Plenarprotokoll 18/190

Deutscher

Stenografischer Bericht

190. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 22. September 2016

Inhalt:

Glückwünsche zum Geburtstag des Bundes- Sören Bartol (SPD)...... 18749 B ministers Dr. Wolfgang Schäuble sowie der Dr . (BÜNDNIS 90/ Abgeordneten und Karl DIE GRÜNEN)...... 18751 B Holmeier...... 18743 A (CDU/CSU)...... 18752 D Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung ...... 18743 B Dr .Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 18753 B Absetzung der Tagesordnungspunkte 39 b und 24 ...... 18744 D (DIE LINKE)...... 18754 C Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . . 18745 A Kirsten Lühmann (SPD)...... 18755 C (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 18756 B Tagesordnungspunkt 4: Dr .Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: DIE GRÜNEN)...... 18757 B Bundesverkehrswegeplan 2030 (CDU/CSU)...... 18758 C Drucksache 18/9350...... 18745 C (SPD)...... 18760 A b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Sechs- Dr .Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ ten Gesetzes zur Änderung des Fern- DIE GRÜNEN)...... 18760 D straßenausbaugesetzes Ulrich Lange (CDU/CSU) ...... 18761 D Drucksache 18/9523...... 18745 C c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Drit- Tagesordnungspunkt 5: ten Gesetzes zur Änderung des Bundes- a) Erste Beratung des von der Bundesre- schienenwegeausbaugesetzes gierung eingebrachten Entwurfs eines Drucksache 18/9524...... 18745 D Gesetzes zur Änderung des Arbeitneh- d) Erste Beratung des von der Bundesregie- merüberlassungsgesetzes und anderer rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- Gesetze setzes über den Ausbau der Bundes- Drucksache 18/9232...... 18763 C wasserstraßen und zur Änderung des b) Antrag der Abgeordneten , Bundeswasserstraßengesetzes , Matthias W . Birkwald, Drucksache 18/9527...... 18745 D weiterer Abgeordneter und der Fraktion , Bundesminister DIE LINKE: Etablierung von Leiharbeit BMVI ...... 18746 A und Missbrauch von Werkverträgen verhindern (DIE LINKE)...... 18748 B Drucksache 18/9664...... 18763 D II Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 in Verbindung mit Ernst, , Susanna Karawanskij, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Vorläufige Anwendung des Zusatztagesordnungspunkt 2: ­CETA-Abkommens verweigern Antrag der Abgeordneten Beate Müller- Drucksachen 18/8391, 18/9697...... 18777 C Gemmeke, Corinna Rüffer, , wei- c) Beschlussempfehlung und Bericht des terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu NIS 90/DIE GRÜNEN: Missbrauch von dem Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, Leiharbeit und Werkverträgen verhindern Susanna Karawanskij, Jutta Krellmann, Drucksache 18/7370...... 18763 D weiterer Abgeordneter und der Fraktion , Bundesministerin BMAS . . . . 18764 A DIE LINKE: Abstimmung über CETA erfordert Beteiligung von Bundestag Dr . (DIE LINKE). . . . . 18765 C und Bundesrat Karl Schiewerling (CDU/CSU) ...... 18767 B Drucksachen 18/9030, 18/9703...... 18777 C Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ Klaus Ernst (DIE LINKE) ...... 18777 C DIE GRÜNEN)...... 18768 D Dr . Michael Fuchs (CDU/CSU)...... 18779 A (SPD)...... 18770 B Klaus Ernst (DIE LINKE) ...... 18781 A Klaus Ernst (DIE LINKE) ...... 18770 C Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/ (CDU/CSU)...... 18772 A DIE GRÜNEN)...... 18781 B Jutta Krellmann (DIE LINKE)...... 18774 B (Peine) (SPD) ...... 18783 A (SPD)...... 18774 C (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 18784 C (CDU/CSU)...... 18775 B (CDU/CSU)...... 18785 C (DIE LINKE)...... 18787 A Tagesordnungspunkt 6: Hubertus Heil (Peine) (SPD) ...... 18787 C a) Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, Matthias W . Birkwald, Susanna Axel Schäfer (Bochum) (SPD)...... 18788 C Karawanskij, weiterer Abgeordneter und Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ der Fraktion DIE LINKE zu dem Vor- DIE GRÜNEN)...... 18789 C schlag für einen Beschluss des Rates über die Unterzeichnung – im Namen Barbara Lanzinger (CDU/CSU)...... 18790 C der Europäischen Union – des umfas- Dr . (SPD)...... 18791 D senden Wirtschafts- und Handelsab- kommens (CETA) zwischen Kanada Dr . (SPD)...... 18792 D einerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits Namentliche Abstimmung ...... 18793 C KOM(2016) 444 endg.; Rats- dok. 10968/16...... und Ergebnis ...... 18800 C zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates über die vorläufige Anwen- dung des umfassenden Wirtschafts- und Zusatztagesordnungspunkt 3: Handelsabkommens (CETA) zwischen Kanada einerseits und der Europäi- Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD schen Union und ihren Mitgliedstaaten zu dem Vorschlag für einen Beschluss des andererseits Rates über die Unterzeichnung – im Namen KOM(2016) 470 endg.; Rats- der Europäischen Union – des umfassen- dok. 10969/16...... den Wirtschafts- und Handelsabkommens (CETA) zwischen Kanada einerseits und hier: Stellungnahme gegenüber der der Europäischen Union und ihren Mit- Bundesregierung gemäß Arti- gliedstaaten andererseits kel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes KOM(2016) 444 endg.; Ratsdoku- Gemeinwohl vor Konzerninteressen – ment 10968/16...... CETA stoppen und Drucksache 18/9665...... 18777 B zu dem Vorschlag für einen Beschluss des b) Beschlussempfehlung und Bericht des Rates über die vorläufige Anwendung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie umfassenden Wirtschafts- und Handelsab- zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus kommens (CETA) zwischen Kanada einer- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 III

seits und der Europäischen Union und ihren Namentliche Abstimmung ...... 18795 A Mitgliedstaaten andererseits KOM(2016) 470 endg.; Ratsdoku- Ergebnis ...... 18806 A ment 10969/16...... hier: Stellungnahme gegenüber der Bun- desregierung gemäß Artikel 23 Ab- satz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 8 Tagesordnungspunkt 43: Absatz 4 des Gesetzes über die Zusam- a) Erste Beratung des von der Bundesregie- menarbeit von Bundesregierung und rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- Deutschem Bundestag in Angelegen- setzes zur Änderung des Kommunalin- heiten der Europäischen Union vestitionsförderungsgesetzes und zur Comprehensive Economic and Trade Änderung weiterer Gesetze Agreement (CETA) – Für freien und fairen Drucksache 18/9231...... 18795 B Handel b) Erste Beratung des von der Bundesregie- Drucksache 18/9663...... 18794 B rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Strafrechtsübereinkommen Namentliche Abstimmung ...... 18794 C des Europarats vom 27. Januar 1999 über Korruption und dem Zusatzproto- koll vom 15. Mai 2003 zum Strafrechts- Ergebnis ...... 18803 A übereinkommen des Europarats über Korruption Drucksache 18/9234...... 18795 C Tagesordnungspunkt 39: c) Erste Beratung des von der Bundesregie- a) Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- , Britta Haßelmann, weite- zes zu dem Übereinkommen des Europa- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- rats vom 16. Mai 2005 über Geldwäsche NIS 90/DIE GRÜNEN zu dem Vorschlag sowie Ermittlung, Beschlagnahme und für einen Beschluss des Rates über die Einziehung von Erträgen aus Straftaten Unterzeichnung – im Namen der Eu- und über die Finanzierung des Terroris- ropäischen Union – des umfassenden mus Wirtschafts- und Handelsabkommens Drucksache 18/9235...... 18795 C (CETA) zwischen Kanada einerseits und d) Erste Beratung des von der Bundesre- der Europäischen Union und ihren Mit- gierung eingebrachten Entwurfs eines gliedstaaten andererseits Gesetzes zur Umsetzung der Richtli- KOM(2016) 444 endg.; Rats- nie 2012/18/EU zur Beherrschung der dok. 10968/16 Gefahren schwerer Unfälle mit gefähr- und lichen Stoffen, zur Änderung und an- zu dem Vorschlag für einen Beschluss schließenden Aufhebung der Richtli- des Rates über die vorläufige Anwen- nie 96/82/EG des Rates dung des umfassenden Wirtschafts- und Drucksache 18/9417...... 18795 D Handelsabkommens (CETA) zwischen Kanada einerseits und der Europäi- e) Erste Beratung des von der Bundesregie- schen Union und ihren Mitgliedstaaten rung eingebrachten Entwurfs eines Dritten andererseits Gesetzes zur Änderung des Seefischerei- gesetzes KOM(2016) 470 endg.; Rats- Drucksache 18/9466...... 18795 D dok. 10969/16 hier: Stellungnahme gegenüber der f) Erste Beratung des von der Bundesregie- Bundesregierung gemäß Arti- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- kel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes zes zur Ausland-Ausland-Fernmeldeauf- Comprehensive Economic and Trade klärung des Bundesnachrichtendienstes Agreement (CETA) ablehnen Drucksache 18/9529...... 18795 D Drucksache 18/9621...... 18794 D g) Erste Beratung des von der Bundesregie- c) Beschlussempfehlung und Bericht des rung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu Gesetzes zur Änderung des Saatgutver- dem Antrag der Abgeordneten Katharina kehrsgesetzes Dröge, Bärbel Höhn, Renate Künast, Drucksache 18/9531...... 18795 D weiterer Abgeordneter und der Frakti- h) Antrag der Abgeordneten , on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Dem Eva Bulling-Schröter, , weiterer ­CETA-Abkommen so nicht zustimmen Abgeordneter und der Fraktion DIE LIN- Drucksachen 18/6201, 18/9701...... 18795 A KE: Keine Steuerbefreiung für Atom- IV Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

kraftwerke – Die Brennelementesteuer b)–g) muss bleiben Beratung der Beschlussempfehlungen des Drucksache 18/9124...... 18796 A Petitionsausschusses: Sammelübersich- ten 351, 352, 353, 354, 355 und 356 zu i) Antrag der Abgeordneten , Petitionen Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer Drucksachen 18/9578, 18/9579, 18/9580, Abgeordneter und der Fraktion DIE LIN- 18/9581, 18/9582, 18/9583...... 18797 B KE: Längere Lebensdauer für techni- sche Geräte Drucksache 18/9179...... 18796 A Zusatztagesordnungspunkt 5: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Recht und Verbraucherschutz: zu Zusatztagesordnungspunkt 4: dem Streitverfahren 2 BvE 2/16 vor dem a) Antrag der Abgeordneten , Bundesverfassungsgericht , (Köln), Drucksache 18/9691...... 18798 A weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Abgabe von anschlagsfähigen Ausgangsstoffen Tagesordnungspunkt 7: beschränken a) Erste Beratung des von der Bundesregie- Drucksache 18/7654...... 18796 B rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Stärkung der Teilhabe und b) Antrag der Abgeordneten Nicole Maisch, Selbstbestimmung von Menschen mit , , weite- Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- BTHG) NIS 90/DIE GRÜNEN: Mehr Trans- Drucksache 18/9522...... 18798 A parenz bei vegetarischen und veganen Produkten schaffen b) Antrag der Abgeordneten Corinna Rüffer, Drucksache 18/9057...... 18796 B Kerstin Andreae, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- c) Antrag der Abgeordneten Irene Mihalic, NIS 90/DIE GRÜNEN: Mit dem Bun- Dr ., Luise Amtsberg, desteilhabegesetz volle Teilhabe ermög- weiterer Abgeordneter und der Fraktion lichen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hand- Drucksache 18/9672...... 18798 B lungsbedarf im Waffenrecht für mehr Andrea Nahles, Bundesministerin BMAS . . . . 18798 C öffentliche Sicherheit Drucksache 18/9674...... 18796 B (DIE LINKE) ...... 18808 D d) Antrag der Abgeordneten Katja Keul, Karl Schiewerling (CDU/CSU) ...... 18810 D Renate Künast, Dr ., Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/ weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE GRÜNEN)...... 18812 A BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Internatio- nale rechtliche Zusammenarbeit stärken Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD). . . . . 18813 C und ausbauen Matthias W . Birkwald (DIE LINKE). . . . . 18814 B Drucksache 18/9675...... 18796 C (SPD)...... 18815 A e) Antrag der Abgeordneten , Dr . Carola Reimann (SPD)...... 18815 D Dr .Franziska Brantner, , weiterer Abgeordneter und der Fraktion Dr . (CDU/CSU) ...... 18817 A BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Syrien – (SPD)...... 18819 B Luftbrücke einrichten, humanitäre Not lindern (CDU/CSU)...... 18820 B Drucksache 18/9687...... 18796 D Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 18820 C Jutta Krellmann (DIE LINKE)...... 18821 A Tagesordnungspunkt 44: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Zusatztagesordnungspunkt 6: eines Gesetzes zur Änderung des Ge- Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktio- setzes über die Errichtung einer Ot- nen der CDU/CSU und SPD: Die Situation in to-von-Bismarck-Stiftung Syrien nach dem Angriff auf den VN-Hilfs- Drucksachen 18/8497, 18/9692...... 18797 A konvoi Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 V

Niels Annen (SPD)...... 18823 A Tagesordnungspunkt 13: Heike Hänsel (DIE LINKE)...... 18824 A Antrag der Abgeordneten (), Volker Beck (Köln), Annalena Jürgen Hardt (CDU/CSU)...... 18825 A Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: DIE GRÜNEN)...... 18826 A 10. Jahrestag der Ermordung Anna ­Politkowskajas – Menschenrechtsverteidi- Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU). . . . . 18827 A gerinnen und Menschenrechtsverteidigern in Russland zur Seite stehen Sevim Dağdelen (DIE LINKE)...... 18827 D Drucksache 18/9673...... 18845 B Michael Roth, Staatsminister AA...... 18828 D Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ Dr . Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 18845 B DIE GRÜNEN)...... 18830 B Dr . (CDU/CSU)...... 18846 B Dr . (CDU/CSU)...... 18831 C (DIE LINKE)...... 18847 D (Minden) (SPD)...... 18832 C Dr . Ute Finckh-Krämer (SPD) ...... 18848 D (CDU/CSU)...... 18833 C Dr . (CDU/CSU)...... 18850 B (SPD)...... 18834 C (CDU/CSU) ...... 18835 C Tagesordnungspunkt 10: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Tagesordnungspunkt 8: zes zur Umsetzung der Änderungen der Zweite Beratung und Schlussabstimmung EU-Amtshilferichtlinie und von weite- des von den Fraktionen der CDU/CSU und ren Maßnahmen gegen Gewinnkürzun- SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes gen und verlagerungen zu dem Übereinkommen von Paris vom Drucksache 18/9536...... 18851 D 12. Dezember 2015 b) Zweite und dritte Beratung des von der Drucksachen 18/9650, 18/9704 ...... 18836 C Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Mehrseitigen Ver- einbarung vom 27. Januar 2016 zwi- in Verbindung mit schen den zuständigen Behörden über den Austausch länderbezogener Berich- te Zusatztagesordnungspunkt 7: Drucksachen 18/8841, 18/9695...... 18851 D Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Dr . , Parl . Staatssekretär schusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und BMF ...... 18852 A Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abge- ordneten Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, Richard Pitterle (DIE LINKE)...... 18853 A Sylvia Kotting-Uhl, weiterer Abgeordneter () (SPD)...... 18853 D und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Zur Unterzeichnung des Pariser Kli- Dr .Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ maabkommens – Klimaschutz wirksam DIE GRÜNEN)...... 18855 A verankern und Klimaziele einhalten Dr . (CDU/CSU)...... 18856 A Drucksachen 18/8080, 18/9702 ...... 18836 D Dr . Jens Zimmermann (SPD)...... 18857 B Dr . Barbara Hendricks, Bundesministerin Dr . h . c . (CDU/CSU). . . . . 18858 B BMUB...... 18836 D Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE)...... 18838 A Tagesordnungspunkt 11: Dr . (CDU/CSU)...... 18839 A Antrag der Abgeordneten Sabine Zimmermann Dr . (BÜNDNIS 90/ (Zwickau), Norbert Müller (Potsdam), Katja DIE GRÜNEN)...... 18840 A Kipping, weiterer Abgeordneter und der Frak- Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/ tion DIE LINKE: Jedes Kind ist gleich viel DIE GRÜNEN)...... 18841 B wert – Aktionsplan gegen Kinderarmut Drucksache 18/9666...... 18859 B Frank Schwabe (SPD)...... 18842 D Sabine Zimmermann (Zwickau) (CDU/CSU)...... 18843 D (DIE LINKE) ...... 18859 C VI Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Jutta Eckenbach (CDU/CSU)...... 18860 B gungsrücklagegesetzes und weiterer dienstrechtlicher Vorschriften Dr .Wolfgang Strengmann-Kuhn Drucksache 18/9532...... (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)...... 18862 A 18881 A (Wetzlar) (SPD) ...... 18863 B Dr . Günter Krings, Parl . Staatssekretär BMI...... 18881 B Tobias Zech (CDU/CSU)...... 18864 C (DIE LINKE)...... 18882 A Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE). . . . 18865 D Mahmut Özdemir (Duisburg) (SPD) ...... 18882 D (SPD) ...... 18866 D Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 18883 D Tagesordnungspunkt 12: (CDU/CSU) ...... 18884 C Antrag der Bundesregierung: Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der ­NATO-geführten Maritimen Sicherheits- Tagesordnungspunkt 15: operation SEA GUARDIAN im Mittelmeer Drucksache 18/9632...... 18868 A Antrag der Abgeordneten , Cornelia Möhring, Sigrid Hupach, weiterer Dr . , Parl . Staatssekretär Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: BMVg...... 18868 A Geschlechtergerechtigkeit in der Wissen- Sevim Dağdelen (DIE LINKE)...... 18869 B schaft durchsetzen Drucksache 18/9667...... 18885 D (SPD)...... 18870 C Nicole Gohlke (DIE LINKE)...... 18885 D Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 18871 C Dr . Claudia Lücking-Michel (CDU/CSU) . . . . 18886 D Matthias Ilgen (SPD) ...... 18872 C (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 18887 D (CDU/CSU)...... 18873 C (SPD)...... 18889 A (CDU/CSU) ...... 18874 C Alexandra Dinges-Dierig (CDU/CSU). . . . . 18890 A Dr . (SPD)...... Tagesordnungspunkt 17: 18891 A Antrag der Abgeordneten Matthias Gastel, Stephan Kühn (Dresden), , wei- Tagesordnungspunkt 16: terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Deutschland-Takt Erste Beratung des von der Bundesregierung jetzt umsetzen – Weichen in der Bundesver- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum kehrswegeplanung richtig stellen Schutz vor Manipulationen an digitalen Drucksache 18/7554...... 18875 C Grundaufzeichnungen Drucksache 18/9535...... 18892 B Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 18875 D Alexander Funk (CDU/CSU)...... 18876 C Zusatztagesordnungspunkt 8: Sabine Leidig (DIE LINKE)...... 18877 B Erste Beratung des von den Abgeordneten Kirsten Lühmann (SPD)...... 18878 A Tabea Rößner, Dr .Konstantin von Notz, Hans- Christian Ströbele, weiteren Abgeordneten Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU)...... 18879 D und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Auskunftsrecht der Presse gegenüber Tagesordnungspunkt 14: Bundesbehörden (Presseauskunftsgesetz) Drucksache 18/8246...... 18892 B a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Bun- Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ desbesoldungs- und -versorgungsan- DIE GRÜNEN)...... 18892 C passungsgesetzes 2016/2017 (BBVAnpG 2016/2017) (Altötting) (CDU/CSU). . . . . 18893 C Drucksache 18/9533...... 18881 A (Havelland) (DIE LINKE). . . . 18894 C b) Erste Beratung des von der Bundesre- (SPD)...... 18895 B gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Versor- Dr .T im Ostermann (CDU/CSU) ...... 18896 D Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 VII

Tagesordnungspunkt 18: Tagesordnungspunkt 23: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Erste Beratung des von der Bundesregierung desregierung eingebrachten Entwurfs eines eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Geset- Gesetzes zur Änderung bewachungsrechtli- zes zur Stärkung der Verfahrensrechte von cher Vorschriften Beschuldigten im Strafverfahren und zur Drucksachen 18/8558, 18/9707 ...... 18897 D Änderung des Schöffenrechts Drucksache 18/9534...... 18899 A

Tagesordnungspunkt 19: Tagesordnungspunkt 25: Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- nanzausschusses zu dem Antrag der Abgeord- Erste Beratung des von der Bundesregierung neten Dr ., Klaus Ernst, Matthias eingebrachten Entwurfs eines Vierten Geset- W . Birkwald, weiterer Abgeordneter und der zes zur Änderung des Bundesfernstraßen- Fraktion DIE LINKE: Solidaritätszuschlag mautgesetzes für gleichwertige Lebensverhältnisse in Drucksache 18/9440...... 18899 A ganz Deutschland verwenden Drucksachen 18/5221, 18/9694 ...... 18898 A Tagesordnungspunkt 26: Erste Beratung des von der Bundesregie- Tagesordnungspunkt 20: rung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Erste Beratung des von der Bundesregierung zur Neuordnung der Aufgaben der Bun- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur desanstalt für Finanzmarktstabilisierung Einführung der elektronischen Akte in (­FMSA-Neuordnungsgesetz – FMSA- Strafsachen und zur weiteren Förderung NeuOG) des elektronischen Rechtsverkehrs Drucksache 18/9530...... 18899 B Drucksache 18/9416...... 18898 B Tagesordnungspunkt 27: Tagesordnungspunkt 21: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur – Zweite und dritte Beratung des von der Durchführung unionsrechtlicher Vorschrif- Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ten über das Schulprogramm für Obst, eines Gesetzes zur steuerlichen Förde- Gemüse und Milch (Landwirtschaftser- rung von Elektromobilität im Straßen- zeugnisse-Schulprogrammgesetz – LwErzg- verkehr SchulproG) Drucksachen 18/8828, 18/9239, 18/9596 Drucksache 18/9519...... 18899 C Nr . 1 .7, 18/9688...... 18898 C – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Tagesordnungspunkt 28: Drucksache 18/9689...... 18898 C a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der Ver- Tagesordnungspunkt 22: breitung neuer psychoaktiver Stoffe a) Erste Beratung des von der Bundesre- Drucksachen 18/8579, 18/8964, 18/9129 gierung eingebrachten Entwurfs eines Nr . 1 .1, 18/9699...... 18899 D Gesetzes zur Weiterentwicklung der b) Beschlussempfehlung und Bericht des Versorgung und der Vergütung für psy- Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag chiatrische und psychosomatische Leis- der Abgeordneten Frank Tempel, Kathrin tungen (PsychVVG) Vogler, Matthias W . Birkwald, weiterer Drucksache 18/9528...... 18898 D Abgeordneter und der Fraktion DIE LIN- KE: Für eine zeitgemäße Antwort auf b) Antrag der Abgeordneten Maria Klein- neue psychoaktive Substanzen Schmeink, Dr . Harald Terpe, Elisabeth Drucksachen 18/8459, 18/9699...... 18899 D Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Psychisch erkrankte Menschen besser versorgen – Jetzt Hilfenetz wei- Tagesordnungspunkt 29: terentwickeln Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Drucksache 18/9671...... 18898 D desregierung eingebrachten Entwurfs eines VIII Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Gesetzes zur Änderung abfallverbringungs- Tagesordnungspunkt 36: rechtlicher Vorschriften Erste Beratung des von der Bundesregierung Drucksachen 18/8961, 18/9706 ...... 18900 B eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Berufsanerkennungsrichtli- nie und zur Änderung weiterer Vorschriften Tagesordnungspunkt 30: im Bereich der rechtsberatenden Berufe Drucksache 18/9521...... 18901 D Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verord- nung (EU) Nr. 655/2014 sowie zur Ände- Tagesordnungspunkt 37: rung sonstiger zivilprozessualer Vorschrif- Erste Beratung des von der Bundesregierung ten (EuKoPfVODG) eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu Drucksachen 18/7560, 18/9698 ...... 18900 C dem Wirtschaftspartnerschaftsabkommen vom 15. Oktober 2008 zwischen den CARI- FORUM-Staaten einerseits und der Euro- Tagesordnungspunkt 31: päischen Gemeinschaft und ihren Mitglied- staaten andererseits Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Drucksache 18/8297...... 18902 A schusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der Bun- desregierung: Verordnung zur Änderung Nächste Sitzung ...... 18902 C der Chemikalien-Klimaschutzverordnung Drucksachen 18/8959, 18/9129 Nr . 2 2,. 18/9705...... 18900 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten. . . . . 18903 A

Tagesordnungspunkt 32: Anlage 2 Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Bildung, Forschung und Technik- Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten folgenabschätzung zu dem Antrag der Fraktio- , , nen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE Dr .Karl-Heinz Brunner, , GRÜNEN: Deutsch-indische Bildungs- und , Christian Flisek, Gabriele Wissenschaftskooperation ausbauen Fograscher, Uli Grötsch, , Drucksachen 18/8708, 18/9661 ...... 18901 A , , Marianne Schieder, , Martina Stamm- Fibich, und Carsten Träger Tagesordnungspunkt 33: (alle SPD) zu den namentlichen Abstimmun- gen über Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur – den Antrag der Abgeordneten Klaus Neuregelung des Mikrozensus und zur Än- Ernst, Matthias W . Birkwald, Susanna derung weiterer Statistikgesetze Karawanskij, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Drucksache 18/9418...... 18901 B zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates über die Unterzeichnung – im Na- Tagesordnungspunkt 34: men der Europäischen Union – des umfas- senden Wirtschafts- und Handelsabkom- Erste Beratung des von der Bundesregierung mens (CETA) zwischen Kanada einerseits eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur und der Europäischen Union und ihren Neuregelung des Bundesarchivrechts Mitgliedstaaten andererseits Drucksache 18/9633...... 18901 B KOM(2016) 444 endg .; Ratsdok . 10968/16 und Tagesordnungspunkt 35: zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Erste Beratung des von der Bundesregierung Rates über die vorläufige Anwendung des eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur umfassenden Wirtschafts- und Handels- Beendigung der Sonderzuständigkeit der abkommens (CETA) zwischen Kanada ei- Familienkassen des öffentlichen Dienstes im nerseits und der Europäischen Union und Bereich des Bundes ihren Mitgliedstaaten andererseits Drucksache 18/9441...... 18901 C KOM(2016) 470 endg .; Ratsdok . 10969/16 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 IX

hier: Stellungnahme gegenüber der zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Bundesregierung gemäß Artikel 23 Rates über die vorläufige Anwendung des Absatz 3 des Grundgesetzes umfassenden Wirtschafts- und Handels- abkommens (CETA) zwischen Kanada ei- Gemeinwohl vor Konzerninteressen – nerseits und der Europäischen Union und CETA stoppen ihren Mitgliedstaaten andererseits (Tagesordnungspunkt 6 a) KOM(2016) 470 endg .; Ratsdok . 10969/16 und hier: Stellungnahme gegenüber der – den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU Bundesregierung gemäß Artikel 23 und SPD Absatz 3 des Grundgesetzes zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Comprehensive Economic and Trade Rates über die Unterzeichnung – im Na- Agreement (CETA) ablehnen men der Europäischen Union – des umfas- (Tagesordnungspunkt 39 a) senden Wirtschafts- und Handelsabkom- (Tagesordnungspunkte 6 a, ZP 3 und 39 a). . . . 18903 B mens (CETA) zwischen Kanada einerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits Anlage 3 KOM(2016) 444 endg ; . Ratsdokument Erklärung nach § 31 GO der Abgeordne- 10968/16 ten Lothar Binding (Heidelberg), Dr .Lars und Castellucci, Dr .h . c . , , Christina Jantz-Herrmann, Steffen- zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Claudio Lemme, Stefan Rebmann, Dr .Carola Rates über die vorläufige Anwendung des Reimann, Dr. Dorothee Schlegel, Elfi Scho- umfassenden Wirtschafts- und Handels- Antwerpes und Frank Schwabe (alle SPD) zu abkommens (CETA) zwischen Kanada ei- den namentlichen Abstimmungen über nerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits – den Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, Matthias W . Birkwald, Susanna KOM(2016) 470 endg ; . Ratsdokument Karawanskij, weiterer Abgeordneter und 10969/16 der Fraktion DIE LINKE hier: Stellungnahme gegenüber der Bun- zu dem Vorschlag für einen Beschluss des desregierung gemäß Artikel 23 Ab- Rates über die Unterzeichnung – im Na- satz 3 des Grundgesetzes i . V . m . men der Europäischen Union – des umfas- § 8 Absatz 4 des Gesetzes über die senden Wirtschafts- und Handelsabkom- Zusammenarbeit von Bundesregie- mens (CETA) zwischen Kanada einerseits rung und Deutschem Bundestag in und der Europäischen Union und ihren Angelegenheiten der Europäischen Mitgliedstaaten andererseits Union KOM(2016) 444 endg .; Ratsdok . 10968/16 Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA) – Für freien und fairen und Handel zu dem Vorschlag für einen Beschluss des (Tagesordnungspunkt ZP 3) Rates über die vorläufige Anwendung des umfassenden Wirtschafts- und Handels- sowie abkommens (CETA) zwischen Kanada ei- nerseits und der Europäischen Union und – den Antrag der Abgeordneten Katharina ihren Mitgliedstaaten andererseits Dröge, Kerstin Andreae, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion KOM(2016) 470 endg .; Ratsdok . 10969/16 BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hier: Stellungnahme gegenüber der zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Bundesregierung gemäß Artikel 23 Rates über die Unterzeichnung – im Na- Absatz 3 des Grundgesetzes men der Europäischen Union – des umfas- Gemeinwohl vor Konzerninteressen – senden Wirtschafts- und Handelsabkom- CETA stoppen mens (CETA) zwischen Kanada einerseits und der Europäischen Union und ihren (Tagesordnungspunkt 6 a) Mitgliedstaaten andererseits und KOM(2016) 444 endg .; Ratsdok . 10968/16 – den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und und SPD X Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Comprehensive Economic and Trade Rates über die Unterzeichnung – im Na- Agreement (CETA) ablehnen men der Europäischen Union – des umfas- (Tagesordnungspunkt 39 a) senden Wirtschafts- und Handelsabkom- (Tagesordnungspunkte 6 a, ZP 3 und 39 a). . . . mens (CETA) zwischen Kanada einerseits 18904 C und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits Anlage 4 KOM(2016) 444 endg ; . Ratsdokument 10968/16 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordne- ten Rüdiger Veit, Wolfgang Gunkel, Ralf und Kapschack, Dr .Birgit Malecha-Nissen, René Röspel und Christoph Strässer (alle SPD) zu zu dem Vorschlag für einen Beschluss des den namentlichen Abstimmungen über Rates über die vorläufige Anwendung des umfassenden Wirtschafts- und Handels- – den Antrag der Abgeordneten Klaus abkommens (CETA) zwischen Kanada ei- Ernst, Matthias W . Birkwald, Susanna nerseits und der Europäischen Union und Karawanskij, weiterer Abgeordneter und ihren Mitgliedstaaten andererseits der Fraktion DIE LINKE KOM(2016) 470 endg ; . Ratsdokument zu dem Vorschlag für einen Beschluss des 10969/16 Rates über die Unterzeichnung – im Na- men der Europäischen Union – des umfas- hier: Stellungnahme gegenüber der Bun- senden Wirtschafts- und Handelsabkom- desregierung gemäß Artikel 23 Ab- mens (CETA) zwischen Kanada einerseits satz 3 des Grundgesetzes i . V . m . und der Europäischen Union und ihren § 8 Absatz 4 des Gesetzes über die Mitgliedstaaten andererseits Zusammenarbeit von Bundesregie- rung und Deutschem Bundestag in KOM(2016) 444 endg .; Ratsdok . 10968/16 Angelegenheiten der Europäischen und Union zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Comprehensive Economic and Trade Rates über die vorläufige Anwendung des Agreement (CETA) – Für freien und fairen umfassenden Wirtschafts- und Handels- Handel abkommens (CETA) zwischen Kanada ei- (Tagesordnungspunkt ZP 3) nerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits sowie KOM(2016) 470 endg .; Ratsdok . 10969/16 – den Antrag der Abgeordneten Katharina hier: Stellungnahme gegenüber der Dröge, Kerstin Andreae, Britta Haßelmann, Bundesregierung gemäß Artikel 23 weiterer Abgeordneter und der Fraktion Absatz 3 des Grundgesetzes BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gemeinwohl vor Konzerninteressen – zu dem Vorschlag für einen Beschluss des CETA stoppen Rates über die Unterzeichnung – im Na- men der Europäischen Union – des umfas- (Tagesordnungspunkt 6 a) senden Wirtschafts- und Handelsabkom- und mens (CETA) zwischen Kanada einerseits und der Europäischen Union und ihren – den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU Mitgliedstaaten andererseits und SPD KOM(2016) 444 endg .; Ratsdok . 10968/16 zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates über die Unterzeichnung – im Na- und men der Europäischen Union – des umfas- zu dem Vorschlag für einen Beschluss des senden Wirtschafts- und Handelsabkom- Rates über die vorläufige Anwendung des mens (CETA) zwischen Kanada einerseits umfassenden Wirtschafts- und Handels- und der Europäischen Union und ihren abkommens (CETA) zwischen Kanada ei- Mitgliedstaaten andererseits nerseits und der Europäischen Union und KOM(2016) 444 endg ; . Ratsdokument ihren Mitgliedstaaten andererseits 10968/16 KOM(2016) 470 endg .; Ratsdok . 10969/16 und hier: Stellungnahme gegenüber der zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Bundesregierung gemäß Artikel 23 Rates über die vorläufige Anwendung des Absatz 3 des Grundgesetzes umfassenden Wirtschafts- und Handels- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 XI

abkommens (CETA) zwischen Kanada ei- Karawanskij, weiterer Abgeordneter und nerseits und der Europäischen Union und der Fraktion DIE LINKE ihren Mitgliedstaaten andererseits zu dem Vorschlag für einen Beschluss des KOM(2016) 470 endg ; . Ratsdokument Rates über die Unterzeichnung – im Na- 10969/16 men der Europäischen Union – des umfas- senden Wirtschafts- und Handelsabkom- hier: Stellungnahme gegenüber der Bun- mens (CETA) zwischen Kanada einerseits desregierung gemäß Artikel 23 Ab- und der Europäischen Union und ihren satz 3 des Grundgesetzes i . V . m . Mitgliedstaaten andererseits § 8 Absatz 4 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregie- KOM(2016) 444 endg .; Ratsdok . 10968/16 rung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen und Union zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Comprehensive Economic and Trade Rates über die vorläufige Anwendung des Agreement (CETA) – Für freien und fairen umfassenden Wirtschafts- und Handels- Handel abkommens (CETA) zwischen Kanada ei- nerseits und der Europäischen Union und (Tagesordnungspunkt ZP 3) ihren Mitgliedstaaten andererseits sowie KOM(2016) 470 endg .; Ratsdok . 10969/16 – den Antrag der Abgeordneten Katharina hier: Stellungnahme gegenüber der Dröge, Kerstin Andreae, Britta Haßelmann, Bundesregierung gemäß Artikel 23 weiterer Abgeordneter und der Fraktion Absatz 3 des Grundgesetzes BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gemeinwohl vor Konzerninteressen – zu dem Vorschlag für einen Beschluss des CETA stoppen Rates über die Unterzeichnung – im Na- men der Europäischen Union – des umfas- (Tagesordnungspunkt 6 a) senden Wirtschafts- und Handelsabkom- mens (CETA) zwischen Kanada einerseits und und der Europäischen Union und ihren – den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU Mitgliedstaaten andererseits und SPD KOM(2016) 444 endg .; Ratsdok . 10968/16 zu dem Vorschlag für einen Beschluss des und Rates über die Unterzeichnung – im Na- men der Europäischen Union – des umfas- zu dem Vorschlag für einen Beschluss des senden Wirtschafts- und Handelsabkom- Rates über die vorläufige Anwendung des mens (CETA) zwischen Kanada einerseits umfassenden Wirtschafts- und Handels- und der Europäischen Union und ihren abkommens (CETA) zwischen Kanada ei- Mitgliedstaaten andererseits nerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits KOM(2016) 444 endg ; . Ratsdokument 10968/16 KOM(2016) 470 endg .; Ratsdok . 10969/16 hier: Stellungnahme gegenüber der und Bundesregierung gemäß Artikel 23 zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Absatz 3 des Grundgesetzes Rates über die vorläufige Anwendung des Comprehensive Economic and Trade umfassenden Wirtschafts- und Handels- Agreement (CETA) ablehnen abkommens (CETA) zwischen Kanada ei- nerseits und der Europäischen Union und (Tagesordnungspunkt 39 a) ihren Mitgliedstaaten andererseits (Tagesordnungspunkte 6 a, ZP 3 und 39 a). . . . 18907 A KOM(2016) 470 endg ; . Ratsdokument 10969/16 Anlage 5 hier: Stellungnahme gegenüber der Bun- Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten desregierung gemäß Artikel 23 Ab- Birgit Kömpel und Dagmar Schmidt (Wetzlar) satz 3 des Grundgesetzes i . V . m . (beide SPD) zu den namentlichen Abstimmun- § 8 Absatz 4 des Gesetzes über die gen über Zusammenarbeit von Bundesregie- rung und Deutschem Bundestag in – den Antrag der Abgeordneten Klaus Angelegenheiten der Europäischen Ernst, Matthias W . Birkwald, Susanna Union XII Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Comprehensive Economic and Trade abkommens (CETA) zwischen Kanada ei- Agreement (CETA) – Für freien und fairen nerseits und der Europäischen Union und Handel ihren Mitgliedstaaten andererseits (Tagesordnungspunkt ZP 3) KOM(2016) 470 endg .; Ratsdok . 10969/16 sowie hier: Stellungnahme gegenüber der – den Antrag der Abgeordneten Katharina Bundesregierung gemäß Artikel 23 Dröge, Kerstin Andreae, Britta Haßelmann, Absatz 3 des Grundgesetzes weiterer Abgeordneter und der Fraktion Gemeinwohl vor Konzerninteressen – BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN CETA stoppen zu dem Vorschlag für einen Beschluss des (Tagesordnungspunkt 6 a) Rates über die Unterzeichnung – im Na- men der Europäischen Union – des umfas- und senden Wirtschafts- und Handelsabkom- – den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU mens (CETA) zwischen Kanada einerseits und SPD und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates über die Unterzeichnung – im Na- KOM(2016) 444 endg .; Ratsdok . 10968/16 men der Europäischen Union – des umfas- und senden Wirtschafts- und Handelsabkom- mens (CETA) zwischen Kanada einerseits zu dem Vorschlag für einen Beschluss des und der Europäischen Union und ihren Rates über die vorläufige Anwendung des Mitgliedstaaten andererseits umfassenden Wirtschafts- und Handels- abkommens (CETA) zwischen Kanada ei- KOM(2016) 444 endg ; . Ratsdokument nerseits und der Europäischen Union und 10968/16 ihren Mitgliedstaaten andererseits und KOM(2016) 470 endg .; Ratsdok . 10969/16 zu dem Vorschlag für einen Beschluss des hier: Stellungnahme gegenüber der Rates über die vorläufige Anwendung des Bundesregierung gemäß Artikel 23 umfassenden Wirtschafts- und Handels- Absatz 3 des Grundgesetzes abkommens (CETA) zwischen Kanada ei- Comprehensive Economic and Trade nerseits und der Europäischen Union und Agreement (CETA) ablehnen ihren Mitgliedstaaten andererseits (Tagesordnungspunkt 39 a) KOM(2016) 470 endg ; . Ratsdokument (Tagesordnungspunkte 6 a, ZP 3 und 39 a). . . . 18907 D 10969/16 hier: Stellungnahme gegenüber der Bun- desregierung gemäß Artikel 23 Ab- Anlage 6 satz 3 des Grundgesetzes i . V . m . Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten § 8 Absatz 4 des Gesetzes über die und (beide SPD) Zusammenarbeit von Bundesregie- zu den namentlichen Abstimmungen über rung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen – den Antrag der Abgeordneten Klaus Union Ernst, Matthias W . Birkwald, Susanna Karawanskij, weiterer Abgeordneter und Comprehensive Economic and Trade der Fraktion DIE LINKE Agreement (CETA) – Für freien und fairen Handel zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates über die Unterzeichnung – im Na- (Tagesordnungspunkt ZP 3) men der Europäischen Union – des umfas- sowie senden Wirtschafts- und Handelsabkom- mens (CETA) zwischen Kanada einerseits – den Antrag der Abgeordneten Katharina und der Europäischen Union und ihren Dröge, Kerstin Andreae, Britta Haßelmann, Mitgliedstaaten andererseits weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN KOM(2016) 444 endg .; Ratsdok . 10968/16 zu dem Vorschlag für einen Beschluss des und Rates über die Unterzeichnung – im Na- zu dem Vorschlag für einen Beschluss des men der Europäischen Union – des umfas- Rates über die vorläufige Anwendung des senden Wirtschafts- und Handelsabkom- umfassenden Wirtschafts- und Handels- mens (CETA) zwischen Kanada einerseits Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 XIII

und der Europäischen Union und ihren zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Mitgliedstaaten andererseits Rates über die Unterzeichnung – im Na- men der Europäischen Union – des umfas- KOM(2016) 444 endg .; Ratsdok . 10968/16 senden Wirtschafts- und Handelsabkom- und mens (CETA) zwischen Kanada einerseits und der Europäischen Union und ihren zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Mitgliedstaaten andererseits Rates über die vorläufige Anwendung des umfassenden Wirtschafts- und Handels- KOM(2016) 444 endg ; . Ratsdokument abkommens (CETA) zwischen Kanada ei- 10968/16 nerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits und KOM(2016) 470 endg .; Ratsdok . 10969/16 zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates über die vorläufige Anwendung des hier: Stellungnahme gegenüber der umfassenden Wirtschafts- und Handels- Bundesregierung gemäß Artikel 23 abkommens (CETA) zwischen Kanada ei- Absatz 3 des Grundgesetzes nerseits und der Europäischen Union und Comprehensive Economic and Trade ihren Mitgliedstaaten andererseits Agreement (CETA) ablehnen KOM(2016) 470 endg ; . Ratsdokument (Tagesordnungspunkt 39 a) 10969/16 (Tagesordnungspunkte 6 a, ZP 3 und 39 a). . . . 18910 B hier: Stellungnahme gegenüber der Bun- desregierung gemäß Artikel 23 Ab- satz 3 des Grundgesetzes i . V . m . Anlage 7 § 8 Absatz 4 des Gesetzes über die Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Zusammenarbeit von Bundesregie- Markus Paschke und Kerstin Tack (beide SPD) rung und Deutschem Bundestag in zu den namentlichen Abstimmungen über Angelegenheiten der Europäischen Union – den Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, Matthias W . Birkwald, Susanna Comprehensive Economic and Trade Karawanskij, weiterer Abgeordneter und Agreement (CETA) – Für freien und fairen der Fraktion DIE LINKE Handel zu dem Vorschlag für einen Beschluss des (Tagesordnungspunkt ZP 3) Rates über die Unterzeichnung – im Na- sowie men der Europäischen Union – des umfas- senden Wirtschafts- und Handelsabkom- – den Antrag der Abgeordneten Katharina mens (CETA) zwischen Kanada einerseits Dröge, Kerstin Andreae, Britta Haßelmann, und der Europäischen Union und ihren weiterer Abgeordneter und der Fraktion Mitgliedstaaten andererseits BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN KOM(2016) 444 endg .; Ratsdok . 10968/16 zu dem Vorschlag für einen Beschluss des und Rates über die Unterzeichnung – im Na- men der Europäischen Union – des umfas- zu dem Vorschlag für einen Beschluss des senden Wirtschafts- und Handelsabkom- Rates über die vorläufige Anwendung des mens (CETA) zwischen Kanada einerseits umfassenden Wirtschafts- und Handels- und der Europäischen Union und ihren abkommens (CETA) zwischen Kanada ei- Mitgliedstaaten andererseits nerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits KOM(2016) 444 endg .; Ratsdok . 10968/16 KOM(2016) 470 endg .; Ratsdok . 10969/16 und hier: Stellungnahme gegenüber der zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Bundesregierung gemäß Artikel 23 Rates über die vorläufige Anwendung des Absatz 3 des Grundgesetzes umfassenden Wirtschafts- und Handels- abkommens (CETA) zwischen Kanada ei- Gemeinwohl vor Konzerninteressen – nerseits und der Europäischen Union und CETA stoppen ihren Mitgliedstaaten andererseits (Tagesordnungspunkt 6 a) KOM(2016) 470 endg .; Ratsdok . 10969/16 und hier: Stellungnahme gegenüber der – den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU Bundesregierung gemäß Artikel 23 und SPD Absatz 3 des Grundgesetzes XIV Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Comprehensive Economic and Trade KOM(2016) 470 endg ; . Ratsdokument Agreement (CETA) ablehnen 10969/16 (Tagesordnungspunkt 39 a) hier: Stellungnahme gegenüber der Bun- (Tagesordnungspunkte 6 a, ZP 3 und 39 a). . . . 18911 D desregierung gemäß Artikel 23 Ab- satz 3 des Grundgesetzes i . V . m . § 8 Absatz 4 des Gesetzes über die Anlage 8 Zusammenarbeit von Bundesregie- rung und Deutschem Bundestag in Erklärungen nach § 31 GO zu den namentli- Angelegenheiten der Europäischen chen Abstimmungen über Union – den Antrag der Abgeordneten Klaus Comprehensive Economic and Trade Ernst, Matthias W . Birkwald, Susanna Agreement (CETA) – Für freien und fairen Karawanskij, weiterer Abgeordneter und Handel der Fraktion DIE LINKE (Tagesordnungspunkt ZP 3) zu dem Vorschlag für einen Beschluss des sowie Rates über die Unterzeichnung – im Na- men der Europäischen Union – des umfas- – den Antrag der Abgeordneten Katharina senden Wirtschafts- und Handelsabkom- Dröge, Kerstin Andreae, Britta Haßelmann, mens (CETA) zwischen Kanada einerseits weiterer Abgeordneter und der Fraktion und der Europäischen Union und ihren BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mitgliedstaaten andererseits zu dem Vorschlag für einen Beschluss des KOM(2016) 444 endg .; Ratsdok . 10968/16 Rates über die Unterzeichnung – im Na- men der Europäischen Union – des umfas- und senden Wirtschafts- und Handelsabkom- zu dem Vorschlag für einen Beschluss des mens (CETA) zwischen Kanada einerseits Rates über die vorläufige Anwendung des und der Europäischen Union und ihren umfassenden Wirtschafts- und Handels- Mitgliedstaaten andererseits abkommens (CETA) zwischen Kanada ei- nerseits und der Europäischen Union und KOM(2016) 444 endg .; Ratsdok . 10968/16 ihren Mitgliedstaaten andererseits und KOM(2016) 470 endg .; Ratsdok . 10969/16 zu dem Vorschlag für einen Beschluss des hier: Stellungnahme gegenüber der Rates über die vorläufige Anwendung des Bundesregierung gemäß Artikel 23 umfassenden Wirtschafts- und Handels- Absatz 3 des Grundgesetzes abkommens (CETA) zwischen Kanada ei- nerseits und der Europäischen Union und Gemeinwohl vor Konzerninteressen – ihren Mitgliedstaaten andererseits CETA stoppen KOM(2016) 470 endg .; Ratsdok . 10969/16 (Tagesordnungspunkt 6 a) hier: Stellungnahme gegenüber der und Bundesregierung gemäß Artikel 23 – den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU Absatz 3 des Grundgesetzes und SPD Comprehensive Economic and Trade zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Agreement (CETA) ablehnen Rates über die Unterzeichnung – im Na- (Tagesordnungspunkt 39 a) men der Europäischen Union – des umfas- (Tagesordnungspunkte 6 a, ZP 3 und 39 a). . . . 18914 A senden Wirtschafts- und Handelsabkom- mens (CETA) zwischen Kanada einerseits (SPD) ...... 18915 A und der Europäischen Union und ihren Dr . Daniela De Ridder (SPD)...... 18915 D Mitgliedstaaten andererseits Dr . (SPD)...... 18916 C KOM(2016) 444 endg ; . Ratsdokument 10968/16 (SPD)...... 18917 B und Michael Groß (SPD)...... 18917 D zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Ulrich Hampel (SPD)...... 18919 B Rates über die vorläufige Anwendung des umfassenden Wirtschafts- und Handels- Sebastian Hartmann (SPD)...... 18921 A abkommens (CETA) zwischen Kanada ei- Gabriele Hiller-Ohm (SPD)...... 18922 B nerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits (SPD)...... 18923 B Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 XV

Cansel Kiziltepe (SPD)...... 18924 A Anlage 10 (SPD) ...... 18924 D Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Josef Göppel (CDU/CSU) zu den namentli- (SPD) ...... 18926 A chen Abstimmungen über Dr . Matthias Miersch (SPD)...... 18926 B – den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU (SPD)...... 18926 D und SPD Dr . (SPD)...... 18927 B zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates über die Unterzeichnung – im Na- Dr . Hans-Joachim Schabedoth (SPD). . . . . 18928 D men der Europäischen Union – des umfas- Dr . Nina Scheer (SPD)...... 18929 C senden Wirtschafts- und Handelsabkom- mens (CETA) zwischen Kanada einerseits (SPD)...... 18929 D und der Europäischen Union und ihren (SPD)...... 18930 A Mitgliedstaaten andererseits (SPD) ...... 18931 C KOM(2016) 444 endg ; . Ratsdokument 10968/16 (SPD)...... 18932 B und Dr . Karin Thissen (SPD)...... 18932 D zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates über die vorläufige Anwendung des Anlage 9 umfassenden Wirtschafts- und Handels- abkommens (CETA) zwischen Kanada ei- Erklärungen nach § 31 GO zu der namentli- nerseits und der Europäischen Union und chen Abstimmung über ihren Mitgliedstaaten andererseits – den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU KOM(2016) 470 endg ; . Ratsdokument und SPD 10969/16 zu dem Vorschlag für einen Beschluss des hier: Stellungnahme gegenüber der Bun- Rates über die Unterzeichnung – im Na- desregierung gemäß Artikel 23 Ab- men der Europäischen Union – des umfas- satz 3 des Grundgesetzes i . V . m . senden Wirtschafts- und Handelsabkom- § 8 Absatz 4 des Gesetzes über die mens (CETA) zwischen Kanada einerseits Zusammenarbeit von Bundesregie- und der Europäischen Union und ihren rung und Deutschem Bundestag in Mitgliedstaaten andererseits Angelegenheiten der Europäischen KOM(2016) 444 endg ; . Ratsdokument Union 10968/16 Comprehensive Economic and Trade und Agreement (CETA) – Für freien und fairen Handel zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates über die vorläufige Anwendung des (Tagesordnungspunkt ZP 3) umfassenden Wirtschafts- und Handels- abkommens (CETA) zwischen Kanada ei- sowie nerseits und der Europäischen Union und – den Antrag der Abgeordneten Katharina ihren Mitgliedstaaten andererseits Dröge, Kerstin Andreae, Britta Haßelmann, KOM(2016) 470 endg ; . Ratsdokument weiterer Abgeordneter und der Fraktion 10969/16 BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hier: Stellungnahme gegenüber der Bun- zu dem Vorschlag für einen Beschluss des desregierung gemäß Artikel 23 Ab- Rates über die Unterzeichnung – im Na- satz 3 des Grundgesetzes i . V . m . § 8 men der Europäischen Union – des umfas- Absatz 4 des Gesetzes über die Zu- senden Wirtschafts- und Handelsabkom- sammenarbeit von Bundesregierung mens (CETA) zwischen Kanada einerseits und Deutschem Bundestag in Ange- und der Europäischen Union und ihren legenheiten der Europäischen Union Mitgliedstaaten andererseits Comprehensive Economic and Trade KOM(2016) 444 endg .; Ratsdok . 10968/16 Agreement (CETA) – Für freien und fairen Handel und (Tagesordnungspunkt ZP 3) ...... 18933 B zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates über die vorläufige Anwendung des Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD)...... 18933 C umfassenden Wirtschafts- und Handels- Gülistan Yüksel (SPD) ...... 18934 A abkommens (CETA) zwischen Kanada ei- XVI Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

nerseits und der Europäischen Union und nipulationen an digitalen Grundaufzeichnun- ihren Mitgliedstaaten andererseits gen (Tagesordnungspunkt 16)...... 18936 A KOM(2016) 470 endg .; Ratsdok . 10969/16 (CDU/CSU)...... 18936 B hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Andreas Schwarz (SPD)...... 18937 A Absatz 3 des Grundgesetzes Richard Pitterle (DIE LINKE) ...... 18938 A Comprehensive Economic and Trade Dr . Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ Agreement (CETA) ablehnen DIE GRÜNEN)...... 18938 D (Tagesordnungspunkt 39 a) Dr . Michael Meister, Parl . Staatssekretär (Tagesordnungspunkte ZP 3 und 39 a). . . . . 18934 C BMF ...... 18940 A

Anlage 11 Anlage 13 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Dr .Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE des von der Bundesregierung eingebrachten GRÜNEN) Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung bewa- zu der namentlichen Abstimmung über chungsrechtlicher Vorschriften (Tagesordnungspunkt 18)...... 18941 A den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Dr . Kristina Schröder (Wiesbaden) (CDU/ CSU)...... 18941 B zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates über die Unterzeichnung – im Na- (Weil am Rhein) (CDU/ men der Europäischen Union – des umfas- CSU)...... 18942 A senden Wirtschafts- und Handelsabkom- (SPD)...... 18943 A mens (CETA) zwischen Kanada einerseits und der Europäischen Union und ihren (DIE LINKE)...... 18943 D Mitgliedstaaten andererseits Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/ KOM(2016) 444 endg ; . Ratsdokument DIE GRÜNEN)...... 18944 B 10968/16 und Anlage 14 zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Rates über die vorläufige Anwendung des der Beschlussempfehlung und des Berichts zu umfassenden Wirtschafts- und Handels- dem Antrag der Abgeordneten Dr . Axel Troost, abkommens (CETA) zwischen Kanada ei- Klaus Ernst, Matthias W . Birkwald, weiterer nerseits und der Europäischen Union und Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: ihren Mitgliedstaaten andererseits Solidaritätszuschlag für gleichwertige Lebens- KOM(2016) 470 endg ; . Ratsdokument verhältnisse in ganz Deutschland verwenden 10969/16 (Tagesordnungspunkt 19)...... 18944 D hier: Stellungnahme gegenüber der Bun- Bartholomäus Kalb (CDU/CSU) ...... 18944 D desregierung gemäß Artikel 23 Ab- (CDU/CSU)...... 18945 C satz 3 des Grundgesetzes i . V . m . § 8 Absatz 4 des Gesetzes über die (SPD)...... 18946 B Zusammenarbeit von Bundesregie- Dr . Jens Zimmermann (SPD) ...... 18947 B rung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Dr .Axel Troost (DIE LINKE)...... 18948 A Union (BÜNDNIS 90/ Comprehensive Economic and Trade DIE GRÜNEN)...... 18948 C Agreement (CETA) – Für freien und fairen Handel (Tagesordnungspunkt ZP 3) ...... 18935 D Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- Anlage 12 wurfs eines Gesetzes zur Einführung der elekt- Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung ronischen Akte in Strafsachen und zur weiteren des von der Bundesregierung eingebrachten Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz vor Ma- (Tagesordnungspunkt 20)...... 18949 A Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 XVII

Dr . (CDU/CSU) ...... 18949 B wurfs eines Zweiten Gesetzes zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Straf- Dr . Volker Ullrich (CDU/CSU)...... 18950 A verfahren und zur Änderung des Schöffenrechts (SPD)...... 18950 D (Tagesordnungspunkt 23)...... 18963 A (DIE LINKE)...... 18951 B Alexander Hoffmann (CDU/CSU) ...... 18963 A Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). . . . 18952 A Dr . Patrick Sensburg (CDU/CSU) ...... 18963 C Christian Lange, Parl . Staatssekretär Dirk Wiese (SPD)...... 18964 C BMJV...... 18953 A Halina Wawzyniak (DIE LINKE)...... 18965 A Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ Anlage 16 DIE GRÜNEN)...... 18965 D Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Christian Lange, Parl . Staatssekretär des von der Bundesregierung eingebrachten BMJV...... 18966 D Entwurfs eines Gesetzes zur steuerlichen För- derung von Elektromobilität im Straßenver- kehr Anlage 19 (Tagesordnungspunkt 21)...... 18953 C Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung (CDU/CSU)...... 18953 C des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung Florian Oßner (CDU/CSU) ...... 18954 B des Bundesfernstraßenmautgesetzes Andreas Schwarz (SPD)...... 18955 A (Tagesordnungspunkt 25)...... 18967 B Dr . Jens Zimmermann (SPD) ...... 18955 B (CDU/CSU) ...... 18967 C Thomas Lutze (DIE LINKE)...... 18956 A (CDU/CSU)...... 18968 B (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . 18956 D Sebastian Hartmann (SPD)...... 18969 A Herbert Behrens (DIE LINKE)...... 18969 C

Anlage 17 Dr . Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 18970 B Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Wei- Anlage 20 terentwicklung der Versorgung und der Vergütung für psychiatrische und psycho- Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung somatische Leistungen (PsychVVG) des von der Bundesregierung eingebrachten – des Antrags der Abgeordneten Maria Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Klein-Schmeink, Dr .Harald Terpe, Aufgaben der Bundesanstalt für Finanzmarkt- Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abgeord- stabilisierung (FMSA-Neuordnungsgesetz – neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE FMSANeuOG) GRÜNEN: Psychisch erkrankte Menschen (Tagesordnungspunkt 26)...... 18970 D besser versorgen – Jetzt Hilfenetz weiter- Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU)...... 18970 D entwickeln (Tagesordnungspunkt 22 a und b)...... 18957 B Dr . Hans-Ulrich Krüger (SPD)...... 18971 D Reiner Meier (CDU/CSU)...... 18957 C (DIE LINKE)...... 18972 D (SPD)...... 18958 A Dr . (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 18973 C Helga Kühn-Mengel (SPD)...... 18958 D , Parl . Staatssekretär BMF. . . . . 18974 B (DIE LINKE) ...... 18959 D Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 18960 D Anlage 21 Ingrid Fischbach, Parl . Staatssekretärin Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung BMG...... 18961 C des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchfüh- rung unionsrechtlicher Vorschriften über das Schulprogramm für Obst, Gemüse und Milch Anlage 18 (Landwirtschaftserzeugnisse-Schulprogramm- Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des gesetz – LwErzgSchulproG) von der Bundesregierung eingebrachten Ent- (Tagesordnungspunkt 27)...... 18975 B XVIII Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Katharina Landgraf (CDU/CSU)...... 18975 B Dr . Volker Ullrich (CDU/CSU)...... 18990 D Jeannine Pflugradt (SPD)...... 18976 B Dirk Wiese (SPD)...... 18991 B Karin Binder (DIE LINKE)...... 18977 B Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE). . . . 18991 D Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 18977 D DIE GRÜNEN)...... 18993 B Dr . , Parl . Staatssekretärin BMEL ...... 18978 D Anlage 25 Anlage 22 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau – des von der Bundesregierung eingebrach- und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der ten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämp- Bundesregierung: Verordnung zur Änderung fung der Verbreitung neuer psychoaktiver der Chemikalien-Klimaschutzverordnung Stoffe (Tagesordnungspunkt 31)...... 18994 B – der Beschlussempfehlung und des Be- richts zu dem Antrag der Abgeordneten Karsten Möring (CDU/CSU) ...... 18994 B Frank Tempel, , Matthias W . Frank Schwabe (SPD)...... 18995 C Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Für eine zeitgemäße Ralph Lenkert (DIE LINKE)...... 18996 A Antwort auf neue psychoaktive Substanzen (Tagesordnungspunkt 28 a und b)...... 18980 A Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 18997 A (CDU/CSU)...... 18980 B Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl . Staatssekretä- (CDU/CSU)...... 18981 B rin BMUB...... 18997 B (SPD) ...... 18982 C Martina Stamm-Fibich (SPD)...... 18983 B Anlage 26 Frank Tempel (DIE LINKE)...... 18984 B Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Dr . Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem DIE GRÜNEN)...... 18985 A Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Deutsch-indi- sche Bildungs- und Wissenschaftskooperation Anlage 23 ausbauen Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung (Tagesordnungspunkt 32)...... 18997 D des von der Bundesregierung eingebrachten Dr . (CDU/CSU) ...... 18998 A Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung abfall- verbringungsrechtlicher Vorschriften Dr . Stefan Kaufmann (CDU/CSU) ...... 18998 C (Tagesordnungspunkt 29)...... 18986 C Dr . Simone Raatz (SPD)...... 18999 C Dr . (CDU/CSU)...... 18986 C Azize Tank (DIE LINKE)...... 19000 C (SPD)...... 18987 B Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ Ralph Lenkert (DIE LINKE)...... 18988 C DIE GRÜNEN)...... 19001 D Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 18989 A Anlage 27 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Anlage 24 des von der Bundesregierung eingebrachten Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des des von der Bundesregierung eingebrachten Mikrozensus und zur Änderung weiterer Sta- Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der tistikgesetze Verordnung (EU) Nr .655/2014 sowie zur Än- (Tagesordnungspunkt 33)...... 19002 D derung sonstiger zivilprozessualer Vorschrif- Dr . (CDU/CSU)...... 19002 D ten (EuKoPfVODG) (Tagesordnungspunkt 30)...... 18989 C Matthias Schmidt (Berlin) (SPD)...... 19003 C (CDU/CSU)...... 18989 C (DIE LINKE)...... 19004 B Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 XIX

Dr . Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ Anlage 30 DIE GRÜNEN)...... 19005 C Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Dr . Ole Schröder, Parl . Staatssekretär des von der Bundesregierung eingebrachten BMI...... 19006 D Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Berufsanerkennungsrichtlinie und zur Än- derung weiterer Vorschriften im Bereich der Anlage 28 rechtsberatenden Berufe (Tagesordnungspunkt 36)...... Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung 19015 A des von der Bundesregierung eingebrachten Alexander Hoffmann (CDU/CSU) ...... 19015 B Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Bundesarchivrechts (CDU/CSU)...... 19016 A (Tagesordnungspunkt 34)...... 19007 C Christian Flisek (SPD)...... 19017 C (CDU/CSU)...... 19007 D Jörn Wunderlich (DIE LINKE)...... 19018 C Hiltrud Lotze (SPD) ...... 19008 B Sigrid Hupach (DIE LINKE) ...... 19009 A Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). . . . 19019 B Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ Christian Lange, Parl . Staatssekretär DIE GRÜNEN)...... 19010 B BMJV...... 19020 B Monika Grütters, Staatsministerin BK. . . . . 19011 A Anlage 31 Anlage 29 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Entwurfs eines Gesetzes zu dem Wirtschafts- des von der Bundesregierung eingebrachten partnerschaftsabkommen vom 15 . Oktober Entwurfs eines Gesetzes zur Beendigung der 2008 zwischen den CARIFORUM-Staaten Sonderzuständigkeit der Familienkassen des einerseits und der Europäischen Gemeinschaft öffentlichen Dienstes im Bereich des Bundes und ihren Mitgliedstaaten andererseits (Tagesordnungspunkt 35)...... 19012 A (Tagesordnungspunkt 37)...... 19021 A (CDU/CSU)...... 19012 A Waldemar Westermayer (CDU/CSU)...... 19021 A Frank Junge (SPD)...... 19012 D Dr . Sascha Raabe (SPD)...... Susanna Karawanskij (DIE LINKE)...... 19013 C 19022 C Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . 19014 A Heike Hänsel (DIE LINKE) ...... 19023 B Dr . Michael Meister, Parl . Staatssekretär (BÜNDNIS 90/ BMF ...... 19014 C DIE GRÜNEN)...... 19024 A

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18743

(A) (C)

190. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 22. September 2016

Beginn: 9 .01 Uhr

Präsident Dr. : zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Die Sitzung ist eröffnet . Nehmen Sie bitte Platz . Rates über die Unterzeichnung – im Na- men der Europäischen Union – des umfas­ Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich senden Wirtschafts- und Handelsab­kom­ begrüße Sie herzlich zu unserer Plenarsitzung . mens (CETA) zwischen Kanada einer­seits Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich und der Europäischen Union und ihren dem Bundesminister der Finanzen, Herrn Dr. Wolfgang Mitgliedstaaten andererseits Schäuble, nachträglich zu seinem 74 . Geburtstag gratu- KOM(2016) 444 endg.; Ratsdokument lieren 10968/16 (Beifall) und sowie auch der Kollegin Pia Zimmermann und dem zu dem Vorschlag für einen Beschluss des (B) Kollegen Karl Holmeier, die jeweils ihren 60 . Geburts- Rates über die vorläufige Anwendung des (D) tag gefeiert haben, alle guten Wünsche des ganzen Hau- umfassenden Wirtschafts- und Handelsab­ ses für das nächste Lebensjahr übermitteln . kommens (CETA) zwischen Kanada einer­ seits und der Europäischen Union und (Beifall) ihren Mitgliedstaaten andererseits Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die Tages- KOM(2016) 470 endg.; Ratsdokument ordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten 10969/16 Punkte zu erweitern: hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes- ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Grundgesetzes i. V. m. § 8 Absatz 4 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Konzentration in der Agro- und Saatgutindus- Bundesregierung und Deutschem Bun- trie durch die geplante Fusion der Bayer AG destag in Angelegenheiten der Europäi- und Monsanto schen Union (siehe 189 . Sitzung) Comprehensive Economic and Trade Agree- ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Beate ment (CETA) – Für freien und fairen Handel Müller-Gemmeke, Corinna Rüffer, Katja Keul, Drucksache 18/9663 weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN ZP 4 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver- fahren Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträ- gen verhindern (Ergänzung zu TOP 43) Drucksache 18/7370 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Irene Überweisungsvorschlag: Mihalic, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz NIS 90/DIE GRÜNEN Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Abgabe von anschlagsfähigen Ausgangsstof- fen beschränken ZP 3 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und SPD Drucksache 18/7654 18744 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Überweisungsvorschlag: ZP 6 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen (C) Innenausschuss (f) der CDU/CSU und SPD: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole Die Situation in Syrien nach dem Angriff auf Maisch, Friedrich Ostendorff, Harald Ebner, den VN-Hilfskonvoi weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN ZP 7 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Mehr Transparenz bei vegetarischen und Bau und Reaktorsicherheit (16 .Ausschuss) veganen Produkten schaffen zu dem Antrag der Abgeordneten Annalena Drucksache 18/9057 Baerbock, Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Überweisungsvorschlag: NIS 90/DIE GRÜNEN Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Irene Zur Unterzeichnung des Pariser Klimaab- Mihalic, Dr .Konstantin von Notz, Luise kommens – Klimaschutz wirksam verankern Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Frak- und Klimaziele einhalten tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksachen 18/8080, 18/9702 Handlungsbedarf im Waffenrecht für mehr öf- fentliche Sicherheit ZP 8 Erste Beratung des von den Abgeordneten Tabea Rößner, Dr . Konstantin von Notz, Hans-Christian Drucksache 18/9674 Ströbele, weiteren Abgeordneten und der Frakti- Überweisungsvorschlag: on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Innenausschuss Entwurfs eines Gesetzes zum Auskunftsrecht d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja der Presse gegenüber Bundesbehörden (Pres- Keul, Renate Künast, Dr .Franziska Brantner, seauskunftsgesetz) weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Drucksache 18/8246 NIS 90/DIE GRÜNEN Überweisungsvorschlag: Internationale rechtliche Zusammenarbeit Innenausschuss (f) stärken und ausbauen Ausschuss für Kultur und Medien (f) Sportausschuss (B) Drucksache 18/9675 Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (D) Überweisungsvorschlag: Ausschuss Digitale Agenda Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Federführung strittig Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so- Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und weit erforderlich, abgewichen werden . ­Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Nach dem Tagesordnungspunkt 6 sollen als Zu- Haushaltsausschuss satzpunkt ohne Debatte ein Antrag auf der Drucksa- e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Omid che 18/9663 zum CETA-Abkommen und danach, eben- Nouripour, Dr .Franziska Brantner, Agnieszka falls ohne Debatte, die Tagesordnungspunkte 39 a und Brugger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion 39 c aufgerufen werden . Auch hier geht es um einen An- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN trag und eine Beschlussempfehlung zu diesem Abkom- men . Syrien – Luftbrücke einrichten, humanitäre Not lindern Auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und Drucksache 18/9687 SPD folgt nach dem Tagesordnungspunkt 7 eine Aktuelle Stunde mit dem Titel „Die Situation in Syrien nach dem Überweisungsvorschlag: Angriff auf den VN-Hilfskonvoi“ . Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f) Auswärtiger Ausschuss (f) Federführung strittig Der für morgen vorgesehene Tagesordnungspunkt 39 b – hier geht es um eine Beschlussempfehlung zu ei- ZP 5 Weitere abschließende Beratung ohne Aus- nem Antrag zum Thema Handelspolitik – soll abgesetzt sprache und stattdessen der Tagesordnungspunkt 9 mit einer Re- (Ergänzung zu TOP 44) dezeit von 77 Minuten debattiert werden . Die Tagesord- nungspunkte 13 und 17 – hier geht es um Anträge der Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen – rücken entsprechend richts des Ausschusses für Recht und Verbrau- vor . cherschutz (6 .Ausschuss) Anstelle des bisherigen Tagesordnungspunktes 17 soll zu dem Streitverfahren 2 BvE 2/16 vor dem mit einer Redezeit von 25 Minuten der Entwurf eines Bundesverfassungsgericht Presseauskunftsgesetzes auf der Drucksache 18/8246 be- Drucksache 18/9691 raten werden . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18745

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Der Tagesordnungspunkt 24 – hier war die abschlie- Überweisungsvorschlag: (C) ßende Beratung des Elektromagnetische-Verträglich- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor­ sicherheit (f) keit-Gesetzes vorgesehen – Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (Heiterkeit der Abg . Katrin Göring-Eckardt Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) soll zur Enttäuschung vieler Kolleginnen und Kollegen, Darf ich Ihr Einvernehmen zu den vorgetragenen ver- insbesondere der Kollegin Göring-Eckardt, abgesetzt einbarten Veränderungen im Ablauf unserer Tagesord- werden . nung feststellen? – Das ist offensichtlich der Fall . Dann haben wir das so beschlossen . (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Bin ich einmal nicht da!) Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 d auf: – Frau Haßelmann, Sie erklären Ihrer Vorsitzenden dann a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre- vielleicht, warum es zu dieser schmerzlichen Absetzung gierung aus zwingenden Gründen kommen musste . Schließlich mache ich noch auf mehrere nachträgli- Bundesverkehrswegeplan 2030 che Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatz- Drucksache 18/9350 punkteliste aufmerksam: Überweisungsvorschlag: Der am 23 . Juni 2016 (179 .Sitzung) überwiesene Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Aus- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor­ schuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- sicherheit schätzung (18 . Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen Ausschuss für Tourismus werden: Haushaltsausschuss Erste Beratung des von der Bundesregierung b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem gebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes Übereinkommen vom 19. Februar 2013 über zur Änderung des Fernstraßenausbaugesetzes ein Einheitliches Patentgericht Drucksache 18/9523 Drucksache 18/8826 Überweisungsvorschlag: Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) (B) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor­ (D) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen­ sicherheit abschätzung Haushaltsausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Der am 23 . Juni 2016 (179 .Sitzung) überwiesene c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Aus- gebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur schuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- Änderung des Bundesschienenwegeausbauge- schätzung (18 . Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen setzes werden: Drucksache 18/9524 Erste Beratung des von der Bundesregierung Überweisungsvorschlag: eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur An- Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) passung patentrechtlicher Vorschriften auf Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor­ Grund der europäischen Patentreform sicherheit Ausschuss für Tourismus Drucksache 18/8827 Haushaltsausschuss Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) d) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen­ gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den abschätzung Ausbau der Bundeswasserstraßen und zur Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Änderung des Bundeswasserstraßengesetzes Der am 8 . September 2016 (187 . Sitzung) überwie- Drucksache 18/9527 sene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Wirtschaft und Energie (9 .Ausschuss) Überweisungsvorschlag: und dem Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) (15 . Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor­ sicherheit Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Ausschuss für Tourismus gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpas- Haushaltsausschuss sung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für anderer Vorschriften an europa- und völker- die Aussprache 77 Minuten vorgesehen .– Auch dagegen rechtliche Vorgaben sehe ich keinen Widerspruch . Also können wir so ver- Drucksache 18/9526 fahren . 18746 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem geplan und der Gesamtstrategie für die Entwicklung der (C) Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt . Verkehrsinfrastruktur des Bundes . Hier hat es in der Ver- gangenheit immer sehr unterschiedliche Schwerpunkt- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- setzungen gegeben . In den 80er-Jahren ging es darum, ordneten der SPD) den Ausbau des Schienennetzes voranzutreiben . In den 90er-Jahren ging es darum, die Wiedervereinigung um- Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr zusetzen . In den 2000er-Jahren ging es darum, die Me- und digitale Infrastruktur: tropolen anzubinden . Heute geht es uns darum, das Ge- Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr samtnetz zu stärken und Deutschland fit zu machen für Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir star- das global-digitale Zeitalter . Das gelingt mit dem Bun- ten heute mit dem Bundesverkehrswegeplan 2030 die desverkehrswegeplan . mit Abstand größte Investitionsoffensive dieser Bun- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- desregierung . 270 Milliarden Euro, über 1 000 Projekte, ordneten der SPD) 70 Prozent für den Erhalt und erstmals eine klare Finan- zierungsperspektive: Das sind die Eckdaten unseres Bun- Verkehrswege modernisieren, Infrastruktur vernetzen, desverkehrswegeplans . Mobilität beschleunigen: Das ist der Dreiklang, dem die- ser Bundesverkehrswegeplan folgt . Mit 270 Milliarden (Zuruf des Abg . Matthias Gastel [BÜND- Euro, mit den über 1 000 Projekten, die sich darin finden, NIS 90/DIE GRÜNEN]) ist es das stärkste Investitionsprogramm für die Infra- Das ist eine Infrastrukturoffensive . Das hält Deutschland struktur, an der Spitze bei Wachstum, Arbeit und Wohlstand, mei- (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ne Damen und Herren . NEN]: Das nicht zu Ende finanziert ist!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- das es in Deutschland jemals gegeben hat . ordneten der SPD) Wir haben fünf Schwerpunkte gesetzt . Deswegen sage ich auch sehr klar, dass die Investiti- onen in die Infrastruktur der Nukleus aller Investitionen Erstens . Wir geben eine klare Finanzierungsperspekti- sind . Wer diese Investitionen verschleppt, der fährt ein ve . Mit den Rekordmitteln aus dem Investitionshochlauf Land auf Verschleiß und fällt logischerweise früher oder wird erstmals eine realistische, finanzierbare Gesamtstra- später auch zurück . Dieses Grundprinzip wurde übrigens tegie vorgelegt . Das heißt, dass wir nicht nur planen, in der Vergangenheit, besonders in den Millenniumsjah- sondern wir finanzieren und bauen es auch. Das ist ein erheblicher Unterschied zu früheren Bundesverkehrswe- (B) ren, immer wieder ignoriert . Das war damals dem Irr- (D) glauben geschuldet, dass man den Zusammenhang von geplänen . Wohlstand und Infrastruktur auflösen und den Erhalt und (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- den Ausbau unserer Infrastruktur vom Wirtschaftswachs- neten der SPD – Zurufe vom BÜNDNIS 90/ tum entkoppeln könnte – ein fataler Fehler übrigens . DIE GRÜNEN) Infrastrukturpolitik wurde zurückgestellt, Investitionen wurden heruntergefahren, eine Investitionslücke in Mil- Zweitens . Es geht um die Umsetzung des klaren Prin- liardenhöhe ist entstanden und hat sich vergrößert . zips „Erhalt geht vor Aus- und Neubau“ . Mit 142 Mil- liarden Euro geben wir eine Rekordsumme in den Er- Das war die Ausgangslage, als wir begonnen haben, halt . Das entspricht einem Anteil für den Erhalt von circa die Politik der Investitionen in die Infrastruktur grund- 70 Prozent . Bisher wurde das so nie erreicht . Das zeigt legend zu ändern . Wir haben die Investitionslücke ge- sehr klar, dass wir damit die Schwächen der Vergangen- schlossen; wir haben die Investitionswende geschafft . heit, zu wenig in das bestehende Netz zu investieren, aus- Dafür haben wir zu Beginn dieser Wahlperiode den In- gleichen . vestitionshochlauf gestartet, der dazu führt, dass wir bis zum Jahr 2018 40 Prozent mehr an Infrastrukturinvestiti- Drittens . Wir setzen klare Prioritäten und investieren onen schaffen . Wir haben mit circa 10 Milliarden im Jahr dort, wo für die Menschen und die Wirtschaft der größte begonnen und steigern uns jetzt auf 14,4 Milliarden Euro Nutzen entsteht . Das heißt, wir stärken die Hauptach- jährlich . So viel wurde noch nie investiert . sen und die Knoten, steigern die Leistungsfähigkeit im gesamten Netz und investieren deswegen 87 Prozent in (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- großräumig bedeutsame Projekte . NEN]: So viel wurde noch nie falsch inves- tiert!) Viertens . Wir beseitigen die Engpässe . Wir konzen- trieren uns darauf, den Verkehrsfluss im Netz insgesamt Das ist ein Riesenerfolg. Ich möchte dem Bundesfi- zu verbessern . Deswegen werden über 2 000 Kilometer nanzminister ganz herzlich danken, dass er dies so aktiv Engpässe auf den Autobahnen sowie über 800 Kilometer begleitet hat und die finanziellen Mittel zur Verfügung Engpässe auf der Schiene beseitigt . stellt . (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- NEN]: Die Schiene ist noch gar nicht zu Ende ordneten der SPD) beraten!) Jetzt geht es darum, dass wir diese Mittel effizient Fünftens . Um auch die Einzelprojekte bei all diesen einsetzen . Das machen wir mit dem Bundesverkehrswe- durchaus komplizierten und aufwendigen Maßnahmen Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18747

Bundesminister Alexander Dobrindt (A) zu erklären, haben wir bei der Aufstellung zum ers- – Nein, da hatte ein Grüner einmal einen lichten Mo- (C) ten Mal die Öffentlichkeit intensiv beteiligt . Die Men- ment; so müssen Sie das sehen . Das habe ich hier bisher schen konnten die Möglichkeit nutzen, zum Entwurf des nicht erleben dürfen . Bundesverkehrswegeplans Stellung zu beziehen . Über 40 000 Stellungnahmen sind bei uns eingegangen . (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Die heutige Grünengeneration ist offensichtlich weit von NEN]: Was hat das für Konsequenzen?) den Erkenntnissen ihrer Vorgänger entfernt . Sie wenden sich lieber mit einer pubertären Aktion an die Öffentlich- Das zeigt klar, welchen Stellenwert die Infrastruktur in keit und fordern: Bundesverkehrswegeplan stoppen! Sie der Bevölkerung inzwischen einnimmt . Die Bewertung können es einfach nicht ertragen, dass der Bundesver- dieser Stellungnahmen hat übrigens dazu geführt, dass kehrswegeplan der Großen Koalition der ökologischste wir Maßnahmen mit einem Volumen von 5,1 Milliarden und nachhaltigste ist, den es je gab . Euro zusätzlich in den Plan aufgenommen haben – Maß- nahmen, mit denen wir insbesondere die Schiene noch (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- einmal deutlich stärken . NEN]: Was ist denn mit dem Klimaschutz beim Bundesverkehrswegeplan?) Es war ein großer Erfolg, die Öffentlichkeit zu betei- ligen . Das haben auch andere gemacht . So hat Spiegel Wir vereinen zum ersten Mal Ökonomie und Ökologie; Online beispielsweise eine Umfrage zum Entwurf des das ist doch die Wahrheit . Bundesverkehrswegeplanes gestartet . 50 000 Leser ha- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) ben sich daran beteiligt . Die Vorhaben wurden von den Bürgern eindeutig befürwortet . Bevor Sie dazwischenschreien, schauen Sie doch ein- fach einmal Ihren grünen Bundesverkehrswegeplan von Ich weiß, dass es den einen oder anderen stört, dass 2003 an . Er fällt doch im Öko-Check gnadenlos durch . In viele Infrastrukturprojekte von der Bevölkerung eindeu- Ihrem Plan von 2003 entfiel mehr als die Hälfte der Pro- tig und mehrheitlich befürwortet werden . Die grünen jekte auf die Straße . Wir investieren mehr als die Hälfte Verkehrspessimisten haben damit natürlich enorme Pro- in Schiene und Wasserwege . Sie haben für die Schiene bleme . lediglich Mittel in Höhe von 64 Milliarden Euro einge- stellt . Wir investieren jetzt das Doppelte in die Schiene . (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ihr Erhaltungsanteil betrug 56 Prozent . Wir investieren Ah! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE etwa 70 Prozent der Mittel in den Erhalt . GRÜNEN]: Stimmt doch gar nicht! – Matthias (B) Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da Jetzt kommt der Gipfel der Heuchelei . Ihr Plan enthielt (D) gibt es jede Menge Gegenbeispiele!) gerade einmal sechs Seiten zur umweltfachlichen Beur- teilung . Wir haben eine umfassende strategische Um- – Ja, ich kann verstehen, dass Sie es nicht akzeptieren weltprüfung durchgeführt, alle Projekte entsprechend können, dass die Bevölkerung Ihre kategorische Investi- bewertet und alles in einem Bericht extra veröffentlicht . tionsverweigerung nicht mitträgt . Das ist der Unterschied zwischen unserem und Ihrem (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE Bundesverkehrswegeplan . GRÜNEN]: Sehr, sehr lustig!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Aber Sie waren, um das ehrlich zu sagen, schon ein- neten der SPD – [SPD]: mal deutlich weiter . Ich kann dazu Ihren ehemaligen Das hat die SPD gemacht!) verkehrs­politischen Sprecher Albert Schmidt zitieren, Übrigens haben Sie – das sei der Vollständigkeit (Zuruf von der SPD: Den haben Sie schon halber erwähnt – den Radverkehr in Ihrem Bundesver- das letzte Mal zitiert!) kehrswegeplan mit keinem Wort erwähnt . Wir haben klar formuliert, dass wir uns in Zukunft stärker am Bau von der es sehr klar auf den Punkt gebracht hat: Die Men- Radschnellwegen beteiligen . Wir investieren schon heute schen verstehen Mobilität zu Recht als eine Art soziales mehr als 100 Millionen Euro jedes Jahr in die Radwege . Grundrecht . (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Unsere eigenen Mitglieder . . NEN]: Welcher Radschnellweg ist im Bun- desverkehrswegeplan enthalten?) – so hat er gesagt – Sie haben nichts gemacht und nur geredet . Sie liegen reisen besonders gerne und viel . . Verkehrsvermei- jetzt falsch mit all Ihren Beurteilungen des Bundesver- dung als politisches Programm . .– . das ist die Le- kehrswegeplans . benslüge . . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Der Mann hat recht, meine Damen und Herren . ordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- In Anlehnung an Albert Schmidt könnte ich sagen, dass neten der SPD – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/ Ihre Kritik am Bundesverkehrswegeplan die nächste grü- DIE GRÜNEN]: Mottenkiste!) ne Lebenslüge ist . Aber Sie werden sich in den nächsten 18748 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Bundesminister Alexander Dobrindt (A) Wochen hier im Plenum ohnehin den Diskussionen stel- und stellt außerdem eine große Verschwendung dar . Des- (C) len müssen . halb lehnen wir Linken diesen Plan ab . (Dr .Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . GRÜNEN]: Ihre Rede ist nicht in der Zukunft, Dr .Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE sondern in der Vergangenheit! Wie wäre es, GRÜNEN]) wenn Sie sich um die Zukunft kümmern wür- den und nicht um Dinge, die vor 15 Jahren Wenn es nach Ihrem Plan geht, fahren in 15 Jahren waren?) noch mehr Autos und noch viel mehr Lkws durch das Land und die Städte . Damit muss endlich Schluss sein . Wir sorgen mit unseren Investitionspaketen für neue Baufreigaben . Wir haben gestern ein Investitionspaket ( [CDU/CSU]: Wir bauen mit 24 Baufreigaben im Umfang von über 2 Milliarden doch Umgehungsstraßen!) Euro vorgestellt . Ich sage klar: Ich hätte mir mehr ge- wünscht . Aber das Nadelöhr sind inzwischen nicht mehr Wir wollen endlich eine vernünftige Verlagerung des die Finanzen, sondern die Planungen . Daran fehlt es Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene, und wir zurzeit . Wir müssen uns anstrengen, das zu verändern . wollen unsinnige Transporte vermeiden . Da hat der Bund genauso Verantwortung wie die Län- (Beifall bei der LINKEN – der . Wir brauchen mehr Planungskapazität . Wir brauchen [CDU/CSU]: Wir gehen in Zukunft mit einem vor allem mehr Planungsbeschleunigung . Es kann und Fußmarsch zur Demo!) darf nicht sein, dass wir nun Rekordmittel bereitstellen, dass wir eine Infrastrukturoffensive beschließen, dass wir In einem durchschnittlichen Joghurt stecken rund wichtige Vorhaben auf den Weg bringen, dass diese dann 9 000 Transportkilometer, obwohl er genauso gut vor Ort aber später im Paragrafendschungel hängen bleiben . Das hergestellt und verkauft werden kann . Aber dieser Unsinn muss abgestellt werden . lohnt sich zum Beispiel für Müllermilch, weil Lastwagen überall durchfahren können, weil die Maut zu niedrig ist (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . und weil die Lkw-Fahrer so schlecht bezahlt werden . Da- Sören Bartol [SPD]) runter leidet übrigens auch die regionale Wirtschaft, und Einen Bundesverkehrswegeplan gibt es übrigens – das das wollen wir ändern . sei der Öffentlichkeit gesagt – nicht in jeder Legislaturpe- riode . Ein Bundesverkehrswegeplan eröffnet einen Aus- (Beifall bei der LINKEN) blick auf 15 Jahre . Das heißt, dass man nur alle 15 Jahre Die Lkw-Maut muss endlich ordentlich angehoben (B) an einem solch großen Investitionsprojekt arbeiten darf . werden . Man kann Fahrverbote verhängen, zum Beispiel (D) Das erfordert von allen Kolleginnen und Kollegen, die ab Freitagnachmittag und in der Nacht . Sie können dafür damit befasst sind, Geduld, Ausdauer und Verantwor- sorgen, dass Lkws nicht auf Bundesstraßen und Land- tung . Ich möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich be- straßen durch Ortschaften fahren dürfen, wenn es parallel danken bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mei- dazu eine Autobahn gibt . Damit würden die Anwohner nes Hauses, den Staatssekretären sowie den Kolleginnen an den belasteten Ortsdurchfahrten sofort entlastet, und und Kollegen aus dem Verkehrsausschuss, die in den ver- Sie könnten sich viele von diesen teuren und unsinnigen gangenen Monaten an jedem einzelnen Projekt intensiv Ortsumfahrungen sparen . mitgewirkt haben . Ich kann nur zum Ausdruck bringen, dass alle diejenigen, die sich der Verantwortung gestellt (Beifall bei der LINKEN) haben, ein solch großes Projekt auf den Weg zu bringen, ihrer Verantwortung vollumfänglich nachgekommen sind Wenn es nach Ihrem Plan geht, stößt der Verkehrssek- und einen Bundesverkehrswegeplan erarbeitet haben, der tor in 15 Jahren noch mehr klimaschädliche und gesund- Ökonomie und Ökologie vereint wie niemals zuvor . heitsschädliche Abgase aus, werden noch mehr Flächen versiegelt und noch mehr Grünanlagen und Landschaften Herzlichen Dank dafür und gute Beratungen in den zerstört . Dem können wir nicht zustimmen . Ausschüssen . Für mehr Lebensqualität und Wohlbefinden brauchen (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – La- wir nicht immer weitere Wege und immer schnellere chen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Fahrzeuge, sondern eine erholsame und lebenswerte Um- welt . Dafür setzt sich die Linke ein . Präsident Dr. Norbert Lammert: (Beifall bei der LINKEN) Das Wort erhält nun die Kollegin Sabine Leidig für die Fraktion Die Linke . Wenn es nach Ihrem Plan geht, wird der öffentliche Nahverkehr in den nächsten Jahren noch teurer, weil der (Beifall bei der LINKEN) Bund Milliarden in Autobahnprojekte versenkt, statt den Ausbau von Bus und Bahn zu finanzieren. Ein Paradebei- Sabine Leidig (DIE LINKE): spiel dafür ist der Weiterbau der A 100 in Berlin, den Sie Danke, Herr Präsident . – Werte Kolleginnen und Kol- geplant haben . Mindestens 550 Millionen Euro sollen für legen! Werte Zuhörerinnen und Zuhörer! Herr Minister, wenige Kilometer ausgegeben werden, obwohl es über- Ihr Straßenbauinvestitionsprogramm ist im Ergebnis um- haupt keinen Bedarf dafür gibt . Im Gegenteil: Dieses Au- welt- und gesundheitsschädlich . Es ist undemokratisch tobahnstück würde einen wertvollen Park zerstören und Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18749

Sabine Leidig (A) sanierte Wohngebiete kaputtmachen, und der Verkehr Erstens wollen wir zusätzliche Mittel für die Investi- (C) ergießt sich dann in den nächsten Stadtteil . tionen in den Erhalt und den Aus- und Neubau der Ver- kehrswege mobilisieren, (Dr .V alerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Da bin ich gespannt, was Ihre Regie- (Dr .V alerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- rungsbeteiligung in Berlin dazu sagt!) NEN]: Nicht zu erkennen!) Kein Problem werden Sie damit lösen . Sie erreichen und zwar durch die zusätzlichen Steuer- und Mautein- damit nur, dass die Aktionäre der Baukonzerne einen nahmen . Die Ausdehnung der Lkw-Maut ist dabei der Gewinn einstreichen . Mit solcher Politik muss endlich wichtigste Schritt . Den Entwurf des dafür notwendigen Schluss sein . Gesetzes werden wir heute ebenfalls in den Deutschen Bundestag einbringen . Hier geht es um die Frage: Wie (Beifall bei der LINKEN) finanzieren wir unsere Investitionen? Streichen Sie dieses und ein weiteres Dutzend ähnlich teurer und unnützer Großprojekte aus Ihrem Straßenbau- Zweitens wird künftig nach klaren und ehrlichen Kri- plan! Damit hätten Sie locker 10 Milliarden Euro übrig, terien entschieden, in welche Verkehrsprojekte investiert und mit diesem Geld sollten Sie einen Verkehrswende- wird . Dazu ist ein neuer Bundesverkehrswegeplan 2030 fonds finanzieren, damit die Kommunen den ÖPNV aus- erarbeitet worden, mit dem ein neues Priorisierungskon- bauen, Fahrradwege entwickeln und etwas für die Fuß- zept umgesetzt wird . Dazu liegen uns die Entwürfe der gängerfreundlichkeit tun können . Ausbaugesetze vor, deren Beratung wir heute im Bun- destag beginnen . Hier geht es um die Frage: Wo investie- Wenn es nach Ihrem Plan geht, werden der Frust über ren wir in die Bundesverkehrswege? die sogenannten etablierten Parteien und der zunehmen- de Zweifel an unseren demokratischen Institutionen noch Drittens wollen wir die Art, wie der Bund investiert, weiter genährt . Zigtausende Bürgerinnen und Bürger ha- reformieren . Das haben wir bei der Leistungs- und Fi- ben mit Anregungen und Einwänden versucht, Einfluss nanzierungsvereinbarung für den Erhalt der Schiene mit auf diesen Bundesverkehrswegeplan zu nehmen – ohne der Deutschen Bahn bereits umgesetzt . Darüber hinaus erkennbares Ergebnis . Viele der engagierten Bürgerinnen haben wir die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung refor- und Bürger in Umweltverbänden, Bürgerinitiativen und miert und neu justiert . Bei der Reform der Auftragsver- Rathäusern sprechen von Pseudobeteiligung, und leider waltung bei der Straße sind wir mitten in der Diskussion . haben sie recht . Hier geht es um die Frage: Wie organisieren wir unsere Investitionen? Von den 50 ausgearbeiteten Alternativen der Ver- (B) kehrsverbände zum Beispiel ist keine einzige in Ihren Liebe Kolleginnen und Kollegen, die SPD hat bereits (D) Bewertungsverfahren geprüft worden . Das ist völlig in- in der letzten Legislaturperiode mit dem Projekt Infra- akzeptabel . strukturkonsens 2020 Eckpunkte für eine neue Priorisie- rungsstrategie für die Bundesverkehrswege vorgelegt . (Beifall bei der LINKEN) Für uns ist klar: Ohne eine klare, transparente Festlegung, wo wir aus welchen Gründen investieren wollen, werden Wir verlangen eine echte Bürgerbeteiligung, und zumin- wir die Akzeptanz der Steuerzahlerinnen und Steuerzah- dest für die größten und teuersten Projekte muss es eine ler für die hohen Investitionssummen nicht erhalten . unabhängige Prüfung von Kosten und Nutzen geben . Nach der Bundestagswahl haben wir uns mit der CDU/ Wir haben zum Glück noch eine parlamentarische CSU im Koalitionsvertrag auf eine neue Strategie geei- Beratung . Ich hoffe, Kolleginnen und Kollegen, dass Sie nigt . Mit unserem Entschließungsantrag zur Pkw-Maut auf solche Prüfungen bestehen werden . Denn nur dort, im Deutschen Bundestag haben die Koalitionsfraktionen wo Alternativen zur Auswahl stehen, gibt es Demokratie, ihren festen Willen bekräftigt, dieses auch umzusetzen . und die müssen wir stärken . (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . (Dr .Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE Dr .Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Ihren festen Willen bekräftigt“! GRÜNEN]) Das ist schön!) Außerdem waren wir uns einig, dass ein moderner Präsident Dr. Norbert Lammert: Plan eine neue Form der Beteiligung der Bürgerinnen Sören Bartol ist der nächste Redner für die SPD-Frak- und Bürger braucht . Daher hat das Bundesverkehrsmi- tion . nisterium die größte Bürgerbeteiligung durchgeführt, die es je bei einem Bundesverkehrswegeplan gegeben hat . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten In einem umfassenden Prozess konnten die Bürgerinnen der CDU/CSU) und Bürger zur ersten Grundkonzeption Stellung neh- men . Bei den Schienenwegen konnten sie eigenständige Vorschläge einreichen . Zu guter Letzt lag der erste Ent- Sören Bartol (SPD): wurf des Planes sechs Wochen in ganz Deutschland aus Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und und konnte kommentiert werden . Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben im Koalitionsvertrag eine Reformagenda für die Verkehrs- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten politik vereinbart, die auf drei Säulen beruht . der CDU/CSU) 18750 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Sören Bartol (A) Wir haben Kurs gehalten, obwohl viele vermutet ha- Wir planen und bauen nicht mehr nach Himmelsrich- (C) ben, dass wir das als SPD mit einem bayerischen Bun- tungen, sondern nach dem realen Bedarf . Es wird kein desverkehrsminister niemals hinbekommen werden . Bauen nach Proporz mehr geben . Die Länderquote ist Heute ist klar: Die Koalition hat zusammen mit dem abgeschafft. Davon profitieren insbesondere die Länder, Bundesverkehrsminister etwas verdammt Gutes erreicht . in denen der Verkehr wirklich stattfindet und die Leute tagtäglich im Stau stehen . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- ten der CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer Der Plan ist realistisch, weil er von einem ehrlich ge- [CDU/CSU]: Wenn ihr euch etwas Mühe gebt, rechneten Finanzrahmen für die kommenden 15 Jahre geht das schon!) ausgeht . Das „Wünsch’ dir was“, das auch gleich wieder in Ihren Reden kommt, gehört endgültig der Vergangen- Selbst der grüne Landesverkehrsminister Winfried heit an . Hermann aus Baden-Württemberg schreibt in seiner Stel- lungnahme an den Bundesverkehrsminister – ich zitiere (Gustav Herzog [SPD]: Sehr richtig!) jetzt –: Der neue Plan ist klug, weil er die Verkehrsträger eben Das Land Baden-Württemberg begrüßt die Erstel- nicht gegeneinander ausspielt, er dem Prinzip „Erhalt vor lung des BVWP-Entwurfs 2030 . Neubau“ folgt und überregionale, großräumig bedeutsa- me Projekte und Lückenschlüsse Vorfahrt haben . (Gustav Herzog [SPD]: Hört! Hört!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten … Ich freue mich, dass ein Großteil der angemelde- der CDU/CSU) ten Projekte, insbesondere im Straßen- und Wasser- Wir werden den Rekordanteil von 69 Prozent aller In- straßenbereich, mit hoher Dringlichkeit eingestuft vestitionsmittel in den Erhalt der bestehenden Straßen, wurde . Schienenwege und Wasserstraßen investieren . Damit (Gustav Herzog [SPD]: So was schreibt der fließen mehr als 140 Milliarden Euro bis 2030 in die grüne Verkehrsminister!) Beseitigung von Schlaglöchern, bröckelnden Brücken sowie die Sanierung kaputter Schleusen und Langsam- Ebenso bewerte ich den gesetzten Schwerpunkt auf fahrstellen bei der Eisenbahn . Das sind Investitionen, die die Erhaltung positiv . … Diese Erhöhung ist die dringend benötigt werden . Es ist auch – da muss ich dem notwendige Antwort auf die Herausforderungen in Bundesverkehrsminister recht geben – mehr als jemals Deutschland … zuvor und mehr als in dem letzten Plan, der übrigens Recht hat er . auch von den Grünen mitbeschlossen wurde . (B) (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: (D) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wer war damals Verkehrsminister?) Der neue Bundesverkehrswegeplan ist ehrlich, realis- – Ja, wir auch . Ist okay . Er ist halt besser . tisch und klug . Er zeigt, wie moderne Planung von Infra- strukturprojekten im Herzen Europas funktioniert . Liebe (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Sie sollten CDU/CSU) sich dem Urteil Ihres grünen Kollegen einfach anschlie- Bei der Schiene werden wir neue Wege gehen . Die ßen und anerkennen, dass uns an dieser Stelle wirklich Zeit, in der einzelne Rennstrecken singulär ausgebaut etwas gelungen ist . wurden, ist vorbei . Wir denken im Gesamtnetz . Bis Der neue Bundesverkehrswegeplan 2030 zeigt den 2030 wollen wir im Schienenpersonenfernverkehr den großen Investitionsbedarf beim Erhalt und Ausbau der Deutschlandtakt einführen . Das lange Warten an den Verkehrswege in den nächsten 15 Jahren . Dabei legt Bahnsteigen muss der Vergangenheit angehören . Die der Bund fest, was wichtig ist und was nicht . Eine vom Kundinnen und Kunden sollen optimale Möglichkeiten Bundesverkehrsminister in Auftrag gegebene Verkehrs- zum Umsteigen erhalten . So entstehen am Ende verläss- prognose geht davon aus, dass die Verkehrsleistung im liche Reiseketten . Personenverkehr bis 2030 um über 12 Prozent gegen- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) über 2010 ansteigen wird, im Güterverkehr sogar um fast 40 Prozent . Ich finde, wir wagen damit auch im Schienenverkehr eine Mobilitätsrevolution . Den weiteren Ausbau der (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das ist keine Schienenwege werden wir an dem gewünschten Fahr- Leistung!) plan ausrichten . Für den Deutschlandtakt werden wir in den kommenden Jahren die entscheidenden Infrastruk- Dabei werden wir nicht einfach dem Verkehrswachs- turmaßnahmen planen und auch bauen . tum hinterherbauen . Der neue Plan ist ehrlich, weil er klar sagt, welche Projekte in den kommenden Jahren Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich halte die Kritik eine Chance auf Realisierung haben . Dafür sind alle Pro- insbesondere der Umweltverbände in vielen Punkten für jekte, bei denen der Bagger noch nicht gerollt war, neu unberechtigt . In einem Punkt teile ich jedoch die Unzu- bewertet worden . Dabei sind auch Projekte von der Prio- friedenheit . Es ist leider sehr ärgerlich, dass viele Schie- ritätenliste genommen worden, deren Planung schon weit nenprojekte noch nicht berechnet sind . Bei aller Kritik fortgeschritten war, wenn ihr Nutzen nicht mehr gegeben gehört aber auch hier zur Wahrheit dazu, dass auch das in war . dem letzten, 2003 beschlossenen Plan nicht anders war . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18751

Sören Bartol (A) Ich bin auch froh, dass nach der Veröffentlichung des Man muss ehrlicherweise sagen, dass man verblüfft (C) ersten Entwurfs jetzt noch einige Projekte nachträglich ist, dass überhaupt ein Plan vorgelegt wird . Nach dem berechnet worden sind . Damit hat die Schiene gegenüber BER-Chaos, um das sich der Minister überhaupt nicht der Straße weiter gewonnen . Das hat am Ende auch zur gekümmert hat – der Anteil des Bundes beträgt schließ- Klarheit geführt . lich 26 Prozent –, nachdem der Bundesrechnungshof dem Minister deutlich gemacht hat, dass er mit seinen Ich hoffe, dass wir bis zum Ende der parlamentari- PPP-Projekten auf Autobahnen öffentliches Geld ver- schen Beratung noch weitere Schienenprojekte berech- schwendet und nachdem er sich monatelang mit nichts nen können . Damit werden wir dann am Ende logischer- anderem als diesem Mautdesaster aufgehalten hat, könn- weise auch klar priorisieren können . te man sich denken: Immerhin, ein Plan ist vorgelegt Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt beginnen die worden . Beratungen in den Ausschüssen . Ich sage das – weil ich das schon einmal mitgemacht habe – hier einmal in aller Wenn man sich dann diesen Plan durchliest, wundert Deutlichkeit: Ich hoffe auch auf die Vernunft und Weit- man sich – wenn man die lange Zeit der Erarbeitung be- sicht aller Abgeordneten in diesem Hause . rücksichtigt –, wie schlampig er erstellt worden ist . Ich nehme einmal ein einfaches Beispiel, die Umgehungs- (Dr .V alerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- straße Duderstadt in Niedersachsen . Wenn man sich die NEN]: Ach! Da bin ich gespannt!) offiziellen PRINS-Daten anschaut, stellt man fest, dass dort von einem Nutzen in Höhe von 58,3 Millionen Euro Der vorliegende Plan ist keine Ansammlung von Wahl- die Rede ist . Die Investitionskosten betragen danach kreisprojekten, und er darf das auch nicht werden . Ich 67 Millionen Euro . Das Nutzen-Kosten-Verhältnis ist 2 . respektiere natürlich, weil auch ich direkt gewählter Ab- Zur Erklärung: Man teilt den Nutzen durch die Kosten, geordneter eines Wahlkreises bin, dass sich jeder Abge- und dann kommt das Ergebnis heraus . Jetzt erklären Sie ordneter immer für die Projekte in seiner Region einsetzt . mir bitte einmal, wie 58 geteilt durch 67 2 ergibt . Also Das ist klar . Deswegen sind wir – wir sind da ja auch wenn ich das ganz grob im Kopf ausrechne, komme ich verwurzelt – dort gewählt worden . Klar muss aber auch auf etwa 0,8 . sein, liebe Kolleginnen und Kollegen: Als Bundespoliti- kerin bzw . Bundespolitiker sollten wir am Ende immer (Beifall und Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE das große Ganze im Blick behalten . GRÜNEN) (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Es ist auffallend, wie schlampig erstellt Ihre Daten sind, NEN]: Das wäre schön!) die man dem Internet entnehmen kann . (B) (D) Dazu gehört dann am Ende auch, dass wir diesen wirk- Das Gleiche zeigt sich, wenn man sich anschaut, wie lich sehr guten Plan mit den klaren verkehrspolitischen es mit den Mitteln für den Unterhalt ist . Eigentlich soll- Linien nach den parlamentarischen Beratungen nicht te es doch eine Selbstverständlichkeit sein – unabhängig überfrachten, damit wir am Ende sagen können: Er ist davon, dass wir uns darüber streiten, welche Neubau- genauso gut, wie er anfänglich ins Parlament hineinge- maßnahmen sinnvoll sind –, dass man das vorhandene gangen ist . Infrastrukturnetz erhält, wenn man nicht vorhat, es still- Vielen Dank . zulegen . (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Es ist wunderbar, davon zu reden, dass man in das In- frastrukturnetz mehr Geld stecken will, und es wird so Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der getan, als wenn das auch wirklich getan würde . Sie haben Kollege Anton Hofreiter das Wort . hier einen Plan vorgelegt; aber bei der Umsetzung hapert es, und zwar schon die letzten drei Jahre . Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Das lässt sich an etwas ganz Einfachem erkennen: an Kollegen! An der Rede des Bundesministers war eines den Unterhaltsmitteln und an den Neubaumitteln . Die auffallend: Er hat sich vor allem mit der Vergangenheit, Unterhaltsmittel und die Neubaumittel sind gegenseitig mit Zeiten beschäftigt, die 10 oder 15 Jahre her sind, und deckungsfähig . Was heißt das? Weil die Abgeordneten er hat schöne Zitate gebracht . Das war auch in gewisser der Großen Koalition lieber Bändchen durchschneiden, Weise konsequent; denn wenn man sich den Plan, den er als für den Unterhalt des bestehenden Netzes zu sorgen, heute vorlegt, anschaut, glaubt man nicht, dass das der heißt das, dass im Vollzug des Haushalts fröhlich große aktuelle Bundesverkehrswegeplan ist . Man glaubt, dass Summen aus dem Unterhaltstopf in den Neubautopf um- das ein Plan aus dem letzten oder vorletzten Jahrhundert gewidmet werden . Ich wiederhole: Natürlich ist es viel ist; denn mit Zukunftsfähigkeit hat dieses ganze Werk schöner, in der Lokalpresse zu stehen, Bändchen durch- nichts zu tun . zuschneiden, zu sagen: „Ich habe jetzt eine Umgehungs- straße eröffnet“, als das bestehende Netz zu unterhalten . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gustav Herzog [SPD]: Herr Hofreiter, Sie ha- Um Ihre Reden hier glaubwürdig zu machen, können ben das Werk gar nicht gelesen!) Sie etwas ganz Einfaches tun: Sie könnten die gegensei- 18752 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Dr. Anton Hofreiter (A) tige Deckungsfähigkeit zwischen Unterhaltsmitteln und Das heißt, das ist gar kein Bundesverkehrswegeplan, (C) Neubaumitteln aufheben . sondern es sind drei Einzelpläne, und diese drei Einzel- pläne sind eine Ansammlung von einzelnen Projekten . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das könnte man haushaltstechnisch einfach machen . Dann wäre Ihr Vorgehen zumindest in den Ansätzen Deshalb frage ich: Was wäre stattdessen nötig? Nötig glaubwürdig . wäre ein Bundesnetzplan, der die Verkehrsträger inte- griert betrachtet . Es ist doch eine Vorstellung aus dem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – letzten Jahrhundert, dass Menschen entweder nur Auto Dr .V alerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- fahren oder nur mit der Eisenbahn unterwegs sind oder NEN]: Das wäre ehrliche Politik!) nur Fahrrad fahren . Wenn man sich den Bundesverkehrswegeplan weiter (Volker Kauder [CDU/CSU]: Nur wandern!) anschaut, fällt noch etwas auf . Es heißt hier: Das ist re- Das ist doch längst nicht mehr die Realität der Menschen . alistisch .– Schaut man sich einfach einmal die Zahlen an, stellt man fest, dass über die Hälfte der Projekte laut Deshalb fordere ich: Legen Sie endlich einen vernünf- Ihrem eigenen Plan nach 2030 gebaut werden soll . Also tigen integrierten Bundesnetzplan vor, der den Realitäten ist über die Hälfte des Projektvolumens überhaupt nicht des 21 . Jahrhunderts gerecht wird und der den großen im Plan . Und das nennen Sie dann realistisch! Umbrüchen, die in den nächsten 10 bis 15 Jahren, die wir in der Mobilität bereits jetzt erkennen können, gerecht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wird . Das hier ist ein zusammengestümperter Plan aus Dem Ganzen zugrunde liegen Ihre eigenen Zahlen . Da- Einzelprojekten . bei sind noch nicht einmal die Baukostensteigerungen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN berücksichtigt . Was ist daran ehrlich? Was ist daran rea- sowie der Abg . Sabine Leidig [DIE LINKE]) listisch? Was ist daran klug? Wenn man sich die Projekte anschaut, denkt man Präsident Dr. Norbert Lammert: sich: Moment einmal, ändert sich in der Mobilitätspo- Das Wort erhält nun der Kollege Patrick Schnieder für litik nicht gerade grundlegend etwas? Diskutieren die die CDU/CSU-Fraktion . Fachleute nicht darüber, dass durch Elektrifizierung und Digitalisierung tiefgreifende Revolutionen in der Mo- (Beifall bei der CDU/CSU) bilitätspolitik anstehen? Merken Sie nicht, wie nervös (B) die Autoindustrie wird, weil sie nicht weiß, wie ihr Ge- Patrick Schnieder (CDU/CSU): (D) schäftsmodell in der Zukunft ausschaut? Alle Fachleute Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- sprechen davon, dass sich in der Mobilitätspolitik in den ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat: Das, nächsten 10, 15 Jahren mehr ändern wird als in den letz- was uns hier als Bundesverkehrswegeplan vorliegt und ten 30, 40 Jahren . Was stellt man fest, wenn man in den was wir jetzt mit den Ausbaugesetzen beraten, kann man Bundesverkehrswegeplan hineinschaut? Geplant ist eine wirklich als das größte Investitionsprogramm des Bundes Orgie von Umgehungsstraßen . überhaupt bezeichnen . Es ist ein Programm für die Mo- dernisierung unserer Verkehrsnetze . Es ist ein Programm, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das Elektroauto mit dem wir die Verkehrsinfrastruktur in Deutschland auf muss auch auf der Straße fahren! Das Elektro- Vordermann bringen und Zukunft gestalten . Deshalb ist auto fliegt noch nicht!) es auch nicht vermessen, zu sagen: Ja, das ist ein großer Geplant ist, ganz stumpf Autobahnen auszubauen . Wurf . Das geschieht, anstatt eine moderne Mobilitätspolitik (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- aus vernetzter Mobilität, aus Infrastruktur und Vernet- ordneten der SPD) zung zwischen Straße und Schiene zu betreiben . Davon Wenn wir das umsetzen, was wir dort niedergeschrie- findet man in diesem Plan überhaupt nichts. Dergleichen ben haben, dann werden wir weniger Staus haben, dann ist noch nicht einmal in der Konzeption des Ganzen an- werden wir ein Mehr an Verkehrssicherheit zu verzeich- gelegt: Straße wird nur als Straße beurteilt, Schiene wird nen haben, nur als Schiene beurteilt, Wasserstraße wird nur als Was- serstraße beurteilt . (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das haben Sie letztes Mal auch gedacht!) Der Gedanke, dass man zum Beispiel durch den Aus- bau eines guten Schienennahverkehrssystems Pendler und dann werden wir sehr viel Geld in Verkehrswege hier von der Straße auf die Schiene locken könnte, dass das in Deutschland investieren . Das ist von einer großen Be- für die Wirtschaft besser wäre, dass das für die Menschen deutung für unser Land; denn Deutschland ist eine Mo- in der Region besser wäre, kommt überhaupt nicht vor . bilitätsnation . Wir sind darauf angewiesen, dass Verkehre Sie können in Ihrem System sozusagen nur eine Straße fließen können, dass Arbeitnehmer zu ihrem Arbeitsplatz durch eine Straße ersetzen . kommen und nicht im Stau stehen, dass wir Waren und Güter transportieren können . Das ist die Voraussetzung (Volker Kauder [CDU/CSU]: U-Bahn auf die dafür, dass wir weiterhin wirtschaftliche Prosperität in Schwäbische Alb!) Deutschland haben . Insofern ist es wichtig, dass wir die Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18753

Patrick Schnieder (A) Verkehrswege so stark in den Fokus nehmen . So gewähr- wegeplan beinhaltet . Können Sie uns einmal sagen, wel- (C) leisten wir Wohlstand und Wachstum in Deutschland . che das sein werden? Darauf bin ich gespannt . Das Verkehrsaufkommen – das besagen alle Verkehr- sprognosen – wird in den nächsten Jahren deutlich an- Patrick Schnieder (CDU/CSU): steigen . Wir haben nicht nur Nachholbedarf bei der In- Frau Kollegin Wilms, der Unterschied ist, dass wir frastruktur, sondern müssen auch eine Antwort auf das eine realistische Planung vorlegen und Sie über be- wachsende Verkehrsaufkommen finden. Das betrifft alle stimmte Dinge spekulieren, die überhaupt keinen Anker Verkehrsträger: Das betrifft den Individualverkehr, das in der Realität haben . Wir haben bisher bei allen Bundes- betrifft den Güterverkehr, das betrifft den Personenver- verkehrswegeplänen eine sogenannte Schleppe gehabt . kehr . Wem es etwas bedeutet, dass es in Deutschland Diese wird auch in Zukunft erforderlich sein . Das hat wirtschaftlich weiter aufwärts gehen kann, der muss han- einen ganz einfachen Grund: Die Frage ist in aller Regel deln, der muss Geld in die Hand nehmen, der muss in die nicht, ob der Bund ein Projekt will und ob er es finan- Verkehrswege investieren . Wir handeln, und wir handeln ziert, sondern die Frage ist – dieses Problem wird sich in kraftvoll . Dieser Bundesverkehrswegeplan ist beredtes den nächsten Jahren noch verschärfen –, ob die Länder, Zeugnis dafür . die für das Baurecht zuständig sind, die entsprechenden Grundlagen schaffen . Weil wir dort Planungskapazitä- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ten flächendeckend gesenkt haben, schaffen wir es nicht ordneten der SPD) mehr, in allen Fällen zeitnah die Planung zu beenden und Wir haben uns, als wir die Konzeption erstellt haben, Baurecht zu schaffen . klare Kriterien gegeben; darüber waren wir uns in diesem (Dr .V alerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Hause eigentlich weitgehend einig . Wenn wir uns diese NEN]: Also doch nicht realistisch!) Kriterien anschauen, dann kann man sagen: Sie sind in diesem Bundesverkehrswegeplan abgebildet, sie sind Deshalb müssen wir Planungskapazitäten ausbauen . Das eingehalten worden . Ja, es waren ehrgeizige Ziele, die ist nicht ein Problem des Bundes . wir uns gesetzt haben, und wir haben diese Ziele auch alle erreicht . Ich will das im Einzelnen betrachten . Frau Kollegin Wilms, wir haben dazu Vorschläge ge- macht – die müssen Sie sich auch anhören, Sie müssen Erster Punkt . Wir haben gesagt: Wir wollen eine rea- dann dabei sein –, zum Beispiel zur Bundesverkehrsin­ listische Planung machen . Wir wollen keinen Wunsch- frastrukturgesellschaft . Damit hätten wir es in der Hand, und-Wolke-Plan machen, sondern etwas, was wir in den vor Ort Baurecht und Planung zu schaffen . nächsten 15 Jahren auch wirklich umsetzen können . Ge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . (B) nau das ist gelungen . Eine klare Finanzierungsperspek- (D) tive ist hier aufgezeichnet, lieber Kollege Hofreiter – je- Sören Bartol [SPD]) denfalls dann, wenn wir die Politik weiter so gestalten Hier müssen Sie mitmachen . Dann haben wir überhaupt können . Wir haben in den letzten Jahren gezeigt: Wir kein Problem bei der Umsetzung . wollen einen Investitionshochlauf . Die größte Gefahr, dass wir das nicht umsetzen können, ist, wenn Sie, wenn Zweiter Punkt . Wir haben das Prinzip „Erhalt vor Neu- andere darüber zu entscheiden haben . Ansonsten werden bau“ . Es wird eingehalten . 70 Prozent der Mittel gehen in wir das, was hier als Plan vorliegt, auch bis 2030 umset- den Erhalt . Im Plan von 2003 lagen wir bei 56 Prozent . zen können . Herr Kollege Hofreiter, ich darf die Grünen zitieren . Ein Kollege von Ihnen hat zu dem Plan, den er damals mit erarbeitet hat, gesagt, 56 Prozent Erhalt sei ein ausgewo- Präsident Dr. Norbert Lammert: genes Verhältnis . Sie müssten heute über das jubilieren, Herr Kollege Schnieder, darf die Kollegin Wilms eine was wir vorlegen, weil es genau dem entspricht, was Sie Zwischenfrage stellen? eigentlich auch wollen . (Beifall des Abg . Sören Bartol [SPD]) Patrick Schnieder (CDU/CSU): Gerne . Dritter Punkt . Wir haben gesagt: Wir setzen klare Pri- oritäten im Verkehrswegeplan, ausgerichtet auf die größ- te verkehrliche Gesamtwirkung . Auch das halten wir ein . Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bei der Straße stärken wir die Hauptachsen und Knoten- Vielen Dank, Herr Kollege .– Sie haben ja gerade eben punkte in besonderer Weise . Großräumig bedeutsame so schön getönt, dass alles, was im Bundesverkehrswe- Vorhaben werden dort mit 75 Prozent der Investitions- geplan drinsteht, finanzierbar und realistisch ist und auch mittel bedacht . Aber wir vergessen auch nicht die regio- tatsächlich kommen soll . Im Zusammenhang mit dem nale Erschließung, die zur Verbesserung der Lebensqua- Bundesverkehrswegeplan wird immer von einer soge- lität im ländlichen Raum führt . nannten Schleppe ab 2031 geredet . Der Bundesverkehrs- wegeplan geht aber nur bis 2030 . Bis 2030 wollen Sie Engpassbeseitigung ist ein großes Thema . Hier kom- 38,5 Milliarden Euro investieren und danach noch einmal me ich dann zu der Frage: Wird der Klimaschutz, wird 42,8 Milliarden Euro . Sie haben damit eigentlich schon die Ökologie hier genug berücksichtigt? Ja, ich kann dem den Bundesverkehrswegeplan 2045 vorgelegt . Aber in Bundesverkehrsminister nur recht geben . Das ist in der dem Gesetzentwurf, der uns vorliegt, verschweigen Sie Tat die Verbindung von Ökonomie und Ökologie . Wir ja, welche Projekte dieser übernächste Bundesverkehrs- führen Emissionen zurück, eindeutig . Man kann immer 18754 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Patrick Schnieder (A) sagen, dass man dort mehr machen kann, aber das ist vernünftiger Plan, ein guter Plan, ein vernünftiges und (C) Fakt . gutes Zukunftsprogramm für Deutschland .

(Zuruf des Abg . Oliver Krischer [BÜND- Vielen Dank . NIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Ich bin manchmal seltsam von dem berührt, was Sie unter Umweltschutz verstehen und was Sie bei den

Verkehrswegen fordern . Ich nenne einmal das Beispiel Präsident Dr. Norbert Lammert: Lückenschluss A 1 zwischen Nordrhein-Westfalen und Herbert Behrens ist der nächste Redner für die Frak- Rheinland-Pfalz . Er steht seit Jahrzehnten auf der Agen- tion Die Linke . da . Es gibt Hunderte von Gutachten dazu . Alle sagen: Ja, (Beifall bei der LINKEN) die Umwelt ist hier und da betroffen . Es ist alles lösbar . – Sie verzögern das Projekt seit Jahren. Jetzt findet man Herbert Behrens (DIE LINKE): genetisches Material vom Haselhuhn . Gesehen worden ist dort noch kein Haselhuhn, es werden aber wieder neue Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Zusammenfassung des Bundesverkehrswegeplans 2030 Gutachten gemacht . Es wird die Umwelt geschützt . Ich heißt es: frage mich manchmal: Wo kommt denn bei der Frage des Umweltschutzes der Mensch bei Ihnen vor? Aber auch Aspekte der Verkehrssicherheit sowie des Klima , Umwelt und Lärmschutzes werden in den (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Bewertungen des BVWP abgebildet . ordneten der SPD) ‐ ‐ Na, da hat der Verkehrsminister ja gerade noch die Wo ist der Gewinn für die Umwelt, wenn wir die Lkws Kurve gekriegt, könnte man meinen . Aber die Bundes- durch die Städte jagen, durch die engen Ortsdurchfahr- regierung denkt ja bei der Verkehrspolitik offenbar doch ten? Wo kommt der Mensch vor, wenn wir über Ver- nicht an die Menschen und an die natürliche Umwelt . kehrssicherheit reden? Wo kommt die Umwelt vor, wenn Spätestens bei der Auflistung der 1 261 Straßenprojekte die Autos im Stau stehen? Deshalb ist ganz klar, dass wir wird deutlich – ich zitiere –: eine klare Prioritätensetzung brauchen: Engpassbeseiti- Dobrindt hat wie ein Gutsherr aus dem vorigen gung, Lückenschlüsse . Das sieht der Bundesverkehrswe- Jahrhundert geplant, der seinen politischen Günst- geplan 2030 vor . Ein großes Kompliment an den Bundes- lingen Gefälligkeiten erweisen will . verkehrsminister . (B) Diesen Worten des Vorsitzenden des BUND, Hubert (D) (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut!) Weiger, schließe ich mich ausdrücklich an . (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Das ist genau die richtige Entscheidung, die wir dort ge- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – troffen haben . Gustav Herzog [SPD]: Peinlich, was er da sagt! Peinlich! Es wird seiner Position nicht (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) gerecht, einen solchen Unsinn zu sagen!) Lassen Sie mich noch ein Wort zur Öffentlichkeitsbe- Dabei wäre es wichtig gewesen, die Fehler des vergan- teiligung sagen . Es ist beispielhaft, was dort passiert ist; genen Jahrhunderts zu korrigieren, anstatt sie zu wieder- sie ist in diesem Umfang noch nie dagewesen . Auch da holen . kann man natürlich fragen: Wie weit wird berücksich- Einige Beispiele aus dem Bereich des Bundeswasser- tigt, was Bürgerinnen und Bürger eingewendet haben? straßengesetzes: 85 Prozent der 314 untersuchten Schleu- Sie haben zumindest die Chance gehabt, und sie sind senanlagen sind in einem erbärmlichen Zustand . In den gehört worden . Aber es gibt auch keinen Anspruch da- nächsten zehn Jahren sind große Grundinstandhaltungen rauf, dass jeder Vorschlag umgesetzt wird . Ich wünsche und Ersatzneubauten erforderlich . Da muss es eigentlich mir manchmal, Sie wären bei den Projekten, die Sie im- keine Prioritätensetzung geben; es muss schlicht und ein- mer bekämpft haben, so konsequent . Zu Stuttgart 21 hat fach gebaut werden . es eine Volksabstimmung gegeben . Bis heute haben Sie noch nicht das Ergebnis akzeptiert, und dann wollen Sie (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . uns erzählen, dass die Öffentlichkeitsbeteiligung beim Dr .Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE Bundesverkehrswegeplan nicht ausreichend gewesen sei . GRÜNEN]) Doch statt hier ordentlich reinzubuttern, Personal und (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias Gastel Geld zu investieren, wird viel Geld in sündhaft teuren, [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie verkehrspolitisch zweifelhaften und ökologisch hochbri- einmal, wie es finanziert werden soll?) santen Flussvertiefungen versenkt . Die Weser, die Elbe und auch die Ems sollen auf Tiefen gebracht werden, die Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kol- zu unkalkulierbaren Risiken führen . leginnen und Kollegen, wir haben einen in die Zukunft gerichteten Plan vorgelegt . Er wird allen Kriterien, allen Bei der Weser ist der Tidenhub zum Beispiel extrem Eckpunkten, die wir gesetzt haben, gerecht . Es ist ein angestiegen, in Bremen an der Großen Weserbrücke von Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18755

Herbert Behrens (A) ehemals 50 Zentimeter auf heute 4,20 Meter . Die Elbe rung des Güterverkehrs auf umweltpolitisch sinnvollere (C) ist in nur 100 Jahren von 3 bis 4 Meter Tiefe damals auf Verkehrsträger wie Schiene und Wasserstraße . 15 Meter Fahrrinnentiefe ausgebaggert worden . In der heute vorgelegten Novelle des Bundeswasserstraßenge- Ich komme zum Schluss . Herr Minister, wenn es je- setzes ist eine weitere Vertiefung auf 15,9 bis 17,1 Meter mals in Ihrem Interesse gewesen sein sollte, Verkehrs- vorgesehen . Mit 400 Millionen Euro ist der Bund dabei . politik im Interesse der Menschen umzusetzen, die von Einschließlich des Hamburger Anteils wird allein der Lärm und Dreck befreit werden wollen, im Interesse des Ausbau nach Angaben der Bürgerinitiative zum Schutz Klimaschutzes, im Interesse einer sozialen und ökologi- der Elbe 618 Millionen Euro kosten . schen Transportpolitik, dann wären Sie an diesen Anfor- derungen grandios gescheitert . Aber wie eingangs zitiert: Die Ems erstickt . 630 000 Kubikmeter Schlick sind Sie planen wie ein Gutsherr aus dem vorigen Jahrhun- nach Aussagen der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung dert, und Sie planen eine Verkehrspolitik für ein vergan- aus dem Flussbett in die anliegenden Deponien gepumpt genes Jahrhundert . Das muss beendet werden . worden . Kosten: 9 Millionen Euro .– Das sind Zahlen (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- aus dem Jahr 2010 . Der einzige Nutznießer: die Meyer- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Werft, deren Besitzer nicht bereit sind, ihre Werft für den Kreuzfahrtschiffbau an die Küste zu verlegen . „Macht ja nichts – der Steuerzahler zahlt, insofern können wir wei- Präsident Dr. Norbert Lammert: termachen wie bisher“, meint offenbar der Verkehrsmi- Kirsten Lühmann ist die nächste Rednerin für die nister . Das ist nicht weiter hinnehmbar . SPD-Fraktion . (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der SPD) Wenn heute über den Plan für die Bundeswasserstra- Kirsten Lühmann (SPD): ßen bis zum Jahr 2030 debattiert wird, dann geht es um eine wirkliche Zukunftsplanung, und die ist dringend Herr Präsident! Verehrte Anwesende! Der Spiegel hat erforderlich . Sie besteht nicht darin, nach der nächsten den Bundesverkehrswegeplan kürzlich zum Hochamt der Flussvertiefung an die übernächste Flussvertiefung zu Verkehrspolitik erklärt . Das ist natürlich übertrieben, zu- denken . Zukunftsplanung für die norddeutschen Seehä- mal die Erarbeitung und insbesondere die Verhandlungen fen heißt: Hafenkooperationen statt Flussvertiefungen . eines solchen Planes nicht zwangsläufig in religiöser At- mosphäre stattfinden. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Dr .Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE (B) GRÜNEN]) Daher gilt das, was in den Verhandlungen zum letzten (D) Bundesverkehrswegeplan der damalige Redner der Grü- Nur so hat auch der Tiefwasserhafen Wilhelmshaven eine nen, der Kollege Albert Schmidt, so trefflich ausführte: Chance, sich zu entwickeln . Schluss mit der hafenpoliti- Dieser Bundesverkehrswegeplan ist kein Evangelium, er schen Kleinstaaterei der Landesregierungen in Hamburg, ist ein Plan . Bremen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein! Wir brauchen eine Verkehrswende, und der Zeitpunkt dafür (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) ist doch jetzt, wo die Verkehrsprojekte für die nächsten Der letzte Bundesverkehrswegeplan war unter der anderthalb Jahrzehnte vorbereitet werden . Statt einer rot-grünen Bundesregierung zustande gekommen . Er hat grundlegenden kritischen Bewertung der bisherigen Po- erstmals ein stärkeres Augenmerk auf den Erhalt gelegt litik kommt nur ein phantasieloses Weiter-so . und auch ökologische Gesichtspunkte stärker berück- Interessant ist ein Blick in die Debatten von vor sichtigt . Das war neu, und das war gut so . über zehn Jahren, als es um den Bundesverkehrswe- (Beifall bei der SPD) geplan 2003 ging . Darin lesen wir Überschriften wie „Vernetzung von Verkehrsträgern zu einem integrier- Er hat damit die Grundlage gelegt für den Bundesver- ten Verkehrssystem“, „Gezielte Engpassbeseitigung im kehrswegeplan 2030, und der ist noch besser geworden . Verkehrssystem“ usw . Die Bilanz – wir haben es schon (Zurufe von der LINKEN) gehört –: Auf den Bundeswasserstraßen wurden nach Zahlen des Bundesverkehrsministers im Jahr 2010 Dass das so ist, das liegt unter anderem auch an der Ar- 10 Prozent der Güter bewegt; es sollten 14,1 Prozent beit, die im Bundesverkehrsministerium gemacht wurde . werden . Auf der Schiene waren es 17,4 Prozent; geplant Insbesondere die Transparenz, die es vorher so noch nie waren 24 Prozent und mehr . Allein der Straßengüterver- gegeben hat, und auch die Abarbeitung der vielen An- kehr hat sich dramatisch zum Negativen verändert: Sein merkungen der Bürger und Bürgerinnen unseres Landes Anteil lag 2010 bei 72 Prozent; laut Bundesverkehrs- waren eine Herausforderung . Darum danke ich allen Be- wegeplan sollte er nur 61,5 Prozent betragen .– Diese teiligten, die daran mitgearbeitet haben, herzlich . Zahlen zeigen doch, dass man die Verkehrsentwicklung (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten einfach hat laufen lassen; teilweise hat man diese Ent- der CDU/CSU) wicklung sogar befördert . Das ist das sogenannte Lais- ser-faire-Szenario, das damals ausdrücklich nicht gewollt Wichtig für diese Arbeit sind jedoch auch die po- gewesen ist . Aber genau das wird mit diesem Bundesver- litischen Vorgaben, die die Ausrichtung dieses Planes kehrswegeplan fortgesetzt – null Aussage zur Verlage- ausmachen . Sören Bartol hat es angesprochen: Die Er- 18756 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Kirsten Lühmann (A) gebnisse des Infrastrukturkonsenses der SPD-Bundes- Aber ich glaube, dass das im Widerspruch zu den Reali- (C) tagsfraktion sind in der Grundkonzeption in weiten Tei- täten steht . Ich möchte Ihnen eine Frage stellen, die sich len umgesetzt worden; man merkt jetzt am Ergebnis, dass auf den Schienengüterverkehr bezieht, der in Deutsch- das eine sinnvolle Sache war . Einen dieser Grundsätze land nur einen Anteil von 17 Prozent hat; in Österreich möchte ich herausgreifen: die klare Mittelaufteilung, sind es 30 Prozent und in der Schweiz 40 Prozent . Die die die umweltfreundlichen Verkehrsträger Schiene und 740-Meter-Netze gibt es zum Beispiel in der Schweiz, Wasserstraße stärkt . sogar in Italien, nur bei uns in Deutschland gibt es Eng- pässe . Vom Gesamtvolumen des neuen Bundesverkehrs- wegeplans werden über 50 Prozent in die Schiene und Meine Frage lautet: Wie erklären Sie sich, dass, ob- in die Wasserstraßen investiert, und wir werden darauf wohl die Deutsche Bahn bereits im Jahr 2013 beantragt achten, liebe Kollegen und Kolleginnen, dass sich dieses hat, den Einsatz des 740-Meter-Netzes zu untersuchen Verhältnis im Rahmen der parlamentarischen Beratungen und es in den Bundesverkehrswegeplan aufzunehmen, auch nicht ändern wird . Dass diese Entscheidung keine das entsprechende Gutachten erst vor einigen Wochen ist, die direkt mit der Verkehrsleistung dieser beiden Ver- seitens des Bundesverkehrsministeriums in Auftrag ge- kehrsträger zu rechtfertigen ist, das ist uns allen klar . Ge- geben wurde, sprich: das Gutachten über das 740-Me- nauso klar ist aber auch, dass, wenn wir die Mobilität in ter-Netz zu einem Zeitpunkt in Auftrag gegeben wurde, Deutschland langfristig stärken und ökologisch ausrich- als der Entwurf des Bundesverkehrswegeplans schon seit ten wollen, Schiene und Wasserstraße diese zusätzlichen Monaten vorlag? Das ist doch eine ziemliche Diskre- Mittel dringend benötigen . panz . Das spricht nicht unbedingt dafür, dass die Bun- desregierung das Thema Schienenwege und konkret das Wir bedauern die Tatsache, dass die vielen Schienen- Thema „740-Meter-Netz/Verlagerung von Verkehr auf projekte noch nicht alle auf ihre Wirtschaftlichkeit hin die Schiene“ ernst nimmt . berechnet werden konnten . Wir drängen darauf, dass dies möglichst schnell passiert; denn nur dann kann man den (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- verkehrspolitischen Wert dieses Bundesverkehrswege- SES 90/DIE GRÜNEN) planes auch umfassend erkennen . Daher bitten wir da- rum, dass das möglichst schnell passiert . Kirsten Lühmann (SPD): (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- Herr Kollege Gastel, die Tatsache, dass die Bundes- ten der CDU/CSU – Abg . Matthias Gastel regierung zusammen mit den Koalitionsfraktionen die [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich Mittel so verteilt hat, dass für den Bereich Schiene über zu einer Zwischenfrage) 41 Prozent der Mittel zur Verfügung stehen, zeigt ein- (B) deutig, welche Prioritäten diese Bundesregierung setzt . (D) Denn unter anderem noch nicht bewertet und noch im Wann ein Gutachten von wem in Auftrag gegeben wurde, potenziellen Bedarf befinden sich Maßnahmen zur Reali- dürfen Sie nicht mich fragen, sondern das müssen Sie das sierung der umfassenden Befahrbarkeit des Schienennet- Ministerium fragen; denn ich gehöre dem Parlament an, zes für 750-Meter-Güterzüge, was im Übrigen der euro- und das Ministerium ist Teil der Regierung . Diese Frage päischen Standardlänge entspricht . Wir plädieren hier für können Sie im Rahmen einer Kleinen Anfrage stellen . eine schnelle Planung, damit auch kleinteilige und relativ An der Antwort wäre auch ich interessiert; aber die wird preisgünstige Maßnahmen die Kapazitäten im Schienen- dann ja öffentlich sein . verkehr nach vorne bringen können . (Beifall bei der SPD sowie des Abg . Norbert Brackmann [CDU/CSU]) Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin Lühmann, lassen Sie eine Zwischenfra- Zu den Maßnahmen, die wir dringend untersuchen ge zu? müssen, gehört auch die Beseitigung der Knotenprob- lematik . Die Knotenpunkte in mehreren großen Städten Kirsten Lühmann (SPD): bedeuten insbesondere für den Schienengüterverkehr Engpässe . Dort konkurrieren Güterzüge mit Fernver- Ja . kehrs- und Nahverkehrszügen . Diese Konkurrenzen wol- len wir aufheben . Dafür gibt es einen eigenen Titel in Präsident Dr. Norbert Lammert: diesem Bundesverkehrswegeplan . Ich spreche hier nur Bitte schön . einen Knoten an, der noch nicht aufgenommen wurde, den Knoten Hannover . Ich denke, dass wir dazu zeitnah Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Antworten erhalten werden . Frau Kollegin Lühmann, vielen Dank, dass ich Ihnen Kritisiert wurde von einigen, dass in diesen Bundes- diese Zwischenfrage stellen darf . Ich bin an der richtigen verkehrswegeplan keine Schienennahverkehrsmaßnah- Stelle aufgerufen worden, nämlich als Sie gerade begon- men aufgenommen wurden . Das ist aber nicht nur bei nen haben, über das 740-Meter-Netz zu sprechen . diesem Plan so, sondern das war auch bei den Vorgän- gern so . Das liegt daran, dass wir uns einmal entschieden Sie hatten vorhin schon gelobt, dass so viel Schiene haben, dass der Schienenpersonennahverkehr in die Zu- im Bundesverkehrswegeplan enthalten sei . ständigkeit der Länder übergeben wird . Dafür stellen wir (Volker Kauder [CDU/CSU]: Da fehlt noch den Ländern ausreichend Geld zur Verfügung . Gerade die Gäubahn!) erst haben wir die Regionalisierungsmittel deutlich auf- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18757

Kirsten Lühmann (A) gestockt und die Zusage gegeben, dass die GVFG-Mittel, Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C) die der Gemeindeverkehrsfinanzierung dienen, verstetigt – es ist ja ganz interessant, wie Sie hier immer auf werden . Ich glaube, das war eine richtige und gute Maß- den Grünen herumdreschen . Wenn ich mich richtig ent- nahme; denn die Länder wissen am besten, wo die Be- sinne – ich bin ja schon ein paar Jährchen älter –, dann darfe im Bereich Schienenpersonennahverkehr sind . Das hat es im Bund noch keinen einzigen grünen Verkehrs- müssen wir nicht seitens des Bundes regeln; das sollen minister gegeben . die Länder machen . Das ist gut so, und das behalten wir bei . (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der SPD sowie des Abg . Volker GRÜNEN]: Leider! – Volker Kauder [CDU/ Kauder [CDU/CSU]) CSU]: Gott sei Dank!) Dass wir unsere Schwerpunkte richtig gesetzt haben, Es wird höchste Zeit, dass endlich einmal Realität und zeigt auch eine Umfrage, die das Netzwerk Europäische Vernunft in diese Hütte an der Invalidenstraße einziehen . Eisenbahnen mit dem Verband der Güterwagenhalter in Deutschland durchgeführt hat . Danach wollen neun von (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- zehn Befragten, dass mehr Güter auf der Schiene trans- SES 90/DIE GRÜNEN) portiert werden und der Staat dafür mehr Geld ausgibt . Ich hoffe, dass das nächstes Jahr gelingen wird . Dass auch hier der Teufel im Detail steckt, habe ich in meinem Heimatland Niedersachsen erlebt: Im Dialogfo- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – rum waren sich alle einig, dass mehr Güter auf die Schie- Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und ne sollen und wir dafür mehr Kapazitäten benötigen . Jetzt der SPD) gibt es aber viele, die von der gefundenen Lösung betrof- fen sind und dagegen protestieren . Die im Dialogforum Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Selbstbeweih- von den Beteiligten gefundenen Ansätze, insbesondere räucherung, die wir hier eben erlebt haben, lässt sich zum Lärmschutz, helfen, Vertrauen zu gewinnen . mit einem altbekannten Sprichwort zusammenfassen: Eigenlob stinkt, und zwar stinkt es gewaltig zum Him- Unsere Arbeit wird mit der Verabschiedung dieses mel – auch in Bayern . Es stinkt nicht nur, sondern das, Bundesverkehrswegeplans nicht zu Ende sein . Wir be- was Sie hier machen, hat auch gar nichts mehr mit der schließen Projekte, liebe Kollegen und Kolleginnen, kei- Realität zu tun . ne Linienführungen . Um für diese Projekte Akzeptanz zu erlangen, müssen wir die Betroffenen in die weitere Pla- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (B) nung früher und intensiver als bisher einbinden . Es muss Deswegen wird es Zeit, den Leuten reinen Wein ein- (D) möglich sein, dass wir gute Anregungen aufnehmen, zuschenken . auch wenn die Projekte dadurch etwas teurer werden, als wir ursprünglich beabsichtigt haben . Die Verkehrswende (Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt mal los!) ist auch für Deutschland zwingend; aber sie wird nicht allein durch einen Beschluss hier im Bundestag verwirk- Wir müssen es so sagen, wie es ist . Im Wort „Bundesver- licht . Sie muss ein Projekt der Menschen in diesem Land kehrswegeplan“ ist der Begriff „Plan“ enthalten . Daher werden . Dazu werden wir alle hier Überzeugungsarbeit müssten Sie eigentlich auch einen Plan haben . Sie haben zu leisten haben und gemeinsam mit den Betroffenen an aber keinen . Es gibt keinen . Der Bundesverkehrswege- den besten Lösungen arbeiten müssen . Dieser vorliegen- plan ist im besten Fall so etwas wie eine grobe Empfeh- de Bundesverkehrswegeplan ist ein Baustein dazu . lung, was man vielleicht einmal machen könnte . Demnächst werden sich wieder viele Wahlkreisab- Herzlichen Dank . geordnete für ein Projekt feiern, das im Plan steht . Ich (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gucke einmal zu meinem lieben Kollegen aus Schles- der CDU/CSU) wig-Holstein, aus der beschaulichen Stadt Lauenburg an der Elbe und am Elbe-Lübeck-Kanal .

Präsident Dr. Norbert Lammert: (Gustav Herzog [SPD]: Schöne Stadt!) Das Wort erhält nun die Kollegin Valerie Wilms für In den Bundesverkehrswegeplan, sogar in den Vordring- die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen . lichen Bedarf zur Engpassbeseitigung, ist auf einmal ein Projekt namens Elbe-Lübeck-Kanal gekommen . Es Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): handelt sich um eine beschauliche Wasserstraße für den touristischen Verkehr . Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dobrindt, – (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Klingt gut!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Jetzt wird irgendwo behauptet und davon geträumt, man Er darf aber sitzen bleiben, ja? könne dort wieder Güterverkehr stattfinden lassen. Da- für verplanen Sie 838 Millionen Euro . Das sind mehr als (Heiterkeit – Katrin Göring-Eckardt [BÜND- 10 Prozent dessen, was insgesamt für die Wasserstraße NIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat jetzt Angst!) vorgesehen ist . Dieses Geld würde ich lieber in die Sa- 18758 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Dr. Valerie Wilms (A) nierung maroder Schleusen stecken als in so ein System, Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C) eine Wette auf die Zukunft . Wo ist das Geld gelandet? – Damit komme ich zum (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schluss, Herr Präsident . sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Daran zeigt sich deutlich, was das Ganze ist: nichts SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) weiter als Wahlkreisbeglückung . Wo ist das Geld gelandet? Das haben wir auch gestern (Sören Bartol [SPD]: Quatsch!) wieder gesehen . Zum größten Teil ist das Geld irgendwo in Bayern, in irgendwelchen bayerischen Umgehungs- Denn solch ein Eintrag in die Listen bedeutet erst ein- straßen versackt . mal gar nichts . Die meisten Kolleginnen und Kollegen wissen es entweder nicht so genau oder wollen es nicht (Widerspruch bei der CDU/CSU sowie bei wissen . Wir müssen es deswegen einmal erklären: Herr Abgeordneten der SPD – Sören Bartol [SPD]: Dobrindt spricht gerne vom großartigen Investitionspro- 700 Millionen in NRW!) gramm. Er behauptet, alles sei durchfinanziert. Wie er da- rauf kommt, ist und bleibt schleierhaft . So unterschlägt er Ich fordere Sie deswegen zu einer ehrlichen Prüfung den sogenannten Weiteren Bedarf . Dieser umfasst Pro- der Gesetzentwürfe auf . Haben Sie endlich Mut! Strei- jekte für über 40 Milliarden Euro . Bei der Finanzplanung chen Sie das, was nicht bezahlt werden kann! Machen fehlen sie aber . Sie Schluss mit diesem unglaubwürdigen Verhalten! (Gustav Herzog [SPD]: Da gehören sie auch Danke . nicht rein, Frau Wilms! – Ulrich Lange [CDU/ (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) CSU]: Wider besseres Wissen wird Unfug be- hauptet!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Hierfür wird nie Geld da sein . Der Weitere Bedarf – Herr Herzog, Sie können nachher noch erzählen – steht nur Nächster Redner ist der Kollege Norbert Brackmann aus einem einzigen Grund im Plan: aus purer Feigheit . für die CDU/CSU-Fraktion . Sie trauen sich nicht, den Menschen draußen zu sagen, (Beifall bei der CDU/CSU) dass das, was dort steht, sowieso nicht zu erreichen ist . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Norbert Brackmann (CDU/CSU): (B) Aber auch im Vordringlichen Bedarf wird es nicht Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und (D) besser . Weil Sie viel zu viel versprechen, haben Sie die Kollegen! Es ist schon spannend, was uns heute Mor- sogenannte Schleppe erfunden; das ist eigentlich eine in- gen von den Grünen geboten worden ist . Der Kollege fektiöse Kinderkrankheit . Hofreiter stellte den Zusammenhang zwischen dem Bundesverkehrswegeplan und dem Haushalt her, und (Sören Bartol [SPD]: So ein Quatsch! Die er machte dabei eine Unterstellung: dass wir den Plan „Schleppe“ gibt es immer! Das hat mit Bauen nur machen und die gegenseitige Deckungsfähigkeit von zu tun!) Neubau und Erhalt nur herstellen würden, damit wir hin- Die „Schleppe“ ist nichts weiter als ein plumper Taschen- terher die Bänder durchschneiden können . spielertrick . (Dr .Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE (Sören Bartol [SPD]: Nein!) GRÜNEN]: Tja! So ist es halt! So war es in den letzten zehn Jahren!) Sie versprechen einen Gewinn, sagen aber nicht, dass er erst in der übernächsten Runde ausgezahlt wird . Dies ist nur bei zwei Voraussetzungen möglich; die müssen erfüllt sein . Die erste ist, dass wir noch bis 2030 Neben diesen Taschenspielertricks, liebe Kollegin- in der Regierung sind . nen und Kollegen, gibt es eine weitere riesige Lücke zwischen Plan und Realität . Zunächst einmal wird die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mehrheit in diesem Haus einen völlig illusorischen Plan durchdrücken . Spannend wird aber erst, was davon tat- Damit können wir gut leben . Die zweite ist, dass die Pro- sächlich im Haushalt landet . Denn der Plan hat noch jekte, die wir in den Plan geschrieben haben, bis dahin gar keine Auswirkungen . Finanziert wird das nachher fertig werden . Damit können wir ebenfalls gut leben; das erst über den Haushalt, und der von uns beschlossene wollen wir . Dass Ihre Kollegin Wilms damit ein Problem Haushalt ist in der Realität leider nur eine grobe Emp- hat, ist ihr Problem, aber nicht unseres . fehlung . In den vergangenen Jahren wurden die Mittel (Beifall bei der CDU/CSU) für die umweltfreundlichen Verkehrsmittel regelmäßig nicht so ausgegeben, wie wir als Haushaltsgesetzgeber es Wir müssen natürlich schon Zusammenhänge zwi- beschlossen haben . schen Verkehrswegeplan und Haushalt sehen . (Dr .Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE Präsident Dr. Norbert Lammert: GRÜNEN]: Ja, was jetzt? Gerade haben Sie Frau Kollegin . den Zusammenhang noch geleugnet!) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18759

Norbert Brackmann (A) – Nein, ich denke nur längerfristig als Sie . Das gilt für viele Projekte . Wenn wir einmal nach vorn (C) schauen, dann müssen wir auch sehen, dass wir nicht im- (Dr .V alerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- mer nur neue Straßen und Schienen in die Landschaft NEN]: Das kann ich aber nicht erkennen!) bauen können . Wir müssen uns auch Gedanken darüber Sie haben den Haushalt in diesem Jahr im Auge, und wir machen, wie wir Verkehrsträger, die noch Chancen ha- haben ihn bis 2030 im Auge . ben, an der Zukunftsentwicklung teilzuhaben, die ökolo- gisch unbedenklicher als andere sind, nach vorne treiben . Der Verkehrsminister hat vorhin darauf hingewiesen, dass wir großräumig denken müssen, Ich habe vorhin darauf hingewiesen, dass wir in ver- netzten Regionen denken müssen . Der Kollege Bartol hat (Dr .V alerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die Prognosen zur Verkehrsentwicklung und zum Güter- NEN]: Aber das großräumige Denken geht transport angesprochen . Wenn wir wissen, dass der Ham- über Bayern hinaus, nicht?) burger Hafen Ende der 2020er-Jahre nicht mehr in der Lage sein wird, Güter auf den konventionellen Wegen, und in der Tat ist das die Herausforderung, die dieser wie er es heute macht, abzutransportieren, dann müssen Bundesverkehrswegeplan annimmt . wir vernetzt vorgehen und auch die Wasserstraße wieder ein Stück weit nach vorne bringen . (Ulrich Lange [CDU/CSU]: Man sollte bei der Wahrheit bleiben!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) – Man sollte bei der Wahrheit bleiben .– Die Kollegin Wilms kommt aus Schleswig-Holstein . Wir können uns Da müssen wir heute anfangen, zu planen . Dazu gehö- aber keine regionalspezifische Betrachtungsweise leis- ren verschiedene Aktivitäten . Dazu gehört, dass wir das ten . Wenn wir uns einmal anschauen, dass in der Ex- Nadelöhr Elbe-Seitenkanal ertüchtigen; deswegen haben portnation Deutschland das Land, das den größten Anteil wir dort im letzten Jahr den Neubau der Schleuse auf den am Containerumschlag im größten deutschen Seehafen Weg gebracht . Hamburg hat, Bayern ist, der Wohlstand also zu einem großen Teil in Bayern produziert wird und Rest-Deutsch- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – land davon profitiert, und wenn wir uns weiter anschau- Gustav Herzog [SPD]: Sehr gut!) en, was Bayern für den Finanzausgleich tut und wovon Dazu gehört, weil wir vernetzt denken müssen, dafür andere Städte – unter anderem diese schöne Bundes- zu sorgen, dass Güter auch auf dem Schiff von Süden hauptstadt – leben, dann wird deutlich, dass wir groß- nach Norden transportiert werden können, eben in dieses räumig und flächendeckend denken müssen und nicht in Netz . Das ist nicht einmal eine deutsche, sondern eine (B) Kleinstaaterei verfallen dürfen . europäische Entscheidung; denn der Elbe-Lübeck-Kanal (D) ist im TEN-T . Wir müssen auch dafür sorgen, dass die (Beifall bei der CDU/CSU) Wasserstraße attraktiver wird . Denn die Container aus Das ist etwas, das diesen Plan auszeichnet: dass er in Bayern, von denen ich vorhin gesprochen habe, werden diesen großen Linien denkt, nicht nur bezogen auf die zu 60 Prozent über die Schiene, zu 40 Prozent über die einzelnen Trassen . Er hat auch – das müssen wir vernetzt Straße und überhaupt nicht auf dem Wasser transportiert . sehen – etwas mit dem Haushalt zu tun . Wir müssen se- Ziel dieses Bundesverkehrswegeplanes ist es, dies zu- hen, dass wir das, was wir in den Plan hineinschreiben, sammenzuführen . auch umsetzen . Im Haushalt werden wir deswegen – Es wird dann noch ein Stück weiter vernetzt, und zwar denn das Allererste ist die Planungskapazität – wie auch durch die Haushaltsgesetze, die wir in den nächsten Jah- in den letzten Jahren für den Bereich Wasserstraßen zu- ren beschließen werden . Wir müssen die Verkehre auf sätzliche Planungskapazität schaffen . den einzelnen Verkehrsträgern – Wasser, Straße, Schie- Wir haben in den letzten Jahren – und wir werden dies ne – durch den Einsatz digitaler Technik, neuer Program- auch weiterhin tun – die Voraussetzungen dafür geschaf- me, autonomen Fahrens und anderer Systeme effizienter fen, dass bei der Schiene geplant werden kann . Bei der machen . Besser ist es natürlich, die vorhandenen Ver- Straße haben wir leider keine eigene Zuständigkeit, son- kehrsträger so weit wie möglich auszunutzen, damit wir dern sie liegt bei den Ländern . nicht mehr in großem Umfang neue Verkehrsträger brau- chen . Wenn wir aber neue brauchen, dann müssen wir Wir haben jetzt eine Zeitenwende; denn seit gestern auf ökologische Art und Weise vorgehen . Genau dafür haben wir keine baureifen Projekte mehr in Deutsch- legt dieser Bundesverkehrswegeplan und legen die Aus- land, die nicht über eine Finanzierungszusage des Bun- baugesetze den Grundstein . Dafür, dass das so gelungen des erfolgen . Das ist eine neue Zeit . Deswegen ist es so ist, ein herzliches Dankeschön an den Bundesverkehrs- eminent wichtig, dass auch die Länder, die Länderver- minister! kehrsminister ihre Planungskapazitäten hochschrauben und diese Herausforderung der Zukunft annehmen; denn (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) wer Gegner von Planung ist, ist Freund von Verzicht auf Teilhabe, auf Fortschritt, auf Infrastruktur – und damit Präsident Dr. Norbert Lammert: auf die Sicherung des Wohlstands für die Bevölkerung Das Wort erhält nun der Kollege Gustav Herzog für im eigenen Land . die SPD-Fraktion . (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD) 18760 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) Gustav Herzog (SPD): GRÜNEN]: Haben Sie sich das Straßennetz in (C) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als der Realität angeschaut?) Verkehrspolitiker stellt man sich immer die Frage – man Frau Kollegin Wilms, ich war gestern bei den Baufrei- bekommt sie auch gestellt –: Wie soll die Verkehrspoli- gaben . Vielen Dank, Herr Bundesminister – auch für die tik aussehen, welche Projekte sind die richtigen, und wie Ortsumgehung Imsweiler in meinem Wahlkreis . Das ist wollen wir sie realisieren? angemessen und richtig, (Dr .V alerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Dr .V alerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ja, das ist richtig!) NEN]: Jetzt kommt die Nummer wieder!) Wir brauchen die Akzeptanz der Bevölkerung, sowohl und ich stehe dazu . Wenn Sie die grüne Kreisvorsitzende für die politische Entscheidung als auch für die Umset- fragen, dann erfahren Sie, dass sie das auch für richtig zung . Wie erreichen wir diese Akzeptanz? Indem wir hält . offenlegen, was wir wollen, und indem wir Transparenz praktizieren . Ich glaube, es hat bei einem solchen Projekt (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der in der Verkehrspolitik noch nie so viel Öffentlichkeitsbe- SPD und der CDU/CSU) teiligung und Transparenz gegeben wie dieses Mal . Frau Kollegin Leidig, wenn Ihnen das Ergebnis nicht gefällt, Frau Kollegin Wilms, Sie behaupten hier, der Großteil des Geldes sei nach Bayern gegangen . Sie müssen noch (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Welches Er- einmal nachschauen . Ich glaube, Sie haben „Bayer Le- gebnis?) verkusen“ im Ohr . dann bedeutet das nicht, dass das Vorgehen undemokra- (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) tisch war . Vielmehr erfahren wir sehr viel Zustimmung zu dem Weg, den wir eingeschlagen haben . Der Großteil des Geldes – über ein Drittel – ist nämlich für ein Brückenprojekt auf der A 1 bei Leverkusen, das (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dringend notwendig ist, zur Verfügung gestellt worden . der CDU/CSU) Erzählen Sie hier also nicht Dinge, die einfach nicht stimmen! Man darf bei aller kritischen Diskussion nicht darü- ber hinwegsehen, dass es in diesem Hause einen Konsens (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) gibt . Deswegen will ich mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsi- dent, aus einem Antrag der Grünen zitieren: Präsident Dr. Norbert Lammert: Eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur ist eine (B) Darf die Kollegin Wilms darauf mit einer Zwischen- (D) wesentliche Voraussetzung für soziale Teilhabe frage reagieren? und die Wettbewerbsfähigkeit des Landes . Mit ei- nem der feinmaschigsten Verkehrsnetze der Welt ist Gustav Herzog (SPD): Deutschland gut aufgestellt . Aber gerne doch . (Dr .V alerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ja, das haben wir nämlich schon!) Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jetzt schaue ich zu Ihnen, Herr Hofreiter und Frau Wilms: Herr Kollege Herzog, Sie haben eben wirklich super Warum sind Sie bei Ihren Beiträgen nicht auf diesem Ni- dargestellt, worauf es Ihnen ankam, nämlich darauf, dass veau geblieben? Sie sich dafür abfeiern lassen konnten, (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) (Zurufe von der SPD: Oh!) Herr Hofreiter, Sie haben einen redaktionellen Fehler dass ein Projekt in Ihrem Wahlkreis in diesem Plan steht . im Bundesverkehrswegeplan angesprochen . Sie hätten besser in die Antwort der Bundesregierung auf eine Klei- (Sören Bartol [SPD]: Immer noch nicht ver- ne Anfrage von Ihnen hineingeschaut . Sie haben hier be- standen! – [SPD]: Wie hauptet, wir würden bei den Straßen „Erhalt vor Neubau“ billig!) gar nicht praktizieren . Ich habe mir einmal die Arbeit Ich rate Ihnen dringend, einmal einen Blick in Artikel 38 gemacht, die Antwort auf Ihre Anfrage in einer kleinen des von uns so geliebten Grundgesetzes zu werfen . Grafik darzustellen. (Christine Lambrecht [SPD]: Wie peinlich!) (Der Redner hält ein Schaubild hoch) Darin steht – ich zitiere –: „Sie sind Vertreter des gan- Das Blaue sind die Investitionen, das Rote ist der Erhalt zen Volkes . “. .– Sie sind also nicht nur Vertreter Ihres bei den Straßen . Dieser Peak, das sind die Programme, Wahlkreises, die wir aufgelegt haben . Das heißt, schon seit Jahren sind wir dabei, mehr in den Erhalt als in den Neubau zu inves- (Ulli Nissen [SPD]: Trotzdem freuen wir uns tieren . Schauen Sie erst einmal in Ihre Papiere, bevor Sie über das Projekt!) hier Unsinn erzählen! und es wäre deshalb sehr hilfreich, wenn Sie Ihre Äuße- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – rungen und Ihr ganzes Handeln auf eine Gesamtstruktur, Dr .Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE die wir für den Verkehr brauchen, ausrichten würden . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18761

Dr. Valerie Wilms (A) Sie haben ja super zitiert, wie wir das haben wollen . Auch beim Flächenverbrauch sind wir sehr moderat . (C) Wir wollen nämlich einen Netzplan und nicht ein Sam- Wer sich an den letzten Bundesverkehrswegeplan erin- melsurium an einzelnen Wünschen haben, die von den nert, der weiß: Dort war der Flächenverbrauch doppelt so Wahlkreisabgeordneten, von den Ministerpräsidenten hoch wie bei diesem neuen . Wir sind hier also auf einem oder von Sonstigen geäußert werden . guten Weg . (Sören Bartol [SPD]: Ich lese gleich die ganze Lassen Sie mich noch eines zu den Alternativenprü- Stellungnahme des Landes Baden-Württem- fungen sagen: Es gab ja die Klage, die 50 Alternativen berg vor!) seien einfach so unter den Tisch gekehrt worden . Ich habe dort einmal hineingeschaut, und weil ich eine ganz Wie wollen Sie das in diesen Plan eigentlich noch hin- besonders gut kenne, nämlich die B 10 in der Südpfalz, einbringen? Wie haben Sie das vor? Oder wollen Sie sich habe ich mir einmal angeguckt, wie die Alternative be- schlicht und ergreifend einfach nicht ans Grundgesetz gründet wird: halten? Sie wollen Verkehrsbeeinflussungsanlagen, sie wollen Geschwindigkeitskontrollen, sie wollen Maut-Ausweich- Gustav Herzog (SPD): verkehre verhindern – das spielt aber keine Rolle mehr, Frau Kollegin Wilms, auch die Ortsgemeinde Imswei- wenn alle Bundesstraßen bemautet werden –, sie wollen ler gehört zur Bundesrepublik Deutschland, und auch die die Bahn für den Nahverkehr ausbauen – das nützt bei Menschen dort haben einen Anspruch darauf, dass ihre 15 Prozent Schwerlastverkehr, der durch diese Region Lebensverhältnisse gleichwertig sind . fährt, aber nichts –, und sie wollen eine weiträumige Um- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der leitung, die entweder 45 Prozent oder 56 Prozent mehr CDU/CSU) Strecke bedeutet . Das ist doch keine umweltorientierte Alternative . Es kann doch nicht sein, dass man die Lkws Dort gibt es eine enge Ortsdurchfahrung über mehrere durch die Gegend fahren lässt, um eine solche wichtige Kilometer, die täglich von über 10 000 Fahrzeugen – ein Infrastruktur einfach mal auf die Seite zu schieben . Da hoher Anteil davon ist Schwerlastverkehr – genutzt wird . hat die Auftragsverwaltung des Landes Rheinland-Pfalz Ein Bahnübergang dort hat zum Beispiel schon verhin- richtig agiert, die Prüfung entsprechend vorgenommen dert, dass Rettungswagen fahren konnten . Sie können und gesagt: Wir bleiben bei der vorgeschlagenen Tras- den Menschen dort nicht ihren Anspruch darauf abspre- se . – Das war ein kleines Beispiel . chen, eine vergleichbare Umwelt zu haben . Deswegen ist Lassen Sie mich ein Letztes zum Klimaschutz noch diese Ortsumfahrung gerechtfertigt, und sie ist auch zum sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen . Es ist eine In- Wohle der Allgemeinheit . (B) frastruktur, die für alle Verkehrsmittel zur Verfügung (D) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) steht . Da wird es wichtig sein, dass wir bei der Beglei- tung dieses Bundesverkehrswegeplans darauf achten, Damit hier aber nicht der Eindruck entsteht, bei der dass in Binnenschiffen nicht mehr Diesel verbrannt wird, Bundesverkehrspolitik ginge es nur um eine rein par- sondern EE-Strom zum Einsatz kommt . Ebenso verhält teipolitische Auseinandersetzung mit den Grünen: Herr es sich bei den Fahrzeugen, die auf der Straße fahren . Minister Dobrindt, an eines darf ich doch noch erin- Wir müssen auch noch mehr für die Elektrifizierung ma- nern, nämlich an den Bundesverkehrswegeplan 2003, chen . Und auch der Elektrobus, Frau Leidig, braucht eine den Sie angesprochen haben . Die damalige Opposition, Straße, eine Brücke, und ab und zu fährt er auch auf der die CDU/CSU, hat damals seitenweise Anträge gestellt, Autobahn . Straßenbauprojekte in den Vordringlichen Bedarf zu he- ben . Hätten wir als Rot-Grün das damals gemacht, dann (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sähe der Plan heute ganz anders aus . Seien wir hier also der CDU/CSU – Zuruf der Abg . Sabine Leidig etwas zurückhaltender, und gehen wir einfach einmal da- [DIE LINKE]) von aus, dass wir hier gemeinsam gute Arbeit machen Ich freue mich auf die Ausschussberatung und hoffe, werden! dass wir dort auf entsprechendem Niveau diskutieren . Ich will noch ein paar Kritikpunkte aus der Öffentlich- Vielen Dank . keit aufgreifen, die geäußert worden sind, und insgesamt rate ich hier zu verbaler Abrüstung . Einige Umweltver- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten bände sagen nämlich zum Beispiel, dieser Bundesver- der CDU/CSU – Sören Bartol [SPD]: Super kehrswegeplan sei eine Katastrophe für Deutschland . Rede!) Diese Beschreibung halte ich für maßlos .

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Maß- Präsident Dr. Norbert Lammert: los falsch!) Ulrich Lange für die CDU/CSU-Fraktion ist der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt . Wir investieren zum Beispiel mehr in die Schiene, als sie an Verkehrsleistung bringt . Beim Güterverkehr hat (Beifall bei der CDU/CSU) sie einen Anteil von 20 Prozent, beim Personenverkehr sind es nur 10 Prozent . Fast die Hälfte unserer Mittel geht Ulrich Lange (CDU/CSU): aber in die Schiene . Das ist also eine klare Bevorteilung Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, durch uns . wir diskutieren heute in erster Lesung über das zentrale 18762 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Ulrich Lange (A) Element unserer Infrastrukturplanung: über den Bundes- sind, etwas durchzusetzen! Diesen Beweis sind Sie bis- (C) verkehrswegeplan, über die Ausbaugesetze . Uns liegt ein her schuldig geblieben . Konzept vor: modern, nachhaltig, geprägt von intelligen- ter Mobilität . Ohne gute Infrastruktur, liebe Kolleginnen (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg . und Kollegen der Grünen und der Linken, lassen sich Dr .V alerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- eine erfolgreiche Volkswirtschaft und der Wohlstand der NEN]: Das wollen wir ja nächstes Jahr ma- Menschen nicht weiter entwickeln . Und genau das ma- chen!) chen wir . Wir haben, wie gesagt, viel Zustimmung für dieses Mammutprojekt bekommen . Es wird jetzt natürlich im (Beifall bei der CDU/CSU – Dr .V alerie Wilms Detail Diskussionsbedarf an der einen oder anderen Stel- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da müssen le geben . Aber ich will auch da noch mal ganz deutlich Sie in den Bestand gucken!) sagen: Die Systematik steht, und die Systematik steht Ich bin mir sicher: Die Bevölkerung wird Ihrem für die gesamte Koalition . Wir werden diese Systema- Wunsch nach einem grünen Verkehrsminister tik in den Beratungen auch nicht durchbrechen . Warum? Weil es eine seriöse Finanzgrundlage gibt . Natürlich ist (Dr .V alerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ein Bundesverkehrswegeplan einschließlich der Aus- NEN]: Erhören! Ja klar!) baugesetze – das sagt ja schon das Wort, liebe Kollegin Wilms – ein Plan . Darauf folgt ein Investitionsrahmen- im nächsten Jahr eine ganz klare Absage erteilen . plan, und darauf folgen Baufreigaben . Es ist ein stringen- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) tes System, das wir in Deutschland haben . Dieses wollen wir weiter stringent halten . Genau in dieser Stringenz Denn die Menschen wissen, wer für Infrastruktur steht erfolgten gestern auch die Baufreigaben . und wer die Mobilitätsverweigerer dieser Republik sind . Liebe Kollegin Wilms, ich sage es ganz offen: Sie ha- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – ben normalerweise ein gewisses Niveau und einen ge- Dr .V alerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wissen Anspruch an sich selber . Aber das, was Sie hier NEN]: Die CSU!) vorhin geboten haben, war unterirdisch . Schon der Entwurf vom März, liebe Kolleginnen und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Kollegen, hat interessanterweise viel Lob erfahren . – Die Mit dem, was Sie zur Liste der Baufreigaben gesagt ha- linke Seite lasse ich mal einfach außen vor; denn in Thü- ben, täuschen Sie die Öffentlichkeit . Von über 2 Milliar- ringen will man bei diesem Thema auch etwas haben, den Euro gingen circa 310 Millionen Euro nach Bayern, (B) aber hier vertritt man irgendwie eine eigene Lehre . – Für 280 Millionen Euro nach Baden-Württemberg und circa (D) den Plan möchte ich mich ganz herzlich beim Minis- 260 Millionen Euro nach Hessen . Über 25 Prozent der terium und insbesondere bei unserem Bundesminister Baufreigaben für Straßen gingen an grüne Landesver- Alexander Dobrindt bedanken . Das ist eine sehr gute, kehrsminister; die wollten diese Mittel haben . Also, bitte ausgezeichnete Vorarbeit, und darauf können wir heute ehrlich bleiben! aufbauen . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- neten der SPD – Gustav Herzog [SPD]: Das ordneten der SPD) war aber kein Hinweis auf eine Koalition!) Dann kam die Öffentlichkeitsbeteiligung, die auch – Das war kein Hinweis auf eine Koalition, sondern eine schon mehrfach angesprochen worden ist . Dieses In­ rein sachliche Feststellung . strument hat sich bewährt . Es hat sich auch bewährt, Damit bin ich auch schon bei den Ländern . Ja, damit einen Gesamtbericht über mehrere Seiten darüber zu dieser Bundesverkehrswegeplan ein Erfolg werden kann, machen und nicht auf jedes Einzelschreiben einzugehen; sind auch die Länder gefordert, und zwar mehr gefordert, denn es geht hier um Gesamtbewertungen und nicht um als sie derzeit an Anstrengungen unternehmen . persönliche Stellungnahmen . (Dr .V alerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Und, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, ich NEN]: Bayern!) bin jetzt sehr gespannt darauf, wenn es darum geht, das bei den Schienenprojekten umzusetzen . Denn auch da Die Möglichkeiten für Baufreigaben sind ausgeschöpft; ist viel Neubau dabei; viele weitere Gleise werden ge- Kollege Brackmann hat es schon angesprochen . Ich kann legt – Hafenhinterland –; da ist viel Geld für die Knoten nur sagen: Wer am System der Auftragsverwaltung in der enthalten . Und wir wissen alle ganz genau, wie sich Ihre Weise festhalten will, wie es die Länder wollen, der muss Kolleginnen und Kollegen dann bei diesen Projekten vor jetzt in den Ländern auf der Basis der Ausbaugesetze Ort verhalten: anders als bei Ihren Reden hier in Berlin! ganz schnell seine Hausaufgaben machen . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU) neten der SPD – Widerspruch beim BÜND- Ansonsten wird es heißen: Der Bund hat die Möglich- NIS 90/DIE GRÜNEN) keit gegeben und Mittel bereitgestellt; aber es hakt in den Ländern, und in einigen Ländern hakt es ganz gewaltig . Treten Sie doch endlich mal den Beweis an, dass Sie überhaupt bei einem einzigen Verkehrsträger in der Lage (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18763

Ulrich Lange (A) Ich kann nur noch einmal in aller Deutlichkeit sagen, politik in den nächsten 15 Jahren dar . Das ist unsere (C) was unser Bundesverkehrsminister in seiner Haushalts- Agenda 2030 . Ich bin sicher, dass sie Erfolg haben wird . rede angesprochen hat: Wir stehen zur Idee einer Bun- desautobahngesellschaft, und zwar mit einem Kernnetz Danke schön . des Bundes . (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Dr .V alerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Da bin ich mit dabei!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Wir haben – auch das ist mehrfach gesagt worden – auf Ich schließe die Aussprache . das Prinzip „Erhalt vor Neubau“ geachtet und hier klare Prioritäten gesetzt . Wir haben die Kategorie „Vordringli- Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass es interfrakti- cher Bedarf – Engpassbeseitigung“ für die Autobahnen onell die Empfehlung gibt, die Vorlagen auf den Druck- eingeführt, weil genau dort unsere größten Probleme lie- sachen 18/9350, 18/9523, 18/9524 und 18/9527 an die gen . in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu ver- weisen .– Außer dem zielführenden Hinweis „Sehr gut!“ (Dr .V alerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- höre ich keinen Widerspruch . Dann sind die Überweisun- NEN]: Was ist mit den Wasserstraßen?) gen so beschlossen . Wir machen, liebe Kollegin Wilms und lieber Kolle- Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b so- ge Toni Hofreiter – ihm ist das alles wohl nur zum Teil wie den Zusatzpunkt 2 auf: wichtig; er hat sich ja nach ganz hinten gesetzt –, bei der Finanzierung von Autobahnen keine Wahlkreisgeschen- a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- ke . gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- rung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (Dr .V alerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und anderer Gesetze NEN]: Doch!) Drucksache 18/9232 Wir verteidigen auch keine unsinnigen Projekte, sondern nehmen Engpassbeseitigungen vor . Mit der Kategorie Überweisungsvorschlag: „Weiterer Bedarf mit Planungsrecht“ wird den Ländern Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) die Chance gegeben, selber dafür zu sorgen, dass geplant Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie und Baurecht erteilt wird . Im „Weiteren Bedarf“, liebe Ausschuss für Gesundheit Kollegin Wilms, erfolgt die Anerkennung des Bedarfes Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- (B) durch den Bund, verbunden mit der ehrlichen Aussage, schätzung (D) dass wir das derzeit finanziell nicht hinterlegen können. b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus (Dr .V alerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ernst, Jutta Krellmann, Matthias W . Birkwald, NEN]: Das ist auch nicht erforderlich!) weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Damit komme ich zu meinem und Ihrem Lieblingsthe- ma, den Ortsumfahrungen . Etablierung von Leiharbeit und Missbrauch von Werkverträgen verhindern (Dr .V alerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ja, ja!) Drucksache 18/9664

Ja, auch Ortsumfahrungen gehören in den Bundesver- Überweisungsvorschlag: kehrswegeplan . Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Corinna Rüffer, Katja Keul, Es geht um Verkehrssicherheit . Es geht um den Netzzu- weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- sammenhang . Es gibt in den Flächenländern Regionen, NIS 90/DIE GRÜNEN die keinen Autobahnanschluss haben . Da sind für die regionale und überregionale Wirtschaft funktionierende Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträ- Bundesstraßen extrem wichtig, insbesondere dort, wo die gen verhindern Länder mit ihren Staatsstraßen Probleme haben . Wir wis- sen, wo das der Fall ist . Drucksache 18/7370 (Beifall bei der CDU/CSU – Gustav Herzog Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) [SPD]: Bayern! – Sören Bartol [SPD]: Staats- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz straßen gibt es auch in Bayern!) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ich fasse zusammen . Es ist ein gelungener Entwurf, mit dem wir uns nun im Rahmen der Systematik zü- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für gig, intensiv und effizient befassen werden. Er stellt die die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . – Dazu gibt es Grundlage für eine moderne und nachhaltige Verkehrs- offensichtlich Einvernehmen . 18764 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Ich eröffne die Aussprache und erteile der Bundes- Grundregeln des Gesetzes, gestalten und aushandeln . (C) ministerin für Arbeit und Soziales, Andrea Nahles, das Das setzt einen neuen Anreiz, sich tariflich zu binden. Wort . Daran mangelt es . Es gibt einen zunehmenden Rückzug der Arbeitgeber aus der Tarifbindung, ganz besonders in (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ostdeutschland . Es bietet auch die Chance – das macht der CDU/CSU) Tarifverträge um einiges besser als pauschale Bundes- gesetzgebung –, auf die besondere Situation der eigenen Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So- Branche oder des eigenen Betriebs einzugehen und ge- ziales: meinsam nach vernünftigen Lösungen zu suchen . Man- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! che in diesem Hause mögen dieses Prinzip kritisieren Gute Arbeit und Zusammenhalt, das ist das, was unser oder haben es überhaupt nicht verstanden . Land stark macht . Das ist Grundlage für Wohlstand, wirt- schaftlich erfolgreiche Unternehmen und den sozialen (Widerspruch bei der LINKEN) Frieden in unserem Land . Deshalb dürfen wir es nicht Das ist mein Gefühl an dieser Stelle . Ich sage: Dieses hinnehmen, dass Arbeit durch Missbrauch bei Leiharbeit Prinzip ist der Kern dessen, was unsere soziale Markt- und Werkverträgen entwertet wird . Wir müssen eingrei- wirtschaft ausmacht, und ich bin froh, dass wir es auch in fen, wenn durch diesen Missbrauch ein unfairer Wettbe- diesem Gesetz gemeinsam zur Wirkung bringen . werb zwischen Unternehmen und auch zwischen Arbeit- nehmern in diesem Land befördert wird . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Gesetz ver- folgt bei der Überlassungshöchstdauer einen arbeitneh- Mit dem Gesetz, dessen Entwurf nun vorliegt, schieben merorientierten Ansatz . Das heißt, die Überlassungs- wir dem einen Riegel vor . Wir sorgen dafür, dass die Ar- höchstdauer wird an die Person, nicht an den Arbeitsplatz beit von Leiharbeitnehmerinnen und -arbeitnehmern fair gebunden . bezahlt wird . (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Zwei Punkte sind zentral . Erstens . Leiharbeiter müs- CDU/CSU) sen in der Regel spätestens nach neun Monaten den glei- Das ist sowohl für die Leiharbeitnehmer als auch für die chen Lohn erhalten, wie ihn Stammbeschäftigte für eine Unternehmer von Vorteil. Der Leiharbeitnehmer profi- vergleichbare Arbeit bekommen . Zweitens konzentrieren tiert; denn er hätte nichts gewonnen, wenn er nur eine wir die Leiharbeit wieder auf ihre Kernfunktion . Leihar- Station weiter versetzt werden müsste, und schon würde beit ist dazu da, zeitlich befristet Arbeitskräftebedarf zu (B) die Überlassungshöchstdauer wieder von Neuem zählen . (D) decken oder Auftragsspitzen zu bewältigen . Sie ist nicht dafür da, auf Dauer Stammbelegschaften einzusparen (Widerspruch des Abg . Klaus Ernst [DIE und unter Druck zu setzen . Das wollen wir nicht . LINKE]) (Beifall bei der SPD) Das wäre nämlich der Fall, wenn wir es an den Arbeits- platz binden würden . Auch die Unternehmen gewinnen; Das ist aber mancherorts über die Jahre – mit Ver- denn man stelle sich vor, wir müssten alle Arbeitsplät- laub – in Vergessenheit geraten . Es gibt viele Beispiele ze in Deutschland einer Beschreibung unterziehen und aus Betrieben, wo Leiharbeiter zum Teil sechs, acht oder feststellen, ob sie voneinander abweichen oder identisch sogar zehn Jahre ohne Aussicht, am Ende übernommen sind . Das wäre ebenfalls eine Konsequenz, wenn wir die zu werden, entliehen sind . Das geht von einfachen Tä- Dauer an den Arbeitsplatz binden würden – eine Übung, tigkeiten bis hin zu hochqualifizierten Berufen wie ärzt- die wir sicher besser vermeiden sollten, liebe Kollegin- liches Personal in Krankenhäusern . Wir konzentrieren nen und Kollegen, und das tun wir mit diesem Gesetz Leiharbeit wieder auf ihre Kernfunktion, indem wir die auch . Höchstdauer für den Einsatz von Leiharbeitern in der Regel auf 18 Monate begrenzen . Wer länger eingesetzt (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wird, bekommt ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher . der CDU/CSU) Von beiden Grundsätzen – gleicher Lohn nach 9 Mo- Ein weiterer zentraler Punkt: Leiharbeiter dürfen nicht naten und Höchstdauer 18 Monate – können die Tarif- mehr als Streikbrecher eingesetzt werden . partner unter bestimmten Bedingungen allerdings abwei- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten chen . Warum? Arbeitgeber und Arbeitnehmer machen die der CDU/CSU) Betriebe, machen unser Land zusammen stark . Deshalb haben wir den Gesetzentwurf – übrigens sehr intensiv – Bisher gab es schon tarifliche Verbote, sogar eine gesetz- mit den Sozialpartnern abgestimmt, mit Arbeitgebern liche Regelung . Leider gibt es haufenweise Beispiele, und mit den Gewerkschaften . Die Sozialpartnerschaft ist wo das umgangen wurde . Ich will nur ein Beispiel nen- für mich Herzstück unserer sozialen Marktwirtschaft . nen – es sind konkrete Fälle, die uns vorgetragen worden sind –: Einer Kassiererin, die über eine Leiharbeitsfirma (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) an der Kasse saß, wurde gesagt: Wenn die Kollegin ne- Deshalb geben wir den Sozialpartnern Spielraum . Durch ben dir aufsteht und in den Streik tritt, dann gehst du ins Tarifvertrag – also zusammen, nicht alleine – können Personalbüro . Da liegt ein Vertrag . Bei Streik darfst du sie den Einsatz von Leiharbeit, abweichend von den eigentlich nicht arbeiten; aber wir stellen dich für die Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18765

Bundesministerin Andrea Nahles (A) Zeit in der Tochterfirma an, für die das Verbot nicht gilt. nen, wesentlich verbessern . Es ist überhaupt erst einmal (C) Du unterschreibst, und dann setzt du dich wieder an die eine vernünftige Verhandlung über diese Frage auf der Kasse! – Damit ist Schluss . Dieses Gesetz macht das un- Basis von Informationen möglich . möglich . (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Deutschland bleibt nur zusammen stark . Die Wert- der CDU/CSU) schätzung der Arbeit und das Zusammenwirken von Ar- Zur Augenhöhe gehört übrigens auch, dass Leihar- beitgebern und Beschäftigten sind für mich wesentliche beitnehmer nicht einfach herausgerechnet werden, wenn Grundlagen dafür, dass wir auch morgen wirtschaftlich, es um die Schwellenwerte im Betriebsverfassungsgesetz gesellschaftlich und sozial erfolgreich bleiben . Deshalb oder bei der Mitbestimmung geht . Künftig zählen Leih- sind es auch diese beiden wesentlichen Prinzipien, die arbeiterinnen und Leiharbeiter im Einsatzbetrieb bei die- diesem Gesetz zugrunde liegen . Ich freue mich auf die sen Schwellenwerten mit . Auch das ist ein Stück Gleich- parlamentarischen Beratungen . behandlung, liebe Kolleginnen und Kollegen . Vielen Dank . (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wichtig ist: Wir schaffen Transparenz bei Leiharbeit und Werkverträgen . Wir holen damit zum ersten Mal Präsident Dr. Norbert Lammert: Werkverträge aus der Grauzone heraus, allem voran, in- Das Wort hat nun die Kollegin Sahra Wagenknecht für dem wir die sogenannte Vorratsverleiherlaubnis abschaf- die Fraktion Die Linke . fen . (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- ten der CDU/CSU – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür gibt es Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE): jetzt die Verpflichtungserklärung!) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie- be Frau Nahles! Leiharbeit ist demütigend . Leiharbeiter Sie wirkt bisher als Sicherheitsnetz für Ver- und Entlei- sind Beschäftigte zweiter Klasse, in der Regel mit weni- her, die sich am Rande der Legalität bewegen . Zeigt sich ger Rechten, deutlich weniger Geld und oft genug unge- bei einer Kontrolle, dass der vermeintliche Werkvertrag schützt Schikanen ausgesetzt . Leiharbeit bedeutet ständi- gar kein wirklicher Werkvertrag ist, besteht bisher die er- ge Lebensunsicherheit; denn Leiharbeiter sind immer die staunliche Möglichkeit, diesen nachträglich in ein Leih- Ersten, die entlassen werden, und das Versprechen von arbeitsverhältnis umzuetikettieren . Neues Etikett, alles (B) der Brücke in den Arbeitsmarkt ist längst von der Realität (D) legal – diese Möglichkeit wird beerdigt . widerlegt . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Zuruf von der CDU/CSU: Stimmt nicht!) der CDU/CSU) Leiharbeit macht auch arm . Zwei Drittel aller Leihar- Leiharbeit muss zukünftig auch als solche benannt sein, beiter arbeiten zu Niedriglöhnen . Viele sind Aufstocker . und zwar vorab, klar und ausdrücklich . Das ist ein Kern- Im Schnitt liegt der Lohn vollzeitbeschäftigter Leihar- stück des Gesetzes und nicht zufälligerweise in § 1 des beiter bei 1 747 Euro pro Monat . Ich glaube, es können Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes geregelt . Damit zie- sich einige nicht vorstellen, wie man davon leben kann hen wir den Deckmantel herunter und holen als Werk- und dass man deswegen später im Alter arm sein wird . vertrag getarnte Leiharbeit ans Tageslicht . Man muss das Leiharbeit wird natürlich auch eingesetzt, um Stammbe- ausdrücklich benennen . Wenn das nicht passiert, kommt legschaften zu disziplinieren, als Drohung, um Lohnfor- ein Arbeitsverhältnis mit dem Auftraggeber des Werkver- derungen niedrig und Arbeitnehmer gefügig zu halten . trages zustande . Genau das will er vermeiden . Darum ist Zu Recht empfinden viele Betroffene Leiharbeit als mo- das eine harte, aber auch richtige Sanktion an der richti- derne Sklaverei . Deshalb bleibt die Linke dabei: Solche gen Stelle . Lohndrückerinstrumente haben in diesem Land nichts zu (Beifall bei der SPD) suchen . Das gehört verboten, und zwar längst . Mit mehr Transparenz stärken wir aber auch die Ver- (Beifall bei der LINKEN) handlungsposition der Betriebsräte . Sie haben künftig Tatsächlich war das früher auch einmal verboten . das Recht – es ist eine Informationspflicht, die wir jetzt Noch in den 60er-Jahren gab es in Deutschland über- festlegen –, zu wissen, wer auf dem Betriebsgelände ein- haupt keine Leiharbeit . Später war sie nur unter ganz gesetzt wird und – das ist vielleicht noch wichtiger – auf strengen Einschränkungen erlaubt . Aber die Möglichkeit, welcher vertraglichen Grundlage . Jetzt gibt es ein Recht in Größenordnungen reguläre Jobs durch mies bezahlte auf Information . Leiharbeitsverhältnisse zu ersetzen, um dann die Aktio- (Zuruf von der LINKEN) näre mit höheren Dividenden verwöhnen zu können, war über viele Jahrzehnte gesetzlich ausgeschlossen . Sicher, ich hätte mir eine weiter gehende Mitbestim- mungsregelung gewünscht . Das war in dieser Koalition Frau Nahles, man muss natürlich auch sagen: Dass nicht möglich . Aber auch das, was wir hier verabredet sich das geändert hat, liegt nicht daran, dass die Un- haben, wird die Bedingungen für Fremdpersonal und ternehmen vergessen haben, wofür Leiharbeit einmal auch das, was die Betriebsräte für Leiharbeiter tun kön- da war, sondern daran, dass die gesetzliche Grundlage 18766 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Dr. Sahra Wagenknecht (A) verändert wurde, nämlich 2002 unter Rot-Grün . Damals Es geht ja nicht nur um Leiharbeit . (C) wurden die Schleusen geöffnet . Seither boomt die Bran- Wir wollen klarer fassen, was ein echter und was che . Fast 1 Million Menschen arbeiten heute in diesen ein Schein-Werkvertrag ist, und die Sanktionen bei Lohndumpingjobs . Jede dritte offene Stelle im angebli- Missbrauch verschärfen . chen Jobwunderland Deutschland ist eine Stelle in der Leiharbeit . Deswegen muss dieser rote Teppich für Ren- Auch das hat die SPD 2013 ihren Wählern verspro- ditejäger endlich wieder eingerollt werden . chen . Auch die Einlösung dieses Versprechens bleibt sie schuldig . Frau Nahles, in Ihrem ersten Gesetzentwurf (Beifall bei der LINKEN) vom November letzten Jahres hatten Sie immerhin noch ein paar Kriterien für Scheinwerkverträge definiert. Es Wir werden das Prinzip des gleichen Lohns für glei- war aber wenig überraschend, dass die Arbeitgeber da- che Arbeit und der gleichen Arbeitsbedingungen für gegen Sturm liefen, speziell die der Elektro- und der Leiharbeitsbeschäftigte und Stammbelegschaften Metallbranche, die ja besonders gerne solche Werkver- gesetzlich durchsetzen . träge einsetzen . Sie liefen nicht nur Sturm, sie öffneten vor allem ihre Schatullen . Am 11 . Dezember letzten Jah- Das hat die SPD 2013 ihren Wählerinnen und Wählern res erhielt die CDU eine Großspende von 150 000 Euro versprochen . vom Arbeitgeberverband Südwestmetall . Am gleichen Tag flossen vom gleichen Absender 60 000 Euro an die Nun, auf die Einlösung dieses Versprechens haben die SPD, und eine Woche später wurde die CSU vom Ver- 1 Million Leiharbeiter umsonst gehofft. Ich finde, dass band der Bayerischen Metall- und Elektro-Industrie mit das, was Sie, Frau Nahles, hier vorlegen, wirklich eine einer Spende von 358 000 Euro bedacht . Das Geld war Verhöhnung der Betroffenen ist . Wenn ich höre, was offenbar gut investiert; Sie gerade hier erzählt haben, gerade im ersten Teil Ih- rer Rede, kann ich dem zwar zustimmen, aber ich frage (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Was mich: Haben Sie Ihren eigenen Gesetzentwurf überhaupt wollen Sie jetzt damit sagen?) nicht gelesen, denn Anfang 2016 – das ist natürlich nur eine zufälli- ge zeitliche Abfolge – wurden sämtliche Kriterien, an- (Beifall bei der LINKEN) hand derer man Scheinwerkverträge identifizieren und oder sind Sie inzwischen so routiniert darin, den Leuten entsprechend verbieten könnte, aus dem Gesetzentwurf wider besseres Wissen Unsinn zu erzählen, dass Ihnen gestrichen . Ohne Kriterien für Scheinwerkverträge gibt das gar nichts mehr ausmacht? es natürlich auch keine Sanktionen für Unternehmen, die illegale Arbeitnehmerüberlassung betreiben . (B) (D) (Christine Lambrecht [SPD]: Unerhört! – Es geht sogar noch weiter: Das neue Gesetz schafft Weitere Zurufe von der SPD) zusätzlich ein Extraschlupfloch für kriminelle Unterneh- men, welches ihnen in Zukunft das Risiko erspart, sich Gleicher Lohn für gleiche Arbeit – ja, richtig . Nach strafbar zu machen und Sozialversicherungsbeiträge 9 Monaten sollen Leiharbeiter in Zukunft den gleichen nachzahlen zu müssen . Die Unternehmen brauchen le- Lohn bekommen, mit entsprechendem Tarifvertrag sogar diglich eine – selbstverständlich ganz und gar freiwilli- erst nach 15 Monaten . Dumm nur, dass die Hälfte aller ge – Unterschrift der Beschäftigten, dass sie auf jeden Leiharbeiter maximal 3 Monate im Unternehmen ist, und Widerspruch verzichten, weil sie keine Festanstellung bei zwei Dritteln endet das Leiharbeitsverhältnis nach anstreben würden . Das ist in etwa so, als würden Sie ei- 6 Monaten . Das heißt, diese Menschen haben überhaupt nem Vermieter erlauben, sich aus den Bestimmungen des nichts von diesem neuen Gesetz . Mietrechts zu verabschieden, wenn er dafür die Unter- schrift eines potenziellen Mieters beibringt . So kann man Es ist richtig: Länger als 18 Monate darf ein Betrieb letztlich den gesamten Rechtsstaat entsorgen . Es kann in Zukunft einen Leiharbeiter nicht mehr auf derselben doch nicht Ihr Ernst sein, dass Sie so etwas vorlegen . Der Stelle beschäftigen . Aber danach muss der Arbeitsplatz Missbrauch von Werkverträgen wird so nicht erschwert nicht etwa mit einem regulär Beschäftigten besetzt wer- oder gar verhindert . Den Missbrauchtreibenden wird ein den . Nein, der Betrieb muss sich einfach nur einen neu- Freibrief ausgestellt. Ich finde, das ist wirklich ein Skan- en Leiharbeiter suchen . Und nach 3 Monaten Karenzzeit dal . kann er den alten Leiharbeiter – natürlich wieder zum halben Lohn; denn die Rechnung mit 9 Monaten fängt (Beifall bei der LINKEN) ja wieder von vorne an – sogar wieder auf derselben Es ist schlimm genug, dass die CDU das mitträgt . Aber Stelle einsetzen . Das alles geschieht ganz legal und mit dass die Sozialdemokratie so etwas mitträgt! Das können dem Segen von Frau Nahles . Im Klartext: Unternehmen Sie doch nicht ernsthaft Ihren Wählerinnen und Wählern können in Zukunft unbegrenzt Leiharbeitskräfte beschäf- zumuten . tigen . Sie müssen sie nur spätestens nach 18 Monaten austauschen. Ich finde, das ist das Gegenteil von gleicher Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, sagen Bezahlung, von gleichem Lohn und Gleichbehandlung . Sie jetzt nicht, Sie hätten ja Besseres gewollt, aber mit Und darauf sind Sie auch noch stolz. Ich finde das un- der Union sei das leider nicht möglich gewesen . Das mag glaublich . ja sogar so sein . Aber die Fesseln der Großen Koaliti- on haben Sie sich doch freiwillig angelegt . Noch gäbe (Beifall bei der LINKEN) es im Bundestag andere Mehrheiten . Wenn Sie aber wei- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18767

Dr. Sahra Wagenknecht (A) terhin mit solchen Gesetzen oder mit dem Abfeiern von Wirtschaftsentwicklung . In vielen Regionen beklagen (C) Konzernschutzabkommen wie CETA Ihre Wählerinnen wir einen branchenspezifischen Fachkräftemangel. Wir und Wähler vergraulen, dann ist es in diesem Bundestag haben 685 000 offene Stellen, und wir haben 172 000 of- damit eben irgendwann vorbei. Ich finde das unverant- fene Ausbildungsstellen . Das ist die Situation, in der wir wortlich . uns befinden.

