Plenarprotokoll 18/240

Deutscher

Stenografscher Bericht

240. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Inhalt:

Gedenken an Bundeskanzler a. D. Dr. Helmut Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ Kohl DIE GRÜNEN)...... 24489 A Präsident Dr. ...... 24479 A Hermann Gröhe, Bundesminister BMG. . . 24491 B Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- (DIE LINKE)...... 24493 A nung...... 24530 D Dr. (SPD)...... 24493 D Absetzung der Tagesordnungspunkte 13, 14 c, 14 d und 15 b...... 24484 A Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU). . . 24495 A (SPD)...... 24496 B Zur Geschäftsordnung...... 24484 B (CDU/CSU)...... 24497 A Petra Crone (SPD)...... 24498 A Tagesordnungspunkt 7: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- Tagesordnungspunkt 8: wurfs eines Gesetzes zur Reform der a) Unterrichtung durch die Bundesregie- Pfegeberufe (Pfegeberufereformge- rung: Bericht zur Umsetzung der High- setz – PfBRefG) tech-Strategie – Fortschritt durch For- Drucksachen 18/7823, 18/12847. . . 24484 C schung und Innovation – Stellungnahme – Bericht des Haushaltsausschusses ge- der Bundesregierung zum Gutachten mäß § 96 der Geschäftsordnung zu Forschung, Innovation und techno- logischer Leistungsfähigkeit Deutsch- Drucksache 18/12848 ...... 24484 C lands 2017 b) Beschlussempfehlung und Bericht des Drucksache 18/11810...... 24499 C Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Kordula Schulz-Asche, Maria Klein- Gutachten zu Forschung, Innovation Schmeink, weiterer Abgeordneter und der und technologischer Leistungsfähigkeit Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Deutschlands 2017 Eine Lobby für die Pfege – Arbeitsbe- Drucksache 18/11270...... 24499 D dingungen und Mitspracherechte von c) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Pfegekräften verbessern Aktionsplan Nanotechnologie 2020 der Drucksachen 18/11414, 18/12841. . . . 24484 D Bundesregierung Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU)...... 24484 D Drucksache 18/9670...... 24499 D (DIE LINKE)...... 24486 D d) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht über die Programme zur Inno- Dr. , Bundesministerin vations- und Technologieförderung im BMFSFJ ...... 24488 A Mittelstand in der laufenden Legisla- II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

turperiode, insbesondere über die Ent- d) Beschlussempfehlung und Bericht des wicklung des Zentralen Innovationspro- Ausschusses für Wirtschaft und Energie gramms Mittelstand (ZIM) für das Jahr zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Julia 2016 Verlinden, Christian Kühn (Tübingen), Drucksache 18/12442...... 24500 A Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- e) Beschlussempfehlung und Bericht des NEN: Klimaschutz in der Wärmeversor- Ausschusses für Bildung, Forschung und gung sozial gerecht voranbringen – Ak- Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag tionsplan Faire Wärme starten der Abgeordneten , Oliver Drucksachen 18/10979, 18/11651. . . . 24515 A Krischer, Katja Dörner, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ e) Beschlussempfehlung und Bericht des DIE GRÜNEN: Innovationspolitik neu Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, ausrichten – Forschen für den Wandel Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag befördern der Abgeordneten , Drucksachen 18/8711, 18/12776. . . . . 24500 B Stephan Kühn (Dresden), Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Frakti- (CDU/CSU)...... 24500 B on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Klare (DIE LINKE) ...... 24501 D CO2-Reduktionen im Flugverkehr schaffen René Röspel (SPD)...... 24503 A Drucksachen 18/9801, 18/11244. . . . . 24515 B Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ f) Beschlussempfehlung und Bericht des DIE GRÜNEN)...... 24504 C Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Julia Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin Verlinden, , Annalena BMBF...... 24506 C Baerbock, weiterer Abgeordneter und der (DIE LINKE) ...... 24508 C Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Klimaschutz stärken – Energiesparen Dr. (SPD)...... 24509 C verbindlich machen Drucksachen 18/12095, 18/12633. . . . 24515 B (CDU/CSU)...... 24510 C g) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Dr. (SPD) . . . . . 24511 C Klimaschutzplan 2050 – Klimaschutz- Dr. (CDU/CSU). . . . . 24512 D politische Grundsätze und Ziele der Bundesregierung Drucksache 18/10370...... 24515 B Tagesordnungspunkt 9: Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ a) Antrag der Abgeordneten Bärbel Höhn, DIE GRÜNEN)...... 24515 C Annalena Baerbock, Oliver Krischer, Dr. (CDU/CSU)...... 24518 A weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Jetzt mit (DIE LINKE)...... 24519 A wirksamem Klimaschutz die ökologi- Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE). . . . . 24520 A sche Modernisierung angehen und die Klimaschutzlücke schließen Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin Drucksache 18/12796...... 24514 D BMUB...... 24521 A b) Antrag der Abgeordneten Annalena Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/ Baerbock, Bärbel Höhn, Dr. Valerie DIE GRÜNEN)...... 24522 C Wilms, weiterer Abgeordneter und der (CDU/CSU)...... 24523 D Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: CO2-Bremse einführen – Klimabilanz in Heike Hänsel (DIE LINKE)...... 24525 B Gesetzesfolgenabschätzung aufnehmen (SPD)...... 24526 A Drucksache 18/10640...... 24515 A Dr. (CDU/CSU)...... 24527 A c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, (SPD)...... 24528 B Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag Dr. (CDU/CSU). . . . . 24529 A der Abgeordneten Bärbel Höhn, Annalena Baerbock, Peter Meiwald, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Klimaschutzplan 2050 – Tagesordnungspunkt 36: Echter Klimaschutz beginnt heute a) Erste Beratung des von der Bundesre- Drucksachen 18/8876, 18/10387. . . . . 24515 A gierung eingebrachten Entwurfs eines Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 III

Gesetzes zur Verbesserung der Rechts- und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- durchsetzung in sozialen Netzwer- NEN: Freiwilligendienste ausbauen und ken (Netzwerkdurchsetzungsgesetz – weiterentwickeln, Engagement anerken- NetzDG) nen und attraktiver machen Drucksache 18/12727...... 24531 A Drucksache 18/12804...... 24531 D b) Erste Beratung des von der Bundesregie- h) Antrag der Abgeordneten Dr. Wolfgang rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Strengmann-Kuhn, , zes zur Förderung von Mieterstrom und Dr. , weiterer Abgeord- zur Änderung weiterer Vorschriften des neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Erneuerbare-Energien-Gesetzes GRÜNEN: Gesellschaftliche Teilhabe Drucksache 18/12728...... 24531 A und gute Bildung für alle Kinder und Jugendlichen sicherstellen c) Erste Beratung des von der Bundesregie- Drucksache 18/12795...... 24532 A rung eingebrachten Entwurfs eines … Ge- setzes zur Änderung des Strafgesetzbu- ches – Wohnungseinbruchdiebstahl Zusatztagesordnungspunkt 12: Drucksache 18/12729...... 24531 B Antrag der Abgeordneten Beate Müller- Gemmeke, Kerstin Andreae, , wei- Zusatztagesordnungspunkt 4: terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Schutz vor Mobbing a) Erste Beratung des von den Abgeordne- am Arbeitsplatz ten (Köln), , Drucksache 18/12097...... 24532 A Katja Keul, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Fremdrentengesetzes Zusatztagesordnungspunkt 4: (FRG) g) Antrag der Abgeordneten Kordula Schulz- Drucksache 18/12718...... 24531 B Asche, , Maria Klein- Schmeink, weiterer Abgeordneter und der b) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Das freiwillige und ehrenamtliche En- Änderung der Abgabenordnung zwecks gagement im Bevölkerungsschutz und in Anerkennung der Gemeinnützigkeit von der Katastrophenhilfe stärken Freifunk Drucksache 18/12802...... 24532 B Drucksache 18/12105...... 24531 C c) Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald, Nicole Maisch, Steff Lemke, weiterer Ab- Tagesordnungspunkt 37: geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Umweltverschmutzung a) Zweite und dritte Beratung des von den Ab- durch Mikroplastikfreisetzung aus Kos- geordneten Tabea Rößner, Dr. Konstantin metika und Waschmitteln beenden von Notz, Hans-Christian Ströbele, wei- Drucksache 18/10875...... 24531 C teren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach- d) Antrag der Abgeordneten , ten Entwurfs eines Gesetzes zum Aus- Kordula Schulz-Asche, Britta Haßelmann, kunftsrecht der Presse gegenüber Bun- weiterer Abgeordneter und der Fraktion desbehörden (Presseauskunftsgesetz) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Rechtssi- Drucksachen 18/8246, 18/12603. . . . . 24532 D cherheit für bürgerschaftliches Engage- ment – Gemeinnützigkeit braucht klare b) Zweite und dritte Beratung des von der Regeln Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Drucksache 18/12559...... 24531 C eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Deutschen Wetter- e) Antrag der Abgeordneten dienst (Havelland), Sigrid Hupach, Matthias W. Drucksachen 18/11533, 18/12836. . . . 24533 A Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Geschlechtliche c) Zweite und dritte Beratung des von der und sexuelle Menschenrechte gewähr- Bundesregierung eingebrachten Entwurfs leisten eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 910/2014 des Eu- Drucksache 18/12783...... 24531 D ropäischen Parlaments und des Rates f) Antrag der Abgeordneten Kordula Schulz- vom 23. Juli 2014 über elektronische Asche, Dr. , Maria Identifzierung und Vertrauensdiens- Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter te für elektronische Transaktionen im IV Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Binnenmarkt und zur Aufhebung der weiterer Abgeordneter und der Fraktion Richtlinie 1999/93/EG (elDAS-Durch- DIE LINKE: Verbrauchertäuschungen führungsgesetz) beenden – Klare Lebensmittelkenn- Drucksachen 18/12494, 18/12833. . . . 24533 B zeichnung durchsetzen Drucksachen 18/10861, 18/11823. . . . 24534 D d) Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung ein- l) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur schusses für Familie, Senioren, Frauen und Änderung des Übereinkommens über Jugend zu dem Antrag der Abgeordneten den internationalen Eisenbahnverkehr Beate Walter-Rosenheimer, Dr. Franziska (­COTIF) vom 9. Mai 1980 Brantner, Katja Dörner, weiterer Abgeord- Drucksachen 18/12513, 18/12717, neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE 18/12815...... 24533 C GRÜNEN: Kinder- und Jugendhilfe – Beteiligungsrechte stärken, Beschwer- e) Zweite und dritte Beratung des von der den erleichtern und Ombudschaften Bundesregierung eingebrachten Entwurfs einführen eines Zweiten Gesetzes zur Stärkung der Drucksachen 18/5103, 18/11886 Buchsta- Verfahrensrechte von Beschuldigten im be b ...... 24534 D Strafverfahren und zur Änderung des Schöffenrechts m) Beschlussempfehlung und Bericht des Drucksachen 18/9534, 18/10025, 18/10307 Ausschusses für Arbeit und Soziales zu Nr. 4, 18/12830...... 24533 D dem Antrag der Abgeordneten Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. g) Beschlussempfehlung und Bericht des Birkwald, , weiterer Abgeord- Ausschusses für Arbeit und Soziales zu neter und der Fraktion DIE LINKE: Kreis dem Antrag der Abgeordneten Friedrich der Anspruchsberechtigten und die Be- Ostendorff, , Bärbel Höhn, zugsdauer in der Arbeitslosenversiche- weiterer Abgeordneter und der Fraktion rung erweitern BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hofabgabe Drucksachen 18/11419, 18/12167. . . . 24535 A als Voraussetzung für den Zugang zur Altersrente für Landwirte abschaffen n) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Drucksachen 18/2770, 18/3455. . . . . 24534 A schusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abgeordneten Renate h) Beschlussempfehlung und Bericht des Künast, Tabea Rößner, Dr. Konstantin Ausschusses für Wirtschaft und Energie von Notz, weiterer Abgeordneter und der zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kassner, Susanna Karawanskij, Caren Nutzungsrechte digitaler Güter für Ver- Lay, weiterer Abgeordneter und der Frak- braucherinnen und Verbraucher verbes- tion DIE LINKE: Kommunen stärken – sern Kommunalisierung und Rekommunali- Drucksachen 18/11416, 18/12629. . . . 24535 B sierung unterstützen Drucksachen 18/10282, 18/11019. . . . 24534 B o) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Land- i) Beschlussempfehlung und Bericht des wirtschaft zu dem Antrag der Abgeordne- Ausschusses für Wirtschaft und Energie ten Karin Binder, , Dr. Dietmar zu dem Antrag der Abgeordneten Ralph Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Lenkert, Caren Lay, , wei- Fraktion DIE LINKE: Informationsrechte terer Abgeordneter und der Fraktion DIE der Verbraucherinnen und Verbraucher LINKE: Abschaffung der Zeitumstel- stärken – Hygiene-Smiley für Lebens- lung mittelbetriebe bundesweit ermöglichen Drucksachen 18/10697, 18/11809. . . . 24534 B Drucksachen 18/4214, 18/12636. . . . . 24535 B j) Beschlussempfehlung und Bericht des p) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau Ausschusses für Ernährung und Land- und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der wirtschaft zu dem Antrag der Abgeordne- Abgeordneten Birgit Menz, Eva Bulling- ten Nicole Maisch, Harald Ebner, Renate Schröter, Caren Lay, weiterer Abgeordne- Künast, weiterer Abgeordneter und der ter und der Fraktion DIE LINKE: Illegalen Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Elfenbeinhandel stoppen – Afrikanische Rechtssicherheit und Transparenz bei Elefanten schützen Lebensmittelkontrollen endlich herstel- Drucksachen 18/10494, 18/11815. . . . 24534 C len Drucksachen 18/9558, 18/12837. . . . . 24535 C k) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirt- q) Beschlussempfehlung und Bericht des schaft zu dem Antrag der Abgeordneten Ausschusses für Familie, Senioren, Frau- Karin Binder, Caren Lay, Sigrid Hupach, en und Jugend zu dem Antrag der Abge- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 V

ordneten Beate Walter-Rosenheimer, Kai b) Beschlussempfehlung und Bericht des Gehring, , weiterer Abgeord- Ausschusses für Menschenrechte und neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Ab- GRÜNEN: Jung, queer, glücklich in die geordneten Harald Petzold (Havelland), Zukunft – Lesbische, schwule, bisexu- , , weiterer Ab- elle, trans- und intergeschlechtliche Ju- geordneter und der Fraktion DIE LINKE: gendliche stärken Verfolgung von Lesben, Schwulen, Bise- Drucksachen 18/8874, 18/12849. . . . . 24535 D xuellen, Transpersonen und Intersexu- ellen (LGBTI) in Tschetschenien entge- r) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- gentreten schusses für Familie, Senioren, Frauen und Drucksachen 18/12091, 18/12824. . . . 24537 A Jugend zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer, Katja Dörner, c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ver- Dr. Franziska Brantner, weiterer Abge- teidigungsausschusses ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ – zu dem Antrag der Abgeordneten DIE GRÜNEN: Stark ins eigene Leben – Norbert Müller (Potsdam), Katrin Wirksame Hilfen für junge Menschen Kunert, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE Drucksachen 18/12374, 18/12851. . . . 24535 D LINKE: Rekrutierung von Minder- s)–w) jährigen für die Bundeswehr sofort Beratung der Beschlussempfehlungen des beenden und keine Ausbildung von Petitionsausschusses: Sammelübersich- Jugendlichen an Waffen ten 444, 445, 446, 447 und 448 zu Petitio- – zu dem Antrag der Abgeordneten nen Tom Koenigs, Dr. Franziska Brantner, Drucksachen 18/12561, 18/12562, , weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ 18/12563, 18/12564, 18/12565. . . . . 24536 A DIE GRÜNEN: Keine Rekrutierung Minderjähriger in die Bundeswehr Drucksachen 18/10241, 18/981, 18/10543. 24537 B Tagesordnungspunkt 22: d) Beschlussempfehlung und Bericht des a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale In- Ausschusses für Recht und Verbraucher- frastruktur zu dem Antrag der Abgeordne- schutz zu dem Antrag der Abgeordneten ten , Tabea Rößner, Oliver Cornelia Möhring, Sigrid Hupach, Frank Krischer, weiterer Abgeordneter und der Tempel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Fraktion DIE LINKE: Diskriminierung Fahrverbot für laute Güterwagen bekämpfen – Verbandsklagerecht ein- Drucksachen 18/10033, 18/11144. . . . 24537 C führen Drucksachen 18/10864, 18/11448. . . . 24536 C Zusatztagesordnungspunkt 6: b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucher- Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion schutz zu dem Antrag der Abgeordneten BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Europapo- Volker Beck (Köln), Ulle Schauws, Beate litik der Bundesregierung zwischen Grie- Müller-Gemmeke, weiterer Abgeordneter chenland-Krise, Brexit und Europäischem und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Rat ...... 24537 C NEN: 10 Jahre nach dem Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsge- Dr. (BÜNDNIS 90/ setzes – Eine Reform ist überfällig DIE GRÜNEN)...... 24537 D Drucksachen 18/9055, 18/11639. . . . . 24536 D (CDU/CSU)...... 24539 A (DIE LINKE)...... 24540 B

Zusatztagesordnungspunkt 5: Angelika Glöckner (SPD)...... 24541 C a) Antrag der Abgeordneten Carsten Körber (CDU/CSU)...... 24542 D (Bremen), Volker Beck (Köln), Claudia (DIE LINKE) ...... 24543 D Roth (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Erfurt) (SPD)...... 24544 C NEN: Schnelle Hilfe für die in Russland Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/ verfolgten Lesben, Schwulen, Bisexuel- DIE GRÜNEN)...... 24545 C len, Transpersonen und Intersexuellen (LGBTI) (CDU/CSU). . . . . 24546 D Drucksache 18/12801...... 24536 D (SPD)...... 24547 D VI Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Alexander Radwan (CDU/CSU)...... 24549 A (1999) des Sicherheitsrates der Verein- ten Nationen vom 10. Juni 1999 und des (CDU/CSU)...... 24550 A Militärisch-Technischen Abkommens zwischen der internationalen Sicher- heitspräsenz (KFOR) und den Regie- Tagesordnungspunkt 10: rungen der Bundesrepublik Jugoslawien – Zweite und dritte Beratung des von den (jetzt: Republik Serbien) und der Repu- Fraktionen der CDU/CSU und SPD einge- blik Serbien vom 9. Juni 1999 brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än- Drucksachen 18/12298, 18/12694. . . . 24563 B derung des Grundgesetzes (Artikel 21) Drucksachen 18/12357, 18/12846. . . . 24551 A – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung – Zweite und dritte Beratung des von den Drucksache 18/12695...... 24563 C Fraktionen der CDU/CSU und SPD ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Dr. h. c. (SPD)...... 24563 C Ausschluss verfassungsfeindlicher Par- Sevim Dağdelen (DIE LINKE)...... teien von der Parteienfnanzierung 24565 C Drucksachen 18/12358, 18/12846. . . . 24551 A Dr. (CDU/CSU)...... 24566 D – Zweite und dritte Beratung des vom Bun- Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ desrat eingebrachten Entwurfs eines Ge- DIE GRÜNEN)...... 24568 C setzes zur Änderung des Grundgesetzes zum Zweck des Ausschlusses extremisti- (CDU/CSU) ...... 24569 C scher Parteien von der Parteienfnanzie- rung Drucksachen 18/12100, 18/12846. . . . 24551 B Namentliche Abstimmung ...... 24570 D – Zweite und dritte Beratung des vom Bun- desrat eingebrachten Entwurfs eines Be- Ergebnis ...... 24572 D gleitgesetzes zum Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes zum Zweck des Aus- schlusses extremistischer Parteien von Tagesordnungspunkt 12: der Parteienfnanzierung Drucksachen 18/12101, 18/12846. . . . 24551 B a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Dr. (CDU/CSU). . . . . 24551 C Technikfolgenabschätzung (DIE LINKE)...... 24552 C – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. , Sigrid Hupach, (SPD)...... 24553 B Matthias W. Birkwald, weiterer Abge- Renate Künast (BÜNDNIS 90/ ordneter und der Fraktion DIE LINKE: DIE GRÜNEN)...... 24554 B Inklusive Bildung für alle – Ausbau inklusiver Schulen fördern (CDU/CSU)...... 24555 D – zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias Schmidt (Berlin) (SPD)...... 24557 A Dr. Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Matthias W. Birkwald, weiterer Abge- Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU)...... 24557 D ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Dr. Rolf Mützenich (SPD) ...... 24558 C Inklusive Bildung für alle – Ausbau inklusiver Bildung in der berufichen Renate Künast (BÜNDNIS 90/ Bildung umsetzen DIE GRÜNEN)...... 24559 A – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Namentliche Abstimmung ...... 24559 D Matthias W. Birkwald, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Inklusive Bildung für alle – Ausbau Ergebnis ...... 24560 C inklusiver Bildung in der Kinderta- gesbetreuung umsetzen – zu dem Antrag der Abgeordneten Tagesordnungspunkt 11: , Dr. Rosemarie Hein, – Beschlussempfehlung und Bericht des Sigrid Hupach, weiterer Abgeordneter Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag und der Fraktion DIE LINKE: Inklusi- der Bundesregierung: Fortsetzung der ve Bildung für alle – Ausbau inklusi- deutschen Beteiligung an der interna- ver Hochschulen fördern tionalen Sicherheitspräsenz in Kosovo Drucksachen 18/8420, 18/8421, 18/8889, auf der Grundlage der Resolution 1244 18/9127, 18/12409...... 24571 B Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 VII

b) Beschlussempfehlung und Bericht des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wege zur Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen Pestizidreduktion in der Landwirtschaft und Jugend zu dem Antrag der Abgeord- Drucksache 18/12382...... 24595 A neten Dr. Rosemarie Hein, Diana Golze, Nicole Gohlke, weiterer Abgeordneter und b) Antrag der Abgeordneten Harald Ebner, der Fraktion DIE LINKE: Schulsozialar- , Nicole Maisch, beit an allen Schulen sicherstellen weiterer Abgeordneter und der Fraktion Drucksachen 18/2013, 18/11803. . . . . 24571 B BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bienengif- tige Insektizide vollständig verbieten – (CDU/CSU)...... 24571 C Bestäuber, andere Tiere und Umwelt wirksam schützen Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE). . . . . 24575 B Drucksache 18/12384...... 24595 B Elf Scho-Antwerpes (SPD) ...... 24576 C Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 24578 B in Verbindung mit (CDU/CSU)...... 24579 C Tagesordnungspunkt 37: (SPD)...... 24581 A f) Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, Christina Schwarzer (CDU/CSU)...... 24582 B Kerstin Andreae, Oliver Krischer, weiterer Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE). . . . . 24583 C Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Marktkonzen- Christina Schwarzer (CDU/CSU)...... 24584 A tration im Agrarmarkt stoppen – Ar- tenvielfalt und Ernährungssouveränität erhalten Zusatztagesordnungspunkt 7: Drucksache 18/12797...... 24595 B – Zweite und dritte Beratung des von der Harald Ebner (BÜNDNIS 90/ Bundesregierung eingebrachten Entwurfs DIE GRÜNEN)...... 24595 B eines Gesetzes zur effektiveren und pra- xistauglicheren Ausgestaltung des Straf- , Parl. Staatssekretär BMEL. . . 24596 B verfahrens Dr. (DIE LINKE). . . . 24597 D Drucksachen 18/11277, 18/12785. . . . 24584 C Rita Hagl-Kehl (SPD)...... 24599 A – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs (CDU/CSU)...... 24601 A eines Gesetzes zur Änderung des Straf- Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/ gesetzbuchs, des Jugendgerichtsgeset- DIE GRÜNEN)...... 24602 B zes, der Strafprozessordnung und weite- rer Gesetze (CDU/CSU)...... 24603 A Drucksachen 18/11272, 18/12785. . . . 24584 D Bettina Bähr-Losse (SPD)...... 24584 D Zusatztagesordnungspunkt 8: Jörn Wunderlich (DIE LINKE)...... 24586 C a) – Zweite und dritte Beratung des von der Elisabeth Winkelmeier-Becker Bundesregierung eingebrachten Ent- (CDU/CSU)...... 24587 C wurfs eines Gesetzes zur strafrecht- Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ lichen Rehabilitierung der nach dem DIE GRÜNEN)...... 24589 A 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verur- Dr. (SPD)...... 24590 B teilten Personen und zur Änderung Dr. (CDU/CSU) . . . . . 24591 C des Einkommensteuergesetzes Drucksachen 18/12038, 18/12379, Alexander Hoffmann (CDU/CSU). . . . . 24592 D 18/12641 Nr. 1.1, 18/12786. . . . . 24604 C Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ – Zweite und dritte Beratung des von DIE GRÜNEN)...... 24593 D den Abgeordneten Katja Keul, Volker Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) . . . . . 24594 B Beck (Köln), Renate Künast, weite- ren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Tagesordnungspunkt 14: Aufhebung der nach 1945 in beiden a) Antrag der Abgeordneten Harald Ebner, deutschen Staaten gemäß den §§ 175, Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, 175a Nummer 3 und 4 des Straf- weiterer Abgeordneter und der Fraktion gesetzbuches und gemäß § 151 des VIII Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Strafgesetzbuches der DDR ergange- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zu- nen Unrechtsurteile sammenhalt stärken – Mietrecht re- Drucksachen 18/10117, 18/12786. . . 24604 C formieren Drucksachen 18/11049, 18/10810, – Bericht des Haushaltsausschusses ge- 18/12632 ...... 24613 D mäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/12828 ...... 24604 D c) Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- nanzausschusses zu dem Antrag der Ab- b) Beschlussempfehlung und Bericht des geordneten Lisa Paus, Christian Kühn Ausschusses für Recht und Verbraucher- (Tübingen), Kerstin Andreae, weiterer schutz zu dem Antrag der Abgeordneten Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Volker Beck (Köln), Katja Keul, Renate NIS 90/DIE GRÜNEN: Spekulation mit Künast, weiterer Abgeordneter und der Immobilien und Land beenden – Keine Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Steuerbegünstigung für Übernahmen Individuelle und kollektive Entschädi- durch Share Deals gung für die antihomosexuelle Strafver- Drucksachen 18/8617, 18/12818. . . . . 24614 A folgung nach 1945 in beiden deutschen Staaten , Parl. Staatssekretär Drucksachen 18/10118, 18/12786. . . . 24604 D BMUB...... 24614 A Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD)...... 24605 A (DIE LINKE) ...... 24615 C Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE). . 24606 A Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU). . . . . 24616 D Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU). . . 24607 B Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 24618 B Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 24609 A Dr. h. c. (CDU/CSU). . . 24619 B Johannes Kahrs (SPD) ...... 24611 A Gudrun Zollner (CDU/CSU)...... 24612 A Zusatztagesordnungspunkt 9: Antrag des Bundesministeriums der Finanzen: Portugal: Vorzeitige teilweise Rückzahlung Tagesordnungspunkt 16: der IWF-Finanzhilfe; Einholung eines zu- a) Beschlussempfehlung und Bericht des stimmenden Beschlusses des Deutschen Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bundestages nach § 3 Absatz 2 Nummer 2 Bau und Reaktorsicherheit des Stabilisierungsmechanismusgesetzes – zu dem Antrag der Abgeordneten Drucksache 18/12733...... 24621 A Heidrun Bluhm, Caren Lay, Herbert , Parl. Staatssekretär BMF. . . . 24621 A Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Bundeswei- Richard Pitterle (DIE LINKE)...... 24622 B ten Aktionsplan für eine gemeinnüt- Johannes Kahrs (SPD) ...... 24623 A zige Wohnungswirtschaft aufegen – zu dem Antrag der Abgeordneten (BÜNDNIS 90/ Christian Kühn (Tübingen), Britta DIE GRÜNEN)...... 24623 C Haßelmann, Sven-Christian Kindler, (CDU/CSU)...... 24624 C weiterer Abgeordneter und der Frakti- on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die neue Wohnungsgemeinnützigkeit – Fair, gut und günstig wohnen Tagesordnungspunkt 18: Drucksachen 18/7415, 18/8081, a) Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, 18/10928 ...... 24613 D (Augsburg), , weiterer Abgeordneter und der Fraktion b) Beschlussempfehlung und Bericht des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ein In- Ausschusses für Recht und Verbraucher- stitut für humanitäre Angelegenheiten schutz schaffen – zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Drucksache 18/12530...... 24625 C Lay, Herbert Behrens, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion b) Beschlussempfehlung und Bericht des DIE LINKE: Kündigungsschutz für Ausschusses für Menschenrechte und hu- Mieterinnen und Mieter verbessern manitäre Hilfe zu dem Antrag der Abge- – zu dem Antrag der Abgeordneten ordneten Tom Koenigs, Omid Nouripour, Christian Kühn (Tübingen), Renate Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter Künast, Hans-Christian Ströbele, wei- und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- terer Abgeordneter und der Fraktion NEN: Eine Menschheit, gemeinsame Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 IX

Verantwortung – Für eine fexible, wirk- Tagesordnungspunkt 21: same und zuverlässige humanitäre Hilfe Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD und Drucksachen 18/8619, 18/10627. . . . . 24625 C BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hilfen für Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ Kinder psychisch kranker Eltern DIE GRÜNEN)...... 24625 D Drucksache 18/12780...... 24636 C (Chemnitz) (CDU/CSU). . . 24626 D (CDU/CSU) ...... 24636 C Inge Höger (DIE LINKE)...... 24628 C Birgit Wöllert (DIE LINKE)...... 24637 C Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD) ...... 24629 B (SPD)...... 24638 C Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/ Tagesordnungspunkt 15: DIE GRÜNEN)...... 24639 D a) Zweite und dritte Beratung des von der (CDU/CSU)...... 24640 D Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bun- desnaturschutzgesetzes Tagesordnungspunkt 23: Drucksachen 18/11939, 18/12845. . . . 24630 B a) Beschlussempfehlung und Bericht des Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin Ausschusses für Verkehr und digitale In- BMUB...... 24630 C frastruktur zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Gesamtkonzept Elbe: Birgit Menz (DIE LINKE)...... 24631 B Strategisches Konzept für die Entwick- Josef Göppel (CDU/CSU)...... 24632 A lung der deutschen Binnenelbe und ih- rer Auen Steff Lemke (BÜNDNIS 90/ Drucksachen 18/11830, 18/12181 Nr. 1.3, DIE GRÜNEN)...... 24633 B 18/12844...... 24642 A Carsten Träger (SPD)...... 24634 B b) Antrag der Abgeordneten Steff Lemke, Stephan Kühn (Dresden), Dr. Valerie Wilms, weiterer Abgeordneter und der Tagesordnungspunkt 20: Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Ein ökologisches Gesamtkonzept Elbe schusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und auf den Weg bringen – Sohlerosion stop- Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Ab- pen geordneten , Stefan Liebich, Drucksache 18/12787...... 24642 B Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter , Parl. Staatssekretär und der Fraktion DIE LINKE: Beendigungs- BMVI ...... 24642 B gesetz zum Berlin/Bonn-Gesetz Drucksachen 18/8130, 18/12620 ...... 24635 C Herbert Behrens (DIE LINKE)...... 24643 B Ulrich Petzold (CDU/CSU) ...... 24644 A Tagesordnungspunkt 17: (SPD) ...... 24644 C Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Steff Lemke (BÜNDNIS 90/ desregierung eingebrachten Entwurfs eines DIE GRÜNEN)...... 24645 B Gesetzes zur Erweiterung der Medienöf- Jürgen Klimke (CDU/CSU)...... 24646 C fentlichkeit in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung der Kommunikationshilfen (SPD)...... 24647 C für Menschen mit Sprach- und Hörbehin- Herbert Behrens (DIE LINKE)...... 24647 D derungen (Gesetz über die Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfah- Dagmar Ziegler (SPD) ...... 24648 B ren – EMöGG) Drucksachen 18/10144, 18/12591 . . . . . 24635 D Tagesordnungspunkt 24: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Tagesordnungspunkt 19: desregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweite und dritte Beratung des von den Frak- Gesetzes zur Änderung der materiellen Zu- tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten lässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der ta- Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung des rifvertraglichen Sozialkassenverfahren und Selbstbestimmungsrechts von Betreuten zur Änderung des Arbeitsgerichtsgesetzes Drucksachen 18/11240, 18/11617, 18/11822 Drucksachen 18/12510, 18/12827 . . . . . 24636 B Nr. 5, 18/12842...... 24649 C X Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Tagesordnungspunkt 25: severkehr auch in Zukunft ermögli- chen a) Zweite und dritte Beratung des von der Drucksachen 18/12363, 18/7904, Bundesregierung eingebrachten Entwurfs 18/12775 ...... 24656 B eines Gesetzes zur Einführung einer Be- rufszulassungsregelung für gewerbliche b) Antrag der Abgeordneten Matthias Gastel, Immobilienmakler und Verwalter von Stephan Kühn (Dresden), , Wohnungseigentum weiterer Abgeordneter und der Fraktion Drucksachen 18/10190, 18/12831. . . . 24650 A BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nacht- zugverkehr als Teil moderner und kli- b) Beschlussempfehlung und Bericht des mafreundlicher Mobilität ausbauen – Ausschusses für Wirtschaft und Energie Zehn-Punkte-Plan für ein europäisches zu dem Antrag der Abgeordneten Christian Nachtzugnetz Kühn (Tübingen), Renate Künast, Nicole Drucksache 18/12560...... 24656 B Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär Wohneigentumsrecht umfassend refor- BMVI ...... 24656 C mieren und modernisieren Sabine Leidig (DIE LINKE)...... 24657 C Drucksachen 18/8084, 18/12831. . . . . 24650 A Kirsten Lühmann (SPD)...... 24658 C (SPD)...... 24650 B Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/ (DIE LINKE) ...... 24651 A DIE GRÜNEN)...... 24659 D Astrid Grotelüschen (CDU/CSU)...... 24652 A (CDU/CSU)...... 24660 D Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 24653 A Nächste Sitzung ...... 24661 D Barbara Lanzinger (CDU/CSU)...... 24654 A Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten. . . . 24663 A Tagesordnungspunkt 26: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Anlage 2 Ersten Gesetzes zur Änderung des Schorn- steinfeger-Handwerksgesetzes Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten (CDU/CSU) zu der Abstim- Drucksachen 18/12493, 18/12832 . . . . . 24655 C mung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Pfegeberufe (Pfegeberufereform- Tagesordnungspunkt 27: gesetz – PfBRefG) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des (Tagesordnungspunkt 7 a)...... 24663 B von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu der am 19. Juni 1997 beschlossenen Urkunde zur Abänderung Anlage 3 der Verfassung der Internationalen Arbeits- Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten organisation Nicole Gohlke, , Birgit Drucksachen 18/12331, 18/12716, Menz, Cornelia Möhring, 18/12820...... 24655 D und (alle DIE LINKE) zu der namentlichen Abstimmung zu dem von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD ein- Tagesordnungspunkt 28: gebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Ände- rung des Grundgesetzes (Artikel 21) a) Beschlussempfehlung und Bericht des (Tagesordnungspunkt 10)...... 24664 A Ausschusses für Verkehr und digitale In- frastruktur – zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Kooperations- Anlage 4 modelle im Nachtzugverkehr stärken Erklärungen nach § 31 GO zu der namentli- – zu dem Antrag der Abgeordneten chen Abstimmung zu dem von den Fraktionen Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ent- Lay, weiterer Abgeordneter und der wurf eines Gesetzes zur Änderung des Grund- Fraktion DIE LINKE: Die Nachtzüge gesetzes (Artikel 21) retten – Klimaverträglichen Fernrei- (Tagesordnungspunkt 10)...... 24664 D Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 XI

Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE). . . . . 24664 D Anlage 8 Thomas Lutze (DIE LINKE)...... 24665 B Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Anlage 5 zur Sicherung der tarifvertraglichen Sozialkas- senverfahren und zur Änderung des Arbeitsge- Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung richtsgesetzes der Beschlussempfehlung und des Berichts (Tagesordnungspunkt 19)...... 24674 B des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, (CDU/CSU) ...... 24674 C Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Roland Claus, Stefan Liebich, (CDU/CSU) ...... 24675 D Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Beendigungs- Bernd Rützel (SPD)...... 24676 C gesetz zum Berlin/Bonn-Gesetz (DIE LINKE)...... 24677 B (Tagesordnungspunkt 20)...... 24665 C Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ (CDU/CSU) ...... 24665 C DIE GRÜNEN)...... 24678 A Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU). . . . 24666 B Matthias Schmidt (Berlin) (SPD)...... 24667 A Anlage 9 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Susanna Karawanskij (DIE LINKE). . . . . 24667 D Klaus Brähmig und Andreas G. Lämmel (bei- Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/ de CDU/CSU) zu der Abstimmung über den DIE GRÜNEN)...... 24668 C von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Si- , Parl. Staatssekretär BMJV. . 24669 A cherung der tarifvertraglichen Sozialkassen- verfahren und zur Änderung des Arbeitsge- richtsgesetzes Anlage 6 (Tagesordnungspunkt 19)...... 24678 C Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE) zu der Abstimmung über die Beschlussempfehlung Anlage 10 des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der des von der Bundesregierung eingebrachten Abgeordneten Roland Claus, Stefan Liebich, Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von und der Fraktion DIE LINKE Beendigungsge- ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stär- setz zum Berlin/Bonn-Gesetz kung des Selbstbestimmungsrechts von Be- (Tagesordnungspunkt 20)...... 24669 D treuten (Tagesordnungspunkt 24)...... 24679 A Dr. (CDU/CSU) ...... 24679 A Anlage 7 Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU) . . . 24680 A Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Dr. (SPD)...... 24681 A Entwurfs eines Gesetzes zur Erweiterung der Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE). . 24682 B Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung der Kommunikationshilfen Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ für Menschen mit Sprach- und Hörbehinderun- DIE GRÜNEN)...... 24683 B gen (Gesetz über die Erweiterung der Medien- öffentlichkeit in Gerichtsverfahren – EMöGG) (Tagesordnungspunkt 17)...... 24670 B Anlage 11 Alexander Hoffmann (CDU/CSU) . . . . . 24670 B Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten (CDU/CSU) ...... 24670 D Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Schornsteinfeger-Handwerksgesetzes Dr. Matthias Bartke (SPD)...... 24671 D (Tagesordnungspunkt 26)...... 24684 A Dr. Johannes Fechner (SPD) ...... 24672 B Lena Strothmann (CDU/CSU) ...... 24684 A Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE). . 24673 A (SPD)...... 24685 D Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). . 24673 C Thomas Lutze (DIE LINKE)...... 24686 C XII Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ der Verfassung der Internationalen Arbeitsor- DIE GRÜNEN)...... 24687 A ganisation (Tagesordnungspunkt 27)...... 24687 D Dr. Martin Pätzold (CDU/CSU)...... 24687 D Anlage 12 Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD). . . . . 24688 C Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Klaus Ernst (DIE LINKE)...... 24689 A des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der am 19. Juni Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ 1997 beschlossenen Urkunde zur Abänderung DIE GRÜNEN)...... 24689 C Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24479

(A) (C)

240. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. Norbert Lammert: „Ein Politiker, der nicht ein Stück Utopie in seinen Zie- Sehr geehrter Herr Bundespräsident! Frau Bundes- len hat, ist ein armer Mann“, vertraute der junge Helmut kanzlerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Exzellen- Kohl 1968 dem Spiegel an; damals ging das noch. zen! Verehrte Gäste! Deutschland trauert um Helmut (Vereinzelt Heiterkeit) Kohl. Am vergangenen Freitag ist unser langjähriger Bundeskanzler in seiner pfälzischen Hei- Dass die Einheit Deutschlands und Europas keine Utopie mat im Alter von 87 Jahren verstorben. blieb, ist maßgeblich seiner Hartnäckigkeit in Grundsatz- Dass wir seiner an diesem Ort, im Reichstagsgebäu- fragen und seinem entschlossenen Zugriff in der konkre- de in der Mitte Berlins, der Hauptstadt des vereinten ten historischen Situation zu verdanken. Deutschlands, gedenken, wäre undenkbar ohne die welt- Kohl bewies 1989 eine Weitsicht, die im Westen des geschichtlichen Veränderungen, die sich untrennbar mit geteilten Landes vielen längst abhandengekommen war. seinem Namen verbinden. „Welches Haus wurde tiefer Die Anerkennung einer eigenen DDR-Staatsangehörig- (B) gezeichnet von den Spuren der Geschichte?“, fragte keit zum Beispiel, für die es auch in Teilen seiner eigenen (D) Helmut Kohl selbst an dieser Stelle, als neu gewählter Partei zeitweise durchaus Sympathien gab, hat es mit ihm Bundeskanzler bei einer Veranstaltung im Januar 1983 nie gegeben. Was folgte, war die beispiellose Erfolgsge- hier im Reichstagsgebäude, als unmittelbar dahinter schichte einer ebenso besonnenen wie zielgerichteten Di- Mauer und Stacheldraht Berlin noch teilten und damit plomatie, ihr Ergebnis die deutsche Einheit im Staaten- Deutschland und Europa. „Kein Haus“, so der Kanz- und Werteverbund des Westens, im Einvernehmen mit ler damals, „verkörpert mehr als der Reichstag die Ge- allen unseren Nachbarn und mit Unterstützung wichtiger schichte der Deutschen und ihre Hoffnung, in einem Partner in der Welt. freien Europa in Frieden zu leben.“ Die Geschichte der Deutschen und ihre Hoffnung, in einem freien Europa in Kohl wusste, dass dieses große nationale Ziel nur über Frieden zu leben – Helmut Kohl hat diese Hoffnung nie die Einigung Europas zu erringen war. Die Union der aufgegeben, und wir verdanken es wesentlich ihm, dass europäischen Staaten war ihm dabei aber nie allein ein sie heute Realität ist: die friedliche Einheit unseres Lan- Mittel, sondern immer ihr eigener Zweck: das große Frie- des in einem freien und befriedeten Europa. densprojekt auf dem ehemals verfeindeten Kontinent, das er am Ende seiner Amtszeit auch über die gemeinsa- Als sich 1989 die von manchen längst abgeschriebe- me Währung unumkehrbar zu machen suchte. ne Chance ergab, ergriff Helmut Kohl mit dem sicheren Instinkt, der den großen Staatsmann auszeichnet, die Ini- Die große Anteilnahme in unseren Nachbarstaaten tiative: Mit seinem am 28. November 1989 vor dem Bun- und die weltweiten Reaktionen auf seinen Tod unterstrei- destag im Bonner Wasserwerk verkündeten Zehn-Punk- chen die herausragende Leistung Kohls als Ehrenbürger te-Programm gab er der friedlichen Revolution in der Europas. Ihm wird deswegen am Samstag der nächsten DDR ihre ehrgeizige politische Richtung: hin zur deut- Woche in Straßburg ein bislang einzigartiger Akt der schen Einheit. Es war eine Sternstunde unserer Parla- Würdigung zuteilwerden. Aber es versteht sich beinahe mentsgeschichte und seine politische „Glanzleistung“, von selbst, dass Art und Ort der Würdigung einer heraus- wie sein Amtsvorgänger Helmut Schmidt anerkennend ragenden politischen Lebensleistung in und für Deutsch- befand. Dessen Standfestigkeit als Bundeskanzler beim land bei allem Respekt nicht nur eine Familienangele- für die weitere politische Entwicklung bedeutsamen und genheit sind. Und der Deutsche Bundestag ist dafür wohl zugleich hochumstrittenen NATO-Doppelbeschluss hatte der bestmögliche Ort: in Anwesenheit des Bundespräsi- Helmut Kohl schon als Oppositionsführer voll mitgetra- denten und seiner Amtsvorgänger, der Kanzlerin und der gen und später ausdrücklich bekräftigt, auch als er sich – Mitglieder der Bundesregierung, zahlreicher Botschafter nun selbst im Amt – heftigen Protesten Hunderttausender und Vertreter des Diplomatischen Korps unter Führung Demonstranten im Bonner Hofgarten ausgesetzt sah. seines Doyens, des Nuntius. 24480 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Meine Damen und Herren, Helmut Kohl wurde 1930 fast zwangsläufg die immer wieder gezeigten Bilder sei- (C) genau an dem Tag geboren, als hier im Reichstagsgebäu- ner Kanzlerschaft, die mit 16 Jahren länger währte als alle de ein Misstrauensantrag gegen die damals neu gebilde- anderen, und zudem die viele Menschen berührende Tra- te Regierung unter Heinrich Brüning eingebracht wurde gik seiner letzten Lebensjahre. Dahinter tritt aber auch die und scheiterte – die erste der Präsidialregierungen, die, Persönlichkeit Helmut Kohls wieder stärker hervor, die wie wir heute wissen, das Ende der Weimarer Republik fast niemanden gleichgültig lässt. Legendär sind seine in- einläuteten und den Weg in die Diktatur wiesen. An de- tegrierende Kraft wie seine polarisierende Wirkung – im ren Ende standen der vollständige moralische Zusam- Übrigen zwischen den Parteien ebenso wie innerhalb der menbruch und ein Krieg, der sich schicksalhaft in die Union. Ich denke an den leidenschaftlichen Parlamenta- Familienbiografen von Generationen einschrieb, auch in rier, an den in vielerlei Hinsicht wuchtigen Debattenred- die Helmut Kohls. 1989 vor der Dresdner Frauenkirche, ner und Oppositionsführer im Bundestag, der in Zeiten als der Wille der Menschen zur Einheit für alle spürbar Herbert Wehners und Helmut Schmidts hart austeilte und war, erinnerte Kohl an seine Jugend im Krieg mit dem ebenso heftig einstecken musste – ein Mann, der zuvor nie ganz verwundenen Tod des älteren Bruders an der in seiner rheinland-pfälzischen Heimat der jüngste Par- Front, und vor der Kirche, die damals noch Ruine war, lamentarier im Landtag gewesen war, jüngster Fraktions- erneuerte er das Versprechen, das sich seine Generation vorsitzender und jüngster Regierungschef, ein kraftvoller gegeben hatte: Nie wieder Krieg! Modernisierer und mutiger Reformer, freilich zu einer Zeit, als Studenten eher die Revolution erwarteten und Von deutschem Boden muß in Zukunft immer Frie- einforderten, und über den gleichwohl der Spiegel – aus- den ausgehen – das ist das Ziel unserer Gemeinsam- gerechnet der Spiegel – 1969 schrieb – Zitat –: keit! Ausdruck dieses bleibenden Auftrags und Symbol Wann immer … alte Zöpfe abgeschnitten wurden – der Aussöhnung zwischen Deutschen und Franzosen ist Kohl … führte die Schere ... der unvergessene Händedruck mit François Mitterrand Den Menschen zugewandt interessierte er sich auch über den Gräbern von Verdun 1984. Zehn Jahre später später, im Bundestag, sehr für neue, junge Abgeordne- markierte der feierlich begangene, friedliche Abzug der te, und ich weiß aus eigener Erfahrung: Er beobachtete letzten russischen Soldaten aus Berlin den, wie Helmut intensiver, als diese es sich oft hatten vorstellen können, Kohl es damals nannte, „Schlusspunkt der Nachkriegs- ob sie sich auch so entwickelten, wie er das von ihnen geschichte Europas“, und alle, die damals dabei waren, erwartete. Sein Gedächtnis, in politischen wie privaten haben es ganz genau so empfunden. Dingen, war dabei phänomenal. Und nicht selten ver- Eine Sowjetunion, in die die einst Rote Armee hätte blüffte er seine Gesprächspartner mit Nachfragen oder (B) zurückkehren können, gab es schon nicht mehr, dafür Beschreibungen aus ihrem Verantwortungsbereich zu (D) aber die allgemeine Erwartung auf einen dauerhaften Vorgängen, die sie noch gar nicht kannten, er aber wohl. Frieden. Undenkbar schien damals jedenfalls, dass die von Boris Jelzin ausgerufene „Periode der Freundschaft Die Christlich Demokratische Union, in der er fest und Zusammenarbeit“ zwanzig Jahre später von der heu- verwurzelt war, verstand er immer als seine Familie, ihre tigen russischen Führung mutwillig aufs Spiel gesetzt Fraktion im Bundestag, die er 2012 noch einmal besuch- werden könnte – mit der völkerrechtswidrigen Annexion te – wer dabei gewesen ist, wird sich daran immer erin- der Krim und den andauernden militärischen Auseinan- nern –, bezeichnete er als „seine Heimat“, sie war sein dersetzungen im Osten der Ukraine. Zuhause. Bodenständig war er und blieb er, was die, die ihn notorisch unterschätzten, als provinziell missverstan- Helmut Kohl dachte in historischen Perspektiven; den. Ausgestattet mit einem deftigen Charme und einem denn er wusste um die identitätsstiftende Kraft der Ge- ausgeprägten, mitunter spöttischen Humor verbanden schichte. Zitat: sich in ihm Gestaltungsanspruch und Machtbewusstsein, ein unbedingter Wille und die bemerkenswerte Bega- Politik ohne Geschichte ist wurzellos, bleibt ziellos, bung, breite Bevölkerungskreise anzusprechen – dank ohne Grund und Perspektive. Wer die Zukunft poli- eines ganz besonderen Gespürs für Menschen. tisch gestaltet, muß aus der geschichtlichen Erfah- rung leben, ohne bei ihr stehen zu bleiben. Dabei gelang ihm, auch in den internationalen Bezie- Die politischen Akzente, die er mit dieser Begründung hungen politisch enge und persönlich freundschaftliche in seiner Amtszeit – auch gegen Widerstand – zu setzen Beziehungen zu den wichtigen Staatschefs in aller Welt wusste, werden bleiben; sie prägen unser Geschichtsbe- aufzubauen, in Frankreich genauso wie in den USA und wusstsein und unsere Erinnerungskultur: das Deutsche in Russland. Er war die „personifzierte vertrauensbil- Historische Museum in Berlin etwa und das Haus der dende Maßnahme der Weltpolitik“, wie er dieser Tage in Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn, manchen Medien treffend gewürdigt wurde. die unsere nationale Geschichte immer auch europäisch einbetten, aber auch die Neue Wache Unter den Linden, Typisch dafür, und im Gedächtnis der Polen ver- die uns als Gedenkstätte für die Opfer von Krieg und Ge- mutlich stärker verankert als bei uns, sind die Umstän- waltherrschaft an die entsetzlichen Verirrungen der deut- de seines Staatsbesuchs in Warschau am 9. November schen Geschichte im 20. Jahrhundert erinnert. 1989 – ein Besuch, den Kohl zwar unterbrach, um im welthistorischen Moment in Berlin zu sein, aber eben Liebe Kolleginnen und Kollegen, verehrte Gäste, in nicht abbrach, sondern zur Überraschung seiner Gastge- den vielen Nachrufen der vergangenen Tage dominieren ber am 11. November fortsetzte. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24481

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Liebe Kolleginnen und Kollegen, in seinen Weltge- Sein Tod bedeutet einen tiefen Einschnitt. Mit der Ge- (C) schichtlichen Betrachtungen schreibt der bedeutende neration Schumacher, Heuss und Adenauer verschwan- Schweizer Historiker Jacob Burckhardt: den einst die Biografen, die weit vor die NS-Zeit ins Kaiserreich zurückreichten. Mit den verstorbenen Willy Sprichwörtlich heißt es: „Kein Mensch ist unersetz- Brandt, Walter Scheel, Helmut Schmidt, Richard von lich.“ – Aber die wenigen, die es eben doch sind, Weizsäcker, Roman Herzog, Hans-Dietrich Genscher sind groß ... Der große Mann ist ein solcher, ohne und nun auch Helmut Kohl werden uns die Generationen welchen die Welt uns unvollständig schiene, weil fehlen, für die die Epoche der Weltkriege keine Erzäh- bestimmte große Leistungen nur durch ihn inner- lung, sondern eine Erfahrung war – und Europa deshalb halb seiner Zeit und Umgebung möglich waren und immer auch eine Frage von Krieg und Frieden. Sich die- sonst undenkbar sind; er ist wesentlich verfochten ses Erbes zu vergewissern, ist offensichtlich notwendiger in den großen Hauptstrom der Ursachen und Wir- denn je. kungen. Helmut Kohl hat Konrad Adenauer, dessen Erbe er „Undenkbar“? Helmut Kohl hat ebenso wenig alleine die sich maßgeblich verpfichtet fühlte, als einen – Zitat – deutsche Einheit ermöglicht wie Otto von Bismarck den „Glücksfall für Deutschland“ bezeichnet. Er selbst war deutschen Nationalstaat. Aber beide fundamentalen Ver- es auch: ein Glücksfall für Deutschland und für Europa. änderungen der deutschen Geschichte lassen sich ohne Wir Deutschen können uns glücklich schätzen angesichts deren beider Namen schwerlich vorstellen. von Persönlichkeiten seines Formats, um die uns manche Die Bonner Republik begann mit Konrad Adenauer; Nachbarn beneiden. und sie endete in der Kanzlerschaft Helmut Kohls, der Wir verneigen uns in Respekt und Dankbarkeit vor zugleich dazu beitrug, dass ihre Grundpfeiler auch die dem Lebenswerk Helmut Kohls, dem Kanzler der Ein- Berliner Republik trugen. In bedeutenden Persönlichkei- heit und Ehrenbürger Europas. Unser Mitgefühl gilt sei- ten spiegeln sich regelmäßig ihre Epochen. Helmut Kohls nen Angehörigen. Wir wünschen ihnen in ihrer Trauer historische Größe wird darin deutlich, dass er nicht nur Kraft und Trost. eine Ära mitprägte, sondern das Verbindungsglied zwei- er Epochen geworden ist: Die eine half er glücklich zu Ich möchte Sie bitten, sich als Zeichen des Respekts, überwinden, für die andere – unsere in einem vereinten unserer Dankbarkeit und unserer Trauer im Gedenken an Europa – legte er die bleibenden Grundlagen. So war Helmut Kohl von den Plätzen zu erheben. für ihn auch geradezu selbstverständlich, was für viele – auch für mich – damals durchaus diskussionsbedürftig (Die Anwesenden erheben sich) war: dass ein in Frieden wiedervereinigtes Deutschland – Ich danke Ihnen. (B) nicht länger von Bonn, sondern wieder von Berlin regiert (D) und parlamentarisch kontrolliert werden müsse. (Die Anwesenden nehmen wieder Platz) Das viele Licht um große Persönlichkeiten wirft Wir unterbrechen nun diese Sitzung und setzen sie Schatten. Das gilt auch für Helmut Kohl, der selbst sein in wenigen Minuten mit der vereinbarten Tagesordnung Leben als einen Weg von großen Erfolgen und schweren fort. Niederlagen beschrieben hat. 1976 hatte Kohl als Kanz- (Unterbrechung von 9.25 bis 9.30 Uhr) lerkandidat die Union mit 48,6 Prozent der abgegebenen Stimmen bei hoher Wahlbeteiligung zum zweitbesten Er- gebnis aller bisherigen und, wie wir inzwischen wissen, Präsident Dr. Norbert Lammert: auch künftigen Bundestagswahlen geführt Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. (Unruhe) Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, nach der – bis heute stattgefundenen Bundestagswahlen – die Tagesordnung um die in der Zusatzpunkteliste auf- (Heiterkeit) geführten Punkte erweitert werden soll: und wurde Oppositionsführer, weil es zu den ungeschrie- ZP 1 Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker benen Regeln einer parlamentarischen Demokratie ge- Beck (Köln), , Luise Amtsberg, hört, dass ein Land auch gegen die mit Abstand stärkste weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Partei regiert werden kann, wenn es entsprechende parla- NIS 90/DIE GRÜNEN mentarische Mehrheiten gibt. Antisemitismus entschlossen bekämpfen Kohls Weg säumten nicht zuletzt Verletzungen, die er Drucksache 18/12784 selbst erlitt und die er anderen zufügte. Manche Fehler räumte Kohl selbst ein. Dass sein Abschied nach dem ZP 2 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE Verlust der Regierungsverantwortung auch aus der akti- LINKE: ven Politik so wurde, wie es – in der Formulierung sei- Kindern das Schwimmenlernen ermögli- nes Biografen Hans-Peter Schwarz – die Umstände der chen – Auswirkungen von Privatisierungen „kreativen Verschleierung von Parteispenden“ am Ende und Schwimmbadschließungen erzwangen, hängt wieder mit der außergewöhnlichen, bisweilen auch außergewöhnlich sturen Persönlichkeit ZP 3 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ Kohls zusammen. CSU und SPD 24482 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Verlegung des Bundeswehrkontingents von Geschlechtliche und sexuelle Menschenrechte (C) Incirlik nach Al Azraq zügig durchführen gewährleisten Drucksache 18/12779 Drucksache 18/12783 (ZP 1 bis 3 siehe 239. Sitzung) Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) ZP 4 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz fahren Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit (Ergänzung zu TOP 36) Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kordula Beck (Köln), Luise Amtsberg, Katja Keul, wei- Schulz-Asche, Dr. Konstantin von Notz, Maria teren Abgeordneten und der Fraktion BÜND- Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und der NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eines Gesetzes zur Änderung des Fremdren- tengesetzes (FRG) Freiwilligendienste ausbauen und weiterent- wickeln, Engagement anerkennen und attrak- Drucksache 18/12718 tiver machen Überweisungsvorschlag: Drucksache 18/12804 Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Innenausschuss Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, For- schung und Technikfolgenabschätzung b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrach- Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der lung Abgabenordnung zwecks Anerkennung der Gemeinnützigkeit von Freifunk g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kordula Schulz-Asche, Irene Mihalic, Maria Klein- Drucksache 18/12105 Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Frak- Überweisungsvorschlag: tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Finanzausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Das freiwillige und ehrenamtliche Engage- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ment im Bevölkerungsschutz und in der Kata- (B) Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur strophenhilfe stärken (D) Ausschuss Digitale Agenda Drucksache 18/12802 c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter Meiwald, Nicole Maisch, Steff Lemke, weiterer Überweisungsvorschlag: Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Innenausschuss (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) DIE GRÜNEN Ausschuss für Bildung, For- schung und Technikfolgenabschätzung Umweltverschmutzung durch Mikroplastik- Federführung strittig freisetzung aus Kosmetika und Waschmitteln beenden h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Kerstin Drucksache 18/10875 Andreae, Dr. Franziska Brantner, weiterer Ab- Überweisungsvorschlag: geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher- GRÜNEN heit Gesellschaftliche Teilhabe und gute Bildung d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Lisa für alle Kinder und Jugendlichen sicherstellen Paus, Kordula Schulz-Asche, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Drucksache 18/12795 NIS 90/DIE GRÜNEN Überweisungsvorschlag: Rechtssicherheit für bürgerschaftliches En- Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) gagement – Gemeinnützigkeit braucht klare Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- Regeln schätzung Drucksache 18/12559 ZP 5 Weitere abschließende Beratungen ohne Aus- Überweisungsvorschlag: sprache Finanzausschuss (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Ergänzung zu TOP 37) e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Petzold (Havelland), Sigrid Hupach, Matthias W. Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Frakti- Claudia Roth (Augsburg), weiterer Abgeordneter on DIE LINKE und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24483

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Schnelle Hilfe für die in Russland verfolgten Drucksache 18/11272 (C) Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transperso- Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- nen und Intersexuellen (LGBTI) ses für Recht und Verbraucherschutz (6. Aus- Drucksache 18/12801 schuss) b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Drucksache 18/12785 richts des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu dem Antrag ZP 8 a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun- der Abgeordneten Harald Petzold (Havelland), desregierung eingebrachten Entwurfs eines Stefan Liebich, Jan Korte, weiterer Abgeordneter Gesetzes zur strafrechtlichen Rehabilitie- und der Fraktion DIE LINKE rung der nach dem 8. Mai 1945 wegen ein- vernehmlicher homosexueller Handlungen Verfolgung von Lesben, Schwulen, Bise- verurteilten Personen und zur Änderung xuellen, Transpersonen und Intersexuellen des Einkommensteuergesetzes (LGBTI) in Tschetschenien entgegentreten Drucksachen 18/12038, 18/1237, 18/12641 Drucksachen 18/12091, 18/12824 Nr. 1.1 c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- – Zweite und dritte Beratung des von den Ab- richts des Verteidigungsausschusses (12. Aus- geordneten Katja Keul, Volker Beck (Köln), schuss) Renate Künast, weiteren Abgeordneten und – zu dem Antrag der Abgeordneten Norbert der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Müller (Potsdam), Katrin Kunert, Wolfgang eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Aufhebung der nach 1945 in beiden deut- Fraktion DIE LINKE schen Staaten gemäß den §§ 175, 175a Nummer 3 und 4 des Strafgesetzbuches Rekrutierung von Minderjährigen für die und gemäß § 151 des Strafgesetzbuches der Bundeswehr sofort beenden und keine DDR ergangenen Unrechtsurteile Ausbildung von Jugendlichen an Waffen Drucksache 18/10117 – zu dem Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Dr. Franziska Brantner, Agnieszka Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Brugger, weiterer Abgeordneter und der schusses für Recht und Verbraucherschutz Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (6. Ausschuss) (B) (D) Keine Rekrutierung Minderjähriger in die Drucksache 18/12786 Bundeswehr – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- Drucksachen 18/10241, 18/981, 18/10543 schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Drucksache 18/12828 richts des Ausschusses für Verkehr und digitale b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Infrastruktur (15. Ausschuss) zu dem Antrag der richts des Ausschusses für Recht und Verbrau- Abgeordneten Matthias Gastel, Tabea Rößner, cherschutz (6. Ausschuss) zu dem Antrag der Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Katja Keul, Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Renate Künast, weiterer Abgeordneter und der Fahrverbot für laute Güterwagen Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksachen 18/10033, 18/11144 Individuelle und kollektive Entschädigung für die antihomosexuelle Strafverfolgung ZP 6 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion nach 1945 in beiden deutschen Staaten BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Drucksachen 18/10118, 18/12786 Europapolitik der Bundesregierung zwischen Griechenland-Krise, Brexit und Europäi- ZP 9 Beratung des Antrags des Bundesministeriums schem Rat der Finanzen ZP 7 – Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Portugal: Vorzeitige teilweise Rückzahlung desregierung eingebrachten Entwurfs eines der IWF-Finanzhilfe; Einholung eines zustim- Gesetzes zur effektiveren und praxistaugli- menden Beschlusses des Deutschen Bundesta- cheren Ausgestaltung des Strafverfahrens ges nach § 3 Absatz 2 Nummer 2 des Stabilisie- rungsmechanismusgesetzes Drucksache 18/11277 Drucksache 18/12733 – Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Tabea Gesetzes zur Änderung des Strafgesetz- Rößner, Ulle Schauws, Katja Dörner, weiterer buchs, des Jugendgerichtsgesetzes, der Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Strafprozessordnung und weiterer Gesetze DIE GRÜNEN 24484 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Sonderbeauftragten der Vereinten Nationen Über diesen Geschäftsordnungsantrag stimmen wir (C) zum Schutz von Journalistinnen und Journa- jetzt ab. Wer stimmt für diesen Aufsetzungsantrag? – Wer listen ermöglichen stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist jeden- falls bei einer erkennbaren hinreichenden Mehrheit der Drucksache 18/12803 Aufsetzungsantrag gegen die Stimmen der Opposition ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Brigitte angenommen. Pothmer, Kerstin Andreae, Ulle Schauws, wei- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b auf: terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Rückkehrrecht auf Vollzeit einführen Gesetzes zur Reform der Pfegeberufe (Pfe- Drucksache 18/12794 geberufereformgesetz – PfBRefG) Dabei soll wie immer von der Frist für den Beginn der Drucksache 18/7823 Beratungen, soweit erforderlich, abgewichen werden. Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Nach dem Tagesordnungspunkt 37 – hier geht es schusses für Gesundheit (14. Ausschuss) um die abschließenden Beratungen ohne Debatte – soll Drucksache 18/12847 die von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen verlangte Aktuelle Stunde mit dem Titel „Europapolitik der Bun- – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- desregierung zwischen Griechenland-Krise, Brexit und schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Europäischem Rat“ aufgerufen werden. Der Tagesord- Drucksache 18/12848 nungspunkt 13 – Spitzensportförderung – soll abgesetzt werden. Die Tagesordnungspunkte 14 a und 14 b – hier b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- geht es um Pestizidreduktion in der Landwirtschaft – sol- richts des Ausschusses für Gesundheit (14. Aus- len nunmehr in Verbindung mit dem bisher ohne Debatte schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten vorgesehenen Tagesordnungspunkt 37 f aufgerufen wer- Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, den. Die Tagesordnungspunkte 14 c und 14 d – hier geht Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter es um den Einsatz von Glyphosat – werden abgesetzt. und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN An der Stelle des nach hinten rückenden Tagesord- Eine Lobby für die Pfege – Arbeitsbedingun- nungspunktes 15 a – Bundesnaturschutzgesetz – soll gen und Mitspracherechte von Pfegekräften mit einer Debattenzeit von 38 Minuten der Entwurf ei- verbessern (B) (D) nes Gesetzes zur strafrechtlichen Rehabilitierung der Drucksachen 18/11414, 18/12841 nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homo- sexueller Handlungen verurteilten Personen und zur Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Änderung des Einkommensteuergesetzes auf der Druck- die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Auch das ist sache 18/12786 in Verbindung mit dem Gesetzentwurf offenkundig einvernehmlich. Dann können wir so ver- auf der Drucksache 18/10117 und dem Antrag auf der fahren. Drucksache 18/10118 abschließend beraten werden. Der Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Tagesordnungspunkt 15 b soll abgesetzt werden. Der Georg Nüßlein für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. Tagesordnungspunkt 22 – Bekämpfung von Diskrimi- nierung – soll nunmehr in Verbindung mit dem Tages- (Beifall bei der CDU/CSU) ordnungspunkt 37 ohne Debatte aufgerufen werden. Da- rüber hinaus kommt es zu den in der Zusatzpunkteliste Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): dargestellten weiteren Änderungen des Ablaufs. Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Die Reform der Pfegeausbildung ist der Schlussstein in einer Sind Sie mit diesen Veränderungen der Tagesordnung, Reihe von Pfegegesetzen, mit denen wir die Pfege refor- die Ihnen vermutlich sofort einleuchten, in genau dieser miert haben. Sie ist der Schlussstein, der am schwierigs- Reihenfolge einverstanden? – Das ist doch gut so. Dann ten zu setzen war. Wir hatten im Mai des letzten Jahres ist die neue Tagesordnung so beschlossen. eine Anhörung zu dem Thema und haben erleben müs- Bevor ich den ersten Tagesordnungspunkt aufrufe, sen, dass die Fachwelt tief gespalten bei der Frage ist, ob müssen wir noch einen Geschäftsordnungsantrag be- wir in Zukunft die Ausbildung spezialisiert machen oder handeln. Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD generalistisch und breit halten wollen. haben fristgerecht beantragt, die heutige Tagesordnung Wir haben in der Tat in der sich anschließenden Dis- um die zweite und dritte Beratung der von der Bundes- kussion innerhalb der Fraktionen auf die Bedenken, die regierung eingebrachten Gesetzentwürfe zur effektiveren uns vorgetragen wurden, reagiert. Ich sage an dieser Stel- und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfah- le ausdrücklich, weil es Forderungen gab, noch einmal rens auf den Drucksachen 18/11277 und 18/12785 und eine Anhörung durchzuführen: Dieses Anliegen ist da- zur Änderung des Strafgesetzbuchs, des Jugendgerichts- durch obsolet, dass wir auf das eingegangen sind, was gesetzes und der Strafprozessordnung auf den Druck- uns damals vorgetragen wurde. sachen 18/11272 und 18/12785 zu erweitern und im Anschluss an Tagesordnungspunkt 12 mit einer Debat- Ich möchte am Anfang meiner Rede ganz herzlich tenzeit von 38 Minuten zu beraten. meinem Kollegen Lauterbach für eine verlässliche Zu- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24485

Dr. Georg Nüßlein (A) sammenarbeit – nicht nur in diesem Punkt – danken. Ich Wir haben dafür gesorgt, dass die unterstellten Perso- (C) weiß nicht, ob ich Ihnen, Herr Lauterbach, damit schade. nalkosten von den Einrichtungen nicht nur angemessen nachgewiesen, sondern auch tatsächlich gezahlt werden. (Dr. [DIE LINKE]: Natür- Außerdem haben wir dank dem Pfegebeauftragten auch lich!) dafür gesorgt, dass es zu einer Entbürokratisierung in der Das kann ich nicht beurteilen. Nehmen Sie es als unver- Pfegedokumentation kommt. meidbaren Kollateralschaden und nicht als bedingten Vorsatz. Wir haben gemeinsam eine ganze Menge in der Warum erzähle ich das einleitend, bevor ich auf den Gesundheitspolitik bewirkt. Gesetzentwurf als solchen eingehe? Mich hat in der Dis- kussion vieles geärgert – das sage ich ganz ehrlich –, Wenn ich davon spreche, dass die Reform der Pfege- insbesondere dass die, die ganz besonders für die Gene- ausbildung der Schlussstein ist, dann muss ich etwas aus- ralistik waren, eigentlich nur berufspolitische Argumen- holen, um auf das Gewölbe insgesamt einzugehen; denn te vorgetragen haben, obwohl es doch viele gute andere Pfege war das Topthema dieser Legislatur. Ich danke an Argumente dafür gibt, eine Ausbildung, die sich in wei- dieser Stelle ganz herzlich dem Gesundheitsminister da- ten Teilen überschneidet, stärker zu verzahnen. Es gibt für, dass er die Akzente so gesetzt hat. Ich danke ihm auch gute Argumente dafür, übergeordnet auszubilden; auch für seine Kompromissbereitschaft in diesem heute schließlich leben wir in einer Zeit, in der es immer mehr zu beratenden speziellen Punkt. Ich möchte in den Dank Multimorbidität gibt, in der wir mehr Kenntnisse über die Kollegin Schön einschließen, die Berichterstatterin den Umgang mit Alten in Krankenhäusern brauchen. Für ist, sowie die Kollegen Irlstorfer, Rüddel und Riebsamen, all das gibt es Argumente. die ihren Beitrag dazu geleistet haben, dass wir heute an diesen Punkt kommen. Vielen herzlichen Dank! Aber am meisten geärgert hat mich, dass man all jenen, die kritisch mit dieser Thematik umgegangen sind, in die (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Schuhe schieben wollte, sie wollten den Beruf nicht auf- Dr. Karl Lauterbach [SPD] – Petra Crone werten und nicht dafür Sorge tragen, dass die Löhne stei- [SPD]: Wir waren auch beteiligt!) gen. Wenn das so wäre, dann hätten wir all die Dinge, die – Natürlich gilt das ganz genauso, Frau Crone, mit der ich gerade beschrieben habe, so nicht gemacht. Dass man gleichen Herzlichkeit für die Arbeitsgruppe der SPD. uns das so in die Schuhe schieben wollte, war unlauter. (Zurufe von Abgeordneten der SPD: Ah!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aber ich gehe jetzt einmal davon aus, dass der Kollege Es gibt immer noch ein paar, die mit dem Kompro- (B) Lauterbach, der dafür zuständig ist, in seiner Rede noch miss, der aus meiner Sicht das Thema „generalistische (D) entsprechend darauf eingehen wird. Ausbildung“ schwerpunktmäßig im Bereich der klassi- schen Krankenpfege intelligent verzahnt, und mit dem (Zuruf von der SPD: Wir sagen dazu nichts!) Erhalt des Berufsbildes der Altenpfege und der Kinder- Ich gehe jetzt auf die Verbesserungen ein, weil sie eine krankenpfege kritisch umgehen. Ich sage Ihnen ganz Rolle spielen, also entscheidend sind. Wir haben die Rah- ehrlich: Diese Kritik, die die Opposition nachher in allen menbedingungen für die Pfege, insbesondere für diejeni- Farben vortragen wird, kann eigentlich noch gar nicht gen, die täglich einen harten Job auf diesem Gebiet ma- vorgetragen werden, weil man noch gar nicht wissen chen, deutlich und erkennbar verbessert. Wir haben dafür kann, was am Ende kommt. Denn das Entscheidende ist gesorgt, dass im Krankenhausbereich ein Pfegeperso- doch, meine Damen und Herren, dass wir hier nur einen nalzuschlag von insgesamt 500 Millionen Euro bereitge- Rahmen vorgeben. Dieser Rahmen muss in der nächsten stellt wird, um sicherzustellen, dass die Personalkosten in Legislatur – so ist es halt – gefüllt werden mit der Verord- Zukunft kein Steinbruch mehr sind, um Geld zu sparen. nung zu den Lerninhalten, die der nächste Deutsche Bun- Wir haben ein Pfegestellen-Förderprogramm mit einem destag festlegen wird. Wir haben dafür gesorgt, dass das Umfang von 660 Millionen Euro aufgelegt. Wir haben mit Zustimmung des Deutschen Bundestags stattfnden zur Tarifohnschere gesagt: Die Tariferhöhungen werden wird, dass das also nicht alleiniges Regierungshandeln zur Hälfte refnanziert. Wir werden gemeinsam mit der bleibt, sondern dass der Bundestag bei dieser wichtigen Selbstverwaltung eine Personaluntergrenze defnieren, Frage auch im Boot bleibt. Es ist äußerst wichtig – so damit in pfegeintensiven Bereichen keine Unterbeset- glaube ich –, dass das so kommt. zungen vorkommen. Wir haben dafür gesorgt, dass die Tarifbezahlung in der Altenpfege nicht mehr als unwirt- Weiter haben wir dafür gesorgt, dass Hauptschüler schaftlich hingestellt wird. und Quereinsteiger mit an Bord bleiben. Das muss und wird sich bei den Lerninhalten niederschlagen. In mei- (Mechthild Rawert [SPD]: Hart erkämpft! – nem Bundesland arbeiten bis zu 40 Prozent Hauptschüler Lachen bei Abgeordneten der SPD) in der Altenpfege. Es macht überhaupt keinen Sinn – wie Wir haben dafür gesorgt, dass vorsätzliche personelle es uns der Deutsche Pfegerat nahegelegt hat –, die ganze Unterdeckungen sanktioniert werden. Da wir das ge- Ausbildung so hoch zu hängen, dass wir diese wichti- meinsam mit der SPD gemacht haben, wundere ich mich gen Leute, die mit Fachkenntnis, aber auch mit Empa- über die Zwischenrufe an dieser Stelle. thie pfegen, am Schluss verlieren. Das war das eigent- liche Anliegen, warum wir diese Reform, Herr Kollege (Petra Crone [SPD]: Wir haben nur gelacht!) Lauterbach, so gestrickt haben, wie wir sie gestrickt ha- 24486 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Dr. Georg Nüßlein (A) ben. Ich glaube, das ist etwas, was man gar nicht massiv – Ja, dann sind wir ja froh – ich traue Ihnen das zu, dass (C) und lange genug hervorheben kann. das stimmt –, wenn es abgeschafft worden ist. Wenn der Herr Laumann das schon gemacht hat, (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Karl Lauterbach [SPD]) (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, der hat es gerade nicht ge- Nun wird es in den Grundzügen so sein, wie ich es macht!) schon beschrieben habe: Die Krankenpfege wird durch eine generalistische, breite Ausbildung ersetzt, sodass dann ist das wunderbar. Dann nehme ich alles zurück. derjenige, der eine Krankenpfegeausbildung gemacht Trotzdem bleibt der Hinweis an die Länder, die es noch hat, am Ende beispielsweise auch in der Altenpfege tätig nicht getan haben werden kann. Die Alten- und die Kinderkrankenpfege bleiben erhalten, es gibt aber zwei gemeinsame Jahre. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE Nach diesen zwei gemeinsamen Jahren wählt der bzw. GRÜNEN]: Gerade NRW hat eine sehr gute die Auszubildende den weiteren Weg. Im dritten Jahr Umlage! Das war das Beispiel! Das ist unver- kann man sich für eine Spezialisierung, etwa als Alten- schämt, was Sie sagen!) pfeger oder Kinderkrankenschwester, entscheiden oder – ich bin ja nun nicht für die Länder zuständig –, es recht- sich anders orientieren und eine generalistische Ausbil- zeitig zu tun. dung anstreben.

Diese Wahlfreiheit ist eigentlich der Kern dieses Kom- Präsident Dr. Norbert Lammert: promisses. Nicht die Politik entscheidet, sondern es ent- scheidet der Arbeitsmarkt, es entscheiden insbesondere Herr Kollege. diejenigen, die die Ausbildungen absolvieren. Ich glaube, es liegt sehr nahe, das so auszugestalten, und es ist auch Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): richtig, das so zu machen. Ich bin der Meinung, wir sind hier einen richtigen Nun weiß niemand, wie diese Entscheidungen aus- Weg gegangen. Wir sorgen für eine neue Finanzierungs- gehen, aber es gibt schon erste Vorwürfe. Deshalb sage grundlage, und wir sorgen für eine inhaltliche Reform. ich Ihnen: Es gibt keinen Automatismus im Gesetz, wie Das wird letztlich von den Auszubildenden – nicht von immer behauptet wird. 2020 wird das Gesetz in Kraft tre- der Politik – sinnvoll entschieden. Und wenn ich mir das ten, und das Ergebnis wird im Jahr 2026 evaluiert. Sechs Geschreie hier anhöre, ist es gut, dass das nicht die Po- Jahre später wird also evaluiert, und dann entscheidet der litik macht. (B) Deutsche Bundestag frei, wie er immer frei entscheidet, Vielen herzlichen Dank. (D) in welche Richtung das Ganze gehen wird. Er entscheidet ganz unabhängig, ob er das eine oder das andere fort- (Beifall bei der CDU/CSU – Maria Klein- setzen wird. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er das Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: gegen den Arbeitsmarkt oder gar gegen die Auszubilden- Unglaublich!) den entscheiden wird. Insofern ist mir gar nicht bange, dass das, was in diesem Gesetz angelegt ist, tatsächlich gelingt. Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin Pia Die große, wichtige Botschaft in dem Zusammenhang Zimmermann das Wort. ist: Wir schaffen über den Ausbildungsfonds das Schul- geld ab. Es ist unsäglich, dass es noch Bundesländer gibt, (Beifall bei der LINKEN) die Schulgeld verlangen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Pia Zimmermann (DIE LINKE): der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- DIE GRÜNEN) ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition! Mit dem Pfegeberufereformgesetz haben Sie Jetzt kann man sagen: Das dauert ja noch, bis das Ganze große Erwartungen geweckt. Sie haben eine Reform der in Kraft tritt. – Ich lege denjenigen, die es bisher noch Pfegeberufe versprochen. Tatsächlich haben Sie jetzt nicht abgeschafft haben – Nordrhein-Westfalen bei- ein großes Durcheinander vorgelegt, und Sie nennen das spielsweise unter der alten SPD-Regierung –, nahe, das auch noch „Kompromiss“. Ja, und tatsächlich ist es ein Thema entsprechend zu bearbeiten. Kompromiss, aber auf rein politischer Ebene. Mit Fach- (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/ lichkeit hat diese Gesetzesvorlage jedenfalls nicht viel zu DIE GRÜNEN]: Schulgeld gibt es in Nord- tun, und eine Reform ist es schon gar nicht. rhein-Westfalen nicht! Sie haben überhaupt (Beifall bei der LINKEN) keine Ahnung!) – Das Schuldgeld gibt es nicht mehr? Vor über einem Jahr haben Sie uns einen Gesetzent- wurf vorgelegt. Monatelang haben Sie nicht nur uns, (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE sondern vor allen Dingen auch die Betroffenen, also die GRÜNEN]: Ihr Herr Laumann hat das Schul- Schulen, die Auszubildenden, am Ende auch die Men- geld hinterlassen!) schen mit Pfegebedarf und deren Angehörige, im Regen Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24487

Pia Zimmermann (A) stehen lassen. Kein Bild, kein Ton – meine Damen und der verschiedenen Ausbildungsgänge und -abschlüsse (C) Herren, so geht das nicht. wird kaum noch jemand wissen, wofür sie oder er sich entscheiden soll. Angesichts der schlechten Arbeitsbedin- (Beifall bei der LINKEN) gungen, der geringen Bezahlung und der katastrophalen Was Sie jetzt im Eilverfahren vorgelegt haben, verbes- Personalsituation gibt es dann nicht mehr viele Gründe, sert gar nichts. Das wissen Sie offenbar selbst; denn Sie sich überhaupt noch für den Pfegeberuf zu entscheiden. haben eine bereits terminierte Anhörung mit den Stim- men der SPD abgesagt. Meine Damen und Herren, dieses Gesetz wertet den Pfegeberuf auch nicht auf. Im Gegenteil: Es wird dazu (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Zehn Jahre führen, dass die Altenpfege weiter abgehängt wird, statt Eilvorlage!) dass sie gefördert wird. Es wird im schlimmsten Fall so- gar zu einer Deprofessionalisierung der Pfegekräfte in Zwölf Stunden vor den Beratungen haben Sie uns 46 Än- allen Bereichen führen, derungsanträge auf 81 Seiten vorgelegt, die bereits 14 Tage vorhanden waren. Nennen Sie das einen demo- ( [CDU/CSU]: So ein Unsinn!) kratischen Prozess? Ich nicht! weil die fachlichen Kompetenzen der verschiedenen (Beifall bei der LINKEN – Erich Irlstorfer Pfegeberufe nicht gestärkt werden. [CDU/CSU]: Bleiben Sie bei der Wahrheit!) Dieses Gesetz verbessert die Ausbildungsbedingun- Inzwischen haben Sie Ihr eigenes Gesetz so sehr ver- gen nicht. Im Gegenteil: Die praktische Ausbildung wird ändert, dass nicht einmal mehr Ihre einstigen Unterstüt- noch unübersichtlicher, als sie ohnehin schon ist. Bis zerinnen und Unterstützer sich damit noch identifzieren heute liegt keine Ausbildungs- und Prüfungsverordnung können. Ich habe Ihnen einige Zitate von Verbänden mit- vor – trotz Ihrer Zusicherung, diese Verordnung zur Ge- gebracht, die normalerweise Ihre Positionen vertreten: setzesverabschiedung im Entwurf vorzulegen. Dieser Alternativvorschlag ist berufspolitisch rück- Die Finanzierung der Ausbildung ist bis heute nicht ständig und pädagogisch unsinnig. vollständig geklärt. Nach seriösen Berechnungen wird Das sagt der Bundesverband Lehrende Gesundheits- und Ihr Finanzplan nicht aufgehen. Außerdem werden mit Sozialberufe. Ihrem Entwurf die Ausbildungskosten auf Menschen mit Pfegebedarf in stationären Einrichtungen umgelegt. Das Bereits jetzt ist absehbar, darf nicht sein. Was wollen Sie den Menschen denn ei- dass die Kapazitäten für bestimmte Ausbildungsab- gentlich noch zumuten? (B) schnitte nicht fächendeckend zur Verfügung stehen. (Beifall bei der LINKEN) (D) (Maria Michalk [CDU/CSU]: Woher wissen Meine Damen und Herren, dieses Gesetz ist keine die denn das?) gute Entscheidung für die Pfege. Keine Entscheidung Das birgt die Gefahr, dass sich die Ausbildungszeit wäre besser als das, was uns hier vorliegt. Mit diesem verlängert und der Fachkräftemangel eher verstärkt faulen Kompromiss mit dem trügerischen Namen „Pfe- wird. geberufereformgesetz“ haben Sie einen Koalitionsstreit auf dem Rücken der Pfegekräfte und der zu pfegenden Das sagt der Verband der Krankenhausdirektoren Menschen ausgetragen. Das ist unglaublich. Deutschlands. (Beifall bei der LINKEN) (Maria Michalk [CDU/CSU]: Der disqualif- ziert sich selber!) Um den Pfegeberuf attraktiver zu machen, braucht es nicht nur eine viel bessere Ausbildungsreform; man muss Nach einem unvorstellbaren Gewürge gibt es jetzt vor allem die Rahmenbedingungen verbessern, und zwar einen Kompromiss von Union und SPD. sofort. Die Pfege braucht eine feste Personalbemes- ( [CDU/CSU]: Politik lebt von sung – nicht erst nach 2020 in der Altenpfege und nicht Kompromissen, Frau Kollegin!) nur für ausgewählte Bereiche im Krankenhaus. Unsere Befürchtung bleibt: Dank dieses bürokrati- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) schen Kuddelmuddels werden Unternehmen weni- ger ausbilden. ... Die alten Menschen und die Alten- Die Pfege braucht eine allgemein verbindliche tarif- pfege werden zum Opfer dieser Reform. liche Bezahlung in allen Bereichen, die von den Kassen fnanziert werden, und die Pfege braucht mehr Mitbe- Das sagt der Arbeitgeberverband Pfege. stimmung aller Beteiligten: der Pfegekräfte, der Ange- (Petra Crone [SPD]: Auf die Seite würde ich hörigen und der Menschen mit Pfegebedarf. mich auch schlagen! Sehr erstaunlich! – Wei- (Beifall bei der LINKEN) tere Zurufe von der SPD) Meine Damen und Herren, nur so kann eine gute Pfe- Ich sage, meine Damen und Herren: Deutlicher geht es ge gelingen, und dafür setzen wir Linke uns ein. nicht mehr. Herzlichen Dank. Dieses Gesetz macht die Pfegeausbildung nicht at- traktiver. Im Gegenteil: Durch die Unübersichtlichkeit (Beifall bei der LINKEN) 24488 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

(A) Präsident Dr. Norbert Lammert: Wir brauchen eine generalistische Pfegeausbildung, (C) Für die Bundesregierung hat nun die zuständige Bun- weil immer mehr ältere Menschen im Krankenhaus desministerin Frau Dr. Barley das Wort. liegen, die mehr pfegerische Zuwendung brauchen als jüngere, weil in den Pfegeheimen eine steigende Anzahl (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten von Menschen lebt, die auch Krankenpfege brauchen, der CDU/CSU) und weil in der wichtigen ambulanten Pfege Akutpfe- ge und Langzeitpfege beherrscht werden müssen, wes- Dr. Katarina Barley, Bundesministerin für Familie, wegen diese Bereiche nicht getrennt werden können. Senioren, Frauen und Jugend: Was ist hieran nun das Neue? Wir reagieren darauf, in- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und dem wir Krankenpfege und Altenpfege einander annä- Kollegen! Gerade gestern habe ich an dieser Stelle den hern, indem Pfegekräfte eine moderne, generalistische Zweiten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung Ausbildung erhalten, die EU-weit anerkannt ist. Deren vorgestellt. Ein wichtiges Element darin war die Aufwer- Abschluss eröffnet sogar noch die Möglichkeit zum tung sozialer Berufe. Genau mit diesem Vorhaben ma- Pfegestudium, das heißt, wir schaffen auch mehr Auf- chen wir Ernst. stiegschancen in der Pfege. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Maria GRÜNEN]: Wenn das so wäre!) Michalk [CDU/CSU]) Das Gesetz zur Reform der Pfegeberufe ist ein großer Außerdem wird es eine Differenzierung im dritten Aus- Schritt in Richtung einer Aufwertung der sozialen Beru- bildungsjahr geben. Ich gebe zu: Das ist nicht die von fe. mir favorisierte Lösung gewesen. Wir haben aber gehört, dass es nach sechs Jahren eine Evaluierung geben wird, Sehr geehrte Frau Zimmermann, wenn die Linke jetzt und wir werden sehen, ob sich dann Änderungsbedarf anfängt, den Arbeitgeberverband Pfege und den Verband zeigt. der Krankenhausdirektoren Deutschlands zu zitieren, dann sollten Sie sich einmal Gedanken darüber machen, Einen Punkt, der mir besonders wichtig ist, möchte ich ob Sie da vielleicht nicht auf einer etwas schiefen Ebene noch ansprechen: Es gibt nur wenige Berufe, in denen sind. man zur Ausbildung noch Geld mitbringen muss und kei- ne Ausbildungsvergütung erhält. Interessanterweise sind (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten das meistens Berufe, in denen überwiegend Frauen tätig der CDU/CSU – Maria Michalk [CDU/CSU]: sind. Dann ist da was schief! – Michael Grosse- (B) Brömer [CDU/CSU]: Möglicherweise sind sie (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE (D) klüger geworden!) GRÜNEN]: Mehr als Männer!) Heute hat sich Annelie Buntenbach vom Deutschen Ich halte es für einen riesigen Erfolg, dass wir die Ausbil- Gewerkschaftsbund dahin gehend geäußert, dass diese dungsfnanzierung neu regeln, das Schulgeld abschaffen Reform längst überfällig sei und insbesondere im Bereich und einen Ausbildungsfonds einrichten, der eine siche- Mitbestimmung ganz große Fortschritte bringen werde. re Finanzierungsgrundlage bietet. Alle Auszubildenden Wer einmal Angehörige selbst gepfegt hat, der weiß, was werden eine angemessene Vergütung erhalten. Der Fonds das für eine Herausforderung ist – emotional, körperlich, ist nicht gedeckelt, das heißt, es wird jeder Bedarf ge- mental –, aber auch wie bereichernd diese Tätigkeit sein deckt werden, es wird keine Platzbegrenzung geben. kann. Wer diese Tätigkeit als Beruf wählt, der wählt den Eine solche moderne Pfegeausbildung, sehr geehrte Dienst am Menschen mit all den Herausforderungen, und Damen und Herren, ist eine Frage von Wertschätzung, das verdient erst einmal unseren allerhöchsten Respekt. von Gerechtigkeit und von Weitsicht. Wir brauchen gut ausgebildete, motivierte, engagierte Menschen in den so- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) zialen Berufen, die sich um andere Menschen kümmern, Eine neue Struktur der Pfegeausbildung ist deswegen die das – gerade in der Pfege – auch ein Stück weit als vor allem eine Sache von Wertschätzung, von Gerechtig- Berufung empfnden, damit unser Land für alle lebens- keit und von Weitsicht – und liebenswert bleibt. (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Nur (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Worthülsen!) Ich bedanke mich sehr, insbesondere – das vielleicht Wertschätzung dafür, was diese Männer und Frauen je- zuletzt, da ich noch ein paar Sekunden Redezeit habe – den Tag leisten, Gerechtigkeit, weil wir vor allen Din- für die ausgesprochen gute Zusammenarbeit mit dem gen die Altenpfege deutlich aufwerten, und Weitsicht, Bundesministerium für Gesundheit. Das kann ich zwar weil wir die Pfege attraktiver machen müssen. Denn wir jetzt nicht aus eigener Anschauung sagen, weil der Groß- wissen: Nachwuchs wird schon heute dringend gesucht, teil des Prozesses unter meiner Vorgängerin Manuela und wir müssen sicherstellen, dass die pfegebedürftigen Schwesig abgelaufen ist, aber das gesamte Haus hat mir Menschen auch in Zukunft alle Unterstützung bekom- versichert, dass es ein ausgesprochen produktives Zu- men, die sie brauchen. sammenwirken gab. An dieser Stelle dafür herzlichen Dank! (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Maria Michalk [CDU/CSU]) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24489

(A) Präsident Dr. Norbert Lammert: ner umstrittenen Reform sollten jedoch alle von Anfang (C) Die zuletzt vorgetragene Vermutung kann der gleich an ganz genau wissen, was auf sie zukommt. folgende Bundesminister für Gesundheit ja mögli- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) cherweise bestätigen. Vorher hat aber die Kollegin Scharfenberg für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Zweitens. Herr Nüßlein, Sie haben die Wahlfreiheit das Wort. angesprochen. Dieses Gesetz wirbt mit einer Wahlfrei- heit. Konkret bietet es aber nur eine Scheinwahl. Azu- bis, die sich für einen Abschluss in der Alten- oder in Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der Kinderkrankenpfege entscheiden, können nach zwei NEN): Jahren in die generalistische Ausbildung wechseln. Die- Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und se Wahlfreiheit funktioniert. Azubis aber, die sich für die Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach etwa ei- Generalistik entschieden haben, haben keine Wahl. Sie nem Jahr Stillstand stolpert diese Koalition heute auf den können nach zwei Jahren nicht in die Alten- oder Kinder- letzten Metern in die Reform der Pfegeausbildung, krankenpfege wechseln. (Maria Michalk [CDU/CSU]: Stillstand? – (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Sie können Tino Sorge [CDU/CSU]: Das ist die Zielgera- wählen! Sie können am Anfang wählen!) de, nicht stolpern! – Michael Grosse-Brömer Ich frage Sie: Was ist das für eine Wahlfreiheit, die nicht [CDU/CSU]: Schlussspurt!) allen Azubis zusteht? über die mit äußerst harten Bandagen gestritten wurde (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – und eigentlich auch immer noch wird. Es geht nicht um Mechthild Rawert [SPD]: Das ist falsch!) irgendetwas, es geht um die grundlegende Veränderung dreier Berufsbilder. Sie betrifft Millionen von Menschen: Es kann doch gut möglich sein, dass jemand nach zwei Pfegebedürftige, Patientinnen und Patienten zu Hause, Jahren lieber in die Alten- oder in die Kinderkrankenpfe- in Pfegeheimen, in Krankenhäusern. Sie betrifft natür- ge wechseln möchte. Fehlanzeige, für diejenigen lässt lich auch die Pfegekräfte von morgen, nämlich die zu- das Gesetz im Moment nichts anderes zu. künftigen Auszubildenden. Ich frage Sie: Hält dieser Ge- Es ist richtig und wichtig, dass wir Ende 2025 eine setzentwurf insgesamt das, wofür er angetreten ist, Evaluierung vorsehen und schauen, wie viel Prozent der (Maria Michalk [CDU/CSU]: Ja!) Azubis sich für die spezialisierte Ausbildung der Alten- und Kinderkrankenpfege entschieden haben. Meine Da- was Sie uns versprechen? Wird er die Pfegeberufe at- men und Herren, aber diese blanken Zahlen dürfen nicht (B) traktiver machen, und wird er die Pfegeberufe aufwer- das Entscheidungskriterium für oder gegen die Zukunft (D) ten? eines Berufsbildes sein. Es muss die Qualität eine Rolle spielen, und es muss geschaut werden, welche Qualitäten (Mechthild Rawert [SPD]: Ja!) die zukünftigen Pfegekräfte mitbringen. Es kann sein, Wird dieser Gesetzentwurf mehr Menschen für die pro- dass die Mehrheit der Krankenhäuser und Pfegeeinrich- fessionelle Pfege gewinnen? tungen im Jahr 2025 zurückmeldet, dass die generalis- tisch ausgebildeten Kräfte nicht qualifziert genug sind (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Ja!) und die spezialisierten Kräfte viel besser sind. Hier brau- Wir Grünen sagen dazu ganz klar Nein. chen wir eine ehrliche Analyse. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Tino Sorge [CDU/CSU]: Das haben sie auch Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Ja, macht der schon einmal differenzierter gemacht!) Bundestag immer!) Um die Ziele – Attraktivität und Aufwertung – zu er- Drittens. Bei der praktischen Umsetzung ist noch ganz reichen, muss die Reform ein klares Berufsbild vermit- vieles offen. Im Rahmen der zweijährigen generalisti- teln und ein verlässliches Umsetzungskonzept liefern. schen Grundausbildung müssen alle Azubis praktische Von beidem sind wir ganz weit entfernt. Einsätze in allen Bereichen absolvieren. Das ist sehr am- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) bitioniert. Grundsätzlich wird es schwierig, ausreichend Praxisplätze in der Pädiatrie zu fnden. Es steht immer Wir haben viel Unsicherheit sowie viele Fragen, die uns noch im Raum, dass auch Kinder- und Jugendhilfeein- von der Koalition und der Bundesregierung niemand ein- richtungen geeignete Praxisorte sein sollen. Das ist und deutig und schlüssig beantworten konnte und auch nicht bleibt für die Pfegeausbildung einfach absurd. kann. An drei Beispielen möchte ich das gerne deutlich machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) So schön Sie das auch reden, es drohen einige Schwierig- Erstens. Wir brauchen eine neue Ausbildungs- und keiten in der Umsetzung. Prüfungsverordnung. Diese Verordnung ist quasi der Ausbildungslehrplan. Darin steht, was die Schulen den Verehrte Kolleginnen und Kollegen der Koalition, an- Pfegeazubis beibringen sollen. Diese Verordnung liegt gesichts dieser Probleme wäre es notwendig gewesen, zu uns noch nicht vor. Wir beschließen also heute ein Ge- diesem Kompromiss die Fachleute aus der Wissenschaft setz, dessen Inhalt wir eigentlich nicht kennen. Bei so ei- und von den Fachverbänden noch einmal anzuhören. 24490 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Elisabeth Scharfenberg (A) Aber dem haben Sie sich kategorisch verweigert. Die che Abgründe, über persönliche Grenzen und auch über (C) Probleme bleiben trotzdem ungeklärt. Das ist unverant- Grenzüberschreitungen, wortlich. (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: So schlimm (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) bei den Grünen?) aber auch viel über Toleranz, über Verständnis und auch Die Auswirkungen dieser Reform werden uns noch sehr über Empathie. Ich habe selbst manchmal umparken lange beschäftigen. Sie produzieren hier die eierlegende müssen im Kopf, und dafür bin ich sehr dankbar. Wollmilchsau, ein Fabelwesen, das alles können soll, und das auf einen Schlag. Alles, woran es in der Pfege hakt, (Tino Sorge [CDU/CSU]: Das hat aber gut soll auf einmal vom Tisch sein. Das ist ein Ding der Un- funktioniert!) möglichkeit. Ich muss sagen – auch das gehört zu meinem Umpar- ken im Kopf –: Es gibt in allen Fraktionen wunderbare Eine Reform der Pfegeausbildung ist nicht das All- Kolleginnen und Kollegen. Ich bedanke mich ganz herz- heilmittel gegen den Fachkräftemangel, gegen schlechte lich für die gute Zusammenarbeit. Wir alle treten für un- Bezahlung, gegen den Pfegekräftefrust. sere Parteien und für unsere Fraktionen an, und jeder und (Maria Michalk [CDU/CSU]: Das ist wahr! jede mit vollster Überzeugung. Das hat ja auch niemand gesagt! – Dr. Georg Es gab viele harte politische Auseinandersetzungen, Nüßlein [CDU/CSU]: Haben wir das je be- und wir haben in dieser Legislatur eine Mehrheit, die für hauptet, Frau Kollegin?) mich persönlich und, wie ich glaube, für viele in der Op- position eine echte Herausforderung war und auch noch – So wurde das immer kolportiert. – Eine Pfegeberufe­ ist. reform macht noch keine Attraktivitätssteigerung des Berufes aus. Gerade der Fachkräftemangel ist doch der (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Soll Dreh- und Angelpunkt, und hier brauchen wir eigene es ja auch sein!) Maßnahmen. Das haben Sie in dieser Wahlperiode nicht Aber ich akzeptiere das; denn jeder und jede von uns ist wirklich und ehrlich angepackt. demokratisch gewählt und hat hier seinen Platz. Auch da- für bin ich dankbar. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich bin dankbar dafür, Teil einer funktionierenden In unserem Antrag „Eine Lobby für die Pfege“, über Demokratie zu sein. Ich bin dankbar dafür, dass ich hier den heute ebenfalls hier abgestimmt wird, haben wir ei- morgens im Parlament beispielsweise den Gesundheits- (B) nige notwendige Maßnahmen genannt. Da geht es um minister Gröhe sehr scharf kritisieren kann und trotzdem (D) die schnellstmögliche Einführung eines Personalbemes- sicher bin, dass ich mich abends deshalb nicht in irgend- sungsinstruments in der Altenpfege und im Kranken- einem Gefängnis wiederfnde. haus. (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU (Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche und der SPD) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Ja. Es gibt jedoch viele Länder, die gar nicht weit von uns entfernt sind und in denen das der Alltag und die Re- Da geht es um die Unterstützung familienfreundlicher, alität ist. Wir nehmen das als viel zu selbstverständlich mitarbeiterorientierter Arbeitsbedingungen. Da geht hin. es um die Unterstützung angemessener Gehälter in der Pfege, zum Beispiel durch einen allgemein verbindli- (Beifall im ganzen Hause) chen Tarifvertrag „Soziales“. Es geht um die Stärkung Ich bin dankbar dafür. Das muss uns bewusst sein, und der professionellen Pfege in den Gremien und in der dafür müssen wir kämpfen. Selbstverwaltung. Es geht um eine nachhaltige und eine gerechte Finanzierung der Pfege durch eine Bürgerversi- In den zwölf Jahren war die Pfege mein zentrales po- cherung. – All das sind unerledigte Aufgaben. litisches Arbeitsfeld. Für mich ist und bleibt die Pfege eine der wichtigsten politischen und gesellschaftlichen So bleibt am Ende die bittere Erkenntnis: Die Pfege- Herausforderungen. Ich würde mir wünschen, dass Pfe- kräfte warten noch immer auf Hilfe, und es bleibt sehr ge noch viel, viel stärker in den Fokus rücken würde. Das viel zu tun – für Sie. Denn das hier ist heute meine letzte sehen meine pfegepolitischen Kolleginnen und Kollegen Rede im Deutschen Bundestag. Ich habe mich entschie- Pia Zimmermann, Mechthild Rawert, Erwin Rüddel und den, nicht ein weiteres Mal zu kandidieren. auch Erich Irlstorfer sicherlich genauso. Es war und es ist schön, mit euch zu arbeiten, und wir haben alle gemein- (Tino Sorge [CDU/CSU]: Das ist wirklich sam für eine gute Pfege gekämpft. Danke dafür! schade!) Oben auf der Tribüne sitzt auch mein ehemaliger Kol- Ich war hier zwölf Jahre Mitglied – drei Legislaturen, in lege Willi Zylajew. Ich freue mich, dass wir immer noch denen sehr viel passiert ist, und das meine ich nicht nur über gute Pfege streiten. Wir haben das hier acht Jahre politisch. Diese zwölf Jahre waren auch für mich persön- lang gemacht, wir tun das immer noch. Und das zeigt lich sehr wichtige Jahre, und ich habe in dieser Zeit sehr mir: einmal Pfege, immer Pfege. Das Thema lässt uns viel gelernt – über Politik, über Strategie, über menschli- einfach nicht los. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24491

Elisabeth Scharfenberg (A) Ich möchte mich bei allen Akteuren bedanken, die Ich fnde, es sollte immer wieder daran erinnert werden: (C) mich hier in Gesprächen, in Diskussionen, in Ausei­ Wir streiten uns – manches eint uns –, aber das tun wir nandersetzungen und insbesondere auch mit ihrer Kri- immer mit der Kraft des Arguments und aufgrund der tik weitergebracht haben. Stellvertretend nenne ich hier Mehrheit, mit der uns die Wählerinnen und Wähler aus- natürlich an allererster Stelle die Pfegekräfte und die gestattet haben, und wir brauchen keine Sorge vor Re- pfegenden Angehörigen selbst. Da sind die Leistungs- pressalien haben, die in anderen Ländern der Welt not- erbringer in all ihren unterschiedlichen Verbänden: die wendige Debatten erst gar nicht möglich machen. Berufsverbände, die Gewerkschaften, das Bündnis für gute Pfege und auch die Berufsgenossenschaft für Ge- (Beifall im ganzen Hause) sundheitsdienst und Wohlfahrtspfege. Und ganz beson- Im Beitrag der Kollegin Scharfenberg ist eines deut- ders – das darf natürlich nicht fehlen; das wissen Sie alle lich geworden: Das Fundament, auf dem wir streiten, ist, selbst – sind da meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, dass wir gemeinsam den Pfegebedürftigen, ihren Ange- die ich erwähnen muss; denn ohne unsere Mitarbeiterin- hörigen und den Pfegekräften den Rücken stärken wol- nen und Mitarbeiter wären wir alle nichts. Mein wunder- len. Es ist Aufgabe der Opposition, zu mahnen und zu bares Büro hat immer für meine Arbeitsfähigkeit gesorgt, drängen. Unsere Aufgabe ist es, zu handeln. Ich sage sehr und es hat mich jahrelang unermüdlich mit enormem selbstbewusst: In dieser Legislaturperiode ist so viel wie Fachwissen und mit unglaublicher Loyalität unterstützt in keiner zuvor für die Pfege getan worden. und begleitet. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ganz zum Schluss möchte ich einen ganz großen Dank – wahrscheinlich im Namen von uns allen – den Ab 1. Januar dieses Jahres wurde der neue Pfegebe- Plenarassistenten und -assistentinnen aussprechen, die dürftigkeitsbegriff umgesetzt. Endlich gibt es gleichbe- für einen reibungslosen Ablauf sorgen. Ich glaube, sie rechtigten Zugang zu allen Leistungen der Pfegeversi- haben den meisten Applaus verdient. cherung auch für demenziell Erkrankte. Zehn Jahre lang (Beifall) wurde darüber gestritten. Noch in dieser Legislaturpe- riode hat die Opposition im Zusammenhang mit dem Ich gehe heute mit einem lachenden und mit einem Pfegestärkungsgesetz I behauptet: Das Pfegestärkungs- weinenden Auge. Trotzdem ist es eine gute Entschei- gesetz II wird nie kommen. – Am 1. Januar 2017 ist es dung, auch mal loszulassen. Für mich ist es der richtige Realität geworden. Zeitpunkt. Auch über die Pfegeberufereform diskutieren wir Vielen Dank und allen eine gute weitere Zeit. seit zehn Jahren. Deswegen ist es originell, dass man- (B) (Beifall) cher pendelt zwischen den Argumenten „zu viel Zeit (D) gelassen“ und „übers Knie gebrochen“. Seit zehn Jahren diskutieren wir über die Frage, ob es nicht angemessen Präsident Dr. Norbert Lammert: ist – und ich bejahe dies eindeutig –, die Pfegeberufe in Liebe Frau Scharfenberg, den Dank für die gute Zu- einem einheitlichen Berufsbild – bei Vertiefung in spezi- sammenarbeit und die guten Wünsche gebe ich im Na- ellen Bereichen in konkreten Tätigkeitsfeldern – zusam- men des Hauses und auch persönlich gerne zurück. Wenn menzuführen, weil es die Berufe aufwertet und weil es jetzt noch der Bundesgesundheitsminister anschließend die Einsatz- und Aufstiegsmöglichkeiten unserer Pfege- feierlich versichert, dass er gelegentliche Kritik an der kräfte erhöht. Darin weiß ich mich von vielen aus der Bundesregierung im Allgemeinen und womöglich an sei- Pfegebranche unterstützt. ner Amtsführung nie zum Gegenstand von Strafanzeigen machen oder den Versuch unternehmen würde, Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. nete ins Gefängnis zu bringen, Petra Crone [SPD]) (Heiterkeit) Die Kollegin von der Linken spricht von einem Koa- litionsstreit. Sie fordern eine zweite Anhörung. Mit Ver- dann würde diese Debatte einen zusätzlichen Höhepunkt laub: Hätten Sie doch bei der ersten schon zugehört, erreichen. (Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Das ist ja (Heiterkeit und Beifall – Tino Sorge [CDU/ unglaublich!) CSU]: Dafür gibt es ja die Immunität!) dann wüssten Sie, dass es nicht um ein Hakeln in der Hermann Gröhe hat das Wort. Koalition geht, sondern dass diese umfassende Ausbil- dungsreform mit ganz vielen Hoffnungen und auch mit Hermann Gröhe, Bundesminister für Gesundheit: Sorgen verbunden ist, Sorgen zum Beispiel der privaten Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Arbeitgeber – das haben Sie eindrucksvoll unterstri- Unser Präsident hat in gewohnt heiterer Weise einen sehr chen – und Hoffnungen zum Beispiel der Wohlfahrtsver- ernsten Hinweis, nämlich dass wir dankbar dafür sein bände, des Pfegetags und des Pfegerats. Jeder artikuliert können, uns in Freiheit zu streiten, aufgenommen. hier die Sorgen und zitiert die Verbände, denen er sich besonders nahe fühlt. Ich habe beim Pfegetag einen gro- (Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE ßen Rückenwind, GRÜNEN]: Das ist nicht selbstverständlich, ja!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) 24492 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Bundesminister Hermann Gröhe (A) übrigens nicht nur in Bezug auf die Generalistik, sondern Schulgeld leisten. Das gehört dann endlich der Vergan- (C) ausdrücklich auch für den Kompromiss erfahren. genheit an. Das ist ein wichtiger Schritt.

