen ihren Lebensabend auf Hartz-IV-Niveau von der CDU/CSU, die Sie sich so gern auf Ludwig fristen. Erhard berufen, sollten zugeben, dass er recht behalten Was fällt der Bundesregierung dazu ein? Sie kürzen hat. Der Staat hat auf diesem Feld versagt. Deswegen ist den Bundeszuschuss zur Rentenkasse, um ihre schwarze es um die soziale Marktwirtschaft geschehen. Wir haben Null zu retten, und senken auch noch den Beitragssatz nämlich keine mehr. zur Rentenversicherung. Je weniger aber in einen Topf (Beifall bei der LINKEN) eingezahlt wird, desto weniger kann man natürlich auch aus diesem Topf wieder herausnehmen – in diesem Fall Auch in Brisbane haben Sie, Frau Merkel, und auch für die Rentnerinnen und Rentner –, und genau das die anderen Regierungschefs wieder auf vielen wichti- scheint auch das Ziel zu sein. gen Feldern vor den Raubtieren kapituliert: bei der Finanzmarktregulierung, beim Klimaschutz und natür- Seit den von SPD und Grünen eingeleiteten Renten- lich auch bei der Bekämpfung der Steuerflucht von Kon- kürzungen ist das Rentenniveau in Deutschland von frü- zernen. Es ist einem schon aufgefallen, wie eilig sich her 53 Prozent auf 48 Prozent gesunken. In Zukunft soll diese Regierung, als die Enthüllungen über die Steuer- es noch weiter bergab gehen. Das heißt, bald blüht selbst sparmodelle in Luxemburg in der Presse waren, bemüht einem Durchschnittsverdiener nach einem langen Ar- hat, zur Tagesordnung überzugehen. Nun nehme ich beitsleben ein Lebensabend auf Hartz-IV-Niveau. Ich 6498 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014

Dr. Sahra Wagenknecht (A) finde, das ist einfach schändlich. Das ist Altersarmut per (Beifall bei der LINKEN – Sabine Weiss [We- (C) Gesetz. sel I] [CDU/CSU]: Was ist das für eine un- glaubliche Rede! – Weitere Zurufe von der (Beifall bei der LINKEN) CDU/CSU: Oh!) Sagen Sie jetzt nicht, das liege am Geld. Gleichzeitig „Die Würde des Menschen ist unantastbar“: Das ist verpulvert der Bund nämlich Milliarden, um die Riester- der oberste Verfassungsgrundsatz der Bundesrepublik. Rente zu subventionieren. Inzwischen wurden 27 Mil- Er gilt auch für Ältere, Kranke und Pflegebedürftige, liarden Euro dafür verpulvert, Betrugsprodukte zu sub- ventionieren, an denen sich bekanntermaßen nur die Pro- (Beifall bei der LINKEN) visionsjäger der Versicherungsindustrie, der Fonds und und er steht ausdrücklich nicht unter Finanzierungsvor- der Finanzindustrie goldene Nasen verdienen, während behalt. Deswegen fordere ich Sie auf: Beenden Sie die die Sparer in der Regel noch nicht einmal das herausbe- unwürdige Zweiklassenmedizin! Schaffen Sie eine Bür- kommen, was sie eingezahlt haben. Und trotzdem soll gerversicherung, bei der jeder nach seinem Einkommen das alles so weitergehen! einzahlt und gleich gute Leistungen sowohl im Krank- Wie man heute weiß, hat sich der Drückerkönig und heits- als auch im Pflegefall bekommt! Krankheit ist Finanzhai Herr Maschmeyer beim damaligen Kanzler keine Ware, die sich als Objekt von Renditejägern eig- Schröder mit immerhin 2 Millionen Euro für dieses zu- net. vorkommende Gesetz bedankt. Frau Nahles, ich weiß (Beifall bei der LINKEN) nicht, ob Sie hoffen, dass Ihnen irgendwann auch einmal jemand Ihre Biografie für 2 Millionen Euro abkauft. Ihre Kürzung des Zuschusses zum Gesundheitsfonds Man muss aber zumindest sagen: Ihr Festhalten an dieser zeigt natürlich auch noch in anderer Hinsicht, wie unehr- Rentenpolitik ist verantwortungslos und übrigens auch lich Ihre Politik ist. Das Mantra „Keine Steuererhöhung“ ein klarer Bruch der SPD-Wahlversprechen. gehört ja zu den Gebetsformeln, die diese Regierung un- ablässig vor sich hinmurmelt. Sie wissen aber ganz ge- (Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse- nau, dass die Kürzung des Bundeszuschusses bei vielen Brömer [CDU/CSU]: Was haben Sie eigent- Krankenkassen zu Beitragserhöhungen führen wird lich gekriegt?) (Dr. [SPD]: Das stimmt Hören Sie deshalb auf, nicht!) ( [SPD]: Hören Sie auf!) und dass eine Beitragserhöhung das Nettoeinkommen die Rentenkasse mit Beitragssenkungen und versiche- ganz genauso reduziert wie eine Steuererhöhung. Aber (B) rungsfremden Leistungen weiter zu plündern! richtig: Es gibt einen wichtigen Unterschied. Eine Bei- (D) tragserhöhung bezahlen ausschließlich die gesetzlich (Beifall bei der LINKEN) Versicherten, also vor allem die Arbeitnehmer. Sie belas- Hören Sie auf, öffentliches Geld für Betrugsprodukte zu tet Normalverdiener weit mehr als Spitzenverdiener. So- verschleudern, und stellen Sie wieder eine lebensstan- gar Menschen mit sehr wenig Einkommen müssen diese dardsichernde Rente ab 65 Jahren für alle Menschen her! Beitragserhöhung mit bezahlen. (Beifall bei der LINKEN) Das heißt, Ihr ganzes Gerede gegen Steuererhöhun- gen ist im Kern vollkommen verlogen. Sie haben über- Es brennt aber nicht nur bei der Rente. Vor gut zwei haupt keine Skrupel, die normalen Beschäftigten, die Wochen wurde mit Unterstützung des größten deutschen heute schon die Hälfte ihres Nettoeinkommens für Steu- Sozialverbandes, VdK, eine Verfassungsklage für men- ern und Abgaben bezahlen, noch stärker zu belasten. Sie schenwürdige Pflege eingereicht. Es geht um die kata- predigen zwar keine Steuererhöhungen. Aber im Kern strophale Situation und den extremen Personalmangel in geht es Ihnen doch darum: keine Steuererhöhung für vielen Pflegeheimen. Reiche. Das ist es doch, was tatsächlich Ihre Politik be- wegt. Geben Sie es doch wenigstens zu! Auch in vielen deutschen Krankenhäusern herrschen heute Zustände, die eines reichen Landes unwürdig sind, (Beifall bei der LINKEN) (Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Das stimmt Offenbar, Frau Bundeskanzlerin, hat Ihnen noch nie- nicht!) mand den Zusammenhang zwischen Schulden und Ver- mögen erklärt. Geld verschwindet nämlich nicht; Geld und auch die Gründe dafür lassen sich mit Zahlen mes- wechselt immer nur den Besitzer. In den letzten 15 Jah- sen: Seit Mitte der 90er-Jahre wurde an deutschen Kran- ren hat unter Ihnen, Frau Merkel, und unter Ihrem Vor- kenhäusern jede zehnte Stelle im Pflegebereich abge- gänger Gerhard Schröder ganz besonders viel Geld in baut. Was fällt Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, dazu ein? Deutschland den Besitzer gewechselt. Viele Milliarden Deutschland geht es gut, und deshalb kürzen Sie den Euro, die einst der Allgemeinheit gehörten, sind auf pri- Bundeszuschuss zum Gesundheitsfonds in den nächsten vate Konten gewandert: durch Steuergeschenke an Ver- zwei Jahren mal eben um 6 Milliarden Euro. Mögen mögende und an große Unternehmen und natürlich Rentner durch Armut gedemütigt werden und Pflegebe- durch die milliardenschwere Bankenrettung. dürftige früher sterben, Hauptsache die schwarze Null lebt: Das scheint Ihre Logik zu sein. Was ist das für eine Im Ergebnis haben sich in den letzten 15 Jahren eben unglaubliche Politik! nicht nur die öffentlichen Schulden, sondern auch die Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6499

Dr. Sahra Wagenknecht (A) privaten Vermögen der Millionäre und Multimillionäre Schon der Name des geplanten Gesetzes ist doch der (C) mehr als verdoppelt. Deshalb wäre die Wiedereinfüh- blanke Hohn: Gesetz zur Tarifeinheit. Ein Betrieb, ein rung einer Vermögensteuer nicht etwa eine Enteignung, Tarif: Das soll wieder gelten. Ich darf Sie, werte Damen wie Sie das immer gerne darstellen, sondern sie wäre im und Herren von der SPD, daran erinnern, dass Sie selbst Grunde eine Rückgabe. es waren, die dieses Prinzip zerstört haben, dass Sie es waren, die es mit den Agendagesetzen den Unternehmen (Beifall bei der LINKEN) ermöglicht haben, ihre Belegschaft aufzusplitten: Sie würde dafür sorgen, dass das Geld endlich einmal (Widerspruch bei Abgeordneten der SPD) den Besitzer in die andere Richtung wechselt, nämlich weg von den privaten Konten der Millionäre und Multi- in Leiharbeiter, in Werkvertragler, in Minijobber, in be- millionäre und hin zu besserer Bildung, besserer Pflege fristet Beschäftigte. Alle haben natürlich unterschiedli- und guten Renten. Da wäre das Geld auch besser ange- che Tarifverträge. legt. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Sie haben damit alles dafür getan, dass die Gewerk- Es fällt übrigens auch auf, dass Sie wieder nur mit den schaften nicht mehr wirklich streikfähig sind; denn be- Vermögen der Reichen so rücksichtsvoll umgehen. Bei streiken Sie einmal einen Betrieb, in dem ein Drittel der den Vermögen der kleinen Leute sind Sie viel weniger Beschäftigten in Leiharbeit ist, ein Drittel einen Werk- zimperlich. Die auch durch Ihre Europapolitik und Ihre vertrag hat und viele andere einen befristeten Vertrag ha- Kürzungsdiktate verursachte Dauerkrise im Euro-Raum ben. Einen solchen Betrieb kann man faktisch nicht ist die letztliche Ursache für die extremen Niedrigzinsen, mehr bestreiken. Entsprechend schlecht ist auch die die wir zurzeit haben. In der Konsequenz gibt es für nor- Lohnentwicklung in Deutschland. male Sparer mittlerweile kaum noch Anlagen, die auch (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) nur den Werterhalt sichern. Das heißt, anders als der Millionär, der im Schnitt auf sein Vermögen Renditen Wenn Sie der Tarifeinheit wirklich wieder zum zwischen 5 und 10 Prozent einfährt, zahlt der Kleinspa- Durchbruch verhelfen wollen, dann nehmen Sie die rer längst mit seinen Spargroschen für Ihre falsche Kri- Agendagesetze zurück! Verbieten Sie Leiharbeit und den senpolitik. Missbrauch von Werkverträgen! Aber diese Enteignung der kleinen Leute stört Sie of- (Beifall bei der LINKEN) fenbar nicht im Geringsten. Das lassen Sie laufen. Nur Verbieten Sie die sachgrundlose Befristung, die die Be- an das Vermögen des Geldadels wollen Sie nicht heran. schäftigten in ständiger Abhängigkeit hält! Das wären (B) (D) Das nennt sich dann Volkspartei; Reformen, die dieses Land wirklich voranbringen wür- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) den. Aber dafür müsste man den Mut haben, sich dem „Raubtier der organisierten Unternehmerinteressen“ ent- eine Partei, die zulässt, dass das Volk enteignet wird, gegenzustellen. weil sie zu feige ist, an das Geld der oberen Zehntausend heranzugehen, um damit eine vernünftige Antikrisenpo- (Widerspruch bei der SPD) litik zu finanzieren. Das ist wirklich skandalös. – Ja, nach Alexander Rüstow. Das war ein Zitat, falls Sie (Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse-Brömer das nicht bemerkt haben. [CDU/CSU]: Die Welt ist so einfach!) Man hat allerdings den Eindruck, es gibt etwas, das Das gilt leider nicht nur für die CDU. Auch Herr Ihnen, Frau Merkel, noch wichtiger ist als die Interessen Gabriel hat sich mittlerweile auf die Fahne geschrieben, der deutschen Unternehmen: Das sind die Interessen der die Vermögensteuer auch bei der SPD programmatisch amerikanischen Regierung und der amerikanischen zu entsorgen. Da kann man nur sagen: Mit so einem Vor- Wirtschaft. Bei Ihrer Rede in Sydney, Frau Merkel, ha- sitzenden arbeiten Sie wirklich hart daran, dass die SPD ben Sie sich furchtbar darüber empört, dass es 25 Jahre nie wieder in die Nähe davon kommt, in diesem Land nach dem Fall der Mauer immer noch altes Denken in noch einmal den Kanzler zu stellen. Einflusssphären gibt, das das internationale Recht mit Füßen tritt. „Wer hätte das für möglich gehalten?“, wur- Nun muss man sagen: Auch andere Parteien hatten den Sie zitiert. Man fragt sich ernsthaft, Frau Merkel: Vorsitzende, die sie klein gemacht haben, sogar bis zur Wo leben Sie eigentlich? Und wo haben Sie in den letz- letzten Konsequenz. ten Jahren gelebt? (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ein (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Bei Ih- Vorsitzender war Lafontaine!) rer Rede frage ich mich auch, wo Sie leben!) Eine dieser Parteien ist die FDP gewesen. Ich möchte Wo haben Sie gelebt, als die USA das internationale hier einen Satz zur Ehrenrettung der FDP sagen. Es gibt Recht im Irak mit Füßen getreten haben, um ihre Ein- tatsächlich ein unsoziales Gesetz, das an der FDP ge- flusssphäre auf das irakische Öl auszudehnen? Wo wa- scheitert ist, und zwar das Gesetz zur sogenannten Ta- ren Sie, als unter Beteiligung Deutschlands das interna- rifeinheit. Es ist wirklich unglaublich, dass dieses Gesetz tionale Recht in Afghanistan mit Füßen getreten wurde, jetzt ausgerechnet von der SPD wieder auf die Tagesord- was es im Übrigen immer noch wird? Wo waren Sie, als nung gehievt wird. Libyen bombardiert wurde und als die syrische Opposi- 6500 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014

Dr. Sahra Wagenknecht (A) tion aufgerüstet wurde, Waffenlieferungen an den IS ein- und in Thüringen wird sie ausgenutzt, um den eigenen (C) geschlossen? Mann nach oben zu hieven. Wie ist das möglich, Frau Wagenknecht? War das alles Ihrer Meinung nach in Übereinstim- mung mit dem internationalen Recht? Selbstverständlich Danke schön. ging es dabei auch nie um Einflusssphären. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich darf Ihnen die Lektüre eines Buches von Zbigniew Brzezinski, langjähriger Vordenker der US- Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE): Außenpolitik, empfehlen. Ich nehme zur Kenntnis, dass die CDU das Trauma von Thüringen immer noch so bewegt, dass Sie das ( [CDU/CSU]: Sie lesen die selbst in diese Haushaltsdebatte tragen. falschen Bücher!) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Das Buch aus dem Jahr 1997 trägt den schönen Titel Die des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) einzige Weltmacht: Amerikas Strategie der Vorherr- schaft. In Bezug auf Europa plädiert Brzezinski darin für Wenn ich der SPD vorwerfe, dass sie mit ihrer Politik eine konsequente NATO-Osterweiterung zunächst nach alles dafür tut, dass sie ihre Glaubwürdigkeit nicht wie- Mitteleuropa, dann nach Süden und über die baltischen dergewinnt und damit auch bei Wahlergebnissen von Republiken bis zur Ukraine, und zwar weil, wie der Au- 26 Prozent bleibt und dass sie damit nie wieder den tor schlüssig begründet – ich zitiere – „mit jeder Ausdeh- Kanzler stellen wird, dann geschieht das aus Sorge um nung … automatisch auch die direkte Einflusssphäre der dieses Land, Vereinigten Staaten erweitert“ wird. (Lachen bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Dieses alte Denken in Einflusssphären, das sehr er- GRÜNEN) folgreich umgesetzt wurde, ist Ihnen wirklich nie aufge- fallen, Frau Merkel? weil ich mir wünsche, dass Frau Merkel nicht ewig Bun- deskanzlerin bleibt und dass Sie nicht ewig den Bundes- (Beifall bei der LINKEN) kanzler stellen können, Dabei gehörten Sie doch zu denen, die genau das in Eu- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) ropa weiter umgesetzt und unterstützt haben. Sie gehör- ten doch zu den Vasallen, um in der Sprache Brzezinskis und weil ich mir wünsche, dass es eine andere und linke zu bleiben, die genau diese Strategie mitgetragen haben. Politik in diesem Land geben kann. (B) Aber ich darf Sie beruhigen: Ich werde gleich die (D) Präsident Dr. Norbert Lammert: SPD noch in einem Punkt loben. Auch das werden Sie Frau Wagenknecht, darf Ihnen der Kollege Weiler noch zu hören bekommen. eine Zwischenfrage stellen? (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Ich würde mir auch wünschen, dass es in Zukunft mehr Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE): Gründe geben würde, die SPD zu loben. Das fände ich Bitte schön. zumindest sehr gut. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Albert Weiler (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Wagenknecht, vielen Dank, dass Ich war bei Brzezinski, der NATO-Osterweiterung ich eine Zwischenfrage stellen darf. Sie haben gerade die und der deutschen Politik in dieser Hinsicht stehen ge- blieben. Frau Merkel, jetzt haben Sie Deutschland in die SPD beschimpft und kein gutes Haar an ihr gelassen. Neuauflage eines Kalten Krieges mit Russland hineinge- (Zuruf von der SPD: Das habt ihr früher auch!) trieben, der das politische Klima vergiftet und den Frie- den in ganz Europa gefährdet. Ich kann dem in Teilen nicht zustimmen. (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Sie haben einen sinnlosen Wirtschaftskrieg angezettelt, Aber in Thüringen wiederum ist die SPD gut genug der vor allem der deutschen und der europäischen Wirt- dafür, Ihren Herrn Ramelow auf das Pferd zu setzen. schaft massiv schadet. Dort nutzt man diese Partei aus, die man jetzt so be- (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) schimpft, um einen Vorteil daraus zu ziehen und den Herrn zum Ministerpräsidenten zu machen. Man gibt der – Da Sie so stöhnen: Sie müssen ja nicht in den Unter- SPD mehr Ministerien, als eigentlich notwendig ist, und nehmen sitzen, denen die Aufträge wegbrechen. Sie sind alle solche Dinge. Das passt vorne und hinten nicht zu- da nicht Arbeitnehmer oder Unternehmer. Sie müssen sammen. das nicht ausbaden, was Sie angerichtet haben. (Widerspruch bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Hier wird über diese alte Volkspartei geschimpft, Sie warnen vor einem Flächenbrand, Frau Merkel. Aber Sie gehören doch zu denen, die mit brennendem (Beifall bei der CDU/CSU) Zündholz herumlaufen. „Verbale Aufrüstung war noch Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6501

Dr. Sahra Wagenknecht (A) immer der Anfang von Schlimmerem.“ Das hat Ihnen Ihre Politik, Frau Merkel, spaltet Deutschland und ver- (C) Hans-Dietrich Genscher nach Ihrer Rede in Sydney zu- sündigt sich an der Zukunft, weil Sie nicht den Mut ha- gerufen. ben, sich den organisierten Interessen von Banken und Konzernen entgegenzustellen. Sie haben das Erbe der Nein, man muss Putin wirklich nicht mögen. Man Entspannungspolitik verspielt und Europa in einen muss auch den russischen Kapitalismus mit seinen Oli- neuen kalten Krieg und an den Rand eines Flächen- garchen nicht mögen. brands geführt, weil Sie nicht den Mut haben, der US- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Regierung Paroli zu bieten. Das ist keine Bilanz, auf die Sie stolz sein sollten. Die Bürgerinnen und Bürger dieses Aber Diplomatie heißt, die Interessen des Gegenübers Landes jedenfalls haben eine bessere Politik verdient, ernst zu nehmen und sich nicht ignorant über sie hinweg- eine Politik, die den Anspruch auf Wohlstand für alle zusetzen. Es fällt schon auf, dass und endlich wieder ernst nimmt und die zurückkehrt zu einer Michail Gorbatschow nahezu wortgleich warnen, dass Politik der guten Nachbarschaft mit allen europäischen ohne eine deutsch-russische Partnerschaft keine Stabili- Nachbarn. tät und keine Sicherheit in Europa möglich sind. Der frü- here SPD-Vorsitzende Platzeck hat darauf hingewiesen, (Beifall bei der LINKEN – Johannes Kahrs dass der Handel zwischen Russland und den USA in die- [SPD]: Ziemlich mäßige Rede!) sem Jahr zugenommen hat, während der Handel zwi- schen Russland und Europa und vor allen Dingen Deutschland massive Einbrüche erlebt hat. Als Reaktion Präsident Dr. Norbert Lammert: arbeitet die CDU/CSU daran, sogenannte vermeintliche Das Wort hat die Bundeskanzlerin Frau Dr. Angela Russland-Versteher wie Herrn Platzeck aus dem Peters- Merkel. burger Dialog herauszudrängen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Statt auf Verstehen setzen Sie offenbar lieber auf Un- verstand. In der Ukraine kooperieren Sie mit einem Re- Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin: gime, in dem wichtige Funktionen des Polizei- und Si- cherheitsapparates mit ausgewiesenen Nazis besetzt Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen werden. Der Präsident Poroschenko redet vom totalen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Vor zehn Ta- Krieg und hat den Krankenhäusern und den Rentnern in gen habe ich am Treffen der 20 größten Volkswirt- der Ostukraine alle Zahlungen abgeklemmt. Für Premier schaften in Brisbane in Australien teilgenommen. Die Jazenjuk sind die Aufständischen – ich zitiere – „Un- jährlichen G-20-Treffen auf der Ebene der Staats- und menschen, die es auszulöschen gilt“. Statt sich mit sol- Regierungschefs sind eine Antwort auf Herausforderun- (B) chen Hasardeuren zu verbünden, gen der internationalen Finanzkrise im Jahre 2008. Da- (D) mals stand vor allem die Notwendigkeit einer globalen ( [Erfurt] [SPD]: Ja, sind die ge- Regulierung der Finanzmärkte auf der Tagesordnung. wählt oder sind die nicht gewählt?) Richtigerweise wurde der Anspruch formuliert, jeden brauchen wir endlich wieder eine deutsche Außenpoli- Finanzplatz, jedes Finanzmarktprodukt und jeden Finanz- tik, der Sicherheit und Frieden in Europa wichtiger sind marktakteur einer Regelung zu unterwerfen. Seitdem ist als Anweisungen aus Washington. manches erreicht, insbesondere bei der Regulierung inter- national agierender Banken. Wenn diese in Zukunft in (Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei der Schwierigkeiten geraten, gibt es inzwischen weltweit Me- CDU/CSU und der SPD) chanismen, die Banken abzuwickeln, ohne dass zuerst der In einem Jahr, in dem sich der Beginn des Ersten Steuerzahler dafür haften muss. Das ist ein Erfolg. Weltkriegs zum 100. und der Beginn des Zweiten Welt- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordne- kriegs zum 75. Mal jährt, wäre es dringend angebracht, ten der SPD) sich an die Aussage Willy Brandts zu erinnern: „Krieg ist nicht mehr die Ultima Ratio, sondern die Ultima Irra- Mit dieser Regelung werden außerdem Ansteckungs- tio.“ Krieg darf kein Mittel der Politik mehr sein, Frau gefahren minimiert. Aber wir müssen sehen: Eine solche Merkel. einheitliche Regulierung gibt es noch nicht für die sys- (Beifall bei der LINKEN) temrelevanten, global agierenden Schattenbanken. Sie soll bis 2016 vorliegen. Das Ziel wurde in Brisbane noch Deshalb: Kehren Sie auf den Weg der Diplomatie zu- einmal bekräftigt, das weitere Vorgehen konkretisiert. rück! Stellen Sie die Sanktionen ein! Sollten sich in der Deutschland wird allerdings darauf drängen, dass wir SPD tatsächlich die Stimmen der außenpolitischen Ver- dieses Ziel auch wirklich erreichen und nicht auf halber nunft durchsetzen – von Helmut Schmidt bis Matthias Strecke stehen bleiben. Platzeck –, dann, bitte, Frau Merkel, hören Sie auf Ihren Koalitionspartner. Beenden Sie dieses Spiel mit dem Qualitative Fortschritte wurden im G-20-Prozess Feuer! auch bezüglich der Themen Steuerehrlichkeit und Steu- ergerechtigkeit erzielt. Sie erinnern sich an die interna- (Beifall bei der LINKEN) tionale Konferenz am 29. Oktober hier in Berlin, von Ich fasse zusammen. Wolfgang Schäuble organisiert. Damit wurde eine neue Phase der Zusammenarbeit eingeleitet. Über 50 Länder ( [SPD]: Oh nein!) haben sich ab 2017 zum automatischen Informationsaus- 6502 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) tausch bei Steuerfragen verpflichtet. Ohne die G 20 wäre sehr genau verfolgt, zumal der Weg aus der europäischen (C) ein solcher Erfolg nicht möglich gewesen. Staatsschuldenkrise alles andere als einfach ist. Ebenfalls vorangekommen sind wir bei der Aufgabe, Dennoch: So schwierig und langwierig der Weg auch multinationalen Konzernen die Möglichkeit zu nehmen, ist, in Europa sind wir insgesamt auf richtigem Kurs. durch Tricks keinerlei Steuern zu zahlen. Hier gibt es Das durchschnittliche Haushaltsdefizit hat im Euro- insbesondere in Europa deutliche Fortschritte, und auch Raum 2013 mit 2,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Brisbane wurde das Ziel der Steuergerechtigkeit noch erstmals seit 2008 wieder die Maastricht-Grenze unter- einmal betont. Neben Fragen der Finanzmarktregulie- schritten. Die Bundesregierung unterstützt die Europäi- rung standen auf dem Gipfel vor allem die Fragen der sche Kommission darin, die Haushaltsplanungen der Weltwirtschaftslage im Vordergrund. Gemeinsam war Mitgliedstaaten strikt zu prüfen. Die Verlässlichkeit der dort das Bekenntnis zu nachhaltigem Wachstum. Einen gemeinsamen Regeln des Stabilitäts- und Wachstums- Schwerpunkt legte die australische Präsidentschaft auf pakts ist von großer Bedeutung für das Vertrauen in den das Thema Infrastrukturinvestitionen. Euro-Raum insgesamt. Aber etwas war jenseits der Tagesordnung an diesem Dabei geht es immer um einen Dreiklang: G-20-Gipfel besonders. Im Vorfeld dieses Gipfels hatten Erstens: Solide Haushalte. Dafür gilt der Stabilitäts- sich die Länder der Asien-Pazifik-Region beim Asien- und Wachstumspakt. Der Name ist Programm; denn Pazifik-Gipfel in Peking und beim ASEAN-Gipfel in nachhaltiges Wachstum und solide Haushaltsführung be- Myanmar getroffen. Die dann anschließend auch beim dingen einander; das zeigt sich immer wieder. G-20-Gipfel teilnehmenden Staaten der Asien-Pazifik- Region machten in Brisbane deutlich, dass für sie eine Zweitens: Wachstumsfördernde Strukturreformen. In wesentliche Triebkraft für wirtschaftliches Wachstum den von der Krise besonders betroffenen Ländern, aber – und die Dynamik in der Region ist groß – der Freihan- nicht nur dort, sind diese Reformen unabdingbar für del ist. Dazu werden die Verhandlungen zur transpazifi- nachhaltiges Wachstums. Der in der Wirtschafts- und schen Partnerschaft, dem pazifischen Äquivalent zum Währungsunion beschrittene Weg ist der richtige. Das Transatlantischen Freihandelsabkommen, zügig voran- zeigen die Länder, die ihre Anpassungsprogramme er- getrieben und eventuell schon in der ersten Jahreshälfte folgreich beendet haben. Irland zum Beispiel wächst in 2015 abgeschlossen. Während des bilateralen Besuchs diesem Jahr mit 4,6 Prozent stärker als jedes andere des chinesischen Präsidenten Xi in Australien nach dem Land im Euro-Raum. Portugal wächst erstmals seit zwei G-20-Gipfel wurde ein Freihandelsabkommen zwischen Jahren wieder und liegt sogar leicht über dem Durch- Australien und China unterzeichnet. schnitt des Euro-Raums. Die Arbeitslosigkeit geht in beiden Ländern Schritt für Schritt zurück, voraussicht- (B) Das sind nur zwei Beispiele von vielen in der Region, (D) lich noch stärker als im Frühjahr prognostiziert. Aller- die deutlich machen: Die Welt wartet nicht auf Europa. dings: Der Weg zu mehr Arbeitsplätzen, insbesondere (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- für junge Menschen, ist noch lang und steinig. neten der SPD) Deshalb muss Europa – drittens – Investitionen in die Wenn es uns nicht gelingt, das Transatlantische Freihan- Zukunft fördern. Wir leisten mit mehr Investitionen in delsabkommen zügig zu verhandeln, werden wir nicht eine gute Zukunft unseres Landes auch einen Beitrag zu nur im internationalen Handel große Nachteile gegen- einer guten Zukunft Europas. Die Bundesregierung un- über anderen Regionen haben – eine schwere Bürde für terstützt daher im Grundsatz das heute von Kommis- ein Exportland wie Deutschland –, sondern wir werden sionspräsident Juncker vorgelegte Paket, mit dem die auch Chancen verpassen, internationale Standards im Kommission zusammen mit der Europäischen Investi- globalen Handel im Blick auf Ökologie, Verbraucher- tionsbank zusätzliche Investitionen in Höhe von über schutz und rechtsstaatliche Mittel überhaupt noch mitbe- 300 Milliarden Euro mobilisieren will. Wir betonen, stimmen zu können, und das wollen wir ja. dass Investitionen wichtig sind, dass aber vor allem klar sein muss, wo die Projekte der Zukunft liegen. Ein we- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordne- sentlicher Schwerpunkt ist für mich, die Chancen der Di- ten der SPD) gitalisierung für Europa zu ergreifen. Europa muss vor In Brisbane war mit Händen zu greifen, mit welcher allem wieder attraktiver werden für private Investitio- Dynamik sich gerade der asiatisch-pazifische Raum nen. Es kommt zentral auf einen investitionsfreundli- wirtschaftlich entwickelt und wie er sich mit großem chen Rahmen an, etwa durch Bürokratieabbau, um Selbstbewusstsein präsentiert. Das war erkennbar eine kleine und mittlere Unternehmen als wichtige Träger Herausforderung für die teilnehmenden europäischen von Wachstum und Beschäftigung zu entlasten, sowie Länder. Neben Deutschland waren das Großbritannien, durch die notwendigen Strukturreformen in den Mit- Frankreich, Italien und Spanien sowie die Europäische gliedstaaten, um Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Kommission und der Präsident des Europäischen Rates. Beschäftigung zu stärken. Deshalb war es richtig und wichtig, dass wir Europäer (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- gemeinsam mit Präsident Obama am Rande des G-20- neten der SPD) Gipfels noch einmal unterstrichen haben, dass die Ver- handlungen der Europäischen Union mit Amerika über Liebe Kolleginnen und Kollegen, neben den Themen ein Transatlantisches Freihandelsabkommen absolute der Finanzmarktregulierung und des wirtschaftlichen Priorität haben. Die Entwicklung Europas wird weltweit Wachstums hat am Rande des G-20-Gipfels natürlich Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6503

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) immer auch die geopolitische internationale Lage eine Was dann geschah, wissen wir: Präsident Janukowitsch (C) zentrale Rolle gespielt. Im Übrigen liegt auch gerade in hat das Abkommen in Vilnius nicht unterzeichnet. Das diesem Austausch über die weltweite außen- und sicher- war selbstverständlich seine freie Entscheidung als Prä- heitspolitische Lage die große Chance solcher internatio- sident der Ukraine. Es folgten die Demonstrationen auf nalen Konferenzen. Dialog kann Konflikte entschärfen, dem Maidan, die Flucht von Präsident Janukowitsch Gemeinsamkeiten aufzeigen und Vertrauen schaffen. nach Russland, später dann die Annexion der Krim durch Russland. Um es ganz klar zu sagen: Bei allen Drei Themen standen in Brisbane dabei besonders im Schwierigkeiten, die aus der Unterzeichnung eines Frei- Mittelpunkt unserer Gespräche: handelsabkommens mit der EU für den ukrainisch-russi- schen Handel ohne jeden Zweifel entstehen können und Erstens: Ebola. Diese schreckliche Krankheit breitet über die ich auch wieder und wieder mit dem russischen sich in Westafrika aus. Tausende Opfer sind in Liberia, Präsidenten gesprochen habe, muss gelten: Nichts davon Guinea und Sierra Leone zu beklagen. Die betroffenen rechtfertigt oder entschuldigt die Annexion der Krim Länder gehören zu den ärmsten Ländern der Welt. Unter durch Russland. der Krise drohen die fragilen staatlichen Strukturen zu- sammenzubrechen. Es besteht die Gefahr, dass sich die (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem Epidemie immer weiter ausbreitet. Deshalb ist Ebola BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) auch zusehends eine Gefahr für die internationale Si- Nichts davon rechtfertigt oder entschuldigt die direkte cherheit. Die G 20 haben sich in einer gemeinsamen Er- oder indirekte Beteiligung Russlands an den Kämpfen in klärung verpflichtet, alles Notwendige zu tun, um sicher- Donezk und Luhansk. zustellen, dass die internationalen Bemühungen, die Ebolaepidemie einzudämmen und zu stoppen, auch er- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem folgreich sind. Auf lange Sicht müssen wir Strukturen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schaffen, und zwar internationale Strukturen, die ein Russland missachtet die territoriale Integrität der besseres Krisenmanagement in solchen Situationen ge- Ukraine, und das, obwohl Russland sich gemeinsam mit währleisten. Entscheidend ist eine bessere Umsetzung Großbritannien und den Vereinigten Staaten von Ame- der Gesundheitsregeln der Weltgesundheitsorganisation, rika im Budapester Memorandum 1994 genau zum und es ist wichtig, die Gesundheitssysteme weltweit zu Schutz dieser territorialen Integrität verpflichtet hat. Das stärken. Die Bundesregierung unterstützt die internatio- Vorgehen Russlands stellt die europäische Friedensord- nalen Hilfsanstrengungen mit über 100 Millionen Euro. nung infrage und bricht internationales Recht. Ich danke dem Bundestag für die Bewilligung dieser Mittel – sie werden dringend benötigt –, und ich danke (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (B) vor allen Dingen auch den Hilfsorganisationen, die unter neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE (D) schwierigsten Umständen in den betreffenden Ländern GRÜNEN) Außerordentliches leisten. Meine Damen und Herren, militärisch ist dieser Kon- flikt nicht zu lösen. Die Politik der Bundesregierung (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem folgt vielmehr einem Ansatz aus drei Elementen: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- geordneten der LINKEN) Erstens. Wir unterstützen die Ukraine politisch und auch ökonomisch. Zweitens. Breiten Raum bei den Gesprächen in Bris- bane hat die Krise in der Ukraine eingenommen. Erin- Zweitens. Wir lassen nichts unversucht, in Gesprä- nern wir uns: Vor fast genau einem Jahr habe ich in mei- chen mit Russland zu einer diplomatischen Lösung zu ner Regierungserklärung zum Gipfel der Östlichen kommen, ich zuletzt in Brisbane bei meinen Gesprächen Partnerschaft in Vilnius mit Blick auf das Assoziierungs- mit dem russischen Präsidenten, genauso wie der Au- abkommen zwischen der Europäischen Union und der ßenminister Steinmeier bei seinen Gesprächen mit dem Ukraine, Georgien und Moldawien und das Verhältnis zu russischen Außenminister und dem russischen Präsiden- Russland unter anderem hier im Deutschen Bundestag ten vor wenigen Tagen in Moskau und jetzt auch wieder gesagt – ich darf zitieren –: in Wien. In allen Verhandlungen haben wir uns für die Sicherheit der Gaslieferungen eingesetzt. Für das Han- Die EU hat immer wieder Gesprächsangebote an delsabkommen mit der Ukraine haben wir eine Verhand- Russland gerichtet, um die beiderseitigen Vorteile lungszeit von zwölf Monaten eingeräumt, um die einer Kooperation herauszuarbeiten. Wir müssen Probleme zu lösen, die Russland in seinen Änderungs- – das ist meine tiefe Überzeugung – weiter daran vorschlägen für das Handelsabkommen vorgelegt hat. arbeiten, dass es kein Entweder-oder zwischen ei- Wir setzen uns für die Einhaltung des Minsker Abkom- ner Annäherung der Länder der Östlichen Partner- mens ein. Wir sind bereit zu Gesprächen zwischen der schaft an die EU und dem russischen Bemühen um Eurasischen Union und der Europäischen Union über eine engere Partnerschaft mit diesen Ländern geben Handelsfragen. sollte. Die EU hat Russland dafür Vorschläge unter- Und dennoch: Noch immer ist die Situation in breitet, über die wir schnellstmöglich sprechen Luhansk und Donezk weit entfernt von einem Waffen- müssen. stillstand. Deshalb sind und bleiben drittens wirtschaftli- che Sanktionen weiterhin unvermeidlich. So weit meine Regierungserklärung hier in diesem Haus am 18. November 2013. (Zuruf von der LINKEN: Das ist keine Logik!) 6504 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) Es zeigt sich: Für unsere Bemühungen, die Krise zu denn mit diesem Haushalt muss der Bund im kommen- (C) überwinden, brauchen wir Geduld und einen langen den Jahr zum ersten Mal seit 46 Jahren keine neuen Atem. Das Ziel unseres Handelns ist eine souveräne und Schulden machen, um seine Vorhaben und Verpflichtun- territorial unversehrte Ukraine, die über ihre Zukunft gen bezahlen zu können. – nicht mehr und nicht weniger – selbst entscheiden (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) kann. Das gilt auch für kommende Jahre. Jahrzehntelang hat (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem der Staat über seine Verhältnisse gelebt. Damit machen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wir Schluss. Das Ziel ist die Durchsetzung der Stärke des Rechts ge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- gen das vermeintliche Recht eines Stärkeren. So anstren- neten der SPD) gend und lang der Weg auch ist, so überzeugt bin ich dennoch, dass er uns gelingen wird. Deutschland ist Garant für Verlässlichkeit und Stabili- tät – für die Bürger wie für die Wirtschaft. Das ist wich- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- tig für unser Land, aber auch wichtig für die Europäische neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Union und die Euro-Zone; denn Deutschland wird als GRÜNEN) Stabilitätsanker und Wachstumsmotor gebraucht. Meine Damen und Herren, alle Teilnehmer des G-20- Das Ziel, keine neuen Schulden zu machen, ist realis- Gipfels bewegten in Brisbane außerdem die Tragödie in tisch; denn obwohl sich die Wirtschaftsdaten aufgrund Syrien und die Lage im Irak. In beiden Ländern wütet der vielen internationalen Krisenherde zuletzt eingetrübt die Terrormiliz IS. Sie ist eine der brutalsten Bedrohun- haben, ist die Ausgangslage robust. Die Zahl der Ar- gen für das Leben der Menschen in der Region – mehr beitslosen ist weiter gesunken. Sie lag im Oktober bei noch: für ganze Staaten –, die es je gegeben hat. Der IS 2,7 Millionen, die Arbeitslosenquote bei 6,3 Prozent. lockt zudem Tausende ausländische Kämpfer an, auch Die Zahl der Erwerbstätigen hat ein historisches Hoch aus den G-20-Ländern, im Übrigen aus allen G-20-Län- erreicht. Knapp 43 Millionen Menschen haben einen Ar- dern, egal ob sie auf der anderen Erdhalbkugel liegen beitsplatz, und der Anstieg geht vor allem auf den An- oder hier in Europa. Seine radikale Enthemmung und stieg der Zahl sozialversicherungspflichtiger Beschäfti- Bereitschaft zu morden bedrohen auch unsere Sicher- gungsverhältnisse zurück; die Zahl liegt jetzt bei über heit. 30 Millionen. Die Bundesregierung trägt deshalb aktiv zum Kampf (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- gegen den IS im Irak bei: durch Lieferung von Ausrüs- neten der SPD) (B) tung und Munition an die kurdische Regionalregierung. (D) Es bedarf auch hier der gemeinsamen Anstrengung der Die gute Lage am Arbeitsmarkt ermöglicht auch spür- Weltgemeinschaft gegen diese Bedrohung. bare Lohnzuwächse; das war ja viele Jahre nicht so. Gute Beschäftigung sowie kräftige Lohnabschlüsse und Eine der dramatischsten Folgen der weltweiten Kri- stabile Preise sorgen insgesamt für eine stabile Binnen- sen, Kriege und humanitären Katastrophen ist ohne konjunktur. Das Wirtschaftswachstum wird in diesem Zweifel ein starker Anstieg der weltweiten Flüchtlings- Jahr voraussichtlich 1,2 Prozent betragen. Die Lohnzu- zahlen, der uns alle vor große Herausforderungen stellt. satzkosten bleiben in etwa konstant. Die Senkung der Allein nach Deutschland werden 2014 voraussichtlich Rentenbeiträge auf 18,7 Prozent fängt die Steigerung der mehr als 200 000 Asylbewerber kommen. Wir versu- Pflegebeiträge in etwa auf. Ziel der Bundesregierung ist chen, den vielen Menschen, die derzeit keinen anderen es, durch vernünftige Haushaltspolitik in den kommen- Weg sehen, als ihre Heimat zu verlassen, auch dadurch den drei Jahren die gesamtstaatliche Schuldenquote auf zu helfen, dass wir die Ursachen der Flucht in ihren Hei- weniger als 70 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu re- matländern bekämpfen. Auch deshalb engagieren wir duzieren. Dadurch bleibt der Staat auch in Zukunft hand- uns gegen den IS in Syrien und im Irak, und deshalb en- lungsfähig, wenn der demografische Wandel noch stär- gagieren wir uns auch in Zukunft weiter in Afghanistan. ker als heute spürbar sein wird. Dort löst am 1. Januar 2015 die Mission Resolute Support den ISAF-Einsatz ab. In Zukunft beteiligen wir Meine Damen und Herren, künstliche Gegensätze uns daran, afghanische Sicherheitskräfte auszubilden, zu oder Entweder-oder-Debatten, die in vergangenen Mo- beraten und zu unterstützen. naten immer wieder ausführlich geführt wurden, verne- beln nicht nur die Sicht auf die Realität; sie vernebeln Das, meine Damen und Herren, ist das weltwirt- auch die Sicht auf die Interessen Deutschlands und Euro- schaftliche und geopolitische Umfeld, in dem heute un- pas. Ein solider Haushalt und eine Politik, die Wirt- sere Beratungen zum Bundeshaushalt 2015 stattfinden. schaftswachstum fördert und investiert, sind keine Ge- Natürlich bleibt diese geopolitische Lage nicht ohne gensätze, sondern zwei Seiten ein und derselben Auswirkungen auch auf die wirtschaftliche Lage in un- Medaille. Es gibt nicht gute Sozialpolitik oder gute Wirt- serem Land. Denken wir nur daran, dass Wirtschafts- schaftspolitik; nur zusammen wird ein Schuh daraus, nur sanktionen gegen Russland natürlich auch die deutsche zusammengedacht ist es das, was wir soziale Marktwirt- Wirtschaft treffen. Daran kann es keinen Zweifel geben. schaft in unserem Lande nennen. Es kann deshalb gar nicht hoch genug geschätzt werden, dass es Deutschland trotzdem gelingt, mit diesem Haus- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- halt für Deutschland einen Wendepunkt zu markieren; neten der SPD) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6505

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) Zukunftsweisende Umwelt- und Energiepolitik sind EEG-Umlage zu durchbrechen. Aktuelle Zahlen zeigen, (C) keine Gegensätze zu wirtschaftsfreundlicher Politik, dass wir dieses Ziel im kommenden Jahr erreicht haben sondern sie sind moderne Wirtschaftspolitik. Wir schaf- werden. Es bleibt aber eine langfristige Aufgabe, die fen für Bürger und Unternehmen stabile und verlässliche Energiewende so zu gestalten, dass auch Versorgungs- Rahmenbedingungen, damit sie in die eigene Zukunft in- sicherheit gewährleistet bleibt und Bezahlbarkeit für alle vestieren können – sei es der Einzelne, der für seine Fa- gegeben ist. milie spart, sei es der Unternehmer, der in die Zukunft Die Energiewende ist eine der größten Herausforde- der Firma investiert. Dafür muss der Staat Vertrauen rungen – für Politik wie für die Volkswirtschaft insge- schaffen und erhalten – Vertrauen in stabile politische samt. Sie ist und bleibt eine Herkulesaufgabe, eine natio- Rahmenbedingungen, Vertrauen in gute Infrastruktur, nale Kraftanstrengung, und sie geht nicht ohne Vertrauen in verlässliche Sozialsysteme, Vertrauen in ei- Strukturveränderungen und Härten ab. Aber sie ist eine nen Staat, der gut haushaltet, der mit den Steuern der Ar- der großen Investitionen in die Zukunft Deutschlands, in beitnehmerinnen und Arbeitgeber verantwortungsvoll Wachstums- und Arbeitschancen und damit in zukünfti- umgeht. Dann investieren Menschen in Deutschland, gen Wohlstand. dann entstehen weitere Arbeitsplätze, und die vorhande- nen können gesichert werden; dann kann unser Land mit Die nächsten Schritte sind: Klarheit über den Lei- den vielfältigen Herausforderungen der Zukunft umge- tungsausbau – beschleunigter Leitungsausbau im Übri- hen. gen –, Entscheidung über das Ob und Wie von Kapazi- tätsmärkten und die Aufgabe, den Einklang von Meine Damen und Herren, es ist richtig: Deutschland Energiewende und Klimaschutzverpflichtungen herzu- ist heute eines der wettbewerbsfähigsten Länder der stellen. Welt. Dies bestätigte jüngst wieder der Report zur globa- len Wettbewerbsfähigkeit des Weltwirtschaftsforums. Meine Damen und Herren, wir gestalten den digitalen Dort nehmen wir den fünften Platz ein. Er stellt zudem Wandel – eine, wenn vielleicht nicht die zentrale Gestal- fest, dass der Bestand an öffentlichen Investitionen in tungsaufgabe für Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilge- Deutschland hoch und qualitativ gut ist. Beim Infra- sellschaft. Aus diesem Grund hat die Bundesregierung strukturindex belegt Deutschland Rang 7 von 144 Län- die Digitale Agenda als eines der großen Projekte dieser dern. Aber darauf ruhen wir uns nicht aus. Wettbewerbs- Legislaturperiode definiert. Dazu gehören die flächende- fähigkeit muss immer wieder neu erarbeitet werden. ckende Breitbandversorgung und die geplante Versteige- Dazu muss unser Land innovativ bleiben und in Pro- rung der 700-Megahertz-Mobilfunkfrequenzen. Ich bin dukte und Dienstleistungen von morgen investieren. zuversichtlich, dass die ausstehende Einigung mit den Ländern zur Bereitstellung der zusätzlichen Frequenzen Wir haben im Koalitionsvertrag als Bundesregierung (B) bis zur Ministerpräsidentenkonferenz im Dezember ge- (D) vereinbart, in Deutschland eine Investitionsquote anzu- lingt. streben, die dauerhaft über dem Durchschnitt der OECD liegt. Die Bundesregierung arbeitet an einer Investitions- Das Kursbuch Netzausbau, das die Netzallianz Digi- strategie, die unsere Möglichkeiten systematisch erfasst tales Deutschland Anfang Oktober beschlossen hat, kon- und Verbesserungen aufzeigt. Vor allem bürokratische kretisiert Maßnahmen und Weichenstellungen für den Lasten für die Wirtschaft sollen möglichst gering gehal- zügigen Breitbandausbau. Wir kommen damit dem Ziel ten werden. Dazu haben wir gerade gestern wieder Be- näher, bis 2018 eine flächendeckende Breitbandversor- schlüsse gefasst. gung mit Geschwindigkeiten von mindestens 50 Mega- bit pro Sekunde zu erreichen. Das ist wichtig für Unter- Darüber hinaus wollen wir die Investitionen des Bun- nehmen, wichtig für die deutsche Forschungslandschaft, des ab 2016 nochmals um 10 Milliarden Euro erhöhen. wichtig für den Alltag und die Lebensqualität jedes Ein- Gerade durch Haushaltsdisziplin werden nachhaltige In- zelnen. vestitionen möglich: im Verkehrsbereich, in der Energie- versorgung, bei der Gestaltung des digitalen Wandels Wir müssen allerdings die Digitale Agenda auch im und in Bildung und Forschung. europäischen Rahmen umsetzen. Das Telekommunikati- onspaket mit so wichtigen Fragen wie Netzneutralität Deutschland hat eines der besten Verkehrsnetze welt- wird diese Woche wieder in der Europäischen Union be- weit, und die Bundesregierung wird über die ganze Le- raten, genauso laufen die entscheidenden Beratungen zur gislaturperiode hinweg 5 Milliarden Euro an zusätz- Datenschutzgrundverordnung. Bei beidem wird über lichen Mitteln bereitstellen, um die Erhaltung und nicht mehr und nicht weniger entschieden, ob Europa ein Modernisierung unseres Verkehrsnetzes voranzutreiben. spannender Investitionsstandort im globalen Wettbewerb Die Aufwendungen des Bundes für Verkehrsinfrastruk- sein wird in den nächsten Jahren und ob es uns gelingt, tur summieren sich auf 34 Milliarden Euro bis 2017. den Wandel der Industrie zur Industrie 4.0 zu gestalten, Meine Damen und Herren, wenn wir über die Infra- beides absolut entscheidende Zukunftsaufgaben. struktur sprechen, dann ist natürlich auch die Energie ein (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- wichtiges Thema. Die EEG-Novelle ist seit dem 1. Au- neten der SPD) gust dieses Jahres in Kraft. Diese Reform schafft klare Rahmenbedingungen für den weiteren Um- und Ausbau Meine Damen und Herren, die Innovationskraft unserer Energieversorgung. Zugleich gibt sie Planungs- Deutschlands und die Spitzenstellung als Wirtschafts- sicherheit für notwendige Investitionen. Es ist weiter un- und Wissenschaftsstandort sind das Ergebnis unseres ser Ziel, die Kostendynamik bei der Entwicklung der konsequenten Engagements für Bildung und Forschung. 6506 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) Von 2005 bis 2013 hat der Bund seine Ausgaben für For- Meine Damen und Herren, die Menschlichkeit unse- (C) schung und Entwicklung um knapp 60 Prozent gestei- rer Gesellschaft entscheidet sich auch an ihrem Umgang gert. Mittlerweile liegen die Ausgaben bei rund mit denen, die Pflege brauchen. Der Deutsche Bundestag 14,4 Milliarden Euro. Heute gehören wir zur Spitzen- hat am 17. Oktober das Erste Pflegestärkungsgesetz be- gruppe in Europa, und wir werden auch in den kommen- schlossen. Es tritt zum 1. Januar 2015 in Kraft, und wir den Jahren alles tun, um das Ziel zu erreichen, 3 Prozent haben damit ein Leistungspaket für alle Pflegebedürfti- des Bruttoinlandsprodukts in Forschung und Entwick- gen und ihre Angehörigen verabschiedet, das die Leis- lung zu investieren. tungen der Kurzzeit- und Verhinderungspflege sowie der Tages- und Nachtpflege verbessert. Es wird vor allen 2015 steigt der Haushalt des Bundesbildungsministe- Dingen auch die Lebensqualität der Pflegebedürftigen in riums um 1,3 Milliarden Euro auf knapp 15,3 Milliarden Pflegeheimen verbessert. Die Pflege in Deutschland soll Euro. In dieser Legislaturperiode investieren wir insge- sich damit stärker am Menschen, am Bedürftigen orien- samt 9 Milliarden Euro zusätzlich in Bildung und For- tieren. schung, und dazu gehört die 100-prozentige Übernahme der Finanzierung des BAföG für Schüler und Studie- Zu den Schwächsten einer Gesellschaft gehören im rende. Wir entlasten die Länder erheblich, und wir ent- Übrigen auch die, die wegen Verfolgung oder aus Not lasten sie dauerhaft. Der Bund erwartet, dass diese Mittel und Verzweiflung ihre Heimat verlassen und zu uns für die Bildung natürlich auch in den Ländern diesem kommen. Wir stehen zu unserer Verantwortung, Flücht- Zweck zugutekommen, insbesondere den Hochschulen. linge zu unterstützen und politisch Verfolgten Asylrecht zu gewähren. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wichtig ist: Beim Thema Bildung geht es eben nicht nur um Wissenschaftler, um Forschung und Spitzenleis- Die Bundesregierung hat eine Reihe von Maßnahmen er- tungen, sondern es geht genauso um Ausbildung und be- griffen, um Länder und Kommunen bei der Bewältigung rufliche Bildung. dieser Herausforderung besser zu unterstützen. Deshalb stellen wir den Kommunen Liegenschaften zur Flücht- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie lingsunterbringung zur Verfügung und haben im Haus- des Abg. [Peine] [SPD]) halt 2014 300 neue Stellen beim Bundesamt für Migra- tion und Flüchtlinge geschaffen. Deutschland wird weltweit um das duale System der Be- rufsbildung beneidet, und das zu Recht. Sie bietet jungen Es war richtig und politisch geboten, Bosnien-Herze- Menschen solide und praxisnahe Qualifizierung und ei- gowina, Mazedonien und Serbien zu sicheren Herkunfts- (B) nen erfolgreichen Einstieg in den Beruf an. staaten zu erklären. Seit Anfang November können von (D) vornherein erkennbar aussichtslose Asylanträge von An- Wir wollen Qualität und Attraktivität der beruflichen gehörigen dieser Staaten schneller bearbeitet und somit Bildung weiter stärken und junge Menschen im Ausbil- die Anträge tatsächlich politisch Verfolgter zügig ent- dungssystem besser begleiten, sofern das nötig ist. Die schieden werden. Das muss unser Ziel sein. Bundesregierung will deshalb gemeinsam mit Ländern und Sozialpartnern eine Ausbildungsallianz beschließen, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) und ich hoffe, dass die Verhandlungen bald abgeschlos- Der Bund ist mit den Ländern über weitere Unterstüt- sen werden können. zungsmöglichkeiten gerade in diesen Tagen im Ge- Außerdem wollen wir die Potenziale von Jugendli- spräch. chen aus Zuwandererfamilien besser wecken. Aus die- Natürlich muss dies alles untrennbar damit verbunden sem Grund wird der 7. Integrationsgipfel in der nächsten sein, alles dafür zu tun, dass die Menschen vor allem in Woche, am 1. Dezember, den Schwerpunkt „berufliche ihren Heimatländern eine Zukunft sehen und dass sie Ausbildung“ haben. dort eine Zukunft haben. Dafür setzt sich die Bundesre- Junge Familien wollen darüber hinaus natürlich Fa- gierung ein; die Initiativen von Bundesminister Müller milie und Beruf vereinbaren. Das Elterngeld Plus macht zielen genau in diese Richtung. es für Mütter und Väter künftig einfacher, Elterngeldbe- Im Übrigen wird auch das kommende Jahr ohne zug und Teilzeitarbeit miteinander zu kombinieren. Zweifel im Zeichen der globalen Herausforderungen ste- Auch die Elternzeit wird deutlich flexibler. Ziel ist es, hen. Deutschland hat im Augenblick die G-7-Präsident- den jungen Eltern den Rücken zu stärken, die gemein- schaft inne. Sie wird unsere Arbeit im Jahr 2015 maß- sam für ihre Kinder da sein wollen. Ich weiß, dass diese geblich prägen. Im Rahmen der deutschen G-7- Regelung allen, auch den Arbeitgebern, mehr Flexibilität Präsidentschaft wollen wir gezielt die Themen aufgrei- abverlangt. Dies gilt im Übrigen auch für die Frauen- fen, die für die Zukunft der einen Welt von großer Be- quote. Dennoch: Sie ist beschlossen, und sie wird kom- deutung sind. Dazu gehören die Erarbeitung neuer Ent- men. Wir werden uns noch im Dezember, am 11. De- wicklungsziele, die sogenannte Post-2015-Agenda, die zember, im Kabinett damit befassen. die bisherigen Millenniumsziele ablösen werden; dazu (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) gehört die Überwindung der absoluten Armut bis 2030; dazu gehört der Schutz des Klimas und der Meere; dazu Wir können es uns nicht leisten, auf die Kompetenzen gehört der Kampf gegen Antibiotikaresistenzen und ver- der Frauen zu verzichten. nachlässigte tropische Krankheiten; dazu gehören auch Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6507

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) die Stärkung von Frauen bei der Selbstständigkeit und (Langanhaltender Beifall bei der CDU/CSU – (C) bei der beruflichen Bildung sowie die stärkere Beach- Langanhaltender Beifall des Abg. Thomas tung sozialer und ökologischer Standards im internatio- Oppermann [SPD] – Volker Kauder [CDU/ nalen Handel. Das sind unsere Schwerpunktthemen, die CSU]: Haltet durch! Haltet durch! – Anhalten- wir gemeinsam als Bundesregierung erarbeitet haben. der Beifall bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Wir wollen in unserer Präsidentschaft konkrete Ver- Das Wort erhält nun der Kollege Anton Hofreiter für besserungen für die Menschen erreichen, in den Ländern die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. der G 7, aber auch weit darüber hinaus, nicht zuletzt auch in den Entwicklungsländern. Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ein Beispiel ist der Kampf gegen die sich weltweit Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und ausbreitenden Antibiotikaresistenzen. In der Folge wird Kollegen! Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, bei den die Behandlung vieler Infektionskrankheiten immer Feierlichkeiten zum 25. Jahrestag der friedlichen Revo- schwieriger, Infektionen dauern länger, die Sterblichkeit lution haben Sie einen bemerkenswerten Satz gesagt: steigt. Ich begrüße ausdrücklich eine Reduzierung des „Nichts muss so bleiben, wie es ist.“ Das ist ein Satz, der Einsatzes von Antibiotika vor allem bei der Nutztierhal- Mut macht. Er strahlt aus, dass wir unser Schicksal in tung. Wir müssen überlegen, was wir tun können, damit der Hand haben. Diese Gewissheit hat den Menschen die Ausbrüche von Infektionskrankheiten in Zukunft schnel- Kraft gegeben, für eine bessere Zukunft aufzustehen. Für ler und besser bekämpft werden können. Zur Verhinde- mich ist das Teil der großartigen Geschichte der friedli- rung solcher Epidemien in der Zukunft können Impfun- chen Revolution vor 25 Jahren. gen einen entscheidenden Beitrag leisten. Ich freue mich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN deshalb, dass die GAVI-Geberkonferenz – das ist die sowie der Abg. Matthias W. Birkwald [DIE Global Alliance for Vaccines and Immunization, also für LINKE] und [DIE LINKE]) Impfungen – im Rahmen der deutschen G-7-Präsident- schaft im nächsten Januar hier in Berlin stattfindet. Dieser Satz kann uns auch heute Mut machen. Auch in einer Zeit voller Krisen können wir unsere Zukunft (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- selbst gestalten und zum Besseren wenden. Aber dieser neten der SPD) Satz macht nur dann Mut, wenn man eine Ahnung hat, was in Zukunft sein soll. Da frage ich mich: Was folgt Wir hoffen natürlich auf ein gutes Ergebnis. für Sie, Frau Kanzlerin, aus Ihrem Satz für Deutschlands (B) Am 7. und 8. Juni nächsten Jahres wird dann in El- Zukunft? (D) mau der G-7-Gipfel stattfinden. (Zuruf von der LINKEN: Nichts!) (Zuruf von der LINKEN) Was ist Ihre Vision für unser Land? Wie soll es in 10, 20 oder 30 Jahren aussehen? Wenn ich Ihnen zuhöre, dann Dort werden wir neben den genannten humanitären Fra- sehe ich nur diffusen grauen Nebel vor mir. gen natürlich auch die Lage der Weltwirtschaft sowie Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik erörtern. Wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN werden das Gespräch mit der Zivilgesellschaft suchen, sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Wi- mit der wir die Kräfte bündeln wollen. Selbstverständ- derspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU – lich wird die Bundesregierung den Deutschen Bundestag Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie hocken zu regelmäßig zum G-7-Gipfel unterrichten. viel in Ihren Tälern! Gehen Sie lieber auf die Alpen!) Meine Damen und Herren, nach einigen Jahren gra- vierender wirtschaftlicher Krisen mit großen Auswir- Ohne gute Ideen, ohne eine Vorstellung von unserer kungen auf die Menschen sind wir in diesem Jahr in Zukunft hat Deutschland schlechte Aussichten. Wenn besonderer Weise mit sicherheitspolitischen und huma- wir nicht endlich beim Klimaschutz wirklich vorange- nitären Krisen konfrontiert, die weltweit viele Menschen hen, dann zerstören wir unsere Lebensgrundlagen. Wenn bedrohen oder töten und Staaten an den Rand des Zer- wir nicht endlich die Elektromobilität vernünftig umset- falls bringen. Einmal mehr spüren wir, wie sehr die Poli- zen, bauen am Ende Tesla und Google die Fahrzeuge der tik gefordert ist. Sie ist gefordert, Verantwortung zu Zukunft und nicht Mercedes und VW. Wenn wir Frauen übernehmen nicht endlich anständig bezahlen, dann ist das nicht nur ungerecht, sondern dann werden auch Wissen und Fä- (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) higkeiten verschwendet. für unsere Werte und Interessen, für die Gestaltung einer (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN menschlichen Weltordnung. Sie ist gefordert, Position zu sowie bei Abgeordneten der LINKEN) beziehen für Frieden und Freiheit. Die Bundesregierung ist sich ihrer Verantwortung gegenüber den Menschen Wenn weiter nur darüber geredet wird und die Banken unseres Landes und gegenüber unseren Partnern in Eu- und das Finanzsystem insgesamt nicht wirklich reguliert ropa bewusst. werden, droht die Gefahr, dass wir wieder mit Milliarden an Steuerzahlergeld unser Finanzsystem retten müssen. Herzlichen Dank. Glauben Sie denn im Ernst, liebe Kolleginnen und Kol- 6508 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014

Dr. Anton Hofreiter (A) legen von der Großen Koalition, dass Sie mit Rentenge- Ich wünsche mir ein Land, das Weltmeister in der (C) schenken an Ihre Stammwähler, Flüchtlings- und Entwicklungshilfe ist, ein Deutschland, das ohne räuberischen Verbrauch von Ressourcen aus- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das sind kommt, mit einer vielfältigen und kleinräumigen Land- keine Geschenke! Das ist alles erarbeitet!) wirtschaft, dank der wir keine Angst vor multiresistenten mit Kohlekraftwerken aus der Zeit Konrad Adenauers Keimen aus tierquälerischen Massentierhaltungsställen und der Ausländermaut die Zukunft Deutschlands si- haben müssen, ein Land, in dem wir uns schnell, nach- chern? Das ist doch wirklich aberwitzig, was Sie hier haltig und pünktlich auf der Schiene bewegen, ein Land machen. mit E-Autos und E-Bikes. So eine Vision könnte einen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aufbruch schaffen, könnte Ideen freisetzen und, ja, so- gar ein neues Wirtschaftswunder schaffen. Frau Bundeskanzlerin, schauen Sie sich hier, in Ihrem Raum, um. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Dr. Rolf Mützenich [SPD]: In ihrem Raum?) Ihre Politik, Frau Merkel, lebt leider von einer unter- schwelligen Angst, von einer Angst vor Veränderungen, Hier sitzen wirklich Unmengen von Leuten. von einer Angst vor der Konkurrenz aus China und (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Indien, von einer Angst vor der Welt da draußen, wegen „Unmengen“!) der wir uns angeblich keinen Umbau in der Wirtschaft leisten können, angeblich keine Reformen, angeblich Hier sitzt Ihre Große Koalition. Aber Ihre Maximalko- nicht mehr Sozialpolitik, nicht mehr Gerechtigkeit, nicht alition macht nichts anderes als Miniaturpolitik. „Nichts mehr Umweltschutz, nicht mehr Nachhaltigkeit, nicht muss bleiben, wie es ist.“ Dieser Satz würde Mut ma- mehr Zukunft. Aber wissen Sie, diese Angst produziert chen, wenn er für Ihren Koalitionsvertrag gelten würde. nur Stillstand. Was wir brauchen, ist ein Aufbruch. Wir Aber wenn ich in Ihren Koalitionsvertrag schaue, finde brauchen einen echten Fortschritt und Visionen von ei- ich keine Ideen für die Zukunft. Finden Sie Ideen für die nem besseren Deutschland. Zukunft? Ich würde Ihnen eines vorschlagen: Schmeißen Sie einfach Ihren Koalitionsvertrag weg, und fangen Sie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) noch mal neu an! Sie haben immerhin noch drei Jahre Und wenn sich doch mal eine kleine, nette Fortschritts- zur Verfügung. idee in Ihren Koalitionsvertrag verirrt hat, wie die Frau- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) enquote, dann veranstalten Sie, liebe Herren – da muss man wirklich sagen: liebe Herren von der Union –, Ich will, wir Grünen wollen ein Deutschland, das (B) Energie aus Wind, Sonne und Wasserkraft gewinnt, das (Katja Kipping [DIE LINKE]: Da hat sich auch (D) die Kohle unter Tage lässt, kein Öl mehr verbrennt und Frau Merkel nicht mit Ruhm bekleckert!) keine Atome mehr spaltet, in dem die Stoffkreisläufe ge- schlossen sind und kein Müll mehr die Welt verpestet, ein veritables Heulsusenkonzert. Ihre Quote ist doch ge- ein Land, das die besten Kitas, Schulen und Unis und rade mal ein Quötchen. Es kommen so seltsame Aussa- das schnellste Internet hat, in dem jedes Kind sich voll gen wie: Frauen seien eine Belastung, für die man ein entfalten kann, egal wie viel Geld seine Eltern haben, in Moratorium brauchte. Das ist doch wirklich absurd. Wir dem sich Männer und Frauen Familien- und Erwerbsar- wissen doch alle, dass Frauen in Aufsichtsräten oder in beit fair teilen, in dem pflegebedürftige und kranke Men- Unternehmen überhaupt diese Unternehmen stärken und schen würdig und anständig versorgt sind. mehr Wirtschaftskraft schaffen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Bei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fall des Abg. Thomas Oppermann [SPD]) sowie bei Abgeordneten der SPD – Christine Lambrecht [SPD]: Da können wir klatschen!) – Thomas Oppermann, du darfst auch klatschen. Wir sind dir nicht böse deswegen. Du hast schon gut ange- – Vielen Dank, liebe SPD. Es wird immer besser. setzt. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ SES 90/DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN – Thomas Oppermann [SPD]: Alter Reflex!) Da wird einfach eine Rezessionsangst zur Verteidi- gung vor einem „old boys’ club“ in den Chefetagen in- – Ja, ein verständlicher Reflex. Wie gesagt, wenn ihr strumentalisiert, und Sie, liebe Kollegen von der Union, euch ein bisschen anstrengen und endlich mal in die Pu- lassen sich dafür einspannen. Ich sage mal so: Wegen so schen kommen würdet, ein bisschen Quote, Herr Kauder, müssen Sie doch wirk- (Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Das sagen die lich nicht so rumweinen. In der Jugendsprache würde Richtigen!) man sagen: Heul doch! könnte es ja vielleicht irgendwann auch mal wieder was (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN werden, oder? Mit der Politik, fürchte ich, wird es aber sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- noch eine Zeitlang dauern, bis wir gemeinsam klatschen KEN) können. Wenn wir uns unsere Energieversorgung anschauen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) stellen wir fest, dass die erneuerbaren Energien in den Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6509

Dr. Anton Hofreiter (A) letzten Jahren wunderbar gewachsen sind – dank eines Christine Lambrecht [SPD]: Ein sehr originel- (C) rot-grünen Gesetzes. Aber immer noch produzieren wir les Bild! Ei, ei, ei!) drei Viertel unseres Stroms aus Atom, Kohle und Gas. Ja, Herr Seehofer gehört halt auch zu Ihren Koalitions- Die Menge des Klimakillers CO hat unter Ihrer Regie- 2 partnern. rung sogar zugenommen. Von den zehn dreckigsten Kohlekraftwerken ganz Europas stehen alleine sechs in (Johannes Kahrs [SPD]: Haben wir schon be- Deutschland. Frau Merkel und Herr Gabriel – man muss merkt! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Oh, ihn ja jetzt leider den „schwarzen Gabriel“ nennen – be- Sie mögen ihn auch? Das ist schön!) wahren die Kohledinosaurier mit dieser Politik leider vor Es ist einfach bitter, wenn die SPD in manchen Politik- dem Aussterben. bereichen anfängt, genauso zu agieren wie Herr (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Seehofer. SES 90/DIE GRÜNEN) (Johannes Kahrs [SPD]: Aber es ist eine schwache Rede! Wenn Sie keine Inhalte ha- Deutschlands Versprechen, den CO2-Ausstoß bis zum Jahr 2020 um 40 Prozent zu senken – das ist ein Verspre- ben!) chen der ersten Großen Koalition –, werden Sie so nie Ich meine, dafür muss man sich schon etwas schämen. einhalten können. Wenn Sie jetzt davon reden, dass Sie Da können Sie sich natürlich aufregen und dazwischen- bei der Kohle vielleicht 22 Megatonnen CO2 einsparen plärren; das kann ich verstehen. wollen, dann klingt das ja erst mal nach viel. Aber man muss sich klarmachen, wie viel die Kohlekraftwerke (Johannes Kahrs [SPD]: Wie wäre es mal mit Deutschlands im Jahr ausstoßen. Sie stoßen 340 Mega- Inhalten statt Beschimpfungen?) tonnen CO2 aus. Das heißt, wir reden von noch nicht ein- Aber anstatt hier dazwischenzuplärren, wäre es klüger, mal 7 Prozent. Für diese 7 Prozent lassen Sie sich fei- Sie würden Herrn Gabriel dazu bringen, keine seehofer- ern? Glauben Sie wirklich, so das Klima retten zu hafte, sondern eine vernünftige Politik zu machen. können? Das ist doch kein wirklicher Fortschritt! Das ist doch keine wirkliche Klimapolitik! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Johannes Kahrs [SPD]: Schwache Rede ohne Inhalte!) Dann kommt hinzu: Glaubt denn hier im Raum je- mand noch ernsthaft, dass diese Ankündigung wirklich Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, aber wahrgemacht wird? Wir haben schon so viele Ankündi- auch liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/ (B) gungen und einen solchen Zickzackkurs von Herrn CSU, wer eine wirklich erfolgreiche Energiepolitik ma- (D) Gabriel in diesem Bereich erlebt. Mal war er der Schutz- chen will, der muss raus aus der Kohle – natürlich nicht patron der Kohle, mal war er der Klimaretter. Es gibt ja auf einen Schlag, sondern Schritt für Schritt. Diese auch in anderen Bereichen schöne Ankündigungen von Schritte müssen eingeleitet werden. Wir müssen raus aus Herrn Gabriel. Glaubt das denn noch irgendwer? der Kohle. (Johannes Kahrs [SPD]: Ja!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) – Ja, ich glaube Ihnen, dass Sie von der SPD ihm das glauben. Aber Sie haben ja schon öfters seltsame Leicht- Das ist auch nicht unmöglich. Das ist auch gar nicht so gläubigkeit bewiesen, als es um Ankündigungen ging, schwer, wie man es sich vorstellt. Nehmen Sie sich ein die sich dann nicht in Wirklichkeit umgesetzt haben. Beispiel an Dänemark: Dänemark will ab dem Jahr 2030 sowohl die Wärme als auch den Strom vollständig aus (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- erneuerbaren Energien erzeugen und bis zum Jahr 2050 SES 90/DIE GRÜNEN – Johannes Kahrs sogar komplett auf erneuerbare Energien umstellen. [SPD]: Na, na!) Nennen wir das doch einfach eine pragmatische Vision – ehrgeizig, aber machbar. Das wäre ein echtes Vorbild. Denken Sie nur an den Investorenschutz – da haben Sie Nehmen Sie sich doch ein Beispiel daran! ja sogar einen entsprechenden Beschluss gefasst – oder an andere Beispiele. Dazu kommt noch etwas weiteres Schönes: Däne- mark wird von da an keine einzige Krone mehr an Russ- Deshalb: Wir glauben es ihm nicht. Wir sehen einen land oder Saudi-Arabien überweisen müssen – weder für Herrn Gabriel, der wild durch die Energiepolitik schlin- Öl noch für Gas noch für Kohle. Das gesparte Geld kann gert. Wir sehen einen Herrn Gabriel, der wie ein politi- dann in Dänemark eingesetzt werden und dort neue scher Wackelpudding agiert. Auch wenn er jetzt nicht Werte und Arbeitsplätze schaffen, anstatt letztendlich mehr hier ist, liebe Kolleginnen und Kollegen von der autoritäre Regime zu stabilisieren. Deutschland hinge- SPD, muss ich sagen – das ist vielleicht nicht besonders gen überweist immer noch über 30 Milliarden Euro pro nett, und eigentlich mag ich echt gern; Jahr für Öl, Gas und Kohle an Russland und stabilisiert aber wenn es um die Energiepolitik geht, fällt mir immer damit das System Putins. Das muss doch überhaupt nicht dieses Bild ein –: Er agiert leider wie ein rot angestriche- so bleiben. Das könnten wir durch Politik doch ändern! ner Seehofer. Das könnten Sie, das könnte diese Große Koalition doch ändern! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Johannes Kahrs [SPD]: Sehr originell! – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 6510 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014