(Beifall bei der LINKEN) Grundlage für eine positive Entwicklung ist eine sta- Sie lassen doch mit solch einer Politik zu, dass sich im- bile, gute wirtschaftliche Entwicklung . Voraussetzung mer mehr Menschen abwenden, dass sie enttäuscht sind . dafür ist nun einmal Flexibilität . Der Gesetzentwurf, Von einem Teil der Enttäuschten wissen wir inzwischen, den wir heute in erster Lesung beraten, ist eine Antwort wen sie wählen . darauf, dass wir auf der einen Seite Flexibilität, auf der anderen Seite aber auch Sicherheit für die Beschäftigten (Beifall bei der LINKEN – Christine benötigen . Beides ist für uns in einer Zeit, in der wir of- Lambrecht [SPD]: So wird das nichts mit dem fensiv Arbeit 4 0. diskutieren, eine große Herausforde- Kampf gegen die AfD!) rung . Offensichtlich sind Sie, Frau Wagenknecht, und die Wir sind jedenfalls überzeugt: Dieses Land braucht Linke geistig immer noch in einem Industriezeitalter ver- nicht noch mehr Lohndumping, Verunsicherung und haftet, in dem es um tarifpolitischen Gleichmarsch geht, Zukunftsangst . Wir brauchen endlich eine Wiederher- während die IG Metall und andere längst weiter sind als stellung des Sozialstaates . Wir brauchen unbefristete, Sie . gut bezahlte, reguläre Arbeitsplätze, und wir brauchen Gesetze, die die Beschäftigten vor der rücksichtslosen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Renditejagd bestimmter – vor allem großer – Unterneh- neten der SPD – Klaus Ernst [DIE LINKE]: men, die das überhaupt nicht nötig hätten, schützen . Da- Vielleicht sollten Sie mal zum Thema reden, für steht die Linke . Deshalb lehnen wir den vorliegenden Herr Schiewerling!) Gesetzentwurf ab . Meine Damen und Herren, in dieser Diskussion spielt (Beifall bei der LINKEN) die Frage der Zeitarbeit eine zentrale Rolle . Es ist völ- lig richtig: Bis 2002 waren Zeitarbeit und Leiharbeit ein Präsident Dr. Norbert Lammert: arbeitsmarktpolitisches Instrument, angesiedelt bei dem Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Karl damaligen Arbeitsamt . Es hatte dafür zu sorgen, dass Schiewerling das Wort . Leute, wenn sie gebraucht wurden, zeitweise überlassen wurden . Aber sie wurden eben nur zeitweise überlassen . (B) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Sie gingen dann wieder zurück in die Arbeitslosigkeit, (D) ordneten der SPD) und der Sprung in Beschäftigung ist keineswegs immer geglückt . Karl Schiewerling (CDU/CSU): Seit 2002 gibt es eine Branche, in der mittlerweile cir- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kol- ca 970 000 Menschen tätig sind . Das sind gerade einmal leginnen und Kollegen! Ziel unserer Arbeitsmarktpolitik 2,6 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland . 90 Pro- ist es, möglichst viele Menschen in sozialversicherungs- zent der Beschäftigten in der Zeitarbeitsbranche sind pflichtige Beschäftigung zu bringen, und dies natürlich in Vollzeit tätig. Sie sind sozialversicherungspflichtig unter guten, fairen, ordentlichen Bedingungen . Das, liebe beschäftigt . 81,2 Prozent haben einen unbefristeten Ar- Frau Wagenknecht, was Sie gerade vorgeführt haben, beitsvertrag . 98 Prozent aller Zeit- und Leiharbeitnehmer (Zuruf von der LINKEN: War sehr gut!) unterliegen einem Tarifvertrag, und viele von ihnen, etwa 40 Prozent, arbeiten in Betrieben, die ebenfalls einem Ta- ist Ihre abgeschlossene Welt, die Sie sich so bunt malen, rifvertrag unterliegen, und zwar in der Metall- und Elek- wie Sie sie brauchen, um dieses System, die freiheitli- troindustrie . che Ordnung, die wir haben, zu bekämpfen . Ihre Angriffe zielen möglichst auf die SPD . Gut, da könnte ich mich Wenn Sie als Beispiel die bayerische Metall- und locker zurücklehnen . Aber ich sage Ihnen sehr deutlich: Elektroindustrie bringen, dann haben Sie genau die Fal- Das, was Sie da veranstaltet haben, war unterirdisch und schen erwischt . Dort gibt es nämlich Tarifverträge . Dort hat mit der Realität nichts zu tun . braucht man solche flexiblen Regelungen und keine In- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – strumente, um möglichst billige Arbeitskräfte anzuwer- Klaus Ernst [DIE LINKE]: Haben Sie den Ge- ben . Ich sage Ihnen: Ihr Beispiel zieht in dieser Frage setzentwurf nicht gelesen, Herr Schiewerling? nicht . Lesen Sie ihn mal!) (Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Ernst [DIE Warum hat das mit der Realität nichts zu tun? LINKE]: Aber die Spenden ziehen schon, (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Ja, warum?) oder?) Die Realität sieht wie folgt aus: Wir haben über 43 Mil- – Es ist in Deutschland nicht verboten, Spenden zu be- lionen Erwerbstätige, fast 32 Millionen sozialversiche- kommen, Herr Kollege Ernst . Nur, wenn dies in einen rungspflichtig Beschäftigte. Wir haben über 21,4 Milli- unsachlichen Zusammenhang gebracht wird, der offen- onen Vollzeitbeschäftigte, und wir haben eine positive sichtlich so konstruiert ist, dass Sie Ihr Weltbild bestätigt 18768 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Karl Schiewerling (A) bekommen, dann müssen Sie sich schon fragen lassen, bei denen wir aber achtgeben müssen, dass wir ihnen die (C) ob Sie auf einem anderen Stern leben . Arbeit nicht zusätzlich erschweren . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE ordneten der SPD) GRÜNEN]: Die sollen angestellt werden! Ganz normal!) Meine Damen und Herren, Zeitarbeit ist dafür da, Auftragsspitzen abzufangen, und nicht, um Stammbeleg- Wir haben im Bereich der Zeitarbeit zum Beispiel auch schaft zu ersetzen . Dem stimmen wir ausdrücklich zu . eine Situation, die ich von vielen sozialen Einrichtungen Aber Zeitarbeit und Leiharbeit sind ein wichtiges Flexi- kenne . Sie bemühen sich darum, Menschen mit schweren bilisierungsinstrument . 70 Prozent – ich bitte, diese Zahl Behinderungen auf dem ersten Arbeitsmarkt unterzubrin- einmal zur Kenntnis zu nehmen – der Zeitarbeitnehmer gen, und sie tun alles dafür, dass sie sozusagen in Außen- kommen aus Arbeitslosigkeit, und 29 Prozent der Zeit- werkstätten tätig sind . Wenn wir denen dieses Instrument arbeitnehmer haben keinen Berufsabschluss . Wie jüngst nehmen, dann nehmen wir den Menschen mit Behinde- das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung fest- rungen auch Chancen, auf dem ersten Arbeitsmarkt tätig gestellt hat, sind es gerade Personengruppen, die sich auf zu werden . Wir wollen ihnen dorthin eine Brücke bauen . dem Arbeitsmarkt schwertun – dazu zählen auch viele ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger –, die über (Beifall bei der CDU/CSU) Zeitarbeit wieder in Beschäftigung kommen . Deswegen Ich glaube, dass es notwendig ist, uns das, was wir auf wäre es falsch, das Kind mit dem Bade auszuschütten . den Weg bringen, in seiner Wirkung und seiner Entwick- Wenn wir Ihren Anregungen folgen würden, dann wür- lung genau anzusehen und es dann auch entsprechend zu den wir diesen Menschen, die zu den Schwächeren gehö- evaluieren . ren, nicht helfen, wirklich in Arbeit und in Beschäftigung zu kommen . Zum Thema Werkverträge . Werkverträge sind ein über hundert Jahre altes Instrument . Kein Fenster wäre (Beifall bei der CDU/CSU) im Deutschen Bundestag eingebaut worden ohne einen Natürlich gibt es, wie in vielen anderen Bereichen Werkvertrag . Werkvertrag ist ein grundsätzliches Instru- auch, Verwerfungen . Diese Verwerfungen hat die Uni- ment . Dort, wo allerdings – die Bundesarbeitsministerin on 2010 mit der damaligen Schlecker-Drehtürklausel hat das vorhin treffend dargestellt – Werkverträge und als Erstes in Ordnung gebracht . Wir haben 2005 ange- Zeitarbeit miteinander kombiniert werden und im Sinne fangen, den Bereich der sich damals zugegebenermaßen eines Spurwechsels der jeweiligen Situation so angepasst noch entwickelnden Zeitarbeit und Leiharbeit zu regulie- werden, dass nicht klar ist, in welchem System man sich ren . Das Gesetz, das wir heute vorlegen, ist ein weiterer gerade befindet, brauchen wir Klarheit. – Unklarheit (B) Schritt auf diesem Weg . Insofern brauchen wir von nie- wollen wir verhindern . Das ist missbräuchliche Gestal- (D) mandem in der Frage Nachhilfe, was faire Bedingungen tung . – Auch dem dient dieses Gesetz . Das hat nicht nur am Arbeitsmarkt sind . eine ganze Menge mit fairem Wettbewerb am Arbeits- markt, sondern auch mit einem fairen Wettbewerb zwi- (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Doch! Die brau- schen den Betrieben zu tun . Das Gesetz, das wir hier auf chen Sie!) den Weg bringen und das wir jetzt im Rahmen des par- Dies gilt nicht nur für den Bereich der Zeitarbeit, son- lamentarischen Verfahrens diskutieren, dient auch dazu, dern auch für den Bereich der Werkverträge . Wir haben Gerechtigkeit zwischen den Betrieben, die sich anständig uns darauf verständigt, die Dinge weiterzuentwickeln verhalten, und denjenigen, die glauben, sie müssten jede und nach vorne zu bringen . Natürlich ist es auch Aufgabe Möglichkeit zum Missbrauch nutzen, um ja möglichst der Verbände, aus dieser Branche eine anerkannte Bran- viel zu verdienen, herzustellen und diesen Wettbewerb in che zu machen . Wir wissen, dass die Zeitarbeitsbranche eine vernünftige Ordnung zu bringen . sich vom Ansehen her sehr schwertut . Ich glaube, dass (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) es auch Aufgabe der Branche ist, weiterhin von sich aus im Rahmen von Tarifverträgen, im Rahmen der 98-pro- Vizepräsidentin : zentigen tarifvertraglichen Bindung für eine positive Weiterentwicklung zu sorgen, in den Bereichen Bildung Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Beate Müller- und Qualifizierung zu investieren, selbst ein Zeichen zu Gemmeke von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das setzen, dass man es mit den Arbeitnehmern, die man in Wort . seiner Branche beschäftigt hat, ernst meint und alles tut, um sie unterzubringen . Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): (Beifall bei der CDU/CSU) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin- Meine Damen und Herren, ich sage an dieser Stelle nen und Kollegen! Der Gesetzentwurf zu Leiharbeit und sehr deutlich: Wir haben im Bereich der Zeitarbeit – das Werkverträgen wurde lautstark angekündigt . Dann haben haben wir im Rahmen der Vorbereitung dieses Gesetz- wir lange auf den Referentenentwurf warten müssen . gebungsprozesses gelernt – höchst unterschiedliche Si- Kaum war er da, wurde er schon wieder zurückgezogen . tuationen . Wir haben die Situation, dass viele Tausend Es wurde gestritten, neu verhandelt . Der Gesetzentwurf Beschäftigte nicht aus der Zeitarbeit heraus wollen, weil wurde zu einer unendlichen Geschichte . Jetzt liegt der sie deutlich mehr verdienen als im jeweiligen Entleihbe- Gesetzentwurf tatsächlich auf dem Tisch . Das müsste ei- trieb . Es sind Spezialisten, die keinen Schutz brauchen, gentlich eine gute Nachricht sein, aber nein, es ist keine Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18769

Beate Müller-Gemmeke (A) gute Nachricht . Der Gesetzentwurf ist nichts anderes als alles überprüft werden? Wer macht das eigentlich? Wie (C) eine Mogelpackung; denn er wird seiner eigenen Zielset- kommen die Leiharbeitskräfte zu ihrem Recht? Im Mit- zung in keiner Weise gerecht . telpunkt stehen hier allein die Interessen der Wirtschaft . Das ist einfach nicht fair . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – [SPD]: Er (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN verbessert die Situation der Menschen!) und bei der LINKEN) Wir haben allein bei der Leiharbeit vier wesentliche Viertens . Mit dem Gesetz sollen die Tarifverträge und Kritikpunkte . die Sozialpartnerschaft gestärkt werden . Gleichzeitig er- laubt das Gesetz, dass auch nichttariflich gebundene Be- Erstens . Mit dem Gesetzentwurf sollen die Leihar- triebe durch Bezugnahme von der Höchstüberlassungs- beitskräfte gestärkt werden, und auch ihre Arbeitsbe- dauer und von Equal Pay abweichen können und so von dingungen sollen verbessert werden . Das ist bitternötig; den Tarifverträgen profitieren. Wie passt das zusammen? denn die Leiharbeitskräfte verdienen weniger als das Mit der Bezugnahme befördern Sie doch glatt das Ge- Stammpersonal . Erreichen möchte das Ministerin Nahles genteil . In diesem Gesetzentwurf laufen die Ziele und mit Equal Pay . Das hört sich gut an, doch gleichen Lohn die Regelungen so dermaßen auseinander, dass es nicht für gleiche Arbeit gibt es mit diesem Gesetzentwurf frü- nachvollziehbar und auch nicht akzeptabel ist . hestens erst nach 9 Monaten und bei besonderen Tarif- verträgen sogar erst nach 15 Monaten . Was hat das mit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Realität zu tun? Wir alle wissen doch, dass drei Vier- und bei der LINKEN – Klaus Ernst [DIE LIN- tel der Leiharbeitsverhältnisse nicht länger als 9 Mona- KE]: Ein Skandal ist das!) te dauern . Danach sind die Menschen entweder wieder Sehr geehrte Regierungsfraktionen, wir Grüne wollen arbeitslos oder sie sind in einer neuen Zeitberechnung im Gegensatz zu Ihnen den Missbrauch in der Leiharbeit bei einem anderen Entleihbetrieb . Dennoch reden Sie tatsächlich verhindern und haben dazu eine einfache und von guter Arbeit und einem fairen Lohn . Das ist wirklich zugleich effektive Lösung . Flexibilität hat ihren Preis . dreist; denn von Equal Pay wird kaum jemand profitie- Leiharbeit muss sich für die Unternehmen, aber auch ren . für die Leiharbeitskräfte auszahlen . Deshalb fordern wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Equal Pay ab dem ersten Tag und einen Flexibilitätsbonus und bei der LINKEN – Katja Mast [SPD]: von 10 Prozent . Über den Preis macht Leiharbeit dann Beate, du weißt es besser! Durch die Tariföff- betriebswirtschaftlich auch nur vorübergehend Sinn, und nung profitieren die Leute viel früher!) zwar ganz ohne bürokratische Höchstüberlassungsdauer . So entsteht eine faire Balance zwischen den Interessen (B) Zweitens . Frau Ministerin, Sie versprechen auch, dass der Wirtschaft und den Interessen der Leiharbeitskräfte . (D) die Betriebe zukünftig nur zeitlich begrenzt, also nur vo- Diese Regelungen sind eindeutig, zielführend und vor al- rübergehend, bei Auftragsspitzen Leiharbeit einsetzen lem gerecht . können . Deswegen wird die Höchstüberlassungsdauer eingeführt . Diese gilt aber nur für Leiharbeitskräfte . Sie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dürfen nur noch 18 Monate vorübergehend in ein und sowie des Abg . Klaus Ernst [DIE LINKE]) demselben Betrieb eingesetzt werden . Die Betriebe kön- Zum Thema Werkverträge und zum neuen § 611a nen aber munter immer wieder neue wechselnde Leihar- BGB brauche ich eigentlich gar nicht viel zu sagen . Es beitskräfte auf dem gleichen Arbeitsplatz einsetzen . Das gibt keine Kriterien mehr, und auch die Beweislastum- führt natürlich zu neuen Drehtüreffekten . Das führt auch kehr wurde rausverhandelt . Bei der Abgrenzung zwi- zu einem Personalkarussell, das sich dauerhaft drehen schen selbstständiger und abhängiger Arbeit wird sich kann . Damit verkehrt sich die Zielsetzung in ihr Gegen- nicht viel verändern . Notwendig wären klare, an eine teil . moderne Arbeitswelt angepasste Kriterien, die gezielt (Katja Mast [SPD]: Das sind doch die Argu- Scheinselbstständigkeit verhindern, aber die echten mente der Ministerin!) Selbstständigen in ihrer Tätigkeit nicht behindern . Diese Chance wurde einfach verpasst . Das ist eindeutig eine Verschlechterung . Das ist Etiket- tenschwindel . Aus „vorübergehend“ wird für die Betrie- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN be „dauerhaft“ . So wird der Missbrauch in der Leiharbeit sowie bei Abgeordneten der LINKEN) nicht verhindert, sondern gesetzlich legitimiert, und das Ganz wichtig: Mit dem Gesetz sollen auch die zwei- geht gar nicht . felhaften Werkvertragskonstruktionen und somit illegale (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Arbeitnehmerüberlassung verhindert werden . Dabei geht sowie bei Abgeordneten der LINKEN) es insbesondere um den Rettungsschirm mit der Verleih­ erlaubnis, der Unternehmen bei Scheinwerkverträgen vor Drittens . Die Höchstüberlassungsdauer kann durch ei- Rechtsfolgen schützt . Hier wird es richtig abenteuerlich nen Tarifvertrag der Einsatzbranchen verlängert werden, und auch dreist: Der Rettungsschirm wird abgeschafft – also unterschiedlich lang . Es gibt auch noch Betriebs- das ist gut –; aber durch die Hintertür wird mit der Ver- vereinbarungen, danach sind maximal 24 Monate mög- zichtserklärung gleich wieder ein neuer Rettungsschirm lich . Der öffentliche Dienst und kirchliche Einrichtun- eingeführt. Fremdfirmen halten ihren Beschäftigten zu- gen können zudem eigene Regelungen vereinbaren . Wer künftig routinemäßig eine Verzichtserklärung unter die blickt da eigentlich zukünftig noch durch? Wie kann das Nase . Ist diese Erklärung unterschrieben, verlieren die 18770 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Beate Müller-Gemmeke (A) Werkvertragskräfte all ihre rechtlichen Ansprüche; denn Markus Paschke (SPD): (C) sie können ja nicht mehr gegen illegale Leiharbeit klagen . Liebend gerne lasse ich die Zwischenfrage zu . Die Unternehmen sind aber wieder fein raus . Auch hier gilt: Was als Reformvorhaben daherkommt, ist in Wirk- Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: lichkeit die Legitimation des Missbrauchs von Werkver- trägen . Das ist nichts anderes als Etikettenschwindel, und Gut . das kritisieren wir scharf . (Ulli Nissen [SPD]: Darauf hast du doch ge- wartet, Markus, oder?) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Klaus Ernst (DIE LINKE): Wir Grünen fordern in unserem Antrag eindeutige Kollege Paschke, danke, dass Sie die Frage zulassen . Kriterien zur Abgrenzung von Leiharbeit und Werkver- Sie haben jetzt gesagt, die Rede wäre unterirdisch und trägen, und zwar im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz . populistisch gewesen . Wir wollen den Rettungsschirm tatsächlich abschaffen . Wir fordern auch mehr Mitbestimmung, konkret ein Zu- (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Rich- stimmungsverweigerungsrecht für die Betriebsräte . Wir tig! – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/ wollen auch ein Verbandsklagerecht . Das sind wirkungs- CSU]: Da hat er recht!) volle Maßnahmen, um den Missbrauch bei Werkverträ- Sie kommen ja aus der Gewerkschaft, wenn ich es richtig gen tatsächlich zu verhindern . sehe . Mein Fazit ist also: Das Gesetz verspricht viel, aber (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Anspruch und Wirklichkeit gehen weit auseinander . Ich Gerade deswegen hat er recht!) sage es noch einmal: Der Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen wird nicht verhindert, sondern gesetzlich (SPD): legitimiert . Das vorliegende Gesetz ist eine Mogelpa- Markus Paschke ckung . Gehen Sie zurück auf Start, und sorgen Sie end- Genau . lich für mehr Gerechtigkeit! Klaus Ernst (DIE LINKE): Vielen Dank . Dann können Sie ja mal erklären, was populistisch da- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ran ist, wenn man feststellt, dass so getan wird, als ob das und bei der LINKEN) Gesetz für gleichen Lohn bei gleicher Arbeit sorgt, ob- wohl es den beschäftigten Leiharbeiternehmerinnen und (B) Leiharbeitnehmern den gleichen Lohn letztlich erst nach (D) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: neun Monaten zugesteht und man weiß, dass drei Viertel Vielen Dank .– Als nächster Redner hat Markus vorher ausscheiden . Es ist doch populistisch, wenn man Paschke von der SPD-Fraktion das Wort . sagt, das Gesetz wirke, obwohl es in der Realität über- haupt nicht wirkt, Herr Paschke . (Beifall bei der SPD sowie des Abg . Albert Stegemann [CDU/CSU]) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Markus Paschke (SPD): Jetzt möchte ich eine zweite Antwort von Ihnen . Es Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und ist von der sozialdemokratischen Ministerin gesagt wor- Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Be- den, dass die Gewerkschaften durch ein Gesetz gestärkt vor ich etwas zum Gesetz sage, muss ich etwas zu Ihrer werden . Jetzt kommen wir beide aus der Gewerkschaft . Rede sagen, Frau Wagenknecht . Ich habe Tarifverträge immer so verstanden: Sie sollen letztendlich dazu beitragen, dass ein Rechtszustand für (Zuruf von der LINKEN: Die war gut!) die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verbessert Ich fand, die war unterirdisch . wird . Aber mit den Regelungen, die Sie in dieses Gesetz gießen, sorgen Sie dafür, dass der Grundsatz „Gleicher (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zu- Lohn für gleiche Arbeit“ ab neun Monaten nach unten ruf von der LINKEN: Ach Quatsch, Markus!) korrigiert werden kann . Das heißt, mit Tarifvertrag gibt es weniger als ohne Tarifvertrag . Glauben Sie, dass das Das war ein Populismuswettbewerb mit der anderen Sei- ein Anreiz für mehr Tarifautonomie ist? Ich sage Ihnen: te, die hier nichts zu suchen hat . Ich muss ehrlich sagen: Ihr Vorschlag ist Populismus; denn Sie sagen zwar, dass So stellt die Linke auch keine Alternative dar . Es ist weit Sie die Gewerkschaften stärken wollen, aber letztendlich entfernt von der Realität . entwerten Sie Tarifverträge . (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Markus Paschke (SPD): Herr Kollege Paschke, lassen Sie eine Zwischenfrage Kollege Ernst, ich versuche einmal, die Fragen zu- des Kollegen Ernst zu, bevor Sie eigentlich angefangen sammenzufassen . Klar ist: Es gibt Probleme . Aber es haben? wird schwierig, wenn man einen sehr eingeschränkten Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18771

Markus Paschke (A) Blickwinkel auf bestimmte Probleme hat . Wir haben schieden hat, dann muss man mit den Konsequenzen le- (C) gesagt: Wir werden mit dem Gesetz den Missbrauch bei ben . Leiharbeit und Werkverträgen bekämpfen, und genau das (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Genau! Konse- tun wir auch . Darauf werde ich gleich genauer eingehen . quenzen!) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Ein weiterer Punkt, der damit zusammenhängt, ist, dass Klaus Ernst [DIE LINKE]: Wo? Wo? Wo?) Missbrauch sehr viel stärker bestraft werden wird . Es sind Ich komme aus der Gewerkschaftsbewegung . Des- wesentlich höhere Bußgelder vorgesehen . Das schärfste wegen weiß ich, dass das Bild ein bisschen bunter ist, Schwert, das wir einführen, ist, dass ein Arbeitsverhältnis als Sie es hier darstellen, und dass die Kolleginnen und mit dem Auftraggeber oder Entleiher zustande kommt . Kollegen, die als Leiharbeiter beschäftigt sind, von uns Das sind wichtige und gute Regelungen im vorliegenden erwarten, dass wir sie schützen, Gesetzentwurf . (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Ja, dann tut es (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten doch!) der CDU/CSU) dass wir sie aber nicht schlachten und ihnen den Arbeits- Als Gewerkschafter finde ich, dass es ganz entschei- platz wegnehmen, wie das bei Ihrem Vorschlag der Fall dend ist, dass wir die Informationsrechte des Betriebsrats wäre . stärken . (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Klaus Ernst [DIE LINKE]: „Neun Monate“ der CDU/CSU) war meine konkrete Frage! Was ist mit den Das ist ein wesentlicher Punkt, um nachzuvollziehen: neun Monaten? – Harald Weinberg [DIE LIN- Läuft es richtig oder nicht? Um das beurteilen zu können, KE]: Bei der Berichterstatterrunde hat sich das muss ich wissen, was im Betrieb läuft . Diese Möglichkeit bei Ihnen anders angehört! Donnerwetter!) geben wir jetzt den Betriebsräten . Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen bes- (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Ein Anrecht sere Regelungen bei der Leiharbeit und bei Werkverträ- hast du nicht!) gen, und wir wollen den Missbrauch beenden, und dazu ist der vorliegende Gesetzentwurf ein guter Schritt . Der Mein Wunsch für die weiteren Verhandlungen ist, dass Gesetzentwurf enthält – das ist mir sehr wichtig – das wir die Fähigkeit, die Informationspflichten durchzuset- klare Verbot, Leiharbeiter als Streikbrecher einzusetzen . zen, deutlich schärfen . (B) An diesem Punkt wird die Tarifautonomie gestärkt . Tarif- (Beifall bei der SPD – Beate Müller-Gemmeke (D) autonomie heißt nämlich, dass beide Partner annähernd [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!) gleiche Durchsetzungschancen haben . Dann kommen gute Tarifverträge heraus, und das nützt den Arbeitneh- Der vorliegende Gesetzentwurf hat das Ziel, den mern und den Arbeitgebern . Missbrauch in der Leiharbeit zu bekämpfen . Das haben wir von vornherein gesagt, und das wird – das kann man, (Beifall bei der SPD – Klaus Ernst [DIE LIN- glaube ich, guten Gewissens so sagen – auch eingehal- KE]: Bei Ihnen gibt es mit Tarifvertrag weni- ten . Wesentliche Bereiche, in denen mit Leiharbeit und ger! Das ist der Punkt!) Werkverträgen Missbrauch betrieben wird, werden dicht- Bisher ist die gesetzliche Regelung so, dass den Leih- gemacht . arbeitern die Entscheidung überlassen bleibt, ob sie die (Beifall bei der SPD) Arbeitsaufnahme verweigern . Damit wurde die Entschei- dung für oder gegen einen Streik auf die schwächsten Natürlich ist das alles ein Kompromiss . Jeder Kom- Schultern gepackt, nämlich auf die Schultern der Leih- promiss hat zur Folge, dass man noch weitere Verbesse- arbeitnehmer . Das wird zukünftig anders sein . Wir haben rungswünsche hat . Ich halte es zum Beispiel für wichtig, uns für ein klares Verbot, Leiharbeiter als Streikbrecher dass man noch einmal darüber nachdenkt, ab wann die einzusetzen, entschieden . Damit haben wir für einen gro- Frist für die Equal-Pay-Regelung laufen soll. Ich finde es ßen Bereich des Missbrauchs, so wie das bei der Post, bei nicht gerecht, wenn sie erst am 1 . Januar 2017 beginnt . KiK, bei Amazon und bei vielen anderen der Fall war, die Die Menschen, die in diesem Bereich bereits arbeiten, Tore geschlossen . verstehen nicht, warum sie weitere neun Monate ohne Anspruch auf Equal Pay arbeiten sollen . Da haben wir (Beifall bei der SPD) noch eine Gerechtigkeitslücke, die wir im laufenden Ver- Ein zweiter Punkt, der ganz wichtig ist . Jetzt heißt es fahren schließen müssen . Auch über ein paar andere Sa- entweder – oder: entweder Werkverträge oder Leiharbeit . chen werden wir noch reden . Das ist nämlich auch – das ignorieren Sie hier völlig – Zusammenfassend kann man aber, glaube ich, sagen: einer der Bereiche, in denen am häufigsten Missbrauch Das ist ein guter Schritt auf dem Weg zum Ziel . Das Ziel betrieben wurde . ist noch nicht erreicht – das hat auch keiner von uns be- hauptet –, (Beifall des Abg . Willi Brase [SPD]) (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Doch!) Auch dieser Bereich ist zukünftig dicht . Man muss sich entscheiden, was man macht, und wenn man sich ent- es ist ein guter Gesetzentwurf . 18772 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Albert Stegemann (CDU/CSU): (C) Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen . Nein, ich werde erst einmal meine Rede vortragen; aber sie kann später gerne intervenieren . Markus Paschke (SPD): Heute legen wir den Gesetzentwurf über Änderungen Ich komme zum Schluss .– Wenn wir Flexibilität auf in der Arbeitnehmerüberlassung vor . Vor beinahe drei dem Arbeitsmarkt haben wollen, muss das einhergehen Jahren haben sich die Regierungsparteien in den Koali- mit gutem Lohn und Sicherheit für die Arbeitnehmer . tionsverhandlungen auf die Eckpunkte geeinigt . Seitdem Das ist das, was wir Sozialdemokraten wollen . Dieses wurde intensiv um die Umsetzung gerungen . Die Öffent- Ziel werden wir weiterverfolgen . lichkeit hat dies stets mit reger Beteiligung begleitet . Um (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten es ehrlich zu sagen: Allein die Zeit zeigt, das war keine der CDU/CSU) einfache Geburt . Damals wie heute waren und sind die gesetzlichen Eingriffe nicht unumstritten . Ich möchte Ihnen aber sagen: Wir haben einen guten Kompromiss Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: erreicht . Vielen Dank .– Als nächster Redner hat Albert Stegemann von der CDU/CSU-Fraktion das Wort . (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Für die Leihar- beitsbranche!) (Beifall bei der CDU/CSU) Das Gesetz wird neue Leitplanken setzen und seinen Teil Albert Stegemann (CDU/CSU): dazu beitragen, dass sich Zeitarbeit in positiver Weise weiterentwickeln kann . Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Her- Nach wie vor gibt es Bedenken gegenüber einem Ins- ren! Frau Wagenknecht, Sie haben jetzt schon einiges zu trument, das sich auf dem Arbeitsmarkt mittlerweile fest hören bekommen . etabliert hat, (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sie auch!) (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Rede doch über Ich will mich ein Stück weit bei Ihnen bedanken; denn das Gesetz!) Sie haben uns Einblick in Ihr Weltbild und Ihr Men- schenbild gewährt . Wenn es nach Ihnen geht, muss alles und das, obwohl die Branche in den vergangenen Jahren gleich sein . große Schritte unternommen hat, um aus der Schmud- (B) delecke herauszukommen . Dazu beigetragen hat sicher- (D) (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Rede doch zum lich auch die Politik der vorangegangenen Bundesregie- Gesetz, Herr Kollege!) rung . Sie hat die schwarzen Schafe der Branche schon einmal in die Schranken gewiesen . Erst wenn wirklich jeder Arbeitslohn gleich ist, jeder Tarifvertrag gleich ist, dann sind Sie zufrieden . Aber (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Da braucht man nehmen Sie doch einfach einmal zur Kenntnis, dass Sie ein großes Gehege!) damit nicht 43,5 Millionen Menschen in Arbeit brin- gen . Wir und die Bundesregierung haben Verantwortung Über kaum ein anderes Thema in der Arbeitsmarkt- übernommen . Die Bundesregierung macht eine Arbeits- politik wird so ideologisch aufgeladen diskutiert . Dabei marktpolitik, die möglichst viele Menschen in Arbeit will es so manchem Vertreter nicht gelingen, sein ange- bringt . stammtes Rollenbild hinter sich zu lassen . (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Es geht um Leih- (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE arbeit, Kollege!) GRÜNEN]: Auf beiden Seiten aber!) Darüber hinaus will ich Ihnen sagen: Ihre Andeutun- gen zu unseren Parteispendeneinnahmen sind wirklich Demnach ist Zeitarbeit per se prekär, der Verleih unmo- unredlich . ralisch, und jede noch so kleine Differenz zur Normal- beschäftigung muss herhalten, um angeblich negative (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Wann habt ihr Folgen beweisen zu können . Diese reichen dann von die denn gekriegt?) gesundheitlichen Problemen über die Spaltung ganzer Belegschaften bis hin zur systematischen Ausbeutung Unsere Parteispenden kommen schließlich nicht aus dem der Arbeitnehmer . Auch Sie, verehrte Kolleginnen und SED-Vermögen . Von daher sollten Sie sich an der Stelle Kollegen von der Linken, machen in Ihrem vorliegenden wirklich zurückhalten . Antrag einmal wieder reichlich Gebrauch von dieser Ar- (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der gumentation . LINKEN – Abg . Jutta Krellmann [DIE LIN- KE] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Dass die vorhandenen Unterschiede mit den Eigen- heiten der Branche zu tun haben – geschenkt . So wird ein Großteil der Leistungen vor allem im Helferbereich Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: erbracht . Dies spiegelt sich logischerweise auch in der Herr Stegemann, lassen Sie eine Zwischenfrage zu? Bezahlung wider . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18773

Albert Stegemann (A) Dass sich die Zeitarbeit in den letzten Jahren nicht zu Der zweite Punkt bezieht sich auf die Bezahlung, kon- (C) einem Massenphänomen entwickelt hat – ebenfalls ge- kret auf Equal Pay . Hier möchte ich zuallererst auf den schenkt . rechtlichen Status quo hinweisen . Demnach hat bereits heute jeder Zeitarbeiter Anspruch auf das Entgelt, das ein (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Von der Realität vergleichbarer Arbeitnehmer bekommt, und zwar ab dem keine Ahnung!) ersten Tag . Zeitarbeit deckt trotz einer wachsenden Zahl an Be- (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Genau! So ist schäftigten weiterhin nur einen Randbereich des Arbeits- es!) marktes ab . Mehr noch: Der Anteil liegt aufgrund der allgemein steigenden Beschäftigung sogar bemerkens- Dies wird auch weiterhin gelten. Mit tariflichen Vereinba- wert konstant bei unter 3 Prozent . Dass anerkannte For- rungen können Vertreter der Arbeitgeber und Arbeitneh- schungsinstitute wie das Institut für Arbeitsmarkt- und mer gemeinsam abweichen . Eine solche Regelung speist Berufsforschung so manche These wie die der systemati- sich aus dem Vertrauen des Gesetzgebers, dass die Sozi- schen Verdrängung der Stammbelegschaft widerlegt ha- alpartner am ehesten für die Interessen ihrer Mitglieder ben – auch dies geschenkt . eintreten können . Dies hat sich in der Praxis und über die Geschichte hinweg immer wieder bewahrheitet . In der Es spielt dann anscheinend auch keine Rolle mehr, Tat haben die Tarifgemeinschaft der Zeitarbeitsverbän- dass ein Großteil derjenigen, die in der Zeitarbeit be- de und die Gewerkschaften ein umfangreiches Tarifwerk schäftigt sind, vorher arbeitslos war . Zeitarbeit bietet Per- mit diversen Zuschlagstarifen auf den Weg gebracht . Der spektiven . Zeitarbeit ist nach wie vor eine Brücke in den Gesetzgeber respektiert dies . Tarifautonomie ist ein ho- ersten Arbeitsmarkt . hes Gut in unserem Land . In dieser Legislaturperiode ha- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) ben wir dies bereits mit mehreren Gesetzen untermauert . Deshalb hat die Arbeitnehmerüberlassung ihren Platz Das vorliegende Gesetz zieht nun nach neun Monaten am Arbeitsmarkt; denn sie bietet gleichermaßen Vortei- eine zeitliche Grenze ein, bis zu der eine Lohngleichheit le für Arbeitnehmer und Arbeitgeber . Diese Vorteile zu spätestens erreicht werden muss . erhalten, waren Geist und zugleich Maßgabe des vorlie- (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Dann ist aber genden Entwurfes . Mit dieser Maßgabe haben wir kon- kaum noch einer da, oder?) krete Eckpunkte im Gesetz diskutiert . Damit werden diejenigen Branchen zurechtgewiesen, die Der erste Punkt, den es zu erörtern galt, war eine zeit- sich mit solchen tariflichen Regelungen bisher schwerge- liche Begrenzung der Zeitarbeit . tan haben . Sicherlich ließe sich über den genauen Zeit- (B) (D) (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Genau!) punkt noch einmal streiten . Entscheidend ist aber, dass die Umsetzung für alle Beteiligten transparent und vor Laut Gesetz werden Arbeitnehmer vorübergehend über- allem rechtssicher ausgeführt werden kann . Denn bei lassen . Festzulegen, was genau „vorübergehend“ bedeu- allem, was wir mit diesem Gesetzespaket beschließen, tet, war ein Auftrag, den das Bundesarbeitsgericht dem müssen wir eines verhindern: dass wir die anständigen Gesetzgeber ursprünglich ins Aufgabenheft geschrieben Unternehmer, die sich vernünftig um ihre Mitarbeiter hat . Dies kann mittlerweile weitaus offener formuliert kümmern, unter einen Anfangsverdacht des kriminellen werden . Verantwortlich hierfür sind Vorgaben auf euro- Handelns stellen päischer Ebene . (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Ge- Daher stellt sich die Frage: Wann nützt eine Höchst­ nau!) überlassungsdauer eigentlich den Arbeitnehmern, und und sie in unklare Situationen versetzen, in denen ihnen wann schadet sie diesen? Ist es zum Nutzen des gutbe- dann vorschnell drakonische Strafen drohen . zahlten Projektingenieurs, wenn er nach 18 Monaten von seinem Projekt abgezogen werden muss? Nützt es dem (Beifall bei der CDU/CSU) Kundenunternehmen, wenn es nach 18 Monaten einen neuen Mitarbeiter einarbeiten muss? Nein . Trotz so man- Ein dritter Punkt, auf den ich abschließend hinweisen cher Wunschvorstellungen müssen wir feststellen, dass möchte, ist die angestrebte Abgrenzung von Zeitarbeit es Konstellationen auf dem Arbeitsmarkt gibt, bei denen und Werkverträgen . In der Praxis ist nicht immer auf den sowohl der Arbeitgeber als auch der Arbeitnehmer eine ersten Blick klar erkennbar, inwieweit ein Beschäftigter flexible Beschäftigung anstreben. in den Betriebsablauf eingebunden ist und Weisungen empfängt . Für die Unterscheidung, ob es sich um eine Der Gesetzgeber kann dies nicht verordnen . Somit ste- selbstständige Tätigkeit handelt, ist dies aber unabding- hen wir in der Verpflichtung, einen Rahmen vorzugeben, bar . Manche Unternehmen haben sich eine Erlaubnis der den Bedürfnissen dennoch gerecht wird . Im vorlie- zur Arbeitnehmerüberlassung auf Vorrat beschafft . Wir genden Entwurf ist dies unter reger Beteiligung der So- mussten allerdings feststellen, dass dieser doppelte Bo- zialpartner sehr gut gelungen . Es gibt Möglichkeiten zur den im Einzelfall zu einer erstaunlich hohen Kreativität Abweichung, um die Anforderungen einer arbeitsteiligen führte mit dem Ziel, bestehende Gesetze bis in den Grau- Wirtschaft zu erfüllen . Etwas Verbesserungsbedarf sehe bereich des Erlaubten auszureizen . Diese Lücke wird nun ich noch, zum Beispiel die Beteiligung aller Tarifpartner geschlossen . Mit dem Verbot der Vorratserlaubnis schie- inklusive der Zeitarbeitsbranche . Aber hierüber werden ben wir möglichem Missbrauch in Zukunft einen Riegel wir in den weiteren Beratungen noch einmal sprechen . vor . 18774 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Albert Stegemann (A) Werkverträge und Zeitarbeit voneinander abzugren- für gleiche Arbeit, ab der ersten Stunde, plus 10 Prozent . (C) zen, ist nicht mit einer einfachen Checkliste möglich . Darüber hinaus zahlen die Leiharbeitsunternehmen in ei- Unsere Arbeitswelt ist mittlerweile so vielfältig gewor- nen Fonds ein, aus dem Qualifizierungsmaßnahmen für den, dass sich viele Fallgestaltungen nicht anhand einiger die Betroffenen finanziert werden, wenn es einmal eine weniger Kriterien abbilden lassen . Dies mussten auch die überlassungsfreie Zeit gibt . Unter solchen Bedingungen vehementesten Kritiker erkennen . Somit ist eine Gesamt- kann auch ich mir Leiharbeit vorstellen . abwägung, wie es in der Rechtsprechung geübte Praxis ist, weiterhin unabdingbar . Ich bin froh, dass dies mittler- Aber das, was ich hier höre, ist völlig praxisfern, weile auch Teil dieses Gesetzes ist . und ich finde es richtig, zu sagen: Das ist eine absolute Mogelpackung . Ich weiß überhaupt nicht, wie Sie Ihren (Beifall bei der CDU/CSU) eigenen Gesetzentwurf wahrnehmen – nach den klaren Meine sehr verehrten Damen und Herren, der vorlie- Kritikpunkten, die hier vorgebracht wurden . gende Gesetzentwurf trägt den komplexen Zusammen- (Beifall bei der LINKEN) hängen Rechnung . Viele Seiten haben am Entstehen intensiv mitgewirkt und ihre jeweiligen Vorstellungen eingebracht . Mein Dank gilt auch dem federführenden Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Arbeitsministerium . Herr Kollege Brase, Sie haben das Wort . Mit dem Gesetzentwurf haben wir einen Großteil des Weges bereits geschafft . Dennoch sind einige Details im (Beifall bei der SPD) Parlament noch zu klären, auch wenn eine von Ihrem Haus bereits veröffentlichte Broschüre dies so nicht ver- Willi Brase (SPD): muten ließe . Aber ich bin trotzdem zuversichtlich, dass wir das hinbekommen und dass am Ende des Tages ein Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ordentliches Gesetz stehen wird . Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin meiner Frak- tion und der Arbeitsgruppe dankbar, dass ich etwas zum Herzlichen Dank, dass Sie mir zugehört haben . Bereich der Fleischwarenindustrie sagen darf . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!) ordneten der SPD) Mit Verlaub, Frau Präsidentin, möchte ich kurz einige Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Überschriften zitieren . Darin wird gesagt: „Ein rechtlo- ses und asoziales System betrifft die fleischverarbeitende Vielen Dank .– Als nächster Redner spricht Willi (B) Industrie“, „Doch die Arbeit wird nicht weniger hart, und (D) Brase von der SPD-Fraktion . die Rumänen und Bulgaren werden ihre ausbeuterischen (Beifall bei der SPD) Vermittler nicht los“, „Auf Ausbeutung verpflichtet“, „Kosten für Transport und Unterkunft werden ihnen vom – Entschuldigung, Kollege Brase, es gibt noch eine Kurz- Gehalt abgezogen“, „Die Lohnabrechnung stimmt nie“ . intervention von Jutta Krellmann von der Fraktion Die Ich lege einmal die Zettel beiseite . Linke . Wir können diese Berichte vervielfältigen, und ich bin Jutta Krellmann (DIE LINKE): den Menschen in den Regionen Deutschlands, in denen Vielen Dank, Frau Präsidentin .– Herr Stegemann, vor allem solche industriellen Bereiche vorhanden sind, gleiches Recht für gleiche Arbeit heißt nicht gleiches dankbar, dass sie immer wieder auf diese Missstände hin- Recht für alle . Sie haben das gehört, weil Sie das hören gewiesen haben . Diese Missstände haben dazu geführt, wollten . Das ist eine total selektive Wahrnehmung . dass wir auch hier im Parlament darüber reden . Ich bin der Auffassung, dass wir mit dem vorgelegten Gesetzent- (Zuruf des Abg . Albert Stegemann [CDU/ wurf und den Maßnahmen von endlich CSU]) die schlimmen Zustände in der Fleischindustrie verhin- – Sie müssen sich nicht empören; das ist einfach so . Glei- dern, liebe Kolleginnen und Kollegen; ches Geld für gleiche Arbeit – das ist das, was ich gelernt (Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/ habe, als ich 1972 meine Ausbildung begonnen habe und CSU: Sehr richtig!) massenweise Frauen dafür gekämpft haben, dies zu be- kommen . Jetzt kämpfen nach wie vor Frauen darum, und denn – das wollen wir auch zur Kenntnis nehmen – dem, auch Leiharbeiter kämpfen darum, dies zu bekommen . wie man dort mit Menschen umgegangen ist und immer Das, was in diesem Gesetzentwurf vorgelegt wurde, hat noch umgeht – mit Subunternehmern, mit Werksverträ- mit „gleiches Geld für gleiche Arbeit“ nichts zu tun, ab- gen und Leiharbeit; all das, was eben von den Kollegin- solut nichts . nen und Kollegen schon beschrieben worden ist –, wird (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- ein Riegel vorgeschoben . Auch mit dem Mindestlohn, ten der LINKEN – Albert Stegemann [CDU/ den wir mit dieser Koalition durchgesetzt haben, haben CSU]: Nach neun Monaten!) wir etwas Gutes für die Fleischindustrie getan; denn es geht nicht darum, dass die Fleischbarone und die Gro- – Sie können gleich reden . – Ein Beispiel aus Europa, ßen immer reicher werden und den einen oder anderen wo dies möglich ist: In Frankreich gibt es gleiches Geld Fußballverein pampern, sondern es geht darum, dass Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18775

Willi Brase (A) Menschen, egal woher sie kommen, vernünftig bei uns der DGB-Kongress am vergangenen Dienstag hat bereits (C) arbeiten können . einen kleinen Vorgeschmack gegeben . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Das alles sind wichtige und vielschichtige Themen, der CDU/CSU) die die Menschen berühren . Das gibt uns Gelegenheit, die Gemeinsamkeiten innerhalb der Koalition zu beto- Deshalb halte ich die vorgesehenen Maßnahmen für rich- nen, unsere Standpunkte deutlich zu machen und auch tig . die Unterschiede zur Opposition, aber auch zwischen Ich will kurz auf die Erklärung eingehen, die unter Union und SPD aufzuzeigen . Klare Standpunkte geben maßgeblicher Beteiligung von Bundesminister Gabriel Orientierung . Danach suchen die Menschen, gerade in mit den Großen der fleischverarbeitenden Industrie abge- Zeiten, in denen bei vielen Menschen Sorgen und Be- schlossen wurde . Das hat mittlerweile dazu geführt, dass fürchtungen, was die Zukunft angeht, im Vordergrund 10 000 Menschen wieder dem deutschen Arbeitsrecht, stehen . Wir, die Union, geben klare Orientierung, nicht also dem Bereich, der für uns gültig ist, zugeführt werden nur in der Flüchtlingsfrage, konnten . Ich sage: Der nächste Schritt muss eigentlich (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE sein, dass diese 10 000 Menschen nicht nur dem deut- GRÜNEN]: Das hätten Sie sich jetzt aber spa- schen Arbeitsrecht unterliegen, sondern Festangestellte ren können!) werden . Denn das war das Ziel der Vereinbarung, die Sigmar Gabriel mit den Großen abgeschlossen hat . sondern auch, was die sozialpolitischen Themen und nicht zuletzt den vorliegenden Gesetzentwurf betrifft . (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Der Koalitionsvertrag ist in diesem Bereich sehr ein- Als nächsten Schritt halte ich es für richtig, dass wir deutig formuliert . Umso erstaunlicher war es, dass das unseren Gesetzentwurf zur Änderung des Arbeitnehmer­ Bundesarbeitsministerium im November 2015 einen Dis- überlassungsgesetzes, zu Leiharbeit und Werkverträgen kussionsentwurf vorgelegt hat, der in den entscheidenden auf den Weg bringen . Mir ist es lieber, dass das Glas halb Teilen weit über den Koalitionsvertrag hinausgegangen voll ist, als dass wir die Leute noch Monate oder Jahre ist, unnötige Überregulierung bedeutet hätte und die Auf- in den bestehenden Zuständen lassen . Dieser Gesetzent- gabenteilung und Spezialisierung konterkariert hätte, die wurf bringt dieses Thema richtig nach vorne, liebe Kol- gerade für unsere Wirtschaft so wichtig ist . Man kann leginnen und Kollegen . nicht auf der einen Seite die Digitalisierung, das Arbei- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ten 4 0. ausrufen und unsere arbeitsteilige Wirtschaft auf der CDU/CSU) der anderen Seite durch Überregulierung gefährden . (B) (D) Zusammengefasst: Die Fleischindustrie ist eine Die Bundesarbeitsministerin musste substanziell schwierige Branche . Sie wächst und wächst . Es werden nachbessern, insgesamt zweimal . Im Februar dieses dort gute Gewinne gemacht . Jetzt ist es an der Zeit, dass Jahres legte sie einen ersten Referentenentwurf vor . Die in dieser Branche aus Subunternehmern, Werkverträg- CSU hat ihm nicht zugestimmt . Wieder musste Frau lern und Leiharbeitern endlich Festangestellte werden . Nahles nachbessern . Drei Monate und einen Koalitions- Dann kann sie sich auch moralisch wieder sehen lassen . ausschuss später kam es dann zu einer Einigung . Vielen Dank fürs Zuhören . (Zuruf von der SPD: Das hätten wir gleich machen können!) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wenn ich mir die Debatte, auch in diesem Hohen Haus, vor Augen führe, dann habe ich oft den Eindruck, dass Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: hier eher der Klassenkampf ausgerufen wird oder alte Ju- Ganz herzlichen Dank . – Als nächster Redner hat so-Zeiten wiederentdeckt werden . Aber es geht nicht um Stephan Stracke von der CDU/CSU-Fraktion das Wort . Ideologie – Ideologie war noch nie ein guter Ratgeber –, (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU – Katja Mast [SPD]: Das ist für die CSU aber ein sehr Stephan Stracke (CDU/CSU): schwerer Satz!) Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und sondern es geht vor allem darum, wie wir mehr Schutz Herren! Uns steht ein sozialpolitischer Herbst bevor: für Arbeitnehmer organisieren und gleichzeitig die Fle- Heute steht die Einbringung unseres Vorschlags zur Re- xibilität für die Unternehmen bewahren . Dafür steht die gulierung der Zeitarbeit und der Werkverträge an, später CSU . Das ist auch der Leitgedanke unseres Handelns . am heutigen Tag geht es um das Bundesteilhabegesetz, das Menschen mit Behinderung mehr Möglichkeiten ge- (Katja Mast [SPD]: Die CSU wollte das gan- ben soll, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, und ze Ding blockieren!) nächste Woche wollen wir als Regierungskoalition unse- Klug ist, dass wir die Tarifvertragsparteien hier in die re Überlegungen vorstellen, wie wir das Arbeiten im Al- Pflicht genommen haben. Darauf haben wir als Union ter und die Übergänge in die Rente passgenauer und fle- Wert gelegt, und das haben wir auch durchgesetzt . xibler gestalten wollen . Spätestens im November werden wir dann eine Debatte darüber führen, wie die richtigen (Katja Mast [SPD]: Klären Sie das mal mit Wege im Bereich der Rentenpolitik tatsächlich aussehen; der CDU!) 18776 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Stephan Stracke (A) Den Tarifvertragsparteien bei der Entscheidung über Zwei Drittel derjenigen, die in einem Zeitarbeits- (C) Höchstüberlassungsdauer und Equal Pay einen Spiel- verhältnis stehen, haben vorher keine Beschäftigung raum zu geben und ihnen einen Rahmen zu setzen, wenn ausgeübt . Mehr als doppelt so viele wie bei anderen es beispielsweise darum geht, was für diejenigen Betrie- Beschäftigtengruppen haben keine abgeschlossene Be- be gilt, die keinen Tarifvertrag haben, ist sicherlich rich- rufsausbildung . Die Zeitarbeit bietet also Chancen für tig . Das zieht sich so auch durch den jetzt eingebrachten Arbeit . Gesetzentwurf . (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das ist pra- Frau Müller-Gemmeke, Sie haben darauf hingewie- xisfern!) sen, dass die Grünen für Equal Pay vom ersten Tag an Deswegen werden wir hier nichts tun, was die Zeitar- stehen . Ich darf darauf hinweisen: Dieser Gedanke steht beit überreguliert . Weil die Bundesarbeitsministerin dies bereits im Gesetz . Gleicher Lohn für gleiche Arbeit gilt erkannt hat, hat sie beispielsweise auch gesagt: Wir wol- vom ersten Tag an . Die Tarifvertragsparteien weichen len die Zeitarbeit stärker für Flüchtlinge öffnen . – Das aber davon ab . Das ist Ausdruck der Tarifautonomie . Ich ist genau der richtige Weg, damit Geringqualifizierte die kann mir überhaupt nicht vorhalten lassen, dass es hier Möglichkeit haben, eine Beschäftigung zu erhalten . etwas zu kritisieren gibt, was der Gewerkschaftsbund, der DGB, mitunterzeichnet . Er ist nämlich derjenige, der (Katja Mast [SPD]: Wir behandeln alle Ar- die Tarife letztlich mit abschließt . Das sollte man in die- beitnehmer auf dem deutschen Arbeitsmarkt sem Hohen Haus auch zur Kenntnis nehmen . gleich!) (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Dafür haben Das, was jetzt vorliegt, ist ein austarierter Kompro- wir ja ein Gesetz! Über was reden wir eigent- miss, den die Tarifvertragsparteien maßgeblich mitge- lich?) prägt und auch ausverhandelt haben . Das gilt insbeson- dere auch für die Branchenzuschlagstarife . Die Zeitarbeit ist ein wichtiges arbeitsmarktpoliti- sches Instrument und bedeutet Flexibilität für die Unter- Wir stehen auch zu den Werkverträgen . Werkverträ- nehmen, gerade bei Arbeitsspitzen . Sie nutzt aber gerade ge sind seit Jahrzehnten Bestandteil einer arbeitsteiligen auch den Menschen, die es auf dem Arbeitsmarkt ge- Gesellschaft . Die Vergabe von Aufgaben an Dritte auf meinhin schwerer haben. Ich meine damit Geringqualifi- der Basis von Werkverträgen gehört zum Kernbereich zierte, Arbeitslose und Jugendliche ohne Abschluss oder der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit . Sie sind Ausbildung . Die Zeitarbeit bietet die Möglichkeit, auf gerade in Bezug auf Spezialisierung und Konzentration dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, unverzichtbar . (B) (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Zeitarbeit (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE (D) sind befristete Arbeitsverträge!) GRÜNEN]: Das stellt ja auch niemand infra- ge!) und deswegen wollen wir keine Überregulierung in die- sem Bereich und auch, wie es die Linken fordern, kein – Frau Müller-Gemmeke, das hat vor allem viel mit Qua- Verbot der Zeitarbeit . litäts- und Effizienzsteigerung (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE Ich bin durchaus verwundert, dass sich gerade die Lin- GRÜNEN]: Das stellt niemand in Zweifel! Ich ken für ein Verbot der Zeitarbeit aussprechen . So verste- weiß gar nicht, was Sie reden!) he ich jedenfalls den Wortbeitrag von Frau Wagenknecht zu Beginn der Debatte . und viel mit Wettbewerbsfähigkeit und damit auch dem Erhalt von Arbeitsplätzen zu tun . Deswegen ist für uns (Katja Mast [SPD]: Genau! Das hat sie ge- auch wichtig: Da, wo „Werkverträge“ draufsteht, sollen macht!) auch Werkverträge drin sein . Rechts- und sittenwidrige Das trifft genau diejenigen Menschen, die es besonders Gestaltungen von Werkverträgen lehnen wir ab . schwer haben . Dass gerade die Linke die Menschen, die Der Kriterienkatalog, der am Anfang der Diskussion es auf dem Arbeitsmarkt besonders schwer haben, treffen stand, ist vom Tisch . Er hat sich als praxisfremd erwie- will, ist schon eine Ironie, die es hier deutlich zu machen sen . Deswegen ist es gut, dass die Tarifvertragsparteien, gilt . So etwas machen wir tatsächlich nicht . aber auch die Koalition einen Vorschlag aufgegriffen ha- (Beifall bei der CDU/CSU) ben, der aus den Reihen der Bundesarbeitsrichter gekom- men ist und jetzt auch Niederschlag im Gesetzentwurf Die Zeitarbeit ist kein Massenphänomen . Der Anteil gefunden hat: der Zeitarbeitsbranche ist über die Jahre hinweg nicht ge- stiegen . Ganz im Gegenteil: In Bayern sind beispielswei- (Katja Mast [SPD]: Das wollen Sie schon se in dem wichtigen Bereich der Metall- und Elektroin- wieder ändern!) dustrie weniger Zeitarbeiter als noch 2012 beschäftigt . keinen praxisfremden Katalog, keine Beweislastumkehr, Das zeigt: Der Anteil der Zeitarbeit ist deutschlandweit sondern das, was in der Praxis tatsächlich tauglich ist . – nahezu unverändert . Eine Verdrängung in andere Er- Genau das haben wir jetzt im Gesetzentwurf verankert . werbsformen findet nicht statt. Sicherlich gibt es noch vielfältigen Diskussionsbedarf . (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das sind Das betrifft vor allem eine eindeutige und rechtssiche- jetzt Werkvertragsbeschäftigte!) re Definition dessen, was wir unter „Gleicher Lohn für Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18777

Stephan Stracke (A) gleiche Arbeit“ verstehen . Ich halte viel davon, das ta- Vorläufige Anwendung des CETA-Abkom- (C) rifliche Bruttostundenentgelt einschließlich der Zulagen mens verweigern ohne Zuschläge als Arbeitsentgelt zu definieren. Dann ist auch der Bereich der Sanktionen zu sehen . Sanktionen Drucksachen 18/8391, 18/9697 sind ein wichtiges Instrument, gerade um Missbrauch zu c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- bekämpfen . Aber auch hier sollte immer das rechte Maß richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener- gewahrt werden . Wir haben noch viel Diskussionsbedarf . gie (9 .Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord- Die Anhörung bietet hierfür eine erste Gelegenheit . Ich neten Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, Jutta freue mich auf die gesetzlichen und parlamentarischen Krellmann, weiterer Abgeordneter und der Frak- Beratungen . tion DIE LINKE Herzliches Dankeschön . Abstimmung über CETA erfordert Beteili- gung von Bundestag und Bundesrat (Beifall bei der CDU/CSU) Drucksachen 18/9030, 18/9703 Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Über den Antrag der Fraktion Die Linke werden wir Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich später namentlich abstimmen . Unmittelbar nach diesem die Aussprache . Tagesordnungspunkt werden wir über zwei weitere Vor- lagen zum CETA-Abkommen namentlich abstimmen . Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/9232, 18/9664 und 18/7370 an die Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- die Aussprache 60 Minuten vorgesehen .– Auch dagegen schlagen . Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der höre ich keinen Widerspruch . Dann ist es so beschlossen . Fall . Dann sind die Überweisungen so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache . Als erster Redner in dieser Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a bis 6 c auf: Aussprache hat Klaus Ernst von der Fraktion Die Linke das Wort . a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Ernst, Matthias W . Birkwald, Susanna (Beifall bei der LINKEN) Karawanskij, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Klaus Ernst (DIE LINKE): zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir können (B) Rates über die Unterzeichnung – im Na- wirklich stolz sein . Ich habe den Eindruck, unser Wirt- (D) men der Europäischen Union – des um- schaftsminister ist nicht nur Wirtschaftsminister, sondern fassenden Wirtschafts- und Handels- auch Illusionskünstler . abkommens (CETA) zwischen Kanada (Heiterkeit bei der LINKEN) einerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits Nur so ist es zu erklären, dass nach massenhafter Kri- KOM(2016) 444 endg.; Ratsdok. 10968/16 tik an CETA vom Deutschen Richterbund, vom Deut- schen Städtetag und auch in seiner eigenen Partei ein und Beschluss zustande kommt, als wäre die Kritik gar nicht zu dem Vorschlag für einen Beschluss des vorhanden . Er hat sie sozusagen weggezaubert, wie beim Rates über die vorläufige Anwendung Zaubertrick mit dem weißen Kaninchen und dem Hut . des umfassenden Wirtschafts- und Han- Er hat gesagt: „Das klären wir alles im weiteren parla- delsabkommens (CETA) zwischen Kana- mentarischen Verfahren“, ohne dass irgendeine wirklich da einerseits und der Europäischen Union substanzielle Änderung im Vertrag enthalten sein soll . und ihren Mitgliedstaaten andererseits (Dr . [CDU/CSU]: Es gibt KOM(2016) 470 endg.; Ratsdok. 10969/16 auch keine substanzielle Kritik!) hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes- Hervorragend . Ich kann nur sagen: Darauf kann man regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des stolz sein . So einen Wirtschaftsminister hat nicht jeder . Grundgesetzes Wie hat er denn das hingekriegt, meine Damen und Gemeinwohl vor Konzerninteressen – CETA Herren? Wie hat er das gemacht? In der vorliegenden stoppen Stellungnahme der Koalition, die wir heute auch verab- schieden, heißt es zum Beispiel: Drucksache 18/9665 Es muss im weiteren Ratifikationsprozess sicher- b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- gestellt werden, dass auch zukünftig kein Druck in richts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie Richtung Liberalisierung von Dienstleistungen der (9 .Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten öffentlichen Daseinsvorsorge ausgeübt werden darf . Klaus Ernst, Karin Binder, Susanna Karawanskij, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: So machen wir LINKE das!) 18778 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Klaus Ernst (A) Offensichtlich ist das gegenwärtig bei CETA nicht der Der kriegt das hin; der macht es so . Der würde das Auto (C) Fall, sonst bräuchte man es nicht hineinzuschreiben . auch so kaufen . Ein zweites Beispiel: (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das … Vorsorgeprinzip Ein Hauptkritikpunkt an CETA zielt übrigens auf die – so heißt es in Ihrem Text – Paralleljustiz für Investoren . Das wurde vom Deutschen Richterbund und anderen kritisiert . Diese Kritik greifen bleibt von CETA unberührt . Dies muss unmissver- Sie nicht mal auf; die erwähnen Sie nicht mal . Meine ständlich klargestellt werden . Damen und Herren, es ist doch ganz klar: Ein Vertrag, (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das ist euro- bei dem man gar nicht weiß, was das ist, muss abgelehnt päisches Primärrecht!) werden und darf nicht mit Tricks auf die europäische Ebene verschoben werden . Offensichtlich ist es bisher nicht klargestellt . Trotz- dem bekommt der Wirtschaftsminister grünes Licht für (Beifall bei der LINKEN) CETA in der vorliegenden Form . Das grenzt schon ein Meine Damen und Herren, ich komme zu einem Punkt, bisschen an Magie . der auch sehr wichtig ist: die Zustimmung der nationalen (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Parlamente . Ich habe gestern den Wirtschaftsminister sa- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – gen hören: Trotz aller Unsicherheit soll zum selben Zeit- Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wir sind halt punkt, in dem das Abkommen im Rat beschlossen wird, magic! – Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Ma- auch die vorläufige Anwendung beschlossen werden. gic Sigmar!) Zum selben Zeitpunkt! (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Falsch!) Worin besteht nun die Hypnose? Die Hypnose besteht darin, dass er uns allen erzählt: Das alles kann im parla- – Das hat er gestern gesagt . Ich habe es doch gehört, ich mentarischen Verfahren verbessert werden . bin doch nicht schwerhörig . (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das stimmt Ist ein Abkommen vorläufig in Kraft, bleibt es auch auch!) dann in Kraft, wenn ein Land der EU die Zustimmung verweigert . Dann ist das Abkommen zwar formal ge- Damit ist der Wirtschaftsminister die Verantwortung los . scheitert, bleibt aber so lange wirksam, bis wiederum Sie liegt jetzt im Europaparlament bei der liberal-konser- eine Mehrheit im Europäischen Rat diese Zustimmung (B) vativen Mehrheit . – Respekt . Guter Trick . Sauber hinge- zurückzieht . Wenn das nicht passiert, bleibt das Abkom- (D) kriegt . Meine Damen und Herren, dazu sagte Ihr Kollege men in Kraft . Meine Damen und Herren, Sie machen Barthel am Dienstag im Deutschlandfunk – ihm kann ich Politik nach dem Motto: Wenn du sie nicht überzeugen nur zustimmen –: kannst, dann verwirre sie . Aber meine Bedenken richten sich vor allen Dingen (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das dagegen, dass eine Zustimmung im Ministerrat . . ist das Motto Ihrer Rede!) die Sache kaum noch gestaltbar und rückholbar macht . . Die vorläufige Anwendung muss abgelehnt werden. Das ist die einzige vernünftige Chance, wenn wir etwas än- Gott sei Dank sind also nicht alle verzaubert .– Die dern wollen . kanadische Handelsministerin Chrystia Freeland erklärte zu den Vorbehalten der SPD im Tagesspiegel von ges- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- tern: neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Die hören wir uns an . Aber Ceta ist keine bilatera- Schluss ein Zitat bringen, weil mir das so schön gefallen le Angelegenheit zwischen Kanada und Deutsch- hat . land . . Wir werden das ausverhandelte Abkommen selbst nicht mehr antasten . . Wir arbeiten aber an (Dr . Michael Fuchs [CDU/CSU]: Volksthea- einer gemeinsamen Auslegungserklärung . . ter!) (Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Ja, genau! – – Ich weiß nicht, warum Sie sich aufregen . Sie bekom- Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Rechtsverbind- men von denen doch alles . Was ist das Problem? lich!) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- – Ja, ja . Welche Punkte das am Ende beinhaltet, weiß kei- SES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg . ner und wissen Sie auch nicht . Kein normaler Mensch Dr . Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]) würde zum Beispiel einen Vertrag zum Kauf eines Autos – Sie haben eine Stellungnahme gegen den Beschluss des abschließen, in dem geregelt ist, dass das Fahrzeug kei- SPD-Konvents abgegeben . Sie haben das gar nicht ver- ne Räder und keine Bremsen hat, und würde hinterher, standen . Das ist doch alles in Ihrem Sinne, Herr Pfeiffer . nachdem es auf dem Hof steht, durch Erklärungen zu er- reichen versuchen, dass die Räder und die Bremsen nach- (Beifall des Abg . Dr .Anton Hofreiter [BÜND- geliefert werden . Das schafft nur der Wirtschaftsminister . NIS 90/DIE GRÜNEN] – Michael Grosse- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18779

Klaus Ernst (A) Brömer [CDU/CSU]: Wir fragen uns, ob Ihre abkommen in Deutschland erlebt, bei dem nicht nachher (C) Fragen aus Amerika importiert sind!) die Zahl der Exporte von Deutschland in das entspre- chende Land größer wurde, als sie vorher war . Mir fällt in diesem Zusammenhang – das richtet sich jetzt aber an die SPD – ein Zitat von Klabund ein . Das Nehmen wir doch nur das Abkommen mit Korea . Das Zitat lautet: Korea-Abkommen hat wirklich gewirkt . Vor fünf Jahren wurde es abgeschlossen . Ach, besser wär’s, ihr alten Knaben, ein Rückgrat überhaupt zu haben (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Vor- im Leben und daheim im Laden . . läufig!) Danke für die Aufmerksamkeit . Mittlerweile ist der Export von Waren nach Korea um 55 Prozent gestiegen . Herr Ernst, das interessiert Sie (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- nicht . Sie fahren weiter Ihren Porsche und haben keine neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ahnung davon, was da wirklich passiert . (Abg . Klaus Ernst [DIE LINKE] meldet sich Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: zu einer Zwischenfrage) Als nächster Redner hat Dr .Michael Fuchs von der CDU/CSU-Fraktion das Wort . Das ist ärgerlich . Sie als Gewerkschafter müssten eigent- lich für ein solches Abkommen eintreten, wie das Gott (Beifall bei der CDU/CSU) sei Dank Herr Vassiliadis von der IG BCE intensiv tut .

Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU) Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich fange Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: heute einmal mit dem Wörtchen „Danke“ an . Herr Kollege Fuchs, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ernst zu? (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Aber nicht bei ihm!) Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Er hat doch schon geredet, nein . Ich möchte mich als Allererstes beim Kollegen Heil, bei seiner Mannschaft und auch bei meinen eigenen Leuten (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ge- bedanken, denn wir hatten nicht wirklich viel Zeit . Am nau! Auch alte Knaben verzichten mal auf (B) Montag hat die SPD in Wolfsburg Gott sei Dank be- Fragen!) (D) schlossen, CETA mit uns zu tragen . Am Dienstag haben Die USA sind unser größter Exportmarkt . Mit den wir dann in relativ kurzer Zeit für die Fraktionen einen USA verbindet uns ein Handelsvolumen in Höhe von gemeinsamen Entschließungsantrag erarbeitet . Das war rund 173 Milliarden Euro . Wir exportieren Waren im nicht so ganz einfach . Das haben wir hinbekommen . Da- Wert von etwa 114 Milliarden Euro in die USA und im- für sage ich Danke . portieren Waren im Wert von 59,6 Milliarden Euro . Das (Beifall bei der CDU/CSU) zeigt, dass wir mit Blick auf den Export in diese Länder ein Plus erreichen . Der Wert der Waren, die wir nach Ka- Meine Damen und Herren, ich sage auch deswegen nada exportieren, beträgt davon quasi ein Zehntel . Das Danke, weil ich absolut davon überzeugt bin, dass wir Land ist auch wesentlich kleiner . Wir exportieren Waren das richtige Abkommen haben, in Höhe von 9,9 Milliarden Euro und importieren Waren (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ich in Höhe von 4 Milliarden Euro . Die Volumina sind aber auch!) steigerbar und damit auch die Chancen für unser Land . dass wir ein vernünftiges Abkommen haben, ein Abkom- Meine Damen und Herren, was mich ärgert, ist, dass men, das uns gemeinsam und unserem Land weiterhilft . die ganze Zeit so getan wird, als seien diese Abkommen schlicht und ergreifend in jeder Hinsicht falsch . Das fängt (Beifall bei der CDU/CSU) mit den Umweltstandards an . Ich habe in meiner letzten Nach einer Prognos-Studie hängen 9,6 Millionen Ar- Rede den Bundeswirtschaftsminister gebeten, Herrn beitsplätze in Deutschland am Export . Das interessiert Stegner aufzuklären, und gesagt, er solle das mit VW Herrn Ernst nicht; das haben wir gerade eben feststellen klären . Das empfehle ich Ihnen ebenfalls . Die Umwelt- können . standards in den USA sind nicht schlechter als unsere, erst recht nicht diejenigen in Kanada . Im Gegenteil: Wir (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Der bleibt ja können in dem einen oder anderen Fall durchaus etwas trotzdem!) lernen . Wir sollten aber für eine Angleichung der Stan- dards sorgen, damit vor allen Dingen unsere mittelstän- Ihm war das völlig egal; darüber redet er nicht . Aber dische Wirtschaft nicht bei jedem Land erneut darüber 9,6 Millionen Arbeitsplätze, gute Arbeitsplätze, hängen nachdenken muss, welche Standards es einzuhalten gilt . am Export . Wir wollen dafür sorgen, dass diese nicht nur bleiben, sondern dass das Ganze noch besser wird . Es Das Gleiche gilt für andere Bereiche . CETA ist eigent- kann besser werden . Ein solches Abkommen hilft, dass lich das fortschrittlichste und modernste Abkommen, das es besser wird . Ich habe noch kein einziges Freihandels- bislang abgeschlossen wurde . Angesichts dessen, was wir 18780 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Dr. Michael Fuchs (A) in den vielen Bereichen des Abkommens erreicht haben, Ich empfehle denjenigen, die dagegen sind, es zu lesen . (C) kann man nur sagen: Da ist in Brüssel sehr gute Arbeit Dann werden Sie feststellen, dass viele Ihrer Forderun- geleistet worden . Dafür ein Dankeschön nach Brüssel, an gen aufgenommen wurden . Frau Malmström und ihr Team, sowie an all diejenigen, auch unter uns, die daran mitgearbeitet haben! (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Mach es nicht kompliziert!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) – Lieber Herr Kollege Grosse-Brömer, man muss ihnen Wir haben eine Reihe von Punkten erreicht . Ich empfehle schon helfen . Manchmal habe ich aber das Gefühl, dass jedem, in die Details zu gehen . Dann werden Sie sehr sie sich nicht helfen lassen wollen, weil sie ideologisch schnell feststellen, dass wir sehr viel hinbekommen ha- verbohrt in die Diskussionen gehen . ben . (Dr .Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh mein Gott! Total süß!) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Fak- ten statt Empörung!) Das darf nicht der Fall sein . Die Globalisierung geht weiter, ob wir das wollen Wir wollen den Freihandel weiterhin unterstützen . oder nicht . Da wartet niemand auf uns Deutsche . Ent- Wir wollen dafür sorgen, dass der Freihandel in der Welt weder entscheiden wir uns dafür, oder wir fallen hinten gut ist . Nebenbei bemerkt: Mir wäre es am allerliebs- herunter . In Europa leben nur noch 7 Prozent der Weltbe- ten, wenn wir keine bilateralen Abkommen abschließen, völkerung . Das war einmal, prozentual gesehen, sehr viel sondern das multilaterale System der WTO voranbrin- mehr . Mittlerweile erreichen wir gerade noch 25 Prozent gen würden . Aber ich bin kein Fantast und mache mir des Bruttoinlandsprodukts der Welt . Aber wir leisten keine Illusionen mehr; vielleicht bin ich dafür zu alt . uns über 50 Prozent der gesamten Sozialausgaben in der Ich glaube nicht mehr daran, dass wir mit 176 Ländern Welt . Wenn wir das fortsetzen wollen, dann müssen wir Abkommen hinbekommen werden . Also schließen wir das entsprechende Wachstum in Europa generieren . Sol- die hier zur Diskussion stehenden Abkommen . Bringen che Abkommen tragen dazu bei . wir CETA ganz schnell voran! Anschließend verhandeln wir so schnell wie möglich über TTIP weiter, damit wir (Beifall bei der CDU/CSU) eine Freihandelszone über den Atlantik hinweg zwischen Nordamerika und uns in Europa haben . Es ist überhaupt nicht selbstverständlich, dass das klappt . (Beifall bei der CDU/CSU) (B) CETA trägt in besonderem Maße den Anliegen unse- (D) rer vorwiegend mittelständisch organisierten Wirtschaft Das hilft uns allen gemeinsam, und darauf freue mich . Rechnung . Gerade Mittelständler haben große Probleme, Ich bitte um Ihre Zustimmung . weil sie in der Regel nicht über eine riesige Rechtsab- teilung wie die Industrie verfügen . Solche Abkommen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- wie CETA sind für uns zentral und wichtig, um den ordneten der SPD) Mittelstand zu unterstützen . Es freut mich, dass wir ein Abkommen mit Kanada hinbekommen haben . Wir haben es zum Beispiel geschafft, die Märkte für öffentliche Be- Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: schaffung in Kanada für unsere Mittelständler zu öffnen; Als nächste Rednerin hat Katharina Dröge von der das war nicht selbstverständlich . Umgekehrt war das Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort . schon der Fall . Aber jetzt können auch unsere Firmen auf die Beschaffungsmärkte in Kanada gehen . (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Frau Präsidentin! Frau Präsidentin!) Wir leiten einen Systemwechsel hin zu internationalen – Bevor Sie das Wort bekommen, erhält der Kollege Schiedsgerichten mit professionellen Richtern – das ist Ernst das Wort für eine Kurzintervention . ebenfalls sehr vernünftig – und Berufungsmöglichkeiten ein . Das haben wir gemeinsam hineinverhandelt . Wir ha- Ich habe allerdings die Bitte, Herr Ernst – das habe ben zudem die Zölle auf Industriegüter so gut wie abge- ich auch Ihrer Geschäftsführerin ausdrücklich gesagt –, schafft . De facto gibt es keine Zölle mehr . Wer dagegen sie wirklich kurz zu machen und keine zweite Rede zu ist, dass Zölle abgeschafft werden, den kann ich nicht halten . Wir liegen nämlich schon fast 20 Minuten hinter mehr verstehen . Die Abschaffung von Zöllen ist doch unserem ursprünglichen Zeitplan zurück und haben, wie sehr vernünftig . Sie alle selber sehen können, bisher noch nicht einmal ein Viertel unserer heutigen Tagesordnung abgearbeitet . Jürgen Trittin verweist in seinen Reden in diesem Ho- Deshalb bitte ich die Kolleginnen und Kollegen wirklich, hen Hause ständig auf das Vorsorgeprinzip . Auch dieses das ein wenig mit im Blick zu haben . Das ist zwar die Prinzip wurde im Abkommen berücksichtigt . Wir haben Aufgabe der Präsidentin, aber nicht nur . also den Grünen noch geholfen, sich für dieses Abkom- men zu entscheiden . (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Für manche alten Knaben ist es besser, sie ver- (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zichten auf manche Fragen!) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18781

(A) Klaus Ernst (DIE LINKE): gemacht, worum es heute geht: Sie als Union und Sie als (C) Frau Präsidentin, ich hätte darauf verzichtet, wenn ich SPD werden Ja sagen zu CETA – ohne Wenn und Aber . nicht persönlich angesprochen worden wäre . – Es freut (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mich ja, Herr Fuchs, dass Sie mehrmals meinen Porsche sowie bei Abgeordneten der LINKEN – erwähnt haben . Ich habe den Eindruck, Sie wollen mal Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Lesen bildet!) mitfahren . Aus Ihrer Rede wird klar: Sie werden Ja sagen zu einem (Heiterkeit bei der LINKEN) schlechten Abkommen, zu einem Abkommen, das das Vorsorgeprinzip schwächt, zu einem Abkommen, in dem Bei dieser Rede überlege ich es mir noch . Aber ich muss es unfaire Schiedsgerichte gibt, zu einem Abkommen, Ihnen sagen – vielleicht ist es Ihnen entgangen –: Mein in dem die Handlungsfreiheit der Kommunen einge- Auto fährt nach 200 000 Kilometern immer noch gut . schränkt wird . Das ist ein gutes Produkt . (Dr . Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: So ein (Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Deutsches Schwachsinn! Stimmt nicht! Stimmt doch al- Qualitätsprodukt!) les nicht!) Das ist übrigens auch der Grund, warum es in Amerika All das haben Sie in Ihrer Rede ausgeblendet . All das in- hervorragend verkauft wird, und zwar schon seit über teressiert Sie auch gar nicht . 20 Jahren . Weit über die Hälfte der produzierten Fahr- zeuge werden ins Ausland verkauft . Ohne CETA und (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Unverschämt- ohne TTIP ist das ein im Ausland hervorragend aufge- heit! – Zuruf von der SPD: Unterstes Niveau!) nommenes Produkt . – Ich habe jetzt Herrn Fuchs gemeint .– Deswegen sagen (Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse- Sie blind, ohne Wenn und Aber, Ja zu CETA . Brömer [CDU/CSU]: Und jetzt machen wir es (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) noch besser!) Ich sage deshalb Danke, weil wir in den letzten Tagen Und wissen Sie, warum? Weil der Wettbewerb eben nicht nach dem SPD-Konvent in der Öffentlichkeit eine etwas über das Absenken von Standards, über Schiedsgerichte merkwürdige Debatte miteinander geführt haben . Der und Ähnliches läuft, sondern über die Qualität, und die Bundeswirtschaftsminister hat auf dem SPD-Konvent kriegen wir in Deutschland hin, ob mit oder ohne CETA . und auch gestern im Wirtschaftsausschuss noch einmal Insofern brauchen wir es nicht . Wir können uns den gan- den Eindruck erweckt – leider kann er es heute nicht wie- (B) zen Kram sparen, Herr Fuchs . Das wollte ich Ihnen noch derholen; das ist ein bisschen schade; es wäre wichtig (D) einmal sagen . gewesen –, wir hätten heute irgendwie die Möglichkeit, noch einen anderen Weg zu gehen . Deswegen bin ich (Beifall bei der LINKEN) dankbar, dass Herr Fuchs noch einmal klargemacht hat: So ist es nicht .

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Lesen Sie Herr Fuchs, wünschen Sie das Wort zu einer Erwide- doch mal die Dokumente des Bundestags!) rung? Wir als Bundestag werden heute darüber entschei- (Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Wir neh- den, wie wir zu diesem Vertrag stehen . Wir haben drei men den Hinweis der Präsidentin ernst! – Stellungnahmen nach Artikel 23 Grundgesetz vorliegen; Klaus Ernst [DIE LINKE]: Er will nicht mit- bei der Abstimmung darüber entscheiden wir, wie die fahren!) Bundesregierung im Handelsministerrat über dieses Ab- kommen abstimmen soll . Darum geht es . Das ist unsere – Danke . – Dann hat als nächste Rednerin jetzt die Kol- Möglichkeit, noch Einfluss zu nehmen. legin Dröge das Wort . Doch das, was Sigmar Gabriel in den letzten Tagen (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Was fährt die gemacht hat, nämlich zu behaupten, dass die Parlamente, für ein Auto? – Gegenruf der Abg . Katrin dass der Deutsche Bundestag, dass das Europaparlament Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- noch irgendetwas Relevantes an diesem Vertragstext än- NEN]: Ein Lastenfahrrad! Lastenfahrrad von dern könnten, nachdem die Bundesregierung zu CETA Katharina Dröge!) schon Ja gesagt hat und sich gegenüber der EU und Ka- nada verpflichtet hat, diesen Vertrag zu unterzeichnen, Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ist – das muss ich ganz ehrlich sagen – schlichtweg Un- Genau . Ich könnte jetzt über mein Lastenfahrrad spre- fug . chen . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE Kollegen! Auch ich möchte meine Rede mit einem Dank GRÜNEN]: Das wissen die Genossen doch!) beginnen . Herr Fuchs, es mag Sie überraschen, aber die- ser Dank geht an Sie. Denn nach Ihrer Rede sind, finde Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich ich, die Fronten im Bundestag heute klar . Sie haben klar- kann ja verstehen, dass es für Sie schwierig ist, sich zu 18782 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Katharina Dröge (A) entscheiden, wie Sie mit diesem Vertragstext umgehen nehmen wollen, dann ändern Sie den Vertrag . Das ist die (C) sollen . Davor habe ich Respekt . Aber ich verlange von einzige Möglichkeit . Ihnen schon, dass wir als Abgeordnete im Bundestag ge- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) genüber den Menschen, die uns heute zuhören, ehrlich sind hinsichtlich dessen, was wir entscheiden können Dasselbe ist bei den Schiedsgerichten, dasselbe ist und was wir nicht entscheiden können . beim Vorsorgeprinzip, dasselbe ist bei der Frage, wel- che Kompetenzen die Gremien im Rahmen von CETA (Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Sie aber haben sollen, der Fall . Bei all diesen Punkten haben Sie auch! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wenn gesagt – damit hatten Sie recht; ich bestätige Ihnen Ihre Sie die Ehrlichkeit voranstellen, dann frage Position –: Der Vertrag ist schlecht . Der Vertrag muss ich mich, was Sie hier machen!) geändert werden .– Deswegen wollen Sie ihn jetzt noch Diese Aufgabe haben wir als Parlamentarier . ändern . Aber wenn Sie einen Vertrag ändern wollen, dann müssen Sie den Mut haben, zu sagen: Wir ändern (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Substanz, wir ändern den Vertrag in der Sache .– Mit und bei der LINKEN) allem anderen machen Sie den Menschen etwas vor . Das geht nicht . Das, was Herr Gabriel mit Frau Freeland vereinbaren möchte, ist eben keine Änderung des Vertragstextes . (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sie werden es erleben, wer recht hat!) (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das stimmt nicht!) Es gibt noch einen weiteren Fall an Verwirrung der Bürgerinnen und Bürger, der nicht geht . 15 Minuten Das behauptet er auch gar nicht mehr . nachdem der Parteitag zu Ende war, hat sich Herr Gabriel (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Eine rechts- vor die Presse gestellt und die gemeinsame Erklärung mit verbindliche Klärung!) Frau Freeland vorgestellt . (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nee, davor!) Das behauptet auch Frau Freeland nicht . Sie hat gesagt, das wäre so, als würde man die Büchse der Pandora öff- – Nein, Sie haben erst beschlossen, und dann hat er die nen . Herr Gabriel hat das im Wirtschaftsausschuss be- gemeinsame Erklärung vorgestellt . stätigt . Das, was Sie machen wollen, sind Protokoller- klärungen, (Zuruf von der SPD: Vorher!) Ich habe einmal verglichen, was er mit Frau Freeland (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Rechtsver- vereinbart hat und was er wenige Minuten vorher mit den (B) bindliche!) (D) SPD-Parteikollegen beschlossen hatte . Fast nichts von die nachträglich zu einem Vertrag abgegeben werden sol- dem, was Sie auf diesem Parteitag beschlossen haben, len . Protokollerklärungen – das hat Frau Freeland gestern steht in der gemeinsamen Erklärung mit Frau Freeland . noch einmal sehr schön gesagt – sind Interpretationen (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Unfug!) dessen, was schon im Vertrag steht, mehr nicht . Auf meine Frage gestern im Wirtschaftsausschuss, (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: So ist es! Aber was denn jetzt gilt – das, was Sie beschlossen haben, oder rechtsverbindlich! Sagen Sie doch einmal das, was mit Frau Freeland vereinbart wurde –, sagte er „rechtsverbindlich“! – Weitere Zurufe von der nur, er komme nicht als SPD-Chef in den Wirtschaftsaus- SPD) schuss, er könne jetzt nur noch für die Bundesregierung Jetzt gebe ich Ihnen einmal ein Beispiel aus Ihrem reden . Das ist schizophren . eigenen Konventsbeschluss . Sie haben am Montag be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schlossen, dass Sie diesem Vertrag nur zustimmen wer- und bei der LINKEN) den, wenn die komplette Herausnahme der bestehenden und der künftigen Dienstleistungen der öffentlichen Er fährt selber nach Kanada, tut so, als würde er für Daseinsvorsorge aus dem Vertrag erfolgt . Jetzt sage ich die ganze Bundesrepublik irgendetwas nachverhandeln, Ihnen: Die Daseinsvorsorge steht nun einmal drin . Wie aber auf die Nachfrage von uns, was er nachverhandelt wollen Sie diesen Vertrag jetzt so uminterpretieren, dass hat, kann er nicht antworten . das, was drinsteht, doch irgendwie nicht drinstehen soll? Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Schutzbe- Frau Kollegin, Sie haben Ihre Redezeit bereits deut- reich!) lich überschritten . Kommen Sie bitte zum Schluss . Das ist keine Interpretation . Wem wollen Sie damit etwas vormachen? Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mein letzter Satz .– Es sind 300 000 Menschen am und bei der LINKEN) Wochenende gegen dieses Abkommen auf die Straße gegangen . Sie müssen ihnen nicht folgen . Aber was Sie Sie können nur sich selbst etwas vormachen . Den Bür- ihnen schulden, ist Ehrlichkeit . Deswegen: Wir als grüne gern können Sie nicht erklären, dass etwas, das im Ver- Bundestagsfraktion werden uns heute entscheiden . Die- trag steht, nicht drinstehen soll . Wenn Sie das heraus- ses Abkommen ist an zu vielen Stellen falsch . Deswegen Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18783

Katharina Dröge (A) sagen wir Nein . Diese Konsequenz sollten auch Sie zie- Ich habe am Montag auch mit Frau Freeland reden kön- (C) hen . nen . Wir haben übrigens mitbekommen – auch schrift- lich –, was Frau Malmström dazu sagt . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Dr . Joachim Pfeiffer Tatsächlich geht es um Folgendes: Wir haben ein in [CDU/CSU]: Purer Populismus!) vielen Bereichen ordentliches Abkommen . In diesem Handelsabkommen gibt es Fortschritte, die noch nie bei Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: einem Handelsabkommen erreicht wurden . Zum Beispiel Als nächster Redner hat Hubertus Heil von der gibt es keine privaten anonymen Schiedsgerichte mehr; SPD-Fraktion das Wort . (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Aber andere!) (Beifall bei der SPD) vielmehr ist der Weg zu einem öffentlichen Gerichtshof eröffnet . Hubertus Heil (Peine) (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten (Beifall bei der SPD) Damen und Herren! Liebe Kollegin Dröge, lieber Kol- lege Ernst, ich finde es richtig, dass wir im Bundestag Wenn man dazu noch in der Lage und willens ist, zu über unterschiedliche Positionen streiten . Aber ich habe differenzieren, könnte man auf vier Bereiche gucken, wo eine ganz herzliche Bitte, nämlich dem demokratischen wir Fortschritte erreicht haben bzw . wo wir noch für Ver- politischen Gegner nicht ständig mit dem Vorwurf, man besserungen sorgen wollen . Ich will Ihnen auch sagen, sei nicht ehrlich, die Moral abzusprechen . wie das im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens geschehen kann . (Widerspruch bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich nehme erstens das Beispiel der Arbeitnehmerrech- Ich sage Ihnen an dieser Stelle Folgendes: Wer demokra- te: Wir haben durch die Verhandlungen dafür gesorgt, tische Verfahren und Meinungsstreit in diesem Haus in dass Kanada mittlerweile die siebte und jetzt auch die der Art und Weise diffamiert, wer diese krankenhausreif achte ILO-Kernarbeitsnorm ratifiziert hat. Dabei geht es redet, darf sich nicht wundern, wenn Scharlatane daraus um das Recht, Kollektivverträge für Arbeitnehmerinnen Parlamentsverachtung machen. Das finde ich nicht in und Arbeitnehmer abzuschließen . Das ist mit den USA Ordnung . überhaupt nicht erreichbar . Alle ILO-Kernarbeitsnormen sind inzwischen im Rahmen dieser Verhandlungen von (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Wi- Kanada ratifiziert worden. Die letzte wird gerade ratifi- (B) derspruch bei Abgeordneten der LINKEN und ziert . Das ist ein Riesenerfolg für Arbeitnehmerrechte . (D) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD) Ich will Ihnen das sagen, weil es ein Missverständnis gibt, das Sie hier kultivieren . Leider ist das auch schon in Wir wollen darüber hinaus – das ist durch rechtsver- verschiedenen Reden deutlich geworden . Sie tun so, als bindliche Erklärungen möglich – dafür sorgen, dass Ar- würden wir heute über CETA abstimmen . beitnehmerrechte nicht nur ratifiziert, sondern in Europa und Kanada auch wirksam durchgesetzt werden . Das gilt (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- übrigens auch für das gesamte Nachhaltigkeitskapitel, NEN]: Tun wir ja auch! Genau so ist es!) für Umwelt- und Verbraucherschutz . – Nein .– Der Vertrag wird heute nicht beschlossen . Wir machen einen Weg frei, weil es nach Artikel 23 Grundge- (Beifall bei der SPD) setz ein Beteiligungsrecht des Bundestages beim Zustan- dekommen der europäischen Integration gibt . Wir geben Ich nenne ein zweites Beispiel – Sie haben es ja an- als Bundestag Bedingungen mit auf den Weg . gesprochen –, die Daseinsvorsorge . Die Daseinsvorsorge ist im Vertrag erwähnt, allerdings als Schutzbereich . Wir (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Der Vertrag ist wollen, dass an ein oder zwei Stellen rechtsverbindlich doch fertig!) klargestellt wird, dass zum Beispiel die Rekommunali- sierung von Unternehmen – da gibt es ungeklärte Rechts- Wir sagen, dass es richtig ist, dass im Handelsminister- begriffe, die können über Rechtserklärungen verdeutlicht rat das parlamentarische Verfahren – im Europäischen werden – weiterhin möglich bleibt, es da also keinen Parlament und in den Mitgliedstaaten – eröffnet werden Zweifel gibt . Das ist das, was wir wollen . soll . Sie aber erwecken den Eindruck, als würde heute die Endabstimmung stattfinden. (Beifall bei der SPD) (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Faktisch ja!) Drittens nenne ich – Frau Dröge, falls Sie noch zuhö- – Nicht einmal faktisch und auch nicht juristisch . Ich will ren – es Ihnen erklären, Herr Kollege Ernst und Frau Dröge; denn im Gegensatz zu Ihnen war ich in der letzten Woche (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- in Montreal . NEN]: Ja!) (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Hätten Sie uns ja das Vorsorgeprinzip . Das Vorsorgeprinzip ist Teil des mitnehmen können!) europäischen Primärrechts . Und es gibt eine Rechtsauf- 18784 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Hubertus Heil (Peine) (A) fassung, die besagt, dass kein Handelsvertrag der Welt lich verbindliche Klarstellungen in Bezug auf Bereiche, (C) europäisches Primärrecht antasten kann . wo es Klärungsbedarf gibt . (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Zum Schluss, meine Damen und Herren: Wir kön- NEN]: Genau! Darum geht es doch!) nen – das sage ich an alle Fraktionen gerichtet – bei ei- nem Streit in diesem Hause – – Es gibt aber einige, die fragen, ob es in diesem Punkt nicht doch einer Klarstellung bedarf . Deshalb werden wir darauf drängen, dass dies rechtsverbindlich klargestellt Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: wird, damit das bewährte Vorsorgeprinzip zum Beispiel Herr Kollege Heil, lassen Sie eine Zwischenfrage von im Umwelt- und Verbraucherrecht sowie bei Medizin- Frau Kollegin Baerbock zu? produkten und bei der Ernährung in Europa weiter gilt . Das ist beispielsweise eine Bedingung, um am Ende des Hubertus Heil (Peine) (SPD): Tages, wenn es wirklich zur Abstimmung kommt, zu- stimmen und das Abkommen ratifizieren zu können. Sehr gerne . Bitte sehr . (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Klaus Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ernst [DIE LINKE]: Dann ist es doch schon NEN): geschehen! Dann gilt es schon!) Herr Kollege Heil, nachdem Sie uns jetzt ja belehrt Meine Damen und Herren, für Parlamentarier wie Sie haben, was die Rechte eines Parlamentes sind, und da- hätte ich einen Ratschlag: Seien Sie ein bisschen mutiger, bei auf das Europäische Parlament abgestellt haben und was Parlamente betrifft . wir alle gesagt haben, dass das Verfahren transparent sein muss, möchte ich Sie fragen, ob Sie folgender Dar- (Widerspruch bei Abgeordneten der LINKEN stellung zustimmen: Das Europäische Parlament hat in und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) diesem Gesetzgebungsverfahren, anders als vom Wirt- Das ist jetzt die Stunde der Parlamente . schaftsminister gestern im Wirtschaftsausschuss darge- stellt, nicht wie der Deutsche Bundestag bei nationalen (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Sie lassen Gesetzen die Möglichkeit, den eingebrachten Vertrags­ doch die Parlamente im Stich!) text in einem parlamentarischen Verfahren zu ändern; Wir haben doch schon einmal von Ihnen gehört, nämlich vielmehr ist es so, dass zuvor der Rat der Europäischen als der Vertragstext im letzten Jahr in englischer Spra- Union entscheidet . Dann kann das Europäische Parla- che vorlag, dass jetzt alle Messen gesungen seien, dass ment nur noch sagen, ob es dem Abkommen zustimmt (B) nichts mehr verändert werden könne . Wir haben politisch oder nicht – dabei handelt es sich ja nicht einmal um ein (D) Druck gemacht und erreicht – das ist ungewöhnlich und reguläres Gesetzgebungsverfahren –, neu –, dass die Schiedsgerichte herausgestrichen wurden . (Klaus Ernst [DIE LINKE]: So ist es!) Das haben wir schon geschafft . Jetzt muss man ein biss- chen aufklären und darf keine Nebelkerzen werfen, was sodass das Europäische Parlament an dem Vertragstext das Verfahren betrifft . keine Änderungen mehr vornehmen kann . Stellungnah- men haben da keinen Einfluss. Vom Europäischen Parla- Wir als Bundestag werden heute – weil es vom Ge- ment dürfen gar keine Änderungsanträge gestellt werden . setz und von unserer Verfassung her erwartet wird – eine Stimmen Sie mir darin zu? Wenn ja, möchte ich Sie fra- Stellungnahme abgeben . Das ist der Beschlussentwurf, gen: Wie wollen Sie als Sozialdemokraten im nationalen den Ihnen die Koalition vorlegt . Er besagt: Ja, wir wol- Parlament oder im Europäischen Parlament diesen Ver- len, dass dieses parlamentarische Verfahren im Handels- tragstext noch verändern? ministerrat eröffnet wird . Ja, wir erkennen an, dass es in vielen Bereichen ein sehr gutes Abkommen ist . Aber wir Sehen Sie nicht außerdem die Gefahr, dass am Ende haben Klärungsbedarf . gesagt wird – dieses typische Europa-Bashing haben wir in Europa ja sowieso schon –: „Jetzt ist das Europäische Zwischen der kanadischen Regierung, unserer Bun- Parlament schuld, weil es keine Veränderung mehr her- desregierung und der Europäischen Kommission besteht beigeführt hat“? Ist das nicht die große Gefahr, wenn Sie Konsens, dass im Rahmen dieses Verfahrens – sonst wird jetzt suggerieren, das Europäische Parlament könne et- es ja gar keine Mehrheit im Europäischen Parlament und was richten, was es gar nicht richten kann, weil es nur Ja in den 28 Mitgliedstaaten geben – rechtsverbindliche oder Nein sagen kann? Klärungen vorgenommen werden . Das in Zweifel zu zie- hen, zeugt entweder von Unkenntnis oder von einer Dif- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN famierung dieses Verfahrens, meine Damen und Herren . und bei der LINKEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hubertus Heil (Peine) (SPD): Frau Kollegin, ich bin sehr dankbar für diese Fragen, Sie können einmal zur Kenntnis nehmen: Die Kommis- weil sie mir die Gelegenheit geben, ein bisschen über ein sarin sagt das, die Kommission sagt das, die Regierung paar Dinge aufzuklären . in Kanada sagt das, die Bundesregierung sagt das . – Ich sage Ihnen noch einmal: Da geht es nicht um irgendwel- (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Sie sind che unverbindlichen Protokollnotizen, sondern um recht- doch der Einzige, der keine Ahnung hat von Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18785

Hubertus Heil (Peine) (A) europäischer Politik! – Weitere Zurufe von der haupten . Deshalb kämpfen wir, Herr Kollege Fuchs, für (C) LINKEN) ein Freihandelsabkommen . – Wollen Sie eine Antwort, oder wollen Sie einfach nur Aber das reicht uns nicht . Wir wollen Globalisierung dazwischenbrüllen? Ich will der Kollegin antworten, fair gestalten . Wir wollen fairen Handel in dieser Welt . weil sie ernsthafte Fragen gestellt hat, und ich habe jetzt Dafür bringen wir etwas auf den Weg, was zwar schon die Gelegenheit dazu . gut ist, was aber noch besser gemacht werden muss, weil es Maßstäbe für eine faire Globalisierungsgestaltung set- Zum einen wissen Sie, Frau Kollegin, dass das Eu- zen soll . ropäische Parlament auch bisher bis auf Konsultations- fragen nicht direkter Verhandlungspartner war; Verhand- Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit . lungspartner waren die Europäische Kommission und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten die kanadische Regierung . Gleichwohl hat der deutsche der CDU/CSU) Europaabgeordnete, der Vorsitzende des Handelsaus- schusses, unser Kollege Bernd Lange, durch seine Arbeit im Verfahren dafür gesorgt, dass sich dieser Vertrag im Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Rahmen der Rechtsförmigkeitsprüfung verändert hat . Gunther Krichbaum von der CDU/CSU-Fraktion hat Die anonymen Schiedsgerichte sind durch Bernd Lange als nächster Redner das Wort . mit beseitigt worden . (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- ten der CDU/CSU – Markus Kurth [BÜND- Gunther Krichbaum (CDU/CSU): NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist keine Ant- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! wort!) Die Europäische Union und damit auch wir unterhal- ten weltweit Freihandelsabkommen mit über 130 Staa- Das heißt, das Europäische Parlament hat mittelbaren ten . Kein einziges Freihandelsabkommen wurde in der Einfluss auf die Verhandlungen genommen. Vergangenheit so leidenschaftlich, hitzig, zum Teil auch Zweitens . Sie haben recht, was die Formalien betrifft: polemisch-populistisch diskutiert wie TTIP oder CETA, Ein EU-Rat legt für ein Ratifizierungsverfahren einen wobei Letzteres der Gegenstand unserer heutigen Debat- völkerrechtlichen Vertrag in Gesetzesform auch auf eu- te ist . Auch über CETA, dem Freihandelsabkommen mit ropäischer Ebene vor . Das hindert aber nicht daran, durch Kanada, würde wahrscheinlich genauso wenig diskutiert rechtsverbindliche – ich betone: rechtsverbindliche – Er- wie über alle anderen 130 Freihandelsabkommen zuvor, wenn es nicht im zeitlichen und räumlichen Kontext mit (B) klärungen des EU-Ministerrates, der Regierung Kanadas (D) und des Europäischen Parlaments darzulegen und klarzu- TTIP stünde . stellen, was mit diesem Gesetz gemeint ist . Damit sind wir vielleicht auch beim eigentlichen Pro- Ich habe es mit Beispielen darzustellen versucht: Wir blem angelangt: einer in der Gesellschaft tiefsitzenden haben viele Fortschritte erreicht; aber es gibt ungeklär- Amerika-Skepsis, die bisweilen auch in einen, ja, man te Rechtsbegriffe in diesem Vertragswerk . Das betrifft muss schon sagen, blanken Antiamerikanismus über- vor allen Dingen die Frage des Investitionsschutzes . Da schlägt . sehen wir nach den Rechtseinschätzungen der Europäi- (Dr . Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Dumpf! – schen Kommission, der kanadischen Regierung und der Zurufe des Abg . Klaus Ernst [DIE LINKE]) Bundesregierung die Möglichkeit, dass die Parlamente durch politischen Druck und durch rechtsverbindliche Das muss uns Anlass zur Sorge sein; denn viele der vor- Erklärungen dafür sorgen, dass aus diesem ordentlichen getragenen Bedenken in der Bevölkerung zeugen von Vertrag ein gutes Handelsabkommen wird . Das ist unser einem Mangel an Vertrauen . Es muss schon nachdenk- Ziel . lich machen, wenn höchste politische Vertreter Beifall zollen, wenn sie von einem freien Handel von Lissabon (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des bis Wladiwostok sprechen, andererseits aber bei CETA Abg . Dr . [CDU/CSU]) und TTIP einen Eiertanz hinlegen . Weder geostrategisch noch handelspolitisch darf es eine Äquidistanz, also ei- Nicht nur, weil wir Parlamentarier so selbstbewusst nen gleichen politisch-ideologischen Abstand, zwischen sein sollten, dass wir in solchen Verfahren politisch Ein- unseren transatlantischen Partnern und Russland geben . fluss nehmen können – Matthias Miersch weiß, wovon Wer übrigens wissen will, wie eine Freihandelspartner- ich rede –, sondern weil wir tatsächlich erlebt haben, dass schaft östlich von uns auf der Landkarte funktioniert, der sich dieser Bundestag so intensiv wie kaum ein anderes kann sich ja einmal die Eurasische Zollunion anschauen . Gremium mit diesem Vertrag beschäftigt hat – während Von einer Partnerschaft auf Augenhöhe kann da über- der Verhandlungen, während der Rechtsförmigkeitsprü- haupt nicht die Rede sein . fungen, nach der Übersetzung, in unzähligen Debatten hier, in Ausschussanhörungen –, kann ich Ihnen sagen: Ja, Partnerschaft auf Augenhöhe, das müssen wir ein- Es ist gut, dass wir uns als Parlament, als Parteien diese fordern . Aber hier sollten wir uns selber nicht kleiner ma- Frage nicht einfach machen; denn es ist eine Frage von chen, als wir sind . Die Europäische Union ist weltweit großer Bedeutung . Es geht um die Frage, ob es gelingt, die größte Wirtschaftszone mit, gerundet, 500 Millionen Globalisierung gerecht zu gestalten, ob es gelingt, den Menschen im Vergleich zu den USA mit 300 Millionen Vorrang demokratischer Politik auch vor Märkten zu be- und Kanada mit 40 Millionen . Deshalb geht es bei CETA 18786 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Gunther Krichbaum (A) wie bei TTIP weder um mit Chlor desinfizierte Hühnchen kollegen . Ich glaube, auch wir tun bei so mancher Dis- (C) noch um französischen Rohmilchkäse . Es geht um die kussion gut daran, dass wir das nicht infrage stellen und Frage: Wer setzt die industriellen Standards des 21 . Jahr- das Europäische Parlament zu einem Parlament zweiter hunderts? Diese können gefunden werden zwischen der Klasse degradieren . Europäischen Union, den Vereinigten Staaten von Ame- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- rika und Kanada oder eben zwischen den USA, Kanada ordneten der SPD) und dem pazifischen Raum inklusive . Der Regelungsinhalt von CETA betrifft zum Lö- Wir haben noch die Möglichkeit, die Globalisierung wenanteil den sogenannten EU‑only-Bereich, wie wir im zu gestalten; Kollege Heil hat genau darauf hingewiesen . Jargon dazu sagen . Nun ist es bei einem Abkommen so, Der freie Handel ist dabei eine Riesenchance . Diese soll- dass bereits wenige Inhalte dafür sorgen, um aus einem ten wir nicht kaputtreden; denn jeder, der das tut, ver- EU‑only-Abkommen ein sogenanntes gemischtes Ab- kennt, dass wir innerhalb der Europäischen Union genau kommen werden zu lassen, ähnlich wie bei einem Glas dieses Grundprinzip des freien Warenverkehrs haben, Wasser, wo bereits wenige Tropfen Pastis ausreichen, um den sogenannten Binnenmarkt, dem wir Hunderttausen- es zu trüben . Das ist die sogenannte Pastis-Theorie von de von Arbeitsplätzen zu verdanken haben . Professor Kokott, wie Sie sicherlich wissen . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Wir müssen uns natürlich fragen, ob wir die Folgen ordneten der SPD) davon wirklich haben wollen . Es bedeutet nämlich, dass Im Rahmen der Freihandelsabkommen mit Staaten CETA wie TTIP von über 40 nationalen und zum Teil außerhalb der Europäischen Union bewegen wir uns, auch regionalen Parlamenten ratifiziert werden muss. Herr Kollege Heil, natürlich weitestgehend im Feld der Sagt nur ein einziges Nein, kommt der Prozess insgesamt freien Marktwirtschaft . Das Korrektiv muss aber dann zum Erliegen . Damit lähmen wir uns am Ende des Tages gerade die Europäische Union sein, um von diesem Mo- selbst . dell der freien Marktwirtschaft zu einem Modell der so- (Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Auch wahr!) zialen Marktwirtschaft zu kommen . Das wallonische Parlament, das 0,72 Prozent der EU-Be- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und völkerung repräsentiert, hat sich bereits auf ein Nein der SPD) festgelegt . Damit werden die übrigen 99,28 Prozent der Das kann und darf natürlich nicht die notwendigen Struk- Europäischen Union irrelevant . Das kann es nicht sein . turreformen ersetzen, aber genau das ist die Aufgabe, die Wie hätte das vermieden werden können, und wie auf die Europäische Union zukommt . kann man das für die Zukunft vermeiden? Die Verhand- (B) Blickt man nun auf die EU, fällt auf, dass gerade in den lungsmandate, die der Deutsche Bundestag beschlie- (D) wirtschaftlich prosperierenden Ländern, die von CETA ßen muss, müssen gerade bei Industrienationen auf den und TTIP am meisten profitieren würden, der Ableh- EU‑only-Bereich begrenzt werden . Bei anderen Ländern, nungsgrad in der Bevölkerung am höchsten ist . Es sind wo wir Schiedsgerichtsklauseln brauchen, ist das viel- dies Deutschland und Österreich vorneweg, Luxemburg leicht anders . Aber wir vermeiden damit auch eine Be- und auch Slowenien . In allen anderen Staaten werden schädigung der Europäischen Kommission; denn sie hat CETA wie TTIP einhellig begrüßt . Beispielhaft seien ge- das Abkommen entgegen ihrer eigenen Überzeugung am nannt Litauen mit einem Zustimmungsgrad von 77 Pro- Ende als gemischtes Abkommen eingestuft . zent, Irland mit 70 Prozent, Griechenland mit 60 Prozent, Abschließend ist zu begrüßen, dass der Deutsche Portugal mit 57 Prozent und Spanien mit 55 Prozent . Alle Bundestag mit einer Stellungnahme seine Integrations- diese Staaten, die wirtschaftlich natürlich einen gewis- verantwortung wahrnimmt . Dies kommt dort auch expli- sen Aufholbedarf haben, sehen gerade TTIP wie CETA zit zum Ausdruck . Das Bundesverfassungsgericht wird als Chance . Ich glaube, genau diese Staaten dürfen wir aber in Zukunft zunehmend darauf achten, dass diese nicht um die Chancen bringen, die diese Freihandelsab- sogenannte Integrationsverantwortung nicht nur beim kommen mit sich bringen . Deswegen sollten wir auch die Akt der Übertragung der Kompetenz wahrgenommen Chancen darin erkennen . wird, sondern auch beim Vollzug . Das bedeutet, dass der (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Deutsche Bundestag auch darüber wachen muss, dass die Axel Schäfer [Bochum] [SPD]) Kompetenz so ausgeübt wird, wie sie übertragen wurde . Und in diesem Zusammenhang: In Erwartung angekün- Noch ein Aspekt, der uns zu denken geben muss: Wir digter Klagen sollte der Bundestag einen leider etwas müssen uns in Europa endlich entscheiden, was wir ei- versteckten Hinweis des Bundesverfassungsgerichts im gentlich wollen . Die Handelspolitik fällt zu 100 Prozent sogenannten OMT-Urteil aufnehmen . Damit wird die in die Kompetenz der Europäischen Union mit voller Einführung einer sogenannten gutachterlichen Stellung- Mitwirkung des Europäischen Parlaments . nahme erwogen, die das Bundesverfassungsgerichtsge- (Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Sehr wahr!) setz so bisher nicht kennt oder – so muss man vielleicht richtiger sagen – nicht mehr kennt . Das könnte Verfahren Das Europäische Parlament ist nicht besser als die na- in Zukunft effektiver machen . Auch damit sollte sich der tionalen Parlamente, es ist auch nicht schlechter als die Deutsche Bundestag beizeiten auseinandersetzen . nationalen Parlamente . Es ist anders als die nationalen Parlamente, aber ein vollwertiges Parlament mit direkt Liebe Kolleginnen und Kollegen, trotz aller juristi- gewählten, demokratisch legitimierten Abgeordneten- schen Diskussionen darf nicht übersehen werden: Schei- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18787

Gunther Krichbaum (A) tert CETA, scheitert TTIP, dann würde mehr scheitern ment hätte man einfach mal weglassen sollen . Man muss (C) als ein jeweiliges Freihandelsabkommen . Die transatlan- die Kritik mal ernst nehmen . tischen Beziehungen würden Schaden nehmen, und zu (Beifall bei der LINKEN – Gunther Krichbaum deren Pflege gehört Vertrauen – auf allen Seiten. Darin [CDU/CSU]: Das ist natürlich Quatsch, weil liegen eben die Chancen, wenn wir hier mit einer ent- es ein Zeugnis ist, dass das gegenseitige Ver- sprechenden parlamentarischen Gestaltung zu einem bal- trauen fehlt, Herr Ulrich! Das ist der Kern des digen Abschluss kommen . Ich glaube, dann wird es am Problems! Sie reden Unsinn!) Ende des Tages auch ein gutes Abkommen werden . Herr Heil, Sie haben gesagt, wenn man die demokra- Herzlichen Dank . tischen Prozesse so begleite, dann wecke man eventuell (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Personen und Parteien, die man nicht haben wolle . Ich ordneten der SPD) sage Ihnen aber auch: In einer Demokratie sollte es ei- gentlich selbstverständlich sein, dass ein Gesetz erst dann in Kraft tritt, wenn die zuständigen Parlamente es Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: beschlossen haben. Deshalb sind wir gegen eine vorläufi- Als nächster Redner hat Alexander Ulrich von der ge Anwendung . Ich hoffe, dass die SPD irgendwann auch Fraktion Die Linke das Wort . wieder zu dieser Entscheidung kommt . (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Es wäre trotzdem zu spät!) Alexander Ulrich (DIE LINKE): Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ich möchte mit einem Zitat von Willy Brandt beginnen: Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kol- legen Heil zu? Es hat keinen Sinn, eine Mehrheit für die Sozialde- mokraten zu erringen, wenn der Preis dafür ist, kein Alexander Ulrich (DIE LINKE): Sozialdemokrat mehr zu sein . Natürlich . (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Reden Sie doch einmal über Ihre eigene Partei!) Hubertus Heil (Peine) (SPD): Herr Kollege, wir wollen hier ja bei allem Streit nicht Dieses Zitat fällt einem nach dem Konventsbeschluss der Widersprüche aufbauschen, die wir nicht haben . Deshalb SPD von Montag ein . (B) bitte ich Sie einfach, zur Kenntnis zu nehmen, dass in (D) (Beifall bei der LINKEN) dem Antrag der Koalitionsfraktionen zum Thema der vorläufigen Inkraftsetzung Folgendes steht: Laut einer Umfrage der Wirtschaftswoche, die sicher- lich kein linkes Kampfblatt ist, unterstützen lediglich Erstens die ganz klare Ansage: Der europäische Teil noch 18 Prozent der Deutschen das CETA-Abkommen . dieses Abkommens darf nach Auffassung des Bundes- Ende August haben 125 000 Bürgerinnen und Bürger eine tages – so wie wir es heute beschließen – erst in Kraft Verfassungsklage dagegen eingereicht . Am vergangenen treten, wenn das Europäische Parlament zugestimmt hat, Wochenende waren 320 000 Menschen auf der Straße, nicht vorher . um gegen CETA, TTIP und die vorläufige Anwendung (Zuruf von der SPD: Genau! – Klaus Ernst zu demonstrieren . Was macht die SPD? Sie ignoriert das [DIE LINKE]: Unglaublich! Das habt ihr doch alles . Die Abstimmung über CETA war ja nur noch eine gar nicht definiert!) nachrangige Frage . Herr Heil, wenn man Demokratie ernst nimmt, dann sollte man seine eigenen Delegierten – Das steht in diesem Antrag . Lesen hilft . darüber abstimmen lassen, um was geht, und sollte nicht Zweitens . Der Teil, der nicht in europäische Zustän- damit in Verbindung bringen, dass, wer dagegen stimmt, digkeit fällt, darf nach Auffassung des Bundestages na- am Ende womöglich noch einen neuen Parteivorsitzen- türlich erst in Kraft treten, wenn die nationalen Parla- den suchen muss . Sie haben Ihren Konvent mit einer Per- mente zugestimmt haben . sonalfrage instrumentalisiert, obwohl es viel wichtigere Entscheidungen gegeben hätte . (Beifall der Abg . Ulli Nissen [SPD]) (Beifall bei der LINKEN – Hubertus Heil Deshalb meine Frage an Sie: Wo ist eigentlich der Wi- [Peine] [SPD]: Sind Sie der SPD-Experte? derspruch zwischen der Position, die die Koalition ein- Kümmern Sie sich um Ihren Haufen!) nimmt, und dem, was Sie fordern? Meine Bitte: Stellen Sie keinen Pappkameraden auf . Herr Krichbaum, wenn man gegen die Kritik der vie- Wir sind miteinander der Auffassung, dass ein vorläufi- len Menschen nichts mehr zu sagen hat, dann bemüht ges Inkraftsetzen erst möglich ist, wenn die Parlamente man den Vorwurf des Antiamerikanismus . Dieser Logik entschieden haben . Das steht klar in diesem Bundestags- folgend, müsste man feststellen, dass sogar die beiden beschluss . übriggebliebenen amerikanischen Präsidentschaftsbe- werber Antiamerikaner sind; denn beide sind kritisch, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten was diese Handelsabkommen angeht . Dieses blöde Argu- der CDU/CSU – Klaus Ernst [DIE LINKE]: 18788 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Hubertus Heil (Peine) (A) Nein, stimmt nicht! Nein, das ist nicht wahr! – Aber wer – wie CDU/CSU und SPD – gegen das Volk re- (C) Gegenruf von der CDU/CSU: Lesen bildet!) gieren will, ist natürlich auch gegen Volksabstimmungen . (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das war das Alexander Ulrich (DIE LINKE): Argument der Brexit-Befürworter!) Herr Heil, vielen Dank für die Nachfrage . Aber ich glaube, die Debatte hat schon gezeigt, dass die Pappka- Der Druck muss aufrechterhalten werden . Wir sind als meraden von der SPD aufgestellt worden sind . Denn ei- Linke vor das Bundesverfassungsgericht gezogen, um nes ist doch relativ klar: Sie haben letztes Jahr mit der gegen die vorläufige Anwendung zu klagen. Der Druck SPD rote Linien definiert und festgelegt, unter welchen geht weiter . Ich glaube, wer für TTIP und CETA ist – wie Bedingungen man CETA zustimmen kann . die SPD, wie die CDU/CSU –, wird bei der nächsten Bundestagswahl große Probleme bekommen . Deshalb: (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Es geht um Macht weiter auf der Straße! Wir machen weiter mit den das vorläufige Inkrafttreten!) Grünen hier im Parlament . Diese roten Linien wurden vom Parteikonvent vollstän- (Beifall bei der LINKEN) dig gebrochen . Insofern haben Sie Pappkameraden auf- gestellt . Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: (Mechthild Rawert [SPD]: So ein Quatsch! – Als nächster Redner hat Axel Schäfer von der Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Es geht um das SPD-Fraktion das Wort . vorläufige Inkrafttreten! Sagen Sie mal was zur Sache!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich sage noch einmal: Da es so große Bedenken ge- gen das CETA-Abkommen gibt, wollen wir als Linke, dass erst die Parlamente zustimmen, und erst dann kann Axel Schäfer (Bochum) (SPD): es umgesetzt werden . Aber Sie wollen es erst umsetzen Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! und dann die Parlamente beteiligen . Das ist in einer De- Wer wie Sie, Kollege Ulrich, einmal beschlossen hatte, mokratie der ganz falsche Weg . aus der SPD auszutreten, der hat keine politische Legiti- (Beifall bei der LINKEN) mation mehr, sich auf Willy Brandt zu beziehen . So ein- fach ist das . Dass man das Ihnen als Parlamentarier erklären muss, ist eigentlich eine Schande . (Beifall bei der SPD – Lachen des Abg . Klaus (B) Ernst [DIE LINKE]) (D) (Beifall bei der LINKEN – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Lesen Sie doch mal den Be- Wer die SPD kritisiert – was völlig legitim ist –, der soll- schluss!) te zumindest darauf hinweisen: Wir haben über Monate hinweg in allen Gliederungen unserer Partei und zum Es besteht sowieso die Frage, warum man die vor- Schluss auf einem Konvent um Positionen gerungen, wir läufige Anwendung überhaupt will; denn ich glaube, die haben uns ausgetauscht, und wir haben uns auch an De- vorhandene Zeit eröffnet uns doch alle Möglichkeiten . monstrationen beteiligt . Wir haben – wie keine andere Da wird immer gesagt, man brauche Sicherheit . Auch Partei in Deutschland – in einem demokratischen Ver- da ist das Argument, man würde, wenn man CETA und fahren unsere Position gefunden . Darauf sind wir Sozi- TTIP nicht zustimmte, eventuell unsere Exportchancen aldemokratinnen und Sozialdemokraten – auch wenn es verringern . Herr Ernst hat schon darauf hingewiesen: Wir unterschiedliche Positionen gibt – gemeinsam stolz . sind Exportvizeweltmeister; denn unsere Produkte sind weltweit gefragt – ohne und mit Abkommen . Wir lassen (Beifall bei der SPD) nicht zu, dass die Demokratie nur noch marktkonform Der zweite Punkt . Ich habe mich gemeinsam mit gestaltet wird, dass wir sozusagen alles akzeptieren müs- Michael Roth und anderen 2005 für eine Grundgeset- sen, was die Wirtschaftskonzerne uns vorschreiben . Aber zänderung hin zu mehr direkter Demokratie eingesetzt; leider sind die CDU/CSU und die SPD da auf einem völ- davon müssen wir auch nichts zurücknehmen . Aber eines lig falschen Weg . ist auch klar: Bestimmte Themen darf man nicht verabso- (Beifall bei der LINKEN) lutieren . Wer glaubt, nur mit Volksbefragung oder Volks- abstimmung alle Konflikte und alle Sachfragen in einer Wir als Linke betrachten uns als Partner der außerpar- Demokratie lösen zu können, der wird am Ende dort lan- lamentarischen Bewegung . Deshalb waren wir am Sams- den, wo die britischen Konservativen landeten . Weil sie tag bei der Demo dabei . Wir sagen: Der Widerstand ist als Partei gespalten waren, haben sie das Land gespalten . toll, und er muss weitergehen . Noch ist nichts verloren . Das kann man am Ergebnis der Brexit-Abstimmung se- Ich finde es auch gut, dass man in gewissen Bundeslän- hen . dern mit Volksabstimmungen Druck ausüben will . Auch das ist notwendig . Denn eines ist auch klar: Würde man (Zuruf von der CDU/CSU: Genau!) CETA einer Volksabstimmung unterwerfen, wäre der Spuk ganz schnell vorbei – bei TTIP sowieso . Ich war bisher davon ausgegangen, dass niemand in die- sem Hause – das gilt für die Linkspartei, genauso wie für (Beifall bei der LINKEN) CDU/CSU, SPD und die Grünen – dafür war, so etwas Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18789

Axel Schäfer (Bochum) (A) wie den Brexit auszulösen . Auch das sollten wir an dieser und im Europäischen Parlament heute und in den nächs- (C) Stelle deutlich unterstreichen . ten Jahren führen . (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich habe, wie viele in diesem Haus – meine Kollegin- nen und Kollegen von den Grünen, aber natürlich auch Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: meiner eigenen Partei und der Partei Die Linke waren Als nächste Rednerin hat Britta Haßelmann von der dabei, zum Teil auch Christdemokraten –, in den letzten Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort . Jahrzehnten an einer Menge Demonstrationen teilgenom- men; dazu stehe ich, das halte ich auch im Nachhinein für Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): richtig . Ich habe gegen Atomkraft, gegen Nachrüstung, Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen gegen Rechtsextremismus und Kollegen! Wir müssen hier keine Grundsatzdebatten (Zuruf von der CDU/CSU: Gegen Linksex- über Freihandel führen . Ja, auch unsere Fraktion weiß, tremismus!) dass es in der Weltgemeinschaft und in der Europäischen Gemeinschaft sehr wichtig ist, dass wir Regeln für fairen und auch gegen den Irakkrieg demonstriert . Es ging im- Handel haben – aber eben für fairen Handel – mer um harte Fakten: um Kriegsfragen, um Radioaktivi- tät oder um ermordete Menschen . Wir haben diskutiert (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und uns solidarisiert . und dass wir bestimmte Risiken ausschließen . Darum Jetzt haben wir es zum ersten Mal mit einer Bewegung geht es gerade, Axel Schäfer, und nicht um das Univer- zu tun, in der nicht harte Fakten im Mittelpunkt stehen, sum oder eine Intoleranz gegenüber europäischen Insti- sondern Sorgen und Ängste . Die Frage, die wir uns stel- tutionen . Die nehmen wir nämlich sehr wichtig und sehr len müssen, ist am Ende ganz simpel: ernst . (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Halten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sie die Leute für dumm? – Katharina Dröge Ihre heutige Stellungnahme zum Artikel 23 des [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man kann Grundgesetzes ist ein klares Ja – ohne Wenn und Aber – den Vertragstext lesen!) zu CETA . Wem vertrauen wir in diesem Verfahren? Vertrauen wir (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nein! Lesen!) denjenigen im Europäischen Parlament, im Bundestag, in der EU-Kommission und natürlich auch in der Bun- Es reicht mir einfach, dass die Sozialdemokratie so tut, (B) (D) desregierung – alle diese Gremien sind demokratisch le- als wäre das nicht der Fall . Das darf man Ihnen nicht gitimiert; das hat den Charme, dass wir ihre Vertreter öf- durchgehen lassen . fentlich hierher zitieren können, dass wir uns einklinken (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN können, dass wir sie kritisieren können; im schlimmsten sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Fall kann man Leute auch abwählen –, oder vertrauen wir denen, die eine bestimmte Expertise haben, die aber Sie erzählen hier das Märchen vom Schutz der Da- nirgendwo und von niemandem kontrolliert und zur Re- seinsvorsorge . chenschaft gezogen werden oder gar abgewählt werden können? (Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Britta, lies vier Seiten!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Meine Damen und Herren, seit über einem Jahr bemühen der CDU/CSU) wir uns darum und sagen: Bundeswirtschaftsministeri- Ich bin entschieden dafür – ich sage das trotz aller Kri- um, kümmere dich; die Daseinsvorsorge ist im Vertrags- tik –, dass wir die parlamentarische Demokratie und auch entwurf nicht gesichert! die Parteiendemokratie – das heißt, uns selbst – ernst (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Genau! Richtig!) nehmen und dass wir die damit verbundenen Möglich- keiten entsprechend nutzen . Das wurde abgeschwächt, geleugnet, negiert . Guckt euch die deutsche Übersetzung des Vertrages an . Ich könnte so Ein letzter Satz, liebe Kolleginnen und Kollegen . Da viele Zitate aus Zuschriften vortragen, die uns erreich- wir über CETA reden: Was trennt uns eigentlich von Ka- ten, weil sich keiner von Ihnen mit der Daseinsvorsorge, nada? Nur der Atlantik . Sie sind genauso wie wir . Sie ha- die für die Kommunen so wichtig ist, auseinandersetzen ben die gleiche Struktur, sie haben sogar die Todesstrafe wollte . abgeschafft . Und dann, plötzlich, taucht im Konventsbeschluss der (Zurufe von der LINKEN) SPD doch der Zweifel auf . Da heißt es in einem Kapitel: – Ja, sie haben die Todesstrafe abgeschafft, andere Län- Zudem soll die öffentliche Daseinsvorsorge aus dem der nicht .– Dass wir mit so einem Land demokratische Streitschlichtungsmechanismus herausgenommen Abkommen auf Augenhöhe abschließen, um etwas Gutes werden . zu bewegen – nicht nur in der EU, sondern auch beispiel- gebend im Welthandel –, dafür lohnt es sich zu kämpfen . (Zuruf des Abg . Hubertus Heil [Peine] Wir müssen diese Diskussion im Deutschen Bundestag [SPD]) 18790 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Britta Haßelmann (A) Ja, Sie haben es erfasst . Das ist ein zentrales Problem . Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C) Genau das wäre nötig gewesen; aber genau das machen Sie stehen einer Schiedsgerichtsbarkeit und großen Sie nicht . Investoren gegenüber . Das ist doch ein hohes Risiko, das zur Verunsicherung vor Ort führt . Man darf es Ihnen (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Genau! Das ist nicht durchgehen lassen, dass Sie den Leuten erzählen, das Problem!) das wäre gesichert . Mit Ihrer Stellungnahme und dadurch, dass Sie das so (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN laufen lassen, verhindern Sie, dass hier Klarheit geschaf- und bei der LINKEN) fen wird, dass wir eine Generalausnahme für die öffent- lichen Dienstleistungen und die öffentliche Daseinsvor- sorge bekommen, dass wir die Chance haben, aus diesen Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: blöden Negativlisten mit Anhängen eine Positivliste zu Als nächste Rednerin hat Barbara Lanzinger von der machen, oder dass wir die Daseinsvorsorge ganz aus dem CDU/CSU-Fraktion das Wort . Investitionsschutz nehmen . Der Zug ist mit der heutigen (Beifall bei der CDU/CSU) Entscheidung abgefahren . Und keiner weiß das so genau wie Herr Gabriel und Sie . Barbara Lanzinger (CDU/CSU): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kol- und bei der LINKEN) legen! Sehr geehrte Mitbürgerinnen und Mitbürger! Wir führen heute eine wichtige Debatte . Deshalb regt es mich auf, dass Sie den Leuten hier etwas anderes zumuten und erklären . Ihre Klarstellungen (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- auf dem Konvent sind sehr ernst gemeint gewesen . Ich SES 90/DIE GRÜNEN) kenne viele Kommunalos, auch von der SPD, die sich Das liegt sicherlich nicht daran, dass wir sie nicht schon Sorgen machen um die Daseinsvorsorge . Aber Sie si- vielfach geführt hätten . Das liegt sicherlich auch nicht chern sie nicht ab, sondern tun so, als wäre durch ein paar daran, dass die Argumente nicht längst ausgetauscht sind . klarstellende Beschlüsse plötzlich die Daseinsvorsorge Diese Debatte ist wichtig, um der Öffentlichkeit noch gesichert . Wo soll das denn herkommen, meine Damen einmal deutlich zu zeigen, was für ein gefährliches Spiel und Herren? Sie von den Linken und von den Grünen hier treiben, und (Zuruf des Abg . Klaus Ernst [DIE LINKE]) zwar fernab von den Ergebnissen des ausverhandelten Vertragstextes von CETA, der uns allen vorliegt . Haben Sie die Reaktion von Hubertus Heil auf die Außer Fundamentalopposition bieten Sie nichts an . (B) Frage meiner Kollegin Annalena Baerbock gehört? Erst (D) Sie haben keine Lösungen parat . Sie schenken den Fak- sollte das Europäische Parlament das regeln . Jetzt ist es ten keine Beachtung . Dafür steht ein Satz sinnbildlich, plötzlich der Europäische Rat oder, nein, es sind die eu- der von linker Seite und auch im Rahmen der Kampa- ropäischen Minister . gnen in letzter Zeit immer wieder zu hören ist: CETA (Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Zuhören!) stoppen, denn CETA ist TTIP durch die Hintertür . Wer soll denn die ganzen Bedingungen zur Daseinsvor- (Beifall bei der LINKEN) sorge herausnehmen, was notwendig wäre? Dieser Satz ist sinnbildlich für die Debatte . Das ist aus meiner Sicht brandgefährlich, Gerade das Thema Wasserversorgung ist ein hochris- kantes Thema im Bereich der Daseinsvorsorge . Gucken (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Stimmt! CETA Sie sich die Gutachten an, wenn Ihnen Ihr Wirtschaftsmi- ist brandgefährlich!) nister das schon nicht erklärt . weil Sie subtil Ängste und Unsicherheit in der Bevölke- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN rung schüren und sich in dieser Rolle auch noch gefallen . und bei der LINKEN) Es geht Ihnen nicht wirklich um Inhalte . Es geht Ihnen nicht darum, was als Verhandlungsergebnis bei CETA am Wir haben eine Stellungnahme von Silke Laskowski Ende steht und was in den Nachverhandlungen herausge- zur Wasserwirtschaft . Professor Krajewski und Pro- kommen ist . Es geht Ihnen darum, dagegen zu sein, und fessor Nettesheim, alle warnen davor, was mit den öf- es geht Ihnen auch darum, TTIP zu stoppen . fentlich-rechtlichen Rechten passiert . Dazu sagt uns die Bundesregierung: Ja, schwierig wird es, wenn es offen- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – sichtlich unverhältnismäßige Beschlüsse in den Kom- Klaus Ernst [DIE LINKE]: Ja!) munen gibt .– Was sind denn „offensichtlich unverhält- Sie haben es vorhin selber gesagt: Sie wollen einfach nur nismäßige Beschlüsse in den Kommunen“? Was für ein Widerstand und Druck aufbauen . Das hat mit Demokra- Risiko für alle Leute, die vor Ort kommunalpolitisch ak- tie nichts zu tun . tiv sind! Wie sollen die so was durchblicken? (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei Abgeordneten der LIN- Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: KEN – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Was ist das Frau Kollegin Haßelmann, ich muss Sie bitten, zum für ein Demokratieverständnis! Wollen Sie Schluss zu kommen . Demonstrationen verbieten, oder was?) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18791

Barbara Lanzinger (A) Das vollkommen Paradoxe an der Sache ist: Es gibt geht es bei CETA darum, technische Handelshemmnisse (C) noch kein TTIP-Abkommen . Es gibt Verhandlungen . abzubauen, die den gegenseitigen Handel vor allem klei- Aber für Sie zählt nur, dagegen zu sein . Darum geht es nerer Unternehmen erschweren . Ich kann nur betonen: Ihnen . Wie würde sich unsere Demokratie entwickeln, Wenn Sie uns das nicht glauben, fragen Sie die exportie- wenn wir nicht mehr über die Sache diskutieren, wenn renden Mittelständler . es nicht mehr um Fakten geht? Jeder Zuhörer und jede Sie kennen uns in der CSU . Wir können sehr direkt Zuhörerin kann sich vorstellen, wohin das führen würde . und auch ungemütlich sein . Wir wollten CETA nicht um Wir leben in Zeiten großen Umbruchs . Wegen der in- jeden Preis . Es war uns wichtig, genau hinzuschauen, ternationalen Konflikte haben wir große Herausforderun- und es wurde nachverhandelt . Auch wir wollen Risiken gen in Europa und in Deutschland . Viele unserer Mitbür- ausschließen . Das ist der Grund, warum die Verhandlun- gerinnen und Mitbürger sind verunsichert . Das nehmen gen nicht, wie geplant, zwei Jahre, sondern fünf Jahre wir sehr ernst . Deshalb müssen wir erklären, was wir mit gedauert haben . Unser Ziel war ein Abkommen, das in- CETA wollen, was CETA macht und was es nicht macht . nerhalb unserer politischen und gesellschaftlichen Leit- Am Ende – nicht heute – entscheiden wir in unserer par- planken liegt . Das ist uns, denke ich, mit CETA bisher lamentarischen Demokratie . erfolgreich gelungen . Wir setzen hohe Standards und verbessern gleichzeitig die wirtschaftliche Kooperation Aber ich sage auch ganz deutlich: Die Linken, die zwischen der EU und Kanada . Grünen und einschlägige Kampagnenbetreiber wollen nicht aufklären . Sie suggerieren den Menschen: Achtung, Wenn wir CETA zum Schluss der Verhandlungen ab- die gewählten Volksvertreter wollen euch nur Böses .– lehnen würden, würden wir uns damit keinen Gefallen Durch diese Kampagnen wird vor allem eines gemacht: tun . Im Gegenteil: Wir würden all denen helfen, die nicht Ängste werden geschürt und Klischees werden bedient . wollen, dass Deutschland und Europa stark sind und wei- Die Menschen werden zutiefst verunsichert . Vertrauen ter stark bleiben . geht kaputt . (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sie machen es Wir können uns dafür entscheiden, die Globalisierung doch kaputt!) selbst zu gestalten, oder wir verkriechen und verstecken Demokratie lebt aber von Vertrauen und nicht vom mut- uns und warten ab, was kommt . Das ist mit uns nicht zu willigen Schüren von Angst . machen . Wir wollen selbst gestalten . (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (Beifall bei der CDU/CSU) Zurufe von der LINKEN) Wir wollen selbst verhandeln, und wir wollen selbst be- (B) (D) Manche Punkte, anhand derer gezeigt werden soll, stimmen . Ich entscheide auch gern selbst darüber und wie schlecht CETA ist, werden gebetsmühlenartig wie- lasse nicht andere darüber entscheiden . Heute sprechen derholt, zum Beispiel Schiedsgerichtsbarkeit und Da- wir über CETA, nicht über TTIP . seinsvorsorge . Die Fundamentalopposition der Linken und der Grü- (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Stimmt ja nen schadet den Bürgerinnen und Bürgern Europas und auch!) Deutschlands . Daher lehnen wir ihre Anträge ab, und wir bitten um die Zustimmung zu dem Antrag der Koalition . Ich wiederhole jetzt einmal drei Fakten . Danke für diesen gemeinsamen Antrag . Erstens: Schiedsgerichte . Es ist verändert worden . Danke schön fürs Zuhören . (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Es ist wei- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- terhin eine Paralleljustiz!) ordneten der SPD) Es gibt keine privaten Schiedsgerichte mehr . Durch CETA gibt es die alten Investor-Staat-Schiedsverfahren Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: nicht mehr . Es ist gelungen, sich mit Kanada auf ein Als nächste Rednerin hat die Kollegin Nina Scheer reformiertes modernes System zu einigen, sprich: Bei- das Wort für die SPD-Fraktion . legung von Investitionsschutzstreitigkeiten durch ein öf- fentlich legitimiertes Investitionsgericht . (Beifall bei der SPD) Zweitens: Daseinsvorsorge . Die öffentlichen Dienst- Dr. Nina Scheer (SPD): leistungen und die Daseinsvorsorge werden durch CETA Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolle- geschützt . Auch weiterhin liegt die öffentliche Versor- ginnen und Kollegen! In den letzten Jahren haben wir gung, beispielsweise mit Wasser, Bildung, Kultur, Ener- vermehrt über Freihandel diskutiert, und wir haben da- gie und Dienstleistungen, in der Hand der Mitgliedstaa- bei erkannt, dass es eine Kehrtwende geben muss: dass ten und der EU. CETA enthält keine Verpflichtung zur das Primat der Deregulierung keine Antwort auf die He- Privatisierung dieser Bereiche . rausforderungen des Welthandels sein kann und dass der Drittens: Mittelstand . Von den Regelungen in CETA Abbau von Zöllen und Handelshemmnissen für sich ge- werden vor allem kleine und mittelständische export­ nommen nicht gemeinwohlfördernd ist . Es braucht also orientierte Unternehmen profitieren, insbesondere unsere immer ein Korrektiv, weil sonst der freie Markt eben Elektroindustrie und unser Maschinenbau . Denn im Kern nicht die Gemeinwohlverpflichtung erfüllt. 18792 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Dr. Nina Scheer (A) Unter diesen Vorzeichen stehen die Diskussionen um Vor uns liegen Schritte, die für CETA formal erst ein- (C) TTIP und CETA . TTIP hat die Diskussion nicht überlebt; mal nicht vorgesehen waren, die es im bevorstehenden die Verhandlungen über CETA waren schon sehr weit Prozess erst noch zu entwickeln gilt . Aber eben das ist fortgeschritten . Aber wir haben gesehen, dass die Erwar- doch die Veränderung, die wir auch für Europa brauchen, tungshaltung der Bevölkerung über die letzten Monate insbesondere bei solch umfassenden Abkommen mit zunehmend stärker wurde, einen gesunden Ausgleich solch weitreichenden Konsequenzen . zwischen dem Interesse einer globalisierten Welt, die auf Wir mussten erkennen, dass die EU-Kommission al- Handel und Investitionen angewiesen ist, und den Ge- lein nicht zu ratifizierungsfähigen Abkommen und Ei- meinwohlinteressen herzustellen . nigungen kam; auch das ist eine Erkenntnis aus diesem (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Prozess . Ebendiesen Prozess, die Stimme der Parlamente zu stärken, müssen wir in Europa und für Europa aktiv Die Diskussionen um die Freihandelsabkommen ge- einfordern . Von alleine passiert das nicht . Strukturell ge- rade in Bezug auf TTIP und CETA haben aber auch ge- sehen muss ich sagen: Hier ist der Weg das Ziel . zeigt – damit möchte ich auch noch einmal an das Re- ferendum der Briten erinnern –, dass wir dringend eine Ich komme zum Schluss . Wir sollten jede Gestaltungs- Stärkung der repräsentativen Demokratie und der Parla- option, sowohl über rechtsverbindliche Vereinbarungen mente brauchen . als auch im anschließenden parlamentarischen Ratifi- kationsprozess, nutzen, um CETA an die heutigen han- Die Fortentwicklung von Freihandels- zu Handels- delspolitischen Aufgaben anzupassen, insbesondere in verträgen, zu Fairhandel statt Freihandel ist auch auf Orientierung an den UN-Nachhaltigkeitszielen und den strukturelle Änderungen angewiesen . Bei CETA wurde Klimaschutzvereinbarungen von Paris . Übrigens: Heute dies bereits während der Rechtsförmlichkeitsprüfung ratifizieren wir diese hier im Deutschen Bundestag. exerziert . Mit dem Diskurs in unserer Partei und den Vielen Dank . breiten Forderungen aus der Zivilgesellschaft gab es be- reits elementare Veränderungen, obwohl dies am Anfang (Beifall bei der SPD) immer als ausgeschlossen galt . Strukturelle Änderungen sind also möglich, wenn wir den demokratischen Diskurs Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: ernst nehmen . Als letzter Redner in dieser Aussprache hat Insofern möchte ich kurz auf den Konventbeschluss Dr . Matthias Miersch von der SPD-Fraktion das Wort . meiner Partei eingehen . Mit dem Konventbeschluss der (Beifall bei der SPD) SPD vom Montag dieser Woche hat meine Partei eine (B) Bewertung und Analyse von CETA in der heutigen Form (D) (SPD): vorgenommen . Der Beschluss erklärt klipp und klar, an Dr. Matthias Miersch welcher Stelle noch Handlungsbedarf gesehen wird, um Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol- CETA fair auszugestalten und zukunftsfähig zu machen . legen! Ich habe im August dieses Jahres ein Papier vor- Das war die Arbeit der SPD, es war die Arbeit einer Par- gelegt, in dem ich fünf Punkte aufgezählt habe, bei denen tei . Parteien sind fester Bestandteil unserer Verfassung ich den Eindruck habe, dass wir mit CETA große Proble- und unserer Demokratie . Das müssen wir ernst nehmen, me haben . meine lieben Kolleginnen und Kollegen . (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Wem haben Sie das vorgelegt?) (Beifall bei der SPD) Nichts von dem, was ich dort aufgeschrieben habe, neh- Der Konventbeschluss setzt auf eine interessenge- me ich heute zurück . rechte Einordnung des Investitionsschutzes . Er verlangt die Wahrung des Vorsorgeprinzips . Das ist auch eine (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Erwartung in der Stellungnahme der Regierungsfraktio- Aber ich weise darauf hin: All diejenigen, die dieses Pa- nen . Der Konventbeschluss setzt sich kritisch mit dem pier zitieren, müssen es vollständig zitieren . Denn ich Negativ­listenansatz auseinander, der zu keiner unkon- habe in diesem Papier auch einen Brückenschlag zwi- trollierten Liberalisierung führen darf . Weitere Punkte schen den Gegnern und den Befürwortern vorgeschla- werden auch noch genannt . gen, indem ich auf das parlamentarische Verfahren ver- Mitnichten ist der Konventbeschluss vom Montag wiesen habe . eine Zustimmung zu CETA in der heutigen Form . Warum? Weil ich glaube, lieber Klaus Ernst und liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, dass wir hier (Beifall bei der SPD) aufpassen müssen . Denn was ihr nicht erwähnt, ist die In diesem Lichte steht übrigens auch, sehr geehrter Herr augenblickliche Ausgangslage in der Europäischen Uni- Fuchs – Herr Fuchs ist nicht mehr da –, unsere gemeinsa- on . Mit Ausnahme von Österreich, Belgien und Deutsch- me Stellungnahme . Es stimmt nicht, dass heute eine Zu- land – und vielleicht noch einigen kleinen Ländern – sind stimmung erfolgen würde, und es stimmt auch nicht, dass momentan alle Staaten für das CETA-Abkommen . Was dies ohne Wenn und Aber erfolgen würde . Das ist einfach haben wir in diesem Parlament für Debatten geführt, weil keine korrekte Darstellung der heutigen Situation . Sie von den Linken und den Grünen der Bundeskanzlerin vorgeworfen haben, Europa mit ihrer Austeritätspolitik (Beifall bei der SPD) kaputtzumachen! Ich finde, diese Sensibilität sollten wir Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18793

Dr. Matthias Miersch (A) auch bei diesen Themen walten lassen, liebe Kolleginnen dahin, finde ich, sollten wir aber miteinander um den bes- (C) und Kollegen . ten Weg ringen . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . der CDU/CSU) (Anhaltender Beifall bei der SPD) Uns muss klar sein: Wenn wir in der Demokratie et- was verändern wollen, dann müssen wir werben . Das Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: geht nicht, indem man nur Ja und Nein sagt, sondern Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich man muss in den vorhandenen Diskurs eintreten . Liebe die Aussprache . Annalena Baerbock, ich empfehle dir den guten Aufsatz von Herta Däubler-Gmelin, der ehemaligen Bundesjus- Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zu- tizministerin, der vor drei Wochen in der Wochenend- nächst zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion beilage der taz erschienen ist, in dem sie geschrieben Die Linke auf Drucksache 18/9665 mit dem Titel „Ge- hat: Es ist eine Chance für die Parlamente, sich jetzt zu meinwohl vor Konzerninteressen – CETA stoppen – hier: emanzipieren, gerade eine Chance für das Europäische Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Parlament . Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes“ . Die Fraktion Die Linke hat namentliche Abstimmung beantragt . (Beifall bei der SPD) Bevor ich die Abstimmung eröffne, möchte ich noch Deswegen sage ich: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg . auf zwei Sachverhalte hinweisen: Mein Papier habe ich umsonst angefertigt . Wenn je- Zum einen möchte ich darauf hinweisen, dass mir eine mand Tipps haben will, wie das im Europäischen Parla- ganze Reihe von Erklärungen zur Abstimmung gemäß ment gehen könnte, gebe ich nächstes Mal eine Honorar- § 31 der Geschäftsordnung vorliegt . Diese Erklärungen note aus . beziehen sich zum Teil auf alle drei folgenden Abstim- mungen, zum Teil aber auch nur auf eine Abstimmung 1). Zum Konvent . Herr Ulrich, wenn Sie hier behaupten, wir hätten zugestimmt, sage ich Ihnen: Lesen Sie bitte Zum Zweiten möchte ich Sie darauf hinweisen, dass dieses Papier! Der Konvent hat eindeutige Bedingungen wir im Anschluss noch weitere einfache und zwei na- gestellt . mentliche Abstimmungen durchführen werden . Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer jetzt, (Beifall bei der SPD – Klaus Ernst [DIE LIN- ihre Plätze einzunehmen, und es wäre schön, wenn die KE]: Ja, ja! Aber ihr stimmt trotzdem zu!) (B) anderen Kollegen sich noch einen Moment gedulden (D) Er hat vor allen Dingen einen Weg aufgezeigt, von dem würden, weil wir dann ganz schnell sehen können, ob ich jetzt ausgehe . Dankenswerterweise ergibt sich auch alle Schriftführerinnen und Schriftführer schon an ihren aus der Stellungnahme, die wir heute verabschieden, dass Plätzen sind . Ansonsten wird das ein bisschen schwie- das Europäische Parlament mit der Zivilgesellschaft und rig .– Hinten links ist die Urne noch nicht besetzt, und den nationalen Parlamenten in einen Diskurs eintreten hier rechts, neben der Regierungsbank, fehlt noch die kann, um Lösungsansätze zu entwickeln und Konfliktthe- Opposition . Daran, dorthin eine Vertreterin bzw . einen men auszuräumen . Warum haben wir nicht den Mumm, Vertreter zu schicken, sollte gerade sie ein besonderes In- das zu tun? Campact ist schon viel weiter; denn dort hat teresse haben, wenn ich das einmal so sagen darf .– Nun man alle Parlamentarier angeschrieben . Insofern: Setzen sind alle Plätze besetzt . Dann eröffne ich hiermit die Ab- wir doch auf die Kraft der Parlamente, liebe Kolleginnen stimmung . und Kollegen! Vizepräsident : (Beifall bei der SPD) Ist noch ein Mitglied des Hauses hier im Plenarsaal, Weil wir dem Europäischen Parlament noch eine Stel- das seine Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht lungnahme werden übermitteln müssen, ist meine Bitte, der Fall . Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die dass wir ab Oktober dieses Jahres überlegen: Warum Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung bilden wir nicht eine interfraktionelle Arbeitsgruppe, die zu beginnen . Das Ergebnis der Abstimmung gebe ich diese Stellungnahme themenübergreifend und ausschuss- später bekannt 2). übergreifend vorbereitet? Dann können wir schon einmal Jetzt darf ich um Aufmerksamkeit bitten . Wir kommen hier im Diskurs miteinander ringen und vielleicht frakti- zum Tagesordnungspunkt 6 b . Dabei geht es zunächst um onsübergreifend eine starke Stimme in diesem parlamen- eine Abstimmung im üblichen Verfahren . Später haben tarischen Verfahren erheben . wir wieder namentliche Abstimmungen . Deshalb bitte (Beifall bei der SPD) ich darum, die Plätze wieder einzunehmen, damit wir vom Präsidium aus einen Überblick gewinnen können, Am Ende – auch das sage ich hier eindeutig – wird ein wie die einzelnen Fraktionen sich beim Abstimmen ver- Ergebnis stehen, und wir werden an ihm messen können, halten . ob unsere Erwartungen erfüllt wurden oder andere sich durchgesetzt haben . Danach hat jeder Parlamentarier – 1) egal ob im Europäischen Parlament oder im Deutschen Anlagen 2 bis 10 Bundestag – die Möglichkeit, Ja oder Nein zu sagen . Bis 2) Ergebnis Seite 18800 C 18794 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Vizepräsident Johannes Singhammer (A) Beim Tagesordnungspunkt 6 b geht es um die Be- Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag (C) schlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und der Fraktionen von CDU/CSU und SPD auf Drucksa- Energie zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem che 18/9663 . Es ist namentliche Abstimmung verlangt . Titel „Vorläufige Anwendung des CETA-Abkommens verweigern“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be- Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die schlussempfehlung auf Drucksache 18/9697, den An- schon eingenommenen Plätze beizubehalten bzw . noch trag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/8391 einmal einzunehmen . Ich bitte darum, mir einen Hinweis abzulehnen . Wer für diese Beschlussempfehlung stimmt, zu geben, ob die Plätze an den Abstimmungsurnen alle den bitte ich um ein Handzeichen .– Wer stimmt dage- besetzt sind .– Darf ich fragen, ob alle Abstimmungsur- gen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist nen besetzt sind? – Das ist der Fall . Dann eröffne ich die damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen Abstimmung über den Antrag auf Drucksache 18/9663 . die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Gibt es jemanden im Hohen Hause, der seine Stimm- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen . karte noch nicht abgegeben hat? – Ich sehe niemanden Wir kommen jetzt zu Tagesordnungspunkt 6 c . Be- mehr . Dann schließe ich die Abstimmung und bitte auch schlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für hier die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen . Das Ergebnis wird, wie üblich, Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Fraktion 1) Die Linke mit dem Titel „Abstimmung über CETA er- später bekannt gegeben . fordert Beteiligung von Bundestag und Bundesrat“ . Der Wir kommen jetzt zu einer weiteren namentlichen Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Abstimmung und dann zu einer Reihe weiterer Abstim- Drucksache 18/9703, den Antrag der Fraktion Die Linke mungen . auf Drucksache 18/9030 abzulehnen . Wer für diese Be- schlussempfehlung des Ausschusses stimmt, den bitte Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 39 a und 39 c ich um das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer auf: enthält sich? Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen a) Beratung des Antrags der Abgeordneten der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/ Katharina Dröge, Kerstin Andreae, Britta Die Grünen angenommen . Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 3 auf: zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ Rates über die Unterzeichnung – im Na- CSU und SPD men der Europäischen Union – des um- (B) fassenden Wirtschafts- und Handels- (D) zu dem Vorschlag für einen Beschluss des abkommens (CETA) zwischen Kanada Rates über die Unterzeichnung – im Na- einerseits und der Europäischen Union und men der Europäischen Union – des um- ihren Mitgliedstaaten andererseits fassenden Wirtschafts- und Handels- KOM(2016) 444 endg.; Ratsdok. 10968/16 abkommens (CETA) zwischen Kanada einerseits und der Europäischen Union und und ihren Mitgliedstaaten andererseits KOM(2016) 444 endg.; Ratsdokument zu dem Vorschlag für einen Beschluss des 10968/16 Rates über die vorläufige Anwendung des umfassenden Wirtschafts- und Han- und delsabkommens (CETA) zwischen Kana- zu dem Vorschlag für einen Beschluss des da einerseits und der Europäischen Union Rates über die vorläufige Anwendung des und ihren Mitgliedstaaten andererseits umfassenden Wirtschafts- und Handels- KOM(2016) 470 endg.; Ratsdok. 10969/16 abkommens (CETA) zwischen Kanada ei- hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes- nerseits und der Europäischen Union und regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des ihren Mitgliedstaaten andererseits Grundgesetzes KOM(2016) 470 endg.; Ratsdokument 10969/16 Comprehensive Economic and Trade Agree- ment (CETA) ablehnen hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes- regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Drucksache 18/9621 Grundgesetzes i. V. m. § 8 Absatz 4 des c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Gesetzes über die Zusammenarbeit von richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener- Bundesregierung und Deutschem Bun- gie (9 .Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord- destag in Angelegenheiten der Europäi- neten Katharina Dröge, Bärbel Höhn, Renate schen Union Künast, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Comprehensive Economic and Trade Agree- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ment (CETA) – Für freien und fairen Handel Drucksache 18/9663 1) Ergebnis Seite 18803 A Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18795

Vizepräsident Johannes Singhammer (A) Dem CETA-Abkommen so nicht zustimmen Korruption und dem Zusatzprotokoll (C) vom 15. Mai 2003 zum Strafrechtsüber- Drucksachen 18/6201, 18/9701 einkommen des Europarats über Kor- Wir kommen jetzt zu den Abstimmungen . Ich darf um ruption Ihre Aufmerksamkeit bitten . Wie alle wissen, sind das sehr wichtige Abstimmungen . Drucksache 18/9234 Überweisungsvorschlag: Tagesordnungspunkt 39 a . Abstimmung über den An- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa- Innenausschuss che 18/9621 mit dem eben genannten Titel . Wir stimmen über diesen Antrag auf Verlangen der Fraktion Bünd- c) Erste Beratung des von der Bundesregie- nis 90/Die Grünen namentlich ab . rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Übereinkommen des Europa- Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die rats vom 16. Mai 2005 über Geldwäsche Plätze einzunehmen, soweit sie nicht ohnehin eingenom- sowie Ermittlung, Beschlagnahme und men sind . – Alle Plätze sind besetzt . Dann eröffne ich die Einziehung von Erträgen aus Straftaten Abstimmung über den Antrag auf Drucksache 18/9621 . und über die Finanzierung des Terroris- Gibt es noch jemanden, der seine Stimme nicht abge- mus geben hat? – Ich sehe niemanden und schließe daraus, Drucksache 18/9235 dass alle ihre Stimme abgegeben haben . Ich schließe die Überweisungsvorschlag: Abstimmung und bitte, mit der Auszählung zu beginnen . Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) 1) Das Ergebnis werden wir später bekannt geben . Innenausschuss Finanzausschuss Ich bitte, Platz zu nehmen . Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Wir kommen jetzt zu Tagesordnungspunkt 39 c . Union Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus- d) Erste Beratung des von der Bundesregierung schusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Dem Umsetzung der Richtlinie 2012/18/EU zur CETA-Abkommen so nicht zustimmen“ . Der Ausschuss Beherrschung der Gefahren schwerer empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- Unfälle mit gefährlichen Stoffen, zur Än- che 18/9701, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die derung und anschließenden Aufhebung Grünen auf Drucksache 18/6201 abzulehnen . Wer für der Richtlinie 96/82/EG des Rates (B) diese Beschlussempfehlung stimmt, den bitte ich um (D) das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält Drucksache 18/9417 sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit Überweisungsvorschlag: den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stim- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und men von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die ­Reaktorsicherheit (f) Innenausschuss Linke . Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Wir kommen jetzt zu einer Reihe von Tagesordnungs- e) Erste Beratung des von der Bundesregie- punkten mit Abstimmungen . Ich rufe die Tagesordnungs- rung eingebrachten Entwurfs eines Dritten punkte 43 a bis 43 i sowie die Zusatzpunkte 4 a bis 4 e Gesetzes zur Änderung des Seefischerei- auf . Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach- gesetzes ten Verfahren ohne Debatte. Drucksache 18/9466 Wir kommen zunächst zu den unstrittigen Überwei- sungen – das sind die Tagesordnungspunkte 43 a bis 43 i Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) sowie die Zusatzpunkte 4 a bis 4 d –: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz 43 . a) Erste Beratung des von der Bundesregierung f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Kommunalinvestitionsför- Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung derungsgesetzes und zur Änderung wei- des Bundesnachrichtendienstes terer Gesetze Drucksache 18/9529 Drucksache 18/9231 Überweisungsvorschlag: Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Haushaltsausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Innenausschuss Verteidigungsausschuss b) Erste Beratung des von der Bundesregie- Haushaltsausschuss rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- g) Erste Beratung des von der Bundesregie- zes zu dem Strafrechtsübereinkommen rung eingebrachten Entwurfs eines Vierten des Europarats vom 27. Januar 1999 über Gesetzes zur Änderung des Saatgutver- kehrsgesetzes 1) Ergebnis Seite 18806 A Drucksache 18/9531 18796 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Vizepräsident Johannes Singhammer (A) Überweisungsvorschlag: Überweisungsvorschlag: (C) Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor- d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja sicherheit Keul, Renate Künast, Dr . Franziska Brantner, h) Beratung des Antrags der Abgeordneten weiterer Abgeordneter und der Fraktion Hubertus Zdebel, Eva Bulling-Schröter, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Internationale rechtliche Zusammenarbeit Fraktion DIE LINKE stärken und ausbauen Keine Steuerbefreiung für Atomkraft- Drucksache 18/9675 werke – Die Brennelementesteuer muss Überweisungsvorschlag: bleiben Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Drucksache 18/9124 Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Finanzausschuss (f) Entwicklung Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Union ­Reaktorsicherheit Haushaltsausschuss Haushaltsausschuss Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an i) Beratung des Antrags der Abgeordneten die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu Ralph Lenkert, Eva Bulling-Schröter, Caren überweisen . Sind Sie damit einverstanden? – Jedenfalls Lay, weiterer Abgeordneter und der Frakti- gibt es niemanden, der dagegen wäre . Dann ist das der on DIE LINKE Fall . Die Überweisungen sind so beschlossen . Längere Lebensdauer für technische Ge- Wir kommen jetzt zu einer Überweisung, bei der die räte Federführung strittig ist, zu Zusatzpunkt 4 e: Drucksache 18/9179 Beratung des Antrags der Abgeordneten Überweisungsvorschlag: Omid Nouripour, Dr . Franziska Brantner, Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Agnieszka Brugger, weiterer Abgeordneter ­Reaktorsicherheit (f) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie NEN (B) (D) Ausschuss Digitale Agenda Syrien – Luftbrücke einrichten, humanitä- ZP 4 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Irene re Not lindern Mihalic, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), Drucksache 18/9687 weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f) Abgabe von anschlagsfähigen Ausgangs- Auswärtiger Ausschuss (f) stoffen beschränken Federführung strittig Drucksache 18/7654 Interfraktionell wird Überweisung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa- Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) che 18/9687 mit dem Titel „Syrien – Luftbrücke einrich- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ten, humanitäre Not lindern“ an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Die Fraktionen b) Beratung des Antrags der Abgeordneten von CDU/CSU und SPD wünschen aber Federführung Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, Harald beim Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Ebner, weiterer Abgeordneter und der Frakti- Hilfe . Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Fe- on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN derführung beim Auswärtigen Ausschuss . Mehr Transparenz bei vegetarischen und Ich lasse zunächst abstimmen über den Überwei- veganen Produkten schaffen sungsvorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit Drucksache 18/9057 dem Ziel: Federführung beim Auswärtigen Ausschuss . Überweisungsvorschlag: Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft stimmt dagegen? – Enthaltungen gibt es keine .– Der Überweisungsvorschlag ist damit mit den Stimmen von c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Irene CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/ Mihalic, Dr . Konstantin von Notz, Luise Die Grünen und der Fraktion Die Linke abgelehnt . Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor- schlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD mit dem Handlungsbedarf im Waffenrecht für mehr Ziel: Federführung beim Ausschuss für Menschenrechte öffentliche Sicherheit und humanitäre Hilfe . Wer stimmt für diesen Überwei- Drucksache 18/9674 sungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18797

Vizepräsident Johannes Singhammer (A) sehe ich keine .– Dieser Überweisungsvorschlag ist da- Sammelübersicht 352 zu Petitionen (C) mit angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 18/9579 und der Fraktion Die Linke . Wer dafür stimmt, den bitte ich um das Handzei- Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 44 a bis 44 g chen .– Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Nie- sowie den Zusatzpunkt 5 auf . Es handelt sich um die Be- mand . Die Sammelübersicht 352 ist mit allen Stimmen schlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Ausspra- des Hohen Hauses angenommen . che vorgesehen ist . Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 44 d: Tagesordnungspunkt 44 a: Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- onsausschusses (2 .Ausschuss) regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Sammelübersicht 353 zu Petitionen zes zur Änderung des Gesetzes über die Er- richtung einer Otto-von-Bismarck-Stiftung Drucksache 18/9580 Drucksache 18/8497 Wer dafür stimmt, den bitte ich um das Handzeichen .– Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammel- Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- übersicht 353 ist mit den Stimmen von CDU/CSU und ses für Kultur und Medien (22 .Ausschuss) SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Ent- Drucksache 18/9692 haltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen . Der Gesetzentwurf dient der Einbeziehung der musea- Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 44 e: len und wissenschaftlichen Betreuung des Bismarck-Mu- Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- seums Schönhausen in den Geltungsbereich des Gesetzes onsausschusses (2 .Ausschuss) über die Errichtung einer Otto-von-Bismarck-Stiftung . Sammelübersicht 354 zu Petitionen Der Ausschuss für Kultur und Medien empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9692, Drucksache 18/9581 den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa- Wer dafür stimmt, den bitte ich um das Handzei- che 18/8497 anzunehmen . Ich bitte jetzt diejenigen, die chen .– Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Nie- diesem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Hand- mand . Die Sammelübersicht 354 ist mit allen Stimmen zeichen .– Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – des Hohen Hauses angenommen . (B) Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung ange- (D) nommen mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und dem Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 44 f: Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- Die Linke . onsausschusses (2 .Ausschuss) Wir kommen jetzt zur Sammelübersicht 355 zu Petitionen dritten Beratung Drucksache 18/9582 und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . – Wer Wer dafür stimmt, den bitte ich um das Handzeichen .– stimmt dagegen? – Enthaltungen sehe ich keine .– Der Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammel- Gesetzentwurf ist damit angenommen mit den Stimmen übersicht 355 ist mit den Stimmen der CDU/CSU und von SPD, CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grünen gegen der SPD sowie von Bündnis 90/Die Grünen gegen die die Stimmen der Fraktion Die Linke . Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen . Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Pe- Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 44 g: titionsausschusses, Tagesordnungspunkte 44 b bis 44 g . Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- Tagesordnungspunkt 44 b: onsausschusses (2 .Ausschuss) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- Sammelübersicht 356 zu Petitionen onsausschusses (2 .Ausschuss) Drucksache 18/9583 Sammelübersicht 351 zu Petitionen Wer dafür stimmt, den bitte ich um das Handzeichen .– Drucksache 18/9578 Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Niemand . Die Sammelübersicht 356 ist mit den Stimmen der CDU/ Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- CSU und der SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die hält sich? – Die Sammelübersicht 351 ist damit mit den Linke sowie von Bündnis 90/Die Grünen angenommen . Stimmen des gesamten Hauses angenommen . Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf: Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 44 c: Beratung der Beschlussempfehlung und des Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- Berichts des Ausschusses für Recht und Ver- onsausschusses (2 .Ausschuss) braucherschutz (6 . Ausschuss) 18798 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Vizepräsident Johannes Singhammer (A) zu dem Streitverfahren 2 BvE 2/16 vor Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So- (C) dem Bundesverfassungsgericht ziales: Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Drucksache 18/9691 Mit dem Bundesteilhabegesetz wollen wir nicht mehr Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz und nicht weniger als einen Quantensprung schaffen . empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung, eine Stellung- Wir gehen den Schritt von der Fürsorge zur Teilhabe und nahme abzugeben und den Präsidenten zu bitten, einen auch ein Stück von der Politik für Menschen mit Behin- Prozessbevollmächtigten zu bestellen . Wer für diese Be- derungen zur Politik mit Menschen mit Behinderungen . schlussempfehlung stimmt, den bitte ich um das Hand- (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zeichen .– Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – NEN]: Das glauben Sie jetzt selbst nicht!) Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/ CSU und der SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Ein deutliches Anzeichen dafür ist die öffentliche De- Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen ange- batte, die in den letzten Wochen und Monaten rund um nommen . den Entwurf der Bundesregierung geführt worden ist . Ich sehe darin den Beleg für das gewachsene Selbstbewusst- Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b auf: sein, für politisches Engagement und für den Willen, für a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- die eigenen Interessen vernehmlich und nachdrücklich gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stär- einzutreten . Ich nehme darin aber auch Unsicherheit kung der Teilhabe und Selbstbestimmung von wahr: die Sorge betroffener Menschen und ihrer Fami- Menschen mit Behinderungen (Bundesteilha- lien, sie könnten durch das Gesetz etwas verlieren, was begesetz – BTHG) sie sich vielleicht über Jahre von Behörden oder Trägern hart erkämpft und mit viel Einsatz durchgesetzt haben, Drucksache 18/9522 das ihnen im Alltag unverzichtbar ist . Dazu möchte ich allen, die uns heute zusehen oder zuhören und sich Sor- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) gen machen, deutlich sagen: Niemandem soll es mit dem Innenausschuss Bundesteilhabegesetz schlechter gehen . Im Gegenteil: Sportausschuss Den meisten wird es – dessen bin ich mir sicher – besser Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz gehen . Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit (Beifall bei der SPD – Corinna Rüffer [BÜND- Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich schon Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen­ in anderem Zusammenhang gehört!) (B) abschätzung (D) Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO Das ist nicht nur unser Ziel, sondern dafür werden auch 700 Millionen Euro an zusätzlichen Haushaltsmitteln zur b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Corinna Verfügung gestellt . Rüffer, Kerstin Andreae, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Wenn sie fragen, wo es einfacher wird, dann können DIE GRÜNEN wir den betroffenen Menschen klar die Punkte nennen, wo sich ihr Leben im Alltag verbessert und wo es einfa- Mit dem Bundesteilhabegesetz volle Teilhabe cher wird: ermöglichen Erstens . Wer weiß, durch welchen Dschungel an un- Drucksache 18/9672 terschiedlichen Zuständigkeiten man sich bisher schla- gen und hangeln musste, Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) (Katrin Werner [DIE LINKE]: Es wird noch Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend schlimmer!) Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen­ um zu seinem Recht zu kommen, der weiß auch, welch abschätzung großer Schritt es ist und welch große Erleichterung es Haushaltsausschuss für viele Menschen bedeutet, wenn künftig ein Antrag (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Corinna reicht . Auch wenn Rentenversicherung, Arbeitslosenver- Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sicherung, Sozialamt, Unfall-, Kranken- und Pflegekasse SPD klatscht für den Antrag der Grünen) weiter für unterschiedliche Leistungen zuständig sind: Es braucht nur noch einen Antrag . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen .– Widerspruch Bei Leistungen der Teilhabe stehen künftig die Men- sehe ich keinen . Dann ist das so beschlossen . schen im Mittelpunkt . Es wird darum gehen, welche Unterstützung sie brauchen und wollen . Wie es dann die Ich eröffne die Aussprache und erteile zu Beginn die- Träger hintereinander oder untereinander organisieren, ser Aussprache der Bundesministerin Andrea Nahles das darum müssen sich die betroffenen Menschen nicht mehr Wort . kümmern . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ich möchte einen zweiten Punkt ansprechen, der vie- der CDU/CSU) len, die auf Eingliederungshilfe angewiesen sind, auf den Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18799

Bundesministerin Andrea Nahles (A) Nägeln brennt, der bis tief in das alltägliche Leben und möglich wird, war keine Selbstverständlichkeit . Die For- (C) bis tief in die Beziehungen hineinreicht, in denen sie le- mulierungen im Koalitionsvertrag sind an anderer Stelle ben . Die Einkommen und Vermögen von Ehe- und Le- präziser und klarer gewesen – und die zusätzlichen Mit- benspartnern werden künftig nicht mehr herangezogen . tel, die 700 Millionen Euro, lagen auch nicht irgendwo Diese lebensfremde Regelung, die nicht nur bei der Auf- herum . Auch dafür mussten wir intensiv kämpfen, und nahme einer Arbeit hemmt, sondern von vielen schlicht wir mussten gleichzeitig die Entlastungen der Kommu- auch als Heiratshindernis empfunden wird, schaffen wir nen um 5 Milliarden Euro unangetastet lassen . ab . Insofern bin ich sehr froh, dass wir das schaffen kön- (Beifall bei der SPD – Corinna Rüffer nen; denn es ist wichtig, dass das ein Bundesgesetz ist . [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist den Es ist genau wie bei allen anderen Gesetzen: Es ist ein Menschen geschuldet, die Protest machen!) wichtiger Basispunkt, von dem aus sich das Ganze in den nächsten Jahrzehnten hoffentlich weiterentwickelt und es Auch für eigenes Einkommen und Vermögen werden weiter vorangehen kann, die Freiräume um ein Vielfaches größer . In Zukunft wird zudem ein Blick in den Einkommensteuer- oder Renten- (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: bescheid ausreichen, um zu ermitteln, ob und in welcher Quantensprung oder Basis? Was denn?) Höhe ein Eigenbetrag vonnöten ist . Sie müssen nicht mehr und nicht weniger darlegen als jeder andere Steu- so wie es bei allen Sozialgesetzen war, die in dieser Repu- erzahler . blik und seit über 120 Jahren in Deutschland auf den Weg gebracht worden sind . Wir können es wirklich schaffen, Die dritte wichtige Verbesserung besteht in neuen weniger zu behindern und mehr möglich zu machen . Chancen auf Arbeit, vor allem auch auf Arbeit im allge- meinen Arbeitsmarkt . Wir wollen mit den Budgets für (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Arbeit Arbeitgeber dafür gewinnen, sich für Menschen NEN]: Schön wär’s!) mit Behinderung zu entscheiden, ihnen eine Chance zu geben . Außerdem bauen wir weitere Schranken zwischen Das ist der Kern dieses Gesetzes . Es ist ein bundesein- Werkstätten für behinderte Menschen und dem allgemei- heitliches Gesetz . Ich freue mich, dass es viele neue nen Arbeitsmarkt ab . Damit wird es den Menschen, die Chancen geben wird . es wollen und können, möglich gemacht, den Schritt aus der Werkstatt zu wagen . Wichtig ist aber, dass das auch Wenn nun viele Fragen und auch Sorgen im Raum mit dem Recht verbunden ist, wieder in die Werkstatt zu- stehen – das ist ja wahr –, dann gibt es natürlich zwei (B) rückkehren zu können, wenn er nicht gelingt . Möglichkeiten, mit Unsicherheit umzugehen: Die eine (D) ist, man macht aus Unsicherheit Angst und schürt die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Sorgen . Die andere Möglichkeit ist, man macht der CDU/CSU) Wir wollen, um das klar zu sagen, Brücken bauen . (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Auch wollen wir an dieser Stelle die Werkstätten nicht NEN]: Ein gutes Gesetz!) grundsätzlich in Frage stellen . Für viele Menschen ist das der richtige Ort . Für sie ist die Arbeit dort wichtig aus Unsicherheit Sicherheit und schafft Zuversicht . Da- und bedeutet Teilhabe . Deswegen haben wir gerade im für möchte ich bei allen, die sich an dieser Debatte betei- Bereich der Werkstätten für behinderte Menschen dafür ligen, heute ausdrücklich werben . gesorgt, dass hier die Mitbestimmung deutlich verbes- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sert und aufgewertet wird . Die Werkstatträte bekommen der CDU/CSU) neue Rechte . Sie können künftig in besonders wichtigen Angelegenheiten – etwa wenn es um die Grundsätze der Es ist ganz besonders in diesem Bereich sehr leicht, Men- Entlohnung geht – mitbestimmen . Und wir werden in schen, die existenziell betroffen sind, mit fehlerhaften Werkstätten die Position einer Frauenbeauftragten schaf- oder unvollständigen Informationen sehr viel Angst zu fen, um Diskriminierung besser entgegentreten zu kön- machen und sie zu verunsichern . nen . Leider ist das notwendig . (Beifall bei der SPD sowie des Abg . Karl (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Schiewerling [CDU/CSU]) NEN]: Da haben Fachleute Angst, Frau Nahles!) Außerdem wird es – das ist ein weiterer wichtiger Punkt – ein vom Bund finanziertes Netzwerk unabhän- Ich jedenfalls sehe, dass die Menschen mit Behin- giger Beratung geben . Das haben sich sehr viele ge- derungen hier eine Tür öffnen können, hinter der vie- wünscht . Wir lösen es ein . Menschen mit Behinderungen les anders wird . Es gibt aber vor allem viele Chancen, und ihre Angehörigen werden dort insbesondere durch vieles wird möglich, was bisher nicht möglich war . Den Menschen mit Behinderung beraten, also von Experten Blick darauf sollten wir uns nicht selbst verstellen . Das in eigener Sache . parlamentarische Verfahren wird sicher intensiv genutzt werden – das ist auch gut so –, und es wird zu intensi- Viele Menschen mit Behinderungen und ihre Famili- ven Diskussionen und vielleicht auch zu weiteren Ver- en werden im Alltag wirklich spürbar entlastet . Dass das besserungen kommen . Das werde ich gerne aktiv beglei- 18800 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Bundesministerin Andrea Nahles (A) ten . Ich bin überzeugt: Wir können wieder einen großen Vizepräsident Johannes Singhammer: (C) Schritt vorankommen . Bevor wir in der Aussprache fortfahren, möchte ich Vor 15 Jahren haben wir mit dem SGB IX den ersten die von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermit- Schritt getan . Nun passieren wir mit dem Bundesteil- telten Ergebnisse der drei namentlichen Abstimmun- habegesetz wieder eine wichtige Wegmarke . Mit einem gen bekannt geben . modernen Teilhaberecht leisten wir einen wesentlichen Zunächst kommen wir zum Ergebnis der ersten na- Beitrag zu einer inklusiven Gesellschaft . mentlichen Abstimmung, Drucksache 18/9665: abgege- Vielen Dank . bene Stimmen 590 . Mit Ja haben gestimmt 60, mit Nein haben gestimmt 516, Enthaltungen 14 . Der Antrag ist (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) damit abgelehnt .

Endgültiges Ergebnis Cornelia Möhring Klaus-Dieter Gröhler Abgegebene Stimmen: 590; Michael Grosse-Brömer davon Norbert Müller (Potsdam) Astrid Grotelüschen Dr . Alexander S . Neu Markus Grübel ja: 60 Norbert Brackmann nein: 516 Klaus Brähmig enthalten: 14 Harald Petzold (Havelland) Michael Brand Monika Grütters Richard Pitterle Dr . Dr . Ja Fritz Güntzler DIE LINKE Dr . Dr . Ralf Brauksiepe Olav Gutting Dr . Dr . Dr . Florian Hahn Herbert Behrens Azize Tank Dr . Karin Binder Frank Tempel Cajus Caesar Jürgen Hardt Matthias W . Birkwald Dr . Axel Troost Alexander Ulrich Alexandra Dinges-Dierig Eva Bulling-Schröter Kathrin Vogler (B) Roland Claus Dr . Sahra Wagenknecht Thomas Dörflinger Dr . Stefan Heck (D) Sevim Dağdelen Halina Wawzyniak Marie-Luise Dött Dr . Dr . Harald Weinberg Hansjörg Durz Klaus Ernst Katrin Werner Jutta Eckenbach (Chemnitz) Wolfgang Gehrcke Birgit Wöllert Dr . Bernd Fabritius Mark Helfrich Nicole Gohlke Jörn Wunderlich Hermann Färber Uda Heller Hubertus Zdebel Uwe Feiler Jörg Hellmuth Dr . Pia Zimmermann Dr . Thomas Feist Dr . André Hahn Sabine Zimmermann Michael Hennrich Heike Hänsel (Zwickau) Ingrid Fischbach Ansgar Heveling Dr . Dirk Fischer (Hamburg) Dr . Inge Höger Nein Dr . Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Robert Hochbaum CDU/CSU Sigrid Hupach Alexander Hoffmann Ulla Jelpke Dr . Astrid Freudenstein Dr . Hans-Peter Friedrich (Dortmund) (Hof) Karl Holmeier Jan Korte Thomas Bareiß Michael Frieser Franz-Josef Holzenkamp Jutta Krellmann Hans-Joachim Fuchtel Dr . Katrin Kunert Günter Baumann Alexander Funk Margaret Horb Caren Lay Ingo Gädechens Bettina Hornhues Sabine Leidig (Börde) Dr . Thomas Gebhart Charles M . Huber Ralph Lenkert Anette Hübinger Hubert Hüppe Stefan Liebich Dr . André Berghegger Dr . Gesine Lötzsch Dr . Christoph Bergner Josef Göppel Thomas Lutze Ursula Groden-Kranich Sylvia Jörrißen Birgit Menz Hermann Gröhe Dr . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18801

(A) Andreas Jung Dr . Michael Meister Bernhard Schulte-Drüggelte Karl-Georg Wellmann (C) Dr . Klaus-Peter Schulze Dr . Egon Jüttner Uwe Schummer Waldemar Westermayer Bartholomäus Kalb Dr . h .c . Hans Michelbach Armin Schuster (Weil am Hans-Werner Kammer Dr . Mathias Middelberg Rhein) Peter Wichtel Steffen Kanitz Christina Schwarzer Heinz Wiese (Ehingen) Karsten Möring Detlef Seif Elisabeth Winkelmeier- Anja Karliczek Becker Bernhard Kaster Volker Mosblech Volker Kauder Dr . Patrick Sensburg Dagmar G . Wöhrl Dr . Stefan Kaufmann Dr . Gerd Müller Bernd Siebert Barbara Woltmann Roderich Kiesewetter Carsten Müller (Braun- Tobias Zech Dr . schweig) Johannes Singhammer Heinrich Zertik Stefan Müller (Erlangen) Emmi Zeulner Jürgen Klimke Dr . Jens Spahn Dr . Dr . Carola Stauche Gudrun Zollner Dr . Markus Koob Helmut Nowak Dr. SPD Carsten Körber Dr . Georg Nüßlein Albert Stegemann Niels Annen Hartmut Koschyk Ingrid Arndt-Brauer Florian Oßner Erika Steinbach Dr . Tim Ostermann Sebastian Steineke Heike Baehrens Gunther Krichbaum Ulrike Bahr Christian Frhr . von Stetten Dr . Günter Krings Heinz-Joachim Barchmann Rüdiger Kruse Dr . Rita Stockhofe Dr . Roy Kühne Dr . Martin Pätzold Klaus Barthel Uwe Lagosky Ulrich Petzold Stephan Stracke Dr . Dr . Karl A . Lamers Dr . Joachim Pfeiffer Max Straubinger (B) Sören Bartol (D) Andreas G . Lämmel Sibylle Pfeiffer Matthäus Strebl Bärbel Bas Dr . Norbert Lammert Thomas Stritzl Lena Strothmann Lothar Binding (Heidelberg) Ulrich Lange Michael Stübgen Burkhard Blienert Barbara Lanzinger Dr . Sabine Sütterlin-Waack Willi Brase Alois Rainer Dr . Dr . Karl-Heinz Brunner Dr . Edelgard Bulmahn Dr . Astrid Timmermann-Fechter Martin Burkert Dr . Hans-Peter Uhl Dr . Dr . Heinz Riesenhuber Dr . Volker Ullrich Jürgen Coße Matthias Lietz Johannes Röring Petra Crone Kathrin Rösel Dr . Dr . Norbert Röttgen Thomas Viesehon Bernhard Daldrup Erwin Rüddel Michael Vietz Dr . Daniela De Ridder Wilfried Lorenz Sven Volmering Dr . Karamba Diaby Dr . Claudia Lücking-Michel Anita Schäfer (Saalstadt) Christel Voßbeck-Kayser Sabine Dittmar Dr . Jan-Marco Luczak Martin Dörmann Karl Schiewerling Dr . Johann Wadephul Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Norbert Schindler Karl-Heinz Wange Michaela Engelmeier Thomas Mahlberg Dr . h .c . Gernot Erler Dr . Thomas de Maizière Gabriele Schmidt (Ühlingen) Petra Ernstberger Ronja Schmitt Dr . h .c . Saskia Esken Patrick Schnieder (Hamburg) Karin Evers-Meyer Hans-Georg von der Marwitz Nadine Schön (St . Wendel) Dr . Anja Weisgerber Dr . Dr . Ole Schröder Peter Weiß (Emmendingen) Dr . Stephan Mayer (Altötting) Dr . Kristina Schröder Sabine Weiss (Wesel I) Elke Ferner Reiner Meier (Wiesbaden) Dr . Ute Finckh-Krämer 18802 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) Christian Flisek Kirsten Lühmann Andreas Schwarz Renate Künast (C) Dr . Birgit Malecha-Nissen Rita Schwarzelühr-Sutter Markus Kurth Dr . Katja Mast Norbert Spinrath Dr . Matthias Miersch Svenja Stadler Dr . Michael Gerdes Martina Stamm-Fibich Nicole Maisch Bettina Müller Sonja Steffen Peter Meiwald Angelika Glöckner Detlef Müller (Chemnitz) Christoph Strässer Irene Mihalic Michelle Müntefering Kerstin Tack Beate Müller-Gemmeke Kerstin Griese Andrea Nahles Claudia Tausend Dr . Konstantin von Notz Gabriele Groneberg Michael Thews Omid Nouripour Michael Groß Thomas Oppermann Dr . Karin Thissen Friedrich Ostendorff Uli Grötsch Mahmut Özdemir (Duisburg) Franz Thönnes Cem Özdemir Wolfgang Gunkel Markus Paschke Carsten Träger Lisa Paus Rüdiger Veit Brigitte Pothmer Rita Hagl-Kehl Jeannine Pflugradt Tabea Rößner Dirk Vöpel (Augsburg) Ulrich Hampel Joachim Poß Corinna Rüffer Sebastian Hartmann Florian Post Michael Hartmann Achim Post (Minden) Andrea Wicklein (Wackernheim) Elisabeth Scharfenberg Dr . Wilhelm Priesmeier Dirk Wiese Hubertus Heil (Peine) Florian Pronold Waltraud Wolff (Wol- Dr . Gerhard Schick Gabriela Heinrich Dr . Simone Raatz mirstedt) Dr . Marcus Held Gülistan Yüksel Kordula Schulz-Asche Dr . Barbara Hendricks Mechthild Rawert Heidtrud Henn Dr . Wolfgang Strengmann- Stefan Rebmann Gustav Herzog Kuhn Dr . Carola Reimann Dr . Jens Zimmermann Gabriele Hiller-Ohm Dr . Harald Terpe Manfred Zöllmer Markus Tressel (B) Sönke Rix (D) Dr . Eva Högl Petra Rode-Bosse Jürgen Trittin Matthias Ilgen Dr . Julia Verlinden BÜNDNIS 90/ Christina Jantz-Herrmann Dr . DIE GRÜNEN Doris Wagner Frank Junge René Röspel Beate Walter-Rosenheimer Luise Amtsberg Dr . Dr . Valerie Wilms Kerstin Andreae Michael Roth (Heringen) Annalena Baerbock Susann Rüthrich Enthalten Volker Beck (Köln) Johannes Kahrs Dr . Franziska Brantner SPD Agnieszka Brugger Annette Sawade Marco Bülow Ekin Deligöz Dr . Hans-Joachim Dirk Heidenblut Katja Dörner Marina Kermer Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Katharina Dröge Klaus Mindrup Dr . Nina Scheer Dr . Thomas Gambke Ulli Nissen Marianne Schieder Matthias Gastel Detlev Pilger Daniela Kolbe Udo Schiefner Kai Gehring Dr . Sascha Raabe Birgit Kömpel Dr . Dorothee Schlegel Katrin Göring-Eckardt Gerold Reichenbach Anette Kramme (Aachen) Anja Hajduk Dr . Hans-Ulrich Krüger Matthias Schmidt (Berlin) Britta Haßelmann BÜNDNIS 90/ Helga Kühn-Mengel Dagmar Schmidt (Wetzlar) Dr . Anton Hofreiter DIE GRÜNEN Christine Lambrecht (Erfurt) Christian Lange (Backnang) Elfi Scho-Antwerpes Katja Keul Harald Ebner Dr . Ursula Schulte Sven-Christian Kindler Bärbel Höhn Steffen-Claudio Lemme (Spandau) Tom Koenigs Uwe Kekeritz Oliver Krischer Maria Klein-Schmeink Gabriele Lösekrug-Möller Frank Schwabe Stephan Kühn (Dresden) Sylvia Kotting-Uhl Hiltrud Lotze Christian Kühn (Tübingen) Hans-Christian Ströbele Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18803

Vizepräsident Johannes Singhammer (A) Wir kommen jetzt zum Ergebnis der zweiten nament- ben gestimmt 126, Enthaltungen 13 . Der Antrag ist damit (C) lichen Abstimmung, Drucksache 18/9663: abgegebene angenommen 1). Stimmen 588 . Mit Ja haben gestimmt 449, mit Nein ha- 1) 1 Anlage 1

Endgültiges Ergebnis Enak Ferlemann Alexander Hoffmann Paul Lehrieder Abgegebene Stimmen: 589; Ingrid Fischbach Thorsten Hoffmann Dr . Katja Leikert (Dortmund) davon Dirk Fischer (Hamburg) Dr . Andreas Lenz ja: 450 Dr . Maria Flachsbarth Karl Holmeier Antje Lezius nein: 126 Klaus-Peter Flosbach Franz-Josef Holzenkamp Ingbert Liebing enthalten: 13 Thorsten Frei Dr . Hendrik Hoppenstedt Matthias Lietz Dr . Astrid Freudenstein Margaret Horb Andrea Lindholz Ja Dr . Hans-Peter Friedrich Bettina Hornhues Dr . Carsten Linnemann (Hof) Charles M . Huber Patricia Lips CDU/CSU Michael Frieser Anette Hübinger Wilfried Lorenz Stephan Albani Hans-Joachim Fuchtel Hubert Hüppe Dr . Claudia Lücking-Michel Katrin Albsteiger Alexander Funk Erich Irlstorfer Dr . Jan-Marco Luczak Artur Auernhammer Ingo Gädechens Thomas Jarzombek Daniela Ludwig Thomas Bareiß Dr . Thomas Gebhart Sylvia Jörrißen Karin Maag Norbert Barthle Alois Gerig Dr . Franz Josef Jung Yvonne Magwas Günter Baumann Eberhard Gienger Andreas Jung Thomas Mahlberg Maik Beermann Cemile Giousouf Xaver Jung Dr . Thomas de Maizière Manfred Behrens (Börde) Ursula Groden-Kranich Dr . Egon Jüttner Gisela Manderla Veronika Bellmann Hermann Gröhe Bartholomäus Kalb Matern von Marschall Sybille Benning Klaus-Dieter Gröhler Hans-Werner Kammer Hans-Georg von der Marwitz Dr . André Berghegger Michael Grosse-Brömer Steffen Kanitz Andreas Mattfeldt Dr . Christoph Bergner Astrid Grotelüschen Alois Karl Stephan Mayer (Altötting) (B) Ute Bertram Markus Grübel Anja Karliczek Reiner Meier (D) Peter Beyer Manfred Grund Bernhard Kaster Dr . Michael Meister Steffen Bilger Oliver Grundmann Volker Kauder Jan Metzler Clemens Binninger Monika Grütters Dr . Stefan Kaufmann Maria Michalk Peter Bleser Dr . Herlind Gundelach Roderich Kiesewetter Dr . h .c . Hans Michelbach Wolfgang Bosbach Fritz Güntzler Dr . Georg Kippels Dr . Mathias Middelberg Norbert Brackmann Olav Gutting Volkmar Klein Dietrich Monstadt Klaus Brähmig Christian Haase Jürgen Klimke Karsten Möring Michael Brand Florian Hahn Axel Knoerig Marlene Mortler Dr . Reinhard Brandl Dr . Stephan Harbarth Jens Koeppen Volker Mosblech Helmut Brandt Jürgen Hardt Markus Koob Elisabeth Motschmann Dr . Ralf Brauksiepe Gerda Hasselfeldt Carsten Körber Dr . Gerd Müller Dr . Helge Braun Matthias Hauer Hartmut Koschyk Carsten Müller Heike Brehmer Mark Hauptmann Kordula Kovac (Braunschweig) Ralph Brinkhaus Dr . Stefan Heck Michael Kretschmer Stefan Müller (Erlangen) Cajus Caesar Dr . Matthias Heider Gunther Krichbaum Dr . Philipp Murmann Gitta Connemann Mechthild Heil Dr . Günter Krings Dr . Andreas Nick Alexandra Dinges-Dierig Frank Heinrich (Chemnitz) Rüdiger Kruse Michaela Noll Michael Donth Mark Helfrich Bettina Kudla Helmut Nowak Thomas Dörflinger Uda Heller Dr . Roy Kühne Dr . Georg Nüßlein Marie-Luise Dött Jörg Hellmuth Uwe Lagosky Wilfried Oellers Hansjörg Durz Rudolf Henke Dr . Karl A . Lamers Florian Oßner Jutta Eckenbach Michael Hennrich Andreas G . Lämmel Dr . Tim Ostermann Dr . Bernd Fabritius Ansgar Heveling Dr . Norbert Lammert Henning Otte Hermann Färber Dr . Heribert Hirte Katharina Landgraf Ingrid Pahlmann Uwe Feiler Christian Hirte Ulrich Lange Sylvia Pantel Dr . Thomas Feist Robert Hochbaum Barbara Lanzinger Martin Patzelt 18804 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) Dr . Martin Pätzold Dieter Stier Heike Baehrens Marcus Held (C) Ulrich Petzold Rita Stockhofe Heinz-Joachim Barchmann Dr . Barbara Hendricks Dr . Joachim Pfeiffer Gero Storjohann Dr . Katarina Barley Heidtrud Henn Sibylle Pfeiffer Stephan Stracke Doris Barnett Gustav Herzog Eckhard Pols Max Straubinger Klaus Barthel Gabriele Hiller-Ohm Thomas Rachel Matthäus Strebl Dr . Matthias Bartke Thomas Hitschler Kerstin Radomski Thomas Stritzl Sören Bartol Dr . Eva Högl Alexander Radwan Lena Strothmann Bärbel Bas Matthias Ilgen Alois Rainer Michael Stübgen Uwe Beckmeyer Christina Jantz-Herrmann Eckhardt Rehberg Dr . Sabine Sütterlin-Waack Lothar Binding (Heidelberg) Frank Junge Lothar Riebsamen Dr . Peter Tauber Burkhard Blienert Josip Juratovic Josef Rief Antje Tillmann Willi Brase Thomas Jurk Dr . Heinz Riesenhuber Astrid Timmermann-Fechter Dr . Karl-Heinz Brunner Oliver Kaczmarek Johannes Röring Dr . Hans-Peter Uhl Edelgard Bulmahn Johannes Kahrs Kathrin Rösel Dr . Volker Ullrich Martin Burkert Ralf Kapschack Dr . Norbert Röttgen Arnold Vaatz Dr . Lars Castellucci Gabriele Katzmarek Erwin Rüddel Oswin Veith Jürgen Coße Ulrich Kelber Albert Rupprecht Thomas Viesehon Petra Crone Marina Kermer Anita Schäfer (Saalstadt) Michael Vietz Bernhard Daldrup Arno Klare Andreas Scheuer Sven Volmering Dr . Daniela De Ridder Lars Klingbeil Karl Schiewerling Christel Voßbeck-Kayser Dr . Karamba Diaby Daniela Kolbe Jana Schimke Kees de Vries Sabine Dittmar Birgit Kömpel Norbert Schindler Dr . Johann Wadephul Martin Dörmann Anette Kramme Tankred Schipanski Marco Wanderwitz Elvira Drobinski-Weiß Dr . Hans-Ulrich Krüger Gabriele Schmidt (Ühlingen) Karl-Heinz Wange Siegmund Ehrmann Helga Kühn-Mengel Ronja Schmitt Nina Warken Michaela Engelmeier Christine Lambrecht Patrick Schnieder Kai Wegner Dr . h .c . Gernot Erler Christian Lange (Backnang) Nadine Schön (St . Wendel) (B) Dr . h .c . Albert Weiler Petra Ernstberger Dr . Karl Lauterbach (D) Dr . Ole Schröder Marcus Weinberg (Hamburg) Karin Evers-Meyer Steffen-Claudio Lemme Dr . Kristina Schröder Dr . Anja Weisgerber Dr . Johannes Fechner Burkhard Lischka (Wiesbaden) Peter Weiß (Emmendingen) Dr . Fritz Felgentreu Gabriele Lösekrug-Möller Bernhard Schulte-Drüggelte Sabine Weiss (Wesel I) Hiltrud Lotze Dr . Klaus-Peter Schulze Elke Ferner Ingo Wellenreuther Kirsten Lühmann Uwe Schummer Christian Flisek Karl-Georg Wellmann Dr . Birgit Malecha-Nissen Armin Schuster (Weil am Gabriele Fograscher Rhein) Marian Wendt Dr . Edgar Franke Caren Marks Christina Schwarzer Waldemar Westermayer Ulrich Freese Katja Mast Detlef Seif Kai Whittaker Dagmar Freitag Dr . Matthias Miersch Johannes Selle Peter Wichtel Michael Gerdes Susanne Mittag Reinhold Sendker Heinz Wiese (Ehingen) Martin Gerster Detlef Müller (Chemnitz) Dr . Patrick Sensburg Elisabeth Winkelmeier- Angelika Glöckner Michelle Müntefering Becker Bernd Siebert Ulrike Gottschalck Andrea Nahles Oliver Wittke Thomas Silberhorn Kerstin Griese Dietmar Nietan Dagmar G . Wöhrl Johannes Singhammer Gabriele Groneberg Thomas Oppermann Barbara Woltmann Tino Sorge Michael Groß Mahmut Özdemir (Duisburg) Tobias Zech Jens Spahn Uli Grötsch Markus Paschke Heinrich Zertik Carola Stauche Wolfgang Gunkel Jeannine Pflugradt Emmi Zeulner Dr . Frank Steffel Bettina Hagedorn Sabine Poschmann Dr . Matthias Zimmer Dr. Wolfgang Stefinger Metin Hakverdi Joachim Poß Gudrun Zollner Albert Stegemann Ulrich Hampel Florian Post Peter Stein Sebastian Hartmann Achim Post (Minden) SPD Erika Steinbach Michael Hartmann Dr . Wilhelm Priesmeier Sebastian Steineke Niels Annen (Wackernheim) Florian Pronold Johannes Steiniger Ingrid Arndt-Brauer Hubertus Heil (Peine) Dr . Simone Raatz Christian Frhr . von Stetten Rainer Arnold Gabriela Heinrich Martin Rabanus Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18805

(A) Stefan Rebmann Manfred Zöllmer Norbert Müller (Potsdam) Christian Kühn (Tübingen) (C) Dr . Carola Reimann Brigitte Zypries Dr . Alexander S . Neu Renate Künast Andreas Rimkus Thomas Nord Markus Kurth Sönke Rix BÜNDNIS 90/ Petra Pau Monika Lazar Petra Rode-Bosse DIE GRÜNEN Harald Petzold (Havelland) Steffi Lemke Dennis Rohde Dr . Thomas Gambke Richard Pitterle Dr . Tobias Lindner Dr . Martin Rosemann Martina Renner Nicole Maisch René Röspel Nein Dr . Petra Sitte Peter Meiwald Dr . Ernst Dieter Rossmann Kersten Steinke Irene Mihalic Michael Roth (Heringen) SPD Dr . Kirsten Tackmann Beate Müller-Gemmeke Susann Rüthrich Marco Bülow Azize Tank Dr . Konstantin von Notz Sarah Ryglewski Dr . Ute Finckh-Krämer Frank Tempel Omid Nouripour Johann Saathoff Rita Hagl-Kehl Dr . Axel Troost Friedrich Ostendorff Annette Sawade Cansel Kiziltepe Alexander Ulrich Cem Özdemir Dr . Hans-Joachim Hilde Mattheis Kathrin Vogler Lisa Paus Schabedoth Christian Petry Dr . Sahra Wagenknecht Brigitte Pothmer Axel Schäfer (Bochum) Halina Wawzyniak Tabea Rößner Dr . Nina Scheer DIE LINKE Harald Weinberg Claudia Roth (Augsburg) Marianne Schieder Katrin Werner Corinna Rüffer Udo Schiefner Dr . Dietmar Bartsch Birgit Wöllert Manuel Sarrazin Dr . Dorothee Schlegel Herbert Behrens Jörn Wunderlich Elisabeth Scharfenberg Ulla Schmidt (Aachen) Karin Binder Hubertus Zdebel Ulle Schauws Matthias Schmidt (Berlin) Matthias W . Birkwald Pia Zimmermann Dr . Gerhard Schick Dagmar Schmidt (Wetzlar) Christine Buchholz Sabine Zimmermann Dr . Frithjof Schmidt Carsten Schneider (Erfurt) Eva Bulling-Schröter (Zwickau) Kordula Schulz-Asche Elfi Scho-Antwerpes Roland Claus Sevim Dağdelen Dr . Wolfgang Strengmann- Ursula Schulte BÜNDNIS 90/ Kuhn Frank Schwabe Dr . Diether Dehm (B) DIE GRÜNEN Hans-Christian Ströbele (D) Stefan Schwartze Klaus Ernst Luise Amtsberg Dr . Harald Terpe Andreas Schwarz Wolfgang Gehrcke Kerstin Andreae Markus Tressel Rita Schwarzelühr-Sutter Nicole Gohlke Annalena Baerbock Jürgen Trittin Rainer Spiering Annette Groth Volker Beck (Köln) Dr . Julia Verlinden Norbert Spinrath Dr . Gregor Gysi Dr . Franziska Brantner Doris Wagner Svenja Stadler Dr . André Hahn Agnieszka Brugger Beate Walter-Rosenheimer Martina Stamm-Fibich Heike Hänsel Ekin Deligöz Dr . Valerie Wilms Sonja Steffen Dr . Rosemarie Hein Katja Dörner Christoph Strässer Inge Höger Katharina Dröge Enthalten Kerstin Tack Andrej Hunko Sigrid Hupach Harald Ebner Claudia Tausend CDU/CSU Michael Thews Ulla Jelpke Matthias Gastel Josef Göppel Dr . Karin Thissen Kerstin Kassner Kai Gehring Franz Thönnes Katja Kipping Katrin Göring-Eckardt SPD Carsten Träger Jan Korte Anja Hajduk Rüdiger Veit Jutta Krellmann Britta Haßelmann Ulrike Bahr Ute Vogt Katrin Kunert Dr . Anton Hofreiter Dirk Heidenblut Dirk Vöpel Caren Lay Bärbel Höhn Klaus Mindrup Gabi Weber Sabine Leidig Dieter Janecek Bettina Müller Bernd Westphal Ralph Lenkert Uwe Kekeritz Ulli Nissen Andrea Wicklein Michael Leutert Katja Keul Detlev Pilger Dirk Wiese Stefan Liebich Sven-Christian Kindler Dr . Sascha Raabe Waltraud Wolff Dr . Gesine Lötzsch Maria Klein-Schmeink Mechthild Rawert (Wolmirstedt) Thomas Lutze Tom Koenigs Gerold Reichenbach Dagmar Ziegler Birgit Menz Sylvia Kotting-Uhl Swen Schulz (Spandau) Stefan Zierke Cornelia Möhring Oliver Krischer Ewald Schurer Dr . Jens Zimmermann Niema Movassat Stephan Kühn (Dresden) Gülistan Yüksel 18806 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Vizepräsident Johannes Singhammer (A) Ergebnis der dritten und letzten namentlichen Abstim- Mit Ja haben gestimmt 120 . Mit Nein haben gestimmt (C) mung, Drucksache 18/9621: abgegebene Stimmen 587 . 459, Enthaltungen 8 . Der Antrag ist damit abgelehnt .

Endgültiges Ergebnis Petra Pau Markus Kurth Clemens Binninger Abgegebene Stimmen: 587; Harald Petzold (Havelland) Monika Lazar Peter Bleser davon Richard Pitterle Steffi Lemke Wolfgang Bosbach ja: 120 Martina Renner Dr . Tobias Lindner Norbert Brackmann nein: 459 Dr . Petra Sitte Nicole Maisch Klaus Brähmig enthalten: 8 Kersten Steinke Peter Meiwald Michael Brand Dr . Kirsten Tackmann Irene Mihalic Dr . Reinhard Brandl Azize Tank Beate Müller-Gemmeke Helmut Brandt Ja Frank Tempel Dr . Konstantin von Notz Dr . Ralf Brauksiepe CDU/CSU Dr . Axel Troost Omid Nouripour Dr . Helge Braun Alexander Ulrich Friedrich Ostendorff Heike Brehmer Josef Göppel Kathrin Vogler Cem Özdemir Ralph Brinkhaus Dr . Sahra Wagenknecht Lisa Paus Cajus Caesar DIE LINKE Halina Wawzyniak Brigitte Pothmer Gitta Connemann Dr . Dietmar Bartsch Harald Weinberg Tabea Rößner Alexandra Dinges-Dierig Herbert Behrens Katrin Werner Claudia Roth (Augsburg) Michael Donth Karin Binder Birgit Wöllert Corinna Rüffer Thomas Dörflinger Matthias W . Birkwald Jörn Wunderlich Manuel Sarrazin Marie-Luise Dött Christine Buchholz Hubertus Zdebel Elisabeth Scharfenberg Hansjörg Durz Eva Bulling-Schröter Pia Zimmermann Ulle Schauws Jutta Eckenbach Roland Claus Dr . Gerhard Schick Dr . Bernd Fabritius Sevim Dağdelen BÜNDNIS 90/ Dr . Frithjof Schmidt Hermann Färber Dr . Diether Dehm DIE GRÜNEN Kordula Schulz-Asche Uwe Feiler Klaus Ernst Luise Amtsberg Dr . Wolfgang Strengmann- Dr . Thomas Feist Wolfgang Gehrcke Kuhn (B) Kerstin Andreae Enak Ferlemann (D) Nicole Gohlke Annalena Baerbock Hans-Christian Ströbele Ingrid Fischbach Annette Groth Volker Beck (Köln) Dr . Harald Terpe Dirk Fischer (Hamburg) Dr . Gregor Gysi Dr . Franziska Brantner Markus Tressel Dr . Maria Flachsbarth Dr . André Hahn Agnieszka Brugger Jürgen Trittin Klaus-Peter Flosbach Heike Hänsel Ekin Deligöz Dr . Julia Verlinden Thorsten Frei Dr . Rosemarie Hein Katja Dörner Doris Wagner Dr . Astrid Freudenstein Inge Höger Katharina Dröge Beate Walter-Rosenheimer Dr . Hans-Peter Friedrich Andrej Hunko Harald Ebner Dr . Valerie Wilms (Hof) Sigrid Hupach Dr . Thomas Gambke Michael Frieser Ulla Jelpke Matthias Gastel Nein Hans-Joachim Fuchtel Kerstin Kassner Kai Gehring Alexander Funk CDU/CSU Katja Kipping Katrin Göring-Eckardt Ingo Gädechens Jan Korte Anja Hajduk Stephan Albani Dr . Thomas Gebhart Katrin Kunert Britta Haßelmann Katrin Albsteiger Alois Gerig Caren Lay Dr . Anton Hofreiter Artur Auernhammer Eberhard Gienger Sabine Leidig Bärbel Höhn Thomas Bareiß Cemile Giousouf Ralph Lenkert Dieter Janecek Norbert Barthle Ursula Groden-Kranich Michael Leutert Uwe Kekeritz Günter Baumann Hermann Gröhe Stefan Liebich Katja Keul Maik Beermann Klaus-Dieter Gröhler Dr . Gesine Lötzsch Sven-Christian Kindler Manfred Behrens (Börde) Michael Grosse-Brömer Thomas Lutze Maria Klein-Schmeink Veronika Bellmann Astrid Grotelüschen Birgit Menz Tom Koenigs Sybille Benning Markus Grübel Cornelia Möhring Sylvia Kotting-Uhl Dr . André Berghegger Manfred Grund Niema Movassat Oliver Krischer Dr . Christoph Bergner Oliver Grundmann Norbert Müller (Potsdam) Stephan Kühn (Dresden) Ute Bertram Monika Grütters Dr . Alexander S . Neu Christian Kühn (Tübingen) Peter Beyer Dr . Herlind Gundelach Thomas Nord Renate Künast Steffen Bilger Fritz Güntzler Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18807

(A) Olav Gutting Hartmut Koschyk Helmut Nowak Carola Stauche (C) Christian Haase Kordula Kovac Dr . Georg Nüßlein Dr . Frank Steffel Florian Hahn Michael Kretschmer Wilfried Oellers Dr. Wolfgang Stefinger Dr . Stephan Harbarth Gunther Krichbaum Florian Oßner Albert Stegemann Jürgen Hardt Dr . Günter Krings Dr . Tim Ostermann Peter Stein Gerda Hasselfeldt Rüdiger Kruse Henning Otte Erika Steinbach Matthias Hauer Bettina Kudla Ingrid Pahlmann Sebastian Steineke Mark Hauptmann Dr . Roy Kühne Sylvia Pantel Johannes Steiniger Dr . Stefan Heck Uwe Lagosky Martin Patzelt Christian Frhr . von Stetten Dr . Matthias Heider Dr . Karl A . Lamers Dr . Martin Pätzold Dieter Stier Mechthild Heil Andreas G . Lämmel Ulrich Petzold Rita Stockhofe Frank Heinrich (Chemnitz) Dr . Norbert Lammert Dr . Joachim Pfeiffer Gero Storjohann Mark Helfrich Katharina Landgraf Sibylle Pfeiffer Stephan Stracke Uda Heller Ulrich Lange Eckhard Pols Max Straubinger Jörg Hellmuth Barbara Lanzinger Thomas Rachel Matthäus Strebl Rudolf Henke Paul Lehrieder Kerstin Radomski Thomas Stritzl Michael Hennrich Dr . Katja Leikert Alexander Radwan Lena Strothmann Ansgar Heveling Dr . Andreas Lenz Alois Rainer Michael Stübgen Dr . Heribert Hirte Antje Lezius Eckhardt Rehberg Dr . Sabine Sütterlin-Waack Christian Hirte Ingbert Liebing Lothar Riebsamen Dr . Peter Tauber Robert Hochbaum Matthias Lietz Josef Rief Antje Tillmann Alexander Hoffmann Andrea Lindholz Dr . Heinz Riesenhuber Astrid Timmermann-Fechter Thorsten Hoffmann Dr . Carsten Linnemann Johannes Röring Dr . Hans-Peter Uhl (Dortmund) Patricia Lips Kathrin Rösel Dr . Volker Ullrich Karl Holmeier Wilfried Lorenz Dr . Norbert Röttgen Arnold Vaatz Franz-Josef Holzenkamp Dr . Claudia Lücking-Michel Erwin Rüddel Oswin Veith Dr . Hendrik Hoppenstedt Dr . Jan-Marco Luczak Albert Rupprecht Thomas Viesehon Margaret Horb Daniela Ludwig Michael Vietz (B) Anita Schäfer (Saalstadt) (D) Bettina Hornhues Karin Maag Andreas Scheuer Sven Volmering Charles M . Huber Yvonne Magwas Karl Schiewerling Christel Voßbeck-Kayser Anette Hübinger Thomas Mahlberg Jana Schimke Kees de Vries Hubert Hüppe Dr . Thomas de Maizière Norbert Schindler Dr . Johann Wadephul Erich Irlstorfer Gisela Manderla Tankred Schipanski Marco Wanderwitz Thomas Jarzombek Matern von Marschall Gabriele Schmidt (Ühlingen) Karl-Heinz Wange Sylvia Jörrißen Hans-Georg von der Marwitz Ronja Schmitt Nina Warken Dr . Franz Josef Jung Andreas Mattfeldt Patrick Schnieder Kai Wegner Andreas Jung Stephan Mayer (Altötting) Nadine Schön (St . Wendel) Dr . h .c . Albert Weiler Xaver Jung Reiner Meier Dr . Ole Schröder Marcus Weinberg (Hamburg) Dr . Egon Jüttner Dr . Michael Meister Dr . Kristina Schröder Dr . Anja Weisgerber Bartholomäus Kalb Jan Metzler (Wiesbaden) Peter Weiß (Emmendingen) Hans-Werner Kammer Maria Michalk Bernhard Schulte-Drüggelte Sabine Weiss (Wesel I) Steffen Kanitz Dr . h .c . Hans Michelbach Dr . Klaus-Peter Schulze Ingo Wellenreuther Alois Karl Dr . Mathias Middelberg Uwe Schummer Karl-Georg Wellmann Anja Karliczek Dietrich Monstadt Armin Schuster (Weil am Marian Wendt Bernhard Kaster Karsten Möring Rhein) Waldemar Westermayer Volker Kauder Marlene Mortler Christina Schwarzer Kai Whittaker Dr . Stefan Kaufmann Volker Mosblech Detlef Seif Peter Wichtel Roderich Kiesewetter Elisabeth Motschmann Johannes Selle Heinz Wiese (Ehingen) Dr . Georg Kippels Dr . Gerd Müller Reinhold Sendker Elisabeth Winkelmeier- Volkmar Klein Carsten Müller (Braun- Dr . Patrick Sensburg Becker Jürgen Klimke schweig) Bernd Siebert Oliver Wittke Axel Knoerig Stefan Müller (Erlangen) Thomas Silberhorn Dagmar G . Wöhrl Jens Koeppen Dr . Philipp Murmann Johannes Singhammer Barbara Woltmann Markus Koob Dr . Andreas Nick Tino Sorge Tobias Zech Carsten Körber Michaela Noll Jens Spahn Heinrich Zertik 18808 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) Emmi Zeulner Michael Gerdes Gabriele Lösekrug-Möller Matthias Schmidt (Berlin) (C) Dr . Matthias Zimmer Martin Gerster Hiltrud Lotze Dagmar Schmidt (Wetzlar) Gudrun Zollner Angelika Glöckner Kirsten Lühmann Carsten Schneider (Erfurt) Ulrike Gottschalck Dr . Birgit Malecha-Nissen Elfi Scho-Antwerpes SPD Kerstin Griese Caren Marks Ursula Schulte Gabriele Groneberg Katja Mast Swen Schulz (Spandau) Niels Annen Michael Groß Dr . Matthias Miersch Ewald Schurer Ingrid Arndt-Brauer Uli Grötsch Susanne Mittag Frank Schwabe Rainer Arnold Wolfgang Gunkel Bettina Müller Stefan Schwartze Heike Baehrens Bettina Hagedorn Detlef Müller (Chemnitz) Andreas Schwarz Ulrike Bahr Rita Hagl-Kehl Michelle Müntefering Rita Schwarzelühr-Sutter Heinz-Joachim Barchmann Metin Hakverdi Andrea Nahles Rainer Spiering Dr . Katarina Barley Ulrich Hampel Dietmar Nietan Norbert Spinrath Doris Barnett Sebastian Hartmann Thomas Oppermann Svenja Stadler Klaus Barthel Michael Hartmann Mahmut Özdemir (Duisburg) Martina Stamm-Fibich Dr . Matthias Bartke (Wackernheim) Markus Paschke Sonja Steffen Sören Bartol Hubertus Heil (Peine) Christian Petry Christoph Strässer Bärbel Bas Gabriela Heinrich Jeannine Pflugradt Kerstin Tack Uwe Beckmeyer Marcus Held Sabine Poschmann Claudia Tausend Lothar Binding (Heidelberg) Dr . Barbara Hendricks Joachim Poß Michael Thews Burkhard Blienert Heidtrud Henn Florian Post Dr . Karin Thissen Willi Brase Gustav Herzog Achim Post (Minden) Franz Thönnes Dr . Karl-Heinz Brunner Gabriele Hiller-Ohm Dr . Wilhelm Priesmeier Carsten Träger Edelgard Bulmahn Thomas Hitschler Florian Pronold Ute Vogt Martin Burkert Dr . Eva Högl Dr . Simone Raatz Dirk Vöpel Dr . Lars Castellucci Matthias Ilgen Martin Rabanus Gabi Weber Jürgen Coße Christina Jantz-Herrmann Mechthild Rawert Bernd Westphal Petra Crone Frank Junge Stefan Rebmann Andrea Wicklein (B) Bernhard Daldrup (D) Josip Juratovic Dr . Carola Reimann Dirk Wiese Dr . Daniela De Ridder Thomas Jurk Andreas Rimkus Waltraud Wolff Dr . Karamba Diaby Oliver Kaczmarek Sönke Rix (Wolmirstedt) Sabine Dittmar Johannes Kahrs Petra Rode-Bosse Gülistan Yüksel Martin Dörmann Ralf Kapschack Dennis Rohde Dagmar Ziegler Elvira Drobinski-Weiß Gabriele Katzmarek Dr . Martin Rosemann Stefan Zierke Siegmund Ehrmann Ulrich Kelber René Röspel Dr . Jens Zimmermann Michaela Engelmeier Marina Kermer Dr . Ernst Dieter Rossmann Manfred Zöllmer Dr . h .c . Gernot Erler Cansel Kiziltepe Michael Roth (Heringen) Brigitte Zypries Petra Ernstberger Arno Klare Susann Rüthrich Saskia Esken Lars Klingbeil Sarah Ryglewski Enthalten Karin Evers-Meyer Daniela Kolbe Johann Saathoff SPD Dr . Johannes Fechner Birgit Kömpel Annette Sawade Dr . Fritz Felgentreu Anette Kramme Dr . Hans-Joachim Marco Bülow Elke Ferner Dr . Hans-Ulrich Krüger Schabedoth Dirk Heidenblut Dr . Ute Finckh-Krämer Helga Kühn-Mengel Axel Schäfer (Bochum) Hilde Mattheis Christian Flisek Christine Lambrecht Dr . Nina Scheer Klaus Mindrup Gabriele Fograscher Christian Lange (Backnang) Marianne Schieder Ulli Nissen Dr . Edgar Franke Dr . Karl Lauterbach Udo Schiefner Detlev Pilger Ulrich Freese Steffen-Claudio Lemme Dr . Dorothee Schlegel Dr . Sascha Raabe Dagmar Freitag Burkhard Lischka Ulla Schmidt (Aachen) Gerold Reichenbach

Wir fahren jetzt in der Aussprache zum Bundesteil- Katrin Werner (DIE LINKE): habegesetz fort . Ich darf das Wort der Kollegin Katrin Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen Werner für die Fraktion Die Linke erteilen . und Herren! 2013 hat die Bundesregierung einen Koa- litionsvertrag vorgelegt und versprochen, Menschen mit (Beifall bei der LINKEN) Behinderungen aus dem Fürsorgesystem herauszufüh- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18809

Katrin Werner (A) ren und die Eingliederungshilfe in ein modernes Teilha- Es ist doch absolut verständlich, wenn die Betroffe- (C) besystem zu überführen . Nach Jahrzehnten des Kampfes nen wütend, ja sogar verzweifelt sind . Gestern sprangen von Menschen mit Behinderungen, Verbänden und Or- Menschen mit Sehbehinderung wegen des hier vorgeleg- ganisationen für ihre Rechte waren die Erwartungen und ten Gesetzentwurfs sogar in die Spree, um zu zeigen, wie Hoffnungen dementsprechend groß . die zukünftige Teilhabe von Menschen mit Behinderung baden geht . Während wir hier in diesem Moment, wäh- Es folgte ein riesiger Beteiligungsprozess – Sie ha- rend diese Debatte live übertragen wird, über ein „Spar- ben ihn erwähnt, Frau Nahles –, der die Hoffnung auf gesetz“ debattieren, gibt es Proteste vor dem Branden- ein selbstbestimmtes Leben erblühen ließ . Alle warteten burger Tor. Ich finde einfach, angesichts dieser Proteste praktisch wie die Katze vor dem Loch der Maus . Und sollten wir einmal innehalten und genau nachdenken . dann? Nachdem bereits Ende letzten Jahres rein zufällig, Viele Betroffene befürchten einfach Verschlechterungen sozusagen in der Straßenbahn, ein erster Arbeitsentwurf und sind verzweifelt über die neuen Regelungen . Eine gefunden wurde, ging mit der Veröffentlichung des Refe- Studentin mit Sehbehinderung erzählte gestern beim rentenentwurfs eine riesige Enttäuschung, ja sogar eine Parlamentarischen Frühstück, dass sie mit dem neuen halbe Schockstarre durchs Land . Unzählige Gespräche Gesetz keinen Anspruch mehr auf die benötigte Vorle- und Anhörungen fanden sich in diesem Entwurf nicht sekraft hat . Andere berichten, dass aufgrund nicht mehr wieder . Man sprach von einer Pseudobeteiligung und bezahlter Eingliederungshilfe ihre Kinder mit dem neuen einem versuchten Betrug an Menschen mit Behinderun- Gesetz keine Chance mehr hätten, mit Kindern ohne Be- gen . Es folgte eine Welle des Protests, die seit der Veröf- hinderung gemeinsam zu lernen . fentlichung des heute hier vorliegenden Gesetzentwurfs kein Ende mehr nimmt . Betroffene und Aktivisten äußern (Katja Mast [SPD]: Das stimmt doch nicht!) seit Monaten in der ganzen Bundesrepublik ihren Unmut . Sie bezeichnen diesen Gesetzentwurf als Schlag ins Ge- Menschen mit Behinderungen, die derzeit noch Anspruch sicht von Menschen mit Behinderungen . Selbst aus Rei- auf Leistungen haben, werden zukünftig mit diesem Ge- hen der SPD kommt Kritik . Die Behindertenbeauftragte setz von Teilhabeleistungen ausgeschlossen . Verena Bentele meint: (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Das ist Damit das Gesetz diesem Ziel auch gerecht wird, doch alles völlig falsch! – Katja Mast [SPD]: müssen aber noch mehr Schritte gegangen werden, Nein! Sie sagen gar nicht, warum das so ist! damit wir am Ende wirklich auf dem Gipfel stehen – Sie erzählen einfach irgendwas ohne Begrün- und nicht irgendwo am Hang kleben bleiben . dung! Sie müssen doch die Gründe nennen!) Ulla Schmidt befürchtet sogar, dass Menschen mit – Das können Sie doch gleich in Ihren Redebeiträgen (B) dem neuen Gesetz ihr Zuhause verlieren . dementsprechend darstellen . (D) Wie im Mai dieses Jahres bei der Debatte zum The- (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Nur ma Behindertenpolitik, als parallel Proteste stattfanden Stunk machen!) und ich gesagt habe, wir würden diese Debatte besser draußen führen, möchte ich auch an dieser Stelle wie- Ich war in den letzten Monaten viel unterwegs, habe vie- der zwei Vertreterinnen begrüßen, stellvertretend für den len Leuten zugehört und gebe Ihnen gerade einfach nur Protest, der heute am Brandenburger Tor stattfindet. Ich eins wieder: die Empfindungen der Menschen mit Behin- möchte vom Forum behinderter Juristinnen und Juristen derung, die Empfindungen der Menschen, die betroffen ­Christiane Möller und Nancy Poser begrüßen und viele sind, der Organisationen und Verbände . mehr, die oben auf der Tribüne sitzen . (Dr .Matthias Bartke [SPD]: Sie müssen das (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- doch mal prüfen, so was!) neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine Bitte ist einzig und allein: Denken Sie über diesen Gesetzentwurf nach . Nancy Poser ist Initiatorin einer Petition an den Deut- schen Bundestag, in der sie ein Bundesteilhabegesetz (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- fordert, das eine selbstbestimmte Lebensführung und die neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – volle und wirksame Teilhabe von Menschen mit Behin- Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- derungen gewährleistet . Dies ist nur eine Petition von NEN]: Das weiß doch die Sozialdemokratie Dutzenden, in der Betroffene ihre Kritik am Bundesteil- eigentlich auch!) habegesetz zum Ausdruck bringen . Die Bundesregierung hat zwar in einer Fragestunde Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir sollten mitgeteilt, dass es weder eine Erweiterung noch eine Ein- den Betroffenen in einer öffentlichen Sitzung des Peti- schränkung des leistungsberechtigten Personenkreises tionsausschusses die Möglichkeit geben, ihre Kritik und geben soll, doch letztlich lassen die im jetzt vorgelegten ihre Forderungen laut zu formulieren . Ich bitte die Mit- Gesetzentwurf festgeschriebenen Regeln eben anderes glieder des Petitionsausschusses darum, mit ihrer Stim- befürchten . Eine Einschränkung des leistungsberechtig- me dafür zu sorgen, dass es zu dieser Anhörung kommt . ten Personenkreises dient nur der Einsparung von Kosten zulasten der Betroffenen . (Beifall bei der LINKEN – Kerstin Griese [SPD]: Machen wir eine Anhörung bei uns im (Kerstin Griese [SPD]: 700 Millionen Euro Ausschuss! Die ist öffentlich!) mehr ist keine Einsparung! Das ist mehr!) 18810 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Katrin Werner (A) Kippen Sie diese Einschränkungen, meine Damen und wählen wo, wie, ob und mit wem er zusammenwohnt . Je- (C) Herren der Regierung! Die Betroffenen haben Angst, ihr der muss seinen Tagesablauf selber bestimmen können . Zuhause zu verlieren . (Beifall bei der LINKEN) (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Auch Oder wie würden Sie es finden, wenn andere darüber das ist falsch!) entscheiden, wie Sie in Zukunft leben? Ich finde, es ist Zwangspooling wird das gemeinsame Erbringen von beschämend wie man hier mit Menschenrechten umgeht . Leistungen mittlerweile genannt . Es bedeutet, dass sich Das Versprechen, mit einem modernen Teilhabegesetz Menschen mit Behinderungen beispielsweise eine Assis- Menschen mit Behinderungen aus dem Fürsorgesystem tenz teilen müssen . Sie befürchten, dass sie somit nicht herauszuführen, ist mit dieser Gesetzesvorlage nicht er- mehr selbstbestimmt über ihre Tagesplanung entscheiden füllt, es ist gebrochen worden . können . Meine Damen und Herren, der vorliegende Gesetzent- wurf ist als Rückschritt zu bewerten, er entspricht nicht (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das der UN-Behindertenrechtskonvention . Greifen Sie die müssen sie doch einmal ernst nehmen!) sechs Kernforderungen für ein gutes Bundesteilhabege- Möchte der eine ins Kino gehen, kann der andere viel- setz auf, die inzwischen von 140 Organisationen, Ver- leicht nicht mehr zum Sport gehen . Diese Beschneidung bänden und Gewerkschaften unterstützt werden . eines selbstbestimmten Lebens darf es einfach nicht ge- (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Hört! ben . Hört!) (Beifall bei der LINKEN) Reichen Sie den Betroffenen endlich die Hand . Helfen Sie ihnen aus dem Bittstellertum und dem täglichen Teilhabeleistungen dürfen auf keinen Fall abhängig Kampf um Teilhabe heraus . Frau Nahles, um es in Ih- vom Geldbeutel der Betroffenen sein . Jeder muss sie be- ren Worten zu sagen: Helfen Sie ihnen beim Kampf aus dingungslos erhalten . Alle Menschen haben das Recht diesem Dschungel . Überarbeiten Sie dieses Bundesteil- auf Sparen und eine gute Alterssicherung . habegesetz, (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Wir alle haben das Recht auf ein würdevolles Leben . damit jeder ein selbstbestimmtes und würdevolles Le- Teilhabeleistungen in die Hände von Sachbearbeiterin- ben hat . Wir brauchen ein Gesetz, das keine Bedrohung nen und Sachbearbeitern zu legen, die nach Ermessen für Menschen mit Behinderungen ist . Wir brauchen ein (B) oder Angemessenheit und sicherlich nach einem finan- Gesetz, von dem die Menschen nicht sagen: Nicht mein (D) ziellen Spielraum entscheiden, ob sie einem bedürftigen Gesetz . Menschen die ihm zustehende Leistung gewähren oder nicht, darf es nicht geben . Danke . (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (Beifall bei der LINKEN) neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, Menschen mit Behinde- rungen werden mit dieser Gesetzesvorlage weiter dis- Vizepräsident Johannes Singhammer: kriminiert . Sie werden weiter an den Rand der Gesell- Bevor gleich der Kollege Karl Schiewerling für die schaft gedrängt, und sie werden auch weiterhin um ihre CDU/CSU-Fraktion das Wort erteilt bekommt, möchte Menschenrechte betrogen . Deshalb darf dieses Gesetz in ich darauf hinweisen, dass in diesem Fall aus besonders seiner jetzigen Form auf keinen Fall verabschiedet wer- gutem Grund ein Livestream dieser Debatte des Deut- den . Ignorieren Sie nicht die Kritik, ignorieren Sie nicht schen Bundestages mit Gebärdendolmetscher übertragen weiterhin diese massive Kritik . Greifen Sie sie einfach wird . auf, machen Sie Ihre Hausaufgaben und überarbeiten diesen Gesetzentwurf grundlegend, damit es tatsächlich (Beifall – Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE ein gutes Gesetz wird, das eine selbstbestimmte Teilha- GRÜNEN]: Das sollte eine Selbstverständ- be ohne Wenn und Aber möglich macht . Hören Sie auf, lichkeit sein!) dieses Gesetz in nur drei Monaten durch dieses Haus zu Jetzt hat der Kollege Karl Schiewerling das Wort . peitschen . (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Katja Mast [SPD]: Es wird doch nicht ge- peitscht! Das ist unverschämt!) Karl Schiewerling (CDU/CSU): Nehmen sie sich Zeit und überarbeiten Sie es gründlich . Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kol- leginnen und Kollegen! Frau Kollegin Werner, ich habe (Beifall bei der LINKEN) die Debatten über die Behindertenpolitik im Deutschen Bundestag immer so verstanden, dass wir uns bemüht ha- Hören Sie auf, Menschen aufgrund dieses Gesetzes ben, möglichst viele Gemeinsamkeiten zu finden, um den in Heime zu stecken . Wir brauchen ein Gesetz, das allen Menschen zu dienen . Betroffenen die freie Wahl von Wohnform und Wohnort garantiert . Jeder Mensch muss das Recht haben, frei zu (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18811

Karl Schiewerling (A) Das Thema eignet sich nicht zur Skandalisierung, man die Behinderung oft übrigens nicht ansieht, Men- (C) schen mit angeborenen oder erworbenen Behinderungen, (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- mehrfach Behinderte, Behinderte, die weitestgehend NEN]: Aber der Gesetzentwurf eignet sich auch finanziell selbst für sich sorgen können, wenn auch dazu!) mit technischer Hilfe, zum Beispiel einem Rollstuhl, Be- weil Sie die Menschen in die Irre führen . hinderte, die das nicht können und permanent auf statio- näre oder ambulante Hilfen angewiesen sind, Behinder- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) te, die in ihren Familien oder in den unterschiedlichsten Wenn wir nichts gemacht hätten, wäre es dann besser? Wohnangeboten leben, Behinderte, die – etwa 300 000 Würden wir dann den vielen Menschen, die Verbesserun- sind es – in Werkstätten oder Integrationsbetrieben ar- gen erfahren, die Verbesserung nicht geben? beiten . Sie alle sind betroffen . Das macht deutlich: Es ist nicht eine homogene Zielgruppe . Die Lebenssituation (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der Menschen ist höchst unterschiedlich, und sie alle er- NEN]: Nicht die richtige Frage!) warten von uns, dass wir ihnen in ihrer jeweiligen, spezi- Was glauben Sie denn, welche Konsequenzen es für die fischen Lebenssituation helfen. Menschen hätte, wenn wir gar nichts tun würden? Die Diskussion, die wir jetzt haben, ist davon geprägt, (Katrin Werner [DIE LINKE]: Sie sollen das dass nahezu jede einzelne Gruppe zu uns kommt und Richtige machen!) ihre Partikularinteressen durchsetzen will . Sie kommen Wissen Sie, auch wenn Sie in der Opposition sind, mit ihren eigenen Interessen zu uns und wollen eine in- wünsche ich mir von Ihnen, dass Sie nicht die Lebens- dividuelle Lösung . Da gerät der Staat – übrigens auch situation der Menschen skandalisieren – bitte nicht so! – in seinem Organisationsvermögen – oft leicht an seine Grenzen . Unsere Aufgabe in der Politik besteht darin, die (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das Dinge zu einem Ausgleich zu bringen und zusammenzu- skandalisieren nicht wir! Fragen Sie mal sel- führen . Das ist wahrhaft mühsam genug, wenn wir den ber die Menschen, Herr Schiewerling!) Menschen gerecht werden wollen . und nicht mit den Emotionen von Menschen mit Behin- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) derungen spielen und sie in die falsche Richtung lenken . (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – In dieser höchst komplexen Situation möchte ich zu- Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das ist nächst einmal einen ganz herzlichen Dank an das Bun- eine falsche Unterstellung! Reden Sie mal mit desarbeitsministerium, an die Bundesarbeitsministerin (B) den Menschen!) richten, vor allem aber auch an die Parlamentarische (D) Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller, die den bis- Kein Mensch hier in diesem Haus will die Situation der herigen Dialog sowohl innerhalb der Parteien und Frak- Menschen mit Behinderungen verschlechtern . tionen als auch mit den Betroffenen mit einer hohen Sen- Lassen Sie mich in aller Kürze darauf hinweisen, dass sibilität organisiert und gestaltet hat, es sich nicht – wie Sie es hier falsch dargestellt haben – (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) um ein Spargesetz handelt . Aufwachsend und ab 2020 dann jährlich geben wir 700 bis 800 Millionen Euro . und zwar ohne marktschreierische Aussagen . Dafür bin (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ich dankbar . Wir erleben einen Prozess, der im Internet – NEN]: 5 Milliarden Euro haben Sie verspro- darauf hat Frau Werner richtigerweise hingewiesen – in chen!) der Tat in der breitesten Form, auch durch die Darstel- lung auf der entsprechenden Homepage des Bundesar- Die Kommunen haben wir um 5 Milliarden Euro entlas- beitsministeriums, stattfindet. tet, und wir werden sie weiter entlasten . Sie können beim besten Willen nicht sagen, dass wir hier ein Spargesetz Ich will gar nicht verheimlichen, dass ein solcher brei- machen . ter Dialogprozess die Erwartung weckt, alle Wünsche, die dort geäußert würden, könnten auch alle befriedigt (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) werden . Das funktioniert so nicht . Deswegen glaube ich, Meine Damen und Herren, worum geht es? Es geht dass es vielleicht Enttäuschungen gibt – ja, die wird es darum, dass wir die Behindertenpolitik modernisieren . geben –, weil die Wünsche, die man hat, nicht in dem Wir wollen gesellschaftliche Teilhabe fördern und mehr Maße erfüllt werden können, wie man es gerne hätte . Selbstbestimmung ermöglichen . Wir wollen weiter die Wir können nicht alle Wünsche zu 100 Prozent umset- UN-Behindertenrechtskonvention umsetzen, über das zen, und es ist auch nicht alles Mist, wenn wir nicht alle hinaus, was Deutschland bereits – weltweit vorbildlich – Wünsche zu 100 Prozent umsetzen können . leistet . Ich glaube, wir werden uns daran gewöhnen müssen, Meine Damen und Herren, wer ist eigentlich von den miteinander zu kommunizieren, dass das, was wir hier Neuregelungen betroffen? 10 Millionen Menschen haben tun, für die Menschen mit Behinderungen ein wichtiger einen Schwerbehindertenausweis . Darunter sind körper- Schritt ist . Keinem soll es schlechter gehen . lich Behinderte, Menschen, die im Hören und im Sehen beeinträchtigt sind, Sprachbehinderte, seelisch Behinder- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und te und geistig Behinderte, psychisch Behinderte, denen der SPD) 18812 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Karl Schiewerling (A) Sollte das Gesetz so sein, dass an irgendeiner Stelle Ver- on haben sehr viel Verständnis für das Misstrauen, das (C) schlechterungen auftreten, werden wir uns das ansehen . die Menschen zu Recht haben; Vielen wird es besser gehen . Ich werbe sehr dafür, darauf (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu vertrauen, dass in diesem Hohen Hause niemand ein sowie der Abg . Katrin Werner [DIE LINKE]) Interesse daran hat, dass es Menschen mit Behinderun- gen schlechter geht . Wir wollen Integration und Teilhabe, denn wer sich den Gesetzentwurf genauer ansieht, der und dafür werden wir kämpfen . wird feststellen, dass sich die Situation von Menschen mit Behinderungen nicht verbessern wird . (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Sie sind gut darin, ein schlechtes Gesetz gut zu verpa- cken . Liebe Sozialdemokratie, Sie haben sich bei jeder Vizepräsident Johannes Singhammer: Gelegenheit mit großen Worten für Teilhabe und Inklusi- Nächste Rednerin ist die Kollegin Corinna Rüffer, on ausgesprochen, aber im Detail sieht es dann plötzlich Bündnis 90/Die Grünen . ganz anders aus . Es droht, dass diejenigen, die Teilha- beleistungen benötigen, diese in Zukunft nicht bekom- men werden . Zu Recht steht die Sorge im Raum, dass Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Menschen, die dringend Leistungen brauchen, sie nicht Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und bekommen werden . Ich sage Ihnen jetzt auch konkret, Kollegen! Frau Nahles, Herr Schiewerling, Sie behaup- warum . ten, wir, die Opposition, machten Menschen mit Be- hinderungen Angst . Aus der Reihe der Sozialdemokra- Sie haben neue Kriterien definiert, die man zukünftig tie hörte ich, wir trieben die Leute auf die Bäume . Wer erfüllen muss, um Unterstützung zu bekommen . Es sind glauben Sie eigentlich, wer Sie sind? Wer glauben Sie genau neun Lebensbereiche, die Sie beschreiben, und eigentlich, wer wir sind? Glauben Sie, wir wären in der man muss nachweisen, dass man in mindestens fünf die- Lage, Menschen solche Angst zu machen, dass sie auf ser Lebensbereiche Unterstützung braucht . Warum sollen Bäume zu treiben seien? Glauben Sie eigentlich wirklich Menschen, die in vier Lebensbereichen Unterstützungs- das, was Sie sagen? Menschen mit Behinderungen sind bedarf haben, die Unterstützung zukünftig nicht bekom- selbstbestimmte Menschen, und sehr viele Fachleute mit men? Warum soll es so sein, dass nicht drei oder sechs, Behinderungen haben Angst vor Ihrem Gesetz . Nehmen sondern nur ein Lebensbereich ausreicht – ein Mensch, Sie das endlich zur Kenntnis! der nur in einem Lebensbereich Unterstützungsbedarf hat, braucht die Unterstützung doch trotzdem –, um den (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Menschen die Unterstützung zu versagen? Das verstehe und bei der LINKEN) ich nicht . Ich habe diese Frage viele Male gestellt, aber (B) ich habe bisher keine befriedigende Antwort darauf be- (D) Herr Schiewerling, zum Thema Partikularinteressen . kommen . Sie sagten: Es kommen viele unterschiedliche Gruppen, die irgendwie ihre Kleinigkeiten durchsetzen wollen .– Überlegen Sie einmal, was das beispielsweise für Alle diese Gruppen haben sich zusammengeschlossen Menschen mit psychischer Beeinträchtigung bedeutet . und erheben sechs Kernforderungen . Sie sagen ganz Das sind Menschen, die heute Unterstützung brauchen, dezidiert, was sie wollen . Wir als gesamtes Parlament morgen sehr gut zurechtkommen, aber in der nächsten könnten beschließen, das gemeinschaftliche Projekt Woche vielleicht wieder erheblichen Unterstützungsbe- umsetzen . Dann könnten wir in zweiter Lesung ganz in darf haben . In Zukunft werden sie aus dem System he- Ruhe miteinander reden und gemeinsam ein Gesetz ver- rausfallen . abschieden . Aber so, wie es jetzt ist, geht es nicht; denn (Dr . Martin Rosemann [SPD]: Das wird nicht der Entwurf, den Sie hier vorgelegt haben, ist schlicht neu festgestellt!) eine Unverschämtheit . Auch wenn Sie Bestandsschutz für die heutige Gruppe Über Jahre hinweg haben Sie ausgiebig mit Menschen garantieren, wird das in Zukunft Probleme schaffen . Das mit Behinderungen zusammengesessen und sich bera- wissen Sie selber ganz genau . Das steht in allen Stellung- ten . Jetzt zeigt sich: Sie haben all diese Jahre anschei- nahmen, mit denen Sie überflutet wurden. nend nicht zugehört . Dazu kommt noch: Sie legen ein (Dr . Martin Rosemann [SPD]: Was ist das für schlechtes Gesetz vor . Das Vertrauen behinderter Men- ein Blödsinn?) schen, ihrer Angehörigen und ihrer Unterstützer haben Sie verspielt . Sie würden gut daran tun, diese Stellungnahmen endlich einmal zur Kenntnis zu nehmen . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Dr . Martin Rosemann Das merken wir an den vielen Stellungnahmen zum Ge- [SPD]: Es wird doch nicht immer wieder der setzentwurf, mit denen wir überschüttet werden, und wir Bedarf festgestellt!) wissen: Sie auch . Das sehen wir daran, dass heute Men- – Jetzt halten Sie einmal die Luft an, Herr Rosemann . schen mit Behinderungen vor dem Brandenburger Tor protestieren und das, was heute hier vor sich geht, ganz Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat heute genau beobachten; da bin ich sicher . Sie verfolgen unsere Morgen eine Stellungnahme herausgegeben, in der ver- Debatte auf einer Videoleinwand . Ich und meine Frakti- nichtende Kritik geübt wird . Es heißt, mit dem Kriterium Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18813

Corinna Rüffer (A) der fünf Lebensbereiche öffnen Sie einer Einspardyna- heime gibt und zu wenige Alternativen in Deutschland . (C) mik Tür und Tor . Ja, Sie verscherbeln hier die Menschen- Verbunden war die Kritik mit der unmissverständlichen rechte, weil Sie Geld einsparen wollen . Insofern hat die Aufforderung, ausreichende Finanzmittel verfügbar zu Kollegin Werner vollkommen recht, wenn sie sagt: Das machen, um die unabhängige Lebensführung zu fördern . hier ist ein Spargesetz und nichts anderes . Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, machen mit Ihrem Gesetz leider genau das Gegenteil: Sie nehmen kein Geld (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in die Hand; Sie lassen Länder und Kommunen im Regen und bei der LINKEN – Widerspruch bei der stehen . SPD) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Damit aber nicht genug . Wenn Sie den Menschen nur SES 90/DIE GRÜNEN) den Zugang zu Leistungen verwehren würden, wäre es ziemlich leicht, das zu korrigieren – ich habe einen Vor- schlag gemacht: Unterstützungsbedarf in einem Lebens- Vizepräsident Johannes Singhammer: bereich muss für den Anspruch ausreichen –; aber Sie Frau Kollegin Rüffer, gestatten Sie eine Zwischenfra- haben auch an den Leistungen selbst Raubbau betrieben . ge der Kollegin Wolff? Nur ein Beispiel: Der Druck, aus der eigenen Wohnung oder einer Wohngemeinschaft in ein Heim umzuziehen, wird künftig steigen . Wir werden junge Menschen mit Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Behinderungen haben, die in Altenpflegeheimen wohnen Ja, na klar . müssen . Das passiert jetzt schon . Für diejenigen, die das nicht wissen: Es passiert jetzt schon, dass Leute, die jung Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): sind, in Altenpflegeheime kommen. – Aber zukünftig werden die Fallzahlen steigen . Stellen Sie sich einmal Frau Kollegin Rüffer, herzlichen Dank . – Sind Sie be- vor, zum Beispiel Ihnen, Frau Freudenstein, würde man reit, zur Kenntnis zu nehmen, dass der Bund die Kom- sagen: Ziehen Sie in ein Altenpflegeheim! – Ich glaube, munen um 5 Milliarden Euro entlastet – Punkt eins – und Sie würden sich bedanken . wir 700 Millionen Euro in die Hand nehmen, um das Bundesteilhabegesetz in Gang zu setzen, dass es also (Zuruf der Abg . Kerstin Griese [SPD]) kein Spargesetz ist? Sind Sie auch bereit, anzuerkennen, dass wir beim Leistungszugang – bei dem Thema wollte Die Schutzmechanismen, die heute noch bestehen, ich mich vorhin schon melden – erstens Bestandsschutz werden in diesem Gesetz gestrichen . Kein Mensch kann haben, zweitens Unterstützungsbedarf in fünf aus neun sich vorstellen, dass Sie wirklich so grausam sein wol- Lebensbereichen als Voraussetzung haben, drittens Un- len – ich sage: grausam –, den Menschen so etwas zuzu- (B) terstützungsbedarf in drei aus neun Lebensbereichen als (D) muten . Wenn Sie das nicht wollen, dann stellen Sie das Voraussetzung haben, wenn jemand auf Assistenz ange- gefälligst in dem Gesetz klar . Dann brauchen die Leute wiesen ist, viertens es einen Ermessensspielraum gibt, nicht mehr auf Bäume zu klettern und keine Angst mehr dass wir also vier Möglichkeiten haben, dass wir Geld in zu haben . die Hand nehmen und keine Einsparungen vornehmen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bitte erklären Sie mir, was Sie hier erzählen! und bei der LINKEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Das machen Sie, um Geld zu sparen . Das ist die Ka- der CDU/CSU) tastrophe . Was Sie mit diesem Gesetz machen, das kann man sich eigentlich gar nicht vorstellen . Wir leben in (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): einem reichen Land . Die Einnahmen der öffentlichen Corinna Rüffer Haushalte liegen über ihren Ausgaben, und Sie sind sich Das mache ich gerne, Frau Wolff, um zur Erhellung nicht zu schade, Menschen mit Behinderungen diese beizutragen . Sie haben im Koalitionsvertrag geschrieben, Leistungen zu nehmen, die sie so dringend brauchen . Ich Sie würden die Kommunen um 5 Milliarden Euro bei der glaube nicht, dass Ihnen irgendjemand hier ernsthaft zu- Eingliederungshilfe entlasten . traut, dass Sie so hart vorgehen . (Andrea Nahles, Bundesministerin: Ja! Das (Dr . Carola Reimann [SPD]: Das ist eine Un- tun wir ja auch!) terstellung!) Dieses Versprechen haben Sie vor mehr als einem Jahr Genau das nutzen Sie aus: das Grundvertrauen der Men- gebrochen . schen, dass sich der Staat mindestens um diejenigen gut kümmert, die am stärksten darauf angewiesen sind .– Das (Widerspruch bei der SPD) ist schlicht eine Sauerei . Alle Kommunen und alle Länder gingen bis vor kurzem Ich möchte daran erinnern, dass die Vereinten Natio- davon aus, dass Sie Ihr Versprechen halten . nen vor etwas mehr als einem Jahr sehr deutliche Wor- (Kerstin Griese [SPD]: Das steht so nicht te gefunden haben, was die Situation behinderter Men- drin!) schen in Deutschland angeht . Weil ich gerade schon über Wohnmöglichkeiten sprach, bleibe ich bei dem Thema . – Sie müssen sich die Wahrheit schon anhören .– Die Ganz kurz und knapp: Die Expertinnen und Experten Entlastung um 5 Milliarden Euro findet nicht im Bereich bei den UN weisen darauf hin, dass es zu viele Wohn- der Eingliederungshilfe statt und wird nicht in das Leis- 18814 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Corinna Rüffer (A) tungssystem vor Ort fließen. Das ist Punkt eins. Da kom- ich Ihre Antwort, die Sie der Kollegin Wolff gegeben ha- (C) men Sie nicht drum herum . ben, ergänze . (Katja Mast [SPD]: Das steht so nicht im Koalitionsvertrag!) Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gerne . Das können Sie im Haushalt nachlesen . Das Zweite ist, dass die 700 Millionen Euro nicht insgesamt in den Be- reich der Eingliederungshilfe fließen, sondern das meis- Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): te von diesem Geld – in der Tat – für Entlastungen bei Ich will das wie folgt ergänzen: Ich habe hier die Emp- der Anrechnung von Einkommen und Vermögen genutzt fehlungen der Ausschüsse des Bundesrates, in dem Fall wird . des Ausschusses für Frauen und Jugend, des Finanzaus- schusses, des Gesundheitsausschusses, des Ausschusses (Zurufe von der SPD: Aha!) für Innere Angelegenheiten, des Ausschusses für Kul- Das hat aber nichts mit dem zu tun, worüber ich hier turfragen und des Rechtsausschusses . Diese Ausschüsse rede: dem Vorrang der Pflege vor der Eingliederungs- empfehlen, zu dem Gesetzentwurf wie folgt Stellung zu hilfe, der zu diesen massiven Problemen führt, die ich nehmen – daraus will ich zitieren –: gerade skizziert habe, nämlich: Rein ins Heim! – Frau Es ist gleichwohl daran zu erinnern, dass die Zu- Ulla Schmidt ist, glaube ich, nicht mehr anwesend; sie sagen des Bundes auch beinhalteten, dass aus dem saß vorhin hier . Das war sehr gut . Sie steht an der Spitze Bundesteilhabegesetz keine zusätzlichen Ausgaben der Bundesvereinigung Lebenshilfe, die an genau diesem für Länder und Kommunen erwachsen dürfen und Punkt massive Kritik übt . Sie war vorgestern dabei, als die Reform einen Beitrag dazu leistet, die bestehen- ein Gutachten vorgestellt wurde, das zeigt, dass die Aus- de Ausgabendynamik in der Eingliederungshilfe zu weitung des § 43a SGB XI nicht nur Mist ist, sondern stoppen . Diese Ziele dass der Paragraf an sich auch verfassungswidrig ist . Auf diesen Punkt kann ich jetzt nicht im Detail eingehen, – Frau Kollegin Wolff – aber Ihre Kollegin Ulla Schmidt kann Ihnen da ganz viel werden mit dem vorliegenden Gesetzentwurf klar erklären . Sie wird Ihnen ganz konkrete Hinweise darauf verfehlt . Denn der Gesetzentwurf geht nicht von geben, was an diesem Gesetzentwurf geändert werden einer finanziellen Entlastung, sondern von einer Be- muss, damit wir ein gutes Gesetz bekommen, wozu ja lastung der Länder und Kommunen durch die Re- die Chance besteht, wenn Sie die sechs Kernforderungen form der Eingliederungshilfe aus . der Verbände umsetzen würden . (Widerspruch bei der SPD) (B) (Katja Mast [SPD]: Ist das die Antwort auf (D) die Frage?) Insofern ist Ihr Verweis auf die Entlastung der Kom- munen schon durch verschiedene Ausschüsse des Bun- Ich glaube, damit habe ich Ihre Frage ausreichend be- desrates ad absurdum geführt . Ich bitte, das allgemein antwortet . zur Kenntnis zu nehmen . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Danke schön . Katja Mast [SPD]: Sie haben nicht geantwor- tet!) (Katja Mast [SPD]: Leute! Matthias!)