(Beifall der Abg. [CDU/CSU]) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Ich will mit Dank an die Kollegen Nüßlein und Lauterbach auch sagen, dass ich es für richtig halte, dass NEN) in dieser Weise nach einem Kompromiss gesucht, ja ge- Ich sage sehr deutlich: Die Debatte muss weitergehen. rungen wurde, der das Ziel hat, die Hoffnungen wie die Wir haben im Gesundheitswesen auch andere Mangelbe- Sorgen ernst zu nehmen. Wir wollten nicht rechthabe- rufe; ich denke an Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, risch fragen, wer denn nun mit seinen Hoffnungen recht Logopäden. hat, sondern haben gesagt: Die jungen Leute, die eine Ausbildung beginnen, sind Expertinnen und Experten für (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ab- ihren eigenen Lebensweg. Sie werden – da bitte ich Sie, solut!) sich die Regelungen zum Wahlrecht noch einmal anzuse- hen – beginnen mit einer gemeinsamen Ausbildung und Wir haben gestern im Rahmen der Gesundheitsminister- werden dann nach einer Vertiefung in Alten- und Kinder- konferenz mit den Ländern darüber gesprochen. Es bleibt krankenpfege nach zwei Jahren die Möglichkeit haben, wahrlich genug Arbeit zu tun. Wie gesagt: In Mangel- selbst zu entscheiden, ob sie den Abschluss in der Kin- berufen des Gesundheitswesens sollte Schulgeld endlich derkranken- und Altenpfege oder den generalistischen der Vergangenheit angehören. Abschluss mit einem Vertiefungsschwerpunkt wählen. Wir legen dies in die Hand der jungen Leute. Wir werden (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie uns nach einigen Jahren ansehen, wie die Erfahrungen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE damit sind, dann wird der Bundestag erneut entscheiden. GRÜNEN) Ich glaube, das ist eine gute Lösung, eine Lösung, die Vertrauen zu denjenigen aufbaut, die wir für einen Pfe- Schließlich ergänzen wir die starke Berufsausbildung, geberuf gewinnen wollen. die wir mit diesem Gesetz schaffen, um eine aus der Pi- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- lotphase in den Regelbetrieb überführte hochschulische ordneten der SPD) Pfegeausbildung, die an die Seite der Berufsausbildung tritt und deren Ziel es ist, die Erkenntnisse der Pfegewis- Meine Damen, meine Herren, ich bin in der Tat davon senschaften in den Pfegealltag hineinzutragen und so zu überzeugt, dass wir die Attraktivität der Berufe umfas- einer guten Verbindung nicht zuletzt für hochkomplexe (B) send stärken, und zwar nicht nur durch die Generalistik, Pfegebedarfe, für Leitungsaufgaben etc. zu kommen. (D) den erweiterten Einsatz und die Aufstiegsmöglichkeiten. Auch das ist ein starkes Signal, dass wir in der Pfege die Ich nenne beispielhaft, weil gerade von Wertschätzung Berufs- und Betätigungsfelder deutlich ausweiten. für die Pfege die Rede war, § 4, in dem es um vorbe- haltene Tätigkeiten geht. Erstmalig entsprechen wir mit Meine Damen, meine Herren, wir haben natürlich nie diesem Gesetz dem klaren Grundsatz: Pfegen kann nicht behauptet – Kollegin Scharfenberg, da muss ich Ihnen jeder. widersprechen –: Das ist der eine Weg, der den Fachkräf- temangel behebt. – Aber – erstens – haben wir heute ei- (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der nen Ausbildungsrekord in der Alten- und Krankenpfege. Abg. Maria Michalk [CDU/CSU]) Das ist eine gute Nachricht. Das zeigt, wie viel Solidari- Es wird klar, dass bestimmte Tätigkeiten nur ausgebilde- tät in dieser Gesellschaft steckt, wie viele Menschen in ten Fachkräften vorbehalten sind. Das ist ein deutliches diesem Bereich tätig werden wollen. Zweitens ist diese Zeichen der Wertschätzung und steht in dieser Klarheit Ausbildungsreform eingebettet in eine umfassende Po- erstmalig in diesem Gesetz. litik: Wir haben in dieser Legislaturperiode die Zahlung von Tariföhnen gestärkt; zusätzliche Betreuungskräfte (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und werden eingesetzt; am 1. Januar dieses Jahres wurden in der SPD) elf Bundesländern bessere Personalschlüssel eingeführt; wir bringen Personalbemessungsverfahren in Kranken- Ein weiterer Punkt. Wir wollen die praktische Ausbil- und Altenpfege und Mindestpersonalvorgaben auf den dung stärken. Deswegen gibt es erstmalig eine klare Re- Weg. Im nächsten Jahr soll die Einigung in der Kran- gelung zur Praxisanleitung. Das heißt, der Auszubilden- kenpfege erfolgt sein. Die Schlüsselverbesserungen in de wird eben nicht allein in der Arbeit eingesetzt und soll der Altenpfege sind zum Jahresbeginn in Kraft getreten. sich dort bewähren, sondern er erhält durch Fachkräfte Also: Dieses Konzept ist ein Baustein, eingebettet in eine eine Praxisanleitung. Das ist ein großer Fortschritt hin zu Politik, die sich fest dem Ziel verschrieben hat, die Ar- einer besseren Berufsausbildung. beitsbedingungen für die Pfegekräfte in unserem Land (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- nachdrücklich zu stärken. ordneten der SPD) Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und bitte Es ist ein Aberwitz – das ist schon angesprochen wor- um Zustimmung zu diesem guten Gesetz. den –, dass wir uns angesichts des Mangels von Arbeits- kräften in der Altenpfege in einigen Bundesländern noch (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24493

(A) Präsident Dr. Norbert Lammert: Etliche Einrichtungen der Pfegeausbildung fürchten (C) Harald Weinberg erhält nun für die Fraktion Die Linke zu Recht, dass sie dabei auf der Strecke bleiben könnten. das Wort. Alleine die Organisation der Praxisphasen überfordert vor allen Dingen kleinere Ausbildungseinrichtungen in (Beifall bei der LINKEN) einer ganz besonderen Art und Weise, (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Das können Harald Weinberg (DIE LINKE): Sie doch gar nicht wissen!) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! und das ist nicht in Ordnung. Meine Damen und Herren! Jetzt ist wieder ein Redner der Opposition am Zuge, insofern wird es natürlich wie- Nahezu unvereinbare Ausgangspositionen sind zu der etwas kritischer; das ist logisch. einem schlechten Kompromiss zusammengeschustert worden; das muss man sagen. Dabei hätte mit unserem Mehr als zehn Jahre Diskussion um eine notwendi- Antrag ein Konzept einer integrierten Ausbildung vorge- ge Reform der Pfegeausbildung liegen hinter uns. Im legen, deren nähere Betrachtung und Einbeziehung wirk- Mai 2016 wurde ein Gesetzentwurf vorgelegt. In der An- lich sinnvoll gewesen wären. Das haben Sie allerdings hörung, die dann folgte, gab es massive Kritik an diesem leider nicht gemacht. Gesetzentwurf; es wurde im Prinzip kein gutes Haar da- ran gelassen. (Beifall bei der LINKEN – Mechthild Rawert [SPD]: Das Konzept wollten wir ja auch Die Koalition – das hat man während der Anhörung nicht!) deutlich gemerkt – hat sich an dieser Stelle auch beharkt. Es gab sehr unterschiedliche, fast unvereinbare Positio- Ich will allerdings noch deutlich sagen: Es gibt natür- nen, und kurz vor Ende der Wahlperiode haben wir jetzt lich auch ein paar Punkte, die ich für positiv halte und einen Kompromiss, der uns im Ausschuss in Form von herausstellen möchte: Das Wegfallen des Schulgeldes ist sage und schreibe 46 Änderungsanträgen auf 80 Seiten schon genannt worden. Die Möglichkeit der Interessens- vorgelegt wurde, vertretung, über die Mitbestimmung auf die Ausbildung Einfuss zu nehmen, ist ein weiterer positiver Punkt. (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Das ist gut! Auch die Ausbildungsumlage und den Fonds will ich als Eine Sternstunde des Parlaments!) positiven Punkt benennen. die wir einmal kurz durchgezogen bekommen haben. Aber: Manchmal ist ein Kompromiss schlechter als der bestehende schlechte Zustand. Das ist hier eindeutig Gestern ist der Ausschussvorsitzende, der leider heu- der Fall. Viele Verbände – damit meine ich jetzt nicht in (B) (D) te nicht da ist, wegen seiner Art und Weise, wie er den erster Linie die Arbeitgeberverbände, vielmehr andere – Ausschuss geführt hat, sehr gelobt worden. Diesem Lob sagen: Lieber kein Gesetz in dieser Wahlperiode als ein möchte ich mich erst einmal ausdrücklich anschließen. solches Gesetz. – Das ist die Aussage einiger betroffe- Es war wirklich eine sehr gute Arbeit, die ner Verbände. Sie werden leider nicht gehört werden. Sie da im Ausschuss gemacht hat. Aber an dieser Stelle, so werden das jetzt durchziehen, Sie werden das jetzt mit muss man sagen, war es keine Sternstunde des Ausschus- Ihrer Mehrheit verabschieden. Unsere Stimmen werden ses, an dieser Stelle überhaupt nicht, Sie dazu auf jeden Fall nicht bekommen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Vielen Dank. NIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN) diese 46 Änderungsanträge auf diese Art und Weise durchzuziehen und uns dann auch noch zu sagen, es habe Präsident Dr. Norbert Lammert: sich substanziell nichts geändert und deswegen gebe es Karl Lauterbach ist der nächste Redner für die keine zweite Anhörung. Das war nicht in Ordnung, muss SPD-Fraktion. ich ehrlich sagen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) Dr. Karl Lauterbach (SPD): Es ist klar: In der Politik muss es Kompromisse ge- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- ben. Öfter wird dann gesagt, wenn alle unzufrieden seien, ren! Zunächst möchte ich noch einmal auf die Probleme dann sei der Kompromiss am besten gelungen. Nun, das zu sprechen kommen, die dieses Gesetz lösen wird, wenn mag ja zwischen Herrn Irlstorfer und Bettina Müller, die sie auch nicht komplett gelöst werden; aber wichtige Bei- heute leider auch nicht da ist, zwischen Herrn Lauterbach träge zu einer Lösung werden geliefert. und Herrn Nüßlein stimmen. Aber das Problem hier ist ein ganz anderes: Es lässt die vom Gesetz Betroffenen Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass Deutschland ratlos und entsetzt zurück. Da gibt es eine gehörige und zu den letzten Ländern in Europa gehört, in denen es die auch nachvollziehbare Angst, dass diese Verschlimmbes- geteilte Ausbildung noch gibt. Sie ist medizinisch nicht serung, die wir jetzt in Gestalt dieses Kompromisses ha- mehr sinnvoll, weil wir mittlerweile in der Krankenhaus- ben, in der Umsetzung enorme Probleme bereiten wird. und der Krankenversorgung zunehmend geriatrische und palliativ zu versorgende Patienten haben, die auch pfe- (Widerspruch bei der CDU/CSU) gerisch betreut werden müssen. Wir haben in den Pfege- 24494 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Dr. Karl Lauterbach (A) einrichtungen zahlreiche Patienten, die auch akut krank Der Beruf des Altenpfegers zählt zu den zehn Berufen, (C) sind, die an Diabetes leiden, die psychiatrische Erkran- die am schlechtesten bezahlt werden. kungen haben, die dement sind; auch die Demenz ist eine (Mechthild Rawert [SPD]: Eine Schande! – Erkrankung. Das heißt, hier werden medizinische Kennt- Gegenruf der Abg. Maria Klein-Schmeink nisse in der Zukunft viel wichtiger werden. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!) Ferner haben wir schon bei Kindern Pfegebedürf- – Das ist eine Schande. – Das ist ein hochqualifzierter tigkeit, so bei Kindern, die mit Stoffwechselstörungen Beruf, der zu schlecht bezahlt wird. Die Angleichung der geboren werden und dann nach vier oder fünf Jahren Ausbildung wird langfristig auch zu einer Angleichung pfegebedürftig werden. Zusätzlich haben sie auch die der Tarife führen. Krankheiten, die Erwachsene entwickeln. Der Altersdia- betes bei Kindern ist zum Beispiel keine Seltenheit mehr, Frau Zimmermann, es hat mich überrascht, dass Sie und auch Suchterkrankungen, die wir in der Vergangen- sich hier ausgerechnet auf den Arbeitgeberverband Pfe- heit nur bei Erwachsenen gesehen haben, bekommen ge beziehen. Er hat doch über Jahre hinweg diese Reform schon Kinder. Damit ist klar: Die Bedarfe überschneiden nur bekämpft, damit die Altenpfege nicht zu teuer wird. sich immer mehr. Die Ausbildung muss daher ganzheit- Das war doch der Grund. lich sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich gebe zu, dass es richtig gewesen wäre, wenn wir die Verordnung für die Lehrinhalte schon fertig gehabt Es ist richtig, dass wir die Personalbemessung einge- hätten; das ist ganz klar. Aber wir müssen hier auf die führt haben. Wir haben sie im Bereich der Krankenpfe- Fachverbände vertrauen, die das vorbereiten. Ich stehe ge eingeführt, für alle personalintensiven Bereiche. Wir mit einigen dieser Verbände in engem Kontakt. Ich bin haben das nicht, wie Sie gesagt haben, ab dem Jahr 2020 mir sicher, dass das Wichtigste die gemeinsame Ausbil- vorgesehen, sondern ab dem Jahr 2018. Wir haben das dung ist. Auf dem Weg zur gemeinsamen Ausbildung ebenfalls für den Bereich der Altenpfege vorgesehen. wird heute der wichtigste Schritt seit zehn Jahren unter- Somit haben wir dann die entsprechenden Tarife und Per- nommen. sonalbemessungen in fast allen bedeutsamen Bereichen der Pfege, einschließlich der Intensivpfege. Das sind (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten doch wichtige Schritte nach vorne. der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Heute ist es die Ausnahme, dass jemand, der eine Aus- Wir haben den Pfegebedürftigkeitsbegriff geändert. (B) bildung beginnt, weiß, was er in den nächsten 30, 40 Jah- (D) ren in einem Beruf machen will. Bei einer Ausbildung im (Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Aber Sie Bereich Pfege ist das derzeit aber notwendig: Wenn ich stellen das Personal dafür nicht ein, um das eine Ausbildung im Bereich Kinderpfege absolviere, bin umzusetzen! Das sind doch alles nur Worthül- ich festgelegt auf die Kinderpfege, und wenn ich eine sen!) Ausbildung im Bereich Altenpfege absolviere, kann ich Dadurch wird in den Vordergrund gerückt, was der Ein- nicht in der Krankenpfege arbeiten. Das ist nicht zeitge- zelne noch kann. Auch daran haben wir zehn Jahre ge- mäß. Durch diese Regelung verlieren wir Zahlreiche, die arbeitet. eigentlich weiter in dem Beruf arbeiten wollen, aber nicht in der Sparte, in der sie ausgebildet wurden. Mit diesem (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE Gesetz haben sie die Möglichkeit, in jedem Bereich der GRÜNEN]: Wieso seid ihr nicht in der Lage, Pfege zu arbeiten. Das ist erstens eine Erweiterung des jetzt eine Verordnung vorzulegen, nach zehn Spektrums und bietet zweitens bessere Möglichkeiten, Jahren?) eine neue Arbeit zu fnden, wenn man sich räumlich ver- Es kann doch nicht abgestritten werden, dass dies, in ändert, wenn man einfach eine andere Tätigkeit ausüben der Summe betrachtet – mit Mehrausgaben für die Pfe- oder das Gelernte in einem anderen Bereich anwenden ge von insgesamt 6 Milliarden Euro pro Jahr; das sind möchte. Das ist eine wesentliche Flexibilisierung der Be- 25 Prozent Mehrausgaben in einem Bereich der sozialen rufsausbildung. Sicherung in einer Legislaturperiode –, eine sehr gute Legislaturperiode für die Pfege – damit meine ich insbe- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der sondere die Pfegebedürftigen – gewesen ist. CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten In den nächsten Jahren haben wir jedes Jahr mit min- der CDU/CSU) destens 50 000 zusätzlichen Pfegebedürftigen zu rech- Ich komme zum Abschluss. Auch ich will danken. Ich nen, netto. Das entspricht einer halben Million in zehn möchte mich bei Herrn Gröhe bedanken für die sehr gute Jahren, und das ist eine ganz konservative Berechnung. Zusammenarbeit. Herr Kollege Nüßlein, ich mache das Daher muss der Beruf attraktiver werden. Der Beruf wird kürzer, um Ihnen nicht zu schaden, um uns beiden nicht aber nur attraktiver werden, wenn er auch besser bezahlt zu schaden. wird. (Heiterkeit des Abg. Dr. Georg Nüßlein (Beifall bei Abgeordneten der SPD) [CDU/CSU]) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24495

Dr. Karl Lauterbach (A) Ich möchte mich aber auch ausdrücklich bei unserer form vor, die in den ersten zwei Jahren eine gemeinsame (C) Arbeitsgruppe bedanken. Wir haben einige Drehungen Ausbildung vorsieht und auch eine komplett generalisti- und Wendungen vornehmen müssen. Der Prozess war sche Ausbildung ermöglicht. Es gab hierzu viele Modell- zum Teil, ich sage mal: spitzenlastig. Aber jetzt haben projekte in unserem Land. Auch in meinem Heimatland, alle mitgezogen, und wir haben alle gemeinsam ein gutes im Saarland, hat man die Generalistik erprobt, und zwar Ergebnis gefunden. Auch dafür möchte ich ausdrücklich mit sehr, sehr guten Ergebnissen, die teilweise auch sehr danken. überraschend waren. (Abg. Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/ Wir wollen die Ausbildung attraktiver machen. Das DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwi- gelingt uns durch mehr Durchlässigkeit in den verschie- schenfrage) denen Bereichen. Es ist gesagt worden: Nicht jeder will Ich wünsche uns eine gute Umsetzung dieser wichtigen an dem Arbeitsplatz, an dem er sein Berufsleben begon- Reform. nen hat, 40, 50 Jahre lang arbeiten. Wir erhöhen durch die generalistische Ausbildung die Durchlässigkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Mechthild Rawert [SPD]: Hart erkämpft!) Wir wollen mehr Möglichkeiten schaffen, in verschiede- Präsident Dr. Norbert Lammert: nen Bereichen zu arbeiten, und wir schaffen das Schul- Da die Redezeit abgelaufen ist, kann ich jetzt keine geld ab. Es ist wirklich verrückt, dass es das in einigen Zwischenfrage mehr zulassen. Bundesländern noch gibt. Die nächste Rednerin ist die Kollegin Nadine Schön Wir machen die Ausbildung attraktiver und wollen so für die CDU/CSU-Fraktion. für mehr Nachwuchs sorgen, wodurch auch der Pfege- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) mangel in den Einrichtungen beseitigt werden soll. Wir wollen die Finanzierung der Ausbildung auf siche- Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU): re Beine stellen und sie vor allem zukunftsfest machen. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Was uns besonders wichtig ist: Wir wollen die Wahlfrei- Kollegen! 133 000 Menschen beginnen pro Jahr derzeit heit erhalten. In den Verhandlungen war immer ein gro- eine Ausbildung im Bereich der Krankenpfege, der Al- ßes Thema – auch das ist zur Sprache gekommen –, wie tenpfege oder der Kinderkrankenpfege – 133 000 Men- wir das schaffen können. Wie ist es mit denjenigen, die schen, die für uns, für unsere Gesundheit bzw. für die eigentlich nur in der Kinderkrankenpfege arbeiten wol- (B) Pfege im Alter verantwortlich sind, die uns in schwieri- len, und wie ist es mit denen, die in der Altenpfege ar- (D) gen Phasen des Lebens helfen, die betreuen, pfegen, den beiten und gerne nur in diesem Bereich arbeiten wollen? Heilungsprozess unterstützen. Mit dem Gesetz, den Reformen und dem Kompromiss, Wir alle sind darauf angewiesen, dass Menschen sich den wir heute vorlegen, gewährleisten wir, dass alle inte- mit Herz, mit Verstand, mit Sachkenntnis und mit Em- ressierten jungen Menschen eine generalistische Ausbil- pathie dieser anspruchsvollen Aufgabe widmen. Wir dung machen können, dass sie aber auch die Möglichkeit sind darauf angewiesen, dass sich genügend Menschen haben, nur Kinderkrankenpfeger oder nur Altenpfeger für diese Berufe entscheiden. Ja, wir wollen, dass mehr zu werden. Damit geben wir die Entscheidungsfreiheit in Menschen diese Berufe ergreifen, damit die Situation in die Hände der jungen Menschen. Sie entscheiden selbst, den Heimen, bei den Pfegediensten und in den Kranken- wohin ihr Weg geht. Nach sechs Jahren werden wir eine häusern besser wird, im Sinne der Beschäftigten und na- Evaluation vornehmen. Das, fnde ich, ist eine sehr pra- türlich auch im Sinne der zu Pfegenden. Wir sind darauf xistaugliche Lösung und ein guter Kompromiss, den wir angewiesen, dass die Menschen, die in der Pfege arbei- gemeinsam gefunden haben. ten, eine gute, ja eine optimale Ausbildung erhalten. Dem dient dieser Gesetzentwurf zur Reform der Pfegeberufe, (Beifall bei der CDU/CSU – Pia Zimmermann den wir heute verabschieden werden. [DIE LINKE]: Es wird doch gar nicht eva- luiert! Es wird doch nur gezählt, wer was Der Gesetzentwurf hat mehrere Ziele: macht!) Wir wollen die Ausbildung modernisieren. Alle, die in Als Unionsfraktion war uns wichtig, dass wir mög- der Pfege arbeiten, brauchen eine gute Ausbildung, und lichst vielen Menschen die Möglichkeit geben, im Be- zwar eine Ausbildung, die sich auf die geänderten An- reich der Pfege zu arbeiten. Deshalb halte ich es für forderungen einstellt. Mein Vorredner hat es gesagt: Vie- wichtig, dass wir die Möglichkeit schaffen, nach zwei le Bewohner in Pfegeheimen sind mehrfach krank und Jahren mit einem Abschluss, nämlich dem Pfegeassis- chronisch krank. Das ändert die Anforderungen an unse- tenzabschluss, die Ausbildung zu beenden. re Pfegekräfte. Sie brauchen mehr Krankenpfegekom- petenz, mehr medizinische Kompetenz. Umgekehrt ist es (Mechthild Rawert [SPD]: Das ist falsch! – so, dass in den Krankenhäusern sehr viele alte und an De- Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE menz erkrankte Menschen sind. In den Krankenhäusern GRÜNEN]: Das stimmt nicht! – Kordula gibt es also einen höheren Pfegebedarf. Die Kranken- Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- pfeger müssen daher mehr Fähigkeiten im Bereich der NEN]: Oh, da seid ihr euch wohl noch nicht Altenpfege erhalten. Deshalb legen wir heute eine Re- ganz einig! Interessant!) 24496 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Nadine Schön (St. Wendel) (A) Dafür brauchen wir die Länder; das ist völlig klar. Wir Wir wollen das abschaffen. Dieses „nur“ ist genau das, (C) wollen, dass auch diejenigen, die vielleicht keine gene- was Pfegefachkräfte nicht brauchen. ralistische Ausbildung machen wollen, die Möglichkeit (Beifall bei der SPD) haben, einen Abschluss zu erlangen. Deshalb schaffen wir eine möglichst große Wahlfreiheit. Sie brauchen eine Aufwertung ihrer Berufe und keine Dequalifzierung, wie Sie es vorhin mit diesem „nur“ in (Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE Ihren Ausführungen dargestellt haben. Lesen Sie das im GRÜNEN]: Lesen Sie sich Ihr Paket lie- Protokoll nach! ber noch mal durch! Wir scheinen es besser zu kennen als Sie! – Maria Klein-Schmeink (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Die Oppo- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen hilft! – sition sitzt auf der anderen Seite, Frau Kolle- Gegenruf von der CDU/CSU: Ruhe, jetzt!) gin!) Wir geben allen jungen Menschen, die in der Pfege Richtigstellen möchte ich auch – der Begriff „Zwi- arbeiten wollen, die Chance, dies zu tun; dafür haben wir schenprüfung“ ist irritierend; es erfolgt eine Wissensab- viel verhandelt und sind viele Kompromisse eingegan- frage –: Durch dieses Bundesgesetz wird es keinen Aus- gen. Wir wollen die Ausbildung zukunftsfest machen. Es bildungsabschluss nach zwei Jahren geben. Wir halten ist schon gesagt worden: Wir werden mit diesem Gesetz- daran fest: Fachkraft ist mensch in Deutschland nach ei- entwurf nicht alle Probleme lösen. Aber mit ihm und den ner dreijährigen Ausbildung. Daran wird nicht gerüttelt, vielen anderen Gesetzentwürfen, die wir in dieser Legis- schon gar nicht in der Pfege. laturperiode verabschiedet haben, haben wir in der Pfege (Beifall bei der SPD) Meilensteine gesetzt. Es liegt noch Arbeit vor uns, und wir haben noch viel zu tun. Aber dieser Gesetzentwurf Wir wollen die Generalistik aus verschiedenen Grün- ist ein wichtiger Baustein. Deshalb danke ich allen, die den; einige sind schon erwähnt worden. Wir wollen sie dazu beigetragen haben, dass wir zu einem Ergebnis ge- aufgrund der zusammenwachsenden Pfegesettings, mit kommen sind. Ich bin mir sicher, dass wir die Situation anderen Worten: für eine bessere Versorgungssicherheit. an vielen Stellen verbessern werden. Wir wollen sie auch, damit wissenschaftlich fundierte Qualitäts- und Kompetenzzuwächse, die ja in der Wis- Vielen Dank. senschaft Pfege zu verzeichnen sind, tatsächlich in der (Beifall bei der CDU/CSU) Pfege ankommen. Uns geht es aber auch um die professionell Pfegenden Präsident Dr. Norbert Lammert: selbst. Es geht um ihre Höherstellung, um Wertschätzung (B) Das Wort erhält nun Mechthild Rawert für die und um eine andere Rolle in einem häufg hierarchischen (D) SPD-Fraktion. Gefüge im Bereich der Gesundheit und Pfege. Wir wol- len in der Pfege Augenhöhe für die Pfegenden errei- (Beifall bei der SPD) chen; das haben sie und auch wir, die Patientinnen und Patienten und Pfegebedürftigen, verdient. (SPD): Mechthild Rawert (Beifall bei der SPD) Herr Präsident! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Ich möchte als Erstes diejenigen begrüßen, die die Pfege Deswegen haben wir die Vorbehaltsaufgaben klar be- sind, die Vertreterinnen und Vertreter von Berufsver- nannt und die hochschulische Pfegeausbildung etabliert. bänden, Gewerkschaften und Pfegekammern. Seien Sie Wir wollen die Generalistik auch, damit die Pfege- willkommen! Nehmen Sie teil! Gestalten Sie mit! fachkräfte berufiche Chancen für einen breiteren Einsatz (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ihrer Kompetenzen haben, und zwar von der Prävention des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) bis hin zur Palliative Care. Dafür brauchen wir eine ge- neralistische Ausbildung. Ich stehe hier stellvertretend für meine Kollegin Bettina Müller, die heute nicht da sein kann. Ich möchte (Beifall bei der SPD) ihr ganz herzlich für ihren Einsatz danken, den sie zur Und ja – ich liebe es, auf den schnöden Mammon zu Durchsetzung unserer Vorstellungen und während der sprechen zu kommen –, auch Frauen bezahlen ihre Woh- nicht ganz komplikationslosen Debatten in diesem Kon- nungen nicht allein von Luft und Liebe. text geleistet hat. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der (Beifall bei Abgeordneten der SPD) SPD) Ich danke an dieser Stelle auch Petra Crone ganz beson- Wir müssen in diesen Bereich investieren. Wir sind die ders; aber sie spricht ja gleich noch. Einzigen, die hier investieren und wirklich eine Gleich- Frau Schön, wir wollen die Generalistik, damit nie- stellung dieser Berufe erreichen wollen. Katarina Barley mand mehr sagen kann, es gehe nur um die Kolleginnen hat schon darauf hingewiesen – und der Zweite Gleich- und Kollegen in der Altenpfege oder nur um diejenigen, stellungsbericht der Bundesregierung macht es auch –: die in der Kinderkrankenpfege tätig sind. Wir brauchen mehr öffentliche Investitionen in diesem Sektor. Wir brauchen eine Aufwertung der Berufe, und (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Berufspoli- wir brauchen mehr Geld für diejenigen, die für uns und tik! Sage ich doch!) unsere Gesundheit arbeiten. Danke an die Pfegenden! Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24497

Mechthild Rawert (A) Wir diskutieren diese Fragen mit Sicherheit weiter. gang für Haupt- und Mittelschüler zur Pfegeausbildung (C) Lassen Sie uns nicht im Stich! Ich freue mich schon auf wird erhalten bleiben. die kritischen Auseinandersetzungen und darauf, wie es weitergeht. Hauptsache, Sie sprechen mit einer Stimme (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. und bleiben an unserer Seite! Dr. Carola Reimann [SPD]) Danke. Das ist ein Signal für den Ausbildungsmarkt und die Ju- gendlichen in unserem Land. Die duale Ausbildung hat (Beifall bei der SPD) Zukunft. Akademisierung und duale Ausbildung sind auf Augenhöhe. Das ist die Basis für die Wertschätzung in der Pfege, die wir benötigen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Erich Irlstorfer hat nun das Wort für die CDU/ (Beifall bei der CDU/CSU) CSU-Fraktion. Schulabschlüsse allein sind nicht ausschlaggebend. (Beifall bei der CDU/CSU) In diesem Zusammenhang haben wir erreicht, dass die Ausbildungs- und Prüfungsverordnung dem nächsten Erich Irlstorfer (CDU/CSU): Deutschen Bundestag zur Beschlussfassung zugeführt Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir wird. Das ist nicht selbstverständlich gewesen, wenn haben debattiert, diskutiert, gestritten und uns wieder wir auf andere Gesetzgebungsverfahren schauen. Damit versöhnt. Heute bringen wir ein Gesetz auf den Weg, das haben wir dem Parlament die Chance eingeräumt, ganz richtig, gut und ordentlich ist. genau zu schauen, ob alle Schülerinnen und Schüler die neuen Prüfungsanforderungen bewältigen können. Wir Selten prallten die Überzeugungen in der gesundheits- wollen mit diesem Gesetz keinen Bahnhof der Enttäusch- und pfegepolitischen Debatte so stark aufeinander wie in ten erzeugen. Deshalb gehen wir ins Detail. Deshalb diesem Gesetzgebungsverfahren. Aber es ist mir wichtig, braucht das Haus Zeit, und diese Zeit nehmen wir uns. zu unterstreichen, dass diese Diskussion in jeder Phase immer mit hoher Fachlichkeit geführt wurde. Sowohl die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Befürworter einer spezialisierten Ausbildung als auch die Verfechter der vollständigen Generalistik hatten gute Ar- Liebe Kolleginnen und Kollegen, uns ist klar, dass wir gumente für ihre jeweilige Position. auch den Einrichtungen, den Trägern und den Schulen Zeit zur Vorbereitung geben müssen. Die neuen Anfor- (B) Was sich zu Anfang als klarer Weg angebahnt hatte, derungen in der Praxis umzusetzen, wird nicht einfach. (D) stellte sich im Verlauf der Debatte, vor allem im Aus- Deswegen hilft es zu diesem Zeitpunkt wenig, wenn die tausch mit den Betroffenen, den Akteuren der Szene, als Opposition versucht, ein Gefahrenszenario für die Pfe- schwieriger und komplexer dar, als ursprünglich ange- geschulen heraufzubeschwören. Wir müssen als Politik nommen. Spätestens nach der öffentlichen Anhörung im der betroffenen Szene die Möglichkeit geben, die neue vergangenen Frühjahr war uns Abgeordneten der Union Pfegeausbildung zu etablieren. Sollten wir hier wider klar, dass wir noch einen deutlichen Änderungsbedarf an Erwarten Schwierigkeiten feststellen oder sollten Kom- dem Gesetz hatten. Klar war allerdings für alle Akteu- plikationen auftreten, steht es doch dem Gesetzgeber re, dass die Pfege in Deutschland eine neue Ausrichtung frei – das haben wir selbst in der Hand –, nachzusteuern. benötigt. Wir dürfen niemanden, keine einzige helfende Wenn es Schwierigkeiten gibt, werden wir das machen; Hand, egal mit welchem Schulabschluss und mit welcher da bin ich mir sicher. schulischen Ausbildung, abweisen. Das war uns wichtig. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU – Mechthild Rawert [SPD]: Genau!) In der ganzen Diskussion ist das Thema Bezahlung immer wieder aufgepoppt. Ich kann nur sagen: Für das Eine gute Pfegepolitik ist und wird auch künftig eine tra- Thema Bezahlung sind in erster Linie die Tarifpartner gende Säule der Sozialpolitik in unserem Land sein. zuständig und nicht die Politik. Das ist richtig so, und das ist gut so. Meine sehr geehrten Damen und Herren, umso erfreu- licher ist es, dass die Koalitionsfraktionen aus CDU/CSU (Beifall bei der CDU/CSU – Mechthild und SPD nun den Kompromissvorschlag, den die Union Rawert [SPD]: Na ja!) eingebracht hat, umsetzen. Bundesminister Gröhe, Karl Lauterbach, Georg Nüßlein und alle meine Vorredner Zum Schluss möchte ich mich für die Zusammenarbeit haben die neuen Regelungen für die Pfegeausbildung bedanken. Wir haben in dieser Legislatur für die Pfege – bereits erläutert. Die abgeänderte Fassung des Gesetzes und somit für die Menschen in Deutschland – viel er- berücksichtigt auch die kritischen Stimmen. Es ist mir reicht. Wir haben sie weiterentwickelt und zukunftsfest wichtig, das festzuhalten. gemacht. Dafür bedanke ich mich.

Ich möchte an dieser Stelle auch erwähnen, was wir Herzlichen Dank. in unseren pfegepolitischen Debatten stets betont haben und uns als Union besonders am Herzen liegt: Der Zu- (Beifall bei der CDU/CSU) 24498 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

(A) Präsident Dr. Norbert Lammert: Zudem werden die Pfegeaufgaben in der Zukunft aus- (C) schließlich Pfegekräften vorbehalten sein. Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Petra Crone für die SPD. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht nirgendwo!) (Beifall bei der SPD) Ich verhehle nicht: Das Gesetz gefällt nicht allen. Be- sonders die privaten Pfegeanbieter haben sich immer Petra Crone (SPD): lautstark gegen eine Ausbildungsreform gewandt. An de- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kol- ren Ende stehen nämlich besser und breiter ausgebildete legen und Kolleginnen! Endlich, endlich, nach langem Pfegerinnen und Pfeger, und die müssen auch besser Ringen beschließen wir heute das Gesetz zur Reform der bezahlt werden. Pfegeausbildung. Nein, es ist nicht die reine Lehre, die (Beifall bei der SPD) ich mir gewünscht hätte. Aber ich freue mich trotzdem, dass wir heute gemeinsam einen ganz großen Schritt ge- Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Ich wundere mich hen. ein bisschen darüber, dass sich gerade die Linken und auch die Grünen auf diese Seite schlagen. Lange schon haben wir an diesem Gesetzentwurf gear- beitet. Ich erinnere mich, dass schon darüber gesprochen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wurde, als die Gesundheitsministerin noch der CDU/CSU) hieß. Eine überwiegend generalistische Ausbildung war Aber die Gruppe der Befürworter ist wesentlich grö- und ist unser Ziel, und das haben wir endlich erreicht. ßer – ich schaue an dieser Stelle hoch zur Besuchertri- Die Verhandlungen waren nicht leicht – das möchte ich büne –: der Deutsche Pfegerat – der Deutsche Pfege- nicht verhehlen –, aber ich bin davon überzeugt, dass wir tag hat das deutlich gezeigt –, die Wohlfahrtsverbände, am Ende überzeugen werden und sicherlich die meisten vorneweg die Caritas, die Diakonie, die AWO und viele die generalistische Ausbildung wählen werden. mehr. Ja, viele haben sogar sehnlichst auf dieses Gesetz gewartet, wie die hervorragende und innovative Fortbil- Deutschland braucht einen Pfegeberuf, der auf die dungsakademie für Gesundheitshilfe in Olpe, in meinem wahren Bedürfnisse in der Pfege kranker Menschen je- Wahlkreis. den Alters eingeht. (Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der SPD) GRÜNEN]: Ein Schelm, wer Böses dabei denkt!) (B) Klar, wir wollen alle mit 100 Jahren kerngesund sterben. (D) Aber das Leben ist leider nicht so. Wer ältere Angehöri- Sie alle haben erkannt: Wir werden die demografsche ge oder Freunde mit altersbedingten Handicaps wie etwa Entwicklung nicht aufhalten. Jeder und jede weiß um Demenz in den Krankenhäusern begleitet hat, weiß von den Mangel an Arbeitskräften in der Pfege, und es brennt großen Problemen zu sprechen. Diese Menschen werden besonders in der Altenpfege. Darum, liebe Kolleginnen in Zukunft auf Pfegekräfte treffen, die auch in der Al- und Kollegen, brauchen wir gut ausgebildete Pfegerin- tenpfege ausgebildet sind. Wenn sie dann, früh entlas- nen und Pfeger, und wir brauchen auch Pfegeassistenten sen, in die stationären Senioreneinrichtungen oder in die und akademisch ausgebildete Pfegekräfte. ambulante Betreuung zurückkehren, treffen sie dort auf Pfegekräfte, die sich auch in der Krankenpfege bestens Lassen Sie uns alles dafür tun, die jungen Leute zu un- auskennen. terstützen, die mit Begeisterung den Pfegeberuf wählen, und dazu beitragen, dass es immer mehr werden. Lassen (Beifall bei der SPD) Sie uns alle Register ziehen, dass sie diesen Beruf lieben und dafür brennen, ohne auszubrennen. Andererseits sind wir es den Pfegerinnen und Pfe- (Beifall bei der SPD) gern unbedingt schuldig, bessere Bedingungen für sie zu schaffen. Das machen wir mit diesem Gesetz. Das Schul- Deshalb bin ich auch begeistert von der Initiative unserer geld wird im ganzen Land abgeschafft; stattdessen gibt Arbeitsministerin für eine bessere Bezah- es für alle eine Ausbildungsvergütung. lung in der Pfege. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD – Pia Zimmermann [DIE der CDU/CSU) LINKE]: Ich dachte, das ist Sache der Tarif- parteien!) Der Pfegeberuf wird attraktiver, weil es nun viele Ein- satz-, Wechsel- und Aufstiegsmöglichkeiten gibt. Alle, Lassen Sie uns zusammen mit den Gewerkschaften dafür die die generalistische Ausbildung durchlaufen haben, kämpfen! Richten Sie in den Ländern Pfegekammern egal mit welchem Schwerpunkt, werden gleich bezahlt. ein! Das kommt besonders denjenigen zugute, die in der Al- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des tenpfege arbeiten. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Rheinland-Pfalz ist schon mit gutem Beispiel vorange- der CDU/CSU) gangen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24499

Petra Crone (A) Liebe Kollegen und Kolleginnen, auch wenn es über Unter dem Tagesordnungspunkt 7 b geht es um die (C) zwei Legislaturperioden hinweg Diskussionen, Gesprä- Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit che, Verhandlungen und leider auch Stillstand gegeben zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit hat, bin ich alles in allem doch zufrieden. Es ist gut, dass dem Titel „Eine Lobby für die Pfege – Arbeitsbedingun- wir heute, kurz vor Ende meiner Zeit als Abgeordnete, gen und Mitspracherechte von Pfegekräften verbessern“. ein Gesetz verabschieden, das die Pfege in Deutschland Der Ausschuss empfehlt in seiner Beschlussempfehlung ein ganzes Stück zukunftsfester macht. Ich danke allen auf der Drucksache 18/12841, den Antrag der Fraktion Beteiligten, die beharrlich und mit großer Geduld daran Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/11414 gearbeitet haben. Ich danke dem Ministerium für Fami- abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- lie, Senioren, Frauen und Jugend und dem Ministerium lung? – Wer stimmt dagegen? – Die Antragsteller. Wer für Gesundheit, übrigens auch den Staatssekretärinnen enthält sich? – Die Fraktion Die Linke. Damit ist die Be- Frau Ferner und Frau Widmann-Mauz für ihre Beharr- schlussempfehlung wiederum mit den Koalitionsstim- lichkeit. Ich danke auch den Ländern, die alle mit einge- men mehrheitlich angenommen. bunden waren, und den Kolleginnen und Kollegen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 e auf: Letztendlich bedanke ich mich bei dem Präsidenten, a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre- dass er mir noch eine Minute für meine letzte Rede ge- gierung schenkt hat, und ich danke allen dafür, dass sie meiner letzten Rede gelauscht haben. Bericht zur Umsetzung der Hightech-Strate- gie – Fortschritt durch Forschung und Inno- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem vation BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Stellungnahme der Bundesregierung zum Gutachten zu Forschung, Innovation und Präsident Dr. Norbert Lammert: technologischer Leistungsfähigkeit Deutsch- Es waren genau anderthalb Minuten, Frau Kollegin lands 2017 Crone, aber es hätten auch noch 10 oder 15 Sekunden mehr sein können bei Ihrer letzten Rede hier im Deut- Drucksache 18/11810 schen Bundestag. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- (Petra Crone [SPD]: Schade, dass Sie das zung (f) jetzt erst sagen!) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie (B) Das ist eine gute Gelegenheit, Ihnen herzlich zu danken Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (D) für Ihre Arbeit hier im Hause und Ihnen alles Gute für die Verteidigungsausschuss nächsten Jahre zu wünschen. Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher- (Beifall) heit Ausschuss Digitale Agenda Ich schließe die Aussprache. b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre- Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- gierung desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Gutachten zu Forschung, Innovation und Reform der Pfegeberufe. Hierzu liegt mir eine Erklärung technologischer Leistungsfähigkeit Deutsch- zur Abstimmung der Kollegin Emmi Zeulner vor, die wir lands 2017 wie üblich dem Protokoll beifügen.1) Drucksache 18/11270 Der Ausschuss für Gesundheit empfehlt in seiner Be- Überweisungsvorschlag: schlussempfehlung auf der Drucksache 18/12847, den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- Gesetzentwurf der Bundesregierung auf der Drucksa- zung (f) che 18/7823 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in dieser Fassung Ausschuss für Wirtschaft und Energie zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Verteidigungsausschuss dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzent- Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur wurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher- gegen die Stimmen der Opposition angenommen. heit Ausschuss Digitale Agenda Dritte Beratung c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem gierung Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihren Plätzen zu erheben. – Wer möchte dagegenstimmen? – Wer ent- Aktionsplan Nanotechnologie 2020 der Bun- hält sich? – Damit ist mit dem gleichen Stimmenverhält- desregierung nis, mit der Mehrheit der Koalition gegen die Stimmen Drucksache 18/9670 der Opposition, dieser Gesetzentwurf angenommen. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- 1) 2 Anlage zung (f) 24500 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz vestiert haben und wie wir am Ende eine große Leis- (C) Ausschuss für Wirtschaft und Energie tungsfähigkeit für unsere Wirtschaftsnation Deutschland Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur zurückgewonnen haben. Das ist ein gutes Signal. Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher- heit (Beifall bei der CDU/CSU) Ausschuss Digitale Agenda Wir sind eben nicht durch Zufall Innovations- und d) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre- Exportweltmeister geworden, sondern durch eine kluge gierung Politik. Zu Beginn der 2000er-Jahre gab die Bundesrepu- blik Deutschland, die Wirtschaft und der Staat, ungefähr Bericht über die Programme zur Innovations- 50 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung aus. und Technologieförderung im Mittelstand in Wir haben es geschafft, diesen Betrag innerhalb von zehn der laufenden Legislaturperiode, insbesonde- Jahren zu verdoppeln. Wir sind jetzt bei ungefähr 90 Mil- re über die Entwicklung des Zentralen Inno- liarden Euro. vationsprogramms Mittelstand (ZIM) für das Jahr 2016 (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. René Röspel [SPD]) Drucksache 18/12442 Diese 90 Milliarden Euro sind das Resultat einer ge- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) meinsamen Kraftanstrengung; sie beruhen auf unserer Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- gemeinsamen Politik, die die Wirtschaft animiert und schätzung Möglichkeiten geschaffen hat. Zum einen wurden wirt- Ausschuss Digitale Agenda schaftliche Möglichkeiten durch Steuerpolitik und ande- e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- re Maßnahmen sowie durch eine gute Exportpolitik er- richts des Ausschusses für Bildung, Forschung öffnet, zum anderen waren es Möglichkeiten durch eine und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) Forschungsförderung, die es Unternehmen erleichtert, zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, sich in diesem Bereich zu betätigen und damit etwas Gu- Oliver Krischer, Katja Dörner, weiterer Abgeord- tes für sich selbst und für die eigenen Mitarbeiter zu tun. neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. NEN René Röspel [SPD]) Innovationspolitik neu ausrichten – Forschen Diesen Weg gilt es fortzusetzen; denn das Wichtigste für den Wandel befördern in der Forschungspolitik ist, dass sie nachhaltig ist, kein (B) Drucksachen 18/8711, 18/12776 Strohfeuer, das in einem Jahr aufodert und schon im (D) nächsten Jahr wieder erlischt. Es hat nur Wert, wenn es Nach dem dafür üblichen Schichtwechsel der Betei- wirklich über Jahre und Jahrzehnte betrieben wird. ligten und Interessierten möchte ich Ihr Einvernehmen zu der Vereinbarung feststellen, dass auch diese Aussprache (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- 60 Minuten dauern soll. – Das ist ganz offenkundig so. NEN]: Seit 1998!) Dann verfahren wir auch so. Das werden wir in den nächsten Jahren fortsetzen; zu- Ich eröffne die Aussprache. Der Kollege Kretschmer mindest ist das unser fester Wille. erhält als Erster das Wort. Man darf Forschungs- und Entwicklungspolitik nicht (Beifall bei der CDU/CSU) als Aufgabe eines einzigen Ressorts begreifen; das ist eine Aufgabe der gesamten Bundesrepublik und der ge- samten Gesellschaft. Das beginnt schon in den Schulen Michael Kretschmer (CDU/CSU): und mit dem gesellschaftlichen Klima, das wir haben und Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Gut- das entweder offen oder nicht offen für Innovationen ist. achten zu Forschung, Innovation und technologischer Dieses Klima muss sich dann im Wirtschaftsministerium Leistungsfähigkeit Deutschlands ist alle Jahre wieder und im Forschungsministerium sowie in anderen Res- eine gute Gelegenheit, um zu schauen, wie die For- sorts wiederfnden. Es ist der große Erfolg dieser Bundes- schungspolitik und die technologische Leistungsfähig- regierung, dass sie es geschafft hat, über Ressortgrenzen keit sich in unserem Land entwickelt haben. Wenn man hinweg Forschung und Entwicklung sowie Innovation zu diesen Prozess über Jahre verfolgt, dann weiß man, dass einem gemeinsamen Schwerpunkt zu machen. es Zeiten gibt, in denen in diesem Bericht kritisch und mahnend aufgezeigt worden ist, wo die Defzite in der (Beifall bei der CDU/CSU) Bundesrepublik Deutschland sind, wo wir zurückfallen Die Aufgaben in der Zukunft sind klar. Die Projekt- und wo andere besser und schneller sind als wir. Dann ist förderung, die im Bundesministerium für Bildung und es richtig, hier kritisch darüber zu diskutieren, Verände- Forschung angesiedelt ist, die aber auch im ZIM und bei rungen anzumahnen und diese dann auch zu vollziehen. der Industriellen Gemeinschaftsforschung wichtige An- Der EFI-Bericht des Jahres 2017 ist ein anderes Doku- kerpunkte hat, muss als stabiles Fundament weiterentwi- ment, ein Dokument, in dem deutlich beschrieben wird, ckelt werden. Zusätzlich setzen wir uns für die steuerli- wie sich die Bundesrepublik Deutschland in den letzten che Forschungsförderung ein. Wir sind alle miteinander zehn Jahren im internationalen Wettbewerb zurückge- der Meinung, dass dieses Projekt auch in der nächsten meldet hat, wie wir in Forschung und Entwicklung in- Legislaturperiode gelingen wird. Ich halte das für einen Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24501

Michael Kretschmer (A) ganz wichtigen Beitrag, um international wettbewerbsfä- tagswahl schnell losgehen kann. Der Digitalpakt ist eine (C) hig zu sein. Wir kämpfen für die steuerliche Forschungs- wichtige Angelegenheit. förderung. (Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann darf René Röspel [SPD]) der Bund aber nicht fehlen!) Darüber hinaus gilt es, die wichtigen Instrumente, Wir haben heute Morgen an Helmut Kohl erinnert. die wir gemeinsam auf den Weg gebracht haben, wie Ich bin als ehemaliger Ostdeutscher tief beeindruckt von den Hochschulpakt, auch in den kommenden Jahren zu dieser Persönlichkeit und tief bewegt durch das, was sichern. Sicherlich bedarf es einer neuen Ausrichtung. seit 1990 in den neuen Bundesländern passiert ist. Die Man kann nicht einfach alles weitermachen wie bisher. 90er-Jahre waren davon geprägt, dass man investiert hat: Die CDU/CSU ist der Meinung, dass wir darüber spre- in die Infrastruktur, in Krankenhäuser, in Schulen, in chen müssen, ob im Bereich der dualen Bildung mehr Straßen, in das, was in 40 Jahren DDR kaputtgegangen geschehen muss. Ich bin entschieden der Meinung, dass ist. Aber spätestens seit den 2000er-Jahren ist das eigent- wir die duale Berufsausbildung stärken und das Konzept liche Aufbau-Ost-Ministerium das Bundesministerium der „Höheren Berufichen Bildung“ durchsetzen müssen. für Bildung und Forschung, und zwar deswegen, weil es mit einem ganz intelligenten Forschungs- und För- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- derkonzept unter dem Namen „Unternehmen Region“ es ordneten der SPD – René Röspel [SPD]: Kon- geschafft hat, Potenziale zu entwickeln und dazu beizu- sens überall!) tragen, dass wir im Wettbewerb um Exzellenz bestehen können. Wir haben mittlerweile eine solche Exzellenz er- – Wenn die SPD Konsens andeutet, dann ist das schon reicht, dass beispielsweise beim Digital-Gipfel der Bun- einmal die halbe Miete. desregierung in der vergangenen Woche ICCAS als das (René Röspel [SPD]: Habe ich schon früher Referenzprojekt für den digitalen Operationsraum ver- gesagt!) wendet wurde. Das zeigt, dass wir in den neuen Ländern erfolgreich gewesen sind. Ich wünsche mir sehr, dass wir Trotzdem muss man auch im Bereich der akademi- in der kommenden Legislaturperiode mit dem Programm schen Bildung gemeinsam mit der Hochschulrektoren- „Innovation und Strukturwandel“ diesen Forschungsan- konferenz und dem Wissenschaftsrat darüber sprechen, satz auf Gesamtdeutschland ausweiten, damit wir auch dass auch dort Veränderungen notwendig sind. Der Bolo- in Regionen in den alten Bundesländern, die Probleme gna-Prozess ist ein Erfolg, aber er ist in die Jahre gekom- haben und mit Strukturwandel konfrontiert sind, wie bei men, und es ist Zeit, darüber nachzudenken, ob man ihn der Braunkohle, mit diesen erfolgreichen Konzepten hel- (B) neu ausrichten muss. Das muss passieren, wenn wir über fen können. (D) die Frage sprechen, wie es mit dem Geld weitergehen soll, wenn der Hochschulpakt ausgelaufen ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. René Röspel [SPD]) Wesentliche Träger unserer Forschung in Deutschland sind die außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Ich komme zum Schluss. Uns hat in den letzten Wo- Wir waren es, die gemeinsam mit den Ländern zunächst chen die Reform des Urheberrechts sehr bewegt. Ich eine Steigerung um 3 Prozent vereinbart haben und dann will es an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Im Koali- um 5 Prozent, und wir als Bund haben uns in dieser Le- tionsvertrag ist vereinbart, die Wissenschaftsschranke gislaturperiode bereit erklärt, den Aufwuchs von 3 Pro- einzuführen. Die Gespräche darüber sind schwierig, die zent alleine zu tragen, weil wir für Verlässlichkeit stehen. Interessenlage ist sehr unterschiedlich. Wir wollen diese Unser gemeinsames Anliegen muss sein, dass bei dem Wissenschaftsschranke. Pakt für Forschung und Innovation in der kommenden (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Wir Legislaturperiode wieder eine gemeinsame Finanzierung auch!) mit den Ländern erreicht wird, und zwar über das Niveau von 3 Prozent hinaus. Wir arbeiten daran, und wir wollen sie noch in dieser Le- gislaturperiode beschließen. (Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur zu! Hat ordneten der SPD – René Röspel [SPD]: Wir ja lang genug gedauert!) unterschreiben sofort! Dann muss man auf uns Der Vorschlag, mit den Bundesländern einen Digital- zukommen!) pakt zu schließen, ist aus meiner Sicht richtig.

(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Butter bei Präsident Dr. Norbert Lammert: die Fische! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE Für die Fraktion Die Linke hat der Kollege Ralph GRÜNEN]: Wo ist denn das Geld dafür?) Lenkert nun das Wort. Wir müssen in die digitale Bildung investieren. Es ist (Beifall bei der LINKEN) ein gutes Ergebnis, dass es dem Bundesministerium für Bildung und Forschung gelungen ist, mit den Ländern Ralph Lenkert (DIE LINKE): gemeinsame Eckpunkte zu erarbeiten. Das ist die Voraus- Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kolleginnen setzung dafür, dass es in diesem Punkt nach der Bundes- und Kollegen! Das Wichtigste für technologische Leis- 24502 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Ralph Lenkert (A) tungsfähigkeit und Forschungsqualität sind Wissen- ler, ich sage heute einmal nicht „Aufhebung des Koope- (C) schaftlerinnen und Wissenschaftler. rationsverbotes“. (René Röspel [SPD]: Das stimmt!) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten der GRÜNEN – Kai Gehring [BÜND- Liebe Studenten, Doktorandinnen, Postdocs und Wissen- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber es wäre rich- schaftlerinnen und Ingenieure, ohne Sie, ohne Ihre Neu- tig!) gier würde es keine Forschung geben. Regierungen, Po- litiker, aber eben auch Unternehmen können bestenfalls Ich fordere, für ein umfassendes Kooperationsgebot für den Rahmen liefern. Entscheidend für jede Forschung, Bildung, Lehre und Forschung in Artikel 91 Grundgesetz für den Forschungsstandort sind Sie. Sie sind die Haupt- Änderungen vorzunehmen. triebkraft des wissenschaftlichen Fortschritts, und dafür (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- sage ich Danke. NIS 90/DIE GRÜNEN – Kai Gehring (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bravo!) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir fordern längere Vertragslaufzeiten in der Forschung, Bei meinen Besuchen in Laboren, Instituten und mehr Dauerstellen in der Wissenschaft, damit sich unser Hochschulen verstand ich nicht alles, was mir erklärt forschender Nachwuchs ohne Existenzangst ganz auf die wurde. Aber immer spürte ich die Leidenschaft der For- Forschung konzentrieren kann. schenden. Wenn es um ihre Idee geht, überwinden sie (Zuruf von der LINKEN: Genau!) alle Hemmnisse, auch das schlimmste, das kurzgefasst lautet: Das war schon immer so; das haben wir immer Auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben schon so gemacht. – Ich selbst arbeitete in der Entwick- ein Recht auf planbare Perspektiven – berufich und fa- lung und bewundere, wie es viele von ihnen schaffen, miliär. gefühlt rund um die Uhr im Labor zu sein und parallel (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) dazu zu publizieren. Dabei müssen sie auch häufg neue Finanzierungsquellen zur Umsetzung ihrer Ideen fnden. Die Linke sagt, mit mehr Grundfnanzierung braucht Respekt! es weniger öffentliche Drittmittelprojekte. Das erspart unserem wissenschaftlichen Nachwuchs und dem er- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle sehen und fahrenen Personal das Schreiben von Projektanträgen, fühlen die Einsatzbereitschaft des Forschungspersonals. stupide Projektabrechnungen und das Zittern vor Aus- Trotzdem macht die Regierung der Wissenschaft das Ar- wahlkommissionen – Zeit, die heute für die eigentliche (B) beiten eher schwerer. Warum zwingen Sie Hochschulen Forschung fehlt. (D) in aufwendige Exzellenzbewerbungen und Drittmittelbe- schaffungen? Liebe Kolleginnen und Kollegen, zuletzt noch zwei Punkte, die den Betroffenen und mir sehr am Her- (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Absolut rich- zen liegen. Auch Sie erhielten Post von dem Präsiden- tig!) ten der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Professor Strohschneider. Bitte folgen Sie der Bitte zum Urheber- Warum läuft so viel über befristete Projektfnanzierung? rechts-Wissensgesellschafts-Gesetz. Wenn Sie den For- Damit schränken Sie offensichtlich die Forschungsfrei- derungen der Verlagslobby nachgeben, steigern Sie nur heit ein, weil Sie die Forschung in Bahnen zwängen, für deren Profte und schaden unserem Forschungsstandort, die es extra Gelder gibt. den Studierenden und der Wirtschaft außerhalb des Ver- (Beifall bei der LINKEN) lagswesens. Die Linke steht für die Freiheit der Wissenschaft, für (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- eine Wissenschaft frei von politischen und fnanziellen NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- Zwängen. ten der SPD) Der zweite Punkt betrifft das Institut für Gemüse- und (Beifall bei der LINKEN) Zierpfanzenbau, IGZ, in Erfurt. Liebe Kolleginnen und Wir fordern für Studentinnen und Studenten, Doktoran- Kollegen, mit überwältigender Mehrheit haben wir vor dinnen und Doktoranden, Postdocs, Wissenschaftlerin- wenigen Wochen die Stärkung des Gartenbaus mit seinen nen und Wissenschaftler, Ingenieurinnen und Ingenieure 700 000 Beschäftigten hier im Bundestag beschlossen. stabile, bessere Rahmenbedingungen, damit wir Lö- Da ging es auch um die Sicherung der Forschung für den sungsvorschläge auf bekannte Probleme wie Klimawan- Gartenbau. Der Freistaat Thüringen und das Thüringer del und die Folgen, Digitalisierung, aber auch wachsen- Landwirtschaftsministerium stehen für den Fortbestand de Armut, soziale Ausgrenzung und daraus entstehende des Standortes in Erfurt. Thüringen hat alle Vorbedingun- Fluchtbewegungen erhalten, damit wir Fragen gestellt gen des Bundesministeriums für Ernährung und Land- bekommen, die unbequem sind, aber unausweichlich wirtschaft erfüllt. auf die Gesellschaft zukommen. Deshalb fordern wir Liebe Koalition, woran klemmt es denn noch? eine höhere Grundfnanzierung für Hochschulen – ja –, und dafür sollten wir den 13 Grundgesetzänderungen der (Zuruf von der CDU/CSU: Das erzählen Sie letzten Sitzungswoche eine 14. hinzufügen: Liebe CDU- jetzt das fünfte Mal!) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24503

Ralph Lenkert (A) Den Kolleginnen und Kollegen des IGZ läuft die Zeit da- Dann stellt man fest: 1988 bricht die Kurve ab, also (C) von. Gibt es bis Juli keine belastbare Vereinbarung, müs- zwei Jahre vor der Wiedervereinigung – nicht dass das sen die Kündigungen ausgesprochen werden. Selbst wenn als Argument kommt! Es geht runter auf das historische der nächste Bundestag dann mit dem Haushalt 2018 die Rekordtief in der Ära Kohl/Rüttgers, nämlich 1996/97, Rettung des Standortes Erfurt beschließen sollte: Es wäre wo so wenig wie nie in den Jahrzehnten vorher in For- zu spät. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, schung und Entwicklung investiert worden ist. lassen Sie uns das Bundesministerium für Ernährung und Dann kommt es wirklich mit der Regierungsübernah- Landwirtschaft zum Handeln treiben, und zwar schnell. me von Rot-Grün. Ab 1999 gehen die staatlichen Aus- Danke schön. gaben für Forschung und Entwicklung nach vielen Jahr- zehnten endlich wieder nach oben. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Was richtig gut war!)

Vizepräsidentin Claudia Roth: Das haben wir in den letzten zwei Jahrzehnten gemein- sam in dieser Koalition bzw. mit den Grünen fortgesetzt. Vielen Dank, Ralph Lenkert. – Schönen guten Mor- Das ist die richtige Betrachtung. gen, liebe Kolleginnen und Kollegen, von mir. – Nächster Redner in der Debatte: René Röspel für die SPD-Frakti- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des on. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD) Das hat also weit vor der Zeitrechnung 2005 angefangen. Die SPD, die in den letzten zwei Jahrzehnten 16 Jahre mitregiert hat, hat Deutschland wieder zu einem Standort René Röspel (SPD): gemacht, an dem mehr Geld für Forschung und Entwick- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Schönen lung ausgegeben wird. guten Morgen! Lieber Kollege Kretschmer, Sie haben nichts Falsches gesagt, wenn Sie eingeführt haben, dass (Beifall bei der SPD) in den letzten zehn Jahren deutlich mehr für Forschung Wir freuen uns über jeden, der dabei mitmacht. ausgegeben worden ist. Das ist auch gut so. Aber trotz- dem ist es nicht wirklich wissenschaftlich, wenn man Übrigens gab es vier Jahre, in denen wir nicht an der eine Frage immer nur auf ein bestimmtes Intervall re- Regierung beteiligt waren. Sie erinnern sich vielleicht duziert. Also: Wenn ich ein Blatt mit ganz vielen roten daran, was da passiert ist. Da hat die FDP die Möven- pick-Hotelsteuer durchgesetzt, und es hat einen katastro- (B) Punkten vor mir liegen habe, und dabei ist ein schwarzer (D) Punkt, ich den schwarzen Punkt herausschneide und um phalen Wandel in der Energiepolitik gegeben. Die Lauf- die Ecke gehe und sage, ich habe gerade ein Blatt mit zeiten der Atomkraftwerke sind verlängert worden. einem schwarzen Punkt gehabt, dann ist das richtig, aber ( [CDU/CSU]: Sind Sie bei es ist eben auch nicht ganz richtig, weil dieses Blatt viele der falschen Novelle, oder wo sind wir jetzt?) rote Punkte gehabt hat. Deswegen ist es wissenschaftlich nicht korrekt, nur einen bestimmten Zeitraum oder ein Das kostet den Steuerzahler heute 6 Milliarden Euro, Intervall herauszunehmen – die Mathematikerin Frau (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: 7!) Professor Wanka wird das ja vielleicht gleich auch noch ausführen können –, sondern man muss einen breiteren weil die Brennelementesteuer zurückgezahlt werden Zeitraum nehmen. muss. Das zahlt leider nicht die Haftpfichtversicherung der Kanzlerin; denn die leistet bei grober Fahrlässigkeit Ich habe das einmal gemacht, habe die letzten 40 Jahre und Vorsatz nicht. betrachtet. Wer das nachvollziehen will: Ich habe gleich Es geht aber nicht nur darum, mehr Geld zur Verfü- zur Ansicht den Bericht zur Technologischen Leistungs- gung zu stellen, sondern auch darum, Impulse für For- fähigkeit von 1998 für Sie vorliegen – von der damaligen schung und Entwicklung zu setzen. Tatsächlich war es Kohl-Regierung noch gemacht. Da sieht man über die die SPD, die mindestens zwei wesentliche Impulse ge- Jahre, wie sich das mit den Investitionen in Forschung setzt hat. Noch unter der Forschungsministerin Edelgard und Entwicklung immer als Anteil am Bruttoinlands- Bulmahn, in rot-grüner Zeit, ist der Pakt für Forschung produkt entwickelt. Dabei sieht man ganz gut: In den und Innovation, den Herr Kretschmer auch gerade er- 80er-Jahren gibt es mehr Investitionen in Forschung und wähnt hat, auf die Gleise gesetzt worden – mit einem Innovation. – Jetzt ist Herr Riesenhuber weg. Ich hätte großen Erfolg, weil erstmals seit vielen Jahren und Jahr- ihn gelobt. zehnten sich die Forscherinnen und Forscher in den au- (Zurufe von der CDU/CSU: Nein! Da ist er! ßeruniversitären Forschungseinrichtungen darauf ver- Erste Reihe!) lassen konnten, dass sie in jedem Jahr mehr Geld zum Investieren bekommen: erst 3 Prozent, dann 5 Prozent, – Oh, Pardon! Wie konnte ich Sie, so ruhig sitzend, über- jetzt 3 Prozent. Das war ein großer Anschub. Das hat sehen? – Herr Riesenhuber hat eine gute Tradition sozi- Deutschland wieder attraktiv gemacht, weil man wusste: aldemokratischer Forschungsminister übernommen und Hier wird Forschung verlässlich fnanziert. weiter ausgebaut. Ein zweiter wichtiger Impuls war die Exzellenzinitia- (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) tive – sie war sehr umstritten, auch unter einer sozialde- 24504 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

René Röspel (A) mokratischen Bundesbildungs- und -forschungsministe- auch Bestandteil dieses Tagesordnungspunktes – gerade (C) rin auf den Weg gebracht –, die eine ungeheure Dynamik für mittelständische Unternehmen ganz viel kleines Geld in die deutsche Forschungs- und Hochschullandschaft zur Verfügung gestellt wird, um neue Produkte zu entwi- gebracht und Deutschland wieder zu einem sichtbaren ckeln und Material und Werkstoffe zu verbessern. Standort von Wissenschaft und Forschung gemacht hat. Auch das ist ein sozialdemokratischer Erfolg. Am Ende kann man nur sagen: Das ist ein Erfolg, den wir in den letzten Jahren gemeinsam – übrigens mit allen (Beifall bei der SPD) Fraktionen hier – hinbekommen haben und der auch fort- gesetzt werden muss. Deswegen schaue ich jetzt in die Darüber, dass es uns 2007 in der Großen Koalition ge- Zukunft: Wir, die SPD, werden am kommenden Sonntag lungen ist, den Hochschulpakt auf den Weg zu bringen, unser Wahlprogramm beschließen. Wir haben konkrete weil nämlich die Hochschulen dringend Unterstützung Vorschläge, wie es weitergehen soll. Gute Forschung ist brauchten, um mehr in Hochschulstudiengänge inves- nur dann möglich, wenn es gut ausgebildete Menschen tieren zu können, freuen wir uns gemeinsam mit den in diesem Land gibt, und das fängt im Kindergarten und Kollegen von der Union. Die große Frage wird sein – in der Schule an. Insofern ist das Konzept, das Martin der EFI-Bericht 2017 bescheinigt uns nämlich, dass die Schulz vorgestellt hat, Vorrang für Investitionen in Kitas Grundfnanzierung der Hochschulen ein großes Problem und Bildung, der richtige Weg. Wir müssen mehr in ist –: Wie werden wir diesen Hochschulpakt nach 2020, Schulen investieren, und wir sind sehr der Auffassung, wenn er nämlich ausläuft, weiter fnanzieren? Wir sind dass die Reichen in diesem Land einen größeren Teil der Überzeugung, dass wir die Hochschulen weiter un- dazu beitragen können. terstützen müssen, damit mehr Studienplätze, vernünftig ausgestattet, zur Verfügung gestellt werden können. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Wir haben auch in dieser Legislaturperiode eine Reihe von Impulsen setzen können – mit den Kollegen von der Vizepräsidentin Claudia Roth: Union; ich danke Stefan Kaufmann und einigen anderen, Vielen Dank, René Röspel. – Nächster Redner in der die das mitgemacht haben –, zum Beispiel für ein The- Debatte: Kai Gehring für Bündnis 90/Die Grünen. ma, das sehr viele Menschen ihr Leben lang interessieren wird, nämlich das Thema Arbeit. Das ist nicht nur eine Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frage des Geldverdienens; es geht auch darum, dass man Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt sich selbst zu er- Meine sehr geehrten Damen und Herren! Danke an mei- (B) arbeiten. Das ist auch eine Frage des Selbstwertgefühls. nen Vorredner, an die Aufwüchse bei Bildung und For- (D) Dabei ist die Frage zu stellen: Wie schaffen wir es schung seit 1998 zu erinnern. Wichtig ist: Dieses Wachs- denn, in einer veränderten Arbeitswelt – Stichwort „Di- tum muss jetzt auch weitergehen. gitalisierung der Arbeitswelt“ – Arbeit so zu gestalten, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dass Menschen möglichst lange zufrieden und gesund ar- und bei der SPD) beiten können? Das ist eine der großen Herausforderun- gen unserer Zeit. Es gab das Programm „Humanisierung Ich habe mich ja gefragt: Was will uns die Bundesre- des Arbeitslebens“ in den 70er-Jahren, sozialdemokra- gierung eigentlich mit dieser Debatte kurz vor dem Ende tisch initiiert. Herr Riesenhuber, vielen Dank; Sie haben der Wahlperiode sagen? Aus ökologischer Sicht könnte es weitergeführt und ausgebaut. Aber auch das ist zum man Sie für die Wiederverwendung Ihrer Imagebroschü- Ende der 90er-Jahre hin reduziert worden. Wie schaffen ren loben. Dabei haben Sie jedoch nicht auf deren poli- wir es also, dass Menschen arbeiten können, ohne dabei tisches Verfallsdatum geachtet. So hat uns Wirtschafts- kaputtzugehen? Das ist eine große Herausforderung. Wir staatssekretär Machnig kurz vor dieser Debatte Ihre machen jetzt endlich wieder mehr Arbeitsforschung in gestoppten Ideen zur steuerlichen Forschungsförderung diesem Land und bauen ein Projekt auf, damit wir für die geschickt. Notwendig und überfällig wäre stattdessen ein Herausforderungen einer sich wandelnden Arbeitswelt abgestimmter Gesetzentwurf des Kabinettstrios Zypries, gewappnet sind. Wanka und Schäuble. Unser Innovationsstandort könn- te schon so viel weiter sein, wenn Sie sich als Koalition Damit einher geht etwas, was uns auch im Bericht der nicht ständig selbst blockieren würden. EFI seit Jahren vorgeworfen wird: dass wir zu schlecht aufgestellt sind im Bereich der wissensintensiven Dienst- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) leistungen. Auch das ist ein Bereich, den wir stärker be- Ohne steuerliche Forschungsförderung drosseln Sie arbeiten und erforschen lassen wollen. Wie verändern die Kreativität und Wettbewerbsfähigkeit der kleinen sich Dienstleistungen? Welches große Potenzial an Ar- und mittleren Unternehmen. Sie hemmen Innovation, wir beit, Technologie und Wertschöpfung steckt darin? wollen Sie entfachen. Ein dritter Bereich ist die Produktionsforschung. Auch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) hier gibt es einen großen Wandel. Wie wird künftig pro- duziert? Welche Produkte kommen am Weltmarkt an? Denn als Grüne im Bundestag waren wir die erste Frakti- Was bedeutet das für eine Fabrik? Was bedeutet das für on, die einen sofort umsetzbaren Gesetzentwurf für einen die Arbeitswelt? Auch hier werden wir mehr investieren. KMU-Forschungsbonus vorgelegt hat. Gestern hat der Ich bin sehr froh, dass im Rahmen von ZIM – das ist Bundestag unseren Antrag zur Gründungsförderung de- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24505

Kai Gehring (A) battiert – ein weiterer grüner Beitrag für mehr Innovation Grundlagenforschung sowie große Herausforderungen (C) in diesem Land. Bei Ihnen erleben wir hierbei Fehlanzei- ausgerichtet sein, zum Beispiel Forschen gegen Klima- ge und Leerstellen, und das ist schlecht. wandel, gegen Hunger, gegen Fluchtursachen, gegen ar- mutsassoziierte Krankheiten und Ressourcenknappheit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Hier wären Gelder viel besser angelegt als in Milliarden- Dieses Unvermögen steht symptomatisch für Ihre in- gräbern wie ITER zur Kernfusionsforschung. novationslose Innovationspolitik, Frau Wanka. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Beispiel Hightech-Strategie: Neues wird dort kaum und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten gewagt, altes Wachstumsdenken dominiert. Sie verhar- der SPD) ren bei einem engen wirtschafts- und technologiefxier- ten Innovationsansatz. Wir wollen unsere Republik zum Wir müssen raus aus der Atomforschung und rauf mit Pionierland für technische und für sozialökologische In- Forschung für erneuerbare Energiesysteme. So würden novation machen. Darin liegen Chancen. Bundesmittel sinnvoll und verantwortungsvoll für die Zukunft eingesetzt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Dr. Stefan Kaufmann (Zuruf von der CDU/CSU: Das eine hat mit [CDU/CSU]: Das trifft es gerade nicht, Kol- dem anderen nichts zu tun!) lege!) Mich macht in diesen Tagen fassungslos, dass Sie als Nachhaltigkeit und die Ausrichtung auf große globa- Koalition auf den letzten Metern hohe Milliardensum- le Herausforderungen müssen endlich Leitschnur für die men für Korvetten-Kriegsschiffe und Panzer ausgeben Hightech-Strategie werden. wollen Beispiel Klimaforschung: Wir alle kritisieren, dass (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Präsident Trump aus dem globalen Klimaschutz aus- und bei der LINKEN) steigt. Warum lässt die Koalition aber seit Jahren die anstatt für Kitas, Schulen und Labore. Das ist ein Un- Chance verstreichen, ein Rahmenprogramm zur Klima- ding, meine Damen und Herren. folgenforschung auf die Beine zu stellen? Wir haben ein solches Rahmenprogramm eingefordert. Es wäre Das sage ich auch, weil wir als Ausschussmitglieder ein ökologisches wie wissenschaftliches internationales alle wissen, dass die Unionsfraktion seit Jahren, seit Leuchtturmprojekt. Die UN-Klimaschutzziele und das zwölf Jahren, eine massive Stärkung der Friedens- und Pariser Klimaabkommen machen das dringend notwen- Konfiktforschung verhindert. Auch das ist ein Unding. dig. Der Bedarf liegt auf der Hand. Sie sind auch hier (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (D) Tu-nichts-Koalition. Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Die löst (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) auch nichts!) Beispiel Digitalisierung: Außer Reden wenig gewe- Wir sagen: Das umstrittene 2-Prozent-Ziel bei Ver- sen. Wir sagen: Industrie 4.0 braucht Bildung 4.0. Mo- teidigung darf doch nicht das wichtige 3,5-Prozent-Ziel derne digitale Infrastruktur ist in Schulen und Hochschu- für Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen in der len leider weiter Mangelware. Unsere Republik wird seit Bedeutung überholen. Investieren in unsere Investitions- zwölf Jahren von CDU-Forschungsministerinnen regiert und Wissensgesellschaft muss klar Priorität haben. und ist in dieser Zeit ein digitales Entwicklungsland ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) blieben. Frau Wanka, Sie sind versetzungsgefährdet. Was brauchen wir noch, um mehr Innovationen zu (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN entfachen? und bei der LINKEN – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Das ist absurd, was du er- Erstens – das wird vielleicht manche in der Union zählst!. – Dr Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: verwundern –: mehr Bildungsgerechtigkeit. Bildung und Realitätsverweigerung!) Teilhabe aller an unserer Wissensökonomie sind uner- lässlich. Unser Land wird nicht nur gerechter, sondern Genauso ist es beim wissenschaftsfreundlichen Urhe- auch kreativer und innovativer, wenn wir niemanden zu- berrecht. Es wird seit Jahren diskutiert, wurde von der rücklassen und wenn wir den Fachkräftemangel ernsthaft Enquete-Kommission empfohlen. Die Wissenschafts- bekämpfen, zum Beispiel bei den technischen Berufen. community braucht endlich Schrankenregelungen und Das steht jetzt an. keine Blockade der CDU/CSU-Rechtspolitiker auf den allerletzten Metern. Geben Sie sich einen Ruck, anstatt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den Regierungsentwurf zu schreddern. Die Maas-No- und bei der SPD) velle wäre für Lehrende und Lernende ein Schritt in die Zweitens: mehr Pluralität, Vielfalt und Interdisziplina- richtige Richtung. Er muss jetzt kommen, und zwar ohne rität in der Forschung. Das erweitert Horizonte. Beispiel: weitere Verwässerungen der Union. Die Finanzwissenschaften haben bei der Vorhersage der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, globalen Finanzkrise versagt. Deshalb tut mehr Pluralität bei der SPD und der LINKEN) not. Beispiel fnanzielle Prioritäten: Statt Klein-Klein muss Drittens. Wir brauchen mehr Forschung jenseits des Forschungsförderung auf starke, von Neugier getriebene Mainstreams. Ein Beispiel: Wir wollen die Methoden 24506 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Kai Gehring (A) zum Ersatz von Tierversuchen endlich massiv stärken, len. Denn Zukunft wird aus Mut, Neugier und Kreativität (C) um Tierleid zu reduzieren. gemacht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir haben die Ideen, mehr Bürgerwissenschaften, Ci- tizen Science, zu puschen und einen Experimentiertopf Vizepräsidentin Claudia Roth: für die „Daniel Düsentriebs“ und Tüftler der Republik zu Vielen Dank, Kai Gehring. – Nächste Rednerin: für schaffen, um auch unkonventionelle Ideen zu generieren. die Bundesregierung Ministerin Dr. Johanna Wanka. Auch das wäre etwas Neues. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Viertens. Es braucht mehr Freiräume und eine garan- Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung tierte Wissenschaftsfreiheit. Dazu braucht es hierzulande und Forschung: mehr Planungssicherheit, also eine verlässliche Grundf- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr nanzierung unserer Hochschulen, anstatt sich immer von Gehring, warum diskutieren wir das heute hier? Aus Pakt zu Pakt zu hangeln. International müssen wir gegen Achtung vor dem Parlament. Sie haben beschlossen, dass jedwede Wissenschaftsfeindlichkeit und -diffamierung wir einen Bericht dazu zu machen haben. Den machen ankämpfen, weil so etwas Kooperation erschwert. Ob wir gerne, und er ist gut. Massenentlassungen von Wissenschaftlern in der Türkei, verfolgte Forscher in Despotien, Trumpismus, Brexit (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) oder Ungarn: Gängelungen von Forscherinnen und For- Herr Lenkert, ich habe hier ja nur wenige Minuten zum schern dürfen nirgends um sich greifen, zum Grundrech- Reden. Deswegen habe ich eine große Bitte; ich assistie- teschutz und aus Innovationsgründen. re gerne. Wir hatten vor einiger Zeit hier eine Debatte (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs. und bei der LINKEN sowie des Abg. René (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Röspel [SPD]) Den fanden Sie ja nicht so gut! Da haben Sie Fünftens. Wir brauchen klare Karriereperspektiven für gesagt, die Daten sind schlecht!) Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler statt ein wei- Da ging es darum, wie viele Dauerstellen wir geschaffen teres Befristungsunwesen. haben und wie die Karriereverläufe sind. Zu all dem, was (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Sie heute angesprochen haben, habe ich da Stellung ge- (B) SES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) nommen, habe die Fragen beantwortet. Ich bitte Sie, da (D) noch einmal nachzuschauen; Sie können auch gerne mit Ihre Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes mir darüber reden. ( [CDU/CSU]: War ein Herr Röspel, ich bin ja für lange Geschichtszüge. Man voller Erfolg!) muss aufpassen, ob man Legenden strickt. wird alle Ziele verfehlen. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Genau so ist (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Wider es! – René Röspel [SPD]: Das ist keine Legen- besseres Wissen so was zu behaupten!) de! Also, das ist klar!) Schlechte Arbeitsbedingungen im Wissenschaftssystem – Lassen Sie mich doch mal reden. – Wenn man jetzt und die Frustrierung von Talenten sind aber auch inno- die Zeit von Rot-Grün betrachtet, dann stellt man fest, vationsfeindlich, genauso wie die Unterrepräsentanz dass ich diesbezüglich nicht nur – wie Sie mir positiv un- von Frauen in Spitzenpositionen der Wissenschaft. Da- terstellen – mit den Zahlen rechnen kann, sondern auch her wollen wir einen Aufbruch für mehr Personal an den Zeitzeugin bin. Hochschulen und Forschungseinrichtungen, für „mehr (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dauerstellen für Daueraufgaben“ jenseits der Professur Jetzt bin ich gespannt auf Ihre Legende!) und im Mittelbau sowie mehr Diversity und Geschlech- tergerechtigkeit in der Wissenschaft. Denn Ideen, die un- Ich hatte für unsere Institute zu sorgen – die ehemalige sere Welt verbessern, entstehen in klugen Köpfen, und Finanzministerin kann sich vielleicht noch erinnern –, als die brauchen bessere Bedingungen. der Bund nicht bereit war, Mittel zur Finanzierung von Tarifsteigerungen zu zahlen. Wir mussten das dann er- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wirtschaften, und das im Osten. Zusammengefasst: Unsere Republik muss zum Pio- Noch ein Fakt, was die Zahlen angeht: Die Steigerung nierland für sozial-ökologische Innovationen werden. der Ausgaben für Forschung und Entwicklung war über Dazu gehören viele neue Impulse wie die genannten, die gesamte Zeit von Rot-Grün hinweg in der Summe so super Bedingungen für Wissenschaftsfreiheit, gute For- groß wie bei mir in einem Jahr. scherkarrieren und Vielfalt sowie eine bessere Finanzie- rung von Forschung und Entwicklung. Was diese Ko- (Beifall bei der CDU/CSU – René Röspel alition nicht geschafft hat, müssen wir in der nächsten [SPD]: Es geht um den Anteil in Prozent! Das Wahlperiode mit einem Modernisierungsschub nachho- ist doch ein Aufwuchs!) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24507

