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Deutscher Drucksache 18/3317

18. Wahlperiode 25.11.2014

Antrag der Abgeordneten Dr. , Lena Strothmann, , Thomas Bareiß, , Julia Bartz, , Dr. André Berghegger, Dr. , , Klaus Brähmig, Michael Brand, , Cajus Caesar, , Alexandra Dinges-Dierig, Thomas Dörflinger, Marie-Luise Dött, Hansjörg Durz, Jutta Eckenbach, Dr. , Dr. Michael Fuchs, Alexander Funk, Dr. , , , Ursula Groden-Kranich, Michela Grosse-Brömer, Astrid Grotelüschen, , Fritz Güntzler, Dr. , , , , , Dr. , , , , Franz-Josef Holzenkamp, Bettina Hornhues, Charles M. Huber, Anette Hübinger, , , , , Steffen Kanitz, , , Carsten Körber, , , Rüdiger Kruse, Andreas G. Lämmel, Barbara Lanzinger, , Dr. , Dr. , , Matthias Lietz, , (Altötting), Reiner Meier, Dr. , , , Dr. h. . , Dr. , Philipp Mißfelder, , Carsten Müller (), Stefan Müller (Erlangen), Dr. , , Helmut Nowak, Dr. Georg Nüßlein, , Ulrich Petzold, , Alois Rainer, Dr. , , , Dr. , Erwin Rüddel, , , Heiko Schmelzle, Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden), Dr. Klaus-Peter Schulze, , Dr. , , , , Christian Freiherr von Stetten, , Matthäus Strebl, Dr. Volker Ullrich, , (Kleinsaara), Sven Volmering, , , , (Hamburg), Dr. , Peter Weiß (Emmendingen), , Heinz Wiese (Ehingen), Klaus-Peter Willsch, Dagmar G. Wöhrl, Heinrich Zertik, Dr. , , und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten , , , Heinz-Joachim Barchmann, , Dr. , , , Dr. , Dr. , Martin Dörmann, Siegmund Ehrmann, , Christian Flisek, , , , Gabriele Groneberg, Ulrich Hampel, Michael Hartmann (Wackernheim), (Peine), , Gabriele Hiller-Ohm, Matthias Ilgen, , , , , , , Dr. Birgit Malecha-Nissen, , , , Joachim Poß, , Dr. , Dr. Simone Raatz, , Stefan Rebmann, René Röspel, Dr. , Dr. Ernst Drucksache 18/3317 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Dieter Rossmann, Bernd Rützel, , Dr. Hans-Joachim Schabedoth, Axel Schäfer (), Dr. , Dr. Dorothee Schlegel, , Dagmar (Wetzlar), , , , Norbert Spinrath, , , Dirk Vöpel, , Andrea Wicklein, , Waltraud Wolff (Wolmirstedt, und der Fraktion der SPD

Der deutsche Meisterbrief – Erfolgreiche Unternehmerqualifizierung, Basis für handwerkliche Qualität und besondere Bedeutung für die duale Ausbildung

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das deutsche Handwerk bildet mit rund einer Million Betriebe und mehr als 5,3 Mil- lionen Erwerbstätigen eine tragende Säule des deutschen Mittelstandes. Das Hand- werk ist hoch innovativ, regional verankert und erschließt sich durch seine leistungs- fähigen Betriebe auch erfolgreich neue Märkte auf europäischer und internationaler Ebene. In über 130 Gewerken bilden Handwerksbetriebe rund 400.000 junge Men- schen aus. Jährlich werden rund 120.000 neue Ausbildungsverträge geschlossen. Die Ausbildungsquote im Handwerk liegt in Relation zur Gesamtbeschäftigtenzahl bei ca. 8 Prozent. Sie ist damit mehr als doppelt so hoch im Vergleich zu anderen Berei- chen der gewerblichen Wirtschaft (3 Prozent bis 4 Prozent im Bereich Handel und Industrie) oder der öffentlichen Verwaltung (unter 3 Prozent). So leistet das Hand- werk einen erheblichen Beitrag zur Fachkräftesicherung in der Gesamtwirtschaft. Über 60 Prozent derjenigen, die im Handwerk eine Ausbildung genossen haben, ge- hen später als hochqualifizierte Fachkräfte in andere Wirtschaftsbereiche. Mit dieser Ausbildungsleistung zeigt sich das Handwerk auch für die mit 7,8 Prozent geringste Jugendarbeitslosigkeit Deutschlands in Europa in hohem Maße mit verantwortlich (Quelle: Eurostat Juli 2014). Für den Erfolg der dualen Ausbildung im Handwerk ist der Erwerb der Meisterqua- lifikation als Zugangsvoraussetzung zu den 41 nach der Handwerksordnung regle- mentierten Berufen ein bestimmender Faktor, denn das zulassungspflichtige Hand- werk bildet im Vergleich zum zulassungsfreien Handwerk überproportional stark aus. So tragen insbesondere die meistergeführten Handwerksbetriebe maßgeblich dazu bei, dass jungen Menschen durch eine hochwertige Berufsausbildung vielsei- tige berufliche Perspektiven in allen Wirtschaftsbereichen eröffnet werden. Grundlage für die Leistungsfähigkeit von meistergeführten Handwerksbetrieben sind die besonderen Qualifikationen, die den zukünftigen Führungskräften in der Meisterschule vermittelt werden. Erst der auch „großer Befähigungsnachweis“ ge- nannte Meisterbrief befähigt Handwerker neben dem Erwerb einer hohen Fachkom- petenz gleichzeitig zum erfolgreichen Unternehmer, zum Ausbilder und zur Füh- rungsperson. In der Meisterschule werden neben fachlichen auch betriebswirtschaftliche, kauf- männische und rechtliche Kenntnisse vermittelt, die in der Meisterprüfung nachzu- weisen sind. Sie bilden eine solide Basis für eine erfolgreiche Unternehmensführung. Nachweislich senken diese das Insolvenzrisiko neugegründeter Betriebe. Eine Un- tersuchung des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung GmbH (ZEW) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/3317

kommt zu dem Ergebnis, dass mangelnde Kenntnisse im betriebswissenschaftlichen Bereich für 40 Prozent der Betriebsschließungen in den ersten fünf Jahren ihres Be- stehens entscheidend waren (Quelle: ZEW, Zentrum für Insolvenz und Sanierung an der Universität e. V. und Verband der Vereine Creditreform e. V., 2010, Ursachen für das Scheitern junger Unternehmen in den ersten fünf Jahren ihres Be- stehens, Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie). Die Marktverweildauer des geregelten Handwerks ist deutlich größer als die des ungere- gelten. Zur Qualifikation des Meisters gehört eine hohe fachliche Kompetenz. Diese sichert einerseits vorbeugend das hohe Verbraucherschutzniveau im Handwerk: Typische handwerksspezifische Gefahren, die sich zum Beispiel bei der Errichtung und War- tung von Anlagen und Gebäuden oder der Verarbeitung gesundheitsschädlicher Ma- terialien konkretisieren können, werden bereits präventiv durch die Qualifikation des Meisters vermieden. Die meisterliche Fachkompetenz ist aber auch ein bestimmen- der Faktor für die dauerhaft hohe Produkt- und Dienstleistungsqualität im Hand- werk, für die ein starkes Verbrauchervertrauen besteht. Weltweit wird diese mit dem Gütesiegel „Made in “ eng verbunden und ist damit für die Wettbewerbs- fähigkeit Deutschlands von entscheidender Bedeutung. Hohe Qualifikationen er- möglichen auch erst Innovationen. Der Meisterbrief ist überdies Garant für die hohe Ausbildungsqualität im Handwerk, denn den künftigen Führungskräften wird in der Meisterschule nicht nur die fachli- che Kompetenz vermittelt, sondern auch umfangreiche berufs- und arbeitspädagogi- sche Grundlagen. Erst hierdurch wird der Meister zu einer erfolgreichen Weitergabe seines Fachwissens an die Nachwuchskräfte befähigt. Die Organisationen des Hand- werks unterstützen hierbei die Ausbildungsbetriebe mit einem umfassenden Leis- tungsangebot. Insbesondere den Handwerkskammern obliegt im Rahmen ihrer ho- heitlichen Aufgabenwahrnehmung die Organisation, Überprüfung und Qualitätssi- cherung der Ausbildung. Diese Zusammenarbeit von Betrieben und Organisations- strukturen bildet die Basis für den europaweit anerkannten Erfolg der dualen Aus- bildung im Handwerk. Wie wichtig dies ist, zeigen insbesondere die Erfahrungen vieler EU-Mitgliedstaaten in den letzten Jahren beim Auf- und Ausbau der dualen Ausbildung. Zum Erhalt der Leistungsfähigkeit des Handwerks im Ausbildungsbereich ist es von enormer Bedeutung, dass die meisterliche Befähigung der Betriebsleiter gesetzlich geregelt ist. Nur so werden nachhaltig die Qualität der Ausbildung, die Produkt- und Dienstleistungsqualität und der überproportional hohe Beitrag zur Fachkräftesiche- rung gewährleistet. Auch national übergeordnete Zukunftsaufgaben – wie zum Bei- spiel die Energiewende und die Digitalisierung – werden ohne die entsprechenden Fachkräfte im Handwerk mit ihrem Know-how nicht lösbar sein. Die hohe Ausbildungsleistung des Handwerks löst zudem zahlreiche Wohlfahrtsef- fekte aus. Eine passgenaue und praxisnahe Ausbildung in Betrieb und Berufsschule gewährleistet eine erleichterte Integration junger Menschen in den Arbeitsmarkt. Das hohe Ausbildungsniveau verbessert zudem die persönlichen Entwicklungschan- cen, ermöglicht die Erzielung höherer Einkommen und bietet einen hohen Schutz vor Arbeitslosigkeit. Dies bedeutet gleichzeitig für den Staat eine geringere Belas- tung der Sozialsysteme sowie höhere direkte und indirekte Einnahmen durch mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Bei vorübergehender Arbeitslosigkeit fällt der Wiedereinstieg in die Berufswelt viel leichter. Die Hälfte der Auszubildenden eines Jahrgangs im Handwerk sind Jugendliche mit Hauptschulabschluss, knapp 4 Prozent verfügen über keinen Schulabschluss. Zudem weisen überproportional viele einen Migrationshintergrund auf oder besitzen eine ausländische Staatsangehörigkeit. Die Aus- und Fortbildung im Handwerk ermög- licht es auch den teilweise bildungsferneren Schichten der Bevölkerung, einen sozi- alen Aufstieg zu erlangen und trägt damit zur gesamtgesellschaftlichen Stabilität und Durchlässigkeit bei. Drucksache 18/3317 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Mehr noch, im Rahmen der dualen Ausbildung sowie mit der Fortbildung zum Handwerksmeister leistet das Handwerk einen wichtigen Beitrag zu einer Elitebil- dung in der gewerblichen Wirtschaft jenseits des akademischen Bereichs. Deutsch- land nimmt hier zusammen mit der Schweiz eine Vorreiterrolle ein. Dies ist ein wichtiger Baustein der internationalen Wettbewerbsfähigkeit und niedriger (Ju- gend-)Arbeitslosigkeit beider Länder. Gerade diejenigen EU-Mitgliedstaaten mit be- sonders hoher Jugendarbeitslosigkeit hatten demgegenüber in der Vergangenheit auf die akademische Bildung als Stütze eines funktionierenden Arbeitsmarktes gesetzt. Daher wird nunmehr auch auf europäischer Ebene eine Stärkung der beruflichen Bildung bzw. der Einführung der dualen Ausbildung forciert. Schließlich ist das Handwerk gerade in strukturschwachen Gebieten häufig der „größte“ Arbeitgeber. Aus- und Fortbildung im ländlichen Raum wird im Bereich der gewerblichen Wirtschaft vor allem durch das Handwerk gewährleistet. Würde dieses leistungsfähige System geschwächt, weil das Erfordernis einer meisterlichen Befähigung der Betriebsleiter nicht aufrechterhalten würde, so hätte dies perspekti- visch weitreichende negative Folgen für den ländlichen Raum, da seine Wirtschafts- kraft geschwächt und der derzeit schon bestehende Abwanderungstrend junger Men- schen in städtische Ballungsgebiete noch verstärkt würde. Vor dem Hintergrund der vielen positiven Effekte der gesetzlich geregelten Meister- qualifikation muss der von der EU-Kommission derzeit durchgeführte Evaluierungs- prozess der nationalen Berufsreglementierungen (KOM(2013) 676 endg.) zwar aktiv aber dennoch kritisch begleitet werden. Eine entsprechende Positionierung hatte der Bundesrat bereits im vergangenen Jahr vorgenommen (Bundesratsdrucksache 717/13). Grundsätzlich begrüßt der Deutsche Bundestag die Herstellung von Trans- parenz über die bestehenden Reglementierungen der Mitgliedstaaten. Die EU-Kom- mission sieht jedoch in der hohen Zahl von reglementierten Berufen in den Mitglied- staaten eine Barriere für den Binnenmarkt und tendiert zu der Einschätzung, dass qualifikationsbezogene Zugangsbeschränkungen wirtschaftshemmend wirken, de- ren Abbau im Umkehrschluss aber mehr Wachstum und Beschäftigung auslösen. Deutschland weist bereits derzeit keine überdurchschnittlich hohe Berufsreglemen- tierung im europäischen Vergleich auf. Die Erfahrungen nach der Handwerksnovelle 2004 haben in Deutschland zudem gezeigt, dass Deregulierung nicht zwangsläufig zu einem Wachstumsschub und zu nachhaltig mehr Beschäftigung führt. Im Rahmen dieser Novelle wurden 53 zulassungspflichtige Gewerke zulassungsfrei mit dem Ziel, durch den erleichterten Berufszugang mehr Existenzgründungen, Beschäfti- gung und Umsatz zu erreichen. Diese positiven Effekte blieben jedoch weitgehend aus. Zwar stieg die Zahl der Existenzgründungen, allerdings blieb die Gesamtbe- schäftigtenzahl in den nunmehr zulassungsfreien Handwerken weitgehend konstant, wobei sich leichte Zuwächse durch die allgemeine Konjunkturentwicklung erklären lassen. Indes nahm die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten sowie die durchschnittliche Betriebsgröße deutlich ab. Zudem ist die Marktverweildauer von Betrieben im zulassungsfreien Handwerksbereich deutlich geringer als im zulas- sungspflichtigen Handwerk. Schließlich hat die Ausbildungsleistung stark nachgelassen. Eine Studie des Volks- wirtschaftlichen Instituts für Mittelstand und Handwerk an der Universität Göttingen e. V. (ifh Göttingen) verglich hierzu Betriebe, die nach der Handwerksnovelle zu- lassungsfrei wurden, mit Betrieben der weiterhin zulassungspflichtigen Gewerke. Mehr als zwei Drittel der meisterpflichtigen Betriebe hatten sich fünf Jahre nach Gründung erfolgreich am Markt behauptet. Rund 60 Prozent der nach der Novelle zulassungsfreien Betriebe waren fünf Jahre nach Neugründung vom Markt ver- schwunden. Gleichzeitig sank die Ausbildungsleistung drastisch – die Zahl der Ge- sellenprüfungen im nicht mehr meisterpflichtigen Fliesen-, Platten- und Mosaikle- gerhandwerk ging von 1.665 im Jahr 2003 auf 658 im Jahr 2010 zurück. Im gleichen Zeitraum sank die Zahl der Meisterprüfungen von 557 auf 84. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/3317

Eine von der Generaldirektion Binnenmarkt der Europäischen Kommission in Auf- trag gegebene und im Januar 2012 vorgelegte Studie des „Centre for Strategy & Evaluation Services“ (CSES) kommt für Deutschland zu dem Ergebnis, dass quali- fikationsgebundene Berufszugangsregelungen im Bausektor positive Wirkungen zeitigen (CSES-Studie, S. 114). Damit wird die Richtigkeit des Regulierungsansat- zes im Handwerk bestätigt. Die zulassungspflichtigen Handwerksberufe stellen zudem kein Hindernis für die Mobilität von Selbständigen und abhängig Beschäftigten im Binnenmarkt und damit auch die grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen innerhalb der Eu- ropäischen Union dar. Durch die modernisierte Rahmenrichtlinie über die Anerken- nung von Berufsqualifikationen (Richtlinie 2005/36/EG, geändert durch die Richtli- nie 2013/55/EG) wird für Unternehmer und Privatpersonen aus anderen Mitglied- staaten ein angemessener Marktzugang gewährt. Das System der Anerkennung ba- siert dabei im Falle der gelegentlichen und vorübergehenden Leistungserbringung in einem anderen Mitgliedstaat im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit weitgehend auf den Grundsätzen der automatischen Anerkennung. Ist der Nachweis erbracht, dass der Beruf im Herkunftsstaat reglementiert ist und rechtmäßig ausgeübt wurde, darf die Tätigkeit im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit auch in einem anderen Mitglied- staat ausgeübt werden. Besteht keine Reglementierung im Herkunftsland, ist auch der Nachweis einer zweijährigen rechtmäßigen Ausübung des Berufs für die Aner- kennung ausreichend. Auch bei einer dauerhaften Niederlassung greifen unter Vo- raussetzung der notwendigen Berufserfahrung die Grundsätze der automatischen Anerkennung.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung im Rahmen der zur Ver- fügung stehenden Haushaltsmittel auf,

1. das bestehende System der zulassungspflichtigen Handwerksberufe zu stärken, da es einen wichtigen Beitrag zur Sicherung der Leistungs- und Wettbewerbs- fähigkeit des deutschen Mittelstands, zum Verbraucherschutz, zur Qualifizie- rung junger Menschen im Rahmen des Systems der dualen Ausbildung, zur In- tegration bildungsfernerer Schichten in den Arbeitsmarkt leistet; 2. im Rahmen der Transparenzinitiative gegenüber der Europäischen Kommission zu betonen, dass a) die Frage der Reglementierung von Berufen eine autonome Entscheidung der Mitgliedstaaten ist, b) das duale Ausbildungssystem nur dann in seiner Leistungsfähigkeit auf- rechterhalten werden kann, wenn gesetzlich geregelt ist, dass die Betriebs- leiter in den derzeitigen Anlage-A-Berufen über meisterliche Fähigkeiten verfügen und c) die Bedeutung der Zulassungspflicht von Handwerksberufen als zentrales Element einer präventiven Gefahrenabwehr zwecks Absicherung eines ho- hen Verbraucherschutzniveaus anzuerkennen ist; 3. andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union in ihren Bestrebungen zu unter- stützen, Strukturen der dualen Ausbildung in ihren Bildungssystemen einzufüh- ren und zu stärken; 4. den Technologietransfer und die Nutzbarmachung von Produkt- und Prozessin- novationen aus Forschung und Industrie ins Handwerk stärker zu unterstützen und zu fördern, da nur so das bestehende Berufsbildungssystem auf dem bisher hohen Niveau fortgeführt werden kann; Drucksache 18/3317 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

5. die Attraktivität der beruflichen Aus- und Weiterbildung zur Sicherung des Fachkräfte- und Unternehmernachwuchses weiter zu steigern – dies insbeson- dere auch im Hinblick auf Menschen mit Migrationshintergrund oder Behinde- rung und Frauen; 6. in der Berufsbildung im Handwerk das Streben nach Selbständigkeit und die Existenzgründungen besser zu unterstützen; 7. die Sozialpartnerschaft und die Tarifbindung zu stärken, damit das Handwerk zukunftsfähig bleibt. Die Tarifautonomie macht einen großen Teil der Erfolgs- geschichte des Handwerks aus. Um im Wettbewerb mit anderen Branchen Fach- kräfte – und somit die zukünftigen Meister und Betriebsnachfolger – gewinnen und langfristig halten zu können, ist es notwendig, im Handwerk gute Arbeits- bedingungen, gute Bezahlung sowie gute Übernahme- und Aufstiegschancen in allen Gewerken für alle Auszubildenden und Beschäftigten umzusetzen; 8. im Fachkräftekonzept der Bundesregierung die aktuellen Herausforderungen, wie z. B. die Umsetzung der Energiewende und die Digitalisierung der Wirt- schaft, mehr zu berücksichtigen; 9. im Rahmen der dualen Aus- und Weiterbildung auch interkulturelle Kompeten- zen besser zu fördern, da im Handwerk deutliche Exportpotentiale erschlossen werden können und sich der Export in der Vergangenheit auch immer als Inno- vationstreiber der Wirtschaft zeigte. Dies ist auch ein Beitrag zum funktionie- renden EU-Binnenmarkt; 10. sich stärker für die Gleichwertigkeit und Durchlässigkeit von beruflicher und akademischer Bildung sowie eine umfassende Berufsorientierung von Schüle- rinnen und Schülern einzusetzen, beispielsweise durch eine intensivere Zusam- menarbeit des Handwerks mit den Hochschulen. Dabei sollte neben der akade- mischen Bildung auch verstärkt auf die Chancen und Perspektiven des gesamten Spektrums der Ausbildungsberufe sowie auf bestehende Rollenstereotype bei der Berufswahl hingewiesen werden; 11. das Meister-BAföG entsprechend seiner Bedeutung für im Beruf Stehende und Gesellen mit Familien fortzuentwickeln; 12. die Selbstverwaltung in den Handwerkskammern im Interesse der beruflichen Aus- und Weiterbildung in Deutschland zu stärken, weil die Kammern die In- frastruktur für die duale Aus- und Weiterbildung bereitstellen; 13. das Ehrenamt im Interesse der beruflichen Bildung noch stärker zu unterstützen, da die Mitgliedschaft von Arbeitnehmern sowie Arbeitgebern in den Hand- werkskammern unternehmerische Initiative, bürgerliches Engagement und Sachnähe und damit eine optimale Aufgaben- und Interessenwahrnehmung be- sonders zugunsten der kleinen und mittleren Betriebe gewährleistet; 14. mehr Unternehmen des Handwerks für die berufliche Bildung zu gewinnen; 15. weitere Impulse für lokale und regionale Konzepte zur Stärkung der Wirt- schaftskraft und örtlichen Wertschöpfung zu setzen, da das Handwerk in den Regionen oft einer der wenigen Arbeitgeber und Ausbilder vor Ort ist; 16. die Verantwortung der Unternehmen in der Berufsorientierung deutlich zu machen und kleine und mittlere Unternehmen dabei zu unterstützen.

Berlin, 25. November 2014

Volker Kauder, Gerda Hasselfeldt und Fraktion Thomas Oppermann und Fraktion

Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 , www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333 Inhaltsverzeichnis Plenarprotokoll 18/76

Deutscher Bundestag

Stenografischer Bericht

76. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Inhalt:

Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- (BÜNDNIS 90/ neten und Maria Michalk . . . 7193 A DIE GRÜNEN) ...... 7213 D Wahl der Abgeordneten Dr. Rolf Mützenich Bernd Westphal (SPD) ...... 7214 D und Johann Saathoff als Vertreter der Bun- Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU) ...... 7215 C desrepublik Deutschland zur Parlamenta- rischen Versammlung des Europarates . . . 7193 B Christian Petry (SPD) ...... 7217 A Wahl der Abgeordneten Gülistan Yüksel als Gunther Krichbaum (CDU/CSU) ...... 7217 D Schriftführerin...... 7193 B Dr. (DIE LINKE) ...... 7218 C Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- (Bremen) (BÜNDNIS 90/ nung...... 7193 B DIE GRÜNEN) ...... 7219 C Absetzung der Tagesordnungspunkte 4 und 25...... 7194 B Zusatztagesordnungspunkt 2: Nachruf auf den Abgeordneten Dr. ...... 7194 C Antrag des Bundesministeriums der Finan- zen: Finanzhilfen zugunsten Griechen- Nachruf auf den Ministerpräsidenten a. D. lands; technische Verlängerung und Fort- Ernst Albrecht ...... 7195 A führung der Stabilitätshilfe: Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deut- schen Bundestages nach § 3 Absatz 1 Tagesordnungspunkt 3: i. V. m. § 3 Absatz 2 Nummer 2 des Stabili- Abgabe einer Regierungserklärung durch die sierungsmechanismusgesetzes auf Verlän- Bundeskanzlerin: zum Europäischen Rat gerung der bestehenden Finanzhilfefazili- am 18./19. Dezember 2014 in Brüssel . . . . . 7195 B tät sowie nach § 4 Absatz 1 Nummer 1 des ESM-Finanzierungsgesetzes, der Helleni- Dr. , Bundeskanzlerin ...... 7195 B schen Republik nach Artikel 13 Absatz 2 Dr. (DIE LINKE) ...... 7199 C des ESM-Vertrages grundsätzlich vorsorg- liche Finanzhilfe zu gewähren Thomas Oppermann (SPD) ...... 7202 D Drucksache 18/3532 ...... 7219 D Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister DIE GRÜNEN) ...... 7205 C BMF ...... 7220 A Volker Kauder (CDU/CSU) ...... 7207 C Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 7221 D DIE GRÜNEN) ...... 7210 C Dr. (DIE LINKE) ...... 7222 D Axel Schäfer (Bochum) (SPD) ...... 7211 A (Erfurt) (SPD) ...... 7224 B Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU) ...... 7211 D Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) ...... 7225 D II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/ des Rates über die Tierzucht- und Abstam- DIE GRÜNEN) ...... 7227 A mungsbestimmungen für den Handel mit Zuchttieren und deren Zuchtmaterial in Norbert Barthle (CDU/CSU) ...... 7228 A der Union sowie für die Einfuhr derselben Dr. Diether Dehm (DIE LINKE) ...... 7229 D in die Union – KOM(2014) 5 endg. – hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesre- Christian Petry (SPD) ...... 7230 B gierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des (SPD) ...... 7230 D Grundgesetzes – Kennzeichnung von Zucht- tieren und -materialien mit Klonabstam- Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ mung im EU-Tierzuchtrecht verankern DIE GRÜNEN) ...... 7232 B Drucksache 18/3557 ...... 7250 A (CDU/CSU) ...... 7233 A

Tagesordnungspunkt 27: Tagesordnungspunkt 5: a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung Erste Beratung des von den Abgeordneten des von der Bundesregierung eingebrach- Dr. Harald Terpe, Katja Dörner, ten Entwurfs eines Gesetzes zu der Ent- (Köln), weiteren Abgeordneten und der Frak- scheidung der Konferenz von Doha vom tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach- 8. Dezember 2012 zur Änderung des ten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung Protokolls von Kyoto vom 11. Dezem- des Fünften Buches Sozialgesetzbuch zur ber 1997 zum Rahmenübereinkommen Gleichstellung verheirateter, verpartnerter der Vereinten Nationen über Klimaän- und auf Dauer in einer Lebensgemeinschaft derungen (Doha-Änderung des Proto- lebender Paare bei der Kostenübernahme kolls von Kyoto) der gesetzlichen Krankenversicherung für Drucksachen 18/3123, 18/3582 ...... 7250 C Maßnahmen der künstlichen Befruchtung b) Zweite Beratung und Schlussabstimmung Drucksache 18/3279 ...... 7234 C des von der Bundesregierung eingebrach- Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem DIE GRÜNEN) ...... 7234 D Übereinkommen vom 10. März 2009 zwischen den Mitgliedstaaten der - Hubert Hüppe (CDU/CSU) ...... 7235 D päischen Union über die zentrale Zoll- Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ abwicklung hinsichtlich der Aufteilung DIE GRÜNEN) ...... 7236 C der nationalen Erhebungskosten, die bei der Bereitstellung der traditionellen (DIE LINKE) ...... 7238 A Eigenmittel für den Haushalt der Euro- (SPD) ...... 7239 B päischen Union einbehalten werden Drucksachen 18/3125, 18/3594 ...... 7250 C Dr. Katja Leikert (CDU/CSU) ...... 7241 A c) Zweite und dritte Beratung des von der Bun- (Havelland) (DIE LINKE) . . . 7243 A desregierung eingebrachten Entwurfs eines (SPD) ...... 7243 D Gesetzes zu dem Europa-Mittelmeer- Luftverkehrsabkommen vom 10. Juni Kathrin Vogler (DIE LINKE) ...... 7244 C 2013 zwischen der Europäischen Union Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ und ihren Mitgliedstaaten einerseits DIE GRÜNEN) ...... 7245 C und der Regierung des Staates andererseits (Vertragsgesetz Europa- René Röspel (SPD) ...... 7246 A Mittelmeer-Israel-Luftverkehrsabkom- Rudolf Henke (CDU/CSU) ...... 7246 D men – Euromed-ISR-LuftverkAbkG) Drucksachen 18/3255, 18/3534 ...... 7250 D Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) . . 7247 D d) Beschlussempfehlung und Bericht des Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ Ausschusses für Wirtschaft und Energie DIE GRÜNEN) ...... 7249 A zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Joachim Pfeiffer, Lena Strothmann, Artur Auernhammer, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der CDU/CSU sowie Zusatztagesordnungspunkt 3: der Abgeordneten Wolfgang Tiefensee, Antrag der Abgeordneten , Sabine Poschmann, Niels Annen, weiterer , Nicole Maisch, weiterer Abge- Abgeordneter und der Fraktion der SPD: ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Der deutsche Meisterbrief – Erfolgrei- GRÜNEN: zu dem Vorschlag für eine Ver- che Unternehmerqualifizierung, Basis ordnung des Europäischen Parlaments und für handwerkliche Qualität und beson- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 III

dere Bedeutung für die duale Ausbil- Wahl ...... 7269 B dung Drucksachen 18/3317, 18/3587 ...... 7251 B Ergebnis ...... 7269 C e)–j) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersich- Tagesordnungspunkt 7: ten 128, 129, 130, 131, 132 und 133 zu Petitionen – Beschlussempfehlung und Bericht des Drucksachen 18/3428, 18/3429, 18/3430, Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag 18/3431, 18/3432, 18/3433 ...... 7251 C der Bundesregierung: Entsendung bewaff- neter deutscher Streitkräfte am NATO- geführten Einsatz Resolute Support Mission für die Ausbildung, Beratung Zusatztagesordnungspunkt 4: und Unterstützung der afghanischen a)–e) nationalen Sicherheitskräfte in Afgha- Beratung der Beschlussempfehlungen des nistan Petitionsausschusses: Sammelübersich- Drucksachen 18/3246, 18/3583...... 7269 D ten 134, 135, 136, 137 und 138 zu Petitio- – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß nen § 96 der Geschäftsordnung Drucksachen 18/3568, 18/3569, 18/3570, Drucksache 18/3592 ...... 7269 D 18/3571, 18/3572 ...... 7252 A

in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Haltung der Zusatztagesordnungspunkt 6: Bundesregierung zur breiten Kritik unter anderem der EU-Kommission an der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Einführung einer Infrastrukturabgabe in Fortschrittsbericht zur Lage in Afghanis- Deutschland ...... 7252 C tan 2014 – einschließlich einer Zwischenbi- lanz des Afghanistan-Engagements (BÜNDNIS 90/ Drucksache 18/3270 ...... 7270 A DIE GRÜNEN) ...... 7252 C Dr. , Bundesministerin , Bundesminister BMVg ...... 7270 B BMVI ...... 7253 D Jan van Aken (DIE LINKE) ...... 7271 B (DIE LINKE) ...... 7256 B (SPD) ...... 7272 A (SPD) ...... 7257 C (CDU/CSU) ...... 7274 B (CDU/CSU) ...... 7259 A Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ (DIE LINKE) ...... 7260 C DIE GRÜNEN) ...... 7274 D Christian Petry (SPD) ...... 7261 B Jan van Aken (DIE LINKE) ...... 7275 A Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ Niels Annen (SPD) ...... 7275 C DIE GRÜNEN) ...... 7262 B Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ Ulrich Lange (CDU/CSU) ...... 7263 D DIE GRÜNEN) ...... 7277 C Andreas Schwarz (SPD) ...... 7264 D Dr. (CDU/CSU) ...... 7278 C Karl Holmeier (CDU/CSU) ...... 7266 A Florian Hahn (CDU/CSU) ...... 7279 C (CDU/CSU) ...... 7267 A Namentliche Abstimmung...... 7280 D (CDU/CSU) ...... 7268 A

Ergebnis ...... 7282 C Tagesordnungspunkt 6: Wahlvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU Tagesordnungspunkt 8: und SPD: Wahl des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages – Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Drucksache 18/3547 ...... 7268 D wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der IV Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Bundesregierung: Fortsetzung der Betei- richtung durch die : Aufga- ligung bewaffneter deutscher Streitkräfte benplanung der Deutschen Welle 2014 bis an der NATO-geführten Operation 2017 ACTIVE ENDEAVOUR im Mittelmeer Drucksachen 18/2536, 18/3056, 18/3216 Nr. 3, Drucksachen 18/3247, 18/3584 ...... 7281 B 18/3595 ...... 7303 B – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß Monika Grütters, Staatsministerin § 96 der Geschäftsordnung BK ...... 7303 C Drucksache 18/3593 ...... 7281 B Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) . . 7304 D Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD) ...... 7281 C Martin Dörmann (SPD) ...... 7306 A (DIE LINKE) ...... 7285 A Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ Philipp Mißfelder (CDU/CSU) ...... 7285 D DIE GRÜNEN) ...... 7307 A Dr. (BÜNDNIS 90/ Martin Dörmann (SPD) ...... 7307 C DIE GRÜNEN) ...... 7286 C , Parl. Staatssekretär Dirk Vöpel (SPD) ...... 7287 C BMZ ...... 7309 A (CDU/CSU) ...... 7288 B (SPD) ...... 7309 D Julia Bartz (CDU/CSU) ...... 7289 A (CDU/CSU) ...... 7310 D Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ Namentliche Abstimmung...... 7290 A DIE GRÜNEN) ...... 7311 A

Ergebnis...... 7291 D Tagesordnungspunkt 11: Erste Beratung des von den Abgeordneten Tagesordnungspunkt 9: , , Volker Beck (Köln), weiteren Abgeordneten und der Frak- Beratung der Antwort der Bundesregierung tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- auf die Große Anfrage der Abgeordneten brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- Sabine Leidig, Herbert Behrens, , rung des Versorgungsausgleichsgesetzes weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE Drucksache 18/3210 ...... 7312 C LINKE: 20-Jahres-Bilanz der Bahnreform von 1994 bis 2014 Katja Keul (BÜNDNIS 90/ Drucksachen 18/1500, 18/3266 ...... 7290 B DIE GRÜNEN) ...... 7312 D Sabine Leidig (DIE LINKE) ...... 7290 C Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU) . . . . 7313 D , Parl. Staatssekretär Jörn Wunderlich (DIE LINKE) ...... 7315 D BMVI ...... 7294 A (SPD) ...... 7316 C Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) ...... 7317 D DIE GRÜNEN) ...... 7295 A (SPD) ...... 7319 A (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 7296 B (SPD) ...... 7297 B Tagesordnungspunkt 12: Sabine Leidig (DIE LINKE) ...... 7298 A Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU) ...... 7299 A Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bun- Sabine Leidig (DIE LINKE) ...... 7299 D desdatenschutzgesetzes – Stärkung der Un- abhängigkeit der Datenschutzaufsicht im Martin Burkert (SPD) ...... 7300 B Bund durch Errichtung einer obersten Kirsten Lühmann (SPD) ...... 7301 C Bundesbehörde Drucksachen 18/2848, 18/3598...... 7320 C Ulrich Lange (CDU/CSU) ...... 7302 C Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . 7320 D (DIE LINKE) ...... 7321 D Tagesordnungspunkt 10: Gerold Reichenbach (SPD) ...... 7323 A Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Dr. (BÜNDNIS 90/ schusses für Kultur und Medien zu der Unter- DIE GRÜNEN) ...... 7324 C Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 V

Marian Wendt (CDU/CSU) ...... 7325 C Tagesordnungspunkt 17: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Namentliche Abstimmungen ...... 7327 A, 7329 D schusses für Arbeit und Soziales zu dem An- trag der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, , , weiterer Ab- Ergebnisse ...... 7327 C, 7334 A geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Wiedereingliederung fördern – Gefangene in die Renten-, Kranken- und Pflegeversi- Tagesordnungspunkt 13: cherung einbeziehen Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Drucksachen 18/2606, 18/2784 ...... 7331 A schusses für Wirtschaft und Energie zu dem Gabriele Hiller-Ohm (SPD) ...... 7331 A Antrag der Abgeordneten , Caren Lay, Jan Korte, weiterer Abgeordneter Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) ...... 7332 D und der Fraktion DIE LINKE: Schutz von Kindern vor Schadstoffen in Spielzeugen Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . 7336 A wirksam durchsetzen Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ Drucksachen 18/1367, 18/2717 ...... 7330 A DIE GRÜNEN) ...... 7336 D Matthäus Strebl (CDU/CSU) ...... 7337 D Tagesordnungspunkt 14: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Tagesordnungspunkt 18: Bevorrechtigung der Verwendung elek- a) Beschlussempfehlung und Bericht des trisch betriebener Fahrzeuge (Elektromo- Ausschusses für Verkehr und digitale In- bilitätsgesetz – EmoG) frastruktur Drucksache 18/3418 ...... 7330 A – zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Werner Kammer, , Tagesordnungspunkt 15: Ulrich Lange, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie a) Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, der Abgeordneten , , (Augsburg), Sören Bartol, Kirsten Lühmann, weite- weiterer Abgeordneter und der Fraktion rer Abgeordneter und der Fraktion der BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Iguala ist SPD: Wasserstraßen- und Schiff- kein Einzelfall – Zur Menschenrechts- fahrtsverwaltung zukunftsfest ge- lage in Mexiko stalten Drucksache 18/3552 ...... 7330 B – zu dem Antrag der Abgeordneten b) Antrag der Abgeordneten Heike Hänsel, Dr. Valerie Wilms, Stephan Kühn , Wolfgang Gehrcke, wei- (Dresden), Sven-Christian Kindler, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Menschenrechte in Mexiko terer Abgeordneter und der Fraktion schützen, Verhandlungen zum Sicher- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Reform heitsabkommen aussetzen der Wasser- und Schifffahrtsverwal- Drucksache 18/3548 ...... 7330 C tung konsequent fortsetzen c) Antrag der Abgeordneten Hans-Christian Drucksachen 18/3041, 18/1341, 18/3536 . . 7339 A Ströbele, , Uwe Kekeritz, b) Antrag der Abgeordneten Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sicherheits- Abgeordneter und der Fraktion DIE abkommen brauchen Standards LINKE: Sozialverträgliche Arbeitsver- Drucksache 18/3553 ...... 7330 C hältnisse und fristgerechte Nachbeset- zung in der Wasser- und Schifffahrts- verwaltung sichern Tagesordnungspunkt 16: Drucksache 18/3414 ...... 7339 A Erste Beratung des von der Bundesregierung Hans-Werner Kammer (CDU/CSU) ...... 7339 B eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Teilumsetzung der Energieeffizienzrichtli- Herbert Behrens (DIE LINKE) ...... 7340 B nie und zur Verschiebung des Außerkraft- Dr. Birgit Malecha-Nissen (SPD) ...... 7341 B tretens des § 47 g Absatz 2 des Gesetzes ge- gen Wettbewerbsbeschränkungen Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ Drucksache 18/3373 ...... 7330 D DIE GRÜNEN) ...... 7342 B VI Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Eckhardt Rehberg (CDU/CSU) ...... 7343 C schen Bundestages nach § 3 Absatz 1 i. V. m. § 3 Absatz 2 Nummer 2 des Stabilisierungs- Johann Saathoff (SPD) ...... 7344 A mechanismusgesetzes auf Verlängerung der bestehenden Finanzhilfefazilität sowie nach § 4 Absatz 1 Nummer 1 des ESM-Finanzie- Tagesordnungspunkt 19: rungsgesetzes, der Hellenischen Republik – Zweite und dritte Beratung des von den nach Artikel 13 Absatz 2 des ESM-Vertrages Abgeordneten Matthias W. Birkwald, grundsätzlich vorsorgliche Finanzhilfe zu ge- Sabine Zimmermann (), Klaus währen (Zusatztagesordnungspunkt 2) . . . . . 7350 A Ernst, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes für mehr Konti- Anlage 4 nuität der Beitragssätze in der gesetzli- chen Rentenversicherung (Beitragssatz- Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten gesetz 2014) Markus Paschke (SPD) zur namentlichen Ab- Drucksachen 18/3042, 18/3462 ...... 7345 A stimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß Bundesregierung zur Entsendung bewaffne- § 96 der Geschäftsordnung ter deutscher Streitkräfte am NATO-geführten Drucksache 18/3463 ...... 7345 A Einsatz Resolute Support Mission für die Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen nationalen Sicherheitskräfte in Tagesordnungspunkt 20: Afghanistan (Tagesordnungspunkt 7) ...... 7351 A Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Fahr- Anlage 5 personalgesetzes Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Drucksachen 18/3254, 18/3586 ...... 7345 B Marieluise Beck (Bremen), und Manuel Sarrazin (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung Tagesordnungspunkt 21: über die Beschlussempfehlung des Auswärti- Erste Beratung des von der Bundesregierung gen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesre- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur gierung zur Entsendung bewaffneter deutscher Weiterentwicklung des Personalrechts der Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Re- Beamtinnen und Beamten der früheren solute Support Mission für die Ausbildung, Deutschen Bundespost Beratung und Unterstützung der afghanischen Drucksache 18/3512 ...... 7345 C nationalen Sicherheitskräfte in Afghanistan (Tagesordnungspunkt 7) ...... 7351 C Nächste Sitzung ...... 7345 D Anlage 6 Anlage 1 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Tobias Lindner und Tabea Rößner (beide Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 7347 A BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentli- chen Abstimmung über die Beschlussempfeh- lung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Anlage 2 Antrag der Bundesregierung zur Entsendung Namensverzeichnis der Mitglieder des Deut- bewaffneter deutscher Streitkräfte am NATO- schen Bundestages, die an der Wahl des geführten Einsatz Resolute Support Mission Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages für die Ausbildung, Beratung und Unterstüt- teilgenommen haben ...... 7347 B zung der afghanischen nationalen Sicherheits- kräfte in Afghanistan (Tagesordnungspunkt 7) 7352 C

Anlage 3 Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) zur Abstim- Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten mung über den Antrag des Bundesministe- Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE) zur na- riums der Finanzen: Finanzhilfen zugunsten mentlichen Abstimmung über die Beschluss- Griechenlands; technische Verlängerung und empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu Fortführung der Stabilitätshilfe: Einholung ei- dem Antrag der Bundesregierung: Fortset- nes zustimmenden Beschlusses des Deut- zung der Beteiligung bewaffneter deutscher Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 VII

Streitkräfte an der NATO-geführten Operation – Menschenrechte in Mexiko schützen, Ver- ACTIVE ENDEAVOUR im Mittelmeer (Ta- handlungen zum Sicherheitsabkommen gesordnungspunkt 8) ...... 7353 A aussetzen – Sicherheitsabkommen brauchen Standards (Tagesordnungspunkt 15) ...... 7362 A Anlage 8 Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU) ...... 7362 B Erklärung nach § 31 Absatz 2 GO des Abge- ordneten Jörn Wunderlich (DIE LINKE) zur Frank Schwabe (SPD) ...... 7362 D Abstimmung über die Beschlussempfehlung Heike Hänsel (DIE LINKE) ...... 7364 D des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias W. Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ Birkwald, Ulla Jelpke, Halina Wawzyniak, DIE GRÜNEN)...... 7365 C weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE Dr. Maria Böhmer, Staatsministerin LINKE: Wiedereingliederung fördern – Ge- AA ...... 7366 D fangene in die Renten-, Kranken- und Pflege- versicherung einbeziehen (Tagesordnungs- punkt 17) ...... 7353 B Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Anlage 9 des Entwurfs eines Gesetzes zur Teilumset- Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung zung der Energieeffizienzrichtlinie und zur Ver- der Beschlussempfehlung und des Berichts: schiebung des Außerkrafttretens des § 47 g Schutz von Kindern vor Schadstoffen in Absatz 2 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbe- Spielzeugen wirksam durchsetzen (Tagesord- schränkungen (Tagesordnungspunkt 16) . . . . 7367 D nungspunkt 13) ...... 7353 B Dr. Herlind Gundelach (CDU/CSU) ...... 7367 D (CDU/CSU)...... 7353 B Dr. Nina Scheer (SPD) ...... 7369 A Marcus Held (SPD) ...... 7354 D Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) ...... 7369 D Karin Binder (DIE LINKE) ...... 7356 A Dr. (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 7370 B Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 7356 D

Anlage 13 Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes für mehr Konti- des Entwurfs eines Gesetzes zur Bevorrechti- nuität der Beitragssätze in der gesetzlichen gung der Verwendung elektrisch betriebener Rentenversicherung (Beitragssatzgesetz 2014) Fahrzeuge (Elektromobilitätsgesetz – EmoG) (Tagesordnungspunkt 19) ...... 7371 A (Tagesordnungspunkt 14) ...... 7357 B (CDU/CSU) ...... 7371 A Steffen Bilger (CDU/CSU) ...... 7357 B Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU) ...... 7371 D (SPD)...... 7358 B Dr. Martin Rosemann (SPD) ...... 7372 C (DIE LINKE)...... 7359 C Matthias W. Birkwald (DIE LINKE)...... 7373 C Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/ Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 7360 A DIE GRÜNEN)...... 7374 B , Parl. Staatssekretärin BMVI ...... 7360 C Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Anlage 11 des Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Än- Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung derung des Fahrpersonalgesetzes (Tagesord- der Anträge: nungspunkt 20) ...... 7374 D (CDU/CSU) ...... 7374 D – Iguala ist kein Einzelfall – Zur Menschen- rechtslage in Mexiko Florian Oßner (CDU/CSU) ...... 7375 C VIII Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Udo Schiefner (SPD) ...... 7376 C wicklung des Personalrechts der Beamtinnen und Beamten der früheren Deutschen Bundes- Thomas Lutze (DIE LINKE)...... 7377 C post (Tagesordnungspunkt 21) ...... 7378 C Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/ (CDU/CSU) ...... 7378 C DIE GRÜNEN) ...... 7377 D (CDU/CSU) ...... 7379 B Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD) ...... 7379 D Anlage 15 Frank Tempel (DIE LINKE) ...... 7381 A Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/ des Entwurfs eines Gesetzes zur Weiterent- DIE GRÜNEN)...... 7381 C Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7193

(A) (C)

76. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Beginn: 9.01 Uhr

Präsident Dr. : Einholung eines zustimmenden Beschlusses Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz. des Deutschen Bundestages nach § 3 Absatz 1 i. V. m. § 3 Absatz 2 Nummer 2 des Stabilisie- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor wir in unsere rungsmechanismusgesetzes auf Verlängerung Tagesordnung eintreten, möchte ich zunächst dem Kol- der bestehenden Finanzhilfefazilität sowie legen Roland Claus zu seinem heutigen 60. Geburtstag nach § 4 Absatz 1 Nummer 1 des ESM-Finan- gratulieren und ebenso der Kollegin Maria Michalk, die zierungsgesetzes, der Hellenischen Republik am 6. Dezember ihren 65. Geburtstag gefeiert hat. Alle nach Artikel 13 Absatz 2 des ESM-Vertrages guten Wünsche im Namen des ganzen Hauses! grundsätzlich vorsorgliche Finanzhilfe zu ge- (Beifall) währen Wir müssen noch eine Wahl von Vertretern der Bun- Drucksache 18/3532 desrepublik Deutschland zur Parlamentarischen Ver- ZP 3 Überweisung im vereinfachten Verfahren (B) sammlung des Europarates durchführen. Die SPD- (D) Fraktion schlägt vor, für den Kollegen Dr. Karamba Beratung des Antrags der Abgeordneten Diaby den Kollegen Dr. Rolf Mützenich als persönli- Friedrich Ostendorff, Harald Ebner, Nicole ches stellvertretendes Mitglied der Kollegin Doris Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Barnett sowie den Kollegen Johann Saathoff als per- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sönliches stellvertretendes Mitglied der Kollegin Dr. Ute zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Finckh-Krämer zu berufen. Darf ich hierzu Ihr Einver- Europäischen Parlaments und des Rates über ständnis voraussetzen? – Das ist offensichtlich der Fall. die Tierzucht- und Abstammungsbestimmun- Dann sind der Kollege Dr. Mützenich und der Kollege gen für den Handel mit Zuchttieren und de- Saathoff als persönliche stellvertretende Mitglieder in ren Zuchtmaterial in der Union sowie für die diese Parlamentarische Versammlung gewählt. Einfuhr derselben in die Union Wir müssen auch noch eine Schriftführerwahl KOM(2014) 5 endg. durchführen. Die SPD-Fraktion schlägt vor, für den Kol- hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesre- legen die Kollegin Gülistan Yüksel gierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des als Schriftführerin zu wählen. Sind Sie auch damit ein- Grundgesetzes verstanden? – Das ist offensichtlich der Fall. Kennzeichnung von Zuchttieren und -mate- Schließlich ist interfraktionell vereinbart worden, die rialien mit Klonabstammung im EU-Tier- Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufge- zuchtrecht verankern führten Punkte zu erweitern: Drucksache 18/3557 ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion Überweisungsvorschlag: DIE LINKE: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Folter durch die USA und ihre Folgen für den ZP 4 Weitere abschließende Beratungen ohne Aus- weltweiten Kampf um Menschenrechte sprache (siehe 75. Sitzung) (Ergänzung zu TOP 27) ZP 2 Beratung des Antrags des Bundesministeriums a) Beratung der Beschlussempfehlung des Pe- der Finanzen titionsausschusses (2. Ausschuss) Finanzhilfen zugunsten Griechenlands; tech- Sammelübersicht 134 zu Petitionen nische Verlängerung und Fortführung der Stabilitätshilfe Drucksache 18/3568 7194 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) b) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Sind Sie auch mit diesen Vereinbarungen einverstan- (C) tionsausschusses (2. Ausschuss) den? – Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Sammelübersicht 135 zu Petitionen Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich die Re- Drucksache 18/3569 gierungserklärung aufrufe, möchte ich Sie bitten, sich c) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- von Ihren Plätzen zu erheben. tionsausschusses (2. Ausschuss) (Die Anwesenden erheben sich) Sammelübersicht 136 zu Petitionen Wir trauern um unseren Kollegen Dr. Andreas Drucksache 18/3570 Schockenhoff, der am vergangenen Wochenende mitten aus dem Leben gerissen worden ist. Sein plötzlicher Tod d) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- hat uns alle erschüttert. Andreas Schockenhoff war tionsausschusses (2. Ausschuss) 24 Jahre lang Mitglied des Deutschen Bundestages, ein Sammelübersicht 137 zu Petitionen politischer Weggefährte und vielen ein persönlicher Freund, auch über die eigene Fraktion hinaus. Drucksache 18/3571 Über sich selbst hat er einmal gesagt: „Politik klärt e) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- nicht die letzten Fragen des Lebens. Sie darf Fehler ma- tionsausschusses (2. Ausschuss) chen, wenn sie zu Einsicht und Umkehr bereit ist. Mein Sammelübersicht 138 zu Petitionen Glaube gibt mir Kraft und Orientierung.“ Vielleicht er- klärt sich aus dieser Einstellung seine innere Kraft auch Drucksache 18/3572 in persönlichen Krisensituationen und der starke Rück- ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion halt, den ihm die Menschen aus seinem Wahlkreis Ra- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: vensburg gaben, die ihn seit 1990 stets mit einem Direkt- mandat in den Deutschen Bundestag gewählt haben. Seit Haltung der Bundesregierung zur breiten 2005 war Andreas Schockenhoff stellvertretender Vor- Kritik unter anderem der EU-Kommission an sitzender der CDU/CSU-Fraktion in diesem Hause. der Einführung einer Infrastrukturabgabe in Deutschland Andreas Schockenhoff war ein leidenschaftlicher Au- ßenpolitiker, dessen Interessen sowohl den westlichen ZP 6 Beratung der Unterrichtung durch die Bundes- wie den östlichen Partnern Deutschlands galten und der (B) regierung nicht auf einem Auge blind war, wenn die Wirklichkeit (D) den eigenen Wunschvorstellungen nicht entsprach. Das Fortschrittsbericht zur Lage in Afghanistan fand seinen Niederschlag insbesondere in seinem he- 2014 rausragenden Engagement als Vorsitzender der deutsch- einschließlich einer französischen Parlamentariergruppe, die er 20 Jahre lang Zwischenbilanz des Afghanistan-Engagements geführt und geprägt hat. Ich habe in den letzten Tagen Drucksache 18/3270 sehr persönliche Briefe und Anrufe vom amtierenden Überweisungsvorschlag: wie vom früheren Präsidenten der Assemblée nationale Auswärtiger Ausschuss (f) erhalten, vom französischen Botschafter hier in Berlin, Innenausschuss von Weggefährten und Mitgliedern des französischen Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Parlaments, die die große Wertschätzung zum Ausdruck Verteidigungsausschuss bringen, die er bei unseren französischen Freunden ge- Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und nossen hat, und die Betroffenheit deutlich machen, die Entwicklung unsere französischen Kolleginnen und Kollegen mit uns teilen. Ich möchte mich dafür herzlich bedanken. Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so- weit erforderlich, abgewichen werden. Sein nüchterner Blick für Wünsche und Wirklichkei- ten prägte auch die Art und Weise, wie er das Amt des Die Tagesordnungspunkte 4 – hier geht es um den Beauftragten für die deutsch-russische zwischengesell- Aktionsplan „Zivile Krisenprävention“ – und 25 – Bau- schaftliche Zusammenarbeit ausübte. Seine frühen Hin- kulturbericht 2014/15 – werden abgesetzt. weise auf demokratische und rechtsstaatliche Defizite in Anstelle des Tagesordnungspunktes 4 soll der Antrag Russland wurden weder hier noch dort überall gerne ge- des Bundesministeriums der Finanzen mit dem Titel „Fi- hört. Die Entwicklung Russlands zeigt leider, wie zutref- nanzhilfen zugunsten Griechenlands; technische Verlän- fend seine Beobachtungen und wie berechtigt seine War- gerung und Fortführung der Stabilitätshilfe“ auf der nungen gewesen sind. Drucksache 18/3532 mit einer Debattenzeit von 60 Mi- nuten aufgerufen und über ihn abgestimmt werden. „Andreas Schockenhoff war ein Unbeugsamer und dabei vielleicht verletzlicher, als ein Mensch des öffent- Die Debattendauer der Tagesordnungspunkte 22 und 23 lichen Lebens zugeben darf“, hat eine Kollegin, die ihn – das betrifft dann die morgige Tagesordnung – soll je- gut kannte, in diesen Tagen in einem Nachruf geschrie- weils 60 Minuten und die Beratungszeit der Tagesord- ben. Ihm gebühren unser Respekt und unsere Dank- nungspunkte 24 und 26 jeweils 25 Minuten betragen. barkeit für alles, was er in diesem Haus, für dieses Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7195

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Parlament, für die Demokratie und für die Völkerver- lons entlang der früheren Berliner Grenze aufgestiegen (C) ständigung über viele Jahre hinweg geleistet hat. sind, wird diesen Moment so schnell nicht vergessen. Wir werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren. Welch großes Glück die europäische Einigung ist, das Seinen Kindern und allen Angehörigen spreche ich dürfen wir vor dem Hintergrund der Geschichte Europas im Namen des ganzen Hauses unsere Anteilnahme aus. wie auch vor dem Hintergrund aktueller Krisen und Kriege niemals vergessen. Mir ist das gestern noch ein- Liebe Kolleginnen und Kollegen, am vergangenen mal bewusst geworden, als ich in einer Videoschaltung Wochenende ist auch Ernst Albrecht gestorben. Er ge- mit sechs Standorten verbunden war, an denen Soldatin- hörte über Jahrzehnte hinweg zu den herausragenden nen und Soldaten der sowie Polizistinnen Persönlichkeiten der bundesdeutschen Politik und war und Polizisten Dienst tun, überall auf der Welt. Dabei ein leidenschaftlicher Demokrat. Als Ministerpräsident, war ganz offensichtlich, dass wir in Europa großes der länger als alle seine Vorgänger und Nachfolger Nie- Glück haben. dersachsen regierte, hat er dieses Bundesland geprägt. Dies fand Anerkennung weit über die Parteigrenzen hin- Frieden, Freiheit und Wohlstand sind alles andere als weg. Ernst Albrecht war ein Landesvater im besten selbstverständlich. Stets aufs Neue müssen wir für sie Wortsinn. Er war grundsatzfest, zukunftsoffen, heimat- eintreten. Wir müssen unsere Werte schützen und vertei- verbunden und weltläufig zugleich. Seine Entscheidung, digen. Deshalb werden wir auch beim letzten Europäi- vietnamesischen Bootsflüchtlingen in Niedersachsen schen Rat in diesem Jahr wieder über die Lage in der eine neue Zukunftsperspektive zu bieten, wird in beson- sprechen. derer Erinnerung bleiben. Sie war mehr als ein rhetori- sches Signal der Humanität. Mit seinen Impulsen und Das Ende des Kalten Krieges hat es ja vor 25 Jahren Entscheidungen hat er die Landes- wie die Bundespolitik den Staaten Mittel- und Osteuropas ermöglicht, selbstbe- mitgestaltet. stimmt ihren eigenen Weg zu gehen. Wenn wir heute zu- ließen, dass diese Selbstbestimmung wieder aufgegeben Wir haben Ernst Albrecht viel zu verdanken. Er wird werden könnte, dann würde das nichts anderes bedeuten unvergessen bleiben. als eine erneute Einteilung Europas in Einflusssphären, ja, eine Spaltung Europas. Das wäre ein erheblicher Seinen Kindern und allen Angehörigen sprechen wir Rückschritt für die Ukraine, aber es wäre eben auch ein unsere Anteilnahme aus. Stellvertretend will ich das Ih- erheblicher Rückschritt für die europäische Sicherheit nen gegenüber, liebe Frau von der Leyen, tun. und für Europa insgesamt. Deshalb können wir das nicht Ich danke Ihnen. zulassen, und deshalb werden wir das auch nicht zulas- sen. (B) (Die Anwesenden nehmen wieder Platz) (D) Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 3 auf: Das Miteinander in Europa ist auf Partnerschaft, auf Recht und auf Respekt gegründet, eben nicht auf Ein- Abgabe einer Regierungserklärung durch die flusssphären. Die Prinzipien Partnerschaft, Recht und Bundeskanzlerin Respekt wollen wir auch im Verhältnis zu Russland wah- zum Europäischen Rat am 18./19. Dezember ren, und wir werden alles daransetzen, dass sie auch im 2014 in Brüssel Verhältnis zwischen Russland und der Ukraine zum Tra- gen kommen; denn das Ziel unseres Handelns ist und Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion bleibt eine souveräne und territorial unversehrte Die Linke vor. Ukraine, die über ihre eigene Zukunft selbst entscheiden kann. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklä- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- rung 96 Minuten vorgesehen. – Dazu sehe ich keinen neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Widerspruch. Dann können wir so verfahren. GRÜNEN) Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat Wir haben in diesem Jahr erfahren, dass dies Geduld und die Bundeskanzlerin, Frau Dr. Angela Merkel. einen langen Atem braucht. Militärisch ist dieser Kon- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- flikt nicht zu lösen. neten der SPD) Unser Handeln setzt deshalb erstens darauf, die Ukraine weiter zu unterstützen, politisch wie wirtschaft- Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin: lich. Dabei erwarten wir nach den Wahlen nun auch von Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! der Ukraine entschiedene Schritte zur Modernisierung Meine Damen und Herren! Das Jahr 2014 war ein Jahr der Wirtschaft, zur Stärkung der Rechtsstaatlichkeit und des Gedenkens an schreckliche und glückliche Momente zur Bekämpfung der Korruption. in der deutschen und europäischen Geschichte. Wir ha- ben uns an den Ausbruch der beiden Weltkriege und ihre Gerade jetzt im Winter geht es aber nicht zuletzt auch furchtbaren Folgen erinnert, aber eben auch an den Fall darum, die humanitäre Hilfe zu verstärken. Der Ukraine der Berliner Mauer vor 25 Jahren als Symbol für die muss es ermöglicht werden, eigene Hilfslieferungen friedliche Überwindung der Teilung Deutschlands und ohne Gefahr auch in die von den Separatisten kontrol- Europas. Jeder, der gesehen hat, wie am Abend die Bal- lierten Gebiete im Osten des Landes zu bringen. 7196 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) Zweitens suchen wir unverändert und unvermindert dadurch, dass wir die Ursachen bekämpfen. Man kann (C) den Dialog mit Russland. So haben der französische Prä- sagen, dass wir auf diesem Weg schon viel geschafft ha- sident François Hollande, der ukrainische Präsident ben. Petro Poroschenko, der russische Präsident Wladimir Putin und ich vorgestern in einem gemeinsamen Telefo- Wir haben einen dauerhaften Krisenbewältigungsme- nat die Bedeutung eines umfassenden Waffenstillstands chanismus eingerichtet, mit dem wir Gefahren für die noch einmal betont, eines Waffenstillstands, wie er ja be- ganze Euro-Zone künftig viel besser abwenden können. reits im Minsker Abkommen vom September vorgese- Es gilt dabei die Regel, die ich für absolut richtig halte: hen ist. Um hierbei endlich Fortschritte zu erzielen, set- keine Leistung ohne Gegenleistung. Anders gesagt: Wer zen wir jetzt auf ein rasches Treffen der Kontaktgruppe die gemeinsam verabredeten Reformschritte umsetzt, aus Russland, der Ukraine sowie der OSZE. kann in Europa, jedenfalls im Euro-Raum, auf die Soli- darität aller bauen. Damit helfen wir den von der Krise Das Ziel unseres Handelns ist und bleibt die Durch- betroffenen Mitgliedstaaten, und wir helfen uns selber, setzung der Stärke des Rechts gegen das vermeintliche nämlich der Euro-Zone als Ganzes. Recht eines Stärkeren. Das Ziel ist und bleibt: europäische Sicherheit gemeinsam mit Russland, nicht gegen Russ- Wir haben die wirtschafts- und haushaltspolitische land. Wir wollen die Kontakte zwischen unseren Gesell- Überwachung einschließlich des Stabilitäts- und Wachs- schaften weiter vertiefen. Gerade Andreas Schockenhoff, tumspakts gestärkt – im Übrigen in langen und vielen um den wir heute trauern, hat dies immer wieder getan Diskussion. Wir haben den Fiskalvertrag beschlossen, und versucht. Wir wollen uns gemeinsam den Herausfor- um die Grundlage für dauerhaftes Vertrauen in die Euro- derungen für die internationale Sicherheit stellen, von Zone wiederherzustellen. Wir haben seit November in denen es wahrlich genug gibt. Doch allein können wir Europa eine gemeinsame Bankenaufsicht. Wir haben die diesen Weg nicht beschreiten. Es kommt auf Russland Situation, dass zum Jahresanfang 2015 die gemeinsame an, darauf, ob es unser Angebot des Dialogs auf der Bankenabwicklungsbehörde ihre Arbeit aufnimmt. Der Grundlage der Werte der europäischen Friedensordnung gemeinsame Abwicklungsfonds wird ab nächstem Jahr aufgreift. schrittweise errichtet. Wir können Bankenkrisen besser vorbeugen, und wir können den Menschen vor allen Solange wir dieses Ziel noch nicht erreicht haben, Dingen sagen: Nicht der Steuerzahler wird zuerst zur bleibt drittens, dass auch Sanktionen weiterhin unver- Kasse gebeten. Darauf mussten wir hinarbeiten. Das wa- meidlich sind. Ich will jedoch noch einmal betonen: ren wir den Menschen nach der Finanzkrise schuldig, Selbstzweck waren sie nicht und sind sie nicht. meine Damen und Herren. Meine Damen und Herren, das Jahr 2014 war auch (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (B) das Jahr der Europawahlen, die im Mai stattfanden. Sie neten der SPD) (D) haben eins gezeigt, nämlich dass die Menschen von der Wir können außerdem feststellen, dass in den von der Europäischen Union nicht erwarten, dass sich die Euro- Krise besonders betroffenen Ländern die Wettbewerbs- päische Union für alles zuständig fühlt. Vielmehr haben fähigkeit steigt, die Leistungsbilanzdefizite sinken, sie ein klares Signal gegeben, dass sich die Europäische Haushaltsdefizite abgebaut werden. Mit Irland, Portugal Union auf das Wesentliche, auf die großen Zukunftsfra- und Spanien haben drei von fünf Ländern ihre Hilfspro- gen konzentrieren möge, die ein Land allein in dieser gramme erfolgreich abgeschlossen. Auch wenn noch globalen Vernetzung nicht mehr bewältigen kann. Des- viel zu tun bleibt, sind auch in Griechenland die Aus- halb ist es von so großer Bedeutung, dass der Europäi- sichten wesentlich besser als vor zwei Jahren. sche Rat im Juni erstmals eine strategische Agenda für die nächsten fünf Jahre beschlossen hat – gemeinsam mit Dies alles wäre nicht möglich gewesen ohne ent- der Kommission, in großer Übereinstimmung mit dem schlossenes Handeln der einzelnen Länder und ohne ent- Europäischen Parlament. Diese strategische Agenda schlossenes und solidarisches gemeinsames Handeln auf setzt genau dieses Signal. Die große Herausforderung europäischer Ebene. Aber wir sind noch nicht am Ziel; der kommenden Monate und Jahre bleibt, Europa zu denn die wirtschaftliche Erholung bleibt fragil. Vor al- neuer und vor allem auch wirtschaftlicher Stärke zu füh- lem die Arbeitslosigkeit, allen voran die der jungen ren. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union und Menschen, ist in Teilen Europas immer noch viel zu die europäischen Institutionen werden dies nur gemein- hoch, und die Architektur der Wirtschafts- und Wäh- sam, also mit vereinter Kraft, erreichen. rungsunion hat nach wie vor Schwachstellen. Aber ich bin mir sicher: Wenn wir weiter entschlossen handeln, Vor sechs Jahren nahm die weltweite Finanzkrise in dann werden wir am Ende feststellen können, dass Eu- den USA ihren Anfang. Ihr folgte kurz darauf mit der ropa aus dieser Krise stärker hervorgegangen sein wird, europäischen Staatsschuldenkrise die schwerste Krise als es in sie hineingegangen ist. Dies ist und bleibt auch Europas in unserer Generation. Wir haben diese Krise im der Anspruch der Bundesregierung. Griff, aber wir haben sie eben nicht endgültig überwun- den. Es ist so, wie ich es wieder und wieder gesagt habe: Dazu genügt es nicht, die immer noch in vielen Län- Es gibt keine schnellen und es gibt keine einfachen Lö- dern spürbaren Folgen der Krise zu bekämpfen. Viel- sungen. Es gibt auch nicht den einen Paukenschlag, der mehr müssen wir, um zukünftige Krisen zu verhindern, all diese Probleme über Nacht und auf Dauer aus der vor allem auch die Krisenursachen beseitigen. Deshalb Welt schaffen würde. Die Überwindung dieser Krise braucht es einen umfassenden Ansatz für diese Krisen- geht nur Schritt für Schritt. Vor allem gelingt dies nur bewältigung und eine Krisenvorsorge. Diesen Ansatz ha- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7197

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) ben wir von Anfang an konsequent verfolgt, aber er schlossen haben: Wir haben seit 2012, ausgehend vom (C) muss jetzt fortgesetzt werden. Dabei bleiben drei Bau- Pakt für Wachstum und Beschäftigung, eine Vielzahl steine gleichermaßen wichtig. von Maßnahmen und Elementen auf den Weg gebracht; das zeigt sich auch in der neuen mittelfristigen Finan- Erstens. Die wachstumsfreundliche Konsolidierung ziellen Vorausschau. muss fortgesetzt werden. Dass 2013 das durchschnittli- che Haushaltsdefizit im Euro-Raum mit 2,9 Prozent erst- Aber wir prüfen eben auch, was darüber hinaus jetzt mals seit 2008 wieder unter der Maastricht-Grenze gele- noch getan werden muss. Genau das wird im Mittel- gen hat, zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. punkt des heute und morgen stattfindenden Europäi- schen Rates stehen. Dafür brauchen wir, zusammen mit Meine Damen und Herren, ich will in diesen Tagen, den anderen Bausteinen, wo die Zinsen besonders niedrig sind, noch einmal daran erinnern, welche Sorgen wir hatten, als in vielen Län- (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ja, was dern der Euro-Zone die Zinsen mehr als doppelt und jetzt?) dreifach so hoch waren, wie sie heute sind. Es ist des- eben auch Maßnahmen für Investitionen; wir brauchen halb entscheidend, dass wir auch die Regeln des gestärk- Maßnahmen zum Abbau von Bürokratie. Beides wird ten Stabilitäts- und Wachstumspaktes glaubwürdig an- auf der Tagesordnung stehen. Aus all diesen drei Bau- wenden; denn nur so kann der Pakt seine Funktion steinen entsteht dann unsere Gesamtstrategie. erfüllen. Seine Funktion war ja nicht nur, die Regelun- gen umzusetzen, die damit getroffen wurden, sondern Der neue Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker vor allem auch Vertrauen aufzubauen, um zu zeigen, hat Ende November seinen Investitionsplan für Europa dass wir verantwortlich handeln. Wir werden die Kom- vorgestellt, mit dem in den nächsten Jahren erhebliche mission auch in Zukunft in der Wahrnehmung dieser zusätzliche Investitionen mobilisiert werden sollen. Verantwortung für die Einhaltung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes unterstützen. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Das wird richtig rumsen!) Zweitens. Wir brauchen Strukturreformen für Wettbe- werbsfähigkeit, Wachstum und Beschäftigung. Gut Es gibt eine gemeinsame Taskforce von Kommission, funktionierende Arbeitsmärkte, wettbewerbsfähige Pro- Europäischer Investitionsbank und Experten der Mit- duktmärkte und eine effiziente öffentliche Verwaltung gliedstaaten. Sie hat sich die Investitionsentwicklung in sind für uns alle eine Daueraufgabe. Nur so können wir Europa sehr genau angeschaut. Sie hat Investitions- im globalen Wettbewerb mithalten; denn – das spürt man hemmnisse und mögliche Lösungsansätze aufgezeigt und hat begonnen, sich auch mit einzelnen Projekten der (B) immer wieder – die Welt wartet nicht auf Europa. Wenn (D) wir unser europäisches Modell, ein Modell, das wirt- Mitgliedstaaten zu befassen. schaftlichen Erfolg und soziale Verantwortung in beson- Wirtschaftsminister Gabriel und Finanzminister Schäuble derer Weise verbindet, auch im 21. Jahrhundert zu dau- haben vor zwei Wochen zusammen mit ihren französi- erhaftem Erfolg führen wollen, dann müssen wir uns schen Kollegen eine Reihe von Vorschlägen gemacht. weiter und zum Teil auch mehr anstrengen, jeden Tag Auch ich werde noch einmal mit dem französischen Prä- aufs Neue. Wir sehen Dynamik in vielen Wirtschaftsräu- sidenten darüber sprechen, was wir – gerade Deutsch- men der Welt. Deshalb sind wir gefordert. Dass die Wirt- land und Frankreich gemeinsam – zu diesen Investitions- schaft eines Landes, wie zum Beispiel in Irland, das die- projekten beitragen können. Denn wir wissen: Wenn sen Weg der Reformen in den letzten Jahren sehr Deutschland und Frankreich gemeinsam klare Vorstel- konsequent gegangen ist, heute kräftig wächst, dass die lungen haben, Investitionen anziehen und die Arbeitslosigkeit Schritt für Schritt zurückgeht, zeigt, was entschlossenes Han- (Zuruf des Abg. Sven-Christian Kindler deln bewirken kann. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Drittens: die Förderung von Wachstum, Beschäfti- dann ist das gut für Europa. gung und Investitionen. Wir tun dies auf nationaler Ebene, und wir investieren damit nicht nur in eine gute Wir haben jetzt eine gute Grundlage für die heute be- Zukunft Deutschlands, sondern wir leisten damit natür- ginnenden Beratungen. Aber für mich sind folgende lich auch einen Beitrag zu einer guten Zukunft Europas. Punkte entscheidend: Es sind und bleiben die Unterneh- Denn jeder Mitgliedstaat der Wirtschafts- und Wäh- men, die Arbeitsplätze und Innovationen schaffen. rungsunion – das ist ja die Lehre aus der Krise – trägt (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Verantwortung nicht nur für sich selbst, sondern gleich- neten der SPD) zeitig auch immer für die gesamte Euro-Zone und für die Europäische Union als Ganze. Deshalb müssen wir un- Es muss also vor allem um die Mobilisierung privater serer Gesamtverantwortung gemeinsam gerecht werden, Investitionen gehen. Ich begrüße deshalb ausdrücklich, indem wir die nationalen Anstrengungen für mehr Wett- dass dies auch die zentrale Stoßrichtung der Vorschläge bewerbsfähigkeit, Wachstum und Beschäftigung von eu- von Jean-Claude Juncker ist. ropäischer Seite so gut wie möglich unterstützen. Es muss darüber hinaus sichergestellt werden, dass Dafür müssen wir zum einen die bestehenden Instru- zusätzlich mobilisierte Mittel sinnvoll und effektiv ein- mente nutzen, die wir auf europäischer Ebene bereits be- gesetzt werden. 7198 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE sichtbar gemacht wurde: Wie kommen wir voran? – Da (C) GRÜNEN]: Ja, das stimmt! Aber nicht mit den konnte man das jederzeit nachvollziehen. 90 Milliarden, die Sie aufgeschrieben haben!) Nicht zuletzt bleibt die Stärkung der Rahmenbedin- Wir müssen in Zukunftsbereiche investieren. Es müssen gungen für Investitionen und Wachstum, national wie Zukunftsbereiche sein, die der strategischen Agenda, die europäisch, ein entscheidender Faktor. wir im Juni beschlossen haben, entsprechen. Dazu gehö- (Dr. [BÜNDNIS 90/DIE ren zum Beispiel die digitale Wirtschaft, kleine und mitt- GRÜNEN]: Das ist doch grotesk!) lere Unternehmen, der Energiebereich, gegebenenfalls die Elektromobilität, Das bedeutet Strukturreformen in den Mitgliedstaaten. Aber es bedeutet eben auch, dass wir uns auf europäi- (Zurufe der Abg. Dr. Wolfgang Strengmann- scher Ebene überlegen: Was sind die wichtigen Rechts- Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und setzungsvorhaben? Ich bin sehr froh, dass sich die Kom- Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE mission in einem ersten Anlauf an die 70 Projekte GRÜNEN]) vorgenommen hat und gefragt hat: Brauchen wir sie also Dinge, mit denen wir unsere Wettbewerbsfähigkeit noch – wir verhandeln darüber seit Jahren, und es gibt verbessern, meine Damen und Herren. Wir müssen in immer noch Widerstände –, oder können wir sie nicht Zukunftsprojekte investieren, also in Projekte, die wirt- von der Tagesordnung nehmen und durch andere Pro- schaftlich sinnvoll sind und die nachhaltiges Wachstum jekte ersetzen? Ich begrüße das außerordentlich. fördern. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- neten der SPD) NEN]: Damit haben die Maßnahmen Ihrer Ein wichtiger Rahmen, um immer wieder zu prüfen, Bundesregierung aber nichts zu tun! – Weitere ob die Mitgliedstaaten die notwendigen Strukturreformen Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) durchführen, ist das sogenannte Europäische Semester. – Ich weiß gar nicht, warum Sie so aufgeregt sind. Auch Deutschland bekommt hier länderspezifische Vor- gaben. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Weil Worte und Taten nicht zusammen- (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- passen! Deshalb! – Weiterer Zuruf vom NEN]: Ja, es geht jetzt vor allem um die Strei- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Weil wir die chung von Sozial- und Umweltstandards!) Liste gesehen haben!) Wir werden uns weiter damit befassen, wie wir diese (B) Ich unterstütze die Idee, die Europäische Investitions- bestmöglich umsetzen können. Es geht natürlich auch (D) bank zu nutzen, um Projekte auszuwählen, die genau um wichtige europäische Rechtssetzungsakte. diese Kriterien erfüllen. Ich will es wiederholen: Gerade bei der Digitalen (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- Agenda werden die notwendigen Investitionen in die NIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das tut sie ge- Breitbandstruktur allein nicht reichen, wenn nicht der rade nicht! – Weitere Zurufe des Abg. Özcan richtige rechtliche Rahmen gesetzt ist. Dazu gehören das Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Telekommunikationspaket und die Datenschutz-Grund- verordnung, über die intensiv verhandelt werden muss. Es ist nämlich wichtig, den Weg über die Europäische Wir werden darum ringen müssen, den persönlichen Da- Investitionsbank zu gehen, weil nur so sichtbar wird, wo tenschutz in eine vernünftige Balance mit der Investi- es rentable Projekte gibt, bei denen auch privates Kapital tionsmöglichkeit in der digitalen Wirtschaft zu bringen. mit einsteigt. Die Politik kann diese Auswahl nicht tref- Das wird uns noch viel Kraft kosten. fen, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) neten der SPD) Dazu gehört genauso die Energieunion, die eine der obwohl Sie ja offensichtlich Interesse daran haben. strategischen Prioritäten der neuen Kommission ist. Wir Wir in der Bundesregierung stellen uns vor, dass die brauchen mehr Verbindungen zwischen den europäi- ausgewählten Projekte so rasch wie möglich in einem schen Mitgliedstaaten, insbesondere einen Anschluss Projektbuch sichtbar werden, der iberischen Halbinsel an das kontinentaleuropäische Stromnetz. Aber auch für Deutschland können die Inter- (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Sehr gut! – konnektoren noch besser ausgebaut werden. Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Anton Hofreiter Dazu gehört natürlich auch eine Entlastung kleiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja ab- und mittlerer Unternehmen von unnötiger europäischer surd!) Bürokratie. Dies sollte auch Maßstab bei neuen EU-Re- gelungen sein. Wir hier in Deutschland, wie einige an- damit nachverfolgt werden kann: Was wird jetzt wirklich dere Mitgliedstaaten auch, sind mit dem Normenkon- umgesetzt? Was ist der Mehrwert eines solchen Investi- trollrat sehr gut aufgestellt, weil wir eine Vorstellung tionsprogramms? – Ich erinnere uns einmal an die Ver- davon bekommen, was Bürokratie verursacht. Aber in kehrsprojekte „Deutsche Einheit“, bei denen sehr schön Europa insgesamt sind wir noch nicht ganz so weit. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7199

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie (C) GRÜNEN]: Sagen Sie mal was zur Pkw- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Maut!) GRÜNEN) Dazu gehören übrigens auch – der nächste Punkt wird Ich habe mit Donald Tusk als polnischem Minister- Sie noch mehr erfreuen – die laufenden Verhandlungen präsidenten intensiv, vertrauensvoll und freundschaftlich über die Freihandelsabkommen. zusammengearbeitet. Ich habe ihn als leidenschaftlichen, überzeugten und überzeugenden Europäer kennenge- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – lernt. Ich freue mich darauf, heute Nachmittag gemein- Beifall bei Abgeordneten der SPD – Lachen sam mit ihm und meinen Kolleginnen und Kollegen an des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/ die Arbeit zu gehen. DIE GRÜNEN]) Es geht jetzt darum, entschlossen das umzusetzen, Gerade Deutschland als Exportnation muss für den Welt- was wir uns in unserer strategischen Agenda vorgenom- handel offen bleiben. Ich bin überzeugt, dass die Chan- men haben – für ein Europa, das auch in Zukunft sein cen für Wachstum und Beschäftigung die Risiken der Versprechen des Friedens, der Freiheit und des Wohl- Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten von stands für seine Bürgerinnen und Bürger einlösen kann. Amerika und mit Kanada bei weitem übersteigen. Dabei zähle ich auf Ihre Unterstützung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Herzlichen Dank. neten der SPD – Dr. Anton Hofreiter [BÜND- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Koalitionspart- ner ist auch total glücklich!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich habe neulich schon darüber berichtet, dass in an- Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem deren Teilen der Welt sehr viele Freihandelsabkommen Kollegen Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke. abgeschlossen werden. Wir sollten die Chance nutzen – ich wiederhole es –, sie in unserem Sinne mitzugestal- (Beifall bei der LINKEN) ten und dafür zu sorgen, dass hohe Standards, wie wir sie in Europa etwa beim Verbraucherschutz und beim Um- Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): weltschutz haben, auch international festgeschrieben Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bun- werden. Das ist im Sinne der Verbraucherinnen und Ver- deskanzlerin! Die Ängste in unserer Bevölkerung neh- braucher in Europa. men dramatisch zu. Sie artikulieren sich immer stärker (B) rechts. Ich erinnere an Dresden und PEGIDA, an Köln (D) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- und HoGeSa. Ich weiß sehr wohl, dass Rechtsextremis- neten der SPD – Dr. Anton Hofreiter [BÜND- ten und Rechtspopulisten diese Ängste ausnutzen. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Darum geht es aber nicht im Freihandelsabkommen!) Ich meine allerdings, dass diejenigen, die dort mitlau- fen, durchaus wissen, wem sie hinterherlaufen. Der Investitionsplan der neuen Kommission benennt wichtige Handlungsfelder für die Schaffung eines inves- (Beifall bei der LINKEN) titionsfreundlichen Umfelds. Ich werde mich dafür ein- Deshalb müssen wir uns ernsthaft mit ihnen auseinan- setzen, dass wir einen vernünftigen zeitlichen Fahrplan dersetzen. Das heißt aber nicht, dass wir diese Bürgerin- haben und die Investitionen überprüfbar jetzt auf den nen und Bürger aufgeben dürfen. Ich meine allerdings Weg bringen. nicht die Funktionäre der rechtsextremistischen und Meine Damen und Herren, wir müssen weiterhin da- rechtspopulistischen Parteien; die sind für mich erledigt. ran arbeiten, die Architektur der Wirtschafts- und Wäh- Ich meine die anderen Bürger, die dort mitlaufen. rungsunion dauerhaft krisenfest zu machen. Ich bin un- Aber wie können wir sie erreichen? Wie können wir verändert der Überzeugung, dass wir eine engere und die Leute aus der Mitte der Gesellschaft wieder in die verbindlichere wirtschaftspolitische Koordinierung brau- demokratischen Strukturen zurückholen? Ich sage es chen. Sie muss enger und verbindlicher sein, als sie es hier ganz offen, Herr Kauder, Herr Hofreiter, Frau heute ist; zumindest im Euro-Raum. Aufgabe der nächs- Göring-Eckardt und Herr Oppermann: Wir alle haben ten Wochen und Monate wird es sein, dafür eine gemein- versagt. Alle Abgeordneten, mich eingeschlossen, haben same Grundlage zu schaffen. versagt. Wir haben nicht genügend für die Aufklärung getan. Wir denken immer, dass unsere Überlegungen Der letzte Europäische Rat im Gedenkjahr 2014 ist auch die Überlegungen der Bevölkerung sind. Wir haben der erste, der von dem neuen Präsidenten Donald Tusk nicht genügend dafür getan, dass die Menschen wirklich geleitet wird. Wir haben die Personalien nach der Euro- wissen und fühlen, dass die überwiegende Mehrheit der pawahl neu geordnet. Dass 25 Jahre nach der friedlichen Menschen islamischen Glaubens völlig friedlich und ge- Revolution in Mittel- und Osteuropa ein ehemaliger pol- waltfrei ist. Es gibt nur einen furchtbaren, schrecklichen nischer Ministerpräsident an der Spitze des Europäi- Teil, der die Ausnahme darstellt. Diese Unterscheidung schen Rates steht, hat eine hohe Symbolkraft, nicht nur müssen wir in den Medien, in der Kultur und in der Poli- für unsere polnischen Nachbarn; denn das Freiheitsstre- tik endlich deutlich machen, um die Leute aufzuklären. ben, gerade der Polen, hat die Überwindung der Teilung Europas und Deutschlands erst möglich gemacht. (Beifall bei der LINKEN) 7200 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Dr. Gregor Gysi (A) Natürlich ist der „Islamische Staat“ furchtbar. Die Ta- Nicht Deutschland ist für all das verantwortlich, sondern (C) liban sind furchtbar. Der Tod von über 130 Kindern hat diese fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates. Ich mich extrem schockiert. Das ist durch nichts, aber auch finde, das müssen wir täglich erklären und daran erin- wirklich gar nichts zu rechtfertigen. Die Verurteilung nern. dieser Tat ist einhellig. Aber was tun wir nun dagegen? Nun hören die Menschen vom „Islamischen Staat“ Ich schlage Folgendes vor: Wir Fraktionsvorsitzen- und von den Taliban und können sich die Nachrichten den, die Vizepräsidentinnen und Vizepräsidenten des darüber gar nicht erklären. Wie ist es so gekommen? Bundestages und der Bundestagspräsident müssen uns Darf ich versuchen, es Ihnen anhand des „Islamischen zusammensetzen und überlegen, wie wir eine Aufklä- Staats“ kurz zu erklären? Der „Islamische Staat“ ist aus rungs- und Verhinderungsstrategie entwickeln können, al-Qaida entstanden. Wer hat al-Qaida gegründet? Die und zwar unter Einschluss des Bundesrates, der Bundes- USA damals in Afghanistan im Kampf gegen die So- regierung, der Länderparlamente, der Landesregierun- wjetunion. gen, der Kommunalparlamente, der Bürgermeisterinnen (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE und Bürgermeister, aller demokratischen Parteien im GRÜNEN]: Wie war das jetzt mit dem Kalten Bundestag, aber auch der Gewerkschaften, der Kirchen, Krieg?) der Religionsgemeinschaften, der Wissenschaft, der Kunst, der Kultur und des Sports. Wenn wir nicht ge- – Damals! Dass es jetzt nichts mehr damit zu tun hat, meinsam ein Zeichen setzen – wir müssen erstens sagen, weiß ich doch selbst. Frau Göring-Eckardt, Sie sind wie wir die Aufklärung leisten und finanzieren wollen, nicht so viel schlauer. Hören Sie mir einmal zu! Ich und zweitens deutlich machen, dass wir eine Tabugrenze werde Ihnen sagen, was das Problem ist. Diese Geheim- ziehen –, dann versagen wir in dieser Gesellschaft, und dienste und diese Regierungen halten sich immer für dazu haben wir nicht das Recht. oberschlau, gründen etwas und wissen nicht, was letzt- lich dabei herauskommt. Es war übrigens der israelische (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Geheimdienst, der als Konkurrenz zur PLO die Hamas Thomas Oppermann [SPD] – Volker Kauder gegründet hat. Das war sehr klug, da haben sie voll in [CDU/CSU]: Sie sollten keine Tabugrenzen den Glückstopf gegriffen, kann ich nur sagen. Dasselbe formulieren, die Sie selber nicht einhalten!) gilt für al-Qaida. Wir müssen mit diesen Spielereien in Aber wodurch entstehen diese Ängste? Wir müssen der Welt aufhören. Es wird höchste Zeit. das analysieren. Es gibt eine Weltfinanzwirtschaft, die (Beifall bei der LINKEN) sehr viel Macht ausübt, die viel mächtiger ist als die Weltpolitik, die auch überhaupt nicht strukturiert ist. Jetzt komme ich auf etwas anderes zu sprechen. Frau (B) Überall nehmen die Kriege zu. Staaten wurden zerstört Bundeskanzlerin, Sie haben sich zu den Berichten über (D) oder haben sich zerstört. Mit wachsenden Ängsten sehen die Folter der CIA in Gefängnissen überhaupt nicht ge- die Menschen in beide sudanesische Staaten, nach So- äußert. malia, nach Libyen, nach Syrien, in den Irak und auch in (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Dazu die Ukraine. Sie sehen keine Struktur der Verantwortli- hatten wir gestern eine Aktuelle Stunde!) chen, kein Bemühen, diese Fragen wirklich zu lösen. Ich habe es schon einmal gesagt: Im Kalten Krieg hatten wir Warum nicht? Es ist ein schrecklicher Bericht, es ist ein eine Struktur. Wir können froh sein, sie losgeworden zu furchtbarer Bericht. Es ist entsetzlich, was Menschen sein. Aber es ist keine neue geschaffen worden. Das ist Menschen antun können, und Sie äußern sich nicht dazu. das Problem. Geht dieses Duckmäusertum schon wieder los? (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wie bitte?) Mit Sorge sehen die Menschen auch das völlig ge- störte Verhältnis der USA, der NATO und der EU zu Was hätten Sie denn gesagt, wenn es einen solchen Be- Russland. Wohin soll das Ganze führen? Viele Autoren, richt über Russland gegeben hätte? Was hätten Sie ge- darunter ein früherer Bundespräsident und ein früherer sagt, wenn es einen solchen Bericht über einen afrikani- Bundeskanzler, warnen uns vor einem neuen Krieg in schen Staat gegeben hätte? Sie hätten nach Sanktionen, Europa. nach allem Möglichen gerufen. Aber bei den USA schweigen Sie nur. Geben Sie Ihr Duckmäusertum auf. Ich muss immer daran denken, dass wir fünf ständige Wir müssen uns immer gegen Folter stellen, auch in den Mitglieder des Sicherheitsrates haben. Diese Staaten, USA. USA, China, Russland, Großbritannien und Frankreich, sind einzigartig privilegiert. Im höchsten Organ, das sich (Beifall bei der LINKEN) die Menschheit geschaffen hat, im Sicherheitsrat der Or- Ich sage Ihnen: Der Höhepunkt ist, dass die USA so- ganisation der Vereinten Nationen, hat jede einzelne die- gar die Anti-Folter-Konvention unterschrieben haben ser Regierungen das Recht, jeden Beschluss zu verhin- und glauben, sich danach nicht richten zu müssen. Ich dern. Ich finde, wir erinnern diese fünf Regierungen viel sage auch ganz klar: Die USA haben deutlich gemacht, zu wenig daran, dass damit auch eine besondere Verant- dass es keine justizielle Verantwortung geben wird. Ich wortung verbunden ist, der sie bisher nicht gerecht wer- hoffe, dass unser Generalbundesanwalt die notwendigen den. Ermittlungen durchführt. Das kann dann auch Ergeb- (Beifall bei der LINKEN) nisse zeigen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7201

Dr. Gregor Gysi (A) Wissen Sie, das ist dasselbe wie bei der NSA. Die Diese Unsicherheiten, diese abstrakten Ängste führen zu (C) NSA spioniert uns vollständig aus und betreibt auch dem, was wir jetzt erleben. Ich sage es noch einmal: Wir Wirtschaftsspionage. Was machen Sie dagegen? Nichts. müssen jetzt alle aktiv werden. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Was Frau Bundeskanzlerin, was ich nicht verstehe: Sie machen Sie gegen die russische Spionage, ge- wirkten am Beginn der Auseinandersetzung mit Russ- gen die chinesische Spionage? Sie sind einäu- land in Bezug auf die Ukraine ja eher besonnen, eher als gig!) eine, die mäßigend wirkt. Jetzt sind Sie zur Scharfma- cherin geworden. Warum eigentlich? Ich sage Ihnen: Dieses Duckmäusertum gegenüber den (Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Oh! USA ist nicht länger erträglich und stört immer mehr – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE Menschen in Deutschland. GRÜNEN]: Das ist ein solcher Schmarrn!) Nun zu CETA und TTIP. Sie sind ja so dafür, Frau Glauben Sie denn ernsthaft – auch Sie von der SPD –, Bundeskanzlerin. Erklären Sie doch einmal den Leuten, dass es Frieden und Sicherheit in Europa ohne und gegen was es bedeutet, wenn wir ein Verbot von Investitions- Russland gibt? Das ist eine naive Vorstellung. Da war hemmnissen haben. Es bedeutet, dass man für einen die SPD unter Brandt schon mal sehr viel weiter. Sehr amerikanischen Konzern keine Steuern erhöhen darf und viel weiter! dass man nicht mehr Mitbestimmung einführen darf. Sie machen Politik unmöglich. Erklären Sie doch einmal (Beifall bei der LINKEN) auch der mittelständischen Wirtschaft folgenden Unter- Was wollen Sie erreichen? Ich sage Ihnen, was der schied: Wir haben eine vorsorgende Prüfung, wenn neue große Vorteil der Europäischen Union ist. Lebensmittel oder anderes auf den Markt kommen. Man muss erst beweisen, dass das neue Produkt nicht schäd- (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lich ist. Das kennen die USA gar nicht. Sie kennen es NEN]: Das ist einfach wirr, was Sie da sagen!) nur so, dass es Schadenersatz gibt, wenn sich später he- Der große Vorteil der Europäischen Union ist, dass die rausstellt, dass etwas nicht gesund war. Das Ergebnis ist, Staaten politisch, ökonomisch und zivilgesellschaftlich dass sie acht Jahre früher auf den Markt gehen können so sehr miteinander verflochten sind, dass ein Krieg zwi- als unsere Unternehmen. Wollen sie unsere Unterneh- schen ihnen, zumindest rational, gar nicht mehr vorstell- men derart benachteiligen? bar ist. Wir brauchen auch deshalb gute Beziehungen zu Russland, um jede kriegerische Variante im Verhältnis Der absolute Höhepunkt sind für mich die Schiedsge- zwischen Europa und Russland für immer auszuschlie- richte. Sie schließen die Rechtsordnung und die ordentli- ßen und auf die Entwicklung Russlands Einfluss zu ha- (B) chen Gerichte in der Bundesrepublik Deutschland ben. Ich finde den Weg, den Sie mit den Sanktionen ge- (D) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wir hen, völlig falsch. haben doch schon über 130 solcher Regelun- (Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse- gen! Sollen wir die alle abschaffen?) Brömer [CDU/CSU]: Amerika böse, Russland gut – so einfach ist die Rede!) – auch in Frankreich und in anderen Ländern – aus. Das ist ein völlig falscher Weg. Das Nächste ist, dass nicht nur ich, sondern auch an- dere der Meinung sind, dass die EU noch nie so gefähr- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: det war wie heute. Sehen Sie mal: Kern der EU sind die Wieso?) Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich. Ich war gerade in Frankreich. Ich habe eine solche Ableh- Wenn Sie meinen, dass es das schon einmal gab, dann nung der Bundesregierung wie gegenwärtig in Frank- sollten Sie diesen Schritt nicht wiederholen, meine sehr reich früher niemals gespürt. verehrten Damen und Herren von der Union. Wirklich nicht! ( [CDU/CSU]: Oje, Sie Ar- mer! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Wo waren (Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse- Sie denn? – Gegenruf des Abg. Dr. Michael Brömer [CDU/CSU]: Über 130 Mal! Zum Fuchs [CDU/CSU]: Bestimmt bei den Sozia- Wohle deutscher Unternehmen!) listen! Wo sonst? – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Jedenfalls wollen die die deut- Ich sage: Das geht überhaupt nicht. sche Kanzlerin – wenn sie wählen könnten!) Nun komme ich zum nächsten Punkt. Die Menschen, Die dortige Sozialistische Partei ist in den Umfragen so- über die ich gesprochen habe – ich meine die, die auf die wieso schon so gut wie am Ende. Die sagen mir: Sozial Straße gehen –, sind tief verunsichert. Es kommen noch haben wir Frankreich schon geschliffen. Die deutsche weitere Unsicherheiten hinzu. Sie wissen nicht: Sind Kanzlerin und die Bundesregierung wollen aber, dass ihre Jobs noch sicher? Sie wissen nicht: Kommen sie aus wir den Sozialstaat abschaffen. – Das aber geht nicht. der prekären Beschäftigung heraus? Sie wissen nicht: Schon bei Gründung der Fünften Republik Frankreichs Können sie ihre Stromrechnung noch lange begleichen? gehörte der Sozialstaat dazu. Es ist nicht unsere Auf- gabe, die Franzosen zu drängeln, diesen kaputtzumachen – (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Gibt es ganz im Gegenteil. auch im nächsten Jahr wieder Rekordbeschäf- tigung?) (Beifall bei der LINKEN) 7202 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Dr. Gregor Gysi (A) Nehmen Sie Südeuropa. Die Arbeitslosigkeit unter Eines sage ich Ihnen – hören Sie zu –: Sie wirken in (C) Jugendlichen liegt dort zwischen 50 und 60 Prozent. Was der gesamten Situation überfordert. soll eigentlich aus diesen Jugendlichen werden? Was (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Zu- glauben Sie, was die mir erzählen, wenn ich sie nach Eu- rufe von der CDU/CSU und der SPD: Oh!) ropa befrage? Ich kann mir schon vorstellen, in welche Richtung das geht. Merken Sie denn nicht, dass wir das – Ja. – Was nicht geht, ist, dass ein Konzern nur eine ganz anders gestalten müssen? Aus friedenspolitischen kleine Gebühr bzw. einen geringen Betrag bezahlt, sich und historischen Gründen können wir uns überhaupt die Europäische Investitionsbank dann Riesensummen nicht erlauben, die EU kaputtzumachen. von den Privatbanken holt – dies natürlich garantiert –, (Max Straubinger [CDU/CSU]: Das tun wir ja (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ja, ja! Ist schon auch nicht!) klar!) Das sind wir unserer Bevölkerung schuldig. Ich sage Ih- und wenn der Konzern das Geld zurückzahlt, ist es gut, nen aber auch – auch wenn es Ihnen nicht passt –: Das und wenn nicht, bezahlen wieder einmal alle Steuerzah- sind wir auch den diesbezüglichen – ich betone: den lerinnen und Steuerzahler. Damit muss endlich Schluss diesbezüglichen – Leistungen von Adenauer, Erhard, sein, in Europa und in Deutschland. Kiesinger, Brandt, Schmidt, Kohl und Schröder schul- dig. Wir dürfen die EU nicht kaputtmachen – ganz im (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Gegenteil. Volker Kauder [CDU/CSU]: Sagen Sie mal, wo Sie Ihr Geld versteckt haben von der (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wovon SED!) reden Sie eigentlich?) Wir brauchen Frieden, wir brauchen die EU, und wir Nun hat Herr Juncker – an der Spitze der EU – ent- brauchen endlich den sozialen Ausgleich, und zwar so- schieden, dass man private Investitionen fördern soll. wohl in Europa als auch in Deutschland. Jetzt muss ich der Bevölkerung einmal erklären, wie das aussieht. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sagen Sie mir mal, wo Sie als Parteivorsitzender Ihr Geld (Thomas Oppermann [SPD]: Sie Volksredner, versteckt haben!) Sie!) Sorgen Sie dafür, Herr Kauder, und quatschen Sie nicht Präsident Dr. Norbert Lammert: einfach dummes Zeug, um auch das einmal klar zu sa- gen. Sie müssen sich dabei ein bisschen beeilen, Herr (B) Gysi. Eigentlich besteht dafür nämlich gar keine Zeit (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder (D) mehr. [CDU/CSU]: Ja, ja! Sagen Sie mir mal, wo Sie Ihr Geld versteckt haben von der SED! Sie wa- Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): ren der letzte Parteivorsitzende!) Schön, dann komme ich zum Schluss, Herr Bundes- tagspräsident. Präsident Dr. Norbert Lammert: (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Gott Das Wort erhält nun der Kollege Thomas Oppermann sei Dank!) für die SPD-Fraktion. Immer wenn hier Interessantes angesprochen wird, bre- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten chen Sie ab. Das tut mir wirklich leid. der CDU/CSU)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Thomas Oppermann (SPD): Herr Kollege Gysi, Sie könnten ja mit dem Interes- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute be- santen anfangen. Dann hätten Sie die nötige Zeit. ginnt die letzte Tagung des Europäischen Rats im Jahr 2014. Ich finde, am Ende eines so krisengeschüttelten (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und Jahres ist es richtig, einmal an den Anfang der Europäi- der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜND- schen Union zu erinnern. NISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse- Brömer [CDU/CSU]: Tja, das hat nicht ge- Die Europäische Union ist die Antwort auf ein Jahr- klappt! Das hat eindeutig nicht geklappt!) hundert der Kriege zwischen den Nationen in Europa. Seit Jahrzehnten ist die Europäische Union die Friedens- macht Europas. Viele hatten das schon vergessen. Mit Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): dem Konflikt zwischen Russland und der Ukraine kehrt Ich weiß gar nicht, Herr Bundestagspräsident, ob Ih- diese Bedeutung jetzt in unser Bewusstsein zurück. Vor nen eine solche Bewertung zusteht; aber ich nehme sie allem junge Menschen merken zum ersten Mal, dass einfach mal hin. Ich fand es übrigens auch bis dahin Frieden in Europa nicht von selbst kommt und dass die schon ziemlich interessant. europäische Friedensordnung zerbrechen kann. Deshalb (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- war es so wichtig, dass die Bundesregierung und die Eu- NEN]: Die Meinung haben Sie aber relativ ex- ropäische Union in diesem Jahr gemeinsam gehandelt klusiv!) haben, dass wir zusammengeblieben sind und dass wir Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7203

Thomas Oppermann (A) alle Chancen für die Deeskalation der Konflikte genutzt durch massive Investitionen diesen Prozess zu unterstüt- (C) haben. zen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD) der CDU/CSU) Wir sollten in Deutschland wieder mehr investieren, Bei all dem Leid und den Sorgen, die der Konflikt um unseren Beitrag zur Gesundung Europas zu leisten. zwischen Russland und der Ukraine mit sich gebracht Investitionen sind nicht nur eine Bedingung für das hat, ist das aber auch eine Chance für die Europäische Wachstum in der Zukunft, sondern sie haben auch einen Union. Es ist die Chance, die Einigung Europas weiter- symbolischen Wert. Ich bin deshalb froh, dass die Wirt- zuentwickeln, es ist die Chance, die tiefe Kluft, die die schafts- und Finanzminister von Deutschland und Frank- Finanz- und Euro-Krise in Europa gerissen hat, wieder reich in der vergangenen Woche gemeinsame Pläne be- zu schließen, und es ist vor allem die Chance, den Euro- schlossen haben, wie Europa wieder neue Arbeitsplätze pafeinden in der AfD, der UKIP und des Front National schaffen kann. etwas entgegenzusetzen, indem wir durch sichtbare Ta- ten einen gemeinsamen Aufbruch in Europa wagen. Es wird immer auch Meinungsverschiedenheiten mit unserem Nachbarn geben. Wir dürfen es aber nicht zu- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten lassen, dass Europa gespalten wird und dass die deutsch- der CDU/CSU) französische Achse zerbricht. Einen Aufbruch brauchen wir vor allem im Kampf (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten um Wohlstand und Wachstum. Solide Finanzen sind die der CDU/CSU) Voraussetzung für nachhaltige Politik. Durch Sparen al- lein gelingt aber noch keine Wende hin zu mehr Wachs- Wenn wir von Strukturreformen reden, dann verste- tum, und auch die Entscheidungen der EZB erzeugen hen manche darunter immer nur Belastungen für die noch kein Wachstum. Die EZB hat in den letzten drei kleinen Leute. Das kann aber nicht das Ziel sein, meine Jahren durch ihre Maßnahmen dafür gesorgt, dass die Damen und Herren. Bei Strukturreformen geht es um die Anleihemärkte stabil geblieben sind und das Zinsniveau Herstellung von Wettbewerbsfähigkeit. Dazu gehört vor niedrig gehalten wurde. Die Bundeskanzlerin hat zu allem die Bekämpfung von Korruption, die Schaffung Recht auf die Vorteile niedriger Zinsen hingewiesen. von Rechtssicherheit für Investitionen und die Reduzie- rung überflüssiger Bürokratie. Letztlich gehört dazu Diese Strategie hat aber auch Risiken und Nebenwir- auch eine gerechte Besteuerung. kungen, und diese Nebenwirkungen belasten vor allem die kleinen Sparer und Anleger. Sie müssen am Ende des Was mich ärgert, ist, dass offenbar immer noch viele (B) Jahres feststellen, dass ihre kleinen Sparvermögen weni- Millionäre in Griechenland nicht besteuert werden, (D) ger wert sind als am Anfang des Jahres. Ich finde, in die- meine Damen und Herren. ser Situation dürfen wir die EZB nicht alleinlassen. Wir (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten brauchen jetzt klare Impulse dafür, dass neben den der CDU/CSU) Strukturreformen auch das Wachstum in Europa in An- griff genommen wird. Was mich ärgert, ist, dass offenbar einzelne Länder in (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Europa ein florierendes Geschäftsmodell mit Steuerer- der CDU/CSU) leichterungen für internationale Konzerne betreiben. Eines ist klar: Es ist auf die Dauer schwer für die De- (Beifall bei der SPD) mokratie in Europa, wenn 25 Millionen Menschen auf Es kann nicht sein, dass die einfachen Leute extreme unserem Kontinent keine Arbeit und kein Einkommen Einbußen erleiden, während die Reichen geschont wer- haben. Europa hat nur dann eine Perspektive, wenn es den. Es kann auch nicht sein, dass die ehrlichen Mittel- gelingt, diese Menschen wieder in Arbeit und Brot zu ständler brav ihre Steuern zahlen, während die großen bringen. Konzerne ihre Gewinne exklusiv dort versteuern, wo sie (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten vorher Sonderkonditionen ausgehandelt haben. Das der CDU/CSU) muss die Kommission jetzt angehen. Neue Arbeitsplätze entstehen durch Innovationen und (Beifall bei der SPD) Investitionen. Deshalb ist das von der EU-Kommission Auch bei der europäischen Transaktionsteuer müssen jetzt vorgeschlagene Investitionspaket auch ein ganz wir endlich vorankommen, damit die Verursacher der Fi- wichtiger Beitrag dafür, die Reformen in einigen Län- nanzkrise angemessen an den Kosten beteiligt werden. dern zu unterstützen. Insbesondere die Regierungen in Die Finanztransaktionsteuer darf nicht auf eine reine Italien und Frankreich zeigen derzeit, dass sie genau die- Steuer auf Aktien reduziert werden, die dann die norma- sen Reformwillen haben. Matteo Renzi hat seine Ar- len kleinen Anleger zahlen. Wir wollen, dass auch Deri- beitsmarktreform gerade gegen heftige Widerstände vate besteuert werden; denn mit einer Schmalspurlösung durch das italienische Parlament gebracht. Frankreich ist niemandem gedient. Herr Schäuble, deshalb kann ich hat einen großen Schritt auf dem Weg hin zu einer Sie nur bitten, in Europa weiterhin für eine Steuer mit ei- schlankeren Verwaltung geschafft. Es nutzt aber nichts, ner breiten Bemessungsgrundlage einzutreten. wenn diese Reformen am Ende durch Proteste auf der Straße untergehen, nur weil wir nicht in der Lage sind, (Beifall bei der SPD) 7204 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Thomas Oppermann (A) Ich bin absolut sicher, dass die einschneidenden Re- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (C) formen, die wir in Europa brauchen, nur dann in den ein- der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- zelnen Ländern akzeptiert werden, wenn die Menschen NISSES 90/DIE GRÜNEN) ganz klar sehen, dass die Lasten, die sich aus diesen Ver- änderungen ergeben, fair auf alle Teile der Gesellschaft Das zu erklären – in diesem Punkt möchte ich Ihnen umgelegt werden. ausdrücklich recht geben, Gregor Gysi; das war der nachdenkliche Teil Ihrer Rede –, ist nicht die Aufgabe Solidarität brauchen wir auch im Umgang mit Flücht- einzelner Minister oder einzelner Fraktionen; das ist die lingen. Aufgabe der gesamten Bundesregierung und des gesam- ten Bundestages. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Was wir da zurzeit erleben, das ist kein Ruhmesblatt für GRÜNEN) Europa. 50 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht, so viele wie nie zuvor seit dem Ende des Zweiten Wir müssen argumentieren, differenzieren, informie- Weltkriegs. Nur ganz wenige von ihnen schaffen es nach ren und aufklären. So können wir den Menschen die Europa. Diese Menschen müssen dann auch noch fest- Ängste nehmen und den Organisatoren von PEGIDA stellen, dass nur einige Länder überhaupt bereit sind, das Wasser abgraben. Wir dürfen nicht zulassen, dass Flüchtlinge aufzunehmen. So darf das nicht weitergehen. PEGIDA das Feindbild des „Islamischen Staates“ auf Europa darf nicht wegschauen, wenn Menschen vor die Flüchtlinge überträgt, die als Opfer dieser Terroristen Krieg und Terror flüchten. bei uns Schutz suchen, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir treten dafür ein, dass sich alle EU-Länder nach ei- Wenn es darum geht, Leben zu retten, dann darf die nem fairen Schlüssel an der Aufnahme von Flüchtlingen Religion keine Rolle spielen. Dann darf es keinen Unter- beteiligen. schied machen, ob jemand Christ, Muslim, Schiit, Sunnit oder Jeside ist. Dann sind alle bei uns willkommen, die Den Menschen, die in Dresden und anderswo demon- Schutz suchen und Schutz brauchen. strieren, müssen wir erklären, dass wir Deutschen eine humanitäre Verpflichtung gegenüber Menschen haben, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (B) die mit knapper Not ihr Leben und das Leben ihrer Kin- der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- (D) der gerettet haben. NISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem Bei PEGIDA würde ich dafür plädieren, dass wir zwi- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- schen den Drahtziehern und den Mitläufern unterschei- geordneten der LINKEN) den. Die Drahtzieher von PEGIDA sind keine Patrioten. Das sind Nationalisten und Rassisten, die Ängste der Und wir müssen klarmachen, dass wir Deutschen wie Menschen schüren und die Gesellschaft spalten wollen. kaum ein anderes Land auf dieser Welt ein ganz handfes- tes ökonomisches Interesse an der Einwanderung haben. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- Ohne die Arbeitnehmer, die in den letzten drei Jahren geordneten der CDU/CSU) aus EU-Ländern zu uns gekommen sind, hätten wir keine Überschüsse in den Sozialkassen. Ohne qualifi- Die Drahtzieher müssen wir bekämpfen. Mit den Mitläu- zierte Arbeitnehmer laufen wir in ein wirtschaftliches fern müssen wir reden. Aber die, die mitlaufen, müssen Desaster. Manche von denen, die in Dresden und an- auch wissen, wem sie hinterherlaufen und von wem sie derswo demonstrieren, sind möglicherweise die Ersten, instrumentalisiert werden. die ihren Arbeitsplatz verlieren würden, wenn wir die Einwanderung von heute auf morgen stoppen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten NISSES 90/DIE GRÜNEN) der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn es heute für manche kein Problem mehr ist, ge- meinsam mit Rechtsextremen und Neonazis zu demon- Aber ich kann auch nachvollziehen, dass viele Men- strieren, dann müssen wir klarmachen: Das ist ein Pro- schen frustriert sind, sich abwenden und nicht verstehen, blem. was die Politik von ihnen will. Zu lange wurde ihnen gesagt, Deutschland sei kein Einwanderungsland. Ich (Beifall im ganzen Hause) finde, die Menschen haben ein Recht darauf, dass wir ih- PEGIDA genießt in diesen Tagen viel Aufmerksam- nen das erklären. Wir brauchen gut ausgebildete Ein- keit in den Medien. wanderer. Wir brauchen klare Regeln für Einwanderung, und wir brauchen eine Willkommenskultur in Deutsch- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Viel zu viel! land. Auch hier jetzt!) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7205

Thomas Oppermann (A) – Deshalb ist es umso wichtiger, lieber Volker, dass wir Wir werden unsere ganze Kraft brauchen, um diese (C) dafür sorgen, dass auch die anderen sichtbar sind, näm- Herausforderungen zu meistern. Darauf sollten wir uns lich diejenigen, die sich für die Flüchtlinge engagieren. konzentrieren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ich wünsche Ihnen schöne Weihnachtsferien. Vielen der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE Dank. GRÜNEN) (Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall bei Ich bin der Integrationsbeauftragten Aydan Özoğuz der CDU/CSU) dankbar, dass sie heute, am Internationalen Tag der Mi- granten, Menschen aus dem ganzen Land ins Auswärtige Präsident Dr. Norbert Lammert: Amt eingeladen hat, um diejenigen zu würdigen, die sich Ich mache vorsichtshalber darauf aufmerksam, dass aus christlichen, humanitären oder aus politischen Moti- wir auch morgen noch eine Plenarsitzung des Deutschen ven heraus engagieren, sich um Flüchtlinge kümmern Bundestages haben; und ihnen dabei helfen, in Deutschland zurechtzukom- men. (Heiterkeit) Das sind übrigens nicht selten Menschen, die sich da- nicht dass sich jemand unverzüglich zum Aufbruch in ran erinnern, dass nach dem Zweiten Weltkrieg Millio- die Weihnachtsferien aufgefordert fühlt. nen Flüchtlinge aus dem Osten in Deutschland eine Nächste Rednerin ist die Kollegin Katrin Göring- Zukunft gefunden haben und dass nach der Wende Mil- Eckardt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. lionen Aussiedler aus Osteuropa nach Deutschland ge- kommen sind und hier freundlich aufgenommen worden sind. Nicht wer am lautesten schreit, ist im Recht, Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): (Beifall bei der SPD) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! sondern diejenigen, die helfen, mit anpacken und solida- Lieber Thomas Oppermann, ich weiß nicht, was Sie risch sind. Das ist die demokratische Mitte der Gesell- nächstes Jahr vorhaben, wir jedenfalls denken, dass wir schaft, und die müssen wir stützen. auch das Jahr 2015 im Parlament gemeinsam verbringen werden. Was mich, ehrlich gesagt, am meisten erschüt- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie tert, ist das, was ich sehe, wenn ich mir Ihre Koalition bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE am heutigen Tag anschaue. 80 Prozent haben Sie angeb- (B) GRÜNEN) lich geschafft. Ich kann nur sagen: Was wir heute gese- (D) hen haben, bedeutet, dass Sie zu 100 Prozent fertig sind. Weil das die letzte Sitzung in diesem Jahr ist, möchte Sie sind fertig miteinander. ich daran erinnern: Heute vor einem Jahr haben wir den Koalitionsvertrag unterzeichnet. Das war keine Liebes- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – heirat und auch keine Wunschkoalition, sondern ein Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Was?) nüchternes Zweckbündnis auf Zeit. Aber ich finde, dass – Sorry, aber wenn man sich anschaut, wer für wen sich die Bilanz nach einem Jahr harter Arbeit sehen las- klatscht, dann kann man nur feststellen: Noch nicht ein- sen kann. Wir haben einen gesetzlichen Mindestlohn. mal die erste Reihe in der SPD-Fraktion klatscht, wenn Wir haben eine Rentenreform, eine Pflegereform, eine die Bundeskanzlerin etwas sagt. Noch nicht einmal die BAföG-Reform und eine EEG-Reform durchgesetzt. erste Reihe in der Unionsfraktion klatscht, wenn Herr Wir haben einen ausgeglichenen Haushalt im Jahr 2015. Oppermann etwas sagt, außer wenn er etwas sagt, bei Wir haben das Elterngeld Plus beschlossen. Wir haben dem fast alle klatschen können. uns auf den Doppelpass verständigt. Wir beginnen im nächsten Jahr mit der weiteren Entlastung der Kommu- (Michaela Noll [CDU/CSU]: Das stimmt doch nen. Am Ende haben wir uns bei allen Schwierigkeiten, gar nicht! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Sie die damit verbunden waren, auf die Frauenquote ver- müssen einen Schatten auf der Pupille haben! – ständigt. Ich finde, wir haben in kurzer Zeit viel bewegt. Christian Petry [SPD]: Falsche Wahrneh- Deutschland ist wirtschaftlich stark geblieben und sozial mung!) gerechter geworden. Diese Koalition hat offensichtlich nichts mehr vor. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Was Sie abgearbeitet haben, ist auf Ihrem Konto. Aber der CDU/CSU) was Sie nicht gemacht haben, ist, sich auf irgendeine Weise mit der Zukunft zu beschäftigen; das haben Sie Ich möchte mich bei allen bedanken, bei der Bundes- heute Morgen erneut gezeigt. Draußen regt sich eine au- kanzlerin und beim Vizekanzler, bei allen Ministerinnen ßerparlamentarische Opposition aus Rechtspopulisten, und Ministern sowie bei allen Kollegen in diesem verunsicherten Modernisierungsverlierern und denen, Hause, die daran mitgewirkt haben. Ich glaube, 2016 die sich eingerichtet haben und keine Veränderung wol- wird ein Jahr großer politischer Herausforderungen. len; diesen reden Sie nach dem Mund. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE Ihre Politik der asymmetrischen Demobilisierung hat GRÜNEN]: 2015 wird schon gestrichen!) ihr erstes Opfer gefunden, nämlich die Demokratie. 7206 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Katrin Göring-Eckardt (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN rüber reden, wie wir in diesem Land zusammenleben (C) sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE wollen. LINKE]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Eine Demokratie, in der nicht mehr um politische Alter- nativen gestritten wird, verliert an Sauerstoff. Sie ver- Herr Gysi, das Weltbild, das Sie heute hier an diesem schweigen PEGIDA seit Monaten. Sie versuchen, die Pult zutage gefördert haben, ist wirklich nichts anderes AfD zu verschweigen. mehr als eine ganz große Weltverschwörung. Glauben Sie eigentlich, dass Sie damit irgendeinen der Verunsi- (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: So ein cherten, von denen Sie geredet haben, hinter dem Ofen Quatsch!) hervorlocken? Glauben Sie, dass Sie damit irgendjeman- den beruhigen? Sie blinken auf der einen Seite nach ganz Sie verschweigen Thilo Sarrazin. Sie verschweigen Pro links, Sie blinken auf der anderen Seite nach ganz rechts. NRW. Die Leute, die Mitläufer sind, geben ganz locker Russia (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Das Today ein Interview. Nein, der Demokratie nutzt man stimmt doch gar nicht!) auch mit der großen Weltverschwörung nicht. Hier geht es aber nicht um Verschweigen, Frau Merkel, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hier geht es um Haltung, und hier geht es um Klarheit. sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich sage Ihnen, Herr Oppermann, eines klar: Ich habe Liebe Kolleginnen und Kollegen, die EU-Kommis- kein Verständnis für Mitläufer. sion ist gerade erst gestartet. Als Grüne sage ich: Sie hat in der Umweltpolitik ein veritables Rollback hingelegt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Merkel, Sie loben sie noch dafür, dass die Kreis- sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE laufwirtschaftspakete gestoppt werden, dass das Pro- LINKE]) gramm „Saubere Luft für Europa“ gestoppt wird. Das ist eine Bankrotterklärung für die Umweltpolitik in Europa. Wer sich hinter solche Plakate stellt, der weiß ganz ge- Ich finde, wir hätten in Deutschland eine andere Auf- nau, was er tut. Dem sagen wir eindeutig: Nein, das ist gabe. nicht unsere Vorstellung von demokratischer Kultur, das ist nicht unsere Vorstellung vom Umgang in diesem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Land. Aber einmal unabhängig davon: Gleichzeitig setzt der (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Ich sage Kommissionspräsident mit dem Investitionspaket ein (B) nur: Thüringen!) wichtiges Zeichen für die Länder Europas. Er sagt: Wir (D) wollen es gemeinsam tun. – Auch unabhängig davon, Ja, ich nehme die Sorgen der Menschen ernst. Aber wie man das Investitionspaket im Detail findet: Jean- ehrlich gesagt: So viele Sorgen der Menschen, die hier in Claude Juncker ist damit ein neues und gar nicht so un- dieser Woche ernst genommen worden sind! Ich sage Ih- wichtiges Signal gelungen. Er zeigt nämlich: Es soll eine nen mal, an wen ich denke, wenn ich Sorgen ernst Vision für ein gemeinsames Europa geben. Davon war nehme. Dann denke ich nicht an die Leute, die in Dres- heute Morgen in Ihrer Rede, Frau Merkel, nichts zu spü- den im Pelzmantel auf die Straße gegangen sind. Ich ren. denke an diejenigen, die in Syrien mit ein paar letzten Kleidern versucht haben, ihr Leben zu retten und sich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und ihre Kinder in Sicherheit zu bringen. Deswegen sage ich Ihnen: Sie haben sich jahrelang (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dagegen gewehrt, dass es Zinsgarantien für unsere euro- sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE päischen Nachbarn gibt, nach dem Motto: Selber schuld, LINKE]) wer nicht auf die Füße kommt. – De facto sind wir in Deutschland auch deswegen Exportweltmeister, weil der An einer Stelle will ich Herrn Oppermann recht ge- Süden Europas keine Kredite mehr erhält. Sie können ben: Ja, die Union hat sich jahrelang der Erkenntnis ver- auf dem europäischen Gipfel mit einem Schlag dafür weigert, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. sorgen, dass die griechischen Windkraftbetreiber endlich Dann hat sie angefangen, sich widerstrebend dieser Tat- investieren können, und zwar ohne dass es uns wirklich sache zu stellen. Aber was wir nicht tun, ist, dass wir tat- etwas kostet. Nach welchem Prinzip sollte es denn lo- sächlich über Zuwanderung reden, dass wir über diese gisch sein, dass die Griechen zu hohen Preisen dreckige Gesellschaft als ein gemeinsames Land reden, dessen Kohle importieren müssen, während es Sonne und Wind Zuwanderungskonzept auf dem Tisch liegt. umsonst gibt? Sie wissen doch ganz genau, wie die Situation in Sy- (Max Straubinger [CDU/CSU]: Märchen!) rien, im Irak und in dem gesamten Krisengebiet ist. Na- türlich werden diese Menschen hierbleiben. Womöglich Europa hat sich im Lissabon-Vertrag das Versprechen wird der eine Friedensnobelpreisträger oder Literaturno- gegeben, zur dynamischsten Region zu werden. Im Mo- belpreisträger, und vielleicht wird der andere irgend- ment sind wir die ängstlichste Region der Welt. Frau wann einmal als Ingenieur unsere Flughäfen bauen. Das Merkel, Sie bewundern doch Länder wie Neuseeland kann alles sein. Diese Menschen gehören hierher. Sie und Kanada, in denen Zukunftsoptimismus und Einwan- werden hierbleiben, und deswegen müssen wir jetzt da- derung zur wirtschaftlichen und kulturellen Dynamik im Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7207

Katrin Göring-Eckardt (A) Rahmen der Wertegemeinschaft führen. Wieso werben spricht ja Bände. Werben Sie für ein Europa, das ein Zu- (C) Sie dann nicht hierzulande für eine solche Gesellschaft? hause ist, in dem man gern lebt, egal wo man geboren ist, egal ob man arm ist oder reich, egal woher man (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) kommt und woher man geflohen ist. Nein, PEGIDA ist Das Investitionspaket ist ein zaghafter Schritt heraus aus nicht Deutschland. Ich jedenfalls will nicht in einem der Agonie. Land leben ohne Ekin Deligöz, ohne Navid Kermani und auch nicht ohne Jérôme Boateng, obwohl er für mich als Ich habe Herrn Oppermann zugehört, der die Investi- Schalke-Fan wirklich im falschen Klub spielt. tionen hier wie verrückt gelobt hat. Was ich von der Bundesregierung, insbesondere von Herrn Gabriel, sehe, Vielen Dank. ist das Gegenteil: Erst hat Herr Gabriel breitbeinig er- klärt, das sei quasi sein Investitionsprogramm, und dann (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) duckte man sich weg, weil man irgendwie in Kauf nimmt, dass die spanischen und die griechischen Mittel- Präsident Dr. Norbert Lammert: ständler für die Konsolidierung des Haushalts in Deutsch- Volker Kauder ist der nächste Redner für die CDU/ land verantwortlich sein müssen. Nein, das ist kein Kol- CSU-Fraktion. lateralschaden; das ist falsche Politik. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – neten der SPD) Volker Kauder [CDU/CSU]: Das habe ich jetzt gar nicht verstanden! Sagen Sie es noch ein- mal! – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Das ka- Volker Kauder (CDU/CSU): piert niemand! – Zuruf von der SPD: Was ist Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! das für ein Quatsch!) Die Bundeskanzlerin hat hier einen Bericht über die Schwerpunkte des bevorstehenden Europäischen Rates Was ich nicht verstehe: Sie feiern sich hier monate- abgegeben. Sie hat mit Recht über das gesprochen, was lang für eine Haushaltspolitik, und gleichzeitig stellen die größte Herausforderung und die größte Sorge ist: die Sie alle Investitionen in diesem Land auf Sparflamme. Friedensordnung in diesem Europa und mit den angren- Bröckelnde Brücken und schleichende Züge, das ist das zenden Nachbarn zu erhalten. Das ist der entscheidende Bild von Deutschland im Jahr 2014. Punkt. Wie kann dies erreicht werden? Was wir in Eu- (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Gucken Sie ropa erreicht haben, das darf jetzt nicht gefährdet wer- doch mal in unseren Haushalt rein! Dann wer- den. (B) den Sie schlauer!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (D) Das ist doch verrückt. Was machen Sie dann? Sie schi- neten der SPD) cken eine Wunschliste nach Brüssel, eine Wunschliste, Europa ist bisher keinen einfachen Weg gegangen. die 90 Milliarden Euro schwer ist, nach dem Motto: Wir geben zwar nichts, aber was man hat, das hat man. Ihre Gerade am heutigen Tag ist es völlig richtig und loh- Wunschliste ist in diesem Haus niemals diskutiert wor- nenswert, noch einmal darauf hinzuweisen, dass der den. Ja, wo sind wir denn eigentlich? Friedensprozess in Europa über die deutsch-französische Freundschaft in Gang gekommen ist. Deswegen habe ich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Andreas Schockenhoff immer bewundert und unter- Sie schicken Wünsche nach Brüssel, und das Parlament stützt, der die deutsch-französische Freundschaft als ei- wird nicht beteiligt, so nach dem Motto: 80 Prozent der nen entscheidenden Motor gesehen hat und der bei man- Wählerstimmen – Arroganz der Macht –, wir brauchen cher Schwierigkeit immer dafür geworben hat, dass wir das ja nicht mehr. das Feuer der Freundschaft zwischen den Deutschen und den Franzosen aufrechterhalten. Ich möchte Andreas Sie haben die Wirtschaftslobbyisten einbezogen, aber Schockenhoff auch an dieser Stelle einen herzlichen nicht das Parlament. Auf der Liste, die Sie nach Brüssel Dank dafür sagen. geschickt haben, stehen keine Zukunftsinvestitionen. Da stehen die alten deutschen Darlings der falschen Investi- (Beifall im ganzen Hause) tionen. Darauf stehen Mittel zur Erneuerung alter Auto- Natürlich kann man in einer Demokratie über die bahnen. Da steht nichts von Klimaschutz, da steht nichts Wege, wie man diesen Frieden sichern will und soll, re- von Energiewende; da kann Frau Hendricks in Lima so den. Aber ich bin dankbar dafür, dass wir in Europa zu viel Ringelpiez mit Anfassen machen, wie sie will. Ich einer gemeinsamen und übereinstimmenden Haltung ge- sage Ihnen: Wenn man tatsächlich investieren will, dann kommen sind, wie wir weiter vorgehen wollen. Das um- nimmt man hier 12 Milliarden Euro in die Hand und in- fasst zwei Elemente. vestiert in die richtigen Projekte, und zwar in die ge- meinsamen europäischen; um die geht es nämlich. Das eine Element heißt Dialog: miteinander reden, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) auch wenn es nicht einfach ist. Wenn man Berichte hört, wie Gespräche mit Präsident Putin aussehen, muss man Frau Merkel, liebe Große Koalition, sagen Sie end- sagen: Man muss sich wirklich zusammennehmen, um lich, worum es in den nächsten Jahren gehen soll. Dass immer wieder einen neuen Anfang bei solchen Gesprä- Herr Oppermann das nächste Jahr schon verschluckt, das chen zu machen. Ich bin allen Mitgliedern der Bundesre- 7208 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Volker Kauder (A) gierung dankbar, die das immer wieder versuchen – wis- Hinweis für das gesamte Europa geben: Ich schaue re- (C) send, wie schwer es ist, zu Ergebnissen zu kommen. gelmäßig auf die Situation in Kurdistan; Kolleginnen und Kollegen sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- sind dort gewesen. Ich kann nur sagen: 5 Millionen Kur- neten der SPD) den sind in der Lage, 1,4 Millionen Flüchtlinge in ihrem Natürlich gehört zu diesem Dialog auch, zu zeigen, kleinen Land aufzunehmen. dass man bereit ist, für seine Werte und Positionen ein- (Michaela Noll [CDU/CSU]: Irre!) zustehen. Wir haben in der Geschichte oft genug erlebt, was daraus wird, wenn man nicht für seine Positionen Angesichts dieser Zahlen werden wir in Deutschland es einsteht, wenn man nicht deutlich macht, dass man sich ja wohl schaffen, 200 000 Flüchtlinge und ein paar mehr nicht einfach alles gefallen lässt; denn es gibt immer in unserem Land aufzunehmen. wieder einige, die meinen, sie könnten ihre Kraft und (Beifall im ganzen Hause) Macht ausnutzen, ohne auf andere Rücksicht zu nehmen. Das dürfen wir nicht einfach hinnehmen. Jetzt, finde ich, müssen wir auch darüber reden, wie die Menschen in unserem Land das sehen. Ich teile die (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Auffassung, dass diejenigen, die jeden Montag demon- der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜND- strieren – die dazu übrigens ein Recht haben in unserem NIS 90/DIE GRÜNEN]) Lande –, sich ganz genau überlegen müssen, hinter wel- Deshalb waren die Sanktionen notwendig und richtig. chen Parolen und welchen Plakaten sie diese Demonstra- Wir dürfen gerade in diesem Jahr 2014 die Erkenntnisse, tionen mitmachen. Aber bevor wir über die Tausende, die wir aus unserer eigenen Geschichte gewonnen ha- über Zehntausend reden, sollten wir einmal über die Mil- ben, nicht einfach aus unserem Handlungskatalog strei- lionen in unserem Land reden, die bereit sind, sich mit chen. Die zentrale Antwort auf die Frage „Wie sind der ganzer Kraft ehrenamtlich für Flüchtlinge einzusetzen. Erste und der Zweite Weltkrieg entstanden?“ war doch: (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem Weil irgendeiner – wir Deutsche waren immer dabei – BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- die Integrität anderer Länder nicht akzeptiert hat. – Es geordneten der LINKEN) darf nicht zugelassen werden, dass Grenzen in Europa und darüber hinaus mit Gewalt, mit Macht und mit Mili- Das ist ein Punkt, den ich am heutigen Tag etwas ver- tär verändert werden sollen. Das dürfen wir nicht zulas- misse. Es muss von diesem Parlament aus auch immer sen. wieder eine Bestärkung der Gutwilligen in diesem Land ausgehen, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie (B) bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr (D) GRÜNEN) richtig!) Und das ist auch die Botschaft an Präsident Putin. statt dass immer nur über die geredet wird, hinter denen wir nicht stehen. In diesem Zusammenhang muss ich schon einmal ausdrücklich sagen: Ich habe für die allermeisten außen- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie politischen Positionen der Linken ohnehin wenig Ver- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE ständnis, aber so zu tun, als ob Putin der Friedensengel GRÜNEN) und die anderen die Aggressoren seien, ist schon eine Dazu will ich einmal eine ermutigende Zahl nennen. Verdrehung der Geschichte, Herr Gysi. Das Institut für Demoskopie Allensbach hat in diesen (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Tagen eine Umfrage zur Einstellung der Menschen zu bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Flüchtlingen veröffentlicht. Frau Köcher macht dies GRÜNEN – Dr. [DIE LINKE]: Das schon seit vielen Jahren; meistens wird es gar nicht rich- ist absurd! Das hat hier keiner gesagt! – Wei- tig beachtet. Diese Umfrage zeigt, dass die überwie- tere Zurufe von der LINKEN) gende Zahl der Menschen in unserem Land sagt: Wir wollen, dass für diese Flüchtlinge in unserem Land eine Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlich gute Unterbringung und gute Lebensbedingungen ge- wird auf diesem Gipfel in Europa auch darüber gespro- schaffen werden. chen, wie wir weiterkommen bei der Bekämpfung des islamistischen Terrors, der jetzt von al-Qaida in Pakistan Da hat sich einiges verändert. Es gibt eine breite schrecklich und brutal, gemein und hinterhältig an Kin- Mehrheit, weit über 80 Prozent, die sagt: Ja, die Men- dern ausgeübt worden ist. Wir müssen darüber nachden- schen, die aus dem Irak und aus Syrien kommen, die so ken, was wir tun können, um den Terror, der vom IS, von brutal bedrängt sind, sind bei uns willkommen. Und es Boko Haram und anderen Gruppierungen ausgeht, ein- gibt eine breite Mehrheit, die sagt: Ja, diejenigen, die aus zudämmen; das ist das eine. Afrika kommen, deren Leben und Existenz bedroht sind, sind willkommen. Dann gibt es natürlich auch den Hin- Das andere ist, dass wir in Europa sicher auch darüber weis, dass man es nicht akzeptieren will und nicht ver- reden müssen, wie wir die Menschen, die zu uns kom- stehen kann, dass Menschen hierherkommen, obwohl ihr men, die ihre nackte Existenz und die ihrer Kinder und Leben nicht bedroht ist, um Sozialhilfe zu bekommen. Angehörigen retten und verteidigen wollen, in diesem Sie sagen: Dass Menschen lediglich aus diesem Grund Europa unterbringen. Ich will zunächst einmal einen kommen, das lehnen wir ab. Ich finde, man sollte klar Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7209

Volker Kauder (A) sagen: Wer zu uns kommen will und seine Chance nut- Investitionstreiber nicht richtig verstanden, um das ein- (C) zen will, ist herzlich willkommen. Aber wer zu uns kom- mal klar zu sagen. men will, um nicht zu arbeiten und nur Sozialleistungen (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – zu beziehen, der ist in diesem Land nicht so richtig will- Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- kommen, meine sehr verehrten Damen und Herren. NEN]: Was war das jetzt für eine Logik? – (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- GRÜNEN]: Es hat so gut angefangen!) NEN – Abg. Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwi- – Ich höre jetzt das Gemurre, aber ich sage Ihnen: Das schenfrage) gehört alles zusammen. Es muss differenziert gesehen werden. Die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger Ein Jahr nach Bildung der Großen Koalition können in unserem Land – dafür sage ich ihnen einen herzlichen wir klar und deutlich sagen: Wir haben in dem wichtigen Dank; das hören sie viel zu selten – ist bereit, für Flücht- Bereich von Investitionen in Wachstum einiges getan. linge sehr viel zu tun und sie aufzunehmen. Ja, wir wissen, dass wir im Straßenbau, beim schnellen Internet und in manch anderem Bereich noch etwas tun (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- müssen. neten der SPD) (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE Natürlich müssen wir auch darüber reden, wie wir die GRÜNEN]: Ich dachte, gegen Straßenbau! Flüchtlinge in ganz Europa aufnehmen. Aber da werden Das haben Sie doch gerade gesagt!) wir nicht zu schnellen Lösungen kommen. Solange wir in der Flüchtlingspolitik und in der Sozialpolitik unter- Präsident Dr. Norbert Lammert: schiedliche Positionen haben, wird es gar nicht so ein- Herr Kollege Kauder – – fach sein, darüber zu entscheiden, wie wir die Flücht- linge verteilen sollen. Wer nach Deutschland kommt, muss in Deutschland Aufnahme finden und entspre- Volker Kauder (CDU/CSU): chend untergebracht werden. Nein, ich lasse keine Zwischenfrage zu. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir darüber (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: reden, was in Europa wichtig ist, dann wird zu Recht da- Och!) rauf hingewiesen, dass wir natürlich in Europa Lebens- Sie als Grüne haben überhaupt keinen Grund, so zu tun, chancen schaffen müssen, und das gelingt nur durch als ob Sie schon immer die größten Investoren in Stra- Wachstum. Das ist völlig richtig. Aber ich bin doch im- ßenbau gewesen wären. (B) mer wieder einigermaßen überrascht, wie wir über (D) Wachstum reden: als wenn das eine schnell wachsende (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Pflanze wäre, der man am Morgen richtig viel Wasser neten der SPD – Lachen beim BÜNDNIS 90/ gibt und aus der am Abend ein großer Baum geworden DIE GRÜNEN) ist. Das sollten wir den Menschen nicht weismachen Das muss ich mir von Ihnen wahrhaftig nicht vorwerfen wollen. Wachstum ist eine Aufgabe, die längerfristig an- lassen. Also, so was! Ich habe erlebt, wie grüne Umwelt- gelegt sein muss. Wir alle wissen, dass durch Hinein- minister Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur über- schütten von Milliarden Euro an Steuergeldern, womög- all verhindert, und nicht, dass sie sie unterstützt haben. lich noch auf Pump finanziert, wirklich nachhaltiges Deswegen brauchen wir von dieser Seite keine Beleh- Wachstum nicht entsteht, nicht in unserem Land und rungen. nicht in Europa. (Beifall bei der CDU/CSU – Katrin Göring- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er der SPD) hat es nicht verstanden!) Was bringt Wachstum? Der größte Wachstumstreiber Wir wollen da einiges voranbringen. Wenn wir ein – das hat Thomas Oppermann angesprochen – ist Bil- großes Programm für Investitionen bringen, bin ich ein- dung. Was man mit Investitionen anschiebt, um Bildung, mal gespannt, auf welcher Seite der Bürgerinitiative die Innovation und Forschung voranzubringen, das schafft Kolleginnen und Kollegen der Grünen dann stehen. Wachstum. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE Jetzt muss ich einmal sagen, wo wir angefangen ha- GRÜNEN]: Das ist völlig klar! – Dr. Anton ben. Wir haben angefangen 2005 mit jährlich 7 Milliar- Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das den Euro für Forschung, Innovation und Bildung. Jetzt ist völlig klar, wo wir stehen: aufseiten der sind wir bei 14 Milliarden Euro jährlich in diesem Be- Vernunft, nicht aufseiten von sinnlosem Be- reich. ton!) (Norbert Barthle [CDU/CSU]: 14,6 Milliarden Da haben wir miteinander noch einiges vor uns. sogar, fast 15 Milliarden!) Wir werden auch ins schnelle Internet investieren. Wer meint, Frau Göring-Eckardt, Investitionen seien nur Wir haben vorgesehen, mit Investitionsmitteln in diesem solche in Straßen und ähnliche Dinge, der hat die Bedeu- Bereich etwas zu tun. Der entscheidende Treiber für tung von Wissenschaft, Forschung und Innovation als Wachstum ist, wie gesagt, Bildung und Forschung. 7210 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Volker Kauder (A) Die Bundeskanzlerin hat es angesprochen: Vor allem (Zuruf der Abg. Katrin Göring-Eckardt (C) findet Wachstum – damit gibt es Chancen für Arbeits- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) plätze auch für die junge Generation – in unserer Wirt- schaft statt, in Deutschland vor allem in einer durch den Viele von Ihnen haben darunter gelitten. Wir leiden in Mittelstand geprägten Wirtschaft. Deswegen ist es not- der Große Koalition nicht. wendig und richtig, dass wir alles tun, um den mittel- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ständischen Betrieben unserer Wirtschaft die Luft zum neten der SPD – Britta Haßelmann [BÜND- Atmen und zum Investieren zu lassen. Herr Wirtschafts- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das spürt man!) minister Gabriel, ich bin dankbar, dass man jetzt ein Pro- gramm zur Entlastung von Bürokratie auf den Weg ge- Wir machen unsere Arbeit, und wir werden den Men- bracht hat – zunächst einmal ein Programm. Dann haben schen in diesem Land auch im nächsten Jahr eine gute wir gemeinsam noch die schöne Aufgabe vor uns – ich Regierung stellen. Sie sagen, bei uns knirscht es manch- bin überzeugt, dass wir die stemmen werden –, die sehr mal. Ich lese nur die Zeitungen, aber ich kriege auch so guten einzelnen Punkte auch in Gesetze zu bringen, Herr vieles darüber mit, wie es bei Ihnen knirscht. Dazu kann Minister. Da wird es in beiden Fraktionen sicher noch ich nur sagen: Ich wünsche Ihnen mehr Frieden. Uns al- die eine oder andere Diskussion geben. Aber Sie sind ja len wünsche ich für das kommende Jahr alles Gute. führungsstark genug, um mitzuhelfen, dass wir das durchbringen. Ich werde meinen Beitrag dazu leisten, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- dass wir für die deutsche Wirtschaft zu einer Entlastung neten der SPD – Michael Grosse-Brömer von Bürokratie kommen. [CDU/CSU]: Frohe Weihnachten!)