Vizepräsident Johannes Singhammer: Vizepräsident Johannes Singhammer: Frau Kollegin, es gibt einen weiteren Wunsch nach ei- Wir sind jetzt bei der Beantwortung . ner Zwischenfrage oder Zwischenbemerkung, und zwar (Uwe Schummer [CDU/CSU]: Es war ja kei- des Kollegen Birkwald . ne Frage!) Ich weise darauf hin: Wir sind hier bei einer Frage Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): oder Zwischenbemerkung, die jeder machen kann, aber Ja, gerne .– Ich musste erst einmal schauen, wo er nicht in Form einer Debattenverlängerung . Ich lasse jetzt sitzt . noch die Antwort der Kollegin Rüffer zu, werde aber dann darauf achten, dass wir die Debatte geordnet wei- Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): terführen können .– Frau Kollegin Rüffer, Sie haben jetzt Hier sitze ich . die Möglichkeit, diese Frage oder diese Bemerkung zu kommentieren, zu beantworten . Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich hatte nicht mit einer Frage von der Linken gerech- Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): net . Ich muss das, glaube ich, gar nicht weiter kommentie- ren . Es reicht, zu sagen, dass der Kollege Birkwald ein- Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): fach einen guten Beitrag geliefert hat . Herzlichen Dank für die Nachfrage . Vielen Dank, Herr Präsident . – Vielen Dank, Frau Kollegin Rüffer, dass Sie die Zwischenfrage zulassen . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ich frage Sie, ob es aus Ihrer Sicht in Ordnung ist, dass Katja Mast [SPD]: Er hat von Leistungs- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18815

Corinna Rüffer (A) ausweitung gesprochen! Sie widersprechen schwieriger machen .– Ich bin mit der Antwort zu Ende, (C) dem! – Zuruf der Abg . Waltraud Wolff [Wol- Sie können sich gern wieder hinsetzen . mirstedt] [SPD] – Abg . Mechthild Rawert (Mechthild Rawert [SPD]: Okay, danke!) [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Ich will Ihnen aber einmal erklären, was eigentlich die – Da ist noch eine Meldung . Herausforderung ist, die vor uns liegt: die inklusive Ge- sellschaft . Dabei geht es um mehr als um dieses Gesetz . Vizepräsident Johannes Singhammer: Es geht darum, dass wir in einer alternden Gesellschaft Ich lasse jetzt, wenn Sie einverstanden sind, Frau Kol- leben. Wir sprechen immer wieder über den demografi- legin Rüffer, noch eine Zwischenfrage zu . Dann aller- schen Wandel . Das heißt, wir müssen diese Gesellschaft dings belassen wir es dabei .– Frau Kollegin Rawert, Sie fundamental umgestalten, damit sie für Alte, Junge, Be- haben das Wort für eine Zwischenfrage . hinderte und alle Menschen funktioniert . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mechthild Rawert (SPD): und bei der LINKEN) Ich wollte mich ja eigentlich nicht mehr melden, aber Das ist ein Riesending, das wir vor uns haben . Sie hätten jetzt habe ich es doch getan . Herzlichen Dank für die einen Beitrag dazu leisten können, aber das tun Sie nicht . Ausführungen, die Sie jetzt hier gerade gemacht haben . Es geht hier nicht um ein Wolkenkuckucksheim, um gol- Sie zeigen, dass die Bundesländerfarbenlehre, egal ob dene Rollstühle oder irgendetwas, sondern um nachvoll- rot, links, grün oder schwarz, davon ausgeht, kein wei- ziehbare Dinge, die die Menschen haben wollen und auf teres eigenes Geld zu investieren, und fordert, dass die die sie ein Recht haben . Ausgabendynamik seitens der Länder und der Kommu- nen – das ist ja der Punkt – gestoppt werden soll . Fast alle Menschen möchten in der eigenen Wohnung alt werden . Wer einen Unfall hatte und danach plötzlich Der Bund gibt 700 Millionen Euro . im Rollstuhl sitzt, möchte natürlich trotzdem weiterhin am Leben in der Gesellschaft teilnehmen, und wer ein (Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Zusätzlich!) behindertes Kind hat, der möchte natürlich, dass auch Frau Rüffer, ich hoffe, Sie bestätigen mir das: Zur Entlas- dieses Kind gute Bildungschancen hat und später einen tung und Unterstützung in den einzelnen Bundesländern, Arbeitsplatz findet, der zu seinen Interessen passt. Daran in den einzelnen Kommunen braucht es, weil es unglei- müssen wir arbeiten . All dies sind Rechte, die die Men- che Sachverhalte gibt, tatsächlich gleichwertige quali- schen haben, und wir müssen das ermöglichen . tativ hochwertige Standards . Daher: Die Bundesländer, (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- (B) (D) unabhängig von der Farbenlehre, wünschen Bundesgeld . SES 90/DIE GRÜNEN) (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Ge- Aber anstatt diese große Aufgabe beherzt anzugehen, nau so ist es! – Matthias W . Birkwald [DIE haben Sie sich drei Jahre im Hinterzimmer versteckt und LINKE]: Da klatscht noch nicht einmal Ihre legen jetzt ein Gesetz vor, das darauf zielt, möglichst viel Fraktion! – Gegenruf der Abg . Waltraud Wolff Geld zu sparen . [Wolmirstedt] [SPD]: Muss sie auch nicht!) (Widerspruch bei der SPD – Katja Mast [SPD]: Unverschämtheit!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Sie haben noch die Möglichkeit, darauf zu antworten, Bitte schauen Sie sich alle noch einmal die zahlreichen müssen es aber nicht . Stellungnahmen an . Sprechen Sie mit der SPD, sprechen Sie bitte mit Ulla Schmidt, Mitglied Ihrer Fraktion und bei der Lebenshilfe ganz an der Spitze . Dann können wir, Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): glaube ich, am Ende gemeinsam – auch Herr Schummer Ich glaube, das war jetzt als Hinweis wenig hilfreich . wäre dabei – ein gutes Gesetz schaffen . Aber die Grund- Herr Birkwald und ich haben viel dazu gesagt . Es ist so, lagen liegen heute einfach nicht auf dem Tisch . dass die Länder in diesem Bereich nicht ausreichend ent- lastet werden, und das kritisieren die Länder auch . Vielen Dank für die Aufmerksamkeit . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Katja Mast [SPD]: Sie widersprechen sich!) und bei der LINKEN) Sie lassen die Länder und die Kommunen im Regen ste- hen . Vizepräsident Johannes Singhammer: (Katja Mast [SPD]: Sie lassen die Behinder- Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr . Carola Reimann ten im Regen stehen!) für die SPD . Ich habe gerade gesagt, wozu diese 700 Millionen Euro (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dienen werden . Sie sind nicht dazu da, einheitliche Le- der CDU/CSU) bensverhältnisse zu schaffen . Das Gesetz für die einheit- lichen Lebensverhältnisse heißt Bundesteilhabegesetz . Dr. Carola Reimann (SPD): Dieses Gesetz hier wird aber keine einheitlichen Lebens- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- verhältnisse schaffen, sondern den Flickenteppich noch ren! Eine menschliche Gesellschaft kann nur eine inklu- 18816 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Dr. Carola Reimann (A) sive Gesellschaft sein . Daher haben wir seit 1998 einen nehmen wir ernst . Aber das ist etwas anderes, als in un- (C) grundsätzlichen Wechsel vollzogen – weg von der Für- verantwortbarer Art Ängste zu schüren . sorge, hin zu mehr Selbstbestimmung und Teilhabe . Das, Kolleginnen und Kollegen, haben wir nicht zuletzt unse- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der rem damaligen Behindertenbeauftragten Karl Hermann CDU/CSU – Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/ Haack zu verdanken . Durch sein Engagement gab es DIE GRÜNEN]: Schon wieder!) wichtige Erfolge in der Politik für und mit Menschen Die Betroffenen fürchten, dass die geplanten Neuerun- mit Behinderung . Seitdem hat der Gesetzgeber – bis auf gen ihre hart erkämpften Ansprüche infrage stellen . Auch die Ratifizierung der UN‑Behindertenrechtskonvention – wenn ich diese Befürchtungen in vielen Fällen für un- wenig getan . begründet halte, so sind sie für mich doch nachvollzieh- bar . Die Menschen haben ihre Rechte oft in jahrelangem, Mit der Reform des Behindertengleichstellungsge- mühsamem Kampf erstreiten müssen, und jetzt sollen die setzes vor einigen Monaten und jetzt mit dem Bun- Rahmenbedingungen geändert werden . Da gibt es natür- desteilhabegesetz greifen wir diesen roten Faden von lich die Befürchtung, dass Leistungsträger dies zum An- Karl Hermann Haack wieder auf . Das verdanken wir lass nehmen, die erstrittenen Ansprüche wieder infrage zwei Menschen: Andrea Nahles und Gabriele Lösekrug- zu stellen . Aber ich halte es für unredlich, diese Ängste Möller . zu schüren . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der der CDU/CSU) CDU/CSU – Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/ Vielen Dank für euer Engagement und eure Beharrlich- DIE GRÜNEN]: Schon wieder! Das ist total keit! Diesen beiden ist auch zu verdanken, dass das Bun- peinlich!) desteilhabegesetz neben der Reform der Eingliederungs- Wir werden sicherstellen, dass das nicht geschieht . Es hilfe auch die Leistungsseite der Betroffenen einbezieht . wird keine Verschlechterungen geben . Niemand wird seine Ansprüche verlieren . Hierfür haben wir einen Be- Die deutliche Verbesserung der Einkommens- und standsschutz vorgesehen . Vermögensanrechnung wird ermöglicht durch die He- rausführung der Eingliederungshilfe aus dem Fürsor- (Beifall bei der SPD sowie der Abg . Sabine gesystem . Das heißt ganz praktisch: Damit entfällt auch Weiss [Wesel I] [CDU/CSU] – Katrin Werner die Anrechnung von Einkommen und Vermögen der [DIE LINKE]: Sagen Sie doch mal, wen das Partner . betrifft!) (B) Wir werden im SGB IX neue Verfahren einführen . Kolleginnen und Kollegen – ich will darauf einge- (D) Damit werden Rehabilitationsmaßnahmen wie aus einer hen –, eine weitere Befürchtung ist, dass der Kreis der Hand erbracht – dies wurde bereits angesprochen –, da- Leistungsberechtigten eingeschränkt wird . Die grundle- mit man den gesamten individuellen Bedarf passgenau gend neuen Zugangskriterien sind aber notwendig . Wir abdecken kann . Die Ministerin hat es gesagt . Der Mensch wissen, dass die heutigen Beurteilungskriterien und Be- soll im Mittelpunkt stehen . urteilungsverfahren mannigfaltig sind; man kann auch „vielfältig“, aber auch „ungerecht“ und „uneinheitlich“ In den unabhängigen neuen Beratungsstellen – sie wa- dazu sagen . Ein einheitliches Verfahren war von allen ren ein Wunsch von ganz, ganz vielen – werden die Be- gewünscht . Es muss ein Verfahren sein, das einem mo- troffenen von Menschen mit Behinderungen beraten . Das dernen Teilhaberecht gerecht wird: weg vom defizitori- alles wird auch dazu führen, dass die Leistungsberechtig- entierten Blick auf Menschen mit Behinderung . Das neue ten stärker als Experten in eigener Sache wahrgenommen Teilhaberecht orientiert sich bei Beachtung der Vorgaben werden und mehr mit ihnen statt über sie geredet wird . der UN-Behindertenrechtskonvention und der internati- onalen Kriterien an der WHO . Ich halte das für richtig . (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Kollegin Rüffer, nix mit „Hinterzimmer“! Noch nie der CDU/CSU) war ein Beteiligungsverfahren hinsichtlich Umfang und Transparenz so vorbildlich wie dieses . Dadurch ist erst- Es ist unser ausdrückliches Ziel, den Kreis der Leis- malig für alle offenkundig geworden, welche Herausfor- tungsberechtigten nicht einzuschränken . derungen noch vor uns liegen . Denn es ist ja wahr: Viele (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wünsche und Forderungen liegen noch auf dem Tisch . NEN]: Ja, dann machen Sie mal!) Das Bundesteilhabegesetz ist ein wichtiger Schritt auf diesem Weg . Die im Gesetz enthaltenen Regelungen sind Daher wird diese Regelung erst in einem weiteren Schritt naturgemäß ganz schön kompliziert und anspruchsvoll . der Reform im Jahr 2020 eingeführt, und zwar mit ei- Deswegen werden wir sie stufenweise einführen; sie wer- nem Begleitverfahren . Dieses gibt auch den Trägern ge- den erst 2020 vollständig wirken . Für die Untersuchung nügend Zeit für die Umsetzung und genügend Zeit für der Auswirkungen und die Begleitung der praktischen mögliche Erprobungsphasen . Umsetzung sind jährlich 3 Millionen Euro eingeplant . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Kolleginnen und Kollegen, zurzeit werden viele Be- der CDU/CSU – Corinna Rüffer [BÜND- denken von Betroffenen an uns herangetragen . Diese NIS 90/DIE GRÜNEN]: Rausgeschmissenes Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18817

Dr. Carola Reimann (A) Geld, anstatt es von vornherein richtig zu ma- Es ist völlig unbestritten, dass wir es hier mit einem (C) chen!) schwierigen Gesetz zu tun haben . Es ist ein sehr großes und umfangreiches Gesetz, und es gibt viele Betrof- Kolleginnen und Kollegen, in den parlamentarischen fene . Wir haben in Deutschland zum Beispiel mehr als Beratungen werden wir uns genau ansehen, ob alle Re- 700 000 Empfänger von Eingliederungshilfe . Es geht gelungen wirklich ausreichend sind, um unsere Ziele zu also um eine ausgesprochen wichtige Sache, und sie ist erreichen . Auch beim Bundesteilhabegesetz gilt ja das auch zu wichtig, als dass man sie dafür nutzen sollte, ein- Struck’sche Gesetz: Kein Gesetz kommt aus dem Par- fach nur politischen Profit daraus zu schlagen. lament so heraus, wie es eingebracht worden ist . – Ich freue mich in diesem Sinne auf konstruktive Beratungen, (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Corinna aber bitte mit mehr fachlich-sachlichen Argumenten und Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh weniger lauter moralischer Empörung . ja!) Danke schön . Was wollen wir mit unserem Gesetz erreichen? Eine (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) ganze Menge: Wir wollen den inklusiven Arbeitsmarkt vorantreiben, wir wollen Bürokratie abbauen, wir wollen Vizepräsident Johannes Singhammer: gleichberechtigte Teilhabe sicherstellen, wir wollen den Zugang zu Leistungen ebnen, wir wollen die Selbstbe- Für die CDU/CSU spricht jetzt die Kollegin Dr .Astrid stimmung von Menschen mit Behinderung garantieren Freudenstein . und die Schwerbehindertenvertretungen in den Betrieben (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- stärken .– Das alles sind im Übrigen völlig berechtigte ordneten der SPD) Erwartungen, weil es auch keine Sonderwünsche sind, sondern sie betreffen viele Dinge, die für Menschen ohne Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU): Behinderung der Normalfall sind . Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Trotzdem ist es ein schwieriger Gesetzentwurf . Die Meine Damen! Meine Herren! Wissen Sie, Frau Werner Gründe dafür kennen wir; sie wurden hier in der De- und Frau Rüffer: Sie bringen eine Schärfe in die Debatte, batte ja auch schon diskutiert . Es geht um Geld und um die uns nicht weiterhilft . Zuständigkeiten und eben nicht einfach um den Behin- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) derten oder die Behinderten, sondern um Menschen mit sehr spezifischen Bedürfnissen und viele Einzelfälle. Das Ich glaube, dass es unangemessen ist, sich zum Sprach- macht es im Übrigen den Sachbearbeitern in den Ämtern rohr der Behinderten zu machen . Die können das ganz (B) und in den Sozialverwaltungen, die auch keine bösen (D) gut selber . Menschen sind, oft so schwer . Ermessensentscheidungen (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sind keine Willkürentscheidungen, sondern sie werden NEN]: Ja, das machen sie gerade am Branden- immer auch mit Blick auf den Menschen getroffen . burger Tor!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich glaube auch, dass es da sehr unterschiedliche Inte- ressen gibt . Viele würden sich dagegen verwahren, von Viele reden bei diesem Gesetzentwurf völlig zu Recht Ihnen in dieser Art vertreten zu werden . mit: der Bund, die Betroffenen, die Länder, die Leistungs- erbringer, die Kommunen und die kirchlichen Verbände . (Beifall bei der CDU/CSU – Corinna Rüffer Die Aufgabe ist eine wirklich schwierige, aber ich bin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber das mir ganz sicher: Wir werden sie lösen . Wenn wir dieses tun Sie doch! Sie maßen sich doch an, sie zu Gesetz verabschiedet haben, wird vieles besser werden, vertreten!) weil vieles besser werden muss . Es geht nicht darum, Protest möglichst laut zu formulie- Was sind die Themen, die uns beschäftigen? Das ist ren . zum einen der Begriff der Behinderung . Was ist eigent- (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lich eine Behinderung? Diesen Begriff wollen wir im NEN]: Wir artikulieren unsere Meinung! Das Lichte der UN-Behindertenrechtskonvention neu defi- dürfen wir doch wohl, oder? – Gegenruf der nieren . Damit zusammenhängend wollen wir zum an- Abg . Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: deren auch definieren, wer eigentlich Zugang zu Leis- Manchmal geht es auch um das Wie!) tungen der Eingliederungshilfe bekommen soll . Es soll ausdrücklich – das wurde schon erwähnt – keine Aus- Es geht darum, ein besonders gutes Gesetz zu schaffen . weitung des Personenkreises geben, gleichzeitig soll es Es wird hier ein Bild gezeichnet, als würden überall in aber auch ausdrücklich keine Einschränkung des Perso- den Ministerien und Parlamenten Menschen sitzen, die nenkreises geben . Die stoische Wiederholung macht eine nichts anderes im Sinn haben, als Menschen mit Behin- Behauptung nicht wahr . derungen das Leben schwer zu machen . In welcher Welt Im Gesetzentwurf steht momentan die Fünf-aus-neun- leben Sie denn? Was haben Sie denn für ein Menschen- Regelung . Sie ist heftig umstritten; das entgeht nie- bild? mandem . Wir müssen im parlamentarischen Verfahren (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- überlegen, wie wir diesen Befürchtungen entgegentreten ordneten der SPD) können; denn wir alle wollen, dass jeder, der Eingliede- 18818 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Dr. Astrid Freudenstein (A) rungshilfe braucht, diese Eingliederungshilfe in Zukunft Gute Erfahrungen wurden in einigen Bundesländern (C) auch bekommt . schon mit dem Budget für Arbeit gemacht, einem dau- erhaften Lohnkostenzuschuss, mit dem der Mensch mit (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Behinderung zu seinem Arbeitgeber gehen kann . So wird der SPD) der Schritt in den ersten Arbeitsmarkt erleichtert . Dieses Die Kollegin Reimann hat schon darauf hingewiesen: Budget für Arbeit wollen wir bundesweit verankern . Das muss erst 2020 letztlich wirklich festgezurrt sein . Deswegen haben wir auch noch Zeit, das alte und das Ein Thema, das von Anfang an im Zentrum der Debat- neue System möglicherweise parallel laufen zu lassen, te stand, war die Anrechnung von Einkommen und Ver- zu evaluieren und zu schauen, wo es Verwerfungen ge- mögen, wenngleich dieser Teil, der der teuerste bei dem ben könnte . Bisher waren die Erfahrungen so, dass die- Gesetz wird, gar nicht besonders viele Menschen betrifft; se Fünf-aus-neun-Regelung eigentlich funktioniert, aber aber er hat hohen Symbolwert . „Raus aus dem Fürsor- wir werden den Befürchtungen dort auch entgegentreten gesystem“, das ist eine Kernforderung . Ab 2020 werden und alles tun, um die Ängste an diesem Punkt auszuräu- wir in der Tat ein völlig neues Finanzierungsmodell ein- men . führen, das keine detaillierte Darlegung der finanziellen Verhältnisse mehr erfordert . Betroffene können dann Ein ganz wichtiger Punkt im Gesetz – ich meine, er ohne großen Aufwand erkennen, was sie selber, abhän- wird weithin unterschätzt – ist das Teilhabeplanverfah- gig vom Gesamteinkommen, zu der Eingliederungshilfe ren . Das ist vielleicht sogar eine der wichtigsten Errun- beitragen müssen . Dann müssen nur noch die einen Ei- genschaften . In Fällen, in denen mehrere Rehaträger mit genbeitrag leisten, die mindestens ein durchschnittliches einem Betroffenen befasst sind, müssen sie sich unterei- Arbeitseinkommen oder mehr erzielen . Beim Vermögen nander einigen, sodass der Antragsteller die Leistungen wird der Deckel von heute 2 600 Euro auf 50 000 Euro zwar nicht aus einer Hand, aber wie aus einer Hand be- angehoben – ein Riesenschritt . kommen kann . (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Es ist ein Kernanliegen vieler Betroffener, die Büro- kratie einzudämmen und auf Augenhöhe mit den Leis- Dass das von vielen als Heiratshindernis empfunde- tungsträgern ins Gespräch zu kommen . Auf Wunsch ne Heranziehen des Partner- oder Ehegatteneinkommens kann es auch Teilhabekonferenzen geben . Ich meine, wegfällt, wurde ebenfalls schon erwähnt . das ist ein ganz großer Schritt hin zu mehr Selbstbestim- mungsrecht und dahin, das Wunsch- und Wahlrecht der Die Schwerbehindertenvertretungen in den Betrieben Betroffenen sicherzustellen . sollen mit dem Bundesteilhabegesetz gestärkt werden . Es soll mehr Ansprüche auf Fortbildungen und auf Freistel- (B) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und lungen geben . Auch die Werkstatträte werden in ihrer (D) der SPD) Arbeit gestärkt . Wir werden auch die unabhängige Beratung stärken, Ein mir ganz wichtiger Punkt ist die jetzt bundeswei- weil dieses Gesetz auch mehr Beratung erfordert . Hier te Verankerung der Komplexleistung Frühförderung: ein gibt es mancherorts – das ist in den Ländern sehr unter- Riesenfortschritt für betroffene Familien, die gerade, schiedlich – Nachholbedarf . wenn sie ein Kind mit Behinderung haben, andere Sor- Wir wollen auch darauf achten, dass wir die Kompe- gen haben, als zu verschiedenen Rehaträgern zu laufen . tenz der Betroffenen selber nutzen . Wir wollen also mehr In Bayern wird das seit vielen Jahren sehr erfolgreich Peer-to-Peer-Beratung und gleichzeitig verhindern, dass praktiziert . Das ist ein wirklich guter Punkt im Bun- es Doppelstrukturen gibt . Dort, wo die Beratung schon desteilhabegesetz . sehr gut funktioniert, wollen wir darauf aufbauen, damit in Zukunft jeder Betroffene weiß, worauf er Anspruch Mit Modellvorhaben zur Prävention wollen wir darauf hat und wie er an seine Rechte kommt . hinwirken, dass überhaupt nicht mehr so viele Menschen in die Eingliederungshilfe rutschen . Dann gibt es, viel Ein wichtiges Anliegen ist uns, die Teilhabe am Ar- diskutiert, die Schnittstelle zwischen Eingliederungshilfe beitsleben vielfältiger zu gestalten . Hier gibt es viele und Pflege, die auf uns im Wesentlichen deswegen zu- Neuerungen und sehr viele Verbesserungen . Auch hier kam, weil es durch das Pflegestärkungsgesetz III in der reagieren wir auf die UN‑Behindertenrechtskonvention Pflege Teilhabeelemente gibt und sich die Leistungen und die Staatenprüfung . Dabei wollen wir ausdrücklich von Eingliederungshilfe und Pflege so weit annähern bewährte Strukturen erhalten und damit auch zum Bei- können, dass man eine Abgrenzung vornehmen muss . spiel den Menschen in den Werkstätten Sicherheit geben . Aber wir wollen auch das Spektrum erweitern und ne- Ich weiß auch um die Befürchtung, dass junge Men- ben den bewährten Werkstätten alternative Leistungsan- schen dann nicht mehr in der Eingliederungshilfe behan- bieter mit einer größeren Angebotsvielfalt zulassen . Das delt werden, sondern womöglich in der Pflege landen – soll den Leistungsberechtigten Wahlfreiheit eröffnen . Es wo sie natürlich nicht hingehören, Frau Rüffer, und das ist in diesem Zusammenhang wichtig, dass diese Ange- will auch keiner . Deswegen werden wir das auch klar- botsvielfalt nicht zu einer qualitativen Verschlechterung stellen . führt . Darauf werden wir im parlamentarischen Verfah- ren achten . (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) NEN]: Dann schreiben Sie es doch rein!) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18819

Dr. Astrid Freudenstein (A) – Das brauchen Sie auch nicht mehr zu wiederholen . Das warten vor allen Dingen, dass wir uns mit diesem Gesetz (C) will kein Mensch . fachlich und qualifiziert auseinandersetzen. (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Uwe Schummer [CDU/CSU]: Sehr richtig!) NEN: Aber es ist so drin!) Sie erwarten ganz sicher nicht, dass wir uns hierhinstel- Das Poolen von Leistungen ist auch ein sehr wichtiger len und uns gegenseitig beschimpfen und Vorhaltungen Punkt, über den wir reden können . Es geht um Zumutbar- machen, ohne einen einzigen eigenen Vorschlag in diese keit und um Zustimmung . Wann dürfen Leistungen für Debatte einzubringen . mehrere Personen gebündelt erbracht werden? Das ist ein Knackpunkt in der Debatte, weil es hier tatsächlich (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – um Geld geht und weil die Betroffenen völlig zu Recht Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sagen: Hier ist auch mein Selbstbestimmungsrecht tan- NEN]: Wir haben doch zu den Lebens- giert .– Deswegen ist es ein wirklich wichtiger Punkt . Es bereichen beispielsweise einen Vorschlag geht um das Wunsch- und Wahlrecht . Auch wenn stoisch gemacht!) behauptet wird, es würde da ums Wohnen gehen – es reicht ein eindringlicher Blick in den Gesetzentwurf, um Ich glaube, die Erwartungshaltung ist, dass wir dieses zu sehen: Nein, es geht nicht um Poolen im Bereich des Gesetz ernst nehmen und sehr deutlich formulieren, wie Wohnens . wir uns der fachlichen Debatte, die jetzt im parlamenta- rischen Verfahren ansteht, widmen, und zwar mit Know- (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: how, Ernsthaftigkeit und Klarheit . Ich möchte sehr darum Genau!) bitten, sich dieser fachlichen Auseinandersetzung nicht zu verweigern, sondern sie mitzugestalten, mitzumachen Das ist nicht die Absicht des Gesetzgebers . oder aber sie uns alleine machen zu lassen . So ginge es (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- natürlich auch . ordneten der SPD) Im parlamentarischen Verfahren, in das wir heute ein- Dieser kleine Einblick macht vielleicht deutlich: Es steigen, gibt es Punkte, auf die wir ein besonderes Au- gibt im vorliegenden Gesetzentwurf viele Neuerungen, genmerk legen wollen . Ich möchte diese Punkte benen- viele Verbesserungen und, weil es so viele Neuerungen nen – einige sind schon genannt worden; das freut mich sind, auch viele Unsicherheiten . Ich habe im diesjährigen besonders –: Wir werden uns insbesondere die Schnitt- Prozess – das mögen Sie anders wahrgenommen haben – stelle zwischen der Eingliederungshilfe, den Hilfen zur allerorten den guten Willen zur Kenntnis genommen, ein Pflege und der Pflegekasse ansehen und die Frage klären, (B) wirklich gutes Gesetz auf den Weg zu bringen, das den wie wir die Neuordnung angehen, immer klar am Bedarf (D) Menschen mit Behinderung das Leben in unserem Land orientiert . Auch die Regelung in § 43a SGB XI zur pau- leichter macht . Ich persönlich habe das große Anliegen, schalen Geldleistung für Menschen in vollstationären dass wir diejenigen, die sich nicht nur nicht laut, sondern Einrichtungen gehört aus unserer Sicht mittelfristig einer möglicherweise überhaupt nicht artikulieren können, die Lösung zugeführt . vielleicht auch nicht in der Lage sind, zu demonstrieren, in diesem Gesetzgebungsprozess besonders im Auge be- (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- halten . NEN]: Was soll das denn heißen?) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Kurzfristig wollen wir keine Ausweitung . der SPD – Katrin Werner [DIE LINKE]: Kom- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) men Sie mit ans Brandenburger Tor, und reden Sie mit denen!) Den heute schon vielfach angesprochenen Zugang Meine Damen, meine Herren, ich freue mich auf die zur Eingliederungshilfe wollen wir nicht versperren und Beratungen . Ich bleibe zuversichtlich und bin ganz si- auch nicht einschränken . Deshalb werden wir die Zeit cher: Wir kriegen das hin . bis 2020 nutzen, um hinreichend Erkenntnisse zu dieser Thematik zu sammeln . Danke schön . Wir haben uns ebenfalls vorgenommen, uns besonders (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) für die Zielgruppe der geistig behinderten Menschen, die ganz häufig in den Werkstätten für behinderte Menschen Vizepräsident Johannes Singhammer: zu finden sind, einzusetzen und miteinander zu klären, Die Kollegin Kerstin Tack spricht als Nächste für die ob und wie wir sie in Bezug auf die Einkommens- und SPD . Vermögensbildung von den Regelungen dieses Gesetzes noch stärker als heute profitieren lassen können. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD sowie des Abg . Uwe Schummer [CDU/CSU]) Kerstin Tack (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin- Es ist uns wichtig, auch auf den Bereich der Teilhabe nen und Kollegen! Ich glaube, die allermeisten derer, an Bildung zu schauen und zu prüfen, ob wir alle Bil- die Leistungen der Eingliederungshilfe beziehen und dungszusammenhänge und Bildungsverläufe sinnhaft deshalb heute ganz genau auf diese Debatte schauen, er- unterstützen . 18820 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Kerstin Tack (A) Die Stärkung der Schwerbehindertenvertretung ist für Uwe Schummer (CDU/CSU): (C) uns ein wesentliches Anliegen . Über die erreichten Ziele Ja, selbstverständlich .– Frau Rüffer, Sie haben eben freuen wir uns . Aber wir wollen darüber hinaus noch ein- geklatscht, als es um die Frage ging, warum die Verbes- mal über die Wirksamkeit diskutieren . Wir sind hier für serungen von den Ländern angeblich alleine finanziert Vorschläge offen . werden müssen . Für uns, die wir im Saal und auf den Zuschauertri- bünen sitzen, und viele andere, die nun zuschauen, ist Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): es selbstverständlich, selbst zu wählen, wo und wie wir leben wollen . Die gleiche Selbstverständlichkeit muss Herr Schummer, das war ein netter Versuch . Aber neh- auch Menschen mit Behinderung zugestanden werden, men Sie zur Kenntnis, dass im Koalitionsvertrag steht, die Leistungen der Eingliederungshilfe in Anspruch neh- die Kommunen seien bei der Eingliederungshilfe um men . Dafür wollen wir uns gerne einsetzen . Ich freue 5 Milliarden Euro zu entlasten; das haben Sie ständig mich auf intensive und emotionale, aber auch fachlich wiederholt . Das hat nichts damit zu tun, dass Verbesse- versierte Debatten, die wir in den nächsten Wochen si- rungen mehr Geld kosten werden – der Gesetzentwurf cherlich noch führen werden . liegt uns erst jetzt vor –, sondern damit, dass die Mehr- kosten innerhalb der Eingliederungshilfe auf eine struk- Herzlichen Dank . turelle Ursache zurückzuführen sind . Das liegt schlicht an den steigenden Fallzahlen und hat viel mit dem de- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – mografischen Wandel zu tun. Als wir damals über eine Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Entlastung von 5 Milliarden Euro geredet haben, ging es NEN]: Haben Sie unseren Antrag eigentlich nicht um Verbesserungen, sondern darum, dass der Bund gelesen?) Länder und Kommunen bei ihren Aufwendungen unter- stützt . Sehen Sie das genauso, oder worüber reden wir nun? Vizepräsident Johannes Singhammer: Zum Abschluss dieser Aussprache hat der Kollege (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Uwe Schummer für die CDU/CSU das Wort . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Da klatscht die Linke schon wieder!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Uwe Schummer (CDU/CSU):

(B) Uwe Schummer (CDU/CSU): Der Bund entlastet ab 2020 Länder und Kommunen (D) jährlich um 700 Millionen Euro . Der Bund hat auf Bitten Verehrtes Präsidium! Obwohl die Opposition nur aus der Länder und Kommunen ebenfalls vereinbart – das zwei Fraktionen besteht, sollte sie sich in der Argumen- wollte ich gerade hinzufügen, als Sie sich zu Ihrer Zwi- tation einig sein, wenn sie sich gegenseitig beklatscht . schenfrage meldeten –, dass die Entlastung von 5 Mil- Wenn vonseiten der Grünen gesagt wird, es gebe kaum liarden Euro nicht im Rahmen der Eingliederungshilfe Verbesserungen, und alles werde schlechter, es drohe die vorgenommen werden soll; denn sonst profitierten die große Sahelzone, und es handele sich um ein reines Spar- Bezirksregierungen in Bayern, die 44 Kommunen in gesetz, dann klatschen Sie von der Linken . Wenn aber Baden-Württemberg, die Landschaftsverbände in Nord- dann jemand von der Linken sagt, dass sich die Kommu- rhein-Westfalen und die Landesregierung im Saarland . nen und Länder beschweren, weil sie bei den Verbesse- Das heißt, man erreicht die Kommunen in der Breite rungen, die sie finanzieren müssen, vom Bund im Regen nicht . Aber die 5 Milliarden Euro sind nun einmal vorge- stehen gelassen werden, dann klatschen Sie von den Grü- sehen . Deshalb gibt es die Vereinbarung zwischen Bund nen . Gibt es nun Verbesserungen, oder gibt es keine? und Ländern – diese sollten Sie durch Ihren Ministerprä- sidenten eigentlich kennen –, dass 2018 die Entlastung (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- in Höhe von 5 Milliarden Euro im Rahmen der Kosten NEN]: Herr Schummer, das ist ein strukturel- der Unterkunft und der Grundsicherung sowie durch les Problem!) Einnahmen aus Umsatzsteuerpunkten erfolgen soll . Das Wenn es Verbesserungen gibt, dann werden sie auch fi- heißt, die Länder und Kommunen bekommen diese Ent- nanziert . lastung um 5 Milliarden Euro . Meine Erwartung ist, dass Sie, Kollegin Rüffer, mit dafür sorgen, dass – so wie wir Bei der Finanzierung wurden zwei Aspekte eindeu- 700 Millionen Euro zusätzlich für die Eingliederungshil- tig thematisiert . Der erste ist: Der Bund gibt ab 2020 im fe aufbringen – auch von den Ländern, aber zumindest Rahmen des Bundesteilhabegesetzes jedes Jahr zusätz- von den Kommunen 10 Prozent ihrer Entlastung um lich 700 Millionen Euro für Verbesserungen . 5 Milliarden Euro ab 2018 in die Eingliederungshilfe weitergeleitet werden . Dafür kämpfen wir miteinander . (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Das muss unsere Zielsetzung sein . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Vizepräsident Johannes Singhammer: ordneten der SPD – Beate Müller-Gemmeke Herr Kollege Schummer, gestatten Sie eine Zwischen- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind kei- frage der Kollegin Rüffer? ne qualitativen Verbesserungen!) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18821

(A) Vizepräsident Johannes Singhammer: haben, das die Teilhabe behinderter Menschen in der Ge- (C) Herr Kollege Schummer, gestatten Sie eine weitere sellschaft angeht . Das hat man mir vor einem Jahr noch Zwischenfrage, und zwar der Kollegin Krellmann? weitgehend verschwiegen . Wenn all das, was wir vor- haben, im Bundesteilhabegesetz zu Verschlechterungen führt, dann muss doch die Konsequenz sein, dass zurzeit (CDU/CSU): Uwe Schummer alles ungeheuer positiv ist . Wenn es nicht zu verhindern ist . (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Nein! Das ist unlogisch!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Sie können es entscheiden . Das würde mir, glaube ich, niemand unterschreiben . Es ist eine klare Differenzierung notwendig: Was sind Ver- besserungen, und wo gibt es Punkte, die wir miteinander Uwe Schummer (CDU/CSU): zu diskutieren haben? Dann fragen Sie . Wenn bisher Erwerbstätigen, die auf Eingliederungs- hilfe angewiesen sind, nur bei hohem Assistenzbedarf Jutta Krellmann (DIE LINKE): der doppelte Hartz‑IV-Satz plus ein Zuschuss zum Woh- Herr Schummer, es ist sehr nett von Ihnen, dass Sie nen als Freibetrag vom monatlichen Einkommen gewährt meine Frage zulassen .– Mein Wunsch als Opposition ist, wird, dann ist, glaube ich, die jährliche Freistellung von den Menschen draußen, die Kritik an einem Gesetz ha- 30 000 Euro für weit über 90 Prozent der Betroffenen ben, eine Stimme zu geben . Das ist es, was die Grünen eine Verbesserung . Wenn bisher bei Erwerbstätigkeit be- und was wir als Linke gemacht haben . hinderter Menschen mit Assistenz- und Hilfebedarf nur Was ich Ihnen auch noch sagen möchte: In Hanno- 2 600 Euro als Vermögen angespart werden durften und ver – ich komme aus Niedersachsen – demonstrieren das in der Zielsetzung bis 2020 auf 50 000 Euro angeho- derzeit 8 000 Menschen auf dem Opernplatz und zeigen ben wird, dann ist das wohl eine klare Verbesserung . uns in Berlin die Rote Karte, weil sie mit vielen Punkten (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) nicht einverstanden sind. Von daher besteht, wie ich fin- de, kein Anlass, alles zu loben, auch wenn es vielleicht Selbst wenn ich mehr gefordert habe, ist das ist eine klare an der einen oder anderen Stelle gut ist . Es kommt doch und eindeutige Verbesserung . darauf an, die Kritik ernst zu nehmen und sie entspre- Wenn man, was uns insgesamt wichtig war und was chend aufzugreifen . Von daher ist meine Frage: Sind Sie auch von den betroffenen Menschen immer wieder ein- bereit, wahrzunehmen, dass viele Menschen auch außer- gebracht wurde, endlich das faktische Heiratsverbot be- (B) halb dieses Parlaments so viel Kritik haben, um dann die seitigt und die Ehepartner oder andere Partner bei der (D) Kritikpunkte aus allen Richtungen aufzugreifen und ent- Mitfinanzierung außen vor lässt, sodass in der Einglie- sprechend nachzubessern? derungshilfe Liebe und Armut nicht mehr Hand in Hand (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- gehen, dann ist auch dies eine zentrale und wesentliche NIS 90/DIE GRÜNEN) Verbesserung . (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Uwe Schummer (CDU/CSU): Dass es bei dem Thema des Zugangs zur Einglie- Liebe Kollegin, ich habe mir das parlamentarische derungshilfe richtig ist, von einer Defizitbewertung – Recht genommen, die Debatte zwischen der Linken und medizinische Diagnose – zu wechseln und die neuen den Grünen als Oppositionsfraktionen, die ich mitver- Lebensbereiche nach den Kriterien der Weltgesundheits- folgt habe, zu bewerten . Das waren meine ersten drei organisation zu definieren – Mobilität, Kommunikati- oder vier Sätze . Jetzt habe ich Zwischenfragen beant- on –, ist offensichtlich . Wenn man sieht, dass Behinde- wortet; ich bin auch gerne dazu bereit . Ich sehe ebenfalls rung durch im Menschen angelegte Verhaltensweisen in Kritikpunkte und würde jetzt gerne auf die Inhalte kom- Wechselwirkung mit dem Lebensumfeld entsteht, dann men, wenn Sie mich denn lassen . Ich sehe Punkte, die ist es im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention, ich inhaltlich mit Ihnen diskutieren möchte . Dafür gibt es diesen Systemwechsel zu vollziehen . das parlamentarische Verfahren, und ich bin dankbar und froh, dass dieses parlamentarische Verfahren jetzt gestar- Aber meine Frage ist dann auch – da sind wir bei den tet wird und dass die Inklusion, die Teilhabe behinderter kritischen Punkten; Astrid Freudenstein hat das ausge- Menschen, aus den Spartenthemen heraus ins Zentrum führt –, wie man auf fünf Punkte kommt . Die Zahl Fünf der politischen Auseinandersetzung kommt, mit allen kann man mathematisch erklären, aber fachlich werden Demonstrationen und Konflikten, die damit verbunden wir das prüfen müssen . sind . Darauf bin ich stolz . Das ist richtig so, und es zeigt, Wir müssen miteinander überlegen, wie wir es inhalt- dass Inklusion in der politischen Gesellschaft angekom- lich und sachlich so organisieren, dass nicht am Anfang men ist . der Systemwechsel steht und man schaut, was passiert, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- sondern dass man, wie es auch im Gesetz angelegt ist, ordneten der SPD) das jetzige System weiterlaufen lässt, um dann in drei oder vier Jahren, wenn das neue System erprobt ist und Nun zum bestgehüteten Geheimnis in der Sozialpoli- valide Zahlen vorhanden sind, den Systemwechsel zu tik der letzten Jahre . Was müssen wir für ein tolles Recht vollziehen . Es ist richtig, dass man sagt, es dürften keine 18822 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Uwe Schummer (A) Experimente gemacht werden . Wir müssen miteinander Kur beantragt werden muss oder wenn bürokratische (C) vernünftige Lösungen entwickeln . Aktivitäten zu erledigen sind . Wir müssen ihnen eine Verwaltungsfachkraft zur Seite stellen, die dafür sorgt, Die Abgrenzungsproblematik der aktivierenden Pfle- dass die Vertrauensleute stärker für die Menschen in den ge, die sich neu aufstellt, zur Eingliederungshilfe ist ein Betrieben zur Verfügung stehen, weil sie weniger in der Thema, das wir intensiv im parlamentarischen Verfah- Verwaltung tätig sein müssen . Das ist in dem Gesetz ver- ren diskutieren werden . Mehrere Kolleginnen und Kol- ankert . legen, von der Ministerin angefangen bis hin zu Astrid Freudenstein und Kerstin Tack, haben gesagt, dass auch Die zweite Forderung lautet: Lasst uns nicht allein . bei der gemeinsamen Leistungserbringung niemand aus Wir wollen nicht Einzelkämpfer sein, wir wollen im seinem privaten Wohnumfeld herausgedrängt wird . Das Team arbeiten können . – Auch die stellvertretenden wird auch klargestellt werden . Dass ein Zwangspoolen Schwerbehindertenvertreter und die anderen Vertrauens- dazu führen könnte, dass man aus seinem selbstständigen leute sollen differenziert Aufgaben übernehmen sowie Haushalt verdrängt würde, wird überhaupt nicht passie- Qualifizierungsmaßnahmen besuchen können. Sie sollen ren . Auch das ist etwas, das wir klarstellen werden . dann im Team in der Lage sein, diese schwierige Aufga- be im Interesse des Unternehmens und der Wirtschaft zu (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- bewältigen . ordneten der SPD) Ihre dritte Forderung ist: Nehmt uns ernst .– Das be- Die Kostendynamik stellt sich heute wie folgt dar: Wir deutet, dass die Informationsrechte, welche Schwerbe- haben jedes Jahr nach wie vor 15 000 neue Zugänge in hindertenvertretungen haben, auch genutzt werden . Es die Werkstätten in Deutschland, die finanziert werden. soll miteinander geredet werden, bevor eine Entschei- Davon sind 13 000 Werkstattplätze für psychisch behin- dung getroffen wird . Da geht es nicht um Mitbestim- derte Arbeitnehmer, die vom ersten Arbeitsmarkt kom- mung, sondern um reine Information . Bevor jemand men . Allein das trägt erheblich zur Kostendynamik bei frühverrentet wird, sollte man im Betrieb miteinander der Eingliederungshilfe bei, und zwar bundesweit in ei- überlegen: Wie kann durch Eingliederungsmanagement ner Größenordnung von 250 Millionen Euro . die Arbeitsfähigkeit auch nach chronischen Erkrankun- Schauen wir uns einmal die Kosten, die psychische gen wiederhergestellt werden? Das belastet die Wirt- Erkrankungen in den Unternehmen verursachen, an . schaft nicht; das entlastet sie, weil das Potenzial, das wir 42,4 Prozent aller Frühverrentungen erfolgen aufgrund haben, die Menschen, in den Betrieben gehalten werden . psychischer Erkrankungen . Diese Menschen kommen Dafür sorgen in besonderer Weise die Schwerbehinder- aus den Betrieben, aus den Verwaltungen . Das geht in die tenvertretungen . Deshalb ist uns auch das ein zentrales Anliegen . (B) Milliarden . Deshalb ist es wichtig, dass im engen Ver- (D) bund mit dem Bundesteilhabegesetz auch die Schwerbe- Wir drücken jetzt nicht auf einen Knopf und sagen, ab hindertenvertretungen in den Betrieben und Verwaltun- morgen sei die Welt schön . Es wird aber anders sein als gen gestärkt werden . 2001, als das Sozialgesetzbuch IX formuliert wurde . Da- (Beifall bei der CDU/CSU) nach ging es 15 oder 16 Jahre nach dem Motto „Still ruht der See“ zu . Jetzt wird ein Prozess gestartet, und dieser Sie sind Komanager; sie wissen, wie die Humanisierung Prozess muss in die richtige Richtung gehen . Es darf kei- der Arbeitswelt aussieht, sie wissen, wie nach chroni- ne Verschlechterungen geben, es muss Verbesserungen schen Erkrankungen das Eingliederungsmanagement in geben . Nicht alle Wünsche werden am Ende des Tages den Unternehmen stattfinden kann, sie wissen, wie Inte- erfüllt sein . Aber natürlich können wir das, was wir par- grationsabteilungen in den Betrieben aufgebaut werden lamentarisch miteinander bewegen, nur auf der Grundla- können, und sie wissen, wie mit einem Frühwarnsystem ge dessen bewerten, was heute real an Teilhabe möglich das wichtigste Potenzial in den Betrieben und Verwaltun- ist . Dabei geht es nicht um all die Wünsche – man könnte gen, der Mensch mit seiner produktiven Kraft, vor Burn­ sie auf 1 000 Seiten zusammenfassen –, die man so hat . out und gesundheitlichen Beeinträchtigungen geschützt Man kann sie nicht politisch-parlamentarisch mit einem werden kann . Deshalb wollen wir die Schwerbehinder- Gesetzentwurf erfüllen . tenvertretungen auch im Rahmen des Bundesteilhabege- setzes stärken . (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Die sind auf sechs Kernforderungen Die Schwerbehindertenvertreter nennen mir immer zusammengefasst auf zwei Seiten DIN A4!) wieder – das war am Montag bei der IG Metall wieder Der Prozess aber wird starten, und er wird auch in der der Fall – drei Dinge, die wir beachten sollten . Die erste nächsten Legislaturperiode fortgesetzt werden . Forderung ist: Gebt uns mehr Zeit . Es wird immer kom- plizierter . Die Mitarbeiter werden älter und krankheits- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) anfälliger .– Deshalb ist es gut, richtig und wichtig, dass die Regelung, wonach eine Vertrauensperson freigestellt Vizepräsident Johannes Singhammer: wird, wenn wenigstens 200 anerkannt schwerbehinderte Damit sind wir am Ende der Aussprache zu diesem Mitarbeiter beschäftigt sind, verbessert wird, sodass in Tagesordnungspunkt, die ich deshalb auch schließe . den Betrieben und Verwaltungen jetzt die Mindestzahl nur noch 100 beträgt . Die Forderung nach mehr Zeit Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen bedeutet auch, dass wir die Vertrauensleute bei den Ver- auf den Drucksachen 18/9522 und 18/9672 an die in waltungsaufgaben entlasten, zum Beispiel wenn eine der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18823

Vizepräsident Johannes Singhammer (A) gen .– Widerspruch dagegen ist nicht erkennbar . Dann ne Truppen würden die Kontrolle über das gesamte Land (C) sind diese Überweisungen auch so beschlossen . zurückerobern . Ich rufe jetzt Zusatzpunkt 6 auf: Wir wissen nicht ganz genau, was passiert ist; deswe- Aktuelle Stunde gen müssen wir die Aufklärung abwarten . Aber auf eines will ich hinweisen: Die systematische Aushungerung von auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und Gebieten, die dem Feind zugeordnet werden, wird von SPD allen Kriegsparteien angewandt; aber nur eine Kriegs- partei in diesem Konflikt verfügt über eine Luftwaffe. Die Situation in Syrien nach dem Angriff auf Deswegen darf man schon darauf hinweisen, dass in dem den VN‑Hilfskonvoi Gebiet, in dem die Bombardierung stattgefunden hat, im Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- Moment die sogenannten oppositionellen Rebellen ope- ner dem Kollegen Niels Annen für die SPD das Wort . rieren, und in der Luft operieren syrische und russische Flugzeuge . Man darf auch darauf hinweisen, dass die Niels Annen (SPD): Regierung von Präsident Assad offensichtlich keinerlei Interesse daran hat, das Instrument der systematischen Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Aushungerung, der Belagerung von feindlichen Kräften Herren! Der Angriff auf den Hilfskonvoi der Verein- aufzugeben . Aus dieser Logik ergibt sich, dass ein huma- ten Nationen und des Roten Halbmondes am 19 . Sep- nitärer Konvoi zu einem Ziel in einem Krieg wird . tember südwestlich von Aleppo war ein abscheuliches Kriegsverbrechen . Damit wurde ein neuer Tiefpunkt im Genau das dürfen wir nicht zulassen . Wir als Sozial- Syrien-Krieg erreicht, obwohl wir wahrscheinlich alle demokraten unterstützen deswegen die laufenden Bemü- eigentlich dachten, dass es nicht mehr schlimmer kom- hungen von Außenminister Steinmeier in New York . Es men könnte . Deswegen, meine lieben Kolleginnen und hat erste Treffen der Kontaktgruppe gegeben . Ich den- Kollegen, muss unsere Botschaft – auch und vor allem ke, das ist ein wichtiges Signal . Alle Parteien haben sich denjenigen gegenüber, die das Regime in Damaskus un- zumindest formal zu diesem Waffenstillstand bekannt, terstützen – klar sein . Ich will das hier in aller Deutlich- und es bleibt zu hoffen, dass es bei den nächsten Treffen keit sagen: Diese systematische Verletzung humanitären dann endlich auch zu konkreten Ergebnissen kommt . Ich Völkerrechts ist nicht hinnehmbar . erwähne das hier auch, weil es die aktuelle Debatte im (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Moment zu Recht, wie ich meine, bestimmt . Wenn wir es als internationale Gemeinschaft zulassen, Die von Frank-Walter Steinmeier erhobene Forde- (B) dass in militärischen Auseinandersetzungen die Grund- rung nach einem zeitlich begrenzten, aber vollständigen (D) regeln, die wir uns als Weltgemeinschaft selber gegeben Verbot von Flügen über Syrien unterstützen wir, weil haben und die auch und gerade für diese Konflikte gelten ein solches Verbot vielleicht die Möglichkeit schafft, ein müssen, bewusst und – ich füge hinzu – systematisch ge- Momentum zu kreieren, diesen fragilen Waffenstillstand brochen werden, dann ist das nicht nur eine humanitä- doch noch einmal mit Leben zu erfüllen . Ein zeitlich be- re Katastrophe für die betroffenen Menschen in diesem grenztes Verbot von militärischen Luftoperationen würde Krieg, sondern dann stellt das auch das System insge- ja auch dazu führen, dass es in dem vereinbarten Zeit- samt infrage . Es gibt ein Minimum an Regeln, ein Mi- raum nicht zu solchen dramatischen Missverständnissen nimum an Humanität und Menschlichkeit, die auch im wie die Bombardierung von syrischen Truppen durch Krieg gelten müssen . Das darf nicht verloren gehen, das amerikanische Streitkräfte kommen kann, was natürlich darf nicht aufs Spiel gesetzt werden, meine sehr verehr- auch dazu beigetragen hat, dass dieser Waffenstillstand ten Damen und Herren . wieder fragiler geworden ist . Solche Fehler dürfen wir uns in dieser Situation einfach nicht leisten . (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich bitte Sie, den konkreten Vorschlag, zeitlich be- Deswegen muss dieser Vorfall aufgeklärt werden, und grenzt militärische Luftoperationen zu verbieten, zu un- die Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen terstützen . Unsere Unterstützung, auch hier im Hause, werden . für die humanitäre Hilfe sollten wir fortsetzen . Ich bin all Ich will an eine Situation erinnern, die, obwohl sie denjenigen in allen Fraktionen dankbar, die sich im Mo- noch gar nicht lange her ist, schon fast wieder aus un- ment dafür einsetzen, dass wir die finanziellen Mittel für serem Gedächtnis verschwunden ist . Nachdem sich die die humanitäre Hilfe in Syrien nicht nur aufrechterhalten, Vereinigten Staaten und Russland nach langen Verhand- sondern auch ausbauen können . lungen und Bemühungen auf diese Waffenruhe verstän- digt hatten, gab es einen der ganz seltenen öffentlichen Ich danke für die Aufmerksamkeit . Auftritte von Präsident Assad . Dieser Auftritt fand nicht (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) im Präsidentenpalast in Damaskus statt; er fand in Daraa statt, einer Stadt, die monate- und jahrelang systematisch ausgehungert und bombardiert wurde und eingekesselt Vizepräsident Johannes Singhammer: war . Die Bewohnerinnen und Bewohner und die Vertei- Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt die Kollegin diger von Daraa haben aufgegeben; am Ende gab es ei- Heike Hänsel . nen Deal mit dem Regime . In dieser Stadt hat Präsident Assad als Reaktion auf den Waffenstillstand gesagt, sei- (Beifall bei der LINKEN) 18824 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) Heike Hänsel (DIE LINKE): schen Flugzeugen . Das wäre ein total großer Krieg . Das (C) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ist unverantwortlich . Wir lehnen solche Forderungen ab . Der Angriff auf den UN-Hilfskonvoi in Syrien war ein schweres Kriegsverbrechen, das wir ohne Wenn und (Beifall bei der LINKEN) Aber verurteilen . 21 Menschen, die helfen wollten, wur- Wir unterstützen die Initiative der Vereinten Natio- den hinterrücks getötet . Bisher gibt es keine verlässli- nen und Russlands für eine internationale, unabhängige chen Beweise, wer dafür verantwortlich ist . Untersuchung dieses Kriegsverbrechens . Wir fordern (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) die Bundesregierung auf – hier könnten Sie einen kon- struktiven, aufklärerischen Beitrag leisten –, dass sie Dass Sie von der Regierungskoalition so tun – Herr ihre Informationen, die sie über die Region hat, veröf- Röttgen heute Morgen im Morgenmagazin; auch Sie, fentlicht, sowohl Geheimdienstinformationen als auch Herr Annen, haben das angedeutet –, als wüssten Sie Aufklärungsdaten der in Syrien im Einsatz befindlichen schon, wer für dieses Verbrechen verantwortlich ist, Tornados . Das wäre ein erster Schritt, um zu mehr Auf- nämlich die syrischen Regierungstruppen und vor allem klärung beizutragen . Russland, ist inakzeptabel und unverantwortlich . (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Sie übernehmen völlig einseitig die Anschuldigungen Entscheidend ist aber für die Menschen in Syrien, der USA und machen bereits jetzt Syrien und vor allem dass die humanitäre Hilfe für die Menschen in den ein- Russland – heute Morgen; O‑Ton von Ihnen – für diesen geschlossenen Gebieten so schnell wie möglich wieder- Angriff verantwortlich . Ich fordere Sie auf: Nennen Sie aufgenommen wird . Das betrifft sowohl Gebiete, die von uns bitte hier Ihre Beweise! Nennen Sie uns die Bele- islamistischen Terrorgruppen eingeschlossen sind, als ge! Sie wissen anscheinend mehr als die UNO und die auch den Osten Aleppos, der von der syrischen Armee NATO zusammen . NATO-Generalsekretär Stoltenberg abgeriegelt ist . Hier braucht es die Verhandlungen, um selbst hat gesagt: Ich spekuliere nicht . Wir wissen nicht, den Zugang zu allen zu organisieren . wer dafür verantwortlich ist . (Beifall bei der LINKEN) (Dr . Johann Wadephul [CDU/CSU]: Weil nicht sein kann, was nicht sein darf!) Wir brauchen außerdem eine möglichst schnelle Wie- derbelebung der Waffenruhe . Dazu gibt es keine Alter- Wir wissen bisher, Herr Annen, noch nicht einmal ge- native; denn dieses Verbrechen ist ja nach dem Ende der nau, ob der Angriff aus der Luft kam . Aber Sie wissen Waffenruhe passiert . Übrigens gab es während der Waf- (B) anscheinend schon, wer es war . Der Rote Halbmond hat fenruhe – das wissen wir auch; das haben Sie nicht er- (D) nämlich die Feststellung, dass der Angriff aus der Luft wähnt – einen angeblichen US-Angriff auf die Stellungen gekommen sei, zurückgenommen . Es ist nicht klar, was der syrischen Armee . vor Ort passiert ist . Mit Ihrer Voreingenommenheit, vor allem der von Herrn Röttgen, sind Sie ein Teil des Pro- (Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Das hat er er- blems und nicht der Lösung . wähnt, aber haben Sie nicht gehört!) (Beifall bei der LINKEN – Lachen bei der Auch das ist natürlich eine Katastrophe und ein Verbre- CDU/CSU) chen und hat dazu geführt, dass die Waffenruhe aufge- Es gibt keine gesicherten Informationen, nur gegen- kündigt wurde . Der Druck muss jetzt auf alle Akteure vor seitige Beschuldigungen . Die USA beschuldigen Russ- Ort erhöht werden, damit eine Waffenruhe auch hält . Da land, Russland wiederum gibt an, in der Nähe des Kon- ist Russland gefragt mit Druck auf Assad, und da sind vois hätte sich eine US-Kampfdrohne befunden . die USA und ihre Verbündeten gefragt, dass sie endlich Druck ausüben auf islamistische Terrorgruppen, die sie (Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Wie lösen wir teilweise nach wie vor unterstützen, wie zum Beispiel denn jetzt das Problem?) Ahrar al‑Scham, und die sich erklärtermaßen nicht an die Es ist eine unübersichtliche Gemengelage . In dieser Situ- Waffenruhe gehalten haben . Hier würde ich mir auch von ation jetzt die Forderung nach einer Flugverbotszone auf- der Bundesregierung wünschen, dass sie endlich Ahrar zustellen, wie es Minister Steinmeier getan hat, die Sie, al‑Scham als Terrorgruppe einstuft und dass es hier keine Herr Annen, hier wiederholen, lehnen wir kategorisch ab . zweifelhaften Positionen gibt . (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Flugverbotszone heißt: noch mehr Krieg und noch mehr Benennen Sie endlich islamistischen Terror als das, Tote . Das haben wir leidvoll in Libyen erlebt . was er ist, und üben Sie Druck aus auf Ihre Partner, auf (Dr . Johann Wadephul [CDU/CSU]: Weiter die Türkei und auf Saudi-Arabien, dass sie diese Gruppen mit dem Bombardieren? Fassbomben?) nicht länger unterstützen! Sie dürfen diese Gruppen nicht länger unterstützen. Sie haben sehr viel Einfluss auf die Wir haben es erlebt mit Zehntausenden Toten in Libyen . Türkei und auf Saudi-Arabien . Wir setzen uns auch dafür Das wird den Krieg verschärfen, und Sie riskieren real – ein, dass endlich auch die Menschen im Norden Syriens, wer soll denn die Flugverbotszone durchsetzen? – ein in Rojava, Zugang zu Hilfslieferungen bekommen . Auch Aufeinandertreffen von US-amerikanischen und russi- sie brauchen unsere Unterstützung, und die Türkei muss Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18825

Heike Hänsel (A) den Krieg gegen die kurdische Bevölkerung beenden . Angefangen von diesem Luftangriff, unabhängig von der (C) Das Menschenrecht auf Frieden ist nämlich unteilbar . Frage, ob Russland selbst aktiv daran beteiligt war oder nicht: Russland hat den Einfluss auf Assad. Russland (Beifall bei der LINKEN) hätte zumindest die Pflicht gehabt, zu verhindern, dass das Ergebnis von Kerry und Lawrow, dass es einen Waf- Vizepräsidentin Claudia Roth: fenstillstand und humanitäre Hilfe gibt, auf diese Weise Vielen Dank, Heike Hänsel .– Guten Tag, liebe Kolle- sabotiert wird . ginnen und Kollegen! Der nächste Redner in der Debatte: Jürgen Hardt für die CDU/CSU-Fraktion . (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Reine Behaup- tung!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Versetzt man sich einmal in die russische Rolle: Putin ist angetreten in diesem Kampf an der Seite Assads mit Jürgen Hardt (CDU/CSU): dem Ziel, Assad die Möglichkeit der Herrschaft über das Danke schön .– Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kol- Land zurückzugeben, und zwar mit militärischen Mitteln . leginnen und Kollegen! Ich möchte mich den Äußerun- Das ist die Strategie, die dahintersteht . Die Entwicklung gen von Niels Annen zu diesem absoluten Tiefpunkt der der letzten Monate zeigt, dass dieser Kampf mit militäri- bisherigen Situation in Syrien, der Bombardierung des schen Mitteln nicht zu gewinnen ist: weder für Assad mit UN-Hilfskonvois, vollumfänglich anschließen . Natürlich russischer Unterstützung noch von der Opposition, die warten wir gespannt darauf, welche Ergebnisse eine in- im Zweifel die eine oder andere Terrorgruppe auf ihrer ternationale Untersuchung liefert . Es gibt Stimmen von Seite kämpfen lässt . allen Seiten, die sagen, dass es eine solche Untersuchung geben soll . Aber es gibt auch ein paar Indizien . Mich (Heike Hänsel [DIE LINKE]: „Die eine oder macht es zum Beispiel skeptisch, dass Russland zunächst andere“? Zwanzig, dreißig!) behauptet hat, sie wüssten nicht, wo sich dieser Konvoi Wenn man in einer besetzten Stadt sitzt, dann wird man befindet. Aber dann tauchen im russischen Fernsehen Vi- im Zweifel erst hinterher fragen, wer das ist, der die Waf- deos, Drohnenaufnahmen, auf, die diesen Konvoi an die- fe in der Hand hat und einen verteidigt . sem Ort filmten. Da passt das eine nicht mit dem anderen zusammen . Diese unglaubliche Einsicht, dass der Kampf militä- Jenseits dessen, was in den letzten Tagen passiert ist, risch nicht zu gewinnen ist, bedeutet auch, dass Putin möchte ich einige Fragen aufwerfen und Gedanken äu- einsehen muss: Trotz seiner massiven Unterstützung ge- (B) ßern . Wir müssen uns natürlich die Frage stellen: Wie lingt es Assad nicht, die Herrschaft über das Land zu- (D) geht es jetzt in dieser Situation weiter? Wir haben die rückzugewinnen . Dann wäre natürlich ein Verzicht auf guten Bemühungen der beiden Außenminister von Russ- weitere militärische Unterstützung ein Stück weit ein land und Amerika erlebt, einen Waffenstillstand zu errei- Eingeständnis, dass die Annahme, man könnte auf diese chen, und damit humanitäre Hilfe, die dringend notwen- Weise den Verbündeten Assad stützen und stärken, fehl- dig ist, zu ermöglichen . Das hängt auch zusammen mit gegangen ist . Ich glaube, über diese weite Brücke muss den ins Stocken geratenen Friedensgesprächen, die wir Putin, muss die russische Führung gehen, damit wir tat- im letzten November in Wien recht erfolgversprechend sächlich an den Punkt kommen, dass Friedensverhand- überraschend positiv begonnen haben, wo Akteure der lungen wieder aufgenommen werden können, weil es Region, aber auch Russland und Amerika und sogar Iran einen Waffenstillstand und humanitäre Hilfe gibt . und Saudi-Arabien sowie die Oppositionskräfte in Syrien in der Lage waren, sich eine Roadmap zu überlegen, wie Ich sehe gegenwärtig keine andere Alternative als die, man zu einem Frieden in diesem Land kommen kann . dass wir uns weiter darum bemühen, einen Waffenstill- Die Friedensgespräche sind im Wesentlichen deswegen stand herzustellen, dass wir im Bereich der humanitären ins Stocken geraten, weil die Opposition völlig zu Recht Hilfe einen Zustand herstellen, dass diese Konvois sicher gesagt hat: Wenn Assad weiterhin mit russischer Unter- fahren können, dass wir zur Not auch andere Überlegun- stützung unsere Städte bombardiert und humanitäre Hil- gen anstellen, wie wir den Menschen, die am dringends- fe nicht möglich ist – beides sind Forderungen der Ver- ten auf humanitäre Hilfe warten, helfen können und dass einten Nationen, die es zu erfüllen gilt –, dann macht es wir ganz konkret an der Fortsetzung des Friedensprozes- keinen Sinn, zu verhandeln . Deswegen ist und bleibt es ses festhalten, wie er in Wien begonnen hat und wie er enorm wichtig, dass es zu einem Waffenstillstand und zur sich in Genf fortsetzen muss . Ermöglichung humanitärer Hilfe kommt: zum einen aus Das ist meine Hoffnung am heutigen Tag . Ich glaube, der Situation der Menschen vor Ort heraus, zum anderen der Schlüssel zur Lösung zahlreicher Probleme liegt tat- aber auch, weil eine Wiederaufnahme des Friedenspro- sächlich leider in Moskau . zesses anders nicht möglich ist . Dann muss man mit Blick auf das, was in dieser Wo- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) che passiert ist, fragen: Wer hat ein Interesse daran, die- sen Weg zu sabotieren? Hier kann man mächtig spekulie-

ren, aber es gibt eindeutig eine ganze Reihe von Punkten, Vizepräsidentin Claudia Roth: die mich dazu veranlassen, dass die Hauptverantwortung Vielen Dank, Jürgen Hardt . – Der nächste Redner: leider nicht von Russland weggenommen werden kann . Omid Nouripour für Bündnis 90/Die Grünen . 18826 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Man müsste auch eine Flugverbotszone einrichten – (C) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die das stimmt; es ist richtig . Alle wünschen sich, dass keine grauenvollen Bilder aus Syrien sind kaum zu ertragen . Bomben mehr fliegen, aber alle, die hinschauen, wissen Im Übrigen ist es gerade mit Blick auf die innerdeutsche auch, dass dies angesichts der Machtverhältnisse nur im Diskussion nicht häufig genug zu wiederholen: Das, was Konsens geht . Deshalb ist das, was der Herr Außenmi- wir auf diesen Bildern sehen, sollte uns immer wieder da- nister heute ausgeführt hat, eher ein Wunschkonzert . Er ran erinnern, wovor eigentlich so viele Menschen fliehen. streut Sand in die Augen der Öffentlichkeit, anstatt end- Ich glaube, dass das in der deutschen Debatte manchmal lich das, was zu tun ist, anzupacken . Er muss, was die verloren geht . Machtverhältnisse angeht, reinen Wein einschenken und das leisten, was am besten geht, und das ist derzeit in (Beifall im ganzen Hause) erster Linie humanitäre Hilfe . Es gibt viel Ratlosigkeit; aber diese Ratlosigkeit soll- Es gibt UN-Resolutionen noch und nöcher, die mit te nicht zu Untätigkeit führen . Ich will mal ein Beispiel den Stimmen Russlands beschlossen wurden, zum Bei- dafür anführen . Andrea Böhm schrieb am 1 .September spiel zum Thema Chemiewaffen . Wir wissen, dass es in der Zeit: auch danach viele Einsätze von Chemiewaffen gegeben EU-Staaten machen derzeit Millionengeschäfte mit hat. Wir wissen, dass Fassbomben weiterhin geflogen Waffenlieferungen, die über Saudi-Arabien oder die sind, obwohl die Russen zugestimmt haben, dass das Türkei in das Kriegsland Syrien gelangen . Allen vo- nicht mehr passieren soll . Wir wissen auch – da gibt es ran Bulgarien, Rumänien, Tschechien, Kroatien und mehrere Resolutionen der Vereinten Nationen –, dass die Slowakei, die sich gleichzeitig heftigst gegen alle, die bedürftig sind, humanitäre Hilfe erhalten sollen . die Aufnahme syrischer Flüchtlinge wehren . Auch das hat in den letzten Monaten nicht geklappt . Ich finde, die Bundesregierung sollte dazu einmal etwas Wir haben einen Antrag eingebracht, in dem wir for- sagen . Das wäre eine große Hilfe . dern, dass sich die Bundesregierung dafür einsetzt, dass es eine Luftbrücke gibt . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Den habt ihr zurückgezogen!) Es ist ein Krieg gegen Kinder . Das sieht man schon allein daran, dass zurzeit 6 Millionen Kinder täglich – Wir haben den Antrag nicht zurückgezogen . Der Antrag Zugang zu humanitärer Hilfe bräuchten . Die Vereinten ist vorhin in die Ausschüsse überwiesen worden . – Wenn Nationen hatten im Juni noch zu 18 belagerten Gebie- der Außenminister es mit der Prüfung der Möglichkeit (B) ten Zugang, im August waren es nur noch drei . Wir alle einer Luftbrücke ernst meint, gehen wir davon aus, dass (D) wissen, was in Ost-Aleppo seit Monaten los ist . Es gab unser Antrag dann auch angenommen wird . Mir wäre es eine annoncierte Waffenruhe, die eigentlich keine war ehrlich gesagt noch lieber, dass wir gar nicht auf die Aus- und während der vor allem keine Hilfe für die Menschen schussberatungen warten, sondern die Bundesregierung in den belagerten Gebieten gekommen ist . Gestern hat- jetzt handelt, nicht erst, wenn wir diskutiert haben . te Aleppo die schlimmste Bombennacht seit über einem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) halben Jahr . Das ist hochdramatisch . Das Problem ist nur: Wenn man mit den Ministerien Ja, es ist ein großes Kriegsverbrechen, was dort mit redet, dann sagen sie: Ja aber wir machen doch schon dem UN-Konvoi passiert ist, und ja, wir brauchen die etwas, wir haben doch einen Beitrag geleistet, wir haben Aufklärung . Aber mindestens genauso wichtig – wenn 30 Millionen Euro bereitgestellt, damit es eine Luftbrü- nicht viel wichtiger – ist die Frage, wie man den Men- cke in den Südosten des Landes geben kann . – Das ist schen helfen kann . Jenseits der Aufklärung muss man gut, dafür sind wir dankbar, aber das reicht nicht . Ehrlich wirklich Hilfe leisten . Die Sätze, die mich, ehrlich gesagt, gesagt, wenn ich mir den Etatansatz für das nächste Jahr am meisten aufregen, sind jene, in denen „man müsste“ anschaue – die Mittel für die humanitäre Hilfe sollen um vorkommt . Das höre ich seit fünf Jahren: Man müsste fast 400 Millionen Euro gekürzt werden –, dann fehlt mir dort helfen, man müsste mal, und wenn es schlimmer der Glaube, dass man ernsthaft helfen will . Ich glaube, wird, müsste man – – Der Außenminister hat am 13 .Au - dass es notwendig ist, dass wir die Bundesregierung in gust gesagt, man müsste prüfen, ob man eine Luftbrücke den Haushaltsberatungen bei diesem Thema stellen . einrichten könne . Ich glaube, dass die Situation so ist, dass man nicht mehr prüfen sollte und auch nicht müsste, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sondern darüber nachdenken muss, wie man sie installie- ren kann . Die Vereinten Nationen betteln seit Monaten Es reicht nicht, immer nur zu formulieren, was passieren darum, dass die Weltgemeinschaft Kapazitäten zur Ver- muss, man muss es auch einmal machen . Exekutive heißt fügung stellt, damit die Luftbrücke eingerichtet werden vollziehende Macht und nicht fabulierende Macht . kann . Man müsste nicht prüfen – die Bundesregierung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) muss einfach etwas auf den Tisch legen, damit die Luft- brücke kommen kann . Deshalb werden wir Sie nicht an dem messen, was Sie in Interviews sagen, sondern an dem, was Sie am Ende des (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Tages tun werden . sowie des Abg . Wolfgang Gehrcke [DIE LIN- KE]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18827

(A) Vizepräsidentin Claudia Roth: 9 Milliarden US-Dollar, die Anfang des Jahres in London (C) Vielen Dank, Omid Nouripour .– Die nächste Redne- für Syrien zusammengekommen sind . Putin und Assad rin: Sabine Weiss für die CDU/CSU-Fraktion . interessiert das gar nicht . Russland sucht man übrigens, Frau Hänsel, vergeblich auf der Liste der 47 Staaten, die (Beifall bei der CDU/CSU) Hilfsgelder zugesagt haben . Nach langen Verhandlungen erlauben sie wenigstens einen Korridor für einen Hilfs- Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU): konvoi, um ihn dann zu bombardieren . Schönen Dank .– Frau Präsidentin! Kolleginnen und (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Die werden ja Kollegen! Meine Damen und Herren! Die CNN-Re- boykottiert!) porterin Clarissa Ward hat im August vor den Vereinten Nationen das Leben in Aleppo als „Hölle“ bezeichnet . Beiden, Assad und Putin, sind aus meiner Sicht die Men- Schlimmer könne es nicht werden, und diesen Eindruck schen offensichtlich völlig egal . Sie nutzen sie nur als habe sie bereits im Jahr 2012 bei ihrer ersten Reise ge- Schachfiguren, um an der Macht zu bleiben, wie Assad, habt . Aber es wurde schlimmer, sagte sie nun nach einem oder um als regionale Macht im Nahen Osten angese- Besuch im Februar dieses Jahres . Als Kriegsreporterin hen zu werden, wie Putin; und wenn Europa durch den habe sie schon viel Schreckliches in der Welt gesehen, Flüchtlingszuzug auch noch destabilisiert wird, mag ihm nichts jedoch sei so schlimm gewesen wie die Zerstö- das auch zupasskommen . rungen in Aleppo . Wohnhäuser sind weitgehend zerstört, Krankenhäuser sind bevorzugte Bombenziele . Aus ande- (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Ach, ist er da ren Berichten hören wir, dass viele Menschen in Syrien auch noch verantwortlich?) kurz vor dem Verhungern sind, Hilfslieferungen kommen Der Syrien-Krieg dauert jetzt fünfeinhalb Jahre: fünf- nicht an, die eigene Produktion ist zusammengebrochen . einhalb Jahre Bombenterror, fünfeinhalb Jahre katastro- 2,1 Millionen Kinder gehen derzeit nicht in die Schule, phale Versorgungslage für viele Menschen, fünfeinhalb 1,4 Millionen weiteren Kindern droht der Verlust des Zu- Jahre Angst um das eigene Leben und das Leben der Fa- gangs zu ihren Schulen . Aus einer verlorenen Generation milie . Trotz aller Tiefschläge und gescheiterten Ansätze werden bald zwei . für eine diplomatische Lösung dürfen wir nicht nachlas- Den Menschen in Aleppo ist jede Lebensgrundlage sen, diese weiterhin anzustreben . Ebenso wenig werden entzogen, aber nicht nur dort: 80 Prozent der Syrer le- wir nachlassen, vor Ort in Syrien und in den Nachbarlän- ben unter der Armutsgrenze, und das ist offenbar Absicht . dern Hilfen für die Menschen zu leisten . Das Auswärti- Sie, die sich gegen die Diktatur von Assad gewandt ha- ge Amt, unser Bundesentwicklungsministerium und die ben, sollen fliehen und möglichst nie wieder zurückkom- jeweiligen Durchführungsorganisationen und Hilfswerke (B) men . Dazu passt traurigerweise das Ereignis vom Mon- leisten unter schwersten Bedingungen hervorragende Ar- (D) tag . Der Luftangriff russischer oder syrischer Kräfte auf beit . Deutschland läuft vor seiner Verantwortung nicht einen UN-Hilfskonvoi im belagerten Aleppo stellt einen weg . neuen Tiefpunkt im Syrien-Krieg dar . Herzlichen Dank . (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Reine Behaup- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- tung!) ordneten der SPD) Neben der Vernichtung der Hilfsgüter für die hungernde, leidende Bevölkerung in Aleppo hat der Angriff auch vie- Vizepräsidentin Claudia Roth: le Menschenleben gekostet . So kamen der örtliche Leiter Vielen Dank, Sabine Weiss .– Nächste Rednerin: des Roten Halbmondes sowie viele aus seinem Team, Sevim Dağdelen für die Linke. Fahrer und Helfer, ums Leben . Meine und auch unsere – zumindest der Koalition und meiner Fraktion – besonde- (Beifall bei der LINKEN) re Hochachtung gilt Menschen wie diesen, nämlich je- nen, die ihr eigenes Leben riskieren, um solche Konvois Sevim Dağdelen (DIE LINKE): mitten ins Kriegsgebiet zu bringen . Diesen Menschen Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und müssen wir ein Denkmal setzen . Kollegen! Unser aller Pflicht ist es jetzt, alles dafür zu (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- tun, dass der Waffenstillstand in Syrien wieder wirksam neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) wird . Der Angriff auf den UN-Konvoi ist selbstverständ- lich ein Kriegsverbrechen – das wurde heute oft hier ge- Sogar nach diesem Ereignis wollen die UN die Hilfslie- sagt –; aber, Herr Röttgen und Herr Annen, jetzt nach ei- ferungen so schnell wie möglich wieder aufnehmen . Das, ner Flugverbotszone zu rufen, bedeutet nichts als Krieg . meine Damen und Herren, ist eben der Unterschied zwi- schen einer wertegebundenen Außen- und Entwicklungs- (Beifall bei der LINKEN) politik, wie wir sie betreiben, und einer auf Machtinter- Das kann doch nicht wirklich Ihr Ernst sein . Das Beispiel essen ausgerichteten Politik von Menschen wie Putin und Libyen, wo der NATO-Krieg dazu führte, die Terrororga- Assad . nisation „Islamischer Staat“ starkzumachen – das zeigt Wir wollen das Leid der Menschen vor Ort mildern . ein Untersuchungsbericht des britischen Unterhauses –, Wir leisten dazu humanitäre und andere Hilfen in gro- sollte uns alle davor hüten, den Krieg in Syrien weiter zu ßem Umfang . 2,3 Milliarden US-Dollar beträgt der von befeuern . Der Ruf nach einer Flugverbotszone ist – das zugesagte Anteil Deutschlands an den wissen Sie – nichts weiter als der Ruf nach einer Aus- 18828 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Sevim Dağdelen (A) weitung des Krieges vor Ort; denn wer eine solche Zone Vorrücken des IS Massaker zu befürchten . Herr Annen, (C) einrichtet, der muss bereit sein, Flugzeuge, die sich nicht Sie sagten, das sei ein Fehler. Ich finde, Sie könnten hier an die Flugverbotszone halten, abzuschießen . Das birgt konkreter werden: Dieser Luftangriff der USA ist ein ganz konkret die Gefahr – das wissen Sie alle –, dass es Verbrechen gewesen . zu einer direkten Konfrontation zwischen den USA auf der einen Seite und Russland und vielleicht eben auch (Beifall bei der LINKEN) der syrischen Armee auf der anderen Seite kommt . Des- Die USA haben sich natürlich entschuldigt . Sie haben halb ist diese Forderung falsch und gefährlich . davon gesprochen, dass es ein Versehen war . Aber ist es (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) nicht seltsam, dass die USA selbst angaben, zum ersten Mal seit vier Jahren aufseiten der Truppen des Assad-Re- Am Ende heißt das nämlich auch freie Fahrt für die Pick- gimes ins Kriegsgeschehen eingreifen zu wollen? Viele ups des „Islamischen Staats“ . Deshalb lehnen wir eine fragen sich deshalb, ob diese Version, dass es ein Verse- Flugverbotszone ab . Wir lehnen eine Ausweitung dieses hen war, tatsächlich glaubwürdig ist . Krieges ab . Wir brauchen eine politische Lösung . Abschließend, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir (Beifall bei der LINKEN) begrüßen es ausdrücklich, dass die UNO die Vorbereitun- gen für weitere humanitäre Konvois wieder aufnimmt . Ich warne davor, jetzt, wie die Bundesregierung das Wir sollten alles dafür tun, dies zu unterstützen . öffentlich getan hat, die Schuldigen zu präsentieren, ohne dafür Beweise zu haben . Warum unterstützen Sie (Beifall des Abg . Wolfgang Gehrcke [DIE nicht die Forderung der UNO nach einer internationalen LINKE]) Untersuchungskommission? Herr Röttgen, das erinnert wirklich an die Haltung der Union am Vorabend des Irak- Nicht Säbelrasseln ist das Gebot der Stunde, Herr kriegs 2003 . Die Massenvernichtungswaffen, aufgrund Röttgen, sondern ein wirklicher Einsatz für den Waf- derer Sie an der Seite der USA in den Krieg ziehen woll- fenstillstand. Dazu gehört, dass Sie Ihren Einfluss auf ten, wurden niemals gefunden . Diese einseitigen Schuld- Ihren Terrorpaten Erdogan geltend machen und ihn auf- zuweisungen, ohne auch nur einen einzigen Beweis zu fordern, seinen Einmarsch und persönlichen Krieg und präsentieren, sind unverantwortlich . Rachefeldzug gegen die Kurden im Norden Syriens zu beenden. Das wäre ein Schritt zur Lösung des Konfliktes (Beifall bei der LINKEN) statt weitere Flugverbotszonen, was eine Ausweitung des Krieges bedeutet . Die Erfahrung des syrischen Krieges lehrt, dass sich dies verbietet . Vielen Dank . (B) Ich erinnere hier nur an das Massaker an Zivilisten (Beifall bei der LINKEN) (D) in al‑Hula 2012, das syrischen Regierungsmilizen zuge- schrieben wurde, und in dessen Folge Deutschland die Vizepräsidentin Claudia Roth: diplomatischen Beziehungen zu Syrien abgebrochen hat . Später kamen erhebliche Zweifel auf, ob diese Ver- Vielen Dank, Sevim Dağdelen. – Nächster Redner sion der Wahrheit entsprach . Die FAZ, die Frankfurter in der Debatte: für die Bundesregierung Staatsminister Allgemeine Zeitung, eine Zeitung, die nun wirklich der Michael Roth . Komplizenschaft mit dem Assad-Regime unverdächtig (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ist, schrieb: der CDU/CSU) Das Massaker von Hula ist ein Wendepunkt im syrischen Konflikt. Die westliche Öffentlichkeit Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt: beschuldigt, gestützt auf die UN-Beobachter, die Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen syrische Armee . Diese Version kann auf Grundla- und Kollegen! In meiner nordhessischen Heimat tref- ge von Augenzeugenberichten bezweifelt werden . fe ich regelmäßig Sherzad . Er und seine Frau haben in Demnach wurden die Zivilisten von sunnitischen Bad Hersfeld, in meiner Heimatstadt, Zuflucht vor dem Aufständischen getötet . furchtbaren Bürgerkrieg in Syrien gefunden und sind in- Ich finde, allein das sollte uns Mahnung genug sein, was zwischen Eltern einer acht Monate alten Tochter . Vieles vorschnelle Schuldzuweisungen betrifft . von dem, was mir die junge Familie über den Alltag in ei- nem Bürgerkriegsland berichtet, bleibt mir unbegreiflich. (Beifall bei der LINKEN) Sherzad war kürzlich zu Besuch in Dresden . Nach Der Waffenstillstand in Syrien war immer prekär . Is- seiner Rückkehr berichtete er mir: So ähnlich sah Alep- lamistische Terrorbanden wie die Ahrar al‑Scham – von po einmal aus, bevor die Stadt in Schutt und Asche ge- Ihrem Premiumpartner Türkei, dem NATO-Land Türkei legt wurde . Als ich Sherzad erklärte, dass Dresden vor bewaffnet, hochgezüchtet und unterstützt – haben von 70 Jahren auch einmal so wie Aleppo heute in Trümmern Anfang an erklärt, sich nicht an diesen Waffenstillstand lag, wollte er das überhaupt nicht glauben . Mit Blick auf halten zu wollen . Der eigentliche Bruch kam aber durch die barbarischen Ereignisse der vergangenen Tage fällt den US-Angriff auf Anti-IS-Einheiten in der vom IS be- es uns allen derzeit schwer, daran zu glauben, dass Men- lagerten Stadt Deir al‑Sor . Dutzende Menschen wurden schen in Sherzads Heimat schon bald wieder ohne Angst bei diesem Angriff getötet . Die IS-Mörderbanden konn- leben können . Aber das Beispiel Dresden macht uns auch ten vorrücken . Tausende Menschen haben jetzt durch das Hoffnung . Frieden und Wiederaufbau nach Krieg und Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18829

Staatsminister Michael Roth (A) Zerstörung sind möglich . Aber davon sind wir derzeit in bereit sein müssen, schmerzhafte Kompromisse einzuge- (C) Syrien Lichtjahre entfernt . Es ist einfach nur furchtbar . hen . Der abscheuliche Angriff auf einen VN-Hilfskonvoi (Beifall des Abg . Tom Koenigs [BÜND- in der Provinz Aleppo mit mindestens zwölf, wenn nicht NIS 90/DIE GRÜNEN]) noch gar mehr Todesopfern und vielen, vielen Verletz- Wir sehen dabei alle in der Pflicht, ihren Einfluss auf ten ist ein Kriegsverbrechen schlimmster Art . Wir wissen das syrische Regime geltend zu machen, um endlich die noch nicht abschließend, wer letztlich die Verantwortung Waffen zum Schweigen zu bringen und den Weg für eine für diesen grausamen Angriff trägt, ob das syrische Re- politische Lösung freizumachen . gime mit oder ohne Unterstützung der russischen Armee oder vielleicht doch andere . Deshalb ist eine unabhängi- Russland ist als Unterstützer des Assad-Regimes be- ge Untersuchung völlig richtig . Ich sehe hier niemanden, sonders in diese Tragödie verstrickt und muss noch viel der dies in Zweifel zieht, liebe Kolleginnen und Kollegen mehr tun und entsprechend auf das Assad-Regime ein- von den Linken . Klar ist aber auch: Diejenigen, die so wirken . Das ist unsere klare Erwartung, die wir Russland etwas getan haben, sind zynische Taktiker der Macht und auch immer wieder vortragen . erbärmliche Terroristen . Zumindest darüber sollten wir (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) uns einig sein, liebe Kolleginnen und Kollegen . Und wenn nicht nur die Opposition fragt, wo und wie (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) die Bundesregierung ihrer Verantwortung gerecht wird, Was tun wir in dieser verzweifelten, verfahrenen Si- dann kann ich darauf nur sagen: Wir unterstützen im tuation? Das ist ja nicht nur die bohrende Frage, die mir Rahmen der Internationalen Syrien-Unterstützungsgrup- Sherzad zu Hause in Bad Hersfeld stellt – Ihnen sicher- pe alle Bemühungen, eine landesweite Waffenruhe wie- lich auch, denn Sie haben ja alle Kontakte zu syrischen derherzustellen . Flüchtlingsfamilien . Sie sorgen sich alle um ihre Ver- Ja, diese Vereinbarung ist brüchig, aber sie bietet nach wandten und Freunde in ihrer alten Heimat . wie vor die beste Chance, die Gewalt in Syrien erst ein- Das ist auch die Frage, die wir uns heute im Bundes- mal einzudämmen . So vermag sich auch wieder die Tür tag stellen . Das ist mehr als legitim, und es ist unsere für eine politische Lösung der Krise zu öffnen . Außen- Pflicht. Was tun wir? Ich kann mich doch nicht hinstellen minister Frank-Walter Steinmeier hat jetzt in New York und sagen, wir hätten einen Masterplan, den wir einfach mit der Forderung nach einer zeitlich befristeten Flug- mal so aus der Schublade ziehen könnten . Niemand hier verbotszone einen neuen Vorschlag unterbreitet, um aus sollte selbstgerecht sein und behaupten, er oder sie hätte dem Teufelskreis der Gewalt herauszukommen, und wir sind uns der Risiken bewusst: Die Forderung der Luft- (B) einen . Gleichwohl gilt: Trotz der hoffnungslos erschei- (D) nenden Lage müssen wir uns mit unseren europäischen brücke ist von den Kolleginnen und Kollegen der Grü- Partnern und der internationalen Gemeinschaft weiterhin nen nochmals erhoben worden . Wir alle wissen auch, bemühen, jede noch so kleine Chance der Deeskalation dass eine Luftbrücke ein sicheres Umfeld benötigt, und zu ergreifen . wenn die Syrer eines haben, dann ist es eine hoch aufge- rüstete Luftabwehr . Das muss abgewogen werden, und Das tun wir auch, und Sie können die Bundesregie- dies wägen wir alle ab . Deshalb will ich Ihren Vorschlag rung konkret beim Wort nehmen, liebe Kolleginnen und überhaupt nicht kritisieren, aber Sie dürfen uns nicht da- Kollegen . Außenminister Frank-Walter Steinmeier führt für kritisieren, dass wir uns in diesem fortwährenden Ab- zurzeit unzählige Gespräche bei den Vereinten Nationen wägungsprozess befinden. Außenminister Frank-Walter in New York . Heute Nachmittag tagt abermals die Inter- Steinmeier führt – – nationale Syrien-Unterstützungsgruppe . (Zuruf von der LINKEN: Redest du von dir Dass der Waffenstillstand schon nach wenigen Tagen selbst, oder was? – Omid Nouripour [BÜND- wieder vor dem Aus steht, hat maßgeblich das Assad-Re- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hat der Außenmi- gime zu verantworten . Wer allen Ernstes noch darüber nister Unsinn geredet, oder was?) verhandeln will, ob und welche Nahrung bei den Men- – Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht . Sie haben uns eben schen ankommt, der zeigt seine perverse Gleichgültigkeit erklärt, was wir alles nicht tun sollen, haben aber kei- für die blanke Not seiner eigenen Bevölkerung . nen einzigen substanziellen Vorschlag gemacht, was wir (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der denn tun könnten . CDU/CSU) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wer Schulen und Krankenhäuser mit Fassbomben bom- Wir sind uns doch völlig einig: Die humanitäre Ka- bardiert, der bekämpft keine Terroristen, der ist selbst ein tastrophe in Syrien muss gestoppt werden . Hunderttau- Terrorist . sende Menschen sind derzeit von jeglicher Versorgung (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der abgeschnitten . Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, CDU/CSU) die Bundesregierung, Sie, wir alle sind in diesem Jahr der größte Geber humanitärer Hilfe für Syrien . Dass das Die syrische Opposition hat ihre Bereitschaft zu noch nicht reicht, ist uns doch bewusst . Aber wir tun ernsthaften Verhandlungen immer wieder unter Beweis etwas im Rahmen dessen, was uns auch der Bundestag gestellt . Das Assad-Regime ist diesen Beweis bis heu- gewährt . Wir unterstützen insbesondere das Welternäh- te schuldig geblieben, und letztlich werden beide Seiten rungsprogramm . Das VN-Flüchtlingshilfswerk hilft bei 18830 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Staatsminister Michael Roth (A) der Versorgung der Menschen mit Nahrungsmitteln, Un- mehr respektiert und nicht mehr garantiert, dass diejeni- (C) terkünften, dringend benötigten Hilfsgütern . UNICEF gen Menschen, die helfen wollen, nicht zum Angriffsziel haben wir 4,5 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, werden, dann haben wir viel von dem aufgegeben, was um die Wasserversorgung in Aleppo aufrechtzuerhalten . die internationale Gemeinschaft ausgemacht hat . Es ist Daneben fördern wir eine Reihe humanitärer Nichtregie- ein unglaublich hoher Preis, den wir zahlen, wenn wir rungsorganisationen, die grenzüberschreitende Hilfe für die Sicherheit derjenigen, die helfen wollen, nicht mehr die Menschen in und um Aleppo leisten . Wir arbeiten garantieren können . auch eng mit der Syria Civil Defense, den sogenannten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Weißhelmen, zusammen . Sie wurden in diesem Jahr für sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und ihren mutigen und engagierten Einsatz mit dem Alterna- der SPD) tiven Nobelpreis ausgezeichnet . Dazu gratuliere ich die- ser Organisation sehr herzlich . Es ist richtig, dass die Vereinten Nationen wieder helfen . Denn wenn sie die Hilfslieferungen eingestellt (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so- hätten, hätte Assad ja sein Ziel erreicht: keine Hilfslie- wie der Abg . Katrin Göring-Eckardt [BÜND- ferungen mehr in die besetzten Gebiete . Aber wir müs- NIS 90/DIE GRÜNEN]) sen auch klarstellen – da zähle ich auf die Bundesregie- Aber auch die rund 5 Millionen Menschen in den an- rung –, dass es endlich auch Lieferungen „cross-border“, deren belagerten, teils schwer oder gar nicht erreichbaren also über die Grenze hinweg, geben muss . Das ist im Si- Gebieten Syriens dürfen wir nicht aus den Augen verlie- cherheitsrat mehrfach verabschiedet worden, immer mit ren . Wir alle sehen das Leid . Wir haben schon viel zu oft der Zustimmung Russlands, aber es wird vor Ort einfach in den Abgrund geschaut . Das lässt auch niemanden von nicht umgesetzt . Das ist ein Unding . Wir müssen endlich uns kalt . Aber wir wissen eben auch: Die Lösung dieses stärker darauf hinwirken, dass die Lieferungen bei den Konflikts wird viel Geduld erfordern. Wir werden mit Menschen ankommen . Menschen, mit Politikerinnen und Politikern, zu sprechen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben, von denen wir wissen, dass ihre Glaubwürdigkeit sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und nicht gerade die allergrößte ist . Wir wissen auch: Es dürf- der SPD) te weitere Rückschläge geben; das ist vorprogrammiert . Aber das darf doch nicht bedeuten, dass wir es nicht im- Herr Annen, Sie haben vorhin zu Recht Daraa ange- mer wieder aufs Neue versuchen . Syrier wie Sherzad, die sprochen, aber Sie haben das Ende der Geschichte leider bei uns Zuflucht und eine neue Heimat gefunden haben nicht erzählt . Das Ende der Geschichte ist: Diese Stadt und derzeit in unserer Nachbarschaft leben, mahnen und gibt auf, die Zivilisten verlassen die Stadt, und seither hat sie keiner mehr gesehen . Keiner weiß, wo die Tau- (B) verpflichten uns dazu. Wir dürfen niemals aufgeben. Wir (D) dürfen auch nicht resignieren . Frieden ist möglich . Die- senden von Menschen sind . Es gibt Vermutungen, dass sem Frieden fühlen wir uns verpflichtet, auch wenn es – sie in Lagern oder vielleicht auch schon gestorben sind; ich gebe das zu – in diesen Zeiten verdammt schwierig keiner weiß, wo sie sind . Wir haben die Bundesregierung ist . gefragt: Haben Sie eine Ahnung davon, was mit diesen Menschen passiert ist? – Die Antwort war Nein . Das Danke schön . heißt, die Strategie von Assad ist nicht nur die des Aus- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) hungerns, sondern auch die der Vertreibung . Das ist noch einmal eine neue Ebene des Assad-Krieges gegen seine eigene Bevölkerung: das Aushungern und am Ende die Vizepräsidentin Claudia Roth: Vertreibung in Lager oder zu anderen Stellen, von de- Vielen Dank, Michael Roth .– Nächste Rednerin in nen wir nichts wissen . – Wir müssen hier doch wesent- der Debatte: Dr . Franziska Brantner für Bündnis 90/Die lich klarer und deutlicher ansprechen, dass das eine neue Grünen . Schärfe des Konfliktes ist, die von Assad ausgeht und die wir alle ganz klar zu kritisieren haben . Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) NEN): Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Zur Forderung nach einer Flugverbotszone: Frau Herren! Ich möchte anfangen mit einer Gratulation an die Hänsel, Sie haben vorhin gesagt, das würde nur Krieg Weißhelme, die White Helmets, die heute den Alternati- fördern . Vielleicht haben Sie nicht richtig zugehört, was ven Friedensnobelpreis erhalten haben . Die White Hel- Herr Steinmeier gesagt hat . Er hat gesagt: für alle – das mets setzen sich in Syrien unglaublich mutig und tapfer heißt, das geht nur, wenn Russland dabei ist – und zeit- dafür ein, dass Menschen auf allen Seiten, die unter den lich begrenzt .– Es wäre ja wunderbar, wenn das passie- Bombardements, die unter der Aushungerungsstrategie ren und keiner mehr bomben würde . Die Frage ist aber: leiden, geholfen werden kann . Wie wird das durchgesetzt? Diese berechtigte Frage ha- ben Sie und auch wir gestellt . Sie haben in den letzten Tagen immer wieder gesagt: Das Ziel, dass alle mit dem Bombardieren aufhören, Wir sind „courageous“ – wir sind ganz mutig . Dann ha- ist doch absolut richtig . Auch Sie, die Linke, können ben sie angefügt: Aber wir sind nicht „suicidal“ – wir doch nicht sagen: Das ist eine Fortsetzung des Krieges . wollen nicht in den Selbstmord gehen . Ja, wir sind mu- tig; aber wir gehen nicht zum Sterben, wir gehen zum (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Aber keine Helfen . Wenn die internationale Gemeinschaft nicht Flugverbotszone!) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18831

Dr. Franziska Brantner (A) Vielmehr erreichen wir dadurch eine No-Bombing-Zo- Vizepräsidentin Claudia Roth: (C) ne, in der niemand mehr bombt . Das müssen wir doch Vielen Dank, Franziska Brantner .– Nächster Redner: erreichen . Dr . Johann Wadephul für die CDU/CSU-Fraktion . Auf unsere Frage an die Regierung, was denn der (Beifall bei der CDU/CSU) Beitrag Deutschlands dazu ist, dass das erreicht wird, und wie sie das durchsetzen würde – da wird es ja span- Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU): nend –, habe ich bis jetzt von den Regierungsfraktionen Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen leider noch nichts gehört . Vielleicht können die Redner, und Kollegen! Ausgangspunkt unserer Debatte heute die noch kommen, einmal etwas dazu sagen, wie Sie das hier – und damit möchte ich auch beginnen – ist in der durchsetzen wollen und wie das ausschauen soll . Tat der schreckliche Angriff auf einen Hilfskonvoi . Es gibt kein Bekenntnis derjenigen mit militärischer Macht, Noch einmal zur Luftbrücke: Herr Roth, Sie haben die ihn ausgeübt haben, und es gibt auch keine abschlie- gesagt, das sei nicht so einfach . Das stimmt . Natürlich ßenden Beweise, also Luftaufnahmen, Satellitenaufnah- haben alle recht, die sagen: Besser wäre es, wir könnten men oder etwas Ähnliches, die das definitiv klarlegen. Es über den Landweg gehen . Besser wäre es, wir hätten eine gibt aber zahlreiche Augenzeugenberichte von Opfern, Waffenruhe . Besser wäre es, wir hätten Verhandlungen . von Beobachtern der Szenerie . Besser wäre es, wir hätten Frieden . Diese hat uns das Auswärtige Amt gestern im Auswär- (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Es gibt ja Ver- tigen Ausschuss dargestellt, und es ist zu dem Ergebnis handlungen!) gekommen – – Wir haben aber nichts davon . Dann können wir nicht sa- (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Eine Un- gen, dass wir das, was wir tun könnten, auch nicht tun . tersuchung muss noch stattfinden!) Das ist doch keine Begründung und keine Logik . – Herr Kollege Gehrcke, natürlich soll noch eine Untersu- Es geht momentan nicht mehr darum, was besser ist, chung stattfinden, aber trotzdem gibt es schon eine ganze sondern darum, wie wir sicherstellen können, dass mehr Menge Aussagen dazu . Sie können das im Internet und als eine Viertelmillion Menschen nicht verhungert . Das auf Twitter nachlesen .– Alle, die darüber berichten, sa- und nicht die Definition dessen, was besser wäre, ist die gen, es war erstens ein Luftangriff, und es gibt zweitens – Aufgabe . darauf hat der Kollege Röttgen in der Ausschusssitzung gestern, aber auch noch einmal öffentlich hingewiesen – Ich möchte von Ihnen gerne wissen: Wie können Sie zwei Akteure, die dort Luftkrieg führen, nämlich Assad (B) dort zuschauen? Die UN sagen, sie bräuchten Unterstüt- und Russland . In dieser Situation zu sagen, dass es starke (D) zung für Luftbrücken . Wo ist unsere Unterstützung? Sie Indizien, dass es einen starken Verdacht gibt, dass die den fehlt . Ich hätte sie gerne deutlich . Hier hilft es mir nicht, Angriff ausgeführt haben: Dazu muss man doch hier im wenn Sie sagen, was alles besser wäre . Das könnten wir Deutschen Bundestag bereit und in der Lage sein, ohne als Opposition tun, aber nicht Sie als Regierung . sich von Ihnen Angriffe anzuhören . (Beifall bei der CDU/CSU – Sevim Dağdelen Lassen Sie mich kurz noch etwas zur humanitären [DIE LINKE]: Das wird vor Gericht entschie- Hilfe sagen: In diesem Jahr haben wir schon 1,1 Milliar- den!) den Euro dafür ausgegeben, und das Jahr ist noch nicht vorbei . Für 2017 setzen Sie 750 Millionen Euro an, also Warum sind Sie denn nicht bereit, sich dieser Ge- weniger, als wir jetzt schon ausgegeben haben . Wenn wir schichte zu öffnen? Die Frage muss man schon stellen, davon ausgehen, dass der Krieg in Syrien bis Januar nicht und das fällt in der Tat auf . vorbei ist, dann werden wir aller Voraussicht nach mehr Geld als das brauchen, was im Haushalt veranschlagt ist . (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Da hat die NATO eine andere Position!) Warum planen wir nicht endlich realistisch? Warum Niemand würde den Angriff auf die Assad-Truppen, der geben wir den Vereinten Nationen keine Sicherheit für jetzt versehentlich geschehen ist, relativieren . Das ist in ihr World Food Programme, damit sie wissen, dass sie der Tat ein Versehen gewesen . Aber die zahlreichen rus- auf dieses Geld zählen können? sischen Angriffe auf Aleppo sind kein Versehen gewesen . Sie sind Absicht gewesen, und dazu gibt es von Ihnen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN kein einziges Wort in diesem Hause . Das ist ein Skandal . sowie des Abg . Wolfgang Gehrcke [DIE LIN- Das ist ein wirklicher Skandal . KE]) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem Warum müssen sie Nachtragshaushalte beantragen? Las- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sen Sie uns das geben, was für die Menschen notwendig ist, wenn wir ihnen schon nicht anderweitig helfen . Wenn Sie in diesem Zusammenhang eine Flugverbots- zone, die der Außenminister angeregt hat, als Kriegstrei- Ich danke Ihnen . berei oder als den Krieg eher noch anfeuernd bezeichnen, dann frage ich: In welcher Welt leben Sie denn eigent- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lich? Die Flugzeuge, die da herumfliegen, bringen Tod sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) und Gewalt; und jedes Flugzeug und jeder Hubschrauber 18832 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Dr. Johann Wadephul (A) weniger ist ein Flugzeug oder Hubschrauber mit Bomben zunehmen und dafür zu sorgen, dass in Daraa das passiert (C) weniger, mit Fassbomben weniger und bedeutet weniger ist, was die Kollegin Brantner erwähnt hat . Tod . Deswegen wäre eine Flugverbotszone gut, und des- (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: So wie der wegen kann man die Initiative insgesamt nur unterstüt- türkische Geheimdienst!) zen . Was hat das noch mit Menschlichkeit zu tun? Zu einem (Beifall bei der CDU/CSU – Heike Hänsel sollten wir, der Deutsche Bundestag, in der Lage sein – [DIE LINKE]: Das betrifft auch die US-Bom- aber dazu kann ich, Herr Kollege Roth, in der Tat nur ben! Es gibt doch keine guten und schlechten die Bundesregierung auffordern –: Wir müssen an dieser Bomben!) Stelle Russland stellen und an seine Verantwortung er- innern . Wir kommen nur dann zu einer internationalen Natürlich ist sie nicht die Lösung sämtlicher Probleme; Lösung, wenn wir im UN-Sicherheitsrat mit russischer aber sie wäre insgesamt gut . Und wenn Sie sagen, das positiver Mitwirkung, auch mit chinesischer Mitwir- müsste durchgesetzt werden – – kung, zu einem Vorschlag kommen, der umsetzbar ist . (Zuruf der Abg . Heike Hänsel [DIE LINKE]) Nationale Alleingänge helfen uns auch hier nicht weiter . Vielen Dank . – Hören Sie mir doch einfach mal zu; ich habe Ihnen auch zugehört . Es ist nicht immer ganz leicht gewesen, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) ruhig dabei zu bleiben; aber vielleicht bemühen Sie sich jetzt mal in ähnlicher Weise um Gelassenheit . Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Dr .W adephul .– Nächster Redner: (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Kein Achim Post für die SPD-Fraktion . Problem!) (Beifall bei der SPD) Wenn Sie sagen, es müsste gewaltmäßig durchgesetzt werden, kommen wir doch zum Punkt der ganzen Ange- (Minden) (SPD): legenheit . Das heißt also, Sie gehen davon aus, Russland Achim Post ist nicht freiwillig bereit, sich an so eine Flugverbotszone Danke .– Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolle- zu halten .– Herr Kollege Gehrcke nickt . Sie haben ja ginnen und Kollegen! Nur wenige Tage liegen zwischen optimale Kontakte nach Moskau . Dass Sie das hier so dem Beginn der Waffenruhe, ausgehandelt von den USA bestätigen, ist ja für uns alle erhellend .– Nein, dazu muss und Russland, und der Zerstörung des UN-Hilfskonvois: man nur mal eines sagen – das ist doch das Problem des ein Akt des Tötens und ein Akt der Unmenschlichkeit . (B) ganzen Konfliktes –: dass Russland zumindest hier – Und, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir schwanken (D) in anderen Bereichen haben wir es anders erlebt, siehe doch seit Jahr und Tag genau zwischen diesen Polen: Iran – ebenso wie beim Ukraine-Konflikt nicht bereit ist, zwischen Hoffnung und Verzweiflung, zwischen kleinen innerhalb der internationalen Völkergemeinschaft für diplomatischen Fortschritten und Ohnmachtsgefühlen, Frieden, für Freiheit und für Humanität zu sorgen . Das zwischen Möglichkeiten und Misserfolg . Deshalb – viele muss man doch ansprechen, meine sehr verehrten Damen Kolleginnen und Kollegen haben das angesprochen – ist und Herren . es jetzt auch unsere Pflicht, nicht aufzugeben. Die Waf- fenruhe und das russisch-amerikanische Abkommen sind (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- noch nicht gescheitert, trotz der Zerstörung des Hilfs- ordneten der SPD – Heike Hänsel [DIE LIN- konvois, trotz der Bombardierung des Stützpunktes der KE]: Sie sind ja derart verblendet! Sie sind ja syrischen Armee im Nordosten . Kerry und Lawrow ver- kalter Krieger!) suchen doch gerade, die Waffenruhe wiederherzustellen . Die Außenminister der Kontaktgruppe treffen sich bereits Deswegen ist man doch kein Gegner Russlands, son- heute erneut in New York . Deutschland tut weiter alles dern dazu muss man doch in der Lage sein, und dafür für die Beibehaltung und Umsetzung des Abkommens . muss man immer wieder werben . Daraus darf man Russ- land nicht entlassen . Russland hat diesem Regime über- (Beifall bei der SPD) haupt das Überleben ermöglicht; darauf hat die Kollegin Ich will damit keine naive Zuversicht verbreiten . Brantner gerade noch einmal hingewiesen. Diese perfide Niemand hier im Haus hat und hatte Illusionen bei der Strategie des Aushungerns und mittlerweile der Vertrei- Einigung Russlands und Amerikas . Niemand hatte Il- bungspolitik muss man zur Kenntnis nehmen . Da werden lusionen bei Beginn der landesweiten Waffenruhe . Wir Konvois abgefangen . alle wussten, dass von Anfang an mehr Fragen als Ge- wissheiten auf dem Tisch lagen . Wird sich Assad an die (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das macht doch Vereinbarungen halten? Ist die Entflechtung der Opposi- Erdogan auch! Partner der Bundesregierung!) tionstruppen von al‑Nusra machbar? Haben die Regio- nalmächte überhaupt ein Interesse an einer Waffenruhe? – Frau Kollegin Hänsel, Ihnen geht es doch immer um Und schließlich: Wollen und können beide Großmächte Humanität . Ja, Sie kämpfen doch für das Menschenrecht, das Abkommen überhaupt garantieren? Das sind nur vier international, als Internationale . Das ist Ihr Kernanlie- Fragen, vier von vielen . gen . Und jetzt werden dort Hilfskonvois abgefangen, und die syrischen Truppen haben nichts anderes zu tun, als Dennoch haben vermutlich viele gedacht – ich gebe diesen Hilfskonvois Babymilch und Medikamente weg- zu, ich auch –: Vielleicht kann man mit dem Abkom- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18833

Achim Post (Minden) (A) men doch den Weg in Richtung einer politischen Lösung Auch dazu gibt es viel zu sagen . (C) beschreiten . Vielleicht kann mit dem Abkommen mehr Auch deshalb, Frau Kollegin, dürfen wir uns nicht humanitäre Hilfe möglich werden, um die verzweifelte zu sehr und zu oft von anderen, ach so wichtigen politi- Lage der Frauen und Männer, der Mädchen und Jungen schen Fragen ablenken lassen . Auch deshalb dürfen wir in Syrien zu verbessern, Schritt für Schritt, Hilfskonvoi uns nicht entmutigen lassen, niemals . Mein besonderes für Hilfskonvoi . Ehrlich gesagt, diese Hoffnung sollte Vertrauen gilt hier unserem Außenminister Frank-Walter unser Ansporn bleiben, um das Abkommen auch jetzt Steinmeier, gilt der Bundesregierung und gilt dem Deut- nicht aufzugeben . schen Bundestag . (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit . Abg . Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Die Lage in Aleppo ist dramatischer denn je . Die Lage in Syrien ist dramatischer denn je . Der humanitäre Bedarf ist größer denn je . Deshalb müssen wir jede Möglichkeit Vizepräsidentin Claudia Roth: für humanitäre Zugänge nutzen . Deshalb brauchen wir Vielen Dank, Achim Post . – Der nächste Redner in der endlich Sicherheitsgarantien . Deshalb brauchen wir so Debatte: Tobias Zech für die CDU/CSU-Fraktion . schnell wie möglich ein militärisches Flugverbot – voll- (Beifall bei der CDU/CSU) ständig, sofort und mindestens für drei Tage . Zum Schluss, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wenn Tobias Zech (CDU/CSU): wir nach vielen Jahren Krieg, nach Hunderttausenden Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der von Toten und Verletzten, nach Millionen von menschli- Debatte heute Vormittag zum Thema Leiharbeit und Zeit- chen Schicksalen auf dieses geschundene Land blicken, arbeit hat Sahra Wagenknecht dazu aufgefordert, doch vermag jedenfalls ich mir kein sicheres Urteil mehr zu die Verhältnisse im Haus zu ändern und für eine Mehrheit erlauben, wer die Guten und die Bösen sind, wer die von Rot-Rot-Grün hier im Haus zu sorgen .– Meine Da- Schuldigen und die Unschuldigen, men und Herren, ich war noch nie so sehr wie nach dieser (Beifall des Abg . Wolfgang Gehrcke [DIE Debatte davon überzeugt, dass dies wahrscheinlich einer LINKE]) der gefährlichsten Schritte für die Republik wäre . (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – wer unterstützt werden sollte und wer nicht . Damit bin Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ich in diesem Hause und in unserem Lande vermutlich NEN]: Wir sind schon nach der Debatte! – nicht allein . (B) Zurufe von der LINKEN – Sabine Weiss (D) Aber drei Dinge weiß ich. Alle Konfliktparteien be- [Wesel I] [CDU/CSU]: Hört doch mal zu!) gehen Menschenrechtsverletzungen, und zwar ständig . Ich habe größte Bedenken – ich meine nicht Sie, Herr Aber die Hauptschuldigen sind für mich Baschar al‑As- Nouripour –: sad, sein Regime und seine Helfershelfer . (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Die CSU ist (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten eine Gefahr für die Allgemeinheit!) der CDU/CSU) Stellen Sie sich vor, Ihrer Fraktion würde in der jetzigen Wer sein eigenes Volk tötet, foltert, aushungert und Zeit als größter Oppositionsfraktion in einer neuen Bun- vertreibt, begeht systematische Verbrechen gegen die desregierung das Außenministerium zufallen . Gnade uns Menschlichkeit . Gott! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der CDU/CSU – Heike Hänsel [DIE LINKE]: NEN]: Stellen Sie sich vor, Seehofer würde Das macht Erdogan in den kurdischen Gebie- Kanzler!) ten doch auch! – Gegenruf des Abg . Frank Schwabe [SPD]: Das hat doch damit nichts zu Gestern war Weltfriedenstag . Es war kein guter Tag . tun! – Gegenruf der Abg . Heike Hänsel [DIE Wir erleben momentan Konflikte um uns herum, in un- LINKE]: Ach so! – Gegenruf des Abg . Frank serer engsten Nachbarschaft bzw . in unserem Umfeld . Schwabe [SPD]: Sag endlich, dass das so ist!) Vor zwei Tagen wurde in Syrien das Kriegsrecht bzw . das Völkerrecht gebrochen . 1949 wurde das erste Genfer Abkommen überarbeitet und unterschrieben . Mittlerwei- Vizepräsidentin Claudia Roth: le haben 196 Staaten die Genfer Abkommen und die Zu- Der Kollege Post hat das Wort . Daran will ich Sie nur satzprotokolle ratifiziert, darunter die Vereinigten Staaten erinnern . von Amerika, die Russische Föderation und Syrien . In diesen Abkommen ist festgeschrieben, dass es keinerlei Achim Post (Minden) (SPD): Angriffe auf Zivilisten geben darf; in diesen Abkommen Ich habe interessiert zugehört . Wir reden, glaube ich, ist festgeschrieben, dass Sendungen von unentbehrlichen über Syrien . Wir können gerne über die Türkei reden . Lebensmitteln, Kleidung und Medikamenten von allen Kriegsparteien freier Durchlass zu gewähren ist . Der An- (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Das griff auf den Hilfstransport der Vereinten Nationen ges- macht es nicht besser!) tern war ein Angriff auf ein nicht militärisches, war ein 18834 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Tobias Zech (A) Angriff auf ein neutrales Ziel und war ein Angriff auf ein nicht schaffen . Die Zeit läuft uns davon . Bald kommt der (C) unparteiisches Objekt . Das war kein Angriff, das war ein Winter . Nun ist auch meine Zeit abgelaufen . terroristischer Akt . (Stefan Rebmann [SPD]: Deine Redezeit ist (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und abgelaufen!) der SPD) Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit . Ein Angriff auf Hilfsorganisationen ist das Verachtens- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) werteste, was es gibt .

Wir haben viel über den Syrien-Konflikt diskutiert. Vizepräsidentin Claudia Roth: Dieser Konflikt, der sich lokal entwickelt hat, hat mitt- Vielen Dank, Tobias Zech . – Nächster Redner: Frank lerweile eine geopolitische Bedeutung erreicht . Eine Schwabe für die Sozialdemokraten . Vielzahl von Gruppen fällt hier übereinander her . Zudem ist die Einflussnahme aus den Nachbarstaaten sehr groß. (Beifall bei der SPD) Aber eines eint alle vor Ort und hoffentlich auch hier im Haus, nämlich unser Vorgehen zur Verbesserung der Frank Schwabe (SPD): humanitären Lage der Menschen vor Ort . In Syrien gibt Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! In den es 13,5 Millionen Hilfsbedürftige; fast die Hälfte sind letzten Tagen konnte man im Spiegel noch einmal nach- Kinder. Über die 6,5 Millionen Binnenflüchtlinge reden lesen, wie es seinerzeit mit dem Internationalen Roten wir in Europa fast gar nicht mehr . Jede Stunde werden in Kreuz und Henry Dunant begann, der 1859 während des Syrien circa 50 Menschen vertrieben, 50 Menschen, die Kriegs zwischen Österreich und Sardinien-Piemont im dort, wo sie sich aufhalten, nicht mehr überleben kön- italienischen Solferino war und Tausende verletzte Sol- nen, nicht weil die Infrastruktur nicht gut ist oder weil es daten krepieren – man muss es so sagen – gesehen hat . keine Arbeit gibt, sondern weil sie sonst erschossen wer- Als Lehre daraus wurde 1864 die erste Genfer Konventi- den oder weil sie verhungern . 80 Prozent der syrischen on ins Leben gerufen . Sie legte fest, dass Krankenhäuser Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze . Die Kämpfe und ärztliches Personal unter besonderen Schutz gestellt haben bereits über 280 000 Tote und 1,2 Millionen Ver- sind . letzte gefordert . Mehrere Hunderttausend Menschen sind von Hilfslieferungen abgeschnitten; sie sind völlig iso- Ein Teil der SPD-Fraktion, die Arbeitsgruppe Men- liert . Das betrifft nicht nur die Menschen, die rund um schenrechte und humanitäre Hilfe, war am Montag in Damaskus und Aleppo im Regimegebiet leben . Vielmehr Genf, und wir haben uns mit Vertretern des Internatio- gibt es Gebiete, um die sich überhaupt niemand mehr nalen Roten Kreuzes getroffen und erfahren, dass mitt- (B) kümmert, weder die Opposition noch das Regime noch lerweile das Rote Kreuz, aber auch der Rote Halbmond (D) die terroristischen Gruppen . Wir können keine Hilfslie- oft gar nicht mehr verwendet werden, weil sie eher als ferungen vor Ort mehr durchführen . Die Vereinten Nati- Zielmarke dienen denn als Schutz für diese Organisation . onen mussten zeitweilig ihre Hilfslieferungen einstellen . Das ist in der Tat eine dramatische Entwicklung . Sie haben sie nun wieder aufgenommen . Wir haben uns auch mit Vertretern von UN-OCHA ge- Es gibt neben den großen Hilfsorganisationen viele troffen, also denjenigen, die für die Organisation der hu- kleine, die nicht über die notwendige Logistik verfügen, manitären Hilfe zuständig sind . Ich glaube, wir sind auch um noch in das Land vorzudringen . Ich habe gestern mit deswegen in besonderer Weise emotional betroffen, weil dem Vorsitzenden der „Orienthelfer“, Christian Sprin- wir mitbekommen haben, welches Ringen es um genau ger, telefoniert . Er schilderte mir, dass ein Konvoi mit diesen einen Transport gab, bei dem es um 78 000 Men- 50 000 Rationen Babynahrung in Mersin aufgrund der schen ging, denen geholfen werden sollte, ein ganzes Sicherheitslage in Syrien gestoppt werden musste . Die- Fußballstadion voll . Wir haben nachts erfahren, dass der se 50 000 Rationen waren für Babys in Aleppo gedacht . Konvoi losgefahren ist, und am nächsten Morgen muss- Diese haben nun nichts mehr zu essen . Das ist die Si- ten wir dann erfahren, dass der Konvoi zerstört wurde tuation . Helfer wurden aber nicht nur bei dem gestrigen und es dabei 21 Tote gab, die in barbarischer Art und Angriff auf den Konvoi der Vereinten Nationen, sondern Weise ums Leben gekommen sind . Deswegen ist, den- auch in der Vergangenheit regelmäßig angegriffen . Zu- ke ich, unsere Trauer mit den Mitarbeitern des syrischen dem wird das, was bereits nach Syrien gebracht wurde – Roten Halbmonds und den türkischen Fahrern, die dort Feuerwehrautos und Hilfsgüter –, immer wieder zerstört unterwegs waren, besonders angebracht . oder zweckentfremdet . Aber die Helfer werden nicht aufgeben . Was zerstört wurde, wird wieder aufgebaut . Leider war das nur der absolut traurige Tiefpunkt ei- Was vernichtet wurde, wird neu beschafft und ans Ziel ner Verrohung der Sitten und der Aufkündigung des hu- gebracht . manitären Völkerrechts durch viele Kriegsparteien, im Übrigen weltweit, aber insbesondere in Syrien . Da muss Wir können von dieser Stelle aus nur den Menschen man nicht uns oder die Regierung fragen; vielmehr geht danken, die sich in Syrien noch immer für die Opfer des aus den Zahlen von Ärzte ohne Grenzen hervor, dass es Krieges – egal wer schießt, die Opfer sind immer die im letzten Jahr allein in Syrien 94 Angriffe auf medizi- gleichen – einsetzen . Unsere Aufgabe ist, denjenigen, die nische Einrichtungen gegeben hat . Die Weltgesundheits- helfen, Schutz und Hilfe zu gewähren . Deswegen ist der organisation spricht davon, dass es fast täglich Angriffe Ansatz des Außenministers richtig . Wir unterstützen ihn . gegeben hat . Allein zwischen dem 19 . und 29 .August Wir sind auf einem richtigen Weg . Allein werden wir es dieses Jahres gab es elf Angriffe auf Krankenhäuser . Da Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18835

Frank Schwabe (A) muss man also nicht uns fragen, und das hat auch nichts nicht nur überplanmäßig zur Verfügung gestellt werden, (C) damit zu tun, wer schlimmer ist . Man muss aber schon sondern so, dass die Hilfsorganisationen wirklich planen sagen, wo die Hauptverantwortung liegt . Deswegen rege können . Dafür müssen in diesem Haushalt mindestens ich mich darüber so auf . Wir können über ganz viele an- Mittel in dem Umfang wie im letzten Haushalt eingestellt dere Konflikte weltweit reden. Aber wenn wir über die- werden . sen Konflikt reden, kann man ja mal Ärzte ohne Grenzen Zum Schluss – auch darauf haben viele hingewie- fragen, wer hauptverantwortlich ist . Und wenn man als sen –: Der kleine Junge in dem erwähnten Wahlkreis oder Antwort erhält: „Das hat ganz viel mit Russland zu tun“, auch woanders und der kleine Junge in Aleppo, den wir dann muss man das hier auch sagen, liebe Kolleginnen im Fernsehen gesehen haben, die haben etwas miteinan- und Kollegen . der zu tun . Deswegen ist es gut, dass die Empörung in (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie Deutschland über das, was in Aleppo passiert, groß ist . bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Ich finde aber, mit derselben Empathie sollten wir jeden GRÜNEN) Tag alles tun, um den Menschen, die aus Aleppo zu uns geflohen sind, hier bei uns vor Ort zu helfen. An der Stelle überkommt, glaube ich, uns alle ein Ge- fühl der Hilflosigkeit. Aber dem dürfen wir uns nicht hin- Vielen Dank . geben . Die Frage ist: Was ist jetzt zu tun? Ich denke, es (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem gibt vier Dinge, die man tun kann . BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- Erstens sollte man in der Tat – das ist vielfach ange- geordneten der LINKEN) sprochen worden – alle diplomatischen Möglichkeiten nutzen . Frank-Walter Steinmeier – das muss man wirk- Vizepräsidentin Claudia Roth: lich sagen – tut das in vorbildlicher Art und Weise: da- Vielen Dank, Frank Schwabe .– Die letzte Rednerin für zu kämpfen, dass es einen Waffenstillstand gibt und in der Aktuellen Stunde: Erika Steinbach für die CDU/ damit eng verbunden eine Flugverbotszone, die gemein- CSU-Fraktion . schaftlich verabredet werden muss – anders wird es nicht funktionieren –, damit Transporte auf dem Landweg und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) möglichst auch auf dem Luftweg möglich sind . Zweitens müssen wir die Fälle immer wieder benen- Erika Steinbach (CDU/CSU): nen . Wir dürfen nicht aufgeben, wir dürfen nicht gleich- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle- gültig werden . Die Koalition plant, noch in diesem Jahr gen! Vor den Augen der ganzen Welt wird in Syrien ein einen Antrag zu dem Thema „Angriffe auf humanitäre Kriegsverbrechen nach dem anderen begangen – und das (B) Einrichtungen“ in den Deutschen Bundestag einzubrin- nicht jetzt zum ersten Mal, sondern seit vielen Jahren . (D) gen . Dann gibt es noch einmal die Gelegenheit, darüber Nahezu hilflos steht die internationale Staatengemein- und auch über andere Fälle entsprechend zu diskutieren . schaft trotz guten Willens – der ist vorhanden – diesem Wir müssen Organisationen wie Geneva Call unterstüt- entsetzlichen Treiben doch relativ machtlos gegenüber . zen, die versuchen, bewaffnete nichtstaatliche Akteure an Der unfassbare, brutale Angriff auf den Hilfskonvoi der das humanitäre Völkerrecht heranzuführen . Vereinten Nationen in der Nähe von Aleppo hat uns das ja wieder drastisch vor Augen geführt . Wir müssen drittens alle Möglichkeiten der Strafver- folgung und internationalen Aufklärung nutzen – darin Die UNO hatte alle Konfliktparteien im Vorfeld da- sind wir uns völlig einig –, aber auch deutlich machen: rüber informiert, dass es diesen Konvoi mit Hilfsgütern Es gibt einen Internationalen Strafgerichtshof, dem lei- geben wird . An den Fahrzeugen war auch eindeutig zu der noch nicht alle Länder angehören, der für so etwas erkennen, dass es sich um einen humanitären Transport zuständig ist, und es gibt das Völkerstrafrecht in den ein- handelt . Aber – das wurde auch schon gesagt – zum Teil zelnen Nationalstaaten . Die Menschen müssen wissen: ist es fast eine Aufforderung, etwas zu bombardieren oder Wenn sie solche Kriegsverbrechen begehen, kommen sie zu zerstören, wenn man weiß, dass sich Hilfsgüter darin in Zukunft nicht mehr ohne Weiteres davon . befinden. Das ist eine Entartung, eine Menschenrechts- deformation, die wir eigentlich so noch nie in den letzten Viertens – das ist heute wieder gesagt worden, und Jahren und Jahrzehnten erlebt haben . Ich jedenfalls kann wir müssen es jetzt umsetzen, liebe Kolleginnen und mich nicht erinnern . Obwohl die Lastwagen also gut ge- Kollegen – reden wir über Hunderttausende, wenn nicht kennzeichnet waren, wurden sie nach ihrer Ankunft am Millionen Menschen, die auf humanitäre Hilfe angewie- Zielort bombardiert . sen sind . Es ist ganz schwierig, etwas zu tun, aber was wir auf jeden Fall tun können, ist, wenigstens die Mit- Es verdichten sich schon die Hinweise, dass Russ- tel bereitzustellen, damit dann, wenn die humanitären land für diesen Terrorangriff eine Verantwortung hat . Ich Transporte stattfinden können, auch ausreichend Güter weiß, Ihnen von der Linksfraktion gefällt diese Feststel- vorhanden sind, die zu den Menschen gebracht werden lung nicht . können . Deutschland ist mittlerweile führend in der Sy- (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Aha, Feststel- rien-Hilfe . Wir sind weltweit auf Platz 3, was humanitäre lung? Behauptung!) Hilfe angeht . Das kann man auch mal lobend sagen . Das hat mit uns allen zu tun . Mein Appell ist – Frau Steinbach Aber mir – das muss ich sagen – gefällt Ihre Haltung wird noch nach mir reden –, in den Haushaltsberatun- nicht, also dass Sie im Grunde genommen Putin unter- gen gemeinsam dafür zu sorgen, dass die Mittel am Ende stützen, der einem blutrünstigen Diktator zur Seite steht 18836 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Erika Steinbach (A) und dazu beiträgt, diese Eskalation in Syrien auf Dauer leisten, in dem uns das möglich ist, kämpfen wir gemein- (C) fortzuschreiben . Das ist eine ungute Entwicklung . sam . (Beifall bei der CDU/CSU – Sevim Dağdelen Danke . [DIE LINKE]: Wer ist denn bei Putin? Wir (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- nicht! Der Bundeswirtschaftsminister ist doch ordneten der SPD) da!)

Von den 31 Wagen sind 18 zerstört worden, 18 Wa- Vizepräsidentin Claudia Roth: gen mit Hilfsgütern für Menschen, die diese Hilfsgüter Vielen Dank, Erika Steinbach .– Die Aktuelle Stunde dringend brauchten . Ein Lager des syrischen Roten Halb- ist beendet . monds wurde zerstört, eine Klinik wurde zerstört, und 21 Menschen haben ihr Leben verloren, darunter auch Ich rufe – ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die Omar Barakat, der lokale Direktor des Roten Halbmon- Plätze einzunehmen – den Tagesordnungspunkt 8 sowie des . den Zusatzpunkt 7 auf: Kurzzeitig hatte es ja die Hoffnung gegeben, den be- 8 . Zweite Beratung und Schlussabstimmung des reits so lange eingeschlossenen 78 000 Menschen die von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD dringend benötigte humanitäre Hilfe zu leisten – vorbei eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem mit einem Bombenangriff! Die Vereinten Nationen wol- Übereinkommen von Paris vom 12. Dezember len nicht aufgeben, sie wollen weiter helfen . Wir müssen 2015 das alles unterstützen, mit all unseren Möglichkeiten . Drucksache 18/9650 Das, was wir sehen, ist eine Tragödie für die dringend Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- hilfsbedürftigen Menschen, und es ist ein Armutszeug- ses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsi- nis für die gesamte zivilisierte Welt . Alle Redner hier im cherheit (16 .Ausschuss) Hause haben im Grunde genommen deutlich gemacht, dass uns das sehr berührt, dass es uns sehr betrifft und Drucksache 18/9704 dass wir eigentlich in einem gewissen Ausmaß dem wirk- ZP 7 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- lich hilflos gegenüberstehen. richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Der Angriff auf den Hilfskonvoi reiht sich ja in eine Bau und Reaktorsicherheit (16 .Ausschuss) ganz lange Kette von Verstößen gegen das humanitäre zu dem Antrag der Abgeordneten Annalena Völkerrecht in Syrien ein; denn immer schon wurden Baerbock, Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, (B) medizinische Einrichtungen attackiert, bombardiert, und weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- (D) humanitäre Helfer wurden ermordet, umgebracht . Ärz- NIS 90/DIE GRÜNEN te ohne Grenzen haben alleine in Syrien 94 Angriffe auf Zur Unterzeichnung des Pariser Klimaab- medizinische Einrichtungen gut dokumentiert . Man kann kommens – Klimaschutz wirksam verankern das nachlesen . Diese rapide zunehmende Erosion des und Klimaziele einhalten Völkerrechts, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ist eine Schande für die zivilisierte Menschheit . Drucksachen 18/8080, 18/9702 Flugverbotszonen und Luftbrücke: Ich glaube, man Ich begrüße in unser aller Namen – da bin ich sicher – kann das nicht einfach so wegwischen . Wir müssen uns auf der Ehrentribüne den französischen Botschafter . ja Möglichkeiten überlegen . Und wenn es friedliche Bienvenue, Philippe Etienne! Diese Begrüßung ver- Möglichkeiten gibt, dann sind, glaube ich, Flugverbote binden wir mit dem Dank für das außerordentliche En- und auch eine Art von Luftbrücke der Weg, den zu gehen gagement Frankreichs, das dazu geführt hat, dass dieses man versuchen muss . Ob es dann am Ende zu einem Er- Abkommen tatsächlich zu einem Erfolg werden konnte . folg wird, wissen wir noch nicht . Wir müssen es aber auf Herzlich willkommen im Bundestag, Herr Botschafter jeden Fall probieren, diesen Weg zu beschreiten . Dazu Etienne . gehört viel Diplomatie und viel Überzeugungskraft . Und es hängt – das müssen wir alle wissen; da bin natürlich (Beifall) auch ich skeptisch – vieles von Putin ab, wie das umzu- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für setzen ist . Man darf aber nicht aufgeben, alles zu versu- die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei- chen, um es umzusetzen . nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die vergan- Ich eröffne die Aussprache und gebe Bundesministe- genen sechs Jahre des Sterbens in Syrien haben eines ge- rin Dr . Barbara Hendricks das Wort . zeigt, nämlich dass dieser Krieg militärisch vermutlich nicht zu gewinnen ist . Also müssen wir sehen, dass wir Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um- auf diplomatischem Wege alle Möglichkeiten ausschöp- welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: fen . Es ist ein wenig eine Sisyphusarbeit, aber etwas an- Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol- deres bleibt uns nicht übrig . legen! Sehr geehrter Herr Botschafter, schön dass Sie da Dafür, dass wir von deutscher Seite aus alles tun, was sind . – Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht . Aber in einer möglich ist – lieber Kollege Schwabe, wir sind uns da Zeit, in der die Nachrichten voll sind von Krieg und Ge- sehr einig –, dass wir humanitäre Hilfe in dem Umfang walt, erscheint mir das Pariser Abkommen als ein großes Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18837

Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks (A) Hoffnungszeichen . Bei einem der wichtigsten Probleme entschlossenes Signal an unsere internationalen Partner (C) unserer Zeit haben die Staaten dieser Erde erkannt, dass senden . Der Klimaschutz in Deutschland steht auf dem es in ihrem eigenen Interesse ist, gemeinsam zu handeln . breiten Fundament aller Parteien in diesem Hohen Haus . Liebe Kolleginnen und Kollegen, der 12 . Dezember Ich bin zuversichtlich, dass auch die Europäische 2015 wird als das Datum in die Geschichte eingehen, Union ihre Ratifikation in den kommenden Wochen bei an dem sich 195 Staaten der Erde auf einen gemeinsa- der UN wird hinterlegen können . Ich bin dazu in enger men Weg zum Schutz unseres Klimas verständigt ha- Abstimmung mit meinen europäischen Kolleginnen und ben . Wir werden die Erderwärmung auf maximal 2 Grad Kollegen und mit Kommissar Cañete . Wir werden auf begrenzen, möglichst auf 1,5 Grad . Wir werden unsere einem Sonder-Umweltrat am 30 . September 2016 die ra- Weltwirtschaft im Laufe des Jahrhunderts klimaneutral sche Ratifizierung vereinbaren und hoffen in der darauf- machen . Und wir werden die armen Länder dabei un- folgenden Woche auf die Zustimmung des Europäischen terstützen, den Weg in Richtung Treibhausgasneutralität Parlaments . gemeinsam mit uns zu gehen, damit diese Länder sich Das Pariser Abkommen ist ja nicht das Ende, es ist umweltfreundlich entwickeln können und damit die neu- der Beginn eines langen Weges . Die Geschwindigkeit, en Technologien allen Menschen zugutekommen; denn mit der es jetzt in Kraft tritt, zeigt aber, dass der Wandel der Klimaschutz ist schon heute ein ökonomisches Er- schneller kommt, als wir uns das lange Zeit vorstellen folgsmodell . konnten . Wir sollten uns deshalb zu Hause nicht ausru- Wir haben im vergangenen Dezember das Jahr 2020 hen . Wir sollten weiter vorangehen . Der Klimaschutz- ins Auge gefasst, ab dem das Abkommen gelten sollte . plan 2050, den ich meinen Kolleginnen und Kollegen Die Unterschriften von 55 Staaten, die zudem mindes- im Kabinett zur Abstimmung zugeleitet habe, ist dafür tens 55 Prozent der Treibhausgase emittieren, sind dafür die richtige Gelegenheit . Und ich füge hinzu: Es ist auch notwendig . ein Test für unsere Glaubwürdigkeit. Die Ratifikation des Pariser Übereinkommens bedeutet die Verpflichtung, es Gemessen am Kioto-Protokoll, das über sieben Jah- auch im eigenen Land umzusetzen . Kritik am Klima- re von der Vereinbarung bis zum Inkrafttreten gebraucht schutzplan ist selbstverständlich in Ordnung . Allerdings hatte, erschien das durchaus ehrgeizig . Jetzt hat sich ge- ändert man die Realität nicht dadurch, dass man sie ig- zeigt: Wir werden das Quorum voraussichtlich schon in noriert . den kommenden Wochen erreichen . Anfang des Monats haben China und die USA ratifiziert. Gestern sind in New Liebe Kolleginnen und Kollegen, lange Jahre haben York 31 weitere Staaten hinzugekommen . Bislang liegen die Kritiker unserer Klimaschutzpolitik gerufen, wir gin- damit 60 Ratifizierungen vor. Diese umfassen schon gen zu schnell voran, uns folge ja niemand .– Nach Paris (B) knapp 48 Prozent der globalen Emissionen . Das zeigt: ist klar: Alle folgen uns, oder sie gehen uns sogar voraus . (D) Das Übereinkommen von Paris ist alles andere als nur Viele holen jedenfalls auf . geduldiges Papier . Im Gegenteil: Weite Teile der Staa- (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: tengemeinschaft sind bereit, ihren Versprechen jetzt auch Überholen!) Taten folgen zu lassen . Wir sollten diese Bereitschaft nut- zen, um in Marrakesch die nächsten Schritte zu gehen . Was für einen Grund gibt es also noch, langsamer zu lau- fen? Oder wollen wir warten, bis wir überholt werden? Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist unser gemein- Das kann sich niemand für unsere starke Volkswirtschaft samer Anspruch, dass das Abkommen so schnell wie wünschen . Die Menschen in unserem Land erwarten von möglich in Kraft tritt und dass Deutschland von Anfang uns, dass wir eine klare Orientierung geben, dass wir sa- an dabei ist . Wir haben viele Jahre für dieses Abkommen gen, wo die Reise hingeht . gekämpft . Lassen Sie uns jetzt einen Beitrag dazu leisten, dass es auch wirklich unumkehrbar wird . Am Beispiel Chinas und der USA sehen wir, wie sich das Bewusstsein wandelt: Zwei ehemalige Bremser ge- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) hören zu den größten Unterstützern des Abkommens . Ich danke Ihnen allen, den Kolleginnen und Kollegen Und wir sollten nicht glauben, dass das Engagement der der Koalition genauso wie den Kolleginnen und Kolle- beiden größten Volkswirtschaften der Welt keinen Ein- gen der Opposition, dass Sie bereits heute über diesen fluss auf unsere wirtschaftliche Entwicklung haben wird. Gesetzentwurf beschließen und damit den Weg dafür Wir sollten nicht so tun, als sei Strom aus fossilen Brenn- freimachen, dass Deutschland seine Ratifikationsurkun- stoffen auf Dauer zukunftsfähig oder als würden Autos de rechtzeitig hinterlegen kann . Auch der Bundesrat noch lange von Diesel und Benzin angetrieben werden . wirkt bei der Beschleunigung mit, indem er das von uns Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Erfolg unserer zu beschließende Gesetz auf die Tagesordnung der mor- Volkswirtschaft liegt seit jeher in ihrer Kraft, Neues zu gigen Sitzung gesetzt hat . Sie sehen: Der Klimaschutz entwickeln . Wir haben nicht die billigsten, wir haben ist uns mindestens so wichtig wie die Stabilisierung des die besten, die hochwertigsten und die innovativsten Weltfinanzsystems; denn nur in Ausnahmefällen können Produkte . Darin wird auch unsere Zukunft in einer dann wir ja so rasch agieren . klimaneutralen Welt liegen . Lassen Sie uns diskutieren, wie diese Zukunft aussehen kann, nicht, wie wir sie hin- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten weiter- auszögern können . hin leidenschaftlich über unsere nationale Klimaschutz- politik diskutieren und, wo nötig, dann auch streiten . Das Abkommen der 195 Staaten von Paris war ein Wir sollten aber mit der gleichen Leidenschaft heute ein großes Geschenk, ein Geschenk für uns, weil Paris ge- 18838 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks (A) zeigt hat, dass Stillstand und Streit eben nicht die letzten abends den Geliebten zu treffen . Das macht man eher (C) Worte sind, ein Geschenk für die, die nach uns kommen, nicht . weil es ihnen die Hoffnung auf ein besseres Leben gibt . (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und Ich bitte Sie, lassen Sie uns gemeinsam dieses Geschenk des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) annehmen . Aber genau das macht die Regierung . Da bringt Wirt- Herzlichen Dank . schaftsminister Gabriel seine SPD morgens auf CE- TA-Kurs und will mehr Freihandel, und abends kommt (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) dann seine Parteikollegin, Umweltministerin Hendricks, mit dem Paris-Abkommen und will mehr Klimaschutz . Vizepräsidentin Claudia Roth: Heute, also am selben Tag, an dem das Klimaabkommen verhandelt wird, wurde auch für CETA im Bundestag Vielen Dank, Barbara Hendricks . – Nächste Rednerin: grünes Licht gegeben. Ich finde, das passt nicht zusam- Eva Bulling-Schröter für die Linke . men, liebe Kolleginnen und Kollegen . (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Heute CETA und Paris-Abkommen, morgen TTIP . Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Herr Botschafter! Ich sage: Das ist Verrat am Klimaschutz und an dem Ab- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beschließen hier kommen . Und warum? Artikel 2 legt ja fest, dass die Be- heute den Beitritt Deutschlands zum Übereinkommen drohung durch den Klimawandel nur dann abgewendet von Paris . Es ist ein Weltvertrag, der historisch genannt werden kann, wenn der Anstieg der durchschnittlichen werden kann, und ein Vertrag, der in die Geschichte ein- Erdtemperatur deutlich unter 2 Grad Celsius gegenüber gehen wird, ein Abkommen, das erstmals alle Staaten der dem vorindustriellen Niveau bleibt und Anstrengungen Erde verpflichtet, die menschengemachte Erderwärmung unternommen werden, diesen Anstieg auf 1,5 Grad zu be- aufzuhalten, und das den weltweiten Ausstieg aus Öl, grenzen . Um diese Temperaturziele nicht zu überschrei- Kohle und Gas besiegelt, um katastrophale Folgen für ten, werden die Vertragsparteien in Artikel 4 aufgefor- die Menschheit abzuwenden, ein globaler Klimavertrag, dert, „so bald wie möglich den weltweiten Scheitelpunkt der internationale Solidarität bringen soll, auch durch der Emissionen von Treibhausgasen zu erreichen“ . Jetzt Hunderte von Milliarden an Klimageldern vom reichen kann man sich darüber streiten, was „so bald wie mög- Norden in den benachteiligten Süden. Wir finden, die lich“ genau heißt, wann also der Höhepunkt der weltwei- ten Emissionen erreicht sein muss . Worüber wir aber ganz (B) Annahme so wichtigen Völkerrechts hat mehr Aufmerk- (D) samkeit verdient . genau Bescheid wissen, ist die schädliche Klimawirkung­ von noch mehr Profithandel und noch mehr Profitwachs- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . tum . Studien sagen uns ja, dass der internationale Handel Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) mit Gütern und Dienstleistungen über ein Viertel aller Klimagase weltweit verursacht . Von 1950 bis 2010 ist Leider hat die Bundesregierung ein bisschen getrö- der Welthandel um den Faktor 32 gewachsen, allein von delt . Sogar China und die USA waren schneller . Darum 1990 bis 2014 um das Vierfache – Tendenz steigend . ist der Schweinsgalopp heute im Bundestag im abgekürz- ten Eilverfahren und morgen im Bundesrat nötig, um bei Wir Linke haben nichts gegen Handel, aber wir wollen der nächsten Klimakonferenz in Marokko mit am Ver- einen vernünftigen Handel . handlungstisch sitzen zu können . Wie auch immer: Der (Beifall bei der LINKEN) Beitritt Deutschlands zum Pariser Klimavertrag muss jetzt in Sack und Tüten . Trotz vieler Schwachstellen und Da frage ich mich: Warum müssen Blumen aus Kenia blinder Punkte haben wir zum ersten Mal einen Klima- eingeflogen werden? Warum müssen Fische von Kanada konsens aller Länder der Erde . Er ist aktuell wirklich nach Russland und dann nach China gebracht werden, ohne Alternative, und er ist ein Startschuss . Darum stim- dort von Tagelöhnerinnen zu Fischstäbchen verarbeitet men wir Linken für die Annahme des Klimaabkommens . werden, wieder einmal um den Globus nach Deutschland gebracht werden, damit es hier billiges und schlechtes (Beifall bei der LINKEN) Essen gibt? Wir brauchen auch keine Handelserleichte- rungen für Fracking-Gas und Teersande . Und wir brau- Nun muss, wie bei jedem Vertrag, auch das Paris-Ab- chen keine Klagerechte für schmutzige Energiekonzerne . kommen mit Leben gefüllt werden . Mahatma Gandhi hat einmal gesagt: (Beifall bei der LINKEN) Das alles ist klimapolitisch der falsche Weg . CETA und Der Mensch kann nicht in einem einzelnen Le- TTIP heißt: mehr Handel, mehr Klimagase, mehr Erder- bensbereich recht tun, während er in irgendeinem wärmung und kein „so bald wie möglich“, das genaue anderen unrecht tut . Das Leben ist ein unteilbares Gegenteil von Paris . Ganzes . Das sind die Gründe, warum wir Linke beim Völker- Das gilt natürlich auch für das Völkerrecht . Jeder von Ih- recht genau hinschauen . Wir sind gegen TTIP und haben nen wird mir zustimmen, dass es nicht angeht, morgens gegen CETA gestimmt . Aber wir sind für mehr internati- ein Ehegelübde einzugehen und Treue zu schwören, aber onales Recht im Klimaschutz . Wir nehmen das Paris-Ab- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18839

Eva Bulling-Schröter (A) kommen ernst, statt es zu verraten, bevor die Tinte auf zent der Treibhausgasemissionen stehen, dabei sind . Jetzt (C) dem Papier trocken ist . geht es darum, das zu schaffen . Wir wollen mit unserer schnellen Ratifikation jetzt unseren Beitrag dazu leisten Danke schön . und schnell ein Zeichen setzen . (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zur Erinnerung: Das Kioto-Protokoll wurde 1997 beschlossen, und die Ratifizierung hat ganze acht Jah- re gedauert . Beim Paris-Abkommen sind wir nur neun Vizepräsidentin Claudia Roth: Monate, nachdem das Abkommen verabschiedet wurde, Vielen Dank, Eva Bulling-Schröter .– Nächste Red- eigentlich schon, wie es die Ministerin gerade formuliert nerin: Dr .Anja Weisgerber für die CDU/CSU-Fraktion . hat, auf der Zielgeraden . Damit das Abkommen schnell (Beifall bei der CDU/CSU) in Kraft treten kann, hat auch Ban Ki‑moon am Rande der UN-Vollversammlung zu einem Special Event gela- den, damit es klappt mit den mindestens 55 Staaten, die (CDU/CSU): Dr. Anja Weisgerber für 55 Prozent der Treibhausgasemissionen stehen . Wenn Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und das dann gelingt, meine Damen und Herren, dann schrei- Kollegen! Vor einem Jahr haben wir in einer Debatte zur ben wir erneut Geschichte; denn dann ist das Paris-Ab- Klimaschutzpolitik unsere Forderungen an Paris formu- kommen der völkerrechtliche Vertrag, der bislang am liert . Heute können wir sagen: Gemeinsam haben wir schnellsten in Kraft getreten ist . Dafür setzen wir uns ein . einen Riesenerfolg erzielt . Knapp 200 Staaten der Welt haben sich auf ein verbindliches Klimaschutzabkommen (Beifall bei der CDU/CSU) geeinigt mit dem Ziel, die Erderwärmung auf weit unter 2 Grad zu begrenzen, wenn möglich 1,5 Grad . Alle Staa- So viel zur Ratifikation. ten müssen ambitionierte Klimaschutzpläne vorlegen . Vor allen Dingen ist ein völkerrechtlich verbindlicher Jetzt zur Umsetzung . Da müssen wir auf allen Ebe- Überprüfungsmechanismus vorgesehen . Das war auch nen ansetzen: auf internationaler, auf europäischer und uns immer sehr wichtig . auf nationaler Ebene . International unterstützen wir viele Projekte . Das BMZ ist für die Förderung vieler Klima- (Zuruf der Abg . Dr . Julia Verlinden [BÜND- schutzprojekte in Entwicklungsländern verantwortlich, NIS 90/DIE GRÜNEN]) und die Gelder wurden in den letzten zehn Jahren sage Bei der Unterzeichnungszeremonie im April in New und schreibe vervierfacht . Das möchte ich an der Stelle York waren 175 Staaten beteiligt – so viele wie nie zu- einmal positiv herausheben, meine Damen und Herren . (B) vor –, darunter auch Deutschland . Das zeigt, dass die (Beifall bei der CDU/CSU) (D) Weltgemeinschaft den Klimaschutz sehr ernst nimmt und Paris auch keine Momentaufnahme ist . Auch in Europa wurde einiges auf den Weg gebracht . In dieser Woche fand im Rahmen der UN-Vollver- Europa hat das Klimaschutzziel, die Emissionen bis 2030 sammlung der erste Flüchtlingsgipfel statt . Er endete um 40 Prozent zu senken – wir in Deutschland wollen ohne konkrete Ergebnisse . Das zeigt: Bei der Bekämp- das schon 2020 schaffen –, und dafür gibt es auf europä- fung der Fluchtursachen müssen wir weltweit besser zu- ischer Ebene die verschiedensten Instrumente, über die sammenarbeiten . Beim Klimaschutz ist es gelungen, dass wir auch schon oft diskutiert haben . sich alle Staaten der Welt auf ein Ziel verständigt haben . Der Emissionshandel ist das Herzstück des europäi- Daran sieht man, was möglich ist, wenn alle an einem schen Klimaschutzes . Zum Emissionshandel muss man Strang ziehen . Daran sieht man auch, was wir interna- sagen: Nach zwei sehr schnellen Reformen – Backloa- tional beim Thema Klimaschutz erreicht haben . Meine ding, Marktstabilitätsreserve – hat jetzt die Kommission Damen und Herren, darauf sollten wir auch an einem sol- im letzten Jahr erneut einen Reformvorschlag vorgelegt . chen Tag einmal stolz sein . Auch da arbeiten wir an einer guten Reform, die uns an (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- der Stelle voranbringt . ordneten der SPD) Die EU-Kommission hat zwei weitere Vorschläge Am Rande des G‑20-Gipfels Anfang September in vorgelegt . Der Vorschlag zur Lastenteilung beinhaltet, China haben die USA und China die Ratifikation verkün- dass festgelegt wird, welchen Klimaschutzbeitrag die det . Ein weiterer historischer Moment in der internatio- Mitgliedstaaten in den Sektoren leisten müssen, die nicht nalen Klimapolitik, weil die USA – wohlgemerkt – noch unter den Emissionshandel fallen . nie zuvor ein Klimaabkommen ratifiziert hatten. Die Amerikaner und Chinesen haben es sehr schnell ratifi- ziert, was alle positiv überrascht hat; vom Verfahren her Vizepräsidentin Claudia Roth: sicher auch das BMUB ein wenig . Ich mache keinen Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder Hehl daraus, dass wir Klimapolitiker uns grundsätzlich -bemerkung von Frau Dr .V erlinden? ein ausführlicheres Verfahren gewünscht hätten . Aber, meine Damen und Herren, wir sind uns doch einig: Wir müssen dabei sein, wenn dieser Ratifikationsprozess jetzt Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): so schnell an Fahrt gewinnt . Das Abkommen tritt eben Ja, erlaube ich, aber ich würde gerne den einen Gedan- erst in Kraft, wenn mindestens 55 Staaten, die für 55 Pro- ken noch zu Ende führen . 18840 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) Vizepräsidentin Claudia Roth: paket zur Elektromobilität verabschiedet: eine Sonder- (C) Ja, okay . abschreibung für gewerblich genutzte Elektrofahrzeuge, der Ausbau der Ladesäulen und die Kaufprämie . Da geht es natürlich auch darum, die Elektromobilität weiter vo- (CDU/CSU): Dr. Anja Weisgerber ranzubringen . Diese sehr innovative Technologie ist zum Der dritte Vorschlag auf europäischer Ebene bezieht Beispiel auch im Klimaschutzplan enthalten . sich auf die Landnutzung . Hier geht es um Beiträge der Mitgliedstaaten zum Beispiel hinsichtlich der Auffors­ Wir haben im Bereich der Landwirtschaft die Dünge- tung und der Waldbewirtschaftung .– Bevor ich zur nati- verordnung – dort stehen wir vor dem Abschluss – und onalen Ebene komme, lasse ich gerne die Zwischenfrage eine Energieberatung auf den Weg gebracht . Bezogen zu . auf die kommunale Ebene setzen wir die Kommunal- richtlinie um . Dabei geht es zum Beispiel – Sie fragten mich nach konkreten Maßnahmen – um den Austausch Vizepräsidentin Claudia Roth: der Straßenbeleuchtung, um die LED-Technik voranzu- Vielen Dank . – Dann Frau Dr .V erlinden, bitte . bringen, und um den Einsatz von effizienten Heiz- und Kühlsystemen . Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich würde mir konkrete Maßnahmen im Gebäudebe- Ich hatte mich schon gefragt, ob Sie noch zur natio- reich wünschen; denn es gibt hier ein enormes Potenzial, nalen Ebene kommen .– Sie haben jetzt sehr viele Punk- das es zu heben gilt . Es gibt KfW-Programme . Es gibt te genannt, deren Umsetzung auf internationaler Ebene das CO -Gebäudesanierungsprogramm, dessen Mittel wünschenswert wäre, und haben hervorgehoben, wie 2 wir aufgestockt haben, das aber noch stärker genutzt wichtig es ist, das Abkommen schnell zu ratifizieren. Ich werden müsste; vielleicht sollten wir über eine stärkere hoffe, es ist nicht der einzige Erfolg beim Klimaschutz, Aufstockung nachdenken, damit wir mehr in die Breite den Sie am Ende dieser Legislaturperiode benennen kön- gehen können . Wir müssen letztendlich Anreize verstär- nen, dass man schnell ein internationales Abkommen ra- ken, sodass im Bestand mehr Energieeffizienzmaßnah- tifiziert hat. men getätigt werden; wir waren heute Vormittag zu ei- Frau Weisgerber, Sie sitzen ja im Umweltausschuss, nem Frühstück eingeladen, wo es auch darum ging, mehr Sie sind für das Thema Klimapolitik zuständig, und wir Dämmsysteme einzusetzen . laufen uns immer wieder bei Veranstaltungen zu diesen Themen über den Weg . Ich möchte von Ihnen wissen: (Dr . Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE Für welche drei ganz konkreten Instrumente und politi- GRÜNEN]: Wie wollen Sie das machen?) (B) schen Maßnahmen, die hier im Bundestag beschlossen Im Industriebereich gibt es den Emissionshandel . Ich (D) werden könnten, werden Sie sich noch in dieser Legis- habe darauf hingewiesen, dass wir bereits zwei Refor- laturperiode einsetzen, damit wir eine substanziell große men hinter uns haben und jetzt an einer umfassenderen Menge CO2 einsparen können? Reform arbeiten . So viel zu den Maßnahmen . Jetzt komme ich zum Klimaschutzplan, wenn Sie mir (CDU/CSU): Dr. Anja Weisgerber das erlauben . Wie gesagt: Im Klimaschutzprogramm sind Werte Kollegin Verlinden, genau zu diesem nationalen konkrete Maßnahmen enthalten, die konsequent abgear- Beitrag wäre ich in den letzten vier Minuten meiner Re- beitet werden . Neben dem mittelfristigen Ziel bis 2020 dezeit gerne noch gekommen . arbeiten wir auch an einem Klimaschutzplan 2050 . (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- GRÜNEN]: Können Sie ja auch noch!) NEN]: Nur nicht zu viele Pläne! Da kommen Aber ich kann auch die Frage beantworten . Sie durcheinander!) Wir haben auf nationaler Ebene ein ehrgeiziges Kli- Ich habe mich kundig gemacht: Es gibt sowohl in Eu- maschutzziel – Reduzierung der Treibhausgasemissio- ropa als auch international kaum ein Land – mir ist kei- nen um 40 Prozent bis 2020 . Um das zu erreichen, haben nes bekannt –, das schon jetzt einen so langfristigen Plan wir ein Maßnahmenprogramm, ein Klimaschutzaktions- vorlegt . So weit wollen wir gehen, um unsere Klimaziele programm aufgelegt, an dem wir als Fraktionen mitgear- zu erreichen . Aber unser Ansatz, der Ansatz der Union, beitet haben; die Bundesregierung hat es verabschiedet . ist – das sage ich auch in Richtung der Ministerin –, dass Jetzt geht es um die konkrete Umsetzung der Maßnah- wir die technologischen Entwicklungen berücksichtigen men . müssen, dass wir unsere Maßnahmen technologie- und innovationsoffen festlegen müssen, (Dr .Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau, darum geht es mir!) (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Richtig!) Zum Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 ist zu sagen, und – das ist das Allerwichtigste – dass wir dabei auch dass es sich auf die verschiedensten Sektoren bezieht, den Kosten-Nutzen-Effekt berücksichtigen müssen; denn zum Beispiel auf den Verkehr, die Landwirtschaft, den die sehr ehrgeizigen Ziele können wir letztendlich nur Gebäudesektor und die Industrie . erreichen, wenn wir mit dem Geldbetrag, den wir einset- zen, möglichst viel CO reduzieren . Beim Verkehr kann man auf das verweisen, was wir 2 schon verabschiedet haben . Dort wurde ein Maßnahmen- (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18841

Dr. Anja Weisgerber (A) Das ist unser Ansatz . Ihn werden wir bei der Erarbeitung Das passt zu dem, was Sie, Frau Hendricks, gesagt ha- (C) des Klimaschutzplans verfolgen . ben . Sie sagten, der Plan sei ein Geschenk . Das Ganze ist doch keine Passivveranstaltung nach dem Motto: „Wir Uns geht es immer um das Zieldreieck „Ökonomie, schenken uns was“, sondern wir, die nationalen Staaten, Ökologie und Soziales“ . Bei all den Klimaschutzmaß- müssen aktiv dazu beitragen, dass wir dieses Ziel von nahmen, die wir auflegen, achten wir auch darauf, dass deutlich unter 2 Grad, wenn nicht gar 1,5 Grad, einhal- keine Arbeitsplätze gefährdet werden . Im Gegenteil: Kli- ten . Dazu bedarf es auf höchster Ebene unseres Landes mapolitik soll als Chance genutzt werden . entsprechender Ambitionen in diesem Bereich . Wir brau- (Beifall bei der CDU/CSU) chen kein Geholpere über die Ziellinie, damit wir auch in Marrakesch noch mit am Verhandlungstisch sitzen Und ich bin stolz auf Unternehmen aus meinem Wahl- können . kreis – damit möchte ich schließen –, die diese Chance begriffen haben, seien es die Automobilzulieferer, seien (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) es Unternehmen aus den Bereichen Elektromobilität, Das Traurige ist, dass man in Marrakesch außer der Ra- Batteriespeicher oder die Kugellagerindustrie mit ihren tifikationsurkunde nichts in den Händen haben wird, weil ressourcen- und energieschonenden Verfahren; ich kom- die Nationalstaaten noch liefern müssen . Frau Hendricks, me aus Schweinfurt . auch wenn Sie sich jetzt lieber unterhalten, muss ich Ih- Die Klimapolitik bietet durchaus Chancen, die wir nut- nen sagen: Sie hatten in Paris angekündigt, das Überein- zen sollten, weil wir mit der Entwicklung der Ökoinno- kommen von Paris durch den Klimaschutzplan 2050 mit vationen Arbeitsplätze halten und Arbeitsplätze schaffen Leben füllen zu wollen . Sie hatten ganz konkret gesagt, können . Das ist unser Ansatz . Auf internationaler Ebene der Klimaschutzplan 2050 solle dazu dienen, die Ziele sagen wir allerdings: Alleine können wir das Klima nicht des Abkommens mit wirksamen Maßnahmen zu unterfüt- retten . Wir brauchen die anderen Staaten dieser Welt . Da- tern, und er solle im Sommer 2016 vorliegen . Sie sind als her bitte ich Sie: Lassen Sie uns das Abkommen heute Tiger gestartet, aber leider als Bettvorleger gelandet . Und einstimmig ratifizieren und ein klares Zeichen setzen. warum? Weil das Wirtschaftsministerium, namentlich Sigmar Gabriel, und das Kanzleramt, namentlich Peter Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . Altmaier, dem Klimaschutzplan das wenige Fleisch, das dieser überhaupt hatte, auch noch abgenagt haben . Das (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ist wirklich beschämend, weil in dem Übereinkommen ordneten der SPD) von Paris nicht steht: „Bitte ratifiziert das Übereinkom- men und wartet ab, was passiert“, sondern darin steht: Vizepräsidentin Claudia Roth: Jedes Land muss nationale Klimaschutzbeiträge leisten, (B) (D) Vielen Dank, Kollegin Weisgerber .– Nächste Redne- die sogenannten NDCs . rin: Annalena Baerbock für Bündnis 90/Die Grünen . Schauen wir uns einmal das an, was, wie Sie angekün- digt haben, unser nationaler Beitrag ist: den Klimaschutz- Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- plan 2050 . Als Allererstes erkennen wir die Änderung bei NEN): dem entscheidenden Faktor, von dem Sie ursprünglich Frau Präsidentin! Herr Botschafter! Liebe Kollegin- immer gesprochen haben, nämlich beim Kohleausstieg . nen und Kollegen! Natürlich werden wir heute das Kli- Der Kohleausstieg stand in dem ursprünglichen Entwurf maschutzabkommen von Paris einstimmig ratifizieren, noch drin . Ich zitiere: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Um das Klimaschutzziel 2050 zu erreichen, wird sowie der Abg . Dr .Anja Weisgerber [CDU/ die Stromerzeugung und damit die Energiewirt- CSU]) schaft bis dahin vollständig dekarbonisiert, um ins- gesamt das Klimaschutzziel 2050 zu erreichen . Da weil wir alle wissen, dass man an bestehenden völker- die Kernenergie ab 2022 wegfällt, muss die Strom- rechtlichen Verträgen später im Parlament nichts mehr erzeugung bis 2050 auf erneuerbare Energien umge- ändern kann – selbst wenn das in Bezug auf CETA noch stellt werden . . Die Stromerzeugung auf Basis von nicht bei allen angekommen ist . Deswegen freuen wir Kohle muss somit schon deutlich vor 2050 beendet uns auch, dass die Ratifizierung so schnell über die Büh- werden . ne gebracht wird . Richtig . Allerdings ist heute nicht nur ein Freudentag, sondern auch ein Trauertag; denn wir müssen leider feststellen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dass wir in der Klimapolitik nicht mehr tonangebend Nur, was ist davon übrig geblieben? Die Kohlever- sind . Denn: Warum ist jetzt diese Eile geboten? Weil Chi- stromung nimmt in diesem Prozess schrittweise an Be- na und die USA das Abkommen schon ratifiziert haben. deutung ab, und die Erneuerbaren werden schrittweise Offensichtlich hat man davon auf deutscher Seite nicht zunehmen .– Meine sehr verehrten Damen und Herrn, viel mitbekommen . Sonst hätte man den Zeitplan ja nicht was für eine Erkenntnis, dass bei der Energiewende der verschärfen müssen . Das zeigt, dass man bei diesen The- eine Bereich ab- und der andere Bereich zunimmt . Aber men offensichtlich nicht in engem Austausch mit diesen das ist doch nicht das, was Sie in Paris unterschrieben Staaten steht, und das ist doch etwas bedenklich . haben, liebe Frau Hendricks . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 18842 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Annalena Baerbock (A) An einer anderen Stelle des ursprünglichen Entwurfs Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) vom 20 .April 2016 heißt es: NEN): Spätestens seit Paris ist klar, dass diese Ziele Min- Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin . destziele darstellen, die schon früher erreicht wer- den müssen . Das gilt auch für die Zwischenziele der Vizepräsidentin Claudia Roth: Bundesregierung für die Treibhausgasminderung in Ja . den Jahren 2030 und 2040 . Dann hat Ihr Kollege Sigmar Gabriel im Wirtschaftsmi- Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nisterium den Rotstift angesetzt und gesagt: Zwischen- NEN): ziele brauchen wir nicht; wir konzentrieren uns lieber auf Die Bundeskanzlerin hatte in Paris sehr richtig gesagt: das Jahr 2050 .– Dann sind aber alle, die hier Verant- wortung tragen, weg . Er sagt nur noch: Klimaschutzziele Wir müssen heute handeln . Das muss der Anspruch sind irgendwie Mindestziele . dieser Konferenz sein . Und dann ging das Ganze ins Bundeskanzleramt . Da- Ich möchte am heutigen Tage, an dem wir Paris rati- nach ist von diesem ganzen Passus, dass es um Mindest- fizieren, sagen: Sie müssen heute handeln. Das muss der ziele geht, gar nichts mehr zu lesen, sondern man sagt Anspruch Ihrer Politik sein . Hauchen Sie dem Klima- einfach nur noch: Wir machen weiter wie bisher, als hätte schutzplan wieder Leben ein. Ansonsten ist die Ratifika- es Paris nicht gegeben . – Das ist aber nicht das, was wir tion am Ende nichts wert . nach der heutigen Ratifikation tun sollten. Herzlichen Dank . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Eva Bulling-Schröter [DIE und bei der LINKEN) LINKE]) Wir können das fortführen . Im Verkehrsbereich ist Vizepräsidentin Claudia Roth: nicht mehr die Rede von einem überproportionalen An- Vielen Dank, Annalena Baerbock .– Nächster Redner: teil des Verkehrsbereichs, sondern nur noch davon, dass Frank Schwabe für die SPD-Fraktion . man das Thema ambitioniert angehen will . Im Landwirt- schaftsbereich – Sie haben es angesprochen – will man (Beifall bei der SPD) überhaupt nicht mehr davon reden, um wie viele Tonnen (SPD): (B) der CO2-Ausstoß bis 2030 reduziert werden soll . Das Frank Schwabe (D) Ganze ist am Ende ein schöner Lückentext, in dem über- Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! In der haupt gar nichts mehr drinsteht . Tat, viele von uns – einige waren ja da – erinnern sich gern zurück an das, was in Paris erfolgreich beschlossen Frau Weisgerber, Sie haben gesagt, warum das so ist, wurde . Wir haben eventuell gleich noch die Gelegenheit, warum man das machen muss, denn man müsse ja auch miteinander anzustoßen; dazu sagt Herr Jung vielleicht auf die Wirtschaft schauen . Diejenigen von Ihnen, die noch etwas . das per Brief geäußert haben, sind nicht mehr anwesend; aber ich muss trotzdem sagen: Bloß weil die Vertreter des (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und BDI es nicht verkraften können, in einem Workshop des der CDU/CSU) Umweltministeriums mit NGO-Vertretern zusammensit- zen zu müssen, müssen Sie sich die Argumente, nach de- Seit gestern – Ministerin Barbara Hendricks hat es nen der Klimaschutzplan gar nichts wert ist und wir noch gesagt – haben wir die Situation, dass 60 Staaten – in- einmal ganz von vorne anfangen müssen, doch nicht zu klusive China und den USA –, die knapp 50 Prozent der eigen machen . Das ist einfach ein Armutszeugnis . Emissionen verursachen, die Ratifizierungsurkunde hin- terlegt haben. Ich finde, man kann ruhig einmal darüber (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nachdenken . Denn das zeigt zwei Dinge . Das zeigt auf der einen Seite die Veränderungen in der Welt, dass alles Es gibt auch andere Argumente . Ambitionierter Kli- viel schneller geht und dass viele Länder nicht mehr zum maschutz und internationale Wettbewerbsfähigkeit sind Jagen getragen werden müssen, sondern aus Eigeninter- zwei Seiten derselben Medaille . Das sagen nicht nur wir esse, aus eigenem Antrieb handeln . Das zeigt auf der an- Grünen, sondern das sagte zum Beispiel auch Bahnchef deren Seite auch ein bisschen, wie schwierig es in Europa Rüdiger Grube: in den letzten Jahren geworden ist, sich auf gemeinsame Mit dem Abkommen steht die Weltgemeinschaft vor Positionen zu einigen . einer gewaltigen Aufgabe . Aber sie ist machbar . Gerade ist darauf hingewiesen worden, dass einige Nun sind die Länder am Zug und ganz konkret die Un- Kolleginnen und Kollegen vom Koalitionspartner Brie- ternehmen. Sie stehen in der Pflicht, jetzt ihren Beitrag fe zu diesem Thema schreiben; sie sind jetzt allerdings zu leisten . nicht anwesend . Ich glaube, wir müssen aufhören mit dem Gerede, dass die Welt nichts tut, sondern bloß Euro- pa und Deutschland . Die Welt ist auf dem Weg . Die Welt Vizepräsidentin Claudia Roth: ist schnell . Wir müssen in der Tat aufpassen, dass wir in Darf ich Sie an die Redezeit erinnern? den nächsten Jahren nicht abgehängt werden . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18843

Frank Schwabe (A) Es ist höchste Zeit, Paris zu ratifizieren. Deutschland – und die Wirtschaft, Innovationen anzureizen und ihnen (C) das wissen Sie ganz genau, Frau Baerbock – muss das im freien Lauf zu lassen . Diesen Vorwurf kann man dem Gleichklang mit der Europäischen Union tun . Deswegen BDI und der BDA nicht ersparen . Viele dieser Positionen liegt es nun wirklich nicht an Deutschland, wenn es ein sind wirklich von gestern, und ich habe den Eindruck, bisschen länger dauert . Vielmehr gab es eine Debatte da- dass, wenn sich Unternehmen daran orientieren, diese in rüber, ob es vor der Ratifizierung sozusagen eine Verab- ein Schicksal getrieben werden, wie wir es leider zurzeit redung darüber geben soll, wer bei der Erreichung der bei RWE, Eon, Vattenfall und EnBW sehen, die nämlich Ziele was zu leisten hat . Jetzt haben wir uns darauf ver- nicht zum richtigen Zeitpunkt erkannt haben, was eigent- ständigt, dass wir erst ratifizieren und danach über diese lich die Maßgabe einer modernen Klima- und Energiepo- Frage reden; das wird noch schwierig genug werden . Es litik ist . liegt also bestimmt nicht an Deutschland und auch nicht Es ist das Verdienst von Barbara Hendricks – ich habe an der Kommission, sondern an einzelnen Ländern . es hier mehrfach betont –, dass wir uns ehrlich gemacht Wir werden das heute einstimmig verabschieden; haben und endlich dabei sind, genau zu wissen, auf wel- daran besteht, glaube ich, kein Zweifel . Wir müssen chem Weg der Zielerreichung wir sind . Dazu hat Barbara allerdings aufpassen, dass wir nicht einer politischen Hendricks eine ambitionierte Politik vorgeschlagen, und Schizophrenie anheimfallen, nämlich auf der einen Sei- es ist jetzt die Aufgabe der gesamten Bundesregierung, te international Dinge zu verabschieden und auf der an- diese auch umzusetzen . deren Seite auf europäischer und nationaler Ebene dem Was wir heute tun, ist die Pflicht. Das werden wir ge- nicht gerecht zu werden . meinsam erledigen . Aber die Kür und die schwierigere (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Aufgabe ist am Ende, das Ganze in nationale Gesetzge- der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE bung umzusetzen . Das ist die Aufgabe des nächsten Jah- GRÜNEN) res und der Jahre darüber hinaus . Ich will auch hier noch einmal sagen, dass wir in der Vielen Dank . Arbeitsgruppe „Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sicherheit“ der SPD-Fraktion eine spannende Begegnung der CDU/CSU) mit Professor Edenhofer vom Potsdam-Institut für Kli- mafolgenforschung hatten, der noch einmal sehr nach- vollziehbar dargelegt hat, was eigentlich das 2‑Grad-Ziel Vizepräsidentin Claudia Roth: und möglicherweise sogar das 1,5‑Grad-Ziel für die Eu- Vielen Dank, Frank Schwabe . – Letzter Redner in die- ropäische Union und für Deutschland bedeutet . Es ist ser Debatte ist Andreas Jung . (B) vollkommen klar, dass dieses Geschacher um den Klima- (Beifall bei der CDU/CSU) (D) schutzplan an mancher Stelle der internationalen Verant- wortung, der wir heute gerecht werden wollen, eigentlich Nun sind wir ganz gespannt, zu erfahren, wer mit wem nicht gerecht wird . wo anstößt . Es ist völlig klar, dass das, was wir gemeinsam im Deutschen Bundestag aufgeschrieben haben, nämlich Andreas Jung (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen eine Reduzierung des CO2-Ausstosses um 80 bis 95 Pro- zent bis 2050, ein richtiges Ziel ist . Aber vor dem Hinter- und Kollegen! Wie oft haben wir in diesem Hause über grund von Paris müssen wir natürlich sagen: Wir werden die Notwendigkeit eines Weltklimavertrages debattiert? uns eher am höheren Rand dieses Zieles bewegen müssen Wie oft mussten wir uns entgegenhalten lassen, das wer- und eventuell sogar darüber hinausgehen müssen, um un- de überhaupt nie etwas, es werde immer nur diskutiert, serer Verantwortung gerecht zu werden . Es ist völlig klar, man komme einmal im Jahr auf Klimakonferenzen zu- dass das europäische Ziel von mindestens 40 Prozent Re- sammen, am Ende komme aber allenfalls ein ganz klei- alität werden muss . Da wir über mindestens 40 Prozent ner Schritt heraus, im Ergebnis würden sich insbesondere reden, müssen wir alle Kraft darauf verwenden, dieses die USA und China blockieren und es werde dabei blei- europäische Ziel entsprechend höher zu hängen . ben, dass wir international einen solchen Vertrag nicht gemeinsam hinbekämen? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deshalb war unsere Freude groß, als im letzten Jahr in Paris dieser Vertrag zustande gekommen ist, und es Mit Blick auf die Reduktion des Treibhausgasaussto- ist – damit möchte ich unterstreichen, was die Vorredner ßes müssen wir sagen, dass wir im Bereich der Energie, sagten – heute ein Tag der Freude, dass wir im Bundestag der Industrie, des Verkehrs, der Gebäude und der Land- über die Ratifizierung abstimmen können. Ich finde, es ist wirtschaft gegen null gehen müssen. Ich finde, es muss ein Quantensprung für den internationalen Klimaschutz schon möglich sein – wie es auch die Umweltministerin und darüber hinaus als Zeichen der Handlungsfähigkeit geplant hatte –, dass sich zumindest die Empfehlungen der internationalen Gemeinschaft auch ein Signal, das der Fachleute für gesunde Ernährung in einem solchen über die Klimapolitik hinausgeht und uns angesichts ak- Klimaschutzplan wiederfinden. tueller Krisen, wie etwa der Flüchtlingskrise, Mut macht, dass sich die internationale Gemeinschaft zusammenrau- Wer das alles nicht sagt und wer das nicht aufschrei- fen und handeln kann . Darauf können wir aufbauen . ben will, lügt sich am Ende in die Tasche, und schlimmer noch: Er verpasst die klare Ansage an die Gesellschaft (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) 18844 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Andreas Jung (A) Nun hat der Erfolg immer viele Väter, in diesem Fall Selbstverständlich müssen wir auch unsere Ziele im (C) aber auch eine Mutter, nämlich die Gastgebernation der Hinblick auf den Klimaschutzplan mit Leben füllen . Ich Konferenz Frankreich unter der Präsidentschaft von Lau- glaube, es ist normal, dass über ein so ambitioniertes und rent Fabius; auch dies wurde bereits in Anwesenheit des weitreichendes Vorhaben diskutiert wird, sowohl in den französischen Botschafters gewürdigt . Hier müssen wir Fraktionen als auch zwischen den Fraktionen . Aber am dazusagen, dass wir in der Vergangenheit schon erlebt Ende muss ein ambitionierter und möglichst konkreter haben, dass eine Präsidentschaft den Erfolg einer solchen Fahrplan stehen, der festlegt, wie wir in Deutschland die Konferenz auch gefährden kann . in Paris formulierten Ziele in den nächsten Jahrzehnten erreichen wollen . Dabei werden alle Sektoren ihren Bei- Die Bundeskanzlerin hat beim Petersberger Klima- trag leisten müssen; so führen wir diese Diskussion . dialog die französische Gastgeberrolle gewürdigt und gesagt, es seien eine exzellente Vorbereitung und ein ex- (Beifall des Abg . Dr . Matthias Miersch zellenter Einsatz gewesen, die Diplomatie sei exzellent [SPD]) gewesen . Und damit, Herr Botschafter, ist es ein Erfolg für die französischen Gastgeber . Deshalb freuen wir uns, Wir wollen unsere Ziele durch den Einsatz von Techno- nachher noch mit Ihnen in der Lobby zusammenzukom- logie und durch Effizienz erreichen. So wollen wir – da men, um gemeinsam darüber nachzudenken, was Deut- spreche ich für meine Fraktion – den Klimaschutzplan sche und Franzosen in Zukunft noch anstoßen können . gestalten und zu einem Erfolg machen .

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) der Abg . Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]) Ich bin der letzte Redner vor der Abstimmung . Ich Ich will unterstreichen: Wie in vielen anderen Berei- freue mich, den Weg für die Ratifizierung freimachen chen gab es auch in der Klimapolitik in den vergangenen und der Präsidentin wieder das Wort übergeben zu dür- Monaten eine sehr enge Abstimmung zwischen Deutsch- fen . land und Frankreich . Eine der Vorlagen, die den Weg (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU nach Paris geebnet hat, entstammte der G-7-Konferenz und der SPD – Annalena Baerbock [BÜND- in Elmau, auf der die Bundeskanzlerin mit den anderen NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist der Sekt, Staats- und Regierungschefs zusammengekommen ist Claudia?) und auf der das Ziel einer Dekarbonisierung der Volks- wirtschaften der Industriestaaten in diesem Jahrhun- dert – genauer: schon deutlich zuvor, nämlich zur Mitte Vizepräsidentin Claudia Roth: (B) dieses Jahrhunderts – in den Blick genommen wurde . Wir wollen mit anstoßen . (D) Das war ein Meilenstein . So konnte Deutschland in Ab- stimmung mit den Franzosen und dann innerhalb der Eu- (Heiterkeit) ropäischen Union seinen Beitrag leisten .

Jetzt geht es darum, die Vereinbarung, die in Paris ge- Andreas Jung (CDU/CSU): troffen wurde, mit demselben Nachdruck und derselben Ich finde, es ist ein starkes Signal, dass wir – bei allem Ambition umzusetzen . Deutschland hat in Paris zu der Streit, den wir im Detail haben mögen – durch die Zu- sogenannten – ich sage es auf Deutsch – Hochambitions- stimmung aller Fraktionen und aller Abgeordneten dieses koalition gehört, also zu den Staaten, die sich in beson- Hauses eine einstimmige Ratifizierung erreichen. Das ist derer Weise und mit großen Ambitionen – ich darf dazu- nach der Konferenz von Marrakesch ein starkes Signal sagen: auch mit großer Glaubwürdigkeit, die über viele für den Klimaschutz . Jahre von den unterschiedlichen Bundesregierungen auf- gebaut und aufrechterhalten wurde – für ein ehrgeiziges In diesem Sinne: Herzlichen Dank . Abkommen eingesetzt haben . (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Jetzt ist es unsere Aufgabe, das Abkommen mit Ambi- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE tion und Ehrgeiz umzusetzen . Da geht der Blick nach Eu- GRÜNEN) ropa. Hier müssen wir unsere Ziele, wie ich finde, nach oben korrigieren . In der Formulierung des europäischen 2030-Ziels findet man das Wort „mindestens“. Jetzt ist es Vizepräsidentin Claudia Roth: an der Zeit, dieses Wort „mindestens“ zu streichen und Vielen Dank, Andreas Jung .– Dann schließe ich die auf europäischer Ebene mit größeren Ambitionen voran- Aussprache . zugehen . Der Deutsche Bundestag und die Bundesregie- rung müssen ihre Beiträge dazu leisten, dass die formu- Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak- lierten Ziele erreicht werden . Dazu gehört die Erreichung tionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Ent- des kurzfristigen 2020-Ziels mit weiteren Maßnahmen, wurf eines Gesetzes zum Übereinkommen von Paris vom wie zum Beispiel einem neuen Anlauf zur steuerlichen 12 .Dezember 2015 . Der Ausschuss für Umwelt, Natur- Förderung der Gebäudesanierung, um durch eine Steige- schutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner rung der Effizienz den Klimaschutz zu stärken. Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9704, den Ge- setzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD (Beifall bei der CDU/CSU) auf Drucksache 18/9650 anzunehmen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18845

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Zweite Beratung Statthalters Kadyrow in Tschetschenien aufzuklären . Sie (C) tat das, obwohl sie wusste, dass sie sich damit in Todes- und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem gefahr begab . Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben .– Das sind alle . Zwar hat die russische Justiz inzwischen mehre- re Männer wegen des Mordes verurteilt, aber niemand (Heiterkeit) glaubt ernsthaft, dass sie eigenständig gehandelt haben . Dann brauche ich nicht zu fragen: „Wer stimmt dage- Somit bleiben die Drahtzieher dieses feigen Verbrechens gen?“ oder „Wer enthält sich?“ Der Gesetzentwurf ist straflos. einstimmig angenommen . Vielen herzlichen Dank, liebe Anna Politkowskaja ist nicht die Einzige, die die Be- Kolleginnen und Kollegen . harrlichkeit, die Wahrheit ans Licht zu bringen, mit ihrem (Beifall im ganzen Hause) Leben bezahlte . Natalja Estemirowa, auch eine unbeug- same Menschen- und Frauenrechtlerin von MEMORI- Zusatzpunkt 7: Beschlussempfehlung des Ausschus- AL, die von Ramzan Kadyrow persönlich bedroht wurde, ses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher- wurde im Sommer 2009 nach Inguschetien entführt und heit zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- dort grausam ermordet . Auch dieser Mord ist unaufge- nen mit dem Titel „Zur Unterzeichnung des Pariser klärt . Klimaabkommens – Klimaschutz wirksam verankern und Klimaziele einhalten“. Der Ausschuss empfiehlt in In der Redaktion von Nowaja Gazeta, für die Anna seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9702, Politkowskaja gearbeitet hat, hängen insgesamt sechs den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Fotos von mutigen Kolleginnen und Kollegen, die sich Drucksache 18/8080 abzulehnen . Wer stimmt für diese der Schweigeforderung des Kremls nicht gebeugt ha- Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ben . Ihre Namen sind nicht so bekannt wie der von Boris enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist nicht ein- Nemzow, der am 27 .Februar 2015 in unmittelbarer Nähe stimmig angenommen, sondern zugestimmt haben die des Kremls ermordet wurde . Alle diese mutigen Men- CDU/CSU und die SPD, und dagegen waren das Bünd- schenrechtler haben mit ihrem Leben bezahlt . nis 90/Die Grünen und die Linke . Ich hoffe, dass Swetlana Gannuschkina, mit der ich Jetzt wünsche ich Ihnen draußen gemeinsam mit dem viele Reisen in den Nordkaukasus unternommen habe, Herrn Botschafter in puncto Klima noch ein gutes Nach- diese aufrechte und mutige Frau, die zusammen mit an- schwingen dieser Debatte und viel Engagement, das Kli- deren den Alternativen Nobelpreis bekommt, durch die- maabkommen dann auch tatsächlich umzusetzen .– Vie- sen Preis wenigstens ein bisschen Schutz erhält . (B) len Dank für diese Debatte . (Beifall im ganzen Hause) (D) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf: Schauen wir nach Russland heute: Die Duma-Wahlen Beratung des Antrags der Abgeordneten waren so orchestriert, dass sie nach außen einigermaßen Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), korrekt ausgesehen haben . Das Ergebnis führt im Par- Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und lament zu einer hundertprozentigen Unterstützung der der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Putin’schen Politik und zu einer verfassungsändernden Mehrheit für „Einiges Russland“ . Die eigentliche Bot- 10. Jahrestag der Ermordung Anna Politkow- schaft dieser Wahlen haben allerdings die Nichtwähler skajas – Menschenrechtsverteidigerinnen und vermittelt . Mehr als die Hälfte der wahlberechtigten rus- Menschenrechtsverteidigern in Russland zur sischen Bevölkerung glaubt nicht mehr daran, dass sie Seite stehen mit ihrer Wahlstimme Einfluss nehmen kann. Drucksache 18/9673 In Moskau und Sankt Petersburg, den modernsten Städten Russlands, stimmten nur 35 und 32 Prozent der Ich warte noch, bis die Plätze getauscht sind . – Nach Wahlberechtigten überhaupt ab . Selbst in der ländlich einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aus- geprägten Region Perm, die etwa die Größe Griechen- sprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre und sehe kei- lands hat, gibt es ähnlich niedrige Abstimmungsquoten . nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Aus solch einer Wahl lässt sich keine überwältigende Zu- Ich eröffne die Aussprache . Als erster Rednerin in der stimmung für Putins Kurs in der russischen Bevölkerung Debatte gebe ich Marieluise Beck für Bündnis 90/Die ableiten . Grünen das Wort . Offenbar wurde dieser Ausgang im Kreml vorausge- sehen . Denn am Tag nach der Wahl legte Kommersant Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE die Zukunftspläne für die Neugestaltung des Sicherheits- GRÜNEN): apparates auf den Tisch . Der Personenschutz von Präsi- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und dent und Regierung, der Auslandsgeheimdienst und das Kollegen! Am 7 . Oktober 2006 wurde die Journalistin Katastrophenschutzministerium sollen auf der Basis des und Menschenrechtlerin Anna Politkowskaja im Fahr- Geheimdienstes FSB zusammengeführt werden . Es soll stuhl ihres Hauses mit vier Schüssen ermordet . Anna wieder ein übermächtiges Ministerium für Staatssicher- Politkowskaja war eine sehr mutige Frau . Sie gab keine heit geben . Das erinnert fatal an die Strukturen des KGB, Ruhe, um die Verbrechen des Geheimdienstes, des russi- von dem 1990 die russische Bevölkerung glaubte, seine schen Militärs und des von Präsident Putin eingesetzten Zeiten seien endlich überwunden . 18846 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Marieluise Beck (Bremen) (A) Unser Antrag soll eines klarmachen: Wir sind der rus- kelow, Boris Nemzow – das sind nur einige der Namen (C) sischen Bevölkerung freundschaftlich verbunden . Wir auf einer viel zu langen Liste der Opfer von Verbrechen sind besonders denen nahe, die trotz der extremen Bedin- aus Gründen reinen Machterhalts, aus Ideologie, wegen gungen für eine offene Gesellschaft kämpfen . Kritik am inhaltlicher Positionen . Bei allen handelt es sich um Kreml bedeutet nicht Kritik an Russland . politische Morde, die oftmals mit Straflosigkeit für die Auftraggeber einhergehen, und das mit einer Regelmä- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ßigkeit, dass manch einer bisweilen vergisst, wie unge- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und heuerlich es eigentlich ist, was sich da mitten in Europa der SPD) abspielt . Die Europäische Union und die deutsche Bundesre- Gerade die Straflosigkeit ist ein sehr gefährlicher und gierung haben einen Trumpf in der Hand, mit dem sie oft unterschätzter Faktor . Sie ermuntert Machthaber und diese der russischen Bevölkerung zugewandte Haltung ihre Schergen geradezu, mit ihrem Treiben fortzufahren, unmissverständlich klarmachen könnten: Liberalisieren weil sie ihnen die Sicherheit gibt, für ihre Taten auch Sie endlich das Visumsregime! Moskau und Sankt Pe- in Zukunft nicht belangt zu werden. Wo Straflosigkeit tersburg haben bei den Wahlen gezeigt: Begegnungen nach Verbrechen herrscht, ist der Rechtsstaat abwesend . mit Demokratien, mit dem Ausland und mit Freiheit sind Grundlegende Prinzipien sind komplett aufgegeben wor- die stärksten Kräfte gegen diktatorische Entwicklungen . den . Gerade bei einem Mitgliedstaat des Europarates Wer wirklich ein Freund Russlands sein möchte, der soll- dürfen wir das auf keinen Fall akzeptieren . te die Möglichkeit des Reisens für die russische Bevöl- kerung endlich einfach und unkompliziert machen . Wir (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- sollten der russischen Bevölkerung zeigen: Wir warten ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ auf euch, und wir freuen uns auf euch . DIE GRÜNEN) Schönen Dank . Ermordete oder verschwundene Kritiker sind jedoch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht die einzige Erscheinungsform von Repression in sowie bei Abgeordneten der SPD) Russland . Journalisten, Oppositionelle, Menschenrechts- verteidiger: Sie alle erfahren dort die ganze Bandbreite von Behinderung, Drangsalierung und Willkür . Über die Vizepräsidentin Ulla Schmidt: NGO-Gesetzgebung Russlands ist in vergangenen Debat- Vielen Dank .– Nächster Redner ist der Kollege ten an dieser Stelle schon einiges gesagt worden, ebenso Dr . Bernd Fabritius für die CDU/CSU-Fraktion . über die bedauerliche Entscheidung des Landes, Urteile (Beifall bei der CDU/CSU) des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht (B) mehr als verbindlich anzuerkennen . (D) Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU): Auch über die Situation von LGBT in Russland ha- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen ben wir hier bereits debattiert . Dort gelten Gesetze gegen und Kollegen! Zehn Jahre ist es her, dass die Journalistin Propaganda von Homosexualität, als ob das ein propa- und Menschenrechtlerin Anna Politkowskaja ermordet gandaabhängiges gesellschaftliches Phänomen wäre . All wurde . Sie hatte es sich zeitlebens nicht nehmen lassen, das wird im vorliegenden Antrag erneut und zu Recht unabhängig und kritisch über Korruption, im Tschet- aufgegriffen . schenien-Krieg begangene Verbrechen sowie Menschen- Vor einiger Zeit war ich selbst in Moskau und habe rechtsverletzungen zu berichten . Für ihre Arbeit wurde mich im dortigen Sacharow-Zentrum mit Vertretern der Politkowskaja vielfach ausgezeichnet; sie galt als Ikone Zivilgesellschaft über ihre Probleme ausgetauscht . Es ist des investigativen Journalismus in Russland . eine Sache, über die Menschenrechtslage eines Landes Leider macht man sich mit solch einem Engagement aus der Ferne in Berichten und Briefings zu erfahren. Es auch Feinde . Die entscheidende Frage ist, zu welchen ist eine ganz andere Sache, vor Ort mit Betroffenen zu Mitteln diese Feinde greifen . Halten sie sich an die Nor- sprechen und die Verzweiflung zu erleben, die sich mitt- men der Meinungsfreiheit? Oder kommt es zu Repressi- lerweile unter den Menschen dort breitmacht . onen und Verfolgung? An den Antworten auf diese Fra- Wir müssen uns in solchen Situationen leider einge- gen kann man früh erkennen, wie es um die Wahrung der stehen, dass unser Einfluss naturgemäß begrenzt ist. Den- Menschenrechte in einem Land bestellt ist . noch sind es gerade solche Begegnungen, die uns anspor- Anna Politkowskaja wurde auf dem Höhepunkt ihres nen sollten, in unseren Unterstützungsbemühungen für kritischen Schaffens direkt vor ihrer Moskauer Wohnung Menschenrechtsverteidiger auch in Russland nicht nach- durch mehrere Schüsse getötet . Im Verlauf der Jahre wur- zulassen . Wir müssen tun, was in unserer Macht steht, den mehrere Verdächtige zu Haftstrafen verurteilt . Die damit die Verzweiflung, die ich im Sacharow-Zentrum eigentlichen Nutznießer dieses Verbrechens – Sie, Frau beobachten konnte, nicht Raum greift . Kollegin Beck, haben das schon betont –, die Hintermän- Wir müssen klarmachen, dass der Einsatz für Men- ner der Tat, sind aber bis heute nicht ermittelt; und das schenrechte und das Anprangern unerträglicher Miss- wird vermutlich für immer so bleiben . stände kein Vaterlands-Bashing sind, sondern ganz im Politkowskajas Tod reiht sich in eine ganze Serie von Gegenteil ausgeprägte Vaterlandsliebe . So, meine Da- Mordfällen ein, denen ausschließlich Kreml-Kritiker men und Herren, möchte ich auch meine Ausführungen zum Opfer fielen. Aleksandr Litwinenko, Stanislaw Mar- verstanden wissen . Sie sind nicht Russland-Bashing, son- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18847

Dr. Bernd Fabritius (A) dern eine Beistandsbekundung und ein Schulterschluss Lassen Sie mich bei all dieser Kritik an Putins Russ- (C) mit der russischen Zivilgesellschaft . landpolitik betonen: Trotz der Menschenrechtsverletzun- gen und offenkundigen Demokratiedefizite ist uns allen Liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die klar, dass wir mit dem schwierigen Partner Russland wei- Grünen, ich bin Ihnen sehr dankbar dafür, dass Sie Oleg terhin im Dialog bleiben müssen . Dies gilt schon allein Senzow in Ihrem Antrag erwähnen . Dieser hat sich fried- wegen der Feststellung, dass wir sehr schnell sehr einsam lich gegen die Annexion der Krim eingesetzt und wurde auf der Welt wären, wenn wir den Kontakt zu all unseren dafür von den russischen Behörden in einem Schaupro- internationalen Partnern abbrechen würden, deren Werte zess zu 20 Jahren Haft verurteilt . Ich habe im vergan- und Ziele nicht zu 100 Prozent mit unseren übereinstim- genen Jahr eine politische Patenschaft für Oleg Senzow men . In der Politik kann man sich Verhandlungspartner übernommen, um auf sein Schicksal und das ihm wider- nicht nach Sympathie aussuchen . fahrene Unrecht aufmerksam zu machen . Öffentlichkeits- arbeit ist meist das einzige Mittel, das uns gegen solches Deutschland bzw . die EU und Russland sind in den Unrecht zur Verfügung steht . Wir alle sollten es intensiv verschiedensten Bereichen aufeinander angewiesen . nutzen; denn genau diese Art von Öffentlichkeitsarbeit Russland braucht uns dringend, schon allein um die Wirt- mögen repressive Staaten nicht . schaftskrise im eigenen Land zu überwinden . Auch wir Einen weiteren Klassiker der Scheindemokratie konn- brauchen Russland . Die anstehenden Aufgaben – von der ten wir bei der russischen Parlamentswahl am vergange- Ukraine bis Syrien – können wir nur gemeinsam bewäl- nen Wochenende beobachten . In 203 von 206 Wahlkrei- tigen . Diese Feststellung besagt jedoch nicht, dass an der sen, in denen ein Kandidat der Partei Einiges Russland Annexion der Krim, an der Destabilisierung in der Ost- angetreten war, gewann dieser . Es gibt daher eine satte ukraine oder an der menschenrechtlichen Situation in- Dreiviertelmehrheit zum Schalten und Walten . Damit nerhalb Russlands irgendetwas beschönigt werden darf . nicht genug . Die anderen drei Parteien, die in die Duma Gerade wir Menschenrechtspolitiker dürfen und können einziehen konnten, unterstützen ausnahms- und kritiklos es Menschenrechtsverletzern – auch denen in Russland – die Politik Putins . Demokratische Opposition? Totale nicht leicht machen . Probleme sprechen wir auch bei Fehlanzeige! Russland öffentlich an . (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Stimmt Der Schutz von Menschenrechtsverteidigern ist seit alles gar nicht!) langem zentraler Bestandteil unserer Menschenrechtspo- Angesichts der desolaten wirtschaftlichen Lage würde litik . Ich erinnere an unseren letzten Antrag in dieser Sa- man eigentlich eine kritischere Haltung der Bevölkerung che, in dem auch die Situation in Russland ganz deutlich zur Sprache kam . (B) gegenüber der Regierung erwarten . (D) Interessanterweise haben Wahlbeobachter der OSZE Wie bereits dargelegt, gibt es allein in Russland, aber diesmal über weniger Unregelmäßigkeiten am Wahltag auch in anderen Staaten, eine Vielzahl ähnlicher Schick- selbst berichtet . Offensichtliche Wahlfälschung war gar sale wie das von Frau Politkowskaja, und alle verdienen nicht mehr nötig . Für das richtige Ergebnis wurde laut Beachtung . Nicht nur aus Gründen der Praktikabilität OSZE bereits im Vorfeld gesorgt . Die Wahlbeobachter ist es bei uns allerdings längst erprobte Praxis, keine nennen dabei an erster Stelle die totale Kontrolle der Re- Bundestagsentschließungen zu Einzelschicksalen zu gierung über die Medien . verabschieden . Damit soll auch verhindert werden, dass einzelne Fälle gegeneinander aufgewogen werden kön- Putins mediale Suppression ist derart massiv, dass es nen . Deshalb können wir dem vorliegenden Antrag nicht kein Wunder ist, wenn dabei am Ende Wahlergebnisse zustimmen, auch wenn wir viele der darin enthaltenen herauskommen, die an SED-Zeiten erinnern und der Positionen ausdrücklich teilen . DDR würdig gewesen wären . Putin hat natürlich erkannt, wie viel Macht ihm das Instrument gefügiger Medien be- Danke . schert . In seinem eigenen Land sind diese längst Realität, doch damit gibt er sich nicht zufrieden . (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) In jüngster Zeit gab es verstärkt russische Propaganda und Desinformationskampagnen in Deutschland und der Vizepräsidentin Ulla Schmidt: EU . Es ist schon bezeichnend, wie sich die russischen Propagandisten bei uns genau auf jene Meinungsfrei- Vielen Dank .– Das Wort hat jetzt für die Fraktion Die heit berufen, die in ihrem eigenen Land so konsequent Linke der Kollege Stefan Liebich . unterdrückt wird. Wir müssen diese Einflussnahme sehr ernst nehmen und dringend aufpassen, dass wir sie nicht (Beifall bei der LINKEN) aus Naivität unterschätzen . Gleichzeitig steht außer Fra- ge, dass wir nicht – wie in Russland – mit Zensur oder Stefan Liebich (DIE LINKE): gar Repressionen darauf reagieren dürfen . Wenn wir das täten, würde das Ziel der Propaganda nämlich erreicht: Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! die Untergrabung unserer erfolgreichen freiheitlichen Anna Politkowskaja, eine engagierte russische Jour- demokratischen Grundordnung . Bei uns werden die nalistin, wurde vor zehn Jahren im Alter von 48 Jahren Grundrechte nicht eingeschränkt . Das genau ist der Un- erschossen . Dieser Mord sollte auf brutale Weise ein- terschied . schüchtern, er sollte Journalistinnen und Journalisten 18848 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Stefan Liebich (A) daran hindern, ihre Meinung zu sagen . Das dürfen wir Leider überzeugt der Antrag von Bündnis 90/Die Grü- (C) niemals und nirgendwo akzeptieren . nen nicht wirklich . Es geht hier weniger, wie der Titel suggeriert, um die Unterstützung mutiger Russinnen und (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Russen, die sich für Freiheit, Demokratie und Menschen- Dr . Ute Finckh-Krämer [SPD]) rechte einsetzen, sondern es scheint Ihnen mit diesem Presse- und Meinungsfreiheit können nicht hoch ge- Antrag mehr um eine Generalabrechnung mit der Politik nug angesehen werden und sind in Russland – aber nicht der russischen Regierung zu gehen . Ich gebe Ihnen sogar nur dort, mein Vorredner hat das gesagt – bedroht . Wir in weiten Teilen Ihrer Kritik recht, Frau Beck . Auch wir als Parlamentarierinnen und Parlamentarier müssen dem, kritisieren die Einschränkungen von Menschenrechten wann und wo es auch immer geschieht, entgegentreten . und Demokratie, die Beschneidung der Zivilgesellschaft und die völkerrechtswidrige Annexion der Krim . Ohne den Mut von Anna Politkowskaja hätten wir Nur – und da widerspreche ich meinen Vorrednern ein über den zehn Jahre andauernden schmutzigen Krieg in bisschen –, die Wahl zur Duma sagt noch etwas anderes . der russischen Kaukasusrepublik Tschetschenien hier Wir können die Augen nicht davor verschließen, dass es noch weniger erfahren . Sie berichtete von den Gräuelta- in Russland eine ganze Reihe Menschen gibt, die diese ten der russischen Militärs und der verbündeten parami- Politik unterstützt. Das müssen wir nicht richtig finden, litärischen Gruppen . Sie berichtete über Folter, Mord und aber damit müssen wir uns auseinandersetzen . So wie Sie Korruption, unabhängig von der Kritik, die sie damit auf Ihren Antrag formulieren, kommen wir in dieser Frage sich zog . Sie bezahlte diesen Einsatz mit ihrem Leben . keinen Schritt weiter . So schwer es ist: Das Ziel einer Die Umstände, unter denen der Mord geschah, sind Partnerschaft zwischen der Europäischen Union und bis heute ungeklärt . Wer auch immer letztlich die Schuld Russland können wir trotz alledem nicht aufgeben . daran trägt, eines ist schwer zu leugnen: Das Klima, das Wenn wir Veränderungen wollen, müssen wir mehr einen solchen Mord möglich machte, wurde auch von der statt weniger miteinander reden . Insofern unterstütze ich russischen Regierung geschaffen . den Vorschlag zur Visaliberalisierung und finde es scha- Russland wird in der Länderliste von Reporter ohne de, dass die Regierungsfraktionen sich immer noch nicht Grenzen auf Platz 148 von 180 geführt . Gerade in Tschet- darauf einlassen können . schenien landen immer wieder kritische Journalisten im Aber vor diesem Hintergrund – das muss ich an der Gefängnis, wie vor wenigen Tagen der junge Journalist Stelle auch ansprechen – ist es bedauerlich, dass es in Zhalaudi Geriyev . dieser Wahlperiode erstmals nicht gelungen ist, dass der Auswärtige Ausschuss der Duma und der Auswärtige Solche Beispiele – Frau Beck hat das getan – müssen Ausschuss des Bundestages zu ihrem traditionellen Tref- (B) wir laut und deutlich benennen . Öffentlichkeit ist die bes- (D) fen zusammengekommen sind . Das waren nie schöne te Antwort, wenn Despoten versuchen, Menschen zum Termine – wir haben uns dort gestritten –, aber es war Schweigen zu bringen . wichtig und sinnvoll, dass diese Treffen stattgefunden (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- haben, und ich bedaure es, dass das in dieser Wahlperio- NIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Dr .Ute de nicht gelungen ist . Finckh-Krämer [SPD]) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Anna Politkowskaja Das gilt auch für Länder, zu denen ich leider weniger gebühren Dank und Anerkennung für ihr Streben nach ei- Kritik von den Regierungsfraktionen höre . Wir messen nem demokratischen Russland . Trotz aller Drohungen ist nicht mit zweierlei Maß, Herr Fabritius . sie immer wieder zurückgekehrt und hat nie aufgegeben, das Land durch ihre Berichte und ihre Beobachtungen zu Die Länderliste von Reporter ohne Grenzen umfasst verändern . Würdigen wir sie und ihr Andenken, indem viele Länder . Ich will noch auf einige andere Bezug neh- wir weltweit Menschenrechte verteidigen . men . Auf Platz 178 – also dem vorvorletzten Platz von 180 – befindet sich . Dessen bizarrer Präsi- (Beifall bei der LINKEN) dent Berdymuchammedow war kürzlich bei der Bundes- kanzlerin zum Mittagessen eingeladen . Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank .– Als Nächstes spricht Ute Finckh- (Michael Brand [CDU/CSU]: Sie sollten er- Krämer, SPD-Fraktion . wähnen, dass die Bundeskanzlerin die Frage der Menschenrechte angesprochen hat, und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten das sehr massiv, auch in der Pressekonferenz!) der CDU/CSU) Auf Platz 164 befindet sich Saudi-Arabien, auf Platz 163 (SPD): Bahrain, auf Platz 158 Ägypten und auf Platz 156 Irak . Dr. Ute Finckh-Krämer Das sind alles Länder, in die Wirtschaftsminister Gabriel Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! weiter Waffen exportieren lässt . Der Umgang mit LGBT, Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf der Besuchertri- also mit Lesben und Schwulen, in diesen Ländern lässt büne! Über die Leistungen von Anna Politkowskaja als sehr zu wünschen übrig . Wer hier ein Auge zudrückt, ist Journalistin, über ihren Mut und ihre hohe Professiona- in seiner Kritik nicht glaubwürdig . lität ist schon viel gesagt worden . Insofern möchte ich mich jetzt in meiner Rede auf das konzentrieren, was wir (Beifall bei der LINKEN) tun können – nicht nur durch direkten Protest, sondern Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18849

Dr. Ute Finckh-Krämer (A) auch indirekt durch Kontakte und Angebote an diejeni- Menschenrechte des Sozialpaktes in den Vordergrund (C) gen in Russland, die gerne mit Deutschland und mit der gerückt . Es könnte eine Möglichkeit sein, im Dialog mit Europäischen Union zusammenarbeiten –, um etwas zu Russland neben den Menschenrechten, die in dem Antrag verändern . der Grünen angesprochen sind, auch die sozialen Men- schenrechte zu einem neuen Ansatzpunkt für Dialoge Ich möchte zunächst daran erinnern, dass nicht nur, zu machen, auch und gerade wegen der Dinge, die zur was mich sehr freut, heute Swetlana Gannuschkina als gewachsenen Armutsquote in Russland genannt wurden . eine der diesjährigen Preisträgerinnen des Right Live- lihood Award, also des Alternativen Nobelpreises, be- Interessant finde ich auch, dass kürzlich die Vorsit- nannt wurde, sondern dass letztes Jahr der Europarat zende des Föderationsrates der Russischen Republik, den Vaclav-Havel-Menschenrechtspreis ebenfalls einer Valentina Iwanowna Matwijenko, angekündigt hat, dass Russin verliehen hat . Die Rede von Ludmilla Alexeje- Russland gerne in die Parlamentarische Versammlung wa letztes Jahr in Straßburg hat mich sehr beeindruckt, des Europarates zurückkehren würde . Das ist ein Ge- weil sie nämlich in einem guten Teil ihrer Rede darüber sprächsangebot – so verstehe ich das – an die, die in der gesprochen hat, warum für sie Russland ein europäisches Parlamentarischen Versammlung des Europarates mit da- Land ist und warum sie sich als Europäerin fühlt . rüber entscheiden, ob im Januar die Credentials der Rus- Swetlana Gannuschkina wird für etwas geehrt, sen anerkannt werden oder nicht . was auch im besten Sinne eine europäische Leistung (Beifall des Abg . Wolfgang Gehrcke [DIE ist . Sie wird dafür geehrt, dass sie seit 1990 mehr als LINKE]) 50 000 Migrantinnen und Migranten, Flüchtlingen und Binnenvertriebenen in Russland geholfen hat . Damit Diejenigen von uns, die in der Parlamentarischen Ver- fühlen sich, glaube ich, diejenigen von uns, die hier in sammlung des Europarates aktiv sind, sollten das wiede- Deutschland für eine Unterstützungskultur und für Will- rum zum Anknüpfungspunkt nehmen, um mit denjenigen kommensbündnisse eintreten, ihr sehr nahe . Deswegen aus der Duma, die eine Rückkehr der Russen wünschen, freut es mich besonders, dass sie diesen Preis erhalten ins Gespräch über Menschenrechte zu kommen; denn das hat . ist eines der Kernthemen des Europarates . (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem (Beifall des Abg . Wolfgang Gehrcke [DIE BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) LINKE]) Russland ist seit vielen Jahrhunderten zweifellos Teil Auch Kultur ist ein verbindendes Element . Es war da- des europäischen Kulturraums . Es gibt viele Menschen her aus meiner Sicht gut und richtig, dass 2014/2015 in dort, die sich wie Anna Politkowskaja, Ludmilla Alexeje- dieser angespannten Situation Deutschland das Jahr der (B) wa oder Swetlana Gannuschkina als Europäerinnen und deutschen Sprache und Literatur in Russland nicht ab- (D) Europäer fühlen . Wir haben große Werke der russischen gesagt hat und umgekehrt das Jahr der russischen Spra- Kultur, auf die wir uns ganz selbstverständlich hier be- che und Literatur in Deutschland parallel geführt wurde; ziehen . Ich möchte als ein Beispiel den großen Roman denn das ergab genau einen Teil der Dialogmöglichkei- Krieg und Frieden von Lew Tolstoi nennen, der Pazifist ten, die wir suchen und wünschen . war und sich damit jedenfalls in einer europäischen Tra- Das gilt auch für die Zusammenarbeit von Wissen- dition des Pazifismus sah und der in der russischen Origi- schaftlerinnen und Wissenschaftlern . Aus meinem ei- nalausgabe ganze Textteile auf Französisch, auf Englisch genen Wahlkreis kann ich als Beispiel das Deutsche und auf Deutsch geschrieben hat, weil er diese drei eu- Archäologische Institut anführen, das mit russischen Ar- ropäischen Sprachen fließend beherrschte. Ich finde das chäologen zusammenarbeitet . Es gibt aber auch trilate- sehr eindrücklich und würde mir wünschen, dass jemand rale Formate der Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern den Mut hat, ein deutsches Buch zu schreiben, das mit aus Russland und anderen ehemaligen Sowjetrepubli- russischen Textteilen versehen ist . ken . Des Weiteren gibt es die Arbeit des Goethe-Insti- Die Ostpolitik Willy Brandts und Egon Bahrs hat den tutes in Russland und die der russischen Kulturzentren Raum für die Konferenz für Sicherheit und Zusammen- in Deutschland . In diesem Zusammenhang ist zum Bei- arbeit in Europa geöffnet . Die Schlussakte von Helsinki spiel – das ist nicht weit weg von hier – das Russische hat drei Körbe, den Korb „Gemeinsame Sicherheit“, den Haus der Wissenschaft und Kultur in der Friedrichstra- Korb „Wirtschaftliche Zusammenarbeit“ und den Korb ße zu nennen . Außerdem gibt es Schulen mit vertieftem „Menschenrechte“ . Sie gehören zusammen, und deswe- Deutschunterricht in Russland, zwei Auslandsschulen gen begrüße ich es besonders, dass unser Außenminister sowie 84 Schulen, die das deutsche Sprachdiplom verlei- Frank-Walter Steinmeier gerade eine neue Initiative für hen können . Umgekehrt gibt es in Deutschland Schulen Gespräche über konventionelle Rüstungskontrolle in Eu- mit vertieftem Russischunterricht . Diese tragen genauso ropa angeboten hat . Ich glaube, damit können und wollen zur Vertrauensbildung zwischen Menschen aus beiden wir im Rahmen der deutschen OSZE-Präsidentschaft ein Ländern bei wie die Einrichtungen für russischsprachige Angebot machen, das auch russische Gesprächspartner Menschen in Deutschland, von denen es auch in meinem interessieren könnte . Wahlkreis welche gibt . Das Gleiche gilt auch für das Deutsch-Russische Haus in Moskau, das Angebote für In der Menschenrechtssäule haben wir uns in Deutsch- die deutschsprachige Minderheit in Russland bereithält . land sehr oft stärker auf die klassischen Menschenrech- te des Zivilpaktes konzentriert und manchmal etwas Auch Städtepartnerschaften spielen für die Bezie- weniger die wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen hungen zu Russland eine wichtige Rolle . 98 Städte und 18850 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Dr. Ute Finckh-Krämer (A) Gemeinden in Deutschland haben Partnerschaften mit und ihr Schicksal auch eine exemplarische Bedeutung (C) Städten oder Gemeinden in Russland . Es haben aber auch hat . Seit 1992 – so das International Committee to Protect 29 Städte und Gemeinden Partnerschaften zu Städten Journalists – sind in der Russischen Föderation 54 Jour- oder Gemeinden in der Ukraine . Die Zahl der Partner- nalisten ermordet worden . schaften zu Städten und Gemeinden in Belarus beträgt Ihr Antrag ist auch deshalb verdienstvoll, weil er ein 24 . Damit machen wir deutlich, dass das nicht ein In- ungeschminktes, wenn auch bedrückendes Bild der po- strument der einseitigen Ausrichtung auf Russland ist, litischen und gesellschaftlichen Situation in Russland sondern dass wir auch die europäischen Nachfolgestaa- zeichnet . Sein Verdienst besteht vor allen Dingen darin, ten der Sowjetunion in ihrer ganzen Verschiedenheit im zu zeigen, dass die deutsche Öffentlichkeit und leider Blick haben . nicht selten auch die Politik verdrängen und verschwei- Ich werde von denjenigen in meinem Wahlkreis, die gen, wie die tatsächliche gesellschaftliche Situation in russischsprachig sind – sie sind aus unterschiedlichen der Russischen Föderation inzwischen geworden ist . Gründen aus dem heutigen Russland nach Deutschland (Beifall bei der CDU/CSU) gekommen –, gelegentlich darauf angesprochen, dass es in Deutschland in der Mehrheit der Medien ein pauschal Meine Damen und Herren, ich möchte meine Redezeit negatives Russlandbild gibt . Wir müssen daher aufpas- nach alldem, was über Menschenrechte und Menschen- sen, dass sich alte Vorurteile nicht in neuem Gewand ein- rechtsaktivitäten in Russland gesagt wurde, nutzen, um schleichen, und wir müssen darauf achten, dass wir die mich zwei Fragen zu widmen: Erstens . Wo liegen die über 140 Millionen Menschen in Russland als Individuen Ursachen für die fatalen politischen und gesellschaftli- betrachten . Mit vielen von ihnen gibt es – je nachdem, chen Entwicklungen Russlands? Ich möchte nicht nur wie ihr kultureller, bildungsmäßiger, politischer oder an- anklagen, sondern ich möchte verstehen . Zweitens . Wel- derweitiger Hintergrund ist – eine Gemeinsamkeit . Wir che Bedeutung haben die prekären Entwicklungen der dürfen nicht so tun, als ob die Russinnen und Russen eine russischen Gesellschaft für uns in der deutschen Politik? einheitliche Masse sind . Zu erstens, meinem Versuch einer Ursachensuche: Ich So gesehen war es aus meiner Sicht auch ein Fehler, sehe die Ursachen für die gegenwärtige gesellschaftliche dass in den 90er-Jahren russische oder ältere sowjetische und politische Situation Russlands in einem mindestens Abschlüsse derer, die nach Deutschland gekommen sind, dreifachen Scheitern der Transformation während der nicht anerkannt wurden . Denn damit wurde – über Ver- letzten 25 Jahre . wandte und Freunde – auch ein Signal nach Russland ge- Erstens . Die wirtschaftliche Transformation Russlands geben, dass wir das, was in Russland im Bildungs- bzw . hat keine freiheitliche Wirtschaftsordnung, sondern Oli- Wissenschaftssystem geleistet wird, nicht voll anerken- garchen hervorgebracht und damit illegitime politische (B) nen . (D) Machtzentren geschaffen, die im Übrigen ein Nährboden Über das Internationale Parlaments-Stipendium des für Korruption sind und somit jeder Entwicklung einer Deutschen Bundestages haben einige von uns auch rus- freiheitlichen Wirtschaftsordnung im Wege stehen . Die sische Stipendiatinnen und Stipendiaten kennen gelernt . Ukraine ist im Moment dabei, sich aus diesen Fehlent- Auch das ist, glaube ich, ein Beitrag des Deutschen Bun- wicklungen und Fesseln zu befreien . destages zum Dialog bzw . zur Verständigung mit den (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das glau- Menschen in Russland . ben Sie doch selber nicht!) Als Sozialdemokraten lehnen wir den Antrag ein Stück Zweitens . Es hat in der Russischen Föderation, aber weit ab, weil in den Forderungen eben nur das Kritische leider auch in anderen postsowjetischen Staaten an einer angesprochen wird . Insofern schließen wir uns dem An- Aufarbeitung der totalitären Vergangenheit gefehlt . Sie satz an, den der Kollege von der CDU vorgetragen hat . wurde oft genug angegangen und immer wieder verhin- Trotzdem aber bin ich dankbar, dass es diese Diskussion dert . So ist heute viel mehr Kontinuität alter Machtstruk- heute hier gibt . Ich möchte den Grünen dafür danken . turen anzutreffen als demokratischer Neubeginn . Auch (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem dies ist eine Hypothek, die die gegenwärtige gesell- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schaftliche Situation in Russland kennzeichnet . Drittens . Bedauerlicherweise hat Russland in den ver- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: gangenen 25 Jahren, vor allen Dingen in den 1990er-Jah- Vielen Dank .– Letzter Redner zu diesem Tagesord- ren, sehr viele interne Konflikte durchstehen müssen, nungspunkt ist der Kollege Dr .Christoph Bergner, CDU/ insbesondere die beiden Tschetschenien-Kriege . Jeder CSU-Fraktion . dieser Konflikte hat die Rolle der sogenannten Silowiki, der Machtzentren und Machtinstitutionen, gestärkt . Stän- (Beifall bei der CDU/CSU) dig wurden staatlichen und nichtstaatlichen Machtstruk- turen zusätzliche totalitäre Mandate verliehen . Auch dies Dr. Christoph Bergner (CDU/CSU): hat zur gegenwärtigen Situation geführt . So haben wir es Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! heute mit einer Situation zu tun, in der nicht das Gemein- Verehrte Frau Beck! Es ist verdienstvoll, anlässlich des wohl, sondern das Staatswohl und damit verbunden das zehnten Jahrestages der brutalen Ermordung von Anna Wohl einer privilegierten Elite die Antriebsfedern des ge- Politkowskaja diesen Antrag einzubringen . Es ist ver- genwärtigen gesellschaftlichen Konzepts der russischen dienstvoll, weil diese tapfere Frau Würdigung verdient Führung sind . Wir haben es mit einer Situation zu tun, in Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18851