Dr. Anton Hofreiter (A) Dass nichts so bleiben muss, wie es ist, gilt auch für durchzusetzen. Die Mehrheit dafür müssten Sie hier (C) die völlig verfehlte Agrarpolitik hier im Land. Mit dieser doch zustande bringen mit Ihren 80 Prozent. Agrarpolitik der Großen Koalition zerstören wir weiter- hin unsere Böden und wird dafür gesorgt, dass immer (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) mehr Gensoja nach Europa importiert wird, wird dafür Das Gleiche gilt für den Haushalt. Auch im Haushalt gesorgt, dass noch mehr Treibhausgase in der Landwirt- müsste eigentlich nichts so bleiben, wie es ist. Es muss schaft entstehen und dass mehr Gülle produziert wird, nicht dabei bleiben, dass Deutschland zu wenig in Schie- die unser Grundwasser verseucht. Sie erhöhen durch den nen, Brücken und Schulgebäude investiert, und es muss ungezähmten Antibiotikamissbrauch das Risiko multire- auch nicht dabei bleiben, dass wir Anfang des 21. Jahr- sistenter Keime, ja, Sie sind noch nicht einmal in der hunderts noch immer in vielen Ecken kein funktionie- Lage, Reserveantibiotika zu verbieten. Das ist doch ein- rendes Internet für alle haben. Es muss doch nicht so fach wirklich ekelhaft – das ist nicht nur ekelhaft, das ist bleiben, dass im Bildungssektor, von der Kita über die auch schlecht: schlecht für die Menschen, schlecht für Schulen bis zu den Universitäten, schlicht zu wenig Geld die Tiere und schlecht für unser Land, und damit muss vorhanden ist. All das könnte man doch ändern. Das einfach endlich mal Schluss sein. müsste doch mit einer 80-Prozent-Mehrheit änderbar (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sein, oder etwa nicht? Ihre Politik führt am Ende auch dazu, dass sich die In- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) vestitionen der vielen anständigen Landwirte und Bau- ern in den Tier- und Umweltschutz nicht mehr lohnen. Aber dafür müssten Sie eine andere Politik machen. Die warmen Worte und vielen Lippenbekenntnisse, die Dafür müssten Sie einfach Geld in die Hand nehmen, wir hier immer wieder hören, helfen ihnen nichts, und Geld, das im Grunde im Haushalt vorhanden ist. Dafür zwar so lange nicht, wie das Geld vor allem auf die müssten Sie ein paar ökologisch schädliche Subventio- Großagrarindustriekonzerne konzentriert wird und die nen streichen und dann das Geld sinnvoll ausgeben. kleinen und anständigen Bauern, die Milchbauern nichts Stattdessen lassen Sie sich für ein 10-Milliarden-Euro- davon haben. Sie lassen sie einfach konstant hopsgehen. Investitionsprogramm feiern. Von diesem 10-Milliarden- Seit Jahren wird ein Landwirt nach dem anderen ge- Euro-Investitionsprogramm soll im nächsten Jahr de zwungen, aufzugeben, und nimmt die Anzahl der Bau- facto nichts kommen und in den folgenden Jahren viel- ernhöfe ab. Das ist doch keine Politik, die irgendetwas leicht jeweils 3 Milliarden Euro. Also bitte! Welcher An- mit „konservativ“ oder „christlich“ zu tun hat und ir- teil vom Bundeshaushalt ist denn das? Ein 10-Milliar- gendwie gut für den ländlichen Raum ist. den-Euro-Investitionsprogramm klingt zwar gut, aber das ist ungefähr 1 Prozent des darauffolgenden Haus- (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) halts. Das kann doch nicht wirklich Ihr Ernst sein. (D) Sie reden auch immer gerne von Marktwirtschaft und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) von den Märkten. Merken Sie nicht, dass Sie hier einen sich entwickelnden Markt verschlafen? Die Menschen De facto sind das nur Krumen, die vom Tisch des sind sehr viel weiter als die Große Koalition. Sie kaufen Finanzministers fallen. Die Folge davon ist, dass sich schon längst Bio, und die Menschen kaufen doch längst Ihre Minister um diese Krumen streiten wie die Spatzen regional. Das Problem ist nur: Sie sorgen dafür, dass im Biergarten. Es ist doch nicht so, dass wir Breit- diese Produkte nicht in Deutschland produziert werden bandausbau oder Gebäudesanierung brauchen, dass wir können. Mit Ihrer Art von Landwirtschaftspolitik halten Straßen- und Schienenerhalt oder Geld für die Kommu- Sie das Angebot klein. Sie bremsen den Ökolandbau aus nen brauchen. Nein, wir brauchen beides. Deshalb geben und fördern stattdessen Agrarexporte. Damit führen Sie Sie Ihren Ministern nicht nur Krumen, sondern geben nicht nur die Bauern, sondern auch die Verbraucher in Sie ihnen endlich Geld, damit sie sich nicht so kindisch die Sackgasse. Der Effekt ist, dass wir die Biolebensmit- um diese Kleinigkeiten streiten müssen! Deutschlands tel aus Österreich, aus der Schweiz und aus vielen ande- Zukunft braucht beides. ren Ländern importieren müssen, weil Ihre Politik in (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutschland dafür sorgt, dass sie hier nicht produziert werden können. Deutschland bräuchte wirklich einen Investitions- schub. Sie aber legen einfach die Hände in den Schoß (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und betreiben Schönfärberei. Erst heute haben Sie wie- Stattdessen gibt es hier eine sogenannte Tierwohlini- der Schönfärberei betrieben. Wissen Sie, Frau Merkel, tiative von Landwirtschaftsminister Schmidt. Das ist Sie müssen uns von der Opposition nichts glauben. Sie eine schöne Tierwohlinitiative. Sie setzt darauf, dass müssen auch mir nichts glauben. sich die Agroindustrie freiwillig bessert. Ja, glauben Sie denn wirklich im Ernst, dass sich Wiesenhof freiwillig (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das tun wir auch bessert? Die Leute von Wiesenhof brauchen keine netten nicht!) Ansprachen, nach dem Motto: „Jetzt reden wir mal mit- – Da sind wir ganz großzügig. Wir haben ja sehr kompe- einander, Firma Wiesenhof. Halten Sie doch Ihre Hühner tente Verbündete. und Puten mal ein bisschen besser“, sondern sie brau- chen vernünftige Gesetze. Man muss sich gegenüber (Dr. [CDU/CSU]: Kön- diesen Lobbyisten einfach trauen, vernünftige Gesetze nen Sie das einmal erklären?) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6511

Dr. Anton Hofreiter (A) Schauen Sie sich doch einfach einmal den Bericht der Dann machen Sie sich beide fein für den Klimagipfel (C) OECD an. In dem Bericht der OECD steht, dass sich die und für die G-7-Präsidentschaft. Wachstumsaussichten für Deutschland halbieren wer- den. Die Euro-Zone wird als der kranke Wirtschaftsraum (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wenn des Globus identifiziert, und massive Investitionen in Sie brav sind, dürfen Sie das nächste Mal mit- Bildung und Infrastruktur werden angemahnt. fahren!) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das Aber wissen Sie: Beim Klimaschutz zählt nicht die machen wir doch!) Optik, sondern da zählen die realen Taten. Was die an- geht, sind Sie kein schönes Paar. Das ist das bittere Urteil der OECD über Ihre fatale Haushaltspolitik, über Ihre schwächliche Investitions- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) politik, Ihre fehlgeleitete Politik. Während in den USA und in China neue Bewegungen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) entstehen, herrscht in Deutschland und Europa Still- stand. Diesen können Sie auch mit Ihren schönen Worten Aber anstatt das ernst zu nehmen, produzieren Sie ein- nicht mehr kaschieren. Auch bei den anderen globalen fach weiter Verlierer und sorgen nicht dafür, dass ausrei- Herausforderungen übernehmen Sie keine Führung. chend Geld investiert wird. Wo bleiben denn Ihre konkreten Vorschläge gegen Frau Bundeskanzlerin, Sie haben mit Ihren Kollegen Steuertricksereien, wie sie der Konservative Juncker in in Brisbane ein wunderschönes Wachstumspaket mit sa- Luxemburg oder der Sozialdemokrat Dijsselbloem zu genhaften 800 Maßnahmen geschnürt. Aus Deutschland verantworten haben? Dazu sagen Sie nichts. Wir hören kommt allerdings überhaupt nichts Neues. Sie haben zwar zum wiederholten Male, dass die Banken und das einfach den Koalitionsvertrag genommen und die darin Finanzsystem jetzt reguliert sind und etwas gegen die enthaltenen Maßnahmen ins Abschlussdokument ko- Steuertricksereien unternommen wird, aber vom Reden piert. Das war es dann: „copy and paste“. Und dafür sind alleine wird das alles nicht unterbunden. Wir wünschen Sie um die halbe Welt geflogen? uns schlichtweg Taten von Ihnen. Denn auch von noch Aber es gab wunderschöne Fotos, die wir bewundern so schönen Reden – ehrlich gesagt, sie waren eher ermü- konnten. Dieses Mal waren es keine schönen Fotos mit dend – und von noch so schönen inhaltlichen Aussagen roter Windjacke vor Eisbergen, sondern stattdessen (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Dass schöne Fotos von nächtlichen Abstechern in die Pubs Sie das gerade sagen!) von Brisbane. Dazu kann man sagen: Immerhin, dafür hat sich die Reise gelohnt. wird, wie gesagt, das Steuersystem nicht gerechter ge- (B) staltet. (D) (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Geht’s noch platter?) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Allerdings: Zukunft gestalten geht heute eben nur noch Deutlich wurde allerdings, was Ihnen wichtig ist: das global. Gerade im nächsten Jahr werden wichtige Wei- globale sogenannte Freihandelsabkommen TTIP. chen gestellt. Da kommt es entscheidend auf Deutsch- land an. (Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Das ist nicht global! Das ist transatlantisch!) (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Inhalts- los! Mein Gott nochmal!) Damit kann es Ihnen gar nicht schnell genug gehen. Da werden einfach der Rechtsstaat und die rechtsstaatlichen – Regen Sie sich nur darüber auf. Wenn Sie sich aufre- Maßnahmen zu sogenannten nichttarifären Handels- gen, dann merkt man, dass es wehtut. hemmnissen erklärt. Wir brauchen allerdings in Deutsch- (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Ich rege land kein Abkommen für Konzerne mit besonderen Kla- mich gar nicht auf! Ich bin nur fassungslos, geprivilegien. wie man so etwas sagen kann!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN In der Tat haben wir heute den wunderschönen Be- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) ginn Ihres Gipfeltheaters erlebt. Ich sehe das nächste Wir haben in Deutschland einen funktionierenden Jahr schon vor mir: Da holen Sie, Frau Merkel, wieder Rechtsstaat mit demokratisch legitimierten Gerichten. das schöne rote Jäckchen aus dem Schrank, (Johannes Kahrs [SPD]: So ist das!) (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Jetzt wird es wieder platt!) Sie reichen aus, und sie haben sich bewährt. weil das mit den Grönlandfotos damals so gut geklappt Wir brauchen auch kein Standarddumping. Ich finde, hat. Der liebe Sigmar bürstet sich ein bisschen den Koh- wir müssen das europäische Vorsorgeprinzip behalten. lestaub vom Jackett. Wir brauchen kein Handelsabkommen, das Gewinne für wenige organisiert, sondern wir brauchen endlich ein (Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Handelsabkommen, das fairen Handel für alle organi- SES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – siert. Das erwarten wir von Ihnen. Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Noch platter!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 6512 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014

Dr. Anton Hofreiter (A) Wir haben in der Ukraine erlebt, dass tatsächlich Diese Frau ist über Ihre Arbeit als Kanzlerin befragt (C) nichts so bleiben muss, wie es ist. Vor einem Jahr haben worden. Ich zitiere wörtlich: sich die Menschen in der Ukraine auf dem Maidan ver- sammelt. Die Menschen, die aus allen Teilen des Landes Dieses Abwarten von ihr, dieses Passive macht kamen, bekannten sich zu Demokratie und Rechtsstaat- mich wütend. Dass sie uns keine klaren Stand- lichkeit in einer offenen Gesellschaft. Diese Menschen punkte zutraut, dass sie sich das nicht zutraut. So können sich unserer Solidarität sicher sein. eine schlaue Frau, aber was will sie denn? Ich weiß nicht, was sie will. Ich kann sie nicht verstehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Da ha- Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ben Sie lange gesucht, bis Sie eine solche NEN], an die CDU/CSU gewandt: Da können Stelle gefunden haben!) Sie mitklatschen! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Stimmt! – Beifall des Abg. Tja, Frau Merkel, damit spricht sie vielen Menschen Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]) in Deutschland aus der Seele. Ihre heutige Regierungser- klärung hat uns wieder kein Stück vorangebracht. Ihre Ein Jahr danach ist nichts mehr, wie es einmal war. Regierungserklärung ist wieder vollkommen durch das Die Krim ist von Russland militärisch annektiert wor- Ungefähre gewabert, ohne anzuecken, ohne vorauszubli- den: ein ganz klarer Verstoß gegen das Völkerrecht. In cken, ohne irgendetwas anzustoßen. Der Klimawandel der Ostukraine setzt die russische Führung ihre Destabi- wartet doch nicht. Unsere Kinder haben doch keine Zeit lisierungspolitik fort. mehr zu verschwenden in nicht sanierten Schulen. Die In dieser verfahrenen Situation können Deutschland Unternehmen brauchen doch endlich ein schnelles Inter- und die EU nur mit Geschlossenheit Fortschritte errei- net. Die Flüchtlinge brauchen unsere bedingungslose chen. Diese Geschlossenheit herzustellen ist Ihre Verant- Hilfe, und Europa braucht vernünftige Investitionen. wortung. Das ist die Verantwortung unserer Bundesre- Drei weitere Jahre, in denen Sie weiter so amtsmüde und gierung. ideenlos vor sich hinwerkeln, kann sich unser Land, kann sich unsere Zukunft nicht leisten. „Nichts muss so (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) bleiben, wie es ist.“ – Ja, das gilt auch für Sie, Frau Bun- deskanzlerin. Sie könnten sich doch noch einmal einen In dieser Krise helfen uns auch keine markigen Worte Ruck geben. Schmeißen Sie Ihren Koalitionsvertrag der NATO und Gedankenspiele in Richtung NATO-Mit- weg! gliedschaft der Ukraine. Das kann uns nicht helfen und wird auch den Frieden in Europa nicht erhalten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (B) (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Entwickeln Sie eigene Ideen! Unserem Land und unserer sowie bei Abgeordneten der SPD) Zukunft wäre es zu wünschen. Uns allen wäre es zu wünschen. Grundfalsch wäre es aber, gegenüber dem russischen Präsidenten den geringsten Zweifel daran zu lassen, dass Vielen Dank. Europa entschlossen ist, in dieser Frage zusammenzuste- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) hen. Denn Sicherheit und Frieden kann es in Europa zwar nur mit Russland geben, aber Putin zeigt derzeit kaum Bereitschaft zur Lösung des Konfliktes. Er nutzt Präsident Dr. Norbert Lammert: stattdessen den Konflikt, um gegen Kritikerinnen und Thomas Oppermann ist der nächste Redner für die Kritiker innerhalb Russlands vorzugehen. Deshalb wa- SPD-Fraktion. ren die verhängten Sanktionen unumgänglich, und ich (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) sehe derzeit keine Grundlage, um sie wieder aufzuheben. Ja, wir sind auf der Seite der Menschen in der Ukraine, aber wir sind auch auf der Seite der Opposition in Russ- Thomas Oppermann (SPD): land. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, dass es der Koalition gestern Abend gelungen ist (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – die Bundeskanzlerin hat das schon erwähnt –, sich auf sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) die wesentlichen Inhalte der Frauenquote zu einigen. Sehr geehrte Frau Kanzlerin, kürzlich war im Spiegel Das zeigt, dass wir in der Koalition auch bei kontrovers ein Interview mit einer 20-jährigen Frau zu lesen. Seit diskutierten Themen entscheidungsfähig sind. diese Frau Politik wahrnimmt, kennt sie nur Sie als (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Kanzlerin, Frau Merkel. der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Die Quote kommt, und sie kommt genau so, wie wir sie Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Sehr gut! – im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Sie kommt mit Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Da hat sie Gesetzeskraft, ohne Ausnahmen, ohne Härtefallklauseln. Glück gehabt!) Das ist ein großer gesellschaftlicher Fortschritt. – Seit dieser Zeit kennt sie nur Sie bewusst als Kanzle- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten rin; eine Fünfjährige nimmt Politik nicht wahr. der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6513

Thomas Oppermann (A) Diese Quote hat durchaus eine historische Dimension; Sozialverträglich, bezahlbar und verlässlich, an diesen (C) denn mit ihr wird die Gleichberechtigung in den Vor- Kriterien hängt die Akzeptanz der Energiewende. Die standsetagen und Aufsichtsräten der Unternehmen in bekommen Sie eben nicht mit der Brechstange, wenn Sie Deutschland einen gewaltigen Sprung nach vorne ma- gleichzeitig aus Atomstrom und Kohlestrom aussteigen chen. Das ist vor allem ein starkes Signal an die qualifi- wollen. zierten Frauen in diesem Land. Sie sind keine Belastung für die Wirtschaft. Sie sind eine Bereicherung und eine Natürlich muss auch der Kraftwerkspark einen fairen Verstärkung für die Wirtschaft. Beitrag zur Senkung der CO2-Emissionen leisten. Des- halb hat Sigmar Gabriel der Energiewirtschaft eine klare (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Marschroute vorgegeben. Die Kraftwerksbetreiber müs- der CDU/CSU) sen bis 2020 mindestens 22 Millionen Tonnen CO2- Ich möchte allen in beiden Koalitionsfraktionen und Emissionen einsparen. Wie dieses Ziel erreicht wird, in der Bundesregierung danken, die auf diese Einigung entscheiden die Unternehmen. Das halte ich für eine hingearbeitet haben. Vor allem aber möchte ich der Frau- kluge Lösung, die Ökonomie und Ökologie zusammen- enministerin danken, dass sie so hart- bringt. näckig, so selbstbewusst und so erfolgreich für diese Quote gekämpft hat. Es ist gut, dass wir eine starke Deshalb gibt es keinen Grund zu Alarmismus, weder Frauenministerin haben. bei den Gegnern der Kohle noch bei ihren Befürwortern. Den einen geht der Beitrag der Kohle zu weit, den ande- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Gerda ren geht er nicht weit genug; das ist ein gutes Indiz dafür, Hasselfeldt [CDU/CSU]) dass Sigmar Gabriel mit seinem Vorschlag genau richtig Vor einigen Wochen hat uns die Konjunkturprognose liegt. 1,3 Prozent Wachstum für das nächste Jahr vorhergesagt, (Beifall bei der SPD) übrigens so viel wie seit Jahren nicht mehr. Aber wer die Debatte in Deutschland verfolgt, hat das Gefühl, dass Was wir jetzt brauchen, ist ein schneller Einstieg in wir in einer anderen Welt leben. Bei den Grünen ist eine die Energieeffizienz. Nur wenn wir es endlich schaffen, bessere Rente für Mütter und Langzeitarbeitnehmer eine weniger Energie zu verbrauchen und Energie besser zu Belastung für die Konjunktur. nutzen, werden wir langfristig das Klima schützen kön- (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nen. Bei den Wirtschaftsprofessoren ist ein ausgeglichener Meine Damen und Herren, wir beschließen in dieser Haushalt eine Bedrohung für künftige Generationen. Der Woche einen historischen Haushalt: seit 46 Jahren zum (B) Mindestlohn ist schuld daran, dass die Wirtschaft weni- ersten Mal ohne Neuverschuldung. Das haben wir trotz (D) ger wächst. Wer solche Gegensätze aufbaut, verun- einer schlechteren Konjunkturentwicklung geschafft, glimpft nicht nur Arbeitnehmer und Rentner in diesem ohne soziale Kürzungen und mit mehr Geld für Bildung, Land, sondern spielt auch Dinge gegeneinander aus, die Forschung, Kommunen und Infrastruktur. Das ist insge- nur zusammen funktionieren. samt eine gute Botschaft für junge Menschen in diesem (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Land. Wir wollen keine Politik mehr zulasten künftiger der CDU/CSU) Generationen machen. Unsere Konjunktur funktioniert nur mit einer guten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Binnennachfrage. Künftige Investitionen funktionieren der CDU/CSU) nur mit einer soliden Haushaltsführung. Eine erfolgreiche Wirtschaft funktioniert nur mit sozialer Gerechtigkeit. Denn selbst wenn wir uns heute zu Niedrigzinsen ver- Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag diese Dinge zu- schulden könnten, wozu uns einige raten, muss man sammengebracht, statt falsche Alternativen aufzubauen. doch sehen: Die Schulden bleiben uns über Jahrzehnte erhalten, und bei steigenden Zinsen müssen wir dafür Eine falsche Alternative, lieber Toni Hofreiter, ist es teuer bezahlen. auch, wenn Sie den Klimaschutz gegen die Wirtschaft in Stellung bringen. (Zuruf von der LINKEN: Mehr Steuereinnah- men, das brauchen wir!) (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht doch ihr!) Ich finde es ausgesprochen erfreulich und ich bin dem Um es ganz klar zu sagen: Wir stehen zu dem Ziel, bis Finanzminister Schäuble sehr dankbar dafür, dass er für die Zeit ab 2016 Haushaltsreserven von 10 Milliarden 2020 die CO2-Emissionen um 40 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren, und wir stehen auch zum Umbau Euro für zusätzliche Investitionen mobilisiert hat. Das ist unseres Energiesystems. Bis 2050 werden 80 Prozent ein starkes Signal für die Konjunktur in diesem Land. des Stroms aus erneuerbaren Energien kommen. Aber Wir sehen die Schwerpunkte für ein Investitionspro- wozu wir auch stehen, ist, dass dieser Umbau sozialver- gramm bei der Infrastruktur, beim Netzausbau, bei ener- träglich gestaltet wird, dass die Strompreise auch für die getischer Sanierung, beim Breitbandausbau, bei kommu- Wirtschaft bezahlbar bleiben und dass der Strom verläss- nalen Investitionen und im Städtebau. lich aus der Leitung kommt. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten NEN]: Warum sinkt dann die Investitions- der CDU/CSU) quote?) 6514 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014

Thomas Oppermann (A) Ich glaube, wir dürfen uns im Ergebnis aber nicht da- Was die Investitionen angeht, dürfen Sie natürlich (C) rauf beschränken, nur die öffentlichen Investitionen zu nicht nur auf den Haushalt schauen. Sie müssen auch auf steigern; wir müssen auch die privaten Investitionen an- die mittelfristige Planung schauen. Sie müssen sehen, kurbeln. Deshalb ist es gut, dass eine Expertengruppe dass diese Koalition die Lkw-Maut auf Bundesstraßen des Bundeswirtschaftsministers an Vorschlägen für mehr ausweiten wird, und Sie müssen sehen, dass der Investi- Investitionen arbeitet. tionshaushalt für öffentliche Infrastruktur bis zum Ende der Wahlperiode insgesamt um 40 Prozent gesteigert (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der wird, und zwar, unabhängig von dem geplanten Sonder- CDU/CSU) programm für Investitionen, nachhaltig und dauerhaft. Damit zeigen wir, dass wir nicht nur kurzfristig, sondern Präsident Dr. Norbert Lammert: auch langfristig das Problem des Investitionsstaus in Herr Kollege Oppermann, darf die Kollegin Deutschland angehen. – Vielen Dank. Haßelmann Ihnen eine Zwischenfrage stellen? (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE Thomas Oppermann (SPD): GRÜNEN]: Stimmt nicht!) Ja, bitte. Was Investitionen in der Wirtschaft auch erleichtern könnte, wäre ein Bürokratieabbau. Wir haben in den Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): letzten Jahren Kosten für Informationspflichten in Höhe Vielen Dank für die Möglichkeit einer Zwischen- von 12 Milliarden Euro eingespart. Trotzdem ist die frage. – Lieber Thomas Oppermann, Sie haben gerade deutsche Wirtschaft immer noch mit Bürokratiekosten in aufgezählt, wo Sie überall investieren und wie stark Höhe von 40 Milliarden Euro belastet. Ich weiß, jede diese Regierung bei Investitionen vorangeht. Allein, mit einzelne bürokratische Regelung hat immer auch einen den Fakten passt das nicht zusammen. Vielleicht können rationalen Kern. Jede einzelne Regelung lässt sich für Sie einen Teil Ihrer Redezeit darauf verwenden, uns das sich immer irgendwie begründen. Aber in der Summe zu erklären. Sie feiern sich hier für Investitionen in Stra- sind diese Regelungen für die Wirtschaft oft eine fast un- ßen- und Brückensanierung, in Breitbandausbau und erträgliche Belastung. Deshalb müssen wir dieses Pro- viele andere Bereiche, senken aber im Bundeshaushalt blem angehen. gleichzeitig die Investitionsquote. Wie passen diese Fak- ten zusammen? Darauf können Sie uns sicher eine Ant- Sigmar Gabriel hat ein Paket zum Bürokratieabbau wort geben. vorgelegt. Ich habe große Sympathie für die neue Regel „one in, one out“. Immer dann, wenn neue Bürokratie (B) Das Zweite, was ich noch kurz anmerken möchte, ist: geschaffen wird, muss sie an anderer Stelle in gleichem (D) Ich finde, hier im Haus ist den Frauen aus allen Fraktio- Umfang abgebaut werden. Die letzte Große Koalition nen zu danken, die sich seit Jahren für die Quote einge- hat es geschafft, mit der Schuldenbremse die Neuver- setzt haben, und nicht nur einer Ministerin, die Ihrer schuldung zu stoppen. Ich finde, diese Große Koalition Fraktion angehört. muss jetzt mit einer Bürokratiebremse endlich dafür sor- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gen, dass die Bürokratie für Unternehmen gestoppt wird, sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der dass Unternehmer und Arbeitnehmer sich wieder auf SPD und der LINKEN) ihre eigentlichen Aufgaben konzentrieren können und dass sie wertschöpfende Tätigkeiten ausüben, ohne da- bei von einem Übermaß an Bürokratie behindert zu wer- Thomas Oppermann (SPD): den, meine Damen und Herren. Ich hätte mich gerne, liebe Britta Hasselfeldt, auch bei den Grünen bedankt. Aber ich wollte Sie jetzt – – (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Volker Kauder [CDU/CSU]: Haßelmann! – Zu- rufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nur 8 Prozent des Bürokratieaufwandes betreffen die Statistik. Über 30 Prozent betreffen die Steuererklärung. – Liebe Kollegin Hasselfeldt – – Ein Beispiel dafür ist die Abschreibung geringwertiger (Heiterkeit – Katrin Göring-Eckardt [BÜND- Wirtschaftsgüter. Da kauft ein Schreiner einen PC für NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie heißt 500 Euro. Anstatt die Kosten direkt vom Umsatz abzie- Haßelmann!) hen zu können, muss er sie umständlich auf drei Jahre verteilen. Ich sehe keinen fiskalischen Sinn in einer sol- – Haßelmann; die Nacht war kurz. – Ich hätte mich chen Aufteilung, und ich sehe darin auch keine Möglich- gerne auch bei den Grünen bedankt. Aber nachdem Ihr keit, Steuerbetrug zu verhindern. Deshalb sollten wir in Fraktionsvorsitzender gesagt hat, das sei eigentlich gar dieser Wahlperiode über diese Themen zu gegebener keine Quote, wollte ich Sie nicht mit zu viel Lob über- Zeit noch einmal sprechen. strapazieren. Es ist eindeutig sinnvoller, Steuerbetrug dort zu be- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten kämpfen, wo er uns wirklich Geld kostet, nämlich bei der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: den transnationalen Unternehmen, die in Luxemburg Sie heißt „Haßelfrau“! „Haßelmann“ geht gar und in den Niederlanden Steuerschlupflöcher nutzen, nicht!) während unsere Mittelständler hier 30 Prozent Steuern Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6515

Thomas Oppermann (A) zahlen müssen. Steuerdumping in der EU ist unerträg- Präsident Dr. Norbert Lammert: (C) lich. Es schadet unseren Unternehmen und geht zulasten Herr Oppermann, darf der Kollege Ernst eine Zwi- aller Steuerzahler in diesem Land. schenfrage stellen? (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Thomas Oppermann (SPD): Deshalb finde ich es gut, dass sich Finanzminister Ja. Schäuble und Jean-Claude Juncker offen zeigen für die (Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Das muss Einführung von Mindeststeuern in der Europäischen aber nicht sein!) Union. Mindeststeuern für Unternehmen sind ein proba- tes Mittel der Steuervermeidung. Wir wollen, dass Ge- winne dort besteuert werden, wo sie auch erwirtschaftet Klaus Ernst (DIE LINKE): werden. Danke, Herr Oppermann. – Ich habe die Debatte in Ihrer Partei zu diesem Thema in den letzten Monaten (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der verfolgt. Sie haben einen Beschluss auf einem kleinen CDU/CSU) Parteitag gefasst. Wir haben das hier im Bundestag de- Ausgeglichener Haushalt, Bürokratieabbau, Investi- battiert, insbesondere auch die Frage des Investoren- tionen, das sind Weichenstellungen für die Zukunft. schutzes. Die Position Ihres Parteitages war eigentlich Aber für künftige Generationen ist auch wichtig, wie wir so, dass, wenn ich dies richtig interpretiert habe, man in der Welt miteinander Handel treiben. Ich bin davon dies nicht will. Jetzt nehme ich – auch in den Medien, überzeugt: Ein Land wie Deutschland, das 40 Prozent auch von Herrn Gabriel – eine gewisse Abkehr von die- seiner gesamten Wirtschaftsleistung im Export verdient, ser Position wahr. Heißt das nun, dass Sie bereit sind, darf sich nicht vom Handel abschotten, sondern muss CETA, das Abkommen der EU mit den Kanadiern, auch dem internationalen Handel offen gegenüberstehen. Die dann zu akzeptieren, wenn darin ein Investorenschutz EU und die USA bilden mit 800 Millionen Einwohnern enthalten ist? Bedeutet das ebenfalls, dass Sie auch TTIP den größten Markt der Welt. Für große Konzerne ist es akzeptieren würden, wenn darin ein Investorenschutz kein Problem, auf diesen Märkten zu agieren. Aber un- enthalten wäre, obwohl Ihr Parteitag entschieden hat, sere Mittelständler können es sich kaum leisten, teure dass man dies nicht will? Expertengruppen zu bezahlen, um die unterschiedlichen technischen Systeme zu überwinden oder gleich eine ei- Thomas Oppermann (SPD): gene Fabrik in den USA zu bauen. Deshalb ist eine gute Wir sind jetzt dabei, TTIP zu verhandeln. Mitten in Handelspartnerschaft mit den USA eine gute, große (B) Verhandlungen genau zu definieren, unter welchen Vo- (D) Chance für unsere mittelständischen Unternehmen. raussetzungen man zustimmt oder ablehnt, halte ich (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der nicht für klug. CDU/CSU) Wir haben deutlich gemacht, dass wir für Investoren Unser Ziel ist es, bei TTIP die bestmöglichen Stan- gleiches Recht wollen. Welches Recht ein Investor be- dards zu erreichen – für die Verbraucher, für die Arbeit- kommt, kann nicht davon abhängen, woher er kommt. nehmer, für die Umwelt. Natürlich muss der Zugriff auf Wenn beispielsweise ausländische Investoren in schieds- unsere kommunale Daseinsvorsorge und auf unsere kul- gerichtlichen Verfahren Schadensersatzansprüche ein- turellen Institutionen von vornherein ausgeschlossen klagen können, aber zum Beispiel deutsche Investoren bleiben. Dass in entwickelten Rechtssystemen Investor- vor ordentlichen Gerichten nicht die gleichen Möglich- Staat-Schiedsverfahren nicht mehr zeitgemäß sind, das keiten haben, wäre das eine Ungleichbehandlung, die ist inzwischen gründlich dargelegt worden. Wir treten von vornherein nicht akzeptabel ist. Wir wollen keine dafür ein, dass alle Investoren, unabhängig davon, ob sie Paralleljustiz. Wir wollen, dass in entwickelten Rechts- Inländer oder Ausländer sind, effektiven Rechtsschutz staaten die Möglichkeiten der ordentlichen Gerichtsbar- bekommen und dass er am besten vor staatlichen Gerich- keit genutzt werden; da gehört die Lösung von Konflik- ten aufgehoben ist. ten hin. In keinem Fall wollen wir, dass über schiedsgerichtliche Verfahren die Entscheidungen von (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der demokratisch legitimierten Gesetzgebern delegitimiert CDU/CSU) werden. Das ist unsere Position, und für die treten wir Jetzt geht es darum, gemeinsam mit unseren europäi- jetzt auch in den Verhandlungen ein. schen Partnern für erfolgreiche Verhandlungen zu sor- (Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Klaus gen. Die Forderungen nach Verhandlungsabbruch sind Ernst [DIE LINKE]) abstrus; denn wenn wir nicht verhandeln, dann werden andere verhandeln. Die Standards, auf die andere sich – Das ist unser Beschluss. Lesen Sie nach! verständigen, das werden nicht unsere Standards sein. Meine Damen und Herren, auch 25 Jahre nach dem Entweder die Globalisierung gestaltet uns, oder wir ge- Mauerfall bleibt der Aufbau Ost eine gesamtgesell- stalten die Globalisierung. Ich bin eindeutig für Letzte- schaftliche Aufgabe. Auch viele Regionen im Westen res. Deutschlands brauchen Unterstützung. Dass dafür die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag auch nach der CDU/CSU) 2019 noch gebraucht werden, hat die Bundeskanzlerin 6516 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014

Thomas Oppermann (A) schon vor einem Jahr klargestellt, und darin sind sich beim Strukturwandel vom Agrarland zu einem moder- (C) auch alle Fraktionen in diesem Hause einig. nen Industrieland alleingelassen haben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des (Beifall bei der SPD – Max Straubinger [CDU/ Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]) CSU]: So weit kann man doch gar nicht mehr zurückdenken!) Die rot-grünen Ministerpräsidenten und Finanzminister Schäuble haben vorgeschlagen, wie das gehen könnte. Wir wollen nicht, dass sich die Gräben der Ungleich- Der Soli würde in die Einkommensteuer integriert, und heit zwischen den Bundesländern weiter vertiefen. Das dabei könnte man auch das Problem der kalten Progres- ist es doch, was unser Land eigentlich so stark macht: sion lösen. Das wäre ein Weg, wie man einen Teil des dass wir nicht auseinanderdriften wie etwa England und Soli an die Steuerzahler zurückgeben könnte. Schottland, wie Flandern und Wallonien, wie Spanien und Katalonien, wie Nord- und Süditalien. Nur ein (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deutschland mit gleichwertigen Lebensverhältnissen ist Wer diesen Weg nicht gehen will – man mag das gut auf Dauer ein erfolgreiches und lebenswertes Land. Das oder schlecht finden –, wer ihn schlecht findet und die ist jedenfalls die Richtschnur, mit der wir in diese Ver- Integration nicht will, der muss konkrete Vorschläge ma- handlungen hineingehen. chen, wie ein anderer Weg aussehen könnte. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Wir diskutieren im Rahmen der Verhandlungen über Eines ist klar: Wir brauchen in Zukunft eine Solidari- die Bund-Länder-Finanzbeziehungen auch darüber, wie tät zwischen den Regionen, die sich nicht nach Him- wir den Kommunen mit hohen Soziallasten am besten melsrichtungen, sondern nach dem Bedarf richtet, meine helfen können. Das ist auch richtig so; denn wir wollen, Damen und Herren. dass auch die finanzschwachen Kommunen wieder in- vestieren können. Wichtig ist: Egal wo wir am Ende die (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Volker Kommunen entlasten – die Reform der Eingliederungs- Kauder [CDU/CSU]) hilfe muss in jedem Fall kommen. Dieser Bedarf ist so verschieden wie unser Land. Dres- (Beifall bei der SPD) den und sind heute attraktive Wachstumskerne, Die haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart; schließ- die qualifizierte Zuwanderer anlocken. Aber nicht über- lich haben wir 2008 die UN-Behindertenrechtskonven- all im Osten ist das so. Das Saarland und Bremen haben tion einstimmig ratifiziert. Bei der Eingliederungshilfe mit einer erdrückenden Schuldenlast zu kämpfen. (B) steht bisher im Vordergrund, dass die Menschen mit Be- (D) NRW hat einen Strukturwandel hinter sich, der es in hinderungen versorgt und verwaltet werden. Beim neuen seiner Dimension durchaus mit dem Aufbau Ost aufneh- Teilhaberecht wird es darum gehen, was ein Mensch mit men kann. Seit der Kohle- und Stahlkrise im Ruhrgebiet Behinderungen braucht, um gleichberechtigt am gesell- sind 1,2 Millionen Arbeitsplätze allein im Bergbau und schaftlichen Leben teilnehmen zu können. im Bereich Stahl weggefallen. Trotzdem gibt es im (Beifall bei der SPD) Ruhrgebiet heute mehr sozialversicherungspflichtig Be- schäftigte als vorher. Ob in Marl, Essen, Dortmund, Das muss nicht immer teurer sein. Es geht nämlich nicht Duisburg oder Bottrop – in vielen Städten wurden inno- nur darum, wie viel Geld wir ausgeben, sondern auch da- vative neue Zentren für Dienstleistungen, Wissenschaft rum, wie wir es ausgeben. Wir wollen ein Teilhaberecht, und Industrie aufgebaut. Damit ist NRW heute sogar bei dem das Geld bei den Menschen mit Behinderungen Nettozahler im Länderfinanzausgleich, ankommt, das echte Teilhabe und Inklusion ermöglicht. (Beifall der Abg. Petra Hinz [Essen] [SPD]) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) wenn man auch den Umsatzsteuerausgleich zwischen den Ländern betrachtet. Ich finde, es ist eine enorme Ich möchte zum Schluss noch auf die Außenpolitik zu Leistung, die da vollbracht worden ist. sprechen kommen; denn die neuerlichen Gewaltausbrü- che in der Ukraine und in Israel machen uns allen große (Beifall bei der SPD) Sorgen. Seit Monaten ist die Außenpolitik der Bundes- Aber dieser Strukturwandel hatte auch seinen Preis, und regierung extrem gefordert. Ich finde, dass Außenminis- diesen Preis hat NRW bisher weitestgehend allein be- ter Steinmeier und Bundeskanzlerin Merkel unser Land zahlt. Auch darüber müssen wir reden, wenn wir die mit großem Engagement und mit hohem persönlichen Bund-Länder-Finanzbeziehungen neu ordnen. Wir kön- Einsatz außerordentlich gut vertreten. nen einzelne Länder, die einen tiefgreifenden Struktur- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie wandel durchmachen, nicht alleinlassen, bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE (Beifall bei Abgeordneten der SPD) GRÜNEN) genauso wenig wie wir Bayern Die Bundesregierung ist zusammengeblieben; auch die Europäische Union und die NATO-Partner sind zusam- (Max Straubinger [CDU/CSU]: Das ist aber mengeblieben. Jetzt kommt es für die nächsten Monate lange her!) darauf an, dass wir weiterhin zusammenbleiben. Wenn Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6517

Thomas Oppermann (A) nun der Vorwurf in den Raum gestellt wird, es werde gelockert, und Asylanträge werden schneller bearbeitet. (C) eine Nebenaußenpolitik betrieben, dann ist das völlig de- Aber das Wichtigste ist, dass wir jetzt auch die Kommu- platziert. Die Außenpolitik ist in diesen Zeiten viel zu nen in die Lage versetzen, die Flüchtlinge gut unterzu- wichtig für unser Land, als dass wir sie für innenpoliti- bringen; denn es darf nicht sein, dass Kommunen mit der sche Ziele instrumentalisieren dürften, meine Damen Unterbringung von Flüchtlingen aufgrund eines Geld- und Herren. mangels überfordert werden, und es darf nicht sein, dass durch überfüllte Provisorien Ressentiments gegenüber (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Flüchtlingen geschürt werden. Das müssen wir schon im der CDU/CSU) Ansatz unterbinden. Es ist kein Widerspruch, den Dialog zu suchen und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten trotzdem klar zu sagen, was man von der russischen der CDU/CSU) Politik hält und erwartet. Russland hat eine Verantwor- tung für das, was dort passiert. Russland hat die völker- Deshalb ist es gut, dass die Regierung jetzt mit den Län- rechtswidrige Annexion der Krim und die Unterstützung dern darüber verhandelt, wie man die Kommunen unter- der Separatisten in der Ostukraine zu verantworten. Da- stützen kann. Hier ist ein Kraftakt notwendig. mit stellt Russland die europäische Friedensordnung in- Mit dieser finanziellen Unterstützung helfen wir aber frage. nicht nur den Kommunen, sondern ermutigen auch die (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Bürgerinnen und Bürger, die sich in unserem Land für CDU/CSU) die Flüchtlinge engagieren, die ihnen bei Arztbesuchen helfen, sie bei Behördengängen unterstützen und dazu Das kann die EU nicht einfach akzeptieren. Deshalb war beitragen, dass die Kinder in die Schule gehen können. und ist die Entscheidung für gezielte Sanktionen richtig. Das alles zeigt, dass die große Mehrheit der Deutschen Russland muss seine Guerillataktik beenden und aufhö- ganz klar sieht, dass wir Verantwortung für die Flücht- ren, an der Spaltung der Ukraine zu arbeiten. linge haben. Das ist gelebte Verantwortung. Das ist prak- (Beifall des Abg. Dr. Andreas Schockenhoff tische Solidarität. Ich möchte allen, die sich daran betei- [CDU/CSU]) ligen, die dabei mitwirken, ganz herzlich danken. Wladimir Putin muss klar bekennen, dass auch er weder Vielen Dank. Krieg noch Bürgerkrieg in Europa toleriert oder gar för- dert. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Vizepräsidentin : CDU/CSU) (B) Für die CDU/CSU-Fraktion spricht nun der Kollege (D) Dennoch müssen wir im Gespräch bleiben; denn es kann Volker Kauder. nur eine politische Lösung für diesen Konflikt geben. Es kann auch nur eine Lösung mit Russland geben; das (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- muss uns immer bewusst sein. Das ist die Komplexität neten der SPD – Dr. Gesine Lötzsch [DIE der Außenpolitik, mit der wir uns auseinandersetzen LINKE]: Bitte nicht so weinerlich!) müssen und der wir uns mutig stellen müssen. Es reicht nicht, nach einem einfachen Schema – wie es die Linke Volker Kauder (CDU/CSU): gerne macht – Putin zu bejubeln und Israel zu kritisieren. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle- Damit stellen Sie sich nur ins Abseits, aber zeigen keine gen! Die Beratungen des Bundeshaushaltes für das Jahr Verantwortung. 2015 finden in einer bewegten Zeit statt. Vor uns liegen (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – große Aufgaben in unserem Land und auch in der Welt. Widerspruch bei der LINKEN) (Abgeordnete von BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- 50 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht, NEN wedeln mit Taschentüchern – Britta so viele wie noch nie seit dem Ende des Zweiten Welt- Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: krieges. In dieser dramatischen Lage müssen wir unse- Hier ist das Taschentuch!) ren Beitrag leisten, damit die Flüchtlinge den nächsten – Sie von den Grünen und Sie persönlich, Frau Göring- Winter überhaupt überstehen können. Ich bin froh, dass Eckardt, haben allen Grund, ihre Taschentücher zu be- wir in den parlamentarischen Beratungen die Haushalts- halten. Es ist nämlich zum Weinen, was Sie 25 Jahre mittel für die zivile Krisenprävention und die humanitäre nach der friedlichen Revolution in Thüringen veranstal- Hilfe um 313 Millionen Euro aufgestockt haben. Damit ten. Das ist zum Heulen. zeigen wir, dass wir internationale Verantwortung für diese Krise übernehmen wollen. (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Matthias (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Volker W. Birkwald [DIE LINKE]: Heul doch! Heul Kauder [CDU/CSU]) doch! Heul doch!) Jetzt müssen wir schauen, dass wir die Flüchtlinge in Ich kann Ihnen nur sagen: Sie werden es eines Tages zu Deutschland gut unterbringen. Wir haben in diesem spüren bekommen, Herbst schon wichtige Verbesserungen beschlossen: Asylbewerber können schneller Arbeit finden und (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sprachkurse besuchen. Wir haben die Residenzpflicht Oh! Oh!) 6518 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014

Volker Kauder (A) dass Sie mit den Linken – die Sie auch noch so zur Brust tion erfolgreich begonnen, eine der größten Investitionen (C) nehmen wie heute – eine Koalition eingehen, dass Sie in Angriff zu nehmen, nämlich die Investition in Bil- 25 Jahre nach der friedlichen Revolution jene an die dung, Forschung und Innovation. Macht bringen, die man damals weggewischt hat, und (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- dass Sie einen Linken zum Ministerpräsidenten wählen. neten der SPD) Das ist wirklich zum Heulen. Ich bin manchmal fassungslos, wenn ich höre, dass (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch man sich bezogen auf die Investitionsquote dieses Bun- beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Katrin deshaushalts nur anschaut, was in die Infrastruktur, in Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Gebäude und vieles andere investiert wird. Dazu kann NEN]: Zur Frauenquote wollen wir jetzt was ich nur sagen: Eine Investition in ein Gebäude ist das hören! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: eine. Aber wenn in der Schule oder in der Uni nicht in Hallo? Das ist Unsinn pur!) den Inhalt investiert wird, dann nützt das nichts. Deshalb Jetzt zum Ernst der Situation. sind die 15 Milliarden Euro, die wir im Etat von Frau Wanka veranschlagen, Investitionen in die Zukunft, (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE liebe Kolleginnen und Kollegen. Das ist eine der größten GRÜNEN]: Sagen Sie doch was zu den Block- Investitionsquoten überhaupt. parteien! Zur Frauenquote und zu den Block- parteien!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Mit diesem Bundeshaushalt reagieren wir auf die großen Herausforderungen unserer Zeit. Trotzdem kommt er Wenn wir uns die Herausforderungen ansehen, auf die ohne neue Schulden aus. Die großen Herausforderungen, der Bundeshaushalt Antworten gibt: Auch Maßnahmen die es in unserem Land gibt, betreffen auch die Investi- zum Klimaschutz sind eine große Investition; der Kol- tionen zur Stärkung der wirtschaftlichen Aktivitäten. lege Oppermann sprach es an. Beim Klimaschutz gibt es natürlich eine Reihe von Bereichen, die zu betrachten (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: sind. Es ist klar, dass auch die Energiewirtschaft ihren Das schaffen Sie ja leider nicht!) Beitrag leisten muss. Für unsere Wirtschaft ist es zentral, Auf die Frage von Frau Haßelmann hat Kollege dass wir den Klimaschutz einhalten; wir müssen aber Oppermann geantwortet, dass wir in unserer Regie- auch Sicherheit bei der Energieversorgung herstellen rungszeit die Investitionen stärken werden. Es steht auch und den Preis halten. Deshalb muss ich schon sagen: Wir im Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass wir in den sollten vor allem dort tätig werden, wo die Chancen groß sind, dass wir den Klimaschutz in besonderer Weise vo- (B) nächsten Jahren weitere 10 Milliarden Euro für Investi- (D) tionen zur Verfügung stellen. Aber diese 10 Milliarden ranbringen, und das ist immer noch der Gebäudebestand Euro müssen dann auch in Investitionen fließen, und in unserem Land. Wenn wir uns vornehmen, jedes Jahr zwar dorthin, wo es Probleme gibt, nämlich in die Infra- nur 1 Prozent unseres Gebäudebestands energetisch zu struktur, sowohl im digitalen Bereich als auch im Ver- sanieren, so ist dies eine große Aufgabe. Aber das ist kehrsbereich. Im Bereich der digitalen Infrastruktur ist schon das absolute Minimum. Daher erwarte ich, dass es zwingend notwendig, dafür zu sorgen, dass das Inter- die Länder hier ihre Möglichkeiten nutzen. Wir versu- net schneller wird, und zwar nicht nur für die Familien chen seit einiger Zeit krampfhaft, ein energetisches Ge- zu Hause. Wenn Industrie 4.0 gelingen soll – und das bäudesanierungsprogramm auf den Weg zu bringen. muss gelingen –, brauchen wir ein Internet, das die Ma- Man kann nicht, wie in NRW, der Kohle das Wort reden, schinen in Istzeit verbindet. Damit können wir nicht aber dann bei der Gebäudesanierung nicht mitmachen mehr lange warten. Die Zeit drängt. Mit diesem Haushalt wollen. Jeder muss seinen Beitrag leisten: der Bund die werden die notwendigen Voraussetzungen dafür ge- eine Hälfte und die Länder die andere Hälfte. Dann kom- schaffen. men wir einen gewaltigen Schritt voran. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Noch immer sind 85 Prozent der Heizungsanlagen in den Privatgebäuden nicht auf dem neuesten Stand. Wenn wir Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen dort etwas tun, können wir Millionen einsparen. Das natürlich alles tun, um die deutsche Wirtschaft, nachdem wird ein Schwerpunkt im Investitionsbereich werden wir erkennen, dass der Wachstumskurs nicht mehr ganz müssen – Kollege Oppermann wies darauf hin –, auch so dynamisch ist, weiter zu unterstützen. Wir haben wenn wir uns im nächsten Frühjahr mit dem Haushalt überhaupt keinen Grund, die Dinge schlechtzureden. 2016 beschäftigen. Wir werden auch im nächsten Jahr Wachstum haben. Jetzt aber geht es darum, die ganze Kraft darauf zu ver- Neben diesen Themen gibt es ein Thema, das jeden wenden, dieses Wachstum zu unterstützen. Eine der gro- Tag Hunderte von Menschen unmittelbar betrifft; es ist ßen Herausforderungen für die deutsche Wirtschaft, eine erstaunlich, wie wenig darüber gesprochen wird. Jeden der großen Wachstumsfragen ist: Können wir der Wirt- Tag – jeden Tag! – sind in den letzten zwölf Monaten schaft genügend qualifiziert ausgebildete junge Men- 400 Häuser oder Wohnungen aufgebrochen worden, und schen anbieten? Es geht nicht mehr um den Arbeitsplatz, die Leute wurden ausgeraubt. Es geht nicht nur um den sondern darum, den besonders qualifizierten Arbeits- materiellen Verlust. Die Menschen, die davon betroffen platz zu besetzen. Wir haben bereits in der letzten Koali- sind, sind ein Leben lang traumatisiert, weil sie Angst Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6519

Volker Kauder (A) haben und sich nicht mehr in ihre Häuser zurücktrauen. an die Themen herangehen sollte. Er hat uns ins Stamm- (C) Da kann man nicht so tun, als ob das kein Problem wäre. buch geschrieben, wir sollten uns nicht damit abfinden, Vielmehr ist es richtig, zu sagen: Die Sicherheit des Ein- dass Europa immer älter wird, auch wenn dieser Ein- zelnen ist eine Kernaufgabe unseres Staates, meine sehr druck immer mehr vorherrscht. Ich kann nur sagen: Die verehrten Damen und Herren. europäischen Ideen vom Zusammenarbeiten, von Frie- den und Freiheit, von Religionsfreiheit und von Chancen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- für alle, diese Ideen müssen in Russland lange gesucht neten der SPD) werden. Das sind aber die Ideen, die Europa stark ma- Da tragen der Bund und die Länder gemeinsam Verant- chen und die auch eine so starke Anziehungskraft dieses wortung. Wir wollen, auch im Rahmen von Investitio- Europas ausmachen. nen, überlegen, was man noch machen kann, um unsere (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Wohnungen, unsere Häuser sicherer zu machen. neten der SPD) Darüber hinaus war es natürlich notwendig – ich bin Darüber müssen wir immer wieder auch klar und deut- dankbar, dass es gelungen ist, dies im Haushaltsaus- lich sprechen. schuss durchzusetzen –, dass wir für den Bereich innere Sicherheit, also den Geschäftsbereich von Thomas de Wenn wir von den genannten Werten sprechen, Maizière, nach den Maßnahmen in den letzten Jahren bei möchte ich hinzufügen: Es müssen auch all diejenigen, der Bundespolizei noch etwas Bedeutendes haben ma- die sich Europa nähern wollen und in Europa mitmachen chen können. Wir sind da noch nicht am Ende; aber die wollen, wissen, dass wir nicht nur nach der Wirtschafts- Botschaft lautet: Wir werden nicht achselzuckend hin- kraft von Ländern urteilen können, sondern auch nach nehmen, dass Banden durch unser Land ziehen, Häuser dem urteilen müssen, was sie in dem Bereich machen, aufbrechen können und wir keine Antwort auf diese die der unseren Wertebereich ausmacht. Wir erleben im Au- Menschen bewegende Frage geben. genblick die Diskussionen in der Türkei. Es mag jetzt einmal egal sein, ob die Türkei Amerika entdeckt hat (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- oder nicht; darüber will ich gar nicht reden. Aber dass neten der SPD) die Türkei noch einen erheblichen Nachholbedarf bei der Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Haus- Umsetzung der Religionsfreiheit hat, das ist Fakt. Das haltsberatungen finden natürlich auch in bewegter Zeit muss sich ändern, sonst ist der Weg nach Europa sehr, statt, weil wir weltweit einige große Probleme haben. sehr schwer. Die Bundeskanzlerin hat zu Recht die Ebolakrise ange- (Beifall bei der CDU/CSU) sprochen und auch den Beitrag, den wir dazu leisten (B) können. Aber auch das Verhältnis von Russland, der Natürlich ist eine zentrale Aufgabe – das muss ich sa- (D) Ukraine und Europa ist ein Thema. Ich möchte sagen: gen; auch die Bundeskanzlerin hat davon gesprochen – Die Überzeugung und Wahrnehmung der CDU/CSU- die Bekämpfung des internationalen Terrors. Wir alle Bundestagsfraktion ist die, dass unsere Bundeskanzlerin spüren – Thomas de Maizière hat in den letzten Tagen und unser Bundesaußenminister an einem Strang ziehen darauf hingewiesen –, dass diese Sorge nicht nur im und dass sie eine ausgezeichnete Politik machen, die Mittleren und Nahen Osten zu verorten ist. Sie ist inzwi- nicht nur die Menschen in der Ukraine, sondern auch die schen mitten in unserem Land, in unserer Gesellschaft Stabilität Europas im Auge hat. Dafür sage ich einen angekommen. Wenn man sich vor Augen führt, dass herzlichen Dank. mehr als 500 junge Menschen in den Krieg nach Syrien und in den Irak ziehen und zum Teil auch wieder zurück- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- kommen, und wenn man weiß, dass für die Überwa- neten der SPD) chung von sogenannten Gefährdern 25 Personen am Tag Meine sehr verehrten Damen und Herren, angesichts benötigt werden, weiß man, wie groß die Aufgabe ist. der derzeitigen Situation kommt es natürlich ganz ent- Deswegen müssen wir alles daransetzen, die Sympathie- scheidend darauf an, dass wir in Europa beieinanderblei- werbung für solche Einsätze zu verbieten. Es ist doch ben, so wie diese Koalition in dieser wichtigen Frage geradezu grotesk, wenn junge Menschen im Internet an- beieinanderbleibt. In diesem Zusammenhang muss ich geworben werden können, wenn ihnen angeboten wer- immer wieder darauf hinweisen, dass wir mehr darüber den kann, in einen Krieg zu ziehen, in dem die Men- reden müssen, was Europa gerade in diesen wichtigen schen enthauptet werden, in dem Frauen entführt und außenpolitischen Handlungsfeldern bedeutet. Mir wird vergewaltigt werden. Ich habe die herzliche Bitte, dass zu viel über das Europa von Euro und Cent gesprochen wir das Verbot, für solche Gruppen zu werben, endlich und viel zu wenig über das Europa der Werte und der ge- durchsetzen, dass wir damit endlich ernst machen. meinsamen Schicksalsgemeinschaft. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) neten der SPD und der Abg. Marieluise Beck Auf IS bzw. ISIS eine Antwort zu geben, ist nicht ein- [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) fach. Wir dürfen nicht glauben, dass wir dieses Problem Es ist schon bemerkenswert, dass es gerade Papst in wenigen Wochen bewältigen können. Das ist eine Franziskus gewesen ist, der gestern genau auf diesen Aufgabe, die noch mehrere Jahre dauern wird. Sie ist Punkt hingewiesen hat, nämlich dass dieses Europa et- auch nicht allein mit Lufteinsätzen und Unterstützung was selbstbewusster, etwas dynamischer, etwas jünger der Bodenkräfte mit Waffen zu bewältigen. Alles, was 6520 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014

Volker Kauder (A) wir diesbezüglich tun, ist völlig richtig. Aber diesen Auch die Mitarbeiter des Konsulats, Herr Bundesaußen- (C) Gruppen muss auch der ideologische Nährboden entzo- minister, machen einen wirklich guten Job. gen werden, damit sie sich nicht auf eine besondere Ideologie berufen können. Wir haben lange darauf ge- Wir haben uns angeschaut, was in dieser Region pas- wartet; jetzt können wir aber dankbar feststellen, dass siert. Dort leben 4,5, vielleicht 5 Millionen Kurden. In- der Zentralrat der Muslime in Deutschland sich klar dis- zwischen gibt es dort über 1 Million Flüchtlinge, die be- tanziert hat. Besonders beeindruckt hat mich – das war treut und untergebracht werden müssen. Da kann ich nur ein wichtiger erster Schritt, auch wenn weitere folgen sagen: Wenn eine so kleine Region wie Kurdistan mit müssen –, dass sich führende islamische Theologen aus seinen 5 Millionen Einwohnern mit über 1 Million einigen arabischen Ländern, dass sich der Großscheich Flüchtlinge fertig werden muss, dann werden wir das bei uns bei 250 000 Flüchtlingen auch schaffen. der Universität Kairo, die syrisch-orthodoxen und die koptischen Christen zusammengefunden haben und eine (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gemeinsame Erklärung herausgegeben haben, nach der NEN]: Die Gemeinden in Bayern, ja!) Menschenrechtsverletzungen so schwerer Art, wie die ISIS sie begeht, in keiner Religion akzeptiert werden Da bin ich zuversichtlich. können, dass sie nicht Teil einer Religion sein können. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem Menschenrechtsverletzungen sind durch die Religions- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Anton freiheit nicht gedeckt! Das war die Botschaft, und das ist Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sa- die richtige Botschaft. gen Sie das auch mal Herrn Seehofer!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie – Auf diesen Zuruf kann ich nur erwidern: Ich habe allen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Respekt davor, was die Gemeinden in Bayern wie auch GRÜNEN) viele andere Kommunen im Augenblick leisten. Ich unterstütze das und freue mich, wenn weitere (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Schritte folgen, weil es wirklich darauf ankommt, den Thomas Oppermann [SPD] – Menschenrechten zum Durchbruch zu verhelfen und [CDU/CSU]: Oh ja! – Dr. Anton Hofreiter denjenigen, die glauben, mit solchen Methoden, mit sol- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr chen Schikanen im Namen einer Religion Verunsiche- Seehofer ist nicht für die Gemeinden zustän- rung verbreiten zu können, den Boden zu entziehen. dig!) Wir müssen natürlich auch unseren Beitrag leisten; Nicht mit dem Finger zeigen! Das ist nicht die Zeit. Wir alle müssen uns anstrengen, und das werden wir auch (B) das ist bereits angesprochen worden, sowohl von der (D) Kanzlerin als auch vom Kollegen Oppermann. Wir for- machen. mulieren es klar und deutlich: Wir wollen, dass die Men- Ich bin dem Bundesfinanzminister, der den Haushalt schen in aller Welt ihre Religion frei leben können. zusammenhält und die große Leistung der schwarzen Diese Menschen im Nahen und Mittleren Osten können Null vollbracht hat, dankbar dafür, dass er gesagt hat: das aber nicht, weil man sie verfolgt, auch wegen ihrer Das, was notwendig ist, um den Flüchtlingen vor Ort Religion – nicht nur, aber auch wegen ihrer Religion. und hier zu helfen, werden wir auch leisten können. – Wenn diese Menschen keinen anderen Ausweg mehr se- Lieber Wolfgang Schäuble, herzlichen Dank für diese hen, als zu uns zu kommen, dann erwarte ich – das muss klare Aussage. ich sagen –, dass wir diese Menschen bei uns aufnehmen und sie anständig unterbringen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Der Bundeshaushalt 2015, der in dieser Woche verab- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE schiedet wird, gibt Antworten auf die drängenden gro- GRÜNEN) ßen Fragen in unserer Gesellschaft und in unserem Land. Was sollen die Christen und andere Betroffene wie Er gibt aber auch Antworten auf die großen, wirklich die Jesiden eigentlich davon halten, wenn wir sagen, wir existenziellen Herausforderungen, die wir in der Welt treten für Religionsfreiheit ein und stehen an der Seite haben. Herr Hofreiter, Sie haben heute über unseren derjenigen, die verfolgt werden, wenn sie dann zu uns Koalitionsvertrag gesprochen. Ich kann nur sagen: Ich kommen und dies nicht spüren? Nein, wenn sie bei uns bin schon zufrieden damit. sind, müssen sie spüren, dass wir unseren Worten auch (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE Taten folgen lassen. GRÜNEN]: Wegen der Frauenquote?) Natürlich sind 200 000 Flüchtlinge eine große Auf- Wir haben einen Koalitionsvertrag, den wir Punkt für gabe. Vor kurzem waren zwei Mitarbeiter unserer Frak- Punkt umsetzen. Es braucht sich daher niemand aufzure- tion in Arbil und Dohuk in Kurdistan. Dort werden jetzt gen. Alle Punkte, die darin enthalten sind, werden eins langsam winterfeste Quartiere gebaut. Da kann man nur zu eins umgesetzt. Wir von der Koalition sind aber auch sagen: Ich danke dem Auswärtigen Amt, dem Außen- handlungsfähig, was die Aufgaben angeht, die nicht im minister und dem Entwicklungshilfeminister dafür, dass Koalitionsvertrag enthalten sind. Wir kannten sie näm- sie trotz der zähen Arbeit vorankommen. Manches ist lich noch nicht, als wir die Koalition gebildet haben. besser geworden, als man in der Öffentlichkeit so hört. Man muss es erst einmal schaffen, den Koalitionsvertrag Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6521

Volker Kauder (A) eins zu eins umzusetzen, keine neuen Schulden zu ma- macht? Das waren die Aufgaben, von denen wir nichts (C) chen und bei den Herausforderungen in der Welt voll da- gewusst haben. bei zu sein und zu wissen, was man macht. Diese Koali- (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: tion – das wird von der Opposition natürlich nicht Das ist doch jetzt gar nicht das Thema!) gesagt, obwohl sie es sieht – leistet eine gute Arbeit. Jetzt zur Investitionsquote – dann sage ich das noch Herzlichen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen. einmal –: Die Investitionsquote steigt. Wenn Sie die (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) 15 Milliarden Euro aus dem Bereich Forschung, Ent- wicklung und Innovation berücksichtigen, zeigt sich ein Vizepräsidentin Petra Pau: anderes Bild. Wenn Sie das nicht machen, dann haben Die Kollegin Anja Hajduk hat das Wort zu einer Sie einen altbackenen Investitionsbegriff, Frau Kollegin. Kurzintervention. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD – Michael Grosse-Brömer Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): [CDU/CSU], an das BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr NEN gewandt: Jetzt haben Sie den Salat!) Kauder, Sie haben meine Kollegin Haßelmann mit dem Hinweis auf die Entwicklung der Investitionsquote ange- Vizepräsidentin Petra Pau: sprochen. Ich möchte jetzt Sie ansprechen, und zwar auf Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Dr. Rolf Ihren Schlusssatz, Sie wollten das anders machen und Mützenich das Wort. korrigieren, was Sie noch nicht gewusst haben. Wenn ich da anschließen darf: Kann es sein, dass Sie wirklich (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nicht wissen, dass die Investitionsquote im Finanzplan der CDU/CSU) trotz der 10 Milliarden Euro, die Finanzminister Schäuble im Streit um die Investitionssteigerung für die Jahre Dr. Rolf Mützenich (SPD): 2016 bis 2018 ganz clever zusätzlich im Finanzplan ver- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und sprochen hat – sie sind jetzt auch darin enthalten –, wei- Kollegen! In der Tat: Außenpolitisch betrachtet war und ter sinkt? ist 2014 – das hat die Bundeskanzlerin am Anfang ihrer Regierungserklärung hier gesagt – ein schlimmes Jahr. Wenn der Fraktionsvorsitzende der SPD in der Gro- In Syrien werden Menschen vertrieben, tagtäglich über ßen Koalition und der Fraktionsvorsitzende der CDU/ 100, und sie werden letztlich ihrem Schicksal überlas- CSU in der Großen Koalition nicht wissen, dass es so ist, sen. Gerade die Nachbarländer stehen großen Herausfor- (B) dass die Investitionsquote im Finanzplan damit von über derungen in Bezug auf die Flüchtlingspolitik gegenüber. (D) 10 Prozent auf 9,3 Prozent sinkt, dann nehme ich Sie Hinzu kommt Ebola, und es gibt zahlreiche Räume der jetzt beim Wort: Dann ist das wieder einmal etwas, was Gewalt; mittlerweile kennen Generationen in ihrem un- Sie nicht gewusst haben – Klammer auf: wovon ich aber mittelbaren Umfeld nichts anderes als Gewalt. Leider sage, das hätten Sie wissen können –, und dann ist das kommen auch der Nationalismus und der Chauvinismus definitiv etwas, was Sie ändern müssen. Auf, auf! Wir zurück nach Europa. Das sind bittere Tage und bittere werden das am Freitag so beantragen. Momente, wenn man auf die Außenpolitik schaut und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) versucht, darauf Antworten zu finden. Ich persönlich muss zugeben: Ich bin angesichts der Vizepräsidentin Petra Pau: Bilder manchmal ratlos, und manchmal bin ich auch ver- Sie haben das Wort zur Erwiderung. zweifelt, nicht nur angesichts der Taten, die in der Welt zu beobachten sind, sondern auch dann, wenn ich den Volker Kauder (CDU/CSU): Menschen in den betroffenen Ländern begegne. Aber ich Liebe Kollegin, ich bin eigentlich ein bisschen trau- finde, es gehört dazu, auch auf andere Entwicklungen rig, hinzuweisen und das Bild etwas zurechtzurücken. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir sehen in Tunesien eine Gesellschaft, die zumin- Oh, der Arme! – Wie schade!) dest den Mut aufbringt, friedlich für einen Wandel einzu- treten. dass Sie nicht zugehört haben, was ich am Schluss ge- sagt habe. Ich habe gesagt: Wir haben einen Koalitions- (Beifall der Abg. Marieluise Beck [Bremen] vertrag, mit dem wir auf die Herausforderungen in unse- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) rem Land reagieren. Auch Sie alle haben nicht gewusst – Möglicherweise sind darunter auch Menschen, die sa- das kann ich ja mit der Kollegin Beck immer wieder be- gen: Gerade jetzt muss ich anpacken. Jetzt besteht die sprechen; Verpflichtung, Vorbild zu sein, selbst als kleines Land in der arabischen Welt. – Es gibt Foren und Regionalorga- (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ nisationen, die eben nicht auf andere warten, sondern, DIE GRÜNEN]: Mit mir? Warum?) weil sie gemeinsame Interessen haben, versuchen, ge- darum ist es mir gegangen –, was in Russland passiert. meinsam etwas umzusetzen. Sie, Frau Bundeskanzlerin, Oder haben Sie gewusst, dass die Russen die Krim an- haben von den Dialogforen in Asien gesprochen. Ich nektieren werden? Oder haben Sie gewusst, was ISIS nenne die Entwicklung in Lateinamerika. Ich finde, auch 6522 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014

Dr. Rolf Mützenich (A) das, was in Afrika passiert, macht, wenn man darauf Angesichts dessen bin ich schon überrascht, dass in (C) blickt, durchaus Mut. In Mexiko ertragen es die Men- den letzten Tagen der Begriff „Nebenaußenpolitik“ ge- schen nicht mehr, dass sie teilweise von einer Politiker- fallen ist. Ich finde, die Bundeskanzlerin und der Bun- kaste geführt werden, die mit der Mafia Hand in Hand desaußenminister haben von Anfang an einen vertrau- geht. ensvollen Ansatz gewählt. Ich finde, das sind mutige Beispiele, die zeigen, dass Ich kann verstehen, dass man manchmal enttäuscht ist die Außenpolitik von Prinzipien geleitet werden muss, und eine entsprechende Rede hält, weil die Zusagen of- die sie dann auch umzusetzen hat, um die Herausforde- fensichtlich nicht eingehalten wurden, aber ich weise da- rungen zu bewältigen. rauf hin: Wenn man einen solchen Begriff in den Mund nimmt, dann schafft man auch Irritationen bei unseren Ich will hier einige Prinzipien nennen, die die Bun- Partnern, weil sie vermuten könnten, dass wir einen Dis- desregierung und auch dieses Parlament, wie ich glaube, sens in der Außenpolitik haben, und das ist sehr gefähr- sehr klug vermitteln, womit sie der deutschen Außen- lich. politik ein Gesicht geben: Ich muss bekennen, dass ich mich mittlerweile daran Nie allein: Das ist die Lehre aus dem verheerenden erinnern kann, wann der Begriff „Nebenaußenpolitik“ letzten Jahrhundert. Daneben werden wir mit neuen geboren wurde, nämlich in den 70er- und 80er-Jahren, Partnern aktiv – zum Beispiel in Regionalorganisationen als die sozialdemokratische Partei eine Entspannungs- wie der Europäischen Union –, und außerdem gibt es politik versucht hat, die mehr als Regierungspolitik be- neue Formate. Das erkennt man zum Beispiel daran, deutete. Dieser Kampfbegriff wurde jetzt wieder einge- dass der Bundesaußenminister mit seinem französischen führt. Ich finde, wir Sozialdemokraten sind gehalten, Kollegen in die Länder reist, die von Ebola betroffen stolz auf unseren Beitrag zur Überwindung von Konflik- sind. Es gibt deutliche Zeichen dafür, dass wir es nicht ten und Gewaltursachen zu sein. Das lassen wir uns von alleine schaffen. Gemeinsam können wir aber zumindest niemandem absprechen – egal in welcher Konstellation. eine Perspektive aufzeigen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Ich füge hinzu: Wir sind stolz darauf, dass Frank- Walter Steinmeier das Gesicht und die Stimme einer so- Wir müssen auch immer wieder Gespräche anbieten. zialdemokratischen Friedenspolitik in Europa und welt- Wenn es beim hundertsten Mal nicht geklappt hat – das weit ist. Vielen Dank dafür. haben Sie zu Recht angesprochen –, dann muss ich es eben noch einmal versuchen. Man muss das Gespräch (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Andreas (B) suchen und versuchen, Lösungen zu finden, weil wir an- Schockenhoff [CDU/CSU]) (D) dere Instrumente nicht zur Hand nehmen wollen oder Gleichzeitig möchte ich daran erinnern, dass es nicht auch nicht dürfen. zu unseren Aufgaben gehört, in öffentlichen Interviews Wir müssen das Völkerrecht verteidigen und uns da- über die Ablösung von Führungskräften in Dialogforen bei an Regeln orientieren. Das ist kein Selbstzweck, son- zu diskutieren, sondern diese Aufgabe haben die Mit- dern die Regeln sind entwickelt worden, weil wir wol- gliederversammlungen dieser Institutionen. Für uns So- len, dass alle gleichbehandelt werden und nach zialdemokraten sage ich sehr deutlich: Wir schätzen die denselben Instrumenten greifen. Insbesondere müssen Integrität und Souveränität von Matthias Platzeck. Für wir die Institutionen stärken – das hat der Bundesaußen- uns bleibt er ein herausragender und unverzichtbarer Ak- minister in den letzten Wochen immer wieder bewiesen – teur im deutsch-russischen Dialog. und diejenigen mitnehmen, die gemeinsame Interessen (Beifall bei der SPD) mit uns teilen. Hier ragt die OSZE heute in Europa he- raus, weil sie ein Forum bietet, durch das auch andere Wenn ich sage: „Wir müssen auf der einen Seite über mitgenommen werden. Prinzipien sprechen und auf der anderen Seite über un- verrückbare Wahrheiten“, dann müssen wir in der Tat Wir haben bei der Aufstellung des Haushalts ver- klar zum Ausdruck bringen: Ohne Russland wird eine sucht, die Mittel für all diese Dinge und die entspre- europäische Friedensordnung keine Gestalt und keine chend notwendige Arbeit zu erhöhen. Gleichzeitig dür- Verlässlichkeit annehmen, aber auch nicht ohne eine fen wir aber auch die Gesellschaften nicht aus dem Blick Ukraine, die, demokratisch und souverän, in dieser euro- verlieren, weil die Gesellschaften heute genauso ein be- päischen Friedensordnung ihren Platz haben muss. Das deutsamer legitimer Akteur in der Außenpolitik sind. ist im Grunde genommen der Kern der Politik in unse- Deswegen hat der Bundestag gesagt: Das Goethe-Insti- rem Dialog. tut, die politischen Stiftungen und viele andere brauchen mehr Mittel; die müssen mitgenommen werden. Es ist wichtig, dass wir auf der Minsker Vereinbarung bestehen. Es ist wichtig, immer wieder, auch wenn sie Der Herr Kollege Kauder hat hier eben für mich sehr nicht eingehalten wird, an sie zu erinnern und in dieser überzeugend und sehr nachdrücklich gesagt: Wir brau- Frage die OSZE mitzunehmen. Ich bin dem Bundes- chen die humanitäre Hilfe, wir brauchen ein offenes außenminister dankbar, dass Deutschland mit anderen Land, und wir brauchen insbesondere Mitgefühl für die Partnern, die diese Idee voranbringen wollen, eine noch Menschen, die glauben, bei uns einen gewissen Schutz stärkere Rolle in der OSZE einnehmen will. Wenn ich oder vielleicht sogar eine neue Heimat zu finden. sage: „Wir Sozialdemokraten in dieser Großen Koalition Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6523

Dr. Rolf Mützenich (A) wollen eine europäische Friedensordnung bauen“, dann Sind Sie aber auch bereit, mit Ihrem Kollegen (C) bleibt uns nichts anderes übrig, als nach gemeinsamen Platzeck, der immerhin Vorsitzender der großen sozial- Interessen auch mit Russland zu suchen. demokratischen Partei gewesen ist, in eine ernsthafte Auseinandersetzung über seine Äußerung in Bezug auf Wir dürfen auch nicht verkennen: Die Vernichtung die Annexion der Krim einzusteigen und noch einmal der syrischen Chemiewaffen wäre ohne den wesentli- deutlich zu machen, welche Tragweite eine solche Äuße- chen Beitrag Deutschlands nicht gelungen, aber es war rung für das völkerrechtliche Gefüge dieser Welt hat? auch im Interesse Russlands gewesen, dass diese verhee- renden Waffen aus Syrien herausgebracht werden. Die- Ich berichte immer wieder von einem kleinen Erleb- ses gemeinsame Interesse teilen wir genauso wie den nis im Europarat: Mein ungarischer Kollege von der Job- Wunsch nach erfolgreichen Verhandlungen mit dem Iran bik-Partei trug ein T-Shirt, auf dem vorne stand: „Die über die Bewältigung der Atomkrise. Deswegen bin ich Annexion der Krim ist legal“ und hinten: „Die Karpaten Ihnen sehr dankbar, dass Deutschland, aber auch viele gehören zu Ungarn“. Genau diese Entwicklung bahnt andere Länder alles versucht haben, um bis Mitte nächs- sich in Europa an, wenn begonnen wird, über die Ver- ten Jahres einen belastbaren und für alle akzeptablen schiebung der Grenzen nachzudenken: Es wird dann vie- Vertrag auszuarbeiten, auch für die diejenigen, die nicht len, gerade rechtspopulistischen und rechtsextremen mit am Verhandlungstisch sitzen. Kräften in Europa, einfallen, welche Gebiete nach ihrer Wenn ich hier über Außenpolitik spreche, dann tun Meinung noch zu ihrem Land gehören sollten. wir gut daran, zu erkennen: Nicht nur unser Blick auf die (Beifall des Abg. Omid Nouripour [BÜND- derzeitige Konfliktsituation in der Ukraine und in Russ- NIS 90/DIE GRÜNEN]) land definiert das Außenbild der russischen Politik in an- deren Weltregionen, sondern zum Beispiel auch in Asien Darum geht es: dass wir – auch ein sozialdemokrati- – daran will ich erinnern – wird die Annexion der Krim scher Kollege – uns in Deutschland klarmachen, was das genauso gesehen wie bei uns: völkerrechtswidrig. Das für eine Büchse der Pandora ist, und das auch – wenn ich ist für die Einhaltung internationaler Regeln verheerend. das noch anführen darf – gegenüber den Ländern zwi- Deswegen war Russland nicht erfolgreich, im Rahmen schen Deutschland und Russland, also Ungarn, Polen des Treffens mit den BRICS-Staaten in Schanghai eine und dem Baltikum, im Blick behalten, die in ihrer histo- Anerkennung der Annexion zu erreichen. Deswegen rischen DNA die Erinnerung haben, dass es Verträge müssen wir nach diesen Partnern fragen, auch für unse- zwischen Deutschland und Russland zu ihren Lasten ge- ren Ansatz im Zusammenhang mit der möglichen Bil- geben hat. dung einer europäischen Friedensordnung. Dr. Rolf Mützenich (SPD): (B) Ich sage hier an dieser Stelle: Es war auch mit Blick (D) auf die Rolle der Atomwaffen eine wirklich schreckliche Liebe Kollegin Beck, ich hätte mich sehr gefreut, Niederlage, dass das Budapester Abkommen verletzt wenn Sie bei dem einen Teil Ihrer Frage geblieben wä- worden ist, weil damit den Atomwaffen wieder eine ren, statt dann noch Matthias Platzeck mit gewissen an- neue Rolle in der internationalen Politik zugewiesen deren Parteien in Verbindung zu bringen. wird. (Beifall bei der SPD) (Volker Kauder [CDU/CSU]: So ist es!) Ich glaube, das wäre sehr respektvoll gewesen. Ich habe Nicht nur das Völkerrecht ist verletzt worden, sondern darauf hingewiesen: Gerade Matthias Platzeck ist eine Regeln, die Russland damals für die Rückgabe von integre Persönlichkeit, über die Sozialdemokratische 1 500 russischen Atomwaffen eingegangen ist. Ich finde, Partei hinaus geachtet – gerade auch in seinem Bundes- es gehört mit zur Wahrheit, hier auch darüber zu spre- land –, der sehr souverän und, finde ich, auch in der Öf- chen. fentlichkeit korrigiert hat, was möglicherweise als Ein- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der druck einer einseitigen Äußerung geblieben ist. Ich CDU/CSU) finde, er hat das am Wochenende sehr souverän ge- macht. Das sollten wir alle im Deutschen Bundestag an- erkennen. Nicht Matthias Platzeck hat die Büchse der Vizepräsidentin Petra Pau: Pandora geöffnet, sondern diejenigen, die für Gewalt, Herr Kollege Mützenich, Sie haben es nicht gesehen, Annexion und anderes an Chauvinismus und Nationalis- aber Sie haben die Chance, Ihre ablaufende Redezeit da- mus in Europa verantwortlich sind. durch zu verlängern, indem Sie eine Frage oder Bemer- kung der Kollegin Marieluise Beck zulassen. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Dann sollte man es nicht gutheißen!) Dr. Rolf Mützenich (SPD): Ich finde, das sollten wir Sozialdemokraten auch immer Bitte schön. wieder betonen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Insofern glaube auch ich in der Tat: Wir sollten prin- Lieber Kollege Mützenich, ich teile all Ihre Einschät- zipienfest sein. Deswegen ist das, was ich eben im Zu- zungen. Sie sind klar und deutlich, und wir brauchen sie sammenhang mit dem Budapester Abkommen angespro- als politische Botschaften. chen habe, eine wichtige Verpflichtung für das, was die 6524 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014