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Präsident Dr. Norbert Lammert: Bernd Westphal [SPD]) Für eine Kurzintervention erhält der Kollege Sarrazin Meine sehr verehrten Damen und Herren, dazu gehört das Wort. auch, dass es dabei bleibt – die Zusage habe ich an die- sem Platz schon mehrfach gemacht –: keine Steuererhö- Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): hungen. Die deutsche Wirtschaft hat einen enormen Herr Kollege Kauder, Sie haben den Grünen vorge- Investitionsaufwand, gerade wegen Industrie 4.0. Ich halten, sie seien die einzige Partei, die es schafft, Auto- glaube, dass ich auch im Namen der SPD-Fraktion, im bahnen zu bauen. Namen unseres Koalitionspartners sagen kann: Wir wer- den die Möglichkeiten und die Spielräume, die das Bun- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Es nicht schaf- (B) desverfassungsgericht jetzt dargestellt hat, nutzen, um fen! – Christine Lambrecht [SPD]: Sie haben (D) unserer mittelständischen Wirtschaft bei der Erbschaft- nicht zugehört! – Weitere Zurufe von der steuer auch in Zukunft keine Steine in den Weg zu legen, CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sondern ihr Investitionsmöglichkeiten zu erhalten. NEN) (Beifall der Abg. Sabine Weiss [Wesel I] – Herr Kauder, wir sind sehr gut darin, Autobahnen zu [CDU/CSU]) verhindern. Das dürfen Sie gern unterschreiben. Ich bin Wolfgang Schäuble dankbar dafür, dass er gesagt Ich möchte jedoch eines sagen: Sie haben als europäi- hat: Das werden wir gleich zu Beginn des nächsten Jah- sche Volkspartei einen Spitzenkandidaten gewählt. Die- res anpacken. – Somit gibt es erst gar keine Verunsiche- ser Spitzenkandidat hat irgendwann dann auch die rung. Die Wirtschaft kann sich darauf verlassen: Was wir Unterstützung Ihrer Parteivorsitzenden und Kanzlerin tun können, um ihr zu helfen, werden wir tun. gehabt. Dieser Spitzenkandidat ist mit dem Versprechen angetreten, Signale zu setzen, dass es in Europa wieder (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- vorangeht, dass Investitionen getätigt werden und dass neten der SPD) Hoffnung gegeben wird. Er hat ein Konzept vorgelegt. Und was machen Sie? Sie zerreißen dieses Konzept von Deshalb bin ich insgesamt der Überzeugung, dass wir Herrn Juncker, als sei es ein Konzept, nur um Straßen zu in diesem ersten Jahr in dieser Koalition eine gute Arbeit bauen. Die Fakten sind: Sie haben eine wirklich bemer- geleistet haben. Frau Göring-Eckardt, Sie brauchen sich kenswerte Liste eingereicht, die Sie im geheimen Stüb- keine Sorgen zu machen: Wir kommen ganz gut mit- lein zusammen mit Lobbyisten in Berlin abgestimmt ha- einander aus. ben und die Sie nicht dem deutschen Parlament gegeben (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE haben. In dieser Liste stehen vor allem alte Straßenbau- GRÜNEN]: Das ist ja süß! – Katrin Göring- dönekens. Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) machen Sie aber heimlich!) Herr Kauder, ich bin Historiker. Ich habe mich gefragt, Natürlich gibt es mal die eine oder andere Diskussion. ob Sie mich vielleicht brauchen, damit ich für Sie die Die gibt es überall. Ich muss Ihnen aber sagen: Ich habe Archive durchsuche, damit Sie die Projekte aus den von vielen Grünen gehört, wie das während Ihrer Regie- 60er-Jahren auch noch in die Liste schreiben können. rungszeit mit der SPD war und wie es gekracht und ge- knallt hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7211

Manuel Sarrazin (A) Ich möchte Ihnen eine Wette anbieten. Herr Kauder, SPD, Grüne und CDU/CSU – gesagt haben: Wir stehen (C) ich wette mit Ihnen um eine gute Flasche griechischen für Verständigung, auch für Solidarität zwischen den Wein, dass drei der Projekte, die in dieser Liste stehen, Völkern in Europa. Wir wollen keine militärische Lö- die von Ihnen in Brüssel eingereicht wurde, nicht von sung irgendeines Konfliktes, auch nicht bei der Frage der EIB finanziert werden, nämlich: der dritte Terminal Ukraine/Russland. – Das sollte uns zusammenhalten, des Flughafens , die Elbvertiefung und die We- liebe Kolleginnen und Kollegen. Das sollte uns in den servertiefung. Sind Sie bereit, diese Wette anzunehmen? verschiedenen Funktionen, die wir haben, ermöglichen, gemeinsam Gutes zu bewirken. Das ist wichtig und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) keine Selbstverständlichkeit. Denkt einmal zurück, wie Darüber hinaus sage ich Ihnen: 7,5 Milliarden Euro hier vor zehn Jahren diskutiert worden ist. für Autobahnprojekte vorzusehen, haben sich nicht die (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Bernhard Grünen ausgedacht, sondern das haben Sie sich ausge- Kaster [CDU/CSU]) dacht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute ist der (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Er hat 18. Dezember, der Geburtstag von . Als er doch noch Redezeit!) Kanzler wurde, gab es auch einen Europäischen Rat; das Daher bitte ich Sie, dies anzuerkennen. Unterstützen Sie war im Dezember 1969. Die erste Initiative betraf die Herrn Juncker, statt ihm Betonprojekte aufzuschreiben Vertiefung und die Fortsetzung des Erweiterungsprozes- und uns vorzuwerfen, wir wären für Beton. ses mit Großbritannien, Dänemark, Irland, Norwegen. Mit Norwegen hat es leider nicht funktioniert. Wir So- Danke. zialdemokratinnen und Sozialdemokraten stehen be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wusst in dieser Tradition, gerade am heutigen Tag und gerade bei einer Debatte über einen Europäischen Rat. Präsident Dr. Norbert Lammert: Wir müssen diese Gemeinschaft weiter vertiefen, und Das Wort hat nun der Kollege Axel Schäfer für die wir müssen auch die Erweiterungsmöglichkeiten nutzen. SPD-Fraktion. Das wird nur gehen, wenn wir mit der Kommission in al- len Fragen, natürlich auch bei TTIP, eine offene, transpa- (Beifall bei der SPD – Zuruf vom BÜND- rente Debatte führen und die Bürgerinnen und Bürger NIS 90/DIE GRÜNEN: Feige!) einladen, sich zu beteiligen und mitzumachen bei der Lösung von Problemen. Wir dürfen nicht den Eindruck Axel Schäfer (Bochum) (SPD): vermitteln, wir wüssten alles besser und Bürger brauch- ten nicht mitzumachen. Dieses Mitmachen in Europa ist (B) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf (D) der Tagesordnung des Deutschen Bundestages steht zentral. Das sollten wir uns auch 2015 in allen Fraktio- heute die Debatte über den Europäischen Rat. Reden wir nen vornehmen; denn Europa gelingt nur gemeinsam. also auch über die Parlamentarisierung in Europa. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Erstens. Es ist uns 2014 gegen den ursprünglichen Willen des Europäischen Rates gelungen, dass auf Vor- Präsident Dr. Norbert Lammert: schlag der Christdemokraten, der Liberalen, der Grünen, Das Wort hat nun die Kollegin Gerda Hasselfeldt für der Sozialdemokraten und der Linken das Europäische die CDU/CSU-Fraktion. Parlament den Kommissionspräsidenten wählt und nie- mand anderes. Das haben wir geschafft, und das sollten (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. wir uns alle gemeinsam als Erfolg zuschreiben. Bernd Westphal [SPD]) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU): der CDU/CSU) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zweitens ist die Konsequenz daraus, dass das Investi- 25 Jahre nach dem Mauerfall erleben wir nun, dass an tionsprogramm, das als Entwurf von Jean-Claude der Spitze des Europäischen Rates ein ehemaliger polni- Juncker jetzt vorliegt, eine parlamentarische Aufgabe scher Ministerpräsident steht. Ich finde, das kann uns gar sein muss. Das ist keine Angelegenheit von zwischen- nicht oft genug gesagt und bewusst gemacht werden. staatlichen Vereinbarungen oder Entscheidungen im Rat, Wer hätte das vor 25 Jahren gedacht? Gerade an diesem die wir mit Ja oder Nein begleiten. Vielmehr muss es Moment wird deutlich, wozu diese europäische Frie- eine Debatte in allen nationalen Parlamenten und die ge- densordnung in der Lage ist, welche Kraft sie entfaltet setzgeberische Entscheidung im Europäischen Parla- hat und entfalten kann. ment sein. Deshalb sind alle Fraktionen in diesem Parla- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ment gefordert – mit Vorschlägen, Vorstellungen, auch neten der SPD) Kritik. Es sollte das Parlament entscheiden und nicht die Staats- und Regierungschefs. Es stimmt, was einige von Ihnen gesagt haben, dass wir nach wie vor große ökonomische, aber auch politische (Beifall bei der SPD) Herausforderungen in Europa haben. Die Staatsschulden- Drittens. Ich fand es – bezogen auf Europa – 2014 für krise ist noch nicht voll bewältigt. Aber es stimmt auch, den Deutschen Bundestag den wichtigsten Erfolg, dass dass wir auf dem Weg zur Bewältigung dieser Krise Er- wir alle – ich fange einmal anders herum an: Linkspartei, folge erzielt haben: Spanien, Portugal und Irland haben 7212 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Gerda Hasselfeldt (A) den Rettungsschirm verlassen. Selbst Griechenland und siken mit sich bringen, dass es Projekte sind, die dort (C) Zypern sind auf einem guten Weg. Meine Damen und realisiert werden, wo sie tatsächlich notwendig sind; das Herren, auch das sollten wir nicht einfach zur Seite le- müssen die Kriterien für die Auswahl der Projekte sein. gen. Denn es ist das Ergebnis einer richtigen Politik, ei- ner richtigen Weichenstellung in Europa insgesamt, aber (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf vom auch richtiger Weichenstellungen in den Ländern. Bei- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Genau! Dann des gehört zusammen: die Entscheidungen auf europäi- stimmt Ihre Liste aber nicht! Dann holen Sie scher Ebene, beispielsweise zum Europäischen Stabili- mal die Liste zurück!) tätsmechanismus, zur Bankenregulierung oder zum Nun wissen wir auch, dass Geld zwar ein wichtiger, Fiskalpakt, genauso wie die Entscheidungen der nationa- aber nicht der einzige Anreiz ist. Gerade für Investitio- len Gremien in den Nationalstaaten, beispielsweise für nen aus privater Hand ist es sehr entscheidend, ob die Strukturreformen und solide Haushalte. Bedingungen auch stimmen, die Investitionsbedingun- (Beifall bei der CDU/CSU) gen, die Rahmenbedingungen; Volker Kauder hat vorhin einige angesprochen. Ganz wesentlich ist dabei der Nun stehen wir vor der Herausforderung, neben der große bürokratische Aufwand, der uns allen miteinander Stabilisierung der öffentlichen Haushalte, neben den not- – nicht nur in anderen europäischen Ländern, sondern wendigen Strukturreformen auch dafür zu sorgen, dass auch bei uns – gelegentlich das Leben schwerer macht, mehr investiert wird, dass Wachstum entsteht, dass die als es sein müsste. Deshalb begrüße auch ich die Vor- Arbeitslosen weniger werden, dass die Jugendlichen in schläge zum Abbau von Bürokratie, die der Wirtschafts- den Problemländern Arbeit bekommen, in den Arbeits- minister auf den Tisch gelegt hat. Ich appelliere aber an prozess hineinwachsen, dass die Unternehmer dort in- uns alle, ohne Scheuklappen auch einmal an das heran- vestieren können, wo es notwendig ist. Dazu brauchen zugehen, was sonst noch alles abgebaut werden könnte, wir keine schuldenfinanzierten konjunkturpolitischen nämlich an das, was wir – manchmal oder sogar meis- Strohfeuerprogramme. Wir brauchen auch keine Pro- tens mit gutem Willen, weil wir Deutsche alles ganz be- gramme, die über den ESM finanziert werden. Dazu ist sonders akkurat machen wollen – uns zusätzlich aufbür- der Europäische Stabilitätsmechanismus nicht da. den, vorschreiben und kontrollieren usw. Da müssen wir (Beifall bei der CDU/CSU) alle uns selbst zur Brust nehmen und sagen: Das alles müssen wir einmal überprüfen. Das 315-Milliarden-Euro-Programm, das jetzt vom Kommissionspräsidenten vorgelegt wurde, ist eben kein (Beifall bei der SPD – Strohfeuerprogramm, kein Konjunkturprogramm, [SPD], an die CDU/CSU gewandt: Dann fangt mal bei der Pkw-Maut an!) (B) (Zuruf der Abg. [BÜND- (D) NIS 90/DIE GRÜNEN]) Dies gilt auch für das, worüber wir aktuell entscheiden. sondern ein Investitionsprogramm, bei dem private In- Das schreiben uns investitionsbereite Unternehmer fast vestitionen und privates Kapital im Mittelpunkt und im tagtäglich ins Stammbuch. Dazu gehört natürlich auch, Vordergrund stehen. Das ist das Entscheidende. dass weiterhin alle Länder ihre Hausaufgaben machen. An den notwendigen Strukturreformen und an der not- Natürlich steht und fällt der Erfolg mit der Auswahl wendigen Haushaltskonsolidierung darf weiterhin kein der entsprechenden Projekte. Weg vorbeiführen. (Lachen des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann- Wir in Deutschland haben eine Vorreiterrolle und Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) auch eine Vorbildfunktion. Bei allen Gesprächen, die wir – Natürlich ist das ganz wesentlich. mit unseren Kollegen in Frankreich und Italien führen, müssen wir immer wieder darauf hinweisen, dass ein so- (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- lider Haushalt und die notwendigen Strukturreformen NIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hat die Bundesre- die Bedingungen dafür sind, dass die Unternehmer Ver- gierung ja eine Vorreiterrolle!) trauen in die Politik haben, und nur dann, wenn Ver- – Ich sage immer: Gott sei Dank müssen wir uns nicht trauen da ist, auch investiert wird. Das ist eine wesentli- mit Ihnen über die Auswahl der Projekte streiten; denn che Grundlage. dann käme nichts Gescheites heraus. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU – Annalena neten der SPD) Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Europa ist aber nicht nur eine wirtschaftliche Koope- ist Parlamentarismus! – Weitere Zurufe vom ration, fast eine wirtschaftliche Abhängigkeit voneinan- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der. Dieses Europa hat auch eine gemeinsame außenpoli- Ich bin sehr froh – es ist völlig richtig –, dass die Aus- tische Stimme und eine gemeinsame außenpolitische wahl der Projekte und ihre Abwicklung von den Exper- Verantwortung; gerade durch das, was sich in der ten der Europäischen Investitionsbank vorgenommen Ukraine abgespielt hat, ist das besonders deutlich gewor- werden. Denn entscheidend ist, dass es Wachstumspro- den. Das, was wir dort beklagen müssen, bedeutet aus jekte sind, dass es Projekte sind, mit denen keine Mit- meiner Sicht fast eine Erschütterung unserer lange er- nahmeeffekte verbunden sind, dass es Projekte sind, die kämpften und hart erarbeiteten Nachkriegsordnung. in der Tat wirtschaftlich tragfähig sind und nicht nur Ri- Diese Nachkriegsordnung hat zwei wesentliche Ele- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7213

Gerda Hasselfeldt (A) mente, nämlich die territoriale Integrität der Staaten und gesagt wurde. Das ist eine Aufgabe von uns allen, von (C) das Selbstbestimmungsrecht der Staaten. jedem und jeder in diesem Parlament, aber auch von je- dem und jeder in der Gesellschaft: Wir müssen aufklä- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!) ren, reden, diskutieren. Wir haben so ein großes Glück, Diese beiden wesentlichen Elemente werden und wur- in einem freien Land und einem freien Europa zu leben den durch das Verhalten Russlands beschädigt. Jeder, der und unser Leben selbst gestalten zu können. Dafür soll- Völkerrechtsverletzungen schönredet und sie als nicht so ten wir nicht nur dankbar sein, sondern wir sollten aus wichtig abtut, hat aus der Geschichte offensichtlich dieser Freiheit auch Verantwortung ableiten. nichts gelernt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) neten der SPD und der Abg. Marieluise Beck Gerade jetzt, zu Beginn einer neuen Epoche in Eu- [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) ropa, jetzt, da die neue Kommission, der Europäische Jetzt geht es darum, den Menschen in der Ukraine und Rat unter einem neuen Ratspräsidenten und das Europäi- ihrem Land politisch, wirtschaftlich und humanitär zu sche Parlament die Arbeit so richtig beginnen, wird helfen. Es geht natürlich auch darum, den Gesprächsfa- uns deutlich: Wir haben in diesem Europa mit seinen den mit Russland nicht abreißen zu lassen. Deshalb 28 ganz unterschiedlichen Ländern schon so viel ge- danke ich der Bundeskanzlerin, dem Außenminister und schafft. Wenn wir unsere Herausforderungen gemeinsam auch dem Entwicklungshilfeminister für all das, was sie annehmen und dieses Europa gemeinsam weitergestal- für Deutschland auf diesem Weg geleistet haben, aber ten, dann werden wir die Probleme, die vor uns liegen, auch für die gemeinsame europäische Reaktion auf diese so erfolgreich lösen, wie dies in der Vergangenheit der Situation; denn das war nicht selbstverständlich. Das ist Fall war. nach wie vor harte Arbeit; meine hohe Anerkennung und Ich wünsche der Kanzlerin bei den Verhandlungen mein großer Dank dafür. und Gesprächen weiterhin die glückliche Hand, die sie (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) in der Vergangenheit hatte. Die Krisenherde in der Welt erschüttern uns alle, liebe (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Kolleginnen und Kollegen, und das nicht erst seit weni- neten der SPD) gen Tagen. Der Terror des ISIS in Syrien und im Irak de- stabilisiert eine ganze Region. Viele Menschen flüchten Präsident Dr. Norbert Lammert: vor diesem Terror, um Leib und Leben zu retten. Vor Das Wort hat nun der Kollege Manuel Sarrazin für die (B) diesem Hintergrund sind wir alle miteinander gefor- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. (D) dert, unseren Beitrag dazu zu leisten, dass möglichst viele Menschen dort bleiben können. Wir tun das durch Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): humanitäre Hilfe, durch Hilfe im Bereich Ausrüstung Herr Präsident! Geehrte Frau Hasselfeldt! Ich ver- und Waffen und künftig wohl auch durch Hilfe im Be- traue darauf, dass Ihre Liste die EIB aussieben wird. Ich reich Ausbildung. Trotzdem können nicht alle dort blei- halte Ihre Liste, in gewisser Hinsicht vielleicht auch Ihre ben, viele müssen ihre Heimat verlassen. Koalition, für, technisch gesprochen, nicht förderfähig. Die Menschen aus Syrien, aus dem Irak und anderen (Volker Kauder [CDU/CSU]: Was? Wir brau- Krisengebieten kommen nicht zu uns, weil sie gerne rei- chen keine Förderung!) sen, sondern sie kommen zu uns, um ihr Leben zu retten, um in Sicherheit leben zu können und um nicht weiter Aber dass Sie jetzt so tun, als wäre es Ihr Verdienst, verfolgt zu werden. Das muss uns allen bewusst sein. wenn Ihre Liste mit nichtförderfähigen Projekten von Natürlich muss uns auch bewusst sein, dass wir uns da- Experten ausgesiebt wird, das ist schon ein starkes bei nicht überfordern dürfen. Stück. Ich möchte auch meinerseits all jenen einen herzli- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – chen Dank aussprechen, die sich in unseren Städten und Volker Kauder [CDU/CSU]: Also, Herr Gemeinden als Kommunalpolitiker oder ehrenamtliche Sarrazin, jetzt beruhigen Sie sich! – Gerda Helfer dafür einsetzen, dass diese Menschen hier gut Hasselfeldt [CDU/CSU]: Ich habe von keiner versorgt werden, dass sie aufgenommen werden, dass sie Liste gesprochen!) Menschlichkeit spüren und nicht nur jetzt, vor Weih- Ich bin der Meinung, dass das Beste, was Sie und die nachten, sondern auch darüber hinaus das Gefühl haben: Kanzlerin hier gesagt haben, ist, dass die Experten das Ja, es gibt noch so etwas wie Menschlichkeit auf der entscheiden sollen. Denn Experten sind Sie nicht; das ist Welt. schon einmal klar. Von daher sind auch wir dafür. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – neten der SPD) Volker Kauder [CDU/CSU]: Wir sind Politi- ker!) Wir alle müssen versuchen, das gerecht zu gestalten und natürlich auch in Europa für eine gerechte Vertei- Sie haben über Jahre hinweg gesagt, die anderen Län- lung zu sorgen. Ich teile all das, was in Bezug auf die der in der EU hätten keine Projekte. Jetzt reichen alle Menschen, die auf die Straße gehen und demonstrieren, Länder Projekte ein, und es ist reines Glück, dass 7214 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Manuel Sarrazin (A) Deutschland noch irgendeine Liste zustande bekommen Die möglichen Neuwahlen in Griechenland werden (C) hat. Sonst wäre gar keine Liste vorgelegt worden. Sie ha- genau in diesem Ton stattfinden. In diese Sentiments, in ben keine wachstumsfördernden und nachhaltigen Inves- diesen Ton hinein hätte Deutschland die Gelegenheit, zu titionsprojekte, aber die anderen haben sie. sagen: Wir unterstützen den EVP-Spitzenkandidaten bei der Umsetzung dessen, was der SPD-Spitzenkandidat (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Schulz immer gefordert hat: Es soll im Sinne von Das Faszinierende ist, Herr Kauder, dass Sie trotzdem gemeinsamen europäischen Projekten ausgestaltet und hier schreien. Sie sprachen von der angeblichen Beteili- von europäischen Experten entschieden werden. Es soll gung von 90 Milliarden Euro. In Echt ist es doch so: Als einen europäischen Mehrwert haben und am besten noch wirtschaftlich stärkstes Land in Europa halten Sie die einen klaren grünen Oberpunkt, nämlich nachhaltige Hand auf, wollen aber selber nichts geben. Anstatt jetzt ökologische Projekte im Bereich erneuerbarer Energien ein Zeichen zu setzen, anstatt den ersten Schritt zu ge- und im Bereich Breitbandausbau, die grenzüberschrei- hen, anstatt solidarisch für gemeinsame europäische Pro- tend sind. Das ist eine europäische Vision. jekte einzutreten, die nicht nationale Selbstbedienung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sind – auch nicht in Frankreich und Portugal –, über die Experten entscheiden und die europäisch ausgerichtet Man muss natürlich genau auf die Kriterien schauen, sind, anstatt zu sagen: „Wir sind bereit, uns zu beteili- man muss genau auf die Struktur schauen. Was ich heute gen“, sagen Sie: Wir wollen Geld für die Elbvertiefung, hier gespürt habe, ist reiner Antagonismus. aber „mir gäbet nix“. – Das ist uneuropäisch; das muss ich wirklich sagen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist falsch!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Wort, das hier am häufigsten und besonders antago- Ich habe mir jahrelang von der SPD angehört: Wir nistisch vorgetragen wird, ist Entschlossenheit. Wissen brauchen Investitionsprogramme und einen Marshall- Sie, es reicht nicht aus, wenn Sie hier sagen: „Lassen Sie plan. Sie haben mir wirklich die Ohren abgekaut. uns entschlossen in die Zukunft schauen“, und dann, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das tut ja kör- wenn Herr Juncker ein Projekt vorlegt, einfach zu ant- perlich weh!) worten: Ach nein – aber Geld wollen wir trotzdem. Aber das Erste, was Herr Gabriel jetzt macht, ist, seinem Vielen Dank. Spitzenkandidaten, Herrn Schulz, in den Rücken zu fal- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) len und zu sagen: Nein, Geld haben wir nicht. (B) Wir sagen: 12 Milliarden Euro über drei Jahre in den Vizepräsidentin Claudia Roth: (D) Juncker-Plan einzuzahlen, kann Deutschland leisten. Da- Danke, Herr Kollege Sarrazin. – Guten Morgen, liebe mit würden Sie den Diskurs ändern. Sie würden diesem Kolleginnen und Kollegen! Guten Morgen, liebe Gäste! – „Madame No“, das Frau Merkel immer zugeschrieben Nächster Redner in der Debatte ist Bernd Westphal für wird, den Boden entziehen. Sie würden zeigen: Deutsch- die SPD-Fraktion. land sagt Ja. Wir sind bereit, uns zu engagieren, gemein- sam europäisch voranzugehen. Wir sind die Ersten, die (Beifall bei der SPD) Ja und nicht Nein sagen. Bernd Westphal (SPD): (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und SES 90/DIE GRÜNEN) Kollegen! Am Ende des erfolgreichen Jahres 2014 geht Was aber kommt von Ihnen? Wir reden über PEGIDA es um die richtige Weichenstellung für Europa. Es geht und sonst etwas. Zeigen Sie doch einmal etwas. um die Schaffung von Perspektiven und Vertrauen für das vereinte Europa. Ebenso müssen Zuversicht und der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN feste Wille, die Zukunft Europas zu gestalten, signali- sowie des Abg. Dr. Dietmar Bartsch [DIE siert werden. Die Europäische Kommission – sie ist neu LINKE]) im Amt – muss gemeinsam mit dem Europäischen Parla- Wissen Sie, die Lage ist ziemlich schwierig, nicht nur ment und natürlich auch dem Europäischen Rat für eine ökonomisch. Wir sind seit Jahren in der Situation, dass fortschrittliche Politik in Europa sorgen. die Debatten auf den Europäischen Räten mehr und Wirtschaftspolitisch stehen Investitionen im Fokus. In mehr nationalisiert werden. Plötzlich entstehen wieder der EU ist das Investitionsniveau seit 2007 um etwa Gewinner und Verlierer. Die Magie der Europäischen 15 Prozent gesunken. Wir brauchen mehr wirtschaftli- Union – ich zitiere den spanischen Botschafter, Herr ches Vertrauen, politische Strategien und einen verlässli- Grosse-Brömer –, Gewinner und Gewinner zu schaffen, chen rechtlichen Rahmen sowie eine effiziente Verwen- die einmal mehr, einmal weniger gewinnen, aber keine dung öffentlicher Mittel. Dabei kommt es darauf an, dass Gewinner und Verlierer, droht verloren zu gehen über ei- große Unternehmen nicht unsere Strukturen des Ge- nen Debattenstil, bei dem jeder nur an sich selber denkt, meinwohls in Anspruch nehmen können und sich dann, von nationalen Interessen getrieben auf den Gipfel geht, wenn es um Steuerzahlungen geht, einen schlanken Fuß dort verhandelt und dann zu Hause erklärt, warum machen. Das müssen wir zukünftig verhindern. Deutschland oder Frankreich oder Griechenland gewon- nen haben. (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7215

Bernd Westphal (A) Mit dem Investitionsprogramm der EU sollen in den Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): (C) nächsten drei Jahren zusätzlich 315 Milliarden Euro re- Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen! Liebe alisiert werden. Das ist ein politisch ambitionierter Plan, Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr der aber dafür sorgt, den Investitionsrückgang umzukeh- Sarrazin, eines muss richtiggestellt werden: Die Liste, ren, Arbeitsplätze zu schaffen, Jugendarbeitslosigkeit zu von der Sie die ganze Zeit gesprochen haben, ist eine bekämpfen und für wirtschaftliche Erholung zu sorgen. Liste, die von den Finanzministern angefordert wurde Wir müssen bei den gesamten Investitionsprojekten auch mit dem Ziel, baureife Projekte, obendrein auch noch dafür sorgen, dass der Aspekt der Nachhaltigkeit mit möglichst im Rahmen von PPP, also mit privaten Inves- einfließt. Wir müssen neben den Impulsen für eine An- titionen, so schnell wie möglich umzusetzen. Das haben kurbelung der Wirtschaft die sozialen und ökologischen Sie in Ihren Ausführungen vielleicht vergessen. Es geht Aspekte mit betrachten. also darum, mit diesen Projekten so schnell wie möglich Ganz wichtig ist dabei auch, dass wir bei der Ent- voranzukommen. Dass dies Projekte sind, die es schon wicklung die Arbeitsbedingungen im Auge behalten und länger gibt – sonst könnten sie nicht baureif sein –, liegt sicherstellen, dass Arbeit zufrieden und nicht krank natürlich auf der Hand. macht. Wir müssen für gute tarifliche Bezahlung sorgen, (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- für Mitbestimmung am Arbeitsplatz, und wir müssen für NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt aber gar ein investitionsfreundliches Umfeld sorgen, in dem nicht! Das Terminal 3 wird gerade von der Innovationen überhaupt entstehen können. Hier bin ich Hessischen Landesregierung daraufhin über- unserer Arbeitsministerin für ihr Engagement sehr dank- prüft, ob es ökonomisch sinnvoll ist!) bar. Meine Damen und Herren, Deutschland ist und war in (Beifall bei der SPD) den vergangenen Jahren der Stabilitätsanker in der Euro- Es ist viel über Energiepolitik gesprochen worden. päischen Union. Wir sind das einzige Land, das es fertig- Auch hier ist die Kooperation in Europa auszubauen. Es gebracht hat, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. ist vor allen Dingen zu danken, der die (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- Kooperation mit den Nachbarländern forciert. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben eine Ver- Zum Thema Freihandelsabkommen will ich nur sa- schuldungsquote von 75 Prozent!) gen: Wir fangen hier doch nicht bei null an. Deutschland Und: Wir haben das Vertrauen in die Euro-Zone gestärkt. hat schon 131 Freihandelsabkommen mit Investitions- Gott sei Dank ist uns das gelungen. Da bedanke ich mich schutz abgeschlossen. Wir als Politik müssen die Sorgen, vor allen Dingen bei der Bundeskanzlerin und beim die da draußen in der Gesellschaft formuliert werden, Bundesfinanzminister. Denn sie sind diejenigen gewe- (B) (D) natürlich ernst nehmen. Aber ich denke, es ist, was den sen, die dafür gesorgt haben, dass dieses Vertrauen wie- Investitionsschutz und andere Aspekte angeht, verant- der da ist. wortungslos und überzogen, so zu tun, als sei das eine Bedrohung für die Menschen. Bisher haben wir durch (Beifall bei der CDU/CSU) die Freihandelsabkommen für unser Exportland gute Perspektiven geschaffen. Deshalb werden wir uns an die Dass sich das gelohnt hat, sieht man daran – die Bun- Formulierungen im Koalitionsvertrag halten und nicht deskanzlerin hat es eben erwähnt –, dass Portugal, Irland das Tor für Dumping und Missbrauch öffnen. und Spanien aus der Krise raus sind und aus den Ret- tungsprogrammen ausgestiegen sind; genau das war un- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Norbert ser Ziel. Dass Griechenland in diesem Jahr voraussicht- Barthle [CDU/CSU] – Dr. Diether Dehm [DIE lich sogar einen Primärüberschuss erzielt, kann man ja LINKE]: Na, na, na!) wohl wirklich nur als Erfolg dieser Politik bezeichnen. Darauf sollten wir stolz sein. Deutschland braucht ein starkes Europa. Es war fast 70 Jahre ein Garant für Frieden und Freiheit. Die ökono- Aber es liegen nach wie vor zahlreiche Herausforde- mische Stärke muss zu sozialem und ökologischem Fort- rungen vor uns, die noch nicht bewältigt sind. Wenn man schritt führen. Ich wünsche der Bundeskanzlerin bei ih- sich das schwache Wachstum in Europa vor Augen führt ren Verhandlungen viel Erfolg. Wir müssen aus dem – die EZB hat verkündet, dass es etwa 1 Prozent betra- Krisenbewältigungsmodus in den Modus der Gestaltung gen wird – und es in Relation zum Wachstum in den der Zukunft übergehen. Dafür wünsche ich uns gemein- USA setzt – dort wird es 3 Prozent Wachstum geben –, sam viel Erfolg. dann wird deutlich, dass wir noch ein gutes Stück zu ge- Herzlichen Dank. hen haben. Die Bundeskanzlerin nennt immer drei Zahlen, näm- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten lich: In Europa leben ungefähr 7 Prozent der Weltbevöl- der CDU/CSU) kerung, wir haben einen Anteil am Weltinlandsprodukt von etwa 25 Prozent, und 50 Prozent der weltweiten Vizepräsidentin Claudia Roth: Sozialausgaben werden in Europa getätigt. Dass wir uns Danke, Herr Kollege Westphal. – Nächster Redner in dies à la longue ohne Wachstum leisten können, wage der Debatte: Dr. Michael Fuchs für die CDU/CSU-Frak- ich zu bezweifeln. Deswegen muss es unsere Aufgabe tion. sein, für ein vernünftiges Wachstum zu sorgen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) 7216 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Dr. Michael Fuchs (A) Das gilt mit Sicherheit auch im Hinblick auf das 315- Wir sollten es gemeinsam so schnell wie möglich hinbe- (C) Milliarden-Euro-Programm, das Jean-Claude Juncker kommen, vernünftige Standards mit den beiden großen aufgelegt hat. Damit wird das Ziel verfolgt, Investitionen Blöcken zu vereinbaren. zu fördern, die sinnvoll sind, und nicht irgendwelche (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Projekte durchzuführen, die kein Mensch braucht. Wenn die Kaufkraft in einem Bereich 800 Millionen (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- Euro beträgt, wird das auch auf andere Bereiche über- NIS 90/DIE GRÜNEN]: So wie die Bundesre- schwappen. Sie wissen, dass die Doha-Runde vor Jahren gierung!) zu einem Stillstand gekommen ist. Auf diese Art könn- Das gilt auch im Hinblick auf die Billionen Euro von ten wir das gesamte Welthandelssystem wiederbeleben. Herrn Draghi. Hier habe ich allerdings Bedenken, wenn Deswegen muss es unser vorrangiges Ziel sein – hier ich an die „Dicke Bertha“ und an „Bazooka“ denke, in sind wir alle in diesem Hohen Hause gefordert –, so deren Rahmen mittlerweile 3 Billionen Euro für den schnell wie möglich auf den Pfad der Tugend zurückzu- Aufkauf von Anleihen – im Wesentlichen von Staatsan- kehren und dafür zu sorgen, dass TTIP unterzeichnet leihen; denn so viele Unternehmensanleihen gibt es auf wird. dem europäischen Anleihemarkt überhaupt nicht – auf- (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Was ist gewendet wurden. Das zeigt mir, dass da irgendetwas in denn mit Kanada? Warum haben Sie das mit die falsche Richtung läuft. Hier sollten wir sehr gut auf- Kanada nicht gemacht? – Gegenruf des Abg. passen. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das mit Entscheidend ist aber, dass wir in Europa eine Struk- Kanada ist doch super gelaufen!) turreform hinbekommen, die den Wettbewerbsvorteil – Ein vor allen Dingen bei Ihnen vorhandener latenter Europas ausweitet bzw. die Wettbewerbsfähigkeit Euro- Antiamerikanismus darf hier nicht ausgelebt werden. So pas steigert. Es gibt eine Reihe von Programmen und wollen wir uns das nicht kaputtmachen lassen. Dingen, die dafür sorgen, dass wir in Europa weiterkom- men, und dafür müssen wir uns einsetzen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Sie haben es An allererster Stelle sei hier eine nachhaltige Stabili- doch nicht gekonnt! – Gegenruf des Abg. tätspolitik genannt. An zweiter Stelle muss es auch eine Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Höherer europäische Energiekostenregelung geben. Wir müssen Investitionsschutz als bei CETA!) in Energiefragen in Europa gemeinsam und über die Grenzen hinaus handeln, wir müssen uns auch mit der Ein Punkt sollte noch angesprochen werden, der uns intensiv beschäftigen muss, nämlich der demografische (B) demografischen Entwicklung nicht nur in Deutschland, (D) sondern in ganz Europa beschäftigen, wir brauchen eine Wandel, der in Deutschland zu heftigen Folgen führt. Im leistungsstarke, moderne Infrastruktur inklusive des letzten Jahr sind in Deutschland 33 500 Ausbildungsstel- Ausbaus von Breitbandnetzen nicht nur in Deutschland, len nicht besetzt worden. In diesem Jahr werden es sondern über alle Grenzen hinaus; und last, but not least wahrscheinlich noch weit mehr sein. Das zeigt, wie brauchen wir einen freien Außenhandel. schwierig die Situation in Deutschland ist. TTIP ist einer der wesentlichen Faktoren, mit dem wir Schauen Sie sich einmal die Altersstruktur der unter- den freien Außenhandel verstärken können. schiedlichen Länder an. Mit im Durchschnitt 46,1 Jahren haben wir zusammen mit Japan die älteste Bevölkerung. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: In Frankreich beträgt das durchschnittliche Alter Genau!) 40,9 Jahre, in den USA 37,6 Jahre, in China 36,7 Jahre, Wir müssen begreifen, dass wir jetzt weltweite - in Brasilien 30,7 Jahre und in Indien gar nur 27 Jahre. dards setzen können. Indem wir als Erste ein Abkommen Das zeigt, dass sich hier etwas gewaltig verändert und mit den Amerikanern schließen, setzen wir Standards dass sich bei uns etwas verändern muss. und Normen auf europäischem Niveau. Deswegen finde ich das, was Thomas Oppermann (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das haben eben gesagt hat, richtig: Wir brauchen auch ein vernünf- Sie aber nicht gemacht!) tiges Einwanderungsmodell bezogen auf Länder außer- halb Europas. Das halte ich für notwendig, und ich Nebenbei bemerkt: In vielen Bereichen sind die Stan- glaube, wir können das auch schaffen. Vielleicht denken dards in den USA deutlich höher als bei uns. Fragen Sie wir einmal über das kanadische Modell nach, was si- doch einmal in der pharmazeutischen Industrie nach, wie cherlich ein Hinweisgeber sein kann. hoch die Zulassungsschranken für Arzneimittel in den USA im Vergleich zu uns sind. Bei uns sind sie wesent- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) lich niedriger als in den USA. Lassen Sie mich zum Schluss noch eines sagen: Vor (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Kanada!) kurzem wurde der ifo-Wirtschaftsklimaindex veröffent- licht. Er ist zum zweiten Mal hintereinander positiv. Das Das zeigt, dass auf beiden Seiten zum Teil Standards zeigt: Auch in der Wirtschaft erwartet man, dass die Si- gesetzt wurden, die so hoch sind, dass sie kaum einer er- tuation im nächsten Jahr besser wird. Das ist eine frohe füllen kann. Botschaft kurz vor Weihnachten. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: TiSA!) Ich wünsche Ihnen ein schönes Weihnachtsfest. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7217

Dr. Michael Fuchs (A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Mit diesem Investitionsvorstoß hat sich die wirt- (C) Axel Schäfer [Bochum] [SPD]) schaftspolitische Debatte grundlegend geändert. Nicht nur wir reden von Investitionen, sondern auch Frau Vizepräsidentin Claudia Roth: Merkel und Herr Schäuble. Das ist insgesamt gut für die Vielen Dank, Michael Fuchs. Ich wünsche Ihnen auch Große Koalition. Ich glaube, mit dieser europäischen ein schönes Weihnachtsfest. – Der nächste Redner ist Initiative, die wir positiv begleiten sollten, sind wir auf Christian Petry für die SPD. einem guten Weg. (Beifall bei der SPD) Trotz vieler Kritikpunkte, trotz vieler offener Fragen, wie was zustande kommt, wie geprüft wird und was am Ende gefördert wird, sollten wir die Erreichung des Ziels Christian Petry (SPD): unterstützen, weg von den fehlenden Investitionen und Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle- hin zur Schaffung von mehr Wirtschaftskraft und zur gen! Regierungserklärungen zum Europäischen Rat ha- Schaffung von Nachfrage und damit auch zur Schaffung ben als Schwerpunkt oftmals natürlich auch die Reform- von mehr Arbeitsplätzen in Europa. Das ist ein positiver programme des Europäischen Semesters, die hier schon Ansatz. Insoweit unterstützen wir diese Initiative. genannt worden sind. In diesem Zusammenhang wird auch über das Investitionsprogramm diskutiert. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Gunther Krichbaum [CDU/CSU]) Herr Sarrazin, Sie bauen hier einen Pappkameraden auf und machen ihn dann auch noch selber kaputt. Wir Europäischer Mehrwert und schnelle Umsetzbarkeit, können gerne über parlamentarische Beteiligungen und das sind die Maßstäbe, die hier gesetzt werden. Ebenfalls darüber diskutieren, wie diese Investitionslisten zu- vorgegeben ist, dass es keine regionale oder sektorale stande kommen. Hier bin ich auch für Kritik offen. Wir Gewichtung gibt. Die Strukturreformen, die durch das sollten aber auch zur Kenntnis nehmen, dass wesentlich Europäische Semester vorgegeben sind, sind nicht der mehr Mittel für den Bereich der Digitalen Agenda und Maßstab des Investitionsprogramms. Das halte ich auch für den Bereich der Energiewende angemeldet wurden für gut so. als für den Autobahnbau. Das sollte man fairerweise zur Ich halte es auch für gut, dass eine unabhängige Ex- Kenntnis nehmen. pertengruppe diese 900 gemeldeten Projekte prüft, damit (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wir im Laufe des Jahres 2015 zu einem umsetzungsfähi- der CDU/CSU – Manuel Sarrazin [BÜND- gen Konzept kommen. Jetzt haben wir noch ein halbes NIS 90/DIE GRÜNEN]: In Deutschland!) Jahr lang Zeit, dies seitens des Deutschen Bundestags bzw. der Bundesrepublik Deutschland mit Mitteln zu (B) (D) Außerdem sollte man zur Kenntnis nehmen, dass wir flankieren, die wir in den Bereichen einsetzen, in denen mitten in einem Diskussionsprozess sind. Die Situation das sinnvoll ist. Wir sind gerne bereit, diese Debatte zu so darzustellen, als wäre dieser Prozess schon abge- eröffnen. schlossen, als könnte hier nichts mehr passieren, ist gänzlich falsch. Ich glaube, die im Rahmen des Europäischen Rats ge- fassten Beschlüsse sind gut für Europa. Insofern ist der (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- heutige Tag ein guter Tag. Wir sollten unsere Bundesre- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Schon abgeschlos- gierung unterstützen, diesen Weg weiter zu gehen, dies sen!) auch in der vorweihnachtlichen Zeit. Wir sind gerne bereit, darüber zu reden, inwieweit In diesem Sinne wünsche ich uns allen eine schöne eine finanzielle Flankierung der Maßnahmen durch vorweihnachtliche Zeit und frohe Weihnachten. Glück Deutschland, etwa über die KfW, möglich ist. Warum auf! denn nicht? Wir sind doch mitten in einem Diskussions- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten prozess, der noch nicht abgeschlossen ist. der CDU/CSU) Daher war das ein Pappkamerad, der aufgestellt und anschließend niedergeschmettert wurde. Das hat mit der Vizepräsidentin Claudia Roth: Realität in diesem Fall aber nichts zu tun. Auch Ihnen wünschen wir schöne Weihnachten, lie- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Norbert ber Christian Petry. – Der letzte Redner in dieser Debatte Barthle [CDU/CSU]) ist Gunther Krichbaum für die CDU/CSU-Fraktion. Wir müssen beim Europäischen Semester natürlich (Beifall bei der CDU/CSU) auch aufpassen; denn seine Leitlinien stammen noch aus der alten Ära. Juncker hat etwas Neues angestoßen. Er Gunther Krichbaum (CDU/CSU): hat als Erster gesagt, dass wir mehr Investitionen brau- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! chen. Die Austeritätspolitik ist damit etwas zurückge- Der Rat hat eine sehr umfangreiche Tagesordnung. Es gangen. Wir müssen Investitionsanreize in Europa schaf- stehen Themen zur Debatte wie das Juncker-Paket, über fen. Angesichts 25 Millionen Arbeitsloser und davon das wir heute Morgen schon viel gehört haben, aber auch 5 Millionen arbeitsloser Jugendlicher wird deutlich, wie das besorgniserregende Thema Ebola, wie natürlich auch wichtig diese Kehrtwende in der europäischen Politik die Ukraine und möglicherweise auch am Rande – aber ist. nicht zu unterschätzen – das Thema Griechenland. 7218 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Gunther Krichbaum (A) Vor die Klammer gezogen könnte man sagen: Allen telbar, und sie wirken mittelbar. Denn der Abzug der (C) Themen ist eines gemeinsam: Wir müssen uns um mehr ausländischen Direktinvestitionen hat dazu geführt, dass Stabilität bemühen. Im Falle des Juncker-Paketes geht es auch Vertrauen in Russland verloren gegangen ist. Der um Wachstum und damit um die Schaffung wirtschaftli- Rubel verfällt. Der Leitzins steht mittlerweile bei 17 Pro- cher Stabilität. Bei Ebola geht es um gesundheitliche, zent. Fallende Rohölpreise tun ihr Übriges dazu. vielleicht sogar um humanitäre Stabilität. Im Fall der Deswegen geht es darum, den Druck auf Russland Ukraine geht es mindestens um geopolitische Stabilität. aufrechtzuerhalten. Wir wollen die Sanktionen nicht. Aber Im Falle von Griechenland geht es mit Sicherheit um die wenn sie das einzige Mittel sind, um Russland zum Ein- politische Stabilität. Dieser Eindruck entsteht zumindest lenken zu bewegen, dann sind sie notwendig und erfor- angesichts der aktuellen Wahlen. Insoweit ist es kein ein- derlich, und das auch in der Zukunft. facher Gipfel, der jetzt bevorsteht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich möchte mich auf das Thema Ukraine konzentrie- ren. Wer hätte noch vor gut einem Jahr gedacht, dass das Ich darf an dieser Stelle auch Bundeskanzlerin Merkel Jahr 2014 so verlaufen wird? 100 Jahre Ausbruch des herzlich danken, weil sie sich unermüdlich dafür ein- Ersten Weltkrieges, 75 Jahre Ausbruch des Zweiten setzt, dass wir im Wege eines Dialoges zu einer Lösung Weltkrieges: Das sollte im Zentrum des Gedenkens ste- kommen. Mein Dank gilt auch Frank-Walter Steinmeier. hen, ebenso wie 25 Jahre Fall der Berliner Mauer und Auch die Telefonkonferenz am vorgestrigen Tage mit damit auch der Fall des Eisernen Vorhangs, gewisserma- dem französischen Präsidenten François Hollande hat ßen als ein Zeichen des vereinigten Europas, geeint in gezeigt, dass wir als deutsch-französisches Tandem in die Zukunft zu gehen. Europa weiter der Motor sein müssen, auch wenn es um die Lösung von Konflikten in Europa geht. Vor gut einem Jahr flammten die Proteste auf dem Maidan oder, wie er später genannt wurde, Euromaidan auf, und zwar nur deshalb, weil der damalige Präsident Vizepräsidentin Claudia Roth: Janukowitsch sich weigerte, das sogenannte Assoziie- Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -be- rungsabkommen zu unterzeichnen. Er reiste gerade von merkung von Dr. Diether Dehm? Moskau zurück. Das Assoziierungsabkommen hat zum Inhalt, dass das Land sich den europäischen Standards Gunther Krichbaum (CDU/CSU): wie Frieden, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie annä- Bitte sehr. hern kann. Genau das gefiel Russland nicht. Fortan ging es Russland, namentlich Herrn Putin, nur darum, die Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Ukraine zu destabilisieren, ja zu demontieren. (B) Kollege Krichbaum, es geht nicht nur um die Linke. (D) In diesem Jahr wurde die Krim annektiert. Es erfolgte Würden Sie mit ähnlichem Unverständnis beiseitewi- eine subtile Invasion in den Osten der Ukraine. Seither schen, dass auch in dem Aufruf der Zeit sehr viele Men- sind über 4 500 Tote zu verzeichnen. Es ist der heftigste schen, darunter zwei frühere Bundeskanzler – man hört Krieg in Europa seit den Balkankriegen. 10 000 russi- separat auch Ähnliches von Ihrem früheren Bundeskanz- sche Soldaten befinden sich in der Ukraine. Es gibt ler Kohl, aber zu den Unterzeichnern zählt sein Berater 530 000 Binnenflüchtlinge: Flüchtlinge, die aus dem Teltschik –, ähnliche Positionen vertreten wie die Linke? umkämpften Ostteil der Ukraine in andere Gebiete der Übrigens sprechen sich auch viele mittelständische Ukraine flüchten mussten. Großunternehmer dafür aus, die Sanktionen zumindest nicht weiter zu verschärfen oder möglicherweise sogar Dies beim Namen zu nennen, sind wir alleine schon zurückzunehmen. Ist die Forderung nach Beendigung den Opfern in der Ukraine schuldig und auch ein klein der Sanktionen nur ein Spleen der Linken, oder könnte wenig Andreas Schockenhoff, der sich in der Vergangen- sie auch auf wirtschaftlicher Vernunft gegründet sein? heit nie davor gescheut hat, diese Fakten beim Namen zu nennen. Gunther Krichbaum (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Meine Antwort ist völlig klar: Die Aggression und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE der Angriff Russlands auf die Ukraine waren nicht nur GRÜNEN) eine Aggression und ein Angriff auf ein anderes Land. Wir erleben jeden Tag den evidenten Bruch von Völ- Vielmehr handelt es sich auch um einen Angriff auf un- kerrecht. Wie Sie als Linksfraktion für die Rücknahme sere Werte in der Europäischen Union wie Frieden, Frei- heit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. der Sanktionen gegen Russland werben können, ist mir deshalb, gelinde gesagt, schleierhaft. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Das war nicht die Frage!) Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das zeich- net uns aus!) Wir müssen Russland hier entschlossen entgegentreten; darum geht es. Die Sanktionen zu verhängen, war richtig und wichtig. Es ist das einzige ernsthafte Druckmittel, das wir in un- ( [DIE LINKE]: Sie können nicht seren Händen halten und auch in unseren Händen halten einmal die Frage beantworten! Dazu sind Sie müssen. Die Sanktionen wirken auch. Sie wirken unmit- nicht in der Lage!) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7219

Gunther Krichbaum (A) Es gibt nicht die Option einer militärischen Reaktion, Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE (C) wohl aber die Option einer wirtschaftlichen Reaktion. GRÜNEN): Sollen wir denn ein Jahr nach den Maidan-Demonstratio- Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir in die nen die Menschen alleinlassen, die keinen sehnlicheren Weihnachtspause gehen, möchte ich Ihnen noch zwei, Wunsch haben als den, drei Sätze sagen. Ich habe in den letzten zwei Tagen mit sehr vielen Vertretern von Bürgerinitiativen sowohl aus (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Antworten Sie Russland als auch aus der Ukraine – das ist wichtig – zu- einfach auf die Frage!) sammengesessen, die im Donbass aktiv sind. die Werte, die wir seit Jahrzehnten in Europa als selbst- verständlich auffassen, mit uns zu teilen? Genau deswe- Die Situation ist so katastrophal, wie man es sich mit- gen gilt unsere Solidarität den Menschen in der Ukraine. ten in Europa kaum vorstellen kann. Wir alle sind tief beeindruckt von der überdimensionalen Krise, die durch (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Diether Dehm ISIS in Syrien mit Millionen von Flüchtlingen hervorge- [DIE LINKE]: Ich habe etwas anderes ge- rufen worden ist. fragt!) In der Ukraine sind infolge dieses Krieges 1 Million Das Ziel bleibt. Wir müssen als Erstes eine sicher- Menschen geflohen. Ich habe manchmal das Gefühl, heitspolitische Stabilisierung der Ukraine herbeiführen. dass uns das nicht ganz klar und nicht bewusst genug ist, Deswegen ist es wichtig, die Kontaktgruppe aus Vertre- dass wir diese Information nicht in unsere Wahlkreise tern der Ukraine, Russlands und der OSZE alsbald zu tragen und die Menschen nicht genug bitten, diesen etablieren. Prozesse wie der Genfer Prozess sind hilf- Flüchtlingen zu helfen. Der Winter wird katastrophal. reich und gut – in diesem Fall unter Beteiligung der USA –, genauso wie der runde Tisch, der von Wolfgang Die Söldner, die den Donbass erobert haben, haben Ischinger mit initiiert und geleitet wurde. Wir brauchen ihn zwar erobert, aber sie sind nicht in der Lage, die solche Formate des gegenseitigen Kontakts und des ge- Menschen zu versorgen. Die Bergwerke stehen unter genseitigen Gesprächs. Beide Seiten müssen die Verein- Wasser, es gibt keinen Strom, die Rentner sind in einer barung von Minsk zügig umsetzen. Das gilt nicht nur, katastrophalen Lage. Es werden dort Menschen erfrieren aber ganz besonders für die russische Seite. Aber wir und verhungern. Ich möchte deswegen ganz stark darum müssen auch die ukrainische Seite dazu bewegen, die bitten, dass wir alles, was nur irgend möglich ist, tun, um Reformen alsbald umzusetzen. Das ist wichtig, weil wir dieser humanitären Katastrophe, die vor unserer Haustür als EU und im engen Schulterschluss mit dem IWF hel- stattfindet, entgegenzuwirken, so gut wir können. fen wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (B) Die Ratifizierung des Assoziierungsabkommens in bei der CDU/CSU und der SPD) (D) den europäischen Parlamenten schreitet voran und wird in der ersten Hälfte des neuen Jahres auch im Deutschen Vizepräsidentin Claudia Roth: Bundestag ihren Abschluss finden. Das ist wichtig; denn Vielen Dank, Kollegin Beck. – Herr Krichbaum, das sind wahre Signale. Manche tun so, als wäre die wenn Sie mögen? Ukraine gespalten und als lebten im Ostteil der Ukraine nur diejenigen, die sich eine zügige Annäherung an (Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Ich Russland wünschen. Das ist und bleibt eine Mär. Die de- schließe mich dem voll an!) mokratischen Wahlen haben eine demokratische Legi- Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache. mitation für den Präsidenten und das Parlament in der Ukraine geschaffen. Alle Resultate haben gezeigt, dass Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- die proeuropäischen Kräfte auch im Ostteil der Ukraine ßungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache klar die Mehrheit bilden. 18/3559. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ent- Letzte Anmerkung. Das zweite Ziel muss die wirt- schließungsantrag ist abgelehnt. Zugestimmt hat die schaftliche Stabilisierung der Ukraine sein. Das Brutto- Linke, dagegen gestimmt haben die CDU/CSU, SPD inlandsprodukt der Ukraine ist seit Jahresbeginn um und Bündnis 90/Die Grünen. 8 Prozent gefallen. Wenn wir eine politische Stabilisie- rung erreicht haben und eine wirtschaftliche Stabilisie- Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf: rung langfristig wollen, dann braucht auch die Ukraine Beratung des Antrags des Bundesministeriums eine Art Marshallplan; ohne das wird es nicht gehen. Wir der Finanzen werden uns in diesem Hohen Hause mit der Ukraine ver- mutlich wesentlich länger befassen, als wir uns das heute Finanzhilfen zugunsten Griechenlands; tech- wünschen oder vorstellen können. nische Verlängerung und Fortführung der Stabilitätshilfe Vielen Dank. Einholung eines zustimmenden Beschlusses (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) des Deutschen Bundestages nach § 3 Absatz 1 i. V. m. § 3 Absatz 2 Nummer 2 des Stabilisie- Vizepräsidentin Claudia Roth: rungsmechanismusgesetzes auf Verlängerung Vielen Dank, Kollege Krichbaum. – Zu einer Kurzin- der bestehenden Finanzhilfefazilität sowie tervention hat das Wort Marieluise Beck. nach § 4 Absatz 1 Nummer 1 des ESM-Finan- 7220 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) zierungsgesetzes, der Hellenischen Republik (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (C) nach Artikel 13 Absatz 2 des ESM-Vertrages der SPD) grundsätzlich vorsorgliche Finanzhilfe zu ge- währen Die Anstrengungen waren in Griechenland schwieri- ger als in jedem anderen Land; das muss man immer Drucksache 18/3532 wieder sagen. Diese Anstrengungen beginnen sich für die Menschen in Griechenland auszuzahlen. Arbeitsmarktre- Nach interfraktioneller Vereinbarung sind 60 Minuten formen haben das Land wieder wettbewerbsfähig ge- für die Aussprache vorgesehen. – Ich höre und sehe kei- macht. Die Lohnstückkosten sind zurückgegangen. Die nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Arbeitslosigkeit beginnt zu sinken. Griechenland wird in Ich gebe das Wort Dr. Wolfgang Schäuble für die diesem Jahr zum ersten Mal das Maastricht-Kriterium Bundesregierung. der 3-Prozent-Defizitgrenze unterschreiten. Die Troika prognostiziert, dass die Quote der Gesamtverschuldung, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- die, solange man Defizite und kein Wachstum hatte, na- neten der SPD) türlich anstieg, ab 2015 deutlich sinken wird.

Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan- So sind in allen Ländern unter Hilfsprogrammen und zen: auch in Griechenland Strukturreformen und Haushalts- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Grie- sanierungen Hand in Hand gegangen. Es gibt den Ge- chenland hat einen schwierigen Weg hinter sich, und die- gensatz zwischen Strukturreformen und finanzieller ser Weg ist noch nicht zu Ende. Deswegen hat das Land Konsolidierung nicht; dies zeigen die Programmländer am 9. Dezember zwei Anträge gestellt, erstens einen und auch Griechenland. Wenn beides konsequent ge- Antrag auf eine technische Verlängerung der laufenden macht wird, kommt ein Land voran. Daraus sollten alle Finanzhilfevereinbarung, also des laufenden Hilfspro- in Europa ihre Schlüsse ziehen. gramms, das ohne diese Verlängerung Ende Dezember (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und ausläuft, und zweitens einen Antrag für die Zeit nach der SPD) ordnungsgemäßer Beendigung dieses Programms zur Bereitstellung einer Stabilitätshilfe in Form einer vor- Die erreichten Erfolge Griechenlands verdanken sich sorglichen Kreditlinie. einer großen Kraftanstrengung seiner Bürgerinnen und Bürger; auch das muss man immer wieder sagen. Des- Wir haben in der Euro-Gruppe in der vergangenen wegen ist es wichtig, dass das Hilfsprogramm jetzt zu ei- Woche diese Anträge grundsätzlich begrüßt. Wir haben nem guten Abschluss gebracht wird. Denn trotz aller in der Stabilisierung der Euro-Zone in den letzten Jahren (B) Fortschritte konnte die fünfte und letzte Programmüber- (D) – das ist gerade von der Bundeskanzlerin in Erinnerung prüfung nicht in allen Fragen bis zum Jahresende abge- gerufen worden – mehr erreicht, als viele es vor ein paar schlossen werden. Dieser Abschluss ist aber die Voraus- Jahren zu hoffen gewagt haben. Gerade die Länder unter setzung für die Auszahlung der letzten Tranche von noch den Hilfsprogrammen haben große Fortschritte gemacht. ausstehenden 1,8 Milliarden Euro. Deshalb ist eine tech- Diese fünf Länder führen die Länder im OECD-Ranking nische Verlängerung dieses Programms notwendig; und an, die strukturelle Reformen durchgeführt haben. eine Verlängerung um zwei Monate ist vertretbar. Es ist Auch Griechenland ist auf einem guten Weg. Das ein gutes Zeichen, dass die Verlängerung um nur zwei Land ist in einer besseren Verfassung, als die meisten Monate erfolgen soll. Ein gutes Ende ist in überschauba- vor einigen Jahren für möglich gehalten haben. Kein rer Zeit möglich. Auch das zeigt, wie das Land vorange- Land in der Europäischen Union hatte vergleichbare kommen ist. Probleme. Ich habe mir die Zahlen mitgebracht. Grie- Aber Griechenland muss natürlich, wie verabredet, chenland hatte im Jahre 2009 einen Primärsaldo von mi- weitere Reformen umsetzen und weitere Sanierungs- nus 10,5 Prozent oder 24 Milliarden Euro, also ohne Be- schritte gehen. Man kann das gar nicht oft genug beto- rücksichtigung von Zinsausgaben. Griechenland hatte nen: Das ist zum eigenen Vorteil. Die verabredeten Re- ein Haushaltsdefizit von 15,7 Prozent des Bruttoinlands- formen müssen konsequent implementiert werden, und produkts im Jahr 2009. das entspricht dem Eigeninteresse Griechenlands, im 2012 hat Griechenland noch ein Defizit von 8,6 Pro- Übrigen auch seiner europäischen Verantwortung; denn zent gehabt und einen Primärsaldo von minus 3,6 Pro- auch Solidarität beruht auf Gegenseitigkeit. zent. Inzwischen hat es einen positiven Primärsaldo er- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) reicht. 1,6 Prozent werden für dieses Jahr erwartet. Es geht immer um nachhaltiges Wachstum und Beschäf- Das Wachstum in Griechenland, das 2012 bei minus tigung und um nachhaltig tragfähige Staatsfinanzen. 7 Prozent lag, wird in diesem Jahr bei 0,6 Prozent erwar- tet. In den letzten drei Quartalen ist die griechische Wirt- Es ist Griechenland in diesem Jahr zwar eine Teil- schaft insgesamt stärker gewachsen als die des Euro- rückkehr an die Finanzmärkte gelungen, aber die Unsi- Raums im Durchschnitt. Wenn also die begonnenen Re- cherheiten auf den Finanzmärkten bestehen auch angesichts formen in Griechenland konsequent fortgesetzt werden, anhaltender innenpolitischer Unsicherheiten natürlich dann kann Griechenland auf diesem Weg weitere Er- fort. Man kann das gut verfolgen. Deswegen muss eine folge haben. Die Troika erwartet für das nächste Jahr ein glaubhafte Fortsetzung des Reformkurses abgesichert Wachstum von 3 Prozent. werden. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7221

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble (A) Dazu ist eine vorsorgliche Kreditlinie das richtige In- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Sabine (C) strument; denn damit können wir die allmähliche Rück- Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Will er!) kehr Griechenlands an die Finanzmärkte absichern. Wir müssen dazu keine neuen Mittel bereitstellen. Bis zu Dafür ist die Sache aber zu ernsthaft und zu wichtig. 10,9 Milliarden Euro im auslaufenden Programm, die Wenn Sie einmal nachlesen, was in der einschlägigen für Bankenrekapitalisierung vorgesehen waren, werden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dazu zu nicht verwendet. Diese Mittel können wir dafür bereit- finden ist, stellen. Sie müssen nicht ausgegeben werden, aber selbst wenn sie in Anspruch genommen würden – was man ja (Heiterkeit bei der LINKEN und dem BÜND- bei einer vorsorglichen Kreditlinie zwar nicht beabsich- NIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Diether Dehm tigt, aber auch nicht ausschließen kann –, würde sich die [DIE LINKE]: Genau! – Sven-Christian Kindler Gesamtsumme der an Griechenland ausgereichten Dar- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) lehen nicht erhöhen. dann werden Sie feststellen, Für diese vorsorgliche Kreditlinie ist nach unserem (Philipp Graf Lerchenfeld [CDU/CSU]: Gele- ESM-Finanzierungsgesetz ein zweistufiges parlamenta- sen, aber nicht verstanden!) risches Verfahren vorgesehen: Der Deutsche Bundestag muss dem zweimal in Plenarsitzungen zustimmen. Das dass das Bundesverfassungsgericht sagt: Die Bundes- ist unter den parlamentarischen Beteiligungsrechten in regierung soll möglichst wenig vollendete Tatsachen Europa einzigartig; ich will es nur erwähnt haben. schaffen. – Insofern: Wenn wir in der Euro-Gruppe sa- gen: „Ja, gegebenenfalls sind wir bereit“, dann stellen Ich will auch daran erinnern – schließlich ist auch da- wir diesen Antrag ja nur unter der Voraussetzung, dass rüber diskutiert worden –: Wir fällen zunächst eine Ent- erstens das Programm ordnungsgemäß abgeschlossen scheidung im Grundsatz, mit dem Ziel, überhaupt ein wird und dass zweitens die entsprechenden Anlagen vor- Verhandlungsmandat über ein solches Finanzierungsin- liegen, über die wir selbstverständlich den Bundestag strument zu erteilen. Erst später wird dann gegebenen- und die zuständigen Ausschüsse immer zeitnah unter- falls über die konkrete Vereinbarung noch einmal im richten werden, damit wir dann darüber verhandeln kön- Bundestag abgestimmt. In dem Antrag des Bundes- nen. Denn im Grundsatz haben wir ja schon gesagt: Wir finanzministeriums geht es unter Ziffer 2 – darüber ha- als Regierungen würden unseren Parlamenten empfeh- ben wir gestern schon im Finanzausschuss und in ande- len, im Zweifel einem solchen Antrag zuzustimmen. ren Ausschüssen diskutiert – um die erste Stufe, also um die Entscheidung im Grundsatz. Das entspricht übrigens der Anforderung des ESM-Finanzierungsgesetzes. Dort Vizepräsidentin Claudia Roth: (B) heißt es nämlich in § 7, dass der Bundestag zum frühest- Herr Schäuble, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder (D) möglichen Zeitpunkt zu unterrichten ist und ihm Gele- -bemerkung von Manuel Sarrazin? genheit zur Stellungnahme gegeben werden soll. Da wir in der letzten Woche darüber geredet haben, weiß ich Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan- schon, welchen Brief ich vom Bundestagspräsidenten zen: bekommen hätte, wenn wir diesen Antrag in dieser Wo- Bitte, gerne. che nicht vorlegt hätten. Jetzt bekomme ich einen ande- ren Brief; aber damit muss man leben. Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Herr Schäuble, Sie wissen ja, dass wir Grüne und NEN]: Quatsch! Unterrichten! – Sven-Christian auch ich persönlich beim Thema Griechenland immer Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Un- sehr konstruktiv waren und es auch weiterhin sein wer- terrichten! Aber nicht heute schon entschei- den und dass wir bei diesem Thema nie formale Ausre- den! Das ist ein Unterschied!) den gesucht haben. Das weiß ich auch von Ihnen. Den- noch möchte ich Sie hier fragen: Stimmt es, dass der – Wir können aber heute entscheiden. Gouverneursrat die Entscheidung der ersten Stufe über (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE die Aufnahme von Verhandlungen zur Ausverhandlung GRÜNEN]: Wir können nicht, weil die Doku- eines Memorandum of Understanding erst Mitte bis mente nicht vorliegen!) Ende Januar treffen wird und dass der Gouverneursrat diese Entscheidung auch nur nach Vorliegen aller not- – Wir können heute entscheiden; denn wir haben Ihnen wendigen Dokumente, also auch der Dokumente, die im die Dokumente, die uns vorliegen, vorgelegt. Benehmen von Kommission und EZB angefertigt wer- den müssen, treffen wird? Warum sollen wir als Deut- (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE scher Bundestag bereits heute entscheiden und nicht in GRÜNEN]: Die Einschätzungshoheit soll vom einer Sitzungswoche im Januar oder in einer Sondersit- Bundestag an die Bundesregierung übergehen! zung im Januar, also direkt davor, wenn auch uns alle Das ist Ihr Punkt!) Dokumente vorliegen, bzw. warum sollen wir Ihnen die Aufgabe, die Dokumente zu bewerten und mit der vor- – Nein, überhaupt nicht. Ich bin doch gerade bereit, Ih- läufigen Beurteilung der Kommission zu vergleichen, nen das zu erklären; aber dass Sie vorher schon wider- überlassen, wenn es eigentlich eine Aufgabe des Parla- sprechen, zeigt ja, dass Sie nicht informiert werden wol- ments wäre, Ihnen diese Arbeit abzunehmen? len, sondern hier nur eine billige Polemik machen wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 7222 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

(A) Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan- Wir sind aber auch aus einem zweiten Grund so vor- (C) zen: gegangen; ich bitte Sie, auch diesen zu bedenken, Herr Herr Kollege Sarrazin, die Rechtslage nach dem Kollege Sarrazin. Es gibt nach wie vor eine Unsicherheit ESM-Finanzierungsgesetz ist ein Stück weit anders. Ich in den Finanzmärkten, die durch die innenpolitische Si- widerspreche Ihnen nicht, dass es auch noch reichen tuation in Griechenland ein Stück weit genährt wird. Wir könnte, wenn der Bundestag in der ersten Sitzungswo- haben in den letzten Wochen beobachten können, dass che im Januar darüber abstimmt. Aber es geht nicht nur sich diese Unsicherheit in den Finanzmärkten verstärkt. um die Frage, ob der Bundestag entscheiden muss, son- Deswegen wäre es ein stabilisierend wirkendes Signal dern auch um die Frage, ob die Bundesregierung diesen für alle, für Griechenland, für die Märkte, für die Euro- Antrag jetzt stellen kann. Es ist klar, dass die Bundesre- Zone als Ganzes, wenn klar wird: Ja, wenn Griechenland gierung den Antrag zum frühestmöglichen Zeitpunkt seine Verpflichtungen erfüllt, wird das Programm inner- stellen muss und dass dafür übrigens die notwendigen halb von zwei Monaten zum Abschluss gebracht, und Unterlagen, nämlich die jetzt verfügbaren, einschließlich dann kann auch unter der Voraussetzung einer entspre- einer vorläufigen Einschätzung der Kommission, die chenden Vereinbarung mit der entsprechenden Konditio- auch dem Bundestag mit dem Antrag zur Verfügung ge- nalität anschließend eine Absicherung mit einem vorläu- stellt worden ist, vorliegen müssen. Diese Unterlagen figen Beistandskredit beschlossen werden. Deswegen ist werden, wenn die Arbeiten fortgesetzt werden, natürlich es neben der Erfüllung unserer parlamentarischen Ver- ergänzt. Wann der ESM-Gouverneursrat letztendlich pflichtungen auch richtig, in dieser kritischen Phase entscheiden wird, weiß ich nicht. Aber die Systematik möglichst viele stabilisierende Signale zu setzen. unseres Parlamentsbeteiligungsgesetzes sieht vor, dass In diesen Tagen finden in Griechenland, wie Sie wis- wir bereits vor der Aufnahme von Verhandlungen den sen, Präsidentschaftswahlen statt. Spätestens am 29. De- Bundestag um Zustimmung bitten, ob wir das machen zember werden wir Klarheit über den Ausgang dieser dürfen oder nicht. Das müssen wir jetzt machen, heute. Wahlen haben. Vorausgesetzt, wir haben eine handlungs- Wir müssen den Antrag heute stellen. Der Bundestag ist fähige Regierung in Griechenland, wird die Troika An- natürlich souverän, zu entscheiden, wie er will. Ich emp- fang Januar nach Athen zurückkehren können und über fehle Ihnen aber und bitte darum, dass Sie heute zustim- die notwendigen Voraussetzungen für einen erfolgrei- men. chen Abschluss des Hilfsprogramms verhandeln können. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Griechenland hat durch eigene Anstrengungen und Für den Fall, dass der Bundestag zustimmt, wird der mit unserer Solidarität viel erreicht. Es hat gute Chan- Vertreter der Bundesregierung dann gegebenenfalls ei- cen, das Hilfsprogramm innerhalb der nächsten zwei nem Beschlussvorschlag zustimmen können, mit dem Monate abzuschließen. Wenn wir dann die vollständige (B) (D) die Kommission beauftragt wird, im Benehmen mit der Rückkehr des Landes an die Finanzmärkte mit diesem EZB und möglichst auch dem IWF die Einzelheiten ei- Beistandskredit weiter absichern, dann gibt es eine gute nes solchen Vertrags überhaupt erst auszuhandeln, der Chance, dass dieser Weg fortgesetzt werden kann. dann wiederum dem Bundestag vorgelegt werden wird. Deswegen bitte ich Sie, einer Verlängerung der lau- Die Kommission hat, Herr Kollege Sarrazin, ausdrück- fenden Finanzhilfevereinbarung für Griechenland bis lich bestätigt, dass die Zugangskriterien für eine vor- Ende Februar und grundsätzlich dem Beginn von Ver- sorgliche Kreditlinie vorliegen. Das ist eine vorläufige handlungen über eine vorsorgliche Kreditlinie als Si- Einschätzung der Kommission; die kennen Sie, die ha- cherheitsnetz für Griechenland zuzustimmen. Leisten ben wir Ihnen vorgelegt. Deswegen beantragen wir die wir weiterhin Hilfe zur Selbsthilfe. Wir haben auf dem Zustimmung des Bundestages unter der Maßgabe, dass Weg, die Währungsunion zu stärken, in den zurücklie- sich diese vorläufige Einschätzung der Kommission be- genden Jahren mehr erreicht, als uns die meisten zuge- stätigt. traut haben. Wir sollten diesen Weg gerade angesichts Es wird dem Bundestag also überhaupt nichts wegge- eines schwierigen und volatilen Umfelds, politisch wie nommen, sondern es wird dem Ansinnen einer möglichst ökonomisch, entschlossen und geschlossen weiter fort- frühen Beteiligung nachgekommen. Ich bitte, das nicht setzen. falsch darzustellen, gerade da Sie sagen, Sie seien sonst Herzlichen Dank. immer sehr konstruktiv. Natürlich werden wir die end- gültigen Dokumente, sobald sie vorliegen, dem Bundes- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) tag unverzüglich zusenden. Dann werden wir dem Bundestag eine Einschätzung der Bundesregierung ge- Vizepräsidentin Claudia Roth: ben, inwieweit die Voraussetzungen eines etwaigen Vielen Dank, Herr Dr. Schäuble. – Nächster Redner Maßgabebeschlusses, wenn Sie ihn denn heute treffen, in der Debatte ist Dr. Dietmar Bartsch für die Fraktion erfüllt sind. Die Linke. Noch einmal: Wir haben dieses Vorgehen gewählt (Beifall bei der LINKEN) – es war die Abwägung: Sollen wir es erst später machen oder schon heute? –, weil es dem Grundsatz der frühest- Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE): möglichen Einbindung entspricht. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Später Schäuble, Sie haben recht: Es geht um eine technische wäre auch nicht richtig gewesen!) Verlängerung und um eine vorsorgliche Entscheidung. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7223

Dr. Dietmar Bartsch (A) Dies ist wirklich nur ein Mosaiksteinchen in einem In Griechenland ist die Schwangerschaftsvorsorge (C) Grundproblem, in der Grundstrategie, die Sie fahren. Ich nicht mehr kostenlos. In den meisten Entwicklungslän- will für die Linke klar sagen: Wir wollen uns in diese dern ist das anders. Griechenland ist ein Land der EU. Strategie nicht einbinden lassen. Das ist nicht unsere Das haben wir mit dahin gebracht. Meine Damen und Politik. Herren, das ist so nicht akzeptabel. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir haben die ganz kuriose Situation, dass wir hier im Deutschen Bundestag in diesem Verfahren mehr Mit- Die Ergebnisse der Umsetzung der unsozialen und spracherecht haben als das griechische Parlament. Das ungerechten Forderungen und der Politik der Troika sagt eine ganze Menge über die Demokratie. Die Troika sind: Arbeitslosenquote bei 26,2 Prozent, Jugendarbeits- kontrolliert den griechischen Staatshaushalt. Ich emp- losigkeit bei 52 Prozent, Mindestlohn abgesenkt, Mehr- finde das wirklich als ein großes Problem. wertsteuer auf 23 Prozent erhöht, Arbeitslosengeld ge- senkt und auf ein Jahr begrenzt und, und, und. Da sagen (Beifall bei der LINKEN) Sie: „Griechenland macht Fortschritte“? Sie haben ge- Sie haben hier als Mitglied der Bundesregierung Ih- sagt: „Diese Anstrengungen beginnen sich für die Men- ren Antrag auch damit begründet, dass Griechenland schen in Griechenland auszuzahlen.“ Herr Schäuble, für Fortschritte macht. Ich will dazu einige Beispiele nen- die Menschen ist diese Politik in Griechenland, die Sie nen: mit vertreten, eine Katastrophe. Auf der Website des Finanzministeriums wird die (Beifall bei der LINKEN) Rentenreform in Griechenland sehr gelobt, nämlich „als Was ist denn der Maßstab für Fortschritt? Der eine der bedeutendsten Leistungen des ersten Pro- Maßstab kann doch nicht die Haushaltspolitik sein; der gramms“. Weiter heißt es da: Maßstab muss sein, wie es den Menschen in diesem Die in diesem Kontext getroffenen Maßnahmen Land geht. In Griechenland ist die Selbstmordrate in den haben die Lohnersatzquote gesenkt und führen zu letzten Jahren um 45 Prozent gestiegen. Da ist der Satz einer Senkung des versicherungsmathematischen „Diese Anstrengungen beginnen sich für die Menschen Defizits um 10 Prozentpunkte des BIP bis 2060. in Griechenland auszuzahlen“ wirklich zynisch, Herr Schäuble. Die Übersetzung dieser Einschätzung heißt nichts an- deres, als dass Sie mit der Anhebung des Renteneintritts- (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. (B) alters und vielen anderen Maßnahmen dafür gesorgt ha- Dr. [BÜNDNIS 90/DIE (D) ben, dass die Renten in Griechenland real um 40 Prozent GRÜNEN]) gesenkt worden sind. Dann haben Sie hier umfangreich über das Wirt- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) schaftswachstum gesprochen: 0,6 Prozent in diesem Jahr. Ich will Ihnen einmal die folgenden Zahlen sagen: Ein zweites Beispiel. Sie sagen – wiederum auf Ihrer 2010: minus 4,9 Prozent. 2011: minus 7,1 Prozent. 2012: Website –: minus 6,4 Prozent. 2013: minus 3,9 Prozent. – Als wir in Deutschland in einem Jahr minus 5,6 Prozent hatten, ha- Im Gesundheitswesen wurden die öffentlichen Aus- ben wir schon fast von einer Katastrophe geredet. Da gaben für Arzneimittel durch entsprechende Refor- haben wir ein Investprogramm aufgelegt. Da haben wir men von 3,9 Milliarden Euro im Jahr 2010 auf rund Kurzarbeitergeld gehabt. Da haben wir die Abwrack- 2,5 Milliarden Euro im Jahr 2013 gesenkt. prämie gemacht. Auch diese Botschaft will ich hier übersetzen: Wer (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Wir haben heute in Griechenland länger als zwei Jahre arbeitslos die gemacht!) ist, verliert seine Krankenversicherung. Inzwischen sind rund 3 Millionen Griechinnen und Griechen, 30 Prozent In Griechenland machen wir genau das Gegenteil, und der Griechinnen und Griechen, ohne Krankenversiche- das ist natürlich die völlig falsche Politik. rung, meine Damen und Herren. Chronisch Kranke sind am meisten betroffen. (Beifall bei der LINKEN) Es gab neulich in der ZDF-Sendung Frontal21 ein Sie schreiben selbst: „Die Exportentwicklung in Grie- Beispiel. Es wurde über das Schicksal von Marina chenland bleibt … schwach.“ Antoniou, einer Dolmetscherin, berichtet, die an Krebs Die andere Seite ist: In Griechenland stieg der Anteil erkrankt ist und in der Krise mehr oder weniger alle ihre des Vermögens der 2 000 reichsten Familien am Ge- Aufträge verloren hat. Sie ist jetzt auch nicht mehr kran- samtvermögen des Landes von 75 Prozent auf 80 Pro- kenversichert. Nun muss sie jeden Tag entscheiden, ob zent. Das ist wirklich unfassbar. Wann werden denn die sie a) ihre Mietrückstände zahlt, damit sie nicht auch endlich zur Kasse gebeten? Es sind immer nur die Ar- noch ihre Wohnung verliert, oder b) ihre Krebstherapie beitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die Rentne- fortsetzt. – Meine Damen und Herren, das ist kein Ein- rinnen und Rentner! zelschicksal in Griechenland. Gerade in der jetzigen Zeit sollten wir darüber wirklich einmal nachdenken. (Beifall bei der LINKEN) 7224 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Dr. Dietmar Bartsch (A) Griechenland ist für die deutschen Rüstungskonzerne gen bezogen auf die Legitimation zu treffen, die wir von (C) einer der wichtigsten Kunden. 15 Prozent der deutschen unseren Wählern bekommen haben. In dem Wahl- Rüstungsexporte gehen nach Griechenland. Griechen- programm der SPD aus dem Jahr 2009 stand nicht, dass land hat mehr Leopard-Panzer als die Bundeswehr. Das wir direkte Transfers, also Überweisungen und Zu- ist doch nicht normal, meine Damen und Herren. Da schüsse an die jeweiligen anderen nationalen Parla- muss man doch vielleicht etwas verändern. mente, leisten. Ich glaube, in den Wahlprogrammen der Linken und der Grünen stand dies auch nicht. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das ist GRÜNEN]) nicht die Alternative!) Dieser gesamte Kurs und dieses Diktat, das hier be- Von daher gibt es in der Entwicklung Griechenlands schrieben wird, sind für dieses Land nicht gut. Dieser Licht und Schatten. Es waren jahrzehntelang demokra- Kurs ist falsch, weil er auch die Gastfreundschaft der tisch getroffene Entscheidungen in Griechenland, die griechischen Menschen gegenüber den Deutschen beein- dazu führten, dass Leopard-Panzer angeschafft wurden, trächtigt; das können wir alle nicht wollen. dass über Jahrzehnte auf Pump gelebt wurde, dass es keine ordentliche Steuerverwaltung gab und ein Unmaß (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Okay! Was an Korruption herrschte. ist jetzt die Alternative?) (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Da haben Dieser Kurs ist auch deshalb falsch, weil er ein Nähr- Christdemokraten und Sozialdemokraten re- boden für Ressentiments ist und Ausländerfeindlichkeit giert! – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Ihre der Griechen befördert. Schwesterpartei!) Wir lehnen ihn ab, weil er im Kern ein Weihnachts- – Ich glaube, Ihre waren nicht besser. – Diese von den geld für die Spekulanten ist. Dass wir dabei mitmachen, damaligen konservativen oder sozialdemokratischen werden Sie niemals erleben. Parteien demokratisch getroffenen Entscheidungen ha- Herzlichen Dank. ben dazu geführt, dass Griechenland in die Situation kam, uns und die anderen europäischen Länder um Hilfe (Beifall bei der LINKEN) zu bitten. (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Wir kom- Vizepräsidentin Claudia Roth: men erst jetzt!) Vielen Dank, Dietmar Bartsch. – Nächster Redner in Wir haben diese Hilfe gewährt. (B) der Debatte: Carsten Schneider für die SPD-Fraktion. (D) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wir haben uns als Sozialdemokraten bei der Abstim- der CDU/CSU) mung über das erste Hilfspaket enthalten, und zwar aus einem Grund, der auch heute wieder ein Thema ist: Die Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Gesamtschuldenlast Griechenlands ist extrem groß. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schon 2010 im Rahmen der ersten Debatte, in der ich Wir sind fast am Ende des Hilfsprogramms für Grie- auch gesprochen habe, waren wir der Auffassung, dass chenland angelangt. Herr Kollege Bartsch, Sie haben wir einen Schuldenschnitt brauchen, und zwar insbeson- versucht, Bilanz zu ziehen. Ich will dies auch tun und es dere für die privaten Gläubiger. Dieser ist erst viel später mit der Empfehlung der SPD-Fraktion für die spätere gekommen, und er hat uns knapp 100 Milliarden Euro Abstimmung verbinden. gekostet, als wir es als Staaten zu 100 Prozent übernom- men haben, private Gläubiger auszuzahlen. Das war ein Herr Kollege Bartsch, Sie haben die sozialen Ein- Fehler, den die damalige Bundesregierung gemacht hat. schnitte in Griechenland beschrieben. Dies ist berechtigt. Das können wir nicht mehr ändern. Wir müssen mit der Ich glaube, niemand stellt dies infrage. Die Bedingun- Situation leben, wie sie ist. gen, die mit den gewährten Krediten in Höhe von 240 Milliarden Euro verknüpft waren, haben diese vor- Ich sehe bei den Schatten, die es gibt, auch Licht. Sie gesehen. In Ihrer Rede haben mir allerdings die Alterna- haben die sicherlich unterdurchschnittlichen Wachs- tiven gefehlt. Was wäre die Alternative zu der Gewäh- tumsraten erwähnt, die es gegeben hat. Es gibt aber rung von Krediten unter Auflagen gewesen? Licht; denn es gibt in diesem und im nächsten Jahr posi- tive Wachstumszahlen. In Deutschland träumen wir von Die einzige Antwort, die ich kenne, lautet: Die Alter- den in Griechenland prognostizierten 3 Prozent. Daher native wäre ein direkter Transfer von Mitteln aus glaube ich, es ist richtig, die griechische Regierung jetzt Deutschland, aus der Slowakei und aus den anderen eu- zu unterstützen, wenn sie uns bittet, das Programm mit ropäischen Ländern in Form eines Zuschusses gewesen. den bereits zugesagten Hilfskrediten nicht zum 31. De- Das wäre die einzige Alternative gewesen. zember enden zu lassen, sondern es um zwei Monate zu verlängern. Dem stimmen wir als Sozialdemokraten zu. Sie haben auch zu Recht über die Souveränität des Es ist für uns eine wichtige Bedingung, dass Wirtschafts- Parlaments in Griechenland gesprochen, die jetzt einge- wachstum zustande kommt. schränkt ist. Ja, wir haben es immer wieder gesagt, dass dies eine schwierige Situation für die Demokratie ist. Wichtig ist auch die Frage, die Sie, Herr Bartsch, be- Wir als deutsches Parlament haben jedoch Entscheidun- rechtigterweise gestellt haben, nämlich ob eigentlich Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7225

Carsten Schneider (Erfurt) (A) alle, die es können, tatsächlich ihre Steuern bezahlen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie der Auf- (C) Ich halte es für ganz zentral, dass die Reichsten in fassung sind, dass die Unterlagen in ihrer Endfassung Griechenland tatsächlich ihre Steuern zahlen. Jede Un- nicht dem entsprechen, was uns jetzt vorläufig vorliegt, terstützung, die wir in Deutschland auch bei der Bera- dann haben wir im Bundestag die Chance – das sage ich tung der Verwaltung leisten können, von der Berichte sa- Ihnen zu –, es noch einmal zu beschließen. Nur sollten gen, sie sei unterdurchschnittlich, wollen wir geben. wir heute nicht wegen solcher Kleinigkeiten – es sind wirklich Kleinigkeiten – die gesamte Beschlussfassung Es gibt auch an anderer Stelle Licht: Griechenland hat zurückstellen. immer Chancen gehabt, europäische Investitionsmittel aus den sogenannten Strukturfonds zu bekommen. Im (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: So ist Jahr 2010 sind gerade einmal 20 Prozent der bereitge- es!) stellten Mittel abgeflossen. Im Jahr 2014 sind es über Das wäre ein falsches Signal; denn die Lage ist fragil. 80 Prozent. Es geht also voran. Wir sollten das grie- Der Bundesfinanzminister hat darauf hingewiesen. Es chische Parlament und die Regierung sowie die Be- stehen Wahlen in Griechenland an. Ich weiß nicht, ob es völkerung, die in den vergangenen Jahren wirklich am 29. Dezember eine Mehrheit für einen Staatspräsi- sehr gelitten hat, dabei unterstützen, dass aus diesem denten gibt. Das ist die souveräne Entscheidung des Lichtschimmer am Horizont tatsächlich die Sonne wird, griechischen Parlaments. Klar ist aber: Wenn es sie nicht auch wenn sie dort mehr scheint als bei uns in Deutsch- gibt, wird es Neuwahlen geben. Ich sage allen Kollegen land, was die Temperaturen angeht. hier im Bundestag, aber auch den Kollegen im griechi- Zur vorsorglichen Kreditlinie: Die Kollegen der Grü- schen Parlament: Es wird bei den Konditionen und der nen haben hier und auch im Ausschuss die Frage ge- Frage eines Schuldenschnitts mit einem Regierungs- stellt, ob wir heute dem Finanzminister das Mandat er- wechsel keine Veränderungen geben. Eine Regierung teilen dürfen, können oder wollen, über die vorsorgliche und ein Parlament stehen auch in der Nachfolge zu den Kreditlinie im Rahmen des Finanzrahmens, den wir be- Entscheidungen, die vorher getroffen wurden. Das ist reits verabredet haben, zu verhandeln. auch richtig so; (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – GRÜNEN]: Nein! Das stimmt nicht! – Gegen- Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Wahlen loh- ruf des Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/ nen sich nicht?) CSU]: Doch!) denn man muss sich auf die Entscheidungen verlassen Es gibt hier ein zweistufiges Verfahren: Zunächst wird können. (B) das Mandat erteilt, dass er darüber verhandeln darf, und (Abg. Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU] mel- (D) ganz am Schluss entscheiden wir, ob es auch so gemacht det sich zu einer Zwischenfrage) wird. – Es gibt eine Frage des Kollegen Willsch, die ich gerne (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE zulassen möchte. GRÜNEN]: Carsten, darum geht es nicht!) Jetzt stellt sich die Kernfrage: Liegen alle Unterlagen da- Vizepräsidentin Claudia Roth: für vor? Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen von der CDU? (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das ist die Maßgabe!) Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Ich habe mir gerade noch einmal die Unterlagen des Sehr gerne. Wissenschaftlichen Dienstes und auch die Vorabberichte der Troika angesehen. Im Antrag der Bundesregierung Vizepräsidentin Claudia Roth: steht unter Punkt III – Maßgaben – vollkommen zu Er hat sich schon vorab hingestellt. Recht – ich zitiere –: Die für eine Beschlussfassung … erforderlichen Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): Dokumente … der Leitlinie für vorsorgliche Fi- Er hatte ja schon gesagt, dass er die Frage zulassen nanzhilfen liegen derzeit noch nicht vor. Die Zu- möchte. stimmung des Deutschen Bundestages wird daher unter der Maßgabe beantragt, dass die endgültigen Vizepräsidentin Claudia Roth: Dokumente der EU-Kommission im Benehmen mit Ja, aber er hat es nicht zu entscheiden. der EZB die diesem Antrag beigefügte vorläufige Einschätzung der EU-Kommission bestätigen. (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD) Unter dieser Maßgabe beschließen wir, Dumm gelaufen. (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): NEN]: Und wer bewertet das?) Ich füge mich vollständig den Regeln. – Lieber Kol- und nur dann wird die Bundesregierung darüber be- lege Carsten Schneider, wir haben in der vergangenen schließen. Legislaturperiode im Haushaltsausschuss intensiv das 7226 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Klaus-Peter Willsch (A) Zustandekommen der diversen Rettungsinstrumente dis- Konditionen gebunden. So muss Griechenland weiterhin (C) kutiert. Mich überrascht es nicht, dass am Ende das Geld der Troika Bericht erstatten. Ich halte das auch für not- – 240 Milliarden Euro – alle ist, die Frist verlängert wer- wendig; denn ich glaube, dass es richtig ist, den Druck den muss, die Zinsen gesenkt werden müssen oder was auf das griechische Parlament aufrechtzuerhalten, damit auch immer noch aufgerufen werden wird. es die strukturellen Reformen vorantreibt. Das erscheint mir auch vor dem Hintergrund notwendig, dass der grie- Erstens. Wir haben beim ESM das Instrumentarium chische Präsident schon Mitte des Sommers gesagt hat, der vorsorglichen Kreditlinie eingeführt, um prinzipiell Griechenland steige aus dem ganzen Programm aus. Ich solventen und soliden Staaten, die vielleicht in eine habe das für eine Illusion gehalten. kurzfristige Finanzierungsschwierigkeit geraten, Wasser unter den zu geben. Das praktische Beispiel war da- Es ist das erste Mal, dass dieses Instrument, die vor- mals Spanien. Spanien wollte kein Programm. Deshalb sorgliche Kreditlinie, genutzt wird. Wir haben dem spa- hat man Spanien mit der vorsorglichen Kreditlinie ver- nischen Staat im Rahmen des ESM einen Kredit zur sorgt, um die Banken zu rekapitalisieren. Verfügung gestellt, der auf die Bankenrekapitalisierung (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- konditioniert war. Dieses Instrument gab es damals NEN]: Quatsch! Das stimmt nicht!) schon; es ist genutzt worden. Die vorsorgliche Kreditli- nie, die quasi ein Sicherheitsnetz ist, gab es noch nicht. Für den Fall, über den wir hier diskutieren – ein nicht so- Wir werden sie aber brauchen. – Damit ist die Beantwor- lides Land, ein Land am Rande des Kollapses –, war die- tung der Frage beendet. ses Instrument nie gedacht. Oder täusche ich mich da? Ich möchte auf die Unsicherheit an den Finanzmärk- Zweitens. Ich überlege mir, was der haushaltspoliti- ten eingehen. Wir führen gerade eine Diskussion da- sche Sprecher der SPD in der Opposition zu der Grob- rüber, ob die Europäische Zentralbank stärker am Anlei- einschätzung gesagt hätte, die uns die Kommission hemarkt investieren soll. Sie tut es bereits, weil wir eine vorgelegt hat. Da heißt es: Der Finanzierungsbedarf schwierige ökonomische Situation haben. Ich glaube, Griechenlands im nächsten Jahr kann zwischen 6 und dass wir bei den Zinsspreads, also bei den Zinsaufschlä- 12 Milliarden Euro liegen. – Wenn man das auf unsere gen für einige Länder wie Italien und Spanien, die sehr Volkswirtschaft umbräche, hieße das, ein deutscher Fi- gering geworden sind, eine unnatürliche Situation haben, nanzminister würde dem Haushaltsausschuss bzw. dem was viel mit der Liquidität der EZB zu tun hat. Es hat Parlament einen Etat vorlegen – wir haben jetzt Dezem- den Ländern in den vergangenen Jahren viel Entlastung ber 2014 und reden über den Finanzbedarf in 2015 – und gebracht, dass sie nicht die höheren Zinsen zahlen müs- sagen: Ich weiß nicht genau, ob ich 100 Milliarden oder sen. Das bedeutet aber im Umkehrschluss, dass jede Ver- (B) 200 Milliarden Euro finanzieren muss. – Um es klarzu- unsicherung in einem der Euro-Länder sofort einen Do- (D) machen: Das ist die Größenordnung. Was hätte denn der minoeffekt auf alle anderen hätte. Aus diesem Grund ist haushaltspolitische Sprecher in der Oppositionsfraktion es extrem wichtig, dass wir Griechenland nicht am dazu gesagt? 31. Dezember 2014 mit einem Schlag dem Kapitalmarkt überlassen. Griechenland müsste sich dann nämlich zu Vizepräsidentin Claudia Roth: Zinsen von 12 oder 13 Prozent refinanzieren, die es nicht Danke, Herr Willsch. – Herr Kollege Schneider. zahlen könnte; das sind in etwa die Aufschläge bei einer zehnjährigen Anleihe. Aus diesem Grund ist es unser ur- eigenes und richtiges Interesse, zu sagen: Innerhalb des Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): bereits vom Bundestag genehmigten Finanzvolumens Ich beginne mit der letzten Frage. Die Tatsache, dass stellen wir einen Dispokredit zur Verfügung, damit sich der Finanzierungsbedarf zwischen 6 und 12 Milliarden Griechenland, wenn es notwendig ist, darüber zusätzlich Euro liegt, resultiert daraus, dass es keine Einigkeit zwi- refinanzieren kann. Das erscheint mir nicht nur notwen- schen der EU-Kommission, dem IWF und dem griechi- dig, sondern auch zwingend. Es wäre auch ein Zeichen schen Staat darüber gibt, welche Wachstumszahlen für an das griechische Parlament, dass wir weiterhin zu un- das nächste Jahr zu prognostizieren sind; die Griechen serer Solidarität stehen, die wir zugesagt haben. sagen, es sei ein bisschen mehr, die Kommission sagt, es sei ein bisschen weniger. In den vergangenen Jahren wa- Uns Sozialdemokraten ist auch wichtig, dass wir den ren die griechischen Zahlen, zumindest was die Wachs- Fokus noch viel stärker auf das Wachstum richten. Das tumsprognose betraf, solide. Über diese Zahlen werden ist sowohl bei den Strukturreformen und den angebots- sie sich einigen. Davon hängt dann auch ab – das wissen seitigen Reformen als auch bei der Frage der Investitio- Sie, Herr Kollege –, wie sich die Steuereinnahmen, die nen zentral. Darum geht es 2015. Ein erster kleinerer Arbeitslosigkeit und die Sozialversicherungen entwi- Schritt ist das Juncker-Programm. Wir werden hier in ckeln. Dementsprechend gibt es einen Überschuss – ei- Deutschland und in Europa weitere Schritte brauchen, nen Primärüberschuss haben sie eh – oder ein zusätzli- um dauerhaft leistungsfähig zu bleiben und wieder zu ches Defizit, das sie im Zweifel decken müssen. Wachstum zu kommen. Genau darum geht es auch bei der vorsorglichen Kre- Vielen Dank. ditlinie; damit bin ich bei Ihrem ersten Punkt. Wir nutzen hier die ECCL; das ist quasi ein Dispokredit, ein Konto- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten korrentkredit. Er wird zur Verfügung gestellt, ist aber an der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7227

(A) Vizepräsidentin Claudia Roth: lange einen konditionierten Schuldenschnitt. Das heißt, (C) Vielen Dank, Kollege Schneider. – Nächster Redner man muss sich auf entsprechende Konditionen einigen, in der Debatte ist Sven-Christian Kindler für Bünd- zum Beispiel auf eine Strukturreform in der Steuerver- nis 90/Die Grünen. waltung, damit es mehr Einnahmen gibt, aber auch auf soziale Konditionen, damit die soziale Spaltung verrin- Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gert wird. Auch Investitionen in die Zukunft müssen fi- NEN): nanziert werden. Wir wollen durch einen konditionierten Schuldenschnitt Schritt für Schritt für spürbare Erleich- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und terung sorgen. Dafür muss sich die Bundesregierung ein- Kollegen! Es ist richtig: In den letzten Jahren sind in setzen. Griechenland zahlreiche strukturelle Reformen angegan- gen worden. Die Regierung hat jetzt einen Primärüber- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schuss im Haushalt erzielt. Diese Errungenschaften erken- sowie des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE nen wir Grüne ausdrücklich an. Entgegen der Meinung LINKE]) mancher Boulevardzeitung muss man das in Deutsch- Das Instrument einer vorsorglichen Kreditlinie – mo- land zur Kenntnis nehmen. Das darf man nicht kleinre- mentan liegen die Zinsen bei über 9 Prozent – kann den. grundsätzlich sinnvoll sein, damit Griechenland die an- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gefangenen Reformen weiterhin umsetzen und die Fi- nanzierungsbasis sichern kann. Das ist sehr wichtig. Wir Wir Grüne haben im Bundestag von Anfang an der würden dem heute vorliegenden Antrag in diesem Punkt Gewährung von Hilfskrediten für Griechenland gerade auch zustimmen, wenn die Entscheidung für eine vor- wegen der katastrophalen Marktfinanzierung mit horren- sorgliche Kreditlinie nicht mit der Einschränkung von den Zinssätzen zugestimmt. Wir wollten auch nicht, dass Parlamentsrechten verknüpft wäre. Der vorliegende An- die Euro-Zone auseinanderbricht. Deswegen werden wir trag enthält eine inakzeptable und unnötige Beschnei- heute der Verlängerung des Programms um zwei Monate dung von Parlamentsrechten, und der stimmen wir nicht zustimmen. zu. Wir haben aber immer den einseitigen Kurs der Kri- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) senbewältigung in Griechenland kritisiert. Die Armut und die Arbeitslosigkeit sind immer noch extrem groß, Man muss sich die Situation einmal genau anschauen. besonders unter den Jugendlichen. Die Wirtschaft ist in Im ESM-Finanzierungsgesetz, Herr Schäuble, steht völ- den letzten Jahren massiv eingebrochen. Und ja, natür- lig zu Recht: frühestmögliche Unterrichtung des Parla- ments. Aber dort steht nicht, dass das Parlament über (B) lich war das auf der einen Seite eine Konsequenz aus (D) jahrzehntelanger Misswirtschaft durch die Verantwortli- alle Zwischenstände abstimmen soll. Es ist doch so: chen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in Griechen- Wenn die Dokumente endgültig vorliegen – derzeit lie- land selbst. Auf der anderen Seite war das aber auch eine gen sie nicht endgültig vor –, dann soll die Bundesregie- Konsequenz der harten Sparmaßnahmen und der fal- rung eine Einschätzung vornehmen, ob die vorläufigen schen Anpassungspolitik der Euro-Gruppe, der Bundes- Dokumente der EU-Kommission mit den endgültigen regierung und der Troika. Das haben wir Grüne immer Dokumenten der EU-Kommission im Benehmen mit der kritisiert. Deshalb fordern wir Änderungen bei den An- EZB übereinstimmen. Aber diese Einschätzungshoheit, passungsprogrammen. die die Entscheidungshoheit des Parlaments ist, kann der Bundestag nicht an die Bundesregierung delegieren. Das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) geht gar nicht! Wir Grüne sagen klar: Bei der notwendigen Verlänge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) rung des Kreditprogramms und bei der Gewährung einer vorsorglichen Kreditlinie muss sehr genau auf die wirt- Im Übrigen: Nach dem ESM-Vertrag müssen auch Sie schaftliche Erholung in Griechenland, gerade im Touris- alle endgültigen Dokumente haben, um der ersten Stufe musbereich, geachtet werden. Es muss auch auf die Fi- der Kreditlinie zustimmen zu können. Sie müssen das nanzierung von Zukunftsinvestitionen geachtet werden. nachher bewerten und können das nicht vorher entschei- Wir müssen auf soziale Ausgewogenheit achten, indem den. Das Gleiche gilt für den Bundestag; denn das Bun- die großen Vermögen beteiligt werden. Wir sagen klar: desverfassungsgericht hat klar gesagt: Der Bundestag Wir brauchen mehr Gerechtigkeit in Griechenland. darf nicht in eine Situation des reinen Nachvollzugs von Entscheidungen der Bundesregierung kommen. – Aber (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN genau diese Gefahr besteht, wenn man sich heute ent- sowie des Abg. Dr. Dietmar Bartsch [DIE sprechend entscheidet. LINKE]) Die Frage ist vor allen Dingen: Warum gibt es diesen Die Schuldenstandsquote mit über 170 Prozent des Zeitdruck? Es besteht doch keine Not. Sie haben selber BIP ist nicht nachhaltig, sie ist immer noch viel zu hoch. gesagt, dass der ESM-Gouverneursrat wahrscheinlich Wenn man ein nachhaltiges Niveau erreichen will, dann erst dann entscheiden wird, wenn in Griechenland die muss man hier im Bundestag auch so ehrlich sein und Verlängerung des Programms mit der Troika geklärt ist. zugeben, dass das nicht nur durch Anpassungspro- Das heißt, inhaltlich sind die beiden Entscheidungen, gramme funktionieren wird. Man muss sagen, dass man über die wir heute befinden, getrennt zu sehen. Die Ent- einen Schuldenschnitt will. Wir Grüne fordern schon scheidung zur vorsorglichen Kreditlinie könnte man 7228 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Sven-Christian Kindler (A) durchaus auf die erste Sitzungswoche des Bundestages nicht vergleichbar mit den ehemaligen Programmländern (C) im Januar vertagen. Portugal, Spanien und Irland, die den Rettungsschirm be- reits verlassen haben. Griechenland hat besondere Be- Unsere große Sorge ist, dass Sie mit diesem Trick, da- dingungen, die mit der Vorgeschichte zusammenhängen durch, dass Sie das heute ohne Not durch den Bundestag – sie wurden schon angesprochen –: Ich halte es für peitschen, einen gefährlichen Präzedenzfall für andere einen ausschlaggebenden Punkt, dass der griechische Entscheidungen schaffen. So beschneiden Sie das Parla- Staatsapparat bisher nicht in der Lage war, von allen sei- mentsrecht. Wir sagen klar: Es geht hier nicht um for- nen Bürgerinnen und Bürgern auf gerechter Basis Steu- male Fragen, sondern um Parlamentsrechte, und das sind ern einzuziehen. Der griechische Staatsapparat war auf- keine Formalitäten, sondern zentrale Aspekte der Demo- grund von Korruption – „Vetterleswirtschaft“ sagt man kratie. auf Schwäbisch – nicht in der Lage, eine prosperierende Vielen Dank. Wirtschaft auf die Beine zu stellen. Darin liegt das Hauptproblem. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn man sich den jetzigen Stand der Dinge an- Vizepräsidentin Claudia Roth: schaut, muss man doch feststellen: Griechenland ist auf Danke, Kollege Kindler. – Nächster Redner in der dem richtigen Weg; es geht vorwärts. Die wichtigsten Debatte: Norbert Barthle für die CDU/CSU-Fraktion. Kenndaten wurden schon genannt: Seit 2013 erwirt- schaftet Griechenland einen Primärüberschuss. Lieber (Beifall bei der CDU/CSU) Klaus-Peter Willsch, niemand will die Situation in Grie- chenland schönreden; aber man muss doch zur Kenntnis Norbert Barthle (CDU/CSU): nehmen, dass es vorangeht, dass die Rahmenbedingun- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und gen heute deutlich besser aussehen. Der Arbeitsmarkt Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich nehme für wurde flexibilisiert, die Überstundenvergütung wurde mich in Anspruch, dass ich noch lernfähig bin. Lieber um 20 Prozent reduziert, der Mindestlohn wurde deut- Herr Kollege Kindler, angesichts Ihres Alters müsste lich abgesenkt, und das effektive Renteneintrittsalter man eigentlich davon ausgehen können, dass auch Sie wurde um zwei Jahre auf 65 Jahre angehoben. Diese An- noch lernfähig sind. Der Herr Finanzminister hat es Ih- hebung des Renteneintrittsalters ist im europäischen Ver- nen erklärt, und auch der Kollege Carsten Schneider hat gleich nicht übertrieben, sondern angemessen. Man muss es Ihnen erklärt: nachweisen, dass man 40 Jahre Rentenversicherungsbei- träge geleistet hat, um Anspruch auf die volle Rente zu (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE haben. Bei uns sind das 45 Jahre. Angesichts dessen ist (B) GRÜNEN]: Ich habe es Ihnen gerade auch er- diese Anhebung doch nicht mehr als angemessen. Das (D) klärt!) müsst auch ihr einmal zur Kenntnis nehmen. Es gibt nirgendwo eine Einschränkung von Parlaments- Außerdem hat sich die Wettbewerbsfähigkeit des rechten. Ich erkläre es Ihnen auch noch einmal: Wir Landes deutlich verbessert. Ich mache das immer an ei- stimmen heute zunächst einmal über eine technische ner Kennzahl fest, die für jeden relativ leicht nachzuvoll- Frage ab, über die Verlängerung der Bereitstellungsfrist ziehen ist. Ich zeige dazu heute einmal ein Schaubild, für das laufende Programm um zwei Monate. Damit wa- was ich sonst nie mache. – Sie sehen hier die Entwick- ren Sie einverstanden. Zweitens stimmen wir darüber ab lung der Lohnstückkosten; das sind die Lohnkosten in – das entspricht dem ESM-Finanzierungsgesetz –, die Relation zum Bruttoinlandsprodukt. Bundesregierung zu berechtigen, im ESM-Direktorium über eine vorsorgliche Kreditlinie zu verhandeln. Nach (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das kann Abschluss dieser Verhandlungen legt die Bundesregie- keiner lesen!) rung das Verhandlungsergebnis diesem Parlament vor, Auf diesem Schaubild ist das vereinfacht dargestellt: und dann können wir darüber abstimmen, ob diese Kre- Hier war die Einführung des Euro, hier war die Krise ditlinie zustande kommen soll. und der Beginn der Rettungsprogramme. Gelb unterlegt (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ist der Anstieg der Lohnstückkosten in Griechenland. NEN]: Sie wollten diese zwei Stufen! Ich (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wollte die nie! Sie haben sich die zwei Stufen NEN]: Herr Kollege, ein bisschen höher viel- ausgedacht!) leicht! – Sven-Christian Kindler [BÜND- Das entspricht dem Parlamentsbeteiligungsrecht und NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein bisschen näher dem ESM-Vertrag. Vielleicht lernen Sie das auch noch. vielleicht! Das üben wir noch einmal! – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Ein biss- (Beifall bei der CDU/CSU – Sven-Christian chen mehr nach links, bitte!) Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt einfach nicht! Ich habe es Ihnen vorhin Aufgrund der Konditionalität und nach den Struktur- erklärt! – Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE reformen gingen die Lohnstückkosten in Griechenland GRÜNEN]: Damit man lehren kann, muss rapide nach unten. Die untere Linie, die stabil bleibt, man verstehen!) zeigt übrigens die Entwicklung in Deutschland. Dass Griechenland ein Sonderfall ist, wissen wir alle. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Das wurde schon hinlänglich gesagt. Griechenland ist Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7229

Norbert Barthle (A) NEN]: Die Frau Präsidentin hat das noch nicht tralbank und – das ist uns wichtig – auch vom Internatio- (C) gesehen!) nalen Währungsfonds überprüft werden. Deshalb ist das aus unserer Sicht tragbar. Über die weiteren Einzelheiten Ich kann Ihnen an diesem Schaubild gerne auch noch die werden wir ja noch rechtzeitig informiert werden. Entwicklung der Lohnstückkosten in Frankreich und Ita- lien verdeutlichen, wo die Lohnstückkosten immer noch Ganz wichtig ist mir noch, darauf hinzuweisen, dass steigen. sich auch dann, wenn diese erweiterte Kreditlinie gezo- gen werden sollte, das bisherige Risikopotenzial für Vizepräsidentin Claudia Roth: Deutschland nicht erhöht. Das ist, glaube ich, eine we- Wir hier oben dürfen es nachher auch sehen, ja? sentliche und wichtige Aussage. Das ist bereits in den bisherigen Programmen abgebildet. Der Kollege Carsten Schneider hat darauf hingewiesen, der Finanzminister Norbert Barthle (CDU/CSU): hat darauf hingewiesen. Ich will es noch einmal betonen. Das lassen wir jetzt einmal außen vor. Allein die Ent- wicklung der Lohnstückkosten – das bestätigen Ihnen Liebe Kolleginnen und Kollegen, stimmen Sie diesem alle Volkswirte – sagt sehr viel aus über die Wettbe- Antrag frohen Herzens zu! Denn dieser Antrag ist nicht werbsfähigkeit eines Landes. Dieser Blick auf die Lohn- nur gut für Griechenland, sondern auch gut für Europa stückkosten zeigt – das sage ich auch an die Linken ge- und damit auch gut für uns. wandt –: Griechenland hat vor der Krise über seine Herzlichen Dank. Verhältnisse gelebt, und das gilt für alle, nicht nur für die Reichen. Das muss man einmal zur Kenntnis nehmen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Das gehört zur Wahrheit dazu. Vizepräsidentin Claudia Roth: (Zurufe von der LINKEN) Vielen Dank, Kollege Barthle. Jetzt haben wir Ihr Die Probleme, die wir zu bewältigen haben, liegen nicht Bild gar nicht gesehen. Nächstes Mal zeigen Sie es uns am Euro, sondern in aller Regel an einem Mangel an Re- bitte auch. Wir hier oben sind nämlich auch neugierig. formbereitschaft in den betroffenen Ländern. (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Ich zeige es Ih- Heute, an einem Tag, an dem wir an Andreas nen dann auch! Wir machen einen persönli- Schockenhoff denken, der ein in hohem Maße franko- chen Termin, Frau Präsidentin!) philer Kollege, ein Freund Frankreichs war – wir alle – Persönlicher Termin, gut. Das kommentiere ich jetzt sind Freunde Frankreichs –, möchte ich darauf hinwei- nicht weiter. sen, dass es uns Sorge macht, dass es auch dort mit der (B) Wettbewerbsfähigkeit, mit der wirtschaftlichen Entwick- Nächster Redner in der Debatte ist Dr. Diether Dehm (D) lung nicht richtig vorangeht. Deshalb erlaube ich mir an für die Linke. dieser Stelle die klare Aussage: Es liegt nicht an uns, es (Beifall bei der LINKEN) liegt nicht an Deutschland, sondern an Frankreich selbst. Frankreich muss die entsprechenden Entscheidungen treffen. Dann geht es auch dort wieder voran. Frankreich Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): verbittet sich immer jede Einflussnahme von außen. Das Verehrte Frau Präsidentin! Ich ergänze die grobe Bi- respektieren wir. Genauso nehmen wir aber für uns in lanz meines Kollegen Bartsch zur Rettungspolitik von Anspruch, dass wir unsere Investitionsentscheidungen Frau Merkel, Herrn Schäuble und Herrn Draghi seit selbst treffen. Beginn der Krise 2008: Die Arbeitslosenquote ist von 7,7 Prozent auf 27,3 Prozent gestiegen. 60 Prozent der (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- jungen Griechen sind ohne Arbeit und Lebensperspek- neten der SPD) tive. Die Armutsquote ist bis 2012 von 20,1 Prozent auf 35,8 Prozent gestiegen, Tendenz weiter steigend. Zu den Der Blick auf die bisherigen Programmländer, auch Schulden: 2007 lagen sie noch bei 239 Milliarden Euro; der Blick auf Griechenland zeigt uns klar und eindeutig: das entsprach 107 Prozent der Wirtschaftsleistung. Der bisherige Weg, nämlich Solidarität für Solidität zur Nachdem die Troika ihren Kampf gegen die Schulden Verfügung zu stellen, war der richtige, ist der richtige aufgenommen hatte, stiegen die Schulden auf 318 Mil- und bleibt der richtige. Dort, wo sich Länder um solides liarden Euro bzw. 175 Prozent der Wirtschaftsleistung. Wirtschaften und Haushalten bemühen, herrscht auch Alles, was den Menschen in Griechenland wichtig und europäische Solidarität. Deshalb bin ich überzeugt: Wir für sie lebensnotwendig ist, steht mittlerweile zum Aus- werden jetzt zunächst einmal abwarten, bis Griechen- verkauf: die Wasserversorgung, die Gasversorgung, die land das laufende Programm ordentlich beendet. Wenn Eisenbahn, Häfen und Flughäfen. Ich sage Ihnen: Das ist es ordentlich beendet wird, gibt es grünes Licht für ein wirklich ein Skandal für Demokratie und Volkswirt- Anschlussprogramm, also für eine vorsorgliche Kredit- schaft. linie. (Beifall bei der LINKEN) Damit keine Irrtümer entstehen: Auch diese vorsorgli- che Kreditlinie mit erweiterten Bedingungen – oder En- Ergebnis der krankhaften Gesundheitsreform, die Kol- hanced Conditions Credit Line – hat wieder Bedingun- lege Bartsch vorhin benannt hat, ist eine Steigerung der gen. Es sind Bedingungen zu erfüllen. Dies wird von der HIV-Infektionen um das 32-Fache, die Rückkehr von Europäischen Kommission, von der Europäischen Zen- Malaria, ein Anstieg der Totgeburten um 21 Prozent und 7230 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Dr. Diether Dehm (A) der Kindersterblichkeit um 43 Prozent sowie eine Stei- Ihre Frage weist auf Gemeinsamkeiten zwischen Sozial- (C) gerung der Suizidrate um 45 Prozent. 800 000 Griechen demokraten und Linken hin. sind arbeitslos und erhalten weder Arbeitslosenunterstüt- zung noch verfügen sie über eine Krankenversicherung. Ich möchte ergänzen – weil vorhin nach Alternativen Es herrscht massenhafte Obdachlosigkeit in den Städten. gefragt wurde –: An erster Stelle steht der Kampf gegen die Steueroasen und gegen diejenigen, die sich berei- Daran wird deutlich: Die Troika-Kredite sind nicht an chert haben. Es ist ja nicht so – wie es der Kollege die Griechinnen und Griechen geflossen, sondern an die Barthle eben gesagt hat –, dass Griechenland über seine Großbanken, die sich gerne „Finanzmärkte“ nennen, an Verhältnisse gelebt hat, sondern die Superreichen, die die kriminelle Deutsche Bank und an die Spekulanten. Steuerbegünstigten haben über ihre Verhältnisse gelebt. Die Linke möchte, dass Direktkredite gegeben werden, Der Kampf gegen die Steueroasen ist das Erste, was die und zwar für Arbeitsplätze und für neue ökologische, so- neue griechische Regierung gemeinsam mit einer dann ziale und wirtschaftlich tragfähige unternehmerische hoffentlich auch anders zusammengesetzten EU angehen Ideen. Das ist es, was wir wollen; das sage ich, weil Sie muss. Das ist der entscheidende Punkt. nach Alternativen gefragt haben. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Wir müssen diejenigen zur Kasse bitten, die in der Ver- Solidarität mit Griechenland heißt Mut zu einer radi- gangenheit von staatlichen Leistungen profitiert haben, kaldemokratischen Regierung des Neuaufbruchs. Ich kenne und an die fließen ja 90 Prozent der Griechenlandhilfe. viele mittelständische Unternehmer, die in Griechenland Das ist die gemeinsame Überzeugung von Linken und investieren wollen, wenn dort endlich nicht mehr das neo- Sozialdemokraten, jedenfalls von solchen, die diesen liberale Zepter von Troika, Spekulanten und Deutscher Namen verdienen. Ich danke Ihnen nochmals herzlich Bank geschwungen wird. für Ihre Frage und hoffe, dass ich sie mit einem klaren Ja beantwortet habe. (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Wie viele denn genau, Diether?) (Beifall bei der LINKEN) Sie wollen keine Spekulation betreiben, sondern in neue Ich habe meinem Freund Alexis Tsipras, dem vermut- Ideen, in Beschäftigung und nachhaltige Innovationen lich künftigen griechischen Ministerpräsidenten, gera- investieren. ten, eine Schadensersatzklage gegen Goldman Sachs wegen wissentlich betrügerischer Falschberatung bei der Einführung des Euro zu erheben. Es muss aufhören, dass Vizepräsidentin Claudia Roth: die Menschen in den Schuldnerländern für das Versagen (B) Kollege Dehm, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder der Spekulanten zahlen müssen; das gilt übrigens auch (D) -bemerkung von Herrn Petry, SPD? im Hinblick auf die beiden Schwesterparteien von SPD und Union, die sich in Griechenland lange am Staatsap- Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): parat bereichert haben. Jede neue Regierung wird einen Ja. schweren Gang ins Freie vor sich haben. Ich denke, Griechenland wird sich mit Alexis Tsipras und der SYRIZA gegen die Finanzoligarchen, die man bei uns Christian Petry (SPD): „Finanzmärkte“ nennt, erheben. Herr Kollege Dehm, Ihren Ausführungen zufolge ist in Griechenland ein strukturelles Problem zu erkennen. (Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE Deswegen möchte ich Sie fragen – bei aller Polarisie- LINKE]) rung, die wir hier im Parlament gerne betreiben –: Stim- Alle anständigen Menschen sollten Griechenland dabei men Sie mit mir überein, dass wir alle gemeinsam wol- solidarisch unterstützen. len, dass es in Griechenland zu einem gerechteren Steuervollzug kommt, damit das griechische Volk, das (Beifall bei der LINKEN – Bernhard Kaster bisher den Löwenanteil all der Sanierungsmaßnahmen [CDU/CSU]: Das war grenzwertig! – Norbert getragen hat, nicht alleine dasteht, sondern auch die Ver- Barthle [CDU/CSU]: Unanständig!) mögenden entsprechend beteiligt werden? Stimmen Sie mit mir darin überein, dass dies unser gemeinsames Ziel Vizepräsidentin Claudia Roth: sein muss? Nächster Redner in der Debatte: Ewald Schurer für die SPD-Fraktion. Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): (Beifall bei der SPD) Kollege Petry, ich danke Ihnen sehr für Ihre Zwi- schenfrage. Sie zeigt, dass es Sozialdemokraten gibt, die Ewald Schurer (SPD): diesen Namen verdienen. Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Iris Diese Debatte ruft in Erinnerung, was wir in den Jahren Gleicke, Parl. Staatssekretärin: Ach, jetzt hör 2008, 2009 und 2010 in Bezug auf Griechenland in Eu- aber mal auf! – Carsten Schneider [Erfurt] ropa erlebt haben. Griechenland stand Mitte 2009 und [SPD]: Ein Glück, dass du nicht bei uns bist! im Jahr 2010 vor einem, so kann man sagen, Staatsinsol- Schämen würde ich mich!) venzverfahren. Griechenland war nicht mehr in der Lage, Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7231

Ewald Schurer (A) sich selbst zu refinanzieren. Das war die Ausgangssitua- zierungsgesetz gesprochen, und wir haben uns, wie ver- (C) tion. mutlich nur wenige Parlamente im europäischen Raum, die Mühe gemacht, die Partizipation des Parlaments in Wie auch immer man die makroökonomische Situa- den Mittelpunkt aller europäischen Prozesse zu stellen, tion bewerten mag: Griechenland brauchte dringend eu- weil wir uns ja schließlich national und in Europa letzt- ropäische Solidarität. Im Gegensatz zu dem, was die endlich in hohem Umfang an diesem Prozess der Schul- Linken hier erzählen, ist sie damals auch erbracht wor- denbekämpfung beteiligen mussten. den, auch von Grünen und Sozialdemokraten, sowohl in der Regierung als auch in der Opposition, weil man ge- Der Herr Minister und der Kollege Schneider haben sehen hat: Wir können nicht anders, als für Griechenland es bereits angeführt – auch ich sehe es so –, dass wir die entsprechende Finanzkonstrukte zu schaffen. Zunächst angesprochenen zwei Dinge tun müssen und auch tun einmal gab es, im Februar und März 2010 ausgehandelt, werden: bilaterale Verträge zwischen verschiedenen Staaten und Die Prolongation des bestehenden EFSF-Programms Griechenland, dann, unterstützt vom IWF, eine 80-Mil- bis zum 28. Februar 2015 ist notwendig. Wir haben liarden-Euro-Linie, von der 73 Milliarden Euro ausge- hierüber eine Vorinformation, auch wenn das nur Zwi- zahlt worden sind, und später die Fazilitäten: EFSF, schendokumente sind. Diese sind im Übrigen im Parla- EFSM und ESM-Vertrag. ment und bei der Regierung vorhanden. Das heißt, wir Man muss an dieser Stelle auch sagen, dass Griechen- haben kein Informationsdefizit. Wir müssen aber, liebe land ohne diese strukturellen Hilfen nicht hätte überle- Freundinnen und Freunde der Grünen, auf die endgülti- ben können. Dann hätte man nicht mehr über die gen Dokumente zugegebenermaßen noch etwas warten; schmerzhaften – das gebe ich zu – Sozialkürzungen Carsten Schneider hat dies bereits beschrieben. Ich finde reden müssen. Griechenland wäre weder in der Lage ge- es haushalts- und finanztechnisch auch gut, dass wir eine wesen, einen Cent an Rente auszuzahlen, noch sein vorsorgliche Finanzhilfe für Griechenland leisten. Die Gesundheitssystem auch nur im Ansatz aufrechtzuerhal- entsprechende Kreditlinie wird in maximal zwölf Mona- ten. Griechenland hätte einen Kollaps aller staatlichen, ten 10,9 Milliarden Euro umfassen. Das alles trägt in der öffentlichen Systeme erlebt. fragilen Situation, in der sich Griechenland immer noch befindet, zu einer gewissen Form von Sicherheit bei. Das, was wir erlebt haben – das gebe ich zu –, wurde von den Sozialdemokraten im Europaparlament und Gestern ist in Griechenland der erste Versuch, einen auch in unserer Bundestagsfraktion mit großer Besorgnis Präsidenten zu wählen, gescheitert. Es gibt zwei weitere gesehen, weil wir der Meinung waren und auch heute Termine: den 23. und den 29. Dezember 2014. Nur dann, noch sind – trotzdem glauben wir, wir kommen an der wenn es an diesen Terminen nicht gelingen würde, einen (B) heutigen Lösung nicht vorbei –, dass diese Sparpro- Präsidenten zu wählen, würden die Träume der Linken (D) gramme, diese Auflagen, diese Konditionalitäten, in so vielleicht wahr werden. Ich glaube es aber nicht. Herr kurzer Zeit eine so große Sparleistung zu erbringen, Bartsch, wenn das der Fall wäre, dann müsste ihr Kandi- Griechenland binnenwirtschaftlich nicht geholfen, son- schon am ersten Tag alle Versprechungen, die er jetzt dern teilweise geschadet haben. Dennoch muss man ehr- macht, zurücknehmen. lich sein: Ohne Auflagen gibt es nirgends in dieser Welt (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Alle doch Geld. nicht! Das stimmt doch gar nicht! Einige!) Ich darf vielleicht einmal die Historie bemühen: Nir- Wenn alle internationalen Verpflichtungen aufgekündigt gendwo gab es jemals in der Weltgeschichte so brutale würden, dann würde Griechenland das erleben, was Auflagen. Ausgenommen davon – das ist mir spontan 2009 schon einmal drohend im Raum stand, nämlich ei- eingefallen – sind nur die Sanktionen des Regimes der nen Konkurs des gesamten Landes. ehemaligen Sowjetunion gegen die COMECON-Staaten. Damals wurden sämtliche Formen von Ressourcenliefe- (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Kennen Sie rungen und Hilfen so brutal sanktioniert wie niemals seine Versprechungen?) sonst in diesem Weltgeschehen. – Das sei noch ins linke Insofern sind die großen, wohlfeilen Versprechungen der Stammbuch geschrieben. jetzigen griechischen Opposition wirklich nur Schall und Ich komme auf die Situation in Griechenland zurück: Rauch. Sie könnte ökonomisch keine ihrer Versprechun- Die Sozialdemokraten haben den Prozess kritisch beglei- gen erfüllen, wenn sie in diese Situation kommen würde, tet. Wir waren ganz klar der Meinung, dass diese Pro- was – so ist meine große Hoffnung – nicht der Fall sein gramme binnenwirtschaftlich nur zum Teil helfen. Teil- wird. weise kam es dann zu den Senkungsprozessen, deren Für mich ist die letzte wichtige Aussage, dass Grie- Brutalität auch von uns nicht beschönigt werden kann. chenland jetzt natürlich in die Phase des Wachstums kommen muss. Der Minister, Carsten Schneider und an- In der Conclusio, Herr Minister, werte Kolleginnen dere haben es schon angesprochen: Griechenland hat ein und Kollegen, sehe ich, dass wir heute das Richtige tun. zartes Wachstum; es ist noch nicht bestätigt. Wir sind vorinformiert worden. Wir haben in den ver- gangenen Jahren in diesem Hohen Hause gemeinsam mit Es gab einen Traum: Im April dieses Jahres hat man allen Fraktionen in einer großen Breite und Tiefe über eine fünfjährige Staatsanleihe für 4,75 Prozent ausbrin- das StabMechGesetz, also das Gesetz über den europäi- gen können, und schon hatte Griechenland gedacht, man schen Stabilitätsmechanismus, und über das ESM-Finan- wäre in der Lage, sich von den Märkten, den Auflagen 7232 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Ewald Schurer (A) und den Konditionalitäten zu lösen. Dieser Traum hat (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das hat er (C) sich leider nicht erfüllt. Wir alle wären begeistert gewe- mehrfach gesagt!) sen, wenn sich Griechenland ab dem Sommer wieder selbstständig und ohne Auflagen hätte refinanzieren – Das sagt er so nicht. können. Das hat sich – ich sage es noch einmal – leider (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Doch!) nicht erfüllt. Deswegen ist Griechenland dringend auf eine Fortführung der Solidarität durch die Europäische Er sagt immer: Es ist nicht meine Priorität, aus dem Euro Union angewiesen. auszuscheiden. – Das ist ein feiner Unterschied, Diether. Außerdem wünschen wir uns, dass sich nicht heraus- Bei aller Kritik der Grünen, die ich sehr ernst nehme: stellt, dass eure Partnerpartei, die SYRIZA, auch so et- Es gibt dazu keine wirkliche Alternative. was ist, nämlich eine alte Strukturen bewahrende Klien- telpartei. Wir wünschen uns, dass herauskommt, dass (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE das nicht so ist. GRÜNEN]: Doch!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Griechenland muss versuchen, diesen zarten Erho- Widerspruch bei der LINKEN) lungskurs fortzusetzen hin zu wirtschaftlichem Wachs- tum, hin zu mehr Beschäftigung und hin wieder zu einer Sie wissen, dass in Griechenland viele jetzt schon sa- Krankenversicherung für alle Menschen – auch für gen, dass Tsipras der neue alte Papandreou ist. Ich wün- schwangere Frauen –, die diesen Namen verdient. Die- sche mir, dass dein Freund nicht zu so etwas wird. Viel- sen Weg muss Griechenland gehen. leicht wäre ein bisschen mehr Ramelow besser für Griechenland als ein bisschen mehr Tsipras, aber egal. Ohne weitere Hilfen seitens der Europäischen Union mit Zustimmung des Deutschen Bundestages wird es (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nicht gehen. So kurz vor Weihnachten will ich hier Die Lage in Griechenland wurde schon beschrieben. nichts von einer heilen Welt erzählen. Vielmehr will ich Die wichtigste Herausforderung ist jetzt, dass die zarten sagen, dass wir nach einer sehr schwierigen Phase der Pflänzchen der Erholung – man kann darüber streiten, Restrukturierung, in der auch handwerkliche Fehler be- wie groß sie sind – nicht wieder durch politische Instabi- gangen wurden, versuchen müssen, Griechenland inner- lität kaputt gemacht werden. Wir sind bereit, unseren halb der Europäischen Union wieder nach vorne zu ent- Beitrag dazu zu leisten. Darum werden wir der Verlänge- wickeln, und zwar ökonomisch über mehr Investitionen rung des Programms zustimmen. und durch das Widererstarken sozialer Leistungen. Wir sind auch bereit, einer vorsorglichen Kreditlinie (B) Ganz herzlichen Dank. zuzustimmen, aber nicht heute. Das liegt an folgendem (D) Problem. Das liegt nicht daran, dass man nicht auch ein- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) mal etwas entscheiden könnte. Das Problem ist die Maß- gabe, die Sie hineingeschreiben haben, dass die Beurtei- Vizepräsidentin Claudia Roth: lung, ob die vorläufigen Berichte der Kommission mit Danke, Kollege Schurer. – Nächster Redner in der den abschließenden Berichten übereinstimmen, von uns Debatte ist Manuel Sarrazin für Bündnis 90/Die Grünen. an die Bundesregierung abgegeben wird. Ich glaube, dass das nicht geht. Das geht nicht, weil wir nicht in eine (Zuruf von der CDU/CSU: Emmanuel! Situation des reinen Nachvollzugs kommen können, die Erleuchtung!) das Bundesverfassungsgericht in Bezug auf die zweite Entscheidung so stark thematisiert. Das geht auch des- Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): halb nicht, weil bei uns im Deutschen Bundestag das Prinzip der Integrationsverantwortung gilt. Es gilt, über Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- die Zugangsvoraussetzung zu entscheiden, damit über gen! Man kann Griechenland als ein Land beschreiben, die Ob-Frage nicht erst am Ende entschieden wird. Über in dem abwechselnd monogame absolute Mehrheiten die Ob-Frage können wir jetzt noch nicht ausreichend von zwei relativ mit Korruption verbandelten Großpar- entscheiden. teien – wir haben das Glück, dass die griechischen Grü- nen nicht so relevant sind, als dass man hier jemandem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) etwas vorwerfen kann –, die mit der EVP oder der euro- päischen Sozialdemokratie zusammenhängen, herr- Man kann sagen – da stimme ich Ihnen zu, Herr schen und immer abwechselnd das Land relativ stark in Schäuble –, dass wir Griechenland auch im Deutschen Klientelwirtschaft aufgeteilt haben. Das ist im Zuge der Bundestag sehr stark beobachten, dass wir einschätzen Finanzkrise hochgegangen. Das wäre früher oder später können, ob die vorläufige Einschätzung der Kommission sowieso hochgegangen. Daher ist die Troika zumindest totaler Quatsch oder nicht. Da würde ich Ihnen noch zu- daran nicht schuld. stimmen. Ich glaube, dass diese relativ realistisch ist. Ich kann Ihnen aber keine Maßgabe geben, dass Sie Jetzt hofft die Linkspartei, dass Herr Tsipras das mir diese Entscheidung abnehmen. Das passt nicht mit Ruder übernimmt. Ich wünsche mir, dass dieser endlich meinem Selbstverständnis als Parlamentarier zusammen. klar sagt: „Wir wollen, dass Griechenland im Euro bleibt“, und er auch persönlich bereit ist, alles dafür zu Weil Kollege Willsch dort hinten sitzt und Kollege tun. Gauweiler nicht dort hinten sitzt, muss ich sagen: Wir Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7233