Dr. Christoph Bergner (A) der systematisch Macht vor Recht steht . Wir haben es mit Vizepräsidentin Ulla Schmidt: (C) einer Situation zu tun, in der der politische Diskurs regel- Aber nur noch eine, Herr Kollege . mäßig staatlichen Machtinteressen untergeordnet wird . Damit bin ich bei dem Versuch, die zweite Frage zu Dr. Christoph Bergner (CDU/CSU): beantworten . Ich sehe das Problem der Putin’schen Poli- Ein Punkt, zu dem mir die Zustimmung besonders tik nicht darin, dass diese Situation eingetreten ist . Dafür schwer fiele, ist die Visaliberalisierung für Russland. Ich muss ich angesichts der Transformationsprobleme sogar möchte, dass wir wenigstens erst einmal für Georgien, Empathie haben . Das Problem der Putin’schen Politik die Ukraine und andere eine Visaliberalisierung anstre- sehe ich vielmehr darin, dass dieser fatale Zustand des ben . eigenen Landes als Normalfall, ja als Vorbild für andere deklariert wird . Mir scheint geradezu charakteristisch zu (Dr .Thomas Feist [CDU/CSU]: Sehr gut!) sein, dass es ideologische Ausformungen dieses gesell- Dann können wir über manches andere reden . schaftlichen Zustandes in Gestalt des Eurasismus, der „Russkij Mir“ oder anderer Vorstellungen gibt und dass Vielen Dank . damit die freie und offene Gesellschaft des Westens als (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . der eigentliche Unnormalfall, als der kranke Fall – „Gay- Ewald Schurer [SPD]) ropa“; um nur ein Stichwort aus Putins Vokabular zu nennen – benannt wird . Das heißt: Hinter diesen Men- schenrechtsfragen, mit denen wir es hier zu tun haben, Vizepräsidentin Ulla Schmidt: hat sich inzwischen ein gesellschaftspolitischer Konflikt Vielen Dank . – Ich schließe die Aussprache . entwickelt, den wir ernst nehmen sollten, weil unserer Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag freien Gesellschaft eingeredet wird, dass wir die eigent- der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa- lich Kranken in Europa sind, che 18/9673 mit dem Titel „10 .Jahrestag der Ermordung (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ Anna Politkowskajas – Menschenrechtsverteidigerinnen DIE GRÜNEN]: Stimmt!) und Menschenrechtsverteidigern in Russland zur Seite stehen“ . Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt und weil man sich extremistischer Kräfte des rechten und dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist gegen die linken Randes bedient, um unsere Gesellschaft zu infilt- Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt . rieren und unsere Gesellschaft subversiv zu schädigen . Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a und 10 b auf: (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- (B) gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umset- (D) Diesen Punkt müssen wir ernst nehmen . Damit rede zung der Änderungen der EU-Amtshilfericht- ich ausdrücklich nicht gegen all die Forderungen nach linie und von weiteren Maßnahmen gegen Dialog mit Russland . Ich halte es für außerordentlich Gewinnkürzungen und -verlagerungen wichtig, dass wir jede Gelegenheit des Dialoges nutzen . Aber ich möchte drei Bedingungen für diesen Dialog Drucksache 18/9536 nennen . Überweisungsvorschlag: Erstens . Wir sollten uns im Rahmen dieses Dialoges Finanzausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz nicht belügen lassen . Es hat immer wieder Versuche ge- Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO geben, uns zu belügen, von den grünen Männchen auf der Krim bis zu dem Umstand, dass gar keine russischen b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- Kräfte im Donbass und andernorts beteiligt sind . regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu der Mehrseitigen Vereinbarung vom Zweitens . Wir sollten nicht zulassen, dass Georgien, 27. Januar 2016 zwischen den zuständigen Be- die Ukraine und andere postsowjetische Staaten gewis- hörden über den Austausch länderbezogener sermaßen zur Verhandlungsmasse des Verhältnisses zwi- Berichte schen der EU und Russland werden . Das ist kein ehrli- cher Dialog . Drucksache 18/8841 (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ausschusses (7 .Ausschuss) Drittens . Wir sollten uns bei diesem Dialog immer Drucksache 18/9695 klar darüber sein – deshalb habe ich diese Analyse ange- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für stellt –, dass die Schwächung der Einigung Europas eines die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei- der Ziele der gegenwärtigen russischen Politik ist . Ich nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . empfehle, in dieser Hinsicht keine Illusionen zu haben . Ehrlicher Dialog bedeutet, dass wir auch die Ausgangs- Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat für die basis richtig einschätzen . Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär Dr . Michael Meister . Wenn ich vielleicht noch eine Bemerkung zu einer Forderung Ihres Antrages, verehrte Frau Beck, machen (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . darf . Ingrid Arndt-Brauer [SPD]) 18852 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) Dr. Michael Meister, Parl . Staatssekretär beim Bun- rechnungspreise gegebenenfalls den tatsächlichen Wer- (C) desminister der Finanzen: ten, die man auch einem Dritten einräumen würde? Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Nachdem Sie eben den Titel des Gesetzesvorhabens be- nannt haben, kann ich mir die Rede fast sparen . Damit Ich glaube, das ist ein Schritt in die richtige Richtung . ist alles gesagt . Wir haben heute die Situation, dass Wirt- Zum Zweiten haben wir das Country-by-Country Re- schaft, Handel, Produktion und Dienstleistungen auf glo- porting . Dort geht es um die Erfassung von wirtschaft- baler Ebene ablaufen, dass aber die Frage der Steuerge- lichen Aktivitäten multinationaler Konzerne . Auch hier setzgebung nach wie vor der nationalen Hoheit obliegt . wollen wir Transparenz schaffen . Aber man muss na- Damit haben wir ein Auseinanderfallen der Prozesse und türlich die Frage stellen: Für wen will man Transparenz der Kompetenz des Regelns . Deshalb haben wir hier ein schaffen? Wir wollen Transparenz für die Behörden Projekt gestartet gegen Base Erosion and Profit Shifting, schaffen, die für die Steuererhebung zuständig sind . gegen Steuervermeidung und -verschiebung, mit dem wir versuchen, uns auf internationale Steuerstandards zu (Beifall bei der CDU/CSU) verständigen und diese Steuerstandards dann auch durch- Deshalb sprechen wir uns in diesem Gesetzentwurf und zusetzen, um diese Praktiken des Verschiebens und Ver- bei der Richtlinienumsetzung für Transparenz zwischen meidens zu unterbinden . Ich glaube, es ist zunächst ein Steuerbehörden aus . riesiger Erfolg, dass wir den Kampf gegen diese Prakti- ken gemeinsam aufnehmen und ein politisches Commit- Wir müssen sehr aufpassen, wenn wir unter Transpa- ment sowohl bei OECD als auch bei G 20 haben . renz etwas anderes verstehen, nämlich Öffentlichkeit im allgemeinen Sinne herstellen, dass diejenigen, die sich (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) politisch zu diesem Projekt bekannt haben, an Bord blei- ben . Es kann natürlich nicht sein, dass wir Informatio- Jetzt geht es um die Umsetzung . Bei der Umsetzung nen an andere liefern und gleichzeitig nicht in der Lage ist es gut, dass Deutschland nicht allein national vo- sind, die Informationen, die wir benötigen, zu beziehen . rangeht, sondern dass wir zu den einzelnen Elementen Deshalb sind wir der Meinung, dass wir diese internati- zunächst einmal EU-Recht schaffen und damit dafür onale Absprache umsetzen sollten, dass wir Vorbild sein sorgen, dass innerhalb der Europäischen Union dieser sollten, dass wir uns aber auch an die Absprache halten Gedanke gemeinsam harmonisch umgesetzt wird . Des- sollten und nichts anderes tun sollten, meine Damen und halb diskutieren wir an dieser Stelle zunächst einmal die Herren . EU-Amtshilferichtlinie und deren Änderung . (B) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (D) In dieser EU-Amtshilferichtlinie werden zwei wesent- Wir werden im Kontext des Projektes gegen Base Ero- liche Elemente zum Thema „Kampf gegen Steuervermei- sion and Profit Shifting weitere Aktionspunkte umsetzen dung“ aufgegriffen . Das alles ist unter der Überschrift zu müssen, die über das, was heute in der Umsetzung der sehen: Wir wollen mehr Transparenz schaffen, Transpa- EU-Amtshilferichtlinie angesprochen ist, hinausgehen . renz in dem Sinne, dass unser Wissen als Steuergesetzge- Ich nenne als Beispiele die Themen „Abzugsfähigkeit ber und Steuererheber nicht an der Grenze endet, sondern von übermäßigen Zinszahlungen“, „Hinzurechnungs- dass wir von Unternehmen, die grenzüberschreitend tätig besteuerung“ und viele andere mehr . Das ist nicht Ge- sind, die Information haben, was an anderen Standorten genstand dieses Gesetzentwurfs, wird aber auf uns zu- passiert . Wenn Transparenz herrscht, so ist unsere Hoff- kommen . Wir werden in Deutschland klug analysieren nung, dass dann Steuervermeidungspraktiken unterbun- müssen: Was ist die politische Absprache, die wir getrof- den werden können . Deshalb legen wir hier einen Ge- fen haben? Wie passt sie zu dem, was wir bereits heute setzentwurf vor, der zu mehr Transparenz an dieser Stelle im Steuerrecht haben? Wo gibt es konkreten Handlungs- führen soll . bedarf? Sobald wir konkreten Handlungsbedarf festge- stellt haben, werden wir auch dazu gesetzgeberische Vor- Er hat zwei wesentliche Elemente . Das eine ist, sich schläge machen . mit sogenannten Tax Rulings zu befassen . Tax Rulings sind zunächst einmal nichts Schlimmes . Wenn ein Un- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ternehmen Rechtssicherheit durch eine verbindliche Aus- kunft zu Verrechnungspreisen – zum Beispiel bei einem Ich wünsche mir eine möglichst sachbezogene Bera- Gebot, dass man auch Dritten diesen Preis einräumen tung und hoffe, dass das Ganze bald im Gesetzblatt steht . würde – bekommt und alles dem allgemeinen Steuerrecht Vielen Dank . entspricht, dann ist dagegen nichts einzuwenden . Aber bedauerlicherweise stellen wir fest, dass es auch andere (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) verbindliche Auskünfte und andere Verrechnungspreise gibt . Das haben wir im Zusammenhang mit Lux-Leaks Vizepräsidentin Ulla Schmidt: gemerkt . Deshalb ist es richtig, dass wir jetzt festlegen, Vielen Dank . Das war eine Punktlandung . Herzlichen dass in Zukunft solche Tax Rulings für die betreffenden Glückwunsch! – Jetzt hat der Kollege Richard Pitterle, Steuerverwaltungen transparent gemacht werden . Die Fraktion Die Linke, das Wort . Transparenz betrifft die Fragen: Entspricht das tatsäch- lich eins zu eins dem Steuerrecht? Entsprechen die Ver- (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18853

(A) Richard Pitterle (DIE LINKE): tungen leichter identifizieren lassen. Das ist zweifellos (C) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und richtig und notwendig . Aber das eigentliche Problem Kollegen! Liebe Zuhörer auf der Tribüne! Heute beraten sind nicht fehlende Informationen, sondern die Unter- wir einen Gesetzentwurf, der den Begriff „multinationale schiede im materiellen Steuerrecht . Ohne einheitliche Unternehmensgruppe“ erstmalig in die Abgabenordnung Besteuerungsgrundlagen oder eine Mindestbesteuerung und überhaupt in ein deutsches Gesetz einführt . sind internationale Steuervermeidung und aggressiver Steuerwettbewerb nicht in den Griff zu bekommen . Der Hintergrund ist durchaus ernst . Erst kürzlich machte ein Konzern Schlagzeilen, der sonst in der Öf- (Beifall bei der LINKEN und der SPD) fentlichkeit für technologischen Fortschritt bewundert Bisher ist es nicht einmal innerhalb der EU gelun- wird . Doch diesmal ging es um dessen Finanzgebaren . gen, aggressiven Steuerwettbewerb zwischen den Mit- Die EU-Kommission verlangt von Apple Irland, 13 Mil- gliedstaaten zu verhindern . Mehr als 700 amerikanische liarden Euro Steuern nachzuzahlen . Apple wird vorge- Konzerne wie Apple haben ihren Sitz in Irland . Das liegt worfen, durch Steuertricks nur noch 0,005 Prozent Steu- nicht an der reizvollen Landschaft, sondern an Steuerge- ern auf Gewinne gezahlt zu haben . Auf 1 Million Euro schenken Irlands – Steuergeschenke, die Irland jetzt auch Gewinn waren also 50 Euro Steuern zu zahlen . Auf der nicht zurückfordert, aus Angst, die Konzerne könnten schwarzen Liste der EU-Kommission finden sich auch sich eine andere Steueroase suchen, frei nach dem auch andere Konzerne, die uns bekannt sind, wie Facebook, bei uns bekannten Motto: lieber 0,005 Prozent von X als Google und Amazon . 20 Prozent von nix . Allein 2015 erzielte Apple weltweit einen Umsatz von Meine Damen und Herren von der Regierungskoaliti- einer Viertelbillion Dollar und einen Gewinn von 50 Mil- on, ich frage Sie: Wenn es schon innerhalb der EU nicht liarden Dollar . Apple hat Bargeldreserven in Höhe von klappt, wie groß sind dann wohl die Aussichten, inter- 200 Milliarden Dollar gehortet . Das muss man sich mal national Erfolg zu haben? Und der Bundesregierung ins vorstellen: Eine Überweisung von Apple aus der Porto- Stammbuch geschrieben: Fachleute erklären seit vielen kasse, und Griechenland wäre praktisch schuldenfrei . Jahren, dass Deutschland durch nationale Maßnahmen (Zuruf von der CDU/CSU: Aber nicht lan- wie Quellensteuern auf alle Zins-, Patent- und Lizenz- ge! – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: zahlungen wirksame Maßnahmen gegen BEPS ergreifen Gute Idee!) kann . Die Bundesregierung verweigert sich und predigt stattdessen nur den internationalen Ansatz . So lange Ent- Wie ist so etwas möglich? Mit BEPS . Das klingt wie wicklungs- und Schwellenländer den größten Schaden ein Erfrischungsgetränk, ist aber eher das steuerrechtli- haben, lebt es sich bei uns mit Aktionsplänen und An- (B) che Gegenstück zu Karies . BEPS steht für Gewinnkür- kündigungen eben noch sehr bequem . (D) zung und Gewinnverlagerung . BEPS ist im Kern nichts anderes, als sich gegenüber dem Fiskus so lange kleinzu- Vielen Dank für die Aufmerksamkeit . rechnen, bis kaum noch Steuern zu zahlen sind . Und wie (Beifall bei der LINKEN) Karies Zähne ruiniert, ruiniert BEPS ganze Staaten durch Steuerausfälle . Vor allem Entwicklungsländer leiden un- ter der Steuerflucht. Jährlich entgehen ihnen nach Schät- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: zungen circa 100 Milliarden Dollar Steuereinnahmen . Vielen Dank .– Als Nächster spricht der Kollege Lothar Binding für die SPD-Fraktion . Wie Karies ist BEPS aber auch eine Zivilisations- krankheit . 195 Staaten haben 195 verschiedene Steuer- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten systeme . Sie sind nur lose durch Doppelbesteuerungs- der CDU/CSU) abkommen verzahnt . Multinationale Konzerne nutzen diese Unterschiede im Steuerrecht aus . Sie schieben die Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Gewinne zwischen den Staaten so lange hin und her, Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! bis sie faktisch keine Steuern mehr zahlen müssen . Der Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man hat das Gefühl, Chefsekretär der Organisation für wirtschaftliche Zu- es nimmt kein Ende . Seit Jahren arbeiten wir daran, klug sammenarbeit und Entwicklung, OECD, Angel Gurría, und intensiv zu regulieren . Wir wollen die Ehrlichen stär- sagte einst passend dazu: ken, die Kriminellen stellen und den Staatsfeinden das Wir wollten verhindern, dass Unternehmen doppelt Leben schwer machen . Und dann? Dann gibt es ständig besteuert werden . Nun sind wir im Zustand doppel- diese Nackenschläge . Wer schon lange im Parlament ist, ter Nichtbesteuerung angekommen . weiß, dass wir alle paar Jahre trotz Erfolgen Rückschlä- ge erleben, die wir uns vorher gar nicht haben vorstellen Konzerne wie Apple betreiben dieses Geschäft seit können . Jahrzehnten unbehelligt . Erst 2015 konnten sich die G‑20- und die OECD-Staaten auf einen Aktionsplan ge- Unternehmen wie Apple nutzen es im Grunde aus – das gen BEPS einigen . Das heute von uns beratene Gesetz hat Herr Dr .Meister ausgeführt –, dass unterschiedliche setzt erste Maßnahmen dieses Plans um . Ein zentraler Staaten unterschiedliche Regeln haben, sogar miteinan- Punkt ist die Stärkung der Steuerverwaltung durch mehr der in Konkurrenz stehen . Aufgrund dieser Konkurrenz Informationen . Konzerne müssen detaillierter Rechen- können die Privaten die Gewinne abziehen . Im Fall Ap- schaft über ihre Aktivitäten in verschiedenen Ländern ple wurden die Gewinne einer Verwaltungsgesellschaft ablegen und Auskunft geben, damit sich Steuergestal- in den USA zugeordnet, und weil sie dort zugeordnet 18854 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Lothar Binding (Heidelberg) (A) waren, wurden die Gewinne nicht in Irland versteuert; Wir packen mit dem Anti-BEPS-Programm noch (C) aber die Verwaltungsgesellschaft in den USA ist auch nicht alle Übel an der Wurzel, das ist klar . Denn auch steuerfrei . Daher ist die doppelte Nichtbesteuerung ein wenn wir uns komplett dafür eingesetzt hätten, wäre es Bestandteil des Anti-BEPS-Programms . Es geht darum, immer noch möglich, dass man durch Niedrigsteuersätze solche Machenschaften zu verhindern . Konkurrenz betreibt . Mit BEPS wäre es möglich, dass Ir- land 12 Prozent Körperschaftsteuer beibehält, weil diese Als ob der Fall Apple noch nicht genug wäre . Heute Verabredung noch nicht getroffen ist . Man merkt: Wir ha- haben wir von 175 000 Briefkastenfirmen auf den Baha- ben auf internationaler Ebene noch große Aufgaben vor mas erfahren, und wir müssen uns bei Journalisten der uns, es gibt noch viel zu verhandeln . Süddeutschen Zeitung dafür bedanken, dass sie das auf- gedeckt haben . Nun hat die EU mit ihrer Richtlinie gute Schritte unternommen . Man muss sagen: Heute geht es um die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nationalstaatliche Umsetzung der Richtlinie . Der Haupt- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) punkt ist hier die Schaffung von Transparenz und ganz Es ist ein großes Problem, dem wir uns gegenüberse- konkret: der automatische Informationsaustausch über hen, und das hat etwas damit zu tun, dass wir Gesetze Tax Rulings . Was ist eigentlich ein Ruling? Das ist eine in Deutschland machen, aber die Konzerne weltweit ge- Regel . So ein Ruling, eine Steuerregel, beschreibt die stalten . Diesen Widerspruch bekommen wir auch nicht Ausnahme vom geltenden Steuerrecht, und zwar für ein- gelöst . zelne Unternehmen . Das ist das Besondere . Es gibt Län- der, die ein Steuerrecht haben, aber mit einzelnen Un- Wir waren über Luxemburg-Leaks, über Swiss-Leaks ternehmen Extrawürste verabreden, nämlich dass diese und über Offshore-Leaks erschrocken, über Panama und Unternehmen weniger Steuern zahlen müssen . Das gibt nun über die Bahamas . Wir sehen: Es nimmt kein Ende . es in Deutschland Gott sei Dank nicht . Und wer war dabei? Das muss man sich einmal über- legen . In solchen Fällen ist auch immer etwas faul von (Margaret Horb [CDU/CSU]: Ganz genau!) innen . Wenn es stimmt, was ich gelesen habe, dann war Wir haben die verbindliche Auskunft . Die verbindliche auch Neelie Kroes, die ehemalige EU-Kommissarin, die Auskunft interpretiert das bestehende Gesetz, die gül- Direktorin einer Briefkastengesellschaft auf den Baha- tigen Steuerregeln für alle Unternehmen und gibt Ein- mas gewesen . Das muss einen wundern . Auch ein ehe- zelnen keine Extrawurst . Daran merkt man, dass es ein maliger bayerischer Finanzminister, Freiherr von Wal- unterschiedliches Verständnis, unterschiedliche Kulturen denfels, war dort Direktor einer Briefkastengesellschaft . gibt .– Ich gucke gelegentlich zum BMF, weil es eine Da fragt man sich: Was geht in den Menschen, die für wichtige Sache ist, dass die Exekutive und das Parlament (B) ihre Arbeit Geld vom Staat, von den Steuerbürgern erhal- hier eine Sprache sprechen . Das ist bei uns der Fall, und (D) ten, eigentlich vor, wenn sie solche Gestaltungen orga- das ist sehr gut . In anderen Ländern beobachten wir dies- nisieren? Das ist ein Skandal von außen und von innen . bezüglich mitunter das Schlimmste . (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Das macht deutlich, wie wichtig es ist, dass wir uns um Durch den Austausch von Informationen über diese die Gestaltung internationaler Konzerne kümmern . speziellen Regeln soll deutlich werden, welche Praktiken Jetzt komme ich zum guten Teil; denn das An- wo angewandt werden und was man tun kann . ti-BEPS-Programm, also ein Programm gegen die Ge- Ferner wollen wir im Rahmen des Informationsaus- winnverlagerung zum Zwecke der Steuerersparnis, ist tausches Widersprüche aufdecken . Indem die Unterneh- der erste international abgestimmte Ansatz, sogar über men länderweise ihre Gewinne, ihre Steuerzahlungen, die EU hinausgehend, um Gewinnverschiebung und ihre wirtschaftlichen Tätigkeiten offenlegen, können die Steuervermeidung zu bekämpfen . Das halte ich in gewis- Finanzbehörden aus den Widersprüchen oder Inkonsis- ser Weise für einen Durchbruch, wenn man zurückblickt tenzen bei diesen Angaben ableiten, ob Steuergestaltung und überlegt, wie lange es gedauert hat, um an diesen vorliegt . Mit solchen Angaben kann die Steuerverwal- Punkt zu kommen . tung natürlich ganz anders umgehen, als wenn alles im (Beifall des Abg . Dr .Mathias Middelberg Dunkeln, im Anonymen bleibt . Wir sind sehr dafür, diese [CDU/CSU]) Maßnahmen so umzusetzen . Das ist sehr gut . Natürlich beruht der Erfolg, den wir uns vom BEPS- Plan versprechen, nicht nur darauf, dass wir Transparenz Natürlich üben wir Kritik im Detail . Es gibt noch eine schaffen . Wir brauchen mit Sicherheit zwischen den ein- Menge zu tun, es gibt auch viele Aspekte, die fehlen, und zelnen Nationalstaaten Abstimmungen im Bereich der trotzdem ist es der richtige Ansatz . Denn wir wissen: Steuergesetzgebung . Wir müssen mit Sicherheit auch den Wir haben nur die Chance, grenzüberschreitende Steu- unfairen Steuerwettbewerb zwischen den Staaten in den ergestaltung zu bekämpfen, wenn wir international abge- Blick nehmen; denn – das muss man sagen – in diesem stimmt vorgehen, wenn wir uns auf internationaler Ebene Sumpf gedeihen die Steuergestaltungsmodelle sehr gut, mit anderen Staaten verabreden und Verantwortung für und wir erkennen sie nicht . Deshalb ist es wichtig, dass alle Staaten erzeugen . wir uns hier international besser abstimmen . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18855

Lothar Binding (Heidelberg) (A) Ich sehe soeben, dass ich zum Ende meiner Rede kom- Herr Michelbach, ich glaube, Sie waren gestern nicht (C) men muss .– Die EU hat in ihrer Richtlinie zur Steuerver- im Finanzausschuss . meidung auch die Wegzugsbesteuerung, die Hinzurech- nungsbesteuerung, die Einschränkung unangemessener (Dr . h . c . Hans Michelbach [CDU/CSU]: Transferleistungen und die Ausnutzung von Besteue- Doch, war ich!) rungsrechten zwischen den nationalen Systemen in den Deshalb will ich an dieser Stelle das wiederholen, was Blick genommen . Diese Aufgaben stehen uns noch be- ich dort gesagt habe . Ich habe gesagt: Es geht nicht da- vor . Ich glaube, die packen wir gemeinsam an . rum, Steuerdaten zu veröffentlichen . Es geht darum – das Schönen Dank . fordert die EU, das EU-Parlament –, Informationen über die Wertschöpfung des Unternehmens, den Umsatz des (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Unternehmens und seinen Beitrag zur öffentlichen Da- der CDU/CSU) seinsvorsorge – das sind die Steuern – für die Bürger öf- fentlich zu machen; denn wenn das bei den Konzernen, über die wir heute reden, der Fall gewesen wäre, wäre Vizepräsidentin Ulla Schmidt: der öffentliche Druck schon viel früher entstanden . Der Vielen Dank .– Für die Fraktion der Grünen spricht Druck auf die Finanzbehörden, sich auszutauschen und jetzt der Kollege Dr .Thomas Gambke . die Dinge zu korrigieren, wäre vorhanden, und wir hätten nicht die Situation, die wir heute haben, dass eben diese Konzerne nach wie vor keine Steuern zahlen . Die Zahlen Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sind genannt worden . Das müssen wir ändern . NEN): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer auf den Rängen und möglicherweise auch Neben der Transparenz noch eine technische Frage . außerhalb dieses Saales! Herr Staatssekretär Meister, Sie Tatsache ist, dass wir heute in Deutschland nach dem haben Ihre Rede begonnen mit dem Hinweis, dass mit Außensteuergesetz nur eingreifen können, wenn die Ver- der Verlesung des Titels schon genug gesagt sei . Gott sei rechnungspreise nicht stimmen . Wir können aber nicht Dank haben Sie sich korrigiert . Wir müssen hier wirklich eingreifen, wenn Konstruktionen gewählt werden, bei etwas tun – der Kollege Binding hat das sehr eindrucks- denen Geld von einem Staat in einen anderen gebracht voll gesagt –; denn das Thema Steuervermeidung durch wird, aber dort einer besonderen Besteuerung unterliegt, Steuergestaltung – das gilt auch für Steuerhinterziehung nämlich einer sehr geringen Besteuerung; da geht es noch und -betrug – ist wirklich ein ernstes Thema . nicht einmal um 12,5 Prozent, sondern um 5 Prozent oder (B) 0 Prozent . Ich bitte Sie darum, ich bitte alle Kollegen, (D) Vorab will ich sagen: Wir wollen gerne konstruktiv noch einmal in das Außensteuergesetz zu gucken . Wir mitarbeiten; aber wir müssen das Thema auch wirklich brauchen da eine Änderung . So, wie Sie es in der Vorlage ernst nehmen . vorgeschlagen haben, können wir nicht eingreifen . Das muss korrigiert werden . (Margaret Horb [CDU/CSU]: Nehmen wir doch!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In diesem Sinne ist der vorgelegte Gesetzentwurf aber – Ich möchte noch einmal auf die Aussagen von Staats- das muss ich Ihnen ehrlich sagen – an mehreren Stellen sekretär Meister zurückkommen – auch Herr Binding hat unzureichend . Das möchte ich hier darlegen . darüber gesprochen –, der gesagt hat: Wir müssen das natürlich global und europäisch angehen .– Aber ist es Er ist unzureichend, weil das Thema „länderbezoge- europäisch, wenn die Iren als Ausgleich für doppelten ne Offenlegungspflichten“ – darüber haben wir schon oft Steuersitz eine Patentbox machen? Ist es europäisch, diskutiert – viel zu eng gesehen wird . Ich kann nur noch wenn mittlerweile zwölf Länder in Europa Lizenzboxen einmal sagen: Sie haben im Finanzministerium vor vier haben? Jahren genau gewusst, wie Apple und andere amerikani- sche Konzerne insgesamt 1,6 Billionen nichtversteuerte (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das ist Gewinne in den berühmten Steueroasen parkten . Das war ein Skandal!) bekannt, aber nichts ist passiert . Das müssen wir ändern . Jetzt ist der Druck da, weil die Dinge öffentlich gemacht Herr Schäuble hat gestern im Ausschuss gesagt: Ja, es wurden, und zwar nicht durch das Bundesfinanzministe- ist ein Riesenproblem, dass wir das, was die Fachleute In- rium, nicht durch irgendwelche Finanzämter in der Welt, tellectual Property nennen – Stichwort „Handelsrecht“ –, sondern durch die Medien, die das aufgedeckt haben, nicht mehr genau lokalisieren können, und deswegen oder durch die EU-Kommission, die wettbewerbliche brauchen wir Instrumente, um dagegen vorzugehen . – Gründe sieht, dagegen vorzugehen . Die Herstellung von Herr Meister nickt; das freut mich . Ich hoffe, Sie nicken Öffentlichkeit, von Transparenz ist wichtig . Länderbe- auch dann, wenn Sie unseren Antrag dazu gelesen haben, zogene Offenlegungspflichten sind notwendig; das darf den wir im Juli eingebracht haben . Der hessische Finanz- nicht hinter verschlossenen Türen bleiben, weil sonst, minister, ein Kollege von Ihnen, was die Parteizugehö- wie ich befürchte, nichts passiert . rigkeit anbelangt, hat den gleichen Vorschlag gemacht . Wir brauchen endlich eine Lizenzschranke, um uns ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gen das zu wehren, was mit den Lizenzboxen passiert, 18856 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Dr. Thomas Gambke (A) nämlich dass ohne Besteuerung wesentliche Gewinne in international, zumindest in Europa, haben – im nächsten (C) anderen Ländern sozusagen geparkt werden . Jahr steigen die allermeisten Länder ein –: Alle diese Fäl- le wie Hoeneß oder Alice Schwarzer, mit der Schweiz, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit Liechtenstein oder Luxemburg, wird es nicht mehr sowie bei Abgeordneten der SPD) geben . Und auch dort können Sie fragen: Wer hat es ge- Liebe Kolleginnen und Kollegen, noch einmal: Wir macht? Wer hat die Dinge mit initiiert? Es war auch diese wollen konstruktiv daran mitarbeiten, aber wir müssen Bundesregierung . Damit haben wir in Zukunft all diese auch dorthin gehen, wo es manchmal ein bisschen weh Fälle – dabei geht es ja um illegale Steuervermeidung tut, wo wir uns gegenüber anderen durchsetzen müssen . von Privatleuten – in dieser Form nicht mehr . Dazu bekommen Sie mit Sicherheit unsere Unterstüt- zung . Ich hoffe, dass wir bei den Punkten, die ich genannt Wir haben international immer noch Probleme mit habe, zu guten Ergebnissen kommen . Steueroasen; das darf man gar nicht kleinreden . Aber, ich sage einmal, die Problemlage ist kleiner geworden, Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . und wir sind, was gerade die legale Steuervermeidung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der Konzerne betrifft, glaube ich, mit diesem Vorhaben an des Pudels Kern gelangt . Dies gilt es jetzt konsequent umzusetzen . Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank . – Nächster Redner ist Dr . Mathias Nun kann man sich über die verschiedenen Aspekte Middelberg, CDU/CSU-Fraktion . im Detail unterhalten. Interessant finde ich vor allem die Debatte – das wird Sie nicht wundern – über das Coun- (Beifall bei der CDU/CSU) try-by-Country Reporting . Machen wir es zielgerichtet, das heißt, tauschen wir die Daten über Umsätze, Be- Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU): schäftigtenzahlen, Gewinne und Steuerzahlung unter den Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! beteiligten Steuerbehörden aus, oder machen wir das ein- Liebe Kollegen! Meine Damen und Herren! Zuerst wür- fach alles öffentlich? de ich gern auf die Rede von Herrn Pitterle eingehen . Wenn wir diese Daten öffentlich machen, könnte man (Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Er musste in den ja zunächst ganz begeistert davon sein, sodass man sagt: Untersuchungsausschuss!) Super, wir machen alles transparent . Wir sind alle für – Ach so, ich dachte, er wäre beim Zahnarzt oder so . Transparenz – Transparenz finden heute alle ganz toll – und sagen: Das ist der entscheidende Weg, um die Din- (Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Nein, nein!) ge zu verbessern .– Das Problem ist nur: Glauben Sie (B) (D) – Okay . Gut . Dann spreche ich ihn nicht direkt an .– Die ernsthaft, dass, wenn wir Europäer es einseitig machen, Linken haben hier eben vorgetragen, wir seien immer andere dann freiwillig bereit sind, ihre Daten ebenfalls noch bei Ankündigungspapieren und irgendwelchen zur Verfügung zu stellen? hoffnungsfrohen Geschichten . Ich glaube, wir sind jetzt (Norbert Schindler [CDU/CSU]: Nie!) wirklich deutlich darüber hinausgekommen . Der Kollege Binding hat eben zu Recht gesagt, das BEPS-Programm Ich glaube, die Sache wird nur dann effektiv funktio- sei ein Durchbruch, was den Kampf gegen internationa- nieren, wenn wir das in einem Geben und Nehmen tun . le Steuervermeidung und Steuerverkürzung angeht, also gegen diese legale Steuervermeidung durch Unterneh- (Margaret Horb [CDU/CSU]: Ganz genau!) men, die sich durch alle möglichen cleveren Tricks durch Das heißt, die Leute, die uns ihre Daten geben, bekom- die Welt bewegen und damit ihre Gewinne so lange ver- men auch unsere Daten . Dann wird es für immer mehr schleiern, bis am Ende nichts mehr besteuert wird . Länder einen Anreiz geben, in diesem Spiel mitzuspie- Jetzt muss man aber fragen: Wer hat das Ganze in len und sich an dem Datenaustausch zu beteiligen . Wenn Bewegung gebracht? Das war unser Finanzminister wir einfach so die Hosen herunterlassen – um das einmal Wolfgang Schäuble . ganz locker zu sagen –, werden die anderen sagen: Ist ja nett, was ich da zu sehen bekomme . (Beifall bei der CDU/CSU) Das muss man ehrlicherweise dazusagen . Er hat das (Dr .Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE BEPS-Programm mit George Osborne und Moscovici GRÜNEN]: Wir lassen nicht die Hosen run- im Wesentlichen auf die Beine gestellt . Wir haben dieses ter!) Programm dann mit insgesamt 15 Aktionspunkten auf Vielleicht sind sie auch enttäuscht, aber sie werden ihrer- G‑20- und OECD-Ebene beschlossen . Wesentlicher An- seits dann gar nichts mehr unternehmen . Sie haben auch treiber ist auch diese Bundesregierung; sie steht dahinter . keinerlei Anlass dazu . Das kann man ruhig einmal deutlich sagen . Ich finde es gerade interessant, dass die Linken und (Beifall bei der CDU/CSU) die Grünen in der gestrigen Ausschusssitzung problema- Wir sind im Übrigen auch, was das ganze Thema tisiert haben, wie bitter es sei, dass die USA noch gar Informationsaustausch angeht – das sage ich auch den nicht richtig dabei seien; sie würden auch nicht richtig Linken –, deutlich weiter . Wenn wir im privaten Bereich mitmachen, und wir wüssten noch nicht, ob sie nachher einmal den Kontenabgleich nehmen, den wir jetzt auch wirklich bei diesem Programm mitspielen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18857

Dr. Mathias Middelberg (A) Gerade wenn wir als Europäer die Daten einseitig frei- rum, Steuertricks zu verhindern, und es geht darum, die (C) geben, gibt es – der festen Überzeugung bin ich – viel we- Steuerbehörden besser zu informieren und, ja, man könn- niger Anreiz, dass andere mitspielen . Wenn ich das Pfand te fast sagen: ein bisschen Waffengleichheit zu schaffen . aus der Hand gebe, mit dem ich die Mitarbeit der anderen Denn eines wissen wir: Es gibt eine Unzahl international erreichen kann, mache ich den ersten großen Fehler . Des- und sogar global agierender Unternehmen; aber mein Fi- wegen bin ich dafür, dass wir sagen: Wir setzen es ganz nanzamt sitzt immer noch im kleinen Dieburg in Südhes- zielgerichtet um . Unsere Daten bekommt derjenige, der sen . Da müssen wir ran . Wir müssen auf diese Entwick- uns seinerseits die Daten gibt . Wir sollten uns dringend lung in der internationalen Wirtschaft reagieren und die an das halten, was wir im BEPS-Programm auf OECD- entsprechenden Informationen zugänglich machen . und G‑20-Ebene vereinbart haben, und es auch wirklich Ich habe eben sehr genau zugehört und freue mich nur so weit umsetzen und nur mit jenen spielen – ich sage sehr, dass die Bundesregierung und das Finanzministeri- das einmal so locker –, die auch mit uns spielen . um mit Minister Schäuble an der Spitze dieses Vorhaben (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) jetzt auf internationaler Ebene vorantreiben . Ich will aber nicht vergessen, dass es auch einmal das Modell eines Ein Punkt, der gestern auch in der Ausschussberatung Abkommens mit der Schweiz gab . Da haben dann muti- angesprochen worden ist, ist mir dabei noch wichtig . ge Finanzminister mit dem Ankauf von Steuer-CDs auf Das war das Stichwort „Streitbeilegungsmechanismus“ . einen anderen Weg gesetzt . Auch das gehört zu der gan- Ich fand es sehr wichtig, dass Sie ihn angesprochen ha- zen Entwicklung irgendwie mit dazu . ben, Herr Kollege Gambke . Wir haben keinen effektiven Streitbeilegungsmechanismus . Wenn wir einmal einen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Steuerstreit zwischen den verschiedenen Staaten, zwi- DIE GRÜNEN) schen den verschiedenen Finanzbehörden haben, dann Für viele Menschen ist das Thema, über das wir heute haben wir die veritable Gefahr der Doppelbesteuerung . diskutieren, ein Buch mit sieben Siegeln . BEPS, Tax Ru- Das kann gerade für unsere Unternehmen, die sehr viel lings, Country-by-country Reporting, da weiß eigentlich exportieren und viel im Ausland tätig sind, ein ganz ge- kein Mensch, worum es geht . Aber die Menschen haben waltiges Problem sein . Das sind jahrelange Verfahren, ein ziemlich feines Gespür dafür, dass irgendetwas schie- die häufig nicht zu Ende gebracht werden, bei denen man fläuft, dass nicht mehr für alle Unternehmen das Gleiche dann irgendwie zahlt, damit das Verfahren endlich ein- gilt wie für jeden von uns: dass man fair besteuert wird . mal zum Ende kommt . Das ist ein Thema, das uns alle umtreiben muss und das Diese Gefahr der Doppelbesteuerung potenzieren wir weit über das Wirtschaftsleben hinausgeht . Denn wenn aber, wenn wir jetzt einfach ein öffentliches Reporting der Eindruck entsteht, dass es in unserem Land Gleichere (B) machen . Dann wird es viel mehr Streitfälle und viel mehr als Gleiche gibt, dann führt das am Ende noch zu ganz (D) Probleme mit der Doppelbesteuerung geben . Deswegen anderen Problemen . bin ich stringent der Meinung: Wir sollten das eine mit Die entsprechenden Themen sind heute schon ange- dem anderen verbinden: Daten an jene, die uns Daten sprochen worden . Die Bahamas Papers sind jetzt neu da- geben, und Zusammenarbeit mit denjenigen, mit denen zugekommen; die Panama Papers und LuxLeaks hatten wir auch auf Dauer zu effektiven Streitbeilegungsme- wir schon . Das alles ist aber nichts Neues . Diese Regio- chanismen kommen . Dann können wir das internationa- nen nennt man ja nicht umsonst „Steueroasen“ . Eigent- le Steuerrecht wirklich effizient machen. Dann sind wir lich hat man das immer schon gewusst oder vermutet . Da effizient gegen Steuervermeidung und Steuerverkürzung müssen wir endlich ran . Wir müssen jetzt dafür sorgen, unterwegs . Die ersten Schritte dazu machen wir heute, dass Unternehmen wie Apple – zu Recht – in die Hall und ich wünsche uns allen noch gute und konstruktive of Shame der Steuertrickser kommen, und wir müssen Beratungen dazu . ganz klar sagen: Nein, das lassen wir uns nicht länger Vielen Dank . gefallen .– Denn am Ende des Tages verlangen wir ja ei- gentlich nicht viel . Wir verlangen von Unternehmen, die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- in Deutschland und Europa Geschäfte machen, dass sie ordneten der SPD) auf ihre Gewinne ihren fairen Teil Steuern zahlen . Ich glaube, das ist nicht zu viel verlangt, meine Damen und Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herren . Vielen Dank .– Dr .Jens Zimmermann, SPD-Fraktion, (Beifall bei der SPD) ist der nächste Redner . Wir als SPD sind schon seit langer Zeit im Kampf ge- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gen Steuertricks, Steuerhinterziehung und Geldwäsche . der CDU/CSU) Deswegen werden wir nicht müde, darauf hinzuweisen, dass auch der Unterbietungswettbewerb bei den Steuer- Dr. Jens Zimmermann (SPD): sätzen ein Ende haben muss . So schön Irland auch ist Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im und so gerne ich mich dort mit den Verantwortlichen un- Herbst 2015 hat die OECD Empfehlungen zur Bekämp- terhalte – ich muss sagen: Ein effektiver Steuersatz von fung von Gewinnverlagerungen und Gewinnverkürzun- 0,03 Prozent ist das eine . Aber das andere ist – das ist das gen für international tätige Unternehmen vorgelegt . Bei Problem –, dass ein regulärer Steuersatz von 12,5 Pro- dem jetzt zur ersten Beratung vorliegenden Paket geht zent auch schon sehr niedrig ist . Wenn von uns erwartet es um die Umsetzung hier in Deutschland . Es geht da- wird, dass wir einem Land wie Irland in einer Krisensi- 18858 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Dr. Jens Zimmermann (A) tuation solidarisch zur Seite stehen – das haben wir ge- gen – auch im Finanzausschuss . Deshalb müssen wir fe- (C) macht, und das war am Ende auch erfolgreich –, dann derführend handeln . Wir dürfen hier nicht aufgeben . müssen der Deutsche Bundestag und Deutschland insge- samt auch einmal klarmachen: Irgendwoher muss dieses Es ist zwar geradezu ein Kampf gegen Windmühlen in Geld kommen, und irgendwo muss besteuert werden . Steueroasen, aber wir kommen Schritt für Schritt voran, Wenn wir uns da innerhalb Europas einen Unterbietungs- und es bleibt heute festzuhalten: Mit den heute zu bera- wettbewerb liefern, dann schadet das am Ende uns allen . tenden Gesetzentwürfen leisten wir einen weiteren wich- tigen Beitrag zur Beendigung von Steuervermeidungs- (Beifall bei der SPD) strategien; denn wir werden dadurch weitere Missstände im internationalen Steuerrecht beseitigen . Wir sagen ein- Mit dem BEPS-Programm auf OECD-Ebene haben zelnen großen Konzernen damit den Kampf an, die durch wir nicht nur einen europäischen, sondern auch einen in- die Ausnutzung unterschiedlichster Steuersysteme ihre ternationalen Ansatz . Mehr als 40 Staaten sind jetzt mit Steuerlast auf ein Minimum drücken wollen . dabei . Das ist ein Schritt in die richtige Richtung . Es ist heute aber auch schon angesprochen worden, dass noch Einerseits wird der Staat zukünftig wieder die Ein- nicht alles umgesetzt worden ist, was in den Vereinbarun- nahmen erhalten, die ihm zustehen – daraus ergeben sich gen steht . Deutschland wird im Dezember – und damit dann auch finanzielle Spielräume, die für das Gemein- komme ich auch wieder zur Bundesregierung zurück – wohl genutzt werden –, andererseits werden mittelstän- aber die G-20-Präsidentschaft übernehmen, und ich glau- dische Unternehmen im Wettbewerb nicht weiter gegen- be, das ist ein sehr guter Zeitpunkt und Anlass, dieses über international agierenden Konzernen benachteiligt, Thema weiter überzeugend und aktiv voranzutreiben . Ich die die unterschiedlichen Steuergesetzgebungen der Län- denke, dann können wir das BEPS-Verfahren auch noch der ausnutzen und den Ländern letzten Endes auch den schneller zum Erfolg führen . ihnen zustehenden Steuerkuchen vorenthalten . In diesem Sinne: Vielen Dank . Die heute zu beratenden Gesetzentwürfe enthalten ei- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nige wichtige Punkte – das sind die wesentlichen Ziele –: der CDU/CSU) Erstens. Die Informationsdefizite der Steuerverwal- tungen sollen abgebaut werden . Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Zweitens . Das Ausmaß und der Ort der Besteuerung Vielen Dank .– Jetzt hat der Kollege Dr . Hans werden stärker an die wirtschaftliche Substanz gekoppelt Michelbach, CDU/CSU-Fraktion, das Wort . werden müssen . (Beifall bei der CDU/CSU) (B) Drittens . Die Kohärenz der nationalen Steuersysteme (D) wird vergrößert werden . Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Viertens . Der international unfaire Steuerwettbewerb Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! wird wesentlich eingedämmt werden, wenn die Gesetz- Lassen Sie mich gleich zu Beginn auch als Vorsitzender entwürfe verabschiedet worden sind . der Mittelstands-Union der CSU in aller Deutlichkeit sagen: Die Steuervermeidungs- und Null-Steuer-Strate- Ich glaube, wir sind uns heute hier im Hohen Hause gien einiger internationaler Großkonzerne sind für mich darüber einig, dass diese Ziele sehr wichtig sind und er- inakzeptabel und auch hochgradig asozial; denn das ist reicht werden müssen . Wir haben aber noch unterschied- ein Anschlag auf unsere freiheitliche Gesellschaft, die liche Auffassungen, wenn es um die Unternehmensdaten letzten Endes auch dem einzelnen Individuum eine Ver- geht, die zur Bekämpfung der Steuerpraktiken genutzt antwortung gibt . Da ist ein Verlust von Verantwortungs- werden sollen . wahrnehmung . Die Finanzverwaltungen sind eindeutig der Ort, wohin (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- letzten Endes diese Daten gehören . Das Steuergeheimnis ordneten der SPD) in einer Demokratie ist eine wichtige Errungenschaft, und das Steuergeheimnis muss auch bleiben . Die ehrlichen Bürger und rechtschaffenen Unterneh- men tragen umso höhere Steueranteile, je mehr multina- (Beifall bei der CDU/CSU) tionale Konzerne oder Großanleger ihre Gewinne ver- kürzen oder verlagern . Deshalb ist es ein wichtiger Kernpunkt, dass es in der Vereinbarung den Schutz der Vertraulichkeit und Daten- (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Genau!) schutzvorkehrungen gibt . Nur die Finanzverwaltungen haben die Befugnisse, um Gewinnverkürzung und Ge- Diese Steuermoral einiger multinationaler Konzerne winnverlagerung effizient zu bekämpfen. Die haben doch wurde enthüllt . Sie ist auch für uns hier ein Skandal und nicht wir im Finanzausschuss, die hat nicht die Journail- geradezu ein Schlag ins Gesicht der vielen ehrlichen le, die haben nicht die Bürger; diese Befugnisse gehören Steuerzahler in unserem Land in die Finanzverwaltung, die wir stärken müssen, die wir Uns wird immer wieder vor Augen geführt, dass wir in unterstützen müssen, dass sie ihre Aufgaben letzten En- Bezug auf Gewinnverkürzungen und Gewinnverlagerun- des durchführen kann . Die Veröffentlichung von solchen gen leider noch lange nicht am Ende unserer Bemühun- Steuerdaten in der breiten Öffentlichkeit weckt natürlich gen sind . Deshalb sind unsere gemeinsamen Initiativen Begehrlichkeiten auch in anderen Ländern, in denen sich notwendig . Deshalb erfolgen unsere intensiven Beratun- mitunter nur Teilunternehmen befinden. Es ist also wich- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18859

Dr. h. c. Hans Michelbach (A) tig, dass wir das gemeinsame Ziel mit der Diskussion um Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE): (C) die Veröffentlichung von Daten nicht untergraben . Wir Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen wollen, dass das Steuergeheimnis auch in der Zukunft und Herren! Es ist traurig, dass bei der CDU/CSU bei Steuergeheimnis bleibt . diesem wichtigen Thema so viele Leute gehen . Herzlichen Dank . (Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Nun mal (Beifall bei der CDU/CSU) langsam!) Aber es ist für Sie wahrscheinlich auch nicht ganz so Vizepräsidentin Ulla Schmidt: wichtig . Vielen Dank . – Damit ist die Aussprache beendet . Es gibt ein helles und ein dunkles Deutschland . In dem Wir kommen jetzt zu einigen Abstimmungen, zu- einen glitzert es . Eltern fahren mit den Kindern in den nächst zum Tagesordnungspunkt 10 a . Interfraktionell Urlaub . Zum Geburtstag gibt es ein iPhone und zu Weih- wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksa- nachten ein neues Fahrrad . Und das andere Deutschland? che 18/9536 an die in der Tagesordnung aufgeführten Das spielt in den Plattenbauten, in Sozialwohnungen und Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es dazu anderweitige Suppenküchen, wo Kinder nach der Schule ein warmes Vorschläge? – Ich sehe, das ist nicht der Fall . Dann ist Mittagessen bekommen . Das hat sogar die Bild am Sonn- die Überweisung so beschlossen . tag erkannt . Das, meine Damen und Herren, ist die knall- harte Realität in Deutschland 2016 . Tagesordnungspunkt 10 b . Wir kommen zur Abstim- mung über den von der Bundesregierung eingebrachten Diese Bundesregierung kennt alle Zahlen, aber das in- Gesetzentwurf zu der Mehrseitigen Vereinbarung vom teressiert sie nicht . Wissen Sie, was der Hohn ist? Hohn 27 . Januar 2016 zwischen den zuständigen Behörden ist, dass die Bundesregierung 2 Euro Kindergelderhö- über den Austausch länderbezogener Berichte . Der Fi- hung spendiert . Das reicht noch nicht einmal für ein Pa- nanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- ket Windeln. Sie sollten sich schämen. Ich finde, das ist lung auf Drucksache 18/9695, den Gesetzentwurf der wirklich ein Skandal . Bundesregierung auf Drucksache 18/8841 anzunehmen . (Beifall bei der LINKEN – Dr . Matthias Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen Bartke [SPD]: Wir schämen uns den ganzen wollen, um das Handzeichen .– Wer stimmt dagegen? – Tag wegen Ihrer Reden!) Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in der zweiten Beratung bei Enthaltung der Fraktion Die Linke ange- – Es geht noch weiter, Kollege Bartke .– Im Jahr 2015 nommen . war rund jedes siebte Kind auf Hartz IV angewiesen; das sind über 1,5 Millionen Kinder unter 15 Jahren, und es (B) Dritte Beratung (D) werden jährlich immer mehr . 2,3 Millionen Mädchen und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem und Jungen sind laut dem Statistischen Amt Eurostat in Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben .– Wer Deutschland von Armut oder sozialer Ausgrenzung be- ist dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist droht; das ist fast jedes fünfte Kind . Für 350 000 Kinder in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis und Jugendliche sind die Tafeln die einzige Chance, ein angenommen . Frühstück oder ein warmes Mittagessen zu bekommen . Diese springen für den von der CDU/CSU und der SPD Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: abgebauten Sozialstaat ein und müssen sehen, wie sie Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine dafür die Mittel zusammenbekommen . Die Bekämpfung Zimmermann (Zwickau), Norbert Müller (Pots- der Armut verlagern Sie so auf das Ehrenamt . dam), Katja Kipping, weiterer Abgeordneter und Die Bundesregierung ist nicht in der Lage, hier etwas der Fraktion DIE LINKE zu tun . Ja, da kann man nichts verdienen, wie zum Bei- Jedes Kind ist gleich viel wert – Aktionsplan spiel in der Rüstungsindustrie . Dafür ist immer Geld da . gegen Kinderarmut Das ist das Resultat Ihrer langjährigen Politik . Das, mei- ne Damen und Herren, macht die Linke nicht mit . Drucksache 18/9666 Überweisungsvorschlag: (Beifall bei der LINKEN) Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Die sozialen Leistungen müssen Armut verhindern Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen­ und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen . Um Kin- abschätzung derarbeit zu bekämpfen, fordern wir einen umfassenden Aktionsplan . Die sozialen Sicherungssysteme müssen Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Armut von Kindern und Jugendlichen ausschließen . Da- die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu für brauchen wir eine eigenständige Kindergrundsiche- keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . rung . Ganz wesentlich ist, dass es auch um die Bekämp- Ich bitte jetzt die Kolleginnen und Kollegen, die Plät- fung der Armut der Eltern geht . Wenn Frau Nahles sagt, ze einzunehmen . dass gute Arbeit der Schlüssel dafür sei, dann möchte ich Sie daran erinnern, dass insbesondere die SPD mit der Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat die Kollegin Agenda 2010 die vielen prekären Arbeitsverhältnisse erst Sabine Zimmermann, Fraktion Die Linke . ermöglicht und so die soziale Schieflage vorangetrieben (Beifall bei der LINKEN) hat . Dadurch ist in diesem Land ein Strudel entstanden, 18860 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Sabine Zimmermann (Zwickau) (A) der mit seinem Sog immer mehr Menschen in den sozi- Aber das, was Sie hier gerade ausgeführt haben, Frau (C) alen Abstieg herunterzieht . Das ist die Wahrheit, meine Zimmermann, hatte mit dem Thema überhaupt nichts zu Damen und Herren . tun . Sie verquicken Armut immer mit der Hartz-IV-Re- form . Ich sage Ihnen: Hartz IV verhindert Armut . (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Statt in Demut die Richtung zu korrigieren – Kollege Kerstin Griese [SPD]) Bartke, hören Sie schön zu –, heimst Ihr Altkanzler diese Woche den mit 10 000 Euro hochdotierten Ludwig-Er- Wir haben Hartz IV eingeführt, um die Menschen nicht hard-Preis ein, weil er mit seiner Agendareform alles auf in Armut leben zu lassen . eine Karte gesetzt hat . (Dagmar Schmidt [Wetzlar] [SPD]: Genau! – (Dr . Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Ord- Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LIN- nungspolitisch richtig!) KE]: Sagenhaft, dass Sie so blind sind!) Da wundern Sie sich, dass Politik ihre Glaubwürdigkeit Es gibt eine neue Bertelsmann-Studie – sie ist erst we- verliert? Statt der Agenda 2010 braucht es gute Arbeit nige Tage alt –, die darauf hinweist, dass es in Deutsch- mit guten Löhnen . Leiharbeit, Teilzeit, Minijobs müssen land 59 Gutachten gibt, die sich mit dem Thema Kin- der Vergangenheit angehören . derarmut beschäftigen . Jeder geht anders an das Thema heran . Wir beschäftigen uns damit seit 1983 . Viele Kom- (Beifall bei der LINKEN – Dagmar Ziegler munen setzen ihre Prioritäten so, dass etwas für Kinder [SPD]: Warum waren Sie denn dann gegen getan wird . Ich kann das für meine eigene Kommune in den Mindestlohn?) Nordrhein-Westfalen sagen . Wir beschäftigen uns mit Wir brauchen einen Mindestlohn von 12 Euro . Das wäre Familienschulen, damit die Eltern vielleicht auch einmal der richtige Weg . zu Elternabenden in die Schulen kommen, in denen ihre Kinder morgens um 8 Uhr sein sollten, um Bildung zu (Dr .Matthias Bartke [SPD]: Jetzt sind es erfahren. Ich finde, zum Thema „Armut in Deutschland“ schon 12 Euro! Vorher waren es nur 10 Euro!) gehört auch, dass die Kinder ein Recht auf Bildung ha- ben und Bildung so ausgestaltet wird, dass die Kinder – Nein, wir sind bei 12 Euro, Kollege Bartke .– Das errei- diese Angebote auch wahrnehmen können und gefördert chen wir nur durch einen Politikwechsel . Sozial, meine werden . Damen und Herren, geht anders . Dafür steht die Linke . Wenn ich mir mein eigenes Bundesland, Nord- Danke schön . rhein-Westfalen, anschaue, dann sehe ich dort große (B) (Beifall bei der LINKEN) Schwierigkeiten, die Teilhabe von Kindern aus Verhält- (D) nissen, die vielleicht nicht ganz so gut sind, wirklich zu gewährleisten und dafür zu sorgen, dass unsere Gesell- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: schaft sie auffängt . Vielen Dank . – Nächste Rednerin ist Jutta Eckenbach, CDU/CSU-Fraktion . (Kerstin Griese [SPD]: Deshalb tut Nord- rhein-Westfalen so viel, dass das besser wird (Beifall bei der CDU/CSU) für die Kinder!) Wenn wir immer darüber reden, dass wir – auch in Nord- Jutta Eckenbach (CDU/CSU): rhein-Westfalen – kein Kind zurücklassen wollen, dann Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dass müssen wir auch darüber reden, was nach den Studien, viele, zu viele Kinder in Deutschland in schwierigen fa- die Sie kennen, von den Vorsätzen übrig geblieben ist . miliären Verhältnissen aufwachsen, ist, glaube ich, hier im Hause unbestritten. Dass die finanziellen Sorgen ei- (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LIN- nen hohen Rang einnehmen, ist ebenso klar . Mütter und KE]: Nordrhein-Westfalen hat die meisten Väter haben oft finanzielle Probleme, weil sie keinen Ar- Kinder, die arm sind!) beitsplatz haben, nur Teilzeit arbeiten können oder, aus Ich glaube, wir müssen uns einmal darüber klar werden, welchen Gründen auch immer, das Familieneinkommen dass wir hier einen ganzheitlichen Ansatz für die Kinder nicht ausreichend ist . Möglicherweise sind sie schlecht fordern müssen . ausgebildet, möglicherweise haben Scheidung, Verschul- dung oder Jobverlust dazu geführt, dass sie den Boden Ich sage Ihnen: Seitens der Bundesregierung ist eine unter den Füßen verloren haben . Viele Kinder erleben ganze Menge getan worden . Wir haben ein Bildungs- und den Verzicht, den familiären Stress, das Schamgefühl Teilhabepaket eingerichtet . Sie tun in Ihrem Antrag so, gegenüber ihren Mitschülern, die Aggression oder die als gäbe es das nicht, als würden wir Kindern keine Mög- empfundene Ungerechtigkeit als vollkommen normal – lichkeit geben, Nachhilfeunterricht zu bekommen . Das das ist ihr Alltag und scheinbar unveränderbar . Ich sage haben wir mit dem Bildungs- und Teilhabepaket getan . Ihnen eines: Die bescheidenen Zukunftsträume und (Beifall bei der CDU/CSU – Jörn Wunderlich Wünsche dieser Kinder sind für uns und unsere gesamte [DIE LINKE]: Das Ruhrgebiet ist Spitzenrei- Gesellschaft beschämend . ter, was die Kinderarmut angeht!) (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Aber ihr Wir haben zuletzt das Programm „Kultur macht stark . macht nichts!) Bündnisse für Bildung“ aufgelegt und es jetzt noch ein- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18861

Jutta Eckenbach (A) mal verlängert . Auch das ist ein Ansatz, noch einmal über Wir können Hilfestellungen geben, (C) das Thema nachzudenken . (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LIN- Ich komme noch einmal auf die Bertelsmann-Studie KE]: Ja, Bildungs- und Teilhabepaket!) zurück . Sie weist uns darauf hin, dass Armut nicht nur ein finanzielles Problem ist. Frau Zimmermann, Sie haben und ich denke, wir haben das getan, indem wir die Län- das gerade in den Kontext mit Leiharbeit gesetzt und ge- der und Kommunen entlastet haben . sagt, dass all diese Maßnahmen Kinderarmut verursach- Wir sollten aber nicht so tun, als wäre ganz Deutsch- ten . Nein, wir sollten die Priorität auf die Kinder legen land in Armut verfallen . Ich weise noch einmal darauf und einmal wissenschaftlich betrachten, was die Kinder hin, dass wir in Deutschland eine verdammt gute Kon- wirklich benötigen . junktur haben (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LIN- (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LIN- KE]: Machen wir seit 1983!) KE]: Und eine zunehmende Armut!) Wir sind auf einem guten Weg . Das beweist auch diese und dass mehr Menschen denn je in Arbeit sind . Ich ap- Studie . pelliere auch daran – ich denke, das gehört für die CDU/ (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Wir brau- CSU dazu –, die Verantwortung nie an die Gesellschaft chen keine Gutachten! Wir kennen die Ursa- abzugeben . Es sind auch immer die Eltern in der Verant- chen! Sie müssen mal anfangen, mal den ers- wortung . ten Schritt machen! Meine Güte! Seit Jahren (Beifall bei der CDU/CSU) predige ich das!) Wenn 350 000 Kinder von der Tafel leben müssen, – Ich sage Ihnen an dieser Stelle eines: Eine Kinder- Frau Zimmermann, dann sind das nicht alles Kinder, die grundsicherung wäre für mich nur machbar, wenn diese keine Eltern zu Hause haben . Gelder auch beim Kind ankämen, und das ist nicht ge- währleistet . (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Für mich ist wichtig, dass ich das Kind in Deutschland NEN]: Das ist dann Staatsversagen! So nennt stärke . man das!) (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wenn mich eine Mutter morgens früh um 8 Uhr anruft NEN]: Und was heißt das jetzt?) und fragt, wie man den Sohn in die Schule bringen kann, weil er nicht aufsteht, dann haben wir die Verpflichtung, (B) Das werden wir auch in Zukunft tun müssen . Wir werden die Eltern zu stärken; wir haben aber auch dafür zu sor- (D) die Kinder stärken müssen, werden dafür sorgen müssen, gen, dass das Kind wirklich in die Schule kommt . Wenn dass sie Bildung und Erziehung erhalten und ihre Teilha- es diesen Weg nicht geht, dann wird es später als Jugend- be am Leben gewährleistet ist und sie nicht ins Abseits licher auch nie in die Ausbildung gehen und nie seinen gestellt werden . Das bedeutet für mich, Kinder auf Au- eigenen Lebensweg finden können. Diese Kausalkette genhöhe zu sehen, Eltern auf Augenhöhe zu begegnen, müssen wir unterbrechen . wirklich Teilhabe zu gewährleisten . Dazu brauchen wir eine Reihe von Instrumenten und nicht nur mehr Geld . (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Dazu müssen wir auch über Stadtentwicklung nachden- Wie oft wollen Sie das noch sagen?) ken . Ich habe das beim letzten Mal schon gesagt: Kinder Wir wissen, dass Kinderarmut vererbbar ist, und ich den- in Ghettos werden wieder in ghettoisierte Schulen gehen . ke, dass wir uns das in Deutschland nicht länger erlauben Wir werden also vernünftigerweise dafür sorgen müssen, können . dass diese Kinder auch ein vernünftiges Bildungssystem vorfinden. (Zuruf von der LINKEN: Sie schaffen es so- gar, dass Reichtum vererbbar ist!) (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LIN- KE]: Wann denn?) Ich appelliere noch einmal an Sie, das gemeinsam an- zugehen, und mit „gemeinsam“ meine ich die Kommu- – Dafür sind doch bitte die Länder zuständig . nen, das Land, den Bund, die Unternehmer, die Familie, (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LIN- um in einem gesamtgesellschaftlichen Konsens dafür KE]: Ah! Die Länder sind zuständig!) Sorge zu tragen, dass wir in Deutschland nicht weiterhin eine Debatte darüber führen müssen, dass wir nur arme Sie sind doch in der Lage, jetzt überall in den Ländern Kinder haben . Ich möchte, dass jedes Kind Zugang zu daran mitzuwirken . Machen Sie es doch! sozialer Teilhabe hat und dass jedes Kind die gleichen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Chancen hat . Man sollte nicht immer die Mär verbreiten, ordneten der SPD) dass es nur Steuervorteile für Menschen gibt, die mehr Leistung erbringen und dadurch auch mehr finanzielle Machen Sie es doch, damit wir vernünftig darüber reden Möglichkeiten haben . Alle Kinder sind für uns gleich . können, und sagen Sie nicht: Der Bund soll es tun! (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LIN- (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LIN- KE]: Es werden doch immer mehr Kinder, die KE]: Nein!) zu den Tafeln gehen!) 18862 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Jutta Eckenbach (A) Insofern werden wir hier keinen Unterschied machen, gerade beschrieben haben . Bei ihnen müssen wir darauf (C) wenn es um steuerliche Auswirkungen geht . Das ent- achten, dass sie eine vernünftige Grundsicherung bekom- spricht auch Ihrem Antrag . men, damit wir die Armut in Deutschland tatsächlich be- seitigen . Da reicht es nicht, sich wegzuducken, wie es die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bundesregierung bei Armutsfragen immer macht . Ich sage noch einmal ganz klar: Wir sind alle gefor- Wie die Bundesregierung mit Kindern und Armutsbe- dert, auch die ausbildenden Betriebe; denn es geht nicht kämpfung umgeht, sieht man an den aktuellen Berech- nur um Kinder, sondern auch um Jugendliche . Jeder ist nungsvorschlägen der Bundesregierung zum Kinder- gefordert . Gefordert sind vor allen Dingen auch die Fa- regelsatz . Sie haben von sozialer Teilhabe der Kinder milien selbst; ich habe das schon betont . Eltern sind in geredet und davon, wie wichtig diese sei . In dem Gesetz- der Verantwortung, sie sind gefordert – darin müssen wir entwurf, den die Bundesregierung gestern verabschiedet sie stärken –, ihren Kindern einen guten Start ins Leben hat, werden die Ausgaben von einkommensschwachen zu ermöglichen . Dazu gehören auch Eigenverantwor- Familien betrachtet, und daraus wird der Regelsatz be- tung, Erziehung und aktives Streben nach Bildung . rechnet . Was die Bundesregierung macht, ist, aus diesen Ich danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit . Ausgaben alle möglichen Dinge herauszurechnen, die Kinder, die im Hartz-IV-Bezug sind, angeblich nicht (Beifall bei der CDU/CSU) brauchen. Dazu gehören Zimmerpflanzen, Haustiere, der Weihnachtsbaum, Campinggeräte, weil sie ja angeblich Vizepräsidentin Ulla Schmidt: keinen Urlaub machen müssen, Malstifte für die Frei- Vielen Dank .– Als Nächster hat der Kollege zeit – so viel zum Thema Bildung –; auch Handykosten Dr .W olfgang Strengmann-Kuhn, Bündnis 90/Die Grü- werden nicht angerechnet . Sie gönnen den Kindern nicht nen, das Wort . einmal ein Speiseeis im Sommer oder eine Portion Pom- mes zusammen mit Freundinnen und Freunden an der Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/ Imbissbude . Sie gefährden soziale Teilhabe von Kindern, DIE GRÜNEN): anstatt die soziale Teilhabe zu stärken . Das wäre das, was eigentlich nötig ist . Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Eckenbach, an zwei Stellen muss ich Ihnen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN recht geben . Erstens . Wir haben in der Tat eine gute und bei der LINKEN) Konjunktur, und ich will gerne hinzufügen: Wir haben ein Rekordmaß an Beschäftigung, und wir haben eine Dadurch entsteht nämlich das, was Sie, Frau supergute demografische Entwicklung, weil die ganzen Eckenbach, gerade erwähnt haben: Vererbung von Kin- (B) Babyboomer wie ich jetzt alle beschäftigt und am Schaf- derarmut . Das ist ein soziologischer Begriff . Vererbung (D) fen sind . Gerade deswegen ist der zweite Punkt, den Sie von Kinderarmut hat nichts mit Genetik oder so etwas genannt haben und in dem ich Ihnen zustimme, umso zu tun . Wenn Kinder nicht an der Gesellschaft teilhaben schlimmer . Es ist beschämend, welches Maß an Kinder- können, wenn sie ausgegrenzt werden, dann führt das zur armut es bei uns gibt . Vererbung von Armut . Ihre Politik führt dazu, dass Kin- derarmut vererbt wird, nicht die Armut der Eltern . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sie aber haben den Kopf in den Sand gesteckt und über alles Mögliche geredet . Sie haben über die Eltern Wir hätten die Möglichkeit, daran etwas zu ändern . und die Bundesländer geschimpft . Dazu muss man an zwei Punkten ansetzen . Wir haben einerseits die Eltern, deren Existenzminimum gedeckt (Jutta Eckenbach [CDU/CSU]: Ich habe über- werden muss, und wir haben andererseits die Kinder, haupt keinen beschimpft! Das habe ich nicht, deren Existenzminimum gedeckt werden muss . Bei den Herr Strengmann-Kuhn!) Eltern müssen wir beim Arbeitsmarkt ansetzen . Wir müs- sen schauen, dass die Kinderbetreuung so organisiert ist, Sie haben aber nicht über die bundespolitische Verant- dass die Eltern auch arbeiten können . wortung geredet . Armut misst sich in erster Linie am Ein- kommen . Das Statistische Bundesamt hat gerade heute (Jutta Eckenbach [CDU/CSU]: Machen wir die neuesten Zahlen vorgelegt . Daran sieht man, welchen doch!) Erfolg die Bundesregierung bisher gehabt hat . 2010 lag Wir müssen einen sozialen Arbeitsmarkt einrichten, da- die Armutsquote bei Kindern noch bei 18,2 Prozent, mit die arbeitslosen Eltern auch arbeiten können . Aber 2012 bei 18,7 Prozent, 2014 bei 19 Prozent und 2015 bei die meisten Eltern von armen Kindern sind erwerbstä- 19,7 Prozent . Die Armut nimmt zu, und das ist die Folge tig . Auch daran müssen wir denken . Wir müssen schau- Ihrer Nichtpolitik gegen Armut . en, dass deren Existenz gesichert ist . Auch da macht die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bundesregierung nichts. Ich finde, dass es wichtig ist, und bei der LINKEN) dass neben dem Mindestlohn weitere Maßnahmen ergrif- fen werden, um das Existenzminimum von Erwerbstäti- 19,7 Prozent klingen abstrakt . Das sind in absoluten gen zu sichern . Zahlen mehr als 2,5 Millionen Kinder, genauer gesagt 2 530 000 und damit fast jedes fünfte Kind in Deutsch- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN land, und sie haben nicht alle solche Eltern, wie Sie sie sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18863

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (A) Darüber hinaus müssen wir endlich die Familienför- Um Chancengleichheit herzustellen, reicht es nicht, (C) derung ändern . Wir geben unglaublich viel für Familien nur einen Hebel umzulegen . Viele große und kleine Rä- in Deutschland aus . Aber wir fokussieren auf die Ehe, der müssen in Bewegung gesetzt werden . Vieles davon anstatt die vielen Leistungen, die es für die Eheförderung ist schon auf den Weg gebracht worden, anderes muss gibt, endlich auf das Kind in Form einer Kindergrundsi- noch folgen . Einiges betrifft uns als Bund, anderes müs- cherung zu konzentrieren . sen Länder und Kommunen leisten .

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ein erster wichtiger Punkt – er ist schon genannt wor- und bei der LINKEN) den – ist, die Elternarmut zu bekämpfen . Da haben wir Die Kindergrundsicherung muss so ausgestaltet sein, dass mit dem Mindestlohn und der Stärkung der Tarifpartner- sie einerseits das Existenzminimum der Kinder deckt, schaft für gute Löhne für die, die Arbeit haben, schon und zwar nicht so, dass die Eltern zum Jobcenter müs- viel erreicht . sen, sondern so, dass das Existenzminimum tatsächlich abgedeckt wird, unbürokratisch, am besten zusammen (Beifall bei der SPD) mit dem Kindergeld . Der zweite Punkt ist: Wir müssen Es gibt aber auch mehr Mittel für Langzeitarbeitslose . die Kinderförderung endlich so ausgestalten, dass uns je- Wir haben mit dem Programm „Soziale Teilhabe am Ar- des Kind gleich viel wert ist . Unsere Kinder bekommen beitsmarkt“ den Schwerpunkt auf Familien mit Kindern mehr vom Staat als Normalverdiener . Auch das ist eine gelegt und die Mittel verdoppelt . Besonders von Armut Ungerechtigkeit, die wir beseitigen müssen . betroffen sind oftmals Alleinerziehende . Wir haben ihre (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) materielle Absicherung verbessert und die Kinderbetreu- ung ausgebaut . Des Weiteren haben wir im Rahmen der Meine Redezeit ist um . Ich könnte noch viel über Inf- SGB-II-Rechtsvereinfachung die Möglichkeit geschaf- rastrukturleistungen reden . Das Bildungs- und Teilhabe- fen, neben einer Ausbildung, deren Vergütung oftmals paket, das Sie erwähnt haben, kommt bei den Kindern nicht reicht, die Familie zu ernähren, Arbeitslosengeld II nicht an . zu beziehen . Damit haben wir es möglich gemacht, dass (Jutta Eckenbach [CDU/CSU]: Weil die Eltern diejenigen eine Ausbildung oder Teilzeitausbildung die Anträge nicht ausfüllen, Herr Strengmann- aufnehmen können, die das bisher nicht konnten . Aus- Kuhn!) bildung ist und bleibt die beste Voraussetzung für einen guten Job . Da müssen wir mehr in die Bildungsinfrastruktur vor Ort investieren, und wir müssen die Finanzierung sicherstel- (Beifall bei der SPD sowie des Abg . Karl (B) len . Das ist das, was wir als Bund tun könnten . Wir könn- Schiewerling [CDU/CSU]) (D) ten Kinderarmut drastisch verringern oder sogar beseiti- gen, wenn der politische Wille dazu da wäre . Der ist bei Wir haben uns für diese Legislatur noch mehr vorgenom- Ihnen leider nicht vorhanden . men . Zum Beispiel wollen wir den sogenannten Um- gangsmehrbedarf für getrenntlebende Eltern beschließen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und den Unterhaltsvorschuss ausbauen . sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: NEN]: Das hätten Sie ja machen können!) Vielen Dank . – Die nächste Rednerin für die SPD-Frak- Zweitens müssen wir die Kinder direkt in den Blick tion ist die Kollegin Dagmar Schmidt . nehmen . Es reicht nicht, den Blick allein auf die Eltern (Beifall bei der SPD) zu richten . Kinder haben eigenständige Rechte, und wir haben die Verantwortung, sie ihnen zu gewähren – unab- hängig von der sozialen Lage der Eltern –, gerade auch, (Wetzlar) (SPD): Dagmar Schmidt weil Kinder eben nicht in der Lage sind, selbstständig Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und etwas an ihrer sozialen Lage zu ändern . Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Armut ist kein abstraktes Phänomen, das sich allein in Zahlen und An dieser Stelle möchte ich mit einem beliebten Vor- Prozenten ausdrücken lässt . Die Folgen der Armut sind urteil aufräumen, nämlich dem, dass die Eltern, wenn vielfältig, für die betroffenen Kinder sehr konkret und man ihnen mehr Geld gäbe, es für sich ausgeben würden . machen ihnen das Leben schwer . Beengter Wohnraum Am beliebtesten sind die Unterstellungen, es würde ver- und geringe Rückzugsmöglichkeiten belasten Famili- soffen oder in Glücksspiel investiert . Genau das Gegen- en und erschweren den sozialen Kontakt . Mehr famili- teil ist der Fall . Das ist wissenschaftlich bewiesen . äre Sorgen und weniger Möglichkeiten, gemeinsam als Familie etwas zu erleben und zu erfahren, belasten das (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Alltagsleben . Arme Kinder leiden mehr unter familiärem DIE GRÜNEN) Stress, Armut wirkt sich negativ auf die Gesundheit aus, auch auf die psychische Gesundheit . Arme Kinder haben Es ist belegt, dass arme Eltern zuallererst selbst Verzicht im Durchschnitt schlechtere Noten, und das unabhän- üben, bevor sie ihren Kindern etwas vorenthalten . Arme gig vom Bildungsstand ihrer Eltern . Ihr Bildungsweg ist Eltern geben, prozentual gesehen, für die Bildung ihrer durchweg steiniger . Kinder genauso viel aus wie Eltern mit höherem Ein- 18864 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Dagmar Schmidt (Wetzlar) (A) kommen . Arme Eltern lieben ihre Kinder genauso wie Vizepräsidentin Ulla Schmidt: (C) alle anderen Eltern – nur sind ihre Sorgen größer . Vielen Dank .– Als Nächstes hat der Kollege Tobias (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Zech, CDU/CSU-Fraktion, das Wort . DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Deswegen sage ich: Je mehr wir uns um die Chancen Dr . Martin Rosemann [SPD]) armer Kinder und ihre Unterstützung kümmern, desto mehr Last nehmen wir auch von den Familien insgesamt . Tobias Zech (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir füh- Auch da haben wir schon einiges getan . Wir haben den ren diese Debatte in diesem Haus, seitdem ich hier Mit- Entlastungsbeitrag für Alleinerziehende, den Kinderfrei- glied bin, nicht zum ersten Mal . Wir werden sie heute betrag, das Kindergeld und den Kinderzuschlag erhöht, auch nicht zum letzten Mal führen . Das ist auch richtig und wir erhöhen mit der Neuberechnung der Regelsätze so; denn solange in einem der reichsten Länder der Welt die Leistungen für die 6- bis 13-Jährigen um immerhin Kinder in Armut leben, dürfen wir nicht aufhören, darü- 21 Euro . Wir haben also – zusammengenommen mit all ber zu debattieren, wie wir diesen Kindern helfen kön- dem, was wir den Ländern und Kommunen für Bildung nen . und Betreuung zur Verfügung stellen – richtig viel ge- schafft . (Dr .W olfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen vor al- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten len Dingen endlich mal etwas tun! – Sabine der CDU/CSU) Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Was Perspektivisch müssen wir aus meiner Sicht aber noch tun!) einmal grundsätzlicher über unsere Familienleistungen Somit ist diese Debatte auf jeden Fall richtig . Verstehen und die Leistungen für Kinder nachdenken . In unserem Sie diese Äußerung als Friedensangebot, als etwas, wor- Regierungsprogramm 2013 haben wir ein sozial ge- über wir uns alle einig sind . staffeltes Kindergeld vorgeschlagen . Hier müssen wir, glaube ich, weiterdenken . Ich könnte mir auch gut eine Unterschiedlich ist die Verteilung der Kinderarmut Kindergrundsicherung vorstellen, die alle bisherigen im Land . In Bayern liegt die Kinderarmut bei knapp Kinderleistungen zusammenfasst . 7 Prozent . Aber auch hier gab es seit 2011 – Kollege Strengmann-Kuhn hat das ausgeführt – einen Anstieg (Beifall bei Abgeordneten der SPD) von fast einem halben Prozent . In meinem Landkreis sind Mindestens so wichtig aber ist die strukturelle Versor- es 1 100 Kinder, die in Armut leben . Jedes Kind, das in (B) (D) gung von Kindern . Mehr Geld allein nutzt nichts, wenn Armut lebt, ist eines zu viel . die Schule soziale Ungleichheit reproduziert, wenn es (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- keine Angebote für eine sinnvolle Freizeitgestaltung ordneten der SPD) oder zu wenig Unterstützung, Beratung und Hilfe für die Familien gibt . Hier sind insbesondere die Länder und Wir sprechen hier natürlich auch über die Schwächsten Kommunen in der Verantwortung; aber der Bund muss in der Gesellschaft . Kein Kind sucht sich aus, in Armut seinen Beitrag auch hier leisten, und das haben wir ge- zu leben . Die Kollegin Eckenbach hat es hervorragend tan . Wir haben zum Beispiel das Programm „Soziale analysiert und ausgeführt: Kinderarmut ist automatisch Stadt“ wieder in Gang gesetzt und um die Programme Elternarmut .– Das ist der Punkt, an dem wir anzusetzen „JUGEND STÄRKEN im Quartier“, „Soziale Integra- haben, und wir haben in dieser Legislatur richtigerweise tion im Quartier“ und vieles andere ergänzt . Wir haben bei den Eltern angesetzt . Die Bertelsmann-Studie – sie Sprachkita-Programme aufgelegt . Wenn es nach mir gin- wurde heute schon diskutiert – besagt: Das größte Ar- ge, würden wir das Kooperationsverbot abschaffen und mutsrisiko bei Kindern liegt bei den Alleinerziehenden . endlich die Schulsozialarbeit weiter finanzieren. Alleinerziehende und ihre Kinder sind in Deutschland eine Gruppe von ganz schwachen Familiengebilden . Sie (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem haben viel mehr Lasten zu tragen als Familien mit zwei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Elternteilen . Es gibt bei uns 1,7 Millionen Alleinerzie- Alle Kinder, die in unserem Land aufwachsen – egal hende mit 2,3 Millionen minderjährigen Kindern . Zum wo und bei wem, welche Muttersprache sie sprechen größten Teil handelt es sich dabei natürlich um alleiner- oder welche Hautfarbe sie haben, ob sie Fußball spielen, ziehende Mütter . Dabei darf aber nicht vergessen werden, Ministranten sind oder beides –, dass nicht nur die Kinder von SGB-II-Beziehern von Ar- mut betroffen oder armutsgefährdet sind . Vielmehr gibt (Kerstin Griese [SPD]: Oder beides, genau!) es über 1 Million Kinder, die ebenso betroffen sind . müssen die Sicherheit, die Freiheit und die Unterstüt- Ich darf mich der Kollegin anschließen und vielleicht zung erfahren, damit sie ihr Leben nach ihren Wünschen noch ein paar Themen, die wir hier schon behandelt ha- selbstständig in die Hand nehmen können . Alle Kinder ben, in Erinnerung bringen: sollen die gleichen Chancen auf ein gutes Leben haben . Daran wollen wir weiter arbeiten . Mit dem Familienpaket, das wir im vergangenen Jahr beschlossen haben, werden Alleinerziehende und Famili- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten en noch besser unterstützt . Allein darin haben wir 5 Mil- der CDU/CSU) liarden Euro investiert . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18865

Tobias Zech (A) Der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende wurde Politik für die Menschen, die uns mehrheitlich gewählt (C) rückwirkend zum 1 . Januar 2015 auf 1 908 Euro erhöht . haben, zu machen haben . Das ist ein Plus von 600 Euro pro Jahr . Die Kosten hier- für liegen bei rund 100 Millionen Euro . (Beifall bei der CDU/CSU – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Was haben Sie für eine verzerr- (Dr .W olfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- te Wahrnehmung!) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Armen zahlen – Das ist keine verzerrte Wahrnehmung; das sind einfach leider keine Steuern!) die Fakten . Ich möchte Ihnen anbieten, sich einmal die – Ich bin noch gar nicht fertig, Herr Strengmann-Kuhn . Zahlen anzuschauen . Anschließend sprechen wir noch einmal miteinander . Darüber hinaus wurde der Unterhaltsvorschuss an- gehoben . Das Kindergeld wurde erhöht ebenso wie der (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Kinderzuschlag . Das Elterngeld Plus und KitaPlus wur- NEN]: Haben Sie mal nach Sachsen-Anhalt den eingeführt, um den Eltern noch mehr Flexibilität für geschaut?) die Rückkehr in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen . Die Die Grundsicherung für Kinder ist etwas, was ich kri- Anzahl der Betreuungsplätze wurde erhöht; es gibt ei- tisch sehe . Es gibt ein differenziertes Leistungspaket für nen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für unter Kinder . Ich halte das für klug . Ich denke, wir sollten die- Dreijährige . Wir haben die Absetzbarkeit von Kinderbe- se Aufteilung von Leistungen beibehalten . Diskutieren treuungskosten verbessert, und wir haben das Bildungs- kann man über alles . Zum Schluss kommt es darauf an, und Teilhabepaket weiter ausgebaut . dass man ein Ergebnis hat, das den Menschen vor Ort hilft, und nicht irgendwelchen Systemideen gerecht wird . (Dr .W olfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Kinderarmut Wichtig ist, dass wir, wie es Dagmar Schmidt auch steigt trotzdem!) schon erwähnt hat, weiter in die Arbeitsmarktpolitik in- vestieren . Da geht es nicht nur um Geld, sondern auch um Damit haben wir die Kinderarmut natürlich nicht be- Betreuungsplätze, um Flexibilität, um Teilzeitmodelle, seitigt; das ist uns auch klar . Wir gehen aber Schritt für um neue Tarifmodelle und um flexible Arbeitszeitmodel- Schritt nach vorne, le wie zum Beispiel Home Office oder Lebensarbeitszeit- (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LIN- konten . Wir haben das hier schon mehrmals diskutiert . KE]: Die Armut steigt aber doch!) Aber ich sage Ihnen auch: Wir können natürlich nicht auf der einen Seite Flexibilität ermöglichen und einfordern und zwar finanzpolitisch, arbeitsmarktpolitisch und fa- und auf der anderen Seite die ständige Erreichbarkeit (B) milienpolitisch . Neben der Bundesregierung sind es na- verbieten wollen . Das funktioniert nicht . Die Eigenstän- (D) türlich auch die Kommunen und die Länder, die hier mit digkeit der Arbeitnehmer und die Flexibilität mit Verant- an Bord sind und sich mit einbringen müssen . wortung zu verbinden, das gehört dann auch mit hinzu . Liebe Kollegen von der Linken, wenn ich mir die Ich kann Ihnen versichern, dass für uns, für die CDU/ Länder Brandenburg und Thüringen anschaue, wo Sie CSU-Fraktion, das Thema Kinderarmut nie abgeschlos- mit an der Regierung sind, und diese Länder mit anderen sen sein wird . Das ist für uns ein ständiger Vorgang, bei Ländern vergleiche, dann stelle ich fest, dass die Kinder- dem wir versuchen, das Beste zu machen . Wir haben heu- armut in Brandenburg und Thüringen über dem bundes- te ausgetauscht, was unsere Ideen sind . Wir haben Ihnen weiten Durchschnitt liegt . Das heißt für mich: Überall, dargestellt, was wir schon alles getan haben . Ich schaue wo Sie regieren, geht es den Menschen schlechter . Übri- mit einer gewissen Skepsis auf die Regierungsbildung in gens ist die Kinderarmut in Brandenburg und Thüringen Berlin . Sollten Sie da tatsächlich nach Brandenburg und fast dreimal so hoch wie in Bayern . Thüringen an der Regierung beteiligt sein, dann lassen Sie das doch mit den Aktionsplänen bleiben . Arbeiten Sie (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: In Sach- einfach einmal für die Menschen, die Sie gewählt haben . sen geht es den Kindern auch nicht gut! Seit Dann wird es auch besser . 25 Jahren schwarz regiert!) Vielen Dank . Vielleicht wäre es einmal an der Zeit, hier keine klugen Anträge zu stellen, sondern vor Ort, wo Sie gewählt sind (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- und Regierungsverantwortung tragen, Politik für die ordneten der SPD) Kinder zu machen . Vizepräsidentin Ulla Schmidt: (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LIN- KE]: Die machen was!) Vielen Dank . – Als Nächster hat jetzt der Kollege Norbert Müller, Fraktion Die Linke, das Wort . Da können Sie sich beweisen . Wenn das geschehen ist, (Beifall bei der LINKEN) können wir noch einmal darüber sprechen, ob Ihre Ide- en mehr Erfolg haben als unsere . Wir haben in Bayern den Erfolg unserer Politik bewiesen . Dort, wo die Lin- Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE): ken mitregieren, liegt die Kinderarmut dreimal höher . Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Ändern Sie Ihre Politik . Machen Sie einmal etwas für Kollegen! Bis zu 2,9 Millionen Kinder in Deutschland die Menschen, und erklären Sie uns hier nicht, wie wir sind arm, 1,9 Millionen davon leben in Grundsicherung, 18866 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Norbert Müller (Potsdam) (A) und mehr als die Hälfte von ihnen wohnt in Haushal- schaftsteuergesetz wird dazu führen, dass in Deutschland (C) ten von Alleinerziehenden . Ich sage Ihnen deutlich: Ich vielleicht noch 50 Unternehmen überhaupt erbschaft- möchte in einer Republik leben, in der diese Kinder nicht steuerpflichtig sind. Sie haben kein Problem damit, dass mehr arm sind . Reichtum sich vererbt . Dann tun Sie aber endlich auch etwas dafür, dass Armut sich nicht mehr vererbt – und (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . das zulasten der Kinder . Da helfen keine milden Worte, Dr .W olfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- sondern nur Taten . NIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich möchte in einer Republik leben, in der die Hartz-IV-Regelsätze für Kinder durch diese Bundesre- Präsident Dr. Norbert Lammert: gierung nicht mehr künstlich kleingerechnet werden – Herr Kollege . der Kollege Strengmann-Kuhn hat alles Nötige dazu gesagt –, Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE): (Kerstin Griese [SPD]: Sie werden erhöht um Ich sage Ihnen deutlich: Wenn wir hier beim The- 21 Euro für 6- bis 13‑jährige Kinder!) ma Kinderarmut bis zu den nächsten Bundestagswah- in der der Kinderzuschlag endlich so ausgebaut ist, dass len nicht vorankommen, dann werden wir als Linke die Familien, dass junge Paare, nur weil sie ein Kind bekom- Abstimmung über Arm und Reich auch zu einer bei den men, nicht mehr in Armut abstürzen, nächsten Bundestagswahlen machen . (Beifall der Abg . Nicole Gohlke [DIE LIN- Vielen Dank . KE]) in der der Unterhaltsvorschuss endlich so ausgebaut ist, (Beifall bei der LINKEN) dass Alleinerziehende nicht mehr nahezu automatisch arm werden, und in der das Kindergeld meiner Nach- Präsident Dr. Norbert Lammert: barn, die Handwerker und einfache Arbeiter sind, genau- so hoch ausfällt wie die steuerliche Entlastung aus dem Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist Kinderfreibetrag, von dem ich für meine zwei Kinder die Kollegin Kerstin Griese für die SPD-Fraktion . profitiere. Das wäre sozial gerecht. In einer solchen Re- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten publik möchte ich gerne leben . der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN) (B) (D) Ich möchte in einem Land leben, in dem Kinder Kerstin Griese (SPD): gleichberechtigt teilhaben können, auch wenn sie aus ar- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was men Familien kommen . Das heißt zunächst, dass der Bil- können wir tun, damit alle Kinder gute Chancen haben, dungserfolg eines Kindes nicht mehr vom Einkommen damit alle Kinder gleiche Chancen haben? Ganz wich- der Eltern abhängen darf, weil das am Ende dazu führt, tig ist, wenn wir über Kinderarmut, über Familienarmut dass dieses Kind einen schlechteren Schulabschluss be- sprechen, dass wir die Ursachen in den Blick nehmen, kommt, selbst wenn es ähnliche Veranlagungen und Be- um konkrete Lösungsansätze zu entwickeln . gabungen hat, dass es eine schlechtere Ausbildung be- kommt, dass es später arm bleiben wird und dass es arme Von Armut betroffen oder – wie es richtig heißen Kinder kriegen wird . Am Ende werden diese Menschen muss – armutsgefährdet sind vor allem Kinder aus Fa- nicht einmal so alt wie die, die im Kreißsaal drei Zimmer milien mit drei oder mehr Kindern, aus Familien mit weiter zur selben Zeit in reiche Familien geboren wur- Migrationshintergrund, Kinder von Alleinerziehenden den, weil wir wissen, dass Armut auch noch lebensver- und ganz besonders – das zieht sich wie ein roter Faden kürzend wirkt . Ich möchte in einer Republik leben, in der durch alle Studien der letzten Jahre und Jahrzehnte – die nicht entscheidend ist, wie reich die Eltern sind und wie Kinder, deren Eltern arbeitslos sind . Das wissen wir, gut ihr Einkommen ist, in der nicht entscheidend ist, ob und deshalb ist es eine ganz wichtige Stellschraube, an das Kind sechs, acht oder zehn Stunden in eine Kinderbe- der wir ansetzen, dass die Eltern dieser Kinder in Arbeit treuung gehen kann, in der Kinder mit ihren Möglichkei- kommen, damit Armut gar nicht erst entsteht . ten, an Gesellschaft teilzuhaben, gleichgestellt sind, egal wie vermögend die Eltern sind . Deshalb, meine Damen und Herren, haben wir das Programm „Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt“ ganz (Beifall bei der LINKEN) besonders ausgerichtet auf Bedarfsgemeinschaften, wo Abschließend möchte ich Ihnen sagen: Armut vererbt Kinder sind, damit dort die Eltern in Arbeit kommen . Das sich . Das haben wir heute festgehalten . Aber Reichtum hilft nicht nur den langzeitarbeitslosen Eltern, sondern es vererbt sich in diesem Land auch . Sie haben heute Nacht hilft auch den Kindern . Es ist wichtig, dass Kinder erfah- im Vermittlungsausschuss, bedauerlicherweise mit Zu- ren, dass ihre Eltern morgens aufstehen, einen geregelten stimmung von Baden-Württemberg, aber zumindest Tagesablauf haben, stolz von der Arbeit wiederkommen, unter Ablehnung unserer Fraktion von Thüringen und ihren Kindern davon erzählen können, dass sie erleben, Brandenburg sowie der grünen Bundestagsfraktion, die dass Arbeit eine wichtige Rolle im Leben spielen kann . neue Erbschaftsteuer durchgesetzt, die Sie jetzt durch Deswegen ist dieses Programm wichtig, damit Kinder das parlamentarische Verfahren prügeln wollen . Das Erb- nicht die Erstaufsteher in der Familie sind, die sich um Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18867

Kerstin Griese (A) alles kümmern müssen, sondern damit ihre Eltern gut für Kinder in Nordrhein-Westfalen lebt . Aber ich will das (C) sie sorgen können . Thema wirklich ernst nehmen . Im Ruhrgebiet, mehr noch in Düsseldorf und Köln ist die Armutsgefährdung von (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Kindern größer, weil wir dort unterschiedliche Stadttei- der CDU/CSU) le haben: prosperierende und abgehängte Stadtteile . Das Das Programm „Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt“ – macht die relative Armut sehr augenfällig . Deshalb ist es wir verdoppeln übrigens gerade die Mittel, also wir tun gerade richtig und gut, dass die nordrhein-westfälische wirklich etwas – ist genau dazu da, um diesen Famili- Landesregierung Investitionen in öffentliche Bildungs- en Perspektiven zu eröffnen, damit keine Hartz-IV-Ver- und Betreuungsinfrastruktur so hoch hängt und eine so erbung stattfindet, sondern damit Kinder gute Chancen große Priorität gibt . Das ist die richtige Politik für Kinder . bekommen . (Beifall bei der SPD) Zweiter Punkt . Ganz besonders betroffen sind Allein- erziehende . 120 000 Langzeitarbeitslose sind alleinerzie- Nur so kann man den Folgen von Armut begegnen . hend . Sie sind die Gruppe, die es am schwersten hat, Be- Nur so kann man präventiv wirken . Nordrhein-Westfalen rufstätigkeit, Familie, Haushalt, Freundeskreis, die ganze macht das mit dem Ausbau der frühkindlichen Bildung, Organisation des Lebens unter einen Hut zu bekommen . insbesondere in sozial benachteiligten Stadtteilen . Wir Deshalb ist diese Gruppe auch am stärksten von Armuts- vom Bund fördern die Sprachkitas, Nordrhein-Westfalen gefährdung betroffen . fördert noch einmal in Stadtteilen mit sozialer Benach- teiligung durch mehr Kräfte in Kitas, weil man Unglei- (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Nichts Neu- ches auch ungleich behandeln muss, weil man besonders es!) da fördern muss, wo der Bedarf vorhanden ist . Gerade Von den Kindern, die in Hartz IV sind, lebt mehr als die der Ausbau der Infrastruktur, der Hilfs- und Beratungs- Hälfte bei einem alleinerziehenden Elternteil . Deshalb ist leistungen, der Ganztagsangebote ist ein Markenzeichen es wichtig, dass wir da schon viel getan haben und gerne einer vorbeugenden Politik, wie sie Nordrhein-Westfalen noch mehr tun müssen und sollen . macht . Der Ausbau der Kinderbetreuung, der Ausbau der (Beifall der Abg . Dagmar Schmidt [Wetzlar] Ganztagsschulen: Hier geht es um frühe Bildungschan- [SPD]) cen – wenn es nach mir ginge, gerne auch flächende- Das Programm „Kein Kind zurücklassen! Kommu- ckend und gebührenfrei –, damit alle Kinder von Anfang nen in NRW beugen vor“ wurde schon erwähnt . Damit an eine gute Chance haben . wurden in 18 Modellkommunen kommunale Präventi- (B) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten onsketten aufgebaut, wo Gesundheit, Bildung, Kinder- (D) der CDU/CSU) und Jugendhilfe und Soziales zusammenwirken, damit lückenlos von der Schwangerschaft bis zum Eintritt in Wir haben heute in den Regelsätzen des SGB II schon das Berufsleben Unterstützung und Hilfe für Kinder da den Mehrbedarf für Alleinerziehende geregelt, aber wir ist . Diese Bilanz fällt positiv aus . Das ist ein guter Ansatz haben in der Diskussion gerade in den letzten Monaten von guter Bildung und Betreuung von Anfang an . noch einmal festgestellt, dass wir mehr dafür tun müs- sen, damit Kinder aus diesen Familien Umgang mit bei- Deshalb lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, den Elternteilen haben . Deshalb haben wir die Idee eines dass wir alles, was möglich ist, in Prävention, in gute Umgangsmehrbedarfes entwickelt Bildungschancen für Kinder investieren . Das ist unsere Politik schon seit Jahren . Wir werden daran auch noch (Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE weiter arbeiten müssen . Ich hoffe, das können wir ge- GRÜNEN]: Die Bundesregierung hat es noch meinsam tun . Wir dürfen hier nicht nachlassen, damit nicht geschafft! – Markus Kurth [BÜND- kein Kind von der Gesellschaft zurückgelassen wird . NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann bringen Sie das denn ein?) Vielen Dank . und bringen ihn auch in die aktuellen Beratungen ein; (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) denn es ist ja gerade vom Kind her gedacht gut – darum muss es gehen –, wenn sich beide Eltern um das Kind Präsident Dr. Norbert Lammert: kümmern können . Ein solcher Umgangsmehrbedarf wäre eine konkrete Verbesserung für die Kinder . Dafür Ich schließe die Aussprache . werbe ich hier . Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der Drucksache 18/9666 an die in der Tagesordnung auf- NEN]: Der richtige Platz wäre im Regelbe- geführten Ausschüsse vorgeschlagen . darfs-Ermittlungsgesetz!) (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ich bin ein- – Zum Beispiel . verstanden!) Noch ein Wort zu Nordrhein-Westfalen, das haben Sie – Das wollte ich hören . – Darf ich einmal fragen, ob es ja extra erwähnt . Es ist eine statistische Weisheit, wenn auch noch andere gibt, die damit einverstanden sind? – ein Viertel der Bevölkerung in Nordrhein-Westfalen lebt, Das sieht so aus . Dann ist die Überweisung so beschlos- dass dann auch ein Viertel der von Armut betroffenen sen . 18868 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Wir kommen damit zum Tagesordnungspunkt 12: Die neue Operation benötigt nicht mehr den Rück- (C) griff auf Artikel 5 des Washingtoner Vertrages, wie er Beratung des Antrags der Bundesregierung nach den Angriffen des 11 .September vorgenommenen Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräf- wurde . Sie basiert vielmehr auf dem Seerechtsüberein- te an der NATO-geführten Maritimen Sicher- kommen der Vereinten Nationen, einschlägigen internati- heitsoperation SEA GUARDIAN im Mittel- onalen Vereinbarungen zur Sicherheit der Seeschifffahrt meer und anwendbaren Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, insbesondere der Resolution 2292 Drucksache 18/9632 aus diesem Jahr . Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Operation Sea Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Guardian wird in erster Linie kontinuierlich ein umfas- Verteidigungsausschuss sendes Lagebild im Mittelmeer ermöglichen, um damit Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Bedrohungen in der Mittelmeerregion erkennen zu kön- Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und ­Entwicklung nen . Weder das Mittelmeer noch andere Teile der Welt Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO können wir uns malen, wie wir sie gerne hätten . Es gibt dort Gefahren, es gibt dort Bedrohungen, und wir können Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für uns bei einem Meer, das so nah vor unserer Haustür liegt, die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Auch das ist nicht darauf verlassen, dass andere für uns die Arbeit ma- offensichtlich nicht umstritten . Also können wir so ver- chen . Wir sind gefordert, uns hier einzubringen, und das fahren . wollen wir auch weiterhin tun . Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) nächst dem Parlamentarischen Staatssekretär Dr . Ralf Brauksiepe . Hierzu werden, wie es bereits im Rahmen der Operati- on Active Endeavour der Fall war, seegehende und luftge- Dr. Ralf Brauksiepe, Parl . Staatssekretär bei der stützte Einheiten und insbesondere auch AWACS-Flug- Bundesministerin der Verteidigung: zeuge eingesetzt werden können . Es wird gleichzeitig im Rahmen der Operation Sea Guardian möglich sein, Vielen Dank .– Herr Präsident! Liebe Kolleginnen mit Zustimmung des Flaggenstaats Schiffe, die im Ver- und Kollegen! Seit dem 11 .September 2001 haben wir dacht stehen, eine Verbindung zu terroristischen Organi- an dieser Stelle oft über unsere Beteiligung an der Ope- sationen zu haben, zu kontrollieren und zu durchsuchen . ration Active Endeavour diskutiert . Es war eine wichtige, Zugleich bietet diese Operation die Möglichkeit, Anrai- eine erfolgreiche Operation, die nach den terroristischen ner- und Partnerstaaten auf deren Anfrage hin beim mari- (B) Angriffen auf die USA mit Artikel 5 des Washingtoner (D) timen Kapazitätenaufbau zu unterstützen . Vertrages begründet war . Diese Begründung ist mittler- weile nicht mehr zielführend . Die Aufgaben indes blei- Allein durch die Präsenz der Einsatzkräfte wird die ben; denn wie wir alle wissen, gehört das Mittelmeer zu Operation Sea Guardian zudem – wie bereits Active En- den wichtigsten interkontinentalen Seewegen weltweit, deavour zuvor – als präventiver Ordnungsfaktor wirken . und als Transport- und Handelsweg ist es von überragen- Deutschland hat sich bereits kontinuierlich an der mit der Bedeutung . Es grenzt ebenso an Krisengebiete wie sehr ähnlichen Aufgaben betrauten Operation Active En- an die Küsten unserer NATO-Allianz, also an unsere eu- deavour beteiligt . Dabei haben wir mitgewirkt, dass sich ropäische Haustür . Die vielschichtige Sicherheitslage in diese in den vergangenen Jahren zu einer wichtigen Ko- diesen Gewässern und ihre Entwicklung erfordern nach operations- und Austauschplattform entwickelt hat . Die wie vor erhöhte internationale Aufmerksamkeit . Operation Sea Guardian soll genau diesen erfolgreichen Ansatz fortsetzen und insbesondere die Kooperation mit Liebe Kolleginnen und Kollegen, leider ist das Mittel- der Europäischen Union, aber auch mit den NATO-Part- meer auch Schauplatz von Schmuggelaktivitäten, illega- nerstaaten fortführen und verbessern . Wir haben viel er- ler Waffenverbreitung und Schleuserkriminalität; gerade reicht, und wir sind weiterhin gefordert, liebe Kollegin- Letzteres führt immer wieder zu schlimmen Vorfällen nen und Kollegen . und dem Verlust von Menschenleben . Um diesen Ge- fahren zu begegnen, engagieren wir uns mit der Bundes- Lassen Sie mich an dieser Stelle besonders die bereits wehr, mit der Marine, mit unseren Partnern bereits bei von der NATO auf dem Gipfel in Warschau im Juli die- der Aktivität in der Ägäis und bei EUNAVFOR MED ses Jahres im Grundsatz beschlossene enge Kooperation Operation Sophia sowie bislang bei der NATO-geführten mit EUNAVFOR MED Operation Sophia hervorheben . Operation Active Endeavour . Neben einer allgemeinen Unterstützung durch einen Austausch des Lagebildes, von Logistik und gegebenen- Die Neuausrichtung dieser Operation, insbesondere falls auch Schutz, soll die Operation Sea Guardian die das Lösen vom Selbstverteidigungsrecht der VN-Charta EU-Mission auch bei der Durchsetzung des Waffenem- und vom Bündnisfall, den die NATO im Jahr 2001 erklärt bargos gemäß der Resolution des VN-Sicherheitsrates hatte, war der Wunsch dieses Hohen Hauses und ist das 2292 unterstützen und ergänzen, ohne dabei Aufgaben Ergebnis intensiver Verhandlungen der Bundesregierung der EU-Mission zu doppeln . im Rahmen der Allianz . Der für Oktober dieses Jahres vorgesehene Beginn der von der NATO beschlossenen Ein sichtbares Beispiel für eine enge NATO-EU-Ko- maritimen Sicherheitsoperation Sea Guardian ist ein Er- operation bietet bereits heute die NATO-Aktivität in der folg ebendieser unserer Bemühungen . Ägäis . Es ist uns wichtig, dass bei den Engagements der Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18869

Parl. Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe (A) NATO und der EU im Mittelmeer möglichst viel Syner- suchungsbericht des britischen Parlaments kam zu dem (C) gie erzielt wird . Darum geht es, liebe Kolleginnen und Schluss, der Krieg der NATO habe dazu geführt, dass der Kollegen . „Islamische Staat“ weite Teile des Landes übernehmen konnte . Die sonstigen Folgen seien der politische und Herr Kollege Nouripour, Sie haben eine Frage für wirtschaftliche Zusammenbruch des Landes, Kämpfe die Fragestunde gestellt . Leider hat mir die Geschäfts- zwischen rivalisierenden Milizen, eine Flüchtlingskrise ordnung nicht die Chance gegeben, sie Ihnen in Abwe- und der unkontrollierte Umlauf von Waffen des Regimes senheit zu beantworten . Deswegen möchte ich bei dieser gewesen . Zudem sei das Völkerrecht gebrochen worden . Gelegenheit das auch noch einmal sagen: Es geht bei der Operation Sea Guardian nicht um ein Eindringen Nun gibt die NATO mit der neuen Mission vor, das in Hoheitsgewässer irgendeines Landes durch die Hin- von ihr angerichtete Unrecht in Libyen lindern zu wol- tertür . Das ist hier nicht vorgesehen . Wenn es in einem len . Aber mit neuen Militäreinsätzen wie Sea Guardian Einzelfall gewünscht ist seitens der NATO, bedarf es werden sich die NATO und auch die Bundesregierung selbstverständlich der Zustimmung des entsprechenden noch stärker als in der Vergangenheit im libyschen Bür- Küstenstaates . Seien Sie also unbesorgt: Wir werden gerkrieg, der eben Folge dieser erwähnten NATO-Inter- nicht durch die Hintertür hier zu einer Ausweitung von vention war, engagieren . Nachdem man sozusagen eine EUNAVFOR MED oder irgendeines anderen Mandates Katastrophe angerichtet hat und es jetzt lichterloh in kommen . Unsere militärische Beteiligung wird vielmehr Libyen brennt, versucht man, das Ganze mit Benzin zu im Rahmen unserer maritimen Kapazitäten sowie mit löschen . Das ist keine Strategie für den Frieden, sondern den AWACS-Besatzungen erfolgen . eine Ausweitung der Kriegszone . Das kann zu einem Flächenbrand führen . Im Englischen gibt es ein schönes Liebe Kolleginnen und Kollegen, aufgrund der Be- Wort für das, was Sie hier anrichten . Es heißt „quagmi- deutung der Mittelmeerregion für den internationalen re“, „Schlamassel“ auf gut Deutsch . Jeder vernünftige Seeverkehr ist ein deutscher militärischer Beitrag zur Mensch dürfte dieser Strategie des Schlamassels nicht maritimen Sicherheit im Mittelmeer weiterhin national, zustimmen . Deshalb wird die Linke diesem Einsatz nicht aber selbstverständlich auch bündnispolitisch sinnvoll zustimmen . und erforderlich; auch um diesen Beitrag im Bündnis und für das Bündnis geht es . Deswegen bitte ich Sie im (Beifall bei der LINKEN) Namen der Bundesregierung um Ihre Unterstützung für Dieser Einsatz soll zudem in Kooperation mit den Mit- den heute vorliegenden Antrag, unser militärisches En- telmeeranrainerstaaten – zwar nur auf deren Anfrage hin, gagement im Mittelmeer, das erfolgreich ist, durch die wie es in Ihrem Antrag heißt – dem Ausbau von militä- Beteiligung an dieser neuen NATO-Operation fortzu- rischen Kapazitäten durch Ausbildung und gemeinsame setzen .– Herr Präsident, ich schenke Ihnen die letzten (B) Übung dienen . Das heißt, Mittelmeeranrainerstaaten sol- (D) 20 Sekunden . len unter Anleitung der NATO offenkundig militärische (Michaela Noll [CDU/CSU]: Das ist aber Operationen durchführen, um die NATO-Streitkräfte zu großzügig!) entlasten . Auch hier setzen Sie offenbar darauf, Despo- ten, Warlords und Autokraten am südlichen Mittelmeer Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit . aufzurüsten . Das kann wirklich nicht Ihr Ernst sein . Sie (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) sollten doch aus dem Libyen-Krieg gelernt haben . Wir lehnen diesen Einsatz deshalb ab, denn er wird zu einer Eskalation führen . Präsident Dr. Norbert Lammert: Also, erstens sind es mit dem Anlauf zu dieser Schluss- (Beifall bei der LINKEN) bemerkung noch 14 Sekunden gewesen, zweitens wüsste Auch bei der Kooperation zwischen diesem Einsatz ich nicht, was ich damit machen soll, und drittens sind und dem Einsatz EUNAVFOR MED geht es der NATO Geschenke an Abgeordnete im Übrigen eine komplizier- nicht nur um die Kontrolle von Flucht- und Handels- te Angelegenheit, wegen im Mittelmeer . Sie ist daran nicht nur beteiligt, (Heiterkeit) sondern sie wird auch militärisch vor der libyschen Küs- te involviert sein . Das Mandat der Operation Sea Gu- woran ich bei dieser Gelegenheit noch einmal ausdrück- ardian ist sowohl räumlich als auch thematisch äußerst lich erinnern möchte . breit gefasst. Offiziell soll es dazu dienen, das gesamte Nächste Rednerin ist die Kollegin Sevim Dağdelen für Mittelmeer zu überwachen und damit Waffen- und Men- die Fraktion Die Linke . schenschmuggel und Terrorismus einschließlich des „Is- lamischen Staats“ einzudämmen . Dies ist allerdings vor (Beifall bei der LINKEN) dem Hintergrund, dass die Konfliktparteien in Libyen nach wie vor von NATO-Staaten mit Waffen beliefert Sevim Dağdelen (DIE LINKE): werden, nicht nur grotesk, sondern das lässt auch darauf schließen, dass es eigentlich darum gehen soll, selbst zu Verehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kol- kontrollieren, dass die Waffen in die Hände der mit den legen! Vor wenigen Wochen veröffentlichte eine parla- NATO-Staaten verbündeten Warlords und Milizen in Li- mentarische Untersuchungskommission in Großbritanni- byen gelangen . en einen Bericht zum NATO-Einsatz, zum NATO-Krieg in Libyen, zu den Folgen und der Verantwortung der Angesichts dieser Militarisierung des Mittelmeeres britischen Regierung bei diesem Einsatz . Dieser Unter- hielt es die Bundesregierung noch nicht einmal für nö- 18870 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Sevim Dağdelen (A) tig, den Abgeordneten des Deutschen Bundestages, die Präsident Dr. Norbert Lammert: (C) schließlich schon nächste Woche in einer namentlichen Niels Annen erhält nun das Wort für die SPD-Frakti- Abstimmung über diesen Einsatz abstimmen sollen, on . den Operationsplan zur Verfügung zu stellen . Dass die Bundeswehr eine Parlamentsarmee ist, scheint bei dieser (Beifall bei der SPD) Bundesregierung offenbar völlig in Vergessenheit gera- ten zu sein. Jedenfalls scheinen Sie es als überflüssig zu erachten, den Abgeordneten diesen Operationsplan zu Niels Annen (SPD): geben und uns Abgeordnete ordnungsgemäß zu infor- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und mieren . Ich halte es wirklich für einen Skandal, dass die Herren! 15 Jahre – das ist eine ganz schön lange Zeit – Abgeordneten dieses Hauses über etwas abstimmen sol- nach den schrecklichen Anschlägen vom 11 . September len, was den Abgeordneten nicht vorliegt . 2001 wird nun die Operation Active Endeavour mit ihrer (Roderich Kiesewetter [CDU/CSU]: Ge- Nachfolgeoperation endlich – ich sage das wirklich aus heimschutzstelle! – Gegenruf des Abg . Omid vollem Herzen: endlich –, was die Einsatzrealitäten an- Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: geht, auch in zeitlicher Hinsicht auf ein angemessenes Ist nicht da!) Maß zurückgeführt . Wir stellen diese Operation auf eine andere rechtliche Basis . Ich glaube, dass das eine wich- Ich finde, Parlamentarismus ist etwas anderes. tige Botschaft ist .

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Wenn man sich anschaut, was Ihnen vorliegt, wo- rüber das Haus jetzt diskutieren wird, dann sieht man, Wir haben als Fraktion die ganze Woche nach diesem dass bei der neuen Operation Sea Guardian der Bezug Operationsplan gefragt . Er stand uns nicht zur Verfügung, auf Artikel 5 des NATO-Vertrags wegfällt . Es fällt aber (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- auch der Bezug auf Artikel 51 der VN-Charta, Selbstver- NEN]: Das stimmt!) teidigungsrecht, weg. Frau Dağdelen, es geht gar nicht in erster Linie um den Libyen-Krieg – es ist ja immer etwas und er steht auch bis zur abschließenden Beratung in schwierig, diesen Gedankengängen in Gänze zu folgen –, der nächsten Woche nicht allen Abgeordneten zur Ver- sondern diese Operation war sozusagen ein Teil des soge- fügung . Aber alle Abgeordneten dieses Hauses müssen nannten Kampfes gegen den Terrorismus . über diesen Einsatz abstimmen . Ich halte diese Informa- tionspolitik der Bundesregierung für nicht haltbar, meine Wir haben immer gesagt, dass man sich nicht unend- (B) Kolleginnen und Kollegen . lich auf ein solches Mandat beziehen kann . Das ist eine (D) schwierige Diskussion . Wir haben sie als sozialdemokra- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- tische Fraktion geführt, unseren Koalitionspartner davon NIS 90/DIE GRÜNEN) überzeugt und unsere Regierung sozusagen auf die Reise geschickt . Ich freue mich deswegen – ich will am heuti- Das sollten auch Sie als Parlamentarier vor dem Hinter- gen Abend die Gelegenheit nutzen, das zu sagen – über grund Ihres Parlamentsverständnisses als nicht akzepta- den Beschluss des NATO-Gipfels, die Mission Active bel ansehen . Endeavour durch diese neue maritime Sicherheitsopera- (Dr .Johann Wadephul [CDU/CSU]: Papper- tion zu ersetzen . Es war ein längst überfälliger Schritt . lapapp! – Dr .André Hahn [DIE LINKE]: Sie Ich glaube auch, dass diese Entscheidung eine politische werden es doch so oder so ablehnen!) Botschaft beinhaltet . Denn die Entkoppelung von Arti- kel 5 ist ja am Ende nicht nur eine technische Frage, son- Sie sollten als Abgeordnete dafür eintreten, dass Ab- dern sie macht auch klar – das habe ich eben gesagt –, geordnete ordnungsgemäß informiert werden, und zwar dass man sich eben nicht unendlich auf eine solche Legi- alle Abgeordneten, meine Damen und Herren, und nicht timation beziehen kann . Das bedeutet auch, dass wir ein nur diejenigen, die den Regierungsfraktionen oder ir- bisschen Neuland betreten haben . gendwelchen Ausschüssen angehören . Es war damals richtig von Bundeskanzler Gerhard Schröder, den amerikanischen Präsidenten nach diesem Präsident Dr. Norbert Lammert: Angriff auf Amerika nicht nur mit Worten, sondern auch Frau Kollegin . mit Taten zu unterstützen, um zu zeigen, dass wir an der Seite unseres wichtigsten Verbündeten stehen . Die Reak- tion der europäischen NATO-Mitglieder war, zu sagen: (DIE LINKE): Sevim Dağdelen Wir rufen den Bündnisfall aus .– Wenn ich das einmal in Letztendlich müssen alle Abgeordneten hier nament- Erinnerung rufen darf: Nicht jeder in Washington fand lich abstimmen . das damals übrigens richtig . Denn Gerhard Schröder hat- te damit auch die Idee verbunden: Wenn wir diese So- Auch vor diesem Hintergrund halten wir diesen An- lidarität durch einen Beschluss unterstreichen, dann er- trag für nicht zustimmungsfähig . warten wir natürlich auch, dass es eine Art Konsultation Vielen Dank . gibt, dass man Einfluss nehmen kann. – Denn wir hatten nicht viel Vertrauen in diesen damaligen amerikanischen (Beifall bei der LINKEN) Präsidenten . Ich sage heute: Wir hatten es zu Recht nicht . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18871

Niels Annen (A) Aber die Entscheidung hat das Bündnis gestärkt . Sie war trale Rolle der Deutsche Bundestag in einer stärker zu- (C) richtig, aber sie kann nicht noch nach 15 Jahren gelten . sammenwachsenden europäischen Sicherheitsarchitektur einnimmt . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dass dies manchmal Zeit braucht, ist richtig . Das gilt aber für Demokratie . Es braucht manchmal Zeit, Partner Wir beenden jetzt ein Kapitel und schlagen ein neu- zu überzeugen . Ich denke, es war richtig, diese Arbeit zu es auf . Ich weiß, es hat sehr lange gedauert . Ich bin mir investieren . Ich bitte um Zustimmung . ziemlich sicher, dass das hier sicherlich auch noch zum Thema gemacht werden wird – deswegen sage ich es Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit . jetzt schon einmal, Kollege Nouripour –: Vielleicht hat es sogar zu lange gedauert; aber es ist auch ein kompli- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) zierter Weg gewesen . Ich will dem Bundesaußenminister ausdrücklich danken . Ich will der Verteidigungsministe- Präsident Dr. Norbert Lammert: rin und auch unserer Vertretung bei der NATO danken . Nun hat der Kollege Nouripour das Wort für die Frak- Denn es war nicht ganz einfach . Wir hier im Deutschen tion Bündnis 90/Die Grünen . Bundestag führen darüber eine Debatte . Aber unsere Ver- bündeten haben solch eine Debatte erstens nicht geführt, Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): und zweitens haben die meisten diese Diskussion nicht Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn hier verstanden . Für uns als SPD ist es immer wichtig gewe- Mandate neu eingebracht werden, ist das eine sehr ernst- sen – das wird auch weiterhin unsere Richtschnur sein –, hafte Angelegenheit, und so muss man sie auch behan- dass wir solche Entscheidungen, die manchmal kompli- deln . Ich muss zugeben, das fällt mir bei dem Text, der ziert sind, die Zeit brauchen, nicht alleine fällen, sondern uns vorliegt, nicht besonders leicht . Sie haben sich Zeit im Bündnis; wir wollen dabei die anderen überzeugen . genommen . Das ist manchmal notwendig, das hat der Das hat Zeit benötigt . Ich bin froh, dass wir dies geschafft Kollege Annen gerade gesagt . Aber je länger es dauert, haben . Deswegen will ich allen, die sich daran beteiligt umso wichtiger ist es, dass auch das Ergebnis stimmt – haben, hier ausdrücklich Dank aussprechen . und das ist das Problem . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Die Bundesregierung hat ein Kunststück vollbracht . der CDU/CSU) Es gab jahrelang ein Possenspiel . Wir waren uns einig, Wenn ich das noch hinzufügen darf: Es zeigt doch Sozialdemokraten und Grüne, dass die Operation Active auch – ich erinnere mich an die Debatten über den Par- Endeavour keine völkerrechtliche Legitimität mehr hat . lamentsvorbehalt –, dass dieser Bundestag, wenn er sich Die SPD hat damals dagegen gestimmt . Dann ist sehr (B) zu Wort meldet, wenn er sich einmischt, auch Einfluss lange verhandelt worden, und das ist das Ergebnis . Ich (D) nehmen kann schenke Ihnen die Zeit und hoffe, Sie haben sie genos- sen . Aber das Ergebnis, das Sie uns vorlegen – das ist (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- das Kunststück –, ist ein Multifunktionsmandat, nach der NEN]: Aha!) Maxime „Viel hilft viel“ . Es ist so etwas wie ein Schwei- auf die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspoli- zer Taschenmesser, was wir hier haben . tik . Wir sind nicht die Exekutive, aber wir sind in der Was ist alles darin? Ich könnte in den fünf Minuten gar Lage – das haben wir mit diesem neuen Mandat bewie- nicht aufzählen, was alles an Unbestimmtem in diesem sen –, dass das, was hier debattiert wird, die Erwartun- Mandat steht: Sammeln von Informationen, Aufdeckung gen, die wir formulieren, auf der europäischen Ebene von Bedrohungen in der Mittelmeerregion, Unterstüt- einfließen, und zwar auch in ein solches Mandat. Ich zung der Sicherheitskräfte von Anrainerstaaten in der glaube, das zeigt auch, dass die Idee der Parlamentsar- Mittelmeerregion, zum Beispiel durch Kapazitätsauf- mee, die wir haben, die Debattenkultur, die wir haben, bau; Durchsetzung des Waffenembargos gegen Libyen, etwas Lebendiges sind, das sich auswirkt, aber eben nicht Unterstützung von EUNAVFOR MED usw ,. usw .– und von heute auf morgen . Das ist richtig . das in einem Operationsgebiet der Größenordnung von Zur Debatte selber, zu dem, was die Soldatinnen und 2,5 Millionen Quadratkilometern, und gratis gibt es noch Soldaten der Deutschen Marine dort leisten werden, ist den Luftraum obendrauf . bereits vom Staatssekretär einiges gesagt worden . Die Si- Wir haben ein Mandat namens UNIFIL . Sie könnten cherheitslage im Mittelmeer ist weiterhin sehr labil . alles, was UNIFIL macht, alles, was in diesem Mandat Der Name hat sich verändert, aber die Mission, die steht, ohne Probleme, ohne dass sich jemand Gedanken wir jetzt beschließen wollen, bleibt wichtig, und sie ist machen muss, in die abstrakten Formeln dieses neuen übrigens auch ein Zeichen der Solidarität, gerade an un- Mandates integrieren . Das hat mit Präzision überhaupt sere südlichen Nachbarn und Bündnispartner, dass wir nichts mehr zu tun; denn wir wissen gar nicht, was hier uns nicht hinstellen und sagen: Wir überlassen das ein- vorliegt . fach einem Teil der Verbündeten . Deswegen darf ich Sie, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) meine sehr geehrten Damen und Herren, einladen, dieser Entscheidung der Bundesregierung, diesem Antrag zu- Sie haben bei den ganzen Werkzeugen im Übrigen ein zustimmen . Ich denke, die Debatte, die wir heute sowie Werkzeug bei den Verhandlungen verloren, nämlich die in der zweiten Lesung führen, kann eigentlich nur dazu deutsche Sprache . Ich möchte Ihnen einmal einen Satz beitragen, noch einmal zu unterstreichen, welche zen- aus diesem Mandat vorlesen: 18872 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Omid Nouripour (A) Unterstützen sowie Durchführen von Maßnahmen eigentlich alles und nichts zugleich steht . Da können wir (C) auf Hoher See zur Durchsetzung des VN-Waffen­ leider nicht mitmachen . embargos durch Überprüfen von Schiffen und Boo- ten, die des Waffenschmuggels bzw . der Terrorismu- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sunterstützung verdächtigt werden, und bei der LINKEN) – das war die erste Hälfte des Satzes – Zum Operationsplan hat die Kollegin Dağdelen al- les Notwendige gesagt . Er liegt nicht vor . Im Übrigen: unter Nutzung von Eingriffsbefugnissen zur Durch- Wenn der Operationsplan, auf den man sich ja auch be- setzung des Waffenembargos der Vereinten Natio- zieht, vorliegt und wir ihn uns angeschaut haben, dann nen von und nach Libyen mit entsprechenden Fä- ist er trotzdem keine Referenzgröße für das Parlament . higkeiten im Einklang mit dem Völkerrecht, … Denn den Operationsplan kann die Exekutive verändern, während wir durch die Zustimmung zu einem solchen Es gibt im Übrigen auch noch ganze Sätze, die begin- Mandat einen Blankoscheck ausgestellt haben . Dafür ist nen mit Formulierungen wie „Die regionale Instabilität das Parlamentsbeteiligungsgesetz aber nicht geschrieben in der Region“ . Ich glaube, dass sich der Kollege Annen worden . Wir sind nicht dafür da, um der Bundesregierung da wirklich in einen Rausch verhandelt hat, und hoffe, zu sagen: Macht einfach, was ihr wollt .– Das ist nicht dass der Rausch noch ein bisschen anhält . der Sinn des Parlamentsvorbehalts . Deshalb werden wir Ihnen ganz sicher keinen Blankoscheck ausstellen . Aber das Ganze ist eigentlich sehr ernst . Deshalb will ich auch noch etwas Ernsthaftes zitieren: Das ist das Par- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lamentsbeteiligungsgesetz . Darin steht: und bei der LINKEN) . , . wenn Soldatinnen oder Soldaten der Bundes- wehr in bewaffnete Unternehmungen einbezogen Präsident Dr. Norbert Lammert: sind oder eine Einbeziehung in eine bewaffnete Un- Das Wort erhält nun der Kollege Matthias Ilgen für die ternehmung zu erwarten ist . SPD-Fraktion . Das ist die Grundlage, auf der wir dann entscheiden, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ob wir einem Mandat zustimmen oder nicht . Auf Deutsch, im Klartext, heißt das: Das Parlament soll abschätzen, ob es bereit ist, die Verantwortung dafür zu übernehmen, Matthias Ilgen (SPD): Soldatinnen und Soldaten in eine Situation zu schicken, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kol- (B) in der sie möglicherweise ihr Leben riskieren müssen . lege Nouripour, das war ja wieder einmal eine spannende (D) Oppositionsrede, wie ich finde. Sie kritisierten die deut- Es tut mir leid, ich kann für meine Fraktion sagen: sche Sprache, die Texte, das ganze Drumherum, und Sie Wir sind nicht imstande, diese Verantwortung zu über- stellten ganz viele Fragen . Nur, konkret am Mandat hat- nehmen, bei einem Text, bei dem wir am Ende des Tages ten Sie eigentlich nichts auszusetzen . überhaupt nicht wissen, was diese neue Operation denn eigentlich für die Soldatinnen und Soldaten bedeutet . An (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Konkretion fehlt es komplett . NEN]: Ja, weil da nichts Konkretes drinsteht!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dann müssen Sie es aber auch einmal lesen . Wenn Sie sowie bei Abgeordneten der LINKEN) sagen, da steht nichts Konkretes drin, will ich Ihnen Ihre Fragen gerne beantworten . Da Sie gerade Sophia angesprochen haben, Herr Staatssekretär: Sie haben gerade gesagt, es ist nicht völ- Kollege Annen hat es beschrieben: Die Sicherheitsla- kerrechtswidrig, was dort passiert, denn wir werden nicht ge im Mittelmeerraum hat sich seit 9/11 nicht verändert ohne Einverständnis der jeweiligen Länder in die Ho- und schon gar nicht verbessert . Das heißt, eine Nachfol- heitsgewässer eindringen . Okay, aber es gibt ja nicht nur gemission von Active Endeavour war nötig; diese brin- die Möglichkeit der Doppelung von Sophia, sondern auch gen wir auf den Weg . Denn immer noch haben wir es zu die Möglichkeit, dass die nächsten Stufen von Sophia­ tun mit Flüchtlingsschleusern, mit Waffenschmugglern, jetzt einfach umgesetzt werden, wie uns schon einmal mit Failed States, mit Terrorismus im Allgemeinen und angedroht wurde; aber da hieß es, man wisse nicht, ob im Besonderen . Dieses Mandat wird dabei helfen, die das passieren werde oder nicht . Auch das könnte man auf Verbündeten an der Südflanke Europas in die Lage zu Grundlage des Textes, der hier vorliegt, einfach machen . versetzen, die Herausforderungen, die vor uns liegen, zu Das ist das, was mich wirklich rasend macht: Theoretisch meistern . könnten Sie auf Basis dessen, was Sie uns vorlegen, die (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- syrische Marine ausbilden . Die einzige Bedingung, die NEN]: Das ist konkret, oder was?) nach einem Beschluss des Bundestages erfüllt sein müss- te, wäre, dass die Syrer das auch wollen . Ist das ernsthaft Jetzt konkret zu dem Einsatz – um Ihnen das einmal Konkretion? Ist das ernsthaft eine politische Botschaft, zu verdeutlichen . die Sie aussenden wollen? Die einzige politische Bot- schaft, die wir hier haben, ist doch die Missachtung der (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Rolle des Parlaments durch einen Mandatstext, in dem NEN]: Okay!) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18873

Matthias Ilgen (A) Die Ziele sind: Lagebilderstellung und Austausch mit die SPD-Fraktion, in der Zukunft hier ansetzen, um die (C) Verbündeten, Informationsgewinnung im Kampf gegen Marine weiter auf stabilere Füße zu stellen . Denn wir er- den Terrorismus, kennen ja, dass die Anzahl der Einsätze in den letzten Jahren nicht geringer geworden ist und insbesondere die (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Personaldecke oft an Grenzen stößt . NEN]: Das ist doch nicht das Ziel!) (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Sehr gut!) die Durchsetzung – jetzt ganz konkret – des UN-Waf- fenembargos – was vonseiten der Linken kritisiert wor- Sea Guardian wird bei der Schaffung und der Erhal- den ist –, die Unterstützung der EUNAVFOR MED tung von Sicherheit im ganzen Mittelmeerraum ein wich- Operation Sophia – wir haben es gehört –, die Kontrol- tiges Element sein . Es schließt nämlich die Lücken, die le von Schiffen auf Wunsch des jeweiligen Staates auch bisher da waren, und dagegen kann nun wirklich keiner in seinen Territorialgewässern; das gibt es bisher nicht . etwas haben, es sei denn, man begründet das mit kunst- Ein konkreter Fall wäre, dass man, wenn man da längs vollen Argumenten . schifft, in der Lage wäre, diesen Einsatz durchzuführen . Natürlich muss man vorher fragen; dann kann man un- Wir, die SPD-Fraktion, werden diesem Einsatz des- terstützen . Das ist nach dem alten Mandat bisher nicht halb zustimmen . der Fall . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Weitere ganz konkrete Ziele sind die Rettung von in der CDU/CSU) Seenot geratenen Menschen – ich hoffe, dass Sie wenigs- tens dieses konkrete Anliegen unterstützen können – und Präsident Dr. Norbert Lammert: die Unterstützung von Anrainerstaaten, im Zweifel auch Roderich Kiesewetter ist der nächste Redner für die in Form von Ausbildung und gemeinsamen Übungen, CDU/CSU . aber auf Wunsch . (Beifall bei der CDU/CSU) (Dr . Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von welchen Anrainerstaaten? – Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Von welchen denn? Auch Syrien?) Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich würde mir Dass diese Fragestellung natürlich immer im Rahmen wünschen, dass alle Teile dieses Hauses anerkennen, der Gesamtpolitik der Bundesregierung zu betrachten dass wir heute einen Einsatz beraten, der auch auf eine ist – das gilt auch für die Frage, mit welchen Staaten man Initiative aus dem Bundestag heraus angepasst wurde . Es (B) kooperiert oder nicht –, ist doch selbstverständlich . ist ein Einsatz, der von Europa aus verändert wurde . (D) (Dr . Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE Wenn wir Europa betrachten, so müssen wir schon GRÜNEN]: Libyen? Syrien? Libanon? Wen feststellen, dass in der Umgebung Europas ganze Nach- meinen Sie?) barschaftsregionen von Zeichen des Zerfalls geprägt sind . Umgekehrt ist der innere Zusammenhalt Europas Deswegen ist das ein Schein- und Kunstargument, das durch Flucht und ungeklärte, ungelöste Fluchtursachen Sie hier aufgerufen haben . gefährdet . Wir sollten nicht den Kräften in die Hände (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – spielen, die von einem Zerfall Europas profitieren – und Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schon gar nicht den Kräften, die vom Zerfall der euro- NEN]: Sie haben jetzt nur Ziele genannt, aber päischen Nachbarschaft profitieren. Genau hier setzt die nicht gesagt, was konkret passiert! Lesen Mission Sea Guardian an . Sie mal andere Mandate! Da steht es immer Was ist das Besondere? Wir handeln hier nicht ein- drin! – Dr . Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/ seitig mit militärischem Interventionismus oder absoluter DIE GRÜNEN]: Welche Anrainerstaaten mei- Zurückhaltung, sondern hier wird wohlüberlegt ein vier- nen Sie? Nennen Sie doch mal welche!) facher Ansatz gewählt: Konkret wird Deutschland bis zu 650 Soldaten in die- Erstens . Lagebilderstellung auf bekannter Ebene, sen Einsatz schicken . Wir beteiligen uns natürlich auch Überblick, was im Mittelmeerraum auf 2,5 Millionen entsprechend bei den Kräften für Führung, Überwa- Quadratkilometern geschieht . chung, Sanitätsdienst und anderes . Aber das Gros wird abermals von der deutschen Marine gestellt; darauf will Zweitens . Durchsetzung des UN-Waffenembargos ich besonders hinweisen . nicht nur vor der libyschen Küste . (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Sehr gut!) Die beiden folgenden Bereiche – drittens und vier- tens – sollten gerade uns als Bundesrepublik Deutschland Zwar erlauben die Rahmenbedingungen dieses Ein- am Herzen liegen: satzes, die Teilnahme an Sea Guardian mit der Teilnah- me an EUNAVFOR MED Operation Sophia und der Drittens . Eine engere Zusammenarbeit mit der Euro- NATO-Ägäis-Mission zu verbinden . Allerdings steht päischen Union . Wir haben dort eine verzahnte Operati- fest: Die deutsche Marine wird als kleinste Teilstreitkraft on unserer überdehnten Kräfte der Bundeswehr mit den wieder einen gewaltigen Beitrag leisten müssen, und sie militärischen und auch den zivilen Sicherheitskräften in gerät an ihre Kapazitätsgrenzen . Deswegen wollen wir, Europa . Auch die zivilen Instrumente der Europäischen 18874 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Roderich Kiesewetter (A) Union werden dadurch gestärkt, und das Militär wird zung wollen . Das ist die eigentliche Neuigkeit, die wir (C) entlastet . leisten sollten . Viertens . Wir schlagen eine Brücke über das Mittel- Das bedeutet, mit dieser Operation bauen wir nicht nur meer hin zu Ländern wie Jordanien und Libanon oder eine Brücke über das Mittelmeer, sondern zeigen wir den aber auch Libyen und Tunesien . Diesen Aspekt halte ich Mittelmeeranrainerstaaten auch, dass wir einer Sicher- für den entscheidenden . Herr Kollege Nouripour, das ist heitsgemeinschaft angehören, und das ist des Schweißes ja genau das, worum es geht – und nicht um die syrische der Edlen wert . Ich werbe deshalb um Zustimmung zu Marine . diesem Mandat . Warum ist das so entscheidend? Das sind Staaten, die Herzlichen Dank . mit Mühe und Not versuchen, ihre Staatlichkeit aufrecht- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- zuerhalten, die gefährdet ist . Sie helfen teilweise mit, die ordneten der SPD) Fluchtursachen zu bekämpfen, leiden aber insbesondere durch die Transitmigration erheblich und brauchen euro- päische Hilfe und Unterstützung . Präsident Dr. Norbert Lammert: Zum Schluss dieses Tagesordnungspunktes hat Herr Wir alle, die in diese Regionen reisen – sei es nach Kollege Florian Hahn das Wort für die CDU/CSU-Frak- Tunesien, in den Libanon oder nach Jordanien –, wissen, tion . wie stark diese Länder auf Unterstützung und Stabilisie- rung angewiesen sind – nicht nur in den Bereichen Ent- (Beifall bei der CDU/CSU) wicklungszusammenarbeit, Gesundheit und Wasser so- wie in Bezug auf eine gute Lebensführung, sondern eben Florian Hahn (CDU/CSU): auch zur Ertüchtigung der Küstenwachen und der Marine Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eu- und im Hinblick auf die Schleuserbekämpfung . ropa und damit auch Deutschland stehen zurzeit vor einer ganzen Reihe von großen Herausforderungen – der Kol- Wenn es um die Schleuserbekämpfung geht, ist das lege Kiesewetter hat sie schon beschrieben –: die Krise Beispiel von Griechenland und der Türkei in der einen im Inneren der EU, die Folgen des Brexit, im Osten die Richtung vorbildlich . Wir sollten das in der Zukunft auch weiter kritische Lage in der Ukraine . Aber viel unmittel- mit Blick auf Libyen wagen . barer haben wir in den letzten Monaten die Herausfor- Ich möchte deshalb Werbung für diese Operation ma- derung aus dem Süden erleben müssen . Migration und chen, die sicherlich noch mit ganz klaren operativen Zie- Massenflucht sind sichtbare Anzeichen der Krise südlich unseres Kontinents . Kriege, Bürgerkriege, Klimawandel (B) len zu füllen ist . Das ist abzuleiten und wird bis Ende des (D) Monats ja auch in der NATO endgültig beraten . und Perspektivlosigkeit treiben Menschen nach Euro- pa . Sie kommen ganz wesentlich auch über das Mittel- Frühzeitig beteiligt zu werden, an solch einer Operati- meer – allein 2016 über 300 000 Menschen . Dabei haben on mitzuwirken und nicht erst im Nachgang irgendwann sich unsagbare Tragödien abgespielt, mit geschätzten etwas zu billigen, ist ein Zeichen, dass unser Parlament 3 000 Toten allein in diesem Jahr . Aber zu sehen war auch handlungsfähig ist . Ich hätte mir auch gewünscht, dass das häufige Versagen Europas bei Grenzkontrolle, Regis- wir schon vor 14 Tagen in den Operationsplan hätten trierung, Unterbringung und Verteilung der Migranten schauen können, aber uns wurde vom Auswärtigen Amt und Flüchtlinge . Hier wurde enormer Handlungsbedarf zugesichert – und so ist es wohl auch –, dass er seit ges- deutlich . tern in der Geheimschutzstelle liegt . Hinzu kommen sicherheitspolitische Aufgaben durch (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die gestiegenen terroristischen Bedrohungen für unse- NEN]: Nein, er wurde heute zugeleitet!) re freiheitlichen Gesellschaften, die vor allem vom so- genannten „Islamischen Staat“ ausgehen . Wir haben – Das ist doch schön; dann hast du ihn ja lesen können . durchaus erfolgreich begonnen, viele Aspekte dieser (Heiterkeit bei der CDU/CSU – Omid Herausforderungen anzugehen, angefangen bei uns in Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deutschland mit unserer Gesetzgebung zu Asyl, Integra- Er war noch nicht da, weil die Post so lange tion und innerer Sicherheit . Auf der europäischen und braucht! Die laufen nämlich mit der Schne- internationalen Ebene steht das Mittelmeer derzeit für ckenpost!) die vielen Baustellen, an denen wir dort gleichzeitig wei- terarbeiten müssen . Viele kleinere und größere Aufgaben – Gut Ding will Weile haben . Entscheidend ist, dass wir warten hier auf eine Lösung, wenn wir Europa stärker heute in der ersten Lesung die einzelnen Punkte betrach- und sicherer machen wollen, wenn wir das Mittelmeer ten . perspektivisch wieder zu dem machen wollen, was es lange Jahrhunderte war: kein Raum des Massensterbens, Ich möchte noch einmal deutlich machen: Das ist kei- des Versagens und des Aufeinanderprallens von zwei ne klassische Militäroperation, die mit Robustheit im Welten, sondern ein Raum der gemeinsamen Zivilisati- Mittelmeer „Show of Force“ betreibt oder ganz gezielt on und des florierenden kulturellen und wirtschaftlichen über Artikel 5 des Nordatlantikvertrages alle Instrumente Austauschs . der NATO bewegt, sondern eine enge, gemeinsam zwi- schen der NATO und der EU abgestimmte Operation, die Ich will diese vor uns stehenden Aufgaben nur anrei- die Hand denjenigen Partnern reicht, die die Unterstüt- ßen . Wir brauchen eine Befriedung der Anrainerstaaten, Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18875

Florian Hahn (A) in erster Linie natürlich Syriens und Libyens – eine wah- Vielen Dank . (C) re Herkulesaufgabe, wie sich das jeden Tag zeigt . Nötig (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . ist aber auch eine energische und konsequente Sicherung Dagmar Ziegler [SPD]) der europäischen Außengrenzen . Wir brauchen dann ei- nen Aufbau der Mittelmeeranrainer, eine Befähigung dieser Länder zum Beispiel im Sicherheitsbereich, bei Präsident Dr. Norbert Lammert: der Terrorismusbekämpfung und beim Grenzschutz, da- Ich schließe die Aussprache . mit sie perspektivisch selbst für ihre Sicherheit sorgen können . Schließlich brauchen wir eine umfassende Zu- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf der sammenarbeit mit diesen Ländern in allen anderen Berei- Drucksache 18/9632 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen .– Darüber gibt es of- chen, sei es in der Kultur, sei es in der Wirtschaft oder der fenkundig keine Meinungsverschiedenheiten . Also ist die Bildung, damit die Kluft der Lebensstandards zwischen Überweisung so beschlossen . den Ufern des Mittelmeers nicht noch tiefer wird . Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 17: Auch das Militär trägt jetzt schon einen Teil dazu bei, dass sich die Situation im Süden verbessert . Verschie- Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias dene bestehende Operationen sind bereits angesprochen Gastel, Stephan Kühn (Dresden), Markus Tressel, worden . EUNAVFOR MED Operation Sophia haben weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- wir zuletzt im Juli eingehend debattiert und um ein Jahr NIS 90/DIE GRÜNEN verlängert . Die NATO unterstützt mit Aufklärungskapa- Deutschland-Takt jetzt umsetzen – Weichen zitäten diese Mission in der Ägäis . Die deutsche Fregatte in der Bundesverkehrswegeplanung richtig „Augsburg“ bietet aktuell dem französischen Flugzeug- stellen träger „Charles de Gaulle“ Geleitschutz beim Einsatz ge- gen den IS . Und auch UNIFIL vor der Küste Libanons ist Drucksache 18/7554 als vorbildliche Mission zu nennen, an der sich Deutsch- Überweisungsvorschlag: land beteiligt . Unsere Soldatinnen und Soldaten leisten in Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur diesen Einsätzen übrigens Großartiges . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Widerspruch Die maritime Sicherheitsoperation Sea Guardian ist nicht erkennbar . Also verfahren wir so . kommt nun hinzu, ergänzt die vorhandenen Missionen sinnvoll und hilft mit Vernetzung und Informationsaus- Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem (B) tausch . Sie ist damit ein weiterer wichtiger Baustein un- Kollegen Matthias Gastel für die Fraktion Bündnis 90/ (D) serer Mittelmeerpolitik . Sea Guardian ist ein Nachfolge- Die Grünen .– Könnte vielleicht einmal, insbesondere in mandat für die Operation Active Endeavour . Auftrag der der Unionsfraktion, die nachwirkende Beschäftigung mit Mission ist zunächst wie bei Active Endeavour die See- dem gerade behandelten Thema der Aufmerksamkeit für raumüberwachung . NATO-Einheiten erhalten nach dem den neuen Redner Platz machen? – Sehr gut . – Bitte, Herr Sea-Guardian-Mandat jetzt auch die Möglichkeit, mit Gastel . Zustimmung des Flaggenstaates Schiffe zu kontrollieren, zu durchsuchen, sowohl bei Terrorverdacht als auch im Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Rahmen der Bekämpfung von Waffenschmuggel . Vielen Dank . – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der Anteil der Schiene am Darüber hinaus wollen wir mit der Mission auch Part- Personenverkehr liegt bei nur 8 Prozent . Das heißt, die nern helfen . Im Rahmen von Sea Guardian werden wir allermeisten Wege und die allermeisten Kilometer wer- intensiver mit den Anrainerstaaten kooperieren, vor allem den per Auto zurückgelegt . beim Aufbau eigener maritimer Sicherheitskapazitäten . Das entspricht einem durchgängigen deutschen Ansatz in Wenn wir es mit dem Klimaschutz ernst meinen, wenn der Sicherheitspolitik: Wir leisten Hilfe zur Selbsthilfe, wir es damit ernst meinen, die endlichen Ressourcen die- etwa durch Ausbildung und gemeinsame Übungen . ses einen Planeten schonen zu wollen, dann müssen wir den Anteil des Schienenverkehrs, sowohl im Güterbe- Zusammenfassend ist festzustellen: Sea Guardian er- reich als auch im Personenbereich, deutlich erhöhen . stellt ein umfassendes Lagebild für den gesamten Mittel- meerraum, koordiniert und vernetzt die Aktivitäten der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Sabine Leidig [DIE LINKE]) NATO mit denen anderer Organisationen wie der EU, kann bei der Bekämpfung von Schmuggleraktivitäten Wir müssen aber leider feststellen, dass all die milli- helfen, damit die Stabilisierung beispielsweise Libyens ardenschweren Investitionen in Hochgeschwindigkeits- fördern und hilft Partnernationen beim Aufbau eigener strecken bei der Erreichung dieses Zieles weitgehend maritimer Kapazitäten . wirkungslos geblieben sind . In Reiseketten ist dadurch weiterhin oft keine Reisezeitverkürzung möglich . Ich Schließlich trägt die Präsenz der Einsatzverbände als nenne einmal das Beispiel Verkehrsprojekt „Deutsche präventiver Ordnungsfaktor zur maritimen Sicherheit im Einheit 8“ von Berlin nach Nürnberg . Wer heute von Mittelmeer bei . Diese rundum sinnvolle Mission verdient Chemnitz nach Berlin fahren möchte, muss in Leipzig unsere uneingeschränkte Unterstützung . umsteigen und dort 53 Minuten warten . Der Bahnhof in 18876 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Matthias Gastel (A) Leipzig ist sehr schön, aber so lange zu warten, ist eben Zu dieser Wachstumsstrategie gehören faire Wettbe- (C) doch nicht schön . werbsbedingungen für die Schiene gegenüber Straße und Flugzeug . Auch da haben Sie viele Chancen vertan . Was wir brauchen, ist eine Vertaktung von Fern- und Regionalverkehr in den Knotenbahnhöfen . Dafür brau- Wir fordern Sie auf: Treten Sie mit den Bundeslän- chen wir, bezogen auf die Strecken, eine Infrastruktur, dern in Verhandlungen über Langfristfahrpläne, damit die entsprechende Zeitvorgaben ermöglicht . Wir brau- die entsprechende Infrastruktur entwickelt werden kann . chen aber auch die Infrastruktur in den Bahnhöfen mit Sorgen Sie dafür, dass das Thema Deutschland-Takt end- den notwendigen Kapazitäten, damit die Züge einmal lich zum Zuge kommt für attraktive Fahrpläne, für ver- warten können, um die Fahrgäste umsteigen zu lassen . lässliche Umsteigezeiten, damit mehr Fahrgäste mit dem Zug unterwegs sind, damit das Klima geschont wird und Da muss ich leider auf ein Thema, das gerade wieder die Ressourcen nicht mehr so verschwendet werden wie hochkocht, zu sprechen kommen: Stuttgart 21 . bisher . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Sabine Leidig [DIE LINKE] – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) und bei der LINKEN) – Ich weiß, dass Sie das nicht hören wollen .– Aber gera- Präsident Dr. Norbert Lammert: de, wenn es um das Thema Deutschland-Takt geht, dann muss man auch über Stuttgart 21 reden, weil es dafür das Alexander Funk ist der nächste Redner für die CDU/ schlechteste Beispiel aller Zeiten ist . CSU-Fraktion . (Oliver Wittke [CDU/CSU]: Täglich grüßt (Beifall bei der CDU/CSU) das Murmeltier!) Alexander Funk (CDU/CSU): Acht Bahnsteige reichen nicht aus, wenn Züge auf die Fahrgäste verspäteter Züge warten sollen . Das funktio- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten niert eben nicht . Das wird ein Bahnhof, in den die Züge Damen und Herren! Liebe Kollegen! Lassen Sie mich schnell reinfahren und schnell wieder weiterfahren müs- mit etwas Positivem beginnen: Ihr Antrag liest sich gut, sen, weil sonst die Kapazität für die nachfolgenden Züge (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nicht reichen wird . NEN]: Er ist gut!) Auch bei den Zulaufstrecken für dieses neue Projekt und es steht auch viel Richtiges darin . Ich glaube, es haben wir Engpässe . Ich nenne einmal ein Beispiel: Die gibt auch hier im Hause niemanden, der nicht für den (B) Wendlinger Kurve soll neu gebaut werden . Das Gutach- Deutschland-Takt ist, dem es nicht einleuchtet, dass Re- (D) ten zum Deutschland-Takt, in Auftrag gegeben von der gional- und Fernverkehr verbunden werden muss, damit Bundesregierung, besagt: Man braucht an dieser Kurve man nicht unnötige Wartezeiten auf Bahnhöfen verbringt, zwei Gleise . Der Bund aber hält an der Eingleisigkeit fest damit die Reisezeit kürzer, die Reisekette schneller wird . und schafft damit einen Engpass . Ich glaube, das ist ein Ziel, das wir alle verfolgen . Stuttgart 21 ist ein Murks mit Engpass, der dazu noch Trotzdem ist Ihr Antrag unnötig und auch wider- immer teurer wird, wie es der Bundesrechnungshof fest- sprüchlich, zumindest was Ihr Handeln betrifft . gestellt hat . So lässt sich kein Deutschland-Takt reali- sieren . So lassen sich auch keine zusätzlichen Fahrgäste (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gewinnen . NEN]: Es wäre schön, wenn er unnötig wäre! Das ist er leider nicht!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Warum ist Ihr Antrag unnötig? Zum einen erwecken Sie Wir brauchen eine Infrastruktur mit abgestimmten ein wenig den Eindruck, als sei der Deutschland-Takt Fahrplänen und optimierten Umsteigemöglichkeiten . Ihre Idee, als sei er eine Erfindung der Grünen. Fakt ist, Der Bundesverkehrswegeplan bzw . das entsprechende dass er auf eine Privatinitiative aus dem Jahr 2008 zu- Ausbaugesetz wären dafür eine super Chance gewesen . rückgeht . Ich bedanke mich – auch im Namen meiner Aber die Entscheidungen über große Umsteigeknoten, Fraktion – ausdrücklich bei den Initiatoren der Initiative beispielsweise in Köln, sind im Bundesverkehrswege- Deutschland-Takt . Sie haben da sehr gute Arbeit geleis- plan noch nicht einmal bewertet worden . Entscheiden- tet, und weil das eine sehr gute Arbeit ist, haben wir es de Engpassbehebungen auf Strecken, beispielsweise bei auch in den Koalitionsvertrag 2013 aufgenommen . Fürth, sind ebenfalls noch nicht bewertet worden . Meist sind es kleine Maßnahmen, die aber für den integralen (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias Gastel Taktfahrplan notwendig sind . Die haben Sie ebenfalls [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leider nicht noch nicht bewertet . Leider haben Sie es da nicht so eilig, in den Bundesverkehrswegeplan! Das ist das den Deutschland-Takt als Chance zu begreifen und auch Problem! – Stephan Kühn [Dresden] [BÜND- in Angriff zu nehmen . NIS 90/DIE GRÜNEN]: Er wartet auf Umset- zung!) Was wir fordern, ist eine Wachstumsstrategie für die Schiene . Dazu gehören niedrigere Trassenpreise, damit In unserem Koalitionsvertrag steht: die Schiene überhaupt wettbewerbsfähig ist . Die Planung der Schienenwege werden wir am Ziel (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) eines Deutschland-Takts mit bundesweit aufeinan- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18877

Alexander Funk (A) der abgestimmten Anschlüssen sowie leistungsfähi- auf einige Hochgeschwindigkeitsstrecken zu setzen, die (C) gen Güterverkehrstrassen ausrichten . sehr teuer sind und nur relativ wenigen Reisenden nüt- zen . Deshalb ist es gut und richtig, das Eisenbahnnetz so Wir haben das nicht nur in den Koalitionsvertrag ge- auszubauen, dass es in der Fläche den vertakteten Bahn- schrieben, sondern auch die Grundlagen dafür geschaf- verkehr möglich macht . fen . Ausgerechnet am heutigen Tage der Einbringung des Bundesverkehrswegeplanes wird nämlich die Grundlage (Beifall bei der LINKEN) für den Deutschland-Takt gelegt, Es ist auch überhaupt kein Problem, finde ich, wenn (Kirsten Lühmann [SPD]: Genau!) Parteien, die hier im Parlament vertreten sind, die ent- und an dieser Stelle ist Ihr Antrag widersprüchlich . Denn sprechende Forderung einer Bürgerinitiative aufnehmen . dass man morgens am Bundesverkehrswegeplan kein gu- Ich finde, es ist auch ein Stück weit unsere Aufgabe, das, tes Haar lässt und alles, was darin steht, kritisiert, abends was in der Bürgerschaft entsteht, im Parlament zum The- aber den Deutschland-Takt fordert, ist ein Widerspruch ma zu machen und zur Durchsetzung zu bringen . in sich . Das ist unseriös, und an dieser Stelle sollten Sie einmal mehr Ihren Zettelkasten neu sortieren . Ich möchte zwei Punkte nennen, die mir wichtig sind . (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Der erste betrifft den Bundesverkehrswegeplan . Ja, es NEN]: Überhaupt nicht! Es steht nämlich ist richtig: Darin werden jetzt sozusagen die Ausbauvor- nicht im Bundesverkehrswegeplan! Sie ha- haben für die verschiedenen Verkehrsträger festgelegt . ben es nicht untermauert! Das meiste steht im Wir haben heute Morgen ausführlich darüber diskutiert, potenziellen Bedarf! Sie haben es aber nicht wie viel Sinn oder Unsinn darin steckt . Fakt ist: Es sollen bewertet!) drei verschiedene Ausbauvorhaben auf den Weg gebracht werden . Davon wird eines den Schienenausbau betreffen . Wir haben allein 750 Millionen Euro für kleinere Man kann selbstverständlich den Bundesverkehrswege- Maßnahmen zur Verfügung gestellt, um den Deutsch- plan insgesamt ablehnen und trotzdem die sinnvollen land-Takt zu implementieren . Das, was Sie in Ihrer Rede Schienenprojekte voranbringen . angesprochen haben, steht also im Bundesverkehrswege- plan . Er enthält darüber hinaus aber auch große Strecken, Was man aber nicht machen sollte – das ist, finde ich, um die Fernverbindungen, zum Beispiel in die Schweiz, ein wichtiger Punkt, der leider auch in dem Antrag der taktgenau anzupassen . Auch das steht im Bundesver- Grünen ein bisschen kurz kommt –, ist, zusätzlich zu kehrswegeplan . Wir investieren in den nächsten Jahren den sinnvollen Schienenprojekten auch noch jede Menge über 120 Milliarden Euro in die Schiene und schaffen so unsinnige Straßenbauprojekte voranzutreiben . Denn die (B) die Grundlage für den Deutschland-Takt . Milliarden, die jetzt in neue Autobahnen fließen sollen, (D) braucht man dringend für den Ausbau des Eisenbahnnet- Wenn Sie es mit Ihrem Deutschland-Takt wirklich zes im Land, um den Deutschland-Takt zu ermöglichen . ernst meinen, sollten Sie Ihren Antrag jetzt zurückziehen, Deshalb geht es darum, wirklich umzusteuern, statt auf dem Bundesverkehrswegeplan zustimmen mehr Straße und mehr Schiene zu setzen . Wir wollen (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- erreichen, dass der Straßenverkehr tatsächlich reduziert NEN]: Dann sollten Sie den Bundesverkehrs- werden kann . wegeplan zurückziehen! Das wäre die richtige Maßnahme!) Auf einen zweiten Punkt möchte ich noch eingehen . Matthias Gastel hat das Projekt Stuttgart 21 angespro- und vor Ort für die einzelnen Projekte werben . Dann bin chen . ich davon überzeugt, dass wir im Jahr 2030 im Takt fah- ren . (Zurufe von der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU – Stephan Kühn Alle wissen, dass dieses Projekt überhaupt nicht in ein [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deutschland-Takt-Konzept hineinpasst . Alles andere Was, so lange soll das noch dauern?) wissen wir auch, (Zuruf von der CDU/CSU: Was? Echt?) Präsident Dr. Norbert Lammert: Sabine Leidig erhält nun das Wort für die Fraktion Die zum Beispiel, dass es ultrateuer ist . Aber – und das ist Linke . jetzt eine kritische Anmerkung – es ist nicht nur so, dass der Bund Verantwortung für dieses Projekt hat, sondern Sabine Leidig (DIE LINKE): es gibt noch andere Projektpartner . Dazu gehören das Land Baden-Württemberg und die Stadt Stuttgart . Ich Guten Abend, Herr Präsident! Kolleginnen und Kol- finde, dass es ein Stück weit in der Verantwortung der legen! Werte Gäste! Man braucht keinen Antrag zurück- Grünen liegt, zuziehen, der Richtiges fordert . Wir unterstützen schon lange den Plan, in Deutschland vertaktete Zugfahrten (Patrick Schnieder [CDU/CSU]: In erster möglich zu machen, das Bahnnetz so auszubauen, dass Linie!) die Leute keine Dreiviertelstunde am Bahnhof warten müssen, bis sie weiterfahren können, und ein Netz zu die dort den Ministerpräsidenten und den Oberbürger- entwickeln, das auch die Fläche im Blick hat, statt nur meister stellen, das Ende dieses unsinnigen Projektes 18878 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Sabine Leidig (A) voranzutreiben und sich nicht wegzuducken und nur zu einem Strang ziehen und konstruktiv zusammenarbeiten (C) sagen: Wir begleiten es kritisch . würden . Frau Leidig, Sie haben es angesprochen: Die Bevölkerung will den Deutschland-Takt . Er steht im Ko- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – alitionsvertrag . Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Es ist doch durch die Volksabstimmung (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- bestätigt worden!) NEN]: Aber nicht im Bundesverkehrswege- plan! Das ist doch das Problem!) Ihr habt mehr Möglichkeiten, da endlich ein Stoppschild aufzustellen, weil ja alle Vereinbarungen nicht einge- Auch Sie wollen ihn . Dann lassen Sie ihn uns doch ge- halten werden . Das ist Grund genug für jeden Projekt- meinsam umsetzen . partner, den Ausstieg aus diesem Unsinn zu fordern . Das würde den Antrag wirklich gut ergänzen . Wo stehen wir denn bei diesem Deutschland-Takt? (Beifall bei der LINKEN) (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Sie stehen in der Theorie und nicht in der Praxis!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Kirsten Lühmann hat das Wort für die SPD-Fraktion . Es ist zu berücksichtigen, dass solch ein Projekt nicht von heute auf morgen zu verwirklichen ist . Wenn wir (Beifall bei der SPD) uns die Schweiz anschauen, die Sie immer gern als Bei- spiel nennen, dann sehen wir: Auch in der Schweiz ist Kirsten Lühmann (SPD): der integrale Taktfahrplan nicht von heute auf morgen gekommen . Es gab auch sehr viele Irrtümer, die gemacht Sehr verehrte Anwesende! Ich bin über den Verlauf worden sind . Sie sind behoben worden . Nur so konnte der Debatte etwas verwirrt . Ich dachte, der Bundesver- die Schweiz heute zu einem Musterland des Schienen- kehrswegeplan hätte schon heute Morgen auf der Tages- verkehrs werden . ordnung gestanden und Stuttgart 21 würde später auf der Tagesordnung stehen . Ich habe eine Rede zu dem An- Bei uns in Deutschland wurde in dieser Legislaturpe- tragsthema Deutschland-Takt im Schienenverkehr vor- riode im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums die bereitet, und die will ich auch halten . Machbarkeitsstudie als erster Schritt fertiggestellt . (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Sie setzen die nicht um! Das ist das NEN]: Ja, da gehört beides dazu!) Problem!) (B) (D) Die Frage ist: Worüber reden wir eigentlich? Ziel des Darin wurde eine Variante, nämlich das Konzept „60‑Mi- Deutschland-Taktes – zumindest so, wie wir es verste- nuten-Takt, 30‑Minuten-Takt“ der Fernverkehrszüge hen – ist, mit einem bundesweit vertakteten und ver- verschiedener Linien ausgearbeitet und von den Gutach- knüpften Schienenverkehrsangebot die Attraktivität des tern empfohlen . Derzeit werden Details in einem Folge- Schienenverkehrs zu erhöhen, indem wir die Reisezeit gutachten erklärt . verkürzen und die Umsteigemöglichkeiten optimieren . Damit wollen wir mehr Fahrgäste für das System gewin- Fest steht für uns von der SPD: Wir unterstützen erst nen . einmal das Konzept der Deutschen Bahn AG, die Anzahl der Kunden und der gefahrenen Kilometer im Schienen- (Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE personenverkehr bis 2030 wesentlich zu erhöhen; denn GRÜNEN]: So steht es auch in unserem An- wenn das Angebot stimmt, dann fahren auch mehr Per- trag!) sonen mit dem Zug . Das sieht man im ersten Halbjahr Laut Koalitionsvertrag soll nämlich die „Planung der dieses Jahres sehr deutlich . Schienenwege … am Ziel eines Deutschland-Takts mit Dem langen Warten auf den Bahnsteigen muss dann bundesweit aufeinander abgestimmten Anschlüssen so- ein Ende gemacht werden . Die Menschen erhalten opti- wie leistungsfähigen Güterverkehrstrassen“ ausgerichtet male Möglichkeiten zum Umsteigen, und es gilt das Ver- werden . Genau das haben wir festgelegt . Und wir haben sprechen: In allen Großstädten und wichtigen Mittelzen- gesagt, wir wollen das in mehreren Schritten machen . tren sowie in den für den Tourismus wichtigen Regionen Von daher möchte ich Sie, liebe Kollegen und Kol- fahren die Züge unabhängig von ihrer Fahrtrichtung zur leginnen vom Bündnis 90/Die Grünen, erst einmal be- gleichen Zeit ein und wieder ab .– So entstehen verläss- glückwünschen . Sie setzen mit Ihrem Antrag auf das liche Reiseketten, richtig, aber wir müssen mit kleinen richtige Pferd und fahren im Fahrwasser der Großen Ko- Schritten anfangen . Das haben wir mit dem Gutachten alition . So etwas haben wir natürlich gerne . getan, und das tun wir mit einem weiteren Gutachten, in dem Kernpunkte ausgearbeitet werden . Wir tun das auch (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- mit dem neuen Bundesverkehrswegeplan; denn wir müs- NEN]: Es wäre schön, wenn ihr so weit wä- sen jetzt anfangen, die Infrastruktur zu bauen, die dann ret! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE einen Deutschland-Takt erst ermöglicht . Die haben wir GRÜNEN) nämlich noch nicht . Wenn wir also jetzt grundsätzlich in dem Ziel überein- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Sabine stimmen, wäre es vielleicht von Vorteil, wenn wir an Leidig [DIE LINKE]: Genau!) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18879

Kirsten Lühmann (A) Mit dem neuen Bundesverkehrswegeplan stellen wir nur einen Sinn, wenn wir es als Netz betrachten . Für die (C) für den Schienenverkehr über 112 Milliarden Euro zur Umsetzung des Deutschland-Taktes bis 2030 müssen im Verfügung. Die Investitionsmittel werden dort hinfließen, Vorfeld gemeinsam mit den Eisenbahnverkehrsunterneh- wo die größten verkehrlichen Gesamtwirkungen zu ent- men, den Bundesländern und der DB Netz AG realisti- falten sind . Rund 700 Kilometer Engpässe an Hauptach- sche Zwischenschritte definiert werden. sen und Knoten werden im Bereich der Schiene beseitigt Es gibt noch etwas, liebe Kolleginnen und Kolle- werden, und das ist etwas, was sich sehen lassen kann, gen, was mir in Ihrem Antrag fehlt . Als Sprecherin der liebe Kolleginnen und Kollegen . AG Verkehr der SPD-Bundestagsfraktion bin ich nach (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wie vor mit den Rahmen- und Wettbewerbsbedingungen der CDU/CSU) des Verkehrsträgers Schiene unzufrieden . Es stellt sich mir unter anderem die Frage, inwiefern eine Mautfrei- Ja, Herr Gastel, es ist noch nicht alles gerechnet wor- heit für Fernbusse noch zeitgemäß ist . Weiter stellt sich den . Aber wenn es gerechnet wird und es den haushal- die Frage, ob es zur Stärkung des umweltfreundlichen terischen Anforderungen entspricht, wird es auch in den Systems Schiene nicht auch wichtig ist, den Schienen- Vordringlichen Bedarf kommen und gebaut werden . verkehr von der Stromsteuer zu befreien . Übrigens werden wir das nicht anders handhaben als im letzten Bundesverkehrswegeplan von Rot-Grün . Da war (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- das nämlich genauso . Da hat es auch funktioniert . NEN]: Dann macht es doch! Seid ihr nicht an der Regierung? – Zuruf der Abg . Sabine (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Leidig [DIE LINKE]) NEN]: Dann könnten wir das diesmal besser machen! Sie haben noch nicht einmal alles im Die EU-Kommission sieht das ausdrücklich so vor . Auch potenziellen Bedarf!) das Thema „Senkung der Trassenpreise“ steht zeitnah auf unserer Agenda . Die Anbindungen aller wichtigen Oberzentren an den Schienenpersonenfernverkehr bis 2030 ist zentrale Vo- (Beifall bei der SPD – Stephan Kühn [Dres- raussetzung und unser Ziel auch mit diesem Bundesver- den] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir kehrswegeplan . helfen euch gern dabei! – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir unter- Infolge der schlechten Zahlen startet die Deutsche stützen euch gern! – Zuruf der Abg . Sabine Bahn AG bereits von selbst eine Qualitätsoffensive, ohne Leidig [DIE LINKE]) dass wir etwas dazu tun müssen . Mit 25 Prozent mehr Angebot sollen jährlich 50 Millionen Reisende mehr in Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt also vieles, (B) die Bahnen gebracht werden . Neue Städte werden in das was wir auf politischer Ebene erledigen müssen . Es gilt, (D) Flächennetz der DB AG aufgenommen, darunter Mön- viel Überzeugungsarbeit zu leisten . Wir sind dazu bereit . chengladbach, Chemnitz, Krefeld, Potsdam, Fürth, Heil- bronn, Trier, Cottbus, Siegen . Insgesamt bekommen über Herzlichen Dank . 30 Städte eine verbesserte Anbindung . Der Fernverkehr (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten in der Fläche soll im Zweistundentakt bedient werden . der CDU/CSU) Das ist ein Anfang . Wir als SPD haben die Ergreifung der notwendigen Präsident Dr. Norbert Lammert: Maßnahmen hierzu von Anfang an als Schritt in die rich- Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat tige Richtung begrüßt . In diesem Zusammenhang hat nun der Kollege Dirk Fischer auch eine hoffentlich nicht jetzt der Bund auch vor, seiner Verantwortung als Eigen- länger als fünfminütige Rede zum Gegenstand dieses Ta- tümer der Deutschen Bahn AG nachzukommen und die gesordnungspunktes vorbereitet . Bahn in den kommenden Jahren mit insgesamt 2,4 Mil- (Beifall bei der CDU/CSU) liarden Euro zu unterstützen . Diese Mittel können in die Qualitätsoffensive und in die Ausweitung des Angebotes einfließen. Ich glaube, das ist eine bedeutende Summe. Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU): Sie wird hervorragende Auswirkungen zeigen . Auch das Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! ist ein Schritt hin auf dem Weg zum Deutschland-Takt, Am morgigen Freitag ist es ein Jahr her, dass wir uns im ein Schritt unseres Planes, den wir in der Großen Koaliti- Verkehrsausschuss mit der Machbarkeitsstudie für den on beschlossen haben . Deutschland-Takt befasst haben . Die Studie hat schon die vormalige Bundesregierung 2013 in Auftrag gege- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ben . Wir haben ja bereits vom Kollegen Funk die gute der CDU/CSU) Nachricht gehört, dass dieses Thema im Bundesverkehrs- Für uns ist aber auch klar: Den nach Kundenwünschen wegeplan voll Berücksichtigung gefunden hat . Dabei optimierten Zeitfahrplan muss die Politik bestimmen . wollen die Antragsteller den Bundesverkehrswegeplan ja Das Bundesverkehrsministerium hat dafür einen inte- stoppen; auch das ist ja ein merkwürdiger Widerspruch . gralen Taktfahrplan zu erarbeiten . Dabei müssen neben Ich will ein Zitat liefern . Im Bundesverkehrswegeplan dem Schienenpersonenfernverkehr gemeinsam mit den steht, Aufgabenträgern in den Ländern der Schienenperso- nennahverkehr sowie die Bedürfnisse des Schienengü- . . dass ein integrierter Taktfahrplan für den Perso- terverkehrs mit einbezogen werden . Das Ganze ergibt nenverkehr auf dem deutschen Schienennetz be- 18880 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Dirk Fischer (Hamburg) (A) trieblich, technisch und rechtlich realisierbar ist . Zu Wir werden also genau hinsehen müssen und die großen (C) dessen Umsetzung schlägt die Studie eine fahrplan- Worte in Berlin einem örtlichen Glaubwürdigkeitstest basierte Infrastrukturentwicklung mit fokussierten unterziehen . Aus- und Neubaumaßnahmen mit dem Ziel einer (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- bestmöglichen Lösung für den Taktverkehr vor . ordneten der SPD) Zugleich sind 3,3 Milliarden Euro für den Ausbau von Der Schienenverkehr hat sich seit der Bahnreform Schienenknoten und für „ergänzende Maßnahmen 1994 stets positiv entwickelt . 2014 wurden 129 Milli- Deutschland-Takt“ eingeplant worden . Weiter steht wört- onen Fahrgäste mit Eisenbahnen im Linienfernverkehr lich im Bundesverkehrswegeplan: befördert . 2015 werden es über 131 Millionen sein . Das Verkehrsangebot ist die eine, die dafür notwendige In- Alle Maßnahmenvorschläge der Machbarkeitsstu- frastruktur ist die andere Seite einer erfolgreichen Eisen- die Deutschland-Takt wurden in das mehrstufige bahnpolitik . Bewertungsverfahren für den Bundesverkehrswe- geplan aufgenommen . Die großräumig wirksa- Mit einer Gesamtlänge des Netzes von 34 000 Ki- men infrastrukturellen Maßnahmenvorschläge der lometern, davon 2 200 Kilometer Hochgeschwindig- Machbarkeitsstudie zum Deutschland-Takt sind da- keitstrassen, besitzt Deutschland gemessen an seiner bei Teil der Vorhaben, die zum BVWP 2030 in der Landesgröße das dichteste Schienennetz der Welt . Diese 1 . Phase detailliert untersucht wurden . Diese Maß- Eisenbahninfrastruktur als Teil der öffentlichen Daseins- nahmen haben sich dabei als wirtschaftlich erwiesen vorsorge muss daher in staatlicher Hand und Verantwor- und sind in den VB tung bleiben, weil damit die Voraussetzungen für einen attraktiven, nachhaltigen und an den Kundenbedürfnis- – Vordringlichen Bedarf – sen ausgerichteten Schienenverkehr gegeben sind .

eingestuft worden . Unsere Herausforderung wird in den nächsten Jahren sein – auch das ist schon erwähnt worden –, bis 2030 die Daraus gewinnen wir doch wohl alle den Eindruck, dass infrastrukturellen Voraussetzungen zu schaffen, dass in wir voll am Thema dran sind . Wir wollen, und wir treiben Deutschland konkrete Taktfahrpläne für den Personen- voran . Und darüber haben wir nicht nur geredet, sondern fernverkehr eingeführt werden können . Die Machbar- wir haben bereits getan . keitsstudie erwartet, dass der Deutschland-Takt zu einer erheblichen Steigerung der Nachfrage nach Verkehrsleis- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- tungen auf der Schiene führt . Gut erreichbare Anschlüs- (B) ordneten der SPD – Matthias Gastel [BÜND- se, kurze Reisezeiten und eine hohe Verlässlichkeit der (D) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum steht noch so Fahrzeiten sind gerade im Personenverkehr existenzielle viel im Potenziellen Bedarf?) Ziele . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Im Potenziellen Bedarf des Bundesverkehrswegepla- ordneten der SPD) nes sind weitere Maßnahmen zum Ausbau von Strecken und Knoten vorgesehen, die nach fertiger Planung in den Wir müssen uns auch mit der Frage der Flexibilität Vordringlichen Bedarf hochgestuft werden können . Da- eines Deutschland-Taktes befassen; denn die Studie geht mit sind also die Grundlagen zur Finanzierung von Infra- von störungsfreien Fahrten und langfristig planbaren strukturmaßnahmen durch den Bund, um einen deutsch- Anmeldungen von Trassen aus . Unvorhergesehene Er- landweiten Takt zu ermöglichen, vorhanden . eignisse, Verspätungen, die durch grenzüberschreitende Verkehre in das Haupttransitland Deutschland hineinge- Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, den Ver- tragen werden, und kurzfristige Bedarfe sind jedoch auch kehrsträger Schiene zu stärken und auszubauen . Dafür Teil der Realität . Im Ausschuss müssen wir auch darüber aber ist die Erweiterung der Schienenkapazitäten grund- sprechen, wie der Deutschland-Takt so flexibel gestaltet legende Voraussetzung . Wer dieses nicht in den Mittel- werden kann, dass man auch mit solchen Ereignissen punkt seiner Anstrengungen stellt, der redet daher und umgehen kann . bringt nichts voran . Ich freue mich, liebe Kolleginnen und Kollegen, da- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- rauf, im Ausschuss eine weitere gute Fachdebatte erleben ordneten der SPD) zu können . (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU – Bei- Ich möchte da ganz deutlich sagen: Wer in Berlin für fall bei der SPD) einen Deutschland-Takt und die Verlagerung von der Straße auf die Schiene wirbt, der muss auch vor Ort die notwendigen Baumaßnahmen fördern und dafür einste- Präsident Dr. Norbert Lammert: hen . Er sollte nicht etwa Bürgerinitiativen gründen oder Diese Freude ist bei diesem Thema offenkundig ganz unterstützen, die den Bau von Schieneninfrastruktur ver- außergewöhnlich stark ausgeprägt, setzt aber voraus, dass hindern wollen . wir überhaupt die Vorlage auf der Drucksache 18/7554 an den Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (Beifall bei der CDU/CSU – Lachen der Abg . überweisen . Das stelle ich hiermit zur Abstimmung . Ist Sabine Leidig [DIE LINKE]) jemand dagegen? – Das ist nicht der Fall . Dann stelle ich Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18881

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) dazu Einvernehmen fest und wünsche für die jetzt schon nung – natürlich nicht nur in finanzieller Hinsicht. Nicht (C) im Vorhinein hochgelobten Beratungen viel Erfolg . nur, aber auch wegen dieser Wertschätzung für den öf- fentlichen Dienst ist es richtig und wichtig, dass wir die Damit kommen wir zu den Tagesordnungspunk- Ergebnisse der Tarifverhandlungen für den öffentlichen ten 14 a und 14 b: Dienst, also für die Angestellten und Arbeiter, aus dem a) Erste Beratung des von der Bundesregierung Frühjahr 2016 mit einer Erhöhung um 2,2 Prozent für eingebrachten Entwurfs eines Bundesbesol- 2016 und um 2,35 Prozent für 2017 jetzt auf die Beam- dungs- und -versorgungsanpassungsgeset- tenbesoldung übertragen . zes 2016/2017 (BBVAnpG 2016/2017) Die Versorgung der Beamten darf hierbei nicht außen Drucksache 18/9533 vor bleiben . Sie gehört zum Paket Besoldung dazu; denn Überweisungsvorschlag: will der öffentliche Dienst im Wettbewerb um die besten Innenausschuss (f) Köpfe bestehen, muss er, auch vor dem Hintergrund des Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz demografischen Wandels, insgesamt attraktive Rahmen- Ausschuss für Arbeit und Soziales bedingungen bieten . Die Versorgung der Beamten ist ein Verteidigungsausschuss Ausschuss Digitale Agenda Baustein in diesem System . Der Erhalt der Beamtenver- Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO sorgung als eigenständiges Alterssicherungssystem dient der Funktionsfähigkeit der Verwaltung . Meine Damen b) Erste Beratung des von der Bundesregierung und Herren, sie ist kein Privileg, sondern liegt im allge- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än- meinen öffentlichen und gesellschaftlichen Interesse in derung des Versorgungsrücklagegesetzes und diesem Land . weiterer dienstrechtlicher Vorschriften (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Drucksache 18/9532 Mahmut Özdemir [Duisburg] [SPD]) Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Gleichzeitig dürfen die Lasten der Versorgungsausga- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ben aber nicht vollständig den zukünftigen Generationen Verteidigungsausschuss aufgebürdet werden . Zur nachhaltigen Finanzierung der Haushaltsausschuss Beamtenversorgung wurden daher schon mit der Versor- Auch hier soll nach einer interfraktionellen Verein- gungsrücklage und dem Versorgungsfonds Sonderver- barung die Aussprache 25 Minuten dauern .– Einwände mögen geschaffen, mit denen die Versorgung der Beam- sehe ich nicht . Dann verfahren wir so . ten zukunftsfest und generationengerecht gemacht wird . Dazu leisten sowohl die Dienstherren mit den Zuführun- Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem (B) gen zum Versorgungsfonds als auch die Beamtinnen und (D) Parlamentarischen Staatssekretär Günter Krings . Beamten selbst ihren Beitrag; denn die Minderungen der (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Besoldungs- und Versorgungsanpassungen um 0,2 Pro- zentpunkte fließen in diese Versorgungsrücklage. Dr. Günter Krings, Parl . Staatssekretär beim Bun- Mit dem Gesetz zur Änderung des Versorgungsrück- desminister des Innern: lagegesetzes geht ein Bekenntnis zu dieser nachhaltigen Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- Finanzierung der Versorgungskosten einher . Anders als ren! Der Präsident hat es bereits gesagt: Es geht um zwei ursprünglich geplant, wird der Entnahmebeginn nun auf von der Bundesregierung heute eingebrachte Gesetzent- das Jahr 2032 verschoben und die Minderung der Be- würfe: einmal zur Bundesbesoldungs- und -versorgungs- zügeanpassungen noch bis 2024 fortgeführt, in Zukunft anpassung für die Jahre 2016/2017 und zum anderen um jedoch nur noch einmal pro Anpassungsrunde . Warum eine wichtige Änderung des Versorgungsrücklagegeset- tun wir das? Anders als bei Einführung der Versorgungs- zes . rücklage im Jahr 1999 für Bund und Länder gemeinsam Ich glaube, wir sind uns einig – das darf ich am An- prognostiziert, wird der Höchststand der Versorgungs- fang hoffentlich feststellen –, dass Deutschland in den empfänger nach jetziger Prognose beim Bund erst um vergangenen Monaten vor enormen Herausforderungen das Jahr 2035 erreicht sein . Es wäre also töricht, wenn stand und noch weiter stehen wird . Die Flüchtlingskrise man schon vorher dieses System abschaffen würde . An- bildet hierfür nur das größte Beispiel . Von ihr betroffen gesichts der demografischen Entwicklung und des Ziels waren und sind die Zivilgesellschaft und der öffentliche der generationengerechten Finanzierung ist es daher Dienst . Wir sind stolz und froh über das, was das Ehren- sachgerecht, ja geboten, diesen Mechanismus moderat amt in dieser Situation geleistet hat . Aber mehr denn je fortzuführen . hat sich auch gezeigt, wie wichtig eine verlässliche und (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . funktionsfähige öffentliche Verwaltung in diesem Lande Mahmut Özdemir [Duisburg] [SPD]) ist . Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Beitrag der Be- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- amtinnen und Beamten zur Versorgungsrücklage ist mit ordneten der SPD) entscheidend dafür, um die Akzeptanz der Öffentlichkeit Gerade in dieser besonderen Situation hat der öf- für das System der Beamtenversorgung zu erhalten . Die fentliche Dienst seine Qualität und Professionalität ein- Gesamtheit der Ihnen von der Bundesregierung vorge- drucksvoll unter Beweis gestellt . Dies verdient Anerken- schlagenen Maßnahmen trägt dazu bei, den öffentlichen 18882 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Parl. Staatssekretär Dr. Günter Krings (A) Dienst des Bundes so zu stärken, dass er aktuelle und zurückkehren, die offensichtlich schon längst gescheitert (C) auch zukünftige Herausforderungen gut meistern kann . sind . Damit riskieren Sie einen Totalverlust von öffentli- chen Geldern . Das ist zutiefst unverantwortlich . Vielen Dank . Unglaublich finde ich auch, dass Sie der Deutschen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Bundesbank die Verwaltung der Sondervermögen ent- ordneten der SPD) ziehen und privaten Investmentgesellschaften übergeben wollen . Die Kosten dafür sollen aus dem Sondervermö- Präsident Dr. Norbert Lammert: gen selbst beglichen werden, das Risiko hingegen liegt Ulla Jelpke ist die nächste Rednerin für die Fraktion natürlich allein beim Bund . Ich weiß nicht, welcher Lob- Die Linke . byist wem in der Bundesregierung dieses Schnäppchen abgerungen hat . Auf jeden Fall reiben sich einige Invest- (Beifall bei der LINKEN) mentgesellschaften schon die Hände .

Ulla Jelpke (DIE LINKE): Meine Damen und Herren, es ist nachvollziehbar, dass Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Bun- die Fonds in der aktuellen Niedrigzinsphase nicht die ge- desbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz re- planten Erträge abwerfen und man versucht, diese anders geln Sie jetzt die zeit- und inhaltsgleiche Übernahme zu erzielen . Wir sagen aber ganz klar: Eine Ertragsstei- der Ergebnisse der Tarifverhandlungen des öffentlichen gerung kann ohne Risiko und ohne private Mitverdiener Dienstes . Das begrüßt die Linke ausdrücklich . Denn es durch eine Erhöhung der Einlagen erreicht werden . Das gab auch schon Jahre, in denen den Beamten Sonderop- ist angesichts der positiven Haushaltslage unseres Er- fer für die Sanierung des Haushalts abverlangt wurden . achtens zu bewerkstelligen . Aber gegen ein neoliberales Jetzt sollten Sie unserer Meinung nach noch die Wochen- Roulettespiel mit Versorgungsrücklagen der Beamten arbeitszeit der Beamten von 41 Stunden der des Tarifbe- wehrt sich die Linke eindeutig . reichs von 39 Stunden anpassen . Das wäre jedenfalls ein (Beifall bei der LINKEN) überzeugender Schritt, um der Fürsorgepflicht gegenüber den Beamten nachzukommen, denken wir . Deswegen sind wir gespannt auf die Debatte im Aus- schuss . (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Die beabsichtigte Änderung des Versorgungsrück- lagegesetzes in der vorliegenden Form weist die Linke Präsident Dr. Norbert Lammert: hingegen mit aller Deutlichkeit zurück . Zwar unterstüt- Das Wort erhält nun Mahmut Özdemir für die (B) zen wir die Bemühungen, mehr Einnahmen aus dem (D) kapitalgedeckten Versorgungsfonds für die seit 2007 in SPD-Fraktion . ein Dienstverhältnis gekommenen Beamten, Richter und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Berufssoldaten zu holen . Aber der beschriebene Weg ist der CDU/CSU) inakzeptabel; denn er geht unverhältnismäßig zulasten der Beamten . Mahmut Özdemir (Duisburg) (SPD): Die Speisung des Sondervermögens aus der um Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und 0,2 Prozentpunkte verminderten Besoldungs- und Ver- Kollegen! Mit dem Bundesbesoldungs- und -versorgungs- sorgungsanpassung war eigentlich eine Übergangsrege- anpassungsgesetz wird der Tarifabschluss 2016/2017 lung, die bis 2018 gelten sollte . Doch jetzt – wir haben es zeit- und inhaltsgleich auf die Bezüge der Beamtinnen eben gehört – soll dies bis 2032 festgeschrieben werden . und der Beamten des Bundes übertragen . Das ist kein Das bedeutet in der Praxis eine reale Besoldungskür- Geschenk des Dienstherren, sondern redlich verdient von zung . Der DGB hat in seiner Stellungnahme zum Gesetz- dem Teil des öffentlichen Dienstes, der nach bislang herr- entwurf sehr schön dargelegt, dass das allein für 2018 bis schender Rechtsauffassung für sich selbst nicht kämpfen 2032 in der Summe eine Kürzung in Höhe von 3,6 Pro- darf . Diese Übertragung wurde und wird gekürzt . Ob zent bedeuten würde . Diese ungerechte Politik wird die dies in Zukunft so bleiben darf, haben wir nunmehr zu Linke auf jeden Fall nicht mittragen . entscheiden . (Beifall bei der LINKEN) Gestatten Sie einen Rückblick: 1997 wurde die Ver- sorgungsrücklage gesetzlich geschaffen . Ausdrücklicher Meine Damen und Herren, vor allem aber kritisieren Zweck war es, das Niveau von Besoldung und Versor- wir das Vorhaben, mit dem Sondervermögen der Beam- gung in gleichmäßigen Schritten von durchschnittlich ten zu spekulieren . Darüber haben Sie eben nicht gespro- 0,2 Prozentpunkte um insgesamt 3 Prozent abzusenken . chen, Herr Krings . Sie wollen genau das Geld, das Sie Anfang 1999 begann diese Entwicklung und sollte plan- den Beamten abgeknöpft haben, zur Renditensteigerung mäßig 2013 enden . in risikoreiche Anlagen investieren . Nach drei Anpassungsschritten entstand allerdings (Mahmut Özdemir [Duisburg] [SPD]: Seit eine neue Situation . Mit der Einführung der sogenannten wann zockt denn die Deutsche Bundesbank?) Riester-Rente sollte das Niveau der gesetzlichen Ren- Völlig unverständlich ist es, dass Sie nach dem Börsen- te über acht Jahre um 4,33 Prozent abgesenkt werden . crash von 2008 und den Erfahrungen mit der Hypo Real Die Übertragung auf die Beamtenversorgung war fol- Estate wieder zu neoliberalen Finanzierungskonzepten gerichtig, hätte aber zu einer zusätzlichen Überlagerung Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18883

Mahmut Özdemir (Duisburg) (A) von Absenkungen geführt, weshalb die Abzüge für die zung dieser Abzüge . Der DGB und unter anderem auch (C) Versorgungsrücklage ausgesetzt wurden . Diese setzten der BDZ lehnen diesen Vorstoß aus gutem Grunde sogar deshalb erst wieder ein, nachdem die sogenannte Ries- ab . ter-Treppe mit dem Jahr 2011 abgearbeitet worden war . Bei einer Gesamtbetrachtung darf man die Wirkung In § 14a des Beamtenversorgungsgesetzes wurde der sogenannten Riester-Treppe auch nicht vergessen . das 3-Prozent-Ziel gestrichen und das Jahresende 2017 Sie hat übrigens den Vorteil, dass zum einen die Bezü- als Endzeitpunkt festgelegt . Ende 2010 berichtete dann ge der Aktiven nicht betroffen waren und zum anderen der damalige wie heutige Innenminister Dr .Thomas de das Versorgungsniveau im Höchstsatz erkennbar wurde: Maizière schriftlich dem Innenausschuss – ich zitiere –: nicht mehr 75 Prozent, sondern nur noch 71,75 Prozent . Mit der Reduzierung des Minderungsziels von Lobend erwähnen möchte ich, dass die Verwaltung ursprünglich 3 Prozent auf 2 Prozent trug der Ge- der Sondervermögen bei der Bundesbank verbleibt . Die- setzgeber der durch das Versorgungsänderungsge- ses Finanzvolumen in der Versorgungsrücklage, dessen setz 2001 beschlossenen (zusätzlichen) Absenkung Verwaltung einige Finanzdienstleister mit glänzenden des Versorgungsniveaus um 4,33 Prozent Rechnung . Augen sicher erwarteten, ist nichts für – höflich formu- Auch der Fünfte Versorgungsbericht von 2013 offen- liert – offensiv anlegende Finanzmarktstrategen . barte keinen zusätzlichen Kürzungsbedarf . Die ursprüng- Schon in der mündlichen Verhandlung vor dem Bun- liche Absicht des Bundesinnenministeriums, die Kürzun- desverfassungsgericht über die Professorenbesoldung hat gen bis in die 2030er-Jahre festzusetzen – wenn auch im die notwendige parlamentarische Selbstvergewisserung Zweijahresrhythmus –, ist deshalb völlig zu Recht auf eine besondere Rolle gespielt . Ich erinnere hier noch mal Widerstand gestoßen . Die Abzüge für die Versorgungs- an den Kollegen Wiefelspütz . Daran darf man auch gerne rücklage und auch deren Verwendung waren von vorn- erinnern, zumal der Sechste Versorgungsbericht der Bun- herein befristet, im Gegensatz zum Versorgungsfonds für desregierung noch nicht vorliegt . neueingestellte Beamte . Wir sollten uns mit einer Anhörung im Innenausschuss Der Regierungsentwurf schlägt jetzt nur noch eine auch wissenschaftlichen Sachverstandes versichern, weitere Absenkung um insgesamt 0,8 Prozent vor . Das ist ein großer Erfolg gegenüber dem Referentenentwurf . (Beifall der Abg . Ulla Jelpke [DIE LINKE]) Hinzu kommt, dass im Bundesbesoldungs- und -versor- wofür ich bei allen beteiligten Kolleginnen und Kollegen gungsanpassungsgesetz für 2016, nicht aber für 2017 ein in diesem Haus werbe . Die Notwendigkeit einer allzu oft Abzug vorgesehen ist, also nur einmal pro zweijähriger angemahnten Eile sehe ich bei diesen beiden Gesetzes- Besoldungsanpassungsrunde . Damit kämen wir also jetzt (B) verfahren ebenfalls nicht . Es sind also ideale Vorausset- (D) zunächst auf Abzüge von 2,0 Prozent und bis 2024 dann zungen für gesetzgeberische Meisterleistungen . auf 2,8 Prozent . Das ist auch nicht selbstverständlich, sondern insbesondere an der Entwicklung in der Renten- In diesem Sinne bedanke ich mich für Ihre geschätz- versicherung zu messen . Denn es kann nicht angehen, te Aufmerksamkeit und verbleibe mit einem herzlichen dass man strukturelle Unterschiede vertieft, um sich am Glückauf . Ende von einer parallelen Entwicklung völlig abzuset- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) zen .

Wohlgemerkt, es geht gerade uns Sozialdemokraten Vizepräsidentin Claudia Roth: um Gerechtigkeit – also, bitte schön, keine Vorteile, aber Vielen Dank, Mahmut Özdemir . – Guten Abend, liebe auch keine Nachteile für die Beamtinnen und Beamten . Kolleginnen und Kollegen! – Nächste Rednerin: Irene Mehr noch: Wir beabsichtigen, die gesellschaftliche Ak- Mihalic für Bündnis 90/Die Grünen . zeptanz der Beamtenversorgung zu erhöhen . Dies ge- lingt sicherlich nur durch die Abschaffung struktureller Besserstellungen gegenüber Arbeitnehmerinnen und Ar- Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): beitnehmern . Konkret formuliert heißt das: Die grund- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und sätzliche, ungekürzte Übernahme von Tariferhöhungen liebe Kollegen! Herr Özdemir, ich nehme erst mal über- können Beamtinnen und Beamte ebenso erwarten, wie rascht zur Kenntnis, dass Sie offensichtlich doch eine von ihnen erwartet werden konnte, die Übernahme nach- Anhörung zu diesem Gesetz machen wollen, teiliger Veränderungen des Rentenrechts in die Versor- (Mahmut Özdemir [Duisburg] [SPD]: Wir gung zu akzeptieren . sind ja auch die Guten!) Im Verhältnis zur gesetzlichen Rente ist bemerkens- weil wir da eine andere Information aus der Obleuterun- wert, dass der Nachhaltigkeitsfaktor seit seiner Einfüh- de hatten . Aber ich bin dem durchaus nicht abgeneigt, rung 2005 bis heute völlig unterschiedlich gewirkt hat . In weil es bei diesem Gesetzesvorhaben ja doch zumindest der Summe ist das Rentenniveau jedoch nicht gesunken . ein paar Punkte zu diskutieren gibt . Eine nicht durchdachte Fortsetzung der Regelungen zur Versorgungsrücklage verhindert allerdings auch für die Grundsätzlich sei gesagt, dass die Gestaltung ange- Dauer der Befristung die Debatte darüber, eventuelle Re- messener Dienst- und Versorgungsbezüge ein wesentli- formen im Rentenrecht wirkungsgleich in die Beamten- cher Teil jeder guten Personalpolitik ist . Dabei versteht versorgung zu übernehmen . Nicht nur aus diesem Grund es sich von selbst, dass die Vorgaben des Bundesverwal- sind sicherlich die Gewerkschaften gegen die Fortset- tungsgerichts zur amtsangemessenen Besoldung auch 18884 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Irene Mihalic (A) umgesetzt werden, und natürlich ist die vorgelegte An- Kriegswaffenherstellern . Die Anlagestrategie, liebe Kol- (C) passung im Sinne einer Übertragung des Tarifabschlus- leginnen und Kollegen, ist auf jeden Fall ein Punkt, der ses des öffentlichen Dienstes in diesem Rahmen richtig . dringend zukunftstauglicher werden muss . Dass die Beamtenbesoldung nicht von der Einkom- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) mensentwicklung abgekoppelt wird, ist insbesondere für die Einstiegsämter ein wichtiges Signal; denn schließlich In diesem Sinne freue ich mich auf die Anhörung, haben wir alle ein Interesse daran, dass der öffentliche wenn wir die Meinung der Expertinnen und Experten Dienst auch im Beamtenbereich attraktiv ist . Das spielt dazu hören . gerade jetzt eine große Rolle, wo wir in den Haushaltsbe- Ganz herzlichen Dank . ratungen große Personalaufstockungen vornehmen und wir alle ein Interesse daran haben, möglichst viele geeig- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nete Bewerberinnen und Bewerber zu finden. Da ist die Frage der Bezahlung nicht ganz unwesentlich . Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vielen Dank, Irene Mihalic .– Der letzte Redner in dieser Debatte: Michael Frieser für die CDU/CSU-Frak- In vielen Bereichen gibt es hohen personellen Nach- tion . holbedarf . Teilweise werden neue Stellen im dreistelli- gen, manchmal sogar im vierstelligen Bereich geschaf- (Beifall bei der CDU/CSU) fen . Das betrifft den Sicherheitsbereich, aber eben nicht nur . Dieser personalpolitische Richtungswechsel be- Michael Frieser (CDU/CSU): schäftigt uns nicht nur jetzt in den Haushaltsberatungen, Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und sondern er wird auch die zukünftigen Haushalte stark Herren! Die vollbesetzten Reihen sagen etwas über die prägen . Deshalb ist es wichtig, sich über eine zukunfts- Attraktivität des Tagesordnungspunktes aus . In Anbe- und generationengerechte Finanzierung des öffentlichen tracht der FDP-Ergebnisse kann man mal wieder Graf Dienstes Gedanken zu machen . Lambsdorff zitieren, der sagte: Das Parlament ist mal Dass wir den vorliegenden Gesetzentwurf zur Anpas- voller und mal leerer, meistens ist es voller Lehrer . – sung der Besoldung gemeinsam mit dem Gesetzentwurf Jeden Einzelnen davon schätzen wir persönlich, das ist zur Anpassung der Versorgungsrücklage diskutieren, ist überhaupt keine Frage . Dieses Plenum hat nun einmal kein Zufall . Gleichzeitig gibt es bei beiden Vorlagen noch 115 Beamte . Ich als selbstständiger Anwalt tue mich des- wichtige Detailaspekte, die wir uns genauer anschauen halb etwas leichter, objektiv über dieses Thema zu reden . müssen . Ich will mich an dieser Stelle aber nur auf ei- (B) Klar ist, dass wir heute in dieser Debatte vor lauter (D) nen Punkt konzentrieren, den die Kollegin Jelpke vorhin Fachbegriffen und Ähnlichem manchmal ein bisschen schon angesprochen hat . Er betrifft die Anlagestrategie aus den Augen verlieren, worum es im Wesentlichen im Rahmen der Versorgungsrücklage . geht . Dem Kollegen Krings bin ich sehr dankbar, dass er Ich will eines vorwegschicken: Es ist richtig, dass bei die entscheidenden Punkte herausgearbeitet hat . anhaltenden Niedrigzinsen auch nach alternativen An- Wir wissen, dass derzeit so viele Beamte wie noch nie lageformen gesucht wird . Dabei darf jedoch der Zweck in den Ruhestand gehen. Als demografiepolitischer Spre- der Rücklage nicht unbeachtet bleiben . Wenn schon über cher der Union bin ich besorgt . Denn es stellt sich die die Kapitalmärkte investiert werden soll, so brauchen wir Frage: Wie sieht es eigentlich mit qualifiziertem Nach- doch zumindest auch inhaltliche Regelungen, um sicher- wuchs aus? In diesem Bereich stehen wir in der Tat be- zustellen, dass die einzelnen Investments zukunftssicher, sonderen Herausforderungen gegenüber . nachhaltig und sozial verträglich sind . Dass der Tarifabschluss übernommen wird, dass Be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN amte, Richter, Soldaten und Versorgungsempfänger die sowie der Abg . Ulla Jelpke [DIE LINKE] – Ansprüche übertragen bekommen, das ist selbstredend . Mahmut Özdemir [Duisburg] [SPD]: Ist Es ist nicht ganz einfach, das in der öffentlichen Diskus- doch!) sion zu vertreten . Tun wir nicht so, als sei das eine Selbst- – Na ja, die bisherige Anlagepraxis hatte leider große De- verständlichkeit . Das ist keine Selbstverständlichkeit, fizite, und ich habe die Befürchtung, dass diese Fehler letztendlich aber eine gerechte, eine richtige und eine nun wiederholt oder sogar vertieft werden – wenn man notwendige Entscheidung der Politik . Der gesellschaft- bedenkt, dass in der Vergangenheit in erheblichem Maße lichen Debatte, die hierüber geführt wird, muss sich der in Aktien von Unternehmen aus der Öl- und Gasbranche Deutsche Bundestag natürlich stellen . Angesichts von investiert wurde, obwohl allen Beteiligten längst hätte 1,7 Millionen Beamten in diesem Land ist dies notwen- klar sein müssen, dass das keine guten Investitionen in dig . die Zukunft sind . Die Beamten sind – das will ich noch einmal deutlich Unserer Auffassung nach brauchen wir auf jeden Fall sagen – eine Säule dieses Rechtsstaats . strikte Anlagevorgaben, die sich an Umwelt- und Kli- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- maverträglichkeit, an Nachhaltigkeit und an sozialen ordneten der SPD) Kriterien orientieren . Mit anderen Worten: Wir müssen auch bei diesen Anlagestrategien raus aus Kohle, Öl und In den letzten Monaten hat sich gezeigt, wie wichtig ne- Gas; wir wollen keine Aktien von Atomkonzernen oder ben all den Menschen, die ihr Menschenmöglichstes tun, Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18885

Michael Frieser (A) ein organisierter und schlagkräftiger Staat mit Beamten Ansonsten glaube ich, dass die Regierung und wir gut (C) ist, die eben nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt den beraten sind, diese Anpassungen vorzunehmen . Deshalb Stift oder Ähnliches fallen lassen, sondern mehr tun, sind wir froh, dass es wahrscheinlich eine ziemlich breite als sie eigentlich tun müssten . Es gehört aber eben auch Mehrheit für dieses Gesetzespaket geben wird . dazu, dass man diesen Beamtinnen und Beamten eine Perspektive gibt . Nur wer eine Perspektive hat, gerade Vielen Dank . was die Versorgung, was den Ruhestand anbetrifft, ist be- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- reit, sich einzubringen . ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN) Wir haben in unmittelbarer Nachbarschaft, auch in Europa, erlebt, wie es Ländern geht, die sich nicht auf einen schlagkräftigen, handlungsfähigen und effektiven Vizepräsidentin Claudia Roth: Rechtsstaat verlassen können . Deshalb geht es darum, Vielen Dank, Michael Frieser . – Damit schließe ich dass wir diesen Einsatz nicht nur wahrnehmen, sondern die Aussprache . auch honorieren und letztendlich auch die Versorgungs- zusagen aus den Tarifabschlüssen übernehmen . Interfraktionell wird die Überweisung der Gesetz- entwürfe auf den Drucksachen 18/9533 und 18/9532 an Wir sind trotzdem gut beraten, die politische Realität die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor- nicht ganz aus dem Blick zu verlieren . Wir müssen zum geschlagen . Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? Das Beispiel wissen, dass eine gestiegene Lebenserwartung frage ich immer, aber es hat noch nie jemand einen an- eine demografische Herausforderung darstellt. Das kann deren Vorschlag gemacht . Ich habe es noch nie erlebt . nicht unberücksichtigt bleiben . Deshalb ist es notwendig, Herr Straubinger, haben Sie das schon einmal erlebt? Das dass die Versorgungsrücklage tatsächlich ein Stück weit müssten wir einmal testen .– Also, das ist nicht der Fall . verändert wird . Wir wissen – diesem Fakt ist heute von Es gibt keine anderen Vorschläge . Dann sind die Über- keinem der Redner widersprochen worden –, dass der weisungen so beschlossen . Peak, also der höchste Berg derer, die als Versorgungs- empfänger in den Ruhestand gehen, 2035 erreicht wird . Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 15 auf: Daher muss klar sein, dass der Zeitpunkt der Erstentnah- Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole me nach hinten verschoben wird . Gohlke, Cornelia Möhring, Sigrid Hupach, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Geschlechtergerechtigkeit in der Wissenschaft Dieses Mittel ist notwendig, es ist angemessen, und es durchsetzen (B) ist geeignet . (D) Drucksache 18/9667 Jetzt hören wir plötzlich, das sei Verrat, das sei ein Überweisungsvorschlag: Vertrauensbruch . Dieser Vorwurf ist nicht geeignet, nicht Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen­ angemessen und letztendlich auch nicht verhältnismäßig; abschätzung (f) denn jeder weiß, dass die Argumentation auf Zahlen ba- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend siert und wir auch den nachfolgenden Generationen et- was schuldig sind . Ich weiß nicht, ob alle hierbleiben wollen . Das ist ein spannendes Thema . Es wäre gut, wenn nicht alle Männer (Beifall bei der CDU/CSU) jetzt rausgehen würden . Wer solche Argumente vorbringt, dem ist entweder der (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Das wollte ich Rechenschieber kaputtgegangen oder er argumentiert gerade sagen! Das wäre kein gutes Zeichen!) politisch einseitig . Alles andere passt meines Erachtens Ich freue mich, dass viele Männer an dieser Debatte teil- nicht ganz . nehmen . Damit sind wir bei der Niedrigzinsphase . Unser Interfraktionell sind 25 Minuten für die Aussprache Hauptargument für die Einführung dieses Versorgungs- vorgesehen .– Auch dazu gibt es keinen Widerspruch . fonds war, dass er eine wirklich sichere Säule der Alters- Dann ist das so beschlossen . vorsorge sein sollte . Liebe Frau Kollegin Jelpke, wenn Sie sich über etwas aufregen wollen, dann regen Sie sich Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort Nicole über die Niedrigzinspolitik Europas auf; denn die treibt Gohlke für die Linke . uns zu diesen Entscheidungen . Wir müssen verantwor- (Beifall bei der LINKEN) tungsvoll und nachhaltig mit diesen Finanzmitteln um- gehen, damit wir am Ende des Tages sagen können: Wir werden der Herausforderung gerecht . – Man kann nicht Nicole Gohlke (DIE LINKE): einfach zuschauen, sondern man muss auf die politischen Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Realitäten Einfluss nehmen. Deshalb kann ich nur sagen: Als ich 1996 angefangen habe, zu studieren, habe ich mir Wenn Sie über etwas reden wollen, dann reden Sie da- nicht träumen lassen, dass sich innerhalb von 20 Jahren rüber . Das ist etwas, was die Linken bisher leider Gottes so wenig in Sachen Gleichstellung tun würde und dass nicht getan haben . Da haben Sie noch etwas Nachholbe- man heute immer noch derart gegen die Diskriminierung darf . von Frauen in der Wissenschaft kämpfen muss . Das muss 18886 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Nicole Gohlke (A) sich endlich ändern . Deswegen hat die Linke heute die- keit . In der Wissenschaft zu arbeiten, bedeutet heute doch (C) sen Antrag vorgelegt . meistens, befristet zu arbeiten, unbezahlte Überstunden zu machen und den Arbeitsort regelmäßig zu wechseln . (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die ein neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Leben mit Kindern planen, sind in diesem System nahe- Das Problem ist nicht etwa, dass es zu wenig qualifi- zu chancenlos . Das darf so nicht bleiben . zierte Frauen in der Wissenschaft gibt, sondern das Pro- blem ist, dass die Frauen an eine gläserne Decke stoßen, (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- dass sie behindert werden . Da muss man endlich poli- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) tisch ran . Was hat die Bundesregierung in den letzten Jahren (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- unternommen? Ich sage einmal: das Übliche . Sie haben neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sich im Wesentlichen auf Appelle und auf Selbstver- pflichtungen beschränkt, obwohl Sie ganz genau – auch Frauen absolvieren über die Hälfte aller Studienab- aus den Beispielen aus der Wirtschaft – wissen, dass das schlüsse . Bei den Promotionen gibt es fächerübergrei- kaum wirkt . Sie haben auf feste Vorgaben oder Sankti- fend mittlerweile einen Frauenanteil von einem Drittel onsmechanismen verzichtet. Mir ist echt unbegreiflich, bis 40 Prozent, aber dort, wo es um die Karriere geht, wie die Bundesregierung bei der Verabschiedung neuer bei den Habilitationen, bei den Professuren, bricht es ab; Programme, zum Beispiel jetzt beim Programm „Inno- da verlassen die Frauen das Wissenschaftssystem . Eine vative Hochschule“ oder beim Programm zur Förderung Zahl macht sehr deutlich, wie unfassbar langsam sich des wissenschaftlichen Nachwuchses, wieder darauf hier etwas tut: Zwischen 2003 und 2013 ist der Anteil verzichten kann, feste Quoten oder Geschlechtergerech- von Professorinnen pro Jahr trotz des aufgelegten Profes- tigkeit als Programmziel zu verankern . Das kann doch sorinnenprogramms um weniger als 1 Prozentpunkt an- wirklich nicht wahr sein . gestiegen . Diese Zahl ist einfach nur blamabel und sonst gar nichts . (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir wollen, dass die Bundesregierung endlich Ver- antwortung übernimmt und zusammen mit der GWK In der Wissenschaft gelten leider die gleichen sexis- ein Gesamtkonzept zur Geschlechtergerechtigkeit in der tischen Stereotypen wie im Rest der Gesellschaft auch . Wissenschaft erarbeitet, und zwar mit sanktionsfähigen Das Klischee des wissenschaftlichen Genies wird typi- Zielquoten . Nur so lässt sich in den nächsten fünf bis scherweise mit Männern assoziiert . Nach wie vor kämp- zehn Jahren etwas erreichen . Mit Ihren Vorschlägen dau- (B) fen wir mit dem auf die Mutterrolle fixierten weiblichen (D) ert es eher 50 bis 100 Jahre . Diese Zeit haben wir nicht . Rollenbild in der Gesellschaft . Wir haben es natürlich auch mit der Tatsache zu tun, dass Führungskräfte dazu Vielen Dank . neigen, ihresgleichen zu rekrutieren . All das macht es Frauen heute immer noch schwer, auf feste Stellen oder (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- in Leitungsfunktionen zu kommen . Das muss sich end- NIS 90/DIE GRÜNEN) lich ändern . Wir sind im Jahr 2016 und nicht mehr im vorigen Jahrhundert . Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Vielen Dank, Nicole Gohlke .– Die nächste Rednerin neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ist Dr .Claudia Lücking-Michel für die CDU/CSU-Frak- tion . Dazu kommt die elende prekäre Beschäftigung in der Wissenschaft. Frauen sind noch häufiger befristet be- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- schäftigt als Männer, weil ihnen der Zugang zu den weni- ordneten der SPD) gen Professuren oft verwehrt ist und weil es schlicht viel zu wenig unbefristete Stellen in der Wissenschaft gibt . Dr. Claudia Lücking-Michel (CDU/CSU): Über 90 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen an Hochschulen waren 2012 nur befristet beschäftigt . So- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! lange nicht auch die Bundesregierung endlich engagierte Ein Blick auf die Stellenbesetzungen in unserer For- Impulse zur Schaffung von unbefristeten Stellen gibt, än- schungs- und Hochschullandschaft zeigt: Wir haben ein dert das geänderte Wissenschaftszeitvertragsgesetz daran Problem . Frauen sind viel zu oft unterrepräsentiert, und nur wenig . Deswegen kann ich nur sagen: Werden Sie immer gilt: Je höher die Karrierestufen und je höher die hier endlich aktiv! Besoldung, desto niedriger der Anteil der Frauen . Diese Situation – darin stimme ich Ihnen vollkommen zu – ist (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- nicht akzeptabel . So weit gebe ich Ihnen recht . neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Sehr gut!) Fatal wirkt sich auch die wettbewerbliche Organisation des Wissenschaftssystems aus . Wissenschaftlicher Erfolg Die Gründe für diese Situation sind allerdings absolut wird quasi nur noch an eingeworbenen Drittmitteln oder vielfältig, und wer etwas dagegen tun will, muss entspre- an der Anzahl der Publikationen festgemacht . Das fördert chend vielfältig – mit verschiedenen Instrumenten – an- eine ganz ungesunde Kultur von unbegrenzter Verfügbar- setzen . Vieles geschieht auch schon . Deswegen ziehe ich Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18887

Dr. Claudia Lücking-Michel (A) aus der wahrlich nicht erfreulichen Situation ganz andere abschneiden, belohnen . Dabei könnten wir auch bei den (C) Schlüsse als Sie in Ihrem Antrag . Maßnahmen noch viel kreativer werden . Gleich der erste Satz Ihres Antrages ist eine, wie ich (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- finde, einseitige Beurteilung; denn Sie ignorieren all die NEN]: Stimmt! Nur zu!) Aktivitäten, die weit über Appelle und Selbstverpflich- tungen hinausgehen und die an Hochschulen und For- Ich nenne die Anerkennung von gendersensibler Re- schungseinrichtungen mittlerweile stattfinden, um die krutierung, die Förderung von Mentoring-Programmen, Chancengerechtigkeit für alle, auch und gerade für Frau- den Aufbau von Netzwerken und auch den Gedanken, en, zu verbessern . Dienstleistungen für Doppelkarrierepaare auszubauen . (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Sehr gut!) Leitungsebene und Gleichstellungsbeauftragte ziehen in der Regel an einem Strang . Schließlich schlage ich einen verpflichtenden Be- richtspunkt Familienquote vor, um nicht nur die Famili- Im zweiten Satz des Antrags geht es gleich weiter: Sie enfreundlichkeit der verschiedenen Einrichtungen klarer behaupten pauschal, dass Frauen in ganzen Fachrichtun- erfassen zu können, sondern auch, um da einen Negativ- gen diskriminiert würden . Wahrscheinlich meinen Sie wettbewerb auszuschließen . Professorinnenprogramm, die MINT-Fächer und meinen, dass der Frauenanteil hier Personalentwicklungs- und Gleichstellungskonzepte als in den Führungspositionen immer noch viel langsamer Kriterium für Exzellenzstrategie und Tenure-Track-Pro- steigt als anderswo . Sie erwähnen allerdings nicht, dass gramme: Da passiert doch etwas . Das sind wirksame An- nach wie vor viel weniger Frauen ein Studium in diesen reizsysteme . Fächern aufnehmen. Erst recht findet sich mit keinem Wort, was die Bundesregierung gegen die Studienfach- (Beifall bei der CDU/CSU) wahl im Sinne der klassischen Rollenbilder mittler- weile auch schon unternimmt . Das beginnt beim Girls’ Viele der Überlegungen in Ihrem Antrag sind dage- Day und geht weiter zum Nationalen Pakt für Frauen in gen, wie ich finde, Ladenhüter; über sie haben wir schon MINT-Berufen . Diese Initiativen wirken . Die Zahl der an so vielen Stellen miteinander diskutiert . Dazu gehört Studienanfängerinnen in den MINT-Fächern ist von rund die Forderung nach Bundesfinanzierung von Aufgaben in 45 000 im Jahr 2000 auf immerhin 105 000 im Jahr 2014 Länderzuständigkeit oder die ständig wiederholte Kritik gestiegen – mehr als doppelt so viele . am Wissenschaftszeitvertragsgesetz, das wir doch gerade erst novelliert haben . Ich stelle das so ausführlich dar, weil ich erklären (B) (D) möchte, warum wir von den geforderten fixen Quoten (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- für Frauen, die bei Ihnen an verschiedenen Stellen vor- NEN]: Das macht die Novelle nicht besser!) kommen, nicht viel halten. Man muss, so finde ich, die konkreten Zahlenverhältnisse berücksichtigen . Deshalb Zum Schluss sei gesagt, dass auch in der Wissen- kommt man auf die Idee des sogenannten Kaskadenmo- schaft – aus purem Eigeninteresse – längst angekommen dells . ist: Gleiche Zugangschancen zu Spitzenfunktionen für alle sind nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- auch eine Frage der Exzellenzsicherung . Diversität von NEN]: Superidee! Tolles Modell! Einführen!) Fragestellungen und Forschungsansätzen ist Bedingung Es trägt den Gegebenheiten der jeweiligen Fachrichtung für echte Spitzenforschung . In einem Punkt sind wir uns und Institution nämlich Rechnung und – das ist mir wich- hoffentlich einig: Wir brauchen die Kreativität von allen, tig – setzt das Prinzip der Bestenauslese gerade nicht au- die Talente der besten Männer und vor allen Dingen der ßer Kraft, nutzt aber die Potenziale und die Verpflichtun- besten Frauen . gen zum Nutzen der bisherigen Karrierestufe in vollem Vielen Dank . Umfang . (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Ich erinnere – Sie erwähnten sie als „echte Wegmar- ke“, und ich finde, das sind sie auch – an die forschungs- Vielen Dank, Claudia Lücking-Michel .– Nächster orientierten Gleichstellungsstandards, auf die sich die Redner: Kai Gehring für Bündnis 90/Die Grünen . DFG verpflichtet hat – immerhin schon 2008. Ein sol- cher Kulturwandel, der mit diesen Gleichstellungsstan- Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): dards eingeleitet wurde, braucht Zeit – sicher mehr, als uns lieb ist, aber immerhin. Ich finde, wir sind auf dem Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! richtigen Weg . Sehr geehrte Damen und Herren! Wie steht es hierzulan- de im Jahr 2016 um die Chancengerechtigkeit in der Wis- Wenn Politik etwas tun soll, dann gehört dazu, mehr senschaft? Die Antwort ist eindeutig: Obwohl es viele er- Anreize und verbindlichere Standards zu setzen . Wir folgreiche Frauen gibt, sind Wissenschaftlerinnen noch sollten also Institutionen, Universitäten und außeruniver- immer unterrepräsentiert und strukturell benachteiligt . sitäre Forschungseinrichtungen, die hier besonders gut Wir brauchen einen deutlichen Kulturwandel zugunsten 18888 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Kai Gehring (A) von Frauenkarrieren . Das sage ich als männlicher Femi- staltetes Instrument? Nein, leider Fehlanzeige . Das muss (C) nist in dieser Runde sehr klar . sich ändern . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei der SPD und der LINKEN sowie bei Ab- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der geordneten der CDU/CSU) SPD und der LINKEN) Denn es gilt: Je höher die Hierarchieebene und die Besol- Die Antwort auf unsere Kleine Anfrage an die Bun- dungsstufe, desto dünner die Luft für qualifizierte Frau- desregierung dokumentiert, dass diese Koalition keinen en . Nur 17 Prozent der C-4-Professuren sind in Frauen- einzigen neuen Impuls zur Gleichstellung in der Wissen- hand . Das ist eindeutig zu wenig . schaft initiiert hat . Für eine geschlechtergerechte Wissen- schaft ist diese Legislatur eine der verpassten Chancen . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Beispiel eins . Bei der neuen Vereinbarung zur Exzel- der SPD) lenzstrategie wurde das Thema Gleichstellung nicht stär- ker berücksichtigt . Old Boy’s Networks, männlich geprägte Leistungs- definitionen und Verhaltenscodes haben noch immer zu Beispiel zwei . Das Professorinnenprogramm war in viel Einfluss. Die Vereinbarkeit von Karriere und Kin- der zweiten Runde völlig überzeichnet . Nachsteuerung dern ist im Wissenschaftssystem nach wie vor ziemlich und Nachfinanzierung: völlige Fehlanzeige. Wir meinen, mühsam . Infolgedessen verabschieden sich viele kluge bei der anstehenden Verlängerung sind die Mittel für das Frauen meist nach der Promotion aus der Wissenschaft . Professorinnenprogramm klar aufzustocken . Das ist schlecht für die Kreativität und schlecht für unse- re Volkswirtschaft . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Beispiel drei . Die familienpolitische Komponente bei SPD und der LINKEN) der Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes war halbherzig . Dabei gab es vor zehn Jahren eine vielversprechende Aufbruchsstimmung . Die internationale Gutachtergrup- Beispiel vier . Trotz des sehr ungünstigen Frauenan- pe in der Exzellenzinitiative war über die mangelnde teils wurden in der letzten Dekade weder verbindliche Gleichstellung an deutschen Universitäten entsetzt . Da- Steigerungsquoten eingeführt, noch gibt es wirksame von aufgeschreckt mahnte der damalige DFG-Präsident Anreize oder Sanktionen, wenn selbstgesetzte Gleich- (B) Winnacker 2006 in einem Brief an die Universitäten, ihre stellungsziele verfehlt werden . (D) Gleichstellungsziele und -maßnahmen zu konkretisieren . Wir können es nicht länger hinnehmen, dass die Er und der damalige Präsident der Leibniz-Gemeinschaft fortdauernde Benachteiligung von Frauen im Wissen- Rietschel brachten sogar Quoten ins Gespräch, um der schaftssystem Ungleichheiten reproduziert und exzel- Unterrepräsentanz von Frauen im Wissenschaftssystem lente Leistungen behindert . Deshalb brauchen wir eine endlich beizukommen . systematische und stärker institutionenübergreifende Immer stärker – später auch durch die DFG-Gleich- integrierte Steuerung der Gleichstellung, verbindliche stellungsstandards – wurde Gleichstellung explizit zum Zielquoten, Anreize und Sanktionsmechanismen, aber Exzellenzkriterium, und sie galt als Voraussetzung für auch mehr Wirksamkeitsforschung . gute Forschung . Besonders wirksam war die Ankündi- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gung der DFG, dass eine schlechte Gleichstellungsper- formance die Förderchancen schmälert . Das alles war In der letzten Legislaturperiode gab es eine sehr gute gut; denn exzellente Forschung fußt auf Vielfalt . gemeinsame Initiative der damaligen Oppositionsfrakti- (Beifall des Abg . Dr . Ernst Dieter Rossmann onen SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen . [SPD]) (Dr .Daniela De Ridder [SPD]: Das war gut!) Chancengleichheit ist elementar für Qualität und Gerech- Als es zu Regierungszeiten um die Umsetzung ging, Herr tigkeit; da sollten wir uns doch alle einig sein . Röspel, war wieder einmal Fehlanzeige bei den Sozialde- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mokraten, und das ist schade . sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Ich freue mich, dass die Linksfraktion mit ihrem An- SPD und der LINKEN) trag die Debatte darüber heute erneut angestoßen hat . Was ist aus den Aufbruchssignalen geworden? Die Lassen Sie uns über Ihre und unsere Forderungen im Aufholdynamik bleibt noch immer weit hinter dem Ausschuss weiter diskutieren . Echte Gleichstellung ist Notwendigen zurück . Um besser voranzukommen, ist überfällig . die Antwort vielerorts die Kaskade . Ihre verbindliche Vielen Dank . Verankerung hat meine Fraktion schon gefordert, als so etwas wie ein Pakt für Forschung und Innovation noch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gar nicht denkbar war . Aber handelt es sich dort, wo die und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Kaskade herangezogen wird, um ein verbindlich ausge- der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18889

(A) Vizepräsidentin Claudia Roth: Egal ob man nun ein Kaskadenmodell will oder fes- (C) Vielen Dank, Kai Gehring . – Nächste Rednerin – jetzt te Quoten bevorzugt: Wenn man die Schere schließen ist sie dran –: Marianne Schieder für die SPD . will, dann muss man mehr Frauen fördern und es ihnen ermöglichen, zu promovieren, dann zu habilitieren und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten schließlich berufen zu werden – und das alles natürlich in der CDU/CSU) einem planbaren Rahmen ohne Aneinanderreihung von befristeten Arbeitsverhältnissen . Marianne Schieder (SPD): Es ist heute schon erwähnt worden, aber auch ich Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol- möchte es betonen: 2017 läuft eines der wichtigsten In- legen! strumente im Bereich der Geschlechtergerechtigkeit an Die Politik bedeutet ein starkes langsames Bohren Hochschulen aus, nämlich das Professorinnenprogramm . von harten Brettern mit Leidenschaft und Augen- Es muss beibehalten und nach unserem Dafürhalten auch maß zugleich . entsprechend ausgebaut werden; Das sagte Max Weber in seinem Vortrag „Politik (Beifall bei der SPD) als Beruf“ . Ich weiß nicht, ob er damals – es war das denn es ist nicht zuletzt wegen dieses Programms immer- Jahr 1919 – schon an die Geschlechtergerechtigkeit in hin gelungen, den Frauenanteil von 2005 bis 2015 um der Wissenschaft gedacht hat, aber seine Worte passen circa 10 Prozent anzuheben . Es gibt jetzt 10 000 Profes- jedenfalls ganz besonders gut zu diesem Feld der Politik . sorinnen bei insgesamt 46 000 Professuren . Ich sage es Wir unterhalten uns hier nicht zum ersten Mal über das noch einmal: Das ist eine positive Entwicklung, aber na- Thema „Gleichstellung in Wissenschaft und Forschung“ türlich noch viel zu wenig . und ganz sicher auch nicht zum letzten Mal . Gerade uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist das The- Die große Errungenschaft dieses Programms ist aber ma ein Herzensanliegen, und daher war und ist es für uns auch, dass sich wirklich flächendeckend die Hochschulen auch immer ein besonderer Schwerpunkt unserer Arbeit . mit dem Thema Geschlechtergerechtigkeit auseinander- gesetzt und Strategien entwickelt haben, die die kom- Es ist schon viel auf den Weg gebracht worden; bei plette Hochschule in den Blick nehmen . Das Ganze war null fangen wir nicht an . Unser Bemühen zeigt auch Wir- also nicht nur wieder irgendein Frauenförderprogramm, kungen . Ja, es gibt Verbesserungen, aber dennoch sind das man vorschieben konnte, um sich in allen anderen wir sehr weit von einer echten Gleichstellung von Män- Bereichen nicht mehr kümmern zu müssen . Daher wer- nern und Frauen in Wissenschaft und Forschung entfernt . den auch wir für die Weiterführung dieses Programms kämpfen . (B) (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie (D) der Abg . Dr .Claudia Lücking-Michel [CDU/ Aber ich möchte Ihnen, liebe Kolleginnen und Kolle- CSU]) gen, schon noch etwas zu Ihrem Antrag sagen . Ja, in die- Ja, in Zukunft muss es mit diesen Verbesserungen schnel- sem Antrag steht viel Wahres und Unterstützenswertes; ler gehen, weil wir nicht 100 Jahre lang warten können, aber, ehrlich gesagt, kommt mir dieser Antrag so vor wie bis wir wirklich bei der Gleichstellung angelangt sind . das Schreiben unserer Kinder ans Christkind, alle Jahre wieder an Weihnachten: Man schreibt wirklich alles auf, Das Interessante ist ja, dass wir bei den Studierenden- was man sich so für die nächsten Jahre und Jahrzehnte zahlen eigentlich schon ganz gut nach vorne gekommen wünschen kann, und wartet dann, bis an Weihnachten al- sind; denn von den nicht ganz 2,7 Millionen Studieren- les geliefert wird . den sind die Hälfte Frauen . Mit Ausnahme der Ingeni- eurwissenschaften und einiger naturwissenschaftlicher (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Disziplinen haben wir überall ein recht ausgeglichenes Wann kommt denn der Koalitionsantrag?) Verhältnis von Männern und Frauen erreicht, und die Für Wünsche ans Christkind ist es natürlich egal, wie das Frauen machen meistens die besseren Abschlüsse . alles bezahlt werden kann und wer dafür zuständig ist . Dann tut sich aber die Schere auf . Nur noch etwa jede Aber mit solchen Wunschzetteln, meine ich, sollte man dritte Stelle des hauptberuflichen wissenschaftlichen Per- sich hier nicht beschäftigen . sonals ist mit einer Frau besetzt, und bei den Professuren (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Sie haben schaut es noch schlechter aus . dreieinhalb Jahre gar nichts gemacht!) (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: – Frau Kollegin, lesen Sie sich einmal diesen Antrag ohne Was tun Sie denn dagegen? Das wissen wir die Brille der Linken wirklich durch . Dann sehen Sie Sei- alles!) ten voll mit allem, was man sich nur irgendwie vorstel- Einer Professorin stehen mehr als vier Professoren ge- len kann, ob der Bund zuständig ist oder auch nicht, und genüber . Schaut man sich die C-4- und die W-3-Profes- keine Aussagen darüber, wie man das alles leisten kann . suren an, dann sieht man, dass der Frauenanteil dort noch Im Ausschuss werden wir sicher Gelegenheit haben, geringer ist . Das ist echt kein Zustand, mit dem wir zu- noch weiter und intensiver zu diskutieren . frieden sein können . Vielen Dank für die Aufmerksamkeit . (Beifall bei der SPD sowie der Abg . Dr . Claudia Lücking-Michel [CDU/CSU]) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) 18890 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) Vizepräsidentin Claudia Roth: Meine Damen und Herren, wir alle wissen, dass wir (C) Danke, Marianne Schieder .– Jetzt war ich auch ge- die klügsten Köpfe der Wissenschaft nur dann bekom- rade Christkind und habe Ihnen eine Minute geschenkt . men, wenn wir uns die Gesamtheit aller Männer und Frauen anschauen . Es muss sich unser aller Denken än- (Heiterkeit) dern . Alexandra Dinges-Dierig ist die Nächste für die CDU/ (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) CSU-Fraktion . Vor diesem Hintergrund nützt uns auch die nächste und (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- die übernächste Gesprächsrunde nichts; da bin ich ganz ordneten der SPD) bei Ihnen . Aber es stimmt auch nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, dass, wie Sie meinen, durch Abschaffung der projektbezogenen Förderung, wie Alexandra Dinges-Dierig (CDU/CSU): Sie schreiben, oder der befristeten Stellen hier auch nur Vielen Dank, Frau Präsidentin .– Liebe Kolleginnen irgendwas für die Gleichberechtigung getan wird . Das ist und Kollegen! Verehrte Gäste zu so später Stunde! Ge- gerade nicht der Fall . schlechtergerechtigkeit und Personalentwicklung in der Wissenschaft ist wirklich ein extrem wichtiges Thema . (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aber für Sie, liebe Nicole Gohlke, ist es vielleicht nicht Wir müssen nicht nur Vorbilder schaffen; die fehlen wichtig genug . Jetzt muss ich da fortfahren, wo Marianne nämlich auch, und zwar nicht nur in der Wissenschaft, Schieder gerade aufgehört hat: Warum haben Sie in Ih- sondern zum Beispiel auch in der Politik oder in der rem Antrag dieses Thema nicht wirklich in den Mittel- Wirtschaft, sondern wir müssen auch genau darauf ach- punkt gestellt und darauf fokussiert? ten, wie die Bedingungen im öffentlichen Dienst sind . Denn Wissenschaftseinrichtungen gehören zum öffentli- (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Das ist es!) chen Dienst . Durch das Zuwendungsrecht haben wir bei- Das haben Sie vergessen . spielsweise ein Problem bzw . weniger Flexibilität bei der Unterstützung von Familien mit Schulkindern . Das kann Als Statistikerin begrüße ich es natürlich, dass Sie die zwar die Wirtschaft machen, aber das kann eine Wissen- Fakten mit viel Zahlenmaterial unterlegen. Das finde ich schaftseinrichtung nicht machen . Das hat etwas mit un- richtig gut . Und dann wieder bleiben Sie auf halber Stre- serem Zuwendungsrecht zu tun . Da sollten wir einfach cke stehen . Ich will Ihnen ein Beispiel nennen: Überpro- einmal hinschauen . portional viele Frauen verlassen nach der Promotion die Wissenschaft . Das ist per se weder positiv noch negativ . (René Röspel [SPD]: Kann sie auch!) (B) (D) (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Na ja!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, neben diesen Din- gen gilt es natürlich auch, tradierte Verhaltensmuster Aber warum sie die Wissenschaft verlassen, das ver- irgendwann einmal zu überwinden . Das dauert ein biss- schweigen Sie in Ihrem Antrag, und das verschweigt chen, leider nicht nur in der Wissenschaft . Durch politi- auch die zitierte Studie . Bei der Studie ist es klar; die sche Veränderung hat sich etwas getan . Ich denke, wenn hatte einen völlig anderen Auftrag . Die sollte die Zahlen wir das Heute mit dem Gestern vergleichen, sieht man zum heutigen Iststand liefern . Aber Sie, verehrte Kolle- schon, was sich verändert hat . ginnen und Kollegen, hätten jetzt die Chance gehabt, aus Wir müssen auch sagen: Genauso wie wir bei Kindern den anderen Studien, die es gibt, uns ein wenig Material den Lernzuwachs bewerten, sollten wir auch hier den zu geben und zu sagen: Was führt denn überhaupt dazu, Zuwachs bewerten . Ich komme gerade von der Helm- dass jemand nach der Promotion abbricht? Wo stimmt holtz-Tagung . Zwischen 2005 und heute – ich habe die etwas nicht? Zahlen extra mitgeschrieben – ist der Frauenanteil von Die Frage nach dem Warum hat zum Beispiel eine 4,7 auf 13,4 Prozent gestiegen . Das sind kleine Zahlen . CHE-Studie aufgegriffen und auch viele andere Studien, Aber der Zuwachs beträgt 185 Prozent . Das sagt etwas in denen Professoren und Professorinnen befragt wurden . über Entwicklung aus . Deshalb sollten wir da weiterma- Eins ist eindeutig – es ist völlig egal, welche Studie Sie chen und vonseiten der Politik strukturelle Änderungen nehmen –, und das ist nämlich das Interessante: Auf Platz weiter vorantreiben. Da sage ich nur eins: flexible Lauf- eins der Gründe für das frühe Ausscheiden von Wissen- bahnen, Betreuung von Schulkindern, Berichte über Fa- schaftlerinnen steht die schlechte Vereinbarkeit von Fa- milienquoten . All dies dient dazu, Probleme bewusst zu milie und Beruf. Das finden Sie überall, und das muss machen . uns einfach zu denken geben . Was gilt es vor Ort zu tun? Die Leitungsebenen müs- (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Das steht auch sen eine andere Haltung vorleben . Karrieren müssen da drin!) anders beschrieben und anders vereinbart werden . Wir müssen Personalentwicklungskonzepte einfordern . Es Unabhängig von den Forschungsfeldern ist festzustel- stimmt eben nicht, dass wir in dieser Legislaturperio- len, dass Brüche in den beruflichen Biografien immer de nichts getan haben . Die neue Exzellenzstrategie und dann entstehen, wenn eine Familie gegründet wird . Die- das Tenure-Track-Programm sind beides Vorhaben mit ses Hindernis abzustellen, das müssen wir uns wirklich enormer Strahlkraft, ausgestattet mit vielen Millionen . vornehmen, und wir können prüfen, was Politik dazu In diesen Papieren steht, dass bei Bewerbungen um För- beitragen kann . dermittel eine Voraussetzung erfüllt sein muss: Es muss Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18891

Alexandra Dinges-Dierig (A) ein Personalentwicklungskonzept geben, und ein Perso- len Sie starre Quoten. Ich finde, Sie müssten sich einmal (C) nalentwicklungskonzept hat ein Gleichstellungskonzept . entscheiden, was Sie genau wollen .