Dr. Rolf Mützenich (A) Bundesregierung auch durch den Koalitionsvertrag mit wird – ist erfolgreich für die Menschen im Land. Sie (C) auf den Weg bekommen hat, nämlich sich für Abrüstung spüren es. Sie spüren es in der Arbeitsmarktentwicklung und Rüstungskontrolle einzusetzen. Aber für uns Sozial- und im Bildungswesen. Sie spüren es in der gesamten demokraten ist neben der Abrüstung und Rüstungskon- wirtschaftlichen Entwicklung und im Wohlbefinden. trolle – das wissen Sie – auch die Frage der Rüstungs- (Beifall bei der CDU/CSU) exporte von herausragender Bedeutung. Wir müssen nämlich in Deutschland in einer anderen Art und Weise Keine neuen Schulden erstmals seit mehr als 45 Jah- mit Rüstungsexporten verfahren. ren, das ist ein Meilenstein in Deutschland und einzigar- (Max Straubinger [CDU/CSU]: Das hat mit tig unter den führenden Industrienationen. Das Entschei- Platzeck nichts zu tun!) dende ist, dass wir dabei nicht nur den Bundeshaushalt im Blick hatten und haben, sondern in all den Jahren In diesem Zusammenhang bin ich insbesondere dem – genauso wie künftig – immer auch die Situation der Bundeswirtschaftsminister dankbar. Länder und vor allem die Situation unserer Kommunen. Es hat noch keine Bundesregierung gegeben, die so viel (Beifall bei Abgeordneten der SPD) für die Kommunen geleistet und sie so stark unterstützt Ich komme zum Schluss. Für uns bedeutet eine ver- hat – angefangen mit der Übernahme der Grundsiche- antwortliche Politik nicht mehr, aber auch nicht weniger rung über die Finanzierung, Förderung und Fortführung als das, was uns mit auf den Weg gegeben des Kitaausbaus bis hin zum geplanten Teilhabegesetz – hat. Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein und wie diese Bundesregierung. Das wollen wir fortsetzen. werden – im Innern und nach außen. Daran werden wir mit Bedacht und Konzentration weiter arbeiten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Vielen Dank. Nun ist ein ausgeglichener Haushalt kein Selbst- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zweck. Wir tun das, weil wir unsere Kinder und Enkel- der CDU/CSU) kinder im Blick haben, weil wir diejenigen im Blick ha- ben, die nach uns kommen. Das Allerbeste, was wir für Vizepräsidentin Petra Pau: die nachkommenden Generationen und an Investitionen Die Kollegin Gerda Hasselfeldt hat für die CDU/ in die Zukunft des Landes tun können, ist, einen schul- CSU-Fraktion das Wort. denfreien Haushalt zu übergeben. Natürlich ist das alles eine Herausforderung für die künftigen Jahre. Das darf (Beifall bei der CDU/CSU) kein Einmaleffekt sein. So etwas darf es nicht nur im vergangenen und in diesem Jahr geben. Vielmehr muss (B) (D) Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU): es fortgeführt werden. Das ist zweifellos keine einfache Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aufgabe. Das ist eine Herausforderung für uns alle. Aber Wenn wir in diesen Tagen und Wochen objektiv auf un- dass wir auf dem richtigen Weg damit sind, zeigen nicht ser Land schauen, dann stellen wir fest: Deutschland nur die vorhin von mir erwähnten Beispiele in Bayern, geht es gut. Wir stehen außenpolitisch in großer Verant- sondern auch Äußerungen des Wissenschaftlichen Bei- wortung. Wir sind Stabilitätsanker in Europa. Wir sind rats beim Bundesfinanzministerium – das ist heute in wirtschaftspolitisch erfolgreich, und wir haben innen- den Zeitungen zu lesen –, der gerade diesen strikten politisch viel für den Zusammenhalt und für die Zukunft Konsolidierungskurs, auf dem auch Investitionen getä- unserer Gesellschaft getan. tigt werden, für richtig hält. Auch das sollte uns auf un- serem weiteren Kurs bestärken. Meine Damen und Herren, das ist die Bilanz dieser Regierung, und das ist eine Erfolgsbilanz. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Johannes Kahrs [SPD]) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Das Ganze ist auch ein richtiges und wichtiges Signal nach Europa. Dort haben wir viel erreicht; das wurde Die Situation im Land gibt uns recht. Der Arbeitsmarkt heute schon angesprochen. Aber nach wie vor haben ist stabil. Noch nie waren so viele Menschen in Beschäf- noch einige Länder Hausaufgaben zu machen. Es führt tigung, und zwar in sozialversicherungspflichtiger Be- kein Weg daran vorbei, dass die erste Grundlage für eine schäftigung, wie heute. Genau deshalb können wir heute gute wirtschaftliche Entwicklung gerade in den Pro- feststellen: Der bisherige Kurs war richtig. Deshalb wer- blemländern in Europa ein solider Haushalt ist. Das gilt den wir genau auf diesem Kurs weiter die Politik in auch und gerade für unseren Nachbarn Frankreich. Ja, Deutschland gestalten. wir brauchen Wachstum und Arbeitsplätze, aber nicht (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie schuldenfinanziert. Wachstum hilft nichts, wenn es auf des Abg. Johannes Kahrs [SPD]) Pump finanziert wird. Es muss vielmehr immer verbun- den sein mit einem soliden Haushaltsgebaren, mit Struk- Zwei Merkmale prägen diesen Haushalt ganz beson- turreformen, Deregulierung und Bürokratieabbau. Das ders. Das eine ist: Wir machen keine neuen Schulden, sind die Aufgaben für Europa insgesamt, und das sind und das ohne Steuererhöhungen. Das Zweite ist: Wir in- die Aufgaben auch für die europäischen Nationalstaaten. vestieren zielgerichtet in die Zukunft unseres Landes. Beides gehört zusammen, und beides – das zeigen uns (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- auch Beispiele wie Bayern, wo das seit Jahren praktiziert neten der SPD) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6525

Gerda Hasselfeldt (A) Europa ist aber nicht nur eine Wirtschafts- und Wäh- zurechtkommen, ja, zum Teil überhaupt erst zurecht- (C) rungsunion; Volker Kauder hat das vorhin sehr eindring- kommen. lich beschrieben. Europa ist eine Wertegemeinschaft und eine Friedensordnung, wie wir uns keine bessere vorstel- Dann haben wir auch bei uns die große Herausforde- len können. So richtig deutlich wird das vielleicht, wenn rung der Flüchtlingsströme zu bewältigen. Die erste wir versuchen, zwei Folien aufeinanderzulegen, die Fo- Aufgabe ist, die Flüchtlinge gut unterzubringen. Lieber lie des früheren Europas mit den sich bekämpfenden und Herr Hofreiter, da muss ich schon sagen: Sie kennen die bekriegenden Nationalstaaten und die Folie des friedli- Situation in Bayern offensichtlich nicht, auch nicht die chen und kooperativen Europas unserer Tage. Ich denke, Unterstützung des Freistaats Bayern für die Kommunen dann wird uns allen bewusst: Dieses Europa, das wir in dieser Frage. Bayern bezahlt den Kommunen wie heute haben, ist das beste Europa, das wir jemals in un- kaum ein anderes Land 100 Prozent der Kosten. In serer Geschichte hatten, die beständigste Friedens- und Nordrhein-Westfalen sind es gerade einmal 20 bis Freiheitsordnung auf unserem Kontinent. 30 Prozent. Das ist die reale Lage. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU – Max Straubinger neten der SPD) [CDU/CSU]: Daran könnten sich die Grünen ein Beispiel nehmen! – Gegenruf des Abg. Diese Ordnung ist jetzt als Ganzes im Kampf gegen Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE Ebola und im Kampf gegen die Terrororganisation ISIS GRÜNEN]) gefordert. Sie ist gefordert bei der Bewältigung der Flüchtlingsströme, und sie ist nicht zuletzt natürlich Wir lassen die Kommunen und die Länder auch künf- auch gefordert beim Konflikt in der Ukraine. tig nicht im Stich. Wir haben zwei Gesetze im Bundesrat in dieser Woche zur Beratung, das Asylbewerberleis- Da geht es um das Leben der Menschen, da geht es tungsgesetz und das Freizügigkeitsgesetz, in denen wie- um die Einheit des Landes, da geht es um das Selbstbe- derum Hilfen für die Kommunen enthalten sind. Der Fi- stimmungsrecht der Völker. In der Ukraine geht es aber nanzminister hat verfügt, dass die Bundesliegenschaften, auch um das Primat des Rechts als Gegenentwurf zum die von der BImA verwaltet werden, kostenlos für Recht des Stärkeren. Es geht um die europäische Frie- Flüchtlingsunterkünfte zur Verfügung gestellt werden, densordnung. Ich finde, die Bundeskanzlerin hat recht, und er hat auch zugesichert, dass zusätzliche Hilfe ge- wenn sie sinngemäß sagt, das freiheitsfeindliche Denken leistet wird, wenn sie notwendig ist. Das ist eine großar- in geostrategischen Einflusssphären widerspreche dia- tige Bereitschaft der Länder, der Kommunen und des metral unseren Werten. Das darf in der Tat keinen Platz Bundes und vieler ehrenamtlicher Helfer, die uns dabei im Europa des 21. Jahrhunderts haben. (B) unterstützen und deren Hilfe einmal gewürdigt werden (D) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- muss. neten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Wir haben vielfache Kontakte mit Parlamentariern, Thomas Oppermann [SPD]) mit Freunden aus anderen europäischen Ländern, und wir besuchen sie auch. Überall spüren wir, welch großes Die Konflikte und Krisen haben natürlich Auswirkun- Vertrauen dort in die Europäische Union, in die NATO, gen auf die wirtschaftliche Lage bei uns. Nach einem gu- vor allem aber auch in Deutschland und im Besonderen ten Start Anfang des Jahres 2014 hat die Konjunktur nun in die Bundeskanzlerin gesetzt wird. Deshalb ist es bei einen kleinen Dämpfer erhalten. Krisenherde, Probleme all diesen Fragen ganz besonders wichtig, dass wir ge- im Euro-Raum und die weltwirtschaftliche Entwicklung schlossen auftreten, geschlossen in Europa, geschlossen sind die Hauptgründe dafür. In so einer Zeit ist es ganz in der NATO, dass wir auch geschlossen den Gesprächs- besonders wichtig, verlässliche Politik zu machen. Vor faden nicht abreißen lassen, sehr wohl aber auch klare diesem Hintergrund der verlässlichen Politik ist auch Kante bei den Sanktionen zeigen, und dass wir auch in- wieder die solide Haushaltspolitik ein ganz wichtiges Si- nerhalb der Großen Koalition geschlossen auftreten. Ich gnal. möchte Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, und dem Bundes- Ein Zweites ist aber, dass wir alle miteinander Sorge außenminister für diese Geschlossenheit auch von mei- dafür tragen müssen, die Wettbewerbsfähigkeit unserer ner Seite aus meine Anerkennung und meinen Dank aus- Wirtschaft nicht zu beeinträchtigen, dass wir Sorge dafür sprechen. tragen müssen, unnötigen Ballast für unsere Unterneh- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- men zu vermeiden. Angesichts dessen begrüße ich auch neten der SPD) das, was der Wirtschaftsminister mit Blick auf den Büro- kratieaufwand an Vereinfachungsmöglichkeiten vorge- Wir verschließen natürlich auch nicht die Augen vor legt hat. Ich hoffe sehr, dass es diesbezüglich in den anderen Krisenherden in der Welt. Wir haben dafür die nächsten Monaten zu Kabinettsentscheidungen und zur Mittel für Hilfsmaßnahmen, für die humanitäre Hilfe Realisierung kommt. Das ist auf jeden Fall der richtige aufgestockt. Auch dafür gebührt dem Finanzminister, Ansatz. Damit wir uns auch darüber im Klaren sind: Ein aber auch dem Entwicklungshilfeminister und dem Au- falscher Ansatz wäre in jedem Fall gewesen, so etwas ßenminister ein herzlicher Dank. Das ist ein ganz wichti- wie eine Anti-Stress-Verordnung zu machen. ges Signal für die Menschen in den Krisenregionen, da- mit sie dort mit ihren Sorgen und Schwierigkeiten besser (Beifall bei der CDU/CSU) 6526 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014

Gerda Hasselfeldt (A) Wir haben gestern Abend nicht zuletzt auch vor die- dem Abitur oder gar erst mit dem Studium. Es kommt (C) sem Hintergrund über die Frauenquote gesprochen. Ich auf die Ausbildung jedes einzelnen Menschen nach sei- sage Ihnen hier ganz deutlich: Ich stehe zur Frauenquote. nen eigenen Talenten an. Wir haben das nach langen und intensiven Diskussionen vereinbart. Ich bin bekannt dafür, im eigenen Verantwor- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) tungsbereich Frauen zu fördern, und bin ohnehin der Bei den Themen Infrastruktur und Investitionen darf Meinung, dass jedes Gremium besser arbeitet, wenn der Verkehr nicht fehlen. Da darf die Infrastruktur für die Frauen und Männer dabei sind. Breitbandversorgung nicht fehlen. Ich möchte neben den (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- 5 Milliarden Euro, die in dieser Legislaturperiode zu- wie des Abg. Johannes Kahrs [SPD]) sätzlich dafür ausgegeben werden, und neben den 10 Milliarden Euro, die von 2016 bis 2018 – das ist vor- Ich war lange genug alleine in Männergremien und war hin ja schon angesprochen worden – insbesondere für In- auch einige Jahre in manchen reinen Frauengremien. Ich vestitionen zusätzlich ausgegeben werden, nicht uner- weiß also schon, wovon ich rede. wähnt lassen, dass die Maut dazu auch einen Beitrag leisten wird. Nur, wenn wir das machen, dann muss es natürlich auch vernünftig sein. Es ist ja nicht nur eine Seite davon (Beifall bei der CDU/CSU – Lachen des Abg. betroffen. Es sind übrigens nicht alle Frauen betroffen, Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE sondern es ist nur ein ganz kleiner Teil. Aber das hat eine GRÜNEN] – Matthias W. Birkwald [DIE Signalwirkung; da dürfen wir gar nichts wegreden. Des- LINKE]: Jetzt zeigen Sie echt Humor!) halb haben wir dafür gesorgt, dass das Ganze praxisnah gestaltet wird, dass Berichtspflichten etwas entschärft Dass der Vorschlag des Bundesverkehrsministers eu- werden und das Ganze auch auf einer rechtlich sauberen roparechtskonform ist, dass er keinen deutschen Auto- Basis steht. Der Kompromiss, der heute Nacht gefunden fahrer zusätzlich belastet, dass er auch noch zusätzlich wurde, ist meines Erachtens ein guter Kompromiss, über Geld bringt, welches ausschließlich für Investitionen in den wir uns alle gemeinsam freuen können und an des- die Verkehrsinfrastruktur verwendet werden darf, zeigt, sen Realisierung wir im Gesetzgebungsverfahren kon- meine Damen und Herren: Das ist ein kluges Vorgehen, struktiv mitwirken sollten. ein Zeichen dafür, dass wir noch in der Lage sind, für Gerechtigkeit im Land und für eine saubere Finanzie- (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. rung unserer Infrastruktur zu sorgen. Petra Hinz [Essen] [SPD]) (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der Eine gute weitere wirtschaftliche Entwicklung hängt CDU/CSU: Sauber!) (B) natürlich mit Investitionen zusammen. Das wurde vorhin (D) mehrfach angesprochen. Deshalb kann ich diesen Part Meine Damen und Herren, dieser Haushalt setzt die ganz kurz machen. Ich will nur von meiner Seite noch richtigen Prioritäten ohne neue Schulden, ohne neue einmal betonen: Wenn wir über die Investitionsquote re- oder höhere Steuern, mit kraftvollen Zukunftsinvestitio- den, dann gehören immer auch die Investitionen in un- nen. Das ist der richtige Weg, und deshalb werden wir sere Kinder und Jugendlichen, diesem Haushalt auch zustimmen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Investitionen in Bildung, Forschung, Innovation mit dazu. Da, meine Damen und Herren, haben wir in den Vizepräsidentin Petra Pau: vergangenen Jahren so viel Gutes geleistet. Wir haben seit 2005 die Ausgaben des Bundes für Forschung und Das Wort hat der Kollege Johannes Kahrs für die Entwicklung verdoppelt. Wir haben im vergangenen SPD-Fraktion. Jahr beschlossen, schon ab dem nächsten Jahr die Aus- (Beifall bei der SPD) gaben im Rahmen des BAföG ganz zu übernehmen. Aber da muss man schon auch die Hoffnung ausspre- Johannes Kahrs (SPD): chen dürfen, dass die Länder die dadurch freiwerdenden Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Mittel ausschließlich für Bildung, Hochschule und For- Kollegen! Gestern konnte ich hier darüber reden, dass schung ausgeben. dieser Haushalt keine neuen Schulden braucht, dass das (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) eine gute Sache ist, aber nur dann, wenn „keine neuen Schulden“ auch für die Jahre 2016, 2017, 2018, 2019, Zur Bildung gehört aber nicht nur die Universitätsbil- 2020 ff. gilt. Wir müssen unsere Haushalte also dauer- dung, sondern auch die betriebliche Bildung, das duale haft so aufstellen. Ich glaube, dass man das nicht verges- Bildungswesen. sen darf. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Viele Redner haben hier heute gesagt: Keine Schul- neten der SPD) den machen ist das eine, Investieren ist das andere. In- Deshalb will ich gerade bei dieser Gelegenheit sagen: vestieren, das tun wir auch. Ich spreche hier jetzt als Be- Immer wieder, wenn wir in Europa unterwegs sind, spürt richterstatter über einen Teilbereich des Einzelplans 04, man, dass das ein Exportschlager von uns ist. Das sollten über die Kultur. Gemeinschaftlich, wie wir hier sitzen, wir auch hochhalten. Das Leben beginnt nicht erst mit haben wir es geschafft, dafür zu sorgen, dass in den Be- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6527

Johannes Kahrs (A) reich Kultur investiert wird. Das ist zum Beispiel Volker auch gelungen, ein weiteres Projekt umzusetzen. Wir als (C) Kauder zu verdanken; er hat seinen Beitrag dazu geleis- Parlamentarier haben uns seit Jahren angeguckt, dass da tet. Es ist außerdem Steffen Kampeter und Wolfgang etwas nicht so funktioniert, wie wir uns das vorstellen. Schäuble zu verdanken. Insbesondere möchte ich auch Zum Museum für zeitgenössische Kunst in Berlin, dem der Staatsministerin Grütters und natürlich den Arbeits- sogenannten Museum der Moderne, hat es viele Ver- gruppen Haushalt danken. Sie haben das Ganze mitge- handlungen gegeben, bis wir als Parlament gesagt ha- tragen. Thomas Oppermann, ohne deinen Rückhalt in ben: Jawohl, das muss kommen; so kann es nicht weiter- der SPD wäre das ebenfalls nicht möglich gewesen. gehen. – Dann haben wir als Parlament das beschlossen. Das ist ein Parlamentsprojekt ersten Ranges. Man sieht, Kultur ist etwas, was eigentlich immer ein bisschen mitschwimmt und eine große Unterstützung Ich glaube, dass es gut ist, dass man die jahrelangen braucht, um so nach vorne zu kommen, wie es hier ge- Diskussionen beendet hat, dass man für die Sammlungen schehen ist. Deswegen kann man sagen: Wir als Parla- Pietzsch, Marx und Marzona hier einfach einmal einen ment haben auf den Etat mehr als 100 Millionen Euro Schritt nach vorn gemacht hat. Werke im Wert von deut- draufgelegt. Ich glaube, wir haben hier gemeinsam gute lich über 1 Milliarde Euro sind da der Öffentlichkeit zur Entscheidungen getroffen. Wir haben uns verpflichtet, Verfügung gestellt worden. Dafür braucht man eine Aus- weitere 280 Millionen Euro in den Folgejahren auszuge- stellungsmöglichkeit. Dafür, dass das geklappt hat, noch ben. Ich glaube, hiermit haben das Parlament, der Bun- einmal vielen Dank an die Fraktionsvorsitzenden, an die destag und insbesondere der Haushaltsausschuss ge- Sprecher und die Arbeitsgruppen! Das ist wirklich wich- zeigt, dass wir als Parlamentarier die Dinge umsetzen, tig. die im Koalitionsvertrag stehen, wenn es die Regierung selber nicht tut. Insofern noch einmal ganz herzlichen Weil es ein Parlamentsprojekt ist, haben wir die Mit- Dank allen, die daran mitgewirkt haben! tel erst einmal gesperrt. Wir werden das Projekt als Par- lament in den nächsten Jahren begleiten. Ich glaube, dass Eine Bitte habe ich allerdings an das Finanzministe- es ein wichtiges Projekt ist, mit dem man zeigen kann, rium und an Frau Staatsministerin Grütters im Hinblick dass man sich als Parlament für ein Projekt, für das man auf die Aufstellung des Haushalts des nächsten Jahres. mit Herzblut steht, engagieren kann. Die gute Zusam- Das alles ist jetzt vielleicht ein bisschen langweilig, aber menarbeit zwischen dem Haushaltsausschuss, dem Kul- in der Sache wichtig: Bei der Anpassung der Tarife von turausschuss und der Staatsministerin ist wichtig, damit Zuwendungsempfängern der Staatsministerin für Kultur wir das gemeinschaftlich über alle Hürden bringen. gibt es unterschiedliche Empfängerbereiche, die unter- Weiterhin ist es uns gelungen, ein Denkmalschutz- schiedlich unterstützt werden. Das führt dazu, dass wir Sonderprogramm hinzubekommen, mit dem man für zwar jetzt für 2015 16 Millionen Euro für Tarifsteige- (B) Hunderte von Projekten in der Fläche Deutschlands et- (D) rungen bereitstellen werden; davon betroffen ist aber nur was tun kann. Weil das in den Kommunen, in den Städ- ein kleiner Teil, nämlich die Menschen, die in dem Teil ten und Gemeinden, nicht immer so funktioniert, weil des Kulturbereichs unterwegs sind, der institutionell kein Geld da ist, beteiligt sich der Bund anteilig. vom Bund unterstützt wird. Das ist zu wenig. Es gibt ganz viele andere, die davon nicht profitieren. (Dr. Hans-Ulrich Krüger [SPD]: Richtig so!) Für die Zuwendungsempfänger ist das seit 2012 die Auch das ist etwas, für das sich viele Kollegen in diesem erste Tarifsteigerung. Das gilt aber nur für die, die insti- Haus engagiert haben. Mein ganz herzlicher Dank dafür, tutionell gefördert werden, die sich an dem Tarifvertrag dass die Kollegen sich in der Fläche für den Bereich des öffentlichen Dienstes ausrichten. Viele andere, etwa Denkmalschutz engagieren! Das ist etwas, das uns gut die, die Hausverträge haben, wie zum Beispiel die Deut- ansteht. Das prägt die Geschichte, das prägt auch die sche Welle, quasiinstitutionelle Zuwendungsempfänger Orte. Da tun wir etwas Gutes. oder Einrichtungen, die projektgefördert werden, be- kommen seit über zehn Jahren keine Kompensation für Das Bauhaus feiert im Jahr 2019 sein 100-jähriges Ju- Gehaltserhöhung. Das sind Tausende in diesem Land. biläum. Wir tun jetzt sehr viel für die Standorte Berlin und Dessau – für haben wir schon etwas getan –: Es kann nicht sein, dass es im Kulturbereich Men- In Berlin wird das Bauhaus-Archiv grundsaniert, und es schen erster und zweiter Klasse gibt: die einen im öffent- bekommt einen Anbau; in Dessau wird gebaut. Ich lichen Dienst, die jedes Jahr eine Tariferhöhung bekom- glaube, dass auch das ein Zeichen ist, dass man sich als men, und die anderen, die nicht mehr Geld bekommen. Parlament richtig engagieren kann und etwas tun muss. Deswegen meine Bitte an das Finanzministerium, an Sie, Frau Staatsministerin Grütters, das als Punkt Nummer (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten eins bei den Haushaltsaufstellungen 2016 zu berücksich- der CDU/CSU) tigen, damit die Menschen, die Kultur machen und Kul- Dieser Koalitionsvertrag zeigt viele Punkte auf, die tur umsetzen, auch anständig bezahlt werden. wichtig sind, zu denen wir als Parlament jetzt gesagt ha- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ben: Man kann da nicht ewig auf die Regierung warten. – der CDU/CSU – Martin Dörmann [SPD]: Das Man muss sich das Residenzschloss in , das ist ein sehr unterstützenswerter Vorschlag!) Deutsche Romantik Museum in und das Tanz- zentrum Pina Bausch in Wuppertal ansehen. Wenn man Neben diesem, wie ich zugeben muss, sehr sozialde- sich anguckt, was zum Beispiel die Kulturstiftung des mokratischen Punkt ist es uns gemeinschaftlich aber Bundes oder die Stiftung Preußischer Kulturbesitz leis- 6528 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014

Johannes Kahrs (A) ten, dann weiß man, dass hier viel getan wird. Noch ein- jetzt erst einmal die Mittel grundsätzlich bereitgestellt. (C) mal mein ganz herzlicher Dank an alle Beteiligten, aber Über das Wie wird noch ordentlich zu diskutieren sein. ganz besonders an den Hauptberichterstatter Rüdiger (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kruse! Rüdiger, die Zusammenarbeit mit dir ist vorzüg- und bei der SPD) lich. So kriegt man das hin! Wir Grüne sind froh – wir haben in den Beratungen (Zustimmung des Abg. Alois Karl [CDU/ sehr darauf gedrungen –, dass es eine definitive Antwort CSU]) auf die Frage der Finanzierung des Bauhaus-Jubiläums Anja Hajduk von den Grünen, es war eine wunderbare gibt. Das Land Sachsen-Anhalt hatte für den Standort Zusammenarbeit. Ich glaube, das ist ein Dream-Team, Dessau Mittel in den Haushalt eingestellt. Dort hat man und das funktioniert. darauf gewartet, zu erfahren, wie es um Mittel vom Bund steht. Entsprechende Mittel waren vorher nicht im Vielen Dank. Haushaltsplan des Bundes enthalten. Es ist richtig, dass (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wir das jetzt umsetzen. Insofern gibt es an dieser Stelle der CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer eine gute interfraktionelle Zusammenarbeit; das gilt für [CDU/CSU]: Wenn das keine Hamburger alle Fraktionen, die hier Berichterstattung für den Be- Connection ist!) reich Kultur machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vizepräsidentin Petra Pau: und bei der SPD) Das Wort hat die Kollegin Anja Hajduk für die Frak- Ich kann auch sagen: Die interfraktionelle Zusam- tion Bündnis 90/Die Grünen. menarbeit ging so weit, dass die Große Koalition Ak- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Schon wieder zente aufgenommen hat, die wir gesetzt haben; !) (Christine Lambrecht [SPD]: So sind wir!)

Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): das geht von der Förderung von kreativen Szenen bis hin Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist zur Soziokultur. Das halte ich durchaus für eine an dieser jetzt gar nicht so leicht, nach diesem Abschluss vom Stelle von meiner Seite zu erwähnende Praxis; denn wir Kollegen Kahrs in die richtige Oppositionsgeste zu ver- haben nicht immer die Kraft dazu, gemeinsam die Re- fallen. gierung zu korrigieren. Ich würde mir das auch bei ande- ren Etats wünschen; aber beim Kulturetat klappt das bes- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das müssen Sie tens. Auch die Digitalisierung des Filmerbes ist ein (B) (D) auch nicht!) Thema, bei dem wir gemeinsam eine Steigerung der Mittel verabredet haben; das entspricht einer Antragstel- Aber reden wir darüber, was bei der Beratung des Kul- lung von uns, aber auch von Ihnen. So weit, so gut. turetats stattgefunden hat! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dazu möchte ich sagen – da brauche ich mein Rede- manuskript auch gar nicht zu ändern –, dass der Haus- Wir haben aber auch Differenzen. Frau Staatsministe- haltsausschuss hier wirklich sehr gestaltend eingreift – rin, ich möchte Sie ausdrücklich auffordern, beim zur Unterstützung der Zielsetzungen des Kulturaus- Thema „Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ klar schusses und auch der Staatsministerin für Kultur. Diese und verantwortungsvoll zu agieren, wenn sich jetzt dort Gestaltungskompetenz muss man einmal sehen. Bei ei- doch zeigt, dass sich mit der Personalie des Direktors nem Haushalt, den wir weiter ausgeglichen halten wol- Probleme verbinden. Sie wissen, wir sind Kritiker der len – das ist auch die Zielsetzung von uns Grünen –, für jetzigen Konzeption dieser Stiftung. Wir fühlen uns in 2015 100 Millionen Euro zusätzlich und mit Blick auf unserer Kritik sehr bestätigt, wenn der Direktor den Be- die Finanzplanperiode noch einmal 280 Millionen Euro raterkreis nicht in geeigneter Form miteinbezieht, son- bereitzustellen, das ist schon eine sehr beachtliche Leis- dern da auf eine ganz eigene Weise agiert. Ich erwarte tung. von Ihnen, dass Sie da Konsequenzen ziehen und überle- gen, ob da nicht früher in Ihrem Haus falsche Personal- Ja, wir Grünen finden, dass das richtige Entscheidun- entscheidungen getroffen wurden. gen sind; an einigen Beispielen will ich das deutlich ma- chen. Dem Projekt „Museum der Moderne“ in Berlin (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wird jetzt eine wirkliche Zukunft gegeben. Damit wird Wir werden deswegen weiterhin die Streichung der ent- nicht nur wertvolle Kunst der Neuen Nationalgalerie aus sprechenden Mittel fordern, solange da nicht ganz an- dem Depot befreit und damit zugänglich gemacht, son- dere Perspektiven eröffnet werden. dern auch für die ausgesprochen wertvolle Schenkung des Ehepaars Pietzsch ein Ausstellungsort geschaffen. Ich möchte auf ein aktuelles Beispiel zu sprechen Damit wird eine Zusage gemacht und erreicht, dass die kommen: die Entwicklung des Humboldt-Forums. Beim Schenkung nicht widerrufen wird. Allerdings – das will Humboldt-Forum treten wir ein schwieriges Erbe an. ich hier deutlich sagen – hat meine Fraktion den An- Frau Staatsministerin, ich weiß, dass Ihre Präferenzen, spruch, dass wir das Wie der Umsetzung – da wird auch wenn wir die Zeit zurückdrehen könnten, da vielleicht von einem PPP-Projekt gesprochen – bis hin zur Stand- anders wären. Aber ich mache mir ein bisschen Sorgen, ortfrage noch einmal sehr intensiv beraten. Wir haben wie jetzt die Zukunft aussehen wird. Die Situation stellt Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6529

Anja Hajduk (A) sich schwierig dar, was den Eingang der Spenden an- übernommen. Das macht sich ganz konkret in den Haus- (C) geht. Ich finde, wir dürfen nicht nachlassen und einfach halten der Sozialhilfeträger positiv bemerkbar. akzeptieren, dass da jetzt viel weniger Spenden als ver- Aktuell stehen die Kommunen durch die drastisch sprochen eingehen, steigenden Flüchtlingszahlen erneut unter enormem (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Druck. Ich denke, wir sind uns alle einig, dass die men- schenwürdige Unterbringung der oft traumatisierten und das mit Steuermitteln kompensieren. Das kann’s Flüchtlinge für uns alle oberste Priorität haben muss. nicht sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- der CDU/CSU und des Abg. Matthias W. SES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und Birkwald [DIE LINKE]) der SPD) An dieser Stelle will ich ausdrücklich den Landrätin- Und es kann auch nicht sein, dass sich das Land Berlin nen und den Landräten, den Bürgermeisterinnen und den jetzt einfach nur vom Acker macht. Bestimmt ist es nicht Bürgermeistern, aber insbesondere auch den vielen eh- immer leicht, mit den Berlinern, mit der Berliner Admi- renamtlichen Helfern in den Kommunen danken, die da- nistration, zu kooperieren. Aber wir können nicht ein- für sorgen, die sich dafür abrackern, fach in Aussicht stellen, dies mit sage und schreibe 80 Millionen Euro Steuermitteln aus dem Etat des Bun- (Johannes Kahrs [SPD]: Ja, so ist das!) des zu kompensieren. Bleiben Sie hart in diesen Ver- dass die Flüchtlinge gut untergebracht werden. Sie sor- handlungen! Wir werden Sie daran messen und dann gen dafür, dass sich die Flüchtlinge in unserem Land auch unsere Oppositionsrolle sehr entschieden wahrneh- herzlich willkommen fühlen. Das sollte einen Applaus men. wert sein. Schönen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der CDU/CSU und der LINKEN) sowie bei Abgeordneten der SPD – Volker Langsam geht den Kommunen jedoch die Puste aus. Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut!) Deshalb ist es gut, dass sich die Spitzen von SPD und CDU/CSU gestern Abend auf weitere Entlastungen für Vizepräsidentin Petra Pau: die Kommunen verständigt haben. Bund und Länder Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Ulrike müssen selbstverständlich ihrer Verantwortung im Rah- Gottschalck das Wort. men ihrer Zuständigkeit gerecht werden. (B) (D) (Beifall bei der SPD) Der Bund hat schon vieles auf den Weg gebracht. Bei den Ländern sehe ich an einigen Stellen noch Luft nach Ulrike Gottschalck (SPD): oben. Ich muss der Kollegin Hasselfeldt recht geben: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Präsi- Bayern ist wirklich vorbildlich bei der Unterbringung dentin! Wir haben es gehört: Die wirtschaftliche Situa- von Flüchtlingen. In Hessen dagegen, wo Grüne mitre- tion in Deutschland ist gut. Das Wirtschaftswachstum ist gieren, gibt es keine verlässliche Finanzierung für die zwar etwas schwächer als angenommen, aber wir haben Flüchtlingsunterbringung. Die Kommunen müssen das weiter Wachstum. Das ist gut. Diese Große Koalition ar- irgendwie schultern. Man muss also immer vorsichtig beitet dafür, dass diese wirtschaftliche Stärke dauerhaft sein mit seinen Äußerungen. erhalten bleibt. Die ordentliche Finanzausstattung in den Kommunen In dieser Woche werden wir einen Haushalt ohne muss sichergestellt werden. Hier sind auch die Länder Neuverschuldung beschließen. Darauf können wir alle gefordert. Ich weise noch einmal auf den sozialen – ich denke, auch die Opposition ein Stück weit – stolz Sprengstoff hin. Wenn wir Extremismus nicht bekämp- sein. fen, wenn wir ihm nicht die Stirn bieten, dann erhalten extreme Rattenfänger wieder die Stammtischhoheit. Wir (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten müssen aufpassen, dass es zu keinen komischen Ent- der CDU/CSU – Johannes Kahrs [SPD]: So ist wicklungen kommt. Ich bin daher sehr froh, dass wir das! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: durch die Bereitstellung weiterer 10 Millionen Euro 0,1 Prozent Wachstum!) noch mehr Programme gegen Extremismus auf den Weg bringen können. Das hilft auch den Kommunen weiter. Wir wollen keine Politik zulasten der künftigen Gene- Danke! rationen, und wir wollen die staatliche Handlungsfähig- keit erhalten. Handlungsfähig müssen aber auch die (Beifall bei der SPD) Kommunen bleiben. Sie stehen vor enormen Herausfor- Viel Gutes leisten auch die Jugendmigrationsdienste derungen wie der demografischen Entwicklung und dem in den Kommunen und die Migrationsberatung für er- Erhalt der Infrastruktur, und damit meine ich ausdrück- wachsene Zuwanderer. Für die Jugendmigrationsdienste lich auch die soziale Infrastruktur in den Kommunen. haben wir 1 Million Euro draufgesattelt, 8 Millionen Im Vorgriff auf das Bundesteilhabegesetz werden die Euro mehr für die Migration von Erwachsenen. Das ist Kommunen um 1 Milliarde Euro pro Jahr entlastet. Die gut investiertes Geld. Die Migrationsdienste leisten Kosten der Grundsicherung haben wir bereits komplett wichtige Hilfestellung, um keinen Menschen zurückzu- 6530 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014

Ulrike Gottschalck (A) lassen und um die vielen jungen Menschen, die zu uns Vizepräsidentin Petra Pau: (C) kommen, aufzufangen. Vielen Dank dafür! Die Kollegin Sigrid Hupach hat für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN) Wir investieren in viele Bereiche: in Bildung, in For- Sigrid Hupach (DIE LINKE): schung, in Entwicklung und in Infrastruktur. Wir dürfen Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen auch nicht nachlassen. Unsere Volkswirtschaft darf nicht und Herren! Ich gratuliere Ihnen, Frau Staatsministerin, ins Stottern geraten. Im Übrigen: Von der Frauenquote dass Sie uns heute einen Kulturhaushalt für 2015 vorle- wird sie auch nicht ins Stottern geraten. Im Gegenteil: Es gen, der ungekürzt blieb und sogar um 118 Millionen wird die Wirtschaft beflügeln, wenn wir angestaubte Euro erhöht wurde. Herzlichen Glückwunsch dazu! Rollenbilder über Bord schmeißen. Gerade die Quer- schüsse der letzten Tage haben noch einmal verdeutlicht, (Beifall bei der LINKEN – Anja Hajduk dass wir klare Regeln brauchen, um alte, männlich domi- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann gratu- nierte Strukturen aufzubrechen. lieren Sie dem Haushaltsausschuss! Das hat Frau Grütters nicht gemacht!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE Das ist angesichts des Dogmas der schwarzen Null in GRÜNEN) diesem Hause nicht hoch genug einzuschätzen. Aber ge- rade deshalb frage ich: Wozu, wofür werden die unter Vor Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren, schwierigen finanziellen Bedingungen gewonnenen Mit- steht eine stolze Großmutter von sechs Enkelinnen –; al- tel ausgegeben? Ich stelle fest: nicht für die Digitalisie- les Mädels, jede Menge Frauenpower. rung des kulturellen Erbes. Hier haben wir zwar seit dem Sommer eine Digitale Agenda, konkrete Handlungsab- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sichten aber fehlen. Deshalb habe ich große Erfahrungswerte. Ich weiß, wie Besonders deutlich wird das beim Thema Filmerbe. schwierig es ist, den ganz normalen Alltagswahnsinn un- Die Stiftung Deutsche Kinemathek veranschlagt hier den ter einen Hut zu bekommen. Aber jede Familie ist an- Bedarf für die nächsten zehn Jahre mit 100 Millionen ders. Jede Familie braucht andere Rahmenbedingungen, Euro. Im Haushalt findet sich hierfür nur 1 Million Euro. die zu ihren Vorstellungen passen. Deshalb haben wir Nur zum Vergleich: Frankreich, unser Nachbarland, hat schon viele Initiativen auf den Weg gebracht wie das Fa- für einen Zeitraum von sechs Jahren insgesamt 400 Mil- milienpflegezeitgesetz oder das Elterngeld Plus, das uns lionen Euro eingestellt. Die Zeit aber drängt; denn das (B) im Übrigen lieb und teuer ist; denn es ist ein richtiges In- Filmmaterial zerfällt in rasantem Tempo. Ein runder (D) strument, um Familien zu unterstützen. Tisch mit den Ländern allein hilft hier nicht weiter. Die Digitalisierung des Filmerbes ist eine originäre Aufgabe Aber wir müssen weiter prüfen: Wie können wir Fa- des Bundes. milien noch viel besser unterstützen? Ein Beispiel ist die Familienarbeitszeit, die von Manuela Schwesig vorge- (Beifall bei der LINKEN) schlagen wurde. Oder aber auch: Wie bekommen wir Wir brauchen fachgerecht ausgestattete Depots, einen den weiteren Kitaausbau geschultert? Dort sind weitere Kriterienkatalog für die vorrangige Digitalisierung und Investitionen nötig. Wo soll zum Beispiel die Kassiere- Ideen zur Langzeitarchivierung. rin, eine alleinerziehende Mutter, die abends an der Kasse im Lidl sitzt, ihr Kind unterbringen? Wo wird es Deutschland liegt hier inzwischen im europäischen in guter Qualität versorgt? Oder wo bringen die Polizei- Vergleich weit zurück. Da hilft auch das Vorzeigeprojekt Deutsche Digitale Bibliothek wenig, für dessen dringend beamtin und der VW-Arbeiter, beide mit unterschiedli- notwendigen Ausbau sich im Haushalt keine adäquaten chen Schichtzeiten, ihr Kind unter? Mittel finden. Wir brauchen keine weiteren Ankündi- Ich kündige jetzt schon einmal an: Wir müssen sehr gungen. Was wir brauchen, ist eine nationale Digitalisie- genau aufpassen, dass von den guten Investitionen, die rungsstrategie, wir im Haushaltsausschuss beschlossen haben, auch or- (Beifall bei der LINKEN) dentlich etwas in Bildung, frühkindliche Bildung und in die Jugend fließt. Das ist gut angelegtes Geld. Ansonsten untersetzt mit einem Sonderprogramm von 30 Millionen blicke ich sehr zufrieden auf die Haushaltsberatungen Euro. Die Linke fordert dies seit Jahren. Stattdessen ge- sowie auf ein Jahr Große Koalition zurück. ben Sie Jahr um Jahr Millionen für die Stiftung Flucht, Vertreibung und Versöhnung aus, der es bis heute nicht (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: gelang, die lang geplante Dauerausstellung umzusetzen. Nicht übertreiben jetzt!) Mit einem Stiftungsrat ohne Vertreter des Zentralrates der Juden in Deutschland, mit einem wissenschaftlichen Wir haben schon viel erreicht, aber wir müssen noch ein Beirat ohne Vertreter der Sinti und Roma widerspricht wenig Gas geben, um noch mehr zu erreichen. Also pa- diese Institution eindeutig ihrem Stiftungszweck. cken wir es an, es gibt noch viel zu tun! (Beifall bei der LINKEN) Vielen Dank. Dazu kommt der aktuelle Ausstellungsskandal um (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Stiftungsdirektor Manfred Kittel, einen Mann, der die Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6531

Sigrid Hupach (A) NS-Vergangenheit von Vertriebenen-Funktionären be- Vizepräsidentin Petra Pau: (C) schönigt und immer wieder von der Versöhnung der Das Wort hat der Kollege Rüdiger Kruse für die Deutschen als Aufgabe der Vertriebenenstiftung spricht. CDU/CSU-Fraktion. Mit diesem Direktor kann die Stiftung der wissenschaft- lich fundierten Darstellung weltweiter Geschichte des (Beifall bei der CDU/CSU) 20. Jahrhunderts nicht dienen. (Beifall bei der LINKEN) Rüdiger Kruse (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Wie lange wollen Sie diese Bundesstiftung gegenüber Herren! der Öffentlichkeit noch vertreten und finanzieren? 2,5 Millionen Euro kostet uns dies jährlich. Spätestens Gloria sei dir gesungen. jetzt endet das Lob für den Kulturhaushalt; denn mit die- Mit Menschen- und mit Engelszungen. sen Millionen ließe sich wahrlich Besseres für die Kultur Das war zumindest ein Liedtext heute Morgen in der An- in unserem Lande bewirken. dacht. Gemeint waren allerdings nicht die Haushaltsbe- Ein Beispiel dafür ist die Filmförderung, die Sie im- ratungen. Haushalt ist Menschenwerk mer weiter heruntersparen. Die massiven Kürzungen in (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Schon diesem Bereich sind eine schwerwiegende Fehlentschei- gar nicht die Haushaltspolitiker!) dung. – das sagt ein Haushaltspolitiker ganz sachlich und (Beifall bei der LINKEN) „down to earth“ –, aber zu loben ist es, und das wird ja Daran ändert auch nichts, dass der Deutsche Filmförder- auch mit Menschenzungen getan. fonds durch den Deal mit Herrn Schäuble zumindest für diese Legislaturperiode gesichert zu sein scheint. Was gelobt wird und was gelobt werden sollte, ist nicht die Tatsache, dass wir die Normalität erreicht ha- Der Deutsche Filmförderfonds hat sich in den vergan- ben; also nicht die Normalität ist zu loben – das tut man genen Jahren als eine höchst effektive Branchenförde- ja auch nicht –, sondern die Rückkehr zu dieser, welche rung erwiesen. Gäbe es ihn nicht, würden viele Produk- übrigens sehr lange gedauert hat. Es war ein langer Weg tionen nicht in Deutschland, sondern im Ausland von der Normalität, wie man Haushalte machen sollte, stattfinden. Das kann nicht der Wille der Koalition sein. bis wir dann über die Einsicht und in den letzten Jahren Wille der Linken ist es definitiv nicht. über sehr intensives Bemühen an das Ziel gelangt sind (Beifall bei der LINKEN) und nun einen entsprechenden Haushalt vorlegen. (B) Denn Abwanderung bedeutet auch Abbau von regiona- Der besondere Charme dieses Haushaltes ist einfach, (D) len Arbeitsplätzen und weniger Arbeitsmöglichkeiten dass er auch die Zukunft zwingt. In der Vergangenheit für deutsche Schauspielerinnen und Schauspieler, Sze- wäre es so gewesen: Wenn man bei einem Ziel, nur nenbildnerinnen und Szenenbildner, Künstlerinnen und 20 Milliarden neue Schulden zu machen, bei 20,1 Mil- Künstler oder Cutterinnen und Cutter. In der Filmbran- liarden gelandet wäre, hätte keiner etwas gesagt. Ich che gibt es die Faustregel, dass 1 Million Euro Filmför- kann mir aber nicht vorstellen, dass jetzt einer von uns derung Investitionen in Höhe von 4 bis 6 Millionen Euro auch nur 100 Millionen Euro auf die schwarze Null in nach sich zieht. Und: 1 Million Euro Filmförderung Rot drauflegen möchte. Das ist die große Leistung, und bringt laut einem aktuellen Gutachten 1,8 Millionen dafür gilt dem Bundesfinanzminister und allen Parla- Euro an Steuereinnahmen. Deshalb fordert die Linke mentariern Dank. – Jetzt darfst du klatschen, Johannes. nicht nur eine Verstetigung, sondern auch eine Aufsto- ckung um 20 Millionen wieder auf 70 Millionen Euro, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und wie es 2013 der Fall war. der SPD – Johannes Kahrs [SPD]: Ich habe mich gewundert, dass bei der Union keiner (Beifall bei der LINKEN) klatscht!) Zum Schluss möchte ich noch kurz auf das heute – Ich bin noch nicht so ganz bei den Müntefering-Sät- schon vielfach angesprochene Freihandelsabkommen zen; da ist das einfacher. TTIP eingehen. Die Linke beobachtet die Verhandlun- gen nach wie vor mit großer Sorge, da sie auch den kul- Das Parlament hat ja immer die Chance, den Regie- turellen Bereich betreffen. Wie sicher, Frau Grütters, rungsentwurf zu verändern. Man kann ihn verbessern, können Sie sich denn sein, dass eine Generalklausel in man kann ihn auch verschlimmbessern. Die Leiden- der Präambel des Mandatstextes eine Schutzfunktion für schaft könnte ja auch sein, einfach überall etwas drauf- die Kultur hat? Wie bindend kann eine Generalklausel zulegen. Die Gefahr, die bei dem Diktat der schwarzen für alle Kapitel des Abkommens sein? – Wir fordern Null gesehen worden ist, war, dass wir gar nichts mehr nach wie vor einen Stopp dieser Verhandlungen und eine tun können. Die jetzigen Haushaltsberatungen haben konsequente Herausnahme von Kultur und Medien aus aber gezeigt, dass man beides machen kann, dass man dem Verhandlungsmandat. Dinge, die man vorher vielleicht nicht gesehen hat, nicht sehen konnte, aufgreifen kann und dass man handeln (Beifall bei der LINKEN) kann. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Ich denke nur an das Thema Flüchtlinge. Es ist richtig (Beifall bei der LINKEN) umgesetzt worden. 6532 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014

Rüdiger Kruse (A) Ich denke daran, dass wir als Parlament schon bei den Das zeigt, dass wir Akzente setzen können und mit (C) letzten Haushaltsberatungen, die ja auch in dieses Jahr wenig Aufwand zeigen können, für welche Werte wir in fielen, das Thema Ukraine im Zusammenhang mit der der Welt kämpfen. Man muss seine Werte auch polieren. Deutschen Welle thematisiert haben und dass wir dabei, Es nützt nichts, gegen andere anzukämpfen, wenn die wie man im Nachhinein schnell gesehen hat, die richti- noch nicht einmal erkennen können, wofür wir kämpfen. gen Akzente gesetzt haben. Es lohnt sich, für die europäischen Werte zu streiten. Wir müssen uns bewusst sein, dass Deutschland als reiches Auch dieses Mal gab es zwei Stufen. Natürlich gilt Land, als immer noch reiches Land und als Land der Dy- immer: ohne Parlament kein Haushalt. Aber zunächst namik diese Kultur hochhalten muss. einmal darf sich die Regierung für all das, was so aus Das Gute an diesem Haushalt und an den Beratungen, dem Regierungsentwurf übernommen worden ist, wie es die jetzt folgen, ist: Wir haben eine schwarze Null vorge- drinstand, nicht nur bedanken, sondern sie darf sich da- legt und gleichzeitig dafür gesorgt, dass in den nächsten für auch selbst loben, dass sie es gut gemacht hat; denn Jahren 10 Milliarden Euro zusätzlich investiert werden. ansonsten hätten wir es ja nicht übernommen. Das heißt, dass die in Europa oft gestellte Frage, ob man Dann gibt es eine zweite Stufe: die Dinge, die nicht eine solide Haushaltsführung betreiben und gleichzeitig drinstanden, die wir hinzugefügt oder geändert haben. Das nötige Investitionen tätigen kann, damit beantwortet ist. betrifft zum Beispiel – das ist schon erwähnt worden – Das wird in Europa gesehen. Dafür bekommen wir aus das Museum der Moderne. Ich sehe das auch so: So ganz ganz Europa Applaus. etatreif war das noch nicht. Aber außer Verwaltung ist ja (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nichts ewig. Das heißt, wenn wir Spender haben, die vor neten der SPD – Norbert Barthle [CDU/CSU]: vier, fünf Jahren gesagt haben: „Wir geben unsere Nicht nur von dort!) Sammlung, wenn ihr einen Ort schafft“, dann darf die Vorhin ist das Pina-Bausch-Tanzzentrum in Wupper- Diskussion nicht zu lange dauern. Wir haben jetzt ge- tal erwähnt worden. Auch in dieser Region ist das sagt: Wir erkennen diese Schenkung an, und wir wollen iPhone nicht erfunden worden. Dort gibt es eine Schwe- das befördern. Das ist auch ein Signal an alle zukünfti- bebahn; die kennt man. Kurzfristig tauchte Wuppertal gen Spender; es gibt ja noch ein paar andere Leute, die wegen der sogenannten Scharia-Polizei in den Medien eine Sammlung haben. Wir sagen: Wir schaffen im auf. Und dann gibt es dieses Asset, mit dem man dort et- Haushalt jetzt die Möglichkeit und können dann das was tun könnte. Deswegen haben wir gesagt: Gut, wir Wie, das Wo und das Wer klären. Ich glaube, es ist das geben für die Projektidee 1 Million Euro, wenn das Land Vorrecht des Parlaments, das so zu tun und so dieses Ka- auch 1 Million Euro gibt. Damit sind wir am entschei- (B) pitel abzuschließen. denden Punkt: Es kann nicht sein, dass der Bund für zu- (D) sätzliche Aktivitäten Geld draufsattelt und die Länder im Erlauben Sie mir für die Überleitung ein Bild der Mo- Gegenzug ihre Aktivitäten teilweise herunterfahren. Wir derne zu nutzen: Das ist kein iPhone. Wenn Sie jetzt an müssen dieses Anliegen schon gemeinschaftlich verfol- Magritte denken, dann haben Sie den Test schon einmal gen. Deshalb lautet mein dringender Appell an alle Län- bestanden. Das Thema ist natürlich Bauhaus. Das, was der, mitzuwirken, weil wir dieses Engagement sonst ich Ihnen eben gezeigt habe, ist Bauhaus. Diese Feststel- nicht aufrechterhalten können. lung bietet uns die Möglichkeit, wenn wir schon in tech- nologischer Hinsicht die Gelegenheit verpennt haben, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- dieses Produkt mit uns Deutschen in Verbindung zu brin- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE gen. Wir haben das iPhone nicht erfunden – wir haben GRÜNEN) vielleicht die Grundlagentechnik gebastelt und das Er- Am Anfang meiner Rede habe ich aus einem Lied zi- gebnis dann in den Keller gelegt –, aber das Design, das, tiert und festgestellt, dass wir nicht mit Engelszungen was die Welt heute schick findet, das hat seine Wurzeln gelobt werden. Es gibt ein Lied, das vielleicht besser zur hier. Dieses Design hat seine Wurzeln in einer Entwick- Haushaltspolitik passt. Es ist von den Fantastischen Vier lung, die auf den Ersten Weltkrieg reflektiert hat. Auch und Herbert Grönemeyer. Letzterer singt den Refrain: das ist ein interessanter Aspekt der europäischen Ge- schichte. Bauhaus ist eine Möglichkeit, Deutschland in- Es könnte alles so einfach sein – ist es aber nicht. ternational ins Licht zu setzen, und zwar als einen Ort Das rechtfertigt dann auch das Lob: Wenn man all diese für Design und Technik. Wir haben „form follows func- Mühen auf sich nimmt und am Ende einen solchen tion“ erfunden. Auf den Städtebau in Deutschland Haushalt vorlegt, der Platz für Visionen bietet, dann war schaute und schaut diesbezüglich die Welt. es nicht einfach, aber es wurde gut. Da gab es auch einen Termin, da gab es zwei Mög- Herzlichen Dank. lichkeiten: Freuen wir uns auf das Jubiläum im Jahr (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) 2069. Da einige Abgeordnete jedoch Bedenken hatten, dass sie dann nicht mehr in Funktion dabei sein könnten, Vizepräsidentin Petra Pau: haben wir mit Zustimmung der beiden Fraktionsvorsit- Der Kollege Martin Dörmann hat das Wort für die zenden dieses Thema vorgezogen. Nun feiern wir im SPD-Fraktion. Jahr 2019 100 Jahre Bauhaus. Das ist nun vernünftig durchfinanziert. Dieses Thema ist damit abgeräumt. (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6533

(A) Martin Dörmann (SPD): stellt worden sind. Im Haushalt 2015 stehen 7,5 Millio- (C) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! nen Euro konkret für den Studioumbau und für die wich- Eine vielfältige Kultur- und Medienlandschaft ist eine tige ukrainisch-russische Berichterstattung zusätzlich wesentliche Voraussetzung für eine lebendige Demokra- zur Verfügung. Es wurden übrigens auch 3 Millionen tie und eine freie Gesellschaft. Deshalb ist es gut, dass Euro für die Deutsche-Welle-Akademie über den BMZ- die Koalition auch im Haushalt 2015 ein besonders star- Haushalt eingestellt. Das ist ein starkes Zeichen und ein kes Zeichen für Kultur und Medien setzt. Bekenntnis für die . Ich möchte an etwas erinnern, das noch gar nicht Wir haben heute am Anfang der Debatte erlebt, vor lange her ist: Im Juni dieses Jahres haben wir in den Par- welchen außenpolitischen Krisen wir stehen. Wir leben lamentsberatungen für den Haushalt 2014 ein Plus von in einer auch medial zusammenwachsenden Welt. Des- 90 Millionen Euro gegenüber dem Regierungsentwurf halb, glaube ich, ist uns allen klar, dass die Deutsche erreicht. Wenn man allein den BKM-Haushalt 2015 be- Welle in Zukunft weiterhin an Bedeutung gewinnen trachtet, sind es sogar 102 Millionen Euro. Hinzu kom- wird. Wir sollten daher dafür Sorge tragen, dass sie auch men noch die Personalkostensteigerungen, die, jeden- die nötigen finanziellen Mittel bekommt. Denn der Ge- falls teilweise, ausgeglichen wurden. Es kommt setzgeber steht aufgrund des Deutsche-Welle-Gesetzes außerdem noch der Bereich der Auswärtigen Kultur- und in dieser Hinsicht ganz besonders in der Verantwortung. Bildungspolitik hinzu, für den zusätzlich ein höherer Wir alle wissen, wo der Schuh drückt. Es sind die Millionenbetrag eingestellt wurde. Ich möchte auch den strukturellen Entscheidungen, die wir im Haushalt 2016 Bereich wichtiger Projekte erwähnen, der im BKM- abzubilden haben. Ich bin sehr dankbar, dass der Kollege Haushalt als Verpflichtungsermächtigung bereits für die Kahrs bereits darauf hingewiesen hat. Wir haben in den nächsten Jahre vorgezeichnet wurde. vergangenen Jahren die Personalkostensteigerung der Wenn man es in der Summe betrachtet, dann sieht Deutschen Welle nicht abgebildet. Wenn wir das weiter- man, dass allein in der Bereinigungssitzung des Bundes- hin so machen würden, würde das in der Folge natürlich tages für den Haushalt 2015 rund 430 Millionen Euro in dazu führen, dass notwendige Kürzungsschritte vorge- Richtung Kultur und Medien geflossen sind. Das ist nommen werden müssten. Diese wollen wir gerade ver- wirklich ein starkes Zeichen und verdeutlicht den An- meiden, da die Bedeutung der Deutschen Welle wächst. spruch, den wir als Koalition haben: die vielfältigen Pro- Ich bin sehr dankbar, dass der Kollege Kahrs das heute jekte aus dem Koalitionsvertrag auch tatsächlich umzu- auf den Punkt gebracht hat. setzen. Dafür ein herzliches Dankeschön. Der beste Weg wäre, wenn bereits im Haushaltsent- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- wurf 2016 abgebildet würde, dass bei den Zuwendungs- (B) neten der SPD) empfängern bei der BKM nicht mehr danach unterschie- (D) den wird, welcher Tarifvertrag dort Anwendung findet, Ich möchte den gesamten Haushaltsausschuss einbe- also ob TVöD, Haustarifvertrag oder Landestarifver- ziehen, weil die Erhöhungen einstimmig beschlossen träge. Es wäre am besten, wenn die Personalkostenstei- wurden. Ich möchte in besonderer Weise die Bericht- gerungen regelmäßig ausgeglichen würden. Das würde erstatter der Koalition, Johannes Kahrs und Rüdiger dann eine stabile Grundlage für die weiteren Arbeiten Kruse, erwähnen, die dafür gesorgt haben, dass diese am darstellen. Ende auch so im Haushalt stehen. Ich möchte auch die Fachpolitiker aus dem Ausschuss für Kultur und Medien (Beifall bei der SPD) erwähnen. Dazu gehört mein Sprecherkollege aufseiten Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie es mich der Union, Marco Wanderwitz. Ich möchte auch den abschließend so bewerten: Ich glaube, mit diesem Haus- Dank an Frau Staatsministerin Grütters sowie an die halt können wir im Bereich Kultur und Medien eine au- Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Haushaltsreferat ßerordentlich positive Bilanz ziehen. Wir werden aber der BKM weitergeben, die dazu beitragen, dass wir die nicht müde. Wir haben gerade ein Jahr Große Koalition notwendigen Informationen haben, um die politischen hinter uns, und es gibt im Koalitionsvertrag noch viele Entscheidungen treffen zu können. Projekte, die wir umsetzen wollen. Insofern ist nach dem Ich möchte zwei Beispiele erwähnen. Das eine Bei- Haushalt vor dem Haushalt. spiel, das Museum der Moderne, ist schon genannt wor- Ich freue mich – ich will das ausdrücklich sagen –, den. Es ist gut, dass der gordische Knoten dort jetzt dass die Debatte über Kultur und Medien auch im Aus- durchschlagen ist und der Weg geebnet ist. Natürlich schuss in weiten Bereichen so geführt wird, dass wir müssen wir über die genaue Konzeption noch diskutie- nach Gemeinsamkeiten suchen. Ich glaube, in der heuti- ren, Frau Kollegin Hajduk, damit die Schenkungen an- gen Debatte ist an einigen Stellen deutlich geworden, in genommen werden können und die Kunst des 20. Jahr- welche Richtung es gehen kann. Ich würde mich freuen, hunderts in Berlin eine Heimstatt findet und eine wenn wir auch im Haushaltsausschuss gemeinsam, Seit’ angemessene Präsentation bekommt. Damit setzen wir an Seit’ streiten: für vielfältige Medien und eine leben- ein starkes Zeichen. Da stehen wir alle in der Verantwor- dige Kulturlandschaft in Deutschland. tung. Vielen Dank. Ich möchte ein zweites Beispiel erwähnen, welches schon angeklungen ist, nämlich die Deutsche Welle. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Positiv ist nämlich, dass dort erneut höhere Mittel einge- der CDU/CSU) 6534 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: von 29 Millionen Euro. Der Bund sagt dazu: Es gibt (C) Das Wort hat der Kollege Marco Wanderwitz für die noch viele Hunderttausend Denkmäler in unserem Land, CDU/CSU-Fraktion. die der weiteren Sanierung bedürfen. Aber es gibt eben Länder wie beispielsweise Nordrhein-Westfalen, die sich (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und aus der Kofinanzierung dieses Denkmalschutz-Sonder- der SPD – Johannes Kahrs [SPD]: Ein biss- programms ausgeklinkt haben. chen mehr Begeisterung bei der Union, bitte! – Gegenruf des Abg. Michael Grosse-Brömer (Volker Kauder [CDU/CSU]: Tja, dann krie- [CDU/CSU]: Kommt bei der Rede, Herr Kol- gen die nichts!) lege!) Das ist schlecht. Das können wir so nicht hinnehmen. Das ist vor allen Dingen auch nicht im Interesse der Marco Wanderwitz (CDU/CSU): Kommunen dieses Landes. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wann immer wir hier in den letzten Jahren den Kultur- Wir haben im Jahr 2019 – auch das ist von meinen haushalt debattierten, gingen eigentlich alle davon aus, Vorrednern schon angesprochen worden – das 100-jäh- dass es wieder einmal zu Steigerungen gekommen ist. rige Bauhaus-Jubiläum vor der Brust. In den nächsten Auch wenn der Etat schon im Regierungsentwurf eine Jahren wird es viele solcher Jubiläen geben. Einige sind Steigerung erfahren hatte, kam es üblicherweise auch im wir schon vor einigen Jahren angegangen, beispiels- parlamentarischen Verfahren zu einer Steigerung. Das ist weise das Luther-Jubiläum. Mit diesem Haushalt hat auch in diesem Jahr der Fall; die Kolleginnen und Kolle- sich diese Koalition intensiv dem Thema Bauhaus-Jubi- gen Haushälter haben das ausgeführt. Wir alle freuen uns läum gewidmet. Wir sind hinsichtlich der Bauten in Ber- darüber. Ich glaube, viele betroffene Akteure im Kultur- lin und in Dessau auf einem guten Weg. Die Kultur- und bereich in unserem Land freuen sich ebenfalls darüber. Medienpolitiker der Koalition werden das Ganze in Bälde inhaltlich mit einem Antrag flankieren. Aber das alles ist natürlich nicht selbstverständlich. Auch wenn das Ganze im Grunde jedes Jahr erwartet Erwähnen will ich auch, dass wir der Bundeskultur- wird, will ich an dieser Stelle sagen: Es sind immer wie- stiftung 5 Millionen Euro für die inhaltliche Begleitung der bewusste politische Schwerpunktsetzungen, be- des Jubiläums zur Verfügung stellen. Wir wollen also wusste politische Entscheidungen, die wir hier in diesem nicht nur bauen, sondern uns auch mit dem Design des Hohen Haus treffen und um die wir jedes Jahr ringen Bauhauses inhaltlich weiter auseinandersetzen. müssen. Deshalb will ich mich ausdrücklich dem Dank (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- anschließen, der hier schon vielfach gesagt worden ist. wie des Abg. Johannes Kahrs [SPD]) (B) Wir haben es mit einer Bundesregierung und mit einer (D) Staatsministerin zu tun, die sich in diesem Bereich sehr Ein weiteres wichtiges Thema – der Umfang der Mit- engagieren. Wir haben es mit Kollegen Haushältern zu tel dafür ist derzeit zwar etwas geringer, aber die Wir- tun, die sehr engagiert für die Kultur streiten. Wir haben kung ist aus meiner Sicht mindestens genauso groß – ist es mit Vorsitzenden der beiden regierungstragenden der anstehende 250. Geburtstag von Ludwig van Beetho- Fraktionen zu tun, denen dieses Thema wichtig ist. Des- ven im Jahr 2020. Es stünde uns als Kulturnation halb sieht der Haushalt so aus, wie er ausschaut. Deutschland gut zu Gesicht, wenn wir hier entschei- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) dende Schritte unternehmen würden. Dafür stellen wir nun 1,3 Millionen Euro zur Verfügung, und der Verein Seit 2005 steigt das Budget des Kultur- und Medien- Beethoven-Haus Bonn erhält für den notwendigen Er- haushalts nun jedes Jahr, so auch dieses Jahr. Wir wollen weiterungsbau zudem einen Bundeszuschuss von knapp damit auch ein Stück weit Vorbild für die Länder und 200 000 Euro. Kommunen sein. Denn dort erleben wir sehr häufig De- batten, die in eine andere Richtung gehen, und Entschei- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) dungen, die in eine andere Richtung gehen. Deshalb In diesem Jahr feiern wir in Deutschland 25 Jahre freue ich mich natürlich nicht nur, dass die neue Staats- Mauerfall und 25 Jahre Fall des Eisernen Vorhangs. Wir regierung in meinem Heimatbundesland in Kapitel eins haben dieses Jubiläum hier in Berlin und überall im ihres Koalitionsvertrages die Kultur erwähnt, sondern Land gerade gefeiert – unter anderem mit einer großarti- dass sie beispielsweise auch die Entscheidung getroffen gen Ausstellung in der Gedenkstätte Berliner Mauer, die hat, für das Sächsische Kulturraumgesetz, das ein bun- mit 950 000 Euro Bundesgeld bezuschusst wurde. desweites Erfolgsmodell sein könnte, wenn die anderen Länder denn bereit wären, es zu kopieren – es macht Wir wollen mit diesem Haushalt auch eine halbe Mil- Kultur nämlich zur Pflichtaufgabe –, 5 Millionen Euro lion Euro in die Hand nehmen, um das einzigartige Ar- pro Jahr an frischem Landesgeld zur Verfügung zu stel- chiv der Robert-Havemann-Gesellschaft zur Opposition len. und zum Widerstand in der DDR zu sichern. Nachdem dies über viele Jahre nur durch Projektarbeit geschehen Wenn man sich die Situation in anderen Bundeslän- ist, setzen wir hier jetzt ein ganz bewusstes Zeichen, und dern anschaut, sieht man, dass die dortigen Entscheidun- wir hoffen, dass auch das Land Berlin seinen Anteil dazu gen teilweise andere sind. Kollege Kahrs hat das Denk- beitragen wird. malschutz-Sonderprogramm angesprochen, das nun in seine sechste Auflage geht, wieder mit einem Volumen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6535

Marco Wanderwitz (A) Dieser Haushalt enthält die nötigen 2 Millionen Euro Siegmund Ehrmann (SPD): (C) für die technische Weiterentwicklung des Projekts zur Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und virtuellen Wiederzusammensetzung der Stasiunterlagen – Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kultur- genannt: Schnipselmaschine. Das ist ein wichtiges haushalt 2015 setzt in der Tat besondere Akzente. Das ist Thema, gerade da wir jetzt die Kommission zur Zukunft dem besonnenen und konzentrierten Agieren der Haus- der -Unterlagen-Behörde eingesetzt haben, die sich hälter und der Kulturpolitiker zu verdanken – vor allem übrigens morgen konstituieren wird. Deshalb, glaubten der Regierungskoalition, aber auch aller Fraktionen quer wir, ist es gut, in diesem Haushalt dieses Zeichen zu set- durchs Parlament. Damit wird deutlich, dass diese Koali- zen. tion die Verantwortung für das öffentliche Gut Kultur sehr ernst nimmt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Anders als Anja Hajduk möchte ich das Thema Die Deutsche Welle hat Martin Dörmann schon ange- Humboldtforum mit einer anderen Grundmelodie anspre- sprochen. Über die neue Aufgabenplanung werden wir chen. Der Baukörper entwickelt sich im Zeit- und Kosten- in der nächsten Sitzungswoche aller Voraussicht nach plan, die musealen Konzepte reifen, und auch die Aktivi- umfänglicher diskutieren können. täten der Berliner Landes- und Zentralbibliothek zum Lieber Martin, du hast die neuen Herausforderungen, Konzept „Sprachen der Welten“ nehmen Konturen an. die die vielen Krisen dieser Welt mit sich bringen, richti- Trotzdem bleiben Fragen, zum Beispiel: Ist die Finan- gerweise angesprochen. Eines der Grundprobleme der zierung durch Sponsoren in wesentlichen Teilen gesi- Finanzierung der Deutschen Welle ist – das kann ich Ih- chert? Dieser Frage müssen wir uns gemeinsam stellen. nen an dieser Stelle nicht ersparen –, dass es unter Rot- Es bleibt auch die Frage an das Land Berlin nach seiner Grün eine Kürzung um schlappe 50 Millionen Euro ge- weiteren Beteiligung. Ich werbe eindrücklich dafür, dass geben hat. Dieser laufen wir seitdem hinterher. Ich Berlin bei der Stange bleibt und sich diesem Projekt und glaube aber, gemeinsam haben wir gute Chancen, das diesem Konzept nicht entzieht. wieder auf die Reihe zu bekommen. (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, (Martin Dörmann [SPD]: Das ist nicht das aber wie sind denn die aktuellen Töne?) Kernproblem! Das Kernproblem sind die Per- sonalkostensteigerungen!) Der offene Punkt, der allerdings einer dringenden Klärung bedarf – auch da setzt der Haushalt einen Ak- Ich komme zu einem letzten Punkt, der mir persönlich zent –, ist die Frage, was in der Agora, dem öffentlichen auch ganz wichtig ist. Veranstaltungsraum, inhaltlich passieren soll. Im Haus- (B) halt wird festgestellt: Wir brauchen eine Intendanz. Es (D) Vizepräsidentin Petra Pau: wird eine besondere Herausforderung sein, dieses Vorha- Kollege Wanderwitz, achten Sie bitte auf die Zeit. ben wirklich mit Leben zu erfüllen. Im Humboldtforum sind starke Akteure unterwegs, und es bedarf auch einer starken Persönlichkeit, das ganze Projekt moderierend Marco Wanderwitz (CDU/CSU): und koordinierend erfahrbar zu machen. Daher die Formulierung: „einem letzten Punkt“. Wir werden das intensiv begleiten; aber dieser Auf- gabe müssen wir uns gemeinsam stellen, damit der teu- Vizepräsidentin Petra Pau: erste Kulturbau der Gegenwart an zentraler Stelle in Ber- Ja, ja. lin wirklich ein rundum gelungenes Bauwerk mit vernünftigen Inhalten wird. Marco Wanderwitz (CDU/CSU): (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Liebe Frau Staatsministerin, liebe Monika Grütters, der CDU/CSU) ich freue mich sehr, dass es dir gelungen ist, das Thema Der zweite Punkt, den ich ganz kurz ansprechen Freiheits- und Einheitsdenkmal anzustoßen, sodass es möchte, ist der geplante Bau des Museums der Moderne. jetzt entstehen kann. Das ist endlich auch einmal ein Mir ist wichtig, dass der Bau nicht nur als eine wert- Denkmal der Freude. Ich freue mich darauf, dass wir schätzende Geste gegenüber den Sammlerinnen und hier vorankommen. Sammlern, die ihre Werke für eine Ausstellung an die- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- sem Ort bereitstellen, verstanden wird, sondern dass da- neten der SPD) mit auch andere, die im Privatbesitz präsentabler Werke sind, ermuntert werden, diese der Allgemeinheit zur Ver- fügung zu stellen. Insofern ist das Museum der Moderne Vizepräsidentin Petra Pau: auch in dieser Hinsicht ein wichtiges Signal. Das Wort hat der Kollege Siegmund Ehrmann für die SPD-Fraktion. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben hier in Berlin am 9. November dieses Jahres etwas ganz Beson- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten deres erlebt – jedenfalls habe ich es für mich so wahrge- der CDU/CSU – Johannes Kahrs [SPD]: Jetzt nommen –: ein Wochenende der Vergewisserung der aber, Siegmund!) jüngsten Zeitgeschichte. Wer entlang der simulierten 6536 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014

Siegmund Ehrmann (A) Mauer aus Lichtern wanderte, traf Familien, die sich un- nicht dafür interessieren. Also, noch einmal: Gespräche (C) tereinander austauschten und Erlebtes berichteten und so bitte draußen führen. die Geschichte ihren Angehörigen der nächsten Genera- tion, die diese zum Teil gar nicht mehr mitbekommen (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der haben, erfahrbar machten. Insofern ist das ein konkretes LINKEN) Beispiel aus der jüngsten Zeitgeschichte, das deutlich Jetzt ist Frau Hinz dran. macht, wie wichtig und notwendig die permanente Re- flexion im Kontext von Gedenken und Erinnern ist. Petra Hinz (Essen) (SPD): Dabei dürfen wir nicht stehen bleiben. Morgen wer- Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol- den die Mitglieder der Expertenkommission, die sich mit legen! Generaldebatte: Wir beraten über den Haushalt der Zukunft der Stasi-Unterlagen-Behörde beschäftigen, der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes. ihre Arbeit aufnehmen und sich mit wesentlichen Fragen Nachdem wir in dieser Debatte sehr viele Aspekte ange- auseinandersetzen. Uns werden sicherlich bald Ergeb- sprochen haben, habe ich die große Freude und Ehre, nisse vorliegen, die uns veranlassen, über die Zukunft jetzt die einzelnen Themen zu bündeln und die Aspekte, der BStU und in der Folge auch über das Gedenkstätten- die noch nicht herausgearbeitet worden sind oder nach konzept nachzudenken. meiner Rede in der gestrigen Debatte – Thema Gesund- heit – vielleicht offengeblieben sind, noch einmal darzu- Wir müssen uns allerdings auch mit dem Zustand der legen. Den Kolleginnen und Kollegen, die mir jetzt zu- NS-Gedenkstätten auseinandersetzen. Da trifft das zu, hören möchten, wird das einen Mehrwert bringen: Sie was Johannes Kahrs vorhin in seiner Rede beschrieben werden sehr viel über unseren Haushalt 2015 erfahren. hat, dass im Grunde genommen die Personalkosten, die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Strukturkosten und die Programmkosten es im Prinzip der CDU/CSU) nicht mehr hergäben, diese Einrichtungen auf den Stand der Zeit zu bringen und sie weiterzuentwickeln. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte direkt auf den gestrigen Beratungspunkt Gesundheit eingehen. In diesen Feldern liegen viele wichtige Zukunftsauf- Es liegt in der Natur der Sache, dass die Opposition im gaben, mit denen wir uns als Kultur- und Haushaltspoli- Rahmen der Haushaltsberatungen – und nicht nur hier – tiker im Parlament auseinandersetzen müssen und aus- völlig andere Sichtweisen darlegt. Aber ich glaube, in ei- einandersetzen werden. Insofern werden wir im Jahr nem sollten wir uns einig sein: Gewisse Faktenlagen 2015 weitere zusätzliche Akzente setzen. müssen zur Kenntnis genommen werden. (B) Herzlichen Dank. Ich möchte noch einmal den Gesundheitsfonds an- (D) sprechen. Es ist – ich glaube, sowohl von der Fraktion (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Die Linke als auch von der Fraktion Bündnis 90/Die der CDU/CSU) Grünen – noch einmal gesagt worden, dass selbst laut Bundesrechnungshof die Herausnahme aus dem Ge- Vizepräsidentin : sundheitsfonds dazu führen wird, dass die Beitragssätze Vielen Dank, Siegmund Ehrmann. – Schönen Tag, steigen werden. Das ist nicht korrekt zitiert. Denn der liebe Kollegen und Kolleginnen, von meiner Seite! Gu- Sachverständige Dr. Lukas Elles vom Bundesrechnungs- ten Tag, liebe Gäste auf der Tribüne! hof hat wörtlich gesagt – ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis aus dem Protokoll der Anhörung –: Es spricht in dieser Debatte noch eine Rednerin. Ich Dass der Bund zulasten der Versicherten konsoli- möchte die Kollegen und Kolleginnen bitten, dieser letz- diere, ist nicht unsere Auffassung. Auch unser Be- ten Rednerin in dieser Debatte ihre Aufmerksamkeit zu richt lässt nicht einmal ansatzweise eine solche schenken und Gespräche nach draußen zu verlagern. Das Aussage durchscheinen; denn das entspricht nicht gilt – das haben wir letztes Mal geübt – für alle Seiten unserer Analyse des Gesetzesvorhabens. des Hauses. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ob Sie es zur Kenntnis nehmen oder nicht: Fakten kann man nicht Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin wegreden. Petra Hinz für die SPD. Wir haben über das Thema Ebolabekämpfung disku- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten tiert. In den Medien rückt das Thema Ebola derzeit wieder der CDU/CSU – Unruhe) in den Hintergrund, aber nicht in unserer parlamentari- schen Arbeit. Ganz im Gegenteil: Über alle Fraktions- – Das gilt auch für Herrn Kauder und für Herrn Gabriel. grenzen hinweg ist unser Engagement im internationalen Hören Sie ruhig zu! Das ist sicherlich spannend. Ich Bereich und über den Tag hinaus sehr deutlich gewor- meine das wirklich ernst. Ich finde, es ist sehr schwierig, den. Denn die Ernten im nächsten Jahr werden katastro- in so einer wichtigen Debatte als Letzte zu reden, wäh- phal ausfallen. Wir werden uns mit der gesamten Situa- rend die Mitglieder des Hauses zeigen, dass sie sich gar tion noch weiter befassen müssen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6537