Bundesministerin Dr. Johanna Wanka (A) – Das müssen wir jetzt nicht vertiefen. – Ansonsten habe müssen sich Wirtschaft und Wissenschaft gegenseitig (C) ich keine Lust, nur über die Vergangenheit zu reden. Da- animieren. für ist mir die Zeit zu schade. Wir haben im Rahmen der Hightech-Strategie neue In- (René Röspel [SPD]: Ein richtiges Intervall­ strumente eingeführt, um die Wirtschaft zu Forschungs- nimmt man schon! Sie kennen das aus der stärke anzuregen. Eines der Instrumente, gegen das nie- Mathematik, oder?) mand etwas sagen kann, das allenthalben gelobt wird, ist der Spitzencluster-Wettbewerb. Ohne den Standort – Herr Röspel, das geht von meiner Zeit ab. Tut mir leid. Dresden mit dem Spitzencluster Silicon Saxony, lieber So. Michael Kretschmer, gäbe es nicht dieses Zentrum in Eu- ( [SPD]: Ah, so geht das!) ropa und eine Investition von Bosch in Arbeitsplätze in Milliardenhöhe. – Ja, das ist Strategie. (Zuruf von der CDU/CSU: Ja, so ist es!) Wir haben heute als Thema: Wie sind wir aufgestellt? Deutschland ist im Hinblick auf Dienstleistungen und Herr Gehring, Sie sagen, wir haben die Digitalisierung Produktion ein Spitzenstandort, gerade was die Produk- verschlafen. tion von Hightechgütern anbetrifft. Die Hightech-Stra- (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tegie, über die wir hier reden, ist ein ganz entscheiden- NEN]: Ja, haben Sie!) des Instrument, eine Grundlage dafür. Nun ist es immer schwierig, wenn man sich selber lobt; das kommt nicht so Ich habe vergessen, was Sie gelernt haben. Die Grundla- gut an. Deswegen greife ich mal das auf, was diejenigen ge für Digitalisierung ist die Mikroelektronik. Ohne die sagen, die uns bewerten: die OECD. Ich mache jetzt fünf Mikroelektronik sind wir nicht in der Lage, bei der Digi- Ausrufezeichen – Sie wissen, wie falsch uns die OECD talisierung ganz vorne mitzuspielen. sonst an vielen Stellen einschätzt. An dieser Stelle spricht (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- uns die OECD – nachdem sie das mit der berufichen Bil- NEN]: Was hat das mit der Ausbildung von dung verstanden hat – ein großes Lob aus. Sie verweist Herrn Gehring zu tun?) darauf, dass Länder wie Korea und Frankreich Anregun- gen aus unserer Hightech-Strategie entnehmen, dass sich Wir haben es gemeinsam mit dem Wirtschaftsministe- Horizon 2020 an diesem Vorbild orientiert. rium geschafft, die Bundesregierung insgesamt, für den Bereich Mikroelektronik über eine Milliarde Euro zur (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Verfügung zu stellen, und zwar so, dass es nicht bei- Jetzt machen Sie aber Rosinenpickerei!) hilfeschädlich ist. Wir haben die Chance, in Europa zu (B) Im EFI-Bericht wird darüber hinaus eine Bilanz der gan- investieren. Es muss nicht immer nur Deutschland sein. (D) zen Jahre, also nicht nur der letzten zwei oder drei Jahre, Das ist die Basis unserer Initiative. Die Investition in die gezogen, und sie fällt sehr positiv aus. Forschungsfabrik Mikroelektronik Deutschland in Höhe von 350 Millionen Euro ist die größte Investition, die es Sehr geehrter Herr Gehring, dass Sie und Ihre Frak- in diesem Bereich jemals gab. tion uns mit Ihrem Antrag unterstützen und loben, kann man auch mal erwähnen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Thema KMU haben wir analysiert. Das Motto lau- Aber Sie machen doch keine steuerliche For- tet: Vorfahrt für den Mittelstand! Die Effekte werden wir schungsförderung!) im Moment noch nicht messen können. Eines ist klar – hier waren wir schon bei den letzten Koalitionsverhand- Denn jeden der Punkte, die Sie im Antrag genannt ha- lungen nicht weit auseinander mit der Forschungs- und ben – mehr Forschung für Nachhaltigkeit, Reallabore, Wissenschaftsseite –: Wir brauchen steuerliche FuE-För- soziale Innovationen –, sind wir angegangen. Da haben derung. Das kommt noch, das ist aus meiner Sicht sicher. wir viel vorzuweisen. Zu allen Wünschen, die Sie hier aufgezählt haben – Nachhaltigkeit und anderes –, kann (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ich Ihnen Dinge nennen, die wir gemacht haben. NEN]: Aber am Sankt-Nimmerleins-Tag!) (Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring – Nein. – Aber man kann dabei auch einiges falsch ma- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann nutzen chen. Bei der Anwendung dieses Instrumentes kommt es Sie Ihre Chance!) entscheidend darauf an, zu prüfen, ob es auf Deutschland passt, ob es das Fraunhofer-Institut eher stört und ob es Solch einen positiven Impuls aus der Opposition kann die guten Mechanismen, die wir haben, befördert oder man ja auch mal aufnehmen. nicht. Darüber muss man diskutieren, Jetzt zu den Ergebnissen: 3 Prozent vom Bruttoin- (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- landsprodukt, lieber Herr Riesenhuber, für F und E ha- NEN]: Wie lange diskutieren Sie denn schon?) ben wir jetzt in Deutschland als große Industrienation – und das tun wir. Diese Entscheidung könnte eine Fehl- nicht als kleines Land – erreicht. Wir wollen und müssen entscheidung sein, wenn man sich jetzt nicht für die rich- weitermachen. Wenn wir sagen, dass wir in Richtung tigen Instrumente entscheidet. 3,5 Prozent gehen, dann geht es um richtig viele Milli- arden, die wir brauchen, die wir wollen und die wir auch (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: einstellen werden. Aber um die 3 Prozent zu erreichen, Zwölf Jahre hätte die Union Zeit gehabt! Das 24508 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Bundesministerin Dr. Johanna Wanka (A) glauben Sie doch selber nicht, dass das jetzt Programmen eine Komponente vor, die Gründungen be- (C) kommt!) fördern soll. Soziale Innovationen sind für uns ein besonderes The- Validierung ist für uns ein weiteres wichtiges Thema. ma. Das zeigt unser großes Programm „Zukunft der Ar- Für Validierung gibt es, glaube ich, ausgefeilte Instru- beit“. Ich kann es nicht ertragen, in den Reden immer mente. Hier geht es aber auch darum, etwas für Sprung­ dieselben Fragen zu hören; denn wir sind schon bei den innovationen bereitzustellen. Das betrifft auch die Frage, Antworten. wie öffentliche Unterstützung für junge Menschen in Deutschland aussehen kann, die ein hohes Risiko einge- (Beifall bei der CDU/CSU – René Röspel hen, um etwas zu erreichen. [SPD]: Die haben wir aber nicht! Wir haben das Programm gestartet! Mit großer Verspä- Ich glaube, wir haben eine gute Bilanz vorzuweisen. tung!) Es gibt trotzdem noch viel zu tun. Wir reden mit Frau Nahles darüber, wie man diese Ant- (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das ist wort übersetzen kann. Es geht stark darum, dass man alle richtig!) in der Bundesrepublik erreicht. Es gibt Stellen, an denen wir deutlich besser werden kön- (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nen. Ich bin aber der Meinung, wir sind gut aufgestellt, NEN]: Nutzen Sie die Chance!) und danke allen, die sich in diesem Bereich engagieren. Mit unserem Programm „Innovative Hochschule“ gibt es (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- zum allerersten Mal ein Transferprogramm, das in jeder ordneten der SPD) Ecke Deutschlands, wenn ein überzeugender Antrag vor- liegt, zu langfristigen Transfermechanismen und nicht zu Vizepräsidentin Claudia Roth: einseitigen Projekten führt. Damit wollen wir deutsch- Vielen Dank, Dr. Wanka. – Nächste Rednerin: Karin landweit einen Transfer von Ergebnissen erreichen. Der Binder für die Fraktion Die Linke. Bund zahlt 90 Prozent. Das war unsere Initiative. – So viel zu diesen Punkten. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU) Karin Binder (DIE LINKE): Man kann an dieser Stelle vieles sagen. Es liegen di- Liebe Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Meine Kol- cke Papiere und viele andere Materialien vor. Sehr zu leginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren auf empfehlen sind unsere Informationsmaterialien, wobei der Besuchertribüne! Liebe Frau Wanka, ich spreche wir von unserem ursprünglichen Ziel nicht abgehen und (B) hier heute als Verbraucherpolitikerin insbesondere zum (D) weitermachen. Aktionsplan Nanotechnologie 2020 aus Ihrem Ministe- Wir haben uns überlegt, dass es nicht nur darauf an- rium, zu dem Sie hier leider kein Wort verloren haben. kommt, Arbeitsforschung zu betreiben; das wird schon Aus verbraucherpolitischer Sicht ist Nanotechnologie seit vielen Jahren gemacht, dafür gab es auch immer Mit- aber für mich eines der wesentlichen Themen, weil diese tel in Millionenhöhe. Wenn ich mir so anschaue, was die Technologie nicht nur Chancen bietet, sondern auch eine Sozial- und Geisteswissenschaftler bei der EU an Mitteln Menge an Risiken birgt. beantragen, muss ich sagen: Das ist viel zu wenig; dabei (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- sind die Mittel vorhanden. Laut unserem Programm ist es neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) nicht genug, ein neues Arbeitsforschungsprogramm, Pa- pers und Artikel zu erstellen. Vielmehr ist das Programm Seit elf Jahren wird die Forschung im Bereich Nano- immer an den Praxisbezug gebunden, zum Beispiel mit technologie mit rund 5 Milliarden Euro gefördert. Wenn einem kleinen oder größeren Unternehmen. ich Ihren Aktionsplan aber richtig verstehe, geht es in erster Linie um ein groß angelegtes Firmensponsoring. Wenn Deutschland von außen eingeschätzt wird, dann Mittels der neuen Hightech-Strategie soll dafür gesorgt wird unsere Forschungsstärke genannt. Als Mangel wird werden, dass deutsche Firmen auf dem internationalen immer angeführt: Es müsste mehr Gründungen geben. Markt in dieser neuen Technologie wettbewerbsfähig Für Gründungen ist nicht in erster Linie unser Haus zu- sind. Dabei stellen sich mir aber schon einige Fragen. ständig, aber natürlich interessiert uns dieses Thema. Diese Technologie hat eine Bedeutung, die annähernd an (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die Bedeutung der Atomtechnologie oder der Gentech- NEN]: Es ist gut, dass Sie das interessiert!) nologie herankommt. Es geht bei Nanopartikeln, die auf künstlichem Wege erzeugt werden, um eine Vielzahl von Unsere Maßnahmen bezüglich Wagniskapital und an- Stoffen, von denen jeder für sich eine andere Wirkung deren Instrumenten haben in der Szene positiv gewirkt. entfaltet. Trotzdem gibt es Potenziale, die wir nicht heben. Deswe- gen sind wir dabei, einen Fünfpunkteplan zu erstellen, Das Beispiel Silber kennen Sie wahrscheinlich alle. um innovative Gründungen zu befördern. Silber ist als Stoff an sich völlig harmlos, wird als Schmuck getragen. Silber in Nanopartikelgröße wirkt Ich nenne ein Beispiel: Innovative Gründungen sind toxisch. sehr von der Branche abhängig. Im IT-Bereich braucht man ganz andere Möglichkeiten als im Bereich der Le- (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Jetzt spre- benswissenschaften. Deswegen sehen wir bei all unseren chen Sie doch einmal zum Thema! Was hat Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24509

Karin Binder (A) das denn mit der Leistungsfähigkeit Deutsch- Dr. Daniela De Ridder (SPD): (C) lands zu tun?) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen Man hat mal gemeint, man könne durch den Einsatz von und Kollegen! Liebe Gäste! Wir diskutieren heute über Silbernanopartikeln eine Weile hinauszögern, dass So- die technologische Leistungsfähigkeit Deutschlands und cken zu stinken beginnen, hat dann aber gemerkt, dass damit auch die Hightech-Strategie der Bundesregierung. Silber nicht nur antiseptische, sondern auch toxische Frau Präsidentin, ich weiß nicht, woran Sie denken, wenn Wirkung hat, dass es gefährlich wird. Man musste also Sie den Begriff „Hightech“ hören. Ich denke dabei unter wieder einen Schritt zurückgehen. anderem ganz spontan an Haushaltsroboter, saisonal be- dingt an Rasenmäherroboter. So kann auch jeder andere Stoff in Nanopartikelgröße Risiken bergen, die wir heute noch nicht kennen. Hier (Heiterkeit bei der CDU/CSU und dem braucht man Langzeitforschung, eine Forschung, die BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) auch mehrere Generationen in den Blick nimmt. Denn auf ein Kind wirkt eine Hautcreme, die künstlich erzeug- Aber es geht dabei um sehr viel mehr. te Nanopartikel enthält, längerfristig möglicherweise Es geht dabei um die digitale Wirtschaft und die ent- gesundheitsschädlich, während es einem Erwachsenen sprechenden gesellschaftlichen Prozesse, die damit ein- nichts ausmacht. Nanopartikel dringen in Zellen ein, und hergehen. diese verändern sich dadurch. Das alles haben wir noch nicht im Blick, weil es noch kaum Messverfahren bzw. Es geht um nachhaltiges Wirtschaften. Prüfverfahren gibt, die zumindest bei den Kontrollbehör- den zum Einsatz kommen könnten. (Vizepräsidentin Claudia Roth hält ihr Smart- phone hoch) All diese Risiken hat man noch nicht wirklich behan- delt, hat sie noch nicht wirklich im Fokus, vielmehr geht – Sie wollten mir die Antwort nicht schuldig bleiben. es in Ihrem Aktionsplan nur um Wettbewerbsfähigkeit. Wunderbar. – Auch das gehört zum technologischen Ich bin sehr wohl dafür, dass wir neue Technologien nut- Fortschritt. Beispielsweise beeinfusst das, was Sie gera- zen, gerade wenn es darum geht, Oberfächenbeschaffen- de hochgehalten haben, unsere innovativen Arbeitswel- heit und Ähnliches zu verbessern und für günstigere Pro- ten; denn das trägt ja ebenfalls zum Fortschritt bei. duktionsprozesse zu sorgen. Ich denke aber, trotz allem haben die Menschen das Recht darauf, zu wissen, welche Es geht auch um gesundes Leben. Insofern hoffe ich, Risiken diese Technologie birgt. Da sehe ich noch ein dass Sie das Handy so benutzen, dass Sie nicht nur das riesengroßes Problem. Es darf nicht sein, dass die einen Ohr daran haben, sondern auch uns lauschen. Auch das (B) den Nutzen haben in Form von höheren Proften und die gehört ja mit zu diesen Prozessen. (D) anderen die Risiken in Form von Gesundheits- und Um- Es geht aber ebenfalls um intelligente Mobilität. weltgefährdung. (Beifall bei der LINKEN) Und nicht zuletzt geht es um zivile Sicherheit. Im Zeitalter von Big Data und Fake News ist es unerlässlich, Deshalb müssen wir hier viel mehr investieren, um die dass wir uns auch damit befassen. Risiken zu erforschen. Das tun die Firmen nämlich nicht, das kostet sie nämlich bloß Geld. Aber unsere Gesell- Letztendlich geht es darum, dass wir große gesell- schaft kostet ein vorschneller Einsatz Gesundheit und schaftliche Herausforderungen lösen; wir haben es eben Leben. Ich denke, hier müssen wir ran. Frau Wanka, da schon einmal gehört. Dies können wir nur, indem wir sehe ich Sie in der Pficht. innovativ sind, und dazu gehört ganz elementar die For- schung in Zusammenarbeit mit KMUs und mit dem Mit- Ich danke Ihnen allen für Ihre Aufmerksamkeit. Ich telstand. sage Tschüss. Es waren spannende zwölf Jahre. Ich dan- ke vielen Menschen, auch Menschen, die nicht in diesem Ich bin sehr froh, dass ich die Chance habe, lieber Kai Raum sind, für die angenehme Zusammenarbeit, für die Gehring, einmal darüber aufzuklären, dass das, was wir spannende Zeit. Ich wünsche allen viel Erfolg. schon entwickelt haben, keineswegs trivial oder unintel- ligent ist. Ich will das anhand eines Beispiels deutlich (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem machen. Am Campus Lingen in meinem Heimatwahl- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- kreis gibt es das Projekt „Dorfgemeinschaft 2.0“; es wird geordneten der CDU/CSU) mit 5 Millionen Euro vom BMBF gefördert, im Übrigen eines von fünf Modellvorhaben. Da geht es um die Be- Vizepräsidentin Claudia Roth: antwortung folgender Frage: Wie entwickelt sich eigent- Vielen Dank, Karin Binder. – Ich glaube, das wün- lich der demografsche Wandel im ländlichen Raum, was schen wir Ihnen auch. Vielen Dank für die gute Zusam- tut sich da, und was muss zukünftig getan werden, damit menarbeit, nicht zuletzt in der Mitarbeiter- und Mitarbei- gerade auch ältere Menschen an der Gesellschaft partizi- terinnenkommission. Alles Gute! Wir denken an Sie. pieren können? Da geht es um Mobilität und ÖPNV, da geht es um Smart Homes und intelligente Systeme, da Jetzt kommt als nächste Rednerin – sie steht schon geht es aber auch um Pfege und damit ein Stück weit um da – Dr. Daniela De Ridder für die SPD-Fraktion. Robotik in der Pfege, aber auch um deren Akzeptanz bei (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Älteren. Das ist ein Projekt, das an der Fachhochschule der CDU/CSU) angesiedelt ist. 24510 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Dr. Daniela De Ridder (A) In der Tat gehören auch die Fachhochschulen zu den Vizepräsidentin Claudia Roth: (C) innovativen Forschungseinrichtungen, Vielen Dank, Dr. De Ridder. – Nächste Rednerin: Patricia Lips für die CDU/CSU-Fraktion. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Oh ja!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. René Röspel [SPD]) die wir in dieser Legislaturperiode sehr deutlich und sehr weitgehend unterstützt haben. Ich nenne hier beispiel- Patricia Lips (CDU/CSU): haft die Initiative FHprofUnt, in deren Rahmen Fach- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und hochschulen und Hochschulen für angewandte Wissen- Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es schaften mit Unternehmen kooperieren. Ich nenne die wurde schon vieles dazu gesagt, aber auch ich möchte Förderlinie IngenieurNachwuchs für kooperative Promo- es noch einmal betonen: Über Deutschlands Grenzen tionen, ich nenne auch die Initiative FH-Invest, bei der hinweg hören wir immer wieder, wie überragend positiv es um mehr Overhead für die Fachhochschulen geht, und unser Wirtschafts- und Forschungsstandort eingeschätzt nicht zuletzt die Fördermaßnahme FH-Impuls, die mit wird und wie attraktiv sich der Wissenschaftsbereich im 100 Millionen Euro – man höre und staune! – für acht internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe zeigt. Jahre gefördert wird. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall des Abg. René Röspel [SPD]) Man zollt uns in hohem Maße mehr als nur Anerkennung und Respekt. – Vielen Dank. – Genannt sei aber auch das Programm „Innovative Hochschule“. Das ist zugegebenermaßen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) kein reines Fachhochschulprojekt, aber darin stecken Das EFI-Gutachten wurde bereits erwähnt. Auch ich 550 Millionen Euro bis 2027. zitiere gerne daraus: Ich wäre aber nicht Mitglied der SPD, würde ich mich ... beachtliche Verbesserungen in den Bereichen der mit diesen Erfolgen schon zufriedengeben. Und würde öffentlichen und privaten FuE-Ausgaben, bei der die SPD sagen, wir hätten schon genug getan, könn- Positionierung deutscher Forschungseinrichtun- te man auch behaupten, morgen würde die Welt stehen gen ... hinsichtlich Attraktivität und Exzellenz ... bleiben. Es gilt also die Losung Willy Brandts, der sag- (Beifall des Abg. René Röspel [SPD]) te: Wer morgen sicher leben will, muss heute schon für Reformen sorgen. – Deshalb will ich noch einmal eine Die Autoren zitieren aber auch sehr pointiert unseren frü- (B) Lanze für die Fachhochschulen und ihre Nachwuchsför- heren Bundespräsidenten Roman Herzog mit den Wor- (D) derung brechen. ten: Die Welt ist im Aufbruch, sie wartet nicht auf Es geht also darum, dass wir die Akteurinnen und Deutschland. Akteure unterstützen müssen. Hier habe ich nicht ganz verstanden, Frau Wanka, warum es uns in dieser Legis- Genau hier liegt unsere Aufgabe für die Zukunft. Wir laturperiode nicht gelungen ist, ein gesondertes Nach- haben bereits viel erreicht; darauf können wir selbstbe- wuchsprogramm für Fachhochschulen aufzulegen. Unse- wusst verweisen. Deswegen sollten wir uns hier nicht ge- genseitig schlechtreden, wie es teilweise geschehen ist. re SPD-Fraktion hat doch mit den Perspektivprofessuren ein sehr gutes Konzept entwickelt; und wir glauben, dass (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und es nicht geht, ohne dies noch einmal deutlich zu fanki- der SPD) eren und auszubauen und mit 1 Milliarde Euro zu un- Auf unseren Erfolgen dürfen wir uns aber nicht ausruhen. terstützen. Denn gerade die angewandte Forschung, für Wir müssen besser werden, erst recht, weil andere Natio- die Sie sich eben deutlich ausgesprochen haben, kommt nen dieser Welt rasch aufholen. Wir sehen, dass sich die nicht ohne mehr Ressourcen, schon gar nicht ohne mehr Welt an anderen Orten in manchen Bereichen sozusagen Personalressourcen aus. etwas schneller dreht als bei uns. Die Fachhochschulen haben bei ihrer Forschung oft Ich denke zum Beispiel an die Bereiche Gesundheit erlebt, dass sie durch das Raue gehen müssen. Um es auf und IT-Forschung, an die Chancen, die Telemedizin und Latein zu sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen: per as- Digitalisierung bieten. Ich denke vor allem an den inno- pera ad astra. Aber diesmal dürfen Sie vielleicht durch vativen Gründergeist in anderen Ländern. Auch an dieser das Smart Home gehen, wenn wir ihnen den Weg ein we- Stelle haben wir viel getan, wir können aber noch eine nig ebnen. Es geht darum, dass wir deutlich machen: Die Schippe draufegen. Fachhochschulen und Hochschulen für angewandte Wis- (René Röspel [SPD]: Stimmt!) senschaften sind wie kaum eine andere Institution Träger von Innovationen. Stärken und stützen wir sie! Ich denke auch an die Konkurrenz in Fernost, die ihre Ausgaben im Bereich Forschung und Entwicklung im- Vielen Dank. mer mehr erhöht. Der globale Wettbewerb wird gerade im digitalen Zeitalter immer schärfer und stellt eine im- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten mer größere Herausforderung dar. Wir sehen: Es bleibt der CDU/CSU) noch einiges zu tun, um Deutschland nicht nur als Inno- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24511

Patricia Lips (A) vationsmotor innerhalb Europas zu stärken, sondern auch aus der Gesellschaft –, wenn wir unser einzigartiges In- (C) im globalen Kontext bzw. im globalen Wettbewerb seine novationsmodell erfolgreicher Geschäftszweige in klei- Spitzenposition zu erhalten. nen, mittleren und großen Unternehmen mit tollen neuen Ideen, aber auch unseren Ruf in Verbindung mit Qualität, Wir haben das 3-Prozent-Ziel hinsichtlich der Investi- Präzision und Gründlichkeit in Zeiten eines massiven tionen in Forschung und Entwicklung gemeinsam erfolg- Wandels erfolgreich weiterentwickeln wollen. Wir haben reich umgesetzt. Natürlich, Kai Gehring, wollen wir uns in diesem Hause in der vergangenen Legislaturperiode neue, ehrgeizige Ziele stecken. Wir peilen mittelfristig viel bewegt. Lassen Sie uns in den Bemühungen nicht natürlich ein Ziel jenseits der 3 Prozent an. Alles andere nachlassen – als Voraussetzung für den wirtschaftlichen, wäre falsch. Konkret wird es dabei darum gehen, zusätz- sozialen und gesellschaftlichen Wohlstand in diesem liche Mittel in zukunftsweisende Schlüsseltechnologien Land. zu investieren. Dabei geht es um Themen wie Digitali- sierung, Mobilität, Gesundheitsforschung, Energie oder Vielen Dank. autonome Systeme – Stichworte: Robotik und Stadtent- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) wicklung –, um nur einige zu nennen. Dies sind bereits wichtige Bausteine der Hightech-Strategie der Bundes- regierung. Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Patricia Lips. – Nächster Redner: (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Dr. Ernst Dieter Rossmann für die SPD-Fraktion. NEN]: Klassenzimmer statt Korvetten!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Der Bund hat in den letzten Jahren seinen Beitrag zu der CDU/CSU) einem weiteren Aufwuchs der Forschungsausgaben im Rahmen dieses Ziels geleistet. Wir dürfen aber, Kolle- ginnen und Kollegen, eines nicht vergessen: Den größ- Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): ten Teil dieser Ausgaben trägt die Wirtschaft selbst. Ein Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aufwuchs bedeutet somit eine weitere große Herausfor- Ja, Frau Lips, wir sind auf das, was wir in den letzten vier derung für unsere Betriebe. Lassen Sie mich Folgendes Jahren bewegen konnten, genauso stolz wie Sie. sagen: Es gibt rund 3,6 Millionen kleine und mittlere (Beifall des Abg. René Röspel [SPD]) Unternehmen in Deutschland; das sind rund 99 Prozent aller Betriebe in unserem Land. Viele von ihnen sind un- Ich knüpfe an die letzte Bemerkung von Herrn Kretschmer glaublich innovativ. Das sind diese Daniel Düsentriebs, an: In der nächsten Woche wollen wir uns wiedersehen, von denen heute schon gesprochen wurde. Deren Leis- und dann wollen wir hier einen guten Gesetzentwurf ver- (B) tungskraft kann uns gerade deshalb nicht egal sein. abschieden, der die Austauschmöglichkeiten in der Wis- (D) senschaft fördert. Da sind Sie in der Bringschuld. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Die Förderung der Entwicklungsarbeit dieser Un- LINKEN) ternehmen hat einen historischen Höchststand erreicht. Dennoch ist die Innovationsquote in der Fläche gesun- Wenn Sie es schaffen, dann freuen wir uns. Wenn Sie es ken. Damit müssen wir uns befassen. Dieser Rückgang nicht schaffen, tragen Sie die Verantwortung. der Innovationsquote mag damit zu tun haben, dass auf- (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: grund der guten Konjunkturlage der eine oder andere Be- Ja, genau! – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: trieb den Druck, etwas verändern zu müssen, nicht spürt. Wir schaffen das!) Hier müssen wir die Unternehmen ermuntern. Gerade im Bereich der Digitalisierung tun sich manche Betriebe Wir wollen gerne mitgehen, wenn es um das 3,5-Pro- noch immer schwer damit, die Dimension der Heraus- zent-Ziel geht. Wir wollen gerne mitgehen, wenn es forderungen zu erkennen und entsprechende Maßnah- darum geht, die außeruniversitären Forschungseinrich- men umzusetzen. Ich bin dem Ministerium mit Johanna tungen, die Hochschulen und die Fachhochschulen zu Wanka an der Spitze dankbar, dass es gemeinsam mit uns stärken. Wir gehen selbstverständlich auch mit, wenn es frühzeitig reagiert und gezielt Programme auf den Weg in der nächsten Legislaturperiode – gerne unter unserer gebracht hat. Führung – darum geht, kleine und mittlere Unternehmen zu stärken. Wir haben nämlich die Grundauffassung, dass (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- die Hightech-Strategie ein Element der gesamten Wis- ordneten der SPD) senschafts- und Bildungsstrategie ist; beides denken wir Auch die bisherige Projektförderung für und in in- ja in Deutschland zusammen. Diese Wissenschafts- und novative Unternehmen hat sich bewährt. Wir wollen sie Bildungsstrategie hat ein breiteres Spektrum; man darf weiterentwickeln. Wir wollen sie als Forschungspoliti- sie nicht nur auf Hightech beziehen. ker aber um das Element einer steuerlichen Förderung (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ergänzen, wo immer es um den Einsatz von innovativen Entwicklungen geht. In der Tat sehen wir hier ein ganz Zum Abschluss zwei allgemeine Bemerkungen dazu. wichtiges Element. Erstens. Hightech ist gut. Aber sind wir nicht immer, Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen vor allem wenn wir an Hightech denken, dazu verpfichtet, genauso Unterstützung – nicht nur aus der Politik, sondern auch auch im Zuge der Vermittlung an Lowtech zu denken? 24512 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Dr. Ernst Dieter Rossmann (A) Um es anschaulich zu machen: Der afrikanische Konti- eine Zukunftsidee mobilisieren? Das könnten wir doch (C) nent hat bestimmt mehr Hightech-Produkte in Form von tun, indem wir bei den jungen Menschen mit Wissen- Handys als Toilettenanlagen, die der Gesundheit der afri- schafts-, Forschungs- und Bildungsaustausch eine Vision kanischen Bevölkerung dienen würden. aufmachen. 9 Millionen Menschen haben von Erasmus proftiert. Das muss der Europäischen Kommission doch (Dagmar Ziegler [SPD]: Das stimmt!) eine Vision wert sein. Wenn dieses Thema von der Bill-Gates-Stiftung aufge- Deshalb sei hier zum Schluss ganz direkt gesagt: Ja, griffen wird, dann ist das gut. Aber noch besser wäre wir haben eine gute deutsche Hightech- und eine gute es, wir würden unseren Minister Müller und andere un- deutsche Wissenschaftsstrategie, aber es muss erst recht terstützen, in ihrer Afrika-Strategie genau das zu trans- darum gehen, dass wir in Europa zu einer solchen Zu- portieren, was bei uns von höchstem Menschenverstand kunftsvision fnden, die alle Menschen mitreißt, weil sie erarbeitet wurde und unter einfachsten Bedingungen darin einen Nutzen für sich und die Zukunft sehen kön- umsetzbar ist. Auch dies ist ein Element einer Wissen- nen. schaftsstrategie: Hightech und Lowtech. Danke schön. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten NEN]) der CDU/CSU) Wir werben immens dafür, dass wir dies zusammen den- ken. Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Dr. Dieter Rossmann. – Jetzt gebe ich Ich kann es auch konkreter machen: Wenn die wunder- das Wort unserem so jung gebliebenen Alterspräsidenten, baren Humboldt-Preise, mit 5 Millionen Euro ausgestat- einem Kollegen, der – man glaubt es gar nicht, wenn man tet, vergeben werden, dann hört man ganz aufmerksam ihn sieht – seit 1976, also seit 41 Jahren, die deutsche zu, wenn es um Proteinforschung geht. Aber die Freude Politik und deren Häuser mitgeprägt hat. Ich könnte jetzt im Herzen ist erst recht groß, wenn es zum Beispiel um noch lange reden, aber er ist jetzt dran. Immunologie, um Infektionsforschung, um Impfstrategi- en und Ähnliches geht; denn dies hat für die Menschen Zu seiner letzten Rede gebe ich Professor Dr. Heinz großen Nutzen. Wenn wir es als Konsens betrachten Riesenhuber das Wort. können, Hightech und Lowtech in Verantwortung für die (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem großen Gestaltungsaufgaben in der Zukunft zusammen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- zu denken, dann haben wir hier ein gutes nationales Si- geordneten der LINKEN) (B) gnal gesetzt. (D)

(Beifall bei der SPD) Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU): Ein zweiter Gedanke. Hier geht es um eine nationale Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich be- Hightech-Strategie. Aber wir als SPD werben dafür – danke mich für die herzliche Begrüßung und freue mich, wir wissen, dass auch die Regierung versuchte, das zu dass sie nicht von meiner Redezeit abgeht. erreichen –, dass dies auch auf der europäischen Ebene (Heiterkeit) als Gemeinschaftsaufgabe stärker in den Vordergrund gestellt wird. Ich darf polemisch fragen: Weshalb ist die Ich habe mich über diese Debatte gefreut. Es gab hier Europäische Kommission darauf gekommen, die Zu- durchaus – und das ist auf dem Weg zu den richtigen Zie- kunft Europas in fünf Büchern zu beschreiben, die sich len notwendig – Dissense, und es wurden verschiedene mit dem Binnenmarkt, der Migration, der Verteidigung, Akzente gesetzt. Es gab eine breite Diskussion über das, der Währungsunion und dem EU-Haushalt auseinander- was wir noch zu erledigen haben. setzen? Warum fehlt das sechste Buch? Weshalb gibt es (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- kein Buch über Wissenschaft, Forschung und Bildung, NEN]: Oh ja!) also über das, was gemeinsam in der Lissabon-Strate- gie im Jahre 2000 als die Zukunftsvision für Europa be- Wenn wir nichts mehr vor uns hätten, dann könnten wir schrieben worden ist? aufhören und uns zur Ruhe setzen. Einige tun das. Es geht nicht an, dass es einen bildungs- und for- (Heiterkeit bei der CDU/CSU sowie bei Ab- schungsstarken Norden und einen bildungs- und for- geordneten der SPD) schungsschwachen Süden gibt. Griechenland zum Für diese Debatte charakteristisch war aber: Viele Beispiel stellt weniger als 0,5 Prozent seines Bruttoin- sprachen über die Erfolge, und jeder hat sie sich zuge- landsprodukts für Wissenschaft und Forschung zur Ver- schrieben. Gell, Herr Röspel? fügung. Wie soll Europa zusammenwachsen, wenn wir nicht eine europäische Gesamtstrategie entwickeln? Wie (René Röspel [SPD]: Ja, stimmt ja auch!) soll es denn in Europa weitergehen, wenn wir das Bre- Das fnde ich prima. Wenn jeder von den Erfolgen be- xit-Problem nicht so lösen, dass es nach wie vor auch geistert ist, dann muss das, was wir gemeinsam hinge- eine Zusammenarbeit im Bereich Bildung und Forschung kriegt haben, eine gute Sache sein. über Europa hinaus – also egal ob Großbritannien in der EU ist oder nicht – gibt? Wie soll denn die europäische (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Idee weitergetragen werden, wenn wir nicht in Europa ordneten der SPD) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24513

Dr. Heinz Riesenhuber (A) Das haben wir jetzt in dieser Debatte in einer wirklich ­Harhoff und seinen Kollegen für diese vorzügliche Ar- (C) vorzüglichen Weise gesehen. beit danken –, Uns liegt eine Reihe von Vorlagen vor, die wir heute zu (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so- diskutieren haben. Die Hightech-Strategie – Frau Wanka wie bei Abgeordneten der LINKEN und des hat darüber gesprochen – ist wirklich eine interessante BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Weiterentwicklung dessen, was wir über die Jahre an und zwar zielbewusst und mit Entschlossenheit und Sen- Förderung von einzelnen Techniken gehabt haben. Aus sibilität für das Mögliche. Diese Arbeit führte zu einer der ungeheuren Fülle von Möglichkeiten, die ständig neu Diskussion über Chancen und über ungehobene Potenzi- aus der Grundlagenforschung entstehen, wird das gebün- ale, aber auch über Defzite. Dies alles gehört dazu. Die delt und herausgelöst, was hilft, die Probleme auf dieser EFI soll nicht das Parlament in seiner Weisheit preisen, Welt zu lösen, und zwar in vielen Bereichen: Gesundheit, obwohl uns das beglücken würde, Kommunikation, Umwelt, Mobilität. Daraus entsteht eine umfassende Strategie, die Neues schafft, ohne dass (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU der Staat sich anschickt, Einzeltechniken auszuwählen. und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Staat kann die Forschung nicht erfnden und die sondern die EFI soll zeigen, wohin man gehen kann. Zukunft nicht bauen. Er kennt die Vergangenheit, die Zu- Ein Blick auf die Paradigmen für die kommenden Jah- kunft aber nur begrenzt. Der Staat hat schon eine große re zeigt mir: Es gibt viele einzelne Bereiche, an denen Leistung vollbracht, wenn er die Leute nicht bei der Ar- wir zu arbeiten haben. Die Informationstechnik ist an- beit stört. gesprochen worden. Die EFI macht hier konkrete Vor- schläge zu einem ZIM-ähnlichen Projekt für die mittel- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU ständischen Unternehmen ausschließlich auf dem Gebiet sowie bei Abgeordneten der SPD und des der Informationstechnik. Aber es scheint mir doch eine BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) faszinierende Sache zu sein, dass wir bei dem, was wir Er muss aber fankierend Möglichkeiten aufbauen, so- für die nächsten Jahre vorgesehen haben, auch mit neuen dass jeder eine Nische fnden kann, wo seine Arbeit hi­ Instrumenten arbeiten. neinpasst. Das leistet die Hightech-Strategie. Indem wir bei den Investitionen für Forschung auf ei- Wir haben die Grundlagenforschung, die Quelle allen nen Anteil von 3,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes Wissens, stetig weitergeführt. Dafür, dass sie sich in Frei- kommen wollen, und zwar spätestens 2025, bieten wir heit entwickeln kann, braucht sie einen verlässlichen und das Potenzial für eine stetige Weiterentwicklung der Pro- jektförderung. Damit haben wir das Potenzial für neue (B) dauerhaften Rahmen. Diesen haben wir über die Jahre (D) stetig weiterentwickelt. Und die Grenzen zwischen der Schwerpunkte, insbesondere in der Informationstechnik. Grundlagenforschung und der angewandten Forschung Aber wir haben damit auch das Potenzial, neue steuer- werden immer offener. Schauen Sie sich nur die Biotech- liche Instrumente zur Forschungsförderung einzuführen. nologie oder die Materialforschung an. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Los geht’s!) Das ZIM, das Zentrale Innovationsprogramm Mittel- stand, ist gepriesen worden. Das ist ein großartiges Sys- Wir fördern mit unserem großartigen Steuersystem tem, das wir immer weiter ausgebaut haben – fnanziell alles: von der Familie bis zur Schnittblume. Das ist eine und übrigens auch intellektuell. Die Kooperation zwi- großartige und differenzierte Leistung. schen Wissenschaft und Wirtschaft bleibt natürlich wei- (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, terhin eine Aufgabe. der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Frau Binder, Sie haben hier über die Nanotechnologie GRÜNEN) gesprochen. Wenn Sie den vorzüglichen Aktionsplan der Aber wenn die Zukunft von einer Wissensgesellschaft, Bundesregierung durchlesen, dann sehen Sie, dass die die wir aufbauen, von einer Innovationsgesellschaft, die Risiken und der Umgang mit diesen Risiken in einer ver- wir brauchen, und von einem zuversichtlichen Unterneh- antwortlichen Weise Seite um Seite überzeugend darge- mungsgeist geprägt sein soll, dann ist die sehr grundsätz- stellt werden. Es war in den letzten 40 Jahren – und schon liche Frage: Wie organisieren wir es, dass das, was an länger – immer unsere Stärke, dass wir zwar neue Tech- Neuem entsteht, auch im Steuersystem so gefördert wird, niken wollten, die hilfreich und erfolgreich sind, dass wir dass die Bereitschaft wächst, Neues zu entwickeln? dabei aber Rücksicht auf die Natur genommen haben, die Gefährdungen und Risiken im Blick hatten und uns be- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- wusst waren, dass wir verantwortlich für die Einhaltung neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) der ethischen Grundsätze sind, nach denen wir leben. Ich sehe hier voller Respekt unseren innovativen Fi- Das war die große Stärke unserer umfassenden Politik. nanzminister, dessen Dynamik ich immer bewundert (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- habe. Wir haben kürzlich über die geschätzten 600 Mil- ordneten der SPD) lionen Euro pro Jahr entschieden, die der Finanzminister im letzten Herbst für den Erhalt der Verlustvorträge im Meine sehr verehrten Damen und Herren, die EFI, Falle eines Anteilseignerwechsels bei innovativen Unter- die Expertenkommission Forschung und Innovation, be- nehmen bereitgestellt hat. Das ist eine Ermutigung für gleitet uns nun seit zehn Jahren – ich möchte Professor Bereiche, in denen wir noch besser werden können: Bei 24514 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Dr. Heinz Riesenhuber (A) der Gründung von Wagniskapitalfonds und der Grün- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN erhe- (C) dung von technikorientierten Unternehmen sind wir weit ben sich) unter unserem Potenzial. Auch hinsichtlich des Aufbaus von Forschung in mittelständischen Unternehmen hat die Vizepräsidentin Claudia Roth: Innovationsfreude des Mittelstands in den letzten Jahren nicht sehr dynamisch zugenommen; das ist eine der höf- Vielen Dank, Professor Dr. Heinz Riesenhuber. Vielen licheren Aussagen. Das heißt, es gibt eine Fülle von Fel- Dank für 41 Jahre intellektuelle Brillanz. Vielen Dank für dern, in denen wir uns engagieren können. In Deutsch- Ihre Lust und Leidenschaft an der klugen Kontroverse, land gibt es 5 000 Business Angels, in den USA sind es am klugen Streit. Ich weiß aus der Grünenfraktion, dass 300 000. Die Mischung aus Erfahrung, die sie innovati- es immer Spaß gemacht hat, sich mit Ihnen auf hoher ven Start-ups zur Verfügung stellen, und aus dem Geld, Ebene klug zu streiten, und ich möchte mich – ich glau- das sie für die Gründung neuer Unternehmen von jungen be, im Namen aller – bei einem legendären Gastgeber Leuten mitbringen, ist eine großartige Kombination, aus bedanken, der die Parlamentarische Gesellschaft in einer der wir mehr machen können. Zeit von Stress, Streitereien und Hektik zu einem Ort der Ruhe, einem Sehnsuchtsort für manche und einem Ort (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- der Heimat gemacht hat. ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN) (Heiterkeit) Auf jeden Fall können Sie heute Abend die nächsten Meine sehr verehrten Damen und Herren, über mehr 40 Jahre vorbereiten. als 40 Jahre hatte ich die Freude und die Ehre, diesem Hohen Haus in den Bereichen Forschung, Innovation, Vielen Dank auch für die große Leidenschaft, mit der Energie und Umwelt zu dienen. Das war immer eine Sie dem Parlament ein ganz besonderes Gesicht gegeben großartige Zeit. Die Situationen waren verschieden, die haben. Ich danke Ihnen von Herzen. Herausforderungen jeweils anders. Aber ich muss sagen: Die großartigste Zeit war die Zeit der deutschen Einheit, (Beifall) als deutsche Beamte, über die man manchmal Kritisches Ich schließe damit die Aussprache. sagt, wirklich gearbeitet haben, ohne dass man sie da- rum gebeten hat, und zwar aus der Begeisterung für das, Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 d Interfraktionell was wir gemeinsam entwickeln wollten. Das Ganze ist wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksa- zu einem großartigen Erfolg geworden, trotz allem, was chen 18/11810, 18/11270, 18/9670 und 18/12442 an die noch in den Wissenschaftsgebieten in den neuen Ländern in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- (B) offen ist. schlagen. – Sie sind damit einverstanden. Dann sind die (D) Überweisungen so beschlossen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD und der Abg. Kordula Schulz- Tagesordnungspunkt 8 e. Wir kommen zur Beschluss- Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) empfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zum Antrag der Fraktion Jetzt wollen wir in die Zukunft gehen. Wir haben die Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Innovationspoli- letzten 40 Jahre, die ich näher miterlebt habe, mit Freu- tik neu ausrichten – Forschen für den Wandel befördern“. den und mit Erfolg bestanden. Es war eine Freude, im- Der Ausschuss empfehlt in seiner Beschlussempfehlung mer wieder tüchtige Leute in allen Fraktionen zu fnden, auf Drucksache 18/12776, den Antrag der Fraktion Bünd- die mit Begeisterung, Neugier und Leidenschaft an un- nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8711 abzulehnen. seren Themen gearbeitet haben. Und es war immer wie- Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer der eine gute Sache, was für tüchtige Regierungen aus stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss- diesem Parlament hervorgegangen sind, die oft sogar mit empfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/ Weisheit regiert haben. CSU und SPD, dagegen war Bündnis 90/Die Grünen, (Heiterkeit) und enthalten hat sich die Linke. Jetzt wollen wir in die nächsten 40 Jahre aufbrechen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a bis 9 g auf: Da wollen wir mal sehen, was aus Deutschland wird. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Bärbel Dann setzen wir uns wieder zusammen und reden da- Höhn, Annalena Baerbock, Oliver Krischer, rüber, was wir hier in Deutschland gemeinsam erreicht weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- haben NIS 90/DIE GRÜNEN (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU so- Jetzt mit wirksamem Klimaschutz die ökolo- wie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN gische Modernisierung angehen und die Kli- und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) maschutzlücke schließen als unseren Beitrag für eine friedliche Welt mit Lebens- Drucksache 18/12796 chancen für alle Menschen. Dafür arbeiten wir alle, jeder an seinem Platz. b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, Dr. Valerie (Anhaltender Beifall im ganzen Hause – Die Wilms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24515

Vizepräsidentin Claudia Roth

(A) CO2-Bremse einführen – Klimabilanz in Ge- schätzung (C) setzesfolgenabschätzung aufnehmen Ausschuss für Tourismus Drucksache 18/10640 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort zu- dem Antrag der Abgeordneten Bärbel Höhn, nächst Bärbel Höhn – nach der Rede sage ich auch noch Annalena Baerbock, Peter Meiwald, weiterer Ab- etwas zu ihr – für Bündnis 90/Die Grünen. geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Klimaschutzplan 2050 – Echter Klimaschutz Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! beginnt heute So, wie Professor Riesenhuber das hier gemacht hat, Drucksachen 18/8876, 18/10387 schaffe ich das nicht. Ganz interessant ist, wie er seine Reden immer vorträgt. Man könnte sagen: Das ist der, d) Beratung der Beschlussempfehlung und des der mit der Luft oder mit dem Pult tanzt. Insofern: Al- Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und les Gute für Professor Riesenhuber. Ich werde mich aber Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Ab- gern seiner Idee anschließen, in 40 Jahren hier noch ein- geordneten Dr. , Christian Kühn mal vorbeizugucken, um zu sehen, was dann sein wird. (Tübingen), Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Klimaschutz in der Wärmeversorgung sozi- sowie bei Abgeordneten der SPD) al gerecht voranbringen – Aktionsplan Faire Ich würde mich auch gern seiner Freizügigkeit bezüg- Wärme starten lich der Redezeit anschließen wollen. Ansonsten werde Drucksachen 18/10979, 18/11651 ich meine Rede aber ein bisschen anders halten; jeder ist eben anders, und das zeigt die Vielfalt des Parlaments. e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Ich möchte diese Klimadebatte mit Bezug auf eine Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) Klimakonferenz beginnen, die am Anfang dieser Le- zu dem Antrag der Abgeordneten Annalena gislaturperiode, 2013, in Warschau stattgefunden hat. Baerbock, Stephan Kühn (Dresden), Bärbel Überschattet wurde diese Klimakonferenz durch die (B) Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Zerstörung, die der Taifun „Haiyan“ damals auf den Phi- (D) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lippinen ausgelöst hat. A. G. Saño hat uns erzählt, wie er diesen Taifun wirklich nur durch Zufall überlebt hat. Klare CO -Reduktionen im Flugverkehr 2 10 000 Menschen sind gestorben, 4 Millionen Menschen schaffen sind obdachlos geworden, sehr viele Millionen Men- Drucksachen 18/9801, 18/11244 schen haben ihr Hab und Gut und ihre Arbeit verloren und leben immer noch in einem Provisorium. Das, meine f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Damen und Herren, sind die Folgen der Klimakrise. Des- Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und halb verlangen diese volatilen Staaten, dass wir, die In- Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Ab- dustrieländer, die Ursachen für diese Klimakrise endlich geordneten Dr. Julia Verlinden, Oliver Krischer, angehen und beseitigen. Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Klimaschutz stärken – Energiesparen ver- und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der bindlich machen CDU/CSU und der LINKEN) Drucksachen 18/12095, 18/12633 Über 90 Prozent der Klimaerwärmung sind bisher in die Meere gegangen. Das führt dazu, dass die Was- g) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre- seroberfäche sich erwärmt und dass die Wirbelstürme gierung durch dieses Mehr an Energie sehr häufg die schlimme Klimaschutzplan 2050 – Klimaschutzpoliti- Kategorie von 4 oder 5 erreichen und entsprechende Zer- sche Grundsätze und Ziele der Bundesregie- störungen nach sich ziehen. Neben diesem millionenfa- rung chen Leid der betroffenen Menschen hat uns der Ökonom Nicholas Stern mit seinen Klimastudien sehr deutlich Drucksache 18/10370 und klar gemacht: Die Überwindung der Klimakrise ist Überweisungsvorschlag: billiger, als die Schäden zu bezahlen, die passieren und Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher- immer gravierender werden, wenn wir nichts tun. Das heit (f) bedeutet: Wir müssen endlich anfangen, etwas zu tun. Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- LINKEN) 24516 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Bärbel Höhn (A) Momentan gibt es in Afrika eine der schlimmsten Dür- schung, die Vermüllung, die Erwärmung der Meere müs- (C) ren, die wir je erlebt haben. 23 Millionen Menschen sind sen aufhören. vom Hungertod bedroht. Das betrifft den Osten Afrikas (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und den Tschadsee. Betroffen sind Millionen Menschen, und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten die auf der Flucht sind und sterben. Laut Berliner Zeitung der SPD) hatte – das macht es vielleicht deutlich – der Tschadsee einmal die Größe Deutschlands; jetzt hat er die Größe Deshalb ist es so wichtig, dass wir hier in Deutschland Berlins. Es herrschen Temperaturen von über 55 Grad. handeln. Wir haben international durchaus einen guten Weil es kein Wasser mehr gibt, können die Menschen Ruf, weil wir auf Klimakonferenzen eine positive Rolle nicht mehr fschen, sie können keine Landwirtschaft spielen. Aber in Deutschland haben wir Stillstand. Wir mehr betreiben, sie können kein Einkommen mehr erzie- haben seit zwei Legislaturperioden, von 2009 bis 2016, len. Deshalb hungern sie, und deshalb fiehen sie. den CO2-Ausstoß nicht mehr reduzieren können. Wir haben ein Plateau. Seit acht Jahren ist nichts mehr pas- Wer die Möglichkeit und das Geld hat, also die Wohl- siert. Das geht nicht so weiter. Da helfen die schönsten habenderen unter diesen Menschen, der fieht nach Eu- Reden nichts. Es ist blamabel, dass Deutschland seinen ropa. Die meisten bleiben in Afrika. Wenn wir diese CO -Ausstoß nicht mehr reduziert. Klimakrise nicht stoppen, dann haben wir, wie uns der 2 Bundesentwicklungsminister sehr deutlich gesagt hat, in (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zukunft mit 100 Millionen Klimafüchtlingen zu rech- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) nen. Da tragen wir eine Verantwortung. Deshalb müssen Letztes Jahr ist der Klimaschutzplan aufgestellt wor- wir hier in Deutschland endlich handeln. den. Das war eine Aufgabe, die aus dem Paris-Beschluss (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN resultierte. Der Plan war am Ende eine Ansammlung von und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der „könnte“, „müsste“, „prüfen“ und „verstetigen“. Am An- LINKEN) fang hat die Bundesumweltministerin richtige Forderun- gen aufgestellt. Sie hat damals sogar den Kohleausstieg Warum hier in Deutschland? Unser CO -Ausstoß pro 2 innerhalb von 25 bis 30 Jahren und eine Abgabe für Koh- Kopf ist im Jahr zehnmal höher als der einer Person auf lekraftwerke gefordert. Am Ende aber standen Subven- den Philippinen, und er ist 200-mal höher als der eines tionen von 1,6 Milliarden Euro für Methusalem-Kohle- Menschen, der im Tschad lebt. Das heißt, wenn wir al- kraftwerke. Das war ein großer Fehler. So können wir lein die letzten 25 Jahre zusammenzählen – und wir ha- nicht weitermachen. ben schon vorher sehr viel CO2 in die Atmosphäre ge- schickt –, dann haben wir in dieser Zeit pro Person in (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (B) Deutschland 5 000-mal mehr CO2 in die Atmosphäre sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (D) geschickt als die Menschen in diesen Dürrregionen Afri- Am Ende ist die Politik vor der Demo der IG BCE kas. Dieses CO bleibt Hunderte von Jahren in der Atmo- 2 und dem Braunkohlefreund Laschet eingeknickt. Das sphäre. Das heißt, je später wir handeln, desto drastischer können wir nicht weiter so betreiben, weil das am Ende müssen wir den Strukturwandel vollziehen. Das bedeutet schlimme Folgen für die Menschen in den betroffenen andersherum: Wir haben keine Zeit zu verlieren, liebe Regionen hat. Wir reden im Zusammenhang mit Groß- Kolleginnen und Kollegen. britannien vom harten oder weichen Brexit. Wir müssen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das bei dieser Strukturänderung genauso sehen. Je we- sowie bei Abgeordneten der SPD und der niger Zeit wir für den Strukturwandel haben, weil wir LINKEN) am Anfang die Probleme nicht anpacken, desto härter ist dieser Strukturwandel und desto schlimmer ist er für die Deshalb macht es mich in einer solchen Situation Betroffenen in den Regionen. fassungslos, wenn Abgeordnete der CDU, der Berliner Kreis, jetzt Chancen in der Klimaerwärmung sehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Andreas Rimkus [SPD]: Unerträglich ist Wir müssen klimaschädliche Subventionen abbauen das!) und dürfen sie nicht permanent erhöhen. Allein in den vier Jahren von 2008 bis 2012, im wesentlichen unter Sie stellen eine eisfreie Nordpassage, neue Fischfang- Schwarz-Gelb, sind die umwelt- und klimaschädlichen möglichkeiten und Rohstoffabbau in den Vordergrund. Subventionen laut UBA von 48 Milliarden Euro auf Meine Damen und Herren, das ist zynisch angesichts der 57 Milliarden Euro in Deutschland angestiegen. Das Dürrekatastrophen und Überschwemmungen. sind fast 10 Milliarden Euro in vier Jahren. Das muss ein (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Ende haben. Wir können nicht auch noch die Klimakrise bei der SPD und der LINKEN) subventionieren. Das Öl unter dem Nordpol muss im Boden bleiben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) In diesem Monat hat in New York die erste UN-Oze- ankonferenz stattgefunden. Die UN-Botschafterin von Die Kohle- und Atomkonzerne können sich momen- Mikronesien sagte: „Stirbt der Ozean, sterben wir.“ Ein tan wirklich nicht über die Entscheidungen der Bun- Wirtschaftssystem, das auf kurzfristigen Proft setzt desregierung beklagen. Eine schlecht gemachte Brenn- und die Nachhaltigkeit unserer Lebensgrundlagen nicht elementesteuer ist gerade von den Gerichten kassiert berücksichtigt, ruiniert uns und sich selbst. Die Überf- worden. Das kostet uns 6,3 Milliarden Euro plus Zinsen Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24517

Bärbel Höhn (A) in Höhe von 6 Prozent. – Wo kriegt man eigentlich 6 Pro- die welche haben – diese Welt so übergeben, wie wir sie (C) zent Zinsen? Hat der Finanzminister so viel Geld, dass selber vorgefunden haben. Wir können nicht den uns er 6 Prozent Zinsen zahlen kann? – Das hat die Aktien- nachfolgenden Generationen die Konsequenzen aus den kurse der Atomkonzerne hochschnellen lassen. Das geht Fehlern, die wir machen, aufbürden. Das geht nicht. in eine falsche Richtung, weil es die falschen Strukturen zementiert. Damit muss wirklich Schluss sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Ab- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN geordneten der CDU/CSU) sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Was mir Hoffnung gemacht hat: Wir haben auch auf Kanzlerin Merkel hat sich beim Petersberger Dialog diesen Feldern durchaus Erfolge gehabt, und zwar immer klar zum Klimaschutz bekannt. Sie hat gesagt, nichts dann, wenn wir fraktionsübergreifend, über Legislatur- könne und werde sie bei der Durchsetzung aufhalten. Ich perioden hinweg und unabhängig von Mehrheitsverhält- habe mich gefragt, was sie damit eigentlich gemeint hat. nissen gearbeitet haben. Das war lange Zeit beim EEG Ich kann mich an eine Kanzlerin erinnern, die persön- so, das war vor zehn Jahren beim Klimaschutz so, und lich nach Brüssel geeilt ist und dort schon beschlossene das war in dieser Legislaturperiode bei der Suche nach ehrgeizige Grenzwerte für Pkws aufgeweicht und den einem Atommüllendlager der Fall. Insbesondere den Ab- Autobauern in Deutschland damit das Zeichen gegeben geordneten, die dabei mitgemacht haben und die in ih- hat: Macht weiter so, ihr braucht nichts zu ändern. – Das ren eigenen Fraktionen – häufg anders als wir Grünen – war verheerend. wirklich harte Arbeit leisten mussten, möchte ich meinen ganz großen Dank aussprechen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Seit dieser Zeit wird der Unterschied zwischen The- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der orie und Praxis beim Spritverbrauch der Autos immer SPD und der Linken) größer. 2009 betrug der Unterschied noch 10 Prozent, mittlerweile sind es 40 Prozent. Das heißt, auch wenn sie Ansonsten möchte ich mich dem anschließen, was es nicht gewollt hat, so war es doch ein Zeichen an die Elisabeth Scharfenberg heute Morgen gesagt hat. Sie Automobilhersteller: Ihr könnt jetzt anfangen, zu trick- hat all den Mitarbeitern gedankt. Mir fehlt dazu jetzt die sen und zu schummeln. – Das war ein schwerer Fehler, Zeit. Darüber hinaus fand ich es gut, dass diejenigen, die weil dadurch die notwendige Umstrukturierung der Au- nicht meiner Meinung waren, mir trotzdem zugehört ha- tomobilindustrie nicht eingeleitet wurde und weil damit ben. Auch dafür herzlichen Dank! Ich fand es gut, dass (B) mittelfristig Hunderttausende von Arbeitsplätzen hier ganz viele der Kollegen meiner Meinung waren und dass (D) gefährdet werden. Das darf in Zukunft nicht mehr sein. wir gemeinsame Projekte auf den Weg gebracht haben, die sehr viel Spaß gemacht haben. Dass so etwas auch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) möglich war, war gerade für mich als Oppositionsabge- Wir brauchen Planungssicherheit, was den Kohleausstieg ordnete gar nicht so schlecht. angeht, und wir brauchen eine Verkehrswende und keine Ich möchte mich natürlich insbesondere bei den Mit- vagen Umschreibungen. gliedern des Umweltausschusses bedanken. Sie haben Meine Damen und Herren, ich komme an das Ende mir die Arbeit als Vorsitzende erleichtert. Die Arbeit mit meiner letzten Rede hier im Bundestag. Ich möchte nach Ihnen war wirklich sehr angenehm. 27 Jahren, die ich als Parlamentarierin und als Ministe- rin gearbeitet habe, noch einen ganz wichtigen Punkt an- Ich möchte mich auch beim Ministerium und bei der sprechen. Ich habe eben mehrfach von Langfristproble- Ministerin bedanken, weil wir gerade auf internationa- men gesprochen. Ich glaube, ein Problem unserer Politik len Konferenzen wirklich sehr gut zusammengearbeitet ist, dass wir viel zu häufg viel zu kurzfristig entscheiden. haben und auch erreicht haben, Deutschland dort gut zu repräsentieren. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der Also herzlichen Dank allen, die in diesem Sinne hier LINKEN) ihre Arbeit geleistet haben. Ich wünsche für die Zukunft Wir befnden uns in Zeiten von vierteljährlich stattfn- nachhaltige und weise Entscheidungen zum Wohle unse- denden Bilanzpressekonferenzen der Wirtschaft und so- rer Bevölkerung. zusagen im Dauerwahlkampf, und das gibt den Takt vor. Das ist ein ganz großer Fehler, weil wir immer wieder Ich habe noch eine Info – sie wird viele von Ihnen danach handeln: Das Hemd ist uns näher als die Jacke. interessieren –: Auch wenn ich gehe, werden die Bun- Es ist ja noch Zeit. Die Langfristprobleme brauchen wir destagsbienen, wenn Sie es wollen, hierbleiben können. nicht anzugehen. Insofern: Machen Sie es weiterhin gut. Ich kann einfach nur sagen: Ich sehe das mit großer Danke schön. Sorge. Ich habe Kinder, und ich habe Enkelkinder. Ich möchte, dass wir unseren Kindern und Enkelkindern – (Anhaltender Beifall im ganzen Hause – Die die meisten von Ihnen haben ebenfalls Kinder und En- Abgeordneten des Bündnisses 90/Die Grünen, kelkinder, und wenn Sie keine haben, kennen Sie Leute, der CDU/CSU und der SPD erheben sich) 24518 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

(A) Vizepräsidentin Claudia Roth: eine noch stärkere Jetzt-erst-recht-Stimmung entstanden. (C) Vielen Dank, Bärbel Höhn. Wir danken von ganzem Unmittelbar nach der Bekanntgabe des Austritts gab es – Herzen. Ich danke im Namen des ganzen Hauses einer das ist ebenso ein gutes Signal gewesen – eine gemeinsa- streitbaren Kämpferin gegen die Klimakrise, einer lei- me Klarstellung Deutschlands, Italiens und Frankreichs, denschaftlichen Politikerin für Umwelt, für Naturschutz, dass es mit ihnen keine Neuverhandlungen des Abkom- für die bäuerliche Landwirtschaft und einer sehr partei- mens geben wird. Das ist aus meiner Sicht nur konse- ischen Ausschussvorsitzenden – ich weiß, wovon ich quent. rede –, parteiisch für die Interessen der Mitglieder des Klimaschutz wird ohne die politische Spitze der USA Umweltausschusses in diesem Haus. Vielen herzlichen sicherlich schwieriger, aber er wird auch ohne sie gelin- Dank! Alles, alles Gute! Wie hat Trude Herr gesungen: gen. Das Gute ist, dass wir die wirtschaftlichen Vorteile Niemals geht man so ganz haben werden, wenn wir uns bei der Entwicklung von Irgendwas von mir bleibt hier ... Umweltinnovationen an die Spitze der Bewegung setzen. Es bleibt viel hier. Wir werden uns wahrscheinlich in Bei mir im Wahlkreis wurde das weltweit größte Prüf- Bonn bei der großen UN-Klimakonferenz im November zentrum für Großkugellager eingeweiht. Solche Projek- dieses Jahres wiedersehen. Bärbel, vielen Dank und alles te müssen in Deutschland stattfnden. Das schafft und Gute! sichert Arbeitsplätze, das verbindet Umwelt- und Kli- mapolitik mit Chancen für die Wirtschaft, meine Damen (Beifall) und Herren. Ganz schön wehmütig heute. Ich muss wohl Taschen- (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE tücher verteilen. GRÜNEN]: Das sagt jemand von der CSU!) Nächste Rednerin: Dr. Anja Weisgerber für die CDU/ Der Klimaschutz wird gelingen, weil Staaten wie CSU-Fraktion. Deutschland voranschreiten. Wir machen die „German (Beifall bei der CDU/CSU) Energiewende“, wie es auf internationaler Ebene heißt. Alle Staaten schauen gespannt, wie wir das bewältigen.

Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): Ein Beispiel dafür, wie wir es bewältigen, ist der Kli- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen maschutzplan 2050. Sie waren dabei. Wir haben auf der und Kollegen! „Bedauern“ und „Ärger“ sind die Worte, internationalen Klimakonferenz in Marrakesch dafür die beschreiben, was ich fühlte, als Trumps Drohungen, Lob und Anerkennung geerntet. Wir waren die Ersten, aus dem Pariser Klimaabkommen auszusteigen, Realität die einen solchen Langfristplan vorgelegt haben. Das (B) wurden. Diejenigen, die in Paris dabei waren, haben das müssen Sie, werte Kolleginnen und Kollegen, von der (D) sogenannte Momentum von Paris gespürt. Alle waren Opposition, auch einmal anerkennen. mit an Bord. Einer ist jetzt von Bord gegangen. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Kennt den Mit dieser Entscheidung des zweitgrößten Treibhaus- Herr Dobrindt auch?) gasemittenten schadet Trump nicht nur dem Klima, son- An dieser Stelle möchte ich sagen – das möchte ich dern er schadet auch seinem eigenen Land. Er hat sogar auch im Namen der Union sagen –: Die Berliner Erklä- der US-Wirtschaft damit eigentlich einen Bärendienst rung, werte Kollegin Höhn, ist eine Erklärung von ganz erwiesen. wenigen Abgeordneten. Ich möchte mich als Klimapoli- Ich erinnere mich gut an die Worte des damaligen tikerin ganz klar davon distanzieren. US-Außenministers Kerry in Marrakesch bei der Klima- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem konferenz. Er sagte: Der Markt in den USA will dieses BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- Abkommen, der Markt will die Entwicklung von Um- geordneten der CDU/CSU) weltinnovationen, von erneuerbaren Energien. Ich sage das auch im Namen der meisten Kollegen hier Schon längst hat die US-Wirtschaft die Chancen ei- im Saal, auch der Union. ner nachhaltigen Energie- und Industriepolitik erkannt, Meine Damen und Herren, wir wollen Klimaschutz- und Investitionen werden verstärkt von fossilen Ener- politik, die sich ambitionierte Ziele setzt. Diese Zie- gien in erneuerbare Energien und Umwelttechnologien le müssen aber auch erreichbar sein. Dabei müssen gelenkt. Ich bin überzeugt: Viele Menschen, Kommu- wir immer die Auswirkungen auf die Wirtschaftskraft nen, US-Bundesstaaten und die Wirtschaft in den USA Deutschlands, unsere Wettbewerbsfähigkeit und die Ar- denken anders. Es gibt ja schon einzelne Bundesstaaten, beitsplätze beachten. Wir nehmen damit unsere Verant- zum Beispiel Kalifornien und Colorado, die sich dis- wortung sowohl gegenüber dem Klima und der Umwelt tanziert haben. Auch über 82 Bürgermeister haben sich als auch gegenüber den Menschen, den Unternehmen zusammengeschlossen und trotzen der Antiklimapolitik mit ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wahr. Trumps. Sie verfolgen weiterhin den Klimakurs, der un- Unsere Schlagworte, die wir auch in den Klimaschutz- ter Obama eingeschlagen wurde, und das 2‑Grad-Ziel, plan hineingebracht­ haben, sind dabei: Technologie- und und das ist gut so. Innovationsoffenheit, Europakonformität, Anreiz statt Meine Kolleginnen und Kollegen, warum rede ich Zwang, Versorgungssicherheit, Kosten-Nutzen-Analyse. über die USA? Weil die Welt seit dem 1. Juni in Sachen Denn mit jedem eingesetzten Euro müssen wir schauen, Klimaschutz noch enger zusammengerückt ist. Es ist dass wir so viel CO2 wie möglich einsparen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24519

Dr. Anja Weisgerber (A) Wenn wir Festlegungen für die kommenden Jahrzehn- heute weit über die Hälfte des Gipsbedarfs in Deutsch- (C) te treffen, dann müssen diese gut überlegt sein. Deswe- land in Form von REA-Gips aus Rauchgasentschwefe- gen ist es gut, dass die Bundesregierung intensiv um den lungsanlagen von Kohlekraftwerken gedeckt. Fällt der Plan gerungen hat. Der Klimaschutzplan zeigt den Weg REA-Gips als wichtiger Baustoff weg, wird mehr Gips hin zu einer weitgehenden Treibhausgasneutralität im in der Natur abgebaut. Sie sehen: Die Frage des Kohle- Jahr 2050 auf. Dazu gehört auch der schrittweise, sozi- bergbaus und des Strukturwandels betrifft nicht nur den alverträgliche und durch Strukturmaßnahmen begleitete Kohlesektor, sondern hat auch Auswirkungen auf die Ausstieg aus der Kohlenutzung. verschiedensten Sektoren und Bereiche. Ein weiteres Novum des Klimaschutzplans ist, dass

Vizepräsidentin Claudia Roth: er ein neues nationales Klimaziel von 55 Prozent Treib- Frau Kollegin Weisgerber, lassen Sie eine Zwischen- hausgasminderung bis 2030 festlegt. Dazu wird zum frage oder -bemerkung von Frau Leidig von der Linken ersten Mal auch ganz konkret festgelegt, wie die Minde- zu? rungsziele in den einzelnen Sektoren sind: in der Ener- giewirtschaft, im Gebäudebereich, im Verkehr, in der Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): Industrie, aber auch in der Land- und Forstwirtschaft. Ja, bitte. Zudem skizziert der Klimaschutzplan auch schon erste Maßnahmen. Im nächsten Jahr werden wir ein umfassen- des Maßnahmenpaket bekommen, das letztendlich dann (DIE LINKE): Sabine Leidig auch den weiteren Weg beschreibt. Dieses Maßnahmen- Frau Kollegin Weisgerber, ich habe gerade vernom- paket wird alle fünf Jahre fortgeschrieben. men, dass ein zentrales Anliegen Ihrerseits ist, dass mit jedem investierten Euro möglichst viel Klimaschutz ge- Wir haben in den einzelnen Sektoren in den letzten macht werden kann. Nun arbeite ich als verkehrspoliti- Jahren schon wichtige Maßnahmen auf den Weg ge- sche Sprecherin der Linken im Verkehrsausschuss. Dort bracht; ich kann jetzt nur einige nennen. Was den Ver- haben wir in dieser Legislatur und in diesem Jahr mit kehrsbereich betrifft, so habe ich die Maßnahmen zur dem Bundesverkehrswegeplan 2030 das größte Investiti- Elektromobilität dank der Zwischenfrage bereits er- onsprogramm der Bundesregierung, sozusagen ein akti- wähnt. Im Gebäudebereich haben wir das Gebäudesanie- ves Investitionsprogramm, verhandelt, und Sie haben es rungsprogramm bis 2018 verstetigt und auf 2 Milliarden mehrheitlich beschlossen. Ich würde gern von Ihnen wis- Euro aufgestockt. Außerdem sage ich – das sagen auch sen, wie Sie es einschätzen, dass für 55 Milliarden Euro die Grünen in einem ihrer Anträge, die ich umfassend neue Autobahnen gebaut werden sollen, dass mit diesem studiert habe –, (B) Plan, den Sie mit Ihrer Mehrheit beschlossen haben, auf (D) 40 Prozent mehr Lkw-Verkehr auf unseren Straßen ge- (Beifall der Abg. Annalena Baerbock zielt wird und wie dort das Verhältnis zum Klimaschutz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) ist. dass wir dringend die steuerliche Förderung der energe- tischen Gebäudesanierung brauchen. In dieser Aussage (CDU/CSU): Dr. Anja Weisgerber sind wir uns einig. Zudem gibt es das Marktanreizpro- Zum Bundesverkehrswegeplan ist ganz klar zu sagen: gramm für die erneuerbaren Energien im Wärmebereich. Wir brauchen die Infrastruktur. Wir brauchen die Investi- In der Landwirtschaft haben wir die Energieberatung tionen in die Straßen. Wir müssen in dem Zusammenhang für landwirtschaftliche Unternehmen eingeführt. Die auch auf alternative Antriebsarten setzen. Deswegen ha- Düngeverordnung ist durch Bundestag und Bundesrat ben wir im Verkehrssektor mit der Bundesregierung im beschlossen worden. In der Industrie setzen wir auf das letzten Jahr ein umfassendes Maßnahmenpaket zur Elek- europäische Instrument des Emissionshandels, das durch tromobilität verabschiedet: steuerliche Abschreibungen eine umfassende Reform gerade auf neue Füße gestellt für Dienstwagen, 300 Millionen Euro für Ladesäulen, die und gestärkt wird. Insgesamt ist es uns gelungen – das Kaufprämie. Die Ladesäuleninfrastruktur wird insgesamt muss an der Stelle auch einmal gesagt werden –, das vorangebracht. Wir brauchen nämlich die alternativen Wirtschaftswachstum vom CO2-Ausstoß zu entkoppeln; Antriebsarten. Wir brauchen natürlich den Bahnverkehr, das ist auch eine Leistung. Wir brauchen aber auch die aber auch die Investitionen in die Straßen sind für den Akzeptanz der Bürger. Deswegen ist es aus meiner Sicht wirtschaftlichen Aufschwung und für unsere wirtschaft- gut, dass zum Beispiel eine Forderung wie die Halbie- liche Situation in Deutschland wichtig. rung des Fleischkonsums aus dem Klimaschutzplan ge- (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Fürs Klima strichen wurde; denn das wäre eine Bevormundung der aber schlecht!) Bürger gewesen. Meine Damen und Herren, ich fahre mit meiner Rede Meine Damen und Herren, werte Präsidentin, ich fort. – Ich habe gerade über den Kohleausstieg gespro- komme zum Schluss. Der Klimaschutzplan ist ambitio- chen. Die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und niert. Er gibt der Wirtschaft einen klaren Pfad vor, und er Regionalentwicklung“ soll in dem Bereich den Struk- gibt ihr damit auch die notwendige Planungssicherheit. turwandel letztendlich gestalten. Es ist wichtig, dass die Lassen Sie uns gemeinsam in den nächsten Jahren an Kommission schnellstmöglich die Arbeit aufnimmt. Da- der Umsetzung des Klimaschutzplans arbeiten. Wenn im bei müssen auch die Auswirkungen auf die gesamte Wert- nächsten Jahr das Maßnahmenpaket vorliegt, haben wir schöpfungskette betrachtet werden. Zum Beispiel wird wiederum eine Möglichkeit, die Klimapolitik aktiv mit- 24520 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Dr. Anja Weisgerber (A) zugestalten und der Welt zu zeigen, dass es Deutschland Ein Jahr mit Hitzerekord jagt das nächste. 2015 und (C) weiterhin ernst meint mit dem Klimaschutz. 2016 waren die wärmsten Jahre seit Beginn der Wetter- aufzeichnung. Schlimme Hitzewellen stehen an, um nur Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. eine Folge zu nennen. Ein Drittel der Menschheit ist von (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- lebensbedrohlich ansteigenden Temperaturen betroffen. ordneten der SPD) Machen wir weiter wie bisher, sind im Jahr 2100 drei Viertel der Erdbevölkerung an mindestens 20 Tagen im Vizepräsidentin Claudia Roth: Jahr lebensgefährlichen Hitzewellen ausgesetzt. Und es trifft eben nicht nur Menschen in Pakistan oder Nigeria: Vielen Dank, Dr. Weisgerber. – Nächste Rednerin: In Europa hat die Hitzewelle von 2003 über 70 000 Men- Eva Bulling-Schröter für die Linksfraktion. schen das Leben gekostet – 70 000 Menschen. Das heißt (Beifall bei der LINKEN) also: Die deutsche Klimaschutzlücke kostet Menschen- leben. Wer das nicht versteht, der hat seinen Auftrag als Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Politikerin oder Politiker eben nicht verstanden, der han- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! delt grob fahrlässig und auch unmenschlich. Stellen Sie sich vor, Deutschland hat einen Klimaplan, (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. und keiner hält sich daran. Genau das ist nämlich der Zu- Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE stand der deutschen Klimapolitik. Es klafft eine riesige GRÜNEN]) Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Seit 2009 steht die deutsche Klimapolitik nämlich so gut wie still, Ihren Beruf verfehlt haben auch die hier im Hause, die und das ist ein Skandal. sich gegen eine Klimaschutzgesetzgebung stellen. Das (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Mitglieder des Bundestages, die gewählt sind, um Ge- setzgebung zu betreiben, weigern sich, ein Gesetz zum In all diesen Jahren sitzen Christdemokraten, Sozi- Klimaschutz zu erlassen. Der Klimaschutzplan ist ja nur aldemokraten und Wirtschaftsliberale im Kanzleramt. ein Ersatz für ein Gesetz. Nichts davon, was in dem Pa- Sie sind verantwortlich für das Verfehlen der deutschen pierchen steht, ist verbindlich. Das muss man wissen. Klimaschutzziele. Trotzdem – und besonders gerne im Nichts von diesem weichgespülten Dekarbonisierungs- Wahljahr – geht Kanzlerin Merkel mit einem Sauber- fahrplan hat Gesetzeskraft. Was hören wir aus Nord- frauimage hausieren und behauptet, Deutschland sei ein rhein-Westfalen? CDU und FDP machen den Trump, und Vorzeigeland in Sachen Klimaschutz. Beim anstehenden kassieren Deutschlands erstes Landesklimaschutzgesetz. (B) G-20-Gipfel in Hamburg wird sie sich vor Trump und der Da kann ich nur sagen: Pfui! (D) Staatenwelt wieder als große Klimaretterin aufplustern. Ich sage Ihnen: Das ist Wahlkampfheuchelei auf Kosten (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- der Umwelt und auf Kosten der Menschen. NIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Was ist das? Das ist ein Dienst am Kapital, an Privat- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) proften von wenigen und ein Angriff auf die Allgemein- Denn die Wirklichkeit sieht ganz anders aus: Seit acht heit. Wir aber sind Politikerinnen und Politiker und dem Jahren stößt Deutschland fast dieselbe Menge an Klima- Grundgesetz verpfichtet. Artikel 20a fordert den Schutz gasen in die Luft. 2009 waren es 907 Millionen Tonnen der natürlichen Lebensgrundlagen, also auch des Kli- CO2, 2016 waren es 906 Millionen Tonnen CO2. Der mas, gerade auch für die kommenden Generationen, und Verkehr verursachte sogar noch mehr Emissionen als zwar – ich zitiere – „durch die Gesetzgebung“. Daher: 1990. Klimasauerei also seit dem Mauerfall. Geben Sie sich endlich einen Ruck, und hören Sie nicht mehr auf die Lobbys der Autohersteller, der Kohle-Di- Deutschland wird seine Klimaziele verfehlen, und nosaurier, der Erdölindustrie. Verabschieden Sie endlich zwar krachend, obwohl wir seit Jahren vom Abriss der ein Klimaschutzgesetz, das seinen Namen auch verdient. schmutzigen DDR-Industrien proftieren; denn ein Groß- Steuern Sie um. teil der deutschen Emissionsminderungen geht auf das Konto der ostdeutschen Deindustrialisierung. Das sollten (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- wir nicht vergessen, liebe Kolleginnen und Kollegen. neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN) Zum Schluss: Im November fndet die Weltklima- Und was macht die Regierung? Sie stellt sich ernsthaft konferenz in Bonn statt. Ich denke, es wird viele NGOs, hin und klopft sich auf die Schulterpolster. Sie lobt sich viele Initiativen geben, die dort ihre Meinung sagen und für eine Klimaschutzpolitik, die ihren Namen wirklich demonstrieren. Ich fordere schon heute, dass wir ge- nicht verdient hat. Ich sage Ihnen: Das ist Verrat am Pari- meinsam dort demonstrieren und sagen: Wir wollen kei- ser Klimaschutzabkommen. ne Klimaveränderungen. Wir wollen eine konsequente (Beifall bei der LINKEN) Klimapolitik. – Wir sehen uns also spätestens in Bonn wieder. Das ist keine Klimaschutzpolitik nach Plan, das ist Klimaschmutzpolitik. Wir alle wissen, dass die Zeit, die (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Klimaveränderungen aufzuhalten, immer knapper wird. neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24521

(A) Vizepräsidentin Claudia Roth: Fakt ist: Unsere Klimapolitik wirkt – national und in- (C) Vielen Dank, Eva Bulling-Schröter. – Nächste Red- ternational. Das habe ich gerade auch in den vergangenen nerin für die Bundesregierung: Ministerin Dr. Barbara Wochen wieder erlebt: in New York bei der UN-Konfe- Hendricks. renz zum Schutz der Meere – dies haben Sie schon an- gesprochen, Frau Kollegin Höhn –, auch in Kalifornien, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wo wir eine engere Zusammenarbeit beim Klimaschutz der CDU/CSU) vereinbart haben, und beim G-7-Umweltministertreffen in Italien. Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um- Die Ankündigung von Präsident Trump, aus dem welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Pariser Abkommen auszusteigen, hat uns natürlich ent- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! täuscht. Selten wurde eine politische Entscheidung auf- Zunächst, Frau Kollegin Höhn, herzlichen Dank für al- grund so vieler falscher Annahmen getroffen. Diese An- les. Frau Bulling-Schröter, auch Ihnen herzlichen Dank. kündigung übergeht all jene Menschen, die schon heute Ich will Ihnen aber auch versichern: Ich habe gar keine unter dem Klimawandel leiden, und all diejenigen, die Schulterpolster. nach uns kommen. Sie haben eindrücklich in Ihrer Rede (Heiterkeit bei der LINKEN und dem BÜND- darauf hingewiesen, Frau Kollegin Höhn. NIS 90/DIE GRÜNEN) Fakt ist aber auch: Diese Entscheidung hat die übrigen Die letzten vier Jahre waren gute Jahre für den Klima- Länder enger zusammengebracht – von China über Indi- schutz. Als eines der ersten Länder überhaupt haben wir en bis hin zu Kanada und auch Russland. Das gibt dann eine Langfriststrategie in Richtung Treibhausgasneutra- auch wieder neue Motivation für die Klimakonferenzen lität verabschiedet, mit klaren Zielen für das Jahr 2030 in Bonn und in Polen. und mit einer klaren Orientierung in Richtung 2050, Paris ist kein Selbstläufer – ja, das ist klar, das haben nämlich weitgehende Treibhausgasneutralität. Das ist wir auch nie geglaubt. Aber wir wollen Paris zum Erfolg eines der ambitioniertesten Vorhaben in der Geschichte führen. Ich habe die Hoffnung, dass die klare Botschaft unserer Volkswirtschaft. Es ist auch ein wirklich ambiti- der anderen Staaten, die schon vom G-7-Gipfel ausging, oniertes Vorhaben im Vergleich zu dem, was die anderen auch vom G-20-Gipfel in Hamburg ausgehen wird. Den Industrie­länder bisher geliefert haben. Kampf gegen den Klimawandel werden wir als Weltge- Natürlich: Es geht immer noch mehr. Das sage ich meinschaft gemeinsam führen und auch gemeinsam ge- auch mit Blick auf das 2020-Ziel. Aber auch diesem Ziel winnen. sind wir ein großes Stück näher gekommen. Das Akti- (B) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Welt ist doch (D) onsprogramm „Klimaschutz“ hat die Lücke, die uns die auf ihrem Weg in Richtung Treibhausgasneutralität nicht Vorgängerregierung dort überlassen hat, deutlich verrin- mehr aufzuhalten. Die Frage für uns ist nur, ob wir dem gert. Wie gesagt, wir sind noch nicht am Ziel – das ist Fortschritt auf diesem Weg hinterherlaufen oder ob wir richtig –, aber das Ziel ist und bleibt erreichbar. Davon voranschreiten. Wir brauchen eine langfristig verläss- bin ich nach wie vor überzeugt. liche Politik, die klare Signale gibt. Das liegt natür- lich auch im Interesse der betroffenen Branchen – eine Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben den Ein- Selbstverständlichkeit. stieg in den Ausstieg aus der Braunkohle gemacht. Wir haben begonnen, die schmutzigsten Kraftwerke abzu- Die schlechteste Wirtschaftspolitik ist eine, die Ver- schalten. Wir haben die Mittel für den Energie- und Kli- änderungen aus dem Weg geht, die auf kurzfristigen Ge- mafonds um über 50 Prozent auf über 3 Milliarden Euro winn anstelle von nachhaltigem Wohlstand setzt. erhöht. Wir geben damit mehr Geld für den Klimaschutz aus als je zuvor. Wir haben die Untätigkeit bei der Ener- (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- giewende beendet. Vor allem haben wir etwas wirklich NEN]: Was hat das mit Ihrer Politik zu tun? Großes, etwas Entscheidendes für die Zukunft des Plane- Das verstehe ich nicht!) ten erreicht: das Abkommen von Paris, das erste weltweit Das hat aber noch nicht jeder verstanden; ich dachte bindende Klimaschutzabkommen. Das ist deutlich mehr, wirklich, wir wären da weiter. Die Art und Weise, wie als wir vor vier Jahren zu hoffen gewagt hätten. Umweltpolitik von der zukünftigen Koalition in NRW Falls Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den allem Anschein nach begriffen wird, überrascht mich Grünen, nicht immer ganz zufrieden sind: Pragmatische schon. Die Kolleginnen und Kollegen in Düsseldorf Schritte sind allemal mehr wert als bloße Worte. scheinen zu glauben, es reiche aus, sich auf die Mindest- vorgaben aus Brüssel zu beschränken. Sie hoffen, dass (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – der Emissionshandel dann schon alles richten wird. Das Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Das ist nicht genug für ein Bundesland, das zu den innova- stimmt!) tivsten Wirtschaftsräumen ganz Europas gehört. In den Ländern, in denen Sie, liebe Kolleginnen und Kol- (Beifall bei der SPD) legen von den Grünen, mit der CDU regieren – in Hes- sen und in Baden-Württemberg –, ist Ihr Eifer durchaus Beim Lesen des Koalitionsvertrages hatte ich den Ver- überschaubar. dacht, dass die Thesen des Berliner Kreises in der Union doch mehr Beachtung fnden, als man annehmen möchte. (Beifall bei der SPD) Ausgerechnet dem IPCC, also gerade dem Gremium, das 24522 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks (A) politikwissenschaftlich zu Klimafragen berät, zu unter- Vizepräsidentin Claudia Roth: (C) stellen, es betreibe einen „Weltrettungszirkus“, ist schon Frau Ministerin, erlauben Sie eine Zwischenfrage erstaunlich. oder -bemerkung von Annalena Baerbock? (Dr. [CDU/CSU]: Das ist nicht gesagt worden!) Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um- welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Wenn der Berliner Kreis – Herr Kollege Lengsfeld, viel- Ja. leicht nehmen Sie das zur Kenntnis – vorschlägt, die wis- senschaftliche Beratung auszudünnen und das IPCC nur noch alle zehn Jahre zu Wort kommen zu lassen, dann Vizepräsidentin Claudia Roth: sage ich: Willkommen, Herr Kollege, im postfaktischen Gut. Zeitalter! (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- DIE GRÜNEN sowie der Abg. Eva Bulling- NEN): Schröter [DIE LINKE]) Vielen Dank, Frau Ministerin. – Ich habe Ihrer Rede jetzt sieben Minuten gelauscht. Sie haben in alle Rich- Unsere Antwort auf den Klimawandel kann nicht sein, tungen ausgeteilt und beschrieben, wer alles etwas falsch die Wissenschaft zu ignorieren. Ich danke Ihnen, Frau macht. Kollegin Weisgerber, dass Sie hier sehr deutlich eine an- dere Position der Union vertreten haben. Meine Hoch- Nun befnden wir uns gerade weltweit in einer drama- achtung dafür! tischen Situation. Der Klimakollaps schreitet immer wei- ter voran. Trump tritt aus dem Klimaabkommen aus. Wir Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist an der Zeit, haben uns schon gefragt, wie die Antwort der Bundesre- dass wir Klimaschutz als eine Komponente unseres poli- gierung darauf lautet, außer Empörung nach dem ersten tischen Handelns insgesamt begreifen. Der Energiesektor Tag. Ich hatte gehofft, dass Sie hier und heute im Deut- und der Gebäudesektor sind hier ja in den vergangenen schen Bundestag kurz vor dem G-20-Gipfel eine klare Jahren in eine beachtliche Vorleistung getreten. Es wird Ansage machen, wie die Bundesregierung, vor allem Sie Zeit, dass der Verkehrssektor und die Landwirtschaft als Bundesumweltministerin, auf diesen Zustand in der folgen. Der Umweltschutz ist eben kein Gegner unserer Welt reagiert. Automobilkonzerne oder der Landwirte. Im Gegenteil: Nur wenn sich die deutschen Autobauer von Diesel und Wir hatten schon gestern im Ausschuss eine Diskus- sion darüber geführt, in der ich Sie gefragt habe: Was (B) Benzin nach und nach verabschieden, werden sie in Zu- (D) kunft erfolgreich sein. Nur wenn die Landwirtschaft ihre ist mit dem Emissionshandel? Sie wollten ihn doch vom Umweltprobleme in den Griff bekommt, ist sie zukunfts- Kopf auf die Füße stellen; das war Ihre Ansage. Jetzt fähig. Klimaschutz ist kein Gegner – er ist Partner. folgt die Tagung des Europäischen Rates. Von Deutsch- land kommt nichts, um den Emissionshandel wirklich Zugleich gilt: Wir müssen die Akzeptanz beim Klima- anzuschärfen. Man unterstützt manchmal irgendwelche schutz im Auge behalten. Die Unterstützung für eine ehr- Länder, aber eigentlich will man die Stahlindustrie si- geizige Klimaschutzpolitik in Deutschland ist hoch. Aber chern. auch das ist nicht für alle Zeit gesichert. Es wäre Augen- wischerei, wenn wir davon ausgingen, der notwendige Eine andere Frage ist: Was ist mit dem Kohleausstieg? Wandel geschähe, ohne dass Interessensgegensätze auf- Sie hatten mehrere Jahre angekündigt, dass da etwas treten. Es kommt insofern darauf an, die Akzeptanz im- kommen muss. Jetzt soll 2018 eine Kommission ihre Ar- mer wieder aufs Neue durch eine breite Beteiligung zu beit aufnehmen. Gestern habe ich dazu im Ausschuss die fördern. Der Klimaschutzplan 2050 bietet da eine Fülle Frage gestellt: Wenn Trump jetzt aussteigt, müssen wir von Anknüpfungspunkten. Uns kommt es darauf an, die Europäer dann nicht sagen: „Jetzt erst recht“? Chancen und die Lasten dieses Wandels fair zu verteilen. (Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Haben Wir brauchen einen gerechten Wandel. wir doch!) Ich glaube übrigens, das wollen auch Sie, liebe Kol- Macron hat dazu einen Aufschlag gemacht. Auch hier leginnen und Kollegen von den Grünen. Aber man muss stellt sich die Frage: Was sagen eigentlich die Bundes- eben auch mit den Menschen reden, die zum Beispiel regierung und die deutsche Umweltministerin dazu? Angst haben, ihre Arbeit zu verlieren, und man muss ver- Wollen wir gemeinsam mit Macron das Thema angehen lässlich sein. Sie beschließen im November auf der Bun- und die europäischen Klimaziele, den Ausstoß um min- desdelegiertenkonferenz in Münster das Kohleausstiegs- destens 40 Prozent zu mindern, anschärfen? Dazu haben jahr 2025, im Januar in der Bundestagsfraktion 2037, und Sie nichts gesagt. im Wahlprogramm steht jetzt 2030. Sie haben Klima- schutz und Kohleausstieg zu Ihren wichtigsten Themen Jetzt werfen Sie uns auch noch vor, dass wir einen für die nächste Legislatur erklärt. Kann man dann derart ganz konkreten Vorschlag machen, wie wir aus der Koh- beliebig damit umgehen? le aussteigen können. Sie haben das in den letzten vier Jahren nämlich nicht gebacken gekriegt. Ich kann Ihnen (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: unseren Vorschlag genau erklären. Wir haben es durchge- Aber Sie haben ja auch 25 bis 30 gesagt! Da rechnet: Wir müssen ein CO2-Budget für jedes Kraftwerk sind doch auch fünf Jahre dazwischen!) erstellen, aus dem hervorgeht, welche Werte es erreichen Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24523