(Beifall der Abg . Dr . Daniela De Ridder (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Nicole [SPD]) Gohlke [DIE LINKE]: Das ist recht genau de- Das haben wir gefordert, das werden wir auch in Zu- finiert!) kunft fordern; denn nur dann gibt es etwas von den Mil- lionen für die großen Programme . Gelder für wichtige Dann haben Sie mit Zahlen operiert, die ich überhaupt Projekte zu geben, ist das eine . Aber den echten Wandel nicht nachvollziehen konnte . Sie sind weder konsistent einzufordern, ist das andere . Das wollen wir auch in Zu- hergeleitet noch irgendwie nachvollziehbar . Sie reden kunft tun . von 100 000 unbefristeten Stellen . Vielen Dank . (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Auf zehn Jahre als Bund-Länder-Programm! Das können Sie (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) auch einmal nachrechnen!)

Vizepräsidentin Claudia Roth: Marianne Schieder hat schon gesagt: Im Himmel ist nicht Jahrmarkt, und Weihnachten haben wir auch noch nicht . Vielen Dank, Alexandra Dinges-Dierig .– Die letzte Rednerin in dieser Debatte: Dr . Daniela De Ridder für (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die SPD-Fraktion . NEN]: Aber bald!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dann wiederum wollen Sie 44 000 Vollzeitäquivalen- te . Woher kommen sie? Warum? Wie sind sie eingebun- den? Ich finde, das könnten Sie ruhig begründen. Dazu Dr. Daniela De Ridder (SPD): werden Sie sicher Gelegenheit haben . Vielen Dank .– Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste, soweit noch ei- Dann wird es ärgerlich, Frau Gohlke . Dann machen nige da sind! Liebe Frau Gohlke! Ich war lange Jahre Sie in Ihrem Antrag richtig dicke Fehler . Das ist hand- Gleichstellungsbeauftragte an verschiedenen Hochschu- werklich wirklich schlecht gemacht und zeigt, dass Ihr len in Niedersachsen . Das, was Sie in Ihrem Antrag auf- Antrag mit heißer Nadel gestrickt ist . Sie fordern, dass geführt haben, habe ich deshalb mit dem größten Wohl- die Fachhochschulen im Professorinnenprogramm einen (B) wollen gelesen . anderen Stellenwert bekommen sollen und tun gerade- (D) wegs so, als wäre das Programm für Fachhochschulen Ich habe in Ihrer Analyse viele Punkte entdeckt, bei nicht gedacht . Das Gegenteil ist der Fall: Die Fachhoch- denen ich gesagt habe: Ja, da haben Sie völlig recht . Sie schulen profitieren im Verhältnis zu den Universitäten gehen auf die Hochschulen ein, die Universitäten und die überproportional vom Professorinnenprogramm . Gehen Fachhochschulen . Sie haben deutlich gemacht: In den Sie einfach auf die Internetseite des BMBF und schauen Forschungseinrichtungen muss einiges passieren; völlig dort nach . Das ist der einfachste Weg, das zu prüfen . Sie d’accord . Sie erwähnen – das ist angesichts der vielen tun so, als würden wir eine ganze Hochschulgruppe aus- Ausblendungen, die in Ihrer Partei sonst üblich sind, sparen . Das ist schlicht falsch . produktiv; jedenfalls habe ich es so interpretiert – das Professorinnenprogramm . Sie erwähnen das Kaskaden- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der modell; alles richtig und wichtig . CDU/CSU) (Zuruf der Abg . Nicole Gohlke [DIE LIN- KE]) Dann will ich Ihnen noch sagen: Sie wollen, dass überall konsistent Gleichstellungspläne entwickelt wer- Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz findet Anerken- den . Ja, liebe Frau Gohlke, dann schauen Sie sich das nung, wenn auch vielleicht nicht ganz so viel . Aber auch Professorinnenprogramm noch einmal ganz genau an . hier habe ich Wohlwollen herausgelesen . Sie haben be- Die Hochschulen bekommen gar keine Antragsbewilli- merkenswerterweise – das hat mich besonders gefreut – gung, wenn sie keinen Gleichstellungsplan vorlegen . Das auch die schwierigen Arbeitsbedingungen der Gleichstel- muss man einmal zur Kenntnis nehmen . Die Hochschu- lungsbeauftragten angesprochen . Das ist alles gut und len bewegen sich . richtig und auch kritisch zu würdigen . (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Das steht doch Dann aber haben Sie mich mit Ihren Widersprüchen da drin!) und Ihrem Wankelmut irritiert . (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Nein! Das Ich mache Ihnen einen Vorschlag zur Güte: Wir gehen kann nicht wahr sein!) noch einmal in den Ausschuss und schauen, wie konkrete Maßnahmen aussehen könnten . Ich habe nicht erkennen können, wohin die Reise geht, liebe Frau Gohlke. Mal reden Sie von mehr Grundfinan- (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: zierung, mal wollen Sie mehr Programmförderung . Ei- Das muss zu Protokoll gehen! – Nicole Gohlke nerseits reden Sie von Kaskaden, andererseits aber wol- [DIE LINKE]: Das ist super!) 18892 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Dr. Daniela De Ridder (A) Und dann adressieren wir das auch, denn beim Thema Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (C) Geschlechtergerechtigkeit geht es nicht nur um Frauen, Ausschuss Digitale Agenda Federführung strittig sondern auch um Männer . (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Das können Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für wir machen!) die Aussprache 25 Minuten vorgesehen .– Sie sind damit einverstanden .– Ich bitte Sie alle, Ihre Plätze einzuneh- men und den Kolleginnen und Kollegen zuzuhören oder Vizepräsidentin Claudia Roth: draußen weiterzureden . Das machen wir aber nicht mehr heute Abend! Ich eröffne die Debatte und gebe Tabea Rößner für Dr. Daniela De Ridder (SPD): Bündnis 90/Die Grünen das Wort . Das machen wir, liebe Frau Präsidentin, genau an der richtigen Stelle zur richtigen Zeit . Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank . Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Seit 2013 haben Bundesbehörden ziemlich leichtes Spiel, (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) wenn sie unliebsame Anfragen von Journalisten abblo- cken wollen, denn da urteilte das Bundesverwaltungs- Vizepräsidentin Claudia Roth: gericht, dass die Landespressegesetze nicht auf Bundes- Vielen Dank, Daniela De Ridder .– Damit schließe ich ministerien oder Bundesbehörden anwendbar sind, und die Aussprache . warf so eine jahrzehntelange Rechtspraxis kurzerhand über Bord . Journalisten bewegen sich seitdem auf unsi- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf cherer Rechtsgrundlage, und Behörden können bei ihren Drucksache 18/9667 an die in der Tagesordnung aufge- Ausreden sehr kreativ sein, wenn sie Auskünfte verweh- führten Ausschüsse vorgeschlagen .– Sie sind damit ein- ren wollen . Das betrachten wir als unhaltbaren Zustand . verstanden . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Ich rufe Tagesordnungspunkt 16 auf: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Harald Petzold [Havelland] Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- [DIE LINKE]) gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundauf- Gerade gestern hatten die Leipziger Richter wieder ei- zeichnungen nen solchen Fall auf dem Tisch . Der Axel-Springer-Ver- (B) lag möchte endlich wissen, wer in seinem Haus in den (D) Drucksache 18/9535 50er- bis 70er-Jahren vom BND bespitzelt wurde . Der Überweisungsvorschlag: Fall wird nicht zum ersten Mal verhandelt . Bisher haben Finanzausschuss (f) die Geheimdienstler die Akten aber nur geschwärzt he- Sportausschuss rausgerückt . Jetzt wollen sich die Richter all das noch Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft einmal genau anschauen, bevor sie dann entscheiden . Ausschuss Digitale Agenda Das Hickhack um die Akten zeigt aber, wie mühsam Die Reden werden zu Protokoll gegeben .– Ich sehe, es für Journalisten ist, an Informationen zu gelangen, Sie sind damit einverstanden 1). und warum wir dieses Gesetz endlich brauchen . Bei den Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs vielen Fällen, die mittlerweile streitig auf den Gerichts­ auf Drucksache 18/9535 an die in der Tagesordnung auf- tischen liegen, geht es nicht um Firlefanz, sondern um geführten Ausschüsse vorgeschlagen .– Ich brauche gar Fragen, deren Beantwortung uns alle sehr interessieren nicht zu fragen, ob es andere Vorschläge gibt . Dann ist es dürfte . Wie etwa steht es um die NS-Verstrickung von so beschlossen . BND-Mitarbeitern in der Nachkriegszeit? Warum hält man über 50 Jahre nach der Hinrichtung des NS-Verbre- Ich rufe Zusatzpunkt 8 auf: chers Adolf Eichmann eine Geheimhaltung „zum Wohle der Nation“ noch für erforderlich? Erste Beratung des von den Abgeordneten Tabea Rößner, Dr . Konstantin von Notz, Hans-Christian (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ströbele, weiteren Abgeordneten und der Frakti- Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Sehr gute Frage!) Entwurfs eines Gesetzes zum Auskunftsrecht der Presse gegenüber Bundesbehörden (Pres- Und auch die rund 5 000 Seiten dicke Barschel-Akte seauskunftsgesetz) dürfte viel Erhellendes zutage fördern . Hier wird ge- blockt, was das Zeug hält, und das sind nur einige der Drucksache 18/8246 Fälle, bei denen Verlage und Journalisten hartnäckig Überweisungsvorschlag: blieben und tatsächlich vor Gericht zogen . Innenausschuss (f) Ausschuss für Kultur und Medien (f) Liebe Kollegen von der SPD – Sie sind nur noch in Sportausschuss geringer Zahl vertreten –,

1) Anlage 12 (Sebastian Hartmann [SPD]: Immerhin!) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18893

Tabea Rößner (A) Ihre Fraktion hat sich doch mehrfach für dieses Presse- Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): (C) auskunftsgesetz eingesetzt . Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle- ginnen! Sehr geehrte Kollegen! Lassen Sie mich bitte (Sebastian Hartmann [SPD]: Das ist auch eines vorausschicken: Es ist vollkommen unstreitig, dass eine gute Sache!) die Pressefreiheit elementar ist und dass sie ein zentra- Haken Sie doch einfach Ihre Unionskollegen unter, und les Grundrecht ist . Ich glaube, gerade auch im Lichte der versuchen Sie, diese Blockade zu überwinden! deutschen Geschichte und des Umstands, dass im letzten Jahrhundert in zwei schrecklichen Diktaturen die Presse- Immerhin habe ich inzwischen auch aus Richtung der und die Meinungsfreiheit unterminiert wurden und damit Union Zeichen bekommen, dass ein solches Gesetz auf auch die perfide Diktatur jeweils aufrechterhalten wurde, den Weg gebracht werden könnte . Daher bitte ich Sie: ist es umso wichtiger, dass wir uns nachdrücklich für die Lassen Sie uns das endlich gemeinsam anpacken . Pressefreiheit einsetzen und sie schützen . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich möchte an dieser Stelle das Bundesverfassungsge- und bei der LINKEN sowie des Abg . Sebastian richt zitieren, das schon vor 50 Jahren festgehalten hat, Hartmann [SPD]) dass die Pressefreiheit „schlechthin konstitutiv“ für den demokratischen Rechtsstaat ist . An diesem Befund hat Ich gebe Ihnen auch gerne noch ein paar Entschei- sich bis zum heutigen Tage nichts geändert . dungshilfen . In einer Anhörung im Bundestag haben dju von Verdi, DJV und Verleger allesamt ein solches Gesetz Aber – jetzt kommen wir zum Thema, sehr verehrte begrüßt, ebenso wie die Bundesbeauftragte für den Da- Frau Kollegin Rößner – nicht jedes Gesetz, das den Titel tenschutz und die Informationsfreiheit . „Presseauskunftsgesetz“ trägt, würde die Presse wirklich stärken . Das Gegenteil ist der Fall . Der Gesetzentwurf, Gerade vergangene Woche hat sich auch der Deutsche den Sie heute in erster Lesung vorlegen, wäre genau kon- Juristentag mit dem Thema befasst und empfohlen, einen traproduktiv . Auskunftsanspruch für Medien gegenüber der Strafjustiz (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zu verankern . Das ist vorbildlich . Allerdings sollte man NEN]: Wieso?) das Problem nicht nur in Teilbereichen lösen . Es braucht einen Auskunftsanspruch, der für alle Institutionen auf – Lassen Sie mich das bitte erläutern . Bundesebene gilt . Zur Vorgeschichte: Es gibt eine Entscheidung des (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bundesverwaltungsgerichts vom Februar 2013, die mit der bisher geltenden Rechtspraxis aufgeräumt hat, dass (B) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (D) die Pressegesetze der Länder ausreichten, um einen An- Und nein, der Mindestanspruch, den das Bundesver- spruch der Presse auch gegenüber den Bundesbehörden fassungsgericht für diese Fälle aus Artikel 5 des Grund- zu begründen . gesetzes abgeleitet hat, diszipliniert die Behörden eben nicht . Das sieht man alleine an den vielen Rechtsstreitig- (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- keiten, die auflaufen. Es ist daher dringend notwendig, NEN]: Das reicht eben nicht!) Rechtssicherheit für die Medienschaffenden herzustellen . Das war bis zu dieser Entscheidung des Bundesverwal- Diese und die angefragten Behörden müssen Klarheit da- tungsgerichts nicht nur die geübte Rechtspraxis, sondern rüber haben, wie weit der verfassungsrechtlich verwirkte auch die herrschende Meinung in der Rechtswissenschaft, Auskunftsanspruch reicht und welche Ablehnungsgrün- und meines Erachtens auch mit guten Gründen, weil es de gelten dürfen . keines einfachgesetzlichen Anspruchs bedarf, weil es vielmehr nach Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 des Grundgeset- Von Pressefreiheit reden in letzter Zeit viele, aber zes einen verfassungsunmittelbaren Anspruch der Presse etwas dafür tun wollen nur wenige . Sehr geehrte Da- auch gegenüber den Bundesbehörden gibt . men und Herren, der öffentliche Auftrag der Presse ist verfassungsrechtlich geschützt . Es darf nicht sein, dass (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Journalisten ihr Recht erst durch die Instanzen einklagen NEN]: Das funktioniert ja nicht!) müssen . Lassen Sie uns deshalb gemeinsam den Aus- kunftsanspruch für Journalisten auf Bundesebene verbes- Das Bundesverfassungsgericht hat dann im Juli 2015 sern und damit auch die Pressefreiheit stärken . dies sogar noch einmal präzisiert, indem es deutlich gemacht hat, dass dieser verfassungsunmittelbare An- Vielen Dank . spruch, der sich allein schon aus dem Grundgesetz ergibt, nicht nur ein Mindestmaß an Auskunft gewährleistet, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sondern einen Anspruch auf dem gleichen Niveau, wie und bei der LINKEN) ihn die Landesgesetze gewährleisten . Der Anspruch ge- genüber den Bundesbehörden darf also nicht hinter dem Anspruch, den die Landesgesetze vermitteln, zurückblei- Vizepräsidentin Claudia Roth: ben . Vielen Dank, Tabea Rößner . – Nächster Redner: Stephan Mayer für die CDU/CSU-Fraktion . Sie haben erwähnt, dass die SPD in der letzten Le- gislaturperiode selbst einen Gesetzentwurf vorgelegt hat, (Beifall bei der CDU/CSU) der dann interessanterweise Gegenstand einer Anhörung 18894 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Stephan Mayer (Altötting) (A) war . Anders als bei Anhörungen üblich, in denen sich Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu machen, (C) die Sachverständigen durchaus auch widersprechen und dann ist es notwendig, kein Gesetz zu machen . miteinander streiten, waren sich die Sachverständigen in (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dieser Anhörung vollkommen einig, dass dieser Gesetz- NEN]: Haben Sie sich mal mit Journalisten entwurf verfassungswidrig ist, da er schon allein die for- unterhalten?) mellen Voraussetzungen nicht erfüllt, Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit . (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das ist nicht wahr!) (Beifall bei der CDU/CSU) weil es eben keine Gesetzgebungskompetenz des Bundes gibt . Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Stephan Mayer . – Dann haben wir den (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Nächsten in der Debatte: Harald Petzold für die Linke . NEN]: Die kann man schaffen!) (Beifall bei der LINKEN) Der Gesetzentwurf, den Sie jetzt vorlegen, ist nicht nur formell, sondern auch materiell verfassungswidrig, weil er hinter der Qualität und der Quantität der Ansprü- Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): che zurückbleibt, die durch die Ländergesetze vermittelt Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und werden . Es gibt eben im Gegensatz zu Ihrer Darstellung Kollegen! Liebe Gäste – auch wenn es nur noch weni- keine Gesetzgebungslücke . ge sind – auf den Besuchertribünen! Das war schon eine ganz gewaltige Pirouette, die hier in der Debatte über das (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Presseauskunftsgesetz gedreht worden ist, NEN]: Doch!) (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Abgesehen davon weist Ihr Gesetzentwurf auch er- NEN]: Allerdings!) hebliche inhaltliche Schwächen auf . Nur ein Punkt: Der Titel des Gesetzentwurfs lautet „Presseauskunftsgesetz“ . nämlich zum einen die Übereinstimmung aller Fraktio- Sie sprechen dann aber im Gesetz von den Medien . Al- nen in der Frage der Pressefreiheit zu betonen, aber zum lein schon was die Terminologie anbelangt, offenbart anderen Frau Rößner derart das Wort im Munde herum- sich hier ein Widerspruch . zudrehen, wie das hier durch den Kollegen Mayer pas- siert ist . Aber egal . Des Weiteren ist anzumerken, dass der Auskunfts- anspruch nicht nur zu ermittelnde, sondern auch zu be- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- (B) schaffende Informationen umfasst . Sie gehen sogar über NIS 90/DIE GRÜNEN) (D) alle Informationsfreiheitsgesetze des Bundes und der Das zeigt leider, dass es mit dem Unter-die-Arme-Grei- Länder hinaus, indem Sie den Journalisten nicht nur den fen wahrscheinlich nicht so einfach sein wird, selbst Anspruch gewähren, Auskunft zu erlangen, sondern auch wenn die SPD guten Willen aufbringen sollte . einen Anspruch gegenüber den Behörden vermitteln, dass diese die Informationen auch zu beschaffen haben . (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Sie machen die Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes NEN]: Leider!) zu Erfüllungsgehilfen – ich möchte sogar sagen: zu Be- Aber vielleicht sollten wir uns auf den Kern, um den schaffungsgehilfen – der Journalisten . Dafür ist die öf- es geht, zurückbesinnen . Es geht nämlich nicht nur um fentliche Hand wirklich nicht zuständig . die Pressefreiheit, sondern es geht eigentlich auch um ein (Beifall bei der CDU/CSU – Tabea Rößner urdemokratisches Recht, nämlich das Recht der Öffent- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch lichkeit auf Information und Transparenz . Das sollten wir absurd!) vielleicht nicht ganz unter den Teppich kehren . Es gibt hier keine Rechercheverpflichtung der öffentli- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- chen Hand gegenüber Journalisten, es gibt keine Pflicht NIS 90/DIE GRÜNEN) zur Beschaffung von Informationen . Vor diesem Hinter- Denn dieses Recht wird immer wieder auf eine sehr grund ist Ihr Gesetzentwurf vom Grundsatz her abzuleh- harte Probe gestellt, nicht nur weil Geheimdienste nicht nen . besonders auskunftsfreudig sind, sondern auch weil Ich möchte noch einen Punkt ansprechen . Sie spre- Geheimniskrämerei, was öffentliche Verwaltungen an- chen in § 1 Absatz 4 Ihres Gesetzentwurfs davon, dass belangt, offenbar sehr oft vor Demokratie geht und vor der Grundsatz der Gleichbehandlung zu beachten ist . Es Transparenz allemal . Deswegen sind wir sehr froh, dass ist, sehr geehrte Frau Kollegin Rößner, eine Selbstver- Bündnis 90/Die Grünen heute diesen Gesetzentwurf vor- ständlichkeit, dass die Verwaltung an den Grundsatz der gelegt haben – auch wenn ich ein bisschen sauer darü- Gleichbehandlung gebunden ist . ber bin, dass er heute früh noch in die Tagesordnung ge- drückt wurde, sodass wir zu fast nachtschlafender Stunde Viele Gründe sprechen also gegen diesen Gesetzent- darüber reden müssen . Aber sei es drum, wichtig ist, dass wurf . Ein Zitat von Charles Baron de Montesquieu wird wir darüber reden . Sie haben die Genesis, die Umstände, hier häufiger vorgetragen. Ich glaube, es findet auf kei- wie es zustande gekommen ist – dabei ging es um das nen Gesetzentwurf eine so gute und treffende Anwen- Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes –, genannt, Frau dung wie auf diesen Gesetzentwurf: Kollegin Rößner . Auch der Kollege Mayer hat darauf Be- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18895

Harald Petzold (Havelland) (A) zug genommen . Insofern bin ich also ganz froh, dass wir Tat ist es so, Frau Rößner, dass wir das relativ einfach (C) das hier gemeinsam öffentlich besprechen . machen könnten . Jetzt haben auch Sie es sich ja relativ einfach gemacht, indem Sie einen sehr guten Gesetzent- Es wäre eigentlich ein ganz einfacher Akt, die beste- wurf, den die SPD in der vergangenen Legislaturperiode hende Rechtsunsicherheit, die vom Bundesverwaltungs- vorgelegt hat, einfach kopiert und um bestimmte Punkte gericht festgestellt worden ist, abzustellen . Sie wurde ergänzt und daraus den Entwurf eines eigenen Informati- bislang auch in den Diskussionen über die Föderalis- onsfreiheitsgesetzes gemacht haben . musreform bzw . die Zuweisung des Gegenstandes an die Länder festgestellt . Dafür bräuchte es aber natürlich (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- einen entsprechenden politischen Willen . Da will ich zu- NEN]: Das kann man so nicht behaupten! Wir mindest die SPD noch einmal auf den Kollegen Dörmann haben das zusammen erarbeitet in der letzten verweisen, der in der Debatte am 27 . Juni 2013 richtiger- Wahlperiode! – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/ weise gesagt hat: DIE GRÜNEN]: Sich mit fremden Federn schmücken!) Es geht der Bundesregierung darum, die verfas- sungsrechtlich zugesicherten Auskunftsansprüche – Ja, das könnte man aber relativ einfach nachvollziehen, für die Medien so klein wie möglich zu halten . wenn man die beiden Drucksachen vergleicht . Das ist nämlich das Problem, vor dem wir stehen . Die (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Einschätzung ist richtig . Leider hat er sie seitdem nicht NEN]: Da waren Sie auch dabei!) wiederholt . – Regen Sie sich doch nicht so auf, Sie wissen doch noch Ich will hoffen, dass wir die Zusage des Kollegen gar nicht, was ich dazu sagen werde . Hartmann, dass Sie dem Koalitionspartner an der Stelle durchaus unter die Arme greifen wollen, um hier weiter (Beifall bei der SPD – Harald Petzold [Havel- voranzukommen, ernstnehmen können . Sehr optimis- land] [DIE LINKE]: Umso einfacher können tisch bin ich nicht, weil nämlich im Bundesarchivgesetz Sie zustimmen!) Regelungen getroffen werden, die im Grunde genommen das Recht auf Informationsfreiheit, das im entsprechen- Oder können Sie in die Zukunft schauen? den Informationsfreiheitsgesetz geregelt ist, schon wie- An der Stelle will ich Ihnen eindeutig versichern, dass der konterkarieren, wenn dort geschrieben steht, dass die SPD-Fraktion nicht von ihrer Position abrückt, viel- es den Geheimdiensten praktisch selbst überlassen ist, mehr sind wir – mehr noch – tatsächlich der Auffassung, welche Informationen sie an die Presse bzw . die Öffent- dass es Zeit ist, einen solchen Anspruch auch zu bekräf- (B) lichkeit geben und welche Unterlagen ans Bundesarchiv tigen, dass man so etwas gesetzlich normieren kann . Wir (D) übergeben werden . Das kann uns nicht befriedigen, und haben uns damals für ein Presseauskunftsgesetz oder ein das kann so nicht bleiben . An der Stelle müssen wir eben entsprechendes Pressefreiheitsgesetz eingesetzt . Es gab auch bei anderen Gesetzen nachbessern . Es ist nicht so, im Innenausschuss eine sehr umfassende Anhörung, aus dass wir nur ein Presseauskunftsgesetz brauchen . der auch schon zitiert worden ist . Damals hatte Kolle- (Beifall bei der LINKEN) ge Bosbach dem anderen Kollegen Hartmann noch ganz herzlich zum Geburtstag gratuliert . Und danach setzte es Wir haben nicht zuletzt durch den NSU-Skandal und sich fort, dass einmütig die Auffassung vertreten wurde, die NSA-Massenbespitzelung gelernt: Geheimdienste dass man einen solchen Anspruch auch normieren kann . neigen dazu, sich zu verselbstständigen und der demokra- Deswegen sollten Sie sich also nicht aufregen . Sie ha- tischen Kontrolle zu entziehen . Die offene Gesellschaft ben diesem Gesetzentwurf damals nur nicht die nötige muss sich dagegen wehren . Mit einem Presseauskunfts- Zustimmung geschenkt . Sie haben sich enthalten, als es gesetz würden wir ein Instrument schaffen, um diesem um ihn ging . gefährlichen Prozess zumindest ein Stück Widerstand entgegensetzen zu können . Insofern wird meine Fraktion (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- diesen Gesetzentwurf unterstützen und ihm auch zustim- NEN]: Wir haben einen Änderungsantrag ge- men . macht! Das ist richtig!) Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit . – Man muss da schon bei den Fakten bleiben . (Beifall bei der LINKEN) Zweitens hat der Kollege Mayer ausgeführt, dass es vielleicht nicht notwendig ist, ein solches Gesetz zu er- Vizepräsidentin Claudia Roth: lassen . Wir waren damals anderer Auffassung und blei- ben bei dieser Auffassung . Wir haben nach dem Urteil Vielen Dank, Harald Petzold .– Nächster Redner ist des Bundesverwaltungsgerichtes im Jahre 2013 eine Sebastian Hartmann für die SPD . bestimmte Rechtslage zur Kenntnis nehmen müssen . Es (Beifall bei der SPD) wurde festgestellt, dass in der Annexkompetenz die Län- der das nicht für den Bund mitregeln können, sondern dass sich der Bund selbst darum zu kümmern hat . Sebastian Hartmann (SPD): Liebe Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Jetzt stelle ich aber die Gegenfrage: Selbst wenn es Herren! Liebe Gäste, die zu diesem Zeitpunkt noch an- nicht notwendig wäre, dieses Gesetz zu erlassen, stünde wesend sind und uns hier an dieser Stelle folgen! In der es uns denn nicht gut zu Gesicht, einen solchen umfas- 18896 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Sebastian Hartmann (A) senden Informationsanspruch einmal gesetzlich zu nor- einen Koalitionsvertrag geschlossen und setzt viel von (C) mieren, dem durch, was sie im Wahlkampf versprochen hat . (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LIN- (Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Mit uns wollten Sie ja keinen schließen! – NEN) Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Man kann es sich auch schwerreden! um deutlich zu machen, dass wir im demokratischen Mit- Jammern Sie nicht rum!) einander, in einem demokratischen Staat, darauf setzen, dass die Medien ihrer unabhängigen, keiner Zensur un- Aber wenn man nicht die absolute Mehrheit gewinnt, terworfenen Rolle auch nachkommen können? sondern knapp verpasst, dann muss man eben auch Kom- promisse in der Sache schließen . Wir haben diesen An- (Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: satz im Koalitionsvertrag nicht vereinbart . Gleichwohl Sehr gute Frage!) werden wir nichts von dem zurücknehmen, was wir in der vergangenen Legislaturperiode so deutlich gemacht Das stellen wir in keiner Weise in Abrede . haben . Daher sage ich Ihnen eins – da muss man dann auch (Beifall bei der SPD) an ein anderes Miteinander in der Demokratie erinnern –: Wir haben mit der CDU/CSU-Fraktion einen Koalitions- Ich habe ausgeführt, dass das Ganze auf etwas fußt, vertrag geschlossen . was wir als SPD-Fraktion angestoßen haben . Wir wa- ren damals, übrigens als Oppositionsfraktion, die erste (Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Fraktion, die einen solchen Gesetzentwurf vorgelegt hat . Aha!) Sie von den Grünen haben sich damals in der Abstim- Wir haben uns in diesem Koalitionsvertrag auch dafür mung enthalten . Sie haben einen gewissen Beitrag in der eingesetzt, dass man dieses Presseauskunftsgesetz ent- Anhörung im Innenausschuss geleistet . Wir haben die sprechend gesetzlich normiert und dass man auf etwas Argumente der Sachverständigen aufgenommen . Die eingeht, was wir in der vergangenen Legislaturperiode Argumente der Sachverständigen haben uns in unse- als Opposition gegen die schwarz-gelbe Koalition nicht rer Auffassung bestärkt . Es sind zwischenzeitlich keine durchsetzen konnten . anderen Erkenntnisse ermittelt worden, sondern unsere Auffassung ist bestätigt worden . Ich kann mich den Kol- Es ist nicht falsch, sich nach wie vor dafür einzuset- legen, die damals in der Plenardebatte gesprochen haben, zen; aber es ist in einer Koalition nun einmal absolut un- nur anschließen . Sie haben nämlich gesagt, dass Bun- üblich, unterschiedlich abzustimmen . Man erkennt eben desbehörden bedingt auskunftsbereit sind und dass sie (B) (D) an, was man in einer Koalition gemeinsam vereinbart glauben, dass wir die volle Auskunftsbereitschaft alsbald hat; das wird gemeinsam durchgesetzt . Sie haben selber herstellen sollten . angesprochen, dass eine gewisse Bewegung in die Dis- Vielen Dank für die Aufmerksamkeit . kussion hineingekommen ist . (Beifall bei der SPD) Vielleicht können die heutige Diskussion und die wei- tere Befassung mit diesem Punkt dazu beitragen, dass wir in großer Einmütigkeit feststellen, dass zu einem de- Vizepräsidentin Claudia Roth: mokratischen Rechtsstaat auch ein umfassender Informa- Vielen Dank, Sebastian Hartmann .– Der letzte Red- tionsanspruch gehört . Man kann das, was in der Debatte ner in dieser Debatte und voraussichtlich an diesem Pult kritisiert worden ist, etwa dass das Ganze bis hin zu einer heute Abend: Dr .T im Ostermann . Informationsbeschaffung gehen könnte, vielleicht abstel- (Beifall bei der CDU/CSU) len . Aber wir könnten die Frage neu aufnehmen – in wel- cher Breite und in welcher Tiefe sie sich stellt, wäre zu klären –, ob es eine Rechtsunsicherheit gibt, ob die Jour- Dr. Tim Ostermann (CDU/CSU): nalistinnen und Journalisten ihrer Arbeit nicht nachkom- Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten men können und was wir dazu beitragen können, dass Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, auch Bundesbehörden in die Position versetzt werden, es stimmt: Es gibt kein Bundesgesetz zur Erteilung von dass sie genau wissen, welchen Beitrag sie dazu leisten Auskunft durch Bundesbehörden gegenüber der Presse . können, Journalistinnen und Journalisten in ihrer so not- Aber nur weil es zu einem bestimmten Sachverhalt kein wendigen Arbeit in einem demokratischen Rechtsstaat zu Gesetz gibt, heißt das nicht, dass dieser Sachverhalt nicht unterstützen . geregelt ist . Der Kollege Mayer hat schon darauf hinge- wiesen: Es gibt zwar kein Bundesgesetz, aber es gibt ei- (Beifall der Abg . Kirsten Lühmann [SPD]) nen Auskunftsanspruch der Presse, und dieser Anspruch leitet sich direkt aus dem im Grundgesetz verankerten Ich würde an dieser Stelle mit der Sozialdemokratie Grundrecht der Pressefreiheit ab . Er entspricht übrigens gar nicht so kritisch umgehen, liebe Kolleginnen und dem Niveau, das auch in den Bundesländern vorhanden Kollegen von den Grünen und auch von den Linken . ist . Man muss doch vielleicht den Mut der Sozialdemokratie anerkennen, Verantwortung in diesem Land zu überneh- Sie schreiben, dass der Umfang des Presseauskunfts- men und sich als Opposition nicht einfach vom Acker zu rechts gegenüber Bundesbehörden im Ungewissen blei- machen . Vielmehr sollte man anerkennen: Die SPD hat be, zitieren in Ihrem Gesetzentwurf aber nur wenige Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18897

Dr. Tim Ostermann (A) Sätze vorher das Bundesverfassungsgericht . Es ist meis- der Auskunftserteilung durch den Bund entspräche nicht (C) tens gut, das Bundesverfassungsgericht zu zitieren . Das den verfassungsrechtlichen Anforderungen . Eine nähe- Bundesverfassungsgericht hat in einem Urteil zu diesem re Analyse zeigt jedoch: Der Pressefreiheit ist bereits konkreten Fall festgestellt, dass den Presseangehörigen jetzt vollumfänglich Genüge getan . Sie versuchen, einen in der Praxis auch auf Bundesebene ein Auskunftsan- Sachverhalt zu regeln, der schon ausreichend geregelt ist . spruch eingeräumt wird, Dabei können wir leider nicht mitmachen . (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Schönen Dank . NEN]: Sie haben mir nicht zugehört!) (Beifall bei der CDU/CSU) der den Auskunftsansprüchen der Landespressegesetze entspricht . Ich habe mir dieses Urteil heute einmal ange- Vizepräsidentin Claudia Roth: schaut; die Zeit war ja recht kurz, weil dieser Gesetzent- Danke schön, kurz und bündig .– Damit schließe ich wurf kurzfristig auf die Tagesordnung kam . Und darauf die Aussprache . kommt es an . Der Presse steht gegenüber den Bundes- behörden ein Auskunftsrecht zu, und zwar im gleichen Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Umfang, wie es den Pressevertretern gegenüber Landes- Drucksache 18/8246 an die in der Tagesordnung aufge- behörden zusteht . führten Ausschüsse vorgeschlagen . Die Federführung ist allerdings strittig . Die Fraktionen der CDU/CSU und Das ist auch richtig so; denn natürlich setzt eine effek- SPD wünschen Federführung beim Innenausschuss, die tive Tätigkeit der Presse voraus, dass ihre Vertreter von Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federführung staatlichen Stellen Auskunft über öffentlich bedeutsame beim Ausschuss für Kultur und Medien . Angelegenheiten erhalten . Den Medien muss ermöglicht werden, ihre Kontroll- und Vermittlungsfunktion zu er- Ich lasse zuerst einmal über den Überweisungsvor- füllen . Dies ist für jedes demokratische und plurale Sys- schlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abstimmen: tem unerlässlich . Die aus dem Grundgesetz abgeleitete Federführung beim Ausschuss für Kultur und Medien . Auskunftspflicht von Bundesbehörden ist selbstverständ- Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer lich justiziabel und vor Gericht einklagbar . Daher gilt: stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Überweisungs- Wenn Sie in den Prosateil Ihres Gesetzentwurfs pathe- vorschlag ist abgelehnt . Zugestimmt haben Bündnis 90/ tisch hineinformulieren, dass derzeit „keine den rechts- Die Grünen und die Linken, abgelehnt haben CDU/CSU staatlichen Anforderungen genügende eindeutige, trans- und SPD . parente und Willkürfreiheit gewährleistende Regelung“ existiere, so entspricht dies schlicht und ergreifend nicht Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor- (B) den Tatsachen . schlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Feder- (D) führung beim Innenausschuss . Wer stimmt für diesen Noch unverständlicher ist aber für mich, wenn Sie Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer dem Bundestag mit Ihrem Gesetzentwurf auch noch Re- enthält sich? – Der Überweisungsvorschlag ist angenom- gelungen unterjubeln wollen, die über die in den von Ih- men . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegen- nen als Vorbilder genannten Landespressegesetzen weit gestimmt haben Linke und Bündnis 90/Die Grünen . hinausgehen . Stephan Mayer hat es angesprochen, dass Sie gerne erreichen wollen, das Auskunftsrecht auch für Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: die Fälle zu etablieren, in denen es um zu ermittelnde Zweite und dritte Beratung des von der Bun- oder zu beschaffende Informationen geht . Eine solch desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge- weite Ausgestaltung des Auskunftsrechts gibt es in kei- setzes zur Änderung bewachungsrechtlicher nem einzigen Landespressegesetz, übrigens auch nicht Vorschriften in den Landespressegesetzen, die Sie selbst mitgestaltet haben; Sie sind ja in einigen Ländern an der Regierung Drucksache 18/8558 beteiligt . Die Landespressegesetze gewähren allesamt Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- lediglich Zugang zu den vorhandenen amtlichen Infor- ses für Wirtschaft und Energie (9 .Ausschuss) mationen . Drucksache 18/9707 Ihre Forderung nach einem Recht auf Beschaffung von Informationen, über die die Behörden selbst über- Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – haupt nicht verfügen, ist umso unverständlicher, weil Alle sind damit einverstanden 1). Sie an anderer Stelle fordern, den presserechtlichen Aus- Dann kommen wir jetzt sofort zur Abstimmung . Der kunftsanspruch auf Augenhöhe mit den Ansprüchen aus Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in sei- den Landespressegesetzen festzuschreiben . Die Augen- ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9707, höhe würde hier aber deutlich überschritten . den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa- Ein weiteres Beispiel: Sie schreiben, Auskünfte sollten che 18/8558 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich nur dann verweigert werden können, wenn „berechtigte bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus- öffentliche Interessen ausnahmsweise überwiegen“ . Das schussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- berechtigte öffentliche Interesse wäre also ein Ausnah- chen .– Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der metatbestand . Auch hier können wir nicht mitgehen, lie- Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenom- be Kolleginnen und Kollegen der Grünen . Sie wollen mit Ihrem Gesetzentwurf den Eindruck vermitteln, die Praxis 1) Anlage 13 18898 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) men . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, enthalten Drucksachen 18/8828, 18/9239, 18/9596 (C) haben sich Bündnis 90/Die Grünen und die Linke . Nr. 1.7 Dritte Beratung Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz- ausschusses (7 . Ausschuss) und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erhe- Drucksache 18/9688 ben . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der – Bericht des Haushaltsausschusses (8 .Aus - Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung CDU/CSU und SPD, Enthaltung bei Bündnis 90/Die Grünen und der Linken . Drucksache 18/9689 Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: Die Reden gehen zu Protokoll. – Sie sind einverstan- den 3). Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Finanzausschusses (7 .Ausschuss) zu Wir kommen zur Abstimmung . Der Finanzausschuss dem Antrag der Abgeordneten Dr .Axel Troost, empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- Klaus Ernst, Matthias W . Birkwald, weiterer Ab- che 18/9688, den Gesetzentwurf der Bundesregierung geordneter und der Fraktion DIE LINKE auf den Drucksachen 18/8828 und 18/9239 in der Aus- schussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Solidaritätszuschlag für gleichwertige Lebens- Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wol- verhältnisse in ganz Deutschland verwenden len, um das Handzeichen .– Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Drucksachen 18/5221, 18/9694 Beratung angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Sie und SPD, dagegen war die Linke, Enthaltung Bünd- sind alle einverstanden 1). nis 90/Die Grünen . Wir kommen zur Abstimmung . Der Finanzausschuss Dritte Beratung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck- und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem sache 18/9694, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben .– Drucksache 18/5221 abzulehnen . Wer stimmt für diese Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer entwurf ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenom- und SPD, dagegen war die Linke, Enthaltung von Bünd- men . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegen nis 90/Die Grünen . (B) war die Linke, enthalten hat sich Bündnis 90/Die Grünen . (D) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a und 22 b auf: Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 20 auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Weiter- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einfüh- entwicklung der Versorgung und der Vergü- rung der elektronischen Akte in Strafsachen tung für psychiatrische und psychosomatische und zur weiteren Förderung des elektroni- Leistungen (PsychVVG) schen Rechtsverkehrs Drucksache 18/9528 Drucksache 18/9416 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Maria Innenausschuss Ausschuss Digitale Agenda Klein-Schmeink, Dr . Harald Terpe, Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden .– Sie Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sind einverstanden 2). Psychisch erkrankte Menschen besser versor- Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent- gen – Jetzt Hilfenetz weiterentwickeln wurfs auf Drucksache 18/9416 an die in der Tagesord- Drucksache 18/9671 nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .– Keine anderen Vorschläge . Dann ist die Überweisung so be- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) schlossen . Ausschuss für Arbeit und Soziales Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Die Reden gehen zu Protokoll. – Sie sind einverstan- – Zweite und dritte Beratung des von der Bun- den 4). desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur steuerlichen Förderung von Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Elektromobilität im Straßenverkehr den Drucksachen 18/9528 und 18/9671 an die in der Ta-

1) Anlage 14 3) Anlage 16 2) Anlage 15 4) Anlage 17 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18899

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .– Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs (C) Sie sind damit einverstanden . Dann sind die Überwei- auf Drucksache 18/9530 an die in der Tagesordnung auf- sungen so beschlossen . geführten Ausschüsse vorgeschlagen . Keine weiteren Vorschläge? – Dann ist die Überweisung so beschlossen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- zur Stärkung der Verfahrensrechte von Be- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durch- schuldigten im Strafverfahren und zur Ände- führung unionsrechtlicher Vorschriften über rung des Schöffenrechts das Schulprogramm für Obst, Gemüse und Milch (Landwirtschaftserzeugnisse-Schulpro- Drucksache 18/9534 grammgesetz – LwErzgSchulproG) Überweisungsvorschlag: Drucksache 18/9519 Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Überweisungsvorschlag: Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden .– Sie Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) sind einverstanden 1). Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen­ Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs abschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen auf Drucksache 18/9534 an den Ausschuss für Recht und Union Verbraucherschutz vorgeschlagen . Keine anderen Vor- schläge? – Dann ist die Überweisung so beschlossen . Die Reden gehen zu Protokoll.4) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf: Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/9519 an die in der Tagesordnung auf- Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- geführten Ausschüsse vorgeschlagen . Keine weiteren gebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Vorschläge? – Dann ist die Überweisung so beschlossen . Änderung des Bundesfernstraßenmautgeset- zes Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a und 28 b auf: Drucksache 18/9440 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Überweisungsvorschlag: zes zur Bekämpfung der Verbreitung neuer Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) psychoaktiver Stoffe (B) Ausschuss für Wirtschaft und Energie (D) Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Drucksachen 18/8579, 18/8964, 18/9129 Nr. 1.1 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor­ sicherheit Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Ausschuss für Tourismus ses für Gesundheit (14 .Ausschuss) Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO Drucksache 18/9699 Alle Reden werden zu Protokoll gegeben .– Sie sind einverstanden 2). b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für Gesundheit (14 .Aus - Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Frank wurfs auf Drucksache 18/9440 an die in der Tagesord- Tempel, Kathrin Vogler, Matthias W . Birkwald, nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .– Es gibt weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE keine weiteren Vorschläge . Dann ist die Überweisung so LINKE beschlossen . Für eine zeitgemäße Antwort auf neue psy- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf: choaktive Substanzen Erste Beratung des von der Bundesregierung Drucksachen 18/8459, 18/9699 eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neu- Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein ordnung der Aufgaben der Bundesanstalt für Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- Finanzmarktstabilisierung (FMSA-Neuord- nen vor . nungsgesetz – FMSANeuOG) Die Reden gehen zu Protokoll.5) Drucksache 18/9530 Damit kommen wir zur Abstimmung über den von Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss (f) der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Bekämpfung der Verbreitung neuer psychoaktiver Stoffe . Finanzausschuss Tagesordnungspunkt 28 a . Der Ausschuss für Gesund- Auch da gehen die Reden zu Protokoll.3) heit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussemp- fehlung auf Drucksache 18/9699, den Gesetzentwurf der 1) Anlage 18 2) Anlage 19 4) Anlage 21 3) Anlage 20 5) Anlage 22 18900 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Bundesregierung auf Drucksachen 18/8579 und 18/8964 Dritte Beratung (C) in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte dieje- nigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die zustim- zustimmen wollen, um das Handzeichen .– Wer stimmt men wollen, sich zu erheben . – Wer stimmt dagegen? – dagegen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist angenommen . angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegenge- dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen und die Linke . stimmt hat niemand, und enthalten haben sich die Linken und Bündnis 90/Die Grünen . Dritte Beratung Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf: und Schlussabstimmung . Wer zustimmen will, möge Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- sich erheben .– Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Der Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben zes zur Durchführung der Verordnung (EU) CDU/CSU und SPD, dagegengestimmt haben Bünd- Nr. 655/2014 sowie zur Änderung sonstiger zi- nis 90/Die Grünen und die Linke . vilprozessualer Vorschriften (EuKoPfVODG) Abstimmung über den Entschließungsantrag der Frak- Drucksache 18/7560 tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/9708 . Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschlie- ses für Recht und Verbraucherschutz (6 .Aus - ßungsantrag ist abgelehnt . Zugestimmt haben Bünd- schuss) nis 90/Die Grünen, dagegengestimmt haben CDU/CSU Drucksache 18/9698 und SPD, enthalten hat sich die Linke . Der Gesetzentwurf beinhaltet in der Fassung der Be- Tagesordnungspunkt 28 b . Beschlussempfehlung des schlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Ver- Ausschusses für Gesundheit zum Antrag der Fraktion braucherschutz auch Änderungen grundbuchrechtlicher Die Linke mit dem Titel „Für eine zeitgemäße Antwort und vermögensrechtlicher Vorschriften sowie der Justiz- auf neue psychoaktive Substanzen“ . Der Ausschuss emp- beitreibungsordnung .

fiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf 2) Drucksache 18/9699, den Antrag der Fraktion Die Linke Die Reden gehen zu Protokoll. auf Drucksache 18/8459 abzulehnen . Wer stimmt für die- Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für se Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Be- enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist bei Zustim- schlussempfehlung auf Drucksache 18/9698, den Gesetz- (B) (D) mung von CDU/CSU und SPD angenommen . Dagegen- entwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/7560 in gestimmt haben die Linke und Bündnis 90/Die Grünen . der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf: men wollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt dage- Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- gen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- in zweiter Beratung angenommen . Zugestimmt haben zes zur Änderung abfallverbringungsrechtli- CDU/CSU und SPD, dagegengestimmt hat die Linke, cher Vorschriften und enthalten haben sich Bündnis 90/Die Grünen . Drucksache 18/8961 Dritte Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben .– ses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsi- Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- cherheit (16 .Ausschuss) entwurf ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU Drucksache 18/9706 und SPD, dagegengestimmt hat die Linke, enthalten hat sich Bündnis 90/Die Grünen . Die Reden gehen zu Protokoll.1) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf: Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit emp- richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- Bau und Reaktorsicherheit (16 .Ausschuss) zu che 18/9706, den Gesetzentwurf der Bundesregierung der Verordnung der Bundesregierung auf Drucksache 18/8961 in der Ausschussfassung anzu- nehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in Verordnung zur Änderung der Chemikali- der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand- en-Klimaschutzverordnung zeichen .– Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenom- Drucksachen 18/8959, 18/9129 Nr. 2.2, 18/9705 men . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, enthalten Die Reden gehen zu Protokoll.3) haben sich die Linke und Bündnis 90/Die Grünen . 2) Anlage 24 1) Anlage 23 3) Anlage 25 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18901

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- (C) Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit emp- schätzung fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- Die Reden gehen zu Protokoll.3) che 18/9705 der Verordnung auf Drucksache 18/8959 zuzustimmen . Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die wurfs auf Drucksache 18/9633 an die in der Tagesord- Beschlussempfehlung ist angenommen . Zugestimmt ha- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .– Es gibt ben CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen, und keine weiteren Vorschläge . Dann ist die Überweisung so enthalten haben sich die Linken . beschlossen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf: Ich rufe den Tagesordnungspunkt 35 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Erste Beratung des von der Bundesregierung richts des Ausschusses für Bildung, Forschung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Be- und Technikfolgenabschätzung (18 . Ausschuss) endigung der Sonderzuständigkeit der Famili- zu dem Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD enkassen des öffentlichen Dienstes im Bereich und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN des Bundes Deutsch-indische Bildungs- und Wissen- Drucksache 18/9441 schaftskooperation ausbauen Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Drucksachen 18/8708, 18/9661 Innenausschuss 1) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Die Reden gehen zu Protokoll. Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für Die Reden gehen zu Protokoll.4) Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- che 18/9661, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, wurfs auf Drucksache 18/9441 an die in der Tagesord- der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen auf Druck- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .– Es gibt sache 18/8708 anzunehmen . Wer stimmt für diese Be- keine weiteren Vorschläge . Dann ist die Überweisung so schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- beschlossen . hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 36 auf: Zugestimmt haben CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen . Enthalten hat sich die Linke . Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- (B) (D) gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umset- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 auf: zung der Berufsanerkennungsrichtlinie und Erste Beratung des von der Bundesregierung zur Änderung weiterer Vorschriften im Be- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neu- reich der rechtsberatenden Berufe regelung des Mikrozensus und zur Änderung Drucksache 18/9521 weiterer Statistikgesetze Überweisungsvorschlag: Drucksache 18/9418 Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Finanzausschuss Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie Innenausschuss (f) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen­ Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz abschätzung 2) Die Reden gehen zu Protokoll. Die Reden gehen zu Protokoll.5) Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- auf Drucksache 18/9418 an die in der Tagesordnung auf- wurfs auf Drucksache 18/9521 an die in der Tagesord- geführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es anderwei- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .– Es gibt tige Vorschläge? – Nein . Dann ist die Überweisung so keine weiteren Vorschläge . Dann ist die Überweisung so beschlossen . beschlossen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 34 auf: Ich rufe den Tagesordnungspunkt 37 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Erste Beratung des von der Bundesregie- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neure- rung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes gelung des Bundesarchivrechts zu dem Wirtschaftspartnerschaftsabkom- Drucksache 18/9633 men vom 15. Oktober 2008 zwischen den Überweisungsvorschlag: ­CARIFORUM-Staaten einerseits und der Eu- Ausschuss für Kultur und Medien (f) ropäischen Gemeinschaft und ihren Mitglied- Innenausschuss staaten andererseits Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz 3) Anlage 28 1) Anlage 26 4) Anlage 29 2) Anlage 27 5) Anlage 30 18902 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Drucksache 18/8297 nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .– Es gibt (C) Überweisungsvorschlag: keine weiteren Vorschläge . Dann ist die Überweisung so Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und beschlossen . ­Entwicklung (f) Auswärtiger Ausschuss Damit ist die heutige Tagesordnung vollumfänglich Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz erschöpft . Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- tages auf Freitag, den 23 . September 2016, 9 Uhr, ein . Die Reden gehen zu Protokoll.1) Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen noch Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- einen schönen Restabend . wurfs auf Drucksache 18/8297 an die in der Tagesord- (Schluss: 22 .02 Uhr)

1) Anlage 31

(B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18903

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Andreas Schwarz, Martina Stamm-Fibich, Claudia Tausend und Carsten Träger (alle SPD) zu den na- Liste der entschuldigten Abgeordneten mentlichen Abstimmungen über – den Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, entschuldigt bis Matthias W. Birkwald, Susanna Karawanskij, Abgeordnete(r) einschließlich weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Böhmer, Dr . Maria CDU/CSU 22 .09 .2016 zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates über die Unterzeichnung – im Namen der Euro- Bluhm, Heidrun DIE LINKE 22 .09 .2016 päischen Union – des umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommens (CETA) zwischen Ka- Gabriel, Sigmar SPD 22 .09 .2016 nada einerseits und der Europäischen Union Heiderich, Helmut CDU/CSU 22 .09 .2016 und ihren Mitgliedstaaten andererseits KOM(2016) 444 endg.; Ratsdok. 10968/16 Hellmich, Wolfgang SPD 22 .09 .2016 und Hintze, Peter CDU/CSU 22 .09 .2016 zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Ra- tes über die vorläufige Anwendung des umfas- Kofler, Dr. Bärbel SPD 22 .09 .2016 senden Wirtschafts- und Handelsabkommens (CETA) zwischen Kanada einerseits und der Lach, Günter CDU/CSU 22 .09 .2016 Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits Launert, Dr . Silke CDU/CSU 22 .09 .2016 KOM(2016) 470 endg.; Ratsdok. 10969/16 Lerchenfeld, Philipp CDU/CSU 22 .09 .2016 Graf hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes- regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Leyen, Dr . Ursula von CDU/CSU 22 .09 .2016 Grundgesetzes (B) (D) der Gemeinwohl vor Konzerninteressen – CETA stoppen Obermeier, Julia CDU/CSU 22 .09 .2016 (Tagesordnungspunkt 6 a) Özoğuz, Aydan SPD 22 .09 .2016 und Schlecht, Michael DIE LINKE 22 .09 .2016 – den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Schmelzle, Heiko CDU/CSU 22 .09 .2016 zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates Schmidt (Fürth), CDU/CSU 22 .09 .2016 über die Unterzeichnung – im Namen der Euro- Christian päischen Union – des umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommens (CETA) zwischen Ka- Steinbrück, Peer SPD 22 .09 .2016 nada einerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits Steinmeier, Dr . Frank- SPD 22 .09 .2016 KOM(2016) 444 endg.; Ratsdokument 10968/16 Walter und Widmann-Mauz, CDU/CSU 22 .09 .2016 Annette zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Ra- tes über die vorläufige Anwendung des umfas- Willsch, Klaus-Peter CDU/CSU 22 .09 .2016 senden Wirtschafts- und Handelsabkommens (CETA) zwischen Kanada einerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten Anlage 2 andererseits Erklärung nach § 31 GO KOM(2016) 470 endg.; Ratsdokument 10969/16 der Abgeordneten Florian Pronold, Ulrike Bahr, hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes- Klaus Barthel Dr. Karl-Heinz Brunner, Martin regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Burkert, Sabine Dittmar, Christian Flisek, Gabriele Grundgesetzes i. V. m. § 8 Absatz 4 des Fograscher, Uli Grötsch, Gabriela Heinrich, Gesetzes über die Zusammenarbeit von Anette Kramme, Florian Post, Marianne Schieder, Bundesregierung und Deutschem Bundes- 18904 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) tag in Angelegenheiten der Europäischen prehensive Economic and Trade Agreement (CETA) (C) Union ‒ Für freien und fairen Handel) ist eine Zustimmung zu CETA nicht verbunden . Sie wäre für uns nach heutigem Comprehensive Economic and Trade Agree- Stand auch nicht möglich . Sie wäre nur dann denkbar, ment (CETA) – Für freien und fairen Handel wenn wesentliche Verbesserungen an dem Abkommen (Tagesordnungspunkt ZP 3) am Ende des Prozesses rechtssicher festgehalten sind . sowie – den Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, Kerstin Andreae, Britta Haßelmann, weiterer Anlage 3 Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Erklärung nach § 31 GO DIE GRÜNEN der Abgeordneten Lothar Binding (Heidelberg), zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates Dr. Lars Castellucci, Dr. h. c. Gernot Erler, Michael über die Unterzeichnung – im Namen der Euro- Gerdes, Christina Jantz-Herrmann, Steffen- päischen Union – des umfassenden Wirtschafts- Claudio Lemme, Stefan Rebmann, Dr. Carola und Handelsabkommens (CETA) zwischen Ka- Reimann, Dr. Dorothee Schlegel, Elfi Scho- nada einerseits und der Europäischen Union Antwerpes und Frank Schwabe (alle SPD) zu den und ihren Mitgliedstaaten andererseits namentlichen Abstimmungen über KOM(2016) 444 endg.; Ratsdok. 10968/16 – den Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, und Matthias W. Birkwald, Susanna Karawanskij, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Ra- LINKE tes über die vorläufige Anwendung des umfas- senden Wirtschafts- und Handelsabkommens zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates (CETA) zwischen Kanada einerseits und der über die Unterzeichnung – im Namen der Euro- Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten päischen Union – des umfassenden Wirtschafts- andererseits und Handelsabkommens (CETA) zwischen Ka- nada einerseits und der Europäischen Union KOM(2016) 470 endg.; Ratsdok. 10969/16 und ihren Mitgliedstaaten andererseits hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes- KOM(2016) 444 endg.; Ratsdok. 10968/16 regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des (B) (D) Grundgesetzes und Comprehensive Economic and Trade Agree- zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Ra- ment (CETA) ablehnen tes über die vorläufige Anwendung des umfas- (Tagesordnungspunkt 39 a) senden Wirtschafts- und Handelsabkommens (CETA) zwischen Kanada einerseits und der (Tagesordnungspunkte 6 a, ZP 3 und 39 a) Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten Im vorliegenden Koalitionsantrag geht es nicht um andererseits eine abschließende Abstimmung des Deutschen Bundes- KOM(2016) 470 endg.; Ratsdok. 10969/16 tages über CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA) ‒ Für freien und fairen Handel). Wir hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes- sehen in diesem Antrag aber einen Schritt in Richtung regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des einer Verbesserung des vorliegenden Vertragsentwurfs . Grundgesetzes Es werden die schwerwiegenden Bedenken und Ableh- Gemeinwohl vor Konzerninteressen – CETA nungsgründe beim Investitionsschutz, bei der wirksamen stoppen Durchsetzung des Vorsorgeprinzips sowie von Standards für Arbeit, Soziales, Umwelt und Daseinsvorsorge be- (Tagesordnungspunkt 6 a) nannt . Es wird der Wille formuliert, hierbei zu rechts- wirksamen Ergänzungen in unserem Sinne zu kommen, und wie sie auch der SPD-Parteikonvent gefordert hatte . – den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und Die Durchsetzung dieser Ziele soll sich durch das ge- SPD samte Verfahren der Beratungen ziehen, angefangen im zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates EU-Ministerrat, bis hin zur Ratifikation im Deutschen über die Unterzeichnung – im Namen der Euro- Bundestag und Bundesrat . Auch spricht sich der An- päischen Union – des umfassenden Wirtschafts- trag klar für transparente, schrittweise parlamentarische und Handelsabkommens (CETA) zwischen Ka- Verfahren aus . Jeder Schritt ist dabei ergebnisoffen und nada einerseits und der Europäischen Union schließt die Möglichkeit eines Stopps oder einer Ableh- und ihren Mitgliedstaaten andererseits nung ein . KOM(2016) 444 endg.; Ratsdokument 10968/16 Mit dem Koalitionsantrag Bundestagsdrucksa- che .18/9663 vom 20 . September 2016 zu CETA (Com- und Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18905

(A) zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Ra- Die Anträge der Fraktion Die Linke und der Frakti- (C) tes über die vorläufige Anwendung des umfas- on Bündnis 90/Die Grünen simulieren Entscheidungs- senden Wirtschafts- und Handelsabkommens fähigkeit im Nichtwissen . Damit machen sie sich in (CETA) zwischen Kanada einerseits und der der Urteilsfindung gemein mit dem Bundesverband der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten Deutschen Industrie (BDI), dem Deutschen Industrie- andererseits und Handelskammertag (DIHK), campact (nachgebildet MoveOn in den USA), vielen ver di-Mitgliedern. und an- KOM(2016) 470 endg.; Ratsdokument 10969/16 deren, die schon seit Monaten, einige schon seit Jahren, hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes- wissen, dass der Weltuntergang droht, wenn CETA nicht regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des kommt, so die einen, wenn CETA kommt, so die anderen . Grundgesetzes i. V. m. § 8 Absatz 4 des Ein Blick zurück: In vielen Briefen wurden wir um Gesetzes über die Zusammenarbeit von Zustimmung zu TTIP, CETA und TiSA gebeten – für Bundesregierung und Deutschem Bundes- Wachstum, Arbeitsplätze und weil Freihandel einfach tag in Angelegenheiten der Europäischen gut ist . In vielen anderen wurden wir um Ablehnung Union gebeten – gegen Schiedsgerichtsbarkeit, Privatisierung Comprehensive Economic and Trade Agree- der Kultur, Gefährdung der Daseinsvorsorge und des ment (CETA) – Für freien und fairen Handel Vorsorgeprinzips . Es wurde viel spekuliert . Bevor nicht der endgültige Vertragstext und alle rechtsverbindlichen (Tagesordnungspunkt ZP 3) Ergänzungen zur Beschlussfassung im Bundestag vorlie- sowie gen, können die einen ihre Hoffnung auf Wachstum und Arbeitsplätze ebenso wenig begründen wie die anderen – den Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, ihre Befürchtungen . Kerstin Andreae, Britta Haßelmann, weiterer Deshalb unsere stereotype Antwort: Wenn sich alle Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Hoffnungen der Befürworter durch den Vertrag bestä- DIE GRÜNEN tigen lassen, stimmen wir zu . Wenn sich alle Befürch- zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates tungen derjenigen Bürgerinnen und Bürger, die uns über die Unterzeichnung – im Namen der Euro- auffordern abzulehnen, bestätigen, lehnen wir ab . Das päischen Union – des umfassenden Wirtschafts- entscheiden wir endgültig, wenn entscheidungsreife Vor- und Handelsabkommens (CETA) zwischen Ka- lagen den Bundestag erreichen . nada einerseits und der Europäischen Union Über die Jahre haben sich die einen so sehr an ihre und ihren Mitgliedstaaten andererseits (B) Hoffnung gewöhnt wie die anderen an ihre Befürchtung, (D) KOM(2016) 444 endg.; Ratsdok. 10968/16 dass riesige Veränderungen in den Vertragstexten, ja selbst jene, die Ergebnis des eigenen Erfolgs sind, kaum und wahrgenommen werden und man fest im einmal gefällten zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Ra- Urteil stecken bleibt . Aber es gibt auch gute Beispiele: tes über die vorläufige Anwendung des umfas- Nachdem Sigmar Gabriel mit der Kanadischen Handels- senden Wirtschafts- und Handelsabkommens ministerin Chrystia Freeland wichtige Verbesserungen (CETA) zwischen Kanada einerseits und der hinsichtlich der Arbeitnehmerrechte erreichen konnte, Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten hat Reiner Hoffmann, Vorsitzender des Deutschen Ge- andererseits werkschaftsbundes (DGB), den auf dem SPD-Konvent eingeschlagenen Weg unterstützt . KOM(2016) 470 endg.; Ratsdok. 10969/16 Anders als Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen, hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes- die schon lange wissen, dass sie gegen diese Freihan- regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des delsabkommen sind, und anders als CDU und CSU, die Grundgesetzes schon lange wissen, dass sie für diese Freihandelsab- kommen sind, haben SPD und SPD-Bundestagsfraktion Comprehensive Economic and Trade Agree- einen intensiven Diskussions- und Abwägungsprozess ment (CETA) ablehnen angestoßen und organisiert . In diesem von Bundeswirt- (Tagesordnungspunkt 39 a) schaftsminister Gabriel wesentlich getragenen Prozess wurde der Ursprungstext so verändert, dass die Kritiker (Tagesordnungspunkte 6 a, ZP 3 und 39 a) der Ursprungstexte in Pro und Kontra zusammengeführt Müssten wir heute über das Freihandelsabkommen werden . Dazu gab es einen großen SPD-Konvent, auf mit Kanada „CETA“ abstimmen, wir würden ablehnen . dem wir die „roten Linien“ für eine Zustimmung zu den Aber heute wird nicht über den Vertragstext des Abkom- aktuellen Freihandelsabkommen beschlossen haben . Wer mens CETA abgestimmt . diese Veränderungen wahrnimmt, erkennt, wie wesent- lich diese Änderungen für den Zusammenhalt unserer Heute wird darüber entschieden, ob wir den Bundes- Gesellschaft sind . Und damit ist nicht nur die deutsche wirtschaftsminister beauftragen, im Handelsministerrat Gesellschaft gemeint . Unser Ziel ist, den Wohlstand aller der EU den aktuell vorliegenden Vertragsentwurf CETA Menschen global zu fördern, nicht nur in Deutschland – in die parlamentarischen Verfahren, in die Parlamente, zu auch in Kanada und in allen europäischen Staaten sol- geben . len die Menschen profitieren. Mit Kanada verbindet uns 18906 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) eine jahrelange politische wie auch wirtschaftliche Zu- – Mit der Formulierung: „Der Deutsche Bundestag be- (C) sammenarbeit, die mit CETA nun weiter ausgebaut und grüßt die Bereitschaft der kanadischen Regierung, der vertieft werden soll . Wenn Europa als Staatenverbund Europäischen Kommission und der Bundesregierung mit 500 Millionen Einwohnern einen Vertrag verhandelt, im Rahmen des weiteren Verfahrens rechtsverbindli- kann es viel mehr erreichen, als wenn ein Staat dies al- che Klärungen der noch offenen Fragen herbeizufüh- leine tun würde . Bei solch kraftvollen Verbindungen gilt ren, und setzt sich gleichfalls hierfür ein“ ergibt sich es zu darauf zu achten, dass die Schwächsten nicht auf die offene Frage, warum „rechtsverbindliche Klärun- der Strecke bleiben . Die schwächsten Menschen und die gen“ nicht einfach in das Vertragswerk CETA eingear- schwächsten Staaten . Unter diesen Gesichtspunkten ist beitet werden . das Interesse der schwächeren EU-Mitgliedsstaaten an CETA gut zu verstehen . Mit Blick auf die irritierenden Pressemeldungen un- mittelbar vor der heutigen Entscheidung, zitieren wir Aber selbst wenn das nun vorliegende Verhandlungs- nachfolgend aus einer Information meines Kollegen ergebnis gegenüber den früheren Fassungen essenzielle Matthias Miersch: Verbesserungen enthält und das trotz der teils heftigen und vorurteilsbeladenen Kritik der Pro- und Kontrasei- „Die SPD hat auf ihrem Konvent nicht für CETA ge- ten, insbesondere die Einführung eines öffentlichen Han- stimmt, wie viele schreiben . Sie hat einen Antrag verab- delsgerichtshofes – statt Schiedsgerichtsbarkeit –, auch schiedet, der unsere Anforderungen an das Abkommen wenn Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge, wie und den nun vor uns liegenden Prozess beschreibt . Wir etwa Wasser, Bildung oder Gesundheit, nun speziellen haben ganz klare Bedingungen beschlossen, die am Ende Schutzregeln unterliegen, würden wir heute noch nicht Maßstab für jeden SPD-Abgeordneten sind . Wenn unse- zustimmen . Unsere Erfahrung lehrt uns, dass es klug ist, re Forderungen nicht erfüllt sind, werde ich CETA nicht Verträge erst dann zu beschließen, wenn alle für sie ein- zustimmen: schlägigen rechtsverbindlichen Texte endgültig vorlie- gen . Ein Grundsatz, den jeder faire Vertrags- bzw . Ver- – Im Bereich des Investorenschutzes muss mit Blick auf handlungspartner mühelos akzeptieren kann . die Rechtstatbestände, wie z B. . ‚faire und gerechte Dies gilt umso mehr, als sich in dem Antrag der Ko- Behandlung‘ und ‚indirekte Enteignung‘ sichergestellt alitionsfraktionen noch einige Formulierungen finden, werden, dass keine Bevorzugung von ausländischen deren Wirkmächtigkeit sich erst erkennen lässt, wenn die gegenüber inländischen Investoren oder Bürgerinnen dazugehörenden Parlamentsentscheidungen getroffen und Bürgern stattfindet. Investorenschutz sollte somit sein werden: auf die Diskriminierung gegenüber inländischen In- vestoren beschränkt werden . (B) – Wenn sich etwa „… Vertragsparteien zum Schutz der (D) Arbeitnehmerrechte bekennen und sich (…) verpflich- – Es muss unmissverständlich und rechtsverbindlich er- ten, Anstrengungen zur Ratifizierung und Umsetzung klärt werden, dass die EU im Rahmen des CETA-Ab- der Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsor- kommens in keiner Weise vom primärrechtlich veran- ganisation (ILO) zu unternehmen“, so wäre doch von kerten Vorsorgeprinzip (Art . 191 AEUV) abweicht . Interesse, ob die Anstrengungen Erfolg haben werden oder nicht . – Im Rahmen des Beratungsprozesses muss ein Sank- tionsmechanismus bei Verstößen der Partner gegen – Oder wenn „Im weiteren Prozess … unbestimmte Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards entwickelt Rechtsbegriffe geklärt werden“ müssen, so wäre auch werden . Die acht ILO-Kernarbeitsnormen müssen ra- hier noch abzuwarten, ob das Ergebnis dieser Klärung tifiziert werden. auf breite Zustimmung in der deutschen Bevölkerung stößt . – Es muss sich aus dem CETA-Vertrag unmissverständ- – Die Formulierung „Spielräume von Kommunen zur lich ergeben, dass bestehende und künftig entstehen- Organisation der Daseinsvorsorge dürfen nicht einge- de Dienstleistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge schränkt und auch künftig nicht angetastet werden . Es nicht vom Vertrag erfasst werden .“ muss im weiteren Ratifikationsprozess sichergestellt werden, dass auch zukünftig kein Druck in Richtung Warum wir dem heutigen Koalitionsantrag zustimmen, Liberalisierung von Dienstleistungen der öffentlichen findet sich im Antrag der Fraktion der CDU/CSU und Daseinsvorsorge ausgeübt werden darf“ begrüßen wir der SPD „Comprehensive Economic and Trade Agree- sehr . Gleichwohl sollte diese Sicherstellung im Ver- ment (CETA): Für freien und fairen Handel“ (Drucksa- tragswerk rechtlich fixiert sein, um später streitanfäl- che 18/9663) in der letzten Feststellung des Bundestages: lige Interpretationen zu vermeiden . „Der Deutsche Bundestag wird im Lichte des weiteren Prozesses im Ratifizierungsverfahren abschließend über – Auch folgende Formulierung hinterlässt einen Rest- seine Zustimmung zu CETA entscheiden .“ zweifel, ob die Unantastbarkeit des Vorsorgeprinzips unmissverständlich klargestellt sei: „Hohe Umwelt- Wie oben gesagt: Heute wird darüber entschieden, und Verbraucherstandards müssen gewährleistet blei- ob wir den Bundeswirtschaftsminister beauftragen, im ben . Das im europäischen Primärrecht verankerte Vor- Handelsministerrat der EU den aktuell vorliegenden Ver- sorgeprinzip bleibt von CETA unberührt . Dies muss tragsentwurf CETA in die parlamentarischen Verfahren, unmissverständlich klargestellt werden .“ in die Parlamente zu geben . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18907

(A) Anlage 4 Bundesregierung und Deutschem Bundes- (C) tag in Angelegenheiten der Europäischen Erklärung nach § 31 GO Union der Abgeordneten Rüdiger Veit, Wolfgang Gunkel, Comprehensive Economic and Trade Agree- Ralf Kapschack, Dr. Birgit Malecha-Nissen, René ment (CETA) – Für freien und fairen Handel Röspel und Christoph Strässer (alle SPD) zu den namentlichen Abstimmungen über (Tagesordnungspunkt ZP 3) – den Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, sowie Matthias W. Birkwald, Susanna Karawanskij, – den Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE Kerstin Andreae, Britta Haßelmann, weiterer LINKE Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates DIE GRÜNEN über die Unterzeichnung – im Namen der Euro- zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates päischen Union – des umfassenden Wirtschafts- über die Unterzeichnung – im Namen der Euro- und Handelsabkommens (CETA) zwischen Ka- päischen Union – des umfassenden Wirtschafts- nada einerseits und der Europäischen Union und Handelsabkommens (CETA) zwischen Ka- und ihren Mitgliedstaaten andererseits nada einerseits und der Europäischen Union KOM(2016) 444 endg.; Ratsdok. 10968/16 und ihren Mitgliedstaaten andererseits und KOM(2016) 444 endg.; Ratsdok. 10968/16 zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Ra- und tes über die vorläufige Anwendung des umfas- zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Ra- senden Wirtschafts- und Handelsabkommens tes über die vorläufige Anwendung des umfas- (CETA) zwischen Kanada einerseits und der senden Wirtschafts- und Handelsabkommens Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten (CETA) zwischen Kanada einerseits und der andererseits Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten KOM(2016) 470 endg.; Ratsdok. 10969/16 andererseits hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes- KOM(2016) 470 endg.; Ratsdok. 10969/16 regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes- (B) Grundgesetzes (D) regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Gemeinwohl vor Konzerninteressen – CETA Grundgesetzes stoppen Comprehensive Economic and Trade Agree- (Tagesordnungspunkt 6 a) ment (CETA) ablehnen und (Tagesordnungspunkt 39 a) – den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und (Tagesordnungspunkte 6 a, ZP 3 und 39 a) SPD Würde heute in der Sache über den derzeit vorliegen- zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates den Text von CETA abgestimmt, könnten wir nicht zu- über die Unterzeichnung – im Namen der Euro- stimmen . päischen Union – des umfassenden Wirtschafts- Auch haben wir erhebliche Zweifel, ob noch in rechts- und Handelsabkommens (CETA) zwischen Ka- verbindlicher und belastbarer Form die notwendigen Er- nada einerseits und der Europäischen Union gänzungen des Vertragstextes oder etwaiger Zusatzver- und ihren Mitgliedstaaten andererseits einbarungen erreicht werden können . KOM(2016) 444 endg.; Ratsdokument 10968/16 Trotzdem werden wir dem Antrag von CDU/CSU und und SPD zustimmen, um entsprechende Versuche hier- zu nicht von vornherein auszuschließen . Den Anträgen zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Ra- von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke, tes über die vorläufige Anwendung des umfas- die das Ergebnis solcher Verhandlungen vorwegnehmen, senden Wirtschafts- und Handelsabkommens werden wir daher nicht zustimmen . (CETA) zwischen Kanada einerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits Anlage 5 KOM(2016) 470 endg.; Ratsdokument 10969/16 Erklärung nach § 31 GO hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes- regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des der Abgeordneten Birgit Kömpel und Dagmar Grundgesetzes i. V. m. § 8 Absatz 4 des Schmidt (Wetzlar) (beide SPD) zu den namentli- Gesetzes über die Zusammenarbeit von chen Abstimmungen über 18908 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) – den Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, sowie (C) Matthias W. Birkwald, Susanna Karawanskij, – den Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE Kerstin Andreae, Britta Haßelmann, weiterer LINKE Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates DIE GRÜNEN über die Unterzeichnung – im Namen der Euro- zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates päischen Union – des umfassenden Wirtschafts- über die Unterzeichnung – im Namen der Euro- und Handelsabkommens (CETA) zwischen Ka- päischen Union – des umfassenden Wirtschafts- nada einerseits und der Europäischen Union und Handelsabkommens (CETA) zwischen Ka- und ihren Mitgliedstaaten andererseits nada einerseits und der Europäischen Union KOM(2016) 444 endg.; Ratsdok. 10968/16 und ihren Mitgliedstaaten andererseits und KOM(2016) 444 endg.; Ratsdok. 10968/16 zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Ra- und tes über die vorläufige Anwendung des umfas- zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Ra- senden Wirtschafts- und Handelsabkommens tes über die vorläufige Anwendung des umfas- (CETA) zwischen Kanada einerseits und der senden Wirtschafts- und Handelsabkommens Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten (CETA) zwischen Kanada einerseits und der andererseits Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten KOM(2016) 470 endg.; Ratsdok. 10969/16 andererseits hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes- KOM(2016) 470 endg.; Ratsdok. 10969/16 regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes- Grundgesetzes regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Gemeinwohl vor Konzerninteressen – CETA Grundgesetzes stoppen Comprehensive Economic and Trade Agree- (Tagesordnungspunkt 6 a) ment (CETA) ablehnen (Tagesordnungspunkt 39 a) und (Tagesordnungspunkte 6 a, ZP 3 und 39 a) (B) – den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und (D) SPD Müssten wir heute über das Freihandelsabkommen mit Kanada „CETA“ abstimmen, wir würden ablehnen . zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates Aber heute wird nicht über den Vertragstext des Abkom- über die Unterzeichnung – im Namen der Euro- mens CETA abgestimmt . päischen Union – des umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommens (CETA) zwischen Ka- Heute wird darüber entschieden, ob wir den Bundes- nada einerseits und der Europäischen Union wirtschaftsminister beauftragen, im Handelsministerrat und ihren Mitgliedstaaten andererseits der EU den aktuell vorliegenden Vertragsentwurf CETA in die parlamentarischen Verfahren, in die Parlamente, zu KOM(2016) 444 endg.; Ratsdokument 10968/16 geben . und Die Anträge der Fraktion Die Linke und der Frakti- zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Ra- on Bündnis 90/Die Grünen simulieren Entscheidungs- tes über die vorläufige Anwendung des umfas- fähigkeit im Nichtwissen . Damit machen sie sich in senden Wirtschafts- und Handelsabkommens der Urteilsfindung gemein mit dem Bundesverband der (CETA) zwischen Kanada einerseits und der Deutschen Industrie (BDI), dem Deutschen Industrie- Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten und Handelskammertag (DIHK), campact (nachgebildet andererseits MoveOn in den USA), vielen ver di-Mitgliedern. und an- deren, die schon seit Monaten, einige schon seit Jahren, KOM(2016) 470 endg.; Ratsdokument 10969/16 wissen, dass der Weltuntergang droht, wenn CETA nicht hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes- kommt, so die einen, wenn CETA kommt, so die anderen . regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Ein Blick zurück: In vielen Briefen wurden wir um Grundgesetzes i. V. m. § 8 Absatz 4 des Zustimmung zu TTIP, CETA und TiSA gebeten – für Gesetzes über die Zusammenarbeit von Wachstum, Arbeitsplätze und weil Freihandel einfach Bundesregierung und Deutschem Bundes- gut ist . In vielen anderen wurden wir um Ablehnung tag in Angelegenheiten der Europäischen gebeten – gegen Schiedsgerichtsbarkeit, Privatisierung Union der Kultur, Gefährdung der Daseinsvorsorge und des Comprehensive Economic and Trade Agree- Vorsorgeprinzips . Es wurde viel spekuliert . Bevor nicht ment (CETA) – Für freien und fairen Handel der endgültige Vertragstext und alle rechtsverbindlichen Ergänzungen zur Beschlussfassung im Bundestag vorlie- (Tagesordnungspunkt ZP 3) gen, können die einen ihre Hoffnung auf Wachstum und Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18909

(A) Arbeitsplätze ebenso wenig begründen wie die anderen zustimmen . Unsere Erfahrung lehrt uns, dass es klug ist, (C) ihre Befürchtungen . Verträge erst dann zu beschließen, wenn alle für sie ein- schlägigen rechtsverbindlichen Texte endgültig vorlie- Deshalb unsere stereotype Antwort: Wenn sich alle gen . Ein Grundsatz, den jeder faire Vertrags- bzw . Ver- Hoffnungen der Befürworter durch den Vertrag bestä- handlungspartner mühelos akzeptieren kann . tigen lassen, stimmen wir zu . Wenn sich alle Befürch- tungen derjenigen Bürgerinnen und Bürger, die uns Dies gilt umso mehr, als sich in dem Antrag der Ko- auffordern, abzulehnen, bestätigen, lehnen wir ab . Das alitionsfraktionen noch einige Formulierungen finden, entscheiden wir endgültig, wenn entscheidungsreife Vor- deren Wirkmächtigkeit sich erst erkennen lässt, wenn die lagen den Bundestag erreichen . dazugehörenden Parlamentsentscheidungen getroffen Über die Jahre haben sich die einen so sehr an ihre sein werden: Hoffnung gewöhnt wie die anderen an ihre Befürchtung, – Wenn sich etwa „… Vertragsparteien zum Schutz der dass riesige Veränderungen in den Vertragstexten, ja Arbeitnehmerrechte bekennen und sich (…) verpflich- selbst jene, die Ergebnis des eigenen Erfolgs sind, kaum ten, Anstrengungen zur Ratifizierung und Umsetzung wahrgenommen werden und man fest im einmal gefällten der Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsor- Urteil stecken bleibt . Aber es gibt auch gute Beispiele: ganisation (ILO) zu unternehmen“, so wäre doch von Nachdem Sigmar Gabriel mit der kanadischen Handels- Interesse, ob die Anstrengungen Erfolg haben werden ministerin Chrystia Freeland wichtige Verbesserungen oder nicht . hinsichtlich der Arbeitnehmerrechte erreichen konnte, hat Reiner Hoffmann, Vorsitzender des Deutschen Ge- – Oder wenn „Im weiteren Prozess (…) unbestimmte werkschaftsbundes (DGB), den auf dem SPD-Konvent Rechtsbegriffe geklärt werden“ müssen, so wäre auch eingeschlagenen Weg unterstützt . hier noch abzuwarten, ob das Ergebnis dieser Klärung auf breite Zustimmung in der deutschen Bevölkerung Anders als Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen, die stößt . schon lange wissen, dass sie gegen diese Freihandelsab- kommen sind, und anders als CDU und CSU, die schon – Die Formulierung „Spielräume von Kommunen zur lange wissen, dass sie für diese Freihandelsabkommen Organisation der Daseinsvorsorge dürfen nicht einge- sind, haben SPD und SPD-Bundestagsfraktion einen in- schränkt und auch künftig nicht angetastet werden . Es tensiven Diskussions- und Abwägungsprozess angesto- muss im weiteren Ratifikationsprozess sichergestellt ßen und organisiert . In diesem von Bundeswirtschaftsmi- werden, dass auch zukünftig kein Druck in Richtung nister Gabriel wesentlich getragenen Prozess wurde der Liberalisierung von Dienstleistungen der öffentlichen Text so verändert, dass die Kritiker der Ursprungstexte in Daseinsvorsorge ausgeübt werden darf“ begrüße ich (B) Pro und Kontra zusammengeführt werden . Dazu gab es sehr . Gleichwohl sollte diese Sicherstellung im Ver- (D) einen großen SPD-Konvent, auf dem wir die „roten Lini- tragswerk rechtlich fixiert sein, um später streitanfäl- en“ für eine Zustimmung zu den aktuellen Freihandels- lige Interpretationen zu vermeiden . abkommen beschlossen haben . Wer diese Veränderungen wahrnimmt, erkennt, wie wesentlich diese Änderungen – Auch folgende Formulierung hinterlässt einen Rest- für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft sind . Und zweifel, ob die Unantastbarkeit des Vorsorgeprinzips damit ist nicht nur die deutsche Gesellschaft gemeint . unmissverständlich klargestellt sei: „Hohe Umwelt- Unser Ziel ist, den Wohlstand aller Menschen global und Verbraucherstandards müssen gewährleistet blei- zu fördern, nicht nur in Deutschland – auch in Kanada ben . Das im europäischen Primärrecht verankerte Vor- und in allen europäischen Staaten sollen die Menschen sorgeprinzip bleibt von CETA unberührt . Dies muss profitieren. Mit Kanada verbindet uns eine jahrelange unmissverständlich klargestellt werden .“ politische wie auch wirtschaftliche Zusammenarbeit, – Mit der Formulierung: „Der Deutsche Bundestag be- die mit CETA nun weiter ausgebaut und vertieft werden grüßt die Bereitschaft der kanadischen Regierung, der soll . Wenn Europa als Staatenverbund mit 500 Millionen Europäischen Kommission und der Bundesregierung, Einwohnern einen Vertrag verhandelt, kann es viel mehr im Rahmen des weiteren Verfahrens rechtsverbindli- erreichen, als wenn ein Staat dies alleine tun würde . Bei che Klärungen der noch offenen Fragen herbeizufüh- solch kraftvollen Verbindungen gilt es darauf zu ach- ren, und setzt sich gleichfalls hierfür ein“ ergibt sich ten, dass die Schwächsten nicht auf der Strecke bleiben . die offene Frage, warum „rechtsverbindliche Klärun- Die schwächsten Menschen und die schwächsten Staa- gen“ nicht einfach in das Vertragswerk CETA eingear- ten . Unter diesen Gesichtspunkten ist das Interesse der beitet werden . schwächeren EU-Mitgliedstaaten an CETA gut zu ver- stehen . Mit Blick auf die irritierenden Pressemeldungen un- mittelbar vor der heutigen Entscheidung zitieren wir Aber selbst wenn das nun vorliegende Verhandlungs- nachfolgend aus einer Information meines Kollegen ergebnis gegenüber den früheren Fassungen essenzielle Matthias Miersch: Verbesserungen enthält und das trotz der teils heftigen und vorurteilsbeladenen Kritik der Pro- und Kontra-Sei- „Die SPD hat auf ihrem Konvent nicht für CETA ge- ten, insbesondere die Einführung eines öffentlichen Han- stimmt, wie viele schreiben . Sie hat einen Antrag verab- delsgerichtshofes – statt Schiedsgerichtsbarkeit –, auch schiedet, der unsere Anforderungen an das Abkommen wenn Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge, wie und den nun vor uns liegenden Prozess beschreibt . Wir etwa Wasser, Bildung oder Gesundheit, nun speziellen haben ganz klare Bedingungen beschlossen, die am Ende Schutzregeln unterliegen, würden wir heute noch nicht Maßstab für jeden SPD-Abgeordneten sind . Wenn unsere 18910 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) Forderungen nicht erfüllt sind, werden wir CETA nicht zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Ra- (C) zustimmen: tes über die vorläufige Anwendung des umfas- senden Wirtschafts- und Handelsabkommens – Im Bereich des Investorenschutzes muss mit Blick auf (CETA) zwischen Kanada einerseits und der die Rechtstatbestände, wie z .B . ‚faire und gerechte Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten Behandlung‘ und ‚indirekte Enteignung‘, sicherge- andererseits stellt werden, dass keine Bevorzugung von ausländi- schen gegenüber inländischen Investoren oder Bürge- KOM(2016) 470 endg.; Ratsdok. 10969/16 rinnen und Bürgern stattfindet. Investorenschutz sollte hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes- somit auf die Diskriminierung gegenüber inländischen regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Investoren beschränkt werden . Grundgesetzes – Es muss unmissverständlich und rechtsverbindlich er- Gemeinwohl vor Konzerninteressen – CETA klärt werden, dass die EU im Rahmen des CETA-Ab- stoppen kommens in keiner Weise vom primärrechtlich veran- kerten Vorsorgeprinzip (Artikel 191 AEUV) abweicht . (Tagesordnungspunkt 6 a) – Im Rahmen des Beratungsprozesses muss ein Sank- und tionsmechanismus bei Verstößen der Partner gegen – den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards entwickelt SPD werden . Die acht ILO-Kernarbeitsnormen müssen ra- tifiziert werden. zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates über die Unterzeichnung – im Namen der Euro- – Es muss sich aus dem CETA-Vertrag unmissverständ- päischen Union – des umfassenden Wirtschafts- lich ergeben, dass bestehende und künftig entstehen- und Handelsabkommens (CETA) zwischen Ka- de Dienstleistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge nada einerseits und der Europäischen Union nicht vom Vertrag erfasst werden .“ und ihren Mitgliedstaaten andererseits Warum wir dem heutigen Koalitionsantrag zustimmen, KOM(2016) 444 endg.; Ratsdokument 10968/16 findet sich im Antrag der Fraktion der CDU/CSU und der SPD „Comprehensive Economic and Trade Agree- und ment (CETA): Für freien und fairen Handel“ (Drucksa- zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Ra- che 18/9663) in der letzten Feststellung des Bundestages: tes über die vorläufige Anwendung des umfas- „Der Deutsche Bundestag wird im Lichte des weiteren (B) senden Wirtschafts- und Handelsabkommens (D) Prozesses im Ratifizierungsverfahren abschließend über (CETA) zwischen Kanada einerseits und der seine Zustimmung zu CETA entscheiden .“ Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten Wie oben gesagt: Heute wird darüber entschieden, andererseits ob wir den Bundeswirtschaftsminister beauftragen, im KOM(2016) 470 endg.; Ratsdokument 10969/16 Handelsministerrat der EU den aktuell vorliegenden Ver- tragsentwurf CETA in die parlamentarischen Verfahren, hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes- in die Parlamente, zu geben . regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 8 Absatz 4 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundes- Anlage 6 tag in Angelegenheiten der Europäischen Erklärung nach § 31 GO Union der Abgeordneten Klaus Mindrup und Detlev Comprehensive Economic and Trade Agree- Pilger (beide SPD) zu den namentlichen Abstim- ment (CETA) – Für freien und fairen Handel mungen über (Tagesordnungspunkt ZP 3) – den Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, sowie Matthias W. Birkwald, Susanna Karawanskij, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE – den Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, LINKE Kerstin Andreae, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates DIE GRÜNEN über die Unterzeichnung – im Namen der Euro- päischen Union – des umfassenden Wirtschafts- zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates und Handelsabkommens (CETA) zwischen Ka- über die Unterzeichnung – im Namen der Euro- nada einerseits und der Europäischen Union päischen Union – des umfassenden Wirtschafts- und ihren Mitgliedstaaten andererseits und Handelsabkommens (CETA) zwischen Ka- nada einerseits und der Europäischen Union KOM(2016) 444 endg.; Ratsdok. 10968/16 und ihren Mitgliedstaaten andererseits und KOM(2016) 444 endg.; Ratsdok. 10968/16 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18911

(A) und direkte Enteignung‘ sichergestellt werden, dass (C) keine Bevorzugung von ausländischen gegen- zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Ra- über inländischen Investoren oder Bürgerinnen tes über die vorläufige Anwendung des umfas- und Bürgern stattfinden. Investorenschutz sollte senden Wirtschafts- und Handelsabkommens somit auf die Diskriminierung gegenüber inlän- (CETA) zwischen Kanada einerseits und der dischen Investoren beschränkt werden .“ Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits 2 . „Anders als im Prozess der WTO ist es der Staa- KOM(2016) 470 endg.; Ratsdok. 10969/16 tengemeinschaft gelungen, im Jahr 2015 gemein- sam globale Nachhaltigkeitsziele und das Pariser hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes- Klimaschutzabkommen zu beschließen . Unter regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Bezugnahme auf Artikel 24 4. (Kapitel Handel Grundgesetzes und Umwelt) ist durch die Vertragsparteien zu Comprehensive Economic and Trade Agree- betonen, dass diese Abkommen von großem Wert ment (CETA) ablehnen sind und das CETA-Abkommen und die darin be- schriebene Handels- und Wirtschaftspolitik sich (Tagesordnungspunkt 39 a) an diesen Zielen orientiert .“ (Tagesordnungspunkte 6 a, ZP 3 und 39 a) 3 . „Im Rahmen des Beratungsprozesses ist ein Der Beschluss des SPD-Konvents vom 19 .September Sanktionsmechanismus bei Verstößen der Part- 2016 enthält eine inhaltlich gute Bewertung des vorlie- ner gegen Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards genden CETA-Vertragsentwurfs . Dieser Beschluss zeigt zu entwickeln . Die acht ILO-Kernarbeitsnormen deutlich, dass wir in der augenblicklichen Fassung von müssen ratifiziert werden. Der soziale Dialog ist CETA weit vom vermeintlichen „Goldstandard“ entfernt effektiv auszugestalten, sodass das Verfahren zur sind, sogar tatsächlich wichtige „rote Linien“ reißen . Durchsetzung von Standards wirkungsvoll genug Verursacher ist dabei oftmals nicht die neue kanadische ist und durch Sanktionsmöglichkeiten ergänzt Regierung, sondern die zuständige neoliberal agierende wird .“ Generaldirektion Handel der EU-Kommission . Die bis- Insgesamt wissen wir aber auch zu schätzen, was die herige Haltung in den Gesprächen und Anhörungen der SPD-Fraktionsführung hier mit der Union erreicht hat . Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Kommission hat Wir begrüßen ausdrücklich, dass in der Stellungnahme gezeigt, dass dort die notwendige Problemwahrnehmung deutlich zum Ausdruck kommt, dass der Deutsche Bun- für die kritischen Punkte im Abkommen so gut wie nicht destag erst im Ratifizierungsverfahren abschließend (B) vorhanden ist . über seine Zustimmung zu CETA entscheiden wird, je (D) Der vorliegende Antrag der Regierungsfraktionen ist nachdem, ob unsere geforderten Änderungen nach unse- keine Zustimmung zu CETA in der vorliegenden Fas- rer Einschätzung umgesetzt wurden oder nicht . Deshalb sung . Trotzdem können wir diesem Antrag nicht zustim- werden wir auch nicht gegen unseren Antrag stimmen men, da wir das Verfahren, erst im Ministerrat zuzustim- und nach außen betonen, dass die SPD-Fraktion mit men und danach Verbesserungen erreichen zu wollen, für dieser Stellungnahme ausdrücklich nicht im Bundestag nicht zielführend halten . CETA in der jetzt vorliegenden Form zugestimmt hat . Die Forderung, entweder unsere Verbesserungen in Den Anträgen von Linken und Grünen stimmen wir in das Abkommen zu verhandeln oder als einzige Alterna- inhaltlich aus den eingangs skizzierten Erwägungen zum tive eine Außerkraftsetzung, wird dann auch gegenüber weiteren Verfahren in ihrem Forderungsteil zu, nämlich unseren europäischen Partnern schwerer zu vermitteln CETA jetzt nicht im Ministerrat zu unterzeichnen . Al- sein als jetzt, vor der Unterzeichnung des Vertrages . lerdings können wir den inhaltlichen Begründungen bei beiden Anträgen aus unterschiedlichen Gründen nicht Neben den Bedenken zum Verfahren haben wir auch zustimmen . So werden in der Stellungnahme der Grünen inhaltliche Bedenken . zu CETA die Arbeitnehmerrechte bzw . ILO-Kernarbeits- Es ist bedauerlich, dass ausgerechnet zu den ILO- normen gar nicht erwähnt, und bei den Linken finden Kern­arbeitsnormen die Formulierung des SPD-Konvents sich etliche falsche Behauptungen im Begründungsteil . nicht übernommen wurde . Im Ergebnis unserer Abwägung werden wir daher bei Weiterhin fehlt eine wesentliche Formulierung zur allen drei Anträgen mit Enthaltung votieren . Einschränkung der neuen Gerichtsbarkeit im Verhältnis inländische und ausländische Investoren und Bürger . Das Klimaschutzabkommen von Paris wird ebenfalls nicht Anlage 7 thematisiert . Erklärung nach § 31 GO Die folgenden Formulierungen aus dem Konventsbe- schluss in den Antrag wären für uns hier zwingend für der Abgeordneten Markus Paschke und Kerstin eine Zustimmung gewesen: Tack (beide SPD) zu den namentlichen Abstim- mungen über 1 . „Im Bereich des Investorenschutzes muss mit Blick auf die Rechtstatbestände, wie zum Bei- – den Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, spiel ‚faire und gerechte Behandlung‘ und ‚in- Matthias W. Birkwald, Susanna Karawanskij, 18912 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE – den Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, (C) LINKE Kerstin Andreae, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates DIE GRÜNEN über die Unterzeichnung – im Namen der Euro- päischen Union – des umfassenden Wirtschafts- zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates und Handelsabkommens (CETA) zwischen Ka- über die Unterzeichnung – im Namen der Euro- nada einerseits und der Europäischen Union päischen Union – des umfassenden Wirtschafts- und ihren Mitgliedstaaten andererseits und Handelsabkommens (CETA) zwischen Ka- nada einerseits und der Europäischen Union KOM(2016) 444 endg.; Ratsdok. 10968/16 und ihren Mitgliedstaaten andererseits und KOM(2016) 444 endg.; Ratsdok. 10968/16 zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Ra- und tes über die vorläufige Anwendung des umfas- senden Wirtschafts- und Handelsabkommens zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Ra- (CETA) zwischen Kanada einerseits und der tes über die vorläufige Anwendung des umfas- Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten senden Wirtschafts- und Handelsabkommens andererseits (CETA) zwischen Kanada einerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten KOM(2016) 470 endg.; Ratsdok. 10969/16 andererseits hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes- KOM(2016) 470 endg.; Ratsdok. 10969/16 regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes- regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Gemeinwohl vor Konzerninteressen – CETA Grundgesetzes stoppen Comprehensive Economic and Trade Agree- (Tagesordnungspunkt 6 a) ment (CETA) ablehnen und (Tagesordnungspunkt 39 a) – den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und (Tagesordnungspunkte 6 a, ZP 3 und 39 a) SPD (B) Müssten wir heute über das Freihandelsabkommen (D) zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates mir Kanada „CETA“ abstimmen, wir würden ablehnen . über die Unterzeichnung – im Namen der Euro- Aber heute wird nicht über den Vertragstext des Abkom- päischen Union – des umfassenden Wirtschafts- mens CETA abgestimmt . und Handelsabkommens (CETA) zwischen Ka- nada einerseits und der Europäischen Union Heute wird darüber entschieden, ob wir den Bundes- und ihren Mitgliedstaaten andererseits wirtschaftsminister beauftragen, im Handelsministerrat der EU den aktuell vorliegenden Vertragsentwurf CETA KOM(2016) 444 endg.; Ratsdokument 10968/16 in die parlamentarischen Verfahren, in die Parlamente, zu geben . und Die Anträge der Fraktion Die Linke und der Frakti- zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Ra- on Bündnis 90/Die Grünen simulieren Entscheidungs- tes über die vorläufige Anwendung des umfas- fähigkeit im Nichtwissen . Damit machen sie sich in senden Wirtschafts- und Handelsabkommens der Urteilsfindung gemein mit dem Bundesverband der (CETA) zwischen Kanada einerseits und der Deutschen Industrie (BDI), dem Deutschen Industrie Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten und Handelskammertag (DIHK), campact (nachgebildet andererseits MoveOn in den USA), ver di-Mitgliedern. und anderen, KOM(2016) 470 endg.; Ratsdokument 10969/16 die schon seit Monaten, einige schon seit Jahren, wissen, dass der Weltuntergang droht, wenn CETA nicht kommt, hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes- so die einen, wenn CETA kommt, so die anderen . regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 8 Absatz 4 des Ein Blick zurück: In vielen Briefen wurden wir um Gesetzes über die Zusammenarbeit von Zustimmung zu TTIP, CETA und TiSA gebeten – für Bundesregierung und Deutschem Bundes- Wachstum, Arbeitsplätze und weil Freihandel einfach tag in Angelegenheiten der Europäischen gut ist. In vielen anderen, häufig genug einfach kopier- Union ten Briefen wurden wir um Ablehnung gebeten – gegen Schiedsgerichtsbarkeit, Privatisierung der Kultur, Ge- Comprehensive Economic and Trade Agree- fährdung der Daseinsvorsorge und des Vorsorgeprinzips . ment (CETA) – Für freien und fairen Handel Es wurde viel spekuliert . Bevor nicht der endgültige (Tagesordnungspunkt ZP 3) Vertragstext mit seinen rechtsförmlich wesentlichen Er- gänzungen zur Beschlussfassung im Bundestag vorliegt, sowie können die einen ihre Hoffnung auf Wachstum und Ar- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18913

(A) beitsplätze ebenso wenig begründen wie die anderen ihre dieser Klärung auf breite Zustimmung in der deut- (C) Befürchtungen . schen Bevölkerung stößt . Deshalb unsere stereotype Antwort: Wenn sich alle – Die Formulierung „Spielräume von Kommunen zur Hoffnungen der Befürworter durch den Vertragstext Organisation der Daseinsvorsorge dürfen nicht einge- bestätigen lassen, stimmen wir zu . Wenn sich alle Be- schränkt und auch künftig nicht angetastet werden . Es fürchtungen derjenigen Bürgerinnen und Bürger, die uns muss im weiteren Ratifikationsprozess sichergestellt auffordern, abzulehnen, bestätigen, lehnen wir ab . Das werden, dass auch zukünftig kein Druck in Richtung entscheiden wir endgültig, wenn entscheidungsreife Vor- Liberalisierung von Dienstleistungen der öffentlichen lagen den Bundestag erreichen . Daseinsvorsorge ausgeübt werden darf“ begrüßen wir sehr . Gleichwohl sollte diese Sicherstellung im Ver- Über die Jahre haben sich die einen so sehr an ihre tragswerk rechtlich fixiert sein, um später streitanfäl- Hoffnung gewöhnt wie die anderen an ihre Befürchtung, lige Interpretationen zu vermeiden . dass riesige Veränderungen in den Vertragstexten, ja selbst jene, die Ergebnis des eigenen Erfolgs sind, kaum – Auch folgende Formulierung hinterlässt einen Rest- wahrgenommen werden und man fest im einmal gefäll- zweifel, ob die Unantastbarkeit des Vorsorgeprinzips ten Urteil stecken bleibt . nicht unmissverständlich klargestellt sei: „Hohe Um- welt- und Verbraucherstandards müssen gewährleistet Anders als Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen, die bleiben . Das im europäischen Primärrecht veranker- schon lange wissen, dass sie gegen diese Freihandelsab- te Vorsorgeprinzip bleibt von CETA unberührt . Dies kommen sind, und anders als CDU und CSU, die schon muss unmissverständlich klargestellt werden .“ lange wissen, dass sie für diese Freihandelsabkommen – Mit der Formulierung: „Der Deutsche Bundestag be- sind, haben SPD und SPD-Fraktion einen tiefen Diskus- grüßt die Bereitschaft der kanadischen Regierung, der sions- und Abwägungsprozess angestoßen und organi- Europäischen Kommission und der Bundesregierung, siert . In diesem von Bundeswirtschaftsminister Gabriel im Rahmen des weiteren Verfahrens rechtsverbindli- wesentlich getragenen Prozess wurde der Vertragstext che Klärungen der noch offenen Fragen herbeizufüh- in seinen rechtlichen, sozialen und kulturellen Zielen so ren, und setzt sich gleichfalls hierfür ein“ ergibt sich verändert, dass die Kritiker der Ursprungstexte in Pro die offene Frage, warum „rechtsverbindliche Klärun- und Kontra zusammengeführt werden . Wer diese Verän- gen“ nicht einfach in das Vertragswerk CETA eingear- derungen wahrnimmt, erkennt, wie wesentlich diese Än- beitet werden . derungen dem Zusammenhalt unserer Gesellschaft die- nen . Dazu gab es einen großen SPD-Konvent, auf dem Die Übersichtlichkeit und Bürgerfreundlichkeit des (B) wir „rote Linien“ für eine Zustimmung zu den aktuellen ohnehin schon komplexen und langen Vertragstextes (D) Freihandelsabkommen beschlossen haben . wird durch weitere Regelungen und Vereinbarungen au- ßerhalb des Vertrags weiter gemindert . Aber selbst wenn das nun vorliegende Verhandlungs- ergebnis gegenüber den früheren Fassungen essenzielle Mit Blick auf die irritierenden Pressemeldungen un- Verbesserungen enthält, insbesondere die Einführung mittelbar vor der heutigen Entscheidung zitieren wir eines öffentlichen Handelsgerichtshofes –statt Schieds- nachfolgend aus einer Information meines Kollegen gerichtsbarkeit –, auch wenn Bereiche der öffentlichen Matthias Miersch: Daseinsvorsorge, wie etwa Wasser, Bildung oder Ge- „Die SPD hat auf ihrem Konvent nicht für CETA ge- sundheit, nun speziellen Schutzregeln unterliegen, wür- stimmt, wie viele schreiben . Sie hat einen Antrag verab- den wir heute noch nicht zustimmen . Unsere Erfahrung schiedet, der unsere Anforderungen an das Abkommen lehrt uns, dass es klug ist, Vertragstexte erst dann zu be- und den nun vor uns liegenden Prozess beschreibt . Wir schließen, wenn sie endgültig vorliegen . Ein Grundsatz, haben ganz klare Bedingungen beschlossen, die am Ende den jeder faire Vertrags- bzw . Verhandlungspartner mü- Maßstab für jeden SPD-Abgeordneten sind . Wenn unse- helos akzeptieren kann . re Forderungen nicht erfüllt sind, werde ich CETA nicht Dies gilt umso mehr, als sich in dem Antrag der Ko- zustimmen: alitionsfraktionen noch einige Formulierungen finden, – Im Bereich des Investorenschutzes muss mit Blick auf deren Wirkmächtigkeit sich erst erkennen lässt, wenn die die Rechtstatbestände, wie z . B ‚faire und gerechte dazugehörenden Parlamentsentscheidungen getroffen Behandlung‘ und ‚indirekte Enteignung‘ sichergestellt sein werden: werden, dass keine Bevorzugung von ausländischen – Wenn sich etwa „… Vertragsparteien zum Schutz der gegenüber inländischen Investoren oder Bürgerinnen Arbeitnehmerrechte bekennen und (…) verpflichten, und Bürgern stattfinden. Investorenschutz sollte somit Anstrengungen zur Ratifizierung und Umsetzung der auf die Diskriminierung gegenüber inländischen In- Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorgani- vestoren beschränkt werden . sation (ILO) zu unternehmen“, so wäre doch von Inte- – Es muss unmissverständlich und rechtsverbindlich er- resse, ob die Anstrengungen Erfolg haben werden oder klärt werden, dass die EU im Rahmen des CETA-Ab- nicht . kommens in keiner Weise vom primärrechtlich veran- kerten Vorsorgeprinzip (Artikel 191 AEUV) abweicht . – Oder wenn „Im weiteren Prozess unbestimmte Rechts- begriffe geklärt werden“ müssen, so wäre auch hier – Im Rahmen des Beratungsprozesses muss ein Sank- noch zu verstehen, ob das gemeinsame Verständnis tionsmechanismus bei Verstößen der Partner gegen 18914 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards entwickelt zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates (C) werden . Die acht ILO-Kernarbeitsnormen müssen ra- über die Unterzeichnung – im Namen der Euro- tifiziert werden. päischen Union – des umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommens (CETA) zwischen Ka- – Es muss sich aus dem CETA-Vertrag unmissverständ- nada einerseits und der Europäischen Union lich ergeben, dass bestehende und künftig entstehen- und ihren Mitgliedstaaten andererseits de Dienstleistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge nicht vom Vertrag erfasst werden .“ KOM(2016) 444 endg.; Ratsdokument 10968/16 Warum wir dem heutigen Koalitionsantrag zustimmen, und findet sich im Antrag der Fraktion der CDU/CSU und der SPD „Comprehensive Economic and Trade Agree- zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Ra- ment (CETA): Für freien und fairen Handel“ (Drucksa- tes über die vorläufige Anwendung des umfas- che 18/9663) in der letzten Feststellung des Bundestages: senden Wirtschafts- und Handelsabkommens „Der Deutsche Bundestag wird im Lichte des weiteren (CETA) zwischen Kanada einerseits und der Prozesses im Ratifizierungsverfahren abschließend über Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten seine Zustimmung zu CETA entscheiden .“ andererseits Wie oben gesagt: Heute wird darüber entschieden, KOM(2016) 470 endg.; Ratsdokument 10969/16 ob wir den Bundeswirtschaftsminister beauftragen, im hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes- Handelsministerrat der EU den aktuell vorliegenden Ver- regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des tragsentwurf CETA in die parlamentarischen Verfahren, Grundgesetzes i. V. m. § 8 Absatz 4 des in die Parlamente, zu geben . Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundes- tag in Angelegenheiten der Europäischen Anlage 8 Union Erklärungen nach § 31 GO Comprehensive Economic and Trade Agree- ment (CETA) – Für freien und fairen Handel zu den namentlichen Abstimmungen über (Tagesordnungspunkt ZP 3) – den Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, Susanna Karawanskij, sowie weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE (B) – den Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, (D) LINKE Kerstin Andreae, Britta Haßelmann, weiterer zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ über die Unterzeichnung – im Namen der Euro- DIE GRÜNEN päischen Union – des umfassenden Wirtschafts- zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates und Handelsabkommens (CETA) zwischen Ka- über die Unterzeichnung – im Namen der Euro- nada einerseits und der Europäischen Union päischen Union – des umfassenden Wirtschafts- und ihren Mitgliedstaaten andererseits und Handelsabkommens (CETA) zwischen Ka- KOM(2016) 444 endg.; Ratsdok. 10968/16 nada einerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits und KOM(2016) 444 endg.; Ratsdok. 10968/16 zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Ra- tes über die vorläufige Anwendung des umfas- und senden Wirtschafts- und Handelsabkommens zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Ra- (CETA) zwischen Kanada einerseits und der tes über die vorläufige Anwendung des umfas- Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten senden Wirtschafts- und Handelsabkommens andererseits (CETA) zwischen Kanada einerseits und der KOM(2016) 470 endg.; Ratsdok. 10969/16 Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes- regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des KOM(2016) 470 endg.; Ratsdok. 10969/16 Grundgesetzes hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes- Gemeinwohl vor Konzerninteressen – CETA regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des stoppen Grundgesetzes (Tagesordnungspunkt 6 a) Comprehensive Economic and Trade Agree- ment (CETA) ablehnen und (Tagesordnungspunkt 39 a) – den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD (Tagesordnungspunkte 6 a, ZP 3 und 39 a) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18915

(A) Heike Baehrens (SPD): Müsste ich heute über das nen dadurch ganz wesentlich dem Zusammenhalt unserer (C) Freihandelsabkommen mir Kanada „CETA“ abstimmen, Gesellschaft . ich würde ablehnen . Aber heute wird nicht über den Ver- tragstext des Abkommens CETA abgestimmt . Und damit ist nicht nur die deutsche Gesellschaft ge- meint . Unser Ziel ist es, den Wohlstand aller Menschen Heute wird darüber entschieden, ob wir den Bundes- global zu fördern, nicht nur in Deutschland – auch in wirtschaftsminister beauftragen, im Handelsministerrat Kanada und in allen europäischen Staaten sollen die der EU den aktuell vorliegenden Vertragsentwurf CETA Menschen profitieren. Mit Kanada verbindet uns eine in die parlamentarischen Verfahren, in die Parlamente zu jahrelange politische wie auch wirtschaftliche Zusam- geben . menarbeit, die mit CETA nun weiter ausgebaut und ver- tieft werden soll . Wenn Europa als Staatenverbund mit Die Anträge der Fraktion Die Linke und der Fraktion 500 Millionen Einwohnern einen Vertrag verhandelt, Bündnis 90/Die Grünen simulieren Entscheidungsfähig- kann es viel mehr erreichen, als wenn ein Staat dies al- keit im Nichtwissen . Damit fällen sie ihr Urteil auf die leine tun würde . Bei solch kraftvollen Verbindungen gilt gleiche Weise wie der Bundesverband der Deutschen In- es, darauf zu achten, dass die Schwächsten nicht auf der dustrie (BDI), der Deutsche Industrie- und Handelskam- Strecke bleiben . mertag (DIHK), campact (nachgebildet MoveOn in den Das nun vorliegende Verhandlungsergebnis enthält USA), viele ver di. Mitglieder und andere, die schon seit gegenüber den früheren Fassungen essenzielle Verbesse- Monaten, einige schon seit Jahren, zu wissen meinen, rungen, insbesondere die Einführung eines öffentlichen dass der Weltuntergang drohe, wenn CETA nicht kommt, Handelsgerichtshofes – statt Schiedsgerichtsbarkeit . so die einen, wenn CETA kommt, so die anderen . Doch für die Regelungen im Bereich der öffentlichen Ein Blick zurück: In vielen Briefen wurde ich um Daseinsvorsorge, wie etwa Wasser, Bildung oder Ge- Zustimmung zu TTIP, CETA und TiSA gebeten – für sundheit, die nun speziellen Schutzregeln unterliegen, Wachstum, Arbeitsplätze und weil Freihandel einfach sehe ich beispielsweise noch weiteren Verhandlungsbe- gut ist. In vielen anderen, häufig genug einfach kopierten darf . Vertragstexte können aber erst dann abschließend Briefen, wurde ich um Ablehnung gebeten – gegen beurteilt und beschlossen werden, wenn sie ausverhan- Schiedsgerichtsbarkeit, Privatisierung der Kultur, Ge- delt sind . Ein Grundsatz, den jeder faire Vertrags- bzw . fährdung der Daseinsvorsorge und des Vorsorgeprinzips . Verhandlungspartner mühelos akzeptieren kann . Es wurde viel spekuliert . Bevor nicht der endgültige Wir als SPD haben klare Bedingungen für ein akzep- Vertragstext und alle rechtsförmlich wesentlichen Ergän- tables CETA beschlossen . Diese Bedingungen werden zungen zur Beschlussfassung im Bundestag vorliegen, maßgeblich dafür sein, ob ich dem fertigen Vertragstext (B) können die einen ihre Hoffnung auf Wachstum und Ar- zustimme oder nicht . Aus diesen Bedingungen ergeben (D) beitsplätze ebenso wenig begründen wie die anderen ihre sich einige Bereiche, die nachzubessern sind . Dazu ge- Befürchtungen . hört der Investorenschutz, der auf die Diskriminierung gegenüber inländischen Investoren beschränkt werden Meine Antwort darauf ist: Lasst uns gemeinsam die sollte . Genauso müssen der Vorrang des Vorsorgeprin- Ziele formulieren, die wir erreichen wollen, und unse- zips fest verankert und die acht ILO Kernarbeitsnormen re Entscheidung treffen, wenn wir diese Ziele mit einem ratifiziert werden. Auch muss klar gemacht werden, dass endgültig vorliegenden Vertragstext abgleichen können . die öffentliche Daseinsvorsorge von dem Vertrag ausge- Das Schwarz-Weiß-Denken bezüglich Handelsverträgen nommen ist . ist nicht zweckmäßig . Vorrangig sind Handelsverträge eine zivilisatorische Errungenschaft, die dazu dienen, Weder auf dem Konvent noch bei der heutigen Ab- Staats- und Handelsbeziehungen gestaltbar und verläss- stimmung stimmen wir CETA endgültig zu . Mit dem lich machen . In dieser Eigenschaft können sie dazu ge- Antrag der Fraktion der CDU/CSU und der SPD „Com- nutzt werden, bestehende Verhältnisse zu verbessern und prehensive Economic and Trade Agreement (CETA): Für gemeinsam Standards anzuheben . Das ist unser Ziel in freien und fairen Handel“ – Drucksache 18/9663 – brin- der SPD . gen wir zum Ausdruck: „Der Deutsche Bundestag wird im Lichte des weiteren Prozesses im Ratifizierungsver- Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen wissen schon fahren abschließend über seine Zustimmung zu CETA lange, dass sie gegen diese Freihandelsabkommen sind . entscheiden .“ CDU und CSU wissen schon lange, dass sie für diese Freihandelsabkommen sind . Als einzige Partei hat die Wie oben gesagt: Heute wird darüber entschieden, SPD einen tiefen Diskussions- und Abwägungsprozess ob wir den Bundeswirtschaftsminister beauftragen, im angestoßen und organisiert . Dazu gab es einen großen Handelsministerrat der EU den aktuell vorliegenden Ver- SPD-Konvent, auf dem wir die „roten Linien“ für eine tragsentwurf CETA in die parlamentarischen Verfahren, Zustimmung zu den aktuellen Freihandelsabkommen be- in die Parlamente zu geben . Dem kann ich zustimmen . schlossen haben . Dadurch hat die SPD den Boden dafür bereitet, dass Kritiker zu Wort kommen und ein bereits Dr. Daniela De Ridder (SPD): Heute wird darü- fertig verhandelter Vertrag noch einmal aufgeschnürt und ber entschieden, ob wir den Bundeswirtschaftsminister nachverhandelt werden konnte . In diesem von Bundes- Sigmar Gabriel beauftragen, im Handelsministerrat der wirtschaftsminister Gabriel wesentlich getragenen Pro- EU den aktuell vorliegenden Vertragsentwurf zu CETA zess konnten Argumente von Kritikern und Befürwortern in die parlamentarischen Verfahren beziehungsweise in zusammengebracht werden . Diese Veränderungen die- die Parlamente zu geben . Es ist daher falsch, anzuneh- 18916 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) men, dass heute über den Vertragstext abgestimmt wird, heutige Antrag, wenn hier steht: „Der Deutsche Bundes- (C) was gerne von Gegnern des geplanten Freihandelsab- tag wird im Lichte des weiteren Prozesses im Ratifizie- kommens kolportiert wird . rungsverfahren abschließend über seine Zustimmung zu CETA entscheiden“ . Persönlich betrachte ich CETA kritisch, möchte mich aber den Vorteilen des Freihandelsabkommens und seiner Aus diesem Grund votiere ich für den Koalitions- auch möglichen positiven Wirkungen nicht verschließen . antrag der Fraktionen CDU/CSU und SPD (Drucksa- Wichtig ist mir, deutlich zu machen, dass ich meine end- che 18/9663) und gegen die Anträge der Fraktionen DIE gültige Entscheidung fällen werde, wenn der Vertrags­ LINKE (Drucksache 18/9665) und Bündnis 90/Die Grü- text tatsächlich zur Abstimmung vorliegt . Der Konvent nen (Drucksache 18/9621) . der SPD zu CETA war schließlich keine Beschlusslage für das Freihandelsabkommen, sondern ein Auftrag zur Dr. Karamba Diaby (SPD): Der Deutsche Bundestag Verhandlung für den Bundeswirtschaftsminister Sigmar entscheidet heute nicht über das europäisch-kanadische Gabriel, bei gleichzeitiger Definition roter Linien. Dies Freihandelsabkommen CETA, sondern nimmt Stellung ist mir zur Klarstellung der heutigen Abstimmung beson- zu der Frage, ob die Bundesregierung durch ein positi- ders wichtig . ves Votum im Europäischen Rat den Weg das weitere Die „roten Linien“ werden durch den heutigen Ko- Ratifizierungsverfahren im Europäischen Parlament und alitionsantrag nicht überschritten, sondern sie zeugen in den Parlamenten der Mitgliedstaaten der EU eröffnen vielmehr davon, dass wir erfolgreich substanzielle Än- soll . derungen im öffentlichen Interesse in die Verhandlungen Der aktuelle Entwurf von CETA stimmt nach meiner einbringen konnten und werden, wenn da steht: Überzeugung mit der Beschlusslage der SPD noch nicht Der Deutsche Bundestag begrüßt, dass sich die Ver- überein . Des betrifft vor allem die Bereiche Investitions- tragsparteien zum Schutz der Arbeitnehmerrechte schutz, CETA-Ausschuss, Vorsorgegrundsatz, öffent- bekennen und sich verpflichten, Anstrengungen zur liche Daseinsvorsorge und Arbeitnehmerrechte . Dem Ratifizierung und Umsetzung der Kernarbeitsnor- aktuell vorliegenden CETA-Entwurf könnte ich deshalb men der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) nicht zustimmen . zu unternehmen . Mir ist wichtig, dass das weitere Verfahren unter Oder weiter: Beteiligung der nationalen Parlamente vollzogen wird . Ebenso muss die Zivilgesellschaft einbezogen und in ei- Der Deutsche Bundestag begrüßt, dass die von der nem transparenten Verfahren mit Kanada ein faires End- Bundesregierung eingebrachten Reformvorschläge ergebnis verhandelt werden . (B) zur Schiedsgerichtsbarkeit von der EU-Kommis- (D) sion aufgenommen und in das Abkommen einge- Die vorliegende Stellungnahme der Fraktionen von bracht worden sind . Im weiteren Prozess müssen SPD und CDU/CSU ermöglicht diesen Weg . Er erkennt unbestimmte Rechtsbegriffe geklärt werden . Der die Fortschritte im Rahmen des Verhandlungsprozes- nunmehr eingeschlagene Weg zu einem öffentli- ses einschließlich der Einstufung des Abkommens als chen Handelsgerichtshof ist aus europäischer Sicht gemischtes Abkommen an, die maßgeblich durch den unumkehrbar und muss auch bei künftigen Handels- Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel erreicht abkommen verfolgt werden . worden sind . Er gibt der Bundesregierung im Minister- rat die Möglichkeit der Zustimmung, greift in zentralen Besonders relevant ist für mich ebenfalls die Daseins- Punkten jedoch die breit diskutierten Problemfelder des vorsorge: Die Formulierung „…Spielräume von Kom- vorliegenden Entwurfs auf und mahnt entsprechende munen zur Organisation der Daseinsvorsorge dürfen rechtsverbindliche Änderungen an . Er spricht sich dafür nicht eingeschränkt und auch künftig nicht angetastet aus, erst nach Zustimmung des Europäischen Parlaments werden. Es muss im weiteren Ratifikationsprozess si- Teile des Abkommens vorläufig anzuwenden und fordert chergestellt werden, dass auch zukünftig kein Druck in in diesem Zusammenhang unter anderem das besonders Richtung Liberalisierung von Dienstleistungen der öf- kontrovers diskutierte Kapitel über den Investitions- fentlichen Daseinsvorsorge ausgeübt werden darf…“ ist schutz ganz von einer vorläufigen Anwendung auszu- zu begrüßen . Gleichwohl sollte diese Sicherstellung im nehmen . Eine Gültigkeit dieses Kapitels wäre somit nur Vertragswerk rechtlich fixiert sein, um später streitanfäl- möglich, wenn alle Parlamente innerhalb der EU zustim- lige Interpretationen zu vermeiden . men . Dass es noch Unklarheiten über „unbestimmte Wichtig ist für mich zudem, dass die Stellungnah- Rechtsbegriffe“ und den Schutz sozialer Standards gibt, me der Bundestagsfraktionen von SPD und CDU/CSU sorgt dafür, dass ich mich jetzt nicht zu dem Freihandels- auch den oben beschriebenen Weg eines ausführlichen abkommen bekennen kann . Deshalb möchte ich mich Anhörungsverfahrens durch das Europäische Parlament dafür aussprechen, unseren Bundeswirtschaftsminister mit den nationalen Parlamenten und mit der Zivilgesell- Sigmar Gabriel damit zu beauftragen, die nächsten Ver- schaft ermöglicht – wie ihn auch der SPD-Parteikonvent handlungsschritte – unter Wahrung der von der SPD ge- am vergangenen Montag gefordert hat . Europa hat damit zogenen roten Linien – aufzunehmen . Nach diesen Er- die Chance, neue Wege zu gehen und in einem intensi- gebnissen, die dann im Rahmen des folgenden Prozesses ven Dialog gerade mit denjenigen, die CETA kritisch herauskommen, werde ich meine Entscheidung zur Zu- gegenüberstehen, Lösungsansätze in den kontrovers dis- stimmung oder Ablehnung treffen . Das untermauert der kutierten Themenfeldern zu entwickeln . Dabei wird auch Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18917

(A) die Frage eine Rolle spielen müssen, ob es noch weite- Die SPD und meine SPD-Bundestagsfraktion haben (C) re Bereiche gibt, die auch die nationalen Kompetenzen zu CETA einen intensiven und guten Diskussions- und betreffen . Soweit im Ministerrat diesbezüglich keine Abwägungsprozess organisiert, und den führen wir auch sachgerechte Lösung gefunden wird, muss die Stellung- weiterhin –offen und transparent . Wir malen nicht ein- nahme der kommunalen Spitzenverbände berücksichtigt fach schwarz oder weiß, wir diskutieren in der Sache, werden, nach der aufgrund der bislang unzureichenden überzeugen mit Argumenten und entwickeln unsere Po- Klärung der Fragen über die Anwendbarkeit des Ver- sition im Dialog mit den Menschen weiter . trages auf die öffentliche Daseinsvorsorge auch weitere Und dieser wichtige Meinungsbildungsprozess ist Bereiche von der vorläufigen Anwendung ausgeschlos- nicht abgeschlossen, denn auch der Parteikonvent der sen werden müssen . Das gilt auch für die in CETA neu SPD hat am Sonntag in Wolfsburg nicht über CETA ab- geschaffenen Gremien, die auch in der Verfassungsbe- gestimmt, wie viele schreiben . Wie schon der Konvent im schwerde problematisiert werden, die bezüglich des Ab- Herbst 2014 und der Bundesparteitag im Dezember 2015 kommens anhängig ist . haben die Delegierten für die SPD klare Kriterien fest- gelegt, die wir als Sozialdemokraten an die mögliche Ich bin überzeugt, dass dieser Weg erfolgverspre- Zustimmung zum Freihandelsabkommen und an den nun chend ist . Das Abkommen wird durch die EU und ihre vor uns liegenden Prozess knüpfen . Mitgliedsstaaten mit Kanada abgeschlossen . Wir sollten zur Kenntnis nehmen, dass CETA nur in wenigen Län- Klar sollte bei allen Diskussionen sein: Bevor nicht dern der EU kritisch diskutiert wird . Um Veränderungen sowohl der endgültige Vertragstext als auch die weiteren im weiteren Verfahren erreichen zu können, wäre ein Vereinbarungen dazu zur Beschlussfassung im Bundes- pauschales „Nein“ im Ministerrat nicht zielführend . Am tag vorliegen, können weder die einen ihre Hoffnung auf Ende des jetzt vor uns liegenden Prozesses wird jede und Wachstum und Arbeitsplätze begründen noch die ande- jeder Abgeordnete entscheiden müssen, ob er/sie dem ren ihre Befürchtungen . Die klaren Bedingungen, die von Abkommen zustimmt . Auch dafür hat der der SPD-Par- der SPD definiert und beschlossen wurden, sind am Ende teikonvent eindeutige Maßstäbe beschlossen . mein Maßstab und werden Maßstab für jeden SPD-Bun- destagsabgeordneten sein; ich zitiere die folgenden vier Vor diesem Hintergrund lehne ich die Anträge der Punkte aus einer Information meines Abgeordnetenkolle- Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen ab gen Dr . Matthias Miersch: und stimme dem Antrag der Fraktionen CDU/CSU und – „Im Bereich des Investorenschutzes muss mit Blick SPD zu . auf die Rechtstatbestände, wie z .B . ‚faire und gerechte Behandlung‘ und ‚indirekte Enteignung‘ sichergestellt (B) Saskia Esken (SPD): Heute entscheiden wir im werden, dass keine Bevorzugung von ausländischen (D) Bundestag nicht etwa darüber, ob wir dem Vertragstext gegenüber inländischen Investoren oder Bürgerinnen des Freihandelsabkommens mit Kanada (CETA) zustim- und Bürgern stattfinden. Investorenschutz sollte somit men oder ihn ablehnen . Der Deutsche Bundestag ent- auf die Diskriminierung gegenüber inländischen In- scheidet heute, ob wir Bundeswirtschaftsminister Sigmar vestoren beschränkt werden . Gabriel den Auftrag erteilen, im Handelsministerrat der – Es muss unmissverständlich und rechtsverbindlich er- EU den aktuell vorliegenden CETA-Vertragsentwurf in klärt werden, dass die EU im Rahmen des CETA-Ab- die parlamentarischen Verfahren zu geben . Erst im wei- kommens in keiner Weise vom primärrechtlich veran- teren Prozess, im Ratifizierungsverfahren, werden wir kerten Vorsorgeprinzip (Artikel 191 AEUV) abweicht . Bundestagsabgeordnete über eine mögliche Zustimmung oder Ablehnung zu CETA entscheiden . – Im Rahmen des Beratungsprozesses muss ein Sank- tionsmechanismus bei Verstößen der Partner gegen Ich stimme dem Antrag von CDU/CSU und SPD heute Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards entwickelt zu . Ich bin davon überzeugt, dass die kritische Öffentlich- werden . Die acht ILO-Kernarbeitsnormen müssen ra- keit uns den Weg dazu geöffnet hat, Freihandelsabkom- tifiziert werden. men als Chance zu nutzen, die Globalisierung im Sinne – Es muss sich aus dem CETA-Vertrag unmissverständ- eines nicht völlig freien, weil fairen und sozialen Handels lich ergeben, dass bestehende und künftig entstehen- zu gestalten, und das nicht nur zwischen Handelspartnern de Dienstleistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge auf Augenhöhe, sondern vor allem auch zwischen den nicht vom Vertrag erfasst werden .“ Wirtschaftsmächten und der sich entwickelnden Welt . Ich stimme einer weiteren Beratung von CETA zu, weil Für mich und meine SPD-Bundestagsfraktion gilt die es der SPD und allen voran Sigmar Gabriel in den bis- Regel, dass die Wirtschaft den Menschen dient und nicht herigen Verhandlungen gelungen ist, das Abkommen in umgekehrt . Und auch der globalisierte Markt bestimmt wesentlichen Punkten zu verbessern: Ein wichtiges Bei- seine Regeln nicht selbst, das ist und bleibt Aufgabe der spiel dafür ist sicher der eingeschlagene Weg zu einem Politik . Die vielen kritischen Stimmen innerhalb und öffentlichen Handelsgerichtshof, der sich zum internati- außerhalb der SPD haben unsere Verhandlungsposition onalen Standard entwickeln könnte . Ebenso hat die neue gestärkt . Jedes Schreiben an einen Politiker lohnt sich, es Regierung in Kanada in Aussicht gestellt, die Kernar- lohnt, auf die Straße zu gehen, es lohnt mitzureden . beitsnormen der internationalen Arbeitsorganisation ILO anzuerkennen und setzt damit eine wichtige Bedingung Michael Groß (SPD): Müsste ich heute über das Frei- für faire Produktions- und Handelsbedingungen um . handelsabkommen „CETA“ abstimmen, würde ich ableh- 18918 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) nen . Bei der heutigen Abstimmung wird aber nicht über SPD-Konvent, auf dem wir die „roten Linien“ für eine (C) den Vertragstext des Abkommens CETA abgestimmt . Zustimmung zu den aktuellen Freihandelsabkommen be- schlossen haben . Wer diese Veränderungen wahrnimmt, Heute wird darüber entschieden, ob wir den Bundes- erkennt, wie wesentlich diese Änderungen für den Zu- wirtschaftsminister beauftragen, im Handelsministerrat sammenhalt unserer Gesellschaft sind . Und damit ist der EU den aktuell vorliegenden Vertragsentwurf CETA nicht nur die deutsche Gesellschaft gemeint . Unser Ziel in die parlamentarischen Verfahren, in die Parlamente, zu ist, den Wohlstand aller Menschen global zu fördern, geben . nicht nur in Deutschland – auch in Kanada und in allen Die Anträge der Fraktion Die Linke und der Frakti- europäischen Staaten sollen die Menschen profitieren. on Bündnis 90/Die Grünen simulieren Entscheidungs- Mit Kanada verbindet uns eine jahrelange politische wie fähigkeit im Nichtwissen . Damit machen sie sich in auch wirtschaftliche Zusammenarbeit, die mit CETA nun der Urteilsfindung gemein mit dem Bundesverband der weiter ausgebaut und vertieft werden soll . Wenn Europa Deutschen Industrie (BDI), dem Deutschen Industrie als Staatenverbund mit 500 Millionen Einwohnern ei- und Handelskammertag (DIHK), campact (nachgebildet nen Vertrag verhandelt, kann es viel mehr erreichen, als MoveOn in den USA), ver di. Mitgliedern und anderen, wenn ein Staat dies alleine tun würde . Bei solch kraft- die schon seit Monaten, einige schon seit Jahren, wissen, vollen Verbindungen gilt es darauf zu achten, dass die dass der Weltuntergang droht, wenn CETA nicht kommt, Schwächsten nicht auf der Strecke bleiben . so die einen, wenn CETA kommt, so die anderen . Aber selbst wenn das nun vorliegende Verhandlungs- Ein Blick zurück: In vielen Briefen wurde ich um ergebnis gegenüber den früheren Fassungen essenzielle Zustimmung zu TTIP, CETA und TiSA gebeten – für Verbesserungen enthält, insbesondere die Einführung Wachstum, Arbeitsplätze und weil Freihandel einfach gut eines öffentlichen Handelsgerichtshofes – statt Schieds- ist . In vielen anderen Briefen wurde ich um Ablehnung gerichtsbarkeit –, auch wenn Bereiche der Öffentlichen gebeten – gegen Schiedsgerichtsbarkeit, Privatisierung Daseinsvorsorge, wie etwa Wasser, Bildung oder Ge- der Kultur, Gefährdung der Daseinsvorsorge und des sundheit, nun speziellen Schutzregeln unterliegen, würde Vorsorgeprinzips . Es wurde und wird viel spekuliert . Be- ich heute noch nicht zustimmen . Unsere Erfahrung lehrt vor nicht der endgültige Vertragstext und alle rechtsver- uns, dass es klug ist, Verträge erst dann zu beschließen, bindlichen Ergänzungen zur Beschlussfassung im Bun- wenn sie endgültig vorliegen . Ein Grundsatz, den jeder destag vorliegen, können die einen ihre Hoffnung auf faire Vertrags- bzw . Verhandlungspartner mühelos ak- Wachstum und Arbeitsplätze ebenso wenig begründen zeptieren kann . wie die anderen ihre Befürchtungen . Dies gilt umso mehr, als sich in dem Antrag der Ko- Deshalb meine Antwort: Wenn sich alle Hoffnungen alitionsfraktionen noch einige Formulierungen finden, (B) der Befürworter durch den Vertrag bestätigen lassen, deren Wirkmächtigkeit sich erst erkennen lässt, wenn die (D) stimme ich zu . Wenn sich alle Befürchtungen derjenigen dazugehörenden Parlamentsentscheidungen getroffen Bürgerinnen und Bürger, die mich auffordern abzuleh- sein werden: nen, bestätigen, lehne ich ab . Eine alle Seiten beleucht- – Wenn sich etwa „… Vertragsparteien zum Schutz der ende Entscheidung kann ich nur verantwortlich treffen, Arbeitnehmerrechte bekennen und sich … verpflich- wenn die endgültigen Vorlagen den Deutschen Bundes- ten, Anstrengungen zur Ratifizierung und Umsetzung tag erreichen . der Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsor- Über die Jahre haben sich die einen so sehr an ihre ganisation (ILO) zu unternehmen“, so wäre doch von Hoffnung gewöhnt wie die anderen an ihre Befürch- Interesse, ob die Anstrengungen Erfolg haben werden tung, dass riesige Veränderungen in den Vertragstexten, oder nicht . ja selbst jene, die Ergebnis des eigenen Erfolgs sind, – Oder wenn „Im weiteren Prozess … unbestimmte kaum wahrgenommen werden und man fest im einmal Rechtsbegriffe geklärt werden .“ müssen, so wäre auch gefällten Urteil stecken bleibt . Aber es gibt auch gute hier noch zu abzuwarten, ob das Ergebnis dieser Klä- Beispiele: Nachdem Sigmar Gabriel mit der kanadischen rung auf breite Zustimmung in der deutschen Bevölke- Handelsministerin wichtige Verbesserungen hinsichtlich rung stößt . der Arbeitnehmerrechte erreichen konnte, hat Reiner Hoffmann, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschafts- – Die Formulierung „Spielräume von Kommunen zur bundes den auf dem SPD-Konvent eingeschlagenen Weg Organisation der Daseinsvorsorge dürfen nicht einge- unterstützt . schränkt und auch künftig nicht angetastet werden . Es muss im weiteren Ratifikationsprozess sichergestellt Anders als Die Linke und Bündnis 90/ Die Grünen, werden, dass auch zukünftig kein Druck in Richtung die schon lange wissen, dass sie gegen diese Freihan- Liberalisierung von Dienstleistungen der öffentlichen delsabkommen sind, und anders als CDU und CSU, die Daseinsvorsorge ausgeübt werden darf“ begrüße ich schon lange wissen, dass sie für diese Freihandelsabkom- sehr . Gleichwohl sollte diese Sicherstellung im Ver- men sind, hat die SPD als Partei und die SPD-Bundes- tragswerk rechtlich fixiert sein, um später streitanfäl- tagfraktion einen tiefen sowie breiten Diskussions- und lige Interpretationen zu vermeiden . Abwägungsprozess angestoßen und organisiert . In die- sem von Bundeswirtschaftsminister Gabriel wesentlich – Auch folgende Formulierung hinterlässt einen Rest- getragenen Prozess, wurde der Vertragstext so verändert, zweifel, ob die Unantastbarkeit des Vorsorgeprinzips dass die Kritiker der Ursprungstexte in Pro und Kon­tra unmissverständlich klargestellt sei: „Hohe Umwelt- zusammengeführt werden . Dazu gab es einen großen und Verbraucherstandards müssen gewährleistet blei- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18919

(A) ben . Das im europäischen Primärrecht verankerte Vor- Heute wird darüber entschieden, ob wir Bundeswirt- (C) sorgeprinzip bleibt von CETA unberührt . Dies muss schaftsminister Gabriel beauftragen, im Handelsminis- unmissverständlich klargestellt werden . terrat der EU-, den aktuell vorliegenden Vertragsentwurf CETA in die parlamentarischen Verfahren, in die Parla- – Mit der Formulierung: „Der Deutsche Bundestag be- mente zu geben . grüßt die Bereitschaft der kanadischen Regierung, der Europäischen Kommission und der Bundesregierung, Die Anträge der Fraktion Die Linke und der Frakti- im Rahmen des weiteren Verfahrens rechtsverbindli- on Bündnis 90/Die Grünen simulieren Entscheidungs- che Klärungen der noch offenen Fragen herbeizufüh- fähigkeit im Nichtwissen . Damit machen sie sich in ren, und setzt sich gleichfalls hierfür ein“ ergibt sich der Urteilsfindung gemein mit dem Bundesverband der die offene Frage, warum „rechtsverbindliche Klärun- Deutschen Industrie (BDI), dem Deutschen Industrie- gen“ nicht einfach in das Vertragswerk CETA eingear- und Handelskammertag (DIHK), campact (nachgebildet beitet werden . MoveOn in den USA), vielen ver di. Mitgliedern und an- deren, die schon seit Monaten, einige schon seit Jahren, Klar ist, dass wir als Partei auf unserem Konvent nicht, wissen, dass der Weltuntergang droht, wenn CETA nicht wie viele schreiben, für CETA gestimmt haben . Der Kon- kommt, so die einen, wenn CETA kommt, so die anderen . vent hat einen Antrag verabschiedet, der unsere Anfor- derungen an das Abkommen und den vor uns liegenden Ein Blick zurück: In vielen Briefen wurde ich um Prozess beschreibt . Es wurden auf dem Konvent klare Zustimmung zu TTIP, CETA und TiSA gebeten – für Bedingungen beschlossen, die am Ende Maßstab für je- Wachstum, Arbeitsplätze und weil Freihandel einfach gut den SPD-Abgeordneten sind . Wenn unsere Forderungen ist . In vielen anderen wurde ich um Ablehnung gebeten – nicht erfüllt sind, werde ich CETA nicht zustimmen: gegen Schiedsgerichtsbarkeit, Privatisierung der Kultur, – Im Bereich des Investorenschutzes muss mit Blick auf Gefährdung der Daseinsvorsorge und des Vorsorgeprin- die Rechtstatbestände, wie z B. . ‚faire und gerechte zips . Es wurde viel spekuliert . Bevor nicht der endgültige Behandlung‘ und ‚indirekte Enteignung‘ sichergestellt Vertragstext und alle rechtsverbindlichen Ergänzungen werden, dass keine Bevorzugung von ausländischen zur Beschlussfassung im Bundestag vorliegen, können gegenüber inländischen Investoren oder Bürgerinnen die einen ihre Hoffnung auf Wachstum und Arbeitsplätze und Bürgern stattfindet. Investorenschutz sollte somit ebenso wenig begründen wie die anderen ihre Befürch- auf die Diskriminierung gegenüber inländischen In- tungen . vestoren beschränkt werden . Deshalb meine stereotype Antwort: Wenn sich alle – Es muss unmissverständlich und rechtsverbindlich er- Hoffnungen der Befürworter durch den Vertrag bestäti- klärt werden, dass die EU im Rahmen des CETA-Ab- gen lassen, stimme ich zu . Wenn sich alle Befürchtungen (B) (D) kommens in keiner Weise vom primärrechtlich veran- derjenigen Bürgerinnen und Bürger, die mich auffordern kerten Vorsorgeprinzip (Artikel 191 AEUV) abweicht . abzulehnen, bestätigen, lehne ich ab . Das entscheide ich endgültig, wenn entscheidungsreife Vorlagen den Bun- – Im Rahmen des Beratungsprozesses muss ein Sank- destag erreichen . tionsmechanismus bei Verstößen der Partner gegen Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards entwickelt Über die Jahre haben sich die einen so sehr an ihre werden . Die acht ILO-Kernarbeitsnormen müssen ra- Hoffnung gewöhnt wie die anderen an ihre Befürchtung, tifiziert werden. dass riesige Veränderungen in den Vertragstexten, ja selbst jene, die Ergebnis des eigenen Erfolgs sind, kaum – Es muss sich aus dem CETA-Vertrag unmissverständ- wahrgenommen werden und man fest im einmal gefällten lich ergeben, dass bestehende und künftig entstehende Urteil stecken bleibt . Aber es gibt auch gute Beispiele: Dienstleistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge Nachdem Sigmar Gabriel mit der Kanadischen Handels- nicht vom Vertrag erfasst werden .“ ministerin Chrystia Freeland wichtige Verbesserungen Ich stimme dem Antrag von CDU/CSU und SPD hinsichtlich der Arbeitnehmerrechte erreichen konnte, „Comprehensive Economic and Trade Agreement hat Reiner Hoffmann, Vorsitzender des Deutschen Ge- (CETA): Für freien und fairen Handel“ heute zu, weil er werkschaftsbundes (DGB), den auf dem SPD Konvent garantiert, dass der Deutsche Bundestag im Lichte des eingeschlagenen Weg unterstützt . weiteren Prozesses im Ratifizierungsverfahren abschlie- Anders als Die Linke und Bündnis 90/ Die Grünen, die ßend über seine Zustimmung zu CETA entscheiden wird . schon lange wissen, dass sie gegen diese Freihandelsab- Damit ist sichergestellt, dass ich im weiteren Verfahren kommen sind, und anders als CDU und CSU, die schon als Parlamentarier notwendige Änderungen begleiten lange wissen, dass sie für diese Freihandelsabkommen und bewirken kann . Die heutige Zustimmung ist eben sind, haben SPD und SPD-Bundestagsfraktion einen in- nicht eine Zustimmung zu CETA, sondern eine Zustim- tensiven Diskussions- und Abwägungsprozess angesto- mung zum weiteren Verfahren, welches das Europäische ßen und organisiert . In diesem von Bundeswirtschaftsmi- Parlament und die nationalstaatlichen Parlamente mit al- nister Gabriel wesentlich getragenen Prozess, wurde der len Rechten einbezieht . Text so verändert, dass die Kritiker der Ursprungstexte in Pro und Kontra zusammengeführt werden . Dazu gab es Ulrich Hampel (SPD): Müsste ich heute über das einen großen SPD-Konvent, auf dem wir die „roten Lini- Freihandelsabkommen mit Kanada „CETA“ abstimmen, en“ für eine Zustimmung zu den aktuellen Freihandels- ich würde ablehnen . Aber heute wird nicht über den Ver- abkommen beschlossen haben . Wer diese Veränderungen tragstext des Abkommens CETA abgestimmt . wahrnimmt, erkennt, wie wesentlich diese Änderungen 18920 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft sind . Und unmissverständlich klargestellt sei: „Hohe Umwelt- (C) damit ist nicht nur die deutsche Gesellschaft gemeint . und Verbraucherstandards müssen gewährleistet blei- Unser Ziel ist, den Wohlstand aller Menschen global ben . Das im europäischen Primärrecht verankerte Vor- zu fördern, nicht nur in Deutschland – auch in Kanada sorgeprinzip bleibt von CETA unberührt . Dies muss und in allen europäischen Staaten sollen die Menschen unmissverständlich klargestellt werden .“ profitieren. Mit Kanada verbindet uns eine jahrelange politische wie auch wirtschaftliche Zusammenarbeit, – Mit der Formulierung: „Der Deutsche Bundestag be- die mit CETA nun weiter ausgebaut und vertieft werden grüßt die Bereitschaft der kanadischen Regierung, der soll . Wenn Europa als Staatenverbund mit 500 Millionen Europäischen Kommission und der Bundesregierung, Einwohnern einen Vertrag verhandelt, kann es viel mehr im Rahmen des weiteren Verfahrens rechtsverbindli- erreichen, als wenn ein Staat dies alleine tun würde . Bei che Klärungen der noch offenen Fragen herbeizufüh- solch kraftvollen Verbindungen gilt es zu darauf zu ach- ren, und setzt sich gleichfalls hierfür ein“ ergibt sich ten, dass die Schwächsten nicht auf der Strecke bleiben . die offene Frage, warum „rechtsverbindliche Klärun- Die schwächsten Menschen und die schwächsten Staa- gen“ nicht einfach in das Vertragswerk CETA eingear- ten . Unter diesen Gesichtspunkten ist das Interesse der beitet werden . schwächeren EU-Mitgliedstaaten an CETA gut zu ver- Mit Blick auf die irritierenden Pressemeldungen un- stehen . mittelbar vor der heutigen Entscheidung, zitiere ich nach- Aber selbst wenn das nun vorliegende Verhandlungs- folgend aus einer Information meines Kollegen Matthias ergebnis gegenüber den früheren Fassungen essentielle Miersch: Verbesserungen enthält und das trotz der teils heftigen „Die SPD hat auf ihrem Konvent nicht für CETA ge- und vorurteilsbeladenen Kritik der Pro- und Kontrasei- stimmt, wie viele schreiben . Sie hat einen Antrag verab- ten, insbesondere die Einführung eines öffentlichen Han- schiedet, der unsere Anforderungen an das Abkommen delsgerichtshofes – statt Schiedsgerichtsbarkeit –, auch und den nun vor uns liegenden Prozess beschreibt . Wir wenn Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge, wie haben ganz klare Bedingungen beschlossen, die am Ende etwa Wasser, Bildung oder Gesundheit, nun speziellen Maßstab für jeden SPD-Abgeordneten sind . Wenn unse- Schutzregeln unterliegen, würde ich heute noch nicht re Forderungen nicht erfüllt sind, werde ich CETA nicht zustimmen . Unsere Erfahrung lehrt uns, dass es klug zustimmen: ist, Verträge erst dann zu beschließen, wenn alle für sie einschlägigen rechtsverbindlichen Texte endgültig vor- – Im Bereich des Investorenschutzes muss mit Blick auf liegen . Ein Grundsatz, den jeder faire Vertrags- bzw . Ver- die Rechtstatbestände, wie z B. . ‚faire und gerechte handlungspartner mühelos akzeptieren kann . Behandlung‘ und ‚indirekte Enteignung‘ sichergestellt (B) werden, dass keine Bevorzugung von ausländischen (D) Dies gilt umso mehr, als sich in dem Antrag der Ko- gegenüber inländischen Investoren oder Bürgerinnen alitionsfraktionen noch einige Formulierungen finden, und Bürgern stattfindet. Investorenschutz sollte somit deren Wirkmächtigkeit sich erst erkennen lässt, wenn die auf die Diskriminierung gegenüber inländischen In- dazugehörenden Parlamentsentscheidungen getroffen vestoren beschränkt werden . sein werden: – Es muss unmissverständlich und rechtsverbindlich er- – Wenn sich etwa „… Vertragsparteien zum Schutz der klärt werden, dass die EU im Rahmen des CETA-Ab- Arbeitnehmerrechte bekennen und sich … verpflich- kommens in keiner Weise vom primärrechtlich veran- ten, Anstrengungen zur Ratifizierung und Umsetzung kerten Vorsorgeprinzip (Artikel 191 AEUV) abweicht . der Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsor- ganisation (ILO) zu unternehmen “,. so wäre doch von – Im Rahmen des Beratungsprozesses muss ein Sank- Interesse, ob die Anstrengungen Erfolg haben werden tionsmechanismus bei Verstößen der Partner gegen oder nicht . Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards entwickelt werden . Die acht ILO-Kernarbeitsnormen müssen ra- – Oder wenn „Im weiteren Prozess … unbestimmte tifiziert werden. Rechtsbegriffe geklärt werden“ müssen, so wäre auch hier noch abzuwarten, ob das Ergebnis dieser Klärung – Es muss sich aus dem CETA-Vertrag unmissverständ- auf breite Zustimmung in der deutschen Bevölkerung lich ergeben, dass bestehende und künftig entstehende stößt . Dienstleistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge nicht vom Vertrag erfasst werden .“ – Die Formulierung „Spielräume von Kommunen zur Organisation der Daseinsvorsorge dürfen nicht einge- Warum ich dem heutigen Koalitionsantrag zustimme, schränkt und auch künftig nicht angetastet werden . Es findet sich im Antrag der Fraktion der CDU/CSU und muss im weiteren Ratifikationsprozess sichergestellt der SPD „Comprehensive Economic and Trade Agree- werden, dass auch zukünftig kein Druck in Richtung ment (CETA): Für freien und fairen Handel“ (Drucksa- Liberalisierung von Dienstleistungen der öffentlichen che 18/9663) in der letzten Feststellung des Bundestages: Daseinsvorsorge ausgeübt werden darf“ begrüße ich „Der Deutsche Bundestag wird im Lichte des weiteren sehr . Gleichwohl sollte diese Sicherstellung im Ver- Prozesses im Ratifizierungsverfahren abschließend über tragswerk rechtlich fixiert sein, um später streitanfäl- seine Zustimmung zu CETA entscheiden .“ lige Interpretationen zu vermeiden . Wie oben gesagt: Heute wird darüber entschieden, ob – Auch folgende Formulierung hinterlässt einen Rest- wir den Bundeswirtschaftsminister beauftragen, im Han- zweifel, ob die Unantastbarkeit des Vorsorgeprinzips delsministerrat der EU, den aktuell vorliegenden Ver- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18921

(A) tragsentwurf CETA in die parlamentarischen Verfahren, treffen . Auch das sieht die vorliegende Stellungnahme (C) in die Parlamente zu geben . des Bundestages vor . Soweit im Ministerrat diesbezüg- lich keine sachgerechte Lösung gefunden wird, muss die Stellungnahme der kommunalen Spitzenverbände Sebastian Hartmann (SPD): Der Deutsche Bun- destag entscheidet heute nicht über das europäisch-ka- berücksichtigt werden, nach der aufgrund der bislang nadische Freihandelsabkommen CETA, sondern nimmt unzureichenden Klärung der Fragen über die Anwend- Stellung zu der Frage, ob die Bundesregierung durch ein barkeit des Vertrages auf die öffentliche Daseinsvorsorge positives Votum im Europäischen Rat den Weg für das auch weitere Bereiche von der vorläufigen Anwendung weitere Ratifizierungsverfahren im Europäischen Parla- ausgeschlossen werden müssen . Das gilt auch für die in ment und in den Parlamenten der Mitgliedstaaten der EU CETA neu geschaffenen Gremien, die auch in der Verfas- eröffnen soll . sungsbeschwerde problematisiert werden, die bezüglich des Abkommens anhängig ist . Unter Bezug auf vor allem die Bereiche Investitions- Ich bin überzeugt, dass dieser Weg erfolgverspre- schutz, CETA-Ausschuss, Vorsorgegrundsatz, öffentli- chend ist . Das Abkommen wird durch die EU und ihre che Daseinsvorsorge und Arbeitnehmerrechte komme Mitgliedstaaten mit Kanada abgeschlossen . Wir müssen ich zu dem Ergebnis, dass ich dem aktuell vorliegenden zur Kenntnis nehmen, dass CETA nur in wenigen Län- CETA-Entwurf nicht zustimmen könnte . Aber heute wird dern der EU kritisch diskutiert wird . Um Veränderungen nicht über den Vertragstext des Abkommens CETA ab- im weiteren Verfahren erreichen zu können, wäre ein gestimmt . pauschales Nein im Ministerrat nicht zielführend . Am Als Brücke zwischen CETA-Kritikern und Ende des jetzt vor uns liegenden Prozesses wird jede und ­CETA-Befürwortern innerhalb der SPD hat mein Kolle- jeder Abgeordnete entscheiden müssen, ob er/sie dem ge Dr .Matthias Miersch mit einem Papier vorgeschla- Abkommen zustimmt . Auch dafür hat der der SPD-Par- gen, durch eine entsprechende Beschlussfassung im teikonvent eindeutige Maßstäbe beschlossen . Ministerrat das Europäische Parlament in die Lage zu Abschließend: Die Anträge der Fraktion Die Linke versetzen, das Verfahren unter Beteiligung der nationa- und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen simulieren Ent- len Parlamente an sich zu ziehen, die Zivilgesellschaft scheidungsfähigkeit im Nichtwissen . Damit machen sie einzubeziehen und in einem transparenten Verfahren mit sich in der Urteilsfindung gemein mit dem Bundesver- Kanada ein faires Ergebnis zu verhandeln . Er hat sich band der Deutschen Industrie (BDI), dem Deutschen In- ferner gegen die vorläufige Anwendung des Vertrages dustrie- und Handelskammertag (DIHK), campact (nach- ausgesprochen . gebildet MoveOn in den USA), vielen ver .di Mitgliedern (B) Die nun vorliegende Stellungnahme der Fraktionen und anderen, die schon seit Monaten, einige schon seit (D) von SPD und CDU/CSU ermöglicht diesen Weg . Er er- Jahren, wissen, dass der Weltuntergang droht, wenn kennt die Fortschritte im Rahmen des Verhandlungspro- CETA nicht kommt, so die einen, wenn CETA kommt, zesses einschließlich der Einstufung des Abkommens als so die anderen . gemischtes Abkommen an, die maßgeblich durch Bun- In Briefen wurde ich um Zustimmung zu TTIP, CETA deswirtschaftsminister Sigmar Gabriel erreicht worden und TiSA gebeten – für Wachstum, Arbeitsplätze und sind . Er gibt der Bundesregierung im Rat die Möglich- weil Freihandel einfach gut ist . In anderen wurde ich um keit der Zustimmung, greift in zentralen Punkten jedoch Ablehnung gebeten – gegen Schiedsgerichtsbarkeit, Pri- die breit diskutierten Problemfelder des vorliegenden vatisierung der Kultur, Gefährdung der Daseinsvorsorge Entwurfs auf und mahnt entsprechende rechtsverbindli- und des Vorsorgeprinzips . Es wurde viel spekuliert . Be- che Änderungen an . Er spricht sich dafür aus, erst nach vor nicht der endgültige Vertragstext und alle rechtsver- Zustimmung des Europäischen Parlaments Teile des Ab- bindlichen Ergänzungen zur Beschlussfassung im Bun- kommens vorläufig anzuwenden, und fordert in diesem destag vorliegen, können die einen ihre Hoffnung auf Zusammenhang unter anderem das besonders kontrovers Wachstum und Arbeitsplätze ebenso wenig begründen diskutierte Kapitel über den Investitionsschutz ganz von wie die anderen ihre Befürchtungen . einer vorläufigen Anwendung auszunehmen. Eine Gül- tigkeit dieses Kapitels wäre somit nur möglich, wenn alle Deshalb die stereotype Antwort: Wenn sich alle Hoff- Parlamente innerhalb der EU zustimmen . nungen der Befürworter durch den Vertrag bestätigen lassen, stimme ich zu . Wenn sich alle Befürchtungen Noch wichtiger ist für mich, dass die Stellungnahme derjenigen Bürgerinnen und Bürger, die mich auffordern der Fraktionen von SPD und CDU/CSU auch den oben abzulehnen, bestätigen, lehne ich ab . Das entscheide ich beschriebenen Weg eines ausführlichen Anhörungs- endgültig, wenn entscheidungsreife Vorlagen den Bun- verfahrens durch das Europäische Parlament mit den destag erreichen . nationalen Parlamenten und mit der Zivilgesellschaft ermöglicht, wie ihn auch der SPD-Parteikonvent am ver- Über die Jahre haben sich die einen so sehr an ihre gangenen Montag gefordert hat . Europa hat damit die Hoffnung gewöhnt wie die anderen an ihre Befürchtung, Chance, neue Wege zu gehen und in einem intensiven dass riesige Veränderungen in den Vertragstexten, ja Dialog gerade mit denjenigen, die CETA kritisch gegen- selbst jene, die Ergebnis des eigenen Erfolgs sind, kaum überstehen, Lösungsansätze in den kontrovers disku- wahrgenommen werden und man fest im einmal gefällten tierten Themenfeldern zu entwickeln . Dabei wird auch Urteil stecken bleibt . Aber es gibt auch gute Beispiele: die Frage eine Rolle spielen müssen, ob es noch weitere Nachdem Sigmar Gabriel mit der kanadischen Handels- Bereiche gibt, die auch die nationalen Kompetenzen be- ministerin Chrystia Freeland wichtige Verbesserungen 18922 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) hinsichtlich der Arbeitnehmerrechte erreichen konnte, in das parlamentarische Verfahren zu geben, um darüber (C) hat Reiner Hoffmann, Vorsitzender des Deutschen Ge- weitere Verbesserungen zu erreichen . werkschaftsbundes (DGB), den auf dem SPD-Konvent eingeschlagenen Weg unterstützt . In vielen Briefen wurde ich um Zustimmung zu CETA gebeten – für Wachstum, Arbeitsplätze und Freihandel . Anders als Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen, die In vielen anderen wurde ich um Ablehnung gebeten – schon lange wissen, dass sie gegen diese Freihandelsab- gegen Schiedsgerichtsbarkeit, Privatisierung der Kultur, kommen sind, und anders als CDU und CSU, die schon Gefährdung der Daseinsvorsorge und des Vorsorgeprin- lange wissen, dass sie für diese Freihandelsabkommen zips . Es wurde viel spekuliert . Bevor nicht der endgültige sind, haben SPD und SPD-Bundestagsfraktion einen in- Vertragstext und alle rechtsverbindlichen Ergänzungen tensiven Diskussions- und Abwägungsprozess angesto- zur Beschlussfassung im Bundestag vorliegen, können ßen und organisiert . In diesem von Bundeswirtschaftsmi- die einen ihre Hoffnung auf Wachstum und Arbeitsplätze nister Gabriel wesentlich getragenen Prozess wurde der ebenso wenig begründen wie die anderen ihre Befürch- Text so verändert, dass die Kritiker der Ursprungstexte in tungen . Pro und Kontra zusammengeführt werden . Dazu gab es einen großen SPD-Konvent, auf dem wir die „roten Lini- Anders als Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen, en“ für eine Zustimmung zu den aktuellen Freihandels- die schon lange wissen, dass sie gegen CETA sind, und abkommen beschlossen haben . Wer diese Veränderungen anders als CDU und CSU, die schon lange wissen, dass wahrnimmt, erkennt, wie wesentlich diese Änderungen sie für CETA sind, haben wir als SPD und SPD-Bun- für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft sind . Und destagsfraktion einen intensiven Diskussions- und damit ist nicht nur die deutsche Gesellschaft gemeint . Abwägungsprozess angestoßen und organisiert . Wir Unser Ziel ist, den Wohlstand aller Menschen global Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten können zu fördern, nicht nur in Deutschland – auch in Kanada durchaus selbstbewusst sagen, dass wir es waren, die und in allen europäischen Staaten sollen die Menschen beim ­CETA-Abkommen bereits erhebliche Verbesserun- profitieren. Mit Kanada verbindet uns eine jahrelange gen erreicht haben: indem es beispielsweise auf Grundla- politische wie auch wirtschaftliche Zusammenarbeit, ge unserer Beschlüsse und auf unsere politische Initiative die mit CETA nun weiter ausgebaut und vertieft werden hin gelungen ist, private Schiedsgerichte in CETA ab- soll . Wenn Europa als Staatenverbund mit 500 Millionen zuschaffen und stattdessen einen öffentlich-rechtlichen Einwohnern einen Vertrag verhandelt, kann es viel mehr Investitionsgerichtshof einzurichten . Kanada hat zudem erreichen, als wenn ein Staat dies alleine tun würde . Bei inzwischen sieben von acht ILO-Kernarbeitsnormen ra- solch kraftvollen Verbindungen gilt es zu darauf zu ach- tifiziert und ist auf dem Weg, auch die achte umzusetzen. ten, dass die Schwächsten nicht auf der Strecke bleiben . (B) Die schwächsten Menschen und die schwächsten Staa- In der Debatte hat die SPD also einen sachbezogenen (D) ten . Unter diesen Gesichtspunkten ist das Interesse der Weg gewählt, anstatt sich pauschal auf ein Ja oder Nein schwächeren EU-Mitgliedstaaten an CETA gut zu ver- festzulegen . Ich bin davon überzeugt, dass die Globali- stehen . sierung Regeln braucht, damit sie nicht zu einem Wett- lauf der Standards nach unten führt . Ziel muss es sein, Unsere Erfahrung lehrt uns, dass es klug ist, Verträge gute Spielregeln festzulegen, die für alle Länder gelten . erst dann zu beschließen, wenn alle für sie einschlägi- gen rechtsverbindlichen Texte endgültig vorliegen . Ein Als Brücke zwischen CETA-Kritikern und CETA-Be- Grundsatz, den jeder faire Vertrags- bzw . Verhandlungs- fürwortern innerhalb der SPD wurde vorgeschlagen, partner mühelos akzeptieren kann . durch eine entsprechende Beschlussfassung im Minister- rat das Europäische Parlament in die Lage zu versetzen, Warum ich dem heutigen Koalitionsantrag zustimme, das Verfahren unter Beteiligung der nationalen Parla- findet sich im Antrag der Fraktion der CDU/CSU und mente an sich zu ziehen, die Zivilgesellschaft einzube- der SPD „Comprehensive Economic and Trade Agree- ziehen und in einem transparenten Verfahren mit Kanada ment (CETA): Für freien und fairen Handel“ (Drucksa- ein faires Ergebnis zu verhandeln . che 18/9663) in der letzten Feststellung des Bundestages: „Der Deutsche Bundestag wird im Lichte des weiteren Die nun vorliegende Stellungnahme der Fraktionen Prozesses im Ratifizierungsverfahren abschließend über von SPD und CDU/CSU ermöglicht diesen Weg . Er er- seine Zustimmung zu CETA entscheiden .“ kennt die Fortschritte im Rahmen des Verhandlungspro- zesses einschließlich der Einstufung des Abkommens als Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Würde heute in gemischtes Abkommen an, die maßgeblich durch Bun- der Sache über den derzeit vorliegenden Text des deswirtschaftsminister Sigmar Gabriel erreicht worden ­CETA-Freihandelsabkommens mit Kanada abgestimmt, sind . Er gibt der Bundesregierung im Rat die Möglich- könnte ich nicht zustimmen . Aber heute wird nicht über keit der Zustimmung, greift in zentralen Punkten jedoch den Vertragstext des CETA-Abkommens bzw . das Ab- die breit diskutierten Problemfelder des vorliegenden kommen selbst abgestimmt . Über mein Votum zu CETA Entwurfs auf und mahnt entsprechende rechtsverbindli- entscheide ich, wenn entscheidungsreife Vorlagen den che Änderungen an . Er spricht sich dafür aus, erst nach Bundestag erreichen . Zustimmung des Europäischen Parlaments Teile des Ab- kommens vorläufig anzuwenden und fordert in diesem Heute wird darüber entschieden, ob wir den Bundes- Zusammenhang unter anderem das besonders kontrovers wirtschaftsminister beauftragen, im Handelsministerrat diskutierte Kapitel über den Investitionsschutz ganz von der EU, den aktuell vorliegenden CETA-Vertragsentwurf einer vorläufigen Anwendung auszunehmen. Eine Gül- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18923

(A) tigkeit dieses Kapitels wäre somit nur möglich, wenn alle Monaten, einige schon seit Jahren, wissen, dass der Welt- (C) Parlamente innerhalb der EU zustimmen . untergang droht, wenn CETA nicht kommt, so die einen, wenn CETA kommt, so die anderen . Noch wichtiger ist für mich, dass die Stellungnahme der Fraktionen von SPD und CDU/CSU auch den oben Anders als Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen, die beschriebenen Weg eines ausführlichen Anhörungs- schon lange wissen, dass sie gegen diese Freihandelsab- verfahrens durch das Europäische Parlament mit den kommen sind, und anders als CDU und CSU, die schon nationalen Parlamenten und mit der Zivilgesellschaft lange wissen, dass sie für diese Freihandelsabkommen ermöglicht, wie ihn auch der SPD-Parteikonvent am ver- sind, haben SPD und SPD Fraktion einen tiefen Diskus- gangenen Montag gefordert hat . Europa hat damit die sions- und Abwägungsprozess angestoßen und organi- Chance, neue Wege zu gehen und in einem intensiven siert . In diesem von Bundeswirtschaftsminister Gabriel Dialog gerade mit denjenigen, die CETA kritisch gegen- wesentlich getragenen Prozess wurde der Vertragstext überstehen, Lösungsansätze in den kontrovers disku- in seinen rechtlichen, sozialen und kulturellen Zielen so tierten Themenfeldern zu entwickeln . Dabei wird auch verändert, dass die Kritiker der Ursprungstexte in Pro die Frage eine Rolle spielen müssen, ob es noch weitere und Kontra zusammengeführt werden . Wer diese Ver- Bereiche gibt, die auch die nationalen Kompetenzen be- änderungen wahrnimmt, erkennt, wie wesentlich diese treffen . Auch das sieht die vorliegende Stellungnahme Änderungen dem Zusammenhalt unserer Gesellschaft des Bundestages vor . Soweit im Ministerrat diesbezüg- dienen . Dazu gab es einen großen SPD-Konvent, auf lich keine sachgerechte Lösung gefunden wird, muss dem wir die „roten Linien“ für eine Zustimmung zu den die Stellungnahme der kommunalen Spitzenverbände aktuellen Freihandelsabkommen beschlossen haben . berücksichtigt werden, nach der aufgrund der bislang unzureichenden Klärung der Fragen über die Anwend- Mit Blick auf die irritierenden Pressemeldungen un- barkeit des Vertrages auf die öffentliche Daseinsvorsorge mittelbar vor der heutigen Entscheidung zitiere ich nach- auch weitere Bereiche von der vorläufigen Anwendung folgend aus einer Information meines Kollegen Matthias ausgeschlossen werden müssen . Das gilt auch für die in Miersch: CETA neu geschaffenen Gremien, die auch in der Verfas- „Die SPD hat auf ihrem Konvent nicht für CETA ge- sungsbeschwerde problematisiert werden, die bezüglich stimmt, wie viele schreiben . Sie hat einen Antrag verab- des Abkommens anhängig ist . schiedet, der unsere Anforderungen an das Abkommen Ich hoffe, dass über diesen Weg noch in rechtsver- und den nun vor uns liegenden Prozess beschreibt . Wir bindlicher und belastbarer Form die notwendigen Ergän- haben ganz klare Bedingungen beschlossen, die am Ende zungen des Vertragstextes oder etwaiger Zusatzverein- Maßstab für jeden SPD Abgeordneten sind . Wenn unse- barungen erreicht werden können . Daher werde ich dem re Forderungen nicht erfüllt sind, werde ich CETA nicht (B) (D) Antrag der Fraktionen von CDU/CSU und SPD zustim- zustimmen: men, um entsprechende Versuche hierzu nicht von vorn- – Im Bereich des Investorenschutzes muss mit Blick auf herein auszuschließen . Den Anträgen von den Fraktionen die Rechtstatbestände, wie z .B . ‚faire und gerechte Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen, die das Ergebnis Behandlung‘ und ‚indirekte Enteignung‘ sichergestellt solcher Verhandlungen vorwegnehmen, werde ich daher werden, dass keine Bevorzugung von ausländischen nicht zustimmen . gegenüber inländischen Investoren oder Bürgerinnen Das Abkommen wird durch die EU und ihre Mit- und Bürgern stattfinden. Investorenschutz sollte somit gliedstaaten mit Kanada abgeschlossen . Wir müssen zur auf die Diskriminierung gegenüber inländischen In- Kenntnis nehmen, dass CETA nur in wenigen Ländern vestoren beschränkt werden . der EU kritisch diskutiert wird . Um Veränderungen im – Es muss unmissverständlich und rechtsverbindlich er- weiteren Verfahren erreichen zu können, wäre ein pau- klärt werden, dass die EU im Rahmen des CETA-Ab- schales Nein im Ministerrat nicht zielführend . Am Ende kommens in keiner Weise vom primärrechtlich veran- des jetzt vor uns liegenden Prozesses wird jede und jeder kerten Vorsorgeprinzip (Artikel 191 AEUV) abweicht . Abgeordnete entscheiden müssen, ob sie/er dem Abkom- men zustimmt . Auch dafür hat der SPD-Parteikonvent – Im Rahmen des Beratungsprozesses muss ein Sank- eindeutige Maßstäbe beschlossen . tionsmechanismus bei Verstößen der Partner gegen Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards entwickelt Frank Junge (SPD): Heute wird darüber entschie- werden . Die acht ILO-Kernarbeitsnormen müssen ra- den, ob wir den Bundeswirtschaftsminister beauftragen, tifiziert werden. im Handelsministerrat der EU, den aktuell vorliegenden – Es muss sich aus dem CETA-Vertrag unmissverständ- Vertragsentwurf CETA in die parlamentarischen Verfah- lich ergeben, dass bestehende und künftig entstehen- ren, in die Parlamente zu geben . Die Anträge der Frakti- de Dienstleistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge on Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nicht vom Vertrag erfasst werden .“ suggerieren, dass man sich bereits heute vollumfänglich entscheiden könne, ohne sämtliche Details überhaupt Warum ich dem heutigen Koalitionsantrag zustimme, zu kennen. Damit machen sie sich in der Urteilsfindung findet sich im Antrag der Fraktion der CDU/CSU und gemein mit dem Bundesverband der Deutschen Indus- der SPD „Comprehensive Economic and Trade Agree- trie (BDI), dem Deutschen Industrie- und Handelskam- ment (CETA): Für freien und fairen Handel“ (Drucksa- mertag (DIHK), campact (nachgebildet MoveOn in den che 18/9663) in der letzten Feststellung des Bundestages: USA), ver di. Mitgliedern und anderen, die schon seit „Der Deutsche Bundestag wird im Lichte des weiteren 18924 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) Prozesses im Ratifizierungsverfahren abschließend über Artikel 24 4. (Kapitel Handel und Umwelt) ist durch (C) seine Zustimmung zu CETA entscheiden .“ die Vertragsparteien zu betonen, dass diese Abkom- men von großem Wert sind und das CETA-Abkommen Wie oben gesagt: Heute wird darüber entschieden, und die darin beschriebene Handels- und Wirtschafts- ob wir den Bundeswirtschaftsminister beauftragen, im politik sich an diesen Zielen orientiert .“ Handelsministerrat der EU den aktuell vorliegenden Ver- tragsentwurf CETA in die parlamentarischen Verfahren, 3 „Im. Rahmen des Beratungsprozesses ist ein Sank- in die Parlamente, zu geben . tionsmechanismus bei Verstößen der Partner gegen Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards zu entwickeln . Cansel Kiziltepe (SPD): Der Beschluss des Die acht ILO-Kernarbeitsnormen müssen ratifiziert SPD-Konvents vom 19 . September 2016 enthält eine werden . Der soziale Dialog ist effektiv auszugestalten, inhaltlich gute Bewertung des vorliegenden CETA Ver- sodass das Verfahren zur Durchsetzung von Standards tragsentwurfs . Dieser Beschluss zeigt deutlich, dass wir wirkungsvoll genug ist und durch Sanktionsmöglich- in der augenblicklichen Fassung von CETA weit vom keiten ergänzt wird .“ vermeintlichen „Goldstandard“ entfernt sind, sogar tat- Insgesamt weiß ich aber auch zu schätzen, was die sächlich wichtige „rote Linien“ reißen . Verursacher ist SPD-Fraktionsführung hier mit der Union erreicht hat . dabei oftmals nicht die neue kanadische Regierung, son- Ich begrüße ausdrücklich, dass in der Stellungnahme dern die zuständige neoliberal agierende Generaldirekti- deutlich zum Ausdruck kommt, dass der Deutsche Bun- on Handel der EU-Kommission . Die bisherige Haltung destag erst im Ratifizierungsverfahren abschließend über in den Gesprächen und Anhörungen der Mitarbeiter und seine Zustimmung zu CETA entscheiden wird, je nach- Mitarbeiterinnen der Kommission hat gezeigt, dass dort dem, ob unsere geforderten Änderungen nach unserer die notwendige Problemwahrnehmung für die kritischen Einschätzung umgesetzt wurden oder nicht . Punkte im Abkommen so gut wie nicht vorhanden ist . Den Anträgen von Linken und Grünen stimme ich in- Der vorliegende Antrag der Regierungsfraktionen ist haltlich aus den eingangs skizzierten Erwägungen zum keine Zustimmung zu CETA in der vorliegenden Fas- weiteren Verfahren in ihrem Forderungsteil zu, näm- sung . Trotzdem kann ich diesem Antrag nicht zustim- lich CETA jetzt nicht im Ministerrat zu unterzeichnen . men, da ich das Verfahren, erst im Ministerrat zuzustim- Allerdings kann ich den inhaltlichen Begründungen bei men und danach Verbesserungen erreichen zu wollen, für beiden Anträgen aus unterschiedlichen Gründen nicht nicht zielführend halte . zustimmen . So werden in der Stellungnahme der Grünen Die Forderung, entweder unsere Verbesserungen in zu CETA die Arbeitnehmerrechte bzw . ILO-Kernarbeits- das Abkommen zu verhandeln oder als einzige Alterna- normen gar nicht erwähnt, und bei den Linken finden (B) tive eine Außerkraftsetzung, wird dann auch gegenüber sich etliche falsche Behauptungen im Begründungsteil . (D) unseren europäischen Partnern schwerer zu vermitteln Im Ergebnis meiner Abwägung werde ich daher bei sein als jetzt, vor der Unterzeichnung des Vertrages . allen drei Anträgen mit Nein votieren . Neben den Bedenken zum Verfahren habe ich auch inhaltliche Bedenken . Daniela Kolbe (SPD): Müsste ich heute über das Freihandelsabkommen mit Kanada „CETA“ abstimmen, Es ist bedauerlich, dass ausgerechnet zu den ILO- ich würde ablehnen . Aber heute wird nicht über den Ver- Kern­arbeitsnormen die Formulierung des SPD Konvents tragstext des Abkommens CETA abgestimmt . nicht übernommen wurde . Heute wird darüber entschieden, ob wir den Bundes- Weiterhin fehlt eine wesentliche Formulierung zur wirtschaftsminister beauftragen, im Handelsministerrat Einschränkung der neuen Gerichtsbarkeit im Verhältnis der EU den aktuell vorliegenden Vertragsentwurf CETA inländische und ausländische Investoren und Bürger . Das in die parlamentarischen Verfahren, in die Parlamente zu Klimaschutzabkommen von Paris wird ebenfalls nicht geben . thematisiert . Die Anträge der Fraktion Die Linke und der Frakti- Die folgenden Formulierungen aus dem Konventsbe- on Bündnis 90/ Die Grünen simulieren Entscheidungs- schluss in den Antrag wären für mich hier zwingend für fähigkeit im Nichtwissen . Damit machen sie sich in eine Zustimmung gewesen: der Urteilsfindung gemein mit dem Bundesverband der 1 .„Im Bereich des Investorenschutzes muss mit Blick Deutschen Industrie (BDI), dem Deutschen Industrie- auf die Rechtstatbestände, wie z .B . ‚faire und gerechte und Handelskammertag (DIHK), campact (nachgebildet Behandlung‘ und ‚indirekte Enteignung‘ sichergestellt ­MoveOn in den USA), manchen ver di-Mitgliedern. und werden, dass keine Bevorzugung von ausländischen anderen, die schon seit Monaten, einige schon seit Jah- gegenüber inländischen Investoren oder Bürgerinnen ren, wissen, dass der Weltuntergang droht, wenn CETA und Bürgern stattfinden. Investorenschutz sollte somit nicht kommt, so die einen, wenn CETA kommt, so die auf die Diskriminierung gegenüber inländischen In- anderen . vestoren beschränkt werden .“ Ein Blick zurück: In vielen Briefen wurde ich um 2 .„Anders als im Prozess der WTO ist es der Staatenge- Zustimmung zu TTIP, CETA und TiSA gebeten – für meinschaft gelungen, im Jahr 2015 gemeinsam globa- Wachstum, Arbeitsplätze und weil Freihandel einfach gut le Nachhaltigkeitsziele und das Pariser Klimaschutz- ist . In vielen anderen wurde ich um Ablehnung gebeten – abkommen zu beschließen . Unter Bezugnahme auf gegen Schiedsgerichtsbarkeit, Privatisierung der Kultur, Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18925

(A) Gefährdung der Daseinsvorsorge und des Vorsorgeprin- werden, dass auch zukünftig kein Druck in Richtung Li- (C) zips . Es wurde und wird viel spekuliert . Als frei gewählte beralisierung von Dienstleistungen der öffentlichen Da- Abgeordnete sage ich: Ich entscheide endgültig, wenn seinsvorsorge ausgeübt werden darf“ begrüße ich sehr . entscheidungsreife Vorlagen den Bundestag erreichen . Gleichwohl sollte diese Sicherstellung im Vertragswerk rechtlich fixiert sein, um später streitanfällige Interpreta- Über die Jahre haben sich die einen so sehr an ihre tionen zu vermeiden . Hoffnung gewöhnt, wie die anderen an ihre Befürchtung, dass riesige Veränderungen in den Vertragstexten, ja Auch folgende Formulierung hinterlässt einen Rest- selbst jene, die Ergebnis des eigenen Erfolgs sind, kaum zweifel, ob die Unantastbarkeit des Vorsorgeprinzips wahrgenommen werden und man fest im einmal gefäll- unmissverständlich klargestellt sei: „Hohe Umwelt- und ten Urteil stecken bleibt . Verbraucherstandards müssen gewährleistet bleiben . Das im europäischen Primärrecht verankerte Vorsorgeprinzip Anders als Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen, bleibt von CETA unberührt . Dies muss unmissverständ- die schon lange wissen, dass sie gegen diese Freihan- lich klargestellt werden .“ delsabkommen sind, und anders als CDU und CSU, die schon lange wissen, dass sie für diese Freihandelsab- Mit der Formulierung „Der Deutsche Bundestag be- kommen sind, haben SPD und SPD-Bundestagsfraktion grüßt die Bereitschaft der kanadischen Regierung, der einen intensiven Diskussions- und Abwägungsprozess Europäischen Kommission und der Bundesregierung, angestoßen und organisiert . In diesem von Bundeswirt- im Rahmen des weiteren Verfahrens rechtsverbindliche schaftsminister Gabriel wesentlich getragenen Prozess Klärungen der noch offenen Fragen herbeizuführen, und wurde der Vertragstext in seinen rechtlichen, sozialen setzt sich gleichfalls hierfür ein“ ergibt sich die offene und kulturellen Zielen so verändert, dass die Kritiker Frage, warum „rechtsverbindliche Klärungen“ nicht ein- der Ursprungstexte in Pro und Kontra zusammengeführt fach in das Vertragswerk CETA eingearbeitet werden . werden . Wer diese Veränderungen wahrnimmt, erkennt, Die Übersichtlichkeit und Bürgerfreundlichkeit des wie wesentlich diese Änderungen für den Zusammen- ohnehin schon komplexen und langen Vertragstextes halt unserer Gesellschaft sind . Dazu gab es einen großen wird durch weitere Regelungen und Vereinbarungen au- SPD-Konvent, auf dem wir die „roten Linien“ für eine ßerhalb des Vertrags weiter gemindert . Zustimmung zu den aktuellen Freihandelsabkommen be- schlossen haben . Mit Blick auf die irritierenden Pressemeldungen un- mittelbar vor der heutigen Entscheidung zitiere ich nach- Aber selbst wenn das nun vorliegende Verhandlungs- folgend aus einer Information meines Kollegen Matthias ergebnis gegenüber den früheren Fassungen essenzielle Miersch: Verbesserungen enthält, insbesondere die Einführung (B) eines öffentlichen Handelsgerichtshofes – statt Schieds- „Die SPD hat auf ihrem Konvent nicht für CETA ge- (D) gerichtsbarkeit– , auch wenn Bereiche der öffentlichen stimmt, wie viele schreiben . Sie hat einen Antrag verab- Daseinsvorsorge, wie etwa Wasser, Bildung oder Ge- schiedet, der unsere Anforderungen an das Abkommen sundheit, nun speziellen Schutzregeln unterliegen, würde und den nun vor uns liegenden Prozess beschreibt . Wir ich heute noch nicht zustimmen . Unsere Erfahrung lehrt haben ganz klare Bedingungen beschlossen, die am Ende uns, dass es klug ist, Vertragstexte erst dann zu beschlie- Maßstab für jeden SPD-Abgeordneten sind . Wenn unse- ßen, wenn sie endgültig vorliegen . Ein Grundsatz, den re Forderungen nicht erfüllt sind, werde ich CETA nicht jeder faire Vertrags- bzw . Verhandlungspartner mühelos zustimmen: akzeptieren kann . – Im Bereich des Investorenschutzes muss mit Blick auf Dies gilt umso mehr, als sich in dem Antrag der Ko- die Rechtstatbestände, wie z B. . ‚faire und gerechte alitionsfraktionen noch einige Formulierungen finden, Behandlung‘ und ‚indirekte Enteignung‘ sichergestellt deren Wirkmächtigkeit sich erst erkennen lässt, wenn die werden, dass keine Bevorzugung von ausländischen dazugehörenden Parlamentsentscheidungen getroffen gegenüber inländischen Investoren oder Bürgerinnen sein werden: und Bürgern stattfindet. Investorenschutz sollte somit auf die Diskriminierung gegenüber inländischen In- Wenn sich etwa „… Vertragsparteien zum Schutz der vestoren beschränkt werden . Arbeitnehmerrechte bekennen und sich verpflichten, An- strengungen zur Ratifizierung und Umsetzung der Kern- – Es muss unmissverständlich und rechtsverbindlich er- arbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation klärt werden, dass die EU im Rahmen des CETA-Ab- (ILO) zu unternehmen“, so wäre doch von Interesse, ob kommens in keiner Weise vom primärrechtlich veran- die Anstrengungen Erfolg haben werden oder nicht . kerten Vorsorgeprinzip (Artikel 191 AEUV) abweicht . Oder wenn „Im weiteren Prozess … unbestimmte – Im Rahmen des Beratungsprozesses muss ein Sank- Rechtsbegriffe geklärt werden“ müssen, so wäre auch tionsmechanismus bei Verstößen der Partner gegen hier noch zu abzuwarten, ob das Ergebnis dieser Klärung Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards entwickelt auf breite Zustimmung in der deutschen Bevölkerung werden . Die acht ILO-Kernarbeitsnormen müssen ra- stößt . tifiziert werden. Die Formulierung „Spielräume von Kommunen zur – Es muss sich aus dem CETA-Vertrag unmissverständ- Organisation der Daseinsvorsorge dürfen nicht einge- lich ergeben, dass bestehende und künftig entstehende schränkt und auch künftig nicht angetastet werden . Es Dienstleistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge muss im weiteren Ratifikationsprozess sichergestellt nicht vom Vertrag erfasst werden .“ 18926 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) Warum ich dem heutigen Koalitionsantrag zustimme, zesses einschließlich der Einstufung des Abkommens als (C) findet sich im Antrag der Fraktion der CDU/CSU und gemischtes Abkommen an, die maßgeblich durch Bun- der SPD „Comprehensive Economic and Trade Agree- deswirtschaftsminister Sigmar Gabriel erreicht worden ment (CETA): Für freien und fairen Handel“ – Druck- sind . Er gibt der Bundesregierung im Rat die Möglich- sache 18/9663 – in der letzten Feststellung des Bun- keit der Zustimmung, greift in zentralen Punkten jedoch destages: „Der Deutsche Bundestag wird im Lichte des die breit diskutierten Problemfelder des vorliegenden weiteren Prozesses im Ratifizierungsverfahren abschlie- Entwurfs auf und mahnt entsprechende rechtsverbindli- ßend über seine Zustimmung zu CETA entscheiden .“ che Änderungen an . Er spricht sich dafür aus, erst nach Zustimmung des Europäischen Parlaments Teile des Ab- Wie oben gesagt: Heute wird darüber entschieden, kommens vorläufig anzuwenden, und fordert in diesem ob wir den Bundeswirtschaftsminister beauftragen, im Handelsministerrat der EU den aktuell vorliegenden Ver- Zusammenhang unter anderem das besonders kontrovers tragsentwurf CETA in die parlamentarischen Verfahren, diskutierte Kapitel über den Investitionsschutz ganz von in die Parlamente, zu geben . Dem kann ich guten Gewis- einer vorläufigen Anwendung auszunehmen. Eine Gül- sens zustimmen . tigkeit dieses Kapitels wäre somit nur möglich, wenn alle Parlamente innerhalb der EU zustimmen .