Petra Hinz (Essen) (A) Ein sehr wichtiges gesellschaftliches Thema ist die Wir, die Haushälter, haben in den zurückliegenden (C) Flüchtlingspolitik. Auch hier haben wir als Bundesge- Wochen, wie ich finde, intensiv beraten, haben unsere setzgeber die richtigen Antworten auf den Weg gebracht. Fachkolleginnen und Fachkollegen an unserer Seite ge- Bis hin zu dem kleinen Etat des Gesundheitsministe- wusst und haben die Vorgaben aus der guten Arbeit im riums im Bereich der Gesundheitsaufklärung für Flücht- Koalitionsvertrag umgesetzt. Ich möchte mich ganz linge sind wir noch einmal auf das Thema eingegangen. herzlich bei meinen Kolleginnen und Kollegen der Fach- bereiche bedanken, bei den Ministerien, die zugearbeitet Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterschiedli- haben, und bei den Kolleginnen und Kollegen Haushäl- chen Redner haben darauf aufmerksam gemacht, dass tern; denn die Arbeit, die wir geleistet haben, um einen wir auch Verantwortung im föderalen System haben. Das betrifft auch die Bund-Länder-Beziehungen und die ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, ist kein Selbst- Beziehungen zwischen Ländern und Kommunen. Wir zweck, sondern dient den nachfolgenden Generationen. haben darauf eine klare Antwort. Während zeitgleich in Diese Arbeit lohnt sich. vielen Kommunen die Haushalte verabschiedet werden, Vielen Dank. teilweise sogar in einem Doppelhaushalt für 2015 und 2016 wie in meiner Heimatstadt Essen, sichern wir mit (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) dem Koalitionsvertrag und dem Haushalt 2015 fortfol- gende unseren Kommunen eine ganze Menge an Er- Vizepräsidentin Claudia Roth: leichterungen zu. Vielen Dank, Frau Kollegin Hinz. – Ich schließe die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Aussprache. der CDU/CSU) Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzel- Das betrifft zum Beispiel die Mittel für die Städtebauför- plan 04 – Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt – in derung, die um 700 Millionen Euro jährlich aufgestockt der Ausschussfassung. Zuallererst stimmen wir über den wurden. Addiert man die öffentlichen Investitionen im Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Druck- Bereich Bund, Länder und Kommunen, kommt man auf sache 18/3281 ab. Wer stimmt für diesen Änderungs- 2 Milliarden Euro jährlich. Auch dies sollte man an die- antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – ser Stelle noch einmal deutlich sagen. Der Änderungsantrag ist abgelehnt bei Ablehnung von Über die Sozialausgaben haben bereits meine Kolle- CDU/CSU- und SPD-Fraktion sowie Zustimmung von gin Ulrike Gottschalck und andere Redner gesprochen. der Linken und Bündnis 90/Die Grünen. Richtig ist: Die Schere geht in einigen Bereichen sehr Wir stimmen nun über den Einzelplan 04 namentlich stark auseinander. Aus diesem Grunde wird sich wohl (B) kein Bundesland, hoffe ich, aus der Solidargemeinschaft ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die (D) verabschieden. vorgesehenen Plätze einzunehmen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Sind alle Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Ich eröffne damit die Abstimmung über den Einzel- Denn wenn wir uns aus der Solidargemeinschaft, die plan 04. über viele Jahrzehnte gut Bestand hatte, aus persönli- chen bzw. landespolitischen Egoismen verabschieden Gibt es noch Kolleginnen und Kollegen im Haus, die wollen, sprengen wir damit die Investitionskraft und die nicht abgestimmt haben? – Das sieht nicht so aus. Kein Stärke unseres Landes insgesamt. Protest. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) lung zu beginnen. Wie immer wird Ihnen das Ergebnis Aus diesem Grunde setze ich sehr große Hoffnung auf später, im Laufe der nächsten Debatte, bekannt gege- die Diskussion und die Ergebnisse der Bund-Länder- ben.1) Kommission, die parallel zu unseren Beratungen tagt. Ich bitte diejenigen, die abgestimmt haben und nicht An den Aufwendungen im Bereich der Sozialausga- an der jetzigen Debatte teilnehmen möchten, den Saal zu ben beteiligen wir uns auch über die Grundsicherung im verlassen, und diejenigen, die an der Debatte teilnehmen Alter und die Eingliederungshilfe. Wir reden dabei nicht wollen, Platz zu nehmen. über kleinere Beträge: Es geht um Milliardenbeträge, die wir in dieser Koalition mit dem Haushalt 2015 fortfol- Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.9 auf: gende bis 2017 auf den Weg bringen werden. Einzelplan 05 Nichtsdestotrotz müssen wir sehr genau hinsehen Auswärtiges Amt – ich mahne das noch einmal an –, wohin das Geld Drucksachen 18/2805, 18/2823 fließt, ob in den neuen Ländern oder in den alten, ob Ost, ob West. Deswegen ist die laufende Diskussion richtig. Berichterstatter sind die Abgeordneten Doris Barnett, Nicht nach Himmelsrichtungen sollten unsere Mittel und Alois Karl, Michael Leutert und Dr. Tobias Lindner. Ressourcen vergeben werden, sondern nach Program- Zum Einzelplan 05 liegt ein Änderungsantrag der Frak- men, Inhalten und Notwendigkeiten. So verstehe ich un- tion Bündnis 90/Die Grünen vor. seren Solidaritätsbeitrag.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD) 1) Ergebnis Seite 6539 C 6538 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für höchste Priorität eingeräumt wird. Ich hätte mir ge- (C) die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- wünscht, dass sich dieser Gedanke im Haushalt deutlicher nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. niederschlägt, nicht nur indem wir Feierlichkeiten bege- hen und mahnende Worte verlieren, sondern auch indem Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege wir mehr Geld, insbesondere nächstes Jahr, in die Hand Michael Leutert für die Linke. nehmen, um den vielen Flüchtlingen vor Ort zu helfen. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Knapp 400 Millionen Euro gibt das Auswärtige Amt Michael Leutert (DIE LINKE): dieses Jahr für humanitäre Hilfe aus. Der Vorschlag – so Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! war zumindest der erste Entwurf –, diese Gelder nächs- Herr Minister, Sie haben in letzter Zeit die Situation oft tes Jahr auf 187 Millionen Euro zu kürzen, war selbst der mit den Worten beschrieben: Die Welt scheint aus den Koalition zu absurd. Fugen geraten zu sein. – Das ist ein Zitat Ihrer Worte. Das stimmt, aber dagegen muss man etwas tun. Ihr (Zuruf von der CDU/CSU: Na, na, na! – Haushalt wird dieser Situation allerdings nicht gerecht, [SPD]: Was heißt denn hier „selbst“?) ganz im Gegenteil. Dies hat Ihr Haus, auch Sie selbst, Herr Minister, nicht (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) gewollt; das weiß ich. Das war ein Ergebnis des Knebe- lungsversuchs durch Minister Schäuble, Noch immer bewegt sich der Etat des Auswärtigen Amtes wie jedes Jahr bei knapp über 1 Prozent des Ge- (Lachen des Abg. Niels Annen [SPD]) samthaushaltes, als wenn die Welt immer noch in Ord- um seinen Plan von der schwarzen Null durchzusetzen. nung wäre. Wie kann das sein, wenn Deutschland mehr Verantwortung in der Welt übernehmen möchte? Das Auswärtige Amt hat dann auch einen alarmieren- den Brief an uns Haushälter geschrieben, dessen Drama- Schauen wir uns die Fakten an. Das sind die Fakten, tik keine Zweifel zulässt. Ich möchte hieraus zitieren: die die Menschen in unserem Land verunsichern. Wir haben Krieg in der Ukraine, im Irak, in Syrien, eigent- Wir sind Zeugen der schlimmsten humanitären Ka- lich im ganzen Nahen Osten, in Afrika herrscht Krieg im tastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg. … momen- Südsudan, in Nigeria und Mali. Die Bundeswehr ist der- tan kann auch Menschen in existenzieller Not nicht zeit an 13 Einsätzen beteiligt, weltweit gibt es 15 Frie- ausreichend geholfen werden! … Deutschland fällt densmissionen. Die meisten bei uns denken immer: Das hinter andere Geberländer zurück … Bereits 2014 alles ist sehr weit weg, das geht uns nichts an. – Dem ist befinden wir uns in einem Feld mit Geberländern, (B) aber nicht so. die durch erheblich kleinere Bevölkerungen und (D) Volkswirtschaften gekennzeichnet sind (z. B. Nor- Der Konflikt, der mit zehn Flugstunden am weitesten wegen, Schweden, Schweiz, Kanada). entfernt ist, ist der Afghanistan-Konflikt. Bis auf eine einzige UN-Mission, die in Haiti, gruppieren sich alle Die Linke, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat einen Konfliktherde um uns herum. Man findet sie, wie gesagt, Vorschlag unterbreitet, wie wir diesen Problemen entge- in Afrika und im Nahen Osten, und immerhin fünf inter- gentreten können. Wir brauchen einen Krisenreaktions- nationale UN-Einsätze gibt es mitten in Europa. An fonds. dreien davon ist Deutschland beteiligt. (Beifall bei der LINKEN) Es ist also kein Wunder, dass die Menschen in unse- Heutzutage ist die Situation so: Krisen haben die un- rem Land verunsichert sind. Es sind eben keine Krisen angenehme Eigenschaft, dass sie unangekündigt kom- irgendwo weit draußen, es sind Konflikte vor unserer men. Dann müssen die betroffenen Ministerien – zum Haustür, manchmal auch schon auf unseren Straßen, und Beispiel im Falle von Ebola das Auswärtige Amt, das trotzdem gibt es nicht mehr Geld, um diesen internatio- BMZ, das Gesundheitsministerium, das Verteidigungs- nalen Krisen entgegenzutreten. Das halten wir für falsch. ministerium und das Innenministerium – alle Gelder mo- (Beifall bei der LINKEN) bilisieren, was natürlich zulasten von schon geplanten Projekten geht. Ausreichend sind sie zum Schluss meis- Die Kanzlerin, Sie, Herr Außenminister, die Verteidi- tens nicht. Um diesem Zustand vorzubeugen, ist unser gungsministerin und natürlich, nicht zu vergessen, der Vorschlag, im Einzelplan 60 unter der Bewirtschaftung Bundespräsident werden nicht müde, immer wieder zu des Auswärtigen Amtes einen Krisenreaktionsfonds mit betonen, dass Deutschland auf internationaler Ebene anfänglich zusätzlichen 250 Millionen Euro einzurichten. mehr Verantwortung übernehmen will bzw. muss oder soll. Das bestreiten nicht einmal wir Linken. Umstritten (Beifall bei der LINKEN) sind aber die Methoden. Brauchen wir das Geld im Krisenfall, ist Vorsorge ge- troffen. Wenn es nicht benötigt wird, kann sich Finanz- In zwei Monaten, liebe Kolleginnen und Kollegen, am minister Schäuble freuen und es am Jahresende wieder 27. Januar 2015, jährt sich die Befreiung des Vernich- einsammeln. Besser wäre es natürlich, wenn wir das tungslagers Auschwitz durch die Rote Armee zum Geld dann für die Entwicklungszusammenarbeit ver- 70. Mal. Nächstes Jahr begehen wir zudem den 50. Jah- wenden würden. restag der diplomatischen Beziehungen zwischen Israel und Deutschland. Diese Ereignisse sind für uns Verpflich- (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Sonja tung, Verpflichtung, dass ziviler Außenpolitik stets die Steffen [SPD]) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6539

Michael Leutert (A) Auf alle Fälle, liebe Kolleginnen und Kollegen, Vizepräsidentin Claudia Roth: (C) könnte man so auch Verantwortung auf internationaler Vielen Dank, Herr Kollege Leutert. – Bevor ich die Ebene übernehmen. Die Bundesrepublik wäre damit nächste Rednerin aufrufe, gebe ich Ihnen das von den Vorbild für andere Nationen. Sie wissen: Am Freitag ha- Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergeb- ben Sie alle noch einmal die Chance, unter anderem die- nis der namentlichen Abstimmung über den Einzel- sem sinnvollen Antrag der Linken zuzustimmen. plan 04 bekannt: abgegebene Stimmen 603. Mit Ja ha- Vielen Dank. ben gestimmt 485, mit Nein haben gestimmt 118 Kolleginnen und Kollegen. Der Einzelplan 04 ist an- (Beifall bei der LINKEN) genommen.

Endgültiges Ergebnis Klaus-Peter Flosbach Anette Hübinger Wilfried Lorenz Abgegebene Stimmen: 603; Hubert Hüppe Dr. Claudia Lücking-Michel davon Dr. Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Hans-Peter Friedrich ja: 485 (Hof) Sylvia Jörrißen nein: 118 Dr. Michael Fuchs Dr. Thomas Mahlberg Ja Hans-Joachim Fuchtel Dr. Thomas de Maizière Alexander Funk Dr. Egon Jüttner CDU/CSU Ingo Gädechens Bartholomäus Kalb Dr. Peter Gauweiler Hans-Werner Kammer Hans-Georg von der Marwitz Dr. Steffen Kampeter Steffen Kanitz (Altötting) Dorothee Bär Alois Karl Reiner Meier Thomas Bareiß Dr. Norbert Barthle Josef Göppel Bernhard Kaster Dr. Angela Merkel Julia Bartz Volker Kauder Günter Baumann Ursula Groden-Kranich Dr. Stefan Kaufmann Hermann Gröhe Dr. h. c. (Börde) Klaus-Dieter Gröhler Dr. Dr. Michael Grosse-Brömer Volkmar Klein Philipp Mißfelder (B) Dr. André Berghegger Astrid Grotelüschen Jürgen Klimke (D) Dr. Markus Grübel Karsten Möring Monika Grütters Carsten Körber Dr. Gerd Müller Dr. Hartmut Koschyk Carsten Müller Fritz Güntzler () Dr. Maria Böhmer Stefan Müller (Erlangen) Gunther Krichbaum Dr. Dr. Günter Krings Dr. Klaus Brähmig Jürgen Hardt Rüdiger Kruse Michaela Noll Michael Brand Gerda Hasselfeldt Helmut Nowak Dr. Dr. Roy Kühne Dr. Georg Nüßlein Günter Lach Dr. Dr. Stefan Heck Uwe Lagosky Florian Oßner Dr. Dr. Karl A. Lamers Dr. Andreas G. Lämmel Henning Otte Cajus Caesar Dr. Norbert Lammert () Alexandra Dinges-Dierig Mark Helfrich Ulrich Lange Jörg Hellmuth Barbara Lanzinger Dr. Martin Pätzold Dr. Ulrich Petzold Thomas Dörflinger Dr. Hansjörg Durz Dr. Sibylle Pfeiffer Jutta Eckenbach Dr. Dr. Dr. Hermann Färber Robert Hochbaum Philipp Graf Lerchenfeld Dr. Alexander Hoffmann Dr. Ursula von der Leyen Ingrid Fischbach Franz-Josef Holzenkamp Alois Rainer Dirk Fischer (Hamburg) Dr. Matthias Lietz Dr. Axel E. Fischer (- Margaret Horb Land) Bettina Hornhues Dr. (Potsdam) Dr. Charles M. Huber 6540 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Christian Flisek (C) Dr. Dr. Bettina Müller Johannes Röring Marco Wanderwitz Dr. Michelle Müntefering Dr. Norbert Röttgen Dr. Rolf Mützenich Erwin Rüddel Albert Weiler Sigmar Gabriel Thomas Oppermann Anita Schäfer (Saalstadt) (Hamburg) Mahmut Özdemir (Duisburg) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Aydan Özoğuz Peter Weiß (Emmendingen) Angelika Glöckner Sabine Weiss (Wesel I) Ulrike Gottschalck Jeannine Pflugradt Norbert Schindler Karl-Georg Wellmann Gabriele Groneberg Michael Groß Heiko Schmelzle Waldemar Westermayer Uli Grötsch Christian Schmidt (Fürth) Wolfgang Gunkel (Minden) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Peter Wichtel Dr. Wilhelm Priesmeier Annette Widmann-Mauz Rita Hagl-Kehl Dr. Andreas Schockenhoff Heinz Wiese (Ehingen) Dr. Dr. Ole Schröder Klaus-Peter Willsch Ulrich Hampel Dr. Simone Raatz Dr. Kristina Schröder Elisabeth Winkelmeier- (Wiesbaden) Becker Michael Hartmann Bernhard Schulte-Drüggelte (Wackernheim) Stefan Rebmann Dr. Klaus-Peter Schulze Dagmar G. Wöhrl Gerold Reichenbach Barbara Woltmann Hubertus Heil (Peine) Dr. (Weil am Heinrich Zertik Rhein) Sönke Rix Christina Schwarzer Dr. Wolfgang Hellmich Gudrun Zollner Dr. Barbara Hendricks Dr. Heidtrud Henn René Röspel SPD Gustav Herzog Dr. Dr. Niels Annen Gabriele Hiller-Ohm Michael Roth (Heringen) Bernd Siebert Ingrid Arndt-Brauer Petra Hinz (Essen) Susann Rüthrich Rainer Arnold Bernd Rützel Dr. Eva Högl (B) Matthias Ilgen Annette Sawade (D) Heinz-Joachim Barchmann Christina Jantz Dr. Hans-Joachim Carola Stauche Dr. Schabedoth Dr. Doris Barnett Axel Schäfer (Bochum) Dr. Hans-Peter Bartels Dr. Dr. Johannes Kahrs Sören Bartol Christina Kampmann Dr. Dorothee Schlegel Bärbel Bas (Aachen) Christian Freiherr von Stetten Matthias Schmidt (Berlin) (Wetzlar) Rita Stockhofe () Carsten Schneider (Erfurt) (Spandau) Max Straubinger Dr. Karl-Heinz Brunner Dr. Bärbel Kofler Matthäus Strebl Marco Bülow Birgit Kömpel Thomas Stritzl Dr. (Heilbronn) Petra Crone Dr. Hans-Ulrich Krüger Rita Schwarzelühr-Sutter Lena Strothmann Helga Kühn-Mengel Dr. Michael Stübgen Dr. Christine Lambrecht Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Christian Lange (Backnang) Norbert Spinrath Dr. Dr. Karl Lauterbach Martin Dörmann Steffen-Claudio Lemme Martina Stamm-Fibich Astrid Timmermann-Fechter Elvira Drobinski-Weiß Sonja Steffen Dr. Hans-Peter Uhl Siegmund Ehrmann Gabriele Lösekrug-Möller Peer Steinbrück Dr. Volker Ullrich Michaela Engelmeier Dr. Frank-Walter Steinmeier Dr. h. c. Kirsten Lühmann Christoph Strässer Petra Ernstberger Dr. Birgit Malecha-Nissen Michael Vietz Karin Evers-Meyer (Kleinsaara) Dr. Franz Thönnes Sven Volmering Dr. Dr. Christel Voßbeck-Kayser Dr. Ute Finckh-Krämer Carsten Träger Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6541

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Christian Kühn (Tübingen) (C) Dirk Vöpel Sigrid Hupach Birgit Wöllert Renate Künast Markus Kurth Susanna Karawanskij Andrea Wicklein Sabine Zimmermann Katja Kipping (Zwickau) Dr. Tobias Lindner Waltraud Wolff Nicole Maisch (Wolmirstedt) BÜNDNIS 90/ Peter Meiwald Gülistan Yüksel Katrin Kunert DIE GRÜNEN Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Jens Zimmermann Dr. Manfred Zöllmer Michael Leutert Omid Nouripour Stefan Liebich Marieluise Beck (Bremen) (Köln) Dr. Gesine Lötzsch Cem Özdemir Nein Cornelia Möhring Ekin Deligöz Brigitte Pothmer Niema Movassat Katharina Dröge DIE LINKE Tabea Rößner Norbert Müller (Potsdam) Claudia Roth (Augsburg) Jan van Aken Dr. Alexander S. Neu Dr. Thomas Gambke Dr. Corinna Rüffer Petra Pau Manuel Sarrazin (Havelland) Katrin Göring-Eckardt Elisabeth Scharfenberg Matthias W. Birkwald Richard Pitterle Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Eva Bulling-Schröter Michael Schlecht Dr. Anton Hofreiter Dr. Dr. Bärbel Höhn Kordula Schulz-Asche Dr. Diether Dehm Dr. Wolfgang Strengmann- Klaus Ernst Dr. Uwe Kekeritz Kuhn Wolfgang Gehrcke Azize Tank Hans-Christian Ströbele Dr. Sven-Christian Kindler Dr. Harald Terpe Maria Klein-Schmeink Dr. André Hahn Tom Koenigs Jürgen Trittin Heike Hänsel Dr. Sahra Wagenknecht Sylvia Kotting-Uhl Dr. (B) Dr. Doris Wagner (D) Inge Höger Stephan Kühn (Dresden) Dr. Valerie Wilms

Nächste Rednerin in der Debatte: Doris Barnett für Außenpolitik entsprechend aufgestellt zu sein. Dass dies die SPD. möglich ist, dafür danke ich Minister Steinmeier und sei- nen Mitarbeitern, von den Staatssekretären bis zu den (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Damen und Herren im Haushaltsreferat. der CDU/CSU) Der gleiche Dank geht an dieser Stelle an das Finanz- ministerium, das hier nicht nach der Manier der schwä- Doris Barnett (SPD): bischen Hausfrau gesagt hat: „Mir gäbet nix“, sondern Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! im Bewusstsein der Aufgabenfülle von Minister Seit Jahren wächst unserem Land eine Verantwortung Steinmeier bei der Finanzierung des Einzelplanes wirk- zu, die wir annehmen und ausfüllen müssen. In Europa lich gut mitgeholfen hat. Auch dem Bundesrechnungs- sind wir ein Stabilitätsfaktor, nicht zuletzt wegen unserer hof darf ich für seine doch hilfreichen Hinweise danken. Wirtschaftskraft und des gesellschaftlichen Zusammen- Außerdem darf ich unseren eigenen Mitarbeiterinnen halts. Das strahlt auch auf unsere internationale Wert- und Mitarbeitern ein ganz dickes Dankeschön für die schätzung aus, die uns sicherlich wegen des umsichtigen hervorragende Unterstützung sagen. und verantwortungsvollen Handelns unseres Außen- ministers Frank-Walter Steinmeier und auch der Kanzle- (Beifall bei der SPD) rin entgegengebracht wird. Nicht zuletzt möchte ich mich auch bei meinen Kolle- Angesichts der bestehenden Krisen und der ständig gen Mitberichterstattern bedanken für die gute kollegiale neuen Herausforderungen, die durch nichtstaatliche Par- Zusammenarbeit. Der persönliche Umgang mit Alois teien der Weltgemeinschaft aufgedrückt werden, kann Karl, Michael Leutert und Tobias Lindner ist angenehm unser Land nicht abseitsstehen. Auch sind die Zeiten und produktiv. Ich sage das, auch wenn ich mit Blick auf vorbei, in denen wir uns selbst eingeredet haben, wir die vorhergehende Rede eher den Vorschlägen von Alois seien ja ganz klein, hätten nichts zu sagen und könnten Karl folge. Wir haben es geschafft, dass der Haushalt des uns heraushalten. Das nimmt uns keiner mehr ab und Außenministeriums in 2015 um 9 Prozent oder 305,7 Mil- würde auch nur Misstrauen auslösen. Also hat unsere lionen Euro auf jetzt über 3,7 Milliarden Euro angeho- 6542 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014

Doris Barnett (A) ben werden konnte, um die größten Herausforderungen Aber nicht nur in der Ferne, auch vor der Haustür ha- (C) zu meistern, und das sind nicht wenige. ben wir Krisen zu bewältigen. Leider wirkt das Abkom- men von Minsk nicht so, wie es sich die Beteiligten in Die Flüchtlingskatastrophen in Syrien und Nordirak, die Hand versprochen haben. Deshalb gibt es in der aber auch die humanitären Katastrophen in Westafrika, Ukraine immer noch Inlandsflüchtlinge und wird im Os- die durch sogenannte Gotteskrieger bzw. Mörderbanden ten immer noch geschossen. und auch durch das Ebolavirus ausgelöst wurden, müs- sen aufgehalten werden. Was das Ebolavirus angeht, ste- Das neugewählte Parlament steht vor enormen He- hen wir mit unseren Hilfsorganisationen in engstem rausforderungen und Reformen. Hier wollen wir die Kontakt und sorgen mit der Ausstattung eines Spezial- Ukraine ebenso wenig alleinlassen wie die anderen klei- flugzeugs dafür, dass infizierte Helfer sicher nach neren Länder der Östlichen Partnerschaft; daher stellen Deutschland ausgeflogen werden können. Die dafür be- wir für die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft nötigten 6 Millionen Euro können wir jetzt zur Verfü- Mittel in Höhe von 14 Millionen Euro zur Verfügung. gung stellen. Wir werden nicht tatenlos zusehen, wie ar- Dabei liegt uns insbesondere die Ausbildung junger chaische Mörderbanden angeblich im Namen einer Menschen am Herzen. Religion ganze Landstriche entvölkern und für sich ein- In diesem Zusammenhang will ich ausdrücklich da- nehmen. rauf hinweisen, dass gerade mit Russland der Gesprächs- Natürlich ist da die Weltgemeinschaft gefordert; aber faden nicht abreißen darf und dass wir trotzdem für den auch wir engagieren uns. Wir stocken die humanitäre Petersburger Dialog im nächsten Jahr – auch wenn die Hilfe kräftig auf: von den zunächst vorgesehenen Treffen in diesem Jahr abgesagt wurden – 100 000 Euro 187 Millionen Euro auf jetzt 400 Millionen Euro. Das bereitstellen. Russland ist und bleibt nun einmal unser haben mein Kollege Alois Karl und ich schon Anfang großer Nachbar im Osten, und deshalb brauchen wir sol- August gefordert, und wir freuen uns, dass dieser Vor- che Dialogformate gerade jetzt. stoß jetzt auch umgesetzt wird. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Wir müssen uns auch im Bereich Bildung anstrengen. CDU/CSU) Diese Anstrengungen bedeuten für mich, zu investieren in den wichtigsten Rohstoff, den wir überhaupt haben: Ob die Mittel allerdings im kommenden Jahr reichen Das sind die Köpfe unserer Menschen. Die Mittel, die werden, das kann heute noch niemand sagen. hier klug eingesetzt werden, sind Grundlage für späteren Mit dem Geld werden wir zunächst den hunderttau- Wohlstand von Nationen. (B) sendfach gestrandeten Menschen helfen, ein Dach über Deshalb bin ich auch sehr zufrieden, dass es gelungen (D) den Kopf, Kleidung und Essen zu bekommen, den Win- ist, unsere beiden Flaggschiffe in Sachen Bildung wieder ter zu überleben und ärztliche Versorgung zu erhalten. auskömmlich auszustatten: das Goethe-Institut und den Eine Dauerlösung können diese Flüchtlingscamps aber DAAD. Mit dem Goethe-Institut gelingt es, internatio- nicht sein. Eine wahre Völkerwanderung kann niemand nale Fachkräfte für unser Land zu gewinnen, sie durch wollen. Im Gegenteil: Wir müssen Anstrengungen unter- Deutschkurse sowie Informationen über unser Land, Le- nehmen, die Menschen möglichst bald in ihre befriedete, ben und Leute gut vorzubereiten. Was innerhalb von we- allerdings zerstörte Heimat zurückzuführen und ihnen nigen Monaten da zu schaffen ist, davon konnten sich dort zu helfen, eine friedliche Zukunft für sich und ihre Alois Karl und ich vor kurzem in Rom überzeugen. Wir Kinder wieder aufzubauen. beide gehen davon aus, dass wir im kommenden Jahr in An dieser Stelle kann ich den aufnehmenden Ländern Namibia aus dem mehr als gut angenommenen und aus Jordanien, dem Libanon und der Türkei nur ausdrücklich allen Nähten platzenden Goethe-Zentrum ein Goethe-In- danken für ihren Einsatz. Natürlich nehmen auch wir stitut in Windhuk machen können, das dann der Bundes- Flüchtlinge auf. Aber hätten wir bei uns im Verhältnis zu präsident bei seinem Besuch im nächsten Jahr vielleicht unserer Bevölkerungszahl so viele Flüchtlinge aufzuneh- einweihen kann; das wäre toll. men, wie es der Libanon getan hat, dann würden wir hier (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der nicht über ein paar Tausend, sondern über 20 Millionen CDU/CSU) Flüchtlinge reden, die wir hier hätten. Das kann sich kei- ner vorstellen, geschweige denn das handeln. Deswegen Für das Goethe-Institut stehen im kommenden Jahr über brauchen wir die Mittel für die humanitäre Hilfe, und 16,6 Millionen Euro zur Verfügung – neben den notwen- deswegen müssen wir auch Ländern wie dem Libanon digen Mitteln für die Tarifanpassung für die Beschäftig- dringend helfen. ten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Goethe-Institut und DAAD arbeiten oft Hand in Hand. Nach der guten Vorbereitung auf Deutschland ver- Deshalb haben wir auch unsere Beiträge für die Verein- hilft der DAAD mit seinen Hochschulstipendien Neuan- ten Nationen um über 16,6 Millionen Euro freiwillig kömmlingen zum letzten Schliff, fördert aber genauso aufgestockt, und deshalb unterstützen wir auch die Hilfs- unsere eigenen Studierenden mit internationalen Ange- organisationen, die sich um die Krisenprävention küm- boten. Auslandserfahrungen dürfen nicht vom Geldbeu- mern, wieder mit 95 Millionen Euro, also mit 2 Millio- tel des Einzelnen abhängen, weshalb der DAAD im nen Euro mehr als ursprünglich vorgesehen. kommenden Jahr auch zusätzlich 7 Millionen Euro er- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6543

Doris Barnett (A) hält. Der Kampf um die besten Köpfe hat weltweit längst der Begriff „Krisen“ und der Begriff „Verantwortung (C) begonnen, und die gute Ausstattung von DAAD und deutscher Außenpolitik“. Man muss sich die Frage stel- Goethe-Institut ist kein Luxus, sondern eine simple Not- len: Passt dieser Etatentwurf zu diesen beiden Über- wendigkeit, wollen wir nicht ins Hintertreffen geraten. schriften, zu dem, was in den letzten zwölf Monaten ge- schah und nun hinter uns liegt, und vor allem zu dem, Im kommenden Jahr wird es 50 Jahre her sein, meine was vor uns liegt? lieben Kolleginnen und Kollegen, dass Israel mit Deutschland diplomatische Beziehungen aufgenommen Es ist schon erwähnt worden: Ja, in der Bereinigungs- hat. Am 12. Mai 1965 vereinbarten Bundeskanzler sitzung hat sich dieser Haushaltsplan zu seinem Besse- und Israels Ministerpräsident Levi ren verändert. Ich will bewusst sagen: Aus Sicht der Op- Eschkol den Austausch von Botschaftern. Dieses Jubi- position kann man es noch deutlich besser machen. Aber läum im nächsten Jahr wollen wir gebührend begehen man muss sich fragen: Von wo kommen wir denn? Der und werden der Deutsch-Israelischen Gesellschaft für Etatentwurf sah eine Kürzung des Ansatzes um 218 Mil- diesen Anlass, um die entsprechenden Feierlichkeiten lionen Euro vor. Mit dem, was jetzt obendrauf kommt vorbereiten und durchführen zu können, einmalig 2 Mil- – Doris Barnett sprach von 305 Millionen Euro, ich kam lionen Euro zur Verfügung stellen. Das ist für unsere bei- auf 250 Millionen Euro; den Streit darüber können wir den Länder ein wichtiges Ereignis, und wir vertrauen auf woanders austragen –, bleibt es im gesamten Einzelplan die gute Zusammenarbeit mit der Deutsch-Israelischen des Auswärtigen Amtes bei einem Plus von 1 bis 2 Pro- Gesellschaft. zent. Wenn man dann noch die überplanmäßigen Ausga- ben hinzuaddiert, die im letzten Jahr notwendig waren, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten um bei der humanitären Hilfe aufzustocken, liebe Kolle- der CDU/CSU) ginnen und Kollegen, dann ergibt sich, dass wir im kom- Damit habe ich die für mich wichtigsten Highlights menden Jahr sogar weniger Geld ausgeben als in diesem des Haushalts des Auswärtigen Amtes für das kom- Jahr. Ich finde, es passt nicht zusammen, über mehr Ver- mende Jahr vorgestellt, auch wenn noch nicht alles erle- antwortung deutscher Außenpolitik zu reden und am digt ist und wir noch etliche Wünsche hätten, die wir im Ende einen kleineren Etat für das Auswärtige Amt zu be- nächsten Haushalt aber nicht erfüllen können. Aber auf- schließen. geschoben ist ja nicht aufgehoben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es warten viele Baumaßnahmen auf uns; sie stehen in Ich komme zum zentralen Punkt: der humanitären den kommenden Jahren an. Das Deutsche Archäologi- Hilfe. Da stehen jetzt 400 Millionen Euro bereit. Bereits sche Institut in Rom ist seit Jahren aus seinem Gebäude in diesem Jahr geben wir dafür 403 Millionen Euro aus. (B) ausgelagert. Das kostet Miete, und Bauarbeiten werden Wir vollziehen also nur nach, was bereits Realität ist. (D) durch Liegenlassen nicht billiger. Hier hoffe ich auf um- Der Kollege Leutert hat bereits Dokumente des Auswär- gehende Einigung der verschiedenen beteiligten Ämter, tigen Amtes selbst angesprochen, in denen beschrieben und ich glaube nicht, dass für sämtliche denkbaren Kata- wird, dass Deutschland in der Rangliste der Gebernatio- strophen wie Tsunami, Meteoriteneinschlag usw., für al- nen im Bereich der humanitären Hilfe vom Rang Num- les Mögliche, Vorsorge getroffen werden muss, was mer sieben im Jahr 2012 auf den neunten Rang im Jahr nämlich dann auch die Abstimmung innerhalb der Be- 2014 zurückgefallen ist. Würde man die Finanzierung hörden massiv behindert – mit der Folge: Man kommt aus dem Jahr 2012 in Höhe von 4,3 Prozent nur fort- seit zehn Jahren zu keinem Ende. schreiben, dann würden wir nicht nur 400 Millionen Auch etliche Liegenschaften des Auswärtigen Amtes Euro in humanitäre Hilfe investieren müssen – nein, bedürfen der Verbesserung, ob das die Botschaft in dann müssten wir 650 Millionen Euro bereitstellen, um Kairo oder Wien oder anderswo ist. Für die ordentliche unserer Verantwortung gerecht zu werden. Deshalb, Bezahlung der Ortskräfte muss auch eine Lösung gefun- liebe Kolleginnen und Kollegen, wird meine Fraktion den werden. Also: Es wird noch weiter sehr viel zu tun beantragen, die Mittel für humanitäre Hilfe in diesem geben. Aber für das, was wir bisher erreichen konnten, Einzelplan weiter zu erhöhen, auf die genannten hoffe ich auf die Unterstützung des ganzen Hauses. 650 Millionen Euro, und zusätzlich für den Kampf ge- gen Ebola – eine der Krisen, über die wir viel zu wenig Vielen Dank. reden – weitere 30 Millionen Euro allein im Etat des (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Auswärtigen Amtes bereitzustellen. Ich denke, das ist bitter notwendig. Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vielen Dank, Doris Barnett. – Nächster Redner in der Herr Minister Steinmeier, Sie können nicht, wie Sie Debatte: Dr. Tobias Lindner für Bündnis 90/Die Grünen. es in einem, wie ich finde, bemerkenswerten Namensar- tikel in der Huffington Post getan haben, über eine Welt, Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die aus den Fugen geraten ist, sprechen, ohne sich mehr NEN): um Krisenprävention und Krisenfrüherkennung zu küm- Geschätzte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und mern. Ja, es ist richtig: Die Kürzung um 2 Millionen Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Euro wurde zurückgenommen. Es stehen jetzt 95 Millio- Durch die Debatten um deutsche Außenpolitik haben nen Euro bereit. Meine Fraktion findet aber, dass das, sich im letzten Jahr ganz zentral zwei Begriffe gezogen: was unter Schwarz-Gelb im Jahr 2013 angemessen war 6544 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014

Dr. Tobias Lindner (A) – 133 Millionen Euro –, das Mindeste sein muss, was über alles diskutieren, bloß nicht über Adam Riese. Die (C) Deutschland bereitstellt, um Krisen zu vermeiden und Zahlen stehen fest. frühzeitig auf Krisen zu reagieren. Deshalb haben wir auch an diesem Punkt in den Haushaltsberatungen eine Wir haben vor wenigen Wochen einen Haushaltsent- Erhöhung der Mittel beantragt. Leider sind Sie uns an wurf vorgelegt bekommen, den wir beraten haben. Im dieser Stelle nicht gefolgt, meine Damen und Herren. Haushaltsausschuss haben wir 200 Änderungsanträge durchgehechelt. Wir haben zwar den Haushalt um (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 400 Millionen Euro gekürzt, aber den Etat des Bundes- außenministers dennoch deutlich erhöhen können. Das Lassen Sie mich zum Abschluss eines sagen. Es ist war eine gute Sache, auch wenn das nicht bei allen große richtig: Wir Grüne haben Anträge gestellt, deren Umset- Freude hervorgerufen hat. Ich werde darauf noch einge- zung diesen Etat um insgesamt 500 Millionen Euro auf- hen. wachsen lassen würden. Ich höre schon, dass uns die Ko- alition vorwerfen wird: Na ja, ist das seriös? – Da will Tempus fugit, könnte man sagen. Die Zeit verfliegt, ich Ihnen zum einen entgegenhalten: Ich lade Sie gern geht rasant dahin. Ein Blick in den Kalender zeigt: Heute ein, bei der folgenden Debatte über den Verteidigungs- in vier Wochen ist Heiliger Abend. Für Sie, Herr Außen- etat anwesend zu sein und zu schauen, an welchen Stel- minister, gibt es heute schon einen Teil der Bescherung; len wir Einsparungen vornehmen würden, um Schwer- punkte setzen zu können. Zum anderen müssen Sie sich (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – fragen, ob es, wenn wir über Verlässlichkeit deutscher Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Wir haben Außenpolitik reden, seriös ist, heute einen Haushalt zu aber schon den 26.! Der Heilige Abend ist beschließen, bei dem wir wissen, dass bereits morgen dann schon vorbei!) überplanmäßige Ausgaben nötig sein werden. denn die Wünsche, die Sie an den Haushaltsausschuss (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gerichtet haben, konnten zum großen Teil, nicht alle, er- füllt werden. Wir haben die letzten zehn Wochen ge- Seriosität und Verlässlichkeit in der Haushaltspolitik be- nutzt, um den Etat des Bundesaußenministers zu beraten. deuten auch, die Zahlen reinzuschreiben, die notwendig sind. Tempus fugit – das gilt auch für die zahlreichen Rückschauen, die in diesem Jahr Gegenstand unserer Ich danke Ihnen. Betrachtungen und auch unserer Politik waren. Wir ha- ben festgestellt: Wie schnell geht die Zeit vorbei! Man- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ches wendet sich zum Besseren.

(B) Vizepräsidentin Claudia Roth: Wir haben auf die Zeit vor 100 Jahren zurückgeblickt. (D) Vielen Dank, sehr geschätzter Kollege Lindner; ich Im Jahr 1914 begann in Europa der Erste Weltkrieg. Die- gebe das jetzt zurück. – Nächster Redner: Alois Karl für ser Krieg hat viele Opfer gefordert; es gab 20 Millionen die CDU/CSU-Fraktion. Tote. Die Diplomatie – so hat man gesagt – habe damals versagt, sowohl zu Beginn als auch zum Ende des Ersten (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Weltkrieges. Der Vertrag von Versailles hat wahrlich kei- Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]) nen Frieden gestiftet, sondern er hat die Auseinander- setzung erst weiter aufleben lassen. Nach dem Motto Alois Karl (CDU/CSU): „Vae victis“ haben dereinst die Vandalen die Römer er- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten niedrigt. Ähnliches hat man damals in der Diplomatie er- Damen und Herren Kollegen! Sehr geehrter Herr Bun- lebt. Heute wollen wir das alles besser machen. desaußenminister, lieber Herr Steinmeier! Die sehr Wir haben auf die Zeit vor 75 Jahren zurückgeschaut, geehrten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und insbeson- auf den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, der in einer dere Frau Staatsministerin Professor Böhmer und Staats- verheerenden Art und Weise, von Deutschland ausge- minister Michael Roth seien nun schon angesprochen; hend, die Welt in Brand gesetzt hat. ihnen sei, damit ich das nicht vergesse, von vornherein für die gute Zusammenarbeit gedankt, die wir in den Es gibt auch gute Zeiten, auf die wir zurückschauen letzten Wochen und Monaten gepflegt haben. konnten: Ich denke an die Zeit vor 25 Jahren, den Fall der Berliner Mauer 1989, der uns unglaubliche Freude Lieber Herr Dr. Lindner, das Rechnen ist nicht Ihre bereitet hat. ganz große Stärke. Ich denke daran, dass vor 25 Jahren in den Weingär- (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE ten in der Nähe von Sopron in Ungarn der Eiserne Vor- GRÜNEN]: Echt?) hang durch den Außenminister von Österreich, Alois Sie haben bestimmt viele Stärken, aber man hat an der Mock, und den Außenminister von Ungarn, Gyula Horn, einen oder anderen Stelle auch Schwächen. zum ersten Mal durchschnitten worden ist. Tausende von DDR-Flüchtlingen konnten den Weg in die Freiheit an- (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- treten. NEN]: Dann rechnen Sie einmal vor!) Ich habe mich auch sehr gefreut, dass wir in diesen Sie basteln sich hier zusammen, dass der Haushalt abge- Tagen an den sogenannten Baltischen Weg, an die Sin- nommen hat. Das ist schon ein Kunststück. Man kann gende Revolution gedacht haben, als sich etwa 1,5 Mil- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6545

Alois Karl (A) lionen Menschen von Tallinn in Estland über Riga in (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Was macht (C) Lettland nach Vilnius in Litauen die Hände gereicht und Seehofer?) bekundet haben, dass sie nicht mehr zum sowjetischen Reich gehören wollen, und das exakt 50 Jahre nachdem Die humanitären Hilfsmaßnahmen sind angesprochen 1939 der Hitler-Stalin-Pakt geschlossen worden ist und worden. Dort haben wir gut miteinander gearbeitet – da- man Osteuropa aufgeteilt und die Balten unter die Herr- rin beziehe ich auch die Kollegen Leutert und schaft der Russen bzw. Sowjets gestellt hat. Dr. Lindner ein, liebe Kollegin Barnett –, sodass wir die- sen Ansatz auf 400 Millionen Euro erhöhen konnten. Wir haben 25 Jahre Fall der Berliner Mauer gefeiert, Das ist nicht unbedingt ein Ausdruck großer Freude. Hu- und das war auch richtig so. Mehr als 1 Million Men- manitäre Hilfsmaßnahmen müssen nämlich nur deshalb schen haben am Brandenburger Tor gefeiert. Es haben ergriffen und der Haushaltsansatz muss so hoch gesetzt viele Feierlichkeiten stattgefunden. Ich weiß nicht, ob es werden, weil auf der Welt viel Leid geschieht und wir Ihnen ähnlich ergangen ist wie mir. In den vielen An- unsere Arbeit leisten müssen – beispielsweise bei der hu- sprachen war Helmut Kohl nur eine Fußnote und mehr manitären Ernährungshilfe und der Trinkwassernotver- nicht. Es war für mich und auch andere ein wenig be- sorgung. Wir helfen den Ärmsten der Armen, wenn es schämend, dass man sein Wirken nicht besser in den Re- darum geht, ihr blankes Überleben zu sichern – und dies den würdigen konnte. möglichst noch in Würde und Sicherheit. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe Dafür haben wir die Ansätze hochgefahren. Der Bun- auch daran gedacht, dass es einige Zeit her ist – 1973 –, desfinanzminister sagte sehr deutlich: Da wird es am seit das Bundesverfassungsgericht eine wegweisende Geld nicht fehlen. – Ich danke dem Bundesfinanzminis- Entscheidung getroffen hat. Die Bayerische Staatsregie- ter Schäuble, aber auch Ihnen, lieber Herr Kampeter, so- rung, angetrieben auch von dem damaligen CSU-Vorsit- wie Ihrem Kollegen Herrn Gatzer, mit dem wir manches zenden Franz Josef Strauß, hat damals das Bundesver- gut durchsetzen konnten, zum Beispiel, die Hilfe für die fassungsgericht angerufen, um klären zu lassen, dass Deutschen im Ausland drastisch zu erhöhen. Deutschland ungeteilt ist, dass wir ein Volk sind und alle Repräsentanten und Institutionen des Landes auf die Unsere Auswärtige Kulturpolitik ist bestens ausge- Einheit hinarbeiten müssen. Auch das war ein wichtiger stattet worden – auch ein Ausweis unserer Aktivitäten Punkt, der zu diesem Ereignis des 9. November geführt im Ausland. Der Kollege Gauweiler wird darauf in sei- hat. ner Rede, denke ich, noch profund eingehen. Goethe-In- stitut und Deutscher Akademischer Austauschdienst – Ich danke allen ganz herzlich, die in diesem Jahr gute alle sind bessergestellt als eigentlich erwartet, und wir deutsche Außenpolitik mitbetrieben haben. freuen uns, dass wir uns auch auf diese Art und Weise in (B) (D) Herr Bundesaußenminister, Sie sagten, die Welt sei der Welt gut darstellen können. aus den Fugen geraten. So hat es jedenfalls den An- (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. schein angesichts der Flüchtlingsströme aus dem Mittel- Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]) meerraum, die nach Europa drängen, sowie der Krisen- herde in der Ukraine, im Irak, in Syrien und anderen Meine sehr geehrten Damen und Herren, ein Punkt, Gegenden, die ich nicht alle aufzählen möchte, oder der mich sehr gefreut hat, ist, dass wir auch für den Er- auch auf der Krim. Auch wenn die Ereignisse auf der halt der deutschen Sprache und der deutschen Kultur in Krim jetzt ein gutes halbes Jahr her sind, müssen wir Rumänien einen kleinen Ansatz mit 750 000 Euro in den weiterhin sagen, dass es Unrecht war und bleibt und wir Haushalt einbringen konnten. Seit mehr als 1 000 Jahren die russische Politik des Sich-Einverleibens niemals gut- wird dort deutsche kulturelle Arbeit betrieben. Über heißen können. Was ist denn da schon ein halbes Jahr? Jahrhunderte wurden hervorragende deutsche Schulen Welche Geschichtsvergessenheit haben manche in unse- aufgebaut, die von Rumänen genauso besucht werden rem Lande heute und publizieren das auch noch! wie von Deutschen und die eine hohe Anerkennung ge- funden haben. Was die Siebenbürger Sachsen und die (Beifall bei der CDU/CSU) Banater Schwaben vor Jahrhunderten grundgelegt ha- Ich danke Ihnen, Herr Steinmeier, dass Sie in den Kri- ben, soll heute nicht geschliffen werden. Bis auf den sengebieten, gerade in der Ukraine, fast dauerhaft unter- heutigen Tag – nicht einmal Ceausescu und andere kom- wegs sind. munistische Führer haben gewagt, das einzuebnen – ist deren Situation hervorragend. Auch der neue Staatsprä- (Zuruf des Abg. Alexander Ulrich [DIE sident Iohannis war Schüler einer dieser Schulen und er- LINKE]) griff später den Beruf des Physikers. Das ist ja heute ein Mit diesen Reisen übertreffen Sie ja fast schon Hans- Ausweis für höchste Ämter in der Politik. Dietrich Genscher mit seiner „Pendeldiplomatie“. Wir (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) müssen einen langen Atem haben, darin gebe ich Ihnen recht. Ich denke auch, dass die deutsche Politik gut bera- Er hat uns bei unserem Besuch gezeigt, wie toll sich die ten ist, gemeinschaftlich aufzutreten. Ich danke der Dinge auch in einem früher sozialistischen Land wie Ru- Bundeskanzlerin, dass sie eindeutig gesagt hat, dass zwi- mänien entwickeln können. Ich danke dir, lieber Kollege schen dem Bundesaußenminister und ihr keine Differen- Christoph Bergner, dass du mir da auch ein bisschen den zen bestehen, sondern dass wir eine Außenpolitik „aus Weg gewiesen hast. Ich wäre von mir aus nicht darauf einem Guss“ betreiben. gekommen, dass wir diesen Ansatz wählen müssen, da- 6546 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014

Alois Karl (A) mit wir in diesem Land, das ja mittlerweile zur EU ge- ternationalen Politik im Augenblick nicht zu berichten. (C) hört, Fuß fassen und präsent sind. Deshalb kommt es umso mehr darauf an, dass man sich der wenigen Sternstunden, die es in diesem Jahr gegeben Ich danke auch dir, liebe Kollegin Barnett, herzlich, hat, noch einmal vergewissert. Ich finde, es war schon dass du nicht lange Widerstand geleistet hast, als es da- eine Sternstunde, als hier in Berlin vor zweieinhalb Wo- rum gegangen ist, die Internationale Akademie Nürnber- chen Tausende von weißen Ballons in den Abendhimmel ger Prinzipien mit zu unterstützen. Diese Stiftung wird stiegen und uns noch einmal daran erinnert haben, dass in diesem Jahr mit 1,9 Millionen Euro gefördert. Ich war dieser Tag vor 25 Jahren ein wirklicher Glücksmoment am letzten Samstag in Nürnberg. Ein Ministerialdirektor in der deutschen Geschichte war und dass wir uns dessen Ihres Hauses hat den Bund vertreten. Der Freistaat Bay- wirklich sicher und gewiss sein sollen. ern war mit zwei Ministern, die Stadt Nürnberg mit dem Oberbürgermeister vertreten. Mir kam gerade der Ge- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem danke: Die Präsenz der jeweiligen Träger der Stiftung BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) verhält sich geradezu reziprok zu ihrem finanziellen Engagement. Ich sage das nicht ohne Grund ganz am Anfang. Für mich und meine Generation ist es ja so, dass einem an ei- (Doris Barnett [SPD]: Genau!) nem solchen Tag noch einmal klar wird: Wir, die wir Auf gut Deutsch heißt das: Je mehr einer zahlt, desto we- nach dem Krieg geboren sind und heute an unterschiedli- niger dominant ist er vertreten. chen Stellen Verantwortung tragen, sind diejenigen, die von der Geschichte begünstigt sind. Wir durften sieben Wir haben dort in der Tat eine ganz hervorragende Jahrzehnte in einem Europa ohne Krieg leben. Uns sollte Einrichtung, die die Fortentwicklung des Völkerrechtes bewusst sein, dass das auf ganz vieles zurückzuführen und des Völkerstrafrechtes dokumentiert. Was 1945/46 ist, vor allen Dingen auf mutige Bürgerinnen und Bürger in den Nürnberger Prozessen begonnen worden ist, ist in vielen Staaten Osteuropas, besonders in der früheren heute Grundsatz jeglicher völkerrechtlichen Rechtspre- DDR, dass das aber auch auf viele Generationen Außen- chung auf der gesamten Welt: Keine Einzelperson kann politik zurückgeht, die uns diesem Ziel, nämlich dem sich mehr darauf berufen, dass sie eigentlich nach einem Fall der Mauer, über die Jahre hinweg nähergebracht hat. formalen Gesetz gehandelt habe. Über dem formalen Gesetz steht das Recht; nicht das Recht des Stärkeren, Was sagt uns das heute, meine Damen und Herren? sondern das Recht ist ausschlaggebend. Keiner, der in Aus meiner Sicht, dass wir, die wir heute miteinander der Politik, in einer Staatsführung oder als Leiter einer Verantwortung tragen, uns nicht nur der Erinnerung an militärischen Einheit tätig ist, kann sich damit herausre- das Glück, das wir alle miteinander gehabt haben, versi- den, dass er aufgrund eines Befehls oder eines formellen chern dürfen, sondern dass wir dieses Glück als histori- (B) Gesetzes gehandelt habe. sche Verantwortung, als historische Pflicht begreifen (D) müssen, nie wieder zuzulassen, dass dieses Europa an anderer Stelle neu gespalten wird. Das ist unsere Verant- Vizepräsidentin Claudia Roth: wortung. Herr Kollege! (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem Alois Karl (CDU/CSU): BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich danke für den Hinweis und komme zum Ende. – Dazu brauchen wir aktive Außenpolitik. Gleich zu Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich danke Ih- Beginn meiner Rede will ich diesem Hohen Haus mei- nen ganz herzlich, dass wir in dieser kollegialen Art den nen Dank dafür aussprechen, dass es die Bemühungen Haushalt aufstellen konnten, dass wir auch für das unserer Außenpolitik ausdrücklich unterstützt, und zwar nächste Jahr dem Außenminister das finanzielle Rüst- nicht nur rhetorisch, dass diese Unterstützung ihren Nie- zeug geben, eine gestaltende Außenpolitik aus Deutsch- derschlag auch im Haushalt findet. Mein Dank gilt na- land für Europa und in der Welt zu machen. türlich ganz besonders den Berichterstattern, die eben Ich danke sehr herzlich und bitte Sie um Zustimmung geredet haben, Doris Barnett, Alois Karl, Michael zu unserem Haushalt. Leutert, Tobias Lindner, für konstruktive Diskussionen, die wir lang und ausführlich miteinander geführt haben, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) und für hilfreiche Ergebnisse. Ihnen danke ich stellver- tretend für das ganze Parlament. Ich sage aufrichtig: Vizepräsidentin Claudia Roth: Herzlichen Dank für Ihre Unterstützung, meine Damen Vielen Dank, Kollege Alois Karl. – Unser nächster und Herren. Redner in der Debatte ist Bundesaußenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) GRÜNEN) Diesen Dank beziehe ich ganz besonders auf zwei Be- Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des reiche, die meistens im Schatten der öffentlichen Debat- Auswärtigen: ten stehen: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Alois Karl hat es eben gesagt: Viel Gutes, viel Erfreuli- Das gilt erstens für die humanitäre Hilfe, die Sie alle ches ist aus den internationalen Beziehungen, aus der in- auf unterschiedliche Weise angesprochen haben. Wir Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6547

Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier (A) dürfen unseren Blick nicht abwenden vom Elend in die- der Welt geschaffen haben, in denen junge Leute zum (C) ser Welt. Wir sind uns gewiss: Wir werden es alleine ersten Mal mit deutscher Sprache, auch mit deutschen nicht abwenden, aber wir müssen unseren Teil beitragen, Wertvorstellungen in Berührung kommen. Das alles ist unerträgliches Leid wenigstens zu mindern. Seien es die nur möglich aufgrund der Haushaltsausstattung, die Sie Flüchtlinge aus Syrien, seien es die Opfer des IS-Terrors uns gewähren. Deshalb auch dafür meinen ganz herzli- im Nordirak, seien es die Menschen in der Ostukraine chen Dank. oder seien es die Gesellschaften in Westafrika, die vom Ebolavirus immer noch heimgesucht werden – ihnen al- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten len kommt die humanitäre Hilfe zugute, für die Sie die der CDU/CSU) Mittel im Haushalt immerhin verdoppelt haben. Dafür danke ich ganz herzlich. Ich fange mit den Punkten an, die positiv sind. Aber ich kann natürlich nicht über Folgendes hinwegsehen: (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Die Welt ist eine andere geworden. Sie ist schwieriger denn je. „Eine Welt aus den Fugen“, habe ich an anderer Der zweite Bereich, den ich hervorheben möchte, der Stelle gesagt. Die Bilder aus den Konfliktgebieten, die ebenfalls regelmäßig unter den Tisch fällt, wenn wir im uns jeden Abend in unseren Wohnzimmern erreichen, Deutschen Bundestag über Außenpolitik reden, ist die sind unerträglich. Auch wenn ich täglich damit zu tun Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik. Ich will das habe, verstehe ich natürlich den Ruf der Menschen, die ausdrücklich sagen: Das ist nicht ein „nice to have“, das uns auf unterschiedliche Art und Weise kundtun: Jetzt ist nicht einfach eine nette Draufgabe, sondern das ist ein tut endlich etwas, damit diese Konflikte gelöst werden. Teil der Außenpolitik, für den es einen dringenden Be- darf gibt, der sogar von Jahr zu Jahr weiter wächst. Viele haben den Eindruck, bei der Außenpolitik dau- Schaut man nur auf die gefährlichsten Konflikte um uns ert alles viel zu lange. Das stimmt auch. Es dauert häufig herum – ob Syrien, ob Irak, ob Naher Osten oder Nord- viel zu lange, bis sich Engagement und Aktivität wirk- afrika –, stellt man fest, dass es in jedem dieser Konflikte lich positiv bemerkbar machen. Aber diejenigen, die hier eigentlich weniger um die klassischen politisch-territoria- sind, wissen: Man muss manchmal mit dem Ansatz her- len Auseinandersetzungen geht. Alle diese Konflikte angehen, dass bei sehr festgefahrenen Konflikten die sind mindestens überlagert von religiösen, ethnischen Aufgabe der Außenpolitik eben auch darin besteht, oder kulturellen Konflikten, die wir – das ist mein Plä- Schlimmeres zu verhüten und einen noch schlimmeren doyer – wenigstens verstehen sollten, bevor wir uns ent- Zustand nicht eintreten zu lassen. Mit dem Vorwurf, dass scheiden, ob und auf welcher Seite des Konfliktes wir es zu lange dauert, kann ich also leben. uns engagieren. Mit dem anderen Vorwurf, dass Außenpolitik eigent- (B) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (D) lich ein vergebliches Unterfangen ist, kann ich schon der CDU/CSU) weniger leben. Man betrachte nur einmal ein Wochen- – Danke. – Die Langzeitfolge der militärischen Interven- ende wie das, das wir gerade in Wien erlebt haben. Na- tion im Irak sollte uns – das wird deutlich, wenn wir uns türlich sage auch ich mir: Mein Ehrgeiz und meine Er- das noch einmal genau anschauen – eigentlich eine wartungen an die Verhandlungen mit dem Iran, die zum Lehre sein. Wiederholungen dieser Art müssen für die Ziel haben, den Atomkonflikt endlich zu Ende zu brin- Zukunft jedenfalls vermieden werden. gen, waren größer. Es hat aber nicht sollen sein. Es hat nicht gereicht. Wir sind nach drei Tagen und zwei Näch- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ten Verhandlungen nicht an den Punkt gekommen, wo der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- wir hätten sicher sein können, dass alle Nebenwege und NISSES 90/DIE GRÜNEN) Umleitungen, vielleicht doch zur Atombombe zu kom- Gerade weil sich die Welt nicht mehr allein um die men, ausgeschlossen sind. Dennoch würde ich nicht un- europäische Sonne dreht, sondern weil China, Indien, terschreiben, dass Außenpolitik deshalb vergeblich ist. Südamerika und Afrika mit großem Selbstbewusstsein Man muss vielmehr versuchen – das ist immerhin ge- mit Blick auf die eigene Geschichte, Kultur und Philoso- schehen –, auch über drei Tage und zwei Nächte die un- phie in der Welt auftreten, müssen auch wir – auch das terschiedlichen Positionen ein ganz kleines Stück zuein- ist Teil von Auswärtiger Kultur- und Bildungspolitik – anderzubringen. unsere Werte und unsere Überzeugungen besser ver- ständlich machen, als wir das in der Vergangenheit, viel- Rückblickend auf die letzten zehn Jahre sage ich: Wir leicht in großer Selbstsicherheit, getan haben. haben im letzten Jahr mehr geschafft als in den neun Jah- ren zuvor. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass die Lö- Mit diesem Haushalt stärken wir nicht nur das Flagg- sung nicht unmöglich, sondern immer noch möglich ist. schiff der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik, das Deshalb habe ich der Verlängerung der Frist für die Ver- Goethe-Institut, das jetzt endlich einigermaßen ordent- handlungen um ein weiteres Vierteljahr und dann um lich ausgestattet ist. Dadurch, dass wir dem Deutschen zwei weitere Monate für die technischen Details aus- Akademischen Austauschdienst neue Stipendienmög- drücklich zugestimmt. Ich bleibe zuversichtlich, dass das lichkeiten zur Verfügung stellen, können wir auch mehr am Ende kein ganz unlösbarer Konflikt ist. junge Leute aus aller Welt zu uns holen. An anderer Stelle habe ich gesagt: Man darf den Erfolg nicht unter (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie den Tisch fallen lassen, dass wir innerhalb der letzten bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE sechs Jahre ungefähr 1 500 Partnerschulen überall auf GRÜNEN) 6548 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014

Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier (A) Mit Blick auf einige Krisenbilder und langandauernde Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE (C) Auseinandersetzungen – Syrien ist vielleicht eine davon, GRÜNEN): ebenso die Ukraine – ziehen viele Leute gelegentlich den Lieber Herr Außenminister, lieber Frank-Walter gefährlichen Schluss: Wenn man sich die Bilder ansieht, Steinmeier, ich möchte hier sehr deutlich machen, dass ich dann denkt man, dass das doch alles überflüssig ist. Die mich für eine Reform des Petersburger Dialogs ausge- Leute hören doch in Wahrheit nicht auf Sie. – Es stimmt: sprochen habe, immer für eine Reform und nie für seine Der Gipfel von Vilnius liegt nun schon ein Jahr zurück. Abschaffung; nur damit das hier in diesem Haus klar ist. Seither ist der Ukraine-Konflikt durch viele Aggregat- zustände gegangen: von den bürgerkriegsähnlichen Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des Verhältnissen in Kiew über die völkerrechtswidrige An- Auswärtigen: nexion der Krim bis hin zur gewaltsamen Auseinander- Herzlichen Dank für die Frage. setzung und Gewaltexzessen in der Ostukraine. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Trotzdem, sage ich Ihnen, darf Außenpolitik sich nie Abgeordneten der CDU/CSU und der LIN- in den Zustand der Aussichtslosigkeit begeben. Das war KEN – Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Es auch der Grund, weshalb ich jetzt noch einmal nach muss ja keine Frage sein!) Kiew und Moskau gefahren bin und eines der 100 Ge- spräche, von denen die Kanzlerin heute Morgen gespro- Vizepräsidentin Claudia Roth: chen hat, geführt habe. Ich glaube, wir haben gar keine Sie kann auch eine Bemerkung machen; das sieht un- andere Möglichkeit, als mit den Konfliktparteien Einver- sere Geschäftsordnung vor. nehmen darüber zu erzielen, dass das einzige Dokument, das im direkten Gespräch miteinander wirklich erreicht Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des worden ist, nämlich die Minsker Vereinbarung, nicht der Auswärtigen: Geschichte überantwortet wird, sondern dass wir noch Herzlichen Dank. – Das gibt mir die Gelegenheit, da- Anstrengungen unternehmen müssen, sie wirklich zur rauf hinzuweisen, dass die Antwort in meiner Rede noch Grundlage der Entschärfung des Konfliktes und hoffent- gekommen wäre. Ich hätte nämlich als nächsten Satz ge- lich anschließend zur Grundlage für politische Lösungen sagt: Ich bin Gast beim Petersburger Dialog. Deshalb zu machen. steht es mir überhaupt nicht zu, irgendwelche Empfeh- lungen zu geben. Aber ich bin daran interessiert, dass (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie dieses Dialogformat aufrechterhalten wird. Natürlich ist bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE es überhaupt nicht verboten, über Veränderungen und GRÜNEN) Modernisierungen nachzudenken. Was ich nur nicht (B) möchte, ist, dass aus dem Petersburger Dialog ein Berli- (D) Die schwierige Aufgabe, die Ukraine zu stabilisieren, ner Monolog wird. Dann haben wir nämlich nichts ge- liegt vor uns – ökonomisch und politisch eine große wonnen, meine Damen und Herren. Aufgabe, die wir in Europa zu schultern haben. Das Ver- hältnis zu Russland wird sicherlich neu vermessen wer- (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie den müssen. Wo wir in 10 oder 15 Jahren stehen, wie die bei Abgeordneten der CDU/CSU) europäische Sicherheitsarchitektur dann aussieht, weiß In diesem Sinne bitte ich, bei all dem, was da auf dem auch ich nicht. Ich bin mir nur gewiss: Es wird über- Weg ist, auch die Interessen deutscher Außenpolitik mit haupt nur dann eine Sicherheitsarchitektur geben, wenn im Auge zu behalten. wir nicht sämtliche Gesprächsformate, die jetzt noch zur Verfügung stehen – es sind wenige –, entwerten und in Vielen Dank. den Mülleimer der Geschichte werfen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Das gilt für vieles. Das gilt, wenn ich das sagen darf, Vizepräsidentin Claudia Roth: Marieluise Beck, auch für den Petersburger Dialog. Mir Vielen Dank, Frank-Walter Steinmeier. – Nächster ist völlig klar: In dem Maße, in dem der gesellschaftliche Redner in der Debatte: Jan van Aken für die Linke. Freiraum in Russland in den letzten Jahren kleiner ge- worden ist, ist der Dialog schwieriger geworden. (Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Claudia Roth: Jan van Aken (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich Erlauben Sie eine Zwischenfrage oder Bemerkung finde ja, dass die deutsche Außenpolitik gerade ein der angesprochenen Kollegin? ziemlich trauriges Bild abgibt. Es lässt auch tief blicken, Herr Steinmeier, dass Ihr Koalitionskollege Herr Karl Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des Sie gerade loben wollte und das Einzige, was ihm ein- Auswärtigen: fiel, war: Sie reisen viel. – Reisen ist schön. Aber ich finde, das reicht nicht. Was mir wirklich fehlt, ist eine Bitte. Veränderung der deutschen Außenpolitik. Wir brauchen endlich eine echte Friedenspolitik, Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE Frau Beck. LINKE]) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6549

Jan van Aken (A) vor allen Dingen eine Sicherheitspolitik, die Sicherheit Zweites Beispiel: Syrien und Irak. Auch in Syrien und (C) nicht immer nur militärisch denkt, im Irak zeigt sich, dass Sie überhaupt keine Vorstellung davon haben, wie man einem gewalttätigen Konflikt zi- (Beifall bei der LINKEN) vil – nicht gewalttätig – begegnen könnte. Der Bürger- und eine Außenpolitik, die nicht immer nur mit der krieg in Syrien dauert jetzt vier Jahre. Die Bundesregie- Waffe in der Hand und dem Panzer im Kopf gedacht rung hat in dieser ganzen Zeit wenig für eine friedliche wird. Ich möchte drei Beispiele für Fälle, in denen Sie Lösung getan, aber sie hat die Bundeswehr und Patriot- genau das tun, ansprechen. Raketen in die Türkei geschickt. Sie alle hier wissen – gerade Ihre Verteidigungspolitiker –: Eine militärische Das erste Beispiel: Afghanistan. 13 Jahre NATO- Notwendigkeit dafür gab es nie. Das war immer nur ein Krieg haben dem Land keinen Frieden, keinen sozialen politisches Signal und eine politische Unterstützung der Fortschritt, keine stabile Demokratie, keine Rechtsstaat- Erdogan-Regierung in der Türkei, also für eine Regie- lichkeit gebracht. Sie alle hier im Raum wissen genauso rung, die im Moment ganz sicher nicht Teil der Lösung, gut wie ich, dass Ihr Krieg in Afghanistan komplett ge- sondern Teil des Problems in der Region ist. scheitert ist. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Mit der Bundeswehr und den Patriot-Raketen unter- Deshalb haben Sie uns jahrelang den Abzug Ende stützen Sie noch immer eine türkische Regierung, die ra- 2014 versprochen. Aus meiner Sicht war schon das viel dikale Dschihadisten in Syrien unterstützt – das wissen zu spät, aber nicht einmal das halten Sie ein. Es sollen Sie –, die bis heute lieber gegen Kurdinnen und Kurden noch 850 Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan blei- als gegen den sogenannten „Islamischen Staat“ kämpft ben. Dann fügen Sie hinzu: Das ist ja nur für Ausbil- und die die nordsyrischen Gebiete mit einem kompletten dungszwecke. – Wen wollen Sie damit eigentlich hinters Embargo belegt. Hier kommen keine einzige Tablette Licht führen, Herr Steinmeier? Die Öffentlichkeit, uns und keine einzige Hilfelieferung durch. Diese türkische hier im Parlament oder sich selbst? Denn Sie verschwei- Regierung unterstützen Sie! Das machen Sie mit! Sie gen dabei immer, dass die Bundeswehr ja nicht allein in selbst, Herr Steinmeier, verweigern sogar medizinische Afghanistan ist, sondern Seite an Seite mit 10 000 ameri- Hilfe für die Kurdinnen und Kurden in Nordsyrien. Ich kanischen Soldaten kämpfen wird. Die haben einen bin fassungslos und frage mich, was das eigentlich für Kampfauftrag, und mit dem gehen sie dort in den eine Außenpolitik ist, die an die einen Kurden im Nord- Kampf. Da immer nur von Ausbildung zu reden, ist doch irak Waffen liefert, den anderen Kurden in Nordsyrien verlogen. aber nicht einmal Medikamente liefern will. Das ist das (B) Gegenteil von menschlicher Außenpolitik. (D) (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Vor allen Dingen: Reden Sie bitte nicht mehr vom zi- Wie brutal Sie gelegentlich sein können, zeigt mein vilen Aufbau in Afghanistan; denn der findet mit der drittes Beispiel, nämlich Ihr Umgang mit den Flüchtlin- Bundeswehr nicht statt. Wenn Sie weiterhin zivile Hilfe gen im Mittelmeer, die vor Krieg, Gewalt, auch vor deut- und Militär miteinander verkoppeln, dann wird es keine schen Waffen und vor Armut flüchten. Sie alle wissen: neutrale, humanitäre Wiederaufbauhilfe in Afghanistan Es gab ein italienisches Programm zur Seenotrettung geben. Das sagen Ihnen alle Entwicklungshelfer, das sa- von Flüchtlingen im Mittelmeer. Das Programm hieß gen auch alle Aufbauorganisationen, und Sie wissen das. „Mare Nostrum“. Das hat in einem einzigen Jahr Auch Sie kennen Herrn Erös – er ist ein ehemaliger Bun- 130 000 Menschen im Mittelmeer vor dem Ertrinken ge- deswehrsoldat –, der dort seit zehn Jahren Schulen auf- rettet. Das Programm musste aus Geldmangel eingestellt baut und immer und immer wieder sagt: Bringt unsere werden, weil kein einziger EU-Staat bereit war, das mit- Schulen im Taliban-Gebiet nicht mit westlichen Solda- zufinanzieren. Auch die Bundesregierung war nicht be- ten in Verbindung. Nur so, nur ohne Militär, können wir reit, nur einen einzigen Cent für dieses Programm „Mare Mädchen- und Jungenschulen mitten im Taliban-Gebiet Nostrum“ zur Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer aufbauen. auszugeben. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Zu- Das heißt, wenn Sie wirklich Wiederaufbau und humani- rufe von der LINKEN: Schande!) täre Hilfe wollen, dann geht das nicht mit der Waffe in Auch Sie, Herr Steinmeier, sind mit schuld, wenn das der Hand und mit dem Panzer im Kopf. Mittelmeer zum Friedhof für viele Menschen wird. (Beifall bei der LINKEN) (Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Das ist unverschämt! – Gunther Krichbaum [CDU/ Herr Steinmeier, Sie haben hier gesagt, man müsse CSU]: Das ist eine bodenlose Unverschämt- doch auch einmal die Lehren aus dem Irakkrieg 2003 heit! Sie überschreiten eine Grenze! Das ist ziehen. Dann tun Sie das doch endlich! Wo ist denn der eine Frechheit, was Sie hier abliefern!) Unterschied zwischen den desaströsen Ergebnissen des Irakkriegs 2003 und Ihrem Einsatz in Afghanistan? Hier Am meisten regt mich auf – gerade jetzt, da sich die gibt es doch keinen Unterschied. Die Situation der Men- Verteidigungspolitiker, die Kriegspolitiker der CDU/ schen ist in beiden Ländern katastrophal. CSU aufregen –: Für die Flüchtlinge im Mittelmeer ha- 6550 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014