Annalena Baerbock (A) muss, damit die Pariser Klimaziele eingehalten werden. Andersherum wird ein Schuh draus: Wir müssen – und (C) Außerdem müssen 20 Kraftwerke abgeschaltet werden, zwar direkt nach der Bildung der neuen Regierung – alle damit wir das Klimaziel – das war der Auftrag Ihrer Bun- Akteure an einen Tisch holen: die Gewerkschaften, die desregierung – für das Jahr 2020 erreichen können, und Arbeitnehmervertreter, die Unternehmen, die Regionen, zwar gemeinsam mit den Regionen, damit es sozialver- die Umwelt- und die Wirtschaftsverbände. Wir müssen träglich abläuft. Sie können unsere Vorschläge gerne ko- gemeinsam einen sozialverträglichen Ausstieg erarbei- pieren. Dann erreichen Sie auch das deutsche Klimaziel. ten. Wir brauchen jetzt keine Debatten über Jahreszahlen, In den letzten vier Jahren haben Sie das nicht geschafft. sondern eine Debatte über neue Chancen für die Men- schen und Regionen, wenn der Braunkohleabbau und die Herzlichen Dank Kohleverstromung einem Ende zugeführt werden. Die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Akzeptanz unseres Weges zur Treibhausgasneutralität hängt an der Frage der Gerechtigkeit. Das scheinen Sie manchmal aus dem Blick verloren zu haben. Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um- welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Frau Kollegin Baerbock, nehmen Sie zur Kenntnis, NEN]: Nein, nein!) dass wir auch in den Klimaschutzplan 2050 hineinge- Dieser Prozess ist der Lackmustest für unsere Klima- schrieben haben, dass wir im Jahr 2018, also im nächsten schutzpolitik. Jahr, (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE NEN]: Genau!) GRÜNEN]: Es ist alles immer komischerwei- se im nächsten Jahr!) Und nur wenn wir den Kohleausstieg sozialverträglich organisieren, werden wir glaubhaft den Transformati- die Kommission einsetzen werden, die einen sozial- onsprozess unserer Volkswirtschaft insgesamt angehen verträglichen Kohleausstieg vorbereiten wird, der die können. Menschen mitnimmt. Selbstverständlich werden wir un- sere Maßnahmen zur Erreichung der Klimaziele in Eu- (Zurufe von Abgeordneten des BÜNDNIS- ropa umsetzen. Wir wissen auch, dass es „mindestens“ SES 90/DIE GRÜNEN) 40 Prozent heißt. Nur wenn wir in Deutschland einen sozial gerechten Weg Selbstverständlich werden wir spätestens bis zum Jah- in Richtung Treibhausgasneutralität fnden, werden an- resende die Erneuerung des europäischen Emissionshan- dere Länder uns folgen. (B) (D) dels hinbekommen, verbunden mit einem Burden Sha- Liebe Kolleginnen und Kollegen, der britische Philo- ring zwischen den europäischen Ländern. Natürlich gibt soph Alfred North Whitehead hat einmal gesagt: es unterschiedliche Interessenlagen – das ist klar –, aber das werden wir hinbekommen und die Menschen mitneh- Die Kunst des Fortschritts besteht darin, inmitten men; denn – wie ich eben schon ausgeführt habe – die des Wechsels Ordnung zu wahren und inmitten der Akzeptanz für den Klimaschutz wird man nur erhalten, Ordnung den Wechsel zu wagen. wenn man die Menschen mitnimmt. Es geht um einen gerechten Klimaschutz. Ich denke, das haben wir in den vergangenen vier Jahren geschafft. Sie versprechen zum Beispiel einen Beteiligungspro- (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: zess, verschicken aber das Ausstiegsdatum gleich mit. So Mit Stillstand!) gelingt Beteiligung nicht. Daran werden wir anknüpfen können, in welcher Rollen- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten verteilung auch immer. der CDU/CSU) Herzlichen Dank. Sie sagen: Wir können über alles reden, aber 2030 ist Schluss. Das ist also nur die Illusion einer Beteiligung. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Sie nehmen die Menschen nicht ernst. (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vizepräsidentin Claudia Roth: NEN – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/ Vielen Dank, Barbara Hendricks. – Nächster Redner DIE GRÜNEN]: Über Klimaschutz kann man in der Debatte: Andreas Jung für die CDU/CSU-Fraktion. nicht verhandeln! – Oliver Krischer [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ankündigungsminis- (Beifall bei der CDU/CSU) terin!) Andreas Jung (CDU/CSU): Sie entscheiden auf Parteitagen über die Köpfe der Men- schen hinweg. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich mich den guten Wünschen (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und dem Dank an die ausscheidende Kollegin anschlie- NEN]: Sie wollen doch auch raus! Sie haben ßen. Liebe Bärbel Höhn, ich sage es mit Respekt vor Ih- doch auch „25 bis 30 Jahre“ gesagt!) rer Arbeit: Ich bin mir sicher, dass Sie hier mehr Spuren 24524 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Andreas Jung (A) hinterlassen werden als den von Ihnen initiierten Bundes- gehört zu den prägenden Kräften, Deutschland gehört (C) tagsbienenstock. Alles Gute weiterhin! zu den Vorreiterkräften. Jetzt gilt es, darauf aufzubauen und das, was wir in dieser Legislaturperiode auf den Weg (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und gebracht haben, in den nächsten Jahren konsequent um- dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei zusetzen. Abgeordneten der LINKEN – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Honig Ich will ausdrücklich anknüpfen an die Ausführun- ist gut!) gen der Bundesumweltministerin und auch von Anja Weisgerber, die beide den Klimaschutzplan 2050 genannt – Der Honig ist exzellent. Wir werden ihn weiterhin ge- haben. Dieser Plan ist die Grundlage für unser Bemühen nießen. und Bestreben in den nächsten Jahren. Deshalb müssen Ich will ganz bewusst, weil es mehrfach angesprochen wir bei den Themen Kohle, Verkehr, Landwirtschaft, wurde, die fraktionsübergreifenden Gemeinsamkeiten Energieeffzienz und Wärme konsequent vorangehen. und den Konsens, den wir in vielen Fragen haben, an den Ja, ich halte es für richtig und notwendig, dass wir da Beginn meiner Rede stellen. Es ist so, wie schon Anja eine Schippe draufegen, dass wir alles versuchen, diesen Weisgerber betont hat: Ja, wir haben in diesem Haus Prozess zu beschleunigen. Wir dürfen nicht warten. Wir einen breiten Konsens darüber, welch große Herausfor- müssen hier engagiert und konsequent vorangehen. derung, welch große Bedrohung unserer Zeit der Kli- Deshalb halte ich es auch für notwendig, dass wir das mawandel im globalen Maßstab ist. Der Klimawandel Thema Kohleausstieg angehen und, so wie es verabredet bedroht viele Menschen in ihren Lebensgrundlagen. Es ist, die Kommission sofort zu Beginn der nächsten Legis- geht um die Veränderung unserer Welt, es geht um unsere laturperiode einsetzen. So können wir mit den Beteilig- Lebensgrundlagen. Deshalb haben wir allen Grund, ge- ten zu einem Ergebnis kommen, und so können wir unter meinsam dafür zu ringen, zu mehr Klimaschutz zu kom- Berücksichtigung der Strukturfragen in den Regionen, men. Für uns Christdemokraten geht es dabei auch um unter Berücksichtigung der Belange der Menschen, die die Bewahrung der Schöpfung. Deshalb halten wir es für in diesem Bereich arbeiten, schrittweise aus der Kohle ein ganz wichtiges Ziel, hinter dem wir, CDU, CSU und aussteigen und damit schrittweise den Umbau zu einer unsere gemeinsame Fraktion, in großer Geschlossenheit dekarbonisierten Energiewirtschaft schaffen. Das ist not- stehen. wendig, und ohne das wird es überhaupt gar nicht gehen. Uns ist es in besonderer Weise wichtig gewesen, (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE dass die Unterzeichnung des Klimaabkommens erreicht GRÜNEN]: Na, dann mal los!) wurde. Es gibt auch da, wie ich fnde, beim Eintreten (B) für die Ziele eine große Kontinuität der verschiedenen Ich bin auch der Meinung, dass wir den Verkehrssek- (D) Bundesregierungen unterschiedlicher Farben. Es war tor in den Blick nehmen müssen; wichtig und richtig, dass es gelungen ist, im Jahr 2015 (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE in Paris das Weltklimaabkommen zu erreichen. Das war GRÜNEN]: Gute Idee!) ein Durchbruch. Jetzt muss es darum gehen, es in allen Ländern konsequent umzusetzen, es damit zum Erfolg Ich bin da allerdings anderer Meinung als die Kollegin zu machen und so den Klimaschutz gemeinsam voran- Leidig. Ich glaube, man sollte das nicht allzu sehr gegen- zubringen. einander ausspielen. Natürlich brauchen wir den Ausbau von Schiene. Wir brauchen aber auch den Ausbau der Deshalb eint uns auch die Ablehnung und die Em- Straße – und zwar dort, wo wir Stauschwerpunkte ha- pörung über den amerikanischen Präsidenten Donald ben –, weil Stau kein Beitrag zum Klimaschutz ist. Trump, der quasi mit einem Federstrich aus dem Klima- schutzabkommen aussteigen will, nicht mehr mitmachen (Beifall bei der CDU/CSU – Sabine Leidig will nach dem Motto „America frst – und nach mir die [DIE LINKE]: Weniger Verkehr!) Sintfut“ und Klimaschutz den anderen überlassen möch- Gerade im ländlichen Raum brauchen wir neben dem te. Das können wir nicht akzeptieren. Deshalb ist es un- Ausbau von Schienen auch den Ausbau von Straßen. Wir sere Haltung, die Bundesregierung auch in Vorbereitung brauchen aber auch umweltfreundliche Autos, die auf des G-20-Gipfels in Hamburg darin zu unterstützen, all diesen Straßen fahren. diejenigen zu überzeugen, zu sammeln und zu bestärken, die dieses Abkommen unterschrieben haben. Wir brau- (Zuruf von der CDU/CSU: Genau!) chen hier ein klares und starkes Signal für den Klima- schutz. Die Bundesregierung arbeitet dafür. Dafür hat sie Deshalb unterstützen wir die Bemühungen, die die die Unterstützung, wie ich glaube, des ganzen Hauses. Bundesregierung im Bereich des Nationalen Aktions- plans ja schon angestoßen hat: Elektromobilität, Elektro­ (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) autos, Ökostrom als Benzin von morgen – das ist unser Ziel, das müssen wir auf die Straße bringen; in diesem Selbstverständlich stellen wir uns der Diskussion, was Bereich muss es auch noch schneller gehen. Aber da ist ja es für Deutschland bedeutet. Ich möchte Ihnen wider- vieles schon auf den Weg gebracht worden, worauf man sprechen, Frau Höhn, wenn Sie sagen, wir müssten end- jetzt aufbauen kann. lich beginnen, Klimaschutz zu machen. Das wird, wie ich fnde, unserer Klimapolitik nicht gerecht. Es wird übri- Unsere Antworten sind nicht die Verbote und Befris- gens auch der Politik Ihrer eigenen Regierungszeit nicht tungen, die die Grünen jetzt beschlossen haben – das gerecht. Deutschland hat längst begonnen, Deutschland ist übrigens auch die Meinung des baden-württember- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24525

Andreas Jung (A) gischen Ministerpräsidenten –; vielmehr sind wir der nativer Energieträger, sondern wir müssen uns auch mit (C) Überzeugung, dass man auch da mit allen Beteiligten, diesem herrschenden Wirtschaftssystem und seiner glo- gemeinsam mit der Automobilindustrie und mit der For- balen Handelsordnung auseinandersetzen. schung, alles dafür tun muss, damit das Auto der Zu- (Beifall bei der LINKEN) kunft, das Ökoauto, made in ist, das wir dann in alle Welt exportieren. So leisten wir einen Beitrag zur Wenn wir nicht aus dieser neoliberalen Globalisierung Reduzierung der Treibhausgase in unserem Land. herauskommen, die auf Ausbeutung der Rohstoffe, auf Proftmaximierung für wenige setzt, können wir die Kli- (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Wir sind ge- maschutzziele nicht erreichen. Dazu gehört auch der zer- spannt darauf!) störerische Freihandel, der Land Grabbing vorantreibt, Letzte Bemerkung. Ich bin sehr dankbar, dass die der kleinbäuerliche Existenzen zerstört und der Mono- Bundeskanzlerin in dieser Woche angekündigt hat: Ja, kulturen von Palmöl und Soja fördert, soweit das Auge wir wollen einen neuen Versuch unternehmen, um die reicht. All das muss endlich aufhören. Freihandel ist kein steuerliche Förderung der Gebäudesanierung auf den Beitrag zum Klimaschutz. Weg zu bringen. – Wir haben es hier im Bundestag ja (Beifall bei der LINKEN) schon beschlossen. Es ist an den Ländern und am Bun- desrat gescheitert. Jetzt unternehmen wir einen neuen Wir brauchen keinen grünen Kapitalismus, sondern Anlauf. In NRW, so habe ich gesehen, steht es im Koali- endlich internationale solidarische Zusammenarbeit. Da- tionsvertrag. Sie wollen es jetzt wie viele andere Länder für haben wir Vorschläge unterbreitet, zum Beispiel den auch unterstützen. Dann sollte es doch eine Chance ge- Vorschlag, auf UN-Ebene zugunsten der Länder des glo- ben. Das müssen wir schaffen; anderenfalls werden wir balen Südens einen Fonds zur Kompensation der Folgen der Verantwortung, die wir hier für Klimaschutz haben, des Klimawandels und des Kolonialismus einzurichten, und der besonderen Bedeutung, die Energieeffzienz da- der von den Industriestaaten fnanziert wird. bei hat, nicht gerecht. Diese Maßnahme muss verbunden sein mit einem so- Es gibt also viel zu tun. Ich freue mich darauf, gemein- lidarischen Wissens- und Technologietransfer, um eine sam mit Ihnen mit der Leidenschaft, die ja bei allen hier globale Energiewende zu ermöglichen. Die Energiewen- zum Ausdruck gekommen ist, daran weiter zu arbeiten. de muss als globales Gemeinschaftsgut angesehen wer- den. Sie darf nicht länger als Handels- und Renditeob- Vielen Dank. jekt oder als neuer fnanzieller Exportschlager angesehen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- werden. ordneten der SPD) (Beifall bei der LINKEN) (B) (D) Wichtig ist auch, dass wir die sogenannten Klimaf-

Vizepräsidentin Claudia Roth: nanztransfers für den Süden nicht mit den Mitteln der Vielen Dank, Andreas Jung. – Nächste Rednerin: Entwicklungsfnanzierung verrechnen. Wir brauchen Heike Hänsel für die Linksfraktion. eine eigenständige Finanzierung der Anpassungsmaß- (Beifall bei der LINKEN) nahmen. Die soziale und die ökologische Entwicklung müssen zusammengehen. Heike Hänsel (DIE LINKE): Für den G-20-Gipfel werden bereits Zeichen gesetzt. Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol- rüstet sich für das Treffen mit Donald legen! Von den Folgen der Erderwärmung sind bereits Trump. Sie ist extra nach Rom gefahren, um sich den Se- jetzt diejenigen Länder am härtesten betroffen, die am gen des Papstes dafür zu holen. Ich möchte aber davor wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben: die warnen, Angela Merkel in Hamburg als Klimaretterin zu Länder des Südens. Ganz aktuell erleben wir in Ostafri- betrachten; denn sie hat gesagt, sie will, dass in Hamburg ka die größte humanitäre Katastrophe seit Gründung der ein Bekenntnis zum Freihandel abgegeben wird. Was für Vereinten Nationen. Über 25 Millionen Menschen sind eine fatale Ankündigung! Genau das wollen wir nicht. vom Hungertod bedroht. Auch die Klimazerstörung hat Wir wollen nicht noch mehr Freihandel und noch mehr mit der von ihr ausgelösten langanhaltenden Dürre dazu Ausbeutung, sondern endlich eine international gerechte beigetragen. Es ist die ökologische Schuld des Nordens, Handelsordnung. Das ist der beste Beitrag zum Klima- und deswegen braucht es nicht nur mehr Hilfsgelder von schutz. hier, sondern es braucht endlich eine ernsthafte, echte (Beifall der Abg. Karin Binder [DIE LINKE]) Klimaschutzpolitik. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin : Es wurde auch angesprochen: Die Warnungen vor Frau Kollegin, achten Sie bitte auf die Zeit. dreistelligen Millionenzahlen von Klimafüchtlingen in den nächsten Jahrzehnten häufen sich. Diese Klimazer- Heike Hänsel (DIE LINKE): störung ist auch eine der großen Fluchtursachen, die end- Frau Roth, da sind Sie ja vielleicht auch dabei. lich bekämpft werden muss. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, Für uns ist aber auch Folgendes wichtig: Klimaschutz der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE ist nicht nur eine Frage alternativer Technologien, alter- GRÜNEN) 24526 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Heike Hänsel (A) – Entschuldigung, der Vorsitz hat gewechselt. – Dafür Hier im Deutschen Bundestag wurden Programme (C) werden am 8. Juli dieses Jahres in Hamburg viele auf die dieser Bundesregierung verabschiedet, die aber am Ende Straße gehen. Es gibt ein breites Bündnis für mehr Kli- nicht ausgereicht haben. Das muss man ehrlicherweise maschutz und gegen Freihandel. Sie alle sind eingeladen, sagen. Wir sind zwar einen Schritt weitergekommen auf hinzukommen. dem Weg zur Erreichung des 40-Prozent-Ziels; aber es ist (Beifall bei der LINKEN) dringend notwendig, dass die neue Bundesregierung und die neue Koalition, wie auch immer sie sich zusammen- setzen werden, schon in den Koalitionsverhandlungen Vizepräsidentin Michaela Noll: neue Maßnahmen beschließen und diese zu Beginn der Frau Kollegin, man ist vor so mancher Überraschung Legislaturperiode umsetzen, damit wir dieses 40-Pro- nicht gefeit. – Als Nächster hat das Wort: Frank Schwabe zent-Ziel noch erreichen können. für die SPD-Fraktion. Das Thema Kohleausstieg ist angesprochen worden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- Es ist schwierig. Wenn es konkret wird, wird es immer ten der CDU/CSU – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Die Ähnlichkeit ist frappierend!) sehr schwierig. Aber ich glaube, es ist mittlerweile über alle Fraktionsgrenzen hinweg Konsens, dass es eine Be- endigung der Nutzung von Kohle in diesem Land geben Frank Schwabe (SPD): wird. Die Frage ist, in welchen Zeiträumen und wie wir Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- das so machen – das ist jedenfalls das zentrale Anliegen gen! Verehrte Damen und Herren! Viele Dankesworte meiner Fraktion –, dass, wie es bei uns heißt, die Men- sind schon gesagt worden. Ich will mich anschließen schen nicht ins Bergfreie fallen. Das wird zu organisie- und mich bedanken bei Bärbel Höhn, aber auch bei Eva ren sein. Dazu gibt es viele Hinweise, in den Ministerien, Bulling-Schröter und Josef Göppel, der heute leider nicht aber auch im Wahlprogramm der SPD. Das wird eine anwesend sein kann. Eure Arbeit ist beeindruckend. Ihr Aufgabe, vielleicht eine zentrale Aufgabe der nächsten habt ganz viel getan für den deutschen und den europäi- Legislaturperiode sein. schen Klimaschutz. Ihr habt das mit voller Leidenschaft gemacht. Ich glaube, wir haben das fraktionsübergreifend Bei vielen Zielen, die zu erreichen gewesen wären, gut gemacht. Dafür noch einmal ganz herzlichen Dank! sind wir leider nicht in der Spur – das muss man ehrli- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so- cherweise sagen –, weder mit Blick auf 2020 noch mit wie bei Abgeordneten der LINKEN und des Blick auf 2050. Da muss noch vieles dazukommen. Am BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dienstag haben wir in der SPD-Fraktion ein Papier ver- (B) abschiedet – hat das über alle Arbeits- (D) Mit dem Klimaschutz ist das so eine Sache, liebe Kol- gruppen hinweg koordiniert –, in dem wir zum Beispiel leginnen und Kollegen. In der Tat kommt man sich oft so deutlich gemacht haben, dass die Ausbauziele im Er- vor wie bei der Echternacher Springprozession. Das ist neuerbare-Energien-Bereich nicht ambitioniert genug aber auch bei anderen politischen Themen der Fall. Das, sind. Wenn wir andere Sektoren im Wärme- und im Ver- was Trump an Realitätsverweigerung betreibt, schlägt kehrsbereich mit einbeziehen wollen, dann müssen diese dem Fass aber in der Tat den Boden aus. Die entscheiden- Ziele deutlich angehoben werden. de Frage ist, wie wir damit umgehen, wie wir darauf re- agieren. Es ist richtig, sich dagegen zu positionieren; das (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Bärbel stimmt. Noch viel richtiger und wichtiger ist es aber, mit Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) stärkeren Ambitionen in Europa und in Deutschland da- rauf zu reagieren. Daher brauchen wir für den G-20-Gip- Wir machen in unserem Wahlprogramm deutlich, dass fel in Hamburg eine klare Position. Wir und die anderen es nicht ausreicht, von einer Senkung der Treibhausga- 19 Staaten müssen sagen: Wir wollen weitermachen mit semissionen um 80 bis 95 Prozent bis 2050 zu reden, einem ambitionierten Klimaschutz. Ich glaube, das ist sondern dass wir uns mehr am oberen Ende orientieren unsere gemeinsame Erwartungshaltung. müssen. Wir brauchen ein Klimaschutzgesetz, allerdings Was wurde in den letzten vier Jahren eigentlich er- nicht, um die Wirtschaft zu gängeln, sondern – ganz im reicht? Man muss sich immer wieder klarmachen – das Gegenteil – um verlässliche Rahmenbedingungen zu vergisst man in der aktuellen Debatte gerne –, dass das schaffen. Wir brauchen auch Hilfestellungen für den eu- für 2020 angestrebte Klimaschutzziel – bis 2020 minus ropäischen Emissionshandel. Wenn der Emissionshan- 40 Prozent gegenüber 1990 – im Jahr 2007 entwickelt del das zentrale Instrumentarium sein soll, dann muss er wurde, rund um die Klimakonferenz auf Bali. Dieses auch beweisen, dass er es kann. Wenn er es eigenständig Ziel haben wir seit langem, aber wir haben lange nichts nicht kann, dann braucht er Hilfestellungen. Das sind getan, um dieses Ziel zu erreichen. Zum Teil wussten aus unserer Sicht CO2-Mindestpreise, die möglichst im wir zwischendurch gar nicht mehr, wo wir auf dem Weg EU-Kontext, zumindest aber mit einer Reihe europäi- zur Erreichung dieses Ziels stehen. Es ist das Verdienst scher Staaten zu verabreden sind. dieser Bundesregierung, insbesondere dieser Bundesum- weltministerin, dass wir uns ehrlich gemacht haben, dass Vielen Dank für die Aufmerksamkeit und Glück auf! wir uns klargemacht haben, wo wir stehen, dass wir uns klargemacht haben, dass das, was wir bisher gemacht ha- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ben, nicht ausreicht, um unsere Ziele zu erreichen. der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24527

(A) Vizepräsidentin Michaela Noll: amerikanische Präsident Donald Trump mit seiner un- (C) Vielen Dank, Herr Kollege Schwabe. – Als Nächster säglichen Entscheidung, aus diesem Klimaschutzabkom- hat Dr. Thomas Gebhart für die CDU/CSU-Fraktion das men auszusteigen, bisher keine wirklichen Nachahmer Wort. gefunden hat. Das war die eigentliche Sensation der letzten Klimakonferenz in Marrakesch, und bis heute ist (Beifall bei der CDU/CSU) es bemerkenswert, dass er keine wirklichen Nachahmer gefunden hat. Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU): Damit das so bleibt, ist es entscheidend, dass wir im- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und mer wieder unter Beweis stellen: Klimaschutz und eine Herren! Es ist gut, dass wir gegen Ende der Wahlperiode starke Wirtschaft sind keine Gegensätze, sondern beides noch einmal Gelegenheit haben, grundsätzlich über die geht zusammen. Das ist der Weg, den wir weitergehen, Frage des Klimaschutzes miteinander zu debattieren und unser Weg zur Umsetzung des Klimaschutzabkommens. deutlich zu machen: An welchen Stellen gibt es Gemein- samkeiten und Schnittmengen, und an welchen Stellen Die Grünen vertreten in dieser Frage zum Teil einen unterscheiden sich unsere Positionen? anderen Weg. Das ist ein eher rückwärtsgewandter Weg, der vor allem auf Verzichten, auf Einschränken, auf Zunächst: Als Christdemokrat ist mir der Klimaschutz Deindustrialisieren und auf Verbieten setzt. Sie wollen ein Kernanliegen. Es geht um den Erhalt der natürlichen zum Beispiel die Kohleverstromung ab einem bestimm- Lebensgrundlagen, und es geht um die Bewahrung der ten Zeitpunkt verbieten. Schöpfung. Das ist eine ethische Frage. Es ist aber auch eine Frage der Vernunft, auch der ökonomischen Ver- (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE nunft, dass wir den Klimawandel auf ein verantwortbares GRÜNEN]: Das hat Frau Weisgerber auch Maß begrenzen. gesagt!) Meine Damen und Herren, der Klimaschutz ist eine Ministerin Hendricks hat darauf hingewiesen: Dafür globale Herausforderung. Deswegen war es so wichtig, haben Sie ganz unterschiedliche Zeitpunkte genannt. dass es in Paris gelungen ist, diesen internationalen Ver- Zunächst haben Sie 2030 gefordert, im letzten Jahr war trag abzuschließen. Das war ein riesiger Fortschritt. Aber es 2025. Heute liegt ein Antrag der Grünen zur Abstim- wir wissen eben auch: Der Vertrag steht zunächst einmal mung vor, in dem steht, dass dies innerhalb der nächsten nur auf dem Papier. Die 29 Artikel von Paris sind teil- zwei Jahrzehnte erreicht werden soll. Ich frage Sie: Was weise sehr vage und weich formuliert. Der Vertrag bietet gilt denn nun? viele Schlupföcher. Dahinter steckt schlicht und ergrei- (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE (B) fend der Umstand, dass wir es mit unterschiedlichen In- GRÜNEN]: Paris gilt!) (D) teressen zu tun haben. Es gibt Länder, die für weitgehen- den Umwelt- und Klimaschutz streiten. Aber es gibt eben Diese ganze Unentschlossenheit, dieses Hin- und Her- auch Länder, die ganz andere Ziele haben, die vor allem schwimmen in Bezug auf das konkrete Datum zeigt ei- auf mehr Wohlstand und Wachstum setzen. Deswegen gentlich nur die ganze Misere Ihres Ansatzes. wird die Umsetzung dieses Vertrages alles andere als ein (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE Selbstläufer werden. GRÜNEN]: Ihre Misere, weil Sie nichts ma- Ich bin zutiefst überzeugt: Wir werden bei der Umset- chen!) zung umso besser vorankommen, je besser es uns gelingt, Es macht nämlich wenig Sinn, heute politisch ein Aus- diese Interessengegensätze zu überwinden, also Umwelt- stiegsdatum festzulegen, ohne zu wissen, wann und wie und Klimaschutz auf der einen Seite und Wirtschaft und dieser Ausstieg zu erreichen ist. Wir wissen heute nicht, Wohlstand auf der anderen Seite zusammenzubringen. wann genau die Kohle in großem Stil durch saubere Al- Diesen Weg müssen wir gehen. Schaffen werden wir ternativen zuverlässig und zu vertretbaren Preisen ersetzt das nur mit neuen Technologien, mit Innovationen, mit werden kann, sodass an jedem Ort in Deutschland zu je- Forschung und Entwicklung, mit marktwirtschaftlichen dem Zeitpunkt des Jahres ausreichend Strom zur Verfü- Instrumenten und Anreizen. Da haben wir eine ganze gung steht. Menge gemacht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Ich will nur ein Beispiel nennen. Wir haben hier vor ordneten der SPD) kurzem ein neues Verpackungsgesetz beschlossen. Die- Wir wissen es nicht, und deswegen macht es nur wenig ses Gesetz setzt ganz konkrete Anreize, Verpackungen Sinn, dieses Datum heute festzulegen. mehr als bisher zu recyceln und zu neuen Rohstoffen zu machen. Das heißt, dass mehr von dem, was die Bürger Viel wichtiger ist es, dass wir die Alternativen voran- in den Gelben Sack sortieren, recycelt wird und weniger bringen. Das ist die eigentliche Voraussetzung für den verbrannt wird. Auch das ist ein ganz konkreter Beitrag Ausstieg aus der Kohle. zum Klimaschutz. Das ist ein schönes Beispiel, das zeigt, wie Umweltschutz und Wirtschaft vernünftig zusammen- (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gehen können. Die Voranbringung der Alternativen muss Hand in Hand gehen mit der Reduzierung der Kohleverstromung. In diesem Weg stecken erhebliche wirtschaftliche Chancen. Es geht um die Märkte der Zukunft. Das ist (Zuruf der Abg. Dr. Julia Verlinden [BÜND- sicherlich auch ein wesentlicher Grund dafür, dass der NIS 90/DIE GRÜNEN]) 24528 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Dr. Thomas Gebhart (A) Meine Damen und Herren, wir müssen die Alterna- Ladeinfrastruktur konnten wir mit diesem Geld voran- (C) tiven, die erneuerbaren Energien voranbringen und die bringen. Stromnetze ausbauen, bei den Speichertechnologien ent- scheidend vorankommen Und es geht weiter: Die Verlängerung der Regelung im Hinblick auf Steuerbegünstigungen für Elektrofahr- (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE zeuge und die Kraftstoffe Erdgas und Autogas sind eben- GRÜNEN]: Vier verschenkte Jahre!) falls ein wichtiger Bestandteil einer technologieoffenen und auf Forschung und Entwicklung sowie neue Techno- Förderung. Auch weiterhin werden wir unseren Blick für logien setzen, und vor allem müssen wir für neue Tech- die unterschiedlichen technologischen Möglichkeiten of- nologien offen sein. fenhalten. Nach schwierigen Verhandlungen konnte die so wichtige Ladesäulenverordnung auf den Weg gebracht (Zuruf der Abg. Renate Künast [BÜND- werden. Sie bildet die Grundlage für die Schaffung eines NIS 90/DIE GRÜNEN]) europäischen Systems. Denn was bringt mir ein Fahr- zeug, das ich nach dem Verlassen Deutschlands nicht Das ist der Weg, den wir gehen und auch weiterhin gehen mehr laden kann, weil der Stecker nicht passt? werden. Dafür werbe ich, weil wir auf diesem Weg dem weltweiten Klimaschutz mit Sicherheit einen besseren Ein wichtiges Thema beispielsweise für Handwerks- Dienst erweisen, als wenn wir Ihren Weg gehen würden. betriebe war die Anpassung der Gewichtsklassifzierung Vielen Dank. bei der Fahrerlaubnis. Für Nutzende, die ihr Fahrzeug gern bei ihrem Arbeitgeber laden, haben wir die Anrech- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- nung als geldwerten Vorteil aufgehoben und die Rege- ordneten der SPD – Harald Ebner [BÜND- lung sogar auf betriebliche Fahrzeuge erweitert. Letztlich NIS 90/DIE GRÜNEN]: Einen Bärendienst möchte ich die Beschaffungsinitiative des Bundes nicht erweisen!) unerwähnt lassen. Immerhin haben wir uns gemeinsam zum Ziel gesetzt, dass endlich 20 Prozent der Fahrzeuge im Fuhrpark des Bundes mit elektrischen Antrieben aus-

Vizepräsidentin Michaela Noll: gestattet sein sollen. Vielen Dank, Herr Kollege Gebhart. – Als nächster Redner spricht Andreas Rimkus für die SPD-Fraktion. Zum Umweltbonus. Auch wenn der Verkauf von Elektrofahrzeugen nur schleppend vorangeht, verzeich- (Beifall bei der SPD) nen wir doch ein stetiges Wachstum. Es gilt wie so oft im Leben: Wir müssen so geduldig sein, dass ein Kamel (B) Andreas Rimkus (SPD): hysterisch erscheint. – Das ist nicht von mir, sondern von (D) Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen Rafk Schami. Aber es könnte von mir sein; denn ich und Kollegen! Liebe Zuhörende auf den Rängen! Das glaube, an diesem Spruch ist etwas dran. Ende einer Legislaturperiode ist für jeden von uns ver- mutlich immer auch eine Gelegenheit für einen Rückblick (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Heiter- auf das Geschaffte. Für mich bietet heute der Antrag der keit des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜND- Fraktion der Grünen mit dem Titel „Jetzt mit wirksamem NIS 90/DIE GRÜNEN]) Klimaschutz die ökologische Modernisierung angehen Ich könnte diese Liste fortführen. Ich möchte aber die und die Klimaschutzlücke schließen“ einen guten Anlass Zeit nutzen, um über das zu sprechen, was vor uns liegt. dazu. Sie schreiben nämlich von einem Bekenntnis der Ich habe gerade isoliert die Maßnahmen im Verkehrssek- Kanzlerin zum Pariser Abkommen und knüpfen dann mit tor beschrieben. Aber im Wesentlichen geht es doch da- den Worten an – ich zitiere –: „Doch den warmen Worten rum, die Maßnahmen für die Zukunft zu beschreiben, um folgen zu Hause keine Taten.“ Was für eine gute Gele- die Sektoren zusammenzubringen: Energie, Verkehr und genheit, gemeinsam mit Ihnen die letzten vier Jahre noch Immobilien. Diesen Prozess haben wir als SPD-Frakti- einmal Revue passieren zu lassen. on bereits begonnen und gemeinsam mit den Berichter- Ziemlich zu Beginn der Legislaturperiode beschlossen stattern aus den Bereichen Verkehr, Wirtschaft, Umwelt wir das Elektromobilitätsgesetz, das erstmals gesetzlich und Landwirtschaft das Positionspapier „Investieren für festlegte, wie wir elektrische Antriebe defnieren. Darü- Arbeit, Innovation, Klimaschutz und gutes Leben“ erar- ber hinaus haben wir – besonders wir als SPD-Fraktion – beitet. Ressortübergreifend konnten wir damit den Auf- für die Ausfnanzierung des Nationalen Innovationspro- schlag für eine gemeinsame Vision machen. gramms Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie gesorgt und uns auch für seine Weiterführung starkge- Um es auf den Punkt zu bringen: In der Sektorenkopp- macht. Nicht unwesentlich ist dies verbunden mit dem lung liegt die Zukunft. Mobilität wird ohne das Strom- Vorankommen beim wichtigen Ausbau der Versorgung netz künftig nicht mehr denkbar sein. Neben der Batte- mit Wasserstofftankstellen. rietechnologie wird im Besonderen dem Wasserstoff eine zentrale Bedeutung zukommen. Daher haben wir uns in In dieser Legislatur haben wir außerdem verschiedene dem Papier speziell dem Thema der Anerkennung und Förderrichtlinien auf den Weg bringen können, die eins Förderung des grünen Wasserstoffs gewidmet. deutlich machen: Elektrische Antriebe sind auf unseren Straßen schon längst Realität. Projekte zu innovativen Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, für meine Fraktion Ideen, die Umrüstung des ÖPNV und den Ausbau der kann ich also sagen, dass es auch in der nächsten Legisla- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24529

Andreas Rimkus (A) tur nicht bei warmen Worten bleiben wird. Ich freue mich Mittel verdoppeln, obwohl diese Gelder schon in den (C) schon darauf, daran mitarbeiten zu dürfen. letzten Jahren gar nicht abgefossen sind. Warum sollen wir diese Mittel dann verdoppeln? Das leuchtet mir gar (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Mal gu- nicht ein. cken!) Sie wollen den CO -Ausstoß stärker als Steuerungs- Vielen Dank fürs Zuhören. 2 größe verankern. Ich denke, das kann auch ein richtiger (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ansatz sein. Darüber lassen wir auch durchaus mit uns der CDU/CSU) diskutieren. Wenn der CO2-Ausstoß volkswirtschaftlich für alle Sektoren einen Preis hätte, hätten wir ein einheit- liches marktwirtschaftliches Instrument, durch das sich Vizepräsidentin Michaela Noll: die CO2-ärmste Technologie aufgrund ihres Preises auch Vielen Dank, Herr Kollege. – Jetzt hat das Wort die durchsetzen könnte. Aber für Sie, liebe Kolleginnen und Kollegin Dr. Herlind Gundelach für die CDU/CSU-Frak- Kollegen von den Grünen, gibt es eben Technologien, tion. die in dieser Marktwirtschaft nicht mitmachen sollen, (Beifall bei der CDU/CSU) wie zum Beispiel auf fossilen Rohstoffen basierende Heizungsanlagen. Sie wollen eine Erneuerbare-Energi- en-Pficht im Gebäudebereich und laufen damit Gefahr, (CDU/CSU): Dr. Herlind Gundelach die negativen Erfahrungen aus Baden-Württemberg auf Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! das gesamte Bundesgebiet zu übertragen. Politik fndet nicht nur im Formulieren von Zielen und Visionen statt – ich denke, darüber haben wir heute sehr Außerdem, denke ich, sollte man seine Vorhaben auch viel gehört, und wir sind uns in vielen Zielen sehr einig –, immer zu Ende denken. Nehmen Sie zum Beispiel das sondern Politik fndet auch sehr konkret statt. Thema Batterien, die ja nach Ihren Plänen im großen Umfang als Speicher in den Heizungskellern benötigt Deswegen möchte ich heute nach vielen Diskussio- würden und deren Herstellung noch mit unglaublich nen, die ich vor allen Dingen mit den Kollegen und Kol- hohen CO2-Emissionen verbunden ist. Hier muss eine leginnen von den Grünen hier im Plenum des Deutschen ordentliche Bilanz her, oder es muss – wie Sie immer Bundestages, im Wirtschaftsausschuss, aber auch bei fordern – der ökologische Rucksack geschnürt werden. vielen Veranstaltungen geführt habe, Bilanz ziehen und Was wir aber auf alle Fälle brauchen – ich glaube, da ein paar Sachen klarstellen. müssen wir uns einig sein –, ist noch viel Forschung und Wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, und die Bun- Entwicklung auf diesen Feldern. (B) desregierung unter Führung unserer Bundeskanzlerin, (Beifall bei der CDU/CSU) (D) haben die Energieeffzienz immer als zweite Säule der Energiewende verstanden und danach gehandelt. Wir Nach all dem, was wir in den letzten Jahren bei der haben alleine für die Jahre 2016 bis 2020 rund 17 Milli- Energiewende angeregt und initiiert haben, stehen wir arden Euro für Energieeinspar- und Energieeffzienzpro- heute offenkundig in manchen Bereichen vor Zielkon- gramme zur Verfügung gestellt. Wir haben in den letzten fikten. Wo wollen wir hin? Wollen wir vor allem CO2 Jahren einen riesigen Strauß an Initiativen und Impulsen einsparen oder wollen wir die erneuerbaren Energien nur auf den Weg gebracht. Dennoch muss ich mir heute an- um ihrer selbst willen fördern? Und wie können wir das, hören, dass wir immer noch nicht genug machen. Man was wir wollen, kostengünstig erreichen? merkt: Wir sind schon ein bisschen im Wahlkampf. Für mich ist ganz klar, dass wir unsere ambitionierten Ich möchte heute ganz konkret auf den Antrag der Ziele nur dann erreichen, wenn wir als Gesetzgeber Rah- Grünen, der auf der Tagesordnung steht, zum Thema menbedingungen schaffen – und das haben wir in die- „Klimaschutz in der Wärmeversorgung“ eingehen. Ich ser Legislaturperiode gemacht –, die sehr viel Raum für habe bereits bei der ersten Beratung Ihres Antrags be- Innovationen und verschiedene Lösungskonzepte lassen. tont, dass ich Ihrem Ziel einer nachhaltigen und sozial Ich bin der festen Überzeugung, dass wir aufgrund des gerechten Wärmeversorgung durchaus zustimme. Aber Tempos, in dem neue Technologien entwickelt werden, es macht mich langsam ein bisschen ärgerlich, dass Sie keine Entscheidungen treffen dürfen, die Lock-in-Effek- beim Klimaschutz und auch bei der Förderung der Ener- te nach sich ziehen. Frühzeitige technologische Festle- gieeffzienz prinzipiell den Ansatz verfolgen: alles oder gungen unterbinden nämlich Innovationen und treiben nichts, schwarz oder weiß, gut oder böse. In der poli- die Kosten langfristig in die Höhe. tischen Umsetzung bedeutet das dann: umfangreiche Wir alle wissen nicht, welche Möglichkeiten uns in Förderung mit Mitnahmeeffekten für die Guten und ein ein paar Jahren zur Verfügung stehen. Ist Gas in ein paar Verbot für die Bösen. So können Sie auf lange Sicht – Jahren vielleicht ausschließlich grün? Das wäre sehr aus meiner Sicht zumindest – keine Politik machen. Ich schön. Dann wäre es aber sehr schade, wenn die jetzt vermisse da jeglichen Realitätssinn. existierende Infrastruktur bis dahin durch eine falsche (Beifall bei der CDU/CSU) Politik Schaden genommen hätte, nur weil heute noch ein fossiler Energieträger durch sie hindurchfießt. Deswegen möchte ich mir einmal einige Ihrer Forde- rungen ganz konkret anschauen. Sie wollen mehr Geld Ich bin davon überzeugt, dass wir die Energiewende für energetische Sanierung. Um genau zu sein: Sie wol- als eine Herausforderung für Wissenschaft und Forschung len 7 Milliarden Euro und würden damit die jetzigen verstehen müssen. Die Politik muss diese Entwicklung 24530 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Dr. Herlind Gundelach (A) bestmöglich fankieren, zum Beispiel durch die schon in Gibt es Enthaltungen? – Der Antrag ist mit dem gleichen (C) der vorigen Debatte erwähnte steuerliche Absetzbarkeit Stimmenverhältnis wie eben abgelehnt. der Aufwendungen für Forschung auch in Unternehmen, die hoffentlich in der nächsten Legislaturperiode tatsäch- Tagesordnungspunkt 9 c. Beschlussempfehlung des lich kommt. Technologieoffenheit ist für uns in der CDU/ Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor- CSU-Fraktion ein Muss, und diese Technologieoffenheit sicherheit zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die muss auch für fossile Energieträger gelten. Grünen mit dem Titel „Klimaschutzplan 2050 – Echter Klimaschutz beginnt heute“. Der Ausschuss empfehlt in Mit Blick auf die aktuellen Zahlen wird klar: Wir seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10387, könnten im Sinne des Klimaschutzes sehr viel auch re- den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf lativ einfach erreichen. Denn 54 Prozent der Heizungen Drucksache 18/8876 abzulehnen. Wer stimmt für die- in Mehrfamilienhäusern und 50 Prozent der Heizungen se Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltun- in Einfamilienhäusern sind 18 Jahre alt oder älter und gen? – Gibt es keine. Die Beschlussempfehlung ist mit folglich nicht sehr effzient. Bei neuen Heizungen wären den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Op- Einsparungen bis zu 30 Prozent möglich. position angenommen. Weshalb soll man das jetzt schlagartig verbieten? Tagesordnungspunkt 9 d. Beschlussempfehlung des Das leuchtet mir nicht ein. Es geht doch darum, dass wir Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem An- insgesamt mehr CO2 einsparen. Denn das ist eines der trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel entscheidenden Treibhausgase, und deswegen sind alle „Klimaschutz in der Wärmeversorgung sozial gerecht Maßnahmen sinnfällig, die dazu beitragen, statt Maßnah- voranbringen – Aktionsplan Faire Wärme starten“. Der men festzulegen, die darauf zielen, dass die Menschen Ausschuss empfehlt in seiner Beschlussempfehlung auf warten, bis es vielleicht in zwei, drei, vier oder fünf Jah- Drucksache 18/11651, den Antrag der Fraktion Bünd- ren eine andere Technologie gibt, die als optimal gilt und nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10979 abzulehnen. deshalb eingesetzt wird. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen- Deswegen ist es aus meiner Sicht kontraproduktiv, die probe! – Enthaltungen? – Gibt es keine. Die Beschluss- Förderung solcher Heizungsumrüstungen – beispielswei- empfehlung ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie se von alten Gas- auf neue Gasheizungen – jetzt einfach eben angenommen. abzuwürgen. Dies richte ich auch ganz bewusst an das Tagesordnungspunkt 9 e. Beschlussempfehlung des Bundeswirtschaftsministerium mit Blick auf seine jüngst Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reak- veröffentlichte neue Förderstrategie. Wir brauchen in Sa- torsicherheit zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/ chen Klimaschutz und Energieeffzienz den größtmög- Die Grünen mit dem Titel „Klare CO2‑Reduktionen im (B) lichen Instrumentenkasten, und wir müssen alle Wege Flugverkehr schaffen“. Der Ausschuss empfehlt in sei- (D) nutzen, um CO2 einzusparen. Deswegen bitte ich alle ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11244, den Kollegen ganz herzlich, dass wir in diesem Sinne weiter- Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck- machen. Lassen Sie uns alle Möglichkeiten nutzen und sache 18/9801 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be- vielleicht die etwas weniger vollkommenen jetzt schon schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – nutzen, statt auf die ganz vollkommenen in der Zukunft Gibt es keine. Die Beschlussempfehlung ist mit dem zu warten. Denn das tut, glaube ich, dem Klima auch gleichen Stimmenverhältnis wie eben angenommen. nicht gut. Tagesordnungspunkt 9 f. Beschlussempfehlung des Vielen Dank. Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Kli- ordneten der SPD) maschutz stärken – Energiesparen verbindlich machen“. Der Ausschuss empfehlt in seiner Beschlussempfeh- lung auf Drucksache 18/12633, den Antrag der Fraktion Vizepräsidentin Michaela Noll: Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12095 abzu- Herzlichen Dank, Frau Kollegin. – Ich schließe die lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Aussprache. Gegenprobe! – Enthaltungen? – Gibt es wieder keine. Tagesordnungspunkt 9 a. Wir kommen zur Abstim- Die Beschlussempfehlung ist erneut mit dem gleichen mung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- Stimmenverhältnis angenommen. nen auf Drucksache 18/12796 mit dem Titel „Jetzt mit Tagesordnungspunkt 9 g. Interfraktionell wird Über- wirksamem Klimaschutz die ökologische Modernisie- weisung der Vorlage auf Drucksache 18/10370 an die in rung angehen und die Klimaschutzlücke schließen“. Wer der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- stimmt für den Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es gen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe keinen Enthaltungen? – Nein. Der Antrag ist mit den Stimmen Widerspruch. Dann ist das der Fall. Dann ist die Über- der Regierungskoalition gegen die Stimmen der Grünen weisung so beschlossen. und der Linken abgelehnt. Jetzt kommen wir zu den Überweisungen im verein- Tagesordnungspunkt 9 b. Abstimmung über den An- fachten Verfahren. trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa- che 18/10640 mit dem Titel „CO2-Bremse einführen – Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Ta- Klimabilanz in Gesetzesfolgenabschätzung aufnehmen“. gesordnung um die Beratung des Antrags der Fraktion Wer stimmt für den Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12097 mit Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24531

Vizepräsidentin Michaela Noll (A) dem Titel „Schutz vor Mobbing am Arbeitsplatz“ zu er- Anerkennung der Gemeinnützigkeit von (C) weitern und sofort als Zusatzpunkt 12 im vereinfachten Freifunk Verfahren ohne Debatte zu überweisen. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist das so beschlossen. Drucksache 18/12105 Überweisungsvorschlag: Ich rufe die Tagesordnungspunkte 36 a bis 36 c sowie Finanzausschuss (f) Zusatzpunkte 4 a bis 4 f und 4 h auf sowie den soeben Ausschuss für Wirtschaft und Energie aufgesetzten Zusatzpunkt 12 auf: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur 36. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung Ausschuss Digitale Agenda eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter sozialen Netzwerken (Netzwerkdurchset- Meiwald, Nicole Maisch, Steff Lemke, wei- zungsgesetz – NetzDG) terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 18/12727 Umweltverschmutzung durch Mikroplas- Überweisungsvorschlag: tikfreisetzung aus Kosmetika und Wasch- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Innenausschuss mitteln beenden Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Drucksache 18/10875 Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsi- Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- cherheit abschätzung Ausschuss für Kultur und Medien d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ausschuss Digitale Agenda Lisa Paus, Kordula Schulz-Asche, Britta Haushaltsausschuss Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der b) Erste Beratung des von der Bundesregie- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Rechtssicherheit für bürgerschaftliches zes zur Förderung von Mieterstrom und Engagement – Gemeinnützigkeit braucht zur Änderung weiterer Vorschriften des klare Regeln Erneuerbare-Energien-Gesetzes Drucksache 18/12728 Drucksache 18/12559 (B) (D) Überweisungsvorschlag: Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Finanzausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Finanzausschuss e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor- sicherheit Harald Petzold (Havelland), Sigrid Hupach, Haushaltsausschuss Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines … Ge- Geschlechtliche und sexuelle Menschen- setzes zur Änderung des Strafgesetzbu- rechte gewährleisten ches – Wohnungseinbruchdiebstahl Drucksache 18/12783 Drucksache 18/12729 Überweisungsvorschlag: Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit ZP 4 a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Volker Beck (Köln), Luise Amtsberg, Katja Keul, weiteren Abgeordneten und der Fraktion f) Beratung des Antrags der Abgeordneten BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Kordula Schulz-Asche, Dr. Konstantin von Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Notz, Maria Klein-Schmeink, weiterer Abge- Fremdrentengesetzes (FRG) ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 18/12718 Freiwilligendienste ausbauen und weiter- Überweisungsvorschlag: entwickeln, Engagement anerkennen und Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Innenausschuss attraktiver machen Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Drucksache 18/12804 Überweisungsvorschlag: b) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- Änderung der Abgabenordnung zwecks schätzung 24532 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Vizepräsidentin Michaela Noll (A) Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- Interfraktionell wird Überweisung des Antrags (C) wicklung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa- h) Beratung des Antrags der Abgeordneten che 18/12802 mit dem Titel „Das freiwillige und ehren- Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Kerstin amtliche Engagement im Bevölkerungsschutz und der Andreae, Dr. Franziska Brantner, weiterer Katastrophenhilfe stärken“ an die in der Tagesordnung Abgeordneter und der Fraktion BÜND- aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Fraktionen NIS 90/DIE GRÜNEN der CDU/CSU und SPD wünschen Federführung beim Innenausschuss, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Gesellschaftliche Teilhabe und gute Bil- wünscht Federführung beim Ausschuss für Familie, Se- dung für alle Kinder und Jugendlichen nioren, Frauen und Jugend. sicherstellen Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der Drucksache 18/12795 Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das heißt Federführung beim Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Ju- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) gend, abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungs- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der schätzung Regierungskoalition und den Stimmen der Fraktion Die ZP 12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Beate Linke gegen die Stimmen der Grünen abgelehnt. Müller-Gemmeke, Kerstin Andreae, Katja Keul, Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Fraktionen der CDU/CSU und der SPD, das heißt Feder- NIS 90/DIE GRÜNEN führung beim Innenausschuss, abstimmen. Wer stimmt Schutz vor Mobbing am Arbeitsplatz für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt da- gegen? – Enthaltungen? – Der Überweisungsvorschlag Drucksache 18/12097 ist mit den Stimmen der Regierungskoalition und den Stimmen der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Grünen angenommen. Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ich rufe die Tagesordnungspunkte 37 a bis e, g bis w Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie 22 a und b sowie Zusatzpunkte 5 a bis d auf. Es handelt sich um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu de- Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach- nen keine Aussprache vorgesehen ist. (B) ten Verfahren ohne Debatte. (D) Tagesordnungspunkt 37 a: Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu Zweite und dritte Beratung des von den Abge- überweisen. Die Vorlage auf Drucksache 18/12097 – Zu- ordneten Tabea Rößner, Dr. Konstantin von Notz, satzpunkt 12 – soll federführend an den Ausschuss für Hans-Christian Ströbele, weiteren Abgeordneten Arbeit und Soziales sowie mitberatend an den Ausschuss und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für Recht und Verbraucherschutz, an den Ausschuss für eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Wirtschaft und Energie sowie an den Ausschuss für Fa- Auskunftsrecht der Presse gegenüber Bundes- milie, Senioren, Frauen und Jugend überwiesen werden. behörden (Presseauskunftsgesetz) Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Drucksache 18/8246 Wir kommen nun zu einer Überweisung, bei der die Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus- Federführung strittig ist. schusses (4. Ausschuss) Zusatzpunkt 4 g: Drucksache 18/12603 Beratung des Antrags der Abgeordneten Kordula Der Innenausschuss empfehlt in seiner Beschluss- Schulz-Asche, Irene Mihalic, Maria Klein- empfehlung auf Drucksache 18/12603, den Gesetzent- Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Frak- wurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN che 18/8246 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei- Das freiwillige und ehrenamtliche Engage- chen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der ment im Bevölkerungsschutz und in der Kata- Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen strophenhilfe stärken der Regierungskoalition gegen die Stimmen der Frakti- on Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke Drucksache 18/12802 abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung Überweisungsvorschlag: die weitere Beratung. Innenausschuss (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Tagesordnungspunkt 37 b: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- schätzung Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- Federführung strittig regierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24533

Vizepräsidentin Michaela Noll (A) Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf (C) Deutschen Wetterdienst in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Drucksache 18/11533 Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Stimmen der Regierungsfraktionen und der Fraktion Die schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur Linke gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die (15. Ausschuss) Grünen angenommen. Drucksache 18/12836 Dritte Beratung Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem empfehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – che 18/12836, den Gesetzentwurf der Bundesregierung Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent- auf Drucksache 18/11533 in der Ausschussfassung anzu- wurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in angenommen. der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand- Tagesordnungspunkt 37 d: zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen Zweite Beratung und Schlussabstimmung des der Regierungskoalition und bei Enthaltung der Fraktion von der Bundesregierung eingebrachten Ent- Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke an- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Über- genommen. einkommens über den internationalen Eisen- bahnverkehr (COTIF) vom 9. Mai 1980 Dritte Beratung Drucksachen 18/12513, 18/12717 und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetz- schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur entwurf ist mit dem gleichen Stimmergebnis wie eben (15. Ausschuss) angenommen. Drucksache 18/12815 Tagesordnungspunkt 37 c: Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- empfehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- che 18/12815, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/12513 und 18/12717 anzuneh- (B) zes zur Durchführung der Verordnung (EU) (D) Nr. 910/2014 des Europäischen Parlaments men. und des Rates vom 23. Juli 2014 über elektroni- Zweite Beratung sche Identifzierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem und zur Aufhebung der Richtlinie 1999/93/EG Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer (elDAS-Durchführungsgesetz) stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Drucksache 18/12494 Tagesordnungspunkt 37 e: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- ses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Drucksache 18/12833 Gesetzes zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren und zur Die genannte, in der EU unmittelbar geltende Verord- Änderung des Schöffenrechts nung soll grenzübergreifende digitale Transaktionen wie Vertragsabschlüsse und Einkäufe im Internet erleichtern Drucksachen 18/9534, 18/10025, 18/10307 und zu einer europaweiten Akzeptanz von elektronischen Nr. 4 Signaturen, Siegeln und Zeitstempeln nationaler Vertrau- Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- ensdienste in allen EU-Mitgliedstaaten führen. Das jetzt ses für Recht und Verbraucherschutz (6. Aus- zu beratende Durchführungsgesetz erweitert die Anwen- schuss) dungsmöglichkeiten für elektronische Vertrauensdienste, insbesondere für das in der Verordnung erstmals gere- Drucksache 18/12830 gelte elektronische Siegel. Das Gesetz enthält außerdem Regelungen zu Zuständigkeiten und Befugnissen der be- Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz teiligten Behörden sowie zu Ordnungswidrigkeiten. Die empfehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck- Bundesregierung wird ermächtigt, Einzelheiten durch sache 18/12830, den Gesetzentwurf auf den Drucksa- Rechtsverordnung zu regeln. chen 18/9534 und 18/10025 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent- Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie emp- wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das fehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – che 18/12833, den Gesetzentwurf der Bundesregierung Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den auf Drucksache 18/12494 in der Ausschussfassung an- Stimmen der Regierungskoalition und den Stimmen der 24534 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Vizepräsidentin Michaela Noll (A) Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bünd- stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenpro- (C) nis 90/Die Grünen angenommen. be! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Regierungskoalition gegen die Stim- Dritte Beratung men der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Tagesordnungspunkt 37 j: Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent- wurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- angenommen. richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu Tagesordnungspunkt 37 g: dem Antrag der Abgeordneten Birgit Menz, Eva Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer Abgeord- richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales neter und der Fraktion DIE LINKE (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne- Illegalen Elfenbeinhandel stoppen – Afrikani- ten Friedrich Ostendorff, Harald Ebner, Bärbel sche Elefanten schützen Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksachen18/10494, 18/11815 Hofabgabe als Voraussetzung für den Zugang Der Ausschuss empfehlt in seiner Beschlussempfeh- zur Altersrente für Landwirte abschaffen lung auf Drucksache 18/11815, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/10494 abzulehnen. Wer Drucksachen 18/2770, 18/3455 stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt Der Ausschuss empfehlt in seiner Beschlussempfeh- dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung lung auf Drucksache 18/3455, den Antrag der Fraktion ist mit den Stimmen der Regierungskoalition gegen die Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/2770 abzu- Stimmen der Opposition angenommen. lehnen. Wer ist für diese Beschlussempfehlung? – Wer ist Tagesordnungspunkt 37 k: dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Regierungskoalition gegen die Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Stimmen der Opposition angenommen. richts des Ausschusses für Ernährung und Land- wirtschaft (10. Ausschuss) zu dem Antrag der Tagesordnungspunkt 37 h: Abgeordneten Karin Binder, Caren Lay, Sigrid Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Hupach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion (B) richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener- DIE LINKE (D) gie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord- Verbrauchertäuschungen beenden – Klare neten , Susanna Karawanskij, Lebensmittelkennzeichnung durchsetzen Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion DIE LINKE Drucksachen 18/10861, 18/11823 Kommunen stärken – Kommunalisierung und Der Ausschuss empfehlt in seiner Beschlussempfeh- Rekommunalisierung unterstützen lung auf Drucksache 18/11823, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/10861 abzulehnen. Wer Drucksachen 18/10282, 18/11019 stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenpro- Der Ausschuss empfehlt in seiner Beschlussempfeh- be! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit lung auf Drucksache 18/11019, den Antrag der Fraktion den Stimmen der Regierungskoalition gegen die Stim- Die Linke auf Drucksache 18/10282 abzulehnen. Wer men der Opposition angenommen. stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenpro- Tagesordnungspunkt 37 l: be! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Regierungskoalition und den Stimmen Beratung der Beschlussempfehlung und des der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen Berichts des Ausschusses für Familie, Seni- der Linken angenommen. oren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Walter- Tagesordnungspunkt 37 i: Rosenheimer, Dr. Franziska Brantner, Katja Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Dörner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion richts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Kinder- und Jugendhilfe – Beteiligungsrechte Ralph Lenkert, Caren Lay, Herbert Behrens, wei- stärken, Beschwerden erleichtern und Om- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE budschaften einführen Abschaffung der Zeitumstellung Drucksachen 18/5103, 18/11886 Buchsta- Drucksachen 18/10697, 18/11809 be b Der Ausschuss empfehlt in seiner Beschlussempfeh- Der Ausschuss empfehlt unter Buchstabe b seiner lung auf Drucksache 18/11809, den Antrag der Fraktion Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11886, den Die Linke auf Drucksache 18/10697 abzulehnen. Wer Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24535

Vizepräsidentin Michaela Noll (A) sache 18/5103 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be- on Die Linke auf Drucksache 18/4214 abzulehnen. Wer (C) schlussempfehlung? – Wer ist dagegen? – Enthaltun- stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt gen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh- der Regierungskoalition gegen die Stimmen der Opposi- lung ist mit den Stimmen der Regierungskoalition gegen tion angenommen. die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 37 m: Tagesordnungspunkt 37 p: Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne- richts des Ausschusses für Ernährung und Land- ten Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. wirtschaft (10. Ausschuss) zu dem Antrag der Birkwald, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter Abgeordneten Nicole Maisch, Harald Ebner, und der Fraktion DIE LINKE Renate Künast, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kreis der Anspruchsberechtigten und die Be- zugsdauer in der Arbeitslosenversicherung Rechtssicherheit und Transparenz bei Le- erweitern bensmittelkontrollen endlich herstellen Drucksachen 18/11419, 18/12167 Drucksachen 18/9558, 18/12837 Der Ausschuss empfehlt in seiner Beschlussempfeh- Der Ausschuss empfehlt in seiner Beschlussempfeh- lung auf Drucksache 18/12167, den Antrag der Fraktion lung auf Drucksache 18/12837, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/11419 abzulehnen. Wer Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/9558 abzu- stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenpro- lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – be! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit Gegenprobe! – Enthaltung? – Die Beschlussempfehlung den Stimmen der Regierungskoalition und den Stimmen ist mit den Stimmen der Regierungskoalition gegen die der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen Stimmen der Opposition angenommen. der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 37 q: Tagesordnungspunkt 37 n: Beratung der Beschlussempfehlung und des Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Berichts des Ausschusses für Familie, Seni- richts des Ausschusses für Recht und Verbrau- oren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu cherschutz (6. Ausschuss) zu dem Antrag der dem Antrag der Abgeordneten Beate Walter- (B) Abgeordneten Renate Künast, Tabea Rößner, Rosenheimer, Kai Gehring, Ulle Schauws, wei- (D) Dr. Konstantin von Notz, weiterer Abgeordneter terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN NIS 90/DIE GRÜNEN Nutzungsrechte digitaler Güter für Verbrau- Jung, queer, glücklich in die Zukunft – Lesbi- cherinnen und Verbraucher verbessern sche, schwule, bisexuelle, trans- und interge- schlechtliche Jugendliche stärken Drucksachen 18/11416, 18/12629 Drucksachen 18/8874, 18/12849 Der Ausschuss empfehlt in seiner Beschlussempfeh- lung auf Drucksache 18/12629, den Antrag der Fraktion Der Ausschuss empfehlt in seiner Beschlussempfeh- Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/11416 abzu- lung auf Drucksache 18/12849, den Antrag der Fraktion lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8874 abzu- Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh- lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – lung ist mit den Stimmen der Regierungskoalition gegen Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschluss- die Stimmen der Opposition angenommen. empfehlung ist mit den Stimmen der Regierungskoalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Tagesordnungspunkt 37 o: Tagesordnungspunkt 37 r: Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für Ernährung und Land- Beratung der Beschlussempfehlung und des wirtschaft (10. Ausschuss) zu dem Antrag der Ab- Berichts des Ausschusses für Familie, Seni- geordneten Karin Binder, Caren Lay, Dr. Dietmar oren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion dem Antrag der Abgeordneten Beate Walter- DIE LINKE Rosenheimer, Katja Dörner, Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Frakti- Informationsrechte der Verbraucherinnen on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Verbraucher stärken – Hygiene-Smiley für Lebensmittelbetriebe bundesweit ermög- Stark ins eigene Leben – Wirksame Hilfen für lichen junge Menschen Drucksachen 18/4214, 18/12636 Drucksachen 18/12374, 18/12851 Der Ausschuss empfehlt in seiner Beschlussempfeh- Der Ausschuss empfehlt in seiner Beschlussempfeh- lung auf Drucksache 18/12636, den Antrag der Frakti- lung auf Drucksache 18/12851, den Antrag der Fraktion 24536 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Vizepräsidentin Michaela Noll (A) Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12374 abzu- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Ent- (C) lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – haltungen? – Die Sammelübersicht 448 ist mit den Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh- Stimmen der Regierungsfraktionen gegen die Stimmen lung ist mit den Stimmen der Regierungskoalition gegen der Opposition angenommen. die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 22 a: Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Pe- Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- titionsausschusses, Tagesordnungspunkte 37 s bis 37 w. richts des Ausschusses für Recht und Verbrau- cherschutz (6. Ausschuss) zu dem Antrag der Tagesordnungspunkt 37 s: Abgeordneten Cornelia Möhring, Sigrid Hupach, Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- Frank Tempel, weiterer Abgeordneter und der onsausschusses (2. Ausschuss) Fraktion DIE LINKE Sammelübersicht 444 zu Petitionen Diskriminierung bekämpfen – Verbandskla- gerecht einführen Drucksache 18/12561 Wer stimmt dafür? – Gibt es Gegenstimmen? – Ent- Drucksachen 18/10864, 18/11448 haltungen? – Die Sammelübersicht 444 ist einstimmig Der Ausschuss empfehlt in seiner Beschlussempfeh- angenommen. lung auf Drucksache 18/11448, den Antrag der Fraktion Tagesordnungspunkt 37 t: Die Linke auf Drucksache 18/10864 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenpro- Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- be! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit onsausschusses (2. Ausschuss) den Stimmen der Regierungsfraktionen gegen die Stim- Sammelübersicht 445 zu Petitionen men der Opposition angenommen. Drucksache 18/12562 Tagesordnungspunkt 22 b: Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Enthaltungen? – Die Sammelübersicht 445 ist mit den richts des Ausschusses für Recht und Verbrau- Stimmen der Regierungskoalition und den Stimmen der cherschutz (6. Ausschuss) zu dem Antrag der Ab- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der geordneten Volker Beck (Köln), Ulle Schauws, (B) Fraktion Die Linke angenommen. Beate Müller-Gemmeke, weiterer Abgeordneter (D) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Tagesordnungspunkt 37 u: Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- 10 Jahre nach dem Inkrafttreten des Allge- onsausschusses (2. Ausschuss) meinen Gleichbehandlungsgesetzes – Eine Re- form ist überfällig Sammelübersicht 446 zu Petitionen Drucksachen 18/9055, 18/11639 Drucksache 18/12563 Der Ausschuss empfehlt in seiner Beschlussempfeh- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- lung auf Drucksache 18/11639, den Antrag der Fraktion tungen? – Die Sammelübersicht 446 ist einstimmig an- Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/9055 abzu- genommen. lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Tagesordnungspunkt 37 v: Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussemp- fehlung ist mit den Stimmen der Regierungsfraktionen Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- gegen die Stimmen der Opposition angenommen. onsausschusses (2. Ausschuss) Zusatzpunkt 5 a: Sammelübersicht 447 zu Petitionen Drucksache 18/12564 Beratung des Antrags der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- Claudia Roth (Augsburg), weiterer Abgeordneter tungen? – Die Sammelübersicht 447 ist mit den Stimmen und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Regierungsfraktionen und der Fraktion Die Linke ge- gen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Schnelle Hilfe für die in Russland verfolgten angenommen. Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transperso- nen und Intersexuellen (LGBTI) Tagesordnungspunkt 37 w: Drucksache 18/12801 Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- onsausschusses (2. Ausschuss) Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dage- Sammelübersicht 448 zu Petitionen gen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen der Regierungsfraktionen gegen die Stimmen der Oppo- Drucksache 18/12565 sition abgelehnt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24537

Vizepräsidentin Michaela Noll (A) Zusatzpunkt 5 b: Zusatzpunkt 5 d: (C) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für Menschenrechte und richts des Ausschusses für Verkehr und digitale humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu dem Antrag Infrastruktur (15. Ausschuss) zu dem Antrag der der Abgeordneten Harald Petzold (Havelland), Abgeordneten Matthias Gastel, Tabea Rößner, Stefan Liebich, Jan Korte, weiterer Abgeordneter Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der und der Fraktion DIE LINKE Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verfolgung von Lesben, Schwulen, Bise- Fahrverbot für laute Güterwagen xuellen, Transpersonen und Intersexuellen Drucksachen 18/10033, 18/11144 (LGBTI) in Tschetschenien entgegentreten Der Ausschuss empfehlt in seiner Beschlussempfeh- Drucksachen 18/12091, 18/12824 lung auf Drucksache 18/11144, den Antrag der Fraktion Der Ausschuss empfehlt in seiner Beschlussempfeh- Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10033 abzu- lung auf Drucksache 18/12824, den Antrag der Fraktion lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Linke auf Drucksache 18/12091 abzulehnen. Wer Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh- stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt lung ist mit den Stimmen der Regierungskoalition gegen dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung die Stimmen der Opposition angenommen. ist mit den Stimmen der Regierungsfraktionen gegen Ich rufe den Zusatzpunkt 6 auf: die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Aktuelle Stunde Zusatzpunkt 5 c: auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Verteidigungsausschusses (12. Aus- Europapolitik der Bundesregierung zwischen schuss) Griechenland-Krise, Brexit und Europäi- schem Rat – zu dem Antrag der Abgeordneten Norbert Müller (Potsdam), Katrin Kunert, Wolfgang Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat jetzt Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Dr. Anton Hofreiter für die Fraktion Bündnis 90/Die Fraktion DIE LINKE Grünen. (B) Rekrutierung von Minderjährigen für die (D) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bundeswehr sofort beenden und keine Dr. Anton Hofreiter Ausbildung von Jugendlichen an Waffen Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schön, dass wir heute zumindest eine – zu dem Antrag der Abgeordneten Tom Aktuelle Stunde zum Thema Europa haben. Eigentlich Koenigs, Dr. Franziska Brantner, Agnieszka hätte Frau Merkel heute hier stehen müssen, um eine Re- Brugger, weiterer Abgeordneter und der gierungserklärung abzugeben. Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Keine Rekrutierung Minderjähriger in die NEN und bei der LINKEN – Dr. h. c. Hans Bundeswehr Michelbach [CDU/CSU]: Aber Sie stehen doch da!) Drucksachen 18/10241, 18/981, 18/10543 Denn zur anständigen Beteiligung des Parlaments gehört Der Ausschuss empfehlt unter Buchstabe a seiner Be- es, dass die Kanzlerin vor dem Europäischen Rat eine schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak- Regierungserklärung abgibt. tion Die Linke auf Drucksache 18/10241 mit dem Titel „Rekrutierung von Minderjährigen für die Bundeswehr (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sofort beenden und keine Ausbildung von Jugendlichen und bei der LINKEN – an Waffen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- [CDU/CSU]: Das haben wir im Ausschuss lung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die schon gehört!) Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Regie- Das hat sie nicht gemacht. Ich frage mich, warum. Liegt rungsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition an- es daran, dass die Bundesregierung keine Positionen hat, genommen. dass die Bundesregierung nichts sagen kann, dass die Unter Buchstabe b empfehlt der Ausschuss die Ableh- Bundesregierung nichts sagen will? nung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (Max Straubinger [CDU/CSU]: Wir haben auf Drucksache 18/981 mit dem Titel „Keine Rekrutie- klarere Positionen als die Grünen!) rung Minderjähriger in die Bundeswehr“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Dazu kann man nur sagen: Das ist ziemlich erbärmlich. Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit dem Damit werden Sie den Herausforderungen, vor denen die gleichen Stimmenverhältnis wie bei der vorangegange- Europäische Union steht, noch nicht einmal in Ansätzen nen Abstimmung angenommen. gerecht. Da hilft auch Ihr ganzes Geschrei nichts. Ihr Ge- 24538 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Dr. Anton Hofreiter (A) schrei bestätigt es, dass Sie erbärmliche Positionen dazu CSU, der triumphierend erklärt, in Europa werde jetzt (C) haben. wieder Deutsch gesprochen, obwohl in der momenta- nen Lage die Verhältnisse in der Europäischen Union so (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schwierig sind. Hören Sie endlich auf, auftrumpfend auf- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) zutreten. Fangen Sie endlich an, unseren europäischen Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Themen und die Partnerinnen und Partnern auf Augenhöhe zu begegnen. Debatten, die anstehen, sind gewaltig. Die begonnenen Brexit-Verhandlungen, die Überwindung der ökonomi- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schen und sozialen Krise in Teilen Europas, die europäi- sowie des Abg. Carsten Schneider [Erfurt] sche Migrationspolitik, der Rückzug der USA vom Pari- [SPD]) ser Klimaabkommen, der Kampf gegen den Terrorismus: Das alles ist von elementarer Bedeutung für die Zukunft Die EU ist in einer Krise. Die Franzosen wählen ei- der EU. Und was tut die Bundesregierung? Sie schweigt, nen überzeugten Europäer zum Präsidenten. Macron hat sie taucht ab, sie ist nicht vorhanden. große Visionen und konkrete Ideen für Europa: gemein- sam mehr investieren, um die Jugendarbeitslosigkeit zu Nehmen wir Griechenland. Jeder weiß, dass es einen senken, ein europäisches Budget, das diesen Namen auch Schuldenschnitt für Griechenland braucht, wenn wir die verdient, und – um das Ganze zu erreichen – einen eu- Leiden der griechischen Bevölkerung und das ökonomi- ropäischen Finanzminister, der es steuert und verwaltet. sche Elend beenden wollen. Was haben wir von Ihnen, von der Bundesregierung dazu (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Das ist wohl gehört? Die Kanzlerin blieb mal wieder wolkig, zögernd war!) und unklar. Jetzt kann man sagen: Das kennt man von ihr, das ist die Art, wie sie sich ausdrückt. – Aber im Aus- Der IWF, den Sie mit dabei haben wollten, fordert ihn land ist das leider mit einigem Recht als Nein verstanden auch. Und was tun Sie? Sie drücken sich, Sie verweigern worden, sich. Und warum? Weil die CDU/CSU, weil die Bun- desregierung zu feige ist, den Bürgerinnen und Bürgern (Max Straubinger [CDU/CSU]: Im Ausland vor der Wahl die Wahrheit zu sagen. Damit muss endlich ist die Kanzlerin anerkannt!) Schluss sein. zumal andere Mitglieder der Union in der üblichen pein- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) lichen Art und Weise sofort anfngen, Macron munter zu Nehmen wir den Brexit. Die Bundesregierung sollte kritisieren. Es wurde ihm in den Mund gelegt, dass er für sich für den Zusammenhalt der EU starkmachen, aber Euro-Bonds geworben hat. Es gab wieder die schönen (B) eben nicht nur mit schönen Worten. Wenn Sie den deut- typischen Aussagen, Herr Macron müsse einmal seine (D) schen Beitrag zum EU-Haushalt anteilig um 8 Prozent Hausaufgaben machen, als wenn er ein Schuljunge wäre. erhöhen würden, dann wäre die fnanzielle Lücke, die So begegnet man seinen Partnerinnen und Partnern auf durch den Brexit entsteht, geschlossen. Aber Ihnen ist europäischer Ebene eben nicht auf Augenhöhe. der Zusammenhalt der Europäischen Union noch nicht einmal 8 Prozent Erhöhung wert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Carsten Schneider [Erfurt] (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) [SPD]) Zum Zusammenhalt gehört eben auch fnanzielle Solida- rität. Europa hat durch die Wahl von Macron vielleicht eine letzte Chance bekommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, am vergangenen Freitag ist Altkanzler Helmut Kohl gestorben. Sie alle wissen: Wir Grünen hatten viel Streit mit Helmut Kohl, Vizepräsidentin Michaela Noll: so viel Streit, dass ich mir – das gebe ich ganz offen zu – Herr Kollege, achten Sie auf die Zeit. früher nie hätte vorstellen können, einmal Teile seiner Politik zu loben. Aber in einem entscheidenden Bereich will ich das heute tun, nämlich Europa. Es war der grü- Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ne Außenminister , der die Europapolitik Macron wirbt vor dem europäischen Gipfel für eine Helmut Kohls fortgesetzt hat, und es ist Helmut Kohls Allianz des Vertrauens, wie sie Mitterrand und Kohl hat- eigene Partei, die hier sitzt und sein Lebenswerk demon- ten. Jetzt muss ein europäischer Aufbruch gelingen, um tiert. Damit müssen Sie endlich aufhören. diesem Kontinent endlich wieder Mut und Zusammen- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) halt zu geben. Es sind Mut und Vision gefragt und nicht Ihr weiteres peinliches Draufdreschen auf die europäi- Statt Kohl’scher Zurückhaltung und Achtung der Inte- schen Partnerinnen und Partner. Reißen Sie sich endlich ressen der kleineren Länder erleben wir seit Jahren Mer- zusammen. Erinnern Sie sich an Ihr europäisches Erbe, kel’sche Ignoranz. und sorgen Sie dafür, dass diese Europäische Union zu- (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Nur sammenhält. noch peinlich!) Vielen Dank. Was das Einbinden der kleineren Länder angeht, erleben wir seit Jahren einen Fraktionsvorsitzenden der CDU/ (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24539

(A) Vizepräsidentin Michaela Noll: Themen, bei denen wir erkennen, dass es einen europäi- (C) Vielen Dank, Herr Kollege Hofreiter. – Das Wort schen Mehrwert gibt. hat nunmehr der Kollege Thorsten Frei für die CDU/ (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Mehr Rüstung CSU-Fraktion. für alle!) (Beifall bei der CDU/CSU) Wir haben Themen, bei denen wir erkennen können, dass es überhaupt keine nationalen Lösungen mehr gibt, son- Thorsten Frei (CDU/CSU): dern dass wir zusammenarbeiten müssen. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Mehr Rüstung Lieber Herr Hofreiter, ich habe überhaupt nicht verstan- für alle? Toller Mehrwert!) den, worüber Sie eigentlich sprechen. Weil Sie ein ganzes Tableau von Themen aufgetischt (Beifall des Abg. Max Straubinger [CDU/ haben, will ich heute nur zu einem sprechen. Es ist ein CSU] – Sven-Christian Kindler [BÜND- Thema, von dem ich glaube, dass wir es nur gemeinsam NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das ist leider das angehen können. Das ist die Bewältigung der Migra- Problem bei der Union, dass sie nicht versteht, tions- und Fluchtherausforderungen. Ich glaube, wir was es bedeutet!) brauchen mehr europäische Zusammenarbeit. Wir müs- sen schauen, wie wir die Dinge hinbekommen; denn sie Ich habe es wirklich nicht verstanden; denn die Themen, laufen derzeit nicht so, wie sie laufen sollen. die europapolitisch wichtig sind, diskutieren wir jede Woche hier im Parlament und in den Ausschüssen. Ich will ausdrücklich sagen – ich habe das gestern auch dem Staatsminister gesagt –: Ich halte es für rich- (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE tig, dass man vor dem Rat ein Stück weit die Themen GRÜNEN]: Ich glaube Ihnen, dass Sie das abgrenzt, von denen man weiß, dass man keine schnel- nicht verstanden haben! Das ist Teil des Pro- le und einvernehmliche Lösung fnden wird – wie etwa blems! Es ist Teil des zentralen Problems, dass den gemeinsamen Verteilmechanismus in Europa –, sie Sie das nicht verstehen!) eher etwas zurückstellt und zunächst die Themen heraus- greift, bei denen man tatsächlich Lösungen fnden kann. Die Positionierungen, die die CDU/CSU-Fraktion vorge- Denn die Nutzung des Momentums, von dem ich vorhin nommen hat, sind klar proeuropäisch, weil gesprochen habe, setzt eben auch voraus, dass wir nicht (Beifall bei der CDU/CSU) einzelne Länder in Europa ausgrenzen, sondern gemein- sam die Herausforderungen der Zukunft angehen und (B) wir glauben, dass wir in Europa gemeinsam bessere Er- bewältigen. Ich halte es also für wichtig, hier nicht das (D) gebnisse erreichen als alleine. Trennende herauszustellen, sondern, ganz im Gegensatz, das Gemeinsame. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schön wäre es!) (Beifall bei der CDU/CSU) Das ist der entscheidende Punkt. Ja, das letzte Jahr Wenn wir die Migrationsherausforderungen bewäl- war ein schwieriges Jahr. Wir stehen auch vor Krisen tigen möchten, dann reicht es nicht, den Blick auf das und Herausforderungen. Sie haben den Brexit angespro- Heute und Jetzt zu werfen, auf den Bürgerkrieg in Syrien, chen. Zur Wahrheit gehört dazu, dass es die Bundesre- einem relativ kleinen Land mit gut 20 Millionen Einwoh- gierung durch ihre Arbeit auch ermöglicht hat, dass die nern, oder auf die zweitgrößte Flüchtlingsgruppe, die aus Brexit-Verhandlungen erstens gut angelaufen sind und Afghanistan, einem ebenfalls relativ kleinen Land mit dass wir zweitens die Situation 27 : 1 haben, also Ge- gut 30 Millionen Einwohnern. Die Herausforderungen schlossenheit in Europa. Das ist der effektive Beitrag der der Zukunft werden auf dem afrikanischen Kontinent lie- Bundesregierung. So zu tun, als würde sich die Union gen. Er hat derzeit 1,2 Milliarden Einwohner, zur Mitte oder die Regierung in die Büsche schlagen, ist einfach des Jahrhunderts werden es 2,5 Milliarden, zum Ende des erbärmlich, um ihre Wortwahl zu wählen, lieber Herr Jahrhunderts 4 Milliarden sein. Insofern müssen wir uns Kollege Hofreiter. darüber im Klaren sein, wie wir diese Herausforderung bewältigen können. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn wir die Offenheit, denen zu helfen, die unse- Vielleicht ist es einfach die Wirklichkeit!) re Unterstützung wirklich benötigen, erhalten möchten, dann setzt dies voraus, dass wir unsere Grenzen kontrol- Ich glaube umgekehrt: Aufgrund der Geschichte der lieren und sicherstellen, dass diejenigen, die unberechtigt Europäischen Union kann man feststellen, dass sie sich in Europa sind, tatsächlich in ihre Herkunftsländer zu- in den Krisen und aus den Krisen heraus entwickelt hat. rückgeführt werden; Sie hat es üblicherweise geschafft, aus den Krisen besser (Beifall bei der CDU/CSU) herauszukommen, als sie hineingegangen ist. Wenn man sich die Situation ehrlich anschaut, dann ist es doch ein es bedeutet, dass wir Fluchtursachen bekämpfen müssen, Zerrbild, nur von Problemen zu sprechen und die Chan- dass wir besser werden müssen, als wir es beispielsweise cen zu übersehen. Sehen Sie nicht, dass es auch ein po- im Falle der Nigerianer sind. Dazu hat die Europäische sitives Momentum gibt? Ich nenne einmal die Gemein- Stabilitätsinitiative aktuelle Zahlen veröffentlicht. Die same Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Wir haben Nigerianer bilden eine der größten Gruppen der Flücht- 24540 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Thorsten Frei (A) linge aus Westafrika. Letztes Jahr sind 19 000 Nigerianer Deutlicher kann man nicht zeigen, dass sich die Bun- (C) nach Europa gekommen. 520 sind als Flüchtlinge aner- deskanzlerin als Lobbyistin der Wirtschaft und Industrie kannt worden, 4 200 haben subsidiären Schutz bekom- versteht, wenn sie nicht hier dem Parlament Rede und men. Tatsächlich sind von den 14 000, die dann unbe- Antwort stehen will. rechtigt in Europa waren, 120 abgeschoben worden. Das funktioniert so nicht. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wir müssen deshalb schauen, dass wir den Außen- Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie grenzschutz hinbekommen, wir müssen schauen, dass hat hier mehr über Europa geredet als Sie!) wir das gemeinsam und europäisch machen. Wir müssen Warum will man es wohl nicht? Man müsste dann hier aber genauso schauen, dass diejenigen, die nicht bleibe- vielleicht mal vor der Bundestagswahl die Tatsachen auf berechtigt sind und keine Bleibeperspektive haben, nach den Tisch legen, zum Beispiel hinsichtlich der Griechen- Möglichkeit gar nicht nach Europa kommen, dass wir land-Rettung. Was haben Sie denn vor zwei Jahren be- andere Möglichkeiten fnden, beispielsweise in Nordafri- schlossen? Sie haben doch beschlossen: Ohne IWF-Be- ka, beispielsweise durch eine gemeinsame Anstrengung teiligung gibt es nichts. – Und was ist jetzt? Man kann es an der Grenze zwischen Niger und Libyen. Wir müssen doch fast nicht mehr verheimlichen, dass der IWF ausge- uns darüber Gedanken machen, wie wir die Probleme an stiegen ist und sich nicht mehr beteiligt. der Wurzel packen, wenn wir doch konstatieren müssen, dass wir die Auswirkungen am Ende kaum mehr im Griff (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Wo haben. steht denn das?) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Anstatt zu sagen: „Jawohl, wir haben den Bundestags- beschluss gebrochen, der IWF macht nicht mehr mit“, Es ist genug zu tun. Ich glaube, die Herausforderungen macht man vor der Bundestagswahl gar nichts. sind riesig. Aber gemeinsam werden wir das schaffen. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das Herzlichen Dank. stimmt doch gar nicht!) (Beifall bei der CDU/CSU) Die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes werden se- hen, dass man nach der Bundestagswahl sehr schnell sa- Vizepräsidentin Michaela Noll: gen muss: Der IWF ist nicht mehr dabei. – Wir sagen Herzlichen Dank, Herr Kollege Frei. – Als Nächster ganz deutlich: Sie wollen der deutschen Bevölkerung hat der Kollege Alexander Ulrich für die Fraktion Die nicht die Wahrheit sagen. (B) Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) (D) (Beifall bei der LINKEN) Wir, die Bundestagsfraktion Die Linke, haben immer gesagt, dass die Griechenland-Rettung ein fatales Signal Alexander Ulrich (DIE LINKE): ist. Die sogenannte Griechenland-Rettung war ja keine Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Rettung der Griechen, sondern eine Rettung des Geldes Die EU ist in der tiefsten Krise ihrer Geschichte. Ich der Finanzwirtschaft, auch deutscher und französischer glaube, das kann man nicht mehr verleugnen. Der Brexit Banken. Die griechische Bevölkerung hat von diesem war ein Ausdruck dessen. Wenn auch der neue französi- Milliardenregen nichts bekommen. Vielmehr folgte ein sche Präsident heute in einem Interview sagt, er verstehe Sozialabbau auf den nächsten, und dort, wo noch etwas die Angst, dass Europa zerfällt, ist das ein weiterer Beleg zu verdienen war, hat man die Griechen gezwungen, zu dafür, in welch schlimmer Situation die EU ist. privatisieren, zum Beispiel auch Flughäfen, Stichwort: Fraport. Diese Griechenland-Rettung ist gescheitert, und Anstatt hier im Parlament eine Debatte darüber zu das müssen Sie auch so benennen. Es braucht unbedingt führen, mit welcher Position die Bundesregierung in den einen Schuldenschnitt. Wir brauchen eine Schuldenkon- nächsten Rat geht, verweigert sich die Bundesregierung ferenz in Europa, um diese Probleme politisch zu lösen. Angela Merkel dieser Diskussion. Wir als Linke fordern Sie auf, dafür europäisch zu wer- (Max Straubinger [CDU/CSU]: Sie weigert ben. sich überhaupt nicht! Sie hat im Ausschuss (Beifall bei der LINKEN) informiert!) Zur Frankreich-Wahl. Interessant ist ja, dass die Deshalb ist die Aktuelle Stunde dringend notwendig. Kanzlerin und der SPD-Kanzlerkandidat sich fast schon (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- drängeln, wenn es darum geht: Wer ist der Partner von NIS 90/DIE GRÜNEN) Macron? Ich möchte daran erinnern: Ihre Partnerparteien haben bei der französischen Wahl drastische Niederlagen Es ist schon ein symbolhaftes Zeichen, dass die Bundes- eingefahren. Macron gehört weder den Sozialdemokra- kanzlerin sehr wohl vorgestern beim BDI über Europa ten noch der Union. Ihre Partnerparteien sind grandios geredet hat, aber es hier im Bundestag zwei Tage später abgewählt worden. nicht tun will. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – (Max Straubinger [CDU/CSU]: Hier redet sie Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Das ist wohl immer, aber nicht, wenn Sie reden wollen!) wahr!) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24541

Alexander Ulrich (A) Wenn jetzt aus Ihren beiden Parteien der Hinweis kommt, Deswegen müssen die riesigen Außenhandelsüberschüs- (C) Macron sollte jetzt mal schnell reformieren, dann sagen se endlich abgebaut werden. wir als Linke ganz deutlich: Frankreich braucht alles, aber keine französische Agenda 2010. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Ein französischer Präsident, der gerade einmal 20 Pro- zent tatsächliche Zustimmung in der eigenen Bevölke- Vizepräsidentin Michaela Noll: rung hat, sollte sich gut überlegen, was er macht. Wir Vielen Dank, Herr Kollege. – Als Nächste hat das Wort als Linke sind eindeutig auf der Seite der französischen die Kollegin Angelika Glöckner für die SPD-Fraktion. Gewerkschaften und der Arbeitnehmerinnen und Arbeit- nehmer, die deutlich machen: Dann sehen wir uns auf (Beifall bei der SPD) der Straße wieder. – Widerstand ist angesagt gegen eine Agenda 2010 in Frankreich. Angelika Glöckner (SPD): (Beifall bei der LINKEN) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße es, dass wir heute hier über Eu- Dass die Sozialdemokratie diese Politik auch noch gut ropa reden und wir uns mit diesem aus meiner Sicht so fndet, ist nicht nachzuvollziehen. Eigentlich sollte sich wichtigen Thema befassen. Wir alle wissen: Noch immer die Sozialdemokratie an der Frage orientieren: Warum ist in der EU vieles nicht so, wie wir es uns wünschen. hat Corbyn in England so gut abgeschnitten? Corbyn hat mit einem progressiven linken Programm 40 Prozent er- Ich danke an dieser Stelle Staatsminister Roth, der uns zielt; davon können Sie mit Ihrer Agenda-2010-Politik in gestern im Europaausschuss über die Themen, die heu- Deutschland nur träumen. te im Europäischen Rat anstehen, informiert hat. Vielen Wie Sie zu Corbyn und seinen Inhalten stehen, das Dank für die umfassenden und wie immer kompetenten kann man heute noch auf der Internetseite der SPD-Bun- Informationen. destagsfraktion nachlesen. Ich teile die Auffassung einiger meiner Vorredner und (Zuruf von der LINKEN: Hört! Hört!) drücke mein Bedauern darüber aus, dass die Bundes- kanzlerin heute nicht hier spricht, um uns ihre Positio- In einem Interview mit der Welt wird Herr Oppermann nen zu verdeutlichen. Ich glaube, das wäre ein wertvoller gefragt, wie er zu Corbyn, zur EU, zur Innenpolitik in Beitrag gewesen, um der oft bemängelten Intransparenz (B) Großbritannien und zu Labour steht. europäischer Politik ein Stück entgegenzuwirken. (D) sagt – ich zitiere –: (Beifall bei Abgeordneten der SPD und Jeremy Corbyn hat die einst bedeutende Labour des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE Party kampfunfähig gemacht. … Nach dem Brexit LINKE]) ist die Partei zerrissen. Corbyn lehnt ein Plädoyer für Europa ab. Labour ist deshalb völlig orientie- Europa ist und bleibt ein wichtiges Gebilde; denn rungslos und wird bei der Wahl voraussichtlich eine nirgendwo auf der Welt – das möchte ich auch betonen, katastrophale Niederlage erleiden. Corbyn ist ein Herr Ulrich – leben Menschen so frei, so friedlich und so Alt-Linker, der ähnlich wie Wagenknecht Europa demokratisch wie in dieser EU. als eine Festung des Kapitalismus betrachtet. Er ist deshalb unfähig, die positiven Werte Europas – (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Frieden, Demokratie, Wohlstand, Reisefreiheit – der CDU/CSU) angemessen zu würdigen. Ich kenne viele wirklich In einer Zeit, in der andere Regionen in der Welt wachsen gute Akteure bei Labour. Aber wenn ich mir Labour und immer mehr an Bedeutung gewinnen, wie etwa in heute ansehe, leide ich wie ein Hund. Asien oder Lateinamerika, ist es wichtig, auch künftig Wenn ein SPD-Fraktionsvorsitzender bei 40 Prozent für gehört zu werden. Die Menschen hier in Europa müssen Labour leidet wie ein Hund, dann ist klar, für welche Po- deswegen künftig geschlossen mit einer starken Stimme litik die SPD steht. sprechen. Dies wird nur dann gelingen, wenn die EU zu- sammenhält und sich die Mitgliedstaaten nicht auseinan- (Norbert Spinrath [SPD]: Bekennt ihr euch derdividieren lassen. doch mal zu Europa!) Wir wissen aber: Die Wirtschafts- und Finanzkrise, die Sie sollten sich an Corbyn ein Beispiel nehmen und Ihre europäische Uneinigkeit während der Flüchtlingswelle unsoziale Politik beenden. und zuletzt der Brexit haben das Vertrauen der Menschen (Beifall bei der LINKEN) in die EU erschüttert und gefährden den Zusammenhalt der EU. In vielen Gesprächen erzählen mir die Menschen Wir in Europa brauchen dringend mehr Investitionen. immer wieder, dass sie in erster Linie von der EU erwar- Deutschland ist nicht Lösung des Problems, sondern Teil ten, dass es ihnen wirtschaftlich gut geht und dass sie des Problems. Die riesigen Außenhandelsüberschüsse hinreichend sozial abgesichert sind. Dafür braucht es auf sind ein riesiges Problem für die Euro-Zone. Das sagt der jeden Fall eine gute nationale Sozialpolitik der einzelnen neue französische Präsident, nicht nur Trump und andere. Mitgliedsländer in der EU. 24542 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Angelika Glöckner (A) Wir von der SPD-Fraktion, Herr Ulrich, haben in der genutzt werden, um Sozialdumping zu betreiben. Sozi- (C) laufenden Periode vieles auf den Weg gebracht. Ich wür- aldumping, liebe Anwesende, ist ein Spaltpilz, deshalb de mir wünschen, dass Sie das einfach einmal realisieren. muss es unterbunden werden. Es bedarf der Umsetzung des Prinzips: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am glei- (Beifall bei der SPD – Alexander Ulrich [DIE chen Ort. LINKE]: Was denn? Das glauben Sie doch wohl selber nicht!) Was wir aber insgesamt gesehen auf den Weg bringen Wir haben beispielsweise den Unterhalt für Alleiner- müssen, ist, dass wir Anreize schaffen für weitere Inves- ziehende auf den Weg gebracht. Wir haben geholfen, titionen vor allem in arbeitsplatzschaffende Infrastruktur- fnanzschwache Kommunen zu stärken. Wir haben die projekte. Es muss gelingen, dass wieder mehr Menschen Einführung des gesetzlichen Mindestlohnes auf den Weg vor allem auch in den wirtschaftlich schwächeren Län- gebracht und damit gerade für die unteren Lohnbereiche dern Europas erwerbstätig werden, dass sie mehr Geld in das Lohnniveau erheblich angehoben. der Tasche haben, damit konsumieren können, sodass so die Konjunktur endlich wieder anspringen kann. (Andrej Hunko [DIE LINKE]: Was hat das denn mit Europa zu tun?) Vizepräsidentin Michaela Noll: Erkennen Sie das an, und blenden Sie diese Wirklichkeit Frau Kollegin. nicht immer aus! Diese Errungenschaften wollen wir auch nach der Bundestagswahl ausbauen, verfestigen und verbessern. Angelika Glöckner (SPD): (Beifall bei der SPD – Dr. André Hahn [DIE Wir müssen auch – meine letzte Bemerkung – dafür LINKE]: Mit wem? Mit denen da drüben?) sorgen, dass wir insgesamt höhere soziale Standards haben. Wir müssen wichtige Standortvorteile hier in Wir wissen aber auch – das dürfen wir nicht ausblen- Europa schaffen, und deswegen bin ich Andrea Nahles den –: Leider sieht die Realität in anderen Staaten der sehr dankbar dafür, dass sie versucht, eine europäische EU anders aus. Auch wenn sich Europa insgesamt ge- Grundsicherung voranzubringen. Ich kann nur sagen: sehen langsam erholt, gibt es nach wie vor erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedsländern. Anstatt dafür zu sorgen, dass sich soziale Standards für Vizepräsidentin Michaela Noll: die Menschen spürbar verbessern, werden vor allem in Das war ein schöner Schlusssatz. den ärmeren Mitgliedstaaten weitere Einschnitte vorge- nommen. Desolate Haushalte sollen durch konsequente Angelika Glöckner (SPD): (B) Sparvorgaben im Rahmen des Fiskalpakts aufgebessert (D) werden. Das führt zu weiteren sozialen und fnanziellen Ich bin sofort fertig. – Der Proeuropäer Macron hat Einschnitten bei den Menschen. Aber genau das wiede- eine neue Chance erhalten. Diese gilt es zu nutzen, und rum – das wissen wir auch – bremst den Konsum und ver- ich wünsche mir für Europa, dass wir vieles auf den hindert, dass die Konjunktur anspringt. Dies zeigt einmal Weg bringen werden. Die SPD hat viele gute Vorschläge mehr: Das Spargebot alleine führt in eine Wachstumsfal- gemacht. Wir werden sie am Wochenende bei unserem le. Ohne eine verstärkte unterstützende und solidarische Bundesparteitag vertiefen und werden weiterhin Verant- Rolle Europas werden die gebeutelten Mitgliedstaaten da wortung für ein sozialeres Europa übernehmen. nicht mehr herauskommen. Deswegen muss ganz oben Vielen Dank. auf unserer europäischen Agenda mit Blick auf die Zu- kunft eine sozialere Europapolitik stehen. (Beifall bei der SPD) Vor allem muss ganz oben auf der Agenda die Be- kämpfung der Jugendarbeitslosigkeit stehen. Die Ju- Vizepräsidentin Michaela Noll: gendarbeitslosigkeit ist nach wie vor mit 40 Prozent in Als Nächster hat das Wort der Kollege Carsten Körber einigen EU-Ländern erschreckend hoch. Die Jugendga- für die CDU/CSU-Fraktion. rantie, die hilft, junge Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren, muss weiterhin fnanziert werden und, wenn (Beifall bei der CDU/CSU) nötig, nachgebessert werden. Vor allem aber muss die Bildung in staatlicher Hand bleiben. Übertriebene Spar- (CDU/CSU): anforderungen anderer europäischer Mitgliedstaaten dür- Carsten Körber fen nicht dazu führen, dass Bildung vom Geldbeutel der Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Eltern abhängig wird. Bildung in der EU muss für alle Damen und Herren! Morgen ist es genau ein Jahr her, dass zugänglich sein und zugänglich bleiben. die Briten für den Brexit gestimmt haben. Mit dem Nein zu Europa kehrt Großbritannien einem Staatenbündnis Die Regelungen zur Entsendung von Arbeitnehmern den Rücken, das das erfolgreichste und das friedlichste müssen überarbeitet werden. Die Zahl der entsandten Ar- der Geschichte ist. Mit der Entscheidung zum Brexit hat beitnehmer steigt stetig an. Dabei kommt es besonders Großbritannien nach meiner festen Überzeugung den fal- in einigen Branchen zu gravierenden Problemen bei der schen Weg eingeschlagen. Einhaltung von Lohn- und Arbeitsstandards. Freizügig- keit darf eben nicht zur Ausbeutung und zu schlechten Wenn Sie mich Anfang des Jahres gefragt hätten, wie Arbeitsbedingungen führen und darf erst recht nicht dazu es wohl 2017 mit der EU weitergeht, dann wäre ich mir Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24543