Hiltrud Lotze (SPD): Würde heute in der Sache über Noch wichtiger ist für mich, dass die Stellungnahme den derzeit vorliegenden Text von CETA abgestimmt, der Fraktionen von SPD und CDU/CSU auch den oben könnte ich nicht zustimmen . beschriebenen Weg eines ausführlichen Anhörungs- Ich spreche mich aber dafür aus, im parlamentarischen verfahrens durch das Europäische Parlament mit den Verfahren den vorliegenden Vertragstext durch Zusatz- nationalen Parlamenten und mit der Zivilgesellschaft vereinbarungen zu ergänzen . ermöglicht, wie ihn auch der SPD-Parteikonvent am ver- gangenen Montag gefordert hat . Europa hat damit die Nur so können wir den Vertragstext in unserem Sinne Chance, neue Wege zu gehen und in einem intensiven beeinflussen. Dem heute vorliegenden Antrag von CDU/ Dialog gerade mit denjenigen, die CETA kritisch gegen- CSU und SPD werde ich daher zustimmen, um entspre- überstehen, Lösungsansätze in den kontrovers disku- chende Versuche möglich zu machen . Den Anträgen von tierten Themenfeldern zu entwickeln . Dabei wird auch Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke, die die Frage eine Rolle spielen müssen, ob es noch weitere das Ergebnis solcher Verhandlungen vorwegnehmen, Bereiche gibt, die auch die nationalen Kompetenzen be- werde ich daher nicht zustimmen . treffen . Auch das sieht die vorliegende Stellungnahme des Bundestages vor . Soweit im Ministerrat diesbezüg- (B) Dr. Matthias Miersch (SPD): Der Deutsche Bun- lich keine sachgerechte Lösung gefunden wird, muss (D) destag entscheidet heute nicht über das europäisch-ka- die Stellungnahme der kommunalen Spitzenverbände nadische Freihandelsabkommen CETA, sondern nimmt berücksichtigt werden, nach der aufgrund der bislang Stellung zu der Frage, ob die Bundesregierung durch ein unzureichenden Klärung der Fragen über die Anwend- positives Votum im Europäischen Rat den Weg das wei- barkeit des Vertrages auf die öffentliche Daseinsvorsorge tere Ratifizierungsverfahren im Europäischen Parlament auch weitere Bereiche von der vorläufigen Anwendung und in den Parlamenten der Mitgliedstaaten der EU er- ausgeschlossen werden müssen . Das gilt auch für die in öffnen soll . CETA neu geschaffenen Gremien, die auch in der Verfas- sungsbeschwerde problematisiert werden, die bezüglich Im August habe ich eine Bewertung verfasst, in der ich des Abkommens anhängig ist . aufzeige, an welchen Stellen der aktuelle Entwurf von CETA mit der Beschlusslage der SPD nach meiner Über- Ich bin überzeugt, dass dieser Weg erfolgverspre- zeugung nicht übereinstimmt . Ich habe mich vor allem chend ist . Das Abkommen wird durch die EU und ihre auf die Bereiche Investitionsschutz, CETA-Ausschuss, Mitgliedstaaten mit Kanada abgeschlossen . Wir müssen Vorsorgegrundsatz, öffentliche Daseinsvorsorge und Ar- zur Kenntnis nehmen, dass CETA nur in wenigen Län- beitnehmerrechte bezogen und komme zu dem Ergebnis, dern der EU kritisch diskutiert wird . Um Veränderungen dass ich dem aktuell vorliegenden CETA-Entwurf nicht im weiteren Verfahren erreichen zu können, wäre ein zustimmen könnte . pauschales Nein im Ministerrat nicht zielführend . Am Als Brücke zwischen CETA-Kritikern und CETA-Be- Ende des jetzt vor uns liegenden Prozesses wird jede und fürwortern innerhalb der SPD habe ich in diesem Papier jeder Abgeordnete entscheiden müssen, ob er/sie dem vorgeschlagen, durch eine entsprechende Beschlussfas- Abkommen zustimmt . Auch dafür hat der der SPD-Par- sung im Ministerrat das Europäische Parlament in die teikonvent eindeutige Maßstäbe beschlossen . Lage zu versetzen, das Verfahren unter Beteiligung der nationalen Parlamente an sich zu ziehen, die Zivilgesell- (SPD): Die von Die Linke und von Bünd- schaft einzubeziehen und in einem transparenten Verfah- Ulli Nissen nis 90/Die Grünen vorgelegten Anträge vermitteln den ren mit Kanada ein faires Ergebnis zu verhandeln . Ich Eindruck, heute würde im Deutschen Bundestag über habe mich ferner gegen die vorläufige Anwendung des CETA entschieden . Das ist nicht der Fall . Heute ent- Vertrages ausgesprochen . scheiden wir im Deutschen Bundestag darüber, ob wir Die nun vorliegende Stellungnahme der Fraktionen den Bundeswirtschaftsminister beauftragen, den aktuell von SPD und CDU/CSU ermöglicht diesen Weg . Er er- vorliegenden Vertragsentwurf zu CETA in die parlamen- kennt die Fortschritte im Rahmen des Verhandlungspro- tarischen Verfahren zu geben . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18927

(A) Die EU-Kommission hatte vorgeschlagen, CETA als chen, wo sie Mensch und Umwelt am meisten ausbeuten (C) gemischtes Abkommen abzuschließen . Das heißt, dass können . Je fairer die Wettbewerbsbedingungen weltweit nicht alle Teile des Abkommens in die gemeinsame Han- sind, desto besser ist dies nicht zuletzt auch für deutsche delspolitik der EU fallen, sondern in der Zuständigkeit Arbeitsplätze und hiesige Löhne . der EU-Mitgliedstaaten verbleiben . Damit wird es nach der Unterzeichnung von CETA im Rat einen umfassen- Entscheidend ist es deshalb, in allen Handelsverträ- den Ratifikationsprozess sowohl auf Ebene des Rates gen der Europäischen Union verbindliche menschen- und des Europäischen Parlaments als auch der nationalen rechtliche, ökologische und soziale Kriterien wie die Parlamente der Mitgliedstaaten geben . Alle notwendigen acht ILO-Kernarbeitsnormen mit konkreten Beschwer- Dokumente und Informationen müssen transparent ge- de-, Überprüfungs- und Sanktionsmechanismen zu ver- macht werden . einbaren . Das ist im Grundsatz so im Koalitionsvertrag festgelegt und explizite Beschlusslage der SPD-Bundes- Die SPD hat auf ihren Parteitagen mehrmals die roten tagsfraktion . Von daher messe ich den Handelsvertrag Linien für die Freihandelsabkommen gezogen . Eine da- mit Kanada (CETA) besonders an diesen Kriterien . Auf von war die Garantie, dass das demokratische Recht, Re- andere Aspekte vom Verbraucherschutz, Vorsorgeprinzip gelungen zum Schutz von Gemeinwohlzielen zu schaf- bis zur öffentlichen Daseinsvorsorge, die mir ebenfalls fen, nicht gefährdet wird . Die Fähigkeit von Parlamenten wichtig sind, gehe ich in der Begründung für mein Ab- und Regierungen, Gesetze und Regeln zum Schutz und stimmungsverhalten hier nicht ein . Ich verweise hierzu im Sinne der Bürgerinnen und Bürger zu erlassen, dürfe auf die inhaltlichen Forderungen des SPD-Parteikon- auch nicht durch die Schaffung eines Regulierungsrates ventsbeschlusses vom 19 . September . Ich teile ausdrück- erschwert werden, heißt es im Beschluss des SPD-Bun- lich die dort formulierten Anforderungen, die noch in desparteitages . CETA verbessert werden müssen . Andernfalls könnte Mit dem CETA Abkommen sollen nun eine Vielzahl ich im Ratifikationsprozess später im Bundestag nicht von Sondergremien geschaffen werden, deren Zusam- zustimmen, sondern ich würde CETA definitiv ablehnen. mensetzung höchst fraglich ist . Zusätzlich sollen gesetz- In der heutigen Abstimmung geht es für den Deutschen geberische Aktivitäten stets rechtzeitig vorher mit diesen Bundestag aber nicht darum, für oder gegen CETA abzu- Gremien zurückgekoppelt werden . Damit wird die Ver- stimmen, weil sich diese Entscheidung erst bei der Rati- abschiedung neuer Gesetze zum Beispiel zum Schutz der fizierung für uns stellt. Verbraucherinnen und Verbraucher deutlich erschwert . Heute geht es in den Anträgen von SPD/CDU/CSU, Das schränkt die Souveränität der nationalen Parla- Grünen und Linken um eine Stellungnahme des Deut- mente ein . Deshalb lehne ich CETA in der jetzt vorlie- schen Bundestages nach Artikel 23 GG . Hier können wir (B) genden Fassung ab . Das ist nur eine der roten Linien, die der Bundesregierung unsere Empfehlungen mit auf den (D) ich für überschritten halte . Weg geben für ihr Handeln auf EU-Ebene . Konkret geht es heute darum, welche Empfehlung der Bundestag der Um es klar zu sagen: Würde heute CETA im Parlament Bundesregierung hinsichtlich der Frage gibt, ob und unter abgestimmt, würde ich mit Nein stimmen . Wir stimmen welchen Bedingungen die Bundesregierung im Europäi- aber heute darüber ab, ob wir CETA in die parlamentari- schen Rat CETA in der jetzigen Form unterzeichnen soll . schen Verfahren geben . Nur hier kann es Nachverhand- Erst nach Unterzeichnung im Europäischen Rat und nach lungen und Veränderungen an CETA geben . Die Ergeb- positiver Beschlussfassung durch das Europäische Par- nisse werde ich prüfen, wenn CETA zur Abstimmung lament (EP) käme CETA zur Ratifizierung in den Deut- im Deutschen Bundestag vorliegt . Sind die roten Linien schen Bundestag . Dann hätte der Bundestag das letzte nach wie vor überschritten, werde ich mit Nein stimmen . Wort, ob er den dann endgültig vorliegenden Vertragstext Ich werde mich bei der heutigen Abstimmung bei al- ratifiziert oder nicht. Falls der Deutsche Bundestag dann len vorgelegten Anträgen enthalten . Bei den Oppositi- nicht ratifiziert, würde der gesamte Vertrag dann wieder onsanträgen, weil es heute nicht um die Verabschiedung außer Kraft gesetzt werden . Allerdings würde CETA so von CETA im Deutschen Bundestag geht . Beim Antrag lange großteils – zum Beispiel zollfreier Warenhandel – von CDU/CSU und SPD, weil ich keine positive Vorab- vorläufig in Kraft bleiben, bis es eine Mehrheit im Bun- festlegung mittragen will . Ich lasse mir den Weg für ein destag, – oder einem anderen EU-Mitgliedstaat – für eine späteres Nein im Deutschen Bundestag offen . Nichtratifizierung gibt. Gemessen an den oben genannten Kriterien, inwie- Dr. Sascha Raabe (SPD): Ich setze mich seit 2002 weit CETA ökologische und soziale Kriterien wie die als Berichterstatter meiner Fraktion im Entwicklungsaus- ILO-Kernarbeitsnormen verbindlich berücksichtigt, schuss für weltweit faire und gerechte Handelsbedingun- ist der vorliegende Vertragstext für mich und auch laut gen ein . Ich bin davon überzeugt, dass nur ein fairer statt Parteikonventsbeschluss für meine Partei nicht zustim- freier Handel Hunger und Armut und damit auch Flucht- mungsfähig . Zwar ist es erfreulich, dass Kanada auf ursachen überwinden kann . Fairer statt freier Handel be- unseren Druck hin nun auch die letzten beiden fehlen- deutet, dass Handel nicht frei von menschenrechtlichen, den ILO-Kernarbeitsnormen ratifiziert hat bzw. die letz- ökologischen und sozialen Kriterien sein darf, sondern te noch ausstehende Norm ratifizieren will. Allerdings nur Waren gehandelt werden, bei deren Produktion fai- haben insbesondere die meisten Entwicklungs- und re Bedingungen für Mensch und Umwelt gegeben sind . Schwellenländer auch alle acht ILO-Kernarbeitsnormen Denn nur so kann verhindert werden, dass Unternehmen ratifiziert. Das Problem liegt dort nicht in der formalen und Konzerne sich ihre Standorte weltweit danach aussu- Ratifizierung, sondern in der fehlenden oder mangelhaf- 18928 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) ten Umsetzung . Deshalb ist es so entscheidend, konkrete der Nichtratifizierung versuchen, Nachverhandlungen zu (C) Beschwerde-, Überprüfung- und Sanktionsmechanismen erzwingen oder den Vertrag eben insgesamt wieder außer bei Nichteinhaltung von Umwelt- und Arbeitnehmer- Kraft setzen . Allerdings wäre auch hierfür eine Mehrheit schutzbestimmungen zu verankern . Und wenn CETA im Deutschen Bundestag erforderlich . Diese wird sowohl als „Goldstandard“ und Vorbild nachträglich bisherige für die Ratifizierung als auch für die Nicht-Ratifizierung Abkommen und künftige Abkommen verbessern soll, benötigt . Wenn für beide Fälle keine Mehrheit zustan- dann muss hierauf im Blick auf die laufenden Verhand- de käme, bliebe CETA nach Ratifizierung durch das EP lungen bzw. Ratifizierungsprozessse mit beispielsweise auf unbestimmte Zeit in großen Teilen vorläufig in Kraft Vietnam, Indien und den afrikanischen Staaten im Rah- bis entweder alle Mitgliedsstaaten ratifizieren oder ein men der Wirtschaftspartnerschaftsabkommen besonders Mitgliedstaat ausdrücklich nicht ratifiziert. Es könnte geachtet werden . Denn nur so können in diesen Ländern also passieren, dass die Wirtschaft viele Jahre lang be- Kinderarbeit unterbunden und umweltgerechte und men- reits mit Beginn der vorläufigen Anwendung vom Ge- schenwürdige Arbeits- und Produktionsbedingungen winn des zollfreien Handels profitieren würde, aber die durchgesetzt werden . im Gegenzug von uns geforderten Verbesserungen und Garantien beim Schutz von Arbeitnehmerrechten und Diesen Mangel am vorliegenden Vertragstext zu Umweltschutz vertraglich nicht abgesichert wären . Und CETA hat auch der SPD-Parteikonventsbeschluss er- ob es dann nach vielen Jahren realistisch durchsetzbar kannt und fordert deshalb ebenso wie die gemeinsame und unseren europäischen und kanadischen Partnern zu Stellungnahme der Regierungsfraktionen nach Artikel vermitteln wäre, den Vertrag insgesamt wieder komplett 23 Nachbesserungen . Die Formulierungen im SPD-Par- außer Kraft zu setzen, halte ich für äußerst fraglich . Des- teikonventsbeschluss, in dem konkret die Ergänzung des halb wäre es sinnvoller, jetzt der Bundesregierung zu CETA-Vertrages um Sanktionsmöglichkeiten im Nach- empfehlen, so lange im Rat den Vertragstext nicht zu haltigkeitskapitel gefordert wird, sind hierzu ausdrück- unterzeichnen, bis die von uns richtigerweise genannten lich zu begrüßen . Die Formulierung im gemeinsamen inhaltlichen Verbesserungen erfolgt sind . Antrag der Regierungsfraktionen ist hierzu leider auf- grund des Widerstandes der Union etwas abgeschwächt Da ich im Antrag der Regierungsfraktionen das vor- und interpretationsbedürftig . geschlagene Verfahren nicht mittragen kann, werde ich dem Antrag nicht zustimmen . Ich werde ihn aber auch Anstelle der im Parteikonventsbeschluss genann- nicht ablehnen, weil ich die inhaltlichen Punkte, die als ten konkreten Forderung nach einem Sanktionsmecha- Nachbesserungen gefordert werden und zu deren Durch- nismus heißt es nun lediglich, dass „das Verfahren zur setzung und Klarstellung die Bundesregierung auf euro- Durchsetzung von Arbeits-Sozial- und Umweltstandards päischer Ebene in dem Antrag aufgefordert wird, analog wirkungsvoll sein muss“ . Das ist problematisch, da die des Parteikonventsbeschlusses ausdrücklich unterstütze . (B) EU-Kommission in den bisherigen Handelsverträgen (D) Deshalb werde ich mich im Ergebnis bei diesem Antrag einschl . CETA das dort jeweils vereinbarte „Dialogver- enthalten . fahren“ zur Konfliktlösung bereits als „wirkungsvoll“ ansieht . Ich möchte für mich und die SPD-Fraktion klar- Ich werde mich auch bei den Anträgen von Linken stellen, dass „wirkungsvoll“ für uns die Ergänzung durch und Grünen enthalten, aber mit fast genau umgekehrter Sanktionsmöglichkeiten bedeutet . Begründung . In diesem Sinne kann ich die inhaltlichen Anforde- Den Anträgen von Linken und Grünen stimme ich rungen, die in dem gemeinsamen Antrag der Regie- aus den genannten Erwägungen zum weiteren Verfahren rungsfraktionen analog zum Parteikonventsbeschluss als in ihrem Forderungsteil insoweit hinsichtlich der Emp- Voraussetzung für eine spätere Zustimmung im Ratifizie- fehlung zu, CETA jetzt noch nicht im Ministerrat zu rungsverfahren durch den Deutschen Bundestag genannt unterzeichnen . Allerdings kann ich den inhaltlichen Be- werden, nur voll unterstützen . gründungen bei beiden Anträgen aus unterschiedlichen Unserem Antrag kann ich allerdings aus einem ande- Gründen nicht zustimmen . So werden in der Stellung- rem Grund nicht zustimmen: Ich halte das Verfahren – nahme der Grünen zu CETA die ILO-Kernarbeitsnormen das so leider auch im Parteikonventsbeschluss steht – und entsprechende Durchsetzungs- und Sanktionsmög- zunächst im Rat der Bundesregierung Zustimmung zur lichkeiten gar nicht erwähnt, und bei den Linken finden Unterzeichnung des CETA-Vertragstextes zu empfehlen sich einfach etliche falsche Behauptungen im Begrün- und erst danach Verbesserungen bis zur Ratifikation durch dungsteil ihrer Stellungnahme . den Bundestag erreichen zu wollen, für nicht ausreichend Unter dem Strich ergibt sich deshalb für mich eine erfolgsversprechend . Zum einen ist es sehr fraglich, dass Enthaltung bei allen Anträgen . sich im Europäischen Parlament Mehrheiten für alle von uns als notwendig erachteten Verbesserungen finden wer- Dr. Hans-Joachim Schabedoth (SPD): Heute wird den . Wobei das Europäische Parlament diese Verbesse- darüber entschieden, ob wir den Bundeswirtschaftsmi- rungen sowieso nicht direkt beschließen könnte, sondern nister beauftragen, im Handelsministerrat der EU den nur über die Drohung der Nichtratifizierung durch das EP aktuell vorliegenden Vertragsentwurf CETA in die par- die Verhandlungspartner zu Nachbesserungen zwingen lamentarischen Verfahren, in die Parlamente zu geben . könnte . Wenn das EP die von uns geforderten Verbesse- rungen nicht durchsetzt und den Vertrag ratifiziert, könn- Die Anträge der Fraktion Die Linke und der Frakti- ten wir zwar wie oben ausgeführt als Deutscher Bun- on Bündnis 90/Die Grünen simulieren Entscheidungs- destag sofort anschließend ebenfalls durch die Drohung fähigkeit im Nichtwissen . Damit machen sie sich in Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18929

(A) der Urteilsfindung gemein mit dem Bundesverband der verfahren abschließend über seine Zustimmung zu CETA (C) Deutschen Industrie (BDI), dem Deutschen Industrie entscheiden können . und Handelskammertag (DIHK), campact und anderen, die schon seit Monaten, einige schon seit Jahren, wissen, Dr. Nina Scheer (SPD): Der Deutsche Bundestag dass der Weltuntergang droht, wenn CETA nicht kommt, entscheidet heute nicht über das europäisch-kanadische so die einen, wenn CETA kommt, so die anderen . Freihandelsabkommen CETA, sondern nimmt Stellung In vielen Briefen wurde ich um Zustimmung zu TTIP, zu der Frage, ob die Bundesregierung durch ein positives CETA und TiSA gebeten – für Wachstum, Arbeitsplätze Votum im Europäischen Rat den Weg das weitere Ra- und weil Freihandel einfach gut ist . In vielen anderen, tifizierungsverfahren im Europäischen Parlament und in häufig genug einfach kopierten Briefen, wurde ich um den Parlamenten der Mitgliedsstaaten der EU eröffnen Ablehnung gebeten – gegen Schiedsgerichtsbarkeit, Pri- soll . vatisierung der Kultur, Gefährdung der Daseinsvorsor- Die nun vorliegende Stellungnahme der Fraktionen ge und des Vorsorgeprinzips . Es wurde viel spekuliert . von CDU/CSU und SPD ermöglicht diesen Weg . Er er- Doch bevor nicht der endgültige Vertragstext mit sei- kennt die Fortschritte im Rahmen des Verhandlungspro- nen rechtsförmlich wesentlichen Ergänzungen zur Be- zesses einschließlich der Einstufung des Abkommens als schlussfassung im Bundestag vorliegt, können die einen gemischtes Abkommen an, die maßgeblich durch Bun- ihre Hoffnung auf Wachstum und Arbeitsplätze ebenso deswirtschaftsminister Sigmar Gabriel erreicht worden wenig begründen, wie die anderen ihre Befürchtungen . sind . Er gibt der Bundesregierung im Rat die Möglich- keit der Zustimmung, greift in zentralen Punkten jedoch Über die Jahre haben sich die einen so sehr an ihre die breit diskutierten Problemfelder des vorliegenden Hoffnung gewöhnt wie die anderen an ihre Befürchtung, Entwurfs auf und mahnt entsprechende rechtsverbindli- dass riesige Veränderungen in den Vertragstexten, ja che Änderungen an . Er spricht sich dafür aus, erst nach selbst jene, die Ergebnis des eigenen Erfolgs sind, kaum Zustimmung des Europäischen Parlaments Teile des Ab- wahrgenommen werden und man fest im einmal gefäll- kommens vorläufig anzuwenden und fordert in diesem ten Urteil stecken bleibt . Zusammenhang unter anderem das besonders kontrovers Anders als Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen, die diskutierte Kapitel über den Investitionsschutz ganz von schon lange wissen, dass sie gegen diese Freihandelsab- einer vorläufigen Anwendung auszunehmen. Eine Gül- kommen sind, und anders als CDU und CSU, die schon tigkeit dieses Kapitels wäre somit nur möglich, wenn alle lange wissen, dass sie für diese Freihandelsabkommen Parlamente innerhalb der EU zustimmen . sind, haben SPD und SPD Fraktion einen tiefen Diskus- Die Stellungnahme der Fraktionen von CDU/CSU und (B) sions- und Abwägungsprozess angestoßen und organi- SPD ermöglicht den oben beschriebenen Weg eines aus- (D) siert . In diesem von Bundeswirtschaftsminister Gabriel führlichen Anhörungsverfahrens durch das Europäische wesentlich getragenen Prozess wurde der Vertragstext Parlament mit den nationalen Parlamenten und mit der in seinen rechtlichen, sozialen und kulturellen Zielen so Zivilgesellschaft, wie ihn auch der SPD-Parteikonvent verändert, dass die Kritiker der Ursprungstexte in Pro am vergangenen Montag gefordert hat . Europa hat da- und Kontra zusammengeführt werden . Wer diese Ver- mit die Chance, neue Wege zu gehen und in einem inten- änderungen wahrnimmt, erkennt, wie wesentlich diese siven Dialog gerade mit denjenigen, die CETA kritisch Änderungen dem Zusammenhalt unserer Gesellschaft gegenüberstehen, Lösungsansätze in den kontrovers dis- dienen . Dazu gab es einen großen SPD-Konvent, auf kutierten Themenfeldern zu entwickeln . Dabei wird auch dem wir die „roten Linien“ für eine Zustimmung zu den die Frage eine Rolle spielen müssen, ob es noch weitere aktuellen Freihandelsabkommen beschlossen haben . Bereiche gibt, die auch die nationalen Kompetenzen be- Aber selbst wenn das nun vorliegende Verhandlungs- treffen . ergebnis gegenüber den früheren Fassungen essenzielle Insofern stimme ich mit Ja zum Antrag von CDU/CSU Verbesserungen enthält, insbesondere die Einführung und SPD und mit Nein zum den Oppositionsanträgen eines öffentlichen Handelsgerichtshofes –statt Schieds- gerichtsbarkeit –, auch wenn Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge, wie etwa Wasser, Bildung oder Ge- Udo Schiefner (SPD): Heute wird nicht über den sundheit, nun speziellen Schutzregeln unterliegen, würde Vertragstext des CETA-Abkommens abgestimmt . Heute ich heute noch nicht zustimmen können . Die Erfahrung wird darüber entschieden, ob wir den Bundeswirtschafts- lehrt, dass es klug ist, Vertragstexte erst dann zu beschlie- minister beauftragen, im Handelsministerrat der EU, den ßen, wenn sie endgültig vorliegen . aktuell vorliegenden Vertragsentwurf CETA in die parla- mentarischen Verfahren zu geben . Heute wird zunächst darüber entschieden, ob wir den Die Fraktion Die Linke und die Fraktion Bündnis 90/ Bundeswirtschaftsminister beauftragen, im Handelsmi- Die Grünen wollen mit ihren Anträgen heute etwas ableh- nisterrat der EU, den aktuell vorliegenden Vertragsent- nen, dessen Details sie gar nicht kennen . Damit machen wurf CETA in die parlamentarischen Verfahren zu geben . sie sich in der Urteilsfindung gemein mit dem Bundes- Deshalb stimme ich dem heutigen Koalitionsantrag verband der Deutschen Industrie (BDI), dem Deutschen zu . Industrie und Handelskammertag (DIHK), campact (nachgebildet MoveOn in den USA), ver di. Mitglie- Damit bleibt es dabei: Der Deutsche Bundestag wird dern und anderen, die schon seit Monaten, einige schon erst im Lichte des weiteren Prozesses im Ratifizierungs- seit Jahren, wissen dass der Weltuntergang droht, wenn 18930 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) CETA nicht kommt, so die einen, wenn CETA kommt, Das entscheide ich endgültig, wenn entscheidungsreife (C) so die anderen . Vorlagen den Bundestag erreichen . Anders als Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen, die Über die Jahre haben sich die einen so sehr an ihre schon lange wissen, dass sie gegen Freihandelsabkom- Hoffnung gewöhnt wie die anderen an ihre Befürchtung, men sind, und anders als CDU und CSU, die schon lange dass riesige Veränderungen in den Vertragstexten, ja wissen, dass sie für Freihandelsabkommen sind, haben selbst jene, die Ergebnis des eigenen Erfolgs sind, kaum SPD und SPD-Bundestagsfraktion einen tiefgreifenden wahrgenommen werden und man fest im einmal gefäll- Diskussions- und Abwägungsprozess angestoßen und ten Urteil stecken bleibt . organisiert . Anders als Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen, die Unsere Erfahrung lehrt uns, dass es klug ist, über Ver- schon lange wissen, dass sie gegen diese Freihandelsab- tragstexte erst dann zu befinden, wenn sie vorliegen. Die kommen sind, und anders als CDU und CSU, die schon SPD hat auf ihrem Konvent Anfang dieser Woche nicht lange wissen, dass sie für diese Freihandelsabkommen für CETA gestimmt, sondern unsere Anforderungen an sind, haben SPD und SPD Fraktion einen tiefen Diskus- das Abkommen definiert und den nun vor uns liegenden sions- und Abwägungsprozess angestoßen und organi- Prozess beschrieben . Wir haben ganz klare Bedingungen siert . In diesem von Bundeswirtschaftsminister Gabriel beschlossen, die Maßstab für jeden SPD-Abgeordneten wesentlich getragenen Prozess, wurde der Vertragstext sein sollten. Wenn unsere Forderungen im finalen Ver- in seinen rechtlichen, sozialen und kulturellen Zielen so tragstext nicht Rechnung getragen wird, werde ich CETA verändert, dass die Kritiker der Ursprungstexte in Pro nicht zustimmen . und Kontra zusammengeführt werden . Wer diese Ver- Dem heutigen Antrag der Fraktionen der CDU/CSU änderungen wahrnimmt, erkennt, wie wesentlich diese und der SPD „Comprehensive Economic and Trade Änderungen dem Zusammenhalt unserer Gesellschaft Agreement (CETA): Für freien und fairen Handel“ werde dienen . Dazu gab es einen großen SPD Konvent, auf dem ich zustimmen, denn mit ihm wird klar festgelegt: „Der wir die „roten Linien“ für eine Zustimmung zu den aktu- Deutsche Bundestag wird im Lichte des weiteren Prozes- ellen Freihandelsabkommen beschlossen haben . ses im Ratifizierungsverfahren abschließend über seine Ich freue mich, dass das nun vorliegende Verhand- Zustimmung zu CETA entscheiden .“ lungsergebnis gegenüber den früheren Fassungen es- senzielle Verbesserungen enthält, insbesondere die Ein- Ursula Schulte (SPD): Heute wird darüber entschie- führung eines öffentlichen Handelsgerichtshofes – statt den, ob wir den Bundeswirtschaftsminister beauftragen, Schiedsgerichtsbarkeit . Unsere Erfahrung lehrt uns, dass (B) im Handelsministerrat der EU den aktuell vorliegenden es klug ist, Vertragstexte erst dann zu beschließen, wenn (D) Vertragsentwurf CETA in die parlamentarischen Verfah- sie endgültig vorliegen . Ein Grundsatz, den jeder faire ren, in die Parlamente, zu geben . Vertrags- bzw . Verhandlungspartner mühelos akzeptieren kann . Die Anträge der Fraktion Die Linke und der Frakti- on Bündnis 90/Die Grünen simulieren Entscheidungs- Dies gilt umso mehr, als sich in dem Antrag der Ko- fähigkeit im Nichtwissen . Damit machen sie sich in alitionsfraktionen noch einige Formulierungen finden, der Urteilsfindung gemein mit dem Bundesverband der deren Wirkmächtigkeit sich erst erkennen lässt, wenn die Deutschen Industrie (BDI), dem Deutschen Industrie dazugehörenden Parlamentsentscheidungen getroffen und Handelskammertag (DIHK), campact (nachgebildet sein werden: MoveOn in den USA), ver di. Mitgliedern und anderen, die schon seit Monaten, einige schon seit Jahren, wissen, – Wenn sich etwa „… Vertragsparteien zum Schutz der dass der Weltuntergang droht, wenn CETA nicht kommt, Arbeitnehmerrechte bekennen und … verpflichten, so die einen, wenn CETA kommt, so die anderen . Anstrengungen zur Ratifizierung und Umsetzung der Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorgani- Ein Blick zurück: In vielen Briefen wurde ich um Zu- sation (ILO) zu unternehmen“, so wäre doch von Inte- stimmung zu TTIP, CETA und TiSA gebeten – für Wachs- resse, ob die Anstrengungen Erfolg haben werden oder tum, Arbeitsplätze und weil Freihandel einfach gut ist . In nicht . vielen anderen, häufig genug einfach kopierten Briefen, wurde ich um Ablehnung gebeten – gegen Schiedsge- – Oder wenn „Im weiteren Prozess … unbestimmte richtsbarkeit, Privatisierung der Kultur, Gefährdung der Rechtsbegriffe geklärt werden“ müssen, so wäre auch Daseinsvorsorge und des Vorsorgeprinzips . Es wurde viel hier noch zu verstehen, ob das gemeinsame Verständ- spekuliert . Bevor nicht der endgültige Vertragstext mit nis dieser Klärung auf breite Zustimmung in der deut- seinen rechtsförmlich wesentlichen Ergänzungen zur Be- schen Bevölkerung stößt . schlussfassung im Bundestag vorliegt, können die einen ihre Hoffnung auf Wachstum und Arbeitsplätze ebenso – Die Formulierung „Spielräume von Kommunen zur wenig begründen, wie die anderen ihre Befürchtungen . Organisation der Daseinsvorsorge dürfen nicht einge- schränkt und auch künftig nicht angetastet werden . Es Deshalb meine stereotype Antwort: Wenn sich mög- muss im weiteren Ratifikationsprozess sichergestellt lichst viele Hoffnungen der Befürworter durch den Ver- werden, dass auch zukünftig kein Druck in Richtung tragstext bestätigen lassen, stimme ich zu . Wenn sich alle Liberalisierung von Dienstleistungen der öffentlichen Befürchtungen derjenigen Bürgerinnen und Bürger, die Daseinsvorsorge ausgeübt werden darf“ begrüße ich mich auffordern, abzulehnen, bestätigen, lehne ich ab . sehr . Gleichwohl sollte diese Sicherstellung im Ver- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18931

(A) tragswerk rechtlich fixiert sein, um später streitanfäl- ment (CETA): Für freien und fairen Handel“ (Drucksa- (C) lige Interpretationen zu vermeiden . che 18/9663) in der letzten Feststellung des Bundestages: „Der Deutsche Bundestag wird im Lichte des weiteren – Auch folgende Formulierung hinterlässt einen Rest- Prozesses im Ratifizierungsverfahren abschließend über zweifel, ob die Unantastbarkeit des Vorsorgeprinzips seine Zustimmung zu CETA entscheiden .“ nicht unmissverständlich klargestellt sei: „Hohe Um- welt- und Verbraucherstandards müssen gewährleistet Wie oben gesagt: Heute wird darüber entschieden, ob bleiben . Das im europäischen Primärrecht veranker- wir den Bundeswirtschaftsminister beauftragen, im Han- te Vorsorgeprinzip bleibt von CETA unberührt . Dies delsministerrat der EU, den aktuell vorliegenden Ver- muss unmissverständlich klar gestellt werden . tragsentwurf CETA in die parlamentarischen Verfahren, in die Parlamente zu geben . – Mit der Formulierung: „Der Deutsche Bundestag be- grüßt die Bereitschaft der kanadischen Regierung, der Europäischen Kommission und der Bundesregierung, Svenja Stadler (SPD): Der Deutsche Bundestag im Rahmen des weiteren Verfahrens rechtsverbindli- entscheidet heute nicht über das europäisch-kanadische che Klärungen der noch offenen Fragen herbeizufüh- Freihandelsabkommen CETA, sondern nimmt Stellung ren, und setzt sich gleichfalls hierfür ein“ ergibt sich zu der Frage, ob die Bundesregierung durch ein positi- die offene Frage, warum „rechtsverbindliche Klärun- ves Votum im Europäischen Rat den Weg für das weitere gen“ nicht einfach in das Vertragswerk CETA eingear- Ratifizierungsverfahren im Europäischen Parlament und beitet werden . in den Parlamenten der Mitgliedstaaten der EU eröffnen soll . Die Übersichtlichkeit und Bürgerfreundlichkeit des ohnehin schon komplexen und langen Vertragstextes Im August habe ich eine Bewertung verfasst, in der ich wird durch weitere Regelungen und Vereinbarungen au- aufzeige, an welchen Stellen der aktuelle Entwurf von ßerhalb des Vertrags weiter gemindert . CETA mit der Beschlusslage der SPD nach meiner Über- zeugung nicht übereinstimmt . Ich habe mich vor allem Mit Blick auf die irritierenden Pressemeldungen un- auf die Bereiche Investitionsschutz, CETA-Ausschuss, mittelbar vor der heutigen Entscheidung zitiere ich nach- Vorsorgegrundsatz, öffentliche Daseinsvorsorge und Ar- folgend aus einer Information meines Kollegen Matthias beitnehmerrechte bezogen und komme zu dem Ergebnis, Miersch: dass ich dem aktuell vorliegenden CETA-Entwurf nicht „Die SPD hat auf ihrem Konvent nicht für CETA ge- zustimmen könnte . stimmt, wie viele schreiben . Sie hat einen Antrag verab- Als Brücke zwischen CETA-Kritikern und CETA-Be- schiedet, der unsere Anforderungen an das Abkommen fürwortern innerhalb der SPD habe ich in diesem Papier (B) und den nun vor uns liegenden Prozess beschreibt . Wir vorgeschlagen, durch eine entsprechende Beschlussfas- (D) haben ganz klare Bedingungen beschlossen, die am Ende sung im Ministerrat das Europäische Parlament in die Maßstab für jeden SPD Abgeordneten sind . Wenn unse- Lage zu versetzen, das Verfahren unter Beteiligung der re Forderungen nicht erfüllt sind, werde ich CETA nicht nationalen Parlamente an sich zu ziehen, die Zivilgesell- zustimmen: schaft einzubeziehen und in einem transparenten Verfah- – Im Bereich des Investorenschutzes muss mit Blick auf ren mit Kanada ein faires Ergebnis zu verhandeln . Ich die Rechtstatbestände, wie z .B . ‚faire und gerechte habe mich ferner gegen die vorläufige Anwendung des Behandlung‘ und ‚indirekte Enteignung‘ sichergestellt Vertrages ausgesprochen . werden, dass keine Bevorzugung von ausländischen Die nun vorliegende Stellungnahme der Fraktionen gegenüber inländischen Investoren oder Bürgerinnen von SPD und CDU/CSU ermöglicht diesen Weg . Er er- und Bürgern stattfinden. Investorenschutz sollte somit kennt die Fortschritte im Rahmen des Verhandlungspro- auf die Diskriminierung gegenüber inländischen In- zesses einschließlich der Einstufung des Abkommens als vestoren beschränkt werden . gemischtes Abkommen an, die maßgeblich durch Bun- – Es muss unmissverständlich und rechtsverbindlich er- deswirtschaftsminister Sigmar Gabriel erreicht worden klärt werden, dass die EU im Rahmen des CETA-Ab- sind . Er gibt der Bundesregierung im Rat die Möglich- kommens in keiner Weise vom primärrechtlich veran- keit der Zustimmung, greift in zentralen Punkten jedoch kerten Vorsorgeprinzip (Artikel 191 AEUV) abweicht . die breit diskutierten Problemfelder des vorliegenden Entwurfs auf und mahnt entsprechende rechtsverbindli- – Im Rahmen des Beratungsprozesses muss ein Sank- che Änderungen an . Er spricht sich dafür aus, erst nach tionsmechanismus bei Verstößen der Partner gegen Zustimmung des Europäischen Parlaments Teile des Ab- Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards entwickelt kommens vorläufig anzuwenden, und fordert in diesem werden . Die acht ILO-Kernarbeitsnormen müssen ra- Zusammenhang unter anderem das besonders kontrovers tifiziert werden. diskutierte Kapitel über den Investitionsschutz ganz von – Es muss sich aus dem CETA-Vertrag unmissverständ- einer vorläufigen Anwendung auszunehmen. lich ergeben, dass bestehende und künftig entstehende Eine Gültigkeit dieses Kapitels wäre somit nur mög- Dienstleistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge lich, wenn alle Parlamente innerhalb der EU zustimmen . nicht vom Vertrag erfasst werden .“ Noch wichtiger ist für mich, dass die Stellungnahme der Warum ich dem heutigen Koalitionsantrag zustimme, Fraktionen von SPD und CDU/CSU auch den oben be- findet sich im Antrag der Fraktion der CDU/CSU und schriebenen Weg eines ausführlichen Anhörungsverfah- der SPD „Comprehensive Economic and Trade Agree- rens durch das Europäische Parlament mit den nationalen 18932 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) Parlamenten und mit der Zivilgesellschaft ermöglicht, sie endgültig vorliegen . Ein Grundsatz, den jeder faire (C) wie ihn auch der SPD-Parteikonvent am vergangenen Vertrags- bzw . Verhandlungspartner mühelos akzeptieren Montag gefordert hat . Europa hat damit die Chance, kann . neue Wege zu gehen und in einem intensiven Dialog ge- rade mit denjenigen, die CETA kritisch gegenüberstehen, Mit Blick auf die irritierenden Pressemeldungen un- Lösungsansätze in den kontrovers diskutierten Themen- mittelbar vor der heutigen Entscheidung, zitiere ich nach- feldern zu entwickeln . Dabei wird auch die Frage eine folgend aus einer Information meines Kollegen Matthias Rolle spielen müssen, ob es noch weitere Bereiche gibt, Miersch: die auch die nationalen Kompetenzen betreffen . Auch „Die SPD hat auf ihrem Konvent nicht für CETA ge- das sieht die vorliegende Stellungnahme des Bundes- stimmt, wie viele schreiben . Sie hat einen Antrag verab- tages vor . Soweit im Ministerrat diesbezüglich keine schiedet, der unsere Anforderungen an das Abkommen sachgerechte Lösung gefunden wird, muss die Stellung- und den nun vor uns liegenden Prozess beschreibt . Wir nahme der kommunalen Spitzenverbände berücksichtigt haben ganz klare Bedingungen beschlossen, die am Ende werden, nach der aufgrund der bislang unzureichenden Maßstab für jeden SPD-Abgeordneten sind . Wenn unse- Klärung der Fragen über die Anwendbarkeit des Ver- re Forderungen nicht erfüllt sind, werde ich CETA nicht trages auf die öffentliche Daseinsvorsorge auch weitere zustimmen: Bereiche von der vorläufigen Anwendung ausgeschlos- sen werden müssen . Das gilt auch für die in CETA neu – Im Bereich des Investorenschutzes muss mit Blick auf geschaffenen Gremien, die auch in der Verfassungsbe- die Rechtstatbestände, wie z .B . ‚faire und gerechte schwerde problematisiert werden, die bezüglich des Ab- Behandlung‘ und ‚indirekte Enteignung‘ sichergestellt kommens anhängig ist . werden, dass keine Bevorzugung von ausländischen gegenüber inländischen Investoren oder Bürgerinnen Ich bin überzeugt, dass dieser Weg erfolgverspre- und Bürgern stattfinden. Investorenschutz sollte somit chend ist . Das Abkommen wird durch die EU und ihre auf die Diskriminierung gegenüber inländischen In- Mitgliedsstaaten mit Kanada abgeschlossen . Wir müssen vestoren beschränkt werden . zur Kenntnis nehmen, dass CETA nur in wenigen Län- dern der EU kritisch diskutiert wird . Um Veränderungen – Es muss unmissverständlich und rechtsverbindlich er- im weiteren Verfahren erreichen zu können, wäre ein klärt werden, dass die EU im Rahmen des CETA-Ab- pauschales Nein im Ministerrat nicht zielführend . Am kommens in keiner Weise vom primärrechtlich veran- Ende des jetzt vor uns liegenden Prozesses wird jede und kerten Vorsorgeprinzip (Artikel 191 AEUV) abweicht . jeder Abgeordnete entscheiden müssen, ob er/sie dem – Im Rahmen des Beratungsprozesses muss ein Sank- Abkommen zustimmt . Auch dafür hat der der SPD-Par- tionsmechanismus bei Verstößen der Partner gegen (B) teikonvent eindeutige Maßstäbe beschlossen . Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards entwickelt (D) werden . Die acht ILO-Kernarbeitsnormen müssen ra- Sonja Steffen (SPD): Wenn heute über CETA in der tifiziert werden. jetzigen Fassung abgestimmt werden würde, wäre es – Es muss sich aus dem CETA-Vertrag unmissverständ- für mich eine klare Entscheidung, dagegen zu stimmen . lich ergeben, dass bestehende und künftig entstehen- Aber heute wird genau darüber nicht abgestimmt . Heute de Dienstleistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge wird darüber entschieden, ob wir den Bundeswirtschafts- nicht vom Vertrag erfasst werden .“ minister beauftragen, im Handelsministerrat der EU den aktuell vorliegenden Vertragsentwurf CETA in die parla- Warum ich dem heutigen Koalitionsantrag zustimme, mentarischen Verfahren in die Parlamente zu geben . findet sich im Antrag der Fraktion der CDU/CSU und der SPD „Comprehensive Economic and Trade Agree- Wie beim SPD-Parteikovent am 19 .September 2016 ment (CETA): Für freien und fairen Handel“ (Drucksa- beschlossen, wird die Bundesregierung aufgefordert, im che 18/9663) in der letzten Feststellung des Bundestages: Handelsministerrat auf eine parlamentarische Beteili- „Der Deutsche Bundestag wird im Lichte des weiteren gung hinzuwirken und sicherzustellen, dass die im Kon- Prozesses im Ratifizierungsverfahren abschließend über vent beschlossenen Grundsätze eingehalten werden . seine Zustimmung zu CETA entscheiden .“ Wie auch viele Bürgerinnen und Bürger habe ich Falls ich im Rahmen der Parlamentsbeteiligung die große Bedenken bei den jetzigen Formulierungen und Gefahr sehe, dass die Grundsätze der Sozialdemokratie werde keinem Handelsvertrag zustimmen, der deutsche gefährdet sind, werde ich, und mit mir auch viele ande- Arbeits-, Sozial- oder Umweltstandards aushebelt oder re Abgeordnete aus allen Fraktionen, gegen das Gesetz aufweicht . stimmen . Selbst wenn das nun vorliegende Verhandlungser- gebnis gegenüber den früheren Fassungen essenzielle Dr. Karin Thissen (SPD): Der Deutsche Bundestag Verbesserungen, insbesondere die Einführung eines öf- entscheidet heute nicht über das europäisch-kanadische fentlichen Handelsgerichtshofes – statt Schiedsgerichts- Freihandelsabkommen CETA, sondern nimmt Stellung barkeit –, enthält und Bereiche der öffentlichen Daseins- zu der Frage, ob die Bundesregierung durch ein positi- vorsorge, wie etwa Wasser, Bildung oder Gesundheit, ves Votum im Europäischen Rat den Weg das weitere nun speziellen Schutzregeln unterliegen, würde ich heute Ratifizierungsverfahren im Europäischen Parlament und noch nicht zustimmen . Unsere Erfahrung lehrt uns, dass in den Parlamenten der Mitgliedstaaten der EU eröffnen es klug ist, Vertragstexte erst dann zu beschließen, wenn soll . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18933

(A) Die nun vorliegende Stellungnahme der Fraktionen zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Ra- (C) von SPD und CDU/CSU ermöglicht diesen Weg . Er er- tes über die vorläufige Anwendung des umfas- kennt die Fortschritte im Rahmen des Verhandlungspro- senden Wirtschafts- und Handelsabkommens zesses einschließlich der Einstufung des Abkommens als (CETA) zwischen Kanada einerseits und der gemischtes Abkommen an, die maßgeblich durch Bun- Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten deswirtschaftsminister Sigmar Gabriel erreicht worden andererseits sind . Er gibt der Bundesregierung im Rat die Möglich- keit der Zustimmung, greift in zentralen Punkten jedoch KOM(2016) 470 endg.; Ratsdokument 10969/16 die breit diskutierten Problemfelder des vorliegenden hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes- Entwurfs auf und mahnt entsprechende rechtsverbindli- regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des che Änderungen an . Er spricht sich dafür aus, erst nach Grundgesetzes i. V. m. § 8 Absatz 4 des Zustimmung des Europäischen Parlaments Teile des Ab- Gesetzes über die Zusammenarbeit von kommens vorläufig anzuwenden, und fordert in diesem Bundesregierung und Deutschem Bundes- Zusammenhang unter anderem das besonders kontrovers tag in Angelegenheiten der Europäischen diskutierte Kapitel über den Investitionsschutz ganz von Union einer vorläufigen Anwendung auszunehmen. Eine Gül- tigkeit dieses Kapitels wäre somit nur möglich, wenn alle Comprehensive Economic and Trade Agree- Parlamente innerhalb der EU zustimmen . ment (CETA) – Für freien und fairen Handel Noch wichtiger ist für mich, dass die Stellungnahme (Tagesordnungspunkt ZP 3) der Fraktionen von SPD und CDU/CSU auch den oben beschriebenen Weg eines ausführlichen Anhörungs- Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Unter den verfahrens durch das Europäische Parlament mit den heutigen Bedingungen würde ich zum Freihandelsab- nationalen Parlamenten und mit der Zivilgesellschaft kommen mit Kanada (CETA) Nein sagen . Heute beauf- ermöglicht, wie ihn auch der SPD-Parteikonvent am ver- tragen wir den Bundeswirtschaftsminister, im Handels- gangenen Montag gefordert hat . Europa hat damit die ministerrat der EU den vorliegenden Vertragsentwurf Chance, neue Wege zu gehen und in einem intensiven ins parlamentarische Verfahren der Mitgliedstaaten zu Dialog gerade mit denjenigen, die CETA kritisch gegen- geben . überstehen, Lösungsansätze in den kontrovers disku- tierten Themenfeldern zu entwickeln . Dabei wird auch Zur Beurteilung des weiteren parlamentarischen Bera- die Frage eine Rolle spielen müssen, ob es noch weitere tungs- und Ratifizierungsprozesses sind für mich die kla- Bereiche gibt, die auch die nationalen Kompetenzen be- ren Bedingungen, die die SPD auf ihrem Parteikonvent (B) treffen . beschlossen hat, bindend . (D) Ich bin überzeugt, dass dieser Weg erfolgverspre- Im Bereich des Investorenschutzes muss mit Blick chend ist . Das Abkommen wird durch die EU und ihre auf die Rechtstatbestände, wie z .B . „faire und gerechte Mitgliedstaaten mit Kanada abgeschlossen . Wir müssen Behandlung“ und „indirekte Enteignung“ sichergestellt zur Kenntnis nehmen, dass CETA nur in wenigen Län- werden, dass keine Bevorzugung von ausländischen ge- dern der EU kritisch diskutiert wird . Um Veränderungen genüber inländischen Investoren oder Bürgerinnen und im weiteren Verfahren erreichen zu können, wäre ein Bürgern stattfindet. Investorenschutz sollte somit auf die pauschales Nein im Ministerrat nicht zielführend . Am Diskriminierung gegenüber inländischen Investoren be- Ende des jetzt vor uns liegenden Prozesses wird jede und schränkt werden . jeder Abgeordnete entscheiden müssen, ob er/sie dem Es muss unmissverständlich und rechtsverbindlich Abkommen zustimmt . Auch dafür hat der der SPD-Par- erklärt werden, dass die EU im Rahmen des CETA-Ab- teikonvent eindeutige Maßstäbe beschlossen . kommens in keiner Weise vom primärrechtlich veranker- ten Vorsorgeprinzip (Art . 191 AEUV) abweicht . Im Rahmen des Beratungsprozesses muss ein Sank- Anlage 9 tionsmechanismus bei Verstößen der Partner gegen Ar- Erklärungen nach § 31 GO beits-, Sozial- und Umweltstandards entwickelt werden . Die acht ILO-Kernarbeitsnormen müssen ratifiziert wer- zu der namentlichen Abstimmung über den . – den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und Es muss sich aus dem CETA-Vertrag unmissverständ- SPD lich ergeben, dass bestehende und künftig entstehende zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates Dienstleistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge nicht über die Unterzeichnung – im Namen der Euro- vom Vertrag erfasst werden . päischen Union – des umfassenden Wirtschafts- Es muss sicher- und klargestellt werden, dass alle Gre- und Handelsabkommens (CETA) zwischen Ka- mien, die durch das CETA-Abkommen geschaffen wer- nada einerseits und der Europäischen Union den, zunächst eine beratende Funktion zur Umsetzung und ihren Mitgliedstaaten andererseits des Abkommens haben und begrenzte Entscheidungen KOM(2016) 444 endg.; Ratsdokument 10968/16 nur im Einklang mit den demokratisch legitimierten Ver- fahren der Partner treffen und nicht die Souveränität der und Parlamente und Regierungen verletzen dürfen . 18934 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) Warum ich dem heutigen Koalitionsantrag zustimme, Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards entwickelt (C) findet sich im Antrag der Fraktion der CDU/CSU und werden . Die acht ILO-Kernarbeitsnormen müssen ra- der SPD „Comprehensive Economic and Trade Agree- tifiziert werden. ment (CETA): Für freien und fairen Handel“ (Drucksa- che 18/9663) in der letzten Feststellung des Bundestages: – Es muss sich aus dem CETA-Vertrag unmissverständ- „Der Deutsche Bundestag wird im Lichte des weiteren lich ergeben, dass bestehende und künftig entstehen- Prozesses im Ratifizierungsverfahren abschließend über de Dienstleistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge seine Zustimmung zu CETA entscheiden .“ nicht vom Vertrag erfasst werden .“ Sollten die hier aufgeführten Punkte nicht genügend Diese Forderungen werden am Ende Maßstab für jede berücksichtigt worden sein, so ist eine Unterbrechung und jeden SPD-Abgeordnete und SPD-Abgeordneten des Ratifizierungsprozesses oder eine Ablehnung des sein . Vertrages möglich . Diese Entscheidung behalte ich mir Unsere Erfahrung lehrt uns, dass es klug ist, Vertrag- vor . stexte erst dann zu beschließen, wenn sie endgültig vor- liegen . Deshalb werde ich heute dem Antrag nicht zu- Gülistan Yüksel (SPD): Heute wird nicht über den stimmen . Vertragstext des Abkommens CETA abgestimmt . Heute Um die Gespräche und die geforderten Anstrengungen wird darüber entschieden, ob wir den Bundeswirtschafts- für die Durchsetzung der Forderungen nicht aufzuhalten, minister beauftragen, im Handelsministerrat der EU den stimme ich nicht mit „Nein“, sondern enthalte mich . Ge- aktuell vorliegenden Vertragsentwurf CETA in die par- spräche sind Grundlage, um eine Verbesserung des Ver- lamentarischen Verfahren, in die Parlamente, zu geben . trages in unserem Sinne umzusetzen . Ich kann diesem Antrag nicht zustimmen, da ich das Verfahren, erst im Ministerrat zuzustimmen und danach Verbesserungen erreichen zu wollen, für nicht zielfüh- Anlage 10 rend halte . Erklärung nach § 31 GO Anders als Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen, die schon lange wissen, dass sie gegen diese Freihandelsab- des Abgeordneten Josef Göppel (CDU/CSU) zu kommen sind, und anders als CDU und CSU, die schon den namentlichen Abstimmungen über lange wissen, dass sie für diese Freihandelsabkommen sind, haben SPD und SPD-Fraktion einen tiefen Diskus- – den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und sions- und Abwägungsprozess angestoßen und organi- SPD (B) (D) siert, der von Bundeswirtschaftsminister Gabriel wesent- zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates lich getragen wurde . über die Unterzeichnung – im Namen der Euro- Durch unsere harten Verhandlungen haben wir schon päischen Union – des umfassenden Wirtschafts- im Vorfeld viele Verbesserungen im CETA-Abkommen und Handelsabkommens (CETA) zwischen Ka- durchgesetzt . Aber selbst wenn das nun vorliegende Ver- nada einerseits und der Europäischen Union handlungsergebnis gegenüber den früheren Fassungen und ihren Mitgliedstaaten andererseits essenzielle Verbesserungen enthält, insbesondere die KOM(2016) 444 endg.; Ratsdokument 10968/16 Einführung eines öffentlichen Handelsgerichtshofes – statt Schiedsgerichtsbarkeit –, auch wenn Bereiche der und öffentlichen Daseinsvorsorge, wie etwa Wasser, Bildung zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Ra- oder Gesundheit, nun speziellen Schutzregeln unterlie- tes über die vorläufige Anwendung des umfas- gen, würde ich heute noch nicht zustimmen . senden Wirtschafts- und Handelsabkommens Bei unserem Parteikonvent hat die SPD klare Bedin- (CETA) zwischen Kanada einerseits und der gungen beschlossen . Diese sind unter anderem folgende: Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits „– Im Bereich des Investorenschutzes muss mit Blick auf die Rechtstatbestände, wie z B. . ‚faire und gerechte KOM(2016) 470 endg.; Ratsdokument 10969/16 Behandlung‘ und ‚indirekte Enteignung‘ sichergestellt hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes- werden, dass keine Bevorzugung von ausländischen regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des gegenüber inländischen Investoren oder Bürgerinnen Grundgesetzes i. V. m. § 8 Absatz 4 des und Bürgern stattfinden. Investorenschutz sollte somit Gesetzes über die Zusammenarbeit von auf die Diskriminierung gegenüber inländischen In- Bundesregierung und Deutschem Bundes- vestoren beschränkt werden . tag in Angelegenheiten der Europäischen – Es muss unmissverständlich und rechtsverbindlich er- Union klärt werden, dass die EU im Rahmen des CETA-Ab- Comprehensive Economic and Trade Agree- kommens in keiner Weise vom primärrechtlich veran- ment (CETA) – Für freien und fairen Handel kerten Vorsorgeprinzip (Art . 191 AEUV) abweicht . (Tagesordnungspunkt ZP 3) – Im Rahmen des Beratungsprozesses muss ein Sank- tionsmechanismus bei Verstößen der Partner gegen sowie Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18935

(A) – den Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, Regelung . Das Kapitel zum Investitionsschutz ist (C) Kerstin Andreae, Britta Haßelmann, weiterer gänzlich zu streichen . Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 4 .CET A schafft über die Sondergerichtsbarkeit hi- naus weitere Gremien, denen nationale Parlamente zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates ihre gesetzgeberischen Aktivitäten vorab mitteilen über die Unterzeichnung – im Namen der Euro- müssen . päischen Union – des umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommens (CETA) zwischen Ka- Der „Gemischte CETA-Ausschuss“ nach Arti- nada einerseits und der Europäischen Union kel 26 .1 ist für alle Fragen, die das Abkommen be- und ihren Mitgliedstaaten andererseits treffen, zuständig . Beschlüsse dieses Ausschusses sind nach Artikel 26 3. „bindend“ und müssen von KOM(2016) 444 endg.; Ratsdok. 10968/16 den nationalen Regierungen „umgesetzt“ werden . und Das ist eine eindeutige Beschränkung des Gesetz- zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Ra- gebungsrechts der Parlamente . tes über die vorläufige Anwendung des umfas- 5 .Das Vorsorgeprinzip als grundsätzliche europäi- senden Wirtschafts- und Handelsabkommens sche Rechtsposition wird im gesamten CETA-Ver- (CETA) zwischen Kanada einerseits und der trag nicht erwähnt . Die Artikel 5 2,. 5 4. und 21 1. Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten verweisen lediglich auf Standards der WTO zu andererseits „Sanitary and Phytosanitary Measures (SPS)“ . KOM(2016) 470 endg.; Ratsdok. 10969/16 Artikel 25 2. sieht sogar die „Reduzierung nachtei- hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes- liger Handelsauswirkungen“ im Bereich Biotech- regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des nologie und genetisch veränderter Organismen vor . Grundgesetzes Damit ist die Abkehr von europäischen Standards vorgezeichnet . Comprehensive Economic and Trade Agree- ment (CETA) ablehnen 6 .Bei der Daseinsvorsorge enthält der CETA-Ver- (Tagesordnungspunkt 39 a) tragstext nach wie vor eine Negativliste . Alle Be- reiche, die darin nicht ausdrücklich genannt sind, (Tagesordnungspunkte ZP 3 und 39 a) unterliegen der vollen Liberalisierung . Rechts- Mein Fraktionsvorsitzender Volker Kauder sagt zu sicherheit kann nur mit einer Positivliste erreicht (B) Freihandelsabkommen: „Ein Land, das die Hälfte seiner werden . (D) Produkte im Ausland verkauft, braucht Freihandel!“ Ich trage Freihandelsabkommen mit, die Zölle und Ja, aber wie viel Systemveränderung muss in die Ab- technische Zulassungen zum Gegenstand haben . Ich bin kommen reingepackt werden? Ich habe nichts gegen aber gegen die Aufblähung und Überhöhung dieser Ab- Freihandel und den Abbau von Zöllen . Aber ich habe et- kommen, weil das den Freiraum demokratisch gewählter was dagegen, durch die Hintertür eine neue Wirtschafts- Parlamente und Regierungen einengt . ordnung mit weniger demokratischer Kontrolle einzu- Deshalb enthalte ich mich bei dem Antrag der Koali- führen . tionsfraktionen und stimme dem Antrag der Grünen auf Meine Kritik an CETA im Einzelnen: Drucksache 18/9621 zu . 1 .Die Europäische Kommission selbst sagt, CETA sei das mit Abstand weitreichendste Abkommen, das die Europäische Union bisher abgeschlossen Anlage 11 habe . Erklärung nach § 31 GO Es gehe über alle bisherigen Freihandelsabkom- men hinaus . des Abgeordneten Dr. Thomas Gambke (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Ab- 2 .T rotz der Nachverhandlungen des Bundeswirt- stimmung über schaftsministers findet sich in Artikel 8.10 Ziffer 1 der unbestimmte Rechtsbegriff der „gerechten und den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und billigen Behandlung“ von Investoren . Artikel 8 12. SPD enthält zudem eine Regelung zur indirekten Ent- zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates eignung, die Schadensersatzklagen Tür und Tor über die Unterzeichnung – im Namen der Euro- öffnet . Gleichzeitig muss die Gesetzgebung laut päischen Union – des umfassenden Wirtschafts- Vertrag „legitime politische Ziele“ verfolgen . und Handelsabkommens (CETA) zwischen Ka- 3 . Sowohl in Kanada wie in der Europäischen Union nada einerseits und der Europäischen Union haben wir eine voll entwickelte und transparen- und ihren Mitgliedstaaten andererseits te Gerichtsbarkeit . Die Rechtssysteme der Ver- KOM(2016) 444 endg.; Ratsdokument 10968/16 tragspartner bieten für Investoren ausreichenden Schutz . Deshalb bedarf es dafür keiner speziellen und 18936 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Ra- Valide Berechnungen liegen bis heute nicht vor, und (C) tes über die vorläufige Anwendung des umfas- die in Rede stehenden 10 Milliarden Euro Mehreinnah- senden Wirtschafts- und Handelsabkommens men beruhen auf mehrfachen Hochrechnungen der Prü- (CETA) zwischen Kanada einerseits und der fung des Gastronomiebereichs in der kanadischen Pro- Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten vinz Québec, sodass ich empfehle, mit der Verplanung andererseits des Geldes noch etwas zu warten . KOM(2016) 470 endg.; Ratsdokument 10969/16 Das Gesetz fußt auf drei ineinandergreifende Maßnah- men: hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes- regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Erstens . Wer ein elektronisches Aufzeichnungssys- Grundgesetzes i. V. m. § 8 Absatz 4 des tem, also vorwiegend Registrierkassen, verwendet, muss Gesetzes über die Zusammenarbeit von zwingend Systeme verwenden, die über eine technische Bundesregierung und Deutschem Bundes- Sicherheitseinrichtung verfügen . Die Zeiten in denen tag in Angelegenheiten der Europäischen mittels „Chef-Taste“ Umsätze gelöscht oder „Trainings- Union kellner“ im Dauereinsatz tätig sind, um Umsätze im wahrsten Sinne des Wortes unter den Tisch fallen zu Comprehensive Economic and Trade Agree- lassen, sind damit vorbei . Zukünftig wird ab dem ersten ment (CETA) – Für freien und fairen Handel Tastendruck jede Eingabe in das Kassensystem protokol- (Tagesordnungspunkt ZP 3) liert . Etwaige Korrekturen sind selbstverständlich auch zukünftig möglich, dann aber lückenlos nachvollziehbar . Ich erkläre, dass mein Votum zum Antrag der Frakti- onen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/9663 Gleichzeitig lässt der Gesetzentwurf aber auch Raum Ablehnung lautet . für Lösungen für große Handelsketten, die schon auf- grund unternehmensinterner Kontrollprozesse ein ausge- prägtes Interesse an der lückenlosen Aufzeichnung ihrer Umsätze haben und über leistungsstarke Kassen- und Anlage 12 Warenwirtschaftssysteme verfügen . Auf der anderen Sei- Zu Protokoll gegebene Reden te wird es auch in Zukunft möglich sein, auf Wochen- märkten, Dorffesten oder in Sportvereinen eine offene zur Beratung des von der Bundesregierung einge- Ladenkasse zu führen . Die Sorge, wie von einigen for- brachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz vor muliert, dass Unternehmen aufgrund dieses Gesetzes ihre Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnun- Registrierkassen abschaffen und sich in die offene La- (B) gen (Tagesordnungspunkt 16) denkasse flüchten, verkennt, dass auch dann die Umsätze (D) plausibel zu erläutern und zu belegen sind . Immerhin ist die Registrierkasse einmal als Arbeitserleichterung für Uwe Feiler (CDU/CSU): Der vorgelegte Gesetzent- wurf der Bundesregierung zum Schutz vor Manipulatio- den Unternehmer und als Kontrollinstrument für seine nen an digitalen Grundaufzeichnungen reiht sich nahtlos Mitarbeiter eingeführt worden . Eine offene Ladenkasse in die Anstrengungen der Bundesregierung und der Ko- macht ab gewissen Umsätzen wesentlich mehr Arbeit, alition ein, Steuerhinterziehung wirksam zu bekämpfen, als auf ein technisches System zu setzen . Außerdem ver- ohne dabei alle Steuerpflichtigen unter Generalverdacht fügt die Finanzverwaltung durch die Kassensysteme über zu stellen . Referenzwerte, die bei der Beurteilung der Plausibilität äußerst hilfreich sein werden . Die große Mehrheit der Unternehmerinnen und Un- ternehmer kommt ihren Pflichten vollumfänglich nach. Zweitens stellen wir mit der Einführung einer Kassen- Gerade daraus ergibt sich für den Staat aber auch die nachschau sicher, dass die Finanzverwaltung auch unan- Verpflichtung, sich derjenigen anzunehmen, die- mei gemeldet vor Ort Einblick in das Kassensystem und die nen, sich zulasten der Steuerzahlergemeinschaft ihren Belegführung nehmen kann . Von Probeeinkäufen über Beitrag zur Finanzierung sparen zu können . Und genau die Kontrolle der Erfassung der Umsätze bis zur Ein- hier setzen wir mit dem Gesetzentwurf an, indem wir das sichtnahme von Belegen beim Steuerberater stehen der Entdeckungsrisiko für Steuersünder enorm erhöhen und Finanzverwaltung der Länder umfangreiche Instrumente der Finanzverwaltung der Länder die Instrumente an die zur Verfügung, um Verstöße aufzudecken . Fest steht aber Hand geben, Umsätze besser nachvollziehen zu können . auch: Keine technische Maßnahme kann die Kontrolle durch die Finanzbehörden ersetzen . Wenn also der eine Dass die Umsatzsteuer zu den betrugsanfälligeren oder andere Landesfinanzminister die stille Hoffnung Steuerarten gehört und aufgrund ihrer Ausgestaltung die hegen sollte, mit mehr Technik und weniger Personal Mitwirkung von Unternehmern erfordert, rückt sie in den höhere Einnahmen generieren zu können, wird diese besonderen Fokus sowohl von Betrügern als auch des Rechnung nicht aufgehen . Die neuen Systeme werden Fiskus und somit von uns allen . unzählige Datensätze generieren, die aber auch kontrol- liert werden müssen . Bei diesem Gesetz ist mir die Durchsetzung der Steu- ergerechtigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung ein Drittens sanktionieren wir Verstöße . Den Steuerge- besonderes Anliegen, und ich warne davor, lediglich auf fährdungstatbestand gemäß § 379 AO weiten wir um die erhoffte Steuermehreinnahmen zu schielen wie viele Ver- neuen Verpflichtungen aus und sehen Geldbußen von bis treter der Länder . zu 25 000 Euro vor . Ein laxes Vorgehen des Finanzmi- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18937

(A) nisteriums kann ich hier beim besten Willen also nicht nanzminister Wolfgang Schäuble so anschaue, muss ich (C) erkennen . leider zum Fazit kommen: Ziel verfehlt . Nicht knapp, sondern klar und deutlich . Dennoch mangelt es ja nicht an weitergehenden Vor- schlägen. So wünscht sich der eine oder andere eine flä- Was uns das Bundesfinanzministerium hier vorgelegt chendeckende Registrierkassenpflicht als vermeintliche hat, reicht uns nicht aus . Es ist maximal ein Placebo . Lösung aller Probleme . Mal davon abgesehen, dass da- Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf würde eine be- mit alle Unternehmer über einen Kamm geschoren wer- trugssichere Software nur eingesetzt werden müssen, den, halte ich dieses Mittel auch für unverhältnismäßig . wenn jemand denn eine Kasse einsetzt. Eine Pflicht, eine Jeden Eis- oder Marktstand mit einer Kasse auszustatten, Kasse zu benutzen, sieht der Entwurf leider nicht vor . ist genauso wenig sinnvoll wie die generelle Belegausga- Will also der steuerhinterziehende Unternehmer Staat, bepflicht. Ein Blick zu unserem Nachbarn Österreich, der Kunden und ehrliche Unternehmer weiterhin betrügen, massiv mit Ausnahmeregelungen nachsteuern musste, schafft er sich entweder eine zweite, versteckte Kasse belegt, dass der Charme genereller Regelungen schnell an oder schafft einfach alle Kassen im Betrieb ab und verfliegen kann. Denn in Deutschland hat schon heute je- kassiert in den Schuhkarton . Wer ernsthaft glaubt, dass der Kunde ein Anrecht auf einen Beleg . In Österreich ist Steuerbetrüger freiwillig mit Steuerbetrug aufhören, der dieser zwingend erforderlich, da im Unterschied zu unse- glaubt auch an den Weihnachtsmann . So verspielt man rem Vorhaben erst mit der Belegausgabe die Speicherung Glaubwürdigkeit beim Kampf gegen den Steuerbetrug . und Verschlüsselung des Umsatzes im System erfolgt . Auch bei der Frage der Belegausgabe – also der Aus- gabe eines Kassenbons – ignoriert das Bundesfinanzmi- Andreas Schwarz (SPD): Wir reden heute hier über nisterium alle Warnungen von Verbänden, Gewerkschaf- ein mir und der SPD-Bundestagsfraktion sehr wichtiges ten, Kassenherstellern und Steuerfahndern . Unisono Thema: den Kampf gegen Steuerbetrug . Wir als SPD be- berichten diese uns, dass eine sogenannte Belegausgabe- kämpfen Steuerbetrug ganzheitlich . Ob über das große pflicht essenziell für den Kampf gegen Umsatzsteuerbe- Thema BEPS, die Verschärfung der Selbstanzeige – von trug ist . Diese erhöht nämlich das Entdeckungsrisiko für Hoeneß bis Schwarzer – oder aber das Schließen von den Unternehmer ungemein und erleichtert die Arbeit der Steuerlücken . Von Cum/Ex bis Cum/Cum . Aber bei ei- Steuerfahnder erheblich . Und dennoch setzt das Bundes- nem großen Thema sind wir immer noch nicht da, wo wir finanzministerium auch da wieder auf Freiwilligkeit und längst sein müssten: beim Umsatzsteuerbetrug durch ma- nimmt sogar noch den Verbraucher in die Pflicht. Nach nipulierte Kassensysteme . Dass wir diesen Kampf nun den Plänen des BMF würde der Unternehmer, wenn er endlich aufnehmen, ist ein Beitrag für mehr Steuerge- denn überhaupt noch eine Kasse hat, nur auf Verlangen rechtigkeit und Wettbewerbsgleichheit . Die Schätzungen des Kunden verpflichtet sein, einen Bon auszuhändigen. (B) (D) etwa des Bundesrechnungshofes gehen von 5 Milliarden Mit Verlaub, wir wissen alle, wohin das führen würde: zu bis 10 Milliarden Euro jährlich an Steuerausfällen aus, gar keinen Kassenbons mehr . die durch diesen Betrug entstehen . Aus den genannten Gründen ist der vorliegende Ge- Eines möchte ich vielleicht gleich zu Beginn festhal- setzentwurf aus unserer Sicht – und ich zitiere hier mal ten: Es geht uns nicht darum, kleine Vereins- oder Som- den Finanzausschuss des Bundesrates –: „ungeeignet“, merfeste unmöglich zu machen . Uns geht es um die Un- „nicht wirksam“, „voller konzeptioneller Mängel“, „un- terbindung von milliardenfachem Steuerbetrug . Wie ich realistisch“ . In Zeugnissprache formuliert: stets bemüht . bereits erwähnt habe: Es ist ein doppelter Betrug . Zum Nun wollen wir hier niemandem Nachhilfe erteilen . einen ist es ein Betrug am Staat, dem das Steuergeld zu- Was wir aber wollen, ist ein Gesetz, das Umsatzsteuer- steht, um Schulen zu bauen, die innere Sicherheit auf- betrug effektiv und wirksam bekämpft . Und deshalb me- rechtzuerhalten und die Infrastruktur zu erneuern . Ein ckert die SPD nicht nur, sondern hat wie immer konkrete Betrug übrigens, der oftmals Schwarzarbeit und Umge- Verbesserungsvorschläge . hung des Mindestlohns mit sich zieht . Erstens. Grundlage für eine flächendeckend effektive Zum anderen jedoch ist es vor allem ein Betrug an je- und nachhaltige Bekämpfung des Umsatzsteuerbetruges dem ehrlichen Unternehmer . Und ich bin selbst einer und an Ladenkassen ist für uns die Einführung einer allge- weiß, wovon ich spreche . Ich kann mein Unternehmen meinen Registrierkassenpflicht ab einer Umsatzgrenze noch so optimal aufstellen . Solange ich brav meine Steu- von 17 500 Euro . Dies beinhaltet die Aufzeichnung und ern zahle, aber mein Mitbewerber aus dem Nachbarort Dokumentation von Barumsätzen, die den Prinzipien nicht, werde ich den Preisvorteil von 19 Prozent Umsatz- der Vollständigkeit und Unveränderbarkeit entsprechen steuer niemals aufholen können . Mir sind mehrere solche muss . Eine gesetzliche Festlegung auf ein bestimmtes Fälle aus meinem Wahlkreis bekannt . Am Ende sind die System oder einen bestimmten Anbieter halten wir tech- Ehrlichen die Dummen, und das ist ungerecht . Und ge- nisch, aber auch europarechtlich für schwierig . nau deshalb muss hier endlich dringend etwas geändert werden . Zweitens . Darüber hinaus fordern wir eine Belegaus- gabepflicht. Dies würde die Entdeckungsgefahr für tech- Wer für Steuergerechtigkeit und für Wettbewerbs- nische Manipulationen erheblich erhöhen . Ein Verkauf gleichheit unter den kleinen und mittleren Unternehmen an der Kasse vorbei wird für den Kunden sofort nach- ist, der muss dieses Gesetz nutzen, um Umsatzsteuerbe- vollziehbar, wenn er keinen Beleg erhält . Dabei ist wich- trug durch manipulierte Kassensysteme endlich zu unter- tig, dass die Pflicht zur Ausgabe beim Unternehmer liegt binden. Wenn ich mir den Gesetzentwurf von Bundesfi- und nicht als Holschuld auf die Kunden abgewälzt wird . 18938 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) Eine Belegausgabepflicht ist eine der wesentlichen For- angeboten . Ein Mitarbeiter aus der Finanzverwaltung (C) derungen seitens der Steuerfahnder und existiert bereits berichtete, dass er undercover auf einer Messe war, wo unter anderem in Österreich, Italien, Schweden, Grie- elektronische Kassensysteme ausgestellt wurden . Bei ei- chenland, der Slowakei und Slowenien . Ich habe bisher nem der Stände hat es nicht mal eine Minute gedauert, noch kein einziges überzeugendes Argument gehört, das bis ihm unverhohlen vom Standbetreiber zusätzlich zur gegen eine Kassenpflicht und gegen eine Belegausga- Kasse auch gleich die passende Schummelsoftware an- bepflicht spricht, weder vom Bundesfinanzministerium, gepriesen wurde – auf einer offiziellen Messe! noch von der Wirtschaft, die, im Gegenteil, uns sogar hinter vorgehaltener Hand unterstützt, weil auch sie ein Ein solches Schattengewerbe entsteht selbstverständ- Interesse an Wettbewerbsgleichheit hat . lich nicht über Nacht: Bereits 2003 hat der Bundesrech- nungshof auf die Möglichkeit der Kassenmanipulation Ich denke, wir alle im Haus schreiben uns die Schlag- hingewiesen . Und obwohl es, wie in unserem Restaurant- worte Steuergerechtigkeit und Wettbewerbsgleichheit beispiel, im Einzelfall oft nur kleine Beträge sind – zu- auf unsere Fahnen . Bei diesem Gesetz kann nun jeder sammengerechnet entsteht unserer Gesellschaft ein Rie- Einzelne beweisen, wie ernst er es meint . Die SPD-Bun- senschaden: Schätzungen nach werden auf diese Weise destagsfraktion geht beim Kampf gegen Steuerhinter- jedes Jahr bis zu 10 Milliarden Euro Steuern hinterzogen . ziehung und Steuervermeidung stets voran . Das ist auch Seit Jahren haben die Bundesländer daher auf eine beim Kampf gegen Umsatzsteuerbetrug durch manipu- gesetzgeberische Lösung gedrängt. Das Bundesfinanz- lierte Kassensysteme nicht anders . Daher fordern wir ministerium hat dem jedoch kein Gehör geschenkt . Der nachdrücklich ein Gesetz, das diesen Betrug effektiv und heute vorliegende Gesetzentwurf kam erst zustande, nachhaltig bekämpft . Liebe Kolleginnen und Kollegen nachdem eine Mehrheit der Mitglieder im Finanzaus- von der Union, ich glaube ja immer auch an die Vernunft schuss einschließlich der Linken darauf gedrängt hat . Mit und die Kraft der besseren Argumente und lade Sie des- Verlaub, Herr Schäuble, das war Arbeitsverweigerung halb herzlich ein, diesen Weg gemeinsam mit uns zu be- unter Inkaufnahme eines Schadens in Milliardenhöhe! gehen . Was genau steht nun letztlich in Ihrem verspätet vor- Richard Pitterle (DIE LINKE): Eines gleich vorweg: gelegten Entwurf? Sie wollen die Besitzer von Registrier- Die Bundesregierung ist wahrlich nicht dafür bekannt, kassen dazu verpflichten, diese durch technische Vorkeh- bei drängenden Problemen schnell geeignete Lösungen rungen gegen nachträgliche Manipulationen zu sichern, parat zu haben . Schlimm nur, wenn diese Probleme jedes und außerdem unangemeldete Kassennachschauen durch Jahr zu Steuerausfällen in Milliardenhöhe führen! Und das Finanzamt ermöglichen . So weit, so gut . Inwieweit nicht nur schlimm sondern auch peinlich wird es, wenn dies allein wirklich Abhilfe schaffen kann, werden wir in (B) die Bundesregierung und die sie tragende Große Koali- den anstehenden Beratungen im Finanzausschuss inten- (D) tion dann versuchen, ihren nach jahrelanger Untätigkeit siv diskutieren müssen . Die Linke wird sich daran wie endlich vorliegenden Lösungsvorschlag als rechtzeitig immer konstruktiv beteiligen, denn im Gegensatz zur zu verkaufen . Genau das versucht die Bundesregierung Bundesregierung wollen wir anpacken und nicht Däum- mit ihrem heute vorliegenden Gesetzentwurf, und das chen drehen . lässt Ihnen die Linke so nicht durchgehen, liebe Kolle- ginnen und Kollegen von Union und SPD! Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Was lange währt, wird endlich gut . Dies trifft lei- Worum geht es heute im Einzelnen: Die Bundesregie- der nicht auf den heute vorgelegten Gesetzentwurf zum rung will mit ihrem eingebrachten Gesetzentwurf zum Schutz vor manipulierten Registrierkassen zu . Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeich- nungen den Steuerbetrug durch Kassenmanipulationen Bereits vor 13 Jahren stellte der Bundesrechnungshof bekämpfen . Es ist ein offenes Geheimnis, dass in Ge- fest, dass durch manipulierte Registrierkassen massiv werben, in denen viel mit Bargeld gezahlt wird, wie zum Steuerbetrug und Schwarzgelderwirtschaftung betrieben Beispiel im Restaurant oder der Eisdiele um die Ecke, werden . Spektakuläre Fälle wie der Eissalon in Rhein- die Versuchung groß ist, nicht jeden kleinen Umsatz ord- land-Pfalz, dessen Besitzer mehr als 1,9 Millionen Euro nungsgemäß zu registrieren und zu versteuern . Die Ver- Steuer hinterzogen hatte, waren keine Einzelfälle, son- suchung ist vor allem deshalb so groß, weil es zum Bei- dern die Spitze des Eisbergs . Es wurde bekannt, dass spiel für den Restaurantbetreiber so wahnsinnig einfach sogar Apotheken – in der Wahrnehmung vieler Bürger ist, das eine oder andere verkaufte Bier einfach nicht in eigentlich eine seriöse Branche – mit Schummelsoftware die offizielle Abrechnung zu übernehmen. systematische Steuerhinterziehung organisiert hatten . Im Fokus stehen hierbei Registrierkassen, also die Das Problem hat sich mit der fortschreitenden Digita- ganz normalen Kassen auf dem Tresen, in die die Um- lisierung immer weiter verschärft . Denn Registrierkassen sätze eingetippt werden und die die Belege ausspucken . sind heute vielfach schlicht und einfach Computer mit Hier hat sich inzwischen geradezu ein richtiger Wirt- darunter angebrachter Bargeldbox . Die in den Regis­ schaftszweig entwickelt, der zum Beispiel spezielle trierkassen gespeicherten Daten können in vielen Sys- Software anbietet, die die Umsätze in den Registrier- temen beliebig, ohne die geringsten Spuren zu hinter- kassen frisiert und einen Teil der Einnahmen unter den lassen, verändert werden . Vor acht Jahren schon begann Tisch fallen lässt . Man muss auch nicht lange in dunklen eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe mit der Entwicklung Schwarzmarktecken suchen, bevor man solche Produkte eines Sicherheitssystems, das die Umsatzmanipulation findet, nein, diese Systeme werden teilweise ganz offen an elektronischen Kassensystemen ausschließen soll- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18939

(A) te . Unter Leitung der PTB wurde eine entsprechende Dies führt im Ergebnis dann dazu, dass die Finanzver- (C) technische Lösung im Rahmen des INSIKA-Projektes waltung aufwendige Kassennachschauen mit Testkäufen, (INtegrierte SIcherheitslösung für messwertverarbeiten- Datenanalysen und technischer Prüfung der Kassensys- de KAssensysteme) konzipiert und umgesetzt . Dieses teme durchführen muss . Es ist völlig klar, dass dieser bü- Vorhaben wurde vom Bundesministerium für Wirtschaft rokratische Aufwand nur im begrenzten Umfang von der und Technologie als MNPQ-Projekt (Messen, Normen, Verwaltung geleistet werden kann – Prüfungen werden Prüfen und Qualitätssicherung) mit 225 000 Euro geför- also relativ selten sein . Wie damit das Problem des Steu- dert . Vor vier Jahren gab es ein Ergebnis: Das Sicher- erbetrugs gelöst werden soll, erschließt sich mir nicht . heitssystem INSIKA war einsatzfähig, aber die damalige Der Gesetzentwurf lehnt das INSIKA-Verfahren ab schwarz-gelbe Koalition kippte in sprichwörtlich letzter bzw . entzieht ihm durch die fehlende Belegausgabe- Minute die Implementierung . pflicht die Grundlage. Stattdessen sollen vom Bundesamt Im Taxigewerbe in Hamburg wurde das INSIKA-Sys- für Sicherheit in der Informationstechnik zertifizierte Si- tem dennoch eingesetzt, mit von allen Beteiligten, also cherheitseinrichtungen das Problem der manipulierbaren Taxibetrieben sowie Finanzbehörden, positiv bewerteten Kassen beseitigen . Jedoch gibt es überhaupt noch kein Ergebnissen: Der unlautere Wettbewerb durch Schwarz- fertiges Zertifizierungssystem! Auf die Idee, ein fertiges, fahrten wurde praktisch unmöglich – mit entsprechenden frei verfügbares und erprobtes Verfahren, wie INSIKA, besseren Auslastungen und Verdienstmöglichkeiten für abzulehnen und dafür auf ein Sicherheitssystem, das ja die ehrlich abrechnenden Fahrer und Betriebe –, und die noch gar nicht existiert, zu setzen, muss man erst mal Steuerbehörden konnten nicht nur steigende Einnahmen kommen . aus der Umsatz- und Einkommensteuer verzeichnen, Die Steuerjuristen geben an, dass sie den Einsatz des sondern auch ihren Prüfaufwand signifikant verringern. INSIKA-Verfahrens ablehnen, weil dieses nicht techno- In Berlin allerdings wurden diese Fakten nicht zur logieoffen sei . Dabei verkennt dieses – falsche – Argu- Kenntnis genommen: Noch im März 2015 ließ mir der ment, dass es nicht um eine Technologie geht, sondern Bundesminister der Finanzen durch seinen Staatssekretär um das Prinzip: Im Kern kommt es darauf an, dass die Michael Meister mitteilen, dass keine belastbaren Aussa- eingegebenen Daten dem real getätigten Umsatz entspre- gen über den Umfang und die Häufigkeit von Manipula- chen sollen und auch wirklich in das System übernom- tionen von Umsätzen vorliegen würden . Informationen men werden – deshalb Belegausgabe mit Signatur – und aus anderen Ländern wurden vonseiten des Bundesfi- fälschungs- bzw . manipulationssicher gespeichert wer- nanzministeriums grob wahrheitswidrig und falsch dar- den – deshalb Übertragung an eine fälschungssichere gestellt . Und auch die Bundestagsfraktion der CDU/CSU Hardwareeinheit („Stick“) oder einen fälschungssicheren Speicher, zum Beispiel per Datenübertragung an ein un- (B) lehnte in einem Positionspapier noch im August 2015 (D) eine verpflichtende Einführung eines manipulationssi- abhängiges System . Diese Prinzipien müssen manipula- cheren Kassensystems ab . tionssicher umgesetzt werden. Die mit der Zertifizierung von Software verbundene Lösung im Gesetzentwurf Vielmehr machte im Rahmen der Forderung nach sucht sich nun gerade die Technologie aus, die weder fäl- Einführung des INSIKA-Verfahrens das Wort die Run- schungssicher noch unmittelbar einsetzbar – weil noch de, hier sei eine „INSIKA-Mafia“ am Werke. Man kann nicht entwickelt –, noch kostenmäßig heute verlässlich trefflich fragen, ob nicht vielmehr eine Mafia am Werke erfassbar ist. Denn der Aufwand der Zertifizierung und ist, manipulationssichere Kassen zu verhindern . die mit dem Zertifizierungsvorgang verbundene Inflexi- bilität können kostenmäßig noch nicht belastbar beziffert Es ist dem Engagement vor allem der Finanzverwal- werden . tungen in Schleswig-Holstein und Hamburg und nicht zuletzt der Grünen-Bundestagsfraktion zu verdanken, Deshalb fordere ich die Koalitionsfraktionen dazu wenn heute die Bundesregierung einen neuen Anlauf auf, diesen Gesetzentwurf gründlich nachzubessern . Der startet . Diesen Anlauf begrüße ich sehr . Steuerbetrug mit manipulierten Kassensystemen kann nur dann endlich beendet werden, wenn die Unverän- Die Freude ist aber sehr begrenzt: Zwar ist die Ein- derbarkeit und die Vollständigkeit der aufgezeichneten bringung des Gesetzentwurfes positiv zu bewerten – Geschäftsvorgänge sichergestellt ist . Um diese Anforde- denn damit wird das erste Mal überhaupt die Notwen- rungen zu erfüllen, muss der Gesetzentwurf um eine ge- digkeit zum Handeln anerkannt –, wenn ich aber die setzliche Belegausgabepflicht ergänzt werden. Außerdem Gesetzvorlage lese, kommt bei mir schnell Ernüchterung sollte das INSIKA-Verfahren in der jetzt vorliegenden auf . Dieser Gesetzentwurf ist ein zahnloser Tiger, er wird Form zugelassen werden . Damit stünde eine Sicherheits- eher neue Probleme verursachen und auf absehbare Zeit lösung sofort zur Verfügung . Es kann nicht sein, dass die das Problem nicht lösen, sondern eine Lösung weit in die Manipulation der Kassen noch über Jahre hinweg mög- Zukunft verschieben . lich sein wird . Die Bundesregierung macht sich dann ähnlich schuldig, wie sie es durch gezieltes Wegschauen Der Gesetzentwurf sieht ausdrücklich keine Belegaus- bei manipulierter Software bei der Motorsteuerung von gabepflicht vor, obwohl Steuerfahnder genau dies vehe- Autos gemacht hat – im Falle des Umsatzbetruges mit ment fordern . Auch sollen dem Gesetzentwurf zufolge manipulierten Kassensystemen zum Schaden aller Ver- die Belege keine Sicherheitsmerkmale, mit denen für den braucherinnen und Verbraucher . Kunden oder im Rahmen einer Kassennachschau leicht erkennbar wäre, ob der Geschäftsvorgang ordnungsge- Durch den Betrug mit manipulierten Kassen entge- mäß gespeichert worden ist, enthalten . hen den Haushalten von Bund und Ländern Jahr für Jahr 18940 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) schätzungsweise 5 bis 10 Milliarden Euro . Problemver- Nachträgliche Manipulationen an digitalen Grundauf- (C) schärfend ist, dass steuerloyale Unternehmen zunehmend zeichnungen sollen künftig erkennbar sein und dadurch unter den Wettbewerbsnachteilen gegenüber steuerun- vermieden werden . ehrlichen Konkurrenten leiden . Das Grundprinzip unse- res Wirtschaftssystems, der freie und faire Wettbewerb, Durch die vorgesehene Protokollierung, die zeitgleich ist in bestimmten Wirtschaftszweigen stark gefährdet . Es mit dem Zeitpunkt der Erfassung der Daten beginnt, soll ist höchste Zeit, endlich zu handeln! vor Abschluss des Geschäftsvorfalls eine weitere bereits erkannte Manipulationsmöglichkeit ausgeschlossen wer- den . Dr. Michael Meister, Parl . Staatssekretär beim Bun- desminister der Finanzen: Zur Erhaltung unseres funk- Auch „sonstige Vorgänge“ sind künftig aufzeich- tionstüchtigen und wettbewerbsfähigen Steuersystems nungspflichtig. Hierdurch wird verhindert, dass tatsächli- und eines effektiven Steuervollzugs hat die Bundesre- che Geschäftsvorfälle durch „Trainingsbuchungen“ oder gierung den Gesetzentwurf zum Schutz vor Manipula- den „Trainingskellnermodus“ verschleiert werden . tionen an digitalen Grundaufzeichnungen eingebracht . Das vorgesehene Zertifizierungsverfahren hat neben Der Entwurf stellt, wie ich finde, einen sehr guten Aus- dem Aspekt der Technologieoffenheit den großen Vorteil, gangspunkt für die Diskussion dar, die darauf abzielen dass neuen Manipulationsmöglichkeiten schnell begeg- muss, eine angemessene Lösung zur Bewältigung dieses net werden kann und diese verhindert werden können, Problems zu finden, um dem Verfassungsauftrag einer zum Beispiel durch Änderungen bzw . Anpassungen der gleichmäßigen, gesetzmäßigen und verhältnismäßigen Technischen Richtlinien oder Schutzprofile. Das heißt, Besteuerung auch in Zukunft gerecht zu werden . dieses fortschreibbare und lernende System ist kurzfris- tig anpassbar, sodass Zeiträume für mögliche neue Mani- Dazu ist es erforderlich, dass das steuerliche Verfah- pulationen sehr kurz gehalten werden können . rensrecht mit den veränderten technischen Möglichkei- ten Schritt halten und sowohl rechtlich als auch technisch Um dieses System wirksam auszugestalten, soll es weiterentwickelt wird . Dies war bereits wesentliches An- zukünftig in Deutschland verboten sein, gewerbsmäßig liegen des kürzlich verabschiedeten Gesetzes zur Moder- nicht zertifizierte technische Sicherheitseinrichtungen in nisierung des Besteuerungsverfahrens . den Verkehr zu bringen oder zu bewerben . Auf eine solche Weiterentwicklung zielt auch der vor- Mit der Möglichkeit einer nicht angekündigten Kas- gelegte Gesetzentwurf, in dem digitale Grundaufzeich- sennachschau wird ein nicht kalkulierbares Entdeckungs- nungen vor Manipulationen geschützt werden sollen . Bei risiko geschaffen . digitalen Grundaufzeichnungen handelt es sich zum Bei- (B) Darüber hinaus wird der Ordnungswidrigkeitstatbe- (D) spiel um elektronische Kassendaten . stand bei Verstößen gegen die neuen Aufzeichnungs- pflichten erweitert. Zuwiderhandlungen können künftig Aufgrund der vielfältigen, modernen, digitalisierten mit einer Geldbuße von bis zu 25 000 Euro geahndet und technisierten Möglichkeiten, können diese digi- werden . talen Kassendaten ohne großen Aufwand in der Praxis nachträglich manipuliert werden . Das heißt, nach der Erstmals liegt ein Gesetzentwurf vor, der die Chance Dateneingabe in die Kasse werden zum Beispiel nicht bietet, erkannten Manipulationen an digitalen Grundauf- dokumentierte Änderungen oder Stornierungen vorge- zeichnungen wirksam zu begegnen . nommen . Die Erarbeitung dieses Gesetzentwurfs hat einige Zeit Weitere Manipulationsmöglichkeiten sind, dass Vor- in Anspruch genommen, da es sich um eine technisch an- gänge über einen langen Zeitraum offengehalten werden spruchsvolle Materie handelt und aus Sicht der Bundes- oder dass noch vor Abschluss der Dateneingabe eine Ma- regierung sichergestellt werden musste, dass neben den nipulation, das heißt eine nicht protokollierte Änderung bereits erkannten Manipulationsmöglichkeiten auch zu- der eingegebenen Daten, erfolgt . künftigen Manipulationen – die es mit Sicherheit geben wird – schnell begegnet werden kann . Vermehrt befindet sich auch Manipulationssoftware im Einsatz . Diese Software ermöglicht umfassende Ände- Wie dieses Ziel erreicht werden könne, darüber gab es rungen und Löschungen von Daten, indem zum Beispiel viele und intensive Diskussionen . In diesen Diskussionen Datenbanken inhaltlich ersetzt oder Bedienereingaben bestand mit allen Beteiligten Konsens, dass es dieses Ziel unterdrückt werden . Der Einsatz solcher Manipulations- zu erreichen gilt . Umstritten ist jedoch, welches techni- software ist bei einer systematischen Anwendung in der sche Konzept zugrunde gelegt werden sollte . Praxis für die Finanzbehörden kaum erkennbar . Die Bundesregierung hat sich immer für ein tech- nologieoffenes Verfahren ausgesprochen, auch um den Diesem Phänomen der Manipulation an digitalen europarechtlichen Anforderungen gerecht zu werden . Grundaufzeichnungen soll der von der Bundesregierung Darüber hinaus ermöglicht ein solches Verfahren, dass beschlossene Gesetzentwurf entgegenwirken . Ziel ist es, wissenschaftlicher und technischer Fortschritt – wofür die Unveränderbarkeit von digitalen Grundaufzeichnun- unser Land gerade Maßstab ist – nicht behindert wird . gen sicherzustellen und Manipulationen einen Riegel vorzuschieben . Dies klingt sehr abstrakt . Daher lassen An dieser Stelle möchte ich daher hervorheben, Sie mich kurz verdeutlichen, was im Wesentlichen mit dass aufgrund der Technologieoffenheit auch die diesem Gesetzentwurf erreicht werden soll: ­INSIKA-Technik, die verschiedentlich Erwähnung findet Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18941

(A) und die Ihnen sicherlich geläufig ist, als ein mögliches bracht haben . Die wichtigsten Maßnahmen des Gesetzes (C) Verfahren grundsätzlich zertifizierungsfähig und damit sind folgende: Es wird ein bundesweites, elektronisch zulässig ist . auswertbares Bewacherregister aufgebaut werden, das Daten über Unternehmer und Personal enthalten wird . Daher hoffe ich, dass wir uns in den parlamentarischen Also zum Beispiel, ob die notwendigen Prüfungen und Beratungen nicht über einzelne technische Verfahren Unterrichtungen durchlaufen wurden und ob die Zuver- auseinandersetzen, um zu bewerten, welches vielleicht lässigkeit geprüft wurde . Das erleichtert Kontrollen vor besser als das andere ist, sondern dass wir das Ziel – die Ort und wird die Transparenz in der Branche ein großes Bekämpfung der Manipulationen – im Auge behalten . Stück nach vorn bringen . Herr Held und ich haben uns Auf der Grundlage des Gesetzentwurfs sollte es mei- sehr dafür starkgemacht, dass dieser wichtige Schritt jetzt nes Erachtens möglich sein, eine politische Einigung zu gemacht und nicht auf die lange Bank geschoben wird . finden. Gelänge dies nicht, würde dies allein zulasten der Auch Bewachungsunternehmer müssen künftig einen Steuerehrlichen gehen . Sachkundenachweis mit Prüfung erbringen, ebenso Be- Es wäre der Öffentlichkeit auch nicht vermittelbar, wachungspersonal, das bei der Bewachung von Flücht- wenn wir alle betonen, Manipulationen bekämpfen und lingsunterkünften und Großveranstaltungen in leitender den schwarzen Schafen das Handwerk legen zu wollen, Funktion eingesetzt wird . Denn diese Einsatzorte sind es jedoch nicht schaffen, uns auf rechtliche Grundlagen besonders sicherheitsrelevant und erfordern spezielle dafür zu verständigen . Nunmehr bietet sich uns die ein- Kenntnisse . malige Chance hierzu . Wir sollten diese nutzen und nicht Für die Zuverlässigkeitsprüfung, die alle Gewerbe- in die Auseinandersetzungen der vorherigen Jahre zu- treibenden und das gesamte Personal vor Einstellung rückfallen . durchlaufen müssen, holen die zuständigen Behörden künftig über Polizeibehörden, Bundes- und Gewerbezen- tralregister deutlich mehr Informationen ein, um die Se- Anlage 13 riosität und Eignung für die Branche abzufragen . Bislang kommt man schon mit einem einfachen Führungszeugnis Zu Protokoll gegebene Reden aus und wird für den Rest des Arbeitslebens nicht mehr überprüft . Auch eine regelmäßige Wiederholung der Zu- zur Beratung des von der Bundesregierung einge- verlässigkeitsprüfung im Rhythmus von fünf Jahren wird brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung etabliert, und der überholte Katalog der Straftaten, bei bewachungsrechtlicher Vorschriften (Tagesord- denen eine Unzuverlässigkeit angenommen wird, wird nungspunkt 18) um einige Vergehen erweitert . (B) (D) Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) (CDU/CSU): Mit Hinblick auf die Gefahr von islamistischen An- Ich freue mich sehr, dass wir heute das vom Bundeswirt- schlägen in Deutschland und auf die Vorfälle in Flücht- schaftsministerium vorgelegte Gesetz zur Änderung be- lingsunterkünften, bei denen Bewacher übergriffig wachungsrechtlicher Vorschriften abschließend beraten . wurden, war es von Beginn an mein Ziel, dass auch Wir beschließen damit eine Reform, die Wirtschafts- wie Informationen der Verfassungsschutzbehörden in die Innenpolitiker auf Bundes- wie Länderebene vorange- Zuverlässigkeitsüberprüfung einbezogen werden . Das trieben haben . Denn sie verbessert die Standards unserer gewichtige Gegenargument war, ob es wirklich erfor- privaten Sicherheitsbranche – einer Branche, die schon derlich und praktikabel sei, dass jedes einzelne Gewer- seit Langem ihren schlechten Ruf hinter sich lassen beamt mit den Verfassungsschutzbehörden in Kontakt möchte und daher stärkerer Regulierung zustimmt . Und tritt, zumal die Anforderungen an sichere Schnittstellen, sie verbessert damit maßgeblich die Architektur unserer Datenschutz usw . enorm seien . Als schlanke Lösung ha- inneren Sicherheit . ben wir dann den Vorschlag erarbeitet, die Verfassungs- schutzabfragen digital und automatisiert über das neu ge- Private Bewacher übernehmen immer mehr Aufgaben, schaffene Bewacherregister abzuwickeln . Es wird so nur auch im öffentlichen Raum und in sehr sensiblen Berei- eine Schnittstelle zwischen der Verbunddatei der Verfas- chen wie Flüchtlingsunterkünften . Da war es dringend sungsschutzbehörden und dem Register geben müssen . angezeigt, dass der Gesetzgeber hier auch den regulato- Unsere 150 Gewerbeämter müssen somit nicht selbst mit rischen Rahmen schafft, der dem gerecht wird . Und auch dem Verfassungsschutz in Kontakt treten . Über das Re- der Anschlag von Ansbach im Juli hat die Notwendig- gister wird nun also für alle Gewerbetreibenden sowie keit dieser Maßnahmen belegt . Dort sind Menschenleben alle Bewacher von Flüchtlingsunterkünften und zugangs- gerettet worden, weil die Einlasskontrolle der Großver- beschränkten Großveranstaltungen eine Regelabfrage anstaltung zuverlässig funktioniert hat . Weil hier gutes beim Verfassungsschutz erfolgen . Das stellt sicher, dass Personal richtig reagiert hat . Personen, die als extremistisch eingestuft werden, der Zugang zu dem Berufsfeld verweigert wird . In den parlamentarischen Beratungen haben mein Kollege Marcus Held, Berichterstatter der SPD, und ich Damit verbunden ist folgerichtig auch eine Nachbe- in enger Zusammenarbeit mit dem BMWI sehr gute Er- richtspflicht, die wir ebenfalls in den parlamentarischen gebnisse erzielt . Die Grundlage dafür waren die Ergeb- Verhandlungen in das Gesetz einbringen konnten . Sie nisse der zu dem Thema eingerichteten Bund-Länder-Ar- stellt sicher, dass auch im Zeitraum zwischen zwei Zu- beitsgruppe, in die sich viele Fachleute aus der Praxis, verlässigkeitsprüfungen sicherheitsrelevante Informa- zum Beispiel aus IHKen und Gewerbeämtern, einge- tionen aus der Extremismusbeobachtung die Gewerbe- 18942 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) ämter erreichen werden . Hierfür muss nur ein Minimum tiert sein . Staatliche und private Sicherheitskräfte sind (C) an Identifizierungsdaten über die zuverlässigkeitsüber- dann in der Lage, als gut eingespieltes Team zusammen- prüften Personen gespeichert werden . Zu einem Daten- zuarbeiten, und zwar im Interesse der inneren Sicherheit . sammeln kommt es ausdrücklich nicht, auch wenn die Das Potenzial der deutschen Sicherheitswirtschaft ist be- Rechtspolitiker der SPD davor große Angst hatten . reits hoch . Mit knapp 250 000 Mitarbeitern könnte diese Branche ein veritabler Bestandteil der deutschen Sicher- Kurzum: Ich halte die Punkte Regelabfrage und Nach- heitsarchitektur sein, aus meiner Sicht ist er es faktisch berichtspflicht in dieser Gesetzesnovelle für entschei- bereits . Allerdings sind die Qualitätsanforderungen, die dend . Denn es wäre schließlich ein schreckliches Sze- wir im Bereich der öffentlichen Sicherheit stellen, sehr nario, wenn ein unseren Verfassungsbehörden bekannter hoch . Daher braucht es einen solchen hohen Qualitäts- Islamist in einem Fußballstadion als Bewacher arbeiten standard auch in der Sicherheitswirtschaft . und dort einen Anschlag verüben könnte, nur weil der Informationsfluss vom Verfassungsschutz zu den Gewer- Wer guten Gewissens Sicherheitsdienstleistungen bebehörden nicht funktioniert . dem Sicherheitsgewerbe zuweisen möchte, der muss sich darauf verlassen können, dass die Qualität den Standards Ich freue mich, dass wir somit ein gutes, durchdachtes entspricht, die der Bürger von uns gewohnt ist und auch und mit den Praktikern abgestimmtes Gesetz verabschie- erwartet . Das sehe ich heute in der Sicherheitswirtschaft den, das die Anforderungen an die Branche angemessen noch nicht in ausreichendem Maße gewährleistet . Es anhebt . Denn es geht in der Tat um elementare, sicher- gibt erkennbare Defizite. Nur ein Beispiel dafür sind die heitspolitische Fragestellungen . zahlreichen Vorfälle der Vergangenheit, wo es in Flücht- Vielen Dank an alle, die an der Novelle von § 34a der lingsunterkünften zu erheblichem Fehlverhalten von Gewerbeordnung konstruktiv mitgewirkt haben, insbe- Sicherheitspersonal gekommen ist . Der Gesetzentwurf sondere an meinen Berichterstatterkollegen von der SPD, soll dazu dienen, die Qualitätsanforderung an deutsche Marcus Held . Sicherheitsunternehmen erkennbar zu steigern . Kurzfristig gedacht wirken diese höheren Qualitäts- Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): Ich standards vermeintlich belastend für die Unternehmen . bin dankbar, dass ich als Innenpolitiker heute die Mög- Ich bin jedoch der Überzeugung, dass sich hohe Qualität lichkeit erhalte, über den Gesetzentwurf hier sprechen zu immer durchsetzen wird . Öffentliche Auftraggeber kön- dürfen . Wer jetzt glaubt, ein Innen- und Sicherheitspo- nen viel leichter Aufgabengebiete verlagern, wenn die litiker hat hierzu garantiert sehr puristische Auffassun- Qualitätskriterien und das Image der Branche stimmen . gen – vielleicht der Wirtschaft schwer vermittelbar –, der Am langen Ende wird die Sicherheitswirtschaft davon irrt . Denn ich habe auch als ehemaliger Polizist schon profitieren, weil wir sie zu Qualität und damit auch zum (B) meine Meinung zum Thema Sicherheitswirtschaft im Erfolg ein wenig zwingen . (D) Laufe der Jahre verändert . Warum? Die Polizei kann die stetig wachsende Aufgabenfülle und die damit gestie- Nehmen wir das Beispiel Schweiz . Dort sind Quali- genen Qualitätsanforderungen immer schwerer bewälti- tätsstandards und das Image der Sicherheitswirtschaft gen . Dies liegt auch daran, dass es für die öffentlichen herausragend gut . Aus Sicht der Bevölkerung stehen sich Haushalte in Bund und Ländern immer schwieriger wird, Sicherheitsunternehmen und Polizei in fast nichts nach . die Schuldenbremse einzuhalten und gleichzeitig hohe Allerdings wird dort auch wesentlich mehr in Zulassung, Investitionsmittel im Bereich der inneren Sicherheit zur Überprüfung oder Aus- und Fortbildung investiert . Verfügung zu stellen . Deshalb erscheint mir Aufgaben- Der hier vorliegende Gesetzentwurf ist ein sehr guter kritik bei der Polizei sehr wichtig, ohne allerdings dabei und wichtiger Schritt . Wir heben die Standards und ha- das staatliche Gewaltmonopol anzutasten . ben die Anforderungen an Gewerbetreibende verschärft . Ich bin heute vielmehr der Ansicht, dass bestimmte Nicht nur Bewachungsunternehmer müssen künftig einen sicherheitsrelevante Aufgaben verstärkt von Sicherheits- Sachkundenachweis erbringen, sondern ebenso Bewa- unternehmen ausgeführt und wahrgenommen werden chungspersonal, das bei der Bewachung von Flüchtlings- können . Dass dies möglich ist, zeigt sich schon heute bei unterkünften und Großveranstaltungen in leitender und internationalen Sportveranstaltungen, Risikofußballspie- nicht leitender Funktion eingesetzt wird . In Bezug auf len, sonstigen Großveranstaltungen, Besuchen hochran- die Zuverlässigkeit ist nunmehr neben Auskünften des giger Vertreter anderer Staaten, im Bereich des öffent- Gewerbezentralregisters, der Polizeibehörde, des Bun- lichen Personenverkehrs, Schwerlasttransporten und der deszentralregisters auch die Möglichkeit einer Abfrage Bewachung von Flüchtlingsunterkünften . Nicht zuletzt bei den Landesbehörden für Verfassungsschutz gegeben . auch die von Unternehmen wahrgenommenen Sicher- Im Rahmen der Zuverlässigkeitsprüfung wird künftig für heitsaufgaben im Bereich der kritischen Infrastrukturen alle Gewerbetreibende sowie alle Bewacher von Flücht- beweisen, wie ernsthaft wir uns dieser Thematik widmen lingsunterkünften und zugangsbeschränkten Großveran- sollten . Gleichzeitig zeigen diese Beispiele, wie die Po- staltungen eine Regelabfrage beim Verfassungsschutz lizei und damit der öffentliche Haushalt entlastet werden erfolgen . Des Weiteren haben wir gesetzliche Regelbei- kann . spiele, die eine Unzuverlässigkeit begründen, eingeführt . Insbesondere das bundesweit einzuführende Bewacher- Sicherheit darf natürlich nicht abhängig sein von der register war uns sehr wichtig, und hier danke ich aus- Frage, welche finanziellen Mittel zur Verfügung stehen. drücklich meiner Fraktionskollegin Frau Dr . Schröder für Deshalb muss der Kern staatlicher Aufgabenwahrneh- ihren Einsatz . Man könnte es auch als Gunst der Stunde mung, also das Gewaltmonopol des Staates, klar garan- bezeichnen, denn sie als ehemalige Innenpolitikerin hat Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18943

(A) hier eine sehr gute Balance zwischen Wirtschafts- und hatte, die bisher seriösen privaten Sicherheitsgewerbe zu (C) Innenpolitik erreicht . stärken, die sich nichts haben zuschulden kommen lassen und gut qualifiziertes Personal haben, und die schwarzen Die Union sieht das bisher Erreichte als Erfolg, kann Schafe, die es ja leider auch im privaten Sicherheitsge- sich aber in Zukunft noch weitere Schritte in diese Rich- werbe gibt, einzudämmen . Mit unter anderen folgenden tung vorstellen . Maßnahmen soll dies zukünftig gelingen: Sachkunde- Vor dem Hintergrund der zunehmenden Bedeutung der nachweise als Erlaubnisvoraussetzung für Bewachungs- Branche halten wir ein sektorspezifisches Gesetz durch- unternehmer, Sachkundenachweise für Bewachungsper- aus für angemessen .Sinn und Zweck einer gewerblichen sonal in leitender Funktion, das Flüchtlingsunterkünfte Bewachung – so die Intention des § 34a GewO – ist der oder zugangsgesicherte Großveranstaltungen bewacht, gewerbsmäßige Schutz fremden Lebens und Eigentums . die Möglichkeit einer Anfrage beim Verfassungsschutz Die Sicherheitswirtschaft hat sich mittlerweile jedoch zu bezüglich des Bewachungsunternehmers und von Wach- einem so wichtigen und vielfältigen Teil der Sicherheits- personen, die Flüchtlingsunterkünfte oder Großveran- architektur entwickelt, dass es immer schwererfällt, dies staltungen bewachen sollen und regelmäßige Überprü- alles unter lediglich eine Vorschrift des Gewerberechts fung der Zuverlässigkeit des Bewachungsunternehmers zu subsumieren . Ein einheitliches Gesetz erschiene mir und des -personals . hier angemessener . Das Herzstück des Gesetzes ist allerdings die Ein- Des Weiteren sollten wir in einem nächsten Schritt richtung eines Bewacherregisters bis zum 31 . Dezember überlegen, ob eine einheitlich geregelte Berufsausbil- 2018 . Hier sollen die Daten der Bewachungsunternehmer dung generell als Zugangsvoraussetzung für eine Tätig- und des -personals bundesweit erfasst werden . In einer keit im Sicherheitsgewerbe den gestiegenen Anforde- Verordnung wird zusätzlich geregelt, dass das Mitführen rungen und einem besseren Image dieses Berufsstandes eines Bewacherausweises zzgl . das Mitführen von Iden- nicht zuträglich wäre . tifizierungsdokumente verpflichtend wird. Abschließend möchte ich aber noch einmal betonen, Ein, wie ich finde, guter Gesetzentwurf, den wir heute dass wir mit dem heute vorgelegten Gesetzesentwurf zu beschließen haben . Doch eins möchte ich hier eben- deutlich mehr Sicherheit und Qualität im Sicherheits- falls nicht unerwähnt lassen . Die innere Sicherheit ist ne- gewerbe auf den Weg bringen . Ich bitte Sie um Zustim- ben der äußeren und der sozialen Sicherheit ein wichtiges mung . Bedürfnis für unsere Bürgerinnen und Bürger . Die hohe Abfrage beim KfW-Förderprogramm zum Einbruchs- Marcus Held (SPD): Heute behandeln wir abschlie- schutz zeigt dies . Hier muss auch ein Schwerpunkt unse- (B) ßend den Regierungsentwurf zur Änderung bewa- rer parlamentarischen Arbeit liegen . (D) chungsrechtlicher Vorschriften . Es ist ein gutes Gesetz Das Ende der Einsparungen bei der Bundespolizei in geworden, was wir zusammen in der Koalition im par- den letzten Jahren konnte die SPD gegenüber dem Koa- lamentarischen Verfahren erarbeitet haben . Mein Dank litionspartner zum Glück durchsetzen . Mehr Bundespoli- gilt deswegen auch den Unionskolleginnen und -kolle- zisten werden in den nächsten Jahren wieder eingestellt . gen und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Auch in den Ländern darf beim Polizeipersonal nicht ge- Bundesministerien für die gute Zusammenarbeit . Es ist spart werden . wichtig, dass wir dieses Gesetz nun auf den Weg bringen . Denn nach verschiedenen Vorfällen und Übergriffen in Qualifizierte Sicherheitsunternehmen werden zu- Flüchtlingsheimen, aber auch im Hinblick auf Großver- künftig die Sicherheitsstruktur in Deutschland stärken anstaltungen brauchen wir vor allem ein gutes Überwa- können . Ich bin mir sicher, dass der vorliegende Ge- chungsgewerbe mit qualifiziertem Personal. Ein solches setzentwurf dies umsetzen wird, sodass seriöse private konnte ich jüngst auch in meinem Wahlkreis kennenler- Sicherheitsunternehmen mit gut ausgebildetem Personal nen, das ich dann auch in meiner Funktion als ehrenamt- gestärkt werden und Vorfälle, wie wir sie in der Vergan- licher Stadtbürgermeister von Oppenheim für das hiesige genheit in Flüchtlingsunterkünften oder Großveranstal- Weinfest engagiert hatte . Die Medien waren nach dem tungen erleben mussten, verhindert werden können . viertägigen Weinfest voll des Lobes über dieses Unter- nehmen . Denn es gab nur wenige Zwischenfälle auf dem Weinfest . Der Oppenheimer Polizeichef wird in den Me- Thomas Lutze (DIE LINKE): Die private Sicher- dien mit den Worten zitiert: „Das war eine gute Maßnah- heitsbranche ist im Zuge der verstärkten Flüchtlingszu- me, sie sind zivil und deeskalierend, aber sehr präsent wanderung deutlich gewachsen . Rund 10 000 der rund aufgetreten “. Deshalb gab es auf dem Fest auch keinen 219 000 Beschäftigten im Bewachungsgewerbe sind einzigen Taschen- oder Handydiebstahl . inzwischen in Flüchtlingsunterkünften tätig . Gab es im Jahr 2000 noch 2 570 Wach- und Sicherheitsdienste, sind Private Sicherheitsdienste sind, wie ich bereits mehr- nun etwa 4 000 Firmen auf dem Markt . Die Zahl der mals betont habe, ein wichtiger Bestandteil in der Sicher- Mitarbeiter ist innerhalb der letzten sechs Jahre in der heitsarchitektur Deutschlands und an vielen Stellen nicht gesamten Branche um 48 000 angestiegen . Jene Mitar- mehr wegzudenken . Immerhin über 200 000 Beschäftig- beiter, die im Bereich des Schutzes von Flüchtlingsun- te hat das Sicherheitsgewerbe . Deswegen haben wir uns terkünften tätig sind, tragen oftmals Waffen, obwohl sie in der SPD-Bundestagsfraktion auch intensiv mit dem im Durchschnitt nur etwa zwei Wochen geschult werden . Thema auseinandergesetzt . Dabei galt es, wie ich dies am Die Liste der Vorfälle, in denen es in den letzten Jahren zu Beispiel der Security-Firma in meinem Wahlkreis betont Fehlverhalten und Straftaten durch Sicherheitspersonal 18944 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) kam, ist lang . Die Linksfraktion begrüßt es daher, dass Hier wäre eine inhaltliche Reglung wichtig, die an- (C) die Bundesregierung angesichts der weiter steigenden gemessen auf die unterschiedlichen Einsatzgebiete und Zahl von Bewachungsunternehmen erhöhte Standards die damit jeweils verbundenen Anforderungen eingeht . einführen möchte, ebenso die regelmäßige Überprüfung Aus genau diesem Grund reicht es auch nicht, wenn bei- von Unternehmen und Personal . Es ist überfällig, dass spielsweise im Flüchtlingsbereich nur bei einer leitenden gesetzlich sichergestellt wird, dass die Gewerbetreiben- Funktion eine Sachkundeprüfung verlangt wird . Das den und das Personal Standards der persönlichen Eig- wird der übertragenen Aufgabe nicht gerecht und schafft nung, Zuverlässigkeit und Sachkunde erfüllen . Obwohl auch im Übrigen nicht die Grundlage für eine gute Zu- wir einzelne Maßnahmen begrüßen und glauben, dass sie sammenarbeit mit staatlichen Stellen . eine Verbesserung darstellen, ist der Gesetzentwurf ins- Auch wäre es sinnvoll, konkrete Regelungen vorzuse- gesamt jedoch ungenügend . hen, die geeignet sind, bei privaten Sicherheitsdiensten die im öffentlichen Interesse notwenige Transparenz her- Hierbei ist insbesondere die vorgesehene Möglichkeit zustellen . Das gilt dabei besonders für die Sicherheits- des Datenabgleichs mit den Landesämtern für Verfas- dienste, die im staatlichen Auftrag tätig werden . Denn sungsschutz zu kritisieren . Es ist nicht geregelt, ob die gerade im staatlichen Auftrag müssen hohe Maßstäbe Landesämter lediglich melden, ob es einen Treffer im gelten und auch eingehalten werden . Anders ist die Mit- nachrichtendienstlichen Informationssystem gibt oder wirkung privater Dienstleister an der Gemeinschaftsauf- nicht oder ob die Landesämter im eigenen Ermessen eine gabe „Innere Sicherheit“ jedenfalls nicht vorstellbar und Zuverlässigkeitsprognose abgeben sollen . Nicht nach- auch nicht zielführend . vollziehen können wir, dass die Regelungen zum Fach- kundenachweis nur bei bestimmten Tätigkeiten, nicht Und dabei muss auch klar sein und klar bleiben, dass aber im gesamten Wachschutzgewerbe gelten sollen . das staatliche Gewaltmonopol nicht aufgeweicht werden Letztendlich fehlen auch konkrete Vorgaben hinsichtlich darf . Schließlich gibt es gute Gründe, die Ausübung ho- des genauen Inhalts und der Qualität der Ausbildung . heitsrechtlicher Befugnisse in der Regel nur Angehöri- Zwar wird durch verstärkte Kontrolle und ein bisschen gen des öffentlichen Dienstes zu übertragen . mehr Transparenz auf die katastrophale Situation reagiert, Der vorliegende Gesetzentwurf bleibt somit trotz ei- jedoch ändert das nichts daran, dass die gegenwärtige niger Verbesserungen weiter hinter dem Antrag meiner Entwicklung der Privatisierung von Sicherheitsaufgaben Fraktion vom Dezember 2014 zurück . ganz grundsätzlich bedenklich ist . Es wird Zeit, dass hier grundlegend umgedacht wird . Dass man dazu aber nicht Wie sich das Gesetz in der Praxis bewähren wird, bereit ist, zeigen die verschiedenen Rufe der Union nach hängt jetzt aber auch davon ab, wie der Vollzug ausge- staltet wird, wobei die wahrscheinlich wichtigste Fragen (B) mehr sogenannten Hilfspolizisten . Deren Ausbildung (D) im Schnellverfahren ist aber ganz sicherlich nicht der lauten dürfen: Wird die Zuverlässigkeitsprüfung dazu richtige Weg . Nach maximal drei Monaten Ausbildung führen, dass zukünftig keine bekennenden Rechtsextre- bereits mit Schusswaffe in Flüchtlingsunterkünften ein- men mehr in Flüchtlingsunterkünften eingesetzt werden? gesetzt zu werden, wo schnell eine Situation entstehen Wird das geforderte Register so aufgebaut, dass tatsäch- kann, unter großem Stress eine Entscheidung zu treffen, lich wirksame Kontrollen vor Ort möglich werden? kann verheerende Folgen haben . Hierzu braucht es viel- Ich hoffe, da wurde in den letzten zwei Jahren auch mehr eine intensive Polizeiausbildung und umfassende schon Vorarbeit geleistet . Wenig ambitioniert erscheint Rechtskenntnisse . Letztendlich handelt es sich hierbei mir da aber, dass wesentliche Regelungen zur Zuverläs- um jene Ausbildung, welche private Sicherheitsdienste sigkeitsprüfung erst 2019 in Kraft treten sollen . nur in deutlich geringerem Maße gewährleisten . Daran werden auch die nun geplanten erhöhten Standards nichts Eines muss uns allen jedenfalls klar sein: Vorkomm- ändern. Deshalb findet der vorliegende Antrag bei der nisse wie die von 2014 dürfen sich nicht wiederholen! Linken keine Zustimmung .

Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Inzwi- Anlage 14 schen sind zwei Jahre vergangen, seit 2014 die schweren Zu Protokoll gegebene Reden Übergriffe von Mitarbeitern privater Sicherheitsdienste auf Menschen in Flüchtlingsunterkünften stattgefunden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des haben . Berichts zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Axel Troost, Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, weite- Zeit genug also, ein umfassendes Regelungskonzept rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: zu erarbeiten – sollte man meinen . Daher wundert mich Solidaritätszuschlag für gleichwertige Lebensver- schon, dass im vorliegenden Entwurf nach – zahlreichen hältnisse in ganz Deutschland verwenden (Tages- zum Teil auch guten Änderungen – der Bereich Aus-, ordnungspunkt 19) Weiter- und Fortbildung nun letztlich weitgehend ausge- klammert bleiben soll . Dabei sind das doch gerade die Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): Liebe Kollegin- entscheidenden Instrumente, mit denen am besten Qua- nen und Kollegen der Linken, auch ich bin der Meinung, lität gefördert und der notwenige Schutz der Grund- und dass der Bund auch nach dem Auslaufen des Solidarpak- Menschenrechte in der täglichen Arbeit verankert wer- tes II Ende 2019 mit in der Verantwortung ist, für gleich- den kann . wertige Lebensverhältnisse in Deutschland zu sorgen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18945

(A) Ich sehe die Lösung allerdings nicht wie Sie in der Es ist also kein Argument des Antrags der Linken (C) Fortführung des Solidaritätszuschlags, der schon jetzt stichhaltig genug für mich, um den Solidaritätszuschlag nicht zweckgebunden in die Finanzierung der deutschen bis in alle Ewigkeit aufrechtzuerhalten und womöglich Einheit, sondern in den allgemeinen Bundeshaushalt regelmäßig neue Verwendungszwecke für ihn zu suchen . fließt. Gleichwohl werden vom Bund enorme Lasten für Eine glaubwürdige Haushalts- und Finanzpolitik sieht die Entwicklung der neuen Länder geschultert . für mich und die Union anders aus . Daher kann die Uni- onsfraktion den Antrag der Linken nur ablehnen . Was den Bundeshaushalt angeht, erwarten wir weiter- hin eine gute Entwicklung der Steuereinnahmen . Gleich- zeitig sparen wir aufgrund des Niedrigzinsumfelds und Anja Karliczek (CDU/CSU): Die Menschen in ganz der soliden Haushaltspolitik unseres Finanzministers Deutschland haben mit dem Solidaritätszuschlag Großar- Zinsausgaben . tiges geleistet . Sie haben mit diesem Geld zum Gelingen der deutschen Einheit und zur insgesamt guten Entwick- Angesichts einer derartig guten Kassenlage finde ich lung in Ost und West beigetragen . Dass es uns heute in es den Steuerzahlern gegenüber unverantwortlich, zu for- Deutschland so gut geht wie niemals zuvor in der Bun- dern, eine Abgabe auf alle Ewigkeit weiterzuführen, bei desrepublik, daran haben die Beiträge durch den Solida- deren Einführung wir den Bürgern versprochen hatten, ritätszuschlag einen hohen Anteil . Das verdient höchste dass sie nur auf Zeit erhoben werden würde . Anerkennung . Abgesehen davon gibt es nicht unberechtigte Zwei- Der Solidaritätszuschlag wurde 1991 erstmalig erho- fel hinsichtlich der Verfassungsgemäßheit unbegrenzter ben und zwar – das wird nach nunmehr 25 Jahren häufig Fortführung . Und diese Ansicht wird von den Spitzen vergessen – zunächst befristet für zwölf Monate . Diese der Union geteilt: Im vergangenen Jahr haben sie sich Befristung wurde 1995 aufgehoben . Der Solidarpakt II auf einen schrittweisen Abbau des Soli ab dem Jahr 2020 zum Aufbau der ostdeutschen Länder und zur Bewäl- geeinigt . Ein solches Vorgehen halte ich sowohl für haus- tigung der einheitsbedingten Lasten ist hingegen nicht haltsverträglich als auch dem Steuerzahler gegenüber befristet . Er läuft 2019 aus . Zwar besteht entgegen der verantwortbar . Und damit ist es ein Vorhaben, das die öffentlichen Wahrnehmung kein rechtlicher Zusammen- CSU-Landesgruppe voll und ganz unterstützt . hang zwischen dem Soli als einer Ergänzungsabgabe und dem Solidarpakt II als Bundesergänzungszuweisungen . Eine Lösung für die finanzielle Ausstattung finanz- Aber es besteht für die Menschen ein ideeller Zusam- schwacher Länder – unabhängig von der Himmelsrich- menhang zwischen beidem . Das ist der Grund, warum tung – zu finden, ist meines Erachtens in erster Linie die Bürgerinnen und Bürger spätestens 2019 eine klare eine Aufgabe, die bei der laufenden Neuordnung der Aussage über die Zukunft des Solidaritätszuschlags er- (B) Bund-Länder-Finanzbeziehungen gelöst werden muss . warten, und das ist der Grund, warum wir 2019 mit dem (D) Hier liegen bereits Vorschläge auf dem Tisch, die durch- zumindest stufenweisen Abbau des Solidaritätszuschlags aus ohne eine Beibehaltung des Soli auskommen . Und in der kommenden Legislaturperiode beginnen sollten . auch der Bund stiehlt sich hier nicht aus der Verantwor- tung, sondern ist bereit, einen erheblichen finanziellen Der Solidaritätszuschlag darf nicht zu einer Dauerab- Beitrag zu leisten . gabe werden . Aber wir werden den Soli nicht von jetzt auf gleich abschaffen können . Das müssen wir den Men- Der Bund leistet schon jetzt enorme Unterstützung schen ehrlich sagen . Die Reduzierung muss im Einklang insbesondere für die Kommunen . Hier erinnere ich zum mit unserem Haushalt stehen . Beispiel auch an den 3,5 Milliarden Euro umfassenden Kommunal-Investitionsförderungsfonds, aus dem ins- Die gute wirtschaftliche Entwicklung hat dazu geführt, besondere Investitionen finanzschwacher Kommunen dass die Steuereinnahmen weit über den Erwartungen lie- gefördert werden . Durch eine zusätzliche Unterstützung gen . Das gibt uns die Möglichkeit, unseren Haushalt wei- in anderen Bereichen, die ein Vielfaches dessen beträgt, ter zu konsolidieren und gleichzeitig für eine Entlastung werden die Kommunen weiter entlastet, was ihnen zu- der Bürgerinnen und Bürger zu sorgen. Damit profitieren sätzliche Investitionsspielräume eröffnet . sie ganz unmittelbar von der guten Wirtschaftslage . Immer wieder haben wir den Abbau des sogenannten Noch ein Wort zum Gerechtigkeitsaspekt: Im Antrag Mittelstandsbauchs angemahnt . Aus Rücksicht auf die der Linken ist die Rede davon, dass von einem Wegfall allgemeine Haushaltslage mussten wir dieses Vorhaben des Soli vor allem Gutverdiener profitieren. Das ist rich- aber immer wieder zurückstellen . Jetzt ist die Zeit, damit tig, aber auch nur eine Seite der Medaille . Eine andere Ernst zu machen . Betrachtungsweise ist, dass Gutverdiener seit 25 Jahren überproportional zum Aufkommen des Soli beitragen – Das etappenweise Abschmelzen des Soli bedeutet ein Aspekt, der im Antrag gern verschwiegen wird . Dass nicht das Ende der Verpflichtung, die wir uns gegeben sie das tun, ist auch gerecht . Aber genauso gerecht und haben: für gleiche Lebensverhältnisse in allen Himmels- zwangsläufige Folge ist, dass sie bei seiner Abschaffung richtungen Deutschlands zu sorgen und die strukturellen auch entsprechend profitieren. Und Sie wissen, dass die Unterschiede zwischen den Ländern möglichst auszu- Union ein Steuerreformvorhaben entwickelt, wodurch gleichen . Ganz im Gegenteil: Daran werden wir weiter vor allem durch den Abbau des sogenannten Mittel- arbeiten . Die Zukunft des Solidaritätszuschlags kann standsbauches und der Beseitigung der kalten Progres- aber nur in der Gesamtsicht einer Einigung mit den Län- sion untere und mittlere Einkommen entlastet werden dern innerhalb der Neuregelung der Finanzbeziehungen sollen . zwischen Bund und Ländern entschieden werden . Darü- 18946 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) ber wird derzeit intensiv beraten . Besonderes Augenmerk Geld für Bildung, Infrastruktur, Breitbandausbau und (C) legen wir dabei auf die finanzielle Ausstattung der Kom- viele andere Dinge, die lebenswerte Kommunen ausma- munen und darauf, wie die Finanzen zwischen Bund und chen . Ländern verteilt sind . So sieht es ja auch die Bundeskanzlerin, die noch im In dem Antrag der Fraktion Die Linke wird vorge- Dezember 2014 erklärt hat: „Wir werden auf jeden Fall schlagen, die Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag auch nach dem Auslaufen des Solidarpakts auf die Ein- auch für die kommunale Daseinsvorsorge einzusetzen . nahmen aus dem Solidaritätszuschlag angewiesen sein “. Der Bund investiert bereits große Summen zur Entlas- An dieser Feststellung hat sich bis heute nichts geändert . tung der Bürger, und er wird dies weiter tun . Die Kommu- Wie sollte der Staat auch plötzlich auf Einnahmen von nen werden allein von 2012 bis 2017 um 30 Milliarden 15 bis 20 Milliarden Euro im Jahr verzichten, ohne seine Euro entlastet, zum Beispiel bei den Sozialleistungen, Aufgaben massiv zu vernachlässigen? Ich möchte den- insbesondere der Kinderbetreuung, der Grundsicherung jenigen sehen, der die seitenlange Liste mit Kürzungs- im Alter bei Erwerbsminderung . Die Bundesbeteiligung vorschlägen für diejenigen staatlichen Leistungen prä- an den Kosten der Unterkunft liegt in den Jahren 2015 sentiert, die wir uns dann nicht mehr leisten können . Wer bis 2017 bei 14,2 Milliarden Euro . Bei der Förderung den Solidaritätszuschlag ersatzlos abschaffen will, muss von Investitionen für Land und Kommunen wurden von darum auch sagen, wie er das finanzieren will. Das gilt der Bundesregierung 3,5 Milliarden Euro Fördergelder umso mehr für Forderungen nach noch weitergehenden aufgelegt. Allein in dieser Wahlperiode fließen rund die Steuerentlastungen . Hälfte der 23 Milliarden Euro der prioritären Maßnah- men aus dem Koalitionsvertrag an die Länder und Kom- Warum lehnen wir es als SPD-Fraktion ab, die Steuer­ munen . Das ist eine Leistung des Bundes . einnahmen des Staates so massiv zu beschneiden? Mehr als 25 Jahre nach der Deutschen Einheit sehen wir heute, Ziel der Bund-Länder-Verhandlungen muss es jetzt dass sich die Lebensverhältnisse in Deutschland immer sein, eine Gesamtregelung zu finden, die nachhaltig ist, noch stark unterscheiden – ja, die Unterschiede nehmen die tragfähig ist und die jeder Ebene unseres föderalen sogar wieder zu . Inzwischen sind es zum Glück weni- Systems gerecht wird, die aber auch klar die Verantwort- ger die Unterschiede zwischen Ost und West, die uns die lichkeiten einer jeden Ebene bemisst . Und – das möchte größten Sorgen machen . Die Solidarpakte I und II haben ich noch einmal hervorheben –: Wir müssen mit Blick hier viel Gutes bewirkt . Umso größere Sorgen bereiten auf die Schuldenbremse handlungsfähig bleiben . Auch uns heute strukturschwache, häufig altindustrielle und das gilt für jede unserer staatlichen Ebenen . Das bedeu- schrumpfende Gebiete in einigen Teilen Deutschlands, tet auch: Es darf keine Besserstellung der Länder allein die besonders stark vom demografischen Wandel betrof- (B) auf Kosten des Bundes geben . An der Konsolidierung der fen sind . (D) Haushalte haben sich die Länder angemessen zu beteili- gen . Die Bundesländer tragen Verantwortung für die Fi- Schwierig ist die Situation etwa in Teilen der ostdeut- nanzen ihrer Kommunen . Diese müssen sie wahrnehmen . schen Bundesländer, im Ruhrgebiet oder im Saarland, Und ich meine: Sie müssen sie sogar in einem höheren aber eben nicht nur dort . Eines der Länder mit den größ- Umfang wahrnehmen, als das bisher der Fall ist . Das ist ten Unterschieden zwischen den einzelnen Regionen ist der Weg, um eine gute Entwicklung in allen Landesteilen heute Bayern: Die Lebensbedingungen am Starnberger fortzusetzen und nachzusteuern, wo es notwendig ist . See sind meilenweit entfernt von denen im Bayerischen Wald . Diese neuen regionalen Ungleichheiten verlaufen somit nicht mehr nur zwischen Ost und West und auch Bernhard Daldrup (SPD): Der Solidaritätszuschlag nicht ausschließlich entlang des alten Stadt-Land-Gefäl- oder Soli hat einen etwas missverständlichen Namen . les . Schließlich handelt es sich hierbei letztlich um nichts anderes als eine Steuer, wenn auch in Form einer Son- Wenn wir es mit der Gleichwertigkeit der Lebensver- derabgabe . Derzeit bringt der Solidaritätszuschlag dem hältnisse ernst meinen und überall in Deutschland le- Bund jährliche Einnahmen von rund 15 Milliarden Euro . benswerte Kommunen erhalten wollen, brauchen wir ei- nen neuen Solidarpakt für Deutschland: ein solidarisches Bei seiner Einführung wurde der Solidaritätszuschlag Projekt, um das Auseinandergehen der Lebensverhältnis- schlicht mit der „Finanzierung der Vollendung der Einheit se zwischen wachsenden und schrumpfenden Regionen Deutschlands“ begründet . Trotzdem ist er nicht identisch zu bekämpfen . Ein solcher Solidarpakt wird sich daran mit dem Solidarpakt, dem Finanzrahmen für die Aufbau- orientieren, wo der Bedarf am größten ist – und nicht, leistungen in Ostdeutschland nach der Einheit . Der Soli- wie in der Vergangenheit, lediglich an der Himmelsrich- darpakt läuft 2019 aus, der Solidaritätszuschlag – also die tung . Das wird Geld kosten . In einer solchen Situation Steuer – ist hiervon jedoch unabhängig . Der Solidaritäts- auf Einnahmen von 15 bis 20 Milliarden Euro zu ver- zuschlag ist darum auch nicht zeitlich befristet . zichten, wäre darum der völlig falsche Weg . Es gibt Leute, die nun fordern, man müsse den Soli- Am Instrument des Solidarzuschlags hängen wir da- daritätszuschlag abschaffen, weil er seinen Sinn verloren bei allerdings nicht . Man kann ja tatsächlich die Frage habe . Das halte ich für falsch . Ich teile vielmehr die Ein- stellen, ob eine Sonderabgabe, wie sie der Soli nun ein- schätzung der Fraktion Die Linke, dass wir dieses Geld mal ist, ein geeignetes Instrument für die langfristige Si- auch künftig dringend benötigen, um für die Gleichwer- cherung der staatlichen Einnahmen ist . Insofern sind wir tigkeit der Lebensverhältnisse in Deutschland zu sorgen, bei der Frage nach der Zukunft der Sonderabgabe So- so wie es das Grundgesetz vorschreibt . Wir brauchen das lidarausgleich durchaus gesprächsbereit . Ich erinnere an Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18947

(A) den gemeinsamen Vorschlag von Bundesfinanzminister führen alle Beteiligten viele Gespräche . Mit Auslaufen (C) Dr .W olfgang Schäuble und Hamburgs Erstem Bürger- des Solidarpaktes II im Jahre 2019 steht auch zur Dis- meister , die im Rahmen der Verhandlungen kussion, was mit dem Solidaritätszuschlag passieren soll . zum Länderfinanzausgleich vorgeschlagen hatten, den Der hier zu beratende Antrag der Kollegen der Fraktion Soli in die Einkommenssteuer zu integrieren . Dieser Vor- der Linken beschäftigt sich ebenfalls mit der Zukunft des schlag ist leider an der CSU gescheitert . Solidaritätszuschlages . Die Linken betonen in ihrem An- trag den großen Beitrag, den der Solidaritätszuschlag für Aus Sicht der SPD ist somit nicht wichtig, ob das In- die Wiedervereinigung Deutschlands geleistet hat, und strument des Solidarzuschlags in seiner jetzigen Form fordern, ihn weiterhin als Instrument einzusetzen, um für erhalten bleibt . Entscheidend ist für uns vielmehr, das gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland zu sor- Einnahmevolumen des Solis langfristig zu erhalten, um gen . Sie fordern in dem Antrag von der Bundesregierung die notwendigen Investitionen in die Zukunftsfähigkeit deshalb zum einen, den Solidaritätszuschlag in seiner jet- unseres Landes zu ermöglichen . zigen Höhe und Form als Bundessteuer beizubehalten . An diesen Überlegungen merkt man: Man kann die Zum anderen fordern sie die Bundesregierung auf, Vor- Zukunft des Solidaritätszuschlags nicht diskutieren, ohne schläge zu unterbreiten, wie der Soli zukünftig zur Her- das gesamte Konstrukt der Bund-Länder-Finanzbezie- stellung und Sicherung gleichwertiger Lebensverhältnis- hungen in den Blick zu nehmen . Letztlich geht es um die se in Deutschland verwendet werden kann – ob über eine Frage, wie Solidarität in diesem Land organisiert werden Finanzierung eines Vorausgleichs zwischen den Ländern, muss . einer Aufstockung kommunaler Infrastruktur- und Inves- titionsmittel oder eines Solidarpaktes III . Das ist auch der Grund, warum wir den Antrag ab- lehnen . Zwar geht der Antrag inhaltlich in die richtige Wir als SPD-Fraktion teilen die Ansicht, dass der Soli- Richtung, bei den konkreten Forderungen springt er aber daritätszuschlag in der Vergangenheit unentbehrlich war zu kurz: Die Linke fordert, den Solidaritätszuschlag in und auch immer noch ist, um die Solidarpakte I und II fi- seiner jetzigen Form und Höhe beizubehalten . Das ist nanziell zu stützen . 2015 betrugen die Einnahmen durch uns zu unflexibel und zu starr. Richtig ist, dass wir auf den Soli, die allein dem Bund zustehen, knapp 16 Mil- das Einnahmevolumen des Solis nicht leichtfertig ver- liarden Euro . Auf Grundlage des Solidaritätszuschlags- zichten sollten . Auf welche Weise wir diese Einnahmen gesetzes wird der Soli erhoben als Ergänzungsabgabe jedoch sichern, ist dabei nachrangig . Denkbar sind hier zur Einkommensteuer, Kapitalertragsteuer und Körper- verschiedene Lösungswege: von der Integration des Soli schaftsteuer . in die Einkommenssteuer bis hin zu den verschiedenen Es ist richtig, die Beratungen zur Neuordnung der Formen einer neuen Gemeinschaftsaufgabe . Bund-Länder-Finanzen auch dazu zu nutzen, die Struk- (B) (D) tur des Solidaritätszuschlages anzupassen . Es gibt aller- Dr. Jens Zimmermann (SPD): Die Frage, wie wir dings verschiedene Vorschläge, wie der Soli umstruktu- in Deutschland gleichwertige Lebensverhältnisse schaf- riert werden soll . Die Diskussion dreht sich darum, ob fen können, steht auf der Agenda der Bundesregierung der Soli schrittweise abgebaut oder in anderer Form bei- und auch der Bundesländer weiterhin ganz oben . Gleich- behalten werden soll . Einig sind wir uns in der Großen wertige Lebensverhältnisse bedeuten aus sozialdemokra- Koalition jedenfalls darüber, dass es aus haushälterischer tischer Sicht, dass die Menschen ihre Grundbedürfnisse Perspektive für den Bund problematisch wäre, den Soli befriedigen und am gesellschaftlichen Leben teilhaben auf einen Schlag abzuschaffen . Der Bund braucht auch können . Wir wollen, dass Deutschland ein gerechtes und für die kommenden Jahre einen finanziellen Spielraum erfolgreiches Land bleibt – ein Land, in dem die Gesell- für Investitionen . Aus unserer Sicht geht es einerseits um schaft zusammenhält . die Frage, wie die Einnahmen aus dem Soli langfristig Die Einheitsfrage stellt sich inzwischen neu, nicht auch den Ländern und Kommunen für ihre Aufgaben mehr nur zwischen Ost und West, sondern quer durchs zugutekommen können . Und andererseits geht es da- Land . Die Schere zwischen prosperierenden und notlei- rum, nicht in verfassungsrechtliche Schwierigkeiten zu denden Kommunen geht weiter auseinander . Gleichwer- geraten . Denn der Solidaritätszuschlag ist als sogenann- tige Lebensverhältnisse, für die der Bund verfassungsmä- te Ergänzungszuweisung von seinem Wesen her zwar ßig gemäß Artikel 72 Absatz 2 GG in der Verantwortung zeitlich nicht befristet, aber eigentlich als eine vorüber- steht, sind kein Garant, aber eine wichtige Grundlage für gehende Zusatzabgabe für die Arbeitnehmer gedacht . den Zusammenhalt einer Gesellschaft . Für diesen Zu- Deshalb gibt es immer wieder Diskussionen um die sammenhalt sorgen in Deutschland die sozialen Trans- Verfassungsmäßigkeit des Soli . Unter anderem das Nie- fersysteme, die für unterschiedliche Lebenssituationen dersächsische Finanzgericht vertritt deshalb die Auffas- individuelle Unterstützung bieten . Mindestlohn, Miet- sung, dass – auch unter Berücksichtigung der sprudeln- preisbremse oder die Erhöhung des Wohngeldes sind nur den Haushaltseinnahmen des Bundes – die Erhebung des einige Beispiele für sozialdemokratische Errungenschaf- Soli verfassungswidrig sei . Momentan steht hierzu eine ten in der aktuellen großen Koalition . Entscheidung des BVerfG noch aus . Deshalb halten wir es für sinnvoll – und diese Ansicht teilen wir mit vielen Finanzpolitisch geht es bei der Frage der Schaffung Bundesländern –, den Soli nach 2019 in die Einkommen- gleichwertiger Lebensverhältnisse darum, für die Zeit steuer zu integrieren . So müsste der Bund langfristig nicht nach 2019 die Bund-Länder-Finanzbeziehungen neu zu vollständig auf die Einnahmen aus dem Soli verzichten, regeln, und zwar so, dass Kommunen in Ost- und West- und Länder und Kommunen würden über die bestehen- deutschland je nach Bedürftigkeit Mittel erhalten . Dafür den Regelungen der Finanzverfassung automatisch einen 18948 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) Teil der Einnahmen erhalten . Mit einer Integration des haltenden Bedarf an, nämlich die strukturschwachen (C) Soli in den Einkommensteuertarif würde man außerdem Regionen in den neuen Bundesländern wie auch in den auch der Diskussion um die Verfassungsmäßigkeit des alten . Deshalb dürften die Entwicklungsmaßnahmen Solidaritätszuschlages aus dem Weg gehen . für notleidende Regionen nicht mit dem auslaufenden Solidarpakt II enden . Leider folgten ihren Worten keine Wir wollen zukünftig auch die Länder und Kom- Taten, ein dritter Solidarpakt III ist nicht einmal offen munen an den Einnahmen aus dem Soli beteiligen und angedacht, geschweige denn in Planung . Im Gegenteil gleichzeitig verfassungsrechtliche Probleme vermeiden . wird alle Jahre wieder, gerade auch von Bundesfinanz- Für beide Anliegen bietet der vorliegende Antrag keine minister Schäuble, sogar eine schrittweise Abschaffung Lösung an . Deshalb lehnen wir den Antrag ab . des Solis ins Spiel gebracht . Das sind schlicht populisti- sche Spielchen auf Kosten abgehängter Regionen in ganz Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Seit vielen Jahren gibt Deutschland . es immer wieder Debatten um den Soli . Von konservati- ver und liberaler Seite werden dabei eine Vielzahl von Dagegen bringt die Linke den Antrag „Solidaritäts- Mythen und Verdrehungen in die Welt gesetzt, um ihn zuschlag für gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz in der Bevölkerung unbeliebt zu machen . Immer wieder Deutschland verwenden“ ein . Darin enthalten sind kon- wird behauptet, der Soli sei erstens zeitlich beschränkt, krete Vorschläge zu seiner künftigen Verwendung . Falls stelle zweitens eine große finanzielle Belastung für die dieser Vorschlag von der Regierungskoalition im Plenum Bürgerinnen und Bürger dar, sei drittens ausschließlich abgelehnt wird, fordern wir sie auf, eine eigene Initiati- für den Aufbau Ost bestimmt gewesen und viertens nicht ve dazu auf den Weg zu bringen . Investieren Sie in die mehr verfassungsgemäß, da fünftens dieser Zweck nun flächendeckende Zukunftsfähigkeit Deutschlands, und vollendet sei . Lassen Sie mich diese fünf Punkte rich- legen Sie endlich einen dritten Solidarpakt auf . tigstellen . Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Erstens ist der Solidaritätszuschlag eine Bundessteuer Fraktion Die Linke fordert in ihrem Antrag, den Solidari- ohne Verfallsdatum . tätszuschlag beizubehalten . Auch wir glauben, dass nicht Zweitens trifft der Soli nicht die kleinen Einkommen, so ohne Weiteres auf die Einnahmen des Solis verzichtet sondern vor allem die Besser- und Spitzenverdiener so- werden kann, wie zum Beispiel Herr Schäuble dies be- wie die Kapitalgesellschaften . Er arbeitet damit eher ge- hauptet . Der Finanzminister verspricht Steuersenkungen, gen die soziale Spaltung . anstatt wirksam und nachhaltig den Investitionsstau oder die Altschuldenproblematik von Ländern und Kommu- Drittens wurde das Solidaritätszuschlagsgesetz 1995 nen anzugehen . Es muss darum gehen, zukunftsfähi- (B) (D) nicht durch eine, sondern durch vier Aufgaben begründet, ge Reformvorschläge zu erarbeiten . Ziel muss es sein, nämlich mit der Herstellung der Einheit Deutschlands, finanzschwache Länder und Regionen solidarisch zu der langfristigen Sicherung des Aufbaus in den neuen unterstützen – und zwar unabhängig von Himmelsrich- Ländern, der Neuordnung des bundesstaatlichen Finanz- tungen . Eine strukturelle Reform der gesamten Finanzbe- ausgleichs und der Entlastung der öffentlichen Haushal- ziehungen zwischen Bund und Ländern muss die wach- te . Der Solidaritätszuschlag dient also nicht exklusiv dem sende wirtschaftliche Ungleichheit zwischen armen und Aufbau Ost . Das ist eine Geschichtsklitterung, die durch reichen Regionen angemessen ausgleichen, um unserem Wiederholung nicht weniger falsch wird . Verfassungsauftrag gerecht zu werden . Viertens sei der Soli nicht mehr verfassungsgemäß, Wir sprechen heute über den Solidaritätszuschlag paradoxerweise genau deshalb, weil der Solidarpakt II auch vor dem Hintergrund eines Vermittlungsausschus- ausläuft und der Bund die Mittel nun zunehmend einfach ses, der in letzter Sekunde – genau genommen sogar eini- selbst behält, statt sie in notleidende Regionen weiter- ge Minuten nach der gesetzten Frist – einen Kompromiss zuleiten . Aber zum einen könnte die Regierung dieses in einer anderen Frage, nämlich für die Erbschaftsteuer- selbstgemachte Problem leicht lösen . Und zum anderen reform, gefunden hat . Als Mitglied dieses Vermittlungs- hat das Bundesverfassungsgericht mehrfach die Verfas- ausschusses muss ich sagen: So wichtig es ist, die Hand- sungsgemäßheit des Solidaritätszuschlags unterstrichen lungsfähigkeit der Politik zu zeigen, so wenig zufrieden und Verfassungsbeschwerden und Normenkontrollan- bin ich mit dem Ergebnis . träge in den letzten Jahren stets zurückgewiesen . Dies unterstreicht auch ein jüngeres Gutachten des Wissen- Auch beim Thema Solidaritätszuschlag und bei der schaftlichen Dienstes des Bundestages . Es gibt keinen zwingend dazugehörigen Neuordnung der Bund-Län- Anlass zur Sorge von einem juristischen Haushaltsrisiko, der-Finanzbeziehungen nähern wir uns einer Frist in das ist reine Propaganda . großen Schritten . Die jetzigen Regelungen gelten zwar bis 2019 – aber durch die anstehenden Landtags- und die Fünftens wird der zweistellige Milliardenbetrag wei- Bundestagswahl wird weder eine Einigung im nächsten terhin dringend gebraucht, den der Soli Jahr für Jahr Jahr noch eine Einigung in 2018 nach Konstituierung des zuverlässig generiert . Nicht zuletzt die Kanzlerin selbst neuen Parlamentes einfacher . musste diese Realität anerkennen und betonte vor zwei Jahren, dass und warum sie den Soli auch über 2019 hi- Es gilt, sich in diesem Herbst endlich wieder an den naus erhalten will: „Wir wollen keine Steuererhöhung, Verhandlungstisch zu begeben und auf eine transparente aber wir können auf bestehende Einnahmen auch nicht Weise eine Reform auf den Weg zu bringen, die der An- einfach verzichten “. Konkret sprach sie auch den an- forderung des Grundgesetzes gerecht wird, gleichwerti- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18949

(A) ge Lebensverhältnisse im Bundesgebiet zu ermöglichen . schiedlichen Umstellungsaufwand in den verschiedenen (C) Der jetzige Länderfinanzausgleich wird diesen Heraus- Rechtsbereichen Rechnung zu tragen . forderungen nicht mehr gerecht und ist auch nicht auf Der Entwurf sieht bewusst keine technischen und or- die zukünftige demografische und sozialräumliche Ent- ganisatorischen Vorgaben vor, sondern steckt den recht- wicklung vorbereitet . Viele Kommunen leiden unter ei- lichen Rahmen ab . Zum einen sollen Ergänzungen und ner maroden Infrastruktur, hohen Schuldenständen und Änderungen in der Strafprozessordnung vorgenommen einem immensen Investitionsstau . Anderen hingegen werden, um eine elektronische Akteneinsicht zu ermögli- geht es prächtig . Dabei geht die Schere zwischen armen chen . Zum anderen werden der elektronische Rechtsver- und reichen Kommunen immer weiter auseinander . Auf kehr in Strafsachen und die Kommunikation zwischen diese Herausforderung könnte im Rahmen einer Gesam- den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten neu gere- treform eine neue Ausrichtung des Solidaritätszuschlags gelt . Nur so können die eingangs beschriebenen beste- unabhängig von Himmelsrichtungen eine Antwort sein . henden Hürden abgebaut werden . Auch die Länder brauchen Planungssicherheit, mit Gleichzeitig können die vielfältigen Vorteile von elek- welchen Einnahmen sie ab dem Jahr 2020 rechnen dür- tronischen Akten genutzt werden: Die Kommunikation fen . Man kann doch nur anständige Politik machen, zwischen Gerichten, Behörden und Verfahrensbeteiligten wenn man weiß, wie viele Mittel einem voraussichtlich wird beschleunigt . Akten werden kontinuierlich verfüg- zur Verfügung stehen . Wenn die Große Koalition diese bar, und es kann gleichzeitig von verschiedenen Orten auf Fragen nicht beantwortbar macht, brauchen wir uns nicht sie zugegriffen werden . Außerdem wird die Auswertung, wundern, wenn die Länder nur auf den Bund schielen Darstellung und Verarbeitung von Daten vereinfacht . All und ihn für missglückte Finanzplanungen verantwortlich dies führt zu Einsparungen von Raum-, Personal-, Porto- machen . und Versandkosten . Jedoch birgt die elektronische Akte in Strafsachen nicht nur Vorteile, sondern auch eine erhöhte Gefahr für Anlage 15 das Grundrecht der im Strafprozess Beteiligten auf in- formelle Selbstbestimmung gemäß Artikel 2 Absatz 1 in Zu Protokoll gegebene Reden Verbindung mit Artikel 1 Grundgesetz . Daher sieht der Gesetzentwurf neben dem allgemeinen Datenschutzrecht zur Beratung des von der Bundesregierung einge- bereichsspezifische Datenschutzregelungen vor. Nach brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung diesen ist eine Verarbeitung und Nutzung von personen- der elektronischen Akte in Strafsachen und zur bezogenen Daten in einer elektronischen Akte nur zuläs- weiteren Förderung des elektronischen Rechtsver- sig, solange sie für das konkrete Strafverfahren erforder- (B) kehrs (Tagesordnungspunkt 20) (D) lich ist . Eine Verwendung für verfahrensübergreifende Zwecke ist hingegen ausgeschlossen . Eine Erhebung von Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Wir befinden personenbezogenen Daten ist nur im Rahmen strafpro- uns in einer paradoxen Situation . Im alltäglichen priva- zessrechtlicher Ermächtigungsgrundlagen wie §§ 161, ten, beruflichen und öffentlichen Bereich bedienen wir 163 StP0 möglich . uns Tag für Tag elektronischer Dokumentation . Im Ok- Darüber hinaus sieht der Entwurf organisatorische tober 2013 wurde durch das Gesetz zur Förderung des und technische Maßnahmen vor, um den besonderen An- elektronischen Rechtsverkehrs in Gerichten die elek- forderungen von den hochsensiblen personenbezogenen tronische Aktenführung in den meisten gerichtlichen Daten im Strafrecht gerecht zu werden . Diese Maßnah- Verfahrensordnungen etabliert – nicht aber so in Straf- men werden durch Rechtsverordnungen auf Grundlage sachen . Hier müssen Akten immer noch in Papierform von §§ 32 II, III, 32b V und 32f V Strafprozessordnung geführt werden, obwohl der Großteil ihres Inhalts mit- konkretisiert . Hierbei handelt es sich beispielsweise um hilfe von elektronischer Datenverarbeitung erstellt und Zutritts-, Zugriffs-, Weitergabe- oder Verfügbarkeitskon- übermittelt wird . Durch die aktuelle rechtliche Lage wird trollen . der Arbeitsaufwand erhöht und das Verfahren verlängert . Eine Verwendung der personenbezogenen Daten aus Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung den elektronischen Akten soll nur zulässig sein, wenn passt die Vorschriften über den elektronischen Rechts- sie durch eine Rechtsvorschrift erlaubt oder angeordnet verkehr in Strafsachen an die Regelungen für andere wird . Um datenschutzrechtlich bedenkliche Rasterfahn- Gerichtsbarkeiten an und modernisiert so die Strafjus- dungen zu verhindern, ist ein maschineller Abgleich nur tiz . Obwohl die große StPO-Reform von Justizminister bei zuvor individualisierten Akten zulässig . Letzteres Maas wohl als gescheitert abgeschrieben werden muss, werden wir unter Berücksichtigung des Vorschlags des setzt sich die Union hier weiterhin für eine Verbesserung Bundesrats diskutieren . Hiernach soll ein maschineller der Justiz ein . Abgleich innerhalb der jeweiligen Strafverfolgungsbe- hörde zulässig sein, wenn sie strafrechtlichen Ermittlun- Der Entwurf sieht eine optionale elektronische Akten- gen dient . führung bis zum 31 .Dezember 2025 vor . Ab 2026 soll die elektronische Aktenanlegung und -führung in Straf- Wir wollen mit all diesen Regelungen die bestmög- sachen verbindlich sein . Für andere Gerichtsbarkeiten liche Kombination aus den Vorteilen und Errungen- soll die verpflichtende Einführung der elektronischen schaften der technischen Innovation und den Schutz des Akte in gesonderten Gesetzen erfolgen, um dem unter- Grundrechts der Betroffenen erreichen . In den ausste- 18950 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) henden Beratungen ist es mir von Wichtigkeit, dass wir fugte Verwendung durch Personen mit Zugriffsrechten . (C) in Einklang mit den Bundesländern effektive Reglungen Ein elektronisches Dokument lässt sich einfacher mani- finden, die auch in den Landeshaushalten darstellbar pulieren und die Veränderung schwerer nachvollziehen . sind . Hier bitte ich das BMJV, noch intensiver auf die Es besteht in höherem Maße die Anfälligkeit von Daten- Länder einzugehen . verlust als bei einer Papierakte . Weiterhin stellt sich auch die Frage, ob die Justizverwaltungen die Datenhoheit Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Wir beraten heute in technisch und finanziell wahren können oder eine- Ver der ersten Lesung den Gesetzentwurf zur Einführung der lagerung auf externe Dienstleister unter Wahrung des elektronischen Akte im Strafverfahren . Für die anderen Grundrechtsschutzes notwendig ist .– Diese Liste ließe Verfahrensordnungen wurde bereits im Jahr 2013 der sich noch um weitere Aspekte verlängern . Einzug der elektronischen Gerichtsakte beschlossen . Im Zusammenhang mit dem Datenschutz ist der Ver- Vielen Anwaltskanzleien liegen die Akten aus einem fahrensgrundsatz der Unschuldsvermutung zu sehen . Strafverfahren nur noch in digitaler Form vor . Die Er- Für Medien und die breite Öffentlichkeit geht mit einem mittlungsbehörden und Gerichte sichten die mittels elek- Anfangsverdacht oftmals die Vorverurteilung einher . tronischer Datenverarbeitung erstellten Dokumente am Eine Differenzierung zwischen einem laufenden Ermitt- Bildschirm . Es kann festgestellt werden, dass die elek- lungsverfahren und einer gerichtlichen Verurteilung ist tronische Arbeit schon heute die Realität in der Justiz zunehmend nicht erkennbar . Es muss Aufgabe des Ge- darstellt . Jeder digitalisierten Akte liegt jedoch weiterhin setzgebers und der Justizbehörden sein, die Beschuldig- die Akte in Papierform zugrunde . tenrechte durch Datenschutz zu wahren . Mit der elektronischen Akte in Strafsachen soll der Einen weiteren Aspekt möchte ich mit einer Phrase technische Fortschritt nachvollzogen und die Strafjustiz beleuchten: modernisiert werden . Es handelt sich um weit mehr als Wer schreibt, der bleibt, den Wechsel eines Mediums . Die Vorteile einer elektro- nischen Aktenführung sind nicht von der Hand zu wei- wer speichert, muss die Lesbarkeit sicherstellen . sen . Mir stellt sich die Frage, ob wir auf eine Archivierung Der manuelle Transport und die postalische Versen- ohne Papierakten verzichten können . Die Vorteile der dung der Akten in Papierform zwischen Ermittlungsbe- Ersparnis von Ressourcen und die Eingrenzung von La- hörden, Gerichten und Rechtsanwälten nehmen viel Zeit gerungskosten sind hoch zu bewerten . Es muss aber si- in Anspruch und verursachen hohe Kosten . chergestellt sein, dass elektronische Akten auch in meh- reren Jahrzehnten noch lesbar sind . Ich sehe eine weitere (B) Die Versendung der Akte bedingt die zeitweise Nicht- (D) verfügbarkeit und führt zur Verlängerung der Verfahrens- Gefahr des Verlusts wichtiger Daten . dauer . Diese Fragestellungen müssen in der weiteren Bera- Die Lagerung der Papierakten ist mit hohen laufenden tung in den Ausschüssen diskutiert und Antworten gefun- Kosten für Vorhalte- und Erhaltungsmaßnahmen verbun- den werden . Die Beschuldigtenrechte stellen ein wichti- den . ges Gut in einem Rechtsstaat dar . Machen wir uns an die Arbeit! Demgegenüber können elektronische Akten nach Be- griffen schneller durchsucht und gefiltert werden. -Ver knüpfungen zwischen verschiedenen Aktenbestandteilen Dirk Wiese (SPD): Mit dem vorliegenden Gesetzent- lassen sich einfacher erstellen . wurf der Bundesregierung wird die gesetzliche Grundla- ge für die Führung elektronischer Akten im Strafverfah- Arbeitserleichterungen könnte auch der direkte Zu- ren geschaffen . Damit gleichen wir die Regelungen zur griff auf Gesetztestexte oder zitierte Fundstellen im Ge- Erstellung, Aufbewahrung und Abfrage von Strafakten setzeskommentar verschaffen . an die meisten gerichtlichen Verfahrensordnungen an, Mit diesem Gesetzentwurf soll die gesetzliche Grund- wo schon seit einigen Jahren die Möglichkeit der elek- lage für die Einführung der elektronischen Akte in tronischen Aktenführung besteht . Die Führung elektro- Strafsachen geschaffen werden . Die Vorteile der elekt- nischer Akten im Strafverfahren soll danach für einen ronischen Akte wiegen schwer . Es müssen aber auch Be- Übergangszeitraum ab 1 .Januar 2018 möglich sein und denken geäußert werden . ab 1. Januar 2026 verpflichtend und flächendeckend ein- geführt werden . Diese Anpassung ist dringend notwen- Die Führung einer elektronischen Akte stellt einen dig; denn alleine der Prozess der Erstellung von Strafak- Eingriff in das grundrechtlich geschützte Recht auf infor- ten entbehrt derzeit einer gewissen Logik . Obwohl die mationelle Selbstbestimmung der Verfahrensbeteiligten Mehrzahl der in Strafakten befindlichen Dokumente dar . Das Grundrecht wird nur nicht verletzt sein, wenn bereits mittels elektronischer Datenverarbeitung erstellt wir weiterhin den absoluten Datenschutz gewährleisten und zunehmend auch elektronisch übermittelt wird, muss können . am Ende aufgrund gesetzlicher Regelungen ein Papier- dokument stehen . Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf, Bedenken in Fragen des Datenschutzes bestehen dabei den wir heute hier in erster Lesung beraten, werden wir in unzähliger Vielfalt: nach Verabschiedung einen Schlussstrich unter diese um- Es besteht die Gefahr des Datenmissbrauchs durch ständliche Handhabe ziehen und die Regelungen über die unbefugte Zugriffe von außen, aber auch durch die unbe- Erstellung, Aufbewahrung und Herausgabe von Strafak- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18951

(A) ten durch Digitalisierung den meisten gerichtlichen Ver- der Akten sowie einfache, komfortable und schnelle (C) fahrensordnungen angleichen . Suchmöglichkeiten . Um all diese Vorteile einer elekt- ronischen Akte zu nutzen, müssen aber drei, vier Dinge Bis zur Verabschiedung des Gesetzes führt der Weg gegeben sein, von denen ich im Hinblick auf die Vorga- aber erst einmal über die Ausschussberatungen, und da ben im Gesetzentwurf glaube, dass sie noch nicht optimal möchte ich die Gelegenheit nutzen, um kurz zwei Punkte gelöst sind . zu nennen, bei denen ich erhöhten Beratungsbedarf sehe . Erstens habe ich mit hohem Interesse die Stellungnah- Erstens . Die Vorteile können sich schnell in Nachteile me des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverban- verwandeln, wenn – in welchem Zeitraum auch immer; des zur Kenntnis genommen und bedanke mich für die wir könnten noch darüber reden, ob 2026 nicht ein we- Zusendung . Wir werden hier noch einmal genau prüfen nig unambitioniert ist – die Einführung gerade nicht für müssen, inwieweit wir den Gesetzentwurf verändern das gesamte Strafverfahren gilt . Sie schlagen in Ihrem müssen, um eine möglichst hohe Zugänglichkeit auch für Gesetzentwurf vor, dass per Rechtsverordnung die Ein- Menschen mit Behinderungen zu gewährleisten . Ich ste- führung der elektronischen Aktenführung auf einzelne he hierzu auch schon mit meiner Kollegin Kerstin Tack, Gerichte oder Strafverfolgungsbehörden oder auf allge- der behindertenpolitischen Sprecherin der SPD-Bundes- mein bestimmte Verfahren beschränkt werden kann . In tagsfraktion, im intensiven Austausch . der Begründung wird dann von „Pilotprojekten“ gespro- chen und sogar angedeutet, es könne möglich sein, die Zweitens möchte ich kurz den Kernpunkt der Stellung- elektronische Aktenführung auf bestimmte Arten von nahme des Bundesrates ansprechen: die Kosten für den Delikten einzuschränken . Das alles erscheint mir we- Betrieb des Internetportals zum Abruf der Akten . Dieses nig zielführend zu sein . Hier wünsche ich mir ein wenig Portal soll – nach derzeitigem Stand – in die IT-Architek- mehr Stringenz . tur der Landesjustizverwaltungen integriert werden . Ein Abruf von Daten über dieses Portal soll kostenfrei sein . Zweitens . Sie sagen in Ihrem Gesetzentwurf völlig zu Hier kritisiert der Bundesrat, dass ein kostendeckender Recht, dass es sichere Übertragungswege geben soll . Nun Betrieb des Portals durch die Länder somit nicht möglich will ich hier im Detail gar nicht über das praktische Elend sei . Gerne können wir uns das in den Ausschussverhand- mit dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach lungen näher anschauen . Ich möchte jedoch schon hier reden, sondern noch einmal auf die De-Mail eingehen . kurz die Gegenäußerung der Bundesregierung zitieren, Bei De-Mail sind circa 1 Million Privatnutzer und Pri- die Folgendes klarstellt: vatnutzerinnen, einige Zehntausend Mittelstandskunden und circa 1 000 De-Mail-Großkunden aus Wirtschaft und Die in den Ländern geplanten und bereits konkret Verwaltung registriert . Manche sprechen deshalb schon eingeleiteten Maßnahmen zur Einführung des elek- vom Scheitern der De-Mail . Ende März 2016 nutzten (B) tronischen Rechtsverkehrs und der elektronischen gerade einmal 60 Prozent der Behörden De-Mail . Und (D) Aktenführung beruhen auf der „Grobkalkulation des gerade im Hinblick auf die Europäisierung des Rechts Verbesserungs- und Investitionsbedarfs für die Ein- erweist es sich eben als Problem, dass De-Mail nur in führung des elektronischen Rechtsverkehrs und der Deutschland nutzbar ist . elektronischen Akte“, die im März 2014 im Auftrag der Bund-Länder-Kommission für Informations- Sie schreiben in der Begründung, bei den sicheren technik in der Justiz erstellt wurde . Diese Erhebung Übertragungswegen gehe es nicht um die Gewährleis- erfasst den gesamten in der ordentlichen Gerichts- tung der vertraulichen Kommunikation . Genau das ist barkeit und den Fachgerichtsbarkeiten entstehen- aber ein ziemlich entscheidender Punkt für die Übermitt- den Kostenbedarf . Die in den Ländern geplanten lung einer elektronischen Akte oder gar der Kommuni- und bereits konkret eingeleiteten Maßnahmen zur kation zum Beispiel zwischen Verteidigerin und Gericht . Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs und Nur wenn die vertrauliche Kommunikation wirklich der elektronischen Aktenführung beruhen auf dieser gewährleistet ist, wird die elektronische Akte überzeu- Kalkulation . Eine gesonderte Kostenermittlung al- gen. Ich finde, wir sollten hier gemeinsam noch einmal lein für den Bereich des Strafverfahrens wäre vor nachdenken, ob nicht gerade im Strafverfahren eine ver- diesem Hintergrund nicht sinnvoll, weil die Ak- pflichtende Ende-zu-Ende-Verschlüsselung sichergestellt tenführungssysteme in den Ländern einheitlich für werden soll . die gesamte ordentliche Gerichtsbarkeit entwickelt Drittens . Die elektronische Akte kann nur dann über- werden . zeugen, wenn die Verfahrensbeteiligten den gleichen Bedingungen unterliegen . Das, was sie an Stringenz bei Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Im Grundsatz der Einführung der elektronischen Akte bei Gerichten, spricht nichts dagegen, aber alles dafür, auch in Straf- Staatsanwaltschaften und Behörden vermissen lassen, sachen die elektronische Akte einzuführen . Deshalb ist setzen sie bei den Rechtsanwältinnen und Verteidigerin- im Grundsatz der Gesetzentwurf der Bundesregierung nen um . Während erstere, also Gerichte, Staatsanwalt- zur Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen schaften und Behörden, elektronische Akten anlegen auch zu begrüßen . Die Vorteile einer elektronischen Akte können, sollen dies Rechtsanwältinnen und Verteidige- haben Sie im Gesetzentwurf – Seite 31 – auch ganz gut rinnen. Für diese legen sie eine Nutzungspflicht dahin zusammengefasst: Beschleunigung der Kommunikation gehend fest und machen das sogar laut der Begründung zwischen Gericht bzw . Behörde und Verfahrensbeteilig- zu einer Form- und Wirksamkeitsvoraussetzung, dass ten, schnellere Übermittlung von Akten und Dokumen- sie die Dokumente elektronisch übermitteln sollen . Ich ten, kontinuierliche und orstunabhängige Verfügbarkeit glaube, wir würden mehr und besser für die elektronische 18952 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) Akte werben, wenn wir den einen das nicht erlauben und Daher sind diese elektronisch gespeicherten Daten ge- (C) die anderen verpflichten. Gleiches Recht für alle wäre gen unberechtigte Zugriffe besonders zu schützen . Die hier überzeugender . wesentlichen Vorgaben dazu kann der Gesetzgeber schon angesichts des Risikos für das Recht auf informationelle Viertens . Völlig zu Recht wollen Sie einen neuen Selbstbestimmung und weiterer Grundrechte aus verfas- Vierten Abschnitt im Achten Buch der Strafprozessord- sungsrechtlichen Gründen nicht an die Praxis delegie- nung einführen . Erlauben Sie mir aber, dass ich im Hin- ren .“ blick auf die Sensibilität des Strafverfahrens meine Skep- sis zur Regelung der Auftragsdatenverarbeitung durch Noch gefährlicher wird es, wenn dann noch alle elekt- nichtöffentliche Stellen zum Ausdruck bringe . Dies soll ronischen Strafakten bundesweit zentral gespeichert wer- mit dem Gesetz möglich sein, und Sie begründen das da- den sollen . mit, dass andernfalls ein „effizienter und wirtschaftlicher Hinzu kommt, dass die Verarbeitung dieser gespei- IT-Betrieb“ erschwert werden würde . Das erläutern Sie cherten Daten nach dem neuen § 497 Strafprozessord- aber nicht weiter . In Ihrer Begründung werden Sie auch nung nicht nur durch private Auftragnehmer, sondern widersprüchlich; denn zum einen sollen die Einschrän- auch durch Unterauftragnehmer erfolgen darf, wenn nur kungen nur den Betrieb und die Wartung dezentraler In- der Zugang zu den Servern von einer öffentlichen Stelle formationskomponenten betreffen, auf der anderen Seite kontrolliert wird . Ob der Server im In- oder Ausland ist, wird in der Begründung aber auch von „rechtsverbindli- spielt ebenfalls keine Rolle . cher und dauerhafter Speicherung von Aktendaten“ ge- sprochen . Ich denke, wir sollten an dieser Stelle wirklich Ich würde jedenfalls nicht wollen, dass alle diese stän- noch einmal genau überlegen, ob wir im sensiblen Be- dig wechselnden Angestellten und Aushilfskräfte einer reich des Strafverfahrens eine Auftragsdatenverarbeitung mir unbekannten IT-Firma Einblick in beispielsweise durch nichtöffentliche Stellen wirklich sinnvoll finden. meine Vergewaltigungsakte bekommen . In jedem Fall aber sollte die Option der Begründung von Auch hier teilt die Datenschutzbeauftragte meine Be- Unterauftragsverhältnissen durch nichtöffentliche Stel- denken: len gestrichen werden . „Unklar ist etwa, warum lediglich der Zutritt und der Zugang zu Datenverarbeitungsanlagen einer öffentlichen Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In der Stelle vorbehalten sein soll . Der eigentliche Zugriff auf letzten Legislatur wurde bereits beschlossen, den elekt- die in den Akten gespeicherten Daten wäre also dem Auf- ronischen Rechtsverkehr im Zivilrecht für alle Angehö- tragnehmer ohne Weiteres erlaubt . rigen der Justiz ab 2022 verpflichtend einzuführen. Nun folgt die elektronische Strafakte ab 2018 fakultativ und Dies entspricht zwar dem Charakter einer Auftrags- (B) ab 2026 obligatorisch . datenverarbeitung, verdeutlich jedoch, dass die mit der (D) Auslagerung auf nichtöffentliche Stellen verbundenen Wir schreiten also weiter wagemutig voran bei der Di- Risiken nicht adäquat behandelt werden .“ gitalisierung sensibler Daten, und jede und jeder, der dies infrage stellt, gilt als modernisierungsfeindlicher Tech- Und auch die öffentlichen Stellen selbst sollen die nikmuffel . Dass unbekannte Hacker nicht nur mühelos Daten in weitem Umfang für verfahrensfremde Zwecke in unsere Bundestagskommunikation eindringen konnten nutzen dürfen . und die obersten Sicherheitsbehörden nicht einmal das Nach § 498 Strafprozessordnung ist das immer dann Telefon der Kanzlerin sichern konnten, scheint uns nicht erlaubt, wenn ein Gesetz dies bereits für die herkömmli- im Geringsten zu irritieren . chen Personendaten vorsieht . Dabei wird verkannt, dass Und so werden auch die Anforderungen an die Daten- eine elektronische Akte ganz andere Möglichkeiten der sicherheit in dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht im Auswertung und Verarbeitung bietet . Nachrichtendienste Geringsten geregelt . könnten nach § 474 StPO künftig vollständige Aktenin- halte in ihre Datenbestände übernehmen . Die neuen §§ 32a bis 32f der Strafprozessordnung enthalten im Wesentlichen fünf verschiedene Verord- Das BKA-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom nungsermächtigungen, in denen jeweils die Regelungs- April 2016 wird dabei völlig ignoriert . befugnisse für die organisatorischen und technischen Und im Rahmen der Akteneinsicht nach § 32f StPO Rahmenbedingungen, einschließlich der einzuhaltenden bleibt völlig offen, wie dem erhöhten Verbreitungsrisiko Anforderungen des Datenschutzes und der Datensicher- einer elektronischen Akte und damit der Kenntniserlan- heit, an die Exekutive delegiert werden . Das halte ich gung durch unberechtigte Dritte entgegengewirkt werde schlicht für verfassungswidrig, denn diese Vorgaben zum soll . Lapidar heißt es im Absatz 5: „Die Bundesregierung Schutz der informationellen Selbstbestimmung muss der bestimmt durch Rechtsverordnung die für die Einsicht in Gesetzgeber selbst vornehmen . elektronische Akten geltenden Standards .“ So sieht es auch die Datenschutzbeauftragte in ihrer Liebe Kolleginnen und Kollegen der Großen Koaliti- ausführlichen Stellungnahme vom 10 . Mai 2016: on: Das ist zu wenig! Vergessen Sie nicht: Es kann jeden von uns treffen . Auch bei Bagatellstraftaten oder sogar „Die automatisierte Datenverarbeitung ermöglicht es Ordnungswidrigkeiten . technisch, die Daten auch größerer Aktenbestände inner- halb weniger Sekunden oder Minuten zu kopieren und Es ist ja vielleicht ganz nett, künftig umfangreiche über weite Entfernungen unbemerkt abzurufen . Wirtschaftsstrafsachen nicht mehr in Leitzordnern trans- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18953

(A) portieren zu müssen . Das lässt sich allerdings auch jetzt eine relativ lange Übergangsphase bis 2026 vor, in der (C) schon meist anders lösen . Hochrisikotechnologien wie die Länder selbst entscheiden können, in welcher Ge- beispielsweise Atomkraftwerke verzichten nicht umsonst schwindigkeit sie von Papier auf die elektronische Akte komplett auf digitale Bauteile . umstellen wollen . Ich stelle daher infrage, dass die Digitalisierung un- Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme zum serer Hochrisikodaten tatsächlich der einzige Weg in die Entwurf darum gebeten, zum 1 .Januar 2026 die elek- Moderne ist . tronische Aktenführung nicht nur im Strafverfahren, sondern auch in den anderen gerichtlichen Verfahrens- Eigentlich müssten wir es doch längst besser wissen: ordnungen verpflichtend vorzusehen. Die Bundesregie- Vertraulichkeit ist im Netz nicht zu halten . Und dass auch rung begrüßt diesen Vorschlag der Länder und steht einer Sie keine Idee davon haben, wie das bewerkstelligt wer- entsprechenden Ergänzung des Gesetzentwurfes offen den soll, zeigt Ihr Gesetzentwurf, der im Hinblick auf gegenüber . Das vorliegende Vorhaben ist damit nach dem den Datenschutz eine einzige Leerstelle ist . schon in der vergangenen Legislaturperiode verabschie- deten Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechts- Christian Lange, Parl . Staatssekretär beim Bun- verkehrs bei den Gerichten ein weiterer Meilenstein auf desminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Wir dem Weg zur Digitalisierung der Justiz . befassen uns heute in erster Lesung mit dem Entwurf des Gesetzes zur Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen und zur weiteren Förderung des elektro- nischen Rechtsverkehrs . Dieses Gesetz soll die Rechts- Anlage 16 grundlagen dafür schaffen, dass Akten in Strafsachen Zu Protokoll gegebene Reden elektronisch geführt werden können – und nach einer Übergangsphase auch zwingend elektronisch geführt zur Beratung des von der Bundesregierung einge- werden müssen . Immerhin erstellen Gerichte, Staatsan- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur steuerlichen waltschaften, Strafverteidiger sowie andere Verfahrens- Förderung von Elektromobilität im Straßenver- beteiligte Dokumente in aller Regel längst elektronisch . kehr (Tagesordnungspunkt 21) Das gilt auch für die meisten nicht durch einen Rechts- beistand vertretenen Bürgerinnen und Bürger . Es ist des- Olav Gutting (CDU/CSU): Mit dem vorliegenden halb an der Zeit, auch im Strafverfahren die Vorausset- Gesetzentwurf der Bundesregierung bekennen wir uns zungen dafür herzustellen, dass im Sinne einer modernen klar zu einer klimaschutzorientierten, umweltfreundli- und effizient arbeitenden Strafjustiz solche Dokumente chen Zukunftspolitik und machen einen weiteren Schritt (B) (D) nicht nur elektronisch übermittelt, sondern auch elektro- hin zu einer emissionsfreieren Zukunftsmobilität! nisch weiterbearbeitet werden können . Zugleich schafft der Entwurf auch die Grundlagen für ein Onlineaktenein- Wir haben uns zum Ziel gesetzt, bis 2020 unseren

sichtsportal, durch das Verfahrensbeteiligte, auch solche CO2-Ausstoß gegenüber 1990 um mindestens 40 Pro- ohne rechtlichen Beistand, künftig barrierefrei Einsicht zent zu senken . Um dieses Ziel zu erreichen, ist eine in die sie betreffenden Akten in dem Umfang nehmen Reduktion der Kohlendioxidemissionen im Straßenver- können, den die Akteneinsichtsregeln vorgeben . kehr unausweichlich . Der Ausbau und die Akzeptanz der Elektromobilität als Schlüssel zu einem nachhaltigen und Der vorliegende Gesetzentwurf legt insgesamt ein be- ressourcenschonenden Mobilitätssystem spielen daher sonderes Augenmerk auf die Belange des Datenschutzes . eine besonders große Rolle bei der Energiewende und Hier ergeben sich aus der künftigen elektronischen Ak- beim Umweltschutz . tenführung zahlreiche Besonderheiten . Beispielsweise ist vorgesehen, das Durchsuchen von gesamten Aktenbe- Der Gesetzentwurf sieht vor, dass Leistungen des Ar- ständen im Sinne einer Rasterfahndung nicht zuzulassen . beitgebers – sogenannte geldwerte Vorteile – an den Ar- Auch Schutzmaßnahmen gegen das unzulässige Verbrei- beitnehmer zur Unterstützung hinsichtlich der Nutzung ten von Akteninhalten sind vorgesehen . der Elektromobilität steuerbefreit werden bzw . pauschal durch den Arbeitgeber besteuert werden können . Steu- In allen anderen Verfahrensordnungen bestehen die erfrei sind nunmehr das Laden von Elektrofahrzeugen Rechtsgrundlagen für die elektronische Aktenführung im Betrieb und den Betriebsteilen des Arbeitgebers wie bereits seit mehr als zehn Jahren – allerdings ohne dass auch die Überlassung einer Ladestation für den privaten bislang eine verbindliche Frist für die Einführung der Bereich . Pauschal besteuert werden können Zuschüsse elektronischen Akte vorgesehen ist und ohne dass davon für den Erwerb der Ladeinfrastruktur oder deren Über- bislang flächendeckend Gebrauch gemacht worden wäre. eignung durch den Arbeitgeber . Die einkommensteuer- Der Gesetzentwurf der Bundesregierung geht hier im lichen Maßnahmen werden vom 1 . Januar 2017 bis zum Strafverfahrensrecht einen Schritt weiter . Auf ausdrück- 31 . Dezember 2020 befristet . lichen Wunsch aus den Ländern sieht der Entwurf vor, dass die Akten im Strafverfahren – also bei Gerichten Dieser steuerliche Anreiz wird die Attraktivität des und Staatsanwaltschaften – ab dem 1 .Januar 2026 ver- Einsatzes von Elektrofahrzeugen sowohl für Arbeitgeber pflichtend elektronisch zu führen sind. Dieser - Medien als auch für Arbeitnehmer steigern . Arbeitgeber müssen wechsel stellt einen bedeutenden Umbruch dar, der mit für die geldwerten Vorteile, die sie dem Arbeitnehmer erheblichem Umsetzungsaufwand vor allem für die Län- durch das Aufladenlassen gewähren, die Lohnsteuer we- der verbunden ist . Aus diesem Grund sieht der Entwurf der einbehalten noch abführen . Und Arbeitnehmer pro- 18954 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) fitieren dadurch, dass sie weder Stromkosten noch die strengungen bei der öffentlichen Beschaffung von Elek- (C) darauf entfallende Lohnsteuer zahlen müssen . trofahrzeugen beinhaltet . Aber auch der Einzelplan 12 des Bundeshaushalts 2017, den wir als Deutscher Bun- Diese steuerlichen Maßnahmen sind eine sinnvolle destag in der letzten Sitzungswoche in der ersten Lesung Ergänzung zu dem Maßnahmenbündel der Bundesregie- behandelt haben, zeigt mehr als deutlich, dass wir es mit rung zur Förderung der Elektromobilität . der Förderung von Elektromobilität ernst meinen und Die zukünftige Marktentwicklung der Elektromobili- den richtigen Weg eingeschlagen haben, um die Akzep- tät hat großes Potenzial in Deutschland . Seit 2007 ist die tanz und Attraktivität für den deutschen Autofahrer zu Anzahl an zugelassenen Elektrofahrzeugen in Deutsch- steigern . Bislang wurde mit dem Regierungsprogramm land jährlich stark angestiegen . Im internationalen Ver- „Elektromobilität“ im Wesentlichen die Marktvorberei- gleich hinkt Deutschland, was die Anzahl der Neuzulas- tungsphase unterstützt und hierfür gut 1,5 Milliarden sungen von Elektrofahrzeugen angeht, allerdings noch Euro für Forschung und Entwicklung bereitgestellt . immer hinterher . Nun geht es im zweiten Schritt darum, einen sich selbst Während in Norwegen mehr als jeder vierte neu zu- tragenden Markt zu unterstützen . So investieren wir un- gelassene Pkw mit Strom fährt und in den Niederlanden ter anderem 300 Millionen Euro in eine flächendeckende der Anteil an Elektrofahrzeugen 2,3 Prozent am Pkw-Ge- Ladeinfrastruktur für Elektromobilität . Es werden daher samtmarkt beträgt, liegt er in Deutschland derzeit bei we- 15 000 Ladesäulen in ganz Deutschland aufgebaut . Da- niger als 1 Prozent . mit lösen wir ein Stück weit das Henne-Ei-Problem, wie es unser Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt in Trotz des noch geringen Anteils an zugelassenen seiner Rede so treffend formuliert hat . Elektroautos gehört Deutschland hinter Japan und Chi- na schon jetzt zu den wichtigsten Herstellerländern für An dieser Stelle möchte ich auch noch mal die Ge- Elektrofahrzeuge und ist damit auf gutem Wege, im legenheit nutzen und meinen ausdrücklichen Dank an Jahr 2020 Leitmarkt und Leitanbieter bei der Elektro- Alexander Dobrindt für sein großes Engagement beim mobilität zu werden . Der Technologiewandel verspricht Thema Elektromobilität aussprechen . Es ist neben der auch große Beschäftigungspotenziale . Es ist somit Auf- digitalen Revolution das entscheidende Verkehrsprojekt gabe der Politik, die vielen Chancen, die Elektromobili- unserer Zeit . tät in ökologischer und ökonomischer Hinsicht bietet, zu Zweitens . Maßnahmen im Gesetz . Mit dem Gesetz- ergreifen und zu nutzen . entwurf, den wir hier heute in zweiter Lesung debattie- Mit der Verabschiedung des vorliegenden Gesetzent- ren, nehmen wir nun einige Änderungen im Bereich der wurfes tragen wir einen Teil dazu bei . Wir werden da- Kraftfahrzeugsteuer und der Einkommensteuer vor, um (B) die Elektromobilität auf Deutschlands Straßen attrakti- (D) mit unseren Zielen – CO2-Reduktion und Leitmarkt und Leitanbieter zu werden – ein weiteres Stück näher kom- ver zu machen . Diese steuerlichen Maßnahmen ergänzen men . das eben bereits angesprochene Maßnahmenbündel zur Förderung der Elektromobilität im Straßenverkehr und stellen sich im Einzelnen wie folgt dar: a) Bei erstmali- Florian Oßner (CDU/CSU): Die Förderung der Elek- ger Zulassung reiner Elektrofahrzeuge gilt seit dem 1 . Ja- tromobilität inklusive der Wasserstoff- und Brennstoff- nuar 2016 bis zum 31 .Dezember 2020 eine fünfjährige zellentechnologie steht bei uns als CDU/CSU-Fraktion Kraftfahrzeugsteuerbefreiung . Diese wird rückwirkend ganz oben auf der Agenda . Auch ich persönlich kämp- zum 1 .Januar 2016 nun auf zehn Jahre verlängert . Die fe momentan für eine Wasserstofftankstelle in meiner zehnjährige Steuerbefreiung für reine Elektrofahrzeuge Heimatregion Landshut-Kelheim . Wir wollen bis zum wird zudem auf technisch angemessene, verkehrsrecht- Jahr 2020 in Deutschland den CO -Ausstoß gegenüber 2 lich genehmigte Umrüstungen zu reinen Elektrofahrzeu- 1990 um mindestens 40 Prozent senken . Um dieses Ziel gen ausgeweitet . zu erreichen, müssen insbesondere im Verkehrssektor die Emissionen noch deutlich gemindert werden . Hierfür ist b) Im Einkommensteuergesetz werden vom Arbeit- es zwingend notwendig, den Anteil von Elektrofahrzeu- geber gewährte Vorteile für das elektrische Aufladen ei- gen auf unseren Straßen zu erhöhen . Derzeit fahren rund nes privaten Elektro- oder Hybridelektrofahrzeugs des 55 000 Elektroautos auf Deutschlands Straßen, darunter Arbeitnehmers im Betrieb des Arbeitgebers und für die 33 000 Hybridfahrzeuge und 19 000 reine Elektrofahr- zur privaten Nutzung zeitweise überlassene betriebliche zeuge . Das ist eindeutig zu wenig . Ladevorrichtung steuerbefreit . Der Arbeitgeber erhält die Möglichkeit, geldwerte Vorteile aus der unentgeltlichen Als Automobilland Nummer eins in der Welt ist für oder verbilligten Übereignung der Ladevorrichtung und uns klar: Zuschüsse pauschal mit 25 Prozent zu besteuern . Die Re- Wir wollen auch beim Thema Elektromobilität weiter- gelungen werden befristet für den Zeitraum vom 1 .Janu - hin die Messlatte in der automobilen Entwicklung setzen . ar 2017 bis 31 . Dezember 2020 . Um die Zahl der Neuzulassungen von Elektrofahrzeugen Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zum bedeu- zu erhöhen, müssen wir für private und gewerbliche tendsten Verkehrsthema der absehbaren Zukunft zeigt die Nutzer weitere Anreize schaffen . Erstens . Förderung der CDU/CSU-Fraktion wieder einmal, dass wir Antworten Elektromobilität . Am 18 .Mai dieses Jahres hat die Bun- auf die drängenden Fragen unserer Zeit geben . desregierung ein umfangreiches Maßnahmenpaket zur Förderung von Elektromobilität beschlossen, welches Aus den genannten Gründen bitte ich um Zustimmung zeitlich befristete Kaufanreize sowie zusätzliche An- für den Antrag . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18955

(A) Andreas Schwarz (SPD): Ich habe bereits bei der sowie aus steuerlichen Maßnahmen aufgelegt . Die Große (C) ersten Lesung des vorliegenden Gesetzentwurfes Ende Koalition jedenfalls hat ihre Hausaufgaben gemacht . Juni auf die für uns als SPD-Bundestagsfraktion ent- Nun ist die Automobilindustrie am Zug . Sie sollte in scheidenden Punkte hingewiesen, die es uns in der Sum- ihrem eigenen Interesse viel Energie in die Innovations- me leicht machen, zuzustimmen . forschung stecken, um Elektroautos für die Kunden at- Wer Klimaschutz will, muss handeln . Er muss auch traktiver zu machen . Neben attraktiveren Preisen gehört Geld in die Hand nehmen, um umweltbewusstes Han- hierzu auch die Erhöhung der Reichweite von Elektro- deln zu fördern . Das tun wir . Mit der Kaufprämie bieten fahrzeugen . Langfristig wird dies nicht nur dem Klima wir einen Anreiz für diejenigen, die sich ein Elektroauto guttun oder den Straßenverkehr zukunftsfähig gestalten, zulegen wollen, die Kaufentscheidung bislang aber aus sondern auch dazu beitragen, dass der Automobilstandort finanziellen Gründen noch aufgeschoben haben. Deutschland seine herausragende Position gegenüber der internationalen Konkurrenz behaupten kann . Mit dem Gesetzentwurf beschließen wir auch, dass rückwirkend ab dem 1 .Januar 2016 neuzugelassenen Der hier abschließend zu beratende Entwurf eines Ge- Elektrofahrzeugen eine zehnjährige Befreiung von der setzes zur steuerlichen Förderung von Elektromobilität Kraftfahrzeugsteuer gewährt wird . Damit verdoppeln im Straßenverkehr enthält steuerliche Maßnahmen im wir immerhin den Zeitraum der Steuerbefreiung . Dieser Kraftfahrzeug- und im Einkommensteuergesetz, die die zusätzliche finanzielle Anreiz kann sich durchaus sehen Kaufprämie flankieren sollen. Vorgesehen im Gesetzent- lassen, wie wir finden. wurf der Bundesregierung waren neben einer Befreiung von der Kraftfahrzeugsteuer für reine Elektroautos von Mit all den weiteren Maßnahmen wie zum Beispiel derzeit fünf auf zukünftig zehn Jahre für Neuzulassungen der steuerlich geförderten Zurverfügungstellung des zwischen 2016 und 2020 auch Steuerbefreiungen sowie Stroms beim Arbeitgeber haben wir ein Paket geschnürt, Begünstigungen im Bereich der Einkommensteuer . Mit das dazu beitragen wird, dass endlich mehr Elektrofahr- Änderung des § 3 Nummer 46 EStG wird eine Steuer- zeuge auf die Straße kommen . befreiung eingeführt, wenn das Elektroauto oder das Auch bei der Anhörung des Deutschen Bundestages Hybrid­elektroauto beim Arbeitgeber aufgeladen wird . wurde der Gesetzentwurf der Bundesregierung von meh- Die für das Aufladen anfallenden Stromkosten werden reren Experten positiv bewertet . Der Kollege von der also nicht als geldwerter Vorteil versteuert – anders als IG Metall bezeichnet den Gesetzentwurf „als durchaus bei anderen Vergünstigungen des Arbeitgebers wie bei- gutes Gesamtpaket“ . spielsweise Essensgutscheinen . In die Steuerfreiheit ein- bezogen werden auch Vorteile aus der vom Arbeitgeber Herr Professor Hechtner sagte – ich zitiere –: „Insge- zur privaten Nutzung überlassenen Ladeinfrastruktur (B) samt sind das positive Regelungen, die sehr wohl einen sowie die Kosten für deren Installation oder Inbetrieb- (D) Effekt auf das Nachfrageverhalten der Konsumenten ha- nahme . ben können .“ Die Sachverständigen hielten die im Gesetzentwurf Weiter sagte er, der Gesetzentwurf „flankiert die an- vorgeschlagenen Maßnahmen als Flankierung der Kauf- deren politischen Maßnahmen, um die Nachfrage nach prämie insgesamt für sinnvoll; das kann als Kompliment emissionsarmen Fahrzeugen zu unterstützen“ . an die Bundesregierung verstanden werden . Wir haben uns als SPD-Fraktion in den Verhandlungen trotzdem Es ist doch völlig klar . Wenn wir es nicht schaffen, die erfolgreich für weitere Verbesserungen eingesetzt . Nach Ladeinfrastruktur massiv auszubauen, dann werden wir Auswertung der Sachverständigenanhörung haben wir schlicht nicht erfolgreich sein . Das will keiner, und das uns innerhalb der Großen Koalition auf einige kleine- wird auch nicht passieren . re Änderungen am Gesetzentwurf in § 3 Nummer 46 Mit der Verabschiedung des heutigen Gesetzentwurfs EStG geeinigt . So haben wir die Steuerbefreiung auch schaffen wir die Voraussetzungen dafür, dass es mit der auf Dienstwagen von Arbeitnehmern ausgeweitet, die die Förderung der Elektromobilität endlich entscheidend vo- Fahrtenbuchmethode anwenden. Damit profitieren nun rangeht . alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, unabhängig davon, ob sie ein privates Elektroauto oder einen Dienst- wagen nutzen . Mit dieser Änderung greifen wir eine (SPD): Um die Klimaziele Dr. Jens Zimmermann Forderung des Bundesrates und einiger Sachverständiger Deutschlands bis 2020 tatsächlich zu erreichen, sind in auf . vielen Lebensbereichen Anstrengungen nötig . Außer Frage steht, dass der Straßenverkehr hierzu einen ent- Wir werden außerdem das steuerfreie Aufladen auch scheidenden Beitrag leisten muss . Dafür ist es nötig, auf verbundene Unternehmen im Sinne des § 15 Aktien- die Zahl der Automobile mit Benzin- oder Dieselmoto- gesetz ausweiten, aber bewusst nicht auf Anlagen Dritter . ren durch emissionsfreie oder emissionsärmere Antrie- Dafür wird der Begriff „im Betrieb des Arbeitnehmers“ be zu ersetzen . Als Gesetzgeber können wir zwar die in § 3 Nummer 46 EStG im GE präzisiert . Bisher war Rahmenbedingen verbessern . Mit der Kaufprämie, dem diese Definition lediglich in der Gesetzesbegründung sogenannten Umweltbonus und dem hier vorliegenden enthalten . Damit haben wir teilweise eine Forderung Gesetzentwurf haben wir ein Gesamtpaket aus zeitlich des Bundesrates aufgegriffen . Dieser hatte gefordert, die befristeten Kaufanreizen, weiteren Mitteln für den Aus- Steuerbefreiung auf Betriebe der mit dem Arbeitgeber bau der Ladeinfrastruktur, zusätzlichen Anstrengungen verbundenen Unternehmen sowie auf Anlagen Dritter au- bei der öffentlichen Beschaffung von Elektrofahrzeugen ßerhalb des Betriebes auszuweiten . Wir teilen hier aller- 18956 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) dings die Ansicht der Bundesregierung und der meisten offenbar auch nicht . Bereits die Einführung der Kaufprä- (C) Sachverständigen, dass die Ausweitung auf die Anlagen mie für E-Autos von 3 000 bis 4 000 Euro pro Fahrzeug Dritter dem Ziel des Gesetzentwurfes zuwiderläuft, die hat zu keinem sprunghaften Anstieg der Zulassungszah- Zahl der Ladestationen in der Fläche zu erhöhen . Denn es len geführt . Diejenigen, die sich als Zweit- oder Dritt- geht bei den Maßnahmen eben gerade darum, zusätzlich wagen ein fürs Image cooles E-Mobil leisten können, zu den schon bestehenden Ladestationen den Bau neuer bekommen noch etwas Geld vom Staat . Vollkommener zu fördern . Unfug! Nicht im Gesetzentwurf selbst, sondern im Bericht des In Deutschland gibt es ein dichtes Netz für E-Mobi- Finanzausschusses haben wir uns mit unserem Koaliti- lität . Ich meine nicht die gelegentlichen Ladestationen, onspartner auf eine Formulierung geeinigt, die den Be- die man in den Innenstädten findet. Ich meine unser Ei- griff der Ladeinfrastruktur präzisiert . Denn einige Sach- senbahnnetz, dessen Diesellücken endlich geschlossen verständige sahen Klärungsbedarf bei der Frage, was zur werden sollten . Oder die zunehmenden Netze innerstäd- Ladeinfrastruktur gehört und was nicht . Mit dieser Klar- tischer Straßenbahnen, die Überlegungen, wieder Ober- stellung soll auch bürokratischer Aufwand für Arbeitneh- leitungs- und Akkubusse einzuführen, alles das ist Elek- mer und Arbeitgeber vermieden werden . tromobilität . Insgesamt werden mit den beschlossenen Maßnahmen Sie fördern aber auch sogenannte Hybridfahrzeuge, nicht nur Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entlastet, also Autos, die neben ihrem Elektroantrieb auch einen sondern auch Arbeitgeber begünstigt . Sie haben zukünf- Verbrennungsmotor mit sich rumschleppen . Sorry, auch tig die Möglichkeit, den Aufbau von Ladestationen auf wenn diese Fahrzeuge aus Benzin- und Dieselsicht eine dem Betriebsgelände über die Lohnsteuer bezuschussen interessante Perspektive haben, mit Elektromobilität ha- zu lassen . Hierdurch soll der Anreiz für Arbeitgeber er- ben sie nur sehr wenig zu tun . Förderungswürdig sind sie höht werden, sich stärker am Ausbau der Ladeinfrastruk- aus Sicht der Linksfraktion nicht . tur von Elektrofahrzeugen zu beteiligen . Dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht Wir als SPD-Fraktion stimmen dem vorliegenden Ge- steuerrechtlich zu Kasse gebeten werden sollen, wenn sie setzentwurf zu . ihr Fahrzeug an ihrem Arbeitsplatz auftanken, ist begrü- ßenswert . Es ist nur sehr entscheidend, dass dies dann auch für E-Fahrräder und vergleichbare individuelle Mo- Thomas Lutze (DIE LINKE): Sie wollen die Elektro- bile gilt . mobilität der Pkw fördern, indem Sie unter anderem die Befreiung der Kfz-Steuer verlängern und die steuerrecht- (B) liche Bestimmungen für das Nutzen von Dienst-E-Autos Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Für die (D) sowie das Aufladen in der Firma klarer regeln wollen. deutsche Klimapolitik spielt die Wende beim motorisier- Klingt alles nett und sinnvoll . Es wird aber nieman- ten Individualverkehr eine entscheidende Rolle . Selbst- den zusätzlich dazu bewegen, sein bisheriges Auto mit verständlich will die Gesellschaft mobil sein und bleiben . Verbrennungsmotor gegen ein E-Mobil einzutauschen . Sie will das allerdings, ohne die Klimakrise zu verschär- Warum? Weil es sich trotz Steuergeschenken nicht an- fen . Um im Verkehrssektor die Einsparziele bei den satzweise rechnet . Wenn Sie diese Form der Mobilität Emissionen zu erreichen, braucht es ein ganzes Bündel fördern wollen, müssen Sie Geld in die Hand nehmen von Maßnahmen . Es geht zum einen darum, unnötiges und Forschungsprojekte massiv fördern . In Deutschland Verkehrsaufkommen zu vermeiden . Es geht um schwel- gibt es eine breitgefächerte Landschaft an technischen lenlose und bequeme Übergänge zwischen den Verkehr- Universitäten, Hochschulen, Fachhochschulen und Ins- strägern . Zum anderen sind bestehende Technologien, tituten . Aber nirgendwo gibt es Forschung für leistungs- wie der motorisierte Individualverkehr, klimafreundli- fähige Akkumulatoren, kurz Akkus . Auch die meisten cher zu gestalten . Produktionsstandorte der Hersteller haben Deutschland Ein wesentlicher Baustein für den Straßenverkehr ist den Rücken gekehrt . Diese Entwicklung müssen wir um- die Elektromobilität . Mit klimafreundlichem Strom gela- kehren, die Industrie zurückholen sowie Forschung und den sind Elektroautos, -busse und -fahrräder eine Tech- Entwicklung massiv fördern . nologie, die dem Klimaschutz dient . Sie reduziert die Betrachtet man Fahrzeuge, die heute auf den Straßen Abhängigkeit vom Rohstoff Öl drastisch und steigert die anzutreffen sind, dann sind gerade die Reichweiten und Luft- und Lebensqualität, nicht nur in den Städten . die Ladezeiten der Akkus neben dem hohen Kaufpreis des Der vorliegende Gesetzentwurf verweist aus gutem Fahrzeugs die größten Hemmnisse für die Anschaffung Grund auf das Ziel Deutschlands, bis 2020 den CO2-Aus- eines E-Mobils . Wenn man mit seinem Auto nur 120 bis toß gegenüber dem Jahr 1990 um bis zu 40 Prozent zu maximal 150 Kilometer weit kommt und anschließend senken . Dabei hält auch die Bundesregierung die Steige- das Fahrzeug stundenlang aufladen muss, dann ist so ein rung des Anteils der Elektrofahrzeuge für eine zentrale Fahrzeug schlichtweg nicht konkurrenzfähig . Bei durch- Maßnahme . schnittlich 35 000 Euro Anschaffungspreis, der zwischen 10 000 und 15 000 Euro höher ist als ein vergleichbares Das hört sich zunächst sehr ambitioniert und ver- Fahrzeug mit Verbrennungsmotor, wird niemand eine nünftig an . Wenn ich mir dann aber die vorgeschlagenen Kfz-Steuerersparnis von fünfmal 120 Euro zum Anlass Maßnahmen ansehe, dann kann es mit der Absicht der

nehmen, umzusteigen . Ich mache es nicht, und der Fahr- Bundesregierung, CO2-Emissionen im Straßenverkehr dienst des Deutschen Bundestages aus Kostengründen einzusparen, nicht weit her sein . Die Bundesregierung Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18957

(A) kann nicht ernsthaft annehmen, dass die Verlängerung Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Psy- (C) einer bestehenden Kfz-Steuerbefreiung sowie das steu- chisch erkrankte Menschen besser versorgen – erbefreite „Stromtanken“ beim Arbeitgeber irgendetwas Jetzt Hilfenetz weiterentwickeln an den überkommenen Strukturen im Verkehrssektor än- dern . (Tagesordnungspunkt 22 a und b) Deutlicher als mit diesem Gesetzentwurf kann die Bundesregierung ihre Scheu vor einem wirklich großen Reiner Meier (CDU/CSU): Es ist in der Debatte Wurf nicht zur Schau stellen. Allein die finanziellen Aus- schon mehrfach angeklungen: Die Reform der Versor- wirkungen von maximal 20 Millionen Euro im Jahr spre- gung und der Vergütung im Bereich der psychiatrischen chen hier eine deutliche Sprache . und psychosomatischen Leistungen ist äußerst viel- schichtig und komplex . Dass die Strukturen in einem Es stellt sich dennoch die grundsätzliche Frage, wa- erklärtermaßen lernenden System stetig weiterentwickelt rum diese Mindereinnahmen letztlich vom Steuerzahler werden und dass dabei auch die Erfahrungen aus den Di- finanziert werden sollen. Vor dem Hintergrund der Kli- alogen mit Patienten und Leistungserbringer einfließen, maziele ist es an der Zeit, eine konsistente und klima- sollte vor diesem Hintergrund wahrlich niemanden über- freundliche Besteuerung von Pkw einzuführen . Autos raschen . Heute liegt uns nun ein Gesetzentwurf vor, der mit hohem Verbrauch und hohem Ausstoß zahlen mehr, nicht nur wichtige Verbesserungen für die Versicherten Autos mit wenig Ausstoß weniger . Aus einer Klimaper- enthält, sondern auch gerechtere und transparentere Ver- spektive betrachtet ist ein solches Vorgehen unmittelbar gütungsstrukturen schaffen wird . Transparentere Vergü- einleuchtend . Nun haben wir die paradoxe Situation, tungsstrukturen sind im Bereich der psychiatrischen und dass wir einerseits halbwegs bessere Bedingungen für psychosomatischen Versorgung durchaus geboten . Nicht die Elektromobilität schaffen . Andererseits klima- und alle regionalen Kostenunterschiede lassen sich etwa mit gesundheitsschädliche Dieselfahrzeuge weiterhin sub- besseren Leistungen oder örtlichen Besonderheiten nach- ventionieren . Ganz zu schweigen von den klimaschädli- vollziehen . Aus diesem Grund werden künftig leistungs- chen Steuersubventionen bei den Dienstfahrzeugen und bezogene Vergleiche zwischen den Häusern eine wichti- im Luftverkehr . ge Orientierung für die Verhandlungspartner geben und Wollen wir unsere Klimaziele erreichen, ist es an der die Kostentransparenz ganz wesentlich verbessern . Den- Zeit, die Besteuerung der einzelnen Technologien im noch geht es hier nicht um unreflektierte Gleichmacherei. Verkehrssektor an ihren Umweltauswirkungen bzw . ih- Gerade auf dem Land, wo Häuser mit regionalen Versor- ren sogenannten externen Kosten auszurichten . gungsverpflichtungen für die Patientinnen und Patienten besonders wichtig sind, kann dies nun bei den Budgets Der vorliegende Gesetzentwurf führt im Gegensatz berücksichtigt werden. Die wohnortnahe, flächendecken- (B) (D) dazu zu insgesamt mehr Fahrzeugen auf der Straße . Über de Versorgung bleibt auch weiterhin unser Leitbild . die Kaufprämie und geringfügige Erleichterungen bei der Steuer werden einige Liebhaber von Elektroautos zu- Ein roter Faden der Gesundheitspolitik in dieser Le- schlagen . Der Rest bleibt beim Diesel und Benziner . gislaturperiode ist die Gewährleistung hoher Qualität in der gesetzlichen Krankenversicherung . Deshalb werden Wir wollen nicht verkennen, dass die vorgeschlagene wir den Gemeinsamen Bundesausschuss beauftragen, Steuerbefreiung die Beseitigung von Bürokratie bedeutet unter anderem Vorgaben für eine leitliniengerechte Be- und sich daher als flankierende Maßnahme positiv auf handlung der Patienten ebenso wie für die Ausstattung die Elektromobilität auswirkt . Zu einem eigenständigen der Einrichtungen zu erarbeiten . Gleichzeitig schaffen Anreiz zum Kauf eines Elektrofahrzeugs führen diese wir für Menschen mit psychischen Erkrankungen die Regelungen aber ganz sicher nicht . Zur Erreichung der Möglichkeit, sich in den eigenen vier Wänden durch spe- nationalen Klimaziele brauchen wir eine weitgehende zielle Behandlungsteams versorgen zu lassen . Dadurch Dekarbonisierung des Verkehrssektors bis spätestens können Patienten in ihrer gewohnten Umgebung bleiben 2050 . Dieser Gesetzentwurf kann vor diesem Hinter- und eine Aufnahme in die stationäre Psychiatrie vermei- grund nicht einmal als Tropfen auf den heißen Stein be- den . zeichnet werden . Eine gute Versorgung psychisch erkrankter Menschen sollte sich in erster Linie dem Patienten widmen und nicht Listen und Formularen . Deshalb verzichten wir nicht nur Anlage 17 weitestgehend auf neue Bürokratie, sondern nehmen die Zu Protokoll gegebene Reden Selbstverwaltung in die Pflicht, den Dokumentationsauf- wand, wo es geht, zu reduzieren . Dazu werden die Do- zur Beratung: kumentationsregeln jährlich auf den Prüfstand gestellt – des von der Bundesregierung eingebrachten und unnötige Bürokratie gestrichen . Das entlastet Ärzte, Entwurfs eines Gesetzes zur Weiterentwicklung Psychotherapeuten und Pflegekräfte und schafft Raum der Versorgung und der Vergütung für psych- für mehr Zuwendung an die Patienten . iatrische und psychosomatische Leistungen Zum Schluss möchte ich noch auf die Klarstellungen (­PsychVVG) für die Zuweisungen für Krankengeld und Auslandsver- – des Antrags der Abgeordneten Maria Klein- sicherte im Rahmen des morbiditätsorientierten Risi- Schmeink, Dr. Harald Terpe, Elisabeth kostrukturausgleichs eingehen . Uns allen ist klar, dass Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der eine Änderung für zurückliegende Jahresabschlüsse die 18958 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) Ausnahme bleiben muss . Dennoch lege ich Wert auf die auf dem Weg hin zur neuen Personalrichtlinie eine konti- (C) Feststellung, dass wir mit dem Änderungsantrag ledig- nuierliche Anpassung zwingend erfolgen müssen . In den lich einen rechtssicheren Vollzug des bereits im Jahre Kalkulationshäusern soll die 100-prozentige Erreichung 2014 beschlossenen GKV-FQWG gewährleisten, nicht der PsychPV bereits grundsätzlich vorgeschrieben wer- mehr und nicht weniger . den . Es ist aus unserer Sicht richtig, die Personalfrage so deutlich zu fokussieren; denn ein großer Mangel des Wenn wir heute die Beratungen förmlich beginnen, bisherigen PEPP war, dass gerade in der neu angedachten dann tun wir das in der Gewissheit, dass wir die Versor- Personalrichtlinie keine Verbindlichkeit lag . gungsstrukturen für psychisch und psychosomatisch er- krankte Menschen an wichtigen Stellen verbessern . Im Es werden zugleich die Regelungen für die Psychia- Interesse dieser Menschen darf ich Sie um konstruktive trischen Institutsambulanzen, PIA, weiterentwickelt mit Beratungen im Ausschuss bitten . dem Ziel, dass die tatsächliche Leistungserbringung in der Bedarfsplanung eine angemessene Berücksichtigung Dirk Heidenblut (SPD): Anfang 2016 haben wir mit finden kann. Die PIA ist eine ganz wesentliche Kompo- dem Eckpunktepapier als Ergebnis aus dem strukturier- nente der Überleitung und der Entlastung im ambulanten ten Dialog die Abkehr vom Pauschalierenden Entgelt- System . Eine pauschale Anrechnung, wie bisher, wird system Psychiatrie und Psychosomatik, PEPP, in seiner der tatsächlichen Bedarfsermittlung im ambulanten Be- bisherigen Form eingeleitet . Das heute vorgelegte Gesetz reich jedoch nicht gerecht . resultiert daraus und greift die verschiedenen Eckpunk- Das Gesetz wird heute eingebracht, und wir werden – te auf . Zunächst bin ich sehr froh, dass wir damit, wie natürlich unter Berücksichtigung der Anhörung – in die von der SPD seit Langem gefordert, die berechtigten Be- parlamentarische Diskussion einsteigen . Dabei wird zu denken aller Fachverbände am PEPP aufgegriffen haben klären sein, ob das mit den Eckpunkten Angedachte aus- und eine Lösung vorlegen, die gerade für Menschen mit reichend berücksichtigt ist . Vor allen Dingen wird sich schwersten psychischen Erkrankungen eine Verschlech- zeigen, ob das Ziel einer stationären Psychiatrie, für alle terung in der Versorgung verhindert . Das war auch das Patienten eine bedarfsgerechte und gute Versorgung bei Ziel unserer Vereinbarung im Koalitionsvertrag . An die- hoher Transparenz zu gewährleisten – wozu etwa auch ser Stelle möchte ich noch einmal dem Ministerium und der Krankenhausvergleich gehört –, erreicht werden den Fachverbänden danken, die die Chance, die wir mit kann . Wie gewohnt: Nachbesserungen sind nicht ausge- der Vorgabe des strukturierten Dialogs eröffnet haben, schlossen . produktiv genutzt haben . Nicht zuletzt hat das gemein- same Grundlagenpapier nahezu aller Fachverbände die Mit dem Gesetz werden zudem Leistungen der stati- wesentlichen Impulse für die Eckpunkte und damit für onsäquivalenten Versorgung neu eingeführt . Durch diese (B) das Gesetz geliefert . Leistungen sollen Menschen mit schwersten psychischen (D) Erkrankungen auch zu Hause Hilfe erfahren können . Ob- Ganz wesentlich ist dabei die Umstellung auf ein bud- gleich meine Kollegin auf diesen Bereich detailliert ein- getorientiertes Entgeltsystem . Das krankenhausindivi- gehen wird, ist mit einzubeziehen, ob und wie wir hier duelle Budget, das regionale und strukturelle Besonder- die Erfahrungen aus den parallel zum PEPP entwickelten heiten berücksichtigt, bietet die Grundlage für eine gute Modellen nach § 64b berücksichtigen können bzw . ob an Versorgung . Es wird von den Verhandlungspartnern vor dieser Stelle mehr Raum für Entwicklung gegeben wer- Ort abhängen, dies entsprechend auszukleiden . den muss . Besonders freut mich an dieser Stelle, dass wir mit Ich freue mich auf die anstehenden Diskussionen, der Fortführung der Psychiatrie-Personalverordnung, und – das sei mir zum Schluss gestattet – es freut mich PsychPV, auch weiterhin eine verbindliche Personalbe- vor allen Dingen, dass PEPP abgelöst wird . messungsgrundlage erhalten, bis diese durch eine neue Richtlinie des GBA abgelöst wird . Und hier ist die Vorga- Wir schaffen mit dem Gesetz eine sinnvolle und drin- be jetzt ebenfalls völlig klar: Sie wird eine verbindliche gend notwendige Weiterentwicklung in der Versorgung Grundlage sein, die zugleich – und das ist unverzicht- und Vergütung für psychiatrische und psychosomatische bar – einer konkreten Nachweispflicht unterworfen ist. Leistungen . Ich will jedoch nicht verhehlen, dass es auch mit dem Gesetz noch ein weiter Weg zu einer unbedingt Gerade in der Psychiatrie hat eine angemessene Per- erforderlichen, wirklich vernetzten und sektorenüber- sonalausstattung einen zentralen Einfluss auf einen- er greifenden Versorgung ist . Aber es gilt, im Sinne aller folgreichen Behandlungsprozess, und das gilt für alle Beteiligten diesen Weg konsequent zu gehen . Berufsgruppen gleichermaßen . Der GBA erhält die klare Vorgabe, bis 2020 die nötigen, soweit möglich, auf Evi- denz gestützten Grundlagen zu schaffen und in eine ent- Helga Kühn-Mengel (SPD): Mehrfach hat sich der sprechende Richtlinie zu überführen . Und wir erwarten, Bundestag in den letzten Jahren mit der Finanzierung dass dies auch in dem genannten Zeitrahmen geschieht . psychiatrischer Krankenhausbehandlung befasst . Schon Für uns ist es selbstverständlich, dass sich die so fest- der Name des jetzt vorliegenden Gesetzentwurfs macht gelegte Personalausstattung in den Budgets, also bei der deutlich, dass es dieses Mal nicht nur um die Vergütung, Finanzierung wiederfindet, wobei auch tarifliche Fragen sondern auch und sogar vorwiegend um die Weiterent- ausreichend berücksichtigt sein müssen . wicklung der Versorgung geht . Das ist der Schwerpunkt dieses Gesetzentwurfs . Wesentliches Merkmal einer In vielen Fällen sind wir leider noch von einer 100-pro- strukturellen Weiterentwicklung psychiatrischer und zentigen Umsetzung der PsychPV entfernt . Daher wird psychosomatischer Behandlung ist die Neuaufnahme Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18959

(A) der stationsäquivalenten Behandlung in den Katalog bulanten Bereich findet eine solche Abstimmung seltener (C) der Krankenhausleistungen . Damit ist Home Treatment statt . Als Hilfe zum Zugang zu ambulanten Leistungen gemeint . Eine psychiatrische Unterstützung kann eben und zur Koordination derselben haben wir vor 15 Jahren nicht nur im Krankenhaus, sondern beispielsweise auch die Soziotherapie im SGB V verankert . Sie kann und soll in der Wohnung, eventuell auch am Arbeitsplatz stattfin- additive Leistungen von unterschiedlichen ambulanten den . Leistungserbringern zu einem Hilfeprogramm bündeln, sie soll dabei den schwer psychisch kranken Menschen Wir können hier auf die Erfahrungen aus den Model- verlässlich begleiten . Leider wird Soziotherapie noch im- len nach § 64b zurückgreifen, die parallel zum PEPP ent- mer nicht überall angeboten . Auch dort, wo es sie gibt, wickelt wurden . Und diese Erfahrungen zur integrierten wird sie nur selten genutzt . Versorgung sind positiv . Es gibt eben psychisch kranke Menschen, die Krankenhausbehandlung benötigen, aber Das ambulante Hilfesystem muss auch dazu in der nicht bereit sind, in ein Krankenhaus zu gehen . Vielleicht Lage sein, koordinierte Hilfeprogramme zu erbringen . machen ihnen die vielen Menschen Angst oder auch nur Man kann auch von Komplexleistungen sprechen . Das der eine Mitpatient, der dann mit im Zimmer liegt; viel- soll nicht die stationsäquivalente Behandlung überneh- leicht scheuen sie aus religiösen Gründen eine gemischt- men . Diese ersetzt stationäre Behandlung, nicht am- geschlechtliche Station, vielleicht können sie sich außer- bulante durch niedergelassene Ärztinnen und Ärzte, halb der eigenen Wohnung nicht mehr gut orientieren, Psychotherapeuten und sonstige Therapeuten . Deren oder sie hängen vielleicht so stark an Bezugspersonen, Leistung muss allerdings gerade bei schwer psychisch dass sie sich von diesen nicht trennen können . Für solche Kranken stärker koordiniert werden . Dazu kann die So- Menschen wird mit diesem Gesetz eine Krankenhausbe- ziotherapie dienen . Wir sollten sie endlich in das Versor- handlung im eigenen Lebensumfeld ermöglicht . Das ist gungsgeschehen und in dieses Gesetz einbeziehen . ein großer Fortschritt . Immer wieder müssen wir uns klarmachen, dass psy- Wir haben heute eine zunehmende Inanspruchnahme chisch Kranke einen anderen Krankheitsverlauf und Um- psychiatrischer und psychotherapeutischer Leistungen gang mit der Krankheit zeigen . Während die somatisch und damit eine weitaus häufigere Behandlung seelischer Erkrankten aktiv auf das Gesundheitssystem zugehen, Erkrankungen als früher . Diese Krankheitsbilder sind zieht sich der psychisch Kranke häufig zurück, wird in- auch eine Hauptursache für langwierige Arbeitsunfähig- aktiv, den Hilfsangeboten weniger zugänglich und muss keit und frühe Verrentung . Zu einer guten Behandlung oft erst für eine Behandlung gewonnen werden . Nicht gehört der Blick auf die individuellen Bedürfnisse des ohne Grund wurde im SGB V festgeschrieben, dass die Patienten . Gerade bei seelischen Erkrankungen gilt dies besonderen Belange psychisch Kranker zu berücksichti- besonders . Das Gesetz stärkt die Sicherstellung einer gu- (B) gen seien . ten Versorgung . (D) Mit der Einführung einer stationsäquivalenten psy- chiatrischen Behandlungsmöglichkeit im häuslichen Harald Weinberg (DIE LINKE): Zu Beginn möchte Umfeld wird eine Lücke zwischen stationärer und ambu- ich Folgendes festhalten: Der Widerstand und der Protest lanter Behandlung geschlossen mit der Aufgabe, die sek- der Fachverbände und der betroffenen Kolleginnen in torenübergreifende Versorgung zu stärken . Das haben die den psychiatrischen Einrichtungen zusammen mit ihrer Fachverbände seit Langem gefordert, wir haben es uns Gewerkschaft verdi gegen die Einführung eines Pauscha- im Koalitionsvertrag als Ziel gesetzt, und wir gehen jetzt len Entgeltsystems in Psychiatrie und Psychosomatik, an die Umsetzung . Ein wichtiger Schritt . Wir ermögli- PEPP, hat sich gelohnt: PEPP kommt nicht so wie ge- chen aber nicht nur eine flexiblere Behandlung durch die plant – und das ist gut so . Es ist aber noch nicht weg, es Krankenhäuser, sondern wollen auch die Zusammenar- droht, durch die Hintertür eingeführt zu werden . beit der Kliniken mit niedergelassenen Psychiaterinnen und Psychiatern, Anbietern von Integrierter Versorgung, Und das wäre falsch, denn eine angemessene psychi- Psychotherapeuten, sonstigen Therapeuten und Pflege- atrische Versorgung der Patientinnen und Patienten kann diensten intensivieren . Im Gesetz ist ausdrücklich festge- nicht gewährleistet sein, wenn den Krankenhäusern für halten: Leistungen im Rahmen der stationsäquivalenten ihre Patientinnen und Patienten nicht die tatsächlich ent- Behandlung können ganz oder teilweise vom Kranken- stehenden Kosten erstattet werden, sondern irgendwie haus auch an andere an der ambulanten psychiatrischen ermittelte Durchschnittskosten . Man muss der SPD in Versorgung teilnehmende Leistungserbringer delegiert dieser Frage zugestehen, dass sie sich in der Koalition werden . für Verbesserungen eingesetzt hat – etwas, was man ja in diesen Tagen von der SPD nicht in allen Fragen sagen Die Vernetzung der regionalen Hilfen ist insbesonde- kann, wenn man zum Beispiel ihr Einknicken bei CETA re für schwer psychisch kranke Menschen wichtig, die oder ihren Eiertanz bei der hälftigen Finanzierung der gleichzeitig oder aufeinanderfolgend mehrere Hilfen be- Krankenkassen durch die Arbeitgeber anschaut . Mein nötigen: einen personenzentrierten Hilfemix, multipro- Glückwunsch dazu! fessionell, interdisziplinär und integriert . Themen wie Arbeit, Freizeitgestaltung, Selbstversorgung und Teilha- Nach den Eckpunkten liegt nun der Gesetzentwurf be am gesellschaftlichen Leben sind dabei zu berücksich- zum PsychVVG – noch so ein schönes Kürzel – vor . tigen . Solche Leistungen müssen gut koordiniert werden . Ausgeschrieben heißt das: Gesetz zur Weiterentwicklung Im Krankenhaus ist die tägliche Abstimmung unter den der Versorgung und der Vergütung für psychiatrische und an der Behandlung Beteiligten selbstverständlich . Im am- psychosomatische Leistungen . 18960 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) Im Rahmen meiner viel zu kurzen Redezeit kann ich Bis einschließlich 2019 gilt die Psychiatrie-Perso- (C) nur kurz auf drei Punkte eingehen: nalverordnung, Psych-PV, als Personalbemessungs- instrument weiter . Ab 2020 soll es verbindliche Min- Erstens die Möglichkeit für die Krankenhäuser, eine destanforderungen für die berufsgruppenbezogene stationsäquivalente Behandlung einzurichten, das soge- Personalausstattung geben . So weit, so gut . Diese sollen nannte Home-Treatment, zweitens die Einführung eines aber vom Gemeinsamen Bundesausschuss, G-BA, fest- krankenhausindividuellen Budgetsystems verbunden gelegt werden, also von Kassen und Krankenhäusern . mit Einführung eines systematischen Krankenhausver- Damit besteht die Gefahr, dass die dringend notwendi- gleichs, drittens Bestimmungen zur Mindestpersonalaus- ge Personalbemessung nicht im Rahmen von Leitlinien stattung und ihre Kontrolle . evidenzbasiert erfolgt, sondern von Interessenkonflikten zerrieben und verwässert wird . Wir fordern, dass hier Diese Möglichkeit einer stationsäquivalenten Versor- Fachgesellschaften, Gewerkschaft und Patientenorgani- gung im häuslichen Umfeld der Patientinnen einzurich- sationen in die Entscheidungen eingebunden werden . ten, ist zunächst einmal sehr zu begrüßen . Neue, sektor- übergreifende Versorgungsformen sind gerade in diesem Außerdem kann man Zweifel bekommen, wie ernst Bereich dringend erforderlich . es die Bundesregierung mit Verbesserungen beim Perso- Problematisch ist jedoch, dass dies an eine Verringe- nal meint . Derzeit wird die durchschnittliche Deckungs- rung der Bettenzahl gekoppelt ist . Hierzu sollen Kas- quote der Psych-PV um die 90 Prozent geschätzt . Wenn sen und Krankenhausgesellschaft auf der Bundesebene wir 100 Prozent Erfüllung der Personalvorgaben wollen, „Grundsätze(n) für den Abbau nicht mehr erforderlicher müssten die Personalkosten in einer Größenordnung von Betten aufgrund der Durchführung der stationsäquivalen- 600 Millionen Euro pro Jahr steigen . Der Gesetzentwurf ten Behandlung“ vereinbaren . Nach diesen Grundsätzen geht aber nur von 65 Millionen im Jahr 2018 aus . Das sollen Krankenkassen und Krankenhaus vor Ort „im Be- reicht hinten und vorne nicht . Wenn die Bundesregierung nehmen“ mit den Ländern konkret Bettenabbau beschlie- das, was sie vorhat, auch ernst nähme, dann müsste sie ßen . Das ist ein starker Eingriff in die Planungshoheit der wesentlich mehr Geld einplanen . Notwendig wäre auch Länder bei der Krankenhausplanung, denn „Benehmen“ ein Sanktionsmechanismus, der Krankenhäuser belohnt, bedeutet nicht, dass die Länder dabei wirklich mitbestim- die Stellen schaffen, oder die bestraft, die es nicht tun . men können . Ein Automatismus zum Bettenabbau jen- Aber der Gesetzentwurf sieht ja noch nicht einmal vor, seits einer genauen Prüfung ihrer Erforderlichkeit darf es dass die Kliniken den Kassen nachweisen müssen, ob nicht geben . Es ist aus gutem Grund Aufgabe der Länder sie die zusätzlichen Mittel bis 2019 für Personal einset- und nicht der Kostenträger, den Bedarf an Krankenhäu- zen oder für eine Dividendenerhöhung ihrer Aktionäre . So wird das nichts! Da auch für die notwendige Aufsto- (B) sern festzulegen . Dieses Prinzip sollte nicht durchlöchert (D) werden . ckung der Personalmittel Referenzwerte der Kalkulati- onskrankenhäuser herangezogen werden sollen, muss Wichtig ist aus unserer Sicht, dass diese neuen Versor- auf jeden Fall sichergestellt sein, dass die in die Kalku- gungsformen ausreichend personell und finanziell ausge- lation einbezogenen Häuser die Vorgaben der Psych-PV stattet werden . Und da sind einige Zweifel angebracht, voll erfüllen . Ansonsten sind sie aus der Stichprobe aus- ob sich die stationsäquivalente Behandlung kostenneut- zuschließen . ral umsetzen lässt . Fazit: Das PsychVVG hat einiges an Licht zu bieten, Die Vergütung soll auf Krankenhausebene durch die aber auch noch ziemlich viel Problematisches, das sich Vertragsparteien als Gesamtbudget vereinbart werden . im Schatten findet. Ich hoffe, wir werden das Gesetz in Das soll gelten ab 2018 . In den Jahren 2018 und 2019 den Beratungen noch erheblich verbessern, denn das ist erfolgt sie budgetneutral . Grundlage sind die Vorjahres- im Sinne der Patientinnen und Patienten dringend nötig . budgets, dabei wird ein krankenhausindividueller Basi- Aber wir wissen zu würdigen, dass dies seit Jahren die sentgeltwert ermittelt . Und hier kommt dann doch wieder erste Regelung ist, die zumindest vordergründig nicht in der bundeseinheitliche PEPP-Katalog zur Anwendung . Richtung Markt und Wettbewerb geht, sondern die Ver- sorgung im Fokus hat . Auch im Antrag der Grünen sind Ab 2020 gelten dann die neuen Regelungen für die Er- einige vernünftige Vorschläge enthalten, die die Koaliti- mittlung des Gesamtbudgets . Sie enthalten ein deutliches on prüfen sollte . Droh- und Druckpotenzial zur Durchsetzung von Durch- schnittspreisen . Es werden Bundesdurchschnittsentgelte für Leistungen ermittelt und als Vergleichsmaßstab he- Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- rangezogen . Krankenhäuser und Kassen sollen vor Ort NEN): Die Bundesregierung hat den dringenden Kor- beraten, wie über Anpassungsvereinbarungen die Aus- rekturbedarf am alten, von CDU und FDP eingerichteten gaben an den Bundesdurchschnitt angeglichen werden PEPP-System endlich erkannt . Insofern geht der Gesetz- können . Das könnte einen ganz ähnlichen Effekt haben entwurf in die richtige Richtung . Die Neuausrichtung hin wie die in PEPP ursprünglich vorgesehene automatische zu einem Budgetsystem wird aber nicht konsequent voll- Konvergenz . zogen . Es bleibt zu befürchten, dass durch die Hintertür eine preisorientierte Kalkulation entlang von Einzelleis- Einige Verbände und Organisationen sprechen in dem tungen fortgeschrieben wird . Der Gesetzentwurf bleibt Zusammenhang von der Einführung von PEPP durch die weit hinter seinen Zielen, die sektorenübergreifende Be- Hintertür . Das ist aus meiner Sicht noch nicht entschie- handlung in der psychiatrischen Versorgung zu fördern den, aber die Gefahr ist unverkennbar . sowie die Transparenz und die Leistungsorientierung der Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18961