Manuel Sarrazin (A) werden dann, wenn die Zeit dafür gekommen ist, einen chenland gut entwickeln werden und dass sich unsere (C) Antrag einbringen, dem Sie dann zustimmen müssen, Aktionen bzw. unsere unendlich großen Rettungs- damit Herr Gauweiler dank uns in Karlsruhe gegen Sie schirme in den letzten Jahren sehr erfolgreich gestaltet wieder einmal nicht gewinnt. So konstruktiv sind wir haben. dann doch noch. Was wäre denn gewesen, wenn wir das nicht gemacht (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Er hat hätten? Es wäre doch geradezu in epidemischer Wirkung schon viele gewonnen!) auf italienische und französische Banken übergegangen, Aber den Quatsch heute machen wir nicht mit. und der Euro selber wäre attackiert worden. Wenn ich die Äußerung von Bundeskanzlerin Merkel aufgreife, Danke. dass es ohne Euro auch keine funktionierende Europäi- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sche Union gäbe, dann bedeutet das, dass die gesamte Europäische Union betroffen gewesen wäre. Darum war es richtig, dass wir so gehandelt haben, und darum ist es Vizepräsidentin Claudia Roth: auch richtig, dass wir heute die beiden Beschlüsse Danke, Kollege Sarrazin. – Der letzte Redner in die- fassen. ser Debatte ist Alois Karl für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, wir gehen auch ein hohes Alois Karl (CDU/CSU): Risiko ein. Das ist gar keine Frage. Die Rettungsschirme Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und des ersten Griechenland-Programms mit 110 Milliarden Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Euro und des zweiten mit 164 Milliarden Euro sind Bundestages! Wenn man viel Zeit hat, den Vorrednern schon angesprochen worden. Unser eigenes Risiko dabei zuzuhören, dann fällt einem manches auf. Besonders ist mit 76,6 Milliarden Euro nicht gering. Aber all das Ihre Ausführungen, Herr Dehm, können nicht ganz un- machen wir sehenden Auges, weil wir wissen, dass das widersprochen bleiben. Sie gerieren sich manchmal wie notwendig ist, um Griechenland wieder auf eine gute ein Arzt. Sie zeigen allerdings nur die Symptome auf, Strecke zu bringen. also das, was in Griechenland zurzeit zu sehen ist und Nach dem Stabilisierungsmechanismusgesetz sind wie es sich in den letzten zwei, drei oder vier Jahren ent- wir als Deutscher Bundestag gehalten, mitzuwirken, und wickelt hat. Aber Sie bleiben bei der Beschreibung der zwar in doppelter Ausfertigung. Darum sind Ihre Aus- Symptome stehen. Sie gehen nicht auf die Ursachen ein, führungen, Herr Sarrazin, dass schon alles vorgelegt woher das Ganze resultiert. Dass das Jahre und Jahr- (B) werden muss, nur am Rande richtig. Wir müssen uns (D) zehnte zurückliegt und die heutigen Symptome schon noch einmal mit diesem Thema befassen und entspre- vor vielen Jahren begründet worden sind, hast du schon chende Beschlüsse fassen. Erst dann kommt die vorsorg- ausgeführt, lieber Norbert Barthle. liche und grundsätzliche Griechenland-Hilfe insgesamt (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Aber von auf den Weg. den Konservativen!) Wir müssen jetzt 1,8 Milliarden Euro zwei Monate Wir – auch Sie, Herr Bartsch – sind heute angehalten, länger vorhalten. Das halte ich für richtig. Die Prüfungen über die Symptome hinauszuschauen und – wie das im müssen ordnungsgemäß erfolgen. Sie sind unseres Leben so ist – Medikamente zu verschreiben, die zwar Wissens noch nicht vollständig abgeschlossen. Bei den manchmal bitter sind, aber dann auch wirken müssen. großen Zahlen, die gerade genannt worden sind, könnte Wer bei den Symptomen stehen bleibt, lieber Herr man vielleicht meinen, dass 1,8 Milliarden Euro zu ver- Sarrazin, der ist eher Scharlatan als Arzt. Ich bitte Sie, nachlässigen sind, aber das trifft nicht zu. Es ist viel diesen Weg in Zukunft nicht weiter zu beschreiten. Geld, insbesondere dann, wenn es einem nicht gehört bzw. wenn wir mit dem Geld anderer umgehen. Dabei ist (Beifall bei der CDU/CSU) es wichtig, notwendig und richtig, dass wir auch diese Ich habe gestern mit einem Freund in meinem Wahl- 1,8 Milliarden Euro unter den Vorbehalt der Prüfung kreis telefoniert. Er hat gefragt, zu welchem Thema ich stellen. heute rede. Als ich ihm sagte, zur Griechenland-Hilfe, Unser zweites Vorhaben, den Griechen vorsorglich hat er gefragt: „Ist das mit Griechenland denn immer ein Programm zur Verfügung zu stellen und grundsätz- noch nicht zu Ende?“ Das ist die Stimmung. Ich habe da- lich Finanzhilfe in Höhe von 10,9 Milliarden Euro zu ge- rauf geantwortet: Es ist in der Tat gut so, dass es mit währen, ist durchaus komplizierter. Herr Bundesfinanz- Griechenland nicht zu Ende ist. minister, Sie haben dazu sehr ausführlich und intensiv Wir haben in den letzten Jahren außerordentlich viel vorgetragen. Diese Maßnahme soll auf ein Jahr befristet Arbeit mit Griechenland gehabt und unendlich große sein. Wir sind sehr zuversichtlich, dass sich Griechen- Rettungsschirme gespannt. land im nächsten Jahr aufgrund der guten Zahlen, die wir vernommen haben, positiv entwickeln wird. Griechen- (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- land hat zwar im letzten Sommer eigene Kredite zu ei- NEN]: Nicht unendlich!) nem Zinssatz von ungefähr 4,5 Prozent aufnehmen kön- Wir sehen heute einen Schimmer des Lichts am Ende nen. Aber nun ist der Zinssatz auf das Doppelte des Tunnels und glauben, dass sich die Dinge in Grie- gestiegen, auch wegen der Unsicherheiten, von denen 7234 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Alois Karl (A) wir gehört haben. Fast alle anderen Indizes der griechi- Willsch sowie bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grü- (C) schen Wirtschaft sind positiv; das hat uns sehr gefreut. nen. Das verschafft uns eine gewisse Sicherheit bei der nun anstehenden Maßnahme. Damit ist der Antrag insgesamt angenommen. – Vie- len Dank, liebe Kollegen. Vielleicht können wir einen Die Kernfrage all unserer Entscheidungen lautet: Er- relativ flotten Platzwechsel vornehmen, weil wir zeitlich höht sich unser Risiko, bleibt unser Risiko gleich, oder hinterherhinken. vermindert sich unser Risiko? Wenn ich sehe, dass sich die griechische Wirtschaft in vielen Punkten verbessert Dann rufe ich den Tagesordnungspunkt 5 auf: hat, dass wir auch bei der Arbeitslosigkeit in Griechen- Erste Beratung des von den Abgeordneten land auf einem positiven Weg sind, auch wenn sie noch Dr. Harald Terpe, Katja Dörner, Volker Beck nicht so niedrig ist, wie wir uns das wünschen – das ist (Köln), weiteren Abgeordneten und der Fraktion nicht so gravierend wie die Entwicklung beim Primär- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten saldo, beim Bruttoinlandsprodukt oder bei der Wirt- Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des schaftsleistung –, dass sich Griechenland in den letzten Fünften Buches Sozialgesetzbuch zur Gleich- Jahren durchaus positiv entwickelt hat und dass es sich stellung verheirateter, verpartnerter und auf bei den 10 Milliarden Euro, um die es nun geht, nicht um Dauer in einer Lebensgemeinschaft lebender neues Geld, sondern um umgeswitchtes Geld vom Ret- Paare bei der Kostenübernahme der gesetzli- tungsschirm EFSF hin zum ESM handelt, dann bin ich chen Krankenversicherung für Maßnahmen sehr zuversichtlich, dass sich unser Risiko nicht erhöht. der künstlichen Befruchtung Wenn sich das Risiko nicht erhöht – wir aber unseren griechischen Freunden damit einen Schub zur Verbesse- Drucksache 18/3279 rung ihrer Situation geben können –, dann sollten wir Überweisungsvorschlag: das durchaus machen. Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Aus diesem Grunde werden wir als CDU/CSU, Herr Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Bundesfinanzminister, dem Antrag zustimmen. Ich bitte diejenigen, die sich nicht an der Debatte be- Vielen herzlichen Dank. teiligen wollen, sei es auf der Regierungsbank oder im Plenum, die Gespräche einzustellen oder woanders zu (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) führen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Vizepräsidentin Claudia Roth: die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- (B) Vielen Dank, Kollege Karl. – Damit schließe ich die nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. (D) Aussprache. Ich eröffne die Debatte und gebe das Wort Katja Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag Dörner für Bündnis 90/Die Grünen. des Bundesministeriums der Finanzen auf Drucksache 18/3532 mit dem Titel „Finanzhilfen zugunsten Grie- chenlands; technische Verlängerung und Fortführung der Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Stabilitätshilfe, Einholung eines zustimmenden Be- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! schlusses des Deutschen Bundestages“. Mir liegt eine Liebe Kollegen! Zurzeit übernehmen Krankenkassen ei- persönliche Erklärung zur Abstimmung vor.1) nen Kostenanteil bei einer künstlichen Befruchtung nur für verheiratete Paare. Wir halten das für überholt und Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat beantragt, nicht mehr zeitgemäß. Deshalb haben wir heute einen über Ziffer 1 des Antrags einerseits und über Ziffer 2 des Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem die Kostenübernahme Antrags andererseits getrennt abzustimmen. Wir stim- auf nichtverheiratete Paare und auf eingetragene Le- men daher zunächst über Ziffer 1 des Antrags ab. Hier benspartnerschaften ausgeweitet wird. geht es um die Verlängerung der Bereitstellungsfrist für die EFSF um zwei Monate im Rahmen der bestehenden (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hauptfinanzhilfevereinbarung. Wer stimmt dafür? – Wer und bei der LINKEN) stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Ziffer 1 des Antrags Damit orientieren wir uns an der Vielfalt der Fami- ist angenommen bei Zustimmung von CDU/CSU, SPD lien, wie sie heute in Deutschland gelebt wird, und wir und Bündnis 90/Die Grünen und Ablehnung von Links- schließen auch eine Gerechtigkeitslücke. Es ist aus unse- fraktion und dem Kollegen Willsch von der CDU/CSU- rer Sicht überhaupt nicht nachvollziehbar, am Trau- Fraktion. Es gab keine Enthaltung. schein als Voraussetzung für die Kostenübernahme bei Wir stimmen nun über Ziffer 2 des Antrags ab. Da künstlichen Befruchtungen festzuhalten. geht es um eine Grundsatzentscheidung über eine vor- Viele Menschen wünschen sich ein Leben mit Kin- sorgliche Kreditlinie des ESM. Wer stimmt dafür? – Wer dern. Elternschaft gehört für viele zu einem glücklichen stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Ziffer 2 des An- Leben. Selbstverständlich gibt es kein Recht auf Eltern- trags ist angenommen bei Zustimmung von CDU/CSU schaft, es gibt kein Recht auf ein Kind oder auf Kinder, und SPD gegen Stimmen von Linksfraktion und Herrn aber aus unserer Sicht gibt es ein Recht, dass niemand bei der Chance auf Elternschaft benachteiligt wird. Das 1) Anlage 3 ist aber leider derzeit der Fall. Künstliche Befruchtungen Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7235

Katja Dörner (A) sind teuer. Häufig klappt es nicht beim ersten Versuch. Scheidungsraten mehr als fragwürdig. Im vergangenen (C) Da macht es natürlich einen erheblichen Unterschied, ob Jahr wurden rund 170 000 Ehen geschieden. Fast die die Krankenkasse einen Teil der Kosten übernimmt oder Hälfte der geschiedenen Paare hatte Kinder unter 18 Jah- nicht. Wir wollen, dass unverheiratete Paare und Le- ren. Gleichzeitig hat sich die Anzahl nichtverheirateter benspartnerschaften nicht länger benachteiligt werden, Eltern zwischen 1996 und 2012 verdoppelt. sondern endlich die gleiche Chance auf Elternschaft ha- ben wie Verheiratete. Ich will trotzdem noch ein paar weitere Zahlen nen- nen, auch wenn Zahlen vielleicht nicht immer so span- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nend sind: 2012 kamen im Westen knapp 40 Prozent der und bei der LINKEN) erstgeborenen Kinder nichtehelich zur Welt; im Osten sind es sogar 74 Prozent gewesen. Das zeigt, das Famili- Das Thema „Kostenübernahme bei künstlichen enleben in Deutschland ist bunt. Das Familienleben mit Befruchtungen“ ist im Sommer wieder in den Fokus ge- Trauschein ist weder besser noch schlechter als ohne rückt, und zwar durch das Urteil des Landessozialge- Trauschein. Regenbogenfamilien sind nicht besser und richts Berlin-Brandenburg. Das Gericht hat festgestellt, nicht schlechter als die klassischen Familien. Wir wol- dass eine gesetzliche Krankenkasse die Kosten bei nicht- len, dass sich diese Vielfalt, diese Lebensrealität, die in verheirateten Paaren nicht einmal auf freiwilliger Basis Deutschland einfach vorhanden ist, endlich auch in übernehmen darf. Hintergrund ist, dass die Leistungen unseren Gesetzen wiederfindet. Die Frage der Kosten- einer gesetzlichen Krankenkasse nur im Rahmen von übernahme bei künstlichen Befruchtungen ist da ein § 27 a SGB V erweitert werden dürfen. Es besteht also Baustein. ganz klar gesetzgeberischer Handlungsbedarf. Das ist der Hintergrund, warum wir diesen Gesetzentwurf heute Ich freue mich auf die Beratungen und bin sehr ge- eingebracht haben. spannt, wie wir mit diesem Anliegen gemeinsam umge- hen. Wir sehen, dass Ministerin Schwesig, die leider heute nicht da ist, unsere Einschätzung inhaltlich teilt. Im Zu- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. sammenhang mit dem erwähnten Urteil sagte sie im Juni (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegenüber dem Tagesspiegel, sie sei der Meinung, dass sowie bei Abgeordneten der LINKEN) auch unverheiratete Paare Zuschüsse zur künstlichen Befruchtung erhalten sollten. Im Spiegel ließ sich die Familienministerin mit dem richtigen Satz zitieren, es Vizepräsidentin Claudia Roth: sei eben nicht mehr zeitgemäß, unverheiratete Paare an- Vielen Dank, Katja Dörner. – Nächster Redner in der ders zu behandeln als verheiratete. Debatte ist Hubert Hüppe für die CDU/CSU-Fraktion. (B) (D) Es reicht aber nicht, schöne Reden zu schwingen, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) schöne Worte zu finden und die Meinung zu vertreten, „dass …“. Wir sagen: Es muss jetzt Butter bei die Fische Hubert Hüppe (CDU/CSU): geben. Wenn man erkannt hat, dass etwas nicht mehr Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Für das zeitgemäß ist, dann muss man auch den Mumm haben, letzte Jahr meldete das Deutsche IVF-Register 84 051 es zu ändern. Das wollen wir als Grüne tun. erfasste Behandlungszyklen, davon 80 955, so heißt es, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) plausible Behandlungszyklen. Das ist neuer Rekord. 15 Jahre früher, 1998, gab es gerade einmal 45 459 Be- Ich erwarte aber auch von Ihnen, der Union, dass Sie handlungszyklen. Das war zu einer Zeit, als die künstli- unser Anliegen positiv aufgreifen. Ich habe noch einmal che Befruchtung noch voll finanziert wurde, vier statt in Ihr Wahlprogramm zur letzten Bundestagswahl ge- drei Zyklen bezahlt wurden und es noch keine Alters- schaut. Da heißt es explizit, dass die Diskriminierung beschränkungen gab. Einschränkungen sind erst 2003 unverheirateter Paare und auch gleichgeschlechtlicher beschlossen worden, übrigens unter einer rot-grünen Lebenspartnerschaften abgelehnt wird. Das steht aus- Bundesregierung. Hier muss man auch einmal erwäh- drücklich drin. Ich erwarte eben auch hier, dass das nicht nen, dass diese Einschränkungen nicht von uns stam- nur schöne Worte bleiben, sondern dass Sie das auch men. ernst meinen. Wenn Sie das nämlich ernst nehmen, dann können Sie unserem kleinen schlanken Gesetzentwurf Berücksichtigt man, dass seit 1998 die Zahl der eigentlich gar nichts Negatives entgegenbringen; denn Frauen im Alter zwischen 25 und 40 Jahren drastisch zu- wir wollen gar nichts anderes, als eine Ungleichbehand- rückgegangen ist und dass sich die Zahl der künstlichen lung, eine Diskriminierung von nichtverheirateten Paa- Befruchtungen fast verdoppelt hat, dann stellt man fest: ren und Lebenspartnerschaften zu beenden. Heute werden pro Frau rund 2,6-mal so viel IVF- Behandlungen durchgeführt. Wenn man die Zahlen des (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN IVF-Registers auswertet, kommt man 2013 bei über sowie bei Abgeordneten der LINKEN) 80 000 Behandlungszyklen gerade einmal auf rund 10 000 Geburten. Das heißt, die Geburt eines Kindes Warum ist es nicht mehr zeitgemäß, die Kostenüber- nach einem IVF-Zyklus ist nicht die Regel, sondern eher nahme bei künstlichen Befruchtungen am Trauschein die Ausnahme. festzumachen? Die Annahme, nur die Ehe würde auf- grund ihrer Dauerhaftigkeit und Stabilität dem Kindes- Das ist der Hintergrund, vor dem wir heute den Vor- wohl entsprechen, ist unbelegt und angesichts sehr hoher schlag der Grünen diskutieren, die die IVF als Kassen- 7236 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Hubert Hüppe (A) leistung ausweiten wollen. Es geht also nicht darum Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C) – das muss man einmal sagen –, ob etwas verboten oder Herr Hüppe, ich nehme Ihr Argument einmal ernst: erlaubt ist, sondern es geht darum, ob wir etwas für so Verstehe ich es richtig, dass Sie dafür plädieren, die förderungswürdig halten, dass es unbedingt von den lesbischen Lebenspartnerinnen in das Gesetz einzubezie- Kassenmitgliedern bezahlt werden soll. hen, aber bei den nichtehelichen darauf zu warten, dass diese sich unterhaltsrechtlich lebenslang verpflichten? Ausgangspunkt des grünen Gesetzentwurfes ist, dass Ist das richtig so, oder haben Sie noch einen weiteren durch die derzeitige Regelung manche Personen „bei der Diskriminierungsgrund? Chance auf Elternschaft“, so heißt es in Ihrem Gesetz- entwurf – Sie haben es auch gerade gesagt –, benachtei- ligt werden, weil nur Verheiratete für eine homologe Hubert Hüppe (CDU/CSU): künstliche Befruchtung Kassenleistungen bekommen. Es geht doch gar nicht um Diskriminierung. Es wird ausdrücklich gesagt, dass das keine Diskriminierung ist. Allerdings, auch das darf man sagen, hat bereits 2007 Das ist ja nicht nur meine Meinung, sondern das hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass das mit auch unser Bundesverfassungsgericht gesagt. Ich dem Grundgesetz sehr wohl vereinbar ist und es eben komme gleich noch zu diesem Thema. Das ist wirklich kein Verstoß, wie es gerade dargestellt worden ist, gegen ein Randthema, Herr Beck, nicht für Sie, aber was die den allgemeinen Gleichheitssatz ist. Ein solcher Verstoß Zahlen angeht. würde nur dann vorliegen, so sagt das Bundesverfas- (Zuruf des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜND- sungsgericht, wenn es um die Beseitigung einer Krank- NIS 90/DIE GRÜNEN]) heit ginge. – Ich weiß, dass das für Sie ideologisch ein ganz wichti- Aber die künstliche Befruchtung ist eben keine ges Thema ist; das verstehe ich auch. – Ich halte einmal Krankheitsbehandlung. Das Bundesverfassungsgericht fest: Die Anzahl derer, die das betreffen würde, ist so ge- hat auch Gründe genannt, warum diese Regelung ein- ring, dass das eigentlich nicht der wichtigste Punkt des sichtig ist: Das Bürgerliche Gesetzbuch sieht die Ehe als Antrages ist. Aber ich komme gleich noch einmal dazu. auf Lebenszeit angelegte Gemeinschaft an. Die Eheleute sind gesetzlich – das ist der wichtige Punkt: gesetzlich – (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) angehalten, füreinander Verantwortung zu tragen. In der – Entschuldigung, ich darf fortfahren. nichtehelichen Lebensgemeinschaft, so das Bundesver- fassungsgericht, kann die Verantwortung nur freiwillig Sie schreiben in Ihrem Antrag auch nicht, dass jedem wahrgenommen werden, und sie kann auch jederzeit be- oder jeder eine künstliche Befruchtung zusteht, sondern, endet werden. man müsse, so heißt es, in einer auf Dauer angelegten (B) Partnerschaft leben. Jetzt frage ich Sie einmal: Wie wol- (D) Ich frage mich wirklich, warum ein Paar, das einen so len Sie das eigentlich belegen? Was heißt denn „auf extremen Kinderwunsch hat, nicht auch heiraten will Dauer angelegt“? Wie viele Jahre sollen es denn sein: bis und damit auch die soziale Absicherung des zukünftigen das Kind in die Schule kommt oder länger? Was heißt Kindes haben möchte? Das ist doch die Frage. für Sie „auf Dauer angelegte Partnerschaften“? (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (Zuruf der Abg. Dr. [DIE Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- LINKE]) NEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Die nächste Frage, die sich mir stellt, ist: Wer prüft Mann, ist das konservativ!) das denn? Wer soll das denn prüfen? Prüft das die Kasse, Oder will man die Ehe grundsätzlich infrage stellen? ob die Partnerschaft auf Dauer angelegt ist? Prüft das der Arzt, oder prüft das das Standesamt? Muss man eine (Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Bescheinigung haben? Meine Damen und Herren, ich GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischen- glaube, Sie haben das nicht richtig durchdacht. Aber frage) vielleicht bekomme ich ja noch eine Antwort auf meine Fragen. Sie sagen, es muss eine auf Dauer angelegte Partner- schaft sein. – Herr Beck wollte etwas fragen. Wohlgemerkt: Die Einschränkungen – das darf ich hier noch einmal sagen – geschahen unter einer Koali- tion, an der die Grünen beteiligt waren. Ich darf die ehe- Vizepräsidentin : malige gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Herr Kollege Hüppe, ich bin gerade dabei, Ihre Uhr , zitieren – da sieht man einmal, wie die anzuhalten und Sie zu fragen, ob Sie eine Bemerkung Grünen in ihrer Meinung hin und her schwanken –, die oder Frage des Kollegen Beck zulassen? 2008 zu Protokoll gab: „Wir stehen … zu den Grund- zügen des damals gefundenen Kompromisses“. Gleich- zeitig haben die Grünen sich bei der Abstimmung über Hubert Hüppe (CDU/CSU): einen Antrag der Linken, der vorsah, das auch nichtver- Gerne. heirateten Paaren zu genehmigen, enthalten. Sie wollten es also einmal, jetzt wollen Sie es nicht. Jetzt will ich Ih- Vizepräsidentin Petra Pau: nen auch einmal die Begründung der Grünen nennen. Bitte, Kollege Beck. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7237

Hubert Hüppe (A) – Hören Sie doch einmal zu! Es ist doch auch für Sie ein auf Wissen der Abstammung, Mehrlingsschwan- (C) Informationsgewinn. – Im Ausschussbericht steht dann, gerschaften, ebenso wie die sozialwissenschaftliche dass die Grünen es deswegen ablehnen, weil es sich um Forschung über die Auswirkungen der künstlichen eine Ausweitung versicherungsfremder Leistungen Befruchtung Berücksichtigung finden. handeln würde und sie es angesichts der mit der IVF ver- bundenen Belastungen für die Frau und einer „Erfolgs- Sie sagt dann: quote von lediglich 15 von 100 behandelten Frauen, die Ich rate der Linken, ständige, sich auch noch in der Folge tatsächlich ein Kind hätten“, als sehr be- widersprechende Vorstöße zur Finanzierung der denklich ansehen würden. Was ist denn jetzt noch wahr? künstlichen Befruchtung zu unterlassen und eine ernsthafte Diskussion zu beginnen, wenn der TAB- Heute wollen die Grünen auch verpartnerten Perso- Bericht vorliegt. nen die künstliche Befruchtung finanzieren; das ist rich- tig. Aber auch da soll es so sein, dass man verpartnert ist Nun liegt dieser Bericht vor. Er besagt unter anderem und dass es eine medizinische Notwendigkeit gibt. Das – ich zitiere –: heißt: Da Sie die Eizellenspende im Gegensatz zur Sa- menspende ablehnen, kämen ja dann nur lesbische Paare Die Adoptionsforschung und die Forschung mit infrage, die medizinische Gründe hätten. Da stellt sich in identifizierbaren Gametenspendern der Tat die Frage, Herr Beck, wie viele lesbische Paare – also Fremdsamenspendern – im Alter von 25 bis 40 Jahren es gibt, die ein Kind haben wollen und von denen beide infertil sind. verweisen auf die Bedeutung des Wissens um die biologischen Wurzeln. Nach jetzigem Forschungs- (Mechthild Rawert [SPD]: Viele! Einladung stand ist eine anonyme Gametenspende aus psycho- ins Regenbogenfamilienzentrum! Kann ich or- logischer Sicht daher eher abzulehnen bzw. es sollte ganisieren! Kein Problem!) die Forschung in diesem Bereich zumindest intensi- viert werden. Kinder, die im Rahmen einer Game- Das ist, glaube ich, eine nicht einmal dreistellige Anzahl. tenspende oder Leihmutterschaft im Ausland ge- Meine Damen und Herren, der viel problematischere zeugt wurden, haben in der Regel nicht die Punkt ist aber, dass man auch die generelle Finanzierung Möglichkeit, ihre biologischen Wurzeln kennenzu- der künstlichen Befruchtung mit Fremdsamenspende lernen. möchte. Das hätte natürlich wesentlich größere finan- (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: zielle Auswirkungen: IVF mit Samenspende als Kassen- Reden Sie zu unserem Gesetzentwurf!) leistung für alle! (B) Hier wäre zu erforschen, was dies langfristig für die (D) Was mich dabei am meisten überrascht, ist, dass die- Kinder und deren Familien bedeutet. selben Grünen, die traditionell skeptisch gegenüber der Technisierung der Fortpflanzung sind, die traditionell Soweit der auf einem Vorschlag der Grünen basierende die medizinischen Risiken hervorheben und die dafür TAB-Bericht. sind, die Folgen der IVF für Frauen und Kinder zu erfor- (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE schen, alle Bedenken zurückstellen, wenn es um IVF für GRÜNEN]: Aber darum geht es doch hier jetzt nichtkonventionelle Partnerschaften geht. gar nicht!) (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Was machen hingegen die Grünen? Führen sie eine NEN]: Es geht um Gleichbehandlung!) ernsthafte Diskussion? Nein, sie unternehmen einen Vor- Im April haben wir im Gesundheitsausschuss – einige stoß zur GKV-Finanzierung der künstlichen Befruchtung von Ihnen waren ja dabei; Herr Terpe, Frau Scharfenberg auch bei Verwendung von Spendersamen. und andere –, übrigens auch von Ihrer Seite sehr kritisch, Die Hauptwirkung des heute vorliegenden Gesetzent- den Technikfolgenabschätzungsbericht beraten, der den wurfs wird die neue GKV-Leistung „IVF bzw. ICSI mit Titel trägt: „Fortpflanzungsmedizin – Rahmenbedingun- Spendersamen“ für heterosexuelle Paare sein, eben nicht gen, wissenschaftlich-technische Entwicklungen und für homosexuelle Paare, also sozusagen ein Konjunktur- Folgen“. programm für kommerzielle Samenbanken, die mit dem Hinweis auf schnell verdientes Geldes um Spender wer- Dieser Bericht basierte auf einem Vorschlag der Grü- ben. nen, weil – so sagte damals auch Biggi Bender – man eher eine kritische Sicht auf IVF und ICSI habe. Diese (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE Zeiten sind vorbei. GRÜNEN]: Das wissen Sie besser! – Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer (Zuruf von der SPD: Ja!) hat Ihnen denn das aufgeschrieben?) Biggi Bender gab damals zu Protokoll – ich zitiere –: Meine Damen und Herren von den Grünen, wenn Sie Ein grünes Anliegen dabei ist, dass die gesundheit- selbst diese großen Bedenken haben – inzwischen gibt es lichen und psychischen Folgen für Frauen und Kin- sogar Selbsthilfegruppen von Kindern, die mithilfe von der, zum Beispiel Recht des Kindes Fremdsamenspende gezeugt worden sind –, dann sollten wir doch wirklich erst einmal darüber reden, welche fa- – jetzt wird es wichtig – milienrechtlichen Dinge wir klären müssen, bevor wir in 7238 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Hubert Hüppe (A) die Finanzierung gehen. Das haben Sie nicht getan, das etwas steinzeitliches Familienbild; das konnten wir ja (C) haben Sie versäumt. auch der Rede des Kollegen entnehmen. (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Anderswo aber – darauf möchte ich Sie noch einmal NEN]: Darum geht es nicht!) hinweisen, Herr Kollege Hüppe – fällt Ihnen die Gleich- Letzter Punkt: Aus meiner Sicht, aus unserer Sicht stellung unverheirateter Paare plötzlich ganz leicht. darf ein Kind nicht zu einem bestellten und hergestellten Gehen wir doch einmal in ein anderes Buch des Sozial- Produkt gemacht werden, sondern wir müssen dabei gesetzbuchs, ins Sozialgesetzbuch II! auch daran denken, was hinterher mit diesen Kindern ge- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Genau! schieht und wie ihre soziale Absicherung ist. – Zuruf von der CDU/CSU: Wir sind aber in Vielen Dank. V!) (Beifall bei der CDU/CSU) Da gibt es das Konstrukt der Bedarfsgemeinschaften. Da werden Menschen füreinander in Haftung genommen und müssen füreinander einstehen, wenn sie auf Dauer Vizepräsidentin Petra Pau: zusammenleben. Da ist es völlig egal, ob sie einen Trau- Das Wort hat die Kollegin Kathrin Vogler für die schein haben oder nicht, ob sie homo- oder heterosexuell Fraktion Die Linke. sind. (Beifall bei der LINKEN) (Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Wir sind aber bei V! Da gibt es zum Beispiel auch die Familien- Kathrin Vogler (DIE LINKE): versicherung!) Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich habe mich Wir als Linke sagen aber: Gleiche Pflichten muss gerade bei der Rede des Kollegen Hüppe ehrlich gefragt: auch heißen gleiche Rechte. Das ist doch ganz einfach. Worüber reden wir hier überhaupt? Einen ganz großen (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Aufschlag zur Reproduktionsmedizin sehe ich gar nicht des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) auf dem Tisch. Deswegen unterstützen wir den Vorstoß der Grünen an (Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Sie haben es dieser Stelle, auch für unverheiratete und verpartnerte nicht verstanden!) Paare die Regelleistung vorzusehen. Was ich sehe, ist ein sehr schlanker Gesetzentwurf der Grünen; über ihn möchte ich gern sprechen. Wir würden sogar einen Schritt weiter gehen; denn (B) wir finden, dass auch die Zuzahlung von 50 Prozent eine (D) Unerfüllter Kinderwunsch kann für Paare eine ziemli- Form der Diskriminierung ist. Da muss ich Sie tatsäch- che Belastung sein, und für viele bedeutet tatsächlich lich daran erinnern, liebe Kolleginnen und Kollegen von dann irgendwann die künstliche Befruchtung zumindest den Grünen: Das haben Sie 2003 zusammen mit der SPD einen Hauch von Hoffnung. Deswegen hat der Gesetzge- mit dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz eingeführt. ber im Sozialgesetzbuch V festgelegt, unter welchen Seither müssen die Kassen nur 50 Prozent zahlen. Bedingungen die gesetzlichen Krankenkassen die künst- liche Befruchtung finanzieren müssen. Eine dieser Be- Diverse Kassen zahlen ja freiwillig mehr; das ist eine dingungen sind zum Beispiel bestimmte Altersgrenzen, sogenannte Satzungsleistung. Ehrlich gesagt, ich finde eine andere, die Erfolgsaussicht des Versuchs; eine wei- es irre, dass Leute, die ohnehin schon gestresst sind, weil tere Bedingung ist, dass beide Elternteile leben. Die ein- sie vergeblich versuchen, Kinder zu bekommen, auch zige Bedingung, über die wir hier heute kritisch diskutie- noch gucken müssen, welche Kasse ihnen da mehr zahlt, ren – ich glaube, wir diskutieren zu Recht kritisch als gesetzlich vorgeschrieben ist. darüber –, ist die Bedingung des Trauscheins. Und die (Beifall bei der LINKEN) ist, wie ich finde, tatsächlich etwas aus der Zeit gefallen. Die Linke ist der Auffassung: Die gesetzliche Kran- (Beifall bei der LINKEN) kenversicherung soll das Sachleistungsprinzip haben. Am 13. Juni dieses Jahres hat das Landessozialgericht Sie soll alle notwendigen Behandlungskosten überneh- Berlin-Brandenburg entschieden, dass die Kranken- men. Das entspricht auch dem Prinzip der Solidarität in kassen auch nicht freiwillig für Paare zahlen dürfen, die unserer gesetzlichen Krankenversicherung. Das wäre nicht verheiratet sind. Der grüne Gesetzentwurf will auch ein Beitrag zur Vermeidung sozialer Diskriminie- diese Diskriminierung beenden. Ich bedanke mich aus- rung. Wenn eine Familie etwa 1 000 Euro Eigenanteil drücklich bei den Kolleginnen und Kollegen, dass sie pro Behandlungszyklus übernehmen muss, dann über- ihn hier vorgelegt haben. fordert das Menschen mit geringem Einkommen. Deswegen appelliere ich an Sie, die familienbezogene (Beifall bei der LINKEN) Diskriminierung und die soziale Diskriminierung abzu- Wir wissen doch inzwischen alle: Kindern geht es in schaffen. ihren Familien gut oder schlecht; aber das ist völlig un- (Beifall bei der LINKEN) abhängig davon, was das für Familien sind, ob die Eltern verheiratet sind oder nicht oder ob es Regenbogenfami- Jetzt werden die Kollegen von der Regierungsbank lien sind. Die Union vertritt hier offensichtlich noch ein natürlich wieder sagen: Ach, die Linke schüttet hier wie- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7239

Kathrin Vogler (A) der das Füllhorn aus; das sind Wünsche, die man gar (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Fortbildungs- (C) nicht finanzieren kann. medizin? – Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Fort- bildungsmedizin?) (Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: Auch! Aber das ist nicht das Schlimmste bei – Ja, wir kommen noch darauf. – Insbesondere lade ich Ihnen!) Herrn Hüppe ein, sich einmal auf meiner Website umzu- sehen; Das ist aber nicht der Fall. Sehr wohl haben wir schon in unserem Wahlprogramm mit dem Konzept einer solida- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie ha- rischen Gesundheitsversicherung vorgerechnet, wie man ben noch gar nicht die Adresse genannt!) bei Senkung der Beiträge für die allermeisten Menschen denn dann wird er feststellen, dass wir dieses Thema die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung schon in der letzten Großen Koalition intensiv behandelt wieder erhöhen und alle Zuzahlungen abschaffen kann. haben. Man kann also nicht sagen: „Das ist ein rot- Wenn wir sagen: „alle Zuzahlungen“, dann meinen wir grünes Projekt; Schwarz hat damit nichts zu tun“, oder auch alle Zuzahlungen. so ähnlich. Wir alle waren in den unterschiedlichsten politischen Konstellationen auf Länderebene und auf (Beifall bei der LINKEN) Bundesebene beteiligt, in welcher Form auch immer. Außerdem bräuchte man gar nicht so weit zu gucken. (Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Aber 2003 waren Wenn man denn sagt: „Das ist eine versicherungsfremde Sie dran!) Leistung; das gehört eigentlich in den Bereich Familien- politik und müsste aus Steuermitteln bezahlt werden“, ist Liebe Katja Dörner, gerade angesichts der Historie das auch gut. Der Finanzminister bedient sich für seine bin ich ob des vorgelegten Gesetzentwurfes enttäuscht. schwarze Null in diesem Jahr und im nächsten Jahr mit Er greift inhaltlich wesentlich zu kurz. 8,5 Milliarden Euro aus dem Gesundheitsfonds. Dieses (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Geld könnte man doch zum Beispiel nehmen, um diese NEN) Diskriminierung abzubauen. Ich teile Ihr Ansinnen auf eine solidarische Finanzie- (Beifall bei der LINKEN) rung vonseiten der gesetzlichen Krankenkasse und/oder aus dem Bundeshaushalt. Ich finde es aber unlauter, dass Ich freue mich auf die Beratungen im Gesundheits- Sie sich vor einer Bezifferung der Größenordnung in ausschuss und sage noch einmal: Die Linke steht für Euro drücken. Diskriminierung abbauen, Solidarität stärken, Menschen (B) helfen, die sich für Kinder entscheiden. (Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Das ist allerdings (D) richtig!) Danke schön. Wer eine solidarische Finanzierung will, muss hier (Beifall bei der LINKEN) Transparenz vorlegen. (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vizepräsidentin Petra Pau: NEN]: Dann freuen wir uns auf Ihren Vor- Das Wort hat die Kollegin Mechthild Rawert für die schlag!) SPD-Fraktion. Liebe Kolleginnen und Kollegen, stellen wir uns der (Beifall bei der SPD) gesellschaftlichen Herausforderung, die ich pointiert be- schreiben möchte mit „Kinderwunsch trifft Politik“. Da- bei gilt: Ein Kinderwunsch ist weder an Geschlecht noch Mechthild Rawert (SPD): an Trauschein noch an sexuelle Identität noch an Ein- Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! kommen, Bildungsabschluss oder sonst was gebunden. Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf der Tribüne und Alle diese Kriterien spielen aber eine Rolle, wenn es um vor den Fernsehern! Gesetzliche Krankenkassen dürfen die Chancen der tatsächlichen Realisierung geht. Dafür, den Kreis der Berechtigten für die Kostenübernahme bei dass es gerecht zugeht, sind wiederum wir hier verant- einer künstlichen Befruchtung nicht eigenmächtig erwei- wortlich. tern; das ist Aufgabe des Gesetzgebers, also unsere. Be- Der Deutsche Ethikrat hat sich auf seiner diesjährigen rechtigte auf teilweise Übernahme der Kosten einer Jahrestagung intensiv mit der Fortpflanzungsmedizin in künstlichen Befruchtung sind derzeit ausschließlich Deutschland auseinandergesetzt. Er hat individuelle Le- Ehepaare in einer bestimmten Altersspanne – und das bensentwürfe und auch Familienbilder debattiert. Ein auch nur bei einer homologen Insemination, also einer Blick auf die entsprechende Website lohnt ebenfalls. Befruchtung mit Samen- und Eizelle dieser Ehepartner. Zu den verschiedenen Formen assistierter Reproduk- Seit Jahren diskutieren wir über die Erweiterung des tionstechniken wurden medizinische, rechtliche, soziale § 27 a SGB V „Künstliche Befruchtung“ und der dort und ethische Fragen diskutiert. Es ging auch um die festgelegten Bestimmungen. Ich mache es mir einfach grundlegende Frage: „Welchen Stellenwert hat der Kin- und verweise Sie alle auf meine Website und hier auf die derwunsch in unserer Gesellschaft?“, bzw.: „Welchen Stichworte „künstliche Befruchtung“, „Fortbildungs- Stellenwert sollte er haben?“ Es ist gut, dass der Deut- medizin“ und Ähnliches. sche Ethikrat diese Fragen immer wieder automatisch 7240 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Mechthild Rawert (A) mit dem Aspekt der solidarischen Finanzierung in Ver- (Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Das ist aber et- (C) bindung setzt. was anderes!) „Kinderwunsch trifft Politik“ heißt, sich in einem Selbst wenn wir als Gesetzgeber dabei bleiben würden, breiten gesellschaftlichen Spannungsfeld zu bewegen. nur verheiratete Paare zu unterstützen, müssen wir zu- Fakt ist, dass sich die rechtlichen Grundlagen in mindest verpartnerte lesbische Paare wegen der Gleich- Deutschland in den letzten 20 Jahren kaum geändert ha- behandlung ebenso unterstützen. ben. Dagegen haben aber spürbar die gesellschaftlichen Erwartungen einen Wandel vollzogen, und zwar hin- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- sichtlich der Frage, ob und wie Fortpflanzungstechnolo- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE gien angewendet werden dürfen. Diesen gesellschaftli- GRÜNEN) chen Wandel machte zuletzt auch die Debatte zum Social Freezing deutlich. Das gebieten mehrere Urteile des Bundesverfassungsge- richts. Wo gleiche Pflichten, da auch gleiche Rechte. Nicht thematisiert wurden in dieser Debatte allerdings wichtige Aspekte, so ging es nämlich nicht um die jun- Ich finde es außerdem unsäglich, dass ein lesbisches gen Männer und Frauen, die in jungen Jahren an Krebs Paar, welches durch ärztliche Unterstützung ein Kind erkranken und denen mitgeteilt wird, dass sie nach einer bekommt, vor und nach der Geburt keine Sorgeerklä- Chemotherapie keine Kinder mehr bekommen können. rung abgeben kann. Sollte der gebärenden Frau – was Sie können heute schon ihre Eizellen oder ihren Samen niemand wünscht – bei oder nach der Geburt etwas einfrieren lassen, müssen dies aber privat bezahlen. In Schreckliches zustoßen, stünde das Kind alleine da und einem mir bekannten Fall musste frau 2 500 Euro dafür das, obwohl es doch – ich zitiere – in eine aufbringen. Und das kann nicht jede, schon gar nicht in „gefestigte Beziehung“ von zwei Frauen hineingeboren einer solchen Situation von heute auf morgen. wird. Das widerspricht dem Kindeswohl. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wis- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem sen um die Notwendigkeit der Klärung einer Vielzahl BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) von abstammungsrechtlichen Folgefragen der verschie- denen Methoden assistierter Fortpflanzung. Zu klären Ich komme zum Schluss: Es besteht enormer politi- sind sowohl die Beziehungen der bei den Reproduk- scher Handlungsbedarf, um den Einsatz der Fortpflan- tionstechnologien beteiligten Erwachsenen ebenso wie zungsmedizin in Deutschland für die Zukunft verantwor- die im Sinne des Kindeswohls zu klärenden Rechte des tungsvoll zu gestalten. Ich habe nicht alle Beispiele Kindes. Ich begrüße es daher sehr, dass unter der Ägide angeführt, weil ich dachte, dass drei Mitglieder meiner von ab Februar 2015 der Arbeitskreis Ab- Fraktion zu diesem Thema sprechen würden. Ich emp- (B) stammung tagen wird. fehle deshalb die Durchsicht der Fragen 49 bis 54. Dort (D) Die Bundesregierung hat am 2. Dezember – ich steht zum Beispiel, dass wir klären wollen – übrigens in dachte, darauf würde hingewiesen – die Kleine Anfrage dieser Legislaturperiode! –, das Recht des Kindes auf der Fraktion Die Linke zum breiten Feld „Sexuelle und Kenntnis seiner Herkunft gesetzlich zu regeln, das durch reproduktive Rechte und Gesundheit“ beantwortet. Ich eine Samenspende gezeugt wird. Diese Aufgabe ist auch finde, insbesondere die Antworten auf die Fragen 49 bis noch einmal schriftlich fixiert worden bei der Beantwor- 51 können noch nicht das Ende der politischen Fahnen- tung dieser Fragen. stange dieser Legislaturperiode sein. Mir ist bewusst, dass die Betonung einer selbstbe- So wird erstens festgestellt, eine Erweiterung der Zu- stimmten Fortpflanzung traditionelle Werte und Vorstel- schüsse zur künstlichen Befruchtung auf unverheiratete lungen über die Gestaltung und Bedeutung von Familie Paare sei im Koalitionsvertrag nicht vereinbart. Aller- herausfordert. Aber Familie findet in Deutschland längst dings prüfe das Bundesfamilienministerium derzeit eine in bunter Vielfalt statt; und das ist auch gut so. Öffnung der 2012 geschaffenen Förderrichtlinie für die ergänzende finanzielle Unterstützung auch für nichtver- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- heiratete Paare. Hier bitte ich natürlich um baldige Auf- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE klärung, wie es mit dieser Förderrichtlinie weitergeht. GRÜNEN) Zweitens wird festgestellt, eine Erweiterung des Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche uns al- § 27 a SGB V auf eingetragene Lebenspartnerschaften len nach diesem arbeitsreichen Jahr ein frohes Weih- sei „derzeit nicht beabsichtigt“. Werte Kollegen und nachtsfest, einen guten Rutsch und erholsame Urlaubs- Kolleginnen, ich bin dankbar für das Wörtchen „der- tage. Bleiben Sie gesund! Ich freue mich schon auf die zeit“, meint es doch sicherlich wohl Stand 2014. Fortsetzung dieser sicherlich spannenden Debatte. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten In dem auch von der Union unterzeichneten Koalitions- der CDU/CSU) vertrag steht ausdrücklich – ich zitiere –: Rechtliche Regelungen, die gleichgeschlechtliche Vizepräsidentin Petra Pau: Lebenspartnerschaften schlechter stellen, werden Das Wort hat die Kollegin Dr. Katja Leikert für die wir beseitigen. CDU/CSU-Fraktion. Unterschriften: Die Koalitionspartner. (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7241

(A) Dr. Katja Leikert (CDU/CSU): (Mechthild Rawert [SPD]: Oder über den Bun- (C) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten deshaushalt! Das geht auch!) Damen und Herren! Wir debattieren heute über einen Es wurde ja bereits erwähnt, dass die entsprechenden Gesetzentwurf der Grünen, der weder Hand noch Fuß GKV-Leistungen unter Rot-Grün eingeschränkt wurden. hat und finanzielle Forderungen an die gesetzliche Kran- Seitdem übernimmt die GKV nur noch 50 Prozent der kenversicherung stellt, die die Grünen einfach nicht Kosten der ersten drei Versuche der künstlichen Be- ernst meinen können. Sicherlich haben sie auch im posi- fruchtung. tiven Sinne wichtige gesellschaftliche Debatten in den letzten Jahren angeregt. Mit diesem Gesetzentwurf je- Jetzt kommen Sie so kurz vor Weihnachten mit einem doch schießen sie aus meiner Sicht eindeutig über jedes großen Wunschzettel an und wollen den Rechtsanspruch Ziel hinaus. Beim Lesen des Gesetzentwurfes habe ich ausweiten. So ganz nebenbei wollen Sie sich mit Ihrem mich gefragt, wann sie die Eizellspende und Leihmutter- Gesetzentwurf zu der gesellschaftspolitisch fortschrittli- schaft auf Kassenschein einfordern. chen Stimme in diesem Land aufschwingen. (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE NEN]: Das ist totaler Blödsinn!) GRÜNEN]: Genau! Es ist halt so! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man muss schon unterscheiden können, was die Mensch- Das ist eindeutig besetzt!) heit wirklich nach vorne bringt und wann ein größerer Schaden als Nutzen entsteht. – Schreien Sie doch hier nicht so rein! (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE Birkwald [DIE LINKE]: Ihr redet doch immer GRÜNEN]: Das ist offenbar erwünscht!) vom demografischen Wandel! – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich persönlich bin meilenweit davon entfernt, darüber zu urteilen, in welcher Lebensform Kinder am besten ge- Dabei sprechen wir heute über ein Thema, das einen deihen oder am glücklichsten aufwachsen. sehr ernsthaften Hintergrund hat. Der Wunsch nach Kin- dern ist einer der tiefsten Sehnsüchte der meisten Men- (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schen. Erfüllt sich der Kinderwunsch nicht, sind oft NEN]: Das tun Sie aber!) Trauer und Schmerz bestimmend für die Paare. Kinder- – Das tue ich nicht. – Jeder von uns weiß, wie vielfältig losigkeit wird so auch oft zu einer harten Belastungs- das Leben ist; jeder von uns kennt gute Ehen und weni- probe für eine Partnerschaft. Diejenigen Paare, die sich (B) ger gute Ehen, glückliche und unglückliche unverheira- (D) für eine künstliche Befruchtung entscheiden, haben oft tete Paare oder auch verpartnerte Lebensgemeinschaf- einen sehr langen Weg mit viel persönlichem Leid hinter ten, die Höhen und Tiefen erleben. Und in all diesen sich gebracht. Paarkonstellationen wachsen in diesem Land Kinder auf. In unserer offenen, pluralistischen, demokratischen Ge- (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ja, sellschaft ist zum Glück vieles möglich und ein hohes und was folgt daraus?) Maß an Toleranz gegenüber den vielfältigen Lebensent- Der Schritt der künstlichen Befruchtung bleibt als letzte würfen vorhanden. Möglichkeit, ein eigenes Kind – im biologischen Sinn – Dennoch gilt es, politische Entscheidungen zu treffen, zu bekommen. vor allem darüber, was in dieser Gesellschaft wie finan- Die Behandlung selbst ist für die Frauen sehr for- ziert wird. Und diese Frage stellt sich auch bei der Kin- dernd und von hoher Unsicherheit geprägt. Nur knapp derwunschbehandlung. Die IVF ist keine Behandlung ein Fünftel der Behandlungen führt zu einer Lebendge- – das hat Herr Hüppe schon deutlich gemacht –, die hei- burt. Insofern hat die moderne Reproduktionsmedizin len kann. Die Behandlung wirft viele moralisch-ethische zwar Fortschritte gebracht; aber das Thema ist mit der Fragen auf – das können auch Sie nicht verneinen; wenn nötigen Seriosität und Sensibilität zu behandeln, wenn Sie darüber nachdenken, wird es Ihnen bewusst – wir uns mit der Frage beschäftigen wollen, die gesetzli- (Zurufe der Abg. Mechthild Rawert [SPD] und chen Ansprüche auszuweiten. Eine Ausweitung der Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- GKV-Leistungen, die zur Vermehrung zerstörter Hoff- NEN]) nungen führt, lehne ich persönlich ab. – so trivial ist das alles nicht –, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD – Katja Dörner [BÜNDNIS 90/ (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- DIE GRÜNEN]: Dann wollen Sie es bei ver- NEN]: Nein, das ist nicht trivial!) heirateten Paaren auch wieder verbieten?) etwa im Hinblick auf die Selektion von befruchteten Ei- Worum es geht, wurde von den Vorrednern ja schon zellen oder den Umgang mit tiefgefrorenen Eizellen. ausgiebig erläutert: Der Gesetzentwurf sieht eine Aus- Und es sind nicht wenige Frauen, die diese Behandlung weitung des Personenkreises vor, der die Maßnahmen – das sollten Sie auch ernst nehmen – als eine erniedri- der künstlichen Befruchtung von der Versichertenge- gende Erfahrung beschreiben. Reden Sie mal mit den meinschaft der GKV erstattet bekommen soll. Frauen! 7242 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Dr. Katja Leikert (A) (Beifall bei der CDU/CSU – Katja Dörner nannten heterologen Befruchtung, also nicht durch den (C) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat das Ehemann. Die CDU/CSU – das können wir ganz klar sa- denn mit dem Trauschein zu tun? – Katrin gen – lehnt diese Forderung ab. Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wen schützen Sie denn vor sich selbst? – Wei- (Beifall bei der CDU/CSU – Katja Dörner tere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht so NEN) gar nicht drin! – Zuruf der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) Hier sind Leitplanken gefragt, die Anhaltspunkte geben, wie mit den Mitteln der modernen Reproduktionsmedi- Ich bin mir gar nicht so sicher – Sie brauchen nicht zin umgegangen werden soll. polemisch zu werden –, ob Sie die Tragweite dessen, was Sie da fordern, verstehen. (Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Nein! Sie verstehen den Gesetzentwurf – Ganz ruhig! Hören Sie doch noch eine Minute zu! nicht!) (Hubert Hüppe [CDU/CSU], an BÜND- Es geht hier nicht um eine medizinische Fachfrage, son- NIS 90/DIE GRÜNEN gewandt: Zuhören! dern um eine Grundfrage des Menschen: Wer ist der bio- Das ist ja furchtbar!) logische Vater? Das sind tiefgehende emotionale Fragen; Ich bin schon der Meinung, dass der Gesetzgeber eine das können Sie nicht verneinen. Lebensform besonders herausstellen darf, (Mechthild Rawert [SPD]: Tun wir ja auch gar (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Sie hät- nicht!) ten einmal den Gesetzentwurf lesen sollen! – Sie wissen genau, dass im Bereich der Samenspenden Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sie von Dritten viele Fragen noch ungeklärt sind, was bei- hätten den Gesetzentwurf lesen sollen!) spielsweise das Erbschaftsrecht betrifft oder auch die und zwar die, die höchste Stabilität aufweist. Sie mögen Feststellung der Vaterschaft, woraus sich beispielsweise das jetzt vielleicht nicht hören wollen, aber die Statistik Unterhaltszahlungen im Nachhinein ergeben könnten. besagt auch, liebe Frau Dörner: 65 Prozent aller Ehen Mit Ihrem Gesetzentwurf setzten Sie einfach einen halten länger als 25 Jahre, und selbst, wenn Ehen ge- Schritt vor den anderen. Der gesellschaftlichen Debatte schieden werden, haben sie im Durchschnitt länger als und der juristischen Fragestellung stellen Sie sich nicht. 14 Jahre gehalten. Jetzt komme ich auf ein Thema zu sprechen, das vor- (B) (D) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – hin am meisten für Aufregung gesorgt hat. Sie fordern Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: darüber hinaus, dass in eingetragenen Partnerschaften le- Na und?) bende lesbische Frauen eine heterologe Insemination auf Krankenschein erstattet bekommen sollen. Ich möchte – Nichts „Na und?“! – Ehen sind also auch im 21. Jahr- Sie gerne fragen: Bei wie vielen Paaren in der Bundesre- hundert durch eine hohe Belastbarkeit geprägt, durch publik kommt es vor, dass beide Frauen unfruchtbar sind Verantwortungsübernahme, und das auch im finanziellen und eine medizinische Indikation vorliegt? Sinne. Wenn die GKV die Ehe als Kriterium definiert, um den Finanzierungsrahmen festzulegen, dann gibt es (Mechthild Rawert [SPD]: Eine reicht doch!) dafür also plausible Gründe. – Wieso eine? Mit der Frage der künstlichen Befruchtung befassen sich aber nicht nur die Gesundheitspolitiker, sondern (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: auch die Familienpolitiker. Die ehemalige Familienmi- Das ist verfassungsrechtlich geboten!) nisterin Kristina Schröder hat sich engagiert des Themas An Ihren Einwürfen sieht man schon, wie problematisch angenommen und erreicht, dass in der letzten Legislatur Ihr Gesetzentwurf ist. zusätzliche Mittel aus dem Bundeshaushalt für Maßnah- men der assistierten Reproduktion bereitgestellt wurden (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE – übrigens unter der Voraussetzung, dass sich die jewei- GRÜNEN]: Weil Sie ihn nicht verstanden ha- ligen Bundesländer an den Kosten beteiligen. Ich habe ben!) jetzt gehört, dass Familienministerin Wir haben den Verdacht, dass Sie aus der Opposi- die Förderung auf nichtverheiratete Paare ausweiten tionsrolle heraus Klientelpolitik betreiben und Forderun- möchte. Sie hat auch in den letzten Jahren immer wieder gen stellen, die man in der Opposition leicht stellen betont, dass es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, kann. Im Falle eines Regierungseintritts könnte man sie Paare in ihrem Kinderwunsch zu unterstützen. Insofern aber nicht aufrechterhalten. bestehen sicherlich Chancen, dass das Familienministe- rium in Zukunft noch einmal zusätzliche Mittel bereit- (Hubert Hüppe [CDU/CSU]: So ist es! – stellen wird. Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche Klientel?) Der eigentliche Hammer in Ihrem Gesetzentwurf ist aber Ihre Forderung nach der Finanzierung im Fall von Das wissen die Kolleginnen und Kollegen der Grünen Befruchtung durch Samenspenden von Dritten, der soge- auch. Ich möchte Sie fragen: Sind Sie sich sicher, dass Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7243

Dr. Katja Leikert (A) Sie den lesbischen Paaren einen Gefallen tun, wenn Sie im Deutschen Bundestag gehalten. Die Beratung des Ge- (C) die medizinische Schiene wählen? setzentwurfs der Linken steht immer noch aus. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Es Sie können es drehen und wenden, wie Sie wollen, geht um Gerechtigkeit!) liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union: Sie wer- den es nicht verbergen können, dass Sie sich eigentlich Ich komme zum Schluss. Ich bleibe dabei: Nicht al- nach wie vor der Einsicht, was Gleichstellung und les, was medizinisch machbar ist, muss unhinterfragt Gleichbehandlung angeht, entziehen und Widerstand von der Versichertengemeinschaft der GKV mitgetragen leisten wollen. Sonst kann es für Sie doch gar nicht ge- werden. Wir müssen uns schon den ethisch-moralischen nug Kinder in der Gesellschaft geben. Fragen stellen, die mit dem Thema künstliche Befruch- tung verbunden sind. Nach dem Motto „Ihr Kinderlein (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten kommet“ – so funktioniert das nicht. Das Thema ist viel des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) zu sensibel, um damit auf diese Art und Weise Opposi- Die Kolleginnen und Kollegen von der CDU sind dieje- tionspolitik zu betreiben. nigen in meinem Wahlkreis, die am lautesten jammern Vielen Dank. über den demografischen Wandel, dem unsere Gesell- schaft ausgesetzt ist. Deswegen sage ich: Das ist eine (Beifall bei der CDU/CSU) verfassungswidrige Benachteiligung, (Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: Vizepräsidentin Petra Pau: Es gibt doch keinen Rechtsanspruch auf ein Der Kollege Harald Petzold hat für die Fraktion Die Kind!) Linke das Wort. die Sie durch Ihre Argumentationsartistik im Parlament (Beifall bei der LINKEN) aufrechterhalten wollen. Dadurch sorgen Sie nach wie vor für eine Ungleichbehandlung. Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): (Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Geht es Ihnen um Be- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und völkerungspolitik?) Herren! Ich möchte auf den eigentlichen Punkt, um den es geht, zurückkommen. Das Wunschkind meiner beiden Die Linke will hier Abhilfe schaffen. Deswegen wer- besten lesbischen verpartnerten Freundinnen ist inzwi- den wir den Gesetzentwurf der Grünen unterstützen, schen ein selbstbewusstes Schulkind. Immer, wenn wir auch wenn wir in einigen Punkten – Frau Vogler hat sie zusammensitzen und uns an die Zeit erinnern, als wir genannt – durchaus Nachbesserungsbedarf sehen. (B) (D) überlegen mussten, wie der gemeinsame Kinderwunsch Ich sage auch – diesbezüglich stimme ich der Kolle- umgesetzt werden kann, fällt uns auf, welches Neuland gin Rawert zu –: Es kann nicht das Ende der politischen wir damals betreten hatten. Viele Sachen haben wir uns Fahnenstange sein, bloß weil eine einzelgesetzliche Re- viel leichter vorgestellt. gelung im Koalitionsvertrag nicht vorgesehen ist. Wir Letzten Endes hatte meine beste Freundin einen fünf- müssen hier endlich zu Potte kommen. Wir brauchen stelligen Geldbetrag zu zahlen, um den gemeinsamen endlich die Gleichstellung. Wir Oppositionsfraktionen Kinderwunsch tatsächlich umsetzen zu können. Die möchten Frau Schwesig gerne dabei unterstützen. Ich Krankenkasse hat diese Kosten noch nicht einmal antei- kann Ihnen von der SPD nur raten: Geben Sie die Ab- lig übernommen – das ist der Punkt, um den es geht –: stimmung frei. Wir haben hier im Parlament nach wie weder für die Behandlung im Zusammenhang mit der vor eine rechnerische Mehrheit für die Gleichstellung künstlichen Befruchtung noch für die Versuche, die nö- von eingetragenen Lebenspartnerschaften. Wenn wir tig waren, um eine Eizelle zu befruchten. Wir reden hier diese Mehrheit nutzen würden, könnten wir vieles vom nicht über Aufwendungen für Grippostad oder ein ande- Tisch räumen und viele Ungleichbehandlungen beenden. res Erkältungsmedikament, sondern über fünfstellige Meine Fraktion wird, wie gesagt, dem Gesetzentwurf Geldsummen. der Grünen zustimmen. Meine Stimme haben Sie auf je- (Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Das stimmt ja den Fall. gar nicht!) Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. Ich bin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen – da (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/ schließe ich mich dem Dank meiner Kollegin Vogler DIE GRÜNEN) an – für die Gesetzesinitiative ausdrücklich dankbar. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Vizepräsidentin Petra Pau: des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Kollege Dirk Heidenblut hat für die SPD-Frak- tion das Wort. Wir müssten diese Debatte hier und heute nicht führen, wenn sich der Gesetzgeber endlich entschließen würde, (Beifall bei der SPD) die Ehe für Lesben, Schwule, Transsexuelle oder Inter- sexuelle zu öffnen oder wenigstens die eingetragenen Dirk Heidenblut (SPD): Lebenspartnerschaften mit der Ehe gleichzustellen. Ich Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! habe dazu vor knapp einem Jahr meine erste Rede hier Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege 7244 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Dirk Heidenblut (A) Hüppe, zunächst einmal zu Ihnen: Ich möchte vermei- (Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: (C) den, dass Sie den Anteil der CDU/CSU an Gesetzesvor- Warum geben Sie dann den anderen nicht das haben zu klein reden. Sicher, Sie haben recht: Das Ge- Recht, auch einen Trauschein zu haben?) setz ist damals unter Rot-Grün verabschiedet worden. Aber was Sie ein wenig verschwiegen haben, ist, dass – Ich habe nur gesagt, dass ich mich dagegen wehre, das Gesetzesvorhaben in enger Zusammenarbeit mit dass eine Form nicht mehr zeitgemäß ist. Alle anderen dem Bundesrat und insbesondere in sehr enger Zusam- sind selbstverständlich auch zeitgemäß. menarbeit mit der CDU/CSU behandelt wurde. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Zuruf des Abg. Hubert Hüppe [CDU/CSU]) Vizepräsidentin Petra Pau: Insofern ist Ihr Anteil daran nicht ganz unerheblich. Das Kollege Heidenblut, gestatten Sie eine Frage oder Be- verringert den Anteil der Grünen nicht, wir wollen den merkung der Kollegin Vogler? Anteil der CDU aber auch nicht zu klein reden. (Beifall bei der SPD) Dirk Heidenblut (SPD): Selbstverständlich. Die bisherigen Debattenbeiträge haben mich verblüfft – das gilt auch für den vorangegangenen Redebeitrag –: Dies ist keine Debatte über grundsätzliche Fragen der Vizepräsidentin Petra Pau: Gleichstellung. Herr Petzold, diese Debatte hätte auch Bitte. Ihrer Freundin nicht geholfen. Frauen in gleicher Situa- tion würde nur geholfen werden, wenn sie aufgrund me- Kathrin Vogler (DIE LINKE): dizinischer Notwendigkeiten Unterstützung benötigen Herr Kollege Heidenblut, weil Sie mich so schreck- würden. Übrigens wird an dieser Stelle auch Ehepaaren lich missverstanden haben, möchte ich bemerken, dass ohne medizinische Notwendigkeit nicht geholfen. Da ich überhaupt nicht gesagt habe, dass der Trauschein an gibt es also durchaus eine Gleichstellung; das ist unstrit- sich unzeitgemäß ist. Meinetwegen sollen alle, die das tig. Wir können uns jetzt darüber streiten, ob diese gerne wollen, heiraten. Ich bin selbst seit 20 Jahren Gleichstellung gut oder schlecht ist. Das wäre aber eine glücklich verheiratet. gesellschaftspolitische Frage, weil es dabei darum geht, wie wir dem Kinderwunsch nachkommen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Glückwunsch!) Wir reden heute auch nicht über die Frage, was gute (B) und was schlechte Eltern sind; wobei zu fragen ist, ob Aber angesichts der Vielfalt von Familienformen in die- (D) eine solche Frage überhaupt sinnvoll ist. Für unsere sem Land ist es einfach unzeitgemäß, diese Bescheini- Fraktion ist völlig klar: Es gibt heutzutage sehr unter- gung einer Behörde zur Grundlage von Familienpolitik schiedliche Formen von Lebensgemeinschaften, und zu machen. überall gibt es gute und schlechte Eltern. In jedem Fall (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten müssen wir uns über Kinderrechte und das Kindeswohl des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) unterhalten. Aber auch das ist heute nicht die Frage. Deswegen habe ich mich bei den Grünen für den Gesetz- Heute lautet die Frage: Was soll die Krankenkasse, entwurf bedankt. Ich möchte einfach nur, dass Sie das was soll die Gemeinschaft der Versicherten zahlen und zur Kenntnis nehmen. für wen soll die Behandlung bezahlt werden? Diesbe- züglich hat der Gesetzgeber eine Einschränkung vorge- Dirk Heidenblut (SPD): nommen und gesagt: Wir wollen, dass zunächst einmal nur im Fall einer Ehe gezahlt wird. – Diese Einschrän- Ich nehme das gerne zur Kenntnis und bedanke mich kung ist keine Diskriminierung, sondern sie ergibt sich für die Klarstellung. Wir sind ja zumindest, was die aus ganz vielen Gründen, die damals eine Rolle gespielt Frage der Zeitgemäßheit eines Trauscheins angeht, of- haben. fensichtlich völlig auf einer Linie. Zu dem Rest komme ich noch. Danke schön. Auch wenn ich dafür stehe und sehr deutlich sage: Kommen wir zurück zu den Problemen, mit denen „Wir finden es gut und richtig, dass es ganz viele unter- wir uns heute eigentlich beschäftigen. Sie werfen in Ih- schiedliche Formen von Lebensgemeinschaften gibt“, rem Gesetzentwurf – ich muss sagen: ganz so klein ist er muss ich als jemand, der seit 21 Jahren sehr glücklich in nicht – zwei ganz wesentliche Fragen auf. Die eine einer Beziehung mit Trauschein lebt, einem Einwand Frage – auch Kollege Hüppe hat sie schon angespro- entgegentreten: Ich halte Trauscheine nicht für nicht chen – lautet: Was ist eine auf Dauer angelegte Lebens- mehr zeitgemäß. Ich glaube, sie sind das durchaus noch. gemeinschaft? Ja, ich gebe zu, dass wir diese Frage bei (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – den Bedarfsgemeinschaften in einem anderen Sozialge- Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: setzbuch schon einmal angepackt haben; aber wir alle Das hat niemand gesagt!) wissen, dass das nicht einfach zu entscheiden ist und dass es ein Problem ist, wie man das am Ende feststellen Ich halte allerdings alle anderen Formen auch für zeitge- kann. Über diese Frage muss man sicherlich nachden- mäß. ken. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7245

Dirk Heidenblut (A) Die andere Frage betrifft das Problem, dass für die Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C) Lebenspartnerschaft ein weiterer Teil geändert werden Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Präsidentin! muss; sonst bringt das gar nichts. Denn wenn wir die Im Grunde genommen, Kollege Heidenblut, bin ich sehr verschiedenen Formen der Lebenspartnerschaften zwar zuversichtlich. Wir stehen am Anfang der parlamentari- einschließen, aber bei der homologen Insemination – ich schen Debatte. Es ist immer so, dass Gesetzentwürfe musste den Begriff auch erst lernen – bleiben, dann wird weiterentwickelt werden. Auch Mechthild Rawert hat das nichts bringen. Das heißt, wir müssen auch eine an- gesagt, dass sich die SPD an der Weiterentwicklung die- dere Form der Insemination einschließen, die im Übri- ses Gesetzentwurfes beteiligen wird. gen im Moment für niemanden bezahlt wird; das möchte ich deutlich sagen. Dabei stellen sich dann aber auch ein (Zurufe von der CDU/CSU: Aha!) paar rechtliche Fragen, die die Rechte der Kinder und derjenigen betreffen, die in dem Fall als Dritte zwingend Ich bin, ehrlich gesagt, in die Diskussion gegangen, beteiligt sind, also die leiblichen Väter. Das hat deutlich um – so mache ich das sehr häufig – Überzeugungsarbeit gravierendere Auswirkungen, als es in dem Gesetzent- zu leisten, in diesem Fall natürlich bei der Union. Ich wurf, den Sie uns hier vorlegen, deutlich wird. dachte, ich müsste manche nur davon überzeugen, sich mit einem etwas engen Familienbild der Vergangenheit Ich will ausdrücklich sagen: Wir sind dafür, dass an auseinanderzusetzen. Aber es kommt hinzu, dass ich dieser Stelle darüber geredet wird. Wir werden versu- schon jetzt auch dahin gehend Überzeugungsarbeit leis- chen, offen und vernünftig darüber zu diskutieren und es ten muss, dass es heute nicht um die Diskussion über miteinander zu besprechen. Aber ob der Gesetzentwurf, Chancen und Risiken der IVF und auch nicht darum so wie Sie ihn vorlegen, am Ende wirklich zielführend geht, dass diese Behandlungsform für Frauen sehr beein- ist, muss sich in der Diskussion erst noch zeigen. Das trächtigend ist – von dieser Überlegung wurden wir ja wird sich zeigen, wenn wir die Fragen angehen, die mit auch, als es um die Kostenübernahme für Verheiratete dem Gesetzentwurf aufgeworfen werden. ging, nicht in erster Linie geleitet –, sondern dass es heute um die Frage „Diskriminierung: ja oder nein?“ Ich will zumindest noch auf einen Punkt zu sprechen bzw. „Gleichbehandlung: ja oder nein?“ geht. kommen, der durchaus eine Rolle spielt. Es geht um die Frage – Sie haben das selbst mit der Verschärfung des (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Begriffs „medizinisch“ deutlich gemacht –: Für was soll und bei der LINKEN) eigentlich die Versichertengemeinschaft zahlen? Wir re- den hier über die Übernahme der Kosten durch die Kran- Ich muss mich gegen noch etwas verwahren: Es geht kenkassen, also die Versichertengemeinschaft, für be- heute auch nicht um Leihmutterschaft, Eizellspende und Eizellen-Freezing. Davon steht nichts im Gesetzentwurf. (B) stimmte Leistungen. Auch das müssen wir uns an der (D) Stelle durchaus noch einmal anschauen. Es gibt auch keine Gesetzesinitiative, die von den Grü- nen in diese Richtung gestartet werden würde. Das hat natürlich auch mit der Frage, wie es funktio- niert und welche Erfolgsaussichten es gibt, zu tun. Da (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN komme ich noch einmal auf das zurück, was Herr Hüppe sowie bei Abgeordneten der LINKEN – zum Schluss gesagt hat. Diese Diskussion ist tatsächlich Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Da wollen wir nicht neu. Sie wurde schon mehrfach geführt, und zwar doch alle nicht hin! – Hubert Hüppe [CDU/ mit dem Hinweis darauf, dass eine Abwägung der Er- CSU]: Und Fremdsamenspende?) folgsaussichten – auch das habe ich jetzt lernen müssen; – Es geht auch nicht um Fremdsamenspende, der Begriff dafür ist Baby-take-home-Rate – und der gleichzeitig vorhandenen Risiken, die eine solche Be- (Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Das steht aber im handlung mit sich bringt – das kann man nicht wegdis- Gesetzentwurf!) kutieren –, erfolgen muss, um zu entscheiden, ob es wirklich sinnvoll ist, den Kreis auszuweiten. obwohl die Bemerkung über Abstammung natürlich eine richtige Diskussion, die wir führen müssen, anstößt. Wir werden das betrachten. Wir freuen uns auf die Diskussionen im Ausschuss und auf die sicherlich anste- Schon heute gibt es, trotz aller offenen Fragen, die he- henden Anhörungen. Für uns ist völlig klar, dass wir terologe Insemination. Auch hier geht es nur um die dem grundsätzlichen Ziel, keine Diskriminierung von Frage der Diskriminierung von Frauen, die Schwierig- gewählten Lebensgemeinschaften, Lebenspartnerschaf- keiten haben, auf natürliche Art und Weise schwanger zu ten näher kommen müssen. Ob dieser Gesetzentwurf der werden. Es geht nicht um die Bezahlung der heterologen richtige Ansatz ist, bleibt durchaus fraglich. Insemination. Die Bezahlung richtet sich nach Art der IVF, der künstlichen Befruchtung. Danke schön. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Vizepräsidentin Petra Pau: der CDU/CSU) Kollege Terpe, gestatten Sie eine Frage oder Bemer- kung des Kollegen Röspel? Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dr. Harald Terpe für die Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Ja, gern. 7246 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

(A) René Röspel (SPD): Zahl der Zyklen auf mehr als drei geht. Das war damals (C) Vielen Dank, lieber Harald. Es tut mir leid, dass ich eine verantwortungsvolle Entscheidung, natürlich eine dich unterbrechen muss, weil ich dich sonst sehr schätze. Kompromissentscheidung. Was aber an der damaligen Entscheidung, auch aus heutiger Sicht, nicht richtig war, (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der ist die Begrenzung auf verheiratete Paare. CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Entscheidung im Jahr 2003 – tatsächlich unter und bei der LINKEN) einer rot-grünen Bundesregierung –, die Zahl der Zyklen auf drei zu beschränken und das Alter auf 25 bis Man hat damals nicht akzeptiert, dass es auch andere 40 Jahre festzusetzen, Lebensformen mit Verantwortungsübernahme gibt. Paare, die sich bewusst für eine künstliche Befruchtung (Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Das wäre dann ja entscheiden, sind nämlich Paare, die eine Heirat als Altersdiskriminierung, oder?) zweitrangig, die Übernahme von Verantwortung für Kin- hatte im Wesentlichen etwas mit der Reproduktions- der aber als erstrangig betrachten. medizin zu tun; ich finde, das spielt auch heute eine Ich möchte das an meinem eigenen Beispiel deutlich Rolle. machen: Ich bin zehn Jahre lang mit drei Kindern unver- (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- heiratet gewesen. Die Übernahme der Verantwortung NEN]: Das wollen wir ja nicht ändern!) – jedenfalls für Kinder – ist nicht an eine Heirat gebun- den. – Ja, aber es geht um einen wesentlichen Bestandteil die- ser Diskussion, der bisher eine viel zu geringe Rolle ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spielt hat. und bei der LINKEN) Es hat damals eine Enquete-Kommission gegeben, Bei diesem Gesetzentwurf geht es nicht um die vielen die sich sehr intensiv mit der Reproduktionsmedizin Punkte, die aufgezählt wurden, sondern es geht für uns befasst hat. Sie hat sich – unter Beteiligung von Christa um die Frage: Diskriminierung oder Gleichbehandlung. Nickels von den Grünen, Professor Fink und Ilja Seifert Ich bin sogar froh, wenn uns jemand sagt, dass es dabei von den Linken und vielen anderen – mit der zentralen um unsere Klientel geht. Wir wollen keine Diskriminie- Frage befasst: Helfen wir den Frauen, die einen sehnli- rung, sondern eine Gleichbehandlung. chen Kinderwunsch haben, eigentlich damit, wenn wir auch noch den sechsten Zyklus finanzieren? Vizepräsidentin Petra Pau: Wir haben darüber unter dem Stichwort Baby-take- Kollege Terpe, ich habe die Uhr wieder angehalten, (B) home-Rate – der Kollege Heidenblut hat es gerade ge- weil es den Wunsch des Kollegen Henke gibt, eine Frage (D) nannt – diskutiert. Es ist nämlich so: Wenn man gut zu stellen oder eine Bemerkung zu machen. rechnet, kommt man zu dem Ergebnis, dass 15 Prozent aller Frauen, die sich einer künstlichen Befruchtung un- Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): terziehen, mit einem Kind nach Hause gehen. Das heißt, Ja. von sieben Frauen, die das tun, gehen sechs ohne Kind nach Hause. Das ist eine Maschinerie, in die man hinein- (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Jetzt aber bitte geraten kann. keinen fachlichen Diskurs!) Darüber haben wir damals sehr intensiv diskutiert. Da – Ich bin darin fachlich ja nicht so gut wie Herr Henke. wir gesehen haben, dass mit Ausnahme von Fällen, bei denen eine medizinische Indikation vorlag, eine gleich Rudolf Henke (CDU/CSU): hohe Erfolgsrate nach biopsychosozialer Beratung zu Vielen Dank, Harald Terpe, für die Möglichkeit, eine verzeichnen war, hat es damals die Empfehlung an den Frage zu stellen. – Zunächst einmal kann man natürlich Gesetzgeber gegeben, den Kreis der Anspruchsberech- darüber nachdenken, was Gleichbehandlung bedeutet: tigten zu beschränken – auf verheiratete 25- bis 40-Jäh- Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandeln. rige mit medizinischer Indikation – und nur drei Zyklen Man kann aus der Ungleichheit ja nicht ableiten, dass es zu bezahlen. Damals kam man zu dem Ergebnis: Wir der Imperativ ist, die Ungleichheit gesetzgeberisch zu helfen nicht, indem wir den Kreis der Anspruchsberech- beseitigen. tigten ausweiten. Ich finde, auch dieser Punkt muss in dieser Diskussion eine Rolle spielen, weil die betroffe- Aber wir konzentrieren uns hier auf die heterologe In- nen Frauen im Zentrum stehen sollten. semination. Anders geht es bei einem lesbischen Paar ja nicht. Kann es denn wirklich das Ziel sein, dass man, (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der bevor man die personenstandsrechtlichen und erbrecht- CDU/CSU) lichen Fragen beantwortet, die Ansprüche des Kindes darauf, seinen biologischen Vater kennenzulernen, ge- Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): prüft und die Frage beantwortet hat, welche Haftung – – Das gibt mir die Möglichkeit, außerhalb meiner Rede- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE zeit zu antworten. Dafür bin ich sehr dankbar. GRÜNEN]: Sagen Sie einmal etwas zu der Im weiteren Verlauf meiner Rede hätte ich auch noch heutigen Praxis bei den heterologen Insemina- gesagt, dass es heute auch nicht um die Erhöhung der tionen!) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7247

Rudolf Henke (A) – Ich bin gerne bereit, eine Zwischenfrage von Herr Kol- (Jens Spahn [CDU/CSU]: Ja, sie fehlt hier!) (C) legen Beck zu meiner Zwischenfrage zu beantworten, Wenn ich jetzt länger Zeit hätte, um Überzeugungsarbeit wenn er sie beantragt. zu leisten, dann würde ich sogar nachweisen können, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) dass das nicht im Widerspruch steht; denn das Problem „Übernahme der Kosten durch die Krankenkassen“ Vizepräsidentin Petra Pau: wurde damals in einer Zeit diskutiert, in der fast alle ak- zeptiert hatten, dass der steuerliche Anteil bei der Finan- Das funktioniert nicht. – Ich wollte auch gerade an- zierung der Krankenkassen fehlt, den wir heute ja zu merken: Zurzeit hat der Kollege Henke überwiegend das Recht einfordern, indem wir sagen: Es gibt versiche- Wort. rungsfremde Leistungen. (Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Heute ist allgemein akzeptiert, dass wir diesen steuer- „Überwiegend“!) lichen Anteil regelmäßig erhöhen wollen. Ich weiß, dass die Koalition das etwas reduziert hat. In Zukunft soll das Rudolf Henke (CDU/CSU): aber wieder in die umgekehrte Richtung gehen. Aus die- Vielen herzlichen Dank. – Ich komme zu meiner sen Teilen ist die Finanzierung einer versicherungsfrem- Frage zurück und nehme meinen Gedanken wieder auf: den Leistung möglich. Natürlich kommt es aufgrund des Haftungsrechts für ei- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- nen Arzt, der einen Spender dazu veranlasst, eine hetero- SES 90/DIE GRÜNEN) loge Insemination durch seine Spende zu ermöglichen, zu entsprechenden Folgen, wenn er es einem Kind nicht Insofern könnte man sogar meine geschätzte Kollegin ermöglicht, zu erfahren, wer sein Vater ist, wenn es das Biggi Bender aus der Kritik raushauen. will. Das ist übrigens auch die Antwort auf die von Herrn Beck in seiner denkbaren Zwischenfrage an mich Ich bleibe dabei: Ich will Sie davon überzeugen, Ihr gestellten Frage, wie das denn in der Praxis bei den heu- Augenmerk auf nichteheliche Lebenspartnerschaften tigen heterologen Inseminationen aussieht. Sie sind bzw. Lebensgemeinschaften zu legen. Insofern sollte die nämlich auch problematisch. Union ihr Familienbild überdenken. Ich bin gespannt, wie die SPD unseren Gesetzentwurf noch weiter verbes- Meine Frage ist daher: Müsste man nicht eher eine sert, damit wir diesem dann mit großer Mehrheit zustim- komplett andere Reihenfolge, was die Klärung der auf- men können. geworfenen Fragen angeht, wählen, als jetzt diesen Ge- setzentwurf einzubringen? Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (D) (Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Das kann man mit Ja beantworten! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum fällt Vizepräsidentin Petra Pau: Ihnen das jetzt ein?) Das Wort hat der Kollege Marcus Weinberg für die CDU/CSU-Fraktion. Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall bei der CDU/CSU) Im zweiten Teil der Frage wurde die Problematik an- gesprochen. Wir beide wissen sehr gut, dass gerade die Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Ethikkommission und die Ärztekammern immer um Rat Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Werte Kolleginnen gefragt werden, wenn es um die heterologe Insemina- und Kollegen! Herr Terpe, die Zwischenfrage des Kolle- tion, wie sie heute möglich ist, geht. Es wird dann ge- gen Röspel hat es noch einmal deutlich gemacht. Sie ha- sagt: Die heterologe Insemination ist heute trotz all der ben versucht, Ihren Gesetzentwurf etwas zu relativieren. Schwierigkeiten möglich. Dieser sei quasi wie eine kleine Fußnote, und in den An dieser Einschätzung ändert auch dieser Gesetzent- parlamentarischen Beratungen könne man das eine oder wurf nichts. Aber wir konzentrieren uns auf die Frage: andere vielleicht doch noch verändern. Was passiert, wenn die Frau nicht auf natürliche Weise (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schwanger werden kann, NEN]: Nein!) (Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Ja, es geht noch Sie merken, es geht um mehrere Grundsatzfragen: Es ums Bezahlen!) geht um die Frage der Gesundheit, um die Frage der Be- sie also eine künstliche Befruchtung durch den Samen wertung von Familienleitbildern und um die Frage der ihres Partners, also eine In-vitro-Fertilisation, braucht? Diskriminierung. Außerdem geht es um die Frage, was Diese homologe und nicht die heterologe Insemination der Staat leisten kann und leisten soll, wenn es darum soll bezahlt werden. geht, diejenigen zu unterstützen, die sich Kinder wün- schen, denen dieser Wunsch aus gesundheitlichen Grün- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) den aber nicht erfüllt werden kann. Ich komme noch einmal auf den Gesetzentwurf zu- Frau Dörner, noch einmal zu Ihrer Bewertung der rück, weil als Kronzeugin auch unsere geschätzte Kolle- Vielfalt von Familienbildern. Da sind wir gar nicht aus- gin Biggi Bender mehrfach genannt worden ist. einander. 7248 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Marcus Weinberg (Hamburg) (A) (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Programm steht im Einklang mit der Entscheidung des (C) NEN]: Doch! Da sind wir sehr weit auseinan- Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2007 und dem der!) jüngsten Urteil des Landessozialgerichts. Die Frage der Übernahme von Verantwortung stellt sich (Mechthild Rawert [SPD]: Wir können alles in Ehen und in Nichtehen. Man merkt, dass die Lebens- ändern!) formen von Kolleginnen und Kollegen der einzelnen Fraktionen sehr stark differieren. Das alles hat sich in Die Beschränkung der Kofinanzierung bei künstlicher den vergangenen Jahren verändert. Wir als Union sind Befruchtung auf verheiratete Paare ist verfassungs- der Auffassung, dass der Staat darauf reagieren muss. Er gemäß. Das ist nicht diskriminierend. Das hat das Lan- muss den verschiedenen Familienleitbildern gerecht dessozialgericht bestätigt. Wir begrüßen das ausdrück- werden. lich. Ich finde es gut, dass Sie den Fokus auf das Thema Vielleicht sollte man noch einmal deutlich machen, Verantwortung setzen. Insofern werden Sie im Zuge Ih- worüber man eigentlich redet. Es geht nicht um die rer Reformbestrebungen sicherlich zu der Erkenntnis ge- Frage des Verbots oder des Nichtverbots. Es geht nicht langen, dass das Ehegattensplitting richtig ist. um die Frage: Ja oder Nein! Es geht bei der Frage der Unterstützung der künstlichen Befruchtung darum, was (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) der Staat zusätzlich leisten sollte. Es geht also um die Es gibt nur eine Form von Gemeinschaft, in der Ver- Beiträge des Staates und nicht um die Frage, ob wir ein antwortung nicht nur freiwillig übernommen wird, son- Verbot aufrechterhalten. Dieses Verbot gibt es nicht. dern in der es eine gesetzliche Verpflichtung mit allen Was das Ziel des Ganzen angeht, muss es doch im In- daraus erwachsenden Folgewirkungen gibt, und das ist teresse der Kinder sein, in einer stabilen Partnerschaft die Ehe. Diese wird zu Recht durch das Grundgesetz be- aufzuwachsen. Sie ist zwar auch möglich, wenn man sonders geschützt. Die Ehe ist mit besonderen Rechten nicht verheiratet ist, und möglicherweise gibt es auch und Pflichten versehen. Die Ehe hat gesetzlich eine Ver- Ehen, die diese nicht garantieren. Aber in der Frage, wie antwortungsübernahme zur Folge. Kinder aufwachsen, muss der Staat doch danach streben, Das heißt, die Ehe ist die einzige Form, die Paaren ei- das höchste Maß an Stabilität zu erreichen. Aufgrund nen Anspruch gibt auf gegenseitigen Unterhalt, auf dieses auch verfassungsrechtlich garantierten Schutzge- Versorgungsausgleich und auf Erbschaft. Diese ökono- dankens sind die besonderen Privilegien, die Verheirate- mische Sichtweise ist übrigens gar nicht so uninteres- ten zugestanden werden, gerechtfertigt. Hierzu gehört sant, weil es auch um die Kinder geht. Wenn es eine öko- die Begrenzung auf Eheleute nicht nur beim gesetzlichen (B) nomische Sicherheit für beide Partner gibt, dann gibt es Anspruch auf künstliche Befruchtung, sondern auch (D) sie mittelbar auch für die Kinder. Das Kindeswohl steht beim gesetzlichen Anspruch beispielsweise auf Fami- für uns im Zentrum. lienversicherung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wir alle wissen, dass der Leidensdruck derjenigen, Zuruf der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) die einen unerfüllten Kinderwunsch haben, groß ist. Weil wir das wissen, halten wir es für angemessen, dass Anders als bei Unverheirateten gibt es bei verheirate- nach der bestehenden Rechtslage Anteile der Kosten für ten Paaren gesetzliche Hürden bei Auflösung der Ge- die assistierte Reproduktion durch die gesetzliche Kran- meinschaft. Nun können Sie sagen: Es verändert sich ja kenversicherung übernommen werden. Es wurde schon alles. – Sie haben in diesem Zusammenhang die Schei- angesprochen, dass die ehemalige Ministerin Schröder dungsraten angesprochen. Frau Dr. Leikert hat vorhin die Förderung ausgeweitet hat, nämlich auf 25 Prozent klargestellt, dass es empirisch nachgewiesene Unter- des Eigenanteils, unter der Voraussetzung, dass sich das schiede gibt zwischen Ehen und Nichtehen. jeweilige Bundesland beteiligt. Über diese Frage kann Politik kann sich aber nicht und sollte sich auch nicht man diskutieren. Einige Bundesländer machen das; an- nach irgendwelchen Raten und Quoten richten und da- dere machen es nicht. nach aktuelle ethisch-moralische Grundsätze formulie- (Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Wie viele grüne ren. Wir sollten nicht dem Zeitgeist hinterherlaufen, son- Länder machen es denn?) dern wir sollten den Wert verbindlicher Verantwortung stärken. Das ist bei der Ehe gegeben. Deswegen ist das – Ich weiß nicht, ob Baden-Württemberg es zurzeit ein Leitmotiv unserer Politik. macht. (Beifall bei der CDU/CSU) (Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Nein! – Mechthild Rawert [SPD]: Nein, hauptsächlich die Ostlän- Frau Dörner, Sie haben unser Regierungsprogramm der! Die Flächenländer! Sachsen-Anhalt prüft sicherlich mit großer Freude gelesen. sogar, noch weitere Kosten zu übernehmen!) (Zuruf der Abg. Katja Dörner [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]) Das ist aber eine interessante Frage des Kollegen Hüppe. – Aber wenn man darüber diskutiert, dies noch weiter Ich werde Sie einmal als potenzielle Wählerin in Be- auszuweiten, dann muss geklärt werden – das wurde be- tracht ziehen. Dabei sind Sie sicherlich auf die Formulie- reits angesprochen –, aus welchem Etat das zu finanzie- rung mit dem Diskriminierungsverbot gestoßen. Unser ren ist. Wenn man dafür andere gesetzliche Leistungen Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7249

Marcus Weinberg (Hamburg) (A) oder Familienleistungen kürzen will, dann wäre das si- lich die Frage aufwirft, worum es eigentlich geht, Frau (C) cherlich ein Problem. Dörner. Frau Dörner hat darauf hingewiesen, dass nicht jeder (Beifall bei der CDU/CSU – Katja Dörner die Kosten selber tragen kann, auch weil es beim ersten [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann wollen Versuch häufig nicht klappt und deshalb weitere Versu- Sie es für alle verbieten?) che notwendig sind. Damit komme ich zu dem Kollegen – Sie müssen mir nicht zuhören. Sie können auch paral- Röspel, der noch einmal sehr deutlich skizziert hat, wo- lel dazu unser Regierungsprogramm lesen. Das haben rum es bei der Frage der Finanzierung auch geht. Es geht Sie schon einmal gemacht, und das ist nicht schlecht. nämlich auch darum, welche Erfolgsaussichten beste- hen. Denn wir reden über eine Behandlung, die mit Risi- Ich will noch einmal darauf verweisen, dass die Baby- ken und gesundheitlichen Problemen verbunden ist. take-Home-Rate – allein das Wort ist schrecklich – bei 17,7 Prozent liegt und welche Folgewirkungen das hat. Ich glaube, Frau Dörner möchte eine Zwischenfrage Das heißt, über 80 Prozent der Versuche bleiben erfolg- stellen. los. Dabei ist die künstliche Befruchtung mit Risiken verbunden, sowohl gesundheitlicher als auch emotiona- Vizepräsidentin Petra Pau: ler Art. Die Folgewirkungen – das zeigt sich auch im Ich habe die Uhr angehalten. – Die Kollegin Dörner persönlichen Umfeld, wenn man Personen kennt, die hat das Wort zu einer Bemerkung oder Zwischenfrage. keinen Erfolg hatten – sind teilweise verheerend. (Beifall des Abg. Hubert Hüppe [CDU/CSU]) Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen, Das ist ein weiterer Punkt, der in dieser Debatte eine Herr Kollege. – Nachdem Ihnen von den Kollegen der Rolle spielt, Frau Dörner, auch wenn er im engeren Sinn unterschiedlichsten Fraktionen schon mehrfach erklärt nicht im Gesetzentwurf formuliert ist. worden ist, was in unserem Gesetzentwurf steht, wun- Eine Studie der Ruhr-Universität Bochum von 2011 dere ich mich, warum Sie weiter so reden, als hätten Sie über die Aufklärung bei Verfahren der künstlichen Be- die Informationen weder vorher gehabt noch der Debatte fruchtung hat ergeben, dass viele Paare nicht angemes- entnehmen können. sen beraten werden bzw. sich nicht angemessen beraten Mir ist es wichtig, festzuhalten: Die Frage, wie häufig fühlen. Wenn Sie eine Ausweitung der Kostenüber- eine künstliche Befruchtung finanziert wird, oder auch nahme vornehmen, dann erzeugen Sie eine gewisse Er- der Umfang der Finanzierung haben mit unserem Ge- wartungshaltung bei den Menschen. (B) setzentwurf nichts zu tun. Wir haben insofern keine Än- (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (D) derung vorgeschlagen und haben das auch nicht vor, Wollen Sie es denn für alle verbieten?) sondern es geht uns ausdrücklich und ganz konkret da- rum, eine Gleichstellung zwischen verheirateten Paaren, Dies ist nicht ungefährlich und passt nicht zu diesem unverheirateten Paaren und eingetragenen Lebenspart- Thema. nerschaften zu erreichen. Das ist das Einzige, was unser Frau Dörner, im Zusammenhang mit der von Ihnen Gesetzentwurf vorsieht. Ich bitte Sie, das zur Kenntnis angestrebten Ausweitung ist auch anzusprechen, dass zu nehmen und zum Text unseres Gesetzentwurfs und mit den Methoden der künstlichen Befruchtung in die- zum Kern der Debatte zu sprechen, statt immer weiter so sem Land viel Geld verdient wird. Eine Behandlung kos- zu tun, als hätten wir etwas vorgeschlagen, was aber gar tet durchschnittlich 3 000 Euro. Bei über 80 000 Be- nicht im Gesetzentwurf enthalten ist, und so dazu beizu- handlungen, die es im Jahr 2013 gab, kommt man auf tragen, dass diese Debatte immer unsachlicher wird. einen Gesamtbetrag in Höhe von rund 250 Millionen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Euro. (Abg. Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischen- Vielen Dank für Ihre Erklärung und die damit verbun- frage) dene Bitte. Wenn Sie die ersten 4 Minuten und 22 Se- kunden zugehört hätten, wüssten Sie, dass der Schwer- – Herr Terpe, bei allem Verständnis, ich lasse keine Zwi- punkt meiner Argumentation auf der Ausweitung auf schenfrage mehr zu. – Angesichts dieser Zahlen ist es nichteheliche Partner lag. Sie haben eine Grundsatzde- nicht weltfremd, anzunehmen, dass die Zahl der künstli- batte entfacht, chen Befruchtungen durch eine Ausweitung der Kosten- übernahme zunehmen wird. (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Zu dem, was die ehemalige Kollegin Bender von den NEN]: Nein! Das haben wir nicht!) Grünen gesagt hat, wurde schon viel gesagt. Auch ich und dann sollten wir auch grundsätzlich darüber disku- wollte sie, ähnlich wie Hubert Hüppe es getan hat, zitie- tieren – das war auch der Punkt, den Kollege Röspel an- ren. gesprochen hat –, welche Auswirkungen das hat. Wir sollten jedenfalls nicht vergessen, dass Kinder Sie können nicht einfach eine kleine Fußnote skizzie- das Recht haben, zu erfahren, woher sie kommen. Aus ren. Wenn Sie Wind säen, werden Sie Sturm ernten. Also der Adoptionsforschung wissen wir, dass sehr viele Kin- müssen Sie auch eine Debatte aushalten, die grundsätz- der darunter leiden, dass sie nicht wissen, woher sie 7250 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Marcus Weinberg (Hamburg) (A) kommen. Dieser Aspekt sollte in den Diskussionen in Tagesordnungspunkt 27 a: (C) den nächsten Wochen und Monaten sowohl in der Fami- Zweite Beratung und Schlussabstimmung des lienpolitik als auch in der Gesundheitspolitik berück- von der Bundesregierung eingebrachten Ent- sichtigt werden. Insofern bedarf Ihr Gesetzentwurf einer wurfs eines Gesetzes zu der Entscheidung der ausführlicheren Diskussion, als Sie eigentlich wollten. Konferenz von Doha vom 8. Dezember 2012 zur Änderung des Protokolls von Kyoto vom Vizepräsidentin Petra Pau: 11. Dezember 1997 zum Rahmenübereinkom- Kollege Weinberg, da Sie die letzte Zwischenfrage men der Vereinten Nationen über Klimaände- nicht zugelassen haben, haben Sie nun Ihre Redezeit rungen (Doha-Änderung des Protokolls von überschritten. Kyoto) Drucksache 18/3123 Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Das macht nichts. Es ist alles gesagt. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- ses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsi- Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. cherheit (16. Ausschuss) (Beifall bei der CDU/CSU) Drucksache 18/3582 Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Vizepräsidentin Petra Pau: Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- Ich schließe die Aussprache. lung auf Drucksache 18/3582, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/3123 anzunehmen. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent- wurfs auf Drucksache 18/3279 an die in der Tagesord- Zweite Beratung nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf – es handelt sich um entwurf ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der eine Überweisung im vereinfachten Verfahren ohne SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Debatte –: bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Beratung des Antrags der Abgeordneten Friedrich Tagesordnungspunkt 27 b: (B) Ostendorff, Harald Ebner, Nicole Maisch, weite- Zweite Beratung und Schlussabstimmung des (D) rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- von der Bundesregierung eingebrachten Ent- NIS 90/DIE GRÜNEN wurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 10. März 2009 zwischen den Mitglied- zu dem Vorschlag für eine Verordnung des staaten der Europäischen Union über die zen- Europäischen Parlaments und des Rates über trale Zollabwicklung hinsichtlich der Auftei- die Tierzucht- und Abstammungsbestimmun- lung der nationalen Erhebungskosten, die bei gen für den Handel mit Zuchttieren und de- der Bereitstellung der traditionellen Eigen- ren Zuchtmaterial in der Union sowie für die mittel für den Haushalt der Europäischen Einfuhr derselben in die Union Union einbehalten werden KOM(2014) 5 endg. Drucksache 18/3125 hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesre- Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz- gierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des ausschusses (7. Ausschuss) Grundgesetzes Drucksache 18/3594 Kennzeichnung von Zuchttieren und -mate- rialien mit Klonabstammung im EU-Tier- Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- zuchtrecht verankern empfehlung auf Drucksache 18/3594, den Gesetzent- wurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/3125 an- Drucksache 18/3557 zunehmen. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Zweite Beratung Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage an und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem den Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft zu Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. entwurf ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 27 c: Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a bis 27 j sowie die Zusatzpunkte 4 a bis 4 e auf. Es handelt sich um die Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aus- regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- sprache vorgesehen ist. zes zu dem Europa-Mittelmeer-Luftverkehrs- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7251

Vizepräsidentin Petra Pau (A) abkommen vom 10. Juni 2013 zwischen der Tagesordnungspunkt 27 e: (C) Europäischen Union und ihren Mitgliedstaa- Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- ten einerseits und der Regierung des Staates tionsausschusses (2. Ausschuss) Israel andererseits (Vertragsgesetz Europa- Mittelmeer-Israel-Luftverkehrsabkommen – Sammelübersicht 128 zu Petitionen Euromed-ISR-LuftverkAbkG) Drucksache 18/3428 Drucksache 18/3255 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- hält sich? – Die Sammelübersicht 128 ist einstimmig an- schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur genommen. (15. Ausschuss) Tagesordnungspunkt 27 f: Drucksache 18/3534 Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuss) Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- Sammelübersicht 129 zu Petitionen che 18/3534, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/3255 anzunehmen. Ich bitte diejeni- Drucksache 18/3429 gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält hält sich? – Die Sammelübersicht 129 ist einstimmig an- sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung genommen. durch die Koalitionsfraktionen und die Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Tagesordnungspunkt 27 g: Linke angenommen. Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuss) Dritte Beratung Sammelübersicht 130 zu Petitionen und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Drucksache 18/3430 Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- entwurf ist angenommen bei Enthaltung der Fraktion hält sich? – Die Sammelübersicht 130 ist mit den Stim- Die Linke. men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bünd- (B) Tagesordnungspunkt 27 d: (D) nis 90/Die Grünen angenommen. Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Tagesordnungspunkt 27 h: richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener- gie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord- Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- neten Dr. Joachim Pfeiffer, Lena Strothmann, tionsausschusses (2. Ausschuss) Artur Auernhammer, weiterer Abgeordneter und Sammelübersicht 131 zu Petitionen der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeord- neten Wolfgang Tiefensee, Sabine Poschmann, Drucksache 18/3431 Niels Annen, weiterer Abgeordneter und der Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- Fraktion der SPD hält sich? – Die Sammelübersicht 131 ist einstimmig an- Der deutsche Meisterbrief – Erfolgreiche Un- genommen. ternehmerqualifizierung, Basis für handwerk- Tagesordnungspunkt 27 i: liche Qualität und besondere Bedeutung für die duale Ausbildung Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuss) Drucksachen 18/3317, 18/3587 Sammelübersicht 132 zu Petitionen Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- Drucksache 18/3432 lung auf Drucksache 18/3587, den Antrag der Frak- tionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- 18/3317 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschluss- hält sich? – Die Sammelübersicht 132 ist mit den Stim- empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? men der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Linke gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Unionsfraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion Grünen angenommen. Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Tagesordnungspunkt 27 j: Linke angenommen. Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 27 e tionsausschusses (2. Ausschuss) bis 27 j sowie zu den Zusatzpunkten 4 a bis 4 e. Es han- Sammelübersicht 133 zu Petitionen delt sich um Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- schusses. Drucksache 18/3433 7252 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf: (C) hält sich? – Die Sammelübersicht 133 ist mit den Stim- men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Aktuelle Stunde Oppositionsfraktionen angenommen. auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zusatzpunkt 4 a: Haltung der Bundesregierung zur breiten Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Kritik unter anderem der EU-Kommission an tionsausschusses (2. Ausschuss) der Einführung einer Infrastrukturabgabe in Sammelübersicht 134 zu Petitionen Deutschland Drucksache 18/3568 Ich bitte diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die uns jetzt leider verlassen müssen, dies so zu tun, dass wir Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- die notwendige Aufmerksamkeit für die Debatte zügig hält sich? – Die Sammelübersicht 134 ist einstimmig an- herstellen können. genommen. Zusatzpunkt 4 b: Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Oliver Krischer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuss) Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sammelübersicht 135 zu Petitionen Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Drucksache 18/3569 Es gibt in der Verkehrs- und Mobilitätspolitik unglaub- lich viele Herausforderungen. Aber leider muss man Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- feststellen: Nach einem Jahr Große Koalition haben Sie hält sich? – Die Sammelübersicht 135 ist mit den Stim- nicht einmal angefangen, sich diesen Herausforderungen men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der zu widmen. Stattdessen beschäftigen Sie, der Minister, Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion das Ministerium, die gesamte Bundesregierung, sich mit Bündnis 90/Die Grünen angenommen. einer Ausländermaut, die Besucher aus dem Ausland Zusatzpunkt 4 c: diskriminiert, die europarechtswidrig ist, die verfas- sungsrechtlich fragwürdig ist, die keine ökologische Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Lenkungswirkung hat, die ein Bürokratiemonster irrsin- tionsausschusses (2. Ausschuss) nigen Ausmaßes ist und die auch noch riesige Daten- (B) Sammelübersicht 136 zu Petitionen schutzprobleme aufwirft. Meine Damen und Herren, das (D) ist die Fortsetzung des Betreuungsgeldes in der Ver- Drucksache 18/3570 kehrspolitik. Das ist Verkehrspolitik absurd. Eine Große Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer Koalition sollte sich schämen, hier so etwas vorzulegen. enthält sich? – Die Sammelübersicht 136 ist einstimmig (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN angenommen. sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Ulrich Zusatzpunkt 4 d: Lange [CDU/CSU]: Lächerlich!) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Ich kann Ihnen hier eines sagen: Wenn man bisher tionsausschusses (2. Ausschuss) draußen im Lande unterwegs war, dann hatte man bei manchem Christdemokraten – ich sehe Herrn Kollegen Sammelübersicht 137 zu Petitionen Wittke da sitzen – und manchem Sozialdemokraten den Drucksache 18/3571 Eindruck, dass sie mit dieser Ausländermaut gar nichts zu tun haben, dass das irgendein Projekt von irgend- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- welchen Bierzeltjunkies der CSU à la Seehofer und hält sich? – Die Sammelübersicht 137 ist mit den Stim- Dobrindt ist. Aber jetzt, seit gestern, haben wir eine neue men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Qualität: Das ist die Ausländermaut der Sozialdemo- Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion kraten, und das ist das Bürokratiemonster der Christ- Bündnis 90/Die Grünen angenommen. demokraten. Das werden wir ihnen überall aufs Butter- Zusatzpunkt 4 e: brot schmieren, wo das zutage tritt, wo die Menschen sich dagegen wehren. Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuss) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sammelübersicht 138 zu Petitionen sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Drucksache 18/3572 Ich kann Ihnen hier eines sagen: In einer Koalition muss man – das ist richtig – Kompromisse machen; das Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ist okay. Aber Kompromisse machen heißt nicht, dass enthält sich? – Die Sammelübersicht 138 ist mit den man Schwachsinn beschließen muss. Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Frak- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7253

Oliver Krischer (A) Ich appelliere hier an alle Abgeordneten der Großen Ko- (Ulrich Lange [CDU/CSU]: Wieder keine Ah- (C) alition: Versenken Sie diesen Unsinn! Lassen Sie diese nung!) Ausländermaut! Über 90 Prozent der Schäden an Brücken und Straßen Außerdem machen Sie noch etwas anderes – das hat werden von Lkw verursacht. Das steht selbst in Ihrem ei- ja gestern noch einmal eine ganz neue Qualität bekom- genen Wegekostengutachten. men –: Sie schwören Stein und Bein, dass deutsche (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Genau, Autofahrerinnen und Autofahrer nicht belastet werden da steht es drin!) sollen. Meine Damen und Herren der Großen Koalition, warum schreiben Sie das dann nicht in die Gesetze, die Deshalb wäre es richtig und verursachergerecht, die Sie hier vorlegen? Warum verstecken Sie das in einer Lkw-Maut auf alle Straßen und alle Lkw auszuweiten, Protokollnotiz zur Kabinettssitzung, die Sie noch nicht statt den Lkw-Verkehr über Steuern und eine absurde einmal dem Deutschen Bundestag zur Verfügung stel- Ausländermaut zu subventionieren. Das würde 4 Mil- len? Ich kann Ihnen sagen, warum: Wenn Sie das in ein liarden Euro bringen. Das wäre die richtige Antwort auf Gesetz schreiben würden, wäre es europarechtlich nicht die Frage, wie wir die Verkehrsinfrastruktur erhalten. konform. Das heißt aber: Sie belügen die deutsche Öf- Dazu kommt von Ihnen aber nichts. Im Gegenteil: Sie fentlichkeit. Am Ende sollen die deutschen Autofahrer haben in diesem Sommer die Lkw-Maut noch abgesenkt. zahlen. Das wird das Ergebnis Ihrer Ausländermaut sein. Das ist Verkehrspolitik pervers. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) und bei der LINKEN – Ulrich Lange [CDU/ CSU]: Mein Gott!) Ich sage Ihnen: Deutsche Autofahrerinnen und deut- sche Autofahrer werden sowieso zahlen, weil die Nie- Wenn es am Ende so sein sollte, dass die Restvernunft derlande, Dänemark und Belgien, wo es bisher keine der Großen Koalition in der Verkehrspolitik nicht aus- Maut gibt, schon angekündigt haben, dass sie auf die reicht, dann setze ich auf die Europäische Kommission, deutsche Ausländermaut reagieren werden. Dann wer- auf andere Länder wie die Niederlande, die gegen diese den deutsche Autofahrer, die in den Niederlanden, zum Politik klagen werden. Wir werden diese mit allen Beispiel in Zeeland oder in Zuid-Holland, Urlaub ma- Mitteln unterstützen, damit dieses Unsinnsprojekt chen – das ist ja wahrlich nicht der Jetset in Ausländermaut beerdigt wird, in den Papierkorb kommt, Deutschland –, für Ihre Politik bezahlen müssen. Genau dahin, wo es von Anfang an hätte bleiben sollen. das wird das Ergebnis sein. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (D) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Dass Sie sich diesem ganzen Zinnober widmen, könnte ich ja noch verstehen, wenn da Milliarden erlöst Vizepräsidentin Petra Pau: würden. Das ist aber überhaupt nicht der Fall. Die Be- Das Wort hat der Bundesminister für Verkehr und di- rechnungen, die uns vorliegen, gehen davon aus, dass es gitale Infrastruktur, Alexander Dobrindt. ein Nullsummenspiel wird und am Ende der Aufwand genauso hoch wie der Ertrag dieser Maut sein wird. Und (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- da wird es unglaublich: Seit Monaten erzählt Herr neten der SPD) Dobrindt von Hunderten von Millionen Euro, die angeb- lich an Nettoeinnahmen übrig bleiben sollen. Wir haben Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr Dutzende von Fragen nach der Berechnungsgrundlage und digitale Infrastruktur: für diese Zahlen gestellt. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE Wir vollziehen einen echten Systemwechsel in der Fi- GRÜNEN]: So ist es!) nanzierung unserer Infrastruktur von einer vorwiegen- den Steuerfinanzierung der Infrastruktur hin zu einer Diese ist uns bis heute nicht vorgelegt worden, Nutzerfinanzierung der Infrastruktur. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) GRÜNEN]: Skandalös!) Dadurch stärken wir das Verursacherprinzip. Das ist eine und wer diese Berechnungsgrundlage nicht vorlegt, der Gerechtigkeitsfrage in der Finanzierung der Infrastruk- sagt nicht die Wahrheit. Die Zahlen sind vom Minister tur, meine Damen und Herren. frei erfunden, um hier eine Akzeptanz für das absurde CSU-Projekt, das jetzt ein Projekt der Großen Koalition (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Anton ist, zu schaffen. Das werden wir nicht hinnehmen. Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Diesen Quatsch glauben Sie doch selber (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht!) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das schafft Gerechtigkeit in der Finanzierung, und es Was wir tatsächlich brauchen, ist eine Ausweitung der schafft zusätzliche Investitionsmöglichkeiten: 2 Milliar- Lkw-Maut. Das wäre verursachergerecht. den Euro mehr an Investitionen in die Infrastruktur 7254 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Bundesminister Alexander Dobrindt (A) (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Einer Ihrer Vorzeigeverkehrspolitiker, Winni (C) NEN) Hermann, hat dies zum Beispiel sehr deutlich in einem Interview im Südkurier dargelegt. Er hat gesagt, das sei in einer Wahlperiode. Das ist die Wahrheit, und das ist ein richtiger Weg; man könnte per GPS verfolgen, also richtig. per Satellit, wo der Autofahrer sich bewegt, und dies un- (Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer terschiedlich bepreisen. Sie haben gesagt, es sei denkbar, [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Legen Sie je nach Tageszeit die befahrbare Strecke dann auch mit mal die Berechnungen vor! – Matthias Gastel einem besonderen Preis zu bewerten. Jetzt hier am [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 7,2 Milliar- Rednerpult reden Sie von Datenschutz. Eine größere den fehlen!) Heuchelei als das, was Sie hier abliefern, ist nicht mög- lich. – Ich kann mir ja vorstellen, dass Ihnen das nicht gefällt. (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU – Beifall (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- bei Abgeordneten der SPD) NEN]: Das gefällt uns nicht, das ist schon wahr! – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE Sie schaffen mit Ihren Ideen den gläsernen Autofahrer GRÜNEN]: Rechnen Sie es doch gleich auf und stellen sich hierhin und reden im Zusammenhang zehn Jahre hoch!) mit dem, was wir hinsichtlich der Maut machen, über Datenschutz. Ich kann nur sagen, lieber Herr Krischer: Ich habe festgestellt, dass es Ihnen irgendwie keine Sie täuschen sich, wenn Sie meinen, dass die Menschen Freude macht, wenn wir in Straßen investieren. Das nicht merken, was Sie hier an dieser Stelle versuchen. kann man ja vielleicht verstehen, wenn man wie Sie ideologisch ein Problem damit hat, dass Verkehre auf Wir machen genau das, was gefordert ist, wenn es den Straßen stattfinden. Deswegen tragen Sie immer mal darum geht, zukünftig mehr Investitionen in die Infra- wieder hier krude Ideen vor, was denn eigentlich alles struktur zu erzeugen. zur Verhinderung von Infrastruktur und Mobilität umge- (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE setzt werden könnte. GRÜNEN]: Die Menschen haben durchaus (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE gemerkt, dass Sie sie hinter die Fichte führen GRÜNEN]: Zwischen Straße und Bürokratie und verscheißern wollen!) ist ein milder Unterschied! Vielleicht lassen Wir haben auch da die EU auf unserer Seite. Sie sich das mal von Ihren Beamten erklären!) (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (B) Sie sagen zum Beispiel, Sie seien für die Ausweitung Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (D) der Lkw-Maut. Ja, wir setzen das um. Wir haben bereits NEN]: Das ist ja wohl der größte Witz!) beschlossen, Vielleicht könnten Sie mal in das Weißbuch der Europäi- (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: schen Union von 2011 schauen und nachlesen, was darin Sie haben sie gesenkt, Herr Dobrindt!) steht. dass wir die Lkw-Maut im nächsten Jahr auf die vierspu- (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- rigen Bundesstraßen erweitern und auf 7,5- bis 12-Ton- NEN]: Da steht nichts vom Abkassieren von nen-Lkw ausweiten. Wir machen das, weil wir das für Ausländern!) richtig halten. Wir werden im Jahr 2018 die Lkw-Maut auf alle Bundesstraßen ausweiten. Im Weißbuch der EU-Kommission steht, europäische Verkehrspolitik sollte zukünftig verkehrsbezogene Ent- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – gelte und Steuern umgestalten und sich eher dem Prinzip Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der Kostentragung durch Verursacher und Nutzer annä- NEN]: Dann, wenn Sie nicht mehr regieren!) hern und einen Prozess- und Systemwechsel einläuten. Wir machen das, weil das richtig ist. Genau das machen wir hier. Wir gehen diesen Sie haben weiterhin in Ihren durchaus eindrucksvol- Systemwechsel von der Steuerfinanzierung hin zu einer len Beiträgen vorgeschlagen, die Sie gerade auch wieder vorwiegenden Nutzerfinanzierung an, und es ist richtig, geleistet und in der Vergangenheit geleistet haben, dass dass wir einen solchen Weg gehen. man sich doch, wenn man sich schon mit Maut beschäf- (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Anton tigt, dann vielleicht mit einer Art intelligenten Maut Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie beschäftigen soll, einer Maut, die unterschiedlich be- können es noch so oft wiederholen, es stimmt preist, wenn jemand zu unterschiedlichen Tageszeiten einfach nicht! Die Behauptung wird nicht da- auf unterschiedlichen Strecken unterwegs ist. Sie haben durch richtiger, dass man es oft sagt!) die Citymaut ins Gespräch gebracht, die den einzelnen Kilometer auf der Strecke ebenfalls unterschiedlich be- Schauen Sie, wir bewegen 3,7 Milliarden Euro vom preisen soll. Haushalt des Finanzministeriums (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das gilt doch für die Lkw-Maut! Das NEN]: Aus einer Tasche in die andere Tasche! ist nicht das Thema!) Ein Bürokratiemonster!) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7255

Bundesminister Alexander Dobrindt (A) in den Haushalt des Verkehrsministeriums, offensicht- Wahrheit! Ihr Modell gibt es in keinem einzi- (C) lich etwas, was Ihnen zu Ihrer Zeit nie gelungen ist, und gen Land Europas!) wir haben eine Infrastrukturabgabe, die von Haltern von in Deutschland zugelassenen Pkw wie von Haltern von weil sie alle diejenigen, die bisher kostenlos die Straßen im Ausland zugelassenen Kraftfahrzeugen gleicherma- in Deutschland nutzen, angemessen an deren Finanzie- ßen zu entrichten ist. Wir haben sehr deutlich dargestellt rung, am Unterhalt beteiligt. Das ist die Wahrheit. und es auch mit einem großen Gutachten untermauert: (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias Gastel Das ist europarechtskonform. Das ist genau das, was Eu- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Unwahr- ropa auch will. Wir wollen die Gleichbehandlung von heit!) Fahrzeugen auf unseren Straßen. Wir wollen, dass zu- künftig jeder seinen gerechten Anteil an der Finanzie- Warum können Sie einfach nicht verstehen, rung der Straßen, die er nutzt, trägt, und das geht mit der (Lachen des Abg. Oliver Krischer [BÜND- Nutzerfinanzierung, wie wir sie mit der Infrastrukturab- NIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr. Anton Hofreiter gabe vorgeschlagen haben. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, ich ver- (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Anton stehe es wirklich nicht!) Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das dass es in Europa drei Säulen der Finanzierung der Infra- ist doch Neusprech, was Sie da machen!) struktur gibt, nämlich Mineralölsteuer, Kfz-Steuer und Ja, unterschiedliche Mautsysteme? Wir haben in Deutsch- land bisher zwei Säulen. Wir habe eine Säule „Mineral- (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE ölsteuer“, wir haben eine Säule „Kfz-Steuer“, und wir GRÜNEN]: Ja, genau, Neusprech!) werden zukünftig eine Säule „Infrastrukturabgabe/Maut“ wir haben im Bundeskabinett gleichzeitig beschlossen, dazubekommen. dass wir eine Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (Zuruf des Abg. Herbert Behrens [DIE vornehmen. Wir nehmen Steuerentlastungsbeträge auf. LINKE]) Es geht natürlich auch darum, Doppelbelastungen zu vermeiden, wenn man einen Systemwechsel vornimmt. Wir machen das, was viele andere unserer europäischen Das tun wir, und deswegen wird es keine Mehrbelastung Nachbarn schon lange vollzogen haben. von Haltern von in Deutschland zugelassenen Pkw ge- (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ben. NEN]: Sie wollen Ausländer abkassieren!) (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Sie sollten diesen Weg mitgehen, wenn Sie an Europa (B) NEN]: Warum schreiben Sie es dann nicht in glauben. Das, was andere seit vielen Jahren richtig ma- (D) den Gesetzentwurf rein, nicht in Ihr Gesetz chen, findet jetzt auch bei uns statt, meine Damen und rein?) Herren. Das alles ist von uns mit Ihnen und mit den Politikern (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf des Abg. im Haushalts- und im Verkehrsausschuss bereits genau- Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- estens so diskutiert. NEN]) (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Weil ich in den letzten Tagen eine ganze Reihe von Aha!) Kommentaren von Ihnen und Ihren Kollegen gehört Sie haben ihre Bedenken klargemacht. habe, will ich Ihnen einfach einmal sagen: Manches ist gar nicht so schwer verständlich. Sie kritisieren, dass das (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Sie haben sie Verhältnis beim Preis der Kurzzeitvignetten zum Preis überstimmt!) der Langzeitvignette nicht stimmt. Die eine Kurzzeitvig- Ich kann dem nur widersprechen. Bei dem, was Sie hier nette kostet 10 Euro für zehn Tage, und die andere Kurz- heute abgeliefert haben, war kein einziges neues Argu- zeitvignette kostet 22 Euro für zwei Monate. Daneben ment zu hören. gibt es eine nach ökologischen Grundsätzen – Hubraum und Umweltschonung des Kraftfahrzeugs – preislich ge- (Zuruf des Abg. Sven-Christian Kindler staffelte Jahresvignette, [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Deswegen: Wir bleiben dabei: Die Infrastrukturabgabe NEN]: Das hat überhaupt keine Wirkung!) ist sinnvoll, fair und gerecht. die maximal 130 Euro kostet. Das ist ein gesundes Ver- (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- hältnis. Zu dem Ergebnis kommt man, wenn man sich NEN]: Sie ist genau das Gegenteil davon!) die Situation in unseren europäischen Nachbarländern Sie ist sinnvoll, weil jeder Euro, den wir einnehmen, in anschaut, zum Beispiel in Österreich: 10-Tage-Vignette: die deutsche Infrastruktur investiert wird; sie ist fair, 8,50 Euro – bei uns zukünftig 10 Euro –, 2-Monats-Vig- weil sie in vielen unserer Nachbarländer genauso prakti- nette: 24,80 Euro; bei uns zukünftig 22 Euro. ziert wird; und sie ist gerecht, (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Das zahlen (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- aber nicht nur deutsche Autofahrer in Öster- NEN]: Sie sagen einfach konstant nicht die reich!) 7256 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Bundesminister Alexander Dobrindt (A) Daran sieht man doch, dass wir uns im Rahmen dessen schon angekündigt. Insbesondere die Kolleginnen und (C) bewegen, was in Europa üblich ist – und das bei einem Kollegen von der SPD reklamieren das für sich: Wir ha- deutlich größeren Netz. ben noch ganz viel Nachbesserungsbedarf. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: In den Niederlanden zahlen wir nichts! NEN]: Das gehört in den Müll!) In Belgien zahlen wir nichts! In Dänemark Ich bin gespannt, was daraus wird. zahlen wir nichts!) Wir sind der Meinung, dass der Gesetzentwurf in den In Wahrheit sind wir auf Dauer günstiger, als dies alle vergangenen zwölf Monaten vieles ausgelöst hat. Über anderen sein werden. Daraus abzuleiten, dass hier etwas keinen Gesetzentwurf wurde öffentlich so ausführlich nach europäischem Recht schwierig sei, ist vollkommen diskutiert wie über diesen. Die Anzahl der Presseartikel abwegig. darüber lag über der Anzahl der Presseartikel über die (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Fußballweltmeisterschaft. Dadurch wird deutlich, mit NEN]: Darum haben Sie auch ein Jahr ge- welcher Aufmerksamkeit diese Frage in der Öffentlich- braucht! Das ist doch absurd!) keit wahrgenommen wird. Sie haben nicht nachweisen können, warum die Argu- Vizepräsidentin Petra Pau: mente der Opposition falsch sind. Sie haben nicht nach- Herr Minister Dobrindt, achten Sie bitte auf die Zeit. weisen können, warum die Maut europakonform sein soll. Sie haben mit einem Gutachten, das sie vorgestellt Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr haben, das Sie jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt und digitale Infrastruktur: veröffentlicht haben, versucht, das österreichische Gut- Das Einzige, was man überlegen könnte, wäre doch: achten auszuhebeln und Gründe dafür zu benennen, wa- Hindern 10 oder 22 Euro jemanden, nach Deutschland rum die Ausländermaut europarechtskonform sein soll. hineinzufahren und die Autobahn zu benutzen? Das Sie haben nicht nachweisen können, dass dies der große kann man klar beantworten: Nein, sie hindern ihn nicht – Wurf ist. Wir haben festzustellen: Das ist der große und im europäischen Vergleich schon gleich gar nicht. Reinfall. – Darin liegt auch der Grund für die große öf- fentliche Aufmerksamkeit bei diesem Gesetzentwurf. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das sehen die in NRW aber anders!) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Stellen Sie sich den Realitäten in Europa, und Sie Der Gesetzentwurf hätte schon vor Monaten aus dem (B) werden sehen: Das, was wir hier verkünden, ist fair, es (D) ist gerecht, es ist sinnvoll, und es bleibt dabei. Verkehr gezogen werden sollen. Er hätte im Papierkorb verschwinden sollen. (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Bei- fall des Abg. Sebastian Hartmann [SPD] – (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Schwacher Auftritt! Keine Argumente!) Sie argumentieren, dieses Gesetz soll sinnvoll, fair und gerecht werden. Dem kann ich aufgrund der Diskus- Vizepräsidentin Petra Pau: sion, die wir bislang geführt haben, nur entgegensetzen: Das Wort hat der Kollege Herbert Behrens für die Die Maut, das, was Sie dort zusammengeschrieben ha- Fraktion Die Linke. ben, ist peinlich, unvertretbar und – wie wir gesehen ha- ben – letztlich unbeherrschbar. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Herbert Behrens (DIE LINKE): Sie haben geschrieben: Wir wollen mehr Geld für die Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Infrastruktur. – Was kommt dabei heraus? Sie erheben Das, was eben vom Bundesverkehrsminister vorgeführt 3,7 Milliarden Euro, und am Ende kommen 500 Millio- worden ist, ist der Sache noch immer nicht angemessen. nen Euro heraus, die für die Verkehrsinfrastruktur einge- Mit einer Marketingargumentation wird dargestellt, was setzt werden können. die Autobahnmaut hier in Deutschland bewirken soll. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Die Ausländermaut wird zur Infrastrukturabgabe umge- NEN]: Nicht mal! – Zuruf von der CDU/CSU: widmet, und es wird mit Begriffen wie „sinnvoll“, „fair“ So ein Schmarrn!) und „gerecht“ umgegangen, ohne dass nachgewiesen werden kann: An welcher Stelle ist sie denn sinnvoll, an Was ist das für ein Verhältnis? Sie setzen 3,7 Milliarden welcher Stelle ist sie denn gerecht? Das sind Behauptun- Euro um, um am Ende 500 Millionen Euro zu erhalten. gen, die Sie von sich geben. Wenn dies in einem Unternehmen von einem Geschäfts- führer vorgetragen worden wäre, dann hätte dies sofort Gestern haben Sie im Ausschuss vorgestellt, was Sie dazu geführt, dass der Vorstandsvorsitzende diesen Ge- mit Ihrem Gesetz vorhaben. Sie haben uns mit dem Mar- schäftsführer rausgeschmissen hätte. Ich glaube, das wäre ketingsprech nicht nachweisen und erklären können, wa- auch das Beste für die Große Koalition. rum dieses Gesetz nun einen Zwischenstand erreicht hat. Das wird nicht das endgültige Gesetz sein; das wurde (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7257

Herbert Behrens (A) Dieser Gesetzentwurf ist untauglich, eine verkehrspoliti- Sebastian Hartmann (SPD): (C) sche Wirkung zu erzielen. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor allen (Beifall bei der LINKEN) Dingen liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposi- tion, den Linken und den Grünen! Sie sind heute sehr Wenn wir ein Europa ohne Grenzen, ohne Ausgren- hoch auf den Baum geklettert. zung und ohne Wegelagerei wollen, dann dürfen wir nicht diese ausländerfeindliche Maut erheben. Wir müs- (Beifall bei der CDU/CSU) sen vielmehr zu einer vernünftigen Verkehrspolitik und Das hat unter dem Strich mehr Nachteile als Vorteile. vor allem zu einer vernünftigen Finanzierung der Ver- Zum einen ist oben das Geäst sehr dünn. Es besteht kehrspolitik kommen. Das muss eine steuerfinanzierte Bruch- und Absturzgefahr. Verkehrsinfrastrukturpolitik sein. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der LINKEN) NEN], an die SPD gewandt: Da sind Sie im Moment!) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie haben eine große Verantwortung. Sie sind ein Stück weit Wie wir hören konnten, muss man zum anderen, wenn dafür verantwortlich, dass dieses Thema überhaupt in man oben steht, Herr Krischer, sehr laut schreien, damit den Koalitionsvertrag eingehen konnte. Diese ressenti- man Sie unten auch versteht. mentgeladene Geschichte aus dem Hause Seehofer hat (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) zu dieser Situation geführt, mit der wir uns nun aus- einandersetzen müssen. Daher müssen wir sehen, dass Wer am lautesten schreit, hat selten recht. wir die Tür, von der Sie zugelassen haben, dass sie ge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) öffnet wurde, wieder schließen können; denn die Gefahr ist groß – der Kollege Krischer hat es bereits deutlich ge- Sie haben uns nicht nur heute, sondern auch im letz- macht –: Mit dieser geöffneten Tür haben wir die Maut ten Bundestagswahlkampf überrascht, als Sie wenige für alle im Haus. Herr Dobrindt, Sie haben nicht nach- Wochen vor der Wahl die grüne umfassende Pkw-Maut weisen können, dass das nicht passieren wird. Sie haben für alle gefordert haben, die satellitengestützt erhoben von einem Strukturwandel und von einem Systemwech- werden soll, mit folgendem feinen Unterschied: Sie hät- ten, im Gegensatz zu den Vorschlägen, die wir jetzt im sel gesprochen. In der Tat, dies ist offenkundig, und in Koalitionsvertrag haben, alle Autofahrer sozial unge- Ihrem Entwurf ist deutlich sichtbar, dass dies dazu füh- recht belastet. Das ist Fakt, liebe Kolleginnen und Kolle- ren wird, dass die Maut auf allen Straßen erhoben wird. gen von den Grünen. (B) Das ist mehr als in anderen Ländern Europas, in denen (D) sie nur auf der Autobahn erhoben wird, und zwar für alle (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) und nicht nur für ausländische Autofahrer. Von daher: Wenn man das macht – was man tun kann –, dann gibt Wir wollen nicht, dass die Verkehrspolitik so aussieht, es die einen, die für die Steuerfinanzierung der Verkehrs- wie Sie sie jetzt gemacht haben – mit einer Privatisie- infrastruktur sind, und die anderen, die für die vollstän- rung der gesamten Infrastruktur. Es müssen jetzt ganz dige Nutzerfinanzierung sind. Dann kann man sich aber schnell beide Gesetze zurückgezogen werden: das Ge- nicht zum Retter der deutschen Autofahrerinnen und Au- setz aus Ihrem Hause und das aus dem Hause des Fi- tofahrer aufschwingen und hier etwas vormachen. So nanzministers. funktioniert das nicht. Man wird an Worten und Taten gemessen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zu- ruf des Abg. Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/ Wir stehen für ein Europa ohne Maut, Schlagbäume DIE GRÜNEN]) und Wegelagerei. Deswegen haben wir seit dem gestri- gen Tage die Runde eingeläutet, um die Maut zu versen- – Ja, natürlich. Warten Sie doch einmal ab. ken und aus dem Verkehr zu ziehen. Unterhalb dessen (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- werden wir aus der Auseinandersetzung nicht herausge- NEN]: Sie finden das gut?) hen. – Wissen Sie schon, was ich sagen werde? Vielen Dank. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten NEN]: Wissen Sie denn, was Sie sagen?) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) – Das weiß ich sehr genau, lieber Herr Hofreiter. Ich habe mich doch vorbereitet. Warten Sie einmal ab. Vizepräsidentin Petra Pau: Anlass der heutigen Aktuellen Stunde ist die Haltung Das Wort hat der Kollege Sebastian Hartmann für die der EU-Kommission zu den Vorschlägen einer Infra- SPD-Fraktion. strukturabgabe in Deutschland. Das ist der Punkt, den Sie heute zum Anlass genommen haben. Ich möchte (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten aber an den Ausgangspunkt zurückgehen. Wir beraten der CDU/CSU) heute ein Gesetzesvorhaben, das nach einem langen Pro- 7258 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Sebastian Hartmann (A) zess gestern und vorgestern durch den Kabinettsbe- Wir haben andere Punkte formuliert, die weitergehen (C) schluss zu dem Entwurf geführt hat, den wir jetzt beraten als das, was die Grünen verlangt haben. Wir werden ver- können. Wir stehen gar nicht am Ende dieses Prozesses. hindern, dass ein deutscher Autofahrer oder eine deut- Ihre Aufregung ist dementsprechend unangemessen. sche Autofahrerin überhaupt stärker belastet wird; das steht im Koalitionsvertrag. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Sehr gut!) (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Warum schreiben Sie es dann nicht ins Wir stehen am Anfang eines parlamentarischen Bera- Gesetz?) tungsverfahrens. Das werden wir auch nutzen, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen. Und: Die Maut muss auch vernünftig sein. (Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNIS- (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- SES 90/DIE GRÜNEN) NEN]: Das ist schon mal eine Ansage!) Sie muss tatsächlich einen Beitrag zur Finanzierung der Wir als SPD haben es doch auch formuliert: Wir haben deutschen Verkehrsinfrastruktur leisten. Fragen und offene Punkte. Die werden wir in diesem Verfahren entsprechend klären. (Zuruf des Abg. Oliver Krischer [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! Das ist – Wenn Sie es nicht glauben, dann lesen Sie doch den schon mal was!) Koalitionsvertrag. Da haben wir es hineingeschrieben. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir brauchen auch nicht drum herumzureden: Die NEN]: Das war jetzt eine Versenkung dieses Pkw-Maut war kein Herzensanliegen der SPD. Das ha- Gesetzentwurfs, wenn Sie sagen: Die Maut ben wir nicht in den Mittelpunkt unserer Koalitionsver- muss auch vernünftig sein!) handlungen gestellt. Bei uns waren es Punkte wie gute Arbeit, Mindestlohn, soziale Sicherung, Rente mit 63, Das sind die Kriterien, nach denen die SPD diesen Pro- Mietpreisbremse zum Schutz der Mieterinnen und Mie- zess in den nächsten Monaten organisieren wird. ter, Gleichstellung von Mann und Frau. Das alles sind Ich wünsche uns allen eine gute Beratung. Ich freue Punkte, die wir in den Koalitionsvertrag hineinverhan- mich auf die Sachverständigenanhörung. delt haben. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der SPD – Oliver Krischer GRÜNEN]: Ja, wir auch!) (B) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt müssen (D) Sie den Preis bezahlen!) Ich freue mich auf die guten Beratungen im Ausschuss. Ich habe mich gestern schon auf die Ausschusssitzung Bei der Pkw-Maut haben wir klare Bedingungen for- gefreut. Leider haben Sie von den Grünen keine Fragen muliert. Wir haben auch klare Konditionen formuliert, gestellt, sondern eine ganz kurze Runde gemacht. Das ist die man sehr gut als Leitplanken benutzen kann, um in für Sie nicht so top gelaufen. Also: Vorsicht an der diesem Prozess weiter voranzukommen. Bahnsteigkante! (Zuruf des Abg. Markus Kurth [BÜND- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) NIS 90/DIE GRÜNEN]) Insofern sage ich noch etwas: Wir werden am Ende – Jetzt hören Sie doch einmal zu. – Wir sind am Anfang des Prozesses sehen, wo wir stehen. des Verfahrens. Wir werden noch eine Menge zu disku- tieren haben. Sie haben schon einmal eine Aktuelle Vizepräsidentin Petra Pau: Stunde beantragt – sie fand am 6. November statt –, ohne Kollege Hartmann. dass es einen konkreten Gesetzesvorschlag gab, ohne dass ein Konzept vorgelegt worden ist. Das war im luft- Sebastian Hartmann (SPD): leeren Raum. Dementsprechend muss man jetzt ein we- Ich weiß, die Zeit läuft ab. nig abrüsten und sich an den konkreten Vorschlägen ab- arbeiten – nicht mehr und nicht weniger. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ja, die Zeit läuft ab!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ich möchte mir nicht nehmen lassen, Ihnen eine frohe der CDU/CSU) und besinnliche Weihnachtszeit und ein gutes neues Jahr Die Europarechtskonformität, die Sie zum Hebel ma- zu wünschen. chen, ist nur ein einziges Kriterium. Jedes Gesetz muss Vielen Dank. mit dem geltenden Recht und der Verfassung konform sein – auch mit dem EU-Recht. Das ist doch nichts (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Neues hier im Haus; das kennen Sie doch. Vizepräsidentin Petra Pau: (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Der Kollege Steffen Bilger hat das Wort für die CDU/ NEN]: Für Ihre Große Koalition scheint das CSU-Fraktion. schon neu zu sein! Warum halten Sie sich nicht daran?) (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7259

(A) Steffen Bilger (CDU/CSU): keine Maut. In Österreich zahlen beispielsweise alle die (C) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und liebe Kolle- Maut. gen! Zunächst einmal vielen Dank, dass wir einmal mehr (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Genau!) die Gelegenheit haben, über die Pkw-Maut, die Infra- strukturabgabe zu diskutieren und einige Dinge klarzu- Über diesen Weg ist mehr Geld für die Infrastruktur vor- stellen, was unser Konzept für die Finanzierung der handen, das nicht über Steuereinnahmen bereitgestellt Infrastruktur in unserem Land anbelangt. werden muss. Worum geht es uns bei der Einführung einer Pkw- Mit unserem Mautkonzept machen wir jetzt dasselbe: Maut in Deutschland? Zum einen ganz zentral um die Alle zahlen die Maut; dafür muss weniger Geld aus Finanzierung unserer Infrastruktur. 500 Millionen Euro Steuereinnahmen zur Verfügung gestellt werden. zusätzlich, die nur von ausländischen Autofahrern getra- (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE gen werden, sind ein wesentlicher Beitrag zu einer bes- GRÜNEN]: Das stimmt nicht! Du weißt doch, seren Finanzierung der Infrastruktur in unserem Land. dass es nicht stimmt, was du sagst!) Meine Damen und Herren, ich denke, so weit sind wir uns wenigstens einig: Wir brauchen mehr Geld für die Deswegen ist es eben keine Diskriminierung von EU- Infrastruktur in Deutschland. Ausländern, sondern die Beseitigung eines Nachteils, den die Deutschen bisher zu tragen hatten. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ja, das ist richtig! Aber nicht über die (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf vom Ausländermaut!) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gerecht ist das nicht!) Herr Krischer, ich finde es bedauerlich, dass Sie bei der Lkw-Maut – entweder aus Unkenntnis oder, um Der offizielle Aufhänger der Grünen für diese Debatte etwas Falsches vorzuspiegeln – immer wieder einen ist – einmal abgesehen von der immer wieder festzustel- falschen Eindruck erwecken. Sie wissen, dass wir auf- lenden grundsätzlichen Begeisterung für die Beschäfti- grund eines Wegekostengutachtens verpflichtet waren, gung mit diesem Vorhaben der Großen Koalition im Ple- die Maut für Lkw abzusenken. num – ein Brief aus Brüssel, der uns am Montag erreicht hat. Ich habe den Eindruck, dass dieser Brief der EU- (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Verkehrskommissarin bei den Grünen kurzzeitig so viel NEN]: Ein Gutachten mit falschen Grund- Freude ausgelöst hat wie der Brief, den der damalige annahmen, das die externen Kosten nicht be- EU-Verkehrskommissar mitten in unseren Koalitions- rücksichtigt!) verhandlungen geschrieben hat; er hatte mitgeteilt, dass (B) unser Konzept sehr wohl mit dem Europarecht vereinbar (D) Wir haben jetzt aber mit der SPD die Ausweitung der sein kann. Lkw-Maut auf den Weg gebracht, sodass wir massive Mehreinnahmen aus der Lkw-Maut haben werden. Auch (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- das ist ein wichtiger Schritt, der uns weiterbringen wird. NEN]: Es ist komisch, dass die Ihnen immer Briefe schreiben!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD – Matthias Gastel [BÜND- Ich gebe gerne zu: Auch ich habe mich über das NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hätten Sie schon Schreiben der Verkehrskommissarin gewundert. in der letzten Legislatur machen können!) Schließlich war erst wenige Tage zuvor bei der Ratsta- gung Verkehr am 3. Dezember festgehalten worden, dass Es geht bei der Pkw-Maut aber auch darum, dass end- die EU für mehr Nutzerfinanzierung in den Mitgliedstaa- lich mit der Benachteiligung der deutschen Autofahrer ten ist. Genau diesen Systemwechsel wollen wir – der Schluss gemacht wird. Lange genug haben wir im Ur- Minister hat es gesagt –: weg von der Steuer hin zu mehr laub oder auf anderen Fahrten in fast allen anderen euro- Nutzerfinanzierung in der Verkehrsinfrastruktur. päischen Ländern bezahlt. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Aber doch nicht so!) NEN]: Nein! In den Niederlanden nicht, in Belgien nicht, in Dänemark nicht!) Man könnte den Eindruck gewinnen, dass sich die Kommissarin nicht so intensiv mit den beiden Gesetz- – Sehr wohl! Es sind die wenigsten Länder in Europa, entwürfen befasst hat, die bisher überhaupt keine Mautsysteme haben. Da soll- ten Sie den Blick vielleicht eher gen Süden und Westen (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: richten. Es ist eine Tatsache, dass fast alle europäischen Der Brief ist besser als Ihr Gutachten!) Länder bereits ein Mautsystem eingeführt haben. – Un- was ja in Ordnung ist; denn zunächst werden die natio- sere Straßen konnten bislang kostenlos genutzt werden. nalen Gesetze von den nationalen Parlamenten in den Mitgliedstaaten beschlossen, und erst dann kann die EU Wenn wir uns die Situation in den EU-Mitgliedstaaten mit ihrer Prüfung beginnen. anschauen, dann stellen wir fest: Die unterschiedlichen Staaten haben ganz unterschiedliche Infrastrukturfinan- Wenn schon so sehr mit dem Finger auf Deutschland zierungssysteme. Wie ist die Lage bei uns bisher? Bei gezeigt wird, dann sollte sich die EU die Mautsysteme in uns zahlt man bislang relativ viel Steuern, aber eben einigen anderen Mitgliedstaaten genauer anschauen; 7260 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Steffen Bilger (A) denn dort wurde von der EU-Kommission – jeweils in (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (C) engen Grenzen – sehr wohl eine gewisse Benachteili- neten der SPD) gung von ausländischen Autofahrern akzeptiert. Um nur ein Beispiel zu nennen: Die Briten haben erst in diesem Vizepräsidentin Petra Pau: Jahr eine Lkw-Maut eingeführt und dabei – man höre! – Das Wort hat die Kollegin Sabine Leidig für die Frak- gleichzeitig die Kraftfahrzeugsteuer für Lkw gesenkt. tion Die Linke. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der LINKEN) NEN]: Das ist kein Argument für die Auslän- dermaut!) Sabine Leidig (DIE LINKE): Ein Schelm, wer darin keine Parallelen zu unserer Maut Danke, Frau Präsidentin. – Werte Kolleginnen und erkennt. Kollegen! Nach den vielen Debatten, die wir zu diesem (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Thema geführt haben, und angesichts der großen Kritik, NEN]: Aber die Briten haben keine Auslän- die es in der Öffentlichkeit an der Ausländermaut gibt, dermaut!) frage ich mich, was in Wirklichkeit dahintersteckt. Ist es diese gigantische gesellschaftliche Auseinandersetzung Sollten die Bedenken der Kommissarin auch nach eigentlich wert, wenn am Ende – im besten Falle! – ihrer intensiveren Beschäftigung mit den konkreten Ge- 500 Millionen Euro dabei herauskommen? setzestexten weiterhin bestehen, müsste sie sich konse- quenterweise mit einem ähnlichen Brief, wie wir ihn be- (Volkmar Vogel [Kleinsaara] [CDU/CSU]: kommen haben, an einige andere Verkehrsminister in der Das ist viel Geld! Für die Linke wahrschein- EU wenden. lich nicht!) Wahrscheinlich liegt nahe, was der grüne Europa- Warum fährt der Minister einen solchen Konfrontations- abgeordnete Michael Cramer gemutmaßt hat. Er hat an- kurs und legt sich mit allen an? Es kann doch nicht sein, gesichts der kontroversen Diskussionslage im Europäi- dass es nur um diese Minimaut geht! schen Parlament die Motivationslage so beschrieben – ich zitiere –: (Florian Oßner [CDU/CSU]: Das zeigt, dass die Linke nicht mit Geld umgehen kann!) Wenn sie Um die Verkehrsinfrastruktur wirklich in Schuss zu brin- – also die Verkehrskommissarin – gen, wären ganz andere Dinge notwendig. (B) die Maut durchwinken würde, hätte sie in Brüssel (Beifall bei der LINKEN) (D) fünf Jahre lang nichts mehr zu sagen. Und ich möchte über andere Dinge reden. Ich möchte Die Einschätzung des grünen Abgeordneten deutet da- zum Beispiel darüber reden – ich versuche herauszufin- rauf hin: Diese ganze Debatte ist einmal mehr ein Sturm den, welchen Sinn die ganze Angelegenheit hat –, dass im Wasserglas. in einer Studie des Umweltbundesamtes, über die in der (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- letzten Woche in der Welt berichtet wurde, nachgewiesen NEN]: Wenn sie diesen Unsinn akzeptieren wird, dass die klimaschädlichen Subventionen, die jedes würde, hätte sie wirklich nichts mehr zu sa- Jahr von der Bundesrepublik Deutschland gezahlt gen!) werden, vor allen Dingen im Verkehrsbereich dauernd steigen. Die klimaschädlichen Subventionen liegen in- Noch einmal: Unsere Mautinitiative stützt ein wichti- zwischen bei über 50 Milliarden Euro, etwa 20 Milliar- ges Vorhaben der EU-Kommission, nämlich die Nutzer den Euro davon entfallen auf den Verkehrsbereich. Wenn an der Verkehrsinfrastrukturfinanzierung zu beteiligen. Sie wirklich Geld zur Verbesserung und zur Reparatur Allein schon deshalb sollte sich die EU-Kommission die der Infrastruktur brauchen, dann müssten Sie dort den beiden Gesetzentwürfe in aller Ruhe anschauen und dann aufgrund inhaltlicher intensiver Durchsicht zu ei- Hebel ansetzen. ner abgewogenen und positiven Meinung kommen. (Beifall bei der LINKEN) (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Offensichtlich ist das aber nicht gewollt. Offensicht- NEN]: Zu einer Ablehnung! Genau!) lich will man den Flugverkehr weiter fördern. Offen- Wir jedenfalls sind überzeugt: Das Vorhaben ist mit sichtlich will man weiter Diesel subventionieren. Das EU-Recht vereinbar. Das hat auch die Prüfung durch die scheint also nicht der Punkt zu sein. Man will auch nicht beteiligten Bundesministerien ergeben. wirklich eine ordentliche Infrastruktur hinterlassen. (Lachen des Abg. Oliver Krischer [BÜND- Ein zweiter Aspekt in dieser Debatte, der mich sehr NIS 90/DIE GRÜNEN]) hellhörig werden lässt, ist, dass die öffentlich-privaten Partnerschaften in Ihrem Konzept des Systemwechsels, Als Deutscher Bundestag beginnen wir nun mit der par- von dem Sie dauernd sprechen, offensichtlich eine zen- lamentarischen Beratung der Gesetzentwürfe, und ich trale Rolle spielen. Dieses Konzept wird gestützt von freue mich auf viele weitere muntere Debatten rund um Wirtschaftsminister Gabriel, der einen Infrastruktur- die Pkw-Maut. fonds auflegt und den Banken und Versicherungskonzer- Vielen Dank. nen sozusagen anbietet, mit öffentlich garantierten Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7261

Sabine Leidig (A) Zinsen im Bereich der Infrastruktur Gewinne zu ma- gesagt –, und an diesen Koalitionsvertrag werden wir (C) chen, vor allem im Bereich der Verkehrsinfrastruktur. uns halten; in dem Punkt sind wir vertragstreu. Was heißt das? Das heißt, dass Sie mit der sogenann- (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Aber die ist ext- ten Ausländermaut tatsächlich die Tür für eine allge- rem ressentimentgeladen! Das ist riskant!) meine Infrastrukturabgabe aufstoßen, die dazu führt, dass die privaten Straßen- und Autobahnbetreiber die – „Ressentimentgeladen“? Herr Behrens, Sie haben eben Fahrerinnen und Fahrer, also die Nutzerinnen und Nut- gesagt, dass die Maut 3,7 Milliarden Euro Einnahmen zer dieser Infrastruktur, abkassieren können. bringen soll und am Ende ein Gewinn von nur 500 Mil- liarden steht. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Genau so ist das!) (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Millionen!) Das ist die einzige Erklärung, die ich für diesen gi- 13,5 Prozent Gewinn vor Steuern sind für ein Unterneh- gantischen Popanz habe. Dazu muss ich Ihnen sagen: Sie men sehr viel. Insofern ist Ihre Argumentation schwer können mit schärfstem Widerstand rechnen, und zwar nachvollziehbar. Gleichwohl habe ich durchaus Sympa- nicht nur von der Linken. thie für Ihr Argument, dass man nichts machen sollte, was am Ende nicht viel bringt. Von daher werden wir in (Karl Holmeier [CDU/CSU]: Wir fürchten diesem Prozess selbstverständlich darauf achten müssen, uns!) dass es ein gutes Verhältnis ist. Der Bundesrechnungshof hat mit Fug und Recht massive (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Von Gewinn Kritik an dieser Art der Verschleuderung öffentlicher habe ich nicht gesprochen, aber von Ertrag! Güter, an dieser Art der Verschleuderung von Steuergel- Das ist was anderes! – Gegenruf des Abg. dern geäußert. Gustav Herzog [SPD]: Wir können besser rechnen als die Linken!) Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn Sie die Klimaschutz- debatte auch nur mit einem Funken Ernsthaftigkeit be- Ein Koalitionsvertrag ist immer ein Kompromisstext; treiben, sollten Sie damit anfangen, die klimaschädli- das ist eigentlich ein Problem. Wir werden uns aber an chen Subventionen zu streichen. Dann haben Sie Geld diesen Koalitionsvertrag halten. Die Vorgaben sind klar genug, um die Verkehrsinfrastruktur in den besten definiert. Zustand zu versetzen. Aber lassen Sie die Finger von diesem Quatsch! Einen Aspekt möchte ich besonders hervorheben: das geltende EU-Recht, die geltenden EU-Verträge. Ich (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- (B) denke hier insbesondere an die geplanten Entlastungen (D) NIS 90/DIE GRÜNEN) der Halter von in Deutschland zugelassenen Pkws von der Kfz-Steuer. Die hier vorgeschlagenen Indikatoren Vizepräsidentin Petra Pau: korrespondieren auch textlich direkt mit der Bemes- Das Wort hat der Kollege Christian Petry für die SPD- sungsgrundlage der Pkw-Maut. Das sehe ich sehr kri- Fraktion. tisch. Ich denke, das muss in den Verhandlungen in den parlamentarischen Gremien beraten werden; denn dieser (Beifall bei der SPD) unmittelbare Zusammenhang könnte den Antidiskrimi- nierungsgrundsatz der EU verletzen. Christian Petry (SPD): (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen NEN]: Dann ist das ein Blattschuss für das und Kollegen! Die Pkw-Maut ist – das wurde mehrfach ganze Projekt!) gesagt – kein Lieblingsprojekt der SPD. Wir haben mit dem Mindestlohn, der Rentenpolitik, der Energiewende, Das ist nicht Basis unserer Vereinbarung. Hierzu müssen dem Doppelpass, der Frauenquote und der Mietpreis- wir noch Formulierungen finden – ich denke, wir wer- bremse andere Projekte, die uns näher sind und auf die den diese Formulierungen finden –, die diese Vereinbar- wir sehr stolz sind. Wegen dieser Projekte können wir keit herstellen. Dies muss geklärt werden. Ich denke, das sagen: Das war wirklich ein sehr gutes Jahr. ist ein sehr wichtiger Aspekt in der Diskussion. (Lachen des Abg. Oliver Krischer [BÜND- (Beifall bei der SPD) NIS 90/DIE GRÜNEN] – Gustav Herzog Klar ist, dass die Maut für den deutschen Autofahrer [SPD]: Genau so ist es!) unterm Strich nicht zu Mehrbelastungen führen darf. – Herr Krischer, Sie freut das auch; das weiß ich. – Das Auch das wurde im Koalitionsvertrag vereinbart. Auch war ein sehr gutes Jahr, und deshalb kann man am Ende diesbezüglich verhalten wir uns koalitionstreu. dieses Jahres sagen: Diese Koalition hat in diesem Jahr Gutes geleistet. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Dann schreiben Sie es doch ins Ge- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten setz!) der CDU/CSU) Das ist eine klare Sache; das ist hier schon gesagt wor- Sie wissen, dass im Koalitionsvertrag die Grundlage den. Wir werden darauf achten müssen, dass es kein für die Maut gelegt wurde – das wurde alles hier schon Hintertürchen gibt. 7262 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Christian Petry (A) (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Seit über einem Jahr beschäftigt uns dieses Ungetüm (C) NEN]: Dann schreiben Sie es ins Gesetz!) CSU-Maut. Die Frage ist: Wozu eigentlich? Diese Frage ist nach wie vor nicht beantwortet. Es fehlt bis jetzt der Es darf nicht sein, dass nach Einführung der Maut die Nachweis, Herr Minister, dass Ihre CSU-Maut tatsäch- Kommission oder ein anderer EU-Mitgliedstaat die ent- lich etwas einbringt. sprechenden Regelungen kippt. Das heißt, es muss ab- schließend geklärt sein, dass die Konformität gegeben (Kirsten Lühmann [SPD]: Der Gesetzentwurf ist, damit wir dieses Projekt so verabschieden können, liegt erst seit gestern vor!) wie es im Koalitionsvertrag beschrieben ist. Wir haben das Verkehrsministerium häufig gefragt: Was (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- kommt eigentlich dabei heraus? Sie haben ein riesiges NEN]: Oh! Das sind jetzt aber schon Absetz- Staatsgeheimnis daraus gemacht. Ihr Ministerium kann bewegungen!) uns trotz mehrfacher Anfragen nicht sagen, wie es auf Einnahmen in Höhe von 500 Millionen Euro kommt. Denn ein Schwarzer-Peter-Spiel in Richtung Brüssel können wir als Europapolitiker natürlich nicht akzeptie- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Aha!) ren. Das wäre zu einfach. Sie können die simpelste Frage nicht beantworten. Sie Sie sehen: Es gibt hier noch sehr viele offene Fragen, können nicht sagen, ob das Gesetz etwas nützen wird. die in den Beratungen zu klären sind. Ich bin sicher, dass Herr Minister, das ist eine unfassbare Unverfrorenheit. wir sie klären können. Am Ende des Prozesses – Kollege Hartmann hat es gesagt; wir stehen im Prozess – werden (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wir sehen, ob dies alles erfüllt ist und ob dem dann so sowie bei Abgeordneten der LINKEN) zugestimmt werden kann. Denn es ist wichtig, dass in Aber das ist längst nicht alles. Es war ja schon eine 2014, in dem Jahr, in dem viele Europaskeptiker in vie- absurde Idee, die CSU-Maut in den Koalitionsvertrag zu len Ländern die Oberhand gewonnen haben, dieses Pro- schreiben. jekt nicht europakritisch wirkt. Dieses Projekt darf kein Verschiebebahnhof nach Brüssel sein, sondern muss ins- (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gesamt in das europäische Recht eingebettet sein. NEN]: Genau!) (Sebastian Hartmann [SPD]: Sehr richtig!) Alle Abgeordneten der Koalition sollten sich noch ein- mal genau ansehen, was da steht, insbesondere auch In Zusammenhang mit der Pkw-Maut steht die Wah- Herr Kollege Petry, den ich im Verkehrsausschuss noch rung der EU-Verträge im Vordergrund. Ich glaube, auch nicht gesehen habe. Aber ich habe ja festgestellt, dass (B) das ist klar und auch Basis des Koalitionsvertrages. Sie das über die Finanzschiene machen. (D) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Christian Petry [SPD]: Europaausschuss! – der CDU/CSU) Kirsten Lühmann [SPD]: Das ist hier eine Die kommenden parlamentarischen Beratungen wer- Europadebatte! – Gustav Herzog [SPD]: Sie den Klarheit über die von mir angeschnittenen Fragen haben der Rede nicht zugehört!) bringen. Die SPD wird stets auf die Einhaltung der im – Und Europa, ja. – Lassen Sie mich aus dem Koali- Koalitionsvertrag festgeschriebenen Vorgaben für die tionsvertrag zitieren: Pkw-Maut achten. Die Europarechtskonformität der Vor- schläge wird dabei eine zentrale Rolle spielen. Sie kön- Zur zusätzlichen Finanzierung des Erhalts und des nen sich sicher sein, dass die Regierungsfraktionen zu Ausbaus unseres Autobahnnetzes werden wir einen den geltenden EU-Verträgen stehen und diese auch ein- angemessenen Beitrag der Halter von nicht in halten werden. Deutschland zugelassenen PKW erheben … mit der Maßgabe, dass kein Fahrzeughalter in Deutschland In diesem Sinne wünsche ich Ihnen, liebe Kollegin- stärker belastet wird als heute. Die Ausgestaltung nen und Kollegen, frohe Weihnachten. Glück auf! wird EU-rechtskonform erfolgen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Karl Holmeier [CDU/CSU]: Passt!) der CDU/CSU) Kollege Petry und alle anderen Kollegen, jetzt können Vizepräsidentin : Sie sich fragen, ob Sie das wirklich bekommen haben. Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat die Kollegin Erstens. Zusätzliche Finanzierung. Sie ist mehr als Dr. Wilms das Wort. fragwürdig. Wir wissen überhaupt nicht, ob es tatsäch- lich zusätzliche Einnahmen geben wird. Diese Geheim- Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): niskrämerei, Herr Minister, konnten Sie auch nicht durch Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- einen launigen Medienauftritt gestern in der Bundespres- gen! Meine Damen und Herren! Es ist schon erstaunlich, sekonferenz ersetzen. Die Journalisten konnten sich, wie worüber wir hier reden. mir berichtet wurde, vor Lachen kaum halten. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Wer ist denn dafür Heiterkeit des Abg. Matthias W. Birkwald verantwortlich?) [DIE LINKE]) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7263

Dr. Valerie Wilms (A) Das ist absolut abenteuerlich und hat mit kluger Staats- gen mit hohem Schadstoffausstoß fährt, bezahlt mehr. (C) kunst nun rein gar nichts mehr zu tun. Da half auch der Die Stinker blechen. Das ist absolut vernünftig, und da- halbstündige Auftritt danach im Verkehrsausschuss nicht rüber gibt es eigentlich Konsens. Aber diese CSU-Maut mehr. stellt dieses Prinzip auf den Kopf; denn der größte Stin- ker bekommt jetzt die größte Entlastung. Zweitens: EU-rechtskonforme Ausgestaltung. Das Ver- kehrsministerium hat fast alles versucht, um die Quadra- (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tur des Kreises hinzubekommen. Es war aber immer NEN]: Genau!) klar, dass Ihnen das nicht gelingt. Denn die gesamte Idee Es lohnt sich wieder, besonders umweltschädlich zu fah- verstößt gegen europäische Grundsätze. Wer eine Maut ren. Das schreiben Sie als neues Prinzip in Ihren Gesetz- nur für Ausländer will, benachteiligt sie – Punkt. Das ist entwurf. Was für ein Irrsinn! vollkommen klar. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt schlägt die Es gibt einfach keine diskriminierungsfreie Diskriminie- Stunde des Parlaments; Kollege Hartmann, da haben Sie rung, liebe Kolleginnen und Kollegen. absolut recht. Bei der gestrigen halbstündigen kleinen Showeinlage des Herrn Ministers im Verkehrsausschuss (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ hatten wir ja gerade noch zehn Minuten Zeit für eine DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) erste Runde, in der wir sicherlich nicht alle Fragen stel- Darauf hat Sie die Kommissarin auch in einem Schrei- len konnten. Jeder einzelne Abgeordnete der Großen ben sehr deutlich hingewiesen, Herr Minister. Wenn Sie Koalition sollte genau prüfen, ob er diese Gesetzent- das ignorieren, dann landet der Fall vor dem Europäi- würfe wirklich will. Denn die Einnahmen sind unsicher, schen Gerichtshof. sie widersprechen der Grundidee eines vereinten Euro- pas, und sie bevorzugen umweltschädliche Autos. Was Die Frage ist doch: Was passiert dann? Entweder fällt in den Gesetzentwürfen steht, ist absolut inakzeptabel. die Kompensation über die Kfz-Steuer weg – dann gibt Lassen Sie sich das als frei gewählte deutsche Abgeord- es die Maut für alle, eingeführt vom CSU-Maut-Minister nete nicht bieten. Dobrindt –, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Darauf läuft es hinaus!) In diesem Sinne: Frohe Weihnachtstage und einen gu- ten Rutsch ins neue Jahr! Denken Sie einmal darüber (B) oder die Maut wird gekippt; dann fehlen 3,7 Milliarden nach. Vielleicht kommen wir am Schluss zu einer passa- (D) Euro im Verkehrsetat. Behaupten Sie bitte nicht, Herr blen, brauchbaren Lösung. Minister, dass so etwas nicht passieren kann. Wir haben Danke. das bei der Einführung der Lkw-Maut schon einmal er- lebt. Es ist mir schleierhaft, wie sich die Koalition auf so (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) einen Ritt auf der Rasierklinge einlassen kann. Das ist absolut unverantwortlich. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Als nächster Redner hat der Kollege Ulrich Lange das und bei der LINKEN) Wort. Liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und CDU, (Beifall bei der CDU/CSU) die Minister haben in einer Protokollerklärung im Kabi- nett deutlich erklärt, dass niemals ein deutscher Autofah- Ulrich Lange (CDU/CSU): rer mehr belastet werden darf. Wenn Sie das wirklich Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ernst meinen, dann müssen Sie in der parlamentarischen Es wird Weihnachten, und die Pkw-Maut liegt auf dem Beratung eine Selbstzerstörungsklausel in beide Gesetz- Gabentisch. entwürfe einbauen; (Lachen bei der LINKEN und dem BÜND- (Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNIS- NIS 90/DIE GRÜNEN) SES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Respekt, Herr Minister! Wir haben den Kabinettsbe- das habe ich auch gestern schon im Ausschuss gesagt. schluss. Das ist ein Meilenstein im Gesetzgebungsvorha- Denn nur dann kann der Trick von Herrn Dobrindt, eine ben zur Infrastrukturabgabe. Jetzt kann es Weihnachten Pkw-Maut für alle einzuführen, verhindert werden. Ich werden. möchte nicht erleben, dass dies dann wieder Europa in (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei die Schuhe geschoben wird; damit ist die CSU ja manch- der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE mal sehr schnell. Schon allein deswegen darf die CSU- GRÜNEN) Maut hier nicht durchgewunken werden. Lieber Kollege Krischer, Aber es gibt noch einen anderen entscheidenden (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Punkt, der den ganzen Aberwitz dieses CSU-Vorhabens NEN]: Ja?) deutlich macht. Wir haben bei der Kraftfahrzeugsteuer bisher ein sehr klares Prinzip: Wer einen schweren Wa- zu Ihrer frustrierten Bilanz: 7264 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Ulrich Lange (A) (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Dass wir zwei getrennte Gesetzentwürfe in das Kabi- (C) NEN]: Das ist Ihre Bilanz!) nett eingebracht haben und bald beraten werden, ist gut und richtig. Der Kollege Bilger hat ja schon aufgezeigt, LuFV II, WSV, 5 Milliarden Euro mehr, Investitions- dass man in Großbritannien auch einen solchen Weg hochlauf, gegangen ist. Wir stellen vom Steuersystem auf das (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- System der Nutzerfinanzierung um, also auf die Finan- NEN]: Irrsinnshochlauf! Was Sie da machen, zierung durch diejenigen, die auf unseren Straßen unter- ist Irrsinn!) wegs sind. Ausweitung und Vertiefung der Lkw-Maut und die Wei- (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- chenstellung für die Lkw-Maut auf allen Bundesstraßen NEN]: Der Ausländerdiskriminierung!) 2018. Verkaufen Sie die Menschen mit Ihrer Theorie der Liebe Kolleginnen und Kollegen, die deutschen Preise Absenkung hier nicht für dumm! sind ausgesprochen niedrig. Wenn man sich die Größe (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- des Straßennetzes und die Zeiträume anschaut, dann NEN]: Sie verkaufen die Menschen für sieht man: Wir brauchen uns in Europa nicht zu verste- dumm!) cken. Nein, im Gegenteil: Wir sind im europäischen Ver- gleich ganz vorne. Auch hier gilt: Wir sind europäisch. Sie wussten und Sie wissen, dass wir aufgrund des We- gekostengutachtens absenken mussten. Die E-Vignette ist und bleibt die intelligente Form der Umsetzung der Infrastrukturabgabe. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Nein! Falsche Annahmen und externe NEN]: Intelligent ist da gar nichts!) Kosten!) – Lieber Kollege Krischer, das, was der Kollege Sie verhalten sich hier wie Pinocchio und belügen das Hartmann Ihnen vorhin vorgelegt hat, war schon entlar- deutsche Volk. vend. Auch wenn Sie es nicht hören wollen: Sie betrei- (Beifall bei der CDU/CSU) ben hier in dieser Stunde die größte Heuchelei im ganzen Parlament. Lieber Kollege Behrens, dass die Linken mit Geld nicht umgehen und nicht rechnen können, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD – Zurufe vom BÜNDNIS 90/ (Zurufe von der LINKEN: Oh! – Matthias W. DIE GRÜNEN: Oh!) Birkwald [DIE LINKE]: Hör doch auf! – Datenschutz: gewährleistet! EU-Rechtskonformität: (B) Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (D) NEN]: Ihre Rechnung ist die Rechnung, die gewährleistet! Keine Mehrbelastung: gewährleistet! Zu- am Ende nicht aufgehen wird!) sätzliche Einnahmen: gewährleistet! haben Sie wieder einmal bewiesen. Die Gesamteinnah- (Lachen der Abg. Dr. Valerie Wilms [BÜND- men betragen pro Jahr 3,7 Milliarden Euro: 3 Milliarden NIS 90/DIE GRÜNEN] – Oliver Krischer Euro von den Inländern, 700 Millionen Euro von den [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind hier ausländischen Kfz-Fahrern. Nach Abzug der Systemkos- nicht auf einem CSU-Parteitag, Herr Kollege!) ten bleiben 500 Millionen Euro übrig. Wir freuen uns auf die parlamentarische Beratung und (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Was ist das am Ende auf die parlamentarische Verabschiedung die- denn für ein Aufwand?) ser Infrastrukturabgabe – sinnvoll, fair, gerecht. Das wird 2015 von uns hier im Parlament umgesetzt werden. Das sind also 500 Millionen Euro pro Jahr zusätzlich für die Verkehrsinfrastruktur. Das ist ein Wort! Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Das Ganze ist natürlich mit der Grundidee Europas in neten der SPD) Einklang zu bringen.