Carsten Körber (A) der Antwort nicht so sicher gewesen. Doch dann kamen an uns, unseren Teil zu tun und zu zeigen, dass wir eben (C) Trump, Erdogan und Putin, in Europa der zuverlässige Partner sind. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Putin war Europa ist unsere Zukunft. Europa ist unser Schick- schon da!) sal. und man hat festgestellt, dass die Idee eines gemeinsa- Ohne diese feste Überzeugung unseres jüngst verstorbe- men Europas vielleicht doch nicht so schlecht ist. Ich bin nen Altkanzlers Helmut Kohl würde ich als in der DDR sehr dankbar, dass auch die Franzosen sich zum richtigen Geborener heute nicht in diesem Hohen Hause unseres Zeitpunkt daran erinnert haben. wiedervereinigten Vaterlandes sprechen können. Die Idee der europäischen Einigung ist so aktuell und (Zurufe von der LINKEN: Oh! – Gegenruf so wichtig wie nie zuvor. Auch deshalb stimmt es mich von der CDU/CSU: Das war ja wohl peinlich!) zuversichtlich, dass die Zustimmung der Menschen zu Die deutsche Einheit und die europäische Einigung wa- Europa in jüngster Zeit spürbar gestiegen ist. Gestiegen ren für Kohl immer zwei Seiten derselben Medaille. Die ist auch die Einsicht in die Notwendigkeit einer engen Worte Kohls sind für mich Mahnung und Auftrag zu- und guten Zusammenarbeit der europäischen Staaten. gleich. Nehmen wir sie als Auftrag und Richtschnur un- Gute Politik braucht gute Argumente, einen klaren Kopf seres Handelns! Lassen Sie uns gemeinsam daran arbei- und Besonnenheit, und genau das zeigt, meine sehr ge- ten, sein Werk, die Einheit unseres Vaterlandes, aber vor ehrten Damen und Herren, die Europapolitik unserer allem die Einheit Europas, voranzutreiben und weiter zu Bundesregierung. vertiefen, und zwar in seinem Sinne: in Frieden, Freiheit Aber was heißt das konkret? Schauen wir einmal nach und Wohlstand. Portugal. Die portugiesische Regierung will einen Teil Vielen Dank. ihrer IWF-Kredite vorzeitig zurückzahlen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Andrej Hunko [DIE LINKE]: Eine linke Regierung!) Vizepräsidentin Michaela Noll: Das Land kann sie zurückzahlen, weil es eben die not- Vielen Dank, Herr Kollege Körber. – Als Nächstes wendigen Reformen erfolgreich umgesetzt hat, und so spricht für die Fraktion Die Linke Andrej Hunko. kann Portugal heute auf dem Kapitalmarkt günstigere (Beifall bei der LINKEN) Kredite als beim IWF bekommen und somit Hunderte Millionen Euro sparen. (B) Andrej Hunko (DIE LINKE): (D) Auch Griechenland hat nun endlich diesen erfolgrei- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese chen Reformkurs eingeschlagen. Es hat seine Hausauf- Aktuelle Stunde zur Europapolitik der Bundesregierung gaben gemacht und sich im letzten Jahr deutlich besser ist notwendig geworden, weil die Kanzlerin sich weigert, entwickelt als zuvor noch prognostiziert. Allein von den hier vor Beginn des Europäischen Rats zu reden 140 vereinbarten wirtschaftspolitischen Maßnahmen hat Griechenland 136 umgesetzt, und die restlichen vier fol- ( [CDU/CSU]: Das ist gen demnächst. Damit sind nun die Vorbedingungen er- doch absurd!) füllt, um im Rahmen des ESM-Anpassungsprogramms – so ist es –, um zu verdecken, dass der IWF bei der Ver- die Tranche von 8,5 Milliarden Euro auszuzahlen. einbarung mit Griechenland nicht, wie versprochen, mit Das dritte Griechenland-Hilfspaket hat ein Gesamt- an Bord geholt wurde, volumen von 86 Milliarden Euro. Davon sind dann gut (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das 40 Milliarden Euro ausgezahlt; das heißt inklusive der stimmt nicht!) 8,5 Milliarden Euro. Das sind circa 47 Prozent des Ge- samtvolumens. weil der IWF einen Schuldenschnitt fordert. Den gibt es nicht. Dieser Schuldenschnitt ist aber notwendig. Wir befnden uns aktuell im zweiten von drei Pro- grammjahren. Es ist derzeit nicht zu erwarten, dass zum (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Ende der Programmlaufzeit diese 86 Milliarden Euro neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) vollständig ausgeschöpft werden. Auch diese Debatte ist notwendig, und es ist ein Skandal, (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Deswegen dass die Bundeskanzlerin und die Bundesregierung hier brauchen wir den IWF auch nicht mehr!) nicht angemessen vertreten sind. (Beifall bei der LINKEN – Diese Gesamtsumme von 86 Milliarden Euro ist aber [CDU/CSU]: Ein Zeichen, dass Sie keine Ah- bei der Berechnung der Schuldentragfähigkeit Griechen- nung haben!) lands in vollem Umfang berücksichtigt. Das bedeutet: Wenn diese 86 Milliarden Euro eben nicht ausgeschöpft Wir haben viele ganz wichtige Themen zu besprechen. werden, dann verbessert sich auch die Schuldentragfä- Ein ganz wichtiges Thema ist gerade schon von Herrn higkeit Griechenlands, und das bedeutet wiederum, dass Körber angesprochen worden: der Brexit. Wir müssen Griechenland die Chance hat, schneller wieder auf die darüber reden, wie die Brexit-Verhandlungen laufen und Beine zu kommen, als von uns angenommen. Jetzt ist es was der Brexit für die Menschen in Großbritannien und 24544 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Andrej Hunko (A) in Europa bedeutet, die hier bzw. dort leben. Herr Körber, nordöstlich haben wir den Klimakiller Nummer eins, (C) ich will Ihnen sagen: Großbritannien bleibt Teil Europas. einen riesigen Braunkohleabbau von RWE. 50, 60 Kilo- Diese Insel wird nicht verschwinden, sie wird europäisch meter nordwestlich, in den Niederlanden, gibt es hoch- bleiben. moderne Gaskraftwerke, die stillgelegt worden sind, und das, obwohl Gas noch am ehesten eine Brückentechnolo- Wir brauchen Verhandlungen, die am Ende zu einem gie wäre. Hier gibt es überhaupt keine transnationale Ko- guten Ergebnis für die Menschen in Großbritannien und operation. Aber hier würde ich sie zum Beispiel für sinn- in der EU führen. Dazu gehören auch Regelungen für die voll halten. Leider ist die Politik der Bundesregierung 3 Millionen EU-Ausländer in Großbritannien und für die nicht darauf ausgerichtet. Wir brauchen eine europäische Briten, die in der EU leben. Ich sage ganz deutlich: Wenn Kooperation – keine Frage –, aber kein militarisiertes Eu- man mit Drohszenarien arbeitet, wie das im Augenblick ropa als Block gegenüber anderen Regionen in der Welt. auf beiden Seiten der Fall ist, wird es nicht oder nur sehr schwer möglich sein, diese Regelungen zu vereinbaren; Vielen Dank. denn dann wird das für beide Seiten zum Verhandlungs- (Beifall bei der LINKEN) gegenstand. Auf britischer Seite fndet das bereits statt: Die 3 Millionen EU-Ausländer in Großbritannien wer- den drangsaliert, bekommen 86-seitige Vorlagen zum Vizepräsidentin Michaela Noll: Bleiberecht usw. Das darf nicht sein. Vielen Dank, Herr Kollege. – Jetzt hat Carsten Schneider für die SPD-Fraktion das Wort. Ich bin sehr (Beifall bei der LINKEN) zuversichtlich, dass der erfahrene Kollege von der Wir brauchen faire Verhandlungen. Wir brauchen keine SPD-Fraktion weiß, dass jeder Redner in einer Aktuellen Drohszenarien. Wir brauchen vor allen Dingen Regelun- Stunde fünf Minuten hat. gen für die Menschen hier und dort. (Beifall bei der SPD) Die Situation in Großbritannien ist nach der Wahl sehr offen. Es gibt keine feste, klare Regierung. Theresa May Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): hat die Wahlen verloren, sie hat keine Mehrheit mehr. Sie Vielen Dank, Frau Präsidentin, für den Hinweis; ich versucht jetzt, die sehr fragwürdige nordirische DUP in habe das im Blick. die Regierung einzubinden. Wir wissen nicht, wie sich die Situation in Großbritannien entwickeln wird. Nach Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Debatte den Wahlen liegt Labour in allen Umfragen vorne. Herr über die Europapolitik zeigt durchaus auch Unterschiede Ulrich hat eben schon darauf hingewiesen, dass es ein zwischen den Parteien. Zwar geht es im Titel der von der Fraktion Die Grünen beantragten Aktuellen Stunde um (B) Phänomen ist, dass die Sozialdemokraten in Großbritan- (D) nien – also Labour – unter einem linken Vorsitzenden so die Haltung der Bundesregierung. Ich spreche aber für stark sind wie nirgendwo sonst in Europa. Herzlichen die SPD-Fraktion und will sagen: Es gibt angesichts der Glückwunsch an Jeremy Corbyn zu diesem Ergebnis. Herausforderungen, die wir in Europa haben, keine wich- tigere Hausaufgabe für die nächste Bundesregierung und (Beifall bei der LINKEN) den nächsten Bundestag, als Europa zusammenzuhalten, Die Situation in Großbritannien ist sehr fragil. Wir es fortschrittlich zu gestalten und es demokratisch und brauchen hier keine Drohszenarien und keinen Zeit- wirtschaftlich stärker zu machen; das ist gar keine Frage. druck, sondern faire Verhandlungen über den Brexit, in (Beifall bei der SPD) denen auch der künftige Status verhandelt wird. Alles andere fände ich abenteuerlich. Wir hätten hier und heute auch leicht eine andere De- batte führen können, nämlich dann, wenn die Wahlen in Lassen Sie mich zu den Reaktionen auf den Brexit Österreich, in den Niederlanden und in Frankreich an- und die Trump-Wahl noch ein paar Worte sagen. Es wird ders ausgegangen wären. In allen drei Ländern wurde viel darüber geredet, dass man die EU jetzt durch eine uns prophezeit bzw. bestand die Möglichkeit, dass sehr stärkere Militarisierung zusammenhalten müsse. Ein rechte und sogar rechtsextremistische Parteien die Mehr- EU-Hauptquartier wird eingerichtet, in den europäischen heit bekommen oder sogar den Präsidenten stellen. All Staaten soll aufgerüstet werden, EU-Entwicklungsgelder das ist an uns vorbeigegangen, aber es war möglich. Das sollen in Gelder zur militärischen Unterstützung umge- hätte unsere nationale Politik natürlich in enormem Maße widmet werden, zum Beispiel in Afrika. beeinfusst. Das heißt, Europapolitik ist im Kern Bundes- Wir halten das alles für völlig falsch. tagspolitik, und Bundestagspolitik ist auch das, was wir in Europa tun. (Beifall bei der LINKEN) Ich fnde, wir sollten das, was der Kollege Hofreiter Das ist nicht der Weg, wie man die EU zusammenhalten angesprochen hat, sehr ernst nehmen und nicht immer kann. mit dem Finger auf andere Parlamente und Nationen zei- gen. Das sage ich sowohl mit Blick auf die CDU/CSU als Was wir brauchen, ist mehr Kooperation. Ich will Ih- auch mit Blick auf die Linken. Ich fange mit den Linken nen ein Beispiel nennen, das zeigt, wo die Kooperation an. fehlt. Ich komme aus Aachen. 50 Kilometer westlich von Aachen, in Tihange, haben wir einen Schrottreaktor, Herr Ulrich – ich sehe ihn gerade nicht – hat darauf ein marodes Atomkraftwerk, und es gibt keine europäi- hingewiesen, was der Präsident in Frankreich angekün- schen Instrumente, um damit umzugehen. 30 Kilometer digt hat – die Arbeitsmarktreform etc. –, und gesagt, wie Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24545

Carsten Schneider (Erfurt) (A) furchtbar das alles sei und dass er das auf gar keinen Fall bröck­chenweise, sondern in einem Schritt. Das würde die (C) umsetzen dürfe. Ich denke, wir können sehr froh sein, Kaufkraft sofort stärken. dass Herr Macron Präsident geworden ist. Als er gewählt wurde, fel, glaube ich, uns allen ein Stein vom Herzen, (Beifall bei der SPD) dass es nicht Marine Le Pen geworden ist. Sie hätte näm- lich Frankreich aus der EU geführt. Wir dürfen die einmalige Chance nicht verspielen, das, was viele Staatsmänner in Deutschland, Frankreich (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ und ganz Europa aufgebaut haben – auch Helmut Kohl; DIE GRÜNEN) das sage ich hier ganz ausdrücklich –, weiterzuentwi- ckeln. Dafür sind die nächsten fünf Jahre entscheidend. Die erste Reaktion namhafter Kollegen vonseiten der Ich fnde, die Bevölkerung hat das Recht, zu erfahren, Union war, darauf hinzuweisen, was alles nicht geht, dass was welche Partei will. Ich warte noch auf die Vorschläge er Euro-Bonds wolle etc. Das alles ist Blödsinn. Das hat der Union, weil ich von ihr heute noch nichts Konkretes Herr Macron nie gefordert. Im Gegenteil: Im Jahre 2015 gehört habe. hat er in einem Aufsatz mit dem damaligen Wirtschafts- minister sehr deutlich gemacht, dass wir Vielen Dank. eine reformierte Europäische Union bzw. Euro-Zone brauchen, insbesondere im Bereich der Wirtschaftspo- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Kerstin litik und der Finanzpolitik, eine gemeinsame Verschul- Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) dung aber nicht sinnvoll sei. Das ist nicht das Thema. Ich fnde, das Willkommenssignal, das da vonseiten der Union gekommen ist, war absolut nicht in Ordnung. Es Vizepräsidentin Michaela Noll: entsprach eher dem, was der Kollege Hofreiter – ich will Vielen Dank, Herr Kollege. Meine Einschätzung war ihn jetzt nicht zitieren – hier deutlich gemacht hat. richtig. – Als Nächster hat Sven-Christian Kindler für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Zu den Vorwürfen der Linkspartei will ich sagen: Herr NEN): Macron hat vor der Wahl sehr klar gesagt, was er tun will, und er hat ein sehr, sehr eindeutiges Mandat bekommen. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Man könnte fast meinen, er hat sogar ein zu starkes Man- Kollegen! Nächste Woche soll der Haushaltsausschuss dat, wenn man sich die Sitzverteilung in der National- eine Tranchenzahlung an Griechenland freigeben. Wir Grüne begrüßen das, wir halten das für notwendig, weil (B) versammlung ansieht. Aber das ist eine urfranzösische (D) Angelegenheit. Die Franzosen haben gewählt, wir haben wir im Gegensatz zur Bundesregierung hier im Bundes- das zu respektieren, und sie werden ihre Probleme lösen. tag immer deutlich gemacht haben, dass Griechenland im Was wir tun können, ist, dass wir unseren gemeinsamen Euro bleiben soll. Wirtschafts- und Währungsraum – das ist der Punkt – für die Zukunft stärken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Als meine Kollegin Glöckner vorhin den Mindestlohn Die Unionsfraktion hat aber ein großes Problem da- angesprochen hat, kam der Zuruf: Was hat das mit Euro- mit. Wolfgang Schäuble hat ihr hoch und heilig verspro- pa zu tun? Ich sage Ihnen: sehr viel. Der Leistungsbilanz- chen, dass sich der IWF am dritten Programm beteiligen überschuss, den wir in Deutschland haben – der Kollege wird. Gleichzeitig hat er alles dafür getan, dass sich der von der Linkspartei hat ihn bereits angesprochen –, ist IWF jetzt de facto nicht beteiligen wird. Der IWF hat im- nämlich in der Tat ein Problem. Es wäre kein Problem, mer klargemacht, dass es ohne Schuldenerleichterungen wenn er einmal auftauchen würde; aber er taucht jetzt keine fnanzielle Beteiligung des IWFs gibt; trotzdem das x-te Mal in Folge auf. Wir haben gegenwärtig einen hat Wolfgang Schäuble alle Schuldenerleichterungen Überschuss von 9 Prozent. Es kommt also dazu, dass in- blockiert. Wir sagen: Das war ein großer Fehler. Grie- nerhalb der EU – aber auch weltweit – Schulden aufge- chenland braucht Klarheit in Bezug auf Schuldenerleich- baut werden, während wir Überschüsse haben. terungen. (Andrej Hunko [DIE LINKE]: Ja, so ist es!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Andrej Hunko [DIE LINKE]) Wir brauchen eine Abstimmung der Wirtschaftspoli- tik in den nationalen Parlamenten der einzelnen Länder. Jetzt soll sich der IWF alibimäßig an der Seitenlinie be- Die Franzosen erwarten, dass die Strukturreformen, die teiligen. Sie in der Union wissen aber selbst, dass das sie im Inneren machen, mit Investitionen in Deutschland nicht das ist, was Sie wollten. Liebe Kolleginnen und gepaart werden. Ich glaube, das ist die richtige Antwort. Kollegen von der Union, an Ihrer Stelle wäre ich jetzt Sowohl die öffentliche Hand als auch die privaten Un- ganz schön angefressen, weil Ihr Finanzminister Sie bei ternehmen müssen ermuntert werden, mehr in den Be- dem Thema „IWF und Griechenland“ so hinter die Fichte reich „Forschung und Entwicklung“ zu investieren. Da- geführt hat. neben müssen wir die Binnennachfrage stärken, indem es höhere Löhne gibt und indem wir – das haben wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Sozialdemokraten vorgeschlagen – die Steuern senken NEN) – Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: und den Solidaritätszuschlag halbieren, und zwar nicht Das ist doch Blödsinn!) 24546 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Sven-Christian Kindler (A) – So ist es doch! Der IWF wird sich de facto nicht be- Bundesregierung an die eigene Nase fassen und etwas (C) teiligen. mehr Demut und Zurückhaltung üben. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sind (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sie der IWF?) Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Ein kraft- Dabei hat sich die griechische Regierung an die Ab- voller Beitrag zum Umfragetief!) sprachen gehalten. Sie hat zum Teil schmerzhafte Re- Sie wissen es selber: Überschüsse wie Defzite gefähr- formen durchgeführt. Trotzdem gibt es keine Klarheit in den Europa in seinem Kern; denn ohne eine gemeinsame Bezug auf Schuldenerleichterungen. Warum ist das so? Finanzpolitik, ohne eine gemeinsame Wirtschaftspolitik Das ist so, weil Wolfgang Schäuble jetzt Wahlkampf in und ohne gemeinsame Sozialstandards wird keine Wäh- Deutschland macht. rungsunion auf Dauer überleben können und der Euro (Andrej Hunko [DIE LINKE]: So ist es!) früher oder später gegen die Wand fahren. Deswegen brauchen wir eine Weiterentwicklung Europas: einen Diese Schuldenerleichterungen wären extrem notwendig stärkeren EU-Haushalt, sozial-ökologische Investitio- gewesen für Investoren und für die wirtschaftliche Stabi- nen und eine Steuerbetrugsbekämpfung. Wir wollen eine lität in Griechenland, damit die Unsicherheit nicht weiter europäische Arbeitslosenversicherung, weil wir ein so- steigt. Trotzdem macht Wolfgang Schäuble Wahlkampf ziales Europa wollen. All diese Punkte könnte man auf- in Deutschland. Er will den Bürgerinnen und Bürgern greifen und umsetzen. Das hieße, den Ball von Macron vor der Wahl nicht die Wahrheit erzählen. Das ist nicht aufzunehmen. Was machen Sie? Sie blockieren und sa- nur ein unehrlicher Wahlkampf in Deutschland, sondern gen Nein. Sie wiegeln ab. Ich fnde, das ist keine verant- auch ein Wahlkampf auf dem Rücken Griechenlands und wortliche Haltung gegenüber Europa, liebe Kolleginnen Europas. Ich fnde das schäbig und unehrlich. und Kollegen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Vergebli- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) cher Proflierungsversuch der Grünen!) Wir haben in den letzten Jahren erlebt, dass diese Bun- Seit fast einem Jahrzehnt ist Europa in einer Wirtschafts- desregierung vor allen Dingen auf nationale Interessen und Finanzkrise und vor allen Dingen in Nord und Süd setzt. Doch ich sage Ihnen klar: Germany frst kann nicht gespalten, mit hoher Jugendarbeitslosigkeit und Arbeits- die Leitlinie der deutschen Europapolitik sein. Es wird losigkeit und vor allem auch großer Armut im Süden Zeit, dass ab Herbst eine deutsche Bundesregierung wie- Europas. Natürlich gibt es auch hausgemachte Proble- der auf Augenhöhe mit ihren europäischen Partnern ver- me innerhalb Europas, in den einzelnen Mitgliedstaaten, handelt, europäische Interessen in den Vordergrund stellt (B) zum Beispiel die schlechte Justiz- und Steuerverwaltung und für ein solidarisches Europa und ein europäisches (D) in Griechenland; wir haben auch gesehen, dass es in Deutschland eintritt. Spanien und in Irland große Probleme im Banken- und Immobiliensektor gab. Trotzdem muss man feststellen, Vielen Dank. dass Angela Merkel und Wolfgang Schäuble seit 2010, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) seit Beginn der sogenannten Euro-Krise, den ökonomi- schen Kurs in Europa maßgeblich mitbestimmt haben. Dieser harte Sparkurs hat Europa nachweislich nicht aus Vizepräsidentin Michaela Noll: der Krise geführt, sondern – im Gegenteil – Europa ge- Vielen Dank, Herr Kollege. – Nun hat der Kollege spalten und die Krise verschärft. Deswegen muss dieser Matern von Marschall für die CDU/CSU-Fraktion das Kurs endlich beendet werden. Wort. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU) Die Bundesregierung kontert auf dieses Argument ja gern, andere Länder hätten sich nicht an die Regeln ge- Matern von Marschall (CDU/CSU): halten. Nur verschweigen Wolfgang Schäuble und diese Bundesregierung, dass sie sich selbst nicht an die euro- Verehrte Frau Präsidentin, herzlichen Dank. – Damit päischen Regeln halten. Carsten Schneider hat es gesagt: es einmal gesagt ist: Die Bundeskanzlerin trifft sich zu Seit vielen Jahren hat Deutschland einen extrem hohen dieser Stunde mit ihren Kollegen beim Europäischen Leistungsbilanzüberschuss; er ist größer als in allen an- Rat. Deswegen kann sie nicht hier sein. – So weit zur deren Ländern der Welt. Kritik aus dem linken Spektrum des Parlaments. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: (Beifall bei der CDU/CSU) Freuen Sie sich doch!) Ich fnde es bemerkenswert, Herr Kollege Hofreiter, Das verstößt gegen europäische Vereinbarungen und Herr Kollege Hunko, dass Sie den Mut haben – was die Regelungen, weil unserer Leistungsbilanz in anderen Grünen angeht, gerade angesichts sinkender Umfrage- Ländern Defzite gegenüberstehen und das zu einem werte –, transparent zu machen, was Ihr Wahlprogramm massiven Ungleichgewicht in Europa führt. Ich fnde, es ist, nämlich zulasten Deutschlands an andere europäische verbittet sich für Wolfgang Schäuble und diese Bundes- Länder Geld zu zahlen. regierung, andere Länder in Europa wie ein Schulmeister zu belehren. Man sollte sich als Unionsfraktion und als (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24547

Matern von Marschall (A) Das verbirgt sich nämlich hinter dem Begriff „Schulden- wissen Despektierlichkeit kommentiert hat. Das möchte (C) schnitt“. Es ist sehr bemerkenswert, dass Sie das so deut- ich, auch wenn es nicht in Worte zu fassen ist, hier in lich in Ihren Wahlkreisen sagen. Erinnerung rufen. Das war mehr als peinlich. Sie ist aber nicht mehr anwesend, um diese Anmerkung entgegenzu- (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE nehmen. GRÜNEN]: Wir sagen das sehr deutlich in un- seren Wahlkreisen!) Die Welt hat sich, seit Helmut Kohl uns das Geschenk Ich bin sicher: Das wird die Umfragewerte noch weiter gemacht hat, die deutsche Wiedervereinigung untrennbar nach unten treiben. Sagen Sie das nur deutlich genug. mit der europäischen Einheit zu verknüpfen, rasant verän- dert. Wir müssen die Herausforderungen der Gegenwart, (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE die von der Digitalisierung gekennzeichnet ist – im Gu- GRÜNEN]: Das ist ja eine peinliche Rede!) ten wie im Schlechten –, annehmen, und dazu brauchen Ich komme zur europäischen Arbeitslosenversiche- wir Stärke, Kraft und Geschlossenheit in Europa. Des- rung, einem Lieblingsthema auch von Teilen der SPD. Er- wegen ist es für uns von außerordentlicher Bedeutung, klären Sie bitte einfachen Arbeitern in Ihrem Wahlkreis, dass insbesondere unsere französischen Nachbarn – wir dass sie anderen Ländern in Europa, die ihre Hausauf- erinnerten uns heute Morgen auch an das berühmte Bild gaben nicht gemacht haben und nicht wettbewerbsfähig von Helmut Kohl und Mitterrand 1984 in Verdun – wie- sind, zusätzlich die Arbeitslosenversicherung bezahlen der an Kraft gewinnen, und das werden sie dank der von sollen. Ich bin ziemlich sicher, dass das ein willkomme- Macron angekündigten Reformen können. ner Grund ist, die Umfragewerte Ihrer Parteien weiter Von linker Seite ist schon kritisch angemerkt worden, nach unten zu drücken. es könnte sich dabei um so etwas wie die Schröder’sche (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE Reformagenda handeln. Ich wäre ausgesprochen dank- GRÜNEN]: Was für eine populistische, pein- bar, wenn es sich um eine derartige Reformagenda han- liche Rede! Diese Rede zeigt das ganze Euro- deln würde. Die parlamentarische Mehrheit dafür ist vor- pabild der Union!) handen. Ob allerdings Macron in der Lage sein wird, den erwartbaren Protesten auf der Straße kraftvoll zu begeg- Also bitte: Kommunizieren Sie auch das! nen und seine Agenda durchzuhalten, bleibt abzuwarten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir wünschen ihm das sehr. Wir würden uns im Übrigen auch wünschen, dass die Kolleginnen und Kollegen von Herr Schneider, Sie haben völlig richtig gesagt, Herr SPD das so sehen und sich hinter die Reformen stellen, Macron habe nie die Einführung von Euro-Bonds gefor- weil sie genauso wie die Reformen, die Gerhard Schröder dert. Die Einführung von Euro-Bonds hat Herr Schulz (B) seinerzeit mit großem Erfolg auf den Weg gebracht hat, (D) gefordert. Das sei in Erinnerung behalten! in Frankreich Erfolg bringen könnten. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Anton (Beifall bei der CDU/CSU) Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wissen Sie, was Sie machen? Sie bestätigen Denn nur ein gemeinsames starkes Europa, in dem wir komplett meine Vorwürfe!) nicht alleine eine Führungsrolle übernehmen wollen, sondern in dem wir „als gleichberechtigtes Glied in ei- Frau Kollegin Glöckner von der SPD, wenn Sie sagen, nem vereinten Europa dem Frieden der Welt“ dienen, wie das Spargebot führe in die Wachstumsfalle, dann erklären es in der Präambel des Grundgesetzes heißt, kann uns in Sie bitte den Wählerinnen und Wählern, was Sie damit die Zukunft führen. Dafür werbe ich, ich hoffe, in Ihrer meinen, im Zweifelsfalle wohl eine Vergemeinschaftung aller Namen. der Schulden, ebenfalls zulasten Deutschlands. Erklären Sie bitte auch das Ihren Wählerinnen und Wählern, und (Beifall bei der CDU/CSU) schauen Sie danach bitte erneut auf Ihre Umfragewerte. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Vizepräsidentin Michaela Noll: Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Herzlichen Dank, Herr Kollege. – Als Nächster hat der GRÜNEN]: Haben Sie schon mal was von Kollege Christian Petry für die SPD-Fraktion das Wort. Investitionen gehört? Kennen Sie den Unter- schied zwischen Investitionen und Schulden?) (Beifall bei der SPD) Und jetzt kommen wir zu Helmut Kohl, dem wir heute Morgen in diesem Hause in großer Würde gedacht haben. Christian Petry (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Herren! Herr Marschall, danke für Ihren Redebeitrag, GRÜNEN]: Er hatte Mut!) aber ich habe selten so viel Unsinn gehört wie in den Herr Kollege Körber, ich fnde es sehr bemerkenswert, letzten fünf Minuten. dass Sie dankbar an Helmut Kohl erinnert haben. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Matern von NEN]: Wer tut das nicht?) Marschall [CDU/CSU]: Die linken Kollegen klatschen besonders laut!) Besonders unschön dagegen fand ich den Zwischenton der schwäbischen Kollegin Hänsel, die das mit einer ge- Das kann man an ein paar Beispielen festmachen. 24548 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Christian Petry (A) Eines vorweg: Wenn Sie in Europa so auftreten, wie Macron wurde genannt. Ein weiterer Punkt ist die (C) Sie hier gerade aufgetreten sind, dann muss ich Herrn Weiterentwicklung der Europäischen Union. In der Zeit Hofreiter recht geben. Das geht so nicht. Was Sie hier vom 17. Mai wird kommentiert: vermitteln, ist keine Partnerschaft. Sie legen ein Sen- dungsbewusstsein an den Tag, die deutschen Interessen, Für einen europäischen Finanzminister muss die die wir vertreten wollen, in den Vordergrund zu stellen. Eurozone zu einer echten Fiskal- und Transferunion Mit gleicher Augenhöhe und Partnerschaft hat das gar werden – ähnlich wie sie in Deutschland und Öster- nichts zu tun. reich bereits existiert. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Das ist eine Forderung, die zu einer institutionellen Re- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Matern von form führen würde, und das ist letztlich auch das, was Marschall [CDU/CSU]: Sie haben nicht zuge- Macron angekündigt hat, nämlich dass man darüber hört!) nachdenkt. Aber das kann nicht nach der Marke von Merkel und Schäuble sein, nämlich dass wir nur mit in- Sie haben die Eigenmitteldebatte als „Sozialisierung tergouvernementalen Vereinbarungen arbeiten und keine der Schulden“ – ich habe dieses konservative Schlagwort echten Kompetenzen des Parlamentes und keine echte schon ein paar Mal gehört – bezeichnet. Eigenmittel sind demokratische Kontrolle haben; denn nur so wird ein dafür da, Aufgaben der Europäischen Union zu erledi- Schuh draus, nicht anders. gen; das ist damit gemeint. Die Europäische Union soll neue Aufgaben wahrnehmen. Sie soll die Außengrenzen (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des sichern. Sie soll die Flüchtlingsproblematik in den Griff BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) bekommen. Sie soll viele soziale Aufgaben übernehmen. Dazu ist Geld notwendig, und dafür haben wir zurzeit Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möch- ein Umlagesystem. Wenn man wie der französische Prä- te noch auf einen saarländischen Europaabgeordneten, sident darüber nachdenkt – auch denkt da- Josef Leinen, zu sprechen kommen. Josef Leinen hat rüber nach –, dafür Eigenmittel einzusetzen, dann geht es den europäischen Vertrag mit ausgearbeitet; 2004 ist er nicht um Schulden, sondern um die Frage der Aufgaben­ vorgelegt worden. Leider ist die europäische Verfassung erledigung. nicht ratifziert worden. Dort müssen wir wieder anset- zen. Der Vertrag von Lissabon von 2009 hat das Ganze (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ weiterentwickelt, aber die Fehler sind immer noch da. DIE GRÜNEN) Der Europäische Rat ist mit seinem Einstimmigkeitsprin- Wenn Sie Ihre Propaganda fortsetzen wollen, dann halte zip der Bremsklotz in Europa. Die Zusammenarbeit zwi- (B) ich das nicht für zielführend, sondern eher für schäbig. schen Kommission, Rat und Parlament funktioniert, aber (D) Tut mir leid! letztlich sind die vielen nationalen Interessen im Euro- päischen Rat – das werden wir jetzt wieder erleben – die Aber zurück zum Thema. Hinter dem Titel der Aktu- Ursache dafür, dass wir in weiten Teilen Stillstand haben. ellen Stunde verbirgt sich ja ein ganzer Bauchladen. Statt Das wiederum können wir jetzt gemeinsam mit unserem uns über Griechenland, das dritte Paket, die 8,5 Milliar- französischen Partner versuchen zu überwinden. Das den Euro, zu unterhalten und darüber, dass wir dort auf sollte unser Ansporn, unsere Aufgabe sein. einem guten Weg sind, führen wir eine Scheindebatte über den IWF, und es ist zusehends eine Scheindebatte. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die Refnanzierung über den IWF ist für viele Länder teurer als die Refnanzierung am europäischen Kapital- Ein letztes Thema ist der Brexit; er steht ebenfalls im markt; das wissen wir. Wir haben gestern gehört, dass Titel dieser Aktuellen Stunde. Wir sollten jetzt nicht in Portugal für 3 Prozent zehnjährige Anleihen bekommt das Spiel verfallen: mein Corbyn, dein Corbyn. Wessen und beim IWF für 5 Prozent und dass man die Kredite Corbyn ist er denn nun? Ist er der Corbyn der Linken dort ablösen will. Wir müssen Griechenland in die Lage oder der der Sozialdemokratie? – Ich bin froh, dass sein versetzen, sich in diesem Sinne selbst zu refnanzieren. soziales Programm in Großbritannien gut angekommen Das ist viel wichtiger, als eine Scheindebatte über den ist. Wir als SPD haben auch ein soziales Programm, und IWF zu führen. Es ist gut, dass der IWF mit im Boot das spornt uns selbstverständlich an. bleibt, auch wenn er sich etwas ausgeklinkt hat; aber langfristig gesehen bin ich persönlich der Auffassung, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) dass wir die Probleme europäisch lösen müssen. Das ist mir ganz klar. Ich habe an der Überreaktion von Herrn Ulrich gemerkt, dass Sie davor Angst haben, dass wir dies nun überneh- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten men. Ich habe es gemerkt, weil Sie immer lauter und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) lauter argumentiert haben. Letztlich sind wir auf einem guten Weg. Dazu gehört, die Volkswirtschaft entsprechend wie- deraufzubauen. Nachdem nun beim Staatshaushalt viel Ein letzter Satz zu Europa. Ich bin froh, wenn wir ge- passiert ist und die Sanierung angelaufen ist, müssen Be- meinsam an dieser Europäischen Union arbeiten, wenn schäftigung und Wachstum im Mittelpunkt stehen, um wir gemeinsam die Freiheit und die Freizügigkeit ver- Griechenland voranzubringen. Das bezieht sich aber auf teidigen und ausbauen. Insofern ist das heute eine gute alle südeuropäischen Länder. Debatte, um daran zu erinnern, dass wir gemeinsam Eu- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24549

Christian Petry (A) ropa stark erhalten und machen müssen. In diesem Sinne: – Eben. Sie akzeptieren es nur dann. – Das ist der grund- (C) Glück auf! sätzliche Unterschied: Europa ist noch ein Zusammen- schluss von 28 souveränen Staaten. Es gibt nun einmal (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten unterschiedliche Meinungen in den Ländern innerhalb des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) der Europäischen Union. Darum ist es sehr gut, dass wir Angela Merkel an der Spitze haben, die hier ausgleicht Vizepräsidentin Michaela Noll: und im Gegensatz zu Ihnen die Eigenheit der Mitglied- Vielen Dank, Herr Kollege. – Als Nächstem ertei- staaten respektiert. le ich dem Kollegen für die CDU/ (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE CSU-Fraktion das Wort. GRÜNEN]: Das ist doch Quatsch!) (Beifall bei der CDU/CSU) Das ist der Unterschied zu Ihnen. Ihr Vorwurf, den Sie gegen Angela Merkel erheben, richtet sich gegen Sie Alexander Radwan (CDU/CSU): selber. Sie wollen Ihre nationale Politik gegenüber den Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir führen anderen Staaten durchsetzen, ob sie es wollen oder nicht. heute eine Debatte über Europa, und wir haben schon viel dazu gehört. Manches davon ist schwer vorstellbar, (Beifall bei der CDU/CSU) zum Beispiel, wie Macron angeblich Deutschland und Wenn Sie eine europäische Arbeitslosenversicherung Merkel sieht. Ich kann zum Fraktionsvorsitzenden der oder andere Maßnahmen fordern, dann fordern Sie nicht Grünen nur sagen: Zum Glück hält Macron die deutsche nur den Beitrag der Deutschen. Reden Sie doch einmal Bundeskanzlerin für eine der wichtigsten Verbündeten mit den Bürgern und den Politikern der baltischen Staa- für die Weiterentwicklung Europas, und es ist gut so, ten. Sind die davon begeistert, wenn sie zukünftig in die dass er das so sieht. entsprechenden Kassen einzahlen müssen? Sie bringen (Beifall bei der CDU/CSU) damit den Spaltpilz in die europäischen Völker hinein. Letztendlich kam hier – wie auch beim letzten Mal – zum (Beifall bei der CDU/CSU) Ausdruck, dass ein unterschiedliches Europabild exis- Gerade in der Zeit des Brexit bin ich froh, dass unsere tiert. Auch beim letzten Mal – und das war noch vor der Bundeskanzlerin Angela Merkel sehr souverän reagiert Wahl in Frankreich – wurde Macron massiv kritisiert. hat und den Fokus darauf legt, dass es in Europa wei- Wir haben einen Gleichklang in Europa. Das eine ist tergeht. Ich möchte daran erinnern, wie die nationalen die Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten – das bein- Parteien in Deutschland darauf reagiert haben. Wie ein (B) (D) haltet auch Reformen und, für sich selbst verantwortlich beleidigtes Kind hat man gemeint, die Briten zur Raison zu sein –, und das andere ist europäische Solidarität. rufen zu müssen, mit allen Folgen. Wir haben zu dem Macron hat im Wahlkampf erklärt, dass er Reformen Zeitpunkt noch nicht gewusst, wie das Verfahren in Eu- will. Es gab viele hier im Parlament, die das für falsch ropa ist. halten und die auch in Deutschland die Agenda 2010 zu- (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE rücknehmen wollen. Ich bin froh, dass Macron die Ei- GRÜNEN]: War das Ihre Regierung?) genverantwortung Frankreichs ernst nimmt, sich an die Reformen macht und sich von der deutschen Opposition – Nein, das war nicht unsere Regierung. Haben Sie ver- dabei nicht bremsen lässt. gessen, was Angela Merkel hierzu gesagt hat? Wenn sie hier ist, sollten Sie, Frau Kollegin Brantner, auch zuhö- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ren. Wenn Sie das getan hätten, hätten Sie diese Frage ordneten der SPD) nämlich nicht gestellt. Zum Thema Solidarität: Wolfgang Schäuble und (Beifall bei der CDU/CSU) Angela Merkel haben immer diesen Konnex hergestellt. Schauen wir uns heute Griechenland an – vorher war es Angela Merkel hat klipp und klar dazu gesagt, dass ähnlich in Portugal, Spanien und Irland –: Das System wir auf der einen Seite Großbritannien Brücken bauen der Eigenverantwortung gepaart mit europäischer So- müssen, weil Großbritannien weiterhin ein wichtiger lidarität hat Stück für Stück zum Erfolg geführt. Ihnen Partner innerhalb der NATO und ein wirtschaftlicher stinkt nur, dass wir in Griechenland diese Fortschritte Partner sein wird, wir aber auch konkret an der Einheit gemacht haben. Europas weiterarbeiten müssen und keinen Blueprint für andere Staaten machen dürfen. Das war die Positi- (Beifall bei der CDU/CSU) on Angela Merkels, als sie hier im Deutschen Bundestag Wenn man genau schaut, was Sie möchten, dann stellt geredet hat. man fest, dass es Ihnen gar nicht darum geht, wie das Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten und der Euro- Meine Damen und Herren, Sie haben vorhin kritisiert, päischen Union ist. Sie akzeptieren nur ein Europa, das dass sie hier nicht redet; aber wenn sie redet, dann hören zentral und links ist. Wenn es nicht zentral und links ist, Sie nicht zu oder verstehen es nicht. Das ist natürlich sehr dann lehnen Sie Europa ab. schade. In der heutigen Phase sollten wir uns daran ori- entieren, was andere europäische Regierungen und Völ- (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Links wäre ker eindeutig zum Ausdruck bringen. Sie sind froh, dass nicht schlecht!) Angela Merkel Kanzlerin ist, und sie sind froh, dass sie 24550 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Alexander Radwan (A) in der Tradition von Helmut Kohl an der Einheit Europas meinsam an Großbritannien appellieren, der Verantwor- (C) weiterarbeitet. tung gegenüber den europäischen Nachbarn gerecht zu werden. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie sich mal in Europa Meine Damen und Herren, das Referendum mit sei- umgehört?) nen Folgen muss jedoch auch eine Mahnung sein. Die EU steht vor einer ihrer größten Bewährungsproben. Das Sie ist ein verlässlicher Partner, und das sehen die ande- zeigt sich, wenn wir zurückblicken. Dies veranschaulicht ren Europäer genauso. uns auch, dass das europäische Projekt immer wieder Besten Dank. aufs Neue begründet werden muss. In den vergangenen Tagen rückte durch den Tod von Bundeskanzler Kohl die (Beifall bei der CDU/CSU) europäische Einigung wieder ganz stark in unser öffentli- ches Bewusstsein. Seine herausragenden Verdienste, die Vizepräsidentin Michaela Noll: Einheit unseres Vaterlandes, die Aussöhnung mit Frank- Herzlichen Dank, Herr Kollege Radwan. – Als letzte reich, aber auch die Sicherung des Friedens in Europa, Rednerin in der Aktuellen Stunde spricht nunmehr die stehen für alle Zeiten für sich. Kollegin Ronja Kemmer für die CDU/CSU-Fraktion. Ich selbst wurde 1989, im Jahr des Mauerfalls, gebo- (Beifall bei der CDU/CSU) ren. Ich hatte das Glück, in einem friedlichen und freien Europa aufwachsen zu dürfen. Stacheldraht und Schlag- bäume kenne ich größtenteils nur aus Erzählungen. Ich Ronja Kemmer (CDU/CSU): gehöre einer Generation an, die niemals einen Krieg er- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen leiden musste. Doch gerade wir Jüngeren dürfen nicht und Kollegen! Natürlich haben wir in den letzten Mo- in eine Stimmung der Selbstverständlichkeit verfallen; naten hier im Haus über die Brexit-Verhandlungen und denn es hat sich leider gezeigt, dass dies zu fatalen Er- die anderen Themen diskutiert. Im Europaausschuss tun gebnissen führen kann. Die längste Friedensperiode auf wir dies jede Woche. Da Sie die Kanzlerin angesprochen unserem Kontinent seit über 70 Jahren hat keine Ewig- haben, die hier zahlreiche Regierungserklärungen zum keitsgarantie. Diese Errungenschaften müssen immer Europäischen Rat und zu europäischen Themen gegeben wieder aufs Neue erarbeitet und verteidigt werden. Dies hat, ist Ihre Begründung, dass sie sich dieser Diskussion ist eine permanente Herausforderung, die den Einsatz al- nicht stellen würde, geradezu absurd. ler Generationen fordert. (Beifall bei der CDU/CSU) Viele junge Briten waren ja für den Verbleib in der (B) In puncto Brexit schreiten die Verhandlungen voran, EU, haben aber kaum an der Abstimmung über den Bre- (D) doch die Zeit drängt. Die Frist von zwei Jahren für die xit teilgenommen. Insofern müssen wir selbstkritisch Verhandlungen ist relativ knapp bei der Masse an The- festhalten: In Reden über Europa haben wir uns vielleicht men, die es zu behandeln gilt. Die Neuwahlen in Groß- zu oft auf Erreichtes von gestern berufen und aktuelle britannien haben dieses Unterfangen nicht gerade er- Herausforderungen ausgeblendet. Aber einfache Lösun- leichtert. gen für diese Herausforderungen gibt es eben nicht. Wir brauchen die Europäische Gemeinschaft mehr denn je, Natürlich stellt die EU keine Zwangsmitgliedschaft um die großen Fragen anzugehen. Regulierungen im dar, sondern ist in ihren Festen als Friedens- und Werte- Klein-Klein, die zum Teil von Mitgliedstaaten, zum Teil gemeinschaft begründet. Ihren Kern hat diese Gemein- von Institutionen eingefordert werden, entfernen die schaft in der Erkenntnis, dass die Herausforderungen in Menschen vom europäischen Projekt und fördern popu- einer komplexen und auch globalisierten Welt eben nicht listische Strömungen. rein nationalstaatlich zu lösen sind. Die Briten haben sich leider anders entschieden. Die Brexit-Verhandlun- Der Brexit zeigt also auch, dass nichts so bleibt, wie gen müssen nun in einem partnerschaftlichen Geiste ge- es ist, wenn man nichts dafür tut. Insofern leben wir in führt werden; aber es muss schon klar sein, dass es keine einer guten Zeit, in der es sich lohnt, politisch zu werden. Rosinenpickerei an verschiedenen Stellen geben darf. Wir brauchen aktive Menschen aller Generationen, per- Denn der Grundstein der europäischen Idee ist, dass der sönliches Engagement und auch ein offenes Bekenntnis Mensch im Mittelpunkt steht. Dazu gehört insbesondere zu unseren Werten und Idealen. Auch diesbezüglich hat die Wahrung der Rechte von EU-Bürgern, die in Großbri- das Wirken von Helmut Kohl ein wunderbares Zeugnis tannien leben. Deswegen kann es keinen freien Waren- abgelegt; denn Einigkeit und Recht und Freiheit sind für verkehr ohne Personenfreizügigkeit geben. das Schicksal unseres Landes und unseres Kontinents von entscheidender Bedeutung. So löst der Brexit in vie- Großbritannien hat als wirtschaftsstarkes Mitglied len anderen Ländern eine hoffnungsvolle Gegenbewe- stets viele Sonderkonditionen für sich beansprucht. gung für Europa aus, sei es Pulse of Europe, seien es die Manch anderes Land hätte sich sicherlich auch über diese Ergebnisse der Wahlen in unseren Nachbarländern, die Vereinbarungen gefreut. Eines ist klar: Die fnanziellen jüngst stattgefunden haben. Verpfichtungen, die Großbritannien in der EU eingegan- gen ist, müssen auch eingelöst werden. Schließlich haben Zum Ende möchte ich der Opposition noch eines mit die europäischen Partner ihren Teil der Vereinbarungen auf den Weg geben: Ihre ständige Nörgelei an der Euro- auch immer eingehalten. Hier geht es um Vertrauen, hier papolitik der Regierung führt auch zu einem Erstarken geht es um Redlichkeit. Deswegen können wir nur ge- der europakritischen Stimmen. Stattdessen sollten Sie Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24551

Ronja Kemmer (A) einmal anerkennen, was die Kanzlerin jeden Tag, auch in Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU): (C) diesen Stunden, für diese Wertegemeinschaft und für den Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen Zusammenhalt in dieser Gemeinschaft leistet. Ich glau- und Kollegen! Meine Damen und Herren! be, wir können es nur schaffen, wenn wir gemeinsam für unsere Überzeugungen und für die kommenden Genera- Gleis 17, Waggon 1, rein und ab. tionen eintreten und für die kommenden Generationen Mit diesem Satz antwortete im Jahr 2015 ein Kreisrat der ein Europa in Frieden und Freiheit gestalten. NPD auf die Frage von Journalisten der Frankfurter All- Herzlichen Dank. gemeinen Zeitung, was mit straffälligen Asylsuchenden geschehen solle. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Das Gleis 17 im Bahnhof Berlin-Grunewald steht ordneten der SPD) heute symbolisch für die Deportation der Berliner Juden. Von dort fuhr der erste Transport, mit dem in den Jahren Vizepräsidentin Michaela Noll: von 1941 bis 1945 rund 50 00 Berliner Juden vor allem Vielen Dank, Frau Kollegin. – Damit ist die Aktuelle in das Konzentrationslager Theresienstadt und das Ver- Stunde beendet. nichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert wurden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf. Die widerliche Einlassung des NPD-Funktionärs steht exemplarisch für das Denken und Handeln seiner Par- – Zweite und dritte Beratung des von den Frak- tei. Sie missachtet die Menschenwürde, sie will unsere tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten freiheitliche demokratische Grundordnung beseitigen. Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ihr biologistischer Rassismus, ihr militanter Antilibera- Grundgesetzes (Artikel 21) lismus, Antiindividualismus und Antisemitismus begrün- den eine Wesensverwandtschaft zur NSDAP. Gleichwohl Drucksache 18/12357 wird die Arbeit dieser Partei bis heute ganz wesentlich aus Steuergeldern fnanziert. Denn nach dem Parteienge- – Zweite und dritte Beratung des von den Frak- setz erhalten alle Parteien, die bei Parlamentswahlen ei- tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten nen bestimmten Anteil von Stimmen auf sich vereinigen, Entwurfs eines Gesetzes zum Ausschluss staatliche Mittel zu ihrer Finanzierung. In den letzten verfassungsfeindlicher Parteien von der Jahren waren das im Falle der NPD mehr als 1,2 Millio- Parteienfnanzierung nen Euro pro Jahr. Drucksache 18/12358 Mit dem Gesetz, das wir heute beschließen, werden (B) (D) – Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat wir die Grundlage dafür legen, um der NPD diese Fi- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur nanzierung entziehen zu können. Denn jeder Cent für die Änderung des Grundgesetzes zum Zweck NPD ist ein Cent zu viel. des Ausschlusses extremistischer Parteien (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so- von der Parteienfnanzierung wie bei Abgeordneten der LINKEN) Drucksache 18/12100 Lange Zeit ist sehr kontrovers diskutiert worden, ob ein solcher Ausschluss von der staatlichen Teilfnanzie- – Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat rung zulässig ist, weil er tief in die verfassungsrechtlich eingebrachten Entwurfs eines Begleitgesetzes gesicherte Stellung der politischen Parteien eingreift und zum Gesetz zur Änderung des Grundgeset- ihre Chancengleichheit beeinträchtigt. zes zum Zweck des Ausschlusses extremis- tischer Parteien von der Parteienfnanzie- Diese Kontroverse hat das Bundesverfassungsgericht rung mit seinem Urteil vom 17. Januar 2017 entschieden, als es darauf aufmerksam machte, dass es dem verfassungs- Drucksache 18/12101 ändernden Gesetzgeber sehr wohl freistehe, neben dem Parteiverbot weitere Sanktionsmöglichkeiten gegenüber Beschlussempfehlung und Bericht des Innen- Parteien mit verfassungsfeindlichen Zielen zu schaffen. ausschusses (4. Ausschuss) Der Bundesrat auf der einen Seite, die Fraktionen von Drucksache 18/12846 CDU/CSU und SPD auf der anderen Seite haben diesen Über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Hinweis mit zwei Gesetzesinitiativen aufgegriffen, die Grundgesetzes werden wir später namentlich abstimmen. die gleiche Zielsetzung verfolgen. Unser Gesetzentwurf erscheint mir insbesondere deshalb vorzugswürdig, weil Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für er neben dem Wegfall der staatlichen Teilfnanzierung die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- und der steuerlichen Begünstigungen für Parteien auch nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. den Wegfall der steuerlichen Begünstigung von Zuwen- dungen an verfassungswidrige, aber nicht verbotene Par- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst teien regelt. Dr. Stephan Harbarth für die CDU/CSU-Fraktion. Klar ist dabei auch: Der Ausschluss verfassungsfeind- (Beifall bei der CDU/CSU) licher Parteien kann nur eines von vielen Instrumenten 24552 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Dr. Stephan Harbarth (A) sein, mit denen sich die wehrhafte Demokratie gegen Ulla Jelpke (DIE LINKE): (C) jede Form von Extremismus verteidigen muss, und zwar Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Neofa- gleichgültig, ob dieser Extremismus vom linken oder schistische Parteien sollen vom Staat nicht länger geför- vom rechten Rand des politischen Spektrums kommt. dert werden. Das ist der Kern der Gesetzentwürfe, die wir heute hier besprechen. Die Möglichkeit des Ausschlusses von der staatlichen Teilfnanzierung ist ein wichtiges Signal in einer Zeit, Ich will vorausschicken: Der Entzug der Parteienfnan- in der das rechtsextremistische Personenpotenzial nach zierung ist zweifellos ein schwerer Eingriff in die Chan- einem jahrelangen Rückgang wieder Zulauf erhält und cengleichheit der Parteien. Es geht im Fall der NPD – wir sich sein linksextremistisches Pendant auf einem zu ho- haben es eben schon gehört – darum, dass sie mehr als hen Niveau stabilisiert. 1 Million Euro im Jahr bekommt. Deren Verlust wird sie schwer treffen. Da werden wir alle hier im Saal wahr- Der Ausschluss einer Partei von der staatlichen Teil- scheinlich sagen: Recht so. – Aber wir müssen natürlich fnanzierung greift in gravierender Weise in die verfas- die rechtlichen und politischen Fragen ernst nehmen, die sungsrechtlich gesicherte Chancengleichheit von Par- sich ergeben, wenn man eine Partei, die nicht verboten teien ein. Es bedarf deshalb eines Verfahrens, das so ist, von der staatlichen Parteienfnanzierung ausschließt. ausgestaltet sein muss, dass nicht einmal der Anschein entstehen kann, dass ein solcher Ausschluss von anderen (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Parteien instrumentalisiert werden soll, um sich misslie- Die Linke hat es sich in der Tat nicht leicht gemacht. biger Konkurrenz zu entledigen. Es ist deshalb richtig Wir haben ausführlich darüber diskutiert, und wir haben und wichtig, dass allein das Bundesverfassungsgericht zur Sachverständigenanhörung sogar jemanden eingela- über den Ausschluss entscheiden wird und andere Ideen, den, der ein expliziter Kritiker dieser Neuregelung ist. die zunächst ventiliert worden waren, nicht weiterver- Herr Lichdi hat dabei betont, dass das Grundgesetz keine folgt wurden. „Verfassungstreuepficht der Parteien“ kennt und demo- kratiefeindliche Parteien deswegen nicht schlechterge- In den parlamentarischen Beratungen sind zwei Kor- stellt werden dürfen. rekturen vorgenommen worden. Erstens. Der Gesetzent- wurf sah ursprünglich eine Frist von vier Jahren vor, nach Für einen Teil meiner Fraktion ist dieses Argument so deren Ablauf die sanktionierte Partei eine Überprüfung gewichtig, dass sich einige Abgeordnete heute enthalten verlangen kann. Wir werden diese Überprüfung nun so werden. Eine Mehrheit in meiner Fraktion nimmt dieses ausgestalten, dass es nach einer Frist von sechs Jahren Argument ebenfalls sehr ernst, möchte ihm aber entge- zu einem automatischen Erlöschen des Ausschlusses von genhalten: Es gibt auch keine Pficht der Gesellschaft, (B) der staatlichen Teilfnanzierung kommt – verbunden mit Parteien zu fnanzieren, die demokratische Grundrechte (D) der Möglichkeit für die antragsbefugten Stellen, eine einschränken wollen, die sogar ebendieser Gesellschaft Verlängerung des Ausschlusses zu beantragen. Auf die- das Existenzrecht absprechen se Weise bleiben Bundesrat, Bundesregierung und Bun- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) destag Herren des Verfahrens. Darüber hinaus werden wir – zweitens – durch den Änderungsantrag, den wir und eine dermaßen faschistische Ideologie verbreiten. im Ausschuss vorgelegt haben, den Ausschluss von der Teilfnanzierung auch auf Ersatzparteien erstrecken, um Das Grundgesetz selbst kennt das Verbot einer Partei. Umgehungsversuchen entgegenzutreten. Von daher liegt es auf der Hand, dass man auch eine min- derschwere Sanktion wie den Entzug staatlicher Wahl- Ich wünsche dem Gesetzentwurf eine breite Zustim- kampfkostenerstattung zulassen kann – mung und würde mich freuen, wenn auch die beiden (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Oppositionsfraktionen diesen Vorschlägen zustimmen und wir damit gemeinsam die wehrhafte Demokratie in immer vorausgesetzt, dass das Bundesverfassungsgericht Deutschland stärken können. diese Entscheidung trifft, und so steht es auch in der Ge- setzesvorlage. Für mich jedenfalls ist Faschismus keine Als Unionsfraktion erwarten wir, dass nach Inkraft- Meinung im demokratischen Wettbewerb, sondern ein treten des Gesetzes mit einem gründlich vorbereiteten Verbrechen, und Verbrechen dürfen sich nicht lohnen. Antrag zeitnah ein Verfahren zum Ausschluss der NPD aus der Teilfnanzierung auf den Weg gebracht wird, und (Beifall bei der LINKEN) ich persönlich möchte dafür werben, dass dies mit Betei- Deswegen – das ist die mehrheitliche Meinung in meiner ligung dieses Hohen Hauses geschehen kann. Fraktion – sollen Naziparteien keinen Cent mehr vom Staat bekommen, und niemand, der Naziparteien Geld Herzlichen Dank. spendet, soll das von der Steuer absetzen dürfen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Meine Damen und Herren, ich möchte kritisch anmer- Vizepräsidentin : ken, dass die jetzt vorgesehene Geltungsdauer eines Fi- Das Wort hat die Kollegin Ulla Jelpke für die Fraktion nanzierungsverbots von sechs Jahren sehr lang ist. Mein Die Linke. Kollege hat das eben erläutert; das sind die Änderungen, die vorgenommen wurden. Ich denke, dass nach vier Jah- (Beifall bei der LINKEN) ren der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Da ja sowieso Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24553

Ulla Jelpke (A) das Bundesverfassungsgericht entscheidet, fnden wir es feindliche Parteien von der staatlichen Teilfnanzierung (C) auch nicht richtig, dass nicht einmal mehr eine mündli- ausschließen kann. Das werden wir heute tun. Die NPD che Anhörung stattfnden soll. erhält mehr als 1 Million Euro jährlich aus der staatli- chen Teilfnanzierung – mehr als 1 Million –, um ihr (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) menschenfeindliches Gedankengut und ihre antisemiti- Abschließend möchte ich noch zu einem Punkt etwas sche und rassistische Hetze zu verbreiten. Das ist uner- sagen, in dem wir uns in meiner Fraktion sehr einig sind: träglich. Es ist auch für die Bürgerinnen und Bürger nicht Was wir heute beschließen, kann kein Ersatz sein für eine nachvollziehbar, dass eine Partei, die die staatliche Ord- entschlossene Politik gegen Rechtsextremisten und neo- nung bekämpft, mit Steuermitteln fnanziert wird. Jede in faschistische Parteien. Deutschland zugelassene Partei nimmt an der staatlichen Teilfnanzierung teil. Für eingeworbene Spenden und für (Beifall bei der LINKEN) erzielte Stimmen bei Wahlen ab einer bestimmten Gren- Wir müssen allen entgegentreten, die Menschen nach ze erhält jede Partei Geld vom Staat. Zusätzlich sind die zweierlei Maß messen und sie auf Grundlage von Re- Parteien von der Körperschaftsteuer befreit, und Zuwen- ligion, Herkunft oder anderen Äußerlichkeiten unter- dungen können Spenderinnen und Spender steuerlich schiedlich behandeln wollen. Wir lehnen jede Form von geltend machen. Rassismus, jede Form von gruppenbezogener Menschen- Parteien haben Verfassungsstatus. Sie wirken an der feindlichkeit ab. Wir müssen auch jenen entgegentreten, politischen Willensbildung mit. Sie sind unverzichtbare die zum Beispiel die Flüchtlingsfrage immer wieder zum Elemente in einer Demokratie. Für die vielfältigen Ak- Anlass nehmen, dumpfe Wahlkampfparolen von sich zu tivitäten braucht eine Partei Geld. Sie erhält dieses aus geben. Deswegen sage ich zum Schluss: Unsere heutige Mitgliedsbeiträgen, aus Spenden, aus Einnahmen aus Entscheidung muss Verpfichtung sein, endlich mehr in wirtschaftlicher Tätigkeit. Das Parteiengesetz regelt, dass dieser Gesellschaft gegen Rassismus und gegen Antise- sie Geld vom Staat erhält, um illegitime Einfussnahme mitismus und Muslimfeindlichkeit zu tun, sonst werden zu verhindern und Chancengleichheit im politischen wir weder Demokratie noch Frieden haben. Wettbewerb zu ermöglichen. Es ist widersinnig, auf der Ich danke Ihnen. einen Seite Parteien, die gegen diesen Staat agieren, mit Steuergeldern zu fördern und auf der anderen Seite nicht (Beifall bei der LINKEN) genug Mittel für den Kampf gegen Extremismus zu ha- ben. Vizepräsidentin Petra Pau: Wir wollen, wie ich bereits gestern an einer anderen Das Wort hat die Kollegin Gabi Fograscher für die (B) Stelle der Debatte angekündigt habe, die Gelder, die wir (D) SPD-Fraktion. durch diese Gesetzesänderung der Partei entziehen, in (Beifall bei der SPD) den Kampf gegen Rechtsextremismus und Antisemitis- mus investieren. Gabriele Fograscher (SPD): (Beifall bei der SPD) Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- gen! Die wehrhafte Demokratie bekämpft ihre Feinde Über den Änderungsantrag hat Herr Harbarth schon mit rechtsstaatlichen Mitteln, und sie hat das Recht und gesprochen. Wir haben uns darauf geeinigt, dass das auch die Pficht, diese Mittel auszuschöpfen. Bei der Bundesverfassungsgericht den Ausschluss einer Partei Parteienfnanzierung ist eine mehr als groteske Situation von der Finanzierung befristet für sechs Jahre feststellen entstanden: Wir fnanzieren bis heute mit Steuermitteln soll. Dieser Ausschluss kann auf Antrag der ursprüng- eine Partei, die NPD, die vom Bundesverfassungsgericht lichen Antragsteller, also Bundestag, Bundesrat oder als verfassungsfeindlich eingestuft wurde. In dem Urteil Bundesregierung, verlängert werden. Über den Verlän- des Bundesverfassungsgerichts vom Januar dieses Jahres gerungsantrag kann auch ohne mündliche Verhandlung heißt es: entschieden werden. Ein unbefristeter Ausschluss, so wie er zunächst vorgesehen war, hätte so auf Antrag der be- Ihre Ziele und das Verhalten ihrer Anhänger versto- troffenen Partei alle vier Jahre überprüft werden können. ßen gegen die Menschenwürde … und den Kern des Durch die jetzt vorgenommene Änderung behalten aber Demokratieprinzips … die Antragsberechtigten das Heft des Handelns in der Hand. Die Feststellung des Ausschlusses von der staat- Das Material, das für das Verbotsverfahren zusammen- lichen Finanzierung ist auf Ersatzparteien zu erstrecken. gestellt wurde, zeigt: Diese Partei hat menschenverach­ Zur Begründung dieser Änderung erklärte der Sachver- tende und rassistische Ziele. Sie lehnt unsere Demokratie ständige Herr Volkmann in der Anhörung: und unsere Werte ab. Sie wurde vom Bundesverfassungs- gericht mit folgender Begründung nicht verboten: Man muss eine Regelung für Ersatz- und Nachfolge- Es fehlt jedoch an konkreten Anhaltspunkten von organisationen treffen. Sonst hat man das Problem, Gewicht, die es zumindest möglich erscheinen las- dass sich die NPD auföst, in PDN umbenennt – so sen, dass dieses Handeln zum Erfolg führt. einen ähnlichen Fall hat es auch schon einmal ge- geben –, und die kann dann staatliche Finanzierung Das Bundesverfassungsgericht hat uns als verfas- beanspruchen. Beim Parteiverbot erstreckt sich der sungsänderndem Gesetzgeber aber in der Urteilsbe- Rechtsfolgenausschluss zwingend auch auf etwaige gründung den Hinweis gegeben, dass man verfassungs- Ersatz- und Nachfolgeorganisationen. Das ist mei- 24554 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Gabriele Fograscher (A) nes Erachtens etwas, was man für den Ausschluss die Prinzipien der Demokratie geht. Ihre Vorlage ent- (C) von der Finanzierung unbedingt aufnehmen müsste. spricht diesen Ansprüchen nicht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der CDU/CSU) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wissen Sie, zugegebenermaßen ist die NPD ein Feind Dies haben wir aufgenommen und entsprechend gere- der Verfassung. Sie ist auf der anderen Seite aber auch gelt. Das Bundesverfassungsgericht stellt fest, dass eine ein politischer Zwerg – das wissen Sie. Sie suchen sich Partei die Bestrebungen einer von der Finanzierung aus- diesen politischen Zwerg isoliert aus dem Gesamtpaket geschlossenen Partei weiter verfolgt oder fortführt. So- heraus – als Teil von Rechtsextremismus, Rechtsradika- mit ist sie als Ersatzpartei ebenfalls von der Finanzierung lität und Rechtsterrorismus in dieser Gesellschaft – und auszuschließen. wollen der Partei mal eben per Verfassungsänderung – Für uns ist klar: Die heutigen Änderungen sind keine ich sage: mal eben per Verfassungsänderung – das Geld Lex NPD. Die Änderungen werden für alle Parteien gel- streichen und suggerieren, damit wäre das Problem ge- ten, die sich gegen unsere Verfassung und unsere Werte löst. Es ist damit aber nicht gelöst. stellen. Dieser Ausschluss ist für uns nur ein Baustein (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Kampf gegen Extremismus. Wir lassen nicht nach im sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Kampf gegen Extremismus, wir dürfen auch nicht nach- lassen. Für uns ist durch diese Gesetzesänderungen das Ich habe eher den Eindruck, es geht um die Schmach der Problem des Extremismus ganz und gar nicht erledigt. Innenminister, die zweimal groß die Notwendigkeit eines Im Gegenteil: Diese Koalition hat auf Initiative unserer Parteiverbots begründet haben, wozu das Verfassungsge- Familienministerin hin die Gelder für Prävention auf richt am Ende aber zweimal Nein gesagt hat. über 100 Millionen Euro verdreifacht. Meine Damen und Herren, Sie suggerieren damit, dass das Problem aus der Welt geschafft wird, wenn die- (Beifall bei der SPD) se 1 Million Euro – oder demnächst noch weniger – nicht an diese Partei gehen. Aber ich sage Ihnen: Wir haben Wir werden die Forderungen des Unabhängigen Ex- Pegida, wir haben die Nach-Lucke-AfD. Sie können uns pertenkreises Antisemitismus zügig umsetzen. Präven- doch nicht ernsthaft verkaufen, dass damit jetzt ein Pro- tion, politische Bildung, Unterstützung von Projekten blem zu lösen wäre – und dann noch in diesem Tempo. der Zivilgesellschaft, Extremismusforschung sind und Ich fnde, in so einer Situation braucht man einen wirk- bleiben dauerhafte Aufgaben für die Politik und für die lich kühlen Kopf und Zeit; sonst kommen Fehlentschei- Gesellschaft. (B) dungen dabei heraus. (D) Ich bitte Sie um Zustimmung zu diesen Änderungen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN damit die Unterstützung von Verfassungsfeinden mit sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Steuermitteln endlich ein Ende hat. Ich will zitieren, was Herr Voßkuhle in seinen einlei- Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies ist meine letzte tenden Worten gesagt hat; es taucht später noch einmal Rede in diesem Haus. Ich danke allen aus allen Fraktio- im Urteil an ein oder zwei Stellen auf. Er hat am 17. Ja- nen, mit denen ich in den letzten Jahren zusammenarbei- nuar gesagt: ten durfte, und allen, die mich in den letzten Jahren un- Ob in einer solchen Situation … andere Reaktions- terstützt haben. Ich wünsche Ihnen allen für die Zukunft möglichkeiten sinnvoll sind, wie zum Beispiel der alles Gute. Entzug der staatlichen Finanzierung, hat … der ver- Herzlichen Dank. fassungsändernde Gesetzgeber zu entscheiden. Meine Damen und Herren, das Gericht hat aber nicht (Beifall im ganzen Hause) gesagt, dass sich daraus ein Zwang ergibt; es hat uns kein Datum für irgendetwas gesetzt, sondern nur gesagt, dass Vizepräsidentin Petra Pau: es abseits der Frage des Verbots oder Nichtverbots mil- dere Mittel geben könnte, über die wir entscheiden könn- Wir wünschen natürlich auch Ihnen, Frau Kollegin ten. Das ist aber keine Aufforderung, dann mal eben zum Fograscher, für die Zukunft alles Gute bei der Umset- Ende der Legislaturperiode das Ganze zu schleifen. zung Ihrer Pläne. Wir haben in unserer Verfassung, in Artikel 20 Ab- Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat die Kol- satz 2, sozusagen als Grundlage unserer Demokratie die legin Renate Künast für die Fraktion Bündnis 90/Die freie und gleiche Willensbildung des Volkes. Dazu ge- Grünen. hört Artikel 21, der besagt: „Die Parteien“ – in Mehrzahl, als Antwort auf das, was in diesem Haus, im Reichstag, unter Herrschaft der NSDAP einmal stattfand, nämlich Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): die Ausgrenzung und Verhaftung – „wirken bei der … Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Willensbildung … mit.“ Bei allem Ärger über die NPD: Ich fnde, wenn wir die Hand an das Grundgesetz legen, An dieser Stelle machen Sie eine Lex NPD. Ein Einzel- dann obliegt es uns, wirklich seriös zu arbeiten, mit küh- fallgesetz sollte es bei der Verfassung nicht geben. Wir lem Kopf und klarem Verstand, weil es schließlich um sollten uns stattdessen überlegen, was so eine Änderung Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24555

Renate Künast (A) eigentlich im historischen Kontext bedeutet. Man kann 38 Wörter für die Demokratie, 109 Wörter dagegen. Das (C) ihr nicht zustimmen, sieht dann so aus.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Die Rednerin hält ein weiteres Schriftstück sowie bei Abgeordneten der LINKEN) hoch) Das hat eine Schiefage. weil Artikel 21 tatsächlich Teil unserer Demokratie ist; er ist wirklich die Basis. Auf dieser Grundlage organisieren (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sich die Bürger. Ich kann Ihnen das auch auf das digitale Zeitalter bezo- Sie haben gesagt, die NPD erfülle verfassungsfeindli- gen erläutern: 275 Zeichen für die Demokratie, 855 Zei- che Kriterien. Das Verfassungsgericht hat aber übrigens chen für Verbotsregeln. auch gesagt, es brauche den präventiven Schutz durch ein (Zuruf von der CDU/CSU: Sie sind doch die Verbot nicht, sondern die Kraft der freien Auseinander- Verbotspartei! – [SPD]: setzung. Da kann ich Ihnen sagen: Für die Demokratie Dann müsstest du den ganzen Absatz 2 strei- in diesem Land haben zum Beispiel – neben vielen ande- chen!) ren – die Bürgerinnen und Bürger in im Kampf gegen Legida mehr getan, als Sie es heute mit dieser Re- gelung tun; Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Künast. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): denn sie haben sich immer wieder aufgemacht und ge- Mein letzter Satz. – Es braucht einen aufrechten Gang kämpft. Das ist die Kraft der freien Auseinandersetzung. unsererseits, einen breiten Kampf gegen Rechtsextremis- Diesen Rechtsextremismus lassen wir uns nicht gefallen, mus, eine gute Finanzierung. meine Damen und Herren. Zu der 1 Million Euro, die Sie meinen der NPD ent- ziehen zu können: Sie setzen meines Erachtens ein fatales Zeichen mit Blick auf die Demokratie. Sie wollen mal einfach ein (Burkhard Lischka [SPD]: 1 Million für Na- Grundprinzip abschaffen? Wir haben Hate Speech, wir zis fordern Sie!) haben neue Parteien, neue Bewegungen. Die Frage lautet Darüber müsste das Bundesverfassungsgericht entschei- doch: Wie können wir in der Demokratie mit diesen Din- (B) den. Schauen wir einmal, ob Sie entsprechend handeln (D) gen umgehen, wie können wir sie bekämpfen? Nicht mit würden. einer Lex NPD.

Ich fnde, wir bräuchten in der nächsten Legislaturpe- Vizepräsidentin Petra Pau: riode eine Kommission, die sich ausführlich mit dieser Kollegin Künast. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes befasst, die sich mit dem Internet und dem Rechtsextremismus dort befasst, die sich mit den Grenzen und dem Umfang Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): des Parteienverbots befasst, die sich bei allem Verdruss, Machen Sie sich aber nichts vor: Diese Million geht den die Menschen über Parteiendemokratie äußern – doch nicht in die Projekte, sondern die geht an eine an- manche behaupten, die Parteien würden sich den Staat dere Partei, deren Namen Sie kennen. Sie müssen sich zur Beute machen –, mit der Frage befasst, wie man im schon dazu bekennen, Demokratie durchzuhalten und 21. Jahrhundert Demokratie gestaltet, auch über das In- neues Geld lockerzumachen. ternet. Wer hier wählen darf, wenn er seinen Lebensmit- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN telpunkt hier hat, ob Jüngere als 18-Jährige wählen dür- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) fen – das alles müssten wir diskutieren, Sie tun es aber nicht. Das würde Sinn machen und wäre angemessen. Vizepräsidentin Petra Pau: Lassen Sie mich einen letzten Satz sagen. Schauen Sie Das Wort hat der Kollege Helmut Brandt für die CDU/ einmal: So sieht der Artikel 21 Grundgesetz heute aus. CSU-Fraktion.

(Die Rednerin hält ein Schriftstück hoch) (Beifall bei der CDU/CSU)

Im Absatz 1 – „Die Parteien wirken … mit“; hier in grü- Helmut Brandt (CDU/CSU): ner Schrift – steht das Positive, Absatz 2 – hier in roter Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schrift – enthält die Verbotsregelung. 38 Wörter hat der Ich hoffe, ich kann mit meinem Beitrag wieder etwas erste Absatz. Man sieht: Das Grüne steht in einem gewis- Sachlichkeit und Ruhe in diese Debatte bringen, sie hat sen Verhältnis zum Roten, dem Verbot. Wenn Ihre Än- es auch nötig. derungen durchkommen, bleibt das Grüne, das Positive, zur Parteiendemokratie bestehen, aber aus 38 Wörtern (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- im zweiten Absatz werden bei einem Verbot 109 Wörter. ordneten der SPD) 24556 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Helmut Brandt (A) Mit der Verabschiedung der hier vorliegenden Ge- den Sachverständigen in der Anhörung vorgeschlagen –, (C) setzentwürfe hat das bislang geltende „Alles oder dass nach Ablauf einer Frist von sechs Jahren Bundestag, Nichts“-Prinzip in Sachen staatlicher Parteienfnanzie- Bundesrat oder Bundesregierung – diesen drei kommt rung auch für verfassungsfeindliche Parteien ein Ende. Antragsrecht zu – einen Antrag auf Verlängerung des Das ist gut so, Frau Künast. Es ist ein Widerspruch, einer Ausschlusses von der Finanzierung stellen können, sind Partei, die unsere Demokratie abschaffen will, Steuermit- wir nach meiner festen Überzeugung einen verfassungs- tel zu geben und sie damit noch in diesem Ziel zu unter- festen Weg gegangen. stützen, während wir gleichzeitig Steuermittel für die Be- kämpfung ebenjenes radikalen Gedankenguts ausgeben. Lassen Sie mich festhalten: Ich denke doch, dass alle demokratischen Parteien ein Grundkonsens verbindet, (Beifall bei der CDU/CSU – Steff Lemke dem das Wertesystem des Grundgesetzes und das Be- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit kenntnis zu unserem demokratischen Rechtsstaat zugrun- der AfD?) de liegen. Dies unterscheidet extremistische Parteien von Das ist ein Widerspruch, den wir hiermit aufösen wollen. demokratischen Parteien. Und genau dieser Unterschied rechtfertigt in meinen Augen auch – das haben die Sach- Kritiker der hier vorliegenden Gesetzentwürfe sehen verständigen eindeutig bestätigt – die jetzt von uns vor- in dem Ausschluss verfassungsfeindlicher Parteien von genommene Durchbrechung des Gleichheitsgebots und der staatlichen Finanzierung einen unzulässigen Eingriff stellt einen hinreichenden Grund für eine Differenzie- in den Grundsatz der Chancengleichheit. Richtig ist, dass rung in Sachen Parteienfnanzierung zwischen demokra- unser Grundgesetz politischen Parteien eine besonde- tischen und extremistischen Parteien dar. re Rolle einräumt. Als verfassungsrechtlich garantierte Institutionen tragen sie zur politischen Willensbildung Lassen Sie mich abschließend noch eins klarstellen: maßgeblich bei, indem sie unterschiedliche Lösungsan- Keiner von uns, Frau Künast, ist so naiv, zu glauben, dass sätze für gesellschaftliche Probleme anbieten. Die damit sich extremistische Grundeinstellungen mit dem Entzug verbundenen Auseinandersetzungen muss eine Demo- der Teilfnanzierung für verfassungsfeindliche Parteien kratie aushalten, um so einer möglichst großen Anzahl erledigen würden. Längst schon stehen andere extremis- von Menschen ein politisches Recht auf Teilhabe zu ga- tische Gruppierungen wie Kameradschaften, wie Anti- rantieren. Das ist die eine Seite. Aber – und das ist für fa-Gruppen bereit. Gerade auf kommunaler Ebene ist die mich das Entscheidende –: Es ist auch Aufgabe der Poli- NPD in einigen Regionen stark verwurzelt. Politik und tik, die Demokratie vor Bestrebungen, diese zu zerstören, Gesellschaft stehen deshalb auch weiterhin in der Ver- zu schützen. antwortung. Das Parteiverbot wurde von den Müttern und Vätern des Die öffentliche Auseinandersetzung mit extremisti- (B) (D) Grundgesetzes vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus schen Gruppierungen ist nicht nur ein wichtiges, sondern dem Dritten Reich als Instrument zur Bekämpfung ver- mit Sicherheit das wichtigste Mittel überhaupt bei deren fassungsfeindlicher Parteien eingeführt. Zu Recht stellen Bekämpfung. Dafür geben wir – Frau Fograscher, Sie Grundgesetz und Rechtsprechung hohe Anforderungen haben das eben erwähnt – sehr viel Geld aus, allein in an ein Parteiverbot. Im Zuge der Weiterentwicklung der 2017 für die Initiative „Demokratie leben!“ vom Bun- Rechtsprechung sowohl durch den Europäischen Ge- desfamilienministerium 104,5 Millionen Euro – ein stol- richtshof für Menschenrechte wie auch durch das Bun- zer Betrag. Da kann man doch nicht sagen, Frau Künast, desverfassungsgericht ist im Verlauf der letzten Jahre wie Sie das heute in der FAZ getan haben, wir würden zu noch das Erfordernis einer konkreten Gefahr hinzuge- wenig gegen Extremismus tun. Nein, wir haben in den kommen. Damit sind die Anforderungen an ein Partei- letzten Jahren die Gelder verdreifacht. verbot noch weiter gestiegen; denn die Frage, welche Ge- fahr von einer verfassungsfeindlichen Partei tatsächlich (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ausgeht, ist nur schwer zu beantworten. Deshalb müssen NEN]: Stimmt doch gar nicht!) wir, muss die Politik zumindest unterhalb der Schwelle Das beweist, dass wir die Probleme richtig erkannt haben eines Parteiverbots Sanktionsmöglichkeiten für extre- und bekämpfen. mistische Parteien haben. Nur so sind wir in der Lage, Instrumente der wehrhaften Demokratie zu erhalten. Auch Ihren Vorwurf einer übereilten Verfassungsän- Dieses Spannungsfeld, das unbestreitbar besteht, ha- derung muss ich entschieden zurückweisen. ben wir nach meiner Meinung mit dem Gesetzentwurf ( [CDU/CSU]: Sehr richtig!) gut aufgelöst. Wir haben Parteiprivilegien wie Versamm- lungsrecht oder Werbung eben nicht angetastet, sondern Die Grundgesetzänderung wurde gründlich vorbereitet lediglich die staatliche Parteienfnanzierung. Damit blei- und durch die Änderungsanträge im Anschluss an die ben wir weit hinter den Auswirkungen eines Parteiver- Sachverständigenanhörung noch einmal optimiert. Ein botes zurück. wirklich gutes Zeichen der gemeinsamen Bekämpfung Eben weil aber das Recht auf politische Teilhabe hoch von Extremismus wäre es, wenn alle Fraktionen diesem ist und Parteien auch einem Wandel unterliegen, ist es nö- Gesetz ihre Zustimmung geben würden. Darum werbe tig, den Ausschluss von der Parteienfnanzierung zeitlich ich. zu begrenzen; dazu ist eben schon vorgetragen worden. Danke schön. Die Regelungen hierzu haben wir mit Änderungsanträ- gen angepasst. Mit der Regelung – diese wurde auch von (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24557

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: Die SPD-Fraktion hat sich das, was sie hier macht, sehr (C) Liebe Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mir ei- gut überlegt; denn zufällig heute jährt sich zum 84. Mal nen Hinweis. Wir befnden uns noch in der Debatte und das Verbot der SPD durch die Nationalsozialisten. werden noch zwei Redner hören. Ich bitte also die Kol- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- leginnen und Kollegen, die jetzt hereingekommen sind, NEN]: Ja!) sich in den Reihen ihrer Fraktionen zu platzieren und dafür zu sorgen, dass wir die Debatte geordnet zu Ende Am 22. Juni 1933 ist meine Partei verboten worden. Und führen können. wir gehen hier ganz sauber, sachlich, ruhig und kühl vor. Aber eine Partei, der das Bundesverfassungsgericht be- Dazu hat nun der Kollege Matthias Schmidt für die scheinigt, die freiheitliche demokratische Grundordnung SPD-Fraktion das Wort. beseitigen zu wollen, hat keine Unterstützung durch die Demokratie verdient. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) der CDU/CSU) Mir ist das unter anderem deshalb so wichtig, weil Matthias Schmidt (Berlin) (SPD): bei mir im Wahlkreis die Bundeszentrale der NPD ist. Vielen Dank, Frau Präsidentin. Es ist mir eine Freude, Ich habe mit den Kollegen von der NPD, mit den da- vor vollem Haus reden zu können. Da kann es auch ruhig maligen Bundesvorsitzenden Udo Voigt zusammen in ein bisschen unruhig und lebhaft werden. Das empfnde der Bezirksverordnetenversammlung gesessen, und wir ich jetzt gar nicht als so schlimm. mussten uns da parlamentarisch auseinandersetzen. Das war auch in Ordnung. Aber die NPD hat eben mehr ge- Meine sehr geehrten Damen und Herren auf den Zu- macht. Sie hat das Geld genutzt, um Kiezfeste zu orga- schauertribünen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Las- nisieren, um Demonstrationszüge durchzuführen, um sen Sie mich zu Beginn der Debatte eine Sache feststel- CDs vor Schulhöfen zu verteilen oder gar Kinderfeste zu len, die mir wirklich sehr wichtig ist: Das Gesetz, das veranstalten. Genau dem wollen wir heute einen Riegel wir heute beschließen wollen, ist ausdrücklich keine Lex vorschieben. NPD. Aber im Fall der NPD haben wir nun einmal ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Januar (Beifall bei Abgeordneten der SPD) dieses Jahres. Ich war sowohl bei der mündlichen Ver- Mit uns, mit den Demokraten, hat immer die Zivilge- handlung als auch bei der Urteilsverkündung dabei. Ich sellschaft mit auf der Straße gestanden und hat mit uns hätte mir sehr ein anderes Urteil gewünscht – wie mögli- gegen die NPD und gegen deren Aktionen demonstriert. (B) (D) cherweise viele hier im Haus. Diese Zivilgesellschaft braucht unsere Unterstützung. Sie muss wissen: Wir als Gesetzgeber stehen an ihrer (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Seite, und wir tun alles, um rechtsextreme Bestrebungen Gleichwohl: Dieses Urteil ist ein wegweisendes Ur- zu bekämpfen. teil. Das Bundesverfassungsgericht hat nämlich festge- (Beifall bei der SPD) stellt: Die NPD verfolgt verfassungsfeindliche Ziele, nämlich die Beseitigung der freiheitlichen demokrati- Dies wollen wir heute tun. Wir fügen dem Grundgesetz schen Grundordnung, aber die NPD besitzt keine Wirk- einen weiteren Mosaikstein hinzu: für eine starke, streit- mächtigkeit. – Salopp gesagt: Die wollen die Demokratie bare Demokratie. abschaffen, aber sie schaffen es nicht einmal ansatzweise. Vielen herzlichen Dank. Zugleich hat das Bundesverfassungsgericht einen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Weg eröffnet – Frau Künast hat schon zitiert, was es uns der CDU/CSU) mit auf den Weg gegeben hat –: Wenn wir einer verfas- sungsfeindlichen Partei den Geldhahn zudrehen wollen, Vizepräsidentin Petra Pau: dann ist das Parteienverbotsverfahren nicht die einzige Das Wort hat der Kollege Dr. Volker Ullrich für die Möglichkeit dazu. Vielmehr hat der Verfassungsgesetz- CDU/CSU-Fraktion. geber die Möglichkeit, hier eine Änderung herbeizufüh- ren. Genau dies plant die Große Koalition heute durchzu- (Beifall bei der CDU/CSU) führen, und das ist gut überlegt. Es stärkt im Übrigen die wehrhafte Demokratie, die an vielen Stellen in unserem Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Grundgesetz durchscheint, in Artikel 9 Absatz 2, in Ar- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und tikel 18 und in Artikel 20 Absatz 4 und selbstverständ- Herren! Wir beschließen heute aus guten Gründen eine lich auch in Artikel 21 Absatz 2. Genau an dieser Stelle Änderung unseres Grundgesetzes. Zukünftig werden werden wir heute ein wenig nachschärfen. Frau Künast, verfassungsfeindliche, aber nicht oder noch nicht ver- Sie haben gesagt – ich habe mitgeschrieben –, wir wür- botene Parteien von der staatlichen Parteienfnanzierung den einfach mal ein Grundrecht abschaffen. Das ist kein und der steuerlichen Begünstigung ausgeschlossen sein. Grundrecht, was wir da abschaffen. Das ist es nicht. Dies folgt einem einfachen Motto: Der Staat muss nicht diejenigen fnanzieren, die ihn beseitigen wollen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) 24558 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Dr. Volker Ullrich (A) Das Ganze wird in Artikel 21 des Grundgesetzes veran- durch die aber viele Milliarden Euro bewegt werden und (C) kert. Artikel 21 ist mehr, Frau Kollegin Künast, als nur durch die sicherlich das Zusammenwirken von Bund und ein Sammelsurium von Buchstaben. Es ist die zentrale Ländern besser gestaltet wird. Heute geht es um eine Norm der politischen Teilhabe in unserem Land. weitere, eine andere Grundgesetzänderung, bei der es auf den ersten Blick nicht um viel Geld geht, die aber Unsere Demokratie hält auch extreme und radikale wichtige Signale gibt, nämlich dass wir den Feinden un- Parteien aus, mit denen wir uns im politischen Wettbe- serer Verfassung keinen Meter Platz lassen, dass wir ein werb messen müssen. Aber unser Grundgesetz hat aus wichtiges Symbol für unsere wehrhafte Demokratie set- historischen Erfahrungen heraus und aufgrund bitterer zen und dass verfassungsfeindliche Parteien, auch wenn Stunden ein Schutzschild um sich selbst gezogen: Das sie wenig Relevanz haben, nicht durch diesen Staat ge- Machbare wird nicht allein durch die Mehrheit bestimmt, fördert werden. sondern auch durch den Kern unserer Verfassung: durch Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Deswegen bitte ich Sie, und zwar die Abgeordneten von allen Parteien in diesem Hause um Zustimmung zu (Volker Kauder [CDU/CSU]: Richtig!) dieser notwendigen und guten Grundgesetzänderung. Wer Demokratie, Menschenwürde und Rechtsstaatlich- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- keit angeht und sie nicht zur Grundlage seines Handelns ordneten der SPD) macht, der hat in unserer wehrhaften Demokratie keinen Platz und darf auch nicht fnanziert werden. Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wiederhole mei- ordneten der SPD) ne Bitte: Nehmen Sie bitte Platz. Wir sind noch nicht In diesem Zusammenhang möchte ich die wichtigste ganz am Ende der Debatte. Erkenntnis des Urteils vom 17. Januar 2017 in Erinne- Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Rolf rung rufen: Nach ihrer Programmatik und Zielsetzung ist Mützenich das Wort. die NPD eine verfassungsfeindliche Partei, welche unse- re Ordnung beseitigen möchte. Ein Parteiverbot wurde Dr. Rolf Mützenich (SPD): nicht ausgesprochen, weil sie nicht das Programm dazu habe, sondern weil sie – ich möchte sagen: glücklicher- Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Am Ende der Aus- weise – derzeit nicht in der Lage ist, Einfuss zu nehmen. sprache muss ich persönlich, aber auch für meine Frak- Damit hat das Bundesverfassungsgericht eine weitere tion auf die grundsätzlichen Bemerkungen der Kollegin Kategorie defniert, nämlich die Kategorie der verfas- Künast eingehen. Sie hat in ihrer Rede einen Zusammen- (B) sungsfeindlichen, aber derzeit nicht relevanten Partei. hang zu dem zur namentlichen Abstimmung anstehenden (D) Es ist uns, dem Gesetzgeber, unbenommen, auf diese Gesetzentwurf konstruiert, den ich im Namen meiner neue Kategorie zu reagieren und zu handeln. Ich meine, Fraktion eindeutig zurückweisen will. wir müssen auch darauf reagieren, weil es niemandem (Beifall bei der SPD) erklärbar ist, dass zukünftig Wahlwerbung in Form von rassistischen, fremdenfeindlichen, antisemitischen Sprü- Sie haben behauptet, dass sich diejenigen, die die- chen und Plakaten, die den Wesenskern unseres Grund- sen Gesetzentwurf heute unterstützen, der notwendigen gesetzes verletzen, durch den Staat fnanziert wird. Das Auseinandersetzung mit dem Faschismus, mit der NPD ist niemandem zu vermitteln. und mit anderen Extremisten entziehen. Sie haben hier behauptet, dass diejenigen, die in Leipzig oder Dresden (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- demonstrieren, mehr für den Kampf dagegen tun als wir ordneten der SPD) heute als Parlamentarier. Ich weise das zurück, insbe- sondere weil ich in meinen Reihen, in den Reihen der Ja, es geht auch um die Chancengleichheit der Par- Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, viele Kolle- teien; das ist ein wichtiger Verfassungsgrundsatz. Aber ginnen und Kollegen weiß, die von Mitgliedern der NPD die Chancengleichheit fndet dort ihre Grenzen, wo es angegriffen worden sind. Ansatzpunkte für eine verfassungsrechtlich zulässige Ungleichbehandlung gibt. Diese verfassungsrechtliche Wir gehen auf dem Weg zu unserem Fraktionssaal Ungleichbehandlung hat ihren Kern in der Feststellung, an den Namen derjenigen vorbei, die sich gegen das Er- dass eine Partei verfassungsfeindlich ist. Wenn eine Par- mächtigungsgesetz der Nationalsozialisten gestemmt ha- tei verfassungsfeindlich ist, muss niemand mehr ihre Fi- ben. In dieser Tradition stehen wir. nanzierung dulden. Das gilt für die NPD; das wird nach dieser Grundgesetzänderung und weiteren Gesetzesän- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten derungen aber auch für zukünftige extremistische Partei- der CDU/CSU) en gelten, egal ob im linken oder im rechten Spektrum. Ich sage Ihnen sehr eindeutig, liebe Kollegin: Wir las- sen uns nicht absprechen, dass wir auch unabhängig von (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- diesem Gesetzentwurf weiterhin gegen die NPD arbeiten ordneten der SPD) werden. Meine Damen und Herren, wir haben in der letzten Vielen Dank. Sitzungswoche in diesem Hohen Hause viele notwendi- ge und gute Grundgesetzänderungen beschlossen, von (Anhaltender Beifall bei der SPD und der denen einige im Detail vielleicht etwas technisch sind, CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24559