(A) Vergütung zu verbessern, zurück . Der deutliche Anstieg Gründe dafür nennen, warum sie für die Mehrbelastun- (C) von Patientinnen und Patienten in psychiatrischen Kran- gen aufgrund der gesundheitlichen Versorgung von Asyl- kenhäusern, häufig wiederkehrende stationäre Aufenthal- berechtigten und der Telematikinfrastruktur 1,5 Milliar- te, lange Wartezeiten in der ambulanten Behandlung und den Euro veranschlagt . Eigentlich geht es ihr darum, den ein fortdauernder Anstieg von frühzeitiger Erwerbsun- Anstieg von Zusatzbeiträgen im Wahljahr zu mildern . fähigkeit sind deutliche Hinweise, dass die Versorgung Die Begründung ist nur herangezogen und hält der sach- psychisch erkrankter Menschen dringend verbessert wer- lichen Überprüfung nicht stand . Die gesundheitliche Ver- den muss . sorgung von nicht erwerbstätigen Asylberechtigten wird wie bei allen SGB-II-Beziehenden aus Steuermitteln fi- Ziel muss ein bedarfsgerechtes, regionales, psychia- nanziert . Dieses Vorgehen ist unverantwortlich . Denn es trisch/psychotherapeutisches und psychosoziales Ver- verstärkt die vielfältigen Ressentiments gegen Flüchtlin- sorgungsnetz sein, das flexibel verschiedenste personen- ge und verstärkt Befürchtungen von Versicherten, dass zentrierte und lebensweltbezogene Behandlungsformen sie wieder einmal die Zeche zahlen müssen . ermöglicht: die ambulante Begleitung in den eigenen Alltag während, nach oder statt einem stationären Auf- enthalt, die enge Abstimmung mit gemeindenahen so- Ingrid Fischbach, Parl . Staatssekretärin beim Bun- zialpsychiatrischen Hilfen im Gemeindepsychiatrischen desminister für Gesundheit: Die Sicherung der Qualität Verbund, die Einbeziehung von Psychiatrieerfahrenen in der Versorgung mit psychiatrischen und psychoso- und Angehörigen sowie eine ambulante Krisenbeglei- matischen Leistungen in Deutschland ist der Bundes- tung . Ein Entgeltsystem muss diese Veränderungen er- regierung ein wichtiges Anliegen . Rund 41 Jahre nach möglichen und befördern . der sogenannten „Psychiatrie-Enquete“ des Deutschen Bundestages hat sich vieles in der Versorgung seelisch Ein sehr kritischer Punkt im alten PEPP war die Fra- erkrankter Menschen verbessert . Was Therapeuten und ge der Personalausstattung, weil die alte Psych-PV ab- Einrichtungen hier leisten, verdient unsere besondere geschafft wurde und neue Personalstandards noch durch Wertschätzung . Zur Anerkennung gehört dabei auch eine den G-BA entwickelt werden sollten . Gut ist, dass die angemessene finanzielle Honorierung. Psych-PV jetzt weiter gilt und auch deren Umsetzung nachgehalten wird . Nicht gut ist, dass erst ab 2020 der Bevölkerungsweit haben wir es mit einer zunehmen- Nachweis gegenüber den Krankenkassen geführt werden den Inanspruchnahme psychiatrischer und psychothera- muss, dass die Stellen auch besetzt waren . Wer Gelder peutischer Leistungen zu tun und damit einer weitaus für Personal erhält, muss dieses auch für Personal aus- häufigeren Behandlung seelischer Erkrankungen als geben . Klar ist, wir haben Weiterentwicklungsbedarf . früher . Der heute vorliegende Gesetzentwurf wird dazu Der für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskon- beitragen, die Versorgung auf diesem Feld nachhaltig zu (B) vention erforderliche Personalbedarf zur Vermeidung stärken . (D) von Zwangsbehandlungen muss gesondert erfasst und Durch die Neugestaltung streben wir – wie zuvor be- vergütet werden . Außerdem müssen die in der UN-Kin- reits auf anderen Feldern der Versorgung – eine Förde- derrechtskonvention geschützten Besonderheiten der rung der sektorenübergreifenden Behandlung an, also Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie stär- eine Verzahnung von ambulanter und stationärer Versor- ker berücksichtigt werden . Uns reicht nicht, wenn nur die gung . Stationäre Aufenthalte können hierdurch verkürzt Selbstverwaltung darüber entscheidet . Wir wollen, dass oder ganz vermieden werden, was den Patientinnen und eine unabhängige, trialogisch besetzte Expertenkommis- Patienten – und insbesondere seelisch erkrankten Kin- sion die Weiterentwicklung in der psychiatrischen Ver- dern – unmittelbar zugutekommt . Denn Behandlungen sorgung begleitet . im gewohnten Lebensumfeld können helfen, Trennungen Mit dem Gesetzentwurf wird es Krankenhäusern in und Beziehungsabbrüche zu vermeiden, Bindungen und einem ersten Schritt ermöglicht, Patientinnen und Pati- Familienkompetenzen zu erhalten oder zu verbessern enten in ihrem Lebensumfeld zu behandeln, was im An- und dadurch den Erfolg der Behandlung zu stärken . schluss an die stationäre Versorgung zu einem gleitenden Die Koalition hat sich in dieser Wahlperiode intensiv Übergang in den ambulanten Bereich beitragen kann . Das damit beschäftigt, wie ein neues Vergütungssystem in der finden wir gut. Es fehlen jedoch Maßnahmen für die am- Psychiatrie und Psychosomatik den Bedürfnissen seelisch bulante Versorgung, die es ermöglichen, Menschen mit Erkrankter gerecht werden kann und gleichzeitig den schweren psychischen Erkrankungen ausreichend inten- Zielen Leistungsorientierung und Transparenz gerecht siv zu behandeln, um stationäre Aufnahmen im Vorfeld wird . Der Gesetzentwurf zielt damit in seiner Grundaus- zu vermeiden . Ziel muss es sein, dass die verschiedenen richtung auf eine Weiterentwicklung der Versorgung und Leistungserbringer in einem gemeindepsychiatrischen der Vergütung für psychiatrische und psychosomatische Verbund abgestimmte Behandlungen aus einer Hand Leistungen . Um dies zu erreichen, werden systematische auch im häuslichen Umfeld und unter Einbeziehung des Veränderungen des Vergütungssystems vorgenommen . familiären und sozialen Umfelds anbieten . Hierfür sind rechtliche Vorgaben für Modellvorhaben auch in der am- In einem Punkt waren sich alle an der Erarbeitung des bulanten Versorgung zu schaffen sowie deren Finanzie- Gesetzentwurfes Beteiligten von Anfang an einig: Obers- rung sicherzustellen . te Zielsetzung muss die Sicherstellung einer guten Ver- sorgung für seelisch kranke Menschen sein . Abschließend möchte ich noch auf den Griff in den Gesundheitsfonds eingehen, der ebenfalls im PsychVVG Eine seelische Erkrankung kann nun einmal nicht mit geregelt ist . Die Bundesregierung kann keine triftigen einem gebrochenen Arm gleichgesetzt werden . Ein und 18962 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) dasselbe Krankheitsbild kann unter unterschiedlichen die Phase, in der Krankenhäuser das System freiwillig (C) Begleitumständen auch unterschiedliche Therapieansät- anwenden können (sog . „Optionsphase“), um ein Jahr bis ze erfordern . Dies ist mit festen Preisen bei seelischer Er- Ende 2017 verlängert . Darüber hinaus werden die Jah- krankung also nur schwer zu erfassen . Der Gesetzentwurf re 2017 bis 2019 weiterhin budgetneutral ausgestaltet . sieht vor, dass psychiatrische und psychosomatische Kli- D .h ., den Kliniken entstehen durch das neue Entgeltsys- niken ihr Budget weiterhin individuell verhandeln kön- tem in diesen Jahren weder Gewinne noch Verluste . Die nen und regionale oder strukturelle Besonderheiten (in mit der langen budgetneutralen Einführungsphase ver- der Leistungserbringung) dabei berücksichtigt werden bundenen geschützten Bedingungen ermöglichen es den können . Im Ergebnis wird damit die Verhandlungsebene Einrichtungen, sich bis zur ökonomischen Wirksamkeit vor Ort gestärkt . ab dem Jahr 2020 auf die neuen Strukturen einzustellen . Zugleich halten wir an den Zielen Transparenz und Alles in allem glaube ich: Man kann mit Fug und Leistungsorientierung fest . Dies spiegelt sich unter ande- Recht sagen, dass mit dieser Neuausrichtung die Weiter- rem in dem Vorschlag wider, an einem bundesweiten und entwicklung des Psych-Entgeltsystems auf einem guten empirisch kalkulierten Entgeltkatalog festzuhalten . Denn Weg ist . es ist zu gewährleisten, dass eine auskömmliche Finan- zierung auch in ein entsprechendes Behandlungsangebot Lassen Sie mich aber auch noch einige Worte zu The- umgesetzt wird . men jenseits der Versorgung von seelisch kranken Men- schen sagen, die der Gesetzentwurf ebenfalls aufnimmt . Durch die parallele Einführung eines leistungsbezo- genen Krankenhausvergleichs wird transparent, inwie- So sollen zum Beispiel die Deutsche Krankenhaus- weit unterschiedliche Budgethöhen von Krankenhäusern gesellschaft und der Spitzenverband der Gesetzlichen auf Leistungsunterschiede, regionale oder strukturelle Krankenversicherung anhand gemeinsam festzulegender Besonderheiten in der Leistungserbringung oder aber Kriterien ein bundesweites Verzeichnis der Standorte von andere klinikindividuelle Aspekte zurückzuführen sind . Krankenhäusern und ihren Ambulanzen erstellen, um un- Die leistungsorientierte Ausgestaltung eröffnet die Mög- ter anderem eine bessere Grundlage für die Qualitätssi- lichkeit, Versorgungsstrukturen zu analysieren und zu cherung, Krankenhausplanung und Statistik zu schaffen . optimieren . Damit soll der Vergleich den Krankenhäu- Im Gesetzentwurf ist auch vorgesehen, dass wir im sern und Kostenträgern vor Ort ermöglichen, ein der Jahr 2017 einmalig 1,5 Milliarden Euro aus der Liqui- Leistungserbringung angemessenes Budget zu verhan- ditätsreserve entnehmen . Hiermit sollen vorübergehende deln . In der Vergleichbarkeit der Einrichtungen auf der Mehrbelastungen der gesetzlichen Krankenkassen im Grundlage ihrer Leistungen liegt die Chance für mehr Zusammenhang mit der gesundheitlichen Versorgung Vergütungsgerechtigkeit zwischen den Einrichtungen . (B) von gesetzlich versicherten Asylberechtigten sowie im (D) Gleiches kann gleich und Ungleiches ungleich vergütet Hinblick auf Investitionen in den Aufbau einer moder- werden . nen und innovativen Versorgung (Aufbau der Telematik- Für Menschen, die seelisch erkrankt sind, ist die per- Infra­struktur) finanziert werden. sönliche Zuwendung vonseiten des Behandlungs- und Die Integration der Asylberechtigten in den Arbeits- Pflegepersonals besonders wichtig. Eine ausreichende markt ist eine der wichtigsten Aufgaben, die wir auf allen Personalausstattung in den Kliniken ist mir daher ein gesellschaftlichen Ebenen mit einer großen Kraftanstren- besonderes Anliegen . Um dies zu erreichen, soll der Ge- gung meistern müssen . Gerade auch die sozialen Siche- meinsame Bundesausschuss beauftragt werden, in seinen rungssysteme sind darauf angewiesen, dass möglichst Qualitätsrichtlinien (mit Wirkung zum 1 .Januar 2020) viele Asylberechtigte zu Beitragszahlern werden . Je bes- verbindliche Mindestpersonalvorgaben für die personelle ser die Integration gelingt, desto schneller können wir die Ausstattung der stationären psychiatrischen und psycho- Skeptiker davon überzeugen, dass Integration nicht nur somatischen Einrichtungen festzulegen . aus humanitärer Verantwortung geschieht, sondern eben Entsprechende Qualitätsrichtlinien sollen möglichst auch eine Investition in die Zukunft ist, und umso eher auf wissenschaftlichen Nachweisen beruhen . Sie sollen kann auch die aktuelle Mehrbelastung für die gesetzliche die Voraussetzungen schaffen, dass Behandlungsstan- Krankenversicherung durch steigende Beitragseinnah- dards von hochwertigen Leitlinien realisiert werden kön- men zu einer Chance werden . nen und somit zu einer Behandlung der Patientinnen und Aus diesem Grund halte ich eine Zwischenfinanzie- Patienten nach medizinisch besten verfügbaren Erkennt- rung durch eine Entnahme aus der Liquiditätsreserve für nissen beitragen . gerechtfertigt . Es erscheint mir nicht sachgerecht, stei- Zur Stärkung der sektorenübergreifenden Versorgung gende Zusatzbeiträge zu akzeptieren, solange wir in der können Menschen mit schweren psychischen Erkrankun- Liquiditätsreserve noch umfangreiche Reserven haben, gen in akuten Krankheitsphasen auch in ihrem häusli- um außergewöhnliche und vorübergehende Belastungen chen Umfeld (sog . „home treatment“) durch ein mobiles, aufzufangen . multiprofessionelles Behandlungsteam versorgt werden . Insgesamt haben wir daher für das Jahr 2017 eine ver- Ambulante Leistungserbringer werden hier mit einbezo- tretbare Lösung gefunden . Wir stellen sicher, dass die gen . Damit werden die Bedarfsgerechtigkeit und die Fle- Versicherten nicht zusätzlich belastet werden . Dennoch xibilität der Versorgung erhöht . leistet auch die gesetzliche Krankenversicherung einen Damit ausreichend Zeit für die Ausgestaltung des Ent- Beitrag zur Bewältigung der gesamtgesellschaftlichen geltsystems im Sinne eines Budgetsystems bleibt, wird Herausforderung durch die Flüchtlingskrise . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18963

(A) Anlage 18 dienen die Schöffen als Rechtsprechungsorgan, das für (C) lebensnahe Rechtsprechung sorgen kann, und sie sind Zu Protokoll gegebene Reden ein hervorragendes Symbol unserer Volkssouveränität zur Beratung des von der Bundesregierung ein- in Deutschland . Somit sehe ich die Schöffen als wich- gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur tigen und zu erhaltenden Bestandteil unseres Rechtspre- Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten chungsorgans . Aus diesen Gründen halte ich eine Ände- im Strafverfahren und zur Änderung des Schöf- rung des Gerichtsverfassungsgesetzes in Bezug auf die fenrechts (Tagesordnungspunkt 23) ehrenamtlichen Richter in der Strafrechtspflege für einen sehr sinnvollen Vorschlag . Alexander Hoffmann (CDU/CSU): In einem Recht- Im Zuge der Debatte über den Gesetzentwurf zur staat gilt es, auch die Rechte von Leuten, die unter Ver- Umsetzung der EU-Richtlinie sollten wir auch über eine dacht stehen, zu stärken . Deshalb freue ich mich, dass andere wichtige Reform sprechen . Herr Minister Maas, wird bei der Umsetzung des Fahrplans zur Stärkung der Sie haben am Anfang der Legislaturperiode die Reform Verfahrensrechte von Verdächtigen und Beschuldigten der StPO groß angekündigt . Diese Ankündigung hat in in Strafverfahren wieder einen Schritt weiter gekommen Juristenkreisen und auch bei anderen Menschen, die mit sind . der StPO arbeiten, großes Interesse und Erwartungen ge- Die vom Europäischen Parlament und dem Europä- weckt . Bedauerlicherweise warten wir noch immer auf ischen Rat beschlossene Richtlinie 2013/48/EU wird den Reformvorschlag, der von Ihnen einst so großartig nun auch durch punktuelle Veränderungen in unserem angekündigt worden ist . Nicht nur die Richterinnen und deutschen Gesetz eingehalten . Diese Richtlinie bekräf- Richter sind enttäuscht, sondern auch wir . Wir sollten die tigt das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand in Gelegenheit nutzen, im Zuge der Beratung des hier vor- Strafverfahren sowie bei Verfahren zur Vollstreckung des liegenden Gesetzentwurfs zu überlegen, ob wir nicht den Europäischen Haftbefehls . Sie beschließt das Recht auf einen oder anderen dringenden Reformpunkt der StPO Benachrichtigung eines Dritten und von Konsularbehör- ebenfalls noch aufnehmen . den bei Freiheitsentzug eines Jugendlichen . Wir haben Insgesamt denke ich, dass der von der Regierung vor- schon immer auf europäischer Ebene für diese Mindest- gelegte Gesetzentwurf auch dafür als gute Grundlage standards plädiert und damit am Ende auch Recht be- dienen kann – wie auch für die weiteren Beratungen und halten . Die Grundaussagen unseres Gesetzentwurfs sind Diskussionen . lediglich minimale Veränderungen in unserem bereits bestehenden Recht . Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Die Stärkung In der Strafprozessordnung geht es darum, das Recht (B) von Verfahrensrechten von Verdächtigen und Beschul- (D) auf Rechtsbeistand zu festigen und gleichzeitig den Bei- digten ist von enormer Bedeutung für die Bürgerinnen stand bei einem polizeilichen Verhör zu gewährleisten . und Bürger und damit für unseren Rechtsstaat als Gan- Auch im Jugendgerichtsgesetz wird nur eine Kleinig- zen . In diesem Sinne erstellte die EU im Jahr 2009 einen keit eingefügt, die in der Praxis so meistens schon An- Fahrplan zur Verbesserung der Umsetzung der elemen- wendung findet. Es geht um die Weitergabe von Informa- taren Grundrechte im Verfahrensrecht . Ein Meilenstein tionen an den Erziehungsberechtigen oder gesetzlichen dieses Fahrplans ist die 2013 beschlossene Richtlinie zur Vertreter oder Konsularbehörden während des Freiheits- Stärkung von Verfahrensrechten . In dem vorliegenden entzugs . Gesetzentwurf wird diese Richtlinie nun in deutsches Recht umgesetzt . Das Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen wird um die Möglichkeit erweitert, einen Das deutsche Verfahrensrecht erfüllt bereits jetzt ei- Rechtsbeistand im ersuchenden Mitgliedstaat zu benen- nen Großteil der Anforderungen der Richtlinie . An eini- nen . gen Stellen gibt es aber noch Handlungsbedarf . In diesem Hierbei bot sich die Möglichkeit zur Änderung des Rahmen warten wir auch alle weiterhin auf die groß an- Gerichtsverfassungsgesetzes in Bezug auf die ehrenamt- gekündigte umfassende Reform der Strafprozessordnung lichen Richter in der Strafrechtspflege, die sogenannten aus Ihrem Haus, verehrter Herr Justizminister Maas . Am Schöffen, die eine historische und wichtige Rolle in unse- Beginn des vierten und damit letzten Jahres dieser Le- rem Rechtssystem spielen . Die Schöffentätigkeit ist eine gislaturperiode hält sich meine Hoffnung auf den großen ehrenamtliche Tätigkeit, die jeder deutsche Bürger über Wurf in diesem zentralen Bereich unseres Rechtssystems 18 ausüben kann . Wie wichtig das Ehrenamt in unserer in sehr engen Grenzen . Die notwendigen Änderungen Bundesrepublik ist, sollte jedem von uns bewusst sein: hätten nämlich im Rahmen der Reform des Strafprozess- Rund ein Drittel aller deutschen Bürger übt ein Ehren- rechts vorgenommen werden können . amt aus . Es darf und soll für uns nicht wie eine Floskel Insgesamt werden vier Änderungen zur Umsetzung klingen, aber es kann nicht oft genug betont werden, wie der Richtlinie nötig . wichtig alle Ehrenamtlichen für unsere Gesellschaft sind . Das Schöffensystem, welches schon seit dem Mittelalter Erstens soll ein Anwesenheitsrecht des Verteidigers in Deutschland und nun auch in einigen anderen Län- bei der polizeilichen Vernehmung etabliert werden . Dem dern existiert, soll wichtiger Bestandteil unseres Rechts- Beschuldigten bereits in diesem Stadium einen Rechts- systems bleiben . Sie sollen weiterhin das Vertrauen der beistand an die Seite zu stellen, ist ein Kernstück der Bürgerinnen und Bürger in die Justiz bestärken . Zudem Umsetzung der genannten Richtlinie . 18964 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) Zweitens werden mögliche Kontaktsperren gemäß tere Beteiligung ist ausgeschlossen . Im Gegenzug soll (C) §§ 31 ff . EGGVG eingeschränkt . Diese sollen in Zukunft eine weitere Möglichkeit geschaffen werden, das Amt nicht mehr den Verteidiger einschließen . Nur so kann ein abzulehnen, um den Interessen der Schöffen Rechnung uneingeschränkter Rechtsbeistand des oder der Verdäch- zu tragen und eine Überlastung zu verhindern . tigen bzw . Beschuldigten gesichert werden . Momentan ist es möglich, den Verdächtigten bzw . Beschuldigten Mithilfe dieser Änderung ist es uns möglich, das Ver- jeglichen Kontakt zur Außenwelt zu untersagen, wenn trauen der Bevölkerung in die Rechtsprechung aufrecht- eine gegenwärtige Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit zuerhalten und lebensnahe Urteile langfristig zu gewähr- von einer terroristischen Vereinigung ausgeht und die leisten . Kontaktsperre zur Abwehr der Gefahr geboten ist . Dies Die Bundesrepublik setzte sich stets für die Schaf- steht im Widerspruch zu dem in Artikel 47 und 48 der fung von gemeinsamen Mindeststandards innerhalb der EU-Grundrechtscharta gewährleisteten Recht auf wirk- Europäischen Union ein . Mit dem vorliegenden Entwurf samen Rechtsbehelf und den Verteidigungsrechten . Eine setzen wir diesen Standard in unserer Rechtsordnung um Gesetzesänderung ist dementsprechend erforderlich . und stärken gleichzeitig unseren Rechtsstaat . Drittens soll im Falle eines Europäischen Haftbefehls die gesuchte Person über das Recht informiert werden, Dirk Wiese (SPD): Deutschland ist bei den Verfah- im ersuchenden Mitgliedsstaat einen Rechtsbeistand be- rensrechten von Beschuldigten grundsätzlich gut aufge- nennen zu können, um die Grundrechte auf wirksamen stellt . Wir erfüllen die europäischen Vorgaben weitge- Rechtsbehelf und Verteidigung rundum zu sichern . hend und haben weltweit einen der höchsten Standards . Viertens regelt der neue Gesetzentwurf eindeutig, dass Ab und an gibt es natürlich Nachbesserungsbedarf, bei- bei Festnahmen von Jugendlichen die Erziehungsberech- spielsweise wenn trotz Umsetzungsbedarf Richtlinien tigten oder die gesetzlichen Vertreter so bald wie möglich des Europäischen Parlaments und des Rates noch nicht in zu unterrichten sind . Momentan ist dies nur indirekt gem . nationales Recht kodifiziert wurden. So ist es auch hier. § 67 JGG geregelt . Durch die Richtlinie sehen wir eine Der heute hier in erster Lesung zu beratende Gesetzent- explizite Regelung als geboten an . Allerdings fordern wir wurf zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldig- eine Angleichung der Ausnahmeregelungen des neuen ten im Strafverfahren und zur Änderung des Schöffen- § 67a JGG an den § 67 JGG . Die Umstände, unter denen rechts setzt hauptsächlich die Richtlinie 2013/48/EU vom eine Benachrichtigung der Erziehungsberechtigten oder 22 . Oktober 2013 um . Kernpunkt des Gesetzentwurfs ist gesetzlichen Vertreter ausnahmsweise ausbleiben darf, die Änderung der Vorschriften über eine Kontaktsperre müssen neu festgelegt werden . Denn § 67 JGG und § 67a in den §§ 31 bis 36 des Einführungsgesetzes zum Ge- richtsverfassungsgesetz . Eine solche Kontaktsperre wird (B) JGG sichern das elterliche Erziehungsrecht von Vater (D) und Mutter aus Artikel 6 GG . Dieses ist für uns von her- den Zugang zum Verteidiger nicht mehr in allen Fällen ausragender Bedeutung und gehört gesichert . ausschließen . Außerdem verankern wir gesetzlich ein ausdrückliches Anwesenheitsrecht des Verteidigers, ins- Mit diesen Änderungen ist es uns möglich, das Recht besondere bei polizeilicher Befragung, bei Ermittlungs- des Verdächtigen bzw . Beschuldigten auf ein faires Ver- maßnahmen und bei Identifizierungs- und Vernehmungs- fahren weiter zu stärken . Gleichzeitig wird auch der gegenüberstellungen . Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Men- schenrechte Rechnung getragen, der in seinem Urteil im- Zusätzlich wird im JGG eine neue Regelung aufge- mer wieder Verdächtigen und Beschuldigten ein Zugang nommen werden, dass der Erziehungsberechtigte und der zu Rechtsbeistand und Verteidigung ohne Einschränkung gesetzliche Vertreter eines Jugendlichen grundsätzlich so zuspricht . bald wie möglich unter Angabe von Gründen zu unter- richten sind, wenn dem Jugendlichen die Freiheit entzo- Darüber hinaus trägt die Umsetzung der Richtlinie gen wurde . Einzige Ausnahme bildet hier die erhebliche zur Weiterentwicklung des gemeinsamen europäischen Gefährdung des Kindeswohls durch eine solche Unter- Rechtsraumes bei . In Artikel 82 Absatz 1 AEUV wurde richtung . Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn die festgelegt, dass Urteile in Strafsachen gegenseitig aner- Eltern verdächtigt werden, an der vorgeworfenen Tat be- kannt werden sollen . Um das hierfür notwendige Ver- teiligt gewesen zu sein . Hier besteht dann die naheliegen- trauen zu schaffen, müssen gemeinsame Mindeststan- de Gefahr, dass die Eltern im wesentlichem Maße von ih- dards für Rechte von Verdächtigen bzw . Beschuldigten ren eigenen Interessen geleitet werden und dass sich dies festgelegt werden . im Hinblick auf das Kindeswohl abträglich auswirkt . Neben der Umsetzung der erwähnten Richtlinie sollen Das Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Veränderungen beim Schöffenrecht vorgenommen wer- Strafsachen wird durch den vorliegenden Gesetzentwurf den . Aufgrund des akuten Schöffenmangels sind Maß- ebenfalls ergänzt. Hier wird die Verpflichtung verankert nahmen zur Stärkung des Schöffenbestandes dringend werden, in Verfahren zur Vollstreckung eines Europä- notwendig. Daher soll die verpflichtende Unterbrechung ischen Haftbefehls die gesuchte Person auch über ihr der Schöffentätigkeit nach zwei aufeinanderfolgenden Recht zu unterrichten, im ersuchenden Mitgliedstaat ei- Amtszeiten wegfallen . So wird vor allem eine länge- nen Rechtsbeistand zu benennen . re Tätigkeit von engagierten, erfahrenen Bürgerinnen und Bürgern als Schöffen möglich . Nach der jetzigen Als letzter Punkt sind noch der Wegfall der ver- Regelung haben sie nach der Zwangspause häufig das pflichtenden Unterbrechung der Schöffentätigkeit nach Höchstalter von 75 Jahren überschritten, und eine wei- zwei aufeinanderfolgenden Amtsperioden und die Erwei- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18965

(A) terung der Möglichkeiten, ein Schöffenamt abzulehnen, Vernehmungen festgeschrieben werden . Gleichzeitig (C) zu benennen . soll mit einer Änderung der Vorschriften über eine Kon- taktsperre in den §§ 31 bis 36 im EGGVG eine solche Kontaktsperre den Zugang zum Verteidiger nicht mehr in Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Diese Rede geht zu Protokoll und bietet so einen guten Anlass, etwas allen Fällen ausschließen . Schließlich soll mit der Ände- grundsätzlicher zu werden . rung im JGG festgeschrieben werden, dass der bzw . die Erziehungsberechtigte und der gesetzliche Vertreter ei- Immer wieder sieht sich die EU in der Kritik . Dabei nes Jugendlichen so bald wie möglich unter Angabe von wird häufig vergessen, dass es die Regierungen der Mit- Gründen zu unterrichten sind, wenn dem Jugendlichen gliedstaaten sind, die erheblichen Einfluss auf die Ge- die Freiheit entzogen wurde . setzgebung innerhalb der EU haben, und zumindest in Deutschland über den Artikel 23 GG und das EUZBBG Damit werden in der Umsetzung der Richtlinie Ver- erhebliche Mitbestimmungsrechte für den Bundestag fahrensrechte von Beschuldigten in Strafverfahren ge- existieren . Natürlich muss die EU demokratischer, fried- stärkt, was die Linke ausdrücklich begrüßt . Es ist explizit licher und sozial gerechter werden . Eine Pauschalkritik zu begrüßen, dass neben den bereits in § 168c Absatz 1 an der EU allerdings wird ihrer Rolle nicht gerecht . StPO und § 163a Absatz 2 in Verbindung mit § 168c Absatz 1 StPO verankerten Anwesenheitsrechtes eines Das zeigt sich auch am vorliegenden Gesetz zur Stär- Rechtsbeistandes bei Beschuldigtenvernehmungen im kung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Straf- Ermittlungsverfahren bei richterlichen und staatsanwalt- verfahren; denn dieses Gesetz basiert auf der Richtli- schaftlichen Vernehmungen nun durch eine Ergänzung nie des Europäischen Parlaments und des Rates vom des § 163a Absatz 4 StPO dieses Anwesenheitsrecht auch 22 .Oktober 2013 über das Recht auf Zugang zu einem auf polizeiliche Beschuldigtenvernehmungen ausgedehnt Rechtsbeistand in Strafverfahren und in Verfahren zur wird . Es ist auch richtig, klarstellend aufzunehmen, dass Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls sowie über dem Rechtsbeistand und auch der Staatsanwaltschaft das Recht auf Benachrichtigung eines Dritten bei Frei- nach der Vernehmung des Beschuldigten Gelegenheit heitsentzug und das Recht auf Kommunikation mit Drit- zu geben ist, sich dazu zu erklären oder Fragen an den ten und mit Konsularbehörden während des Freiheits- Beschuldigten zu stellen . Diese Regelungen stärken das entzugs . Diese Richtlinie, die Mindeststandards festlegt, faire Verfahren und sind damit auch ein Beitrag die De- zeigt, dass es mit der EU möglich ist, eine Erhöhung der mokratie zu stärken . Mindeststandards zu erreichen . Davon sollte es viel mehr geben, gerade weil die Idee eines Vereinigten Europa Ebenfalls auf ausdrückliche Zustimmung der Lin- eine gute Idee ist und die Idee der Nationalstaaten sich ken trifft die Umsetzung der Regelungen von Artikel 5 (B) überholt hat . der Richtlinie durch die Änderungen im JGG . Das JGG (D) enthielt bislang gerade keine ausdrückliche Bestimmung Es ist besonders positiv hervorzuheben, dass die darüber, dass, soweit einem Jugendlichen die Freiheit Richtlinie eine Angleichung der Standards auf höhe- entzogen wurde, „die Person, die Inhaberin der elterli- rem Niveau als bislang gerade im sensiblen Bereich des chen Verantwortung für das Kind ist“, von dem Freiheits- Strafverfahrensrechts ermöglicht . Gerade der Umgang entzug und den Gründen hierfür zu unterrichten ist . Der mit Beschuldigten im Strafverfahren ist immer wieder neue § 67a JGG ändert das nunmehr und schafft auch ein Gegenstand populistischer und einfacher Antworten, hier mehr Rechte für Beschuldigte . Antworten, die dann kaum mit der Würde des Menschen in Übereinstimmung zu bringen sind . Es ist deshalb au- Schließlich treffen auch die Änderungen in §§ 31 ff . ßerordentlich zu begrüßen, dass mit der Richtlinie und EGGVG auf die Zustimmung der Linken . Die Kon- dem darauf basierenden und heute zu debattierenden taktsperre an sich, das heißt die Unterbindung jeglicher Gesetz die Rechte von Beschuldigten im Strafverfahren Verbindung zwischen Gefangenen und der Außenwelt, gestärkt werden . trifft dabei nach wie vor auf die Kritik der Linken . In- sofern hätten wir uns durchaus auch vorstellen können, Das vorliegende Gesetz setzt die Richtlinie nun in die Regelungen in den §§ 31 ff . EGGVG zu streichen . deutsches Recht um und nimmt Änderungen unter an- Die grundsätzliche Herausnahme des Kontaktes zum derem an der Strafprozessordnung, StPO, vor . Die StPO Verteidiger bzw . zur Verteidigerin aus dem Anwendungs- ist derzeit Gegenstand noch mindestens zweier weiterer bereich der §§ 31 ff . EGGVG ist jedoch ein Schritt in die Gesetzgebungsverfahren . Aus Sicht der Rechtsanwender richtige Richtung . und Rechtsanwenderinnen, aber auch derjenigen, die im parlamentarischen Verfahren die einzelnen Vorschläge Gerade um die Idee von Europa zu stärken, wäre es prüfen und bewerten sollen, wäre es sicherlich wün- wünschenswert, wenn durch die EU mehr solcher Richt- schenswert, dass zukünftig versucht wird, keine paral- linien verabschiedet werden . Dann macht die Umsetzung lelen Gesetzgebungsverfahren in Bezug auf ein Gesetz in deutsches Recht Spaß . durchzuführen . Darüber hinaus sieht der Gesetzentwurf Änderungen Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- am Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz, NEN): Die Schaffung EU-weiter gemeinsamer Mindest- EGGVG, und im Jugendgerichtsgesetz, JGG vor . standards für Strafverfahren ist grundsätzlich ein wich- tiger und richtiger Schritt . Ein solcher Schritt soll durch In der StPO soll mit dem vorliegenden Gesetz ein die Umsetzung einer EU-Richtlinie gegangen werden . Anwesenheitsrecht des Verteidigers bei polizeilichen Es geht um das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbei- 18966 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) stand in Strafverfahren, im Verfahren zur Vollstreckung nämlich, dass die Rechtmäßigkeit eines Haftbefehls aus (C) eines Europäischen Haftbefehls, um das Recht auf Be- einem anderen Mitgliedstaat nicht nochmals gesondert nachrichtigung eines Dritten bei Freiheitsentzug und das nach nationalen Bestimmungen überprüft werden darf . Recht auf Kommunikation mit Dritten sowie mit Konsu- Das betrifft dann natürlich ebenso das Rechtsstaatsni- larbehörden während des Freiheitsentzugs . Im deutschen veau und die Beschuldigtenrechte . Auch das Erfordernis Recht sind die meisten Vorgaben aus der Richtlinie be- der beiderseitigen Strafbarkeit ist beim EU-Haftbefehl reits verankert . Das vorliegende Gesetz sieht nur kleinere eingeschränkt . weitere Änderungen vor . Diese enthalten Positives, zum Beispiel dass nun ein ausdrückliches Anwesenheitsrecht Welche Schwierigkeiten es gibt, zeigt ein aktueller des Verteidigers bei polizeilichen Vernehmungen vorge- Fall aus Rumänien . Hier wurde gegen einen deutschen sehen ist . Und wenn jemand aufgrund eines EU-Haft- Staatsbürger, der in Rumänien lebt und dort Verleger ei- befehls festgenommen wird, soll er zukünftig darüber ner regierungskritischen Zeitung ist, ein Verfahren we- informiert werden, dass er auch im ersuchenden Mit- gen angeblicher Korruption eingeleitet . Mittlerweile ist gliedstaat einen Anwalt nehmen kann und wie er das be- er verurteilt und sitzt in Rumänien in Haft . Sein Sohn werkstelligen kann . übernahm die Geschäfte des Vaters . Nun werden auch gegen ihn plötzlich Korruptionsvorwürfe erhoben . Er Negativ und unverständlich hingegen ist, dass an den wurde aufgrund eines Ersuchens der rumänischen Be- Vorschriften zur Kontaktsperre herumgedoktert wurde, hörden in England festgenommen, kam dort in Untersu- statt sie gänzlich zu streichen . Diese Regelungen wur- chungshaft . Im November soll über seine Überstellung den seit ihrer Einführung 1977 nie mehr angewendet . entschieden werden . Vieles deutet auf ein politisch moti- Im letzten Jahr hatte Justizminister Maas angekündigt, viertes Verfahren hin . All dies verdeutlicht die Probleme, diesen alten Zopf abzuschneiden und die Kontaktsperre die Ersuchen aus EU-Mitgliedstaaten verursachen kön- zum Verteidiger aus dem Gesetz zu streichen . Jetzt ist sie nen, in denen rechtsstaatlich bedenkliche Bedingungen immer noch drin – wenn auch eingeschränkter . Minister herrschen, es ein völlig anderes Strafverfahrensrecht und Maas sagte zur Begründung der Streichung, Gesetzge- auch andere Straftatbestände gibt . bung müsse auf der „Höhe der Zeit“ sein . Das bedeute nicht nur, die Befugnisse des Staates auszuweiten . Wenn Zumindest hat der Gerichtshof der Europäischen staatliche Befugnisse ihre Notwendigkeit verloren hät- Union, EuGH, im April dieses Jahres entschieden, dass ten, dann solle der Gesetzgeber auch den Mut und die Europäische Haftbefehle aus Ungarn und Rumänien in Kraft haben, sie wieder abzuschaffen . Recht hatte der Deutschland und anderen EU-Mitgliedstaaten nicht ohne Mann . Jetzt müsste der Minister zeigen, dass er Mut und Weiteres vollstreckt werden dürfen . Zuvor müssen die Kraft hat, die Streichung dieser völlig überflüssigen und Behörden Informationen über die dortigen Haftbedin- (B) höchst bedenklichen Regelung voranzutreiben . gungen abfragen . Der EuGH hat allerdings gleichzeitig (D) erklärt, dass die allgemeinen Haftbedingungen im ersu- Das eigentliche Problem der europäischen Zusam- chenden Staat allein noch kein Grund seien, die Vollstre- menarbeit bei der Strafverfolgung in der EU aber re- ckung eines europäischen Haftbefehls abzulehnen . geln die EU-Richtlinie und der vorliegende Gesetzent- wurf nicht . Das ist die Angleichung von Strafrecht und Wirklich helfen kann also nur die Rechtsangleichung Strafverfahrensrecht unter Wahrung der Grundsätze der im Strafrecht und Strafverfahrensrecht im gesamten EU- Grund- und Menschenrechte aus den Europäischen Ver- Raum und eine entsprechende Rechts- und Staatspraxis, trägen und der hohen rechtsstaatlichen Standards der selbstverständlich unter Wahrung höchster rechtsstaatli- Verfassungen von Staaten wie Deutschland . Auch in der cher Standards . Sonst wird uns diese Diskussion immer deutschen Strafprozessordnung gibt es sicher einiges an wieder einholen, wie zum Beispiel bei Einführung der Reformbedarf . Wir arbeiten ständig daran . Gleichwohl geplanten Europäischen Staatsanwaltschaft . Auch hier- ist das rechtsstaatliche Niveau höher als in einigen an- bei wollen wir natürlich nicht hinter Standards, die unse- deren EU-Staaten . Das kann etwa bei der Vollstreckung re deutsche Rechtsordnung hält, zurückbleiben . eines Europäischen Haftbefehls zu rechtsstaatlich be- Mir ist klar, wie hoch kompliziert die komplette denklichen Situationen führen . Auch in Deutschland Rechtsangleichung ist . Aber ohne sie bleiben die kleinen können Personen festgenommen werden, gegen die in Schritte Stückwerk, das häufig unpraktikabel ist und in einem anderen EU-Mitgliedstaat ein Haftbefehl vorliegt . den Einzelfällen zu unbefriedigenden und ungerechten Das kann zu einer wirksamen Strafverfolgung beitragen, Ergebnissen führen kann . weil sich eine Person, gegen die ein Haftbefehl ergan- gen ist, diesem nicht einfach durch Absetzen ins Ausland entziehen kann . Sie kann zur Strafverfolgung oder Voll- Christian Lange, Parl . Staatssekretär beim Bundes- streckung einer Freiheitsstrafe an das andere EU-Land minister der Justiz und für Verbraucherschutz: Wir be- übergeben werden . Der EU-Haftbefehl vereinfacht und fassen uns heute in erster Lesung mit dem Entwurf des beschleunigt den Ablauf im Vergleich zum herkömmli- Zweiten Gesetzes zur Stärkung der Verfahrensrechte von chen, oft langwierigen Auslieferungsverfahren erheblich . Beschuldigten im Strafverfahren und zur Änderung des Schöffenrechts . Dieses Vorhaben knüpft mit seinem Ti- Das Verfahren, das auf dem Grundsatz der gegensei- tel an das Gesetz zur Stärkung der Beschuldigtenechte tigen Anerkennung beruht, ist aber nur akzeptabel, wenn an, das wir in der vergangenen Legislaturperiode bera- die rechtlichen Standards und Beschuldigtenrechte ver- ten und beschlossen haben, um das deutsche Recht an gleichbar gut geregelt sind . Ist es nicht so, wird es pro- die Vorgaben der Europäischen Union zur Stärkung der blematisch . Die Besonderheit des EU-Haftbefehls ist es Rechte des Beschuldigten im Bereich der Dolmetschung Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18967

(A) und bei der Unterrichtung über seine Rechte und über derung des Bundesfernstraßenmautgesetzes (Ta- (C) den Tatvorwurf anzupassen . Wie auch jetzt bestand be- gesordnungspunkt 25) reits damals nur ein geringfügiger Umsetzungsbedarf, weil das deutsche Strafverfahrensrecht die Beschuldig- tenrechte umfassend in den Blick nimmt und bereits Karl Holmeier (CDU/CSU): Mit der stetigen Erwei- heute in hohem Maße schützt . Deutschland hat sich vor terung und Vertiefung der Lkw-Maut bekennt sich die diesem Hintergrund immer besonders engagiert für einen Große Koalition zum Wechsel von der Steuer-hin zur hohen europäischen Standard der Beschuldigtenrechte Nutzerfinanzierung. In diesem Tenor ist auch der Ent- im Strafverfahren eingesetzt und die europäische Road wurf des Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundes- Map für die Beschuldigtenrechte massiv vorangetrieben . fernstraßenmautgesetzes zu sehen, über das wir heute in Aktuelle internationale Entwicklungen zeigen uns, dass erster Lesung beraten . wir auch über die EU hinaus für hohe Mindeststandards im Strafverfahren eintreten müssen . Das gilt insbesonde- Der Erhalt und der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur re auch für den Bereich, der mit dem jetzt zu beratenden ist eine Daueraufgabe . Eine gute Infrastruktur ist von Vorhaben umgesetzt werden soll: das Recht auf Zugang entscheidender Bedeutung für eine gute Wirtschaftsent- zu einem Rechtsanwalt . wicklung . Die deutsche Verkehrspolitik steht tatsächlich vor gewaltigen Herausforderungen, vor allem bei der Wer sich mit dem Vorwurf einer Straftat konfrontiert Straßeninfrastruktur . Hier bedarf es enormer Anstren- sieht, muss das Recht haben, sich frühzeitig und wäh- gungen . rend des gesamten Verfahrens von einem unabhängigen Rechtsanwalt als Verteidiger beraten und unterstützen zu Einen großen Beitrag zur Bewältigung dieser Heraus- lassen . Dieses Recht auf anwaltlichen Beistand gehört forderungen haben wir heute Morgen mit der Einbrin- zu den fundamentalen Grundrechten des Beschuldigten gung des Bundesverkehrswegeplans 2030 erbracht . im Strafverfahren . Es muss gerade auch bei schweren und schwersten Tatvorwürfen grundsätzlich ohne Ein- Dies hat die Union mit ihrem CSU-Verkehrsminister schränkungen gewährt werden . Ausnahmen müssen auf Alexander Dobrindt erkannt . Wir haben es angepackt! extreme Sondersituationen zur Abwehr gegenwärtiger Wir haben besondere Anstrengungen unternommen, um Gefahren für Leib oder Leben Dritter beschränkt bleiben . zusätzliche Ausgaben für eine moderne, sichere und leis- Die Vorschriften über die sogenannte Kontaktsperre sol- tungsstarke Verkehrsinfrastruktur auf den Weg zu brin- len daher künftig uneingeschränkt nur noch gegenüber gen . Daran halten wir auch in Zukunft fest . Mitgefangenen und Dritten zur Anwendung kommen, Wir werden Straßen, Schienen- und Wasserwege er- gegenüber einem Verteidiger nur noch in den ganz engen halten und weiter ausbauen . Diesem Ziel dient auch die (B) Grenzen, die sich aus der EU-Richtlinie ergeben . (D) mit dem vorliegenden Gesetzentwurf beabsichtigte Aus- Daneben sieht der Gesetzentwurf nur geringfügige, weitung der Lkw-Maut auf alle Bundesstraßen . überwiegend klarstellende Regelungen vor, um die deut- sche Rechtslage den europäischen Vorgaben anzupassen . Der Bund erhebt die Lkw-Maut bislang auf rund Ich nenne hierzu nur beispielhaft die Anwesenheitsrechte 12 800 Kilometern Bundesautobahnen sowie auf rund des Verteidigers bei Vernehmungen und Gegenüberstel- 2 300 Kilometern autobahnähnlicher Bundesstraßen . lungen, die, um sie effektiv auszugestalten, einhergehen Obgleich Lkw sämtliche Bundesstraßen befahren und die müssen mit einem aktiven Frage- und Äußerungsrecht Verkehrsinfrastruktur damit belasten, ist der Großteil der des Verteidigers . etwa 40 000 Kilometer Bundesstraßen noch nicht maut- pflichtig. Mit der zusätzlichen Erhebung der Lkw-Maut Wir haben das vorliegende Gesetzgebungsvorha- auf allen Bundesstraßen sollen zusätzliche Einnahmen ben um einen weiteren Punkt ergänzt, der ebenfalls das generiert werden, die in die Infrastruktur reinvestiert Strafverfahren betrifft . Schöffen sollen in Zukunft auch werden . Die Höhe der Einnahmen hängt natürlich von länger als zwei Amtsperioden ohne Unterbrechung tätig den jeweiligen Fahrleistungen ab, die Lkw auf den Bun- sein dürfen . Vor allem aktive Seniorinnen und Senioren desstraßen erbringen . Die bisherigen Schätzungen belau- können das Schöffenamt somit durchgehend bis zum Er- fen sich auf bis zu 2 Milliarden Euro, die der Bund mit reichen der Altersgrenze ausüben . der neuen Stufe der Lkw-Maut ab 2018 mehr einnehmen wird, ein Milliardenbetrag, der nach Abzug der Betrei- Die Bundesregierung legt damit einen Gesetzentwurf berkosten voll dem Erhalt und Ausbau der Verkehrsinfra- vor, der zum einen die Beschuldigtenrechte den europa- struktur zugutekommen wird . rechtlichen Vorgaben entsprechend stärkt und zum ande- ren dafür Sorge trägt, dass vorhandenes Engagement für Unser Verkehrsminister Alexander Dobrindt steht für das Schöffenamt auch zum Einsatz kommen kann . Investitionsrekorde und den größten Infrastrukturhaus- halt, der jemals in den Deutschen Bundestag eingebracht wurde: Fast 14 Milliarden Euro für die Infrastruktur im Jahr 2017 . Das ist noch einmal ein Zuwachs von knapp Anlage 19 10 Prozent im Vergleich zum Jahr 2016 . Für 2018 ist in Zu Protokoll gegebene Reden Relation zu den Ausgaben im Jahr 2014 gar ein Rekord- mittelaufwuchs von 40 Prozent vorgesehen . Die Investi- zur Beratung des von der Bundesregierung einge- tionen in die Infrastruktur sind von 10,4 auf 14,4 Milliar- brachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Än- den Euro gestiegen . 18968 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) Wir haben einen klaren Schwerpunkt: Es geht uns um Damit beteiligt sich die Güterkraftverkehrsbranche in (C) Zukunftsinvestitionen in die Infrastruktur . Denn Mobili- direkter Form zu mehr als der Hälfte an den Gesamtkos- tät schafft Arbeit und Wohlstand . ten für die in Anspruch genommene Infrastruktur . Dar- über hinaus trägt sie die nicht unerheblichen Kosten für Mit der Lkw-Maut generieren wir nicht nur zusätz- etwaige Umstellungen der Geräte und Mehrverwaltung . liche Einnahmen . Die durchdachte Ausgestaltung hat darüber hinaus in der Transportbranche Anreize für In- Dafür und für die Bereitschaft in den vergangenen vestitionen in eine ökologische Flotte gesetzt . Die Maut Jahren, die im Koalitionsvertrag beschlossene Auswei- hat sich also auch als ein wirksames Instrument zur be- tung der Maut ohne großen Widerstand mitzutragen, schleunigten Modernisierung der von Mautgebühren be- möchte ich den vielen Unternehmerinnen und Unterneh- troffenen Fahrzeugflotte erwiesen. Die Modernisierung mern der Güterkraftverkehrsbranche an dieser Stelle ein- wirkt sich positiv auf die Menschen aus, die unmittel- mal ausdrücklich danken; denn sie stehlen sich nicht aus bar an den Straßen wohnen – vor allem natürlich in Bal- ihrer Verantwortung . Sie sind, wie wir alle wissen, das lungsgebieten . Rückgrat der erfolgreichen deutschen Wirtschaft . Wir betreiben eine ökologische Verkehrspolitik . Mit der Mautausweitung erreichen wir aber nicht nur eine breitere Basis für die Finanzierung unserer Straßen- Ich freue mich auf die nun anstehenden parlamentari- verkehrswege; es gelingt uns so auch besser, diejenigen, schen Beratungen im Verkehrsausschuss . Dabei sollten die für den Verschleiß der Infrastruktur hauptsächlich unsere Forderungen aus dem Entschließungsantrag vom verantwortlich sind, stärker zu belasten . 25 .März 2015 zum Entwurf des Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundesfernstraßenmautgesetzes Eingang Damit schaffen wir die gerechtere Kostenteilung zwi- in die Beratungen finden. Mir geht es vor allem darum, schen den privaten Nutzern, die mit dem Pkw die Straße dass Handwerksbetriebe nicht benachteiligt werden . Dar- wenig abnutzen, und den Transportunternehmen mit ih- über hatten wir schon bei der Erweiterung der Lkw-Maut ren schweren Nutzfahrzeugen . auf Fahrzeuge mit 7,5 Tonnen lange diskutiert . Ziel wäre, Darüber hinaus will das Bundesverkehrsministerium eine eigene Fahrzeuggruppe zwischen 7,5 und 12 Tonnen bis Ende nächsten Jahres die Ausweitung der Maut auf einzuführen . kleinere Lkws mit einem zulässigen Gesamtgewicht von Entscheidend wird auch sein, dass die Mautsätze auf 3,5 bis 7,5 Tonnen und auf Fernbusse prüfen . Gleiches Bundesautobahnen und Bundesstraßen die gleiche Höhe gilt für die Einbeziehung von Lärmkosten . aufweisen . Hier muss unbedingt ein Weg gefunden wer- Neben dem finanziellen Aspekt hat die Ausweitung der den, den ländlichen Raum ohne Autobahnanbindung Maut aber auch positive Auswirkung in Sachen Nachhal- (B) nicht durch höhere Mautsätze auf Bundesstraßen zu be- tigkeit: Die steigenden Kosten und die Einstufung nach (D) nachteiligen . Emissionsklassen bilden für die Unternehmen den An- Das alles wird zu spannenden Beratungen führen . reiz, möglichst emissionsarme Fahrzeuge einzusetzen . Wir alle wünschen uns zudem eine weitere Verlagerung Packen wir es an! der Gütertransporte von der Straße auf die Schiene und die Wasserstraße . Hier trägt die Mautausweitung im di- Thomas Viesehon (CDU/CSU): Das Vierte Gesetz rekten Wettbewerb zu einer Stärkung dieser alternativen zur Änderung des Bundesfernstraßenmautgesetzes, das Verkehrsträger bei . wir heute in erster Lesung im Bundestag beraten, ist ein Ich habe als Berichterstatter für meine Fraktion in den weiterer Baustein einer vorzugsweise durch den Nutzer letzten Jahren in diesem Zusammenhang viele Gesprä- finanzierten Verkehrsinfrastruktur; denn damit wird zu- che zum kombinierten Verkehr geführt . Einige Produ- künftig auch auf allen Bundesstraßen die Lkw-Maut er- zenten in Deutschland haben gute Erfahrungen mit dem hoben . verknüpften Weg über Straße und Schiene gemacht . Für Ich danke Bundesverkehrsminister Alexander etliche Schwertransporte ist der Weg über die deutschen Dobrindt für die konsequente und gradlinige Fortschrei- Binnenwasserstraßen nach wie vor der effizienteste bung dieser eingeschlagenen Richtung und die Umset- Transportweg . zung unserer Vereinbarung zur Ausweitung der Maut- Viele wollen ihren Beitrag zur weiteren Einsparung pflicht aus unserem Koalitionsvertrag. von CO2 leisten, aber sie können ihre Lieferketten nur dann weg von der Straße verlagern, wenn dieser Weg Die Ausweitung der Lkw-Maut auf alle Bundesstraßen wirtschaftlich ist . Da spielen die Transportkosten, aber generiert jährliche Mehreinnahmen von knapp 2 Milliar- auch der Zeitfaktor eine entscheidende Rolle . den Euro . Zuzüglich der jetzigen Nettomauteinnahmen von 3,4 Milliarden Euro stehen damit mehr als 5 Milli- Dennoch werden wir in Zukunft nicht auf den Liefer- arden Euro jährlich zweckgebunden im Verkehrshaushalt weg über die Straße verzichten können . Wir müssen den für die Straßeninfrastruktur des Bundes zur Verfügung . Verkehr und seine Infrastruktur hierzulande sichern . Das ist unerlässliche Voraussetzung für eine zuverlässig funk- Unsere derzeitigen Gesamtausgaben für den Erhalt tionierende Wirtschaft in Deutschland . und den Neubau von Bundesautobahnen und Bundes- fernstraßen belaufen sich – nach Einläuten des Investi- Mit der weiteren Ausweitung der Maut und den damit tionshochlaufs durch diese Bundesregierung – auf circa erreichten zweckgebundenen Mehreinnahmen sichern 9 Milliarden Euro im Jahr . wir nicht nur den derzeitigen Investitionshochlauf für die Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18969

(A) Straße, sondern sorgen in Kombination mit den weite- sichergestellt werden muss . Der Betreibervertrag der (C) ren Steuereinnahmen auch dafür, dass die enormen Ge- mit den technischen Umsetzungen zur Ausweitung der samtinvestitionen des Bundesverkehrswegeplanes 2030 Mauterhebung betrauten Toll Collect GmbH endet im in Straße, Schiene und Wasserstraße sicher finanzierbar August 2018 – auf keinen Fall darf es danach zu einer sind. Hiervon profitiert letztlich auch die Schieneninf- Unterbrechung des Betriebs kommen, mit der die Ein- rastruktur, die Voraussetzung für einen weiteren Ausbau nahmen aus der Nutzerfinanzierung gefährdet würden. unseres Schienengüterverkehrsnetzes ist . Mit dem jetzt zur Beratung vorliegenden Gesetz wer- Herbert Behrens (DIE LINKE): Eigentlich ist heute den wir unsere erfolgreiche Verkehrspolitik weiter fort- ein Tag zur Freude; denn mit der Ausweitung der Lkw- setzen und Versäumnisse der Vergangenheit beseitigen; Maut auf alle Bundesstraßen wird eine Forderung erfüllt, denn das Gesetz ist gerecht, es stärkt die Nachhaltigkeit die von allen im Parlament vertretenen Parteien seit Jah- und schafft über die Zweckbindung die Finanzierungssi- ren erhoben wird . cherheit für unsere Verkehrsinfrastruktur! Mit der Mautausweitung wird vor allem ein Wettbe- werbsnachteil der Bahn beim Güterverkehr deutlich ver- Sebastian Hartmann (SPD): Im Mittelpunkt des ringert, die bekanntlich für jeden gefahrenen Kilometer Vierten Änderungsgesetzes steht die Ausweitung der bezahlen muss . Diese Ungleichbehandlung ist einer der Mauterhebung für Lkw oberhalb 7,5 Tonnen auf alle Gründe dafür, dass in den letzten Jahren immer mehr Bundesstraßen – ein Netz von 40 000 Kilometern, auf Güter auf der Straße transportiert werden und der Gü- dem ab Mitte 2018 Beiträge zur Nutzerfinanzierung für terverkehr auf der Schiene stagniert . Ich bin mir sicher, die Infrastrukturkosten geleistet werden . Wir freuen uns, dass wir hier im Parlament diesen Trend umkehren kön- dass mit dieser Ausdehnung vom bisher auf Bundesau- nen, und die Mautausweitung ist ein erster Schritt in die- tobahnen und einige zweispurige Bundesstraßen be- se Richtung . Dass dieser Weg beschritten werden muss, grenzten Aufkommen dann erhebliche Mehreinnahmen sollte jedem klar sein; denn die negativen Folgen des verbunden sein werden, die der Verkehrsinfrastruktur zu- massiv wachsenden Straßengüterverkehrs für Mensch gutekommen . Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich von und Umwelt wird niemand ernsthaft bestreiten . Anfang an dafür stark gemacht, diese Ausweitung noch Aber der Teufel steckt bekanntlich im Detail, und die- in dieser Legislaturperiode zu beschließen . se Details trüben meine Freude ungemein . Es gibt eine Was zur Umsetzung des geänderten Bundesfernstra- lange Liste von Einwänden gegen dieses Gesetz und die ßenmautgesetzes benötigt wird, ist das nächste Wege- Mautpolitik der Bundesregierung, von denen ich nur drei kostengutachten, das die Berechnung und Festlegung der ansprechen möchte . (B) Mautsätze für den Zeitraum nach 2017 vornehmen muss . Erstens: Wieder einmal konnte sich die Bundesregie- (D) Bereits im aktuellen Wegekostengutachten 2013 bis 2017 rung nicht dazu durchringen, auch die Fernbusse in die waren Veränderungen in der Berechnungsgrundlage nötig Mautpflicht zu nehmen. Mit der Mautbefreiung für Fern- geworden, um zum Beispiel Umweltkosten veranschla- busse widerspricht die Bundesregierung ihrem eigenen gen zu können, aber auch das veränderte Zinsniveau an- Credo, das Verursacherprinzip zu stärken und zunehmend zulegen . Für die nächste Stufe wird es darauf ankommen, auf eine Nutzerfinanzierung zu setzen. In ihrer Gegenäu- angemessene Mautsätze zu finden, die im Spannungsge- ßerung zur Stellungnahme des Bundesrates verweist die flecht aus Vorgaben der EU-Wegekostenrichtlinie, Voll- Bundesregierung darüber hinaus eindringlich auf den kosten der Bundesstraßen und Belastungsgrenzen ihrer Gleichheitsgrundsatz, wenn sie dessen Forderung nach Nutzer ermittelt werden müssen . Zu vermeiden ist, dass der Ausnahme landwirtschaftlicher Nutzfahrzeuge von durch Umrechnung der Vollkosten auf die Fahrleistung der Mautpflicht kategorisch ausschließt. Offensichtlich als Grundlage der Mautsätze auf Bundesstraßen am Ende sind Fernbusse aber gleicher als Fahrzeuge der Landwirt- die maximal zulässigen Mautteilsätze viel höher liegen schaft, oder anders ausgedrückt: Die Regierung hat selbst als auf Bundesautobahnen . Einheitliche Mautteilsätze keine Argumente mehr, eine Fernbusmaut abzulehnen . sind deshalb eine Forderung der Wirtschaft . Herr Dobrindt! Aus ihrem Hause hätte ich jetzt we- Neu ist im Bundesfernstraßenmautgesetz ab die- nigstens mit einer Maut für ausländische Busunterneh- ser vierten Änderung vor allem, dass ein Teil der Bau- men gerechnet – zum Glück musste ich einen solchen last an den Bundesstraßen nicht mehr beim Bund liegt: Unsinn wie bei der Pkw-Maut in ihrem Gesetzentwurf je- Auf 8 Prozent des gesamten Netzes beziffert der Ge- doch nicht finden. Die Linke wird jedoch darauf dringen, setzentwurf die Streckenabschnitte von Bundesstraßen, dass eine Maut für Fernbusse in diesem Gesetz zu finden die als Ortsdurchfahrten in Kommunen von mehr als sein wird . Eine Fernbusmaut ist nämlich „fair, sinnvoll, 80 000 Einwohnern verlaufen . Hier wird eine Auskeh- gerecht“ und vor allem längst überfällig! rung der Mauteinnahmen über die Bundesländer statt- finden, in deren finanzverfassungsrechtlicher Zuständig- Zweitens entpuppt sich der Gesetzentwurf als riesige keit sich die Gemeinden befinden. Ihre Verwendung soll Datenkrake . Jetzt müssen Daten 120 Tage lang gespei- zweckgebunden sein . chert werden, die früher nicht einmal übermittelt wur- den – nämlich die Positionsdaten aller Lkw, und zwar un- Bei aller Freude über die erfolgreiche Weichenstel- abhängig davon, ob sie auf einer mautpflichtigen Straße lung darf nicht in Vergessenheit geraten, dass der tech- unterwegs sind oder nicht . Dies kommt der Totalüberwa- nische und geschäftliche Betrieb der Mauterhebung un- chung aller Speditionen gleich; denn es geht hier schlicht bedingt über das Vertragsende der Toll Collect hinaus um Bewegungsprofile! Der Hinweis, dass die Daten nach 18970 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) einem Tag anonymisiert werden sollen, beruhigt mich da sche CSU-Kollegen, die bei ihm auf der Matte stehen, (C) wenig . Vor allem bleibt völlig unklar, wo diese Datensät- um ihre Ortsumgehung im Wahlkreis zu bekommen . Wir ze überall abgelegt werden und wer diese Daten nutzen stellen gerade einen Bundesverkehrswegeplan auf, und darf . Sollte es der Fall sein, dass sie vom Mautbetreiber es werden aktuell die Ausbaugesetze zur Umsetzung des Toll Collect – bei dem die Daten ja auflaufen – kommer- BVWP beraten . Wenn Sie, wie am Mittwoch geschehen, ziell genutzt werden dürfen, wäre das ein Geschenk im in den laufenden Prozess eingreifen und verfrüht das Wert von mehreren hundert Millionen Euro . Mit so ei- Füllhorn öffnen, dann ist das Investition nach Gutsher- nem Datensatz können nämlich kostenpflichtige Zusatz- renart und nichts anderes . Wir brauchen Investitionen, dienste angeboten werden, und Toll Collect hätte dann die dem Gesamtnetz dienen – und nicht einzelnen Abge- neben dem reinen Mauteinzug ein weiteres Monopol, ordneten vermeintlich die Wiederwahl sichern . was ich nicht akzeptieren kann . Also, beim Thema Da- Ein weiteres wichtiges Thema: Was Sie bei diesem tenerfassung und Datennutzung muss dringend nachge- Gesetz verpasst haben, ist die Berücksichtigung von bessert werden . innerörtlichen Ausweichverkehren . Hier brauchen Sie Beim Stichwort Toll Collect komme ich zum grund- dringend eine echte Lösung, Herr Dobrindt . Ich habe legenden Kritikpunkt an der Mautpolitik des Verkehrs- Sie dazu bereits im Rahmen der Regierungsbefragung ministeriums . Die ganze Mautausweitung steht nämlich am 11 .Mai 2016 angesprochen . Aber richtig verstanden vergaberechtlich auf mehr als wackligen Füßen . Die haben Sie die Problematik anscheinend noch nicht: Sie Direktvergabe der technischen Aufrüstung des Mautsys- beabsichtigen nämlich, auch sämtliche Ortsdurchfahr- tems an Toll Collect dürfte dem Europarecht widerspre- ten zu bemauten . Die Bundesstraßen werden dort dann chen; denn so ein großer Auftrag muss eigentlich ausge- bemautet, aber auf Landes- oder Gemeindestraßen wird schrieben werden . Zieht ein Konkurrent von Toll Collect keine Maut erhoben . Dies wird unweigerlich wieder zu doch noch vor Gericht, kann das ganze Unterfangen der innerörtlichen Ausweichverkehren führen . Ein Konzept, Mautausweitung noch scheitern . Es kann nicht angehen, wie Sie dem begegnen wollen, fehlt komplett . dass der Verkehrsminister ständig eine Politik der Hin- Diese Problematik wird unweigerlich entstehen . Am terzimmerdeals betreibt; denn das hat mit nachhaltiger einfachsten und sinnvollsten wäre es natürlich, die Lkw- Verkehrspolitik nichts zu tun . Diesen Stil kann man lei- Maut auf den Bundesstraßen nur außerörtlich zu erheben . der mit einem einfachen Änderungsantrag nicht ändern . Neuen Wind im BMVI kann wohl nur die Bundestags- Dann sparen sie sich auch die Verrenkungen, um das wahl bringen . beim Bund eingenommene Geld für die Nutzung der innerörtlichen Bundesstraßen verlustfrei zu den großen Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, dass die Kommunen zu bekommen . Denn ab 80 000 Einwohner (B) Linke neben einem Ausrufungszeichen sehr viele Fra- haben ja die Städte die Zuständigkeit für die Baulast der (D) gezeichen bei der Mautausweitung sieht . Ich hoffe aber Bundesstraßen . Direkt zahlen können wir aber nicht an sehr, wenn ich zum Beispiel an die Äußerungen von die Städte, sondern nur an die Länder . Da bin ich ja mal Martin Burkert zur Fernbusmaut denke, dass wir gemein- gespannt, ob die dort erhobenen Mauteinnahmen dann sam im parlamentarischen Verfahren wenigstens den Ge- auch wirklich ohne Bearbeitungsgebühr der Länder an setzentwurf zu einer runden Sache machen können . die Städte gelangen . Die Bundesländer und Kommunen sind daran interes- Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): siert, ihre Städte möglichst brummifrei zu halten oder die Die Bundesregierung möchte mit dem vorliegenden Ge- Brummis zumindest auf den Hauptstraßen zu halten . Für setzentwurf die Maut für Lastkraftwagen (Lkw-Maut) sinnvoll durchdachte Lösungen werden Sie da sicherlich auf alle Bundesstraßen ausweiten . Aktuell gilt diese fast Partner finden. Bessern Sie also den Gesetzentwurf ent- ausschließlich auf Autobahnen und vierspurigen Bundes- sprechend nach – für eine ganzheitliche Verkehrspolitik straßen . Die Ausweitung soll in Kürze rund 2 Milliarden in Deutschland und für weniger Belastungen durch Lärm Euro zusätzlich in den Bundeshaushalt spülen . und Emissionen in den Städten und Gemeinden! Machen Wir meinen: Zusätzliche Einnahmen im Verkehrsbe- Sie endlich Verkehrspolitik aus einem Guss und nicht so reich sind dringend notwendig, da wir einen riesigen Sa- ein ideologisches Flickwerk! nierungsstau aus den letzten Jahren vor uns herschieben . Daher haben wir auch schon immer eine Ausweitung der Lkw-Maut gefordert, damit der Bund genügend Geld zur Anlage 20 Verfügung hat, um die kaputten Straßen zu reparieren . Deutschland liegt beim Zustand seiner Verkehrsinfra- Zu Protokoll gegebene Reden struktur weit zurück, und entsprechend groß ist der Nach- zur Beratung des von der Bundesregierung einge- holbedarf . Wir haben in den nächsten Jahren die Mam- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung mutaufgabe nachholende Sanierung zu stemmen – und der Aufgaben der Bundesanstalt für Finanzmarkts- zusätzlich den laufenden Erhaltungsbedarf . Dafür sind tabilisierung (FMSA-Neuordnungsgesetz – FMSA- die zusätzlichen Mittel durch die Ausweitung der Lkw- NeuOG) (Tagesordnungspunkt 26) Maut auf alle Bundesstraßen ein Beitrag . Der Verkehrsminister muss aber aufpassen, dass die Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU): Mit dem Aus- Mehreinnahmen nicht in die falschen Kanäle laufen . bruch der Finanzkrise im Jahre 2008 schaute die Welt in Diese Gefahr besteht . Denn Herr Dobrindt hat bayeri- den Abgrund; denn die Finanzmärkte als Schlüsselmärk- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18971

(A) te unseres Wirtschaftssystems waren praktisch funkti- Mit der Errichtung der Bankenunion verbleibt für die (C) onsunfähig . Misstrauen hatte die Banken und andere FMSA damit nur noch der Verantwortungsbereich für die Finanzakteure ergriffen, Finanzinstitutionen waren nicht eher kleinen deutschen Banken, und sie wird damit zur länger bereit, einander Geld zu leihen . Dominoeffekte nationalen Abwicklungsbehörde . Deshalb soll mit dem konnten das Finanzsystem zum Einsturz bringen, mit vorliegenden Gesetz die Bundesanstalt für Finanzmarkt- ungeahnten Folgen für die Wirtschaft, für Unternehmen stabilisierung weiterentwickelt und umstrukturiert wer- und Arbeitsplätze, für die Finanzierung der Infrastruktur den . Die bisherigen Aufgaben der FMSA werden auf die bis zu den Spareinlagen für die Altersvorsorge . Der Staat Finanzagentur des Bundes und auf die Bundesanstalt für war zu diesem Zeitpunkt die einzige Institution, die noch Finanzdienstleistungsaufsicht, BaFin, übertragen . Da seit in der Lage war, Vertrauen wiederherzustellen . Nach den dem 31 .Dezember 2015 die Antragsfrist für den neue Beschlüssen der G 7 und der Mitglieder der Euro-Zone Maßnahmen für Finanzmarktstabilisierungfonds ausge- wurden weltweit Maßnahmen zur Stabilisierung und laufen sind, steht dieser nicht mehr für neue Maßnahmen zum Erhalt der Funktionsfähigkeit des Finanzsystems er- zur Verfügung . Die Überwachung und Abwicklung be- griffen . Der Bundestag beschloss, bis zu 400 Milliarden stehender Maßnahmen konzentrieren sich heute auf die Euro Garantien und bis zu 80 Milliarden Euro Kapitalhil- Minderheitsbeteiligungen an der Commerzbank und der fen unter strengen Bedingungen für die Finanzinstitutio- pbb, Deutsche Pfandbriefbank, der stillen Einlage bei der nen bereitzustellen . Nach acht Jahren können wir festhal- Portigon AG, Nachfolge WestLB, und zum anderen auf ten: Die 168 Milliarden Euro in Anspruch genommene die Aufsicht über die eigenen Abwicklungsanstalten EAA Garantien wurden inzwischen vollständig zurückgeführt . und FMS-Wertmanagement . Mit dem Abbau der Portfo- Keine dieser Garantien ist ausgefallen . Von den Kapital- lien und der Reduzierung der bisherigen Maßnahmen soll hilfen in Höhe von maximal 29,4 Milliarden Euro wur- aus Effizienzgesichtspunkten und auch im Interesse der den 14,8 Milliarden Euro zurückgeführt, 14,6 Milliarden Personalstabilität die FMSA in die Finanzagentur des Euro stehen noch aus . Bundes übertragen werden . Die Finanzagentur hat bisher auch die Refinanzierung des Finanzmarktstabilisierungs- Bis heute liegt die Kontrolle und Abwicklung aller fonds übernommen und war stets beratendes Mitglied im Maßnahmen in der Hand der Bundesanstalt für Finanz- interministeriellen Lenkungsausschuss der FMSA . marktstabilisierung, FMSA . Daneben konnte die FMSA als zusätzliches Stabilisierungsinstrument sogenannte Die FMSA als nationale Abwicklungsbehörde mit der Abwicklungsanstalten, Bad Banks, gründen . Risikopo- Zuständigkeit für die Abwicklung der eher kleinen Ban- ken soll zum 1 . Januar 2018 auf die Bundesanstalt für sitionen und nichtstrategisch notwendige Geschäftsbe- Finanzdienstleistungsaufsicht übertragen werden . Die reiche von Banken konnten so abgespalten werden, um umfangreiche Expertise und Kapazitäten, die inzwischen anschließend die Portfolien möglichst wertschonend ab- bei der FMSA aufgebaut wurden, haben eine schlagkräf- (B) zubauen . Über 70 Prozent des Volumens der Ersten Ab- (D) tige Abwicklungseinheit geschaffen . Diese wird zukünf- wicklungsanstalt, EAA, entstanden aus der WestLB, und tig, unabhängig von der Aufsichtsfunktion der BaFin, als circa 50 Prozent der FMS-Wertmanagement, entstanden eigenständige Organisationseinheit mit eigener Exekuti- aus der Hypo Real Estate, HRE, konnten inzwischen ab- vdirektion ausgestattet werden . gebaut werden . In weiteren Beratungen ist darauf zu achten, dass auch Eine weitere Aufgabe übernahm die FMSA mit der Er- in Zukunft die parlamentarische Kontrolle und Überwa- hebung einer nationalen Bankenabgabe, die dazu beitra- chung wie bei dem bisherigen parlamentarischen Finanz- gen sollte, das zukünftig nicht der Steuerzahler, sondern marktgremium gewährleistet ist . die Banken selbst eine finanzielle Basis schaffen, aus de- nen die Kosten einer möglichen Abwicklung von Banken (SPD): Die Finanzmarkt- finanziert werden können. Deutschland war hier Vorreiter Dr. Hans-Ulrich Krüger krise und insbesondere die folgende Insolvenz von in Europa . Denn mit dem deutschen Restrukturierungs- Lehman Brothers in den USA und Deutschland im Sep- gesetz inklusive der Bankenabgabe wurde die Blaupause tember 2008 haben – wie wir alle wissen – staatliche für den europäischen einheitlichen Abwicklungsmecha- Rettungseingriffe notwendig gemacht . In kürzester Zeit nismus zum 1 .Januar 2016 vorgelegt . Mit der Umset- wurde der Finanzmarktstabilisierungsfonds (SoFFin/ zung der Bankenunion, wonach erstens die Europäische FMS) eingerichtet . Zur Verwaltung dieses Fonds sowie Zentralbank, EZB, die Aufsicht über die 120 größten und zur Umsetzung und Überwachung der Stabilisierungs- international vernetzten Banken übernahm, wurde zwei- maßnahmen des Fonds, der in der Spitze mit einem Etat tens auch ein neuer Abwicklungsmechanismus für gro- von 480 Milliarden Euro ausgestattet war, wurde die ße Banken geschaffen . Auch die 21 größten deutschen Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung (FMSA) Banken fallen nun in den Zuständigkeitsbereich der eu- eingerichtet . Mit diesem Fonds konnten Banken, die in ropäischen Abwicklungsbehörde . Im Falle der Sanierung Schieflage geraten waren, wie zum Beispiel die Hypo oder Abwicklung einer Bank werden zukünftig zuerst die Real Estate, die WestLB oder die Commerzbank, stabili- Eigentümer und Gläubiger von Banken herangezogen, siert werden . Insgesamt wurden 168 Milliarden Euro an bevor ein von den Banken selbst zu finanzierender Fonds Liquiditätsgarantien und 29,4 Milliarden Euro an Kapi- im Falle der Abwicklung einer Bank zur Finanzierung in talhilfen eingesetzt . Anspruch genommen werden kann . Damit soll die Ver- antwortung und Haftung bei den Banken verbleiben und Diese Liquiditätsgarantien wurden inzwischen voll- verhindert werden, dass der Steuerzahler für die Fehler ständig zurückgeführt, ohne dass dabei eine dieser von Banken zahlen muss . Garantien ausgefallen ist . Im Gegenteil: Für die Inan- 18972 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) spruchnahme der Garantie haben die Institute gezahlt . ekutivdirektors bzw . -direktorin soll auch die operative (C) Des Weiteren wurden die Kapitalhilfen zu einem großen Unabhängigkeit der Abwicklungsfunktion von der Auf- Teil auch wieder zurückgeführt . Hier stehen zurzeit noch sichtsfunktion gewährleistet werden . Durch eine eigene circa 14,6 Milliarden Euro aus . Als weiteres Stabilisie- Vertretung der Abwicklungsbehörde im Direktorium der rungsinstrument trat im Jahr 2009 die bundesrechtliche BaFin wird eine starke Leitung der Abwicklungsbehör- Abwicklungsanstalt hinzu . Die Bundesanstalt für Fi- de geschaffen, die mit viel Gewicht deutsche Interessen nanzmarkstabilisierung konnte nun Abwicklungsanstal- auch auf internationaler Ebene vertreten kann . ten gründen, die Risikopositionen und nicht strategienot- wendige Geschäftsbereiche von Banken übernahmen . Festzustellen ist, dass die Aufgaben der Abwicklungs- Zweck dieser Abwicklungsanstalten ist es, die übernom- behörde auf der einen Seite schnell gewachsen sind, menen Risikopositionen wertschonend abzubauen . Die während die Aufgaben im FMS-Bereich durch Schlie- FSMA machte von dieser Möglichkeit auch zweimal Ge- ßung des FMS für neue Maßnahmen und Rückführung brauch . 2009 gründete sich die Erste Abwicklungsanstalt bestehender Maßnahmen in den letzten Jahren deutlich (EAA), die in mehreren Schritten in großem Umfang zurückgegangen sind . Dies wird auch zukünftig fort- Risikopositionen der WestLB übernahm . 2010 wurde da- schreiten . Da die FMSA ohne den Abwicklungsbereich rüber hinaus die FMS-Wertmanagement gegründet, die als kleine Behörde zurückbleiben würde, ist es sinnvoll, Risikopositionen der HRE-Gruppe übernahmen . die FMSA in eine größere Einheit zu integrieren . Dabei kommt eine Eingliederung dieses Teils in die BaFin we- Im Laufe der Zeit hat sich der gesetzliche Rahmen der gen Interessenkonflikten zwischen Bankenaufsicht und Finanzmarktstabilisierung in Deutschland verändert und Beteiligungsführung nicht in Betracht . Insofern ist hier weiterentwickelt . So ist es gut und richtig, dass die Ban- mit der Finanzagentur meines Erachtens ein richtiger und kenabwicklungen nicht mehr vom Steuerzahler, sondern kompetenter Partner gefunden worden . Die Finanzagen- von den Eigentümern und Gläubigern der betroffenen tur ist bereits jetzt mit Fragen des FMS vertraut, da sie Banken sowie von den aus Beiträgen der Banken finan- die Refinanzierung des FMS übernommen hat. zierten Abwicklungsfonds getragen werden . Ferner ist die Entwicklung von der staatlichen Stützung von Ban- Wir werden versuchen, den vorliegenden Gesetzent- ken hin zur Finanzierung der Abwicklung von Banken wurf noch in diesem Jahr abzuschließen, damit bis 2018 durch Eigentümer, Gläubiger und Banken mit Auslau- alle Kernaufgaben umgesetzt werden können . Wir wer- fen der Antragsfrist für neue Maßnahmen des FMS zum den also mit den Beteiligten Gespräche führen und disku- 31 .Dezember 2015 einerseits und die Errichtung des tieren . Auf diese Diskussion freue ich mich und bedanke europäischen einheitlichen Abwicklungsmechanismus mich für Ihre Aufmerksamkeit . (Single Resolution Mechanism, SRM) zum 1 .Januar (B) 2016 andererseits weitgehend abgeschlossen . Roland Claus (DIE LINKE): Der Gesetzentwurf (D) der Bundesregierung setzt die Logik von Koalition und Die Aufgaben der FMSA beschränken sich daher nur Regierung zur staatlichen Rettung von Banken fort . Seit noch auf die Verwaltung der noch ausstehenden Maßnah- 2008 werden mit Steuergeldern Banken gerettet und men . Dies umfasst zum einen die Verwaltung der beste- gesichert, die in der Finanzkrise 2007/08 in Schwierig- henden Minderheitsbeteiligungen des FMS an der Com- keiten geraten waren . Die Fraktion Die Linke hatte sich merzbank und der pbb Deutsche Pfandbriefbank sowie 2008 gegen den Weg der staatlichen Bankensicherung der stillen Einlagen bei der Portigon AG und zum ande- aus guten Gründen ausgesprochen . Gregor Gysi hatte ren die Aufsicht über die Abwicklungsanstalten EAA und dazu 2008 im Bundestag erklärt: FMS-Wertmanagement . Der nun hier vorliegende Gesetzentwurf zur Neuord- Verantwortlich für diese Krise sind nicht nur Bank- nung der Aufgaben der Bundesanstalt für Finanzmarkts- manager – die stehen allerdings ganz oben an –, tabilisierung trägt diesem Umstand Rechnung . Hiernach sondern auch Politikerinnen und Politiker, Wissen- ist es aus Effizienzgesichtspunkten geboten, die FMSA in schaftlerinnen und Wissenschaftler und Journalis- ihrer jetzigen Form umzustrukturieren . tinnen und Journalisten, die uns jahrelang gepredigt haben, dass die Freiheit der Finanzmärkte zu einer So sollen die Aufgaben als Nationale Abwicklungsbe- gigantischen Wirtschaft führt . Aber das Gegenteil hörde (NAB) als eigener Geschäftsbereich in die Bun- ist passiert . Wir haben es nicht nur mit einer Krise desanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) auf den Finanzmärkten zu tun, sondern auch in den eingegliedert werden . Die Verwaltung des Finanzmarkt- Bereichen Wirtschaft, Politik und Demokratie, was stabilisierungsfonds soll in die Bundesrepublik Deutsch- zum Teil noch geleugnet wird . hat land – Finanzagentur GmbH (Finanzagentur) integriert darauf hingewiesen, dass der von Ihnen zunächst be- werden . rufene und dann wieder zurückgetretene Tietmeyer erklärt hatte, dass die Finanzmärkte die Politik be- In der BaFin soll ein neuer Geschäftsbereich (Ab- herrschen . Heute sagen Sie, dass Sie zu diesem Ge- wicklung) eingerichtet werden . Hier wird der gesamte setz gezwungen sind . Damit räumen Sie ein, immer Abwicklungsbereich der FMSA einschließlich der in die- noch beherrscht zu werden . Die Kernfrage lautet sem Bereich tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern deshalb, zu welchen Veränderungen wir kommen der FMSA übertragen . Ziel ist es, den bereits jetzt inten- müssen, um so etwas zukünftig auszuschließen . siven Informationsaustausch und die Zusammenarbeit von Aufsichts- und Abwicklungsbehörde weiter zu ver- Seit Bestehen des Sonderfonds für die Finanzmarkt­ einfachen . Durch die Schaffung eines zusätzlichen Ex- stabilisierung und der entsprechenden Bundesanstalt hat Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18973

(A) dieser Fonds auf Kosten der Steuerzahler 22,6 Milliarden Strukturänderungen sind weitgehend nachvollziehbar, (C) Euro Verlust angesammelt, nach öffentlich zugänglichen aber sie folgen weiterhin der falschen Logik . Die Frak- Informationen der FMSA . Die durch SPD und Grüne, tion Die Linke spricht sich für die Überweisung in die anschließend durch CDU/CSU und SPD systematisch vorgeschlagenen Ausschüsse, aber gegen den Gesetzent- betriebene Deregulierung der Finanzmärkte ermöglichte wurf aus . Finanzinstituten spekulative Geschäfte, die zu Milliar- denverlusten führten, die zum großen Teil auf die Steu- Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): erzahlerinnen und Steuerzahler abgewälzt wurden . Ein Mit dem FMSA-Neuordnungsgesetz sind zwei wichtige Beispiel ist die Commerzbank, die auf Grundlage des ers- Änderungen verbunden . Die Eingliederung der Tätigkeit ten Finanzmarktstabilisierungsgesetzes mit über 18 Mil- des FMSA als Nationale Abwicklungsbehörde in die liarden Euro staatlichem Kapital ausgestattet wurde . Der BaFin und die Überführung der Verwaltung des Finanz- Aktienanteil daran ist inzwischen weitgehend entwertet . marktstabilisierungsfonds und der „Bad Banks“ in die Auf den Anteil an stillen Einlagen hat die Commerzbank Finanzagentur GmbH . nur einen Bruchteil der ursprünglich vereinbarten Zinsen gezahlt . Gleichzeitig hat die Commerzbank die Bundes- Das Positive zuerst: Mit der Integration der Bad Banks hilfen genutzt, um sich Wettbewerbsvorteile insbesonde- in die Finanzagentur kann nun deren Refinanzierung di- re gegenüber Sparkassen und Genossenschaftsbanken zu rekt über die Agentur zu besseren Konditionen als bisher verschaffen, also genau gegenüber denjenigen Finanzin- stattfinden. Wir haben bereits seit 2012 immer wieder stituten, die am wenigsten zur Finanzkrise beigetragen auf das Einsparpotenzial verwiesen, welches sich durch haben . eine direkte Refinanzierung durch die Finanzagentur des Bundes ergeben würde . Das ist erst als inhaltlich falsch Koalition und Bundesregierung haben darauf ver- abgetan und dann, als die Richtigkeit unserer grünen zichtet, die Verursacher und Nutznießer der Krise in die Argumentation erkannt wurde, aus politischen Gründen Pflicht zu nehmen. Die ungelöste Bankenkrise ist immer vom Bundesfinanzministerium abgelehnt worden. Wir noch eine Bedrohung der europäischen Staaten, weil das begrüßen, dass die Bundesregierung nun unseren Vor- Gewicht der Finanzmärkte auch die Rettungsboje der schlag doch aufgreift und die Verschwendung von Steu- Staatshaushalte unter Wasser drückt . Beschlossen hatte ergeldern beendet . Bedauerlich ist, dass von dieser Mög- die Koalition eine Pseudobankenabgabe, die nach oben lichkeit nicht deutlich früher Gebrauch gemacht wurde . gedeckelt ist und von der Vorstellung ausgeht, dass die Wäre die Refinanzierung bereits im Jahr 2012 umge- nächste Finanzkrise schwach ausfallen und erst „in ei- stellt worden, hätte bis heute nach meiner konservativen nem halben Jahrhundert“ stattfinden wird. Eine solche Schätzung ein niedriger dreistelliger Millionenbetrag Annahme ist nicht nur naiv, sondern bedient bewusst die eingespart werden können . Für diese unnötigen Zinsaus- (B) (D) Lobbyinteressen der Finanzbranche zulasten der Steuer- gaben zulasten des Steuerzahlers trägt der Bundesfinanz- zahlerinnen und Steuerzahler . Außer gegen Euro-Staaten minister die Verantwortung . richten Banken und Hedge-Fonds ihre spekulativen An- griffe auch auf Rohstoffe und Nahrungsmittel . Das Leid Diskussionsbedarf haben wir in diesem Zusammen- der Opfer dieser Spekulationswellen wird von den Ak- hang jedoch bei der genauen Konstruktion der Integrati- teuren in Kauf genommen . on der Bad Banks in die Finanzagentur: Die Finanzagen- tur ist eine GmbH und soll jetzt mit der Trägerschaft der Schädliche Finanzinstrumente und Aktivitäten müs- FMSA beliehen werden und dabei der Rechts- und Fach- sen verboten werden, zum Beispiel Hedge-Fonds, aufsicht des BMF unterstehen . Gleichzeitig untersteht Schattenbanken, ungedeckte Leerverkäufe und Wertpa- die FMSA weiterhin direkt der Rechts- und Fachaufsicht piere auf Grundlage von Kreditausfallversicherungen des BMF . Warum ist dieses exotische Konstrukt notwen- ohne eigenen Kredit . Insolvente Banken sind zu ver- dig? Da überzeugt mich die Begründung noch nicht . gesellschaften – mit dem Ziel einer Einbindung ihrer volkswirtschaftlich sinnvollen Tätigkeitsbereiche in ein Fragen haben wir auch bei der Nationalen Abwick- öffentliches Bankensystem und der Abwicklung ihrer un- lungsbehörde, die in die BaFin integriert werden soll . Die produktiven Bestandteile . Über eine Re-Regulierung der FMSA und in Zukunft die BaFin sind als nationale Be- Finanzmärkte und die Stärkung der Eigenkapitalanfor- hörden in den europäischen Abwicklungsmechanismus derungen hinaus müssen spekulative Exzesse durch eine eingebunden . Dies ist ein relativ neues Konstrukt, und Finanztransaktionsteuer und einen Finanz-TÜV einge- viele Punkte bleiben unklar . dämmt, Privatbanken verstaatlicht werden . Der Banken- sektor muss auf seine Kernfunktionen Zahlungsverkehr, Zunächst ist wichtig, dass hier keine demokratischen Ersparnisbildung und Finanzierung zurückgeführt und Kontroll- und Rechenschaftslücken entstehen . Die Nati- entsprechend geschrumpft werden, damit die Steuerzah- onale Abwicklungsbehörde wird in die BaFin als neuer lerinnen und Steuerzahler nicht immer wieder aufs Neue Geschäftsbereich eingegliedert mit fünftem Exekutivdi- erpresst werden . rektor . Das FinDAG sieht in § 2 die „Rechts- und Fach- aufsicht“ des BMF über die BaFin vor . Diese kollidiert Im Gesetzentwurf zur Neuordnung der FMSA wer- aber mit Artikel 47 der SRM-Verordnung, nach welchem den die vorgesehenen strukturellen Veränderungen dar- die nationale Abwicklungsbehörde „unabhängig“ han- gestellt . Die parlamentarische Begleitung soll weiter in deln soll . Hier sollten wir überprüfen, wie die vom EU- dem ausschließlich geheim tagenden Finanzmarktgre- Recht geforderte Unabhängigkeit mit der BMF-Aufsicht mium erfolgen . Auch dieses Geheimgremium hatte mei- zusammenpasst . Wo liegen die entsprechenden Kon- ne Fraktion seit 2008 kritisiert . Die jetzt beabsichtigten trollrechte und wem gegenüber ist die BaFin in diesem 18974 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) Zusammenhang rechenschaftspflichtig? Gegebenenfalls Schließung des Finanzmarktstabilisierungsfonds FMS (C) sind die entsprechenden Rechte und Pflichten zu kodi- für neue Maßnahmen zum Ende des letzten Jahres an . fizieren. Es ist vorgesehen, die im Jahr 2008 zum Höhepunkt Der vorliegende Entwurf sieht eine Zusammenfüh- der Finanzkrise gegründete FMSA in ihrer heutigen Form rung der Abwicklung und der Aufsicht in der BaFin vor . aufzulösen . Die zum damaligen Zeitpunkt angesichts ei- Dies ist nach der Richtlinie so möglich und auch in ande- nes drohenden Zusammenbruchs unseres Finanzsystems ren Ländern üblich. Um aber Interessenkonflikte zu ver- notwendige Rettung notleidender Banken durch den Ein- meiden, zum Beispiel die Verschleppung einer nötigen satz von Steuergeldern, den sogenannten Bail-out, haben Bankenabwicklung, um ein Aufsichtsversagen zu ver- wir gemeinsam mit unseren europäischen Partnern über- schleiern, ist in der BRRD eine Trennung von Aufsicht wunden . und Abwicklungsbehörde vorgesehen . Der Entwurf der Bundesregierung setzt die entsprechenden Regelungen Im Rahmen der Bankenunion haben wir eine neue zur operativen Unabhängigkeit und der organisatorischen Ordnung mit dem Fokus auf den sogenannten Bail-in Trennung in der Satzung der BaFin um . Hier sollten wir eingeführt . Hierdurch werden die Eigentümer und Gläu- nochmals genauer hinschauen, ob die getroffenen Regeln biger der Banken bei einer Schieflage in die Verantwor- ausreichen, um Interessenkonflikte zu vermeiden, oder tung genommen . Das ist essentiell, um die Grundlagen ob weitergehende Maßnahmen nötig sind . der sozialen Marktwirtschaft auch im Finanzsektor durchzusetzen . Wer als Eigentümer Gewinne einstreicht, Auch in diesem Zusammenhang zu erwähnen sind die muss auch im Krisenfall die Verantwortung und Kosten Prüfungsrechte durch den Bundesrechnungshof . Dieser tragen, Risiko und Haftung müssen in Einklang gebracht berichtete im Januar 2016 über eine Verkürzung der Prü- werden . Einen Bail-out durch den Steuerzahler darf es fungsrechte bei Stabilisierungsmaßnahmen, die Mittel nicht mehr geben . aus dem Europäischen Abwicklungsfonds erfordern . Die Prüfrechte sind ab dem Jahr 2016 auf den Europäischen Die Neuordnung des Finanzkriseninstruments FMSA Rechnungshof übergegangen . Die Prüfungen, die dieser ist eine weitere Konsequenz in diesem Prozess . Für den durchführen kann, sind aber deutlich weniger umfang- FMS, in dem sich die restlichen staatlichen Beteiligungen reich als die bisherig durch den BRH durchgeführten aus der Krise befinden und für den die FMSA ursprüng- Prüfungen . Hier wäre zu prüfen, ob eine Kompensation lich gegründet wurde, schaffen wir eine zukunftsfähige möglich ist . Das hatte ich schon bei der entsprechenden Verwaltung . Gleichzeitig legen wir den Grundstein für Gesetzgebung angesprochen, dass wir uns damit be- eine schlagkräftige nationale Abwicklungsbehörde . Las- schäftigen sollten . sen Sie mich dabei einige Elemente besonders hervor- heben . (B) Nennen will ich auch die parlamentarische Kontrol- (D) le: Das Finanzmarktgremium bleibt weiter für Kontrolle Erstens: Die Verwaltung des Finanzmarktstabilisie- des Finanzmarktstabilisierungsfonds zuständig . Zukünf- rungsfonds FMS soll auf die Finanzagentur übergehen . tig wird es insofern auch Vertreter der Geschäftsführung Die Finanzagentur ist bereits für die Refinanzierung des der Finanzagentur laden können . Eine vergleichbare An- FMS für den Bund zuständig . So schaffen wir eine Ver- passung in § 16 Restrukturierungsfondsgesetz bezüglich waltung aus einer Hand . Die können wir zum Anlass neh- Vertreter der BaFin, die zukünftig nach § 1 Restrukturie- men, die Zinsvorteile des Benchmark-Emittenten Bund rungsfondsgesetz den Restrukturierungsfonds verwaltet, auch für die Refinanzierung der Abwicklungsanstalt fehlt allerdings . zu nutzen, für die der FMS ohnehin der alleinige Ver- lustausgleich verpflichtet ist: Die FMS Wertmanagement Im Zusammenhang mit diesem Gesetzentwurf will ich in München . Dies wird erhebliche Kosteneinsparungen auch die Geheimhaltungsvorschriften in § 10a Finanz- zugunsten des Steuerzahlers ermöglichen . marktstabilisierungsfondsgesetz (FMStFG) und § 16 Re- strukturierungsfondsgesetz thematisieren . Hier fehlt eine Zweitens: Der Bereich nationale Abwicklungsbe- Regelung zur Entbindung von der Geheimhaltung . Mir hörde wird dagegen, wie bereits in der Umsetzung der leuchtet es nicht ein, warum es bei der Kontrolle über die europäischen Richtlinie zur Sanierung und Abwicklung Geheimdienste nach § 10 Absatz 2 Kontrollgremiumge- von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, der BRRD, setz (PKGrG) möglich ist, dass eine Mehrheit von zwei vorgesehen, in die Bundesanstalt für Finanzdienstleis- Dritteln der anwesenden Mitglieder des Parlamentari- tungsaufsicht, BaFin, eingegliedert . Dies ermöglicht es, schen Kontrollgremiums diese Entbindung vornimmt . die Entscheidungen in Krisensituationen auf nationaler Aber bei der Überwachung der Bankenrettung soll es Ebene unter einem Dach zusammenzuführen . Zudem grundsätzlich unmöglich sein . Was macht Bankenrettung werden der Informationsaustausch und das Zusammen- noch sensibler als das Handeln der Geheimdienste? spiel zwischen den nationalen und europäischen Akteu- ren im Bankenaufsichts- und Abwicklungsbereich er- leichtert . Gleichzeitig werden die europäischen Vorgaben Jens Spahn, Parl . Staatssekretär beim Bundes- zur strukturellen Trennung von Aufsichts- und Abwick- minister der Finanzen: Der am 20 .Juli 2016 von der lungseinheit durch die organisatorische Verankerung der Bundesregierung beschlossene Gesetzentwurf sieht die nationalen Abwicklungsbehörde als eigenständiger Ge- Neuordnung der Aufgaben der Bundesanstalt für Finanz- schäftsbereich der BaFin umgesetzt . marktstabilisierung, der FMSA, vor . Dieses Vorhaben markiert einen weiteren wichtigen Schritt bei der Bewäl- Die Aufgaben der FMSA werden also in zwei Bereiche tigung der Finanzmarktkrise . Damit knüpfen wir an die aufgeteilt: auf der einen Seite die Verwaltung des FMS, Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18975

(A) die auf die Finanzagentur übergeht; auf der anderen Seite halten sollten und selber weniger dafür zahlen mussten . (C) die Abwicklungssäule, die in die BaFin integriert wird . Damals wurde der Kofinanzierungsanteil der Länder von 50 Prozent auf 25 Prozent gesenkt . Jetzt entfällt er sogar Durch die Überführung in bereits bestehende und gut ganz! funktionierende größere Einheiten können die anstehen- den Aufgaben künftig effizient und zielorientiert erle- Damals verkündete Brüssel auch erstmals, dass die digt werden . Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Obst- und Schulmilchprogramme zusammengeführt FMSA gehen in die jeweiligen Institutionen über, sodass werden sollen . Und siehe da: Heute schaffen wir mit der sich ihnen langfristige Perspektiven eröffnen und sie ihre Umsetzung der EU-Verordnung die nationale Grundlage über Jahre aufgebaute Expertise auf dem Spezialgebiet für die Zusammenlegung der bisher getrennten Program- der Bankenstabilisierung und Bankenabwicklung in die me für Schulobst und -gemüse und Schulmilch . Mit der neuen Strukturen einbringen können . heutigen Verabschiedung des Gesetzes zur Durchführung unionsrechtlicher Vorschriften über das Schulprogramm Um Rechtsunsicherheiten zu beseitigen, wird überdies für Obst, Gemüse und Milch lösen wir das Schulobstge- klargestellt, inwieweit die Regelungen der Bundeshaus- setz und die Schulmilch-Durchführungsverordnung ab . haltsordnung auf die bundesrechtlichen Abwicklungsan- Mit dieser Vereinfachung und dem gleichzeitigen Weg- stalten nach § 8a Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetz fall des Eigenanteils der Länder bietet sich die Chance, anzuwenden sind . Einerseits wird hierdurch dem Um- dass Kinder in allen Bundesländern von beiden Program- stand Rechnung getragen, dass die Abwicklungsanstal- men profitieren. Die Realisierung des Programms wird ten letztlich durch Steuergelder finanziert werden. Dies dadurch vereinfacht, und es wird eine Basis für eine ein- gilt insbesondere für die Anwendbarkeit des Grundsatzes heitliche Verteilung des zur Verfügung stehenden Bud- der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit . Anderseits wird gets geschaffen . Rechtssicherheit für die Abwicklungsanstalten geschaf- fen, indem explizit klargestellt wird, dass sonstige Rege- Ebendieses Budget wird zudem erhöht . Das EU-Parla- lungen der Bundeshaushaltsordnung nicht anzuwenden ment verabschiedete im Frühjahr dieses Jahres nicht nur sind . Dies erleichtert es den Abwicklungsanstalten, ihren die Zusammenlegung der Programme, sondern entschied Auftrag bestmöglich auszuführen, die noch verbleiben- auch, dass die Finanzmittel um 20 Millionen Euro erhöht den Portfolios im Sinne des Steuerzahlers gewinnorien- werden . Die Mitgliedstaaten, die am Schulprogramm teil- tiert bzw . verlustminimierend zu veräußern . nehmen, verpflichten sich auch zu pädagogischen Maß- nahmen . So sollen die Kinder über gesunde Ernährung Die FMSA hat in den letzten Jahren bei der keines- sowie über lokale Nahrungsmittelketten, ökologischen wegs leichten Aufgabe, die Folgen der Finanzkrise von Landbau, nachhaltige Erzeugung oder die Bekämpfung 2008 und 2009 zu bewältigen, exzellente Arbeit geleistet . der Lebensmittelverschwendung aufgeklärt werden . Kin- (B) Dafür gilt den Verantwortlichen, stellvertretend den Mit- (D) dern soll auch die Landwirtschaft wieder nähergebracht gliedern des Leitungsausschusses, unser aller Dank . Klar werden, beispielsweise durch Besuche von Bauernhöfen . ist aber auch, dass, wenn die Aufgaben einer Institution abnehmen, man nicht zuletzt im Interesse der operativen Ich halte es weiterhin für durchweg begrüßenswert, Stabilität und zur Sicherheit der Beschäftigten zukunfts- dass sich die Europäische Union für die gesunde Ernäh- fähige Strukturen schaffen muss . Ich bin überzeugt, dass rung der jungen Generation einsetzt . Die nationale Politik wir mit diesem Gesetz dazu genau die richtige Weichen- muss zudem alles dafür tun, um die Rahmenbedingungen stellung vornehmen . zu schaffen, Anreize zu setzen und Ideen mit einem aus EU-Mitteln finanzierten Programm zu begleiten. Es gibt aber auch Grenzen hinsichtlich des Hand- Anlage 21 lungsspielraums der EU und auch der Berliner Politik . Die Begeisterung für die tägliche Portion Obst und Ge- Zu Protokoll gegebene Reden müse muss vor Ort geweckt werden . Auf den Geschmack zur Beratung des von der Bundesregierung ein- kommen Mädchen und Jungen im wahrsten Sinne des gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durch- Wortes, indem ihnen in ihren frühen Jahren das entspre- führung unionsrechtlicher Vorschriften über das chende Angebot durch die sie betreuenden Erwachsenen Schulprogramm für Obst, Gemüse und Milch und Pädagogen gemacht wird . (Landwirtschaftserzeugnisse-Schulprogrammge- setz – LwErzgSchulproG) Bestimmte Entscheidungen können nicht von der Po- litik aus der Ferne getroffen werden . So sollte bei der (Tagesordnungspunkt 27) praktischen Umsetzung darauf geachtet werden, dass vor allem Obst und Gemüse in die Schulen kommt, welches regional bezogen wird . Das ist eine Gestaltungsmöglich- Katharina Landgraf (CDU/CSU): Als Berichter- statterin für gesunde Ernährung freue ich mich, über die keit der Träger vor Ort, die sich dieser verantwortungs- aktuellen Entwicklungen bei den Schulprogrammen für voll annehmen sollten und dies auch tun . An dieser Stelle Schulobst und Schulmilch zu sprechen . wünsche ich mir, dass die Schulen ein solches Angebot nicht als ein von oben verordnetes Übel ansehen, das nur Als ich am 20 .Februar 2014 hier schon einmal über mehr Arbeit macht . Das Programm sollte Bestandteil des die Vorhaben und Ankündigungen aus Brüssel berichtet gesamten Schulbetriebs und des Unterrichtsprogramms habe, konnten wir es als gute Nachricht verbuchen, dass sein . Kurzum: Es sollte zum ganz normalen Alltag in den die Länder mehr Geld für das Schulobstprogramm er- Schulen und Einrichtungen gehören . 18976 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) Aber auch Schulen haben nur begrenzt die Möglich- deutet, dass ab 2017 die zur Verfügung stehenden finan- (C) keit, ihre Schützlinge mit gesunden Lebensmitteln in ziellen Mittel für Schulmilch bei 100 Millionen Euro und Kontakt zu bringen . Das tatsächliche Leben mit Obst und für Schulfrucht bei 150 Millionen Euro liegen . Deutsch- Gemüse findet vor allem in den Familien und nur sukzes- land stehen davon pro Schuljahr durchschnittlich 20 Mil- siv in den Kindertagesstätten und Bildungseinrichtungen lionen Euro zur Verfügung, die das Bundesministerium statt . Dass es da läuft, hängt einzig und allein vom Be- für Ernährung und Landwirtschaft an die teilnehmenden wusstsein der Familie ab . Der Idealfall wäre, wenn Vater Bundesländer verteilt . Mit dem vorliegenden Gesetz und Mutter selbst mit dem Thema „gesunde Ernährung“ schaffen wir die Voraussetzungen, die EU-Verordnung in und vor allem mit viel Obst und Gemüse aufgewachsen nationales Recht umsetzen . sind . Die eigene Erfahrung, die man in seiner persönli- chen Entwicklung, in seiner Umgebung, in seiner Fami- Um am Programm teilnehmen zu können, müssen die lie gemacht hat, ist die beste Wissens- und Handlungs- Mitgliedstaaten für jedes Schuljahr eine nationale Stra- grundlage . Ist das nicht gegeben, so braucht man eine tegie einreichen, in der sie darlegen, wie das Programm entsprechende pädagogische Begleitung . An dieser Stelle ausgestaltet werden soll . In Deutschland sind die Bundes- greift dann das Obst- und Gemüseprogramm in den Kitas länder für die Durchführung des Programms zuständig . und Schulen wieder und ist allein schon aus diesen Grün- Diese reichen je nach Ressourcen und regionalen Beson- den nur zu begrüßen . derheiten ihre regionalen Strategien beim Bund ein . Die Strategie muss Angaben über Budget, Zielgruppen, Zeit- Eine gesunde Ernährung und Bewegung sind die raum, förderungswürdige Produkte und die geplanten Grundlagen für ein gesundes Aufwachsen . Dabei ist das flankierenden Maßnahmen enthalten. Flankierende Maß- Wissen über gesunde Ernährung der zentrale Bestandteil . nahmen (Ernährungsbildung und Ernährungsaufklärung) Dieser wird wesentlich im Kindesalter erlernt und ge- unterstützen die Abgabe der Erzeugnisse und stehen im bildet . Die hier erworbenen Ernährungsmuster behalten direkten Zusammenhang mit den Zielen des Programms . Kinder und Jugendliche oft ein Leben lang . Erfreulich ist, dass nunmehr neun Bundesländer daran Die Evaluationen des Schulmilch- und des Schulobst- teilnehmen (BW, BY, HB, NI, NW, RP, SL, ST, TH) . programms haben eine deutliche Zunahme der Beliebt- Ziel ist die dauerhafte Erhöhung des Konsums von heit und Akzeptanz von Milch, Obst und Gemüse erge- Obst und Gemüse sowie Milch bei Kindern, um einen ben . Zudem stieg das Bewusstsein der Kinder um die Beitrag zur ausgewogenen Ernährung sowie der Ernäh- Wichtigkeit von Milch, Obst und Gemüse als Bestandteil rungsbildung zu leisten . Momentan haben in Deutsch- einer gesunden Ernährung . Daher appelliere ich an alle land fast 2 Millionen Kinder und Jugendliche (3- bis Bundesländer, die sich bisher noch nicht an den Program- 17-jährige) Übergewicht . Das ist besorgniserregend und men beteiligt haben, dies zum Wohle der Kinder schnell (B) erschreckend . Das sind rund 15 Prozent . Neben dem An- (D) nachzuholen, und freue mich über die Unterstützung zur gebot einer ausgewogenen Ernährung müssen deshalb Umsetzung dieser Ziele aus Brüssel . auch die Ernährungsbildung verbessert und die Bewe- gungsangebote optimiert werden, denn nur das Wissen Jeannine Pflugradt (SPD): Um Kinder und Jugend- um eine ausgewogene Ernährung reicht nicht aus, um liche an Obst sowie Gemüse außerhalb ihres familiären das tatsächliche Ernährungsverhalten zu verändern . Bei- Umfeldes heranzuführen, hat die Europäische Union im spielsweise sollten Kinder lernen, woher die Nahrung Jahr 2009 ein Schulobst- und -gemüseprogramm in den kommt, die gerade verzehrt wird, wie sie produziert wird Mitgliedstaaten eingeführt . Mit dem Programm werden und wie sie am Ende im Supermarkt landet . seitdem jährlich europaweit 150 Millionen Euro Ge- meinschaftsbeihilfe für die teilnehmenden Staaten be- 90 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer, der Schullei- reitgestellt . terinnen und Schulleiter der in Deutschland beteiligten Schulen sagen übereinstimmend, dass spezifische -Er Vor zweieinhalb Jahren (im Januar 2014) legte die nährungsprogramme ohne Probleme in den Schulalltag EU-Kommission einen Vorschlag für ein neues, um- integriert werden können . Doch in über 34 Prozent der fassendes Schulprogramm vor . Dieser sieht vor, das Schulen wird nicht täglich Obst und Gemüse angeboten . Schulobst- und -gemüseprogramm sowie das Schul- Dabei ist es wichtig, dass alle Kinder und Jugendlichen milchprogramm auf Basis der beschlossenen Mittel zu- unabhängig von der sozialen Herkunft davon profitieren. sammenzufassen . Der Hauptgrund für eine Zusammen- Niemand darf aus sozialen Gründen ausgeschlossen, legung war die aufkommende Kritik an der Effektivität niemand sollte diskriminiert werden . Ein gemeinschaft- der beiden einzelnen Programme . licher Verzehr beeinflusst sowohl das Zusammengehö- rigkeitsgefühl als auch die Denkweise über Ernährung . Mitte Dezember 2015 fiel endlich eine positive Entscheidung zugunsten einer organisatorischen Zu- Ich persönlich halte ausgewogene Essgewohnheiten sammenlegung beider Schulprogramme . Das neue von klein auf für enorm wichtig und sehe sie auch als EU-Schulprogramm soll nun 100 Prozent der Kosten der eine Grundlage für einen gesunden Lebensstil . Obst, Mitgliedstaaten durch die EU übernehmen . Es fällt dem- Gemüse sowie Milchprodukte sind dabei unentbehrlich nach unter die EU-Beihilferegelungen der Gemeinsamen für eine vollwertige, ausgewogene Ernährung . Diese Le- Agrarpolitik (GAP). Die bisherige Kofinanzierung, die bensmittel enthalten neben Vitaminen, Mineralstoffen, möglicherweise einige Bundesländer davon abhielt, das Ballaststoffen sowie Kohlenhydraten auch einen hohen Programm auch umzusetzen, entfällt dadurch . Die Bei- Wasseranteil . Kinder und Jugendliche können mit die- hilfen sollen ab dem Schuljahr 2017/18 gelten . Das be- sem Schulprogramm erfahren, dass vermeintlich nur Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18977

(A) „gesunde“ Lebensmittel auch gut schmecken . Darüber milie und weiteren Verpflichtungen müssen Mahlzeiten (C) hinaus hat ausgewogene Ernährung eine positive Wir- schnell zubereitet sein . Essen wird durch ein zunehmen- kung in der Vorbeugung zahlreicher lebensstilbedingter des Angebot an Fertigmahlzeiten mit nicht erkennbarer Erkrankungen . Zusammensetzung bestimmt . Frisch zubereitete Gerichte und insbesondere frisches Obst und Gemüse kommen Gerade in der heutigen Zeit von Ganztagsschulen ist zu kurz . Allgegenwärtige, teils aggressive Werbung die Schule auch ein Lernort für gesellschaftliche Auf- lenkt besonders Kinder und Jugendliche und deren El- gaben geworden . Eltern möchten ihre Kinder während tern gezielt auf unausgewogene Produkte wie Fastfood, der Schulzeit gut behütet wissen . Dazu zählt auch eine Snacks und Softdrinks . Das hat auch die EU-Kommissi- gute Essensversorgung . Außerdem werden Wertevorstel- on erkannt und betonte schon 2014 in einer Auswertung lungen nicht nur von den Eltern weitergegeben, sondern zum Schulmilch- und Schulobstprogramm: „Diese Ent- auch von Lehrern und Mitschülern . Wenn in der Fami- wicklung durch die modernen Ernährungstrends hin zu lie nicht regelmäßig Obst und Gemüse auf dem Tisch stark verarbeiteten Nahrungsmitteln mit oftmals hohen steht, können abgestimmte Schulprogramme während Beimengungen von Zucker, Salz und Fett verstärkt sich der Schulzeit neue Essgewohnheiten schaffen . Durch die besonders bei jüngeren Altersgruppen weiter .“ Einführung von Schulprogrammen übernimmt die Bun- desregierung demnach eine kleine Mitverantwortung für Es gibt also dringenden Handlungsbedarf . Eine Maß- eine ausgewogene Ernährung von Schulkindern . nahme ist jetzt die Bündelung und Vereinfachung der Schulprogramme . Dass davon am Ende auch die heimi- Die bereitgestellten EU-Mittel sind sicherlich nicht schen Erzeuger direkt profitieren sollen, ist zu begrüßen. ausreichend, um das Gesamtproblem von Übergewicht und Fettleibigkeit in den Griff zu bekommen . Program- Eine wichtige Voraussetzung für uns ist aber, dass aus- me, wie die Verteilung von Obst, Gemüse und Milch an schließlich unverarbeitete Erzeugnisse, also die natürli- Schulen, bieten sicherlich nur einen Anstoß . Wenn sich chen Rohprodukte, angeboten werden . Das ist so in dem die Bundesregierung noch intensiver um das Thema Gesetzentwurf nur unzureichend geklärt . Wenn nämlich Schulverpflegung bemühen würde, würde ich mich noch am Ende wieder nur stark gesüßte Kakaogetränke oder mehr freuen . Was das neue Bundeszentrum für Ernäh- Joghurtprodukte mit absurd hohen Zuckeranteilen an rung in diesem Bereich leisten kann, müssen wir abwar- die Kinder verteilt werden – samt der damit verbunde- ten . Deshalb sollten wir weiterhin über eine Lockerung nen Markenwerbung und irreführenden Angaben zum des Kooperationsverbots im Bereich Schulverpflegung Inhalt –, ist das Schulmilchprogramm für die Katz . Das nachdenken . Nicht alles, was von den Bundesländern ge- würde die Idee gesunder Ernährung ad absurdum führen . tan wird, ist schlecht, wie in den Paradeländern Saarland Dann profitieren wieder nur die großen Lebensmittelkon- zerne, und die Bauern und die Kinder zahlen drauf . (B) und Berlin zu sehen ist, und nicht alles, was der Bund im (D) Bereich Ernährung und Schulverpflegung vorhat, muss Der Nachteil des jetzt vorgesehenen Schulprogramms sich per se positiv auf die Problematik auswirken . Den- für Obst, Gemüse und Milch ist, dass nur ein kleiner Teil noch ist es längst überfällig, über Synergien zwischen von Schulen davon profitieren wird. Das Programm ist Bundes- und Länderkompetenzen nachzudenken und sie auf Grundschulen beschränkt, und die begrenzten Mit- effektiv zu bündeln . Das Wohl der Kinder und Jugendli- tel reichen auch nur, um einen Teil der Schulklassen zu chen muss dabei im Mittelpunkt stehen und uns als Leit- versorgen . Weder Kitas noch Sekundarschulen haben et- bild dienen . was von dem Programm, obwohl ein möglichst frühes Kennenlernen und regelmäßiges Angebot ausgewogener Karin Binder (DIE LINKE): Seit Jahren fördert die Lebensmittel für die Ernährungsbildung wichtig sind . EU die Abgabe von Milch sowie Obst und Gemüse an Im Sinne staatlicher Vorsorge wäre es daher, dass das Schülerinnen und Schüler . Dafür gibt es zwei gute Grün- Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft de: erstens die Förderung des Absatzes von Milch, Obst die Vollfinanzierung sicherstellt. Stellen Sie die Kofinan- und Gemüse aus der Landwirtschaft und zweitens die zierung der EU-Mittel von 30 Millionen Euro aus dem Förderung gesunder Ernährung von Kindern . Die Idee Bundeshaushalt zur Verfügung . Das Geld kann an ande- dahinter: Lernen wir schon als Kinder, regelmäßig Obst rer Stelle, beispielsweise durch Verzicht auf wirkungslo- und Gemüse zu essen und Milch zu trinken, wird dies zu se Imagekampagnen wie „Macht Dampf“ oder „Zu gut einer gesunden Ernährungsgewohnheit, die wir ein Le- für die Tonne“, eingespart werden . ben lang beibehalten . Auch das stärkt dann später wieder die heimische Landwirtschaft . Wenn die Bundesregierung die gesunde Ernährung unserer Kinder und die Stärkung der heimischen Land- Dass es in unserer Gesellschaft in Sachen gesunder wirtschaft ernst nimmt, übernimmt sie beim Schulpro- Ernährung Handlungsbedarf gibt, ist unbestritten . Wir gramm Verantwortung und sorgt für ein Schulmilch- und müssen schon seit Jahren zunehmend gesundheitsbe- Schulobstprogramm, an dem alle Kinder teilhaben und lastende Ernährungsweisen feststellen, von der bereits teilnehmen können . Kinder und Jugendliche betroffen sind . Jedes siebte Kind leidet an Übergewicht, fast jedes zweite davon ist fettlei- big . Jede beziehungsweise jeder vierte Jugendliche leidet Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nach an Essstörungen . langwierigen Verhandlungen ist das neue EU-Programm zur Abgabe von Obst, Gemüse und Milch in Schulen und Ein Grund ist im modernen Arbeitsalltag vieler Fami- Kindertagesstätten auch bei uns im Bundestag gelandet . lien zu finden. In der Hektik zwischen Job, Schule, Fa- Der vorliegende Gesetzentwurf ist nur ein Anfang, der 18978 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) noch vieler weiterer Bestimmungen bedarf, damit die pflegung steigt, und der Speiseplan wird abwechslungs- (C) Länder damit arbeiten können . Leider liegt der Entwurf reicher . Es kommen mehr frische Lebensmittel, mehr erst jetzt vor, und die Durchführungsbestimmungen Nahrung in Bioqualität und mehr regionale Produkte zum eben dann noch später, sodass die von der EU geforder- Einsatz . Gemüse, Salate, Obst, fettarme Milchprodukte te Umsetzung mit den entsprechenden Vorlaufzeiten für und Fisch stehen häufiger auf dem Tisch, Fleischwaren die Haushaltsplanungen 2017 nach Auskünften aus den und süße Speisen hingegen seltener . Dies hat positive Bundesländern schon wieder in Verzug geraten ist . Ob Auswirkungen auf die Nährstoffversorgung der Kinder . mit dem neuen EU-Schulprogramm eine Verwaltungs- Aus der Studie lässt sich ganz deutlich ableiten, dass vereinfachung einhergeht, wie dies vorab proklamiert durch den Einsatz dieses Instruments ein gesundheitsför- wurde, bleibt abzuwarten . Skepsis kommt auch hier aus derndes Verpflegungsangebot in der Kita gesichert wird den Ländern, die eine Verwaltungsvereinfachung derzeit und die Ernährung einen höheren Stellenwert erlangt . eher nicht sehen . Das Problem: Es verfügen nur 35 Prozent der Kitas Grundsätzlich ist zu begrüßen, dass die Europäi- über ein Verpflegungskonzept, weitere 10 Prozent sind sche Union insgesamt rund 250 Millionen Euro in allen dabei, eines zu erarbeiten; in über 40 Prozent fehlt es teilnehmenden Mitgliedstaaten investiert . Zum Schul- komplett . Nur knapp 30 Prozent nutzen die „DGE-Qua- jahr 2017/18 stehen für Deutschland mindestens 29 Mil- litätsstandards für die Verpflegung in Tageseinrichtungen lionen Euro aus Brüssel bereit . In Deutschland beteiligen für Kinder“ als Basis für die Verpflegung. sich leider erst neun Bundesländer an diesem guten Pro- gramm . Die Abgabe von Milch erfolgt in 14 Bundeslän- In den Schulen sieht es im Übrigen nicht besser aus . dern . Die Beteiligung an diesem Programm muss weiter Und was macht Bundesminister Schmidt mit dieser erhöht werden . Datenlage und der Forderung der DGE und anderer Ex- Das Ziel des Programmes ist es, Schülerinnen und perten, die Qualitätsstandards verbindlich einzuführen? Schülern zu ermöglichen, einen gesunden Lebensstil Statt anzupacken und einen vernünftigen politischen zu erlernen, und ihnen landwirtschaftliche Prozesse na- Rahmen zu setzen, schiebt der Minister die Verantwor- hezubringen . Schulen sind die Orte, wo wir alle Kinder tung den Bundesländern, den Schulen, den Lehrerinnen erreichen . Hier müssen Gesundheitserziehung und Er- und Lehrern und den Eltern zu – immer mit dem Hinweis nährungsbildung ansetzen . Hier müssen die Leitbilder auf die fehlende Zuständigkeit . nachhaltigen und regionalen Wirtschaftens vermittelt Trotz dieser angeblich fehlenden Zuständigkeit wird werden. Das Programm verpflichtet Schulen neben der Schmidt aber immer wieder gerne aktiv, wenn er Foto- Ausgabe von Obst, Gemüse und Milch, auch begleitende apparate und Mikrofone der Journalisten erblickt . Dann Ernährungsbildungsprojekte durchzuführen . Es ist zum (B) entwickelt er Schulmaterial, dann will er ein eigenes (D) Beispiel möglich, dass sich die Kinder im Rahmen die- Fach „Ernährung“ aus dem Boden stampfen, und er führt ses Programmes die Bauernhöfe mit den Obstbäumen teure Kampagnen durch, die nichts bewirken . und Gemüsefeldern anschauen können, um zu sehen, wie ihre Nahrungsmittel produziert werden . Es geht darum, Es reicht aber nicht aus, Musterbeschwerdebriefe an Bezug zu den Lebensmitteln und Wertschätzung zu er- die Kommunen und Schulträger vorzuformulieren, die reichen . Das kann kein Lehrbuch vermitteln, sondern nur besorgte Eltern losschicken sollen . Mit seiner Forderung das eigene Erfahren, Entdecken und Erschmecken . Auch nach einem eigenen Schulfach „Ernährung“ hat Schmidt müssen die Projekte genutzt werden, Kindern die Folgen sogar Ernährungsexpertinnen und -experten verärgert . einer globalisierten Nahrungsproduktion, der Massen- Namhafte Ökotrophologinnen haben sich in einem tierhaltung und des hohen Einsatzes von Pestiziden zu Brandbrief an den Minister gewandt, mit der Bitte, die erklären . All das lässt sich durch intelligent gestaltete Forderung nach einem eigenen Schulfach „Ernährung“ Schulernährungsprogramme erreichen und wird bereits einzustellen, da die Forderung zum „derzeitigen Stand von vielen Bundesländern ganz hervorragend praktiziert . kontraproduktiv und evtl . sogar schädlich“ ist . Festzustellen ist aber auch, dass dieses Programm nur Aus unserer Sicht verhindert das Kooperationsverbot ein Baustein von vielen im Kampf gegen die Fehlernäh- zwischen Bund und Ländern den sinnvollen und notwen- rung bei Kindern und Jugendlichen und in dem Bemühen digen Ausbau der Ganztagsschulen und den damit ein- ist, Kinder gesund aufwachsen zu lassen . Der Ausbau hergehenden Ausbau der Schulverpflegung. Wir fordern einer gesunden Gemeinschaftsverpflegung ist ein wich- die Aufhebung des Kooperationsverbots, damit ein neues tiger Baustein, Fehlernährung zu stoppen und soziale Ganztagsschulprogramm aufgelegt werden kann . Auf Ungleichheiten aufzufangen . Kinder und Jugendliche, dieser neuen verfassungsrechtlichen Basis ließen sich die den ganzen Tag in der Kita und in der Schule ver- mit den Bundesländern Vereinbarungen treffen, um Mit- bringen, brauchen hochwertiges, gesundes und leckeres tel aus diesem Programm für den notwendigen Auf- und Schulessen . Ausbau der Infrastruktur für Schulernährung zu nutzen . In einer vom BMEL in Auftrag gegebenen Studie, die bundesweit die Qualität der Verpflegung in Kitas unter- Dr. Maria Flachsbarth, Parl . Staatssekretärin beim suchte und im Januar 2016 veröffentlicht wurde, wird Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft: Am einmal mehr die große Bedeutung von verbindlichen 28 . September 2016 wird zum 16 . Mal der Weltschul- Qualitätsstandards festgestellt . In den Kitas, in denen milchtag stattfinden. Dieser wurde im Jahr 2000 von der DGE-Standard umgesetzt wird, verbessert sich die der Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen, Qualität des Mittagessens, die Zufriedenheit mit der Ver- FAO, initiiert und wird mittlerweile in über 40 Ländern Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18979

(A) gefeiert . Ziel der FAO ist es, die Aufmerksamkeit der hier einen Kofinanzierungsanteil in Höhe von 25 Prozent (C) Öffentlichkeit auf eine gesunde Ernährung mit Milch einbringen . für Kinder und Jugendliche und auf die entsprechenden Förderprogramme zu richten . Der Hintergrund dazu gibt Die Kinder in den teilnehmenden Bildungseinrichtun- allerdings Anlass zur Sorge . Immer weniger Kinder früh- gen profitieren jedoch nicht nur durch die kostenlose Ab- stücken zu Hause oder bringen eine ausreichende Pausen- gabe von Obst und Gemüse – ergänzt wird das Programm verpflegung mit in die Kindertagesstätten oder Schulen. auch durch begleitende pädagogische Maßnahmen . Da- Die Konsequenzen für die Kinder können enorm sein . mit sollen Kindern zudem die Landwirtschaft und eine Sie sind unkonzentriert und nervös, können häufig die größere Palette landwirtschaftlicher Erzeugnisse nä- vielen neuen Informationen, die sie im Laufe des Tages hergebracht werden, zum Beispiel durch Besuche von erreichen, nicht verarbeiten . Auch das Immunsystem und Schulklassen auf Bauernhöfen oder Obstanbaubetrieben . die Ausdauer bei Sport und Spiel können leiden – denn Weiterhin erhalten die Kinder Informationen über eine sie profitieren ebenfalls erheblich von einer ausgewoge- gesunde Ernährungsweise, über die Vermeidung von Le- nen und abwechslungsreichen Ernährung . bensmittelverschwendung und über lokale Nahrungsmit- telketten . Kinder werden durch Erziehung geprägt und lernen am Vorbild, gerade von den Eltern, auch wenn es um die Das Bundesministerium für Ernährung und Land- Ernährung geht . Das Bewusstsein für Auswahl und Qua- wirtschaft setzt sich auch weiterhin dafür ein, dem lität der Nahrungsmittel und für die Esskultur werden rückläufigen Verzehr von Milch und Milchprodukten zu Hause, aber auch häufig von Kita und Schule mitbe- bei Kindern entgegenzuwirken und den Verzehr von stimmt . Heute wird schon fast jedes dritte Kind unter drei Obst und Gemüse zu erhöhen . Wir haben uns daher in Jahren tagsüber außerhalb der Familie betreut . Viele Kin- Verhandlungen mit der EU dafür eingesetzt, dass beide dertagesstätten und Schulen sind Ganztagseinrichtungen, Programme zusammengelegt werden – mit Erfolg: Ab eine ausgewogene Außer-Haus-Verpflegung der Kinder dem Schuljahr 2017/2018 wird das neue Schulprogramm wird daher zunehmend wichtig . Das Bundesministerium mit den beiden Komponenten Obst/ Gemüse und Milch für Ernährung und Landwirtschaft setzt sich aus diesem eingeführt . Lassen Sie mich Ihnen nun die wichtigsten Grund gemeinsam mit den Bundesländern dafür ein, Eckpunkte des neuen EU-Schulprogramms erläutern . dass möglichst viele Kinder in Kindertagesstätten und Die EU erhöht die jährliche Finanzausstattung des neu- Schulen regelmäßig eine Portion Obst, Gemüse und auch en EU-Schulprogramms auf 250 Millionen Euro . Für die Milch erhalten können . Die meisten von Ihnen kennen Abgabe von Schulmilch werden jährlich 100 Millionen die tägliche Portion Schulmilch . Auch das Schulobst- und Euro und für Schulobst und -gemüse jährlich 150 Milli- -gemüseprogramm erfreut sich wachsender Beliebtheit . onen Euro zur Verfügung gestellt . Auf Deutschland ent- (B) (D) Es ist allerdings in der Bevölkerung noch nicht ganz so fallen davon für Schulobst und -gemüse jährlich mindes- bekannt . Daher möchte ich Ihnen kurz einen Überblick tens 19,7 Millionen Euro und für Schulmilch mindestens über die beiden bisherigen Programme geben . 9,4 Millionen Euro . Frisches Obst und Gemüse sowie reine Trinkmilch können nunmehr auch grundsätzlich Das EU-Schulmilchprogramm kennen Generationen kostenlos an die Kinder abgegeben werden . Für die Bun- von Schülern . Es wurde bereits 1977 eingeführt und ist desländer wird eine Teilnahme am neuen Schulprogramm bis in die jüngste Vergangenheit eine Erfolgsgeschichte . noch attraktiver. So müssen diese künftig keine Kofi- Leider geht die Beteiligung immer weiter zurück . Man nanzierungsmittel mehr für das neue Schulprogramm muss hier kritisch anmerken, dass circa 4,5 Cent EU-Bei- erbringen . Und schließlich, was wir sehr begrüßen, mit hilfe pro Portion, bei circa 40 Cent Warenwert, keinen dem neuen Programm werden die begleitenden pädago- ausreichenden Anreiz zur Beteiligung der Schülerinnen gischen Maßnahmen der Ernährungsbildung intensiviert . und Schüler bieten . Bisher ist die Abgabe von Schul- Nehmen Sie als Beispiel den Ernährungsführerschein milch auch an keine Erfordernisse, wie zum Beispiel eine für Schülerinnen und Schüler der dritten Klassen, der Ernährungserziehung, geknüpft . Doch gerade die Verste- im Rahmen dieses Programms eingesetzt werden kann . tigung der begleitenden Ernährungsbildung ist eines der So kommen wir auch dem von Bundesminister Christian Hauptanliegen des Bundesministeriums für Ernährung Schmidt geforderten Schulfach Ernährung einen großen und Landwirtschaft . Schritt näher .

EU-Schulobst- und –gemüseprogramm . Wir alle wis- Die veränderten unionsrechtlichen Grundlagen er- sen: Obst und Gemüse liefern Kindern zahlreiche Vita- fordern nunmehr eine Anpassung der nationalen Re- mine, Nährstoffe und auch Ballaststoffe . Um Kindern gelungen, um die nationalen Voraussetzungen für die und Jugendlichen Obst und Gemüse schmackhaft zu ma- erfolgreiche und nachhaltige Einführung des EU-Schul- chen, hat die EU im Jahr 2009 ein Schulobst- und -gemü- programms zu schaffen . Der vorliegende Gesetzent- seprogramm in den Mitgliedstaaten eingeführt und stellt wurf der Bundesregierung sieht folgende wesentliche dafür jährlich europaweit 150 Millionen Euro Gemein- Punkte vor: Ablösung des Schulobstgesetzes sowie schaftsbeihilfe für die Mitgliedstaaten zur Verfügung . In der Schulmilchdurchführungsverordnung zum Schul- Deutschland sind die Bundesländer für die Durchführung jahr 2017/2018, Übertragung der Befugnisse zur Durch- des Programms zuständig . Mittlerweile neun Bundeslän- führung des neuen EU-Schulprogramms auf die Länder, der nehmen im Schuljahr 2016/2017 am Programm teil Festlegung eines Verteilungsschlüssels, welcher die Auf- und erhalten dafür rund 30 Millionen Euro Unionsbei- teilung der von der EU für Deutschland zur Verfügung hilfe . Bisher müssen die teilnehmenden Bundesländer gestellten Finanzmittel für die beiden Programmteile – 18980 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) Schulobst- und -gemüse sowie Schulmilch – auf die Län- Mit der Maßnahme des vorliegenden Gesetzentwurfes (C) der festlegt . wird ein klares Signal gegeben, dass es sich um verbote- ne und gesundheitsgefährdende Stoffe handelt . Mit diesem Gesetzentwurf möchte die Bundesregie- rung noch in diesem Jahr die Voraussetzungen schaffen, Die Maßnahmen im Antrag der Fraktion Die Linke die den Ländern eine erfolgreiche Implementierung des verkennen das Gefährdungspotenzial von Drogen hin- Schulprogramms ermöglichen . sichtlich der öffentlichen Gesundheit . Sie würden zu einer Verharmlosung des Drogenkonsums führen, was Wir sollten uns dafür einsetzen, dass das Schulpro- insbesondere unter dem Gesichtspunkt des Jugendschut- gramm flächendeckend von allen Bundesländern durch- zes nicht hinnehmbar ist . Die gesundheitlichen Schädi- geführt wird, damit möglichst viele Kinder davon profi- gungen und Risiken einer späteren Suchterkrankung sind tieren können . Unser gemeinsames Ziel muss es sein, das umso höher, je früher der Konsum von Drogen beginnt . Bewusstsein für einen gesunden Lebensstil bei Kindern und Jugendlichen zu erreichen . Dafür müssen die Grund- Denn bei den neuen psychoaktiven Stoffen, den soge- lagen des Ernährungswissens im vorschulischen Bereich nannten Legal Highs, Badesalzen oder Kräutermischun- und im Schulunterricht verankert werden . Herr Bundes- gen handelt es sich, entgegen ihrer harmlosen Namen, um minister Christian Schmidt setzt sich aus diesem Grund hochgefährliche Drogen . Die Verpackungen der Produk- auch für ein eigenes Schulfach Ernährung ein . Jedes Kind te sind so aufgemacht, dass sie gerade bei Jugendlichen sollte das Einmaleins einer gesunden Ernährung lernen – und jungen Erwachsenen den Eindruck erwecken, dass unabhängig von der Herkunft und vom Schultyp . Hierzu es sich um geprüfte Produkte von standardisierter Qua- leistet das EU-Schulprogramm – insbesondere auch im lität handelt und der Konsum in Deutschland erlaubt ist . Rahmen der begleitenden pädagogischen Maßnahmen – Hierin ist ein weiteres Problem zu sehen, da genau dies einen wichtigen Beitrag . eben nicht der Fall ist . Im Gegensatz zu dem Konsum von bekannten legalen oder illegalen Drogen, bei denen die Gefahren zumindest grundsätzlich auch Jugendlichen bekannt sein sollten, ist dies bei Legal Highs nicht der Anlage 22 Fall, und sie kommen sehr ungefährlich daher, wie etwa Energydrinks oder Kautabak . Zu Protokoll gegebene Reden Die harmlos wirkenden gegenständlichen Produkte zur Beratung: enthalten meist Betäubungsmittel oder ähnlich wirkende – des von der Bundesregierung eingebrachten chemische Wirkstoffe in unterschiedlicher Konzentrati- on, die auf den bunten Verpackungen nicht ausgewiesen (B) Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der (D) Verbreitung neuer psychoaktiver Stoffe werden . Konsumenten rauchen, schlucken oder schnie- fen diese Produkte zu Rauschzwecken . Dem Bundeskri- – der Beschlussempfehlung und des Berichts zu minalamt wurden Fälle aus ganz Deutschland bekannt, in dem Antrag der Abgeordneten Frank Tempel, denen es nach dem Konsum dieser Produkte zu teilweise Kathrin Vogler, Matthias W. Birkwald, weite- schweren, mitunter lebensgefährlichen Intoxikationen rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LIN- kam . Die meist jugendlichen Konsumenten mussten mit KE: Für eine zeitgemäße Antwort auf neue Kreislaufversagen, Ohnmacht, Psychosen, Wahnvorstel- psychoaktive Substanzen lungen, Muskelzerfall bis hin zu drohendem Nierenver- sagen in Krankenhäusern notfallmedizinisch behandelt (Tagesordnungspunkt 28 a und b) werden . Die Drogenbeauftragte warnt vor den unkalku- lierbaren Risiken des Konsums und der möglichen Straf- Michael Hennrich (CDU/CSU): Heute debattieren barkeit des Umgangs mit solchen Produkten . wir im Rahmen des zugrundeliegenden Gesetzes über die Ich bin davon überzeugt, dass durch die neue gesetz- Verbreitung von neuen psychoaktiven Stoffen (NPS), um liche Regelung neben dem Schutz von potenziellen Kon- durch die neu zu schaffende Regelung ihre Verfügbarkeit sumenten auch gerade der Jugendschutz nachhaltig ver- als Konsum- und Rauschmittel einzuschränken . bessert werden kann . Der Entwurf sieht ein weitreichendes Verbot des Um- Unter neuen psychoaktiven Substanzen werden bei- gangs mit neuen psychoaktiven Stoffen und eine Straf- spielsweise auch synthetisch hergestellte Modifikationen bewehrung des auf eine Weitergabe zielenden Umgangs bereits bekannter Drogen, bzw . Designerdrogen verstan- mit NPS vor . Wir schließen damit eine Regelungslücke, den . So sind bereits mehr als 130 synthetische Cannabi- weil nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes noide entdeckt worden. Deren Rezeptoraffinität ist viel- vom 10 . Juli 2014 die neuen psychoaktiven Stoffgruppen fach stärker als die von Tretrahydrocannabinol (THC) . nicht mehr als Arzneimittel im Sinne des Arzneimittelge- setzes eingeordnet werden können . Dies ist nötig, da das Weiterhin gehören dazu synthetische oder pflanzliche Auftreten und die Verbreitung von NPS eine Gefahr für Substanzen, die teilweise – noch – nicht im Betäubungs- die öffentliche Gesundheit darstellen können . Es ist in mittelgesetz gelistet sind, etwa synthetische Cathinone, diesem Kontext nicht nur eine Regelungslücke, sondern sowie „Research Chemicals“, oft chemische Reinsubs- auch eine Strafbarkeitslücke entstanden, welche noch tanzen, die typischerweise mit dem Warnhinweis „Not nicht in die Anlagen des Betäubungsmittelgesetzes auf- for human consumption“ versehen sind und unter ihrem genommen worden ist . tatsächlichen Namen vertrieben werden . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18981

(A) Die Prävalenz des Konsums von neuen psychoakti- so gefährlich? Verharmlost werden Sie vor allem online (C) ven Substanzen in Europa sei aus methodischen Grün- in bunten Packungen, unter anderem als Badesalze, For- den schwer zu ermitteln, hieß es bereits im Europäischen schungschemikalien oder Kräutermischungen angebo- Drogenbericht 2015 . ten, und suggerieren über den Begriff Legal Highs, dass der Inhalt legal und ungefährlich ist, ein legaler Rausch, Es gibt leider einen Wettlauf zwischen dem Auftreten den der Gesetzgeber nicht verbietet und der somit un- immer neuer chemischer Varianten bekannter Stoffe und bedenklich zu sein scheint . Doch nichts könnte weiter den Verbotsregelungen im Betäubungsmittelrecht . Allein davon entfernt sein . Die Landeskriminalämter schlagen im Jahr 2015 wurden 98 neue psychoaktive Substanzen höchsten Alarm; denn seit 2007 steigen die Fallzahlen in in der EU registriert, insgesamt bereits 560 und davon Verbindung mit NPS rasant an . Alleine in Bayern ist die 380 allein in den letzten fünf Jahren . Meist sind es nur Zahl der Einlieferung von Konsumenten, die aufgrund kleine Veränderungen auf Molekülebene, aber eben die- einer Intoxikation durch NPS ins Krankenhaus kamen, se machen es für uns als Gesetzgeber unmöglich, immer von sieben im Jahr 2010 auf unglaubliche 305 Intoxikati- wieder nachzusteuern und das Betäubungsmittelgesetz onen 2015 angestiegen . Auch die Sicherstellungsfälle der entsprechend schnell zu ändern . Diese Hasenjagd wer- Polizei in Bayern sind von acht im Jahr 2012 auf 1 341 den wir beenden . 2015 explodiert . Davor dürfen wir unsere Augen nicht Deshalb ergänzen wird das Betäubungsmittelgesetz verschließen . nicht um das Verbot einzelner Substanzen, sondern gan- zer Stoffgruppen . Neu ist auch, dass wir mit dem verwal- Bei einem Gespräch mit dem Bayerischen Lande- tungsrechtlichen Verbot und Sicherstellungs- und Ver- skriminalamt hat sich mir die Schilderung einer Her- nichtungsbefugnissen die Verbreitung der Stoffe effektiv stellungsart sehr eingeprägt, die eine Gefahr dieser bekämpfen können . Substanzen deutlich zeigt . Bei dem Prozess wird das Trägermaterial, wie zum Beispiel verschiedene Kräuter, Die Bundesregierung hat mehrfach klargestellt, dass in eine Mischtrommel gegeben und mit den psychisch Handlungsverbote und Straf- bzw . Bußgeldbewährung wirksamen Substanzen lose vermengt . Dann kommt es notwendig sind, um vor allem junge Erwachsene zu zur Abfüllung, das heißt aber, dass bei den ersten Päck- schützen . Denn sie sind es, die sich oft in Unkenntnis chen sehr viel von den relativ harmlosen leichteren Kräu- der Gefährlichkeit der Stoffe gesundheitlich schädigen . tern sein können, wohingegen die schwereren psychoak- Insbesondere werden auch Risiken durch den Mischkon- tiven Substanzen sich am Boden der Trommel sammeln sum mit den neuen psychoaktiven Stoffen und anderen und dadurch bei den letzten Päckchen eine extrem hohe Drogen noch unkalkulierbarer . Potenzierung erfolgt . Diese Unkalkulierbarkeit der je- weiligen Potenz der NPS führt leicht zu Überdosen und Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD bitten ferner (B) ist neben dem einfachen anonymisierten Bestellvorgang (D) das Gesundheitsministerium darum, zeitnah nach In- über das Inter- oder Darknet einer der Gründe für die Ge- krafttreten des Gesetzes im Wege einer Ausschreibung fährlichkeit . dessen Auswirkungen in wesentlichen Bereichen über einen Zeitraum von zwei Jahren durch unabhängige Ex- Doch warum sind die Stoffe dann noch legal? Hier pertinnen und Experten evaluieren zu lassen und dem stellt sich die größte Herausforderung für uns als Gesetz- Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages diese geber. Denn im Moment findet ein Wettlauf der Hersteller Evaluierung vorzulegen . Die Evaluierung soll insbeson- mit der Politik statt . Wird ein Stoff über das Betäubungs- dere die Erfahrungen und Auswirkungen auf den Kon- mittelgesetz in die Illegalität überführt, so wird innerhalb sum von NPS, die Auswirkungen des Verzichts auf die weniger Tage oder sogar Stunden ein neuer synthetischer Strafbewehrung des Erwerbs und Besitzes von NPS zum Stoff durch eine minimale Veränderung der chemischen Eigenkonsum sowie Erfahrungen und Auswirkungen auf Zusammensetzung hergestellt, und es ergibt sich wieder die Suchthilfe umfassen . Ferner sollen Erfahrungen der eine zunächst legale Substanz . Deren Aufnahme in das Strafverfolgungsbehörden und der Justiz beim Vollzug BtMG muss dann wieder in einem aufwändigen Evidenz- des Gesetzes ohne die Möglichkeit der Erhebung von prozess neu geprüft werden . Kurz gesagt: Es muss erst Verkehrsdaten, die im Gesetz mit Blick auf die engen eine relevante Anzahl an Konsumenten nachweislich ge- Vorgaben, unter anderem des EuGH, nicht aufgenomme- schädigt worden sein, bevor eine Aufnahme ins Gesetz nen wurde, evaluiert werden . Hierdurch schaffen wir mit möglich ist . Doch wie viele jungen Menschen sollen die- dem Gesetz auch einen nachhaltigen Problemlösungsan- sen Stoffen noch zum Opfer fallen und im schlimmsten satz . Fall sterben, bis wir endlich Ihrer Ansicht nach handeln müssen, liebe Fraktion Die Linke? Emmi Zeulner (CDU/CSU): Lassen Sie mich mit dem Wichtigsten beginnen: Nicht handeln war und ist Der Handlungsbedarf besteht jetzt . Denn konnten keine Option im Rahmen der neuen psychoaktiven Sub- manche Substanzen, die nicht dem BtMG unterfallen, stanzen . Denn die gesamte Gefährlichkeit ist im Moment vor der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs im noch nicht genau abzuschätzen, und wir haben als Poli- Jahr 2014 noch in das Arzneimittelgesetz eingeordnet tik einen Schutzauftrag gerade für die Jugendlichen, die werden, so fällt auch diese Möglichkeit nun weg . Der Zielgruppe der Händler sind und die diesen unberechen- EuGH hat festgehalten, dass NPS nicht unter den Arznei- baren Substanzen zum Opfer fallen . mittelbegriff fallen, weil sie gerade keine gesundheitsför- dernde Wirkung haben . Diese Entscheidung war absolut Doch was versteht man unter neuen psychoaktiven richtig . Doch sie hat eine Strafbarkeitslücke geschaffen . Substanzen – kurz NPS – überhaupt und was macht sie Unterfällt der Stoff nicht dem BtMG oder dem AMG, 18982 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) so kann er weiter im rechtsleeren und straflosen Raum Am Ende bleibt mir, meine Worte vom Beginn zu (C) gehandelt werden . Dies konnten wir nicht hinnehmen . wiederholen: Nicht handeln war hier keine Option . Ich Das Gesetz ist eine zwingende Konsequenz aus unserem lehne daher den Antrag von der Linken deutlich ab und Schutzauftrag für die Konsumenten von Substanzen, die begrüße den Gesetzentwurf ausdrücklich . Nicht die von über eine schwere Abhängigkeit bis zum Tode führen Ihnen geforderte Legalisierung von Cannabis löst un- können . ser Problem, sondern ein aktives Vorgehen gegen diese neuen Strukturen und Substanzen . Denn mit dem NPSG Um diese Lücke zu schließen und dem Katz-und- nehmen wir diese neuen Stoffe mit Ihrer ganzen Ge- Mausspiel wirksam entgegenzutreten, unterstellen wir fährlichkeit ernst und schaffen einen guten Schutz- und ganze Stoffgruppen der Strafbarkeit des neuen Gesetzes . Strafrahmen, der so dringend erforderlich ist . Wir dürfen So erschweren wir es den Herstellern die gezielte Modi- nicht weiter tatenlos zusehen, wie diese neuen Drogen fikation, um der Illegalität zu entkommen. Kurz gesagt: uns überschwemmen und die Zahl der Opfer exponentiell Das Gesetz macht aus Legal Highs Illegal Highs . Hierbei ansteigt . Wir mussten handeln, und dies haben wir mit geht es uns nicht um das Kriminalisieren der Konsumen- dem neuen Gesetz getan . ten, sondern um den Schutz der Menschen vor hochge- fährlichen Substanzen und das Vorgehen gegen den Han- del damit . Burkhard Blienert (SPD): Der aktuelle Drogenbe- richt der Bundesregierung führt aus, dass im Jahr 2015 Um dieses Ziel zu erreichen setzt das Gesetz an meh- insgesamt 39 NPS in Deutschland entdeckt wurden, die reren Stellen an: Erstens mit dem bereits erwähnten noch nicht dem Betäubungsmittelgesetz unterstellt wa- Verbot ganzer Stoffgruppen . Hier bestanden die Heraus- ren . Auf europäischer Ebene weist der Europäische Dro- forderung darin, die Gruppen einerseits nicht so weit zu genbericht 2016 im selben Jahr 98 neue Substanzen aus . definieren, dass im Wege der Verordnungen möglichst Seit 2008, dem Jahr, in dem mit der Erfassung der NPS wenig nachgesteuert werden muss, sie andererseits aber begonnen wurde, ist somit die Zahl auf rund 550 Sub- auch so eng zu fassen, dass ausschließlich psychoaktiv stanzen gestiegen . Alleine in 2015 gab es in Deutschland wirkende Stoffe dem Verbot unterfallen . Hier hat das 39 Todesfälle . Es war also dringend Zeit zum Handeln . Bundesgesundheitsministerium mit den Experten bei Es war überdeutlich, dass der Weg, im Anhang zum Be- dem Zusammenstellen der Stoffgruppen eine unglaubli- täubungsmittelgesetz die Substanzen aktualisiert aufzu- che Arbeit geleistet . Danke dafür . nehmen, nicht erfolgreich ist und der Wettlauf mit dem Kreieren neuer Substanzen nicht auf diese Weise gewon- Zweitens mit dem umfassenden Verbot des Handels, nen werden kann . der Herstellung, der Ein-, Durch- und Ausfuhr, des Er- Mit dem heutigen Tag vollziehen wir nun einen wich- (B) werbs, Besitzes und Verabreichens von NPS . Um gerade (D) bei der noch geringen Evidenzlage keine Vorverurteilung tigen Schritt hin zu einer neuen, moderneren Drogenpo- der Konsumenten zu erwirken, wurden Besitz und Er- litik . werb nicht der Strafbarkeit unterstellt . Dieser Punkt wird Ich danke daher der Drogenbeauftragten, dass sie sich jedoch auch im Rahmen der Evaluation auf seine Wirk- dieser komplexen Problemlage angenommen hat und samkeit hin überprüft werden . Denn gerade aufgrund der trotz aller Widerstände an dem nun gefundenen Weg fest- Schnelligkeit bei der Anpassung der Herstellung der NPS gehalten hat . müssen wir hier immer aktuell bleiben, unsere Vorgaben überprüfen und, wenn nötig, zielgerichtet anpassen . Das Mit dem vorliegenden Gesetz und der hierin bein- Gesetz wird sich stetig weiterentwickeln . Doch wir ha- halteten Stoffgruppenstrafbarkeit beenden wir nun zum ben eine sehr gute Grundlage dafür geschaffen . einen das leidige „Hase-und-Igel-Spiel“ zwischen Her- stellern dieser sogenannten Legal Highs und den Ord- Drittens geben wir den Strafverfolgungsbehörden nungsbehörden . Instrumente an die Hand, die ihnen Ermittlung, Sicher- stellung, Vernichtung und Handhabe gegen die Herstel- Und zum Zweiten sehen wir von einer Strafverfol- ler und die Händler erleichtern . Diese geben der Polizei gung des Konsumenten ab . Er bleibt somit quasi straffrei . mehr Handlungssicherheit und haben auch eine wichtige Zukünftig bestrafen wir also Hersteller und Händler, präventive Wirkung . Im Rahmen der Evaluation wird nicht aber mehr den Konsumenten . Wir beenden somit sich ergeben, ob wir die Instrumente erweitern müssen . auch die Stigmatisierung und Kriminalisierung von Per- sonen, die diese Stoffe zum Aufputschen nehmen . Ich be- Viertens haben wir ein sehr gutes System der Straf- danke mich an dieser Stelle ausdrücklich auch bei allen tatbestände und Strafrahmen geschaffen, das sowohl in Kolleginnen und Kollegen aus den Ländern, die im Bun- der strafrechtlichen Vorwerfbarkeit differenziert als auch desrat ebenfalls dieser Linie gefolgt sind, und auch bei im Strafrahmen, was dem Umstand gerecht wird, dass meinen Fachkollegen im Gesundheitsausschuss, die an uns für viele Stoffe noch die langjährigen Evidenzstudi- dieser Stelle den Ratschlägen der Experten und nicht den en fehlen . Bei den Tatalternativen selbst unterscheiden Rufen nach einer strikten Kriminalisierung gefolgt sind . wir gerade auch danach, ob hier gewerbsmäßig gehan- delt wird oder ob die NPS an Minderjährige abgegeben Mit diesem neuen Ansatz eröffnen wir die Möglich- werden . Hier fällt die Strafe natürlich höher aus . Diese keit für eine verbesserte Präventionsarbeit . Wir brand- Unterscheidung ist wichtig, um hier individuell auch marken nicht mehr Konsumenten und bestrafen trotzdem wirklich härter gegen den Handel vorzugehen, der gezielt die Händler und Hersteller dieser gefährlichen Stoffe . junge Menschen anspricht . Wir können jetzt aber offen in einen Dialog mit Betrof- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18983

(A) fenen über die Beweggründe des Konsums eintreten und und verboten wurden . Mit dem Gesetz zur Bekämpfung (C) Auswege aus der Sucht erarbeiten . der Verbreitung neuer psychoaktiver Stoffe werden die meisten der „Legal Highs“ nun illegal . Dieser Schritt ist Wichtig in Hinblick auf eine vorsorgende und ler- wichtig und längst überfällig . Denn aktuell liefern sich nende Präventionspolitik ist aber auch, dass Wirkungen Drogenhersteller und Drogenbehörden ein regelrechtes dieser Gesetzgebung überprüft werden . Uns Sozialdemo- Katz-und-Maus-Spiel . Kaum entdecken die Behörden kraten war es daher wichtig, entsprechende Evaluationen einen Stoff und verbieten die Zusammensetzung, wan- ins Gesetz zu schreiben, die nach zwei Jahren stattzufin- deln die Drogenhersteller die Inhaltsstoffe leicht ab und den haben . Anhand der dann erhobenen Daten werden verkaufen künftig eine ebenso gefährliche Droge unter wir ablesen können, ob sich die Schwerpunktsetzung auf anderem Namen . Die Suche der Drogenbehörden beginnt die Händlerebene bewährt hat . dann erneut. Bis die Zusammensetzung identifiziert wer- An dieser Stelle möchte ich allerdings auch noch ei- den kann, vergeht wertvolle Zeit . Und in dieser Zeit kon- nen Aspekt aus der öffentlichen Anhörung anbringen, der sumieren vor allem junge Menschen Drogen, die harm- für zukünftige Debatten im Bereich der Drogenpolitik lose Namen tragen, aber gefährliche Nebenwirkungen und insbesondere der Cannabispolitik von Bedeutung haben können . Konsumenten berichten von Panikatta- sein dürfte: die angenommene Ausweichbewegung bei cken, Kreislaufproblemen, und Orientierungsverlust . So- den Produzenten . gar Fälle von Herzstillstand sind bekannt . In Deutschland sind im vergangenen Jahr 25 Menschen an den Drogen Wir müssen natürlich im Blick haben, ob findige Her- gestorben . steller über die definierten Stoffgruppen hinaus nun nach Substanzen suchen und diese dann schließlich auch auf Mit dem Gesetz zur Bekämpfung der Verbreitung dem Markt anbieten, die den nun verbotenen Stoffen in neuer psychoaktiver Stoffe sagt die Bundesregierung ihrer Wirkung ähneln . Sollte dies passieren, werden wir nun den Drogenherstellern den Kampf an . Denn künftig handeln! lassen sich ganze Stoffgruppen listen . Zwei Drittel der Stoffe, die Drogenhersteller verwenden können, werden Lassen Sie mich aber an dieser Stelle auch noch mal mit den Stoffgruppen dann erfasst . Sie sind also quasi einen weiteren Gedankenanstoß formulieren: Wer sich von vornherein verboten . Das Gesetz liest sich jetzt zwar einen Überblick verschafft, wo die Problematik des wie ein Chemie-Lehrbuch, der Umfang macht es aber NPS-Konsums besonders virulent ist, der erkennt sehr erst möglich, so viele Stoffe wie möglich abzudecken . schnell, dass starke regionale Unterschiede beim Konsum Zwei Stoffgruppen sind hier besonders hervorzuheben: der NPS gibt . Daher drängt sich der Verdacht auf, dass synthetische Cannabinoide, also Stoffe, die die Wirkung es auf Konsumentenseite Ausweichbewegungen gibt . Es von Cannabis imitieren sollen – Konsumenten erwerben (B) liegt auf der Hand, dass viele Konsumenten Sorge haben, diese Stoffe unter dem Namen Kräutermischungen und (D) durch den Konsum anderer Drogen, wie beispielsweise den Amphetaminen verwandte Stoffe, käuflich zu erwer- Cannabis, kriminalisiert zu werden und daher auf die ben unter dem harmlosen Namen Badesalze . „legalen“ Badesalze und Kräutermischungen auswei- chen . Es dürfte daher schon mehr als ein Zufall sein, dass Im fränkischen Forchheim wurde vor kurzem ein insbesondere in Bayern, dem Land mit der striktesten Laden geschlossen, der illegal Kräutermischungen und Verbotspolitik in Hinblick auf den Cannabiskonsum, die Badesalze vertrieb . Statt in solchen Läden können die Konsumentenzahlen der Legal Highs relativ hoch sind . Konsumenten „ihren Stoff“ aber auch viel einfacher be- ziehen: Sie bestellen die Drogen schnell und bequem im Ich plädiere daher auch an dieser Stelle dafür, dass wir Internet und lassen sie zu sich nach Hause liefern . Das uns nun auch offen der Diskussion um die Entkrimina- macht allerdings die Problematik noch größer und gravie- lisierung des Cannabiskonsums stellen . Natürlich darf render . Denn dass junge Menschen leicht an die Drogen es nicht darum gehen, Süchte zu banalisieren und den kommen, bedeutet nicht, dass die Drogen deshalb harm- Cannabisrausch für alle zu legitimieren . Aber wir sollten los sind . Schwerer ist es dagegen, an die Konsumenten uns endlich einen Ruck geben, von Bundesseite in abseh- heranzukommen und sie über die Gefahren aufzuklären . barer Zeit zu ermöglichen, dass Modellkommunen einen regulierten Markt erproben . Neben der gesetzlichen Regelung müssen für mich deshalb ganz klar auch Prävention und Aufklärung ste- Martina Stamm-Fibich (SPD): Kräutermischungen, hen . Wir müssen den Drogen den harmlosen Anschein das sind für mich Teesorten – sonst nichts . Mit diesem nehmen und über die Risiken aufklären . Meine Aufklä- Gedanken habe ich im April 2016 an Schulen in meinem rungskampagne „Kräutermischung – Tee sonst nix“ ist Wahlkreis Erlangen eine Aufklärungskampagne gestar- bei den Schulen auf sehr große Resonanz gestoßen . Ge- tet . Im Vorfeld wurde ich immer wieder von Bürgerinnen meinsam mit der örtlichen Drogenhilfe mudra und dem und Bürgern und durch die lokale Presse auf die schlim- größten Teeanbieter der Region gehe ich an Schulen und men Nebenwirkungen der sogenannten „Legal Highs“ kläre Jugendliche über die Gefahren der Drogen auf . Die aufmerksam gemacht . Mitarbeiter der mudra stellen sehr anschaulich dar, wel- che Gefahren in den Drogen stecken. Häufig werden sie „Legal Highs“ heißen richtigerweise neue psychoakti- von Eltern begleitet, die selbst ein Kind durch Drogen- ve Substanzen – oder abgekürzt NPS . Und dass die Dro- konsum verloren haben . Mit der Kampagne sprechen wir gen bislang legal waren, lag vor allem daran, dass die die Probleme an, wir holen das Thema aus der Versen- Hersteller der Drogen immer neue Substanzen kreiert ha- kung und lassen zu, dass sich junge Menschen mit der ben, wenn alte Stoffe von den Drogenbehörden erkannt Problematik auseinandersetzen . Wir zeigen ganz klar, 18984 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) dass es hier nicht um Spaß geht, sondern dass der Kon- über die Langzeitrisiken des Konsums ist nichts bekannt . (C) sum Leben kosten kann . Übrigens ist dieses Ausweichverhalten keineswegs neu oder nur auf NPS beschränkt: Ich darf daran erinnern, Das zeigt auch ein erschreckender Vorfall vom das Schnüffeln von Klebstoff folgt der gleichen Logik . Mai 2016 . Damals wurden in meinem Wahlkreis drei Es berauscht und dient als Ersatz für andere illegalisierte Teenager bewusstlos aufgefunden und ins Krankenhaus Substanzen . Trotzdem würde niemand auf die Idee kom- gebracht, nachdem sie Kräutermischungen konsumiert men, Klebstoff zu verbieten . hatten . Solche Meldungen allein schrecken offensichtlich nicht ausreichend ab . Mittlerweile habe ich gemeinsam Mit einem neugeschaffenen Gesetz zur Bekämpfung mit der mudra mehr als 14 Schulklassen in meinem Wahl- der Verbreitung neuer psychoaktiver Stoffe überträgt die kreis besucht . Jede Schülerin und jeder Schüler bekommt Bundesregierung nun den Verbotsansatz auf eine Viel- am Schluss ein Päckchen echte Kräutermischungen von zahl von Substanzgruppen . So richtig es ist, die Verbrei- mir, also Tee – sonst nichts . Das soll zum kritischen tung von NPS nicht unreguliert dubiosen Händlern zu Nachdenken anregen – auch dann, wenn das Gespräch überlassen, so falsch ist es, NPS durch ein Stoffgruppen- vorbei ist . Lehrerinnen und Lehrer sind dankbar über die- verbot zu begegnen . Diese Verbotspolitik wird weder die ses Angebot . Viele sind mittlerweile verzweifelt, weil sie Verbreitung von NPS mindern noch wird sie die Anzahl die Probleme zwar erkennen, aber nicht wissen, wie sie der Drogentoten senken . Viel wahrscheinlicher ist, dass mit ihnen umgehen sollen . noch viel gefährlichere psychoaktive Stoffe durch die Produzenten entwickelt werden, um die Verbote immer Mit dem Gesetz zur Bekämpfung der Verbreitung neu- weiter zu umgehen . Ihre Politik befeuert geradezu die er psychoaktiver Stoffe machen wir nun die rechtliche Entwicklung immer riskanterer Substanzen . Seite wasserdicht . Wir deklarieren verbotene Stoffe . Und weil ein Verbot ohne Strafe höchst unwirksam ist, defi- Mit der Ausweitung der Verbotspolitik auf NPS wird niert das Gesetz auch das Strafmaß . Verboten werden ge- eine noch stärkere Versicherheitlichung der Drogenpoli- nerell die Herstellung, das Inverkehrbringen, der Handel tik stattfinden. Was heißt das konkret? Der Gesetzentwurf und die Einführung der Drogen . Einzeltäter müssen mit möchte Maßnahmen und Befugnisse in der Telekommu- einer Geldstrafe und mit bis zu drei Jahren Haft rechnen . nikationsüberwachung erweitern, weil der Großteil der Dealer und Banden müssen mit Haftstrafen von bis zu NPS online gehandelt wird . Zur Erinnerung: Schon jetzt zehn Jahren rechnen . findet die Hälfte aller Überwachungsanordnungen in der Telekommunikation aufgrund des Betäubungsmittelge- Aufklären müssen wir auch weiterhin – trotz neuem setzes statt . Täglich greifen Polizei und Staatsanwalt- Gesetz . Wir haben noch einen weiten Weg, um den Ge- schaft in die Grundrechte der Menschen ein, bis hin zum fahren der neuen psychoaktiven Substanzen angemessen Eigenbedarfskonsumierenden . Diese Eingriffe in die per- (B) begegnen zu können . Das Gesetz ist ein erster wichtiger sönlichen Freiheitsrechte werden zukünftig noch häufi- (D) Schritt . Aber er wird und kann nicht der letzte sein . ger und noch eklatanter stattfinden und sind auf keinen Fall verhältnismäßig . Frank Tempel (DIE LINKE): Ganz offensichtlich ist der Bundesregierung ihre eigene Drogenpolitik zu Der im Gesetz vorgesehene Straftatbestand des Inver- peinlich . Deswegen diskutieren wir sie nicht im Ple- kehrbringens ist der Grund, weshalb ich im Übrigen auch num . Stattdessen hat die Regierung unseren Tagesord- nicht die Hoffnung teile, dass künftig der bloße Besitz nungspunkt auf 00 .55 Uhr angesetzt . Das verhindert jede von NPS als entkriminalisiert gilt . Diese Hoffnung hat- sinnvolle Debatte . Dabei müssten 39 Tote im Jahr 2015 ten einige Sachverständige bei der Anhörung im Gesund- durch den Konsum von sogenannten neuen psychoakti- heitsausschuss geäußert . Tatsächlich macht sich ein Kon- ven Stoffen – kurz NPS – eine parlamentarische Debatte sumierender wegen des Inverkehrbringens oder wegen im Plenum notwendig machen . des Anstiftens zum Inverkehrbringen von NPS strafbar, wenn sie oder er bei einem ausländischen Onlineshop Diese 39 Toten sind ein trauriges Sinnbild für die völ- NPS bestellt . Dies gilt prinzipiell auch bei einer Bestel- lig verfehlte Drogenpolitik dieser Bundesregierung . Sie lung bei einem inländischen Onlineshop . In diesem Fall setzt vor allem auf das Mittel der Strafverfolgung . Die werden aber zukünftige Gerichtsurteile zeigen, inwiefern Verbotspolitik steckt den Kopf vor den Problemen in den Konsumierende wegen Anstiftung zum Inverkehrbringen Sand . Diese Drogenpolitik setzt darauf, dass mit einem belangt werden können . Schließlich hat der inländische Verbot auch die drogenbezogenen Probleme aus der Welt Onlinehandel dann bereits NPS in Deutschland vorrätig geschaffen werden . Gemessen an den Zielen der Scha- gehalten . Zur Frage einer möglichen Kriminalisierung densminimierung und Generalprävention ist diese Ver- von NPS-Konsumierenden können Sie sich sehr gerne botspolitik aber krachend gescheitert . eine Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages durchlesen, die ich in Auftrag gegeben und Gerade die immer stärkere Verbreitung von NPS ist auf meiner Homepage dokumentiert habe . eine direkte Folge des Drogenverbots . Beispiele aus Bay- ern, Polen, Ungarn und anderen osteuropäischen Län- Die Alternative zum NPS-Verbot hat Die Linke in dern zeigen: NPS werden vor allem dort konsumiert, wo ihrem Antrag benannt . Der wichtigste Punkt lautet: Wir der Preis und der Zugang zu illegalisierten Substanzen zu brauchen endlich einen regulierten Zugang zu Cannabis . hoch und zu teuer sind . Konsumierende verzichten dann Erst wenn Cannabis legal erhältlich ist, wird ein Groß- eben nicht auf Rauschmittel, sondern greifen dann quasi teil der NPS in Deutschland verschwinden . Warum bin als Ersatz auf NPS zurück . Dabei sind diese Substanzen ich davon überzeugt? Zwei Drittel aller in Deutschland in ihrer Vielzahl überhaupt nicht erforscht . Insbesondere konsumierten NPS sind synthetische Cannabinoide . Sie Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18985

(A) werden konsumiert, weil für die Betroffenen Cannabis sundheitlichen Konsumrisiken für Konsumentinnen und (C) nicht verfügbar ist, weil sie große Sorge vor Strafver- Konsumenten, sondern erhöht sie . folgungsbehörden haben oder weil sie den Verlust ihres Führerscheins befürchten, der ihnen bei Cannabiskon- Außerdem sollten Sie zur Kenntnis nehmen, dass das sum droht . Synthetische Cannabinoide sind dann eine bestehende Drogenverbot erst den Markt für neue psy- Ersatzlösung . Dabei würden sie lieber das vergleichs- choaktive Substanzen bereitet hat . Konsumentinnen und weise gut erforschte Cannabis konsumieren, anstatt sich Konsumenten suchen nicht immer nach dem Kick oder unerforschten Kräutermischungen auszusetzen . Regulie- nach der nächsten neuen, stärkeren Rauscherfahrung . ren Sie Cannabis, dann wird zumindest ein Großteil des Selbst wenn, würde man diese Gruppe von Konsumen- NPS-Konsums der Vergangenheit angehören . tinnen und Konsumenten auch mit einem Stoffgruppen- verbot nicht vom Konsum abhalten können . Es handelt sich aber bei dem Großteil der Konsumentinnen und Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Konsumenten um ein schlichtes Ausweichverhalten . Die Anzahl neuer psychoaktiver Substanzen NPS steigt Der größte Teil der Konsumentinnen und Konsumenten seit Jahren . Die Substanzen werden derzeit, vor allem weicht auf diese Substanzen aus, um das Verbot illegaler im Onlinehandel, als scheinbar harmlose und legale Al- Drogen, insbesondere das derzeitige Cannabis-Verbot, zu ternativen zu klassischen Substanzen wie Cannabis oder umgehen . Untersuchungen haben gezeigt, dass die Kon- Ecstasy angeboten . Obwohl sich abzeichnet, dass der sumentinnen und Konsumenten von Räuchermischun- Konsum von NPS nicht harmlos ist und zu gesundheit- gen, in denen synthetische Cannabinoide enthalten sind, lichen Schäden führen kann, fehlt es bislang an einer natürliches, wesentlich risikoärmeres Cannabis bevorzu- entschlossenen Initiative der Bundesregierung über das gen, jedoch vor der Beschaffung auf dem Schwarzmarkt, Risiko der Stoffe aufzuklären und die Konsumentinnen der Nachweisbarkeit der natürlichen Cannabisstoffe in und Konsumenten präventiv mit diesbezüglichen Infor- Drogentests und dem Verlust des Führerscheins zurück- mationen zu versorgen . Trotz fehlender Risikoanalyse schreckt . Durch Ihre Politik erhöhen Sie das Risiko für und Vernachlässigung der Prävention legt die Regierung die Verbraucherinnen und Verbraucher, die Sie doch ei- ein undifferenziertes Verbotsgesetz vor . Natürlich gilt es, gentlich schützen wollen . die Gesundheit des Einzelnen sowie der Allgemeinheit zu schützen . Doch die vorgeschlagenen Regelungen, die Das Stoffgruppenverbot wird zudem die Marktdyna- dieses Ziel vermeintlich erreichen sollen, lehnen wir als mik verschärfen . Der Onlinehandel, der vor allem aus wenig geeignet ab . Asien bedient wird, wird durch das Stoffgruppenverbot nicht eingedämmt werden können . Die deutschen Straf- Die Bundesregierung ist nicht bereit und in der Lage, verfolgungsbehörden haben allenfalls im Rahmen von (B) aus den Fehlern der derzeitigen repressiven Drogenpolitik Kooperationen mit ausländischen Behörden Handlungs- (D) zu lernen . Auch der uns jetzt vorliegende Gesetzentwurf macht . Auch die Zollbehörden werden nicht in der Lage spiegelt eindrücklich die naive Vorstellung, eine drogen- sein, sämtliche Lieferungen aus dem Ausland an Privat- freie Welt errichten zu können, wider . Diese Vorstellung personen zu kontrollieren . Hier sind allenfalls Stichpro- ist nicht nur überholt, sie ist auch nicht durchsetzbar . Das ben möglich . Verbot – ob Betäubungsmittelgesetz oder Stoffgruppen- Das Stoffgruppenverbot wird auch das Katz- und verbot – hält nicht vom Konsum ab . Das zeigt doch die Mausspiel von Anbietern und Gesetzgeber nicht verhin- langjährige Erfahrung mit dem Betäubungsmittelgesetz . dern . Die organisierte Kriminalität wird weitere Substan- Ich kann die Bundesregierung daher nur nachdrücklich zen auf den Markt bringen, die weder dem Stoffgruppen- dazu auffordern, endlich eine externe wissenschaftliche verbot noch dem Betäubungsmittelgesetz unterliegen . Evaluierung der Auswirkungen der Verbotspolitik für Diese neuen Substanzen können mitunter weitaus ge- illegalisierte Betäubungsmittel zuzustimmen und dem fährlicher als „klassische“ Substanzen sein, da über ihre Bundestag zeitnah einen Bericht über die Ergebnisse Wirkung und mögliche gesundheitliche Risiken aufgrund vorzulegen . Dies haben wir Grüne gemeinsam mit der ihrer Neuartigkeit noch weniger bekannt ist . Linken in einem überfraktionellen Antrag bereits zu Be- ginn der Legislaturperiode gefordert . Wie auch schon das Betäubungsmittelrecht, so wird auch das Stoffgruppenverbot die Forschung und den Der Gesetzentwurf verfehlt gleich mehrfach sein Ziel . Erkenntnisgewinn über neue psychoaktive Substanzen Auch in anderen Ländern, die Stoffgruppenregelungen hemmen . Dieser wäre jedoch insbesondere für die me- eingeführt haben, konnte die Nachfrage nach neuen psy- dizinische Versorgung sowie Prävention dringend er- choaktiven Substanzen nicht nachhaltig gesenkt werden . forderlich . Denn erst wenn aussagekräftige Ergebnisse Das Stoffgruppenverbot kann deshalb wenig dazu beitra- zum Risikopotenzial sowie Substanzanalyseverfahren gen, dass die gesundheitlichen Schäden infolge des Kon- zur Verfügung stehen, kann eine optimale medizinische sums von neuen psychoaktiven Substanzen nennenswert Behandlung erfolgen . Gerade für die Behandlung in der reduziert werden, im Gegenteil . Das Verbot ist vielmehr Notaufnahme bei Menschen mit Vergiftungserscheinun- ein Katalysator für die organisierte Kriminalität . Es führt gen ist es wichtig, durch Analyseverfahren festzustellen, in der Konsequenz zu einem völlig unregulierten Markt, um welche Droge es sich handelt, um die entsprechende auf dem es keinen Jugend- und Verbraucherschutz gibt . Therapie durchzuführen . Zudem werden die gesundheitlichen Risiken einer Sub- stanz auf dem Schwarzmarkt erfahrungsgemäß größer; Obwohl die Bundesregierung immer betont, dass sie denn Zusammensetzung und Wirkstoffgehalt der Pro- in ihrer Drogenpolitik die Säule der Prävention nicht ver- dukte bleiben weiter unklar . Dies reduziert nicht die ge- gisst, blendet sie eine Implementierung entsprechender 18986 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) verhaltenspräventiver Maßnahmen in ihren Gesetzent- kontrollgesetzes einen konstruktiven Vorschlag gemacht, (C) würfen regelmäßig aus . Vielmehr untergräbt das Verbot den es nur noch zuzustimmen gilt . Information und Aufklärung, da die neuen psychoakti- ven Substanzen in die Illegalität gedrängt werden . Dabei Schließlich müssen die Forschungsvorhaben zu neuen ist für einen verantwortungsvollen Umgang mit neuen psychoaktiven Substanzen gefördert werden, um den Er- psychoaktiven Substanzen die Aufklärung über Kon- kenntnisgewinn über die jeweiligen Substanzen zu erhö- sumrisiken und Suchtgefahren unerlässlich . Glaubhafte hen, eine Bewertung des Gefährlichkeitspotenzials zu er- Aufklärung trägt dazu bei, dass (potenzielle) Konsumen- möglichen, Substanzanalyseverfahren zu entwickeln und tinnen und Konsumenten Maßnahmen der Schadens- zu verbessern sowie medizinische und therapeutische minderung kennenlernen oder sogar ganz vom Konsum Leitlinien zur Behandlung von Konsumierenden im Not- absehen . Denn erst wenn ich weiß, um welchen Stoff es fall sowie bei Abhängigkeitserkrankungen zu erarbeiten . sich handelt, können die Risiken benannt werden und über diese aufgeklärt werden . Die Aufklärung kann auch dazu beitragen, dass potenzielle Konsumierende von der Anlage 23 Idee oder dem Vorhaben, neue psychoaktive Substanzen einzunehmen, Abstand nehmen . Auch die Wichtigkeit Zu Protokoll gegebene Reden der Etablierung des Drug Checkings, der sich die Bun- desregierung seit Jahren in den Weg stellt, sei hier noch zur Beratung des von der Bundesregierung einge- einmal erwähnt . Nicht nur, dass auf diese Weise neue brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung Substanzen schneller identifiziert werden können. In der abfallverbringungsrechtlicher Vorschriften Schweiz und den Niederlanden sind die Erfahrungen mit Drug-Checking-Programmen positiv und tragen zur (Tagesordnungspunkt 29) Schadensminderung bei . Der Gesetzentwurf enthält noch nicht einmal eine Regelung, durch die die Auswirkun- Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU): Wir beraten heu- gen des einzuführenden Stoffgruppenverbotes überprüft te abschließend einen Gesetzentwurf der Bundesregie- werden . rung zum Abfallrecht . Es handelt sich um das Gesetz zur Ziel einer modernen und am Menschen orientier- Änderung abfallverbringungsrechtlicher Vorschriften . ten Drogenpolitik muss immer sein, die Schäden durch Lassen Sie mich einen kurzen Überblick darüber geben, riskanten Drogenkonsum zu reduzieren . Ein regulierter um was es bei diesem Gesetz geht . Markt, der sich an dem Gefährlichkeitspotenzial einer Das Außerlandesschaffen von gefährlichem Abfall Substanz orientiert und der verhältnispräventive sowie hatte in Europa über Jahrzehnte eine traurige Tradition . (B) verhaltenspräventive Maßnahmen berücksichtigt, kann Bis in die 70er-Jahre wurde sogenannter Giftmüll, den (D) den Jugend- und Verbraucherschutz verbessern sowie man selbst nicht vernünftig entsorgen konnte oder woll- deutlich mehr Spielräume für glaubwürdige Suchtprä- te, illegal über die Landesgrenze gebracht . Ein erster vention schaffen . Das Verbot und das Strafrecht sind hier Schritt zur Bekämpfung dieser Zustände war das Baseler der falsche Ansatz und tragen nicht zur Schadensminde- Abkommen, dem Deutschland 1995 beitrat . Das Abkom- rung bei . men stellte erstmals weltweit geltende Regelungen über Darum fordern wir die Bundesregierung in unserem den Export von gefährlichen Abfällen auf . Abfallexporte Entschließungsantrag auf einen Gesetzentwurf vorzule- benötigen seitdem die Zustimmungen der Behörden des gen, der folgende Aspekte berücksichtig: Erstens sollen Ausfuhrlandes, sämtlicher Durchfuhrländer sowie des neue psychoaktive Substanzen auf Grundlage einer wis- Einfuhrlandes . senschaftlichen Risikobewertung reguliert werden . Hier- bei ist Rechtssicherheit zu schaffen, welcher Umgang mit Aufbauend auf dem Baseler Abkommen traten in der neuen psychoaktiven Substanzen erlaubt ist, insbesonde- Folge eine ganze Reihe von europäischen und nationa- re in der Medizin, Wissenschaft und Forschung sowie In- len Gesetzen und Verordnungen in Kraft . Maßgeblich für dustrie als auch für Konsumentinnen und Konsumenten . Deutschland ist hier das Abfallverbringungsgesetz von 1994 . Sie alle hatten und haben das Ziel, den illegalen Zweitens müssen suchtpräventive Maßnahmen eta- In- und Export von gefährlichen Abfällen zu kontrollie- bliert werden, um Konsumentinnen und Konsumenten ren und gegebenenfalls zu unterbinden . über die Risiken des Konsums neuer psychoaktiver Sub- stanzen wirksam aufzuklären . Dazu gehören Maßnah- Leider ist die Situation auch heute noch unbefriedi- men zur Schadensminderung wie die Einführung von gend . Noch immer gibt es zu viele Fälle illegaler Abfall- Drug-Checking-Projekten sowie die Sicherstellung des transporte, ob bei Einfuhr oder Ausfuhr . Deutschland ist Zugangs zu Hilfs- und Unterstützungsangeboten bei pro- die größte Volkswirtschaft Europas im Herzen des Konti- blematischem Konsumverhalten . nents . Wir haben Tag für Tag unzählige Warentransporte über unsere Landesgrenzen . Angesichts der Umweltbe- Drittens muss die Cannabis-Prohibition endlich been- lastung von gefährlichem Abfall sehe ich keine andere det werden und ein Regulierungssystem für eine staatlich Möglichkeit, als die Kontrollmöglichkeiten weiter zu kontrollierte Abgabe von Cannabis geschaffen werden, verschärfen . das einen wirksamen Jugend- und Verbraucherschutz so- wie glaubhafte Suchtprävention sicherstellt und hilft, den Gleichzeitig hat die Vergangenheit gezeigt, dass beste- derzeitigen Schwarzmarkt auszutrocknen . Hierzu haben hende Straftatbestände bei Verstößen gegen das Abfall- wir bereits mit unserem grünen Entwurf eines Cannabis- verbringungsgesetz nicht genau genug definiert waren. Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18987

(A) Beides wird der vorliegende Gesetzentwurf nun ver- Abfällen fast kein Anreiz bestand . Der Ex- und Import (C) bessern: eine effektivere Bekämpfung illegaler Abfall- von Abfällen, die sogenannte grenzüberschreitende Ab- transporte durch verbesserte Kontrollmöglichkeiten fallverbringung, war also zunächst relativ bedeutungslos . einerseits, eine größere Rechtssicherheit bei Verstößen durch klare und vermehrte Straftatbestände andererseits . Dies hat sich in den folgenden Jahrzehnten stark ver- ändert . Der Anstieg der Abfallmengen Preissteigerungen Wir erreichen dies durch zweierlei: Erstens passen wir bei der Abfallbeseitigung, bzw . -verwertung, aber auch das deutsche Abfallverbringungsgesetz an, und zwar an die wesentlich höheren technischen Anforderungen bei die EG-Verordnung über die Verbringung von Abfällen . der Beseitigung und Verwertung von Abfällen führten Diese wird dahin gehend geändert, dass die Mitgliedstaa- zu einer Zunahme der illegalen Abfallbeseitigung in ten der EU bis Anfang 2017 Kontrollpläne erstellen müs- Deutschland und der Zunahme des Exportes von Abfäl- sen . Diese regeln genau, welche Kontrollen nach EG-Ver- len, teils legal, teils illegal ins Ausland . International, in ordnung durchzuführen sind und durchgeführt wurden . der EU und auch national wuchs die Erkenntnis, dass Die Kontrollpläne selbst müssen regelmäßig überprüft die Abfallverbringung geregelt werden muss . Bereits in und aktualisiert werden . Werden künftig gefährliche Ab- den achtziger Jahren erließ die EU eine erste Verord- fälle über Landesgrenzen hinweg transportiert und wird nung hierzu . 1989 schließlich wurde das Basler Über- dies nicht ausreichend durch entsprechende Nachweise einkommen verabschiedet . Zunächst regelte das Basler vollständig dokumentiert, gilt dieser Transport künftig Übereinkommen nur die Beseitigung von gefährlichen von den Behörden als illegale Verbringung . Außerdem Abfällen . Die Europäische Union hat die Richtlinien des wird das Umweltbundesamt dazu verpflichtet, alle ille- Basler Übereinkommens in der EU-Abfallverbringungs- galen Abfalltransporte in seinem jährlichen Bericht zu verordnung für alle Mitgliedstaaten rechtsverbindlich veröffentlichen . umgesetzt . Sie wurde durch die Verordnung (EG) Nr . 1013/2006 des Europäischen Parlaments und des Ra- Der zweite Aspekt des Gesetzes betrifft Sanktionen tes (vom 14 .Juni 2006) über die Verbringung von Abfäl- bei Verstößen . Hierzu werden Strafvorschriften für Ver- len (kurz: Verbringungsverordnung Abfall) ersetzt . stöße gegen die EU-Verordnung in das Abfallverbrin- gungsgesetz eingefügt. Künftig verpflichtet bereits das Sie ist seit dem 15 . Juli 2006 in Kraft, kam ab dem Abfallverbringungsgesetz, illegale Abfalltransporte zu 12 .Juli 2007 zur Anwendung und ersetzte die älteren sanktionieren, und zwar strafrechtlich . Es wurden Vor- Verordnungen . Seitdem werden diese Regeln, nämlich schriften aufgenommen, die zum Teil bestimmten Para- Basler Übereinkommen, OECD-Regeln und die Europä- grafen des Strafgesetzbuches entsprechen . Bei schwe- ische Verbringungsverordnung Abfall ständig den geän- ren Verstößen gegen das Abfallverbringungsgesetz sind derten technischen Veränderungen und neuen Erkennt- (B) künftig bis zu zehn Jahre Haft möglich . Darüber hinaus nissen angepasst . (D) werden neue Bußgeldtatbestände aufgenommen: Fehlen Heute sprechen wir wieder über ein Gesetz zur Ände- beispielsweise Dokumente eines Abfalltransportes oder rung abfallverbringungsrechtlicher Vorschriften . Dabei sind diese unvollständig, ist ein Bußgeld zu entrichten . handelt es sich um die Anpassung der deutschen Vor- Mit dem hier vorgelegten Gesetzentwurf setzen wir schriften an die im Jahre 2014 geänderte EU-Verordnung . nicht nur eine EU-Vorgabe eins zu eins um . Der Entwurf Es geht hauptsächlich um die verbesserte Bekämp- ist ein Baustein hin zur nachhaltigen Entwicklung . Denn fung illegaler Müllexporte . Unter anderem werden die er trägt maßgeblich dazu dabei, die illegale Beseitigung Kontrollen durch die Einführung höherer Anforderungen von Abfällen zu bekämpfen . Ich bin mir sicher, dass wir an die zu erstellenden Nachweise vereinfacht . Gesundheitsrisiken und -gefahren, die von illegalen Ab- fällen ausgehen, weiter senken können . Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass bei der Kontrolle der Abfallverbringung noch Lücken be- Vor allem aber wird das Gesetz dazu führen, dass stehen, die geschlossen werden müssen . Auch innerhalb künftig mehr Abfälle umweltgerecht entsorgt werden . der Europäischen Union ist der illegale Export von Ab- Die neuen Straf- und Bußgeldtatbestände werden dazu fällen, auch von gefährlichen Abfällen, immer noch ein nicht zuletzt eine abschreckende Wirkung entfalten . großes Problem . Außerdem exportieren wir mit dem Gesetz sozusagen Es gibt immer noch schwarze Schafe in der Entsor- den Umweltschutz in unsere Nachbarländer: Künftig gungswirtschaft oder, besser gesagt, Kriminelle, die um wird es deutlich schwieriger, illegale Abfälle außer Lan- des Profites willen Umwelt und Gesundheit unserer Bür- des zu schaffen . Gleiches gilt natürlich auch in umge- gerinnen und Bürger gefährden . Immer noch wird Abfall kehrter Richtung: Illegale Einfuhren gefährlicher Abfälle zu billigen, aber technisch nicht zugelassenen Anlagen nach Deutschland werden erschwert . im Ausland transportiert, um Geld zu sparen . Oder Ab- Alles in allem ist dieser Gesetzentwurf ein wesent- fälle werden als Ware deklariert, um sie dann irgendwo licher Baustein, unser Abfallrecht umweltgerechter, billig auf illegalen Deponien zu beseitigen . rechtssicherer und nachhaltiger zu gestalten . Ich begrüße daher ausdrücklich, dass die Bestimmun- gen zur Abfallverbringung verschärft werden . Besonders Michael Thews (SPD): Noch Anfang der 70er-Jah- wichtig ist, dass die Anforderungen an die Nachweise re war auch in den Industriestaaten eine kostengünstige erhöht wurden . Es ist für die kontrollierenden Behörden Entsorgung fast aller Abfälle in der Nähe des jeweiligen wichtig zu wissen, als was der zu exportierende Abfall Entstehungsortes möglich, sodass für einen Export von deklariert wird . Es ist wichtig zu wissen, aus was der 18988 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) Abfall besteht und zu welchen Behandlungsanlagen der Ralph Lenkert (DIE LINKE): Müll – egal ob es sich (C) Abfall verbracht wird . um Sondermüll, Elektronikschrott oder normalen Haus- müll handelt: Wann immer damit gehandelt wird, bürdet Die Neuregelung erlaubt den Behörden jetzt auch, ge- jemand gegen eine Geldleistung das Entsorgungsproblem nau nachzufragen, zum Beispiel nach der genauen Zu- jemand anderem auf . Das ist für den einen eine bequeme sammensetzung des Abfalles oder nach dem technischen Lösung und für den anderen ein großes, profitträchtiges Stand der Abfallbehandlungsanlagen . Die bisherige Un- Geschäftsfeld . Leider werden bei diesen Geschäften mit klarheit im Gesetz wird damit beseitigt . Müll allzu oft ökologische Standards umgangen und ver- Nur mit diesem Basiswissen ist es überhaupt möglich, nünftiges Recycling vermieden, weil das Extraprofite festzustellen, ob die Abfälle korrekt eingestuft wurden bringt . Die Müllexportrate der EU erreicht regelmäßig und eine korrekte Behandlung erfolgt . Die Behörden neue Rekordstände; was außerhalb der EU passiert, prüft brauchen diese Information, um zu klären, was eine lega- niemand, und zusätzlich wird ein viel zu großer Teil des le oder illegale Abfallverbringung ist . Mülls illegal entsorgt . Unklare Regelungen in der Ge- setzgebung erschwerten die Verfolgung von zwielichti- Dass das Fehlen der vorgeschriebenen Nachweise gen Müllgeschäften . bzw . deren fehlerhafte Ausfüllung als illegale Verbrin- gung eingestuft wird, ist ein sehr wichtiger, ergänzender Dagegen will die EU härter und gezielter vorgehen, Schritt in die richtige Richtung . Den zuständigen Behör- und der vorliegende Gesetzentwurf gießt das EU-Recht den wird damit der Vollzug erleichtert, illegale Müllex- nun in nationales Recht . porte können so schneller gestoppt und bestraft werden . Die Linke begrüßt dies und hält auch die Maßnahmen, Letztlich bleibt es aber dabei: Um illegale Abfallver- mit denen illegale Tatbestände konkretisiert werden und bringung zu verhindern, sind qualifizierte Kontrollen mit denen die Zusammenarbeit der Behörden besser ge- nötig . Dafür muss Personal vorhanden sein und dieses regelt werden soll, für richtige Schritte . Personal muss geschult sein . Die heute vorliegenden Wir bezweifeln allerdings, dass allein mit der No- Gesetzesänderungen bieten Möglichkeiten, die Kontrol- vellierung des Rechts in der Praxis Abhilfe geschaffen len zu verbessern, aber sie müssen auch stattfinden. Zur wird, solange es beim Vollzug des europäischen Umwelt- Vereinfachung sollte man, insbesondere bei gefährlichen rechts – auch in Deutschland – weiter eklatante Defizi- Abfällen, auch die Einführung elektronischer Nachweise te gibt . Die besten Verordnungen und Regelungen hel- prüfen . fen dem Umweltschutz nicht weiter, wenn niemand sie Wichtig für den verbesserten Vollzug ist auch unser durchsetzt . Ohne Kontrollen und Überprüfungen ist es Änderungsantrag . Anordnungen der Behörden zur siche- unmöglich, illegale Machenschaften konsequent zu ver- (B) ren Lagerung von Abfällen dienen der Vermeidung von folgen . Besonders die Bundesländer haben Probleme, im (D) Umweltgefahren durch Abfälle, deren grenzüberschrei- Bereich der Abfallverbringung ausreichend Kontrollen tender Transport womöglich nicht ordnungsgemäß ist . durchzuführen . Im Umweltrecht scheitert die Durchset- Diese Anordnungen sind dringliche Angelegenheiten . zung nämlich leider allzu oft an mangelnder Finanzaus- Damit nun die Behörden nicht in jedem Einzelfall die stattung und zu wenig Personal . sofortige Vollziehbarkeit dieser Verfügungen anordnen Man gewinnt ohnehin den Eindruck, dass die Um- müssen, wollen wir, dass Widerspruch und Anfechtungs- setzung des bestehenden Umweltrechts stiefmütterlich klage gegen diese Anordnungen keine aufschiebende vernachlässigt wird, so, als handele es sich bei Umwelt- Wirkung haben . vergehen um Kavaliersdelikte und nicht um Verbrechen, Die Aufstellung von Kontrollplänen soll ebenfalls die unsere Gesundheit und unsere Lebensgrundlagen für verbesserten Vollzug sorgen . Die Pläne sollen unter gefährden . Die Bundesländer betreiben zu oft die durch anderem dafür sorgen, dass rechtzeitig die für die Kont- Schuldenbremsen erzwungenen Haushaltseinsparungen rollen notwendigen Kapazitäten geschaffen werden . Die zulasten der Kontrollbehörden, was schamlos von zwie- Aufstellung der Pläne mit der Verpflichtung zur Zusam- lichtigen Unternehmen ausgenutzt wird . Die deutlich menarbeit ist für die Bundesländer sicherlich mit einigem höheren Folgekosten müssen wir dann alle tragen – ein Verwaltungsaufwand verbunden . Um aber überhaupt kurzsichtiges schlechtes Geschäft . feststellen zu können, wie effektiv die Kontrollen sind, Die Linke regt deshalb an, jede Verbesserung des Um- sind sie meines Erachtens eine notwendige Maßnahme . weltrechts gleichzeitig mit einem Durchführungsplan zu Ich plädiere aber dafür, dass diese Kontrollpläne nach flankieren, der sicherstellt, dass er die Verwaltungen in einiger Zeit auch im Hinblick auf ihre Durchführung, die Lage bringt, die Vorgaben durchzusetzen . Da reicht auf ihren Nutzen und Effektivität überprüft werden . Die die personelle und finanzielle Ausstattung der Behörden Kontrollpläne dürfen keine Papiertiger sein, sie müssen allein mitunter nicht aus . Der Gesetzgeber ist selbst ge- zu einer verbesserten Bekämpfung des illegalen Müllex- fragt, seine eigenen Regelwerke auf Konsistenz und Um- portes führen . setzbarkeit zu prüfen . Ich hoffe, dass wir mit dieser Gesetzesänderung Er- In Deutschland stand im Elektrogerätegesetz, dass es folg haben, gleichzeitig bin ich mir aber sicher, dass die- verboten ist, Akkus in Geräten wie Smartphones und Ta- se Novelle nicht die letzte sein wird . Die Bekämpfung blets fest, also nicht austauschbar, zu verbauen . Das hatte illegaler Müllbeseitigung ist eine dauerhafte Aufgabe . einen tieferen Sinn: Neben Verbraucherschutz und länge- Wir müssen diesen Bereich immer beobachten, um neue rer Nutzbarkeit sollte so ein ordentliches Recycling der Schlupflöcher zu schließen und Gefahren abzuwehren. Geräte und Akkus garantiert werden, um damit insgesamt Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18989

(A) Ressourcen zu schonen . Trotz dieses Verbotes wurden in die strafrechtlichen Sanktionen, die in dem Gesetzent- (C) Deutschland munter überall Geräte verkauft, in denen wurf bezüglich illegaler Entsorgung gefährlicher Abfälle Akkus fest eingebaut waren . Das Problem war, dass die und nicht gefährlicher Abfälle vorgesehen sind, sind zu Behörden keine Durchführungsermächtigung für dieses begrüßen . Denn auch Abfälle, von denen keine Gefahr Verbot bekommen hatten . Es gab schlicht keine Behör- aufgrund von Strahlung oder chemischer Zusammenset- de, die die Einhaltung des Verbots prüfen und Verstöße zung ausgeht, können schädlich für die Gesundheit von ahnden konnte . Doch statt das Verbot durchzusetzen, ent- Bürgerinnen und Bürgern oder gefährlich für Wasser und schied sich die unionsgeführte Koalition gegen Verbrau- Boden sein . cher- und Umweltschutz und strich einfach dieses Verbot Leider wurden nicht alle Änderungsvorschläge der aus dem Gesetz; das ist ein klarer Rückschritt . Länder übernommen, die den Vollzug vereinfacht und In Anbetracht dieses Beispiels fordert Die Linke die geringere Bürokratiekosten bedeutet hätten . Daher ent- Bundesregierung und die Regierungskoalition auf, die halten wir uns . vorgelegte Gesetzesnovelle auf ihre Konsistenz und Um- setzbarkeit zu prüfen und mit entsprechendem Personal und Befugnissen sicherzustellen, dass die neuen, wirk- Anlage 24 lich guten Regelungen auch umgesetzt werden können . Beim Einsatz für Verbraucher-, Gesundheits- und Um- Zu Protokoll gegebene Reden weltschutz haben Sie unsere Unterstützung . zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchfüh- Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): rung der Verordnung (EU) Nr. 655/2014 sowie zur Wenn es schon in dieser Legislaturperiode aufgrund Änderung sonstiger zivilprozessualer Vorschriften der Blockaden in der großen Uneinigkeitskoalition kein (EuKoPfVODG) ewig angekündigtes und dringend nötiges Wertstoffge- setz geben wird, müssen wir ja schon froh sein, wenn (Tagesordnungspunkt 30) es überhaupt ein Gesetzentwurf zum Abfallrecht bis in das Plenum des Deutschen Bundestages schafft . So hatte Sebastian Steineke (CDU/CSU): Mit der Verord- Hendricks im Februar 2014 angekündigt, den EU-Emis- nung Nummer 655/2014 der Europäischen Union hat sionshandel so rasch wie möglich wieder vom Kopf auf Brüssel einheitliche Regelungen zur Einführung eines die Füße zu stellen, und sie wollte insgesamt zwei Mil- Verfahrens für einen Europäischen Beschluss zur vorläu- liarden Emissionszertifikate dauerhaft aus dem Markt figen Kontenpfändung im Hinblick auf die Erleichterung nehmen, was bis heute nicht geschehen ist . Aus welchen der grenzüberschreitenden Eintreibung von Forderungen (B) Gründen diese Ankündigung bisher scheiterte, darüber in Zivil- und Handelssachen geschaffen . Ab dem 18 .Ja - (D) kann nur spekuliert werden . Auch ist nicht ersichtlich nuar 2017 gilt sie in allen EU-Mitgliedstaaten außer in aus, welchen Gründen sich Bundesministerin Hendricks Großbritannien und Dänemark . Sie soll die Eintreibung bei den Abgasmessungen RDE-Gesetzgebung mit den grenzüberschreitender Forderungen für Bürgerinnen und Konformitätsfaktoren 1,6 und dann 1,2 nicht durchset- Bürger und Unternehmen erleichtern und die Vollstre- zen konnte, obwohl sie diese 2015 als „Riesenfortschritt“ ckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Han- bezeichnet hatte . delssachen in Streitfällen mit grenzüberschreitendem Bezug vereinfachen . Hintergrund ist, dass Gläubiger in Gleiches gilt für die Forderungen der Umweltminis- allen EU-Mitgliedstaaten unter denselben Bedingungen terin eine verpflichtenden Quote für Elektrofahrzeuge Beschlüsse zur vorläufigen Kontenpfändung erwirken einzuführen, den Biospritanteil bei 5 Prozent zu deckeln, können . die Agrarsubventionen in ihrer bisherigen Form abzu- schaffen und öffentliche Gelder nur noch für öffentliche Zwar gilt die EU-Kontenpfändungsverordnung bei Leistungen im Agrarsektor auszugeben oder die Natur- uns unmittelbar, dennoch waren im Hinblick auf die schutzoffensive 2020 voranzubringen . Um nur einige Besonderheiten im deutschen Recht ergänzende Durch- wenige Beispiele zu nennen . So reden wir heute also über führungsvorschriften notwendig, die der vorliegende Ge- das Gesetz zur Änderung abfallverbringungsrechtlicher setzentwurf beinhaltet . Das umfangreiche Gesetz wirkt Vorschriften . auf den ersten Blick sehr kleinteilig und außerordentlich technisch . Beim näheren Hinsehen haben wir jedoch Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen noch Beratungsbedarf gesehen . Das Ergebnis der Bera- begrüßt ausdrücklich das Gesetz zur Änderung abfallver- tungen haben wir als Koalitionsfraktionen in unserem bringungsrechtlicher Vorschriften . Denn eine verbesserte Änderungsantrag formuliert . Bekämpfung der illegalen Entsorgung von Abfällen ist dringend geboten . Gerade angesichts der immer wie- Ich möchte hier nur auf einige wenige Dinge eingehen, derkehrenden Müllskandale wie etwa in Sachsen oder die aus unserer Sicht wichtig sind . Zunächst zum Kern Sachsen Anhalt ist die Umsetzung der EU-rechtlichen der Verordnung: Künftig soll ein einheitlicher Beschluss Vorgaben durch die Anpassung des Abfallverbringungs- zur vorläufigen Kontenpfändung ergehen, der von der gesetzes an EU-Recht notwendig . Die in dem Gesetz- Bank umzusetzen ist . Im deutschen Recht haben wir da- entwurf vorgeschlagene Regelung, dass die Länder mit gegen zwei gerichtliche Entscheidungen: das Verfahren den zuständigen Zollbehörden und dem Bundesamt für auf Anordnung des Arrests nach §§ 916 ff . der Zivilpro- Güterverkehr bezüglich der Inhalte der Kontrollpläne zessordnung sowie die Vollziehung des Beschlusses nach Einvernehmen herbeiführen, ist fachlich sinnvoll . Auch §§ 928 bis 930 der Zivilprozessordnung . Nach der Erwir- 18990 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) kung eines Arrestbeschlusses folgt also in einem zweiten Bundesgerichtshof hat am 21 .Dezember 2015 entschie- (C) Schritt der Pfändungsbeschluss . Für grenzüberschreiten- den, dass es sich hier um eine Amtszustellung handelt de Fälle ist nur noch ein Beschluss vorgesehen . Die nati- und der Gläubiger im Eintragungsanordnungsverfahren onalen Wege bleiben aber weiter möglich . damit als Kostenschuldner ausschied . Mit der Neurege- lung schaffen wir nicht nur eine gerechte Lösung, son- Neben einigen richtigen Anmerkungen des Bundesra- dern entlasten auch in erster Linie unsere Bundesländer . tes, die wir in den Änderungsantrag eingearbeitet haben, waren uns, insbesondere nach intensiven Gesprächen mit Der letzte wichtige Punkt, den ich hier erwähnen Praktikern und Gerichtsvollziehern, noch weitere Ände- möchte, ist die Einfügung einer zusätzlichen Num- rungen wichtig . Unser Antrag sieht unter anderem den mer 208 im Kostenverzeichnis zum Gerichtsvollzie- Wegfall der Untergrenze von 500 Euro in den §§ 755 Ab- herkostengesetz . Die Gebühr Nummer 207 gilt nur für satz 2 und 802l Absatz 1 der Zivilprozessordnung vor . solche Fälle, in denen eine gütliche Einigung explizit Das bedeutet, dass Gerichtsvollzieher zukünftig auch und anstatt einer Vollstreckung beauftragt wird . Der Ge- bei zu vollstreckenden Ansprüchen, die unter 500 Euro richtsvollzieher berechnet in Vollstreckungsverfahren, liegen, den Aufenthaltsort des Schuldners bei anderen in denen im Sinne von § 806b der Zivilprozessordnung Behörden ermitteln können . Das Gleiche gilt für die Er- auch die gütliche Einigung versucht werden muss, nur mittlung des Arbeitgebers des Schuldners sowie die Er- die Gebühr für das Vollstreckungsverfahren . Dies ist aus mittlung der vom Schuldner geführten Konten oder der unserer Sicht nicht sachgerecht . Der Arbeitsaufwand der vom Schuldner gehaltenen Kraftfahrzeuge . Nach unserer Gerichtsvollzieher für eine gütliche Einigung wird nach Auffassung besteht kein sachlicher Grund für das Beste- geltendem Recht nicht ausreichend honoriert . Wird dem hen dieser Grenze bei Drittabfragen . Gerichtsvollzieher Gerichtsvollzieher zukünftig der Auftrag erteilt, den Ver- waren bei derartigen Verfahren immer auf die Selbstaus- such einer gütlichen Erledigung zu unternehmen sowie kunft des Schuldners angewiesen . Knapp die Hälfte aller eine Pfändung vorzunehmen, so erhält er neben der Ge- Fälle betrifft Verfahren, bei denen die Wertgrenze von bühr für die Pfändung in Höhe von 16 Euro eine zusätz- 500 Euro unterschritten wird . Das heißt, dass eine nicht liche Gebühr in Höhe von 8 Euro für den Versuch der unerhebliche Zahl aller Ansprüche davon betroffen ist . gütlichen Erledigung . Schuldner, die eine Vermögensauskunft bislang pflicht- widrig nicht abgegeben haben, mussten zudem mit der Ich möchte mich bei unserem Koalitionspartner und Beantragung eines Haftbefehls nach § 802g der Zivil- speziell beim Kollegen Dirk Wiese für die konstruktive prozessordnung rechnen . Vor diesem Hintergrund kann Zusammenarbeit bei der Gesetzesberatung bedanken . durch die Streichung der Wertgrenze auch die Anzahl der Bei diesen doch sehr technischen Regelungen war es Anträge auf Erlass eines Haftbefehls wegen geringfügi- wichtig, praktikable Lösungen zu finden. Dies ist uns (B) ger Forderungen deutlich reduziert werden . Der Grund- durchaus gut gelungen . (D) rechtseingriff im Rahmen einer Drittauskunft ist unzwei- felhaft geringer als der Entzug der Freiheit . Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Bereits aus dem Jahr 2014 datiert die Kontenpfändungsverordnung der Nicht zuletzt ist es kaum noch begründbar, weshalb Europäischen Union . Mit der heutigen Beratung soll Forderungen unter 500 Euro weniger schutzwürdig sein durch die Anpassung der zivilprozessualen Vorschriften sollen als solche, die darüber liegen . Insbesondere Rech- die Durchführbarkeit der Verordnung garantiert werden . nungen von kleinen und mittelständischen Unterneh- men oder von Handwerkern bewegen sich oftmals im Das Arrestverfahren mit einem Kontenpfändungsbe- Bereich unterhalb der Wertgrenze . Insofern erleichtern schluss ist ein notwendiges und praktiziertes Mittel zur wir besonders in diesen Fällen das Verfahren . Uns war Sicherung der Zwangsvollstreckung . Im Vordergrund es wichtig, hier einen Gleichklang der unterschiedlichen steht weniger die Befriedigung des Gläubigers, als viel- Vorschriften in den Mitgliedstaaten herzustellen . Es kann mehr die Sicherheit, in das Konto des Schuldners über- nicht sein, dass deutsche Gläubiger gegenüber anderen haupt vollstrecken zu können . Das Verfahren in der benachteiligt werden . Hier hatten wir rechtliche Beden- europäischen Kontenpfändungsverordnung ist mit den ken, die wir mit dem Änderungsantrag ausräumen . Vorschriften der Zivilprozessordnung strukturell ver- gleichbar . Weiterhin enthält unser Änderungsantrag mit der Er- gänzung von § 882c Absatz 1 der Zivilprozessordnung Die Verordnung verfolgt ein wichtiges Ziel . Den Gläu- die Feststellung, dass die Anordnung der Eintragung des bigern soll die Eintreibung grenzüberschreitender Forde- Schuldners in das Schuldnerverzeichnis Teil des Voll- rungen erleichtert und die Vollstreckung durch Pfändung streckungsverfahrens ist . Der Gerichtsvollzieher soll in ausländischer Konten vereinfacht werden . Das Verfahren jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Erledigung findet in allen teilnehmenden EU-Mitgliedstaaten unter bedacht sein . Dies gilt auch bei und nach Zustellung der denselben Voraussetzungen Anwendung . Alle Gläubiger Eintragungsanordnung . Oftmals zeigt sich in der Praxis, sehen sich mit derselben Rechtslage und dem gleichen dass ein Schuldner erst mit der Zustellung der Eintra- Schutzniveau konfrontiert . Dies fördert die Rechtsklar- gungsanordnung seine Bereitschaft zeigt, eine gütliche heit und Rechtssicherheit im europäischen Rechtsraum . Einigung in Betracht zu ziehen . Zugleich regeln wir da- Die Verordnung dient zur vereinfachten Eintreibung von mit, dass die Auslagen für die Zustellung der Eintragung grenzüberschreitenden Forderungen nicht nur für Unter- in das Schuldnerverzeichnis auch gegenüber dem Gläu- nehmen, sondern gleichermaßen für die Bürgerinnen und biger als Auftraggeber im Sinne des Gerichtsvollzieher- Bürger . Es wird damit ein aktiver Beitrag zu mehr Ver- kostengesetzes in Ansatz gebracht werden können . Der braucherschutz geleistet . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18991

(A) Mit den Änderungen der Zivilprozessordnung und Erstens . Wir haben die bestehende 500-Euro-Grenze (C) weiterer zivilprozessualer Regelungen möchten wir als der §§ 755 II und 802l I ZPO für Drittabfragen abge- nationaler Gesetzgeber einen Beitrag zu mehr Rechtsklar- schafft . Da Gläubiger solcher Forderungen ausschließ- heit und Rechtssicherheit bei der Eintreibung grenzüber- lich auf Selbstauskünfte der Schuldner angewiesen sind, schreitender Forderungen schaffen . Auf die Vielzahl der werden gerade kleinere Unternehmen mit kleineren For- gesetzlichen Änderungen soll nicht genauer eingegangen derungen hierdurch erheblich benachteiligt . Denn an- werden . Ich möchte mich auf ein paar wesentliche As- ders als für Gläubiger von Forderungen über 500 Euro pekte beschränken, welche dem Rechtsanwender jedoch bestand nach bisheriger Rechtslage für diese Gläubi- erhebliche Erleichterungen bei der Durchsetzung des ger auch nicht die Möglichkeit, bei einer unergiebigen Rechts verschaffen . Meldeauskunft, etwa beispielsweise weil der Schuldner seinen melderechtlichen Verpflichtungen nicht nach- Vor Erlass der Verordnung musste im Vollstreckungs- kam, den Aufenthaltsort über weitere behördliche Aus- staat ein eigenständiges Vollstreckungsverfahren ein- künfte zu ermitteln . Dadurch wurde die Durchführung geleitet werden, um die Kontenpfändung zu erwirken . der Zwangsvollstreckung für diese Gläubiger von For- Künftig erlässt das Gericht der Hauptsache den Be- derungen in geringerer Höhe erheblich erschwert . Mit schluss zur vorläufigen Kontopfändung. Die Vorteile der dem Wegfall der 500 Euro Grenze tragen wir somit dafür vereinfachten Rechtsdurchsetzung liegen auf der Hand: Sorge, dass diese Ungleichbehandlung von Gläubigern Zeit- und Kostenaufwand werden erheblich reduziert . nicht mehr weiterbesteht . Der Bürokratieabbau kommt allen Unternehmen und al- len Bürgerinnen und Bürgern zugute . Zweitens haben wir klargestellt, dass die Anordnung Weniger Bürokratie ist ein positiver Beitrag zur Stei- der Eintragung des Schuldners in das Schuldnerverzeich- gerung der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen . Die nis Teil des Vollstreckungsverfahrens ist . Damit wird vor hohen Kosten durch das vorherige Verfahren werden allem klargestellt, dass Auslagen für die Zustellung der künftig wegfallen . Auch die Bürgerinnen und Bürger Eintragungsanordnung auch gegenüber dem Gläubiger werden wesentlich entlastet . Der Antrag beim Gericht, als Auftraggeber nach § 13 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 wo der Titel bereits erwirkt wurde, schafft einen einfa- des Gerichtsvollzieherkostengesetzes geltend gemacht cheren Zugang zum Recht . Das Vertrauen in das bekann- werden können . Diese Verteilung ist nur recht und billig te Justizsystem wird gestärkt . und minimiert das Kostenrisiko für die Länder ungemein . Nicht zuletzt wird unvorhersehbaren Einflüssen im Drittens haben wir einer reduzierten Gebühr von Vollstreckungsstaat vorgebeugt . Der Beschluss zur 8 Euro für den Versuch einer gütlichen Erledigung der Sa- vorläufigen Kontopfändung ist von der kontoführen- che durch die Gerichtsvollzieher in den Fällen, in denen (B) den Bank zu befolgen . Durch die Verbindlichkeit des gleichzeitig ein Auftrag zur Pfändung oder zur Abnahme (D) Beschlusses schaffen wir Struktur und Klarheit bei der der Vermögensauskunft erteilt wurde, eingeführt . Denn Rechtsdurchsetzung . nach geltendem Recht fällt eine Gebühr für den Versuch einer gütlichen Erledigung der Sache nur an, wenn der Weiterhin soll nicht unerwähnt bleiben, dass einige Gerichtsvollzieher nicht gleichzeitig mit einer Maßnah- Ergänzungen das Thema E-Justice betreffen . Der Einsatz me nach § 802a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 oder Num- IT-gestützter Abläufe im Justizwesen ist aus dem Ge- mer 4 ZPO beauftragt ist . Hier wird jedoch nicht berück- richtsalltag nicht mehr wegzudenken . Mit diesem Gesetz sichtigt, dass der Versuch einer gütlichen Erledigung der wird ein weiterer Schritt hin zu einem vollständigen elek- Sache zum Teil mit einem erheblichen Arbeitsaufwand tronischen Vollstreckungsverfahren gemacht . des Gerichtsvollziehers verbunden ist . Und es macht hier Ich kann mit gutem Gewissen um Zustimmung zu die- auch vom Arbeitsaufwand keinen Unterschied für den sem Gesetzentwurf bitten . Gerichtsvollzieher, ob er ausschließlich mit dem Versuch einer gütlichen Erledigung beauftragt wurde oder ob der Auftrag etwa gleichzeitig noch auf die Vornahme einer Dirk Wiese (SPD): Heute beschließen wir das Gesetz Pfändung gerichtet ist . Daher ist es nur recht und billig, zur Durchführung der EU-Kontenpfändungsverordnung . dass der Versuch einer gütlichen Erledigung stets eine Ich glaube wir können mit Recht sagen, dass hier das Gebühr auslöst . Struck’sche Gesetz wieder voll zur Geltung gekommen ist: Kein Gesetz – und auch dieses – kommt aus dem Parlament wieder so heraus, wie es eingebracht worden Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): Der Ge- ist . Das ist mit Sicherheit nicht immer von Vorteil, ge- schäftsführer einer in Deutschland ansässigen mittelstän- rade dann nicht, wenn man Kompromisse mit dem Ko- dischen GmbH wird von seiner Hausbank darüber be- alitionspartner machen muss, die einem vielleicht nicht nachrichtigt, dass dort der Beschluss eines rumänischen zu 100 Prozent gefallen . Bei dem vorliegenden Geset- (oder griechischen etc ). Gerichts über die Anordnung ei- zesvorhaben verhält sich das jedoch völlig anders . In- ner vorläufigen Kontenpfändung vorliege; die Bank habe nerhalb der parlamentarischen Beratungen haben wir in aus diesem Grund alle geführten Geschäftskonten und guten und konstruktiven Gesprächen mit den Kollegen sämtliche Guthaben „eingefroren“ . Überweisungen, wie von der Union das Gesetz verbessert und optimiert . Mein Miete, Löhne etc ,. würden fortan nicht mehr ausgeführt . Kollege Herr Lange hat soeben den Gesetzentwurf noch Der Unternehmer, der seinen gesamten Zahlungsverkehr einmal mit seinen weiteren Änderungen vorgestellt . Ich über die Bank abwickelt, ist sofort zahlungsunfähig im möchte mich deshalb auf die drei wichtigsten Punkte be- Sinne des § 17 Absatz 2 InsO . Tags darauf wird dem Ge- schränken, die wir geändert haben . schäftsführer der Beschluss nebst Antrag über die vorläu- 18992 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) fige Kontenpfändung zugestellt. Beschluss und Antrag Der Gesetzentwurf geht auf die am 15 .Mai 2014 er- (C) sind in deutscher Sprache beigefügt und nehmen zum lassene EU-Verordnung zur Einführung eines Verfahrens Zweck der Anspruchsbegründung auf einen in rumäni- für einen Europäischen Beschluss zur vorläufigen Kon- scher Sprache gehaltenen Vertrag Bezug, der als Anlage tenpfändung im Hinblick auf die Erleichterung der gren- zwar beigefügt ist, für den aber – zulässig (vergleiche Ar- züberschreitenden Eintreibung von Forderungen in Zi- tikel 49 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 28 Absatz 5 c) vil- und Handelssachen (Amtsblatt L 189 vom 27 .6 .2014, der Verordnung (EU) Nummer 655/2014) – eine deutsche S . 59; im Folgenden: Europäische Kontenpfändungsver- Übersetzung fehlt . Aus der unter Hochdruck bis zum ordnung, EuKoPfVO) zurück. Diese Verordnung findet nächsten Tag durchgeführten Vertragsübersetzung er- ab dem 18 .Januar 2017 in allen EU-Mitgliedstaaten fährt der Unternehmer den vermeintlichen Schuldgrund . außer dem Vereinigten Königreich und Dänemark An- Dem Beschluss kann er entnehmen, dass ihm gegenüber wendung . Ziel der Verordnung ist es, die Eintreibung bislang kein Urteil oder sonstiger Titel in Rumänien er- grenzüberschreitender Forderungen für Bürgerinnen und gangen sei, sondern ein Antragsteller einem rumänischen Bürger und Unternehmen zu erleichtern und die Vollstre- Gericht „hinreichende Beweismittel“ vorgelegt habe, aus ckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Han- denen sich „voraussichtlich“ ein Obsiegen des Antrag- delssachen in Streitfällen mit grenzüberschreitendem stellers in einem zukünftigen Hauptsacheverfahren sowie Bezug zu vereinfachen . Gläubiger sollen in die Lage eine tatsächliche Gefahr der Vollstreckungserschwerung versetzt werden, in allen EU-Mitgliedstaaten unter den- für den Fall der unterbleibenden Anordnung der vorläu- selben Bedingungen Beschlüsse zur vorläufigen Konten- figen Kontenpfändung ergebe. Zudem erfährt er den zu pfändung zu erwirken . Zwar gilt die EuKoPfVO in der vollstreckenden Betrag in Höhe von 500 000 Euro . Si- Bundesrepublik Deutschland unmittelbar, jedoch bedarf cherheitsleistungen in dieser Größenordnung (vergleiche sie einiger ergänzender Durchführungsvorschriften . Artikel 38 der Verordnung [EU] Nummer 655/2014) sind Der Gesetzentwurf ist aus gleich mehreren Gründen der GmbH kurzfristig nicht möglich . abzulehnen . So fehlt es bereits an einer klaren Rege- lungskompetenz . Es ist nicht erkennbar, aus welchem Der noch am selben Tag vom Unternehmer konsultierte Grund das Instrumentarium der grenzüberschreitenden deutsche Anwalt erklärt, er könne nicht helfen, vielmehr Kontenpfändung für das reibungslose Funktionieren des müsse ein rumänischer Anwalt gesucht und mandatiert Binnenmarkts erforderlich sein soll . werden . Der Unternehmer kontaktiert daraufhin – nach intensiver Suche nach einer rumänischen Anwaltskanz- Weiterhin weichen die tatbestandlichen Voraussetzun- gen der grenzüberschreitenden vorläufigen Kontenpfän- lei – am darauf folgenden Tag einen rumänischen Anwalt, dung in ihren Grundzügen erheblich von vergleichbaren der angesichts der Eilbedürftigkeit ausnahmsweise ohne Regelungen des deutschen Prozessrechts, insbesondere Gebührenvorschuss tätig wird . Der rumänische Anwalt (B) von den zweistufigen Regelungen des Arrests, ab, zum (D) fordert die Gerichtsakte an und bereitet in den kommen- Beispiel: den Tagen – nach vielfacher, aufgrund der Sprachbarrie- ren schwieriger Korrespondenz – den Antrag auf Wider- Nach Artikel 5 a) der Verordnung (EU) Num- ruf der vorläufigen Kontenpfändung gemäß Artikel 33 mer 655/2014 kann der Antrag auf vorläufige Konten- Absatz 1 a) der Verordnung (EU) Nummer 655/2014 vor . pfändung ohne vorhergehenden Titel gestellt werden; Dem Widerruf wird vonseiten des rumänischen Gerichts für den Erlass eines Beschlusses zur vorläufigen Kon- fünf Tage nach Antragstellung stattgegeben . In der Zeit topfändung sind nach Artikel 6 a der Verordnung (EU) bis zur Antragsstattgabe ist die GmbH schutzlos vom Nummer 655/2014, sofern noch kein Titel vorliegt, „die Zahlungsverkehr abgeschnitten, insolvenzantragspflich- Gerichte des Mitgliedstaats, die gemäß den einschlä- tig und akut existenzbedroht . Die GmbH ist nach § 15a gigen anzuwendenden Zuständigkeitsvorschriften für InsO insolvenzantragspflichtig; der Geschäftsführer ist die Entscheidung in der Hauptsache zuständig sind“, nicht erst nach Ablauf der Drei-Wochen-Frist, sondern zuständig . Damit ist das zuständige Gericht oftmals in „unverzüglich“ zum Antrag verpflichtet. Sofern er für einem anderen EU-Mitgliedstaat und nicht am Wohnort die GmbH weitere Zahlungen vornimmt, beispielswei- des Schuldners . Ferner: Bei Pfändung muss der Schuld- se aus Barmitteln, setzt er sich dem Haftungsrisiko nach ner nach Artikel 14 Absatz 5 c der Verordnung (EU) § 64 GmbHG aus . Die eingetretene Zahlungsunfähigkeit Nummer 655/2014 seine sämtlichen Bankdaten gegen- birgt zudem das hohe Risiko der Kündigung der Bank- über dem Gläubiger offenlegen; den Rechtsbehelf auf verbindung, insbesondere aber der Kündigung sonstiger Widerruf oder Abänderung des Beschlusses muss der Vertragsbeziehungen wegen Zahlungsverzugs . Gegebe- Schuldner grundsätzlich beim Gericht des Ursprungs- nenfalls können Sozialversicherungsabgaben auf bereits lands geltend machen, Artikel 33 der Verordnung (EU) Nummer 655/2014 ausgekehrte Löhne nicht an die Sozialversicherungsträ- ger gezahlt werden . Aus Schuldnersicht gewährleistet die Verordnung (EU) Nummer 655/2014 weder nach verfassungsrecht- Ein Horrorszenario – nicht in meiner Fantasie erdacht, lichen noch nach gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen sondern in der Stellungnahme des Deutschen Anwalts- einen effektiven Rechtsschutz . Verfassungsrechtlicher vereins als Beispiel für das Wirken des heute hier zur Justizgewährungsanspruch und Rechtsstaatsprinzip zweiten und dritten Lesung vorliegenden Gesetzent- fordern daher gerade im Arrestverfahren einen Rechts- wurfes zur Durchführung der EU-Verordnung Num- schutz, der im Zweifelsfall binnen weniger Stunden mer 655/2014 sowie zur Änderung sonstiger zivilprozes- umsetzbar sein muss . Entsprechend kurze Verfahrens- sualer Vorschriften dargestellt und zitiert . dauern im einstweiligen Rechtsschutzverfahren werden Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18993