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: NEN]: „Es gibt … keine diskriminierungsfreie Vielen Dank. – Als nächster Kollege hat der Kollege Diskriminierung!“) Andreas Schwarz das Wort. Es ist geradezu europäisch, dass wir, wenn in 22 Mit- (Beifall bei der SPD) gliedstaaten eine Infrastrukturabgabe erhoben wird, dies auch tun, weil die EU für eine solche Nutzerfinanzierung Andreas Schwarz (SPD): steht. Deswegen kann ein Gesetz, das auf dem Verursa- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und cherprinzip beruht, weder direkt noch indirekt diskrimi- Kollegen! Meine verehrten Damen und Herren! Der frü- nierend sein. Wer nutzt, der zahlt in ganz Europa! Das ist here Toll-Collect-Chef hat 2005 vor dem Verkehrsaus- ganz europäisch. schuss des Deutschen Bundestages gesagt – ich zitiere –: (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe der Abg. Wenn mir jetzt jemand den Auftrag für eine Pkw- Matthias W. Birkwald [DIE LINKE] und Maut anböte, dann würde ich mich erschießen. Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]) (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7265

Andreas Schwarz (A) Tote gibt es wegen der Maut bisher noch keine, aber Grenzregionen kritisiert, wurde dann aber etwas unsanft (C) heute zumindest eine äußerst emotionale Debatte dazu. von seinem Ministerpräsidenten zurückgepfiffen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, zur Hektik besteht Diesen Anliegen konnte und durfte sich die Politik heute doch noch überhaupt kein Anlass; nicht verschließen. Der Bundesverkehrsminister hat sei- (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Nach einem nen Entwurf entsprechend geändert. Folglich werden die Jahr Diskussion! – Oliver Krischer [BÜND- befürchteten negativen Effekte für den Einzelhandel und NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre Koalition macht für den Einkaufstourismus in Grenzregionen nicht ein- seit einem Jahr nichts anderes!) treten. Das begrüßen wir ausdrücklich. denn der Gesetzentwurf wird jetzt erst einmal in die rich- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) tige Richtung weitergeleitet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bedingungen Gestern hat das Kabinett die Einführung beschlossen. des Koalitionsvertrages zur Einführung einer Infrastruk- Das ist sicherlich kein Thema – das wurde auch schon turabgabe auf deutschen Straßen hat mein Fraktionskol- angedeutet –, das in den Olymp der sozialdemokrati- lege Sebastian Hartmann bereits skizziert. Obwohl Än- schen Politik oder Ideen gehört, aber das ist ein Herzens- derungen an einem Gesetzentwurf immer möglich sind, wunsch unseres Koalitionspartners CSU, und zu einer wird es in diesem Gesetzgebungsverfahren zumindest an Koalition gehört es eben auch, Kompromisse einzuge- einem Punkt von sozialdemokratischer Seite aus defini- hen. tiv keine Bewegung geben: Kein Fahrzeughalter, dessen Pkw in Deutschland zugelassen ist, darf durch diese In- Über eines sind wir uns in dieser Koalition einig: Der frastrukturabgabe höher belastet werden. – Dies gilt Erhalt und der Ausbau der Infrastruktur in diesem Land ohne Wenn und Aber. duldet keinen Aufschub und genießt absolute Priorität. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/ Das haben wir im Koalitionsvertrag so festgehalten. DIE GRÜNEN]: Dann schreiben Sie es doch Über die Ausgestaltung dieser Aufgabe werden wir wei- ins Gesetz!) ter diskutieren. Da kann die Infrastrukturabgabe nicht das letzte Wort gewesen sein. Die Maut ist mit Sicher- Wir waren auch etwas erstaunt, als im Referentenent- heit noch nicht über den Berg. wurf der Passus zu lesen war, künftige Änderungen der Infrastrukturabgabe sollten losgelöst von der Kfz-Steuer (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- erfolgen. Mit dieser Formulierung wäre einer möglichen NEN]: Das stimmt!) (B) höheren Belastung der inländischen Autofahrerinnen (D) Der Prozess beginnt jetzt. Außerdem gilt die Struck’sche und Autofahrer Tür und Tor geöffnet gewesen. Deshalb Regel. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kompromisse hat die SPD sehr klar und deutlich auf einer Klarstellung können letztendlich auch Fortschritt bedeuten. bestanden, die auch umgehend erfolgt ist. Ich meine, das war ein guter Auftakt für das Gesetzgebungsverfahren. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das ist kein Kompromiss! Das ist Un- In diesem Verfahren werden wir als SPD sehr genau sinn!) auf die Einhaltung des Versprechens achten, dass die Pkw-Maut nicht zu höheren Belastungen der inländi- Das zeigen wir in der Großen Koalition in unserer tägli- schen Bürgerinnen und Bürger führt und zudem europa- chen Regierungsarbeit das eine um das andere Mal. rechtskonform ausgestaltet wird. Wir werden das bevorstehende parlamentarische Ver- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte diese fahren sicherlich dazu nutzen, den Gesetzentwurf auf Rede gerne mit einem Zitat von Albert Einstein beenden. Herz und Nieren zu prüfen und im Hinblick auf seine Alltagstauglichkeit abzuklopfen. Der bisherige Verlauf (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der Pkw-Maut-Debatte hat gezeigt, dass Herr Minister NEN]: Albert Einstein mit der Maut in Verbin- Dobrindt allen Unkenrufen zum Trotz guten Argumen- dung zu bringen, ist eine Frechheit!) ten durchaus zugänglich ist. Herr Minister Dobrindt, verehrte Anwesende, für uns (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- alle im Hohen Hause gilt bei allen Höhen und Tiefen, die NEN]: Da muss er selber lachen!) wir sicherlich in einem Jahr durchleben und durchleiden Die Infrastrukturabgabe soll beispielsweise nur noch – ich zitiere Herrn Einstein –: für die Nutzung von Bundesfernstraßen erhoben werden. Wenns alte Jahr erfolgreich war, dann freue dich Der ursprüngliche Plan, sämtliche Straßen in das Maut- aufs neue. Und war es schlecht, ja dann erst recht. konzept einzubeziehen, hat sich als nicht durchführbar erwiesen. Wir haben in vielen Veranstaltungen bundes- (Heiterkeit bei der SPD) weit die Sorgen der Bewohnerinnen und Bewohner grenznaher Gebiete über befürchtete Umsatzeinbußen zu In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und Ihren Fami- hören bekommen. lien eine gesegnete Weihnacht und alles Gute für 2015. Selbst der bayerische Innenminister Joachim (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Herrmann hat die zu erwartenden Belastungen für die der CDU/CSU) 7266 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

(A) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: – Errechnet, nicht erfunden, Herr Krischer. (C) Ganz herzlichen Dank auch für die guten Wünsche für das kommende Jahr. – Als nächster Redner hat der (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kollege Karl Holmeier das Wort. Nein! Das ist eine freie Erfindung!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Das sind zusätzliche und wichtige 2 Milliarden Euro für unsere Infrastruktur. Karl Holmeier (CDU/CSU): (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sehr verehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! NEN]: Erfunden! Wo ist die Berechnung? – Es ist zwar schon alles gesagt, aber – – Gegenruf der Abg. Dr. Valerie Wilms [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Staatsgeheim- (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nis!) NEN]: Dann können Sie ja aufhören!) Das kann sich sehen lassen, und es ist gleichzeitig auch Das Bundeskabinett hat gestern den von unserem eine Frage der Gerechtigkeit, dies umzusetzen. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt vorgeleg- ten Gesetzentwurf zur Einführung einer Infrastrukturab- Der Gesetzentwurf erfüllt alle Vorgaben des Koali- gabe für die Benutzung von Fernstraßen beschlossen. tionsvertrages: Es wird keine Mehrbelastung für Halter Damit setzen wir das um, was bereits Bestandteil unse- von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen geben, res Wahlprogramms 2013 war. Auch dafür haben uns die und der Gesetzentwurf ist europarechtskonform. Menschen in Deutschland gewählt und uns das Ver- trauen ausgesprochen. Sehr geehrte Damen und Herren, die Pkw-Maut wird kommen, so sicher wie das Amen in der Kirche. Die Einführung der Pkw-Maut ist neben vielen ande- ren guten Dingen auch Bestandteil des Koalitionsvertra- (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ges zwischen CDU, CSU und SPD. Die Pkw-Maut war NEN]: Jetzt auch noch die Kirche!) eine gute Idee, meine sehr verehrten Damen und Herren. Für die Grünen ist der gestrige Kabinettsbeschluss zur Diese Agenda, den Koalitionsvertrag, arbeiten wir nun Einführung der Infrastrukturabgabe ein schönes Weih- Schritt für Schritt ab, und die Infrastrukturabgabe gehört nachtsgeschenk. dazu. (Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Verkehrsminister Dobrindt hat mit dem vorgelegten NEN]: Halleluja!) Gesetzentwurf eine wichtige und richtige Investitionsof- (B) (D) fensive zur Modernisierung unserer Verkehrsinfrastruk- Wir sehen und hören, wie sehr Sie sich darüber freuen. tur eingeleitet. Jeder Euro, der in Deutschland zusätzlich eingenommen wird und unmittelbar in die Stärkung un- Seit Wochen und Monaten skandalisieren Sie alles, serer Verkehrsinfrastruktur fließt, ist ein guter Euro. was mit der Infrastrukturabgabe zu tun hat. Gestern Mittag hat uns Minister Dobrindt unmittelbar nach dem (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Kabinettsbeschluss im Verkehrsausschuss Rede und NEN]: Es kommt gar keiner! Das ist doch das Antwort gestanden. Dafür einen herzlichen Dank, Herr Problem!) Minister. Wir machen seit einem Jahr in der Großen Koalition (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und erfolgreiche Politik für unser Land und damit für unsere der SPD) Mitbürgerinnen und Mitbürger. Unser erklärtes Ziel ist es, den hohen Standard in der deutschen Infrastruktur zu Frau Wilms, Sie haben den Entwurf gestern wie auch erhalten und weiter auszubauen. Nur so können wir den heute wieder als europarechtswidrig bezeichnet. Damit Verkehrszuwachs im Personen- und Güterkraftverkehr offenbaren Sie, dass Sie keine Kenntnis von dem bewältigen. Rechtsgutachten haben, das erstellt wurde. Nach Profes- sor Hillgruber ist die Einführung der Infrastrukturabgabe Wie der Herr Minister bereits angesprochen hat, lei- mit europäischem Recht vereinbar. ten wir den von der Europäischen Union gewollten Sys- temwechsel von einer reinen Steuerfinanzierung unserer (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Verkehrsinfrastruktur hin zu einer teilweisen Nutzerfi- NEN]: Da gibt es aber viele andere Rechtsgut- nanzierung ein. Mit der kontinuierlichen Ausweitung der achten, die das glatte Gegenteil sagen!) Nutzerfinanzierung erreichen wir zudem eine größere Das Gutachten ist – das wurde schon angesprochen – auf Unabhängigkeit vom Bundeshaushalt. der Internetseite des Verkehrsministeriums einsehbar. Durch den vorliegenden Gesetzentwurf erzielen wir Die Infrastrukturabgabe für die Nutzung des deut- in einer vierjährigen Wahlperiode Mehreinnahmen in schen Bundesfernstraßennetzes stellt auch in der Kombi- Höhe von 2 Milliarden Euro netto für unsere Infrastruk- nation mit entsprechenden Freigrenzen bei der Kfz- tur. Steuer keine Diskriminierung von Unionsbürgern dar. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir stellen damit Gerechtigkeit auf deutschen Autobah- NEN]: Sie haben das nie berechnet! Nein! Das nen her. Aber alles Reden und Aufklären hilft nichts. Sie ist eine freie Erfindung!) wollen es nicht kapieren. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7267

Karl Holmeier (A) Die Grünen haben mit der Beantragung dieser Ak- Wenn es um die vermeintliche Diskriminierung von (C) tuellen Stunde wieder viel heiße Luft um die Infrastruk- In- und Ausländern geht, lohnt ein Blick auf die Gebüh- turabgabe erzeugt. Meine Damen und Herren, ich freue rentabelle des Felbertauerntunnels; das ist an dieser mich daher auf die inhaltliche und sachliche Beratung Stelle nicht ganz unspannend. Danach beträgt der Nor- dieses wichtigen Gesetzentwurfes im kommenden Jahr. maltarif für Pkws und Wohnmobile 10 Euro. Der Anrai- Den Grünen wünsche ich mit dem Rechtsgutachten und nertarif für diejenigen, die in den Bundesländern Tirol, dem Gesetzentwurf eine schöne und spannende Weih- Kärnten und Salzburg wohnen, liegt bei 8 Euro. Für Ge- nachtslektüre. meindebürger beläuft sich der Tarif auf 4 Euro. So viel zu diesem Thema. Liebe Frau Kommissarin, bevor Sie Ihnen allen schöne Weihnachten und ein gutes neues sich mit unserem Mautsystem, das im Werden begriffen Jahr! ist, auseinandersetzen, schauen Sie sich die bestehenden Vielen Dank. Systeme an. Sie werden feststellen: Für alle muss das Gleiche gelten. Wir sagen: Unser Mautsystem ist richtig, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- gerecht und vor dem eben geschilderten Hintergrund erst neten der SPD) recht europarechtskonform.

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: (Beifall bei der CDU/CSU) Jetzt spricht die Kollegin Daniela Ludwig. Ich glaube daher nicht, dass unsere Kollegen in den (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Nachbarstaaten, die nun aufschreien und mit Klagen drohen, gut beraten wären, tatsächlich Klage zu erheben. Dann muss jeder in seine eigenen Gesetzesbücher Daniela Ludwig (CDU/CSU): schauen und die Gestaltung der Nutzerfinanzierung Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! überprüfen. Man möchte fast sagen: Und täglich grüßt die Maut. Gott sei Dank! Ich freue mich darüber. Es ist nicht nur Jedes Mitgliedsland kann eine Infrastrukturabgabe ein Weihnachtsgeschenk – dieser Vergleich ist heute einführen und eine entsprechende Nutzerfinanzierung schon bemüht worden –, sondern es zeigt, glaube ich, vorsehen. 22 Mitgliedstaaten haben das bereits getan. gerade auch Ihnen: Man kann noch so sehr das Scheitern Wir tun es jetzt auch, weil wir uns dazu bekennen, dass herbeireden, wenn wir etwas wollen, dann machen wir wir mehr Mittel für die Verkehrsinfrastruktur brauchen. es richtig gut, und wir ziehen es auch durch. Weil wir diese Mittel nicht einseitig durch die deutschen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Steuerzahler erzielen wollen, wollen wir diejenigen be- teiligen, die bisher kostenlos fahren, obwohl sie unser (B) Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (D) NEN]: Das ist das Schlimme!) Straßennetz genauso nutzen. Es ist richtig, alle zu betei- ligen. Da kann uns auch ein Brieflein aus Brüssel nicht schrecken, erst recht nicht, wenn es auf Annahmen ba- Ein weiteres Petitum, das für uns ganz besonders siert, die letztlich mit den beiden Gesetzentwürfen, um wichtig ist, ist: Akzeptanz für die Maut gewinnt man die es gestern im Kabinett ging, nicht allzu viel zu tun nur, wenn die Einnahmen zweckgebunden sind, das haben. Warum? Ich erwarte von einer Kommissarin, die heißt, wenn die Einnahmen tatsächlich dem Haushalt zu- die beiden Gesetzentwürfe offenbar nicht kennt gutekommen, der sie am dringendsten braucht, also dem – schade! –, zum einen, dass sie sie möglichst zügig Haushalt des Verkehrsministers. Dann sehen die Men- liest, und zum anderen, dass sie, wenn sie unser Maut- schen: Die Maut, die ich zahle, kommt eins zu eins den system als nicht europarechtskonform geißelt, ihre Stan- deutschen Straßen zugute und führt zu besserem Asphalt dards, die sie an unser geplantes Mautsystem anlegt, sowie mehr Lärmschutz und Sicherheit. Deshalb kann auch an die anderen 22 Mautsysteme in Europa anlegt. ich Ihnen schlicht und ergreifend nur sagen: Das Kon- Das sehe ich bislang noch nicht. zept ist richtig, europarechtskonform und gerecht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Woher wissen Sie das?) NEN]: Weil die Modelle anders aussehen!) Es stellt keine Mehrbelastung für deutsche Autofahrer Warum? Die Kommissarin kritisiert unsere Monats- und dar, weil alle zahlen. So machen wir das. Ich freue mich Tagessätze als unverhältnismäßig hoch im Vergleich auf die Beratungen. zum Jahressatz. Obwohl schon darauf hingewiesen Vielen herzlichen Dank. wurde, sage ich es erneut: Schauen Sie nach Österreich, das uns als Vorbild dienen soll. Österreich verlangt für (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- eine Zehntagesvignette 8,70 Euro. Wir verlangen neten der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE 10 Euro für ein Straßennetz, das doppelt so groß ist wie LINKE]: Alle freuen sich!) das österreichische. Im nächsten Jahr kann man in Öster- reich eine Zweimonatsvignette für 25,30 Euro erwerben. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Bei uns wird sie 22 Euro kosten, wie gesagt, für ein dop- Jetzt erhält der Kollege Michael Donth als letzter pelt so großes Straßennetz. Während bei uns die Jahres- Redner in dieser Debatte das Wort. vignette durchschnittlich 74 Euro kosten wird, kostet sie in Österreich rund 85 Euro. (Beifall bei der CDU/CSU) 7268 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

(A) Michael Donth (CDU/CSU): gen diskutieren, möchte ich auch eine anführen. Ich zi- (C) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und tiere: Kollegen! Meine Damen und Herren! Zum zweiten Mal Die Europäische Kommission begrüßt deshalb die in diesem Jahr gibt es heute im Parlament auf Verlangen Einführung oder Ausweitung von Mautsystemen in der Grünen eine Aktuelle Stunde zur Infrastruktur- einer zunehmenden Zahl von Mitgliedstaaten, da- abgabe. Es handelt sich um eine Debatte, die auf Ge- runter auch Deutschland. rüchten, Mutmaßungen und Zeitungsartikeln, aber nicht auf Vorlagen oder Fakten beruht. Da wir nur wenige So der damalige EU-Kommissar Kallas im Interview mit Tage vom Weihnachtsfest entfernt sind, scheinen sich der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung am die Kolleginnen und Kollegen der Grünen so zu verhal- 29. Juni dieses Jahres. ten wie meine kleinen Kinder zu Hause, die den Heiligen Abend nicht erwarten können und ständig versuchen, Verkehrsminister Alexander Dobrindt hat ein schlüs- durch Quengeln etwas herauszulocken. Wahrscheinlich siges Paket vorgelegt, wie er mit zusätzlichen Haushalts- fehlt Ihnen dazu noch, nachdem Stuttgart 21 jetzt erfolg- mitteln, mit der schrittweisen Ausweitung der Lkw-Maut reich gebaut wird, ein neues Thema. auf alle Bundesstraßen, mit der Ausweitung auf weitere Lkw-Klassen und zu guter Letzt auch mit der Pkw-Maut (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zusätzliche Finanzmittel für die Straßeninfrastruktur ge- NEN]: In welcher Welt leben Sie denn?) neriert. Damit wird der Bund zum Ende dieser Legisla- turperiode rund 4 Milliarden Euro pro Jahr mehr für die Jetzt warten Sie doch einfach den Gang des parlamen- Verkehrsinfrastruktur zur Verfügung haben als zu Be- tarischen Verfahrens ab. Das wäre für alle hier im Hause ginn und damit präterpropter die Empfehlungen der viel effizienter. Bodewig- oder Daehre-Kommissionen hinsichtlich der Gestern wurde das Gesetzespaket im Kabinett verab- notwendigen Mittel für die finanzielle Ausstattung der schiedet. In den kommenden Beratungen können Sie Bundesverkehrswege erreicht haben. Ihre Argumente zur Sache einbringen, sofern Sie an ei- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ner sachlichen Diskussion und nicht nur an Effektha- scherei Interesse haben sollten. Notwendig ist dann aber, dass die Mittel, die wir hier bereitstellen, in den Ländern auch verbaut werden, im Ein Beleg dafür, weshalb man aufgrund von Sachbei- Interesse unserer Infrastruktur und im Interesse unserer trägen, von Drucksachen und Vorlagen diskutieren und Bürgerinnen und Bürger. Daher ist es ein Unding, wenn sich nicht auf Grundlage von Zeitungsartikeln austau- der heute schon erwähnte grüne Verkehrsminister schen sollte, ist die schon mehrfach angeführte sloweni- Hermann in meinem Heimatland Baden-Württemberg, (B) sche EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc. Ihr wird die wie 2013 geschehen, bis zu 100 Millionen Euro Bundes- (D) Aussage zugeschrieben – ich habe den Brief nicht gele- mittel nicht abruft. Das ist dann im landläufigen Sinn sen –, die Kurzzeitvignetten für Ausländer mit 22 Euro eine schöne Bescherung. für zwei Monate und 10 Euro für zehn Tage seien zu teuer. Was für ein Quatsch. Im Heimatland der Kommis- Vielen Dank und ein gesegnetes Weihnachtsfest. sarin, Slowenien, zahlt man für eine Wochenvignette (Beifall bei der CDU/CSU) 15 Euro. Das sind also rund 2 Euro pro Tag, und das ist damit doppelt so viel, wie bei uns mit der Zehntages- vignette geplant ist. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Damit ist die Aktuelle Stunde beendet. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Die zahlen aber alle, nicht nur die Aus- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf: länder!) Wahlvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU Offensichtlich ist das in Slowenien EU-rechtskon- und SPD form. Kein Mensch beschwert sich und hält es für EU- Wahl des Wehrbeauftragten des Deutschen rechtswidrig, wenn ich mit einem kleinen Wagen in Bundestages Frankreich für zwei Tage 76 Euro Maut bezahle. Das ist mir bei einem Kurzbesuch in der früheren Partnerge- Drucksache 18/3547 meinde im Val d’Oise bei Paris passiert. Da bin ich über Bevor wir zur Wahl kommen, möchte ich noch darauf Straßburg nach Paris und am nächsten Tag mit dem Auto hinweisen, dass wir heute zu den nachfolgenden bei- wieder zurückgefahren. 76 Euro Maut. Im Jahr 2016 den Tagesordnungspunkten sowie zu Tagesordnungs- würde dagegen der französische Bürgermeisterkollege, punkt 12 mehrere namentliche Abstimmungen durch- wenn er mit dem Auto zu uns kommt, für die Strecke führen werden. Ich bitte Sie, sich darauf einzustellen. Straßburg–Stuttgart und zurück lediglich 10 Euro bezah- len, aber keine 76 Euro. Jetzt kommen wir zur Wahl des Wehrbeauftragten. Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD haben auf Unsere Verkehrsinfrastruktur in Deutschland ist un- Drucksache 18/3547 den Abgeordneten Dr. Hans-Peter terfinanziert. Da gibt es, so wie ich das sehe und es jetzt Bartels vorgeschlagen. auch in der Debatte gehört habe, über alle Fraktionen hinweg großen Konsens. Das sieht auch die EU-Kom- Ich möchte Sie jetzt um Ihre Aufmerksamkeit für ei- mission so. Wenn wir heute schon über Zeitungsmeldun- nige Hinweise zum Wahlverfahren bitten: Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7269

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn (A) Nach § 13 des Gesetzes über den Wehrbeauftragten Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: (C) sind zur Wahl die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene des Deutschen Bundestages, das heißt mindestens Sitzung ist wieder eröffnet. 315 Stimmen, erforderlich. Der Wehrbeauftragte wird mit verdeckten Stimmkarten, also geheim, gewählt. Sie Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schrift- benötigen für die Wahl Ihren blauen Wahlausweis, den führern ermittelte Ergebnis der Wahl bekannt:1) abge- Sie, soweit das noch nicht geschehen ist, Ihrem Stimm- gebene Stimmen 598, ungültig waren keine. Mit Ja ha- kartenfach entnehmen können. Bitte kontrollieren Sie, ben 532 gestimmt, ob der Wahlausweis Ihren Namen trägt. Die für die Wahl gültige Stimmkarte und den amtlichen Wahlumschlag (Beifall im ganzen Hause) erhalten Sie von den Schriftführerinnen und Schriftfüh- mit Nein haben 38 gestimmt, Enthaltungen gab es 28. rern an den Ausgabetischen hier oben neben den Wahl- kabinen. Gemäß § 13 des Gesetzes über den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages ist gewählt, wer die Stim- Nachdem Sie die Stimmkarte in einer der Wahlkabi- men der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages – das nen gekennzeichnet und in den Wahlumschlag gelegt ha- sind 315 Stimmen – auf sich vereinigt. Ich stelle fest, ben, gehen Sie bitte zu den Wahlurnen hier vor dem dass der Abgeordnete Dr. Hans-Peter Bartels mit der er- Rednerpult. forderlichen Mehrheit der Stimmen der Mitglieder des Bundestages zum Wehrbeauftragten gewählt worden ist. Sie dürfen Ihre Stimmkarte – beachten Sie dies bitte; dies ist wichtig – nur in der Wahlkabine ankreuzen, also Ich frage Sie jetzt, Herr Abgeordneter Bartels: nicht an den Tischen, und Sie müssen ebenfalls noch in Nehmen Sie die Wahl an? der Wahlkabine die Stimmkarte in den Umschlag legen. Die Schriftführerinnen und Schriftführer sind verpflich- Dr. Hans-Peter Bartels (SPD): tet, jeden, der seine Stimmkarte außerhalb der Wahlka- bine kennzeichnet oder in den Umschlag legt, zurückzu- Jawohl, ich nehme die Wahl an. weisen. Die Stimmabgabe kann in diesem Fall jedoch vorschriftsmäßig wiederholt werden. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Gültig sind nur Stimmkarten mit einem Kreuz bei Herr Bartels nimmt die Wahl an. – Herr Bartels, ich „Ja“, „Nein“ oder „enthalte mich“. Ungültig sind Stim- möchte Ihnen persönlich, aber auch im Namen des gan- men auf nichtamtlichen Stimmkarten sowie Stimmkar- zen Hauses herzlich gratulieren. Herzlichen Glück- wunsch und viel Glück für Ihre verantwortungsvolle (B) ten, die mehr als ein Kreuz, kein Kreuz, andere Namen (D) oder Zusätze enthalten. Aufgabe! Bevor Sie die Stimmkarte in eine der Wahlurnen wer- (Beifall im ganzen Hause – Abg. Dr. Hans- fen, übergeben Sie bitte Ihren Wahlausweis einer der Peter Bartels [SPD] nimmt Glückwünsche ent- Schriftführerinnen oder einem der Schriftführer an der gegen) Wahlurne. Der Nachweis der Teilnahme an der Wahl Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte um Ver- kann nur durch die Abgabe des Wahlausweises erbracht ständnis dafür, dass wir, da wir den ursprünglichen Zeit- werden. plan schon sehr weit überschritten haben, in der Tages- ordnung fortfahren. Ich möchte jetzt die Schriftführerinnen und Schrift- führer bitten, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 sowie Zusatz- Das ist, soweit ich das sehen kann, geschehen. Ich er- punkt 6 auf: öffne die Wahl und bitte, zum Empfang der Stimmkarten zu den Ausgabetischen zu gehen. 7 – Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus- Nur ein kleiner Hinweis: Wir haben zwei Wahlurnen, schuss) zu dem Antrag der Bundesregierung die Sie benutzen können. Das beschleunigt das Verfah- ren. Entsendung bewaffneter deutscher Streit- kräfte am NATO-geführten Einsatz Reso- Liebe Kolleginnen und Kollegen, haben alle Mitglie- lute Support Mission für die Ausbildung, der des Hauses ihre Stimmkarte abgegeben? – Das ist Beratung und Unterstützung der afghani- offenbar der Fall. Ich schließe die Wahl und bitte die schen nationalen Sicherheitskräfte in Af- Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh- ghanistan lung zu beginnen. Drucksachen 18/3246, 18/3583 Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden die Sitzung für die Auszählung jetzt für circa 15 Minuten – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- unterbrechen; ich hoffe, es werden nur 10 Minuten. schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Sobald das Auszählungsergebnis vorliegt, wird die un- Drucksache 18/3592 terbrochene Sitzung wieder eröffnet.

(Unterbrechung von 15.55 Uhr bis 16.12 Uhr) 1) Anlage 2 7270 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn (A) ZP 6 Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre- Mit der neuen Resolute Support Mission wird sich (C) gierung unser Auftrag wesentlich ändern. Es ist kein Kampfein- satz mehr. Es geht künftig um gezielte Beratung. Wir Fortschrittsbericht zur Lage in Afghanistan sind jetzt dort, wo wir effektiv ausbilden, wo wir klug 2014 beraten, wo wir angemessen unterstützen können. Wir einschließlich einer sind dort, wo wir gebraucht werden, und wir werden ge- Zwischenbilanz des Afghanistan-Engage- braucht. Die afghanischen Sicherheitskräfte haben bei ments den Wahlen bewiesen, dass sie in der Lage sind, für eine Drucksache 18/3270 Sicherheitslage zu sorgen, die Wahlen zulässt. Das heißt, Überweisungsvorschlag: die Grundfertigkeiten sind da, aber jetzt kommt es da- Auswärtiger Ausschuss (f) rauf an, dass dies zu einem Ganzen geformt wird und Innenausschuss dass die Fähigkeiten dauerhaft verfestigt und vor allem Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz verfeinert werden. Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ich war im Camp Shaheen, das viele von Ihnen ken- Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und nen. Dort habe ich General Wesa gesprochen. Er hat Entwicklung – typisch für Afghanistan – das, was vor uns liegt, die Zu der Beschlussempfehlung, über die wir später gemeinsame Aufgabe, mit einem Bild umschrieben: Wir namentlich abstimmen werden, liegt je ein Entschlie- haben gemeinsam einen Baum gepflanzt, ihn gepflegt ßungsantrag der Fraktion Die Linke und der Fraktion und gehegt, und jetzt ist er groß genug, die ersten Bündnis 90/Die Grünen vor. Früchte zu tragen. Aber dieser Baum braucht weiter die gemeinsame Pflege. – Wenn ich in diesem Bild bleiben Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für darf: Wir treten bei der Pflege dieses Baumes jetzt ge- die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- wissermaßen in die zweite Reihe, und die Afghanen sind nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. in der ersten Reihe. Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin in der Sie sagten mir auch, dass schon die bloße Anwesen- Debatte hat die Bundesministerin Dr. Ursula von der heit unserer Polizistinnen und Polizisten, der Soldatin- Leyen das Wort. – Frau von der Leyen. nen und Soldaten wiederum den afghanischen Polizis- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ten, den afghanischen Sicherheitskräften, aber auch der neten der SPD) Bevölkerung ein Gefühl von Sicherheit gibt. Das heißt, die Afghanen verlassen sich auf uns. Wir haben einen Ruf zu verteidigen, nämlich den Ruf des zuverlässigen (B) Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin der (D) Verteidigung: Partners, und auch den Ruf, dass wir das sorgsam zu Ende bringen, was wir angefangen haben. Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Jahr 2015 Wo stehen wir nach 13 Jahren ISAF und jetzt im bringt große Veränderungen für Afghanistan, aber auch Übergang? Die Sicherheitslage ist heute wesentlich bes- für unsere Soldatinnen und Soldaten. ser als noch zu Beginn der Mission, aber sie ist ohne Zweifel immer noch fragil. Im Augenblick häufen sich In diesem Sommer hat es zum ersten Mal in der Ge- die Anschläge in Kabul. Die Taliban konzentrieren sich schichte des Landes Afghanistan einen Machtwechsel vor allem auf die Hauptstadt. Es geht ihnen darum, gegeben, der demokratisch und friedlich war. Es macht Angst zu schüren und das Vertrauen der Bevölkerung in Mut, zu sehen, mit welcher Entschlossenheit, aber offen- die junge Regierung zu desavouieren. Vor wenigen Ta- sichtlich auch Geschlossenheit sich jetzt die neue Regie- gen ist ein deutscher Entwicklungshelfer bei einem per- rung ans Werk macht. Ich habe am letzten Wochenende fiden Selbstmordattentat in Kabul ermordet worden. Ja, Gelegenheit gehabt, Präsident Ghani zu sprechen. Er hat das ist zweifelsohne die eine Realität dieses Landes. mir in unserem Gespräch in Kabul in eindrucksvoller Weise gezeigt, wie klar er den Weg vor sich sieht, wie ei- Aber es gibt eben auch die andere Realität, die ganz nen Dreiklang: Das Wichtigste für ihn ist die politische viele hier im Raum kennen: junge motivierte Menschen, Versöhnung, sowohl nach innen, also innerhalb der Be- die bereit sind, ihre Zukunft in die Hand zu nehmen und völkerung, als auch nach außen, insbesondere mit Pakis- ihr Land mit nach vorne zu bringen. Ich hatte die Freude, tan. Er hat sehr klar gesagt, wie wichtig ihm eine starke zehn junge afghanische Frauen, alle um die 20, kennen- wirtschaftliche Entwicklung des Landes ist, wissend, zulernen, die Rechtswissenschaften in Balkh studieren dass Sicherheit und wirtschaftliche Entwicklung eng und fest entschlossen sind, sich auch in Zukunft für die miteinander verflochten sind. Außerdem sieht er seine Rechte der Frauen und ihres Landes einzusetzen. Es be- Aufgabe darin, für eine akzeptable Sicherheitslage zu rührt einen, zu sehen, mit welcher Zukunftsfreude und sorgen. – Damit stehen Präsident Ghani und das Land Entschlossenheit diese jungen Frauen auftreten. Afghanistan vor einer großen Aufgabe. Sie haben aber auch die ganz große Chance, die Geschicke dieses Lan- Afghanistan hat die Chance auf eine gute Zukunft, des in die richtige Richtung zu lenken, und dabei brau- wenn die politisch Verantwortlichen an einem Strang chen sie unsere volle Unterstützung. ziehen – im Augenblick sind das maßgeblich Abdullah Abdullah und Ghani –, wenn die Staaten der Region, vor (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- allem Pakistan, einen Versöhnungsprozess mit Afghani- neten der SPD) stan wagen und wenn wir, die internationale Gemein- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7271

Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen (A) schaft, genügend Ausdauer beweisen, um uns weiter für Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: (C) dieses Land zu engagieren. Ich bitte, eine solche Unterstellung zu unterlassen. Das entspricht nicht dem parlamentarischen Gebrauch. Wir als Bundesregierung sind bereit, in der Diploma- tie und in der Entwicklungszusammenarbeit unsere Bei- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie träge zu leisten. Das gilt für die Polizei, und das gilt auch bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE für die Bundeswehr. Wir wollen uns in Resolute Support GRÜNEN – Widerspruch bei der LINKEN – Mission künftig mit 850 Soldatinnen und Soldaten in Max Straubinger [CDU/CSU]: Ja, genau! Das Afghanistan engagieren. Wir werden wie bisher im Nor- ist unerträglich! – [CDU/ den die Verantwortung übernehmen, und zwar gemein- CSU]: Der kann nicht anders! – Henning Otte sam mit 20 weiteren Nationen. Das Ganze findet grund- [CDU/CSU]: Genau! Das ist eine Frechheit!) sätzlich „inside the wire“, also in geschützten Anlagen, statt. Wir werden vor allem für die Speiche Masar-i- Jan van Aken (DIE LINKE): Scharif verantwortlich sein, aber eben auch für Kabul. Frau Präsidentin, ob man die Wahrheit sagt oder Dort werden wir uns im Verteidigungsministerium enga- nicht, ist eine faktische Frage. gieren. Damit zeigt sich, dass Resolute Support Mission einen völlig anderen Charakter als ISAF hat. Wir bean- (Michael Brand [CDU/CSU]: Deine Wahrheit tragen das Mandat heute für ein Jahr. Dieses Jahr wollen ist nie die Wahrheit!) wir maximal ausnutzen. Das heißt, es geht uns jetzt vor Ich kann das Faktum, dass sie die Unwahrheit gesagt hat, allem darum, diese Mission breit mit Leben zu füllen. hier belegen. Danach würde ich Sie gerne bitten, noch einmal zu überlegen, ob dieser Einwurf von Ihnen eben ISAF war das umfänglichste Engagement des deut- richtig war oder nicht. schen Militärs in der Geschichte der Bundesrepublik. 135 000 Soldatinnen und Soldaten haben in Afghanistan (Beifall bei der LINKEN – Max Straubinger ihren Einsatz geleistet. 55 Soldaten haben in diesem [CDU/CSU]: Unverschämt! – Henning Otte Kampfeinsatz ihr Leben verloren, 35 davon sind gefal- [CDU/CSU]: So geht das aber nicht, Frau Prä- len, und Hunderte sind verwundet an Leib und Seele zu- sidentin!) rückgekehrt. All denen, die an diesem Engagement be- Lassen Sie mir jetzt kurz Zeit, die Aussage bezüglich der teiligt waren, gilt unser ganz hoher Respekt und vor Unwahrheit zu belegen. Dann können wir darüber reden, allem unsere besondere Dankbarkeit. ob das nun stimmt oder nicht. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem Frau von der Leyen hat eben wörtlich gesagt – ich zi- (B) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tiere –: „Es ist kein Kampfeinsatz mehr.“ Genau dieser (D) Satz entspricht nicht der Wahrheit. Auch angesichts dieser Opfer sollte es uns Verpflich- tung sein, die Mission behutsam und verantwortungsvoll (Beifall bei der LINKEN) zu Ende zu bringen. Dafür bitte ich Sie um Unterstüt- Frau von der Leyen weiß es, und Sie wissen es: In dem zung. Mandat, über das Sie gleich abstimmen werden, Vielen Dank. (Michael Brand [CDU/CSU]: Du auch!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie steht ausdrücklich drin, dass auch Spezialkräfte einge- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE setzt werden. GRÜNEN) (Henning Otte [CDU/CSU]: Zur Geiselbefrei- ung!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Es steht ausdrücklich drin, dass die deutsche Bundes- Vielen Dank. – Als nächster Redner erhält Jan van wehr auch in den nächsten Jahren in Afghanistan für Aken das Wort. Kämpfe eingesetzt wird, nämlich dann, wenn es um den Schutz und die Sicherheit anderer Soldaten geht, auch (Beifall bei der LINKEN) anderer NATO-Soldaten, auch US-amerikanischer Sol- daten. Jan van Aken (DIE LINKE): (Henning Otte [CDU/CSU]: Ja, zur Geiselbe- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Rund freiung!) um Afghanistan ist hier im Bundestag in den letzten 13 Jahren schon so viel gelogen worden, dass ich es echt Sie, Frau von der Leyen, und Sie alle hier wissen – auch leid bin, und Sie haben genau da weitergemacht, Frau ich weiß es –, dass die 9 000 US-amerikanischen Solda- von der Leyen. ten, die weiterhin in Afghanistan bleiben, auch einen Kampfauftrag haben. (Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei (Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD]: Aber wir der CDU/CSU und der SPD – Henning Otte mandatieren ja nicht die Amerikaner!) [CDU/CSU]: Was? Haben Sie gerade „gelo- gen“ gesagt? – Rainer Arnold [SPD]: Wenn Auf Deutsch heißt das: Wenn NATO-Soldaten oder Bun- man Ihre Rede liest, dann stimmt dies!) deswehrsoldaten in Kämpfe verwickelt werden, dann 7272 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Jan van Aken (A) kann, darf und wird die Bundeswehr eingreifen, zur Es geht darum: Kommen zum Beispiel Entwicklungs- (C) Hilfe schreiten und auch in Kämpfe verwickelt werden. helfer in Bedrängnis, muss man ihnen auch mit Waffen- Damit ist das Mandat, das Sie vorgelegt haben, auch ein gewalt beistehen, damit sie nicht umgebracht werden. Mandat, zu kämpfen. Da waren Sie eben unehrlich, auch (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie gegenüber den Soldatinnen und Soldaten. bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE (Beifall bei der LINKEN – Henning Otte GRÜNEN) [CDU/CSU]: Werden Sie doch nicht so laut! – Wir haben letzte Woche in Kabul erlebt, dass 16-jährige Florian Hahn [CDU/CSU]: Die Logik ist voll- Jugendliche als Selbstmordattentäter missbraucht und kommen falsch!) deutsche Entwicklungshelfer, die im dortigen französi- schen Kulturzentrum Gutes leisten wollten, in die Luft Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: gejagt wurden. In solchen Situationen sollen die kleinen Herr van Aken, lassen Sie eine Zwischenfrage zu? Fähigkeiten – es sind ja gar nicht viele Fähigkeiten – im Rahmen ihrer Möglichkeiten helfen. Jan van Aken (DIE LINKE): Meine Frage: Wenn eine solche Situation entsteht und Ja. die Bundeswehr mit einer Fähigkeit dort ist – es sind nicht viele; aber sie hat eine gewisse Fähigkeit –, soll die Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Bundeswehr und sollen wir als Politiker dann sagen: „Nein, wir helfen euch nicht, weil wir das nicht manda- Bitte. tiert haben“?

Rainer Arnold (SPD): ( [DIE LINKE]: Also doch ein Kampfmandat! Jetzt haben Sie ihm ja recht ge- Generell wäre zunächst einmal meine Bitte im Hin- geben! – Gegenruf des Abg. Florian Hahn blick auf den Begriff „Wahrheit“, die Reden, die Sie in [CDU/CSU]: So ein Quatsch! Das ist doch den letzten Jahren über Afghanistan gehalten haben, mit deswegen kein Kampfmandat!) der Wirklichkeit zu vergleichen. Sind Sie nicht vielmehr der Meinung, dass es klug ist, (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – für solche Extremsituationen im Interesse der Soldaten Katja Kipping [DIE LINKE]: Die sollte man und der Menschen in Bedrängnis auch rechtlich Vor- als Buch herausbringen und es an Schulen ver- sorge zu treffen? Sind Sie nicht der Auffassung, das ist teilen! Das wäre sehr hilfreich!) besser? (B) Ich finde aber: Noch schlimmer, als die Unwahrheit (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie (D) zu sagen, ist es, Halbwahrheiten zu verbreiten. bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Ge- Jan van Aken (DIE LINKE): nau! Jetzt zeigen Sie mal, ob Sie ein Herz ha- Genau. ben oder ob Sie kein Herz haben!)

Rainer Arnold (SPD): Jan van Aken (DIE LINKE): Exakt dies haben Sie gerade getan. Herr Arnold, wenn Sie mich zitieren, dann zitieren Sie mich bitte richtig. (Michael Brand [CDU/CSU]: Er ist der Meister der Unwahrheiten!) (Henning Otte [CDU/CSU]: Haben Sie ein Herz oder nicht?) Das, was Sie gesagt haben, ist eine Halbwahrheit. In die- sem Mandat ist von einer Möglichkeit die Rede, die Ich habe eben auf gar keinen Fall gesagt, dass die Bun- dann eine Rolle spielt, wenn Menschen in extremer Si- deswehr irgendwelchen Afghaninnen und Afghanen zu Hilfe kommt; denn das steht gar nicht im Mandat. In tuation in Bedrängnis geraten; ich sage das jetzt in mei- dem Mandat steht ausschließlich, dass sie anderen Bun- nen Worten und verwende nicht den englischen Begriff. deswehrsoldaten und anderen internationalen Soldaten (Katja Kipping [DIE LINKE]: Na, das hat er der Resolute Support Mission zu Hilfe kommen wird, doch gesagt! – Gegenruf des Abg. Max und genau das habe ich auch gesagt. – Das erst einmal zu Straubinger [CDU/CSU]: Nein, das hat er eben den Fakten. Das steht da drin! nicht gesagt!) Herr Arnold, stellen Sie sich jetzt doch bitte einmal – Er hat gesagt: Wenn Afghanen kämpfen, dann geht Folgendes vor: Die Amerikaner, die dort einen Kampf- man einfach raus, um denen zu helfen. – Dann müssten auftrag haben und in Kämpfe verwickelt sind, rufen um wir jeden Tag rausgehen, um zu helfen, weil die Afgha- Hilfe, und deutsche Spezialkräfte, die Sie gleich manda- nen jeden Tag kämpfen. tieren wollen, sind vor Ort. – Sie werden dann natürlich einschreiten. Sie sagen ja selbst, dass das passieren soll. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Ja, genau so ist Das ist dann auch ein Kampfeinsatz. Es ist einfach falsch es!) und unwahr, wenn die Ministerin hier sagt, es ist kein Kampfeinsatz mehr. Dies gibt dieses Mandat, Herr van Aken, aber definitiv nicht her. (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7273

Jan van Aken (A) Das ist doch der ganz entscheidende Punkt. Machen Sie lungshilfeorganisationen tätig waren, zugesagt, dass sie (C) sich doch endlich einmal ehrlich! hier nach Deutschland in Sicherheit kommen können; denn sie werden in Afghanistan als Kollaborateure mit Seit 13 Jahren wird über Afghanistan gelogen. Das dem Feind – mit der ISAF, mit der NATO, mit Deutsch- fing an mit einem Gerhard Schröder, der hier stand und land – bedroht. Sie haben ihnen zugesagt, sie könnten sagte: sechs Monate und nur in Kabul. – Wo sind denn herkommen. Was müssen wir jetzt erfahren? Ein paar die 55 Soldaten der Bundeswehr gestorben? Wo wurde dürfen kommen, viele andere lehnen Sie aber einfach ab. gekämpft? In Masar-i-Scharif, in Kunduz und überall. Es gibt Menschen in Afghanistan, die für die Bundes- Nichts davon war wahr – von der ersten Minute bis wehr gearbeitet haben und jetzt mit dem Leben bedroht heute nicht. werden, und Sie lassen sie hier nicht herein. Wenn Sie (Beifall bei der LINKEN) wirklich ehrlich sind, dann lassen Sie alle, die in den letzten 13 Jahren für Sie gearbeitet haben, hier herein. Ich finde es einfach unerträglich, dass, wenn jetzt Alles andere ist auch eine Unehrlichkeit. Bundeswehrsoldaten zuhören – möglicherweise Bundes- wehrsoldaten, die in einem Monat dorthin geschickt (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten werden –, sie von der Ministerin hören, das ist kein des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Kampfeinsatz mehr, aber die Wahrheit ist das Gegenteil. Das geht so nicht! Zur Unehrlichkeit gehört auch, dass fast alle von Ih- nen die afghanischen Opfer dieses Krieges schlichtweg (Beifall bei der LINKEN – Rainer Arnold ignorieren. [SPD]: Haben Sie einmal reflektiert, ob es eine Verpflichtung zur Nothilfe gibt?) (Beifall bei der LINKEN) Von der ersten Stunde vor 13 Jahren an ging es hier In der letzten Debatte dazu in der letzten Sitzungswoche immer so weiter. Sie haben hier die ganze Zeit immer haben Sie alle hier der gefallenen deutschen Soldaten ge- wieder über Brunnenbau, über Aufbau und über Mäd- dacht. Frau von der Leyen hat das eben auch getan. Aber chenschulen geredet, aber keiner hat hier ein Wort über genauso wenig wie Sie alle hier am rechten Rand des Krieg, über die ganzen Toten und über das Leid verloren. Hauses in der letzten Sitzungswoche Das kam niemals von jemandem von Ihnen. (Lachen bei der SPD – Widerspruch beim (Widerspruch bei der CDU/CSU und der SPD – BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Michael Brand [CDU/CSU]: Das ist doch un- hat auch Frau von der Leyen nicht ein einziges Wort – wahr! Das ist jetzt gelogen!) nicht ein einziges Wort! – über die afghanischen Opfer (B) (D) Ich bin seit fünf Jahren im Bundestag. Seit vier Jahren verloren. höre ich in diesem Hause bei jeder Afghanistan-Debatte: ( [SPD]: Sie sind peinlich!) Ende 2014 wird die Bundeswehr abgezogen, Ende 2014 wird der letzte Bundeswehrsoldat Afghanistan verlassen Zehntausende Afghaninnen und Afghanen und Tau- haben. – Und was werden Sie in wenigen Minuten ma- sende internationale Soldaten und Entwicklungshelfer chen? Sie werden weitere 850 deutsche Bundeswehrsol- sind dort gestorben, und ich finde, wir sollten uns aus datinnen und -soldaten für weitere ein bis zwei Jahre diesem Anlass jetzt einen kleinen Moment des Innehal- nach Afghanistan schicken. Das ist einfach das Gegen- tens gönnen teil von einem Abzug. (Dagmar Ziegler [SPD]: Aber nicht bei Ihnen, (Beifall bei der LINKEN – Henning Otte nicht für die Polemik von Ihnen! [CDU/CSU]: Das stimmt doch auch wieder nicht! Das, was Sie sagen, stimmt doch gar und allen Opfern dieses Krieges gedenken, und zwar nicht! – Michael Brand [CDU/CSU]: Das ist egal welcher Nation. so etwas von gelogen!) (Beifall bei der LINKEN – Katja Kipping Es ist vorprogrammiert, dass dort im nächsten Jahr [DIE LINKE]: Das ist echt peinlich! – Dagmar auch deutsche Bundeswehrsoldaten in Kämpfe verwi- Ziegler [SPD]: Schämen Sie sich! Dass über- ckelt werden. Dazu müssen Sie endlich stehen. Nennen haupt noch jemand für Sie klatscht, ist beschä- Sie einen Krieg einen Krieg, und ziehen Sie endlich die mend! – Rainer Arnold [SPD]: Das ist un- deutschen Soldaten aus diesem Krieg ab! glaublich!) (Beifall bei der LINKEN) – Sie rufen hier herein: „Das ist unglaublich!“ Wissen Sie, was ich unglaublich finde? Ich finde es unglaublich, An einem Punkt finde ich Ihre Unehrlichkeit richtig dass keiner von Ihnen, keiner aus der SPD-Fraktion, kei- beschämend. ner aus der CDU/CSU-Fraktion und auch Frau von der (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie sind beschä- Leyen nicht, es für nötig befindet, auch nur ein einziges mend!) Wort des Gedenkens über die afghanischen Opfer zu sa- gen. Sie haben all den Afghaninnen und Afghanen, die in den letzten 13 Jahren für Deutschland, für die Bundeswehr, (Dagmar Ziegler [SPD]: Woher wollen Sie das für die NATO, für die ISAF und für deutsche Entwick- denn wissen?) 7274 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Jan van Aken (A) Dort sind sehr viele Menschen gestorben, und Sie gehen (Zuruf des Abg. Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/ (C) einfach darüber hinweg. Das geht überhaupt nicht. Ich DIE GRÜNEN]) finde das beschämend für dieses Haus. Auch Sie haben zugestimmt, Herr Omnipour. (Rainer Arnold [SPD]: Lesen Sie einmal die (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Protokolle!) NEN]: Ich heiße Nouripour!) – Ich habe alle Protokolle gelesen, Herr Arnold. Auch Sie sind mit daran schuld, wenn in diesen Tagen (Rainer Arnold [SPD]: Dann wüssten Sie es! – immer wieder junge Menschen den Terroristen in die Dagmar Ziegler [SPD]: Lesen allein reicht Hände getrieben werden. nicht! Verstehen!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr Arnold, Sie haben der deutschen Soldaten ge- Herr van Aken, Sie müssen zum Schluss kommen. dacht. Das finde ich richtig. Das tun wir auch. Sie haben die Zeit weit überschritten.

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Herr van Aken, lassen Sie eine weitere Zwischenfrage SPD) zu? Jan van Aken (DIE LINKE): Jan van Aken (DIE LINKE): Wurde die Uhr angehalten? Ja. – Herr Arnold, ich erwarte von Ihnen, dass Sie dann auch der Opfer der deutschen Soldaten gedenken, Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: nicht nur der Opfer unter den deutschen Soldaten. Das habe ich schon dazugelegt. (Beifall bei der LINKEN) Jan van Aken (DIE LINKE): Die Zwischenfrage lasse ich zu. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland keine Waffen mehr exportieren sollte. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: (Beifall bei der LINKEN) Herr Kollege, Sie haben das Wort. Waffenexporte finden wir als Linke genauso falsch wie den Krieg in Afghanistan. Wir werden genauso weiter (B) Henning Otte (CDU/CSU): dagegen kämpfen wie gegen Ihren Krieg in Afghanistan. (D) Herr van Aken, wollen Sie zur Kenntnis nehmen, dass der internationale Einsatz auf Bitten der afghanischen (Beifall bei der LINKEN) Regierung stattgefunden hat? Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Herr Sarrazin, wünschen Sie eine Kurzintervention?

Jan van Aken (DIE LINKE): Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja. Das nehme ich zur Kenntnis. Ich nehme auch zur Verehrter Herr Kollege van Aken, ich schätze Sie per- Kenntnis, dass der internationale Einsatz damit angefan- sönlich sehr. gen hat, dass, bevor der Bundeswehr- und der ISAF-Ein- satz angefangen haben, die US-Armee einen völker- (Zurufe von der CDU/CSU) rechtswidrigen Krieg in Afghanistan geführt hat. So fing – Im persönlichen Umgang ist er eigentlich ein sehr Net- das Ganze an. ter. (Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben in der letzten Sitzungswoche eine Debatte Blödsinn!) geführt, in der Sie den Herrn Außenminister beschuldigt Dann wurde Ende 2001 zur Unterstützung von Kabul die haben – ich gebe das wieder –, er sei mitschuldig an den internationale Mission zum Aufbau beschlossen. Aber Toten im Mittelmeer. einen internationalen Beschluss zum Kriegführen gegen (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE die Afghaninnen und Afghanen hat es nie gegeben. Da GRÜNEN]: Nein, schuldig!) haben Sie sich mitschuldig gemacht, auch Sie, Herr Otte. Jetzt sagen Sie: Alle, die in den letzten 13 Jahren im (Beifall bei der LINKEN – Cem Özdemir Bundestag gesessen haben, seien mitschuldig an den To- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt einen ten in Afghanistan. VN-Beschluss!) Ich möchte feststellen, dass es auch Abgeordnete im Ich kann ja verstehen, dass Sie das nicht hören wol- Deutschen Bundestag gibt, die das immer abgelehnt ha- len. Ich kann ja verstehen, dass Sie sich aufregen; denn ben. Vielleicht sind sie aus Ihrer Sicht auch mitschuldig Sie alle haben in den letzten 13 Jahren den Arm geho- an den Toten in Afghanistan. Ich möchte für mich und ben. Sie alle haben zugestimmt, dass die NATO dort für alle meine Kollegen zurückweisen, dass uns persön- Krieg führt gegen die Menschen in Afghanistan. liche Schuld trifft. Außerdem bitte ich Sie, nicht in jeder Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7275

Manuel Sarrazin (A) Sitzungswoche irgendwelche persönlichen Schuldzu- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem (C) weisungen zu machen. Ich kann das nicht mehr ertragen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Danke. Jetzt erteile ich dem Kollegen Niels Annen das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der der CDU/CSU) CDU/CSU) Niels Annen (SPD): Jan van Aken (DIE LINKE): Vielen Dank, Frau Präsidentin, auch für diese, wie ich Ich würde einem Christian Ströbele nie vorwerfen, finde, zutreffenden und richtigen Worte. Nach dem Ver- dass er persönlich mitschuldig an Toten in Afghanistan lauf einer solchen Debatte ist man ein wenig ratlos, wie ist. Ich habe das eben auch nicht gesagt. es gelingen soll, die Diskussion wieder auf die Men- schen zu richten, um die es geht, nämlich um die Men- (Dagmar Ziegler [SPD]: Doch! Eindeutig!) schen in Afghanistan. Ich habe in der vergangenen Woche auch nicht zu Herrn (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem Steinmeier gesagt, er sei schuld an Toten in Afghanistan. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister: Ich glaube, eines kann man Ihnen zugestehen, Herr Natürlich! Lesen Sie doch nach!) van Aken: Ihnen und Ihrer Fraktion gelingt es seit Ich habe wörtlich gesagt – lesen Sie es nach –: Sie haben 13 Jahren, mit gezielten Provokationen eine sachliche eine Mitschuld. – Auch das habe ich damals begründet. Debatte über die differenzierte Lage in Afghanistan zu Ich habe „Mitschuld“ gesagt. Das ist ein ganz großer verhindern. Unterschied. Schuld ist etwas anderes. Mitschuld haben (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie Sie in dem Moment, in dem Sie bestimmte Hilfeleistun- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE gen verweigern. Wenn jemand ertrinkt, dann hat derje- GRÜNEN) nige, der eine Hilfeleistung verweigert, Mitschuld. Das ist erst einmal ein Faktum, noch gar kein Vorwurf. Deswegen kann ich jetzt meine Redezeit darauf verwen- den, darauf hinzuweisen – das will ich auch gerne tun –, (Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister: dass der Krieg, den nicht nur die Amerikaner, sondern Das ist eine Frechheit!) auch wir und eine internationale Gemeinschaft, die ISAF, geführt haben, auf der Grundlage einer UN-Reso- (B) Genauso ist es ein Faktum, dass all diejenigen, die (D) hier im Bundestag für den Einsatz der Bundeswehr in lution geführt worden ist und damit keineswegs völker- Afghanistan gestimmt haben, natürlich auch eine Mit- rechtswidrig gewesen ist. Das ist übrigens genau das, schuld an der Verlängerung des Krieges dort haben, ja, was Ihre Fraktion immer einfordert, nämlich internatio- dazu stehe ich, aber natürlich nicht die, die dagegen ge- nales Recht nicht nur einzuhalten, sondern auch durch- stimmt haben: Herr Ströbele nicht, Herr Gysi nicht, ich zusetzen. persönlich auch nicht. Nein, das weise ich von mir. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) [CDU/CSU]: Abtritt!) Trotzdem will ich mich nicht von Ihnen davon abhal- ten lassen, heute über Afghanistan zu reden. Es ist näm- Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: lich eine wichtige Debatte, und es ist auch eine Zäsur. Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass es nicht parla- Denn es geht eine Epoche zu Ende. ISAF endet am mentarischem Gebrauch, aber auch nicht der Sache ent- 31. Dezember dieses Jahres. Es war in der Tat – ich spricht, wenn hier Kolleginnen und Kollegen, egal ob sie glaube, das zeigen auch die Debatten, die wir in diesem der Bundesregierung oder dem Parlament angehören, die Hause geführt haben – ein schwerer Einsatz. Niemand Schuld oder Mitschuld am Tod anderer Menschen vorge- hier – keine Fraktion und kein Abgeordneter, den ich worfen wird. kenne – hat es sich über diese Jahre leicht gemacht, we- der mit der Zustimmung noch, wenn es denn der Fall (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie war, mit einer Ablehnung oder einer Enthaltung. Es war bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE niemals eine einfache Entscheidung. Ich glaube, das ist GRÜNEN) auch der Grund, weswegen gerade die Menschen in Af- Das überschreitet die Grenzen der politischen Auseinan- ghanistan bis heute ein großes Interesse an diesem Ein- dersetzung. Ich bitte wirklich darum, dass wir in der satz haben und ihn unterstützen. politischen Auseinandersetzung sehr sorgfältig abwägen, Ich möchte mich dem Dank der Ministerin an die Sol- (Zurufe von der LINKEN) datinnen und Soldaten, die Diplomatinnen und Diploma- ten und die Entwicklungshelferinnen und Entwicklungs- welche Begriffe und welche Worte auch in schwierigen helfer ausdrücklich anschließen, und ich will auch die politischen Debatten benutzt werden. Das sind wir uns Angehörigen in diesen Dank miteinbeziehen. Denn auch und dem Ansehen des Parlaments schuldig. Das sind wir sie haben einen großen Beitrag zu diesem Einsatz geleis- aber auch den Menschen in Afghanistan schuldig. tet, und wir müssen an dieser Stelle auch an sie denken. 7276 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Niels Annen (A) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem lung im Nahen Osten und insbesondere über ISIS disku- (C) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tiert. Man muss doch einmal zur Kenntnis nehmen, dass überall, beispielsweise in Nordafrika und in der Region, Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir blicken zurück über die wir heute diskutieren, ISIS-Zellen Stück für auf einen Einsatz, in dem nicht alles gut war und in dem Stück Al-Qaida-Zellen übernommen haben und in Pakis- wir auch Fehler gemacht haben. In vielerlei Hinsicht war tan aktiv rekrutieren. unser Land auf diesen Einsatz nicht vorbereitet. Aber deswegen ISAF und den Einsatz der internationalen Ge- Wenn die internationale Gemeinschaft den Fehler meinschaft als komplett gescheitert zu bezeichnen, ist, wiederholen sollte, den sie schon einmal nach dem Ab- glaube ich, der Sache nicht angemessen. zug der Sowjets gemacht hat, nämlich sich von Afgha- nistan abzuwenden, dann sage ich Ihnen voraus, Herr (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie van Aken, dass wir hier noch viel häufiger über Afgha- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE nistan diskutieren werden, als Ihnen und uns das recht GRÜNEN – [DIE LINKE]: sein kann. Mit der Tatsache, dass wir heute über ein Ist er aber!) Nachfolgemandat diskutieren und es auf den Weg brin- Letzten Endes kann man die Lage in Afghanistan gen, senden wir zugleich die Botschaft an die Menschen nicht in Schwarz oder Weiß zeichnen. Das wird keinem in Afghanistan: Wir jedenfalls werden diesen Fehler Land gerecht, und gerade dem Land, über das wir reden, nicht wiederholen. Wir lassen euch bei eurer Entwick- nicht. Wir haben in den letzten Wochen wirkliche Fort- lung nicht alleine. schritte erlebt. Afghanistan hat den ersten demokrati- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie schen Regierungswechsel in der Geschichte des Landes des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE erlebt. Ist er ohne Makel gewesen? Nein, selbstverständ- GRÜNEN]) lich nicht. Aber es hat – darauf muss man hinweisen – einen Regierungswechsel gegeben, bei dem der Präsi- Es stimmt, die Ziele in Afghanistan waren hochge- dent, der amtierende Machthaber, nicht nur die Macht steckt. Vermutlich waren sie zu hoch angesetzt. Ich habe abgegeben hat, sondern auch im Land geblieben ist, und bereits darauf hingewiesen: Die Sicherheitslage ist ins- zwar unversehrt und bei bester Gesundheit. Das klingt gesamt gesehen weiterhin nicht gut. Es gibt genügend für uns ganz normal. Aber es ist für Afghanistan eine Konflikte, mit denen wir uns weiterhin auseinanderset- einmalige Situation gewesen, und wir haben dazu bei- zen müssen. Afghanistan ist weiterhin eines der ärmsten getragen. Darauf können wir stolz sein. Länder der Welt. Es gibt Korruption. Der Drogenanbau ist nicht eingedämmt. Gewalt gegen Frauen gehört wei- Wir können vor allem darauf stolz sein, dass es die af- terhin zum Alltag. Ja, all das ist Realität. Aber wir leug- (B) ghanischen Sicherheitskräfte waren, die mit unserer Un- nen diese Realität nicht. Ich frage mich manchmal, wo (D) terstützung diesen Wahlgang möglich gemacht und dazu Sie eigentlich die letzten Jahre gewesen sind, meine beigetragen haben, einen Teil einer demokratischen Kul- Damen und Herren von der Linken, als hier über Afgha- tur zu etablieren. Das kann man an dieser Stelle auch nistan diskutiert wurde. einmal sagen, Herr van Aken. Ich glaube, dabei fällt Ih- nen kein Zacken aus der Krone. (Zuruf von der LINKEN: Wir haben Ihnen zu- gehört!) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE Bedauerlicherweise ist es immer nur der negative Teil GRÜNEN]) der Bilanz, den Sie heranziehen. Ich finde es wirklich bedauerlich, dass Afghanistan in unserer Debatte eigent- Ja, es ist richtig: Die Sicherheitslage ist nicht zufrieden- lich zu einer Art Projektionsfläche für eine innenpoliti- stellend. Und ja, es ist richtig: Es wird in Afghanistan sche Diskussion über Pazifismus, Militarismus und vie- gekämpft, fast jeden Tag. Es gibt weiterhin Anschläge, les mehr, über das man legitimerweise diskutieren kann, Unsicherheit und Terrorismus, die das Land nicht zur geworden ist. Lassen Sie uns darüber diskutieren, aber Ruhe kommen lassen. deswegen nicht die Augen vor der Wirklichkeit in Af- Dennoch halten wir Wort, meine sehr verehrten Da- ghanistan verschließen! Das wäre der falsche Weg. Wir men und Herren: Der Kampfeinsatz am Hindukusch en- brauchen eine realistische Debatte. Diese können wir det. Für mich ist das eine Gelegenheit, ein wenig Bilanz auch heute führen. zu ziehen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie (Zuruf von der LINKEN: Dann mal los!) des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es ist doch so, dass der eine oder andere diesen Einsatz mit der Jahreszahl 2014 schon fast ein wenig abgehakt Zur Realität gehört auch: Die afghanische Gesell- hat, nach dem Motto „Afghanistan 2014: ISAF endet – schaft ist heute eine andere. Sie ist freier, pluraler und Endlich sind wir dieses Problem los“. gebildeter. Es gibt eine lebendige Zivilgesellschaft in Afghanistan, die sich zu Wort meldet. Wollen wir alle Ich glaube, das wäre der falsche Ansatz. Wir sollten diese Menschen alleinelassen? Das kann ich mir nicht nicht den Fehler machen, die Bedeutung Afghanistans vorstellen. Es gibt in Afghanistan eine Medienland- für die Region, aber auch für den Weltfrieden insgesamt schaft, die ihresgleichen in der Region sucht; darüber ha- zu unterschätzen. Wir haben in diesem Hause in den ben wir schon gesprochen. 40 Prozent der Kinder, die in letzten Wochen und Monaten häufig über die Entwick- Afghanistan zur Schule gehen, sind Mädchen. Das hat Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7277

Niels Annen (A) auch etwas mit der Arbeit von ISAF in den letzten Jah- eingesetzt hat, dass es diese Sicherheitsratsresolution (C) ren zu tun. Das wird von einem Teil der Opposition auch gibt und dass wir auf dieser Grundlage hier heute ent- anerkannt; darüber freue ich mich. Ich habe das in Ihrem scheiden können. Entschließungsantrag gelesen, liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen. Ich bin aber ent- (Beifall des Abg. Dr. Rolf Mützenich [SPD]) täuscht darüber, dass die Mehrheit Ihrer Fraktion, wie zu Ich glaube, man kann auf eines doch einmal hinwei- hören ist, heute gegen dieses Mandat stimmen wird. Wir sen: Afghanistan – man mag es kaum glauben – war sind diesen Weg gemeinsam gegangen, als es schwie- einst ein friedliches und ein lebenswertes Land. Bis rigste Entscheidungen zu treffen galt. Dass es ausgerech- heute erinnern sich viele Afghanen an diese Zeit, eine net jetzt, wo es um eine Ausbildungsmission geht, mit Zeit, in der Afghanistan freundschaftliche Beziehungen dieser Gemeinsamkeit vorbei sein soll, bedauere ich au- zu Deutschland unterhalten hat. Ich finde, auch wir soll- ßerordentlich. ten uns an diese Zeit erinnern. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Herzlichen Dank. CDU/CSU – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wenn es eine wäre, wäre es (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie gut!) bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ISAF war eine außergewöhnliche Mission, die auch Todesopfer gefordert hat. Die Zusammenstellung, die Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Dauer und die Truppenstärke, all das war kompliziert. Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Tom Koenigs Diese Mission hat zu wichtigen Ergebnissen geführt, das Wort. aber auch zu Problemen. Das Verhältnis von ISAF zu OEF war mehr durch ein Gegeneinander als durch ein Miteinander geprägt. Meine Fraktion hat großen Wert Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): darauf gelegt, dass die zweite Mission, in deren Rahmen Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und der Antiterrorkrieg geführt wurde, beendet wurde. In Herren! Ich kann bei Herrn Annen gleich anknüpfen: Ja, diesem Zusammenhang möchte ich an die gestrige Dis- wir brauchen einen langen Atem, und wir brauchen ei- kussion über den Bericht des Kongresses zu den Folter- nen kühlen Kopf; denn Afghanistan braucht uns noch methoden erinnern, die auch in Afghanistan angewendet viele Jahre, braucht unsere Unterstützung. Wir haben wurden. Das hat auch unserem Ansehen großen Schaden Unterstützung in Höhe von 430 Millionen Euro für die zugefügt. Wir haben also genügend Gründe, kritisch und nächsten Jahre zugesagt. Ich würde mir wünschen: auch (B) selbstkritisch auf diese Jahre zurückzublicken. Ich darüber hinaus. Ich würde mir auch wünschen, wir könn- (D) glaube, dass wir das immer getan haben. ten die 280 Millionen Euro, die die Resolute Support Mission kostet, auch für zivile Projekte verwenden. Es war aus meiner Sicht ebenfalls ein Fehler, dass wir es nicht vermocht haben, zu Beginn des Prozesses alle (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Konfliktparteien und Akteure an einen Tisch zu bekom- SES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LIN- men. Es hat Jahre gedauert, bis sich die Erkenntnis KEN) durchgesetzt hat, dass man auch mit den Taliban wird Denn wir haben die Verantwortung für die Sicherheit verhandeln müssen. Es hat zu lange gedauert, bis sich an die afghanischen Sicherheitskräfte abgegeben. Die die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass man die regionalen nehmen diese Verantwortung jetzt wahr. Und da, wo wir Mächte an einen Tisch bekommen muss, nicht nur jetzt mit zivilen Projekten arbeiten, wird sie auch nur Pakistan, sondern auch den Iran. Das ist leider immer von denen garantiert und nicht von Kräften der Resolute wieder – auch am Widerstand der Vereinigten Staaten Support Mission. von Amerika – gescheitert. Daran müssen wir jetzt wei- ter politisch arbeiten. Ich glaube, man kann heute sagen: (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Deutschland wird sich weiter seiner Verantwortung für SES 90/DIE GRÜNEN) eine gute Entwicklung in Afghanistan stellen. Die Afghanen brauchen unsere Unterstützung und un- Es gibt auch einige Lehren, die wir miteinander zie- sere Projekte, aber als Softpower, nicht als militärische hen müssen. Wir reden über die Frage, ob Afghanistan Kraft, nicht mehr als militärische Kraft. ISAF ist zu eine Chance hat. Eine Garantie gibt es dafür nicht. Aber Ende. Dieses ist kein Fortsetzungsmandat, sondern die- die neue afghanische Regierung bemüht sich zumindest, ses ist ein neues Mandat, ein neues Mandat ohne abseh- die Fehler, die zum Beispiel Herr al-Maliki im Irak ge- bares Ende. Man weiß nicht, wo das hingeht. Das erin- macht hat, nicht zu wiederholen, und versucht, alle ge- nert uns an die Jahre 2002/2003. Da war das auch kein sellschaftlichen Gruppierungen mit einzubeziehen. Wir Kampfmandat, kein Kriegsmandat. Wo geht das hin? unterstützen sie dabei. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Genau, wo geht das hin?) Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch das kann man an dieser Stelle einmal sagen: Es gibt eine Sicherheits- Der letzten Mission, ISAF, haben viele von unserer ratsresolution, die die Resolute Support Mission unter- Fraktion zugestimmt, weil es das Exitmandat war, es stützt. Ich bin unserem Außenminister sehr dankbar da- eine Exitstrategie gab. Die gibt es hier leider nicht. Hier für, dass er sich wiederholt und unermüdlich dafür gibt es keine Beschränkung. 7278 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Tom Koenigs (A) Jetzt heißt es immer, das sei aber ein Ausbildungs- schuss befasste das; immer wieder haben wir uns darum (C) mandat, als ob man dann auch schnell weg könnte. Die gekümmert. Es gab sogar einen General der ISAF, Ausbildung ist aber der allerkleinste Teil. Es werden McChrystal, der das für kurze Zeit ganz ins Zentrum – wenn man genau hinsieht, stellt man das fest – nur gerückt hat. Das ist eine politisch immens wichtige Ge- 100 Leute zur Ausbildung verwendet, davon 40 zur Aus- schichte, die wir nicht einfach außen vor lassen wollen. bildung der Polizei. Jeder weiß, dass die Polizei besser Aus diesem und aus vielen anderen Gründen hat sich durch die Polizei ausgebildet wird. die Mehrheit unserer Fraktion entschlossen, diesem (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ Mandat nicht zuzustimmen. Es gibt Einzelne, die aus DIE GRÜNEN und der LINKEN) Gewissensgründen sagen: Wir stimmen dennoch zu. – Ich respektiere das sehr, weil ich lange Zeit in der Posi- Dafür haben wir EUPOL, für die wir dringend Leute tion war, nur mit umgekehrter Konnotation. brauchen. Dafür haben wir das deutsche Polizeiprojekt GPPT, das auch zusätzliche Leute brauchen könnte. Für Letzten Endes glaube ich, dass diese Mission zur Si- die 50 Militärausbilder, die wir dann vielleicht noch cherheit in Afghanistan nichts beitragen wird, brauchen, könnte man ein ganz anderes Mandat konzi- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) pieren. Wir werden im Januar über so ein Mandat, ein kleines Ausbildungsmandat, für die Peschmerga disku- dass sie für die symbolische Präsenz die falschen Signale tieren. gibt. Ich möchte, dass wir als Softpower in Afghanistan engagiert bleiben, mit 430 Millionen Euro und am bes- In Wirklichkeit geht es um etwas anderes – das steht ten auch den 280 Millionen Euro jährlich, die Sie für das auch in dem Mandat –, nämlich um die Aufrechterhal- Militär brauchen, für ziviles Engagement. tung des Camp Marmal, des Riesenmilitärstützpunktes im Norden Afghanistans. Nun haben die Vereinigten Danke sehr. Staaten ein Konzept der Stützpunkte, die sie aus geopoli- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ tischen Gründen dort brauchen. Wir brauchen die nicht. DIE GRÜNEN und der LINKEN) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Dr. Andreas Nick das Wort. Wir sind auch nicht Teil dieser geopolitischen Strate- gie. Aber in dem Mandat steht, dass wir das durch den (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Betrieb des Flughafens unterstützen. Was? Special Ope- der SPD) rations, die wir nicht wünschen. Drohnen? Vielleicht (B) (D) auch. Capture-and-kill-Aktionen? Es steht in der Verein- Dr. Andreas Nick (CDU/CSU): barung sowohl der Amerikaner als auch der NATO mit Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! den Afghanen, dass das nicht passiert. Passiert aber Fast auf den Tag genau 13 Jahre nach dem Petersberger doch. Stand immer drin – passiert aber doch, wird auch Abkommen geht die Entwicklung Afghanistans in eine weiter passieren. Und natürlich CIA. Wollen wir da mit- entscheidende neue Phase. Im Rahmen der beendeten helfen? Wenn die Amerikaner das unbedingt brauchen, ISAF-Mission war die Bundeswehr mit insgesamt warum betreiben sie dann diesen Stützpunkt nicht zu- 135 000 Einsätzen in Afghanistan beteiligt, darunter sammen mit den Afghanen? Warum müssen wir da noch auch das Lazarettregiment 21 aus Rennerod in meinem der Pudel sein, der das macht? Wahlkreis. Unser Dank gilt deshalb zuerst allen Solda- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- tinnen und Soldaten der Bundeswehr, den Mitgliedern SES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – der Bundespolizei, den zivilen Mitarbeitern und ihren Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ja, warum?) Angehörigen; denn ohne sie und ihr unermüdliches En- gagement stünde Afghanistan heute nicht dort, wo es ist. Ich möchte einen letzten Punkt anführen. Im Jahre 2007, als sich der Konflikt verschärfte und wir zu Recht (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) von Krieg gesprochen haben, haben wir uns – „wir“ war Natürlich denken wir dabei besonders an die 55 Solda- damals auch ich in der zivilen Mission der Vereinten ten, die in diesem Einsatz ihr Leben verloren haben. Nationen UNAMA – darum gekümmert, dass etwas ge- gen die Kollateralschäden, gegen die zivilen Opfer von Nach 13 Jahren bleibt festzuhalten: Wir haben dieses kriegerischen Auseinandersetzungen, gemacht wird, Land und seine Menschen weder dem Chaos noch der dass darauf geachtet wird, dass darüber berichtet wird, Schreckensherrschaft der Taliban überlassen. Wenn die dass daran zusammen gearbeitet wird. Linke in ihrem Entschließungsantrag heute so tut, als sei der ISAF-Einsatz die Ursache aller Probleme in Afgha- Das ist dann natürlich in das Mandat von UNAMA nistan, dann zeigt das nicht nur einmal mehr ihre Wirk- eingeflossen, aber auch in das Mandat von ISAF. In dem lichkeitsverweigerung und ideologische Verblendung, Mandat für die Resolute Support Mission vom UN- sondern es ist auch eine unerträgliche Herabsetzung un- Sicherheitsrat findet sich davon nichts mehr. Darin gibt serer Soldaten. es keine Zusammenarbeit mit der zivilen Mission der (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vereinten Nationen und auch keinen Fokus auf das, wo- rüber wir doch so viel geredet haben, Stichwort „Kolla- Wir schulden allen, die sich für das Land engagiert teralschäden“. Den ganzen Kunduz-Untersuchungsaus- und eingesetzt haben, dass Afghanistan mit dem Ende Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7279

Dr. Andreas Nick (A) von ISAF nicht erneut ins Chaos zurückfällt. Die Ent- dernisse künftiger Missionen unseren Bürgerinnen und (C) wicklung im Irak hat uns doch gerade gezeigt, welche Bürgern plausibel zu vermitteln. Bei diesen Aufgaben Folgen ein allzu übereilter Abzug aus der Verantwortung kann und muss der Prozess zur Erstellung eines neuen haben kann. Weißbuchs einen wichtigen Beitrag leisten. Es ist schon darauf hingewiesen worden: Erstmals hat Gestatten Sie mir ein persönliches Wort zum Schluss. in diesem Jahr eine demokratisch gewählte Regierung in Ursprünglich war ich heute nicht als Redner in dieser Kabul die Verantwortung für das Land – bei allen damit Debatte vorgesehen; verbundenen Schwierigkeiten – an eine ebenfalls demo- (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Das merkt kratisch gewählte Nachfolgeregierung übergeben. 2015 man!) beginnt eine neue Dekade der Transformation in Afgha- nistan mit dem eindeutigen Schwerpunkt auf zivilen und denn eigentlich hätte für meine Fraktion unser geschätz- entwicklungspolitischen Zielen. Das heißt auch: Die ter Freund und Kollege Andreas Schockenhoff hier ste- afghanischen Sicherheitskräfte müssen die Verantwor- hen sollen. Auch in den Fragen unseres Engagements in tung für die Sicherheit im Land künftig selbst überneh- und für Afghanistan hat er die außenpolitische Debatte men. Dabei werden wir sie aber auch in Zukunft unter- in Deutschland maßgeblich mitgeprägt. Seinem enga- stützen. Die militärische Nachfolgemission Resolute gierten Wirken in dieser Frage bleiben wir auch mit un- Support ist deshalb auch kein Kampfeinsatz mehr, son- serer heutigen Entscheidung verpflichtet. dern im Kern eine unterstützende Ausbildungs- und Vielen Dank. Trainingsmission. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Aber täuschen wir uns nicht: Wir werden in Afghanis- der Abg. Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE tan einen langen Atem brauchen, damit dort der Über- GRÜNEN] und Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/ gang hin zu einem langfristig stabilisierten Staat gelin- DIE GRÜNEN]) gen kann. Dazu gehört auch verstärktes wirtschaftliches Engagement für dieses Land. 65 Prozent der Bevölke- rung in Afghanistan sind unter 25 Jahre alt. Diese jungen Vizepräsidentin Petra Pau: Menschen brauchen für ihr Leben auch eine persönliche Das Wort hat der Kollege Florian Hahn für die CDU/ und berufliche Perspektive in ihrer Heimat. Wahr ist CSU-Fraktion. auch, dass 80 Prozent des afghanischen Staatshaushaltes (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- heute noch von der internationalen Gemeinschaft finan- neten der SPD) ziert werden, ein dauerhaft nicht haltbarer Zustand. (B) Unser Engagement in Afghanistan hat aber auch Be- Florian Hahn (CDU/CSU): (D) deutung über das Land hinaus; denn eine erneute Desta- Sehr geehrte Präsidentin! Lieber Andreas! Liebe Kol- bilisierung hätte unmittelbare Konsequenzen für die ge- leginnen und Kollegen! So kurz vor Weihnachten fällt samte Region, vor allem für das Nachbarland Pakistan. leider der Rückblick auf das Jahr 2014, zumindest au- Der Bürgerkrieg in Syrien hat uns doch gezeigt, wie illu- ßen- und sicherheitspolitisch, nicht so aus, wie wir uns sorisch die Vorstellung ist, solche Konflikte auf ein Land das am Anfang des Jahres vorgestellt bzw. gewünscht begrenzen und in ihren Auswirkungen isolieren zu kön- haben. Das nun fast vergangene Jahr ist gekennzeichnet nen. Der am Dienstag verübte menschenverachtende von einer deutliche Zunahme internationaler Konflikte, Anschlag auf eine pakistanische Schule in Peschawar dem reihenweisen Zerfall von staatlichen Strukturen, is- zeigt im Übrigen eindringlich, wie akut die Bedrohungs- lamistischem Terror und unvorstellbaren Flüchtlings- lage in der gesamten Region weiterhin ist. strömen. Auch für uns in Deutschland gilt: Die Erfahrungen in Neben der besorgniserregenden Krise mit der Russi- Afghanistan haben unsere Sichtweise auf militärische schen Föderation und dem anhaltenden Bürgerkrieg in Auslandseinsätze nachhaltig verändert. Es ist richtig: Syrien verbreitet vor allem die Terrororganisation „Isla- Militäreinsätze allein beseitigen keine Konflikte, aber mischer Staat“ Gewalt und Schrecken in barbarischem der militärische Beitrag ist dort zentral, wo es zunächst Ausmaß. Die vielerorts enttäuschten Hoffnungen des einmal darum geht, Sicherheit wiederherzustellen oder Arabischen Frühlings, vor allem die verheerende Lage in zu gewährleisten sowie lokale Sicherheitskräfte auszu- Libyen und in der Sahelzone, zeigen uns, welche großen bilden. Aber dauerhaft werden sich Konfliktursachen Gefahren das Versinken ganzer Regionen in Chaos und nur mit einem breiten Ansatz von nachhaltiger Entwick- Anarchie auch für uns in Deutschland und in Europa mit lung, vernetzter Sicherheit und ziviler Krisenprävention sich bringt. erfolgreich beseitigen lassen. Angesichts dieser Entwicklungen, die uns in vielerlei Zur politischen Bewertung gehört daher auch eine Hinsicht auch direkt betreffen, ist es heute gar keine kritische Überprüfung, was die verschiedenen Einsätze Frage mehr, ob wir mehr Verantwortung in der Welt gebracht haben und was man für die Zukunft daraus ler- übernehmen sollen und wollen. Wir müssen es, und wir nen kann – bei der Zieldefinition ebenso wie bei der Ge- tun es bereits. Gemeinsam mit unseren Partnern ist deut- wichtung der eingesetzten Instrumente. Damit schaffen sche Diplomatie, deutsche humanitäre Hilfe und Ent- wir auch die notwendige Grundlage für eine ausreichende wicklungshilfe sowie der Einsatz deutscher Sicherheits- strategische Tiefe bei möglichen künftigen Einsätzen. Nur kräfte notwendiger denn je. Deutschland geht dabei so werden wir es auch erreichen, die strategischen Erfor- besonnen und konsequent mit diesen vielen Herausfor- 7280 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Florian Hahn (A) derungen um. Das ist Bundeskanzlerin Merkel und ihren len Jahren – herrscht jetzt große Verwirrung: Ja – Nein – (C) Ministern Ursula von der Leyen, Gerd Müller und Enthaltung. Das ist kein sehr souveräner Auftritt und Frank-Walter Steinmeier zu verdanken. Dafür möchte zeichnet kein sehr souveränes Bild bei einer solch wich- ich ihnen an dieser Stelle ausdrücklich danken. tigen Frage. Ein großer Teil von Ihnen möchte offen- sichtlich so schnell wie möglich raus aus Afghanistan, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- koste es, was es wolle. neten der SPD) (Zuruf der Abg. Claudia Roth [Augsburg] Mittlerweile gibt es allerdings so viele Konfliktherde, [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) dass unser größter Einsatz in den letzten Monaten in der Öffentlichkeit fast in Vergessenheit geraten ist: Das ist Was ein überstürzter Totalabzug aber kosten würde, ist unser Einsatz in Afghanistan. Hier übernehmen wir be- klar: Ein zweiter Irak wäre möglicherweise die Folge. reits seit 13 Jahren Verantwortung in großem Umfang. Unsere Soldatinnen und Soldaten haben einen außeror- Ich fordere die Kolleginnen und Kollegen von den dentlichen Beitrag für das afghanische Volk geleistet und Grünen auf: Stehlen Sie sich nicht aus der Verantwor- sich für die Stabilisierung dieses Landes eingesetzt, da- tung für Afghanistan! Hören Sie lieber auf Ihren Partei- mit eben Unterdrückung aufhört, damit das Sterben auf- chef Özdemir, der in der taz mit folgenden Worten zitiert hört. Das ist auch Ziel unseres Einsatzes. wird: Wir haben dabei 55 Soldaten verloren. Viele sind „Es gibt nicht nur eine Verantwortung, wenn man traumatisiert aus dem Einsatz zurückgekehrt. Längst ist reingeht, sondern auch beim Rausgehen.“ Und: Af- klar, dass es sich in Afghanistan keineswegs um eine un- ghanistan dürfe nicht „zum neuen Irak werden.“ gefährliche Mission handelte. Ich möchte unseren Solda- Recht hat er an dieser Stelle. tinnen und Soldaten und auch allen zivilen Helferinnen und Helfern deshalb an dieser Stelle für ihren Einsatz Ich bitte Sie um Zustimmung zu diesem Mandat. noch einmal ausdrücklich danken. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) neten der SPD) Der Einsatz war bisher nicht umsonst. Heute konnte Vizepräsidentin Petra Pau: beispielsweise durch die afghanischen Sicherheitskräfte, Ich schließe die Aussprache. die wir ja ausgebildet haben, ein 13-jähriger Selbstmord- attentäter gestellt und verhindert werden, dass er den Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- (B) Selbstmord vollzieht und die Bombe zündet – dank un- empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksa- (D) serer Ausbildung! Mehr Menschen als jemals zuvor ha- che 18/3583 zu dem Antrag der Bundesregierung zur ben heute Zugang zu Wasser und zu Strom, zu ärztlicher Entsendung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Betei- Versorgung und zu Bildung. Diese Erfolge wollen und ligung am NATO-geführten Einsatz Resolute Support dürfen wir nicht einfach vom Tisch wischen. Mission für die Ausbildung, Beratung und Unterstüt- zung der afghanischen nationalen Sicherheitskräfte in Zu einer ehrlichen Bilanz gehört es auch, sich einzu- Afghanistan. gestehen, dass nicht alles optimal war. Natürlich haben wir auch Fehler gemacht. Aus diesen Fehlern haben wir Mir liegen eine Reihe von Erklärungen zur Abstim- bereits gelernt. Mittlerweile haben wir beispielsweise mung gemäß § 31 unserer Geschäftsordnung vor. Ent- den Grundsatz, immer erst die Ordnungskräfte vor Ort sprechend unseren Regeln nehmen wir diese zu Proto- oder die Partnerländer in den Problemregionen der Welt koll.1) zu ertüchtigen. Wichtig ist nun, dass wir unsere Verant- Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- wortung, die wir 13 Jahre lang in Afghanistan übernom- lung, den Antrag der Bundesregierung auf Drucksache men haben, nicht abrupt beenden. 18/3246 anzunehmen. Wir stimmen nun über die Be- Wenn unser Einsatz für die genannten Errungenschaf- schlussempfehlung namentlich ab. Ich bitte alle Kolle- ten nicht umsonst sein soll, müssen wir den endgültigen ginnen und Kollegen, bei der Stimmabgabe sorgfältig Abzug den Bedingungen und Entwicklungen im Land darauf zu achten, dass die Stimmkarte, die Sie verwen- anpassen. Es muss klar sein, dass wir die afghanische den, Ihren Namen trägt. Armee in der immer noch gefährlichen Sicherheitslage nicht alleinlassen. Wir sehen in Mali und wohl am ein- Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die drucksvollsten im Irak, was dies bedeuten kann. Es wäre vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Es fehlen noch fatal, Afghanistan nun einfach sich selbst zu überlassen. Schriftführerinnen und Schriftführer, sowohl aus den Wir dürfen den Einsatz nicht vorschnell beenden, und Reihen der Opposition wie aus den Koalitionsfraktionen. auch die Entwicklungshilfe muss weiterlaufen. Auch der Ich bitte um ein Zeichen, wenn alle Schriftführerinnen Weg der Aussöhnung mit Pakistan, den der neue Präsi- und Schriftführer ihren Platz gefunden haben. dent Ashraf Ghani beschreitet, muss unterstützt werden. Ich eröffne die namentliche Abstimmung über die Be- All das ist der großen Mehrheit in diesem Hause zum schlussempfehlung. Glück bewusst. Aber bei den Kolleginnen und Kollegen von den Grünen – das betrübt mich schon nach den vie- 1) Anlagen 4 bis 6 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7281

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion (C) Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich Bündnis 90/Die Grünen vor. schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin- nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Über die Beschlussempfehlung werden wir später na- Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen mentlich abstimmen. später bekannt gegeben.1) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Ich bitte Sie, Platz zu nehmen, damit wir die folgen- die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- den Abstimmungen durchführen und vor allen Dingen nen Widerspruch, dann ist so beschlossen. die Abstimmungsergebnisse zweifelsfrei feststellen kön- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege nen. Dr. Karl-Heinz Brunner für die SPD-Fraktion. Meine Bitte, die Plätze einzunehmen, richtet sich so- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wohl an die Kolleginnen und Kollegen in den Fraktionen der CDU/CSU) als auch an die Mitglieder der Bundesregierung. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Ent- Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): schließungsanträge. Werte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Da- men! Meine sehr verehrten Herren! Als am 12. Septem- Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf ber 2001 Bundeskanzler Gerhard Schröder von genau Drucksache 18/3589. Wer stimmt für diesen Entschlie- dieser Stelle aus die uneingeschränkte Solidarität der ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält Bundesrepublik Deutschland den Vereinigten Staaten sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von Amerika versicherte, war dies, sicherheitspolitisch der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und der gesehen, ein wichtiger, vielleicht sogar der wichtigste Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Moment der letzten 65 Jahre, in dem sich unser Land, Fraktion Die Linke abgelehnt. Deutschland, klar und unmissverständlich zu seinen Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Bündnispartnern, zu seinen internationalen Verpflichtun- Grünen auf Drucksache 18/3590. Wer stimmt für diesen gen bekannte. Es war das richtige Signal am Tag danach, Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer als wir, das gesamte Nordatlantische Bündnis, ja die enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den ganze Welt, den Atem unter dem Schock der Bilder aus Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und New York und Washington anhielten: ein Terroran- der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Fraktion schlag, dessen Ausmaß und Folgen auch heute noch nachhallen. (B) Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. (D) Zusatzpunkt 6: Interfraktionell wird Überweisung der Eine dieser Folgen, meine Damen und Herren, ist die Vorlage auf Drucksache 18/3270 an die in der Tagesord- Operation Active Endeavour im Mittelmeer, geführt von nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie der NATO. Seit nunmehr 13 Jahren leisten die Soldatin- damit einverstanden? – Das ist der Fall, dann ist die nen und Soldaten ihren Beitrag zur Terrorismusabwehr Überweisung so beschlossen. auf See; ein präventiver Ordnungsfaktor, der die Sicher- heit im Mittelmeerraum verbessert und uns jederzeit ein Ich bitte jetzt all die Kolleginnen und Kollegen, die zuverlässiges Lagebild liefert. unseren Beratungen leider nicht weiter folgen können oder wollen, aber noch in lockeren Gesprächsgruppen Doch 9/11 darf nicht auf ewig als Begründung für die- im Plenarsaal verteilt sind, ihre Gespräche nach draußen sen Einsatz gelten: nicht mehr als Bündnisfall nach Arti- zu verlagern. Diese Bitte richtet sich wiederum an alle kel 5 des Nordatlantikvertrages und demnach nicht mehr Fraktionen. als Recht zur kollektiven Selbstverteidigung im Sinne des Artikels 24 Absatz 2 des Grundgesetzes. Wir Sozial- Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf: demokraten sagen dies schon lange. Jedoch so wie Gerd Schröder 2001 die heute so oft beschworene Rolle Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Deutschlands in der Welt über- und auch auf sich nahm, richts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus- wie er Solidarität mit dem amerikanischen Volk übte, so schuss) zu dem Antrag der Bundesregierung liegt es auch heute wieder in unserem Auftrag, in unserer Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter Verantwortung, über die Zukunft dieser Mission nachzu- deutscher Streitkräfte an der NATO-geführ- denken – in Verantwortung gegenüber unseren Partnern, ten Operation ACTIVE ENDEAVOUR im noch mehr in Verantwortung gegenüber unseren Solda- Mittelmeer tinnen und unseren Soldaten. Drucksachen 18/3247, 18/3584 Meine Kolleginnen und Kollegen, es ist müßig, da- rüber zu diskutieren, ob die bis letztes Jahr 30 Soldatin- Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) nen und Soldaten im Einsatz oder die theoretisch mög- gemäß § 96 der Geschäftsordnung lichen 500 in einer konkreten oder abstrakten Bedrohungssituation sind. Fakt ist: Ihnen allen gegen- Drucksache 18/3593 über haben wir die Verpflichtung, klar und deutlich in diesem Haus zu sagen, für welche Art des Einsatzes wir 1) Ergebnis Seite 7282 C sie ins Mittelmeer entsenden. Und, meine Damen und 7282 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Dr. Karl-Heinz Brunner (A) Herren, um keine Missverständnisse aufkommen zu las- Deshalb wünsche ich – vielleicht begünstigt durch den (C) sen: Artikel 5 und die kollektive Selbstverteidigung zie- Advent, die Vorweihnachtszeit und das neue Jahr – hen bei genauer Betrachtung nicht mehr. Daraus jedoch Frank-Walter Steinmeier und Ursula von der Leyen viel den Schluss zu ziehen, den manche ziehen, indem sie Glück und Erfolg im Werben um ein neues juristisch „Aus! Schluss! Vorbei!“ folgern, wäre falsch. Schließ- sauberes Fundament für diese Mission der Sicherheit. lich wollen wir Sicherheitspolitik gestalten. Ich möchte an die Adresse von Frank-Walter Steinmeier und Ursula von der Leyen auch sagen: Halten Sie diesen (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Druck aufrecht mit dem Rückenwind und der Unterstüt- Zu glaubhafter Sicherheitspolitik gehört auch, den zung aus diesem Hohen Haus. Die Unterstützung der einmal ausgelösten Bündnisfall nach Artikel 5 auch wie- SPD haben Sie. der ruhen lassen zu können. Diese aktive Rolle nimmt (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Leider!) Deutschland wahr, nach innen und gegenüber unseren Partnern, wenn sich unser Außenminister Frank-Walter Wir haben als Bundesrepublik Deutschland die Ope- Steinmeier und Verteidigungsministerin Ursula von der ration Active Endeavour vor 13 Jahren gemeinsam mit Leyen für die längst überfällige Entkoppelung von Ac- unseren Partnern begonnen, und wir werden sie nicht tive Endeavour und Artikel 5 einsetzen. ohne unsere Partner beenden. Dies ist Ausdruck von Verlässlichkeit, dies ist das Signal, das wir aussenden, Dass dies nicht von heute auf morgen geht, ist selbst- wenn wir heute einer – hoffentlich letzten – Verlänge- verständlich. Einen Konsens bei vielen Mitgliedstaaten rung von Active Endeavour im Kleide des alten Mandats herbeizuführen, wird immer intensive diplomatische An- zustimmen. Hierfür hat die Bundesregierung meine Un- strengungen erfordern. Deshalb freue ich mich, zu hö- terstützung und die der SPD. ren, dass sich sowohl Frankreich als auch die USA in diesem Punkt bewegen. Auch die Fortschritte beim Herzlichen Dank. NATO-Summit im September in Wales belegen, dass di- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der plomatische Bemühungen Deutschlands um eine Ent- CDU/CSU) koppelung nicht ergebnislos verhallen; denn der Einsatz selbst ist mit der richtigen Begründung und Rechtslage – Routineaufgaben der Luftüberwachung und Aufklä- Vizepräsidentin Petra Pau: rung – durchaus zu begrüßen. Er ist wichtiger Teil euro- Bevor wir in der Debatte fortfahren, gebe ich Ihnen päischer, ja transatlantischer Sicherheitspolitik. das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermit- telte Ergebnis der namentlichen Abstimmung be- Meine Damen, meine Herren, gerade die schwierige kannt: abgegebene Stimmen 593. Mit Ja haben 473 Kol- (B) Situation der Mittelmeeranrainer unterstreicht, dass wir leginnen und Kollegen gestimmt, mit Nein 102; 18 (D) Lage und potenzielle Gefahr nicht unterschätzen sollten. haben sich enthalten. Die Beschlussempfehlung ist da- Der Nahe Osten spricht soeben seine eigene Sprache. mit angenommen.

Dr. Christoph Bergner Hermann Färber Astrid Grotelüschen Endgültiges Ergebnis Ute Bertram Markus Grübel Abgegebene Stimmen: 592; Dr. Manfred Grund Steffen Bilger Enak Ferlemann Oliver Grundmann davon Ingrid Fischbach Monika Grütters ja: 472 Dirk Fischer (Hamburg) Dr. Herlind Gundelach nein: 102 Dr. Maria Böhmer Dr. Fritz Güntzler enthalten: 18 Klaus-Peter Flosbach Olav Gutting Norbert Brackmann Christian Haase Ja Klaus Brähmig Dr. Astrid Freudenstein Florian Hahn Michael Brand Dr. Hans-Peter Friedrich Dr. CDU/CSU Dr. (Hof) Jürgen Hardt Helmut Brandt Michael Frieser Gerda Hasselfeldt Dr. Dr. Michael Fuchs Dr. Hans-Joachim Fuchtel Mark Hauptmann Alexander Funk Dr. Stefan Heck Artur Auernhammer Ingo Gädechens Dr. Matthias Heider Dorothee Bär Cajus Caesar Dr. Thomas Gebhart Helmut Heiderich Thomas Bareiß Gitta Connemann Alois Gerig Mechthild Heil Norbert Barthle Alexandra Dinges-Dierig Eberhard Gienger () Julia Bartz Alexander Dobrindt Mark Helfrich Günter Baumann Michael Donth Josef Göppel Uda Heller Thomas Dörflinger Jörg Hellmuth (Börde) Marie-Luise Dött Ursula Groden-Kranich Rudolf Henke Hansjörg Durz Hermann Gröhe Sybille Benning Jutta Eckenbach Klaus-Dieter Gröhler Dr. André Berghegger Dr. Michael Grosse-Brömer Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7283

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Dr. Hans-Georg von der Marwitz Johannes Selle Gudrun Zollner (C) Robert Hochbaum Andreas Mattfeldt Alexander Hoffmann Stephan Mayer (Altötting) Dr. SPD Karl Holmeier Reiner Meier Bernd Siebert Niels Annen Franz-Josef Holzenkamp Dr. Michael Meister Thomas Silberhorn Ingrid Arndt-Brauer Dr. Jan Metzler Rainer Arnold Margaret Horb Maria Michalk Bettina Hornhues Dr. h. c. Hans Michelbach Jens Spahn Charles M. Huber Dr. Mathias Middelberg Carola Stauche Heinz-Joachim Barchmann Anette Hübinger Philipp Mißfelder Dr. Dr. Hubert Hüppe Dr. Wolfgang Stefinger Sylvia Jörrißen Karsten Möring Dr. Hans-Peter Bartels Andreas Jung Marlene Mortler Peter Stein Dr. Matthias Bartke Dr. Elisabeth Motschmann Erika Steinbach Sören Bartol Xaver Jung Dr. Gerd Müller Sebastian Steineke Bärbel Bas Dr. Egon Jüttner Carsten Müller Bartholomäus Kalb (Braunschweig) Christian Freiherr von Stetten (Heidelberg) Hans-Werner Kammer Stefan Müller (Erlangen) Burkhard Blienert Steffen Kanitz Dr. Philipp Murmann Rita Stockhofe Willi Brase Alois Karl Dr. Andreas Nick Dr. Karl-Heinz Brunner Michaela Noll Stephan Stracke Edelgard Bulmahn Bernhard Kaster Helmut Nowak Max Straubinger Martin Burkert Volker Kauder Dr. Georg Nüßlein Matthäus Strebl Dr. Dr. Stefan Kaufmann Wilfried Oellers Petra Crone Florian Oßner Thomas Stritzl Dr. Dr. (Heilbronn) Dr. Daniela De Ridder Henning Otte Lena Strothmann Dr. Karamba Diaby Jürgen Klimke Michael Stübgen Axel Knoerig Dr. Sabine Sütterlin-Waack Martin Dörmann Jens Koeppen Dr. Elvira Drobinski-Weiß Markus Koob Dr. Martin Pätzold Michaela Engelmeier Carsten Körber Ulrich Petzold Astrid Timmermann-Fechter Dr. h. c. Hartmut Koschyk Dr. Joachim Pfeiffer Dr. Hans-Peter Uhl Petra Ernstberger Sibylle Pfeiffer Dr. Volker Ullrich Saskia Esken (B) Gunther Krichbaum Arnold Vaatz Karin Evers-Meyer (D) Dr. Günter Krings Eckhard Pols Dr. Rüdiger Kruse Thomas Viesehon Dr. Michael Vietz Elke Ferner Dr. Roy Kühne Volkmar Vogel (Kleinsaara) Christian Flisek Günter Lach Alois Rainer Sven Volmering Uwe Lagosky Eckhardt Rehberg Christel Voßbeck-Kayser Ulrich Freese Andreas G. Lämmel Katherina Reiche (Potsdam) Kees de Vries Dagmar Freitag Dr. Norbert Lammert Dr. Michael Gerdes Josef Rief Marco Wanderwitz Ulrich Lange Dr. Heinz Riesenhuber Iris Gleicke Barbara Lanzinger Johannes Röring Kai Wegner Angelika Glöckner Dr. Dr. Norbert Röttgen Albert Weiler Paul Lehrieder Erwin Rüddel Marcus Weinberg (Hamburg) Kerstin Griese Dr. Katja Leikert Dr. Anja Weisgerber Gabriele Groneberg Dr. Anita Schäfer (Saalstadt) Peter Weiß (Emmendingen) Uli Grötsch Dr. Andreas Lenz Dr. Wolfgang Schäuble Sabine Weiss (Wesel I) Bettina Hagedorn Philipp Graf Lerchenfeld Andreas Scheuer Rita Hagl-Kehl Dr. Ursula von der Leyen Jana Schimke Marian Wendt Tankred Schipanski Waldemar Westermayer Ulrich Hampel Ingbert Liebing Heiko Schmelzle Sebastian Hartmann Matthias Lietz Christian Schmidt (Fürth) Peter Wichtel Michael Hartmann Gabriele Schmidt (Ühlingen) Annette Widmann-Mauz (Wackernheim) Dr. Heinz Wiese (Ehingen) Dirk Heidenblut Dr. Ole Schröder Klaus-Peter Willsch Hubertus Heil (Peine) Wilfried Lorenz Dr. Kristina Schröder Elisabeth Winkelmeier- Dr. Claudia Lücking-Michel (Wiesbaden) Becker Marcus Held Dr. Jan-Marco Luczak Bernhard Schulte-Drüggelte Oliver Wittke Daniela Ludwig Dr. Klaus-Peter Schulze Dagmar G. Wöhrl Dr. Barbara Hendricks Barbara Woltmann Heidtrud Henn (Weil am Gustav Herzog Thomas Mahlberg Rhein) Heinrich Zertik Christina Schwarzer Dr. Eva Högl Dr. Matthias Zimmer Matthias Ilgen 7284 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Christina Jantz Dr. Nina Scheer () BÜNDNIS 90/ (C) Marianne Schieder DIE GRÜNEN Volker Beck (Köln) Thomas Jurk Dr. Dorothee Schlegel Markus Paschke Johannes Kahrs () Dr. Wilhelm Priesmeier Katja Dörner Christina Kampmann Matthias Schmidt (Berlin) Rüdiger Veit Katharina Dröge Ralf Kapschack (Wetzlar) Waltraud Wolff Harald Ebner Gabriele Katzmarek Carsten Schneider (Erfurt) (Wolmirstedt) Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Marina Kermer Ewald Schurer DIE LINKE Dr. Anton Hofreiter Frank Schwabe Jan van Aken Bärbel Höhn Dr. Dietmar Bartsch Uwe Kekeritz Dr. Bärbel Kofler Andreas Schwarz Herbert Behrens Katja Keul Daniela Kolbe Rita Schwarzelühr-Sutter Karin Binder Sven-Christian Kindler Birgit Kömpel Dr. Matthias W. Birkwald Maria Klein-Schmeink Rainer Spiering Tom Koenigs Helga Kühn-Mengel Norbert Spinrath Eva Bulling-Schröter Sylvia Kotting-Uhl Christine Lambrecht Roland Claus Stephan Kühn (Dresden) Christian Lange (Backnang) Martina Stamm-Fibich Klaus Ernst Christian Kühn (Tübingen) Dr. Sonja Steffen Wolfgang Gehrcke Markus Kurth Steffen-Claudio Lemme Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Dr. Gregor Gysi Gabriele Lösekrug-Möller Christoph Strässer Dr. André Hahn Peter Meiwald Kerstin Tack Heike Hänsel Irene Mihalic Kirsten Lühmann Dr. Beate Müller-Gemmeke Dr. Birgit Malecha-Nissen Michael Thews Inge Höger Özcan Mutlu Franz Thönnes Katja Mast Carsten Träger Sigrid Hupach Claudia Roth (Augsburg) Dr. Dirk Vöpel Ulla Jelpke Corinna Rüffer Bernd Westphal Susanna Karawanskij Dr. Bettina Müller Andrea Wicklein Dr. Wolfgang Strengmann- Michelle Müntefering Dirk Wiese Katja Kipping Kuhn Dr. Rolf Mützenich Gülistan Yüksel Jan Korte Hans-Christian Ströbele (B) Dagmar Ziegler (D) Dr. Harald Terpe Caren Lay Jürgen Trittin Dr. Jens Zimmermann Sabine Leidig Dr. Julia Verlinden Thomas Oppermann Manfred Zöllmer Mahmut Özdemir (Duisburg) Michael Leutert Jeannine Pflugradt Stefan Liebich Enthalten Sabine Poschmann BÜNDNIS 90/ Dr. Gesine Lötzsch Joachim Poß DIE GRÜNEN Thomas Lutze SPD Florian Post Cornelia Möhring (Spandau) (Minden) Marieluise Beck (Bremen) Norbert Müller (Potsdam) Nicole Maisch Dr. Alexander S. Neu BÜNDNIS 90/ Dr. Sascha Raabe DIE GRÜNEN Dr. Simone Raatz Omid Nouripour Martin Rabanus Cem Özdemir Petra Pau Luise Amtsberg Mechthild Rawert Brigitte Pothmer Harald Petzold (Havelland) Stefan Rebmann Manuel Sarrazin Richard Pitterle Annalena Baerbock Gerold Reichenbach Doris Wagner Dr. Franziska Brantner Dr. Carola Reimann Dr. Valerie Wilms Dr. Petra Sitte Ekin Deligöz Andreas Rimkus Sönke Rix Nein Dr. Kirsten Tackmann Katrin Göring-Eckardt Dennis Rohde Frank Tempel Britta Haßelmann Dr. Martin Rosemann CDU/CSU Dr. Oliver Krischer René Röspel Alexander Ulrich Renate Künast Norbert Schindler Dr. Kathrin Vogler Dr. Tobias Lindner Michael Roth (Heringen) Halina Wawzyniak Dr. Konstantin von Notz SPD Susann Rüthrich Friedrich Ostendorff Bernd Rützel Klaus Barthel Birgit Wöllert Tabea Rößner Johann Saathoff Marco Bülow Jörn Wunderlich Elisabeth Scharfenberg Annette Sawade Dr. Ute Finckh-Krämer Kordula Schulz-Asche Dr. Hans-Joachim Michael Groß Schabedoth Wolfgang Gunkel Sabine Zimmermann Axel Schäfer (Bochum) Gabriele Hiller-Ohm (Zwickau) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7285

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Nun hat der Kollege Stefan Liebich für die Fraktion (Beifall bei der LINKEN) (C) Die Linke das Wort. Das Stichwort, das Sie hier geben, Herr Brunner, lau- (Beifall bei der LINKEN) tet „Bündnistreue“. Sie sagen, deshalb könne man nicht einfach aus der Mission aussteigen. Ich möchte Sie da- Stefan Liebich (DIE LINKE): ran erinnern, dass die ebenfalls im Jahr 2001 mit Bezug Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! auf den Terroranschlag gestartete Operation Enduring Hoffentlich ist es das letzte Mal, hat Herr Brunner ge- Freedom die gleichen Terroristen im gleichen Bündnis sagt. Schauen wir elf Monate zurück, da haben wir hier bekämpfen sollte. Nachdem SPD, Linke und Grüne es so etwas Ähnliches schon einmal gehört. Wir tauschen verlangt haben, hat die Bundesregierung die deutsche jetzt wieder die gleichen Argumente aus, wie wir sie vor Beteiligung daran im Jahr 2010 beendet. Wer A sagt, der elf Monaten schon einmal ausgetauscht haben – leider, muss auch B sagen. Also beenden Sie heute diesen über- muss ich sagen. flüssigen Auslandseinsatz! (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Jürgen Wir hielten den Einsatz – anders als Herr Brunner, die Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) CDU/CSU, die FDP, die Grünen und die SPD – von An- fang an für falsch, weil es im Mittelmeer keine Terrorge- Ich will es ganz klar sagen: Es geht uns nicht einfach fahr gab und gibt. Aber nach der Debatte, die wir vor elf um ein Entkoppeln. Wir möchten, dass der Kampf gegen Monaten geführt haben, hatte ich die Hoffnung, dass das die imaginären Terroristen beendet wird. Sie wissen sel- die letzte Abstimmung darüber gewesen ist. ber, dass es absurd ist. Wir haben am Mittwoch im Aus- wärtigen Ausschuss darüber gesprochen. Der Außen- Außenminister Frank-Walter Steinmeier selbst hat minister hat es auch zugegeben. Geben Sie sich einen uns da Hoffnung gemacht. Er hat vor elf Monaten – Ruck! Stimmen Sie heute dem Antrag von Bündnis/Die durchaus folgerichtig, weil er früher als Oppositionsfüh- Grünen zur Beendigung des Mandats zu! Wir werden es rer zusammen mit den Grünen und unserer Fraktion be- tun, weil es das einzig Sinnvolle ist. reits gegen das Mandat, über das wir hier reden, ge- stimmt hatte – gesagt: (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Bündnisfall kann heute, mehr als zwölf Jahre nach 9/11, nicht mehr dauerhaft tragfähige Rechts- Wenn Sie gern im Mittelmeer etwas tun wollen, hätte grundlage sein … ich einen Vorschlag für Sie. Anders als imaginäre Terro- risten gibt es dort nämlich ein reales Problem, das Sie Da hat er recht. anpacken können. Statt mit der britischen Royal Navy (B) (Beifall bei der LINKEN) Übungen abzuhalten, retten Sie doch lieber die Leben (D) der Tausende an Flüchtlingen, die täglich versuchen, das Niels Annen, der hier vor elf Monaten für die SPD- Mittelmeer zu überqueren! Fraktion gesprochen hat, hat sehr deutlich gesagt: (Beifall bei der LINKEN) Wir stimmen … in der Erwartung zu, dass die Bot- schaft, die wir ausgesandt haben, aufgegriffen wird, Gehen Sie ein neues Bündnis ein, mit Italien und weite- dass die doch relativ kurze Zeit der Mandatierung ren EU-Staaten, nutzen Sie die Mittel aus dem überflüs- – elf Monate – dafür genutzt wird, in der NATO da- sigen Bundeswehreinsatz und beginnen Sie eine wirklich für zu sorgen, dass dieser neue politische Konsens wichtige Mission! Ob Sie die Operation dann „Mare Gestalt annimmt, und dass wir gemeinsam mit un- Nostrum“ oder „Operation Enduring Life“ nennen, über- seren Bündnispartnern ein neues Mandat ohne den lassen wir Ihnen. Bezug auf Art. 5 erreichen können. Vielen Dank. Auch der Kollege Beyer von der CDU/CSU-Fraktion (Beifall bei der LINKEN) hat vor elf Monaten in diese Richtung argumentiert. Er hat darauf hingewiesen, dass die NATO im vergangenen Vizepräsidentin Petra Pau: Jahr auf deutsche Initiative hin Der Kollege Philipp Mißfelder hat für die CDU/CSU- eine Option eröffnet hat, OAE perspektivisch in Fraktion das Wort. eine nicht durch Artikel 5 gestützte Operation zu (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- überführen. neten der SPD) Weiter sagte er vor elf Monaten: Philipp Mißfelder (CDU/CSU): Die aktuelle Verlängerung des Mandats unter den Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- geänderten Bedingungen stellt damit eine Über- gen! Herr Liebich hat schon recht, wenn er sagt gangslösung dar. Sie ist ein wichtiger Schritt in dem Prozess zur Weiterentwicklung der Operation Ac- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) tive Endeavour. – bitte nicht zu früh freuen –, dass es sich um eine Über- „Übergang“? „Weiterentwicklung“? – Heute soll der gangszeit handelt. Auch der Kollegen Beyer hat das in Bundestag exakt das Gleiche beschließen, was er vor elf seiner Rede im vergangenen Jahr deutlich gemacht. Wir Monaten beschlossen hat. Das ist doch absurd. hätten gerne heute hier den Vollzug unserer Bemühun- 7286 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Philipp Mißfelder (A) gen gemeldet, aber im Bündnis ist das nicht so einfach. aber auch über neue inhaltliche Punkte diskutieren müs- (C) Ich kann Ihnen aber schon heute sagen, dass die Signale, sen, wenn es um die heraufziehenden Gefahren neuer die die Amerikaner innerhalb des Bündnisses ausgesen- Terrororganisationen, die sich bilden, geht. Deshalb det haben, uns Grund zu der Annahme geben, dass wir werbe ich dafür, dieses Mandat nicht leichtfertig aufzu- eine neue Rechtsgrundlage für das Mandat bekommen; geben. darauf hat der Kollege Brunner eben hingewiesen. Herzlichen Dank. Nach Abwägung des Schadens, den man durch eine Verlängerung der Übergangsfrist möglicherweise verur- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- sacht, stelle ist fest, dass wir beruhigt empfehlen können, neten der SPD) dem Mandat zuzustimmen. Ich sehe das nicht als großen Schaden an, wenn wir die derzeit geltende Begründung Vizepräsidentin Petra Pau: weiterhin als Grundlage heranziehen, wissend, dass wir Das Wort hat der Kollege Dr. Tobias Lindner für die das, was wir inhaltlich tun, für richtig halten, und wis- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. send, dass wir bei der rechtlichen Absicherung schon jetzt Fortschritte gemacht haben. Hoffentlich können wir im nächsten Jahr im Deutschen Bundestag entspre- Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- chende Änderungen beschließen. NEN): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Was die Inhalte von Active Endeavour angeht, Herr Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Brunner, Liebich: Ich finde es relativ wohlfeil, die Problematik die Botschaft höre ich wohl – ich habe sie bereits vor ei- der Flüchtlinge mit diesem Thema zu vermengen; denn nem Jahr gehört –, nämlich die jährlich wiederkehrende die Dinge gehören einfach nicht zusammen. Ich bin mir Hoffnung, dass dies hoffentlich das letzte Mandat sei, ganz sicher: Wenn wir hier einen Militäreinsatz beschlie- das auf Artikel 5 Nordatlantikvertrag fußt. Aber nein: ßen würden, bei dem es um die Aufnahme von Flüchtlin- Sie beantragen heute ein weiteres Mal ein hoffentlich gen oder die Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer- letztes Mandat, das auf Artikel 5 Nordatlantikvertrag raum – wie auch immer Sie das dann titulieren würden – fußt. Sie schreiben – diesmal selbst; ich zitiere aus dem ginge, dann würde die Linkspartei dem Bundeswehrein- Antrag der Bundesregierung –: satz auch nicht zustimmen. Da nach Auffassung der Bundesregierung die ur- (Zurufe von Abgeordneten der LINKEN) sprüngliche Ausrichtung von OAE der Einsatzreali- Wie bei jedem Mandat verfallen Sie in eine radikalpazi- tät nicht mehr gerecht wird, setzt sich die Bundes- regierung bereits seit 2012 im Bündnis für die (B) fistische Haltung, die an dieser Stelle definitiv nicht (D) angebracht ist, weil die Risiken, die wir mit diesem Weiterentwicklung des Einsatzprofils von OAE ein. Mandat eingehen, minimal sind. Ich glaube, dass gerade Ziel ist es, eine zeitgemäße Ausgestaltung des Auf- der abschreckende Charakter – das ist schon angespro- trags herbeizuführen und den Einsatz von Artikel 5 chen worden – bei diesem Einsatz nach wie vor im Mit- des Nordatlantikvertrags zu entkoppeln. telpunkt stehen wird. Kollege Liebich hat bereits den Bundesaußenminister Was den Ausgangspunkt dieses Mandats angeht zitiert. Wenn Frank-Walter Steinmeier sagt, dass der – Herr Brunner hat 9/11 angesprochen –: Die Abwehr ei- Bündnisfall heute, 13 Jahre nach dem 11. September ner terroristischen Gefahr schien sich zwischendurch in 2001, nicht mehr als Rechtsgrundlage für einen solchen der Prioritätenliste der außenpolitischen Agenda ver- Einsatz herhalten kann, muss ich sagen: Recht hat der schoben zu haben. Davon kann heute allerdings nicht Außenminister damit. Aber dann dürfen Sie uns heute mehr die Rede sein. Die Gruppierung al-Qaida hat zwar ein solches Mandat nicht vorlegen, erst recht nicht mit an Einfluss verloren, aber sie ist gerade dabei, sich mit einer solchen Begründung. anderen Gruppierungen neu zu formieren und sich even- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tuell sogar mit ihnen zusammenzuschließen. Aufgrund sowie bei Abgeordneten der LINKEN) der Entwicklung hinsichtlich al-Nusra, ISIS und auch der Überbleibsel von al-Qaida muss ich sagen, dass es Dieses Mandat wird dadurch nicht klarer, und die Legiti- wahrscheinlicher ist, dass wir uns mit dem Thema Terro- mationsbasis wird dadurch nicht breiter. Nein, dieses rismusbekämpfung weiter beschäftigen müssen, als dass Mandat wird dadurch absurder. Gleichzeitig beschädi- wir das Mandat sang- und klanglos auslaufen lassen. Es gen Sie an zwei Stellen, wie ich finde, wichtige Grund- ist falsch, zu glauben, dass sich das Thema nicht mehr pfeiler unserer Außen- und Sicherheitspolitik. aufdrängt. Es ist wahrscheinlicher, dass wir uns gerade in der Region des Mittelmeeres insgesamt wieder mehr Sie beschädigen das Parlamentsbeteiligungsrecht, und mit der Terrorismusbekämpfung beschäftigen müssen. Sie missachten die Rechtsprechung des Bundesverfas- sungsgerichts, nach der Deutschland sich nur dann an in- Erlauben Sie mir eine inhaltliche Bemerkung zu die- ternationalen Einsätzen beteiligen darf, wenn diese in sem Mandat. Ich hielte es für unverantwortlich – es wäre ein System kollektiver Sicherheit eingebettet sind. Man das falsche Signal –, einen Antiterroreinsatz zu beenden, kann nicht einfach Artikel 5 des Nordatlantikvertrages in nur weil man von der abschreckenden Wirkung sowieso die Mandatsbegründung schreiben – Herr Mißfelder hat überzeugt ist. Der Auftrag bleibt. Ich befürchte, wir wer- ja ausgeführt, dass dieser Artikel als Begründung herhal- den bei weiteren Mandaten über neue Rechtsgrundlagen, ten muss –, nur damit man eine Begründung hat. Damit Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7287