Jan van Aken (A) ben Sie kein Geld, aber hier um die Ecke, am Bahnhof (Jan van Aken [DIE LINKE]: Nein, ich möchte (C) Friedrichstraße, in der besten Lage im Berliner Zentrum, von Ihnen eine Erklärung!) haben Sie gerade zu horrenden Kosten ein Rekrutie- rungsbüro für die Bundeswehr eröffnet. Nächster Redner ist Philipp Mißfelder für die CDU/ CSU-Fraktion. (Beifall bei der LINKEN – Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: So ein Schwachsinn! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Sie haben ganz andere Friedhöfe!) neten der SPD) Der Werbeetat der Bundeswehr – ich weiß, das ist nicht Ihrer – beträgt 35,5 Millionen Euro. Das Geld würde Philipp Mißfelder (CDU/CSU): locker ausreichen, um davon Ihren Beitrag für „Mare Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- Nostrum“ zu zahlen und damit 130 000 Menschen zu gen! Zunächst einmal bin ich über die einordnenden retten. Sie machen hier aber lieber eine Showveranstal- Worte der Parlamentspräsidentin sehr froh. Ich hoffe, tung, um junge Menschen zur Armee zu ziehen. dass sich auch diejenigen, die am 5. Dezember im Land- tag von Thüringen zusammenkommen, gut überlegen, (Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Ihre Partei ob man mit Vertretern einer solchen Partei wirklich eine hat früher in der DDR die Friedhöfe geschaf- Koalition bilden will. fen! Das ist doch die Wahrheit! Sie sind doch der Friedhofsschaffer! Blanker Zynismus!) (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN) Das kommt dabei heraus, wenn man manchmal nur den Panzer im Kopf und das Gewehr in der Hand hat und Herr van Aken, alles, was Sie gesagt haben, war keine menschliche Außenpolitik betreibt. falsch. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Andreas (Beifall bei der CDU/CSU) Schockenhoff [CDU/CSU]: Zynisch!) Das, was Sie über Afghanistan gesagt haben, war inhalt- Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland lich falsch. Auch das, was Sie zu den Auslandseinsätzen keine Waffen mehr exportieren sollte. der Bundeswehr und zu den zivilen Maßnahmen gesagt haben, die wir flankierend durchführen, war falsch. Im Herr Steinmeier, Ihr Kollege, Ihr Wirtschaftsminister, Ihr Vizekanzler, Ihr SPD-Vorsitzender, hat vor einem Rahmen der Vorbereitung des Afghanistan-Mandats dis- Jahr noch ganz laut getönt: Wir brauchen Beschränkun- kutieren wir ausführlich über das, was wir im zivilen Be- gen bei den Waffenexporten. – Jetzt, nach einem Jahr, ist reich mit einem langfristigen Commitment zusätzlich machen können, und da sagen Sie: Sie haben nur Panzer (B) er vor der Rüstungslobby und der Kanzlerin komplett (D) eingeknickt. Es gibt in der Waffenexportpolitik nicht im Kopf. – Das finde ich nicht richtig. Ehrlich gesagt, einmal mehr ein Reförmchen. Der Vorsitzende des Ver- glaube ich, dass so etwas in Haushaltsdebatten noch teidigungsausschusses, Hans-Peter Bartels – auch von nicht geäußert worden ist. Wir haben bisher hier immer der SPD –, hat das gestern vor der gesamten versammel- vernünftig miteinander diskutiert. Wir kennen Ihre Posi- ten deutschen Rüstungsindustrie noch einmal versichert. tion, und Sie kennen unsere Position. Wir schließen mili- tärische Maßnahmen als äußerstes Mittel von Politik nicht aus, aber sie sind nicht zentraler Bestandteil unse- Vizepräsidentin Claudia Roth: rer außenpolitischen Agenda. Denken Sie bitte an Ihre Redezeit. (Widerspruch der Abg. Heike Hänsel [DIE Jan van Aken (DIE LINKE): LINKE] und Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Wörtlich hat er gesagt: Die Regeln für Rüstungs- Ich möchte in dieser Haushaltsdebatte an das anknüp- exporte werden nicht verändert. – Hier haben Sie aber fen, was auf der Münchener Sicherheitskonferenz von wirklich ein Problem mit Ihrem Panzer im Kopf. drei Rednern angesprochen worden ist. Darüber gab es (Beifall bei der LINKEN) eine ausführliche und kontroverse Diskussion. Die Mit- glieder des Auswärtigen Ausschusses haben vor ein paar Wochen die Gelegenheit gehabt, mit dem Bundespräsi- Vizepräsidentin Claudia Roth: denten zusammenzutreffen. Ich bin froh, dass es bei die- Man kann sich in diesem Haus trefflich streiten, und ser Diskussion zu einer klaren Absage an alle unterstell- diese parlamentarische Debatte lebt auch von einer Kon- ten Tendenzen kam – zum Teil gab es diese Misstöne im troverse. Den Außenminister aber mitverantwortlich für Umfeld der Konferenz –, nämlich dass es nicht um den das Sterben im Mittelmeer zu machen, halte ich für un- – ich zitiere den Bundespräsidenten – „Ansatz eines wil- zulässig. helminischen Deutschlands“ geht. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem Wenn ich über mehr Verantwortung nachdenke, dann BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jan van Aken heißt für mich „mehr Verantwortung“ definitiv nicht [DIE LINKE]: Ich möchte eine Erklärung! – „mehr Soldaten“, sondern vor allem mehr Koordinie- Gegenruf des Abg. Dr. Andreas Schockenhoff rung. Damit komme ich zu einem Thema, das die Union [CDU/CSU]: Du hast doch selber geredet! Da kannst du keine Kurzintervention machen!) seit langer Zeit beschäftigt. Als Franz Josef Jung als Ver- teidigungsminister in der NATO das Konzept des Com- – Das können Sie nachher machen. prehensive Approach durchgesetzt hat, haben wir uns im Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6551

Philipp Mißfelder (A) Rahmen des Weißbuchprozesses sehr viele Gedanken Selbst wenn sie in den letzten Monaten in der einen (C) gemacht und uns gefragt: Wie kann vernetzte Sicherheit oder anderen Schlacht auf der richtigen Seite gestanden erreicht werden? Was müssen wir dafür tun? Der Begriff hat, entsprechen die Ziele der PKK nach wie vor denen von der vernetzten Sicherheit passt sehr gut in die De- einer Terrororganisation. Wenn wir unser partnerschaft- batte um mehr Verantwortung. Dadurch wird deutlich, liches Verhältnis mit der Türkei, die wir aufgrund ihrer dass die verschiedenen Maßnahmen, die wir wählen, zu- Schlüsselstellung in der Region brauchen, fortsetzen sammenpassen. Aber sie müssen noch stärker – und da wollen, dann muss man die Warnungen, die aus der Tür- können wir sicherlich noch mehr tun – aufeinander abge- kei in Richtung PKK kommen, nach wie vor sehr ernst stimmt werden. nehmen. Dann darf man nicht einfach sagen: Wir diffe- renzieren gar nicht mehr zwischen den kurdischen Grup- Es geht nicht nur um militärische Komponenten, son- pierungen und sponsern alle. – Der Meinung bin ich dern es geht auch darum: Wie kann man die Nutzung des nicht. Ich glaube, das, was wir getan haben, war richtig, äußersten Mittels von Politik, nämlich militärische Ein- und schließe nach wie vor aus, der PKK in irgendeiner sätze, mit diplomatischen Maßnahmen flankieren? Wie Form Waffen zur Verfügung zu stellen. kann man sich langfristig zu seiner Verantwortung be- kennen: für ganze Regionen, für einzelne Länder oder für Gruppierungen in Ländern? Das geht durch die Ent- Vizepräsidentin Claudia Roth: wicklungszusammenarbeit sehr gut. Wie kann man ins- Herr Mißfelder, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder gesamt dafür sorgen, dass staatliche Strukturen über- Bemerkung des Kollegen Liebich? haupt entstehen? Als wir hier vor kurzem über Afrika diskutiert haben, Philipp Mißfelder (CDU/CSU): haben wir alle festgestellt, dass die Bundesrepublik Herr Liebich? – Ja. Deutschland im Bereich der Polizeiausbildung mehr (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU leisten kann. Daher müssen wir uns fragen: Wo können und SPD) wir Optimierungen durchführen? Ich bin froh, dass diese Debatte um mehr Verantwortung begonnen hat, selbst – Herr van Aken hat ja schon so viel geredet. wenn ich erst einmal sehr kritisch war; denn viele hatten den Eindruck, mehr Verantwortung würde automatisch Vizepräsidentin Claudia Roth: zu mehr Mandaten führen – das ist aber nicht passiert –, Es ist sein Recht. Er kann entscheiden, bei wem er es worüber wir hier in den Monaten danach sehr nüchtern zulässt und bei wem nicht. – Herr Liebich, bitte. und abwägend diskutiert haben. Darüber bin ich froh. Ich glaube, dass es dazu sehr viele Beiträge aus diesem (B) (D) Hause gab. Stefan Liebich (DIE LINKE): Es ist sehr nett, dass Sie das zulassen. Ich bin mir si- Wenn wir auf dieses Jahr zurückblicken, dann sollten cher, Sie hätten es auch bei jedem anderen Kollegen oder wir nicht nur im Blick haben, was uns – mit einigen Ab- jeder anderen Kollegin meiner Fraktion zugelassen. stufungen – fast jeden Tag beschäftigt, beispielsweise die Ukraine oder auch der Nahost-Konflikt – gestern standen Die Frage bezieht sich auf den Abschnitt Ihrer Rede, die Verhandlungen mit dem Iran im Mittelpunkt –, son- den wir gerade gehört haben. Sie haben begründet, wa- dern wir sollten uns auch daran erinnern, dass wir dieses rum es richtig ist, nur an einen Teil der kurdischen Jahr eine sehr große und wichtige Entscheidung gefällt Kämpferinnen und Kämpfer Waffen zu liefern. Wie ge- haben. Diese Entscheidung wurde von einer Vertreterin hen Sie aber damit um, dass die Kämpferinnen und der Bundesregierung als „Tabubruch“ bezeichnet; sie ist Kämpfer der Peschmerga nunmehr zu den Kämpfern der keinem leicht gefallen. Wir haben damals im Sommer PKK gekommen sind und gesagt haben: „Wir stehen an mehrere Sondersitzungen des Auswärtigen Ausschusses eurer Seite und unterstützen euch; wir kämpfen mit euch durchgeführt und auch eine Sondersitzung im Plenum zusammen und haben auch Waffen dabei“? Wie wollen abgehalten, die rechtlich zwar nicht notwendig war, aber Sie sicherstellen, dass die Waffen, die die Bundesregie- politisch doch den entsprechenden Rahmen gesetzt hat, rung an die Peschmerga-Kämpfer geliefert hat, nicht im um diese wichtige Entscheidung abzusichern. Ich meine Kampf an der Seite ihrer Brüder und Schwestern in Rod- die Lieferung von Waffen in den Nordirak, nach Kurdis- schawa eingesetzt werden? tan; auch Sie haben das angesprochen, Herr van Aken. Wir haben uns gut überlegt, an wen wir Waffen liefern. Philipp Mißfelder (CDU/CSU): Wenn wir jetzt eine Zwischenbilanz ziehen, was diese Grundsätzlich bin ich der Meinung – wir haben uns Waffenlieferungen und unsere Maßnahmen, um Kurdis- damit ausführlich beschäftigt –, dass es in den Kurden- tan und Nordirak zu unterstützen, angeht, dann muss ich gebieten insgesamt dringend einer Militärreform bedarf. sagen: Ich bin froh, dass wir dieses Mittel so begrenzt Wir wollen nicht, dass perspektivisch weiterhin jeder eingesetzt haben. Ich bin froh, dass wir im Nordirak und Stamm quasi über seine eigenen Einheiten verfügt. Viel- in Kurdistan verlässliche Partner gefunden haben. Ich mehr wären an dieser Stelle Zentralisierung und Demo- bin auch froh, dass wir die rote Linie gezogen haben, der kratisierung dringend geboten. PKK keine Waffen zur Verfügung zu stellen. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Jan van Aken [DIE LINKE]: Ich habe über NEN]: Die Lieferungen sind aber vorher er- Medikamente geredet!) folgt!) 6552 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014

Philipp Mißfelder (A) – Ja, weil Gefahr in Verzug war, Herr Nouripour. Wir danke ich dir ganz besonders –, dass die Vertreter der (C) standen im August bzw. Anfang September vor einer Religion, die vor allem unser Land geprägt hat, in ihren schwierigen Entscheidung: Entweder existiert Kurdistan Heimatländern einen sicheren Hafen und viel Unterstüt- weiter, oder Kurdistan wird von ISIS überrollt. In dieser zung von außen bekommen. Uns kann es nicht egal sein, Situation haben wir uns für diesen schwierigen Weg ent- wie Christen im Nahen Osten präsent sind und dass schieden, der – das beantwortet zum Teil Ihre Frage – Städte, die über Jahrtausende durch die Gemeinsamkeit von Anfang an das Risiko beinhaltet, dass man, wenn der Religionen geprägt worden sind, über Nacht für man Waffen aus der Hand gibt, nie wissen kann, wo christenfrei erklärt werden und dass dort entsprechende diese Waffen letztendlich landen. Ultimaten ausgesprochen werden. Wir haben daher nicht zugeschaut, sondern haben unsere Partner gestärkt, da- Ich weise aber darauf hin, dass bisher das Verspre- gegen vorzugehen. Wir haben im Rahmen unserer Mög- chen Talabanis und Barsanis, diese Waffen nicht an wei- lichkeiten gerade im humanitären Bereich alles getan, tere Kampfeinheiten zu geben, nicht gebrochen worden um die Situation der Christen in dieser Region zu ver- ist. Es gibt zwar jetzt Formationen, die kooperieren – das bessern. stimmt –, aber bisher haben keine Waffenübergaben stattgefunden. Ich weiß nicht, ob dies in der Zukunft so Dabei sollten wir es nicht belassen. Wir sollten uns bleibt. Ich hoffe, dass wir auf das Versprechen, das uns noch viel mehr Gedanken darüber machen, was nun im gegeben wurde, setzen können. Wir sind bislang auch Winter passiert und wie wir auf eventuelle Epidemien nicht enttäuscht worden. reagieren können. Ich finde es sehr professionell, wie Zur Lage im Nahen Osten möchte ich noch anmerken unsere Regierung – ich weise hier insbesondere auf das – insbesondere nachdem wir von der Bundesregierung Zusammenspiel von Entwicklungshilfeministerium und unmittelbar über die Iran-Gespräche informiert worden Auswärtigem Amt hin – agiert hat. Das Technische sind; ich bin froh über das, was der Bundesaußenminis- Hilfswerk leistet hervorragende Arbeit. Wenn das unter ter dazu gesagt hat –, dass wir sicherlich in manchen mehr Verantwortung für Christinnen und Christen im Punkten weitergekommen sind, aber wir sind noch weit Nahen Osten, wo sie in existenzieller Gefahr sind, zu davon entfernt, mit dem Iran zu einem Ergebnis zu kom- verstehen ist, dann muss ich feststellen, dass wir in die- men. sem Jahr sehr gute Arbeit geleistet haben. Der Iran ist eine der größten Gefahren für die Exis- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- tenz des jüdischen Staates Israel. Israel wird nicht nur neten der SPD) vom Iran bedroht, sondern auch von innen heraus. Wenn Zur Ukraine möchte ich nur Folgendes kurz anmer- man bedenkt, mit welcher Brutalität Terrorakte dort ken, weil wir bereits eine intensive Diskussion in der Ar- (B) stattfinden, dann muss man trotz vieler kritischer Punkte, (D) beitsgruppe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zur Zu- die man hinsichtlich der israelischen Politik vorbringen kunft des Petersburger Dialogs geführt haben. Sicherlich darf und vorbringen muss, sehen, dass die einzige De- sind sich die Kritiker des Petersburger Dialogs nicht in mokratie in der gesamten Region unter enorm großem allen Fragen einig. Wenn dieses Forum aber eine Zu- Druck steht und dass selbst Gotteshäuser keine Sicher- kunft haben soll, dann muss es dringend reformiert wer- heit bieten. Das ist aus meiner Sicht definitiv eine neue den. abstoßende und brutale Form von Gewalt, die wir alle verurteilen sollten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) neten der SPD) Sie haben völlig recht, Herr Minister: Es sollte kein Im Übrigen ist die Ursache nicht im israelischen Ver- Monolog sein. Wir sollten nicht nur unter uns darüber re- halten zu suchen; sie liegt vielmehr in einer besonders den. Wir können uns sicherlich stundenlang über Russ- brutalen Ausprägung von Gewalt, die auch nicht durch land und darüber streiten, wer wen wann besucht hat; Religion entschuldbar ist oder durch religiöse Motive das gehört dazu und hat häufig auch mit innenpolitischen verdeckt werden sollte. Ich glaube, das hat mit dem Is- Aspekten zu tun. Wenn wir aber den Petersburger Dialog lam viel weniger zu tun, als diejenigen, die den Dschihad als gesellschaftliches Vehikel zwischen unserer Gesell- für sich in Anspruch nehmen, behaupten. Das sind ein- schaft und der russischen Gesellschaft aufrechterhalten fach Exzesse, die mit Toleranz und Respekt gegenüber wollen, dann bedarf es einer dringenden Reform. Mehr Religionen insgesamt nichts zu tun haben. Offenheit wird dieser Organisation nicht schaden. Es darf keine Scheuklappen geben, weder in die eine noch Ein anderes wichtiges Thema, das meiner Fraktion in die andere Richtung. sehr am Herzen liegt und das unser Fraktionsvorsitzen- der seit Jahren auf die Tagesordnung setzt – dieses Natürlich müssen am Petersburger Dialog auch regie- Thema haben wir in diesem Jahr gerade vor dem Hinter- rungsnahe Vertreter aus Russland teilnehmen, am besten grund der großen Flüchtlingswellen im Nahen und Mitt- hochrangige. Ich wünsche mir, dass dieser Dialog auf leren Osten besonders berücksichtigt; Syrien und der höchstem Niveau stattfindet und dass dort die Spitzen- Nordirak sind bereits als Stichworte gefallen –, ist die vertreter beider Länder zusammenkommen, also diejeni- Lage der Christinnen und Christen. Wir als CDU/CSU- gen, die auch etwas zu sagen haben. Es nutzt nichts, da- Bundestagsfraktion haben uns insbesondere im Haus- raus einen Debattierklub von NGOs zu machen, die haltsausschuss dafür eingesetzt – lieber Alois Karl, dafür nicht wissen, wie sie in ihrem Land vorankommen sol- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6553

Philipp Mißfelder (A) len. Auch diejenigen, die etwas entscheiden können, Da wird es eindeutig. Ja, wir haben sehr viele Krisen (C) müssen mit am Tisch sitzen. in unserer Zeit; sie sind omnipräsent, aber sie sind nicht vom Himmel gefallen. Die meisten Krisen entstehen Ich bin dafür, dieses Forum zu verjüngen und es für nicht einfach so, sondern haben einen Vorlauf. Deswe- Teilnehmer zu öffnen, die nicht schon zehnmal daran gen ist es notwendig, dass man genau hinschaut. Dass teilgenommen haben. Die entsprechenden Auswahlver- die Eskalation in Mali vor zwei Jahren erfolgt ist, war fahren müssen aus meiner Sicht optimiert werden. Wir absehbar, wenn man sich angeschaut hat, was in Libyen haben intensiv darüber diskutiert, dass der Lenkungsaus- passiert ist. Die Situation in den Ländern, die von Ebola schuss deckungsgleich mit den Mitgliedern ist. Ich selbst betroffen sind, ist seit März bekannt. Die Bundesregie- bin genauso wie der Außenminister nur Gast bei den rung hat ein halbes Jahr gebraucht, bis sie überhaupt da- Veranstaltungen. Aber eine Öffnung wird dieser Organi- rauf reagiert hat. ISIS ist nicht erst seit der Einnahme sation überhaupt nicht schaden, sondern sozusagen zu von Mossul im Juni dieses Jahres, sondern seit einein- einem Upgrade dieser Veranstaltung beitragen. Ich spre- halb Jahren auf dem Vormarsch. Zentral ist, dass man che mich für den Erhalt dieser Veranstaltung aus, aber rechtzeitig hinschauen muss. Das passiert nicht. Die unter der Bedingung, dass Reformen umgesetzt werden Bundesregierung ist beim Hinschauen, beim Antizipie- und dass diejenigen, die Verantwortung tragen, die Re- ren von Konflikten, bei der zivilen Krisenprävention ein- formen aktiv vorantreiben und nicht darauf warten, dass fach zu langsam; sie macht zu wenig und ist zu zöger- Reformen vorangetrieben werden. lich. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall des Abg. Jürgen Trittin [BÜND- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) NIS 90/DIE GRÜNEN]) Sie bedienen, wie viele andere auch, leider die Auf- Vizepräsidentin Claudia Roth: merksamkeitsökonomie. Die Welt schaut auf Sindschar, Vielen Dank, Kollege Mißfelder. – Nächster Redner dann schaut die Welt auf Kobane – dort geschehen ganz in der Debatte ist Omid Nouripour für Bündnis 90/Die schreckliche Dinge –, und dann wendet sich die Auf- Grünen. merksamkeit anderen Krisenherden zu. Dass sehr viele Leute auf Kobane schauen, ist berechtigt, aber dass im Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Windschatten der Ereignisse von Kobane in Aleppo Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Fassbomben des Assad-Regimes nur so vom Himmel Kollege Mißfelder, ich bin nicht der Meinung, dass alles, regnen, wird nicht beachtet. Es ist nicht so, dass wir das was der Kollege van Aken gesagt hat, falsch ist. Gefühl haben, dass die Bundesregierung tatsächlich anti- (B) zipiert, was jenseits der großen Konflikte, die Schlagzei- (D) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) len machen, passiert. Dafür braucht man Expertise. Aber diese Expertise findet sich nicht, in diesem Haushalt erst Es gab einzelne Sätze, die ich richtig fand. Ich distan- recht nicht. Das ist der zweite Haushalt hintereinander, ziere mich selbstverständlich nicht nur von der Tonlage in dem der Etat für zivile Krisenprävention gekürzt ist. seiner Rede, sondern auch davon, dass er den Herrn Au- Das wird der realen Situation draußen und vor allem den ßenminister persönlich als Schuldigen für die Toten im Notwendigkeiten überhaupt nicht gerecht. Mittelmeer benannt hat. Das ist nicht die Art und Weise, wie wir hier in diesem Hohen Hause diskutieren sollten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Zuruf der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Auch die Institutionen fehlen. Die Institutionen braucht man aber, wenn man ressortübergreifend arbei- – Er hat das Wort „schuld“ verwendet. Schauen Sie ten will. Wir haben eine Verteidigungsministerin, die nach! jetzt ein Weißbuch schreiben will. Sie haben den Re- Es geht aber auch nicht, dass Sie, Herr Mißfelder, die view-Prozess begonnen. Was hat das miteinander zu persönliche Verfehlung des Kollegen van Aken zum An- tun? Ich habe das Gefühl: gar nichts. Wenn man sich die lass nehmen, um den Wählerwillen in Thüringen zu dis- Welt ernsthaft anschauen und Konflikte antizipieren kreditieren. Das gehört sich nicht. Das gehört nicht zu- will, dann muss man ressortübergreifend arbeiten. Ich sammen. gebe zu: Es ist nicht in erster Linie Ihre Verantwortung, dass das nicht immer geschieht; aber wir haben nicht das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Gefühl, dass die Häuser Hand in Hand arbeiten. Bei der Herr Außenminister, Sie haben in den Anfangsmona- humanitären Hilfe wird das deutlich. Erst kürzen Sie den ten, als Sie neu im Amt waren, der Außenpolitik wieder Etat, dann machen wir, die NGOs und die Kolleginnen Kontur und Gewicht gegeben. Sie haben auch die Über- und Kollegen aus der Koalition Druck, und dann wird schrift „Mehr Verantwortung“ kreiert, die wir nicht in der Ansatz wieder erhöht. Das ist im Endergebnis nicht erster Linie als Militarisierung der deutschen Außenpoli- das, was wir uns gewünscht haben, wenn es auch besser tik verstanden haben. Sie haben den Review-Prozess ini- als Ihr Entwurf ist. Aber mit Verlässlichkeit und mit tiiert, den wir richtig finden, und die Frage gestellt: Was Haushaltsklarheit hat das überhaupt nichts mehr zu tun. haben wir falsch gemacht? Da dieser Haushalt nun der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zweite Haushalt mit der Überschrift „Mehr Verantwor- tung“ ist, bietet es sich an, zu fragen, ob sich das im Ich habe meine Rede mit Lob angefangen. Ich möchte Haushalt tatsächlich niederschlägt. noch einmal loben. Sie selbst haben in München gesagt: 6554 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014

Omid Nouripour (A) Verantwortungsübernahme ist immer konkret. – Ich haushalt debattieren, wird auf europäischer Ebene um (C) finde zwar, dass es sich nicht gehört, den Petersburger eine Lösung im Streit um den Haushalt der EU für 2015 Dialog unter der Überschrift „Dialog mit der Zivilgesell- gerungen. Es ist enttäuschend für mich, dass das Ver- schaft“ zu führen, ohne dass die Zivilgesellschaft da ist; mittlungsverfahren zwischen Kommission, Parlament aber unter dem Strich kommen wir zu dem Ergebnis, und Rat in der vorigen Woche gescheitert ist. Es mag für dass wir sehr an Ihrer Seite stehen, was Ihre Aktivitäten einzelne Bereiche noch keine tragfähigen Lösungen ge- in der Ukraine und Ihr Engagement bei der Befriedung ben. Es mag berechtigte Kritik an einzelnen Posten ge- der Situation vor Ort angeht. Wir sind auch sehr dankbar ben. Aber es ist schon ein trauriges Bild, das da in der für die Worte, die die Frau Bundeskanzlerin heute Mor- Öffentlichkeit entsteht. Nur 1 Prozent des Bruttonatio- gen in dieser Sache gefunden hat. naleinkommens dürfen die europäischen Institutionen ausgeben; aber am Ende eines jeden Jahres entbrennt ein Aber wenn es konkret wird und Sie eine Konferenz zu Streit zwischen den Finanzministern der Mitgliedstaaten der Situation der Flüchtlinge machen, – einerseits und dem Europäischen Parlament und der Kommission andererseits. Es ist Zeit, dass dieses unwür- Vizepräsidentin Claudia Roth: dige Schauspiel beendet wird. Es darf nicht sein, dass am Redezeit! Ende des Jahres kein Geld mehr da ist für den Austausch von Studierenden, für humanitäre Hilfe zum Beispiel in Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ebolagebieten oder für den Kampf gegen die Jugendar- – die in die Nachbarstaaten Syriens geflüchtet sind, beitslosigkeit. Wir müssen in der EU entschlossener han- und am Ende große Ankündigungen, die sich gut anhö- deln. ren – 500 Millionen Euro in drei Jahren –, es dann aber Ich begrüße das heute von Jean-Claude Juncker vor- keinen einzigen Cent an frischem Geld gibt, dann ist das gestellte Investitionspaket zumindest im Ansatz. Es wird nicht konkret und erfüllt nicht Ihre eigenen Ansprüche. weiter zu prüfen sein, wie die Einzelheiten zu bewerten Ein Viertel der Legislaturperiode ist bereits vorbei. Wir sind. Meine Redezeit ist schon reduziert worden. Des- warten darauf, dass es wirklich konkret wird mit der Ver- halb will ich mich auf wenige Sätze hierzu beschränken. antwortungsübernahme. Dafür hätten Sie unsere volle Unterstützung. Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Daran bin aber nicht ich schuld.

Vizepräsidentin Claudia Roth: (Heiterkeit) Danke, Herr Kollege Nouripour. – Nächster Redner in (B) der Debatte ist Norbert Spinrath für die SPD. Norbert Spinrath (SPD): (D) (Beifall bei der SPD) Nein, nein. – Entscheidend ist, dass wir zur Bekämp- fung der Wachstumsschwäche in der EU auf der einen Seite Strukturreformen und auf der anderen Seite Inves- Norbert Spinrath (SPD): titionen haben. Beides muss gleichzeitig geschehen. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland sollte sich daran mit eigenen Mitteln betei- Sehr geehrte Damen und Herren! Herr van Aken, ich ligen. denke, das war eine nicht hinnehmbare Ehrabschnei- dung, (Beifall bei der SPD) (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Mein Gott, was Wir müssen uns wieder verstärkt auf unsere Vision ei- hat er denn Falsches gesagt?) nes geeinten Europa im Sinne der Präambel unseres Grundgesetzes besinnen – ich zitiere –, „als gleichbe- wie Sie mit dem Herrn Außenminister umgegangen sind. rechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden Es ist schon zum Ausdruck gekommen, dass es weder der Welt zu dienen“. Vielleicht haben wir uns in Europa dem Stil der Debatte noch der Würde des Hauses ent- in den letzten Jahren zu sehr auf einen Pragmatismus spricht, so miteinander umzugehen, aber eben auch nicht verständigt, haben viel zu oft viel zu viele Kompromisse dem vorbildlichen Einsatz unseres Außenministers ge- gemacht, um schnelle – vielleicht auch wichtige – Lö- recht wird. sungen herbeizuführen, und dabei ein wenig die Vision (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) aus den Augen verloren. Vielleicht brauchen wir neuen Mut für Europa, neuen Mut, auch konsequenter ein ge- Ich fordere Sie auch aus eigener Betroffenheit heraus eintes Europa anzustreben, neuen Mut, Solidarität zu auf, sich beim Herrn Bundesaußenminister zu entschul- üben und auf nationale Egoismen zu verzichten. Auch digen. Falls Sie nicht das Kreuz dazu haben, sollte Ihr wir in Deutschland tragen als Partner mit konstruktiven Fraktionsvorstand in die Verantwortung treten. Beiträgen zur Lösung von Problemen bei. Wir müssen (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Das kommt aber auch immer wieder liefern. überhaupt nicht infrage! – Jan van Aken [DIE Ein kleines positives Beispiel aus den Haushaltsbera- LINKE]: Haben Sie denn das Geld für „Mare tungen: Das Auswärtige Amt hat – es ist ja auch Europa- Nostrum“ bewilligt, oder nicht?) ministerium – im nächsten Jahr einen kleinen finanziel- Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen len Beitrag von nur 100 000 Euro zur Verfügung, kann und Kollegen, während wir in dieser Woche den Bundes- damit aber einen wichtigen Akzent in Zypern setzen mit Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6555

Norbert Spinrath (A) der Unterstützung des Committee on Missing Persons. Ich habe die ganze Zeit das Gefühl gehabt: Wer hier (C) Diese Nichtregierungsorganisation leistet einen wichti- glaubt, dass er ohne Schuld ist, der werfe den ersten gen Beitrag zur Aussöhnung der Menschen beider Insel- Stein. – teile. Ich sage ganz herzlichen Dank an die für den Ein- zelplan 05 zuständigen Berichterstatter Doris Barnett, (Peter Beyer [CDU/CSU]: Nicht ablenken!) Alois Karl und Dr. Tobias Lindner. Das stammt ja nicht aus meiner Geisteswelt. Ich halte es aber trotzdem für sehr wichtig. Der Kollege van Aken (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten hat den Außenminister persönlich angesprochen und hat der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE im Zusammenhang mit der Politik der Bundesregierung GRÜNEN) den Begriff „Mitschuld“ verwendet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, schon bei der letz- (Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: ten Haushaltsdebatte habe ich zur dramatischen Situa- Nein! Nein! Nein! – Peter Beyer [CDU/CSU]: tion der Jugendarbeitslosigkeit, insbesondere in Süd- Wolfgang, lass es! – Dr. Frank-Walter und Südosteuropa, gesprochen. Die EU hatte ein 6 Mil- Steinmeier, Bundesminister: Es wird nur noch liarden Euro umfassendes Programm gegen Jugendar- schlimmer!) beitslosigkeit aufgelegt. Noch im Juni sah es sehr düster damit aus. Nur ein Mitgliedstaat hatte ein nationales Pro- Wenn Sie genau hinschauen, werden Sie erkennen, dass gramm angemeldet. Umso mehr Mut macht es aber, dass die Regierungen, die akzeptiert haben, die dulden, dass ich in diesen Tagen von unserer Arbeitsministerin Europa zur Festung gemacht wurde, ein höheres Maß an gehört habe, dass bis Anfang Dezember Schuld haben, als wir hier sie haben. voraussichtlich etwa 85 Prozent des Gesamtvolumens (Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Ge- der EU-Fördermittel für konkrete Projekte zur Bekämp- nau das ist zurückgewiesen worden! Unglaub- fung der Jugendarbeitslosigkeit festgelegt sein werden. lich!) Ich glaube, die EU hat verstanden, dass solche zwingend notwendigen Programme nicht an den Restriktionen des Das waren der Sinn und der Inhalt der Worte meines Stabilitäts- und Wachstumspaktes scheitern dürfen. Wir Kollegen van Aken. Nehmen Sie zur Kenntnis, dass das brauchen nicht weniger europäische Integration – das so gemünzt war. zeigt gerade dieses Beispiel –, sondern mehr Flexibilität in der Nutzung der bestehenden Möglichkeiten. Auch ich finde, dass man in Debatten manchmal scharf zulangen muss. Angesichts eines Zustandes, der Für mich kann es nur eine Richtung geben, nämlich einen würgt – man halte sich vor Augen, was dort pas- siert –, (B) hin zu einer weiteren Stärkung der Europäischen Union. (D) Wir dürfen und können ein Weniger an europäischer In- (Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Per- tegration nicht akzeptieren. Nur ein stabiles Europa lässt sönliche Verunglimpfungen haben hier nichts die Menschen in sozialer Sicherheit leben und sichert ge- zu suchen!) sellschaftlichen Frieden. Nur dort, wo sozialer Frieden herrscht, kann auch wirtschaftlicher Wohlstand wachsen. muss man Regierungen sagen: Wenn ihr euren Kurs nicht ändert, habt ihr Schuld daran, dass Menschen im Mittelmeer ertrinken. – Dazu stehe ich, und es war rich- Vizepräsidentin Claudia Roth: tig, das hier auszusprechen. Herr Kollege. (Beifall bei der LINKEN) Norbert Spinrath (SPD): Vizepräsidentin Claudia Roth: Ich komme zum Schlusssatz. Danke. – Lassen Sie uns einfach neuen Mut zeigen, Mut, die Vision unseres Herr Spinrath, Sie haben das Wort zur Erwiderung. Grundgesetzes neu zu beleben, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt Norbert Spinrath (SPD): zu dienen. Lieber Herr Gehrcke, Sie haben recht, dass man in Debatten durchaus auch einmal scharf akzentuieren (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten muss, um nach einem guten, sehr vertieften Streit, indem der CDU/CSU) man die Dinge miteinander besprochen hat, letztendlich zu einer politischen Entscheidung finden zu können. Vizepräsidentin Claudia Roth: Aber das hat nichts mit dem zu tun, was Herr van Aken Danke, Herr Kollege Spinrath. – Das Wort zu einer hier eben gemacht hat, als er den Bundesaußenminister Kurzintervention hat Wolfgang Gehrcke. sehr persönlich angegriffen hat. Deshalb habe ich ge- sagt: Das hat mit der Würde dieses Hauses nichts zu tun.

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Schönen Dank, Frau Präsidentin! – Liebe Kollegin- GRÜNEN) nen und Kollegen! Herr Spinrath, weil Sie meinen Kol- legen van Aken angesprochen haben, will ich Ihnen ent- Ich bin für jeden sachlichen und inhaltlichen Streit sehr gegnen. zu haben. Aber wenn es wie bei diesem Angriff auf 6556 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014

Norbert Spinrath (A) Herrn Steinmeier ins Persönliche geht, dann fühle ich leren Osten. Für was wird Europa gebraucht, wenn nicht (C) mich auch selbst betroffen. dafür, ein Zentrum zu sein, in dem noch Stabilität herrscht? Wenn wir wollen, dass es in Zukunft Stabilität (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten an den Grenzen Europas gibt, was gut für die Menschen der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE ist, die dort leben, dann müssen wir in Europa stärker zu- GRÜNEN) sammenhalten und unsere Probleme gemeinsam lösen.

Vizepräsidentin Claudia Roth: (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Aber bei „Mare Vielen Dank. – Der nächste Kollege in der Debatte ist Nostrum“ hat Europa versagt!) Manuel Sarrazin für Bündnis 90/Die Grünen. Das heißt, dass man am Euro festhält, und das heißt, dass man gemeinsam die wirtschaftlichen Probleme im Süden Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): löst, ohne immer gegen den Euro oder gegen die euro- Liebe Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! päische Integration zu stänkern oder immer einfach nur Eigentlich wollte ich dazu nichts sagen; dagegen zu sein. (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Mach es ein- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, fach nicht!) bei der CDU/CSU und der SPD) denn allzu oft heißt es, man gebe der Linkspartei zu viel Raum. Aber wenn Sie von der Linkspartei mit „Jeder ist Vizepräsidentin Claudia Roth: so ein bisschen schuld an allem“ kommen – diese Auf- Kollege Sarrazin, erlauben Sie eine Zwischenfrage fassung kann man durchaus teilen –, muss ich schon sa- oder -bemerkung von Dr. Diether Dehm? gen: Wir haben im Jahr 2009 mit dem Vertrag von Lissa- bon die Grundrechtecharta der Europäischen Union Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): endlich rechtsverbindlich gemacht. Wir haben dafür ge- Gern. sorgt, dass das Europäische Parlament über Justiz und Innenpolitik mitentscheiden kann, dass diese Politikbe- reiche endlich vor Gericht einklagbar sind, damit mehr Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): für Menschenrechte getan werden kann. Sie haben das Lieber Herr Sarrazin, es kann ja sein, dass wir unter- abgelehnt. schiedlicher Meinung sind, was den Euro und einige Maßnahmen im Rahmen des Lissabon-Vertrages anbe- (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Was hat denn trifft. Aber kann ich Sie insofern richtig verstehen, dass das mit „Mare Nostrum“ zu tun?) diejenigen mehr Schuld an dem haben, was im Mittel- (B) (D) Wenn Sie wollen, dass mehr für die Menschenrechte von meer geschieht, die zu Frontex stehen, als diejenigen, die Flüchtlingen getan wird, müssen Sie für mehr Europa gegen Frontex sind? streiten und nicht dafür, dass nationale Grenzen hochge- (Beifall der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE] – zogen werden. Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: So (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ein Schwachsinn!) bei der CDU/CSU und der SPD – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Es geht um „Mare Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nostrum“! Das ist eine völlig andere Debatte!) Lieber Kollege Dehm, Frontex hat im Moment, wie So kann man nämlich auch über Schuld reden. Sie reden, ich glaube, 350 Mitarbeiter. Die Vorstellung, dass Fron- seitdem Sie hier im Bundestag sind, das Projekt des ge- tex allein alle Menschen, die mit einem Boot nach Eu- meinsamen Europa immer schlecht. ropa kommen, ablehnt, versinken lässt, ist meiner An- sicht nach keine, die das Problem adressiert. Wir erleben (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Das ist doch in der Europäischen Union seit Jahren eine Politik der nicht wahr!) Innenminister aus verschiedenen Ländern – dazu gehörte zumindest in der letzten Legislatur ausdrücklich auch die Dabei wird man das Problem, dass Flüchtlinge im Mit- Bundesrepublik Deutschland –, die Elemente von Soli- telmeer sterben, nur lösen können, wenn man endlich darität angesichts der Probleme mit Flüchtlingen in den dazu kommt, mehr gemeinsam in Europa zu machen und Staaten im südlichen Europa vehement abgelehnt hat nicht immer wieder die nationale Karte zu ziehen. und die auch nicht positiv darauf hingewirkt hat, die Re- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, geln zum Thema Humanität, zum Beispiel das Non- bei der CDU/CSU und der SPD) refoulement-Prinzip – wirklich jeder, der flieht, hat die Chance, einen Asylantrag zu stellen und ein rechtsförm- Hören Sie auf, die Moralapostel zu spielen! Ich werde liches Verfahren zu bekommen –, in den Verhandlungen, Ihnen niemals persönliche Schuld vorwerfen für irgend- die es darum gab, europäisch zu stärken. Der entschei- etwas, was auf der Welt passiert. Diesen Maßstab sollten dende Punkt, den ich meine, ist: Wenn man die wirklich wir gemeinsam behalten. unmenschlichen und unhaltbaren Zustände verändern Wir leben in einer Zeit, in der man Stabilität braucht. will, dann wird man das nur erreichen, indem man mehr Stabilität ist die neue Währung für alles. Wir sehen doch, europäisches Recht schafft, das über der Auslegung in- was an unseren Grenzen passiert. Es geht um Stabilität: ternationalen Rechts durch einzelne Nationalstaaten im Osten, im Süden, am Mittelmeer, aber auch im Mitt- steht und die Nationalstaaten verpflichtet, mehr zu tun. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6557

Manuel Sarrazin (A) Deswegen stimme ich Ihrer politischen Forderung, Ich finde ebenfalls, dass beispielsweise die Praxis der (C) „Mare Nostrum“ fortzusetzen, total zu. Fischereiabkommen, so wie sie ausgeführt wird, nicht geht und dringend überarbeitungsbedürftig ist. Deswe- (Karin Binder [DIE LINKE]: Das ist schon gen haben wir uns im Europäischen Parlament immer mal was!) gegen diese Fischereiabkommen gewandt. Der Kollege Wenn Sie sich hier die Freiheit herausnehmen, zu be- Frithjof Schmidt hat das in seiner Zeit im Europäischen haupten, jemand sei persönlich schuld, was ich zutiefst Parlament an vorderster Front getan, gegen viele Lobby- ablehne, möchte ich Ihnen nur sagen: Ich werde Ihnen isten aus vielen Mitgliedstaaten. Da kann man dann die nie vorwerfen, Sie seien persönlich schuld am Sterben grundsätzliche Frage aufwerfen: Glaubt man eigentlich, im Mittelmeer, nur weil Ihre Europapolitik unverant- Sachen eher verändern zu können, indem man für andere wortlich ist und niemals für bessere Regeln in diesem politische Mehrheiten auf europäischer Ebene sorgt, Politikbereich sorgen wird. oder glaubt man, Sachen würden besser, wenn die Natio- nalstaaten für sich diese Politik so fortsetzen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) CDU/CSU) Die Frage, die hier besprochen wurde, dreht sich um die konkrete Situation, dass Menschen über das Mittel- Vizepräsidentin Claudia Roth: meer fliehen, aber nicht jedem Menschen das individu- Erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage oder -be- elle Recht gewährt wird, die Fluchtursachen in einem merkung, nämlich von der Kollegin Hänsel? rechtsstaatlichen Verfahren bewerten zu lassen und dann nach Recht und Gesetz behandelt zu werden. Ich sage Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ihnen aus meiner Erfahrung: Ein großes Problem bei Ja. dieser Praxis ist, dass die nationale Innenpolitik und der nationale Grenzschutz jeweils so handeln, wie es in (Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: So kann ihrem nationalen Interesse angeblich am besten ist, näm- man seine Redezeit auch verlängern!) lich so, dass möglichst wenige in das eigene Land kom- men. Was wir dagegensetzen müssen, ist eine euro- Heike Hänsel (DIE LINKE): päische Vision von humanen europäischen Regeln, die im Zweifelsfall auch gegen nationale Interessen durch- Danke schön, Frau Präsidentin. – Als Entwicklungs- gesetzt werden. Dafür braucht man mehr Europa, nicht politikerin, Herr Sarrazin, möchte ich Sie doch noch ein- weniger Europa, wie Sie es immer fordern. mal auf etwas aufmerksam machen. Sie sprachen davon, (B) dass wir eine gemeinsame europäische Politik gegenüber (D) den Ländern des Südens brauchen. Die haben wir be- Vizepräsidentin Claudia Roth: reits, und das ist eine der großen Fluchtursachen. Wir ha- Vielen Dank. Jetzt geht es weiter in der Rede. ben die EU-Freihandelsabkommen mit Afrika. Wir ha- ben in der EU die Gemeinsame Fischereipolitik, die Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): dazu beiträgt, dass viele Fischer arbeitslos werden, zum Sehr geehrte Damen und Herren, Frau Präsidentin, Beispiel vor Westafrika. Das sind die Flüchtlinge von wenn wir über Stabilität reden, dann müssen wir natür- heute und morgen. Auch die Kleinbauern, denen durch lich auch über die ökonomische Krise in Europa reden. die neoliberale europäische Politik die Existenz zerstört Wenn wir die Lage im Süden Europas betrachten – ich wird, sind die Flüchtlinge von heute und morgen. Sie glaube, Herr Juncker hat Vorschläge gemacht, die in die können hier doch nicht ein Loblied auf das gemeinsame richtige Richtung gehen können, wenn sie richtig umge- europäische Agieren singen, wenn wir parallel ganz an- setzt werden –, dann müssen wir auch darüber reden, dere Entwicklungen sehen. Woher kommen denn die dass die Europäische Union mehr Demokratie und mehr Flüchtlinge? Deswegen gibt es diese Mitschuld. Darum Legitimität braucht, um die Transformation zu schaffen geht es. Wir sind hier verantwortlich dafür, dass es und Gesamteuropa wieder zu einem attraktiven, starken, Flüchtlinge gibt und dass viele Flüchtlinge im Mittel- stabilen Wirtschaftsstandort zu entwickeln. Denn unsere meer krepieren. Auseinandersetzung um die Werte der Europäischen (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Union – im globalen Maßstab, aber auch mit Blick auf unsere direkte Nachbarschaft – muss mit einer Diskus- sion darüber unterlegt sein, wie die EU wieder zu einem Vizepräsidentin Claudia Roth: erfolgreichen wirtschaftlichen Modell werden kann. In- Herr Sarrazin, bitte. sofern können wir nicht zusehen, wenn wir bemerken, dass die Gefahr besteht, dass Länder wie Portugal, Spa- Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): nien, Italien oder Griechenland in eine dauerhafte Rezes- Frau Kollegin Hänsel, auch wenn es keine Freihan- sion verfallen, dass die kleinen Hoffnungsschimmer, die delsabkommen zwischen der Europäischen Union und es in diesen Ländern vielleicht gab, durch eine neue Re- afrikanischen Staaten gibt – mir sind zumindest in die- zession zerstört werden. sem Moment keine bekannt –: In unserer Auseinandersetzung um Werte müssen wir (Heike Hänsel [DIE LINKE]: APEC! Wirt- aber auch eines festhalten: Im Zusammenhang mit der schaftspartnerschaften!) Ukraine ist in besonders starkem Maße zu erkennen, wo 6558 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014

Manuel Sarrazin (A) der Unterschied zwischen den Werten liegt, die der führen können, ohne dem anderen gleich ein volles Maß (C) Kreml formuliert, und den Werten, die wir haben; das er- an Charakterlosigkeit vorzuwerfen. kennt man sehr gut daran, wie die Menschen in den von Separatisten kontrollierten Gebieten behandelt werden. Ich bin, ehrlich gesagt, sehr von der Art und Weise Also müssen wir, auch um das Argument der doppelten überzeugt – auch bei kontroversen Themen, bei denen Standards zu entwerten, mehr dafür tun, dass die Grund- ich nicht seiner Meinung bin –, wie Herr Steinmeier die werte der Europäischen Union auch im Innern der Euro- Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland gestaltet. päischen Union umgesetzt werden. Deswegen ist es zu Ich bin oft – das ist kein Geheimnis – anderer Meinung. begrüßen, wenn es auch in der Bundesregierung Ideen Aber als Parlamentarier, als CSUler, als Konservativer, gibt, einen europäischen Grundwertemechanismus zu aber auch als einer, der will, dass Deutschland in der entwickeln. Die Grünen werden in absehbarer Zeit Vor- Welt gut dasteht, fühle ich mich von diesem Mann ei- schläge dazu machen. gentlich immer sehr gut vertreten. Das möchte ich bei dieser Gelegenheit einmal sagen. Meine Damen und Herren, Europa wächst immer (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie mehr in die Rolle hinein, nicht mehr nur ein Ort für öko- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE nomischen Wohlstand und Wohlfahrt zu sein, wie es GRÜNEN) viele nach 2004 dachten, sondern auch die Grundlagen für Stabilität und Sicherheit zu legen. Wir werden den Zurück zu meiner schönen Rede. außenpolitischen Herausforderungen der Zukunft nur dann gerecht werden können, wenn wir in der Lage sind, (Heiterkeit bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Europa weiterzuentwickeln und bei Fragen der weiteren ordneten der SPD) Integration Europas mutig und entschlossen voranzuge- Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik steht immer hen, anstatt im nationalen Kämmerchen darauf zu war- in dem Verdacht – der Minister hat darauf hingewiesen –, ten, dass die Krisen auf uns zukommen. nur eine Art Sahnehäubchen oder Ähnliches zu sein. Wir Vielen Dank. unterstützen neben vielen anderen Projekten in der gan- zen Welt angesichts des 500. Jahrestags der Reformation (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Lutherdekade. So haben wir unserer Auswärtigen sowie bei Abgeordneten der SPD) Kultur- und Bildungspolitik als Motto einen Spruch des Reformators gegeben: „Und wenn ich wüsste, dass mor- Vizepräsidentin Claudia Roth: gen die Welt untergeht, ich würde heute noch ein Apfel- bäumchen pflanzen.“ Vielen Dank, Kollege Sarrazin. – Nächster Redner in (B) der Debatte Dr. Peter Gauweiler für die CDU/CSU-Frak- Lassen Sie mich das an einem schönen Beispiel ver- (D) tion. deutlichen. Während wir hier über den Haushalt disku- tieren, ist für einen Förderbetrag von wenigen Tausend Dr. Peter Gauweiler (CDU/CSU): Euro das Orchester des bayerischen Staatstheaters am Gärtnerplatz in dem großartigen, aber viel geplagten Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Land Mexiko unterwegs. Der mexikanischen Presse der Herren Kollegen! Ich habe einen wunderschönen Beitrag letzten Tage ist zu entnehmen, dass in der Zeit vom zur Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik vorbereitet 20. bis 26. November 2014 die „Tage des Zorns“ statt- und will mich jetzt nicht in die Niederungen der europäi- fanden wegen ganz katastrophaler Verhältnisse in der öf- schen Asyldebatte begeben. Ich will hier nur einen klei- fentlichen Ordnung, fürchterlicher Morde und Schandta- nen Beitrag zur politischen Bildung leisten. Ja, Frau ten, in die auch die regierenden Kreise verwickelt sind. Hänsel, es stimmt – es ist auch bitter –, dass die deutsche In allen großen Städten Mexikos haben Protestveranstal- Asylpolitik in einer gewissen Weise immer wieder auf tungen stattgefunden. Fast in jedem Bericht der mexika- Restriktionen ausgerichtet ist. Dies geht auf die Ände- nischen Presse wird erwähnt, dass das bayerische Staats- rung von Artikel 16 in Artikel 16 a des Grundgesetzes orchester jene Tage des Zorns, wie es wörtlich in der zurück. Diese Änderung wurde von unserem Partei- mexikanischen Presse heißt, veredelt hat, indem es bei freund Edmund Stoiber gemeinsam mit Ihrem heutigen Massenveranstaltungen in Mexiko-Stadt, in Guadalajara Parteifreund ausgearbeitet. Ich nehme und Morelia aufgetreten ist und Franz Schubert gespielt beide davor in Schutz, deswegen als Massenmörder be- hat. Dieser Gegensatz zwischen „Tage des Zorns“ und zeichnet zu werden. seiner 5. Symphonie, die – Schubert-Fans wissen das – (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) die „liebliche Symphonie“ genannt wird, hat, so die Stimmen in der mexikanischen Presse weiter, Erschütte- – Magerer Beifall, aber immerhin. rung als auch Veredelung in der Debatte kombiniert. Da- für ist man sehr dankbar. Das ist ein solches Apfelbäum- (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – chen. Wir alle sind gefragt, diese zu gießen und zu Stefan Liebich [DIE LINKE]: Guter Versuch!) pflegen, wo immer wir können. Wenn Sie mir eine persönliche Anmerkung erlauben (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) – wir kennen uns ja aus vielen heftigen Debatten im Auswärtigen Ausschuss –: Es ist klar, dass es kaum ein Es ist auch ein Erfolg des Außenministeriums – ich Thema gibt, bei dem man heftiger unterschiedlicher darf bei dieser Gelegenheit die Staatsministerin Maria Meinung ist; aber ich denke, man muss solche Debatten Böhmer dankend erwähnen –, dass jetzt ein Haushalts- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6559

Dr. Peter Gauweiler (A) plan für den Bereich der Auswärtigen Kultur- und Bil- (Heiterkeit bei der CDU/CSU, der SPD und (C) dungspolitik vorliegt – wir haben in 17 Sitzungen darauf dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) hingearbeitet –, der sich im Vergleich zu früher sehen lassen kann und der an alte Erfolge anknüpft. Aber das würde jetzt die ganze Redezeit sprengen. Seien wir uns einig, dass wir uns – mit allem Respekt – uneinig Das Goethe-Institut erhält rund 16 Millionen Euro sind. Der Europäische Gerichtshof wird am 14. Januar mehr. Ich weiß, dass das für Euro-Retter ein Betrag ist, 2015 eine Erklärung des Generalanwalts, eine besondere für den sie nicht einmal einen Aktendeckel in die Hand Einrichtung des EuGH, erwarten, und danach unterhal- nehmen würden. ten wir uns wieder, Herr Sarrazin. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]) Aber für uns ist das ein gewaltiger Fortschritt. Alois Karl, ich möchte dir als CSU-Berichterstatter herzlich – Vielen Dank. dafür danken. Wir könnten am Goethe-Institut eine Wir können mit dieser Etaterweiterung nun auch in CSU-Gedenktafel anbringen; womit früher sicherlich einen besonderen Bereich gehen, der natürlich auch be- niemand gerechnet hätte. lächelt werden kann – ich habe mich am Anfang geniert, (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) darüber zu sprechen –: eine kulturelle, volkspädagogi- sche Betreuung von Flüchtlingslagern. Man wagt es ja Wir setzen ein Programm fort, mit dem wir 12 Millionen kaum auszusprechen, aber das Goethe-Institut und viele Schüler, die an 110 000 Schulen weltweit Deutsch lernen andere Bildungsträger deutscher Sprache veranstalten – das ist doch nicht irgendetwas! – erreichen. Das jetzt in den zehn größten Flüchtlingslagern, die es hier Goethe-Institut wird in die Lage versetzt, mit fast gibt, Kurse für Kinder – Unterrichtsveranstaltungen und 95 Prozent der Bildungsstätten, also fast allen, Kontakt Malkurse –, eine Form der Freizeitgestaltung. aufzunehmen. Wir haben uns mit Leuten unterhalten. Der General- sekretär des Goethe-Instituts hat von den Erfahrungen Vizepräsidentin Claudia Roth: seiner eigenen Frau erzählt, die selber in einem Flücht- Herr Kollege Gauweiler, erlauben Sie eine Zwischen- lingslager lebte, wie die Eltern dort mit tage-, wochen- frage oder -bemerkung von Manuel Sarrazin? und monatelangem Warten zermürbt werden, bis irgend- (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Er braucht etwas Kulturelles für ihre Kinder angeboten wird. Und sowieso noch Redezeit!) ich finde es sehr, sehr gut, dass sich das Goethe-Institut aufgrund der Initiativen des Bundestages – auch von Ih- (B) nen, Frau Präsidentin Roth – ein Herz gefasst hat, in die- (D) Dr. Peter Gauweiler (CDU/CSU): ser Sache etwas zu tun. Bitte. Heute Abend wird der Beirat Tarabya eingesetzt. Er- fahrene Kulturpolitiker im Bundestag werden sich erin- Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): nern. Danke, Frau Präsidentin! – Verehrter Herr Kollege Gauweiler, ich habe immer versucht, meine Bemerkun- (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gen in Fragen zu verstecken. Ich bin über das neue Ver- NEN]: Die Haushälter auch! – Dr. Tobias fahren etwas verwundert; aber ich werde das auch jetzt Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: versuchen. Never-ending Story!) Herr Gauweiler, niemand bestreitet die Risiken, die – A Never-ending Story, aber die Sache steht, und sie ist Deutschland im Zuge der Euro-Rettung eingegangen ist. mittlerweile vorweisbar. Sie steht. Neben der Villa Wir haben das offen beschlossen; das ist Recht und Ge- Aurora in Los Angeles und der Villa Massimo in Rom ist setz. Wir haben darüber unterschiedliche Auffassungen. eine Kulturstätte für den ganzen orientalischen Raum ge- Das habe ich nie geleugnet. Dennoch möchte ich Sie vor schaffen worden, die großartig ist und von der Istanbuler dem Hintergrund des netten Verweises darauf hinweisen, Beobachter sagen, das seien die schönsten Parkanlagen dass im Gegensatz zu Ihrem sehr lobenswerten Projekt der ganzen Türkei; und ich bin stolz darauf, dass hier der der Europäische Stabilisierungsmechanismus im letzten Bundesadler steht und wir dort einen Träger deutscher Jahr immerhin einen beträchtlichen Millionengewinn Kulturpolitik haben. ausgewiesen hat. Das unterscheidet ihn insofern von Ih- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- rem Projekt. Der ESM macht Gewinne; das kann anhand neten der SPD) von Drucksachen belegt werden. Darum meine Frage, ob Sie diese Gewinne zur Kenntnis nehmen. Bei den Auslandsschulen sind wir im Moment dabei, den Bereich duale Bildung auf unsere Auslandsschulen, Danke. auf die deutschen Gymnasien im Ausland draufzusatteln bzw. Berufsschulzweige auch dort durchzusetzen. Ich Dr. Peter Gauweiler (CDU/CSU): bin verzweifelt, wenn ich die Hindernisse sehe, gegen Ich nehme in diesem Bereich sehr viel zur Kenntnis die wir uns im Moment in Thessaloniki durchsetzen und bin gern bereit, Ihnen ein Collegium privatissime et müssen, teils bei der griechischen Regierung und übri- gratis zu der ganzen Problematik zu geben. gens manchmal auch bei der Bundesregierung – nicht im 6560 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014

Dr. Peter Gauweiler (A) Auswärtigen Amt, ist jemand vom Bildungsministerium (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Ist aber so (C) da? –, um die einfachsten Abstimmungsvorgänge durch- schön! Mach weiter!) zuziehen, damit sie nicht monatelang dauern. Ich habe mir erlaubt, der Regierung einen Brief zu Vizepräsidentin Ulla Schmidt: schreiben und die Vorgänge darzustellen. Wir wollen in Einen Satz dürfen Sie noch, Herr Kollege Gauweiler. jedem der Länder am Mittelmeer mit hoher Jugendar- beitslosigkeit, in denen es deutsche Schulen gibt, die du- Dr. Peter Gauweiler (CDU/CSU): ale Ausbildung mit Berufsschulen einrichten. Ich halte Vielleicht haben wir es bis zum nächsten Mal abge- es für einen großen Erfolg, dass wir das jetzt können. An schlossen. der deutschen Schule in Ecuador in Lateinamerika – mit Vielen herzlichen Dank! Und zu Ihnen, Herr Sarrazin, 1 600 Schülern eine der größten deutschen Schulen der komme ich und sage Ihnen das Nötige. Welt – funktioniert diese Systematik übrigens bereits hervorragend. Der Deutsche Akademische Austausch- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- dienst kann jetzt die Zahl seiner Stipendiaten eindrucks- neten der SPD und der LINKEN) voll erhöhen. 2013 hat er über 110 000 Personen – die Mehrheit übrigens Deutsche, über 69 000, die ins Aus- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: land gegangen sind – gefördert. Vielen Dank. – Nächster Redner ist Thomas Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlich Dörflinger, CDU/CSU-Fraktion. sind wir in der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik (Beifall bei der CDU/CSU) im Bereich der Konfliktbeseitigung völlig waffenlos und damit in den Augen mancher eigentlich ungeeignet. Auf Thomas Dörflinger (CDU/CSU): der anderen Seite sind wir der Auffassung, dass wir Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und möglicherweise mehr bewirken können. Und ich bin Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Traditionell stolz darauf, dass es im Gegensatz zum französischen ist ja die Haushaltsdebatte über die einzelnen Politikbe- Parlament im Deutschen Bundestag keine Stimmen gab, reiche auch ein Moment, wo man die Dinge so ein biss- die im Zusammenhang mit der Ukraine/Russland-Krise chen im Grundsatz beleuchtet. Wenn ich nun versuche, die Forderung erhoben haben, dass wir die kulturellen grundsätzlich den Blick auf Europa und die Außenpoli- Auslandsbeziehungen – zum Beispiel zu Russland – ab- tik zu lenken, ist es dabei vielleicht ganz hilfreich, den brechen sollten. Blickwinkel zu wechseln und zur Kenntnis zu nehmen, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der was sich außerhalb von Europa tut bzw. wie andere au- (B) SPD und der LINKEN) ßerhalb von Europa uns sehen. (D) Wir brauchen die Beziehungen zu Russland und zur Ich blende zunächst einmal drei Jahre zurück: Im No- Ukraine nicht weniger, sondern mehr, und wir intensi- vember 2011 sagte Barack Obama in Canberra – mit die- vieren sie. ser Bemerkung wurde er jedenfalls zitiert –, dass für die Vereinigten Staaten von Amerika in den kommenden Ich bin froh, Herr Außenminister, dass Sie mit durch- Jahren der pazifische Raum die oberste Priorität genie- gesetzt haben, dass das sogenannte Kreuzjahr, das Jahr ßen würde. Er tat es im Zusammenhang mit einem Frei- der deutschen Sprache in Russland und das Jahr der rus- handelsabkommen, das die USA mit acht pazifischen sischen Sprache hier bei uns, das die Bundeskanzlerin Staaten vereinbarten. Drei Jahre später – das liegt jetzt mit dem russischen Präsidenten Putin vereinbart hatte, gerade ein paar Tage zurück – kamen auf der APEC- nicht abgebrochen, sondern fortgesetzt wurde. Bei der Konferenz Vertreterinnen und Vertreter der Staaten zu- Eröffnungsveranstaltung mit dem Goethe-Institut vor sammen, die 40 Prozent der Weltbevölkerung und wenigen Wochen, an der ich selbst teilgenommen habe, 57 Prozent der Wirtschaftsleistung auf diesem Globus im Eremitage-Garten in Moskau waren nach Zahlen des erbringen. Zum Vergleich: Die Europäische Union stellt, Goethe-Instituts 17 000 Menschen versammelt. Haben wenn man es günstig rechnet, 7 Prozent der Weltbevöl- Sie schon einmal Versammlungen mit 17 000 Leuten ge- kerung und rund 20 Prozent der Wirtschaftsleistung. So macht? Ich nicht. Es ist in der vergangenen Woche in viel zum Verhältnis. Moskau die Vereinigung der Deutschlehrer in Russland gegründet worden. Der Unterausschuss ist übernächste Ich sage das deswegen, weil ich mich gelegentlich et- Woche in der Ukraine, um dort ein trilaterales Projekt was wundere über die Debatte, die nicht nur hier in die- der Universitäten Lemberg und Moskau mit der Univer- sem Hohen Hause, sondern auch anderswo zum Transat- sität Würzburg zu gründen. Dabei sollen die Studenten, lantischen Freihandelsabkommen geführt wird. Ich deren Austauschprojekte anderswo nicht durchgeführt gestehe gerne, dass auch ich persönlich da noch einige werden können, von Würzburg mit übernommen wer- Fragen habe, dass es da noch Herausforderungen gibt, den. Ich halte das für eine ermutigende und großartige die in den Verhandlungen zu meistern sind. Aber eines Entwicklung. muss allen klar sein, meine Damen und Herren: Wenn Europa – bildlich gesprochen – auf dem Sofa sitzen Ich wollte zum Schluss noch etwas sagen – das tue bleibt und darauf wartet, dass der Welthandel vorbei- ich jetzt nicht, Frau Präsidentin – zu dem bevorstehen- kommt und sagt: „Bitte schön, möchtest du, Europa, an den und notwendigen Kulturabkommen mit Kuba. Dazu unseren Welthandelsbeziehungen teilnehmen, und wenn beim nächsten Mal mehr. ja, zu welchen Konditionen hättest du es denn gerne?“, Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6561

Thomas Dörflinger (A) dann werden wir auf diesem Sofa einen verdammt alten Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: So ist die (C) Hintern bekommen. Freiheit!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) – Gerade gab es einen Zwischenruf zum Thema Freiheit. Das hat etwas mit der Attraktivität von Europa zu tun. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: So ist eben Und da war es für mich schon interessant – auch hier die Freiheit; dass man seine Meinung sagen versuche ich wieder, den Blickwinkel zu wechseln –, darf!) was Papst Franziskus gestern vor den Kolleginnen und Meine Damen und Herren, gelegentlich findet man im Kollegen des Europäischen Parlaments vorgetragen hat. Archiv des Deutschen Bundestages bemerkenswerte Ich erwähne es nicht so sehr deswegen, weil der Papst Plenarbeiträge von unseren Vorgängerinnen und Vorgän- das Oberhaupt der katholischen Kirche ist, sondern des- gern. Ich habe einen solchen gefunden. Im Mai 1998 hat wegen, weil da ein Argentinier gesprochen hat. Zusam- der frühere Wirtschaftsminister in mengefasst in einem Satz lautet für mich das Fazit: Er seiner Abschiedsrede Folgendes vorgetragen – ich sage hat eigentlich angemahnt, dass wir die Prinzipien, die das, weil wir hier über den Haushalt sprechen –: wir uns selbst gegeben haben und deren Einhaltung wir auch bei anderen anmahnen, für uns selbst auch zur Gel- Freiheit tung bringen müssen. Damit hat er nicht ganz unrecht. – Herr Kollege Gehrcke – Wir müssen Regeln einhalten, insbesondere auch dann, wenn es um Dinge geht, die vor unserer eigenen Haustür geht meist scheibchenweise und auf Grund von stattfinden. Ich verstehe jetzt unter Europa nicht die Eu- Sorglosigkeit im Kleinen verloren … Der Zünfte- ropäische Union, sondern ich meine den ganzen Konti- und Ständestaat bestand aus einer Unmenge von nent. kleinen Privilegien, die ihrem Empfänger eine Ge- fälligkeit bereiteten, aber in ihrem Anwachsen den Damit bin ich bei der Ukraine, meine Damen und Bürgern insgesamt ein immer größeres Netz von Herren. Ich bin, offen eingestanden, erschrocken über Bevormundungen erbrachten. Gefälligkeiten ge- den Vorschlag, man möge darüber nachdenken, wie man genüber Lobbies jeder Art – das gilt damals wie die völkerrechtswidrige Annexion der Krim sozusagen heute – sind schleichendes Gift der Demokratie. im Nachhinein, ex post, völkerrechtlich legitimieren könne. Diesen Vorschlag fand ich, gelinde gesagt, ziem- (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Finde ich lich abenteuerlich, und ich bin dankbar, dass dieser Vor- auch! Sage ich ja!) schlag in dieser Debatte nicht noch einmal kam, wenn Das sagte Graf Lambsdorff damals. Ich glaube, das gilt ich richtig aufgepasst habe. heute auch. (B) (D) (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE Ich fand diesen Vorschlag nicht nur abenteuerlich, weil LINKE]) er dem Vorgang nicht gerecht wird, sondern auch, weil Gemeinwohl ist sehr viel mehr als die Summe aller Par- es nicht sein kann, dass wir es zum Grundsatz unseres tikularinteressen, politischen Handelns machen, den Verstoß gegen Regeln dadurch zu beantworten, dass wir anschließend die Re- (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ja, klar!) geln ändern; denn dann könnten wir uns eigentlich in sowohl qualitativ als auch rechnerisch. – Herr Kollege jeglichem Bereich aus der Rechtssetzung verabschieden. Gehrcke, ich würde mich freuen, wenn der Beifall und Das wäre keine zukunftsweisende Politik, weder für die die Zustimmung, die Sie mir an dieser Stelle signalisie- Bundesrepublik Deutschland noch für Europa. ren, sich auch inhaltlich in Ihren Anträgen im Deutschen Ich rate, bei der Beurteilung der Lage in der Ukraine Bundestag widerspiegeln würden. und auf der Krim auch zur Kenntnis zu nehmen, dass (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE Präsident Putin zum Beispiel just vor wenigen Tagen in GRÜNEN]: Nicht überfordern!) Abchasien mit dem dortigen – ich sage das in Anfüh- rungszeichen – „Präsidenten“ eine strategische Partner- Die Kolleginnen und Kollegen aus den einzelnen Fach- schaft vereinbart hat und wie das beispielsweise in der bereichen werden bestätigen können, und zwar nicht nur Republik Moldau wirkt. Wie muss das auf die Vorsitzen- mit Blick auf die Haushaltsberatungen, dass es oftmals den der Auswärtigen Ausschüsse von Lettland, Estland so ist, dass sich ein Partikularinteresse jedweder Art in und Litauen gewirkt haben, die uns am 29. August die- einem Antrag der Fraktion Die Linke wiederfindet, der ses Jahres einen Brief geschrieben haben, aus dem man in den Deutschen Bundestag eingebracht wird. zwischen den Zeilen die blanke Angst herauslesen kann, Zukunftsfähigkeit heißt nicht unbedingt per se, für je- und zwar die blanke Angst um die Fortexistenz des eige- den Bereich mehr Geld auszugeben, sondern Zukunfts- nen Staates? Und wie muss es bei denen ankommen, fähigkeit heißt, dass man zunächst einmal mit dem Geld wenn in einem freien Land wie der Bundesrepublik auskommt, das man hat, dass man nicht mehr Schulden Deutschland mit Blick auf einen Völkerrechtsverstoß macht, sondern mit dem Geld auskommt, das die Bürge- solche Debatten geführt werden? rinnen und Bürger bereitstellen. Weil diese Vorausset- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- zungen auch im Einzelplan 05 erfüllt sind, wird die neten der SPD und der Abg. Marieluise Beck CDU/CSU-Bundestagsfraktion diesem Einzelplan und [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – dem Haushaltsgesetz zustimmen. 6562 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014

Thomas Dörflinger (A) Weil man nicht nur mit dem Geld auskommen muss, Ich möchte die Zustände an zwei Beispielen verdeut- (C) das man zur Verfügung hat, sondern auch mit der Rede- lichen: zeit, die einem von der eigenen Fraktion zur Verfügung gestellt wird, schenke ich Ihnen die letzten zwei Minu- Die Bundeswehr schafft gerade den Transporthub- ten. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. schrauber NH90 an. Wie bei allen anderen Großprojek- ten auch, gilt hier: Er wurde zu spät geliefert. Die Kosten (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. laufen aus dem Ruder. Es wird technisch nicht das er- Doris Barnett [SPD]) füllt, was eigentlich versprochen wurde.