(A) beispielsweise bei familienrechtlichen, sorgerechtlichen Rechtsbehelfen gegen die vorläufige Kontopfändung. (C) oder kollektivarbeitsrechtlichen Verfahren im nationalen Für ein kleines Unternehmen kann die Pfändung eines Verfahren gewährleistet . Einen vergleichbaren Standard Bankkontos die Existenzvernichtung bedeuten . Schnel- effektiven Rechtsschutzes fordert auch das Gemein- ler und effektiver Rechtsschutz ist also bitter nötig, und schaftsrecht über Artikel 47 der Charta der europäischen das noch viel mehr bei grenzüberschreitender Pfändung Grundrechte in Verbindung mit Artikel 6 Absatz 3 EUV in einem anderen europäischen Land . Die Anregung des und über Artikel 6 EMRK . Deutschen Richterbundes, eine klarstellende Regelung in § 574 ZPO im Umsetzungsgesetz aufzunehmen, hat die Ausgehend von der zitierten Rechtsprechung des Bundesregierung in ihrem GE leider nicht aufgegriffen . Bundesverfassungsgerichts gebieten Artikel 19 Ab- satz 4 Grundgesetz und Artikel 103 Grundgesetz, dass Die Europäische Kontopfändungsverordnung gilt in gegen den Beschluss über eine vorläufige Kontenpfän- Deutschland ab dem 18 .Januar 2017 unmittelbar und dung nicht bloß theoretisch, sondern ganz praktisch ein bietet, abgesehen vom Erlass von Durchführungsvor- Rechtsschutz des Schuldners binnen weniger Stunden schriften, wenig Umsetzungsspielraum . gewährleistet sein muss . Gerade einen solchen effektiven Rechtsschutz gewährleistet die Verordnung (EU) Num- Der Gesetzentwurf enthält aber auch Regelungen, die mer 655/2014 nicht, wie der eingangs dargestellte Bei- über die Umsetzung der europäischen Verordnung hi- spielsfall leicht veranschaulicht . nausgehen . Das BMJV hat die Gelegenheit genutzt, die Umsetzung der EU-Verordnung mit einem „Reparaturge- Schließlich führt die Verordnung zu einer Zersplitte- setz“ zu verbinden, um Klarstellungen und Ergänzungen rung und insbesondere Intransparenz des Zivilprozess- vorzunehmen, die nach Inkrafttreten des Gesetzes zur rechts . Reform der Sachaufklärung am 1 . Januar 2013 erforder- Der Deutsche Anwaltsverein, aus dessen Stellungnah- lich geworden sind . Die Halbwertzeit Ihrer Gesetze ist me ich hier wiedergegeben habe, äußert sich zu der vor- wirklich nicht sehr lang . liegenden VO abschließend wie folgt: Zu den Punkten, die in der Rechtspraxis sehr unter- „Auf Grundlage eines deutschen Verfassungsver- schiedlich angewendet und von den Gerichten uneinheit- ständnisses ist es dem DAV unverständlich, dass von lich interpretiert wurden, zählt beispielsweise der Um- deutscher Seite der Erlass der Verordnung (EU) Num- fang der Aufenthaltsermittlung durch Drittabfragen nach mer 655/2014 widerspruchslos akzeptiert wurde, insbe- § 755 und § 802l ZPO und der Umfang der zu vollstre- sondere, dass sämtliche Rechtsbehelfe gegen die vorläu- ckenden Forderung . fige Kontenpfändung – vorbehaltlich Artikel 6 Absatz 2 (B) der Verordnung (EU) Nummer 655/2014 (Gerichtsstand Hier soll der Gesetzentwurf nun klarstellen, dass nicht (D) für Verbraucher) und Artikel 34 der Verordnung (EU) nur der Aufenthaltsort von natürlichen Personen ermit- Nummer 655/2014 – im Ursprungsstaat verfolgt werden telt werden darf, sondern auch der Sitz eines Unterneh- müssen . Nach Dafürhalten des DAV ist es auf europäi- mens oder Gewerbetreibenden . Auch der Umfang der scher Ebene dringend geboten, von deutscher Seite ju- Forderungen wird präzisiert . Allerdings schütten Sie das ristisch wie politisch auf eine grundlegende Neukonzep- Kind mit dem Bade aus, wenn Sie zugleich und in letzter tionierung der vorläufigen Kontenpfändung zu drängen Minute die Bagatellgrenze von 500 Euro streichen und und bis dahin von Umsetzungsakten in deutsches Recht außerdem regeln, dass der Gerichtsvollzieher in Zukunft Abstand zu nehmen .“ die Daten eines Schuldners, die er in einem Verfahren erhoben hat, in einem weiteren Verfahren weiterverwen- Daher sind nach Auffassung meiner Fraktion sowohl den darf . der vorliegende Gesetzentwurf als auch die ihn begrün- dende Verordnung abzulehnen . Auch wenn Sie hier eine Grenze von drei Monaten vorsehen, wird das weder dem Datenschutz noch dem Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der vor- Schuldnerschutz gerecht . Auch der Deutsche Gerichts- liegende Gesetzentwurf dient der Umsetzung der Europä- vollzieherbund, DGVB, kritisiert diese Vermischung ischen Kontenpfändungsverordnung vom 15 . Mai 2014 . verschiedener Verfahren, vor allem deswegen, weil die Diese Verordnung dient wiederum dazu, die Eintreibung Gefahr einer Verzögerung und höherer Kosten bestehe . grenzüberschreitender Forderungen für Bürgerinnen und Allerdings ist diese Regelung nicht nur aus prozessöko- Bürger und Unternehmen zu erleichtern und die Vollstre- nomischer Sicht zu kritisieren, sondern auch aus da- ckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Han- tenschutzrechtlichen Gründen . Denn auch im Zwangs- delssachen in Streitfällen mit grenzüberschreitendem vollstreckungsverfahren gilt der datenschutzrechtliche Bezug zu vereinfachen . Gläubiger können dann in allen Grundsatz der Erforderlichkeit, das heißt, dass nur die- EU-Mitgliedstaaten unter denselben Bedingungen Be- jenigen personenbezogenen Daten verarbeitet werden schlüsse zur vorläufigen Kontenpfändung erwirken. Ein dürfen, die für die Erfüllung der jeweiligen Aufgabe Konto vorläufig zu pfänden heißt, es „einzufrieren“. benötigt werden . Es ist zwar richtig, dass Zwangsvoll- streckung effektiv und aus Sicht des Gläubigers kosten- Es ist gut, dass Gläubiger ihre Forderungen inner- günstig sein muss . Zwangsvollstreckung geschieht aber halb der EU nun besser grenzüberschreitend durchsetzen nicht um jeden Preis, und die datenschutzrechtlichen Be- können . Aber es bleibt doch die Frage, warum die Bun- lange des Schuldners müssen ausreichend berücksichtigt desregierung sich in der EU nicht für einen effektiver- werden . Im Vollstreckungsverfahren ist Schuldnerschutz en Schuldnerschutz eingesetzt hat, insbesondere bei den auch Datenschutz . 18994 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) Eine weitere Klarstellung des Gesetzentwurfs betrifft Schöpfung auch für künftige Generationen . Ein nachhal- (C) die Eintragung des Schuldners in das Schuldnerverzeich- tiger, ressourcenschonender Umgang mit Natur, Umwelt nis durch das Amtsgericht . Diese Eintragung, die immer und Klima bildet dabei eine der wichtigsten Eckpfeiler . dann erfolgt, wenn der Schuldner eine Versicherung an Die heute vorgelegte Verordnung der Bundesregierung Eides statt über seine Vermögensverhältnisse abgegeben trägt diesem Ziel Rechnung . hat oder wenn gegen ihn ein Haftbefehl zur Erzwingung der Abgabe dieser Versicherung erlassen worden ist, soll Um was geht es? Für einen aktiven Klimaschutz bei nun Teil des Vollstreckungsverfahrens werden: § 882c der Verwendung von klimarelevanten fluorierten Gasen in Abs . 1 ZPO-E . Diese Änderung wird an der Praxis der technischen Anwendungen hat die EU bereits 2006 eine Eintragung nichts ändern . Sie hat ihren Grund im Kos- Verordnung über bestimmte fluorierte Treibhausgase so- tenrecht, genauer: dem Gerichtsvollzieherkostengesetz . wie weiterführende Verordnungen mit Anforderungen an Personal und Betriebe erlassen . Warum? Weil Treibhaus- Es wird nun klargestellt, welche Gebühren der Ge- gase wie Kohlendioxid, Methan und die voll- und teil- richtsvollzieher in Rechnung stellen darf, und das dient halogenierten Fluorkohlenwasserstoffe (FKW, H-FKW) dazu, für eine einheitliche Rechtsanwendung zu sorgen . die kurzwelligen Sonnenstrahlen ungehindert durch die Das ist zu begrüßen, denn es fördert die Rechtssicher- Atmosphäre auf die Erdoberfläche treffen lassen, die heit, wenn der Gläubiger weiß, mit welchen Kosten er im sich dadurch erwärmt . Die von der Erde zurückgestrahlte Vollstreckungsverfahren zu rechnen hat, und diese Frage Wärmeenergie (sogenannte terrestrische Strahlung) wird nicht von Gerichten in jedem Einzelfall geklärt werden aber von den Treibhausgasen absorbiert . Es kommt zu muss . einer zusätzlichen Erwärmung der Erdatmosphäre, dem sogenannten Treibhauseffekt, wenn die Konzentration Warum allerdings das zentrale Vollstreckungsgericht dieser Treibhausgase in der Atmosphäre zu hoch ist bzw . nicht mehr von der Aufhebung der Eintragung unterrich- steigt . Gerade die Fluorkohlenwasserstoffe verursachen tet werden muss und damit auch hier der Schuldnerschutz je nach Substanz einen 100- bis 22 000-mal höheren eingeschränkt wird, erschließt sich nicht . Treibhauseffekt als Kohlendioxid . Sie spielen deshalb im Auch mit dem hier vorliegenden Gesetzentwurf soll Kyoto-Protokoll eine besondere Rolle . die elektronische Kommunikation zwischen den Verfah- rensbeteiligten vorangetrieben werden . Vollstreckungs- 2008 war es daher Ziel der nationalen Chemikali- auftrag und vollstreckbare Ausfertigung können zukünf- en-Klimaschutzverordnung, durch Konkretisierungen tig unter den in § 754a ZPO-E genannten Bedingungen der EU-Vorgaben und auf Basis des Kyoto-Protokolls elektronisch übermittelt werden . Hier, wie auch bei der die Emissionen dieser klimarelevanten fluorierten Treib- Einführung des besonderen elektronischen Anwalts- hausgase zu verringern. Sie regelt den Umgang mit fluo- (B) postfachs, sind neben technischen und praktischen Be- rierten Treibhausgasen zum Beispiel bei bestimmten Tä- (D) denken auch noch eine Reihe rechtlicher Fragen offen, tigkeiten an Kälte- und Klimaanlagen, Wärmepumpen, beispielsweise zu berufsrechtlichen Pflichten und zum Brandschutzsystemen, Hochspannungsschaltanlagen, Datenschutz . Klimaanlagen in Kfz . Sie schreibt für diese Tätigkeiten einen Sachkundenachweis für das Personal und eine Zer- Wir finden es richtig, dass das Zwangsvollstreckungs- tifizierung für die Betriebe vor. verfahren effektiv und kostengünstig ausgestaltet sein soll . Positiv ist auch zu bewerten, dass einige der gesetzli- Die Bundesregierung hat nun die Anforderungen chen Klarstellungen und Ergänzungen zu mehr Rechtssi- für den Umgang mit und die Vermarktung von klima- cherheit für die Gläubiger führen . Allerdings werden wir schädlichen fluorierten Treibhausgasen mittels der heute dem Gesetz nicht zustimmen . Die viel zu weitgehenden vorliegenden Verordnung ergänzt, um die Chemikali- Regelungen zur Drittabfrage und Datenverwendung hal- en-Klimaschutzverordnung an das geänderte EU-Recht ten wir für datenschutzrechtlich nicht haltbar . Außerdem anzupassen und darin enthaltene Regelungsaufträge zu haben wir Zweifel, dass dem Schuldnerschutz durch die erfüllen . vorgesehenen Rechtsschutzmöglichkeiten ausreichend Mir ist dabei wichtig festzuhalten: Bei den Änderun- Rechnung getragen wird . gen handelt es sich um 1 : 1-Umsetzungen des EU-Rechts, die keinen über die Vorgaben der EU-Verordnung hinaus- gehenden Erfüllungsaufwand erzeugen! Für mich ist die Anlage 25 ausgewogene Interessenabwägung zwischen Umweltbe- langen und Bürokratiekosten und damit der Praxisbezug Zu Protokoll gegebene Reden unabdingbar: Dies erleichtert den notwendigen Vollzug zur Beratung der Beschlussempfehlung und des der Vorschriften in Verwaltung und Wirtschaft und trägt Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, zur Entbürokratisierung bei . Denn vergessen wir nicht: Bau und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der diese Chemikalien-Klimaschutzverordnung betrifft eine Bundesregierung: Verordnung zur Änderung der Vielzahl an Berufen der Kälte- und Klimahandwerke so- Chemikalien-Klimaschutzverordnung (Tagesord- wie der Elektro- und Kfz-Handwerke . nungspunkt 31) Bereits seit 2015 gilt als Bestandteil des europäischen Fahrplans für eine kohlenstoffarme Wirtschaft die neue Karsten Möring (CDU/CSU): Für die CDU/ EU-F-Gase-Verordnung. F steht für fluorierte Treibhaus- CSU-Bundestagsfraktion und für mich persönlich ist der gase . Diese ersetzte die bisherige Verordnung von 2006 Klimaschutz ein zentrales Anliegen zur Bewahrung der und enthält als wesentlich neues Element eine Reduk- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18995

(A) tionsregelung für treibhausrelevante teilfluorierte Koh- wurf folgerichtig das Verbot, teilfluorierte Kohlenwasser- (C) lenwasserstoffe, kurz HFKW . Ziel ist unter anderem der stoffe – wenn es keine nach der EU-F-Gase-Verordnung Anreiz zur Verwendung von Alternativen anstelle von zugewiesene oder erworbene Quote gibt – in Verkehr zu F-Gasen . Seither erteilt die Kommission jährlich Quo- bringen . Ein Verstoß soll als Straftat geahndet werden . ten für das Inverkehrbringen von HFKW, die bis 2030 stufenweise auf rund 20 Prozent der Ausgangsmenge Die heute vorliegende Änderung der Chemikali- gesenkt werden . Die Reduktionsregelung wird beglei- en-Klimaschutzverordnung ist der letzte Schritt zur er- tet durch zeitlich gestaffelte Vermarktungsverbote für folgreichen Realisierung der Ziele der EU-Verordnung HFKW-basierte Einrichtungen, also zum Beispiel Kühl- über fluorierte Treibhausgase in Deutschland. Ohne und Gefriergeräte oder technische Aerosole . Gleichzei- Bezugnahmen auf die nationalen Verfahren und Voraus- tig erweitert die neue EU-Verordnung insbesondere das setzungen zum Erwerb solcher Zertifikate wären diese bestehende System der Dichtheitsanforderungen für HF- Verbote nicht implementierbar und damit nicht über die KW-haltige Einrichtungen sowie die Zertifizierungsan- Blankettnormen des Chemikaliengesetzes sanktionier- forderungen für Personen und Betriebe, die mit solchen bar . In diesem Sinne bitte ich um Zustimmung für diese Stoffen umgehen . Die F-Gase-Verordnung erfasst nun Verordnung . weitere Sektoren, nämlich Transportkälte und Schaltan- lagen . Außerdem unterliegt ein erweitertes Tätigkeits- Frank Schwabe (SPD): Schon vor ein paar Stunden spektrum der Zertifizierungspflicht. haben wir hier im Hohen Haus über den Schutz des Kli- mas debattiert – über die Ratifikation des Paris-Abkom- Das zeigt: Die bisherigen Regelungen der Chemika- mens . Beim Klimaschutz denkt man zuallererst an die lien-Klimaschutzverordnung müssen im Wege der vor- Reduktion von Kohlendioxid . Man darf aber die anderen liegenden Änderungsverordnung angepasst und konkre- klimawirksamen Gase nicht vergessen . Deshalb sind im tisiert werden, dafür aus Zeitgründen nur wenige kurze Kioto-Protokoll neben Kohlendioxid auch andere Gase Beispiele: erwähnt, unter anderem auch die F-Gase, die fluorierten Mit der Verordnung werden unter anderem die nationa- Treibhausgase . F-Gase haben eine viel höhere Klima-

len Verfahrensvorschriften zur Zertifizierung von Perso- wirksamkeit als CO2 . Sie können 100- bis 24 000-mal nen um neu zertifizierungspflichtige Tätigkeiten ergänzt. klimaschädlicher sein als CO2 . Deshalb gibt es seit dem Auch werden vor allem im EU-Recht geregelte Betrei- Jahr 2007 die Verordnung zum Schutz des Klimas vor berpflichten sowie Kauf, Verkaufs- und Inverkehrbrin- Veränderungen durch den Eintrag bestimmter fluorierter gensverbote, die auf Zertifizierungsanforderungen Bezug Treibhausgase, kurz die Chemikalien-Klimaschutzver- nehmen, durch die Bundesregierung präzisiert . Die wei- ordnung . Sie regelt beispielsweise Maßnahmen zur Kon- tergehenden Regelungsinhalte des geltenden deutschen trolle der Dichtheit an Kälteanlagen, bei der Wartung und (B) Rechts, insbesondere die Dichtheitsgrenzwerte für orts- Stilllegung einer Kälteanlage, sie regelt die Rückgewin- (D) feste Kälteanlagen und die Rücknahmeverpflichtung für nung des Kältemittels und dessen Rücknahme durch den Hersteller und Vertreiber, bleiben bestehen . Hersteller . Zudem trifft die Verordnung Regelungen für die Qualifizierung des Wartungspersonals. Die Sachkundeanforderungen für Personen und Un- ternehmen werden gemäß den Änderungen des Uni- Da sich EU-Recht geändert hat, müssen wir diese Ver- onsrechts erweitert . Da nunmehr der Kreis der von der ordnung nun anpassen . Die neue F-Gas-Verordnung der EU-F-Gase-Verordnung erfassten Tätigkeiten gewachsen EU gilt schon seit Januar 2015, sie ersetzte die bisherige ist, fallen dementsprechend künftig Dichtheitskontrollen Verordnung . Es war somit erforderlich, dass das deut- und die Installation, Wartung, Reparatur und Stilllegung sche Recht an das geänderte EU-Recht angepasst wird . von Kühllastkraftfahrzeugen und -anhängern sowie die Bei den Änderungen handelt es sich um eine Eins-zu- entsprechenden Tätigkeiten an allen stationären elektri- eins-Umsetzung des EU-Rechts, die keinen Erfüllungs- schen Schaltanlagen unter die Chemikalien-Klimaschutz- aufwand erzeugen, der über die Vorgaben der EU-Ver- verordnung . Die Strukturen zum Erwerb und Nachweis ordnung hinausgeht . der Sachkunde bleiben dabei unverändert; zuständig für Das Bundeskabinett hat diese Änderungen am die Prüfung und die Bescheinigung der Sachkunde wer- 28 . Juni beschlossen, gestern haben wir schon im Um- den weiterhin die bewährten Kammern, Innungen sowie weltausschuss darüber diskutiert . Diese Änderungen behördlich anerkannte Stellen sein, denen ich an dieser sind notwendig und sinnvoll und finden deswegen unsere Stelle doch einmal herzlich für ihre wichtige Arbeit dan- Unterstützung . Änderungen erfolgen insbesondere bei ken möchte . den Anforderungen für den Erwerb von Sachkundebe- Hervorzuheben ist die Einführung von Quoten, ohne scheinigungen für Kälteanlagen, aber auch bei Regelun- die keine teilfluorierten Kohlenwasserstoffe auf dem gen für elektrische Schaltanlagen sowie im Bereich der Unionsmarkt in Verkehr gebracht werden können . Indem Kühltransporte . Transportkälte und Schaltanlagen waren die EU-Kommission den einzelnen Herstellern und Ein- nicht in der alten EU-Verordnung aufgeführt und wurden führern Quoten für das Inverkehrbringen von teilfluorier- nun neu aufgenommen. Auch die Zertifizierungspflicht ten Kohlenwasserstoffen zuweist, soll die Menge dieser wurde auf weitere Tätigkeiten ausgeweitet . Die Sach- Gase allmählich verringert werden . Die Verordnungs- kundebescheinigungen für Personen und Unternehmen begründung stellt fest, dass einige der entsprechenden wurden erweitert . Anforderungen an den sachkundigen Regelungen der EU-F-Gase-Verordnung „nicht aus sich Umgang mit diesen Stoffen sind wichtig, denn nur sehr heraus vollziehbar“ und damit auch nicht sanktionierbar gut geschulte Mitarbeiter können verhindern, dass diese sind . Um dem abzuhelfen, enthält der Verordnungsent- hochklimawirksamen Treibhausgase entweichen . Und 18996 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) natürlich steht die Dichtheit technischer Anlagen im Vor- Ob die Länderbehörden die Durchführung garantie- (C) dergrund, um ein Entweichen der Gase zu verhindern . ren müssen, ist in der EU-Verordnung nicht eindeutig beschrieben. Wir befürchten, die Kontrollen finden dann Als wesentliche Neuerung enthält die EU-Verordnung nach Kassenlage, also eher nicht, statt . Es ist nur eine eine Reduktionsregelung für treibhausrelevante teilfluo- Frage der Zeit, bis windige Firmen diese Vollzugslücke rierte Kohlenwasserstoffe . Seither erteilt die Kommissi- erkennen und sich die Kosten für Wartung und Überprü- on jährlich Quoten für das Inverkehrbringen von HFKW, fung sparen . die bis 2030 stufenweise auf rund 20 Prozent der Aus- gangsmenge gesenkt werden . Die Reduktionsregelung Das ist für die normalen Bürgerinnen und Bürger, die wird begleitet durch zeitlich gestaffelte Vermarktungs- beim kleinsten Verstoß zur Kasse gebeten werden, nicht verbote für HFKW-basierte Einrichtungen . Um diese nachvollziehbar . Ziele der EU zu erreichen, wird es notwendig sein, dass neue Technologien entwickelt werden, die ohne diese Neben diesem Behördenkompetenzproblem gibt es Stoffe auskommen . weitere Defizite, nämlich bei der Bewertung derjenigen Stoffe, die als vermeintlich klimafreundliche Kältemittel Da diese Verordnung im Umweltausschuss nicht strit- die alten Fluorkohlenwasserstoffe ablösen sollen . tig war, halte ich mich kurz . In der Klimapolitik gibt es gerade andere Schwerpunkte . Das ist vor allem die Er- Die Verordnung sieht zwar vor, dass zukünftig ad- reichung der in Paris beschlossenen Klimaziele . Hierfür äquate Berufsausbildungen Voraussetzungen sind, um brauchen wir einen klaren Fahrplan, der alle Sektoren mit den Anlagen, die Fluorkohlenwasserstoffe enthalten, umfasst . Nur so erreichen wir bis zum Jahr 2050 eine zu arbeiten, und das finden wir richtig und wichtig. Aber Wirtschaftsweise, die praktisch ohne den Ausstoß von die Linke fordert darüber hinausgehend, dass die Qualifi- Treibhausgasen auskommt . Hierfür müssen wir nicht kationsvorschriften für alle Kältemittel in allen Anlagen, nur – wie in der Chemikalienpolitik – ein paar Stoffe auch in Pkw, gelten . verbieten, sondern die ganze Wirtschaft klimafreundlich Weiterhin ist zweifelhaft, ob die Risiken und Gefah- umbauen . Das dient nicht nur dem Klimaschutz, sondern ren, die von einigen der neuen Kältemittel ausgehen, bringt auch ganz neue Chancen für neue Arbeitsplätze . überhaupt beachtet werden und teilweise überhaupt aus- reichend bekannt sind . Klimaverträglichkeit ist nicht das Ralph Lenkert (DIE LINKE): Die Durchsetzung des einzige Umweltkriterium . europäischen Umweltrechts ist teilweise mit gewissen Ich erinnere an das Kältemittel R1234yf, das ab kom- Defiziten behaftet. Manche Verantwortlichkeit ist nicht mendem Jahr verpflichtend in alle Pkw-Klimaanlagen klar geregelt, die ausführende Ebene unklar, oder die Be- von Neuwagen eingefüllt werden muss . Für dieses Käl- (B) hörden sind schlicht personell und materiell nicht in der temittel existiert bis heute keine abschließende Risiko- (D) Lage, geltendes Recht zu überprüfen und durchzusetzen . bewertung nach REACH-Chemikalienverordnung – ei- Derartiges erleben wir derzeit Tag für Tag mit neuen Fa- gentlich dürfte es nicht verwendet werden, aber die EU cetten und Beteiligten beim Pkw-Abgasskandal . Zuerst drückt alle Hühneraugen zu . Es nützt nichts, Menschen wurden beim Kraftfahrtbundesamt die Gelder für eigene zu schulen und für mehr Expertise beim Umgang mit Überprüfungen eingespart, dann wurde auf Empfehlung Kühlaggregaten zu sorgen, wenn den Anwendern und der Autokonzerne die reale Abgasprüfung am Auspuff den europäischen und deutschen Behörden das notwen- durch eine Überprüfung über Elektronik und in den Mo- dige Wissen über die Gefahren der eingesetzten Stoffe, toren verbaute Sensoren eingeführt, und damit war der wie R1234yf fehlt . Weg für Betrugssoftware frei . Jetzt streitet man, wer Schuld hat, und ändert Grenzwerte, statt durchzugreifen . Dass beim Verbrennen von R1234yf außer ätzender Flusssäure auch Carbonyldifluorid, ein wie das Giftgas Auch die Neuregelungen dieser Chemikalien-Klima- Phosgen wirkendes Gas, entsteht, wurde in offiziel- schutzverordnung zum Ersatz von stark klimaschädli- len Bewertungen nie ernsthaft diskutiert . Das Problem chen Fluorkohlenwasserstoffen in Kälteanlagen schaf- brachte erst eine unabhängige Forschung aus der Wissen- fen neue Kompetenzprobleme zwischen deutscher und schaft ans Licht . Gleichwohl wissen wir aber, dass den EU-Ebene . So fallen im nationalen Recht beispielsweise Herstellern des Kältemittels dieser Sachverhalt durchaus die Durchführung der jährlichen Dichtheitskontrollen für bekannt war, denn sie erwähnten es im rechtlich ver- Kälteanlagen in Kühllastkraftfahrzeugen und die entspre- bindlichen Sicherheitsdatenblatt – aber verharmlosten in chenden Aufzeichnungspflichten weg. Die Regelung im rechtlich nicht bindenden Erklärungen . Der Einsatz von nationalen Recht sei mit Verweis auf die EU-Ebene näm- R1234yf in Pkw und anderen Klimaanlagen hat das Po- lich nicht mehr nötig, behauptet die Bundesregierung . tenzial zum nächsten großen Pkw-Skandal . Die EU-Verordnung verändert zwar nichts Wesentliches an Prüfungen, zu prüfenden Fahrzeugen und Anlagen; Wenn das Recht im Umgang mit fluorierten Chlor- aber jetzt wird unklar, welche Behörde die Einhaltung kohlenwasserstoffen also schon überarbeitet wird, dann der Verordnung überprüft und Verstöße ahndet . Die EU gründlich . Und die Linke fordert eine bessere Umsetzung hat keine durchführenden Behörden in Deutschland, aber des EU-Chemikalienrechts . Aus unserer Sicht ist es not- gemäß der Begründung der Verordnung wird der Erfül- wendig, unabhängige Risikobewertungen zu finanzie- lungsaufwand von Bundes- auf EU-Ebene verschoben . ren und im Übrigen dafür zu sorgen, dass entsprechend Die bisher tätigen Behörden erhalten somit keine Mittel dem europäischen Vorsorgeprinzip kein Stoff zugelassen mehr für diese Aufgabe; damit wird diese Aufgabe dort wird, von dem neue Gefahren für Mensch und Natur aus- auch nicht mehr erledigt . gehen können . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18997

(A) R1234yf muss wieder aus den Pkws raus . Die Linke sieht sie jetzt ein Quotensytem für das Inverkehrbringen (C)

fordert, dass so schnell wie möglich die Alternative CO2 der besonders relevanten teilfluorierten Kohlenwasser- genutzt wird . stoffe – HFKW – vor, das den Einsatz dieser Stoffe bis 2030 europaweit auf rund 1/5 reduzieren wird . Die Ände- rungen dieser Verordnung machen zugleich Änderungen Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): An- gesichts des eingedampften Klimaschutzplans des Um- unserer nationalen Verordnung erforderlich, die mit der weltministeriums können wir ja froh sein, wenn der heute zur Beschlussfassung anstehenden Änderungsver- Begriff „Klima“ überhaupt noch im Regierungshandeln ordnung rechtzeitig vor Ablauf der Übergangsfristen der auftaucht. Wie wir alle wissen, finden fluorierte Treib- EU-Verordnung ins Werk gesetzt werden sollen . Dabei hausgase aufgrund ihrer schweren Entflammbarkeit als war es uns auch wichtig, weitergehende Aspekte unserer Kältemittel und in Brandschutzsystemen vielfach An- Regelung beizubehalten, insbesondere die Leckagegren- wendung. Zur Hybris gehört aber auch, dass fluorierte zwerte, den Betreibern und Vollzugsbehörden konkrete Treibhausgase wegen ihres hohen Treibhauspotenzials Vorgaben für die zulässigen Emissionen beim Betrieb der vom Kioto-Protokoll erfasst sind und somit dem globalen Anlagen an die Hand geben, Regelungen, die sich dieser Regime zur Emissionsreduktion unterliegen . Offensicht- Funktion bewährt haben . lich besteht Überarbeitungsbedarf hinsichtlich der beste- Mit der EU- und der nationalen Verordnung ist der henden Chemikalien-Klimaschutzverordnung, der sich letzte Schritt hin zu einem weitestgehenden Verzicht auf in erster Linie aus Änderungen der unionsrechtlichen den Einsatz fluorierter Treibhausgase noch nicht getan. Rahmenbedingungen ergibt, nämlich der Ablösung der Während zum Beispiel bei den Kältemitteln nichthalo- bisherigen EG-F-Gas-Verordnung (EG) Nr .842/2006 genierte, insbesondere auch die seit langem bekannten durch die Verordnung (EU) Nr .517/2014 sowie der sogenannten natürlichen Kältemittel als nachhaltige Novellierung entsprechender unionsrechtlicher Durch- Alternativen zur Verfügung stehen, gibt es Bereiche, in führungsregelungen . Diese Änderungen erfordern zahl- denen der Ersatz wesentlich schwieriger ist . Ich nenne reiche Anpassungen des nationalen Rechts, da einerseits hier nur den Einsatz von SF6 (Schwefelhexafluorid) in nationale Regelungen nun EU-rechtlich getroffen wur- elektrischen Schaltanlagen . Hier lässt das USA in einem den, andererseits erweiterte EU-rechtliche Anforderun- Forschungsprojekt Alternativen untersuchen . Auch das gen zu berücksichtigen sind . Aktionsprogramm „Klimaschutz 2020“ enthält Maßnah- men zur Verringerung der Emissionen der F-Gase . Nur Die so jetzt hier festgeschriebene Anpassung der zwei Stichworte: Verstetigung des Förderprogramms Sachkundeanforderungen für Dichtheitskontrollen so- Kälte- und Klimaanlagen, Förderung der Aus- und Fort- wie Installation, Wartung, Instandhaltung, Reparatur und bildung im Umgang mit nichthalogenierten Kältemitteln . Stilllegung von Kühllastkraftfahrzeugen und -anhängern Beide Maßnahmen sind auf den Weg gebracht . (B) sowie von allen elektrischen Schaltanlagen bzw . die (D) Rückgewinnung der Treibhausgase aus allen stationären Lassen Sie mich noch kurz auf den internationalen elektrischen Schaltanlagen ist somit sachgerecht und not- Aspekt der F-Gas-Problematik eingehen . Im Novem- wendig . Hinzu kommen noch redaktionelle Anpassungen ber 2015 haben die Vertragsparteien des Montrealer und Streichungen von nicht mehr nötigen Regelungen Protokolls den „Dubai Pathway on HFCs“ mit dem sowie einige sinnvolle Klarstellungen des Gesetzgebers . Ziel beschlossen, in diesem Jahr einen Beschluss über Klare gesetzliche Regelungen sind nur zu begrüßen . Da- die Aufnahme der bedeutendsten F-Gase, der schon er- her stimmen wir dem Verordnungsentwurf zu . wähnten HFKW – englisch: HFC – , in das Montrealer Protokoll zu erreichen . Verschiedene Veröffentlichungen sprechen davon, dass mit einer konsequenten Beschrän- Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl . Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau kung der HFKW-Verwendung bis Ende des Jahrhunderts und Reaktorsicherheit: Hinter der eher unscheinbaren ein 0,4 bis 0,5°C entsprechender Beitrag zum Global Überschrift „Verordnung zur Änderung der Chemikali- Warming vermieden werden könnte . Gerade vor weni- en-Klimaschutzverordnung“ verbirgt sich mehr als auf gen Stunden hat in New York am Rande der UN-Voll- den ersten Blick erkennbar . Es geht dabei nicht etwa um versammlung eine Koalition ambitionierter Staaten die den Schutz von Chemikalien vor dem Klimawandel, son- „New York Declaration of the Coalition for an Ambiti- dern um einen Beitrag dazu, den Einsatz besonders kli- ous HFC Amendment“ abgegeben und damit den Willen maschädlicher Chemikalien – der fluorierten Treibhaus- bekräftigt, beim Treffen des Montrealer Protokolls im gase, auch F-Gase genannt – drastisch zu beschränken . nächsten Monat in Kigali einen bedeutenden Beitrag zum Paris-Abkommen zu leisten . Das Fundament für die Regelung der F-Gase wurde Wir sind uns sicher alle darin einig, dass wir den Ver- mit der Klimarahmenkonvention und dem Kioto-Proto- handelnden in Kigali viel Erfolg wünschen . koll gelegt . Die EU hat hierzu 2006 eine Verordnung er- lassen, die insbesondere zum Ziel hatte, die Dichtigkeit von Anlagen, zum Beispiel Kälte- und Klimaanlagen, in denen diese Stoffe eingesetzt werden, sicherzustellen . Anlage 26 Zur Flankierung wurde in Deutschland die Chemikali- Zu Protokoll gegebene Reden en-Klimaschutzverordnung erlassen, die auch einige da- rüber hinausgehende Regelungen, insbesondere konkrete zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Leckagegrenzwerte, enthält . Die EU-Verordnung ist nun Berichts zu dem Antrag der Fraktionen CDU/ 2014 grundlegend verschärft worden . Unter anderem CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: 18998 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) Deutsch-indische Bildungs- und Wissenschafts- dern . Es sollen Investitionen und Innovationen gefördert, (C) kooperation ausbauen (Tagesordnungspunkt 32) Qualifikationen verbessert, der Schutz geistigen Eigen- tums durchgesetzt und eine erstklassige Produktionsinf- Dr. Thomas Feist (CDU/CSU): Die Bundesrepublik rastruktur bereitgestellt werden – kurz: all das, was es in Deutschland und die Republik Indien sind – wer Berich- Deutschland schon gibt . te verfolgt oder schon einmal dort war, kann das sicher Daher ist es nur richtig und sinnvoll, wenn unsere bei- unterstreichen – zwei Länder, wie sie unterschiedlicher den Staaten zusammenarbeiten, gemeinsam forschen, un- nicht sein könnten . sere Unternehmen miteinander in Kontakt bringen, wenn Auf der einen Seite Deutschland, ein Staat im soge- wir unsere Erfahrung im Bereich dualer Ausbildung ex- nannten „alten Europa“ mit langer industrieller Tradition, portieren und anders herum von den großen Fähigkeiten einer in der christlichen Soziallehre verwurzelten Arbeits- der indischen Fachkräfte im Bereich der IKT lernen . ethik, sozialer Marktwirtschaft, einer steten Entwicklung Damit stoßen wir Kooperation in der Spitze und in der hin zur technologischen Weltspitze, sowohl in Forschung Breite an . Grundlagenforschung hilft, Krankheiten zu be- und Entwicklung als auch im Export, und wirtschaftlich kämpfen, die Ernährungsgrundlagen zu verbessern, die führendes Mitglied der Europäischen Union . Umwelt zu schützen und die Entwicklung neuer Produk- Auf der anderen Seite Indien, noch bis Ende der tionstechniken in Indien wie hierzulande voranzutreiben . 1940er-Jahre unter britischer Kolonialherrschaft, ein Eine Verbreiterung der Fachkräftebasis durch den Auf- Land so groß wie ein Kontinent mit über 1,2 Milliarden bau einer beruflichen Bildungsstruktur hilft, die Einkom- Einwohnern, einem in vielen Teilen der Gesellschaft menschancen der großen Mehrheit der Bevölkerung in noch fortbestehenden Kastensystem, einem alten und Indien zu verbessern und die technischen Neuerungen unschätzbar reichen kulturellen Erbe, einer vom Hindu- in die Praxis umzusetzen . Denn hier wie dort kann der ismus und vom Islam geprägten Bevölkerung mit teils Kopf ohne die Hand nicht viel bewegen . Indien hat viele tiefen ethnisch-religiösen Konflikten und einem Anteil Hände – mit dem vorliegenden Antrag ergreifen wir sie, von 44 Prozent der Inder, die von weniger als 1 Dollar um sie gemeinsam zum Besseren zu benutzen . Ich bitte am Tag leben müssen . Sie daher auch um Ihre Hände und ein Signal der Zustim- mung zu unserem Antrag . Unterhalb dieser augenfälligen Differenzen verbirgt sich jedoch, dass beide Staaten auch sehr vieles mit- (CDU/CSU): Indien macht bei einander verbindet: ein rasanter wirtschaftlicher und Dr. Stefan Kaufmann uns in jüngster Zeit im Zusammenhang mit Wissenschaft technologischer Aufstieg – in Deutschland nach den und Technik verstärkt von sich reden . Erst vor wenigen Schrecken des Zweiten Weltkrieges, in Indien nach einer Tagen, am 8 . September 2016, hat die indische Raum- (B) langen Phase politischer Unselbstständigkeit und kolo- (D) fahrtbehörde ISRO eine neue Trägerrakete samt Wetter- nialer Ausbeutung –, die Entwicklung vom politischen satellit erfolgreich ins All geschickt . Die dabei eingesetz- Leichtgewicht zu verantwortungsvollen und verantwor- te Technologie, für die zwei Jahrzehnte Entwicklungszeit tungsbewussten führenden Akteuren im internationalen benötigt wurden, soll im kommenden Jahr auch bei der politischen Geschehen, der Struktur- und Bewusstseins- geplanten Mondmission zum Einsatz kommen . Und hät- wandel weg von einer durch Schwerindustrie und den ten Sie es gewusst? Der beste ausländische Student in Abbau von Bodenschätzen geprägten Wirtschaft hin zu Deutschland kommt in diesem Jahr – richtig – aus In- einer hochtechnisierten Wissensgesellschaft und den da- dien . Die Auszeichnung des Deutschen Akademischen mit einhergehenden Veränderungsprozessen in puncto Austauschdienstes ging am 27 . August 2016 an den aus nachgefragter Qualifikationen und vorherrschender Bil- Kalkutta stammenden Sayantan Chattopadhyay . Kein dungswege . Chinese, kein US-Amerikaner, nein, ein Inder wurde Mit den beiden Initiativen „Make it in “ und also in diesem Jahr für seine hervorragenden Studienleis- „Make in India“ kommt diese Vergleichbarkeit der deut- tungen und sein gesellschaftliches bzw . interkulturelles schen und der indischen Position sehr offensichtlich zum Engagement geehrt . Ganz nebenbei: Sein MBA-Studium Tragen . Beide Staaten haben erkannt, dass Wissen, eine in Leipzig wurde erfreulicherweise durch das Deutsch- Höherqualifizierung der Bevölkerung, technologieinten- landstipendium unterstützt . sive Arbeitsplätze in Produktion und Dienstleistung und eine Entwicklung hin zur Digitalisierung fast sämtlicher Zugegeben, auf den ersten Blick wird das Ansinnen Lebensbereiche nicht nur ein Trend sind, dem man fol- des vorliegenden Antrags zum Ausbau der deutsch-in- gen kann oder sollte, sondern eine Notwendigkeit, deren dischen Bildungs- und Wissenschaftskooperation den Bedingungen man aktiv politisch mitgestalten muss, um einen oder anderen überraschen, spielte doch Indien auf nicht von ihnen überrollt zu werden und später einer Ent- der internationalen Wissenschaftsbühne bisher eher eine wicklung hinterherzulaufen . unbedeutende Rolle . Aber das wird sich in den kommen- den zehn Jahren wohl grundlegend ändern . Indien wird Während die deutsche Kampagne allerdings darauf dann, so die einhellige Expertenmeinung, zu den fünf abzielt, qualifizierten jungen Menschen aus aller Welt erfolgreichsten Wissenschaftsnationen gehören . Erstes die Möglichkeiten und Vorzüge des deutschen Ausbil- Anzeichen für diese Entwicklung dürfte die – nach Jah- dungs- und Studiensystems näherzubringen und sie als ren eher schwachen Wirtschaftswachstums – seit 2014 Fachkräfte für deutsche Unternehmen an den Standort an Fahrt aufnehmende wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland zu holen, zielt die indische Kampagne viel Indien sein . Parallel dazu startete die indische Regierung stärker darauf ab, die eigenen reichen Potenziale zu för- eine große Wissenschafts- und Bildungsoffensive, um Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 18999

(A) den Herausforderungen der Zukunft – sei es im Bereich druckende, aber in gewisser Weise auch erschreckende (C) der Armutsbekämpfung oder zur Lösung des Energie- Zahl: Jeder vierte Cheftechnologe im kalifornischen Si- und Ernährungsproblems – zu begegnen . Indien hat sich licon Valley ist ein Inder . Das Thema Brain Drain ist für als künftige Supermacht des Wissens für uns utopisch Indien also besonders real . Hier kann das Land ja viel- klingende Ziele gesetzt . Die Zahl der Universitäten bei- leicht auch unsere Erfahrungen – beispielsweise mit der spielsweise soll von knapp 400 auf 1 500 steigen . Schon GAIN-Jahrestagung, die erst vor kurzem in Washington heute gibt es mehr als 14 Millionen Studierende in die- stattfand – nutzen . sem Land . Und bis zum Jahr 2025 wird sich die Zahl der jährlichen Schulabgänger von heute 13 Millionen auf Ich bin mir sicher: Das Themengebiet ist beinahe un- etwa 30 Millionen steigern . Da ist es dann doch nahe- erschöpflich und vor allem im beiderseitigen Nutzen – liegend, dass die deutsche Bundesregierung seit Jahren für Indien ebenso wie für Deutschland . Das soll unser als zuverlässiger Partner an der Seite Indiens steht und gemeinsamer Antrag verdeutlichen . insbesondere im Bereich von Bildung und Wissenschaft eine Intensivierung der Kooperation verfolgt . So wurden Dr. Simone Raatz (SPD): Ich freue mich sehr, einige wichtige Vereinbarungen getroffen, zum Beispiel dass wir uns heute noch einmal mit dem Ausbau der zur Intensivierung der Kooperation zwischen Hochschu- Deutsch-indischen Bildungs- und Wissenschaftskoope- len aus beiden Ländern oder zu Verlängerung und Aus- ration beschäftigen . Aus zwei Gründen ist dies sehr zu bau des Indo-German Science and Technology Centre, begrüßen: zum einen, weil es sich dabei um einen ge- IGSTC, in Gurgaon . Und es ist nur folgerichtig, dass sich meinsamen Antrag aus drei Fraktionen handelt . Dies auch der Deutsche Bundestag mit dem heute zur Abstim- zeigt doch, wie konstruktiv im Bundestag an Sachthemen mung stehenden Antrag „Deutsch-indische Bildungs- gearbeitet wird! Allen Beteiligten möchte ich daher noch und Wissenschaftskooperation ausbauen“ befasst und die einmal herzlich für die wertvollen von Ihnen geleisteten Bundesregierung ermutigt, auf dem bereits eingeschlage- Beiträge danken . nen Weg weiter voranzuschreiten . Begrüßenswert ist aber zum anderen auch die Auf- Als ich im vergangenen Jahr im Rahmen unserer De- merksamkeit, die wir mit unserem Antrag der internatio- legationsreise nach fast zwei Jahrzehnten wieder in Indi- nalen Zusammenarbeit in Zukunftsfragen widmen . Denn en war, habe ich ein Land der Extreme vorgefunden . Auf ein Antrag zu Kooperationen im Bildungs- und Wissen- der einen Seite Hightech auf Weltniveau in einer Stadt schaftsbereich ist immer eine stark auf die Zukunft aus- wie Bangalore, auf der anderen Seite Armut und Dritte gerichtete Angelegenheit . Welt . Wir mussten erfahren, dass Indien – mit Abstand – Lassen Sie uns aber zunächst noch einmal über die die absolut größte Zahl armer Menschen weltweit hat . Gegenwart sprechen . Indien ist, wie Sie alle wissen, das (B) 800 Millionen Menschen leben von unter zwei US-Dol- zweitbevölkerungsreichste Land und die größte Demo- (D) lar und 450 Millionen von weniger als 1,25 US-Dollar kratie, und es ist einer unserer wichtigsten Partner in pro Tag – mehr Menschen als in Gesamt-Subsahara-Afri- Asien . Auf der Delegationsreise, aus der dieser Antrag ka . Andererseits beheimatet Indien weltweit die meisten erwachsen ist, konnten wir uns selbst davon überzeugen, Millionäre und Milliardäre . wie viel das Land unternimmt, um die Herausforderung Gleichzeitig wurde uns Delegationsteilnehmern ein- seiner Bevölkerungsentwicklung zu meistern . Wie Sie drucksvoll vergegenwärtigt, welch großes Potenzial, sich sicherlich vorstellen können, sind diese gerade im aber auch welch gigantische Herausforderungen in die- Bildungsbereich sehr groß . Gleichzeitig bieten Bildung sem Land stecken . Weniger als 5 Prozent aller dem Ar- und Forschung dem Land enorme Chancen . beitsmarkt zur Verfügung stehenden Personen verfügen Deutschland unterstützt Indien daher bereits heute nach Regierungsangaben über eine berufliche Qualifika- sehr bei seinen Bemühungen um Bildungsexpansion . tion . Für die jährlich fast 13 Millionen jungen Menschen, Auch davon konnten wir uns selbst überzeugen, und in die neu auf den Arbeitsmarkt kommen, gibt es bisher unserem Antrag nennen wir ja auch Beispiele dafür: Das lediglich rund 4,5 Millionen Ausbildungsangebote, zu- Indo-German Science and Technology Centre etwa oder meist von äußerst geringer Qualität . Es gibt bis heute kei- die vom Auswärtigen Amt unterstützten Sprachinitiativen ne Schulpflicht in Indien, was die extrem hohe Zahl von PASCH und „Deutsch an 1 000 Schulen“ . Auch das Bun- Analphabeten erklärt . Etwa ein Drittel der erwachsenen desministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Inder kann nicht lesen und schreiben . Entwicklung sowie das Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützen das Land mit umfangreichen Auch vor diesem Hintergrund bieten sich für den Projekten und gemeinsamen Partnerschaftsprogrammen . Ausbau der Zusammenarbeit zahlreiche Ansatzpunkte, Eine zentrale Rolle spielt dabei unter anderem die Wei- die in unserem Antrag sehr umfassend beschrieben wer- terentwicklung des Bildungswesens gerade im Bereich den . Insbesondere im Bereich der Forschung sind die der beruflichen Bildung. Hier ist Deutschland enorm er- Beziehungen zu Indien bereits heute besonders eng . folgreich – dazu hat die OECD erst jüngst Zahlen veröf- Für Indien ist Deutschland weltweit der zweitwichtigste fentlicht – und hat dementsprechend eine wichtige Vor- Forschungspartner hinter den USA . Die indische Wissen- bildwirkung . All diese Projekte müssen, wie in unserem schaft genießt auch in Deutschland einen sehr guten Ruf, Antrag in den Punkten 7 bis 11 gefordert, fortgeführt und vor allem in der bereits erwähnten Raumfahrt, aber auch wo nötig auf sichere finanzielle Beine gestellt werden. in der Informations- und in der Biotechnologie . Und ge- rade in diesem Bereich spürt auch Indien den weltweiten Aber auch im Wissenschaftsbereich ist Deutschland Wettbewerb um die klügsten Köpfe . Hier nur eine beein- ein sehr wichtiger Partner für Indien; um genau zu sein 19000 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) inzwischen sogar der zweitwichtigste direkt nach den 20 000 Absolventinnen und Absolventen, und dabei sind (C) USA . Es lernen heute fast 12 000 indische Studierende dann auch schon die Bachelorabsolventen mitgezählt, die an deutschen Hochschulen . Seit letztem Jahr ist Indien sich teilweise im Anschluss an ihr Studium noch mit dem damit auf Platz zwei der Herkunftsländer ausländischer Master weiterbilden werden . Auch ein wichtiges Ziel ist Studierender in Deutschland, nach China, aber vor lang- daher die Senkung der zu hohen Studienabbrecherquoten jährigen Austauschpartnern und Nachbarländern wie genau in dieser Gruppe . Russland, Österreich oder Frankreich . Und das ist wirk- lich eine jüngere Entwicklung: Vor zehn Jahren war Indi- Lassen Sie uns also auch vor diesem Hintergrund mit en noch auf Platz 14 der Statistik! unserem Antrag die Bildungs- und Forschungszusam- menarbeit mit Indien ausbauen . Es geht dabei um ge- Viel zu oft sprechen wir im Kontext von Schwellen- genseitigen interkulturellen Austausch . Es geht um eine ländern wie Indien lediglich von Entwicklungshilfe . Bei Erweiterung der Horizonte . Es geht aber genauso um ge- allen Herausforderungen, die unser Partner zu meistern meinsame Anstrengungen für eine gute Zukunft . Beide hat, ruft unser Antrag nun zu einer Zusammenarbeit auf Seiten werden davon gesellschaftlich, sozial und auch Augenhöhe und zum gegenseitigen Vorteil auf . wirtschaftlich profitieren! An dieser Stelle gilt es, festzuhalten, dass wir es sind, die beim Austausch von Studierenden und Wissenschaft- Azize Tank (DIE LINKE): Die Linke unterstützt eine lerinnen und Wissenschaftlern hinterherhinken, und das Vertiefung des internationalen Austauschs in Wissen- ordentlich . schaft, Forschung und dem schulischen Bereich . Dies stärkt die Demokratisierung der Wissenschaft, fördert Wenn Sie sich die regelmäßig vom Statistischen Bun- innovatives Denken und Fortschritt, ermöglicht die zwi- desamt herausgegebene Statistik der Zielländer deut- schenmenschliche Begegnung und den Abbau von Vor- scher Studierender einmal ansehen, werden Sie feststel- urteilen . Bildung schafft Räume für kritisches Denken . len, dass Indien darin überhaupt nicht vorkommt . Laut Wir begrüßen deshalb ausdrücklich, dass Maßnahmen Zahlen des DAAD waren im letzten Jahr nicht mehr als zur Berufsbildung in Indien gefördert werden sollen . 800 deutsche Studierende und Forscher in Indien, und Die im Antrag enthaltene unverhohlene Zweckdienlich- davon nur eine Handvoll länger als sechs Monate . Sie keit lehnen wir jedoch ab . Dem vorliegenden Antrag der sehen also, wie wichtig es ist, wie in den Punkten 1 bis Regierungskoalition zum Ausbau der deutsch-indischen 3 formuliert, den deutsch-indischen Studierenden- und Bildungs- und Wissenschaftskooperation können wir aus Wissenschaftleraustausch zu intensivieren . diesen Gründen nicht zustimmen, und deswegen enthält Aber auch inhaltlich gibt es große Unterschiede: sich die Linke bei diesem Antrag . Wir fordern die Bun- desregierung zu Korrekturen und einem Umdenken im (B) Während wir in erster Linie Geistes- und Sozialwissen- (D) schaftler nach Indien schicken, konzentrieren sich unsere Bereich der Förderung von internationalen Bildungs- Gäste auf den MINT-Bereich . Indien ist im Masterbe- maßnahmen insbesondere in Indien auf, damit eine so- reich durchgängig unter den Top 2 der Auslandsstudie- ziale Teilhabe für alle ermöglicht wird . Jede Diskussion renden in den Fächern Elektrotechnik, Maschinenbau, über die Förderung des Austausches von Hochqualifi- Ingenieurwesen und Informatik . Und auch die indischen zierten muss vor dem Hintergrund der sozioökonomi- Doktorandinnen und Doktoranden promovieren bei uns schen Verhältnisse des Herkunftslandes und der Rolle, vorzugsweise in Biologie, Chemie oder eben Informatik . welche diesen Menschen in der globalen Arbeitsteilung zugeschrieben wird, geführt werden . Wir wollen diese Tatsachen positiv nutzen . Denn in diesen Fächern haben wir ja nicht nur ein hohes Renom- Natürlich können Auswanderer und Auswanderinnen mee, sondern auch einen sehr hohen Bedarf an Fachkräf- auch einen positiven Beitrag zur Entwicklung ihrer Her- ten . kunftsländer leisten . Die Linke unterstützt grundsätzlich das Recht aller Menschen auf Bewegungsfreiheit . In die- Bereits bei der ersten Aussprache zum vorliegenden sem Zusammenhang ist es aber notwendig, dass auch In- Antrag habe ich Ihnen von den über 200 deutschen Un- dien tatsächlich von einem solchen Austausch profitiert. ternehmen berichtet, die in Indien Niederlassungen mit Die Bundesregierung folgt jedoch bislang einer sehr ein- Tausenden Mitarbeitern im IT-Bereich haben . Der Bran- seitigen Logik . Alles, was gut für deutsche Investitionen chenverband der Informationswirtschaft hat vor etwa in Indien ist, sei gut, alles, was zur Ausbildung von Fach- einem Jahr vermeldet, dass aktuell allein in Deutsch- kräften in Indien führt, die der deutschen Industrie dienen land etwa 43 000 IT-Spezialisten gesucht werden . Wahr- könnten, ebenfalls . Doch wo ist die Perspektive Indiens scheinlich wird bald ein neuer Negativrekord aufgestellt, bei diesen Investitionen und diesen Bildungsmaßnah- denn in den vergangenen Jahren ist diese Zahl immer men? Entspricht dies den Erwartungen der von Bildung weiter gestiegen . Es ist doch klar, dass im Rahmen der ausgeschlossenen Menschen in Indien? Wer in die Bil- zunehmenden Digitalisierung auch der Bedarf an Fach- dung in Indien investieren will, der muss die dortigen so- kräften in diesem Bereich zunimmt . zialen Kämpfe und Debatten der Studierenden und vieler Lehrkräfte zur Kenntnis nehmen, wie sie auch zuletzt am Den in Deutschland gesuchten Spezialisten stehen ei- St . Stephen’s College in Delhi insbesondere von den Da- nerseits 85 000 Informatikstudierende gegenüber . Jähr- lit geführt und entschieden vorangebracht wurden . lich beenden jedoch nur etwas mehr als 8 500 davon ihr Studium. Selbst wenn man spezifische Fächergruppen Es geht dabei nicht um neue Bildungsmethoden oder wie die Ingenieurinformatik, die Wirtschaftsinformatik ein duales Bildungssystem, sondern immer um eines: und ähnliche dazu nimmt, kommen wir auf weit unter Inklusion in das Bildungssystem . Wer die deutsch-indi- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 19001

(A) sche Bildungs- und Wissenschaftskooperation wirklich chen Einfluss dieser Wirtschaftsaufschwung tatsächlich (C) voranbringen will, der kann dies nicht ignorieren . Inklu- auf die Hebung der Lebensqualität für alle Menschen in sion, die Möglichkeit einer beruflichen Ausbildung, be- Indien hat? Es muss danach gefragt werden, inwiefern deutet für Millionen von Menschen in Indien vor allem das globale Body Shopping, wie es ausgewiesene Wis- gesellschaftliche Teilhabe, sozialer Aufstieg und wirt- senschaftlerinnen längst in Indien festgestellt haben, schaftliche Mobilität . Wer in diesen Prozess mit eigenen weit mehr als zur Entwicklung des Landes auch zu der Maßnahmen eingreifen will, der muss mögliche soziale Verfestigung der sozialen Spaltung in Indien beiträgt, Auswirkungen mitbedenken . Wir können solange nicht in dem bestimmte gesellschaftliche Schichten als Eliten über Qualität in der Bildung sprechen, solange diese Bil- gefördert und andere wiederum ausgegrenzt und an der dung nicht auch mit sozialer Gerechtigkeit einhergeht . Fortentwicklung ihrer menschlichen Fähigkeiten ge- Soziale Gerechtigkeit darf dabei nicht für eine bestimmte hindert werden . Der globale wirtschaftliche Austausch Elite, soziale Klasse, Kaste oder ein Geschlecht reser- und die Produktion werden durch konkrete menschliche viert sein . Deshalb fordere ich die Bundesregierung auf, Beziehung der Arbeitswelt hergestellt . Dieser globalen ihre bisherigen Fördermaßnahmen in diesem Bereich zu Arbeitsteilung liegen Strukturen zugrunde, welche den evaluieren und auf die sozialen Auswirkungen hin zu Menschen in bestimmten Regionen bestimmte Funkti- hinterfragen, wo gegebenenfalls gegenzusteuern ist . Das onen und Rollen in diesem Prozess zuschreiben . Aber Gleiche gilt für die im vorliegenden Antrag vorgeschla- warum sind es gerade die indischen Facharbeiter, die für genen Maßnahmen . Wissenschaftlicher Austausch ist diese Arbeitsteilung so entscheidend sind? Hinter dem gut – soziale Gerechtigkeit ist besser . indischen IT-Wunder steht auch die Tatsache, dass es um hohe Qualifikationen geht, niedrige Löhne und ein großes Das Abwandern hochqualifizierter Menschen ist Reservoir an Arbeitskräften . Dies ist das Rezept des ho- oft die Folge einer ungerechten Entwicklung, die wei- hen Mehrwerts für die kapitalistische Wirtschaft, die die te Teile der Gesellschaft verurteilt, in Armut zu leben, indische Gesellschaft bezahlt . Die große Disparität lässt ohne Zugang zur Arbeit und sozialen Menschenrechten, sich in dem Nutzen der indischen Arbeitskräfte für die ausgeschlossen von gesellschaftlicher Teilhabe . In die- IT-Branche und dem üblichen Lohn der globalen Märk- ser Perspektive erscheint die Freiheit der einen oft nur te messen . Ethnisierung, soziale Spaltung, Geschlecht als auf einen bestimmten gesellschaftlichen Schichten und Hautfarbe sind Faktoren dieser Arbeitsteilung und auferlegter Zwang zur Migration, da im Herkunftsland zugleich das Fundament der Spezialisierung Indiens auf keine alternativen Möglichkeiten bereitgestellt werden, die Ausbildung hochqualifizierter und zugleich billiger um ihre persönlichen Lebensentwürfe zu verwirklichen . Arbeitskräfte für den Weltmarkt . Vergessen wir auch nicht, dass menschliche Ressourcen eines Herkunftslandes begrenzt sind . Das gilt nicht nur Betrachtet man die Liste mit den zu fördernden Projek- (B) für Indien, sondern auch für viele Gesellschaften der ten, findet sich dort keines wieder, welches sich mit dem (D) EU-Mitgliedstaaten in Ost- und Südeuropa . Wer die so- großen Entwicklungsbedarf in Indien selbst beschäftigt . zioökonomischen Bedingungen in einem Land wie Indi- Stattdessen findet eine Eliteförderung statt. Ein Beispiel en ignoriert und Bildungscurricula aus anderen Ländern dafür ist die unter Ziffer 15 des Antrags angedachte För- importiert und zu universalisieren versucht, der muss derung der Partnerschulinitiative PASCH, die eben nur sich der inhärenten gesellschaftlichen Gewalt, die dieser ausgewählte Schulen teilhaben lässt . Eine Auswahl ist Uniformierung inne ist, bewusst sein . eine Selektion und spricht gegen die Möglichkeit, dass alle von diesem Bildungsprojekt profitieren können. Ins- Die weitgehende Verschulung der universitären Bil- besondere finden wir hier keine Gedanken zu der Teilha- dung, Patriarchalismus und autoritäres Erziehen, das im- be an Bildung als Sozialem Menschenrecht, welches in mer noch weit verbreitete Auswendiglernen, welche als Indien gestärkt werden sollte . Altlast zwischen kolonialer Bildung und postkolonialen Formen der Wissensvermittlung weit verankert ist, muss sich auch in den Ansätzen widerspiegeln, welche Maß- Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der nahmen der Berufsbildung zugrunde liegen . Unlängst internationale Austausch in der Wissenschaft ist eine wird von Forschern kritisiert, dass sich eine nationalis- wichtige Triebfeder für gesellschaftlichen Fortschritt . tisch gesinnte hinduistische Mittelschicht auf der einen Deutschland unterhält mit vielen Ländern gute wissen- und Unterklassen und Minderheiten auf der anderen schaftliche Beziehungen – diejenigen mit Indien liegen Seite gespalten haben . Dieser Prozess darf durch Brain uns besonders am Herzen; denn die Voraussetzungen, mit Drain und Body Shopping nicht weiter verstärkt wer- der größten Demokratie weltweit in der Wissenschafts- den . Deshalb kann die deutsch-indische Bildungs- und und Bildungspolitik auf Augenhöhe zu kooperieren, sind Wissenschaftskooperation nicht auf die Nutzbarkeit von deutlich besser als mit Staaten, in denen Wissenschafts- Arbeitskräften in der globalen Arbeitsteilung reduziert freiheit sowie Meinungs- und Pressefreiheit unter Druck werden, sondern muss Maßnahmen zur Stärkung der ge- stehen oder unterdrückt werden . sellschaftlichen Diversität enthalten, die den Zugang zu einer Förderung durch Inklusion von Ausgeschlossenen Das Interesse an mehr Kooperation in Bildung und demokratisiert . Es muss eine Förderung inklusiver Bil- Forschung ist riesengroß . Das machen uns unsere indi- dungsprojekte in Indien geben . schen Gesprächspartner der letzten Monate und Jahre immer wieder deutlich – und das beruht auf Gegenseitig- Natürlich ist die Entwicklung Indiens als Schwellen- keit . Wir wollen diesen vertrauensvollen Austausch auf land mit der am zweitschnellsten wachsenden Wirtschaft Augenhöhe fortsetzen und weiter intensivieren . Es war beachtlich . Doch es muss die Frage erlaubt sein, wel- gut, dass wir als grüne Bundestagsfraktion gemeinsam 19002 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) mit Union und SPD diesen Antrag und konkrete Schritte Wunsch der indischen Seite folgend, unsere Erfahrungen (C) für mehr Kooperation in Bildung, Wissenschaft und For- gerne weiter ein . schung auf den Weg gebracht haben . Erfreulich ist, dass sich der deutsch-indische Aus- Deutschland möchte ein verlässlicher Partner Indiens tausch von Studierenden sowie Wissenschaftlerinnen sein . Unsere gemeinsamen Forderungen müssen nun im und Wissenschaftlern deutlich erweitert hat . Unter den Haushalt 2017 ihren Niederschlag finden. Das ist bisher internationalen Studierenden in Deutschland stellen In- nicht der Fall, und das macht mir Sorgen . Ich erwarte von derinnen und Inder die drittgrößte Gruppe . Wir sollten Union und SPD, dass wir den gemeinsamen interfraktio- uns aber auch dafür einsetzen, dass mehr deutsche Stu- nellen Antrag auch umsetzen: angefangen von der besse- dierende den Weg nach Indien gehen . ren räumlichen Ausstattung der Deutschen Schule New Delhi, der nachhaltigen Finanzierung des Deutschen Schon jetzt sind zahlreiche Hochschulen sowie außer­ Innovationshauses in Neu Delhi bis hin zu einem inten- universitäre Forschungseinrichtungen in Indien aktiv . siveren Austausch von deutschen und indischen Studie- Das Deutsche Wissenschafts- und Innovationshaus in renden und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern . Neu-Delhi, in dem alle großen deutschen Wissenschafts- Unseren Worten müssen jetzt Taten im Haushaltsverfah- organisationen vertreten sind, ist eine sehr wichtige Ad- ren folgen . resse für den Austausch, dessen Finanzierung wir auch künftig sicherstellen wollen . Danke für diese Arbeit und Nicht vergessen sollten wir die Unterstützung auch an das Wirken der politischen Stiftungen! Sie zu- der Geisteswissenschaften . Der weitere Ausbau des sammen machen eine hervorragende Arbeit als Flagg- deutsch-indischen „Maria Sibylla Merian – R . Tagore In- schiffe deutscher Außenwissenschaftspolitik und Wis- ternational Centre for Advanced Studies in the Humani- senschaftsdiplomatie . Sie prägen zwischen Bengaluru ties and Social Sciences“ ist sinnvoll und muss erfolgen . und Delhi das Bild von Deutschland als Wissensnation . Dieses Zentrum ermöglicht interdisziplinären Austausch Indien ist ein dynamisches und quirliges Land . Soziale und bringt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Spaltung und Good Governance sind Probleme, die es aus unterschiedlichen Ländern zusammen . Wir brauchen zu bewältigen gilt . Es gibt aber Grund zum Optimismus: nicht nur Austausch und Zusammenarbeit für Hightech- Das Land ist aufstrebend, bildungsaffin, wissbegierig, und Spitzenforschung, sondern müssen auch soziale innovativ und mit immensen Potenzialen bei Technolo- Innovationen und geisteswissenschaftliche Diskurse vo- gie, Talenten und Kreativität . Sie bilden den fruchtbaren ranbringen . Boden für eine lebendige Zivilgesellschaft . Vielfalt und Innovation ist keine reine Frage der Technik oder na- Mehrsprachigkeit in Indien fördern kreatives Denken und turwissenschaftlicher Gesetze . Die großen Herausfor- selbstbewusste Bürgerschaft . Dieser Weg wird sich lang- (B) derungen kennen keine Grenzen zwischen den Wissen- fristig als erfolgreich erweisen und macht den Austausch (D) schaftsdisziplinen, sondern erfordern interdisziplinäre auch in der Außenwissenschaftspolitik umso wertvoller . Brückenschläge . Die Menschen wollen mitgenommen Wir wollen die deutsch-indischen Kooperationen in werden in die „neue Welt“ . Darum sind geisteswissen- Bildung und Forschung ausbauen . Gemeinsam sind unse- schaftliche Perspektiven so wichtig, um Innovations- und re beiden Demokratien stärker, Lösungen für die soziale Wandlungsprozesse zu gestalten . Das sollte in Zukunft und ökologische Modernisierung unserer Welt zu finden ein Punkt sein, der noch stärker in der deutschen Außen- und zu etablieren . Auf die weitere vertiefte Zusammenar- wissenschaftspolitik beachtet werden muss . beit freut sich die übergroße Mehrheit des Bundestages . Wir wollen Indien bei seinen großen Herausforderun- gen unterstützen, wie zum Beispiel im Bereich der er- neuerbaren Energien und der Energiewende heraus aus Anlage 27 fossilen und nuklearen Techniken . Über 300 Millionen Menschen in Indien haben keinen zuverlässigen Zugang Zu Protokoll gegebene Reden zu Strom . Das wäre so, als wenn in den gesamten USA das Licht ausginge . Gegen die Energiearmut setzt Indi- zur Beratung des von der Bundesregierung einge- en leider vor allem auf Kohle- und Atomkraft – obwohl brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung das mehr Smog und Treibhausgase sowie Sicherheitsri- des Mikrozensus und zur Änderung weiterer Sta- siken und ungelöste Endlagerung nach sich zieht . Umso tistikgesetze erfreulicher ist, dass die indische Regierung zunehmend (Tagesordnungspunkt 33) auf erneuerbare Energien setzt . Deutschland hat bereits einen bedeutenden Anteil an erneuerbaren . Unsere Erfah- rungen mit der Energiewende und mit verantwortlicher Dr. Tim Ostermann (CDU/CSU): Der Mikrozensus Energieforschung teilen wir gerne . wurde 1957 auf Empfehlung der OEEC, einer Vorgänge- rorganisation der OECD, geschaffen . Fast 60 Jahre be- Eine weitere Herausforderung sind neue Jobs . Pro steht die Institution des Mikrozensus nun, und ich finde, Jahr kommen 12 bis 13 Millionen Jugendliche zusätzlich sie ist eine Erfolgsgeschichte . Zwar wurden in den ver- auf den indischen Arbeitsmarkt . Um sie unterzubringen, gangenen Jahrzehnten immer wieder Veränderungen an kann das duale System unserer Berufsausbildung mit sei- den Erhebungsmethoden vorgenommen . Aber im Gro- ner Verknüpfung aus Theorie und Praxis einen Beitrag ßen und Ganzen entsprechen viele Erhebungsmerkmale leisten – zumal es in Indien viele kleinste, kleine und noch heute den Vorgaben des ursprünglichen Gesetzes mittlere Unternehmen gibt . Hierbei bringen wir, dem aus 1957 . Ich denke, das spricht für sich . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 19003

(A) Im Zuge der europäischen Integration musste der Mik- schont und gleichzeitig die Informationsmöglichkeiten (C) rozensus in den vergangenen Jahren immer weiter an die für die Bundesregierung und den Gesetzgeber verbes- Vorgaben der europäischen Statistik angepasst werden . sert . Ich freue mich auf das anstehende parlamentarische Bereits seit 1968 werden gemeinsam mit dem Mikro­ Verfahren . zensus Daten zur Erwerbstätigkeit und Beschäftigung nicht nur von den befragten Personen in Deutschland, Matthias Schmidt (Berlin) (SPD): Schon mehrfach sondern auch gleichzeitig in anderen EU-Staaten erho- habe ich in diesem hohen Hause zu Statistikgesetzen ge- ben . Die Daten dieser Befragungen stellen die Grundlage sprochen und auch heute tue ich das gerne . Das ist ein für EU-weite Programme für mehr Beschäftigung, eine Thema, das nicht nur an meinen beruflichen Werdegang bessere Ausbildung und die Bekämpfung der Arbeitslo- anknüpft, sondern etwas in den Blick nimmt, was ge- sigkeit dar . meinhin wenig Schlagzeilen verursacht: die Erhebung Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf reagiert die von statistischen Daten . Bundesregierung nun auf eine Entwicklung, die sich Verglichen mit zurückliegenden Jahrzehnten ist die schon in den letzten Jahren abgezeichnet hat: Die Ar- Entwicklung der Datenerhebung in den letzten Jahren beitskräfteerhebung der Europäischen Union wird immer deutlich vorangeschritten . Die Verfahren sind ausgereif- stärker harmonisiert und ausdifferenziert . Darüber hinaus ter, die Daten komplexer und das Datenvolumen hat deut- wird sie langfristig erhoben . Die in diesem Zusammen- lich zugenommen . In unserer Informationsgesellschaft hang erhobenen Daten werden für die Bundesregierung haben alle Lebensbereiche an Komplexität zugenommen, immer wichtiger . Die Reaktion der Bundesregierung ist Lebensstile haben sich verändert, sind variabler gewor- daher zunächst, die Institution Mikrozensus mit diesem den, Informationen fließen schneller und die Reichweite Gesetzentwurf zu entfristen . Bisher wurde der Mikro- hat sich deutlich erhöht . Längst erhebt das Statistische zensus in der Regel für einen Zeitraum von vier bis sie- Bundesamt Daten nicht mehr nur für eigene nationale ben Jahren geregelt, woraufhin ein erneutes Gesetz nö- Zwecke, sondern ist an EU-Recht gebunden und muss tig wurde . Das derzeit geltende Mikrozensusgesetz aus auch hierfür Daten liefern . Die hohe Dynamik, mit der dem Jahr 2012 läuft in diesem Jahr aus . Anstatt ein neues Gesellschaften sich national und international verändern, Mikrozensusgesetz für nur wenige Jahre auf den Weg zu bringt die Erhebungsverfahren unter Zugzwang . Und das bringen, soll der Mikrozensus nun unbefristet fortgeführt ist auch der Anlass für unsere heutige Beratung . werden. Es ist aus gesetzgeberischer Sicht nicht effizi- ent, alle paar Jahre ein neues Gesetz zu erlassen, wenn Das Mikrozensusgesetz ist Grundlage der repräsenta- die Datenlieferungsverpflichtungen Deutschlands an die tiven Haushaltserhebung, die seit 1957 in Deutschland Europäische Union unbefristet gelten . Hier lässt sich na- durchgeführt wird . Letztmalig haben wir dieses Gesetz (B) türlich einwenden, dass der Gesetzgeber dadurch schein- im Jahr 2014 geändert . Auch hier war unter anderem die (D) bar die Gestaltungsmacht über den Mikrozensus aufgibt . Anpassung an EU-Vorgaben ein Anlass . Wir haben Op- Dies ist natürlich nicht der Fall; denn auch auf eine un- timierungen bei der Bevölkerungsstatistik vorgenommen befristet angelegte Regelung hat der Deutsche Bundestag und mithilfe einer Experimentierklausel ermöglicht, dass gesetzgeberischen Gestaltungszugriff . Denjenigen, die neue Erhebungsverfahren erprobt werden können . im Mikrozensus einen übermäßigen Eingriff in die Frei- Die heute mit dem Gesetzentwurf vorliegenden Än- heitsrechte der Bürger sehen, sei an dieser Stelle gesagt, derungen gehen deutlich weiter . Sie sind grundlegender dass die Befristung der bisherigen Gesetze bei jeder er- und stellen gewissermaßen einen weiteren Schub in der neuten gesetzlichen Verlängerung eher zu einer Erweite- Entwicklung der Datenerhebung in Deutschland dar . Wo- rung der Erhebungsmerkmale geführt hat . Insofern dürfte rum geht es? eine Entfristung auch dazu beitragen, Anpassungen nur bei offensichtlichen Problemen vorzunehmen . Zunächst einmal ist es die sich ankündigende Ablauf- frist, die uns zum Handeln veranlasst . Denn: Das Mikro- Die zweite Reaktion auf die Entwicklungen auf eu- zensusgesetz ist bis zum Ende des Jahres 2016 befristet . ropäischer Ebene ist die Integration der Erhebungsteile Die Befristungen wurden in der Vergangenheit immer über Gemeinschaftsstatistiken über Einkommen und Le- wieder per Gesetz verlängert, so letztmalig 2012 um vier bensbedingungen, EU-SILC, sowie zur Informationsge- Jahre . Im vorliegenden Gesetzentwurf sollen diese Ket- sellschaft, IKT, in den Mikrozensus . Diese wurden bisher tenverlängerungen nun beendet werden . Das ist die ers- separat bei den Bürgern erhoben . Mit der Zusammenle- te grundlegende Änderung des Gesetzentwurfs . Künftig gung wird der Aufwand für die Bürger nun reduziert . soll das Mikrozensusgesetz unbefristet gelten und damit Natürlich bringt diese Integration auch organisatorischen den Vorgaben der EU folgen, denn auch die Pflicht zur Aufwand und Kosten bei der Umstellung der IT-Systeme Datenlieferung gilt unbefristet . Diese Änderung ist sinn- mit sich . Daher wird die vollständige Integration auch voll und zeitgemäß . erst ab 2020 gänzlich umgesetzt werden . Die Synergie- effekte sowie die deutlich reduzierte Eingriffsintensität Kommen wir zu einem weiteren zentralen Punkt des durch die Befragungen lassen diese Kosten aus meiner Gesetzes . Bislang fanden einige Erhebungen nebenein- Sicht jedoch mehr als angemessen erscheinen . ander statt, so auch der Mikrozensus und die Erhebung über Arbeitskräfte, Einkommen und Lebensbedingungen Dies sind aus meiner Sicht die wesentlichen Punkte für die EU . Während der Mikrozensus für die Befrag- dieses Gesetzentwurfs, den ich sehr begrüße . Hier wird ten verpflichtend ist, erfolgte die sogenannte SILC-Er- eine gute Neuregelung vorgeschlagen, der die Zeit unse- hebung auf freiwilliger Basis . Damit verbunden waren rer Bürger bei der Inanspruchnahme für die Erhebungen immer wieder Datenverzerrungen, da bei der Stichpro- 19004 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) benerhebung nicht immer alle Haushalte gleichmäßig zu generellen Neuregelung des Mikrozensus und zur Än- (C) erreichen waren . Das wollen wir jetzt ändern . Die Erhe- derung weiterer Statistikgesetze vorgelegt, der das zum bung soll künftig in den Mikrozensus integriert und da- Ende dieses Jahres auslaufende Gesetz ersetzen soll . Er mit verpflichtend werden. Damit reduziert sich der Stich- sieht im Unterschied zu den bisherigen Mikrozensusge- probenumfang, und die Validität der Daten wird zugleich setzen, in deren Rahmen seit 1957 bisher jeweils rund 1 erhöht . Dieser Aspekt ist sehr wichtig, denn damit lassen Prozent der Bevölkerung, aktuell also 830 000 Personen sich genauere Erkenntnisse zur Entwicklung von Er- in 390 000 privaten Haushalten und Gemeinschaftsun- werbstätigkeit und Ungleichheit in unserer Gesellschaft terkünften, in vier aufeinanderfolgenden Jahren stellver- ziehen . Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass durch die tretend für die ganze Bevölkerung mit endlosen Frage- Nutzung der gemeinsamen organisatorischen und tech- bögen und sehr differenzierten Fragen zu nahezu allen nischen Infrastruktur der Aufwand der Erhebung sinkt . Lebensbereichen interviewt wurden, eine unbefristete Auch für die Befragten ist das natürlich von Vorteil, da Fortführung des Mikrozensus vor . Bisher wurde der Mi- sie nur einmal befragt werden müssen . krozensus stets zeitlich befristet, um in regelmäßigen Abständen den Erhebungsbedarf überprüfen und das Ge- Diese positiven Effekte sind auch maßgebend für setz gegebenenfalls anpassen oder gar auslaufen lassen die Integration einer weiteren Erhebung in den Mik- zu können . rozensus – die Statistik zur Informationsgesellschaft . Damit kommen wir zu einem weiteren Aspekt des Ge- Von einer generellen Infragestellung oder der Mög- setzentwurfs . Die Nutzung von Informations- und Kom- lichkeit einer Evaluation will die Bundesregierung nun munikationstechnologien hat in den letzten zwei Jahr- nichts mehr wissen . Sie begründet dies einerseits mit zehnten enorm an Fahrt aufgenommen . Die Anzahl der unbefristeten Datenlieferverpflichtungen der EU. Denn Haushalte, die diese Technologien nutzen, hat sich ver- „durch die Integration der Stichprobenerhebung über Ar- vielfacht, und die Tendenz geht weiter nach oben . Mit der beitskräfte, der Gemeinschaftsstatistik über Einkommen Einbeziehung dieser Datenerhebung in den Mikrozensus und Lebensbedingungen und der Gemeinschaftsstatistik wird die Aussagekraft der Statistik weiter erhöht . Und zur Informationsgesellschaft in den Mikrozensus werden auch hier wird die Auskunft für die Befragten verpflich- europäische Verpflichtungen zur Lieferung statistischer tend mit allen Vorteilen für die Qualität der Erhebung . Angaben erfüllt“ . Andererseits hätte sich die Befristung Der Mikrozensus liefert damit künftig auch zentrale In- „in der Vergangenheit nicht bewährt“ . Das kann man so formationen zum Stand und den weiteren Anforderungen sehen, muss man aber ganz sicher nicht . Aus unserer des Breitbandausbaus . Sicht steht eine Zwangserhebung wie der Mikrozensus im Widerspruch zum Recht auf informationelle Selbstbe- Zu den Kernänderungen kommen noch einige weitere stimmung . Natürlich ist auch meine Fraktion nicht prin- (B) kleinere Maßnahmen hinzu, die das Verfahren der statis- zipiell gegen die Grundidee, durch Befragung einer klei- (D) tischen Erhebungen zum Mikrozensus weiter verbessern nen, repräsentativen Stichprobe der Bevölkerung nach sollen . mathematisch-statistischen Verfahren ein annähernd Die Umsetzung der erheblichen Änderungen wird in wirklichkeitsgetreues Abbild der sozioökonomischen zwei Stufen vorgenommen, die insgesamt bis 2021 dau- Verhältnisse in diesem Land zu bekommen . Allerdings ern . Im Zeitraum von 2017 bis 2020 werden zunächst setzen wir uns dafür ein, dass das Erfassungsverfahren so einige Anpassungen bei den Erhebungsmethoden und grundrechtsschonend und realitätsgerecht wie nur irgend den Erhebungsmerkmalen vorgenommen, bevor dann ab möglich erfolgt . Und da müsste dann zumindest erst ein- 2020 die Integration der EU-Statistiken erfolgen wird . mal nachgewiesen werden, dass das Ziel repräsentativer Der Zeitaufwand rührt dabei vor allen Dingen daher, Daten über die Bevölkerung nur mit zwangsweiser Ver- dass das gesamte IT-System umgestellt werden muss . pflichtung zu erreichen ist. 17 von 28 EU-Staaten füh- Das Vorhaben nimmt somit einige Zeit in Anspruch und ren ihre Erhebungen auf freiwilliger Basis durch . Von stellt dabei grundlegende Weichen der Datenerhebung mangelhafter Datenqualität hört man außer hierzulande zum Mikrozensus neu . Und diese Weichenstellung wer- nichts . den wir in den Ausschussberatungen sicher noch einmal Viel gravierender als die Entfristung erscheint mir da- eingehend beleuchten . Auch eine Anhörung ist geplant . her, dass Sie mit dem neuen Konzept des Mikrozensus Lassen Sie mich zum Schluss noch eine letzte Facette gleichzeitig auch die Teilnahmepflicht auf die EU-Er- betrachten, die bei dem Gesetzentwurf selber keine Er- hebungen ausweiten, an denen die Teilnahme bislang wähnung findet. Mit Verbesserungen der statistischen freiwillig war . Dies ist überhaupt nicht hinnehmbar . In Erhebungsverfahren tragen wir auch zur Erleichterung diesem Zusammenhang fand ich die Stellungnahme des der Arbeit der Menschen bei, die tagtäglich damit befasst Bundesrates sehr bemerkenswert, der diesen Punkt völlig sind – der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Statisti- zu Recht ebenfalls kritisiert . Dort heißt es: schen Bundesamtes und der statistischen Ämter der Län- Nach den Vorgaben der Verordnung (EG) der . Auch das ist ein wichtiger Impuls für die anstehen- Nr .1177/2003 sind die Angaben zu Einkommen den Beratungen . Ich freue mich darauf . und Lebensbedingungen für die zu Befragenden freiwillig. Die Einführung einer Auskunftspflicht Jan Korte (DIE LINKE): In regelmäßigen Abständen in der Bundesrepublik Deutschland geht insoweit debattieren wir hier über die kleine Volkszählung, wie weit über die EU-Vorgaben hinaus . Aufgrund der der Mikrozensus ja von vielen zu Recht genannt wird . hohen Sensibilität der EU-rechtlich vorgegebenen Nun hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur Erhebungsmerkmale in Bezug auf Einkommen und Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 19005

(A) Lebensbedingungen ist mit einer Zunahme von Einsichtnahme in die persönlichen Verhältnisse sei- (C) Auskunftsverweigerungen und erheblicher Verärge- ner Bürger ist dem Staat auch deshalb versagt, weil rung seitens auskunftspflichtiger Privatpersonen zu dem Einzelnen um der freien und selbstverantwort- rechnen . lichen Entfaltung seiner Persönlichkeit willen ein ‚Innenraum‘ verbleiben muß, in dem er ‚sich selbst An anderer Stelle stellt der Bundesrat richtigerweise besitzt‘ und ‚in den er sich zurückziehen kann, zu fest, dass „eine auskunftspflichtige Erhebung sehr priva- dem die Umwelt keinen Zutritt hat, in dem man in ter, sehr sensibler und vielfach subjektiv geprägter Fra- Ruhe gelassen wird und ein Recht auf Einsamkeit gen einen Paradigmenwechsel in der amtlichen Statistik genießt‘ . darstellt“ . Der Bundesrat befürchtet einen Imageschaden, „der negative Auswirkungen für die Durchführung und Es wäre schön, wenn auch Sie sich künftig im Gesetz- den Zielverwirklichungsgrad auch anderer Statistiken gebungsverfahren an diesen Worten orientieren würden . haben und entsprechende Erhebungen erschweren könn- te“ . Dass Sie diese Befürchtungen nicht ernst nehmen, ist höchst bedauerlich . Sie halten stattdessen weiter an Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ihrem Mantra fest, wonach Befragungen auf Zwang NEN): Die vorgelegte Reform des Mikrozensus und wei- basieren müssten, weil sie ansonsten nicht zu verwert- terer Statistikgesetze bedeutet, wie auch in den Jahren baren Daten führen würden . So schreiben Sie in Ihrer zuvor, eine weitere Vertiefung der Belastung der vom Begründung einmal mehr, dass „bei freiwilligen Erhe- Mikrozensus betroffenen Bürgerinnen und Bürger . Un- bungen, wie derzeit zum Beispiel EU-SILC, … in der ter den Schlagworten von Effizienz und Synergieeffekten Regel systematische Verzerrungen vor[liegen] . Personen findet eine nochmalige Erweiterung der Fragenkataloge im unteren und oberen Einkommensbereich weisen nach statt, ohne dass diese zumindest in Teilen noch freiwillig bisherigen Untersuchungen geringere Teilnahmequoten gestellt werden . Das ist buchstäblich „liberty dying by auf, sodass die Indikatoren mit keiner hinreichenden Prä- inches“, und wir sollten uns schon fragen, wie lange das zision für die anvisierte Evaluation bereitgestellt werden mit der Statistik noch auch und gerade mit Blick auf die können“ . Dies ist einigermaßen gewagt, da in der Bun- Entwicklung der letzten Jahre so weitergehen kann . Nie- desrepublik Deutschland bislang keine einzige Machbar- mand, lassen Sie mich das noch einmal in aller Deutlich- keitsstudie durchgeführt worden ist und auch in nahezu keit sagen, bestreitet ernsthaft den Zweck des Statistik- allen anderen EU-Mitgliedstaaten EU-SILC als freiwilli- wesens und seine Bedeutung für eine effektiv arbeitende ge Erhebung durchgeführt wird . Und man kann auch mal Verwaltung . Unsere Verantwortung als Gesetzgeber liegt fragen, was denn die präzise Erfassung von Armut und aber im Allgemeinen und bezüglich des Statistikwesens Reichtum bringen soll, solange ohnehin systematisch im Speziellen vor allem darin, den Grundsatz der Ver- (B) eine Politik betrieben wird, die die Reichen reicher und hältnismäßigkeit zum Maßstab zu nehmen und die Bür- (D) die Armen noch ärmer macht . gerinnen und Bürger vor einer übermäßigen und sachlich nicht mehr vertretbaren Inanspruchnahme zu bewahren . Auch die im Gesetz vorgesehenen Möglichkeiten, die Anonymisierung der Daten zumindest zeitweise wieder Durch die rein statistisch-wissenschaftliche Brille be- aufzuheben, trifft auf datenschutzrechtliche Bedenken . trachtet, wird es immer gute Gründe geben, warum diese Der Gefahr der Erstellung weitgehender Profile der be- oder jene bestehenden Statistiken inhaltlich noch einmal troffenen Bürgerinnen und Bürger muss aus unserer Sicht erweitert gehören, eine nochmals größere Gruppe be- durch eine strenge Zweckbindung und absolute Anony- treffen sollten und/oder zwangsweise zu erfolgen haben . misierung der Daten Rechnung getragen werden . Wie weit wir dabei gehen sollten, ist unsere gemeinsame Schon am 16 .Juli 1969 hat sich das Bundesverfas- politische Entscheidung, die wir verantwortungsvoll fäl- sungsgericht in seinem Beschluss zu einer Klage gegen len müssen . Der Mikrozensus ist keine Volkszählung in den Mikrozensus intensiv mit der Frage beschäftigt, dem Sinne, dass die Bevölkerung, ähnlich etwa wie es inwieweit es dem Staat gestattet sein darf, seine Bürge- bei der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung der Fall ist, rinnen und Bürger zu erfassen, zu kategorisieren oder in ihrer Gesamtheit erfasst würde . Doch sie ist auch kei- in ihre innersten Rückzugsräume einzudringen . Dabei nesfalls eine Petitesse . Denn sie betrifft alljährlich rund spricht das Gericht vom „Recht auf Einsamkeit“ . Ge- 1 Million Mitbürgerinnen und Mitbürger . meint ist damit ein „Recht, alleine gelassen zu werden“ . Neben dem Mikrozensus laufen zudem weitere Haus- Das Gericht führt dazu Folgendes, wie ich meine, auch haltsbefragungen durch Statistikbehörden, die de fac- heute noch hoch Aktuelles, aus: to den Kreis der in der Bevölkerung Betroffenen noch Es widerspricht der menschlichen Würde, den Men- einmal erweitern . Der Mikrozensus stellt für diese Be- schen zum bloßen Objekt im Staat zu machen . Mit troffenen, die nach einem statistischen Zufallsverfahren der Menschenwürde wäre es nicht zu vereinbaren, ausgewählt werden, einen erheblichen Eingriff in ihre wenn der Staat das Recht für sich in Anspruch neh- Grundrechte dar . Denn zunächst einmal gilt es festzu- men könnte, den Menschen zwangsweise in seiner halten, dass sie per Gesetz und ordnungsgeldbewehrt ganzen Persönlichkeit zu registrieren und zu kata- auskunftspflichtig sind. Sie sind verpflichtet, sich durch logisieren, sei es auch in der Anonymität einer sta- einen 70-seitigen Fragenkatalog zu quälen, der sie zu na- tistischen Erhebung, und ihn damit wie eine Sache hezu jeder Lebenslage befragt und – im wahrsten Sinne zu behandeln, die einer Bestandsaufnahme in jeder des Wortes – ausforscht . Und sie müssen wiederholte, Beziehung zugänglich ist . Ein solches Eindringen in erneut der Auskunftspflicht unterfallende unterjährige den Persönlichkeitsbereich durch eine umfassende Nachfragen –bis zu viermal – hinnehmen, das heißt, das 19006 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) ohnehin extrem aufwändige Verfahren ist demnach kei- schend und aus unserer Sicht nicht ausreichend begrün- (C) nesfalls mit der einmaligen Beantwortung beendet . det . Das bloße Argument der Vermeidung inhaltlicher Unschärfen wirkt angesichts des damit verbundenen Dieser Mikrozensus, Sie erinnern sich sicher an die Grundrechtseingriffes bislang, lassen Sie mich das deut- Debatten, die wir darum in der Vergangenheit bereits ge- lich sagen, wenig überzeugend . führt haben, war von Beginn an umstritten . Er führte zu einem der ersten und bis heute bedeutsamen Urteile des Auffällig ist, dass die Bundesregierung bei der Ab- Bundesverfassungsgerichts zu Umfang und Reichweite wägung der möglichen Alternativen das bestehende In- des Grundrechts auf Privatsphäre, Mikrozensus-Urteil . strument des Zensus, der nächste ist ja bereits in Vorbe- Und der Mikrozensus ist bis heute umstritten, darüber reitung, gänzlich unterschlägt . Der Mikrozensus ist auch könnte uns eine Umfrage bei den Datenschutzbehörden keineswegs ein Naturgesetz oder in der Gestalt, wie wir des Bundes und der Länder sicherlich Auskunft geben, ihn praktizieren, aus Brüssel vorgegeben . Beim Bundes- die alljährlich viele Eingaben und Nachfragen der von tag also eine in der Werbesprache sogenannte Verlusta- den Statistikämtern ausgewählten Betroffenen zu be- version dadurch zu produzieren, dass hier der Eindruck arbeiten haben . Doch die in diesen Fragen oft wankel- des Going dark bei Verlust des Mikrozensus entsteht, er- mütige Akzeptanz in der Bevölkerung bleibt nicht der scheint ungerechtfertigt . alleinige Prüfungspunkt, wenn wir uns als legislatives Kontrollorgan Gesetze des Bundesinnenministers mit Interessanterweise hatte unter anderem die BILD-Zei- Berührung zum Datenschutz anschauen . Es liegt viel- tung den vorliegenden Gesetzentwurf, vermutlich erst- mehr in unserer Verantwortung, die Gewährleistung ganz malig in seiner langen Geschichte, thematisch aufge- wesentlicher Gesichtspunkte der Verfassungsmäßigkeit griffen . Thematisiert wurde, dass der Entwurf auch wie auch der Wahrung der Grund- und Bürgerrechte ins- Erweiterungen bei den Fragen zum möglichen Migrati- gesamt kritisch und vor allem hinsichtlich ihrer Verhält- onshintergrund der Betroffenen enthält . Über die Weite nismäßigkeit zu prüfen . dieses Begriffes ist aber inzwischen eine Debatte entstan- Bislang war der seit Jahrzehnten etablierte Mikro- den, die im Rahmen der Diskussion über diesen Entwurf zensus befristet geregelt . Diese Befristung hat sich in nicht ignoriert werden sollte . Grundsätzlich befürworten meinen Augen durchaus bewährt, eröffnet sie doch die wir aussagekräftige Antworten, mit denen etwa gezielte Chance, immer auch andere, zusätzliche Belastungen Förderungen im Bereich der Schul- oder Arbeitsmarkt- für die informationelle Selbstbestimmung der Bürge- politik gesteuert werden können . Doch wir wollen mit rinnen und Bürger bei der durch uns vorzunehmenden Fragen in diesem Bereich Menschen auch nicht auf eine Verhältnismäßigkeitsprüfung in den Blick zu nehmen . bestimmte Identität festschreiben, Umfang und Tiefe (B) Nun soll der Mikrozensus also nach ihrem Willen in eine sind daher stets diskussionswürdig . (D) unbefristete gesetzliche Regelung überführt werden . In- tegriert in den aus Sicht der Betroffenen ohnehin endlos Wir regen deshalb in der Gesamtschau der aufgewor- langen Fragenkatalog, werden zusätzlich noch die nach fenen Fragen zum Für und Wider des Mikrozensus an, EU-Recht erforderlichen Statistiken zu Einkommen und zumindest in einem erweiterten Berichterstattergespräch Lebensbedingungen, EU-SILC, sowie zur Informations- die für die Bewertung möglicher Alternativen zum Mik- gesellschaft, IKT, erhoben . rozensus notwendigen Fragen gemeinsam ergebnisoffen zu diskutieren . Das informatorische Sonderopfer, das die vom Mikro­ zensus Betroffenen zu erbringen haben, ist somit aus unserer Sicht alles andere als unerheblich . Wir begrüßen Dr. Ole Schröder, Parl . Staatssekretär beim Bun- deshalb ausdrücklich, dass die Bundesregierung sich of- desminister des Innern: Der vorliegende Gesetzentwurf fenbar darum bemüht hat, Belastungen der Betroffenen regelt den Mikrozensus ab dem Jahr 2017 . Der Mikro- zumindest zum Teil zu vermeiden . Danach soll der Merk- zensus wird seit 1957 als Haushaltsstichprobe über die malskatalog des Kernprogramms nur noch die Hälfte des Bevölkerung und den Arbeitsmarkt sowie die Wohnsi- heutigen Katalogs umfassen . Und thematisch abgrenzba- tuation der Haushalte durchgeführt . Dabei wird 1 Pro- re Erhebungsteile sollen auf die Betroffenen derart ver- zent der Bevölkerung befragt . Der Mikrozensus ist die teilt werden, dass nicht alle Ausgewählten alle – nunmehr zentrale Informationsquelle nicht nur für die Verwaltung aus anderen Haushaltsstatistiken integrierte – Fragenteile und die Regierung, sondern insbesondere auch für die zu beantworten haben . Parlamente in Bund und Ländern . Er stellt umfassende, aktuelle und zuverlässige Daten vor allem über die Be- Gleichwohl bedeutet die Integration von vormals ge- völkerungsstruktur, die wirtschaftliche und soziale Lage trennt ablaufenden und damit andere Bürgerinnen und der Familien und der Haushalte, die Erwerbstätigkeit, Bürger betreffenden Fragenkataloge natürlich eine Er- den Arbeitsmarkt, die berufliche Gliederung und die Aus- höhung des Gesamtumfangs der Befragung, auch wenn bildung der Erwerbsbevölkerung sowie die Wohnverhält- offenbar nicht alle Ausgewählten im gleichen Maße be- nisse bereit . Die Ergebnisse des Mikrozensus sind aber troffen sein werden . ebenso für politische und gesellschaftliche Institutionen Noch gravierender erscheint uns, dass die nunmehr sowie für Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung eine integrierten Teile EU-SILC und EI-IKT zukünftig eben- wichtige Informationsquelle . Nicht zuletzt wird der Mi- falls unter die Auskunftspflicht fallen. Der Wechsel von krozensus auch als Hochrechnungs-, Adjustierungs- und Freiwilligkeit auf Zwang erfolgt wenige Jahre nach der Kontrollinstrument für eine Vielzahl anderer Erhebungen letzten Debatte zum Mikrozensus doch ziemlich überra- gebraucht und ist für diese von erheblicher Bedeutung . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 19007

(A) Das geltende Mikrozensusgesetz sieht nur bis men, ist im Gegensatz zu vielen anderen Ländern leider (C) Ende 2016 Erhebungen vor . Ab dem 1 . Januar 2017 ist sehr gering . Daher ist zu erwarten, dass ein Großteil der ein neues Gesetz als Grundlage für weitere Mikrozensus­ Befragten freiwillig keine Angaben machen würde . Das erhebungen erforderlich . Der vorliegende Gesetzentwurf würde nicht nur zusätzliche Erhebungskosten verursa- ist im Unterschied zu den bisherigen Mikrozensusge- chen . Es würde auch die Synergieeffekte, die mit der setzen nicht mehr befristet . Aufgrund verschiedener Integration in den Mikrozensus beabsichtigt sind, rela- EU-Verordnungen müssen wir den überwiegenden Teil tivieren . der Daten aus dem Mikrozensus an die EU liefern . Diese Die Inanspruchnahme von EU-Förderprogrammen Datenlieferverpflichtungen sind unbefristet. Es ist daher hängt von Indikatoren ab, die sich unter anderem aus nicht sinnvoll, die nationale Rechtsgrundlage zu befris- den Merkmalen der Erhebung zu Einkommen und Le- ten . Außerdem hat sich gezeigt, dass die Mikrozensus- bensbedingungen ergeben . Um valide Zahlen an die gesetze bei Bedarf geändert worden sind; auf den Frista- EU liefern zu können, ist die Auskunftspflicht auch aus blauf kann bei einem dringenden Bedarf nicht gewartet methodischen Gründen erforderlich . Bei freiwilligen werden . Die Überprüfung des Gesetzes allein aufgrund Befragungen weisen Personen im unteren und oberen der zeitlichen Befristung hat eher zu Zuwächsen von Einkommensbereich erfahrungsgemäß eine geringe Teil- Merkmalen im Gesetz als zum Abbau geführt . nahmebereitschaft auf, was zu einer Verzerrung der Er- Das neue Mikrozensusgesetz regelt aber nicht einfach gebnisse zur Mitte hin führt . nur die Weiterführung des bisherigen Mikrozensus mit kleinen Änderungen, sondern regelt auch die Umstellung Frühere Mikrozensus-Testerhebungen, Untersuchun- auf ein neues Konzept . Diese erfolgt in zwei Stufen: In gen des Statistischen Bundesamtes sowie Untersuchun- der ersten Stufe von 2017 bis 2019 wird der bisherige gen der empirischen Sozialforschung haben ergeben, Mikrozensus mit geringfügigen Anpassungen der Me- dass die erforderliche Qualität der Daten für die genann- thoden und Erhebungsmerkmale weitergeführt . Das ist ten aber auch weitere Politikfelder und Datenlieferungs- mit der bestehenden IT umsetzbar und verursacht keine verpflichtungen nur mit einer Auskunftspflicht erreicht Mehrkosten . werden kann . Der Gesetzentwurf sieht daher grundsätz- lich eine Auskunftspflicht vor. In der zweiten Stufe ab 2020 wird der Mikrozensus aufgrund zusätzlicher europäischer Anforderungen um- gestellt . Die Arbeitskräftestichprobe, die schon bislang gemeinsam mit dem Mikrozensus erhoben wird, wird in Anlage 28 den Mikrozensus als Modul integriert . Zusätzlich werden Zu Protokoll gegebene Reden zwei weitere – bislang vom Mikrozensus separat erfolg- (B) te – Erhebungen als Module integriert . Es handelt sich zur Beratung des von der Bundesregierung einge- (D) dabei zum einen um die Erhebung zu Einkommen und brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung Lebensbedingungen – EU-SILC –, und zum anderen um des Bundesarchivrechts den Teil der Erhebung zur Informationsgesellschaft, IKT, (Tagesordnungspunkt 34) der bei Privathaushalten erhoben wird . Diese Umstellung setzt neben tiefgreifenden methodischen und organisato- (CDU/CSU): Vor knapp hundert rischen Änderungen auch eine vollständige Neugestal- Ansgar Heveling Jahren, im Jahr 1919, wurde in Deutschland das erste tung der IT voraus . Zentralarchiv der obersten Reichsbehörden und -organe Durch die Integration der genannten Erhebungen in in Potsdam gegründet. Die Auflösung zahlreicher mili- den Mikrozensus sollen Synergieeffekte durch die Nut- tärischer Behörden nach dem Versailler Vertrag war der zung einer gemeinsamen organisatorischen und techni- damalige Anlass zur Gründung . Seither übernimmt das schen Infrastruktur in den statistischen Ämtern genutzt Archiv die systematische Erfassung, Erhaltung und Be- werden . Damit wird der Mehraufwand, der aufgrund der treuung von Dokumenten des Bundes . Heute heißt es Änderungen der entsprechenden EU-Verordnungen zu Bundesarchiv und hat seinen Hauptsitz in Koblenz . Hier erwarten ist, reduziert werden . Auch die Belastung für arbeitet es nach dem Leitbild, Wissen bereitzustellen, die Befragten wird im Gesetzentwurf berücksichtigt . Der Quellen zu erschließen und das Geschichtsverständnis Stichprobenumfang des Mikrozensus bleibt bei 1 Prozent zu fördern . So archiviert es Akten, Schriftstücke, Karten, der Bevölkerung . Er erhöht sich trotz der Integration der Bilder, Plakate, Filme und Tonaufzeichnungen deutscher Erhebung zu Einkommen und Lebensbedingungen – Bundesbehörden, aber auch Unterlagen nichtöffentlicher EU-SILC – und der Erhebung zur Informationsgesell- Einrichtungen und natürlicher Personen . Ob diese Unter- schaft – IKT – in den Mikrozensus nicht. Demografische lagen einen bleibenden Wert für die Erforschung oder das und sozioökonomische Angaben, die bislang in jeder der Verständnis der deutschen Geschichte haben, ob sie der bisher separat durchgeführten Erhebung erfragt wurden, Sicherung berechtigter Belange der Bürger dienen oder werden nur noch einmal erhoben . eine Informationsquelle für Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung seien können, das obliegt der fach- Das schon beim bisherigen Mikrozensus bewährte kundigen Einschätzung des Bundesarchivs . Prinzip der Auskunftspflicht wird ebenfalls grundsätzlich beibehalten. Eine Auskunftspflicht – insbesondere auch Bis in 80er-Jahre hinein wurde über die grundsätzliche zu den Merkmalen der Erhebung zu Einkommen und Notwendigkeit von Archivgesetzen lebhaft diskutiert . Lebensbedingungen – ist erforderlich . Die Bereitschaft Und so wurde tatsächlich erst 1987 ein Bundesarchivge- in Deutschland, an freiwilligen Erhebungen teilzuneh- setz im Deutschen Bundestag verabschiedet, um die Auf- 19008 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) gaben des Bundesarchivs gesetzlich zu verankern . Bis Vorgängerinstitutionen aufbewahrt . Das Bundesarchiv (C) dahin arbeitete es lediglich auf der Grundlage von Ver- hat den Auftrag, dieses Archivgut auf Dauer zu sichern, waltungsvorschriften . So sicherte das Gesetz erstmals in nutzbar zu machen und wissenschaftlich zu verwerten . der deutschen Geschichte ein Recht jedes Bürgers auf die Das Bundesarchiv hat dabei eine nicht zu unterschät- Nutzung von Archiven . Damals wie heute ist das Ziel, zende Bedeutung für die Geschichte unseres Landes und die Informations- und Wissenschaftsfreiheit zu fördern seine Bürgerinnen und Bürger . Als „Gedächtnis unseres und rechtlich abzusichern . Staates“ und als Ort, in dem Zeugnisse der historischen Gegenwärtig stehen wir vor der Aufgabe, das Bundes- Meinungsbildung für die Zukunft verwahrt werden, archiv zukunftsfähig zu machen . Und so haben wir im nimmt es die Aufgaben eines Nationalarchives wahr . Koalitionsvertrag das wichtige kulturpolitische Vorhaben Hier findet man Zeugnisse über die positiven und die ne- vereinbart, das Bundesarchivgesetz neu zu regeln und es gativen Momente unserer Geschichte . Im Bundesarchiv den Anforderungen des digitalen Zeitalters entsprechend werden Fotos und Zeichnungen verwahrt, Urkunden, Ak- anzupassen . So ist ein wesentlicher Bestandteil der Neu- ten, Karten und Tonstücke, die bei zentralen Stellen des fassung die Einführung von elektronischen Akten anstel- Heiligen Römischen Reiches, des Deutschen Bundes, le von Papierakten bis zum Jahr 2020, also die Einfüh- des Deutschen Reiches, der Besatzungszonen, der Deut- rung der sogenannten E-Verwaltung . Weiter werden wir schen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Regelungen zu einem – auch digitalen – Zwischenarchiv Deutschland entstanden sind . Unter ihnen sind auch be- und zur Übernahme solcher elektronischer Unterlagen sagte Flugblätter der Weißen Rose . Dass ich heute davon aufnehmen, die einer laufenden Aktualisierung, jedoch berichten kann, habe ich der Tatsache zu verdanken, dass keinem Löschungsgebot unterliegen . sie bis heute im Bundesarchiv aufbewahrt werden . Auch an der Ausgestaltung der Anbietungspflichten Wie genau das Bundesarchiv beim Sammeln und Ar- soll sich einiges ändern . Mit der Einführung einer als chivieren vorgeht, wird im Bundesarchivgesetz geregelt . Sollvorschrift ausgestalteten Anbietungspflicht beispiels- Die zentralen Regelungsinhalte des geltenden Bundesar- weise sollen Unterlagen zukünftig spätestens 30 Jahre chivgesetzes stammen aus dem Jahre 1988 und wurden – nach ihrer Entstehung dem Bundesarchiv zur Verfügung im Gegensatz zur Archivgesetzgebung der Länder – angeboten werden . seitdem nicht aktualisiert . Das BArchG war seinerzeit wegweisend, ist heute jedoch lückenhaft zum Beispiel Ein ganz besonderes Anliegen der Neufassung ist die im Hinblick auf die Digitalisierung . Deswegen haben wir Verbesserung der Nutzer- und Wissenschaftsfreundlich- im Koalitionsvertrag festgelegt, das Bundesarchivgesetz keit des Bundesarchivs . So wird vorgesehen, die perso- zu novellieren . nenbezogene Schutzfrist von dreißig auf zehn Jahre nach (B) dem Tod der betroffenen Person zu verkürzen . So hat es Ziel der Novellierung ist daher nicht nur eine um- (D) sich bereits in vielen Landesarchivgesetzen schon be- fassende Neustrukturierung, Straffung und sprachliche währt . Die personenbezogene Schutzfrist für Amtsträger Überarbeitung des Gesetzes von 1988 . Es soll auch Neu- in Ausübung ihrer Ämter und Personen der Zeitgeschich- erungen geben, die die Nutzer- und Wissenschaftsfreund- te soll zukünftig ganz entfallen, wenn ihr schutzwürdiger lichkeit verbessern, die Arbeitsfähigkeit im digitalen privater Lebensbereich nicht betroffen ist . Weiter werden Zeitalter erhalten und das Gesetz an die Bedürfnisse der wir über die Verkürzung der Schutzfrist von sechzig auf Informationsgesellschaft anpassen . dreißig Jahre für dasjenige Archivgut, welches Geheim- Geplant sind zum Beispiel die Verkürzung der perso- haltungsvorschriften des Bundes unterliegt, sprechen . nenbezogenen Schutzfristen von 30 Jahren auf zehn Jah- Ich meine, dass wir mit dem nun vorliegenden Regie- re nach dem Tod der betroffenen Person und der Wegfall rungsentwurf eine solide Arbeitsgrundlage haben, die der personenbezogenen Schutzfristen für Amtsträger in wir nun im Spannungsverhältnis von Informationsfrei- Ausübung ihrer Ämter und Personen der Zeitgeschichte . heit und Datenschutz ausloten müssen . Darum wird es Es soll auch möglich sein, Schutzfristen für Archivgut, in den nächsten Wochen gehen . Ich freue mich auf eine das Geheimhaltungsvorschriften des Bundes unterliegt, konstruktive Zusammenarbeit . von 60 Jahren auf höchstens 30 Jahre zu verkürzen . Hier liegt ein guter Entwurf vor . Der Gesetzentwurf Hiltrud Lotze (SPD): In den Jahren 1942 und 1943 dient dazu, die Bedürfnisse der Informationsgesellschaft verteilt die Widerstandsbewegung Weiße Rose Flugblät- zu befriedigen und das Archiv auch im digitalen Zeitalter ter in Nazideutschland und ermutigt die Leser zum Wi- gut nutzen zu können . derstand gegen das Naziregime . Die Widerstandsgruppe Ich möchte an dieser Stelle aber auch auf ein paar kri- junger Menschen macht ihren Mitbürgerinnen und Mit- tische Punkte hinweisen: bürgern deutlich, dass jeder etwas beitragen könne zum Sturz dieses Systems . Unter anderem vor dem Hintergrund einer möglichen Überführung der Stasi-Unterlagen ins Bundesarchiv Der Mut und die Aufrichtigkeit der jungen Studieren- müssen wir darauf achten, dass der Anspruch aller Bür- den rund um Hans und Sophie Scholl sind bis heute vie- gerinnen und Bürger gegenüber Behörden auf Zugang zu len Menschen ein Vorbild . Auch einige ihrer Flugblätter amtlichen Informationen nicht mit den Schutzfristen des haben die Zeit überdauert – im Bundesarchiv . BArchG in Konflikt kommt. Dort, in der Hauptstelle in Koblenz und in den Au- Auch die Zugriffsrechte des Bundesarchivs müssen ßenstellen, wird das Archivgut des Bundes und seiner sorgfältig abgewogen werden . Das Bundesarchiv muss Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 19009

(A) weitreichende Rechte innehaben, keine Frage . Gleichzei- Umgang mit personenbezogenen Daten aus vergangener (C) tig ist auch sicherzustellen, dass durch die Neuregelung Zeit tun – erst recht, da sich durch die Digitalisierung dem Bundesarchiv keine zu weitreichenden Kompeten- ganz andere Möglichkeiten bieten, Informationen mitei- zen zugesprochen werden, die zulasten von Regional- nander zu verknüpfen . Gerade in der pädagogischen Ar- und beispielsweise Parteiarchiven gehen könnten . beit hat es sich bewährt, anhand einzelner Schicksale die Dimension der NS-Verfolgung ganz konkret zu machen Unklar ist auch noch der Umgang mit Akten von Per- und den Opfern ihren Namen zurückzugeben . Jedoch sonen mit mehreren Ämtern, zum Beispiel Ministern, heißt das nicht, dass man von der Person alles Private öf- die gleichzeitig wichtige Parteipositionen innehaben . fentlich machen darf, was in den zugänglichen Akten zu Welches Amt zählt hier mehr, und wo werden die Akten finden ist. Hier brauchen wir gerade auch für die vielen aufbewahrt? Es muss auf jeden Fall verhindert werden, ehrenamtlichen Engagierten eine fundierte Begleitung dass Bestände auseinandergerissen und infolgedessen durch ausreichend Personal in den Archiven . historische Zusammenhänge nicht mehr erkannt werden können . Maßgeblich ist, dass das neue Gesetz den Zugang zu den Akten erleichtert – im Sinne von mehr Transparenz Wie Sie sehen, gibt es noch ein paar offene Punkte, die und erst recht für wissenschaftliche Zwecke . Jedoch wir klären müssen . Wir werden deswegen im Ausschuss erweist sich der vorliegende Gesetzentwurf an so man- für Kultur und Medien eine Fachanhörung mit Expertin- cher Stelle eher als forschungshemmend . Problematisch nen und Experten durchführen und den Gesetzentwurf an sind zum Beispiel die fehlende Definition der „Dritten“, der einen oder anderen Stelle noch überarbeiten . so schwammige Formulierungen wie „Entstehung der Unterlagen“ oder „Menschenrechtsverletzung“ bei den Sigrid Hupach (DIE LINKE): Dass die Neuregelung Schutzfristenregelungen oder aber auch die Tatsache, des Archivgesetzes zu so später Stunde aufgesetzt ist, be- dass die abgebende Stelle weiterhin mitreden darf, ob fördert leider das gängige Klischee der verstaubten Ak- eine Sperrfrist verkürzt wird oder nicht . ten, die sich in stickigen Kellern stapeln und für die sich bis auf ein paar wenige Archivare niemand interessiert . In den vergangenen 30 Jahren sind die Ansprüche an Diese Sicht verkennt jedoch, welche Bedeutung Archive Transparenz und Informationsfreiheit enorm gewachsen, haben und wie weitreichend das Bundesarchivrecht ist . denen ein neues Bundesarchivgesetz genügen muss . Ge- Archive tragen für die Überlieferung all dessen Verant- nau das aber tut es in der vorliegenden Fassung nicht . wortung, worauf kommende Generationen ihre Interpre- Mit der Einführung des Informationsfreiheitsgesetzes tationen unserer Zeit, unseres Tuns gründen . Und nicht (IFG) wurde auch das Bundesarchivgesetz entsprechend zuletzt ermöglichen Archive auch die Kontrolle von Re- geändert, indem eine Ausnahme von der Schutzfrist for- (B) gierungs- und Verwaltungshandeln . muliert wurde für Unterlagen, die bereits einem Infor- (D) mationszugang nach IFG offengestanden haben . Im Un- Welche Fragestellungen in 30, in 50, in 100 Jahren re- terschied dazu bezieht sich der vorliegende Entwurf nun levant sein werden, das kann heute niemand wissen . Da- nur auf diejenigen Unterlagen, für die die Einsicht auch her ist es umso wichtiger, dass es qualifiziertes Personal gewährt worden ist . Das heißt also, dass Unterlagen, für an einer unabhängigen Stelle gibt, das die Bewertung der die das Recht auf Informationsfreiheit noch nicht genutzt verschiedensten Unterlagen neutral vornehmen und ent- wurde, nach Überführung ins Archiv 30 Jahre lang unzu- scheiden kann, was im Archiv verbleibt und was kassiert gänglich bleiben . Das darf im Sinne von mehr Transpa- wird . Für diese verantwortungsvolle Arbeit braucht es renz auf keinen Fall so bleiben! eine gute Ausbildung und es braucht vor allem Unabhän- gigkeit, insbesondere von den Stellen, die die Unterlagen Auch sollten wir uns über die Aufgabenbestimmung produziert haben . des Bundesarchivs noch genauer verständigen . Sicher, das Bundesarchiv ist ein Archiv für die Unterlagen des Dass die Novellierung des Archivgesetzes aus dem Bundes und seiner Behörden, und es ist gut, dass mit Jahr 1988 nun endlich angegangen wird, ist überfällig, dem Gesetzentwurf klarere Pflichten an die abgebenden erst recht im digitalen Zeitalter . Die Digitalisierung bietet Stellen formuliert werden . Auch begrüßen wir, dass die ja nicht nur eine größere Benutzerfreundlichkeit, da die Akten des Auswärtigen Amtes dem Bundesarchivgesetz Bestände der Archive leichter zugänglich sind . Sie hat unterstellt werden . vor allem auch die gesamte Kommunikation beeinflusst und somit das Entstehen von Unterlagen, die in vielen Abgesehen vom Verwaltungshandeln ist das Bundes- Fällen nur noch digital vorliegen . Der Anpassungsbedarf archiv jedoch auch eine Gedächtnisinstitution der ge- ist hier also besonders groß und besonders vielfältig . Nur samten Gesellschaft . So ist es positiv, dass sich in der zwei Aspekte sollen diese Breite umreißen: Gesetzesbegründung auch der Bezug zur Sozial-, Kultur- und Geistesgeschichte findet, also auch Privatpersonen Ins Bundesarchivgesetz gehört für uns ein expliziter oder nichtstaatliche Organisationen ins Blickfeld rücken . Auftrag zur Digitalisierung von Inhalten – und das gehört Hierbei brauchen wir aber klare Regeln, welche Stellen eingebettet in eine gesamtstaatliche Digitalisierungsstra- ihre Unterlagen abgegeben müssen und welche es ledig- tegie, wie wir Linken sie seit langem fordern . lich können, wenn sie denn wollen . Aber auch für den Datenschutz stellen sich durch die Legt man dieses weite Verständnis zugrunde, sind Digitalisierung neue Herausforderungen: Wir sind heute die Aufgaben im Gesetzentwurf jedoch an vielen Stel- selbst sehr darauf bedacht, mit unseren persönlichen Da- len zu eng gefasst, zum Beispiel beim filmischen Erbe. ten zurückhaltend umzugehen . Das sollten wir auch im Der Film ist ein dem Buch gleichwertiges Kulturgut und 19010 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) das Filmerbe ein zentraler Teil unseres kulturellen Ge- die Schiene der Geschichte legen . Dieser Gesetzentwurf (C) dächtnisses . Daher fordern wir Linke seit Jahren eine ist überfällig . Die zahlreichen Informationsfreiheitsge- Pflichtexemplarregelung ähnlich wie für Bücher bei der setze und die fortschreitende Digitalisierung in unserer Deutschen Nationalbibliothek . Schon in der letzten Le- Gesellschaft bedingen ein Update des Bundesarchivge- gislatur haben wir das thematisiert und auch in diesem setzes . Jahr in unseren beiden Anträgen zur Filmförderung und Als Filmpolitikerin schaue ich natürlich auch auf die zur Sicherung des Filmerbes . Mit der Novellierung des Sicherung und Digitalisierung des nationalen Filmerbes . Bundesarchivgesetzes sollten wir die Chance nun end- Viele Experten befürchten, dass die aktuell brennenden lich nutzen, den Film so wie das Buch zu schützen und Fragen des Filmerbes im vorliegenden Gesetzesentwurf den Zugriff auf alle öffentlich aufgeführten Filme, seien nicht ausreichend berücksichtigt oder thematisiert wer- es nun Kurz- oder Spielfilme, Kultur- oder Dokumen- den . Ich teile diese Befürchtung . So ist beispielsweise tarfilme, Animations- oder Werbefilme, mit Hilfe einer die Definition „Kinofilm“ eine sehr enge. Was aber ist Hinterlegungspflicht zentral im Bundesarchiv zu ermög- mit dokumentarischem Filmmaterial, das oft gar nicht für lichen . eine öffentliche Aufführung in einem Kino gedacht, aber Im vergangenen Jahr hatte sich auch die Experten- als Zeitdokument von besonderer Bedeutung ist? Gera- kommission zur Zukunft der Stasiunterlagenbehörde de dieses sollte in einem Bundesarchiv für die Nachwelt ausführlich mit den Anforderungen an ein neues Bundes- verwahrt werden. Wenn nicht Dokumentarfilme, was archivgesetz beschäftigt . Es ist sehr bedauerlich, dass die denn dann? Und was ist mit DVD- oder Heimvideoma- Koalition deren Empfehlungen sang- und klanglos in der terial, das auch nicht unter die Kategorie Kinofilm fällt? Schublade hat verschwinden lassen . Mit der Überfüh- Bei meinem Besuch im Bundesarchiv in Koblenz Mit- rung ins Bundesarchiv hätten sich die Akten gerade nicht te August kam die Kassationspraxis, also die kontinuier- geschlossen, sondern wären vielmehr einer umfassenden liche Vernichtung von originalem Nitrofilmmaterial zur Analyse im Gesamtkontext der Überlieferung zur SBZ/ Sprache . Danach wurden bereits digitalisierte Filme ver- DDR erst geöffnet worden . nichtet, ohne dass diese viele Jahre gängige Praxis infra- Zuletzt noch zu einer Neuregelung, die wir Linke ge gestellt wurde . Im Bundesarchiv glaubte man, sie sei- für unnötig und hoch problematisch halten und die das en aufgrund der Explosionsgefahr von Nitrofilmen nach eingangs beschriebene Gebot zur Unabhängigkeit kon- dem Sprengstoffgesetz zur Vernichtung verpflichtet. Erst terkariert, nämlich die Fachaufsicht der Beauftragten für aufgrund meiner Anfrage bei der Beauftragten für Kultur Kultur und Medien . Im Entwurf ist nämlich nicht eindeu- und Medien wurde diese Praxis gestoppt . Die rechtlichen tig geklärt, dass diese Fachaufsicht keinen Einfluss auf Grundlagen für die Kassation werden jetzt geprüft . die Bewertungsentscheidungen im Bundesarchiv haben (B) Es wurden aber auch Filme, die vom Bundesarchiv (D) wird . Diese Neuregelung bekommt außerdem ein beson- als nicht erhaltenswertes Filmerbe eingestuft, vernichtet . deres Geschmäckle, wenn man sie in Beziehung zu den Das macht deutlich, dass wir uns dringend darüber ver- Ausnahmeregelungen für die Abgabe von Unterlagen ständigen müssen: Welche Originale und wie viel Film- der Nachrichtendienste setzt . Nachdem die Unabhängi- material soll erhalten werden? Wer entscheidet eigentlich ge Historikerkommission zur Geschichte des BND ihre darüber, welche Filme vernichtet werden und welche „ar- Arbeit abgeschlossen hatte, sollten die Akten aus der chivwürdig“ und „kultur- und filmhistorisch besonders Frühzeit des BND eigentlich ins Bundesarchiv überführt bedeutsam“ sind? Ich teile die Haltung des deutschen Ki- werden . Nun wird im Gesetz aber formuliert, dass die nemathekverbunds, dass auch eine analoge Archivierung Unterlagen der Nachrichtendienste dem Bundesarchiv der Originale wünschenswert ist . Die Originale transpor- nur anzubieten sind, wenn dem keine schutzwürdigen In- tieren Informationen, die digital verloren gehen . teressen der bei den Nachrichtendiensten beschäftigten Personen entgegenstehen . Diese sehr dehnbare Formu- All diese drängenden Fragen werden in dem vorlie- lierung stellt einen verhängnisvollen Rückschritt dar und genden Gesetzentwurf überhaupt nicht angesprochen . leistet der schon viel zu lange währenden Geheimhal- Hier besteht dringender Nachbesserungsbedarf . tungstaktik auch noch Vorschub . Gerade angesichts des Und mit Digitalisierung alleine ist es ja auch nicht vielfältigen Versagens der Nachrichtendienste bei der getan . In diesem Bereich lauern viele Probleme, auf die Aktenführung und Archivierung, wie es zuletzt auch im der Entwurf nicht eingeht, zum Beispiel, in welchem Zusammenhang mit dem NSU-Komplex zutage getre- Format die Filme gespeichert werden sollen . Es gibt der- ten ist, ist diese Ausnahmeregelung völlig inakzeptabel . zeit in Deutschland kein Standardarchivformat für Filme . Wir brauchen endlich eine gesetzliche Regelung, die die Nebenbei: Die Bundesregierung hat uns seit 2015 eine Akteneinsicht nach 30 Jahren auch bei Unterlagen der umfassende Digitalisierungsstrategie im Filmbereich Nachrichtendienste sicherstellt . versprochen . Auf die Umsetzung warten wir noch heute . Im parlamentarischen Prozess sind also noch einige Und die Frage der Finanzierung für die Digitalisierung hochspannende Fragen zu klären . ist auch immer noch ungeklärt . Das ist zu wenig . Nun geht es im vorliegenden Entwurf ja nicht nur um Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): „Leg Filmerbe . In seinem Wesen ist das Bundesarchivrecht Dein Ohr auf die Schiene der Geschichte“ sang die deut- ein Informationszugangsgesetz . Und durch genau diese sche Hip-Hop-Band Freundeskreis . Der Gesetzentwurf Brille müssen wir den Gesetzentwurf auch kritisch be- für eine Neuregelung des Bundesarchivrechts soll theo- trachten . Ein besonders wichtiger Punkt hierbei ist die retisch genau dies ermöglichen: dass wir unser Ohr auf Schutzfrist für Archivgut . Unterlagen, die bereits mithil- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 19011

(A) fe des Informationsfreiheitsgesetzes für die Öffentlich- Sie mich die wesentlichen Neuerungen anhand einiger (C) keit zugänglich waren, dürfen bei der Übergabe an das Beispiele erläutern: Bundesarchiv nicht wieder unzugänglich gemacht wer- den . Die Erstreckung der Zugangsregelungen auch auf Erstens: das Bundesarchiv soll durch Überarbeitung das politische Archiv des Auswärtigen Amtes sollten wir der Zugangsregelungen nutzer- und wissenschafts- zum Anlass nehmen, den Zugang zu anderen politischen freundlicher werden . Archiven und nachgeordneten Behörden von Bundesmi- nisterien zu ermöglichen . Das schließt das Archiv des Dazu sieht der Gesetzentwurf zum einen Änderungen BND ein . Wenn wir bedenken, wie viele Akten bereits hinsichtlich der Schutzfristen vor . Personenbezogene in den Behörden unserer Geheimdienste auf ungeklärte Schutzfristen werden von 30 auf 10 Jahre nach dem Tod Weise verschwunden oder vernichtet wurden, halte ich der betroffenen Person verkürzt . Sie sollen außerdem für das für dringend erforderlich . Amtsträger und Personen der Zeitgeschichte wegfallen, soweit nicht ihr schutzwürdiger privater Lebensbereich Auch mit vielen weiteren Themen müssen wir uns betroffen ist . Darüber hinaus soll es künftig die Möglich- noch beschäftigen, wie unter anderem mit der Privati- keit geben, die Schutzfrist für Archivgut, das Geheimhal- sierung von Akten und deren Auslagerung, Datenschutz- tungsvorschriften des Bundes unterliegt, von 60 Jahren und E-Government-Fragen, Anbietungspflicht von Mel- auf höchstens 30 Jahre zu verkürzen . Die Ministerien und deregistern und der Zugänglichmachung von Meldedaten Ressorts können künftig eine allgemeine Vereinbarung für Big Data und vielen anderen . Sie sehen, es liegt noch mit dem Bundesarchiv schließen, in der sie auf die bis- einiges an Arbeit und Diskussion vor uns . her erforderliche Beteiligung im Verfahren der Schutz- fristverkürzung verzichten . Das wird die Bearbeitung der Wir müssen bei der Behandlung der Novelle zum Bun- Benutzeranträge im Bundesarchiv vor allem im Interesse desarchivrecht große Sorgfalt walten lassen, damit am der wissenschaftlichen Forschung deutlich vereinfachen . Ende nicht nur wir, sondern auch unsere Nachkommen ihr Ohr auf die Schiene der Geschichte legen können . Zum anderen sollen im Sinne einer verbesserten Nut- zerfreundlichkeit künftig nicht nur die Betroffenen selbst Recht auf Auskunft über Unterlagen zu ihrer Person im Monika Grütters, Staatsministerin bei der Bundes- Archivgut des Bundes haben, sondern nach dem Tod kanzlerin: Das Bundesarchiv, das in Deutschland die der Betroffenen auch die Angehörigen, wenn sie ein be- Aufgaben eines Nationalarchivs wahrnimmt, ist so etwas rechtigtes Interesse nachweisen können . Das erleichtert wie das Gedächtnis unseres Staates: Hier wird Schriftgut beispielsweise die Aufarbeitung individueller Familien- der Bundesbehörden aufbewahrt – Dokumente, Vorla- geschichte . (B) gen, Briefe und Akten –, und zwar nicht nur und nicht in (D) erster Linie zur Dokumentation administrativer Prozesse, Zweitens: Die Arbeitsweise des Bundesarchivs soll sondern auch und vor allem zum Zweck der Nachvoll- zur Stärkung seiner Arbeitsfähigkeit an die Möglichkei- ziehbarkeit politischer Entscheidungen . ten und Erfordernisse des digitalen Zeitalters angepasst werden . Dafür gibt es neue Regelungen zum Umgang mit Das Bundesarchiv stellt die Transparenz staatlichen elektronischen Unterlagen . Die Einführung des E-Gov­ Verwaltungshandelns sicher und hilft uns, den Kontext, ernment-Gesetzes und der damit verbundene Übergang die Motive und Gründe früherer politischer Entscheidun- von der Papierakte zur elektronischen Akte stellt ja nicht gen und historischer Ereignisse zu verstehen . Das ist eine nur die laufende Verwaltung in den Bundesbehörden vor gewaltige Aufgabe – und eine große Verantwortung . Um neue Herausforderungen . Auch das Bundesarchiv muss dieser Aufgabe und Verantwortung gerecht zu werden, sich mit Blick auf die Langzeitarchivierung originär di- bedarf es einer soliden rechtlichen Grundlage, die auf der gitaler Daten auf die veränderten Rahmenbedingungen Höhe der Zeit ist, und das heißt insbesondere: die der einstellen . Die neuen Regelungen zum digitalen Zwi- fortschreitenden Digitalisierung Rechnung trägt . Das be- schenarchiv des Bundes sind dabei für alle Beteiligten stehende Gesetz aus dem Jahr 1988 ist dafür nicht länger ein Gewinn: Die Bundesbehörden werden künftig bereits geeignet . Im Arbeitsalltag des Bundesarchivs erweisen im Stadium der Zwischenarchivierung von IT-techni- sich viele derzeit bestehende Regelungen als nicht mehr schen Aufgaben entlastet, während das Bundesarchiv in zeitgemäß, gerade mit Blick auf die technischen und da- die Lage versetzt wird, frühzeitig, nachhaltig und fach- tenschutzrechtlichen Rahmenbedingungen . Union und gerecht für die digitale Langzeitarchivierung Sorge zu SPD haben deshalb – einem fraktionsübergreifenden Be- tragen . schluss des Deutschen Bundestages in der vergangenen Legislaturperiode entsprechend – im Koalitionsvertrag Mit diesen Neuregelungen machen wir das Bundes- vereinbart, das Bundesarchivgesetz zu novellieren und archiv fit für das digitale Zeitalter und erleichtern Wis- das Bundesarchiv dabei auch in die Lage zu versetzen, senschaftlern und Journalisten, aber auch Privatperso- den Anforderungen gerecht zu werden, die sich aus der nen den Zugang zu dem ungeheuren Schatz an Wissen, elektronischen Verwaltung ergeben . der dort in Akten und Dokumenten gespeichert ist . „Je weiter man zurückblicken kann, desto weiter wird man Mit dem Gesetzentwurf, den wir heute beraten, brin- vorausschauen“, hat Winston Churchill einmal gesagt . In gen wir dieses wichtige kulturpolitische Vorhaben nun diesem Sinne hoffe ich, dass die Novellierung des Bun- auf den Weg . Ich freue mich und danke allen Beteiligten, desarchivgesetzes uns dabei hilft, den Blick zurück wie dass uns damit ein – wie ich meine – sachgerechter und auch den Blick voraus zu schärfen, und bitte um Ihre Zu- ausgewogener Interessenausgleich gelungen ist . Lassen stimmung zu unserem Gesetzentwurf . 19012 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) Anlage 29 Ansprechpartnern erschweren würde . Dazu kann ich nur (C) sagen, dass die Agentur für Arbeit bereits jetzt schon da- Zu Protokoll gegebene Reden für sorgt, dass von 8 bis 18 Uhr kompetente Sachbearbei- zur Beratung des von der Bundesregierung einge- terinnen und Sachbearbeiter für Fragen und Auskünfte brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beendigung kostenlos zur Verfügung stehen . Durch den bundeswei- der Sonderzuständigkeit der Familienkassen des ten Zugriff auf die elektronischen Kindergeldakten müs- öffentlichen Dienstes im Bereich des Bundes (Ta- sen die Kindergeldberechtigten außerdem nicht mehr gesordnungspunkt 35) lange auf umfassende Auskunft über ihren Fall warten . Dadurch kann die Wartezeit pro Fall durchschnittlich auf elf Tage reduziert werden . Diese Bedenken muss ich da- Markus Koob (CDU/CSU): Wir haben in Deutsch- her vehement als unbegründet zurückweisen . land 16 Millionen Kinder, die Kindergeld beziehen, das entspricht einem Auszahlungsvolumen von über 39 Mil- Der Bundesrechnungshof hat in seinem Jahresbericht liarden Euro im Jahr . Zurzeit bearbeiten über 8 000 klei- von 2015 veröffentlicht, dass alleine in den Jahren von ne und kleinste, dezentrale Familienkassen die Kinder- 2007 bis 2009 1 306 Fälle ermittelt wurden, in denen geldanträge von öffentlichen Bediensteten, also nur rund Kindergeld für dasselbe Kind doppelt ausgezahlt wur- 13 Prozent aller zu bearbeitenden Anträge in Deutsch- de . Dies entspricht einem Schaden von über 9 Millionen land . Da keine gesetzliche Anmeldungs- und Registrie- Euro . Diese Fälle werden künftig gerade durch die Zu- rungspflicht besteht, sind keiner Behörde alle Familien- sammenlegung der Familienkassen verhindert werden . kassen bekannt . Die Bundesagentur für Arbeit verfügt Es ist klar, dass durch die Überführung kurzfristig er- über 14 Familienkassen, die 87 Prozent der Kindergeld- höhte Kosten entstehen können . Bei der Bundesagentur fälle bearbeiten, die restlichen 13 Prozent werden von für Arbeit kommt es zu einem einmaligen Aufwand von den übrigen über 8 000 einzelnen Familienkassen des öf- rund 22,25 Millionen Euro, bei dem Bundesverwaltungs- fentlichen Dienstes bearbeitet . Hier besteht ein dringen- amt werden die zusätzlichen Kosten 1,95 Millionen Euro der Reformbedarf, um einen modernen und wirtschaft- betragen . Mittelfristig wird es jedoch zu Einsparungen lichen Verwaltungsvollzug zu schaffen, dem wir mit von mindestens 8,5 Millionen Euro jährlich kommen – diesem Gesetzentwurf nur zu gerne nachkommen . Er ist bei jedem Kindergeldfall, der übertragen wird, lassen als Maßnahme Teil des vom Bundeskabinett am 4 . Juni sich somit 20 Euro einsparen . Der Gesetzentwurf bein- 2014 beschlossenen Arbeitsprogramms „Bessere Recht­ haltet somit nicht nur rein strukturelle Vorteile, sondern setzung 2014“ für eine bürgerfreundlichere Verwaltung . bietet auch ganz konkrete Einsparmöglichkeiten im Das uns heute vorliegende Gesetz zur Beendigung der Verwaltungsvollzug . Dies steht ganz im Zeichen einer transparenter organisierten, nachhaltigeren und effizi- (B) Sonderzuständigkeit der Familienkassen des öffentlichen (D) Dienstes ist hauptsächlich eine Strukturreform der Zu- enteren Verwaltungsstruktur in Deutschland und findet ständigkeiten . So wird durch dieses Gesetz zum Beispiel daher ebenso meine vollste Unterstützung wie das An- die Zuständigkeit für das Bundesamt für Zentrale Diens- gebot webbasierter Antragsformulare, die sowohl dem te und offene Vermögensfragen vom Bundesministerium Anspruch einer modernen, digitalisierten Verwaltung des Innern auf das Bundesministerium für Arbeit und entsprechen als auch den Familien die Antragsstellung Soziales übertragen . Hauptziel des Gesetzes ist es aller- um ein Vielfaches erleichtern . dings, die 100 Familienkassen des öffentlichen Dienstes Die Reform bietet nicht nur signifikante und zukunfts- bis 2022 an die Bundesagentur für Arbeit oder das Bun- orientierte Effizienzvorteile, sondern auch ein nachhalti- desverwaltungsamt zu überführen . Im Zuge dessen wird ges Einsparpotenzial und ist damit sowohl im Interesse den Ländern und Kommunen die Möglichkeit gegeben, der Familien als auch des steuerzahlenden Bürgers und die Zuständigkeiten ebenfalls abzugeben . Im Bereich der der steuerzahlenden Bürgerin . Länder kommt es zu keiner automatischen Übertragung, die Sonderzuständigkeit bleibt dort erhalten, und es liegt Ich bitte daher um Ihre Zustimmung zu diesem Ge- im Ermessen der Länder, wem sie die Aufgabe übertra- setzentwurf . gen . Damit kann sichergestellt werden, dass Familienkas- sen ihre Zuständigkeiten und Aufgaben behalten können, Frank Junge (SPD): Was lange währt, wird endlich jedoch die kleineren Familienkassen mit sehr geringen gut . Dieses bekannte Sprichwort trifft sehr gut auf den Fallzahlen die Zuständigkeit an die Bundesagentur für vorliegenden Gesetzentwurf zur Beendigung der Son- Arbeit oder das Bundesverwaltungsamt übertragen kön- derzuständigkeit der Familienkassen des öffentlichen nen . Durch die geringen Fallzahlen bei den Familienkas- Dienstes im Bereich des Bundes zu . An diesem Gesetz sen des öffentlichen Dienstes sind keine standardisierten haben Bund und Länder fast fünf Jahre gearbeitet . Das Arbeitsabläufe oder Erreichung von Mindeststandards Resultat beraten wir heute in erster Lesung im Deutschen möglich . Zudem muss ein bundesweites, einheitliches Bundestag . Am 4 .Juni beschloss das Bundeskabinett das Datennetzwerk geschaffen werden, damit Kindergeldda- Arbeitsprogramm „Bessere Rechtssetzung 2014“ . Ziel ten zentral gespeichert werden können und ein Abgleich dieser Maßgaben ist eine effiziente und wirtschaftliche zwischen den Familienkassen ermöglicht wird . sowie bürgerfreundliche Verwaltung . Das vorliegende Gesetz lässt sich unter diesen Gesichtspunkten nahtlos in Es wurden Bedenken an mich herangetragen, dass dieses Programm einordnen . durch dieses Gesetz die Kindergeldbearbeitung von den Bürgerinnen und Bürgern weiter entfernt werde und es Wie stellt sich der gegenwärtige Stand dar? In Deutsch- die Kontaktaufnahme mit den Ansprechpartnerinnen und land wird derzeit für mehr als 16 Millionen Kinder ein Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 19013

(A) Kindergeld gezahlt . Hierfür gibt es zwei Strukturebenen lienkassen ihre Datenbestände untereinander entweder (C) in den Verwaltungen, die parallel dafür verantwortlich gar nicht oder nur unzureichend abgleichen . Vor diesem sind, Kindergeld an die berechtigten Eltern auszuzahlen . Hintergrund können unrechtmäßige Doppelzahlungen auch immer wegen Systemfehlern passieren . Das geht so Auf der einen Seite sind da 14 Familienkassen der nicht . Bundesagentur für Arbeit, welche die Auszahlung für etwa 87 Prozent der Kinder veranlassen . Die übrigen Das alles sind in meinen Augen wichtige Gründe, um 13 Prozent der Kindergeldfälle betreffen Kinder von mit dem vorliegenden Gesetzentwurf in vernünftiger Art Bediensteten des öffentlichen Dienstes . Und die werden und Weise Hand anzulegen und die Situation zu verbes- von derzeit circa 8 000 einzelnen Familienkassen verwal- sern . Insofern lade ich Sie alle herzlich ein, dies im par- tet . Etwa 7 000 dieser Familienkassen bearbeiten weni- lamentarischen Verfahren gemeinsam tun . Ich bin mir ger als 200 Kindergeldfälle, zum Teil sogar lediglich 20 sicher, dass wir das vorliegende Gesetz über diesen Weg oder 30 . Ein so aufgeblähter Apparat entspricht in keiner zu einem erfolgreichen Abschluss bringen werden . Weise einer zeitgemäßen und modernen Verwaltung . Un- tersuchungen zeigen, dass es 80 Prozent der Familien- (DIE LINKE): In Deutsch- kassen des öffentlichen Dienstes nicht möglich ist, die Susanna Karawanskij land erhalten Eltern von mehr als 16 Millionen Kindern Kindergeldzahlungen in einer insgesamt zufriedenstel- Kindergeld . Dazu, ob das Kindergeld hoch genug ist oder lenden Qualität zu bearbeiten . Die Fallzahlen sind hierzu nicht, kommen wir später noch . Im Jahr 2015 wurden über einfach zu gering . Diesen Missstand wollen wir mit dem 39 Milliarden Euro von den Familienkassen ausgezahlt . vorliegenden Gesetz beheben, damit die Kindergeldzah- Es gibt dabei 14 Familienkassen der Bundesagentur für lungen zukünftig einfacher, effizienter und unbürokrati- Arbeit, die das Kindergeld für rund 87 Prozent aller Kin- scher vonstattengehen können . der hier in Deutschland bearbeiten . Daneben gibt es über Erreichen wollen wir das dadurch, indem wir die 8 000 einzelne Familienkassen des öffentlichen Dienstes Familienkassen, die für Angestellte des öffentlichen für die übrigen 13 Prozent . Sie bearbeiten das Kindergeld Dienstes im Bereich des Bundes verantwortlich sind, in primär für Kinder von öffentlich Bediensteten . die Zuständigkeit der Bundesagentur für Arbeit und des Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll eine Struk- Bundesverwaltungsamtes überführen . Zusätzlich wollen turreform bei den Familienkassen des öffentlichen wir den öffentlichen Arbeitgebern der Länder und Kom- Dienstes eingeleitet werden . Die Kindergeldbearbeitung munen ebenfalls die Möglichkeit geben, ihre Kindergeld- in diesen Familienkassen soll zukünftig auf die Bundes- zahlungen an die Bundesagentur für Arbeit auszuglie- agentur für Arbeit übergehen . Es ist folglich eine Zusam- dern . Als Ziel haben wir uns das Jahr 2022 gesetzt – bis menführung der Kindergeldbearbeitung bei der Bundes- dahin soll die Überführung vollzogen sein . (B) agentur für Arbeit geplant . Das klingt erst einmal sehr (D) Drei wichtige Gründe sprechen für dieses Gesetz . Ers- vernünftig . Obwohl man froh sein muss, hier im Hohen tens entbürokratisieren wir unsere Verwaltung, machen Haus kein Dauerschreien der FDP nach Bürokratieabbau sie effizienter und wirtschaftlicher. hören zu müssen, ist zu konstatieren, dass die angestrebte Verwaltungsvereinfachung sicherlich wünschenswert ist . Zum Zweiten ist nach einer Zusammenlegung der Zum einen ist eine gleichmäßigere Rechtsanwendung ist Familienkassen mit deutlichen Kostenersparnissen zu durch die Leistung aus einer Hand . Wir hoffen, dass es so rechnen . Sicher ist der bis dahin zu leistende Aufwand zukünftig weniger fehlerhafte Kindergeldfestsetzungen zum Teil immens . Insgesamt entstehen zum Beispiel für geben wird . Zum anderen kann auf mittlere Sicht auch die Konzentration der Familienkassen zunächst Kosten einiges an Geld eingespart werden . Der Gesetzentwurf von etwa 25 Millionen Euro, wovon circa 22 Millionen sieht aber eine recht lange Übergangsphase vor . Ob der Euro auf die Bundesagentur für Arbeit entfallen . Auch finanzielle Aufwand und die Einsparungen letzten Endes steigen die Ausgaben der BA ab 2022 um insgesamt circa so sein werden, wie im Gesetzentwurf angegeben, wird 7,5 Millionen Euro jährlich durch den Anstieg und den sich noch zeigen . erhöhten Arbeitsaufwand in der Bearbeitung der Kinder- geldzahlungen . Dem gegenüber stehen mittelfristige Ein- Doch wann immer von Bürokratieabbau und Kosten- sparungen bei den öffentlichen Arbeitgebern des Bundes senkungen die Rede ist, muss man auch die andere Seite von mindestens 8,5 Millionen Euro jährlich . Perspekti- der Medaille betrachten . Im Gesetz ist zu lesen, dass die visch wird die Bearbeitung des einzelnen Kindergeldfalls Zahl der zuständigen Stellen reduziert wird . Es ist also für die Verwaltung durchschnittlich um 20 Euro pro Jahr nicht geplant, jede Mitarbeiterin und jeden Mitarbeiter günstiger . auf eine andere Planstelle zu setzen . Schon in der Über- gangsphase drohen erste Entlassungen, getarnt als Um- Zum Dritten wollen wir damit die Betrugsanfälligkeit strukturierungsmaßnahme . Kurzum: Bei Umsetzung die- des aktuellen Systems bekämpfen . In den letzten Mona- ses Gesetzentwurfs fallen Arbeitsplätze weg . Dies ist ein ten sind mehrfach Enthüllungen von doppelten Kinder- sehr harter Preis für die gerade beschriebenen Einsparun- geldzahlungen ans Licht der Öffentlichkeit gekommen . gen . Dies bereitet uns böse Bauchschmerzen und kann Heute ist es so, dass eine Familie, bei der der eine Ehe- die Linke nicht dem Gesetzentwurf zustimmen lassen . partner öffentlich Bediensteter und der andere Ehepart- ner in der Privatwirtschaft tätig ist, zweimal Kindergeld Nun ging vor kurzem durch die Medien, dass Finanz- für das gleiche Kind beantragen kann . Ob hier Vorsatz minister Schäuble das Kindergeld um 2 Euro monatlich zugrunde liegt oder nicht, das ist unzulässig . Allerdings erhöhen möchte . Das ist doch der blanke Hohn . Für fällt dieser Betrug nicht auf, weil die zuständigen Fami- Geringverdiener oder Alleinerziehende verpufft doch 19014 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) diese winzige Erhöhung geradezu . Hier verstärkt sich Während 14 Familienkassen der Bundesagentur für (C) mein Eindruck, dass der Bundesregierung die aktuellen Arbeit den Löwenanteil aller Kindergeldfälle bearbeiten, Zahlen zur Kinderarmut in Ost- wie in Westdeutschland sind für die Kinder von öffentlich Bediensteten tatsäch- überhaupt nicht geläufig zu sein scheinen. Im Osten lich 8 000 einzelne Familienkassen zuständig . Ich wie- Deutschlands kommen beispielsweise 21,6 Prozent der derhole: 8 000 Kassen nur für Kinder von Beamten . Sie Kinder aus Hartz-IV-Haushalten, also rund jedes fünfte bearbeiten gerade einmal 13 Prozent der Kindergeldbe- Kind . 2 Millionen Kinder leben in einem reichen Land rechtigten im Land . Das steht in einem grotesken Miss- wie Deutschland in Armut – Tendenz steigend . Setzen verhältnis . Auch das monierte der Bundesrechnungshof Sie doch auch dafür ihre gestern im Finanzausschuss so im Hinblick auf die Effizienz bereits schon vor vielen hoch gelobten „sprudelnden Steuereinnahmen“ ein . Aber Jahren . das tun Sie gerade nicht . Ihre Politik folgt der Prämisse: „Arm bleibt arm. Basta.“ Doch damit finden wir als Lin- Deshalb halte ich die Richtung des Gesetzentwurfes – ke uns nicht ab . Aus diesem Grund haben wir nun einen so spät er kommt – für unumgänglich . Die Vielzahl an Aktionsplan gegen Kinderarmut, Bundestagsdrucksa- Kassen ist nicht zu rechtfertigen . Die Auszahlung von che 18/9666, ganz frisch in den Bundestag eingebracht . Kindergeld ist keine besondere Dienstleistung . Das Ne- Denn uns ist jedes Kind gleich viel wert . Lesen Sie sich beneinander der Familienkassen ist nicht nur bürokra- einfach diesen Aktionsplan durch; es lohnt sich . Wir tisch und ineffizient, es ist auch missbrauchsanfällig. sprechen uns nicht nur für eine eigenständige Kinder- grundsicherung aus, sondern fordern auch flankierende Deshalb sollten die 8 000 Familienkassen für Beamte Maßnahmen, die Eltern aus der Armut führen – denn schließen . Natürlich geht das nicht von heute auf mor- Kinderarmut ist meist Einkommensarmut der Eltern –: gen – es braucht Zeit, das Personal in sinnvoller und so- einen höheren Mindestlohn, eine bessere Vereinbarkeit zialer Weise umzuschichten . von Familie und Beruf, eine sanktionsfreie Mindestsi- cherung und eine deutliche Erhöhung des Kindergeldes, Aber tun Sie uns den Gefallen und vergeuden Sie nicht das dann die Familienkassen aus einer Hand auszahlen weitere sieben Jahre! Wenn ein Staat den Betrug seiner sollen . Dies ist ein kleiner Ansatzpunkt, den Reichtum Staatsdiener nicht entschieden bekämpft, dann schadet er unserer Gesellschaft gerechter zu verteilen . Und der tut damit am meisten seinem eigenen Ruf . dringend not . Dr. Michael Meister, Parl . Staatssekretär beim Bun- Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Am desminister der Finanzen: Das Bundeskabinett hat am 1 .September 2016 titelte die Bild-Zeitung: Staatsdiener 18 .Mai 2016 den Gesetzentwurf zur Beendigung der (B) kassierte 15,5 Jahre doppelt . Worum ging es dabei? Um Sonderzuständigkeit der Familienkassen des öffentli- (D) Kindergeldbetrug . Elternpaare, bei denen einer von bei- chen Dienstes im Bereich des Bundes beschlossen . Mit den verbeamtet ist, hatten sich jahrelang das Kindergeld dem Gesetzentwurf der Bundesregierung sollen die rund doppelt auszahlen lassen: einmal von der Familienkasse 100 Familienkassen im Bereich des Bundes bei der Bun- des öffentlichen Dienstes, zum anderen von der Bun- desagentur für Arbeit oder dem Bundesverwaltungsamt desagentur für Arbeit . Möglich war das, weil eben zwei konzentriert werden . Der Bund geht damit den ersten Familienkassen für die Familie zuständig waren und sie Schritt zur Reduzierung der vielen in Deutschland tätigen nicht miteinander kommunizierten . Familienkassen . Dieser soll im Jahre 2021 abgeschlossen sein . Der eigentliche Skandal ist aber: Diese Betrugsfälle sind seit dem Jahr 2009 bekannt . Da hat der Bundesrech- Auch die Länder und Kommunen erhalten die Mög- nungshof darauf hingewiesen . Auch ich habe mehrmals lichkeit, die Kindergeldbearbeitung an die Bundesagen- danach darauf aufmerksam gemacht, aber die Bundesre- tur für Arbeit abzugeben . Dazu wird gesetzlich eine gierung hat nicht reagiert . Scheinheilig hat sie zwar dann Option aufgenommen, mit der Familienkassen der Kom- 2014 das Gesetz zum Kindergeld geändert – aber das we- munen und der Länder auf ihre Zuständigkeit zugunsten gen angeblichen Missbrauchs durch Ausländer, von Be- der Bundesagentur für Arbeit verzichten können . Die amten war keine Rede! Es wurde beschlossen, die Identi- Option gilt über das Jahr 2021 hinaus . Mit dem Zustän- fikationsnummer des Kindes abzugleichen, aber das erst digkeitswechsel wird die Bundesagentur für Arbeit mit ab 2016 – warum, ist völlig unverständlich! Es ist ein ihrem Personal die Kindergeldbearbeitung für den öf- Skandal, dass der Kindergeld-Betrug noch so lange nach fentlichen Dienst der jeweiligen öffentlichen Einrichtung Bekanntwerden möglich war, nicht nur, weil das Gesetz der Kommune oder des Landes übernehmen . Der Bund so spät greift, sondern weil zwischen den verschiedenen erstattet der Bundesagentur für Arbeit hierfür die Verwal- Familienkassen nicht schon seit 2009 ein Datenabgleich tungskosten . erfolgte, um Missbrauch zu vermeiden . Die Bekämpfung des Betrugs durch die eigenen Beamten scheint bei der In Deutschland wird für mehr als 16 Millionen Kinder Regierung keine Priorität zu haben . Kindergeld ausgezahlt . 87 Prozent aller Kindergeldfälle werden von den 14 Familienkassen der Bundesagentur für Der nun vorliegende Entwurf eines Gesetzes zur Been- Arbeit bearbeitet . Daneben gibt es mehr als 8 000 Fami- digung der Sonderzuständigkeit der Familienkassen des lienkassen für die Beschäftigten des öffentlichen Diens- öffentlichen Dienstes steht offensichtlich im Zusammen- tes . Diese Sonderzuständigkeit wurde 1975 zunächst nur hang mit dem Kindergeldbetrug . Denn er wurde durch als Übergangslösung bis Ende 1976 eingeführt, hat sich den Wildwuchs bei den Familienkassen erst möglich . jedoch bis heute als ausgesprochen „langlebig“ erwiesen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 19015

(A) In vielen kleinen Familienkassen ist wegen der gerin- Berufsanerkennungsrichtlinie um und reformiert damit (C) gen Fallzahlen eine Standardisierung der Arbeitsabläufe die berufsrechtlichen Vorschriften im Fall der grenzüber- und damit die Erreichung von Mindeststandards bei der schreitenden Rechtsberatung . Daneben modernisiert er Bearbeitungsqualität schwer . Daher besteht Reformbe- „weitere Vorschriften“ betreffend das Anwaltsrecht und darf . den Rechtsdienstleistungsmarkt, was tatsächlich die grö- ßeren Auswirkungen haben wird . Im Bereich des Bundes wollen wir deshalb mit gutem Beispiel vorangehen und die Sonderzuständigkeit des öf- Kurzum: Mit einem ganzen Bündel an Maßnahmen fentlichen Dienstes beim Kindergeld beenden . Ab 2022 sorgt er für die Zukunftsfähigkeit der rechtsberatenden soll es dann nur noch die Bundesagentur für Arbeit und Berufe in Deutschland . das Bundesverwaltungsamt geben . Neu geregelt auf Grundlage der Richtlinie wird un- Die Länder und Kommunen werden eingeladen, sich ter anderem die Zulassung zur deutschen Rechtsanwalt- an dieser Reform zu beteiligen . Das heißt, die Familien- schaft: kassen des öffentlichen Dienstes können auf ihre Zustän- Wurde bisher zwingend die Ablegung einer Eignungs- digkeit verzichten und die Kindergeldbearbeitung auf die prüfung verlangt, prüft das zuständige Landesjustizprü- Bundesagentur für Arbeit übertragen . Um einen Anreiz fungsamt bei EU-Rechtsanwälten künftig, ob es dieser hierfür zu setzen, übernimmt der Bund die durch die Prüfung tatsächlich bedarf oder ob gegebenenfalls die Übertragung entstehenden laufenden Verwaltungskosten Qualifikation des Anwalts nicht bereits eine unmittelbare für die Kindergeldbearbeitung bei der Bundesagentur für Feststellung der Gleichwertigkeit zulässt . Arbeit . Länder und Kommunen werden also ganz erheb- lich von Verwaltungskosten entlastet . Analog dazu wird auch die Zulassung zur deutschen Patentanwaltschaft künftig geregelt . Auch hier wird also Neben der Einsparung von Verwaltungskosten ist es nicht mehr zwangsläufig die Ablegung einer Eignungs- das Ziel des Gesetzentwurfs, die Kindergeldbearbeitung prüfung nötig sein, sondern kann eine gleichwertige in Deutschland insgesamt zu vereinheitlichen sowie mo- Qualifikation vorab festgestellt werden. derne und effiziente Strukturen der Familienkassen zu schaffen . Ebenfalls auf die Richtlinie zurückzuführen ist die Einführung eines sogenannten „Vorwarnmechanismus“ . Dieser greift bei Berufsverboten und auch dann, wenn ein Gericht festgestellt hat, dass ein Berufsangehöriger Anlage 30 zum Zwecke der Anerkennung seiner Berufsqualifikati- Zu Protokoll gegebene Reden on einen gefälschten Berufsqualifikationsnachweis ver- (B) wendet hat . In beiden Fällen sind die Mitgliedstaaten (D) zur Beratung des von der Bundesregierung einge- verpflichtet, innerhalb von drei Tagen die anderen Mit- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung gliedstaaten darüber zu informieren . der Berufsanerkennungsrichtlinie und zur Ände- rung weiterer Vorschriften im Bereich der rechts- Unter die „weiteren Vorschriften“, die neu geregelt beratenden Berufe werden, fällt insbesondere auch eine gesetzliche Klar- stellung in Sachen elektronisches Anwaltspostfach . (Tagesordnungspunkt 36) War es bislang umstritten, inwieweit die Nutzung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs für die Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Im Bereich der Rechtsanwälte verpflichtend ist, steht nun fest, dass es ab Rechtsberatung setzen wir in Deutschland auf hohe Stan- dem 1 . Januar 2018 so ist . dards: Der Gesetzentwurf bietet auch eine Lösung für solche Angefangen bei der Ausbildung bis hin zu den Rege- Fälle, in denen ein Rechtsanwalt seine Tätigkeit in un- lungen des Berufszugangs und der Berufsausübung kön- terschiedlichen rechtlichen Organisationsformen ausübt . nen wir mit Fug und Recht behaupten, dass wir die Mess- Bislang waren die Angaben darüber bei der Rechtsan- latte hoch gesetzt haben . Nicht umsonst gilt insbesondere waltskammer beschränkt auf die Begriffe „Kanzlei“ und unsere juristische Ausbildung als eine der schwersten „Zweigniederlassung“ . Fortan wird es daneben auch den weltweit, und nicht umsonst können wir von einem ver- Begriff der „weiteren Kanzlei“ geben, sodass sämtliche gleichsweise überdurchschnittlichen Qualitätsniveau in Formen anwaltlicher Berufsausübung sachgerecht er- der rechtsberatenden Branche sprechen . fasst werden können . Diese Standards gilt es aufrechtzuerhalten und für die Erfreulich ist auch, dass man bei den Wahlen zum Vor- Zukunft zu sichern . Gleichermaßen muss es aber auch stand der Berufskammern das Briefwahlrecht einführt . unser Anspruch sein, unsere Regelungen weiterzuentwi- Diese soll auch elektronisch durchgeführt werden kön- ckeln und anzupassen . Insbesondere müssen wir zum Ziel nen . Bisher war die Wahl nur über die Kammerversamm- haben, die Potentiale des Europäischen Binnenmarkts lung möglich, was regelmäßig zu geringen Beteiligungen und die Mobilität der EU-Bürger, die zweifelsohne im- führte und damit zu einem Mangel an demokratischer mer mehr auf Bedeutung gewinnt, voll auszuschöpfen . Legitimation . Der vorliegende 248 Seiten umfassende Gesetzent- Kritisch sehe ich hingegen die Einführung einer Fort- wurf wird diesen Ansprüchen gerecht . Ausweislich bildungspflicht für junge Anwältinnen und Anwälte. Sie seiner Bezeichnung setzt er europäische Vorgaben der sollen innerhalb des ersten Jahres nach ihrer Zulassung 19016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) hinreichende Kenntnisse über das anwaltliche Berufs- in Deutschland eine Eignungsprüfung ablegen . Zukünf- (C) recht nachweisen . Vorgesehen ist dafür der Besuch einer tig muss vor der Auferlegung einer Eignungsprüfung von Lehrveranstaltung von zehn Stunden . Kann sie oder er den deutschen Zulassungsbehörden geprüft werden, ob dies nicht nachweisen, droht ihr bzw . ihm eine berufs- eine solche erforderlich ist . Der Zulassungsantrag des eu- rechtliche Sanktion . ropäischen Rechtsanwalts bzw . des europäischen Paten- tanwalts bezieht sich dann nicht mehr unmittelbar auf die Wie ich bereits eingangs erwähnt habe, ist die juristi- Ablegung einer Eignungsprüfung, sondern zunächst auf sche Ausbildung in Deutschland eine der anspruchsvolls- die Feststellung der Gleichwertigkeit seiner Berufsquali- ten überhaupt . Wir investieren Jahre für das Studium und fikation mit derjenigen, die für die Ausübung der anwalt- für den erfolgreichen Abschluss von zwei Staatsexami- lichen Tätigkeit in Deutschland erforderlich ist . Die zu- na . Ehrlich gesagt, frage ich mich, warum man uns dann ständige Behörde – im Fall der Zulassung zur deutschen noch eine weitere Fortbildung abverlangen muss, damit Rechtsanwaltschaft ist dies das jeweilige Landesjustiz- wir endlich unseren Beruf ausüben dürfen . In anderen prüfungsamt, im Fall der Zulassung zur deutschen Paten- reglementierten Berufen ist dies nicht erforderlich . tanwaltschaft ist das Deutsche Patent- und Markenamt Außerdem erwirbt man mit Absolvierung der zweiten zuständig – hat dann zu prüfen, ob die Qualifikationen juristischen Staatsprüfung die Befähigung für alle regle- tatsächlich gleichwertig sind . Konkret bedeutet dies, dass mentierten juristischen Berufe . Wenn man nun weitere das Landesjustizprüfungsamt bzw . das Deutsche Patent- Anforderungen an die Ausübung speziell der Anwaltstä- und Markenamt prüfen muss, ob bestehende Defizite in tigkeit stellt – auch wenn diese keine Bedingung für die der Berufsqualifikation durch Berufspraxis oder Weiter- Zulässigkeit darstellt – bricht man dieses bewährte Sys- bildungsmaßnahmen vollständig ausgeglichen wurden . tem unnötigerweise auf . Da dies allerdings in der Praxis selten der Fall sein wird, soll die Auferlegung einer Eignungsprüfung für die Zu- Insgesamt handelt es sich bei diesem Gesetzentwurf lassung zur deutschen Anwaltschaft auch in Zukunft fast um ein sehr umfassendes Paket, das eine gute Grundlage immer erforderlich sein . bildet, um das anwaltliche Berufsrecht zu modernisieren . Im weiteren Gesetzgebungsverfahren, das noch in die- Im Bereich der Dienstleistungsfreiheit ist eine voll- sem Jahr abgeschlossen werden soll, kommt es jetzt da- ständig neue Umsetzung der Richtlinienvorgaben für rauf an, noch einmal genau hinzuschauen, wo wir den Patentanwälte notwendig . Erstmals sollen die Vorausset- Entwurf noch nachzubessern haben . zungen für eine vorübergehende Tätigkeit europäischer Patentanwälte in Deutschland ausdrücklich geregelt wer- den . Die Vorschriften zur Dienstleistungsfreiheit und zur (CDU/CSU): Wir befassen uns heute in Detlef Seif Niederlassungsfreiheit für Patentanwälte sollen in einem erster Lesung mit einem Gesetzentwurf, mit dem Richt- (B) neuen Gesetz, dem Gesetz über die Tätigkeit europäi- (D) linienvorgaben der Europäischen Union im Bereich scher Patentanwälte in Deutschland, zusammengeführt der rechtsberatenden Berufe, also der Tätigkeiten der werden . Als Vorbild dient insoweit das Gesetz über die Rechtsanwälte, Patentanwälte und der unter das Rechts- Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland . dienstleistungsgesetz fallenden Berufe, in deutsches Hierzu sollen die Inhalte des Gesetzes über die Eig- Recht umgesetzt werden sollen . nungsprüfung für die Zulassung zur Patentanwaltschaft Die sogenannte EU-Berufsanerkennungsrichtlinie, um in Teil 1 des neuen Gesetzes überführt werden . Die neuen die es hier geht, regelt seit dem Jahr 2005 die Anerken- Vorschriften über die vorübergehende und gelegentliche nung von Berufsqualifikationen, die in anderen Mitglied- Erbringung von Dienstleistungen durch europäische Pa- staaten der Europäischen Union erworben wurden . Diese tentanwälte in Deutschland sind dann in Teil 2 des neuen Richtlinie wurde vor drei Jahren noch einmal wesentlich EuPAG enthalten . Bevor europäische Patentanwälte ihre überarbeitet . Die darin enthaltenen Vorgaben sollten von Tätigkeit in Deutschland aufnehmen, müssen sie eine den Mitgliedstaaten eigentlich bereits bis zum 18 .Ja - Meldung an die Patentanwaltskammer abgeben . nuar 2016 in nationales Recht umgesetzt werden, was Darüber hinaus erhalten Patentanwälte sowie rechts- Deutschland bislang versäumt hat . Das Gesetzgebungs- beratende Inkassodienstleister, Rentenberater und verfahren soll vor diesem Hintergrund nun mit der gebo- Rechtsdienstleister im Zusammenhang mit der Richtlini- tenen Zügigkeit durchgeführt werden . enumsetzung einen beschränkten Berufszugang . Dies be- Der Gesetzentwurf selbst sieht eine ganze Reihe von trifft die Fälle, in denen aus deutscher Sicht vorliegende Neuregelungen im Berufsrecht vor, die sich aus der Um- Teilbereiche der genannten Berufe in anderen Mitglied- setzung der Berufsanerkennungsrichtlinie ergeben . Er staaten als eigenständige Berufe ausgeübt werden . Unter enthält darüber hinaus aber auch berufsrechtliche Rege- bestimmten Voraussetzungen soll der Berufsangehörige lungsvorschläge, die nicht durch EU-Recht vorgegeben seine im EU-Ausland zulässige Tätigkeit zukünftig auch sind . Folgende zentrale Änderungen sind hervorzuheben: in Deutschland ausüben dürfen, allerdings auch nur die- se . Neuerungen ergeben sich zunächst im Bereich der Zu- lassung zur Rechtsanwaltschaft und Patentanwaltschaft . Im Anwendungsbereich der Berufsanerkennungsricht- Nach geltendem Recht müssen Rechtsanwälte und Pa- linie wird schließlich erstmals ein sogenannter Vorwarn- tentanwälte aus anderen Mitgliedschaften, die unmittel- mechanismus geschaffen . Danach sind innerhalb einer bar zur deutschen Rechtsanwaltschaft bzw . deutschen Frist von nur drei Tagen alle Mitgliedstaaten vor solchen Patentanwaltschaft zugelassen werden möchten, zur Rechtsanwälten, Patentanwälten und Berufsträgern nach Wahrung eines hohen Niveaus der anwaltlichen Tätigkeit dem Rechtsdienstleistungsgesetz zu warnen, gegen die Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 19017

(A) ein vorläufiges oder endgültiges Berufsverbot verhängt waltsnotare, die sich mit nicht am Amtssitz tätigen Per- (C) wurde oder bei denen eine gerichtliche Feststellung darü- sonen verbunden haben, zur Angabe und zum Führen der ber vorliegt, dass sie im Zulassungsverfahren gefälschte notariellen Amtsbezeichnung in Geschäftspapieren und Berufsqualifikationsnachweise vorgelegt haben – eine auf Amts- oder Namensschildern neu gefasst werden . sinnvolle und wichtige Regelung, wie ich finde. Einige Berufsverbände und auch der federführende Daneben sollen auch verschiedene Bereiche des Be- Rechtsausschuss und der Ausschuss für Agrarpolitik und rufsrechts der Rechts- und Patentanwälte neu geregelt Verbraucherschutz des Bundesrates haben sich zu den bzw . angepasst werden, ohne dass EU-Recht dies zwin- vorgeschlagenen Regelungen bereits zu Wort gemeldet . gend vorschreibt . Zu erwähnen sind in diesem Zusam- Ihre Anliegen, vor allem im Hinblick auf die Aspekte, die menhang vor allem folgende Regelungsvorschläge: über den Umsetzungsauftrag der Europäischen Union hi- Unterschiedlich beurteilt wird bislang die Frage, ob nausgehen, gilt es im nun anstehenden parlamentarischen auch ohne eine gesetzliche Vorgabe in der Bundesrechts- Gesetzgebungsverfahren eingehend zu prüfen . Hierfür anwaltsordnung eine Nutzungspflicht für das besondere werden wir uns trotz der Eilbedürftigkeit der Umsetzung elektronische Anwaltspostfach seitens der Anwaltschaft die notwendige Zeit und Sorgfalt nehmen . besteht, insbesondere, ob die Inhaber dieses Postfaches zumindest verpflichtet sind, die für die Nutzung notwen- Christian Flisek (SPD): Mit dem Umsetzungsge- digen technischen Einrichtungen bereitzustellen und den setz zur Berufsanerkennungsrichtlinie und zur Änderung Empfang von Mitteilungen über das Postfach zu ermög- weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden lichen . Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll für alle Berufe behandeln wir heute ein Gesetz, das zahlreiche Beteiligten auch diesbezüglich Klarheit geschaffen wer- unterschiedliche Themenfelder umfasst . Das Fehlen des den: Ab dem 1 .Januar 2018 soll nun für jeden Postfachin- einen bestimmenden Themas in diesem umfassenden haber eine ausdrückliche berufsrechtliche Verpflichtung Gesetz darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das zur passiven Nutzung des besonderen elektronischen An- Umsetzungsgesetz – und dies sage ich auch als praktizie- waltspostfaches bestehen . Die Bundesrechtsanwaltskam- render Rechtsanwalt – zahlreiche in der Praxis wichtige mer hatte vergangene Woche mitgeteilt, dass jedenfalls Fragen der Berufsanerkennung und des Berufsrechts um- die technischen Voraussetzungen für die Inbetriebnahme fasst . Zunächst einmal setzen wir mit dem Umsetzungs- des Systems vorliegen und der Erprobungsbetrieb eigent- gesetz eine EU-Richtlinie zur Berufsanerkennung um, lich in wenigen Tagen beginnen könnte, wenn nicht zwei deren Umsetzungsfrist leider schon im Januar dieses Jahr einstweilige Anordnungen des Anwaltsgerichtshofes abgelaufen ist . Es besteht also ein gewisser Zeitdruck, Berlin die Inbetriebnahme zum jetzigen Zeitpunkt unter- dem wir uns stellen müssen . Das Ziel der Berufsanerken- sagen würden . (B) nungsrichtlinie ist es, die Regeln für eine Anerkennung (D) Die nun vorgesehene Einführung einer gesetzlichen insbesondere als Rechtsanwalt in einem anderen Mit- Nutzungsverpflichtung ab dem Jahr 2018 dürfte gerade gliedstaat der EU klarer und rechtssicherer zu gestalten, für diejenigen Anwälte von Bedeutung sein, die sich bis- letztlich aber auch die Hürden für eine Anerkennung zu her insbesondere wegen der haftungsrechtlichen Risiken senken . Im Umsetzungsgesetz übernehmen wir dieses mit Nachdruck gegen die Einführung eines solchen elek- Ziel und tragen damit zur Verwirklichung der Grund- tronischen Postfaches ausgesprochen bzw . sich sogar ju- freiheiten der Niederlassungs- und Dienstleistungsfrei- ristisch gegen die Freischaltung des Postfaches zur Wehr heit bei . Der taxifahrende Rechtsanwalt sollte damit der gesetzt haben . Vergangenheit angehören. Davon profitiert einerseits der anerkannte Rechtsanwalt aus dem EU-Ausland, der sei- Neu zugelassene Rechtsanwälte sollen zukünftig be- ne Fähigkeiten voll nutzen kann, andererseits aber auch rufsrechtlich verpflichtet werden, an einer Lehrveranstal- Deutschland als Dienstleistungsstandort und attrakti- tung von zehn Wochenstunden zum anwaltlichen Berufs- ves Ziel für hochqualifizierte EU-Ausländer. Nebenbei recht teilzunehmen . In diesem Zusammenhang erhalten wird damit natürlich auch das Zusammenwachsen des die Satzungsversammlungen der Bundesrechtsanwalts- EU-Wirtschaftsraums gefördert . kammer und der Patentanwaltskammer die Befugnis, die Fortbildungspflichten in ihrer jeweiligen Berufsordnung Die Bundesregierung hat sich dazu entschlossen, die näher auszugestalten . Umsetzung der Berufsanerkennungsrichtlinie mit zahl- reichen Änderungen weiterer Vorschriften im Bereich Der Gesetzentwurf schafft zudem die rechtlichen Vo- der rechtsberatenden Berufe zu verknüpfen, um diese zu raussetzungen dafür, dass die Kammermitglieder die modernisieren . Dies ist teilweise auf Kritik gestoßen; von Vorstände der Rechtsanwaltskammern und Patentan- einem überhasteten Vorgehen war und ist teilweise die waltskammern in Zukunft mittels Briefwahl wählen kön- Rede . Ein zeitlicher Druck lässt sich sicher nicht leugnen, nen . Zudem soll die Option der elektronischen Briefwahl ich halte die Verknüpfung aber dennoch für sinnvoll und eingeführt werden . Bislang ist die Wahl des Kammervor- angemessen . Denn auch im berufsrechtlichen Bereich standes nur durch die Kammerversammlung selbst mög- stehen wir unter Zeitdruck . Insbesondere zwei Entschei- lich . Mit der Briefwahl soll die demokratische Legitima- dungen des Anwaltsgerichtshofs Berlin – die Anwälte tion des gewählten Vorstandes gesteigert werden . in Deutschland haben das aufmerksam verfolgt – ha- Schließlich sollen auch einzelne Vorschriften der Bun- ben dafür gesorgt, dass das System des elektronischen desnotarordnung überarbeitet werden . Die Änderungen Anwaltspostfaches derzeit in ganz Deutschland nicht sind teilweise klarstellend, teilweise aber auch substan- aktiviert werden kann . Das wäre aber dringend erforder- ziell neu . So sollen unter anderem die Vorgaben für An- lich, um die Kommunikationsmethoden von Anwälten 19018 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) mit Gerichten, Behörden und untereinander endlich ins Lassen Sie mich schließlich auf die Nutzungspflicht (C) 21 .Jahrhundert zu befördern . Insofern ist es dann auch für das elektronische Anwaltspostfach ab 2018 eingehen . richtig, diese Materie zusammen mit anderen Aspekten Ich weiß, dass dieses Thema viele Anwälte umtreibt . Es im Rahmen des Umsetzungsgesetzes anzugehen . Gleich- handelt sich ja auch um einen äußerst sensiblen Bereich . wohl möchte ich natürlich darauf aufmerksam machen – Trotz der deswegen gebotenen Vorsicht unterstütze ich und auch dies sage ich als Rechtsanwalt, der die Sorgen die Nutzungspflicht ab 2018. Andere Länder sind bei Di- seiner Kolleginnen und Kollegen ernst nimmt und teilt –, gitalisierung der Kommunikation im Rechtswesen schon dass wir die Neuerungen im weiteren parlamentarischen viel weiter als Deutschland . Wir haben hier erheblichen Verfahren genau prüfen und evaluieren werden . Eile soll Nachholbedarf und sollten uns weitere Verzögerungen nicht zulasten von Qualität und Sorgfalt gehen . nicht erlauben . Und ich glaube, dass die Vorgaben mit gutem Willen auch umsetzbar sind . Dies vorweggeschickt, möchte ich heute nur auf ei- nige wenige Einzelaspekte der geplanten Regelungen Insgesamt meine ich, dass wir zwar noch einige As- zum Berufsrecht eingehen, die bisher für besonders viel pekte in diesem Gesetz genauer prüfen müssen . Es han- Gesprächsstoff und Diskussionen gesorgt haben . Dies delt es sich wie um einen hochsensiblen Bereich, und schließt die Prüfung anderer Punkte im kommenden par- nicht umsonst sieht das Bundesverfassungsgericht ein lamentarischen Verfahren natürlich nicht aus . Zunächst funktionierendes Rechtswesen, zu dem auch ein sorg- sollen Kurse zum Berufsrecht verpflichtend werden. Ich fältig gestaltetes Berufsrecht gehört, als ein überragend halte dies für sinnvoll . Das Berufsrecht ist bei rechtsbera- wichtiges Gemeinschaftsgut an . Mit dem Regierungsent- tenden stärker als bei anderen Berufen mit der beratenden wurf sind wir aber auf einem sehr guten Weg, und ich Tätigkeit selbst verknüpft . Man kann ein guter Arzt sein, glaube, dass wir hieran in den kommenden Wochen bei ohne sich im Arztrecht auszukennen; gute Anwälte ohne den noch anzupackenden, eher rechtstechnischen Proble- Kenntnisse vom anwaltlichen Berufsrecht sind hingegen men gut anknüpfen können . kaum vorstellbar. Insofern glaube ich, dass verpflichten- de Kurse zum Berufsrecht essenziell sind für die Qualität Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Und wieder mal der Rechtsberatung in Deutschland insgesamt . Nur am eine Protokollrede . Zugegeben, diese Rede sollte ich ei- Rande sei bemerkt, dass ich – anders als der Bundesrat – gentlich in der Nacht zum Freitag bzw . Freitag früh um nicht der Auffassung bin, diese Kenntnisse müssten be- 4 55. Uhr halten . Da sich erfahrungsgemäß dann kaum reits vor dem zweiten Staatsexamen vermittelt werden, ein Zuschauer oder Hörer live informiert und die Anwe- das schon jetzt extrem breit gefächert ist . Mit anwaltli- senheit im Plenarsaal stark zu wünschen übrig lässt, habe chem Berufsrecht sollten sich nur Anwälte beschäftigen ich mich dazu durchgerungen, noch einmal eine Proto- müssen . kollrede abzugeben . Ich hoffe, dass meine nachstehend (B) angeführten Kritikpunkte in die Beratungen einfließen. (D) Ferner soll der Umfang der verpflichtenden Fortbil- Und die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt . dung erweitert werden auf 40 Stunden pro Jahr, wobei eine Nachweispflicht nur für zehn Stunden pro Jahr be- In erster Linie handelt es sich hier um ein begrüßens- stehen soll; bei fehlender Fortbildung sollen unter ande- wertes Vorhaben, das an vielen Stellen lange geforderte rem Bußgelder drohen . Auch dies halte ich im Grunde für und auch sinnvolle Änderungen mit sich bringt . Auch angemessen. Wenn man sich die Fortbildungsverpflich- können die vorgenommene sprachliche Straffung und tungen für Ärzte anschaut, wird man feststellen, dass die verbesserte Gliederung positiv hervorgehoben werden . geplanten Regelungen moderat sind . Und eine Fortbil- Bei den geplanten Änderungen in der Bundesrechts- dungspflicht ohne entsprechenden Druck zur tatsächli- anwaltsordnung, BRAO, ist insbesondere die neu ein- chen Durchsetzung der Verpflichtung ist inkonsequent. geführte Pflicht, im Zusammenhang mit der Zulassung Kenntnisse im anwaltlichen Berufsrecht nachzuweisen, Das Umsetzungsgesetz enthält darüber hinaus Klärun- erfreulich . Die Regelung wird dem Verbraucher qualita- gen zur Rentenbefreiung für Syndikusanwälte . Ihnen sol- tiv hochwertige Rechtsberatung durch Anwälte sichern . len mit Blick auf ihre Rentenversicherungspflicht keine Um den Start in die Anwaltstätigkeit nicht zu sehr zu er- Nachteile darauf erwachsen, dass sich ihre Zulassungs- schweren, kann die Teilnahme an den Lehrveranstaltun- verfahren verzögern . Der Gesetzgeber hat Syndikus- gen auch noch nach der Zulassung im ersten Jahr mög- rechtsanwälten vor nicht allzu langer Zeit die Versiche- lich sein . Dies scheint eine sinnvolle Regelung zu sein . rung in den anwaltlichen Versorgungswerken ermöglicht . Auch die geplante Einführung des Begriffes der weiteren Syndizi müssen bei Tätigkeitswechseln anders als nor- Kanzleien neben den Begriffen der Kanzleien und der male Rechtsanwälte öfter ein kammerrechtliches Zulas- Zweigstelle ist begrüßenswert . Dies schärft die Möglich- sungsverfahren durchlaufen; es ergibt keinen Sinn, sie keiten der Differenzierung . während der Zulassungsverfahren zur Leistung von Ren- tenversicherungsbeiträgen zu zwingen, aus denen für sie Genauer betrachtet wird man jedoch feststellen, dass aufgrund der Kürze der Leistungszeit keine Ansprüche der Gesetzentwurf noch zu viele Schwachpunkte auf- erwachsen . Niemand wird von Syndikusrechtsanwälten weist . Die vorgeschlagenen Änderungen des anwaltli- verlangen können, Rentenversicherungsbeiträge gewis- chen Berufsrechts verlangen eine intensivere Befassung sermaßen aus dem Fenster zu schmeißen . Gleichwohl ist mit den aktuellen und zukünftigen Regelungen und de- es natürlich richtig, dass wir genau prüfen, welche Fol- ren Umsetzung in der anwaltlichen Berufspraxis sowie gen sich aus der geplanten Rückwirkung der Mitglied- durch die regionalen Rechtsanwaltskammern . So sollte schaft in den Rechtsanwaltskammern für die sonstigen das Verhältnis von dem Zeugnisverweigerungsrecht der Rechten und Pflichten des Kammermitglieds ergeben. Berufsgeheimnisträger nach § 53a StPO-E zu der Verlet- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 19019

(A) zung des Privatgeheimnisses nach § 203 StGB konkreti- aber auch darum, den Verbraucherschutz zu gewährleis- (C) siert werden . Am 26 .Oktober 2015 entschied der Bun- ten und die hohe Qualität der Rechtsdienstleistungen zu desgerichtshof, dass ein Anwalt nicht verpflichtet ist, ein sichern . Schreiben des gegnerischen Anwalts entgegenzunehmen, Die diversen Neuregelungen sind komplex, daher will wenn dies dem Interesse seines Mandanten zuwiderläuft . ich mich auf einige ausgewählte Aspekte beschränken . Begründet wurde dies mit der mangelhaften Kompetenz in der Satzungsversammlung . Mit dem Gesetzentwurf Künftig soll es eine allgemeine, kontinuierliche Fort- wird dieser nun die Kompetenz zur Regelung zugewie- bildungspflicht für Anwälte geben, um die Qualität der sen . Jedoch sollte es dabei der Satzungsversammlung anwaltlichen Beratung systemisch zu sichern . auch gerade möglich sein, zu regeln, dass eine Annahme- Die Kompetenz zur Regelung der fortlaufenden Wei- pflicht nicht besteht. Dies sollte im Gesetzentwurf klar- terbildungspflicht von Anwälten nach § 43a Absatz 6 gestellt werden . BRAO liegt bei der Satzungsversammlung . Bezüglich der Änderungen des Gesetzes über die Tä- Als Selbstverwaltungsorgan der Anwaltschaft obliegt tigkeit der europäischen Rechtsanwälte, EuRAG, will es ihr, für die Fortbildung der Anwältinnen und Anwälte ich insbesondere auf zwei Regelungen, neue Regelungen Sorge zu tragen und somit sowohl den Verbraucherschutz eingehen . Der Gesetzentwurf sieht hier vor, dass euro- als auch einen bestimmten Qualitätsstandard von Rechts- päische Rechtsanwälte zukünftig nicht zwangsläufig eine dienstleistungen zu sichern . Prüfung ablegen müssen, um zugelassen zu werden . Dies sollte jedoch nicht dazu führen, dass die deutschen Ex- Die Zulassung zur Anwaltschaft soll außerdem künftig amina umgangen werden, indem über ein anderes Land mit der sanktionsbewehrten Pflicht verbunden werden, der Zugang gesucht werden kann . Die hohen Standards eine Art Grundausbildung im anwaltlichen Berufsrecht hier könnten so zum Nachteil der Verbraucher umgan- zu absolvieren . Das ist in der Tat auch sehr sinnvoll, denn gen werden . Daneben sieht der Entwurf vor, für europä- das anwaltliche Berufsrecht spielt in der juristischen Aus- ische Rechtsanwälte Postfächer auf Antrag einzurichten . bildung an deutschen Universitäten und im Referendariat Dies ist jedoch systemfremd und sollte daher abgelehnt bislang eine sehr untergeordnete Rolle . werden . Nach der Konzeption ist die Einrichtung eines Zu begrüßen ist in diesem Zusammenhang auch, dass Postfaches allein aufgrund der Datenübertragung aus diese Verpflichtung nun auch für in Deutschland nieder- dem von Rechtsanwaltskammern geführten Verzeichnis- gelassene ausländische bzw . europäische Rechtsanwälte ses sinnvoll . Bei europäischen Anwälten ist keine Rück- gelten soll . So bleibt der Gleichbehandlungsgrundsatz kopplung mit der Heimatkammer möglich, sodass nicht gewahrt, und es wird noch einmal klargestellt, dass jede nachvollzogen werden kann, ob der Inhaber des Postfa- in Deutschland praktizierende Anwältin bzw . jeder An- (B) ches auch tatsächlich noch als Anwalt zugelassen ist . Die walt auch mit dem deutschen Berufsrecht vertraut sein (D) bisher bestehende Sicherheit würde damit also verloren muss . gehen . Es sollte bei der Errichtung über die Kammern bleiben, um die guten Standards zu erhalten . Andere vorgesehene Punkte sind erfreulich und un- kompliziert, wie etwa die Aufnahme des Begriffs der Alles in allem wird sich meine Fraktion daher zu einer „weiteren Kanzlei“ in Abgrenzung zur „Zweigstelle“ in Zustimmung nicht durchringen können . die Bundesrechtsanwaltsordnung und die Einführung der Möglichkeit, die Vorstände der Rechtsanwaltskammern Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit dem elektronisch oder per Briefwahl zu wählen . Der letztge- Gesetzentwurf zur Umsetzung der Berufsanerkennungs- nannten Änderung spricht der Gesetzgeber kurioserwei- richtlinie und zur Änderung weiterer berufsrechtlicher se übrigens eine gleichstellungspolitische Bedeutung zu: Vorschriften soll das Berufsrecht von Rechtsanwälten, Es sei zu erwarten, dass die Einführung der Briefwahl Patentanwälten und der unter das Rechtsdienstleistungs- insbesondere Rechtsanwältinnen die Teilhabe an der gesetz fallenden Berufe an die Berufswirklichkeit ange- Selbstverwaltung der Anwaltschaft erleichtert . Inwiefern passt und zukunftsfähig gemacht werden . Dabei wird Anwältinnen einen besonderen Hang zum Briefverkehr nicht nur der deutsche Rechtsdienstleistungsmarkt ins haben sollen, oder warum es ihnen im Gegensatz zu ihren Auge gefasst, sondern auch die grenzüberschreitende Er- männlichen Kollegen weniger möglich sein soll, persön- bringung von Rechtsdienstleistungen . Alles soll vernetz- lich zur Kammerversammlung zu erscheinen, erschließt ter und moderner werden . sich mir auf den ersten Blick nicht . Vielleicht sorgt die Bundesregierung ja in der geplanten Anhörung noch ein- Das ist im Großen und Ganzen zu begrüßen . Aller- mal für Erhellung . dings möchte ich an dieser Stelle noch einmal betonen, dass es nicht sein kann, dass komplexe Gesetzentwürfe Es gibt aber auch Punkte, die – zumindest was ihre wie dieser im parlamentarischen Eilverfahren durchge- Umsetzung betrifft – nicht ganz unumstritten sind . Die paukt werden, nur weil die Bundesregierung zuvor bei Einrichtung der besonderen elektronischen Anwaltspost- der Richtlinienumsetzung getrödelt hat . Schließlich um- fächer etwa wird die mit dieser Aufgabe betraute Bun- fasst dieser Entwurf auch zahlreiche und gewichtige Än- desrechtsanwaltskammer sicherlich noch vor einige He- derungen des anwaltlichen Berufsrechts . rausforderungen stellen . Außerdem bleibt abzuwarten, wie sehr die neugeschaffenen gesetzlichen Grundlagen Bei dem Gesetzesvorhaben geht es darum, das Berufs- tatsächlich mit der beruflichen Wirklichkeit und Notwen- recht zukunftsfähig und praxisnah zu gestalten und die digkeit korrespondieren – und wie das Postfach von der Selbstverwaltung der Anwaltschaft zu stärken . Es geht Anwalt- und Mandantschaft angenommen wird . 19020 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) Nachdem die Einrichtung eines solchen Postfaches Vorwarnmechanismus . Letzterer wird durch den Gesetz- (C) ursprünglich nur „für jedes eingetragene Mitglied einer entwurf auch im strafprozessualen Bereich umgesetzt . Rechtsanwaltskammer“ geplant war, soll es nun auch zwingend für „jede weitere Kanzlei“, in der das Kam- Neben der Umsetzung der Berufsanerkennungsricht- mermitglied tätig ist, ein besonderes elektronisches An- linie widmet sich der Gesetzentwurf zahlreichen Einzel- waltspostfach geben . fragen aus dem Berufsrecht der rechtsberatenden Berufe . Anlass hierfür waren verschiedene Initiativen der Be- Vor einer solch inflationären Einrichtung von elekt- rufsverbände sowie höchstrichterliche Entscheidungen, ronischen Postfächern sollte man sich aber noch einmal aber auch aus fachlicher Sicht erforderlicher Modernisie- ernsthaft Gedanken um die damit verbundenen Kom- rungsbedarf . Abgesehen von wenigen Einzelpunkten, bei plikationen und vor allem Haftungsrisiken machen . denen die Auffassungen der Beteiligten auseinanderge- Schließlich trifft alle Postfachinhaber die Pflicht, dieses hen, wird der Gesetzentwurf von den Berufsverbänden empfangsbereit zu halten und regelmäßig zu kontrollie- und den Ländern einhellig begrüßt und unterstützt . ren . Das kann für Inhaber mehrerer Postfächer zu einem echten Problem werden – denn je mehr Postfächer, desto Auf einige Punkte des Gesetzentwurfs möchte ich höher auch das Haftungsrisiko . beispielhaft hinweisen . Ab dem 1 . Januar 2018 soll je- der Rechtsanwalt das besondere elektronische Anwalts- Vor allem bei Syndikusanwälten stellt sich die Frage postfach, das beA, nutzen müssen . Ist ein Rechtsanwalt nach dem Haftungsrisiko: Schließlich sind sie für ihre nicht nur in einer Kanzlei tätig, soll dies künftig mit Tätigkeit als Syndikus von der Pflicht zum Abschluss ei- dem Begriff der weiteren Kanzlei umschrieben werden . ner eigenen Berufshaftpflichtversicherung befreit. Für diese soll der Rechtsanwalt dann auch ein weiteres beA erhalten . Zudem sollen dienstleistende europäische Nach allgemeinen Grundsätzen haften sie jedoch ge- Rechtsanwälte ein beA erhalten können . Diese Maßnah- genüber Dritten – genau wie ihre niedergelassenen Kol- men sowie weitere Anpassungen in der Zivilprozessord- leginnen und Kollegen – für ihr elektronisches Postfach . nung sollen die Einführung des elektronischen Rechts- Es kann wohl kaum verhindert werden, dass Rechtsu- verkehrs stärken . chende eine Fristsache in das Postfach eines Syndikus- anwaltes einwerfen . Wer haftet dann, wenn das Mandat Darüber hinaus sollen die Fortbildungspflichten der nicht rechtzeitig abgelehnt wird? Der Arbeitgeber etwa? Rechts- und Patentanwälte zukünftig durch die Anwalts- Wohl kaum . kammern näher geregelt werden können . Zudem soll sichergestellt werden, dass Rechtsanwälte über hinrei- Der Gesetzentwurf lässt also noch einige praktische chende Kenntnisse im Berufsrecht verfügen . Mit diesen und bedeutsame Fragen offen . Ich bin gespannt, ob diese Maßnahmen soll die hohe Qualität der Rechtsberatung (B) dann durch die Anhörung beantwortet werden können . nachhaltig und systemisch gesichert werden . (D)

Christian Lange, Parl . Staatssekretär beim Bun- Zudem soll bei Syndikusanwälten verhindert werden, desminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Wir dass sie für kurze Zeiten, in denen noch nicht über ihre befassen uns heute in erster Lesung mit dem Entwurf Zulassung entschieden wurde, Beiträge zur gesetzlichen eines Gesetzes zur Umsetzung der Berufsanerkennungs- Rentenversicherung zahlen müssen . Hierzu soll eine richtlinie und zur Änderung weiterer Vorschriften im Rückwirkung ihrer Mitgliedschaft in den Anwaltskam- Bereich der rechtsberatenden Berufe . Mit dem Gesetz- mern vorgesehen werden . entwurf soll das Berufsrecht der rechtsberatenden Berufe Darüber hinaus soll für die Wahlen zu den Vorständen in zahlreichen Einzelfragen an die aktuellen Erforder- der Anwaltskammern zukünftig grundsätzlich eine Brief- nisse angepasst werden . Ausgangspunkt des Gesetzge- wahl vorgesehen werden . Damit soll die demokratische bungsvorhabens war die Erforderlichkeit, die durch die Legitimation der gewählten Vertreter gesteigert werden . Richtlinie 2013/55/EU erfolgten Änderungen der Be- rufsanerkennungsrichtlinie 2005/36/EG im deutschen Der Anwendungsbereich des Rechtsdienstleistungs- Recht umzusetzen . Diese Vorgaben werden insbesondere gesetzes soll gesetzlich definiert werden, um in dieser im Gesetz über die Tätigkeit der europäischen Rechts- Frage für Klarheit zu sorgen . anwälte in Deutschland, dem EuRAG, und im Rechts- dienstleistungsgesetz umgesetzt . Zudem wird bei den Und schließlich soll im Bereich der strafprozessualen Patentanwälten anstelle des bisherigen Gesetzes über die Zeugnisverweigerungsrechte der Kreis der berechtigten Eignungsprüfung zur Patentanwaltschaft das Gesetz über Personen passgenauer definiert werden. Dies betrifft zum die Tätigkeit europäischer Patentanwälte in Deutsch- einen ausländische Rechtsanwälte und zum anderen die land, das EuPAG, neu eingeführt . Das EuPAG lehnt sich an der Tätigkeit des Rechtsanwalts mitwirkenden Perso- an das für die Rechtsanwälte geltende EuRAG an und nen . führt so auch in diesem Teilbereich zu einem möglichst Diese Liste ließe sich noch lange fortsetzen, aber dies weitgehenden Gleichklang des Berufsrechts der Rechts- würde den Rahmen dieser Rede sprengen . und Patentanwälte, der sich auch schon bei der Bundes- rechtsanwalts- und der Patentanwaltsordnung bewährt Die Bundesregierung hat mit diesem Gesetzentwurf hat . Die durch die Richtlinie 2013/55/EU erforderlichen den ersten Schritt gemacht, damit, wie bereits gesagt, inhaltlichen Änderungen betreffen neben der Prüfung insbesondere die EU-Richtlinie 2013/55/EU umgesetzt der ausländischen Berufsqualifikation insbesondere den werden kann . Ich würde mich freuen, wenn dieser Ge- partiellen Zugang zu einem Beruf und den sogenannten setzentwurf noch im Dezember 2016 verabschiedet wer- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 19021

(A) den kann – die EU-Richtlinie hätte bereits am 18 .Januar den vorgelegten Entwurf zum Wirtschaftspartnerschafts- (C) 2016 umgesetzt werden sollen . abkommen mit den CARIFORUM-Staaten . Gleich zu Beginn unterstreicht Artikel 1 die nachhal- tige Zielsetzung als Grundgedanken des Vertrags, indem Anlage 31 die Eindämmung und Beseitigung von Armut zur obers- ten Priorität erklärt wird . Armutsbekämpfung steht vor Zu Protokoll gegebene Reden dem Ziel der regionalen Integration und der wirtschaft- zur Beratung des von der Bundesregierung einge- lichen Liberalisierung . Hierbei wird deutlich: Es bedarf brachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Wirt- vor allem politischer Reformen und Entscheidungen und schaftspartnerschaftsabkommen vom 15. Oktober nicht alleine handelspolitischer Maßnahmen . 2008 zwischen den CARIFORUM-Staaten einer- seits und der Europäischen Gemeinschaft und ih- Ein wichtiges Instrument zur Armutsbekämpfung ist ren Mitgliedstaaten andererseits die in Artikel 7 festgehaltene Regelung der Entwick- lungszusammenarbeit . Dass Entwicklungszusammenar- (Tagesordnungspunkt 37) beit in einem Freihandelsabkommen festgeschrieben ist, kann durchaus als ein wegweisender Ansatz bezeichnet Waldemar Westermayer (CDU/CSU): Heute geht werden. Diese kann finanzieller und nichtfinanzieller Art es darum, über den Gesetzentwurf der Regierung für sein und so die CARIFORUM-Staaten bei der Durchfüh- das Wirtschaftspartnerschaftsabkommen der EU mit den rung des Abkommens unterstützen . Für eine tatkräftige Mitgliedstaaten der karibischen Gemeinschaft CARIFO- Unterstützung hat die EU im 10 . Europäischen Entwick- RUM zu beraten und damit eine Wegmarke für fairen lungsfonds bereits bedeutende Mittel zur Verfügung ge- Handel als einem wichtigen Instrument der Entwick- stellt . lungszusammenarbeit zu setzen . Dieser Debatte heute Zusätzliche bilaterale Unterstützung für die Umset- liegt die grundsätzliche Frage zugrunde: Kann die Libe- zung des Abkommens und einen besseren Marktzugang ralisierung des Handels ein Motor für nachhaltige Ent- zur EU erfolgte durch die Deutsche Gesellschaft für In- wicklung sein, ohne dabei ausschließlich ökonomische ternationale Zusammenarbeit von 2007 bis Dezember Interessen zu verfolgen? 2015 . Dabei ging es darum, die Koordinierungsprozesse Die zunehmende Verzahnung der Weltwirtschaft führt nationaler und regionaler Institutionen zu stärken und zu einer Steigerung des Güter- und Dienstleistungshan- das Bewusstsein für die Umsetzung des Wirtschaftspart- dels . Handelsschranken werden immer weiter abgebaut, nerschaftsabkommen zu schärfen . Das eindeutige ver- tragliche Bekenntnis und die konkrete Projektarbeit im (B) und Handelsbeziehungen werden intensiviert . Daraus (D) entstehen Chancen für ein verstärktes Wirtschaftswachs- Bereich der Entwicklungszusammenarbeit sind ein deut- tum, zunehmenden Wohlstand und eine verbesserte Le- liches Zeichen für den nachhaltigen und fairen Anspruch, benssituation der Menschen . So lautet die klassische der mit diesem Abkommen verfolgt wird . Theorie der Handelsliberalisierung . Die CARIFORUM-Staaten sollen einen zoll- und quo- Aber Theorie und Praxis sind bekanntlich nicht immer tenfreien Marktzugang erhalten, wodurch sie eine deut- deckungsgleich . In vielen Fällen führt die zunehmende lich bessere Chance haben, ihre Produkte zu exportieren . Liberalisierung des Handels genau zum Gegenteil: Sie Ein verbesserter Zugang heimischer Güter und Dienst- kann auch Existenzen bedrohen und macht nicht alle zu leistungen zu bedeutenden Wirtschaftsräumen gehört mit Gewinnern . Sie ist kein Allheilmittel und erst recht kein zu den wichtigsten Zielen unserer karibischen Partner . Automatismus . Im Gegenzug müssen die karibischen Staaten nur ei- Um nachhaltige Synergieeffekte für fairen Handel zu nen Marktzugang einräumen, wie er für eine WTO-Kon- erzeugen, bedarf es bei Handelsliberalisierung und Wirt- formität erforderlich ist . Dieser Marktzugang wird nicht schaftspartnerschaftsabkommen guter und nachhaltiger sofort erfolgen, sondern schrittweise über eine Frist von Rahmenbedingungen . Es geht um die faire Ausgestal- 25 Jahren mit dem Ziel, über 80 Prozent der Importe von tung, damit alle Handel treiben können und dabei auch Beschränkungen zu befreien . Durch dieses etappenweise alle angemessen profitieren. Öffnen des Marktes sollen die karibischen Staaten mit Augenmaß an das internationale Wirtschaftssystem her- Aus diesem Grund stellt das Wirtschaftspartner- angeführt werden, um so in die globale Wertschöpfungs- schaftsabkommen der EU mit den 15 Staaten des CARI- kette integriert zu werden . FORUM seit 2008 ein Novum dar und gleichzeitig eine große Chance für die Entwicklungszusammenarbeit, da Hinzu kommt, dass es für die CARIFORUM-Staa- durch dieses ein neues Modell von Abkommen etabliert ten verschiedene „Schutzklauseln“ gibt, um sensible wird, das Faktoren der Nachhaltigkeit mit ökonomischen und weniger wettbewerbsfähige Wirtschaftszweige der Interessen verbindet . Ziel ist es, nachhaltige Entwicklung heimischen Wirtschaft zu schützen . Beispielsweise wer- und regionale Integration zu fördern und die Handelsbe- den landwirtschaftliche und Fischereiprodukte mit dem ziehungen auf eine WTO-konforme Grundlage zu stellen . Ziel der Ernährungssicherung von einer Handelslibera- Dieser Anspruch wird in dem Entwurf der Bundesregie- lisierung ausgeschlossen . Ein Indikator dafür, dass die rung für die Umsetzung einer Wirtschaftspartnerschaft Schutzklauseln funktionieren, ist die Tatsache, dass in mit den karibischen Partnern anhand verschiedener Re- den letzten neun Jahren, in denen das Abkommen bereits gelungen deutlich, und aus diesem Grund begrüßen wir vorläufig angewendet wird, es nicht zur befürchteten 19022 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) Verdrängung der karibischen Produkte durch europäi- Dr. Sascha Raabe (SPD): Wir beraten heute in ers- (C) sche Produkte gekommen ist . ter Lesung über das Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zwischen der Europäischen Union und den CARIFO- Ebenfalls ein wichtiges Anliegen, das im Vertrag ver- RUM-Staaten . Das Abkommen ist bereits seit 2008 vor- ankert ist, betrifft die Umwelt- und Sozialstandards, wel- läufig in Kraft und wird dem Deutschen Bundestag nun che in einem ausführlichen Kapitel im Vertrag definiert erst acht Jahre später zur Ratifizierung vorgelegt. Das ist werden . Sie tauchen allerdings an verschiedenen Stellen ein bedenklicher Vorgang . Künftig müssen wir darauf im Vertragstext wieder auf . Beispielsweise werden in achten, dass die Bundesregierung uns derartige Abkom- mehreren Artikeln Investitionsregelungen veranlasst, die men früher zur Ratifizierung vorlegt. Oder wir müssen zu einem explizit nachhaltigen Verhalten verpflichten. als Deutscher Bundestag selbst den Ratifizierungspro- Dies macht deutlich, dass sie ein Querschnittsthema in zess in Gang setzen, was natürlich auch bedeuten kann, allen Regelungsbereichen sind und so ebenfalls zu den dass wir die Nicht-Ratifizierung ausdrücklich beschlie- nachhaltigen Rahmenbedingungen gehören . ßen, um ein solches Abkommen wieder außer Kraft set- zen zu können . Mit Blick auf die aktuelle Debatte zu dem Das Kernanliegen des Wirtschaftspartnerschaftsab- Handelsabkommen mit Kanada – CETA – beweist das kommens ist es, einen integrierten regionalen Markt in Verfahren mit dem CARIFORUM-Abkommen, dass ge- der Karibikregion zu schaffen . Dieser Prozess ist ein mischte Handelsabkommen der EU sehr lange vorläufig ambitioniertes, primär politisches Vorhaben, das Zeit in Kraft sein können, bevor sie endgültig demokratisch verlangt und nicht von heute auf morgen Früchte trägt . legitimiert vom Deutschen Bundestag ratifiziert werden. Bereits durch die Verhandlungen dieses Wirtschaftspart- Die jetzige Situation ist aus demokratischer und parla- nerschaftsabkommens waren die karibischen Vertrags- mentarischer Sicht sehr unbefriedigend . Denn natürlich partner intraregional gezwungen, sich über gemeinsame wäre es nun deutlich schwieriger, ein derartiges Abkom- Handelsmaximen Gedanken zu machen . Allein dieser men wieder insgesamt außer Kraft zu setzen, nachdem Dialog hat die Staaten einander nähergebracht . es bereits acht Jahre lang vorläufig angewendet wurde. Trotzdem sollte es für uns keine Denkverbote in dieser Das Abkommen will nicht nur Ziele postulieren, son- Hinsicht geben, denn es ist nicht das Verschulden des dern auch aktiv dessen Umsetzung überprüfen . In Arti- Deutschen Bundestages, dass uns dieser Vertrag erst jetzt kel 5 ist ein regelmäßiges Überprüfen des Umsetzungs- zur Ratifizierung vorgelegt wird. Und wir müssen als Ge- prozesses in Form eines Monitorings festgeschrieben, setzgeber nach bestem Wissen und Gewissen entschei- um Entwicklungen, die in eine falsche Richtung laufen, den, ob wir dieses Abkommen verantworten können . rechtzeitig zu erkennen . In einem solchen Fall bietet die Revisionsklausel in Artikel 264 die Möglichkeit einer Ich finde, wir sollten uns mit dem Abkommen des- (B) Anpassung der Zusammenarbeit . Durch diesen instituti- halb sehr ausführlich beschäftigen . Denn das CARI- (D) onellen und neuen Mechanismus in einem Freihandels- FORUM-Abkommen ist ja nur das erste von mehreren abkommen ist es möglich, auf Schwierigkeiten, die in der Handelsabkommen mit den sogenannten AKP-Staaten Praxis der schrittweisen Marktöffnung auftreten können, im Rahmen der neuen Wirtschaftspartnerschaftsabkom- flexibel zu reagieren. men . Früher hatten diese Länder ja einseitigen zollfreien Zugang in die EU, und jetzt sollen es WTO-konforme Es sollte uns ein wichtiges Anliegen bleiben, im Dia- reziproke Handelsabkommen werden . Ich mache keinen log mit unseren Partnern an ihren politischen Willen zu Hehl daraus, dass mir als Entwicklungspolitiker lieber appellieren, Reformen durchzusetzen, ihre politisch-ad- gewesen wäre, die großteils sehr armen AKP-Staaten ministrativen Strukturen zu stärken und private Akteure hätten auch weiterhin einseitig zollfreien Zugang zu den zu fördern, damit die im Wirtschaftspartnerschaftsab- EU-Märkten haben können . An dieser Stelle verzichte kommen formulierten Ziele der Nachhaltigkeit konse- ich aber auf weitere Ausführungen dazu, ob die EU wirk- quent durchgesetzt werden und so soziale und Umwelt- lich seitens der WTO gezwungen war, solche neuen, ge- standards bei der regionalen Integration der Karibik auch genseitigen Freihandelsabkommen abzuschließen . Fakt in der Praxis maßgeblich sind . Letztendlich sind die ist, dass uns jetzt ein Vertragstext vorliegt . Da das Ab- Entscheidungen für eine Ausgestaltung guter Rahmenbe- kommen schon acht Jahre in Kraft ist, eignet es sich sehr dingungen für fairen Handel politischer Natur . Dennoch gut, nun genau zu prüfen, welche Auswirkungen sich setzt das Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit seinen auf die Partnerländer ergeben haben . Das erklärte ers- ausführlichen und ambitionierten Rahmenbedingungen te Ziel dieses Wirtschaftspartnerschaftsabkommens ist zur Förderung von Nachhaltigkeit hier einen entschei- es ja, „durch den Aufbau einer Handelspartnerschaft . . denden vertraglichen Ausgangspunkt und zeigt neue zur Eindämmung und schließlich zur Beseitigung der Wege auf, Nachhaltigkeit in einem Freihandelsabkom- Armut beizutragen “. Ich habe deshalb dem federführen- men festzuschreiben . den Ausschuss für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung vorgeschlagen, dass wir ein Fachgespräch Das Wirtschaftsabkommen der EU mit den Mitglied- mit Experten durchführen sollten, um die bisherigen staaten der karibischen Gemeinschaft CARIFORUM Auswirkungen des Abkommens mit speziellem Blick macht in seiner jetzigen Form deutlich, dass Wirtschaft, auf dieses Ziel der Armutsreduzierung zu evaluieren . Ich Soziales und Umwelt Hand in Hand gehen können . Mit freue mich, dass alle Fraktionen dem zugestimmt haben . der Zustimmung zu dem Wirtschaftspartnerschaftsab- Wir sollten uns ausreichend Zeit für diese Beratungen kommen wäre ein wichtiger und ambitionierter Schritt nehmen, denn schließlich ist das Abkommen jetzt schon hin zu fairem Handel getan . so lange vorläufig in Kraft, dass es auf ein paar Wochen Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016 19023

(A) mehr oder weniger bis zur Ratifizierung oder Nicht-Ra- die Länder des Südens . Deshalb haben wir uns dagegen (C) tifizierung auch nicht mehr ankommt. Gründlichkeit ausgesprochen . Wir setzen uns für einen gerechten, ent- sollte hier vor Schnelligkeit gehen, schließlich haben wir wicklungsförderlichen Handel mit dem Süden ein . Das eine sehr wichtige Entscheidung zu treffen . Ich möch- CARIFORUM-Abkommen, das nun seit acht Jahren te mich deshalb hier an dieser Stelle nicht länger über existiert, bietet ja eigentlich die Chance, bevor es nun inhaltliche Aspekte auslassen . Das werde ich ausführ- von der Bundesregierung ratifiziert wird, dass man sich lich in den Fachgesprächen, Ausschussberatungen und erst mal genauer anschauen kann, was sich dadurch in dann in der abschließenden Debatte zur zweiten/dritten den karibischen Staaten positiv oder negativ verändert Lesung machen . Ich möchte allerdings bereits jetzt da- hat . Es wäre doch wichtig, dass solch eine Initiative das rauf hinweisen, dass der Vertragstext für mich in einem Entwicklungsministerium ergreift; schließlich wurden sehr wichtigen Punkt Mängel aufweist . Ausgerechnet die den Staaten damals ja versprochen: Wir setzen das Gan- Kapitel, in denen es um Umweltschutz und soziale As- ze vorläufig in Kraft und prüfen dann regelmäßig, ob die pekte wie Arbeitnehmerrechte geht, sind nicht mit einem Menschen im Süden davon profitieren. – Das wäre doch wirkungsvollen Sanktionsmechanismus versehen, so wie Ihre Aufgabe als Entwicklungsminister, sich dafür ein- er für andere Kapitel des Abkommens gilt . Im Gegenteil zusetzen . wird selbst bei schwersten Verstößen gegen international vereinbarte ökologische und soziale Mindeststandards Davon ist nun nichts mehr zu hören, und das ist ty- wie beispielsweise die acht ILO-Kernarbeitsnormen in pisch im Bereich der Handelspolitik . Erst mal vorläu- Artikel 213 ausdrücklich ausgeschlossen, dass dies zur fig in Kraft setzen und dann, wenn Gras über die Sache Aussetzung von Handelszugeständnissen führen darf . beziehungsweise Aufregung gewachsen ist, dann das Meiner Meinung nach kann aber nur mit der Drohung ei- Ganze zu ratifizieren. Dies können Sie vielleicht bei den ner harten Sanktion bei Nichteinhaltung von grundlegen- karibischen Staaten machen, da diese leider wenig Auf- den Arbeitnehmerrechten durchgesetzt werden, dass die merksamkeit haben, aber ganz bestimmt nicht bei CETA Regierungen konsequent ihren Verpflichtungen aus den und TTIP! acht ILO-Kernarbeitsnormen nachkommen, um Kinder- Das CARIFORUM-Abkommen hat bisher die arbeit und ausbeuterische, sklavenähnliche Arbeitsbedin- Dienstleistungen, Visabestimmungen und kulturel- gungen zu beenden . Nur mit menschenwürdiger Arbeit le Zusammenarbeit von der vorläufigen Anwendung zu fairen Löhnen lässt sich Armut beseitigen . Deshalb ausgenommen, da hier die nationalen Parlamente ge- müssen wir den Vertragstext an dieser Stelle genau un- fragt sind . Binnen zehn Jahren ab Anwendung (das tersuchen und Nachbesserungen vor einer Ratifizierung wäre Ende 2018) sollen 61 Prozent der EU-Exporte bei einfordern . ­CARIFORUM zollfrei sein, in 25 Jahren 87 Prozent . (B) Ich danke für die Aufmerksamkeit und sehe den wei- Das EU-CARIFORUM-EPA geht in vielen Bereichen (D) teren Beratungen gespannt entgegen . weit über WTO-Standards hinaus . Viele dieser Aspekte haben dazu geführt, dass sich die afrikanischen EPAs so lange verzögert haben . Im CARIFORUM-EPA ist es Heike Hänsel (DIE LINKE): Heute, nach acht Jah- der EU gelungen, umfassende Regeln zu Investitionen in ren bereits vorläufig angewendetem Wirtschaftspartner- grundsätzlich allen Wirtschaftsbereichen zu verankern, schaftsabkommen mit den karibischen Staaten, außer insbesondere bei Direktinvestitionen und im Dienstleis- Haiti, will die Bundesregierung das Abkommen ratifizie- tungssektor . Der wirtschaftspolitische Spielraum, heimi- ren . Der Anlass erschließt sich nicht, warum jetzt? Wir sche Unternehmen in den karibischen Staaten gezielt im waren damals, als es um den Abschluss des CARIFO- Wettbewerb mit überlegener ausländischer Konkurrenz RUM-Abkommens ging, als ein regionales Abkommen zu fördern, wird weitgehend eingeschränkt . Das ist ja der EPAs, der Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit auch ein Ziel bei CETA und TTIP . den AKP-Staaten, gegen alle Abkommen, die Freihan- delsabkommen sind . Bis heute wehren sich ja einige Die bisherige Bilanz zeigt eher geringe zusätzliche afrikanische Länder, wie zum Beispiel Tansania, gegen Exportchancen für CARIFORUM-Staaten durch einen den Abschluss und die Erpressungsmethoden der EU im freien EU-Marktzugang . Das CARIFORUM-EPA geht Rahmen dieses langjährigen Verhandlungsprozesses . Es besonders weit, und die Linke lehnt es deshalb ab . sind noch nicht alle EPAs unter Dach und Fach, und das aus gutem Grund . Die Hauptkritikpunkte sind: unverant- Die Praxis der vorläufigen Anwendung ist ein Unding wortliche Öffnung der afrikanischen Staaten für europä- und muss gestoppt werden! ische Produkte, vor allem im Lebensmittelbereich, durch Es muss ein Moratorium und ein Fenster für Neuver- massive Zollsenkungen, Streichung von Exportsteuern, handlungen für die weitere Anwendung des EU-CARI- die den Export von Rohstoffen in die EU erleichtern FORUM-EPA geben, zumindest für die Rendezvous- werden, gleichzeitig aber eine eigene industrielle Ent- klausel und weitere Liberalisierungsschritte . wicklung in Afrika behindern, Rendezvousklauseln in den jetzt ausgehandelten Abkommen, um nach bestimm- Wir fordern, dass sich die Bundesregierung dafür ein- ten Fristen wieder verhandeln zu müssen über sensible setzt, dass die Europäische Union ihre Handelspolitik so Bereiche wie öffentliche Beschaffung, Dienstleistungen, ausrichtet, dass sie eine nachhaltige und eigenständige nichttarifäre Handelshemmnisse, Schutz privaten Eigen- wirtschaftliche Entwicklung in der Karibikregion unter- tums, Wettbewerb und Investitionsschutz . Wir kennen stützt . Dabei muss sie insbesondere darauf hinwirken, diese Begriffe ja von den Auseinandersetzungen um dass von späteren Verhandlungen über die Liberalisie- CETA und TTIP, nichts anderes bedeuten die EPAs für rung der Investitions- und Wettbewerbsregeln, des öf- 19024 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 190 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 22 . September 2016

(A) fentlichen Beschaffungswesens sowie von öffentlichen sind aber Vereinbarungen, die drohen eine nachhaltige (C) Dienstleistungen abgesehen wird . Entwicklung zu verhindern . Und sie kommen erst in den nächsten Jahren zum Tragen . Am Ende werden die Kari- Die Länder des Südens brauchen Spielraum für den bik-Staaten fast 90 Prozent ihres Marktes liberalisieren . Aufbau eigener Wertschöpfung in den Bereichen Land- Das ist angesichts eines solch divergierenden Kräftever- wirtschaft, Industrie und Dienstleistungen . Dagegen ste- hältnisses zwischen den europäischen und karibischen hen genau die EPAs und das CARIFORUM-EPA! Staaten wenig nachhaltig noch angemessen . Klassische Schutzinstrumente wie die Exportsteuern sind verboten . Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Seit Dabei könnten gerade diese dazu beitragen, die festge- acht Jahren ist nun das Wirtschaftspartnerschaftsabkom- fahrene Exportstruktur aufzubrechen . Zwar gibt es eini- men zwischen der EU und den Karibik-Staaten in Kraft ge Schutzmechanismen, die negative Effekte verhindern getreten, allerdings nur vorläufig. Die eigentliche Ratifi- oder korrigieren sollen . Der Schutz junger Industrien soll zierung soll erst jetzt durch das vorgelegte Gesetz durch- allerdings auf zehn Jahre beschränkt bleiben, das ist mehr geführt werden . Immerhin legt die Bundesregierung dem als realitätsfern und industriepolitischer Wahnsinn . Der Parlament überhaupt ein Ratifizierungsgesetz vor. Das Aufbau einer robusten Industrie bedarf weit mehr Zeit . ist bei dieser Bundesregierung ja leider keine Selbst- verständigkeit . Sie erinnern sich: das Abkommen zwi- Seit einem Jahr wird gebetsmühlenartig die Bekämp- schen der EU und den westafrikanischen Staaten sollte fung von Fluchtursachen vorgetragen . Nur hat diese ursprünglich am Parlament vorbei und nur vom Kabinett Bundesregierung ein falsches Verständnis von Flucht- ratifiziert werden. Aber der Druck aus der Opposition ursachen . Die Bundesregierung bekämpft lieber Flücht- zeigte Wirkung, und das EPA, sollte es irgendwann von linge statt die Ursachen . Wer ernsthaft Fluchtursachen allen Vertragsparteien unterzeichnet sein, kommt zur Ab- bekämpfen will, muss sich für eine gerechte Handelsord- stimmung in dieses Hohe Haus . Alles andere wäre auch nung einsetzen und nicht für EPAs, wie sie derzeit ausge- verfassungswidrig gewesen, dafür wären wir auch nach handelt sind . Wir müssen gewaltig umdenken, wenn wir Karlsruhe gezogen . der knapp einen Milliarde an Hungernden, den Millionen Nun aber zum eigentlichen Abkommen . Es hat bis- von Menschen auf der Flucht, den Hunderttausenden her nicht Wort gehalten . Die versprochene nachhalti- in den Textilfabriken ernsthaft begegnen wollen . Dafür ge Entwicklung durch das Handelsabkommen für die müssen wir die globalen Strukturen verändern . Gerade Karibik-Staaten ist nicht mal in den Ansätzen zu er- ungerechter Handel ist die treibende Kraft für Ungleich- kennen . Die Handelsströme haben sich zwischen den heit innerhalb und zwischen den Staaten und der Kol- beiden Regionen so gut wie nicht verändert, weder ha- benfresser für eine nachhaltige Entwicklung . Mit solchen (B) ben sich die Exporte der EU noch die Importe aus der Verträgen erhöht die EU und damit auch Deutschland (D) Karibik verändert . Ein ernsthaftes Resümee ist deshalb den Fluchtdruck in vielen Ländern . Es fällt mir schwer auch schwer zu ziehen . Die Karibik-Staaten können auf- zu glauben, dass diese Erkenntnis der Regierung und der grund der Übergangsfristen ihren Markt derzeit noch Kommission nicht vorliegt . Nur fairer Handel ist freier schützen . Selbst die EU hatte sich noch bis 2015 etwa Handel, nur dieser trägt dazu bei, die Fluchtursachen zu vor Zuckerimporten aus Übersee geschützt . Was bleibt, bekämpfen .

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