Dr. Tobias Lindner (A) untergräbt man auch unsere eigenen Beteiligungsrechte Ich danke Ihnen. (C) als Deutscher Bundestag. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Außerdem beschädigen Sie damit den Nordatlantik- Vizepräsidentin Petra Pau: vertrag. Um es deutlich und klar zu sagen – ich habe das Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Dirk Vöpel das schon im letzten Jahr von dieser Stelle aus gesagt –: Ich Wort. persönlich konnte nachvollziehen, dass die Mitgliedstaa- ten der NATO einen Tag nach dem 11. September 2001 (Beifall bei der SPD) den Bündnisfall festgestellt haben. Das mag aus heutiger Sicht vielleicht mancher anders sehen. Man mag sich Dirk Vöpel (SPD): fragen, ob das vernünftig war oder nicht. Ich persönlich Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und konnte es nachvollziehen. Uns ist es gerade jetzt in einer Kollegen! Über die Historie des Mandats haben sich Zeit, in der wir es mit einem Konflikt in der Ukraine zu meine Vorredner schon in aller Breite ausgelassen; das tun haben, wichtig, zu versichern, dass Artikel 5 des möchte ich mit Blick auf die Uhr nicht alles wiederho- Nordatlantikvertrages gilt; denn das ist einer der Stabi- len. Ich möchte auch die Frage, wer bei uns in der Frak- litätspfeiler unserer Sicherheitsarchitektur in Europa. tion Stöckchen zieht, nicht beantworten, Herr Lindner. Wenn Sie aber Artikel 5 des Nordatlantikvertrages Darüber sprechen wir vielleicht an anderer Stelle. leichtfertig benutzen, um eine Mission, die sich vielfach mit Routineaufgaben im Mittelmeer beschäftigt, zu Ich möchte zu dem Mandat zurückkommen. 13 Jahre rechtfertigen, dann unterminieren Sie damit den Nordat- sind bereits vergangen; das ist angesprochen worden. lantikvertrag. Damit werden Sie unserer Verantwortung Die Grundlage, Artikel 5 des NATO-Vertrages, und nicht gerecht. ebenso der 11. September sind angesprochen worden. In den letzten 13 Jahren hat sich nicht nur die Welt verän- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- dert, sondern auch das Einsatzprofil. Auch das ist zum SES 90/DIE GRÜNEN) Teil von meinen Vorrednern angesprochen worden. Ganz zu Anfang ging es um die aktive Beteiligung bei der Ich frage mich jedes Mal, ob man in der SPD-Frak- Abschreckung und Abwehr terroristischer Gefahren im tion Stöckchen zieht, um zu bestimmen, wer die Rede zu östlichen Mittelmeer. Seit langem bilden jedoch infor- OAE halten muss. Sie waren schon mal ein ganzes Stück mationsgewinnende und -verabeitende Tätigkeiten wie weiter, haben das ähnlich gesehen wie die Linke und wir. die kontinuierliche Lagebilderstellung und Seeraum- Jetzt befinden Sie sich in einer Regierungskoalition, und überwachung im gesamten Mittelmeer den eigentlichen (B) (D) es musste ein Kompromiss her. In der Antragsbegrün- Schwerpunkt der Operation. Mehr Passive als Active dung wird ausgeführt – das haben auch die Redner hier Endeavour, wenn man so sagen will. gesagt –, dass sich die Bundesregierung bemüht hat, eine Entkopplung der Operation von Artikel 5 des Nordatlan- Wir stehen deshalb vor der etwas paradoxen Situa- tikvertrages hinzubekommen. Zur Formulierung „haben tion, dass Endeavour gerade aufgrund dieser veränderten sich stets bemüht“ will ich eines sagen: Oftmals ist es im Einsatzrealität in der Sache nach wie vor gut begründet Leben so, dass die Arbeit, auch wenn man sich stets be- werden kann, die rechtliche Fundierung mit Artikel 5 müht, nicht immer von Erfolg gekrönt ist. Das ist leider aber nicht mehr aktuell und zeitgemäß ist. auch an dieser Stelle der Fall. Es sind im Wesentlichen drei Gründe, warum ich eine Mir ist bewusst, dass die Entkopplung des Einsatzes Fortsetzung der Operation für sinnvoll und zweckmäßig von Artikel 5 des Nordatlantikvertrages, also vom kon- halte. kreten Bündnisfall, Einstimmigkeit in der NATO erfor- Erstens. Rund um die östlichen und südlichen Ufer dert. Wenn Sie das schon nicht hinbekommen, dann soll- des Mittelmeers zieht sich heute ein fast lückenloser ten Sie wenigstens sehen, dass Artikel 5 nicht zu einem Feuerring von Kriegen, Krisen und Konflikten. Die un- Handlungsautomatismus führen muss und Deutschland geheuren Spannungen in dieser politischen Erdbeben- nicht gezwungen ist, sich in einem solchen Fall an der zone können jederzeit zu neuen Verwerfungen mit unab- Mission zu beteiligen. sehbaren Folgen für die Sicherheitslage im Mittelmeer (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) führen. Hier wachsam zu bleiben, Augen und Ohren offenzuhalten und als eine Art Seismometer die wech- Weil der Antrag für das Mandat, der uns heute zur selnden Lagen möglichst lückenlos zu erfassen, halte ich Abstimmung vorliegt, zwar von redlichen Bemühungen für ein Gebot sicherheitspolitischer Vernunft. gekennzeichnet ist, aber nicht von Erfolg, was Artikel 5 Zweitens. Active Endeavour wird von vielen Anrai- als Begründung betrifft, und weil ich befürchte, dass wir nern und der Handelsschifffahrt mittlerweile als schwer unter Umständen auch im kommenden Jahr über ein ent- zu ersetzender Baustein der maritimen Sicherheitsarchi- sprechendes Mandat diskutieren werden – dann werden tektur im Mittelmeer angesehen. Allein durch ihre wir wieder hören: das ist das letzte Mandat, das auf Präsenz trägt die NATO zur Erhöhung des subjektiven dieser Begründung fußt –, entspricht das Abstimmungs- Sicherheitsgefühls in der Region bei. verhalten meiner Fraktion in diesem Jahr dem Abstim- mungsverhalten im vergangenen Jahr: Wir werden die- Drittens. Die Mission hat sich schließlich auch zu ei- ses Mandat ablehnen. nem erfolgreichen internationalen Kooperationsprojekt 7288 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Dirk Vöpel (A) entwickelt, zu einer Kooperationsplattform mit vielen tungsbewusster Abgeordneter ist, muss ich hier ganz (C) Mittelmeeranrainern, die wir uns erhalten sollten. klar sagen: So geht man nicht mit einem Bündnis um. Die Entkopplung der Operation Active Endeavour (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- von Artikel 5 konnte im laufenden Jahr nicht erreicht neten der SPD – Zurufe von der LINKEN: werden; meine Vorredner haben das, glaube ich, in aller Oh!) Breite gewürdigt. Ich sehe aber – im Ausschuss habe ich das Gleiche gesagt – die Bemühungen; hiermit meine ich Auf dieses Bündnis sind wir selber angewiesen, mal nicht, man habe sich redlich bemüht, wie Sie es gerade mehr und mal weniger. Aber ich kann nur sehr davor intoniert haben. Ich sehe vielmehr, dass es im letzten warnen, es leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Jahr erhebliche Fortschritte gemessen an dem, was vor- Natürlich ist die Begründung für diesen Einsatz 2014 her in die Richtung unternommen wurde, gegeben hat. eine andere als 2001. Von daher denke ich, dass elf Monate zwar eine lange Zeit sind, es aber gemessen an dem gesamten Mandat (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Eben nicht! Es ein überschaubarer Zeitraum ist. Ich sehe jedenfalls, dass ist immer noch die gleiche Begründung!) substanzielle Fortschritte erreicht wurden. Das gibt mir Die Bedrohung durch maritimen Terrorismus ist eine ab- Hoffnung, dass wir 2015 zu der von uns seit langem ge- strakte Bedrohung; da sind wir uns einig. Das kann aber forderten Entkopplung von Artikel 5 kommen werden. schon morgen anders sein. Wir haben es ja eben gehört: Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Logik lehrt, Natürlich ist es möglich, dass der Terrorismus, der sich dass man auch auf der Grundlage falscher Voraussetzun- im Augenblick in schlimmer Weise ausbreitet, auch in gen zu richtigen Schlussfolgerungen gelangen kann. Wir den Mittelmeerraum Einzug hält. Aber der Einsatz soll sollten uns trotz der Mängel der Mandatierungsgrund- ja von Artikel 5 des Nordatlantikvertrages entkoppelt lage nicht davon abhalten lassen, weiterhin das Richtige werden. Die Bemühungen sind fast abgeschlossen. und Sinnvolle zu tun. Deshalb kann man unserer Verteidigungsministerin und dem Außenminister nur dafür danken, dass sie diesen Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Prozess aktiv begleiten. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Im Augenblick gibt es faktisch eine Seeraumüberwa- chung und einen Lagebildaustausch. Diese Operation hat Vizepräsidentin Petra Pau: sich zu einem präventiven Ordnungsfaktor entwickelt, Das Wort hat die Kollegin Elisabeth Motschmann für dient also zur Vorbeugung im Bereich der maritimen die CDU/CSU-Fraktion. Sicherheit, und ist eine Aufklärungs- und Beobachtungs- (B) (Beifall bei der CDU/CSU) mission. (D) (Katrin Kunert [DIE LINKE]: Phrasen- Elisabeth Motschmann (CDU/CSU): schwein!) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bündnistreue ist ein ganz hohes Gut. Keiner, der hier für Das ist nicht nichts; das ist nur etwas anderes. Dafür diesen Einsatz spricht, benutzt leichtfertig den Artikel 5 muss eine neue Begründung gefunden werden. In Wales des Nordatlantikvertrages, um diesen Einsatz zu recht- hat man den Artikel 5 des Nordatlantikvertrages ja gar fertigen. nicht mehr herangezogen. Es ist eben nicht so einfach, mit 28 NATO-Staaten Einigkeit zu erzielen. Mit Ihrer Was ich aber leichtfertig finde, ist die Argumentation Polemik werden Sie das ganz sicher nicht schaffen. Inso- der Linken im Zusammenhang mit diesem Einsatz. Ich fern kann man nur froh sein, dass Sie keine Verantwor- habe mir dazu die Rede von vom letzten tung tragen. Mal angesehen. Ich will Ihnen vortragen, mit welcher Polemik er über diesen Einsatz spricht. Er sprach von ei- Herr Liebich, wenn Sie sagen, dass diese Mission von nem – ich zitiere – „lächerlichen Dauereinsatz“, vom Anfang an falsch war, und von imaginärem Terrorismus „Irrsinn“ der Sicherheitspolitik, von einer „Legende der sprechen, dann sage ich Ihnen ganz deutlich: In diesen Selbstverteidigung“, von „Heuchelei“ und krisenhaften Zeiten von einem imaginären Terrorismus zu sprechen, ist schon bemerkenswert abwegig. Deshalb (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) kann man das nur ablehnen. von „im imperialen Sinne des antiken Roms“; er sprach (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Wir lehnen weiterhin von einem „Verdummungsversuch“ und sagte, das Mandat ja ab!) es würden „Steuergelder verbraten“ und alles sei „recht- lich absurd“. – Sie lehnen das Mandat ab. Wir lehnen es nicht ab. Wir wollen es weiterführen, und zwar so lange, wie es vom (Beifall bei der LINKEN – Jan van Aken [DIE Bündnis verantwortet und gewünscht wird. Wir wollen LINKE]: Bravo! Können Sie das noch mal eine neue rechtliche Grundlage schaffen. vorlesen, bitte? – Jürgen Trittin [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber eine ko- Abschließend danke ich den Soldaten, die dort ihren mische Gemeinschaft, die sich hier auftut!) Dienst tun, und wünsche Ihnen allen ein frohes Weih- nachtsfest. Meine Damen und Herren, abgesehen davon, dass dies ein Stresstest für die Leidensfähigkeit verantwor- Vielen Dank. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7289

Elisabeth Motschmann (A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Aufgrund dieser Einsatzrealität wollen wir eine Ent- (C) neten der SPD) kopplung der Mission von Artikel 5 des Nordatlantik- vertrags. Dies strebt die Bundesregierung bereits seit Vizepräsidentin Petra Pau: 2012 an. Die diplomatischen Verhandlungen dazu sind auf einem sehr guten Weg. Wie Sie wissen, brauchen wir Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin dazu das Einverständnis aller 28 NATO-Staaten. Die Julia Bartz für die CDU/CSU-Fraktion. mehrheitliche Zustimmung unserer Partner haben wir (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- bereits erreicht. So konnten wir mittlerweile auch die neten der SPD) USA und Frankreich überzeugen. Derzeit wird ein ent- sprechendes Kompromisspapier erarbeitet, und wir kön- nen durchaus zuversichtlich sein, dass eine Entkopplung Julia Bartz (CDU/CSU): von Artikel 5 noch im ersten Halbjahr 2015 erreicht wer- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! den kann. Seit 2001 ist die Bundeswehr an der Operation Active Endeavour beteiligt, und sie hat sich im Bündnis mit Ein überhasteter Ausstieg aus OAE jetzt, wie ihn die unseren NATO-Partnern bewährt. Ursprünglich war die Opposition fordert, ist also unnötig. Operation als Antiterrormaßnahme konzipiert. Ihr (Florian Hahn [CDU/CSU]: Ganz genau!) Schwerpunkt hat sich mittlerweile gewandelt; er liegt nunmehr bei der Seeraumüberwachung und dem Lage- Das wäre zudem das falsche Signal – gerade in diesen bildaustausch. OAE versorgt uns und unsere Verbünde- geopolitisch brisanten Zeiten. Angesichts des aggressi- ten laufend mit einem aktuellen Lagebild und leistet ven Verhaltens Russlands müssen wir insbesondere un- damit einen wichtigen Beitrag zur maritimen Sicherheit seren Bündnispartnern in Osteuropa ein klares Zeichen im Mittelmeer. der Verlässlichkeit senden. Deutschland steht zu seiner Verantwortung. Wir sind ein treuer Bündnispartner. (Florian Hahn [CDU/CSU]: So ist es!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Das europäische Mittelmeer ist für uns mehr als eines neten der SPD) der sieben Weltmeere. Jahr für Jahr genießen viele deut- sche Urlauber die schöne Ferienregion. Die Sicherheit im Mittelmeer, der Fortschritt bei der Überführung in eine nicht durch Artikel 5 gestützte Mis- (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sion und unsere Bündnistreue sind drei gute Gründe für NEN]: Was Sie nicht sagen!) die Fortführung der Operation Active Endeavour. Des- halb bitte ich Sie heute um Ihre Zustimmung zu diesem (B) Zudem ist das Mittelmeer eine Hauptschlagader des (D) weltweiten Handels und von entscheidender Bedeutung Übergangsmandat für diese Operation – natürlich für Deutschland und Europa. 220 000 Handelsschiffe verbunden mit dem erklärten Ziel, in den kommenden durchkreuzen jedes Jahr das Mittelmeer. Die Sicherheit Monaten eine Entkopplung von Artikel 5 des Nordatlan- im Mittelmeer ist uns allen ein wichtiges Anliegen. tikvertrags zu erreichen. Wie konkret die abstrakte Bedrohung, von der im Meine sehr verehrten Damen und Herren, gestatten Antrag der Bundesregierung die Rede ist, werden kann, Sie mir angesichts der bevorstehenden Feiertage noch ei- zeigt ein aktueller Vorfall: Erst kürzlich wurde ein nige Worte des Dankes an unsere Truppe. Gemeinsam ägyptisches Marineschiff rund 40 Seemeilen vor der mit meiner Kollegin Gisela Manderla bin ich vorgestern Küste angegriffen – mutmaßlich von Terroristen. Dieser nach Beelitz gefahren, um die Soldatinnen und Soldaten Vorfall, bei dem fünf ägyptische Soldaten verletzt und des Logistikbataillons 172 in die Auslandseinsätze nach weitere acht als vermisst gemeldet wurden, macht deut- Afghanistan, ins Kosovo, nach Mali und in die Türkei zu lich: Es sind eine erhöhte Aufmerksamkeit und Wach- verabschieden. Ihnen und allen anderen Soldatinnen und samkeit der Weltgemeinschaft notwendig – gerade auch Soldaten, den zivilen Angehörigen der Bundeswehr und angesichts der angespannten Lage im Nahen Osten, in den Entwicklungsexpertinnen und -experten, die sich im Nordafrika und an den Grenzen zu Russland. Ausland und zu Hause für unsere Sicherheit einsetzen, gelten mein Respekt und mein herzlicher Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Dementsprechend ist unsere Präsenz im Mittelmeer neten der SPD) notwendig und sinnvoll. Kurz vor Weihnachten gelten meine ganz besonderen Das empfinden übrigens auch die an OAE beteiligten Grüße und Gedanken vor allem auch den Familien und Soldatinnen und Soldaten so. Zumindest haben mir die Angehörigen der Soldaten, die ebenfalls einen erhebli- Kameradinnen und Kameraden, mit denen ich darüber chen Teil der Einsatzlast tragen. Die Mitglieder der gesprochen habe, so berichtet. Mein Eindruck aus diesen CDU/CSU-Fraktion danken Ihnen ganz herzlich und Gesprächen war: Die Außerdienststellung der Fregatte wünschen Ihnen trotz aller Entbehrungen ein gesegnetes „Niedersachsen“ nach 32 Jahren und über 760 000 See- Weihnachtsfest. meilen scheint die Gemüter mehr zu bewegen als die Vielen Dank. konkrete Einsatzbelastung durch OAE. Der Alltag im OAE-Einsatz wird größtenteils als normale Seefahrt, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ähnlich einer Übung, empfunden. neten der SPD) 7290 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für (C) Ich schließe die Aussprache. die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärti- gen Ausschusses zum Antrag der Bundesregierung zur Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle- Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher gin Sabine Leidig für die Fraktion Die Linke. Streitkräfte an der NATO-geführten Operation Active Endeavour im Mittelmeer. (Beifall bei der LINKEN)

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- Sabine Leidig (DIE LINKE): lung auf Drucksache 18/3584, den Antrag der Bundes- regierung auf Drucksache 18/3247 anzunehmen. Wir Danke, Frau Präsidentin. – Werte Kolleginnen und stimmen über die Beschlussempfehlung namentlich ab. Kollegen! Millionen Menschen hierzulande sind täglich Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die mit der Bahn unterwegs, und die Bilanzen von Herrn vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Plätze be- Grube sehen immer glänzend aus. Aber in Wirklichkeit setzt? – Das ist der Fall. Ich eröffne die namentliche Ab- – das wissen Sie alle – läuft längst nicht alles rund. Man stimmung über die Beschlussempfehlung. braucht nur an die vielen unwirtlichen Bahnhöfe in der Provinz oder an die Rekordzahlen bei den Verspätungs- Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine minuten der Bahn zu denken. Stimme nicht abgeben hat? – Ich bitte, sich vor der Ab- stimmung zu vergewissern, dass der Name, der auf der Wir sind der Meinung, dass 20 Jahre nach der Bahn- Karte steht, auch Ihr Name ist. – Ich sehe jetzt keinen reform gründlich nachjustiert werden muss. Kollegen und keine Kollegin mehr, der oder die an der Stimmabgabe gehindert ist. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh- NEN]) rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin- nen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später Es ist beileibe nicht alles schlecht. Mit den Regionalisie- bekannt gegeben.1) rungsmitteln zum Beispiel ist eine solide Finanzierung geschaffen worden. Etliche Landesbahnen haben mit gu- Damit wir zur Abstimmung über den Entschließungs- ten Konzepten viele Fahrgäste gewonnen. Aber insge- antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck- samt ist der Anteil der Bahn am wachsenden Verkehr sache 18/3591 kommen können, bitte ich, die Ge- eben nicht gestiegen, und das ist das Problem. (B) sprächsgruppen auf der Regierungsbank entweder nach (D) draußen zu verlagern oder sich am Geschehen zu beteili- Weil der Bund selber gar nicht auf die Idee gekom- gen. Aber auch die Kolleginnen und Kollegen der Koali- men ist, nach zwei Jahrzehnten Bilanz zu ziehen, um zu tionsfraktionen, die noch etwas zu erledigen haben, bitte erfahren, was aus der Deutschen Bahn AG geworden ist, ich, das dort zu tun, wo es uns nicht bei der Feststellung haben wir im Sommer 136 Fragen erarbeitet. Nun liegen des Abstimmungsergebnisses behindert. die Antworten vor. Auf drei dieser Antworten will ich hier kritisch eingehen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Zuerst zum sogenannten Brot-und-Butter-Geschäft, Drucksache 18/3591. Wer stimmt für diesen Entschlie- wie Herr Grube zu sagen pflegt. Die Bundesregierung ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält muss zugeben, dass seit Gründung der Deutschen Bahn sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen AG fast 100 Städte mit mehr als 20 000 Einwohnern ih- der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der beiden ren Anschluss an den Schienenfernverkehr verloren ha- Oppositionsfraktionen abgelehnt.2) ben. Ich könnte hier über , Magdeburg oder Pots- dam sprechen. Aber ich nenne als Beispiel , eine Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf: junge Universitätsstadt, Zentrum für Wirtschaft und Kul- tur im südlichen Westfalen. Über 100 000 Menschen le- Beratung der Antwort der Bundesregierung auf ben hier. In den 1990er-Jahren konnten junge Familien die Große Anfrage der Abgeordneten Sabine noch mit dem Fernreisezug nach Oberstdorf in den Ur- Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer laub fahren, oder Geschäftsreisende konnten in den Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE D-Zug steigen und waren in weniger als drei Stunden in 20-Jahres-Bilanz der Bahnreform von 1994 Dortmund oder Frankfurt. Alles weg! Keine Fernbahnen bis 2014 mehr für das Herz des Siegerlandes! Dabei sehen wir sehr wohl, dass dort, wo die Bahn attraktive Angebote Drucksachen 18/1500, 18/3266 macht, deutlich mehr Leute einsteigen, aktuell in den neuen, preiswerten Interregio-Express zwischen Berlin Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion und Hamburg. Aber so etwas darf keine Eintagsfliege Die Linke vor. bleiben. Der Bund hat dafür zu sorgen, dass es solche Anbindungen überall im Land gibt. 1) Ergebnis Seite 7291 D 2) Anlage 7 (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7291

Sabine Leidig (A) Ich komme zweitens zur Entwicklung der Arbeits- (Beifall bei der LINKEN) (C) plätze. Auf unsere Fragen dazu schreibt die Bundesre- gierung – Zitat –: Wir wollen eine andere Bahn. Die DB soll nicht an be- triebswirtschaftlichen Kennzahlen ausgerichtet sein, Seit der Bahnreform besteht eine Beschäftigungssi- sondern am volkswirtschaftlichen Nutzen; das ist oft ein cherung, die auch in Zukunft weiter gilt. So können gewaltiger Unterschied. Der Börsengang muss endgültig die verbliebenen und neu geschaffenen Arbeits- abgesagt werden. plätze dauerhaft gesichert werden. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Aha. Auf mich, so muss ich sagen, wirkt das ein biss- Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- chen zynisch; denn tatsächlich ist die Zahl der Beschäf- NEN]) tigten seit Januar 1994 halbiert worden, und zwar von Wir schlagen eine Kommission vor, an der auch die damals 365 000 auf weniger als 180 000 im gesamten Fahrgastverbände, die Umweltverbände und die Be- Schienenbereich. Unter diesem dramatischen Stellenab- schäftigten beteiligt sind, damit alternative Organisa- bau leiden die Wartung der Anlagen, der Service für die tionsmodelle erarbeitet werden und damit vor allen Din- Fahrgäste und vor allen Dingen die Beschäftigten, die gen der Auftrag der Deutschen Bahn neu definiert wird, viel mehr und oft viel weniger zufrieden arbeiten müs- am Allgemeinwohl sowie an sozialen und ökologischen sen. Bei der DB hat sich ein Überstundenberg von 8 Mil- Zielen ausgerichtet. Das ist es, was notwendig ist. lionen Stunden aufgetürmt. Das ist aus meiner Sicht völ- lig inakzeptabel. Diese zweite Bahnreform, die wir brauchen, muss in eine Verkehrsmarktreform eingebettet sein; denn es ist (Beifall bei der LINKEN) unsinnig, dass 100 Prozent des europäischen Schienen- netzes mit Trassengebühren, also mit einer Maut, belegt Aber die Regierung sieht die DB AG als ein – ich zi- sind, während nur 1 Prozent der Straßen in Europa be- tiere – „wirtschaftlich erfolgreiches und international tä- mautet ist. Wir brauchen eine Entlastung der Bahn. Es ist tiges Unternehmen“. unsinnig, dass der Staat bei Zugfahrten Mehrwertsteuer und Mineralölsteuer kassiert, aber bei Flugreisen nicht. Damit bin ich bei meinem dritten Punkt. Was heißt das denn konkret? 1994 gab es 15 ausländische Tochter- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. gesellschaften der Deutschen Bahn. Heute sind es 542. Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich frage: Wozu? Von so einem Global Player, der NEN]) Schiffsbeteiligungen hält und an Flughafendienstleistun- gen beteiligt ist, war nie die Rede, als die Bahnreform Es ist unsinnig, dass die Steuerzahler in Europa jähr- (B) (D) beschlossen wurde. Wir lesen, dass zum Stichtag 31. De- lich 30 Milliarden Euro in den Flugverkehr stecken, aber zember 2013 die Deutsche Bahn AG Kredite in Höhe trotzdem 17 von den 23 internationalen Flughäfen in von mehr als 14 Milliarden Euro an die eigenen Tochter- Deutschland defizitär sind. Bei der Bahn aber muss der gesellschaften ausgereicht hat, davon 7 Milliarden Euro Fernverkehr ein Geschäft machen, sonst wird er einge- allein an DB Netz. Die DB bekommt das Geld zu sehr stellt. Das ist unfair, das ist auch unsozial, und wir fin- günstigen Zinsen auf den Kapitalmärkten, weil sie ein den, das muss dringend geändert werden. bundeseigenes Unternehmen ist und Deutschland ein (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Topranking hat. Aber im eigenen Unternehmen wird des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) – Zitat – „zu tagesaktuellen, marktüblichen Kondi- tionen“, also mit Zinsaufschlag, verliehen. Die tages- üblichen Konditionen sind deutlich schlechter. Die Vizepräsidentin Petra Pau: Differenz, die die Tochtergesellschaften an den Mutter- Bevor wir die Debatte fortsetzen, gebe ich Ihnen das konzern zahlen müssen, beläuft sich sicherlich auf meh- von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte rere 100 Millionen Euro. Diese Summe müssen unter an- Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Be- derem die Fahrgäste aufbringen. Den Sondergewinn kann schlussempfehlung zur Fortsetzung der Beteiligung be- der Konzernchef einsetzen, um mit Busverkehren in an- waffneter deutscher Streitkräfte an der NATO-geführten deren Ländern der Schiene dort Konkurrenz zu machen. Operation Active Endeavour im Mittelmeer bekannt: ab- gegebene Stimmen 586. Mit Ja haben 461 Kolleginnen Das alles wollen wir überhaupt nicht, und das will und Kollegen gestimmt, mit Nein 122, und 3 Kollegin- auch die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger nicht. nen und Kollegen haben sich enthalten. 7292 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Endgültiges Ergebnis Ingo Gädechens Carsten Körber Dr. Joachim Pfeiffer (C) Abgegebene Stimmen: 586; Dr. Thomas Gebhart Hartmut Koschyk Sibylle Pfeiffer davon Alois Gerig Michael Kretschmer Ronald Pofalla Eberhard Gienger Gunther Krichbaum Eckhard Pols ja: 461 Cemile Giousouf Dr. Günter Krings Thomas Rachel nein: 122 Josef Göppel Rüdiger Kruse Kerstin Radomski enthalten: 3 Reinhard Grindel Bettina Kudla Alexander Radwan Ursula Groden-Kranich Dr. Roy Kühne Alois Rainer Ja Hermann Gröhe Günter Lach Eckhardt Rehberg Klaus-Dieter Gröhler Uwe Lagosky Katherina Reiche (Potsdam) CDU/CSU Michael Grosse-Brömer Andreas G. Lämmel Lothar Riebsamen Astrid Grotelüschen Dr. Norbert Lammert Josef Rief Stephan Albani Markus Grübel Katharina Landgraf Dr. Heinz Riesenhuber Katrin Albsteiger Manfred Grund Ulrich Lange Johannes Röring Peter Altmaier Oliver Grundmann Barbara Lanzinger Dr. Norbert Röttgen Artur Auernhammer Monika Grütters Dr. Silke Launert Erwin Rüddel Dorothee Bär Dr. Herlind Gundelach Paul Lehrieder Albert Rupprecht Thomas Bareiß Fritz Güntzler Dr. Katja Leikert Anita Schäfer (Saalstadt) Norbert Barthle Olav Gutting Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Wolfgang Schäuble Julia Bartz Christian Haase Dr. Andreas Lenz Andreas Scheuer Günter Baumann Florian Hahn Philipp Graf Lerchenfeld Jana Schimke Maik Beermann Dr. Stephan Harbarth Dr. Ursula von der Leyen Norbert Schindler Manfred Behrens (Börde) Jürgen Hardt Antje Lezius Tankred Schipanski Veronika Bellmann Gerda Hasselfeldt Ingbert Liebing Heiko Schmelzle Sybille Benning Matthias Hauer Matthias Lietz Christian Schmidt (Fürth) Dr. André Berghegger Mark Hauptmann Andrea Lindholz Gabriele Schmidt (Ühlingen) Dr. Christoph Bergner Dr. Stefan Heck Dr. Carsten Linnemann Patrick Schnieder Ute Bertram Dr. Matthias Heider Patricia Lips Dr. Ole Schröder Peter Beyer Helmut Heiderich Wilfried Lorenz Steffen Bilger Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Clemens Binninger Mechthild Heil Dr. Claudia Lücking-Michel Peter Bleser Frank Heinrich (Chemnitz) Dr. Jan-Marco Luczak Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Maria Böhmer Mark Helfrich Daniela Ludwig Dr. Klaus-Peter Schulze Wolfgang Bosbach Uda Heller Karin Maag Uwe Schummer Norbert Brackmann Jörg Hellmuth Yvonne Magwas Armin Schuster (Weil am (B) Klaus Brähmig Rudolf Henke Thomas Mahlberg Rhein) (D) Michael Brand Michael Hennrich Gisela Manderla Christina Schwarzer Dr. Reinhard Brandl Ansgar Heveling Matern von Marschall Detlef Seif Helmut Brandt Christian Hirte Hans-Georg von der Marwitz Johannes Selle Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Heribert Hirte Andreas Mattfeldt Reinhold Sendker Dr. Helge Braun Robert Hochbaum Stephan Mayer (Altötting) Dr. Patrick Sensburg Heike Brehmer Alexander Hoffmann Reiner Meier Bernd Siebert Ralph Brinkhaus Karl Holmeier Dr. Michael Meister Thomas Silberhorn Cajus Caesar Franz-Josef Holzenkamp Jan Metzler Johannes Singhammer Gitta Connemann Dr. Hendrik Hoppenstedt Maria Michalk Tino Sorge Alexandra Dinges-Dierig Margaret Horb Dr. h. c. Hans Michelbach Jens Spahn Alexander Dobrindt Bettina Hornhues Dr. Mathias Middelberg Carola Stauche Michael Donth Charles M. Huber Philipp Mißfelder Dr. Frank Steffel Thomas Dörflinger Anette Hübinger Dietrich Monstadt Dr. Wolfgang Stefinger Marie-Luise Dött Hubert Hüppe Karsten Möring Albert Stegemann Hansjörg Durz Sylvia Jörrißen Marlene Mortler Peter Stein Jutta Eckenbach Andreas Jung Elisabeth Motschmann Erika Steinbach Dr. Bernd Fabritius Dr. Franz Josef Jung Dr. Gerd Müller Sebastian Steineke Hermann Färber Xaver Jung Carsten Müller Johannes Steiniger Uwe Feiler Dr. Egon Jüttner (Braunschweig) Christian Freiherr von Stetten Dr. Thomas Feist Bartholomäus Kalb Dr. Philipp Murmann Dieter Stier Enak Ferlemann Hans-Werner Kammer Dr. Andreas Nick Rita Stockhofe Ingrid Fischbach Steffen Kanitz Michaela Noll Gero Storjohann Dirk Fischer (Hamburg) Alois Karl Helmut Nowak Stephan Stracke Dr. Maria Flachsbarth Anja Karliczek Dr. Georg Nüßlein Max Straubinger Klaus-Peter Flosbach Bernhard Kaster Wilfried Oellers Matthäus Strebl Thorsten Frei Dr. Stefan Kaufmann Florian Oßner Karin Strenz Dr. Astrid Freudenstein Roderich Kiesewetter Dr. Tim Ostermann Thomas Stritzl Dr. Hans-Peter Friedrich Dr. Georg Kippels Henning Otte Thomas Strobl (Heilbronn) (Hof) Volkmar Klein Ingrid Pahlmann Lena Strothmann Michael Frieser Jürgen Klimke Sylvia Pantel Michael Stübgen Dr. Michael Fuchs Axel Knoerig Martin Patzelt Dr. Sabine Sütterlin-Waack Hans-Joachim Fuchtel Jens Koeppen Dr. Martin Pätzold Dr. Peter Tauber Alexander Funk Markus Koob Ulrich Petzold Antje Tillmann Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7293

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Astrid Timmermann-Fechter Petra Ernstberger Bettina Müller Stefan Zierke (C) Dr. Hans-Peter Uhl Saskia Esken Michelle Müntefering Dr. Jens Zimmermann Dr. Volker Ullrich Karin Evers-Meyer Dr. Rolf Mützenich Manfred Zöllmer Oswin Veith Dr. Johannes Fechner Andrea Nahles Brigitte Zypries Thomas Viesehon Dr. Fritz Felgentreu Dietmar Nietan Michael Vietz Elke Ferner Ulli Nissen DIE LINKE Volkmar Vogel (Kleinsaara) Christian Flisek Thomas Oppermann Dr. Alexander S. Neu Sven Volmering Gabriele Fograscher Mahmut Özdemir (Duisburg) Christel Voßbeck-Kayser Dr. Markus Paschke Kees de Vries Ulrich Freese Sabine Poschmann Nein Dr. Johann Wadephul Dagmar Freitag Joachim Poß Marco Wanderwitz Michael Gerdes Florian Post SPD Nina Warken Martin Gerster Achim Post (Minden) Klaus Barthel Kai Wegner Iris Gleicke Dr. Wilhelm Priesmeier Marco Bülow Albert Weiler Angelika Glöckner Florian Pronold Dr. Ute Finckh-Krämer Marcus Weinberg (Hamburg) Ulrike Gottschalck Dr. Sascha Raabe Michael Groß Dr. Anja Weisgerber Kerstin Griese Dr. Simone Raatz Gabriele Hiller-Ohm Peter Weiß (Emmendingen) Gabriele Groneberg Martin Rabanus Ralf Kapschack Sabine Weiss (Wesel I) Uli Grötsch Mechthild Rawert Cansel Kiziltepe Ingo Wellenreuther Wolfgang Gunkel Stefan Rebmann Hilde Mattheis Marian Wendt Bettina Hagedorn Gerold Reichenbach René Röspel Waldemar Westermayer Rita Hagl-Kehl Dr. Carola Reimann Swen Schulz (Spandau) Kai Whittaker Metin Hakverdi Andreas Rimkus Rüdiger Veit Peter Wichtel Ulrich Hampel Sönke Rix Waltraud Wolff Annette Widmann-Mauz Sebastian Hartmann Dennis Rohde (Wolmirstedt) Heinz Wiese (Ehingen) Michael Hartmann Dr. Martin Rosemann Klaus-Peter Willsch (Wackernheim) Dr. Ernst Dieter Rossmann DIE LINKE Elisabeth Winkelmeier- Dirk Heidenblut Michael Roth (Heringen) Jan van Aken Becker Hubertus Heil (Peine) Susann Rüthrich Dr. Dietmar Bartsch Oliver Wittke Gabriela Heinrich Bernd Rützel Herbert Behrens Dagmar G. Wöhrl Marcus Held Johann Saathoff Karin Binder Barbara Woltmann Wolfgang Hellmich Annette Sawade Matthias W. Birkwald Tobias Zech Dr. Barbara Hendricks Dr. Hans-Joachim Heidrun Bluhm Heinrich Zertik Heidtrud Henn Schabedoth Emmi Zeulner Eva Bulling-Schröter (B) Gustav Herzog Axel Schäfer (Bochum) Roland Claus (D) Dr. Matthias Zimmer Thomas Hitschler Dr. Nina Scheer Gudrun Zollner Klaus Ernst Dr. Eva Högl Udo Schiefner Wolfgang Gehrcke Matthias Ilgen Dr. Dorothee Schlegel SPD Annette Groth Christina Jantz Ulla Schmidt (Aachen) Dr. Gregor Gysi Niels Annen Frank Junge Matthias Schmidt (Berlin) Dr. André Hahn Ingrid Arndt-Brauer Josip Juratovic Dagmar Schmidt (Wetzlar) Heike Hänsel Rainer Arnold Thomas Jurk Carsten Schneider (Erfurt) Dr. Rosemarie Hein Heike Baehrens Johannes Kahrs Ursula Schulte Inge Höger Ulrike Bahr Christina Kampmann Frank Schwabe Andrej Hunko Heinz-Joachim Barchmann Gabriele Katzmarek Stefan Schwartze Sigrid Hupach Dr. Katarina Barley Ulrich Kelber Andreas Schwarz Ulla Jelpke Doris Barnett Marina Kermer Rita Schwarzelühr-Sutter Susanna Karawanskij Dr. Hans-Peter Bartels Arno Klare Dr. Carsten Sieling Katja Kipping Dr. Matthias Bartke Lars Klingbeil Rainer Spiering Jan Korte Sören Bartol Dr. Bärbel Kofler Norbert Spinrath Jutta Krellmann Bärbel Bas Daniela Kolbe Svenja Stadler Caren Lay Uwe Beckmeyer Birgit Kömpel Martina Stamm-Fibich Sabine Leidig Lothar Binding (Heidelberg) Anette Kramme Sonja Steffen Ralph Lenkert Burkhard Blienert Helga Kühn-Mengel Peer Steinbrück Michael Leutert Willi Brase Christine Lambrecht Dr. Frank-Walter Steinmeier Stefan Liebich Dr. Karl-Heinz Brunner Christian Lange (Backnang) Christoph Strässer Dr. Gesine Lötzsch Edelgard Bulmahn Dr. Karl Lauterbach Kerstin Tack Thomas Lutze Martin Burkert Steffen-Claudio Lemme Claudia Tausend Cornelia Möhring Dr. Lars Castellucci Burkhard Lischka Michael Thews Niema Movassat Petra Crone Gabriele Lösekrug-Möller Franz Thönnes Norbert Müller (Potsdam) Bernhard Daldrup Hiltrud Lotze Carsten Träger Thomas Nord Dr. Daniela De Ridder Kirsten Lühmann Dirk Vöpel Petra Pau Dr. Karamba Diaby Dr. Birgit Malecha-Nissen Gabi Weber Harald Petzold (Havelland) Sabine Dittmar Caren Marks Bernd Westphal Richard Pitterle Martin Dörmann Katja Mast Andrea Wicklein Dr. Petra Sitte Elvira Drobinski-Weiß Dr. Matthias Miersch Dirk Wiese Kersten Steinke Michaela Engelmeier Klaus Mindrup Gülistan Yüksel Dr. Kirsten Tackmann Dr. h. c. Gernot Erler Susanne Mittag Dagmar Ziegler Frank Tempel 7294 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Dr. Axel Troost Ekin Deligöz Renate Künast Ulle Schauws (C) Alexander Ulrich Katja Dörner Markus Kurth Dr. Frithjof Schmidt Kathrin Vogler Katharina Dröge Monika Lazar Kordula Schulz-Asche Halina Wawzyniak Harald Ebner Steffi Lemke Dr. Wolfgang Strengmann- Katrin Werner Dr. Thomas Gambke Dr. Tobias Lindner Kuhn Birgit Wöllert Matthias Gastel Nicole Maisch Hans-Christian Ströbele Jörn Wunderlich Kai Gehring Peter Meiwald Dr. Harald Terpe Hubertus Zdebel Katrin Göring-Eckardt Irene Mihalic Markus Tressel Sabine Zimmermann Britta Haßelmann Beate Müller-Gemmeke Jürgen Trittin (Zwickau) Dr. Anton Hofreiter Özcan Mutlu Dr. Julia Verlinden Bärbel Höhn Dr. Konstantin von Notz Doris Wagner BÜNDNIS 90/ Dieter Janecek Omid Nouripour Dr. Valerie Wilms DIE GRÜNEN Uwe Kekeritz Friedrich Ostendorff Katja Keul Cem Özdemir Enthalten Luise Amtsberg Sven-Christian Kindler Lisa Paus Kerstin Andreae Maria Klein-Schmeink Brigitte Pothmer SPD Annalena Baerbock Tom Koenigs Tabea Rößner Marieluise Beck (Bremen) Sylvia Kotting-Uhl Claudia Roth (Augsburg) Petra Hinz (Essen) Volker Beck (Köln) Oliver Krischer Corinna Rüffer Jeannine Pflugradt Dr. Franziska Brantner Stephan Kühn (Dresden) Manuel Sarrazin Ewald Schurer Agnieszka Brugger Christian Kühn (Tübingen) Elisabeth Scharfenberg

Wir kommen zur Debatte über die Antwort auf die arbeiten. Dabei hat man den Nahverkehr in die Hand der Große Anfrage zur Bilanz der Bahnreform zurück. Das Länder – das war eine Art Bestellsituation – gebracht, Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Enak den Fernverkehr eigenwirtschaftlich gelassen und den Ferlemann. Güterverkehr auch der DB AG überlassen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Verglichen mit dem Jahr 1994 hatten wir im Nahver- neten der SPD) kehr im Jahre 2012/2013 eine sagenhafte Steigerung von 68 Prozent, im Fernverkehr von nur 7 Prozent, aber im Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Güterfernverkehr von 59 Prozent. Das sind beeindru- minister für Verkehr und digitale Infrastruktur: ckende Zahlen, die zeigen, dass die Leistungsfähigkeit (B) Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und deutlich angestiegen ist. Man hat es auch im Wettbewerb (D) Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 20 Jahre geschafft. Heute fahren viele Privatbahnen auf dem Netz Bahnreform sind eine Erfolgsgeschichte. Man kann sa- der DB Netz, und das ist gut so. So beträgt deren Anteil gen: viel erreicht, noch viel zu tun. im Nahverkehr mittlerweile 26,4 Prozent und im Güter- verkehr 33,2 Prozent nach Tonnenkilometern. 1993 haben die Kolleginnen und Kollegen im Deut- schen Bundestag über die Bahnreform entschieden. Man Die Umsatzerlöse sind deutlich gestiegen, die Pro- kann im Nachgang sagen: Sie haben sehr weise, sehr duktivität ist deutlich gestiegen, die Jahresergebnisse klug und sehr weit vorausschauend entschieden. Man sind deutlich besser, und die DB AG ist ein internationa- kann den Kolleginnen und Kollegen, die damals mit sehr les Unternehmen geworden, einer der größten Logistik- großer Mehrheit der Bahnreform zugestimmt haben, nur konzerne weltweit. Das ist gut so, und das ist richtig so. sehr dankbar sein. Das haben die richtig gut gemacht. Es freut den Eigentümer, dass wir ein so erfolgreiches Wir hätten das heute nicht besser machen können. Unternehmen haben, und wir vertreten den Eigentümer. Damals gab es die Deutsche Bundesbahn und die (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Wir sind aber Deutsche Reichsbahn. Man musste nach der Wende die alle Eigentümer! Nicht nur Sie!) Bahnen irgendwie zusammenführen. Die Verschuldung war damals bei sagenhaften 70 Milliarden D-Mark ange- – Dass wir hier im Parlament ein paar Linke haben, die kommen. Wenn die Bahnreform nicht so gut gelaufen das anders sehen, muss man ertragen. In der Demokratie wäre, wie sie gelaufen ist, dann wäre die Verschuldung muss man einiges ertragen; das gehört dazu. im Jahre 2003 auf rund 380 Milliarden D-Mark angestie- (Beifall bei der CDU/CSU) gen. Wenn Sie den Euro-Betrag wissen wollen, müssen Sie diese Summe durch zwei teilen. Trotzdem kann man feststellen, dass wir als Eigentü- mer mit dem, was die Bahn macht, sehr einverstanden Die Verkehrsleistung sank, die Aufwendungen stie- und sehr zufrieden sind. gen massiv und die Verschuldung auch. Das konnte nicht so bleiben. Deswegen hat man eine neue Struktur gefun- Gleichwohl bleiben einige Aufgaben zu erledigen, den, eine privatrechtliche. Es ist sehr klug gewesen, dass Aufgaben, die noch nicht so erfüllt sind, wie wir es alle man die DB AG in der Rechtsform einer Aktiengesell- miteinander wünschen. schaft gegründet hat. Man hat Infrastrukturgesellschaften gebildet, die staatlich bestimmt sind, und Verkehrsge- (Zuruf der Abg. Britta Haßelmann [BÜND- sellschaften, die nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten NIS 90/DIE GRÜNEN]) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7295

Parl. Staatssekretär Enak Ferlemann (A) – Frau Kollegin, Sie können gerne eine Zwischenfrage an den Tag legen. Vor allen Dingen sollten Sie endlich (C) stellen. Ich bin bereit, über alles, was die Bahn betrifft, Ihrer Verpflichtung nachkommen: dass Sie hier zu lie- Ihnen ausreichend Auskunft zu geben. fern haben. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vielen Dank. NEN]: Die Anfragen werden ja nicht beant- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wortet!) und bei der LINKEN) Sie haben ja gesehen, dass die Große Anfrage der Frak- tion Die Linke in einer hohen Qualität beantwortet wor- Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim Bundes- den ist. Bis zum letzten Schienenkilometer haben wir minister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Ihnen alles aufgelistet. Ich glaube, wir haben eine her- Sehr geehrte Frau Kollegin, natürlich nehmen wir das vorragende Arbeit abgeliefert. Parlament sehr ernst. – Sie dürfen stehen bleiben. Ich muss doch Ihre Frage beantworten. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Aber unsere Kleinen Anfragen werden (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- leider nicht richtig beantwortet! – Dr. Valerie NEN]: Nein, das war keine Frage!) Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und – Sie müssen doch eine Frage stellen. was ist mit den Tunneln?) (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Nein, muss ich nicht!) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Ferlemann, gestatten Sie eine Frage oder Be- Wenn Sie den Wunsch nach einer Zwischenfrage äußern, merkung der Kollegin Haßelmann? dann müssen Sie auch eine Frage stellen, und die muss ich auch beantworten können. So sind die parlamentari- schen Spielregeln. Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Vizepräsidentin Petra Pau: Mit besonderer Freude; denn das verlängert meine Zur Klarstellung – die Uhr ist immer noch angehal- Redezeit. ten; also geht Ihnen keine Sekunde Ihrer Redezeit verlo- ren –: Ich habe Sie eben gefragt, ob Sie eine Frage oder Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bemerkung der Kollegin Haßelmann zulassen. Sie ha- Herr Ferlemann, ich weiß nicht, ob die Freude gleich ben das zugelassen. Die Kollegin Haßelmann hat eine (B) noch so groß ist. Sie sind ja nicht Mitglied des Ältesten- Bemerkung gemacht. Das ist nach der Geschäftsordnung (D) rates und auch kein Minister, sondern Parlamentarischer möglich. Wenn sie darauf keine Antwort erwartet, brau- Staatssekretär. Ich habe heute nämlich dem Minister und chen Sie ihr auch nicht zu antworten. Ich würde mit dem auch dem Bundestagspräsidenten eine Beschwerde der ersten Wort, mit dem Sie gleich in Ihrem Redebeitrag Grünenfraktion übergeben. Von daher stellen Sie sich fortfahren, die Uhr wieder einschalten. hier bitte nicht so großherzig dar, indem Sie behaupten, (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Sie beantworteten alle Fragen. Es gibt kein anderes Ministerium, das die geltende Rechtslage hinsichtlich des Umgangs mit dem Parlament, die Geschäftsordnung Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim Bundes- des Deutschen Bundestages, so missachtet wie das Ver- minister für Verkehr und digitale Infrastruktur: kehrsministerium. Trotzdem muss ich ja die Möglichkeit haben, auf die Anwürfe der Kollegin zu antworten. Von daher gesehen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat sie schon eine Frage gestellt: ob ich das, was sie dar- und bei der LINKEN) gestellt hat, vertreten kann. Ich kann Ihnen sagen: Die Große Anfrage ist umfangreich, umfänglich und in einer Bevor Sie das weglächeln: Befassen Sie sich einmal mit sehr hohen Qualität beantwortet worden. Auch die ande- den Fakten! ren Anfragen von Ihnen werden, sobald wir die Daten Wir haben heute Ihrem Minister und auch dem Bun- haben, pünktlich und sehr umfassend beantwortet. Häu- destagspräsidenten eine Beschwerde überreicht; denn fig sind wir allerdings auf Daten Dritter angewiesen; das das Verhalten Ihres Ministeriums grenzt an Arbeitsver- wissen Sie auch. Diese Daten können in der vorhande- weigerung und Ignoranz. Bei 13 Kleinen Anfragen unse- nen Zeit nicht immer so pünktlich geliefert werden, wie rer Fraktion wurde von Ihrem Haus keine Fristverlänge- Sie es wünschen. Trotzdem sind wir sehr bemüht; das rung beantragt, aber jedes Mal die Frist nicht wissen Sie auch. Deswegen habe ich kein Verständnis eingehalten, zum Teil um sechs Tage, zum Teil um acht für Ihre parlamentarische Initiative. Tage. Es wurde sogar um zwölf Tage überzogen, und (Beifall bei der CDU/CSU) zwar eigenmächtig, also ohne Einwilligung des Frage- stellers. Deshalb, finde ich, sollte Ihr Haus ein bisschen Es bleibt noch eine Reihe von Aufgaben in der Bahn- mehr Bescheidenheit gegenüber dem Parlament reform zu erledigen. Den Schwerpunkt „Erhalt des Be- standsnetzes“ kennen Sie. Wir haben gestern mit der Be- (Beifall des Abg. Harald Petzold [Havelland] schlussfassung des Haushaltsausschusses wohl die [DIE LINKE]) größte Investition in das Bestandsnetz beschlossen, die 7296 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Parl. Staatssekretär Enak Ferlemann (A) es je gegeben hat. Investiert werden soll die Rekord- verkehrs funktioniert, ist der Wettbewerb. Das ist (C) summe von 28 Milliarden Euro in fünf Jahren. Ich erfreulich. Ich möchte an dieser Stelle noch den Neben- glaube, damit können wir uns sehr gut sehen lassen. satz einfügen: Wir als Grüne stehen zum Wettbewerb auf der Schiene. Das ist ein gewisser Unterschied zu den Wir wollen den Aus- und Neubau des Bestandsnetzes Linken, die diese Große Anfrage, die wir heute diskutie- mit rund 1,5 Milliarden Euro jährlich voranbringen. Wir ren, gestellt haben. werden sicherstellen, dass im Nahverkehr ausreichende Regionalisierungsmittel zur Verfügung stehen. Wir müs- Ähnlich wie beim Güterverkehr sieht es leider auch sen uns bemühen, dass das GVFG weiterhin Geltung hat, beim Personenfernverkehr aus. Auch hier stagniert der weil auch das der Bahn zugutekommt. Wir müssen die Verkehrsanteil. Das ist deswegen besonders fatal, weil in Eisenbahnregulierung neu aufstellen. den letzten 20 Jahren etwa 100 Milliarden Euro in das Schienennetz, vor allem in die Hochgeschwindigkeits- (Martin Burkert [SPD]: Aber gut!) strecken, investiert wurden. Aber ganz offensichtlich Wir setzen auf Qualität. Wir setzen auf Kundenfreund- wurden damit nicht die tatsächlichen Bedürfnisse der lichkeit und auf Kundenorientierung der Bahn. Die Bahn Fahrgäste erfüllt, weil die Zahl derer, die dem System soll pünktlicher, verlässlicher, sicher, sauber und schnell Schiene treu geblieben sind, eben nicht im gleichen sein. Wir wollen möglichst schnell barrierefreie Bahn- Maße wie der Verkehr insgesamt zugenommen hat. höfe und Stationen erstellen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Und das Wichtigste ist: Wir müssen das Problem des Ein weiterer Grund sind die anhaltenden Verspätun- Schienenlärms lösen. Wir wollen bis 2020 den Schienen- gen im Schienenverkehr. Seit ich im Bundestag bin, lärm um 50 Prozent senken. Dazu haben wir die Richtli- führe ich ein Bahntagebuch, in dem ich jede Fernver- nie Schall 03 auf den Weg gebracht. Wir haben lärmab- kehrsfahrt protokolliere. Bis jetzt waren es über 100 an hängige Trassenpreise. Wir haben ein freiwilliges der Zahl, etwa ein Drittel davon mit Verspätungen von Lärmschutzprogramm. Von den dort ausgewiesenen durchschnittlich 20 Minuten. Wenn man zusätzliche rund 3 600 Kilometern sind schon knapp 60 Prozent ab- Fahrgäste gewinnen möchte, dann muss man den Fahr- gearbeitet. Auch das ist eine sehr erfolgreiche Bilanz. gästen mehr Verlässlichkeit bieten, damit das Umsteigen Abschließend bleibt zu bilanzieren: Die Bahnreform funktioniert und die Leute pünktlich an ihrem Ziel an- ist nach 20 Jahren eine große Erfolgsgeschichte. Es ist kommen. viel erreicht, aber es bleibt noch viel zu tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (B) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (D) NEN]: Und für den Güterverkehr!) neten der SPD) Wichtig ist aber auch, Wettbewerbsverzerrungen, die Vizepräsidentin Petra Pau: es derzeit gibt, abzubauen. Ich erinnere hier beispiels- Das Wort hat der Kollege Matthias Gastel für die weise an die Mehrwertsteuer in Höhe von 19 Prozent auf Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Tickets im grenzüberschreitenden Bahnverkehr. Wer die gleiche Strecke mit dem Flugzeug zurücklegt, zahlt 0 Prozent. Das ist eine Ungerechtigkeit zulasten der Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Schiene. Das muss geändert werden. Guten Abend, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Das aus unserer Sicht zentralste aller (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ziele, die mit der Bahnreform verbunden gewesen sind, und bei der LINKEN) war und ist bis heute, verlorengegangene Verkehrsan- Das Positivste der Bahnreform ist die Regionalisie- teile sowohl im Güterverkehr als auch im Personenver- rung gewesen. Hier funktioniert der Wettbewerb. Hier kehr wieder für das System Schiene zurückzugewinnen. haben wir deutliche und kontinuierliche Zuwächse an Was dieses Ziel betrifft, sieht die Bilanz leider nicht Fahrgastzahlen zu verzeichnen. Allerdings brauchen wir durchweg gut aus. Wir haben im Bereich Güterverkehr Klarheit bei den Regionalisierungsmitteln und beim Ge- eine Stagnation des Verkehrsanteils zu verzeichnen. Das meindeverkehrsfinanzierungsgesetz. Die Bundesregie- ist fatal: Das ist fatal für den Klimaschutzbeitrag des rung ist hier drauf und dran, die Erfolge der Bahnreform Verkehrssektors, und es ist fatal für die Straßen, die ver- durch die Regionalisierung zu verspielen. Schaffen Sie stopft und einem immer höheren Verschleiß durch endlich Klarheit für die Länder und Kommunen, damit schwere Lkws ausgesetzt sind. diese planen und investieren können. Die Gründe dafür sind vielfältig. Ein Grund ist bei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) spielsweise darin zu suchen, dass es viel zu viele Eng- pässe im Schienennetz gibt, sodass die Leistungsfähig- Wir müssen auch sehen, dass mit 20 Jahren Bahnre- keit, die eigentlich notwendig wäre, gar nicht vorhanden form ein Abbau von Verkehrsinfrastruktur verbunden ist. ist. Aber auch für die Zukunft wurden falsche Entschei- Weniger Städte als damals sind an den Fernverkehr an- dungen getroffen. Ich erinnere hier beispielsweise an die gebunden. Wir haben einen Abbau von Überholspuren EEG-Umlage, die das System Schiene bzw. die Schie- und von Weichen, also einen Leistungsrückbau, zu be- nenbahnen sehr einseitig belastet und im Wettbewerb ge- klagen. Bedroht sind auch die Nachtzüge. Wir haben in genüber dem Lkw schwächt. Was im Bereich des Güter- unserer Studie nachgewiesen, dass mit guten Ideen Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7297

Matthias Gastel (A) Nachtzüge durchaus wirtschaftlich betrieben werden Misst man das Ganze auf einer Waagschale, so kann (C) können, wenn die DB es möchte. Wenn die Bundesregie- man heute sagen: Die Bahnreform ist insgesamt – nach rung endlich für einen fairen Wettbewerb sorgt, dann ha- 20 Jahren – ein Erfolg. Es lohnt sich, heute eine Stand- ben auch die Nachtzüge wieder eine Chance. ortbestimmung vorzunehmen: Wo steht die Bahn mit ih- rer großen Strukturreform? Eines ist sicher: dass in den (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN letzten 20 Jahren im Schienenbereich viel geleistet wor- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) den ist. Wie steht es um die Infrastruktur? Wir haben im Zu- Ich möchte mich heute bei allen Eisenbahnerinnen sammenhang mit unseren Kleinen Anfragen zum Thema und Eisenbahnern, ausdrücklich auch bei den Beamten, Eisenbahnbrücken feststellen müssen: Über 1 000 Brü- die bei der Deutschen Bahn AG arbeiten, bedanken. cken sind in einem so schlechten Zustand, dass sie nicht mehr wirtschaftlich saniert werden können. Vor diesem (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Hintergrund müssen wir kritisch anmerken: In der der CDU/CSU und der Abg. Sabine Leidig LuFV II, der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung, [DIE LINKE]) ist leider nicht so konkret, wie wir uns das erwartet ha- ben, vorgegeben, wofür die zusätzlichen Mittel, die wir Die Eisenbahnerinnen und Eisenbahner haben mit einer sehr begrüßen, ausgegeben werden dürfen bzw. müssen 200-prozentigen Produktivitätssteigerung diese Reform und wie die Nachweise über die korrekte Ausgabe vor- zum Erfolg gebracht. gelegt werden müssen. Das ist eine Schwäche dieses Vertrages. Es ist aber richtig, dass mehr Geld in das Sys- Ich bedanke mich auch bei der Gewerkschaft der Ei- tem Schiene fließt; das brauchen wir dringend. Es hätte senbahner Deutschlands und bei der Gewerkschaft Deut- aber in einer anderen Form passieren müssen. scher Bundesbahnbeamter, die mit vielen Tarifverträgen auch ihren Beitrag zum Erfolg geleistet haben. Beson- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ders ist hierbei das bahninterne Arbeitsamt DB JobSer- vice zu nennen. Fazit: 20 Jahre Bahnreform – kein Grund zur Selbst- zufriedenheit. Gescheitert ist die Reform aber nicht. Wir Die Bahnreform war 1994 mit drei maßgeblichen müssen jetzt dort, wo es notwendig ist, handeln, um die Hauptzielen auf den Weg gebracht worden: mehr Ver- Lücken im Netz zu schließen und die Infrastruktur zu er- kehr auf die Schiene zu bringen, die Leistungsfähigkeit halten. Wir brauchen tragfähige Trassenpreise und faire der Bahn zu erhöhen und den Bundeshaushalt zu entlas- Wettbewerbsbedingungen für die Schiene. ten. An diesen Punkten kann man die Reform der Bahn also messen, und wir können klar feststellen: Hier wurde (B) Herr Ferlemann, da Sie vorhin gesagt haben, es gebe viel erreicht. Wir haben heute – erstens – mehr Verkehr (D) noch viel zu tun: Legen Sie mal los in diese Richtung. und Wettbewerb auf der Schiene. Wir haben – zweitens – Dann hat das System Schiene auch eine Zukunft. ein leistungs- und wettbewerbsfähiges, gut geführtes (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Unternehmen, und – drittens – sind die Belastungen des Bundeshaushalts heute niedriger als damals. Ganz im Gegenteil: Heute bekommen wir eine Dividende von der Vizepräsidentin Petra Pau: Deutschen Bahn. Das Wort hat der Kollege Martin Burkert für die SPD- Fraktion. Die Deutsche Bahn steht also gut da und ist auch im europäischen Vergleich mit Netz und Betrieb ein wettbe- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten werbsfähiges Unternehmen. Über 370 Schienenver- der CDU/CSU) kehrsunternehmen nutzen das deutsche Eisenbahnnetz. Mehr Verkehr auf der Schiene entlastet unsere Stra- Martin Burkert (SPD): ßen, ist umweltfreundlich und damit ein wichtiger Bei- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! trag für eine sinnvolle und gute Mobilitätsstruktur und Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zu vor allem für unser Klima, liebe Kolleginnen und Kolle- Beginn meiner Rede noch einmal folgende Worte von gen. Besonders der Zuwachs im Schienenpersonennah- Altbundeskanzler Helmut Schmidt in Erinnerung rufen: verkehr ist mehr als erfreulich. Hierbei muss die Bahn Die Bundesrepublik Deutschland kann sich immer aber selbstverständlich auch weiterhin ihre Anstrengun- nur eines von beidem leisten, entweder eine Bun- gen bezüglich Pünktlichkeit, Service und Verlässlichkeit deswehr oder eine Bundesbahn. – das Brot-und-Butter-Geschäft – verstärken. (Zuruf der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE]) Daneben konnten auch im Schienengüterverkehr Fortschritte erreicht werden. Frau Leidig, ich möchte Ih- Er hat damals den Grundstein für eine Bahnreform nen Folgendes sagen: Von 1994 bis Ende 2013 hat das gelegt, die am 1. Januar 1994 begonnen wurde. Und, Gütervolumen der Deutschen Bahn auf der Schiene in liebe Kolleginnen und Kollegen, der Altbundeskanzler der Tat um circa 59 Prozent zugenommen. Insofern hat die Weichen richtig gestellt; auch das kann man nach stimmt hier Ihre Aussage nicht. Ich sage ferner: Die 20 Jahren sagen. Die Verschuldung in Höhe von 70 Mil- Deutsche Bahn konnte ihren Güterverkehr auch durch liarden D-Mark, Kollege Ferlemann, war sicherlich da- Verlängerung der Güterzüge auf 850 Meter ausbauen. mals ein Grund für eine Reform; das ist sicher. Aber ich sage auch: Das große Ziel – mein geschätzter 7298 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Martin Burkert (A) Kollege Dirk Fischer als einer der Väter der Reform (Beifall des Abg. Thomas Lutze [DIE (C) spricht gleich noch – LINKE]) (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich darf fortfahren. – 5 Milliarden Euro mehr für die NEN]: Gibt es auch Mütter? – Gegenruf des Elektromobilität sind gut, was den Pkw-Verkehr angeht; Abg. Sören Bartol [SPD]: Aber die sind nicht das steht außer Frage. Ich würde mir aber wünschen, hier!) dass wir auch Gelder für eine rollende Landstraße oder den CargoBeamer einsetzen. Mit 35 CargoBeamer-Zü- bleibt, mehr Güter auf die Schiene zu bringen. 17 Pro- gen würden wir die gleiche Menge an CO2-Emissionen zent der Güter sind heute auf der Schiene. Da sage ich: einsparen wie mit 1 Million Elektroautos; ich will das Das ist noch zu wenig. nur mal sagen. Da müssen wir alle Anstrengungen unter- nehmen. Vizepräsidentin Petra Pau: Wir haben große Herausforderungen in puncto Barri- Kollege Burkert, gestatten Sie eine Frage oder Be- erefreiheit, in puncto Lärmschutz und in puncto Service- merkung der Kollegin Leidig? qualität. Da müssen konsequent neue Anstrengungen auf den Weg gebracht werden. Martin Burkert (SPD): Wir müssen gerade im Bund ein besonderes Augen- Immer. merk auf die Qualität unserer Schienennetze legen; denn sie sind die maßgebliche Voraussetzung für einen star- Sabine Leidig (DIE LINKE): ken Schienensektor im Fern-, Güter- und öffentlichen Nahverkehr. Das ist ein großes Versprechen, Kollege Burkert, aber ich werde es nicht missbrauchen. – Ich möchte zwei Fra- Vor allem die 25 000 Brücken, von denen 9 000 älter gen miteinander verbinden. Eine Frage haben Sie gerade als 100 Jahre sind, brauchen unser besonderes Augen- im Grunde schon selber beantwortet. Der Anteil der Gü- merk. Ich bin sehr froh, dass wir es geschafft haben, mit ter, die auf der Schiene transportiert werden, ist über- der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung II des haupt nicht gewachsen. Das ist dramatisch, weil sich ge- Problems Herr zu werden. Brückensanierungen sind rade der Güterverkehr so rasant entwickelt und immer jetzt explizit vorgeschrieben. Es ist also nicht so, wie Sie mehr Lkw auf deutschen Straßen Probleme verursachen. sagen, Herr Gastel. Wir haben da, wo es notwendig war, Da ist natürlich der zentrale Punkt: Wie kommt die Bahn der Deutschen Bahn AG gesagt, wo investiert werden da wieder in die Vorhand? muss. Wir werden hier stehen und über die Kontrolle der (B) LuFV II reden. (D) Ich möchte Sie als Fachmann an dieser Stelle fragen, wie Sie es einschätzen, dass die Deutsche Bahn AG in (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dieser Zeit, in den letzten 20 Jahren, 80 Prozent der An- NEN]: Nur knapp 1 000 Brücken dürfen sich schlüsse, die Industrieunternehmen angebunden haben in ihrem Zustand nicht verschlechtern – von – damit besteht die Möglichkeit, direkt von der Firma 25 000! – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/ auf die Schiene zu gehen –, gekappt hat? Ich kenne eine DIE GRÜNEN]: Es gibt doch gar keine Kon- ganze Reihe von Unternehmen in meiner Region, die das trolle, Herr Kollege!) sehr bedauern, die gern wieder auf die Schiene gehen Um dies allerdings auch langfristig erreichen zu kön- würden oder überhaupt auf die Schiene gehen würden. nen, muss die Personalsituation bei der Deutschen Bahn Dazu würde ich schon gern noch etwas hören und wis- entsprechend angepasst werden. Ich sage ganz deutlich: sen, warum Sie das als Erfolg betrachten. Hier hat auch der Bahnvorstand Fehler begangen. Am Personal zu sparen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist Martin Burkert (SPD): falsch. Frau Leidig, es ist in der Tat so: Wir würden uns noch (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten mehr Güter auf der Schiene wünschen; das steht außer der LINKEN) Frage. Ich darf Ihnen aber auch sagen, dass die Deutsche Bahn AG mit 20 Prozent ihrer Kunden 80 Prozent des Ich begrüße es ausdrücklich – Herrn Gruber und Herrn Entgelts im Güterverkehr einfährt. Fast das Volumen des Weber gratuliere ich dazu –, dass die Bahn in den nächs- Autoverkehrs haben wir auf der Schiene. Im Übrigen ten Jahren 80 000 Menschen einstellt. Nach einem Stopp fährt alles im Zusammenhang mit Brauereien mittler- 1974 wird wieder mehr eingestellt. weile auf der Schiene. Der Einzelwagenverkehr, für den Dann werden wir auch immer wieder darüber reden ich mich seit Jahr und Tag einsetze, muss erhalten blei- müssen, wo Wettbewerbsnachteile gegenüber anderen ben, obwohl er nicht nur schwarze Zahlen schreibt. Verkehrsträgern bestehen. Ich erwähne die Mehrwert- Wenn wir den Einzelwagenverkehr nicht mehr hätten, steuer, das EEG, die Mineralölsteuer; es gibt da viel zu hätten wir am Tag noch einmal 100 000 Lkw mehr auf sagen. unseren Straßen. Das ist nicht betriebswirtschaftlich, aber volkswirtschaftlich und verkehrspolitisch wichtig. Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. Mit der Deswegen achten wir auch darauf, im Aufsichtsrat und Bahnreform konnten wichtige Impulse gesetzt werden, in den verkehrspolitischen Gremien. Ich sage Ihnen: Wir die zu positiven Entwicklungen im Schienenverkehr bei- werden alle Anstrengungen dazu unternehmen. getragen haben. Wir sollten heute, an diesem Tag, nach Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7299

Martin Burkert (A) 20 Jahren Bahnreform, die in diesem Jahr zu Ende ge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (C) hen, mit Ruhe, aber auch mit Stolz sagen, dass wir in neten der SPD) Deutschland das beste Eisenbahnsystem der Welt haben. Auch das kann man an so einem Tag sagen. Die Bahn ist kein Sozialamt des Verkehrs mehr, in das jeder hineingreifen und sich bedienen kann mit der Folge (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie permanent steigender Verlustzahlen der Bundesbahn. bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich zitiere aus der Rede von Bahnchef Dr. Rüdiger Grube beim Festakt „20 Jahre Bahnreform“ im Januar Ich sage: Wir müssen sorgsam damit umgehen, denn die dieses Jahres: Die Bundesbahn und Reichsbahn hatten Menschen in unserem Land brauchen unsere Bahn. im Jahr vor der Bahnreform – also 1993 – 8 Milliarden Herzlichen Dank. Euro Verlust erwirtschaftet und mehr als 34 Milliarden Euro Schulden aufgehäuft. – Der Parlamentarische (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Staatssekretär hat eben den DM-Betrag genannt. Dr. Grube hatte den Betrag bereits in Euro umgerechnet. Vizepräsidentin Petra Pau: Es wurden also mehr als 34 Milliarden Euro Schulden Das Wort hat der Kollege Dirk Fischer für die CDU/ aufgehäuft. Die Personalaufwendungen waren 1993 hö- CSU-Fraktion. her als die gesamten Umsatzerlöse. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Stellen Sie sich diese Ausgangssituation vor, stellen neten der SPD) Sie sich dann vor, zu dieser Ausgangssituation zurückzu- kehren. Dies wäre nach meiner Auffassung unverant- Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU): wortlich. Eine AG heißt aber auch das Führen eines ver- selbstständigten Kapitals in eigener Verantwortung Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- durch den Vorstand. Die Vorteile daraus sind, dass sich gen! Als der Deutsche Bundestag am 2. Dezember 1993 der Vorstand um die Kunden kümmern muss, also eine die Bahnreform – an die Formulierer der Großen An- Kundenorientierung. Weitere Punkte sind eine Markt- frage: unter Verkehrsminister ; denn orientierung, eine Wettbewerbsorientierung, eine Pro- er war bereits seit Mai 1993 Minister; es war nicht duktivitätsorientierung und damit letztlich auch die Ge- Günther Krause, wie es dort heißt – mit 558 Jastimmen winnorientierung. Das ist Aufgabe und Pflicht des bei nur 13 Gegenstimmen und 4 Enthaltungen und sogar Vorstands nach dem Aktiengesetz. Es gibt auch eine einer Jastimme der Kollegin der Fraktion PDS/LL ver- klare Dividendenerwartung des Alleinaktionärs Bund, abschiedet hatte, habe ich damals zu Beginn meiner der zum Auf- und Ausbau des Systems erhebliche Bun- Rede im Plenum gesagt: (B) desschulden auf sich genommen hat, die berechtigt wa- (D) Künftige Generationen werden hoffentlich nur noch ren, bzw. jetzt im Finanzierungskreislauf Schiene für in Büchern nachlesen können, daß es einmal eine Reinvestitionen in die staatliche Infrastruktur gesorgt Bahnbehörde nach öffentlichem Dienst- und Haus- hat. Dies war ein positiver und für den Haushalt sehr gu- haltsrecht mit einer ausgeprägten Organisations- ter Schritt. und Behördenkultur ohne jegliche Wettbewerbs- chance auf dem Verkehrsmarkt mit Milliardendefi- Vizepräsidentin Petra Pau: ziten gegeben hat. Ich hoffe, daß wir diese dann sehr bald auch aus der Wirklichkeit verabschieden Kollege Fischer, gestatten Sie eine Frage oder Bemer- können. kung der Kollegin Leidig?

Von diesen Ausführungen habe ich kein Wort zurückzu- Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU): nehmen. Gerne. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Heute ist die Behördenbahn in der Tat längst Ge- Sabine Leidig (DIE LINKE): schichte. Die Entscheidung, die Bahn als Wirtschaftsun- Herr Kollege Fischer, meine Frage bezieht sich noch ternehmen in der Rechtsform der Aktiengesellschaft zu einmal auf den Schuldenstand. Ich muss gestehen, dass führen, war und bleibt richtig. Dies hat aber auch klare es mir nicht hundertprozentig klar ist, wie es sich tat- rechtliche Konsequenzen. Ich würde einem Juristen wie sächlich verhält. Ich sage Ihnen einmal meine Informa- dem Fraktionsvorsitzenden Dr. Gysi empfehlen, im Ak- tionen. Der Bund zahlt wie zu Beginn der Bahnreform tiengesetz nachzulesen, bevor er Anträge unterschreibt, nach wie vor 17 Milliarden Euro pro Jahr plus 2,5 Mil- und dort nicht Dinge hineinzuschreiben, durch die ein liarden Euro Schuldendienst für die Altschulden der Vorstand dann, wenn er sie täte, gegen das Aktienrecht Bundesbahn. Dazu kommen aus meiner Perspektive die verstoßen würde. 19,3 Milliarden Euro, die die Deutsche Bahn AG an Finanzschulden ausweist; denn diese 19,3 Milliarden (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Na ja!) Euro Schulden sind die Schulden eines bundeseigenen Der Bundestag sollte unter keinen Umständen einen ver- Unternehmens. Eigentlich muss man die Zahlen zusam- antwortlichen Unternehmensführer zu Gesetzesverlet- menrechnen. Ich sehe einfach nicht, woher die giganti- zungen auffordern. Daher kann man das, was dort vorge- sche Entlastung kommt. Wenn ich also die beiden Zah- legt worden ist, nur ablehnen. len zusammenzähle, dann hat sich gar nichts geändert. 7300 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

(A) Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU): Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU): (C) Der Unterschied ist, dass damals ungeplante, den Das ist ganz schnell gesagt. Wir haben eine Kommis- Haushalt belastende Jahresverluste entstanden sind, die sion eingerichtet, die wegweisende Vorschläge gemacht erst am Ende eines Wirtschaftsjahres klar wurden. Mal hat. Im Ministerium ist dann ein Gesetzentwurf gemacht waren es 3 Milliarden, mal 5 Milliarden Euro. Dafür war worden. Wir haben damals parlamentarisch mit den So- der Bund unmittelbar verantwortlich. Jetzt haben wir zialdemokraten, die in der Opposition waren, und dem eine Aktiengesellschaft, die natürlich für Investitionen Koalitionspartner FDP, auch im Dialog mit den Grünen, auch den Kapitalmarkt in Anspruch nimmt und diese diese Dinge bearbeitet. Dabei war ganz entscheidend, aufgenommenen Kredite verzinst und tilgt. Sie hat auf dass auch die Länder zustimmen mussten: bei der Über- der anderen Seite aber auch ein gewaltiges Anlagever- nahme des Schienenpersonennahverkehrs gegen Regio- mögen, das sich bilanziell niederschlägt. nalisierungsmittel. Es gab mehrere Änderungen des Grundgesetzes, sechs neue Gesetze. Dann hat sich (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das hatte der Minister Wissmann – das war auch sinnvoll – zu einer Bund vorher auch!) längeren Klausur mit den Vertretern der Länder an den Tegernsee begeben und die Einigung mit den Ländern Das ist der gewaltige Unterschied. Die damalige unmit- herbeigeführt. telbare Haushaltsverantwortung ist heute in dieser Weise nicht vorhanden. (Martin Burkert [SPD]: In Bayern gelingt es!) Ich fahre fort und sage: Die Lage vor der Bahnreform Schließlich haben wir auf der breiten Basis von Regie- war dramatisch: rückläufige Marktanteile der Schiene im rungskoalition und Opposition – ich habe die Zahlen ge- Güter- und Personenverkehr, der schon erwähnte stei- nannt – die Beschlussfassung durchgeführt. Ich glaube gende Schuldenstand, der besonders hohe Verschleiß also, es war damals ein segensreiches und positives Zu- und die Altlasten der ehemaligen DDR-Reichsbahn. Das sammenwirken. Holdingmodell, bei dem wir nach der Zusammenfüh- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- rung gelandet sind, hat sich meiner Überzeugung nach neten der SPD) bewährt. Der Bund ist und bleibt zu 100 Prozent Allein- aktionär der DB AG Holding, und ebenfalls zu 100 Pro- Ich will im Übrigen fortfahren und sagen: Demgegen- zent verbleiben im Alleineigentum des Aktionärs die In- über sind natürlich die Betriebsgesellschaften des Unter- frastrukturgesellschaften, die für eine Öffnung zum nehmens prinzipiell für den Kapitalmarkt offen. Deswe- privaten Kapitalmarkt nicht infrage kommen. Das sind gen ist im Rahmen des Holdingmodells seinerzeit eine das Netz, die Stationen und die Energieversorgung. Bun- Zwischenholding, die DB ML, gebildet worden. Der (B) desfernstraßen, Bundeswasserstraßen, Bundesschienen- Weg an den Kapitalmarkt ist aus unserer Sicht nur dann (D) wege sind staatliche Infrastruktur. Dort muss ein gleich- ein Thema, wenn es wegen der Situation am Kapital- berechtigter Wettbewerb möglich sein. markt oder wegen eines interessanten, in strategischer Hinsicht sinnvollen Investors sinnvoll und möglich er- scheint, was gegenwärtig nicht der Fall ist. Vizepräsidentin Petra Pau: (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Aber jeder zahlt Kollege Fischer, gestatten Sie eine Frage oder Bemer- für die Schäden!) kung des Kollegen Burkert? Faktisch ist im Unternehmen unter dem Dach und in Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU): der Gesamtverantwortung der Holding eine interne Trennung von Netz und Betrieb vorgenommen worden. Gerne, ja, aber mit der Bitte, dass mir die Zeit nicht Das ist erfreulich; denn der Finanzierungskreislauf angerechnet wird. Schiene garantiert jetzt – das war uns ein wichtiges An- liegen –, dass Gewinne von den staatlich bezuschussten Vizepräsidentin Petra Pau: Infrastrukturgesellschaften in die Infrastruktur reinves- tiert werden und nicht etwa über die Kasse der Holding Das ist schon längst geschehen. in die Erweiterungen der Betriebsgesellschaften transfe- riert werden dürfen. Das ist uns sehr wichtig. Martin Burkert (SPD): Das Holdingmodell steht aber auch im völligen Ein- Die Zeit ist angehalten. – Werter Kollege Fischer, ich klang mit der europäischen Eisenbahnpolitik. Denn das habe die Rede von damals nachgelesen. Ich will nur fra- Holdingmodell ist unter jedwedem Aspekt mit dem in gen, weil Sie bei der ersten Stunde dabei waren: Können der Beratung befindlichen vierten Eisenbahnpaket der Sie aus Ihrer Erfahrung kurz schildern, wie damals die EU vereinbar – sowohl, was die technische Säule anbe- Zusammenarbeit mit dem geschätzten sozialdemokrati- langt, als auch, was die ordnungspolitische Säule anbe- schen Kollegen Klaus Daubertshäuser und dem Zusam- langt. menwirken von Bundesrat und Bundestag mit einem sol- chen Erlebnis war? Nach 20 Jahren Bahnreform kann Die Ziele der Bahnreform sind nach meiner Überzeu- man das hier auch einmal machen. gung erreicht worden. Der Bundeshaushalt wurde ins- besondere von unkalkulierbaren Risiken entlastet. Die (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das waren alles EU-Konformität der deutschen Eisenbahnpolitik wurde tolle Kerle, bestimmt!) erreicht. Die Wettbewerbsorientierung wurde gestärkt, Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7301

Dirk Fischer (Hamburg) (A) Leistung und Produktivität wurden damit gesteigert. Der Kirsten Lühmann (SPD): (C) Kundennutzen wurde gemehrt. Die Modernisierung, Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe sowohl technisch als auch betrieblich, ist entscheidend Kolleginnen! Sehr geehrte Zuhörende! Französische vorangebracht worden. Freunde haben berufsbedingt in unserem Ort gewohnt. Sie wollten ihren Sohn mit der Bahn von Hannover über Vizepräsidentin Petra Pau: Köln zur Großmutter nach Frankreich schicken. Sie ka- men völlig entgeistert vom Bahnhof zurück. Denn sie Herr Kollege Fischer, achten Sie bitte auf die Zeit. hatten den Jungen in den falschen Zug geschickt. Als wir fragten, warum, haben sie gesagt: Wir haben uns gewun- Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU): dert; zehn Minuten vorher kam ein Zug, und wir sind es Die Bahnreform hat die Grundlage dafür geschaffen, aus Frankreich gewohnt, dass an einem Gleis alle 30 Mi- dass der Schienenverkehr in Deutschland nach Jahren nuten ein Zug kommt. Als der Zug kam, dachten wir des Niedergangs einen neuen Aufschwung erlebt hat und also, das wäre unserer. – Als wir ihnen dann erklärt ha- heute im europäischen Vergleich erfolgreich dasteht. Der ben, dass in Deutschland in 30 Minuten drei Züge an ei- Staatssekretär hat die Zahlen genannt, wobei man beim nem Gleis abfahren, waren sie hochbegeistert und hatten Fernverkehr darauf hinweisen muss: In der Zwischenzeit Hochachtung vor der Deutschen Bahn. ist der eigenwirtschaftliche Interregio in den bezuschuss- (Beifall der Abg. Birgit Kömpel [SPD] – Sabine ten Nahverkehr transferiert worden. Leidig [DIE LINKE]: Ja, wo denn?) Die Bahnreform ist natürlich – da stimme ich allen zu – Unseren Kindern sagen wir natürlich: Man soll sich kein einmaliges Ereignis, sondern ein Prozess, der noch nicht am Schlechtesten orientieren, sondern immer ver- nicht beendet ist. Aber ich denke, zum Beispiel bei der suchen, besser zu werden. Aber, liebe Kolleginnen und Diskussion über den Schienengüterverkehr – – Kollegen von den Linken, die Feststellung in Ihrem Ent- schließungsantrag, die Bahnreform sei gescheitert, ist Vizepräsidentin Petra Pau: doch nun wirklich an den Haaren herbeigezogen. Kollege Fischer, Sie können gern weiterreden. Aber (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ich mache Sie darauf aufmerksam: Das geht auf Kosten der CDU/CSU) der Redezeit Ihres Kollegen Lange. Ich nenne hier nur mal ein Beispiel: Ja, seit 2004 sind (Martin Burkert [SPD]: Dem langen die Verspätungsminuten im Fernverkehr gestiegen. Das drei Minuten!) kann weder uns noch die Deutsche Bahn zufriedenstel- len. Aber Sie verschweigen, dass die Verspätungsminu- (B) (D) Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU): ten im Nahverkehr um 20 Prozent zurückgegangen sind. Ich denke, dass der Schienengüterverkehr heute na- Auch beim Fernverkehr gibt es zum Beispiel Effekte wie türlich darunter leidet, dass wir eine Universalbahn ha- das Hochwasser, die über uns hereingebrochen wären, ben. ob wir nun eine Deutsche Bahn AG, eine Reichsbahn oder eine Bundesbahn gehabt hätten. (Heiterkeit) (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Derzeit gibt es – Ich habe den Eindruck, die Zeit für die Beantwortung gar kein Hochwasser, aber trotzdem haufen- der Zwischenfragen ist nicht ganz ausgeglichen worden. weise Verspätungen!) Aber egal! Wir sollten die Situation von 1994 näher betrachten. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Sie reden ja Wir hatten – das wurde erwähnt – eine Bundesbahn und bald schon zwölf Minuten!) eine Reichsbahn, das heißt, wir mussten zwei verschie- dene Systeme integrieren. Guckt man sich an, wie hoch Ich komme gerne zum Schluss. Wir wollen in dieser damals der Marktanteil war, stellt man fest: Die Deut- Legislatur zum Beispiel das Eisenbahnregulierungsge- sche Bundesbahn hatte von 1950 bis 1990 den Marktan- setz verabschieden. Es geht darum, den fairen Wett- teil im Personenverkehr dramatisch reduziert: von bewerb auf der Schiene weiter zu stärken. Wir wollen 37 Prozent 1950 auf 6 Prozent 1990. die Bahn weiter modernisieren. Politik und Unterneh- men sind gemeinsam in der Verantwortung. Es ist also Bei der Reichsbahn war der Rückgang noch eklatan- auch künftig unsere gemeinsame Aufgabe, die Bahn- ter: In den fünf Jahren von 1985 bis 1990 hat sie 27 Pro- reform erfolgreich fortzusetzen und sie von der nationa- zent Marktanteil verloren; im Güterverkehr war es ähn- len hin zur europäischen Dimension weiterzuentwickeln. lich. Wir mussten also dringend etwas tun, und das haben wir, und zwar mit dem bestehenden Personal, ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) tan. Das war damals eine große Herausforderung. Ich möchte dem Personal, das die Herausforderung damals Vizepräsidentin Petra Pau: bewältigt hat, hier und heute dafür sehr herzlich danken. Das werden Sie gleich innerfraktionell klären, nehme (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ich an. – Erst einmal hat die Kollegin Kirsten Lühmann der CDU/CSU) für die SPD-Fraktion das Wort. Unsere Ziele waren: mehr Verkehre durch mehr Kom- (Beifall bei der SPD) fort, mehr Güterverkehre durch mehr Flexibilität. Nun 7302 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Kirsten Lühmann (A) kann man darüber spekulieren, ob wir dieselben Ziele Zum Abschluss: Wir wollen die Bahn nicht glorifizie- (C) auch mit einer Bundesbahnstruktur erreicht hätten. Aber ren, wir wollen sie aber auch nicht verteufeln. Ich stelle ich glaube, diese Spekulation ist müßig. Wir können hier fest: Eisenbahn in Deutschland 2014 ist näher an den und heute feststellen: Die Reform durch die Bildung ei- Menschen und näher an der Wirtschaft. Wir arbeiten in ner Holding war erfolgreich. dieser Bundesregierung daran, das noch weiter zu ver- bessern. Es wäre schön, wenn wir das in diesem Hause Ich möchte hier nichts beschönigen. Es wurde schon gemeinsam gestalten könnten wie damals die Bundes- erwähnt: Es gibt einige Dinge, die wir noch regeln müs- bahnreform. sen, zum Beispiel die Situation im Fernverkehr. Unser Ausschuss hat für das neue Jahr die entsprechenden Ver- Herzlichen Dank. antwortlichen geladen, um mit ihnen über dieses Thema (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zu diskutieren. der CDU/CSU) Wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, einzelne Handlungsfelder zu einem Systemver- Vizepräsidentin Petra Pau: sagen hochstilisieren wollen, dann machen wir das nicht Der Kollege Ulrich Lange hat für die CDU/CSU- mit. Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der CDU/CSU) der CDU/CSU – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Nee, nee, da gibt es schon viele Handlungs- Ulrich Lange (CDU/CSU): felder!) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie beklagen in Ihrer Großen Anfrage und in Ihrem Ent- Nachdem Dirk Fischer, ein Mitglied des Deutschen schließungsantrag Streckenstilllegungen und Personal- Bundestages, das vieles live erlebt hat, uns auf einen abbau; die gibt es, das ist richtig. Aber richtig ist auch: Ausflug in die Historie mitgenommen hat und unser Streckenabbau gibt es seit 1912, Personalabbau gibt es Ausschussvorsitzender auf die Eisenbahngewerkschaft kontinuierlich seit 1960. Das hat nichts mit der Rechts- hingewiesen hat, kann ich mich auf ein paar wesentliche form der Bahn zu tun. Daran würde sich auch nichts Punkte konzentrieren: Ja, vor 20 Jahren hat ein neues Ei- ändern, wenn wir noch die Bundesbahn oder die Reichs- senbahnzeitalter begonnen, ja, es war richtig, dass wir bahn hätten. Aber was sich geändert hat, das ist die Aus- aus der Spirale rückläufiger Zugverkehre bei gleichzeitig richtung, die sich jetzt an den Bedürfnissen der Men- ansteigendem Schuldenstand herausgekommen sind, schen orientiert. und es war richtig, Schluss zu machen mit dieser Behör- (B) denbahn und zu sagen: Auch die Bahn muss sich als (D) Sie haben es erwähnt: Die Regionalisierungsmittel Wirtschaftsunternehmen aufstellen. haben im Nahverkehr riesige Fortschritte gebracht. Sie sind eine Erfolgsstory; denn der Nahverkehr ist damit Trotzdem haben wir die staatliche Verantwortung für näher an den Menschen und flexibler. In den Verhand- die Infrastruktur und den öffentlichen Personennah- lungen, die wir zurzeit führen, passen wir dieses System verkehr nicht aufgegeben. Mit den Regionalisierungs- nun an die veränderten Rahmenbedingungen an. Mit mitteln, die mehrfach angesprochen worden sind, schrei- dem neuen Modell der Bahn ist das auch möglich. Frau ben wir wirklich Erfolgsgeschichte. Das wissen all Leidig, wenn Sie zukünftig von Siegen nach Frankfurt diejenigen, die sich erinnern können, wie in den 80er- fahren wollen, dann empfiehlt Ihnen der Kollege Bartol Jahren eine Strecke nach der anderen stillgelegt wurde. die Hessische Landesbahn, die diese Strecke sogar Wir finanzieren auch die NE-Bahnen; auch das schneller bewältigt als vor der Reform. möchte ich in diesem Zusammenhang erwähnen. Die Ähnliches gilt für das Netz. Vor 1994 gab es bei der NE-Bahnen sind Teil dieser Erfolgsgeschichte. Eisenbahn nur Streckenstilllegungen – natürlich gab es Dass wir in den letzten Jahren wieder einen Zuwachs auch nach 1994 Streckenstilllegungen –, aber heute gibt beim Personen- und beim Güterverkehr haben, ist bereits es, auch aufgrund der neuen Rechtsform, wieder Stre- ausgeführt worden. Das zeigt, dass die Grundentschei- ckenaktivierungen. Ich will Ihnen zwei Beispiele nen- dung mit Sicherheit richtig war. nen. Das ist in meinem Bundesland Niedersachsen der „Haller Willem“, der von Osnabrück über Dissen nach Liebe Kollegin Leidig, Ihre Zwischenfragen führen fährt. Über zehn Jahre gab es auf dieser Stre- zu Verspätungen. Da ich öfter fliege, muss ich sagen: Es cke keinen Personenverkehr. 2005 ist die Strecke reakti- regt sich kaum einer darüber auf, dass kaum ein Flieger viert worden. Das zweite Beispiel ist die Niedersächsi- keine Verspätung hat. Dagegen sind die Verspätungen sche Landesregierung, die ein Projekt aufgelegt hat, mit bei der Bahn doch relativ gering. dem sie neue Strecken reaktiviert. In einem transparen- Wer sind die Gewinner der Bahnreform? Gewinner ten Prozess sind von 28 gemeldeten Strecken die fünf sind die Kunden. Ich sage nur: Inzwischen haben fast sinnvollsten herausgearbeitet worden. Das sind die Er- 5 Millionen Menschen eine Bahncard. Das sind 5 Mil- folge des neuen Systems, und die darf man nicht klein- lionen Menschen, die sich ganz aktiv zu der Bahn als reden, auch wenn wir nicht alles erreicht haben; Herr Verkehrsmittel bekennen. Ferlemann hat darauf hingewiesen, dass wir das Thema Barrierefreiheit noch in dieser Legislaturperiode ange- Wir stehen vor Herausforderungen; das ist richtig. hen werden. Eine große Herausforderung sind wir angegangen – am Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7303

Ulrich Lange (A) 3. Dezember 2014 im Verkehrsausschuss und gestern im Aufgabenplanung der Deutschen Welle 2014 (C) Haushaltsausschuss –, die LuFV II. Wir wollen – das ist bis 2017 ein Riesenschritt – in den nächsten fünf Jahren insge- samt 28 Milliarden Euro für den Bereich Schiene ausge- Drucksachen 18/2536, 18/3056, 18/3216 Nr. 3, ben, insbesondere zur Qualitätssicherung und für die 18/3595 Brücken. So gesehen können wir mit dieser Reform sehr Hierzu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion zufrieden sein. Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Liebe Kollegin Leidig, zu dem Antrag der Linken Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für sage ich an dieser Stelle ganz bewusst: Für uns scheidet die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- ein Zurück zur alten Staatsbahn oder DDR-Reichsbahn nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. einfach aus. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie an der (Beifall der Abg. Dr. Valerie Wilms [BÜND- Debatte jetzt nicht teilnehmen können oder wollen, bitte NIS 90/DIE GRÜNEN]) ich Sie, trotzdem dafür zu sorgen, dass diejenigen, die Das war kein Erfolgsmodell. Wir wollen den Weg der sich hier beteiligen wollen, auch der Debatte folgen kön- modernen Bahn weitergehen. nen. – Es schmerzt mich immer besonders, wenn meine eigene Fraktion mich ignoriert. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Da sind wir uns einig, Herr Lange, auch wenn es Ihnen nicht (Heiterkeit) passt!) Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Staats- Wir wollen mehr Wettbewerb im Güterverkehr und noch ministerin Professor Monika Grütters. mehr Wettbewerb im Schienenpersonennahverkehr. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Auch im Fernverkehr könnte – ich sage das ganz offen; neten der SPD) denn diesbezüglich sind wir noch nicht ganz zufrieden – durch Wettbewerb vielleicht das eine oder andere zusätz- lich erreicht werden. Monika Grütters, Staatsministerin bei der Bundes- kanzlerin: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Deswegen werden wir in dieser Legislaturperiode das Kolleginnen und Kollegen! Den Wert einer Sache lernt Eisenbahnregulierungsgesetz noch einmal in Angriff man bekanntlich oft erst durch ihren Verlust zu schätzen. nehmen. Das gilt natürlich auch und ganz besonders für den Wert (B) eines unabhängigen und freien Journalismus. Es ist da- (D) (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- her sicher kein Zufall, dass die Nachfrage nach der Be- NEN]: Hoffentlich!) richterstattung der Deutschen Welle gerade in Krisenge- Wir werden die Bahn weiter modernisieren. Wir wollen bieten wie der Ukraine zurzeit sehr groß ist. Die im Interesse der Berufspendler WLAN in den Zügen. Deutsche Welle steht für Meinungsfreiheit, für Presse- Wir wollen eine moderne Gesellschaft – mit der Bahn. freiheit, für Menschenrechte, für Demokratie und soziale Marktwirtschaft. Sie ist damit natürlich gerade in Kri- Die Bahnreform ist eine Erfolgsgeschichte. Wir wol- senregionen für viele Menschen die einzige oder zumin- len sie fortsetzen. In diesem Sinne wünsche ich eine gute dest eine sehr wesentliche Verbindung in die freie Welt. Heimreise mit der Bahn und frohe Weihnachten. Obwohl sie inzwischen mit 26 internationalen Sen- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- dern konkurriert, ist es der Deutschen Welle in den ver- neten der SPD) gangenen Jahren gelungen, die Nutzung ihres Angebots um – ich sage es einmal so – satte 17 Prozent auf immer- Vizepräsidentin Petra Pau: hin 101 Millionen Nutzer pro Woche zu steigern. Das ist Ich danke für die Minimierung der Verspätung, Kol- ein Zeichen für ihre hohe Glaubwürdigkeit. lege Lange, und schließe die Aussprache. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungs- Wenn wir heute die Stellungnahme der Bundesregie- antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/3560. rung zum Entwurf der Aufgabenplanung der Deutschen Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer Welle bis 2017 beraten, geht es zum einen darum, was stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschlie- uns eben genau dieser Auslandsrundfunk als – so nennen ßungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Frak- wir es ja immer – Leuchtturm unseres demokratischen tion, der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Rechtsstaates im Ausland tatsächlich wert ist, zum ande- Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke abge- ren müssen wir uns aber auch gelegentlich die Frage lehnt. stellen, welche Signale dieser Leuchtturm zurzeit sendet Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: und ob er überall die richtigen Signale aussendet. Diese Fragen hängen – das ist offensichtlich – miteinander zu- Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- sammen. richts des Ausschusses für Kultur und Medien (22. Ausschuss) zu der Unterrichtung durch die Insofern war es – das möchte ich hier offen sagen – Deutsche Welle nicht hilfreich, dass die Deutsche Welle mit dem Aus- 7304 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Staatsministerin Monika Grütters (A) scheiden ihres Intendanten aus dem Kuratorium von Re- (Beifall bei der CDU/CSU – Dagmar Freitag (C) porter ohne Grenzen wegen ihrer China-Strategie in die [SPD]: Sehr gut! – Martin Dörmann [SPD]: So Schlagzeilen gekommen ist, ist es!) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ Nun zum Inhalt bzw. zum Programm. Aus der Aufga- DIE GRÜNEN) benplanung geht hervor, dass die Deutsche Welle ihre Position im internationalen Vergleich hinsichtlich der ganz unabhängig davon, wer den Anlass gegeben hat Akzeptanz und Reichweite deutlich ausbauen will. Ich und dass Reporter ohne Grenzen offensichtlich mit zwei- finde das spannend und hoffe, dass es ihr gelingt, was erlei Maß misst: Das ZDF bleibt drin, die Deutsche angesichts der Konkurrenz von oft propagandistischen Welle geht raus. Warum und wie auch immer, ich finde Sendern – es geht ja um Konfliktgebiete – in unser aller es bedauerlich. Das richtige Signal war das jedenfalls Sinne ist. Dazu sollte das Programm aktueller sein. Wir nicht. Das ist ausnahmsweise eines, das mir nicht gefällt, brauchen eine stärkere Ausrichtung auf Nachrichten, ha- bei allem Verständnis dafür, dass die Deutsche Welle ben Sie gesagt. Aus unserer Sicht gehören Dokumenta- ihre Präsenz in China verbessern will. Ich finde, dass tionen, Magazine, auch zu Themen aus Politik, Kultur, man, gerade wenn man in solch schwierigen Ländern Wirtschaft und Gesellschaft, sehr wohl dazu; sie dürfen vertreten sein will, auch senden können muss. Deshalb nicht zu kurz kommen. Ein reiner Nachrichtenkanal darf wäre es ja gerade richtig, dass sie in China präsent ist. die Deutsche Welle nicht werden. Der Empfang der Deutschen Welle wird im Gegensatz zu anderen Sendern in China geblockt. Die Internetange- Der Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz vom bote sind seit 2008 gesperrt. Das zeigt, dass die Deutsche Juni 2013 über eine viel engere Kooperation zwischen Welle – zumindest in China – alles andere als ein re- Deutscher Welle und ARD, ZDF und Deutschlandradio gimefreundlicher Sender ist. Auch das muss man in die- trägt dazu bei, dass ein abwechslungsreiches Programm sem Kontext sagen. gemacht wird. Außerdem kann die Deutsche Welle auf ein dichtes Korrespondentennetz zurückgreifen. Natür- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) lich ist auch das Thema „Deutsche Stimme“ wichtig. Als Auslandssender und als deutsche Stimme in der Welt Über den richtigen Weg zum Ziel, also zur Stärkung muss sie natürlich auch weiterhin deutschsprachig prä- der Deutschen Welle – das wollen wir hier alle –, lässt sent sein. sich also trefflich streiten. Fest steht: Wir können es uns angesichts der aktuellen internationalen Entwicklungen (Beifall der Abg. Dagmar Freitag [SPD]) als größtes Land der EU nicht leisten, unseren Auslands- Dies kann gerade durch die Kooperation mit ARD und sender zu vernachlässigen, im Gegenteil. ZDF gewährleistet werden. Es darf nicht der Eindruck (B) (D) entstehen – das ist in den vergangenen Tagen doch pas- Die politischen Krisen, die in vielen Teilen der Welt siert –, Etatsteigerungen könnten mit der Drohung mit Einschränkungen der Presse- und Meinungsfreiheit durchgesetzt werden, das deutschsprachige Programm einhergehen, machen es geradezu erforderlich, die Deut- zu reduzieren, also ausgerechnet bei der Kernaufgabe zu sche Welle als Leuchtturm demokratischer Werte zur lahmen. Das geht nicht. Diese Wahl hat man gar nicht. Orientierung gerade in Krisenregionen zu stärken. Die- Schon das Deutsche-Welle-Gesetz steht dem entgegen. sem Ziel trägt die Finanzplanung für den Zeitraum der Aufgabenplanung durchaus Rechnung. Nach Jahren der Ein letzter Satz. Ich bin sehr froh, dass wir uns über Stagnation haben wir den Bundeszuschuss an die Deut- die zunehmend wichtiger werdende Rolle der Deutschen sche Welle nämlich substanziell erhöht. Im Ergebnis ste- Welle als Botschafterin unseres Landes weitgehend einig hen der Deutschen Welle gegenüber der Haushaltssitua- sind. Vor diesem Hintergrund appelliere ich an Sie alle, tion 2013 im Jahr 2014 rund 10 Millionen Euro mehr zu, die geplanten Maßnahmen zur Stärkung der Relevanz und 2015 sind es sogar 13,5 Millionen Euro, wenn auch und der Breitenwirkung ihres Angebots mit zu unterstüt- ganz überwiegend zweckgebunden. zen, wie es auch der Verwaltungsrat und der Rund- funkrat getan haben. Die Deutsche Welle soll auch in Anders als andere vom Bund finanzierte Einrichtun- Zukunft eine Stimme der Freiheit sein, gerade dort, wo gen hat die Deutsche Welle – das muss man hier, finde unabhängige Stimmen durch Propaganda und Zensur ich, offen ansprechen; denn diese Wünsche sind und zum Verstummen gebracht werden. bleiben erst einmal offen; es sind nicht nur Wünsche des Senders, sondern auch unsere; wir machen sie uns also Ich danke Ihnen. zu eigen – wegen ihres eigenen Haustarifvertrages – ihn (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) hat sie wegen der Rundfunkfreiheit – seit 1998 anders als die im Rahmen des TVöD berücksichtigten Einrich- tungen keinen Ausgleich für Tarifsteigerungen bekom- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: men. Vielen Dank, Frau Staatsministerin. – Der nächste Redner ist Harald Petzold, Fraktion Die Linke. (Dagmar Freitag [SPD]: Genauso ist das!) (Beifall bei der LINKEN) Vergütungserhöhungen belasten deshalb seit vielen Jah- ren ihren Haushalt, weshalb hierüber sicherlich nicht nur Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): zu reden sein wird. Darin waren wir uns in der Haus- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen haltsdebatte vor drei Wochen übrigens alle einig. und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7305

Harald Petzold (Havelland) (A) Deutsche Welle, über deren Aufgabenplanung bis 2017 Gemessen an den Zielen, die der neue Intendant hat, (C) wir heute hier diskutieren, ist international sehr geachtet; sind das natürlich möglicherweise nur bescheidene Er- Frau Staatsministerin Grütters hat die Zahlen dazu ge- folge. Vor allen Dingen sind das möglicherweise auch nannt. Ich finde, dafür gibt es gute Gründe, unter ande- nicht die Erfolge, die der Intendant hauptsächlich im rem das vielfältige und qualitativ hochwertige journalis- Auge hat, wenn er davon spricht, dass es darum geht, tische Angebot. dass man mit der Deutschen Welle, wenn man schon nicht die erste oder zweite Geige im Orchester der welt- Ich denke, darüber hinaus verdankt die Deutsche weit agierenden Medienanbieter spielen kann, wenigs- Welle ihre Anerkennung auch einer Mitarbeiterschaft, tens binnen weniger Jahre die dritte Geige hinter CNN die trotz des jahrelangen Verzichts auf Tariferhöhungen und der britischen BBC spielen möchte. Ich frage mich eine wunderbare Arbeit geleistet hat. Allerdings müssen dann: Wieso eigentlich? Auf welche Mission soll die wir feststellen, dass inzwischen nur noch circa 1 500 die- Deutsche Welle hier plötzlich geschickt werden? ser Mitarbeiter fest angestellte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind, während gleichzeitig circa 4 000 Mitar- Frau Professor Grütters, Sie loben hier die Programm- beiterinnen und Mitarbeiter freie oder sogenannte feste vielfalt. Ich frage mich natürlich: Warum werben Sie freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind. Gäbe es dann für eine derartige strategische Neuausrichtung? diese freien Mitarbeiter nicht, würde der Sendebetrieb Das ist für mich nicht nachvollziehbar. gar nicht mehr aufrechterhalten werden können. Deshalb (Beifall bei der LINKEN) möchte ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Deutschen Welle an dieser Stelle ausdrücklich für ihre Die Aufgabenplanung klingt so: Arbeit, durch die der Sender eine internationale Aner- Es ist ein Ziel der Deutschen Welle, künftig stärker kennung erhalten hat, trotz der widrigen Umstände dan- als bisher die internationale Medienagenda zu prä- ken. Gleichzeitig möchte ich dafür werben, dass es für gen und das Wirkpotenzial ihrer Angebote zu stär- die freien und die sogenannten festen freien Mitarbeite- ken. rinnen und Mitarbeiter endlich auch angemessene Mit- bestimmungsrechte gibt. Das ist natürlich ein luftiger Satz. Wer heute früh die Debatte über Finanzhilfen für Griechenland verfolgt hat, (Beifall bei der LINKEN) der hat möglicherweise auch eine Vorstellung davon, in welche Richtung das gehen soll: Der Sender soll nicht Bislang werden sie beispielsweise nicht beteiligt, wenn mehr die Lebensvielfalt in Deutschland widerspiegeln, es um die Gestaltung ihrer Arbeitsplätze oder um eine sondern zu einem Sprachrohr für das Auswärtige Amt Umqualifizierung geht. Das kann in Zukunft nicht so umgestaltet werden. Dem können wir uns überhaupt bleiben. (B) nicht anschließen. (D) Ich denke, die Deutsche Welle verdankt ihre Beliebt- (Beifall bei der LINKEN) heit darüber hinaus der hochwertigen journalistischen Arbeit und ihrer Sprachenvielfalt. Als Abgeordneter war Ich komme zu den deutschen Perspektiven in Bezug ich inzwischen mehrfach in El Salvador zur internationa- auf Europa und die Welt. Die Deutsche Welle soll nach len Wahlbeobachtung, und ich hatte dort Kontakt zu vie- und nach zu einem Baustein weltweiter deutscher Inte- len jungen Leuten, die sich entweder als Studierende, in ressenpolitik werden. Hier werden wir als Linke nicht ihren Quartieren oder in den NGOs politisch engagieren. mitmachen. In den Gesprächen fiel immer wieder der Name „Deut- Das widerspricht unseres Erachtens auch der Aufga- sche Welle“. benstellung im Deutsche-Welle-Gesetz. Die Neuausrich- Das ist nicht verwunderlich. El Salvador ist ein Land, tung des Senders ist der Grund für die zum Teil gravie- das viele Jahre lang einen mörderischen Bürgerkrieg renden Struktur- und Personalveränderungen. Diese sind über sich ergehen lassen musste. Meinungs- und Presse- wiederum der Grund für die große Unsicherheit unter freiheit weiß das Land sehr wohl zu schätzen, weil sich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und den bereits führende Leitmedien des Landes in Händen von Unter- eingeleiteten Personalabbau. Das ist auch der Hinter- nehmen oder, wie wir sagen würden, Oligarchen befin- grund, weshalb wir in unserem Entschließungsantrag den. An dieser Stelle kommt die Deutsche Welle ins den Erhalt der sprachlichen Vielfalt und der deutschen Spiel, weil sie einen Kontrast zu diesen Medien in die- Sprache stark betonen, auf die Interessen der Beschäftig- sem Land setzt und die Pressefreiheit deutlich erlebbar ten und die Fürsorgepflicht des Senders für seine auslän- macht. dischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hinweisen und natürlich eine auskömmliche Finanzierung fordern. Darüber hinaus bietet sie eine Möglichkeit, die deut- Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und möchte sche Sprache zu erlernen. Einige dieser Studierenden noch einmal kurz auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbei- sind inzwischen beispielsweise an der Fachhochschule ter zu sprechen kommen; Frau Präsidentin, Sie werden in Wildau. Sie studieren in Deutschland und wissen die- es mir gestatten, dies zum Schluss zu sagen. ses Sprachenangebot deswegen sehr zu schätzen. Andere arbeiten beispielsweise bei DHL in San Salvador oder Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben einen of- bei Bombardier in Mexiko. Damit hat die Deutsche fenen Brief an die Politik gesendet, der inzwischen von Welle ihre Wirkungsziele, wie das auch im Evaluations- über 130 Künstlerinnen und Künstlern, Kulturschaffen- bericht steht, meines Erachtens sehr gut erreicht. den und Wissenschaftlern unterstützt wird. Ab heute 7306 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Harald Petzold (Havelland) (A) Abend werden auch die 64 Abgeordneten der Linken zu – also beim Terroranschlag auf das World Trade Center – (C) den Unterstützern dieser Forderungen gehören. gesendet wurde. Das war ein Bericht über Saunen unter dem Titel „Das türkische Bad in Duisburg“. Die Deut- Vielen Dank. sche Welle war nicht in der Lage, kurzfristig auf live (Beifall bei der LINKEN – Michael umzuschalten, sondern musste sehr lange Zeit nur mit ei- Kretschmer [CDU/CSU]: Das kann nicht sein! nem Laufband unter den Bildern operieren. Sie können So viele sind nicht hier!) sich vorstellen, dass man so auf Dauer nicht konkurrenz- fähig sein kann in einem sich weiterentwickelnden glo- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: balen Markt. Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit ihrem Ent- Martin Dörmann, SPD-Fraktion. schließungsantrag unterstützen die Koalitionsfraktionen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten die von der Deutschen Welle selbst vorgelegte Aufga- der CDU/CSU) benplanung. Diese zielt darauf ab, die Aktualität, Rele- vanz und Reichweite der Welle zu stärken. Gleichzeitig – das ist schon angeklungen, und ich bin dankbar, dass Martin Dörmann (SPD): Frau Staatsministerin Grütters darauf eingegangen ist – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! wollen wir eine nachhaltige Finanzierung sicherstellen. In allzu vielen Ländern erleben wir derzeit gewaltsame Krisen, demokratiefeindliche Bestrebungen oder den (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Versuch, freie Kommunikation zu unterdrücken. Gerade der CDU/CSU) vor diesem Hintergrund ist die Bedeutung unseres Aus- Der Finanzrahmen unseres Auslandssenders wird landssenders Deutsche Welle noch einmal deutlich ge- durch den Bundeshaushalt bestimmt. Deshalb haben sich stiegen. Die Deutsche Welle ist eine wichtige Botschaf- Union und SPD bereits im Koalitionsvertrag darauf ver- terin für unser Land, aber auch für unsere Werte. Für ständigt, die Deutsche Welle dauerhaft und spürbar zu viele Menschen vor Ort ist sie eine Stimme der Freiheit, stärken. Für die Jahre 2014 und 2015 wurden bereits der sie vertrauen. zweistellige Millionensummen zusätzlich für die Deut- Auf allen Kontinenten kann man DW-Programme sche Welle zur Verfügung gestellt. abrufen, sei es über TV, Radio oder online, und zwar in Nun haben wir uns vorgenommen und dies im Ent- insgesamt 30 unterschiedlichen Sprachen. Die Sprachen- schließungsantrag ausdrücklich erwähnt, endlich auch vielfalt und die hohe journalistische Qualität und Glaub- das grundlegende strukturelle Finanzierungsproblem bei würdigkeit der Deutschen Welle genießen weltweit hohe der Deutschen Welle zu beseitigen, nämlich die fehlen- (B) Anerkennung. (D) den Personalkostensteigerungen seit den 90er-Jahren. Dennoch gibt es immer wieder Möglichkeiten und Das wollen wir beenden, und das wird ein echter Para- Herausforderungen, um die eigene Arbeit zu optimieren. digmenwechsel werden. Der Sender steht in einem immer stärker werdenden in- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ternationalen Konkurrenzkampf um die Aufmerksamkeit der CDU/CSU – Tabea Rößner [BÜND- der informationssuchenden Menschen. Selbst Russen NIS 90/DIE GRÜNEN]: Haushaltsberatungen und Chinesen drängen mit englischsprachigen Program- sind noch nicht!) men nach vorne, die im Übrigen überdimensioniert finanziert werden. Wenn es uns gelingt, das im Haushalt abzubilden, dann wird die Aufgabenplanung der Deutschen Welle in Die vorgelegte Aufgabenplanung der Deutschen vollem Umfang umgesetzt werden können. Dann hätten Welle zielt darauf ab, die Relevanz der Deutschen Welle sich manche Einsparüberlegungen, die derzeit beispiels- als globaler Informationssender mit hoher Regionalkom- weise der Intendant der Deutschen Welle vorbringt, er- petenz zu stärken. Erfolgreiche regionalsprachige Ange- ledigt. Dieser sagt: Wenn wir die strukturellen Finanz- bote werden aufrechterhalten, aber eben auch neue probleme nicht lösen, dann steht einiges an. – Die Schwerpunkte gesetzt, um eine größere Nutzerreich- Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind deshalb derzeit zu weite zu erreichen. Recht sehr verunsichert. Weltweit ist dabei der englischsprachige TV-Kanal Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will es deutlich der Deutschen Welle besonders erfolgreich mit 30 Mil- sagen: Das Sparszenario, dass die linearen TV-Pro- lionen Nutzerkontakten pro Woche. Das Angebot soll gramme in den Sprachen Deutsch, Arabisch und Spa- noch attraktiver und aktueller gestaltet werden. Wenn nisch eingestellt werden, weil deren Finanzierung nicht heute – im wahrsten Sinne des Wortes – Weltbewegen- gesichert ist, darf nicht eintreten. Das müssen wir ver- des passiert, ist die Deutsche Welle mit ihren hindern. Solche Kürzungen sind im Übrigen nicht Be- Arbeitsstrukturen oft nicht in der Lage, ihr weltweites standteil der Aufgabenplanung, über die wir heute be- Programm in unterschiedlichen Zeitzonen aktuell zu un- schließen. Lassen Sie uns deshalb gemeinsam dafür terbrechen, um dann sogenannte Breaking News zu ma- sorgen, dass die Deutsche Welle auf eine stabile finan- chen. zielle Grundlage gestellt wird und auch weiterhin ihre Ich gebe Ihnen hierzu einmal ein plastisches Beispiel, Kernkompetenzen in vollem Umfang zur Geltung brin- um zu zeigen, worum es dabei geht. Raten Sie einmal, gen kann, nämlich Regionalität, Sprachenvielfalt und was bei der Deutschen Welle am 11. September 2001 nicht zuletzt professionellen Journalismus. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7307

Martin Dörmann (A) Ich möchte mit einem ausdrücklichen Dank an die (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- (C) festen und an die freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter SES 90/DIE GRÜNEN) der Deutschen Welle schließen. Mit ihrem besonderen In der Praxis haben Sie aber vielleicht andere Stärken. Einsatz und ihrem Engagement leisten sie einen unver- Mit der Deutschen Welle verhält es sich genauso: Sie ist zichtbaren Beitrag sowohl für eine freie und demokratie- personell, journalistisch und strukturell nicht dafür aus- orientierte Berichterstattung – global, in vielen Ländern gestattet, ein englisches Flaggschiff zu werden. Und sie dieser Erde – als auch für das positive Bild, das dadurch hat mit der BBC einen übermächtigen Tanker vor sich, ein Großteil dieser Welt von Deutschland hat. der überall schon da ist, wo die Deutsche Welle erst noch Die SPD-Bundestagsfraktion und die Koalition insge- hinwill. samt stehen jedenfalls dafür ein, dass auch in Zukunft (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Rahmenbedingungen im Deutschen Bundestag so sowie bei Abgeordneten der LINKEN) gesetzt werden, dass die Deutsche Welle erfolgreich sein kann. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. Frau Kollegin Rößner, gestatten Sie eine Zwischen- frage oder Zwischenbemerkung des Kollegen Dörmann? (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Aber gerne. Ich bin gespannt, was er dazu sagt. Vielen Dank, Herr Kollege Dörmann. – Nächste Red- nerin für Bündnis 90/Die Grünen ist Tabea Rößner. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Bitte schön. Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Martin Dörmann (SPD): Deutschen Welle rumort es gewaltig. Die Mitarbeiterin- Vielen Dank, liebe Tabea Rößner. Sie haben gerade nen und Mitarbeiter sind verunsichert und bangen um ih- die Reichweite angesprochen. Ich habe vorhin schon da- ren Job. Am Montag gingen 600 von ihnen auf die rauf hingewiesen, dass, wenn die Deutsche Welle ihren Straße. Seit Monaten sorgen die Umstrukturierungen in gesetzlichen Auftrag erfüllen soll, unsere Werte in die der Deutschen Welle für Kritik, und wir finden, völlig zu Welt zu bringen, natürlich auch die Reichweite eine Recht. Rolle spielt, übrigens auch dadurch, dass man mit ande- (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ren Sendern konkurriert, auf knappen Plätzen Fuß zu (D) sowie des Abg. Harald Petzold [Havelland] fassen, beispielsweise bei TV-Kabelkanälen. [DIE LINKE]) Aber ich habe auch Ihren Antrag sehr sorgfältig gele- Der Plan, aus der Deutschen Welle vor allem einen sen. In Ihrem Antrag kritisieren Sie ausdrücklich den Breaking-News-fähigen englischsprachigen Fernseh- – wie Sie meinen – aussichtslosen Konkurrenzkampf ge- Nachrichtenkanal zu machen, entspricht eher 1990 als genüber der BBC. Sie haben das gerade angesprochen. 2014, und er holt schon gar nicht das Beste aus der Deut- Ich frage mich, ob Sie nicht etwas zu wenig optimistisch schen Welle heraus. Ein englischer Nachrichtensender darin sind, den Mitarbeitern etwas zuzutrauen, die doch als Flaggschiff wendet sich gegen alles, was die Deut- sehr erfolgreich sind. Vor allem aber verwickeln Sie sich sche Welle im internationalen Medienmarkt einzigartig, in Ihrem eigenen Antrag in einen Widerspruch. Denn Sie konkurrenzfähig und schlagfertig macht, nämlich ihre fordern in Ihrem Antrag, dass § 4 des Deutsche-Welle- regionalen Kompetenzen, ihre Glaubwürdigkeit als In- Gesetzes geändert werden soll, und darin soll festge- formationsanbieter gerade in unfreien Medienmärkten, schrieben werden – ich zitiere –: ihre fundierten Hintergrundberichte und vor allen Din- Es muss das Ziel der Deutschen Welle sein, die gen ihre Vielsprachigkeit. Das alles sind Pfunde, mit de- Nummer eins der unabhängigen Informationsanbie- nen die Deutsche Welle wuchern kann. Dem Gespenst ter in unfreien Medienmärkten zu werden. der inhaltsleeren Umstrukturierung müssen wir daher Einhalt gebieten. Weil Sie gerade die Reichweite nicht als Messlatte gelten lassen wollten, stellt sich die Frage, ob das nicht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein Widerspruch ist und ob die BBC beispielsweise für sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sie jetzt zu den unfreien Sendern gehört. Auch das wäre interessant. Ich erkläre Ihnen auch, warum die Pläne inhaltsleer sind. Es geht nämlich nicht darum, das bestmögliche Sie haben gesagt, dass es zu einer gesetzlichen Ver- Programm zu machen. Es geht einzig und allein um pflichtung werden muss, die Nummer eins zu werden. Reichweite, die heilige Kuh der Fernsehreligion. Damit Woran messen Sie das? Wenn das konsequent weiterge- habe ich ein Problem. Sie tun so, als bedeute Englisch dacht wird, dann müssten wir auf die Programme setzen, automatisch mehr Reichweite. Das ist aber nur theore- die eine besonders hohe Reichweite haben. Wie bereits tisch so. In der Theorie ist es auch so, dass Sie, Herr angedeutet, ist das erfolgreichste Programm das engli- Dörmann oder Herr Wanderwitz, noch eine Karriere als sche mit 30 Millionen Nutzerkontakten pro Woche, wäh- Diskuswerfer vor sich haben. rend das deutsche Programm gerade einmal 250 000 hat. 7308 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

(A) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: ter. Auf deren Rücken wird dieser Konflikt ausgetragen. (C) Herr Kollege Dörmann, das sollte keine zweite Rede Das ist unanständig. werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Martin Dörmann (SPD): Die Demonstrationen, die Eintritte bei Reporter ohne Ich will ausdrücklich das deutsche Programm hoch- Grenzen, die offenen Briefe im Fahrstuhl der Deutschen halten. Aber sehen Sie die Widersprüche in Ihrem Ent- Welle, sie alle zeigen: Die Mitarbeiter lassen sich die schließungsantrag genauso? Drohungen nicht länger bieten. Wir sollten uns das auch nicht bieten lassen. Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN So kann man seine Redezeit natürlich deutlich verlän- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) gern, wenn man das nicht sagen konnte, was man eigent- lich sagen wollte. Aber die Reichweite ist in der Tat ein Wir von Bündnis 90/Die Grünen haben in unserem wichtiger Faktor. Ich glaube, dass die Reichweite auf Entschließungsantrag Vorschläge für eine zukunftsge- den Regionalmärkten relevant ist. Schwierig zu messen richtete Deutsche Welle gemacht. Wir setzen uns für die ist sie überall. Ich weiß nicht genau, wie sie weltweit Stärkung der Vielsprachigkeit ein, weil genau dies das gemessen werden soll. Aber die Reichweite auf den Re- Alleinstellungsmerkmal der Deutschen Welle ist und da- gionalmärkten ist der relevante Faktor. Nach meiner Ein- mit die Konkurrenzfähigkeit im Vergleich zur BBC ver- schätzung ist es daher wichtig, hier Platz eins zu belegen, bessert wird. Wir fordern, dass die Deutsche Welle refor- allerdings nicht unbedingt in Konkurrenz zur BBC. – Vie- miert wird, damit der Sender für die Zukunft einen len Dank für Ihre Zwischenfrage, Herr Dörmann. klaren Auftrag bekommt, aus dem hervorgeht, was er machen soll und was er nicht machen soll. Wir sind da- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für, den Etat zu erhöhen. Wir wollen, dass die Deutsche sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Welle für Demokratieförderung in der Welt steht und Dagmar Freitag [SPD]: Das war keine gute sich weltweit für Presse- und Informationsfreiheit ein- Antwort!) setzt. Wenn es um ein internationales Kräftemessen geht, Zur Aufgabenplanung gehören auch eine transparente wie die Befürworter des Umbaus ständig behaupten: Personal- und Finanzplanung. Wir fordern, dass die vie- Warum suchen Sie sich dann nicht eine Disziplin, in der len festen freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die (B) Sie stärker sind als die Konkurrenz? Noch eine Frage einen Großteil der Beschäftigten ausmachen, Festange- (D) stellt sich mir: Wie bitte soll die Deutsche Welle mehr stellten gleichgestellt werden, damit auch ihre Rechte im Reichweite erzielen, wenn gleichzeitig große Teile des Personalrat vertreten werden. Programms eingestellt werden? Das ist doch unlogisch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir sind unbedingt für eine Modernisierung der Deut- schen Welle. Aber hierfür müsste man ihre Alleinstel- Zu China und der Kooperation mit dem Staatssender lungsmerkmale stärken und dürfte nicht bestehende Mo- CCTV habe ich noch gar nichts gesagt. Da meine Rede- delle kopieren, die wenig mit den Kernkompetenzen der zeit abgelaufen ist, nur noch einen Satz dazu: Es sollte Deutschen Welle zu tun haben. „Englisch ist die Sprache selbstverständlich sein, dass über Kooperationen im der globalen Entscheider“, sagt der Intendant. Damit Rundfunkrat diskutiert und entschieden wird; denn mit seien aber auch Vertreter der Zivilgesellschaft gemeint. einem Staatssender in einem Land zu kooperieren, das Ich verstehe unter Entscheidern Leute, die in Positionen die Medienfreiheit nicht achtet, kann die Glaubwürdig- sind, die es ihnen ermöglichen, zu entscheiden. Wenn keit der Deutschen Welle massiv beschädigen. aber Vertreter der Zivilgesellschaft erreicht werden sol- len, dann ist die Ausrichtung auf Englisch falsch; denn Surfer träumen ihr Leben lang von der perfekten deren Muttersprachen sind Deutsch, Rumänisch, Farsi, Welle. Wir haben hier sicherlich kein Leben lang Zeit Hausa, Amharisch, Kisuaheli und viele mehr. Wieso sol- zum Träumen, und perfekt muss die Deutsche Welle len ausgerechnet diese Sprachen keine Reichweite ha- auch nicht sein. Aber sie hat eine echte Chance verdient, ben? eine gute, neue Deutsche Welle zu sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vielen Dank. sowie bei Abgeordneten der LINKEN – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Martin Dörmann [SPD]: Die Deutsche Welle sowie bei Abgeordneten der LINKEN) wird weiterhin 30 Sprachen haben!)