Vizepräsidentin Ulla Schmidt: (Florian Hahn [CDU/CSU]: Wie im Sozialis- Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache. mus!) Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan Nun kommt aber noch eine andere Sache dazu, näm- 05, Auswärtiges Amt, in der Ausschussfassung. Hierzu lich dass das, was geliefert wurde, nicht funktioniert. Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die ist so schlimm, dass mittlerweile das Leben der Soldatin- Grünen vor, über den wir zuerst abstimmen. nen und Soldaten und auch das von Zivilisten gefährdet werden kann. Im Juni ist ein solcher Hubschrauber im Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache Afghanistan-Einsatz fast abgestürzt. Ein Triebwerk 18/3282? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der explodierte. Dadurch wurde der Rotor beschädigt, und Änderungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU herabstürzende Teile setzten Felder in Brand. Erst diesen und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grü- Monat wurde aus diesem Grund ein Flugverbot für alle nen und der Fraktion Die Linke abgelehnt. NH90 verhängt – für ganze zwei Tage. Dann kam man Wir stimmen nun über den Einzelplan 05, Auswärtiges zu dem Schluss, es wäre ein Einzelfall, und gab wieder Amt, in der Ausschussfassung ab. Wer stimmt dafür? – die Starterlaubnis. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Einzel- plan 05 ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD- Sie wissen aber, dass es kein Einzelfall ist. Sie wissen Fraktion gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke spätestens seit dem Bericht der Unternehmensberatung und des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen. KPMG, der von Ihnen beauftragt wurde und der im Sep- tember vorgelegt wurde, dass das Problem immer noch Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.10 auf: nicht gelöst ist. Noch schlimmer: Seit Januar ist bekannt, dass bei den Turbinen keine ordnungsgemäße Abnahme Einzelplan 14 stattfand. Es fehlt einfach ein Prüfstempel. Bundesministerium der Verteidigung Drucksachen 18/2813, 18/2823 Auch nächstes Jahr sollen über 270 Millionen Euro (B) für den Kauf dieses Waffensystems ausgegeben werden. (D) Berichterstattung haben die Abgeordneten Unter diesen Bedingungen muss aber eigentlich jeder Bartholomäus Kalb, Karin Evers-Meyer, Michael vernünftige Haushälter sagen: Halt! Stopp! Für dieses Leutert und Dr. Tobias Lindner. Gerät kann man kein Geld ausgeben. Die Gelder müssen Zum Einzelplan 14 hat die Fraktion Bündnis 90/Die gesperrt werden. Grünen einen Entschließungsantrag eingebracht, über (Beifall bei der LINKEN) den wir am Freitag nach der Schlussabstimmung abstim- men werden. Hand aufs Herz: Ich würde gern einmal denjenigen Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für kennenlernen, der ein Auto kauft, das ein Jahr zu spät die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- geliefert wird, 5 000 Euro mehr kostet, nur auf 80 km/h nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. beschleunigen kann, und wenn man zwei Koffer hinten reinlegt, springt es wegen Überladung nicht mehr an. Das Wort erhält der Kollege Michael Leutert, Frak- tion Die Linke. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Das ist alles Quatsch! – Florian Hahn [CDU/CSU]: Das (Beifall bei der LINKEN) sind alles Scheinargumente! Es geht doch um das Grundsätzliche!) Michael Leutert (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Blick auf das nächste Großprojekt zeigt, dass dies Sehr geehrte Frau Ministerin! Das Bundesministerium kein Einzelfall ist. Der Eurofighter braucht sich da nicht zu der Verteidigung ist eine riesengroße Baustelle. Auf die- verstecken. Ein Eurofighter kostet ungefähr 130 Millionen ser Baustelle herrscht auch noch Chaos. Diese Baustelle Euro. Ursprünglich sollte dieses Flugzeug 6 000 Flugstun- verschlingt jedes Jahr über 30 Milliarden Euro an Steu- den absolvieren können. Ausgeliefert wurden die Maschi- ermitteln. Damit allen klar ist, über wie viel Geld wir nen dann mit einer Gewährleistung für 3 000 Flugstunden, hier sprechen: Für Forschung und Bildung gibt der Bund also die Hälfte, aber nicht für den halben Preis. Ende Sep- nur die Hälfte aus. tember dieses Jahres teilte der Hersteller mit, dass auf- grund von Herstellungsfehlern bei einer großen Anzahl Ich weiß auch, dass Sie für das Chaos nicht allein die von Bohrungen die Lebensdauer nur noch 1 500 Stunden Verantwortung tragen. Dieses Ministerium hat schon beträgt. viele Minister vor Ihnen verschlungen. Der Apparat, den Sie übernommen haben, ist, gelinde gesagt, heimtü- (Florian Hahn [CDU/CSU]: Vorübergehend! ckisch. Aber jetzt tragen Sie die Verantwortung dafür. Das wissen Sie ganz genau!) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6563

Michael Leutert (A) Nun weiß auch ich, dass deshalb bis auf Weiteres keine lich von dem Dienst in einem anderen Betrieb unter- (C) Eurofighter mehr wie geplant abgenommen werden. Al- scheidet. lerdings: Auch nächstes Jahr stehen im Haushalt über (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Sie genießen 500 Millionen Euro für den Kauf zur Verfügung. Noch die äußere Sicherheit ja nur! Man muss aber absurder – in der letzten Sitzung des Haushaltsausschus- auch etwas dafür tun! – Florian Hahn [CDU/ ses beschlossen –: Es wird für die schon gekauften Ma- CSU]: Es ist eine Ehre, für die Sicherheit sei- schinen für mehrere 100 Millionen Euro ein neues Radar nes Landes zu kämpfen! – Gegenrufe von der entwickelt, das 2021 verfügbar sein soll. Wer die Grund- LINKEN: Ach so? – Na, für Sie vielleicht!) rechenarten beherrscht, kann zusammenzählen, dass dann die Lebensdauer von 1 500 Flugstunden aufge- Damit die Schülerinnen und Schüler aber überhaupt braucht sein wird. Wir haben dann also ein hochmoder- erst einmal Lust haben, so ein Praktikum zu machen, nes Radar, aber leider keine Flugzeuge mehr dafür. denkt man sich allerlei Sachen aus. (Florian Hahn [CDU/CSU]: Unglaublich!) (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN) In Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel werden Schul- Auch hier kann jeder vernünftig denkende Haushälter busfahrkarten mit dem Logo der Bundeswehr bedruckt. nur sagen: Stopp! Kein Geld für Schrott! Wir müssen Oder man wirbt in der Bravo mit „Bundeswehr Adventure diese Gelder sperren. Camp Beach – Spaß und Infos aus erster Hand“. (Beifall bei der LINKEN – Florian Hahn [CDU/ (Henning Otte [CDU/CSU]: Lesen Sie denn CSU]: Alles Scheinargumente!) noch die Bravo?) Nun brauchen Sie ja auch Nachwuchs. Der kommt Ja, ich frage Sie: Welcher 16-jährige Jugendliche möchte nicht freiwillig. Deshalb gibt es die sogenannte Attrakti- nicht am Strand Spaß und Abenteuer erleben? Das ist vitätsoffensive. Auch unabhängig davon wird kräftig ge- doch wohl logisch. Frau Ministerin, so geht es meines worben, unter anderem bei Minderjährigen. Erachtens nicht. Den Jugendlichen werden Dinge vorge- gaukelt, die nichts mit der Realität zu tun haben. (Florian Hahn [CDU/CSU]: Ach Gott!) (Beifall bei der LINKEN – Florian Hahn [CDU/ Sie begründen das, Frau Ministerin, damit, dass die Bun- CSU]: Sie tun das doch die ganze Zeit!) deswehr ein ganz normaler Arbeitgeber wie jeder andere Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Haushalt des sei. Das ist sie aber eben nicht. BMVg ist ein Fass ohne Boden. Es wird Technik ge- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) kauft, die zu spät kommt, die zu teuer ist, die nicht das kann, was vereinbart wurde, und die dann noch nicht (B) Denn es ist ein Unterschied, ob ich bei VW Autos zu- einmal funktioniert. Es wird Geld ausgegeben, um junge (D) sammenschraube oder ob ich bei der Bundeswehr bin Leute zu werben, indem man ihnen einen falschen Ein- und an einem Einsatz teilnehme, bei dem ich im druck vom Arbeitgeber vermittelt. schlimmsten Fall ums Leben komme oder andere töte; (Florian Hahn [CDU/CSU]: Nein! Sie gaukeln das ist der Unterschied zwischen dem Soldatenberuf und den Menschen etwas vor!) jedem anderen, normalen Beruf. Dass die Bundeswehr trotzdem bei Schülerinnen und Schülern wirbt, finde ich Das ist kein verantwortungsvoller Umgang mit Steuer- unverantwortlich. geldern. Von Transparenz bei Großprojekten kann eben- falls keine Rede sein. Aus diesem Grunde ist es geboten, (Beifall bei der LINKEN) diesen Haushalt abzulehnen. Wir Linken werden dage- Da bieten Kasernen ein sogenanntes Schülerprakti- gen stimmen. kum im Grünen an. Unter der Überschrift „Ab ins (Beifall bei der LINKEN – Ingo Gädechens Grüne“ – da denkt man eher an einen Familienausflug [CDU/CSU]: Na ja! Nichts anderes war zu er- am Wochenende – ist auf der Website ein Schützenpan- warten!) zer zu sehen. Darunter steht: Begeisterung pur: Die Fahrt im Schützenpanzer Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Marder war für die Jugendlichen ein besonderes Er- Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege lebnis. Bartholomäus Kalb, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Weiter steht dort: neten der SPD) Hier konnten die Praktikanten hautnah erfahren, dass sich eine Fahrt im Panzer sehr deutlich von der Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): in einem Auto unterscheidet. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es würde mich zwar reizen, jetzt auf den Kollegen Na, herzlichen Glückwunsch zu dieser Erkenntnis! Leutert einzugehen, (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Bitte nicht! – LINKEN) Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, machen Sie mal! Dazu sitzen wir ja hier!) Leider haben die Schülerinnen und Schüler nicht erfah- ren, dass sich der Dienst bei der Bundeswehr auch deut- aber das würde meine ganze Redezeit verbrauchen. 6564 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014

Bartholomäus Kalb (A) Neueren Umfragen zufolge ist eine deutliche Mehr- gen mit außerordentlichem Geschick und großartigem (C) heit zwischenzeitlich der Auffassung, dass mehr An- Einsatz, und das möchten wir auch gerne anerkennen. strengungen, ja sogar mehr Ausgaben für den Verteidi- gungsbereich notwendig seien. Nun, wir haben den (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Haushalt sehr intensiv beraten und keine reale Erhöhung Wenn es um Einsätze der Bundeswehr geht, machen der Verteidigungsausgaben vorgenommen. Wir sind der wir uns die Entscheidungen hier im Deutschen Bundes- Überzeugung, dass die für 2015 genehmigten Mittel aus- tag nicht leicht. Die Angehörigen der Bundeswehr müs- reichend sind. Trotzdem: Die Umfragen zeigen, die sen wissen, dass sie für ihren Einsatz, wo er erforderlich Menschen im Lande legen großen Wert darauf, dass wir ist, und für ihren Dienst die Rückendeckung des Parla- verteidigungsfähig sind, unsere Aufgaben erfüllen und mentes haben. Wir danken den Angehörigen der Bun- unserer Verantwortung gerecht werden können. deswehr für ihren Dienst an vielen Brennpunkten in die- (Beifall bei der CDU/CSU) ser Welt. Nicht zu vergessen sind die Freiwilligen, die jetzt aktuell bei der Bewältigung der Ebolaseuche hel- Die Menschen nehmen ganz offensichtlich wahr, dass fen. Hierfür großen Respekt und großen Dank! sich die regionale und globale Sicherheitslage verändert hat. Sie erkennen die Konfliktsituationen, sehen die Kri- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) senherde – von der Ukraine bis zum sogenannten arabi- Wir haben bei der Haushaltsgestaltung noch immer schen Krisenbogen – und entwickeln daraus ein entspre- mit den Problemen zu kämpfen, die sich aus den Verzö- chendes Sicherheitsbedürfnis. Es tritt wieder mehr ins gerungen beim Zulauf großer Beschaffungsvorhaben er- Bewusstsein, dass zur Sicherung von Frieden, Freiheit geben. Das bleibt nicht ohne Folgen im Hinblick auf un- und Wohlstand große und stetige Anstrengungen erfor- derlich sind und dass es einer erhöhten Wachsamkeit be- sere Fähigkeiten und auch im Hinblick auf die künftigen darf. Der alte NATO-Slogan „Wachsamkeit ist der Preis Anforderungen an die Haushalte. Wir haben in der Be- der Freiheit“ hat neue Aktualität erlangt. reinigungssitzung eine Vielzahl von Verpflichtungser- mächtigungen ausgebracht, um in den kommenden Jah- Meine sehr verehrten Damen und Herren, mich hat ren situations- und bedarfsgerechte Beschaffungen das Interview des neugewählten EKD-Ratsvorsitzenden vornehmen zu können. Bedford-Strohm in der Zeit vom 13. November 2014 sehr beeindruckt. Er setzt sich darin auch mit dem Ein- Wir müssen uns mit der Frage auseinandersetzen, satz militärischer Mittel auseinander – vor allem auch welche Technologien und welche Fähigkeiten wir im vor dem Hintergrund seiner persönlichen Lebenserfah- Lande behalten müssen und wollen. Dabei geht es zwei- rung. Er fordert, wie ich meine, zu Recht, den Vorrang fellos um die von der Bundesverteidigungsministerin de- (B) und die Ausschöpfung aller zivilen Mittel und Möglich- finierten sogenannten Schlüsseltechnologien, über die (D) keiten zur Konfliktbewältigung und Konfliktlösung ein. wir verfügen müssen, um nicht in unzumutbare Abhän- Aber er sagt auch – ich zitiere –: gigkeiten zu geraten. Darüber hinaus verfügt Deutsch- land aber auch über Kernfähigkeiten – so will ich sie Aber es gibt Situationen, wo diese keinen Völker- einmal bezeichnen – in den Bereichen Starrflügler, mord verhindern. Deshalb kann zum friedensethi- Drehflügler – so bezeichnet man sie heute –, Kampffahr- schen Handeln auch das Militär gehören. Wir haben zeuge und U-Boote, die wir uns so weit wie irgend mög- die Pflicht, Verfolgte zu schützen. lich erhalten sollten. Es geht dabei um wichtige Fähig- keiten, aber auch um die Beschäftigten in der In diesem Zusammenhang berichtet er auch von seiner wehrtechnischen Industrie und um die Zukunftsfähigkeit Reise in den Irak: der deutschen wehrtechnischen Industrie. Ich habe die Flüchtlingslager gesehen, die Verzwei- felten gehört. Danach habe ich mich in der EKD für Ich weiß, es geht hier nicht nur um die Fragen, wel- militärische Hilfe gegen die IS eingesetzt. chen Bedarf wir haben und wie groß unsere finanziellen Möglichkeiten sind, sondern auch um die Fragen, wel- Das ist eine Gedankenführung und Erarbeitung einer Ge- che Märkte und Absatzchancen bei uns in der EU und wissensentscheidung, die mich persönlich sehr beein- bei unseren Bündnispartnern gegeben sind und welche druckt. Märkte wir darüber hinaus noch bedienen dürfen. Es geht hier also natürlich auch um ein sorgsames Verhalten Ich denke, auch für uns – für die deutsche Politik und in der Exportpolitik. für uns hier im Bundestag – gilt: Wir sehen militärische Mittel nicht als vorrangige und schon gar nicht als ein- Ich komme zu einem anderen Thema: Die Bundesre- zige Mittel der Konfliktbewältigung an. Deshalb haben gierung hat das Attraktivitätsgesetz im Kabinett bereits wir im Auswärtigen Etat – darüber haben wir vorhin ja beschlossen. Wir haben im Haushalt Vorsorge dafür ge- diskutiert – und im Etat des Bundesministers für wirt- troffen, dass dieses Gesetz im Jahre 2015, wenn die Be- schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auch die ratungen darüber hier im Bundestag abgeschlossen sind, Mittel für humanitäre Hilfe deutlich erhöht. dann auch zügig umgesetzt werden kann. Es darf auch an dieser Stelle gesagt werden: Die Bun- Es muss dem Umstand Rechnung getragen werden, desregierung – insbesondere die Frau Bundeskanzlerin dass nach Aussetzen der Wehrpflicht die Bundeswehr als und unser Bundesaußenminister – nutzt alle Möglichkei- Arbeitgeber immer mehr im Wettbewerb mit anderen ten der Diplomatie, des Gespräches und der Verhandlun- steht. Dabei wird es immer so sein, dass der Dienst in Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6565

Bartholomäus Kalb (A) der Bundeswehr, lieber Kollege Leutert, mit besonderen nommen haben, die nicht nur dieses Jahr betreffen, zum (C) Anforderungen und Herausforderungen verbunden ist. anderen, weil es gerade in den Wochen nach der ersten Das wollen wir auch nicht anders darstellen. Lesung hier im Plenum eine ganze Menge an Bericht- erstattungen gab. Aber wir müssen als Arbeitgeber interessant sein, und wir müssen uns um guten, qualifizierten Nachwuchs be- Nachdem Sie jetzt ein knappes Jahr im Amt sind, will mühen. Auch die Bundeswehr braucht gute Leute, und ich kurz auflisten, was Sie bisher alles angekündigt ha- sie hat gute Leute. Wir wollen dafür sorgen, dass auch in ben: Sie wollen mehr Verantwortung in der Welt über- der Zukunft in der Bundeswehr gute, verlässliche und nehmen, Rüstungsprojekte, die oftmals viel zu teuer sind tüchtige Menschen zum Wohle unseres Landes ihren und bei denen die Rüstungsgüter zu spät geliefert wer- Dienst tun. Wie heißt der Slogan der Bundeswehr? Wir. den, endlich unter Kontrolle bringen, die Bundeswehr zu Dienen. Deutschland. – Wir wollen dafür sorgen, dass einem attraktiven Arbeitgeber machen, ein neues Weiß- dies auch in Zukunft in vollem Umfang möglich ist. buch schreiben und schließlich auch neue Großprojekte (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) anstoßen. Zum Abschluss, meine lieben Kolleginnen und Kolle- Schauen wir einmal, was Sie nach einem Jahr der An- gen, ist es mir ein besonderes Anliegen, den Mitbericht- kündigungen erreicht haben. Dazu fällt mir ein: Im De- erstattern sehr herzlich zu danken: der lieben Kollegin zember letzten Jahres haben Sie zuerst Staatssekretär Karin Evers-Meyer, aber auch dem Kollegen Michael Wolf in den Ruhestand versetzt. Die Entlassung von Leutert und dem Kollegen Dr. Thomas – nein –, Tobias Herrn Beemelmans folgte im Februar, genauso wie die Lindner. Ich weiß gar nicht, warum ich immer „Thomas“ des Abteilungsleiters Selhausen, und Haushaltsdirektor sagen will. Paul Jansen soll – das wurde vor wenigen Tagen be- schlossen – in den Ruhestand versetzt werden. (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Immer noch besser als „Patrick“ Bei den Rüstungsprojekten sieht es folgendermaßen oder „Christian“! – Heiterkeit) aus: Sie haben viel angekündigt. Im Februar haben Sie die Entlassung angeordnet und ein Gutachten in Auftrag – Mein Sohn heißt eben Thomas. gegeben, das im Oktober vorgelegt wurde; darauf werde (Heiterkeit) ich noch zurückkommen. Vor wenigen Tagen fand, wie ich lesen konnte, eine Kick-off-Veranstaltung eines Ich danke Ihnen, Frau Ministerin, ganz herzlich für neuen Teams statt, das sich mit Rüstungsmanagement die außerordentlich gute Zusammenarbeit und Ihren befassen soll. Viel ist also nicht geschehen. Staatssekretären, die uns immer zur Verfügung stehen, (B) lieber Kollege Brauksiepe. Ich danke auch allen Mit- Viel geschehen ist beim Puma, bei dem es im Rahmen (D) streitern bei Ihnen im Haus, bei uns in den Arbeitsgrup- des Beschaffungsprogramms zu Verzögerungen kam, pen, im Ausschuss und in den Büros. Aus gegebenem beim A400M, der zwar geliefert wird, aber mit weniger Anlass will ich heute einen besonderen Dank ausbringen Leistungen und bisher ohne Wartungsvertrag, beim Eu- an den langjährigen Abteilungsleiter Haushalt, Dr. Paul rofighter, bei dem es Produktionsmängel gab, und Jansen, für seine Arbeit und für seine außerordentlich schließlich beim G36, bei dem ein Beschaffungsstopp gute Zuarbeit und Betreuung unserer Aufgaben. verhängt wurde. Herzlichen Dank. Alles in allem muss man sagen: Ihre Bilanz nach ei- nem Jahr, Frau von der Leyen, sieht ziemlich mau aus. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Es reicht eben nicht, einfach nur Berichte zu schreiben. Sie müssen auch einmal Entscheidungen treffen, auch Vizepräsidentin Ulla Schmidt: wenn diese unbequem sein mögen. Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dr. Tobias Lindner, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Wo waren Sie denn das ganze Jahr?) Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Es wird viel darüber geredet, ob die Bundeswehr zu Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und viel oder zu wenig Geld hat. Sie haben heute bereits Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man hat viel- 5 Milliarden Euro mehr an Haushaltsmitteln zur Verfü- leicht, wenn man Haushaltsdebatten über Wochen ver- gung, als Sie es eigentlich nach der Planung Ihres Unions- folgt, gelegentlich den Eindruck, es habe sich zwischen kollegen Karl-Theodor zu Guttenberg haben dürften. der ersten und der zweiten und dritten Lesung eines Zusätzlich haben Sie den Etat für die kommenden Haushalts wenig getan. Ich glaube, dieser Eindruck ist Jahre noch mit Verpflichtungsermächtigungen im Mil- bei keinem Haushalt so unzutreffend wie beim diesjähri- liardenbereich vollgestopft. Sie haben uns dann einen gen Verteidigungshaushalt. Haushaltsplan vorgelegt, der beispielsweise null Rück- Diese Debatte ist aus zwei Gründen berechtigt: zum sicht auf die Probleme im Materialerhalt nimmt. Er einen, weil Sie, Frau Ministerin, über die Vorlage zur nimmt auch null Rücksicht darauf, dass Sie im letzten Bereinigungssitzung innerhalb Ihres Haushaltes massive Jahr gut mit Ihrem Geld ausgekommen sind und 1,6 Mil- Umschichtungen – der Kollege Kalb ist gerade auf die liarden Euro zurückgegeben haben. Nein, Frau von der Verpflichtungsermächtigungen eingegangen – vorge- Leyen, dieser Haushaltsplan 2015 ist eigentlich das Ge- 6566 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014

Dr. Tobias Lindner (A) genteil eines Plans: Er ist in Zahlen gegossene Planlosig- Die Koalition hat dennoch im Verteidigungsausschuss (C) keit. am 14. Oktober nicht nur gefordert, neue Kampfpanzer und einen Leopard 3 zu entwickeln – sie hatte aus mei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – ner Sicht ziemlich absurde Vorstellungen –, nein, Sie Henning Otte [CDU/CSU]: Das ist aber ein wollten dann auch weitere GTK Boxer und haben das rhetorischer Trick! – Ingo Gädechens [CDU/ mit einer veränderten sicherheitspolitischen Lage auf CSU]: Das müssen Sie zurücknehmen! Mit diesem Planeten begründet. Bedauern!) (Henning Otte [CDU/CSU]: So ist das!) – Ich kann den Kollegen der Union nur raten, vorsichtig zu sein, wenn wir über Rüstungsprojekte reden. Dabei Jetzt könnten Sie sich damit herausreden, Frau von wird nämlich manches besonderes deutlich. Beschaf- der Leyen, dass die Koalition Ihnen das in der Bereini- fungsprojekte haben immer eine große mediale Auf- gungssitzung aufgedrückt hat, wie letztes Jahr die glo- merksamkeit. 4,3 Milliarden Euro allein im Jahr 2015: bale Minderausgabe. Was aber macht das Verteidigungs- Das ist eine ganze Menge Geld. Es ist mehr, als andere ministerium? Sie machen sich auf einmal mit dieser Minister insgesamt zur Verfügung haben. Ich glaube, Haltung gemein. Sie übernehmen diese Haltung. Sie ha- Herr Steinmeier wäre froh, wenn er 4,3 Milliarden Euro ben zwar von einer geänderten Sicherheitslage bezogen hätte. auf den europäischen Rahmen gesprochen, wollten uns aber dann am 6. November bitten, weil jetzt vor allem (Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Die Landstreitkräfte erforderlich seien, 131 GTK Boxer Kanzlerin auch!) mehr zu beschaffen, als es die Struktur der Neuausrich- Wenn es immer mehr Wünsche als Geld gibt, erfordert tung der Bundeswehr vorsieht. das erst recht, dass man vernünftig mit dem Geld umgeht Das ist das exakte Gegenteil dessen, Frau von der und Prioritäten setzt. Leyen, mit dem Sie im Dezember 2013 Ihr Amt angetre- Obwohl es in den letzten Monaten immer wieder ten haben, was den Rüstungsbereich betrifft. Das ist ver- hieß, es gebe keine Spielräume im Verteidigungsetat, ha- antwortungslos gegenüber all denen, die auf die knappen ben Sie sich plötzlich in der Nacht der Bereinigungssit- Mittel angewiesen sind. zung noch über 1 Milliarde Euro mehr – ich weiß nicht, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – wo Sie das Geld gefunden haben – für zwei Projekte, auf Henning Otte [CDU/CSU]: Ganz im Gegen- die ich noch zu sprechen komme, gegönnt. Abgesehen teil, Herr Lindner! Schwacher Beitrag von Ih- davon, dass diese Projekte höchst umstritten sind, frage nen! – Zuruf von der Regierungsbank: Es sind ich Sie: Wie kommt es, dass Sie plötzlich 1 Milliarde ja nur vier Leute da! – Gegenruf des Abg. (B) (D) Euro mehr bekommen, wenn sonst kein Geld da ist? Henning Otte [CDU/CSU]: Wenn einer geht, Zum einen geht es um den GTK Boxer. Bei Ihrem wird es eng! – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/ Amtsantritt haben Sie noch gesagt, Sie wollen damit CSU]: Die sicherheitspolitische Lage hat sich Schluss machen, dass immer wieder aus dem politischen verändert!) Raum – das war auch ein bisschen Bashing gegenüber – Ich würde jetzt nicht solche Witze reißen, wenn die dem Parlament – motivierte Rüstungsprojekte kommen, Soldatinnen und Soldaten – dazu wollte ich gerade kom- industriepolitisch getarnt, die dann später kommen und men – sich um Materialerhalt Sorgen machen, wie wir teurer werden als geplant und vielleicht sogar auch gar leider in den letzten Wochen und Monaten haben ver- nicht benötigt werden. nehmen müssen. Sie haben für den Bereich Materialer- Ihr eigener Staatssekretär, Herr Grübel, schreibt uns halt in diesem Haushalt praktisch nichts gemacht. noch am 14. August – ich zitiere wörtlich –: Sie geben Geld für neue Projekte aus. Aber beim Materi- Eine zusätzliche Beschaffung [des] GTK Boxer alerhalt haben Sie sich über Jahre hinweg auf die Strate- würde grundsätzlich eine Korrektur der Leitlinien gie „Breite vor Tiefe“ eingeschossen, ohne diese richtig zur Neuausrichtung der Bundeswehr und den darin und vollständig zu reflektieren. Das, was Sie unter verankerten Obergrenzen für strukturrelevante „Breite vor Tiefe“ verstehen, bedeutet, dass wir von al- Hauptwaffensysteme bedingen. lem etwas haben, aber nicht viel. Kein Wunder, dass dann Wartungs- und Instandhaltungskosten nach oben Weiter heißt es: gehen, dass darunter die Soldatinnen und Soldaten lei- Weder die Beschaffung von zusätzlichen GTK Bo- den und dass Auslandseinsätze wie der in der Türkei teil- xern noch eine Erhöhung der Aufwendungen für weise auf dem Rücken der Betroffenen durchgeführt den Betrieb sind in der derzeitigen Finanzplanung werden. abbildbar. Ich gebe dem Kollegen Bartholomäus Kalb an einer (Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Im Au- Stelle voll und ganz recht: Wir verlangen Menschen, die gust! Wir haben doch jetzt November!) sich entscheiden, bei der Bundeswehr Dienst zu tun, viel ab. Wir verlangen ihnen unter anderem ab, dass sie in ei- Seit August haben sich die Dokumente, die die Ober- nen Auslandseinsatz gehen müssen, wenn wir dies in grenzen der strukturrelevanten Hauptwaffensysteme be- diesem Hohen Hause beschließen. Wir geben diesen dingen, nicht geändert. Denn dann hätte es einen Kabi- Menschen dafür die Zusage: Wenn ihr vier Monate im nettsbeschluss geben müssen. Es gab keine Änderungen. Ausland gedient habt, dann habt ihr 20 Monate Karenz- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6567

Dr. Tobias Lindner (A) zeit in Deutschland und könnt euren Dienst im Heimat- wortlich gegenüber den Menschen, die in den Unter- (C) land tun. Bei den Patriot-Staffeln, die in der Türkei im kunftsgebäuden leben sollen. Einsatz sind, ist mir gesagt worden, dass bei über einem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Drittel der Soldatinnen und Soldaten diese Zusage nicht eingehalten werden kann, weil die Durchhaltefähigkeit Ich muss feststellen: Nach einem Jahr, Frau Ministe- nicht gegeben ist. Das ist verantwortungslos gegenüber rin, will ich Ihnen nicht vorwerfen, dass Sie an Ihren ei- den Betroffenen. Das zeigt, dass das Konzept „Breite vor genen Ansprüchen gescheitert wären. Scheitern kann Tiefe“ überhaupt nicht zu Ende gedacht ist und dass Sie man nur, wenn man sich auf den Weg macht und ver- hier, Frau von der Leyen, im Sinne der Betroffenen end- sucht, gegen Widerstände anzukämpfen. An vielen Stel- lich umsteuern müssen. len – seien es politisch motivierte Rüstungsprojekte, sei es das Thema Unterkunft oder sei es die Lösung von (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Managementproblemen – haben Sie sich nun in die Pha- Henning Otte [CDU/CSU]: Schon wieder eine lanx von Herrn Jung, Herrn zu Guttenberg und Herrn de falsche Konsequenz!) Maizière eingereiht. Ich kann nicht erkennen, dass hier irgendetwas anders werden soll. Das führt mich direkt zum Thema Attraktivität. Ich habe gedacht, dass es 25 Jahre nach dem Mauerfall im (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Dann müs- Verteidigungsministerium eine Neuerfindung des Mottos sen Sie die Augen aufmachen!) „Schwerter zu Pflugscharen“ gibt. Ich würde das „Fre- Das zeigt sich auch in Ihrem Haushalt. Ihrer Verantwor- gatten zu Flachbildschirmen“ nennen. Es war lange Ihr tung gegenüber denjenigen, die Ihnen anvertraut sind, persönliches Geheimnis, wie Sie die Attraktivitäts- gegenüber den Soldatinnen und Soldaten der Bundes- agenda mit einem Volumen von 126 Millionen Euro im wehr, sowie gegenüber den Steuerzahlerinnen und Steu- kommenden Jahr finanzieren wollen. Bis eine Woche erzahlern in diesem Land werden Sie nicht gerecht. Mit vor der Bereinigungssitzung haben Sie gesagt, dass Sie dem Haushalt 2015 begeben Sie sich leider auf ein haus- das durch Umschichtung erreichen wollen. Dann wird haltspolitisches Himmelfahrtskommando. Da lassen wir klar – dem Kollegen Gädechens wird das in der Seele Sie alleine reisen. wehtun –, dass Geld frei wird, weil eine Fregatte später kommt. Jetzt könnten wir als Grünenfraktion große Vielen Dank. Sympathie empfinden, Frau von der Leyen, wenn das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) eine politische Strategie wäre und das Verteidigungsmi- nisterium weniger Geld für Rüstung ausgeben würde, um mehr Geld in Köpfe und vernünftige Arbeitsbedin- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: (B) gungen investieren zu können. Das würden wir sicher- Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt Karin (D) lich unterstützen. Aber Sie spielen haushaltspolitisches Evers-Meyer das Wort. Roulette auf dem Rücken der Soldatinnen und Soldaten, (Beifall bei der SPD) die darauf vertrauen, dass die Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Dienst kommen. An die- ser Stelle werden Sie Ihrer Verantwortung als oberste Karin Evers-Meyer (SPD): Dienstherrin nicht gerecht. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon gesagt worden, aber da Haushälter nicht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie allzu oft Gelegenheit haben, von hier aus gute Nachrich- bei Abgeordneten der LINKEN) ten zu verbreiten, wiederhole ich bewusst: Es ist wirk- lich gut, dass wir gemeinsam die rot-schwarze Null hin- Attraktivität ist deutlich umfassender – ich denke, bekommen haben. Ich glaube daran, dass das keine dass mir da niemand widersprechen wird – als das, was Eintagsfliege bleiben muss. Ich danke meinen Mitbe- in der Attraktivitätsagenda steht. Attraktivität erfordert richterstattern und deren Mitarbeiterinnen und Mitarbei- funktionierendes Material, auf das sich die Soldatinnen tern, der Ministerin und ihren Staatssekretären und ganz und Soldaten verlassen können, aber auch Unterkunfts- besonders Herrn Dr. Jansen für die gute und kollegiale gebäude, die angemessen ausgestattet sind. Ich will mich Zusammenarbeit. Ich freue mich auf die Fortsetzung im nicht darüber lustig machen, aber es ist klar, dass es hier nächsten Jahr. nicht um Minikühlschränke und Flachbildschirme geht, sondern um ganz einfache Dinge wie funktionierende Wir werden auch 2015 hart in der Sache, aber diszi- Sanitärräume und ordentlich ausgestattete Stuben, bei pliniert zusammenarbeiten. Sollte uns die Konjunktur denen es nicht durch das Dach regnet. Ihr Staatssekretär keinen allzu fetten Strich durch die Rechnung machen, dann können wir auch im nächsten Jahr einen ausgegli- Gerd Hoofe sprach im Verteidigungsausschuss davon, chenen Haushalt hinbekommen. Künftige Generationen dass 40 Prozent der Unterkunftsgebäude in einem dra- werden uns das sicher danken. So viel zur Metaebene. matischen Zustand seien. Die Bundesanstalt für Immobi- lienaufgaben sieht einen Sanierungsaufwand in Höhe Jetzt gehe ich in die Niederungen des Einzelplans. von mindestens 4,3 Milliarden Euro. Was machen Sie? Natürlich ist jeder Einzelplan etwas Besonderes. Erlau- Sie kürzen die Verpflichtungsermächtigung, also die ben Sie mir die Bemerkung: Der Einzelplan 14 ist sogar Mittel für Infrastruktur- und Baumaßnahmen für 2016 etwas ganz Besonderes. Kein Etat wurde in den zurück- und die Folgejahre. Das steht im Widerspruch zur Ana- liegenden Wochen so öffentlich diskutiert wie der Ver- lyse Ihres eigenen Ministeriums. Auch das ist unverant- teidigungsetat. Zu Recht. In der Vergangenheit haben 6568 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014

Karin Evers-Meyer (A) wir viel zu wenig darüber diskutiert. Ich fange hier aber halten, und zwar auch dann, wenn der politische Druck (C) nicht noch einmal damit an, die Horrorgeschichten aus in die eine oder andere Richtung noch weiter wächst. dem Beschaffungsbereich des BMVg zu wiederholen. Darüber wurde zur Genüge berichtet. Die Frage der politischen Einflussnahme bei Beschaf- fungsvorhaben ist neben dem partiellen Versagen von In- Heute ist der Zeitpunkt, nach vorne zu schauen. In dustrie und Verwaltung auch ein wesentlicher Kritik- dieser Krise liegt eine Chance, nämlich die Chance, es in punkt, der an vielen Stellen im Gutachten zutage tritt. der Zukunft besser zu machen. Natürlich darf es künftig nicht mehr so sein, dass altersschwache Hubschrauber (Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE am Boden bleiben müssen, während Hunderte Millionen GRÜNEN]: Sagen Sie das einmal Ihren eige- Euro an den Finanzminister zurücküberwiesen werden. nen Leuten!) Da ist es völlig egal, ob es in diesem Jahr schon wieder Ich zitiere einmal sinngemäß: Durch die Einflussnahme 300 Millionen oder 700 Millionen Euro sind, die unge- der Politik auf die Analyse von Rüstungsprojekten nutzt liegen bleiben. Schon wenn 1 Euro nicht investiert kommt es oftmals zu unrealistischen Zeit- und Kosten- wird, ist das den Soldaten in ihren zum Teil maroden Ka- planungen. Dabei kann die oftmals impulsartige Ein- sernenunterkünften nicht zu vermitteln. flussnahme wegen mangelnder planerischer oder prozes- (Beifall bei der SPD) sualer Grundlagen oftmals nicht strukturiert abgefangen werden. – Verehrte Kolleginnen und Kollegen, das soll- Was muss also in Zukunft besser werden? Zunächst ten wir uns so auch ins Tagebuch schreiben. einmal, Frau Ministerin: Sie haben für einen wesentli- chen Bereich Ihres Etats den richtigen Weg eingeschla- (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE gen. Das Thema Beschaffung lag in den letzten drei GRÜNEN]: Wohl wahr!) Jahren völlig am Boden. Nichts wurde entschieden, je- denfalls nichts, was in die Zukunft gerichtet war. Bis vor Auch die Politik muss ihren Beitrag leisten. Wir müssen gut einem Jahr saß ich selbst noch im Verteidigungsaus- sachgerechten Entscheidungen zum Durchbruch verhel- schuss, und uns war völlig klar, dass das so nicht weiter- fen, frei von Partikularinteressen. gehen kann. Jeder Autofahrer weiß: Wenn ich drei Jahre Das Stichwort „Partikularinteressen“ bringt mich lang nicht in Öl investiere, dann ende ich spätestens im schließlich zu meinem nächsten Punkt, der Frage der vierten Jahr auf dem Standstreifen und muss abge- Europäisierung bzw. Internationalisierung. Die Bundes- schleppt werden. regierung hat einen Weißbuchprozess angekündigt, den Mit dem Gutachten von KPMG und anderen zu den ich sehr begrüße und von dem ich mir ganz besonders er- (B) Beschaffungsprojekten des BMVg liegt jetzt wenigstens hoffe, dass er belastbare Pflöcke einschlägt, sowohl bei (D) einmal eine präzise Handlungsgrundlage mit deutlicher den Themen „Joint Forces“ und „Pooling and Sharing“, Aussprache und ebenso deutlichen Arbeitsaufträgen vor. vor allem aber auch beim Thema „Standardisierung und Mit Ihrer neuen Staatssekretärin, Frau Ministerin, haben gemeinsame Beschaffung“. Es muss mehr auf den Tisch Sie jemanden gefunden – das ist jedenfalls mein Ein- als ein bloßes Bekenntnis zur internationalen bzw. euro- druck –, die, um im Jargon zu bleiben, weiß, wie man päischen Perspektive. mit so einer Präzisionswaffe umgeht. Es ist also Bewe- Selbst wenn es in den kommenden Jahren zu einem gung hereingekommen. Anstieg des Verteidigungsetats kommen sollte, wird das Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die die Notwendigkeit einer effizienten Internationalisierung Arbeit gerade erst begonnen hat. Abgerechnet wird auch nicht abschwächen. Wenn überhaupt, dann würde eine hier erst zum Schluss. Trotzdem gibt es von mir bewusst Etaterhöhung das Leiden verlängern. Die Stückzahlen Vorschusslorbeeren als Zeichen des Vertrauens und als werden nämlich weiter sinken. Die technischen Anfor- Signal, dass die Haushälter der Koalition sich hier nicht derungen werden weiter steigen. Damit steigt auch der auf eine Zuschauerrolle zurückziehen. Frau Ministerin, Preis. Die Kosten müssen wir uns im Bündnis teilen, an- bitte verstehen Sie in diesem Sinne auch die mehr als ders wird es aus haushaltspolitischer Sicht nicht gehen. 4 Milliarden Euro, die wir Ihrem Etat als Verpflichtungs- Alles andere macht auch sicherheitspolitisch keinen ermächtigungen zugestanden haben. Das ist eine bemer- Sinn. kenswerte Summe und haushalterisch ziemlich einmalig, auch wenn natürlich klar ist, dass das alles im Einzelnen Allerdings – auch das gehört zur Wahrheit dazu – wa- noch unter dem Vorbehalt der Zustimmung des Haus- ren die bisherigen europäischen Rüstungsprojekte alles haltsausschusses steht. Wir wollen Sie darin unterstüt- andere als ein Schnäppchen. Es kann daher zukünftig zen, an dem gesteckten Ziel der Konsolidierung des Be- nicht mehr so sein, dass man sich mit seinen Partnerstaa- schaffungsbereichs festzuhalten. ten auf die Beschaffung eines Flugzeugtyps einigt und im Nachhinein dann jedes Land über seine eigene Pro- Mich beschleicht allerdings schon wieder das Gefühl, jektagentur noch so lange individuelle Goldrandwünsche dass manche die kritischen Passagen aus dem Gutachten hinzufügt, bis am Ende quasi doch ganz verschiedene herauspicken, die ihnen gerade in den Kram passen; aber Flugzeuge dabei herauskommen. Wenn man das so da, wo es gerade nicht passt, wird versucht, die Empfeh- macht, kann man sich das Ganze auch sparen. Künftig lungen aus dem Gutachten politisch wegzudiskutieren. muss gelten: Wenn man sich auf VW Golf verständigt, Jedem sollte jetzt klar sein: Das geht nicht. Deswegen dann wird auch ein VW Golf beschafft und nichts ande- bitte ich das BMVg eindringlich darum, hier Kurs zu res. Nur so kann man wirklich sparen, ganz abgesehen Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6569

Karin Evers-Meyer (A) davon, dass Lieferzeiten sich verkürzen und die Truppe Verteidigungsfähigkeiten zu kräftigen. Wir sind dabei, (C) noch schneller an neues Gerät kommt. das bis zum nächsten Sommer umzusetzen. Auch die NATO hat, der aktuellen Entwicklung geschuldet, auf Sehr geehrte Damen und Herren, da steckt noch viel dem Gipfel in Wales Beschlüsse gefasst, wie die Allianz Arbeit im Detail, wie man sieht, auf die ich nun nicht ihr Fähigkeitenprofil anpassen kann, wie sie schneller mehr eingehen kann. Bei aller Manöverkritik will ich werden kann, wie sie flexibler werden kann. Auch hier aber noch zwei gute Nachrichten verbreiten. Die eine sind wir dabei, besonnen, aber entschlossen diese Dinge Nachricht lautet: Es ist vieles gut. Ich weiß zwar nicht, anzugehen. ob der A400M noch vor Silvester dieses Jahres abge- nommen werden kann. Aber ich weiß, dass wir ein Spit- Ich will damit sagen: Diese Herausforderungen wer- zenflugzeug bekommen werden. Will sagen: Wenn Rüs- den uns etwas kosten; das alles ist nicht zum Nulltarif zu tungsprojekte zulaufen, dann steht auch Topqualität auf haben. Ich glaube, diese Botschaft ist inzwischen im dem Hof. politischen Raum angekommen, und das spiegelt dieser Haushalt auch wider. Die zweite gute Nachricht für die Soldatinnen und Soldaten ist: Der Haushalt 2015 wird zumindest ein we- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nig Bewegung in den Personalkörper bringen. Im zivilen neten der SPD) Bereich sind 200 Planstellenanhebungen von Besol- dungsgruppe A 7 auf A 8 vorgesehen. Das hilft, den Be- Die Bundeswehr ist über Jahre durch den Einsatz in förderungsstau bei der Beförderung zum Hauptsekretär Afghanistan geprägt gewesen; das war gut, und das war aufzulösen. Bei den Streitkräften werden zusätzliche richtig. Wir werden auch in der nächsten Woche über die 50 Planstellen der Besoldungsgruppe A 12 ausgebracht, Folgemission des ISAF-Einsatzes hier diskutieren. Der was auch hier helfen wird, etwas Bewegung in den Stau Einsatz in Afghanistan hat das Land Afghanistan sicher- zu bringen. Das waren die positiven Nachrichten zum lich verändert: von einer Terrorherrschaft der Taliban hin Schluss. zu einem Land, das heute neue und andere Perspektiven hat, auch wenn nicht alles gut ist. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Afghanistan hat aber auch die Bundeswehr sehr stark (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) geprägt. Die Bundeswehr ist inzwischen eine Armee im Einsatz, eine Parlamentsarmee, die gemeinsam mit unse- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: ren Partnern und Verbündeten einen hervorragenden und Vielen Dank. – Das Wort für die Bundesregierung hat vor allem einen international anerkannten Dienst leistet. jetzt die Bundesministerin der Verteidigung, Dr. Ursula Das spiegelt sich auch in dem Spektrum der Einsätze wi- (B) von der Leyen. der, die wir inzwischen haben, Stichwort „Verantwor- (D) tung, die wir übernehmen“. Allein in den vergangenen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- elf Monaten gehörten dazu: Mali, Somalia, Zentralafri- neten der SPD) kanische Republik, die Unterstützung der Flüchtlinge im Nordirak und die Unterstützung der kurdischen Armee Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin der im Nordirak, der Peschmerga, der Einsatz gegen die Verteidigung: Ebolaepidemie. Zu diesem Einsatz kann ich nur sagen: Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Es ist bewegend gewesen, mit wie viel Herz und Mut Herren! Herr Lindner, wenn man Ihnen zugehört hat, sich nicht nur Soldatinnen und Soldaten, sondern auch konnte man das Gefühl haben, dass wir – bis auf Active unendlich viele Reservistinnen und Reservisten gemel- Fence – hier auf einer Insel sind. Dem ist nicht so. Viele det haben, um diesen Einsatz zu leisten. Es spricht für der Dinge, die sich heute im Haushalt widerspiegeln, den Geist unseres Landes, dass sich die Menschen, wenn sind der aktuellen Entwicklung geschuldet. Not am Mann und an der Frau ist, beherzt zur Hilfeleis- tung melden. Ich bin in der vergangenen Woche beim Europäischen Rat der Verteidigungsminister in Brüssel bei einer Aus- Was viel zu wenig beachtet worden ist: Die Bundes- sprache zur Sicherheitslage Europas gewesen. Da konnte wehr hat in kürzester Zeit eine Luftbrücke aufgebaut, man mit Händen greifen, wie sehr Europa inzwischen dank derer täglich Hilfsgüter aus dem Senegal direkt in beeinflusst ist von den Instabilitäten, die uns umgeben, das Ebolagebiet geflogen werden. Dafür haben wir in etwa der Politik des Kremls mit all den Konsequenzen, breitem Maße zu danken. die das für die Ukraine und für unsere Friedensarchitek- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) tur in Europa hat, dem Kampf gegen IS im Irak und in Syrien und der Ebolaepidemie, die uns in einem nie ge- Eine Fülle von notwendigen Aufgaben musste in diesem kannten Maße fordert, um nur drei Themen zu nennen. Jahr erfüllt werden. Es sind Aufgaben, die auf absehbare Das sind Herausforderungen, von denen wir alle wissen, Zeit nicht weniger, sondern wahrscheinlich eher mehr dass sie zu bewältigen kurzfristig nicht möglich ist, son- werden. dern dass uns das eine geraume Zeit beschäftigen wird und dass uns das enorm fordern wird. Meine Damen und Herren, als ich vor einem halben Jahr an diesem Pult stand und wir den Haushalt 2014 be- Hinzu kommt, dass wir neue Aufgaben bekommen schlossen haben, ist über die globale Minderausgabe der haben. Die europäischen Staats- und Regierungschefs Verteidigungsetat um 400 Millionen Euro gekürzt wor- haben im Dezember 2013 beschlossen, die europäischen den, weil diese absehbar nicht verausgabt werden wür- 6570 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014

Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen (A) den – völlig in Ordnung. Heute, sechs Monate später, sa- ten müssen als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (C) gen wir deutlich, dass wir eine weitere Kürzung nicht sonst. Im Extremfall müssen sie bereit sein, ihr Leben zu verkraften können und dass wir um die Annahme des lassen. Aber ich sage immer: Ist das, nämlich dass sie im Regierungsentwurfes ohne Kürzungen bitten. Dieses Einsatz mehr leisten müssen als jeder andere, ein Grund, Ziel haben wir erreicht. Mehr noch: Der Verteidigungs- sie hier zu Hause schlechter zu behandeln als viele an- haushalt ist für 2015 höher, als im Regierungsentwurf dere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer? Nein, im zunächst ausgewiesen. Das ist der Lage angemessen. Gegenteil! Wir müssen sie hier zu Hause besser behan- Dafür danke ich von Herzen. Das ist ein Erfolg. deln als viele andere. Deshalb der Ansatz. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Zu- neten der SPD) ruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) Denn es geht in diesem Etat um nichts weniger als um Thema Material. Auch da haben wir erhebliche He- eine nachhaltige Modernisierung der Bundeswehr, und rausforderungen. Das Rüstungsgutachten hat die Dimen- zwar sowohl beim Personal als auch beim Material. Das sion der Probleme bei den Rüstungsprojekten klarge- ist etwas, wofür wir einen langen Atem brauchen. Da macht. Ja, es ist keine schöne Bilanz: zu teuer, zu spät werden wir noch so manche Hürde überwinden müssen. und mit Mängeln. Auch hier geht es um die Modernisie- Da wird es noch so manches Problem geben, was Sie rung der Streitkräfte. Wir alle kennen den Teufelskreis, von der Opposition dann zu Recht anprangern werden. unter dem wir gelitten haben, bis in dieses Jahr hinein, Aber wir müssen dort stetig vorangehen. Zur Bewälti- und das ist auch noch lange nicht abgearbeitet. gung der Herausforderungen, vor denen wir stehen, be- „Zu teure Rüstungsprojekte“, das heißt: Sie verdrän- reiten wir mit dem Haushalt 2015 den Boden. Ab 2016 gen andere Fähigkeiten, die man sonst hätte realisieren können wir neue und sichtbare Akzente setzen. können. „Zu spät“ heißt: Sie fehlen der Truppe. Das ha- Beim Personal geht es um nicht weniger als um die ben wir in diesem Sommer sehr schmerzhaft spüren Aufstellung einer demografiefesten Armee. Wie wir mit müssen. „Zu spät“ heißt auch, altes, wenn auch bewähr- Soldatinnen und Soldaten aufgestellt sind, das entschei- tes, aber eben betagtes Material länger nutzen zu müs- det über die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr. sen. „Länger nutzen“ heißt: mehr Wartung, mehr In- standsetzung. Dafür ist die Ersatzteilbeschaffung nicht (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ausgelegt. – So kann man den Teufelskreis beschreiben, Es ist auch das Material, aber es sind die Soldatinnen den wir durchbrechen müssen. und Soldaten, die den Unterschied machen, wenn es da- Wir haben die Agenda Rüstung aufgestellt. Klarer rum geht, ob die Bundeswehr ihr Gesicht behält, so mo- rüstungspolitischer Kurs! Vielen Dank, Barthl Kalb, für (B) (D) dern und international wie jetzt, oder ob sie es verliert. die Analyse der Schlüsseltechnologien! Das auszufüh- Dafür lohnt es, sich einzusetzen. ren, kann ich mir dann hier sparen; aber das ist einer der (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- wichtigen Punkte. neten der SPD) Ein anderer Punkt: multinationale Rüstungskoopera- Wir haben deswegen das Artikelgesetz eingebracht. tionen. Es geht voran mit Frankreich. Es geht voran mit Herr Lindner, als Sie angefangen haben, über Kühl- Spanien, mit England. Es gibt aber auch gemeinsame schränke und Flachbildschirme zu spotten, haben Sie Arbeit der Armeen: mit den Niederlanden, mit Polen. selbst gemerkt, dass der Spott vielleicht nicht angemes- Es geht um ein verbessertes Rüstungsmanagement. sen ist. Deshalb lasse ich das hier beiseite. Das ist eine Kärrneraufgabe, und die ist nicht in einem (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE Rutsch zu schaffen. Dabei geht es darum, die Prozesse GRÜNEN]: Es geht um die Finanzierung! Die zu verbessern. Dabei geht es darum, das Risikomanage- ist unseriös!) ment zu verbessern sowie das Vertragsmanagement, das Lieferantenmanagement, die Organisationsentwicklung – Es geht darum, dass wir die Maßnahmen nach diesem beim BAAINBw. Was man da auch gesehen hat, ist, dass Artikelgesetz in der Breite finanzieren, und da ist es legi- wir mitten in der Neuausrichtung sind. Das heißt, dass in tim, dann, wenn Dinge ausfallen wie die Fregatte, in die- ganz vielen Behörden die Fachkräfte noch nicht an den sem Haushaltsjahr die Mittel zu allozieren für die Solda- Stellen sind, an denen sie gebraucht werden. Das heißt, tinnen und Soldaten. Ich finde, das ist ein sehr wichtiges dass Dinge, die dringend gemacht werden müssen, lie- Signal an die Truppe, das auch richtig verstanden wird. gen bleiben. Es ist also eine Bundeswehr, die im Augen- Es ist übrigens auch ein wichtiges Signal an unsere Part- blick wirklich im Umbruch ist, eine Bundeswehr in der ner und Verbündeten, die die nachhaltige demografie- Neuausrichtung, die notwendig war und richtig ist. Das feste Aufstellung unserer Armee wahrnehmen. zeigt, dass wir in diesem Modernisierungsprozess noch Herr Leutert, niemals habe ich gesagt, dass wir ein erhebliche Arbeit vor uns haben. Arbeitgeber sind wie jeder andere. Wir müssen Fähigkeitslücken schließen. Wir müssen (Florian Hahn [CDU/CSU]: Ganz genau! So die Einsatzbereitschaft stärken; deshalb die Task Force ist es!) „Drehflügler“ und die Task Force „Starrflügler“. Wir müssen Kennzahlen darlegen. Wir haben einen gemein- Es ist so, dass wir gerade kein Arbeitgeber sind wie jeder samen Ausschuss gehabt, der das gezeigt hat, sodass wir andere, weil unsere Soldatinnen und Soldaten mehr leis- wissen, wie die materielle Einsatzlage ist. Erhebliche Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6571

Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen (A) Aufgaben liegen vor uns, aber dieser Haushalt gibt uns ten –, aber wir sollten unser Licht auch nicht unter den (C) eine gute Basis dafür. Scheffel stellen, meine Damen und Herren. Das ist mir wichtig. Ich danke für die Verpflichtungsermächtigung von 1,8 Milliarden Euro. Das gibt uns einen Handlungsauf- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- trag, nämlich Entscheidungen reifen zu lassen. Aber neten der SPD) dann, wenn sie getroffen werden können, können wir Die Soldatinnen und Soldaten haben einen besonde- auch die Verträge schließen, die notwendig sind. Das ren Auftrag. Wir rufen ihn uns immer wieder in Erinne- Wichtigste aber ist, meine Damen und Herren: Wir ha- rung. Wir haben am vergangenen Wochenende in Pots- ben die Möglichkeit, 1,8 Milliarden Euro mehr in die dam gemeinsam mit dem Bundespräsidenten den Wald Ausrüstung der Soldatinnen und Soldaten zu investieren. der Erinnerung eingeweiht. Das ist neben der zentralen Das ist ein Riesenschritt voran, und wir werden jetzt Gedenkstätte hier in Berlin-Mitte ein ganz besonderer auch mutig die richtigen Entscheidungen treffen. Ort der Erinnerung – ein Ort der Trauer, ein Ort des Ge- Zur Agenda gehört auch, dass wir mindestens 20 Pro- denkens an unsere Soldaten, die im Einsatz gefallen zent des Verteidigungsetats für die Modernisierung und sind. Es ist auch ein Ort geworden, an dem die Familien, die Ausrüstung der Bundeswehr einsetzen. Es gibt genü- die Freundinnen und Freunde, die Kameradinnen und gend Projekte im Zulauf: Fregatten, A400M, die neue Kameraden Geborgenheit und Stille finden. Es ist eine Hubschraubergeneration, geschützte Fahrzeuge wie der ergreifende und würdige Gedenkstätte geworden. Ich GTK Boxer, der Puma – die Liste ist lang. Das bedeutet möchte an dieser Stelle ausdrücklich all jenen danken, für uns gemeinsam auch ein ordentliches Stück Arbeit: die weit vor meiner Zeit an der zugrunde liegenden Kon- Wir müssen den Stau der vergangenen Jahre auflösen. zeption und Entscheidung beteiligt gewesen sind. Das, Wir müssen neue Vorhaben auf den Weg bringen. Wir was dort gewachsen ist, war für mich beeindruckend. müssen den Zulauf und den Mittelabfluss koordinieren; (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem das ist eigentlich die Kunst. Jeder Erfahrene hier weiß, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dass der Zulauf nicht immer zeitgerecht geschieht und deshalb auch der Mittelabfluss nicht immer passend Es ist eine Gedenkstätte, die uns mahnt, dass unsere Sol- möglich ist. Das heißt, das Bugwellenphänomen, das wir datinnen und Soldaten einen einzigartigen Dienst tun im Augenblick beobachten, müssen wir in den nächsten – im Einsatz, aber auch in der Heimat – und wir best- Jahren gemeinsam in den Griff bekommen. Das bedeutet möglich für sie sorgen müssen. Ich glaube, das ist ein – ich habe es eben schon gesagt –, dass die Modernisie- Gedanke, der die Gruppe, die hier im Hohen Haus ver- rung der Streitkräfte keine Einmalaktion ist, sondern sammelt ist, immer wieder eint. (B) eine Daueraufgabe. Vielen Dank. (D) Ich möchte ein paar Worte zur materiellen Einsatzbe- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) reitschaft verlieren. Im September haben die Inspekteure unter großer medialer Beachtung im Verteidigungsaus- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: schuss zur materiellen Einsatzbereitschaft vorgetragen. Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt Katrin Kunert, Das Bild war nicht zufriedenstellend, insbesondere bei Fraktion Die Linke. den fliegenden Waffensystemen. Aber die Verengung auf die Problembereiche, die wir zweifelsohne haben (Beifall bei der LINKEN) – das will ich gar nicht abstreiten –, hat dazu geführt, dass die generelle Einsatzbereitschaft infrage gestellt Katrin Kunert (DIE LINKE): wurde. Das weise ich zurück. Im Gegenteil: Die Bundes- Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol- wehr erfüllt all ihre Einsatzverpflichtungen. Die Solda- legen! Frau von der Leyen, mein Kollege Michael tinnen und Soldaten sind im Einsatz mit Gerät ausgestat- Leutert hat deshalb auf die Rekrutierung Minderjähriger tet, das auch im Vergleich mit unseren internationalen hingewiesen, weil Deutschland eben nun einmal gegen Partnern erstklassig ist, gerade im Hinblick auf ge- die UN-Kinderrechtskonvention verstößt. Das darf man schützte Fahrzeuge: Wir haben die größte Flotte an ge- an dieser Stelle auch erwähnen. schützten Fahrzeugen in Europa. Noch einmal: Es gibt Probleme mit den neuen Waffensystemen, die zulaufen (Beifall bei der LINKEN) – gar keine Frage –, aber das heißt nicht, dass wir blank Außenminister Steinmeier hat vor kurzem gesagt, dastehen. dass wir im Ukraine-Konflikt sorgfältig auf unsere öf- fentliche Sprache achten sollten, wenn wir zu einer Lö- Zu Ihrer Frage nach dem GTK Boxer, Herr Lindner. sung beitragen wollen. Wir stimmen dem ausdrücklich Der GTK Boxer ist für den Infanteristen der Zukunft zu; denn auch der Westen trägt Verantwortung für diesen wichtig – gar keine Frage. Deshalb sind wir der Mei- Konflikt. Die Kanzlerin hingegen hat auf dem G-20- nung, dass wir mehr davon brauchen. Aber dahinter ste- Gipfel ausschließlich Russland scharf kritisiert. hen über 500 Transportpanzer Fuchs zur Verfügung, die dann – um Ihre Frage zu beantworten – nicht mehr auf- Der aktuelle Scherbenhaufen in der internationalen gerüstet werden, sondern ausgephast werden können. Politik ist riesig. Wir müssen verdammt aufpassen, dass Das Gleiche gilt für den Puma, der auch noch nicht da wir nicht in einen neuen Kalten Krieg schlittern. Es ging ist. Aber dahinter stehen über 400 Marder. Mit anderen und geht um militärische Eindämmung und um die Iso- Worten: Probleme gibt es – daran müssen wir hart arbei- lierung Russlands. 6572 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014

Katrin Kunert (A) Deutschland hat bereits den viertgrößten Militärhaus- Noch einige Bemerkungen zur Attraktivitätsoffensive (C) halt der NATO und den siebtgrößten Militärhaushalt der der Bundeswehr. Frau Ministerin, haben Sie sich eigent- Welt. Alle NATO-Mitglieder zusammen geben zwölfmal lich gefragt, warum so viele Soldatinnen und Soldaten mehr für Militär aus als Russland. Darüber sollten wir in bereits ihre Grundausbildung abbrechen? Haben Sie sich diesem Hohen Haus einmal reden. gefragt, warum es ausgerechnet unter den Offizieren so viele Kriegsdienstverweigerungen gibt? Die Ursachen (Beifall bei der LINKEN – Henning Otte sind doch nicht der fehlende Flachbildschirm oder [CDU/CSU]: Können wir gerne machen! – schlecht renovierte Stuben; vielmehr ist es die Ausrich- Rainer Arnold [SPD]: Aber wir wollen Russ- tung der Bundeswehr auf mehr Auslandseinsätze und land nichts Böses, egal wie viel wir ausgeben!) falsche Versprechungen bei der Rekrutierung. Der Bundespräsident und die Verteidigungsministerin (Florian Hahn [CDU/CSU]: Ach Gott! Das predigen, Deutschland müsse mehr Verantwortung in der kriegt auch keiner mit, dass es Auslandsein- Welt übernehmen. Das will die Linke auch. Wir verste- sätze gibt!) hen unter Verantwortung, dass von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen darf und dass die Auslandsein- Die üppigen Zuzahlungen für Spezialkräfte in Aus- sätze der Bundeswehr beendet werden sollen. landseinsätzen sind in diesem Zusammenhang der fal- sche Anreiz. (Beifall bei der LINKEN – Ingo Gädechens (Beifall bei der LINKEN) [CDU/CSU]: Wer gewährleistet dann die Si- cherheit?) Richtig dagegen sind die geplanten Solderhöhungen für die freiwillig Wehrdienstleistenden, deren Bezahlung Diese schaffen keine nachhaltige Sicherheit und sollen bislang unter dem Mindestlohnniveau liegt. allein im nächsten Jahr 460 Millionen Euro kosten. Das lehnt die Linke ab. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Bitte?) (Beifall bei der LINKEN) Es muss auch bei der Bundeswehr einen Mindestlohn geben. Stattdessen müssen Strukturen kollektiver Sicherheit ge- schaffen und gestärkt werden. Für uns ist das vor allem In Ihrem Haushaltsentwurf gibt es nur eine Linie: die die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Orientierung auf mehr Auslandseinsätze. In meinem Europa. Sie ist die einzige regionale Sicherheitsorganisa- Wahlkreis befindet sich das größte Gefechtsübungszen- trum. Dort soll eine Kriegsübungsstadt entstehen, in der tion, in der Russland und die USA gleichberechtigte die Bundeswehr und andere NATO-Truppen künftige Mitglieder sind. Frieden und Sicherheit in Europa sind Einsatzszenarien trainieren sollen. (B) nur mit und nicht gegen Russland möglich. (D) (Rainer Arnold [SPD]: Russland hätte so eine (Beifall bei der LINKEN) gerne gekauft!) Die Linke fordert die Beschaffung eines Flugzeugs im Es soll Hochhäuser, Supermärkte, ein Armenviertel und Rahmen des Vertrages über den Offenen Himmel; denn sogar eine U-Bahn geben; wohl gemerkt, die einzige U- durch gemeinsame Beobachtungsflüge kann mehr Bahn in ganz Sachsen-Anhalt. Das hat nichts, aber auch Transparenz geschaffen werden. gar nichts mit dem Verteidigungsauftrag, wie er im Verantwortung bedeutet für uns auch Mut zur Eigen- Grundgesetz geschrieben steht, zu tun. Die Linke for- initiative. Beenden Sie das Duckmäusertum gegenüber dert: Stoppen Sie den Bau des Gefechtsübungszentrums! den USA, und setzen Sie sich für die Aufhebung der (Beifall bei der LINKEN – Lachen des Abg. Sanktionen im Interesse der Menschen in Russland und Norbert Barthle [CDU/CSU] – Henning Otte in Deutschland ein. Wir brauchen den Dialog mit Russ- [CDU/CSU]: Meine Güte! Das ist eine Wahl- land, und wir brauchen eine neue Ostpolitik im Geiste kreisrede!) von Willy Brandt. Für die Bundesregierung steht das Militärische immer (Beifall bei der LINKEN – Ingo Gädechens an oberster Stelle. Für die Folgen ihrer Politik interes- [CDU/CSU]: Der arme Willy Brandt!) siert sie sich leider nur wenig. Das wird im Umgang mit den Radargeschädigten der Bundeswehr und der NVA Wir wollen eine nachhaltige Friedenspolitik, und da- deutlich. Es ist schäbig, wie die Regierung mit den Ra- für muss die deutsche Wirtschaft entmilitarisiert werden. daropfern umgeht. Von den oft unheilbar Krebskranken Wir fordern einen Konversionsfonds in Höhe von wird verlangt, dass sie in jahrzehntelangen Gerichtsver- 2,5 Milliarden Euro, der aus dem Reingewinn der Bun- fahren selbst beweisen, dass sie radioaktiver Strahlung desbank gespeist wird. Mit diesem Geld kann der not- ausgesetzt waren. Viele von ihnen sterben, bevor sie eine wendige Strukturwandel sozial und ökologisch gestaltet Entschädigung erhalten. Das ist wirklich ein Skandal! werden. Konkrete Investitionen in den Umbau der Pro- duktion und in die berufliche Qualifizierung der Be- (Beifall bei der LINKEN – Ingo Gädechens schäftigten werden so möglich. Weiterhin wollen wir [CDU/CSU]: Sie kennen die Härtefall-Stif- nicht mehr genutzte Bundeswehrliegenschaften den tung, die wir geschaffen haben, gar nicht!) Kommunen kostengünstig überlassen. Konversion geht – – Das ist anscheinend nicht ausreichend. Waren Sie bei wenn man sie denn will. den Gesprächen mit dem Staatssekretär dabei? (Beifall bei der LINKEN) (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Ja!) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6573

Katrin Kunert (A) Es war beschämend, wie er sich verhalten hat. Ich würde ders wichtig: Wir wollen, dass die Zeitsoldaten bei ihrer (C) an Ihrer Stelle ganz ruhig sein. sozialen Altersabsicherung den Angestellten im öffentli- chen Bereich gleichgestellt werden. Ich denke, darüber (Beifall bei der LINKEN – Ingo Gädechens werden wir in den nächsten Wochen noch ein wenig dis- [CDU/CSU]: Nein, das bin ich nicht!) kutieren und noch einiges verbessern können. Die Linke fordert eine erleichterte Anerkennungs- (Beifall bei der SPD) praxis durch die Umkehr der Beweislast. Frau Ministe- rin, auch der Wehrbeauftragte schlägt diese Verbesse- Dies gilt auch für die Neustrukturierung der Beschaf- rung vor. Laden Sie die Folgen Ihrer Militärpolitik nicht fungsprozesse. Natürlich war die Kumulierung der Pro- auf dem Rücken der Soldatinnen und Soldaten ab. bleme in den letzten Wochen ein Weckruf. Die einzelnen Bei der Regierung stehen alle Zeichen auf Militär, Fakten sind uns nicht wirklich neu, aber ihre Kumulie- Auslandseinsätze und Rüstung. Wir als Linke setzen auf rung hat zu Recht eine hohe Aufmerksamkeit geweckt. Abrüstung, Landesverteidigung und eine friedliche Kon- Dabei zeigt sich natürlich schon – Sie sprachen das fliktlösung. Aber dazu fällt Ihnen leider nichts ein. Wir Thema Boxer an –, dass alte Anordnungen, wie zum werden diesen Haushalt ablehnen. Beispiel die Befüllung eines Gerätes statt zu 100 Prozent nur zu 70 Prozent, letztlich ein Irrweg sind. Dort haben Danke schön. Betriebswirte und Sparkommissare formuliert und nicht Sicherheitspolitiker. Wir Sicherheitspolitiker wissen, (Beifall bei der LINKEN) dass die Geräte und die personelle Vorhaltung bei Streit- kräften eben nicht betriebswirtschaftlich, sondern Vor- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: sorge sind. Das heißt, Redundanzen und Reserven sind Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion erhält nun in diesem System immer erforderlich, und wir werden in Rainer Arnold das Wort. dieser Koalition versuchen, in den nächsten Jahren auch (Beifall bei der SPD) dort Veränderungen herbeizuführen. Dazu gehört auch der Auftrag im Koalitionsvertrag, Rainer Arnold (SPD): Verantwortung für die Rüstungswirtschaft zu überneh- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! men. Auch dies werden wir tun. Die Ministerin hat die- Nur ein Satz an die Linke, damit jeder sieht, welcher Un- sen schwierigen Prozess der Neu- und besseren Struktu- fug dort geredet wird: Bei dieser Regierung stehen alle rierung der Beschaffungsprozesse benannt. Ich nenne ein Zeichen auf Militär. weiteres Thema: Wir wollen auch die Debatte über Kernfähigkeiten zügig abschließen. In den verteidi- (B) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) gungspolitischen Richtlinien für das Jahr 2011 – diese (D) Frau Kollegin, es sind 3 300 Soldaten in internationa- haben wir nicht verfasst, trotzdem steht dort an einer len Friedensmissionen, Stelle etwas wirklich Richtiges drin – heißt es: Kernfä- higkeiten sind auch dort, wo die Bundeswehr signifi- (Christine Buchholz [DIE LINKE]: Herr kante und international anerkannte Fähigkeiten ein- Oberlehrer!) bringt. meist im Auftrag der Vereinten Nationen. In der Spitze Damit ist klar: Die Verteidigungsministerin muss an waren es knapp 11 000. Es sind also deutlich weniger dieser Stelle sagen, wo wir diese anerkannten Fähigkei- geworden – und nicht mehr, so wie Sie tun. ten haben. Die anderen Ressorts müssen ihren sicher- (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Aber mehr Man- heitspolitischen Beitrag leisten, und das Wirtschaftsres- date!) sort muss die Frage klären: Wie hilft man den Unternehmen bei den schwierigen Anpassungsprozessen Richtlinie und Richtschnur für das Handeln dieser in den nächsten Jahren? Deshalb begrüßen wir es, dass Regierung ist auch im Verteidigungsbereich der Koali- es eine Staatssekretärsrunde gibt, die diese Themen zu- tionsvertrag. Herr Kollege Lindner, Sie mögen ja kriti- künftig kooperativ bearbeiten will. Die Kernfähigkeiten sieren, dass die Regierung und die Ministerin das Fal- sind kein Pingpongspiel, das zwischen den Ressorts hin- sche tun; das ist Ihre Aufgabe. Aber so zu tun, als ob und hergeht. Es ist eine gemeinsame Verantwortung die- nichts getan werde, das geht wirklich an der Sache vor- ser Koalition. bei. Schauen Sie in den Koalitionsvertrag, und Sie wer- den feststellen: Alles, und zwar wirklich alles, was wir (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ damals aufgeschrieben haben, ist entweder abgearbeitet DIE GRÜNEN) oder bereits aufs Gleis gesetzt. Das gilt für die Evaluie- Nach dieser Anforderung aus den alten Verteidi- rung, die wir in den nächsten Wochen diskutieren wer- gungspolitischen Richtlinien ist natürlich auch klar, dass den und bei der wir feststellen werden, dass sich die Gefechtsfahrzeuge, Raketenabwehr und U-Boote in Welt verändert hat und man heute andere Antworten ge- Deutschland eine besondere Ausprägung haben und des- ben muss. halb auch zu diesen Schlüsselfähigkeiten gehören müs- Das gilt natürlich auch für die Attraktivität des Solda- sen. Wenn wir dies ernst nehmen, werden wir in den tenberufes. Alle konkreten Forderungen, die wir aufge- nächsten Jahren auch über Forschung sprechen müssen. schrieben haben, hat die Ministerin in einem sehr großen Ich bin nicht der Auffassung – wir diskutieren das als Paket aufs Gleis gesetzt. Dabei ist uns ein Punkt beson- Parlamentarier schon lange –, dass die etwa 300 Millio- 6574 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014

Rainer Arnold (A) nen Euro tatsächlich dem Technologieland Deutschland Amerikanern gesehen –, bleibt eben nur der Weg, denje- (C) entsprechend dem Haushalt zur Verfügung stehen. Wir nigen zu helfen, die das auch in unserem Interesse tun. werden die Forschungsmittel genau dort, wo wir Kernfä- higkeiten definiert haben, in den nächsten Jahren ver- Vor diesem Hintergrund ist es richtig, dass ein neues stärken müssen, damit wir auch im Jahr 2030 moderne Weißbuch aufgelegt wird. Im Ergebnis wird darin die Streitkräfte haben. Veränderung in dieser Welt sichtbar, und am Ende wer- den wir aus meiner Sicht eine neue Debatte bekommen, (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!) und zwar nicht über eine neue Bundeswehr oder eine ganz neue Reform, sondern darüber, was die Streitkräfte Wenn der Koalitionsvertrag abgearbeitet wird, ist in Zukunft können müssen. Dies darf in Zukunft nicht, trotzdem nicht alles gut; das wissen wir, denn die Welt wie in der Vergangenheit allzu häufig geschehen, vom hat sich verändert. Diktat der leeren Kassen abgeleitet werden, Niemand hätte sich vorgestellt, dass in Europa mit (Zurufe von der LINKEN) Waffengewalt Grenzen verändert werden. Das hat Aus- wirkungen auf die Debatten in der NATO. Die NATO sondern es muss davon abgeleitet werden, was wir als muss sich deshalb mit Sicherheit nicht neu erfinden. Deutsche in die internationale Politik einbringen können Aber die Reaktionsfähigkeiten und die -geschwindigkei- und einbringen wollen. ten in der NATO werden sich verändern, und das wird Manche Soldaten haben in den letzten Jahren ja im- auch Auswirkungen auf die Organisation der Bundes- mer wieder gesagt: Was wollt ihr mit eurer Debatte errei- wehr haben. Entscheidend bleibt aber: Es darf nicht der chen? Wir bieten euch doch ein möglichst breites Spekt- geringste Zweifel entstehen, dass Artikel 5 für alle gilt. rum an Fähigkeiten an, damit ihr Politikerinnen und Die NATO ist politisch entschlossen, das durchzusetzen Politiker auswählen könnt. – Das ist der falsche Ansatz, und damit zu zeigen: Wir sind verlässlich. um es ganz klar zu sagen. Wir Politiker definieren, wel- che Fähigkeiten unsere Streitkräfte brauchen. Die Solda- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ten setzen das dann operativ um. Das ist die richtige Rei- der CDU/CSU) henfolge. Damit kommt allerdings auch Verantwortung Entscheidend ist und bleibt auch in Zukunft, dass die auf uns zu: Wenn wir diese Aufgaben definiert haben, NATO ihre Fähigkeiten so sichtbar zur Schau stellt, dass müssen wir schon dafür sorgen, dass die Streitkräfte die jeder weiß, er hat dagegen keine Chance, dass jeder dafür notwendigen Mittel bekommen. weiß, die NATO ist ein überlegenes Bündnis. Das wollen Deshalb bin ich dankbar, dass unsere Haushälterin wir deshalb, weil wir wissen, dass dann, wenn unsere – ihr möchte ich an dieser Stelle wirklich danken – nicht (B) Fähigkeiten sichtbar sind, wir sie aller Wahrscheinlich- nur die schwarze Null im Auge hatte, sondern immer (D) keit nach nicht brauchen werden. Das ist das eigentliche auch im Blick hatte, dass es bei der Bundeswehr nicht Ziel. nur um Waffen geht, sondern in erster Linie auch um Die zweite Veränderung in der Welt – darüber wurde Menschen. Sie hat vor diesem Hintergrund wichtige Bei- schon viel gesprochen – ist das Auftreten der brutalen träge geleistet, dass der Haushalt im nächsten Jahr aus- Terroristen des sogenannten IS. Es handelt sich nicht kömmlich ist. Herzlichen Dank! In Zukunft werden wir mehr – das ist schon neu – um diese alte asymmetrische Debatten führen, bei denen das ebenfalls sichtbar wird. Bedrohung, über die wir jahrelang gesprochen haben. So wird das Attraktivitätsprogramm seriös und nachhal- Das ist jetzt nicht mehr asymmetrisch. Es haben sich tig in zukünftigen Haushalten abgebildet werden. Das ist möglicherweise sogar die Vorzeichen bei der Symmetrie ganz wichtig für die Glaubwürdigkeit. verschoben. Es wird nämlich Staatlichkeit durch Terro- In diesem Sinne: Recht herzlichen Dank. Ich denke, risten organisiert. Ich fand es schon beeindruckend, was wir sind auf einem guten Weg. In drei Jahren wird man die Königin Rania von Jordanien zu diesem Thema ge- sagen können: Diese Große Koalition hat die Herausfor- sagt hat. Sie vertrat zum einen deutlich ihre Meinung, derung angenommen, die Chancen, die sich für die Bun- auch gegenüber der arabischen Welt, dass jeder Verant- deswehr boten, ergriffen und ihre Aufgaben erledigt. wortung trägt und dass hinter den Angriffen dieser Ideo- logen eine übelste Ideologie und ein globaler Machtan- Herzlichen Dank. spruch steckt. Zugleich sagte sie: Ideologien sind nicht (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) mit Kugeln zu beseitigen. Das Thema wird uns also noch lange beschäftigen, Vizepräsidentin Ulla Schmidt: und auch die Menschen in Deutschland – wir sehen das Vielen Dank. – Nächster Redner ist Henning Otte, derzeit bei vielen Diskussionen – merken, wie ernsthaft CDU/CSU-Fraktion. das ist. Sie verstehen auch, dass in bestimmten Situatio- nen Diplomatie aktiv bleiben muss – die Bundesregie- (Beifall bei der CDU/CSU) rung leistet hier Vorbildliches; das wurde schon häufig gesagt –, man sich gleichzeitig aber solch brutalem fun- Henning Otte (CDU/CSU): damentalen Terrorismus notfalls auch mit Waffengewalt Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und entgegenstellen muss. Wenn man das nicht selber kann, Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als wenn man das nicht selber will, weil das vielleicht auch wir vor einem Jahr den Koalitionsvertrag beraten haben, nicht besonders effektiv ist – das hat man im Irak bei den konnten wir nicht vorhersehen, vor welchen sicherheits- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6575

Henning Otte (A) politischen Herausforderungen wir stehen würden. Lie- Es gibt Konflikte mit altbekannten Gesichtern: Land- (C) ber Kollege Rainer Arnold, wir kämpfen dafür, wir ar- nahme durch Militär, Destabilisierung, Einschüchterung beiten dafür, wir werben dafür, dass wir die notwendigen ganz Osteuropas durch Russland. Hier werden Elemente Mittel bekommen; aber wenn die Politik festlegen soll, des Kalten Krieges übernommen, und es wird mit mo- welche Herausforderungen in Zukunft auf uns zukom- dernen Mitteln gearbeitet. Hybride Kriegsführung nennt men, dann verkennen wir die Gefahr, dass sich politische man dies. Die gesamte Breite der Möglichkeiten wird Lagen schnell verändern können. In der Ukraine hat sich heute genutzt: Propaganda, Medienarbeit, irreguläre beispielsweise eine Lage entwickelt, in der ein militäri- Kräfte. Konventionelle Streitkräfte mit Panzern und sches Vorgehen durch uns quasi ausgeschlossen war, Jagdflugzeugen unterstützen diese Drohkulisse in Osteu- weil wir nicht annehmen wollten und auch nicht anneh- ropa, greifen direkt ein, nehmen Einfluss. Langstrecken- men konnten, dass man militärisch agiert, um eine De- flugzeuge und Marineschiffe provozieren an der Grenze stabilisierung zu erzeugen, um eine Landnahme voran- der NATO. Auf diese Weise soll in osteuropäischen Län- zutreiben. Das gab es in keiner Planungsmappe mehr bei dern Einfluss genommen werden. Ich glaube, dass wir uns. Deswegen müssen wir darauf vorbereitet sein, dass uns diese sicherheitspolitische Lage ganz konkret vor auch unvorhergesehene sicherheitspolitische Herausfor- Augen führen müssen. Wir wollen nicht, dass militäri- derungen auf uns zukommen. sche Mittel eingesetzt werden müssen. Wir wollen dafür sorgen, dass wir eine diplomatische Lösung finden; aber Frau Kunert, dabei geht es nicht darum, dass Russ- wir müssen deutlich machen: Wenn du friedlich mit mir land eingedämmt wird, wie Sie es bezeichnet haben umgehst, gehe auch ich friedlich mit dir um; aber wenn – wenn ich das richtig verstanden habe –, sondern es geht du angreifst, dann musst du auch wissen, dass wir uns darum, dass die Ukraine davon ausgehen durfte, dass ihre wehren können. Diese Devise hat den Frieden auf dem Souveränität nicht angezweifelt und schon gar nicht ange- europäischen Kontinent bisher realisiert und ist Aus- griffen wird. Ich glaube, Sie sollten sich diesbezüglich die druck der NATO-Politik. Deswegen ist es gut, dass wir völkerrechtliche Lage noch einmal anschauen. in der Konsequenz gemeinsam Rückschlüsse aus dem NATO-Gipfel in Wales ziehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU) neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Ausrichtung der Bundeswehr muss flexibel blei- ben, damit wir lageabhängig reagieren können. Wir müs- Das völlig entfesselte Vorgehen der IS-Terroristen ist sen Fähigkeitsschwerpunkte bilden. Geben wir eine dargestellt worden. Das sind unfassbare Gräueltaten, die Möglichkeit einer Fähigkeit erst einmal auf oder geben aus einer regionalen Destabilisierung resultieren und wir sie ab, ist es umso schwieriger, sie wieder zurückzu- (B) mittlerweile eine Weltbedrohung darstellen. Weg- holen und neu aufzustellen. Zumindest wird es wesent- (D) schauen ist dabei für uns keine Option. Verantwortung lich teurer, diese Fähigkeiten wiederzugewinnen. Daher ist für uns der Maßstab. Das Einstehen für Menschen- brauchen wir atmende Strukturen. rechte, für Religionsfreiheit, für Rechtsstaatlichkeit, das ist auch Ausdruck von Menschlichkeit. Umso wichtiger Genau dafür gehen wir bilaterale Kooperationen ein. war es, dass wir die Rolle Deutschlands im Koalitions- Mit den Niederlanden funktioniert das wunderbar. Mit vertrag und noch einmal explizit auf der Münchener Si- Polen wird es in guten Gesprächen angestrebt. Diese cherheitskonferenz so definiert haben, dass wir bereit Vernetzung innerhalb Europas, die Stärkung bilateraler sind, mehr Verantwortung für Frieden und Freiheit in un- Achsen mit dem Ziel, europäisch gemeinsam aufzutre- serer Welt zu übernehmen. Ich bin unserer Ministerin ten, halte ich für richtig. wie dem Außenminister und dem Bundespräsidenten Daher müssen wir die Ausrichtung der Bundeswehr sehr dankbar, dass sie das so klar angesprochen haben. mit einem universellen Fähigkeitsanspruch so aufbauen, dass wir zu jeder Zeit auch Kooperationen eingehen kön- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nen. Das ist ebenfalls Ausdruck von Verantwortung für neten der SPD) unsere Sicherheitspolitik. Wir müssen die richtigen Rückschlüsse ziehen. Die Zeit der Friedensdividende ist Die Lieferung von Waffen und Ausrüstung an die vorbei. Die logischen Schlussfolgerungen sind daraus Peschmerga war keine leichte Entscheidung, aber sie gezogen worden. Wie richtig festgestellt wurde, wird war richtig und notwendig und daher konsequent. Men- dies mittlerweile auch akzeptiert. schen, die auf der Flucht sind, die Nahrung und Medizin dringend brauchen, ist es doch nicht zuzumuten, dass Wir sollten unsere gesamten Sicherheitssysteme nicht man ihnen das elementare Grundrecht auf Sicherheit weiter durch den Entzug von Mitteln schwächen, son- verwehrt, dass man dieses Grundrecht ignoriert. Auch dern die Verantwortung annehmen und den Einzelplan hier muss Deutschland Verantwortung übernehmen. 14 entsprechend anpassen. Daher bin ich sowohl dem Deutschland hat diese Verantwortung übernommen, Haushaltsausschuss als auch dem Bundesfinanzminister auch weil wir gesagt haben: Ein zweites Ruanda darf es sehr dankbar dafür, dass die notwendigen Konsequenzen nicht geben. Wer das nicht so schlussfolgern will, der ist schon im Haushalt 2015 gezogen worden sind. Anträge entweder zynisch oder ignoriert die Lage vor Ort. in Höhe von über 700 Millionen Euro sind angenommen worden, zum Beispiel für den Kauf von 131 neuen (Beifall bei der CDU/CSU – Christine Transportpanzern des Typs Boxer. Das ist in Anpassung Buchholz [DIE LINKE]: Zynisch sind Sie mit an die Sicherheitslage geschehen. Wir steigern dadurch Ihrer Flüchtlingspolitik!) die Sicherheit unseres Landes, die Stabilität und die Mo- 6576 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014