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: Was ich nicht erleben will, ist, dass diese Regelung (C) Das Wort hat die Kollegin Renate Künast. gegen uns gewandt wird. Es hat Politiker gegeben, die aufgrund von Hate Speech Menschen als „Mob“ und (Zurufe von der SPD: Entschuldigen!) „Pack“ bezeichnet haben. Am Ende standen diese Men- schen mit dem Schild „Wir sind das Pack“ da und haben Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sich noch mehr zusammengeschlossen. Herr Kollege Mützenich! Liebe Sozialdemokraten! (Burkhard Lischka [SPD]: Mit einem Gal- Ich habe vorhin gesagt, hier in diesem Saal sind Ent- gen standen die da! Bleiben wir doch bei der scheidungen getroffen worden, und in Erinnerung daran Wahrheit!) sollten wir auch jetzt agieren. Ich habe schon gar nicht der Sozialdemokratie abgesprochen, dass sie etwas erlit- – Ja, zum Beispiel mit einem Galgen. – Auch ich habe ten hat und dass sie weiß, was Rechtsextremismus heißt. viel Hate Speech abbekommen. Aber auch der Hass ge- Aber an einem ändert das nichts: Ich bin nach wie vor gen die Ungerechtigkeit – so hat es Bert Brecht gesagt – der Meinung, dass diese isolierte Grundgesetzänderung verzerrt die Züge. Wir müssen denen zeigen, dass wir zur weniger ist, als immer wieder und jede Woche mutig auf Demokratie, zu demokratischen Inhalten und demokra- die Straße zu gehen und sich der Debatte auszusetzen, tischen Verfahren stehen. Diese Aufgabe ist größer als wie es zum Beispiel in Leipzig geschieht. dieser eine Satz des Bundesverfassungsgerichts. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – SES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der Volker Kauder [CDU/CSU]: Das war ja SPD – Zuruf von der SPD: Lieber wieder hin- gründlich daneben! Aber total!) setzen!) – Ja, klar! Das müssen Sie ja jetzt rufen. Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, habe ich nie- mandem von Ihnen abgesprochen, Vizepräsidentin Petra Pau: (Glocke der Präsidentin) Ich schließe die Aussprache. auch bei diesen Demonstrationen dabei zu sein. Das weiß Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak- ich von diversen bzw. sogar vielen Kollegen aus diesem tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf Haus; das habe ich gar nicht infrage gestellt. eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Arti- kel 21). (Burkhard Lischka [SPD]: Wir haben eine (B) Tradition, die Sie offensichtlich nicht haben! Mir liegen zu dieser Abstimmung zahlreiche Erklärun- (D) Das ist das Problem! – Weiterer Zuruf von der gen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor.1) Entspre- SPD: Was maßen Sie sich an?) chend unseren Regeln nehmen wir diese zu Protokoll. Herr Lischka, ich mache mir am heutigen Tag Sorgen. Der Innenausschuss empfehlt unter Buchstabe a sei- ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12846, den (Burkhard Lischka [SPD]: Ich mache mir im Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Augenblick Sorgen um die Grünen!) auf Drucksache 18/12357 anzunehmen. Ich bitte dieje- – Er ruft gerade, er mache sich Sorgen um die Grünen. nigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um Tun Sie das, fahren Sie dabei aber nicht mit einem Zug. das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung, (Widerspruch bei der SPD – Zuruf von der soweit wir das hier vorne feststellen können, mit den SPD: Ach, hätte sie doch lieber geschwiegen!) Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und der Mehrheit der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen Herr Lischka, wir haben an dieser Stelle einen Kampf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung eini- zu führen, der mehr beinhaltet als nur die NPD-Finanzie- ger Abgeordneter der Linken angenommen. rung. Sie wissen, dass viele dieser Menschen am Ende woanders hingehen werden. Angesichts geringerer Par- Wir kommen zur teibindungen, eines Verdrusses über demokratische Prin- zipien mit der Folge, dass Menschen nicht wählen gehen, dritten Beratung in Anbetracht von Hate Speech und vielem anderen müs- und Schlussabstimmung. Ich weise darauf hin, dass zur sen wir uns vor Augen halten, dass wir einen Beitrag zur Annahme des Gesetzentwurfes die Mehrheit von zwei Demokratie leisten müssen. Die Menschen fragen sich: Dritteln der Mitglieder des Deutschen Bundestages er- Welche Spenden fießen an Parteien? Deshalb sage ich forderlich ist; das sind mindestens 420 Stimmen. noch einmal: Ich fände es richtiger, wenn dieses Haus eine Kommission einsetzen würde, die sich grundsätz- Wir stimmen nun über den Gesetzentwurf namentlich lich mit der Demokratie beschäftigt und dann auch diese ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die Frage klärt. vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Ist das an allen Ab- stimmungsplätzen der Fall? – Das ist so. Ich eröffne die (Zurufe von der CDU/CSU und der SPD) Schlussabstimmung über den Gesetzentwurf. Ich hielte das für einen echten Gewinn, meine Damen und Herren. 1) Anlagen 3 und 4 24560 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine men, weil wir, wenn ich jetzt gleich das Abstimmungs- (C) Stimme nicht abgeben konnte? – Das ist offensichtlich ergebnis mitgeteilt habe, zu weiteren Abstimmungen nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung kommen. zu beginnen. Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schrift- Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim- Abstimmung unterbreche ich die Sitzung. mung bekannt: abgegebene Stimmen 579. Mit Ja ha- (Unterbrechung von 15.54 bis 16.00 Uhr) ben 502 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, mit Nein 57 Kolleginnen und Kollegen, und 20 Kolleginnen und Vizepräsidentin Petra Pau: Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Liebe Kollegen haben sich der Stimme enthalten. Der Gesetz- Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, Platz zu neh- entwurf hat die erforderliche Mehrheit erreicht

Endgültiges Ergebnis Thomas Dörfinger Dr. Stephan Harbarth Anja Karliczek Abgegebene Stimmen: 579; Marie-Luise Dött Jürgen Hardt Bernhard Kaster davon Hansjörg Durz Volker Kauder ja: 502 Iris Eberl Dr. Stefan Kaufmann nein: 57 Jutta Eckenbach Ronja Kemmer enthalten: 20 Dr. Stefan Heck Dr. Dr. Dr. Enak Ferlemann Ja Ingrid Fischbach Jürgen Klimke CDU/CSU Axel E. Fischer (Karlsru- Frank Heinrich (Chemnitz) he-Land) Mark Helfrich Dr. Uda Heller Klaus-Peter Flosbach Jörg Hellmuth Carsten Körber Artur Auernhammer Thorsten Frei Hartmut Koschyk Thomas Bareiß (B) Dr. (D) Dr. Hans-Peter Friedrich Michael Kretschmer Günter Baumann (Hof) Dr. Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings (Börde) Dr. Michael Fuchs Robert Hochbaum Rüdiger Kruse Hans-Joachim Fuchtel Alexander Hoffmann Dr. André Berghegger Alexander Funk (Dort- Dr. Roy Kühne Dr. Ingo Gädechens mund) Günter Lach Dr. Thomas Gebhart Uwe Lagosky Franz-Josef Holzenkamp Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers Dr. Andreas G. Lämmel Margaret Horb Dr. Norbert Lammert Peter Bleser Josef Göppel Bettina Hornhues Dr. Maria Böhmer Ursula Groden-Kranich Dr. Mathias Edwin Höschel Ulrich Lange Hermann Gröhe Charles M. Huber Barbara Lanzinger Klaus-Dieter Gröhler Anette Hübinger Dr. Silke Launert Klaus Brähmig Michael Grosse-Brömer Hubert Hüppe Paul Lehrieder Michael Brand Astrid Grotelüschen Erich Irlstorfer Dr. Dr. Markus Grübel Dr. Philipp Lengsfeld Helmut Brandt Sylvia Jörrißen Dr. Dr. Dr. Franz Josef Jung Dr. Dr. Monika Grütters Andreas Jung Dr. Herlind Gundelach Xaver Jung Fritz Güntzler Dr. Egon Jüttner Matthias Lietz Cajus Caesar Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Dr. Alexandra Dinges-Dierig Florian Hahn Steffen Kanitz Patricia Lips Rainer Hajek Alois Karl Wilfried Lorenz Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24561

(A) Dr. Claudia Lücking-Michel Albert Rupprecht Christel Voßbeck-Kayser Petra Crone (C) Dr. Jan-Marco Luczak Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Daniela Ludwig Dr. Daniela De Ridder Karin Maag Karl-Heinz Wange Dr. Norbert Schindler Thomas Mahlberg Tankred Schipanski Martin Dörmann Dr. Thomas de Maizière Christian Schmidt (Fürth) HonD Elvira Drobinski-Weiß Gabriele Schmidt (Ühlingen) (Hamburg) Siegmund Ehrmann Matern von Marschall Dr. Anja Weisgerber Michaela Engelmeier Hans-Georg von der Marwitz Nadine Schön (St. Wendel) Peter Weiß (Emmendingen) Dr. h. c. Gernot Erler Dr. Ole Schröder Sabine Weiss (Wesel I) (Altötting) Dr. Kristina Schröder (Wies- Karin Evers-Meyer Reiner Meier baden) Karl-Georg Wellmann Dr. Johannes Fechner Dr. Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Dr. Klaus-Peter Schulze Waldemar Westermayer Elke Ferner Maria Michalk Uwe Schummer Dr. Ute Finckh-Krämer Dr. h. c. Hans Michelbach (Weil am Peter Wichtel Christian Flisek Rhein) Dr. Annette Widmann-Mauz Gabriele Fograscher Christina Schwarzer Dietrich Monstadt Heinz Wiese (Ehingen) Dr. Edgar Franke Karsten Möring Klaus-Peter Willsch Volker Mosblech Elisabeth Winkelmeier- Becker Carsten Müller (Braun- Dr. Patrick Sensburg schweig) Bernd Siebert Dagmar G. Wöhrl Angelika Glöckner Stefan Müller (Erlangen) Barbara Woltmann Dr. Tobias Zech Gabriele Groneberg Tino Sorge Dr. Heinrich Zertik Michael Groß Jens Spahn Michaela Noll Emmi Zeulner Uli Grötsch Carola Stauche (B) Helmut Nowak Dr. Wolfgang Gunkel (D) Dr. Dr. Georg Nüßlein Gudrun Zollner Wilfried Oellers Dr. Wolfgang Stefnger Rita Hagl-Kehl Florian Oßner SPD Dr. Ulrich Hampel Ingrid Pahlmann Ingrid Arndt-Brauer Christian Frhr. von Stetten (Peine) Dr. Martin Pätzold Rita Stockhofe Ulrike Bahr Marcus Held Ulrich Petzold Bettina Bähr-Losse Dr. Heinz-Joachim Barchmann Heidtrud Henn Sibylle Pfeiffer Max Straubinger Dr. Katarina Barley Gustav Herzog Eckhard Pols Matthäus Strebl Gabriele Hiller-Ohm Lena Strothmann Dr. Matthias Bartke Dr. Eva Högl Alexander Radwan Michael Stübgen Sören Bartol Matthias Ilgen Alois Rainer Dr. Sabine Sütterlin-Waack Bärbel Bas Christina Jantz-Herrmann Dr. Dr. (Heidelberg) Dr. Hans-Peter Uhl Josef Rief Dr. Volker Ullrich Dr. Heinz Riesenhuber Dr. Karl-Heinz Brunner Johannes Kahrs Iris Ripsam Dr. h. c. Johannes Röring Marco Bülow Kathrin Rösel Michael Vietz Ulrich Kelber Dr. Norbert Röttgen (Kleinsaara) Dr. Marina Kermer Erwin Rüddel Sven Volmering Jürgen Coße 24562 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

(A) Klaus Ernst Markus Kurth (C) Dr. Bärbel Kofer Annette Sawade Dr. Monika Lazar Dr. Hans-Joachim Dr. André Hahn Steff Lemke Schabedoth Heike Hänsel Dr. Angelika Krüger-Leißner Axel Schäfer (Bochum) Andrej Hunko Nicole Maisch Helga Kühn-Mengel Dr. Ulla Jelpke Peter Meiwald Kerstin Kassner Irene Mihalic Christian Lange (Backnang) Jutta Krellmann Beate Müller-Gemmeke Dr. Karl Lauterbach Dr. Dorothee Schlegel Sabine Leidig Özcan Mutlu Steffen-Claudio Lemme Ulla Schmidt (Aachen) Ralph Lenkert Dr. Konstantin von Notz Burkhard Lischka Matthias Schmidt (Berlin) Dr. Gesine Lötzsch Friedrich Ostendorff Gabriele Lösekrug-Möller (Wetzlar) Lisa Paus Carsten Schneider (Erfurt) Brigitte Pothmer Kirsten Lühmann Elf Scho-Antwerpes Harald Petzold (Havelland) Tabea Rößner Dr. Birgit Malecha-Nissen Dr. Claudia Roth (Augsburg) (Spandau) Corinna Rüffer Dr. Kirsten Tackmann Manuel Sarrazin Frank Schwabe Azize Tank Elisabeth Scharfenberg Alexander Ulrich Dr. Ulle Schauws Klaus Mindrup Dr. Harald Weinberg Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Detlef Müller (Chemnitz) Rainer Spiering Kordula Schulz-Asche Michelle Müntefering Birgit Wöllert Norbert Spinrath Dr. Wolfgang Strengmann- Dr. Rolf Mützenich Pia Zimmermann Kuhn Andrea Nahles Martina Stamm-Fibich Hans-Christian Ströbele Nein Markus Tressel Thomas Oppermann Christoph Strässer Jürgen Trittin Mahmut Özdemir (Duisburg) BÜNDNIS 90/ Dr. Julia Verlinden Aydan Özoğuz DIE GRÜNEN (B) Doris Wagner (D) Luise Amtsberg Beate Walter-Rosenheimer Christian Petry Kerstin Andreae Dr. Karin Thissen Dr. Valerie Wilms Jeannine Pfugradt Annalena Baerbock Franz Thönnes Sabine Poschmann Marieluise Beck (Bremen) Carsten Träger Joachim Poß Volker Beck (Köln) Enthalten Rüdiger Veit Dr. Franziska Brantner DIE LINKE (Minden) Agnieszka Brugger Dirk Vöpel Herbert Behrens Dr. Wilhelm Priesmeier Ekin Deligöz Florian Pronold Katja Dörner Christine Buchholz Dr. Katharina Dröge Roland Claus Andrea Wicklein Dr. Simone Raatz Harald Ebner Nicole Gohlke Martin Rabanus Dr. Thomas Gambke Waltraud Wolff (Wol- Mechthild Rawert Matthias Gastel Dr. Rosemarie Hein mirstedt) Stefan Rebmann Kai Gehring Inge Höger Gülistan Yüksel Gerold Reichenbach Katrin Göring-Eckardt Sigrid Hupach Dagmar Ziegler Dr. Carola Reimann Anja Hajduk Susanna Karawanskij Andreas Rimkus Britta Haßelmann Katrin Kunert Dr. Jens Zimmermann Sönke Rix Dr. Anton Hofreiter Stefan Liebich Manfred Zöllmer Petra Rode-Bosse Bärbel Höhn Thomas Lutze Birgit Menz DIE LINKE Dr. Katja Keul Cornelia Möhring René Röspel Dr. Dietmar Bartsch Sven-Christian Kindler Dr. Alexander S. Neu Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Binder Maria Klein-Schmeink Petra Pau Michael Roth (Heringen) Matthias W. Birkwald Tom Koenigs Martina Renner Susann Rüthrich Heidrun Bluhm Sylvia Kotting-Uhl Frank Tempel Bernd Rützel Eva Bulling-Schröter Oliver Krischer Jörn Wunderlich Sevim Dağdelen Renate Künast Hubertus Zdebel Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24563

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Dann kommen wir nun zur Abstimmung über den Drucksache 18/12695 (C) von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD einge- brachten Gesetzentwurf zum Ausschluss verfassungs- Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion feindlicher Parteien von der Parteienfnanzierung. Der Bündnis 90/Die Grünen vor. Über die Beschlussempfeh- Innenausschuss empfehlt unter Buchstabe b seiner Be- lung werden wir später namentlich abstimmen. schlussempfehlung auf Drucksache 18/12846, den Ge- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für setzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- Drucksache 18/12358 in der Ausschussfassung anzuneh- nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege chen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Dr. Gernot Erler für die SPD-Fraktion. Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten und großer Teile der Fraktion Die Linke gegen die Stim- der CDU/CSU) men der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. (SPD): Dritte Beratung Dr. h. c. Gernot Erler Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Eigentlich muss man eine Debatte über die Verlängerung Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – des deutschen Anteils an der Kosovo Force einleiten mit Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- den Worten: Alle Jahre wieder. Tatsächlich reden wir hier entwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, seit 18 Jahren – immer fast genau am gleichen Tag im der SPD-Fraktion und der Fraktion Die Linke gegen die Juni – über diesen Dauereinsatz. Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenom- men. Das Einzige, was sich dabei wirklich ändert, sind die Obergrenzen der Einsatzkräfte. Beim ersten Bundestags- Wir setzen die Abstimmungen zu der Beschlussemp- mandat lag diese noch bei 8 500 Mann. Im vergangenen fehlung des Innenausschusses auf Drucksache 18/12846 Jahr ging dann die Obergrenze runter auf 1 350 Soldatin- fort. Der Ausschuss empfehlt unter Buchstabe c seiner nen und Soldaten. Damit belegt Deutschland Platz drei Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf des Bundesra- bei den Truppenstellern für KFOR, die gegenwärtig eine tes auf Drucksache 18/12100 zur Änderung des Grund- Gesamtstärke von 4 400 Kräften aufweist. Jetzt soll für gesetzes zum Zweck des Ausschlusses extremistischer das bevorstehende Jahr die Obergrenze für die Bundes- Parteien von der Parteienfnanzierung für erledigt zu wehrsoldaten erneut herabgesetzt werden, nämlich auf (B) (D) erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – 800, also gerade noch ein Zehntel der Startgröße von Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Be- 8 500 Kräften. schlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Auch der Text von Antrag und Begründung der Bun- Unter Buchstabe d empfehlt der Ausschuss, auch das desregierung zur KFOR-Verlängerung ist übrigens jedes Begleitgesetz auf Drucksache 18/12101 zu dem eben Jahr fast derselbe. Wir fnden dort vertraute Formeln: genannten Gesetzentwurf des Bundesrates für erledigt Die Lage im Kosovo sei überwiegend ruhig und stabil, zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- aber es gebe immer noch ein Konfikt- und Eskalations- lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die potenzial, und es könne zu unerwarteten Zwischenfällen Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. kommen. Ich füge hinzu: wie etwa zuletzt im Januar, als Ich rufe Tagesordnungspunkt 11 auf: plötzlich die Serben einen Zug nach Mitrovica schickten, auf dem geschrieben stand: Kosovo ist Serbien. – Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses Ja, es gibt die einheimischen Polizeikräfte der Kosovo (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesre- Security Force und auch die Einsatzkräfte der Kosovo gierung Armed Forces, aber es besteht eben ein Restbedarf an der internationalen Streitmacht von KFOR, auch wenn sich Fortsetzung der deutschen Beteiligung an das Aufgabenspektrum immer mehr verschiebt: weg von der internationalen Sicherheitspräsenz Eingreiffällen hin zu Aufklärungs- und Beratungsaufga- in Kosovo auf der Grundlage der Resolu- ben. tion 1244 (1999) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 und Wer die Lage im Kosovo ein wenig kennt und dann des Militärisch-Technischen Abkommens noch den Blick auf die Gesamtsituation in der Westbal- zwischen der internationalen Sicherheits- kanregion richtet, der wird nicht der Aussage widerspre- präsenz (KFOR) und den Regierungen der chen, dass KFOR tatsächlich immer noch gebraucht wird, Bundesrepublik Jugoslawien (jetzt: Re- auch im 18. Jahr nach dem Kosovo-Krieg. Und weil das publik Serbien) und der Republik Serbien so ist, wird die SPD-Fraktion dem Antrag der Bundes- vom 9. Juni 1999 regierung zustimmen, wie alle Jahre wieder, und es ist Drucksachen 18/12298, 18/12694 schon richtig: Das anerkennenswerte Engagement unse- rer Soldatinnen und Soldaten im Kosovo liegt in unserem – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- ureigenen Sicherheitsinteresse, und es entspricht unserer schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Verantwortung als Beteiligte an dem Kosovo-Krieg von 24564 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Dr. h. c. Gernot Erler (A) 1999. Dieser Verantwortung müssen wir gerecht werden, Umsetzungsschritten längst nicht mehr die erhofften po- (C) auch noch nach 18 Jahren. sitiven Wirkungen erzielt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie Vor diesem Hintergrund hat der deutsche Außenminis- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE ter Sigmar Gabriel am 31. Mai bei der Aspen-Südosteu- GRÜNEN) ropa-Außenministerkonferenz einige sehr konkrete Vor- schläge gemacht, die aus meiner Sicht die Unterstützung Also alles gut? – Nein, es ist nicht alles gut. Die Lage dieses Hauses verdienen. Er hat dafür geworben, dem im Kosovo bereitet uns Sorgen, und zwar erhebliche. Erweiterungsprozess mit den Westbalkanländern einen Am 11. Juni fanden vorgezogene Neuwahlen statt, nach neuen Push zu geben. Er fordert, mehr Mittel konkret zur einem Misstrauensvotum der Opposition, das auch von Linderung sozialer Notlagen einzusetzen. Es gehe darum, einer der Regierungsparteien unterstützt wurde. Als in einem Berlin-Prozess reloaded die regionale Koopera- stärkste Kraft ging aus den Wahlen die sogenannte Ko- tion zu stärken und dabei sichtbare Verbesserungen für alition der Kommandanten hervor, eine Dreierkoalition die Menschen zu erreichen. Große Infrastrukturprojekte ehemaliger UCK-Kriegsherren. Ihr Kandidat für den wie etwa die Autobahn, die Serbien, Kosovo und Alba- Regierungschef ist Ramush Haradinaj, ein mutmaßlicher nien verbinden soll, müssten beschleunigt werden, aber Kriegsverbrecher, der nur deswegen nicht hinter Gittern auch die IT-Infrastruktur müsse verbessert werden, zum sitzt, weil Zeugen ihre Aussage zurückzogen oder unter Beispiel über einen regionalen IT-Gipfel. Schließlich ungeklärten Umständen ums Leben kamen. sollte ein Fonds aufgelegt werden, um die duale Ausbil- dung, mit der Deutschland so gute Erfahrungen gemacht Zweitstärkste Kraft wurde die linksnationalistische hat, vor Ort zu etablieren. Gruppierung Vetevendosje, auf Deutsch Selbstbestim- mung, mit Albin Kurti als Premierministerkandidat. Die- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ser fordert öffentlich eine Vereinigung des Kosovo mit der CDU/CSU) Albanien und den Abbruch der Verhandlungen mit Serbi- Aus solchen Bausteinen sollte eine neue EU-Strate- en, solange Belgrad nicht die Unabhängigkeit des Koso- gie für Südosteuropa errichtet werden. Europa konnte die vo anerkannt hat. Einer dieser beiden Wahlgewinner ist vier blutigen Balkankriege der 90er-Jahre nicht verhin- auf jeden Fall an der nächsten Regierung beteiligt. Da dern. Die EU hat daraus aber gelernt und hat der ganzen bleibt es rätselhaft, wie die Hauptaufgaben des Kosovo Region ab 1999 mit dem Stabilitätspakt für Südosteuro- gelöst werden sollen, und die heißen: Bekämpfung von pa und 2003 mit der EU-Beitrittsperspektive das Tor zu organisierter Kriminalität und Korruption sowie Aufar- einer positiven Europazukunft aufgestoßen. Jetzt muss beitung der Kriegsverbrechen. eine Erosion dieser positiven Europavision in einer Regi- (B) Es ist deprimierend, dass trotz KFOR und der größten on verhindert werden, in der sich längst andere Player an (D) Rechtsstaatsmission, die je von der EU entsandt worden einer offensiven Einfusspolitik alter Schule versuchen, ist, nämlich EULEX Kosovo, der zwischenzeitlich bis ohne dabei das Wohlergehen der Menschen in dieser zu 2 000 Polizisten, Richter, Gefängnis- und Zollbeamte Region im Auge zu haben. Es ist jetzt Zeit, politisch zu angehörten, und trotz aller Anstrengungen der Fortschritt handeln – jenseits der Sicherungsaufgaben, für die wir so gering ist. Die Neue Zürcher Zeitung hat die Lage im KFOR weiter brauchen. Aber das ist bereits eine Aufgabe Kosovo kürzlich mit einem Satz auf den Punkt gebracht. für den nächsten Bundestag. Dieser lautet – ich zitiere –: „Arbeitslosigkeit, Korrupti- Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dieser Rede ver- on und Auswanderung lähmen die Gesellschaft …“ abschiede ich mich nach mehr als 30 Jahren und nach Die Arbeitslosigkeit liegt bei 30 Prozent, die Jugend- acht Wahlperioden aus dem Deutschen Bundestag. Ich arbeitslosigkeit bei annähernd 70 Prozent. Die korrupten habe mich in dieser ganzen Zeit vor allem mit der inter- Eliten plündern weiter das Land aus. Kritiker sagen: Sie nationalen Politik beschäftigt, mit dem Schwerpunkt auf lassen sich ihr Stabilitätsversprechen teuer bezahlen, Russland, Osteuropa, Zentralasien und Südosteuropa. auch aus den umfangreichen Hilfszahlungen, die aus Wir haben in Deutschland eine parlamentarische po- dem Ausland kommen. Wer soll sich da wundern, dass litische Kultur mit bemerkenswerten Rechten des Bun- vor allem junge Leute die Flucht ergreifen? Wir haben destages bei internationalen Fragen entwickelt. Dabei in Deutschland nicht vergessen, wie viele Menschen im sprechen wir nur über einen Ausschnitt, wenn wir auf die Jahr 2015 aus dem Kosovo und anderen Westbalkanstaa- strikte Genehmigungspficht jedes auch noch so begrenz- ten nach Deutschland fohen, weil sie einfach in ihrem ten Auslandseinsatzes der Bundeswehr verweisen. In eigenen Land keine lebenswerte Perspektive für sich er- Wirklichkeit hat sich der Bundestag erhebliche Mitwir- kennen konnten. kungs- und Kontrollrechte auf allen Feldern der Außen-, Sicherheits- und internationalen Politik unseres Landes Man kann nicht über KFOR reden und beschließen, gesichert, und er hat bisher alle Versuche abgeschmet- ohne die Frage zu stellen, wie es eigentlich politisch im tert, diese Rechte einzuschränken. Solche Versuche hat Kosovo und in der ganzen Westbalkanregion weiterge- es durchaus gegeben. hen soll und welchen Herausforderungen wir uns dort stellen müssen. Seit 2014 gibt es den sogenannten Ber- Gerade die heutige 19. Debatte um den Einsatz im lin-Prozess, aber Beobachter vermissen da konkrete Fort- Kosovo ist ein guter Hintergrund, um auf dieses Allein- schrittsprojekte. Eine neue Südosteuropastrategie der EU stellungsmerkmal unserer parlamentarischen politischen wird immer dringlicher, nachdem die 2003 gegebene Kultur hinzuweisen. Wer einmal einen Blick darauf EU-Beitrittsperspektive mit ihren quälend langsamen wirft, welche Rechte zum Beispiel unsere französischen Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24565

Dr. h. c. Gernot Erler (A) Kolleginnen und Kollegen bei der Pariser Außen- und Vizepräsidentin Petra Pau: (C) Sicherheitspolitik haben, weiß, wovon hier die Rede ist. „... immer mit Respekt und immer fair“: Kolleginnen Ich plädiere nachdrücklich dafür, an diesem Alleinstel- und Kollegen des gesamten Hauses haben Ihnen eben mit lungsmerkmal festzuhalten, so unbequem es für das Re- ihrem Beifall hier zugestimmt. Ich denke, ich spreche gierungshandeln manchmal auch sein mag. im Namen aller Abgeordneten und auch der von Ihnen angesprochenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Verwaltung, wenn wir Ihnen für Ihre weiteren Unterneh- der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- mungen – ich bin fest davon überzeugt, wir werden von NISSES 90/DIE GRÜNEN) Ihnen hören – alles Gute wünschen. Noch nie waren parlamentarische Mitwirkung und (Beifall) Kontrolle bei der Bewältigung internationaler Herausfor- Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat die Kolle- derungen so nötig und wichtig wie heute. Wir sind kon- gin Sevim Dağdelen für die Fraktion Die Linke. frontiert mit den Folgen von politischen Entscheidungen, die sich über Regeln und Prinzipien einschließlich des (Beifall bei der LINKEN) Völkerrechts hinweggesetzt haben. Der Kosovokrieg, so hat es Kof Annan einmal gesagt, bewegte sich in einer Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Grauzone des Völkerrechts. Die Folgen beschäftigen uns Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und bis heute. Der Irakkrieg, an dem Deutschland zum Glück Herren! Lieber Herr Kollege Erler, auch ich bedanke nicht teilgenommen hat, war völkerrechtswidrig und hin- mich – auch im Namen meiner Fraktion – für die Zusam- terließ eine ganze Failing-State-Landschaft, die sich als menarbeit und wünsche Ihnen vor allen Dingen für die Biotop für den islamistischen Terror erwiesen hat. Der Zukunft alles Gute. Missbrauch der Bengasi-Resolution des UN-Sicherheits- rats vom März 2011 hat uns letztlich vor schier unlös- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und bare Probleme in Libyen gestellt, hat internationales der SPD – Dr. h. c. Gernot Erler [SPD]: Danke Vertrauen zerstört und nebenbei wahrscheinlich noch das schön!) Prinzip der Schutzverantwortung auf Dauer diskreditiert. Aber eines erlauben Sie mir dann doch: Wer heute die russische Seite auf ihre Regelverletzungen im Ukraine-Konfikt anspricht, bekommt immer dieselbe (Michael Brand [CDU/CSU]: Ich wusste es! Antwort: Und was habt ihr im Kosovo, im Irak und in Es ist ein vergiftetes Lob!) Libyen gemacht? Bei der Beurteilung des Jugoslawien-Kriegs war Ihr ehe- (B) maliger Bundeskanzler Gerhard Schröder etwas eindeu- (D) (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE tiger. Er sagte: Ich habe als Kanzler damals mit dem Ju- GRÜNEN]: Zu Recht!) goslawien-Krieg gegen das Völkerrecht verstoßen. Das In dieser Falle stecken wir. Da herauszukommen und sagte selbst Bundeskanzler Gerhard Schröder. neues Vertrauen zu schaffen, wird sehr viel Kraft kosten. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Eine Anstrengung, die ohne den konstruktiven und krea- Michael Brand [CDU/CSU]: Sie haben das tiven Einsatz von Parlamentariern und Parlamenten nicht Putin-Zitat vergessen!) gelingen wird. Eine Weltpolitik als Reparaturbetrieb hat keine Zukunft. Unser Ziel muss die globale Verantwor- Ich fnde, das gehört bei der eindeutigen Einordnung der tungspartnerschaft bleiben, in die wir alle relevanten Geschichte zur ehrlichen Debatte dazu. Staaten mit einbeziehen müssen. Dass es sich lohnt, sich Im Mandatstext für Ihren KFOR-Einsatz sagen Sie: dafür einzusetzen, soll meine letzte Botschaft von diesem Der Auftrag und das Ziel sind die „Unterstützung zur Pult aus gewesen sein. Entwicklung eines stabilen, demokratischen, multieth- nischen und friedlichen Kosovo“. Dann schauen wir uns (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem das einmal an. Seit 18 Jahren steht die Bundeswehr mitt- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- lerweile im Kosovo. Milliarden wurden für diesen Ein- geordneten der LINKEN) satz ausgegeben, Milliarden versickerten als Wirtschafts- hilfe im Land. Das Ergebnis ist eine Katastrophe. War Anfügen möchte ich nur ein kurzes Wort des Dankes: die Lage im Kosovo schon immer politisch heikel, haben an meine Mitarbeiter, die ich sehr vermissen werde, an jetzt die Extremisten im Kosovo endgültig Oberwasser die Beschäftigten dieses Hohen Hauses, die ihre Arbeit bekommen. „Radikale Parteien gewinnen Parlaments- ebenso lautlos wie effzient und freundlich verrichten, wahl im Kosovo“, so die Schlagzeile auf tagesschau.de. und an alle Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich zu- sammenarbeiten durfte, immer mit Respekt und immer (Zuruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]) fair. – Hören Sie mal lieber zu, Herr Kauder! – In der Tat könnte die Bilanz des Engagements der Bundesregierung Ich danke Ihnen. nicht negativer sein. (Anhaltender Beifall bei der SPD, der CDU/ (Volker Kauder [CDU/CSU]: Wenn ich zu- CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hören soll, müssen Sie besser werden! Sonst sowie bei Abgeordneten der LINKEN) wird es nichts!) 24566 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Sevim Dağdelen (A) So wird mit dem ehemaligen UCK-Kommandanten und ckelt hat. So sagte die Bundesregierung in ihrer Antwort (C) mutmaßlichen Kriegsverbrecher – Ihr Verbündeter, Herr auf meine Anfrage, dass durch saudische Gelder die För- Kauder – Ramush Haradinaj, derung des Islamismus extremst vorangetrieben wird. (Michael Brand [CDU/CSU]: Unverschämt- Die Konsequenzen sind wirklich verheerend. Auf die heit!) Bevölkerung hochgerechnet, hat keine Region, keine unterstützt von einem völkisch-nationalistischem Partei- einzige Region in Europa so viele Leute zu den islamisti- enbündnis, mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Antidemo- schen Mörderbanden nach Syrien gesandt wie der Koso- krat erster Klasse künftig an der Spitze des Kosovo ste- vo. Wie gesagt: Ich fnde, das ist eine Schreckensbilanz. hen. Mit deutschen Truppen wird sozusagen ein Gebilde (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) geschützt, an dessen Spitze ein Mann – ja, man muss das sagen – mit NPD-Ideologie steht, dessen Ziel es ist, den Es verwundert mich auch nicht, dass dies bei den Be- gesamten Balkan in Brand zu setzen. ratungen zu KFOR nicht einmal Gegenstand im Kabinett gewesen ist, wie mir die Bundesregierung mitteilte. Sie Diese Bundesregierung treibt gleichzeitig unverdros- agieren nach dem Prinzip der drei Affen: nichts hören, sen den EU-Beitritt dieses Kosovo voran. Gemeinsam nichts sehen, nichts sagen. Ich fnde, damit muss Schluss mit der Europäischen Union werden die eigenen Kriteri- sein. Diese verheerende deutsche Politik auf dem Balkan en einfach so in den Staub getreten. muss beendet werden. Blicken wir zurück: Haradinaj und seine Gruppe wa- ren wegen gewaltsamer Verschleppung von Zivilisten, (Beifall bei der LINKEN – Peter Beyer Entführung, Freiheitsberaubung, Folter, Mord, Verge- [CDU/CSU]: Was schlagen Sie denn vor?) waltigung angeklagt worden. Haradinaj wurde vom Es kommt noch hinzu: Serbien wollen Sie auch noch Haager Gericht freigesprochen aus dem ganz einfachen zu einer völkerrechtswidrigen Anerkennung der einsei- Grund, weil kein Zeuge mehr gegen ihn aussagen konnte tigen Unabhängigkeitserklärung des Kosovo zwingen, oder auch wollte. indem Sie mit dafür sorgen, dass dies unter Bruch des (Michael Brand [CDU/CSU]: Niemand im europäischen Rechts zu einem Kriterium der Beitrittsver- Parlament verteidigt Haradinaj! Niemand!) handlungen wird. Den Extremisten, den Nationalisten im Kosovo rollen Sie im Gegenzug den roten Teppich aus. Von den ursprünglich zehn Zeugen gegen ihn überlebte Ich fnde, die Förderung dieser großalbanischen Nationa- nur ein einziger Zeuge. Dieser zog seine Aussage zurück, listen auf dem Balkan muss aufhören. nachdem er knapp einen Anschlag überlebt hatte. (Henning Otte [CDU/CSU]: Wie viele Minu- (B) Ich möchte an die anderen neun Zeugen erinnern, die ten sind das jetzt?) (D) alle ums Leben gekommen sind oder ermordet wurden. Einer wurde von einem Jeep überfahren, ein anderer mit Wir brauchen eine Umkehr in der deutschen Außenpoli- einem Messer erstochen, zwei wurden erschossen, die tik: zurück zum Völkerrecht, zurück zur Rechtsstaatlich- anderen bei professionell organisierten Attentaten ge- keit, zurück zur Demokratie. Deshalb sagen wir: Stellen tötet. Eine eindrucksvolle Bilanz Ihres Verbündeten auf Sie Ihre Unterstützung ein, und ziehen Sie endlich die dem Weg zum Rechtsstaat im Kosovo, würde ich sagen. Bundeswehr aus dem Balkan ab! Das Schweigen der Bundesregierung zu diesen Vor- (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder gängen spricht Bände. Es untergräbt aber auch die Glaub- [CDU/CSU]: Vom Balkan, nicht aus! – Gegen- würdigkeit der Europäischen Union insgesamt in Sachen ruf der Abg. Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Ja, Herr Lehrer! Oberlehrer! – Gegenruf des (Beifall bei der LINKEN) Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Bei Ihnen nötig! – Gegenruf der Abg. Sevim Dağdelen Haradinaj fordert ein Großalbanien. Mit Gewalt soll [DIE LINKE]: Unterstützen Sie mal die Isla- bis zu einem Drittel des serbischen Territoriums annek- misten da!) tiert werden. Die Stadt Nis soll selbst dazugehören zu diesem völkischen Albtraum. Ich fnde, es ist wirklich beschämend, dass diese Leute die Garanten der Bundes- Vizepräsidentin Petra Pau: regierung für eine demokratische Entwicklung im Koso- Das Wort hat der Kollege Dr. Franz Josef Jung für die vo sein sollen. CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU) Diese Bundesregierung unterstützt nämlich im Rah- men der KFOR-Soldaten solche Leute. Ich würde sagen, Dr. Franz Josef Jung (CDU/CSU): jeder vernünftige Mensch würde die Unterstützung die- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und ses Kosovo endlich einstellen. Herren! Frau Kollegin Dağdelen, wenn man Ihre Ausfüh- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) rungen hier hört, dann muss man schon deutlich sagen, dass erstens die Angriffe auf die Bundesregierung mit Zu dieser Schreckensbilanz kommt ja noch eines hin- Nachdruck zurückgewiesen werden müssen zu: dass sich unter den Augen deutscher Truppen das Kosovo zu einem islamistischen Terrorzentrum entwi- (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Warum denn?) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24567

Dr. Franz Josef Jung (A) und zweitens Sie offensichtlich völlig vergessen haben, einem guten Abschluss zu führen. Dazu gehört, dass wei- (C) dass auf dem Balkan durch Massenvergewaltigungen terhin die Normalisierung der Beziehungen mit Serbien und Massenhinrichtungen eine Situation von kriegeri- unterstützt wird, sodass alle Bürger des Kosovo in Frie- scher Auseinandersetzung entstanden ist, die ohne das den und in sicheren Grenzen leben können. Eingreifen der NATO und damit auch unserer Bundes- wehr nicht wieder in Stabilität und Frieden übergegangen (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Mit Erpres- wäre. sungen!) (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Rechtfertigen Kosovo muss ein stabiler multiethnischer Staat sein, in Sie den Völkerrechtsbruch? – Dr. Alexander dem alle Minderheiten, auch die Serben, in Frieden und S. Neu [DIE LINKE]: Hören Sie mit dieser Freiheit gleichberechtigt leben können. Legende auf!) (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Großalba- Wir reden heute über die Verlängerung des KFOR-Man- nien!) dats, um weiterhin eine Stabilisierung und eine friedliche Meine Damen und Herren, es braucht dazu auch wie- Entwicklung auf dem Balkan und konkret im Kosovo zu der einen neuen Impuls. Es ist wahr, dass die illegalen ermöglichen. serbischen Doppelstrukturen im Bereich Justiz und Si- (Beifall bei der CDU/CSU – Sevim Dağdelen cherheit abgebaut worden sind, dass beispielsweise die [DIE LINKE]: Was für eine friedliche Ent- Brücke in Mitrovica wieder geöffnet wurde, aber es be- wicklung? – Weitere Zurufe von der LINKEN) darf noch des serbischen Gemeindeverbandes – das muss jetzt von kosovarischer Seite ermöglicht werden –, um Meine Damen und Herren, es liegt auch in unserem eine weitere stabile und friedliche Entwicklung im Koso- Sicherheitsinteresse, dass sich die Region weiter stabi- vo zu bewirken. lisiert, dass die Länder auf ihrem Weg zur Europäischen Union von uns unterstützt werden, dass wir vermeiden, (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Großalba- dass Konfikte neu ausbrechen. nien!) (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Großalbani- Meine sehr verehrten Damen und Herren, nach den en! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/ Wahlen ist noch nicht klar, wie die neue Regierung aus- CSU]: Jetzt sind Sie mal ruhig hier! – Gegen- sehen wird. Aber eines muss klar sein: dass der Nor- ruf der Abg. Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: malisierungsprozess weiter intensiviert wird, dass die Sie waren bei mir auch nicht ruhig! – Gegenruf Rechtsstaatlichkeit vorangebracht wird, dass organisierte des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie sind Kriminalität und Korruption bekämpft werden und dass (B) ein bisschen sehr gewöhnlich hier! – Gegen- auch der Kampf gegen den IS im Kosovo entsprechend (D) ruf der Abg. Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: intensiviert wird, weil das die Voraussetzung für eine zu- Unverschämt!) künftig auch in wirtschaftlicher Hinsicht positive, stabile und friedliche Entwicklung in dieser Region ist. Daher Da kann ich nur das unterstreichen, was Herr Erler gesagt wollen wir mit KFOR und mit unseren Soldatinnen und hat. Eine Provokation wie beispielsweise der Zug mit der Soldaten diesen Prozess intensiv unterstützen. Aufschrift „Kosovo ist Serbien“ muss in Zukunft unter- bleiben, weil dies nur zusätzliche Konfikte schürt und (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- nicht zu einer friedlichen und stabilen Entwicklung im ordneten der SPD – Sevim Dağdelen [DIE Kosovo beiträgt. LINKE]: Mit Kriegsverbrechern!) (Beifall bei der CDU/CSU) Im Wahlkampf – es wurde angesprochen – sind ver- schiedene Dinge artikuliert worden. Ich glaube, ei- Meine Damen und Herren, es ist zutreffend: Seit nes muss man sehr deutlich sehen: Eine Forderung zur 18 Jahren ist KFOR auch mit unseren Soldatinnen und Schaffung von Großalbanien ist genau das Gegenteil von Soldaten im Kosovo engagiert. Mittlerweile sind die dem, was friedliche Entwicklung und Stabilisierung be- kosovarischen Sicherheitskräfte in der Lage, Sicherheit deutet. Deshalb müssen solche Forderungen in Zukunft herzustellen, beispielsweise bei Großdemonstrationen unterbleiben und möglichst schnell vom Tisch, weil dies oder gewaltsamen Ausschreitungen. KFOR stellt heute zu keiner positiven Entwicklung im Kosovo führen wird. eine Rückversicherung dar, falls die Lage wieder instabil werden sollte. Hier denke ich insbesondere an das Nord- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- kosovo. neten der SPD und der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Wir müssen auch sehen, dass die Stabilisierungserfol- Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Hört! Hört!) ge dazu geführt haben, dass die 50 000 Soldatinnen und Soldaten, die ursprünglich im Kosovo waren – davon im- Das gefährdet eine friedliche und europäische Entwick- merhin 6 440 Bundeswehrsoldatinnen und ‑soldaten –, lung. Deshalb bleibt, glaube ich, der Einsatz unserer Sol- auf insgesamt 4 400, davon 550 Bundeswehrsoldaten, datinnen und Soldaten hier notwendig. reduziert wurden. Deswegen können wir jetzt das Man- Ich denke, man muss auch deutlich machen – ich habe dat von 1 350 Soldatinnen und Soldaten auf 800 zurück- die Zahlen gerade noch einmal in Erinnerung gerufen –, führen. welchen Beitrag unsere Soldatinnen und Soldaten dort Aber ich denke, es bleibt unser Ziel, dass wir alle An- geleistet haben. Im Übrigen haben – auch das gehört zu strengungen unternehmen, um auch dieses Mandat zu einer solchen Debatte – Soldatinnen und Soldaten, die 24568 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Dr. Franz Josef Jung (A) sich dort für eine friedliche Entwicklung eingesetzt ha- felsenfeste Überzeugung. Dafür bin ich umso mehr dank- (C) ben, ihr Leben gelassen. Deshalb gehört es im Rahmen bar. dieser Debatte auch dazu, unseren Soldatinnen und Sol- daten für diesen Einsatz zu danken, den sie für Frieden (Beifall bei der CDU/CSU) und Stabilität im Kosovo geleistet haben. Gerade am heutigen Tag verneige ich mich deshalb in Verehrung und Dankbarkeit vor dem großen europäi- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie schen und deutschen Staatsmann Helmut Kohl. bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Meine Damen und Herren, zum Schluss möchte ich Was für eine Stabilität?) auch meiner Familie danken. Ohne meine Frau wäre all das so nicht möglich gewesen. Herzlichen Dank. Und al- Meine sehr verehrten Damen und Herren, da dies auch les Gute dem Deutschen Bundestag. meine letzte Rede im Deutschen Bundestag sein wird, Besten Dank. will ich noch drei Bemerkungen machen. (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Bei- Erstens. Ich habe meine Abgeordnetentätigkeit – fall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE wenn ich die Mandate auf Kreis-, Landes- und Bundes- GRÜNEN sowie der Abg. Sevim Dağdelen ebene zusammenzähle, komme ich auf 45 Jahre – immer [DIE LINKE] – Die Abgeordneten der CDU/ mit großer Freude und Engagement wahrgenommen. Ich CSU erheben sich) bedanke mich für die gute und freundschaftliche Zu- sammenarbeit, auch für die Unterstützung der Mitarbei-

terinnen und Mitarbeiter. Ich will hinzufügen: Ich glau- Vizepräsidentin Petra Pau: be, unser System der repräsentativen parlamentarischen Alles Gute auf dem weiteren Weg. – Wir fahren in der Demokratie hat sich in Deutschland bewährt und sollte Debatte fort. Das Wort hat die Kollegin Marieluise Beck auch in Zukunft unser Prinzip des Parlamentarismus in für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Deutschland bleiben. Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie GRÜNEN): bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und GRÜNEN) Kollegen! Lieber Kollege Erler, lieber Kollege Jung, solche Abschiede gehören zum Wesen der parlamentari- Zweitens. Ich sage auch, dass ich meine Regierungs- schen Demokratie; denn sie bedeuten Wechsel und Rota- funktionen, sowohl in Hessen als auch im Bund, gerne (B) tion. Sie bringen immer etwas Wehmut mit sich. Deswe- (D) wahrgenommen habe, am liebsten – das gebe ich zu – gen möchte auch ich an dieser Stelle Ihnen meinen Dank das Amt des Verteidigungsministers. Mir war es immer dafür aussprechen, dass wir in den vergangenen Jahren ein Herzensanliegen, mich für unsere Soldatinnen und immer, und zwar ausnahmslos, mit Respekt miteinander Soldaten einzusetzen. Ich habe das im Fall des Kosovo umgegangen sind und sehr fruchtbar miteinander arbei- erlebt. Es gibt keinen Berufsstand, der schwört, dass er ten konnten. Schönen Dank dafür. das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer, das heißt unter Einsatz seines Lebens, verteidigt. Unse- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, re Soldatinnen und Soldaten leisten hier einen wichtigen bei der CDU/CSU und der SPD) Dienst für unsere Sicherheit, für eine friedliche Entwick- lung, und deshalb haben sie auch unsere Unterstützung Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben wegen und unseren Dank verdient. der Parlamentsgebundenheit von Bundeswehreinsätzen im jährlichen Rhythmus – das schon seit vielen Jahren – (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie immer wieder Debatten um Mandate. Das bringt das bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Problem mit sich, dass manchmal die politische Kom- GRÜNEN) plexität, die hinter diesen Mandaten steckt, ein wenig unterzugehen droht. Deswegen möchte ich heute gerne Einen dritten Punkt möchte ich gerne noch anspre- die Gelegenheit ergreifen, nicht nur über das Kosovo, chen: Zum Höhepunkt meines politischen Lebens gehört, sondern über den gesamten Westbalkan zu sprechen. dass wir die Einheit unseres Vaterlandes in Frieden und Mit der Annexion der Krim, dem Krieg in der Ukrai- Freiheit, ohne dass ein Tropfen Blut vergossen wurde, ne, mit der noch größeren Katastrophe in Syrien, mit dem erreichen konnten. Unter der Verantwortung und Füh- Failed State Libyen scheint das Kosovo und der Westbal- rung unseres damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl, kan eigentlich eine Region zu sein, die relativ ruhig ist dem Kanzler der Einheit, haben wir dies geschafft. Ich und auf die wir nicht so stark schauen müssen. Hier, mei- bin dankbar, dass ich damals die ersten Kontakte zu Re- ne ich, sollten wir im Sinne eines vorsorgenden Blicks formkräften der Ost-CDU hatte, dass ich die Allianz für etwas genauer hinschauen. Der Westbalkan ist in keiner Deutschland mitgründen durfte und dass ich die erste guten Verfassung. Leider muss ich sagen, dass ich mehr Großveranstaltung von Helmut Kohl mit 160 000 Bür- Brisanz und mehr Sprengstoff in der Region sehe, als bei gerinnen und Bürgern in Erfurt mitorganisieren durfte. uns öffentlich wahrgenommen wird. Meine Damen und Herren, wenn die Allianz für Deutsch- land am 18. März 1990 nicht erfolgreich gewesen wäre, Wenn wir uns noch einmal die Situation in den Folge­ wäre der 3. Oktober 1990 so nicht erfolgt. Das ist meine republiken des ehemaligen Jugoslawiens anschauen, so Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24569

Marieluise Beck (Bremen) (A) stellen wir fest: Slowenien ist auf einem guten Weg. Es mit der Bindung an das Erbe des Osmanischen Reichs. (C) ist langjähriges Mitglied der Europäischen Union. Auch Wer sich mit diesen Fragen, mit den langen Linien der Kroatien ist unter dem Dach der Europäischen Union, ob- Geschichte, nicht auseinandersetzt, wird die Schwierig- wohl es immer wieder starke innenpolitische Herausfor- keiten, die wir derzeit auf dem Balkan haben, nicht ver- derungen gibt. Serbien stellt sich stabil dar. Darüber gibt stehen können. es bei uns eine große Erleichterung. Allerdings sollten wir ehrlicherweise zugeben, dass diese Stabilität einen Vizepräsidentin Petra Pau: politischen Preis hat; denn es gibt in diesem Land star- ke autoritäre Tendenzen, die ausgehen von dem jetzigen Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. Präsidenten und ehemaligen Premier Vucic. Wir sollten sehr entschieden bleiben und die Augen nicht verschlie- Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE ßen, weil wir Angst vor den Konsequenzen der Wahrheit GRÜNEN): haben. Die innere Verfasstheit des heutigen Serbiens Ich bin gleich fertig. passt nicht zum Wertekanon der EU. Es bleibt da also noch sehr viel zu tun. Nur noch eine Frage an Sie, Frau Dağdelen: Ist denn dann die Konsequenz, zu gehen, was dazu führen würde, (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der dass die ganze Region wieder in Flammen aufgeht? Ich Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/ meine, dass wir gerade wegen oder trotz der Schwierig- DIE GRÜNEN]) keiten die Verpfichtung haben, zu bleiben. Bosnien und Herzegowina sind in einem dysfunktio- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nalen Staatsaufbau festgefahren, den die internationale sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und Gemeinschaft mit zu verantworten hat. Das Land fndet der SPD) aber auch nicht die eigene politische Kraft, sich daraus zu befreien. Es gibt nationalistische Tendenzen, und die entsprechenden Kräfte nutzen diese Dysfunktionalität, Vizepräsidentin Petra Pau: um ihre Machtposition zu stabilisieren. Es ist ein Land in Der Kollege Florian Hahn hat für die CDU/CSU-Frak- besorgniserregender Agonie. Die Jungen und gut Ausge- tion das Wort. bildeten verlassen das Land. Ich meine, wir sollten hier (Beifall bei der CDU/CSU) ehrlich genug sein, um festzustellen, dass die Frage, wie man diesem Land die positiven Impulse, die es eigentlich bräuchte, von außen geben könnte, bei uns eine gewisse Florian Hahn (CDU/CSU): Ratlosigkeit hinterlässt. Immer mal wieder droht Herr Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mi- (B) Dodik mit einer Sezession, vielleicht nur spielerisch – trovica im Norden des Kosovo ist seit dem Kosovokrieg (D) wir wissen es nicht so genau. Aber auch das destabilisiert eine geteilte Stadt: im Süden die Kosovo-Albaner, im das Land immer wieder. Norden die Kosovo-Serben. Die Brücke, die beide Sei- ten verbinden sollte, ist ein Symbol für den Konfikt der Mazedonien befndet sich im Würgegriff einer autori- beiden ethnischen Gruppen im jüngsten Staat Europas. tären Clanstruktur. Der Weg in eine politische Transfor- Aus Sicherheitsgründen wird die Brücke von KFOR-Sol- mation war durch ungeheuerliche Vorgänge im Land lan- daten bewacht; sie ist nicht für den Verkehr freigegeben ge verstellt, und es droht immer das Wiederauffammen und lediglich für Fußgänger geöffnet. Kontakt zwischen der ethnischen Konfikte in diesem albanisch-slawischen Kosovaren auf beiden Seiten der Brücke gibt es nur ein- Land. Es bleibt also bei der Fragilität dieses Landes. geschränkt. Die Kosovo-Serben im Norden planen sogar Über all dem – das ist eben ausführlich dargelegt wor- wieder, eine Mauer zu errichten, die erst Anfang dieses den – schwebt das Damoklesschwert der Fantasie von Jahres eingerissen wurde. Das Beispiel der Stadt Mitro- einem ethnisch homogenen Großalbanien, und eine sol- vica zeigt uns: Die Situation im Norden des Kosovo ist che Entwicklung würde das Land tatsächlich wieder in weiter angespannt. Flammen setzen. Dass die Partei von Albin Kurti, einem Nationalisten und erklärten Großalbaner, bei den Wah- Obwohl man positiv bewerten muss, dass nach Aussa- len im Kosovo zur zweitstärksten Kraft geworden ist und ge der OSZE die Neuwahlen im Juni dieses Jahres ohne Haradinaj, wie wir alle wissen, dem Haager Gerichtshof größere Vorkommnisse durchgeführt wurden, wird das nur aufgrund der Zeugensituation entkommen ist – das Ergebnis die Spannungen wohl weiter verschärfen. Aus alles ist nicht beruhigend. der Wahl sind Parteien und Bündnisse hervorgetreten, die für wenig Kompromissbereitschaft stehen und die als Wir haben im Jahre 2014 viel von Christopher Clark populistisch, nationalistisch und radikal gelten. Stärkste gehört und durch sein Buch Die Schlafwandler gelernt, Kraft wurde ein Zusammenschluss, der von drei ehemali- wie fragil der Westbalkan ist und wie wichtig er für uns gen UCK-Kommandeuren angeführt wird, mit dem sehr in Europa immer gewesen ist, welche explosive Kraft der umstrittenen Spitzenkandidaten Haradinaj. Das müssen Balkan gehabt hat. Es kommt jetzt etwas Neues hinzu: wir im Blick behalten. Russland drängt als Player auf den Westbalkan. Wir ha- ben also eigentlich wieder die tektonischen Verhältnisse, Die Koalitionsverhandlungen werden wahrscheinlich die zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges geführt haben: lange dauern, und das wird Zeit kosten, was dazu füh- eine serbische Orthodoxie, die sich gen Russland orien- ren wird, dass sich wichtige Reformschritte im Kosovo tiert, ein christlich-katholisches Kroatien mit der Ver- verzögern. Das ist für eines der ärmsten Länder Europas bindung nach Rom und eine muslimische Bevölkerung fatal. Als Teil Europas, als potenzieller EU-Beitrittskan- 24570 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Florian Hahn (A) didat braucht das Land weiterhin unsere Unterstützung, geführt haben, bedanken. Man muss nicht immer einer (C) zum Beispiel im Bereich der Entwicklungszusammenar- Meinung sein, aber Sie haben zumindest immer wichtige beit. Beiträge geliefert, um gemeinsam zu überlegen, welche Lösungen es gibt. Unsere Frau Kollegin Dağdelen kann Deutschland ist der größte bilaterale Geldgeber in der sich davon ein Scheibchen abschneiden; Entwicklungszusammenarbeit. Im Zentrum steht die Be- kämpfung der massiven Arbeitslosigkeit, insbesondere (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN – von Jugendlichen. Wir stärken zudem kleine und mittlere Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ Unternehmen und Unternehmen in den Industriesekto- DIE GRÜNEN]: Das ist doch Kannibalis- ren, indem wir den Energienetzausbau und den Ausbau mus! – Michael Brand [CDU/CSU]: Das ist der Abwasser- und Abfallentsorgung fördern. Darüber keine Scheibe, das ist ein Riesenstück! – Peter hinaus beteiligt sich Deutschland an der EU-Rechtsstaat- Beyer [CDU/CSU]: So viele Scheiben ver- lichkeitsmission EULEX aktuell mit 23 Soldaten, die kraftet sie gar nicht!) Kosovo beim Aufbau von Polizei, Justiz und Verwaltung denn sie hat heute nur dargestellt, was alles schlecht unterstützen. läuft, und dafür nur die Bundeswehr verantwortlich ge- Wir leisten auch diplomatische Unterstützung. Für macht. Das ist falsch. Sie haben keine einzige Lösung eine langfristige Stabilität muss sich der Kosovo wieder präsentiert, Frau Kollegin. mit seinem Nachbarn Serbien verständigen. Deutschland (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der setzt sich für den Dialog der beiden Länder und für die LINKEN) Umsetzung des Normalisierungsabkommens aus dem Jahr 2013 ein, weil der Prozess auch hier von Spannun- Meine Damen und Herren, wir brauchen einen langen gen geprägt ist. Atem, damit in Zukunft Brücken in Mitrovica die Men- schen verbinden und nicht trennen. Sie sollen auch nicht Aber wir brauchen eben auch militärische Unterstüt- durch Mauern getrennt werden. Daher bitte ich Sie, der zung. Es besteht im Norden des Kosovo weiterhin Eska- Verlängerung des KFOR-Mandats zuzustimmen. lations- und Konfiktpotenzial. Die kosovarische Polizei verfügt zwar über immer bessere Fähigkeiten, und die Herzlichen Dank. Lage ist im Moment grundsätzlich ruhig. Allerdings ist (Beifall bei der CDU/CSU) sie nur schwer berechenbar. Kosovo braucht weiterhin die KFOR-Truppen im Land. Das Engagement der Sol- datinnen und Soldaten der Bundeswehr ist sehr wichtig. Vizepräsidentin Petra Pau: Deutschland ist zusammen mit den USA und Italien der Ich schließe die Aussprache. (B) größte Truppensteller. Durch die verbesserte Sicherheits- Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswär- (D) lage können wir jedoch die Mandatsobergrenze auf jetzt tigen Ausschusses auf Drucksache 18/12694 zu dem An- 800 Soldatinnen und Soldaten weiter senken. Wir treiben trag der Bundesregierung zur Fortsetzung der deutschen auch die Anpassung des deutschen Beitrags in Form von Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz Eingreifkräften sowie Aufklärungs- und Beratungskräf- in Kosovo. Der Ausschuss empfehlt, den Antrag auf ten voran. Meine Damen und Herren, das ist ein vernetz- Drucksache 18/12298 anzunehmen. Wir stimmen über ter Ansatz. So gestalten wir verantwortliche Politik. die Beschlussempfehlung namentlich ab. Ich bitte die An dieser Stelle möchte ich unseren Soldatinnen und Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Soldaten danken, die wir seit 1999 Jahr für Jahr in den Plätze einzunehmen. – Sind alle Plätze an den Urnen be- Kosovo entsenden und die dort ihren Dienst tun. setzt? – Ich eröffne die Abstimmung über die Beschluss- empfehlung. (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Wie lange denn noch?) Ein kleiner Hinweis für die Kolleginnen und Kolle- gen, die noch abstimmen wollen: Hier vorn ist das ohne Sie verdienen die beste Ausbildung und die beste Ausrüs- Probleme möglich. tung. Deshalb geht an dieser Stelle mein herzlicher Dank an Sie, Frau Ministerin. Sie haben sich genauso wie Ihre Gibt es noch ein Mitglied des Hauses, das seine Stim- Vorgänger, genauso wie du, lieber Franz Josef Jung, für me nicht abgeben konnte? – Das ist nicht der Fall. Ich eine Verbesserung in diesem Bereich eingesetzt. schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin- nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt ordneten der SPD) gegeben.1) Die KFOR-Mission ist die tragende Säule des um- Ich bitte diejenigen, die noch im Saale sind, um die fassenden vernetzten Ansatzes, den wir gemeinsam mit notwendige Aufmerksamkeit, um auch die folgende Ab- unseren Partnern im Kosovo verfolgen. Nur in einem si- stimmung nicht nur vornehmen zu können, sondern vor cheren Umfeld sind politische Fortschritte und Entwick- allen Dingen das Ergebnis der Abstimmung zweifelsfrei lungen möglich. feststellen zu können. Dafür wäre es hilfreich, wenn die- jenigen, die sich hier weiter an der Abstimmung beteili- Meine Damen und Herren, lieber Franz Josef Jung, gen wollen, einfach ihren Platz einnehmen. sehr geehrter Dr. Erler, sehr geehrte Frau Beck, ich möchte mich herzlich für Ihre Beiträge nicht nur in dieser Debatte, sondern in den vielen anderen Debatten, die wir 1) Ergebnis Seite 24572 D Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24571

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege (C) ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Xaver Jung für die CDU/CSU-Fraktion. Drucksache 18/12819. Wer stimmt für diesen Entschlie- ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält (Beifall bei der CDU/CSU) sich? – Die SPD-Fraktion nimmt an dieser Abstimmung bis auf eine Kollegin nicht teil. Der Entschließungsan- Xaver Jung (CDU/CSU): trag ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Fraktion Die Linke und einer Kollegin der SPD-Fraktion Kollegen! Wie wir alle wissen, beginnt Politik mit dem gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Betrachten der Wirklichkeit. Wer sich die gesellschaftli- abgelehnt. che Entwicklung der vergangenen Jahre anschaut, sieht Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a und b auf: erfreuliche Fortschritte hin zu mehr Inklusion. Vielen Dank an alle, die dabei mithelfen. a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für Bildung, Forschung Inklusion ist aber inzwischen bei Schülern, Eltern und und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) Lehrern auch ein sehr emotionsgeladenes Thema; denn teilweise macht sich im Bildungsbereich ein unseliger – zu dem Antrag der Abgeordneten Aktionismus auf Kosten der betroffenen Kinder und Ju- Dr. Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Matthias gendlichen breit. Wie schaut sie denn in der Praxis aus, W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der die oft übereilte, zwanghafte inklusive Beschulung von Fraktion DIE LINKE Schülerinnen und Schülern in Regelschulen? Wir erhal- Inklusive Bildung für alle – Ausbau inklusi- ten inzwischen jede Menge negativer Erfahrungsberichte ver Schulen fördern aus den Ländern, und das Schlimme ist: Das alles war vorhersehbar und vorhergesagt; Warnungen wurden in – zu dem Antrag der Abgeordneten den Wind geschlagen. Dr. Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Kinder mit starken Verhaltensauffälligkeiten haben Fraktion DIE LINKE keine Rückzugsräume mehr und belasten deshalb mit ex- tremen Verhaltensweisen ihre Mitschüler und Lehrer. Sie Inklusive Bildung für alle – Ausbau inklu- bekommen nicht die notwendige zusätzliche Betreuung, siver Bildung in der berufichen Bildung sondern werden mit 25 weiteren Kindern in einer Klasse umsetzen unterrichtet. Kinder, die mit ihren Mitschülern nur be- grenzt kommunizieren können, werden ausgeschlossen (B) – zu dem Antrag der Abgeordneten (D) Dr. Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Matthias und verbringen die Pause allein auf dem Schulhof. An- W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der dere lernbehinderte Schüler sind frustriert, weil ihnen die Fraktion DIE LINKE Klassenkameraden im Leistungsvergleich immer voraus sind. Lehrerinnen und Lehrer sind schlichtweg überlas- Inklusive Bildung für alle – Ausbau inklu- tet, weil die notwendige permanente Doppelbesetzung siver Bildung in der Kindertagesbetreuung nicht erfolgt. Dafür vorgesehenes Personal wird stattdes- umsetzen sen oft für Krankheitsvertretungen eingesetzt, ich sage: missbraucht. – zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Gohlke, Dr. Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Kurzum: Gut gemeint ist noch lange nicht gut ge- weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE macht. Hier wird ein ideologischer Ansatz, der in der LINKE Theorie sehr schön erscheint, durch mangelnde Ressour- cen in der Praxis zu einem negativen Szenario. Wer so Inklusive Bildung für alle – Ausbau inklusi- Inklusion betreibt, muss sich über Akzeptanzprobleme ver Hochschulen fördern nicht wundern. Drucksachen 18/8420, 18/8421, 18/8889, 18/9127, 18/12409 (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Wer so redet, auch nicht!) b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senio- Wer Förderschulen so wie Sie, Herr Mutlu, schließt, ren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu dem qualitativ gleichwertige Angebote in Regelschulen aber Antrag der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein, nicht bereithält, der betreibt das Gegenteil von Inklusion. ­Diana Golze, Nicole Gohlke, weiterer Abgeord- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) neter und der Fraktion DIE LINKE Wer quantitative Standards statt qualitativer Standards Schulsozialarbeit an allen Schulen sicherstel- als Vergleichsmaßstab nimmt, der betreibt schlechte In- len klusion, und wer sich wie Sie aus politischer Ideologie Drucksachen 18/2013, 18/11803 heraus Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- NEN]: Sie betreiben Ideologie, nichts ande- nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. res!) 24572 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Xaver Jung (A) einem realistischen Blick auf diese Herausforderung Bei alldem müssen wir behutsam vorgehen. Schritt (C) verschließt, der betreibt das Gegenteil von gelingender für Schritt muss evaluiert werden, ob wir noch auf dem Inklusion. Was Eltern, Schüler und Lehrer davon halten, richtigen Weg sind. Wir haben bereits verschiedene gute hat sich bei der NRW-Wahl gezeigt: gar nichts. Die Re- Maßnahmen auf den Weg gebracht. Zahlreiche Forde- gierung wurde auch deshalb abgewählt. rungen aus dem Antrag haben wir bereits aufgenommen. Wir sind dabei, diese umzusetzen. Wir fördern als Bund Wir hingegen wollen eine gelingende Inklusion. Das die schrittweise Umsetzung der Behindertenrechtskon- schließt ein, dass jedes Kind, welches nicht die gleichen vention im Rahmen des Nationalen Aktionsplans. Chancen auf eine freie geistige Entfaltung wie seine Mitschüler hat, auf eine Schule gehen darf, die ihm ein (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- unbeschwertes Leben ermöglicht und keinen täglichen NEN]: Seit acht Jahren warten wir darauf!) Kampf bedeutet. Wie die Erfahrung zeigt, ist dies eben Der Bund betreibt Forschungsförderung und initiiert die nicht immer die Regelschule mit ihren Klassenverbän- Weitergabe der Erkenntnisse an alle Beteiligten. Der Bund den; denn es gibt zum Beispiel Gehörlose, die sich lieber fnanziert und organisiert unter anderem die Weiterbil- mit anderen Gehörlosen in Gebärdensprache unterhalten, dungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte, die sich statt isoliert auf dem Pausenhof zu stehen. Das müssen ausdrücklich Fragen inklusiver Bildung im Bereich der wir respektieren, und dem müssen wir Rechnung tragen. frühen Bildung widmet. Seit Beginn dieses Jahres regelt das neue Bundesteilhabegesetz Fragen der Früherkennung­ Für eine gelingende Inklusion braucht es ein System, und Frühförderung für Kinder mit Behinderungen. Be- in dem es die Wahl zwischen allgemeinen Schulen und rufsbildungsgesetz und die Handwerksordnung sind schon spezialisierten Förderschulen gibt. Diese Förderschulen lange inklusiv aufgestellt. Davon abgesehen hat der Bund garantieren eine liebevolle und individuelle Behandlung die Länder im Bildungsbereich mittlerweile erheblich ent- für diejenigen, die nicht zwangsinkludiert werden wol- lastet, damit diese selbst tätig werden. len. So sehen das übrigens auch die Lehrerinnen und Lehrer. Eine Forsa-Umfrage hat ergeben, dass 97 Pro- Wir gehen also schrittweise und mit Augenmaß vo­ zent fordern, dass Förderschulen erhalten bleiben. Die ran, kontinuierlich, aber mit Bedacht. So werden wir ein Jugendlichen sehen das laut ihrer Erklärung von Lissa- gutes System in ein noch besseres System überführen. bon genauso. Es geht darum, jeden Schüler bestmöglich Dafür stehen wir als CDU/CSU. individuell zu fördern und zu fordern, und zwar am Lern- (Beifall bei der CDU/CSU) ort seiner Wahl. Dafür stehen wir als CDU/CSU. Wie können wir das verwirklichen? Es braucht mehr Vizepräsidentin Ulla Schmidt: (B) Ressourcen seitens der Länder, und es braucht einen rea- Vielen Dank. – Ich möchte Ihnen kurz das von den (D) listischen Blick auf die Chancen und Herausforderungen. Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergeb- Dazu gehört, die Bildungsziele am einzelnen Schüler zu nis der namentlichen Abstimmung bekannt geben: orientieren. Das hat übrigens auch die Deutsche Kinder- abgegebene Stimmen 573. Mit Ja haben gestimmt 513, hilfe bei einem von mir organisierten Treffen zum Thema mit Nein haben gestimmt 55, Enthaltungen 5. Damit ist Dyskalkulie und Legasthenie so gesehen; Frau Dr. Hein, die Beschlussempfehlung über die Fortsetzung der deut- Sie waren dabei. Es wurde ausdrücklich gewünscht, dass schen Beteiligung an der internationalen Sicherheitsprä- eine gesonderte Förderung möglich bleibt. senz in Kosovo angenommen.

Endgültiges Ergebnis Dr. André Berghegger Gitta Connemann Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Abgegebene Stimmen: 573; Dr. Christoph Bergner Alexandra Dinges-Dierig Michael Frieser davon Ute Bertram Michael Donth Peter Beyer Dr. Michael Fuchs ja: 513 Thomas Dörfinger Steffen Bilger Hans-Joachim Fuchtel nein: 55 Marie-Luise Dött Clemens Binninger Alexander Funk enthalten: 5 Hansjörg Durz Peter Bleser Ingo Gädechens Iris Eberl Dr. Maria Böhmer Dr. Thomas Gebhart Jutta Eckenbach Ja Wolfgang Bosbach Alois Gerig Uwe Feiler Norbert Brackmann Eberhard Gienger CDU/CSU Dr. Thomas Feist Klaus Brähmig Cemile Giousouf Stephan Albani Michael Brand Enak Ferlemann Josef Göppel Katrin Albsteiger Dr. Reinhard Brandl Ingrid Fischbach Ursula Groden-Kranich Artur Auernhammer Helmut Brandt Axel E. Fischer (Karlsru- Hermann Gröhe Thomas Bareiß Dr. Ralf Brauksiepe he-Land) Klaus-Dieter Gröhler Norbert Barthle Dr. Helge Braun Dr. Maria Flachsbarth Michael Grosse-Brömer Günter Baumann Heike Brehmer Klaus-Peter Flosbach Astrid Grotelüschen Maik Beermann Ralph Brinkhaus Thorsten Frei Markus Grübel Sybille Benning Cajus Caesar Dr. Astrid Freudenstein Manfred Grund Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24573

(A) Oliver Grundmann Dr. Georg Kippels Elisabeth Motschmann Dr. Patrick Sensburg (C) Monika Grütters Volkmar Klein Dr. Gerd Müller Bernd Siebert Dr. Herlind Gundelach Jürgen Klimke Carsten Müller (Braun- Thomas Silberhorn Fritz Güntzler Axel Knoerig schweig) Johannes Singhammer Olav Gutting Jens Koeppen Stefan Müller (Erlangen) Tino Sorge Christian Haase Markus Koob Dr. Philipp Murmann Jens Spahn Florian Hahn Carsten Körber Dr. Andreas Nick Carola Stauche Rainer Hajek Hartmut Koschyk Michaela Noll Dr. Frank Steffel Dr. Stephan Harbarth Kordula Kovac Helmut Nowak Dr. Wolfgang Stefnger Jürgen Hardt Michael Kretschmer Dr. Georg Nüßlein Albert Stegemann Gerda Hasselfeldt Gunther Krichbaum Wilfried Oellers Peter Stein Matthias Hauer Dr. Günter Krings Florian Oßner Sebastian Steineke Mark Hauptmann Rüdiger Kruse Dr. Tim Ostermann Johannes Steiniger Dr. Stefan Heck Bettina Kudla Henning Otte Christian Frhr. von Stetten Dr. Matthias Heider Dr. Roy Kühne Ingrid Pahlmann Dieter Stier Helmut Heiderich Uwe Lagosky Sylvia Pantel Rita Stockhofe Mechthild Heil Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers Martin Patzelt Gero Storjohann Frank Heinrich (Chemnitz) Andreas G. Lämmel Dr. Martin Pätzold Stephan Stracke Mark Helfrich Dr. Norbert Lammert Ulrich Petzold Max Straubinger Uda Heller Katharina Landgraf Dr. Joachim Pfeiffer Matthäus Strebl Jörg Hellmuth Ulrich Lange Sibylle Pfeiffer Karin Strenz Rudolf Henke Barbara Lanzinger Eckhard Pols Lena Strothmann Michael Hennrich Dr. Silke Launert Thomas Rachel Michael Stübgen Ansgar Heveling Paul Lehrieder Kerstin Radomski Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Heribert Hirte Dr. Katja Leikert Alexander Radwan Dr. Peter Tauber Christian Hirte Dr. Philipp Lengsfeld Alois Rainer Antje Tillmann Robert Hochbaum Dr. Andreas Lenz Dr. Peter Ramsauer Dr. Hans-Peter Uhl Alexander Hoffmann Dr. Ursula von der Leyen Eckhardt Rehberg Dr. Volker Ullrich (B) Thorsten Hoffmann (Dort- Antje Lezius Lothar Riebsamen Arnold Vaatz (D) mund) Ingbert Liebing Josef Rief Oswin Veith Karl Holmeier Matthias Lietz Dr. Heinz Riesenhuber Thomas Viesehon Franz-Josef Holzenkamp Andrea Lindholz Iris Ripsam Michael Vietz Dr. Hendrik Hoppenstedt Dr. Carsten Linnemann Johannes Röring Volkmar Vogel (Kleinsaara) Margaret Horb Patricia Lips Kathrin Rösel Sven Volmering Bettina Hornhues Wilfried Lorenz Dr. Norbert Röttgen Christel Voßbeck-Kayser Dr. Mathias Edwin Höschel Dr. Claudia Lücking-Michel Erwin Rüddel Dr. Johann Wadephul Charles M. Huber Dr. Jan-Marco Luczak Albert Rupprecht Marco Wanderwitz Anette Hübinger Daniela Ludwig Anita Schäfer (Saalstadt) Karl-Heinz Wange Hubert Hüppe Karin Maag Karl Schiewerling Nina Warken Erich Irlstorfer Yvonne Magwas Jana Schimke Kai Wegner Thomas Jarzombek Thomas Mahlberg Norbert Schindler HonD Albert Weiler Sylvia Jörrißen Dr. Thomas de Maizière Tankred Schipanski Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Franz Josef Jung Gisela Manderla Christian Schmidt (Fürth) Dr. Anja Weisgerber Andreas Jung Matern von Marschall Gabriele Schmidt (Ühlingen) Peter Weiß (Emmendingen) Xaver Jung Hans-Georg von der Marwitz Patrick Schnieder Sabine Weiss (Wesel I) Dr. Egon Jüttner Andreas Mattfeldt Nadine Schön (St. Wendel) Ingo Wellenreuther Bartholomäus Kalb Stephan Mayer (Altötting) Dr. Ole Schröder Karl-Georg Wellmann Hans-Werner Kammer Reiner Meier Bernhard Schulte-Drüggelte Marian Wendt Steffen Kanitz Dr. Michael Meister Dr. Klaus-Peter Schulze Waldemar Westermayer Alois Karl Jan Metzler Uwe Schummer Kai Whittaker Anja Karliczek Maria Michalk Armin Schuster (Weil am Peter Wichtel Bernhard Kaster Dr. h. c. Hans Michelbach Rhein) Annette Widmann-Mauz Volker Kauder Dr. Mathias Middelberg Christina Schwarzer Heinz Wiese (Ehingen) Dr. Stefan Kaufmann Dietrich Monstadt Detlef Seif Klaus-Peter Willsch Ronja Kemmer Karsten Möring Johannes Selle Elisabeth Winkelmeier- Roderich Kiesewetter Volker Mosblech Reinhold Sendker Becker 24574 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

(A) Oliver Wittke Kerstin Griese Mahmut Özdemir (Duisburg) Claudia Tausend (C) Dagmar G. Wöhrl Gabriele Groneberg Aydan Özoğuz Michael Thews Barbara Woltmann Michael Groß Markus Paschke Dr. Karin Thissen Tobias Zech Uli Grötsch Christian Petry Franz Thönnes Heinrich Zertik Wolfgang Gunkel Jeannine Pfugradt Carsten Träger Emmi Zeulner Bettina Hagedorn Sabine Poschmann Rüdiger Veit Dr. Matthias Zimmer Rita Hagl-Kehl Joachim Poß Ute Vogt Gudrun Zollner Metin Hakverdi Florian Post Dirk Vöpel Ulrich Hampel Achim Post (Minden) Gabi Weber SPD Sebastian Hartmann Dr. Wilhelm Priesmeier Bernd Westphal Dirk Heidenblut Florian Pronold Niels Annen Andrea Wicklein Hubertus Heil (Peine) Dr. Sascha Raabe Ingrid Arndt-Brauer Dirk Wiese Gabriela Heinrich Dr. Simone Raatz Rainer Arnold Gülistan Yüksel Marcus Held Martin Rabanus Heike Baehrens Dagmar Ziegler Wolfgang Hellmich Mechthild Rawert Ulrike Bahr Stefan Zierke Heidtrud Henn Stefan Rebmann Bettina Bähr-Losse Dr. Jens Zimmermann Gustav Herzog Gerold Reichenbach Heinz-Joachim Barchmann Manfred Zöllmer Gabriele Hiller-Ohm Dr. Carola Reimann Dr. Katarina Barley Thomas Hitschler Andreas Rimkus Doris Barnett BÜNDNIS 90/ Dr. Eva Högl Sönke Rix DIE GRÜNEN Dr. Matthias Bartke Matthias Ilgen Petra Rode-Bosse Sören Bartol Luise Amtsberg Christina Jantz-Herrmann Dennis Rohde Bärbel Bas Kerstin Andreae Frank Junge Dr. Martin Rosemann Uwe Beckmeyer Annalena Baerbock Josip Juratovic René Röspel Lothar Binding (Heidelberg) Marieluise Beck (Bremen) Thomas Jurk Dr. Ernst Dieter Rossmann Burkhard Blienert Volker Beck (Köln) Oliver Kaczmarek Susann Rüthrich Willi Brase Dr. Franziska Brantner Johannes Kahrs Bernd Rützel Dr. Karl-Heinz Brunner Agnieszka Brugger Ralf Kapschack Sarah Ryglewski Dr. h. c. Edelgard Bulmahn Katja Dörner (B) Gabriele Katzmarek Johann Saathoff (D) Marco Bülow Katharina Dröge Ulrich Kelber Annette Sawade Harald Ebner Martin Burkert Marina Kermer Dr. Hans-Joachim Dr. Lars Castellucci Cansel Kiziltepe Schabedoth Dr. Thomas Gambke Jürgen Coße Lars Klingbeil Axel Schäfer (Bochum) Matthias Gastel Petra Crone Dr. Bärbel Kofer Dr. Nina Scheer Kai Gehring Bernhard Daldrup Daniela Kolbe Marianne Schieder Katrin Göring-Eckardt Dr. Daniela De Ridder Angelika Krüger-Leißner Udo Schiefner Anja Hajduk Dr. Karamba Diaby Helga Kühn-Mengel Dr. Dorothee Schlegel Britta Haßelmann Sabine Dittmar Christine Lambrecht Ulla Schmidt (Aachen) Dr. Anton Hofreiter Martin Dörmann Christian Lange (Backnang) Matthias Schmidt (Berlin) Bärbel Höhn Elvira Drobinski-Weiß Dr. Karl Lauterbach Dagmar Schmidt (Wetzlar) Uwe Kekeritz Siegmund Ehrmann Steffen-Claudio Lemme Carsten Schneider (Erfurt) Katja Keul Michaela Engelmeier Burkhard Lischka Elf Scho-Antwerpes Sven-Christian Kindler Dr. h. c. Gernot Erler Gabriele Lösekrug-Möller Ursula Schulte Maria Klein-Schmeink Saskia Esken Hiltrud Lotze Swen Schulz (Spandau) Tom Koenigs Karin Evers-Meyer Kirsten Lühmann Ewald Schurer Oliver Krischer Dr. Johannes Fechner Dr. Birgit Malecha-Nissen Frank Schwabe Stephan Kühn (Dresden) Dr. Fritz Felgentreu Caren Marks Stefan Schwartze Christian Kühn (Tübingen) Elke Ferner Katja Mast Andreas Schwarz Renate Künast Christian Flisek Hilde Mattheis Rita Schwarzelühr-Sutter Markus Kurth Gabriele Fograscher Dr. Matthias Miersch Rainer Spiering Steff Lemke Dr. Edgar Franke Klaus Mindrup Norbert Spinrath Dr. Tobias Lindner Ulrich Freese Susanne Mittag Svenja Stadler Nicole Maisch Dagmar Freitag Detlef Müller (Chemnitz) Martina Stamm-Fibich Irene Mihalic Michael Gerdes Michelle Müntefering Sonja Steffen Özcan Mutlu Martin Gerster Dr. Rolf Mützenich Christoph Strässer Dr. Konstantin von Notz Angelika Glöckner Ulli Nissen Kerstin Tack Friedrich Ostendorff Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24575

(A) Tabea Rößner Waltraud Wolff Ulla Jelpke Alexander Ulrich (C) Claudia Roth (Augsburg) (Wolmirstedt) Susanna Karawanskij Kathrin Vogler Manuel Sarrazin Kerstin Kassner Harald Weinberg Elisabeth Scharfenberg DIE LINKE Jutta Krellmann Katrin Werner Ulle Schauws Dr. Dietmar Bartsch Katrin Kunert Birgit Wöllert Dr. Gerhard Schick Herbert Behrens Caren Lay Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Dr. Frithjof Schmidt Karin Binder Sabine Leidig Ralph Lenkert Pia Zimmermann Kordula Schulz-Asche Matthias W. Birkwald Stefan Liebich Dr. Wolfgang Strengmann- Heidrun Bluhm BÜNDNIS 90/ Kuhn Christine Buchholz Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze DIE GRÜNEN Markus Tressel Eva Bulling-Schröter Birgit Menz Jürgen Trittin Roland Claus Sylvia Kotting-Uhl Sevim Dağdelen Cornelia Möhring Hans-Christian Ströbele Dr. Julia Verlinden Klaus Ernst Niema Movassat Doris Wagner Nicole Gohlke Dr. Alexander S. Neu Beate Walter-Rosenheimer Enthalten Annette Groth Petra Pau Dr. Valerie Wilms Dr. Gregor Gysi Harald Petzold (Havelland) BÜNDNIS 90/ Dr. André Hahn Martina Renner DIE GRÜNEN Nein Heike Hänsel Dr. Petra Sitte Monika Lazar Dr. Rosemarie Hein Kersten Steinke Peter Meiwald SPD Inge Höger Dr. Kirsten Tackmann Beate Müller-Gemmeke Klaus Barthel Andrej Hunko Azize Tank Lisa Paus Dr. Ute Finckh-Krämer Sigrid Hupach Frank Tempel Corinna Rüffer

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Rosemarie Herkunft und Geschlecht, mit unterschiedlichen Interes- Hein, Fraktion Die Linke. – Bitte schön. sen und mit unterschiedlichem Leistungsvermögen. Nie- mand ist außen vor. (Beifall bei der LINKEN) (B) (D) (Beifall bei der LINKEN) Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen Darum muss auch niemand, wie man so häufg hört, in- und Kollegen! Wussten Sie eigentlich, dass gehörlo- kludiert werden. Es geht darum, gute individuelle För- se Menschen nur in sehr wenigen Schulen in Deutsch- derung für alle, für jeden Einzelnen, zu schaffen und die land Abitur machen können? Ein Wissenschaftler des notwendigen Hilfen für jeden bereitzustellen. Das kann Max-Planck-Instituts für Mikrostrukturphysik in Halle ein Rollstuhl sein, die Unterstützung durch Gebärden- hat das kürzlich in einer Podiumsdiskussion erklärt, und sprache, persönliche Assistenz oder ganz einfach die einige im Auditorium waren darüber sehr verwundert. Zeit, um im eigenen Tempo lernen zu können, langsamer Ohne Abitur zu studieren, ist nahezu unmöglich. Wir als andere oder aber auch schneller als andere. wissen alle, dass die allermeisten Förderschulen jeder Art nur den Hauptschulabschluss, im besten Fall den Re- Der Nationale Aktionsplan 2.0 zur Inklusion wirbt mit alschulabschluss anbieten und die allerwenigsten über- dem Slogan „Einfach machen“. Das kann man sehr un- haupt zum Abitur führen. terschiedlich auslegen. Na klar, Inklusion fängt im Kopf an. Aber sie ist nicht voraussetzungslos. Wenn „einfach (Max Straubinger [CDU/CSU]: Geht es nur machen“ bedeutet, dass die notwendigen Rahmenbedin- noch ums Abitur und nicht mehr um andere gungen nicht im Ansatz bereitgestellt werden, dann geht Schulabschlüsse?) Inklusion schief. Dann werden Regierungen zu Recht ab- Es sind immer die wenigen Ausnahmebeispiele, die zei- gestraft, wie wir es in NRW gesehen haben. Das Problem gen, dass es eigentlich doch geht. Das zeigt auch die en- ist nur: Nun wird es wieder mehr Exklusion geben. Das gagierte Arbeit der Behindertenbeauftragten der Bundes- ist das eigentlich Schlimme an dieser Geschichte. regierung in unserem Land. (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der An der Uni Halle hat sich ein Arbeitskreis Inklusi- CDU/CSU: Wir haben super Förderschulen in on gebildet, der sich auf die Fahnen geschrieben hat, NRW!) die großen und kleinen Hürden bei der Inklusion an der Hochschule aufzuzeigen und um Abhilfe zu ringen. Nun kommen Sie mir nicht wieder mit der Ausrede – Dabei betont man: Das Thema Inklusion ist ein Thema Herr Jung hat das eben nicht getan –, dafür seien die Län- für alle, und es geht um alle. Inklusion heißt nämlich, der zuständig. Die UN-Behindertenrechtskonvention hat alle sind drin: Kinder und Jugendliche, Studierende und die Bundesrepublik als Ganzes unterschrieben, nicht nur Auszubildende, mit und ohne Handicap, unabhängig von die Länder. Darum muss es auch eine gemeinsame Auf- 24576 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Dr. Rosemarie Hein (A) gabe sein, Inklusion umzusetzen. Warme Worte in Akti- sozialarbeit, sie ist darüber hinaus direkt auf die Schule (C) onsplänen reichen da nicht aus. bezogen. Sie kann dort ein dauerhaftes Angebot schaffen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- (Beifall bei der LINKEN) NIS 90/DIE GRÜNEN) Damit sie an allen Schulen bereitgestellt werden kann, Es geht zum Beispiel um die Räume, in denen gelernt muss sie ins SGB VIII bzw. ins Kinder- und Jugendhilfe- wird. Der Raum ist bekanntlich der dritte Pädagoge. Da recht aufgenommen werden. könnten Sie gleich einmal kreativ sein und die Mittel für die Sanierung von Schulen an fnanzschwache Kom- (Beifall bei der LINKEN) munen so vergeben, dass daraus Schulen der Zukunft werden, mit Raumkonzepten, die inklusives Arbeiten Sie werden in der nächsten Woche versuchen, hier erleichtern. wieder etwas zu ändern, und es ist jetzt schon klar, dass das unzureichend sein wird. Deshalb muss dieses The- (Beifall bei der LINKEN) ma in der nächsten Wahlperiode wieder angefasst wer- Es geht dabei auch um Schalldämmung und breite Flure, den. Ich hoffe, Sie sind dann so schlau und machen das um fexible Raumkonzepte und bessere Arbeitsbedingun- einfach. Das wird helfen, die Schulsozialarbeit an jeder gen für Lehrende, für Schulsozialarbeit und Therapieräu- Schule anzubieten. me, wenn sie denn nötig sind. Vielen Dank. Wir haben Ihnen im vergangenen Jahr und in diesem Jahr insgesamt vier Anträge zur inklusiven Bildung vor- (Beifall bei der LINKEN) gelegt, und zwar zu allen Bildungsbereichen, von der Kita bis zur Hochschule. Viele Befunde treffen überall Vizepräsidentin Ulla Schmidt: gleichermaßen zu. Manches ist aber auch unterschied- Vielen Dank. – Jetzt hat die Kollegin Elf Scho- lich. Da ich nur fünf Minuten für alle Anträge habe, will Antwerpes für die SPD-Fraktion das Wort. ich exemplarisch nur drei Dinge nennen: (Beifall bei der SPD) Erstens. Inklusive Bildung kann nur gelingen, wenn die Größen der Lerngruppen und Betreuungsgruppen stimmen. In zu großen Schulklassen mit nur einer Lehr- Elf Scho-Antwerpes (SPD): kraft ist Inklusion schwierig; das sehe ich ganz genauso. Danke schön. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen Aber auch eine Erzieherin mit zwölf Kindergartenkin- und Kollegen! Inklusion ist kein beliebiges Thema. Man dern kann sich nicht allen gleichermaßen widmen. (B) kann politisch über vieles streiten, zum Beispiel darüber, (D) Zweitens. Gute inklusive Arbeit erfordert nicht nur gut ob wir Steuern senken oder erhöhen, Inklusion lässt sich ausgebildete und besser vorbereitete Lehrkräfte, sondern aber nicht verhandeln. Inklusion ist so etwas wie die See- auch Schulsozialarbeit, schulpsychologische Betreuung, le einer Gesellschaft und sollte auch die Seele unserer pädagogische Fachkräfte für die Ganztagsbetreuung, not- Gesellschaft sein. wendige Assistenz oder Therapieangebote nach Bedarf. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- Wir nennen das Multiprofessionalität in der Bildung. Da- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – von sind die meisten Schulen noch weit entfernt. Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Drittens. Vollständig verabschieden muss man sich – Sag das zur CDU/CSU!) das werden Sie gar nicht gerne hören – von dem Begriff der Ausbildungsreife als Voraussetzung für die Aufnah- Das schließt die inklusive Bildung natürlich ein. Jedes me einer berufichen Ausbildung. Kind ist einzigartig und muss die Förderung erhalten, die es benötigt. (Beifall bei der LINKEN) Nun hört man allenthalben großes Klagen darüber, Jedem jungen Menschen muss die Möglichkeit gegeben wie schlecht es um die inklusive Bildung in Deutschland werden, berufiche Bildung zu erwerben. Dafür sind un- bestellt sei. Ich sage auch als überzeugte Paritäterin: Wir ter Umständen individuelle Hilfen notwendig. Einige In- sind auf dem Weg – nicht nur bei der Bildung, sondern strumente dafür gibt es bereits, etwa die assistierte Aus- insgesamt bei der Teilhabe an der Gesellschaft. bildung. Sie müssen aber verbessert werden. Der Weg hin zur Inklusion ist zugegebenermaßen ein (Beifall bei der LINKEN) langer und teilweise anstrengender Weg – das ist eine Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas zur Schul- Mammutaufgabe –, den wir alle gemeinsam gehen soll- sozialarbeit sagen. Den entsprechenden Antrag legen wir ten: Kinder, Eltern, pädagogisches Personal. nun schon zum zweiten Mal vor. Die zentrale Forderung darin, nämlich die Aufnahme eines eigenständigen Pa- (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ragrafen im Kinder- und Jugendhilferecht, hat es sogar NEN]: Müssen!) schon bis in die Koalitionsvereinbarung in Sachsen ge- Nur so können wir auch Ängste abbauen, damit der Lern­ schafft. Deshalb bin ich guter Hoffnung, dass auch bei ort an einer Schule zu einem Lebensort an der Schule Ihnen demnächst der Groschen fallen wird. Schulsozial- wird. arbeit leistet nämlich mehr, als zurzeit durch das Gesetz möglich ist. Sie leistet mehr als Jugendarbeit und Jugend- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24577

Elf Scho-Antwerpes (A) Es ist nicht hinnehmbar, dass es bei der inklusiven Voraussetzung zum Studium ist fortan nur noch eine (C) Bildung für Kinder und Jugendliche ideologische Gra- Hochschulzugangsberechtigung. Das gilt nach dem Bun- benkämpfe gibt. desteilhabegesetz jetzt auch für Menschen mit Behinde- rung, die hier endlich gleichgestellt sind. Wir schaffen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Zugänge. Wir brauchen eine Haltung zum Kind. (Beifall bei der SPD) (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das ist wie eine Oppositionsrede!) Außerdem ist klar, dass der Erwerb einer solchen Be- rechtigung durch den Besuch weiterführender Schulen Ich habe jetzt wahrgenommen, dass die neue Landes- förderungsfähig ist. regierung in Nordrhein-Westfalen in Sachen inklusiver Bildung im Gegensatz zu Rot-Grün auf der Bremse steht. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann Das ist skandalös. [SPD]) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Leistungen zur Teilhabe an Bildung dürfen nicht nur des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) dann gewährt werden, wenn das Teilhabeziel erreicht werden kann. Die schwarz-gelben Pläne werden die Anzahl der Son- derpädagoginnen und Sonderpädagogen an Regelschu- (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann len weiter verringern; das ist nachzulesen. Dabei brau- [SPD]) chen wir hier dringend mehr und nicht weniger sowie gut Die Leistungen sind damit erfolgsunabhängig. Auch das ausgebildetes Personal, wie wir eben auch gehört haben. war vor unserem Gesetz nicht der Fall. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Uwe ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Schummer [CDU/CSU]) Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört! – Dr. Mathias Edwin Höschel Nehmen Sie als weiteres Beispiel die Eingliederungs- [CDU/CSU]: Sie hatten Ihre Chance! – hilfe an Schulen. Bisher war sie nur vormittags möglich, Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sie haben jetzt auch ganztags; und das ist gut so. sieben Jahre Zeit gehabt!) (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Sehr gut!) Letztendlich ist das Landespolitik, wie übrigens vie- Ich möchte es bei diesen Schlaglichtern belassen, um les von dem, was Sie in Ihre Anträge geschrieben haben, zu verdeutlichen: Wir sind auf der Reise. Viele Kitas, Frau Hein, auf Länderebene verhandelt werden müsste. (B) Schulen und Hochschulen sind schon lange erfolgreich (D) Richtig ist aber, dass das Personal an den Schulen schon unterwegs. Jeden Tag stehen Pädagoginnen und Pädago- in der Ausbildung auf die Inklusion vorbereitet und vor- gen, Erzieherinnen und Erzieher bereit und leisten her- handenes Personal konsequent weitergebildet werden vorragende Arbeit. Sie sind die Helden. muss. (Beifall bei der SPD) (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Richtig!) Von der Arbeit der Lehrer und Lehrerinnen und Erzie- Es ist gut, dass wir im Bundestag weiterhin intensiv her hängt der Bildungserfolg in der inklusiven Bildung über Inklusion sprechen. Das Tor zu dem beschriebenen erheblich ab. Weg ist das von uns beschlossene Bundesteilhabegesetz, in dem das Thema Bildung ein eigenes Kapitel bekom- (Zuruf des Abg. Xaver Jung [CDU/CSU]) men hat. Der Bund setzt mit der Qualitätsoffensive Lehrerbil- Es ist nicht so, dass Kinder und Jugendliche mit ihren dung erhebliche Anreize, Best-Practice-Beispiele zu im- Talenten und Ideen ein Problem in unseren Bildungs- plementieren und innovativen Unterricht in Deutschland einrichtungen wären, wenn sie ein Handicap haben. Das zu ermöglichen. Das gilt insbesondere für inklusive Bil- Problem lag immer in einem Bildungssystem, das diesen dung bzw. das Lernen und Lehren in heterogenen Grup- Teil der Schüler und Schülerinnen sowie Studierenden pen. Entsprechende Projekte sind in der Qualitätsoffensi- ausgeschlossen hat. ve in einer deutlichen Mehrheit vertreten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Neben den inhaltlichen Konzepten und der Befähi- der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE gung des pädagogischen Personals sei die Schulinfra- GRÜNEN) struktur erwähnt, die der inklusiven Bildung ebenfalls gerecht werden muss. In einem Wort: Barrierefreiheit! Die vielleicht größte Leistung des Bundesteilhabege- Der Bund hat mit der Übernahme der BAföG-Kosten in setzes ist es, die Gesellschaft in die Verantwortung zu den Ländern Mittel freigesetzt, um hier zu investieren. nehmen, allen eine Teilhabe am Leben zu gewährleisten. Diese Kosten belaufen sich auf jährlich 1,2 Milliarden Es geht nicht länger darum, dass der einzelne Mensch Euro. seine möglichen Defzite ausgleichen muss. Das ist ein Paradigmenwechsel. In Bezug auf die inklusive Bildung (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten hat es hier Verbesserungen gegeben. der CDU/CSU) Lenken wir unseren Blick auf die Hochschulbildung, Liebe Linksfraktion, während Sie Anträge schreiben, die Sie in Ihrem Antragskonvolut hervorheben: sind wir schon längst unterwegs. Weil ich eine große Ver- 24578 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Elf Scho-Antwerpes (A) fechterin der frühkindlichen Bildung bin – wie auch Sie, Meine Damen und Herren, die aktuelle Studienlage (C) Frau Hein; das weiß ich –, möchte ich noch eine Anmer- ist eindeutig. Etliche wissenschaftliche Erhebungen und kung machen. Wir haben den Kitaausbau stark forciert. Studien zeigen: Kinder, die inklusiv unterrichtet werden, Manuela Schwesig hat in ihrer Zeit als Familienminis- lernen besser als Kinder an Förderschulen. Sie erreichen terin hier großartige Akzente gesetzt. Erwähnen möchte auch mehr als in Förderschulen. ich auch Verena Bentele, die nicht nur unsere Behinder- tenbeauftragte ist, sondern auch zwölffache Olympiasie- (Beifall der Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann gerin. [SPD] und Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE] – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: (Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Paralympics!) Das ist nicht richtig! – Xaver Jung [CDU/ CSU]: Das glauben Sie auch noch! Das ist Sie ist vierfache Weltmeisterin im Skilanglauf und Biath- Ideologie!) lon. Sie ist ein Vorbild für die Kinder und Jugendlichen. Das brauchen sie. Viele Eltern sind froh, dass ihre Kinder die Möglich- keit haben, Regelschulen zu besuchen und dort indivi- Kinder lernen Akzeptanz und Vielfalt vor allem im duelle Förderung zu erhalten. Denn im Jahr 2014 kam Umgang untereinander. Auch in den Köpfen müssen die jede zweite Schülerin bzw. Schüler ohne Hauptschulab- Barrieren weg. Es hilft der Gesellschaft, wenn die Inklu- schluss von einer Förderschule. Viele von ihnen kommen sion schon in der Kita gelebt wird. von Förderschulen, an denen ein Schulabschluss nicht vorgesehen oder gar nicht erst möglich ist.

Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Was soll aus diesen jungen Menschen werden? Diese Frau Kollegin. Frage richte ich insbesondere an die CDU, deren Kolle- gen aus Niedersachsen in ihrem Wahlprogramm für 2018 Elf Scho-Antwerpes (SPD): erstmals eine Atempause von der Inklusion angekündigt haben. Vielfalt ist Normalität. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sehr rich- Ich bedanke mich sehr herzlich fürs Zuhören. tig!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Atempause von einem Menschenrecht? Geht’s noch? des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wo leben Sie? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Vizepräsidentin Ulla Schmidt: (B) bei der SPD und der LINKEN – Tankred (D) Danke schön. – Als Nächster hat der Kollege Mutlu Schipanski [CDU/CSU]: Inklusion gelingt nur von Bündnis 90/Die Grünen das Wort. mit Förderschulen!) Natürlich ist Inklusion eine Herausforderung für die (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Özcan Mutlu Schulen und Lehrkräfte – das will auch keiner verheh- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber len –, und es gibt etliche Fragen, die wir im Prozess be- Kollege Jung, gerne erinnere ich Sie daran, dass wir seit antworten müssen. acht Jahren zur Inklusion verpfichtet sind. Daher ist es fehl am Platze, hier von „Aktionismus“ zu reden. Ich (Xaver Jung [CDU/CSU]: Ihr habt versagt kann Ihnen auch noch sagen: Inklusion ist für ideologi- bei den Grünen!) sche Grabenkämpfe ungeeignet. Natürlich müssen auch die Rahmenbedingungen stim- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN men, und natürlich kostet das alles auch mehr Geld. In- sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. klusive Bildung gibt es eben nicht zum Nulltarif, und das Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE] – Tankred sollten Sie von der CDU/CSU endlich lernen. Schipanski [CDU/CSU]: Das müssen Sie sa- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gen! – Max Straubinger [CDU/CSU]: So weit, und bei der LINKEN) so gut!) Die Bundesregierung hat ihr selbstgestecktes Ziel Inklusion ist und bleibt eine echte Chance für jede vom Dresdener Bildungsgipfel, 10 Prozent des BIP für Schülerin und jeden Schüler. Inklusion ist ein Menschen- Bildung und Forschung auszugeben, immer noch nicht recht, das wir nicht einfach nach Belieben oder nach erreicht. Dieses Versprechen muss eingelöst werden. Wir parteipolitischer Couleur aushebeln können. Mit der Ra- brauchen dringend mehr Investitionen in die Bildung tifzierung der UN-Behindertenrechtskonvention 2009 statt in die Rüstung, liebe Kolleginnen und Kollegen von in diesem Hause haben wir uns dazu verpfichtet, alle der CDU/CSU. Schülerinnen und Schüler gemeinsam zu unterrichten. Diese Ratifzierung ist keine folgenlose Unterschrift. Sie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN war eine Selbstverpfichtung, die wir im Bund und in den sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Xaver Bundesländern gemeinsam umsetzen müssen. Jung [CDU/CSU]: Populist!) (Beifall des Abg. René Röspel [SPD] – Der Bund muss seinen Teil dazu beitragen, inklusives Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Richtig!) Lernen zu ermöglichen, ohne dass die Qualität verloren Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24579

Özcan Mutlu (A) geht. Da sind wir, glaube ich, alle – auch die mit den Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. (C) Scheuklappen – einer Meinung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Lehrerinnen und Lehrer müssen dabei tatkräftig unter- sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. stützt werden. Wir dürfen die Lehrkräfte und die Schulen Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE] – Zuruf von nicht weiter im Regen stehen lassen. Inklusion ist näm- der CDU/CSU: So wird das nichts! Chance lich eine von vielen Aufgaben, die sie vor Ort stemmen verpasst! – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: müssen. Inklusion gelingt nur mit der Förderschule!)

Deshalb brauchen wir auch eine neue Bildungsphilo- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: sophie, eine neue Haltung, die das abbildet, was längst Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Uwe Schummer, Realität ist. Verschiedenheit und Pluralität sind nämlich CDU/CSU-Fraktion, das Wort. Normalität, auch wenn es manchen in diesem Hause lei- der immer noch nicht passt. (Beifall bei der CDU/CSU) Das Abwehrende, der Sonderstatus und die Andersar- tigkeit befallen Menschen, die am inklusiven Unterricht Uwe Schummer (CDU/CSU): teilgenommen haben, viel seltener als andere. Es gibt Verehrtes Präsidium! Meine Damen! Meine Herren! auch keinen Qualitätsverlust; denn jeder und jede wird Wenn jeder, der heute gefordert hat, die ideologischen inklusiv gefördert. Das sollte auch die CDU/CSU endlich Scheuklappen abzulegen und keine Schlachten zu füh- lernen. So gelingt mehr Bildungsgerechtigkeit. ren, das auch wirklich praktizieren würde, egal von wel- cher Seite, dann gäbe es diese Debatte nicht. Vielleicht Wir dürfen auch nicht zulassen, dass die Uhr wieder sollten wir unseren eigenen Worten folgen und das nicht zurückgedreht und die Spaltung der Gesellschaft durch zum Thema von Wahlkämpfen oder zu einem ideologi- eine separierende Bildungspolitik, die die Andersartig- schen Thema machen. keit manifestiert, weiter verstärkt wird. (Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu Zur Zementierung von Bildungsbenachteiligung trägt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das müssen auch das leidige Kooperationsverbot bei, gerade Sie sagen!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wir wissen das. Widerspruch bei der CDU/CSU) (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Der Witz war gut!) (B) auch wenn Sie das nicht hören wollen. (D) – Wissen Sie, Herr Mutlu, Lautstärke hat mit Wahrhaftig- (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Tätä, tätä, keit wenig zu tun. tätä!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie werden das so lange hören, bis dieses Kooperations- verbot endlich der Geschichte angehört. Meine Erfahrung ist: Je lauter der Kehlkopf, umso gerin- ger die Wahrhaftigkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das möchte ich nun aber beiseitelassen. Mir ist wich- sowie bei Abgeordneten der SPD und der tig – und ich hoffe, das gilt über alle Fraktionsgrenzen LINKEN – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: hinweg –, dass Bildung der Schlüssel zur Teilhabe ist, Schleswig-Holstein hat es schon erreicht!) um Inklusion sachlich und fachlich zu bewerkstelligen. Wir brauchen – das sage ich als Gegensatz zu Ihren (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Postulaten – eine gemeinsame Bildungsstrategie, egal ob NEN]: Dann fangen Sie mal an!) es um den Personalschlüssel in Kitaeinrichtungen, bun- desweite Qualitätsstandards an Ganztagsschulen, Barrie- Deshalb haben wir im Bundesteilhabegesetz der refreiheit, die Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften, Teilhabe an Bildung ein eigenes Kapitel gewidmet, um den Einsatz multiprofessioneller Teams oder die Schul- Teilhabe an allen Schulen zu organisieren, auch an den sozialarbeit geht. Deshalb sage ich, liebe Kolleginnen Hochschulen. Wir fnanzieren erstmals über die Einglie- und Kollegen: Die Weiterentwicklung unseres Bildungs- derungshilfe auch Assistenzleistungen, und zwar von systems hin zu einem inklusiven und zukunftsfähigen der Grundschule über die weiterführenden Schulen bis Bildungssystem ist eine Mammutaufgabe – da bin ich bei zum Bachelor- und Masterstudium. Wir haben nicht nur dir, Elf –, die aber einer zusätzlichen fnanziellen Unter- die Instrumente in einem Kapitel formuliert, sondern stützung bedarf. Es ist eine Aufgabe, die viele Bundes- wir haben vonseiten des Bundes im Zuge der Reform länder nicht alleine stemmen können. Deshalb brauchen der Eingliederungshilfe den Ländern und Kommunen wir mehr Kooperationen und müssen weg vom Koope- auch 5 Milliarden Euro an Entlastungen gewährt. Von rationsverbot. den 5 Milliarden Euro, die die Länder und Kommunen einsetzen sollen, um die Reform der Eingliederungshilfe Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, umzusetzen, sind 2,5 Milliarden Euro bereits vor zwei legen Sie endlich Ihre ideologischen Scheuklappen ab, Jahren über Kosten der Unterkunft und Mehrwertsteuer- und lassen Sie uns gemeinsam diese Mammutaufgabe punkte mobilisiert worden. Weitere 2,5 Milliarden Euro stemmen! werden 2018 vom Bund fnanziert werden. 24580 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Uwe Schummer (A) Herr Mutlu, ich mache mir große Sorgen um Sie. die beste Schule für jeden Einzelnen. Das ist der Ansatz, (C) Wenn es wirklich einmal kein Kooperationsverbot, wie den wir miteinander haben. auch immer es formuliert sein mag, mehr geben sollte, dann haben Sie doch gar kein Thema mehr, über das Sie (Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu reden können. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die inklusive Schule!) (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Da machen Sie sich keine Sorgen! Bei Dann können sich Menschen auch für eine Förderschu- Ihren Fehlern machen wir viel gut! – Dr. Ernst le entscheiden, wenn es ihr freier Wille ist. Dann haben Dieter Rossmann [SPD]: Das wird Herr Mutlu auch Sie nicht vorzuschreiben: Das Kind geht nicht in die auch noch überstehen!) Förderschule, es muss in der Regelschule aufgenommen werden. – Nein, die Wahlfreiheit gilt für alle. Seit Jahren haben Sie das eine Thema, das wie das Mons- ter von Loch Ness immer wieder hochkommt. Wenn man (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- all dies aus Ihren Reden wegnimmt, dann bleibt nicht NEN]: Sie haben mir gar nicht zugehört!) mehr allzu viel an Substanz. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir brauchen differenzierte Systeme in den Regelschu- len, wir brauchen spezielle Förderschulen und auch die Noch nie hat der Bund mehr Geld, Milliarden Euro, Kooperation und das Zusammenwirken von Regel- und für die Finanzierung länderspezifscher Aufgaben an die Förderschulen. Länder und an die Kommunen geleitet wie derzeit. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Hört! Hört! – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Ich kenne Förderschulen in Neubrandenburg, aus Das war ein harter Kampf mit Ihnen! – Özcan denen Regelschulen entwickelt wurden, und ich kenne Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dazu auch entsprechende Kooperationsmodelle von Förder- mussten Sie getrieben werden!) und von Regelschulen unter einem Dach. Wir sollten hier ideologisch etwas abrüsten Dies sind die erwähnten 5 Milliarden Euro im Rahmen der Reform der Eingliederungshilfe, aber auch weitere (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- 800 Millionen Euro, die im Zuge der Verbesserung der NEN]: Das sagt der Richtige!) Eingliederungshilfe beispielsweise für das Budget für (B) Arbeit, für Ausbildung und andere Themen mobilisiert und den Menschen, den Angehörigen und den Betrof- (D) werden. Das heißt, es gibt eine permanente Kooperation fenen, mehr zutrauen und ihnen diese Wahlfreiheit zwi- zwischen Bund, Ländern und auch Kommunen. Ihr Ko- schen verschiedenen Schulformen zugestehen, mit dem operationsverbot ist eine Fiktion. Gedanken, dass sie am besten wissen, was der beste Weg (Beifall bei der CDU/CSU) für ihre Kinder ist. Die brauchen Sie, damit Sie weiter Ideologie verbreiten (Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu können. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um ein Menschenrecht! Verstehen Sie das nicht?) (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Lesen Sie das Grundgesetz!) Zum nordrhein-westfälischen Koalitionsvertrag. Der nordrhein-westfälische Koalitionsvertrag ist nicht ge- – Ich kenne das Grundgesetz sehr gut, Herr Mutlu, und gen Inklusion. Das Problem in Nordrhein-Westfalen – ich brauche deshalb auch nicht herumzuschreien. ich komme zufällig daher – war ein im Vergleich zu Das Wichtigste, was Schule angeht, ist, den Menschen fast allen anderen Bundesländern völlig unterfnanzier- ernst zu nehmen. Und wer Menschen ernst nimmt, der tes Bildungssystem. In einem völlig unterfnanzierten sagt vor allem: Es muss Wahlfreiheit geben, es muss Dif- Bildungssystem stellt sich natürlich richtigerweise die ferenzierung geben, es muss Optionen und Alternativen Frage, ob die Aufgaben, deren Übertragung notwendig, geben. sinnvoll und richtig ist, auch übertragen werden können; denn es braucht Räumlichkeiten, es braucht eine entspre- (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- chende Lehrerausbildung, es braucht entsprechendes zu- NEN]: Sie haben gar nichts verstanden!) sätzliches Personal, und es braucht kleinere Klassen. Das bedeutet, dass auch die Voraussetzungen für die Inklusi- Deshalb ist es eben nicht der richtige Standpunkt, zu sa- on geschaffen werden müssen. Das ist etwas, was Bund, gen: Nachts sind alle Katzen grau, es gibt nur noch ein Länder und Kommunen gemeinsam bewirken müssen. Modell der Schule, Zuerst müssen die Voraussetzungen geschaffen werden. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Es darf aber nicht so vorgegangen werden, dass ein paar NEN]: Das hat keiner gesagt!) Förderschulen geschlossen werden, die Personalstellen und das Geld auf die Regelschulen übertragen werden sondern: So wie Menschen unterschiedlich sind, so brau- und dann geschaut wird, was passiert. Das war die Art chen wir auch differenzierte Schulangebote. Wir wollen und Weise, wie in Nordrhein-Westfalen vorgegangen Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24581

Uwe Schummer (A) wurde. Das war ein Verbrechen gegen die Eltern, gegen desteilhabegesetz stellt. Es ist sehr schön, dass wir das (C) die Schüler und gegen die Lehrer. jedenfalls heute aus der Debatte mitnehmen können. (Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu (Beifall bei der SPD – Özcan Mutlu [BÜND- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wunder geschehen!) doch gar nicht! Da haben Sie nicht zugehört!) Inklusion ist dabei natürlich mehr als Integration. Das Wir sollten hier keine Schaukämpfe gegeneinander ist nicht nur Semantik. Wir reden über Teilhabe und nicht austragen, sondern die Inklusion ernst nehmen. Sie ist nur über das Dabeisein. Wir reden davon, dass alle Men- ein Prozess, den wir über das Bundesteilhabegesetz vo- schen – lassen Sie es mich einmal so sagen – auf dem rantreiben werden. Platz des Lebens stehen und mitspielen können und nicht nur auf den Tribünen sitzen müssen. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Sie haben die Leute in die Irre geführt!) (René Röspel [SPD]: Ein schönes Bild!) Wir, Bund, Länder und Kommen, wollen die UN-Behin- Das ist es, worum es tatsächlich geht. dertenrechtskonvention gemeinsam umsetzen. Koopera- Die UN-Konvention – das ist gesagt worden – ist vor tion ist nicht verboten, sie wird vielmehr gelebt. Jeder über zehn Jahren von der Vollversammlung der UN be- handelt nach seinen Kompetenzen. schlossen worden. Sie ist seit Ende März 2009 geltendes (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Recht in Deutschland. Wo stehen wir? Ich bin bei denjeni- ordneten der SPD – Özcan Mutlu [BÜND- gen, die sagen: Wir sind in den letzten Jahren wesentliche NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollten aufhören, Schritte vorwärtsgekommen. Das Bundesteilhabegesetz zu reden! Sie sollten einfach mal handeln! Wir ist genannt worden. In die Schul- und Hochschulgesetze brauchen Taten!) der Länder hat die Inklusion im Wesentlichen Eingang gefunden. Wir haben im Bereich der Wissenschaft vieles getan. Wir forschen, und wir haben einen Nationalen Ak- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: tionsplan dazu. Inklusion ist Bestandteil der Bildungsbe- Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kolle- richterstattung geworden. ge Martin Rabanus das Wort. All das, fnde ich, darf man nicht verschweigen, soll (Beifall bei der SPD) man nicht verschweigen; all das ist gut so, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir natürlich nicht Martin Rabanus (SPD): an einem Endpunkt sind und dass auch die Bundesländer an ganz unterschiedlichen Positionen stehen. In Berlin (B) Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und ist der Ressourcenvorbehalt bei der Inklusion gefallen. (D) Herren! Herr Kollege Schummer, das war schon ein Sorry, wenn ich das so sagen muss. In meinem Heimat- denkwürdiger Beitrag, den Sie hier gerade abgeliefert land Hessen, schwarz geführt, grün mitregiert, ist der haben. Das hätte ich, ehrlich gesagt, von einem Landes- Ressourcenvorbehalt im Schulgesetz leider nicht gefal- vorsitzenden der Lebenshilfe in Nordrhein-Westfalen len. Wir haben also unterschiedliche Konstellationen, die so nicht erwartet, zumal das Ganze ein bisschen durch­ wir zur Kenntnis nehmen müssen. einanderging. Ich will auf das Thema der berufichen Bildung ein- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gehen; denn ich habe gesagt, dass ich es gut fnde, dass DIE GRÜNEN – Özcan Mutlu [BÜND- es diesen Antrag gibt. Auch hinsichtlich der berufichen NIS 90/DIE GRÜNEN]: Und weil es welt- Bildung haben wir einiges getan. Im Rahmen der Alli- fremd war!) anz für Aus- und Weiterbildung haben wir die assistierte Entweder machen wir Inklusion und meinen das tat- Ausbildung eingeführt. Lassen Sie mich dazu sagen: Ich sächlich ernst, oder wir machen weiter wie bisher und würde mir wünschen, dass das ein Dauerinstrument wird lassen die Sondereinrichtungen bestehen. Ich weiß nicht, und wir über 2018 hinaus diese assistierte Ausbildung wie Sie es hinbekommen wollen, Inklusion und Exklusi- anbieten können. on zusammenzubringen. (Beifall bei der SPD) (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir haben im Bereich der Weiterbildung für Benach- NEN]: Das geht nicht!) teiligte vieles getan. Wir haben die Dimension Inklusion Das fnde ich schon erstaunlich. sogar beim Meister-BAföG eingeführt. Auch das ist gut so. (Widerspruch bei der CDU/CSU) Aber ich glaube, wir müssen uns entscheiden. Inklu- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir reden hier über sion ist etwas, worüber sich irgendwie alle einig sind, inklusive Bildung, von der Kita über die Schule und die wobei aber die letzte Konsequenz fehlt. Wenn das Recht berufiche Bildung – ich fnde es gut, dass es dazu einen auf Inklusion ein Menschenrecht ist, dann muss die Um- eigenen Antrag gibt – bis hin zur akademischen Bildung. setzung auch mit letzter Konsequenz angegangen wer- Die SPD steht seit Jahren für die inklusive Bildung und den. Wir als SPD wollen das. Wir wollen Verbindlich- für die Inklusion. Ich bin froh, dass sich auch die CDU keit. Wir wollen Verlässlichkeit und Inklusion für alle im heute – das war in dem Beratungsprozess in den letzten Bildungssystem und darüber hinaus. Wenn wir das ernst Jahren nicht immer so – uneingeschränkt hinter das Bun- meinen, dann müssen wir an drei Punkten ansetzen. 24582 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Martin Rabanus (A) Erstens. Das Bildungssystem muss so umgebaut wer- abschluss zu ermöglichen. Die Lebens- und Entwick- (C) den, dass sich das System den Menschen anpasst und lungsbedingungen der Kinder und Jugendlichen werden nicht umgekehrt. durch die pädagogische Arbeit der Schulsozialarbeiter nachhaltig verbessert. Sie hilft, eigenverantwortlich ins (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Berufsleben zu starten. Ich kenne keine Schule, die auf der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE die wichtige Arbeit der Schulsozialarbeiter jemals wieder GRÜNEN) verzichten möchte, gerade weil die Sozialarbeiter an den Es ist tatsächlich so: Wir stellen Ausbildungsreife fest. Schulen einen hervorragenden Job machen. Wir stellen Schulreife fest. Wir stellen Studienreife fest. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Aber was wir genau brauchen, ist ein Paradigmenwech- der SPD – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: sel: Das System muss sich auf den Menschen einstellen. Da haben wir was durchgesetzt! Späte Ein- Zweitens. Wir brauchen ein Unterstützungssystem, sicht!) das stabil ist, das die Institutionen zum einen, zum ande- ren aber auch die Pädagoginnen und Pädagogen – damit Ich habe die Qualität der Arbeit der Schulsozialarbei- meine ich nicht nur Lehrkräfte, sondern auch multipro- ter als durchweg sehr gut wahrgenommen. Die Schüler fessionelle Teams – unterstützen kann. bringen oft vielfältige Probleme mit. Drittens. Wir brauchen die notwendigen Ressour- (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- cen dafür. Das ist der Dreh- und Angelpunkt. Das, lie- NEN]: Was haben Sie in den letzten vier Jah- be Freunde von der CDU/CSU, liebe Koalitionspartner, ren im Deutschen Bundestag für die Schulso- kann ich Ihnen nicht ersparen: Ja, das Kooperationsver- zialarbeit getan?) bot im Bildungsbereich ist aufgebrochen. Jetzt müssen – Darüber können wir uns gleich unterhalten. Warten Sie wir es abschaffen. vielleicht erst einmal meine Rede ab, Kollege Mutlu. Re- (Xaver Jung [CDU/CSU]: Das gibt es gar gen Sie sich nicht immer so auf, und dann erkennen Sie nicht! Sie können es nicht abschaffen!) irgendwann die Richtigkeit meiner Antwort. Dafür werden wir als SPD auch in der nächsten Wahlpe- (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- riode werben. NEN]: Ich gebe Ihnen die Antwort: Sie ha- ben nichts getan! – Zuruf des Abg. Tankred Herzlichen Dank. Schipanski [CDU/CSU]) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten – Genau, Kollege Schipanski. Sie kennen schon meine (B) der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Antwort. (D) GRÜNEN) Aber lassen Sie mich noch ausführen: In den Schu- len gibt es vielfältige Probleme. Sie fangen bei kleinen Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Streitigkeiten an, die man zu Hause hat, und reichen zum Vielen Dank. – Jetzt hat Christina Schwarzer, CDU/ Beispiel bei uns in Berlin, aber auch in anderen Bundes- CSU-Fraktion, das Wort. Bitte schön. ländern bis hin zu kriminellen Karrieren. Von den The- men her ist eben alles dabei. Christina Schwarzer (CDU/CSU): An allen Schulen habe ich Schulsozialarbeiter erlebt. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor allen Dingen habe ich sie immer als Anwälte der Ju- Sehr geehrte Damen und Herren! Das Thema Inklusion gendlichen erlebt, die sich mit vollem Einsatz und mit ist natürlich auch mir als Mitglied des Landesvorstands bestem Wissen und Gewissen um die Kinder und Ju- der Lebenshilfe Berlin besonders wichtig. Aber über In- gendlichen bemühen und ihnen bei Bedarf auch Grenzen klusion, lieber Özcan Mutlu, haben wir uns genügend aufzeigen. Dafür meine große Anerkennung und meinen ausgetauscht. Ich will meine Rede ausschließlich auf die Dank. Schulsozialarbeit lenken; denn darum geht es nämlich auch in Ihrem Antrag. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann Ich sehe dieses Thema auch durch die Brille einer ehe- [SPD]) maligen Kommunalpolitikerin. Ich weiß, viele von Ihnen sind natürlich auch noch in der Kommunalpolitik tätig. Aber unsere Erfahrung aus der Kommunalpolitik sagt Dort habe ich 14 Jahre lang Politik im Bereich der Kin- uns: Die Schulsozialarbeit funktioniert nur, wenn sie der- und Jugendhilfe gemacht. Das Thema Schulsozialar- möglichst kleinteilig und bedarfsgerecht organisiert ist. beit ist mir natürlich mehr als vertraut. Der Grund liegt auf der Hand. Zum Beispiel hat die So- zialarbeit bei mir in Berlin-Neukölln ganz andere Aufga- Sie hat für die Entwicklung unserer Kinder, aber auch ben als in ländlichen Gebieten zu bewältigen. Sie steht für das Bildungssystem selbst, einen immensen Stel- vor anderen Herausforderungen und muss andere Hilfe lenwert, besonders an sogenannten Brennpunktschulen. leisten. Schulsozialarbeiter sind Schnittstelle zwischen Eltern und Schülern, Lehrern und den außerschulischen Akti- vitäten. Sie unterstützen Kinder und Jugendliche bei ge- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: sellschaftlicher Teilhabe und ebnen den Weg für gleiche Frau Kollegin Schwarzer, gestatten Sie eine Zwi- Startchancen bei der Bildung, um einen guten Schul- schenfrage der Kollegin Hein? Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24583

(A) Christina Schwarzer (CDU/CSU): gionen am besten aufgehoben, weil dort die Bedarfe am (C) Nein, ich möchte erst ausführen. deutlichsten erkennbar sind, weil dort eben die Experten sitzen. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU)

Christina Schwarzer (CDU/CSU): Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Für diese Erkenntnis muss man nicht besonders weit über den Tellerrand hinausschauen. Diese Unterschiede Vielen Dank. – Die Kollegin Hein hat jetzt um das gibt es allein schon hier in Berlin. Das heißt für mich, Wort für eine Kurzintervention gebeten. Frau Kollegin die Schulsozialarbeit muss auf kleinstmöglicher Ebene Hein, ich betone noch einmal „kurz“. – Ich möchte nur organisiert sein. Damit gilt: Dort, wo organisiert, gelenkt alle darauf hinweisen: Wir sind schon über eine Stunde und entschieden wird, muss die Finanzierung auch ange- in Verzug. siedelt sein. (Zuruf von der CDU/CSU: Eben!) Dennoch: Obwohl wir bei der Schulsozialarbeit von Ich bitte alle, sich an die Redezeiten zu halten und auch einer Aufgabe sprechen, die im föderalen System klar einmal zu überlegen, ob jede Intervention nötig ist. Ich den Ländern und den kommunalen Gebietskörperschaf- bin wirklich für eine lebendige Debatte. ten zugeordnet ist, stellte der Bund in den Jahren 2011 bis 2013 zusätzliche Mittel zur Verfügung, um bei dieser Frau Hein, Sie dürfen jetzt, aber kurz. Aufgabe zu unterstützen. (DIE LINKE): (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sehr rich- Dr. Rosemarie Hein tig!) Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Da ich selten eine Kurzintervention mache, nehme ich sie heute auch ein- In Zahlen: In den Jahren 2011, 2012 und 2013 hat der mal für mich in Anspruch. Bund jeweils 400 Millionen Euro für Schulsozialarbeit und Mittagessen in Horten zur Verfügung gestellt. Zunächst einmal haben Sie sehr gut beschrieben, was Schulsozialarbeit alles leisten kann an Schulen. Sie ha- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ben nur einen Fehler gemacht: Sie wissen zum einen ordneten der SPD) nicht, dass es nicht an jeder Schule Schulsozialarbeit Das Stichwort heißt jedoch „Anschubfnanzierung“. gibt. In Berlin ist das etwas anders, in einigen anderen (B) Gemeinsam wurde eben auch vereinbart, dass das Pro- Bundesländern auch. (D) jekt 2013 – die Anschubfnanzierung – aufhört. Eine dau- (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- erhafte zweckgebundene Finanzierung der Schulsozial- NEN]: Ihr habt ja auch Rot-Rot-Grün!) arbeit durch den Bund verbietet das Grundgesetz. Das hatten wir schon. Aber sie ist bei weitem nicht fächendeckend im Ange- bot. Gerade weil der Pakt ausgelaufen ist, den die SPD (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- damals mit dem Bildungs- und Teilhabepaket initiiert NEN]: Weil wir das Kooperationsverbot ha- hat, weil das Geld nicht mehr da ist, kann sie auch nicht ben!) mehr so fnanziert werden. – In der Tat. Herr Mutlu hat aufgepasst. Für die Jugendarbeit greift § 11 SGB VIII und für die (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Jugendsozialarbeit an Schulen § 13 SGB VIII. Das sind NEN]: Das muss abgeschafft werden!) die beiden Paragrafen, nach denen die Finanzierung der Schulsozialarbeit durch den Bund zurzeit möglich ist. Durch die Forderung, die Finanzierung im SGB VIII Die Maßnahmen sind zum großen Teil projektfnanziert, zu verankern – Frau Kollegin Hein, wir hatten das ja ges- also endlich. tern schon im Ausschuss –, umgehen Sie diesen Fakt. Aber Tatsache ist doch: Schulsozialarbeiter arbeiten im Ich wollte Sie gern fragen, ob Sie nicht auch fnden, schulischen Raum, und ohne Wenn und Aber sind wir dass wegen der Eigenständigkeit der Schulsozialarbeit hier im Bereich der Länderkompetenzen und der Kompe- diese im SGB VIII verankert werden sollte – als eigen- tenzen der Kommunen. Darum widerspricht eine dauer- ständiger Paragraf –, damit gesichert ist hafte Finanzierung der Schulsozialarbeit durch den Bund (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das kön- dem Anspruch der Länder auf ihre Bildungshoheit. Die nen doch die Länder machen!) Verantwortung der Länder für den Bildungsbereich spielt auch bei der Finanzierung eine große Rolle. – ich gebe Ihnen recht, die Kommunen und die Länder sind zuständig –, Dennoch hat der Bund die Länder und die Kommu- nen in den vergangenen Jahren sehr stark unterstützt. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Aha!) Die Zahlen habe ich eben schon genannt. Wir sehen, dass an jeder Schule künftig Schulsozialarbeit angebo- der Bund nimmt die Aufgabe, die Kommunen und die ten werden kann, die nicht zulasten der Jugendarbeit und Länder bei ihren vielfältigen Aufgaben zu unterstützen, nicht zulasten der Jugendsozialarbeit geht. sehr ernst. Die Schulsozialarbeit ist aber auch aus gutem Grund ureigene kommunale Aufgabe. Sie ist in den Re- (Beifall bei der LINKEN) 24584 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

(A) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält (C) Vielen Dank. – Frau Kollegin Schwarzer, möchten Sie sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen darauf antworten? – Bitte schön. der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Christina Schwarzer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kollegin Hein, Sie haben sich Unter Tagesordnungspunkt 12 b liegt die Beschluss- eben Ihre Antwort eigentlich selbst gegeben. Ich glaube, empfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, ich habe das auch fünfmal in meiner Rede gesagt. Die Frauen und Jugend zu dem Antrag der Fraktion Die Kommunen und die Länder sind dafür verantwortlich. Linke mit dem Titel „Schulsozialarbeit an allen Schu- len sicherstellen“ vor. Der Ausschuss empfehlt in seiner (Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Das Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11803, den kann man ja ändern!) Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/2013 Und wenn die Kommunen und die Länder wollen, dass abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- Schulsozialarbeit an jeder Schule stattfndet – Berlin gibt lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die dafür sehr, sehr viel Geld aus; Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti- onsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Lin- (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen NEN]: Rot-Rot-Grün!) angenommen. im Übrigen auch zu Recht –, sollen sie dafür Geld ausge- Damit kommen wir zu Zusatzpunkt 7: ben. Eine Änderung im SGB VIII, über die wir ja gerade verhandeln, wird es nicht geben. – Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Gesetzes zur effektiveren und praxistaugli- Zurufe von der LINKEN und der SPD) cheren Ausgestaltung des Strafverfahrens

Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Drucksache 18/11277 Jetzt schließe ich diese Aussprache, und wir kommen – Zweite und dritte Beratung des von der Bun- zu den Abstimmungen. desregierung eingebrachten Entwurfs eines Tagesordnungspunkt 12 a. Der Ausschuss empfehlt Gesetzes zur Änderung des Strafgesetz- unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ab- buchs, des Jugendgerichtsgesetzes, der Strafprozessordnung und weiterer Gesetze (B) lehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksa- (D) che 18/8420 mit dem Titel „Inklusive Bildung für alle – Drucksache 18/11272 Ausbau inklusiver Schulen fördern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung ses für Recht und Verbraucherschutz (6. Aus- mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der schuss) Opposition angenommen. Drucksache 18/12785 Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp- fehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Frak- Zu dem Gesetzentwurf zur Ausgestaltung des Straf- tion Die Linke auf Drucksache 18/8421 mit dem Titel verfahrens liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion „Inklusive Bildung für alle – Ausbau inklusiver Bildung Bündnis 90/Die Grünen vor. in der berufichen Bildung umsetzen“. Wer stimmt für Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – die Debatte 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre hier kei- Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. – Ich darf Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Oppositi- Sie bitten, Ihre Plätze einzunehmen. on angenommen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Bettina Weiterhin empfehlt der Ausschuss unter Buchstabe c Bähr-Losse, SPD-Fraktion. seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/8889 mit dem (Beifall bei der SPD) Titel „Inklusive Bildung für alle – Ausbau inklusiver Bildung in der Kindertagesbetreuung umsetzen“. Wer Bettina Bähr-Losse (SPD): stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen Meine Damen und Herren! Heute soll der Bundestag die Stimmen der Opposition angenommen. eines der größten Gesetzesreformpakete dieser Legisla- turperiode beschließen. Der vorliegende Entwurf sieht Schließlich empfehlt der Ausschuss unter Buchstabe vor, das Gesetz zur effektiveren Ausgestaltung des Straf- d seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des An- verfahrens mit den Gesetzen zur Änderung des Strafge- trags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/9127 mit setzbuchs, der Strafprozessordnung, des Jugendgerichts- dem Titel „Inklusive Bildung für alle – Ausbau inklusiver gesetzes und weiterer Gesetze zu verbinden und um Hochschulen fördern“. Wer stimmt für diese Beschluss- Regelungen zur Schaffung von Rechtsgrundlagen für die Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24585

Bettina Bähr-Losse (A) Onlinedurchsuchung und die Quellen-Telekommunikati- Durchsetzung des Strafanspruchs des Staates einerseits (C) onsüberwachung zu ergänzen. und der Wahrung und Gewährleistung von Grundrechten andererseits geht. Ich gebe zu: Wo viel Licht ist, da ist auch Schatten. Man sollte vielleicht überdenken, ob es immer sinnvoll (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ist, solche großen Gesetzespakete zu schnüren und im der CDU/CSU) Gesetzgebungsverfahren Einzelpakete als Junktim zu be- handeln, oder ob es nicht transparenter wäre, die jewei- Mit einem Nacht-und-Nebel-Gesetz hat das aber rein gar ligen Gesetzentwürfe einzeln zu behandeln. Nichtsdesto- nichts zu tun. trotz sehe ich in den nun vorliegenden Gesetzentwürfen (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE eine überwältigende Leistung an parlamentarischer Ar- GRÜNEN]: Aber mit einem Hauruckverfah- beit. Jeder einzelne Gesetzentwurf nimmt gezielt Verbes- ren!) serungen vor, sei es im Bereich der Strafprozessordnung oder sei es im Bereich der Strafverfolgung. Zum Ende Nun zum Inhalt. Ich möchte nur die wichtigsten As- der Legislaturperiode wird damit zum Abschluss ge- pekte herausstellen. bracht, was sich die Koalition am Anfang vorgenommen hat. Ein Teil des Paketes ist die sogenannte StPO-Reform, die ein ehrgeiziges und wichtiges Ziel verfolgt, nämlich Das Vorhaben geht auf die Vereinbarung aus dem die Vereinfachung und Beschleunigung von Strafverfah- Koalitionsvertrag zurück, das allgemeine und auch das ren in allen Stadien. Jugendstrafverfahren effektiver auszugestalten. Der Ge- setzentwurf basiert auf der Arbeit einer eigens eingesetz- (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE ten Expertenkommission. GRÜNEN]: Wo ist die geblieben?) (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Es geht hier etwa um Ablehnungsverfahren bei Befan- GRÜNEN]: Nur wurde nichts übernommen!) genheitsgesuchen, die Möglichkeit einer Fristsetzung für Im Anschluss an die ersten Lesungen der Entwürfe gab Beweisanträge und die audiovisuelle Dokumentation von es intensive Beratungen, Berichterstattergespräche, Ge- Beschuldigtenvernehmungen, um nur drei Beispiele zu spräche auf Fraktionsvizeebene und auch Gespräche im nennen. Der Gesetzgeber begegnet ja häufg der Kritik, Koalitionsausschuss, und es gab zu allen – ich betone: zu dass viel zu viel Zeit zwischen Straftat und Gerichtsver- allen – Aspekten öffentliche Anhörungen: fahren vergeht. Diesem Problem soll im Gesetzentwurf auf der Ebene der Strafprozessordnung begegnet werden. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE (B) GRÜNEN]: Alles für die Katz!) Ein zweites Ziel, das mit der Reform der Strafprozess­ (D) ordnung verfolgt wird, ist die Anpassung an die rasan- zum Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren te technische Entwicklung der letzten Jahre. Hierzu ein Ausgestaltung des Strafverfahrens, zur geplanten Ände- kurzer Blick in die Geschichte der Spurensicherung und rung des Strafgesetzbuches, zur geplanten Änderung der Strafverfolgung: 1897 überführte Scotland Yard den ers- Strafprozessordnung, des Jugendgerichtsgesetzes und ten Täter anhand seiner Fingerabdrücke. Fingerabdrücke weiterer Gesetze. Auch die sogenannte Quellen-TKÜ als Beweismittel wurden erstmals 1896 in Argentinien und die Onlinedurchsuchung wurden intensiv erörtert. und 1901 in Großbritannien vor Gerichten zugelassen. In Insbesondere die Bedenken kritischer Sachverständiger Großbritannien und den USA ist der genetische Finger- sind in unsere Beratungen eingefossen. Einige stellen abdruck in Strafprozessen als Beweismittel zur Identif- jetzt die Behauptung auf, dieses Gesetz oder Teilaspek- zierung oder zum Ausschluss eines Tatverdächtigen seit te davon seien quasi über Nacht und durch die Hintertür 1987 zugelassen. 1997 ist in Deutschland erstmals eine durchs Parlament gedrückt worden. rechtliche Regelung der Voraussetzungen für den Einsatz (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE des genetischen Fingerabdrucks in Kraft getreten. GRÜNEN]: Montag!) (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Diejenigen, die das tun, verkennen aber, dass es sich um GRÜNEN]: Das steht hier ja gar nicht zur De- einen fast vierjährigen Prozess handelt, batte!) (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Hört! Hört! – Das liegt nun aber auch schon wieder 20 Jahre zurück, Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE und die Möglichkeiten der DNA-Analyse haben sich ra- GRÜNEN]: Beweisen Sie das mal!) sant weiterentwickelt. an dem ich selber leider nur einige Monate teilnehmen Die Forensik hat wesentliche Fortschritte auf dem Ge- konnte. biet der DNA-Analyse erzielt. Augen-, Haar- und Haut- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten farbe einer Person lassen sich mit hoher Wahrscheinlich- der CDU/CSU) keit bestimmen. Denjenigen, die meinen, dass dadurch eine Stigmatisierung bestimmter Gruppen erfolge, halte Hierzu eine andere Auffassung zu vertreten, ist selbst- ich entgegen, dass zahlreiche andere Verdächtige demge- verständlich legitim. Ich halte den Umstand, dass bis genüber entlastet werden, kurz vor Ende einer Legislaturperiode um einzelne Po- sitionen gerungen wird, aber für nachvollziehbar und (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der legitim, wenn es um den schmalen Grat zwischen der CDU/CSU) 24586 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Bettina Bähr-Losse (A) die vielleicht vorher unter Generalverdacht gestanden Vizepräsidentin Ulla Schmidt: (C) haben. Ist der Täter oder die Täterin blond und blauäu- Ja, bitte bis zum letzten Satz. gig, werden nun einmal die Schwarzhaarigen und die Braunäugigen entlastet. Das hat nichts mit Diskriminie- (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD) rung zu tun. Im Übrigen wäre eine Öffentlichkeitsfahn- dung ohne klare Benennung von Äußerlichkeiten wenig Bettina Bähr-Losse (SPD): erfolgversprechend. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf geben wir unse- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) rer Justiz Mittel an die Hand, um auf die Herausforderun- gen der Gegenwart überhaupt reagieren zu können. Ich Drittens wollen wir unseren Strafverfolgungsbe- bitte deshalb um Unterstützung. hörden mit den Regelungen zur Quellen-TKÜ und zur Onlinedurchsuchung ermöglichen, darauf reagieren zu (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) können, dass auch Kriminelle neue technische Möglich- keiten nutzen. Die vorgeschlagenen Regelungen halten Vizepräsidentin Ulla Schmidt: sich streng an die Vorgaben, die auch bei der Wohnraum­ Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Jörn Wunderlich überwachung gelten. Traf man sich vor 20 Jahren noch für die Fraktion Die Linke das Wort. in einer Wohnung, um kriminelle oder terroristische Ak- tivitäten zu planen, kann man sich heutzutage in einem (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der Chatroom treffen. Der Gesetzgeber muss hierauf eine CDU/CSU: Am besten bis zum letzten Satz!) Antwort fnden. Strafverfolger dürfen Kriminellen nicht hinterherhinken. Jörn Wunderlich (DIE LINKE): (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! der CDU/CSU) Führerscheinentzug als Hauptstrafe, Überwachung von Anbahnungsgesprächen des Verteidigers mit inhaftier- Oft ist zu hören, dass die Polizei schon jetzt in der ten Mandanten, Blutentnahmen ohne richterlichen Vor- Lage sei, die Kommunikation der Bürgerinnen und Bür- behalt, Videoaufzeichnung der ersten Vernehmung eines ger zum Zwecke der Verhütung terroristischer Aktivitä- Beschuldigten – all das war Gegenstand des Gesetzes in ten zu überwachen und entsprechend auszuwerten. Das der ersten Lesung. Daneben gab es noch einige Regelun- stimmt aber gar nicht. Besonders schwierig wird es für gen zur Veruntreuung von Arbeitsentgelt und zum Na- die Ermittler, wenn es um Datenmaterial geht, das durch turschutz; Naturschutz haben wir auch positiv gesehen. sogenannte Messengerdienste ausgetauscht wurde. Wenn Alles in allem Pillepalle im Vergleich zu dem, was uns (B) Behörden keinen Zugriff auf diese Daten haben, entste- heute vorliegt. (D) hen in der Folge Räume, in denen Strafverfolgung un- möglich ist. Das ergibt sich dann von selbst. Experten halten es für eines der invasivsten Überwa- chungsgesetze der vergangenen Jahre. Heute soll hier in Unser Ziel muss also sein, die Behörden überhaupt diesem Haus dieses Gesetz mit nachträglichen Änderun- erst in die Lage zu versetzen, ermitteln zu können. Die gen verabschiedet werden, Änderungen, welche den Er- technische Entwicklung erlaubt uns dies jetzt erfreuli- mittlungsbehörden den Zugriff auf private Geräte, Han- cherweise. Deshalb treten wir mit unserem gemeinsa- dys, Laptops und Tablets ermöglichen sollen – heimlich, men Gesetzentwurf dafür ein, dass es künftig eine ge- zur Strafverfolgung, ohne dass sich die Verdächtigen setzliche Regelung gibt, auf deren Grundlage besonders wehren können. Die geplanten Maßnahmen sind noch schwere Straftaten durch den Einsatz der sogenannten weitgehender als der große Lauschangriff aus den 90ern. Quellen-TKÜ verfolgt werden können. Dabei möchte ich einen Aspekt betonen, der uns besonders wichtig ist. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Diese Form der Überwachung, die vor der Verschlüsse- GRÜNEN]: So ist es!) lung von Daten ansetzt, muss den Vorgaben genügen, – Genauso ist es. – Aber wieso fndet sich dazu kaum die das Bundesverfassungsgericht in seinem BKA-Urteil Resonanz in der Bevölkerung? Hier wird wieder einmal im letzten Jahr aufgestellt hat. Die entworfene Regelung mit einem Verfahrenstrick gearbeitet. Diese massiven berücksichtigt also insbesondere den Verhältnismäßig- Grundrechtseingriffe wurden im Wege eines Änderungs- keitsgrundsatz, ist begrenzt auf den Schutz hinreichend antrages bezogen auf ein Gesetz mit ganz anderen Maß- wichtiger Rechtsgüter und gewährleistet dabei auch den nahmen kurzfristig durchgebracht. Die einzige Schnitt- Schutz Dritter. menge ist das Wörtchen „StPO“. Das Thema soll eben (Beifall bei der SPD sowie des Abg. kleingehalten werden. Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]) Was will die Bundesregierung erreichen? Bei der Quellen-TKÜ wird eine Schadsoftware auf das Gerät ei- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: nes Verdächtigen aufgespielt, ein sogenannter Staatstro- Frau Kollegin, denken Sie an die Zeit und kommen janer, der die laufende Kommunikation mitliest. We- Sie zum Schluss. sentlich eingriffsstärker ist die Onlinedurchsuchung. Aber auch hier muss eine Software auf dem Gerät des Verdächtigen installiert werden, allerdings kann dann auf Bettina Bähr-Losse (SPD): sämtliche gespeicherte Inhalte zugegriffen werden, also Ich überspringe jetzt einfach einen Teil. die gesamte Festplatte ausgelesen werden. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24587

Jörn Wunderlich (A) Wie wird die Software durch Ermittler installiert? In Vorgaben der Entscheidung von 2008. Diese Regierung (C) vielen Fällen werden sie bestehende Sicherheitslücken wird aus den Watschen, die sie sich permanent vom Ver- nutzen müssen, um sich von Ferne Zugriff auf das Ge- fassungsgericht holt, nicht klüger; rät zu verschaffen. Doch wenn solche Sicherheitslücken notwendig sind, werden staatliche Stellen bestimmt we- (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Das waren die nig Interesse daran haben, sie den Softwareherstellern Grünen – die letzte Klatsche!) zu melden, was wiederum auch Cyberkriminellen die aber das wundert mich nicht. Nutzung dieser Lücken ermöglicht und diesen somit Vor- schub leistet. Die Cyberkriminellen können sich vorab Bei der ersten Lesung des Ursprungsgesetzes, Herr schon einmal bei der Bundesregierung bedanken. Fechner, hatte ich noch die Hoffnung, in den Beratungen etwas retten zu können. Was heute hier von der Koalition Aus einer Ausnahmemaßnahme zur Terrorabwehr soll im Omnibusverfahren, im Übrigen am Bundesrat vorbei, nun eine Standardmaßnahme der Polizei werden. Wo bis- ohne Beteiligung der Bundesdatenschutzbeauftragten, lang abgehört wurde, soll nun der Staatstrojaner einge- ohne Beteiligung der Verbände, ohne Diskussion in der setzt werden. Das Gesetz sieht nicht nur vor, die laufende Öffentlichkeit, verabschiedet werden soll, ist mit Worten Kommunikation mitzulesen, sondern auch, den Zugriff jenseits der Fäkalsprache nicht mehr zu beschreiben. auf gespeicherte Kommunikation zu erlauben. Experten befürchten daher, dass die Quellen-TKÜ so quasi zu ei- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- ner Onlinedurchsuchung unter viel geringeren Vorausset- NIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/ zungen wird. CSU: Dann lassen Sie es auch sein!) Beide Instrumente gibt es im Übrigen schon, sie wer-

den aber kaum angewandt: Die Onlinedurchsuchung darf Vizepräsidentin Ulla Schmidt: etwa nur zur Prävention von äußerst schweren Verbre- Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht chen, also beispielsweise zur Terrorabwehr, genutzt wer- jetzt Elisabeth Winkelmeier-Becker. den. Auch die Quellen-TKÜ wurde bislang nur vereinzelt (Beifall bei der CDU/CSU) zum Einsatz gebracht. Doch nun sollen diese Maßnah- men nicht nur präventiv, sondern auch zur Strafverfol- gung genutzt werden, in einem Anwendungsfeld, das sei- Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): nesgleichen sucht. Man hätte die Anwendung zumindest Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! auf schwerste Straftaten beschränken müssen. Strafverfolgung ist ein wesentlicher Teil des rechtsstaat- lichen Handelns. Wenn Straftaten begangen werden, (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- dann ist der Staat den Opfern schuldig, dafür zu sorgen, (B) NIS 90/DIE GRÜNEN) dass die Täter ermittelt werden und dass spürbare Sankti- (D) Schon im Jahr 2008 hat der Erste Senat des Bundesver- onen verhängt werden. Das ergibt sich aus seinen Schutz- fassungsgerichts geurteilt, dass Onlinedurchsuchungen pfichten, und dafür hat er auch das Gewaltmonopol. Da- nur zur Abwehr von Gefahren – ich zitiere jetzt mal – für für sorgen eine unabhängige Justiz und handlungsfähige „Leib, Leben und Freiheit der Person oder solche Gü- Strafverfolgungsbehörden. Aber in der Praxis ist das ter der Allgemeinheit, deren Bedrohung die Grundlagen nicht so einfach, sondern es gibt da offenbar auch De- oder den Bestand des Staates oder die Grundlagen der fzite. Existenz der Menschen berührt“, dienen dürfe. Die Praxis zeigt, dass wir da teilweise an den Belas- (Beifall des Abg. Harald Petzold [Havelland] tungsgrenzen angekommen sind. Taten werden nicht [DIE LINKE]) aufgeklärt. Gestern haben wir in der Anhörung zum Wohnungseinbruchsdiebstahl gehört, dass die Aufklä- Dass Drogenhandel und Verstöße im Asylverfahrens- rungsquote bei diesem Delikt unter 20 Prozent liegt. recht den Bestand des Staates oder die Grundlagen der Gerichtsverfahren dauern lange. Es kommt vor, dass Be- Existenz der Menschen bedrohen, das kann mir hier in schuldigte aus der Untersuchungshaft entlassen werden diesem Hause keiner erklären. müssen, weil die sechsmonatige Frist nicht eingehalten (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- werden kann. Es werden viel zu viele Verfahren einge- NIS 90/DIE GRÜNEN) stellt, bei denen es eigentlich gut gewesen wäre, eine Gerichtsverhandlung durchzuführen – damit sie einen Schon heute gibt es bei den Strafverfolgungsbehörden bleibenden Eindruck bei dem Täter hinterlässt, damit Begehrlichkeiten – das wissen wir aus der Stellungnah- das Opfer ihm in die Augen blicken kann, damit es einen me des Oberstaatsanwalts beim BGH –, die Eingriffs- Ausgleich geben kann. Auch unter Gesichtspunkten der schwelle zu senken. Er sagte: Die Schwere des Eingriffes Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit wäre es besser, kann man eigentlich erst feststellen, wenn man die Be- wenn nicht so viele Verfahren eingestellt würden. weismittel gesichert hat. – Deswegen: Wenn ich es be- antrage, kann ich noch gar nicht die Schwere bejahen. Es wird kritisiert, dass Deals gemacht werden. Oft ist Daher müsste die Regelung zur Schwere des Eingriffes der Hintergrund, dass die Arbeitsbelastung zu hoch ist, eigentlich aus dem Gesetz heraus. dass sich abzeichnet, dass ein Verfahren rechtlich und auch tatsächlich sehr kompliziert wird. All das trägt na- Ich bin gespannt, was das Verfassungsgericht zu die- türlich nicht dazu bei, dass sich die Akzeptanz gerichtli- sem Gesetz sagen wird. Es wird mit Sicherheit vor dem cher Entscheidungen in der Bevölkerung erhöht. Es trägt Verfassungsgericht landen; denn es entspricht nicht den auch nicht zu mehr Gerechtigkeit bei. 24588 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Elisabeth Winkelmeier-Becker (A) Das Problem liegt in einer sehr hohen Arbeitsbelas- Es ist aus den genannten Gründen notwendig, dass wir (C) tung der Gerichte, der Ermittler, der Staatsanwälte und für die Maßnahmen eine klare Rechtsgrundlage schaffen. der Justizangestellten. Deshalb haben wir uns in Nord- Sie beinhalten zugegebenermaßen schon auch Eingriffe rhein-Westfalen für die neue Koalition vorgenommen, in die Grundrechte, aber sie sind an klare Voraussetzun- hier à la longue ganz deutlich aufzurüsten, sowohl, was gen gebunden, nämlich dass Tatsachen den Verdacht be- die personelle Ausstattung angeht, als auch, was die tech- gründen, dass jemand Täter oder Teilnehmer einer schwe- nische Ausstattung angeht. ren Straftat ist. Ein paar Beispiele dafür, um welche Taten es gehen kann: Terrorismus, Geldwäsche, Abgeordneten- (Beifall bei der CDU/CSU) bestechung, Kinderpornografe, Mord, Bandendiebstahl. – Das ist schon mal einen Applaus wert; das fnde ich In solchen Fällen können die Maßnahmen wichtige und auch. unverzichtbare Anhaltspunkte liefern, und dann sind sie auch verhältnismäßig, und dann sind sie auch gerechtfer- Dabei zeigt der Vergleich, dass wir mit der Anzahl von tigt. Es sind die hohen rechtlichen Hürden und auch die 24 Richtern pro 100 000 Einwohner gar nicht so schlecht hohen technischen Hürden, die dafür sorgen, dass eine dastehen. Wir wissen auch, dass sich diese Zahlen nicht Maßnahme nie und nimmer zu einer Standardmaßnahme beliebig steigern lassen. Deshalb müssen wir auf der werden kann. Vielmehr handelt es sich um sehr gezielte einen Seite die Ressourcen verbessern; auf der anderen Maßnahmen, die allenfalls in wenigen Einzelfällen zum Seite wird es darauf ankommen, mit den knappen Res- Einsatz kommen. sourcen sorgsam umzugehen, diese Ressourcen sinnvoll und vor allem effzient einzusetzen. Das ist ein Beitrag Ich weiß nicht, woher Sie nehmen, dass eine Maßnah- zu mehr Rechtsstaatlichkeit, zu mehr Vertrauen in den me zu einer Standardmaßnahme werden könnte. Weder Rechtsstaat und auch zu mehr Gerechtigkeit. die rechtlichen Voraussetzungen lassen diesen Schluss zu, noch die Erfahrungen mit diesem Instrument im prä- (Beifall bei der CDU/CSU) ventiven Bereich. Mit den Maßnahmen wird sehr restrik- tiv umgegangen, und genauso wird das – das ist meine Es ist durchaus erkennbar, dass bei uns noch Potenzial feste Überzeugung – hier im Bereich der Ermittlungen, vorhanden ist. Ein Vergleich: Das Landgericht Hamburg im Bereich der Strafverfolgung geschehen. hatte einen Fall abzuurteilen, in dem es um Piraten ging, die am Horn von Afrika ein deutsches Schiff angegrif- (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das ist eine fen hatten. Für das Verfahren waren 106 Hauptverhand- falsche Überzeugung!) lungstage angesetzt, die Kosten: 4,5 Millionen Euro. Es wird außerdem Vereinfachungen im Ermittlungs- Bei einem vergleichbaren Fall in Frankreich dauerte die verfahren geben. Auf den Richtervorbehalt bei der Blut­ (B) Hauptverhandlung drei Wochen. entnahme im Zusammenhang mit Verkehrsstraftaten (D) (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE kann guten Gewissens verzichtet werden, weil der telefo- GRÜNEN]: Kommt doch sehr auf die Beweis- nisch erreichte Richter im Zweifel ohnehin nur das bestä- lage an, Frau Kollegin! Man kann doch nicht tigen kann, was ihm der Polizeibeamte vor Ort schildert. Äpfel mit Birnen vergleichen!) Wir schaffen die Pficht von Zeugen, bei der Polizei Da zeigt sich eine gewissen Unwucht und dass wir in die- zu erscheinen. Wir regeln die Erfassung von sogenannten sem Bereich auf jeden Fall noch Potenzial haben; denn DNA-Beinahetreffern, wo es Sinn macht. Wir hätten ger- Frankreich wird man sicherlich nicht nachsagen können, ne auch noch die DNA-Analyse in Bezug auf Merkmale dass dort der Rechtsstaat nichts gilt; ganz im Gegenteil. wie Augenfarbe oder Haarfarbe aufgenommen, aber dazu Wir haben deshalb schon im Koalitionsvertrag verein- sah sich das Justizministerium leider nicht in der Lage. bart, dass wir in den Strafverfahren, in den Jugendstraf- In einem nächsten Schritt haben wir Beschleunigun- verfahren, unter Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze gen für den Gang des Verfahrens vorgesehen. Es gibt selbstverständlich, die Verfahren praxistauglicher ausge- häufg den Fall, dass Befangenheitsanträge und Beweis­ stalten wollen. Das ist der rote Faden, der sich durch die anträge eher taktisch gestellt werden. Das Gericht soll Regelungen zieht, die wir Ihnen heute zur Abstimmung blamiert werden, als hilfos vorgeführt werden, indem vorlegen. man mal zuerst mit einem Befangenheitsantrag beginnt und den ganzen Zeitplan durcheinanderbringt. Es beginnt beim Ermittlungsverfahren. Wir schaffen – die Kollegin Bähr-Losse hat es schon dargestellt – damit (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE eine sichere Rechtsgrundlage für Quellen-TKÜ und On- GRÜNEN]: Wenn die doch befangen sind, die linedurchsuchungen. Es ist einfach Unsinn, wenn die Er- Richter?) mittlungsbehörden bei ihrer Arbeit nicht die Möglichkeit Wir haben jetzt geregelt, dass wenigstens bis zur Verle- haben, sich daran zu orientieren, wie Täter und Banden sung der Anklageschrift erst einmal weitergemacht wer- heutzutage agieren. Derzeit heißt es zu oft, dass wir dem den kann. Danach wird sich alles Weitere fnden. Beides Täter nicht auf die Spur kommen können. Mit Telekom- führt zu mehr Effzienz ohne substanzielle Eingriffe in munikation herkömmlicher Art bekommen wir eigentlich die Rechte des Angeklagten oder Nachteile für die Wahr- nur noch mit, wer gerade welche Pizza bestellt, wir er- heitsfndung. fahren aber nicht mehr, was die Bandenmitglieder verab- reden, um ein Verbrechen oder einen Angriff zu begehen, Der letzte Schritt. Bei den Sanktionen haben wir in möglicherweise sogar einen terroristischen Anschlag zu Zukunft die Möglichkeit, ein Fahrverbot als Nebenstra- planen. fe festzusetzen; denn häufg ist es so, dass zum Beispiel Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24589

Elisabeth Winkelmeier-Becker (A) eine Bewährungsstrafe doch nur als Freispruch zweiter Bürgerinnen und Bürger eingreift als damals der große (C) Klasse empfunden wird. Hier brauchen wir eine zusätz- Lausch­angriff, liche Sanktion, die auch für den Täter spürbar ist – ohne die Nachteile einer Haftstrafe. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Ulla Schmidt: und zwar nicht nur in die von Verdächtigten und Beschul- digten, sondern möglicherweise auch in die Grundrech- Jetzt müssen Sie zum Schluss kommen. te von anderen Personen. Es könnte nämlich sein, dass, wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass ein Verdächtiger Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): einen PC oder ein Handy von jemand anderem benutzt So bin ich optimistisch, dass wir mit diesem Paket hat, dann auch der fällig ist, dann auch der in der Über- schon einiges erreichen, liebe Frau Präsidentin. wachung ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Es geht hier um einen operativen Eingriff in Grund- Bettina Bähr-Losse [SPD]) rechte. Das muss ausführlich beraten werden. Deshalb haben wir gesagt: So kann man das nicht machen. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Hans-Christian und bei der LINKEN) Ströbele, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. Was haben Sie unter der Überschrift „Wir müssen et- was gegen Terrorismus tun“ jetzt gemacht? Da geben wir Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ihnen ja recht – auch mit Blick auf die Strafverfolgung; NEN): denn hier geht es ja nur um die Strafverfolgung –: Wir Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! müssen etwas gegen Terrorismus tun; das stimmt. Aber Eigentlich wollten wir hier über die große Strafprozess­ wenn man den Gesetzentwurf nun betrachtet, sieht man: reform reden, die der Bundesjustizminister schon vor Es hat Auswirkungen quer durch das Strafgesetzbuch. Jahren angekündigt hat. Dabei ist aber nichts rausgekom- Sie wollen es auf insgesamt 70 Paragrafen, glaube ich, men, außer ein paar kleinen Mäuschen, die hier schon anwenden. Erklären Sie mir, wo die schwere Straftat ist, erwähnt worden sind, wie zum Beispiel, dass der Rich- (Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Kin- tervorbehalt bei der Blutentnahme wegfällt. derpornografe zum Beispiel!) (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Das ist ein wenn es beispielsweise auf gewerbsmäßige Hehlerei an- (B) großer Vorteil für die Praxis!) gewendet werden soll. Wird da der Staat aus den Angeln (D) – Ja, sensationell; eine wirklich große Leistung. – Oder gehoben, oder warum? dass jetzt bei bestimmten – das gilt nur bei Tötungsde- (Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Hehlerei likten – Vernehmungen von Beschuldigten ein Band mit- ist nicht okay!) läuft oder eine Tonaufnahme gemacht wird, das ist auch nicht revolutionär, das ist auch keine große Veränderung. Daran zeigt sich, dass Sie etwas ganz anderes vorha- ben: Sie wollten das Strafgesetzbuch ganz breit erfassen, Aber ich will mich an diesen einzelnen Punkten gar nahezu alle Delikte. – Hehlerei ist übrigens nicht einmal nicht mehr aufhalten, weil wir das bereits in der ersten ein Verbrechenstatbestand, sondern ein Vergehenstatbe- Lesung getan haben. Übrigens haben wir auch den As- stand. pekt behandelt, der weniger die Strafprozessordnung, sondern eher das Strafrecht betrifft, dass man Führer- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN scheinentzug oder Fahrverbot jetzt auch für Nichtver- und bei der LINKEN) kehrsstraftaten anwenden will. So kann man das nicht machen, und so ist das auch mit Das alles wäre hier heute fast nichts gewesen. Des- der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts halb haben Sie noch rechtzeitig – oder vielmehr: nicht nicht in Einklang zu bringen. mehr rechtzeitig, nämlich nach Dienstschluss am letzten Das Bundesverfassungsgericht hat insbesondere ver- Freitag – einen Änderungsantrag eingebracht und woll- langt: Wenn man solche Onlinedurchsuchungen machen ten am Montag eine Sondersitzung für die Telekommu- will, dann muss man garantieren, dass dies technisch nikationsüberwachung, also für Onlinedurchsuchungen und rechtlich vorher so geprüft wird und überprüfbar und Quellen-TKÜ, haben, damit das im Rechtsausschuss bleibt, dass man feststellen kann, was mit dieser TKÜ noch schnell beschlossen werden kann – das ist nicht ge- wirklich gemacht wird. Wenn es heißt, sie laufe nach drei macht worden. Dann hat man es Dienstag gemacht, wo Monaten aus, muss überprüfbar sein, ob sie tatsächlich es schnell durchgepeitscht wurde. ausläuft. Kann das der Richter feststellen? Da reicht der Ich sage Ihnen: Das ist ein Hauruckverfahren, Richtervorbehalt nicht, sondern da braucht man einen Vorbehalt von Datenschutzbeauftragten oder meinetwe- (Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Das ist gen auch von Spezialisten vom Chaos Computer Club, doch wie ein Sondervotum!) die man da hinzuziehen muss. das unzulässig ist, zumindest wenn es darum geht, ein (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gesetz zu machen, das mehr in die Grundrechte der und bei der LINKEN) 24590 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Hans-Christian Ströbele (A) Mit diesem Gesetz greifen Sie substanziell in das Richter seine Anordnung geben muss. Das hat viele (C) Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein, und Kräfte gebunden, und es wird von allen Berufsverbän- dies gerade in dem Kernbereich privater Lebensführung. den begrüßt, dass wir die Richter hiervon entlasten. Mit Dazu haben Sie in das Gesetz hineingeschrieben: Wenn dieser Maßnahme erreichen wir beispielhaft das Ziel, die allein dieser Kernbereich betroffen ist, dann ist das un- hohe Belastung in der Justiz zu reduzieren. zulässig. – Das wird ja fast nie der Fall sein. Selbst bei einem Liebesgefüster oder selbst beim Gespräch mit Wenn sich die biotechnischen Möglichkeiten der einem Psychologen oder Psychiater wird natürlich auch DNA-Analyse weiterentwickelt haben, dann sollten wir einmal über etwas anderes gesprochen. Das heißt, Sie diese Möglichkeiten auch nicht ungenutzt lassen. Wir öffnen selbst diesen Kernbereich der privaten Lebensfüh- wollen deshalb, dass der sogenannte Beinahetreffer auch rung für derartige Onlinedurchsuchungen. Das ist grund- von der Strafprozessordnung erfasst wird und dort gere- gesetzwidrig, das ist mit der Rechtsprechung des Bun- gelt ist. Das sind Fälle, in denen der Abgleich von Spu- desverfassungsgerichts in keiner Weise zu vereinbaren. ren und DNA-Material ergibt, dass die Spuren zwar nicht vom Täter, aber von einem nahen Verwandten stammen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zukünftig kann also nicht nur auf die völlige Überein- und bei der LINKEN) stimmung von Spur und Täter hin untersucht werden, Lassen Sie mich einen letzten Punkt ansprechen. Sie sondern auch, ob es eine Ähnlichkeit gibt, die auf ein sagen zwar: Rechtsanwälte, Ärzte, Pfarrer sollen davon Verwandtschaftsverhältnis schließen lässt. Auch das ist ausgenommen sein. – Aber Sie nehmen die Helfer der ein ganz wesentlicher Vorteil. Rechtsanwälte nicht aus. Wie stellen Sie sich denn das in Ich persönlich wünsche mir auch, dass wir rasch in meinem Büro als Rechtsanwalt vor? Bei mir dürfen Sie der nächsten Legislaturperiode die Frage der Weitergabe es nicht einsetzen, aber bei einem Mitarbeiter, der da bei von Ergebnissen aus DNA-Analysen an die Polizei re- mir im Büro sitzt, dürfen Sie es einsetzen. Wie wollen Sie geln, was die persönlichen Merkmale angeht, also etwa da noch das Anwaltsgeheimnis wahren, Augenfarbe oder Haarfarbe. Dazu hatten wir ein um- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fangreiches Symposium beim BMJ; herzlichen Dank für und bei der LINKEN – Jörn Wunderlich [DIE diese gelungene Veranstaltung, die den Handlungsbedarf LINKE]: Das wollen sie ja nicht!) gezeigt hat. Um dies einzuarbeiten, hat jetzt zum Ende der Legislaturperiode die Zeit nicht mehr gereicht. Aber wie wollen Sie da noch das Arztgeheimnis wahren, wie ich fnde: Wenn mit Sicherheit gesagt werden kann, wie wollen Sie die Vertraulichkeit des Gesprächs mit Geistli- die Haarfarbe oder die Augenfarbe eines Täters ist, dann chen, mit Pfarrern oder anderen wahren? sollte die Polizei diese Informationen bekommen, um die (B) Nein, dieses Gesetz darf so nicht durchkommen. Die- Ermittlungskräfte gezielt einsetzen zu können, liebe Kol- (D) ses Gesetz muss spätestens in Karlsruhe fallen. leginnen und Kollegen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten und bei der LINKEN) der CDU/CSU) Wir gestalten den Strafprozess an vielen Stellen effek- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: tiver. Der Verteidiger erhält bei umfangreichen Verfahren Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt die Möglichkeit zu einer sogenannten Opening Speech, Dr. Johannes Fechner das Wort. und bei Tötungsvorwürfen muss die Beschuldigtenver- nehmung zukünftig auf Video aufgenommen werden. (Beifall bei der SPD) Herr Ströbele, Sie haben recht: (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Dr. Johannes Fechner (SPD): GRÜNEN]: Ich habe immer recht!) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Ich möchte gleich vor- Wir wären hier viel weiter gegangen. Wir hätten die im ab sagen: Das Allerwichtigste – bei Strafgesetzen oder sehr guten Referentenentwurf vorgesehene Formulierung der Reform der Strafprozessordnung – ist es, wenn wir des § 58a StPO gerne bei allen Straftaten angewandt; die Strafjustiz entlasten wollen, für mehr Personal zu sor- denn wir erhalten aus der Praxis immer wieder Hinweise, gen. Wir brauchen mehr Richterinnen und Richter, wir dass gerade die Opfer von Sexualstraftaten ihre Aussa- brauchen mehr Staatsanwälte. Damit können wir der Jus- gen leider zurückziehen. Mit der Videoaufzeichnung hät- tiz den größten Dienst erweisen, liebe Kolleginnen und ten wir die Möglichkeit, im Prozess auf diese Aussagen Kollegen. zurückzukommen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE der CDU/CSU) GRÜNEN]: Genau! Das wäre ein Schritt!) Wir können die hohe Arbeitsbelastung gerade in der Deswegen geht der Vorwurf an den Koalitionspartner: Strafrechtspfege aber auch durch eine effektivere Aus- Wir könnten mehr Vergewaltiger und mehr Menschen- gestaltung des Strafverfahrens erreichen, und genau händler verurteilen, wenn Sie diese Regelung nicht blo- dem dient dieses Gesetz. So ist es in der Tat – Kollege ckiert hätten, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wunderlich hat es angesprochen – zukünftig nicht mehr erforderlich, dass für eine Blutalkoholprüfung extra ein (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24591

Dr. Johannes Fechner (A) Zu der Frage der Verwertung der Ergebnisse von Vizepräsidentin Ulla Schmidt: (C) DNA-Analysen. Wir müssen – das habe ich schon aus- Vielen Dank. – Als Nächster hat jetzt Professor geführt – mit dem technischen Fortschritt gehen. Es kann Dr. Patrick Sensburg für die CDU/CSU-Fraktion das nicht sein, dass nur die eine Seite, dass nur Terroristen Wort. und Kriminelle vom technischen Fortschritt proftieren. Nein, auch die Polizei muss hier Schritt halten und auf (Beifall bei der CDU/CSU) Augenhöhe mit den Terroristen und Kriminellen agieren können. Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Deswegen ist es richtig, dass wir eine klare rechts- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und staatliche Grundlage für die TKÜ und die Onlinedurch- Kollegen! Ich kann an die Rede meines Vorredners an- suchungen schaffen. Wir orientieren uns dabei an der knüpfen: Das ist ein gutes Gesetz. Wir haben im Koali- Wohnungsüberwachung – mit ganz klaren rechtsstaatli- tionsvertrag vereinbart, das Strafprozessrecht effektiver chen Grundsätzen. Es kann nicht einfach ins Blaue hi- und praxistauglicher zu gestalten. Das ist ein guter An- nein angeordnet werden, dass ein Handy von der Polizei satz gewesen; denn über die Jahre hat sich das Strafpro- gehackt wird. Nein, ein Richter muss feststellen, dass zessrecht aufgrund vieler Gesetzesänderungen auseinan- Tatsachen vorliegen, die einen Verdacht auf eine ganz derentwickelt. Das wieder zusammenzuführen, war der bestimmte Straftat, und zwar eine schwere Straftat, die Ansatz. im Gesetz abschließend geregelt ist, begründen. Das ist uns nur in Teilen gelungen; da stimme ich dem (Zuruf des Abg. Hans-Christian Ströbele Kollegen Ströbele zu. Es wäre mehr möglich gewesen. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Der erste Vorschlag der Kommission beim Justizministe- Man kann darüber diskutieren, ob es auch weniger getan rium zeigt: Es war größer geplant. Aber wir haben viele hätte; keine Frage. Aber wir haben eine klare Regelung: Hürden nehmen müssen. Wir haben über einzelne Rege- Nur bei einer schweren Straftat darf dieses Instrument lungen gestritten. An dieser Stelle gilt mein Dank dem angeordnet werden. Ich fnde, das ist eine rechtsstaatliche Justizministerium, dem Justizminister Maas und insbe- Lösung. Die Polizei muss auf dem neuesten technischen sondere Staatssekretär Lange. Wir haben oft zusammen- Stand sein, um mit Terroristen und Kriminellen mithalten gesessen und über viele Formulierungen und einzelne zu können. Wörter diskutiert, debattiert und gestritten. Im Ergebnis haben wir nach meiner Meinung eine wirklich tragbare Weil Frau Künast direkt danach gefragt hat, will ich und gute Lösung für die Reform des Strafprozessrechts Folgendes nicht unerwähnt lassen: Ja, wir tun mit diesem gefunden. Dafür ein Dankeschön! (B) Gesetz auch etwas für den Naturschutz. Wir verschärfen (D) das Bundesnaturschutzgesetz, um den illegalen Wildtier- (Beifall des Abg. Dr. Johannes Fechner handel zu bekämpfen. Nach dieser Neuregelung macht [SPD]) sich strafbar, wer leichtfertig ein geschütztes Tier tötet Die einzelnen Punkte sind erwähnt worden: Mit Be- oder geschützte Pfanzenarten zerstört. Hierfür erhöhen fangenheitsanträgen soll nicht mehr erreicht werden wir die Höchststrafe von einem auf drei Jahre. Das ist können, dass ein Verfahren endlos in die Länge gezogen nicht ganz unwichtig, wie ich fnde. Deswegen will ich es wird; Beweisanträge müssen bis zum Ende einer Frist ge- in dieser Rede zumindest kurz erwähnen. Abschließend stellt werden; die Erscheinungspficht des Zeugen wird sage ich: Ein gutes Gesetz – – geregelt – er kann nicht einfach sagen: ach, was inte- ressiert es mich, wenn die Polizei mich zur Befragung Vizepräsidentin Ulla Schmidt: lädt –; und die audiovisuelle Vernehmung ermöglicht es, Aber jetzt kommen Sie zum Schluss, ja? später noch einmal zu schauen, was der Zeuge bei seiner Vernehmung wirklich gesagt hat.

Dr. Johannes Fechner (SPD): Ob es, wenn das weiter ausgedehnt worden wäre, uns mehr Klarheit und Transparenz gebracht hätte oder mehr Jetzt haben Sie mich im Schlusssatz unterbrochen, Revisionsgründe, das kann man unterschiedlich beleuch- Frau Präsidentin. Ich muss noch einmal anfangen. ten. Wir haben ja Expertenanhörungen zu diesen Themen durchgeführt. Wir haben dreieinhalb Jahre über diese Vizepräsidentin Ulla Schmidt: einzelnen Punkte diskutiert. Von daher freue ich mich, Dann muss man damit früher anfangen. dass Frau Kollegin Bähr-Losse die Genese, die Entwick- lung dieses Gesetzentwurfs dargestellt hat. Ich verstehe nicht, wie man angesichts dessen als Oppositionspoli- Dr. Johannes Fechner (SPD): tiker sagen kann: Dieser Gesetzentwurf ist in wenigen Abschließend: Das ist ein gutes Gesetz. Stimmen wir Tagen entstanden. also zu! Herr Kollege Ströbele, Sie waren doch bei der Expert­ Herzlichen Dank. enanhörung, in der auch über die Quellen-TKÜ diskutiert worden ist, dabei. Ich habe in dieser Anhörung selbst die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Frage nach der Notwendigkeit der Quellen-TKÜ gestellt. der CDU/CSU) Vielleicht haben Sie das nicht mitbekommen; dann ver- 24592 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Dr. Patrick Sensburg (A) stehe ich, dass Sie sagen: Das kommt jetzt spontan. – Ströbele; in § 100b des Gesetzes steht nämlich auch drin, (C) Aber das ist doch nicht spontan. dass die besondere Schwere der einzelnen Tat festgestellt werden muss –, (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stand im Gesetz überhaupt (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE nicht drin!) GRÜNEN]: Die können Sie vorher doch gar Das war im Gesamtpaket der Strafprozessordnungsre- nicht feststellen!) form drin. dann muss es auch möglich sein, ein Handy online zu (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- durchsuchen, genauso wie es durchsucht werden kann, NEN]: Das war im Gesetzentwurf nicht drin!) wenn es an einem Tatort beschlagnahmt wird. Wir eröff- nen damit die Möglichkeit, Straftaten zu verhindern, sie Dann ist es herausgenommen und in zwei Teile getrennt zu verfolgen und die Täter dingfest zu machen. Das ist worden, weil wir aus der letzten Legislaturperiode den nichts Aufregendes, und das ist nichts, was man skanda- § 81a StPO noch als sogenanntes Leftover, als Über- lisieren muss. Das sind die Dinge, die in der normalen – bleibsel, hatten. nicht der digitalen – Welt schon bisher möglich waren. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Diese Möglichkeit eröffnen wir jetzt auch im Hinblick GRÜNEN]: Das war bis Freitag in dem Ge- auf die digitale Kommunikation. setz überhaupt nicht drin!) (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir sind froh, dass wir den § 81a StPO in dieser Legisla- NEN]: Herr Sensburg, Sie wissen doch, dass turperiode durchbekommen haben. Wir beide waren doch das nicht stimmt!) gemeinsam mit dem Kollegen van Essen damals Bericht- erstatter. Wir wären doch beide froh gewesen, hätten wir Herr Kollege Wunderlich, wenn Sie im Jahre 1990 den § 81a StPO schon damals durchbekommen. stehen bleiben, dann werden Sie halt Straftaten nicht mehr ermitteln. Täter kommunizieren heute digital. Da- (Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU]: her geben wir unserer Polizei und den Strafverfolgungs- So, so! – Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: behörden die Möglichkeit, auch diese Kommunikation in Hört! Hört!) ganz besonders schweren Fällen abzurufen. Jetzt ist uns das endlich gelungen, und nun hängen (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Insbesonde- Sie sich an zwei Punkten auf und blockieren dieses gute re bei Kids, wie Sie gerade gesagt haben!) Gesetz, nämlich an der Quellen-TKÜ und an der Online- (B) durchsuchung. Beides sind Bereiche, die wir ohnehin Das ist auch richtig so. Deswegen: Unterstützen Sie un- (D) schon haben. Es ist derzeit ohne Weiteres möglich, den seren Gesetzentwurf! Telefonverkehr von Verbrechern und Menschen, die im Verdacht stehen, schwere und schwerste Straftaten be- Danke schön. gangen zu haben, abzuhören. Das kennt jeder, der schon einmal den Tatort gesehen hat. (Beifall bei der CDU/CSU) Nun ist es so, dass im Tatort nicht alle Leute per Mes- senger telefonieren. Aber in der Realität machen das die Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Menschen inzwischen. Nur noch 15 Prozent der Kom- Vielen Dank, vor allen Dingen für die perfekte Einhal- munikation erfolgen unverschlüsselt. Sehen Sie sich ein- tung der Zeit. – Als letzter Redner zu diesem Tagesord- mal an, was die Kids machen; die drücken auf den Hörer nungspunkt hat jetzt der Kollege Alexander Hoffmann bei WhatsApp. für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. Er hat den Ehrgeiz, (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE das genauso zu machen wie der Kollege Sensburg. GRÜNEN]: Dann führen Sie es doch für Ter- rorismus ein!) Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Diese Kommunikation von Verbrechern bzw. Menschen, Ich tue, was ich kann. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! die im Verdacht stehen, schwere und schwerste Strafta- Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr ver- ten begangen zu haben, wollen wir genauso erfassen wie ehrten Damen und Herren! Kollege Fechner, Ihre Aus- die Kommunikation in normalen Telefonaten. Das ist be- sage, dass wir mit diesem Gesetz mehr Vergewaltiger rechtigt. Diese Möglichkeit eröffnen wir jetzt durch die verurteilen könnten, wenn die Union nicht wäre, Quellen-TKÜ. (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Ja!) (Beifall bei der CDU/CSU) bedarf natürlich der Kommentierung durch mich; Der zweite Bereich ist die Onlinedurchsuchung. Es ist heutzutage Alltag, dass ein Handy, das an einem Tat- (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Das überrascht ort gefunden wird, ausgelesen wird; das ergibt sich aus mich nicht!) § 110 der StPO. Wenn man kein Handy fndet, aber weiß, dass schwerste Straftaten im Raum stehen, deren beson- das wird Sie nicht überraschen. Ich möchte an dieser dere Schwere sogar festgestellt worden ist und werden Stelle schon darauf hinweisen, dass wir heute vor allem muss – das haben Sie eben unterschlagen, Herr Kollege deswegen mehr Vergewaltiger verurteilen können, weil Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24593

Alexander Hoffmann (A) wir einen neuen Straftatbestand haben, nämlich den be- die eigentliche Zielsetzung meiner Berichterstattung. (C) rühmten Grundsatz „Nein heißt Nein“. Sie kennen die Rechtslage. Bisher ist es so, dass es das Fahrverbot als Sanktion nur dann gibt, wenn die Straftat (Marianne Schieder [SPD]: Aber bestimmt im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr steht. Die- nicht wegen der Union!) se Verbindung wollen wir aufheben, und das aus guten Für diesen Straftatbestand hat die Union gekämpft, Gründen. (Widerspruch bei der SPD) In einem Rechtsstaat manifestiert sich der staatliche Strafanspruch in der Verurteilung. Strafe und auch Ne- dafür haben die Frauen in der Union und glücklicherwei- benstrafe sollen das Tatunrecht sühnen, Genugtuung für se auch die Frauen in der SPD gekämpft, aber leider nicht das Opfer sein und auf den Täter einwirken. Diese dritte der SPD-Bundesjustizminister. Diese Bemerkung kann Komponente, diese Spezialprävention, ist im Jugend- ich mir nicht verkneifen. strafrecht noch einmal sehr viel intensiver. Hier steht der (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei Erziehungsgedanke über allem. Man will auf den Täter, der SPD – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE der im jugendlichen Alter noch formbar ist, einwirken. GRÜNEN]: Herr Maas wollte das auch nicht! Deswegen glaube ich, dass es richtig ist, dass nach dem Da haben Sie recht!) vorliegenden Entwurf der Instrumentenkasten an Neben- strafen erweitert wird und auch ein Fahrverbot zulässt, Aber ich nehme Sie als geläutert wahr. Sollten wir wie- wenn die Straftat nicht im Zusammenhang mit dem Stra- der einmal rechtspolitische Koalitionsverhandlungen ßenverkehr begangen wird. führen, können wir gerne über die Versuchsstrafbarkeit beim Cyber Grooming verhandeln. Das ist uns nämlich Das Fahrverbot bleibt Nebenstrafe. Im Erwachsenen- ein großes Anliegen, das aber die ganze Zeit von der SPD strafrecht wird die Dauer von maximal drei Monaten auf blockiert wird. maximal sechs Monate erhöht; im Jugendstrafrecht bleibt es bei drei Monaten, eben wegen des Erziehungsgedan- Liebe Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mir, kens. Das Fahrverbot soll in Betracht kommen, wenn es dass ich als letzter Redner zwei Teilaspekte aus dem zur Einwirkung auf den Täter erforderlich scheint und – Gesetzespaket, das uns vorliegt, herausgreife. Zunächst das kommt dem Täter ja zugute – zur Vermeidung einer noch ein paar Sätze zur effektiveren und praxistaugliche- Freiheitsstrafe zielführend ist. Wir erhoffen uns hiermit ren Ausgestaltung des Strafverfahrens. Der Titel sagt es ein Instrument, das effektiv einwirken kann, nämlich schon: Es geht um Verfahrensvereinfachung und Verfah- zielgenau, spürbar und der Schuld angemessen. Ich glau- rensbeschleunigung. Wir alle kennen ja aus dem Studium be, wir sind hier auf dem richtigen Weg. den Satz: Die Strafe soll der Tat auf dem Fuße folgen. (B) Ich will noch ein Missverständnis aus dem Weg räu- (D) Es geht um bestimmte Komponenten, die – ich will men, weil das immer wieder proklamiert wird: Die An- es einmal so sagen – eine Straffung des Befangenheits- hörung hat sehr deutlich ergeben, dass sich vor allem die rechts darstellen, das – die Praktiker wissen das – in der Praxis ein solches Instrument wünscht. Das wollen wir Vergangenheit immer wieder gezielt zur Verfahrungsver- heute beschließen. Deswegen bitte ich um Zustimmung. zögerung missbraucht worden ist – so muss man es schon fast nennen –, und zwar, wie die Kollegin Winkelmeier- Vielen Dank. Becker eben gesagt hat, zum Beispiel durch die Formulie- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- rung des Ablehnungsgesuchs kurz vor Beginn der Haupt- ordneten der SPD) verhandlung. Dem wollen wir einen Riegel vorschieben. Die Hauptverhandlung kann jetzt beginnen und bis zur

Verlesung des Anklagesatzes fortgesetzt werden. Zudem Vizepräsidentin Ulla Schmidt: hat der Vorsitzende nun die Möglichkeit, eine Fristset- Vielen Dank. – Der Kollege Christian Ströbele hat um zung für die schriftliche Begründung des Ablehnungsge- das Wort zu einer Kurzintervention gebeten. Bitte, Herr suchs zu formulieren. Auch das führt letztlich dazu, dass Ströbele. Verfahren nicht weiter verschleppt werden. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich möchte auch noch einige Sätze zur Änderung des NEN): Beweisantragsrechts sagen. Auch das ist mittlerweile leider ein sehr missbrauchsanfälliger Bereich. Hier wird Danke, Frau Präsidentin. – Ich will zu dem, was der neu eingeführt – ich habe das in der ersten Lesung schon Kollege Sensburg gesagt hat, zwei Anmerkungen ma- skizziert –, dass der Vorsitzende nach Ende der Beweis­ chen. aufnahme eine angemessene Frist setzen kann, binnen Erstens. Wir streiten nicht darüber, dass man bei ter- der weitere Beweisanträge gestellt werden dürfen; da- roristischen Gefahren für alle Eventualitäten Erkenntnis- nach ist das eben einfach nicht mehr möglich. und Aufklärungsmöglichkeiten schafft. Das habe ich im Zusammenfassend kann ich sagen, dass wir hier einen Rechtsausschuss auch so gesagt. Das heißt, wir können praxistauglichen Instrumentenkasten haben, der letzt- bei solchen Tatbeständen durchaus darüber reden. Ärger- endlich dazu führt, dass wir die Strafverfahren werden lich und in gewisser Weise auch unwahrhaftig ist, dass straffen können. Sie mit dieser terroristischen Gefahr geradezu Handel treiben, indem Sie sagen: „Da muss man doch etwas Im zweiten Teil meiner Rede möchte ich noch ein machen“ – da stimmt Ihnen fast jeder zu –, aber wol- paar Sätze zum Fahrverbot als Sanktion sagen; das ist len, dass die Maßnahmen auch auf eine ganze Serie von 24594 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Hans-Christian Ströbele (A) Straftatbeständen im Strafgesetzbuch – die Zählungen wir sie in einem Katalog regeln, sodass wir die Möglich- (C) gehen auseinander; bei manchen sind es 50, bei anderen keit haben, der Polizei hier die digitale Kommunikation 70 – angewandt werden können. zugänglich zu machen. Zweitens. Der Richtervorbehalt hat Sinn und ist auch Es gibt Personen, die im Verdacht stehen, diese Art hier sinnvoll. Darüber streiten wir ja auch nicht, obwohl von schweren Straftaten zu begehen oder begangen zu das von Ihnen in der Diskussion im Rechtsausschuss be- haben. In diesen Fällen möchten wir nicht nur das nor- stritten worden ist. Allerdings ist angesichts der Tatsache, male Telefonat, das kaum einer mehr nutzt, mithören dass es hier um eine komplizierte und von den techni- können, sondern auch die Kommunikation über Messen- schen Kenntnissen her problematische Angelegenheit ger-Dienste. Sonst macht polizeiliche Ermittlungsarbeit geht, die Frage berechtigt, ob eine Richterin oder ein präventiv, aber auch repressiv keinen Sinn. Wir erlauben Richter einer Strafkammer, also Juristen, tatsächlich die dieses Instrument, damit Strafverfolgung in der digitalen Expertise haben, um beurteilen zu können, ob dieses Ins- Welt weiterhin möglich ist, auf richterliche Anordnung trument mit den zu erwartenden Folgen wirklich so kon- und wenn die besondere Schwere der Straftat festgestellt zentriert eingesetzt werden kann, wenn der Staatsanwalt wird. Darauf könnten auch Sie sich einlassen. den Antrag stellt. Das Bundesverfassungsgericht hat ver- Danke schön. langt, dass eine obligatorische, also verpfichtende, unab- hängige Prüfung des jeweiligen Verfahrens durchgeführt (Beifall bei der CDU/CSU) werden muss. Das muss doch jedem einleuchten. Ich bin nicht so vermessen, und Sie hoffentlich auch nicht, zu sa- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: gen: Das kann ich beurteilen. – Das können nur Fachleu- Vielen Dank. te beurteilen. Deshalb muss es eine Verpfichtung geben, Datenschutzbeauftragte oder meinetwegen auch andere (Zuruf des Abg. Jörn Wunderlich [DIE Fachleute einzubeziehen, die den Richtern beratend und LINKE]) sachkundig zur Seite stehen. Ansonsten ist es eine für die – Nein, Herr Wunderlich, ich lasse jetzt keine Beiträge wirklichen Gefahren unwirksame Kontrolle. mehr zu. Wir fangen keine Debatte von Tisch zu Tisch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN an. sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich beende die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur effekti- Vielen Dank. – Herr Kollege Sensburg, möchten Sie veren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafver- (B) darauf antworten? – Bitte schön. fahrens. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (D) empfehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): auf Drucksache 18/12785, den Gesetzentwurf der Bun- Herr Kollege Ströbele, ich antworte darauf kurz. Es desregierung auf Drucksache 18/11277 in der Ausschuss- ist richtig, dass Sie gesagt haben, wir müssten darüber fassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge- reden. Wir reden auch. Sie machen immer ein Rede- setzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, angebot. Das klingt so versöhnlich, und Herr Kollege um das Handzeichen. – Das ist die Koalition. Wer stimmt Ströbele, ich mag Sie ja auch. Aber man muss irgend- dagegen? – Das sind die Opposition und zwei Abgeord- wann vom Reden zum Erarbeiten des Gesetzes überge- nete aus der SPD-Fraktion. Wer enthält sich? – Keiner. hen, damit man Straftaten verhindern kann. Sie müssen Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung ange- also auch einmal schauen, wie wir gemeinsam zu einem nommen. Konsens kommen. Mit unserem Koalitionspartner sind Dritte Beratung wir zu einem Konsens gekommen. und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ich will Ihnen jetzt nicht den gesamten Straftatenka- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – talog vorstellen. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE entwurf ist in dritter Beratung mit dem gleichen Stim- GRÜNEN]: Vier Seiten!) menverhältnis angenommen. Aber hier geht es um Straftaten wie die Bildung einer Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- kriminellen Vereinigung, Straftaten gegen die sexuelle ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Selbstbestimmung, um Kinderpornografe, Mord und Drucksache 18/12834. Wer stimmt für diesen Entschlie- Totschlag oder um schweren Raub mit Todesfolge. ßungsantrag? – Das ist die Opposition. Wer stimmt da- gegen? – Das ist die Koalition. Wer enthält sich? – Nie- (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE mand. Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt. GRÜNEN]: Da steht „gewerbliche Hehle- rei“!) Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucher- Ich könnte Ihnen alles vorlesen. Sie haben gesagt, es ste- schutz zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur he auch etwas zum Asylgesetz drin. Es geht um das Ein- Änderung des Strafgesetzbuchs, des Jugendgerichtsge- schleusen mit Todesfolge. Das sind für mich so schwere setzes, der Strafprozessordnung und weiterer Gesetze. Straftaten – das hat nichts mit Terrorismus zu tun –, dass Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz emp- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24595