Die Androhung der Intendanz, bis auf den englisch- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: sprachigen alle Fernsehkanäle zu kürzen und zehn Spra- Vielen Dank. – Für die Bundesregierung erhält jetzt chen zu streichen, ist aus vielen Gründen schlimm. Vor das Wort der Parlamentarische Staatssekretär Thomas allem aber empört sie mich als Mitglied dieses Hauses; Silberhorn. denn wir sollen damit erpresst werden. Die Geiseln die- ser Erpressung sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbei- (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7309

(A) Thomas Silberhorn, Parl. Staatssekretär beim Bun- viel können die relevanten Zielgruppen mit den Sendun- (C) desminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und gen anfangen? Das ist ein ganz entscheidender Punkt. Entwicklung: Wir hatten eine Bereinigungssitzung unseres Haus- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! haltsausschusses im November, in der deutlich gewor- Die Deutsche Welle ist ein Schaufenster unseres Landes den ist, dass es fraktionsübergreifend eine große Unter- in der Welt. Sie ist eine Stimme für freie Medien, die in stützung und ein starkes Interesse daran gibt, dass die 29 Fremdsprachen einschließlich Amharisch und auch in Deutsche Welle gut ausgestattet wird. Auch dem Ent- Deutsch verbreitet wird. wicklungsministerium ist daran gelegen. Deshalb haben wir für diese Legislaturperiode zugesagt, Programme der Meinungsfreiheit und ein ungehinderter Zugang zu Deutschen Welle, die einen klaren entwicklungspoliti- Information sind nicht nur ein Grundpfeiler einer funk- schen Mehrwert aufweisen, zu fördern. tionierenden demokratischen Ordnung, sondern sind auch spürbarer Ausdruck von guter Regierungsführung (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- und damit ein Fundament für nachhaltige Entwicklung. neten der SPD) Dort, wo man sich frei äußern kann und wo man ohne Angst ungehindert Zugang zu Information bekommen An oberster Stelle steht für das Entwicklungsministe- kann, herrscht ein Mindestmaß an Transparenz, ein Min- rium aber natürlich nach wie vor die Zusammenarbeit destmaß an Offenheit und Teilhabe in einer Gesellschaft, mit der Deutschen Welle Akademie. die notwendig sind, damit öffentliche Gewalt – Politik, Wir setzen uns darüber hinaus für Meinungsfreiheit Verwaltung und Justiz – ihr Handeln am Gemeinwohl und Medienentwicklung ein. Wir freuen uns darüber, der Bürger ausrichtet. dass wir einen neuen Haushaltstitel mit der Bezeichnung „Förderung von Medien, Zugang zu Information und Wir sehen im Entwicklungsministerium täglich, vor Meinungsfreiheit in Kooperationsländern“ haben. Das welch großen Herausforderungen die Länder stehen, in ermöglicht uns neue Flexibilität. Wir können mit bis zu denen die Medien an die Leine gelegt werden. Deswe- 10 Prozent dieses Titelansatzes auch Nichtregierungsor- gen fördert unsere Entwicklungszusammenarbeit ganz ganisationen unterstützen. gezielt Maßnahmen, die Meinungs- und Pressefreiheit in unseren Kooperationsländern stärken und die die Arbeit (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- von freien Medien erleichtern. neten der SPD) Die Deutsche Welle hat mit ihrer Akademie einen Die Deutsche Welle ist für die kommenden Jahre gut kompetenten Partner, der international hohe Anerken- aufgestellt, auch aus entwicklungspolitischer Sicht. Ich freue mich, dass wir mit der Deutschen Welle Akademie (B) nung genießt. Wir freuen uns, dass wir mit der Deut- (D) schen Welle Akademie als unserer zentralen Durch- einen starken Partner haben, mit dem wir Meinungsfrei- führungsorganisation für ungehinderten Zugang zu heit und den Zugang zu Information weltweit fördern Information und zur Stärkung der Meinungsfreiheit zu- können. sammenarbeiten können. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) neten der SPD)

Wir bilden seit vielen Jahren über die Deutsche Welle Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Akademie Journalisten aus Entwicklungs- und Schwel- Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Dagmar Freitag, lenländern aus. Die Deutsche Welle Akademie führt un- SPD-Fraktion. sere Projekte zu Meinungsfreiheit und Medienentwick- lung durch, und sie unterstützt Partner in unseren (Beifall bei der SPD) Kooperationsländern dabei, ihre eigenen Programme zu entwickeln und auch zu senden, damit ihre Stimmen ge- Dagmar Freitag (SPD): hört werden können. Ein Beispiel: Es wurden afrikani- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! sche Fernsehjournalisten und Kameraleute geschult. Das Die Deutsche Welle ist der Auslandssender Deutsch- Ergebnis sind eigenständige, kritische Beiträge, die ganz lands und hat unter anderem – wir haben es schon mehr- unterschiedliche Einblicke in den afrikanischen Alltag fach gehört –, die Aufgabe, unser Land der Welt als frei- ermöglichen und die das Potenzial aufzeigen, das unser heitlichen, weltoffenen und demokratischen Rechtsstaat afrikanischer Nachbarkontinent birgt. näherzubringen. Sie zeigt, selbstverständlich journalis- tisch unabhängig, Ereignisse und Entwicklungen in der Aus entwicklungspolitischer Sicht kann ich nur sa- ganzen Welt auf und richtet sich natürlich vor allem an gen: Wir begrüßen, dass die Deutsche Welle in ihrer Menschen, die sich für internationale Zusammenhänge Aufgabenplanung die Bedeutung der Eigenständigkeit und die Sichtweise von außen auf Entwicklungen im ei- der überwiegend vom Entwicklungsministerium finan- genen Land interessieren. zierten Projektarbeit der Deutschen Welle Akademie so klar herausstellt. Wir begrüßen auch, dass bei der weite- Sie fördert damit auch den Austausch unterschied- ren Programmentwicklung der Deutschen Welle die lichster Kulturen und – angesichts der derzeitigen Dis- Frage nach der Nutzung der Angebote explizit gestellt kussion um die geplante Neuausrichtung des Senders wird. Wie groß ist die Wirkung? Wen erreichen wir? Wie nicht zu vergessen – die deutsche Sprache. Damit unter- 7310 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Dagmar Freitag (A) stützt sie seit Jahrzehnten auch entsprechende Maßnah- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der (C) men und Programme der Auswärtigen Kultur- und CDU/CSU) Bildungspolitik unseres Landes. Das zeigt: Die Anforde- Wer diesen Sender im internationalen Wettbewerb expo- rungen an die Deutsche Welle sind vielfältig und vor al- niert positionieren will, muss auch bei den Haushaltsbe- len Dingen hoch. Der Sender ist nicht nur, aber ganz si- ratungen die notwendigen Schritte gehen. Frau Staatsmi- cher auch eine Visitenkarte unseres Landes in der Welt. nisterin Grütters, Sie haben es gesagt: Man darf nicht nur Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir blicken 2014 darüber reden. – Gemeinsam, da bin ich sicher, schaffen auf ein Jahr mit zahlreichen internationalen und europäi- wir das dann auch. schen Konflikten und Krisen zurück, auf Entwicklungen, Wer den Sender international stärker positionieren die unzähligen Menschen die Zukunftsperspektiven, die will, muss natürlich auch über Veränderungen nachden- Heimat und im schlimmsten Fall das Leben genommen ken dürfen. Mit der vorliegenden Aufgabenplanung sind haben. Gerade in solchen Zeiten wird wieder klar, wie dazu entsprechende Vorstellungen präsentiert worden. unverzichtbar unabhängige Medien sind, Medien, die In- formationen auch dorthin liefern, wo eine freie Bericht- Bei allen erkannten Notwendigkeiten für Veränderun- erstattung eben gänzlich unbekannt ist. gen darf allerdings aus unserer Sicht die journalistische Qualität ebenso wenig wie die inhaltliche und sprachli- Die Deutsche Welle berichtet in 30 Sprachen per TV, che Vielfalt zur Disposition stehen. Das gilt insbeson- Hörfunk und Internet aus unterschiedlichen Ländern und dere auch für das deutschsprachige Programm. über Regionen, in denen Inlandsmedien eben nicht frei und unabhängig berichten können. Hier, an dieser Stelle, (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ ist die Deutsche Welle Garant dafür, dass die Menschen CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- dennoch auf eine unabhängige und vor allen Dingen NEN) auch qualitativ hochwertige Berichterstattung zurück- Liebe Kolleginnen und Kollegen, die derzeitige Dis- greifen können. kussion um die Zukunft der Deutschen Welle zeigt (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ebenso wie unsere heutige Debatte: Die Deutsche Welle der CDU/CSU) verdient unsere konstruktiv-kritische Begleitung, aber auch unsere Unterstützung über diesen Tag hinaus. In der Russland-Ukraine-Krise konnten beispiels- weise mit Mitteln des Auswärtigen Amts, Frau Staatsmi- Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. nisterin, zusätzliche Onlineangebote in Russisch und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ukrainisch umgesetzt werden. Das war unverzichtbar, der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- (B) liebe Kolleginnen und Kollegen, denn in einigen Län- NISSES 90/DIE GRÜNEN) (D) dern sprechen nur die Eliten Englisch; die restliche Be- völkerung erreicht man eben nur in den Landessprachen. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Oder: Als die Ebolaepidemie ausbrach, hat die Deut- Vielen Dank. – Letzter Redner zu diesem Tagesord- sche Welle online und auch per Radio ein Aufklärungs- nungspunkt ist der Kollege Marco Wanderwitz, CDU/ programm in Englisch, Französisch, Portugiesisch, CSU-Fraktion. Haussa und Kisuaheli gestartet. Herr Staatssekretär (Beifall bei der CDU/CSU) Silberhorn hat darauf hingewiesen: Ein weiterer unver- zichtbarer Bestandteil der Arbeit der Deutschen Welle ist die der Akademie, die sich seit 1965 in immerhin Marco Wanderwitz (CDU/CSU): 25 Ländern die Stärkung und den Aufbau von unabhän- Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol- gigen Medien und die Ausbildung von guten Journalis- legen! Als letzter Redner hat man ja immer das Privileg, ten zur Aufgabe gemacht hat. die Dinge wiederholen zu dürfen, die alle anderen schon gesagt haben. Ich werde mich bemühen, das nicht zu tun. Liebe Kolleginnen und Kollegen, nur gute, motivierte Ich möchte gerne zwei Bemerkungen voranschicken. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich mit ihrem Auftrag auch identifizieren können, liefern auch gute Erste Bemerkung: Wir haben schon gestern im Aus- und professionelle Arbeitsergebnisse. Die Frage der Fi- schuss diese Diskussion geführt. Sie verlief ähnlich wie nanzierung der Deutschen Welle, natürlich verbunden heute hier. Jetzt, liebe Tabea, schaue ich natürlich zu dir. mit den vielfältigen Diskussionen um eine Neuausrich- Irgendwie bist du bei diesem Thema anders als sonst, zu- tung des Senders, hat zu nachvollziehbarer Unruhe im mindest ist das mein Eindruck. Hause geführt. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- An dieser Stelle sind mir zwei Feststellungen wirklich NEN]: Was?) wichtig: Wir führen hier eine, meine ich, sehr seriöse Debatte, und du hast bei diesem Thema irgendwie ein bisschen Wir haben uns im Koalitionsvertrag verständigt Schaum vor dem Mund. Ich finde, das wird dem Thema – auch das ist mehrfach angesprochen worden –, die nicht gerecht. Es wäre aus meiner Sicht schön, etwas ab- Deutsche Welle finanziell angemessen auszustatten. Wir zurüsten. müssen mit den Versäumnissen der Vergangenheit end- lich brechen und ab 2016 vor allem eine dauerhafte Lö- Meine zweite Bemerkung möchte ich zu dem Thema, sung im Bereich der Personalkosten finden. das die Staatsministerin angesprochen hat – die Deut- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7311

Marco Wanderwitz (A) sche Welle und China, die Deutsche Welle und Reporter Ich teile aber auch die Ansicht, die beispielsweise (C) ohne Grenzen – machen: Ich halte die Kritik von Repor- Martin Dörmann vorhin zu seiner Zwischenfrage ge- ter ohne Grenzen an der Deutsche Welle wirklich für bracht hat: Es geht mir nicht um die Art und Weise des problematisch. Ich glaube, sie ist nicht sachgerecht. Es engagierten Vortrages, sondern darum, dass immer mal gibt keine erkennbaren Kriterien, nach denen sie erfolgt wieder die eine oder andere kleine Spitze bzw. die eine ist. Die Deutsche Welle geht minimale Kooperationen oder andere kleine Halbwahrheit in die Diskussion ein. Dafür derartig angegriffen zu werden, ist, glaube hineingepackt wird. ich, nicht sachgerecht. Darüber sollte Reporter ohne Grenzen noch einmal nachdenken. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das gehört zur Debatte!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) So kann man der Seriosität des Themas einfach nicht ge- Ich möchte mich stellvertretend für die Unionsfrak- recht werden. tion dem Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Deutschen Welle für das anschließen, was die letzten (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Jahre und Jahrzehnte die Deutsche Welle ausgemacht NEN]: Das fände ich hier auch unangemes- hat. Sie war und ist die Stimme der Freiheit, der Men- sen!) schenrechte und der Demokratie. Das können wir beispielsweise bei TTIP weiterhin mitei- (Abg. Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE nander betreiben, aber nicht bei der Deutschen Welle. GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischen- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. frage) Martin Dörmann [SPD]) – Tabea, ich habe dich gesehen. Wenn du möchtest und die Präsidentin es erlaubt, kannst du von mir aus gerne Wir kommen zum Thema Geld. Auch wir als Union fragen. bekennen uns, so wie es die Staatsministerin schon getan hat, so wie es der Parlamentarische Staatssekretär schon getan hat, dazu, dass wir in den nächsten Jahren, begin- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: nend mit dem Jahr 2016, strukturell etwas dafür tun wol- Aber nur, wenn ich das erlaube. – Frau Rößner, bitte len, damit die Deutsche Welle von der schiefen Ebene, schön. auf der sie jetzt ist, herunterkommt. Dass sie sich auf dieser Ebene bewegt hat, hat zum einen mit den größer Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): werdenden Herausforderungen in der Welt und zum an- Ich bin jetzt doch etwas nachdenklich geworden. Du deren mit den steigenden Personalkosten, die Martin (B) (D) hast eben vom „Schaum vor dem Mund“ gesprochen. Dörmann bereits ansprach, zu tun. Ich verstehe das nicht ganz. Wenn ich von einer Sache (Dagmar Freitag [SPD]: Schwarz-Gelb war überzeugt bin und eine leidenschaftliche Debatte führe auch nicht viel besser!) – ich glaube, wir haben schon eine sehr sachliche De- batte geführt –, dann kann man mir das doch nicht vor- Das hat natürlich auch etwas damit zu tun – das ge- werfen. Ich wünsche mir bei manchen Themen eine viel hört bei einer Debatte, bei der man in die Vergangenheit leidenschaftlichere Debatte. schaut, dazu –, dass die Deutsche Welle nicht unerhebli- che Etatkürzungen erfahren hat. Denen laufen wir ein Worum geht es denn? Es geht darum, dass wir ein gu- Stück weit hinterher. tes, unabhängiges Programm haben wollen, dass wir mo- tivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben wollen, (Dagmar Freitag [SPD]: Wir schauen jetzt in dass wir eine Deutsche Welle haben, auf die wir alle die Zukunft und regeln das gemeinsam!) stolz sein können, die auch in unfreien Märkten eine Stimme in der Welt ist und die viel zur Demokratieförde- Aber wir sind uns alle einig, dass wir die Situation ge- rung beiträgt. Das ist für mich eine Grundvoraussetzung, meinsam verbessern wollen. weil unsere Gesellschaft davon abhängt. Es ist es doch Auch die Digitalisierung, das sich wandelnde Me- wichtig, dass wir dort, wo Menschen auf der Flucht sind, diennutzungsverhalten und die Reaktionen, die die Sen- weil sie fürchten müssen, ihre Meinung frei zu äußern, der darauf zeigen müssen, führen dazu, dass Reform- mit starker Stimme sprechen. Insofern verstehe ich nicht, druck entsteht und auch genau geschaut werden muss, warum es einem zum Vorwurf gemacht wird, wenn eine wofür wir das Geld ausgeben. Debatte so leidenschaftlich geführt wird. Vielleicht kannst du das noch einmal erklären. Nun habe ich in den letzten Tagen hier und da gehört und gelesen, dass die Intendanz der Deutschen Welle uns (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN als Politik zu erpressen, zu bedrohen versuche. Vorhin sowie bei Abgeordneten der LINKEN) kam ja die Thematik mit der Geiselhaft der Angestellten. Ich sehe mich nicht erpresst und bedroht, sondern finde, Marco Wanderwitz (CDU/CSU): dass es die Aufgabe eines Intendanten ist – Peter Lim- Ich unterschreibe all das, was du gerade vorgetragen bourg ist heute bei uns; herzlich willkommen –, uns zu hast. Ich glaube, das eint uns. Gerade in deiner Rede war sagen, was passiert, wenn wir nichts tun. Nichts anderes es anders. Insofern: Schau es dir einfach einmal an, dann hat die Intendanz getan. Das tut sie in den Gremien erkennst du vielleicht, was ich meine. schon seit geraumer Zeit. Ich halte es für ein seriöses 7312 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Marco Wanderwitz (A) Vorgehen, auch zu sagen, was passiert, wenn nichts pas- ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält (C) siert. Nun ist es an uns, damit umzugehen. sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Frak- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. tion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grü- Martin Dörmann [SPD]) nen abgelehnt. Das Thema Sprachenvielfalt ist bereits intensiv be- Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die sprochen worden. Auch wir bekennen uns dazu: Wir hal- Grünen auf Drucksache 18/3597. Wer stimmt für diesen ten die Orientierung auf die Verstärkung des Englischen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer für richtig. Wir wollen das Deutsche gleichermaßen be- enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den halten, und wir wollen so viel als möglich regionale Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen Sprachenkompetenz behalten. Wichtig ist aber vor allen der Fraktion Die Linke und von Bündnis 90/Die Grünen Dingen eines: Deutsch soll die Hauptarbeitssprache in abgelehnt. der Deutschen Welle als deutscher Auslandssender blei- ben, und zumindest der größte Teil derjenigen, die in der Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: Deutschen Welle arbeiten, soll deutsch sozialisiert sein. Erste Beratung des von den Abgeordneten Katja Das heißt, wir wollen die Deutsche Welle als deutschen Keul, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), wei- Sender halten. Das ist ein ganz wichtiges Thema. teren Abgeordneten und der Fraktion BÜND- Zum Thema „Kulturvermittler und Kulturträger“ hat NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs die Staatsministerin umfänglich ausgeführt. Auch das ist eines Gesetzes zur Änderung des Versor- Kernauftrag der Deutschen Welle. Aber die Menschen gungsausgleichsgesetzes fragen ein Stück weit anderes vorrangig nach. Deswegen Drucksache 18/3210 glaube ich: Wenn man all das in einen attraktiven Nach- richtensender hineinpackt, wird das eher zum Ziel füh- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) ren, als wenn man nur die eine oder andere Reportage, Ausschuss für Arbeit und Soziales mit der man möglicherweise weder in Asien noch in Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Afrika jemanden erreicht, vornan stellt. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Letzter Punkt – das Thema wurde ebenfalls angespro- die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich sehe kei- chen –: die Kooperation mit ARD, ZDF und Deutsch- nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. landradio, insbesondere mit der Überlegung, dass die Deutsche Welle davon profitieren soll, indem sie bei- Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin ist die Kollegin Katja Keul, Bündnis 90/Die Grünen. (B) spielsweise auf das Netz der Auslandskorrespondenten (D) zurückgreifen kann. Wir sehen da noch gewissen Ver- besserungs-, Optimierungsbedarf und wünschen uns Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sehr, dass sowohl die Welle als auch die öffentlich-recht- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und lichen Anstalten intensiv weiter daran arbeiten, dass die Kollegen! Wir legen Ihnen heute einen Gesetzentwurf gewünschten Effekte eintreten. Da ist noch ein bisschen für eine Änderung des Versorgungsausgleichs im Schei- was zu verbessern; deswegen will ich es an dieser Stelle dungsverfahren vor. Der Versorgungsausgleich dürfte so ansprechen. ziemlich das unbeliebteste Thema nicht nur bei den Be- troffenen, sondern auch in der Anwaltschaft und in der (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Richterschaft sein. Dennoch ist er es wert, dass wir uns neten der SPD) mit ihm beschäftigen; denn es geht um nichts Geringeres als um Gerechtigkeit, Altersvorsorge und viel Geld. Der Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Versorgungsausgleich erfährt längst nicht das gleiche öf- Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache. fentliche Interesse wie das Unterhaltsrecht. Dabei über- sehen allerdings die meisten, dass es beim Versorgungs- Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus- ausgleich um mindestens ebenso existenzielle Fragen schusses für Kultur und Medien zu der Unterrichtung und Summen geht. durch die Deutsche Welle über ihre Aufgabenplanung 2014 bis 2017. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be- Das Enfant terrible der Ehescheidung verdient also schlussempfehlung auf Drucksache 18/3595, in Kennt- durchaus unsere Aufmerksamkeit. Am liebsten würde nis der Unterrichtung auf den Drucksachen 18/2536 und ich den Versorgungsausgleich ja ganz aus dem familien- 18/3056 eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt gerichtlichen Verfahren herausnehmen. Aber ich gebe für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dage- zu: Dieses Konzept ist noch nicht ganz fertig. gen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Entschließung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Wir fangen daher erst einmal mit einem schwerwie- Stimmen der Fraktion Die Linke und Bündnis 90/Die genden, aber leicht zu lösenden Problem an: der exter- Grünen angenommen. nen Teilung von betrieblichen Anwartschaften nach § 17 des Versorgungsausgleichsgesetzes. Damit der Spannungs- Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie- bogen jetzt nicht abfällt, verrate ich Ihnen vorab, dass ßungsanträge. jährlich dreistellige Millionenbeträge betroffen sind. Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Um was geht es? Bis 2009 wurden bei einer Ehe- Drucksache 18/3596. Wer stimmt für diesen Entschlie- scheidung alle Rentenanwartschaften des einen Ehegat- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7313

Katja Keul (A) ten zusammengerechnet und den zusammengerechneten ist dies eine Ungerechtigkeit im doppelten Sinne: Zum (C) Anwartschaften des anderen Ehegatten gegenüberge- einen hat sie aus der Betriebsrente eine geringere Alters- stellt. Wer mehr hatte, musste die Hälfte der Differenz versorgung als ihr geschiedener Ehemann. Damit wird übertragen. der Halbteilungsgrundsatz verletzt. Zum anderen profi- tiert der Arbeitgeber ihres Mannes von ihrer geringeren Das hört sich ganz einfach an. Das Problem dabei ist: Rente. Alle Anwartschaften berechnen sich anders: die gesetzli- che Rente anders als die Beamtenversorgung und die Einer der wenigen Rechtsanwälte dieser Republik mit wiederum anders als die betriebliche Rente. Es mussten einer Leidenschaft für versicherungsmathematische Be- also regelmäßig Birnen und Äpfel addiert werden. Dazu rechnungen, der Kollege Jörn Hauß, schätzt, dass davon mussten erst einmal alle Birnen in Äpfel umgewandelt etwa 50 000 Fälle im Jahr betroffen sind. Er rechnet den werden. Man könnte auch sagen: Es musste erst einmal Gewinn der Firmen auf einen dreistelligen Millionenbe- alles zu Mus gerührt werden. Bei diesem Prozess gab es trag hoch. Auch der Deutsche Anwaltverein hat bereits immer so viel Verlust für bestimmte Obstsorten, dass Alarm geschlagen. Wir müssen hier als Gesetzgeber man dies im Hinblick auf das Gebot des Halbteilungs- dringend Abhilfe schaffen und die Ausnahme des § 17 grundsatzes nicht mehr hinnehmen konnte. des Versorgungsausgleichsgesetzes wieder streichen. Deswegen teilen wir seit der Reform von 2009 die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Anwartschaften nicht mehr extern, sondern intern. Das Dann bekommt die ausgleichsberechtigte Ehefrau eine heißt, wir vergleichen nur noch Äpfel mit Äpfeln und gleichwertige Direktzusage des Unternehmens in hälfti- Birnen mit Birnen. Eine Betriebsrente braucht also nicht ger Höhe – und der Ehemann auch, und alles ist gut. Ge- mehr auf Biegen und Brechen in eine gesetzliche An- gen Altersarmut von Frauen würde das deutlich mehr wartschaft umgerechnet zu werden, sondern sie wird so bringen als jede Mütterrente. geteilt, dass auch der geschiedene Ehegatte einen eige- nen Anspruch gegenüber dem Betriebsrententräger er- Ich plädiere daher an die Mehrheitsfraktionen in die- hält. So weit, so gut. sem Hause: Zerpflücken Sie diesen Vorschlag nicht rou- tinemäßig nur deshalb, weil er von der Opposition einge- Jetzt kommt aber die Ausnahme des § 17 des Versor- bracht worden ist. Prüfen Sie ihn in aller Ruhe, und gungsausgleichsgesetzes ins Spiel, die seinerzeit von der lassen Sie uns die Experten dazu anhören. Wenn wir am Wirtschaft durchgesetzt worden ist. Wurde dem Arbeit- Ende alle gemeinsam etwas Vernünftiges beschließen, nehmer eine Direktzusage gemacht, wollten die Arbeit- bricht doch keinem ein Zacken aus der Krone. geber sich durch die Ehescheidung des Arbeitnehmers keinem weiteren Anspruchsberechtigten gegenüberse- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (B) hen. Deswegen dürfen dort trotz der bekannten Nachteile (D) Da können Sie doch mit Ihrer 80-Prozent-Mehrheit die Anwartschaften doch noch extern geteilt werden. Das mal großzügig sein. heißt, die Unternehmen können diese Direktzusagen im Falle der Ehescheidung ihres ausgleichspflichtigen Ar- Vielen Dank. beitnehmers als Kapitalbetrag auszahlen, und der Aus- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gleichsberechtigte muss dann sehen, wie er – statistisch gesehen ist es meistens die Ehefrau – sich damit eine vergleichbare Altersvorsorge aufbaut. Das wird aber Vizepräsidentin Ulla Schmidt: nicht gelingen. Allein schon die Differenz zwischen dem Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Frau Dr. Sabine zugrunde gelegten Zinssatz bei Abschluss der Direktver- Sütterlin-Waack, CDU/CSU-Fraktion. sicherung und dem heute aktuell zu erzielenden Zinssatz (Beifall bei der CDU/CSU) steht dem entgegen. Der Ehemann verliert also die Hälfte seiner Altersversorgung. Seine geschiedene Ehe- frau kann mit dem ausgezahlten Kapital aber keine Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU): Rente in der entsprechenden Höhe aufbauen. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle- gen! Frau Kollegin Keul hat es eben schon angedeutet: (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir behandeln heute ein Thema, das auch vielen Juristen NEN]: Genau das ist das Problem!) exotisch anmutet, aber in sehr vielen Scheidungsverfah- Insgesamt gibt es also weniger Rente, als wenn die ren praktische Relevanz entwickelt. Es geht um einen Ehe Bestand gehabt hätte. Wie immer stellt sich jetzt die Teilbereich des Versorgungsausgleichsgesetzes. Frage: Wo bleibt die Differenz? Genau. Die Differenz Mit der Strukturreform des Jahres 2009 wurde darin wird zum Gewinn des Arbeitgebers, der sich auf diese festgelegt, dass der Grundsatz der internen Teilung von Art von der Hälfte seiner Verpflichtung befreien kann Versorgungsanwartschaften aus der gesetzlichen Renten- und keine Sorge mehr haben muss, wie er seine Direkt- versicherung, die in der Ehe erworben wurden, ange- zusage trotz der Niedrigzinsen einhalten kann. wendet wird. Frau Keul hat dies eben so schön mit den Äpfeln und Birnen erklärt. Ich will auch einmal versu- (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Das stimmt chen, dies zu erklären: Sinn und Zweck des Versor- nur bei sinkenden Zinsen!) gungsausgleichs ist es, im Scheidungsfall sämtliche in Die Scheidung des Arbeitnehmers ermöglicht es dem der Ehezeit erworbenen Versorgungsrechte der Ehegat- Unternehmen, sich von einer teuren vertraglichen Ver- ten gleichmäßig aufzuteilen. Das nennt man Halbtei- pflichtung günstig zu lösen. Für die geschiedene Ehefrau lungsgrundsatz. 7314 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Dr. Sabine Sütterlin-Waack (A) In den meisten Fällen wird die sogenannte interne Darüber hinaus steht zu befürchten, dass die Arbeit- (C) Teilung der Anrechte angewandt. Dabei wird für den geber aufgrund dieses zusätzlichen, vom Gesetzgeber Ausgleichsberechtigten ein eigenständiges Anrecht zu- dann erzwungenen Mehraufwandes davor zurückschre- lasten des Anrechts der Ausgleichsverpflichteten beim cken, weitere betriebliche Altersvorsorge anzubieten. gleichen – und das ist wichtig – Versorgungsträger be- Damit würde eine wichtige Säule der Altersversorgung gründet. als freiwillige Leistung der Betriebe ins Wanken geraten. Bei der sogenannten externen Teilung wird vom Ver- (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- sorgungsträger des Ausgleichsverpflichteten ein Kapital- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das halte ich aber für betrag an einen von der Ausgleichsberechtigten ausge- übertrieben!) wählten anderen Versicherungsträger gezahlt. Dort wird Das kann angesichts des demografischen Wandels nicht dann ein Anrecht begründet. Diese Möglichkeit wird unser Bestreben sein. auch heute noch in einigen Ausnahmefällen durchge- führt. Die Ausnahme, um die es heute geht, ist – wir Genau diese Gesichtspunkte haben auch den Gesetz- haben es gehört – der § 17 des Versorgungsausgleichsge- geber vor fünf Jahren dazu bewogen, den § 17 in der gel- setzes. Dieser soll nach dem Gesetzentwurf von Bünd- tenden Fassung einzuführen. Da ich 10 Minuten Rede- nis 90/Die Grünen nun ersatzlos gestrichen werden. zeit habe, zitiere ich aus der Gesetzesbegründung § 17 des Versorgungsausgleichsgesetzes lässt die ex- (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD) terne Teilung der betrieblichen Altersversorgung zu. und werde Ihnen den Grund der Entscheidung ganz kurz Zwei Voraussetzungen sind allerdings einzuhalten: Im erläutern: Rahmen der betrieblichen Altersversorgung muss es sich um eine Direktzusage oder um Leistungen der Unterstüt- Eine höhere Wertgrenze für die internen Durchfüh- zungskasse handeln. Zweitens darf der Ausgleichswert rungswege der betrieblichen Altersversorgung ist die Beitragsbemessungsgrenze der allgemeinen Renten- gerechtfertigt, weil der Arbeitgeber hier, anders als versicherung nicht übersteigen. Diese liegt im Moment bei Anrechten aus einem externen Durchführungs- bei 72 600 Euro. weg …, unmittelbar mit den Folgen einer internen Teilung konfrontiert ist, also die Verwaltung der Schon bei der Neuregelung des § 17 des Versorgungs- Ansprüche betriebsfremder Versorgungsempfänger ausgleichsgesetzes im Jahre 2009 galt es für den damali- übernehmen muss. Das mögliche Interesse der aus- gen Gesetzgeber, zwischen den Interessen der Aus- gleichsberechtigten Person an der systeminternen gleichsberechtigten und denen der Versorgungsträger Teilhabe muss in diesen Fällen zurückstehen, bleibt aber insoweit gewahrt, (B) abzuwägen. Diese Abwägung haben wir auch heute (D) noch zu berücksichtigen. – ich zitiere nur aus der Begründung, Frau Keul – Für die Ausgleichsberechtigten gilt der aus Artikel 6 als sie nach § 15 VersAusglG über die Zielversor- des Grundgesetzes hergeleitete Halbteilungsgrundsatz. gung entscheidet, die durchaus auch bessere Bedin- Kritiker des § 17 des Versorgungsausgleichsgesetzes gungen bieten kann als das zu teilende betriebliche führen nun an – wir haben es eben gehört –, dass bei der Anrecht. Teilung der Anwartschaften aus der betrieblichen Alters- versorgung keine gleichmäßige Teilung stattfindet, da Das war das Zitat. Letztlich haben der Reform des Ver- der ausgleichsberechtigte Ehegatte im Rentenalter deut- sorgungsausgleichs damals alle Fraktionen zugestimmt, lich weniger Rente bekommt als der andere. Dies gilt auch Ihre Fraktion, liebe Frau Keul. auch, wenn man nur die Anwartschaften, die in der Ehe (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: erworben worden sind, berücksichtigt. Man kann ja dazulernen! – Zuruf von der LIN- KEN: Sogar die Linken!) Selbstverständlich, meine Damen und Herren, gelten die Grundrechte auch für die Versorgungsträger. Die – Sogar die Linken, genau. Versorgungsträger sind ursprünglich gesehen keine Auf der anderen Seite verkenne ich nicht, dass es bei Beteiligten des Ehescheidungsverfahrens. Sie erhalten der derzeitigen externen Teilung zu deutlichen Ungleich- ihre Beteiligtenstellung aber kraft Gesetzes. Sie erhalten heiten zwischen Ausgleichspflichtigen und Ausgleichs- Mitwirkungspflichten und – darauf möchte ich beson- berechtigten kommen kann. ders hinweisen – auch Rechte. Insbesondere das Recht am ausgeübten und eingerichteten Gewerbebetrieb (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- könnte bei der Streichung des § 17 betroffen sein. Würde SES 90/DIE GRÜNEN) § 17 wegfallen, gäbe es die Möglichkeit der externen Das habe ich auch in meiner anwaltlichen Praxis erlebt. Teilung nur noch in sehr eingeschränkten Grenzen. Die Andere Praktiker bestätigen dies ebenfalls. Die Aus- Unternehmen wären dann praktisch gezwungen, immer gleichsberechtigten erhalten oft nicht die Hälfte der intern teilen zu müssen. Die Versorgungsträger müssten Rentenanwartschaft, die der geschiedene Ehepartner er- einen Betriebsfremden aufnehmen, mit dem sie nie ein arbeitet hat. Beschäftigungsverhältnis hatten, und seine Anrechte verwalten. Dieser erhielte dann die Stellung eines unver- Der vorliegende Gesetzentwurf orientiert sich an ei- fallbar ausgeschiedenen Arbeitnehmers – ein sehr weit- ner Initiativstellungnahme des Deutschen Anwaltvereins reichender Eingriff in die unternehmerische Freiheit. aus dem letzten Jahr. Auch dort wird die Streichung der Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7315

Dr. Sabine Sütterlin-Waack (A) externen Teilung gefordert. Die Begründung dieser Stel- Ein geringerer Rechnungszins beim Versorgungsträger (C) lungnahme, die sich der Gesetzentwurf zu eigen macht, würde die Unterschiede der Rentenzahlungsergebnisse ist auf eine Beispielsrechnung gestützt, die wenig realis- nach Teilungsart deutlich abmildern. tisch erscheint. Derzeit sind mehrere Verfahren vor dem BGH anhän- (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: gig, in denen es um die Frage des richtigen Rechnungs- Ach!) zinses geht. Wir sollten auf jeden Fall abwarten, zu wel- chen Ergebnissen der BGH in den vorliegenden Im genannten Beispiel geht der Deutsche Anwaltverein Rechtsbeschwerdeverfahren in Bezug auf die Zinsfin- nämlich davon aus, dass die Zinsen in einem Zeitraum dung kommen wird. von 40 Jahren unverändert bleiben. Diese Annahme ist kritisch zu hinterfragen. Wir alle wissen, dass in den Um es auf den Punkt zu bringen: Auch ich erkenne letzten 40 Jahren sowohl eine Hochzinsphase als auch die Schwächen im Versorgungsausgleichsgesetz an. die heutige Niedrigzinsphase zu beobachten waren. Die Dass es Schwächen gibt, bestätigt auch die einschlägige Ungleichheiten werden damit übertrieben dargestellt. familienrechtliche Literatur fast einhellig. Auch in mei- Dadurch ergibt sich eine Berechnung mit extremen nen Gesprächen mit Familienrichtern wurde das immer Unterschieden, die uns nicht zu vorschnellen gesetz- wieder deutlich. Es bedarf meiner Einschätzung nach geberischen Handlungen verleiten sollte. aber einer näheren Untersuchung, ob eine Senkung der Wertgrenze in § 17 oder die Verwendung eines realisti- Meine Damen und Herren, aus Sicht vieler Experten scheren Rechnungszinses unter Umständen geeigneter ist die Höhe des Zinssatzes der entscheidende Faktor für sind, um zu einer gerechten Ausgleichsform zu kommen. den Ausgleichswert. Die für den Ausgleichberechtigten Ein ersatzloser Wegfall des § 17 dürfte kaum geeignet unbefriedigende Situation ergibt sich im Wesentlichen sein, die Interessen der Eheleute an einer möglichst ge- aus den unterschiedlichen Zinssätzen, die die internen rechten Halbteilung ihrer Anrechte und die berechtigten und externen Versorgungsträger zugrunde legen. Interessen der Betriebsrententräger in Einklang zu brin- Im Hinblick auf den Rechnungszins lässt der BGH es gen. zu, dass der abgebende Versorgungsträger den Aus- Über die aufgezeigten und möglichen anderen Lösun- gleichswert unter Verwendung des Zinssatzes des Bilan- gen zur Verringerung der Ungleichheiten sollten wir in zierungsmodernisierungsgesetzes in Verbindung mit den kommenden Wochen diskutieren. dem HGB berechnet. Vielen Dank. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (B) Das kommt davon, dass man zehn Minuten (D) Redezeit hat!) neten der SPD)

– Ja, genau. – Vizepräsidentin Ulla Schmidt: (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vielen Dank. – Nächster Redner ist Jörn Wunderlich, NEN) Fraktion Die Linke. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Der Gesetzgeber hat die Verwendung dieses Zinssatzes allerdings nicht vorgegeben, ihn aber zur Auswahl ge- stellt. Dieser liegt regelmäßig bei ungefähr 5 Prozent. Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Zielversorgungsträger rechnen hingegen mit Am 12. Februar 2009 wurde das Gesetz zur Strukturre- niedrigeren Rechnungszinsen. Lebensversicherer kalku- form des Versorgungsausgleichs hier in diesem Hause lieren mit einem Garantiezins von 1,25 Prozent zuzüg- beschlossen. Jetzt habe ich den Vorteil, dass ich bei der lich Überschussanteilen. damaligen Debatte schon Berichterstatter war und auch an den dazugehörigen Anhörungen teilnehmen durfte, (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- insofern die Begründung des Gesetzes kenne und weiß, NIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) wie da diskutiert wurde und was letztlich Hintergrund Das ist der bereits erwähnten Niedrigzinsphase geschul- des Ganzen war. det. Damit haben, wie wir alle wissen, nicht nur die Ver- (Beifall der Abg. Dr. Alexander S. Neu [DIE sicherer zu kämpfen. LINKE] und Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/ Um die Schieflage zu begradigen, liegen mehrere DIE GRÜNEN]) Lösungsalternativen vor. Die Radikallösung „Streichung Hintergrund war, dass niemand mehr bei der Versor- des § 17 des Versorgungsausgleichsgesetzes“ ist meiner gungsausgleichsberechnung durchstieg. Das Reizwort Ansicht nach keine zufriedenstellende Lösung. Weitaus war die Barwert-Verordnung. Der Richter sagte: Hier ist vielversprechender erscheint mir der Weg, einen geeig- der Versorgungsausgleich; die Anwälte werden es Ihnen neteren Zinssatz zu finden. erklären. – Da wurden die Anwälte bleich. An der dama- ligen Situation hat sich im Grunde nichts geändert. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre auch schon Das Verfahren der Umrechnung gemäß Barwert- mal was!) Verordnung sollte beendet werden. Rentenanwartschaf- 7316 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Jörn Wunderlich (A) ten sollten nun dort geteilt werden – das ist schon gesagt talwert zugrunde legt oder ob man möglicherweise die (C) worden –, wo sie entstehen. Das ist die sogenannte Bewertungsvorschriften nach § 45 Versorgungsaus- interne Teilung. Das heißt, ein Beamter konnte Renten- gleichsgesetz ändert, das müssen wir im Rahmen der anwartschaften bei der BfA erwerben, obwohl er nie dort Ausschussberatungen klären. Wir werden auch um eine eingezahlt hat. Umgekehrt konnte man auch Beamten- Anhörung von Sachverständigen aus der Praxis und aus pensionsansprüche erwerben, obwohl man nie verbeam- der Wissenschaft nicht herumkommen. Das alles hier in tet war. Das führte dann zwar – gerade, was die Direkt- erster Beratung zu erörtern, würde den Rahmen bei wei- zusage bei den betrieblichen Renten betraf – zu einem tem sprengen. Wir werden im Rahmen der Beratung zu erhöhten Aufwand für die Betriebe; aber für die Betrof- einer sauberen Lösung kommen, die sowohl den Berech- fenen war es verständlicher und nachvollziehbarer. tigten als auch den übrigen Beteiligten zumindest wei- testgehend gerecht wird. Am 12. Februar 2009 war nicht Jetzt wurde hier begründet, warum § 17 Versorgungs- die Intention, dass das Gesetz so umgesetzt wird, wie es ausgleichsgesetz eingeführt wurde. Ich sage: Das war gegenwärtig in der Praxis der Fall ist. Das hatten wir uns ein Kotau vor der Wirtschaft. Wenn eine Direktversiche- anders vorgestellt. rung im Rahmen des Versorgungsausgleichs intern ge- teilt wird, dann hat der Betrieb plötzlich zwei Rentenbe- Danke für die Aufmerksamkeit. rechtigte, muss also auch zwei Konten führen. Das führt (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- zu einem verwaltungstechnisch höheren Aufwand; das NIS 90/DIE GRÜNEN) ist klar. Im Hinblick auf die Regelung zu den geringfügi- gen Beträgen nach § 14 waren wir uns alle einig, dass es sich praktisch nicht lohnt oder unverhältnismäßig ist, Vizepräsidentin Ulla Schmidt: hier eine Änderung vorzusehen. § 17 aber war letztlich Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der die Verbeugung vor der Wirtschaft. Es sollte sicher- Kollege Dennis Rohde. gestellt werden, dass sich hier alle Fraktionen einig sind. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Dass diese Regelung heute in einem solch ausufernden der CDU/CSU) Maß angewendet wird, dass die betriebliche Altersver- sorgung inzwischen eine der wesentlichen Säulen der Alterssicherung ist, war damals nicht abzusehen. Dennis Rohde (SPD): Geschätzte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Es sind hier schon entsprechende Rechenbeispiele an- Kollegen! Die Zahl der Ehescheidungen in Deutschland geführt worden. Gehen wir einmal davon aus, der Mann liegt Jahr für Jahr im sechsstelligen Bereich. 2013 waren müsste von seinen 1 000 Euro Rentenanwartschaften im es rund 170 000 Paare, die ihre Ehe beendeten. Das be- (B) Rahmen einer internen Teilung 500 Euro an die geschie- deutet, dass jedes Jahr Hunderttausende Menschen un- (D) dene Frau abgeben. Sie würde damit eine Betriebsrente mittelbar von einer Scheidung betroffen sind. Wir reden von 500 Euro erwerben. Ihr Anteil könnte aber auch dabei nicht nur über die persönlichen Enttäuschungen – wie damals bei der Barwert-Verordnung – in eine und Verletzungen, wir reden nicht nur über die vielen Kapitalgröße umgerechnet und fiktiv ausgezahlt werden Veränderungen für das Familienleben. Als Gesetzgeber – den Anteil bekommt sie ja nicht auf die Hand –; damit geht es uns natürlich primär um die rechtlichen Folgen. müsste sie ihre Rente bestreiten. Wir haben damals eine Ausgleichskasse geschaffen für den Fall, falls jemand Wir debattieren heute über die Fragen des Umgangs keine Kasse hat und keine Rentenversicherungskasse be- mit den erworbenen Anwartschaften für die Altersvor- reit ist, überhaupt Rentenanwartschaften zu begründen. sorge. Es geht uns Sozialdemokraten natürlich darum, Dieses Beispiel zeigt: Mit einer Kapitalsumme von dass es eine gerechte Verteilung der Vermögenswerte 500 Euro kann ein Anspruchsberechtigter in der Versor- zwischen den Geschiedenen gibt. Uns ist auch klar: Wir gungsausgleichskasse oder auch in der gesetzlichen dürfen nicht akzeptieren, dass 65 Jahre nach Verkündung Kasse maximal 302 Euro – und das bei dem angenom- des Grundgesetzes die Gleichstellung zwischen Mann menen Höchstsatz von 5 Prozent – erwirtschaften. Das und Frau immer noch nicht überall Alltag zu sein heißt: Rund 200 Euro bleiben definitiv auf der Strecke, scheint. Heute geht es um die Frage des externen Vertei- und der davon Profitierende ist der Betrieb. Dieser zahlt lungsverfahrens bei Betriebsrenten auf die jeweiligen den Betrag einmal aus, ist den Anspruch los und muss Ansprüche der Geschiedenen und darum, wie sich das daher auch weniger Rückstellungen bilden, weil es nur auswirkt, dass dabei Ungerechtigkeiten durchaus mög- noch um 500 Euro Betriebsrente geht und nicht mehr, lich sind. Frau Keul, wir sind in der Analyse ganz bei Ih- wie vorher, um 1 000 Euro. Dass das den Betrieben ge- nen. – Aber der Reihe nach. fällt, ist klar. Die betriebliche Altersvorsorge wird allgemein als die Die Zinsproblematik wurde bereits erklärt. Der ge- zweite Säule der Altersvorsorge bezeichnet. Etwa neigte Zuschauer wird spätestens nach fünf Minuten den 40 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftig- Fernsehkanal wechseln, weil die Problematik auch so ten gehen diesen Weg, um ihre Rente aufzubessern. Der schon schwer zu durchschauen ist, insbesondere für den- Betriebsrente kommt also mit Blick auf die Zukunft eine jenigen, der damit nichts zu tun hat. herausgehobene Rolle in Bezug auf das Einkommen im Alter zu, einem Einkommen, von dem man auch leben Ob jetzt § 17 des Versorgungsausgleichsgesetzes ge- können muss. Ich möchte an dieser Stelle mit Blick auf strichen werden muss, ob man, wie Sie es vorschlagen, die kommenden Beratungen auch deutlich machen: Wir die Werte herabsetzt und nicht einfach den halben Kapi- sollten das im Hinterkopf haben und sicherstellen, dass Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7317

Dennis Rohde (A) wir die Akzeptanz der Betriebsrenten am Ende nicht ge- gendes im Auge behalten: Das Problem ist nicht die (C) fährden; denn genau mit dieser Intention hat der Gesetz- externe Teilung selbst, sondern die im Vergleich zur geber bei der Neuregelung des Versorgungsausgleichs in betrieblichen Altersvorsorge zurückhaltende Wertent- der vorletzten Wahlperiode, also auch durch die Große wicklung bei anderen kapitalgedeckten Vorsorgeformen, Koalition, eine besondere Ausnahme für die betriebliche von denen insbesondere die Arbeitgeber, also die Firmen Altersvorsorge geschaffen, die dieser Herausforderung profitieren. Wir befinden uns seit Jahren in einer andau- gerecht werden soll. So werden im Falle einer Eheschei- ernden Niedrigzinsphase. Hier ist keine Lösung in Sicht. dung oder Trennung normalerweise die Versorgungsan- Hier ist kein Ende absehbar. rechte, die die Partner während der Ehe erworben haben, intern geteilt. Das heißt, der Versorgungsträger, sei es Hätten wir andere Entwicklungen auf dem Kapital- eine Kasse oder der Arbeitgeber, nimmt den Ex-Partner markt gehabt, hätten wir das heutige Problem nicht. Es – das ist in der Regel oftmals noch die Frau – als Versi- geht uns zwar darum, das Problem anzugehen, aber da- cherten auf, wobei jeder der Partner die Hälfte der er- bei nicht das Kind mit dem Bade auszuschütten. Konkret worbenen Ansprüche erhält. Externe Teilung hingegen bedeutet das für uns: Zunächst sollten wir die anstehen- bedeutet, dass der Versorgungsträger den Kapitalwert den Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in mehre- des Anrechts an einen anderen Versicherer übergibt, den ren Fällen abwarten, die sich um die Frage der Festle- die ausgleichsberechtigte Person auswählt. Das ge- gung eines angemessenen Zinssatzes bei entsprechenden schieht im Normalfall nur bei kleinen Beträgen oder im Berechnungen drehen. Dann wissen wir mehr. Dann ist beidseitigen Einvernehmen. es Zeit, zu prüfen, ob hier gesetzgeberischer Handlungs- bedarf besteht oder ob das Problem auch durch eine ein- Anders ist es jedoch bei den Betriebsrenten. Bei der heitliche höchstrichterliche Rechtsprechung aufgelöst betrieblichen Altersvorsorge hat der Versorgungsträger, werden kann. Ansonsten hat – auch das wurde schon ge- in der Regel also der Arbeitgeber, das Recht, einseitig sagt – beispielsweise der Deutsche Familiengerichtstag die externe Teilung zu beantragen und so zu verhindern, im letzten Jahr alternative Vorschläge für eine Reform dass er eine neue Versicherte oder einen neuen Ver- des § 17 des Versorgungsausgleichsgesetzes gemacht. sicherten bekommt und insofern keine zusätzlichen Kos- Es muss uns letztlich um eine Lösung gehen, die das ten, zum Beispiel für die Verwaltung, entstehen; das politische Ziel der Stärkung der betrieblichen Altersvor- wurde eben schon genannt. sorge wie auch die Interessen der Versicherten berück- Das führt derzeit zu folgendem Problem: Um den Ka- sichtigt. Wir brauchen eine tragfähige Lösung, die bei- pitalwert eines Rentenanspruchs zu bestimmen, wird zu- den Ansinnen gerecht wird. Lassen Sie uns die Thematik meist ein Zinssatz herangezogen, der momentan bei gut in der kommenden Zeit – da sind wir ganz bei Ihnen – mit Sachverständigen beraten! Lassen Sie uns die Zeit (B) 4,6 Prozent liegt. Wenn ich diesen Maßstab zur Berech- (D) nung zugrunde lege und weiß, dass zum Beispiel der Ga- bis zur Entscheidung des Bundesgerichtshofs nicht untä- rantiezins bei Lebensversicherungen derzeit bei nur tig verstreichen lassen! Lassen Sie uns die Thematik in- 1,25 Prozent liegt, weil sich die Zinsen allerorts im Kel- tensiv beleuchten und schauen, je nachdem, wie die Ent- ler befinden, dann wird das Problem schnell deutlich: scheidung des BGH ausfällt, ob wir am Ende eventuell Die externe Teilung kann zu einer Minderung der Alters- gesetzgeberisch tätig werden müssen! vorsorge führen, insbesondere von Frauen, die überpro- Vielen Dank. portional oft hiervon betroffen sind. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Der Deutsche Anwaltverein hat in Beispielrechnun- gen angeführt, dass die am Ende ausgezahlte Rente um Vizepräsidentin Ulla Schmidt: mehr als 50 Prozent niedriger sein könnte, als sie es bei Anwendung der internen Teilung gewesen wäre. Das ist Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dr. Volker also eine deutliche Verletzung des Halbteilungsgrundsat- Ullrich, CDU/CSU-Fraktion. zes. Allerdings ist dieser Zahl gegenüber – das hat die (Beifall bei der CDU/CSU) Kollegin Sütterlin-Waack gerade schon gesagt – eine ge- wisse Skepsis angebracht. Hier wird, zumindest in den Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): dramatischen Fällen, von einer Zeitspanne von über 40 Jahren zwischen Scheidung und Rente und einem Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und ebenso lange anhaltenden Niedrigzinsumfeld ausgegan- Herren! Jede Ehescheidung ist eine menschlich schwie- gen. Das eine darf man wohl als nicht die Regel und das rige Situation. andere als nicht gottgegeben bezeichnen. Tatsächlich (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE fehlt es uns an belastbarem und aussagefähigem Zahlen- GRÜNEN]: Aber manchmal eine Befreiung! – material. Heiterkeit) Ich meine, eine einfache Streichung des § 17 des Ver- – Frau Kollegin Roth! – Zu der Frage, wie man ganz sorgungsausgleichsgesetzes wird der Komplexität unse- persönlich mit der Trennung umgeht, kommt die Frage: res Problems nicht gerecht. Der Gesetzgeber hat die Was passiert mit meinen Versorgungsansprüchen? Bei Ausnahme für Betriebsrenten aus den genannten Grün- der Frage der Bemessung der Versorgungsausgleichsan- den ganz bewusst geschaffen. Wir sollten Belastungen sprüche geht es nicht weniger um die Frage: Was ist der der betrieblichen Altersvorsorge vermeiden, wenn wir faire und gerechte Wert? Der Gesetzgeber hat die Auf- sie letztlich vermeiden können. Dabei sollten wir Fol- gabe, die Eckpunkte zur Bestimmung dieses fairen und 7318 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Dr. Volker Ullrich (A) gerechten Wertes festzusetzen; gleichwohl gibt er ihn Dieser von Ihnen angesprochenen politischen Frage (C) nicht im Detail vor. wird man nicht gerecht, wenn die Lösung nur bedeutet: Schaffen Sie einen Paragrafen ab! An sich heißt es zwar „Iudex non calculat“; aber hier muss der Jurist eben doch einmal rechnen. Das macht (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- die Situation so schwierig. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch!) (Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Dahinter steckt vielmehr ein grundlegendes Verständnis NEN]: Das glaube ich!) von Zins- und Bewertungsfragen in der gesamten Rechtsordnung. Wir haben nämlich nicht nur beim Ver- Die Situation ist schwierig, weil es hier um die Bestim- sorgungsausgleich über Zinssätze und Bewertungsfragen mung von Kapitalwerten geht. zu diskutieren, sondern müssen dieses Thema auch in ei- (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- nem anderen Zusammenhang sehen. Da werden Wer- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ökonomen können tungswidersprüche zwischen Bewertungsanlässen im so etwas!) Steuerrecht, im Bereich der Unternehmensbewertung und im Bereich des Versorgungsausgleiches deutlich. Wie sehr der Zins bei der Bestimmung von Kapitalwer- Wenn im Bewertungsgesetz derzeit ein Zinssatz von ten zu divergierenden Ergebnissen führt, mag sich jeder 2,59 Prozent angenommen wird, nach § 253 HGB ein vor Augen führen, der einmal nachrechnet, was bei ei- Zinssatz von 4,58 Prozent, nach den Grundsätzen des In- nem Zinssatz von 2 oder von 5 Prozent nach 20 Jahren stituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland bei Bewer- aus 10 000 Euro wird. Bei einem Zinssatz von 5 Prozent tungsanlässen im Ertragswertverfahren Zinssätze zwi- werden aus 10 000 Euro 26 530 Euro und bei einem schen 1 und 3 Prozent, während die Lebensversicherer Zinssatz von 2 Prozent lediglich 14 860 Euro. mit 1,2 Prozent rechnen, dann merken Sie schon, dass hier eine Bandbreite herrscht, die, wie eben dargestellt, (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- auf lange Sicht zu sehr divergierenden Ansätzen kommt. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Kapitalwert ist eigentlich etwas anderes!) (Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das ist Zinswirtschaft! – Dr. Wolfgang Bei 5 Prozent ist das Ergebnis fast doppelt so hoch. Na- Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- türlich ist die Bestimmung des Kapitalwertes finanzma- NEN]: Deswegen ist die Streichung das thematisch noch komplizierter. Ich will Ihnen aber deut- Beste!) lich machen, dass die Bestimmung des Zinses der entscheidende Parameter bei der Frage der Ausgleichs- Der Ansatz muss ein anderer sein. Wir dürfen es uns (B) ansprüche ist. nicht einfach machen, sondern haben die Verpflichtung, (D) diese Frage umfassend zu beleuchten. Wir brauchen, (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- glaube ich, einen Überblick über die verschiedenen Be- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist richtig!) wertungsanlässe. Wir sollten uns fragen, ob der Gesetz- Nun kommen wir zu der Frage, warum wir uns mit geber bei Bewertungsanlässen, die wesensgleich sind diesem Thema beschäftigen. Wir beschäftigen uns da- oder zumindest aus einer ähnlichen Sphäre stammen, mit, weil die Zinsentwicklung der letzten fünf Jahre nur nicht verbindliche ähnliche Bewertungsparameter zu- den Weg nach unten kannte. Hätten wir eine umgekehrte grunde legen müsste. Das ist die Frage, die dahinter- Zinsentwicklung, würde die Diskussion in einem ande- steckt. Sie ist viel komplizierter als die Frage, ob man ren Umfeld stattfinden. § 17 des Versorgungsausgleichsgesetzes streichen oder beibehalten sollte. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist reine Speku- Meine Damen und Herren, wir brauchen keinen Ak- lation!) tionismus wie die Streichung eines Paragrafen, sondern sollten uns ruhig und besonnen überlegen, ob wir das Dann wäre nämlich der Ausgleichsverpflichtete schlech- Problem der Bewertung durch gesetzgeberische Maß- tergestellt als der Ausgleichsberechtigte, weil der Aus- nahmen insgesamt angehen und lösen. Das wird keine gleichsverpflichtete an den niedrigeren Zinssatz gebun- einfache Aufgabe werden. Aber ich glaube, diese Auf- den wäre, während sich der Ausgleichsberechtigte bei gabe ist die Anstrengungen wert. Denn im Augenblick seiner neuen Versorgungskasse einen höheren Zinssatz hängt das Ergebnis noch vom Zufall bzw. davon ab, wo genehmigen könnte. ein Ausgleichsberechtigter seinen Wohnsitz hat, weil es (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- in Bezug auf die Zinssatzhöhe unterschiedliche Recht- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann hätten die Zin- sprechungen der Oberlandesgerichte gibt. Ich halte es sen sehr stark steigen müssen! Das ist völlig für unbillig, wenn ein Ausgleichsberechtigter in Augs- unrealistisch!) burg einen anderen Kapitalanteil bekommt als ein Aus- gleichsberechtigter in Celle, Hamburg oder Berlin. Das Das bedeutet im Ergebnis, dass wir aufgrund der Son- ist mit uns nicht zu machen. dersituation der Zinsentwicklung der letzten fünf Jahre über dieses Problem diskutieren. Ich bitte Sie, das zur (Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Kenntnis zu nehmen. NEN]: Wir können ja eine Maut einführen! – Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNIS- (Beifall bei der CDU/CSU) SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7319

Dr. Volker Ullrich (A) Deswegen, meine Damen und Herren: Lassen Sie die wenn es um die Rente geht und man feststellt, wie unter- (C) Finger von einer isolierten Streichung des § 17 des Ver- schiedlich hoch die Anwartschaften sind. Wir haben hier sorgungsausgleichsgesetzes! Gehen Sie mit uns den Weg schon entsprechende Beispiele gehört; Frau Keul etwa der Erarbeitung einer grundsätzlichen und tauglichen hat Äpfel mit Birnen verglichen. Regelung. Wir müssen uns fragen: Welche Zinssätze sind für Bewertungsanlässe in größerem Maßstab ad- Auch ich möchte das Wesentliche ganz kurz am Bei- äquat? In diesem Sinne: Lassen Sie uns in diesem Be- spiel zweier Ehen darstellen: Nehmen wir die Eheleute reich weiterarbeiten. Müller, die ganz normal gesetzlich rentenversichert sind. Ehemann Müller hat 1 000 Euro Rentenanwartschaften, Vielen Dank. seine Ehefrau hat 500 Euro Rentenanwartschaften. Unter (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Tom dem Strich ist es nach einer komplizierten Verrechnung Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) dann so, dass die geschiedene Ehefrau später 250 Euro mehr Rente bekommt und der Ehemann 250 Euro abge- ben muss, sodass beide mit Anwartschaften in Höhe von Vizepräsidentin Ulla Schmidt: 750 Euro, die sie während der Ehe erworben haben, Vielen Dank. – Letzte Rednerin zu diesem Tagesord- rechnen können. Das ist übrigens gerecht. Das gilt aber nungspunkt ist die Kollegin Sonja Steffen, SPD-Frak- nur im Hinblick auf die gesetzliche Rente, die Beamten- tion. versorgung und die berufsständischen Versorgungs- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Jörn werke. Was die Betriebsrenten betrifft, ist es nicht so. Wunderlich [DIE LINKE]) Hier gibt es die Sonderregelung des § 17 des Versor- gungsausgleichsgesetzes, über die wir heute reden. Sonja Steffen (SPD): Auch hierzu ein kurzes Beispiel. Nehmen wir die Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Eheleute Berger. Bei den Eheleuten Berger ist es so, dass Kollegen! Ich bin die letzte Rednerin. Deshalb erlaube der Ehemann neben seinen gesetzlichen Anwartschaften ich mir, die Dinge etwas vereinfacht darzustellen. noch 800 Euro Betriebsrente bekommt. Davon nimmt (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ man ihm 400 Euro weg – dieser Betrag würde dann im DIE GRÜNEN sowie der Abg. Elisabeth Grunde genommen für seine Ehefrau zur Verfügung ste- Winkelmeier-Becker [CDU/CSU]) hen –, und er behält 400 Euro. Aber die Ehefrau erhält im Alter eben nicht diese 400 Euro. Aufgrund der der- Ich glaube, wir alle in diesem Hause sind uns einig: zeitigen Zinssätze bekommt sie – auch dazu haben wir Der Versorgungsausgleich soll für Gerechtigkeit im Al- schon Berechnungen gehört – vielleicht 250 Euro, viel- (B) ter sorgen. Wir haben den Versorgungsausgleich in leicht 300 Euro, vielleicht auch nur 200 Euro, jedenfalls (D) Deutschland übrigens seit 1977; davor gab es das nicht die hälftigen Anwartschaften. Das ist in der Tat Schuldprinzip, das vom Zerrüttungsprinzip abgelöst nicht gerecht. worden ist. In Ostdeutschland gibt es den Versorgungs- ausgleich erst seit der Wende. Das ist übrigens ein gro- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE ßer Nachteil für sehr viele geschiedene Frauen, die da- GRÜNEN und der LINKEN sowie bei Abge- durch finanzielle Nachteile haben. Aber das ist ein ordneten der CDU/CSU) anderes Thema, über das heute hier nicht diskutiert wer- Deshalb muss ich Ihnen sagen, dass ich den Gesetz- den soll. entwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen für gar (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- nicht so schlecht und für nicht unvernünftig halte. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Da gibt es auch eine Baustelle! Sehr richtig!) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) Jedenfalls wurde 1977 nur jede fünfte Ehe geschie- den; inzwischen ist es traurigerweise jede dritte Ehe. Das Es mag vielleicht andere Wege geben. Darüber werden verpflichtet uns natürlich, immer wieder einen kritischen wir im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens reden. Blick auf die Gesetzgebung und die Gesetzeslage zu Im Übrigen ist das auch haushalterisch nicht unver- werfen. Ich denke, wir haben 2009 eine gute Reform nünftig. Im Gegenteil: Es belastet nicht den Steuerzahler verabschiedet; Herr Wunderlich hat sie ja dargestellt. Al- und auch nicht die Rentenkassen. lerdings müssen wir uns trotzdem immer wieder aufs Neue fragen: Ist der Versorgungsausgleich wirklich an (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- allen Stellen gerecht? NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr richtig!) Wir haben heute schon verschiedentlich gehört – das Es sind nur die Unternehmen, die dann anders rechnen ist, glaube ich, auch allgemein bekannt –: Eine Eheschei- müssen, und zwar im Grunde genommen so, als ob ihr dung ist fast immer oder zumindest oft mit großen finan- Arbeitnehmer eben nicht geschieden worden wäre. ziellen Einschnitten verbunden, die sich häufig erst im Alter bemerkbar machen. Es ist tatsächlich so: Im Rah- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN men einer Ehescheidung wird viel über die Höhe des sowie bei Abgeordneten der SPD – Uwe Unterhalts diskutiert. Weniger Augenmerk wird auf den Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Versorgungsausgleich gelegt. Das dicke Ende bzw. das Gabriel wird es knicken, weil es die Unterneh- böse Erwachen kommt erst zum Schluss, nämlich dann, men belastet!) 7320 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Sonja Steffen (A) Ich erlaube mir in der restlichen Zeit noch ganz kurz, Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- (C) ein weiteres Anliegen vorzubringen, das ich aus dem Pe- wurfs auf Drucksache 18/3210 an die in der Tagesord- titionsbereich kenne. Auch das betrifft die Betriebsren- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es ten. dazu anderweitige Vorschläge? – Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Gehen wir vom Normalfall aus, den gesetzlichen An- wartschaften, und erinnern wir uns an die Eheleute Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: Müller: Wenn die geschiedenen Eheleute Müller Rente Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- bekommen, dann erhalten sowohl der geschiedene Ehe- regierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten mann als auch die geschiedene Ehefrau 750 Euro. Das Gesetzes zur Änderung des Bundesdaten- ist gerecht verteilt. Wenn nun die Ehefrau innerhalb von schutzgesetzes – Stärkung der Unabhängig- 36 Monaten nach dem Beginn des Rentenbezuges be- keit der Datenschutzaufsicht im Bund durch dauerlicherweise stirbt, dann erhält der Ehemann – hier- Errichtung einer obersten Bundesbehörde für gibt es eine Härtefallregelung – wieder die volle Rente. Das finden wir auch sehr gut. Wir haben das hier Drucksache 18/2848 so beschlossen und die Frist sogar von zwei auf drei Jahre verlängert. Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus- schusses (4. Ausschuss) Bei den Betriebsrenten gibt es das aber nicht. Unser Herr Berger erhält im Falle der Scheidung 400 Euro statt Drucksache 18/3598 800 Euro. Wenn seine Ehefrau in Rente geht und ein hal- Hierzu liegen ein Änderungsantrag und ein Entschlie- bes Jahr nach dem Beginn des Rentenbezugs stirbt, dann ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie bleibt es bei seinen 400 Euro. Er hat dann 30 Jahre lang ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. oder noch länger gearbeitet, um eine Betriebsrente von Über den Gesetzentwurf der Bundesregierung und über 800 Euro zu erhalten, erhält aber auch im Falle des To- den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- des seiner früheren Ehefrau für den Rest seines Lebens nen werden wir später namentlich abstimmen. nur noch 400 Euro. Ich finde, man müsste auch darüber nachdenken, ob man das nicht auch ändern sollte. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Kol- lege Stephan Mayer, CDU/CSU-Fraktion. Zum Schluss will ich noch ein kleines, aber sehr di- (B) (D) ckes Brett bohren – ich hoffe, das wird mir erlaubt –: (Beifall bei der CDU/CSU) Wir könnten auch einmal darüber nachdenken, dass wir bei einer Ehe von Anfang an zwei getrennte Konten bil- Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): den. Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle- ginnen! Sehr geehrte Kollegen! Mit dem Gesetzentwurf (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes und sowie bei Abgeordneten der SPD) dem Änderungsantrag unserer Regierungskoalition set- Wir teilen die Anwartschaften also von Anfang an. Jeder zen wir zum einen zwei Urteile des Europäischen Ge- Ehegatte erhält sein eigenes Konto. Dann brauchen wir richtshofs um, die gegen Deutschland und Österreich er- gar keinen Versorgungsausgleich, und dann brauchen gangen sind, und zwar einmal das vom 9. März 2010 wir uns auch über die Witwenrente keine Sorgen mehr und einmal das vom 16. Oktober 2012, und zum anderen zu machen. stärken wir die Unabhängigkeit der Bundesdatenschutz- beauftragten. Das ist aufgrund dieser beiden Urteile er- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ forderlich. DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE]) Ich möchte aber darauf hinweisen, dass die Bundes- datenschutzbeauftragte schon bisher unabhängig war. Es Vielleicht ist das etwas für die Zukunft. gab zwar formal eine Dienstaufsicht des Bundesinnen- Vielen Dank. ministeriums und eine Rechtsaufsicht der Bundesregie- rung. Aber von beidem ist nie Gebrauch gemacht (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ worden. Aufgrund der Vorgaben des Europäischen Ge- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der richtshofs wird die Bundesdatenschutzbeauftragte ab CDU/CSU und der LINKEN) dem Jahr 2016 zu einer vollkommen eigenständigen, un- abhängigen obersten Bundesbehörde. Damit wird die Vizepräsidentin Ulla Schmidt: bisherige organisatorische Anbindung an das Bundesin- Vielen Dank. Frau Kollegin, Sie sehen, dass alle sehr nenministerium aufgehoben. Ich denke, dass wir damit dankbar sind für die einfache Darstellung hier. zum einen den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs Rechnung tragen und zum anderen ein laufendes Ver- (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des tragsverletzungsverfahren der Europäischen Kommis- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sion zum Abschluss bringen können. Es ist uns als CDU/ Ich schließe die Aussprache. CSU sehr wichtig, dass diese Novellierung des Bundes- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7321

Stephan Mayer (Altötting) (A) datenschutzgesetzes noch im laufenden Jahr abgeschlos- datenschutzbeauftragten auszugestalten ist. Ich sage Ih- (C) sen wird, um ein klares Signal Richtung Brüssel zu nen an dieser Stelle zu: Wir werden hierbei in Zukunft senden, dass wir die Vorgaben des Europäischen Ge- ein offenes Ohr haben. Auch wenn sich der Aufwuchs richtshofs umsetzen und die Bundesdatenschutzbeauf- aus meiner Sicht durchaus schon jetzt sehen lassen kann, tragte aufwerten. wird dies mit Sicherheit nicht das letzte Wort sein. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, in der Debatte der vergangenen Sitzung des Innenausschus- Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir ses war das dominierende Thema der Dienstsitz. Wenn haben am 1. Dezember eine Sachverständigenanhörung sich die Debatte in erster Linie darum dreht, ob der durchgeführt. Teilweise wird uns vorgeworfen, Sachver- Dienstsitz der Bundesdatenschutzbeauftragten in Zu- ständigenanhörungen hätten nur einen Placeboeffekt kunft oder Berlin sein soll, dann kann – mit Ver- oder hätten nur therapeutische Bedeutung. Wir haben, laub – das Gesetz wirklich nicht so schlecht sein. meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ganz konkrete Rückschlüsse aus dieser Anhörung gezogen, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und insbesondere was die Stärkung der Bundesdatenschutz- der SPD – Dr. Konstantin von Notz [BÜND- beauftragten im Bereich ihrer Zeugenaussagemöglich- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war kleinteilig keiten anbelangt. Wir werden § 23 Absatz 6 des Bundes- von der SPD!) datenschutzgesetzes dahin gehend ändern, dass bei einer gerichtlichen oder außergerichtlichen Zeugenaussage Wir werden festlegen, dass die Bundesdatenschutzbeauf- der Bundesdatenschutzbeauftragten nicht das „Einver- tragte in Zukunft ihren Dienstsitz in Bonn hat. Das ist nehmen“ der Bundesregierung einzuholen ist für den auch sachgerecht, weil die meisten Unternehmen, die die Fall, dass der Kernbereich exekutiver Eigenverantwor- Bundesdatenschutzbeauftragte zu kontrollieren hat, tung der Bundesregierung betroffen sein könnte, sondern nämlich die Telekommunikationsunternehmen, entweder es wird lediglich erforderlich sein, dass die Bundesda- in Bonn oder in der Umgebung von Bonn ihren Sitz ha- tenschutzbeauftragte „im Benehmen“ mit der Bundesre- ben. Es gibt also handfeste, sachgerechte Gründe, die gierung entscheidet, ob der Kernbereich exekutiver Ei- dafür sprechen, dass der Dienstsitz der Bundesdaten- genverantwortung betroffen ist oder nicht. schutzbeauftragten Bonn sein wird. Auch der Bundes- rechnungshof ist in Bonn angesiedelt. Ich glaube, Ich möchte hinzufügen, man kann auch mit guten niemand wird unterstellen oder vorwerfen, dass der Bun- Gründen die gegenteilige Position vertreten, dass letzten desrechnungshof aufgrund des Dienstsitzes Bonn seiner Endes nur die Bundesregierung selbst festlegen kann, ob Kontrollfunktion nicht ausreichend nachkommen kann. der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung tangiert (B) ist oder nicht. Um es klar zu sagen und um jeglichen Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, zum (D) Spekulationen und Gerüchten den Boden zu entziehen: Schluss kann ich nur feststellen: Wir haben einen guten Es wird kein Maulkorberlass verfügt. Die Bundesdaten- Gesetzentwurf vorgelegt. Wir dürfen es aber nicht bei schutzbeauftragte ist in Zukunft sogar unabhängiger und dem Gesetzentwurf belassen, sondern wir müssen vor al- stärker in ihrer Position als Richter, wenn sie Zeugenaus- lem auch bei den laufenden Verhandlungen in Brüssel, sagen vornehmen müssen, weil für diese durchaus das was die Datenschutz-Grundverordnung anbelangt, dafür Erfordernis des Einvernehmens gilt. Ich glaube, das ist sorgen, dass die Datenschutzaufsicht auch in Zukunft so ein klares Signal und stärkt die Stellung der Bundesda- stark und unabhängig bleibt, wie wir sie mit diesem Ge- tenschutzbeauftragten. setzentwurf und dem entsprechenden Änderungsantrag machen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Ich bitte um Zustimmung. Noch ein Wort zur Sach- und Personalausstattung. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. Uns ist es wichtig, dass die Bundesdatenschutzbeauf- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- tragte amtsangemessen ausgestattet wird. Mit diesem neten der SPD) Gesetz ist eine Stellenerhöhung um sechs Stellen beab- sichtigt. Das wird auch entsprechend vorgenommen. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der Opposi- tion, im Vorfeld ist behauptet worden, das sei viel zu we- Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Jan nig, man müsse der Bundesdatenschutzbeauftragten Korte, Fraktion Die Linke. noch mehr Stellen zur Verfügung stellen. Ich habe schon (Beifall bei der LINKEN) darauf hingewiesen, dass der Status der obersten Bun- desbehörde erst im Jahr 2016 wirksam wird. Jan Korte (DIE LINKE): (Jan Korte [DIE LINKE]: Warum eigentlich? – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Liebe Bundesdatenschutzbeauftragte Voßhoff! Sie sitzt GRÜNEN]: Warum?) ganz alleine auf der Besuchertribüne. Das ist sinnbild- lich für das, was Sie mit ihr vorhaben: Dann sitzt man Wir haben also noch genügend Zeit, lieber Herr Kollege halt alleine. Korte, uns im Rahmen der Haushaltsberatungen für das Jahr 2016 und dem entsprechenden Stellenplan Gedan- (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE ken zu machen, wie die Stellensituation der Bundes- GRÜNEN]: So ist es!) 7322 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Jan Korte (A) Sie haben heute den selbst für Ihre Verhältnisse be- (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sehr gute (C) merkenswert schlechten Versuch unternommen, ein Formulierung! – Stephan Mayer [Altötting] EuGH-Urteil umzusetzen und bei dieser Umsetzung da- [CDU/CSU]: Eine Formulierung wie im Mi- für zu sorgen, dass es einen strukturellen Maulkorb für nistergesetz!) die Bundesbeauftragte für den Datenschutz gibt. Interes- sant ist die Frage, warum das Gesetz erst 2016 in Kraft So klingt ein Maulkorb. Es kann dann sehr gut sein, dass treten soll. Sie im Zusammenhang mit Snowden oder der NSA mit Verweis auf die Beziehungen zu anderen Ländern nichts Davon abgesehen – Sie haben damit geendet; ich will sagen und nichts machen, und das schreiben Sie sogar damit beginnen – war die Debatte im Innenausschuss um noch der Bundesdatenschutzbeauftragten in den Gesetz- den Dienstsitz Berlin nicht völlig emotional. Es gab die, entwurf. Das ist völlig unangemessen für die Zeit. wie ich finde, völlig berechtigte Überlegung, dass wir im Jahr 2014/2015 eine solche Behörde nach Berlin holen (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- sollten – das ist zumindest unsere Auffassung –, und NIS 90/DIE GRÜNEN) zwar aus einem ganz praktischen Grund: weil nämlich Ein weiterer Punkt: Sie haben es eben als ganz großen diese Bundesregierung in Fragen des Datenschutzes eine Fortschritt verkauft, dass nicht mehr von „Einverneh- Rund-um-die-Uhr-Betreuung braucht. Deswegen haben men“, sondern von „Benehmen“ die Rede ist. In der Tat wir gesagt, es wäre sinnvoll, den Dienstsitz nach Berlin ist das ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. Aber zu verlegen. man muss auch lesen, was davorsteht. Dort steht – ich (Beifall bei der LINKEN) darf zitieren –: Noch etwas ist interessant: Wir machen eine Sachver- Betrifft die Aussage laufende oder abgeschlossene ständigenanhörung, an der alle eingeladenen Sachver- Vorgänge, die dem Kernbereich exekutiver Eigen- ständigen teilgenommen haben – auch die, die Sie verantwortung der Bundesregierung zuzurechnen benannt haben, insbesondere die Freunde der Sozialde- sind oder sein könnten, mokraten –, und alle bis auf einen, nach dem Sie wahr- – das machen Sie natürlich immer dann, wenn es Ihnen scheinlich lange gesucht haben, haben Ihren Gesetzent- in den Kram passt, und schreiben es sogar noch in den wurf zerfetzt. Alle anderen haben gesagt: So geht das gar Gesetzentwurf hinein – nicht; das ist eine reale Schwächung der Bundesbeauf- tragten für den Datenschutz. darf die oder der Bundesbeauftragte nur im Beneh- men der Bundesregierung aussagen. (Gerold Reichenbach [SPD]: Da waren Sie aber auf dem Sportplatz!) Es ist aberwitzig, so etwas in einen Gesetzentwurf für (B) die Stärkung der Unabhängigkeit der Bundesdaten- (D) Das ist auch ein wenig sinnbildlich für die Politik, die schutzbeauftragten hineinzuschreiben. Das bedeutet Sie als Große Koalition machen: nämlich im Kern, dass bei Ihnen alles Kernbereich ist (Gerold Reichenbach [SPD]: Dann warten Sie und dass Sie alles verweigern werden, was an Aufklä- einmal ab!) rung nötig ist. Das ist wirklich völlig daneben, wie Sie das machen. Selbst das, was die Sachverständigen sagen, ist völlig egal. Man sitzt hier satt und zufrieden mit einer 80-Pro- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- zent-Mehrheit und macht eh, was man will. Man nimmt NIS 90/DIE GRÜNEN) dann nicht einmal Sachverständige ernst. Das ist wirkli- Deswegen wäre die richtige Alternative gewesen, die- che keine angemessene Einstellung auch gegenüber den sen Passus, den § 23 BDSG, in Gänze zu streichen, wie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. es uns auch die große Mehrheit der Sachverständigen ge- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- raten hat. NIS 90/DIE GRÜNEN) In Zeiten von Massenüberwachung, schwer kontrol- Wie sehen diese Maulkörbe nun aus? Man muss das lierbaren Geheimdienste, und der Gier ein wenig übersetzen; denn wenn man einen solchen Ge- von Konzernen und des Staates nach immer mehr Daten setzentwurf liest – das gilt vor allem für Leute, die das stärken Sie den Datenschutz nicht, sondern Sie schwä- nicht jeden Tag machen –, dann braucht man etwas chen ihn per Gesetz. Das ist diesen Zeiten nicht ange- Übersetzungshilfe, um ihn zu verstehen. Maulkörbe fin- messen, und das ist auch der Demokratie, die nicht in al- den sich in folgender Formulierung: lerbestem Zustand ist, nicht angemessen. Deswegen muss man das, was Sie vorgelegt haben, vollständig ab- Die oder der Bundesbeauftragte darf als Zeugin lehnen. oder Zeuge aussagen, es sei denn, die Aussage (Beifall bei der LINKEN) – jetzt kommt es – Ich komme zum Schluss. Es kommt noch hinzu – ich … würde dem Wohle des Bundes oder eines deut- weiß nicht, ob Ihnen das gar nicht auffällt –, dass Sie schen Landes Nachteile bereiten, insbesondere Ihre eigene Datenschutzbeauftragte, die Sie selber vor- wenn Nachteile für die Sicherheit der Bundesrepu- geschlagen haben, düpieren und vorführen, wenn Sie blik Deutschland oder ihre Beziehungen zu anderen versuchen, ihr einen solchen Gesetzentwurf für ihre Be- Staaten zu besorgen sind … hörde zuzuschustern. Das geht überhaupt nicht. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7323

Jan Korte (A) Der Zustand der Großen Koalition ist nicht gut. Das Alle Sachverständigen haben ebenfalls deutlich ge- (C) Problem ist, dass Sie hier so abgefrühstückt und satt sit- macht, dass das, was der geplante § 23 Absatz 6 beinhal- zen und dass alles egal ist. Alle Fragen betreffend die tet, nämlich den Hinweis auf „Nachteile für die Sicher- Bürgerrechte und den Datenschutz sind – man muss sich heit der Bundesrepublik Deutschland oder ihre nur vor Augen führen, was hier in den letzten Jahren ge- Beziehungen zu anderen Staaten“, ohnehin bindende schehen ist – für Sie kein Thema. Es regt Sie nichts mehr Wirkung für die Datenschutzbeauftragte hat, unabhängig auf. Nur wenn einen nichts mehr aufregt, ist man in der davon, ob das in diesem Gesetz so formuliert ist oder Lage, einen solchen Gesetzentwurf vorzulegen. Deshalb nicht. Sicherlich kann man darüber diskutieren, ob das werden wir ihn aus voller Überzeugung ablehnen. Gesetz solche Formulierungen unbedingt beinhalten muss, wenn sie nicht notwendig sind. Aber wir formulie- Schönen Dank. ren nichts von dem, was Sie gerade insinuiert haben, (Beifall bei der LINKEN) dass es nicht existieren würde, wenn es nicht im Gesetz stehen würde. Es handelt sich nämlich um ein Prinzip unserer Grundrechtsordnung. Wenn sie Ihnen nicht Vizepräsidentin Ulla Schmidt: passt, müssen Sie es sagen. Aber dann können Sie es Danke schön. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der nicht daran festmachen. Kollege Gerold Reichenbach. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Nun kommen wir zum Kernbereich des Regierungs- handelns. Es ist völlig unbestritten – das ist in verfas- Gerold Reichenbach (SPD): sungsrechtlicher Hinsicht ausgeurteilt –, dass der Kern- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und bereich des Regierungshandelns verfassungsrechtlichen Kollegen! Ob man sich im politischen Geschäft be- Schutz genießt. stimmter Themen annimmt und sich über bestimmte (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Dinge aufregt, ist nicht davon abhängig, ob man gleich- GRÜNEN]: Das bestreitet niemand!) zeitig Schaum vor dem Mund hat. Wir haben den Genehmigungsvorbehalt herausgenom- (Jan Korte [DIE LINKE]: Sie schläfern immer men; auch das wurde in der Anhörung thematisiert. Die alle ein!) Bundesbeauftragte muss in die Lage versetzt werden, Der nun vorliegende Gesetzentwurf stellt einen wich- Erkenntnisse, die ihrer Behörde nicht vorliegen, von der tigen Schritt für den Datenschutz in Deutschland dar. Bundesregierung einzuholen, die es ihr ermöglichen, in (B) Wir setzen mit diesem Gesetz um, was wir Sozialde- eigener Verantwortung zu beurteilen, ob der Kernbereich (D) mokraten seit Jahren fordern – natürlich haben die Ent- des Regierungshandelns tangiert ist oder nicht. Das ist scheidungen des Europäischen Gerichtshofs uns dabei Sinn und Zweck dieser Benehmensregelung, nichts an- geholfen –, nämlich eine völlige Unabhängigkeit der Da- deres. Wenn ich mir das Urteil betreffend Österreich an- tenschutzbeauftragten. Lassen Sie mich dazusagen: Es schaue, bei dem es um die Kontrolle laufender Verfahren ist nicht so, als wäre der Datenschutzbeauftragte bisher geht, bin ich mir ganz sicher, dass dies in europarechtli- nicht unabhängig gewesen. Kein anderer als der Amts- cher Hinsicht in Ordnung ist. Letztendlich entscheidet vorgänger Peter Schaar hat deutlich gemacht, dass er die Bundesbeauftragte oder der Bundesbeauftragte ei- durchaus in der Lage war, unabhängig zu agieren, und genständig. Mit anderen Worten: Mit der jetzigen For- keinen Maulkorb hatte, obwohl das Gesetz damals noch mulierung ist der Maulkorb weg, wie es in den Medien eine Reihe restriktiverer Formulierungen enthielt, die tituliert worden ist. der EuGH später moniert hat. Nun komme ich zu der von Ihnen geforderten Festle- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) gung des Dienstsitzes. Dazu fällt mir nur ein: Wenn man nichts mehr zu meckern hat, geht man halt auf den Mit dem Gesetz, dessen Entwurf vorliegt, machen wir Dienstsitz ein. die Datenschutzbeauftragte auch formal unabhängig, etwa mit § 23 BDSG. Es tut mir leid, Kollege Korte, da (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE waren Sie offenbar auf einem anderen Sportplatz. GRÜNEN]: Das haben doch nicht wir zitiert!) (Jan Korte [DIE LINKE]: Aber die Sachver- Am Ende stellt sich wirklich die Frage, ob die Stellung ständigen von Ihnen haben das gesagt! Sie ha- der Bundesbeauftragten zum Parlament – das betrifft die ben gesagt: „Streichen“!) Symbolik – abhängig vom Dienstsitz ist. Beim Bundes- verfassungsgericht gibt es das Problem nicht; das sitzt in Alle Sachverständigen haben darauf hingewiesen, dass Karlsruhe. Beim Bundesverwaltungsgericht gibt es das die Einvernehmensregelung in europarechtlicher Hin- Problem nicht; das sitzt in . sicht schwierig ist. Deswegen haben wir das geändert. Aber alle Sachverständigen haben auch deutlich ge- (Zuruf von der CDU/CSU: Da sitzt es gut!) macht, dass damit, egal ob dort „kann“ oder „könnte“ steht, ein Abwägungstatbestand beschrieben ist, also Beim Bundesrechnungshof sehen Sie das Problem auch nicht das, was Sie gerade versucht haben zu insinuieren. nicht; der sitzt auch in Bonn. Also, wo liegt ausgerechnet beim Sitz der Bundesdatenschutzbeauftragten das Pro- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) blem? Ich habe den Eindruck, dass es da nur nach dem 7324 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Gerold Reichenbach (A) Prinzip geht: Irgendetwas muss ich ja zum Meckern ge- (Beifall der Abg. Claudia Roth [Augsburg] (C) funden haben. – Mehr steckt nicht dahinter. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE Ebenso verhält es sich mit der Frage der Ausstattung. GRÜNEN): Wir alle wissen, dass die völlige Unabhängigkeit 2016 in Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Kraft tritt. Die Frage, wie eine angemessene Sachaus- Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann ja stattung auszusehen hat, entscheidet wie immer in die- verstehen, dass Sie sich bei all dem Frust in der Großen sem Parlament der Haushaltsgesetzgeber, nämlich der Koalition gern für Selbstverständlichkeiten abfeiern. des Jahres 2016. Sie können sich sicher sein, dass die Aber das ist hier und heute gänzlich unangebracht. Koalitionsfraktionen bei der Aufstellung des Haushalts 2016 darüber beraten werden – wir haben das schon ein- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mal im Ausschuss deutlich gemacht –, welche Sachaus- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) stattung der neuen Aufgabe angemessen ist. Sie wären Denn die Herstellung der völligen Unabhängigkeit doch der Erste, der gesagt hätte: Jetzt kommen die Ko- der Bundesbeauftragten für den Datenschutz als Hüterin alitionsfraktionen und schreiben in das Gesetz, dass be- der Grundrechte ist europarechtlich geboten, und zwar stimmte Ausgaben für das Jahr 2016 getätigt werden sol- seit Jahrzehnten. Auch das Bundesverfassungsgericht len. Daran sieht man wieder einmal, welchen Respekt hat eine effektive Datenschutzkontrolle zur Vorausset- die bräsige Große Koalition vor dem Haushaltsgesetzge- zung für Dateien im Sicherheitsbereich genannt. Die Da- ber 2016 hat. – Was beliebt Ihnen denn jetzt? teien gibt es, bei der Kontrolle ist Fehlanzeige. So geht es eben nicht, meine Damen und Herren. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Wir haben die Unabhängigkeit hier in den letzten Jah- ren immer wieder eingefordert, und Sie haben sie bisher Wir gehen Stück für Stück und sachlich vor. blockiert, vor allem die Kolleginnen und Kollegen der Das Gleiche gilt übrigens auch für das dritte Thema, Union. Ihre Feierlaune ist deswegen völlig deplatziert; das in der Anhörung behandelt wurde, nämlich die Sank- denn Sie stellen die Unabhängigkeit der Datenschutzbe- tionen. Es ist richtig: Ein Teil dessen, was die Bundesda- auftragten eben auch heute nicht her. tenschutzbeauftragte überwacht, ist der Bereich des Te- Das liegt daran, dass Sie insgesamt ein gespaltenes lekommunikationsgesetzes. Da hat sie keine eigenen Verhältnis zum Datenschutz und zur Privatsphäre in der Sanktionsmöglichkeiten. Aber wir sagen: Bis 2016 wird digitalen Welt haben. die europäische Datenschutz-Grundverordnung vorlie- (B) gen. Dann werden wir im Rahmen dieser Grundverord- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie (D) nung, die ohnehin eigene Sanktionsmöglichkeiten für bei Abgeordneten der LINKEN) die Datenschutzbeauftragten vorsieht, dieses Thema dis- Seit Jahren blockieren Sie die Unabhängigkeit der Da- kutieren. Es macht keinen Sinn, das heute mitregeln zu tenschutzbeauftragten. Sie blockieren jegliche Verbesse- wollen. rung der Privatsphäre von Menschen in der digitalen Ich sage aus voller Überzeugung: Wir haben hier ein Welt. Sie verweigern seit Jahren ein Arbeitnehmerdaten- Gesetz vorgelegt, insbesondere mit den Änderungen, die schutzgesetz. Statt aus den Niederlagen vor dem Bun- wir im Ausschuss vorgenommen haben, das zu einer desverfassungsgericht und vor dem EuGH zu lernen, halten Sie an der Vorratsdatenspeicherung fest. Auf dem vollständigen Unabhängigkeit und Eigenständigkeit der CDU-Parteitag konnten wir lernen: Sie wollen auch Datenschutzbeauftragten führt. noch die Anonymität im Netz gänzlich wieder abschaf- Ich sage Ihnen auch: Wir machen Ihr Spiel nicht mit. fen. Na, herzlichen Dank! Praktisch täglich dokumentie- Es ist erstens nicht redlich und zweitens sachlich falsch, ren Sie Ihr Versagen, aus dem von Edward Snowden auf- zu behaupten, dass jeder, der den Anträgen der Grünen gedeckten Skandal Konsequenzen zu ziehen. oder der Linkspartei nicht zustimmt, gegen die Unab- Die Bundesregierung wollte einen Maulkorb für die hängigkeit des oder der Datenschutzbeauftragten ist. amtierende Datenschutzbeauftragte und die ehemaligen Diese Unabhängigkeit ist auch mit unserem Gesetzent- Datenschutzbeauftragten. Dieser Vorschlag ist bei den wurf gegeben. Deswegen werden wir Ihnen in einer na- Sachverständigen – das hat der Kollege Korte gesagt – mentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf am mit Pauken und Trompeten durchgefallen. Nun legen Sie Ende die Gelegenheit geben, deutlich zu machen, ob es kosmetische Korrekturen beim Maulkorb vor. Es bleibt Ihnen wirklich um die Sache oder nur um eigene partei- jedoch bei einer Genehmigungspflicht für den ehemali- politische Profilierung und Klamauk geht. gen BfDI und die Bundesbeauftragte für den Daten- Werte Kolleginnen und Kollegen, ich bitte um Ihre schutz, die sich ins „Benehmen“ mit dem BMI zu setzen Zustimmung und danke für Ihre Aufmerksamkeit. hat. Ins „Benehmen“, das klingt harmlos, Herr Kollege Reichenbach. Wir können hier ja einmal gesetzlich be- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) schließen, dass Sie sich vor jeder Rede im nächsten Jahr mit mir ins „Benehmen“ darüber zu setzen haben, was Sie hier sagen. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dr. Konstantin von Notz das Wort. sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7325

Dr. Konstantin von Notz (A) Ich kann Ihnen schon sagen, wie das Ihre Unabhängig- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie (C) keit als Abgeordneter einschränken würde. bei Abgeordneten der LINKEN) Ihnen liegt unser europa- und verfassungsrechtskon- former Antrag vor, der in der Anhörung großes Lob, gro- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: ßen Zuspruch erfahren hat. Seine Annahme würde ver- Vielen Dank. – Der letzte Redner in dieser Debatte ist hindern, dass die Bundesregierung, so wie sie es im PUA der Kollege Marian Wendt, CDU/CSU-Fraktion. täglich tut, unter Berufung auf den Kernbereich exekuti- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ver Eigenverantwortung immer wieder Informationsblo- ckaden errichtet. Marian Wendt (CDU/CSU): Ihre Vorlagen enthalten weitere Regelungen, die die Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und vollständige Unabhängigkeit darüber hinaus einschrän- Herren Kollegen! ken: das alleinige Vorschlagsrecht der Bundesregierung bei der Benennung der Bundesbeauftragten, die fehlende Datenschützer können keine Daten schützen, sie haushalterische Unabhängigkeit, die lückenhaften Ein- können allenfalls kontrollieren, ob Daten hinrei- sichtsbefugnisse der BfDI im Sicherheitsbereich, das chend geschützt werden. Fehlen von wesentlichen Sanktionsbefugnissen – Herr Dieses Zitat von Bundespräsident Gauck zeigt, dass Reichenbach, das haben Sie sogar angesprochen – im es beim Thema Datenschutz nicht um Daten an sich Bereich der Post und Telekommunikation. Dazu kom- geht; vielmehr steht die Nutzung von personenbezoge- men erhebliche Kontrolllücken zwischen der G-10- nen Daten im Vordergrund. Kommission und der BfDI, die Sie nicht gesetzlich schließen wollen. All das ist völlig unzureichend. Die Große Koalition geht deshalb mit der Umsetzung der EuGH-Urteile den nächsten richtigen Schritt, um (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie Deutschland zum Marktführer beim Schutz personen- bei Abgeordneten der LINKEN) bezogener Daten zu entwickeln, ohne die Nutzung durch Wir erleben derzeit den größten Datenschutzskandal die digitale Wirtschaft aus dem Blick zu verlieren. aller Zeiten. Dazu braucht es klare parlamentarische (Beifall des Abg. Stephan Mayer [Altötting] Antworten: Neben der Aufklärung im Untersuchungs- [CDU/CSU]) ausschuss, gesetzgeberischen Konsequenzen und der Stärkung der parlamentarischen Kontrolle ist das eben Effizienter Datenschutz ist Bestandteil der Digitalen auch eine Stärkung der BfDI. Der Aufgabenbereich der Agenda der Großen Koalition. Daher ist die Behauptung, (B) Bundesbeauftragten für den Datenschutz ist massiv ge- wir seien mit unseren jetzigen Entscheidungen nur Ge- (D) wachsen. Sie sind aber nicht in der Lage, die Behörde triebene des Europäischen Gerichtshofes, schlicht unzu- entscheidend zu stärken. treffend. Formell und nachhaltig wird jetzt abgesichert, was de facto schon vorher der Fall gewesen ist; denn die Dieses Gesetz, bei dem Sie selbst sagen, dass es über- Unabhängigkeit der Arbeit der Datenschutzbeauftragten fälligerweise einen rechtswidrigen, hochproblemati- bestand bereits. Sie sehen dies daran, dass es nie einen schen Zustand beseitigt, soll erst 2016 in Kraft treten. rechtsaufsichtlichen Eingriff durch das Innenministe- Bis dahin soll eine Genehmigungspflicht durch das BMI rium gab. bei gerichtlichen und außergerichtlichen Aussagen wei- terbestehen. Man kann einmal sehr gespannt sein, wie (Beifall bei der CDU/CSU) Sie sich im PUA NSA verhalten, wenn Frau Voßhoff Ich sehe das Gesetz als richtigen Schritt zur Stärkung und Herr Schaar kommen. der Unabhängigkeit der Datenschutzbeauftragten und nehme die heutige Debatte deshalb zum Anlass, noch Vizepräsidentin Ulla Schmidt: einmal einen generellen Blick auf den deutschen Daten- Herr Kollege von Notz. schutz zu werfen, insbesondere auf unseren Weg zur Marktführerschaft in diesem Bereich. Aus meiner Sicht sollten wir als Gesetzgeber künftig Folgendes bedenken: Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE Ziehen wir die Zügel beim Datenschutz zu straff, würgen GRÜNEN): wir Innovation und Fortschritt ab. Wir würden hierdurch Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. jungen Unternehmen schaden, obwohl wir Start-ups ei- Ich fordere Sie auf, die tatsächliche Unabhängigkeit gentlich stärken wollen. Lassen wir die Zügel zu locker, der Datenschutzaufsicht zu gewährleisten, öffnen wir Missbrauch Tür und Tor. Deshalb sind meiner Meinung nach drei Punkte wichtig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Erstens. Effektiven Datenschutz erreichen wir in eine angemessene finanzielle und personelle Ausstattung Deutschland nicht durch besonders strenge Regulierung. zu schaffen und die Möglichkeit, ihre wichtige Funktion Durch eine strenge Regulierung werden Unternehmen zum Schutz unserer Grundrechte endlich wahrnehmen vertrieben, die ihr Geschäftsmodell rund um die Nut- zu können, zu sichern. All das erfüllt Ihr Vorschlag zung von Daten aufgebaut haben. nicht. Deswegen lehnen wir ihn ab. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Herzlichen Dank. neten der SPD) 7326 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

(A) Vizepräsidentin Claudia Roth: kreises diese Daten erheben und sie einfach fernab von (C) Also, liebe Kolleginnen und Kollegen, hier redet ein jeglichen Datenschutzstandards verwenden. Kollege über ein sehr wichtiges Thema. Ich bitte Sie, diesem Kollegen jetzt zuzuhören oder Ihre Diskussionen Drittens. Datensammlung und -verwertung sind wich- draußen fortzusetzen. Ich sage das jetzt wirklich im tig für die Gefahrenabwehr. Es geht nicht an, dass Sicher- Ernst. Sonst warten wir einfach, bis Sie still sind, bis Sie heitsbehörden zum Beispiel im Vorfeld der HoGeSa-Kra- zuhören. Das gilt für alle Seiten in diesem Haus. Herr walle in Köln nicht effektiv durch einen Datenabgleich Wendt hat das Recht, dass ihm zugehört wird, zusammenarbeiten dürfen. Wir müssen hier überlegen, wie wichtig uns die Sicherheit von Menschen in unserem (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Land ist. Natürlich ist es ein Spannungsfeld, das ver- nünftige Abwägungen erfordert; aber das Leben und die und zwar auf allen Rängen des Hauses, auch in den hin- Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger haben für mich teren Abteilungen. Setzen Sie sich also bitte hin, und hö- den höchsten Stellenwert. ren Sie dem letzten Redner in dieser Debatte zu, sonst machen wir eine Pause, bis alle sitzen. Das ist eine Dro- (Beifall bei der CDU/CSU) hung. Aus diesem Grund ist auch die Verbindungsdatenspei- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) cherung für mich weiterhin ein wichtiges Mittel der Ge- So, Herr Kollege, wir versuchen es noch einmal. fahrenabwehr. (Beifall bei der CDU/CSU) Marian Wendt (CDU/CSU): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich denke, insbeson- Abschließend möchte ich zusammenfassend sagen, dere die Tatsache, dass wir nachher namentlich über die dass wir bei der Erneuerung des Datenschutzrechtes wei- vorliegenden Anträge und dieses Gesetz abstimmen, ter vorangehen müssen. zeigt die Bedeutung des Themas. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Erstens. Effektiven Datenschutz erreichen wir nicht GRÜNEN]: Das stimmt!) durch besonders strenge Regulierung. Dadurch werden Entweder wir modernisieren uns oder andere moder- Unternehmen aus unserem Land vertrieben, die ihr Ge- nisieren uns – und das können wir uns im Sinne der Bür- schäftsmodell rund um die Nutzung von Daten aufge- gerinnen und Bürger nicht leisten. Vor allem denke ich, baut haben. Diese gehen dann nämlich in Länder, in de- dass wir weg von der alten Idee der Datensparsamkeit nen keine oder wenig Regulierung besteht. Damit fallen hin zu einer positiven Nutzung von Daten innerhalb kla- sie aus unserem europäischen Einflussbereich heraus. (B) rer Schranken gelangen müssen. Mit Datenschutzstan- (D) Was ist dadurch gewonnen? – Nichts. dards von 1983 werden wir dem digitalen Wandel nicht (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE gerecht werden. GRÜNEN]: Ja, und deswegen schwacher Da- Vielen Dank. tenschutz?) Das Verbot jedweder Datennutzung ohne eine konkrete (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Einwilligung, Privacy by Default genannt, ist ein gutes neten der SPD und des Abg. Dr. Konstantin Beispiel dafür. Dieses Verbot sorgt zum Beispiel dafür, von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) dass die Daten der hauptsächlich genutzten sozialen Netzwerke heute in den Vereinigten Staaten gesammelt Vizepräsidentin Claudia Roth: und verwertet werden. Deutsche Unternehmen erleiden Vielen Dank, Kollege Wendt, und Dank den Kollegin- ja aktuell signifikante Nachteile. nen und Kollegen, die Ihnen ihre Aufmerksamkeit ge- Zweitens. Wie der geschätzte Kollege Lars Klingbeil schenkt haben. kürzlich im Handelsblatt schrieb, hat sich in Zeiten der Ich schließe die Aussprache. Datenvielfalt das Prinzip der Datensparsamkeit überlebt. Daten sind ein überaus wertvolles Gut und schützens- Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- wert. Dieses Gut zu nutzen, bringt uns Vorteile. Für mich desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände- ist deshalb auch klar: Datenvielfalt ist gewünscht. Sie ist rung des Bundesdatenschutzgesetzes – Stärkung der Un- Innovationstreiber. Die Vielzahl der positiven Einsatz- abhängigkeit der Datenschutzaufsicht im Bund durch möglichkeiten, heute und in der Zukunft, kann hier noch Errichtung einer obersten Bundesbehörde. Der Innen- keiner überblicken. Die Energiewende ist hier als Bei- ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf spiel zu nennen: Das Einsparpotenzial durch intelligente Drucksache 18/3598, den Gesetzentwurf der Bundesre- Steuerung der Energieversorgung ist enorm. Ich möchte, gierung auf Drucksache 18/2848 in der Ausschussfas- dass wir bei diesen Innovationen Vorreiter bleiben. Des- sung anzunehmen. halb ist für mich nicht die Datenerhebung, sondern die Hierzu liegt auf Drucksache 18/3601 ein Änderungs- Datenverwertung beim Datenschutz entscheidend. antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über (Beifall bei der CDU/CSU) den wir zuerst abstimmen. Nur diese sollte reguliert werden. Die Alternative wäre, Wir stimmen nun über den Änderungsantrag der dass die Unternehmen außerhalb des europäischen Rechts- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen namentlich ab. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7327

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen (C) vorgesehenen Plätze einzunehmen. – An zwei Urnen Abstimmung unterbreche ich die Sitzung. fehlen noch Schriftführerinnen bzw. Schriftführer. Sind die Plätze an den Urnen jetzt besetzt? – Das ist der Fall. Gute Unterhaltung! Ich eröffne die Abstimmung über den Änderungsan- (Unterbrechung von 21.10 bis 21.17 Uhr) trag. Sind noch Kolleginnen und Kollegen im Saal, die ihre Vizepräsidentin Claudia Roth: Stimme nicht abgegeben haben? – Ich kann nur immer Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet wieder darauf hinweisen: Wenn sich die Kolleginnen Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir nähern uns der und Kollegen ganz außen zur Abstimmung mehr in der zweiten Abstimmung. Zuerst gebe ich Ihnen aber das Mitte einreihten, wären sie schneller fertig. von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ich frage noch einmal: Gibt es Mitglieder des Hauses, Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den die noch nicht abgestimmt haben? – Das ist nicht der Änderungsantrag bekannt: abgegebene Stimmen 566. Fall. Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte die Schrift- Mit Ja haben gestimmt 110 Kolleginnen und Kollegen, führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu mit Nein haben gestimmt 456, Enthaltungen keine. Der beginnen. Änderungsantrag ist damit abgelehnt.

Endgültiges Ergebnis Thomas Nord Sylvia Kotting-Uhl Thomas Bareiß Abgegebene Stimmen: 566; Petra Pau Oliver Krischer Norbert Barthle davon Harald Petzold (Havelland) Stephan Kühn (Dresden) Julia Bartz Richard Pitterle Christian Kühn (Tübingen) Günter Baumann ja: 110 Martina Renner Renate Künast Maik Beermann nein: 456 Dr. Petra Sitte Markus Kurth Manfred Behrens (Börde) Kersten Steinke Monika Lazar Veronika Bellmann Ja Dr. Kirsten Tackmann Steffi Lemke Sybille Benning Frank Tempel Dr. Tobias Lindner Dr. André Berghegger DIE LINKE Dr. Axel Troost Nicole Maisch Dr. Christoph Bergner Alexander Ulrich Peter Meiwald Ute Bertram Jan van Aken (B) Halina Wawzyniak Irene Mihalic Peter Beyer (D) Dr. Dietmar Bartsch Katrin Werner Beate Müller-Gemmeke Steffen Bilger Herbert Behrens Birgit Wöllert Özcan Mutlu Clemens Binninger Karin Binder Jörn Wunderlich Dr. Konstantin von Notz Peter Bleser Matthias W. Birkwald Hubertus Zdebel Omid Nouripour Dr. Maria Böhmer Heidrun Bluhm Sabine Zimmermann Friedrich Ostendorff Wolfgang Bosbach Eva Bulling-Schröter (Zwickau) Cem Özdemir Norbert Brackmann Roland Claus Lisa Paus Klaus Brähmig Dr. Diether Dehm BÜNDNIS 90/ Brigitte Pothmer Michael Brand Wolfgang Gehrcke DIE GRÜNEN Tabea Rößner Dr. Reinhard Brandl Annette Groth Luise Amtsberg Claudia Roth (Augsburg) Helmut Brandt Dr. Gregor Gysi Kerstin Andreae Corinna Rüffer Dr. Ralf Brauksiepe Dr. André Hahn Annalena Baerbock Manuel Sarrazin Heike Brehmer Heike Hänsel Marieluise Beck (Bremen) Elisabeth Scharfenberg Ralph Brinkhaus Dr. Rosemarie Hein Volker Beck (Köln) Ulle Schauws Cajus Caesar Inge Höger Agnieszka Brugger Dr. Frithjof Schmidt Gitta Connemann Andrej Hunko Ekin Deligöz Kordula Schulz-Asche Alexandra Dinges-Dierig Sigrid Hupach Katja Dörner Dr. Wolfgang Strengmann- Alexander Dobrindt Ulla Jelpke Katharina Dröge Kuhn Michael Donth Susanna Karawanskij Harald Ebner Hans-Christian Ströbele Thomas Dörflinger Katja Kipping Dr. Thomas Gambke Dr. Harald Terpe Marie-Luise Dött Jan Korte Matthias Gastel Markus Tressel Hansjörg Durz Jutta Krellmann Kai Gehring Dr. Julia Verlinden Jutta Eckenbach Caren Lay Katrin Göring-Eckardt Doris Wagner Dr. Bernd Fabritius Sabine Leidig Dr. Valerie Wilms Hermann Färber Ralph Lenkert Britta Haßelmann Uwe Feiler Michael Leutert Dr. Thomas Feist Dr. Anton Hofreiter Nein Stefan Liebich Bärbel Höhn Enak Ferlemann Dr. Gesine Lötzsch Ingrid Fischbach Dieter Janecek CDU/CSU Thomas Lutze Uwe Kekeritz Dirk Fischer (Hamburg) Cornelia Möhring Katja Keul Stephan Albani Dr. Maria Flachsbarth Niema Movassat Sven-Christian Kindler Katrin Albsteiger Klaus-Peter Flosbach Norbert Müller (Potsdam) Maria Klein-Schmeink Artur Auernhammer Thorsten Frei Dr. Alexander S. Neu Tom Koenigs Dorothee Bär Dr. Astrid Freudenstein 7328 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Michael Frieser Markus Koob Sibylle Pfeiffer Michael Vietz (C) Hans-Joachim Fuchtel Carsten Körber Ronald Pofalla Volkmar Vogel (Kleinsaara) Alexander Funk Michael Kretschmer Eckhard Pols Sven Volmering Ingo Gädechens Gunther Krichbaum Thomas Rachel Christel Voßbeck-Kayser Dr. Thomas Gebhart Dr. Günter Krings Kerstin Radomski Kees de Vries Alois Gerig Rüdiger Kruse Alexander Radwan Dr. Johann Wadephul Eberhard Gienger Bettina Kudla Alois Rainer Marco Wanderwitz Cemile Giousouf Dr. Roy Kühne Dr. Peter Ramsauer Nina Warken Josef Göppel Uwe Lagosky Eckhardt Rehberg Kai Wegner Reinhard Grindel Andreas G. Lämmel Katherina Reiche (Potsdam) Albert Weiler Ursula Groden-Kranich Dr. Norbert Lammert Lothar Riebsamen Marcus Weinberg (Hamburg) Hermann Gröhe Katharina Landgraf Josef Rief Dr. Anja Weisgerber Klaus-Dieter Gröhler Ulrich Lange Dr. Heinz Riesenhuber Peter Weiß (Emmendingen) Astrid Grotelüschen Barbara Lanzinger Johannes Röring Sabine Weiss (Wesel I) Markus Grübel Dr. Silke Launert Dr. Norbert Röttgen Ingo Wellenreuther Manfred Grund Paul Lehrieder Erwin Rüddel Marian Wendt Oliver Grundmann Dr. Katja Leikert Albert Rupprecht Waldemar Westermayer Monika Grütters Dr. Philipp Lengsfeld Anita Schäfer (Saalstadt) Kai Whittaker Dr. Herlind Gundelach Dr. Andreas Lenz Dr. Wolfgang Schäuble Peter Wichtel Fritz Güntzler Philipp Graf Lerchenfeld Jana Schimke Annette Widmann-Mauz Olav Gutting Dr. Ursula von der Leyen Norbert Schindler Heinz Wiese (Ehingen) Christian Haase Antje Lezius Tankred Schipanski Klaus-Peter Willsch Florian Hahn Ingbert Liebing Heiko Schmelzle Elisabeth Winkelmeier- Dr. Stephan Harbarth Matthias Lietz Gabriele Schmidt (Ühlingen) Becker Jürgen Hardt Andrea Lindholz Patrick Schnieder Oliver Wittke Matthias Hauer Dr. Carsten Linnemann Dr. Kristina Schröder Dagmar G. Wöhrl Mark Hauptmann Patricia Lips (Wiesbaden) Barbara Woltmann Dr. Stefan Heck Wilfried Lorenz Bernhard Schulte-Drüggelte Tobias Zech Dr. Matthias Heider Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Klaus-Peter Schulze Heinrich Zertik Helmut Heiderich Dr. Jan-Marco Luczak Uwe Schummer Emmi Zeulner Mechthild Heil Daniela Ludwig Armin Schuster (Weil am Dr. Matthias Zimmer Frank Heinrich (Chemnitz) Karin Maag Rhein) Gudrun Zollner Mark Helfrich Yvonne Magwas Christina Schwarzer Uda Heller Thomas Mahlberg Detlef Seif SPD (B) Jörg Hellmuth Gisela Manderla Johannes Selle Ingrid Arndt-Brauer (D) Rudolf Henke Matern von Marschall Reinhold Sendker Heike Baehrens Michael Hennrich Hans-Georg von der Marwitz Dr. Patrick Sensburg Ulrike Bahr Ansgar Heveling Andreas Mattfeldt Bernd Siebert Heinz-Joachim Barchmann Christian Hirte Stephan Mayer (Altötting) Thomas Silberhorn Dr. Katarina Barley Dr. Heribert Hirte Reiner Meier Johannes Singhammer Doris Barnett Robert Hochbaum Dr. Michael Meister Tino Sorge Dr. Hans-Peter Bartels Alexander Hoffmann Jan Metzler Jens Spahn Klaus Barthel Karl Holmeier Maria Michalk Carola Stauche Dr. Matthias Bartke Franz-Josef Holzenkamp Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Frank Steffel Sören Bartol Dr. Hendrik Hoppenstedt Philipp Mißfelder Dr. Wolfgang Stefinger Bärbel Bas Margaret Horb Dietrich Monstadt Albert Stegemann Uwe Beckmeyer Bettina Hornhues Karsten Möring Peter Stein Lothar Binding (Heidelberg) Charles M. Huber Marlene Mortler Sebastian Steineke Burkhard Blienert Anette Hübinger Elisabeth Motschmann Johannes Steiniger Willi Brase Hubert Hüppe Dr. Gerd Müller Christian Freiherr von Stetten Dr. Karl-Heinz Brunner Sylvia Jörrißen Carsten Müller Dieter Stier Edelgard Bulmahn Andreas Jung (Braunschweig) Rita Stockhofe Marco Bülow Dr. Franz Josef Jung Stefan Müller (Erlangen) Gero Storjohann Martin Burkert Xaver Jung Dr. Philipp Murmann Stephan Stracke Dr. Lars Castellucci Dr. Egon Jüttner Dr. Andreas Nick Max Straubinger Petra Crone Bartholomäus Kalb Michaela Noll Matthäus Strebl Bernhard Daldrup Hans-Werner Kammer Helmut Nowak Karin Strenz Dr. Daniela De Ridder Steffen Kanitz Dr. Georg Nüßlein Thomas Stritzl Dr. Karamba Diaby Alois Karl Wilfried Oellers Thomas Strobl (Heilbronn) Sabine Dittmar Anja Karliczek Florian Oßner Lena Strothmann Martin Dörmann Bernhard Kaster Dr. Tim Ostermann Michael Stübgen Elvira Drobinski-Weiß Dr. Stefan Kaufmann Henning Otte Dr. Sabine Sütterlin-Waack Michaela Engelmeier Roderich Kiesewetter Ingrid Pahlmann Antje Tillmann Petra Ernstberger Dr. Georg Kippels Sylvia Pantel Astrid Timmermann-Fechter Saskia Esken Volkmar Klein Martin Patzelt Dr. Hans-Peter Uhl Karin Evers-Meyer Jürgen Klimke Dr. Martin Pätzold Dr. Volker Ullrich Dr. Johannes Fechner Axel Knoerig Ulrich Petzold Oswin Veith Dr. Fritz Felgentreu Jens Koeppen Dr. Joachim Pfeiffer Thomas Viesehon Elke Ferner Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7329

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Dr. Ute Finckh-Krämer Christina Jantz Andrea Nahles Dagmar Schmidt (Wetzlar) (C) Christian Flisek Frank Junge Ulli Nissen Carsten Schneider (Erfurt) Gabriele Fograscher Josip Juratovic Mahmut Özdemir (Duisburg) Ursula Schulte Dr. Edgar Franke Thomas Jurk Markus Paschke Swen Schulz (Spandau) Ulrich Freese Johannes Kahrs Jeannine Pflugradt Ewald Schurer Dagmar Freitag Christina Kampmann Sabine Poschmann Frank Schwabe Michael Gerdes Ralf Kapschack Joachim Poß Stefan Schwartze Martin Gerster Gabriele Katzmarek Florian Post Andreas Schwarz Iris Gleicke Ulrich Kelber Achim Post (Minden) Rita Schwarzelühr-Sutter Angelika Glöckner Marina Kermer Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Carsten Sieling Ulrike Gottschalck Cansel Kiziltepe Florian Pronold Rainer Spiering Kerstin Griese Arno Klare Dr. Sascha Raabe Norbert Spinrath Gabriele Groneberg Lars Klingbeil Dr. Simone Raatz Svenja Stadler Michael Groß Dr. Bärbel Kofler Martin Rabanus Martina Stamm-Fibich Uli Grötsch Daniela Kolbe Mechthild Rawert Sonja Steffen Wolfgang Gunkel Birgit Kömpel Stefan Rebmann Peer Steinbrück Bettina Hagedorn Anette Kramme Gerold Reichenbach Christoph Strässer Rita Hagl-Kehl Helga Kühn-Mengel Dr. Carola Reimann Kerstin Tack Metin Hakverdi Christine Lambrecht Andreas Rimkus Claudia Tausend Ulrich Hampel Christian Lange (Backnang) Sönke Rix Michael Thews Sebastian Hartmann Dr. Karl Lauterbach Dennis Rohde Franz Thönnes Michael Hartmann Steffen-Claudio Lemme Dr. Martin Rosemann Carsten Träger (Wackernheim) Burkhard Lischka René Röspel Rüdiger Veit Dirk Heidenblut Gabriele Lösekrug-Möller Dr. Ernst Dieter Rossmann Dirk Vöpel Hubertus Heil (Peine) Hiltrud Lotze Susann Rüthrich Gabi Weber Gabriela Heinrich Kirsten Lühmann Bernd Rützel Bernd Westphal Marcus Held Dr. Birgit Malecha-Nissen Johann Saathoff Andrea Wicklein Wolfgang Hellmich Caren Marks Annette Sawade Dirk Wiese Dr. Barbara Hendricks Katja Mast Dr. Hans-Joachim Waltraud Wolff Heidtrud Henn Hilde Mattheis Schabedoth (Wolmirstedt) Gustav Herzog Dr. Matthias Miersch Axel Schäfer (Bochum) Gülistan Yüksel Gabriele Hiller-Ohm Klaus Mindrup Dr. Nina Scheer Dagmar Ziegler Petra Hinz (Essen) Susanne Mittag Udo Schiefner Stefan Zierke Thomas Hitschler Bettina Müller Dr. Dorothee Schlegel Dr. Jens Zimmermann Dr. Eva Högl Michelle Müntefering Ulla Schmidt (Aachen) Manfred Zöllmer (B) Matthias Ilgen Dr. Rolf Mützenich Matthias Schmidt (Berlin) Brigitte Zypries (D)

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in Ich eröffne die Abstimmung über den Gesetzentwurf. der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand- Gibt es noch Kolleginnen und Kollegen, die noch nicht zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Das sieht ungefähr abgestimmt haben? – Vorne sind zwei Urnen, die kom- nach halbe-halbe aus. plett frei sind. Sie könnten hier ganz schnell abstimmen. Gibt es noch Kolleginnen und Kollegen, die nicht abge- (Widerspruch bei Abgeordneten im ganzen stimmt haben? – So, jetzt haben alle abgestimmt. Haus) Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte die Schriftfüh- – Sie passen ja auf. Sind Sie der Meinung, das war rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin- halbe-halbe? – Nein, nicht wirklich. – Gut, wir machen nen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später das noch einmal: Wer stimmt für den Gesetzentwurf? – bekannt gegeben.1) Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- entwurf ist damit in zweiter Beratung bei Zustimmung Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie- einer größeren Gruppe von Abgeordneten von CDU/ ßungsanträge. CSU und SPD und bei Gegenstimmen einer hinten im Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Saal stehenden Gruppe von Abgeordneten von Bünd- Drucksache 18/3602. Wer stimmt für diesen Entschlie- nis 90/Die Grünen und einer links von mir stehenden ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält Gruppe von Abgeordneten der Linken angenommen. sich? – Der Entschließungsantrag ist abgelehnt: Zustim- mung von der Linken, Gegenstimmen von CDU/CSU Dritte Beratung und SPD und Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen. und Schlussabstimmung. Wir stimmen nun über den Ge- Ich lasse über den Entschließungsantrag der Fraktion setzentwurf auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3603 abstim- und der SPD namentlich ab. men. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, wie Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ent- vorhin die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind die Urnen besetzt? – Das ist der Fall. 1) Ergebnis Seite 7334 A 7330 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) schließungsantrag ist abgelehnt: Zustimmung vom b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heike (C) Bündnis 90/Die Grünen und von der Linken, Ablehnung Hänsel, Michael Leutert, Wolfgang Gehrcke, von CDU/CSU und SPD. weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Menschenrechte in Mexiko schützen, Ver- Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und handlungen zum Sicherheitsabkommen aus- Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge- setzen ordneten Karin Binder, Caren Lay, Jan Korte, Drucksache 18/3548 weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE Überweisungsvorschlag: LINKE Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f) Schutz von Kindern vor Schadstoffen in Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Spielzeugen wirksam durchsetzen Ausschuss für Wirtschaft und Energie Verteidigungsausschuss Drucksachen 18/1367, 18/2717 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.1) – Entwicklung Ich sehe, Sie sind einverstanden. c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans- Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss Christian Ströbele, Irene Mihalic, Uwe Kekeritz, empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck- weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- sache 18/2717, den Antrag der Fraktion Die Linke auf NIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 18/1367 abzulehnen. Wer stimmt für diese Sicherheitsabkommen brauchen Standards Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenom- Drucksache 18/3553 men bei Zustimmung von CDU/CSU und SPD gegen Überweisungsvorschlag: die Stimmen von der Linken und Enthaltung von Bünd- Innenausschuss nis 90/Die Grünen. Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.3) – Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bevor- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf rechtigung der Verwendung elektrisch betrie- den Drucksachen 18/3552, 18/3548 und 18/3553 an die (B) bener Fahrzeuge (Elektromobilitätsgesetz – in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- (D) EmoG) schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Drucksache 18/3418 Überweisungsvorschlag: Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Erste Beratung des von der Bundesregierung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reaktorsicherheit Teilumsetzung der Energieeffizienzrichtlinie und zur Verschiebung des Außerkrafttretens Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.2) – des § 47 g Absatz 2 des Gesetzes gegen Wett- Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. bewerbsbeschränkungen Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- wurfs auf Drucksache 18/3418 an die in der Tagesord- Drucksache 18/3373 nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es Überweisungsvorschlag: anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Innenausschuss ist die Überweisung so beschlossen. Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ich rufe die Tagesordnungspunkte 15 a bis 15 c auf: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tom Ausschuss Digitale Agenda Koenigs, Uwe Kekeritz, Claudia Roth (Augs- Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.4) – burg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion Sie sind damit einverstanden. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- Iguala ist kein Einzelfall – Zur Menschen- wurfs auf Drucksache 18/3373 an die in der Tagesord- rechtslage in Mexiko nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es Drucksache 18/3552 dazu weitergehende oder anderweitige Vorschläge? – Überweisungsvorschlag: Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so be- Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe schlossen.

1) Anlage 9 3) Anlage 11 2) Anlage 10 4) Anlage 12 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7331

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: Sie müssten nämlich die anfallenden Sozialversiche- (C) rungsbeiträge für die Strafgefangenen zahlen. Das wol- Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- len sie nicht, und deshalb stehen sie seit 38 Jahren auf richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales der Bremse. (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne- ten Matthias W. Birkwald, Ulla Jelpke, Halina Die Haltung der Bundesregierung in dieser Angele- Wawzyniak, weiterer Abgeordneter und der genheit ist seit Jahren ebenso gleich wie klar. Exempla- Fraktion DIE LINKE risch zitiere ich hier die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linken von 2008 zu diesem Wiedereingliederung fördern – Gefangene in Thema: die Renten-, Kranken- und Pflegeversiche- rung einbeziehen (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Wir bleiben hartnäckig!) Drucksachen 18/2606, 18/2784 Die Bundesregierung hält die Einbeziehung von Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Strafgefangenen in die gesetzliche Kranken- und die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- Rentenversicherung weiterhin für sinnvoll. Die auf- nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. geschobene Inkraftsetzung der Regelungen im Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort an Strafvollzugsgesetz beruht im Wesentlichen auf Gabriele Hiller-Ohm für die SPD. finanziellen Vorbehalten der Bundesländer, die die Beiträge zur Sozialversicherung übernehmen müss- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ten. Die Vorbehalte bestehen unverändert: Die der CDU/CSU) Haushaltssituation der Bundesländer hat sich nicht in der Weise verändert, dass eine neuerliche Initia- Gabriele Hiller-Ohm (SPD): tive der Bundesregierung Aussicht auf Erfolg hätte. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Damit ist eigentlich schon alles gesagt. Kolleginnen und Kollegen der Linken, kann es sein, dass Ihnen die Themen ausgehen? (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) In der letzten, der 17. Wahlperiode haben Sie, meine (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Damen und Herren von der Linken, aber dennoch am CDU/CSU – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: 17. April 2013 einen inhaltlich, vom Titel und Wortlaut Nein!) identischen Antrag zu dem heute vorliegenden gestellt. (B) Ich frage Sie das, weil Sie uns heute einen Antrag vorle- (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Auf uns ist (D) gen, der fast wortgleich mit einem Antrag ist, den wir Verlass!) 2013 bereits am Ende der letzten Legislaturperiode be- handelt haben. Die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung hat in gleicher Weise argumentiert und geantwortet wie das so- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Diskon- zialdemokratisch geführte Arbeits- und Sozialministe- tinuität!) rium im Jahre 2008. Es geht um die Einbeziehung von Strafgefangenen in die (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Woran das Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung. Wir haben wohl liegt!) unsere Argumente ausgetauscht, und wir haben Ihrem Antrag nicht zugestimmt. Man kann nun denselben Antrag immer wieder neu stellen; das ist das Recht der Opposition. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Wir halten Sie für lernfähig!) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das hat beim Mindestlohn auch funktioniert!) Das werden wir jetzt genau so wiederholen. Es stellt sich aber doch die Frage: Ist so etwas zielfüh- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der rend? Klar ist: Der Bundestag ist nicht der richtige An- CDU/CSU) sprechpartner. Warum – so frage ich Sie – versuchen Sie es also nicht über die Bundesländer? Dafür gibt es gute Gründe. Uns allen ist bekannt, dass bereits im Strafvollzugsgesetz vom 16. März 1976 Rege- Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, ich lungen zu einer Einbeziehung der Gefangenen in die So- frage Sie: Was soll diese Schaufensterpolitik hier im zialversicherungen enthalten waren. Diese Regelungen Deutschen Bundestag? Verwenden Sie Ihre Energien sind jedoch größtenteils seit nunmehr 38 Jahren nicht in doch lieber sinnvoller. Überzeugen Sie Ihre Kolleginnen Kraft getreten. Und warum ist das so? Haben wir Bun- und Kollegen in den beiden Bundesländern, in denen Sie destagsabgeordneten oder die Bundesregierung daran mitregieren, also in Brandenburg und Thüringen, eine Schuld? Tragen wir die Verantwortung? Nein, liebe Kol- Bundesratsinitiative zur Einbeziehung der Strafgefange- leginnen und Kollegen der Linken, nicht wir, sondern nen in die Sozialversicherung zu starten. die Bundesländer haben es verbockt. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Bran- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Da re- denburg hat die Arbeitspflicht schon abge- giert ihr doch auch!) schafft!) 7332 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Gabriele Hiller-Ohm (A) Das wäre doch ein sinnvoller Vorschlag. zu denken geben und sagt einiges über die Politik der (C) Linken aus. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Wi- derspruch bei der LINKEN – Matthias W. An Ihrem Antrag stört uns aber nicht nur die falsche Birkwald [DIE LINKE]: So ein Unsinn! Das Adressierung. Es gibt noch weitere Ablehnungsgründe. liegt an euch!) Es ist grundsätzlich richtig, den Resozialisierungsgedan- ken vor Augen zu haben. Es ist auch richtig, den Strafge- Unglücklich finde ich in dem Antrag aber auch die fangenen sinnvolle Arbeitsmöglichkeiten zu bieten. Vermengung von Täter- und Opferangelegenheiten. Für die Verbesserung der Rechtsstellung der Opfer hätte ich (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Aber?) mir einen gesonderten Antrag gewünscht. Die Forderung in Ihrem Antrag nach einem individuell einklagbaren Recht auf Arbeit für Gefangene, also einer (Zuruf von der LINKEN: Wie heißt denn der staatlichen Garantie auf Arbeit für Strafgefangene, geht Ministerpräsident von Brandenburg?) uns zu weit. Warum – das muss man sich doch fragen – In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, sollen Strafgefangene dieses Recht erhalten, obwohl es dass im Koalitionsvertrag eine Reform der Opferent- so etwas für die Allgemeinheit nicht gibt? schädigung und des Rechts der Sozialen Entschädigung Zudem haben die Länder seit der Föderalismusreform vereinbart ist. Wir werden den Opferschutz also schon 2006 die Zuständigkeit für die Gesetzgebungskompetenz bald gemeinsam mit der Union verbessern. beim Strafvollzug. Das Bundes-Strafvollzugsgesetz ist (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) auch nur noch gültig, sofern die Länder nicht eigene Landesstrafvollzugsgesetze erlassen. Soweit mir be- Vizepräsidentin Claudia Roth: kannt ist, haben dies bereits – oder erst; je nachdem, wie man es sieht – elf Länder getan. Die Länder können also Denken Sie bitte an Ihre Redezeit? durch ihre Zuständigkeit eigene Arbeitsregelungen im Strafvollzug festlegen. Sie können auch auf die in Ihrem Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Antrag kritisierte Arbeitspflicht verzichten. Einige Bun- Ja. – Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, ich desländer tun das bereits. kann schon nachvollziehen, dass es Ihnen schwerfällt, sich als Opposition kraftvoll einzubringen. Wir Sozial- (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Ja, demokratinnen und Sozialdemokraten sind einfach zu Brandenburg zum Beispiel!) gut und räumen Ihre Themen Stück für Stück ab, zum (B) Auch hierfür wären die Länder also die richtigen An- Beispiel: Mindestlohn, Rente mit 63, Frauenquote, Miet- (D) sprechpartner. preisbremse, Doppelpass usw. Schauen wir uns doch einmal die Landesjustizvoll- (Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der zugsgesetze in den Ländern mit linker Regierungsbetei- LINKEN) ligung, also in Brandenburg und Thüringen, an: In kei- nem gibt es das von Ihnen geforderte einklagbare Recht Vizepräsidentin Claudia Roth: auf Arbeit für Gefangene. Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende! (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: So ist es!) Gabriele Hiller-Ohm (SPD): In Thüringen steht sogar noch die von Ihnen ebenfalls in Das muss wehtun! Trotzdem: Fröhliche Weihnachten! Ihrem Antrag kritisierte Arbeitspflicht im Landesjustiz- (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei vollzugsgesetz. Zugegeben: In Thüringen, meine Damen Abgeordneten der CDU/CSU) und Herren von der Linken, sind Sie erst seit zwei Wo- chen an der Regierung. Vizepräsidentin Claudia Roth: (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Aha!) Bei aller Freundlichkeit: Angesichts der Weihnachts- feiern wäre es gut, wenn Sie Ihre Redezeiten einhalten Vizepräsidentin Claudia Roth: würden. – Nächster Redner: Matthias W. Birkwald von Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage? der Linken. (Beifall bei der LINKEN) Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Nein. – Aber in Brandenburg hat die Linke seit 2009 Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): das Justizministerium inne. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Und die Herren! Wer ein Verbrechen begeht und dafür in Haft Arbeitspflicht abgeschafft!) muss, sitzt zu Recht im Gefängnis. Der Freiheitsentzug ist seine oder ihre Strafe. Aber die Linke sagt: Eine dop- Ein einklagbares Arbeitsrecht findet sich im 2013 neu pelte Strafe in Form von Altersarmut ist Unrecht. gefassten brandenburgischen Justizvollzugsgesetz auch nicht. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss doch (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7333

Matthias W. Birkwald (A) Darum wollen wir die Gefangenen in die Renten-, Kran- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten (C) ken- und Pflegeversicherung einbeziehen. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Unser Antrag kommt, Frau Kollegin, kurz vor Weih- In Nordrhein-Westfalen sind es 50 Millionen Euro nachten und damit genau zur richtigen Zeit. Das sieht Einnahmen jährlich, weil die Gefangenen Möbel bauen, man in Mecklenburg-Vorpommern auch so. Ich zitiere Bücher binden oder für renommierte Unternehmen wie und bitte insbesondere die Kolleginnen und Kollegen der Gardena oder Siemens Gartengeräte oder Lampenteile Union aufmerksam zuzuhören: herstellen. Ihr Stundenlohn beträgt gerade einmal 1,50 Euro. Dazu sage ich: Das ist viel zu wenig. Zu jeder Zeit sollten Menschen die Möglichkeit be- kommen, Rentenbeiträge einzuzahlen, um für das (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Alter vorsorgen zu können. Auch Gefangenen muss Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- eine solche Chance geboten werden. Das betrachte NEN]) ich als einen Teil des Resozialisierungsgedankens. Wer im Gefängnis an seiner straffreien Zukunft ar- Wir brauchen endlich ein Umdenken. Gefangene wie- beiten kann, dem sollten wir keine Steine in den der in die Gesellschaft einzugliedern und alles dafür zu Weg legen. tun, dass sie nicht rückfällig werden, darum muss es ge- hen. Das ist absolut richtig. Wer hat es gesagt? Unser Antrag geht zurück auf eine Petition des Komi- (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Uli tees für Grundrechte und Demokratie aus dem Jahr 2011. Hoeneß!) Diese Petition wurde von über 5 700 Menschen sowie Uta-Maria Kuder, CDU, die Justizministerin des Landes von nahezu allen bundesweit tätigen Organisationen der Mecklenburg-Vorpommern. Gefangenenhilfe unterzeichnet. Der Petitionsausschuss hatte sie im April 2014 an die Bundes- und die Landes- (Beifall der Abg. Halina Wawzyniak [DIE regierungen weitergeleitet. Die Reaktion? Null, keine. LINKE]) Dabei hatte vor bereits bald 38 Jahren die Bundesregie- rung im damals neuen Strafvollzugsgesetz von 1977 Sie versprach, das Thema 2015 in die Justizministerkon- ferenz einzubringen. Gut so! vorgesehen, die Gefangenen in die Rentenversicherung einzubeziehen. Nur, Frau Kollegin Hiller-Ohm, das ent- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- sprechende Bundesgesetz wurde nie erlassen. NIS 90/DIE GRÜNEN) (Zuruf der Abg. Gabriele Hiller-Ohm [SPD]) Wenn Strafgefangene während ihrer Zeit im Gefäng- Das heißt: Erstens. Alle Regierungen verstoßen seit (B) nis arbeiten und dafür künftig Rentenansprüche erwür- (D) 38 Jahren gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundge- ben, so wäre das der beste Schutz vor Altersarmut. Im Übrigen gäbe es auch einen wichtigen Grund weniger, setzes. Zweitens. Alle Regierungen verstoßen seit erneut straffällig zu werden. 38 Jahren gegen das Sozialstaatsprinzip. Drittens. Alle Regierungen sind damit seit 38 Jahren für die absehbare (Beifall bei der LINKEN) Altersarmut von arbeitenden Gefangenen verantwort- lich; und diese Altersarmut ist eine nicht zu rechtferti- Die Justizministerin nannte auch eine interessante gende Doppelbestrafung. Zahl: Mecklenburg-Vorpommern hätte einen Arbeitge- beranteil von nur rund 1,5 Millionen Euro im Jahr zu tra- (Beifall bei der LINKEN) gen, wenn es – Zitat – „zu einem Umdenken käme“. 1,5 Millionen Euro, das muss ja wohl drin sein. Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall bei der LINKEN) Und viertens müssen Sie jetzt zum Schluss kommen. Frau Staatssekretärin, Ihr Ministerium hatte auf An- frage des ARD-Magazins Kontraste am 30. Oktober Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): 2014 erklären lassen, Ministerin Andrea Nahles begrüße Das mache ich glatt. – Deshalb fordern wir Linken, das Vorhaben zwar, aber leider gebe es weiterhin Vorbe- die Arbeitspflicht durch ein Recht auf Arbeit zu erset- halte finanzieller Art der Länder. zen; denn nur wer freiwillig arbeitet, darf in die Renten- kasse einzahlen. Die meisten Strafgefangenen wollen ar- (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Ja!) beiten, und sie arbeiten gerne. Dann muss aber auch Vorbehalte der Länder? Die kann ich bei der CDU-Jus- gelten: Wer arbeitet, muss angemessen entlohnt werden, tizministerin von Mecklenburg-Vorpommern nicht er- und wer arbeitet, muss Rentenansprüche erwerben dür- kennen. fen. (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Da sollte man Herzlichen Dank. eine Bundesratsinitiative machen!) (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Der bayerische Finanzminister erwartet laut Kon- NIS 90/DIE GRÜNEN) traste 44 Millionen Euro Einnahmen aus der Arbeit in den bayerischen Haftanstalten. 44 Millionen Euro Ein- Vizepräsidentin Claudia Roth: nahmen und 0 Cent davon gehen in die Rentenkasse? Vielen Dank, Herr Kollege. – Bevor ich den nächsten Das darf nicht so bleiben. Redner aufrufe, gebe ich Ihnen das von den Schriftführe- 7334 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) rinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der leginnen und Kollegen, mit Nein haben gestimmt (C) namentlichen Abstimmung zum Gesetzentwurf zur 110 Kolleginnen und Kollegen. Der Gesetzentwurf ist Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes bekannt: ab- damit angenommen. gegebene Stimmen 566. Mit Ja haben gestimmt 456 Kol-

Endgültiges Ergebnis Hans-Joachim Fuchtel Dr. Stefan Kaufmann Dr. Philipp Murmann Abgegebene Stimmen: 566; Alexander Funk Roderich Kiesewetter Dr. Andreas Nick davon Ingo Gädechens Dr. Georg Kippels Michaela Noll Dr. Thomas Gebhart Volkmar Klein Helmut Nowak ja: 456 Alois Gerig Jürgen Klimke Dr. Georg Nüßlein nein: 110 Eberhard Gienger Axel Knoerig Wilfried Oellers Cemile Giousouf Jens Koeppen Florian Oßner Ja Josef Göppel Markus Koob Dr. Tim Ostermann Reinhard Grindel Carsten Körber Henning Otte CDU/CSU Ursula Groden-Kranich Michael Kretschmer Ingrid Pahlmann Hermann Gröhe Gunther Krichbaum Sylvia Pantel Stephan Albani Klaus-Dieter Gröhler Dr. Günter Krings Martin Patzelt Katrin Albsteiger Astrid Grotelüschen Rüdiger Kruse Dr. Martin Pätzold Artur Auernhammer Markus Grübel Bettina Kudla Ulrich Petzold Dorothee Bär Manfred Grund Dr. Roy Kühne Dr. Joachim Pfeiffer Thomas Bareiß Oliver Grundmann Uwe Lagosky Sibylle Pfeiffer Norbert Barthle Monika Grütters Andreas G. Lämmel Ronald Pofalla Julia Bartz Dr. Herlind Gundelach Dr. Norbert Lammert Eckhard Pols Günter Baumann Fritz Güntzler Katharina Landgraf Thomas Rachel Maik Beermann Olav Gutting Ulrich Lange Kerstin Radomski Manfred Behrens (Börde) Christian Haase Barbara Lanzinger Alexander Radwan Veronika Bellmann Florian Hahn Dr. Silke Launert Alois Rainer Sybille Benning Dr. Stephan Harbarth Paul Lehrieder Dr. Peter Ramsauer Dr. André Berghegger Jürgen Hardt Dr. Katja Leikert Eckhardt Rehberg Dr. Christoph Bergner Matthias Hauer Dr. Philipp Lengsfeld Katherina Reiche (Potsdam) Ute Bertram Mark Hauptmann Dr. Andreas Lenz Lothar Riebsamen (B) Peter Beyer Dr. Stefan Heck Philipp Graf Lerchenfeld Josef Rief (D) Steffen Bilger Dr. Matthias Heider Dr. Ursula von der Leyen Dr. Heinz Riesenhuber Clemens Binninger Helmut Heiderich Antje Lezius Johannes Röring Peter Bleser Mechthild Heil Ingbert Liebing Dr. Norbert Röttgen Dr. Maria Böhmer Frank Heinrich (Chemnitz) Matthias Lietz Erwin Rüddel Norbert Brackmann Mark Helfrich Andrea Lindholz Albert Rupprecht Klaus Brähmig Uda Heller Dr. Carsten Linnemann Anita Schäfer (Saalstadt) Michael Brand Jörg Hellmuth Patricia Lips Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Reinhard Brandl Rudolf Henke Wilfried Lorenz Jana Schimke Helmut Brandt Michael Hennrich Dr. Claudia Lücking-Michel Norbert Schindler Dr. Ralf Brauksiepe Ansgar Heveling Dr. Jan-Marco Luczak Tankred Schipanski Heike Brehmer Christian Hirte Daniela Ludwig Heiko Schmelzle Ralph Brinkhaus Dr. Heribert Hirte Karin Maag Gabriele Schmidt (Ühlingen) Cajus Caesar Robert Hochbaum Yvonne Magwas Patrick Schnieder Gitta Connemann Alexander Hoffmann Thomas Mahlberg Dr. Kristina Schröder Alexandra Dinges-Dierig Karl Holmeier Gisela Manderla (Wiesbaden) Alexander Dobrindt Franz-Josef Holzenkamp Matern von Marschall Bernhard Schulte-Drüggelte Michael Donth Dr. Hendrik Hoppenstedt Hans-Georg von der Marwitz Dr. Klaus-Peter Schulze Thomas Dörflinger Margaret Horb Andreas Mattfeldt Uwe Schummer Marie-Luise Dött Bettina Hornhues Stephan Mayer (Altötting) Armin Schuster (Weil am Hansjörg Durz Charles M. Huber Reiner Meier Rhein) Jutta Eckenbach Anette Hübinger Dr. Michael Meister Christina Schwarzer Dr. Bernd Fabritius Hubert Hüppe Jan Metzler Detlef Seif Hermann Färber Sylvia Jörrißen Maria Michalk Johannes Selle Uwe Feiler Andreas Jung Dr. h. c. Hans Michelbach Reinhold Sendker Dr. Thomas Feist Dr. Franz Josef Jung Philipp Mißfelder Dr. Patrick Sensburg Enak Ferlemann Xaver Jung Dietrich Monstadt Bernd Siebert Ingrid Fischbach Dr. Egon Jüttner Karsten Möring Thomas Silberhorn Dirk Fischer (Hamburg) Bartholomäus Kalb Marlene Mortler Johannes Singhammer Dr. Maria Flachsbarth Hans-Werner Kammer Elisabeth Motschmann Tino Sorge Klaus-Peter Flosbach Steffen Kanitz Dr. Gerd Müller Jens Spahn Thorsten Frei Alois Karl Carsten Müller Carola Stauche Dr. Astrid Freudenstein Anja Karliczek (Braunschweig) Dr. Frank Steffel Michael Frieser Bernhard Kaster Stefan Müller (Erlangen) Dr. Wolfgang Stefinger Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7335

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Albert Stegemann Uwe Beckmeyer Marina Kermer Ewald Schurer (C) Peter Stein Lothar Binding (Heidelberg) Cansel Kiziltepe Frank Schwabe Sebastian Steineke Burkhard Blienert Arno Klare Stefan Schwartze Johannes Steiniger Willi Brase Lars Klingbeil Andreas Schwarz Christian Freiherr von Stetten Dr. Karl-Heinz Brunner Dr. Bärbel Kofler Rita Schwarzelühr-Sutter Dieter Stier Edelgard Bulmahn Daniela Kolbe Dr. Carsten Sieling Rita Stockhofe Marco Bülow Birgit Kömpel Rainer Spiering Gero Storjohann Martin Burkert Anette Kramme Norbert Spinrath Stephan Stracke Dr. Lars Castellucci Helga Kühn-Mengel Svenja Stadler Max Straubinger Petra Crone Christine Lambrecht Martina Stamm-Fibich Matthäus Strebl Bernhard Daldrup Christian Lange (Backnang) Sonja Steffen Karin Strenz Dr. Daniela De Ridder Dr. Karl Lauterbach Peer Steinbrück Thomas Stritzl Dr. Karamba Diaby Steffen-Claudio Lemme Christoph Strässer Thomas Strobl (Heilbronn) Sabine Dittmar Burkhard Lischka Kerstin Tack Lena Strothmann Martin Dörmann Gabriele Lösekrug-Möller Claudia Tausend Michael Stübgen Elvira Drobinski-Weiß Hiltrud Lotze Michael Thews Dr. Sabine Sütterlin-Waack Michaela Engelmeier Kirsten Lühmann Franz Thönnes Antje Tillmann Petra Ernstberger Dr. Birgit Malecha-Nissen Carsten Träger Astrid Timmermann-Fechter Saskia Esken Caren Marks Rüdiger Veit Dr. Hans-Peter Uhl Karin Evers-Meyer Katja Mast Dirk Vöpel Dr. Volker Ullrich Dr. Johannes Fechner Hilde Mattheis Gabi Weber Oswin Veith Dr. Fritz Felgentreu Dr. Matthias Miersch Bernd Westphal Thomas Viesehon Elke Ferner Klaus Mindrup Andrea Wicklein Michael Vietz Dr. Ute Finckh-Krämer Susanne Mittag Dirk Wiese Volkmar Vogel (Kleinsaara) Christian Flisek Bettina Müller Waltraud Wolff Sven Volmering Gabriele Fograscher Michelle Müntefering (Wolmirstedt) Christel Voßbeck-Kayser Dr. Edgar Franke Dr. Rolf Mützenich Gülistan Yüksel Kees de Vries Ulrich Freese Andrea Nahles Dagmar Ziegler Dr. Johann Wadephul Dagmar Freitag Ulli Nissen Stefan Zierke Marco Wanderwitz Michael Gerdes Mahmut Özdemir (Duisburg) Dr. Jens Zimmermann Nina Warken Martin Gerster Markus Paschke Manfred Zöllmer Kai Wegner Iris Gleicke Jeannine Pflugradt Brigitte Zypries Albert Weiler Angelika Glöckner Sabine Poschmann Marcus Weinberg (Hamburg) Ulrike Gottschalck Joachim Poß Nein Dr. Anja Weisgerber (B) Kerstin Griese Florian Post (D) Peter Weiß (Emmendingen) Gabriele Groneberg Achim Post (Minden) DIE LINKE Sabine Weiss (Wesel I) Michael Groß Dr. Wilhelm Priesmeier Jan van Aken Ingo Wellenreuther Uli Grötsch Florian Pronold Marian Wendt Dr. Dietmar Bartsch Wolfgang Gunkel Dr. Sascha Raabe Herbert Behrens Waldemar Westermayer Bettina Hagedorn Dr. Simone Raatz Kai Whittaker Karin Binder Rita Hagl-Kehl Martin Rabanus Matthias W. Birkwald Peter Wichtel Metin Hakverdi Mechthild Rawert Annette Widmann-Mauz Heidrun Bluhm Ulrich Hampel Stefan Rebmann Eva Bulling-Schröter Heinz Wiese (Ehingen) Sebastian Hartmann Gerold Reichenbach Klaus-Peter Willsch Roland Claus Michael Hartmann Dr. Carola Reimann Dr. Diether Dehm Elisabeth Winkelmeier- (Wackernheim) Andreas Rimkus Becker Wolfgang Gehrcke Dirk Heidenblut Sönke Rix Annette Groth Oliver Wittke Hubertus Heil (Peine) Dennis Rohde Dagmar G. Wöhrl Dr. Gregor Gysi Gabriela Heinrich Dr. Martin Rosemann Dr. André Hahn Barbara Woltmann Marcus Held René Röspel Tobias Zech Heike Hänsel Wolfgang Hellmich Dr. Ernst Dieter Rossmann Dr. Rosemarie Hein Heinrich Zertik Dr. Barbara Hendricks Susann Rüthrich Emmi Zeulner Inge Höger Heidtrud Henn Bernd Rützel Andrej Hunko Dr. Matthias Zimmer Gustav Herzog Johann Saathoff Gudrun Zollner Sigrid Hupach Gabriele Hiller-Ohm Annette Sawade Ulla Jelpke Petra Hinz (Essen) Dr. Hans-Joachim SPD Susanna Karawanskij Thomas Hitschler Schabedoth Katja Kipping Ingrid Arndt-Brauer Dr. Eva Högl Axel Schäfer (Bochum) Jan Korte Heike Baehrens Matthias Ilgen Dr. Nina Scheer Jutta Krellmann Ulrike Bahr Christina Jantz Marianne Schieder Caren Lay Heinz-Joachim Barchmann Frank Junge Udo Schiefner Sabine Leidig Dr. Katarina Barley Josip Juratovic Dr. Dorothee Schlegel Ralph Lenkert Doris Barnett Thomas Jurk Ulla Schmidt (Aachen) Michael Leutert Dr. Hans-Peter Bartels Johannes Kahrs Matthias Schmidt (Berlin) Stefan Liebich Klaus Barthel Christina Kampmann Dagmar Schmidt (Wetzlar) Dr. Gesine Lötzsch Dr. Matthias Bartke Ralf Kapschack Carsten Schneider (Erfurt) Thomas Lutze Sören Bartol Gabriele Katzmarek Ursula Schulte Cornelia Möhring Bärbel Bas Ulrich Kelber Swen Schulz (Spandau) Niema Movassat 7336 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Norbert Müller (Potsdam) BÜNDNIS 90/ Dieter Janecek Omid Nouripour (C) Dr. Alexander S. Neu DIE GRÜNEN Uwe Kekeritz Friedrich Ostendorff Katja Keul Cem Özdemir Thomas Nord Luise Amtsberg Sven-Christian Kindler Lisa Paus Petra Pau Kerstin Andreae Maria Klein-Schmeink Brigitte Pothmer Harald Petzold (Havelland) Annalena Baerbock Richard Pitterle Tom Koenigs Tabea Rößner Marieluise Beck (Bremen) Sylvia Kotting-Uhl Claudia Roth (Augsburg) Martina Renner Volker Beck (Köln) Dr. Petra Sitte Oliver Krischer Corinna Rüffer Agnieszka Brugger Stephan Kühn (Dresden) Manuel Sarrazin Kersten Steinke Ekin Deligöz Christian Kühn (Tübingen) Elisabeth Scharfenberg Dr. Kirsten Tackmann Katja Dörner Renate Künast Ulle Schauws Frank Tempel Katharina Dröge Markus Kurth Dr. Frithjof Schmidt Dr. Axel Troost Harald Ebner Monika Lazar Kordula Schulz-Asche Alexander Ulrich Dr. Thomas Gambke Steffi Lemke Dr. Wolfgang Strengmann- Halina Wawzyniak Matthias Gastel Dr. Tobias Lindner Kuhn Katrin Werner Kai Gehring Nicole Maisch Hans-Christian Ströbele Birgit Wöllert Katrin Göring-Eckardt Peter Meiwald Dr. Harald Terpe Jörn Wunderlich Anja Hajduk Irene Mihalic Markus Tressel Hubertus Zdebel Britta Haßelmann Beate Müller-Gemmeke Dr. Julia Verlinden Sabine Zimmermann Dr. Anton Hofreiter Özcan Mutlu Doris Wagner (Zwickau) Bärbel Höhn Dr. Konstantin von Notz Dr. Valerie Wilms