Henning Otte (A) dernisierung. Deswegen bedanke ich mich bei den Haus- Wir haben mit Anträgen im Verteidigungsausschuss (C) hältern herzlich dafür, dass sie dies umgesetzt haben. und im Haushaltsausschuss deutlich gemacht, dass die Lage es erfordert, immer wieder in die Modernisierung (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und unserer Armee zu investieren. Der geschützte Transport- der SPD) panzer Boxer ist nur ein Beispiel für eine Reihe von Modernität erfordert nicht nur, dass wir schneller mo- Anträgen, mit denen wir deutlich machen: Wenn wir Si- dernes Gerät in der Truppe haben, sondern auch, dass cherheitspolitik ernst nehmen und aus der Fürsorge- dieses Gerät einsatzbereit und verfügbar ist. Die Streit- pflicht für unsere Soldatinnen und Soldaten die richtigen kräfte benötigen nicht nur wegen der aktuellen Heraus- Rückschlüsse ziehen, dann müssen wir auch bereit sein, forderungen ein Mehr an Ersatzteilen und Betriebsstof- Geld in moderne Geräte zu investieren, die dem Schutz fen, sondern das Niveau muss auch grundsätzlich unserer Soldatinnen und Soldaten dienen. angehoben werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Wir brauchen Flexibilität und einen hohen Bereit- Herr Otte, der Kollege Lindner würde Ihnen gerne schaftsgrad. Wir müssen schneller und auch europäisch eine Zwischenfrage stellen. Lassen Sie diese zu? abgestimmt agieren. Die Streitkräfte müssen aus dem Stand heraus in der Grundgliederung und mit dem eige- Henning Otte (CDU/CSU): nen Gerät die Sicherheit unseres Landes gewährleisten Gerne. können; auch das hat die NATO in Wales deutlich ge- macht. Deswegen müssen wir auf dem Weg des flexiblen Verfügbarkeitsmanagements wohl eher in die Richtung Vizepräsidentin Ulla Schmidt: gehen, eine durchgängige Einsatzbereitschaft sicherzu- Bitte schön. stellen. Die Bundeswehr erfüllt ihre Aufgaben, und das sehr gut. Aber die Mittel sind nun einmal knapp bemes- Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sen. Es liegt in der Natur der Sache, dass mit Haushalts- NEN): mitteln, mit dem Geld der Steuerzahler, sehr sensibel Vielen Dank, geschätzter Kollege Otte. – Wenn ich umgegangen wird. Sie eben akustisch richtig verstanden habe, haben Sie Trotzdem: Einen Auftrag zu erfüllen, erfordert orga- ausgeführt, es seien Anträge in Höhe von über 700 Mil- nisatorischen Aufwand und führt zu hoher Belastung. lionen Euro für die 131 Boxer, über die wir uns in dieser Die Basis für eine gut ausgerüstete Bundeswehr ist eine Debatte schon trefflich gestritten haben, angenommen leistungsfähige und gut aufgestellte wehrtechnische In- (B) worden. Da verstehe ich etwas nicht ganz. Ihre Schilde- dustrie. Es ist auch Ausdruck von Souveränität, dass wir (D) rung klingt so, als sei das alles unter Dach und Fach und die Fähigkeiten, um unsere eigenen Streitkräfte auszustat- beschlossene Sache. Sowohl die Ministerin als auch ten, in Deutschland haben. Wir wollen nicht abhängig mein geschätzter Kollege Bartholomäus Kalb haben zu werden. Wir wollen nicht diktiert bekommen, in welcher diesem Punkt aber noch in der Bereinigungssitzung er- Qualität und zu welchem Zeitpunkt wir die Materialien klärt, zum einen handele es sich dabei um Geld, das im bekommen. Wir müssen nicht immer alles selber bauen; kommenden Jahr noch gar nicht zur Verfügung stehe, aber wir müssen das Know-how und die entsprechende und zum anderen sei dies durch den Haushaltsausschuss Beurteilungsfähigkeit haben. Deswegen brauchen wir qualifiziert gesperrt; das Ministerium müsse erst einmal auch eine Industrie, die als Ausdruck nationaler Sicher- eine Begründung vorlegen, und man könne sich das alles heitsvorsorge das erforderliche Material produzieren noch überlegen. Als ich der Frau Ministerin die vielen kann. Verpflichtungsermächtigungen vorgehalten habe, meinte Wir müssen Sicherheitspolitik ganzheitlich betrach- sie auch, das sei erst einmal Handlungsspielraum für sie ten. Wir müssen feststellen, dass die wehrtechnische In- und bedeute nicht, dass man alles gleichzeitig ausnutzen dustrie ein Pfeiler dieser Souveränität ist. Deswegen werde. müssen wir weg von dem Gedanken einzelner Ressort- Weil Sie vermutlich tieferen Einblick in das Innenle- und Fachzuständigkeiten, wohl wissend allerdings, dass ben der Koalitionsfraktionen haben, als ich es habe es nach dem Geschäftsverteilungsplan der Bundesregie- rung klare Zuständigkeiten gibt. (Florian Hahn [CDU/CSU]: Gott sei Dank!) Wir haben als Parlamentarier die Verantwortung für und auch haben möchte, würde ich gerne von Ihnen wis- Deutschland als Ganzes. Wir Sicherheitspolitiker haben sen: Was von beidem stimmt denn nun? auch die Verantwortung, die Sicherheitspolitik als Gan- zes zu betrachten. Deswegen haben wir im Koalitions- Henning Otte (CDU/CSU): vertrag formuliert: Herr Kollege Dr. Lindner, erst einmal herzlichen Wir setzen uns für den Erhalt ausgewählter Schlüs- Dank für die Frage und vor allem auch für Ihr persönli- seltechnologien und industrieller Fähigkeiten, ins- ches Bewusstsein für die Sicherheitspolitik. Sie sitzen besondere auch bei mittelständischen Unterneh- für die Fraktion der Grünen sowohl im Haushaltsaus- men, ein. schuss als auch im Verteidigungsausschuss. Deswegen Darauf haben wir uns geeinigt. kennen Sie auch die Notwendigkeiten. Daher befassen Sie sich auch sehr realistisch mit diesen Themen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6577

Henning Otte (A) Bei der Benennung dieser Schlüsseltechnologien Vizepräsidentin Ulla Schmidt: (C) müssen wir uns wohl breiter aufstellen, um das Fähig- Vielen Dank. – Ein Hinweis an die Kolleginnen und keitsspektrum der Bundeswehr abbilden zu können. Eine Kollegen, die noch folgen: Es wäre schön, wenn die breite Aufstellung mag auf den ersten Blick vielleicht Dankesbekundungen noch in der normalen Redezeit er- nicht effizient oder betriebswirtschaftlich logisch sein. folgen würden. Ansonsten zieht sich die Sitzung zu sehr Aber Sicherheitspolitik ist mehr als reine Betriebswirt- in die Länge. schaftslehre. Sie ist eben auch Ausdruck dessen, was wir brauchen, um die Souveränität unseres Landes gewähr- Der nächste Redner ist Wolfgang Hellmich, SPD- leisten zu können. Folgender Satz ist vollkommen rich- Fraktion. tig: Die Bundeswehr kann nur das abnehmen, was sie (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zur Erfüllung ihres Auftrages benötigt. – Aber wenn wir der CDU/CSU) Fähigkeiten erhalten wollen – so habe ich auch den Auf- trag der Koalition verstanden –, dann müssen wir bereit Wolfgang Hellmich (SPD): sein, sicherheitspolitisch verantwortbare Exporte zuzu- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! lassen, insbesondere dann, wenn man durch eine solche Sehr geehrte Damen und Herren! Eine Haushaltsbera- Exportpolitik auch noch gestaltend gute Außenpolitik tung findet immer in einer sehr konkreten Situation statt. betreiben kann. Man muss dabei das berücksichtigen, was wir sicher- (Beifall bei der CDU/CSU) heits- und verteidigungspolitisch breit diskutieren. Wir müssen uns die Frage stellen, was wir für unsere Es wurde gesagt, dass vieles aus den Fugen geraten Sicherheit vernünftigerweise brauchen. Das muss dann ist. Hier hat die Ministerin die Kelle in die Hand genom- auch finanziert werden: durch Beschaffungsprogramme, men, um vieles, was nicht verfugt war, wieder zu verfu- durch Forschungs- und Entwicklungstitel, auch durch gen. Sie haben vorhin an einigen Stellen deutlich ge- Rüstungsmittel. Liebe Frau Kunert – sie ist nicht mehr macht, wie groß die Baustellen sind und was man da –, aufräumen und verändern muss. (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Tja! Peinlich, Hätten wir das getan, was der Kollege Lindner – er ist peinlich!) nun leider auch nicht mehr da – noch vor einem halben Jahr hier gesagt hat zu sagen: „Von Deutschland soll kein Krieg mehr ausge- hen; deswegen müssen die Auslandsmandate beendet (Henning Otte [CDU/CSU]: Er kommt gleich werden“, ist so, als würde jemand, der kein Feuer will, wieder!) (B) die Feuerwehr abschaffen. Ich glaube, das wäre genau – er kommt auch gleich wieder –, dass man nämlich (D) der falsche Beschluss. doch bitte schön alle Rüstungsprojekte, über die wir dis- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) kutieren, mit einem Moratorium zum Stoppen bringen sollte, dann hätte das folgende Konsequenz gehabt: Die Wir brauchen eine vorausschauende Sicherheitspoli- Bugwelle wäre noch größer geworden. Ich bin froh, dass tik. Wir wollen unabhängig bzw. souverän sein und un- wir das nicht gemacht haben, sondern an dieser Stelle sere Bündnisfähigkeit erhalten. Deswegen investieren gefordert haben, konsequent an den vielen Aufgaben zu wir in unsere Soldatinnen und Soldaten, die im Einsatz arbeiten und Gas zu geben, damit die Baustellen aufge- oder im Heimatbetrieb Enormes für die Sicherheit unse- räumt werden. res Landes leisten und bereit sind, dafür auch ihre Ge- sundheit einzusetzen. Am letzten Wochenende, von Freitag bis Montag, ha- ben wir in der Parlamentarischen Versammlung der Ich bin unserer Ministerin, Frau Dr. Ursula von der NATO in Den Haag – der Kollege Lamers als Delega- Leyen, sehr dankbar dafür, dass sie das Attraktivitätspa- tionsleiter und Frau Schmidt als stellvertretende Delega- ket, so wie es im Koalitionsvertrag angekündigt wurde, tionsleiterin – in der Diskussion über die Haushaltsent- mit Vehemenz eingebracht hat. Wir wollen es gemein- wicklungen noch einmal deutlich machen müssen und sam umsetzen. Sehr geehrte Frau Ministerin, es ist wich- können, dass weiterhin das Ziel gilt, dass innerhalb von tig, dass wir aus Gründen der Fürsorge deutlich machen, zehn Jahren mindestens 2 Prozent des Bruttoinlandspro- dass wir für unsere Soldatinnen und Soldaten als Teil ei- duktes für das Militär ausgegeben werden, wovon ner leistungsfähigen Armee einstehen und notwendiger- 20 Prozent für Investitionen und die technische Ausstat- weise auch bereit sind, Geld zu investieren. Wir wollen tung zur Verfügung gestellt werden sollen. Wir haben ein sicherheitspolitisches Gesamtpaket im Interesse der aber auch deutlich machen müssen und können, dass wir Sicherheit unseres Landes anbieten. nicht nur über diese Dinge, nicht nur über Hausnummern Ich sage auch ein herzliches Dankeschön dafür, dass und Zahlen, sondern auch über Fähigkeiten und eine ge- wir im Verteidigungsausschuss und auch im Haushalts- meinsame Mitwirkung zu diskutieren haben. Das ist der ausschuss die notwendige Unterstützung bekommen, ganz entscheidende Punkt. und ich danke allen Soldatinnen und Soldaten, die bereit Ich muss dazu aber auch sagen, dass unsere Position sind, für die Sicherheit unseres Landes einzustehen. dort durchaus nicht unumstritten war, weil einige Länder Danke schön. gerade an dieser Stelle doch eine andere Position haben. Ich glaube aber, es wird wichtig sein, dass zu der Frie- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) densdividende, die dringend nötig und richtig ist, eine 6578 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014

Wolfgang Hellmich (A) Dividende der Zusammenarbeit hinzukommt, damit wir satzpunkt. Das ist unser Ziel. Dem werden wir auch poli- (C) auch in Zukunft die richtigen Projekte finanzieren und tisch gerecht werden. gemeinsame Fähigkeiten entwickeln können. Vielen Dank. Wir haben auch deutlich machen können, was wir an (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) dieser Stelle tun. Es gibt die Kooperation des deutschen und des niederländischen Heeres, die Kooperation mit Vizepräsidentin Ulla Schmidt: den Polen und vieles andere. Ich glaube, dadurch sind Vielen Dank. – Nächster Redner ist Ingo Gädechens, wir bei der europäischen Integration und Zusammenar- CDU/CSU-Fraktion. beit ein ganzes Stück weiter, als dies an vielen Stellen berichtet wird. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Die anderen Länder der NATO und auch die asso- ziierten und befreundeten Staaten haben hier sehr inte- Ingo Gädechens (CDU/CSU): ressiert zugehört und die Bereitschaft erklärt, an dieser Stelle intensiv mitzumachen. Dies wird auch bis hin zur Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich taktischen Ebene nötig sein. besonders, dass jetzt auf den Zuschauerrängen Soldatin- Ich habe bei der Diskussion dort immer den multi- nen und Soldaten der Bundeswehr dieser aus meiner nationalen Zug in Afghanistan im Blick gehabt, der ganz Sicht wichtigen Debatte beiwohnen können. Es tut mir konkrete Probleme hatte. Ein Zugführer berichtete von leid, dass Sie einige Rednerinnen und Redner, insbeson- sprachlichen Problemen, verschiedenen Kommunika- dere die Ministerin, verpasst haben. Aber es kommen tionssystemen, verschiedensten Waffengattungen, die noch zwei Redner. nicht aufeinander abgestimmt sind, und vielen anderen (Heiterkeit) konkreten Punkten mehr. Wir müssen die Kooperation suchen – bis hin zur taktischen Ebene –, damit wir im Es ist auch sehr selten, Frau Präsidentin, dass zur eige- konkreten praktischen, multinationalen Einsatz auch die nen Rede eine Besuchergruppe aus dem Wahlkreis auf beste Ausrüstung zur Verfügung haben und die beste der Tribüne sitzt. Ich freue mich, die Bürgerinnen und Operationalität erreichen. Frau Kunert – Sie sind jetzt Bürger aus Ostholstein und Stormarn begrüßen zu dür- wieder da –, ich würde all unseren Partnern auch anbie- fen. ten, das in einem Geschäftsübungszentrum einzuüben, (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE was wir in solchen multinationalen Einsätzen brauchen. GRÜNEN]: Nein! Unglaublich!) (B) (D) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Einzelplan 14 der CDU/CSU) – Verteidigung – ist ein wichtiger Einzelplan. Insbeson- dere die Rednerinnen und Redner der Koalition haben Wir sind weit davon entfernt, die angesprochenen deutlich gemacht, dass wir einen seriösen und fundierten 20 Prozent und 2 Prozent zu erreichen, aber das Ziel, die Haushalt für den Bereich der deutschen Verteidigung Orientierung, ist klar. Deshalb bietet dieser Haushalt aufgestellt haben. Auch ich möchte mich – denn das auch in Zukunft eine Orientierung im Rüstungsbereich kann nur gelingen in einem guten Zusammenspiel – na- und bezüglich der Ausrüstung der Soldatinnen und Sol- türlich bei der Ministerin, den Mitarbeitern im Ministe- daten. Mir wäre es sehr lieb, wenn die Ausrüstung des rium, aber ganz besonders auch bei unseren Haushältern Infanteristen der Zukunft in diesem Haushalt noch deut- – da schließe ich auch Dr. Lindner mit ein; ein Haushäl- licher zum Ausdruck käme. Der IdZ macht nämlich nur ter, der für den Einzelplan 14 kämpft, auch wenn er auf zusammen mit dem Boxer einen Sinn. Diese werden Oppositionsseite steht – sehr herzlich bedanken. dann in den konkreten Operationen gemeinsam zum Ein- Der diesjährige Verteidigungshaushalt – Karin Evers- satz kommen. In diese Richtung werden wir weiterarbei- Meyer deutete es schon an – steht einmal mehr unter be- ten und werden wir uns weiterentwickeln. sonderer Beobachtung der Öffentlichkeit. Die Bundes- wehr ist leider erneut in den Fokus der medialen Bericht- Ich denke, diese konkreten Punkte werden wir gerade erstattung geraten. Die kritischen Pressemeldungen über auch in die internationale Diskussion einbringen können. mangelhafte Einsatzbereitschaft, Fähigkeitslücken und Wir werden eine entscheidende Rolle dort spielen, wo es Probleme bei der Materialbeschaffung haben einer brei- um das NATO-Kommando für das Korps Nordost und ten Öffentlichkeit die bei der Bundeswehr vorhandenen um das Deutsch-Niederländische Korps geht. All dies Defizite aufgezeigt. sind zentrale Elemente dessen, was die NATO auf dem Gipfel in Wales beschlossen hat. Dabei wurde auch deut- Im Kreise der Verteidigungspolitiker waren diese De- lich, welche wichtigen Aufgaben mit hoher Qualität, die fizite weitestgehend bekannt. Die schonungslose Be- wir einbringen, übernommen werden können. standsaufnahme der vorhandenen Defizite verdanken wir aber in erster Linie und in ganz besonderer Weise der Letztendlich geht es nicht darum, dass von deutschem Frau Ministerin. Dafür zolle ich Ihnen Respekt. Pro- Boden Krieg ausgeht, sondern es geht darum, dass man bleme und strukturelle Mängel müssen offen angespro- mit mehr nationaler und internationaler Verantwortung chen werden. Dabei begleitet nicht jeder – auch das durf- für mehr Frieden auf der Welt sorgt. Das ist unser An- ten wir registrieren – den Weg der Transparenz und Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6579

Ingo Gädechens (A) Offenheit wohlwollend. Aber ich sage Ihnen, Frau von ist ein besonderer Beruf und für viele Aktive eine echte (C) der Leyen: Ihr Vorgehen war richtig und wichtig, um be- Berufung. kannte Mängel zügig beseitigen zu können. Mit dem auf den Weg gebrachten Artikelgesetz zur Wir müssen die Probleme, die innerhalb der Bundes- Steigerung der Attraktivität tragen wir diesen soldati- wehr bestehen, sachlich, ehrlich und offen ansprechen. schen Tätigkeiten Rechnung. Frau Ministerin, es ist Aber ich sage auch: Überzogene Kritik oder die gezielte enorm wichtig, die 22 aktuell geplanten Maßnahmen an- Verunglimpfung unserer Soldatinnen und Soldaten als zustoßen und zu verwirklichen. Sie hatten im Planungs- – so konnte man das in einer großen Schlagzeile lesen – prozess und haben auch jetzt die uneingeschränkte „Trümmertruppe“ halte ich für skandalorientierte Mei- Unterstützung der CDU/CSU-Fraktion, um diese Ver- nungsmache. Das schadet dem Ansehen unserer Bundes- besserungen zu erreichen. wehr und unserer Soldatinnen und Soldaten insgesamt. Auch wir müssen ständig evaluieren, weil der Solda- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- tenberuf in knallharter Konkurrenz zur Wirtschaft und neten der SPD – Henning Otte [CDU/CSU]: zu anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes steht. Das ist doch falsch!) Deshalb werden wir auch zukünftig die Situation insge- samt im Blick behalten, um gegebenenfalls weitere Ver- Diese Berichterstattung verkennt außerdem wesentli- besserungen zu diskutieren und zu realisieren. Das Arti- che Fakten. Die Bundeswehr lebt vom besonderen Enga- kelgesetz ist bereits heute ein wichtiger Schritt hin zu gement und Einsatz ihrer Soldatinnen und Soldaten, aber mehr Attraktivität innerhalb der Bundeswehr und zu auch ihrer zivilen Mitarbeiter. Die Truppe handelt pro- mehr Anerkennung. fessionell, sowohl in den Einsatzgebieten als auch im Wir hörten es andeutungsweise: Es wurde auch von Rahmen des Katastrophenschutzes. Lobend erwähnt der Opposition aufgegriffen, aber auch innerhalb der wurde auch die Bereitschaft nicht nur der Aktiven, son- Bundeswehr wurden einige angekündigte Verbesserun- dern auch der Reservisten, wenn es um die Bekämpfung gen skeptisch bis kritisch bewertet. Dabei, werte Kolle- der Ebolaepidemie in Westafrika geht. ginnen und Kollegen, geht es nicht um Flatscreens oder Ohne den unbedingten Willen, ohne Leistungsbereit- Kühlschränke auf den Stuben, wie die Debatte von den schaft und auch Improvisationstalent vom einfachen Ge- Medien leider völlig unzutreffend verkürzt wurde. Viel- freiten bis hinauf in die Führungsebene hätte unsere mehr geht es um Nachwuchsgewinnung. Es geht um Le- Bundeswehr nicht die hohe Wertschätzung in weiten benswirklichkeit und ein Umfeld, welches in vielen Be- Teilen unserer Bevölkerung und schon gar nicht die reichen heute Standard ist. große Anerkennung all unserer Bündnispartner. Bei al- Wenn wir junge Menschen dafür gewinnen wollen, (B) (D) len Problemen und Anpassungsprozessen ist die Bundes- ihre Heimat Deutschland zu verteidigen, dann ist eine wehr bereits heute ein überaus attraktiver Arbeitgeber, Sechsmannstube ohne WLAN-Anschluss, aber vielleicht bei dem Kameradschaft und Gemeinschaftssinn gelebt mit dem Charme der 70er-Jahre nicht das, was der allge- werden und Pflichtgefühl den täglichen Dienst begleitet. meine Lebensstandard heute erwarten lässt. Ohne Wehr- Verehrte Kolleginnen und Kollegen, dieses Engage- pflicht stehen wir vor der besonderen Herausforderung, ment verdient ganz besonders unsere Anerkennung und junge Menschen anzusprechen, die sich bis dato noch höchsten Respekt immer wieder auch aus diesem Haus. gar nicht mit dem Gedanken beschäftigt haben, in der Auch wenn das schon gesagt wurde, wiederhole ich es, Bundeswehr eine berufliche Perspektive zu suchen. gerade weil jetzt Kameradinnen und Kameraden auf der All diese Dinge packen wir an. Wir haben mit dem Besuchertribüne Platz genommen haben. Einzelplan 14 wie mit dem gesamten Haushaltsplan 2015 eine gesunde Grundlage geschaffen, um diese Auf- In der Schnelllebigkeit unserer Zeit wird immer wie- gaben erfüllen zu können. Wir befürworten nicht nur den der ausgeblendet, dass die Bundeswehr immer noch die Einzelplan 14, sondern den gesamten Haushalt 2015 und größte und umfassendste Reform seit ihrem Bestehen werden den gesamten Prozess innerhalb der Bundeswehr durchlebt. Es ist die oft beschriebene Operation am offe- weiterhin positiv begleiten. nen Herzen, in der es – das weiß man aus der Erfahrung mit Operationen – auch immer wieder kritische Phasen Herzlichen Dank. gibt und geben wird. Dieser Tatsache, dass wir in einem Reformprozess sind, sollten gerade die Medien, die sich (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- allzu sehr bemühen, nur die negativen Seiten zu beleuch- neten der SPD) ten, einmal mehr Beachtung schenken. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Meine Damen und Herren, zur Wertschätzung dieser Vielen Dank. – Letzter Redner zu diesem Einzelplan Arbeit gehört auch, dass wir den Soldatinnen und Solda- ist der Kollege Dirk Vöpel, SPD-Fraktion. ten wie auch den zivilen Mitarbeitern ein Arbeitsumfeld schaffen, welches den Leistungswillen und die Kreativi- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) tät fördert und den besonderen Umständen des Soldaten- berufs Rechnung trägt. Lange Zeiten der Abwesenheit Dirk Vöpel (SPD): von der Familie, eine hohe Versetzungshäufigkeit wie Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und auch der schlimmste Fall, nämlich die Gefährdung von Kollegen! In jeder Krise steckt auch eine Chance. Das Leib und Leben, sind Bestandteil des Soldatenberufs. Er gilt nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in der Au- 6580 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014

Dirk Vöpel (A) ßen- und Sicherheitspolitik. Es ist noch gar nicht lange keiten der Papierform. Die strategischen Fähigkeitslü- (C) her, da hätte wohl niemand diese Häufung von Kriegen, cken sind unübersehbar. Nirgendwo leisten wir uns so Krisen und Konflikten für möglich gehalten, mit denen viele Redundanzen, teure Mehrfacharbeiten und ver- wir es heute zu tun haben, und das alles in unmittelbarer schwenderische Parallelentwicklungen wie in diesem Sys- Nachbarschaft der Europäischen Union. Der weiter tem fast ausschließlich national gesteuerter Rüstungsbe- schwelende Ukraine-Konflikt und die neue russische schaffung. Wozu brauchen wir in Europa 20 Programme Machtpolitik, die apokalyptischen Bürgerkriege in für gepanzerte Fahrzeuge, fünf oder sechs parallele Syrien und im Irak, der Staatszerfall in Libyen und ande- U-Boot-Projekte, jeweils fünf Programme für Kampf- ren Teilen Nordafrikas, die wachsenden Spannungen flugzeuge oder die Entwicklung von Boden-Luft-Rake- zwischen Israelis und Palästinensern – die Welt an der ten? Ost- und Südflanke Europas ist kein friedlicherer Ort ge- worden. Auch deshalb steht die europäische Sicherheits- Unter dem anhaltenden Druck zur Kostenreduzierung politik in den kommenden Jahren vor gewaltigen He- und bei dem fortlaufenden Rückgang nationaler Be- rausforderungen, auf die wir neue Antworten finden schaffungsmengen kann eine vorwiegend am Bedarf des müssen. eigenen Landes orientierte Rüstungsindustrie nicht über- leben. Quer durch Europa stehen die öffentlichen Haushalte seit langem unter starkem Konsolidierungsdruck. Was (Beifall bei Abgeordneten der SPD) lag also näher, als sich die nach dem Ende des Kalten Wenn wir eine wettbewerbsfähige rüstungsindustrielle Krieges allseits erwartete Friedensdividende vor allem Basis auf unserem Kontinent erhalten wollen, dann kann aus den nationalen Verteidigungsetats auszahlen zu las- die richtige Antwort auch im wehrwirtschaftlichen Be- sen? Zahlreiche Krisen und Konflikte in der Nachbar- reich nur lauten: Wir müssen mehr Europa wagen. schaft, der strategische Rückzug Amerikas, geringe finanzielle Spielräume, das sind die schwierigen Rah- 100 Jahre nach dem Beginn der europäischen Selbst- menbedingungen, unter denen wir eine neue europäische zerfleischung im Ersten Weltkrieg müssen wir leider Sicherheitsstrategie formulieren müssen. Eines ist klar: feststellen: Die Überhöhung vermeintlich nationaler Allein mit dem nationalen Instrumentenkasten wird kei- Interessen, das Denken in Machtkategorien und Ein- nes dieser Probleme zu lösen sein. flusssphären und das Verständnis von Außen- und Si- cherheitspolitik als einem Nullsummenspiel, bei dem ein (Beifall bei der SPD) Land nur auf Kosten eines anderen etwas gewinnen Ich bin der Auffassung, dass in den aktuellen Krisen kann, sind auch 2014 nicht völlig überwunden. Vor die- und Problemen auch eine Chance steckt. Europa muss in sem Hintergrund brauchen wir umso mehr ein geeintes (B) Zeiten wie diesen auch militärisch enger zusammen- und vor allem ein einiges Europa. (D) rücken. Ich darf daran erinnern: Bereits an der Wiege des europäischen Einigungswerks unmittelbar nach dem (Beifall bei der SPD) Zweiten Weltkrieg stand mit der Europäischen Verteidi- Lassen wir diese Krise nicht ungenutzt! gungsgemeinschaft, EVG, der nur knapp gescheiterte Versuch, eine europäische Armee zu schaffen. Warum Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. – Vielen sollten wir uns angesichts der Herausforderungen unse- Dank, Herr Präsident, für Ihre Geduld. rer eigenen Gegenwart langfristig weniger ehrgeizige (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ziele setzen? der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD) Das wird natürlich ein langer, steiler und steiniger Weg. Vizepräsident Peter Hintze: Wir sollten ihn trotzdem gehen. Die immer stärkere Ko- Ich schließe die Aussprache. operation, Vernetzung und Integration auch der militäri- Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel- schen Ressourcen in Europa wären aus meiner Sicht plan 14 – Bundesministerium der Verteidigung – in der nicht nur ein entscheidender Beitrag zur Stärkung von Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt da- GSVP und GASP, sondern könnten dem europäischen gegen? – Wer enthält sich? – Niemand. Dann ist der Ein- Projekt insgesamt neuen Schwung verleihen. Warum ei- zelplan 14 mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion gentlich sollte bei den Streitkräften nicht möglich sein, und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion was uns beim Geld und bei den Grenzen gelungen ist? Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen an- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) genommen. Die europäischen Mitgliedstaaten leisten sich zurzeit Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.11 auf: 28 nationale Armeen mit insgesamt 1,5 Millionen Solda- tinnen und Soldaten. Die Gesamtausgaben für Verteidi- Einzelplan 23 gung liegen bei knapp 200 Milliarden Euro, deutlich Bundesministerium für wirtschaftliche Zu- mehr als Russland und China zusammen ausgeben, je- sammenarbeit und Entwicklung denfalls offiziell. Auf dem Papier sieht das ziemlich be- Drucksachen 18/2823, 18/2824 eindruckend aus. Schaut man näher hin, erweist sich Europa jedoch als militärischer Scheinriese. Nur in we- Berichterstatter sind die Abgeordneten Volkmar nigen Bereichen entsprechen die real verfügbaren Fähig- Klein, Sonja Steffen, Michael Leutert und Anja Hajduk. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6581

Vizepräsident Peter Hintze (A) Zu dem Einzelplan 23 liegen ein Änderungsantrag der genau, ob das etwas mit der Wertigkeit, mit der Wichtig- (C) Fraktion Die Linke sowie ein Änderungsantrag der Frak- keit der Ministerien zu tun hat. Ich weiß allerdings, dass tion Bündnis 90/Die Grünen vor. Des Weiteren liegen wir bei der Verteilung der Gelder genau umgekehrt ver- ein gemeinsamer Entschließungsantrag der Fraktion Die fahren sollten: Wir sollten zuerst so viel Geld zur Verfü- Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie gung stellen, bis wir 0,7 Prozent des Bruttoinlandspro- ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor, dukts für die Entwicklungszusammenarbeit erreicht über die wir am Freitag nach der Schlussabstimmung ab- haben, und dann das, was übrig bleibt, an die anderen stimmen werden. Ministerien verteilen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für (Beifall bei der LINKEN) die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre hierzu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Nur dieses Verfahren garantiert, dass endlich unser Versprechen auf internationaler Ebene, mehr für die Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- Ärmsten auf der Welt zu tun, eingelöst werden kann. ner dem Abgeordneten Michael Leutert, Fraktion Die Immerhin schaffen es fünf europäische Länder, ihre Ver- Linke, das Wort. pflichtung einzuhalten: Schweden, Norwegen und Luxemburg – diese drei liegen im Übrigen mit 1 Prozent (Beifall bei der LINKEN) weit über der festgelegten Zahl von 0,71 Prozent – sowie Dänemark und Großbritannien. Da ist die Frage im Michael Leutert (DIE LINKE): Raum, warum wir das nicht schaffen. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister! Ist er noch nicht da? Unabhängig von diesen zentralen Problemen muss ich Ihnen zugestehen, Herr Minister: Sie machen es ei- (Manfred Grund [CDU/CSU]: Er steht vor der nem als Oppositionspolitiker nicht ganz einfach. Sie Tür!) sprechen die richtigen Probleme an: Fluchtursachen be- kämpfen, Flüchtlinge reintegrieren, eine Welt ohne Hun- – Dann müssen wir kurz warten. Er ist im Zulauf? Eh- ger. Sie haben dazu Sonderinitiativen initiiert. Sie setzen renwort, Herr Staatssekretär? Dann begrüßen wir erst auch die richtigen Akzente, nämlich dass wir uns ändern einmal den Herrn Staatssekretär. müssen, hier in Europa, in Deutschland, um so auch hel- (Dagmar G. Wöhrl [CDU/CSU]: Er sieht Sie fen zu können. Ich erinnere da an den Vorschlag zum doch draußen auf dem Bildschirm!) Textilsiegel. Das ist ganz im Sinne von „global denken, lokal handeln“. – Nein, das hat schon etwas mit der Form zu tun, dass wir auf den Minister warten. Sie verbinden das auch mit Methoden, die bei der (B) Linken Zuspruch finden, indem zum Beispiel bei der Er- (D) (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Warten Sie arbeitung der Zukunftscharta, die diese Woche vorge- mit Ihrer Rede, bis er kommt!) stellt wurde, die Zivilgesellschaft mit eingebunden – Ja, wir warten ganz kurz. wurde. In der Zukunftscharta wird der zentrale Kritik- punkt ebenfalls angesprochen. Ich zitiere: (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kön- nen wir ihn nicht ausrufen lassen?) Diese nur langfristig zu verwirklichenden Ziele er- fordern Geduld und den Einsatz von deutlich mehr Vielleicht können wir ein paar Abstimmungen vorher Ressourcen. durchführen. Wir haben hier also einen Minister, der die richtigen (Bundesminister Dr. Gerd Müller betritt den Dinge anspricht, die richtigen Akzente setzt, die richti- Plenarsaal) gen Methoden wählt und auch noch Dokumente produ- – Hervorragend. ziert, in denen mehr Geld verlangt wird. Entsprechend unseren internationalen Verpflichtungen müssten wir (Zurufe von der LINKEN und dem BÜND- circa 10 Milliarden Euro mehr für die Entwicklungszu- NIS 90/DIE GRÜNEN: Oh! – Claudia Roth sammenarbeit ausgeben. Aber all dies nutzt nichts. Hier [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: soll ein Haushalt verabschiedet werden, der mit der Rea- Herr Müller, es geht los!) lität nichts zu tun hat, ein Haushalt eben, der nicht mehr Ressourcen zur Verfügung stellt, obwohl allen klar ist, Vizepräsident Peter Hintze: dass dies falsch ist. Bitte. Lassen Sie mich das bitte an einem ganz konkreten Beispiel verdeutlichen. Das Auswärtige Amt hat in ei- Michael Leutert (DIE LINKE): nem Brief an uns Haushälter mit alarmierenden Worten Herr Minister, schön, dass auch Sie anwesend sind. auf die Flüchtlingsproblematik hingewiesen. Ich habe Dann kann ich jetzt mit meiner Rede beginnen. ihn heute schon bei der Beratung des Einzelplans des Auswärtigen Amtes zitiert. Aber er ist so gut, dass man Dies ist nach dem Einzelplan des Auswärtigen Amts ihn noch einmal zitieren kann. Es haben das ja noch und dem Einzelplan des Verteidigungsministeriums der nicht alle gehört. dritte Einzelplan mit internationalem Bezug, den wir heute hier besprechen. Ich weiß jetzt nicht genau, wer (Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Wir haben sich die Reihenfolge ausgedacht hat; ich weiß auch nicht alle zugehört!) 6582 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014

Michael Leutert (A) – Er ist so gut, dass man ihn zweimal zitieren kann. Ich Vizepräsident Peter Hintze: (C) zitiere: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge- ordneten Volkmar Klein, CDU/CSU-Fraktion. Wir sind Zeugen der schlimmsten humanitären Ka- tastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg. … momen- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- tan kann auch Menschen in existenzieller Not nicht neten der SPD) ausreichend geholfen werden! … Deutschland fällt hinter andere Geberländer zurück. … Bereits 2014 Volkmar Klein (CDU/CSU): befinden wir uns in einem Feld mit Geberländern, Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- die erheblich kleinere Bevölkerungen und Volks- ren! Man kann es tatsächlich so machen: Man kann den wirtschaften haben als wir (z. B. Norwegen, erheblichen Aufwuchs im Einzelplan 23 lapidar mit Schweden, Schweiz, Kanada). „hätte auch mehr sein können“ kommentieren. Wahr- scheinlich muss man das als Opposition auch. Man muss Mit diesem Brief konnte der Außenminister mit dem berechtigten Lob der Regierung immer beson- Steinmeier in letzter Sekunde die Kürzung der Mittel für ders sparsam sein, weil ja sonst die eigenen Leute ziem- humanitäre Hilfe verhindern. Er hat nun – wie im Jahr lich irritiert sind. Also, das ist schon ganz in Ordnung so. 2014 auch – wiederum 400 Millionen Euro zur Verfü- gung. Aber richtig ist es natürlich, auf den erheblichen Auf- wuchs im Einzelplan 23, im Haushaltsplan des Bundes- Nun ist das Auswärtige Amt aber nur für die soge- ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und nannte erste Hilfe zuständig, also – um es etwas salopp Entwicklung, hinzuweisen. Angesichts der sich entwi- auszudrücken – für Decken, Zelte und die warme Mahl- ckelnden Krisen hatte auch der Minister darauf hinge- zeit. Danach sind Sie als Minister des BMZ dran. Es wiesen, dass es gut wäre, diese Mittel zu erhöhen. Im geht also um die mittelfristige Unterstützung und Hilfe. Rahmen des Haushaltsverfahrens haben wir insgesamt Es geht um medizinische Versorgung. Es geht um Bil- 64 Millionen Euro mehr für das Ministerium zur Verfü- dung. Ja, es geht auch um die Müllentsorgung. Die gung gestellt, und das angesichts einer Absenkung des Flüchtlingslager sind ja mittlerweile zu Städten ange- Gesamthaushalts um 400 Millionen Euro auf 299,1 Mil- wachsen. Dafür stehen beim BMZ allerdings nur liarden Euro. Insofern wäre eigentlich ein bisschen Lob 139 Millionen Euro zur Verfügung. Das ist unlogisch. von allen Seiten des Hauses angebracht. Wenn man mit 400 Millionen Euro für Zehntausende (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Flüchtlinge humanitäre Hilfe leistet, dann muss sich das neten der SPD – Michael Leutert [DIE (B) doch auch in Ihrem Haushalt an entsprechender Stelle LINKE]: Habe ich doch gesagt! – Uwe (D) widerspiegeln; Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Wird nichts draus!) NIS 90/DIE GRÜNEN) Doch der Reihe nach. Insgesamt ist der Haushalt die in Zahlen gegossene gute und richtige Antwort auf die denn die Flüchtlinge sind ja nach der Erstversorgung im- aktuellen Fragen, eine Reaktion auf die wirtschaftlichen mer noch da. Notwendigkeiten, aber auch auf die ethischen Heraus- Diese Diskrepanz, liebe Kolleginnen und Kollegen, forderungen, vor denen wir stehen. Einher geht das müssen wir ausgleichen. Wir haben keine andere Wahl. Ganze mit der entscheidenden Botschaft – ich denke, das Die Realität wird uns dazu zwingen. Wenn wir es heute kann man auch an dieser Stelle wiederholen –: Bei ei- nem Gesamthaushalt von 299,1 Milliarden Euro kom- nicht machen, werden wir in den nächsten Monaten zu- men wir komplett ohne neue Schulden aus, das erste Mal sammensitzen und überplanmäßige Ausgaben beschlie- seit 1969. ßen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Wir bzw. Sie alle haben allerdings am Freitag dieser neten der SPD) Woche noch einmal die Chance, den Änderungsanträgen der Linken zuzustimmen. Gemessen an den Aufgaben Das ist in dreifacher Hinsicht sinnvoll und wichtig: und Forderungen, die im Raum stehen, sind es moderate Erstens. Es ist im Sinne von Generationengerechtig- Änderungsvorschläge. Wir wollen die Mittel für Ent- keit ethisch richtig, den künftigen Generationen keine wicklungszusammenarbeit von 6,5 auf 8 Milliarden Schulden zuzuschieben. Euro anheben. Wir wollen explizit mehr Mittel für die Flüchtlinge zur Verfügung stellen. Wir wollen mit diesen Zweitens. Wie wir aus den letzten Jahren wissen, ist Anträgen aber auch dem Ziel, 0,7 Prozent unseres es aber auch für die aktuelle Finanzpolitik wichtig, Sta- Bruttoinlandsprodukts für Entwicklungszusammenarbeit bilität in Europa auszustrahlen. zur Verfügung zu stellen, endlich einen Schritt näher- kommen. Wir laden Sie gern ein, dabei mitzumachen. Drittens. Für unseren Bereich hier ist es ganz ent- scheidend, sicherzustellen, dass wir unsere finanziellen Vielen Dank. Fähigkeiten auch in Zukunft haben werden. Auch in Zu- kunft werden wir unseren internationalen Verpflichtun- (Beifall bei der LINKEN) gen nachkommen können; das wollen wir. Insofern ist Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6583

Volkmar Klein (A) der ausgeglichene Haushalt auch eine gute Botschaft für Chancen entwickeln und am Ende auch Steuerzahler da (C) die Entwicklungszusammenarbeit. sind. Der Einzelplan des Ministeriums für wirtschaftliche Ein bisschen ist dies auch die Antwort auf den Report Zusammenarbeit und Entwicklung als solcher ist schon der Vereinten Nationen „A New Global Partnership“ des als Entwurf gut gewesen. Im Rahmen der Beratungen High-Level Panel von 2013. Ich will einmal eine Pas- haben wir ihn noch ein Stück verbessern können. Dieser sage daraus zitieren, jedenfalls die Übersetzung – auf Einzelplan umfasst mehr Geld – darauf habe ich eben Seite 11 kann man das auf Englisch nachlesen –: Wirt- schon hingewiesen –; für viele ist schon das ein ausrei- schaft ist ein essenzieller Akteur, der wirtschaftliches chendes Qualitätsmerkmal. Im Übrigen steht dieser Ein- Wachstum generieren kann. Kleine und mittlere Unter- zelplan damit in einer langen Tradition: 2005 umfasste nehmen schaffen die meisten Arbeitsplätze, die ge- der Haushalt dieses Ministeriums 2,8 Milliarden Euro. braucht werden, dass sich die Ärmsten aus der Armut Jetzt, zehn Jahre später, stehen im Haushaltsplan befreien können. Große Firmen haben Geld und das 6,5 Milliarden Euro; das sind mehr als 70 Prozent mehr, Know-how, um Infrastruktur aufzubauen, sodass es allen und das bei einem Gesamthaushalt, der, von 260 Milliar- Menschen ermöglicht wird, sich in der modernen Wirt- den Euro auf 299 Milliarden Euro, nur relativ moderat schaft zu vernetzen. Große Unternehmen können da- gewachsen ist. rüber hinaus kleine und kleinste Unternehmen auf einem größeren Markt vernetzen. – Das sagt das High-Level (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Panel. Ich glaube, dass wir hier die richtige Antwort da- – Der Beifall dafür, dass das Gewicht der Entwicklungs- rauf geben. zusammenarbeit gestiegen ist, ist sehr berechtigt. Genau darum muss es gehen: Unser Anspruch muss (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: sein, wirklich zu helfen, damit die entsprechenden Län- Zu Recht dürftig der Beifall!) der auf eigenen Füßen stehen können, damit Arbeits- plätze geschaffen werden, damit auch dort Steuerzahler Auf jeden Fall ist auch richtig, dass im Haushaltsver- vorhanden sind, die Infrastruktur, Gesundheitssysteme fahren beschlossen wurde, zusätzlich 90 Millionen Euro usw. finanzieren können. Das ist das, was wir unter für Nothilfe einzustellen. Wie wir eben gehört haben, nachhaltiger Hilfe verstehen. werden im Auswärtigen Amt zusätzlich 280 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Darüber haben wir bereits Ich glaube, dass wir auch überlegen müssen, ob un- im Zusammenhang mit dem Einzelplan des Auswärtigen sere Konzepte bereits voll ausgereift sind; denn wir ha- Amtes diskutiert. Das sind natürlich die Folgen des Be- ben an vielen Stellen, zumindest in Afrika, aus meiner schlusses der vergangenen Regierung, einen großen Teil Sicht mit relativ viel Geld weniger erreicht, als wir mit (B) der entwicklungsorientierten Not- und Übergangshilfe dem Geld der deutschen Steuerzahler eigentlich errei- (D) vom BMZ ins Auswärtige Amt zu verlagern. Ob das nun chen sollten. Das ist aber wichtig, nicht nur für die ein- gut war oder nicht, diese Frage stellt sich bei der heuti- zelnen Länder, sondern auch für die einzelnen Men- gen Haushaltsberatung eher weniger. schen. Wir müssen den Menschen in diesen Ländern mehr Chancen vor Ort geben. Es geht hier aber nicht nur darum, viel Geld zur Ver- fügung zu stellen, sondern auch darum, die richtige Ant- Wir sind – wir haben das mehrfach heute diskutiert – wort auf Zukunftsfragen zu geben, nicht nur die aktuel- sicherer Zufluchtsort für ganz viele Flüchtlinge, deren len Notlagen zu bewältigen, sondern auch über den Tag Menschenrechte zu Hause mit Füßen getreten werden. hinaus zu denken. Ein entscheidendes Hemmnis für Diese Menschen wollen wir gern aufnehmen; das ist wirtschaftliche Entwicklung und Arbeitsplätze in den richtig so. Aber wir sind verständlicherweise auch Ziel Ländern des Südens sind Gesundheitsprobleme. Da, wo von vielen, die zu uns kommen, weil sie bei sich zu Menschen krank sind, können sie nichts erarbeiten und Hause zu wenig Chancen sehen. Da ist es doch ein Ge- ihre Zukunft nicht gestalten. Deshalb ist es so wichtig, bot der Menschlichkeit, dass wir helfen, in diesen Län- dass es uns gelungen ist, den deutschen Beitrag für die dern Chancen zu eröffnen, Chancen auf Jobs und darauf, Globale Impfallianz jeweils für die nächsten Jahre auf in der Heimat das eigene Leben zu gestalten. 40 Millionen Euro deutlich zu erhöhen. Das wird die (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Grundlage sein: Wenn bilaterale Mittel hinzukommen, Axel Schäfer [Bochum] [SPD]) werden wir auf dieser Grundlage bei der Replenishment- Konferenz, die im nächsten Januar bei uns in Deutsch- Genau das ist auch der Inhalt der Sonderinitiativen, land stattfindet, Zusagen in Höhe von rund 500 Millio- die sich das Ministerium auf die Fahne geschrieben hat: nen Euro geben können. Der entscheidende Punkt ist: „Eine Welt ohne Hunger“, „Fluchtursachen bekämpfen, Damit werden Bremsklötze für die Entwicklung vor Ort Flüchtlinge reintegrieren“ und „Nordafrika und Naher beiseitegeräumt. Osten“; diese Region ist leider weiterhin im Mittelpunkt. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Das sind die Punkte, die im Mittelpunkt der Arbeit stehen werden, die im nächsten Jahr von einer größeren Wir müssen auch an anderer Stelle Bremsklötze bei- Öffentlichkeit sicherlich intensiv beachtet wird. Das seiteräumen. Wir haben den Ansatz beim Titel „Zusam- nächste Jahr ist ein wichtiges Jahr für die internationale menarbeit mit der Wirtschaft“ um 7 Millionen Euro er- Zusammenarbeit. Ich habe die Replenishment-Konfe- höht. Das gibt die Grundlage dafür, noch mehr tun zu renz von GAVI im Januar in Deutschland bereits können, damit sich in den jeweiligen Ländern Jobs, erwähnt. Das G-7-Treffen in Elmau wird sich ganz 6584 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014

Volkmar Klein (A) intensiv mit all diesen Fragen beschäftigen. Die Be- Dieser Etat ist einer der wichtigsten, wenn es darum (C) schlussfassung über die Post-2015-Agenda steht eben- geht, die aktuellen großen Krisen der Welt zu bewältigen falls an. Es geht darum, Chancen zu bieten. Es geht und auf lange Frist das Zusammenleben auf dieser Welt darum, über Konzepte zu streiten, die dann auch wirk- mit unserer Unterstützung auf einen positiven Weg zu lich geeignet sind, Chancen zu schaffen. bringen. Solche Konzepte – lassen Sie mich damit auch zum (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ende kommen – sind total gut, das dafür zur Verfügung stehende Geld ist total wichtig – also der Haushalt, den Gerade Minister Müller hat sich seit Amtsantritt nicht wir jetzt beschließen –, aber am Ende kommt es auf die gescheut, diesbezüglich sehr herausfordernde Worte zu Menschen an, auf diejenigen, die dann vor Ort bereit finden. Er hat die Probleme sehr klar beschrieben. In der sind, das auch umzusetzen. Deswegen möchte ich an ersten Lesung hat er mit Blick auf die aktuellen Krisen, dieser Stelle ganz herzlich denen danken, die für die Arbeit mit den Flüchtlingen und die sogenannte ent- Deutschland in den entsprechenden Ländern in aller wicklungsfördernde und strukturbildende Übergangs- Welt Hilfe leisten, im Moment vor allen Dingen denen, hilfe die Lage folgendermaßen beschrieben – ich zitiere –: die ganz persönlich an den direkten Brennpunkten von Dieses Problem kann unser Haushalt mit dieser Ebola sind. Das sind, ich glaube, inzwischen bereits über Ausstattung nicht zufriedenstellend lösen. 50 Deutsche. Da braucht man nicht nur Kompetenz; da braucht man auch Mut. Ganz herzlichen Dank an all die Diesen Satz hat er gesagt, verbunden mit der Aufforde- Menschen, die bereit sind, das zu tun! rung an uns, dass wir uns darum kümmern. (Beifall im ganzen Hause) Ich habe heute, als ich auf die Rednerliste geschaut habe, schon gestaunt, dass Minister Müller in dieser De- Ich möchte mich aber auch ganz herzlich bei den Mit- batte nicht das Wort ergreifen wird. Ich habe mich ge- berichterstattern und Mitberichterstatterinnen im Haus- fragt, ob vielleicht die Sorge besteht, dass er mit dem haltsausschuss für die gute Zusammenarbeit bedanken. Etat nicht so zufrieden sein könnte und dies vielleicht Da muss man auch schon mal unterschiedliche Meinun- zum Ausdruck bringen könnte. Das ist Spekulation; aber gen aushalten und das ausfechten. Aber ich kann sagen: ich bedauere sehr, dass er nicht spricht. Es macht einfach Spaß, gemeinsam an diesen Dingen zu arbeiten, auch gemeinsam mit den zuständigen Leuten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN aus dem Finanzministerium, aus dem BMZ, das von ei- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) nem guten Minister geführt wird, der das Ganze gut im Griff hat. Auch dafür ganz herzlichen Dank! Vizepräsident Peter Hintze: (B) Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage? (D) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD – Johannes Selle [CDU/CSU]: Die Staatssekretäre haben das auch gut im Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Griff!) Ja, selbstverständlich. – Der Minister ist unter anderem deswegen so gut, weil er von drei kompetenten Staatssekretären unterstützt Vizepräsident Peter Hintze: wird; das ist in der Tat richtig. Bitte schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU): neten der SPD) Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kollegin Meine Damen und Herren, mein Fazit. Erstens: Guter Hajduk, nur zu Ihrer Kenntnis: Es ist, wie ich glaube, Etat! Zweitens: Bitte zustimmen! Drittens: Am besten große Anerkennung wert, dass ein Minister so handelt, alle! wie unser Minister handelt. Er hat bei der Einbringung des Haushaltes gesprochen, hat uns seine Vorstellungen (Michael Leutert [DIE LINKE]: Mit minima- dargelegt und hat es dann in unsere Hand gelegt, zu han- len Änderungen?) deln. Dass er jetzt die zweite und dritte Lesung nicht als Herzlichen Dank. Regierungshandeln, sondern als Parlamentshandeln ver- steht, finde ich ausgezeichnet. Ich würde mir wünschen, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- manch anderer Minister würde das auch so machen. neten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Vizepräsident Peter Hintze: neten der SPD – Niema Movassat [DIE LINKE]: Ist das jetzt Kritik an Steinmeier und Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten von der Leyen?) Anja Hajduk, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich möchte Ihnen gerne antworten, Frau Kollegin. Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- ren! Zustimmen geht beim besten Willen nicht, werter (Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Das war nur Kollege Klein. Ich möchte das auch begründen. eine Feststellung!) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6585

Anja Hajduk (A) – Ich möchte aber in der gebotenen Kürze darauf einge- Wenn ich mich nicht irre, Frau Pfeiffer, waren Sie da- (C) hen. – Ich bin sehr dafür, dass parlamentarische Gepflo- bei, als wir uns darauf geeinigt haben, einen Aufwuchs- genheiten eingehalten werden und dass wir unsere Rolle pfad zum 0,7-Prozent-Ziel erreichen zu wollen. Gemes- mit dem entsprechenden Selbstbewusstsein wahrneh- sen an diesen Zusagen kann ich nur sagen: Das ist viel men. Ich habe es aber immer auch als wichtig und richtig zu wenig, was Sie machen. Ich bitte Sie: Lehnen Sie sich empfunden, dass zum Beispiel im Haushaltsausschuss nicht zurück – ich hatte es so verstanden, dass der Minis- die Minister anwesend sind, wenn ihr Etat beraten wird. ter sich auch nicht zurücklehnen will –; denn diese Rech- Ich finde es entsprechend unseren parlamentarischen nung geht nicht auf. Gepflogenheiten der Rede und Gegenrede wertvoll, auch den Minister selber sprechen zu hören, in Reaktion auf Vizepräsident Peter Hintze: die Änderungen, die sein Etat erfahren hat. Es gibt den Wunsch von Kollegin Pfeiffer nach einer (Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Das ist doch im weiteren Frage oder einer Bemerkung. Möchten Sie die Haushaltsausschuss passiert!) zulassen?

Ich kann das, was Sie sagen, nicht teilen. Aber letztlich Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ist es natürlich die Entscheidung der CDU/CSU-Frak- Wenn ich jemanden anspreche, dann lasse ich das tion, wie sie die Redeminuten verteilt; ich möchte Ihnen gerne zu. nicht absprechen, dass es in Ihrer Verantwortung liegt. Aber es fällt schon auf; es ist eher eine seltene Aus- Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU): nahme, dass es so gehandhabt wird, wie Sie es hier Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kollegin handhaben. Hajduk, es gibt eine Erklärung für das Ganze. Es ist Ih- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – nen sicherlich bekannt, dass das Thema „humanitäre Michael Leutert [DIE LINKE]: Vielleicht darf Hilfe und Not- und Übergangshilfe“ primär beim Au- er jetzt reden!) ßenministerium angesiedelt ist. Insofern haben wir viel- leicht nur eine Brotkrume abbekommen; das ist das eine. Ich möchte im Thema fortfahren. Ich möchte nicht Aber das andere ist: Wir haben die Kompetenzen und leugnen, dass die Koalitionsfraktionen bei der entwick- Zuständigkeiten für diese Frage geordnet. Insofern ist lungsfördernden und strukturbildenden Übergangshilfe diese Verteilung so, wie sie ist. Wir können es vielleicht 90 Millionen Euro draufgelegt haben. Das ist angesichts grundsätzlich bedauern, dass wir nicht mehr Geld zur der vorhandenen 49 Millionen Euro nicht nichts. Das Verfügung haben; aber wenn Sie allein auf die humani- will ich, wie gesagt, gar nicht leugnen; schon gar nicht, täre Hilfe und die Not- und Übergangshilfe abstellen, (B) weil ich den Minister zitiert habe. Aber ich kann einfach liegen Sie leider falsch. (D) nicht verstehen, dass Sie dann den Großteil, 75 Millio- (Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE nen Euro, bei der bilateralen Finanziellen Zusammenar- GRÜNEN]: Bleibt immer alles so, wie es ist, beit abziehen. was? Beim Verteidigungshaushalt haben Sie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gerade umgekehrt argumentiert, Ihre Fraktion, Ihre Kollegen!) Bei den Verpflichtungsermächtigungen für die bilaterale Technische Zusammenarbeit ziehen sie 46 Millionen Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Euro ab. Frau Kollegin, auch da muss ich Ihnen widerspre- chen; Herr Schmidt, darauf gehe ich jetzt ein. Der Gesamtaufwuchs in diesem Etat ist, gemessen da- ran, was eigentlich nötig ist, viel zu gering. Deswegen In Bezug auf das, was im Zuge der humanitären Hilfe können wir nicht erkennen, Volkmar Klein, dass das die notwendig ist, haben Sie tatsächlich reagiert; das ist vor- ausreichende Antwort auf die globalen Krisen, auf die hin schon gesagt worden. Sie haben zum Glück einen langfristigen Probleme, die wir haben, sein soll. Fehler korrigiert, auf den wir Sie schon im Juni/Juli hin- gewiesen haben. Wir haben nämlich gesagt: Sie müssen Vor dem Hintergrund der Entscheidungen, die wir bei der humanitären Hilfe draufsatteln, damit das Niveau hier heute schon getroffen haben, möchte ich auf Fol- von 400 Millionen Euro gehalten werden kann. Das gendes hinweisen – ich bin auch zuständig für den Etat stimmt; das ist sozusagen eine Fehlerkorrektur, die Sie Kultur –: Zugunsten des Kulturetats, der um einiges klei- vorgenommen haben. ner ist als dieser Etat – was ich gut finde –, finden Um- schichtungen in der Größenordnung von 100 Millionen Wir reden hier aber nicht über Mittel für humanitäre Euro in diesem Jahr und 280 Millionen Euro in den Fol- Hilfe – für die erste Versorgung mit Decken usw., wie gejahren statt. Ich bedauere es, dass Sie angesichts des- Herr Leutert eben ausgeführt hat –, sondern wir reden sen in diesem Etat nur eine 1-prozentige Steigerung ge- über mittel- und längerfristige Strukturen wie Wasser- schafft haben – und das vor dem Hintergrund unserer versorgung und Schulen, die ab einem Zeitraum von drei internationalen Zusagen und der Vereinbarungen, die wir Monaten nötig sind. Sie wissen doch, wie groß die Zahl unterzeichnet haben. der Flüchtlinge ist! Es sind mehrere Millionen, und der Minister hat gesagt – bestimmt auch Ihrer Fraktion; das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN kann ich mir gar nicht anders vorstellen –: Da komme und bei der LINKEN) ich mit den Mitteln für die Hilfe, für die ich zuständig 6586 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014

Anja Hajduk (A) bin, trotz der Aufteilung mit dem Auswärtigen Amt, Vizepräsident Peter Hintze: (C) nicht aus. – Sie müssen also in der Summe mehr tun und Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten nicht nur an der einen Stelle. Das wäre doch die richtige Sonja Steffen, SPD-Fraktion, das Wort. Antwort auf diese Frage. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der CDU/CSU) und bei der LINKEN – Sibylle Pfeiffer [CDU/ CSU]: Aber er macht es trotzdem!) Sonja Steffen (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Ich möchte mit einem zweiten Themenschwerpunkt Kollegen! Meine Damen und Herren! Ein nachdenkli- fortfahren, den wir Grüne und auch ich wichtig finden. cher Satz unseres Außenministers ist heute schon mehr- Wir zeigen Ihnen einen Pfad auf, wie wir unsere inter- mals zitiert worden: Die Welt ist aus den Fugen geraten. – nationalen Zusagen mit einem Plus von insgesamt Es gibt Probleme, die scheinbar endlos wachsen, in im- 800 Millionen Euro einhalten können, um der ODA- mer neuen Dimensionen: Kriege, brutale Verfolgung, Quote näherzukommen. Das ist ein mehrjähriger Pro- Millionen Flüchtlinge – ein einziges Elend. zess. Es ist richtig und wichtig, dass uns diese Bilder errei- Das Jahr 2015 wird in Bezug auf Entwicklungs- und chen. Ich möchte jedoch an dieser Stelle erst einmal kurz Klimapolitik ein wichtiges Jahr. Es werden viele wich- einen Blick auf die Erfolgsseite werfen. Das sind die Er- tige Konferenzen stattfinden. Es ist richtig, was der folge, die wir in der Welt gemeinsam, gemessen an den Minister gesagt hat: Unter dem Klimawandel leiden am Millenniumszielen, in den letzten 15 Jahren erreicht ha- meisten die Bewohner von Inselstaaten sowie die Be- ben, und es sind große Erfolge. wohner Afrikas aufgrund der Wüstenausbreitung und Der Anteil der Weltbevölkerung in absoluter Armut des Wassermangels. Wir, der entwickelte Norden – ich – das sind die Menschen, die mit 1,25 Dollar für ihren nenne das einmal so –, sind der Hauptverursacher. Inso- täglichen Bedarf auskommen müssen – hat sich seit fern haben wir die Verpflichtung, hier mehr zu helfen. 2000 halbiert. Die Kindersterblichkeit hat sich seit 2000 Es ist gut, dass die deutsche Regierung zugesagt hat, ebenfalls halbiert, und die Müttersterblichkeit hat sich mit 750 Millionen Euro beim Green Climate Fund ein- fast halbiert. Der Anteil der Kinder mit Grundschulbil- zusteigen. Wir Grüne sagen aber: Hier müssen wir noch dung ist auf 90 Prozent gestiegen. Das sind beeindru- ckende Erfolge, Erfolge einer Politik der Weltgemein- mehr tun. Wir brauchen eine Aufstockung auf 1 Mil- schaft, die sich zur Jahrtausendwende ein ambitioniertes liarde Euro. (B) Programm zum Ziel gesetzt hat: die Entwicklungsziele (D) Ich sage Ihnen mit Blick auf den Haushalt 2015: Es des Millenniums. kann nicht angehen, dass Sie von diesen 750 Millionen Man kann aus diesen Erfolgen zwei Resümees ziehen. Euro Verpflichtungsermächtigung gerade einmal 18 Mil- Das erste ist: Ambitionierte tief und breit angelegte Pro- lionen Euro im Jahr 2015 einsetzen wollen. Wir glauben, gramme wie die MDGs und die SDGs sind der richtige dass es für den Klimaschutz insgesamt nötig ist, ein Pa- Weg. Das zweite ist: Entwicklungszusammenarbeit lohnt ket von 500 Millionen Euro zusätzlich zu schnüren, das sich, zahlt sich aus. sowohl dem Klima-, Umwelt- und Biodiversitätsschutz Rechnung trägt als auch multilaterale Hilfen und den (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Green Climate Fund mit mehr Mitteln ausstattet. In diesem Geist der Weltgemeinschaft haben Sie, Herr Minister Müller, jetzt ein ebenfalls sehr ambitioniertes Ich möchte Ihnen zum Abschluss meiner Rede eine Programm aufgelegt: die Zukunftscharta „EINEWELT – Brücke bauen. Wenn die 500 Millionen Euro für den in- Unsere Verantwortung“. Leider sprechen Sie heute nicht ternationalen Klimaschutz eingesetzt werden, dann han- – ich bedaure das –, sonst könnten Sie vielleicht auch ei- delt es sich ja um investive Maßnahmen. Wenn Sie sich nige Sätze zu dem wirklich sehr erfolgreichen Auftakt in dieser Woche nicht dazu durchringen können, eine dieser Veranstaltung sagen. Viele von uns waren am entsprechende Entscheidung zu treffen, dann tun Sie es Montag dabei. Es waren Tausende von Menschen in der innerhalb des nächsten halben Jahres. Dann werden Sie Station Berlin, und es war ein sehr buntes Bild. Das hat nämlich vor der Aufgabe stehen, das 10-Milliarden- uns allen, denke ich, sehr viel Hoffnung für die nächsten Euro-Paket von Herrn Schäuble zu füllen. Das sind zu- Jahre gegeben. gesagte Investitionen für die Jahre 2016 bis 2018. Pa- cken Sie davon einen Riesenbatzen in den internationa- Die Botschaft dieses Programmes ist: Es gibt nicht len Klimaschutz! Folgen Sie unseren Vorschlägen! Sie mehr die Welt des Gebens und Nehmens. Alle Länder wären zwar spät bekehrt, aber es wäre was. Heute sind und Akteure sind verantwortlich. Das ist ein Programm, wir nicht zufrieden. das alle Politikbereiche umfasst. Was für die SPD-Frak- tion besonders wichtig ist: Das Menschenrecht auf so- Schönen Dank. ziale Sicherheit weltweit wird zum Ziel erklärt, ebenso wie eine Flüchtlingspolitik, die die unerträgliche Lage (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – der Flüchtlinge beenden will. Herr Klein, da bin ich ganz Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE bei Ihnen: Das muss so nachhaltig sein, dass die Men- GRÜNEN]: Sehr gute Rede!) schen erst gar nicht mehr aus ihrer Heimat flüchten müs- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6587

Sonja Steffen (A) sen. Ganz wichtig ist übrigens: kein einziges Wort in der die Präsidentschaft der G 7, und eine der ersten Konfe- (C) Zukunftscharta über militärische Hilfe. Hier gehört sie renzen, die Deutschland leitet, ist die GAVI-Geberkonfe- nämlich nicht hin, schon deshalb nicht, weil sie oft Teil renz. Schon Ende Januar soll sie in Berlin unter der des Problems ist und nicht Teil der Lösung. Schirmherrschaft unserer Bundeskanzlerin stattfinden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ich will vielleicht kurz erklären, auch wenn wir zu der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE dieser späten Stunde bedauerlicherweise fast unter uns GRÜNEN) sind: Dank GAVI konnte in den letzten Jahren erreicht werden, dass mindestens 440 Millionen Menschen ge- Dafür hat die Charta aber ein weiteres Ziel formuliert gen lebensbedrohliche Krankheiten geimpft werden – das haben auch Sie am Montag betont –, man höre: konnten. Auf diese Weise wurden schätzungsweise bis- vom Freihandel zum Fairhandel. Das hat mir sehr gut her schon 6 Millionen Todesfälle verhindert. Polio bei- gefallen. Seien Sie versichert, Herr Minister, die Zu- spielsweise konnte weltweit fast komplett ausgerottet kunftscharta findet die volle Unterstützung meiner Frak- werden. tion, der SPD-Fraktion, und hoffentlich auch der gesam- ten Koalition. Das ist also ein sehr ambitionierter, aber auch sehr er- (Beifall der Abg. Sabine Weiss [Wesel I] folgreicher Fonds, den wir da haben. Ich finde es absolut [CDU/CSU]) angemessen, dass wir in diesen Haushalt 15 Millionen pro Jahr zusätzlich einstellen; denn es handelt sich wirk- Nun hat die Zukunftscharta also sehr erfolgreich be- lich um einen unglaublich erfolgreichen Fonds. Es ist gonnen, es bedarf aber einer konsequenten Neuausrich- übrigens auch gut, dass die Kanzlerin, die am Montag tung Ihres Ministeriums, damit es tatsächlich ein Minis- ebenfalls bei der Übergabe der Zukunftscharta anwesend terium für globale Zukunftsfragen werden kann. Hier, war, ausdrücklich 500 Millionen Euro für GAVI in den liebe Kolleginnen und Kollegen – da gebe ich der Oppo- kommenden Jahren in Aussicht gestellt hat. Herr Klein sition wirklich recht –, bedarf es auch mit Blick auf die hat darauf auch schon hingewiesen. Zukunft aus unserer Sicht eines wesentlich höheren Etats. Es gibt noch einen anderen globalen Fonds: Das ist der GFATM, der Globale Fonds zur Bekämpfung von (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Aids, Tuberkulose und Malaria, den wir in diesem Jahr DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der mit 10 Millionen Euro mehr unterstützen. Ich weiß, dass CDU/CSU und der LINKEN) die Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker sich mehr ver- sprochen haben. Ich hoffe aber, dass wir in den nächsten Vor diesem Hintergrund ist es mir als Haushälterin (B) Jahren bei diesem Fonds einen weiteren Aufwuchs errei- (D) natürlich leicht gefallen, mich für mehr Mittel in unse- chen können. rem Etat einzusetzen. Ich weiß auch, dass vor allem die Oppositionsfraktionen – das haben wir vorhin schon ge- hört – bemängeln, dass der Entwicklungsetat nach wie Vizepräsident Peter Hintze: vor nur 0,38 Prozent des Bruttoinlandsprodukts beträgt Frau Kollegin, gestatten Sie eine Frage des Abgeord- statt der einmal vereinbarten 0,7 Prozent, was der be- neten Kekeritz? rühmten, fast schon berüchtigten ODA-Quote entspre- chen würde, die wir eigentlich 2015 erreichen wollten. Diese zu erreichen, ist uns bislang nicht gelungen. Die Sonja Steffen (SPD): Fachpolitiker und Fachpolitikerinnen der SPD-Fraktion Ja. sind wie auch ich an einigen Stellen nicht glücklich über den diesjährigen Etat. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich will aber auch loben; das habe ich eingangs schon Frau Kollegin, Sie sagten gerade, dass GFATM mit gesagt. Immerhin haben wir insgesamt 100 Millionen 10 Millionen Euro mehr unterstützt wird. Meiner Kennt- Euro mehr, als im ursprünglichen Haushaltsentwurf vor- nis nach wird der Etat um 35 Millionen gekürzt. Wie ist gesehen, für die Flüchtlingshilfe. 60 Millionen sind noch das zu erklären? einmal obendrauf über den Titel „Entwicklungsför- dernde und strukturbildende Übergangshilfe“ in den Sie gehen von der theoretischen Annahme aus, dass Haushalt hereingelangt. Ich finde schon, dass das ein der Ansatz eigentlich viel niedriger war. Die Leute hier großer Erfolg und vor dem Hintergrund der aktuellen wollen aber wissen, wie hoch er 2014 war und wie hoch Flüchtlingsdramen auch völlig angemessen ist. er 2015 sein wird. Vor diesem Hintergrund ist ganz klar: Es handelt sich nicht um eine Erhöhung um 10 Millio- Der Etat des Außenministeriums – auch das war ja nen Euro, sondern um eine Reduzierung um 35 Millio- heute hier in der Debatte zu hören – ist gleich um nen Euro. Ich bitte Sie im Namen der Öffentlichkeit und 300 Millionen Euro aufgestockt worden. Das ist auch der Kolleginnen und Kollegen hier im Hause, die Zahlen besonders wichtig, weil gerade die Winterhilfe jetzt un- nicht derart durcheinanderzubringen. bedingt funktionieren muss. Danke. 2015 ist für die Entwicklungszusammenarbeit ein ent- scheidendes Jahr – das haben wir schon gehört –: Wir (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- haben die Zukunftscharta; 2015 übernimmt Deutschland SES 90/DIE GRÜNEN) 6588 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014

(A) Sonja Steffen (SPD): (Beifall der Abg. Dr. Bärbel Kofler [SPD] – (C) Herr Kekeritz, dazu will ich gerne etwas sagen. Wir Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: hatten in dem Etat „Global Fonds“ ursprünglich Da werde ich Sie unterstützen! Da können wir 200 Millionen Euro pro Jahr eingestellt; das werden Sie uns einmal austauschen!) wissen. Im letzten Jahr haben wir es erreicht, den Etat 2014 auf 240 Millionen Euro zu erhöhen. In diesem Jahr Sie haben das vorhin vorgeschlagen. Das finde ich nicht – deshalb finde ich, dass ich nichts Falsches gesagt schlecht. habe – ist es uns gelungen, den Etat um 10 Millionen Abschließend will ich mich bei allen bedanken, beim Euro zu erhöhen, also von den 200 Millionen Euro, die Hauptberichterstatter, Herrn Klein, der das mit uns zu- eingestellt waren, auf 210 Millionen Euro. sammen, auch zusammen mit Herrn Leutert und Frau (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Hajduk, sehr gut gemacht hat. Des Weiteren will ich NEN]: Diese Logik konsequent angewendet, mich beim Ministerium bedanken, beim Minister selbst, müssten Sie mir auch sagen, ab welchem Jahr bei den Staatssekretären, beim gesamten Stab und natür- Sie anfangen!) lich auch bei unseren eigenen Mitarbeitern. – Wir sprechen über 2015. Ursprünglich angesetzt waren Danke schön. es 200 Millionen Euro, und jetzt sind es 210 Millionen (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie Euro. des Abg. Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/ (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – DIE GRÜNEN]) Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Die Zusagen sind doch nur über 200 Millionen!) Vizepräsident Peter Hintze: Ich habe ja auch gesagt, dass ich mir in Zukunft eine Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge- deutlichere Erhöhung wünsche. ordneten Sabine Weiss, CDU/CSU-Fraktion. Übrigens hat auch die Kanzlerin am Montag gesagt, (Beifall bei der CDU/CSU) dass GAVI und der Global Fonds sehr gelungene Bei- spiele für multilaterale Entwicklungszusammenarbeit Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU): sind. Ich finde es sehr wichtig, dass auch die Kollegen Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen von der Union dies noch einmal deutlich gehört haben. und Kollegen! Verehrte Damen und Herren auf den Rän- Es ist wichtig, dass das Interesse in unserem Land an gen! Ja, wir müssen noch viel tun. Aber schauen wir doch erst einmal, was wir haben. (B) internationalem Engagement durch unsere Politik ge- (D) stärkt wird. In diesem Zusammenhang leistet der Zivile Dank Bundesminister Dr. Gerd Müller weht ein fri- Friedensdienst, den viele junge und engagierte Men- scher Wind durch die deutsche Entwicklungspolitik. schen dort, wo es wirklich brennt, absolvieren, eine sehr wichtige Arbeit. Deshalb war es uns von der SPD-Frak- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – tion besonders wichtig, dass wir diesen Zivilen Friedens- Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Das stimmt!) dienst mit 5 Millionen Euro mehr, also mit insgesamt Es zeichnet den Minister aus – die Staatssekretäre will 39 Millionen Euro, unterstützen. ich hierbei natürlich nicht vergessen –, dass er bei seinen Des Weiteren freue ich mich sehr, dass der Etat für die Bemühungen um neue Ansätze bei Beibehaltung der er- Forschung in der Entwicklungszusammenarbeit gestärkt folgreichen Strategien die Bevölkerung und die Zivilge- wird. Wir stellen hierfür 5 Millionen Euro mehr zur Ver- sellschaft mit ins Boot holt. Ich wage auch die Behaup- fügung. Es ist gut, dass davon auch das Deutsche Institut tung: Damit hebt er sich positiv von dem einen oder für Entwicklungspolitik profitieren wird. anderen seiner Vorgänger ab. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der CDU/CSU) der CDU/CSU) Erfolgreiche Entwicklungszusammenarbeit lebt von der Der Haushaltsentwurf 2015 war ein hartes Stück Ar- guten Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft und von beit. Das Ziel, einen ausgeglichenen Haushalt vorzule- der Akzeptanz in der Bevölkerung. Daher ist die Heran- gen – dass uns dies gelungen ist, begrüße ich sehr –, hat gehensweise von Gerd Müller, die enge Einbindung, ge- uns vieles abverlangt. Es ist uns gelungen, im Einzel- nau die richtige. plan 23 die richtigen Schwerpunkte zu setzen, insbeson- dere im Bereich Flüchtlingshilfe und Gesundheit. Liebe Sonja Steffen, beim Blick in die Zeitungen der letzten Woche beschleicht viele Menschen angesichts Über den Erfolg eines schuldenfreien Haushalts wol- der zahlreichen Krisen in der Welt verständlicherweise len wir aber nicht vergessen, dass unsere Verantwortung ein beängstigendes Gefühl. Bei der Bekämpfung dieser in der Welt und für die Welt wirklich ernst genommen Krisen ist die Entwicklungszusammenarbeit aus meiner werden muss. Deshalb habe auch ich, Frau Hajduk, da- Sicht das einzig wirklich richtige Mittel – beim Kampf rüber nachgedacht, warum wir nicht einen Teil der gegen Ebola, bei den Hilfen für die Flüchtlinge im Irak 7 Milliarden Euro, die noch nicht verplant sind, für In- und in Syrien, aber auch bei den leider schon wieder aus vestitionen in die Entwicklungszusammenarbeit nutzen dem Rampenlicht entschwundenen Krisen im Sudan und sollten. Mali. Es geht eben nicht ohne Entwicklungszusammen- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6589

Sabine Weiss (Wesel I) (A) arbeit. Das müssen wir immer wieder betonen. Damit dung ist das schärfste Schwert, das wir gegen rückwärts- (C) müssen wir noch viele Herzen erreichen. gewandte und menschenverachtende Ideologien haben; denn nichts entzaubert mittelalterliche Weltanschauun- Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass der ak- gen schneller und besser. Bildung macht Gesellschaften tuelle Haushalt des BMZ in hohem Maße auf die akute offen, vielfältig und tolerant. Bildung ist der sicherste Krisenbewältigung ausgerichtet ist. 90 Millionen Euro Weg aus der Armut. Daher bin ich sehr froh darüber, wurden im parlamentarischen Verfahren beim Titel dass der Bildung eine so hohe Bedeutung zugemessen „Entwicklungsfördernde und strukturbildende Über- wird. 400 Millionen Euro sollen in dieser Legislaturpe- gangshilfe“ draufgelegt. 200 Millionen Euro stehen für riode jährlich aus dem Haushalt des BMZ für Bildung die von Minister Müller vorgeschlagenen drei Sonderini- eingesetzt werden. tiativen zur Hungerbekämpfung, zur Flüchtlingsfrage und zu Nordafrika/Nahost zur Verfügung. Neben dem BMZ kann und muss hier aber auch die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik des Auswärti- Zusätzliche Mittel wurden kurzfristig für die Bewälti- gen Amtes wichtige Beiträge leisten; denn nichts fürch- gung der Ebolakrise sowie der Flüchtlingskatastrophe in ten Diktatoren und Fundamentalisten so sehr wie freie Nahost bereitgestellt. Zwar verschwindet Ebola zurzeit Medien und Meinungsfreiheit. Folgerichtig muss die wieder aus den Schlagzeilen. Wie wir alle wissen, be- Förderung freier Medien und der Meinungsfreiheit einer deutet das aber leider nicht, dass diese Krise mit ihren unserer Schwerpunkte sein. dramatischen Auswirkungen auf die Länder ausgestan- den ist. Einzig in Liberia gibt es derzeit Zeichen für ei- (Beifall bei der CDU/CSU) nen Rückgang der Ansteckungen. Allerdings wird die Seuche zusehends zu einer Gefahr für die internationale Der Stachel im Fleisch der Diktatoren, Fundamenta- Sicherheit. Daher haben die G-20-Staaten, wie die Frau listen und aller, die es mit der Demokratie nicht ernst Bundeskanzlerin heute Morgen berichtet hat, Ebola ge- meinen, können unter anderem die Deutsche Welle und meinsam den Kampf angesagt. Wir wissen, dass die andere Träger sein. 3 Millionen Euro wurden für diesen Bundesregierung sich mit 100 Millionen Euro an der Zweck im parlamentarischen Verfahren zusätzlich für Seuchenbekämpfung beteiligt. nächstes Jahr veranschlagt. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, an dieser Stelle Alle diese Maßnahmen – das hören wir aber auch je- allen Helfern zu danken, die in den Ebolagebieten unter des Jahr wieder – erfordern eine stärkere Vernetzung der schwersten und nicht ungefährlichen Bedingungen ar- einzelnen Ressorts, als es bisher geschieht. Ich glaube, beiten, um den Kranken zu helfen. Ich kann das gar nicht lieber Gerd Müller, das ist eine Baustelle, an der wir alle angemessen ausdrücken. Ihnen gebühren wirklich un- – die Bundesregierung, aber auch wir Parlamentarier – (B) sere Hochachtung und unser höchster Respekt für ihren noch arbeiten müssen. (D) humanitären Einsatz. Zum Thema Gesundheit. Es gibt keinen Bereich, bei (Beifall im ganzen Hause) dem eingesetzte Mittel so direkt zu einem messbaren Er- folg führen wie im Gesundheitsbereich. Die Erfolge der Die aktuellen Krisen erfordern kurzfristige Hilfen und letzten zwei Jahrzehnte sind beachtlich – Frau Steffen ist internationale Unterstützung. Sie dürfen aber nicht den schon darauf eingegangen –: Die Sterblichkeit von Kin- Blick darauf verstellen, dass erfolgreiche und nachhal- dern unter fünf Jahren hat sich fast halbiert, die Mütter- tige Entwicklungszusammenarbeit auf die Lösung struk- sterblichkeit sank um 45 Prozent. Trotz aller Erfolge tureller und tiefsitzender Entwicklungshemmnisse aus- müssen wir unsere Anstrengungen natürlich verstärken. gelegt ist. Daher sind neben der akuten Krisenhilfe Denn jedes Kind und jede Mutter, die einen vermeidba- weitere Schwerpunkte des Haushaltes für das nächste ren Tod sterben, sind ein Kind und eine Mutter zu viel. Jahr: Bildung, Gesundheit und Ernährungssicherheit. Nach wie vor sterben jeden Tag mehr als 18 000 Kinder unter fünf Jahren, und 900 Frauen lassen jeden Tag ihr Krisen in den Ländern des Nahen Ostens und Nordaf- Leben aufgrund von Schwangerschaft oder Geburt in- rikas mit dem massiven Vormarsch eines radikalen und folge von durchaus behandelbaren oder vermeidbaren gewalttätigen Islam halten die Welt derzeit in Atem. Mil- Komplikationen. Da ist es richtig, dass sich der G-7-Gip- lionen Menschen befinden sich auf der Flucht vor den fel in Deutschland nächstes Jahr dem Thema der globa- barbarischen Mördertruppen. Dass es so weit kommen len Gesundheit widmen wird. konnte, dass die Truppen des IS ganze Landstriche mit ihren Gräueltaten überrollen, ist allerdings auch eine Die im Gesundheitsbereich erzielten Erfolge sind in Folge jahrzehntelanger Nichtbeachtung der Interessen hohem Maße der Arbeit des Globalen Fonds zur Be- und Bedürfnisse der breiten armen Bevölkerung, eine kämpfung von HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria und Folge fehlender Bildung und Gesundheitsversorgung der Impfallianz GAVI zu verdanken. Ich begrüße es da- und eine Folge der Missachtung von Rechten von her außerordentlich, dass Bundesregierung und Parla- Frauen; denn ohne Zugang zu Bildung, Gesundheit und ment hier an einem Strang ziehen und die Mittel für Ernährung für alle Bevölkerungsgruppen und -schichten diese beiden Organisationen erhöhen. Beim GFATM in Entwicklungsländern wird nirgends ein sich selbst tra- wurden 10 Millionen Euro – der Haushaltsansatz betrug gender Entwicklungsprozess in Gang kommen. 200 Millionen Euro – draufgelegt, lieber Uwe Kekeritz. Ich möchte mich heute noch kurz auf zwei Aspekte, (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, nämlich Bildung und Gesundheit, konzentrieren. Bil- ja!) 6590 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014

Sabine Weiss (Wesel I) (A) Mit diesen insgesamt 210 Millionen Euro haben wir für sammenarbeit abfällt. Denn erfolgreiche Entwicklungs- (C) 2015 eine Summe, mit der Deutschland weiterhin der zusammenarbeit ist das wichtigste und erfolgreichste weltweit drittgrößte Geber des Globalen Fonds ist. Aber Präventionsmittel, das wir haben. Das können wir nicht auch ich bin ein Freund der Position: Daran müssen wir oft genug betonen. weiter arbeiten. Herzlichen Dank. Bei GAVI wurden die Voraussetzungen dafür ge- schaffen, dass Deutschland bei der nächsten Geberkon- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) ferenz bis zu 500 Millionen Euro für die kommenden Jahre zusagen kann. Ich denke, auch das ist eine signifi- Vizepräsident Peter Hintze: kante Erhöhung. Ich kann mich noch daran erinnern, mit Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge- welchen Summen GAVI unterstützt wurde, als ich vor ordneten Niema Movassat, Fraktion Die Linke. fünf Jahren mit der Entwicklungspolitik anfing. (Beifall bei der LINKEN) Das BMZ plant auch eine Erhöhung der Mittel für die wichtige Entwicklung von Gesundheitssystemen in den Niema Movassat (DIE LINKE): entsprechenden Ländern. Denn gerade das Fehlen von Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber funktionierenden und belastbaren Gesundheitssystemen Minister Müller, bald können wir eine Kerze anzünden – ist maßgeblich schuld am rasanten Ausbruch der Ebola- nicht nur wegen des ersten Adventssonntags, sondern seuche. auch, weil Sie bald Ihr einjähriges Ministerjubiläum fei- 60 Millionen Euro mehr hat der Haushaltsausschuss ern. trotz der Vorgaben der Schuldenbremse und der schwar- zen Null bewilligt. Ich denke, das ist ein Erfolg. Den las- Ihr Hauptanliegen, alle mit ins Boot zu nehmen, über- sen wir uns heute auch nicht kleinreden. Wir arbeiten strahlt dieses erste Jahr. Das ist ohne Frage ein sehr weiter daran, dass wir nächstes Jahr größere Erfolge er- frommer Wunsch. zielen. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Dann Mit Blick auf die Zukunft möchte ich als Entwick- macht doch mit!) lungspolitiker noch Folgendes anmerken: Wenn wir vor Sie müssen aber dafür sorgen, dass dieser fromme dem Hintergrund der aktuellen Krisen und Bedrohungen Wunsch auch Wirklichkeit wird; denn Ihr Wunsch und richtigerweise über eine Erhöhung des Volumens des die Realität klaffen bei Ihrer konkreten Politik leider oft Verteidigungshaushaltes sprechen, dann müssen wir das auseinander. erst recht im Hinblick auf den Entwicklungsetat tun; (B) (D) denn Entwicklungspolitik ist die beste Krisenpräven- (Johannes Selle [CDU/CSU]: Ihr müsst ja bloß tionspolitik. zustimmen!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich nenne ein Beispiel: Vor kurzem übergaben Vertre- ter der Nichtregierungsorganisationen FIAN, INKOTA Ich bin zuversichtlich, dass wir in den kommenden und Oxfam Ihrem Ministerium 65 000 Unterschriften, die Jahren einen signifikanten Anstieg des Barhaushaltes er- sie im Rahmen der Kampagne „Keine Entwicklungshilfe reichen. Die Erhöhung der Verpflichtungsermächtigun- für Agrarkonzerne“ gesammelt hatten. Diese Kampagne gen im Rahmen der Finanziellen und Technischen Zu- richtet sich ausdrücklich gegen die enge Zusammenarbeit sammenarbeit und bei den Sonderinitiativen um circa Ihres Hauses mit der Agrar- und Lebensmittelindustrie. 450 Millionen Euro in 2015 ist ein gutes Signal und ein Was macht Ihr Entwicklungsministerium daraus? An- Weg in die richtige Richtung. lässlich der Unterschriftenübergabe veröffentlichten Sie In Zeiten der Schuldenbremse und knapper Haushalte eine Pressemitteilung mit dem Titel „INKOTA, FIAN werden alternative Finanzierungsmittel für die Entwick- und Oxfam gemeinsam mit dem BMZ für ‚EineWelt lungspolitik immer wichtiger. Lassen wir einmal die ohne Hunger‘“. Das ist echt dreist. 7 Milliarden Euro, die vorhin Thema waren, beiseite; (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Uwe dazu ist schon einiges gesagt worden. Ich denke – dafür Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) möchte ich werben –, dass ein bedeutender Teil der hof- fentlich bald erzielten Einnahmen aus der hoffentlich Eine ausdrückliche Kritik an Ihrer Politik biegen Sie bald beschlossenen Finanztransaktionsteuer in die Ent- mal eben in einen Beleg für gute Zusammenarbeit um. wicklungszusammenarbeit und den internationalen Kli- Damit täuschen Sie die Öffentlichkeit. Hauptsache, es maschutz fließt. Wir müssen diesen Anspruch immer sieht so aus, als wären alle im Boot! Oxfam, FIAN und wieder anmelden; sonst ist das Fell des Bären verteilt, INKOTA fordern seit zwei Wochen eine Richtigstellung. bevor er erlegt worden ist. Diese sollte unverzüglich erfolgen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir Entwicklungspolitiker werden uns gemeinsam dafür einsetzen, dass in den nächsten Jahren noch eine Noch viel wichtiger ist aber: Ändern Sie endlich Ihre ordentliche Schippe auf den Haushalt obendrauf kommt. Politik. Sie sagen zwar ständig, Sie wollen die kleinbäu- Auch werden wir dafür kämpfen, dass ein bedeutender erliche Landwirtschaft in den Entwicklungsländern stär- Teil der Finanztransaktionsteuer für die Entwicklungszu- ken, aber das bleibt leider nur ein leeres Versprechen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6591

Niema Movassat (A) Der Haushaltsentwurf für 2015 weist nämlich leider in es jetzt aus. „Das Mittelmeer darf kein Friedhof wer- (C) eine ganz andere Richtung. den“, sagte der Papst gestern vor dem EU-Parlament. Recht hat er! Schauen wir uns das Flaggschiff Ihrer Sonderinitia- tive „EineWelt ohne Hunger“ an, nämlich die zehn soge- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- nannten Grünen Zentren, die Sie in afrikanischen Län- NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- dern und in Indien aufbauen wollen. Als Partner dieser ten der CDU/CSU – Sibylle Pfeiffer [CDU/ Zentren nennen Sie explizit die deutsche Agrarwirt- CSU]: Da muss die Linke schon den Papst zi- schaft. Unternehmen wie Bayer und BASF haben Sie tieren!) massiv in die Planungen eingebunden. Kleinbauern wur- den jedoch weitgehend ausgeschlossen. Schlimmer Herr Müller, hier muss ich fragen: Warum haben Sie noch: Die Grünen Zentren bieten den meisten Kleinbau- im Kabinett und bei den Haushaltsverhandlungen nicht ern keine Perspektive, sondern forcieren eine Zukunft vehement für eine Unterstützung von „Mare Nostrum“ ohne sie. Das ist der falsche Weg. gekämpft? Das hätte ich von Ihnen erwartet. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Herr Müller, Sie müssen sich entscheiden: Wollen Sie Drittens. Gemeinsam mit den Grünen haben wir einen die Expansionsbestrebungen des deutschen Agrobusi- Antrag vorgelegt, die Budgethilfe an die Entwicklungs- ness in Afrika fördern oder eine kleinbäuerliche Land- länder zu erhöhen. Auch Sie von der SPD haben das in wirtschaft vor Ort, die im Kampf gegen den Hunger der Opposition immer laut gefordert. Kaum waren Sie in nachweislich die größten Erfolge bringt? Das eine der Regierung, war die Forderung, wie so oft, nicht mehr schließt das andere aus. Öffentlich-private Partnerschaf- so lautstark zu hören – und das, obwohl es viele gute ten dürfen deshalb eben nicht zum zentralen Mittel der Gründe dafür gibt, die Budgethilfe auszuweiten; denn Hungerbekämpfung werden. Das machen wir auch mit sie ermöglicht es den betreffenden Ländern, abge- dem vorgelegten Antrag deutlich. Die Linke ist gegen stimmte Programme zur Armutsbekämpfung oder im Entwicklungsgelder für Agrarkonzerne. Bereich der ländlichen Entwicklung zu entwerfen, an- statt von unzähligen unkoordinierten Einzelprojekten der (Beifall bei der LINKEN) Geberländer abhängig zu sein. Der Entwicklungshaushalt hat aber auch noch andere Die herkömmliche Entwicklungszusammenarbeit Defizite. Drei davon möchte ich nennen: wird zwischen den Regierungen der Geberländer und der Entwicklungsländer vereinbart. Die Budgethilfe hinge- Erstens. Die wichtigste Lehre aus der aktuellen Ebo- gen ist im Haushalt der Entwicklungsländer nach- (B) lakrise ist: Wir brauchen endlich mehr Geld in den Ent- (D) vollziehbar. Damit schafft die Budgethilfe mehr Trans- wicklungsländern für den Aufbau von Gesundheitssyste- parenz; denn Parlament und Zivilgesellschaft in den men, Partnerländern wissen, wohin das Geld fließt, und kön- (Beifall bei der LINKEN) nen nachhaken. Lediglich drei Länder erhalten heute Budgethilfe aus Deutschland im Umfang von 52 Millio- also für Krankenstationen und für die Ausbildung von nen Euro. Wir sagen: Stocken Sie die Budgethilfe auf Ärzten und Krankenschwestern. Deutschland muss au- 200 Millionen Euro auf, und machen Sie sie zu einem ßerdem seine Zahlungen an die Weltgesundheitsorgani- zentralen Element der Entwicklungszusammenarbeit. sation sofort deutlich anheben, damit diese wieder hand- lungsfähig wird und nicht weiter vom Gutdünken von (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Privatpersonen wie Bill Gates abhängig ist. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Da ich gerade beim Thema Mittelaufstockung bin Johannes Selle [CDU/CSU]: Keine Spenden? – ein Punkt darf auch in meiner heutigen Haushaltsrede Blödsinn!) nicht fehlen –: Die Höhe des Entwicklungsbudgets ins- gesamt ist zu niedrig. Das ist eine Schande. 0,7 Prozent Zweitens. Sie müssen das Budget für Flüchtlinge des Bruttonationaleinkommens für die Entwicklungs- deutlich anheben. Wie sollen wir sonst die Millionen sy- politik hat Deutschland 1970 versprochen, vor 44 Jahren. rischer Flüchtlinge menschenwürdig versorgen? Das ist Selbst heute kratzen wir gerade einmal an der 0,4-Pro- unsere humanitäre Pflicht. Sonntagsreden reichen hier zent-Grenze. Das ist peinlich und zudem ein Verrat an nicht aus. den Ärmsten der Armen. (Beifall bei der LINKEN) Herr Müller, anlässlich Ihres einjährigen Jubiläums Zudem ist es eine Schande, dass sich Deutschland ge- als Minister sage ich Ihnen: Genug der frommen Wün- weigert hat, das italienische Programm „Mare Nostrum“ sche, und ran an die 0,7-Prozent-Marke! Die Unterstüt- zu unterstützen. Durch „Mare Nostrum“ konnten binnen zung der großen Mehrheit des Hauses und der Bevölke- eines Jahres über 130 000 in Seenot geratene Flüchtlinge rung ist Ihnen dabei sicher. – Frauen, Kinder, Männer –, die in höchster Not waren, Danke für die Aufmerksamkeit. aus dem Mittelmeer gerettet werden. Da Europas Staaten dieses Programm aber nicht mitfinanzieren wollen, läuft (Beifall bei der LINKEN) 6592 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014

(A) Vizepräsident Peter Hintze: samt 500 Millionen Euro zugesagt haben. Das ist gut in- (C) Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge- vestiertes Geld. ordneten Dr. Bärbel Kofler, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) der CDU/CSU) Diese Maßnahme dient insbesondere der Stabilisierung der Nachbarländer, die wirklich Unglaubliches leisten, Dr. Bärbel Kofler (SPD): wenn es um die Aufnahme der Flüchtlinge aufgrund des Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen Syrien-Konfliktes geht. Das gilt aber nicht nur für und Kollegen! Ich habe bei der ersten Lesung, eingehend Flüchtlinge aus Syrien, sondern auch für Flüchtlinge aus auf die Worte des Herrn Ministers, über die Entwicklung dem Nahen und Mittleren Osten. dieses Haushaltes gesagt: Die Niebel-Delle, die wir da- mals hatten, ist noch nicht zu einer Müller-Welle gewor- Wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben: Diese den. – Jetzt habe ich eine etwas andere Einschätzung als Mittel werden nicht reichen. Allein im Libanon befinden der Kollege Klein. Momentan fühle ich maximal ein sich über 1 Million Flüchtlinge, Menschen aus Nachbar- leichtes Kräuseln des Wassers. ländern, etwa aus Syrien. Natürlich begrüße ich den Aufwuchs von 60 Millio- (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE nen Euro. Das ist, wie immer man es sieht, keine Klei- GRÜNEN]: Fast 2 Millionen!) nigkeit. Ich finde auch richtig, dass dieses Geld insbe- sondere für die entwicklungsorientierte strukturbildende Diese Zahl macht ein Viertel der Bevölkerung Libanons Übergangshilfe und für die Flüchtlingshilfe genutzt aus. Jordanien hat knapp 700 000 Flüchtlinge aufgenom- wird. Ebenfalls richtig finde ich, dass es gelungen ist, ei- men, die Türkei über 1 Million usw. usf. Wir wissen: Zur nige Verschiebungen in diesem Haushalt vorzunehmen, Stabilisierung der Situation in den Flüchtlingslagern insbesondere im Bereich des Zivilen Friedensdiensts und werden die Mittel, die wir alle miteinander bisher aufge- in kleinen Teilen des Gesundheitssektors. Auch der Be- bracht und eingesetzt haben, nicht reichen. reich der Klimafinanzierung ist gut und richtig ausge- Wir haben als Entwicklungspolitiker noch einen an- stattet. Ebenso freue ich mich, dass die Forschungsmittel deren Anspruch, der auch von Ihnen, Herr Minister, im- erhöht worden sind und insbesondere das deutsche Insti- mer betont worden ist, wenn es um die Bekämpfung der tut für Entwicklungsforschung entsprechend ausgestattet Fluchtursachen und die Reintegration der Flüchtlinge werden konnte. All das ist gut. ging. Wir haben den Anspruch und eigentlich auch die (B) Aber – viele Vorredner haben es gesagt – die einge- Aufgabe, den Menschen, die zum Teil über Jahre hinweg (D) stellten Mittel reichen nicht aus. Sie reichen nicht aus, – man könnte fast sagen: Jahrzehnte – in Flüchtlings- um die aktuellen Krisen und Aufgaben zu bewältigen. camps leben, mit all ihren Schwierigkeiten, was Sicher- Sie reichen auch nicht aus, wenn wir dem Anspruch ge- heit, Gesundheitsvorsorge und die Bildung der Kinder nügen wollen – den wir hier gemeinsam formuliert ha- anbelangt, eine Perspektive aufzuzeigen, damit das ben –, Zukunftsinvestitionen tätigen zu wollen, um zu- Flüchtlingslager nicht die Endstation für ihre persönliche künftige Krisen zu verhindern. Entwicklung und ihre Lebensperspektiven ist. Auch in diesem Bereich müssen wir in Richtung Zukunftsinvesti- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten tionen und im Übrigen auch im Interesse von Frieden der CDU/CSU) und Stabilität bei uns und in anderen Regionen dieser Erde mehr tun. Das sehe ich leider in diesem Haushalt Ich möchte das an einigen Beispielen versuchen zu nicht abgebildet. verdeutlichen. Aktuelle Krisen, die in aller Munde sind, sind die Situation der Flüchtlinge und die Ebolaepide- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten mie. Die VN sagen uns ganz deutlich, dass bis März des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 2015 1,5 Milliarden US-Dollar gebraucht werden. Ob es dabei bleiben wird, wissen wir nicht; aber das ist die ak- Wenn es um Entwicklungspolitik geht, diskutieren tuelle Annahme. Von dieser Summe müssen noch wir immer die Frage der Prävention. Das haben auch ei- 600 Millionen US-Dollar aufgebracht werden. Deutsch- nige Vorrednerinnen und Vorredner angesprochen. Ich land leistet mit über 100 Millionen Euro seinen Beitrag. greife noch einmal das Beispiel Ziviler Friedensdienst Sie haben es gesagt, Frau Kollegin Weiss; ich finde das auf. Ich halte ihn für ein wunderbares Instrument, das beachtlich. Ich finde es im Übrigen auch beachtlich, dass dazu beiträgt, Versöhnungsprozesse zu initiieren. Darum sich die Europäische Union mit 370 Millionen Euro be- geht es uns schließlich. Wir debattieren im Zusammen- teiligt. Auch das muss man an dieser Stelle deutlich er- hang mit Mali, dem Südsudan und vielen anderen Regio- wähnen. Aber wir wissen: Trotzdem klafft hier eine Lü- nen darüber, wie die Menschen wieder zueinanderkom- cke, und wir werden diese Lücke schließen müssen, auch men und Konflikte und Gewalt überwinden können. mit deutscher Beteiligung. Gott sei Dank ist jetzt – wir haben das als Fachpolitiker in unserem Antrag gefordert – der Barmittelansatz für Ähnlich ist die Situation der Flüchtlinge in Syrien. Es den Zivilen Friedensdienst um 5 Millionen Euro erhöht gab Ende Oktober eine Syrien-Konferenz. Ich finde sie worden. Ich begrüße das sehr. richtig, gut und wichtig. Ich finde es auch wichtig, dass sowohl das Auswärtige Amt als auch das BMZ insge- (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6593

Dr. Bärbel Kofler (A) Eines macht mir aber Sorge. Wir haben als Fachpoliti- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (C) ker darauf hingewiesen, dass wir mit Blick auf die Zu- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der kunft Verpflichtungsermächtigungen einsetzen müssen, CDU/CSU – Dr. Frithjof Schmidt [BÜND- damit sich der Aufwuchs verstetigen kann. Das ist doch NIS 90/DIE GRÜNEN]: Da schaut ihr von der logisch. Wenn man mithilfe der zusätzlichen 5 Millionen CDU/CSU! – Johannes Selle [CDU/CSU]: Euro Menschen ausbildet und sie zum Beispiel im Jahr Wenn wir das nicht machen würden, dann 2015 in den Südsudan ausreisen lässt, damit sie dort würden Sie doch sagen, wir schlafen!) wertvolle Arbeit leisten können, wie geht es dann 2016 weiter? Es ist doch logisch, dass man das fortführen – Ich möchte kurz anmerken, dass ihr mir gerade die Re- muss, weil Versöhnungsprozesse länger dauern und Zeit dezeit klaut. und Engagement brauchen. Ich bedauere sehr, dass bei Ich möchte betonen, dass der Global Fund und die den Verpflichtungsermächtigungen dem Votum der Impfkampagne sehr wichtig sind. Wenn es aber um Zu- Fachpolitiker nicht Folge geleistet wurde. Ich würde mir kunftsinvestitionen im Gesundheitsbereich geht, dann sehr wünschen, dass das im Haushalt 2016 korrigiert müssen uns die soziale Sicherung und der Aufbau von wird. Gesundheitssystemen ganz besonders am Herzen liegen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Johannes Wir werden sicherlich nicht jedes Gesundheitswesen Selle [CDU/CSU]) aufbauen können. Aber wir werden mit Know-how und Personal in den betreffenden Ländern unterstützend tätig Ähnliches gilt für den Bildungsbereich. Viele Vorred- sein müssen. Auch dafür brauchen wir Mittel. ner haben es angesprochen: Bildung ist der Schlüssel für Es wurde bereits angesprochen: 2015 ist ein spannen- alles. Sie haben es angesprochen, Frau Kollegin Weiss: des Jahr, wenn es um Entwicklungsfragen geht. Ich Das ist die Schiene, auf der wir zukünftig eine nachhal- nenne als Beispiele den Prozess um die SDGs, die Nach- tige Entwicklung voranbringen können. Ich begrüße haltigkeitsziele, und die Klimakonferenz in Paris. Die auch, dass wir einen großen Teil der bilateralen Mittel Weltgemeinschaft setzt sich ehrgeizige Ziele, wenn es für Bildung einsetzen. Die Zahlen sind genannt worden. um die SDGs geht. Dabei geht es um den Abbau der Un- Der Zugang zu Grundbildung hat sich in den letzten Jah- gleichheiten in der Welt, und zwar sowohl innerhalb der ren stetig verbessert. Das ist wichtig, und es ist richtig. Staaten als auch zwischen den Staaten, aber auch um die Wir alle wissen aber auch, dass wir jetzt massiv in die Frage, wie wir das nachhaltig finanzieren. Hier spielt der Qualität der Bildung, in die Lehrerausbildung, in die Aufbau von Möglichkeiten eine wichtige Rolle. Ich bin Ausstattung der Schulen und natürlich irgendwann in sehr bei dem, was die Expertengruppe zur Finanzierung den sekundären Bildungsmarkt und in den Bereich der der Maßnahmen, die dazu dienen, die Nachhaltigkeits- Berufsbildung investieren müssen. (B) ziele zu erreichen, gesagt hat. Wir müssen in die Struktu- (D) Es gibt gute internationale Fonds. Das wurde im Zu- ren der Staaten investieren, sodass Steuern eingenom- sammenhang mit GAVI und dem Globalen Fonds ange- men werden können und die Möglichkeit besteht, dass sprochen. Aber es gibt – das sage ich zum vierten Mal in die Mittel zur Armutsbekämpfung verwendet werden. der vierten Haushaltsrede in dieser Legislaturperiode – Wir sind hier mit einem Know-how-Transfer und ande- auch die Global Partnership for Education. Ich finde, ren unterstützenden Maßnahmen gefordert, wenn es um dass wir Deutschen uns mit mehr als 7 Millionen Euro den Aufbau von Rechnungshöfen und Steuerbehörden daran beteiligten sollten. sowie der Ausstattung von Parlamenten und Ausschüs- sen geht. Wir sind ebenfalls gefordert, ob als G 20 oder (Beifall bei der SPD) als Weltgemeinschaft, wenn es um Steuervermeidung, Steuerhinterziehung und Steuerflucht geht. Viele Gelder Wir haben als Fachpolitiker sehr bewusst einen sehr be- stehen den Entwicklungsländern zur Armutsbekämpfung scheidenen Antrag gestellt, weil wir einen Aufwuchs- nicht zur Verfügung, weil sie irgendwo versickern. Sie pfad hinbekommen wollten. Ich finde es, ehrlich gesagt, kommen so nicht den Ärmsten der Armen zugute. traurig, dass die beantragten 5 Millionen Euro herausge- strichen worden sind. An der Stelle hätte ich mir mehr Wir sind aber auch gefordert – das ist der dritte Punkt, gewünscht. den die Expertengruppe angesprochen hat –, wenn es um die LDCs, die ärmsten Länder, geht. Diese Länder sind (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sehr darauf angewiesen, dass Mittel aus den reichen Ländern des Nordens bzw. der Weltgemeinschaft kom- Zu den Gesundheitsfragen ist vieles gesagt worden. men. Wir müssen unsere finanziellen Zusagen verläss- Ich begrüße sehr, dass GAVI mehr Mittel erhält. Ich lich einhalten. Es tut mir leid, dass das 0,7-Prozent-Ziel hoffe und erwarte, dass die Mittelausstattung über die auch 2015 nicht erreicht wurde. Das ist wirklich blama- 40 Millionen Euro hinaus, die jetzt im Haushalt vorgese- bel für uns und trägt nicht zu unserer Glaubwürdigkeit in hen sind, so ausfallen wird, dass man dann auch Impf- der Welt bei. kampagnen im internationalen Bereich weiter voranbrin- gen kann. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Bei der Wiederauffüllungskonferenz des Globalen Fonds haben wir die Chance, zu beweisen, dass wir es ernst meinen mit einer höheren Mittelausstattung als bis- Vizepräsident Peter Hintze: her. Das muss sich im Haushalt 2016 deutlich abbilden. Frau Kollegin! 6594 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014

(A) Dr. Bärbel Kofler (SPD): entgrenzter Gewalt, wie wir sie in Syrien, im Irak, in Af- (C) Letzter Satz, Herr Präsident. Ich komme zum Schluss. ghanistan, im Kongo bis nach Mexiko erleben, ange- sichts der verdrängten, der vergessenen Konflikte im Die Kollegin Weiss hat ein spannendes Finanzie- Südsudan oder in der Zentralafrikanischen Republik. rungsinstrument angesprochen, da jedes Mal nach der Aber diese notwendige Neubewertung der globalen Gegenfinanzierung gefragt wird. Ich möchte mich ihren Lage, mit Verlaub, lieber Gerd Müller, die fehlt mir in Ausführungen zur Finanztransaktionsteuer anschließen der Politik der Bundesregierung. Sie ist wirklich eine und den Appell an alle, das Finanzministerium, den große Leerstelle im Koalitionsvertrag. Haushaltsausschuss, das ganze Parlament, richten: Wir brauchen eine vernünftig ausgestaltete Finanztrans- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) aktionsteuer, die der Bekämpfung der Armut weltweit Zwei Prioritäten stehen für uns im Mittelpunkt: ers- dient. tens, dass Strukturen für einen Durchbruch für globale Danke. Gerechtigkeit und Klimaschutz geschaffen werden, und zweitens, Antworten zu finden, ja, nachhaltige Antwor- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem ten zu finden auf die humanitären Katastrophen und Tra- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gödien unserer Zeit. Menschen überall auf der Welt legen große Hoffnun- Vizepräsident Peter Hintze: gen in das Jahr 2015, in den Erfolg der Klima- und Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge- Nachhaltigkeitsverhandlungen. Sie hoffen darauf, dass ordneten Claudia Roth, Bündnis 90/Die Grünen. endlich eine wirkliche globale Vernetzung entsteht, dass eine Zusammenarbeit entsteht, bei der es nicht um Geld Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- für die Banken und die Großkonzerne geht, sondern um NEN): eine Zusammenarbeit, in der wir als Weltgemeinschaft unsere Zukunft gemeinsam gestalten. Genau dies spie- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! gelt sich eben nicht in der Strategie der Bundesregie- Lieber Gerd Müller! Lieber Thilo Hoppe auf der Tri- rung, spiegelt sich nicht in diesem Haushalt wider. büne! Welchen Anspruch hat die Entwicklungspolitik, und welchen Anspruch haben wir als Deutscher Bundes- Natürlich ist es richtig, dass Entwicklungszusammen- tag an die Entwicklungspolitik? Die Welt hat sich ge- arbeit Hunger bekämpfen muss. Ich bin übrigens sehr dreht, viel schneller, viel weiter und viel radikaler, als gespannt, was aus diesen „Grünen Zentren“ wird. Aber wir gedacht, gehofft oder erwartet haben. Wo die He- Entwicklungszusammenarbeit heißt nicht länger – das rausforderungen wachsen, braucht es eine nachhaltige hätte es eigentlich nie heißen sollen –, dass den armen (B) Entwicklungspolitik, die aber auch bei uns selber an- Ländern im Süden paternalistisch hier und dort etwas ge- (D) setzt, bei unserer Landwirtschaft, bei unserer Infrastruk- geben wird, Geschenke, die uns nicht wehtun, den Emp- tur und bei unserem Konsum; denn gerade unsere Le- fängern wenig helfen, aber bei unseren Wählern gut an- bens- und Wirtschaftsweise hat enorme Auswirkungen kommen. auf die globale Entwicklung. Deshalb müssen auch wir Ich erwarte wirklich viel, ich erwarte mehr von Ihnen, uns ändern, wenn wir über Entwicklungspolitik spre- Gerd Müller. Ich erwarte, dass Sie einen effektiven Bei- chen. Genau das ist das Herausfordernde und Spannende trag zur globalen Gerechtigkeit leisten, zum dringend bei den SDGs, den Nachhaltigkeitszielen. Wir erkennen notwendigen Umbau der Weltwirtschaft, zur sozialöko- an, dass in diesem Sinne auch Deutschland ein Entwick- logischen Transformation. Bauen Sie Ihr Haus um zu ei- lungsland ist. nem Ministerium für globale Strukturpolitik! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall der Abg. Dr. Bärbel Kofler [SPD]) sowie bei Abgeordneten der SPD) Nur so kommen Sie wirklich aus Ihrer Rolle als Feigen- Wir stehen vor dem Ende bislang wie in Stein gemei- blatt dieser Bundesregierung heraus. ßelter weltpolitischer Gewissheiten; denn die Welt, wie wir sie heute erleben, hat sich dramatisch verändert. Es (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ist eine Welt – darauf haben alle hingewiesen –, in der Ja, es ist wirklich gut, dass die Zukunftscharta mit der neue Krisen und Konfliktformen ausbrechen. Es ist eine Einbeziehung der Zivilgesellschaft auf den Weg ge- Welt, in der wir ein gigantisches Marktversagen haben, bracht wird. Aber wenn die Großkonzerne nicht mitma- das zur Klimakrise, zur Finanzkrise und zum Verlust von chen und wenn die Ministerien kommen – einige waren Biodiversität geführt hat. Es ist eine Welt, in der soziale da –, aber dann doch weitermachen wie bisher – ich zu- Ungleichheit quer durch alle Staaten geht und eine neue mindest habe Sigmar Gabriel nicht von Fairhandel reden globale Mittelschicht nach denselben Konsummustern hören; auch bei der Kanzlerin, die heute Morgen sehr in- strebt, die wir auch hier bei uns in Europa haben. Aber tensiv das Thema Handelspolitik und Freihandelspolitik mit einer solchen Art des weltweiten Konsums würden in ihrer Rede behandelt hat, ist Fairhandel noch nicht an- wir die Erde zugrunde richten. Es ist also höchste Zeit, gekommen –, dann droht diese Initiative wie andere zu dass wir eingestehen, dass die gängigen Beschreibungen reiner Symbolpolitik zu werden, und das können wir uns von reich und arm, von West und Ost, von entwickelt alle nicht leisten. und unterentwickelt so nicht mehr tragen. Das wird doch augenscheinlich bei über 55 Millionen Menschen, die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN weltweit auf der Flucht sind, augenscheinlich angesichts sowie des Abg. Dr. Sascha Raabe [SPD]) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6595

Claudia Roth (Augsburg) (A) Es ist eine zentrale Aufgabe der Bundesregierung und Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU): (C) auch Ihre Aufgabe, Gerd Müller, dass das nächste Jahr, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! das Jahr der großen Gipfeltreffen – beinahe ein Schick- Zwei Dinge muss ich erst einmal richtigstellen. Das eine salsjahr in vielen Bereichen –, ein Signaljahr für eine an- betrifft den Betrag für GFATM. Zugesagt waren dere, für eine hoffnungsvolle Zukunft wird. Deutschland 200 Millionen Euro pro Jahr. Dass es letztes Jahr als Wirtschaftsmacht, als einflussreiches Land in der EU 250 Millionen waren, war einer Sonderinitiative zu ver- ist dafür entscheidend. Es müssen klare Zeichen vom danken, die hieß: 50 Millionen Euro mehr heißt auch, G-7-Gipfel in Elmau ausgehen, dass Deutschland eine zusätzlich 50 Millionen Euro von dem ach so gescholte- Vorreiterrolle einnimmt und nicht blockiert. Nur so kann nen Bill Gates dazu. Somit haben wir diesen Deal ge- Addis Abeba, kann Paris, kann New York wirklich zum macht. Erfolg werden. Ein Scheitern können wir uns wirklich Zweitens. Bärbel Kofler hat es angesprochen; ich nicht leisten. möchte es trotzdem noch einmal deutlich sagen: Der Es braucht also den politischen Willen für eine völ- Aufwuchs ist so, wie wir ihn haben, vielleicht nicht be- kerrechtlich verbindliche Klima- und Gerechtigkeits- friedigend. Aber Freunde, wenn wir einmal in die mittel- politik. Es braucht das Bekenntnis zu einer nachhaltigen fristige Finanzplanung schauen, dann wissen wir, von Gesellschaft, die sich vom Verbrauch fossiler Rohstoffe welchem Geld wir reden. Wir wissen, dass wir es der entkoppelt, die schädliche Subventionen abbaut und die Bundeskanzlerin zu verdanken haben, dass wir 2 Mil- ihre Politikfelder aufeinander abstimmt, und es braucht liarden Euro in vier Jahren für die Entwicklungspolitik zusätzliche Mittel zur Entwicklungs- und Klimafinanzie- hinzubekommen. Auf diese Art und Weise ist es wenigs- rung, die dem Prinzip der gemeinsamen, aber unter- tens gelungen, die Delle, die wir in der mittelfristigen Fi- schiedlichen Verantwortlichkeiten entsprechen; denn nanzplanung hatten, aufzufüllen. Das war schwer genug. sonst scheitert schon Addis Abeba, und dann wird das Ich hätte mir auch gewünscht, wir hätten diese Delle ganze Jahr zum Riesenproblem. nicht gehabt. Vielleicht haben wir diese 2 Milliarden ir- gendwann einmal netto. Aber die Dinge sind, wie sie Davon haben Sie sich, liebe Bundesregierung, lieber sind. Das kann man durchaus auch einmal sagen. Gerd Müller, mit diesem Haushalt aber eigentlich fast verabschiedet; denn 1 Prozent Aufwuchs reicht vorne (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. und hinten nicht. Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Machen wir uns nichts vor, liebe Kolleginnen und Weil das nicht reicht, mache ich mir um die zweite Prio- Kollegen: Wir sollten uns davor hüten, den Menschen zu (B) rität wirklich große Sorgen. Ich nehme Ihnen absolut ab suggerieren – wem auch immer; letztendlich vielleicht (D) – ich kenne Sie gut –, dass Ihnen das Schicksal der sogar den Kollegen und Freunden, die noch auf der Tri- Flüchtlinge echt ans Eingemachte geht. Sie fahren ja büne sitzen; Thilo, schön, dass du da bist –, kaum hätten auch dahin, wo es wehtut. Aber wie verhindern Sie bei wir die 0,7-Prozent-Grenze erreicht, wären alle Pro- dieser Haushaltslage, dass bei der nächsten Katastrophe bleme dieser Welt erledigt. die notwendige Aufmerksamkeit für die Flüchtlinge (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nicht mehr da ist, weil sie in Vergessenheit geraten sind? NEN]: Das macht aber auch keiner!) Da hat mein Kollege von der Linkspartei recht. Wie sieht es im nächsten Jahr, wie in zehn Jahren aus? Sie wissen, Das genau machen wir. Es kommt immer auf die Diktion Zaatari ist eine Flüchtlingsstadt, die auf mindestens zehn an. Ich bin sehr dafür, dass wir viel Geld in die Entwick- Jahre angelegt ist. lungspolitik stecken. Aber hüten wir uns doch davor, den Menschen zu suggerieren, kaum hätten wir genug Geld, Wie sieht nicht zuletzt eine humanitäre Flüchtlingspo- schon wären die Probleme der Welt erledigt. litik aus, die auf Politikkohärenz basiert, wo also BMZ, Auswärtiges Amt und das Innenministerium an einem (Beifall des Abg. Charles M. Huber [CDU/ Strang ziehen? Wie sieht die Vernetzung der Ministerien CSU]) aus? Es braucht eine signifikante Erhöhung der Mittel So ist es leider definitiv nicht. für humanitäre Hilfe. Es braucht aber vor allem eine Ver- zahnung von Entwicklungszusammenarbeit mit unmit- Ich möchte eigentlich genau bei diesem Thema blei- telbarer Nothilfe. Das sind hohe Ansprüche, lieber Gerd ben, nämlich bei der Frage: Was passiert eigentlich, Müller, aber daran werden wir Sie messen. wenn es darum geht, wie wir uns finanzieren und was wir finanzieren? Ich glaube, dass wir sehr wohl ganz ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zielt einmal darüber nachdenken müssen, was der Post- sowie des Abg. Dr. Sascha Raabe [SPD]) 2015-Prozess eigentlich für uns bedeutet. In dieser ganz eng miteinander verflochtenen Welt müssen alle Akteure an einem Strang ziehen. Das heißt, wir brauchen eine Vizepräsident Peter Hintze: Roadmap, einen Leitfaden. So wird die Entwicklungs- Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge- agenda auch genannt, und so wird sie auch kommen. ordneten Sibylle Pfeiffer, CDU/CSU-Fraktion. Allerdings muss ich sagen, dass ich auch ein kleines (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- bisschen skeptisch bin angesichts dessen, was da im Mo- neten der SPD) ment an Diskussionen läuft. Wir haben nämlich in der 6596 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014

Sibylle Pfeiffer (A) Open Working Group 17 Ziele – wohlgemerkt: 17! – mit eigene Gesundheitspolitik zu konzipieren und sie vor al- (C) 160 Unterzielen. Liebe Freunde, ich befürchte, das wird len Dingen auch zu finanzieren. nichts anderes als ein Verzetteln. Damit wird dieser Pro- zess letztendlich auch die Ergebnisse völlig konterkarie- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ren oder aber entwerten. Mögen unsere wunderbaren Ich finde, das ist eine wunderbare Sache. Wir wollen den acht Ziele in ihren Aussagen auch noch so schwach oder Ländern nämlich keine Konzepte vorschreiben und sie so wenig durchdacht gewesen sein, sie waren aber ziel- vor allen Dingen nicht auch noch alimentieren müssen. führend. Insofern bin ich ein bisschen vorsichtig mit Das kann nicht das Ergebnis dessen sein, was wir wol- Prognosen über die Verhandlungen in den nächsten Mo- len. naten. Wir werden das Ganze beobachten. Mal sehen, was dabei herauskommt. Ich möchte noch auf eines hinweisen: Wir müssen un- sere ODA sehr wohl dafür verwenden, die Least Deve- Sehr zufrieden bin ich allerdings damit, dass wir in loped Countries zu unterstützen; das ist die künftige diesem Zusammenhang über Demokratie, Menschen- Aufgabe von ODA. Ich glaube, da ist dieses Geld richtig rechte und Rechtsstaatlichkeit sehr deutlich reden. Noch angelegt und nicht in der ODA-basierten EZ. viel fröhlicher bin ich, wenn ich mir anschaue, was die Arbeit der Kommission für die Finanzierung der Post- Manchmal tun wir so, als ob wir diejenigen wären, 2015-Entwicklungsagenda bedeutet. In der Zukunft geht die die Krisen ganz alleine bewältigen könnten, alle Kri- es um das Verständnis von EZ und ODA und darum, sen dieser Welt von A bis Z. Liebe Freunde, wir über- welche Auswirkungen das auf deren Finanzierung hat. nehmen uns völlig. Ich finde es auch anmaßend, dass wir Was dazu festgeschrieben ist, gefällt mir sehr gut. Vor al- so tun, als ob wir das könnten. len Dingen gefällt mir gut, dass ausnahmslos alle Länder (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: zugestimmt haben, und zwar in der Kernaussage so ein- Dann machen Sie es doch einfach nicht!) deutig und mit einer solchen Klarheit und Selbstver- ständlichkeit, dass es schon beeindruckend war. Wir können es nicht. Die Post-2015-Agenda ist auch deshalb so wichtig, weil wir die Probleme nur gemein- Lassen Sie mich dazu zwei Punkte herausgreifen. Ers- sam lösen können. tens: Transparenz von politischen Entscheidungen und Haushalten. Damit sind wir sofort beim Thema Korrup- Es gibt noch etwas, was wir in diesem Zusammen- tion. Korruption empfinde ich als eines der größten Ent- hang sehen müssen, lieber Gerd Müller. Es gibt Entwick- wicklungshindernisse auf der Welt überhaupt. Mit mehr lungspolitik und Entwicklungszusammenarbeit, die zu- Transparenz können wir sie eindämmen. nächst einmal keine öffentlichen Gelder kosten. Ich meine das wunderbare Textilbündnis. Ich finde das her- (B) Zweitens: Verantwortung für die eigene Entwicklung. vorragend, weil es vor allen Dingen bewirkt, auch ein- (D) Die Länder müssen sich primär selber entwickeln. Die mal unsere eigene Verantwortung einzufordern. Es kann maßgeblichen Entwicklungsimpulse gehen nicht von der uns nicht egal sein, wie, unter welchen Bedingungen die ODA aus, sondern kommen aus den Ländern selbst. Da- Kleidung, die wir tragen, produziert wird. Es kann uns raus lassen sich für meine Begriffe wegweisende Grund- nicht egal sein, dass beim Einfärben von Jeans zum Bei- sätze ableiten. Ich glaube, wir können nur ahnen, was spiel nachhaltige gesundheitliche Schäden, auch bei das eigentlich in der Umsetzung heißt, wenn wir diese Kindern, entstehen. Das alles kann uns nicht egal sein. Grundsätze beherzigen. Wir könnten uns durchaus ein- Aber, Freunde, es ist unsere Verantwortung, dafür zu mal damit beschäftigen und uns überlegen, was wir auf sorgen, dass so etwas nicht notwendig ist. Ich nenne die diesem Gebiet tun können. Jeans für 7,90 Euro, das T-Shirt für 2,99 Euro. Das kann Zunächst müssen wir einmal feststellen, dass es nicht funktionieren. Das ist auch nicht nachhaltig. Das Middle-Income-Länder gibt, die eine eigenständige wirt- ist etwas, an dem wir, glaube ich, noch arbeiten müssen. schaftliche Entwicklung vollzogen haben. Sie haben Ich hätte mir schon gewünscht, dass das eine oder an- wirtschaftliche Entwicklungsimpulse bekommen, aller- dere Unternehmen ein bisschen stärker einsteigt. Zumin- dings nicht durch die klassischen ODA-basierten Pro- dest ist es eine Diskussion wert. Es geht darum, die gramme. Das wurde festgestellt; das ist so. Diese Länder Verantwortung sozusagen zu übertragen und zu sagen: haben es geschafft: durch eigene Steuereinnahmen, Freunde, jeder hat da Verantwortung; jeder kann Verant- durch Zölle auf Rohstoffe, durch Rücküberweisungen wortung übernehmen. – Ich finde, das ist eine wunder- und sowohl durch eigene als auch durch ausländische In- bare Sache. Das ist prima. Das ist gut so. Wir werden vestitionen. Ich finde, wir müssen diese Realität zur daran arbeiten müssen, lieber Gerd Müller. Unsere Un- Kenntnis nehmen. Es nutzt nämlich überhaupt nichts, terstützung hast du. wenn wir Realitäten nicht zur Kenntnis nehmen, Ent- wicklungen nicht zur Kenntnis nehmen, Debatten nicht Als Allerletztes möchte ich noch sagen: In den vielen zur Kenntnis nehmen und Ergebnisse nicht zur Kenntnis Jahren, die ich jetzt Entwicklungspolitik mache, ist das nehmen. Wir erreichen ein Vielfaches dadurch, dass wir der erste Haushalt, lieber Gerd Müller, der eindeutig die die klassische ODA nicht als allein seligmachend anse- Handschrift des Ministers trägt. Das ist ein eindeutiger hen und die Länder in dem unterstützen, was sie drin- Gerd-Müller-Haushalt, nicht nur aufgrund der Sonder- gend brauchen: in ihrer eigenen Entwicklung. Dadurch initiativen, sondern auch wegen der Sonderinitiativen. steigt nämlich ihre Fähigkeit, eine eigene Sozialpolitik Gerd Müller, du hast es geschafft, trotz allem, was wir zu machen, eine eigene Bildungspolitik zu machen, eine gerade bemängelt haben, liebe Kollegin Hajduk, trotz Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6597

Sibylle Pfeiffer (A) des etwas knappen Haushalts, in den Flüchtlingslagern gern hätten und die wir auch bräuchten. Insofern ist das, (C) eine nachhaltige Entwicklung in Gang zu setzen – mit glaube ich, für jede Fraktion hilfreich. den Mitteln, die zur Verfügung stehen, auch in den Son- (Beifall bei der SPD) derinitiativen. Das ist zu unterscheiden von dem, was das Auswärtige Amt in diesem Zusammenhang macht. Diese Debatte muss immer selbstbewusst und selbst- Ich finde, es ist eine tolle Leistung, dass du das geschafft kritisch geführt werden. Es gilt, selbstbewusst zu sagen: hast. Jawohl, wir haben es in Richtung Millenniumsziele, ge- rade bei der Armutsbekämpfung, bei dem allerschlimms- (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: ten Problem, einige Schritte voran geschafft. Auf der an- Hätten Sie es ihm nicht weggenommen! Das deren Seite muss man aber auch ehrlich sagen: wäre besser gewesen!) 0,7 Prozent ist die angestrebte ODA-Quote. Wir sind bei – Dass wir da natürlich immer noch mehr Geld hinein- 0,38 Prozent. Das heißt, eigentlich ist eine Verdopplung stecken könnten, ist klar; da bin ich bei Ihnen. der Anstrengungen notwendig. Wenn es um eine Ver- dopplung von Anstrengungen geht, gilt es – auf Neu- (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: deutsch –, Synergien zu heben. Praktisch gesagt: Es gilt, Nicht „mehr“! Nicht wegnehmen!) den Zusammenhalt und die Zusammenarbeit zu stärken. – Wir brauchen natürlich einen nachhaltigen Ansatz. Das ist Europa. Wenn ich daran denke, wie es in den Flüchtlingslagern Wir haben 2015 das Europäische Jahr der Entwick- bei der Wettersituation gerade aussieht, muss ich sagen: lung. Das ist für das, was wir wollen, genau passend. Da ist natürlich viel zu tun. Aber auch das können wir Natürlich passt es, dass der Entwicklungsminister auch nicht alles in eigener Verantwortung, nicht ganz allein Mitglied des Europäischen Parlaments war. Er hat da schaffen; da brauchen wir die internationale Gemein- schon den entsprechenden Rückenwind. schaft. Wir brauchen auch die Unterstützung unseres Auswärtigen Amtes. Mit ihm könnte man zusammen- (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE arbeiten, vor allen Dingen auf diesem Gebiet. GRÜNEN]: Das hilft natürlich!) Ich denke, du machst das gut, Gerd. Ich finde, du hast Das trifft natürlich auch auf Claudia Roth, Frithjof uns hier einen ganz tollen Haushalt vorgelegt. Du hast Schmidt, Anja Weisgerber und manch andere zu. unsere Unterstützung. Selbst wenn du dich jetzt nicht persönlich bei uns bedankst, (Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Das sind die Sondertische, die wir haben!) (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kann ja einladen!) Wir, die Abgeordneten aller Fraktionen in diesem (B) Haus, stehen zu unserer Verantwortung; denn die Vertre- (D) selbst wenn du jetzt hier nicht am Pult stehst und sagst, ter der vier entsprechenden Fraktionen – Christdemokra- wie toll wir für dich gearbeitet haben – ich weiß, dass du ten, Grüne, auch Linke, Sozialdemokraten sowieso – so- das eigentlich machen könntest. Ich mache das jetzt von wie der Liberalen im Europäischen Parlament haben hier aus: Wir sind stolz auf dich. Du machst deine Auf- dafür gesorgt, dass der Regierungschef, also der Kom- gabe wunderbar. Wir unterstützen dich. missionspräsident, erstmals vom Europäischen Parla- Vielen Dank. ment gewählt worden ist. Ohne die Haltung dieser fünf Fraktionen, die gesagt haben: „Wir nehmen nur einen, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- der auch bei der Wahl angetreten ist“, hätten wir diese neten der SPD) Kommission nicht bekommen – egal wie man hinterher manche Entwicklung in der Kommission sieht. Vizepräsident Peter Hintze: Die Wahl des Kommissionspräsidenten durch das Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge- Europäische Parlament ist ein ganz wichtiger Fortschritt ordneten Axel Schäfer, SPD-Fraktion. im Hinblick auf das, was wir 2015 machen wollen. Wir (Beifall bei der SPD) brauchen nämlich auch 2015 einen Entwicklungskom- missar – wir kennen Neven Mimica aus Kroatien gut; er war auch schon öfter bei uns –, der etwas von der Sache Axel Schäfer (Bochum) (SPD): versteht, der überzeugter Europäer ist und den wir ge- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der winnen können, auch für das wichtigste Anliegen, die Charme der entwicklungspolitischen Diskussion besteht europäische Entwicklungszusammenarbeit effektiver zu darin, dass wir hier sehr oft nicht das klassische Opposi- gestalten. Wir müssen sagen: Jawohl, wenn wir, die tion/Regierung-Muster anwenden: Die Regierungspar- EU-Staaten, schon insgesamt 60 Prozent der Gebermittel teien loben aus Überzeugung oder pflichtschuldig das weltweit aufbringen, dann müssen wir auch schauen, wie Handeln der Regierung, und die Oppositionsparteien kri- wir die Entwicklungszusammenarbeit gemeinsam besser tisieren das genauso pflichtschuldig. – Das ist in dieser voranbringen, wie wir sie politisch wichtiger machen. Debatte nicht so. Es gibt ganz vieles, was differenziert dargestellt worden ist. Es ist auch gegenseitig Wertschät- Dazu gehört natürlich auch, dass die Entwicklungszu- zung zum Ausdruck gebracht worden. Das ist bedeutend sammenarbeit in der Außenpolitik berücksichtigt wird für dieses Thema, das uns allen, die wir hier sitzen, am – auch die neue Hohe Vertreterin der Außen- und Sicher- Herzen liegt und für das wir in unseren eigenen Parteien heitspolitik, Frau Mogherini, ist sehr engagiert und von noch nicht die Zustimmung haben, die wir eigentlich europäischen Erfahrungen geprägt –, damit es da wirk- 6598 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014

Axel Schäfer (Bochum) (A) lich in dieselbe Richtung geht. Ich glaube, das sollten Fraktionen, die im Europäischen Parlament sind; er (C) wir als Bundestag mit Diskussionen hier vor Ort, aber muss wirklich vorangebracht und intensiviert werden. auch in Zusammenarbeit mit unseren Vertretern in der Eine Intensivierung im Jahr 2015 heißt auch, die ent- Kommission voranbringen; die Kommission ist ja keine wicklungspolitischen Diskussionen zu verstärken. Man Vertretung der nationalen Interessen von Deutschen, Ita- könnte es auch ganz salopp so formulieren – leider ist lienern oder auch Kroaten, sondern die gemeinsame eu- der Kollege Klimke, den ich gerade ansprechen wollte, ropäische Regierung. Dies wird, glaube ich, ganz wich- schon gegangen –: Leute wie der Kollege Klimke oder tig sein. ich haben diese Themen schon als Mitglieder der Jungen Die Inhalte, um die es für uns Deutsche als Teil dieser Union bzw. der Jusos in den 70er-Jahren debattiert. Europäischen Union gehen wird, bedeuten ganz prak- (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE tisch: Wir müssen beim Thema Klimawandel mehr ma- GRÜNEN]: So alt bist du doch gar nicht!) chen; die Frage der Armutsbekämpfung muss bei uns tatsächlich im Zentrum stehen; die Mittel der Europäi- Heute können wir die Diskussion, zum Beispiel mit den schen Union für Maßnahmen zur Senkung der Treib- Kollegen Sarrazin oder Leutert, die Anfang der 70er- hausgasemissionen müssen aufwachsen. All das sind Jahre noch gar nicht auf der Welt waren, hier im Parla- wichtige Dinge. Das alles Zusammenspannende ist aber ment zusammenführen. letztendlich, dass wir dies als Gemeinschaft des Friedens Damals gab es die sehr große Eine-Welt-Bewegung. tun. Die Entwicklungspolitik hatte damals einen enormen Stellenwert. Obwohl die Probleme zum Teil größer ge- Man muss immer wieder darauf hinweisen: Wir in der worden sind, stehen für die Entwicklungshilfe 0,38 Pro- Europäischen Union sind eine Friedensgemeinschaft. zent statt 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens zur Man muss auch immer wiederholen: Es ist gut, dass alle Verfügung, weshalb wir nicht immer das umsetzen 631 Abgeordneten des Deutschen Bundestages – mit konnten, was wir umsetzen wollten. Das betrifft aller- ganz unterschiedlichen Überzeugungen und auch Partei- dings alle Parteien. Es ist nicht so, dass die Regierung zu zugehörigkeiten – keine militärische Lösung von Kon- wenig macht und die Opposition alles besser weiß; dem flikten wollen; wir haben es gerade im Zusammenhang ist nicht so. mit der Ukraine-Problematik erlebt. Das ist eine ganz wichtige Voraussetzung dafür, dass wir Entwicklungszu- Deshalb möchte ich Sie, euch alle bitten: Lasst uns in sammenarbeit mit einer bestimmten Haltung betreiben. unseren Fraktionen und auch in unseren Parteien und aus unseren Parteien heraus darauf hinwirken, das Thema (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Johannes Entwicklungshilfe im Jahr 2015 zu einem zentralen Selle [CDU/CSU]) Thema zu machen. Bei manchen gibt es heute eine grö- (B) ßere Bereitschaft, zu diskutieren, als früher. (D) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht auch um ganz praktische Fragen. Zwei herausragende Punkte: Es ist nicht so, dass sich die Menschen dagegen weh- ren, dass Flüchtlinge aufgenommen werden, wie es die Der erste Punkt: die Finanztransaktionsteuer. Warum Bilder in den Medien manchmal suggerieren. Es gibt ist sie so herausragend für uns? Die Steuer wurde einmal viel mehr gute Beispiele für Solidarität, Unterstützung als Tobin Tax erfunden und auf den Weg gebracht, und Mitmenschlichkeit, aber – ich kenne das von der Si- wurde von vielen verlacht und war in der Politik – Stich- tuation bei mir vor Ort – darüber redet man nicht. Es wort Mehrheitsfähigkeit – nur ganz schwer zu vermit- sollte in der Berichterstattung aber eine zentrale Rolle teln. Wir haben aus dem Deutschen Bundestag heraus spielen; denn die Fernsehbilder zeigen etwas ganz ande- mit der deutsch-französischen Initiative von Sozialde- res. mokraten und Sozialisten einen wichtigen Schritt getan. Es gehört auch zur schwierigen Wahrheit, dass es, als die Wir müssen die vorhandene Fremdenfeindlichkeit ge- Sozialisten an der Regierung waren, nicht mehr so ein- meinsam bekämpfen und die guten Beispiele ins Zen- trum der Aufmerksamkeit rücken. Lasst uns das bei aller fach war, das Vorhaben so voranzubringen, wie wir es Unterschiedlichkeit und trotz aller kritischen Anmerkun- erwartet haben – mit der gleichen Begeisterung, mit der gen, die durchaus ihre Berechtigung haben mögen, für wir es einmal beschlossen haben. Auch das gehört zu ei- 2015 vornehmen. ner selbstkritischen Einschätzung. Vielleicht ist das auch für manche Vertreter anderer Fraktionen hier im Haus Wir haben nur diese eine Welt. Es darf unterschiedli- eine Anregung, auch mal etwas Selbstkritisches zu sa- che Konzepte geben, aber sie sollten in eine gemeinsame gen; zum Beispiel machen die Christdemokraten in Un- solidarische Richtung gehen. garn etwas, was wir hier in diesem Hause bekanntlich Vielen Dank. mehrheitlich nicht teilen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Der zweite Punkt – da sind wir wieder beim Kollegen der CDU/CSU) Müller –: Textilsiegel. Das ist eine ganz wichtige, zen- trale Initiative. Wir werden es – das wissen Sie, Kollege Vizepräsident Peter Hintze: Minister, lieber Gerd – letztendlich nur mit europäischen Gesetzen durchsetzen können. Darauf wird es ankom- Als letzter Rednerin in dieser Aussprache erteile ich das Wort der Abgeordneten Dagmar Wöhrl, CDU/CSU- men; es wird darauf ankommen, dass es in einem Dialog Fraktion. unseres Parlaments mit dem EP gelingt. Das heißt im Dialog der einzelnen Fraktionen, die hier sind, und der (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6599

(A) Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU): gehandelt, schon in diesem Jahr. Der Minister hat schnell (C) Vielen Dank, Herr Präsident! – Liebe Kolleginnen gehandelt, als er sehr schnell und effizient noch im Au- und Kollegen! Ich bedauere es immer sehr, wenn eine gust 40 Millionen Euro für die Flüchtlinge aus dem Debatte über dieses Thema erst am Ende eines Sitzungs- Nordirak und Gaza und damals 163 Millionen Euro für tages stattfindet und deswegen mehrere Kolleginnen und Jordanien bereitgestellt hat, als man gesehen hat, dass Kollegen nicht teilnehmen. Die Debattenbeiträge haben sich die Flüchtlingszahl auf 700 000 zubewegt. Ich bin parteiübergreifend gezeigt: Die Beiträge für die Ent- auch sehr dankbar für die Internationale Flüchtlingskon- wicklungszusammenarbeit sind maßgeblich für den Frie- ferenz, die er mitorganisiert hat, woraus noch weitere den verantwortlich. Man könnte auch sagen, dass Ent- 500 Millionen Euro möglich waren. wicklung der neue Begriff für Frieden ist. Vielleicht kann der Ältestenrat das nächste Mal bei der Festlegung Klar sein muss aber auch: Es ist wichtig, akute Not- der Tagesordnungspunkte anders entscheiden, damit hilfe zu leisten. Darüber hinaus haben wir aber politische diese für mich und für uns alle wichtige Debatte zukünf- und humanitäre Herausforderungen zu erfüllen. Die tig zu anderer Zeit stattfindet. Menschen brauchen sofort Nahrungsmittel – das ist klar –, vor allem die Säuglinge, sonst bekommen sie irreparable (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem Schäden, gerade hinsichtlich der Entwicklung. Es wer- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- den Decken gebraucht, es wird psychosomatische Be- geordneten der LINKEN) treuung gebraucht und vieles andere mehr. All dies soll Wir hatten in diesem Jahr zwei Haushaltsberatungen. eine Brücke zu einem menschenwürdigen Leben sein, Ich erinnere mich noch: Im Zuge der Beratung des Haus- und für uns stellt sich die Frage: Wo, wie und wann soll halts 2014 habe ich von der inakzeptablen Situation der das bewerkstelligt werden, dass sie auch zu einem men- syrischen Flüchtlinge gesprochen und auch davon, wie schenwürdigen Leben kommen? schnell und wie emotional wir von Bildern bewegt wer- den und wie das die öffentliche Bereitschaft fördert, zu Wir wissen: Konfliktlösungen wie momentan brau- helfen. chen in der Regel sehr, sehr viel Zeit, und wir wissen auch, dass wir keine schnellen Lösungen finden werden, Mediale Aufmerksamkeit ist dann etwas Gutes, wenn ob es bei ISIS oder in Somalia oder im Südsudan ist. Wir sie Gutes bewirkt. Leider ist es oft so, dass manche sa- haben immer mehr Konflikte. Diese dauern immer län- gen: Es muss auch mal wieder gut sein. Aber warum ger und fallen immer heftiger aus. Die Menschen brau- sprechen wir im Zuge der Beratungen über den Haushalt chen aber jetzt Lösungen. Sie brauchen Perspektiven 2015 wieder über das Thema Flüchtlinge? Wir sprechen und pragmatische Lösungen. darüber, weil es eben nicht gut ist. (B) Über 50 Millionen Menschen sind auf der Flucht, in (D) Wenn wir über das Thema Flüchtlinge diskutieren, einem Jahr gab es einen Zuwachs von über 10 Millionen. dann müssen wir auch darüber nachdenken: Wenn die Die Vereinten Nationen haben in ihrem neuen Bericht Kameras, mit denen die Krise in einem Flüchtlingsort dargestellt, dass bis 2050 zusätzlich 18,4 Millionen dokumentiert wird, abgezogen werden, was bleibt dann Menschen gezwungen sein werden, ihr Herkunftsland zu zurück? Zurück bleiben die Flüchtlinge, zurück bleibt verlassen. Nicht eingerechnet sind dabei die armutsbe- aber auch unsere politische Verantwortung, die wir für sie haben. dingten Migrationen, die nach Paul Collier zu einem Exitus führen könnten – ich empfehle jedem, das zu le- Daniel Barenboim hat einen bemerkenswerten Leitar- sen –, nicht nur bei uns oder in den Ländern, in die sie tikel – ich weiß nicht, wer ihn gelesen hat – für die Süd- flüchten, sondern in ihren eigenen Heimatländern, wo deutsche Zeitung anlässlich des 9. November geschrie- das auch zukünftig sehr starke Auswirkungen haben ben. Er hat uns ins Stammbuch geschrieben: Die wird. deutsche Geschichte ist eine demokratische Erfolgsge- schichte. Aus ihr erwächst die Pflicht, anderen Ländern Politik richtig machen bedeutet vor allem, die richti- und anderen Menschen zu helfen. gen Fragen zu stellen. Wir müssen uns also auch fragen: Wie sollen die Flüchtlingslager der Zukunft ausschauen? Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, alle, die Heute geht man von durchschnittlich 17 Jahren aus, in jetzt noch hier im Plenum sind, sind in Flüchtlingscamps denen Flüchtlinge teilweise in Camps leben. Sollen wir gewesen, ob im Nordirak, in Dadaab, in Jordanien oder für sie urbane Städte bauen, das heißt, ihnen kann even- vielen anderen Ländern mehr. Wir alle haben mit eige- tuell sogar die Zukunft verbaut werden, weil sie dann in nen Augen gesehen, wie menschenunwürdig die Situa- diesen Städten bleiben – ich erinnere an Dadaab –, oder tion ist, wie schlimm mit diesen armen Menschen, die soll man Provisorien schaffen, die aber auf der anderen Schweres hinter sich haben, umgegangen wird. Seite nur ein bedingt menschenwürdiges Leben ermögli- Ich erinnere mich sehr gut: Wenn man zum Abschied chen? Ich denke, das ist keine akademische Frage, son- in die Augen dieser Menschen geschaut hat, dann hat dern – ich habe vorhin Dadaab angesprochen – es geht man immer auch noch etwas anderes gesehen – und das um eine halbe Million Menschen, die seit 20 Jahren dort ist noch viel schlimmer –: Ich persönlich habe sehr oft leben. Kinder sind dort aufgewachsen, die nie etwas an- das Gefühl, dass es die Angst ist, vergessen zu werden. deres gekannt haben. Sie kennen nichts anderes als die- Darüber zu reden, ist der erste Akt gegen das Vergessen. ses Lagerleben. Welche Antwort geben wir ihnen, wenn Aber reden allein nützt natürlich nichts. Wir müssen sie heute fragen: Wo sind unsere Lebensperspektiven in auch handeln, und ich glaube, wir haben als Regierung der Zukunft? 6600 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014

Dagmar G. Wöhrl (A) Wir müssen uns auch fragen: Was wollen wir uns lungszusammenarbeit einbinden. Deshalb bin ich dem (C) selbst und den Nachbarländern künftig zumuten? Wir Minister sehr dankbar für die Zukunftscharta. Es bestand wissen, wie oft es Konflikte für die Bevölkerung gibt, hier für viele junge Menschen die Möglichkeit, ihre Vor- die nah an den Flüchtlingslagern lebt. stellungen darzulegen, auf was für einem Globus sie zu- künftig leben möchten, wie es in ihrem Land aussehen Das sind viele grundsätzliche Fragen. Ich meine, es soll und welchen Beitrag sie für eine gute, heile Welt in ist richtig, dass wir die Entscheidung getroffen haben, der Zukunft bringen möchten. nicht erst zu fragen, wenn das Kind schon in den Brun- nen gefallen ist, wie es oft in der Vergangenheit gesche- Vielleicht darf ich mir, auch im Namen der Kollegin- hen ist. Vielmehr müssen wir wie ein guter Arzt nicht nen und Kollegen hier, wünschen, dass wir Parlamenta- nur die Krankheitssymptome behandeln, sondern auch rier auch 2015 in die Vorbereitung und Umsetzung aller die Ursachen bekämpfen. Das hat auch der Papst in sei- zur Debatte stehenden Punkte konstruktiv eingebunden ner Rede gesagt, in der er meinte, es sei notwendig, auf werden. die Ursachen einzuwirken und nicht nur auf die Folgen. Vielen herzlichen Dank. Wenn wir mehr Verantwortung in der Welt wollen – und ich denke, das wollen wir alle –, dann müssen wir (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE die zivile Krisenprävention noch viel, viel mehr als in GRÜNEN) der Vergangenheit zum Primat unserer Politik machen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Vizepräsident Peter Hintze: neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Ich schließe die Aussprache. GRÜNEN) Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 23 Ich glaube, der vierte Bericht zur Krisenprävention wird des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammen- uns die Möglichkeit geben – wenn er in der Beratung ist; arbeit und Entwicklung in der Ausschussfassung. Hierzu und er kommt sehr bald –, dass wir dies hier noch einmal liegen zwei Änderungsanträge vor, über die wir zuerst ausführlich debattieren. abstimmen. Die Finanzfragen werden uns nicht loslassen; das ist Erstens. Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf ganz klar. Das ist immer ein wichtiges Thema, vor allem, Drucksache 18/3283. Wer stimmt für den Änderungsan- wenn man sieht, dass die Finanzkosten – das Advisory trag der Fraktion Die Linke? – Wer stimmt dagegen? – Board zu den SDGs wird sie natürlich offenlegen – nicht Wer enthält sich? – Damit ist der Änderungsantrag mit geringer als in der Vergangenheit sein werden. Wir wer- den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion (B) den weiterhin ab 2017 nicht mehr so einfach die Mög- und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die (D) lichkeit haben, Nachschläge zu leisten, wie es jetzt Gott Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung eines sei Dank möglich gewesen ist. Kollegen aus der SPD-Fraktion abgelehnt. Wir müssen uns also schon fragen, wo wir zukünftig Wir kommen – zweitens – zum Änderungsantrag der unsere Schwerpunkte in der Entwicklungszusammenar- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3284. beit sehen: Wollen wir thematische Schwerpunkte set- Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Bünd- zen? Das würde sich natürlich aus dem Weltbevölke- nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3284? – Wer rungsbericht ergeben, der davon spricht, dass 1,8 Milliar- stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Änderungs- den Menschen unter 24 Jahre alt sind, von denen allein antrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und 90 Prozent in Entwicklungsländern leben. Das heißt, der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktionen Die hier geht es um Bildung, Bildung, Bildung. Das ist ein Linke und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung eines ganz wichtiges Thema. Auf diesem Gebiet können mit Kollegen aus der SPD-Fraktion abgelehnt. die nachhaltigsten Wirkungen erreicht werden. Oder Schließlich kommen wir zur Abstimmung über den wollen wir uns auf regionale Schwerpunkte konzentrie- Einzelplan 23 in der Ausschussfassung. Wer stimmt für ren? den Einzelplan 23 in der Ausschussfassung? – Wer Ich glaube, es kommen noch viele Fragen auf uns zu. stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Einzelplan Wir haben ein Jahr vor uns, das man, wie ich glaube, 23 ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die schon als Jahr der Lösungen beschreiben kann. Wir rich- Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und bei ten die GAVI-Geberkonferenz aus, bei der wir natürlich drei Gegenstimmen aus der SPD-Fraktion angenommen möglichst viele Einnahmen generieren wollen. Wir ha- worden. ben dann den G-7-Gipfel. Es wird um die Vereinbarung neuer SDGs gehen; hier muss es klare Zielsetzungen hin Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages- zu neuen und nachhaltigeren Lebensweisen auf der gan- ordnung. zen Welt geben. Schließlich hoffen wir, dass auch der Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- Klimagipfel in Paris positiv endet. destages auf morgen, Donnerstag, den 27. November Um zukünftig zu Lösungen zu kommen, brauchen wir 2014, 9 Uhr, ein. die Mitarbeit von jungen Menschen, die offen sind für Die Sitzung ist geschlossen. neue Dialoge und für neue Lösungswege. Ich glaube, solche jungen Menschen müssen wir in unsere Entwick- (Schluss: 18.54 Uhr) Anlagen

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. November 2014 6601

(A) Anlage zum Stenografischen Bericht (C)

Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Alpers, Agnes DIE LINKE 26.11.2014 Kermer, Marina SPD 26.11.2014

Bellmann, Veronika CDU/CSU 26.11.2014 Nietan, Dietmar SPD 26.11.2014

Bluhm, Heidrun DIE LINKE 26.11.2014 Poß, Joachim SPD 26.11.2014

Dr. Braun, Helge CDU/CSU 26.11.2014 Schön (St. Wendel), CDU/CSU 26.11.2014 Nadine Dağdelen, Sevim DIE LINKE 26.11.2014 Tempel, Frank DIE LINKE 26.11.2014 Feiler, Uwe CDU/CSU 26.11.2014 Walter-Rosenheimer, BÜNDNIS 90/ 26.11.2014 Dr. Gysi, Gregor DIE LINKE 26.11.2014 Beate DIE GRÜNEN

Dr. Harbarth, Stephan CDU/CSU 26.11.2014 Wunderlich, Jörn DIE LINKE 26.11.2014

Heller, Uda CDU/CSU 26.11.2014 Zech, Tobias CDU/CSU 26.11.2014

(B) (D)

Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-7980