Wir gehen weiter in der laufenden Debatte. Nächster (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Redner Peter Weiß für die CDU/CSU-Fraktion. neten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU) Drittens. In jeder Legislaturperiode den wortgleichen Antrag vorzulegen, zeugt nicht von fleißiger Arbeit; Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): denn man muss nur abschreiben. Ich finde, fürs Ab- Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- schreiben sollte der Fraktion Die Linke schlichtweg eine gen! Die Frau Kollegin Hiller-Ohm hat präzise die Sach- Fünf erteilt werden. lage erklärt, (Zuruf von der CDU/CSU: Eine Sechs natür- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) lich!) (B) (D) und der Herr Kollege Birkwald ist mit keinem einzigen Das kann jeder. Es liegt nichts Neues vor. Alte Kamellen Wort auf die Sachlage eingegangen, sondern hat seine werden zu später Stunde erneut im Bundestag diskutiert. Standardrede gehalten. Das hat das Parlament nicht verdient. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ich habe Das Weihnachtsfest steht vor der Tür, das Fest, bei was Inhaltliches gesagt!) dem wir Geschenke verteilen. Die letzten zwei Minuten Sachlage ist: Erstens. Seit der Föderalismusreform 50 Sekunden meiner Redezeit schenke ich dem Deut- 2006 sind ausschließlich die Bundesländer für die Rege- schen Bundestag und Ihnen, liebe Kolleginnen und Kol- lungen zum Strafvollzug zuständig, nicht wir Bundes- legen. tagsabgeordnete. Also, liebe Kolleginnen und Kollegen, Vielen Dank. auch unsere Kollegen in den Landtagen haben ihre Ar- beit zu machen. Diese sollen sie bitte machen. Wenn die (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Gefangenen in unseren Gefängnissen die Bedingung er- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE füllen sollen, um rentenversicherungspflichtig zu wer- GRÜNEN) den, dann, liebe Bundesländer, regelt den Strafvollzug neu. Ihr seid zuständig, nicht wir. Deswegen ist der An- Vizepräsidentin Claudia Roth: trag an der falschen Stelle gestellt. So kommt man zu Applaus, Herr Kollege Weiß. Vie- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- len herzlichen Dank für das großzügige Geschenk. – neten der SPD) Nächster Redner in der Debatte Markus Kurth für Bünd- nis 90/Die Grünen. Zweitens. Rentenansprüche bedingen Rentenversi- cherungsbeiträge. Für die Zahlung der Rentenversiche- Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): rungsbeiträge für Gefangene sind die Bundesländer Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Herr zuständig. Liebe Kolleginnen und Kollegen in den Land- Weiß, Sie hätten diese zwei Minuten auch mir ganz per- tagen, beschließt in allen 16 Ländern: Jawohl, wir stellen sönlich schenken können. Ich wäre darüber sehr dankbar das Geld bereit, um diese Rentenversicherungsbeiträge gewesen. zu zahlen. Es ist nicht unsere Zuständigkeit, sondern es ist Sache der Länder. Liebe Linke, stellt dort die An- (Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNIS- träge. Hier ist der falsche Ort. SES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7337

Markus Kurth (A) Sie hätten diese zwei Minuten aber auch gerne nutzen ein bisschen leicht gemacht – Sie nannten den Betrag (C) können, um inhaltlich auf den Antrag der Linken einzu- von 1,5 Millionen Euro –, weil Sie sich ein sehr kleines gehen, Land ausgesucht haben. Aber im Verhältnis zu den Län- derfinanzen insgesamt sind 160 Millionen Euro, denke (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ich, ein Betrag, den man den Ländern an dieser Stelle und bei der LINKEN) durchaus zumuten kann. statt sich einfach dahinter zu verstecken, dass primär Ich würde empfehlen, dass man auch einmal die Ge- – das ist richtig – die Länder zuständig sind. Wenn wir genrechnung anstellt und sich die Kosten pro Hafttag vor bei allen Debatten über Themen, bei denen die Länder Augen führt. Wenn eine vernünftige Entlohnung und die Federführung haben, sagen würden: „Die Anträge eine vernünftige Sozialversicherung mit dazu beitragen, müssen in den Landtagen gestellt werden, wir können dass weniger Strafgefangene rückfällig werden, dann das hier nicht machen“, dann könnten wir hier über eine lässt sich in den Länder- und Justizhaushalten eine ganze ganze Reihe von Politikbereichen überhaupt nicht mehr Menge Geld einsparen. Ich finde, das muss man in diese debattieren. Dann brauchen wir hier keine bildungs- Betrachtung mit einbeziehen. Beim Thema Sozialversi- oder schulpolitischen Debatten mehr zu führen. cherung geht es also, wenn man so will, auch ein Stück (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ weit um Kriminalitätsprävention. DIE GRÜNEN und der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Auch viele andere Sachen könnten wir dann hier nicht bei der LINKEN) mehr besprechen. In einem Punkt, bei der Gesundheitsversorgung, ha- Die Problematik ist leider auch in anderen Politikfel- ben wir einen etwas anderen Fokus. In Nordrhein-West- dern ähnlich. Ich erinnere nur an den auch in unserem falen beispielsweise gibt es einen eigenen Gesundheits- Ausschuss diskutierten Fonds für Heimkinder mit Be- versorgungszweig, nämlich Haftkrankenhäuser. Hier hinderungen, die für erlebte Gewalt und Missbrauch ent- muss man genau aufpassen, inwieweit man einen Einbe- schädigt werden sollen. Auch hier stellt der Bund Geld zug in die gesetzliche Krankenversicherung vornehmen zur Verfügung. Die Kirchen sind bereit, Geld zur Verfü- könnte. Das würden wir vom Akzent her ein bisschen gung zu stellen. Leider Gottes – das muss ich sagen; ich anders beurteilen als Sie. Aber grundsätzlich sollten wir bin auch über die Länder mit grüner Regierungsbeteili- uns dieser Aufgabe tatsächlich annehmen. gung beschämt – mauern die Länder. Dennoch werden wir alle – Union, SPD, Linke und natürlich auch wir In diesem Sinne wünsche auch ich allen Kolleginnen Grünen – nicht müde, zu fordern, dass sich die Länder an und Kollegen ein schönes Weihnachtsfest und ein gutes (B) diesem Fonds beteiligen. neues Jahr. (D) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ Danke. DIE GRÜNEN und der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Insofern, finde ich, kann man bei der vorliegenden und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Verletzung des Sozialstaatsprinzips – das hat der Kollege der CDU/CSU) Matthias W. Birkwald ganz richtig gesagt – von dieser Stelle aus die Länder auffordern, endlich tätig zu wer- Vizepräsidentin Claudia Roth: den. Vielen Dank, lieber Markus Kurth. – Letzter Redner (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in dieser Debatte: Matthäus Strebl für die CDU/CSU- und bei der LINKEN) Fraktion. Ich muss sagen: Seit 1976 – damals war ich zehn (Beifall bei der CDU/CSU) Jahre alt – ist trotz wechselnder Konstellationen an die- ser Stelle nichts passiert. Wir stimmen dem Antrag der Linken zu. Auch wenn Sie ihm heute nicht zustimmen, Matthäus Strebl (CDU/CSU): sollten wir uns einmal zusammensetzen und überlegen, Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen wie wir es hinbekommen, dass Gefangene vergleichbar und Kollegen! Auch ich würde meine Redezeit dem mir mit den in Freiheit Lebenden entlohnt und zumindest nachfolgenden Redner schenken. Aber wie ich sehe, bin was die Rentenversicherung betrifft sozialversicherungs- ich der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt. pflichtig versichert werden. Denn das hat – ganz klar – Folgewirkungen. Wenn man, gerade im Falle einer län- Zum wiederholten Male beschäftigen wir uns auf An- geren Haftstrafe, Lücken in seinem Versicherungsver- trag der Linksfraktion mit diesem Thema. Sie fordern er- lauf hat, dann sind bestimmte Ansprüche in der Renten- neut, Gefangene im Strafvollzug in die Rentenversiche- versicherung nicht vorhanden oder Wartezeiten nicht rung mit einzubeziehen. Seit der 17. Wahlperiode haben erfüllt. Das ist ein nicht hinnehmbarer Zustand. Sie diesen Antrag wiederholt eingebracht, sodass wir ihn auch heute, in der 18. Wahlperiode, debattieren. Ich Das kostet die Länder zwar nicht die Welt. Allerdings denke, man sollte in die Geschäftsordnung des Deut- kostet es schon einiges. Alle Bundesländer zusammen schen Bundestages einfließen lassen, dass gleichlau- – diese Zahlen liegen mir vor – kostet es 160 Millionen tende Anträge anders behandelt und auch nicht zu später Euro. Mit Mecklenburg-Vorpommern haben Sie es sich Stunde debattiert werden. 7338 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Matthäus Strebl (A) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein, er soll für jeden einzelnen Gefangenen eine Tätigkeit ange- (C) ist ein bisschen anders! Sie müssen ihn mal ge- boten werden, die seinen Fähigkeiten und Neigungen nau lesen! Er ist nicht wortgleich! – Gegenruf entspricht? In der Konsequenz würde das bedeuten, dass der Abg. Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Na ja, die Justizvollzugsanstalten für jeden erdenklichen Beruf aber fast!) sowohl Arbeitsplätze als auch Materialien, Werkzeuge, Instrumente und Räumlichkeiten bereitstellen müssten. Es fehlt an der Freiwilligkeit der Ausübung der Tätig- Allein diese wenigen Beispiele zeigen, wie absurd Ihre keit, da die Arbeitsleistung aufgrund eines öffentlich- Forderungen sind. rechtlichen Gewahrsamsverhältnisses erfolgt. Es handelt sich nicht um ein freies Arbeitsverhältnis. Deshalb wer- Ich möchte nochmals erwähnen, dass auch dieser An- den auch keine Beiträge in die Rentenversicherung ein- trag in einem Landtag eingebracht werden müsste. Dazu gezahlt. Diese Rechtsauffassung wurde, wie uns allen haben Sie Gelegenheit. Wir lehnen den Antrag der Frak- bekannt ist, mehrfach durch verschiedene Gerichte be- tion der Linken dementsprechend ab. stätigt. Zwar hält die Bundesregierung die Einbeziehung von Strafgefangenen in die Rentenversicherung weiter- Herzlichen Dank. hin für grundsätzlich sinnvoll. Aber die Gesetzgebungs- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- kompetenz für den Strafvollzug liegt seit der Föderalis- neten der SPD) musreform im Jahre 2006 bei den Ländern, Herr Kollege Birkwald. Vizepräsidentin Claudia Roth: (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- Vielen Dank, Herr Kollege Strebl. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann die Große Koalition doch ändern!) Ich schließe die Aussprache. Da die Linke in einigen Landtagen vertreten ist, emp- Bevor wir zur Abstimmung kommen, habe ich mitzu- fehle ich Ihnen, sich einmal mit Ihren Parteikolleginnen teilen, dass eine Erklärung des Kollegen Wunderlich aus und -kollegen zu diesem Thema austauschen. der Fraktion Die Linke zu TOP 17 der Tagesordnung vorliegt.1) Er bezieht sich auf den § 31 Absatz 2 unserer (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Haben wir Geschäftsordnung, der besagt: schon lange gemacht!) Jedes Mitglied des Bundestages kann vor der Ab- Unklar bleibt weiterhin, wie die Länder die Finanzierung stimmung erklären, dass es nicht an der Abstim- meistern wollen; denn sie müssten die anteiligen Versi- mung teilnehme. cherungsbeiträge übernehmen. Da Sie ja jetzt den Minis- (B) terpräsidenten Thüringens stellen, könnten Sie also mit Das heißt, Kollege Wunderlich wird an der Abstimmung (D) gutem Beispiel vorangehen, statt hier zu später Stunde zu TOP 17 nicht teilnehmen. über Ihren Antrag diskutieren zu lassen. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Eine ganze Menge Vergegenwärtigen sollten wir uns die Entscheidung anderer nimmt auch nicht teil!) des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1998, in – Nein, aber er erklärt das explizit. Damit wird auch im der die Nichteinbeziehung der Gefangenenentlohnung in Protokoll festgehalten, dass er an dieser Abstimmung die Renten- und Krankenversicherung als verfassungs- nicht teilnehmen wird. Die anderen erklären das nicht; konform bestätigt wurde. Tätigkeiten innerhalb des da sind sie selber schuld. Strafvollzugs lassen sich eben nicht mit freien Tätigkei- ten gleichsetzen. Das ist sowohl mit Artikel 3 des (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Grundgesetzes als auch mit dem Resozialisierungsge- Wunderlich, wunderlich!) danken vereinbar. Dennoch: Die Resozialisierung eines Strafgefangenen ist unbestritten eine wichtige Aufgabe Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus- und Pflicht des Staates. schusses für Arbeit und Soziales zum Antrag der Frak- tion Die Linke mit dem Titel „Wiedereingliederung för- Wir alle sind uns einig: Eine Arbeit ist ein wesentli- dern – Gefangene in die Renten-, Kranken- und cher Bestandteil einer erfolgreichen Resozialisierung. Pflegeversicherung einbeziehen“. Der Ausschuss emp- Durch eine im Vollzug ausgeübte Beschäftigung kann fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- der Gefangene Überbrückungsgeld ansparen. In vielen che 18/2784, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Fällen sinkt durch eine Arbeitspflicht während des Voll- Drucksache 18/2606 abzulehnen. Wer stimmt für diese zugs die Rückfallquote nach der Entlassung des Gefan- Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer genen. enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenom- Sie, die Linken, fordern jedoch sowohl die Abschaf- men. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegen fung der Arbeitspflicht als auch die Festschreibung eines gestimmt haben die Linke und Bündnis 90/Die Grünen, Anspruchs auf Arbeit. Sie müssen doch zugeben, dass es gab keine Enthaltungen. dies zu einiger Verwirrung und Ratlosigkeit führen Bevor ich die letzten Tagesordnungspunkte aufrufe, muss. über die heute debattiert wird, möchte ich Sie, da Sie Die Forderung nach einem einklagbaren Anspruch sich so freundlich schöne Weihnachten gewünscht ha- auf einen Arbeitsplatz lässt sich nur schwer mit dem be- sonderen Charakter des Strafvollzugs vereinbaren. Wie 1) Anlage 8 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7339

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) ben, darauf hinweisen, dass morgen auch noch ein Sit- Der 6. Bericht zur Reform der Wasser- und Schiff- (C) zungstag ist. fahrtsverwaltung sagt einiges aus. Dazu gibt es aber auch noch einen Antrag der Linken. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Das ist ein Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a und 18 b auf: ganz guter Antrag!) a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Nötig wäre dieser Antrag nicht gewesen. Mit einem der- richts des Ausschusses für Verkehr und digitale art inhaltsarmen Antrag zum jetzigen Zeitpunkt rauben Infrastruktur (15. Ausschuss) Sie, Herr Behrens, uns wertvolle Lebens- und Arbeits- – zu dem Antrag der Abgeordneten Hans- zeit. Werner Kammer, Arnold Vaatz, Ulrich (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) Lange, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ich weiß, Sie müssen Ihre Klientel bedienen. Gustav Herzog, Sören Bartol, Kirsten (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Das sind die Lühmann, weiterer Abgeordneter und der Beschäftigten der WSV!) Fraktion der SPD Der Antrag klingt so, als ginge es bei der Reform allein Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwal- um den Erhalt von Stellen im öffentlichen Dienst. Die tung zukunftsfest gestalten Verkehrsfunktion kommt viel zu kurz. Das Wort „Ver- kehr“ kommt in Ihrem Antrag lediglich dreimal vor, – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Valerie zweimal davon bei der Nennung des zuständigen Minis- Wilms, Stephan Kühn (Dresden), Sven- teriums. Christian Kindler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) Reform der Wasser- und Schifffahrtsver- Dass der Schwerpunkt des Antrags der Linken nicht waltung konsequent fortsetzen auf dem Thema Verkehr, sondern auf den Beschäftigten liegt, beweist aber auch, dass wir mit der Reform den Drucksachen 18/3041, 18/1341, 18/3536 richtigen Weg eingeschlagen haben. Offensichtlich gibt b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Herbert es am vorliegenden Konzept des Ministeriums nichts Behrens, Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, weite- Wesentliches zu bemängeln, sodass Sie sich auf Neben- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE kriegsschauplätze konzentrieren. (B) Sozialverträgliche Arbeitsverhältnisse und (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Die Beschäftigten (D) fristgerechte Nachbesetzung in der Wasser- sind nicht wichtig, oder was?) und Schifffahrtsverwaltung sichern Verstehen Sie mich nicht falsch. Auch ich weiß um die berechtigten Sorgen der Beschäftigten in den Stand- Drucksache 18/3414 orten. Die Belastung hat in den vergangenen Jahren stark Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für zugenommen. Das Ministerium wird daher die zweifel- die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre und los bestehenden Probleme beim Personal in der WSV sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. angehen. Bessere Aus-, Fort- und Weiterbildungsmaß- nahmen sind dringend notwendig, Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Hans-Werner Kammer für die CDU/CSU-Fraktion. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Vernünftige Organisationsstrukturen, (Beifall bei der CDU/CSU) Herr Kollege!) um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Auf die Unter- Hans-Werner Kammer (CDU/CSU): stützung durch die Koalitionsfraktionen können sich die Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle- Beschäftigten und das Ministerium dabei verlassen. gen! Wir behandeln heute drei Anträge. Diesen vorange- stellt ist der 6. Bericht des Ministeriums zur Reform der Ich erinnere gern daran – der Kollege Rehberg sitzt Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes. Der dort –, dass wir zusätzliche Stellen in der WSV geschaf- gute Antrag ist ein Antrag von den Regierungsfraktio- fen haben, die der Haushaltsausschuss bewilligt hat. nen, Aber auch die Beschäftigten wissen, dass es bei der Re- form nicht darum geht, eine Oase für den öffentlichen (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Nein, von Dienst zu schaffen, sondern eine leistungsfähige Infra- den Linken! – Dr. Valerie Wilms [BÜND- struktur. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Von den Grünen!) (Beifall bei der CDU/CSU) der auch vom Kollegen Herzog unterstützt wird. Es gibt einen Antrag der Grünen, der meines Erachtens in die Neue Ideen enthält der Antrag nicht, aber einen altbe- Mottenkiste gehört. kannten Mythos, den die Linken seit langer Zeit verbrei- ten. Das Verkehrsministerium hatte nie vorgehabt, die (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- WSV von einer Ausführungs- zu einer Gewährleistungs- NEN]: Nicht richtig gelesen!) verwaltung umzubauen. Die WSV war, ist und bleibt 7340 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Hans-Werner Kammer (A) eine Mischverwaltung, in der einige Aufgaben an Dritte vorangeht mit einer WSV-Reform hin zu einer Wasser- (C) vergeben werden. Es stand nie – außer vielleicht bei der und Schifffahrtsverwaltung, die in der Lage ist, ihren FDP – zur Debatte, alle Aufgaben zu vergeben. Das hat Aufgaben gerecht zu werden. Die Belegschaft gehört das Ministerium bereits im 2. Bericht zur Reform vom nämlich dazu, wenn es darum geht, dass die anfallenden Mai 2011 klargestellt. Aufgaben erledigt werden können. Es gibt derzeit keinen Grund für große Unruhe. Die Wir haben es im letzten Jahr gemerkt, als die Kolle- WSV-Beschäftigten und die Schifffahrtsbranche sehen ginnen und Kollegen gezwungen waren, die Schleusen die Reform auf einem guten Weg. Deshalb halte ich we- zuzumachen und zu streiken, um einen Tarifvertrag nig davon, nun durch laute Standortdiskussionen wieder durchzusetzen. Damals wurde sehr deutlich, dass es kei- für Unruhe vor Ort zu sorgen. nen Verkehr geben wird, wenn es keine angemessene und ausreichend qualifizierte Belegschaft in der WSV Bei einer längeren Redezeit hätte ich jetzt über die gibt. Lahn, über den Elbe-Lübeck-Kanal, über den Standort Rheine oder auch über Standorte in den neuen Bundes- (Beifall bei der LINKEN) ländern sprechen können. Das ist der Wert von Belegschaften, um den es geht, (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und darum stehen die Belegschaften im Kern unseres NEN]: In Ihrer Rede kommt das Wort „Ver- Antrages; denn sie sind zurzeit bei Ihnen nicht richtig kehr“ auch nicht vor!) aufgehoben. Wir werden es in diesem Winter merken, wenn es darum gehen wird, die Schleusen und insbeson- Alle Standorte bleiben erhalten. Das ist die klare Aus- dere die Kanäle schiffbar zu halten, und wenn Unterneh- sage des Ministeriums, mit der wir alle leben können. men, um sicher planen zu können, darauf angewiesen Wo der Schreibtisch des Amtschefs steht, sollte nun sind, dass die Schleusen funktionsfähig gehalten werden, wirklich nicht unser Thema sein. Freuen wir uns lieber auch wenn es friert und der Frost möglicherweise den darüber, dass die WSV nach den langen Debatten der Schleusen zusetzt. vergangenen Jahre wieder in ruhigem Fahrwasser ange- langt ist. Aber was haben Sie in den letzten Jahren gemacht? Mit der unseligen Debatte über getroffene Entscheidun- (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gen bzw. insbesondere über nicht getroffene Entschei- NEN]: Viel zu ruhig!) dungen haben Sie dazu beigetragen, schweren Schaden In den kommenden Monaten wird das Ministerium anzurichten. Das hat in der WSV tiefe Spuren hinterlas- wichtige Details zum weiteren Reformkurs vorlegen. sen. (B) Diese Informationen sollten wir zunächst abwarten. Las- Die WSV ist angeschlagen. Dringend erforderliche (D) sen wir das Ministerium die Reform voranbringen. Dann Beschlüsse fehlen, beispielsweise bei den Einstellungen. können wir konstruktiv über die WSV debattieren. Ich Wir haben festgestellt, dass 100 Ingenieure fehlen. Sie freue mich schon darauf, mit dem Kollegen Herzog von sind noch immer nicht an Bord. Das alles hat dazu ge- unserem Koalitionspartner weiter intensiv daran zu ar- führt, dass Millionen Euro, die zur Verfügung gestellt beiten und darüber zu diskutieren. worden waren, um wichtige verkehrspolitische Aufga- Unser Koalitionsvertrag und der Antrag der Koalition ben wahrzunehmen, nicht eingesetzt werden konnten. geben den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Was- Sie haben darauf hingewiesen, dass es notwendig ist, ser- und Schifffahrtsverwaltung die notwendige Ruhe, die Belegschaften zu qualifizieren. Alternde Belegschaf- um ein besinnliches Weihnachtsfest feiern und im Jahr ten müssen qualifiziert und auf den neuesten Stand ge- 2015 mit Optimismus wieder an die Arbeitsplätze zu- bracht werden. Wir müssen jungen Auszubildenden die rückkommen zu können. Möglichkeit geben, übernommen zu werden. Ich wünsche Ihnen ebenfalls ein frohes Weihnachts- Aber was machen Sie? 2012 gab es noch 3,3 Millio- fest und ein gutes Jahr 2015 mit tollen Beratungen über nen Euro für Aus- und Fortbildung. 2014 sind im Haus- die WSV. halt 2,5 Millionen Euro eingestellt. Für 2015 sind 3 Mil- Herzlichen Dank. lionen Euro vorgesehen. Wo ist da der Aufwuchs für Ausbildung und Weiterbildung? Fehlanzeige! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) (Beifall bei der LINKEN) Was haben Sie mit der Behörde insgesamt gemacht? Vizepräsidentin Claudia Roth: Die Generaldirektion in Bonn ist eher eine Art Briefkas- Vielen Dank, Herr Kollege Kammer. – Nächster Red- tenfirma als eine arbeitende Behörde, die in der Lage ist, ner in der Debatte ist Herbert Behrens für die Linke. die ihr übertragenen Aufgaben zu bewerkstelligen. (Beifall bei der LINKEN) All das ist keine zukunftsfeste Gestaltung der WSV. Darum ist Ihr Antrag eigentlich nur eine Aufstellung all dessen, was die Bundesregierung noch nicht erledigt hat Herbert Behrens (DIE LINKE): und künftig erledigen muss. Sehr geehrter Herr Kammer, Ihr ruhiges Fahrwasser, in dem Sie zurzeit die WSV sehen, ist eher ein Stillstand. Zum Antrag der Grünen: Wir werden diesem Antrag Die Beschäftigten merken eben nicht, dass es wirklich nicht zustimmen können. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7341

Herbert Behrens (A) (Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Was? – Hans- Nord-Ostsee-Kanal getroffen. Dabei habe ich die Sorgen (C) Werner Kammer [CDU/CSU]: Das gibt es der Beschäftigten über ihre Zukunft deutlich gespürt. doch nicht! – Dr. Valerie Wilms [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Dabei ist das der ein- Ich bin froh, dass mit dem 6. Bericht des Bundes- zige vernünftige, Herr Kollege!) ministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur zur Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung dieser Das haben wir bereits im Ausschuss gesagt. Es geht ins- Unsicherheit endlich ein Ende gesetzt wird. Der gemein- besondere um den Punkt, dass Sie, liebe Kolleginnen same Antrag der Regierungskoalition „Wasserstraßen- und Kollegen von den Grünen, das unselige Verfahren und Schifffahrtsverwaltung zukunftsfest gestalten“ be- der neuen Steuerungsmethode unbedingt der WSV auf- grüßt ausdrücklich das im 6. Bericht vorgelegte Kon- drücken wollen. zept. Dieses erfüllt die Vorgaben des Koalitionsvertrages hinsichtlich der Einbindung der Beschäftigten und der (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Sicherung der regionalen Kompetenz. Dafür hat sich die NEN]: Das ist nicht unselig! Das ist das einzig SPD-Fraktion in der Vergangenheit nachdrücklich einge- Vernünftige!) setzt und wird das auch in Zukunft tun. Dieses Konzept ist schon in den 90er-Jahren gescheitert. (Beifall bei der SPD) (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Nein! Ein Erfolg!) Mit unserem Antrag wollen wir den Reformprozess unterstützen und eine zügige Umsetzung fördern. In der Sie haben in Ihrem Antrag geschrieben, die Reform der letzten Legislaturperiode wurden tiefgreifende Verände- WSV sei eine lohnenswerte Aufgabe. In der Tat: Die rungen in der Aufbauorganisation der Wasser- und Schiff- Unternehmensberater haben sich in den 90er-Jahren gol- fahrtsverwaltung vorgenommen. In einem ersten Schritt dene Nasen verdient, als sie den Kommunen weisma- wurde die Generaldirektion Wasserstraßen und Schiff- chen wollten, sie bräuchten die Behörde nur wie ein Un- fahrt gegründet. In einem zweiten Schritt werden nun die ternehmen zu führen; dann wäre die Finanzknappheit bestehenden Wasser- und Schifffahrtsämter zu 18 über- schon erledigt. regionalen Wasserstraßen- und Schifffahrtsämtern zu- sammengeführt. Die heutigen 39 regionalen Standorte (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- bleiben dabei erhalten. NEN]: Das passiert ja auch schon längst, Herr Kollege! Kommen Sie mal in der Realität an!) Der Erfolg dieser Reform ist entscheidend abhängig von einem schlüssigen Organisationsaufbau der Gene- Das geht nicht. Goldene Nasen mit dem lohnenswerten raldirektion sowie der Vernetzung und der Aufgabenver- Projekt WSV-Reform: Das macht Unternehmensberater teilung zwischen der Generaldirektion und den neuen (B) stark, aber nicht die Belegschaften. (D) Wasserstraßen- und Schifffahrtsämtern. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Arbeit der WSV (Gustav Herzog [SPD]: Sehr richtig!) muss von guten Fachleuten geleistet werden, die in der Lage sind, schnell und qualifiziert reagieren zu können. Der Erhalt und die Stärkung der regionalen Kompetenz Darum haben wir unseren Antrag so formuliert, dass ent- dieser neuen Ämter müssen gemeinsam mit den Be- sprechende Forderungen umgesetzt werden müssen, und schäftigten fortgeführt werden. ich hoffe sehr, dass sie auch von der Bundesregierung wahrgenommen werden. Das Fundament der Wasser- und Schifffahrtsverwal- tung sind ihre Fachkräfte. Das sind Ingenieure und Fach- (Beifall bei der LINKEN) arbeiter. Deshalb darf und wird es keinen weiteren Per- Wir brauchen eine Aufgabenkritik und eine Priorisie- sonalabbau geben, im Gegenteil. rung, die sich an den Aufgaben orientiert, und wir brau- (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Es fehlen ja chen mehr Geld für Personal und dessen Qualifizierung. schon welche!) So wird eine vernünftige Reform gemacht. Um Fachkräfte zu halten und anzuwerben, müssen wir Vielen Dank. Fortbildungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten sowie (Beifall bei der LINKEN) gesetzliche und tarifliche Regelungen nutzen. Wir müs- sen den Auszubildenden der Wasser- und Schifffahrts- verwaltung nach ihrem Abschluss eine Perspektive bie- Vizepräsidentin Claudia Roth: ten; Herr Behrens, da bin ich ganz auf Ihrer Seite. Die Danke, Herr Kollege Behrens. – Nächste Rednerin in dafür erforderlichen Stellen dürfen nicht weiter einge- der Debatte: Dr. Birgit Malecha-Nissen für die SPD. spart werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ohne Fachkräfte ist die Unterhaltung unserer Bundes- der CDU/CSU) wasserstraßen gefährdet. In den kommenden Jahren sind umfangreiche Grundinstandsetzungen und Ersatzinvesti- Dr. Birgit Malecha-Nissen (SPD): tionen erforderlich. Das heißt auch, dass die Baumaß- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen nahmen während des laufenden Verkehrs durchgeführt und Herren! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! werden müssen. Auf den Hauptwasserstraßen gibt es Anfang dieser Legislaturperiode habe ich mich mit Ver- keine Umfahrungsmöglichkeiten wie bei einer Straße. tretern der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung am Wenn doch, dann ist es ein langer Weg, wie zum Bei- 7342 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Dr. Birgit Malecha-Nissen (A) spiel beim Nord-Ostsee-Kanal. Dort sind es 250 Seemei- ner dienstleistungsorientierten Verwaltung zu finden, (C) len, um Dänemark herum. sind offenbar wieder vergessen. An dieser Stelle wollte ich eigentlich unseren sehr ge- (Sören Bartol [SPD]: Reden Sie doch mal mit ehrten Herrn Minister Dobrindt ansprechen. Da Herr dem Personal!) Ferlemann noch anwesend ist, kann er dem Minister vielleicht berichten. Ich möchte den Minister beim Im 6. Bericht zeigen die Großkoalitionäre leider über- nächsten Stau vor den Schleusen des Nord-Ostsee-Ka- deutlich, dass sie nur noch an die Sicherung des Beste- nals zu uns an die Kieler Förde einladen. Hier trifft Tech- henden denken. Einzig wichtig war ihnen die Sicherung nik zum Teil noch aus Kaisers Zeiten auf modernste der Ämterreviere in den Wahlkreisgrenzen. Eine Re- Frachter- und Containerschiffe. form, die uns wirklich weiterführt und die die Beschäf- tigten herbeisehnen, sieht anders aus. (Gustav Herzog [SPD]: Dann kommt der Herzog!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE – Sehr schön. Herr Herzog kann auch gerne kommen. – LINKE]) Es ist auch ohne Störung der Schleusentore eine beein- druckende Leistung der Lotsen, die großen Pötte durch Was wir jetzt brauchen, ist kein Weiter-so, sondern die engen Schleusen und den Kanal zu führen. Das ist eine wirkliche Neuorientierung für das System Wasser- eine Erfahrung wert. straße. Lassen Sie mich das an Beispielen aufzeigen. Schauen wir uns die Zulassungsstelle für Binnenschiffe Der Reformstau auf unseren Bundeswasserstraßen an, die ZSUK als Abteilung der WSV in Mainz. Sie muss aufgelöst werden. Dafür brauchen wir eine zügige sollte eigentlich Dienstleister für Hersteller und Eigner und zukunftsfeste Reform der Wasser- und Schifffahrts- von Binnenschiffen sein; denn ohne Untersuchung durch verwaltung. Diesen Prozess wird die SPD-Fraktion wei- die ZSUK darf kein Binnenschiff fahren. Doch tatsäch- terhin kritisch und konstruktiv begleiten. lich scheint die ZSUK in Mainz vor sich hin zu schlum- mern. Vielen herzlichen Dank und fröhliche Weihnachten. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Termine gibt es erst 16 Wochen nach Beantragung. Wichtige Schiffsatteste werden nur vorläufig ausgestellt und bedeuten einen erheblichen Mehraufwand für den Vizepräsidentin Claudia Roth: Schiffseigner; aber ein Nachteil sei für die Bundesregie- Vielen Dank, Frau Kollegin Malecha-Nissen. – rung nicht zu erkennen, wie sie uns durch den Kollegen Nächste Rednerin in der Debatte: Dr. Valerie Wilms für Ferlemann im November geantwortet hat. Die Bundesre- (D) (B) Bündnis 90/Die Grünen. gierung ist offenbar nicht daran interessiert, in die Zulas- sung für Binnenschiffe endlich auch externe Sachver- (Gustav Herzog [SPD]: Jetzt kommt die Kos- ständige einzubinden, wie das im Straßenverkehr, in der ten- und Leistungsrechnung wieder!) Luftfahrt und jetzt auch bei der Bahn gemacht worden ist. Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- Hoppla, da staunt der Laie, und der Fachmann wun- gen! Kollege Herzog, es geht nicht nur darum, eine Kos- dert sich. Sollte es nicht eine Reform der gesamten Was- ten- und Leistungsrechnung einzuführen, sondern auch serstraßen- und Schifffahrtsverwaltung geben? Anschei- darum, eine moderne Verwaltung aufzubauen. Davon nend wurden einige Teile vergessen. Bei allem Respekt, sind wir laut Ihrem Bericht weit entfernt. den ich gegenüber den Mitarbeitern der WSV habe: Sol- che Strukturen, wie sie dort konserviert wurden, gehen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – heute definitiv nicht mehr. Befreien Sie sich vom schwe- Sören Bartol [SPD]: Da spricht die letzte ren Ballast vergangener Tage, und setzen Sie endlich die FDP!) Verwaltungsreform in Gang. Wir reden hier über die unendliche Geschichte der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung. Das System Wasserstraße braucht dringend einen funktions- An die Kolleginnen und Kollegen von der SPD und fähigen Dienstleister, der die Anlagen für die Nutzer en- den Linken: Rufen Sie doch bitte nicht immer nur nach gagiert erhält. Das tun unsere Mitarbeiterinnen und Mit- neuen Stellen in der Verwaltung, bevor das System Was- arbeiter in den Ämtern vor Ort. Aber sie sehen auch, mit serstraße wirklich neu organisiert ist. Kürzlich hat der wie wenig Verstand wir in der Politik an eine echte Re- Kollege Herzog auf einem parlamentarischen Abend form herangehen. Das System muss dienstleistungsge- einfach einmal 500 neue Stellen für die WSV gefordert. recht aufgebaut werden. Die Beschäftigten vor Ort wün- (Zuruf des Abg. Gustav Herzog [SPD]) schen sich wirklich nichts sehnlicher als das; denn sie wollen das System Wasserstraße erhalten. So einfach geht es nicht, und so kommen wir nicht wei- ter, liebe Kolleginnen und Kollegen. Und was machen wir hier im Deutschen Bundestag? Mit der Großen Koalition hat der große Stillstand in den (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Reformbemühungen eingesetzt. Alle Ansätze, den Weg Kirsten Lühmann [SPD]: Unterhalten Sie sich aus der wilhelminischen Beamtenstruktur heraus zu ei- mal mit den Beschäftigten!) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7343

Dr. Valerie Wilms (A) Setzen Sie jetzt ein Zeichen für eine echte Reform, habe auch in der letzten Legislaturperiode keinen Hehl (C) wie wir sie in unserem Antrag fordern. Damit fördern daraus gemacht, dass die Trennung von Verkehr und In- wir den Erhalt unserer Wasserstraßen und helfen dem vestition aus meiner Sicht nicht richtig gewesen ist. Ich Schifffahrtsstandort Deutschland. glaube, die Zusammenführung gerade in den zukünfti- gen Revierämtern ist genau der richtige Weg. (Kirsten Lühmann [SPD]: Und wir machen die Reform mit den Beschäftigten und nicht gegen Ich will drei Herausforderungen beschreiben: die Beschäftigten!) Erstens. Wir haben 75 neue Stellen ausgebracht. Da müssen wir weitermachen, anstatt einfach noch mehr Leute zu fordern. (Beifall des Abg. Sören Bartol [SPD]) Herzlichen Dank. Im ersten Aufschlag bedeutete das die Umwandlung von (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) befristeten und unbefristeten Stellen. Das ist der richtige Weg. Wir werden, Herr Kollege Behrens, nur Stück für Vizepräsidentin Claudia Roth: Stück mit den 50 neuen Stellen für Ingenieure, für Um- weltjuristen, für Verwaltungsjuristen wieder zu einem Danke, Frau Kollegin Wilms. – Nächster Redner: vernünftigen Personalbestand kommen; nicht mit Eckhardt Rehberg für die CDU/CSU-Fraktion. 500 neuen Stellen auf einmal, sondern mit einem Aufbau (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Stück für Stück wird es gehen. neten der SPD) Man muss einfach zur Kenntnis nehmen: Emden, Au- rich, Lübeck und Stralsund sind eben nicht Hamburg Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): oder Berlin. Das heißt, bestimmte Standorte sind gerade Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen für Studenten, die aus den ingenieurwissenschaftlichen und Kollegen! „Viel zu ruhig“, ruft Frau Kollegin Wilms Fachrichtungen kommen, nicht sonderlich attraktiv. Des- dazwischen. Der Kollege Behrens erinnert mich mit sei- wegen sollten wir alle miteinander noch einmal nach- nem Beitrag so ein bisschen an die Taktik der Sozialde- denken, ob es nicht sinnvoll ist, in diesem Bereich ähnli- mokratie, an die Taktik von Lenin: zwei Schritte vor- che Regelungen wie beim Wissenschaftsfreiheitsgesetz wärts, ein Schritt zurück. Dabei kommt man dann ins anzuwenden. Ich persönlich sage: Wir werden in Kon- Stolpern, Herr Kollege Behrens. kurrenz mit der Wirtschaft stehen. Meine persönliche (Zurufe von der SPD) Erfahrung ist, dass wir auch in Konkurrenz mit kommu- nalen Häfen, mit Landeshäfen stehen, die Wasserbau- (B) – Das war eine Abwandlung. – Was Sie hier vorgetragen ingenieure und Juristen in diesem Bereich schon heute (D) haben, ist strukturkonservativer Stillstand. Schlimmer deutlich besser bezahlen als die Wasser- und Schiff- geht es nicht. Ich glaube, dass das, was die Koalition in fahrtsverwaltung des Bundes. den letzten Wochen und Monaten hier gemeinsam auf den Weg gebracht hat, und die Struktur, die die Bundes- Zweitens. Ich glaube, dass das, was wir ansteuern, zu- regierung vorgeschlagen hat, manchen Mangel beheben, kunftsträchtig sein kann, und zwar deswegen, weil man der in der Vergangenheit aufgetreten ist. die Logistikstrukturen, die Strukturen von Verwaltung, Ich will nur eines zur Erinnerung sagen: Die Ursache die Hafenstrukturen regional zusammenführt. Wir wer- dieser Unruhe ist nicht die Politik gewesen, die Ursache den hier dem Anspruch gerecht, der sich daraus ergibt, ist der Bundesrechnungshof gewesen. Es gibt manchen dass die Hafenwirtschaft, die Logistikwirtschaft zu den Kollegen und manche Kollegin, der oder die dem Bun- wesentlichen nationalen Branchen gehören. Die mari- desrechnungshof förmlich an den Lippen hängt. Schauen time Wirtschaft ist und bleibt eine nationale Aufgabe. Sie sich an, wie viele Stellen bei der WSV nach den Be- Drittens. Ich glaube, dass unser Antrag eine Heraus- richten des Bundesrechnungshofs noch abgebaut werden forderung für die Regierung ist. Ich halte es für ganz le- sollten. Das geht in die Tausende. gitim, dass Regierungsfraktionen die Regierung auch (Zuruf des Abg. Herbert Behrens [DIE fordern, dass wir Termine setzen, dass wir der Regierung LINKE]) ganz bestimmte Meilensteine vorgeben, wie eine jährli- che Unterrichtung oder die Einbringung des Entwurfs ei- – Ja, Herr Kollege Behrens, man kann nicht auf der ei- nes Rechtsbereinigungsgesetzes usw. usf. Aus meiner nen Seite den Bundesrechnungshof zum Fetisch erheben Sicht befinden wir uns auf einem guten und vernünftigen und auf der anderen Seite genau das Gegenteil dessen Weg. fordern, was der Bundesrechnungshof verlangt. Das passt schlichtweg nicht zusammen. Lassen Sie mich an dieser Stelle eine letzte Bemer- kung machen. Herr Kollege Behrens, Sie sind so intensiv (Beifall bei der CDU/CSU) auf den Streik im Jahre 2013 eingegangen. Wissen Sie, Ich glaube ganz einfach, dass mit dem Aufbau der wozu dieser Streik in meinem Wahlkreis – Mirow, We- Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt in Bonn, senberg, die ganze Müritz wurde bestreikt – geführt hat? mit der Ansiedelung der regionalen Kompetenz in den Das hat zu Unmut bei der Bevölkerung geführt. Die Wasser- und Schifffahrtsämtern, mit der Bündelung von Menschen vor Ort hatten kein Verständnis, warum ge- Führung in den Revierämtern genau der richtige Weg ge- rade in dieser Zeit – vier, sechs, acht Wochen vor der funden worden ist; das ist meine feste Überzeugung. Ich Wahl – gestreikt worden ist. Ich sage Ihnen eins: Mit da- 7344 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

Eckhardt Rehberg (A) für verantwortlich, dass ich 47 Prozent der Erststimmen um die Frage der Leitungssitze geht, nicht nach dem (C) bekommen habe, war der von Verdi ausgerufene Streik. Motto „Jeder kämpft für sich allein“ agieren. Einfach ab- zuwarten, bis eine entsprechende Anzahl von Amtslei- Herzlichen Dank. tern in Rente gegangen ist, ist auch keine Lösung. Wir (Beifall bei der CDU/CSU) sollten uns zusammensetzen und gemeinsam überlegen, wo die Leitungssitze für die neu zugeschnittenen Re- Vizepräsidentin Claudia Roth: viere sinnvoll sind. Vielen Dank, Kollege Rehberg. – Letzter Redner in Die enge Einbindung der Beschäftigten bei der Wei- der Debatte: Johann Saathoff für die SPD. Jetzt bin ich terentwicklung der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung einmal gespannt, wie viel Lenin bei ihm mitschwingt. war für uns ein weiterer Kernpunkt. Die Erarbeitung der Reform sollte in Zusammenarbeit mit der Personalver- (Heiterkeit) tretung stattfinden. Das steht schon im Koalitionsver- – Das, was dazu heute gesagt wurde, war für mich ein trag. Entsprechende Vereinbarungen zwischen Ministe- Erkenntnisgewinn. rium und Personalrat gibt es. Außerdem lege ich großen Wert auf die sozialverträgliche Umsetzung der Reform. Johann Saathoff (SPD): Es wird keine betriebsbedingten Kündigungen geben, Ich denke, es ging vielleicht um einen Karl-Heinz ebenso keine Um- oder Versetzungen oder Abordnungen Lenin oder so. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe gegen den Willen der Beschäftigten. Nach jahrelanger Kolleginnen und Kollegen! „Die regionale Kompetenz Unsicherheit kann und muss jetzt endlich wieder Ruhe sichern“, das war für uns einer der beiden wichtigen einkehren, damit Fachkräfte gebunden und rekrutiert Punkte bei der Reform der Wasserstraßen- und Schiff- werden können. fahrtsverwaltung des Bundes. Heute können wir sagen: Wir sind mit dieser Reform wieder auf einem guten Die regionale Kompetenz wird gesichert. Die Ämter vor Kurs, und diesen Kurs werden wir im nächsten Jahr wei- Ort behalten ihr Personal, ihre Fachkenntnisse sowieso ter begleiten. und hoffentlich auch ihre Entscheidungsbefugnisse. Sie werden sogar noch gestärkt durch zusätzliche revierbe- Herzlichen Dank. zogene Aufgaben, zu denen natürlich auch zusätzliches (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Personal gehört. der CDU/CSU) „Mutt eerst mall worden, bit moi word“, sagt man bei mir in Ostfriesland, wenn etwas umgebaut wird. „Es Vizepräsidentin Claudia Roth: (B) muss zunächst schwieriger werden, bis es besser wird.“ Vielen Dank, Herr Kollege Saathoff. – Ich schließe (D) Das ist die Übersetzung dafür, und das gilt auch für die die Aussprache. Reform der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- Ich möchte Ihnen aufzeigen, welche Aufgaben bei- empfehlung des Ausschusses für Verkehr und digitale spielsweise das für Ostfriesland zuständige Wasser- Infrastruktur auf Drucksache 18/3536. schifffahrtsamt Emden hat: die Sicherstellung der Be- fahrbarkeit der Ems, Kreuzfahrtschiffsüberführungen Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be- von der Meyer-Werft in Papenburg bis in die Nordsee, schlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktio- den Bau und die Unterhaltung der Seeschleusen unter nen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/3041 mit anderem und vor allem in Emden, den Betrieb der Ver- dem Titel „Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung kehrszentrale Ems, die Vermessung von Fahrwassertie- zukunftsfest gestalten“. Wer stimmt für diese Beschluss- fen, die Unterhaltungsbaggerungen zur Instandhaltung empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – der Schifffahrtswege in der Ems und durch das Watten- Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustim- meer. mung von CDU/CSU und SPD, Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Linken. Das ist keine abschließende Aufzählung. Zudem ist die Ems-Mündung das einzige Revier ohne eine festge- Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp- legte Grenze zum Nachbarland. Jede Regelung muss fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Frak- einzeln mit den Niederlanden abgestimmt werden. Das tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/1341 mit gibt es sonst nirgendwo in Europa. Bei dieser Aufzäh- dem Titel „Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwal- lung wird deutlich, wie wichtig die Erhaltung der regio- tung konsequent fortsetzen“. Wer stimmt für diese Be- nalen Kompetenz ist. Wir haben in den Wasser- und schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- Schifffahrtsämtern unheimlich viel Sachverstand, und hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen die Menschen machen eine hervorragende Arbeit. Ich bei Zustimmung von CDU/CSU, SPD und Linken und denke, das ist der richtige Ort, um das einmal zu erwäh- Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen. nen. Tagesordnungspunkt 18 b. Abstimmung über den An- (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie trag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/3414 mit bei Abgeordneten der CDU/CSU) dem Titel „Sozialverträgliche Arbeitsverhältnisse und fristgerechte Nachbesetzung in der Wasser- und Schiff- Kurz vor Weihnachten möchte ich einen Appell an fahrtsverwaltung sichern“. Wer stimmt für diesen An- Sie richten: Herr Staatssekretär, lassen Sie uns, wenn es trag? – Wer stimmt dagegen? – Der Antrag ist abgelehnt Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7345

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) bei Zustimmung von der Linken und Ablehnung von Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Ver- (C) CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen. kehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in seiner Be- schlussempfehlung auf Drucksache 18/3586, den Gesetz- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: entwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/3254 in – Zweite und dritte Beratung des von den Abge- der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, ordneten Matthias W. Birkwald, Sabine die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim- Zimmermann (Zwickau), Klaus Ernst, weiteren men wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dage- Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE ein- gen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit gebrachten Entwurfs eines Gesetzes für mehr in zweiter Beratung angenommen. Zugestimmt haben Kontinuität der Beitragssätze in der gesetzli- CDU/CSU, SPD und Linke, Enthaltung von Bündnis 90/ chen Rentenversicherung (Beitragssatzgesetz Die Grünen. 2014) Dritte Beratung Drucksache 18/3042 Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ge- schusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) setzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf Drucksache 18/3462 ist angenommen bei Zustimmung von CDU/CSU, SPD – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) und Linken sowie Enthaltung von Bündnis 90/Die Grü- gemäß § 96 der Geschäftsordnung nen. Drucksache 18/3463 Ich rufe Tagesordnungspunkt 21 auf: Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.1) – Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Wei- Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für terentwicklung des Personalrechts der Beam- Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussemp- tinnen und Beamten der früheren Deutschen fehlung auf Drucksache 18/3462, den Gesetzentwurf der Bundespost Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/3042 abzulehnen. Drucksache 18/3512 Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Überweisungsvorschlag: Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Be- Haushaltsausschuss (f) Innenausschuss (B) ratung abgelehnt bei Zustimmung der Linken und Ab- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (D) lehnung von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grü- nen. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.3) – weitere Beratung. Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- wurfs auf Drucksache 18/3512 an die in der Tagesord- regierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Es gibt Gesetzes zur Änderung des Fahrpersonalge- offensichtlich keine anderweitigen Vorschläge. Dann ist setzes die Überweisung so beschlossen. Drucksache 18/3254 Wir sind am Schluss der heutigen Tagesordnung. Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur destages auf morgen, Freitag, den 19. Dezember 2014, (15. Ausschuss) 9 Uhr, ein. Drucksache 18/3586 Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen noch Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.2) – einen wunderbaren vorweihnachtlichen Abend. Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. (Schluss: 22.27 Uhr)

1) Anlage 13 2) Anlage 14 3) Anlage 15

Anlagen

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7347

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Alpers, Agnes DIE LINKE 18.12.2014 Kunert, Katrin DIE LINKE 18.12.2014

Becker, Dirk SPD 18.12.2014 Dr. Lamers, Karl A. CDU/CSU 18.12.2014

Buchholz, Christine DIE LINKE 18.12.2014 Dr. Maizière, CDU/CSU 18.12.2014 Thomas de Dağdelen, Sevim DIE LINKE 18.12.2014 Dr. Schick, Gerhard BÜNDNIS 90/ 18.12.2014 Ehrmann, Siegmund SPD 18.12.2014 DIE GRÜNEN

Fischer (Karlsruhe- CDU/CSU 18.12.2014 Schiewerling, Karl CDU/CSU 18.12.2014 Land), Axel E. Schlecht, Michael DIE LINKE 18.12.2014 Gohlke, Nicole DIE LINKE 18.12.2014 Schön (St. Wendel), CDU/CSU 18.12.2014 Hajduk, Anja BÜNDNIS 90/ 18.12.2014 Nadine DIE GRÜNEN Tank, Azize DIE LINKE 18.12.2014 Hintze, Peter CDU/CSU 18.12.2014 Vogt, Ute SPD 18.12.2014 Irlstorfer, Erich CDU/CSU 18.12.2014 Dr. Wagenknecht, Sahra DIE LINKE 18.12.2014 (B) Jarzombek, Thomas CDU/CSU 18.12.2014 (D) Walter-Rosenheimer, BÜNDNIS 90/ 18.12.2014 Kaczmarek, Oliver SPD 18.12.2014 Beate DIE GRÜNEN

Kovac, Kordula CDU/CSU 18.12.2014 Weinberg, Harald DIE LINKE 18.12.2014

Dr. Krüger, Hans- SPD 18.12.2014 Wellmann, Karl-Georg CDU/CSU 18.12.2014 Ulrich

Anlage 2 Namensverzeichnis der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundes- tages teilgenommen haben

CDU/CSU Veronika Bellmann Klaus Brähmig Michael Donth Sybille Benning Michael Brand Thomas Dörflinger Stephan Albani Katrin Albsteiger Dr. André Berghegger Dr. Reinhard Brandl Marie-Luise Dött Peter Altmaier Dr. Christoph Bergner Helmut Brandt Hansjörg Durz Artur Auernhammer Ute Bertram Dr. Ralf Brauksiepe Jutta Eckenbach Dorothee Bär Peter Beyer Dr. Helge Braun Dr. Bernd Fabritius Thomas Bareiß Steffen Bilger Heike Brehmer Hermann Färber Norbert Barthle Clemens Binninger Ralph Brinkhaus Uwe Feiler Julia Bartz Peter Bleser Cajus Caesar Dr. Thomas Feist Günter Baumann Dr. Maria Böhmer Gitta Connemann Enak Ferlemann Maik Beermann Wolfgang Bosbach Alexandra Dinges-Dierig Ingrid Fischbach Manfred Behrens (Börde) Norbert Brackmann Alexander Dobrindt Dirk Fischer (Hamburg) 7348 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

(A) Dr. Maria Flachsbarth Alois Karl Dr. Andreas Nick Rita Stockhofe (C) Klaus-Peter Flosbach Anja Karliczek Michaela Noll Gero Storjohann Thorsten Frei Bernhard Kaster Helmut Nowak Stephan Stracke Dr. Astrid Freudenstein Volker Kauder Dr. Georg Nüßlein Max Straubinger Dr. Hans-Peter Friedrich Dr. Stefan Kaufmann Wilfried Oellers Matthäus Strebl (Hof) Roderich Kiesewetter Florian Oßner Karin Strenz Michael Frieser Dr. Georg Kippels Dr. Tim Ostermann Thomas Stritzl Dr. Michael Fuchs Volkmar Klein Henning Otte Thomas Strobl (Heilbronn) Hans-Joachim Fuchtel Jürgen Klimke Ingrid Pahlmann Lena Strothmann Alexander Funk Axel Knoerig Sylvia Pantel Michael Stübgen Ingo Gädechens Jens Koeppen Martin Patzelt Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Markus Koob Dr. Martin Pätzold Dr. Peter Tauber Dr. Thomas Gebhart Carsten Körber Ulrich Petzold Antje Tillmann Alois Gerig Hartmut Koschyk Dr. Joachim Pfeiffer Astrid Timmermann-Fechter Eberhard Gienger Michael Kretschmer Sibylle Pfeiffer Dr. Hans-Peter Uhl Cemile Giousouf Gunther Krichbaum Ronald Pofalla Dr. Volker Ullrich Josef Göppel Dr. Günter Krings Eckhard Pols Arnold Vaatz Reinhard Grindel Rüdiger Kruse Thomas Rachel Oswin Veith Ursula Groden-Kranich Bettina Kudla Kerstin Radomski Thomas Viesehon Hermann Gröhe Dr. Roy Kühne Alexander Radwan Michael Vietz Klaus-Dieter Gröhler Günter Lach Alois Rainer Volkmar Vogel (Kleinsaara) Michael Grosse-Brömer Uwe Lagosky Dr. Peter Ramsauer Sven Volmering Astrid Grotelüschen Andreas G. Lämmel Eckhardt Rehberg Christel Voßbeck-Kayser Markus Grübel Dr. Norbert Lammert Katherina Reiche (Potsdam) Kees de Vries Manfred Grund Katharina Landgraf Lothar Riebsamen Dr. Johann Wadephul Oliver Grundmann Ulrich Lange Josef Rief Marco Wanderwitz Monika Grütters Barbara Lanzinger Dr. Heinz Riesenhuber Nina Warken Dr. Herlind Gundelach Dr. Silke Launert Johannes Röring Kai Wegner Fritz Güntzler Paul Lehrieder Dr. Norbert Röttgen Albert Weiler Christian Haase Dr. Katja Leikert Erwin Rüddel Marcus Weinberg (Hamburg) Florian Hahn Dr. Philipp Lengsfeld Albert Rupprecht Dr. Anja Weisgerber Dr. Stephan Harbarth Dr. Andreas Lenz Anita Schäfer (Saalstadt) Peter Weiß (Emmendingen) Jürgen Hardt Philipp Graf Lerchenfeld Dr. Wolfgang Schäuble Sabine Weiss (Wesel I) Gerda Hasselfeldt Dr. Ursula von der Leyen Andreas Scheuer Ingo Wellenreuther Marian Wendt (B) Matthias Hauer Antje Lezius Jana Schimke (D) Mark Hauptmann Ingbert Liebing Norbert Schindler Waldemar Westermayer Dr. Stefan Heck Matthias Lietz Tankred Schipanski Kai Whittaker Dr. Matthias Heider Andrea Lindholz Heiko Schmelzle Peter Wichtel Helmut Heiderich Dr. Carsten Linnemann Christian Schmidt (Fürth) Annette Widmann-Mauz Mechthild Heil Patricia Lips Gabriele Schmidt (Ühlingen) Heinz Wiese (Ehingen) Frank Heinrich (Chemnitz) Wilfried Lorenz Patrick Schnieder Klaus-Peter Willsch Mark Helfrich Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Ole Schröder Elisabeth Winkelmeier- Uda Heller Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Kristina Schröder Becker Jörg Hellmuth Daniela Ludwig (Wiesbaden) Oliver Wittke Rudolf Henke Karin Maag Bernhard Schulte-Drüggelte Dagmar G. Wöhrl Michael Hennrich Yvonne Magwas Dr. Klaus-Peter Schulze Barbara Woltmann Ansgar Heveling Thomas Mahlberg Uwe Schummer Tobias Zech Christian Hirte Gisela Manderla Armin Schuster (Weil am Heinrich Zertik Dr. Heribert Hirte Matern von Marschall Rhein) Emmi Zeulner Robert Hochbaum Hans-Georg von der Marwitz Christina Schwarzer Dr. Matthias Zimmer Alexander Hoffmann Andreas Mattfeldt Detlef Seif Gudrun Zollner Karl Holmeier Stephan Mayer (Altötting) Johannes Selle Franz-Josef Holzenkamp Reiner Meier Reinhold Sendker SPD Dr. Hendrik Hoppenstedt Dr. Michael Meister Dr. Patrick Sensburg Niels Annen Margaret Horb Jan Metzler Bernd Siebert Ingrid Arndt-Brauer Bettina Hornhues Maria Michalk Thomas Silberhorn Rainer Arnold Charles M. Huber Dr. h. c. Hans Michelbach Johannes Singhammer Heike Baehrens Anette Hübinger Dr. Mathias Middelberg Tino Sorge Ulrike Bahr Hubert Hüppe Philipp Mißfelder Jens Spahn Heinz-Joachim Barchmann Sylvia Jörrißen Dietrich Monstadt Carola Stauche Dr. Katarina Barley Dr. Franz Josef Jung Karsten Möring Dr. Wolfgang Stefinger Doris Barnett Xaver Jung Marlene Mortler Albert Stegemann Dr. Hans-Peter Bartels Andreas Jung Elisabeth Motschmann Peter Stein Klaus Barthel Dr. Egon Jüttner Dr. Gerd Müller Erika Steinbach Dr. Matthias Bartke Bartholomäus Kalb Carsten Müller Sebastian Steineke Sören Bartol Hans-Werner Kammer (Braunschweig) Johannes Steiniger Bärbel Bas Steffen Kampeter Stefan Müller (Erlangen) Christian Freiherr von Stetten Sabine Bätzing-Lichtenthäler Steffen Kanitz Dr. Philipp Murmann Dieter Stier Uwe Beckmeyer Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7349

(A) Lothar Binding (Heidelberg) Marina Kermer Matthias Schmidt (Berlin) Michael Leutert (C) Burkhard Blienert Cansel Kiziltepe Dagmar Schmidt (Wetzlar) Stefan Liebich Willi Brase Arno Klare Carsten Schneider (Erfurt) Dr. Gesine Lötzsch Dr. Karl-Heinz Brunner Lars Klingbeil Ursula Schulte Thomas Lutze Edelgard Bulmahn Dr. Bärbel Kofler Swen Schulz (Spandau) Cornelia Möhring Marco Bülow Daniela Kolbe Ewald Schurer Niema Movassat Martin Burkert Birgit Kömpel Frank Schwabe Norbert Müller (Potsdam) Dr. Lars Castellucci Anette Kramme Stefan Schwartze Dr. Alexander S. Neu Petra Crone Helga Kühn-Mengel Andreas Schwarz Thomas Nord Bernhard Daldrup Christine Lambrecht Rita Schwarzelühr-Sutter Petra Pau Dr. Daniela De Ridder Christian Lange (Backnang) Dr. Carsten Sieling Harald Petzold (Havelland) Dr. Karamba Diaby Dr. Karl Lauterbach Rainer Spiering Richard Pitterle Sabine Dittmar Steffen-Claudio Lemme Norbert Spinrath Martina Renner Martin Dörmann Burkhard Lischka Svenja Stadler Dr. Petra Sitte Elvira Drobinski-Weiß Gabriele Lösekrug-Möller Martina Stamm-Fibich Kersten Steinke Michaela Engelmeier Hiltrud Lotze Sonja Steffen Dr. Kirsten Tackmann Dr. h. c. Gernot Erler Kirsten Lühmann Peer Steinbrück Frank Tempel Petra Ernstberger Dr. Birgit Malecha-Nissen Dr. Frank-Walter Steinmeier Dr. Axel Troost Saskia Esken Caren Marks Christoph Strässer Alexander Ulrich Karin Evers-Meyer Katja Mast Kerstin Tack Kathrin Vogler Dr. Johannes Fechner Hilde Mattheis Claudia Tausend Halina Wawzyniak Dr. Fritz Felgentreu Dr. Matthias Miersch Michael Thews Katrin Werner Elke Ferner Klaus Mindrup Franz Thönnes Birgit Wöllert Dr. Ute Finckh-Krämer Susanne Mittag Carsten Träger Jörn Wunderlich Christian Flisek Bettina Müller Rüdiger Veit Hubertus Zdebel Gabriele Fograscher Michelle Müntefering Dirk Vöpel Pia Zimmermann Dr. Edgar Franke Dr. Rolf Mützenich Gabi Weber Sabine Zimmermann Ulrich Freese Andrea Nahles Bernd Westphal (Zwickau) Dagmar Freitag Dietmar Nietan Andrea Wicklein Sigmar Gabriel Ulli Nissen Dirk Wiese BÜNDNIS 90/ Michael Gerdes Thomas Oppermann Waltraud Wolff DIE GRÜNEN (Wolmirstedt) Martin Gerster Mahmut Özdemir (Duisburg) Luise Amtsberg Gülistan Yüksel Iris Gleicke Markus Paschke Kerstin Andreae Dagmar Ziegler Ulrike Gottschalck Christian Petry Annalena Baerbock Stefan Zierke Kerstin Griese Jeannine Pflugradt Marieluise Beck (Bremen) (B) Dr. Jens Zimmermann (D) Gabriele Groneberg Volker Beck (Köln) Manfred Zöllmer Michael Groß Sabine Poschmann Dr. Franziska Brantner Brigitte Zypries Uli Grötsch Joachim Poß Agnieszka Brugger Wolfgang Gunkel Florian Post Ekin Deligöz DIE LINKE Bettina Hagedorn Achim Post (Minden) Katja Dörner Rita Hagl-Kehl Dr. Wilhelm Priesmeier Jan van Aken Katharina Dröge Metin Hakverdi Florian Pronold Dr. Dietmar Bartsch Harald Ebner Ulrich Hampel Dr. Sascha Raabe Herbert Behrens Dr. Thomas Gambke Sebastian Hartmann Dr. Simone Raatz Karin Binder Matthias Gastel Michael Hartmann Martin Rabanus Matthias W. Birkwald Kai Gehring (Wackernheim) Mechthild Rawert Heidrun Bluhm Katrin Göring-Eckardt Dirk Heidenblut Stefan Rebmann Eva Bulling-Schröter Britta Haßelmann Hubertus Heil (Peine) Gerold Reichenbach Roland Claus Dr. Anton Hofreiter Gabriela Heinrich Dr. Carola Reimann Dr. Diether Dehm Bärbel Höhn Marcus Held Andreas Rimkus Klaus Ernst Dieter Janecek Wolfgang Hellmich Sönke Rix Wolfgang Gehrcke Uwe Kekeritz Dr. Barbara Hendricks Dennis Rohde Annette Groth Katja Keul Heidtrud Henn Dr. Martin Rosemann Dr. Gregor Gysi Sven-Christian Kindler Gustav Herzog René Röspel Dr. André Hahn Maria Klein-Schmeink Gabriele Hiller-Ohm Dr. Ernst Dieter Rossmann Heike Hänsel Tom Koenigs Petra Hinz (Essen) Michael Roth (Heringen) Dr. Rosemarie Hein Sylvia Kotting-Uhl Thomas Hitschler Susann Rüthrich Inge Höger Oliver Krischer Dr. Eva Högl Bernd Rützel Andrej Hunko Stephan Kühn (Dresden) Matthias Ilgen Johann Saathoff Sigrid Hupach Christian Kühn (Tübingen) Christina Jantz Annette Sawade Ulla Jelpke Renate Künast Frank Junge Dr. Hans-Joachim Susanna Karawanskij Markus Kurth Josip Juratovic Schabedoth Kerstin Kassner Monika Lazar Thomas Jurk Axel Schäfer (Bochum) Katja Kipping Steffi Lemke Johannes Kahrs Dr. Nina Scheer Jan Korte Dr. Tobias Lindner Christina Kampmann Marianne Schieder Jutta Krellmann Nicole Maisch Ralf Kapschack Udo Schiefner Caren Lay Peter Meiwald Gabriele Katzmarek Dr. Dorothee Schlegel Sabine Leidig Irene Mihalic Ulrich Kelber Ulla Schmidt (Aachen) Ralph Lenkert Beate Müller-Gemmeke 7350 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

(A) Özcan Mutlu Brigitte Pothmer Ulle Schauws Dr. Harald Terpe (C) Dr. Konstantin von Notz Tabea Rößner Dr. Frithjof Schmidt Markus Tressel Omid Nouripour Claudia Roth (Augsburg) Kordula Schulz-Asche Jürgen Trittin Friedrich Ostendorff Corinna Rüffer Dr. Wolfgang Strengmann- Dr. Julia Verlinden Cem Özdemir Manuel Sarrazin Kuhn Doris Wagner Lisa Paus Elisabeth Scharfenberg Hans-Christian Ströbele Dr. Valerie Wilms

Anlage 3 einer Teilentschuldung wäre ökonomisch das Gebot der Stunde. Erklärung nach § 31 GO Jetzt soll der griechischen Regierung eine zweimona- des Abgeordneten Klaus-Peter Willsch (CDU/ tige Fristverlängerung zur (Schein-)Erfüllung der Aufla- CSU) zur Abstimmung über den Antrag des gen gewährt werden. Parallel dazu hat Athen schon eine Bundesministeriums der Finanzen: Finanz- Kreditlinie mit erweiterten Bedingungen – Enhanced hilfen zugunsten Griechenlands; technische Conditions Credit Line, ECCL – beantragt. Dies alles Verlängerung und Fortführung der Stabili- geschah am 8./9. Dezember 2014. Die dazugehörigen tätshilfe; Einholung eines zustimmenden Be- Dokumente haben wir Abgeordnete des Deutschen schlusses des Deutschen Bundestages nach § 3 Absatz 1 i. V. m. § 3 Absatz 2 Nummer 2 des Bundestages erst eine Woche später, am Montagabend, Stabilisierungsmechanismusgesetzes auf Ver- erhalten, um dann innerhalb von drei Tagen unseren längerung der bestehenden Finanzhilfefazilität Segen dazu zu geben. Dabei steht in der „Leitlinie für sowie nach § 4 Absatz 1 Nummer 1 des ESM-Fi- eine vorsorgliche Finanzhilfe“ Artikel 2 Absatz 4 un- nanzierungsgesetzes, der Hellenischen Republik zweideutig: „Für eine ECCL kommen ESM-Mitglieder nach Artikel 13 Absatz 2 des ESM-Vertrages infrage, deren wirtschaftliche und finanzielle Situation grundsätzlich vorsorgliche Finanzhilfe zu ge- insgesamt nach wie vor solide ist.“ Diese Art von Kre- währen (Zusatztagesordnungspunkt 2) ditlinie ist zur Vor- und nicht zur Nachsorge geschaffen worden. Und außerdem ist die wirtschaftliche und finan- Pünktlich zum Auslaufen des zweiten Griechenland- zielle Situation Griechenlands nach wie vor alles andere Hilfsprogramms kehrt die Euro-Krise mit all ihren Sym- als solide. Der Schuldenstand beträgt 175,5 Prozent, die (B) ptomen zurück. Griechenland pocht auf die Auszahlung Arbeitslosenrate liegt bei 26,8 Prozent, seit 2008 ist das (D) der letzten Tranche in Höhe von 1,8 Milliarden Euro, er- Bruttoinlandsprodukt des Landes um fast ein Viertel ge- füllt aber die Auflagen der Troika nicht. Griechenland schrumpft! hat nicht nur in einer bisher beispiellosen Art und Weise von der Solidarität seiner europäischen Partnerstaaten Griechenland nach all den schlechten Erfahrungen profitiert, sondern sich auch immer wieder bessere Kon- nun erneut einen Blankoscheck in zweistelliger Milliar- ditionen herausgehandelt. Während zu Beginn der Euro- denhöhe zu überreichen, kann ich nicht nachvollziehen. Krise einige Kollegen noch von einem großen Geschäft Um es leicht zu machen, sollen noch nicht abgerufene sprachen, sieht die Realität heute ganz anders aus. Die Gelder aus dem letzten Griechenland-Programm umge- Kredite aus dem ersten Griechenlandpaket laufen über widmet werden. Konkret handelt es sich dabei um 30 Jahre, wobei mit der Tilgung ab 2020 begonnen wer- Gelder, die eigentlich für eine Rekapitalisierung der den soll. Die Zinssätze wurden bereits mehrfach gesenkt. griechischen Banken vorgesehen waren. Es geht um Die Konditionen für Griechenland 2 sind noch besser. 10,9 Milliarden Euro. Dass das Geld noch übrig ist, ver- Die Kredite laufen über 40 Jahre, die Zinsen sind bis wundert nicht. Zwar sind bei dem jüngsten Banken- 2023 gestundet. Und trotzdem werden dem Vernehmen stresstest drei griechische Banken durchgefallen, aber nach für Athen eine abermalige Zinssenkung und eine die griechische Regierung spekuliert wohl darauf, dass Laufzeitverlängerung auf 50 Jahre vorbereitet. das Geld jetzt direkt aus dem ESM an die Banken fließt. Etwa 237 Milliarden Euro hat die europäische Staa- tengemeinschaft seit Mai 2010 an „Hilfsgeldern“ für Griechenland kann seinen Finanzbedarf für 2015 Griechenland bereitgestellt. Im Gegensatz zum Euro- selbst gar nicht genau beziffern. Er liegt gemäß Berech- pean Recovery Program (besser bekannt als Marshall- nungen der Europäischen Kommission zwischen 6 und plan) fielen die Gelder nicht auf fruchtbaren Boden. Der 12 Milliarden. Diese Aussage ist zugleich schockierend Marshallplan umfasste 1948 12,4 Milliarden US-Dollar. und alarmierend. Im fünften Jahr der Euro-Krise schafft Dies entspricht kaufkraftbereinigt heute etwa 100 Mil- es Athen nicht, einen Haushalt aufzustellen und dabei liarden Euro. Jeder Cent, der weiter nach Griechenland seinen Finanzbedarf genau benennen zu können! Ganz fließt, ist ein Cent zu viel. Wir müssen eine Schulden- vereinfacht auf Deutschland umgerechnet würde dies be- konferenz einberufen und uns endlich eingestehen, dass deuten, dass der Deutsche Bundestag bei der Verabschie- wir auf einem teuren Irrweg waren, sonst wird daraus dung seines Haushalts nicht wüsste, ob er 100 oder irgendwann ein Irrgarten ohne Ausweg. Ein Ausschei- 200 Milliarden Euro neue Schulden aufnehmen muss, den Griechenlands aus der Euro-Zone gegen Gewährung um über die Runden zu kommen. So etwas kann nur der Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7351

(A) machen, der weiß, dass in der Not ein anderer die Zeche Anlage 5 (C) zahlt. Und das sind am Ende vor allem wir Deutsche. Erklärung nach § 31 GO Griechenland muss aus dem Euro-Währungsgebiet der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), austreten. Das ist auch im Interesse der Griechen der ein- Omid Nouripour und Manuel Sarrazin (alle zige erfolgversprechende Weg. Deswegen kann ich dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Antrag des Bundesministeriums der Finanzen nicht zu- Abstimmung über die Beschlussempfehlung des stimmen. Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Entsendung bewaffneter deutscher Streitkräfte am NATO-geführten Anlage 4 Einsatz Resolute Support Mission für die Aus- bildung, Beratung und Unterstützung der af- Erklärung nach § 31 GO ghanischen nationalen Sicherheitskräfte in Af- des Abgeordneten Markus Paschke (SPD) zur ghanistan (Tagesordnungspunkt 7) namentlichen Abstimmung über die Beschluss- Seit 13 Jahren engagiert sich Deutschland zivil und empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu militärisch in Afghanistan. Das Bild, das sich ergibt, dem Antrag der Bundesregierung zur Entsen- wenn man nach der Bilanz des Einsatzes fragt, ist viel- dung bewaffneter deutscher Streitkräfte am schichtig. Nicht alle Ziele sind vollumfänglich erreicht. NATO-geführten Einsatz Resolute Support Dennoch geht es den Afghaninnen und Afghanen besser Mission für die Ausbildung, Beratung und Un- als unter der Herrschaft der Taliban. Die Mehrheit der terstützung der afghanischen nationalen Sicher- afghanischen Bevölkerung ist zwischen 15 und 29 Jahre heitskräfte in Afghanistan (Tagesordnungs- alt. Es ist eine junge Generation, die erfahren hat, was es punkt 7) heißt, in einem friedlicheren und freieren Afghanistan zu Seit Beginn des militärischen Einsatzes in Afghani- leben. Ihnen und ihren Hoffnungen schulden wir Bei- stan halte ich eine deutsche Beteiligung für falsch. Der stand. Irak, Libyen und Afghanistan zeigen deutlich, dass mit Dieser umfangreiche und kontroverse Einsatz hat militärischen Mitteln kein Unrechtsregime beseitigt wer- nicht nur Afghanistan, sondern auch Deutschland ge- den kann. Die Zivilbevölkerung leidet am stärksten unter prägt. Abertausende Soldatinnen und Soldaten und zivile dem folgenden jahrelangen Terror und sich gegenseitig Aufbauhelferinnen haben beim Wiederaufbau mitgehol- immer weiter aufschaukelnden Gewaltwellen. fen. Ihre Erfahrungen müssen in die wichtige Diskus- sion, wie die Bundesrepublik sich in Zukunft in Aus- (B) Es ist kein nachhaltiger Erfolg des ISAF-Einsatzes in (D) Afghanistan in Sicht. Ich lehne das Mandat ab, da es für landseinsätzen einbringen sollte, einfließen. Die mich in der Konsequenz der Mandate seit 2001 steht. Bundesregierung verweigert sich aber weiterhin einer Seit nunmehr über 13 Jahren dauert der Einsatz an, und unabhängigen Evaluierung des deutschen Afghani- nach diesen 13 Jahren sind für mich mehr negative als stanengagements. Das ist der Bedeutung dieses Einsat- positive Folgen erkennbar. Nach wie vor ist für mich zes völlig unangemessen. eine wirkliche Friedensperspektive nicht ersichtlich. Im Die Bundesregierung darf bei dieser Mission in Af- Gegenteil: Die Sicherheitslage ist weiterhin besorgniser- ghanistan nicht alte Fehler erneut begehen. Neben dem regend. militärischen Engagement der NATO wollen die USA Afghanische Dolmetscher und andere Unterstützer weiter in begrenztem Umfang ihre Antiterrorpolitik fort- werden im eigenen Land mit dem Tode bedroht, weil sie setzen. Dazu haben in den letzten Jahren „Night Raids“ deutschen und anderen Streitkräften helfen. Ich halte es oder zahlreiche Bombardierungen, bei denen auch Zivi- für unhaltbar, dass diese Menschen in der akuten Bedro- listinnen und Zivilisten ums Leben gekommen sind, ge- hung alleingelassen werden und ihnen nicht einmal Asyl hört. Diese Praktiken haben sehr stark dazu beigetragen, in unserem Land gewährt wird. dass ausländische Streitkräfte an vielerlei Orten die Köpfe und Herzen der Afghaninnen und Afghanen ver- Und auch für unsere Soldatinnen und Soldaten sind loren haben. Afghanische Regierungsstellen haben wie- die Einsätze in Afghanistan eine hohe Belastung. Aus derholt gegen diese Praktiken protestiert. Die Bundesre- persönlichen Berichten weiß ich, dass diese Belastung gierung muss sich im Rahmen der NATO und gegenüber oft zu schwerwiegenden persönlichen Problemen, bei- den USA dafür einsetzen, dass dieses falsche Vorgehen spielsweise bei der psychischen Verarbeitung des Erleb- beendet wird. ten, führt. Die Wahrnehmung der Soldaten unterscheidet In Zusammenarbeit mit der afghanischen Regierung sich stark von den offiziellen Verlautbarungen. Ich be- muss die internationale Gemeinschaft einen nachvoll- grüße die internationalen Bemühungen zum zivilen Auf- ziehbaren Plan vorlegen, der die Zukunft der Finanzie- bau des Landes sehr, aber eine Befriedung Afghanistans rung der afghanischen Sicherheitskräfte regelt. Trotz in- ist meiner Auffassung nach nicht mit militärischen Mit- ternationaler Zusagen der NATO und anderer Akteure teln zu erreichen. Die bisherige Ausbildung von Polizei steht die langfristige Finanzierung der afghanischen Si- und Armee in Afghanistan hat nicht zu einer nachhaltig cherheitskräfte bisher auf wackligen Füßen. besseren Sicherheitslage im gesamten Land geführt. Auch im neuen Mandat erkenne ich keinen erfolgver- Die Zustimmung zu jeder Auslandsmission, auch zu sprechenden Strategiewechsel. einer solchen ohne Kampfauftrag, ist eine schwere Ge- 7352 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

(A) wissensentscheidung. Wir haben uns für die Unterstüt- tinuierliche internationale Unterstützung für die Arbeit (C) zung der Mission entschieden, wohl wissend, dass sie einer afghanischen Regierung, die ernstlich Reformen kein Allheilmittel für die Probleme Afghanistans ist. zum Wohl aller Afghaninnen und Afghanen umsetzt. Die Bundesregierung muss über den gesamten Zeitraum der Die Mission „Resolute Support“ ist keine bloße Ver- Transformationsdekade – bis 2024 – dafür angemessene längerung des ISAF-Einsatzes. Sie zielt darauf hin, die Mittel bereitstellen. erzielten Fortschritte zu verstetigen. Die afghanischen Sicherheitskräfte sind in den letzten Jahren in großer Mit dem Beginn ihres militärischen Engagements hat Zahl gewachsen und haben beachtliche Erfolge erzielt. die internationale Gemeinschaft eine Schutzverantwor- Doch die Qualität der Ausbildung hat nicht immer tung für die Menschen in Afghanistan übernommen. Schritt gehalten, gerade weil mit den Ausbildungsbemü- Dieser Verantwortung wollen wir gerecht werden, im Zi- hungen spät begonnen wurde. Verluste unter den afgha- vilen, und, solange notwendig, auch im militärischen nischen Sicherheitskräften in den Auseinandersetzungen Bereich. mit den Aufständischen sind nach wie vor sehr hoch. Defizite bestehen im Bereich Logistik und Durchhaltefä- higkeit. Die afghanische Luftwaffe ist noch kaum ausge- Anlage 6 bildet. Auch in den afghanischen Ministerien gibt es Erklärung nach § 31 GO noch Beratungsbedarf. der Abgeordneten Dr. Tobias Lindner und Nicht zuletzt ermöglicht Deutschland durch die Über- Tabea Rößner (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nahme der Führungsverantwortung im Norden Afgha- NEN) zur namentlichen Abstimmung über die nistans, dass sich 20 anderen Nationen an der Mission Beschlussempfehlung des Auswärtigen Aus- „Resolute Support“ in geringerem Umfang beteiligen schusses zu dem Antrag der Bundesregierung können. Deutschland leistet also einen wichtigen Beitrag zur Entsendung bewaffneter deutscher Streit- zum Zustandekommen der multilateralen Mission. kräfte am NATO-geführten Einsatz Resolute Die Vereinten Nationen haben das Engagement der Support Mission für die Ausbildung, Beratung NATO in Afghanistan ausdrücklich begrüßt. In diesem und Unterstützung der afghanischen nationalen Sinne hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am Sicherheitskräfte in Afghanistan (Tagesord- 12. Dezember 2014 einstimmig der Resolution 2189 zu- nungspunkt 7) gestimmt. Der Sicherheitsrat stellt zudem fest, dass die Wir haben uns entschlossen, uns bei der Abstimmung Mission durch den Abschluss des bilateralen Sicher- über das Mandat für die Beteiligung an dem Einsatz Re- heitsabkommens zwischen der NATO und der afghani- solute Support Mission in Afghanistan zu enthalten. (B) (D) schen Regierung über eine hinreichende rechtliche Dies ist eine Gewissensentscheidung. Grundlage verfügt. Die Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die af- Letztlich kann nur eine politische Lösung verhindern, ghanische Regierung als Voraussetzung für das Ende des dass Afghanistan nach dem Abzug der internationalen ISAF-Einsatzes und den damit einhergehenden Abzug Truppen in einen neuen, blutigen Bürgerkrieg zurück- der Kampftruppen der Bundeswehr aus Afghanistan ist fällt. Die Bundesregierung und die internationale Ge- richtig und war längst überfällig. In Afghanistan wurde meinschaft müssen daher ihre Anstrengungen erhöhen, einiges erreicht. Die Menschen haben einen besseren um den Verhandlungs- und Reintegrationsprozess in Af- Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung oder einer ghanistan zu unterstützen und eine Friedenslösung unter vielfältigen Medienlandschaft. Die internationale Ge- Einbeziehung der beteiligten Nachbarstaaten zu erzielen. meinschaft muss auch in Zukunft ihrer Verantwortung Deutschland muss sich dafür einsetzen, dass die erreich- gerecht werden. Das bedeutet vor allem, dass sie sich zi- ten Fortschritte im Bereich der Menschenrechte, insbe- vil engagiert und die weitere Entwicklung des Landes sondere für Frauen und Mädchen, im Rahmen der Ver- substanziell unterstützt. Es bedeutet aber auch, dass sie handlungen nicht ausgehöhlt werden. die afghanischen Sicherheitskräfte dabei unterstützt, die Verlässliche Zusagen und ein langfristiges Engage- Sicherheitsverantwortung wahrzunehmen. ment braucht es vor allem im zivilen Bereich: von der ISAF stand für ein offensives Vorgehen der interna- Rechtsstaatsförderung bis zur wirtschaftlichen Entwick- tionalen Truppen in Afghanistan. Ohne dass eigene of- lung. Es ist ein Fortschritt, dass die Bundesregierung nun fensive Operationen stattfinden, soll die Folgemission eine entwicklungspolitische Strategie bis 2017 vorgelegt Resolute Support Mission der Ausbildung der afghani- hat. Schwerpunkt deutscher Entwicklungszusammenar- schen Kräfte dienen. Dies erachten wir für notwendig beit muss es sein, gute Regierungsführung und die Ein- und unterstützen es. haltung der Menschenrechte, insbesondere der Frauen- rechte, zu fördern. Gerade für die vielen jungen Das durch die Bundesregierung vorgelegte Mandat Menschen in Afghanistan muss Deutschland besonders enthält jedoch einige Punkte, die uns dazu bewegen, dem engagiert bleiben im Bereich Bildung und bei der Be- Mandat nicht zuzustimmen und uns stattdessen zu ent- schäftigungsförderung klare Akzente setzen. halten. Im Mandat wird zwar der allgemeine Plan be- schrieben, dass die internationalen Kräfte sich in Phasen Auf der jüngsten Geberkonferenz in London haben zunehmend auf die Hauptstadt Kabul konzentrieren, um die internationale Gemeinschaft und die afghanische Re- dann aus Afghanistan abzuziehen. Es geht jedoch nicht gierung die wechselseitigen Versprechen erneuert: Kon- eindeutig hervor, unter welchen Kriterien und nach wel- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. 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(A) chem Zeitplan diese Übergänge erfolgen sollen. Hier bekannter Plüschtierproduzent auf seinen ersten Katalog (C) droht aus unserer Sicht erneut ein langfristiger Einsatz geschrieben hat. ohne Exit-Strategie. Im Mandat heißt es, dass eine di- rekte Beteiligung an der Terror- oder Drogenbekämp- Ja, und viele Eltern haben genau diesen Anspruch: fung nicht Aufgabe der Bundeswehr sei. Die Formulie- Für unsere Kinder ist nur das Beste gut genug. rung „direkt“ lässt aus unserer Sicht jedoch noch einige Wir wissen, Kinder sind besonders schutzbedürftig Formen der Beteiligung zu. Im Gegensatz zu anderen und besonders schutzwürdig. Sie sind viel empfindlicher Mandaten wird die Begleitung afghanischer Kräfte oder als Erwachsene. Und das gilt natürlich besonders auch die direkte Unterstützung militärischer Operationen dann, wenn es um Schadstoffe geht. nicht explizit ausgeschlossen. Durch solche Formulie- rungen wird ein Interpretationsspielraum eröffnet, den Kleine Kinder erkunden ihre Welt mit allen Sinnen: wir in einem Mandatstext nicht für geboten erachten. Sie fassen an, nehmen Dinge in den Mund, schmecken, riechen, tasten, beißen, reißen und kratzen an den meis- Der Entschließungsantrag unserer Fraktion – Bundes- ten Dingen, die sie in die Hände bekommen. Und das ist tagsdrucksache 18/3590 – findet unsere Unterstützung gut so, denn so lernen sie die Welt kennen. und legt unsere Position im Hinblick auf Afghanistan nä- her dar. Wenn es um die Spielsachen der Kinder geht, muss es einen sicheren und geschützten Erkundungsraum geben. Man muss sich darauf verlassen können, dass von Spiel- Anlage 7 zeug keine Gefahr ausgeht. Da kann es keine Kompro- misse geben. Gesundheitsgefährdende Stoffe gehören Erklärung nach § 31 GO nicht ins Spielzeug. des Abgeordneten Dr. Alexander S. Neu (DIE Leider ist aber die Belastung von Kinderspielzeug mit LINKE) zur namentlichen Abstimmung über giftigen Stoffen nach wie vor ein Problem. Woran liegt die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Aus- das, und wie könnte eine Lösung aussehen? schusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut- Ist das eine Frage der Kontrolle? scher Streitkräfte an der NATO-geführten Ope- ration ACTIVE ENDEAVOUR im Mittelmeer In Deutschland sind die Länder für die Sicherheits- (Tagesordnungspunkt 8) kontrollen bei Spielzeug zuständig. Versehentlich habe ich mit Ja gestimmt. Mein Votum Die Linke sagt, die Länder seien unfähig, und fordert in ihrem Antrag, die Zuständigkeit für die Marktüber- (B) lautet Nein. (D) wachung auf den Bund zu übertragen. Wir sagen: Das ist weder notwendig noch zielfüh- Anlage 8 rend. Denn die Überwachung von Spielzeug ist bei den Erklärung nach § 31 Absatz 2 GO Ländern ganzjähriger Überwachungsschwerpunkt. Sie kontrollieren die Einhaltung der Vorschriften des Pro- des Abgeordneten Jörn Wunderlich (DIE duktsicherheitsgesetzes und der Spielzeugsicherheits- LINKE) zur Abstimmung über die Beschluss- Verordnung. empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Müsste die Arbeit der Länder nicht koordiniert wer- Matthias W. Birkwald, Ulla Jelpke, Halina den? Ja, und das wird sie auch. Wir haben eine gemein- Wawzyniak, weiterer Abgeordneter und der same Behörde aller Bundesländer im Bereich der Pro- Fraktion DIE LINKE: Wiedereingliederung duktsicherheit – die Zentralstelle der Länder für fördern – Gefangene in die Renten-, Kranken- Sicherheitstechnik, ZLS. Seit 2013 nimmt die ZLS auch und Pflegeversicherung einbeziehen (Tagesord- koordinierende Aufgaben der Marktüberwachungsbe- nungspunkt 17) hörden für alle Bundesländer wahr. Ich erkläre, dass ich an der Abstimmung zu dem vor- Die Anzahl gefährlicher Spielzeuge, die auf dem genannten Tagesordnungspunkt nicht teilnehme. deutschen Markt gefunden werden, ist rückläufig. Immer weniger Warnungen muss das europäische Schnellwarn- system für gefährliche Produkte RAPEX ausrufen. Das Anlage 9 ist sehr, sehr positiv. Aber – und das möchte ich auch ganz deutlich sagen – das alleine reicht uns noch nicht. Zu Protokoll gegebene Reden Gerade weil es um die Gesundheit unserer Kinder geht, zur Beratung der Beschlussempfehlung und des wollen wir bestmögliche Sicherheit. Berichts: Schutz von Kindern vor Schadstoffen Aber wir müssen auch ehrlich sein: Hundertprozen- in Spielzeugen wirksam durchsetzen (Tagesord- tige Sicherheit wird es und kann es nicht geben. Abso- nungspunkt 13) lute Sicherheit gibt es in keinem Bereich des Lebens und deshalb auch nicht auf dem Spielzeugmarkt. Auch des- Mechthild Heil (CDU/CSU): „Für Kinder ist nur das halb, weil der Spielzeugmarkt sehr viele Produkte kennt; Beste gut genug!“ So lautete der Werbespruch, den ein diese sind oft sehr kurzlebig, und ständig werden neue 7354 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

(A) entwickelt, die die Kinderaugen zum Strahlen bringen In der aktuellen Ausgabe der Öko-Test wurden zum (C) sollen. Beispiel Puppen getestet. Der Test hat auch bei den Her- stellern Wirkung gezeigt: Sie haben die Ergebnisse zum Aber der große, sich ständig verändernde Markt soll Anlass genommen, ihre Produkte nachzubessern. Für die uns nicht als Ausrede dienen. Wir wollen und wir wer- Verbraucher sind solche Tests gerade jetzt zu Weihnach- den das Risiko weiter minimieren. Die Politik steht hier ten, wo wieder besonders viele Spielwaren gekauft wer- in der Verantwortung. Aber auch die Wirtschaft und die den, sehr hilfreich und willkommen. Denn all diejeni- Verbraucher selbst müssen ihren Teil der Verantwortung gen, die Spielzeug für ihre Kinder kaufen, wissen um übernehmen. Natürlich tragen an erster Stelle die Her- ihre Verantwortung. Das Spielzeug soll eben nicht nur steller und der Handel Verantwortung für die Produkte, Spaß machen, den Kopf und das Herz anregen, sondern die sie auf den Markt bringen. Die Branche weiß selbst, eben auch sicher sein. dass die Sicherheit der Spielzeuge ihre Kernaufgabe ist. Was können sie tun? Wie können sie prüfen, ob ein Gemeinsam mit dem TÜV Rheinland veranstaltet Spielzeug für das Kind sicher und geeignet ist? Hier ge- zum Beispiel der Deutsche Verband der Spielwaren- ben nicht nur die Tests eine gute Orientierung, sondern industrie jedes Jahr einen Sicherheitstag. Dabei geht es vor allem die Siegel und Prüfzeichen: Spielzeug darf dann um Fragen des eigenen Qualitätsmanagements, nicht ohne CE-Kennzeichnung auf den europäischen aber auch wie die Spielzeuge noch sicherer gemacht Markt gebracht werden. Der Hersteller bescheinigt da- werden können. mit, dass er alle gesetzlichen Normen erfüllt hat, wie sie Ein Ergebnis der Bemühungen aus der deutschen von der europäischen Spielzeugrichtlinie vorgegeben Wirtschaft: Die Qualität bei deutschen Spielzeugen ist werden. sehr hoch. Das GS-Zeichen, „Geprüfte Sicherheit“, ist ein staat- Die meisten problematischen Produkte stammen aus lich geregeltes Gütesiegel für Spielzeug. Es wird von Importen, allen voran aus China. Deshalb wurde 2012 staatlich zertifizierten unabhängigen Prüfstellen wie zum vom Wirtschaftsministerium eine deutsch-chinesische Beispiel dem TÜV vergeben. Es zeigt also an, dass un- Arbeitsgruppe „Produktsicherheit“ eingerichtet. abhängig geprüft wurde und dass die gesetzlichen Vorgaben eingehalten wurden. Darüber hinaus werden Die Politik der Bundesregierung dabei ist, intensiv außerdem 16 polyzyklische aromatische Kohlenwasser- darauf hinzuwirken, dass die Exportkontrollen für chine- stoffe, PAK, abgeprüft, die als gesundheitsgefährdend sische Produkte verbessert werden. gelten. Ich sage aber auch ganz ehrlich, bei allen Schwierig- keiten, die wir in den Verhandlungen mit China sehen; Aber die Prüfsiegel sind das eine. Leider kommen (B) (D) Da ist noch Luft nach oben. Das darf gerne noch intensi- auch Produkte mit gefälschten Siegeln auf den Markt. viert werden. Deshalb: Die eigene Wahrnehmung ist unersetzlich bei der Entscheidung, ob ein Spielzeug sicher und überhaupt Auch auf europäischer Ebene setzen wir uns für nied- altersgerecht und geeignet für das Kind ist. Der Verbrau- rigere Grenzwerte von bestimmten Schadstoffen in cher sollte sich das Spielzeug selbst immer sehr genau Kinderspielzeug ein. Die Bundesregierung hatte bei der anschauen: Gibt es Stellen am Spielzeug, an denen sich EU-Kommission beantragt, die in Deutschland beste- ein Kind verletzen könnte? Ist das Spielzeug robust? henden strengeren Grenzwerte beibehalten zu dürfen. Blättert Farbe ab oder färbt es ab? Können sich Klein- Nur in Bezug auf Blei war die Bundesregierung er- teile leicht ablösen und verschluckt werden? folgreich. Bei Arsen, Antimon und Quecksilber muss Die wichtigsten Tipps, worauf die Verbraucher beim Deutschland die von der EU vorgeschriebenen niedrige- Kauf von Spielzeug achten sollten, hat das Landwirt- ren Grenzwerte übernehmen. In Spielzeugen aus festen schaftsministerium auf einer Servicekarte zusammenge- Materialen sind damit höhere Schwermetallwerte er- fasst, die Sie im Internet abrufen können. laubt, weil man in der EU der Meinung ist, diese würden sich durchs Spielen nicht lösen und damit auch nicht in All das, was im Hintergrund an Prüfungen und den Körper der Kinder gelangen. Sicherheitschecks abläuft, was an Siegeln und Tests nachzulesen ist, dient nur einem Zweck: Keiner soll Die Bundesregierung hat dagegen Rechtsmittel einge- beim Spielen über Risiken nachdenken müssen, sondern legt. Ich hoffe auf einen erfolgreichen Ausgang. einfach nur Spaß an der Freude haben. An dieser Stelle möchte ich aber an die Spielzeugher- Eine spielreiche Weihnachtszeit! steller appellieren: Halten Sie auch freiwillig an den deutschen Grenzwerten fest! Marcus Held (SPD): Wir befinden uns in der Vor- Unabhängig davon setzt sich die Bundesregierung bei weihnachtszeit, und das ist bekanntlich die Zeit, die vor der Kommission für eine Nachbesserung der chemischen allem für unsere Kleinsten eine besondere Wirkung hat. Anforderung der EU-Spielzeug-Richtlinie ein. Kinder freuen sich über die besondere Atmosphäre, aber auch über Geschenke. Eltern wiederum haben den Was tun wir noch? Wunsch, für ihre eigenen Kinder nur das Beste zu tun, Wir fördern unabhängige Testorganisationen, wie die was sich oft am Kaufverhalten äußert. Wenn es denn Stiftung Warentest, die Kinderspielzeug auf Sicherheits- schon ein Spielzeug sein darf das man kauft, dann will mängel und Schadstoffe untersucht. man sich nicht nur ganz sicher sein, dass dieses Spiel- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7355

(A) zeug sicher ist für den Nachwuchs, es muss auch frei von Ich möchte an dieser Stelle auch betonen, dass die Re- (C) jeglichen Schadstoffen sein. Die Sensibilität in dieser gelungen sowohl für Spielzeugimporte als auch für in Frage ist in den zurückliegenden Jahren deutlich gestie- Deutschland produziertes Spielzeug gelten müssen. gen – zum Glück, können wir heute sagen! Denn rund die Hälfte der Spielwaren, die sich im Handel befinden, wird in Deutschland produziert. Wir haben Deshalb gibt es unzählige Prüfsiegel, Untersuchungen 670 Spielwarenhersteller in Deutschland. Der Spielwa- durch die Stiftung Warentest, gesetzliche Normen mit reneinzelhandel macht jährlich rund 2 Milliarden Euro klar definierten Grenzwerten und sogar europaweit gel- Umsatz. tende Rechtsnormen. So weit, so gut, könnte man sagen. Aber was passiert, wenn sich herausstellt, dass ein Spiel- Hieran sind mehr als 3 000 Unternehmen beteiligt. zeug doch nicht die Grenzwerte einhält, dass der Anteil der Schadstoffe sehr viel höher ist als angegeben? Bei den Importen ist China mit fast 90 Prozent aller Spielwaren das größte Herstellerland. Leider haben hier Beispielfall der durch die Medien ging: Beißhilfe für gemeinsame Maßnahmen der Bundesregierung mit der Babys, die als „sicher und schadstofffrei“ deklariert Volksrepublik China bisher nicht gegriffen. wurde. Wir müssen also handeln, bei den Importen wie auch Nach einer Untersuchung stellte sich aber heraus, bei dem hier hergestellten Spielzeug. dass krebserregende Stoffe mit hoher Konzentration in diesem Spielzeug vorhanden sind. Konsequenz beim Wie können wir dies tun? Mit Prüfsiegeln zum Bei- Hersteller: Man habe sich auf die Erfahrungen bei der spiel? Die gibt es ja bereits, sogar in großer Zahl! Es gibt Aufsichtsbehörde verlassen, und diese wiederum sah das Gütesiegel für Sicherheit, GS, Ökotex Standard 100, „keine akute Gesundheitsgefährdung“. Die Konsequenz VDE-Zeichen, TÜV-Proof Zertifiziertes Spielzeug vom war lediglich die Marktrücknahme, es gab noch nicht TÜV Rheinland, TOX-Proof, für schadstoffarme Pro- einmal eine Rückrufaktion des Artikels, der bereits tau- dukte vom TÜV Rheinland, Blauer Engel, LGA Quali- sendfach ausgeliefert worden war. täts-Zertifikat und viele mehr. Dies kann so nicht sein! Wir brauchen klare Konse- Aber bei so vielen Gütesiegeln ist es den Verbrau- quenzen für den Fall, dass Schadstoffe in Spielzeugen chern doch gar nicht mehr zuzumuten, prüfen zu können, bzw. die Konzentration sehr viel höher ist als angegeben. ob das Prüfsiegel wirklich stimmt und was es inhaltlich bedeutet. Die Gesundheit unserer Kinder muss für uns ganz oben stehen. Kinder und Säuglinge sind besonders Wie können wir noch handeln? Sie schlagen vonsei- schützenswert, sie müssen das höchste Gut darstellen. ten der Linken mit Ihrem Antrag vor, die Marktüberwa- (B) (D) Deshalb brauchen wir klare rechtliche Vorgaben: chung von Spielzeugen auf Bundesebene zu heben. Wir haben in den zurückliegenden Jahren intensiv da- Wir sind uns nicht sicher, ob dadurch tatsächlich die rüber gestritten, ob die Werte nach deutschem Recht Qualität und die Intensität der Kontrollen verbessert oder nach europäischem Recht mehr Verbraucherschutz werden kann oder ob es nicht sogar besser ist, wenn die bedeuten. Ich sage Ihnen: Das ist völlig egal, wenn die Länder und kommunalen Prüfbehörden wissen, wo sie Überschreitung von Schadstoffwerten in Kinderspiel- vor Ort bei Produzenten ansetzen müssen. zeugen weder in dem einen noch in dem anderen Fall Außerdem haben sich 2013 die Länder in einem gera- Konsequenzen hat. dezu mustergültigen Staatsvertrag darauf geeinigt, die Denn: Wie sieht es derzeit aus? Die eben beispielhaft Koordinierung durch eine einheitliche Stelle durchzu- genannte Beißhilfe wurde vom Markt genommen in führen, nämlich durch die Zentralstelle der Länder für Deutschland. Sie kam auch auf die europaweite Warn- Sicherheitstechnik. liste RAPEX, die für Behörden europaweit eingeführt Wir sind mit Ihnen der Meinung, dass die Überwa- wurde. chung der Produktsicherheit noch nicht befriedigend Aber wir müssen auch kontrollieren dass diese Markt- funktioniert. Deshalb wollen wir als SPD die Überwa- rücknahmen europaweit erfolgen. Wir brauchen also chung insgesamt besser vernetzen, einheitliche Stan- Konsequenzen. Wir brauchen Regelungen für Rücknah- dards finden und für eine bessere Kontrolldichte sorgen. men. Wir brauchen klare Zuständigkeiten. Wir wollen dies für Spielzeug, aber genauso für Le- Dies gilt auch zwischen den Ministerien, denn gerade bensmittel und Bedarfsgegenstände. bei der Frage der Kontrolle von Spielzeugen schieben Lassen Sie uns gemeinsam und schnell sicherstellen, sich die Häuser die Verantwortlichkeiten hin und her. dass Spielzeuge mit hohem Schadstoffgehalt schon gar Wir müssen klar definieren, ob der Bund, die Länder keine Chance mehr haben auf den Markt zu gelangen, oder gar die EU für diese Rücknahmen zuständig ist und dass Firmen, die solche Spielzeuge in den Umlauf wer diese auch aktiv veranlassen muss. bringen, mit empfindlichen Konsequenzen zu rechnen Es kann nicht sein, dass Kompetenzgerangel entsteht haben, dass diese Spielzeuge auch deutschland- und auf Kosten der Gesundheit unserer Kinder. Verbraucher- europaweit ganz schnell aus den Warenregalen geholt schutz muss hier sehr ernst genommen werden; sonst ist werden. Im Interesse unserer Verbraucherinnen und Ver- das Vertrauen der Verbraucher aus nachvollziehbaren braucher und ganz besonders im Interesse des Wichtigs- Gründen nicht mehr gegeben. ten, was wir haben – nämlich unserer Kinder. 7356 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

(A) Karin Binder (DIE LINKE): Wir haben ein großes Verursacherprinzip müssen Hersteller und Importeure an (C) Problem mit Schadstoffen in Kinderzimmern. Ein Grund den Kosten für die Kontrollen beteiligt werden. Pro- ist das Versagen der Marktüberwachung. Denn trotz bleme mit Schadstoffen in Spielzeugen entstehen meist strenger gesetzlicher Vorgaben gelangen nach wie vor durch gnadenlose Kostensenkung in der Herstellung zur große Mengen gesundheitsbedenklicher Spielwaren in Gewinnmaximierung. Auch Zollbehörden müssen zur die Hände der lieben Kleinen. Das dürfen wir und Sie Wahrnehmung ihrer Aufgaben und zur Mitwirkung an nicht einfach hinnehmen! der Marktüberwachung besser ausgestattet werden. Über die Hälfte der Spielzeuge, die von Stiftung Bis dahin müssen sich besorgte Eltern leider selbst Warentest in den vergangenen Jahren getestet wurden, helfen. waren oft sogar mehrfach mit Schadstoffen belastet. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsi- Meine Empfehlungen: cherheit, BVL, stellte fest, dass fast ein Viertel der unter- Erstens. Auch bei hochwertigen Marken nicht nur auf suchten Spielzeuge Schadstoffe noch über die zulässigen die Angaben der Hersteller vertrauen. Sie sollten sich an Grenzwerte hinaus freisetzt. Nur jedes Fünfte der getes- unabhängigen Testergebnissen beispielsweise von Stif- teten Produkte war frei von gesundheitsschädlichen tung Warentest, Ökotest oder dem Bund für Umwelt und Chemikalien. Wir reden hier von gefährlichen Schwer- Naturschutz Deutschland, BUND, orientieren. metallen wie Blei, Nickel und Quecksilber. Wir reden von Stoffen wie Formaldehyd, Phtalaten und polyzykli- Zweitens. Schnuppern Sie dran. Wenn ein Spielzeug schen aromatischen Kohlenwasserstoffen, den soge- komisch riecht, lassen Sie es lieber im Regal liegen. nannten PAK, die als Weichmacher in vielen Kunststof- Grundsätzlich gilt: Je weniger ein Spielzeug verklebt, fen oder in Klebern und Lacken zu finden sind. Diese lackiert oder verpackt ist, desto besser. Gifte sind schon in winzigen Mengen krebserregend, sie Die Bundesregierung ist gefordert, die Sicherheit von gefährden die Fortpflanzung, sie stören das Hormonsys- Spielzeugen ohne Wenn und Aber durchzusetzen. tem oder sie lösen Allergien aus. Kinder sind davon be- sonders betroffen. Sie befinden sich in der Entwicklung Ich kann nur noch einmal betonen: Spielzeug, das be- und sind besonders empfindlich und verletzlich. lastet ist, gehört nicht auf den Markt – und schon gar nicht in ein Kinderzimmer. Aber leider wird auch zu die- Die Linke will, dass mit dieser giftigen Bescherung sem Weihnachtsfest die Mehrzahl der Spielzeuge unter Schuss gemacht wird! dem Christbaum schadstoffbelastet sein. Die Vorgaben zum Schutz der Kinder vor Schadstof- Da kann ich nur sagen: Frohe Weihnachten! fen in Spielzeugen gelten in ganz Europa. Die Bundes- (B) regierung ist in der Pflicht, sie umzusetzen, verzettelt (D) sich aber in einem Streit mit der EU-Kommission um die Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gift Grenzwerte für diese Schadstoffe. hat in Kinderspielzeug nichts verloren! Darüber sind wir uns alle einig. Das ist gut. Doch darüber, wie wir es end- In der Zwischenzeit gelangen jedoch auch weiterhin lich schaffen, dieses wichtige Ziel zu erreichen, darüber gesundheitsbedenkliche Spielwaren in die Regale, ganz diskutieren wir hier seit Jahren. Das Thema ist und bleibt einfach weil unsere Kontrollen nicht ausreichen. ein Dauerbrenner, bei dem die Bundesregierung auf der Stelle tippelt – und das seit Jahren. Wir haben jetzt schon Noch immer werden vom Bund die Bundesländer für die dritte Bundesregierung in Folge, die das Problem die Überwachung der Spielzeugsicherheit verantwortlich aussitzt. gemacht. Es gibt mehr als 400 verschiedene Kontroll- behörden bei Ländern und Kommunen, die schlecht ver- Schon 2009 – also vor über fünf Jahren – hat sich die netzt meist nebeneinanderher arbeiten. In vielen Fällen deutsch-chinesische Arbeitsgruppe zur Verbesserung der fehlt es am Personal und der nötigen Ausstattung. Produktsicherheit gegründet. Ich frage in regelmäßigen Abständen nach, was sich seither getan hat, womit sich Dem gegenüber arbeiten Hersteller und Händler glo- die Arbeitsgruppe befasst und welche Erfolge sie ver- bal. Über die Hälfte der Spielwaren in Deutschland wird melden kann. Das Ergebnis ist jedes Mal enttäuschend. importiert und oft in Billiglohnländern von Arbeiterin- nen und Arbeitern hergestellt, die selbst nicht wissen, Inzwischen gibt es – man höre und staune – zumin- welcher gesundheitlichen Belastung sie durch die ge- dest einen Arbeitsplan. Doch selbst konkrete Zielverein- fährlichen Materialen ausgesetzt sind. barungen oder verbindliche Maßnahmenpläne sind noch immer Fehlanzeige. Das ist zu schwach! Die fertigen Produkte werden von den Herstellern mit dem „CE“-Zeichen versehen, wonach die Mindestanfor- Ein Blick in RAPEX, das Schnellwarnsystem der EU- derungen für den Europäischen Markt erfüllt sein soll- Kommission zu gefährlichen Produkten, zeigt doch, dass ten. Aber mit Qualitätssicherung hat dieses Zeichen wir ohne China nicht an die Wurzel des Problems kom- nichts zu tun. men. Allein in dieser Woche kamen alle in RAPEX auf- geführten giftigen Spielsachen außer einer aus China. Die Linke fordert mit ihrem Antrag, den Schutz der Kinder endlich wirksam durchzusetzen: Die Kontrollen Spielzeugsicherheit liegt in Deutschland in vielen müssen bundesweit vereinheitlicht und die Verantwor- Händen. Auf Bundesebene sind das Wirtschaftsministe- tung auf die Bundesebene gehoben werden. Nur so kön- rium, das Ernährungs- und Landwirtschaftsministerium nen Kinder vor Schaden bewahrt werden. Nach dem und das Umweltministerium zuständig. Jetzt könnte man Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7357

(A) meinen, dass das dazu führt, dass sich möglichst viele übergreifend zusammengekommen, eben weil wir die (C) dieses wichtige Thema auf die Fahne schreiben und für Elektromobilität unterstützen wollen. mehr Spielzeugsicherheit sorgen. Doch weit gefehlt. Stattdessen werden die Zuständigkeiten hin und her ge- Warum unterstützen wir die Elektromobilität? Wegen schoben und keiner fühlt sich so wirklich verantwortlich. ihrer Bedeutung für Lärmreduzierung, Umwelt, Klima Ich erwarte und fordere, dass sie alle ihre Arbeit machen und saubere Luft – aber auch wegen ihrer Bedeutung für und dafür sorgen, dass Kinderspielzeug sicher wird – den Automobilstandort Deutschland und dessen Zukunfts- frei von giftigen und hormonell wirksamen Stoffen. fähigkeit sowie wegen der zahlreichen Arbeitsplätze, die in Deutschland nun mal vom Automobil abhängen. Die Umweltministerin muss dafür sorgen, dass die Diese wollen und werden wir erhalten. Leitmarkt und Kennzeichnung verbessert wird – zum Beispiel durch Leitanbieter sind und bleiben unsere Ziele. eine Weiterentwicklung des Blauen Engels. Verbrauche- rinnen und Verbraucher müssen gefahrlos einkaufen und Der Anfang Dezember an die Bundeskanzlerin über- sich darauf verlassen können, dass sich in den Päckchen gebene Fortschrittsbericht der Nationalen Plattform unterm Weihnachtsbaum keine Giftbomben verstecken. Elektromobilität hat gezeigt: Es geht voran bei der Elektromobilität! So können heute schon Elektromobile Der Wirtschaftsminister muss im Dialog mit China unter bestimmten Bedingungen die wirtschaftlichsten und der Spielzeugbranche dafür sorgen, dass Giftstoffe Fahrzeuge sein. Dies zeigt: E-Autos haben eine Zukunft, ersetzt und die Herstellung verbessert werden. Der allen Unkenrufen zum Trotz! Außerdem ist bei der Pro- Landwirtschaftsminister ist auch für die Produktsicher- duktpalette der deutschen Automobilhersteller viel pas- heit zuständig. Er muss gemeinsam mit den Ländern das siert. Auch in internationalen Rankings schneiden wir Kontrollregime verbessern und dafür Sorge tragen, dass weiter gut ab. Deutschland ist auf einem guten Weg, zu- zumindest die Grenzwerte eingehalten werden. Verstöße mindest also, was die Leitanbieterschaft anbelangt. Beim müssen schneller behoben und giftiges Spielzeug vom Leitmarkt ist die Situation noch ausbaufähig. Der Be- Markt genommen werden. richt der Nationalen Plattform zeigt deutlich: Wir müs- sen noch besser werden. Beim Fußball ist ja bekanntlich Ich fordere: Die Sicherheit unserer Kinder muss end- immer das nächste Spiel das wichtigste. So ist bei der lich zur Chefsache werden. Elektromobilität die nächste Zeit die entscheidende. Im Koalitionsvertrag hat die Bundesregierung ange- 2015 bis 2016, 2017 sind die letzten Jahre des Markt- kündigt, sich auf EU-Ebene für eine unabhängige, ver- hochlaufs. Da wird sich zeigen, ob wir unser 1-Million- pflichtende Drittzertifizierung für Kinderspielzeug ein- Elektroautos-Ziel erreichen. Deshalb ist es richtig, dass zusetzen. Das ist ein interessanter Ansatz. Davon, wie das Elektromobilitätsgesetz, über das wir heute debattie- (B) sich die Bundesregierung hier konkret einsetzt, habe ich ren, kommt. Dieses Gesetz ist wegen der enthaltenen (D) seither allerdings nichts mehr gehört. Doch Ankündi- Maßnahmen wichtig, aber auch wegen seiner Signalwir- gungen allein helfen ja nicht. Wenn die Bundesregierung kung. Auch bei der Elektromobilität kommt es schließ- ihr Versprechen ernst meint, muss sie sich auch aktiv da- lich auf die psychologische Außenwirkung für poten- rum kümmern. zielle Käufer an. Mit diesem Gesetz sagen wir deutlich: Wir stehen auch im fünften Jahr nach dem Nationalen Und dann muss sie auch gewährleisten, dass die klei- Entwicklungsplan Elektromobilität immer noch und im- nen und mittelständischen Produzenten in Deutschland mer mehr zu dieser Zukunftstechnologie. dadurch nicht vom Markt gedrängt werden. Ich werde aufpassen, dass hier nicht nur Politik für die Industrie Viel ist trotzdem geschimpft worden über die Frei- gemacht wird, sondern auch für das Handwerk. Für gabe der Möglichkeit(!), Busspuren nutzen zu können. Anbieter, die nur fünf Exemplare einer Puppe oder Dabei zeigt doch schon das Wort „Möglichkeit“, dass zwanzigmal den gleichen Teddy herstellen und nicht in niemand gezwungen werden soll. Wir sind für Wahlfrei- Massenproduktion. heit und regional sinnvolle Lösungen. Deshalb können die Kommunen vor Ort selbst entscheiden, wie sie Wir wollen einen Gabentisch ohne Gift. Dafür muss Elektromobile bevorrechtigen wollen. Wir wollen Wett- diese Bundesregierung endlich mehr tun. bewerb zwischen den Städten, genauso, wie wir es bei einer möglichen Bevorzugung von E-Autos bei Park- plätzen ebenfalls machen. Die Kommune vor Ort trifft Anlage 10 dann die Entscheidung, aber die Chance sollte doch zu- mindest ernsthaft geprüft werden. Die Stadt, die für Zu Protokoll gegebene Reden nachhaltige Mobilität stehen will, sollte die Freigabe der zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Busspuren für Elektrofahrzeuge ebenso ergebnisoffen Bevorrechtigung der Verwendung elektrisch be- prüfen wie eben auch die Bereitstellung von Parkplät- triebener Fahrzeuge (Elektromobilitätsgesetz – zen. EmoG) (Tagesordnungspunkt 14) Wichtig ist ebenfalls, dass wir uns nun endlich auf eine tragfähige Definition von Elektroauto geeinigt ha- Steffen Bilger (CDU/CSU): Es ist gut, dass wir im ben. Selbst der Bundesrat war mit dieser zufrieden. Auch Deutschen Bundestag so konstruktiv mit der Zukunfts- eine Kennzeichnung kommt jetzt. Dafür ist dann für je- technologie Elektromobilität umgehen. Erst kürzlich den sichtbar, was ein Elektroauto ist – und was es darf. sind wir als Parlamentskreis Elektromobilität fraktions- Auch für die Feuerwehr ist im Falle des Falles gut zu se- 7358 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

(A) hen, um was für ein Fahrzeug es sich handelt und wie es Gabriel mehrfach zu Recht hingewiesen –, wenn auch (C) behandelt werden muss. Die neuen Kennzeichen werden der Verkehrsbereich seinen Beitrag leisten wird. Die ebenfalls eine positive psychologische Wirkung haben. Abkehr von den klassischen fossilen Brennstoffen im Wer sehen kann, wie die Zahl dieser Fahrzeuge größer Verkehr ist insofern ein Gebot der ökologischen Verant- wird und was diese auch noch dürfen, wird sich noch wortung und der wirtschaftlichen Vernunft. Im Aktions- leichter begeistern lassen und selbst an den Kauf denken. programm Klimaschutz der Bundesregierung wird dem Verkehrssektor ein Emmissionsminderungspotenzial von Wir haben aber auch immer gesagt, dieses Elektromo- 7 bis 10 Millionen Tonnen bescheinigt. Lassen Sie uns bilitätsgesetz kann nur der Einstieg in dieser Wahlpe- gemeinsam die enormen Potenziale des Aktionspro- riode für weitere Maßnahmen sein. gramms Klimaschutz und des Nationalen Aktionsplans Viele Forderungen der Wirtschaft für den Markthoch- Energieeffizienz – kurz NAPE – heben und an der Um- lauf sind ja sehr berechtigt. So brauchen wir dringend setzung arbeiten. Nach dem Stillstand der vergangenen Sonderabschreibungen beim Kauf von Elektroautos für Jahre liegen insbesondere im Hinblick auf die Energieeffi- Unternehmenskunden und KfW-Kredite für Private. Im zienz unserer Volkswirtschaft endlich konkrete Maßnah- Koalitionsvertrag bekennen wir uns zu nutzerorientier- men und Initiativen auf dem Tisch, mit denen sich arbei- ten Anreizen. Diese werden wir aktiv angehen. Beson- ten lässt. Mein Dank gilt an dieser Stelle insbesondere dere Effekte erwarten wir von größeren Flotten. Wenn den federführenden Ministern Gabriel und Hendricks. Großunternehmen viele E-Autos anschaffen, dann steigen Mit dem Elektromobilitätsgesetz machen wir nun ei- nicht nur sprunghaft die Zulassungszahlen – es entsteht nen wichtigen Aufschlag. Die Frage, was eigentlich ge- auch mittelfristig ein Gebrauchtwagenmarkt. Flottenver- nau unter den Begriff Elektromobilität fällt, ist maßge- bände sind auch sonst ideal bei der Elektromobilität. Das bend für alle weiteren politischen und wirtschaftlichen Tankstellenproblem lässt sich beispielsweise leicht lö- Maßnahmen. Vor diesem Hintergrund ist die Einigung sen. Deshalb brauchen wir die Sonderabschreibung, da- auf eine Definition ein enorm wichtiger Schritt gewesen. mit die Unternehmen zum jetzigen Zeitpunkt dadurch Ich halte es für vernünftig, technologieoffen zu bleiben noch näher an Wirtschaftlichkeit herankommen bezie- und sowohl Akkumobilität als auch Brennstoffzellen- hungsweise sie dadurch erreichen können. technologie zu berücksichtigen. Bei beiden handelt es Außerdem müssen wir beim Bekenntnis zur Umrüs- sich um elektrische Antriebsformen, die noch erhebli- tung des Fuhrparks des Bundes auf E-Autos weiterkom- ches Innovationspotenzial bergen. Ich möchte an dieser men. Wie so häufig, muss der Bund mit gutem Beispiel Stelle auch dafür werben, dass wir die im Gesetz vorge- vorangehen. sehene Evaluation der Grenzwerte für Plug-in-Hybride nutzen, um uns für die Zukunft ambitioniertere Ziele als (B) In diesem Sinne freue ich mich über dieses Gesetz als 30 Kilometer Reichweite und ab 2018 40 Kilometer zu (D) ersten Aufschlag und bitte um wohlwollende Zustim- setzen. mung. Die Schaffung von Privilegien kann ein sinnvoller Ansatz sein. Doch sind Parkprivilegien und die Öffnung Andreas Rimkus (SPD): Lange war Elektromobili- tät ein Thema für Liebhaber. Sie ist heute eine Idee von von Zufahrten auch ausreichend. Perspektivisch werden Mobilität, die nachhaltig und ökologisch ist und die Be- wir nicht umhinkommen, Geld in die Hand zu nehmen. dürfnisse von Menschen und Ökonomien mit diesen Darum begrüße ich die Überlegungen zur Implementie- Prinzipien versöhnt. rung einer Sonderabschreibung für Elektrofahrzeuge. Dies wäre eine wirtschaftlich kluge Form der Technolo- Doch was bedeutet ökologische Nachhaltigkeit im gieförderung und damit ein weiterer Schritt für die Zu- verkehrspolitischen Zusammenhang eigentlich? Wenn kunftsfähigkeit unserer Volkswirtschaft. Nach meinem Sie im Duden nachschlagen, werden Sie eine Definition Dafürhalten ist es entscheidend, dass Politik auf der Su- finden, in der Nachhaltigkeit im weiteren Sinne als Prin- che nach neuen Ideen bleibt und mit wachsamen Augen zip beschrieben wird, nach dem nicht mehr verbraucht den technischen Fortschritt zur Kenntnis nimmt und ihn werden darf, als jeweils nachwachsen, sich regenerieren, befördert. künftig wieder bereitgestellt werden kann. Im Kontext von Mobilität bedeutet das, alternative Kraftstoffstrategien Unsere Aufgabe wird es sein und ist es, die Marktak- zu entwickeln, sich neuen – oder auch alten – Antriebsfor- tivierung konstruktiv zu begleiten und effektive Anreiz- men zuzuwenden und sich langfristig von fossilen Brenn- strukturen zu schaffen, die Elektromobilität attraktiver stoffen zu verabschieden. Auch die Bürgerinnen und für die Bürgerinnen und Bürger machen. Ich nehme zur Bürger haben schon lange ein Bewusstsein für ökologi- Kenntnis, dass Elektromobilität aktuell in den meisten sche Fragen entwickelt, und sie erwarten zu Recht von Fällen noch zu teuer ist, die Reichweite gering und sie der Politik, dass in verantwortungsvoller Weise Antwor- aufgrund einer noch unterentwickelten Lade- und Tank- ten auf die ökologischen Herausforderungen gefunden infrastruktur für viele Menschen nicht ausreichend prak- werden. tikabel erscheint. Wir müssen den Menschen die Angst nehmen, sie könnten aufgrund der geringen Reichweite Unsere Klimaziele sind klar formuliert: Bis 2020 wol- und unzureichenden Lade- und Tankinfrastruktur mit ih- len wir die Treibhausgasemissionen um 40 Prozent im rem Fahrzeug liegen bleiben. Dies sind Probleme, an de- Vergleich zum Referenzjahr 1990 reduzieren. Die ehr- nen wir in den nächsten Jahren verstärkt arbeiten müs- geizigen und notwendigen Ziele der Energiewende ge- sen. Ich freue mich deshalb besonders, dass wir im lingen uns jedoch nur – darauf hat Vizekanzler Sigmar Bundeshaushalt zusätzliche Haushaltsmittel aufgebracht Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7359

(A) haben, um beispielsweise das 50-Wasserstofftankstellen- bin davon überzeugt, dass wir noch nicht alle Möglich- (C) Programm der Nationalen Organisation für Brennstoff- keiten und Potenziale kennen, geschweige denn ausge- zellen- und Wasserstofftechnologie voranzubringen. schöpft haben, die uns eine neue technologische Kreativi- tät für die Energiewende im Verkehrssektor von morgen Wie bereits erwähnt ist für die Politik der Ausbau der bereithält. Tank- und Ladeinfrastruktur eine besondere Herausfor- derung. Aus Brüssel haben wir hier klare Hausaufgaben Nicht nur die Politik, sondern die ganze Gesellschaft, bekommen. Mit der Richtlinie „Clean Power for Trans- die Bürgerinnen und Bürger selbst, haben sich auf den port“ verpflichten sich die EU-Mitgliedstaaten zum Aus- Weg gemacht, die individuelle wie kollektive Fortbewe- bau von Tank- und Lademöglichkeiten. Vor dem Hinter- gung zu reorganisieren und damit unsere gemeinsame grund einer verantwortungsbewussten Haushaltspolitik Mobilität der Zukunft zu gestalten. Wir müssen gemein- dürfen wir jedoch nicht blind drauflosbauen, sondern sam an Lösungen arbeiten, um die Geschichte der Elek- müssen uns Gedanken über einen bedarfsgerechten und tromobilität als Erfolgsgeschichte und im wahrsten europäischen Standards entsprechenden Infrastruktur- Sinne des Wortes als Bestseller zu schreiben. ausbau machen. Dieser sollte sich daran orientieren, wel- che Technologie an welcher Stelle besonders gebraucht Die Regierungskoalition arbeitet tagtäglich an dieser wird und klug eingesetzt wäre. Die große Aufgabe be- verkehrspolitischen Erzählung für eine gute Zukunft un- steht darin, ein wettbewerbsfähiges, ressourceneffizien- seres Landes. tes und nachhaltiges Verkehrsnetz in Deutschland zu Ihnen allen wünsche ich ein frohes Weihnachtsfest etablieren. Um dies voranzutreiben, leisten in Sachen und einen guten Rutsch in das neue Jahr. Elektromobilität vor allem unsere Mitstreiter bei den kommunalen Unternehmen beispielsweise im Rahmen der Modellregionen eine großartige Arbeit, für die ich Thomas Lutze (DIE LINKE): Die Bundesregierung mich im Namen meiner Fraktion herzlich bedanken beabsichtigt, durch ein Elektromobilitätsgesetz verschie- möchte. dene Maßnahmen zur Förderung der Verbreitung von Elektroautos umzusetzen. Das klingt zunächst umwelt- So haben sich in vielen Städten die Stadtwerke schon freundlich und fortschrittlich – und ist es leider doch seit längerer Zeit auf den Weg gemacht, um die Etablie- nicht. rung und den Ausbau von Elektromobilität fachlich und praktisch vor Ort zu begleiten. So sind im ganzen Land Denn die Bundesregierung möchte Elektromobilität zahlreiche Best-Practice-Beispiele mit Strahlkraft ent- durch die exklusive Vergabe bestimmter Privilegien at- standen. Insbesondere werden Flottenprojekte vorange- traktiver machen. Wer sich ein Elektroauto leisten kann, trieben. soll keine Parkgebühren mehr zahlen müssen oder darf (B) die Busspur nutzen. Gerade in Ballungsräumen hätte (D) Um die Marktdurchdringung erfolgreich zu organisie- dies fatale Auswirkungen für die Verkehrsflüsse. ren, werden Fahrzeugflotten eine wichtige Rolle als Wegbereiter spielen. Ich denke da an Dienstwagen-, Car- Bereits jetzt dürfen in vielen Städten neben dem sharing- und Nutzfahrzeugflotten in Unternehmen und ÖPNV auch Radfahrer sowie Taxen die Busspuren be- Behörden. Deshalb freue ich mich besonders darüber, nutzen. Besonders im Berufsverkehr führt dies zu Fahrt- dass nun auch zügig ein Carsharing-Gesetz erarbeitet zeitverlängerungen für ÖPNV-Nutzer. Kämen jetzt auch wird. Auch in diesem Zusammenhang darf ich auf den noch Elektroautos dazu, würde das Prinzip einer Bus- NAPE verweisen, der vorsieht, über konkrete Beschaf- spur völlig ad absurdum geführt. Denn der Sinn einer fungsrichtlinien für Elektrofahrzeuge in Flotten des öf- solchen liegt darin, ein Verkehrsmittel zu bevorzugen, fentlichen Dienstes zu sprechen. Es wäre übrigens ein das auf möglichst kleiner Fläche möglichst viele Men- richtiges Signal, wenn wir als Bundespolitiker mit gutem schen transportiert. Das Elektroauto mag zwar umwelt- Beispiel vorangingen. freundlicher als ein Auto mit Verbrennungsmotor sein, mehr Menschen finden darin nicht Platz. Außerdem darf Doch denken wir in diesem Kontext nicht nur an Au- an dieser Stelle nicht das Elektroauto mit dem herkömm- tos. Elektromobilität umfasst mehr als nur das Automo- lichen Auto verglichen werden, sondern das Elektroauto bil. Insbesondere für die urbane Mobilität sind Elektro- mit dem ÖPNV. Und da ist der spezifische Energiever- fahrräder und Elektroroller eine richtig tolle Form, sich brauch pro Personenkilometer beim ÖPNV geringer als ressourceneffizient und nachhaltig in der Metropole zu beim Elektroauto. bewegen. Gerade bei jungen Menschen ist diese Form der Mobilität besonders angesagt. Eine Bevorzugung des Elektroautos leistet keinen Beitrag für ein zügiges und umweltfreundliches Voran- Ich glaube, dass wir für die Elektromobilität ein Nar- kommen in unseren Städten, sondern privilegiert ledig- rativ brauchen. lich eine bestimmte Gruppe der Nutzer des Individual- Warum das Elektromobil nicht als attraktiven Strom- verkehrs. Die bestehenden Verkehrsprobleme in den speicher nutzen, bei dem ich den Strom meiner Photo- Ballungsgebieten resultieren aus einem zu schlecht aus- voltaik- oder Windkraftanlage über ein mobiles smartes gebauten und zu schlecht finanzierten ÖPNV und nicht Grid tagsüber lade oder grünen Strom in Form von Was- daraus, ob ein Auto elektrisch oder mit Benzin betrieben serstoff tanke? wird. Lassen Sie uns doch über den Tellerrand hinausbli- Wenn die Bundesregierung aus berechtigten Gründen cken und sehen, welche Perspektiven sich eröffnen. Ich einen Förderbedarf für das Elektroauto sieht, muss sie 7360 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

(A) sich bessere Ideen dafür einfallen lassen. Eine Förderung rung ihr Minimalziel, mindestens zehn Prozent Elektro- (C) der Elektromobilität auf Kosten des ÖPNV ist mit der autos in den Ministerialflotten, selbst nicht erreicht. An- Linken nicht zu machen. kündigungen reichen nicht. Das vorgelegte Elektromobilitätsgesetz ist viel zu Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- kurz gesprungen. Viele der von mir beschriebenen Maß- NEN): Deutschland will Leitmarkt und Leitanbieter für nahmen sucht man vergebens im Gesetzentwurf. In Tei- Elektromobilität werden – davon sind wir allerdings len sind die Vorschläge sogar kontraproduktiv: Welches noch weit entfernt. Statt um die Tabellenführung spielen Bild entsteht in der Öffentlichkeit, wenn künftig Ober- wir gegen den Abstieg. Erst vor wenigen Wochen wurde klassewagen wie der Porsche S E-Hybrid innerstädtisch die Schließung der Li-Tec Batteriezellenfabrik in Ka- kostenlos parken und die Busspur befahren dürfen? menz bei Dresden bekannt. Bei der Batterietechnologie Diese Fahrzeuge können nur wenige Kilometer batterie- liegen wir weit hinter den asiatischen Herstellern zurück. elektrisch fahren und sind im „Normalbetrieb“ wenig Dabei hat die Batterie im Elektroauto einen Anteil von umweltfreundlich. etwa 40 Prozent an der Wertschöpfung. Die Entwicklung der nächsten Batteriegeneration darf deshalb nicht an Die Bundesregierung will die Busspuren freigeben, Deutschland vorbeilaufen. obwohl bisher keine deutsche Großstadt zu erkennen ge- geben hat, dass sie davon Gebrauch machen möchte. In Die Strategie der Bundesregierung zur Förderung der Oslo wurde die Freigabe der Busspuren für Elektroautos Elektromobilität greift insgesamt zu kurz. Soll sich die wieder zurückgenommen, weil sie den umweltfreundli- Elektromobilität durchsetzen und einen Beitrag zum Kli- chen Nahverkehr ausbremsen. In vielen Städten nutzen maschutz leisten, reicht es nicht, den Verbrennungsmo- Taxis und Fahrräder zusätzlich diese Sonderspuren. tor durch einen Elektromotor beim Auto zu ersetzen. Die Viele Ampelanlagen sind mit einer Vorrangschaltung für Elektromobilität bietet Chancen für eine zukunftsfähige den Nahverkehr ausgestattet. Viel sinnvoller wäre es da- Mobilität, aber nur wenn wir auch den Einsatz von Elek- her, die Umstellung der Busflotten, die noch zu 90 Pro- trobussen, Nutzfahrzeugen mit elektrischen Antrieben zent mit Diesel fahren, auf Elektrobusse finanziell zu sowie Elektrofahrrädern stärker unterstützen und der fördern. Das wäre ein Beitrag für Förderung der Elektro- Strom aus erneuerbaren Energien kommt. So würde die mobilität. Dieser Gesetzentwurf ist es jedenfalls nicht! Umstellung der Elektroloks im Bahnverkehr auf Öko- strom viermal so viel Kohlendioxid einsparen wie eine Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bun- Millionen Elektroautos. desminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Die Mit angezogener Handbremse werden wir den Rück- Entwicklung der Elektromobilität in Deutschland in den (B) stand zu anderen Ländern und Fahrzeugherstellern letzten Jahren ist sehr ermutigend. (D) nicht aufholen. Länder wie Norwegen oder die Nieder- Angesichts eines Bestandes von rund 24 000 – Juli lande, mit einem deutlich höheren Marktanteil von Elek- 2014 – rein elektrischen bzw. extern aufladbaren Pkw troautos, zeigen: Wir brauchen ein Marktanreizpro- sind gegenüber den Vorjahren deutliche Lichtblicke am gramm für den Kauf von Elektroautos. Eine Sonder-Afa Markt zu verzeichnen: Im Gesamtjahr 2012 wurden für gewerblich genutzte Fahrzeuge wäre ein erster richti- noch knapp 4 200 Fahrzeuge zugelassen. Im Jahr 2013 ger Schritt. Nur die Möglichkeit – wie im Elektromobili- waren es schon deutlich mehr: 7 700. tätsgesetz vorgesehen –, in Zukunft kostenlos parken zu dürfen, wird die Absatzzahlen von Elektroautos kaum Bis Ende Oktober 2014 sind rund 9 500 Fahrzeuge ankurbeln. neu zugelassen worden. Prozentual hat sich damit der Gesamtbestand an Elektrofahrzeugen alleine bis Oktober Wir brauchen einen beherzteren Vorstoß für mehr E-Mo- um 70 Prozent erhöht. Und die positive Entwicklung bilität: Der Markthochlauf für Elektroautos kann über setzt sich fort. Ganz aktuelle Zahlen vom VDA bis No- öffentliche und gewerbliche Fahrzeugflotten sowie elek- vember 2014: 11 543 Neuzulassungen in 2014. Wir hal- trisch betriebene Car-Sharing-Fahrzeuge gelingen. Elek- ten daher an unseren Zielen fest, bis 2020 1 Million troautos sind sehr gut für den Einsatz in Carsharing- Elektrofahrzeuge auf die Straßen zu bringen und Flotten geeignet. Um Carsharing zu fördern, wird seit Deutschland zum Leitmarkt und Leitanbieter für Elek- mindestens 2007 über eine bundeseinheitliche Regelung tromobilität zu machen. zur rechtssicheren Ausweisung von Carsharing-Park- plätzen im öffentlichen Straßenraum in Kommunen dis- Die deutschen Hersteller sind dabei führend. Deutsch- kutiert. Wo bleibt das von der Bundesregierung ange- land verfügt über eine große elektromobile Vielfalt. Wie kündigte Carsharing-Gesetz? Dieses wurde parallel zum der aktuelle Electric Vehicle Index, EVI, von McKinsey Elektromobilitätsgesetz angekündigt. Hier muss endlich zeigt, haben wir in den vergangenen vier Jahren beim was passieren. Angebot von Elektroautos den größten Fortschritt aufzu- weisen. Bis Ende dieses Jahres werden von deutschen Wir brauchen eine Beschaffungsoffensive für die öf- Herstellern 17 Serienmodelle auf dem Markt sein. 2015 fentlichen Fuhrparks. Die öffentliche Hand muss Vorrei- kommen 12 weitere hinzu. Das Ziel Leitanbieter ist da- ter bei der Elektromobilität sein. In Deutschland sind mit bereits heute erreicht. Jetzt geht es darum, Deutsch- drei Millionen Fahrzeuge in öffentlichen Flotten und land auch als Leitmarkt zu positionieren. Fuhrparks zugelassen – ein riesiges Potenzial für Elekt- romobilität, gerade auch im Bereich der Nutzfahrzeuge. Ausgehend vom Regierungsprogramm 2011 sind Es ist doch ein Armutszeugnis, dass die Bundesregie- schon viele Maßnahmen umgesetzt worden, die uns die- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7361

(A) sem Ziel näherbringen und das Fahren von Elektroautos die einen tatsächlichen Umweltvorteil aufweisen. Hyb- (C) attraktiver machen. Wir sind auf einem guten Weg und ridfahrzeuge dürfen daher nur dann Privilegien nutzen, engagieren uns auf verschiedenen Ebenen sehr erfolg- wenn ihr CO2-Ausstoß höchsten 50 Gramm pro Kilome- reich. ter beträgt oder wenn sie über eine rein elektrische Reichweite von 30 bzw. ab 2018 dann 40 km verfügen. EU: Mit der Richtlinie für den Aufbau von Infrastruk- tur für alternative Kraftstoffe – Englisch: Clean-Power- Das Gesetz schafft außerdem die Voraussetzung zur for-Transport – ist im November ein klarer rechtlicher Kennzeichnung von Elektrofahrzeugen. Es ist vorgese- Rahmen in Kraft getreten. Die Richtlinie legt unter ande- hen, dass die Kennzeichnung mittels eines „E-Kennzei- rem Mindeststandards für Ladestecker fest und chens“ an Vorder- und Heckseite erfolgt. Dadurch kön- verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Erarbeitung eines nen Behörden und Verkehrsteilnehmer auf den ersten Nationalen Rahmenplans für den Aufbau von Ladeinfra- Blick sehen, dass ein bestimmtes Fahrzeug Privilegie- struktur, Wasserstoff- und Gastankstellen. rung in Anspruch nehmen darf. Dies wird auch zu mehr Akzeptanz in der Bevölkerung führen. Deutschland: Um Elektromobilität in Deutschland voranzubringen, hat die Bundeskanzlerin im Mai 2010 Mit dem EmoG I schaffen wir die Möglichkeit, be- die Nationale Plattform Elektromobilität, NPE, ins Le- sondere Parkplätze zum Beispiel in verkehrsgünstigen ben gerufen. Ein solches Beratergremium, in dem alle Lagen – zum Beispiel Innenstädte, Einkaufsstraßen – wesentlichen Akteure aus Industrie, Wissenschaft, Poli- mit oder ohne Zugang zur Ladeinfrastruktur nur für tik, Gewerkschaften und Verbänden zum strategischen Elektrofahrzeuge zu reservieren. Darüber hinaus sollen Dialog zusammenkommen, ist einmalig. die Länder die Möglichkeit erhalten, Ermäßigungen oder Befreiungen von Parkgebühren für Elektrofahrzeuge Vor wenigen Tagen hat die NPE der Bundeskanzlerin vorzusehen. den zweiten Fortschrittsbericht übergeben. Darin wird hinsichtlich der dieses Jahr endenden Marktvorberei- Ferner können Zufahrtbeschränkungen, die aus Lärm- tungsphase Bilanz gezogen. Gleichzeitig werden Emp- schutzgründen sowie zum Zwecke der Luftreinhaltung fehlungen für die in 2015 beginnende Markthochlauf- angeordnet worden sind, für Elektrofahrzeuge aufgeho- phase ausgesprochen. ben werden. Ich denke hier etwa an Luftkurorte, Erho- lungsgebiete oder Wohngebiete. Mit dem im September vom Kabinett beschlossenen EmobG I schaffen wir nun für die weitere Entwicklung Ich sehe aber auch gute Perspektiven für Post und der Elektromobilität in Deutschland eine wichtige ge- Paketzusteller, also Kleintransporte. Im Rahmen der setzliche Grundlage. Modellregionen und Schaufenster hat das BMVI eine Reihe von Forschungsprojekten zum E-Wirtschafts- (B) (D) Wir wollen vor allem die Attraktivität für die Nutzer verkehr und zur City-Logistik umgesetzt. Ziel ist ein steigern, indem wir dieser Technologie Privilegien im größerer Einsatz von elektrischen Lieferfahrzeugen. alltäglichen Straßenverkehr einräumen. Wir schaffen Chancen und die notwendige Flexibilität. Vor allem bei geringeren Geschwindigkeiten kommt der wesentlich leisere Antrieb dort voll zur Geltung. Die Dabei profitieren wir maßgeblich auch von den Er- lokale Emissionsfreiheit kann besonders für die Anwoh- fahrungen, die wir in unseren Modellregionen und ner in hochverdichteten Innenstadtquartieren oder Erho- Schaufenstern gesammelt haben. Es hat sich gezeigt, lungsgebieten zu erheblichen Verbesserungen führen. dass Bundesländer und Kommunen großes Interesse an der Einräumung von Privilegien für Elektrofahrzeuge Wir verschaffen den Straßenverkehrsbehörden die haben. Sie haben uns wichtige Impulse geliefert. Mit Möglichkeit, in diesen Bereichen Ausnahmen für Elek- dem Gesetzentwurf geben wir den Städten und Gemein- trofahrzeuge zu treffen. den nun Möglichkeiten, Elektrofahrzeuge zu begünsti- Ein weiterer Punkt ist die Möglichkeit der Freigabe gen. Zugleich brauchen die Städte und Gemeinden Pla- von Busspuren für Elektrofahrzeuge. Mir ist wichtig, an nungs- und Rechtssicherheit, die sie mit diesem Gesetz dieser Stelle zu betonen, dass wir Chancen eröffnen. Die erhalten werden. Der aktuelle Gesetzentwurf beinhaltet konkrete Entscheidung einer Freigabe von Busspuren Ermächtigungsgrundlagen für die Möglichkeit der kann nur durch die zuständigen Behörden vor Ort erfol- Bevorrechtigung von elektrischen Fahrzeugen im Stra- gen. So ist sichergestellt, dass nur dort Busspuren geöff- ßenverkehr und schafft eine Rechtsgrundlage für deren net werden, wo dies im Einzelfall sinnvoll ist. Die Ge- besondere Kennzeichnung. währleistung eines sicheren und flüssigen allgemeinen Verkehrsablaufs hat stets Vorrang. Städte und Gemeinden können künftig entscheiden, wie sie Elektroautos ganz konkret begünstigen wollen. Mit unserer Gesetzgebung erweitern wir also den Wir eröffnen also zusätzliche Chancen – wir schaffen Handlungsrahmen. Ob und wie er ausgefüllt wird, keine Pflichten. Ob und wie von den Möglichkeiten welche Bevorrechtigungen wo eingeführt werden, ent- Gebrauch gemacht wird, wird vor Ort abgewogen. scheiden die zuständigen Behörden vor Ort. Das ist auch sinnvoll. Das Gesetz definiert, welche Fahrzeuge von den Bevorrechtigungen Gebrauch machen dürfen: Dies sind, Das heute vorliegende Gesetz ist ein weiterer wichti- neben reinen Batterie-Elektrofahrzeugen, auch Brenn- ger Schritt zur Förderung von Elektromobilität. Wir alle stoffzellenfahrzeuge. Es sollen aber auch die sogenann- räumen dieser Technologie hohe Priorität ein, denn ten Plug-in-Hybride privilegiert werden – und zwar jene, Elektromobilität ist auch ein entscheidender Innovati- 7362 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

(A) onstreiber. Jeder Schritt, der Elektromobilität für die geahndet, Folter ist an der Tagesordnung. Tausende Lo- (C) Nutzer attraktiver macht, ist ein Schritt in eine nachhalti- kalpolitiker haben sich aus Gier oder aus Angst um ihr gere automobile Zukunft. Leben mit Mördern und Entführern eingelassen. Das ganze politische System ist korrupt. Wir haben in Deutschland nahezu alle notwendigen Technologien entlang der gesamten Wertschöpfungs- Ich gehe davon aus, dass die Analyse der sicherheits- kette. Diese erheblichen Potenziale der deutschen Indus- politischen Lage in Mexiko unter uns nicht strittig ist. trie müssen jetzt in höhere Marktanteile umgesetzt Angesichts dieser Lage müssen wir uns als Deutscher werden. Preis und Reichweite, das heißt besonders die Bundestag aber die Frage stellen, welche Schlüsse wir Batterietechnik der Fahrzeuge, spielen dabei für den für die bilaterale Zusammenarbeit ziehen und welche Kunden eine maßgebliche Rolle. Daher müssen auch Forderungen wir an Mexikos Regierung stellen. Was die diese Parameter optimiert werden, um den Umstieg auf Tragödie von Iguala betrifft, so müssen wir eine umfas- Elektrofahrzeuge für Kunden noch attraktiver zu gestal- sende Untersuchung verlangen, die internationalen recht- ten. Mit dem Elektromobilitätsgesetz I ist ein wichtiger staatlichen Standards entspricht. Der Respekt vor den Schritt gelungen, dem weitere folgen werden. Opfern verbietet jegliche Art von politischem oder admi- nistrativem Versteckspiel. Dies muss der mexikanischen Seite unmissverständlich klar gemacht werden. Es reicht Anlage 11 nicht, dass der Bürgermeister von Iguala in Haft ist, der Gouverneur des Bundesstaates Guerrero zurückgetreten Zu Protokoll gegebene Reden ist und Experten der Universität Innsbruck auf Antrag zur Beratung der Anträge: der Staatsanwaltschaft Müllsäcke mit Asche und Kno- chenresten untersuchen, bei denen man vermutet, dass es – Iguala ist kein Einzelfall – Zur Menschen- sich um die 43 verschleppten Studenten handelt. Wir rechtslage in Mexiko verlangen eine umfassende Aufklärung dieses Verbre- – Menschenrechte in Mexiko schützen, Ver- chens und entsprechende Konsequenzen. handlungen zum Sicherheitsabkommen aus- Mexiko darf weder von Europa noch von Deutsch- setzen land alleine gelassen werden. Die Verhandlungen über – Sicherheitsabkommen brauchen Standards ein Sicherheitsabkommen müssen fortgesetzt werden. Eine Vereinbarung über den Erfahrungsaustausch beim (Tagesordnungspunkt 15) Rauschgifthandel und bei der Bekämpfung grenzüber- schreitender organisierter Kriminalität ist sinnvoll. (B) Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU): „Iguala ist kein Ein- Allerdings müssen wir Bedingungen stellen, die von (D) zelfall“. Diese Aussage ist leider ebenso traurig wie sie mexikanischer Seite erfüllt werden müssen. Dabei muss wahr ist. Die Sicherheitslage in Mexiko ist besorgniser- die Frage geklärt werden, welche Rolle Militär und Bun- regend, und das schon seit vielen Jahren. Der Wechsel despolizei im Fall von Iguala gespielt haben. Es muss im Präsidentenamt von Calderón zu Nieto hat keine zugesichert werden, dass Menschenrechtsverteidiger ge- grundlegenden Verbesserungen mit sich gebracht. Die schützt werden. Es muss gegenüber der mexikanischen Politik scheint machtlos im Kampf gegen die Drogen- Regierung deutlich gemacht werden, dass Korruption banden zu sein. Bewaffnete Auseinandersetzungen der und Straflosigkeit auf allen Ebenen bekämpft werden Kartelle um die Kontrolle der Drogenmärkte sind weiter- müssen. Aber es darf nicht bei bloßen Zusicherungen hin an der Tagesordnung. Die allermeisten Straftaten bleiben. Vielmehr müssen Erfolge nachgewiesen wer- werden nicht aufgeklärt, und die staatlichen Organe den, bevor das Sicherheitsabkommen unterschrieben – Militär, Polizei, Justiz und Verwaltung – scheinen auf wird. Und es müssen die Menschenrechtsorganisationen allen Ebenen tief in diese Gewaltspirale verstrickt zu in die Erarbeitung der Vereinbarung einbezogen werden. sein. Es wird gefoltert, es wird gemordet und die Täter Ihre Forderungen und Vorschläge müssen Berücksichti- werden nicht zur Rechenschaft gezogen. gung finden. Zwar gibt es immer wieder hoffnungsvolle Initiativen Wir möchten Mexiko helfen und es nicht sich alleine und Maßnahmen zur Festigung des Rechtsstaats und zur überlassen. Aus diesem Grunde können wir der Forde- Drogenbekämpfung, aber weder die enge Zusammenar- rung, kein Sicherheitsabkommen abzuschließen, nicht beit mit den USA in Form von gemeinsamen Wirt- zustimmen. schafts- und Sozialprogrammen noch die Einrichtung von Sonderstaatsanwaltschaften zur Verfolgung der Dro- genkriminalität oder gar der Einsatz des Militärs haben Frank Schwabe (SPD): Bereits vor ein paar Wochen die gewünschte Wirkung gezeigt. habe ich mich in meiner Funktion als menschenrechts- politischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und Mexiko hat wichtige internationale Instrumente zum weitere Abgeordnete mit Abel Barrera Hernández hier in Schutz der Menschenrechte zwar ratifiziert und in natio- Berlin getroffen. nales Recht umgesetzt, aber das Land scheint trotzdem immer mehr in einem Strudel von Gewalt, Straflosigkeit, Abel Barrera Hernández ist ein renommierter Men- Kriminalität und Brutalität zu versinken. 98 Prozent aller schenrechtsaktivist der Organisation Tlachinollan im Straftaten bleiben ungesühnt. Gerichtsverfahren laufen Bundesstaat Guerrero in Mexiko. Seit über 20 Jahren nicht objektiv und gerecht ab, Missbräuche werden nicht setzt er sich für die Rechte der extrem armen, marginali- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7363

(A) sierten, zumeist indigenen Bevölkerungsteile ein. Ei- weit weg von den Polizeikräften und staatlichen Ange- (C) gentlich Priester und Anthropologe, fungiert er als ihr stellten. Denn: Andere Zeugen schildern, dass die Poli- Anwalt – national sowie international. Seit Ende Sep- zeikräfte in die Ermordung verwickelt gewesen seien. tember ist er auch der Anwalt der Familien der 7 toten Der Fall der 42 vermissten Studenten in Iguala illus- und 42 verschwundenen Studenten aus Iguala. triert einmal mehr auf schockierende Weise die Unter- In der Nacht vom 26. auf den 27. September 2014 hatten wanderung von Teilen der staatlichen Institutionen durch ihre Söhne gemeinsam mit weiteren Studenten der Univer- die organisierte Kriminalität, die De-facto-Allianz mit sität „Raúl Isidrio Burgos“ in Ayotzinapa drei Busse geka- der Mafia auf allen Ebenen – lokal, föderal und leider pert, um in ihnen nach Mexiko-Stadt zu fahren. Dort zum Teil auch der bundesstaatlichen Ebene. wollten sie in Gedenken an das Massaker von Tlateloco Er reiht sich ein in eine Serie von Gewalttaten, maß- 1968 demonstrieren. geblich verübt durch Polizei- und Militärkräfte – gedeckt Wie wir alle wissen, sind diese drei Busse nie in der durch die Politik. Im Juni 2014 hatte die Polizei in der Hauptstadt angekommen. Sie wurden von der Polizei Ortschaft Tlatlaya im Bundestaat México 22 Jugendliche Iguala unter Beschuss genommen. Drei Studierende ka- erschossen. Laut den involvierten Polizeibeamten han- men bei dieser Schießerei direkt vor Ort ums Leben. Der delte es sich um Kriminelle – laut Augenzeugenberich- weitere Vorgang dieser Nacht ist nicht klar nachzuvoll- ten um extralegale Tötungen. Auch der Bürgermeister ziehen, da verschiedene Quellen unterschiedliche Anga- Igualas, José Luis Abarca, war den Behörden einschlä- ben machen. Vermutlich wurden die Studenten von der gig bekannt: Ihm wird vorgeworfen, im Jahr 2013 drei Polizei eingekesselt, abgeführt und an die kriminelle Oppositionelle gefoltert und getötet zu haben. Auch wuss- Bande „Guerreros Unidos“ – Vereinigte Kämpfer – die ten die Behörden, dass seine Frau mit den „Guerreros in Verbindung zum örtlichen Drogenkartell stehen, über- Unidos“ in Verbindung stand, dass in Iguala viele Men- geben und von diesen ermordet. All dies soll auf Geheiß schen hingerichtet wurden. Anzeichen dafür waren die des örtlichen Bürgermeisters José Luis Abarca und sei- vielen bekannten Massengräber in Iguala und Umge- ner Frau geschehen sein, durch politische Funktionäre bung. Ermittelt wurde gegen sie nie. Auch die Bundesre- also, die enge Verbindungen zur organisierten Kriminali- gierung hat sich in keinen dieser Fälle eingeschaltet. tät unterhalten haben sollen. Fakt ist: Seit dieser Nacht Der Fall Iguala ist auch symptomatisch für die gene- werden noch immer 42 Studenten vermisst. Nur das rell vernichtende Menschenrechtslage in Mexiko. Der Schicksal eines der Vermissten ist bereits bekannt: Er seit dem Jahr 2006 herrschende „Guerra contra el wurde ermordet und verbrannt auf der Müllkippe von Narco“, ausgerufen von Felipe Calderón, hat bislang Cocula aufgefunden. Weitere 28 Leichen aus geheimen zahlreiche zivile Opfer gefordert: Die offiziellen Anga- (B) Massengräbern konnten nicht als die vermissten Studen- ben liegen bei 70 000 Toten und 26 000 Verschwunde- (D) ten identifiziert werden. nen. Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher sein. Das un- Die Angehörigen Familien der Opfer leben derzeit in durchsichtige Geflecht aus korrupten Polizeibeamten, der Escuela Normal in Ayotzinapa, dort, wo ihre Söhne lokalen Politikern und der Mafia führt dazu, dass die Tä- lernten, betreut von Abel Barrera und seiner Organisa- ter zumeist nie gefunden, geschweige denn zur Rechen- tion Tlachinollan. Sie haben noch Hoffnung, sie drängen schaft gezogen werden. auf Aufklärung. Die mexikanische Menschenrechtskommission mel- Doch die Aufklärung verläuft schleppend und diffus. dete 2013 einen Anstieg der Anzeigen wegen Folter und Nach Angaben der mexikanischen Regierung wurden Misshandlungen um 600 Prozent seit dem Jahr 2003. zwar bislang 51 Menschen, die mit den Verbrechen in Mexiko ist Unterzeichnerstaat der internationalen UN- Verbindung stehen, festgenommen; die meisten davon Konvention gegen Folter und hat die Konvention bereits sind Polizeibeamte aus den Gemeinden Iguala und 1985 ratifiziert. Im eigenen Land scheint unter den Be- Colcula. Auch der Bürgermeister Igualas und seine Frau hörden allerdings eine Toleranz gegenüber Folter zu sind mittlerweile festgenommen worden – nachdem sie herrschen: Insgesamt wurden bislang nur sieben Perso- fünf Wochen lang auf der Flucht waren. Von den ver- nen in Mexiko wegen Folter von Bundesgerichten verur- missten Studenten fehlt jedoch auch fast zwei Monate teilt. nach dem Vorfall jede Spur. Auch im Bereich der Meinungs- und Versammlungs- Am 7. November 2014 präsentierte der Generalstaats- freiheit ist eine alarmierende Entwicklung zu beobachten. anwalt Jesús Murillo Karam darüber hinaus drei Gestän- Mehrere mexikanische Bundesstaaten haben in diesem dige: junge Mitglieder der „Guerreros Unidos“, die zu Jahr sogenannte Gesetze „zum Schutz der Menschen- Protokoll gaben, dass die Studenten von Kriminellen ge- rechte und der legitimen Nutzung staatlicher Gewalt tötet und verbrannt worden seien. Die Staatsanwaltschaft durch Einheiten der bundesstaatlichen Polizeieinheiten“ hat hierfür jedoch noch immer keine Beweise vorgelegt. erlassen. Sie regeln die Voraussetzungen für die gewalt- same Auflösung von Demonstrationen sowie den Ein- Überwiegende Teile der mexikanischen Bevölkerung satz von Schusswaffen. Da bereits die Äußerung von stellen sich daher die Frage: Warum sollten ausgerechnet Kampfparolen als Gewaltbereitschaft eingestuft werden diese Aussagen stimmen? Nach Ansicht von Abel kann, erleichtern sie de facto den Einsatz von Polizeige- Barrera wollen die Strafverfolger durch die Präsentation walt und schränken so die Versammlungs- und Mei- der Aussagen dreier krimineller Jugendlicher die Auf- nungsfreiheit der Mexikaner extrem ein. Dies wurde merksamkeit auf die organisierte Kriminalität lenken – auch bei den landesweiten Massenprotesten nach den 7364 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

(A) Vorfällen in Iguala deutlich. Die Demonstranten werden zeitig hohe Hürden bei der Bekämpfung der Gewalt und (C) kriminalisiert; laut Präsident Enrique Pena Nieto gefähr- Straflosigkeit, die der mexikanische Staat allein nicht be- den sie die Stabilität des Landes. Am 20. November wältigen können wird. wurden elf Demonstranten willkürlich festgenommen und in ein Hochsicherheitsgefängnis nach Veracruz im Die Bundesrepublik Deutschland sowie die EU sollten Westen des Landes gebracht. Ihnen wurden Mord und daher nicht nur mahnen, sondern, wo möglich, sinnvoll Aufruhr vorgeworfen. Sie hatten keinen Kontakt zu ih- bei dem Aufbau von starken Institutionen unterstützen. ren Familien, auch Anwälte wurden ihnen zunächst nicht Hier wäre zum Beispiel ein gut formuliertes Sicherheits- gewährt. Nach Angaben von Rechtsbeiständen wiesen abkommen, in dem es nicht nur um technischen Aus- die Demonstranten im Gefängnis Spuren von Misshand- tausch geht, eine Möglichkeit. lung auf. Auch sollten vielleicht die generellen Paradigmen der Dem Ausmaß an Menschenrechtsverletzungen und Drogenpolitik – auch der EU und der Bundesrepublik Gewalt steht das gleiche Ausmaß an Straflosigkeit ge- Deutschland – überdacht werden. Denn Mexiko, Kolum- genüber: Lediglich 2 Prozent aller Delikte werden letzt- bien und andere lateinamerikanische Staaten zeigen, endlich verurteilt. 90 Prozent der begangenen Verbre- dass die derzeitigen Prinzipien kaum erfolgreich sind. chen werden nicht juristisch verfolgt. Viele Urteile, die Vor allem aber kann jede Einzelne und jeder Einzelne ausgesprochen werden, sind Fehlurteile. von uns helfen. Auch wenn der Staatsanwalt Murillo Gemeinsam mit den Angehörigen der 42 Studenten, Karam sagt „Ya me cansé“ – Ich bin es leid –, die Men- mit Abel Barrera Hernández, mit den Tausenden De- schen sind es trotz der widrigen Bedingungen noch nicht. monstranten, die seit Wochen immer wieder auf die Nicht nur in den letzten Wochen gehen die Leute als Re- Straße gehen und Recht und Gerechtigkeit fordern, so- aktion auf die Vorfälle in Iguala auf die Straßen; seit Jah- wie gemeinsam mit der EU und der UN, fordere ich die ren kämpfen Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten grundlegende und transparente Aufklärung der Ent- wie Abel Barrera oder Anita Ancheita sowie zivilgesell- führung der 43 Studenten aus Iguala. Es fehlen noch im- schaftliche Kräfte gegen die Regierung und staatliche mer 42! Einrichtungen für die Rechte der mexikanischen Bevöl- kerung. Jeder von uns kann diesen Kampf unterstützen, Langfristig muss die mexikanische Regierung jedoch auch durch das Programm des Bundestages „Parlamen- nicht nur diesen Fall zu einem Abschluss bringen. Damit tarier schützen Parlamentarier“. Durch die Übernahme Fälle wie Iguala in Zukunft verhindert werden, muss sie einer Patenschaft kann jeder von uns helfen, Menschen- vor allem die Korruption, die enge Verquickung zwi- rechtsverteidigerinnen und -verteidiger vor Repressio- schen staatlichen Einrichtungen und kriminellen Struk- nen zu schützen und ihnen so den Rücken zu stärken. (B) turen sowie die weitverbreitete Straflosigkeit bekämp- (D) fen. Nur wenn dies gelingt, kann die Achtung und Zeigen wir uns nicht nur kritisch, sondern auch soli- Verteidigung der Menschenrechte aller Mexikaner ge- darisch mit der mexikanischen Bevölkerung und helfen, währleistet werden. den mexikanischen Staat von unten zu stärken. Solange dies noch nicht der Fall ist, sollte der Bun- destag darauf drängen, dass einige bilaterale Überein- Heike Hänsel (DIE LINKE): Mexiko befindet sich kommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und seit Bekanntwerden der 43 verschwundenen Studenten Mexiko sowie multilaterale zwischen der EU und Me- von Ayotzinapa im Ausnahmezustand. Diese Studenten xiko auf den Prüfstand gestellt werden. wurden von der Polizei des Bundesstaates Guerrero fest- genommen und nach eigenen Angaben einer kriminellen Darunter fällt beispielsweise das geplante deutsch- Bande übergeben, die diese getötet und verbrannt haben mexikanische Sicherheitsabkommen. In seiner jetzigen soll. Seitdem finden fast täglich Demonstrationen und inhaltlichen Form wird es unter den derzeitigen Bedin- Proteste statt, die sich gegen diese Gewalt des Staates gungen kaum der „Bekämpfung der organisierten Krimi- richten und eine umfassende Aufklärung fordern. Ich nalität, des Terrorismus und anderer Straftaten von er- selbst bin vor wenigen Wochen nach Ayotzinapa gefah- heblicher Bedeutung“ – wie es im Vertragstext heißt – in ren und habe mit den Angehörigen der verschwundenen Mexiko dienen. Studenten gesprochen, die verzweifelt sind und kein Diese Überlegung betrifft auch die Neuaushandlungen Vertrauen in die staatlichen Ermittlungen haben, die eher des Globalabkommens zwischen der EU und Mexiko. In vertuschen als ernsthafte Aufklärung betreiben. Sie for- dem neu aufgelegten Vertragswerk sollte der Menschen- dern internationale Hilfe bei der Aufklärung und Schutz, rechtsklausel und vor allem auch ihrer Nichteinhaltung denn sie fühlen sich selbst mittlerweile durch Aussagen deutlich mehr Bedeutung beigemessen werden. der Regierung kriminalisiert. So weit zu den Forderungen, die sich aus unserer Per- Die mexikanische Regierung und die Staatsanwalt- spektive leicht formulieren lassen. Wir dürfen allerdings schaft, mit der ich ebenfalls gesprochen habe, wollen nicht vergessen: Das Problem ist die Lösung des Pro- diesen Fall als lokales Problem korrupter Polizeieinhei- blems, wie die mexikanische Zeitung La Jornada es aus- ten darstellen. Dabei sagen alle Menschenrechtsorgani- drückt. Die schwachen Institutionen, die Gebiete und sationen in Mexiko, dass auch die Bundesebene verant- Bundesstaaten, wie beispielsweise Guerrero, in denen wortlich ist; so waren auch Bundespolizei und Armee der Staat de facto nicht mehr existiert, nicht durchgreifen vor Ort und haben nicht eingegriffen bzw. haben sogar kann, die die jetzige Situation begünstigen, sind gleich- ebenfalls die Studenten bedroht. Ayotzinapa ist nämlich Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7365

(A) nur die Spitze des Eisbergs brutaler Menschenrechtsver- Jahren durch genehmigte Rüstungsexporte der Firma (C) letzungen in Mexiko. Die offizielle Zahl gewaltsam Ver- Heckler & Koch Waffen auch in den Bundesstaat schwundener liegt bei 26 000 Menschen, und zwischen Guerrero gelangt. Bereits letztes Jahr wurden dort zwei 50 000 bis 70 000 Menschen wurden seit 2006 ermordet. Studenten von Ayptzinapa durch G36-Gewehre ermor- Die Straflosigkeit liegt bei 98 Prozent. Angesichts dieser det. Nun wurden erneut im Zusammenhang mit dem Zahlen kann man nicht davon sprechen, dass es ein Inte- Verschwindenlassen der 43 Studenten G36-Gewehre bei resse der bisherigen Regierungen gab, Aufklärung zu be- den örtlichen Sicherheitskräften beschlagnahmt, die in treiben, im Gegenteil, diese Gewalt dient auch dazu, das Verbrechen verwickelt sein sollen. Die Bundes- Ausbeutung, Vertreibung etc. in den ländlichen Regio- regierung trägt hier eine Mitverantwortung durch die nen zu zementieren. Denn in Mexiko ist seit Abschluss Genehmigungen an Heckler & Koch. zahlreicher neoliberaler Freihandelsabkommen, unter anderem von NAFTA, die Armutsquote von 45 auf Wir setzen uns ein für den umfassenden Schutz von 51 Prozent gestiegen, die allgemeine soziale Unsicher- Menschenrechtsverteidigerinnen und Menschenrechts- heit angestiegen, die auch zur Entwicklung dieser Ge- verteidigern, gegen die Kriminalisierung der Proteste waltstrukturen, Bandenbildung beigetragen hat. Die Ge- und Demonstrantinnen und Demonstranten und für eine walt in Mexiko richtet sich mittlerweile gezielt gegen umfassende Aufklärung dieser Verbrechen von Ayotzi- MenschenrechtsverteidigerInnen, kritische Journalistin- napa. Die Bundesregierung und die EU können nach nen und Journalisten, soziale Bewegungen etc. und er- Ayotzinapa nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. hält somit auch das neoliberale Regime aufrecht. Ange- Dafür werden wir uns weiterhin einsetzen. sichts der Tatsache dieser systematischen, jahrelangen Die mexikanische Bevölkerung braucht unsere Soli- Menschenrechtsverletzungen ist es eine Schande, dass darität in ihrem Kampf um soziale Rechte und Men- die Bundesregierung sich mit Kritik an der mexikani- schenrechte, Ayotzinapa somos todos – Ayotzinapa sind schen Regierung derart zurückhält. Mexiko ist strategi- wir alle! scher Partner, das heißt nichts anderes als: Es geht hier um deutsche Wirtschaftsinteressen statt Menschen- rechte. Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): War Deutschland und die deutsche Außenpolitik beteiligt, als Nun gibt es aktuell neue Informationen zu den Ge- die mexikanische Polizei am 26. September drei Busse schehnissen. Nach einem Bericht der mexikanischen mit Studentinnen und Studenten stoppte, 6 Menschen er- Zeitung Proceso waren die Bundespolizei und der mexi- schoss und 41 entführte? kanische Geheimdienst an jenem 26. September zu jeder Zeit informiert, was mit den Studenten passiert. Das sagt Die mexikanische Polizei sowohl in der Stadt Iguala (B) ein interner Bericht des Innenministeriums. Wenn sich dies als auch im Bundesstaat Guerrero setzt Gewehre der (D) bestätigt, dann ist das besonders brisant, denn die Bundes- Marke Heckler & Koch ein. Sie werden seit 2006 mit regierung plant ja ein Sicherheitsabkommen ausgerechnet Genehmigung der Bundesregierung nach Mexiko expor- mit dieser Bundespolizei. Alle Menschenrechtsorganisa- tiert. Allerdings dürfen diese Gewehre – das ist kein tionen fordern den Stopp der Verhandlungen über diese bi- Witz! – nicht in allen mexikanischen Bundesstaaten ein- laterale Sicherheitsabkommen zwischen deutscher und gesetzt werden. Bei 36 dieser Gewehre besteht trotzdem mexikanischer Polizei, denn zu diesem Zeitpunkt würde der Verdacht, dass sie von der örtlichen Polizei bei dem dies nur der Unterstützung und Legitimation der korrup- Überfall auf die Studentinnen eingesetzt wurden. Aber ten Polizei dienen. Dieser Forderung schließen wir uns das überprüft niemand. So funktioniert deutsche Rüs- an. Setzen Sie die Verhandlungen zu dem geplanten Si- tungskontrollpolitik. cherheitsabkommen aus. Zudem sind die Verhandlungen über dieses Abkommen völlig intransparent. Deshalb Wenn dann das mexikanische Fernsehen in Deutsch- fordern wir als ersten Schritt, den Text zu veröffentli- land nachfragt, kann das Bundeswirtschaftsministerium chen und die Parlamente beider Länder sowie Men- wegen eines laufenden Verfahrens nicht Stellung neh- schenrechtsorganisationen zu beteiligen. Dieses Abkom- men. Das ist deutsche Außenpolitik. Deutschland mischt men darf nicht durch den möglichen Austausch von überall irgendwie mit, wurschtelt überall herum – ohne Personendaten zu weiteren Menschenrechtsverletzungen Plan und ohne Konzept. beitragen. Dabei ist es genau das, was fehlt: ein Plan – und was Auch sehen wir das Bemühen des Wirtschaftsministe- noch dringender fehlt, ist die Bereitschaft, Verantwor- riums in Zusammenarbeit mit der deutsch-mexikani- tung zu übernehmen. schen Handelskammer CAMEXA, den wachsenden Markt für Sicherheitstechnologie in Mexiko zu erschlie- Seit nunmehr drei Jahren verhandelt Deutschland mit ßen, mit Befremden. Hier wird aus dem allgemeinen Un- Mexiko über eine weiter gehende Zusammenarbeit im sicherheitsgefühl der Bevölkerung im wahrsten Sinne Rahmen eines „Sicherheitsabkommens“. des Wortes Kapital geschlagen, statt ernsthafte Aufklä- rung einzufordern. Zivil-militärische Sicherheitstechno- Wenn man Frau Staatsministerin Böhmer folgt, hilft logie ist kein Ersatz für Rechtsstaatlichkeit und Kampf das, den Kampf gegen die organisierte Kriminalität er- gegen Straflosigkeit und Korruption, im Gegenteil. folgreicher zu führen. Der Massenmord an den opposi- tionellen Studentinnen und Studenten hat nach ihrer Und wir fordern einen Stopp sämtlicher Rüstungs- Meinung mit der mexikanischen Bundespolizei, mit der exporte nach Mexiko. Es waren bereits in den letzten Deutschland zusammenarbeiten will, nichts zu tun. 7366 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

(A) Allerdings behauptet ein Rechercheteam US-ameri- tauschen, von denen wir nicht wissen, auf welcher Seite (C) kanischer und mexikanischer Experten das Gegenteil. sie stehen? Nach deren Recherchen war die Bundespolizei vor Ort und war vielleicht sogar eine treibende Kraft hinter der Auch das Parlament erfährt erst auf wiederholte Aktion. Nachfrage, wenn überhaupt, was genau bei dem Sicher- heitsabkommen verhandelt wird. Die Bundesregierung Wir als Opposition werden dazu natürlich die Bun- hat inzwischen mit 24 Staaten, unter anderem China, desregierung befragen. Wenn wir Glück haben, werden Russland und Saudi-Arabien Sicherheitsabkommen ge- wir zur Antwort bekommen, was wir jetzt schon wissen: schlossen, mit zwölf weiteren Ländern, zum Beispiel Zum Beispiel hat die deutsche Polizei im Mai 2014 ei- Ägypten, Tunesien und , verhandelt sie momentan nen Lehrgang über „Techniken und Methoden im über ein solches Abkommen. Was im Rahmen der Polizeieinsatz“ für die mexikanische Bundespolizei Zusammenarbeit passiert, wird nicht überprüft, nicht PFM durchgeführt. Das ist eine Einheit, die 2001 ge- evaluiert. gründet wurde, um den Kampf gegen den Drogenhandel zu führen. Die Frage ist, was das für „Techniken und Deshalb haben wir Grünen beantragt, dass die Ver- Methoden“ sind und was daraus wird, wenn sie in handlungen über das Sicherheitsabkommen mit Mexiko Mexiko eingesetzt werden. Weiß die Bundesregierung, ausgesetzt werden und dass Sicherheitsabkommen gene- weiß irgendjemand in diesem Haus, was die Deutschen rell menschenrechtlichen Standards unterworfen sein wirklich tun, wenn sie in Mexiko herumstolpern? müssen. Manche Expertinnen und Experten vermuten, es gehe Ich fasse zusammen: Welche Strategie die deutsche darum, sogenannte deutsche Sicherheitstechnik zu ver- Außenpolitik in Mexiko und im Übrigen auch sonst wo kaufen. Hat Deutschland das wirklich nötig? verfolgt, ist auf peinliche Weise unklar. Was deutsche Polizistinnen und Polizisten dort tun und mit wem sie Im letzten Jahr bereits haben wir Grünen beantragt, zusammenarbeiten, weckt ungute Verdächte. die Verhandlungen über das Sicherheitsabkommen auf die Stärkung der Menschenrechte in Mexiko zu konzen- Die Alternative wäre, Mexiko bei der Wiederherstel- trieren. Die damalige CDU/CSU-und-FDP-Mehrheit lung des Rechtsstaates, das heißt bei der Bewältigung hatte den Antrag abgelehnt. der humanitären und Menschenrechtskatstrophe, zu hel- fen, die durch den sogenannten Drogenkrieg entstanden Dabei ist Mexiko ein Ort, an dem man den Zusam- ist. Deutschland soll mehr außenpolitische Verantwor- menhang von Menschenrechten und Sicherheit geradezu tung übernehmen, ja – das ist das Stichwort vom Anfang idealtypisch studieren kann. dieses Jahres. Damit kann man überall anfangen, auch in (B) Mexiko. (D) Der sogenannte „Krieg gegen Drogen“ hat seit 2006 auf Druck der USA die mexikanische Sicherheitspolitik Unter den Ländern, mit denen Deutschland bereits verändert. Die Radikalisierung der Prohibition hat – wie Sicherheitsabkommen geschlossen hat und derzeit ver- schon im Chicago der 20er-Jahre – dazu geführt, dass handelt, ist Mexiko nicht das einzige, in dem der Staat in die Drogenkartelle immer reicher geworden sind und die die systematische Verletzung von Menschenrechten ver- Polizei- und Militäreinheiten bis in die Führungsebenen wickelt ist. Trotzdem enthalten Sicherheitsabkommen unterwandert haben. Im Ergebnis wurden die rechtsstaat- bisher keinerlei Anforderungen oder Bedingungen im lichen Institutionen zerstört. Menschenrechte gelten fast Hinblick auf Menschenrechte oder rechtsstaatliche Prin- nichts mehr. Nach einem aktuellen Amnesty-Bericht zipien. Ich frage mich: Warum eigentlich nicht? Es ist wird systematisch gefoltert. Trotzdem – oder besser des- doch auch der Bundesregierung nicht unbekannt, wie es halb – wurde seit 2006 die unglaubliche Zahl von etwa um Menschenrechte und Rechtsstaat in einzelnen Län- 100 000 Menschen ermordet – und nur wenige tausend dern steht. dieser Morde wurden aufgeklärt. Die Bundesregierung selbst beschreibt es als eine ih- Jeder, der sich damit beschäftigt hat, weiß, dass der rer vordringlichen Aufgaben, Menschenrechte zu schüt- Krieg gegen Drogen gescheitert ist. Anstatt auf moder- zen und für ihre Achtung weltweit einzutreten. Im Rah- nere Formen eines medizinisch vernünftigen Umgangs men von Sicherheitsabkommen hätte sie doch eine mit der Drogenabhängigkeit zu setzen und die Drogen- konkrete Möglichkeit, diese Aufgabe umzusetzen. Sonst märkte weniger lukrativ zu machen, wird Drogenpolitik sind sogenannte Sicherheitsabkommen doch nicht mehr als Krieg inszeniert. Das Ergebnis ist, dass die rechts- als Türöffner für den Absatz deutscher Sicherheitstech- staatliche Grundlage in schwächeren Staaten zerstört nologie und Waffen. wird und die Kartelle Milliarden verdienen. Bei einer solchen Politik im fernen Mexiko mitzumischen, kann aus Sicht der deutschen Außenpolitik doch nicht ver- Dr. Maria Böhmer (Staatsministerin AA): Lassen Sie nünftig sein. mich persönlich beginnen: Seit meinem Besuch in Me- xiko Ende Oktober verfolge ich die Menschenrechtslage Die deutsche Sicherheitspolitik muss stattdessen die in dem Land mit besonderer Aufmerksamkeit. Das Ver- Menschenrechte ins Zentrum stellen. Nur ist davon nicht schwinden von 43 Studenten in der Stadt Iguala ist ein die Rede, eher vom Gegenteil. Hat die deutsche Polizei Skandal für den mexikanischen Staat und die mexikani- wirklich die Absicht, die Daten deutscher oder mexika- sche Gesellschaft. In den Fall sind Polizei, Politiker und nischer Bürgerinnen und Bürger mit Institutionen auszu- Drogenkartelle verwickelt. Teile der staatlichen Ordnung Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7367

(A) sind von Korruption und kriminellen Interessen unter- Aufgrund der jüngsten Ereignisse wurden jedoch Be- (C) wandert. Die Grundfesten des Staates sind erschüttert. denken gegen ein solches Abkommen laut. Diese Beden- ken nehmen wir sehr ernst. Die Bundesregierung wird Iguala ist eine Tragödie für die Familien der Vermiss- die Verhandlungen verantwortungsvoll führen, um ein ten. Sie haben immer noch keinen Platz, an dem sie trau- zufriedenstellendes Ergebnis zu erreichen. ern können. Die Untersuchungen dauern noch an. In ei- nem Fall haben wir aber die traurige Gewissheit, dass Darüber hinaus gilt es, gezielt zu helfen. Die Bundes- ein Student verbrannt worden ist. Die zügige Aufklärung regierung ist bereit, Mexiko bei der notwendigen Stär- dieser abscheulichen Taten muss oberste Priorität haben. kung des Rechtsstaates auch ganz konkret zu unterstüt- zen. Wir haben daher der mexikanischen Regierung Ich habe mit zahlreichen Menschenrechtsaktivisten Unterstützung bei der Aufklärung von Gewaltverbre- und einem Kommilitonen der verschwundenen Studenten chen angeboten. In einem ersten Schritt soll es um tech- gesprochen – die Eindrücke haben mich außerordentlich nische Zusammenarbeit im Bereich der Forensik und bewegt. Iguala ist leider kein Einzelfall. Die Menschen- DNA-Analyse gehen. Mexiko hat bereits seine Bereit- rechtsaktivisten sprachen von der Spitze des Eisbergs. Ich schaft zu dieser Kooperation signalisiert. habe in den zahlreichen Kommentaren, die ich in den vergangenen Wochen zur Lage in Mexiko vernommen Lassen sich mich zusammenfassen: Die Bundesregie- habe, Enttäuschung gespürt und Fassungslosigkeit. rung wird die Verhandlungen zum Sicherheitsabkommen im Lichte der Probleme führen, für die Iguala steht. Ein Welche Schlüsse ziehen wir daraus? Wie können wir Aussetzen der Verhandlungen würde den Menschen in zur Verbesserung der Lage beitragen? Mexiko in keiner Weise helfen. Die Bundesregierung Es gilt, die reformwilligen Kräfte zu unterstützen! wird den Dialog mit Mexiko konstruktiv fortsetzen, um Wir müssen fordern und helfen! einen Beitrag zur Entwicklung des Rechtsstaates zu leis- ten. Iguala hat erneut gezeigt, dass eine Reform des Rechtsstaates überfällig ist. Ich habe gegenüber dem me- Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit wiederholen: xikanischen Staatssekretär für Menschenrechte bei mei- Ein funktionierender Rechtsstaat ist nicht nur die Vo- nem Besuch in Mexiko und auch kürzlich bei seinem raussetzung für die Einhaltung menschenrechtlicher Besuch in Berlin deutlich gemacht, dass wir in diesem Standards. Er ist auch die Basis für die wirtschaftliche, Bereich entschiedenes Vorgehen, vor allem aber wirkli- zivilgesellschaftliche und soziale Entwicklung eines che Fortschritte erwarten. Landes. Die Probleme des mexikanischen Rechtsstaates sind (B) nicht neu. Wenn nur zwei Prozent aller Delikte zu einer Anlage 12 (D) Verurteilung führen und 90 Prozent der Verbrechen erst gar nicht verfolgt werden, besteht großer Handlungsbe- Zu Protokoll gegebene Reden darf. Von der Verknüpfung von Kartellen und lokalen zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Polizeikräften sind mehrere Provinzen betroffen. Teilumsetzung der Energieeffizienzrichtlinie Jetzt kommt es darauf an, dass die Maßnahmen zur und zur Verschiebung des Außerkrafttretens Reform des Sicherheitsapparats, die Präsident Pena des § 47g Absatz 2 des Gesetzes gegen Wettbe- Nieto in Aussicht gestellt hat, schnellstmöglich be- werbsbeschränkungen (Tagesordnungspunkt 16) schlossen und wirksam umgesetzt werden. Daran wird sich die Regierung messen lassen müssen. Ich fordere Dr. Herlind Gundelach (CDU/CSU): In den letzten den Präsidenten, die Regierung und das Parlament auf, Wochen und Monaten hat sich einiges getan in Sachen umgehend die notwendigen Schritte einzuleiten. Energieeffizienz. Und das, obwohl Deutschland schon Es ist wichtig und unverzichtbar, dass in Mexiko eine immer eine Vorreiterrolle innehatte und vor allem auf schonungslose Analyse durch die Medien stattfindet, europäischer Ebene in den letzten Jahrzehnten wichtige dass Iguala eine noch nie dagewesene öffentliche Empö- Maßstäbe gesetzt hat. Nach Einschätzung der Internatio- rung und Mobilisierung der Zivilgesellschaft ausgelöst nalen Energieagentur gehört Deutschland im Gebäude- hat, und dass sich die mexikanische Regierung dieser bereich sogar zur globalen Spitzengruppe. Kritik jetzt stellt. Es wird ein langer, schwieriger Weg Das belegen auch die Zahlen: Das CO2-Gebäude- sein. Und es wird Rückschläge geben. sanierungsprogramm hat seit 2006 Investitionen von gut Mexiko ist ein Land, das in den vergangenen Jahr- 160 Milliarden Euro angestoßen. Mit den Fördermitteln zehnten im wirtschaftlichen Bereich die Fähigkeit zu wurden mehr als 3,5 Millionen Wohnungen saniert oder Veränderungen bewiesen hat. energieeffizient errichtet. Und betrachtet man beispiels- weise die Reduzierung des Raumwärmeverbrauchs in Die Bundesregierung verhandelt seit einiger Zeit ein Gebäuden – insbesondere bei den privaten Haushalten – Sicherheitsabkommen mit Mexiko. Es geht um Zusam- zeigt sich hier eine wirklich beeindruckende Verbesse- menarbeit bei der Bekämpfung, Verhütung und Aufklä- rung: Der temperaturbereinigte Wert von 2012 liegt mit rung schwerer Straftaten der organisierten Kriminalität. 147 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr knapp Das Abkommen soll den Rechtsstaat stärken und somit 30 Prozent niedriger als noch Ende der 1990er-Jahre; da- auch die Menschenrechtslage in Mexiko verbessern hel- mals waren es 205 Kilowattstunden pro Quadratmeter fen. und Jahr. 7368 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

(A) Dabei beträgt der Förderhebel öffentlicher Mittel zu ßen wie: Energieeffizienz geht doch ganz einfach. – Mir (C) privaten Investitionen 1:12 – das heißt 1 Euro Förderung passiert das auch. Und zum Teil mag das auch wahr sein. löst 12 Euro Investitionen in die Steigerung der Energie- Aber es ist leider nicht immer so einfach. Die Beratung effizienz aus. Von diesen Bauaufträgen profitierten vor des heute zur Debatte stehenden Energiedienstleistungs- allem kleine und mittelständische Handwerksbetriebe gesetzes zeigt das einmal mehr. aus der Region. Allein im Jahr 2013 wurden rund 440 000 Arbeitsplätze für ein Jahr gesichert oder ge- Energiepolitik steht immer wieder vor dem Problem, schaffen. dass es zum Teil ernstzunehmende Zielkonflikte gibt. Wir haben dies mehrfach bereits beim Erneuerbare-Ener- Die Sanierung unseres Gebäudebestandes hat über- gien-Gesetz erlebt, wo es beispielsweise für energie- dies äußerst positive Auswirkungen auf unser Klima: intensive Unternehmen aus finanzieller Sicht sinnvoller Der jährliche Ausstoß des Treibhausgases CO2 verrin- sein kann, noch ein wenig mehr Energie zu verbrauchen, gerte sich infolge der geförderten Baumaßnahmen um um in Bezug auf die EEG-Umlage anders klassifiziert zu über 7 Millionen Tonnen und das andauernd während werden. der durchschnittlich 30-jährigen Nutzungszeit der Maß- nahmen. Und so existieren auch beim Thema Energieeffizienz in großen Unternehmen durchaus Zielkonflikte – auch Trotz dieser Erfolge war für die schwarz-rote Koali- wenn grundsätzlich davon ausgegangen werden kann, tion von Anfang an klar: Wir müssen noch viel mehr tun. dass Unternehmen energieeffizient arbeiten. Schon aus Dabei spielt weiterhin der Gebäudebereich eine wichtige Eigeninteresse! Aber dadurch können neue Richtlinien Rolle, aber auch andere Bereiche müssen noch stärker in in der Summe eher kontraproduktiv wirken. den Blick genommen werden. Mit dem Kabinettsbeschluss des NAPE, dem Natio- Und genau darauf muss geachtet werden bei dem vor- nalen Energieeffizienz-Aktionsplan, und der Umsetzung liegenden Gesetzentwurf. Grundsätzlich begrüße ich die der Europäischen Energieeffizienz-Richtlinie erreichen Einführung von Energieaudits für große Unternehmen, wir genau das. Diese beiden Vorhaben sind zentral für da wir dadurch neue Erkenntnisse über Verbesserungs- unsere Strategie, die Energieeffizienz als zweite Säule der möglichkeiten und Optimierungen gewinnen können. Energiewende zu etablieren. Wir schaffen damit neue Und ich weiß aus meinem Hamburger Wahlkreis, dass Maßstäbe und heben das Thema Energieeffizienz auf Unternehmen immer wieder interessante neue Ideen für eine völlig neue Ebene. Energieeffizienz entwickeln, auch wenn sie im europäi- schen Maßstab schon an der Spitze stehen. So sieht der NAPE als Sofortmaßnahmen unter ande- (B) rem die Einführung der steuerlichen Förderung für ener- In Hamburg gibt es mehrere große metallverarbei- (D) getische Gebäudesanierungen, die Verstetigung und Auf- tende Betriebe, die äußerst energieintensiv sind, die aber stockung der Gebäudesanierungsprogramme auf künftig in den letzten Jahrzehnten ihre Methoden derart weiter- 2 Milliarden Euro jährlich, die Optimierung der beste- entwickelt haben, dass die Erkenntnisse im Bereich der henden Energieberatung, aber auch die Einführung eines Energieeffizienz der ganzen Industrie helfen können. neuen Ausschreibungsmodells für Energieeffizienz vor. Dieser marktwirtschaftliche Ansatz ermöglicht uns den Beim Energiedienstleistungsgesetz muss nun darauf Zugang zu neuen Anwendungsbereichen und birgt gro- geachtet werden, dass die Europäische Richtlinie 1:1 ßes Potenzial. umgesetzt wird. Denn ein Energieaudit zeigt mögliche Potenziale auf. Das bedeutet aber eben nicht, dass es sich Überdies werden wir die Bedingungen für Contrac- direkt auf die Steigerung der Energieeffizienz auswirkt. ting-Verträge verbessern, was insbesondere auch für Das heißt: Die Ausgestaltung des Energiedienstleis- Nichtwohngebäude noch ungehobene Möglichkeiten er- tungsgesetzes sollte nicht zur Folge haben, dass die Au- schließt. ditierung Investitionskapital in merklicher Weise mini- Für Unternehmen haben wir bereits eine Energieeffi- miert. zienznetzwerke-Initiative gestartet. Der Netzwerkgedanke Die Energieaudits sollten sorgfältig und vollumfäng- ermöglicht den teilnehmenden Unternehmen, Energie- lich durchgeführt werden. Wenn es aber die Möglichkeit themen gemeinsam anzupacken, Erfahrungen auszutau- zur Standardisierung gibt – beispielsweise bei großen schen und so zu effektiveren Ergebnissen zu kommen. Unternehmen mit vielen Filialstandorten, die in der Re- Außerdem – und damit kommen wir zum Gesetzent- gel standardisiert sind –, sollte die Möglichkeit genutzt wurf, den wir heute beraten, dem Energiedienstleis- werden, Clusterlösungen anzuwenden. Wir sollten also tungsgesetz – werden künftig große Unternehmen, die repräsentative Audits durchführen. Diese Möglichkeit nicht KMU sind, dazu verpflichtet, bis zum 5. Dezember sieht die Europäische Energierichtlinie auch ausdrück- 2015 ein Energieaudit durchzuführen. Diese Audits wer- lich vor. Und nach meiner Kenntnis ermöglicht auch der den zukünftig alle vier Jahre durchgeführt werden. Wir vorliegende Gesetzentwurf dies. setzen damit auch den Artikel 8 der Europäischen Ener- gieeffizienz-Richtlinie in nationales Recht um. Da aber über diesen Punkt im Vorfeld der ersten Le- sung viel diskutiert wurde, möchte ich an dieser Stelle Mir fällt bei der aktuellen Diskussion auf, dass viele noch mal hervorheben, dass diese Möglichkeit von be- sagen: Energieeffizienz ist wichtig; Energieeffizienz ist sonderer Bedeutung ist und wir diese ausdrücklich unter- sinnvoll. Viele lassen sich aber auch zu Aussagen hinrei- stützen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7369

(A) Grundsätzlich gilt bei der Umsetzung des Artikels 8 sparen. Die Unternehmen fördern damit zugleich auch (C) der Energieeffizienz-Richtlinie, dass wir darauf achten ihre Wettbewerbsfähigkeit und machen sich somit zu- sollten, flexible Lösungen zu schaffen. Dadurch schaffen kunftsfest. wir für die Unternehmen die Möglichkeit, effektiv zu ar- beiten und am Ende in der Summe energieeffizienter zu In den anstehenden parlamentarischen Beratungen sein. werden wir uns eingehend diesem Gesetzentwurf wid- men und ausloten, an welchen Stellen wir noch weitere So muss beispielsweise gewährleistet sein, dass quali- Verbesserungen in der Sache und somit zur Steigerung fizierte Auditoren auch aus dem eigenen Unternehmen der Energieeffizienz vornehmen können. Dabei werden kommen können. Viele große Unternehmen haben bereits wir uns auch die Empfehlungen und Vorschläge des Um- intensiv geschultes Personal. Denn wie ich eingangs er- weltausschusses des Bundesrates anschauen und prüfen – wähnte, haben Unternehmen immer schon ein Interesse unabhängig davon, ob am morgigen Freitag das Plenum daran gehabt, möglichst effizient zu arbeiten. des Bundesrates diese annimmt oder nicht. Im Rahmen Ferner dürfen die neuen Energieaudits nicht beste- einer öffentlichen Anhörung von Sachverständigen aus hende Energiemanagementsysteme konterkarieren, denn Wissenschaft und Praxis wird sich der Ausschuss für sie ermöglichen schon heute Energieeffizienzeinsparun- Wirtschaft und Energie Ende Januar nächsten Jahres gen in großem Maße. Diese Potenziale dürfen wir nicht weitere Expertise zu möglichen Änderungsbedarfen ein- behindern. holen. Das weitere Verfahren wird aber mit Blick auf die Umsetzungsfrist für die Unternehmen zum 5. Dezember Energieeffizienz ist nicht immer einfach, sondern 2015 eine anspruchsvolle Aufgabe sein. So sollten wir zum Teil höchst komplex. Ich bin mir jedoch sicher, dass Parlamentarier uns bemühen, den betroffenen Unterneh- wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf einen weiteren men so frühzeitig wie möglich Klarheit darüber zu ver- Schritt vorankommen und dass wir die von mir aufge- schaffen, welche Anforderungen sie zukünftig zu erfül- worfenen Fragen im weiteren Verfahren klären werden. len haben. Abschließend sei noch kurz erwähnt, dass dieser erste Dr. Nina Scheer (SPD): Mit diesem Gesetzentwurf gesetzliche Umsetzungsschritt eigentlich ein Paket aus beginnt der erste gesetzliche Schritt zur Umsetzung der der oben beschriebenen Änderung des Energiedienstleis- EU-Energieeffizienz-Richtlinie, EED. Die Energieeffi- tungsgesetzes, EDL-G, und einer neuen Verordnung zur zienz kann – neben dem Ausbau der Erneuerbaren Ener- Umsetzung von Artikel 14 der EU-Energieeffizienz- gien in allen drei Sektoren, Strom, Wärme, Mobilität – Richtlinie, EED, ist. Mit diesem Verordnungsentwurf zur zweiten Säule der Energiewende werden. In den frü- wird ein verpflichtender Vergleich zu Kosten und Nut- heren Wahlperioden – egal, welche Parteienkonstellatio- (B) zen der Kraft-Wärme-Kopplung, KWK, beim Neubau (D) nen die jeweiligen Koalitionsregierungen gebildet und der Modernisierung von Stromerzeugungs- und In- hatten, gab es zwar starke Bekenntnisse zur Energieeffi- dustrieanlagen eingeführt. Dies soll dazu dienen, die zienz. Doch leider blieb man bei den Maßnahmen zur Potenziale der Kraft-Wärme-Kopplung in Deutschland Umsetzung hinter den eigenen Zielvorgaben zurück. besser und leichter zu identifizieren und dann auch er- Aufgabe dieser Großen Koalition wird es in dieser Le- schließen zu können. Auch wenn der Bundestag formal gislaturperiode sein müssen, die Umsetzung engagiert nicht mit diesem Verordnungsentwurf befasst ist, sollte anzugehen und effektive sowie volkswirtschaftlich effi- es an dieser Stelle zusätzlich erwähnt sein. Gleichzeitig ziente Instrumente und Maßnahmen zu implementieren. möchte ich dies mit der Bitte an den Bundesrat verbin- Mit der Vorlage des Nationalen Aktionsplans Energie- den, sich zeitnah mit diesem Entwurf zu beschäftigen; effizienz durch den Kabinettsbeschluss am 3. Dezember leider wurde er in den Ausschusssitzungen des Bundes- wurde der kommende Handlungsrahmen abgesteckt. In rates Anfang Dezember vertagt. Zur zügigen Umsetzung den kommenden Monaten und Jahren wird es darum ge- der EU-Energieeffizienz-Richtlinie wäre eine Beratung hen, die Ziele und Maßnahmen mit Leben, aber auch mit in den Bundesratsausschüssen im Januar hilfreich. finanziellen Mitteln zu füllen bzw. umzusetzen.

Der vorliegende Gesetzentwurf ist – wie gesagt – ein Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Die heute zur erster, wichtiger Schritt, um zum einen die EU-Energie- Debatte stehende Teilumsetzung der Energieeffizienz- effizienz-Richtlinie umzusetzen und zum anderen die Richtlinie dient zur 1:1-Umsetzung von Vorgaben aus deutschen Energieeinsparziele zu erreichen. Mit dem Ge- der EU, die Energieaudits für größere Unternehmen vor- setzentwurf werden Großunternehmen, also Unternehmen schreibt. Die Unternehmen werden dazu verpflichtet, mit mindestens 250 Mitarbeitern, einem Jahresumsatz von ihre Energiesituation durch Fachleute erheben zu lassen. mehr als 50 Millionen Euro oder einer Jahresbilanz- Dadurch werden noch keine Einsparungen oder Effi- summe von mehr als 43 Millionen Euro, verpflichtet, ein zienzmaßnahmen getätigt. Trotzdem geht die EU von unabhängiges Energieaudit durchzuführen. Das Energie- Einsparungen in Höhe von 20 Prozent aus, „wovon die audit soll hierbei zum ersten Mal zum 5. Dezember 2015 Hälfte ohne oder mit nur geringen zusätzlichen Investi- erfolgen und danach alle vier Jahre wiederholt werden. tionen erzielt werden kann“. Die Bundesregierung ist da Energieaudits führen dazu, dass Unternehmen ihre eige- für Deutschland weniger optimistisch und geht von ge- nen Energieeinsparpotenziale besserer kennen und somit ringeren Einsparungen aus. in gezielte Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffi- zienz investieren können. Dadurch tragen sie nicht nur Interessant ist weniger das Gesetz selbst als sein Zu- dazu bei, effizienter zu wirtschaften und Energie einzu- sammenhang. Die darin enthaltenen Vorschriften des 7370 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

(A) Gesetzgebers gegenüber Unternehmen sind sicherlich der auch schon alles. Zu mehr als einer sogenannten 1:1- (C) richtige Maßnahmen, die EU-Recht in nationales Recht Umsetzung der Richtlinie kann sie sich nicht durchrin- umsetzen – allerdings ohne ehrgeiziger als das EU-Recht gen. zu sein. Die Bundesregierung scheut das Ordnungsrecht wie der Teufel das Weihwasser und lässt sich nur dort Die Bundesregierung hat ausgerechnet, dass Deutsch- darauf ein, wo sie nicht anders kann, ohne ein Vertrags- land seine europäischen Energie-Einsparziele von 1,5 Pro- verletzungsverfahren zu riskieren. Gelobt werden kann zent jährlich bis zum Jahr 2020 nach Artikel 7 der EU- sie dafür nicht. Eine herausragende Stellung in der EU Energieeffizienz-Richtlinie erreichen wird. Ich habe ja erhält sie dadurch sicherlich auch nicht, ganz zu schwei- an diesen Berechnungen noch so meine Zweifel, aber gen von einer Vorbildfunktion. mal unabhängig davon: Ihr eigenes nationales Ziel aus dem Energiekonzept von 2010, nämlich bis zum Jahr Die Bundesregierung muss eben – was ihre Politik 2020 ganze 20 Prozent Primärenergie einzusparen, die- gegenüber größeren Unternehmen angeht – zum Jagen ses Ziel wird die Bundesregierung ziemlich sicher ver- getragen werden. Hier wird sie mal wieder von der EU fehlen, selbst wenn der vor zwei Wochen beschlossene zum Jagen getragen. Kein besonderer Vorgang eigent- Nationale Aktionsplan Energieeffizienz tatsächlich kom- lich. Aber er wirft – sieht man sich daraufhin den Natio- plett umgesetzt werden sollte. nalen Aktionsplan Energieeffizienz noch einmal an – Das sagen ja selbst die Experten, die im Auftrag der auch ein Licht auf die in großer Mehrheit freiwilligen Bundesregierung eine Stellungnahme zum Fortschritts- Maßnahmen dieses mit großem Brimborium verabschie- bericht Energiewende erstellt haben, dass Ihre Politik deten Programms. hier viel zu inkonsequent ist. Die Verpflichtung größerer Unternehmen zu Energie- Da hätte die Bundesregierung nun bei der Umsetzung audits wird diesen keinen großen Schrecken einjagen, von Artikel 8 der Richtlinie doch die Gelegenheit nutzen denn zeitgleich hat sich die Bundesregierung natürlich können, dieses Gesetz zu Energieaudits ambitionierter bereit erklärt, die Unternehmen nach Kräften zu unter- auszugestalten. stützen. Wir leben in Zeiten von in Watte gepackten Großunternehmen: Wenn die Bundesregierung gezwun- Ich bin doch sehr verwundert, dass Sie glauben, allein gen wird, den Unternehmen Maßnahmen zur Informa- bei einer unmotivierten 1:1-Umsetzung dieser Energie- tion ihres Unternehmens über eigene Effizienzmöglich- audits 50 Petajoule Energieeinsparung erreichen zu kön- keiten vorzuschreiben – wir sprechen hier wie gesagt nen – mehr als so manch andere Maßnahme, die Sie im nicht von Vorschriften zur Einsparung von Energie –, Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz ankündigen. dann leistet sie dem Folge. Stichproben sollen dann da- Der vorliegende Entwurf verpflichtet Unternehmen, rüber wachen, ob diese Audits durchgeführt worden (B) die nicht aus dem kleinen und mittelständischen Bereich (D) sind, nicht jedoch, ob Effizienzmaßnahmen durchgeführt kommen, alle vier Jahre ein Energieaudit zu machen. So wurden. weit, so gut. Das bedeutet aber auch, dass die Unterneh- Diese windelweiche Umsetzung von Effizienzwil- men diesen Audit-Bericht vier Jahre – womöglich unge- lensbekundungen der Bundesregierung ist angesichts der lesen – in der Schublade liegen lassen können, ohne dass Dramatik des Klimawandels und auch angesichts der irgendetwas passiert. So würden vorhandene Energie- Dramatik der deutschen Klimaschutzlücke nicht ausrei- effizienzpotentiale zwar ermittelt, die Maßnahmen aber chend. Wir sehen dies als symptomatisch für die grund- nicht umgesetzt und somit nicht investiert werden. legende Verweigerung von ordnungsrechtlichen Vorga- Und dann heißt es wieder – leider – wie so oft beim ben der Bundesregierung. Dies ist ein großer Fehler. Thema Energieeffizienz: Schön, dass wir drüber geredet Im Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz steht auf haben, aber schade, dass trotzdem nix passiert ist. Seite 3 der Satz: „Energieeffizienz kann nicht verordnet Es kann aber doch nicht sein, dass die Ergebnisse ei- werden.“ Warum eigentlich nicht, frage ich Sie? Andere nes verpflichtenden Energieaudits womöglich nicht um- Länder machen es doch auch! Selbstverständlich muss gesetzt werden, auch wenn diese wirtschaftlich sind. die Verordnung von Effizienzzielen im nichtunterneh- merischen Bereich auch mit einer Abfederung für die so- Viele der identifizierten Effizienzmaßnahmen solch zial Schwächeren einhergehen. eines Energieaudits amortisieren sich in einem kurzen Zeitraum. Es sollte im Interesse der Unternehmen sein, Ich würde mir wünschen, dass es auch zu echten fest- diese Investitionen dann auch zu tätigen. Die Erfahrung geschriebenen Einsparungszielen im Unternehmensbe- lehrt: Leider geschieht dies oft nicht. reich käme. Doch solange nur Freiwilligkeit und Life- style propagiert werden, nimmt die Bundesregierung die Daher sind wir der Ansicht, dass ein alleiniges Ener- Bedrohung durch den Klimawandel nicht ernst genug. gieaudit nicht ausreichend ist. Wir können doch von den Unternehmen erwarten, wirtschaftliche Maßnahmen auch in angemessener Frist umzusetzen. Jede unnötig Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): verbrauchte Kilowattstunde bringt Belastungen für un- Wir haben lange darauf warten müssen, dass sich das sere Umwelt und zukünftige Generationen mit sich, die Parlament mit der Umsetzung der EU-Energieeffizienz- vermeidbar wären. Richtlinie befassen darf. Nun ist es so weit, und die Bun- desregierung erfüllt bezüglich des Artikels 8 der EU- Investitionen in Energieeffizienzmaßnahmen sind für Energieeffizienz-Richtlinie ihre Pflicht. Das ist dann lei- die Unternehmen gleich in mehrfacher Hinsicht sinnvoll. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7371

(A) Die Unternehmen werden wettbewerbsfähiger und schüsse an die Beitragszahler in Form einer Beitrags- (C) schützen sich vor zukünftig steigenden Preisen für Ener- senkung zurückgegeben, wenn sie das 1,5-fache der gieressourcen. Die derzeit ausnahmsweise sinkenden Öl- durchschnittlichen Ausgaben eines Monats in der Ren- preise werden nämlich nicht ewig weiterfallen. Deswe- tenversicherung übersteigen. gen ist es wichtig die Abhängigkeit von Energieimporten zu senken. Eine Absenkung des Rentenbeitrags um 0,2 Prozent bedeutet für die Arbeitnehmer in unserem Land mehr Liebe Kolleginnen und Kollegen, Weihnachten steht Netto im Geldbeutel. Für unsere Unternehmen bedeutet vor der Tür. Lassen Sie uns Minister Gabriel doch das es eine Reduzierung der im europäischen Vergleich ho- Geschenk machen, seinen Gesetzentwurf nach der An- hen Arbeitskosten bei einem ohnehin immer schwieriger hörung im Ausschuss zu verbessern, damit wir die Ein- werdenden wirtschaftlichen Umfeld. Mehr Luft also, um sparpotenziale in den Unternehmen heben. Dann kann zu investieren und Arbeitsplätze zu schaffen. Ich finde das ein kleiner Beitrag dazu sein, dass die Bundesregie- es daher gerecht, dass jene, die durch ihre Leistungsbe- rung ihrem selbst gesteckten Ziel doch noch etwas nä- reitschaft dazu beigetragen haben, dass die Rentenversi- herkommt. cherung finanziell so gut dasteht, diese Überschüsse in Form sinkender Beiträge auch wieder zurückbekommen. Die mit Abstand bedenklichste Aussage im Gesetz- Anlage 13 entwurf lautet jedoch, dass das Drei-Säulen-Modell aus Zu Protokoll gegebene Reden gesetzlicher Rente sowie privater und betrieblicher Al- tersvorsorge gescheitert sei. Den Bürgerinnen und Bür- zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes für gern wird suggeriert, man könne sich getrost auf die ge- mehr Kontinuität der Beitragssätze in der ge- setzliche Rente als einzigen Pfeiler der Altersvorsorge setzlichen Rentenversicherung (Beitragssatzge- verlassen. Das ist fatal und verkennt völlig die demogra- setz 2014) (Tagesordnungspunkt 19) fische Realität, in der wir uns befinden. Wir müssen stattdessen noch stärker dafür sorgen, Jana Schimke (CDU/CSU): Einmal mehr debattie- dass die Menschen in unserem Land privat und betrieb- ren wir heute eine rentenpolitische Nebelkerze der Lin- lich für das Alter vorsorgen. Dafür gilt es Fehlentwick- ken. Einmal mehr wird den Menschen vorgegaukelt, wir lungen zu korrigieren und bürokratische Hemmnisse könnten uns alles leisten und es koste nichts. Aber dem abzubauen. Darauf haben sich Union und SPD im Koali- ist gewiss nicht so. tionsvertrag auch geeinigt. Zu Recht verfügt unser System der Rentenversiche- Zuletzt noch ein Wort zu dem, was Die Linke mit ei- (B) rung über verschiedene Instrumentarien, um sowohl in (D) nem möglichen finanziellen Spielraum infolge der Bei- konjunkturell und demografisch schwierigen als auch tragsfestsetzung auf dem jetzigen Niveau anstellen besseren Zeiten handlungsfähig zu bleiben. Dafür verfü- würde. Im Gesetzentwurf ist nebulös etwas von „Leis- gen wir über die Nachhaltigkeitsrücklage des 0,2- bis tungsverbesserungen“ bei der Rente zu lesen. Mehr wird 1,5-fachen der durchschnittlichen Monatsausgaben, die da nicht erwähnt. Wenn man sich mit dunkelroter Ren- der Möglichkeit zur Beitragssatzsenkung oder auch -stei- tenpolitik etwas näher beschäftigt, wird eines klar: Die gerung und letztlich auch das Instrument zur Anpassung Linke befasst sich nicht mit Leistungsverbesserungen im des Rentenniveaus. Sinne der Nachhaltigkeit der gesetzlichen Rente, son- All diese Elemente sind flexibel ausgestaltet und ge- dern fördert Mehrausgaben, die zutiefst generationen- ben die Möglichkeit, auf individuelle Entwicklungen re- ungerecht sind und rentenpolitische Träumereien wider- agieren zu können, ohne die Beitragszahler und Leis- spiegeln. Ich rede hier von Forderungen, die „Rente 67“ tungsempfänger über die Maßen zu strapazieren. abzuschaffen, die Kürzungen bei der Rentenformel – und hier insbesondere den Nachhaltigkeitsfaktor – zu Glücklicherweise befinden wir uns noch in der Situa- streichen sowie das Rentenniveau dauerhaft auf tion, dass durch die gute Arbeitsmarktlage und die hohe 53 Prozent festzuschreiben. Bei künftig immer weniger Beschäftigung entsprechend hohe Einnahmen in die so- Einzahlern und immer mehr Rentnern innerhalb unseres zialen Sicherungssysteme im Allgemeinen und in die ge- umlagefinanzierten Rentensystems sind diese Forderun- setzliche Rente im Besonderen fließen. gen ein klarer Angriff auf die junge Generation. Momentan wird die Nachhaltigkeitsrücklage der Ren- Ich empfehle daher den Kollegen der Linken die tenversicherung bis zum Ende dieses Jahres auf circa Weihnachtszeit ganz besonders intensiv zum Nachden- 33,5 Milliarden Euro geschätzt. Das entspricht dem ken zu nutzen und zu reflektieren, was sie hier eigentlich 1,82-fachen an durchschnittlichen Monatsausgaben bei vorhaben. der Rentenversicherung. Abschließend möchte ich Ihnen allen sowie allen Vor diesem Hintergrund und diesen Zahlen fordert die Bürgerinnen und Bürgern ein frohes und besinnliches Fraktion Die Linke nun in ihrem Gesetzentwurf, den Weihnachtsfest sowie einen guten Rutsch in das neue Rentenbeitragssatz auch für das Jahr 2015 auf dem jetzi- Jahr 2015 wünschen. gen Niveau von 18,9 Prozent zu belassen. Sie vergisst jedoch, dass es im SGB VI einen wichti- Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU): Die Linke gen Automatismus gibt. Demnach werden Beitragsüber- spielt sich hier Sitzungswoche für Sitzungswoche als 7372 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

(A) große Schutzmacht der sogenannten kleinen Leute auf. Beitragssprünge, die die Linke herbeiredet, sind nicht zu (C) Dass sie dann gleichzeitig mit ihrem Gesetzentwurf den erwarten. Beitragssatz zur Rentenversicherung nicht senken, son- dern eher noch erhöhen will, passt nicht zusammen. Un- Was können wir also zusammenfassend festhalten? sere Politik hingegen steht für mehr Netto vom Brutto Die rentenpolitischen Ängste und Befürchtungen der für Rentner und Beitragszahler. Linkspartei sind durch Daten, Fakten und einen Blick in die Wirklichkeit zu entkräften. Die Beitragssenkung aus- Schon in den vergangenen Jahren, in denen die schwarz- zusetzen, würde die Leistungsträger unseres Landes tref- gelbe Regierung Beitragssenkungen veranlasste, redete fen. Das sind auch die „kleinen Leute“, die Monat für die Linkspartei das Ende der Rentenversicherung herbei. Monat unsere Sozialversicherungssysteme am Laufen Nur: Es kam anders. Die Nachhaltigkeitsrücklage baute halten. Wir halten es für richtig, dass diese Menschen sich weiter auf. Sie war 2014 so hoch wie nie zuvor. nicht mehr zahlen, als zur Finanzierung der Renten ge- Gleichzeitig konnten Arbeitnehmer und die Wirtschaft braucht wird. Deshalben sinken im kommenden Jahr die mit Milliardenbeträgen entlastet werden. 1 Prozent hat Arbeitskosten der Wirtschaft um rund eine Milliarde der Beitragssatz seit 2011 schon gutgemacht. Das zeigt: Euro, und die Arbeitnehmer werden ebenfalls um diese Die finanzielle Lage der Rentenversicherung ist sehr gut. Summe entlastet. Sie haben es sich verdient! Es zeigt aber auch, dass die Finanzen von vielen ver- schiedenen Faktoren abhängig sind. Man muss nicht un- Dr. Martin Rosemann (SPD): Liebe Kolleginnen bedingt den Beitrag künstlich hoch halten, wie Sie das und Kollegen von der Linken, mit Ihrem Gesetzentwurf verlangen, liebe Linke. fordern Sie uns auf, auch für nächstes Jahr eine Senkung Das Verhältnis von beitragszahlenden Beschäftigten des Beitragssatzes auszusetzen und die gesetzlichen zu Rentenempfängern ist viel wichtiger. Und da haben Grundlagen zur Festsetzung der Beitragssätze noch in wir in den vergangenen Jahren durch eine kluge und ge- diesem Jahr zu ändern, das heißt die Deckelung der zielte Arbeitsmarktpolitik, zum Beispiel mit dem Pro- Nachhaltigkeitsrücklage aufzugeben und die Min- gramm „Perspektive 50plus“, sichtbare Fortschritte ge- destrücklage anzuheben. macht: Die Zahl der Beitragszahler stieg deutlich. Immer Grundsätzlich halte ich Ihren Vorschlag für diskus- mehr Menschen, vor allem Frauen und Ältere, kamen in sionswürdig. Aber – wie so oft – weckt der Titel Ihres sozialversicherungspflichtige Arbeit. Allein bei den 60- Gesetzentwurfs gewisse Hoffnungen, der konkrete Inhalt bis 64-Jährigen gab es seit 2010 einen Aufwuchs um bleibt dann aber weit hinter den geweckten Erwartungen rund eine halbe Million auf 1,6 Millionen Beschäftigte. zurück. Diese Veränderungen bilden das stabile Fundament der Rentenkasse. Gleichzeitig sorgt die Beschäftigung dafür, (B) Für mich heißt das: Ginge es Ihnen um eine Erhöhung (D) dass die Beschäftigten selbst höhere Renten erwarten der Mindest- und Höchstrücklage in der gesetzlichen können und die Gefahr der Altersarmut sinkt. Rentenversicherung, um dann auch eine echte Demogra- fiereserve anzusparen, könnte man darüber reden. Stichwort: Altersarmut. Die Befürchtungen der Lin- ken, wir würden uns mit der Beitragssenkung nun jeden Wer aber den Gesetzentwurf liest, merkt schnell, dass Handlungsspielraum in dieser Frage nehmen, haben wir es darum eben nicht geht. gerade dieses Jahr eindrucksvoll widerlegt. Trotz der Bei- tragssenkungen der vergangenen Jahre haben wir Leis- Sie sprechen von Leistungsverbesserungen. Dahinter tungsverbesserungen für Millionen Versicherte erreicht. steht aber der Rückfall in das Frühverrentungszeitalter; Dabei zielen vor allem die sogenannte Mütterrente und genau so, wie Sie es in Ihrem Antrag „Rentenniveau an- eine verbesserte Erwerbsminderungsrente auf potenziell heben, Leistungen verbessern und die wesentlichen Ur- von Altersarmut gefährdete Gruppen. Und trotz dieser sachen für sinkende Renten und Altersarmut bekämp- zusätzlichen Ausgaben steht die Rentenversicherung fi- fen“ vom März dieses Jahres auch schon skizziert haben. nanziell so gut da, dass der Beitrag gesenkt werden kann. Damals habe ich vorgerechnet, dass dies im Jahr 2030 Darüber sollten wir uns alle lieber freuen, als den Arbeit- circa 55 Milliarden Euro kostet und damit einer Erhö- nehmern und Arbeitgebern im Land ihre Entlastung hung des Beitragssatzes um 6 Prozentpunkte entspre- streitig machen zu wollen. chen würde. Das Problem der Altersarmut steht ja auch weiterhin Ihnen geht es in Wahrheit um die Anhebung des Bei- auf unserer Agenda. Mit der solidarischen Lebensleis- tragssatzes in einem Umfang, der zukünftigen Beitrags- tungsrente, die wir im Koalitionsvertrag vereinbart ha- zahlern nicht zugemutet werden kann. ben, wollen wir es noch entschiedener angehen. Denn es kann nicht im Sinne der Rentenversicherung sein, dass Von Beitragskontinuität und einem Ausgleich zwi- Menschen, die ein Leben lang Beiträge gezahlt und Kin- schen den Generationen kann daher keine Rede sein. der erzogen haben, nur eine sehr niedrige Rente erhalten. Das ist keine Politik, für die wir Sozialdemokratinnen Bis 2017 wollen wir an dieser Situation etwas ändern. und Sozialdemokraten stehen. Unsere Politik ist eine Da wir die Leistung aus Steuern finanzieren wollen, zielgenaue Leistungsausweitung, um unterschiedlichen muss auch dafür der Beitrag nicht künstlich hoch gehal- Erwerbsbiografien gerecht zu werden, Lebensleistungen ten werden. besser anzuerkennen und Altersarmut zu bekämpfen. Und zu guter Letzt: Der gesenkte Beitrag wird vo- Deshalb haben wir mit dem ersten Rentenpaket die raussichtlich über Jahre stabil gehalten werden können. Mütterrente eingeführt, einen früheren Rentenzugang für Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7373

(A) besonders langjährig Versicherte ermöglicht, die Erwerbs- Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Die Linke im (C) minderungsrenten erhöht und das Rehabudget demogra- Bundestag ist gegen die beschlossene Beitragssatzsen- fiefest gemacht. Deshalb werden wir in dieser Legislatur- kung im kommenden Jahr, und Die Linke im Bundestag periode auch die solidarische Lebensleistungsrente und steht für eine seriöse, stabile und verlässliche Finanzie- die Ost-West-Rentenangleichung auf den Weg bringen. rung der gesetzlichen Rentenversicherung in den nächs- ten Jahren. Bemerkenswert ist aber auch der Zeitpunkt, zu dem Sie Ihren Gesetzentwurf eingebracht haben. Ihnen geht Davon ist die aktuelle Rentenpolitik von Union und es offenbar vor allem darum, kurzfristig die Beitragssen- SPD meilenweit entfernt. kung zum 1. Januar 2015 zu verhindern. Ein Verfahren, Die Große Koalition befindet sich im rentenpoliti- für das die Regierung aus den Reihen der Opposition im schen Blindflug. vergangenen Jahr noch kritisiert wurde. Warum Blindflug? Die Große Koalition verpulvert Aber unsere Ministerin hält sich an Recht und Gesetz. die gut gefüllte Rentenkasse und spielt mit den Versi- Und so wird es im Jahr 2015 zu einer Beitragssenkung cherten, den Medien und den gewählten Abgeordneten von 0,2 Prozentpunkten von 18,9 Prozent auf 18,7 Pro- Katz und Maus. zent kommen. Dies ist eine Beitragssatzsenkung mit Au- genmaß, die eine verdiente Entlastung für die Arbeitneh- Am 3. Dezember hatte ich im Ausschuss für Arbeit merinnen und Arbeitnehmer in Deutschland darstellt. und Soziales eine ganz einfache Frage gestellt: Was kos- tet jetzt die Rente ab 63 in den nächsten Jahren? Die Möglich ist diese Senkung des Beitragssatzes wegen Antwort: Bis 2019 kommen im Unterschied zu den ur- einer anhaltend guten Lage auf dem Arbeitsmarkt. Diese sprünglichen Kalkulationen im Rentenpaket sage und gute Arbeitsmarktentwicklung war möglich, weil eine schreibe zusätzliche Kosten von 4,5 Milliarden Euro auf rot-grüne Bundesregierung den Mut zu überfälligen uns zu. Sie, Frau Ministerin Nahles, hatten es im Minis- Strukturreformen hatte, weil sozialdemokratische Minis- terium bisher schlicht versäumt, für die Rente ab 63/65 ter in der letzten Großen Koalition für die notwendige die Beitragsausfälle, die Kosten der Vorzieheffekte und konjunkturelle Stabilisierung während der Krise 2008/09 die Kosten der zusätzlich von der CSU begünstigten gesorgt haben und weil damals verantwortungsbewusste Handwerker mal auf Heller und Pfennig aufzuschreiben Unternehmen und Betriebsräte gemeinsam die Möglich- und das der Öffentlichkeit auch zu sagen. keiten der internen Flexibilität genutzt haben, um Be- schäftigung zu halten. Ihre Motive sind mir egal, und mir ging es dabei auch nicht darum, die Angst vor der Frühverrentungswelle, Aber die Beitragssatzsenkung ist auch konjunkturpo- die von Union und Wirtschaftsvertretern so gern herbei- (B) litisch sinnvoll, insbesondere weil gleichzeitig der Bei- geredet wird, zu befeuern. Im Gegenteil: Wir brauchen (D) trag zur Pflegeversicherung steigt. Möglichkeiten zum früheren Ausstieg gerade für die Fleißigen und Kranken. Aber ich will, dass das gerecht Zudem ist ein geringerer Beitragssatz nicht nur posi- und transparent finanziert wird. tiv für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, son- dern führt auch für die Rentnerinnen und Rentner zu ei- Kollegin Schmidt von der SPD hatte in der ersten Le- ner höheren Rentenanpassung in der Zukunft. sung unseres Gesetzes gesagt: „Für anderes werden wir Geld in die Hand nehmen müssen: Dazu gehören die An- Bemerkenswert ist das Verhältnis der Linken zu höhe- gleichung des aktuellen Rentenwerts Ost auf das west- ren Beitragssätzen. Ausgerechnet Sie vergessen, dass deutsche Niveau, die Bekämpfung der Altersarmut und Beiträge die Steuern des kleinen Mannes sind. die Stabilisierung des Sicherungsniveaus für ein anstän- diges Rentenniveau oder auch eine noch bessere Absi- Natürlich ist es angesichts der demografischen Verän- cherung der Erwerbsminderung.“ Ja, Kollegin Schmidt. derungen wichtig, die langfristigen Herausforderungen Alles wichtig und richtig. Sie werden dafür nur kein für die Finanzierung der gesetzlichen Rentenversiche- Geld mehr haben. rung und für die Alterssicherung allgemein in den Blick zu nehmen. Gegenwärtig sind 35,1 Milliarden in der Rentenkasse sprich Nachhaltigkeitsrücklage. Aber das wird sich rasch Deshalb verfolgen wir das Prinzip „Reha vor Rente“, ändern; denn bis 2019 klauen Sie Beiträge in Höhe von ermöglichen wir flexible Übergänge in den Ruhestand, 36,5 Milliarden für die „Mütterrente“, die eigentlich aus werden wir im kommenden Jahr die Stärkung der zwei- Steuern finanziert werden müsste. Und genau in dieser ten Säule der Altersvorsorge in Angriff nehmen, haben Situation, in der Sie im Blindflug Beitragseinnahmen wir die Erhöhung des Bundeszuschusses ab 2018 durch- verschleudern, wollen SPD und Union die Beiträge noch gesetzt. weiter senken, von 18,9 auf 18,7 Prozent. Das sind bis 2019 noch mal über 12 Milliarden Euro, die fehlen. Um dauerhaft ein stabiles Rentenniveau zu sichern, Altersarmut vorzubeugen und die Belastung der Versi- Die Vertreterversammlung der DRV Bayern Süd hat cherten zu begrenzen, sind weitere Maßnahmen erfor- das besser verstanden. Am 26. November 2014 hat sie derlich. Das Angebot zur Zusammenarbeit richtet sich eine Resolution mit folgendem Inhalt verabschiedet: Die ausdrücklich an alle Fraktionen in diesem Haus. Mit ih- Mindestrücklage, also das untere Auffangnetz, soll von ren Vorschlägen hierzu ist die Linke aber mit Sicherheit 0,2 auf mindestens 0,5 Monatsausgaben angehoben wer- nicht der richtige Ratgeber. den. Warum fordert die DRV Bayern Süd und übrigens 7374 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

(A) auch die Rentenversicherung Oldenburg-Bremen das? dauer sowie einer immer größeren Zahl an Rentnerinnen (C) Ich zitiere: „Aufgrund der Finanzschätzung ist abzuse- und Rentnern, denen immer weniger erwerbstätige Bei- hen, dass ab 2019 die Liquiditätssicherung der Renten- tragszahlerinnen und -zahler gegenüberstehen. versicherung gefährdet ist. Gemäß der Vorausberechnun- gen für 2019 würde eine Nachhaltigkeitsrücklage von Politisches Handeln ist erforderlich, um zu verhin- 0,2 Monatsausgaben 4,4 Milliarden Euro entsprechen.“ dern, dass der Anstieg der Regelaltersgrenze auf 67 Jahre zu einer Rentenkürzung für diejenigen wird, die aus un- Ich übersetze das mal in Klartext: Durch die Fehlfi- terschiedlichen Gründen ihren Beruf nicht bis zum regu- nanzierung der sogenannten „Mütterrente“ fahren Sie lären Renteneintritt ausüben können. Dies betrifft insbe- die Rentenkasse innerhalb weniger Jahre auf fast null. sondere die Abschläge bei Erwerbsminderungsrenten, Dieses Jahr 33,5 Milliarden, in zwei Jahren 24 Milliar- die Mittel für Reha-Maßnahmen sowie die erhöhte Re- den, 2018 8,7 Milliarden und 2019 5,2 Milliarden. Das gelaltersgrenze für Menschen mit Schwerbehinderun- nenne ich Blindflug mit anschließendem Totalcrash. Sie gen. Es ist eine zentrale Frage der Generationengerech- schröpfen die Rentenkasse in fünf Jahren um knapp tigkeit, dass auch die heutigen Versicherten eine 30 Milliarden Euro. realistische Aussicht auf ein angemessenes Rentenni- veau haben und vor Altersarmut geschützt werden. Warum ist das verheerend? Weil Sie damit blind sind Gleichzeitig ist auf einen moderaten Beitragssatzanstieg für das Absinken des Rentenniveaus. Ihre vollmundigen zu achten, um die Auswirkungen auf die Arbeitneh- Versprechungen, den Verfall der gesetzlichen Rente merinnen und Arbeitnehmer sowie Arbeitgeberinnen durch die private Altersvorsorge ausgleichen zu können, und Arbeitgeber abzufedern. Unter den genannten Vo- haben sich nicht erfüllt. Sie mussten das in Ihrem Ren- raussetzungen ist es erforderlich, sorgsam mit den müh- tenversicherungsbericht wieder zugeben und die Süd- sam erworbenen finanziellen Spielräumen umzugehen deutsche Zeitung schrieb am 15. November: „Riestern und diese nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen. funktioniert nicht!“ Aus diesen Gründen haben wir uns schon in der Ver- Der Focus legte am 8. Dezember nach: „Lasst Riester gangenheit für eine Beitragssatzstabilität ausgesprochen sterben!“ – siehe Anträge 17/11010 und 18/611. Diese garantiert, Die Swiss Life, der größte Lebensversicherungskon- dass wir die beitragsfinanzierten Leistungen im Zusam- zern der Schweiz, folgte diesem Rat umgehend und stellt menhang mit einer längeren Lebensarbeitszeit – Rente zum 31. Dezember 2014 sein hauseigenes Riester-Pro- mit 67 – verbessern können. Unsere Vorschläge zur Ab- dukt, die „Champion Riester”, ein. schaffung der Abschläge bei der Erwerbsminderungs- rente, ausreichende Reha-Mittel sowie der Rücknahme Völlig zu Recht. Die Zahl der abgeschlossenen (B) der Anhebung der Regelaltersgrenze für schwerbehin- (D) Riester-Verträge in Deutschland stagniert bei 16 Millio- derte Menschen auf 65 Jahre kosten die Rentenkasse nen. Davon sind drei Millionen ruhend gestellt. Nur jährlich rund zwei Milliarden Euro. Zudem haben wir sechs Millionen werden voll gefördert. Ja, sage ich; lasst uns dafür ausgesprochen, für den zu erwartenden Bei- die staatliche Riesterförderung sterben. Wir könnten tragssatzanstieg schon heute Vorsorge zu treffen, um die jährlich drei bis vier Milliarden Euro Förderung in die Auswirkungen auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeit- Stabilisierung des Rentenniveaus stecken. nehmer sowie Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber abzu- Und lassen Sie uns dafür gemeinsam für die nächsten federn. Eine Beitragssatzsenkung zum 1. Januar 2015 Jahre einen vernünftigen Beitragspfad festlegen, statt würde den Beitragssatz ab dem Jahr 2019 wohl noch den Menschen weiter windige Policen aufzuschwatzen. sprunghafter ansteigen lassen, als durch die Ausgaben des Rentenpakets schon heute prognostiziert. Deshalb: Erhöhen wir die Mindestreserve auf 0,5 Mo- natsausgaben. 0,2 Monatsausgaben reichen zum Beispiel Wie schon in der Rede zur ersten Lesung des Gesetz- bei konjunkturellen Einbrüchen nicht. Stabilisieren wir entwurfs der Linksfraktion dargelegt, werden wir die den Beitragssatz vorläufig auf 18,9 Prozent und schaffen hier abzustimmende Initiative ablehnen. Eine gänzliche wir den unsinnigen Zwang zur Beitragssatzsenkung ab, Abschaffung der Obergrenze erachten wir für nicht sinn- statt Jahr für Jahr das Rentenniveau zu senken. Investie- voll. Ohne eine Obergrenze gäbe es überhaupt keine ren wir in die gesetzliche Rente, damit sie wieder sicher Systematik für die Beitragssatzfestsetzung mehr. ist, damit sie wieder vor Altersarmut schützt. Anlage 14 Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die gesetzliche Rentenversicherung erlebt momentan eine Zu Protokoll gegebene Reden Phase finanzieller und demografischer Stabilität. Die gute Konjunktur, ein hoher Beschäftigungsstand und nicht zur Beratung des Entwurfs eines Vierten Geset- zuletzt die Dämpfung der Rentenanpassungen in den zes zur Änderung des Fahrpersonalgesetzes vergangenen zwölf Jahren führten sowohl zu niedrigeren (Tagesordnungspunkt 20) Beitragssätzen als auch zu einer Rekordrücklage der Rentenversicherung. Gleichwohl steht die gesetzliche Oliver Wittke (CDU/CSU): Mit dem 4. Gesetz zur Rentenversicherung vor großen Herausforderungen: Die Änderung des Fahrpersonalgesetzes setzen wir die am steigende Lebenserwartung und der demografische Wan- 28. Februar 2014 verkündete EU-Verordnung 165/2014 del führen zu einer deutlich verlängerten Rentenbezugs- um. Neben Verbesserungen bei Wirksamkeit und Effi- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7375

(A) zienz des Fahrtenschreibersystems für Fahrzeuge zur Gü- rungsträger und die Bundesarbeitsgemeinschaft Erste (C) terbeförderung mit mehr als 3,5 Tonnen und für Fahr- Hilfe die Erste-Hilfe-Ausbildung einer Revision unter- zeuge zur Personenbeförderung mit mehr als neun zogen. Das Ergebnis ist eine Erste-Hilfe-Ausbildung, die Insassen schaffen wir die notwendigen Grundlagen zur sich zukünftig auf die Vermittlung der lebensrettenden Anpassung von Bußgeldvorschriften und der Fahrperso- Maßnahmen, einfache Erste-Hilfe-Maßnahmen sowie nalverordnung. grundsätzliche Handlungsstrategien fokussiert. Da die zukünftige Ausbildung auch in ausreichendem Maße Darüber hinaus haben die Koalitionsfraktionen einen straßenverkehrliche Belange und Themen berücksichti- Änderungsantrag vorgelegt, der im Wesentlichen der gen wird, kann für den Bereich des Straßenverkehrs auf Stellungnahme des Bundesrates aus dem November die- die Alternative der Vermittlung von „Grundzügen der ses Jahres folgt. Mit einstimmigem Beschluss haben sich Versorgung Unfallverletzter“ einerseits und „Erste- die Bundesländer dafür stark gemacht, die Anordnungs- Hilfe-Ausbildung“ andererseits verzichtet werden. Dies befugnis der Bundesländer gegenüber weiteren Unter- ist unter anderem auch ein Beitrag zum Bürokratieabbau nehmen der Beförderungskette auszuweiten, die Bußgeld- und zur Entlastung der Wirtschaft. rahmen bei Verstößen anzuheben sowie das Verbringen der wöchentlichen Ruhezeit in der Fahrerkabine zu un- Ich freue mich, dass wir mit dem Änderungsantrag terbinden. von CDU/CSU und SPD nunmehr das vierte Gesetz zur Es ist gut, dass CDU/CSU und SPD sich darauf ver- Änderung des Fahrpersonalgesetzes in einer Form be- ständigt haben, die Anordnungsbefugnis gegenüber wei- schließen, dass auch im Bundesrat eine große Zustim- teren Unternehmen der Beförderungskette auszuweiten. mung finden wird. Zwar war dies materiellrechtlich auch bislang schon möglich und wurde von einzelnen Bundesländern auch Florian Oßner (CDU/CSU): Die vorgeschriebenen bisher praktiziert; wir stellen dies im Gesetz zukünftig Lenk- und Ruhezeiten von Lkw- und Busfahrern sind aber klar heraus und beseitigen mögliche Missverständ- sinnvoll und tragen in hohem Maße zur Verbesserung nisse. Auf diese Weise kommen wir zum einen unserer der Sicherheit im Straßenverkehr bei. Ohne diese Rege- Fürsorgepflicht gegenüber den Fahrern nach und sorgen lungen würde die Zahl der schweren Verkehrsunfälle zum anderen für mehr Sicherheit auf unseren Straßen. durch Übermüdung oder Erschöpfung von Fahrern si- Darüber hinaus passen wir den Bußgeldrahmen nach cherlich erheblich höher liegen. oben an, um den Verfolgungsbehörden einen größeren Die Europäische Union hat durch die Verordnung Spielraum zu geben sowie große Unternehmen mit emp- (EU) Nr. 165/2014 vom 4. Februar diesen Jahres die findlichen Bußgeldern belegen zu können. (B) Vorschriften über Einbau, Benutzung und Prüfung von (D) Auch beim dritten Punkt folgen wir den Einlassungen Fahrtenschreibern bzw. Kontrollgeräten im Interesse ei- des Bundesrates. Auch wir sehen es kritisch, wenn Fern- ner größeren Klarheit vereinfacht und neu geordnet. fahrer die wöchentliche Ruhezeit im Lkw verbringen. Nunmehr muss das Fahrpersonalgesetz an die erfolgten Dieses Problem wollen auch wir angehen. Bevor wir aber Änderungen des Unionsrechts angepasst werden. eine nationale Lösung verfolgen, sollten wir versuchen, das Problem auf europäischer Ebene zu regeln. Da die einzelnen Regelungen, die mit dem vorliegen- den Gesetz geändert werden, im Wesentlichen techni- Die Güterströme auf der Straße finden immer mehr scher bzw. redaktioneller Natur sind, möchte ich gern die transnational statt. Auf einer Tour kann ein Fahrer gut Gelegenheit nutzen, darauf hinzuweisen, wie wichtig die und gerne fünf oder mehr Länder innerhalb der Europäi- Lkw-Speditionen für uns als Exportnation sind. Gerade schen Union durchqueren. Die nationalen Alleingänge für die vielen weltweit erfolgreichen mittelständischen von Belgien und Frankreich mit den daraus folgenden Unternehmen im ländlichen Raum ist und bleibt der Lkw Ausweichverkehren auf Parkplätze und Raststätten in als Transportmittel eine wichtige Stütze. Deutschland im grenznahen Raum haben gezeigt, was passiert, wenn in jedem Land unterschiedliche oder gar Dazu ist es auch erforderlich, die notwendigen Infra- keine Regeln gelten. Wir wollen deshalb keinen regulati- strukturen zu schaffen. ven Flickenteppich, sondern einen Rechtsrahmen für alle Länder. Erst wenn das nicht möglich erscheint, müssen Am 27. Oktober hat bereits der Bundesrat dem von wir auf nationaler Ebene tätig werden. In diesem Zusam- der Bundesregierung eingebrachten Entwurf grundsätz- menhang bin ich froh, dass die Bundesregierung signali- lich zugestimmt und nur einige geringfügige Änderun- siert hat, im ersten Halbjahr des kommenden Jahres ent- gen und Ergänzungen vorgeschlagen. Diese Wünsche sprechende Gespräche auf europäischer Ebene zu führen haben wir seitens der Koalitionsfraktionen mit einem und notfalls ab Mitte 2015 die Initiative für ein nationa- entsprechenden Änderungsantrag übernommen. Zudem les Gesetzgebungsverfahren zu starten. haben wir selbst noch weitere Anpassungen empfohlen. In einem vierten Punkt passen wir die rechtlichen Nur in einem Punkt verfolgen wir einen anderen An- Rahmenbedingungen für die Ausbildung für Ersthelfer satz als der Bundesrat, nämlich bei der Frage, ob Lkw- an heutige Erfordernisse an. Nachdem eine Studie von Fahrer ihre regelmäßige Wochenruhezeit in der Fahrer- ADAC und Deutschem Roten Kreuz 2012 zu dem Er- kabine ableisten dürfen – denn unserer Überzeugung gebnis kam, dass die Lernwirksamkeit durch zu viel nach bedarf es hier einer europäischen Regelung und Lernstoff eingeschränkt war, haben die Unfallversiche- keines nationalen Alleingangs. 7376 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

(A) Dies zeigt sich schon am Beispiel von Frankreich und Auch hier möchte ich die Gelegenheit nutzen und (C) Belgien, die eine solche nationale Regelung eingeführt mich bei den Erste-Hilfe-Ausbildern für ihre vorzügliche haben, wodurch sich das Problem nur in die Nachbarlän- Arbeit bedanken. der verschoben hat. All dies sind sinnvolle und notwendige Anpassungen. In diesem Zusammenhang begrüßen wir ausdrücklich Daher freue ich mich auf Ihre breite Zustimmung zu die Zusicherung der Bundesregierung in der gestrigen unserem Gesetzentwurf. Sitzung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infra- struktur, dass bis Mitte nächsten Jahres eine derartige eu- roparechtliche Regelung geschaffen werden soll und erst Udo Schiefner (SPD): Unser Leben ist heute in er- für den Fall, dass dies bis dahin nicht möglich sein sollte heblichem Maße von den Leistungen der Transport- und – als Ultima Ratio – eine nationale Regelung geschaffen Logistikbranche abhängig. Die Fahrerinnen und Fahrer wird. der Lastkraftwagen sind wesentliche Stützpfeiler des wirtschaftlichen Erfolges in Deutschland und unseres Lassen Sie mich die aus meiner Sicht wichtigsten Wohlergehens. Anerkennung und Wertschätzung erhal- Punkte des vorliegenden Gesetzentwurfes kurz darstel- ten sie dafür kaum. Im Gegenteil hat ihre Arbeit ein un- len: berechtigt schlechtes Ansehen. Vor allem sind sie oft die ersten und einzigen, die zur Rechenschaft gezogen wer- Als Erstes sei die Erweiterung der Anordnungsbefug- den, wenn sie gegen Regeln verstoßen. Doch sie versto- nis genannt. Nach derzeit geltendem Recht können Auf- ßen oft gegen Regeln, weil sie versuchen, den straffen sichtsbehörden Maßnahmen, wie zum Beispiel das Ver- Anforderungen ihrer Arbeitgeber und Auftraggeber ge- langen von Auskünften und Unterlagen, nur gegenüber recht zu werden. Für viele Berufskraftfahrer, oft im Auf- Arbeitgebern anordnen. trag ausländischer Unternehmen auf den Autobahnen unterwegs, kommt hinzu, dass sie unter unwürdigen Be- Oft gibt es aber auch andere Beteiligte in der Beförde- dingungen arbeiten und leben müssen. Es gibt im Sinne rungskette, wie zum Beispiel Spediteure, Haupt- und der Fahrerinnen und Fahrer wahrlich vieles zu verbes- Unterauftragnehmer, die ihrer Mitverantwortung nicht sern. nachkommen oder die der Aufsichtsbehörde Auskünfte, Unterlagen oder den Zutritt verweigern. Diesem Um- Mit den Beschlüssen zum Fahrpersonalgesetz und stand tragen wir mit den erfolgten Änderungen im Fahr- Festlegungen zum weiteren Vorgehen, die wir in dieser personalgesetz nun Rechnung und dehnen die Anord- Woche im Ausschuss für Verkehr und digitale Infra- nungsbefugnis auch auf diese weiteren Beteiligten aus. struktur gefasst haben und die heute im Plenum bestätigt werden, nehmen wir die oft prekäre Situation der Fahrer (B) Der zweite Punkt ist die Verdoppelung des Bußgeld- im Transportgewerbe in den Blick. Es sind kleine aber (D) rahmens bei Fahrerverstößen. Hier geht es um die Um- wichtige Schritte, die wir jetzt gehen – wir müssen uns setzung verschiedener oberlandesgerichtlicher Urteile. für das kommende Jahr weitere, größere vornehmen. Aufgrund dieser Urteile sind Fahrverstöße über den Besonders besorgen muss uns, dass immer mehr Be- Unternehmer in Tateinheit zu ahnden. Das bedeutet im rufskraftfahrer in Europa bis zu drei Monate außerhalb Klartext: Bei größeren Betrieben wird die maximale ihres Heimatlandes im Lkw unterwegs sind. Sie sind da- Bußgeldsumme von gegenwärtig 15 000 Euro sehr bei dubiosen Beschäftigungssystemen unterworfen. Ih- schnell erreicht. Kleinere Unternehmen werden daher nen wird oft der Zugang zu sozialen und Arbeitnehmer- gegenüber größeren Unternehmen bei der Ahndung be- rechten verwehrt. Sie verbringen dabei all ihre Nächte nachteiligt. Mit der Erhöhung des Bußgeldrahmens auf und Wochenenden in ihrem Lkw auf den Rastplätzen, 30 000 Euro stellen wir sicher, dass auch schwerste Ver- und sie fahren für Dumpinglöhne quer durch Europa. stöße von Unternehmern, Fahrzeughaltern, Verladern, Für Fahrzeuge und Fahrer, die ihre Heimatstandorte Spediteuren, Reiseveranstaltern und Fahrvermittlern an- nur noch gelegentlich sehen, ist deren Einsatz aber kei- gemessen geahndet werden können. Dies bedeutet aber neswegs durch die europäische Dienstleistungsfreiheit keineswegs, dass wir unsere Unternehmen an den Pran- gedeckt. Im Moment jedoch können sich die Flottenbe- ger stellen wollen. treiber den Fiskal- und Sozialstandards der jeweiligen Länder entziehen, in denen sie sich überwiegend betäti- Als Letztes will ich noch die Anpassung der Erste- gen. Diesem Nomadentum auf den Rastplätzen Europas Hilfe-Ausbildung nennen. Diese war durch eine 16 Un- müssen wir ein Ende bereiten. Mit Artikel 8 Ziffer 8 der terrichtseinheiten umfassende Ausbildung stark über- EU-Verordnung 561/2006 ist die Voraussetzung gege- frachtet, was – wie Studien vom ADAC und Deutschem ben, dagegen vorzugehen. Wir könnten verhindern, dass Roten Kreuz belegt haben – oftmals nur zu einer sehr ge- die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit im Fahrzeug ringen Akzeptanz und einem nur schwachen Lerneffekt verbracht wird. Wir haben jedoch noch keine entspre- geführt hat. Dies darf bei einem so grundsätzlich wichti- chende Bußgeldandrohung im Fahrpersonalgesetz. gen Thema wie der Verkehrssicherheit nicht sein. Hie- rauf haben wir reagiert und die Erste-Hilfe-Ausbildung In der bisherigen Diskussion wurde angenommen, das an die Bedürfnisse der Praxis angepasst. Sie wird sich EU-Recht treffe keine Aussage darüber, wo eine regel- daher zukünftig auf die Vermittlung der lebensrettenden mäßige wöchentliche Ruhezeit zu verbringen ist, um als Maßnahmen und einfache Erste-Hilfe-Maßnahmen so- vorschriftsmäßig zu gelten. Die Vorschrift enthalte kein wie grundsätzliche Handlungsstrategien fokussieren. konkretes Verbot, sich während der regelmäßigen wö- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7377

(A) chentlichen Ruhezeit im Fahrzeug aufzuhalten. Diese In- Wenn auf dem Weg schnell eine Einigung erfolgt, ist (C) terpretation der Verordnung teile ich nicht, denn die EU- noch mehr erreicht. Verordnung sagt: In zwei jeweils aufeinander folgenden Deshalb begrüße ich ausdrücklich die im Ausschuss Wochen hat der Fahrer mindestens zwei regelmäßige gemachte Zusage des Ministeriums, das Thema bereits wöchentliche Ruhezeiten oder eine regelmäßige wö- im Januar 2015 mit den europäischen Partnern anzuge- chentliche Ruhezeit und eine reduzierte wöchentliche hen. Die ebenfalls klar formulierte Aussage zum weite- Ruhezeit von mindestens 24 Stunden einzuhalten. Wich- ren Vorgehen möchte ich unbedingt festhalten: Sollte ab- tig sind hier die zu unterscheidenden Begriffe regelmä- sehbar nicht bis Juli 2015 eine Lösung erkennbar ßige und reduzierte wöchentliche Ruhezeit. Weiter heißt werden, werden wir den Weg der nationalen Gesetzge- es nämlich, dass nicht am Standort eingelegte tägliche bung beschreiten, denn in der grundsätzlichen Beurtei- Ruhezeiten und reduzierte wöchentliche Ruhezeiten im lung des Nomadentums auf den europäischen Rastplät- Fahrzeug verbracht werden können. Regelmäßige wö- zen gibt es offenbar über Fraktionsgrenzen hinweg chentliche Ruhezeiten im Fahrzeug werden in dieser keinen Dissens. Ich erwarte deshalb, dass wir die Buß- Ausnahme explizit nicht benannt. Rein EU-rechtlich geldandrohung bei Ruhezeitverstößen bezogen auf die spräche also nichts gegen eine Bußgeldandrohung für regelmäßige wöchentliche Ruhezeit im nächsten Jahr be- das Verbringen der regelmäßigen wöchentlichen Ruhe- kommen werden. So können wir uns weiter in Richtung zeit im Fahrzeug. Deshalb erwarte ich, dass wir in dieser würdiger Arbeits- und fairer Wettbewerbsbedingungen Frage zügig vorankommen. in der Transport- und Logistikbranche bewegen. In der gestrigen Sitzung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur haben wir zunächst, weitge- Thomas Lutze (DIE LINKE): Mit dem vorliegenden hend einmütig, kleine aber wichtige Änderungen des Gesetzentwurf setzt der Deutsche Bundestag eine EU- Fahrpersonalgesetzes beraten. Mit abschließender Le- Verordnung über neue Anforderungen an Fahrtenschrei- sung und Beschluss heute im Parlament verbessern wir ber in nationales Recht um. wichtige Aspekte bezogen auf die Ausrüstung der Lkw und Fernbusse mit Fahrtenschreibern und verbessern da- Die Reform des Gesetzes soll zu mehr Effizienz und mit die Kontrollmöglichkeiten zur Einhaltung der Regeln Wirksamkeit von Fahrtenschreibern führen. Da somit die – auch und gerade bezogen auf die Ruhezeiten. Vor allem Einhaltung der Lenk- und Ruhezeiten besser kontrolliert aber haben wir zwei wichtige Einwände des Bundesrates werden kann, begrüßen wir den Gesetzentwurf und wer- aufgenommen. Erstens wird die Anordnungsbefugnis er- den der Beschlussempfehlung zustimmen. weitert. Die Kontrollbehörden können in Zukunft bei Ver- Dass den Aufsichtsbehörden in den Ländern mehr stößen auch gegenüber Verladern, Spediteuren, Reiseve- Kontrollmöglichkeiten eingeräumt werden und die mög- (B) ranstaltern, Hauptauftragnehmern, Unterauftragnehmern lichen Bußgelder für Verstöße angehoben wurden, findet (D) und Fahrervermittlungsagenturen aufsichtlich tätig wer- unsere Zustimmung. Die Erhöhung der möglichen Buß- den. Zweitens verdoppeln wir den Bußgeldrahmen von gelder ist schon aufgrund der unterschiedlichen Finanz- derzeit maximal 15 000 Euro bei Fahrerverstößen auf stärke von kleineren und größeren Unternehmen gebo- 30 000 Euro. ten. Sinnvoll sind beide Ausweitungen, denn nach gelten- Nicht einverstanden sind wir allerdings damit, dass dem Recht sind Verlader, Spediteure etc. zwar bereits für das Problem des Verbringens der Ruhezeiten im Lkw mit die Einhaltung der in den Verordnungen benannten Vor- dem Hinweis auf Europa auf die lange Bank geschoben schriften verantwortlich. Dazu gehört, dass die von ihnen werden soll. Würde sich Deutschland an Frankreich oder vertraglich vereinbarten Beförderungszeitpläne nicht ge- Belgien orientieren, die Regelungen gegen das Über- gen die Verordnungen verstoßen. Es gibt jedoch regel- nachten im Lkw bereits umgesetzt haben, käme dies dem mäßig das Problem, dass die Aufsichtsbehörden der Fahrpersonal unmittelbar zugute. Länder von den beteiligten Unternehmen keine Aus- künfte, Unterlagen oder Zutritt zu Geschäftsräumen ver- Außerdem mahnt Die Linke an, bei einer künftigen langen können. Diese Unternehmen werden nun besser Reform des Gesetzes Unklarheiten im Bezug auf Aus- kontrollierbar. Das bedeutet vor allem, dass die Schuld- nahmeregelungen und den Datenschutz auszuräumen. frage nicht länger am Fahrer hängen bleibt. Der höhere Bußgeldrahmen macht es zudem möglich, bei besonders Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schweren Verstößen größere Unternehmen angemesse- NEN): Das Fahrpersonalgesetz regelt zentrale Sozialvor- ner zu belangen. Bisher schien das Bußgeld für große schriften für die Beschäftigen im Transport- und Spedi- Unternehmen leicht zu verkraften, während es kleinere tionsgewerbe wie zum Beispiel die Lenk- und Ruhezeiten. Unternehmen durchaus stark belasten kann. Die aktuellen Entwicklungen im Transportsektor, die durch die weitgehende Liberalisierung des Gewerbes Den nach meiner Auffassung sehr wichtigen Aspekt und die Veränderungen infolge des Beitritts unserer ost- der Ruhezeiten, den der Bundesrat einbringen wollte, europäischen Nachbarn in die Europäische Union ge- greifen wir nur indirekt auf. Die Bundesregierung hatte prägt ist, macht Änderungen beim Gesetz notwendig. den Wunsch geäußert, sich diesem Thema zunächst im Maßstab für Änderungen am Fahrpersonalgesetz muss Sinne einer europäischen Lösung zu nähern. Dem hätten die Verbesserung der sozialen Situation der Fahrer sein. wir zwar vorgreifen können, die EU-Verordnung gäbe uns dazu durchaus den Spielraum. Aber zunächst die eu- Die neue EU-Verordnung zur Verbesserung der Wirk- ropäische Lösung anzugehen, macht ebenfalls Sinn. samkeit und Effizienz von Fahrtenschreibersystemen 7378 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

(A) machte Änderungen des Fahrpersonalgesetzes notwen- länger an einer bizarren Auslegung der EU-Verordnung (C) dig. 561/2006 festhalten würde. Der Bundesrat hat in seiner einstimmig angenomme- Der dortige Artikel 8 Absatz 8 steckt nämlich den nen Stellungnahme die Gelegenheit genutzt und Ände- Rahmen für ein bußgeldbewährtes Verbot, die regelmä- rungen des Fahrpersonalgesetzes in einigen Punkten ein- ßige Wochenruhezeit im Fahrzeug zu verbringen, schon gefordert. heute ab. Es kommt wohl auf die Rechtsauffassung an. Aus unserer Sicht ergibt sich hieraus die notwendige Wir begrüßen, dass Sie sich in zwei Punkten zu sinn- Präzisierung des Fahrpersonalgesetzes. vollen Ergänzungen bzw. Änderungen des Fahrpersonal- gesetzes durchringen konnten. Leider konnten Sie sich in diesem entscheidenden Punkt nicht zu einer überfälligen Neuregelung durchrin- Die Erweiterung der Anforderungsbefugnis, mit der gen, sodass wir uns beim Gesetzentwurf enthalten wer- die zuständigen Aufsichtsbehörden die Handhabe be- den. kommen, gegen alle Beteiligten einer Beförderungskette tätig zu werden, ist notwendig und daher richtig. Bei- spielsweise werden dadurch auch Unterauftragnehmer Anlage 15 und Fahrvermittlungsagenturen stärker in die Pflicht ge- Zu Protokoll gegebene Reden nommen. zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Auch die Verdoppelung des Bußgeldrahmens bei Fah- Weiterentwicklung des Personalrechts der Be- rerverstößen von 15 000 auf 30 000 Euro findet ausdrück- amtinnen und Beamten der früheren Deutschen lich unsere Zustimmung. Insbesondere die jüngste Recht- Bundespost (Tagesordnungspunkt 21) sprechung, die bei Ahndung von Fahrerverstößen über den Unternehmer von Tateinheit ausgehen, wodurch die maximale Bußgeldsumme schnell ausgeschöpft war, Norbert Brackmann (CDU/CSU): Mit dem Gesetz- macht eine Anpassung erforderlich. entwurf zur „Weiterentwicklung des Personalrechts der Beamtinnen und Beamten der früheren Deutschen Bun- Wo Licht ist, ist auch Schatten. Nicht nachvollziehbar despost“ wollen wir zwei Dinge erreichen. Erstens soll ist für uns, warum Sie sich um ein Verbot des Verbrin- die unternehmerische Freiheit der Postnachfolgeunter- gens der Wochenruhezeit in der Fahrerkabine herumdrü- nehmen auch zukünftig sichergestellt werden. Zweitens cken. wollen wir für die noch über 100 000 aktiven Beamten der ehemaligen Deutschen Bundespost die Weiterbe- (B) Wenn man die Schilderungen von Brancheninsidern schäftigung im Postnachfolgebereich für den Fall si- (D) hört, dann läuft es einem angesichts der erbärmlichen so- chern, dass ihr Unternehmen vor Umstrukturierungen zialen Lage der Fahrer einfach nur kalt den Rücken run- steht. ter. Unter dem Deckmantel der Dienstleistungsfreiheit unterlaufen einige Unternehmen mit Sitz in Osteuropa Worum geht es genau? Mit der Privatisierung der über Subunternehmen jegliche Sozialvorschriften, in- Deutschen Bundespost wurde vor mehr als 20 Jahren ein dem sie mit Fahrern und Fahrzeugen aus dem Ausland neuer Weg beschritten. auch die Kabotageregeln umgehen und so die Branche in Die Beamten der Deutschen Bundespost wurden an einen ruinösen Wettbewerb drängen, der auf dem Rü- die Nachfolgeunternehmen, die Aktiengesellschaften cken der Fahrer ausgetragen wird. Dumpinglöhne und Deutsche Post AG, Telekom AG und Deutsche Postbank miese Arbeitszeitregelungen sind die unübersehbare AG, übertragen. Während der Bund als Dienstherr noch Folge. Es soll Fahrer geben, die monatelang Arbeits- und immer die Verantwortung für die Beamten trägt, liegt die Freizeit in „ihrem“ Lkw verbringen. Weiterbeschäftigungs- und Kostentragungspflicht aus- Hier bringt auch der Verweis auf eine europäische Re- schließlich bei den Postnachfolgeunternehmen. Doch ihre gelung nichts, liebe Kollegen von der Union. Wie lange Beschäftigung unter marktwirtschaftlichen Bedingungen wollen Sie denn die geschilderten Missstände noch dul- stellt für die Unternehmen zunehmend eine besondere den? Ja, es kann dann in Grenzregionen zu einer Verla- Herausforderung dar. Seit der Privatisierung bewegen gerung des Problems kommen, so wie wir es heute von sich die Postnachfolgeunternehmen unter Wettbewerbs- der deutsch-französischen Grenze kennen. Aber dies ist bedingungen. Sie sind heute auf internationalen Märkten ein regional begrenztes Problem. Jede Regelung im na- tätig und müssen sich dort fortlaufend im Wettbewerb tionalen Rahmen bewirkt eine deutliche Verbesserung bewähren. der jetzigen Zustände. Im Übrigen müssen wir hier auf Die Postbeamten sind Teil dieser unternehmerischen die Vorbild- und Signalwirkung setzen: Wenn mehr Län- Entwicklung. Jedoch hat das Postpersonalrecht mit der der das Verbringen der Wochenruhezeit im Lkw verbie- Entwicklung nicht Schritt gehalten. Die globalen Kon- ten, dann ziehen andere Länder sukzessive nach. Das be- zernbildungen sowie die Ausgründung von Tochter- und legen ja gerade die Beispiele Belgien und Frankreich, Enkelunternehmen waren schlichtweg bei der Schaffung wo entsprechende Vergehen mit Bußgeldern geahndet des Postpersonalrechtes in diesem Umfang nicht abseh- werden. bar. Wir könnten außerdem schon heute eine Sanktionie- Deshalb würden die Unternehmen bei einer gesell- rung haben, wenn nicht das Bundesverkehrsministerium schaftsrechtlichen Umwandlung durch Verschmelzung Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7379

(A) oder Spaltung vor der Herausforderung stehen, dass sie mens mit einzubeziehen sind. Um dies später in der Pra- (C) die Postbeamten in einem neuen Unternehmen nicht xis sicherzustellen und dem Bundesministerium als dem weiterbeschäftigen könnten. Denn die Postbeamten sind zuständigen Ressort seine Kontrollfunktion zu ermögli- nicht einfach an jedes private Unternehmen übertragbar. chen, sieht die Vorschrift eine Anzeigepflicht des Vor- Auch die für Arbeitnehmer geltenden Schutzvorschriften stands sowie ein Informationsrecht des Ministeriums sind auf die Postbeamten nicht anwendbar. vor. Zusätzlich wird es die Möglichkeit der Anforderung einer Sicherheitsleistung geben. Damit wird gewährleis- Dies bedeutet im Fall einer Unternehmensumstruktu- tet, dass die gesetzlichen Pflichten der Unternehmen rierung, dass die Postbeamten zum Bund zurückkehren. nach der Umwandlung erfüllt werden und eine Belas- Das ist aber nicht der Wunsch der Postnachfolgeunter- tung des Bundeshaushalts durch Unternehmensumstruk- nehmen, denn die Beamten sichern durch ihre Arbeitser- turierungen zuverlässig verhindert wird. fahrung den Unternehmen wichtige Kompetenzen und unternehmerisches Wissen. Und es ist auch nicht im Ein weiterer Aspekt des Gesetzes ist die viel disku- Sinne der Beamten, die im Postnachfolgebereich weiter- tierte Möglichkeit, private Unternehmen mit der Wahr- beschäftigt werden wollen. nehmung von Dienstherrenbefugnissen des Bundes zu beleihen. Dazu müssen zunächst die bestehenden gesetz- Der Gesetzentwurf sieht deshalb vor, die Bundesre- lichen Vorschriften um eine Ermächtigungsgrundlage gierung zu ermächtigen, dass sie per Rechtsverordnung zur Beleihung von sekundären Postnachfolgeunterneh- private Unternehmen, die in einem wirtschaftlichen oder men, also solchen Unternehmen, die aus den derzeitigen rechtlichen Nachfolgeverhältnis zu einem Postnachfol- Postnachfolgeunternehmen Deutsche Post AG, Deutsche geunternehmen stehen, mit der Weiterbeschäftigung und Telekom AG und Deutsche Postbank AG hervorgehen, Kostentragung beleihen können. ergänzt werden. Diese Beleihung setzt voraus, dass der Bund vor Er- Wichtig hierbei ist, um den Einwänden besorgter Bür- lass der Rechtsverordnung das Nachfolgeunternehmen gerinnen und Bürger zu begegnen: Es kommen lediglich prüft, ob es eine Weiterbeschäftigung und die Kosten tra- solche Unternehmen infrage, „die in einem rechtlichen gen kann. Zur Sicherheit des Bundes und der Postbeam- oder wirtschaftlichen Nachfolgeverhältnis zum ehemali- ten wird eine Sicherheitsleistung festgesetzt, die das Un- gen Sondervermögen Deutsche Bundespost stehen“. ternehmen erbringen muss. Durch diese Maßnahmen Weitere Wirtschaftsunternehmen sind für die Beleihung schützen wir die Postbeamten vor einer unsicheren Wei- nicht vorgesehen, und die Befürchtung mancher Beam- terbeschäftigung. Wir schützen die Interessen der Beam- tinnen und Beamten zukünftig an McDonald’s oder ten, indem wir unsere Verantwortung gegenüber den Karstadt „ausgeliehen“ zu werden ist damit unbegrün- Postbeamten wahrnehmen und alles unternehmen, um det. Auch darf die Regelung lediglich als Ultima Ratio (B) für eine nachhaltige, amtsangemessene Weiterbeschäfti- (D) verstanden werden. Eine Beschäftigung der Beamtinnen gung zu sorgen. und Beamten im Postnachfolgeunternehmen selbst und Ich bin davon überzeugt, dass wir mit diesem Gesetz nicht im daraus entstehenden sekundären Postnachfolge- im Interesse der Postbeamten Sinnvolles regeln. Im wei- unternehmen bleibt immer oberstes Ziel. Bei der Ent- teren parlamentarischen Verfahren ist Zeit und Gelegen- scheidung über eine etwaige Beleihung mit Dienstherrn- heit, die vom Bundesrat, den Gewerkschaften und Ver- befugnissen werden stets auch die Spitzenorganisationen bänden vorgebrachten Bedenken zu regeln. der Gewerkschaften beteiligt, um die Interessen der Be- schäftigten zu vertreten. Für die Unternehmen bringt der Gesetzentwurf durch mehr Flexibilität beim Einsatz der Michael Frieser (CDU/CSU): Mit dem im Oktober Beamtinnen und Beamten auch wirtschaftliche Chancen diesen Jahres durch die Bundesregierung eingebrachten mit sich. Den unternehmerischen Entwicklungen der Gesetzentwurf liegt uns ein ausgewogener Reformvor- vergangenen knapp 20 Jahre seit der Privatisierung wird schlag vor, mit dem wir eine für alle Seiten zufrieden- damit Rechnung getragen. stellende und effiziente Modernisierung des Postdienst- rechts erreichen werden. Die von Bundesfinanzminister Auch wollen wir mit dem Gesetz die dienstrechtlichen Wolfgang Schäuble eingebrachten Gegenäußerungen zur Zuständigkeiten für die inzwischen rund 275 000 Versor- Stellungnahme des Bundesrates unterstützen dies und gungsempfängerinnen und Versorgungsempfänger der zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind. ehemaligen Deutschen Bundespost und die Zuständig- keiten für die Bearbeitung der Beihilfe für die rund Mit einer Weiterentwicklung der organisatorischen 100 000 bei Postnachfolgeunternehmen beschäftigten Strukturen und rechtlichen Instrumentarien zielt die Re- Beamtinnen und Beamten auf die Bundesanstalt für Post form darauf ab, die Beschäftigungsverhältnisse der noch und Telekommunikation Deutsche Bundespost übertra- rund 100 000 bei Postnachfolgeunternehmen beschäftig- gen. Eine solche Zentralisierung ist eine zeitgemäße ten Bundesbeamtinnen und Bundesbeamten nachhaltig Maßnahme, bei der auch in Zukunft hohe Qualitätsstan- zu sichern. In einer im Gesetzentwurf vorgesehenen Vor- dards gesichert werden. schrift wird statuiert, dass im Falle einer Unternehmens- umstrukturierung neben unternehmensstrategischen Über- legungen auch die Belange der bei dem Unternehmen Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD): Zurzeit sind immer beschäftigten Beamtinnen und Beamten und die Interes- noch gut 100 000 Bundesbeamtinnen und Bundesbeamte sen des Dienstherren Bund an der weiteren Erfüllung der bei den Postnachfolgeunternehmen, also Deutsche Post gesetzlichen Verpflichtungen des Nachfolgeunterneh- AG, Deutsche Telekom AG und Deutsche Postbank AG, 7380 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

(A) beschäftigt. Mit dem nun vorliegenden Entwurf des spielsweise eine Warenhauskette oder ein Fastfoodres- (C) Gesetzes zur Weiterentwicklung des Personalrechts der taurant künftig das Recht einer Versetzung oder Beförde- Beamtinnen und Beamten der Deutschen Bundespost rung innehat. Des Weiteren wird die Sorge geäußert, sollen die organisatorischen Strukturen und rechtlichen dass durch die Zentralisierung der Bearbeitung der Bei- Instrumentarien im Postnachfolgebereich weiterentwi- hilfeanträge eine pünktliche Bearbeitung der Beihilfean- ckelt werden. Des Weiteren wird beabsichtigt, die Be- träge nicht mehr gewährleistet sei und somit ausstehende schäftigung der Bundesbeamtinnen und Bundesbeamten, Arztrechnungen nicht mehr pünktlich bezahlt werden. die bei den Postnachfolgeunternehmen tätig sind, nach- Diese Bedenken sind natürlich sehr ernst zu nehmen. Ich haltig zu sichern. halte sie aber für unbegründet. Um diese Ziele zu erreichen, werden die vorhandenen So enthält § 38 Absatz 2 PostPersRG-E ausschließ- gesetzlichen Vorschriften um eine Ermächtigungsgrund- lich eine Ermächtigungsgrundlage für die Bundesregie- lage zur Beleihung von sekundären Postnachfolgeunter- rung, durch Rechtsverordnung solche Unternehmen mit nehmen ergänzt. Dies ist deswegen nötig, da bei einer Sitz im Inland als Postnachfolgeunternehmen zu bestim- gesellschaftsrechtlichen Umwandlung der Postnachfol- men und damit auch mit Dienstherrenbefugnissen zu be- geunternehmen die bisherige Pflicht der Unternehmen leihen, „die in einem rechtlichen oder wirtschaftlichen zur Weiterbeschäftigung und Kostentragung der dort be- Nachfolgeverhältnis zum ehemaligen Sondervermögen schäftigten Beamtinnen und Beamten wieder den Deutsche Bundespost stehen.“ Damit kommen also nur Dienstherrn Bund träfe. Ein solcher „Rückfall“ kann solche Unternehmen in Betracht, die im Wege einer aber nicht im Interesse aller Beteiligten, also Beamten- Umwandlung aus einem der derzeitigen primären Post- schaft, Unternehmen, Bund, sein, da eine angemessene nachfolgeunternehmen hervorgegangen sind. Insofern ist Verwendung der Beamtinnen und Beamten in der Bun- eine Beleihung von Warenkaufhäusern oder auch Fast- desverwaltung nicht möglich ist. foodrestaurants bereits nach dem Wortlaut der Vorschrift Zudem wird mit dem Gesetzentwurf die dienstrechtli- ausgeschlossen, da diese Unternehmen eben nicht in ei- che Zuständigkeit der Postnachfolgeunternehmen be- nem rechtlichen oder wirtschaftlichen Nachfolgeverhält- schränkt und die Beihilfebearbeitung zentralisiert. nis zum ehemaligen Sondervermögen Deutsche Bundes- post stehen. Die Postnachfolgeunternehmen sind nicht nur für die aktiven Beamtinnen und Beamten dienstrechtlich zu- Hinzu kommt, dass vor Erlass einer Rechtsverord- ständig, sondern auch für die Pensionärinnen und nung die Spitzenorganisationen der zuständigen Ge- Pensionäre sowie deren Hinterbliebene. Nun ist es mitt- werkschaften nach § 118 des Bundesbeamtengesetzes zu lerweile so, dass die Zahl der Versorgungsempfänger der beteiligen sind. Sollte dann ein anderes Unternehmen (B) früheren Deutschen Bundespost die Zahl der noch beliehen werden, gelten selbstverständlich die bisheri- (D) beschäftigten Beamtinnen und Beamten weit übertrifft. gen beamtenrechtlichen Grundsätze fort. Zum einen 100 000 Aktiven stehen circa 275 000 Versorgungsemp- werden die Beamtinnen und Beamten unter Wahrung fänger gegenüber. Es ist absehbar, dass sich dieses ihrer Rechtsstellung zu den bisherigen Konditionen wei- Verhältnis zukünftig noch weiter in Richtung Versor- terbeschäftigt, zum andern greifen die Benachteiligungs- gungsempfänger verschieben wird, da neue Beamtenver- verbote des Postpersonalrechtsgesetzes. hältnisse nicht mehr begründet werden. Dies hätte dann Auch die Bedenken gegen eine Zentralisierung der zur Folge, dass die Postnachfolgeunternehmen bei einer Bearbeitung der Beihilfeanträge halte ich für unbegrün- unveränderten Aufgabenzuweisung die Verantwortung det. für die Betreuung der Versorgungsempfängerinnen und Versorgungsempfänger noch Jahrzehnte, nachdem die Über 90 Prozent der Beihilfeberechtigten aus dem letzten Beamtinnen und Beamten aus dem aktiven Postnachfolgebereich sind von der Zentralisierung rechts- Dienst ausgeschieden sind, übernehmen müssten. Dies praktisch gar nicht betroffen. Im sogenannten „vereinig- erscheint weder dienstrechtlich sachgerecht noch be- ten Verfahren“ werden deren Beihilfeangelegenheiten triebswirtschaftlich sinnvoll. wie bisher von der Postbeamtenkrankenkasse übernom- men. Nur diejenigen, die nicht bei der Postbeamtenkran- Es macht daher Sinn, dass mit dem Ausscheiden der kenkasse ergänzend krankenversichert sind, werden von Postbeamtinnen und Postbeamten aus dem aktiven der Zentralisierung betroffen sein. Die Zuständigkeiten Dienst, die dienstrechtliche Zuständigkeit der Postnach- bei der Bearbeitung der beamtenrechtlichen Beihilfe im folgeunternehmen endet. Zukünftig wird deshalb die Postnachfolgebereich sind derzeit leider nicht einheit- Bundesanstalt für Post und Telekommunikation Deut- lich. Formal erfolgt in der Regel die Festsetzung der Bei- sche Bundespost, eine Anstalt im Geschäftsbereich des hilfe durch das mit Dienstherrenbefugnissen beliehene BMF, diesen Personenkreis betreuen. Gleiches gilt auch Postnachfolgeunternehmen. Faktisch aber erfolgt die für die Bearbeitung der Beihilfe für die noch aktiven Be- Bearbeitung teils durch das Postnachfolgeunternehmen amtinnen und Beamten der Postnachfolgeunternehmen. selbst, teils durch das Bundesamt für zentrale Dienste Liebe Kolleginnen und Kollegen, nun haben auch Sie und offene Vermögensfragen und durch die Postbeam- sicher in den letzten Wochen viele Eingaben mit geäu- tenkrankenkasse. Es liegt in der Natur der Sache, dass ßerten Bedenken der Bediensteten erhalten. Unter ande- eine solche Zuständigkeitsverteilung häufig fehleranfäl- rem wird befürchtet, dass die Dienstherrnbefugnisse per lig ist und zu uneinheitlichen Entscheidungen führt. Rechtsverordnung auf jedes x-beliebige Unternehmen Insofern halte ich es für richtig, dass die langfristige übertragen werden könnten, mit der Folge, dass bei- Sicherung eines hohen Qualitätsstandards bei der Bear- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014 7381

(A) beitung der Beihilfe im Bundesinteresse liegt. Daher ist terung der Zuweisungsmöglichkeiten von Tätigkeiten an (C) es meines Erachtens vernünftig, hier ein einheitliches andere Unternehmen, die Erleichterung von Versetzun- Fallmanagement und eine zentrale Sachbearbeitung ein- gen zu anderen Unternehmen und Behörden und die vor- zuführen. Ich denke, dass dies zu einer nachhaltigen gesehene Ausweitung der Möglichkeit zu unterwertigem Qualitätssicherung führen kann. Einsatz der Beamtinnen und Beamten stehen im Gegen- satz zu Artikel 143 b und den wesentlichen beamten- Wir werden im Verlaufe der Gesetzesberatungen die rechtlichen Grundsätzen. Sie würden einer verfassungs- Bedenken der Bediensteten – so hoffe ich – weitestge- rechtlichen Überprüfung nicht standhalten. hend ausräumen und dann zu einer richtigen und sinn- vollen Weiterführung des Personalrechts der Beamtin- Ein zweiter wesentlicher Bestandteil des Gesetzes ist nen und Beamten der früheren Deutschen Bundespost die Überführung der dienstrechtlichen Betreuung der kommen. rund 275 000 Versorgungsempfängerinnen und Versor- gungsempfänger auf die Bundesanstalt für Post und Te- Frank Tempel (DIE LINKE): Die Linke hat in den lekommunikation. Auch die Bearbeitung der Beihilfe letzten Jahren mit Sorge die zunehmend negativen Ent- würde an diese Stelle übergehen. Wir sind in Sorge, dass wicklungen für die Beamtinnen und Beamten der Post- bei einer überstürzten Zentralisierung der Beihilferege- nachfolgeunternehmungen verfolgt. Beispielweise sind lung und der Fürsorge für Krankheit, Pflege und Geburt aus unserer Sicht die Aufstiegsmöglichkeiten für die Be- die Aufgaben nicht im üblichen Umfang wahrgenom- amtinnen und Beamtinnen in den Postnachfolgeunter- men werden können. Die negativen Folgen einer übereil- nehmungen völlig unzureichend. Zwar ist dieses Pro- ten Umstrukturierung konnten im vergangenen Jahr bei blem im öffentlichen Dienst allgemein weit verbreitet, der Abgabe der Beihilfestelle der Bundeswehr an das besteht hier aber verschärft. Finanz- und das Innenministerium beobachtet werden: Ein riesiger Abarbeitungsstau und monatelange Warte- Seit der Postprivatisierung 1995 hat sich der Umgang zeiten bei der Kostenerstattung für die Bediensteten wa- mit den Beschäftigten in den Nachfolgeunternehmungen ren die Folge. der Post in vielen Details als änderungswürdig herausge- stellt. Dabei sollte der Anspruch sein, die Interessen des Die Fraktion Die Linke wird aus all diesen Gründen Bundes, der Unternehmen und der Beschäftigten glei- dem Gesetzpaket in seiner jetzigen Form keine Zustim- chermaßen zu berücksichtigen. Wir haben erhebliche mung erteilen können. Zweifel, ob sich dies so im Gesetzentwurf niederge- schlagen hat. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In der (B) Die Bundesregierung hatte den Gewerkschaften den Vergangenheit hatte der Bundesrechnungshof wiederholt (D) „Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung des Personalrechts kritisiert, dass die Postbeamtenversorgung nicht über der Beamtinnen und Beamten der früheren Deutschen eine öffentlich-rechtliche Einrichtung, sondern über ei- Bundespost“ zur Stellungnahme zugeleitet. Es sollte selbst- nen eingetragenen Verein organisiert war. Soweit nun verständlich sein, dass ein so weitgehender Einschnitt in auch haushaltsrelevante Personalverwaltungsaufgaben, das Personalrecht von über 100 000 Mitarbeiterinnen und insbesondere die Versorgungs- und Beihilfebearbeitung, Mitarbeitern jenseits der Einholung von Stellungnahmen bei der Bundesanstalt für Post und Telekommunikation eine breitere Diskussion und Beteiligung der Gewerk- Deutsche Bundespost zusammengeführt werden, ist das schaften erforderlich macht. Leider sind in den letzten vernünftig. Wochen kaum Anzeichen erkennbar gewesen, dass die Doch der Teufel steckt oft im Detail. Und so verste- Bundesregierung die Diskussion sucht oder befördert. cken sich auch in Ihrem Gesetzentwurf einige andere Regelungen, deren Sinn und Rechtmäßigkeit hier doch Im vorliegenden Gesetz gibt es einzelne begrüßens- infrage gestellt werden müssen. Denn hier werden werte Änderungen, etwa bei der Regelung der Lebens- grundlegende Rechte der Beamtinnen und Beamten in arbeitszeitkonten. Insgesamt stellt der Entwurf des Bundes den Postnachfolgeunternehmen ausgehöhlt. Und das, aber den Versuch dar, sich gegen eine etwaige Rücknah- nachdem diese Beamtinnen und Beamten schon vielfach meverpflichtung gegenüber den Beamtinnen und Beamten diversen Umbrüchen ausgesetzt wurden. Ich möchte abzusichern, falls Eigentumsänderungen oder betriebliche Nachfolgendes betonen: Wir sprechen hier von mehr als Umstrukturierungen der Postnachfolgeunternehmungen 100 000 Bundesbeamtinnen und -beamten, für die Sie die Frage nach dem Status der Beamtinnen und Beamten eine Fürsorgepflicht haben. aufkommen lassen. Dabei ist die verfassungsrechtliche Situation völlig eindeutig: So soll in § 2 das Rechtsverhältnis der Beamten und Beamtinnen neu geregelt werden, und zwar werden die Nach Artikel 143 b Absatz 3 des Grundgesetzes wer- Beamten und Beamtinnen danach auch bei dem Post- den die bei der Deutschen Bundespost tätigen Beamtin- nachfolgeunternehmen beschäftigt, dem sie nach der nen und Beamten unter Wahrung ihrer Rechtsstellung Verkündung dieses Gesetzes durch eine Rechtsverord- und der Verantwortung des Dienstherrn, des Bundes, bei nung nach § 38 Absatz 2 Satz 4 oder durch eine Einzel- den privaten Unternehmen beschäftigt. Diese Unterneh- entscheidung zugeordnet werden. men üben Dienstherrenbefugnisse aus. Die drei Unter- nehmen, Deutsche Post AG, Deutsche Postbank AG und Was sind denn das für Postnachfolgeunternehmen? Deutsche Telekom AG, sind explizit benannt. Die Erwei- Welche Einzelfallentscheidungen sind denn anvisiert? 7382 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2014

(A) Tatsächlich bedeutet dies eine weitere Unklarheit für Ich möchte an dieser Stelle an unser Grundgesetz er- (C) die Beamten: Wohin wird die Reise gehen? Wem können innern. Dort ist in Artikel 143 b geregelt, dass die Wei- sie bundesweit ohne ihre Zustimmung und ohne zeitliche terbeschäftigung der Bundesbeamten „unter Wahrung Begrenzung „zugeordnet“ werden? Das haben Sie bis- ihrer Rechtsstellung“ bei den privaten Unternehmen er- lang nicht gesagt. Was für eine Rechtsverordnung folgt. Damit sind die jetzigen Unternehmen gemeint. In- schwebt Ihnen da vor, und was ist überhaupt der kon- wiefern Ihr Vorhaben hier verfassungskonform ist, wage krete Hintergrund für einen solchen Regelungsbedarf? ich zumindest zu bezweifeln. Darüber haben Sie bislang geschwiegen. Zudem wird der § 6 neu gefasst und die Verwendung In diesem Sinne wirkt auch die neue Regelung der auf einem Arbeitsposten mit geringerer Wertigkeit gere- Rechtsverhältnisse der Postnachfolgeunternehmen in gelt. Es ist ja gut, dass hier auf die Zumutbarkeit abge- § 38. Danach sollen nun Postnachfolgeunternehmen stellt wird, aber auf die Zustimmung soll es erst bei einer nicht nur die in § 1 Absatz 2 des Postumwandlungsge- mehr als zweijährigen Tätigkeit ankommen. setzes genannten inländischen Unternehmen sein, son- Für die Rechte der Beamtinnen und Beamten bei der dern die Bundesregierung wird nun ermächtigt, durch Post tragen Sie ganz direkt auch Verantwortung. Ich bitte Rechtsverordnung, Unternehmen als Postnachfolgeun- Sie darum, dieser Verantwortung auch gerecht zu wer- ternehmen zu bestimmen. den.

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