Vizepräsidentin Ulla Schmidt (A) fehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf satz: 34 000 Tonnen Wirkstoff jedes Jahr in Deutschland. (C) Drucksache 18/12785, den Gesetzentwurf der Bundesre- Die Gifte gelangen in die Böden, ins Grundwasser, in die gierung auf Drucksache 18/11272 für erledigt zu erklä- Luft und in unser Essen. ren. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Be- „Wir brauchen eine Kehrtwende in der Agrarpolitik.“ schlussempfehlung einstimmig angenommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Damit sind wir am Ende dieses Tagesordnungspunk- Das sagt eine Behörde des Bundes, nämlich das Bundes- tes. amt für Naturschutz. „Das System ist jetzt an einer Stelle Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a und 14 b sowie angekommen, wo es sich nicht weiter selbst korrigieren 37 f auf: kann.“ Das sagt Carl-Albrecht Bartmer, Präsident der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft. 14. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald Ebner, Nicole Maisch, Friedrich Wir müssen vermeiden, dass die Agrarwirtschaft Ostendorff, weiterer Abgeordneter und der weiter an dem Ast sägt, auf dem sie selber sitzt, wenn Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN durch derartige Fehlentwicklungen nicht nur unsere Le- bensgrundlagen, sondern auch ihre eigenen Produktions- Wege zur Pestizidreduktion in der Land- grundlagen zerstört werden. Wenn Böden belastet und wirtschaft verdichtet werden und ihre Fruchtbarkeit und damit ihre Drucksache 18/12382 wichtigen Funktionen verlieren, wenn Ökosysteme zer- stört werden und Nützlinge und Bestäuber fehlen, dann Überweisungsvorschlag: lässt sich auch nichts mehr anbauen. Das ist dann das Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor- Gegenteil von Nachhaltigkeit, meine lieben Kolleginnen sicherheit und Kollegen. b) Beratung des Antrags der Abgeordneten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Harald Ebner, Friedrich Ostendorff, Nicole Was unternimmt die Bundesregierung, wenn die kon- Maisch, weiterer Abgeordneter und der ventionelle Agrarwirtschaft schon selbst um Hilfe ruft? Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Nichts, rein gar nichts außer ein paar Versprechungen und Bienengiftige Insektizide vollständig ver- Ankündigungen hier und ein paar fotten Bauernregeln bieten – Bestäuber, andere Tiere und Um- da, die dann aber doch lieber schnell wieder einkassiert welt wirksam schützen werden. Das ist nach vier Jahren ein Armutszeugnis. Da (B) gibt es bei Minister Schmidt etwas mit dem wohlklingen- (D) Drucksache 18/12384 den Titel „Nationaler Aktionsplan Pfanzenschutz“. Was Überweisungsvorschlag: ist bis jetzt, zum Ende seiner Amtszeit, dabei herausge- Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft kommen? Herr Bleser – der Minister ist nicht anwesend; 37. f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sie vertreten ihn –, Sie haben uns kürzlich in einer Ant- Katharina Dröge, Kerstin Andreae, Oliver wort auf eine Kleine Anfrage mitgeteilt: „Zielquoten für Krischer, weiterer Abgeordneter und der die Reduzierung der Anwendung sowie erreichte Reduk- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tionen können zurzeit noch nicht angegeben werden.“ Ja wann denn dann bitte? Wie lange wollen Sie denn noch Marktkonzentration im Agrarmarkt herumlaborieren? Das ist eine Bankrotterklärung. Bis Sie stoppen – Artenvielfalt und Ernährungs- damit fertig sind, sind Vögel und Bienen ausgestorben. souveränität erhalten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Drucksache 18/12797 Sie sind ja nicht einmal bereit, in Brüssel einem Verbot Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für der schlimmsten bienengiftigen Pestizide, den Neoni- die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Es gibt keinen kotinoiden, zuzustimmen, wie es die EU-Kommission Widerspruch. Dann ist so beschlossen. vorgeschlagen hat. Bei Minister Schmidt und der Großen Ich bitte die Agrarpolitiker und -politikerinnen, jetzt Koalition sind jedenfalls Bärbel Höhns Bundestagsbie- zügig die Plätze einzunehmen, und alle anderen, die nö- nen nicht in guten Händen. tigen Gespräche außerhalb des Plenarsaals zu führen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) damit wir weitermachen können. – Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat Harald Ebner, Bündnis 90/Die Glyphosat, weltweit das Ackergift Nummer eins, auch Grünen. in Deutschland, wollen Sie neu zulassen, obwohl nach wie vor weitere und neue Zweifel an seiner Unbedenk- lichkeit aufkommen. Das ist verantwortungslos. Dabei Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): geht es auch ganz anders in der Landwirtschaft. Der Öko- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und landbau macht es schon seit Jahrzehnten vor; aber auch Kollegen! Ganz aktuell häufen sich dramatische Berichte die konventionelle Landwirtschaft kann mit wesentlich über den beängstigenden Rückgang der Zahl der Vögel, weniger Pestiziden auskommen. Bienen und anderen Insekten und von Wildkräutern in unseren Agrar- und Kulturlandschaften. Eine der maß- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN geblichen Ursachen ist der fächendeckende Pestizidein- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) 24596 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Harald Ebner (A) Die dänischen Bauern behandeln ihre Pfanzen dreimal und dafür stehen wir. (C) seltener mit Pestiziden als deutsche. Französische For- scher haben vorgerechnet, dass 40 bis 60 Prozent der (Beifall bei der CDU/CSU) Pestizide eingespart werden können, und zwar ohne si- Meine Damen und Herren, die Grünen haben es sich gnifkante Ertragseinbrüche. Wer nachhaltige Landwirt- in den letzten Jahren zu eigen gemacht, eine ganze Be- schaft, gesunde Ökosysteme, gesunde Lebensmittel ohne rufsgruppe zu verachten, zu schmähen, zu verunglimpfen Rückstände will, der muss runter vom hohen Pestizidein- satz. Wie wollen wir denn sonst unseren Planeten unse- (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: ren Kindern hinterlassen? Wer hat denn gerade die Landwirte als Schre- bergärtner bezeichnet?) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und sie in ihrer Situation, die wirtschaftlich mit Sicher- Nachdem der Nationale Aktionsplan komplett ge- heit nicht einfach war in den letzten Monaten, zusätzlich scheitert ist, haben wir unseren Antrag zur Pestizidreduk- noch öffentlich zu stigmatisieren. Das mit Minderhei- tion vorgelegt. Darin fordern wir ein klares Ordnungs- ten zu tun – das sage ich Ihnen ganz klar –, ist nicht nur recht bei der Anwendung und den Zulassungsverfahren, unanständig, sondern einer demokratischen Partei nicht die Unterstützung pestizidarmer und pestizidfreier Land- würdig. wirtschaft durch Anreizsysteme und eine deutliche Stär- kung der Forschung und Entwicklung für alternativen (Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner Pfanzenschutz. Wir machen hier ein Angebot. Eine an- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine dere Landwirtschaft ist möglich. Wir wollen, dass es bei falsche Behauptung von Ihnen! Das ist kom- uns auch in Zukunft in der Landwirtschaft noch Bäuerin- plett unterirdisch!) nen und Bauern gibt und dass sie davon leben können. Wer glaubt, mit Strafsteuern auf bestimmte Lebensmittel Nachhaltige Landwirtschaft braucht die Agrarwende, oder Empfehlungen bei der Ernährung und Vorschriften liebe Kolleginnen und Kollegen, und die wird es ganz wie dem Veggieday und ähnlichen Vorschlägen die Men- offenbar nur mit Grün geben. schen gängeln und sie mit Verboten belasten zu müssen, Danke schön. der erfüllt das Image einer Gängelungs- und Verbotspar- tei, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ich glaube, das war der Wissenschaftli- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: che Beirat der Bundesregierung!) Vielen Dank. – Für die Bundesregierung spricht jetzt (B) und das tun Sie in hervorragender Weise. (D) der Parlamentarische Staatsekretär Peter Bleser. Bitte schön. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU) Sie wollen Strafsteuern auf Pfanzenschutzmittel und Düngemittel. Das alles führt doch nicht zu dem Ergebnis, das wir wollen, Peter Bleser, Parl. Staatssekretär beim Bundesminis- ter für Ernährung und Landwirtschaft: (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und NEN]: Haben Sie nicht gerade das Strafgesetz Herren! Lieber Herr Kollege Ebner, Sie erfüllen in gera- verschärft?) dezu hervorragender Weise das Klischee, das ich von den Grünen habe. Sie reden hier immer noch von der Agrar- sondern im Grunde genommen nur zu einer Verlagerung wende. Stattdessen brauchen wir einen Aufbruch in die der Produktion. Das hilft den Menschen überhaupt nicht. Zukunft, um die 10 Milliarden Menschen, die die Verein- (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ten Nationen für 2050 prognostizieren, auch ernähren zu NEN]: Wollen Sie nicht die Reduzierung von können. Die werden Sie nicht mit Ökoschrebergärten in Pestiziden? – Renate Künast [BÜNDNIS 90/ den Vorstädten von Großstädten ernähren können. Dazu DIE GRÜNEN]: Herr Bleser, Ihr Bauernver- brauchen Sie eine effziente, leistungsfähige Landwirt- band ist auch schon ganz blass!) schaft. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind (Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner diejenigen, die auf wissenschaftlicher Basis Pfanzen- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Urban Far- schutzmittel oder Düngemittel zulassen oder eben nicht. ming!) (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Der Die Urbanisierung wird dazu führen, dass zwei Drittel war gut! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE der Menschen in Ballungsgebieten leben werden, so GRÜNEN]: Die wissenschaftliche Basis von die UN. Daher müssen wir dafür sorgen, dass sie nicht Monsanto!) nur ausreichend Lebensmittel erhalten, sondern dass sie hochqualitative und sichere Lebensmittel erhalten, Wir vertrauen unseren Wissenschaftlern in der Europä- ischen Union, aber auch in unseren Einrichtungen, dem (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- BfR und dem BVL. – Übrigens, BVL und BfR haben Sie NEN]: Auch Pestizide!) eingerichtet, Frau Künast. – Diesen vertrauen wir, weil Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24597

Parl. Staatssekretär Peter Bleser (A) diese Experten nicht nur bei uns, sondern weltweit aner- wieder aus Übersee kommen, um die bei uns nicht er- (C) kannt sind. zeugten Mengen zu ersetzen. Das kann nicht in Ihrem Sinne sein. Wir fördern den Eiweißpfanzenanbau in (Beifall bei der CDU/CSU) Deutschland mit immerhin zusätzlich 6 Millionen Euro. Diese Vorgehensweise unterscheidet uns wesentlich von Insofern ist kontraproduktiv, was in Brüssel mithilfe Ih- Ihnen, die Sie aufgrund ideologischer Vorgaben meinen, nen nahestehender Kollegen beschlossen worden ist. Fakten ignorieren zu können und sich gewissen Verhal- (Beifall bei der CDU/CSU) tensweisen in Übersee anschließen zu müssen. Wir haben im letzten Jahr über 1 200 Forschungspro- Die Wissenschaftler in der Europäischen Chemika- jekte gefördert, die die Nachhaltigkeit und die Biodiver- lienagentur, ECHA, die Wissenschaftler in der Europä- sität stärken sollen, um damit auch den Zielen des Pariser ischen Behörde für Lebensmittelsicherheit, EFSA, und Klimaschutzabkommens nachzukommen. die Experten aller Mitgliedstaaten kommen einvernehm- lich zu dem Ergebnis, dass der Wirkstoff Glyphosat kei- Ich will Ihnen, Herr Ebner, noch etwas sagen. Sie ha- ne gesundheitliche Gefährdung verursacht. Auf dieser ben völlig recht: Der Pfanzenschutzmitteleinsatz ist in Grundlage müssen wir eine Entscheidung treffen und den letzten Jahren sehr unterschiedlich gewesen. In eini- nicht auf der Grundlage irgendwelcher Umfrageergeb- gen Jahren ist er gestiegen, in anderen Jahren aber wieder nisse oder Stimmungen, die Sie wahrzunehmen glauben. gesunken. Das bedeutet doch nur eines: Die Landwirte Ebenso ist der Antrag der Grünen „Wege zur Pestizid- setzen Pfanzenschutzmittel nur dann ein, wenn sie sie reduktion in der Landwirtschaft“ zu bewerten. Auch da einsetzen müssen. Gerade im letzten Jahr haben Betriebe gilt: Ängste schüren hilft nicht; wir müssen vielmehr die aus dem ökologischen Anbau mehrfach die Forderung Fakten betrachten. erhoben, weil es eine hohe Feuchtigkeit gab, die Mittel weit über die vom BfR als zulässig erachteten Höchst- Man kann auch hier zu dem Schluss kommen, dass mengen zu erhöhen. Das haben wir nicht gemacht, weil selbstverständlich alles getan werden muss, dass Bienen der Gesundheitsschutz für uns vorgeht. nicht gefährdet werden, aber es muss auch die Möglich- keit geben, zu unterscheiden und diese Mittel dort einzu- Ich schließe ab mit der Feststellung, dass die Grünen setzen, wo eine Gefährdung nicht zu erwarten oder aus- es immer noch nicht verstanden haben, ihre Ziele in der geschlossen ist. Deswegen haben wir uns darüber hinaus Agrarpolitik an die Realitäten anzupassen. Aber in einem in unserem Haus darauf verständigt, die Forschung über Punkt sind sie auf einem guten Weg: Bei den Umfrageer- Pfanzenschutzmittel, die schonender sind, wesentlich zu gebnissen nähern sie sich den 5 Prozent, aber von oben. erhöhen. 14,6 Millionen Euro haben wir seit 2014 dafür Herzlichen Dank. (B) ausgegeben. Ich habe einen Förderbescheid für Maß- (D) nahmen erteilt, mit denen ganz gezielt durch Vergrellen (Beifall bei der CDU/CSU) und Anlocken im Obstbau Insektizide vermieden werden können. Ich hoffe sehr, dass die Forschung, die darüber Vizepräsidentin Ulla Schmidt: betrieben wird, entsprechende Ergebnisse bringt. Dann Vielen Dank. – Jetzt hat die Kollegin Dr. Kirsten brauchen wir andere Mittel nicht mehr einzusetzen, Tackmann für die Fraktion Die Linke das Wort. Bitte Stichwort „hormoneller Einsatz“. schön. Wir haben gerade im Pfanzenschutz durch Digitali- (Beifall bei der LINKEN) sierung eine Menge erreicht. GPS-gesteuert wird eine Überlappung bei der Ausbringung von Pfanzenschutz- mitteln oder Dünger automatisch verhindert. Dadurch Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): wird der Einsatz deutlich reduziert. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Ich möchte den zweiten Punkt, der hier heu- (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: te zur Debatte steht, nämlich die Marktkonzentration im Warum sinken die Mengen dann nicht?) Agrarmarkt, zum Thema meiner Rede machen. Das ist – Das werde ich Ihnen gleich noch sagen, Herr Ebner. – aus Sicht der Linken ein besonders wichtiges und ernst- Darüber hinaus haben wir Forschungsarbeiten gefördert, haftes Thema. in denen untersucht wird, wie die Düngung sehr nah am Saatkorn ausgebracht werden kann. Wir fördern auch den Die Megafusion von Bayer und Monsanto ist eben nur ökologischen Landbau; auch das gehört dazu. Wir wer- ein Beispiel, wenn auch ein besonders bedrohliches, ehr- den dafür die Mittel erhöhen. Nicht zuletzt sind wir gera- lich gesagt. Die rasant wachsende Konzernmacht gibt es de auf europäischer Ebene auch mit Ihren Parteifreunden­ unterdessen aber auf allen Stufen der Lebensmittelpro- einer Meinung, wenn es darum geht, eine Ökoverord- duktion. Sie ist eine sehr reale Bedrohung für die orts- nung auf den Weg zu bringen, die hilft. ansässigen Landwirtschaftsbetriebe. Zuerst verlieren sie direkt oder indirekt Agrarfächen an Agrarkonzerne, die Lieber Herr Kollege Ebner, wir haben noch ein wei- in ebenso unsichtigen wie bestens vernetzten Strukturen teres Thema in dieser Woche im Ausschuss besprochen. bundes- oder auch weltweit agieren. Die inzwischen in- Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht. Wer den Pfan- solvente Heuschrecke KTG mit ihren über 90 Tochter- zenschutzeinsatz auf ökologischen Vorrangfächen bei gesellschaften ist nur ein Beispiel dafür. Dass nach ihrer großkörnigen Leguminosen verbietet, der muss auch die Insolvenz die Flächen nicht wieder bei der ortsansässigen Konsequenzen tragen. Dann wird der Proteinimport eben Landwirtschaft gelandet sind, sondern bei der nächsten 24598 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Dr. Kirsten Tackmann (A) Heuschrecke, sagt auch sehr viel über das falsche Sys- Megafusion von Bayer und Monsanto kann und muss (C) tem. Das können wir doch nicht dulden. verhindert werden.

(Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber auch beim Saatgut, bei Düngemitteln, beim Pfanzenschutz, bei Schlachthöfen oder bei Molkereien Aber es geht eben um mehr als diese Fusion. Wer eine stehen die Landwirtschaftsbetriebe immer öfter einer Landwirtschaft will, die mit Respekt vor Mensch und Konzernübermacht gegenüber, die zunehmend mehr Natur wirtschaftet und trotzdem von ihrer Arbeit leben als der Gesetzgeber bestimmt, was auf Feldern und in kann, darf sie nicht von Gewinnen und Aktienständen Ställen passiert, vom Lebensmitteleinzelhandel einmal von Konzernen abhängig machen. Das gilt ausdrücklich ganz zu schweigen. Hier kaschieren nur noch die unter- weltweit; denn die Folgen dieser Konzernübermacht sind schiedlichen Namen der Supermärkte, dass dahinter nur vier große Ketten stehen. Das ist doch eine bedenkliche in den ärmeren Regionen der Welt noch viel verheerender Entwicklung und aus unserer Sicht, aus Sicht der Linken als bei uns. Insofern greift aus unserer Sicht der Antrag nämlich, ein Systemfehler. der Grünen zu kurz; denn die Kritik an der Megafusi- on von Bayer und Monsanto, von Dow und DuPont, von (Beifall bei der LINKEN) ChemChina und Syngenta darf sich nicht auf die Folgen für Umwelt und Ernährungssouveränität beschränken. In der sogenannten freien Marktwirtschaft heißt das Es müssen auch die sozialen Folgen thematisiert werden, Erfolgsprinzip nicht soziale oder ökologische Verant- wie etwa die wachsende Armut aufgrund existenzieller wortung, sondern Maximalproft um fast jeden Preis. Abhängigkeit von solchen Strukturen. Das gilt nicht nur, Der wird unterdessen natürlich am leichtesten mit er- aber eben auch für die Landwirtschaft. presserischer Marktübermacht durchgesetzt; das ist doch klar. Die Konzerne sind die Profteure des Modells des Zum Pfanzenschutz, dem zweiten Thema dieser De- bedingungslosen „Wachse oder weiche“, und das wird batte. Ja, die besonders bienengefährlichen Wirkstoff- uns dann auch noch als Erfolg dargestellt. Aber auch ein gruppen, wie zum Beispiel Neonikotinoide, müssen aus Tumor wächst, und man würde nie auf die Idee kommen, linker Sicht verboten werden. das für gut zu befnden. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber Pfanzenschutzmittel sind nur ein Teil des Problems; denn die Bestäuber und ihre wildlebenden Verwandten (B) Verliererinnen und Verlierer dieses Systems sind wir (D) alle; denn diese Konzerne sind doch keine gemeinnützi- haben mehr Probleme als Pfanzenschutzmittel. Sie sind gen Vereine. Deswegen sagt die Linke ganz klar: Ihnen nicht nur besonders wichtig, weil sie die Nutzpfanzen dürfen wir nicht überlassen, was auf unseren Tellern lan- bestäuben, sondern auch, weil sie eine sehr wichtige öko- det. logische Rolle spielen. Deswegen ist es auch im Interesse der Landwirtschaft selbst, eine insektenfreundliche Be- (Beifall bei der LINKEN) wirtschaftung der Flächen vorzunehmen.

Ihr Geschäftsmodell nimmt die Ausbeutung von Mensch (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. und Natur billigend in Kauf, und die Zeche dafür zahlen Rainer Spiering [SPD]) wir am Ende alle. Deshalb wollen wir Linken gerade bei der Versorgung mit Lebensmitteln keine erpresserische Dabei geht es wirklich nicht nur um die Honigbiene, Abhängigkeit von Konzernen. Verlierer wäre übrigens sondern auch um die wildlebenden Bestäuber. Wir brau- auch die Politik, die erpressbar wäre von Strukturen, die chen also eine insektenfreundliche Landwirtschaft. Viele „too big to fail“ sind, wie bei den Banken. Das wollen Betriebe sind da längst auf dem Weg mit Blühstreifen, wir Linken verhindern. mit Randgestaltungen von Feldern, von Wäldern und von (Beifall bei der LINKEN) Gewässern – dies übrigens, obwohl auch manche hier in diesem Saal es immer noch ignorieren, dass wir da ein Konzerne sollen nicht darüber bestimmen können, wel- Problem haben. che Lebensmittel wie produziert werden, was sie kosten und wer den Zugang zu ihnen hat. Die Konzernüber- Aber wir müssen die Betriebe bei diesen Maßnahmen macht muss beendet werden. besser unterstützen. Wir müssen ihnen die Maßnahmen dann auch erleichtern, und zwar aus unserer Sicht auch (Beifall bei der LINKEN) durch mehr Forschung. Denn am Ende steht die Aufga- Vor ihr zu kapitulieren und beim Wachsen nur noch zu- be – das ist eigentlich die spannende Debatte –, dass In- zusehen, ist aus unserer Sicht völlig unverantwortlich. sektenfreundlichkeit und Ertragssicherung nicht gegen- Deswegen ist für uns als Linke hier Widerstand Pficht. einander stehen. (Beifall bei der LINKEN) Vielen Dank. Wir brauchen dafür ein breites Bündnis auf den Stra- (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem ßen und den Plätzen, aber auch in den Parlamenten. Die BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24599

(A) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: dann mit irgendwelchen Stäbchen umherlaufen und die (C) Als nächste Rednerin hat Rita Hagl-Kehl für die Bäume besamen müssen. SPD-Fraktion das Wort. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Blüten bepinseln!) (Beifall bei der SPD) – Ja, Blüten bepinseln, okay.

Rita Hagl-Kehl (SPD): Wir haben eine steigende Abnahme der biologischen Vielfalt in Deutschland. Das ist wirklich sehr erschre- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und ckend. Kollegen! Lebensmittelsicherheit ist wohl eine der wich- tigsten und dringendsten Aufgaben des Verbraucher- (Beifall bei der SPD und der LINKEN) schutzes. Es stimmt, dass wir mehr Sicherheit und mehr Deswegen ist der Pfanzenschutzmitteleinsatz dringend Schutz der Umwelt und der Gesundheit durch innova- zu reduzieren. tive Landwirtschaft, technologische Entwicklungen und strenge Regularien in Deutschland erreicht haben. Trotz Wie kann man das tun? Man muss wieder vermehrt dieses Fortschritts müssen die stetig steigenden Ansprü- auf ackerbauliche Alternativen setzen, che der Verbraucher berücksichtigt werden. Sie wollen (Beifall des Abg. Dr. Karl-Heinz Brunner gesunde und qualitativ hochwertige Lebensmittel. Der [SPD]) Verbraucher will auch nachhaltige und umweltschonende Produktionsweisen. und diese Alternativen – auch wenn sie mehr kosten als der Einsatz von Pfanzenschutzmitteln – werden (Zuruf von der CDU/CSU: Und billiger!) zum Beispiel auch vom JKI, vom Julius-Kühn-Institut, empfohlen. Die konventionellen Pestizide sollen nach Eine Studie bestätigt, dass 60 Prozent der Deutschen Möglichkeit – diese Möglichkeiten bestehen oft – durch durch die Rückstände beim Einsatz von Pfanzenschutz- biologische Pfanzenschutzmittel ersetzt werden. Wir mitteln beunruhigt sind. Es ist also nicht so, wie es der brauchen eine konsequente Umsetzung und Weiterent- Herr Staatssekretär vorhin angedeutet hat, dass wir erst wicklung des bereits vorher genannten Nationalen Ak- die Menschen verunsichern. tionsplans zur nachhaltigen Anwendung von Pfanzen- (Beifall bei der LINKEN) schutzmitteln und den Umgang damit. Bisher sind die Ergebnisse noch sehr spärlich. Aber daran muss man Diese Ansprüche sind auch ein Schwerpunkt der Ar- konsequent weiterarbeiten. Wir brauchen eine stärkere (B) beit der sozialdemokratischen Agrarpolitik. Wir wollen und gezielte Förderung von sicheren Alternativen. Dafür (D) die Verbraucherinnen und Verbraucher schützen, wir müssen die Fördermittel bereitstehen. Da nehmen wir wollen aber auch eine nachhaltige Landwirtschaft för- den Herrn Staatssekretär gern beim Wort, der gesagt hat: dern, und wir wollen gesunde und qualitativ hochwer- Es gibt genügend Fördermittel. Wir brauchen auch eine tige Lebensmittel, die in Deutschland wettbewerbsfähig Ausweitung der ökologisch bewirtschafteten Anbaufä- produziert werden können. Außerdem ist für uns die chen. Der Herr Minister hat einmal das 20-Prozent-Ziel Biodiversität natürlich ein wichtiger Faktor, der nicht zu in den Raum gestellt. Ich habe noch nicht bemerkt, dass vernachlässigen ist. wir es zum Ende der Legislaturperiode erreicht haben. Also sind wahrscheinlich die Anstrengungen noch zu ge- Wie ist jetzt die Situation? Wir haben wirklich einen ring. intensiven Einsatz von Pestiziden. Wir haben überschrit- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten tene Höchstrückstandswerte in Gewässern. Die Kosten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE trägt der Verbraucher, der für sein Trinkwasser entspre- GRÜNEN) chend mehr bezahlen muss. Wir haben überschrittene Höchstrückstandswerte in Lebensmitteln. Auch wenn Hier stimme ich auch nicht mit der Pressemitteilung die Rückstandsschwellen hochgesetzt werden, ist das vom Chef des Bayer-Konzerns, Herrn Baumann – es geht nicht zu vernachlässigen. Wahrscheinlich hätten wir auch um Monsanto und Bayer –, überein, der sagt: Durch dann, wenn das nicht passieren würde, noch viel höhe- die ökologische Produktion können wir die Welt nicht re Rückstandswerte. Wir haben Schäden an Bienen und mehr ernähren. – Das ist für mich – tut mir leid – gerin- Wirbeltieren. Wie die Kollegin Frau Dr. Tackmann be- ger Schwachsinn; reits gesagt hat, ist die Biene eines der wichtigsten Tie- re auch in der Landwirtschaft; ich glaube, sie wird in (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Deutschland als drittwichtigstes angesehen. LINKEN) denn wir müssen die Welt nicht ernähren, sondern wir (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der müssen die anderen Länder befähigen, sich selbst zu er- LINKEN) nähren. Es kann nicht alles nur von Deutschland ausge- hen, sondern wir brauchen auch Produktion in anderen Deshalb dürfen wir die Gesundheit der Bienen nicht Ländern. gefährden. Die Biene ist aber nicht nur durch die Varroa- milbe gefährdet, sondern die Tiere, die dann eben schon (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten geschwächt sind, sterben viel leichter an der Varroamil- der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE be. Ich möchte keine Zustände wie in China, dass wir GRÜNEN) 24600 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Rita Hagl-Kehl (A) Mit einem 20-Prozent-Ziel wird die Welternährung be- bin – eine Einschränkung der Wissenschaft; denn wenn (C) stimmt nicht gefährdet, aber wir hätten viel für unser die Quellen nicht vorliegen, kann man nicht bewerten, ob Land erreicht. das, was hier gemacht wurde, stimmt oder nicht. Positiv zu bewerten ist auch das Umdenken, das (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LIN- in der Gesellschaft und in der Wirtschaft sowie in der KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Agrarpolitik bereits stattfndet. Die EU-Kommission be- NEN) absichtigt, drei der meistverwendeten Neonikotinoide zu verbieten – ein Schritt in die richtige Richtung. Das Nun zu einem Punkt, der bei Pfanzenschutzmitteldis- EU-Parlament hat beschlossen, dass Pestizide auf öko- kussionen auf keinen Fall fehlen darf, und das ist unse- logischen Vorrangfächen nicht mehr verwendet werden re Kritik auch an dem Antrag der Grünen. Man hat das dürfen. Da stimme ich auch nicht mit dem Herrn Staats- Zulassungsproblem, das wir in Deutschland mittlerweile sekretär überein: Für mich ist es ein Widerspruch in sich, haben, nicht bedacht. Wenn wir neue Wirkstoffe und Al- wenn man auf ökologischen Vorrangfächen, für die es ternativen wollen, dann brauchen wir auch eine gute Zu- Fördermittel gibt, Pfanzenschutzmittel, Pestizide aus- lassungsquote. Die ist bei uns momentan sehr schlecht. bringt. Wir haben ein EU-Audit vom Jahr 2016. Bei uns liegt die Zahl der benötigten Tage für eine Zulassung bei (Ingrid Pahlmann [CDU/CSU]: Eiweißpro- 757. Vorgegeben von der EU sind eigentlich 120 Tage. duktion!) Das schränkt natürlich viel ein. – Die Eiweißproduktion kann bestimmt nicht von den Die Erklärung war von der Presse und der Wirtschaft ökologischen Vorrangfächen abhängig gemacht werden. sowie unserem Koalitionspartner schnell gefunden: Das Das müsste man auf eine breitere Basis stellen. UBA, also das Umweltbundesamt, ist schuld. – Nur: (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LIN- Diese Erklärung greift etwas zu kurz; denn erhebliche KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Verfristungen entstehen auch in anderen Behörden. Die NEN – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Hälfte der Verfristungen entsteht zum Beispiel beim Das muss man dem Staatssekretär noch mal Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsi- erklären!) cherheit. Tatsächliche Ursache für die Verzögerung sind eher die hohen Antragszahlen. Die meisten Firmen ver- Bei der Glyphosat-Zulassung sprechen wir auf suchen eben, ihre Wirkstoffe in Deutschland zuzulassen, EU-Ebene mittlerweile nicht mehr von 15 Jahren, son- weil wir hier sehr strenge Kriterien haben. Deswegen ist dern nur mehr von 10 Jahren, und es ist eine Einschrän- eine Zulassung in Deutschland in diesem System die si- kung der Anwendung in der Nähe von Spielplätzen und chere Gewähr dafür, dass ein Wirkstoff auch in anderen (B) Parks geplant. Wir haben dem Herrn Minister schon vor Ländern zugelassen wird. (D) langer Zeit vorgetragen, dass man dieses Mittel auf kom- munaler Ebene verbieten kann. Man kann es für die pri- Wir haben ständig wachsende Anforderungen, die ja vaten Anwender verbieten. Es muss wirklich nicht sein, auch irgendwo ihre Berechtigung haben, die aber natür- dass jeder Schrebergärtner mit Glyphosat arbeitet. Das lich die Zulassung verzögern. Oft werden auch die Aufa- gilt auch für die Bahn innerorts. Wir haben die Vorschlä- gen von der federführenden Behörde, in diesem Fall dem ge gemacht. Vom Ministerium ist auf diese Vorschläge BVL, nicht akzeptiert, zum Beispiel wenn sie vom UBA nicht eingegangen worden, obwohl andere Länder wie kommen. Die SPD sieht hier dringenden Handlungsbe- zum Beispiel die Niederlande – die sind bekanntlich auch darf. Die Zulassungsverfahren müssen auf jeden Fall ver- in der EU – es bereits so machen. bessert werden. Wir brauchen mit Blick auf das UBA die Beibehaltung der Einvernehmensfunktion. Wir brauchen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) aber auch eine Bündelung der Untersuchungen bei den Monsanto verkauft neuerdings sein Mittel Roundup, zuständigen Behörden, und wir brauchen mehr Personal, das eigentlich das Glyphosat-Urmittel war, sogar ohne nicht nur beim UBA, sondern bei allen Behörden, die mit Glyphosat. Es geht also anscheinend. Es ist zwar ein sehr diesem Thema befasst sind. hoher Preis, der jetzt für Essig verlangt wird, aber wenn Die Anträge der Grünen enthalten viele Forderungen, man auf dem richtigen Weg ist, ist das nicht verkehrt. die die SPD-Bundestagsfraktion als richtig und wichtig Dem, dass die Wissenschaft bei Glyphosat zu einem einschätzt. Aber wir werden den Anträgen trotzdem nicht einstimmigen Ergebnis gekommen ist, kann ich nicht zu- zustimmen. stimmen, weil das Krebsforschungsinstitut der WHO – (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- da sind bestimmt renommierte Wissenschaftler – ein an- NEN]: Das wundert mich jetzt gar nicht!) deres Ergebnis erzielt hat. Gleichzeitig muss man sagen: Wenn Studien nicht veröffentlicht werden, dann schränkt Das Problem der Zulassung – es fehlt in dem Antrag – man die Wissenschaft ein; habe ich bereits genannt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE NEN]: Hättet ihr halt einen Zusatzantrag ge- GRÜNEN) stellt!) denn ein Wissenschaftler kann nur mit veröffentlichten Außerdem können wir bei Glyphosat nicht sofort den Studien arbeiten. Was hier gemacht wird, das ist – das Hebel umlegen. Vielmehr brauchen wir einen Ausstiegs- sage ich, auch wenn ich „nur“ Geisteswissenschaftlerin plan. Die Landwirte müssen Verlässlichkeit haben. Im Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24601

Rita Hagl-Kehl (A) Vorfeld muss natürlich auch eine bessere Beratung statt- chemische Pfanzenschutzmittel sind sowohl die Sicher- (C) fnden. Wir haben gleichzeitig einige der Forderungen, heit als auch die Qualität unserer Nahrungsmittel, die uns die hier gestellt wurden, bereits berücksichtigt. Das allen so absolut selbstverständlich erscheinen, defnitiv betrifft zum Beispiel die Thematik der Neonikotinoide nicht zu erreichen; das muss jedem klar sein. oder den Nationalen Aktionsplan zur nachhaltigen An- wendung von Pfanzenschutzmitteln, der ausgebaut und Pfanzenschutzmittel werden zum Schutz der Pfanze weiterentwickelt werden muss. Auf Drängen der SPD angewendet. Sie verweisen in Ihrem Antrag auf die Pes- wurden die Haushaltsmittel für die Forschung zum inte- tizidaktionspläne in anderen Ländern. Gern möchte ich grierten Pfanzenschutz 2017 bereits erhöht, genauso wie Ihnen an dem konkreten Beispiel Dänemark begründen, auf Drängen der SPD auch die Forschungsmittel für den warum es so einfach eben nicht ist. Ökolandbau im Haushalt erhöht wurden. Dänemark hat bereits 1987 ein Reduktionsprogramm Ich sage herzlichen Dank und hoffe, dass wir hier wei- für den chemischen Pfanzenschutz aufgelegt. Die ver- terhin auf einem guten Weg sein werden. wendete Menge an Pfanzenschutzmitteln bzw. die Zahl der Anwendungen sollte danach halbiert werden. Das (Beifall bei der SPD) ambitionierte Ziel wurde jedoch verfehlt. Der angestreb- te Behandlungsindex konnte nicht erreicht werden. Seit Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: dem Jahr 2000 steigt auch die Behandlungshäufgkeit in Ingrid Pahlmann hat als nächste Rednerin für die Dänemark wieder kontinuierlich an. Trotzdem gilt der CDU/CSU-Fraktion das Wort. dänische Aktionsplan bei vielen immer noch als Vorbild für eine europäische Regelung. Dabei wurde in Däne- (Beifall bei der CDU/CSU) mark durch die Reduktion von Pfanzenschutz und Dün- gung nur eines erreicht: Die Dänen müssen nun qualitativ Ingrid Pahlmann (CDU/CSU): hochwertigen Brotweizen importieren, weil sie nicht in Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe der Lage waren, mit diesen Reduktionsvorgaben Qualität Kolleginnen! Ich bin mir sehr sicher, dass wir uns alle in zu produzieren. unserer politischen Arbeit dafür einsetzen, Mensch und (Beifall bei der CDU/CSU) Umwelt zu schützen. Die Frage ist, wie man das tut und mit welcher Herangehensweise. Eine pauschale Pfan- Bei Ihrem Antrag zum Bienenschutz bin ich theore- zenschutzmittelreduktion, wie Sie sie in Ihrem Antrag tisch bei Ihnen. fordern, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ist für mich defnitiv nicht der richtige Weg. Auch für uns NEN]: Theoretisch!) (B) steht der Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher (D) an erster Stelle. Die Zulassung von Pfanzenschutzmit- Auch uns liegt das Thema sehr am Herzen, und wir haben teln in Deutschland unterliegt strengen Kriterien. Sie ist dasselbe Ziel vor Augen: die Erhaltung dieser so wichti- sicher verbesserungsbedürftig, besonders was die Dauer gen Art. der Anerkennungsverfahren betrifft; Frau Hagl-Kehl hat Rund 80 Prozent unserer Pfanzen müssen bestäubt es schon erwähnt. Bei den Zulassungsbehörden stauen werden, um Ernten zu erhalten. Deswegen kämpfen sich die Anträge. Die Resistenzbildung aufgrund fehlen- wir schon lange für den Bienenschutz. Bereits im Som- der Alternativen ist das Problem, das wir im Bereich der mer 2015 wurde von unserem Bundeslandwirtschafts- Pfanzenschutzmittel haben. minister eine Eilverordnung erlassen, die Bienen von Aber die Intention Ihres Antrags ist eine andere. Der neonikotinoidhaltigem Staub schützen soll. Aus dieser Antrag dient der Instrumentalisierung grüner agrarpoliti- wurde dann ein dauerhaftes Verbot. Einfuhr und Aussaat scher Ziele. Sie verunsichern wieder einmal Verbrauche- von Saatgut, das mit in Deutschland nicht zugelassenen rinnen und Verbraucher, indem Sie Horrorszenarien an Neonikotinoiden behandelt wurde, sind ausnahmslos die Wand malen. Sie reden von Pestiziden, von Ackergif- verboten. Ich fnde, das ist ein Erfolg für den Bienen- ten, der Verunreinigung von Wasser, Böden und Lebens- schutz. Aber auch hier tun Sie so, als ob die Landwirt- mitteln und bedienen sich dabei äußerst fragwürdiger schaft allein für den Rückgang der Bienen verantwortlich Statistiken über den Anstieg des Einsatzes von Pfanzen- wäre. Auch das kann man so nicht stehen lassen. In den schutzmitteln. Eine Statistik hat es immerhin schon in die vergangenen Jahren sind zum Beispiel die Bienenvöl- Rubrik „Unstatistik des Monats“ geschafft. Das ist auch ker durch Züchtung – hin zu mehr Ertrag und geringerer eine Auszeichnung. Noch einmal: Wir haben die sichers- Aggressivität – anfälliger gegenüber Krankheiten, Viren ten Lebensmittel weltweit. und Parasiten geworden. Auch der an sich sehr schöne Anstieg im Bereich der Hobbygärtner, die leider nicht (Beifall bei der CDU/CSU) alle organisiert und beim Veterinäramt gemeldet sind, er- Selbstverständlich müssen Pfanzenschutzmittel aus- schwert bei Krankheitsausbrüchen die gezielte Behand- reichend reguliert werden. Aber das werden sie auch. Wir lung der Völker und stellt so ein hohes Risiko für andere haben in Deutschland und in Europa eines der strengsten Bienenvölker dar. Regulierungssysteme der Welt. Diesen hohen Standard (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wollen wir von der Union beibehalten. Sicherheit und NEN]: Gärtner oder Imker?) Qualität sind für die CDU/CSU grundsätzlich elemen- tare Faktoren, auch in der Nahrungsmittelversorgung. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, so ein- Das scheint mir bei Ihnen gar kein Thema zu sein. Ohne fach, wie Sie die Welt darstellen möchten – an allem 24602 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Ingrid Pahlmann (A) Übel sind die Landwirte mit ihren Handlungen Schuld –, Landwirtschaft verursacht. Es hat mich nicht überrascht, (C) ist die Welt nicht. dass Sie nicht zu diesen Menschen gehören, die das er- kannt haben. Was mich allerdings wirklich überrascht (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- hat, ist, dass es ein Thema gibt, das Sie und Herr Bleser NEN]: Wie war das mit der Wissenschaftsba- sis? Hören Sie doch einmal auf die Wissen- in Ihren Reden komplett ignoriert haben. Das ist das, schaft!) was auf dem Markt für Agrochemiekonzerne passiert. Was wir dort erleben, ist eine gigantische Fusionswelle Es gibt eben viele verschiedene Faktoren, die auf Abläu- in einem Ausmaß, das wir bislang noch nicht beobach- fe Einfuss nehmen. ten konnten. Die größten der Großen – Bayer, Monsanto, (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Syngenta, ChemChina, Dow und DuPont – fusionieren NEN]: Nichts hören, nichts sehen!) gerade miteinander. Ihnen ist das noch nicht mal eine Er- wähnung wert. Das wundert mich schon. Wir von der Union stehen für Wissenschaftlichkeit, wenn es um den größtmöglichen Schutz von Mensch, Tier und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Umwelt geht. und bei der LINKEN)

(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das, was im Bereich für Pestizide und Saatgut pas- NEN]: Sie drücken sich doch vor der Reali- siert, ist ein gigantisches Anwachsen von Marktmacht. tät!) Wenn eine Handvoll Unternehmen zwei Drittel des Unverantwortlich ist allerdings das politisch moti- Marktes für Pestizide und Saatgut dominiert, dann ist das vierte Hochpuschen von Risiken, die so nicht vorhanden ein Problem, mit dem Sie sich beschäftigen müssen. sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und bei der LINKEN) NEN]: Immer Augen zu!) Die Stärkung von Forschung und Entwicklung zur Pro- Was ist die Folge? Bauern werden von den giganti- duktion zielgenauerer und noch umweltfreundlicherer schen Konzernen unter Druck gesetzt: sowohl beim Produkte liegt im Interesse von uns allen; da müssen wir Angebot als auch bei den Preisen. Beim Angebot setzen dranbleiben. Den Aufwuchs in diesem Bereich hat Peter die Konzerne auf Totalherbizide wie Glyphosat. Es gibt Bleser genannt. weniger Innovationen im Markt. Das belegen Studien. Es wird am Ende auf Monokulturen hinauslaufen im Be- (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- reich des Saatgutes. Am Ende bedroht die Marktmacht (B) NEN]: Ihr seid die Sachwalter des Vorsorge- dieser Agrochemiegiganten sogar die Ernährungssouve- (D) prinzips!) ränität ganzer Volkswirtschaften. Allerdings ist angemessener Pfanzenschutz für die Er- nährung von über 7 Milliarden Menschen auf dieser Welt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN unverzichtbar. und bei der LINKEN) Wir von der CDU/CSU-Fraktion arbeiten weiter an Insofern ist es für uns ein Handlungsauftrag, uns die konkreten Lösungen für konkrete Probleme. An reiner Fusionskontrolle auf europäischer Ebene ganz genau Stimmungsmache werden wir uns nicht beteiligen und anzuschauen, und zwar nicht nur aus den wettbewerbs- deshalb Ihren Antrag ablehnen. politischen Gründen, aus denen wir als grüne Bundes- (Beifall bei der CDU/CSU) tagsfraktion sagen, dass die Fusion sowieso untersagt werden müsste. Wir haben bei den Fusionen, die jetzt schon genehmigt wurden, gesehen, dass die Kommissi-

Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: on die Fusionen durchwinkt. Deswegen sagen wir: Wenn Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie um Ver- eine Fusion in so einem Ausmaß Umweltschutzaspekte ständnis, dass ich keine Zwischenfragen zulassen werde. betrifft, wie es im Agrochemiebereich der Fall ist, dann Wir hängen schon um 90 Minuten. Das jetzige Debatten­ müssen Aspekte des Umweltschutzes gleichwertig neben ende ist um 0.45 Uhr. Realistischerweise wird man noch der Fusionskontrolle und den Wettbewerbsaspekten ste- einige Minuten hinzurechnen müssen. Deshalb bitte ich hen. Dazu haben wir als grüne Bundestagsfraktion ein um Verständnis. Rechtsgutachten vorgelegt. Wir als Bundestagsfraktion (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Zeitnot haben Sie zigmal dazu befragt, was Sie dafür tun, ob Sie ersetzt nicht die Demokratie!) nach Brüssel gehen, ob Sie gegebenenfalls klagen wol- len. Sie haben kein einziges Mal darauf geantwortet. Sie Katharina Dröge hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die haben dieses Problem überhaupt nicht auf dem Schirm. Grünen. Deshalb ist es notwendig, dass es heute eine klare Stel- lungnahme des Deutschen Bundestages gibt. Denn es Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): geht um nicht weniger als unsere Gesundheit und unsere Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen Ernährung. und Kollegen! Sehr geehrte Kollegen von der CDU, die Mehrheit der Redner und Rednerinnen hier im Raum hat (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erkannt, welche Probleme der hohe Pestizideinsatz in der sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24603

(A) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: dass mit diesen 1,4 Millionen Hektar Eiweißpfanzen re- (C) Als letzter Redner in dieser Aussprache hat Artur gionale Eiweißversorgung stattfndet. Auernhammer für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der CDU/CSU) NEN]: Warum machen Sie das nicht auf den regulären Ackerfächen?) Artur Auernhammer (CDU/CSU): Was ist jetzt die Folge? Die Umweltorganisationen in Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen Südamerika schlagen Alarm: Jetzt wird noch mehr Re- und Kollegen! Diese Debatte zeigt uns einmal mehr: Hier genwald gerodet. hat eine Partei nicht Angst vor irgendwelchen Pfanzen- (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schutzmitteln, sondern vor der Fünfprozenthürde. NEN]: Das ist doch nun völliger Quatsch! Das (Beifall bei der CDU/CSU – Heiterkeit bei ist lächerlich! – Dr. Kirsten Tackmann [DIE Abgeordneten der CDU/CSU) LINKE]: Das erzählen Sie wider besseres Wissen!) In den Anträgen wird wieder ein Weltuntergangssze- nario beschrieben, das so nicht zutrifft. Welche Aufgabe Diese Regenwaldrodungen haben Sie zu verantworten, haben wir eigentlich in der Zukunft, meine sehr verehrten meine sehr verehrten Damen und Herren. Damen und Herren? (Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mann, Mann, NEN]: Der Vizevorsitzende des Umweltaus- Mann! Peinlich ist das! Peinlich!) schusses!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wird hier auch Wir haben in der Zukunft die Aufgabe, 10 Milliarden sehr viel über Marktkonzentration gesprochen. Das be- Menschen auf dieser Welt zu ernähren. wegt mich auch. Gerade heute Mittag wurde eine Mol- kerei in meinem Wahlkreis von einem französischen (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Und Molkereikonzern übernommen. Da müssen wir fragen: Ihnen eine gesunde Welt zu hinterlassen! – Warum ist es so weit gekommen? Warum haben wir Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: hier nicht besser reagiert? Stattdessen wird hier nach Dann lesen Sie mal den TAB-Bericht zu dieser der Übernahme von Monsanto durch Bayer ständig ein Frage!) Angstszenario schon fast zelebriert. Nach wie vor stirbt alle zehn Sekunden ein Kind den (B) (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das ist (D) Hungertod, und wir diskutieren hier darüber, wie wir die das gleiche System!) Produktion unserer Landwirtschaft reduzieren, wie wir sie nach unten fahren. Zur gleichen Zeit, zu der Bayer Monsanto übernommen (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- hat, wurde ein anderer Chemiekonzern von den Chinesen NEN]: Nein, wir wollen sie besser machen übernommen. und gesünder und ressourceneffzienter und (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nachhaltiger, Herr Kollege! Nachhaltiger!) NEN]: Hat die Kollegin angesprochen! Nicht So kann es nicht gehen, meine sehr verehrten Damen und zugehört, Herr Kollege, oder was? – Katharina Herren. Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Steht auch in dem Antrag! Müssen Sie mal lesen!) (Beifall bei der CDU/CSU) Ich möchte fragen: Wäre es zu dieser Betroffenheit ge- Wir haben hier schon oft über Glyphosat diskutiert. kommen, wenn Monsanto von den Chinesen übernom- men worden wäre? (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Sie haben doch gar nichts verstanden! (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Gar nichts!) NEN]: Hallo! Nicht zugehört, oder was? Die Kollegin hat von ChemChina gesprochen! Ich will gar nicht groß darauf eingehen; aber ich emp- Hallo! Zuhören! Was für eine Ignoranz!) fehle jedem, die bekannte Menge von 1 000 Litern Bier pro Tag zu genießen – erst in dieser Menge ist das da- Nein, keine Aktuelle Stunde – alles wäre gut gewesen. rin enthaltene Glyphosat gefährlich – und das drüben im Biergarten zu machen. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Was für eine Ignoranz!) Meine sehr verehrten Damen und Herren, kürzlich gab es eine Diskussion im Europäischen Parlament, auch ge- Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen trieben von dieser Angst und der Hysterie darum, keine in Zukunft – ich bin hier unserem Bundeslandwirtschafts- Pfanzenschutzmittel mehr auf die ökologischen Vorrang- ministerium sehr dankbar – nach wie vor verantwor- fächen auszubringen. Wir haben mit den entsprechenden tungsbewusst mit den Möglichkeiten im Pfanzenschutz Greeningmaßnahmen erreicht, dass in Europa 1,4 Milli- umgehen. Gerade unsere deutsche Landwirtschaft, unse- onen Hektar Eiweißpfanzen regional angebaut werden, re gut ausgebildeten Bäuerinnen und Bauern machen das, 24604 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Artur Auernhammer (A) und deshalb müssen wir an dieser Stelle Respekt vor der Antrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stim- (C) Arbeit unserer Bäuerinnen und Bauern haben. men der Opposition abgelehnt worden. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich rufe die Zusatzpunkte 8 a und 8 b auf: Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin a)– Zweite und dritte Beratung des von der Bun- dankbar, dass wir mit einzelnen Forschungsvorhaben desregierung eingebrachten Entwurfs eines unsere Landwirtschaft weiter modernisieren und damit Gesetzes zur strafrechtlichen Rehabili- auch nachhaltiger gestalten. Eine nachhaltige Landwirt- tierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen schaft ist auch die Grundlage dafür, dass wir die Megahe- einvernehmlicher homosexueller Hand- rausforderung der Welternährung bewerkstelligen. lungen verurteilten Personen und zur Wir dürfen auch nicht das Thema Klimawandel aus Änderung des Einkommensteuergesetzes dem Blick verlieren. Wir haben heute im Bundestag Drucksachen 18/12038, 18/12379, schon über Klimawandel diskutiert. Der Klimawandel 18/12641 Nr. 1.1 wird ganz neue Herausforderungen an unsere landwirt- schaftliche Produktion stellen. Deshalb brauchen wir – Zweite und dritte Beratung des von den Ab- moderne Produktionsverfahren, und die kann es nur mit geordneten Katja Keul, Volker Beck (Köln), einer modernen, nachhaltigen Landwirtschaft und mit Renate Künast, weiteren Abgeordneten und den mit ihr verbundenen landwirtschaftlichen Organisa- der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tionen geben. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung der nach 1945 in beiden deut- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) schen Staaten gemäß den §§ 175, 175a Wir sollten weniger darüber diskutieren, was wir alles Nummer 3 und 4 des Strafgesetzbuches zu verbieten haben, und wir sollten weniger darüber dis- und gemäß § 151 des Strafgesetzbuches kutieren, was alles schlecht ist auf der Welt. der DDR ergangenen Unrechtsurteile (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Drucksache 18/10117 NEN]: Ich sage nur: Bienensterben, Vogelster- ben, Insektenverluste! Kein Thema für euch! Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Für den stellvertretenden Vorsitzenden des schusses für Recht und Verbraucherschutz Umweltausschusses! So ein Armutszeugnis!) (6. Ausschuss) Vielmehr sollten wir darüber diskutieren, welche Lö- Drucksache 18/12786 (B) (D) sungsansätze wir fnden können, um die große Heraus- – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- forderung der Welternährung anzunehmen und um un- schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung sere eigene deutsche Landwirtschaft, die Arbeit unserer Bäuerinnen und Bauern weiter zu unterstützen. Unser Drucksache 18/12828 Bundeslandwirtschaftsministerium macht das, unsere Fraktion auch, und ich hoffe, auch die Kolleginnen und b) Beratung der Beschlussempfehlung und Kollegen hier im Hause. des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) zu Vielen Dank. dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner (Köln), Katja Keul, Renate Künast, weite- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Umwelt und rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Ökologie, das ist ein Fremdwort für den Kol- NIS 90/DIE GRÜNEN legen!) Individuelle und kollektive Entschädi- gung für die antihomosexuelle Strafver- Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: folgung nach 1945 in beiden deutschen Ich schließe die Aussprache. Staaten Wir kommen zunächst zu den Abstimmungen über die Drucksachen 18/10118, 18/12786 Vorlagen zu den Tagesordnungspunkten 14 a und 14 b. Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Interfraktionell wird die Überweisung dieser Vorlagen Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf den Drucksachen 18/12382 und 18/12384 an die in vor. der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- gen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe keinen Wi- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für derspruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. Gibt es Wider- Tagesordnungspunkt 37 f. Abstimmung über den spruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlos- Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck- sen, und ich kann die Aussprache eröffnen. sache 18/12797 mit dem Titel „Marktkonzentration im Als erster Redner in dieser Aussprache hat Dr. Karl- Agrarmarkt stoppen – Artenvielfalt und Ernährungssou- Heinz Brunner für die SPD-Fraktion das Wort. veränität erhalten“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist der (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24605

(A) Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): Unrecht endlich anzuerkennen und zu beseitigen. Und (C) Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine verehrten was wird geschaffen? Neues Unrecht, neue Diskriminie- Kolleginnen und Kollegen! Die gestrige Debatte über rung. Antisemitismus hat mich dazu verleitet, noch einmal (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch nachzulesen, was am 8. Mai 1985 unser ehemaliger Bun- Blödsinn!) despräsident Richard von Weizsäcker zum 8. Mai 1945 sagte, nämlich dass dies der Tag der Befreiung war: der Es wurde nämlich mit der Rehabilitierung von Männern, Befreiung vom Joch einer gewählten Diktatur, der Be- deren Partner mindestens 16 Jahre alt waren, eine neue freiung von menschenverachtender Ideologie und der Diskriminierung geschaffen; denn das Sexualstrafrecht Befreiung von Naziherrschaft, doch, verehrte Kollegin- für Heterosexuelle sieht Straffreiheit bei einvernehmli- nen und Kollegen, nicht für alle Menschen in diesem chem Geschlechtsverkehr mit Jugendlichen ab 14 Jah- Land, nicht für Menschen, deren einziges Schicksal es ren vor. Zwei Strafrechte, zwei Gesetzbücher – seltsam. war und ist, das Normalste, das Beste, das Menschen ge- Mich macht es nur ärgerlich. schehen kann, zu tun, nämlich Zuneigung zu zeigen, sich (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des zu lieben. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich jedenfalls habe nie verstanden, wie die junge Bun- Doch, meine Kolleginnen und Kollegen, den heutigen desrepublik Deutschland, gerade wieder aus dem dunk- Tag lauthals als zynische Rehabilitierung zu bezeich- len Tal des Nationalsozialismus in einer freiheitlichen nen, wie manche Gazetten dies machen, von vergifte- Gesellschaft angekommen, allen Erkenntnissen zum ter Wiedergutmachung zu sprechen, das ist – das sage Trotz und ohne Scham genau das gleiche schändliche ich – der Sache nicht angemessen. Genau die Kompro- Treiben fortgesetzt hat, von dem das Land erst kurz zuvor misslosigkeit, die diese Schreiber an den Tag legen, ist befreit wurde. Dass dies dann auch noch unter den Au- in Wirklichkeit zynisch; denn sie, die Kompromisslosen, gen und mit Billigung des Bundesverfassungsgerichts, nehmen in Kauf, dass täglich weitere Opfer sterben, dass genau dem Gericht, das eigentlich die höchste Instanz die Betroffenen nicht in Würde und versöhnt mit ihrem des Rechtsstaats sein sollte, das den Schutz und die Wür- Vaterland sterben können. Und zwar für was? Vielleicht de des Menschen, wie es in Artikel 1 des Grundgesetzes für politischen Landgewinn, für eine höhere Aufage. Ich steht, sicherstellen sollte, macht mich auch heute noch fnde das persönlich einfach nur schäbig. fassungslos; denn das Gegenteil war der Fall. Gerade das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat es legiti- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. miert, ja hat es ermöglicht, dass ein wütendes Schnüffeln Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU] – Manfred der Strafverfolgungsbehörden ausgelöst wurde, Razzien Grund [CDU/CSU]: Wen meinen Sie denn (B) durchgeführt wurden, massenhafte Verhaftungen statt- jetzt?) (D) gefunden haben, es zu Verurteilungen gekommen ist, Ich hätte mir, meine sehr verehrten Damen und Her- Menschen ihre Existenz verloren haben, berufiche Exis- ren, deshalb aber auch gewünscht, dass außer diesem Ho- tenzen zerstört, Familien vernichtet, Menschen ruiniert hen Hause, dem Deutschen Bundestag, auch die Richter wurden. Unzählige unbescholtene Bürger dieses Lan- des Bundesverfassungsgerichts im Laufe der Jahre Grö- des wurden in Verzweifung getrieben, einige begingen ße gezeigt hätten, indem sie nämlich eingestanden hät- Selbstmord. Wie viele dies im Einzelnen sind, wissen wir ten, dass auch Richter irren können, dass Fehler möglich heute nicht mehr. sind, dass Fehler, die man gemacht hat, nicht schlimm Bei der Replik dessen dachte ich mir: Sollte der ideo- sein müssen, sondern man sich dafür entschuldigen kann. logisch verseuchte Arm des Jahres 1933, als dieses un- Doch dazu ist bis heute leider noch nichts gekommen; sägliche Gesetz geschaffen wurde, wirklich so weit rei- aber vielleicht ist die Zeit hierfür noch nicht reif. chen? Und doch sollte es nach von Weizsäckers Rede Heute danke ich deshalb im Wesentlichen jemandem noch 32 Jahre dauern, bis dieses himmelschreiende Un- aus der Sozialdemokratie, der in der Bundesrepublik recht in Deutschland aufgehoben wurde. Nicht so – das Deutschland begonnen hat, dieses Unrecht aufzuheben, sage ich auch, meine Kolleginnen und Kollegen –, wie jemandem, der von vielen schon vergessen wurde, näm- ich mir das gewünscht hätte: endlich auch mit der Aner- lich unserem ehemaligen Justizminister und Bundesprä- kennung gleicher Rechte für homosexuelle und hetero- sidenten Gustav Heinemann. Ohne ihn und seine Initia- sexuelle Menschen, mit gleicher Schutzaltersgrenze, mit tiven wären auch wir, die wir alles darangesetzt haben, nichts anderem als der Beendigung der Diskriminierung. die Diskriminierung immer mehr zu beenden, nicht da, (Beifall bei der SPD) wo wir jetzt sind. Doch dies war mit unserem Koalitionspartner auch (Beifall bei der SPD) 62 Jahre nach dem Tag der Befreiung nicht zu machen; Wir sind noch nicht am Ende. Ich nenne die Ehe für denn offensichtlicher als das, was uns jetzt zur Entschei- alle, Adoptionsrecht, Finanzierung des Aktionsplans ge- dung vorliegt, kann Ungleichbehandlung nicht sein. gen Trans- und Homophobie. Wir haben noch viel zu tun. Ich habe mich persönlich mit vielen anderen – unter Wir packen es an, und wir setzen dies auch um. ihnen Christine Lüders von der Antidiskriminierungsstel- Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. le, unser Bundesminister , Johannes Kahrs, Eva Högl und viele in der Sozialdemokratie und in der (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Community – über Jahre hinweg eingesetzt, um dieses Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]) 24606 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

(A) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Aber leider – dieses Wasser in den Wein kann ich Ih- (C) Harald Petzold hat für die Fraktion Die Linke als nen leider nicht ersparen – ist der vorliegende Gesetz- nächster Redner das Wort. entwurf auch zum Gegenstand eines aus meiner Sicht sehr unwürdigen Schachers gemacht worden, vor allen (Beifall bei der LINKEN) Dingen innerhalb der Koalitionsfraktionen. So ist es leider passiert, dass durch einen Änderungsantrag – der Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): Kollege Brunner hat es hier vorgetragen – neues Unrecht Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! geschaffen worden ist. Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Wir beschließen Bundesweit gilt die Schutzaltersgrenze von 14 Jahren heute das Gesetz zur Rehabilitierung und Entschädigung für einvernehmliche sexuelle Handlungen, und dies mit von schwulen Männern, die nach dem 8. Mai 1945 nach drei Ausnahmen, die in § 182 geregelt sind, nämlich das dem § 175 des Strafgesetzbuches für einvernehmliche se- Ausnutzen einer Zwangslage, Sex gegen Entgelt und das xuelle Handlungen verurteilt worden sind. Ausnutzen der fehlenden Fähigkeit des Opfers zur se- Es ist ein Gesetz, das überfällig ist, weil es Tausen- xuellen Selbstbestimmung. Keiner dieser Fälle berührt den schwulen Männern, die zu Unrecht verurteilt worden unser Gesetzesvorhaben, das wir heute umsetzen wollen. sind – der Kollege Brunner hat es genannt –, endlich Ge- Trotzdem konnten sich einige Kolleginnen und Kollegen rechtigkeit widerfahren lässt, indem die Urteile aufgeho- vor allen Dingen aus der Unionsfraktion offensichtlich ben werden und eine symbolische Entschädigung gezahlt nicht verkneifen, mit Schutzalter 16 eine neue Diskrimi- wird. nierung in den Gesetzentwurf hineinzubringen und damit denjenigen, die eigentlich entschädigt und rehabilitiert Es ist ein Gesetz, dessen Auswirkungen leider Tausen- werden sollen, doch so einen Makel von Jugendgefähr- de Betroffene schon nicht mehr miterleben können, weil dung anzukleben, der schon immer vor allen Dingen sie inzwischen verstorben sind, und das trotzdem wichtig Lesben und Schwulen angehangen wird, und ein biss- ist, weil es den Lebenden sozusagen deutlich macht, dass chen davon bleibt dann doch in der Bevölkerung hängen. ihr Leiden und ihr Kampf um Gerechtigkeit eben nicht Damit schaffen wir eine neue Diskriminierung, und das umsonst gewesen sind und dass wir in der Lage sind, ih- kann nicht sein. nen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem (Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich halte das für unwürdig, und mir fehlen eigentlich die Worte für so eine miese Kiste. (B) Es ist ein Gesetz, das vielen in diesem Haus, vielleicht (D) sogar – so möchte ich es sagen – fast allen, die heute Mir fehlen auch die Worte dafür, liebe Kolleginnen hier im Saal sitzen und an der Diskussion teilnehmen, ein und Kollegen von der SPD, dass ihr euch auch noch mit Herzensanliegen ist. auf diesen Änderungsantrag gesetzt habt, dass ihr nicht zumindest gesagt habt: Ich habe allen Grund, den Dank, den ich in meinem Beitrag zur ersten Lesung an alle gerichtet habe, zu wie- (Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD]: Ohne uns derholen und insbesondere die Kollegin Zollner noch hätte es nichts gegeben! Sonst hätte es keine einmal persönlich herauszuheben, weil sie in der Fach- Aufhebung gegeben!) presse als Einzige derjenigen, die ganz aktiv mitgewirkt „Macht diesen Scheiß wenigstens alleine!“, dass ihr nicht haben, eben nicht genannt worden ist, was nicht so ganz einmal das fertigbringt. Ihr plustert euch in der Öffent- in Ordnung ist. Wenn sich alle so verhalten hätten wie die lichkeit immer so auf, und wenn es um die Abstimmung genannte Kollegin, vor allen Dingen in der CSU, dann geht, habt ihr keine Eier, um das einmal zu verhindern. hätten wir ein faireres Verfahren gehabt, und ich hätte möglicherweise keinen Grund, heute auch eine Kritik (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und vorzutragen. Zu der muss ich leider später noch kom- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – men; das hat auch die Kollegin Zollner nicht verhindern Widerspruch bei der SPD – Dr. Jan-Marco können. Luczak [CDU/CSU]: Ein bisschen unparla- mentarisch, Herr Kollege!) Ich will die Danksagung gern auch noch auf diejeni- gen Kolleginnen und Kollegen aus den vergangenen Le- Ich fnde es auch sehr schade, dass die Vorschläge und gislaturperioden erweitern, die ebenfalls viele Jahre mit Anträge, die wir als Linke gestellt haben, um das Gesetz dafür gekämpft haben, dass es heute dieses Gesetz gibt. noch zu verbessern, keine Berücksichtigung und keine Ich denke an Barbara Höll und an Christina oder jetzt Mehrheit im parlamentarischen Verfahren gefunden ha- Christian Schenk von der Linken, ich denke an Christine ben. Ich nenne hier insbesondere die individuelle Ent- Scheel, ich denke an Margot von Renesse, ich denke an schädigung. Meine Fraktion hatte vorgeschlagen, dass Jörg van Essen. All diese Kolleginnen und Kollegen ha- hierzu das Strafrechtsentschädigungsgesetz zur Grundla- ben ja ebenfalls in den vergangenen Jahren mit dazu bei- ge genommen wird. Dies ist von den Koalitionsfraktio- getragen. nen mit der Begründung abgelehnt worden, dass dieses Gesetz vor allen Dingen für zu Unrecht Verurteilte ge- (Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie schaffen worden sei. Ja worüber haben wir denn die gan- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE zen Wochen geredet? Über zu Unrecht Verurteilte. Auf GRÜNEN) wen, wenn nicht auf diese Verurteilten, ist dieses Gesetz Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24607

Harald Petzold (Havelland) (A) anzuwenden? Insofern ist es nicht nachvollziehbar, was desrepublik kann man sagen, dass die durch den natio- (C) Sie da an Begründungen genannt haben, nalsozialistischen Gesetzgeber drastisch verschärften Strafrechtsparagrafen unverändert in das Strafgesetzbuch (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Einzug fanden. Demnach war der Straftatbestand der Un- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) zucht zwischen Männern schon durch eine Umarmung Genauso wenig nachvollziehbar ist Ihre Ablehnung in wollüstiger Absicht oder gar schon durch Handlungen der besonderen Zuwendung an Haftopfer in Höhe von erfüllt, bei denen überhaupt keine körperliche Berührung 300 Euro bei Haftstrafen über 30 Tage, Ihr Widerstand stattfand. gegen die Übertragung der Ansprüche aus der Individu- Gerade im Bereich der Justiz und besonders in den alentschädigung auf Lebens- und Ehepartner, wenn der Fachabteilungen des Bundesjustizministeriums gab es Anspruchsberechtigte zwischen dem Beantragen der auch nach Kriegsende eine personelle Kontinuität. Das Entschädigung und ihrer Bewilligung versterben sollte, stand einer liberaleren Bewertung oder wenigstens einer und vor allem Ihre Haltung zur Kollektiventschädigung. Rückbesinnung auf die Gesetze der Weimarer Zeit vehe- Zur Kollektiventschädigung werden wir in der nächs- ment im Weg. ten Legislaturperiode eine neue Initiative ergreifen, weil (Beifall des Abg. Dr. Karl-Heinz Brunner das, wie ich denke, nicht zur heutigen Abstimmung passt. [SPD]) Wir werden hier dem Gesetzentwurf zustimmen, auch wenn ich diese Kritik hier vorgetragen habe; Natürlich ist das nicht die ganze Erklärung. Zurückbli- ckend muss man deutlich sagen: Das entsprach auch dem (Beifall der Abg. Dr. Sabine Sütterlin-Waack gesellschaftlichen Mainstream. Besser als mit Ovid kann [CDU/CSU]) man es kaum sagen: Die Zeiten ändern sich, und wir än- denn wir wollen, dass das gesamte Haus deutlich macht, dern uns in ihnen. dass dieses Unrecht wiedergutgemacht werden muss. Es ist eine besondere Stärke des Rechtsstaats, sich Das wollen wir nicht mit Kampfabstimmungen über- selbst zu korrigieren. Nicht weniger, aber auch nicht schatten. Insofern hätte ich mir auch gewünscht, dass wir mehr machen wir heute. Vor mehr als 15 Jahren hat sich heute nicht auch über einen Gesetzentwurf der Grünen der Deutsche Bundestag über alle Fraktionsgrenzen abstimmen müssten. Bei der Abstimmung über diesen hinweg bei den betroffenen Männern für ihr erlittenes Gesetzentwurf werden wir uns – leider – enthalten, aber Unrecht entschuldigt, entschuldigt für Urteile, die aus dem Gesetzentwurf der Bundesregierung werden wir zu- heutiger Sicht in höchstem Maße grundrechts- und men- stimmen. schenrechtswidrig erscheinen, Vielen Dank. (B) (Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) (D) (Beifall bei der LINKEN – Dr. Karl-Heinz entschuldigt für die Stigmatisierung und Kriminalisie- Brunner [SPD]: Also auch keine Eier!) rung homosexueller Handlungen mit allen dramatischen Folgeerscheinungen; denn mit dem Richterspruch en- Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: dete für viele der damals verurteilten Männer auch ihr Als nächste Rednerin hat Dr. Sabine Sütterlin-Waack gesellschaftliches Leben. Er markierte einen Bruch im für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. Lebenslauf und war eine Zäsur zum Schlechteren. Eine Verurteilung war nicht nur ein Strafmakel, sondern auch (Beifall bei der CDU/CSU) eine Aburteilung im gesellschaftlichen Gefüge. Wessen homosexuelle Identität in der Nachkriegszeit durch einen Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU): Prozess oder eine Verurteilung offenbart wurde, der war Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol- mehrfach bestraft. legen! Ich hatte schon im Rahmen der ersten Lesung mei- Wir kennen das, meine Damen und Herren, aus un- ne Freude darüber zum Ausdruck gebracht, dass wir den seren persönlichen Beziehungen: Manchmal ist eine Gesetzentwurf zur Rehabilitierung der nach dem 8. Mai einfache Entschuldigung zu wenig. Es müssen Taten 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlun- folgen. – Deshalb beraten wir hier heute abschließend gen verurteilten Personen in die parlamentarische Bera- einen Gesetzentwurf, mit dem wir die verurteilen Män- tung geben konnten. Ungleich größer wird heute meine ner rehabilitieren und die Urteile pauschal aufheben. Es Freude sein, wenn wir das Gesetz nachher beschließen. ist unser gemeinsames Ziel, den Betroffenen, nunmehr Dies ist heute meine letzte rechtspolitische Rede und oftmals hochbetagten Männern, stellvertretend für unse- in gewisser Weise schließt sich der Kreis. Meine erste ren Rechtsstaat die Möglichkeit zu geben, sich mit dem Rede in diesem Hohen Haus hat sich mit dem Thema deutschen Staat zu versöhnen. Wir bringen heute einen Gleichstellung in einem weiter gefassten Sinne befasst. einmaligen und beispiellosen rechtspolitischen Vorgang Ohne diesen einzigartigen und vielleicht sogar histori- zu Ende, mit dem wir in gewisser Weise auch verfas- schen Gesetzentwurf abwerten zu wollen, sage ich: Wir sungsrechtliches Neuland betreten. befassen uns auch heute mit diesem Thema. Meine eigenen Erfahrungen zeigen mir: Neues, un- Bis ins Jahr 1969 waren im alten Bundesgebiet ein- bekanntes Terrain betritt man nicht stampfend und fache homosexuelle Handlungen kriminalisiert und springend, sondern vorsichtig und bedächtig. Vor allem strafbewehrt. Bis 1994 galten diskriminierende Jugend- aufgrund der komplexen und komplizierten verfassungs- schutzbestimmungen. Zumindest für die junge Bun- rechtlichen Folgefragen, die im Zusammenhang mit dem 24608 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Dr. Sabine Sütterlin-Waack (A) vorliegenden Rehabilitierungsgesetzentwurf stehen, ha- rechtlich möglich, sondern auch menschlich zwingend (C) ben wir der Entschuldigung nicht sofort auch eine Aufhe- notwendig. bung und Entschädigung folgen lassen können. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem Wir als CDU/CSU-Fraktion haben uns im Vorfeld der BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Entstehung des Gesetzentwurfs mit Fragen der Rechts- Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) sicherheit und der Gewaltenteilung intensiv beschäftigt. Ich habe bereits auf die Situation der Betroffenen Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass diese verfas- hingewiesen. Wir gehen von ungefähr 3 000 noch leben- sungsrechtlichen Prinzipien einem verfassungskonfor- den Betroffenen aus. Diese Zahl ist jedenfalls noch im men Rehabilitierungsgesetz nicht entgegenstehen. Es ist Bundeszentralregister verzeichnet. Die Aufhebung ist die spezifsche Aufgabe des Gesetzgebers, abstrakt-gene- für den Betroffenen mit einer Entschädigung wegen des relle Entscheidungen zu treffen. Darüber hinaus handelt durch die Verurteilung erlittenen Strafmakels verbun- es sich bei der Aufhebung der Urteile um eine begüns- den. Vorgesehen ist ein pauschaliertes Entschädigungs- tigende staatliche Maßnahme. Der Vertrauensschutz ist modell, damit eine möglichst schnelle Bearbeitung der daher nicht berührt. Entschädigungsansprüche gelingt. Wir haben uns für eine niedrige Nachweisschwelle entschieden. Das heißt, Oft wurde in den vergangenen Jahren die Sorge zum die Betroffenen müssen lediglich die Bescheinigung der Ausdruck gebracht: Was machen wir denn mit den auf- Rehabilitierung vorlegen und die Zeiten ihres erlittenen grund ebenfalls aufgehobener Straftatbestände Verurteil- Freiheitsentzuges wenigstens nachvollziehbar belegen. ten? Was machen wir mit den verurteilten Ehebrechern Sie müssen sich also nicht noch einmal einem ausführli- und den wegen schwerer Kuppelei Verurteilten? – Uns chen Verfahren stellen. hören ja auch jüngere Bundesbürger zu; ich sehe da oben auf der Tribüne viele. Ihnen sage ich: Ja, auch das war Hinsichtlich der im Gesetzentwurf vorgesehenen damals in der Bundesrepublik Deutschland einmal straf- Summen haben wir im Ausschuss keine Änderungen bewehrt. Hier kann man jedoch ganz deutlich aufzeigen: mehr beschlossen. Je aufgehobener Verurteilung oder Unterbringung werden 3 000 Euro gezahlt, je angefange- Weder beim Ehebruch noch bei der Kuppelei haben nem Jahr der Freiheitsentziehung 1 500 Euro. Angesichts wir es mit einem massiven Eingriff in den Kernbereich der dramatischen Folgen der Verurteilung für die Betrof- des Persönlichkeitsrechts der privaten Lebensgestaltung fenen kann diese Entschädigung nur als Symbol dienen. zu tun. Sie ist dennoch ein wichtiges Symbol. In meinen Gesprächen wurde immer wieder deutlich: Außerdem haben wir es beim vorliegenden Gesetzent- Es geht den Betroffenen zuvorderst um die Aufhebung wurf mit einem eng umgrenzten Personenkreis der Be- (B) des Strafmakels. Sehr nachhaltig bleibt mir die Aussage (D) troffenen zu tun. eines Betroffenen in Erinnerung, der sagte, dass er nicht Opfer, die sich auf die mit dem Urteil verschaffte Ge- als verurteilter Krimineller sterben wolle. Forderungen nugtuung verlassen dürfen, gibt es auch nicht, da es sich nach Entschädigungszahlungen standen nie im Vorder- um einvernehmliche Handlungen handelt. grund. Eine Kollektiventschädigung ist im vorliegenden Gesetzentwurf zwar nicht direkt verankert, aber bereits Auch Gewaltenteilung und richterliche Unabhängig- erfolgt. Die Magnus-Hirschfeld-Stiftung erhält im Haus- keit bleiben, wie angedeutet, von der vorliegenden Auf- haltsjahr 2017 erstmalig eine institutionelle Förderung in hebungslösung unberührt. Eine Aufhebung im Sinne des Höhe von 500 000 Euro aus dem Haushalt des Bundes- vorliegenden Rehabilitierungsgesetzes ist ja keine direkte ministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz. Reaktion auf ein bestimmtes Urteil oder ein spezifsches (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Strafverfahren. Uns geht es um die generelle Aufhebung und eben nicht um den Einzelfall. Ziel der Förderung ist es, die Arbeit der Stiftung zu stär- ken, zum Beispiel das Zeitzeugenprojekt „Archiv der an- Darüber hinaus korrigieren wir durch die Aufhebung deren Erinnerungen“. der Gesetze nicht die Justiz, die zur Gesetzesanwendung Meiner Fraktion war es besonders wichtig, dass wir verpfichtet war und ist. Deswegen darf man auch nicht mit dem Rehabilitierungsgesetz keine Wertungswider- von Fehlurteilen oder Ähnlichem sprechen. sprüche schaffen, das heißt, dass keine Rehabilitierung für Handlungen erfolgt, die nach damaligem Recht auch Auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsge- im heterosexuellen Bereich strafbar waren oder nach richts zu § 175 StGB – der Kollege hat das schon an- heutigem Recht strafbar sind. Im Gesetzentwurf gelang gesprochen –, die uns heute in so vielen Punkten fremd das bis auf eine Ausnahme sehr gut. erscheint, steht einer Aufhebung nicht entgegen. Das oberste Gericht stellte damals lediglich fest, dass der Ge- Mit dem hier so stark kritisierten Änderungsantrag setzgeber den umstrittenen Paragrafen so erlassen durfte. der Koalition reagierten wir auf eine potenzielle verfas- Andersherum kann man daraus nicht den Schluss ziehen, sungsrechtliche Schwachstelle des Rehabilitierungsge- der Gesetzgeber dürfe die Vorschrift nun nicht ändern, setzes. Ich weiß, das wird nicht von allen so gesehen, aufheben oder eben die Betroffenen rehabilitieren. Ich und ich habe auch Verständnis für diese Kritik. Ich weiß möchte aber nicht, dass wir den vorliegenden Gesetz- auch, dass wir einigen Männern damit die Hoffnung auf entwurf ausschließlich durch die Brille der Verfassungs- Rehabilitierung nehmen. Kein Verständnis habe ich al- juristen sehen. Ein Rehabilitierungsgesetz ist nicht nur lerdings für das Schwingen der Homophobiekeule. Ich Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24609

Dr. Sabine Sütterlin-Waack (A) sage es ganz deutlich: Wir mussten eine Antwort auf die das Ermittlungsverfahren konnte den sozialen Tod be- (C) dargestellten Bedenken geben; denn ein Scheitern des deuten. Es war mit Schande und Schmach sowie der Ver- Gesetzes wäre unverzeihlich. Ich denke, wir haben eine nichtung der bürgerlichen Existenz verbunden. Deshalb vertretbare Lösung gefunden. bitte ich Sie, noch einmal zu erwägen, ob Sie unserem Änderungsantrag hinsichtlich der Entschädigungsleis- Am Ende möchte ich mich ganz ausdrücklich bei allen tungen nicht zustimmen wollen. Wir entschädigen jetzt Kolleginnen und Kollegen über jedwede Parteigrenzen ja alleine Haftschäden. Für viele Menschen war aber hinweg für die außerordentlich gute und oft freundschaft- schon durch ein Ermittlungsverfahren oder auch durch liche Zusammenarbeit bei diesem Thema und auch bei ein Strafrechtsurteil ihre bürgerliche Existenz und ihre vielen anderen Themen bedanken. Berufskarriere vernichtet. Herzlichen Dank. Im Entschädigungsrecht ist es eigentlich üblich, dass (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem der Staat, wenn er einen Schaden verursacht hat, auch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Berufs- und Rentenschäden zu entschädigen hat. Das haben wir beim Bundesentschädigungsgesetz und auch Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: beim Allgemeinen Kriegsfolgengesetz so gemacht. Wa- Liebe Frau Dr. Sütterlin-Waack, das war voraussicht- rum machen wir das bei dieser Gruppe nicht? lich Ihre letzte Rede im Deutschen Bundestag. Ich möch- te Ihnen für Ihre Zukunft alles Gute und viel Glück für (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die voraussichtlich neue Aufgabe wünschen. Leute wurden aus dem Beamtenverhältnis entlassen, ha- (Beifall) ben ihre Wohnung verloren, ihren Arbeitsplatz verloren. Auf all dies gibt die Entschädigungsregelung, die Sie ge- Als nächster Redner hat Volker Beck das Wort für die wählt haben, in vielen Fällen leider keine Antwort. Wir Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. haben eine fexible Regelung vorgeschlagen. Werfen Sie Ihr Herz über die Hürde, und treten Sie unserem Antrag Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): bei! Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch von mir, Frau Sütterlin-Waack, alles Gute für Ihr neues (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Amt, in dem Sie den Rechtsstaat weiter mitgestalten dür- sowie der Abg. Johannes Kahrs [SPD] und fen, und viel Glück und Erfolg dabei. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])

(B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Meine Damen und Herren, es ist wichtig, dass diese (D) bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Rehabilitierung heute beschlossen wird. Es ist mir völlig Abgeordneten der LINKEN – Dr. Jan-Marco unverständlich, welche Regelungstechnik Sie gewählt Luczak [CDU/CSU]: Das ist das erste Mal, haben. Es gibt ja ein Vorbild. Die Paragrafen, die wir auf- dass ich für Volker Beck klatsche!) heben, haben wir für die Zeit zwischen 1933 und 1945 Auch für mich schließt sich heute ein Kreis. 1989 schon einmal aufgehoben, nämlich mit dem NS-Un- habe ich als Schwulenreferent der grünen Bundestags- rechtsurteileaufhebungsgesetz. So, wie es da gemacht fraktion einen Gesetzentwurf zur Streichung des § 175 wurde, schlagen wir es auch in unserem Gesetzentwurf Strafgesetzbuch für meine Fraktion geschrieben. 1993 vor. Wir werden aber Ihrem geänderten Entwurf am Ende hörte der Rechtsausschuss erstmals einen Vertreter der zustimmen, weil es entscheidend ist, dass die Rehabili- schwulen Bürgerrechtsbewegung an; ich war damals der tierung für die betroffenen Menschen heute beschlossen Sprecher des Schwulenverbandes und auf Einladung der wird. FDP-Fraktion als Sachverständiger geladen. 1994 wur- Aber dass Sie mit dieser kleinen Nickeligkeit eine den die letzten Reste des § 175 aus dem Strafgesetzbuch symbolische Sperre bei der Rehabilitation einziehen, was gestrichen. für lesbische Frauen und in heterosexuellen Beziehungen Heute ist ein historischer Tag. Der Bundestag erkennt nicht strafbar war, und nicht alle rehabilitieren wollen, die Menschenrechtsverletzungen an den homosexuellen fnde ich der Sache nach und auch von der Botschaft her, Männern in der Bundesrepublik Deutschland und der die wir senden, einfach nicht angemessen. Das macht die Deutschen Demokratischen Republik ausdrücklich an heutige Entscheidung bitter. Ein bisschen Gift musste of- und sagt: Dieses Unrecht darf keinen Bestand haben. fensichtlich noch sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei der SPD und der LINKEN sowie bei Ab- sowie bei Abgeordneten der SPD und der geordneten der CDU/CSU) LINKEN) Es ist gut, dass für viele Homosexuelle endlich das Stig- ma des Kriminellen beseitigt wird. Weniger gut ist, dass Am Ende des Tages wird Ihre Nickeligkeit keine Rolle das viele nicht mehr erreicht, weil sie in der Zwischenzeit spielen, weil die Urteile, aus denen Sie die Tatbestände, verstorben sind. die Sie hier beschreiben, entnehmen könnten, gar nicht mehr vorliegen. Wir wissen nur, nach welchen Paragra- Meine Damen und Herren, das Urteil war ein Aspekt fen die Menschen verurteilt worden sind. Mehr ist auf von dem, was die Menschen ruiniert hat, aber auch schon uns in den meisten Fällen nicht überkommen. Also fragt 24610 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Volker Beck (Köln) (A) man sich doch: Warum musste diese Regelung unbedingt ein selbstbewusstes Parlament – gegenüber der Regie- (C) sein? rung, aber auch gegenüber denjenigen, die derzeit den Parlamentarismus denunzieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Meine Damen und Herren, ich erwähnte es gerade: SPD und der LINKEN) Ich gehöre noch zu der Generation, die unter dem § 175 Strafgesetzbuch, zumindest in seiner Jugendschutzform, Wir haben eine große Verantwortung in der Kontrolle groß geworden ist. Weit über die Bedeutung des Straf- der Regierung. Der einzelne Abgeordnete kann manch- rechtlichen hinaus hat dies das Leben meiner Generation mal mehr bewirken, als die Presse glauben mag und auch geprägt. Es war nicht nur so, dass ich damals bei mei- manche von uns glauben mögen. Ich will insbesonde- nen ersten sexuellen Erfahrungen „Opfer eines Straf- re den jüngeren und neuen Abgeordneten des nächsten rechtsparagrafen“ gewesen war. Ich hatte nicht vor dem Deutschen Bundestages sagen: Wir sind nicht Dezernen- Sexualpartner Angst, aber sehr wohl vor Polizei und Jus- ten für einen Fachbereich. tiz und davor, dass meine Homosexualität dadurch ans (Johannes Kahrs [SPD]: So ist es!) Licht kommen könnte. Das war prägend. Jedoch auch in anderen Bereichen, die darüber hinausgingen, etwa im Vielmehr sind wir frei gewählte Abgeordnete – in allge- Mietrecht oder bei der Frage von Infoständen, wurde uns meiner, unmittelbarer und freier Wahl gewählt –, Vertre- gesagt: Ihr seid jugendgefährdend. Ihr dürft euch am öf- ter des ganzen Volkes und an Aufträge und Weisungen fentlichen Leben nicht in gleicher Weise beteiligen. – Ich nicht gebunden, auch nicht an solche der Koalitionsfüh- fnde, die Vertreter der Parteien, die dafür gesorgt haben, rung, der Fraktionsführung oder der Parteiführung. dass dieser Paragraf so lange im Gesetzbuch stand, soll- Am Ende müssen wir in jeder Frage selber entschei- ten sich dafür bei den betroffenen Menschen entschul- den, wo unser Herz und wo unser Standpunkt unter Ab- digen. wägung aller Aspekte ist. Wenn das Parlament seitens (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Medien Neiddebatten unter Druck kommt. – Auf der sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Pressetribüne ist keiner mehr anwesend. Sie sind wahr- Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) scheinlich gerade am Feiern, aber das Parlament arbeitet immer noch. Meine Damen und Herren, ich hoffe, dass das nicht meine letzte, sondern meine vorletzte Rede im Bundes- Die Statusrechte und die Ausstattung der Parlamenta- tag ist, weil wir in der nächsten Woche vielleicht den rier – dafür habe ich viele Jahre gestritten und auch ge- kämpft – sollen die Sicherheit und die Unabhängigkeit (B) Gesetzentwurf zur Eheöffnung noch beschließen können. (D) der Abgeordneten sichern, und sie sind keine Privilegien, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sondern zwingende Voraussetzung, dass man zum Bei- Aber manchmal kommt es anders. Deshalb will ich am spiel in presserechtlichen Auseinandersetzungen die nö- Schluss mit Erlaubnis der Präsidentin zum Abschied tigen Ressourcen hat, um sich gegen falsche Anwürfe zu noch ein paar Worte an Sie richten. verteidigen, und dass man unabhängig seiner politischen Arbeit nachgehen kann. Ich war 23 Jahre leidenschaftlich gern Abgeordne- ter für die Grünen. Ich danke meinen Wählerinnen und Ich möchte alle ermutigen, diese Frage der Unabhän- Wählern und meiner Partei für das mir entgegengebrach- gigkeit sowohl gegenüber Populisten als auch gegenüber te Vertrauen; ohne die hätte ich nicht das bewirken kön- manchmal nickeligen Presseanfragen stolz und selbstbe- nen, was ich vielleicht bewirkt habe. wusst zu verteidigen. Ich bin dankbar für die vielen interessanten und be- Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: reichernden Begegnungen hier im Hohen Haus mit Kol- leginnen und Kollegen aus allen Fraktionen. Was außer- Ein schöner Schlusssatz, Herr Beck. halb des Parlaments vielleicht zu wenig bekannt ist, ist die Tatsache, dass trotz allen Streits und aller Auseinan- Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): dersetzungen hier im Plenum und in Talkshows die Zu- Ein Satz noch. – Die Demokratie ist nicht unfehlbar in sammenarbeit zwischen den demokratischen Fraktionen ihren Ergebnissen. Das Gute an der Demokratie ist, dass über sachliche Themen immer wieder funktioniert hat. sie ihre Fehler einsehen und korrigieren kann, und ich Man hat auch jenseits der Koalition manchmal ein of- glaube, das haben wir am heutigen Tage auch mit diesem fenes Ohr bei der Bundesregierung gefunden, wenn es Gesetzgebungsverfahren gezeigt. um konkrete Anliegen von Menschen oder Bürgern ging, die Hilfe brauchten, sowie auch bei kleineren politischen Vielen Dank. Aktionen. (Beifall im ganzen Hause) Ich glaube, dass wir als Abgeordnete in diesen Zei- ten selbstbewusst herausstreichen müssen, welch ein Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Gewinn ein demokratisches Parlament ist. Parteien und Herr Kollege Beck, das war – wahrscheinlich – auch Fraktionen haben eine große Bedeutung an integrativer Ihre letzte Rede. Sie waren sechs Legislaturperioden im Kraft für die politische Meinungsbildung. Gleichzeitig Bundestag und haben in unterschiedlichen Funktionen müssen wir als Abgeordnete aber auch sagen: Wir sind mitgewirkt. Ich will insbesondere auch an Ihre Tätigkeit Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24611

Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (A) als Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Parlamentari- Die Kollegin Sütterlin-Waack hat die Probleme ge- (C) ergruppe erinnern. Ich wünsche auch Ihnen für Ihre Zu- schildert. Ich habe mich vor kurzem mit ihr darüber un- kunft alles Gute und viel Glück. Vielen Dank. terhalten, warum es denn schon wieder verdammt noch mal nicht weitergeht. Sie sagte mir, woran es lag. Dann (Beifall – Volker Beck [Köln] [BÜND- sind wir Sozialdemokraten über ein Stöckchen gesprun- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielen Dank!) gen, was uns nicht leichtgefallen ist. Als nächster Redner hat Johannes Kahrs für die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) SPD-Fraktion das Wort. Wir haben noch einen Änderungsantrag gemacht. Das (Beifall bei der SPD) war sehr schwierig. Dafür haben wir auch Dresche bezo- gen. Aber die Alternative wäre gewesen, dass die CDU/ Johannes Kahrs (SPD): CSU dieses Gesetz heute nicht hier hätte beschließen las- sen. Dann hätten wir es nicht gehabt, und das wäre nicht Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und akzeptabel gewesen. Kollegen! 86 Prozent der Deutschen befürworten die Re- habilitierung der 175er. Zwischen 1949 und 1994 wur- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. den etwa 64 000 homosexuelle Männer verurteilt. Das Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU]) hat also 64 000 Männer und deren Partner und Freunde Deswegen, liebe Frau Sütterlin-Waack, noch einmal getroffen. vielen Dank für den Einfuss, den Sie und viele der Kol- Es hat die getroffen – das ist schon gesagt worden –, legen in Ihrer eigenen Fraktion ausgeübt haben. Es ist die verfolgt worden sind. Aber es hat auch diejenigen ge- immer so: Wenn man redet, dann erwischt man immer troffen, die sich nicht getraut haben und die sich versteckt die Falschen, denn diejenigen, die heute hier sitzen, wa- haben. Homosexuelle Handlungen, um die es hier geht, ren meistens Teil der Lösung; diejenigen, die heute hier waren ein Kuss und Umarmungen; das war das berühmte nicht sitzen, waren das Problem. Kuscheln und die Nacht zusammen zu verbringen. Das (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten alles stand unter Strafe. der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- Wenn man schwul ist, gehört das aber zum Leben. Das NISSES 90/DIE GRÜNEN) gehört zu einem selber; das macht einen Menschen aus. Deswegen muss man sagen: Es war gut, dass wir es noch Wenn man das nicht darf und wenn man dafür verurteilt geschafft haben. wird, dann ist das schändlich. Ich möchte mich ganz besonders bei dem Kollegen (B) Aber viele haben es gar nicht erst so weit kommen las- Brunner bedanken, den ich immer wieder losgehetzt (D) sen: Das waren dann die ewigen Junggesellen; das waren habe, der immer wieder ranmusste, damit es vielleicht diejenigen, die sich nicht getraut haben und deren Leben doch noch klappt. damit auch von Anfang bis Ende – lassen Sie es mich unparlamentarisch sagen – versaut worden ist. Ich kenne Ich persönlich bin stolz darauf. Im Koalitionsvertrag viele von ihnen – ich habe mit vielen von ihnen gespro- steht: Rechtliche Regelungen, die gleichgeschlechtliche chen –, und es ist für jeden von ihnen eine Tragödie. Je- Lebenspartnerschaften schlechterstellen, werden wir be- der hat sich irgendwie arrangiert; aber sie konnten nicht seitigen. In diesem Punkt haben wir das – bis auf diesen heiraten, sie konnten nicht zusammen sein, sie konnten einen Änderungsantrag – geschafft. nicht händchenhaltend über die Straße gehen, sie konn- Es gibt aber noch andere Punkte, die offen sind, und ten sich nicht einmal küssen. Das war alles rechtswidrig, auch wenn es nicht jeder hören möchte, muss ich es noch und das ging bis 1994. Das ist gar nicht so lange her. einmal sagen: Die Öffnung der Ehe für alle wird kom- men, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union; zur Auch an diese Menschen wollen wir heute denken. Not auch ohne Sie, aber sie wird kommen. Wir werden diejenigen, die betroffen waren, entschädi- gen, aber nur diejenigen, die verurteilt worden sind. All (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ den Menschen mit diesen Biografen, die ihr Leben nicht DIE GRÜNEN – Volker Beck [Köln] [BÜND- so leben konnten, wie sie es eigentlich gewollt hätten, NIS 90/DIE GRÜNEN]: Nächste Woche!) bieten wir nichts. Ich glaube aber, dass wir als Parlament sagen müssen, dass es uns leidtut; denn wir gehören alle – Volker, bevor du dich aufregst: Wir alle kennen die par- zu Parteien, die auch in jener Zeit in den Parlamenten lamentarischen Spielregeln. Ihr habt in Baden-Württem- vertreten waren. Aber auch in einer Demokratie kann berg gegen die Öffnung der Ehe gestimmt. Unrecht geschehen. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!) Ich persönlich bin wirklich froh und stolz darauf, dass es uns gelungen ist, diesen Gesetzentwurf in den Deutschen Wir als Sozialdemokraten können hier nicht für die Öff- Bundestag einzubringen. Ich möchte mich zuallererst bei nung der Ehe stimmen, weil es einen Koalitionsvertrag Heiko Maas bedanken, dass er dieses Gesetzesvorhaben gibt, an den wir uns alle zu halten haben. Wir alle ken- immer wieder angeschoben hat. Es hat häufg genug ge- nen diese Zwänge. Trotzdem wird die Öffnung der Ehe stockt, es war häufg genug in schweren Fahrwassern, kommen, ob mit oder ohne die Union; das ist mir lang- und die Kollegen im Rechtsausschuss haben sich dafür sam auch egal. Dann wird das der Bundeskanzler Martin eingesetzt und gekämpft. Das war nicht ganz einfach. Schulz eben regeln müssen. 24612 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Johannes Kahrs (A) Vielen Dank. Hier möchte ich Friedrich Hebbel zitieren: „Es gehört (C) oft mehr Mut dazu, seine Meinung zu ändern, als ihr treu (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zu bleiben.“ der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Ich freue mich besonders für die betroffenen Männer, Als letzte Rednerin in dieser Aussprache hat Gudrun die endlich ein Stück ihres Lebens zurückbekommen. Zollner für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. Wir können mit der heutigen Rehabilitierung das Leid durch die fortgesetzte Kriminalisierung und Stigmatisie- (Beifall bei der CDU/CSU) rung der Betroffenen nicht mindern, aber wir können ih- nen ihre Ehre zurückgeben – endlich. Gudrun Zollner (CDU/CSU): (Beifall im ganzen Hause) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen Wir setzen aber auch ein Zeichen für unsere Gesell- und Kollegen! Als ich im September 2013 den Einzug in schaft. Deutschland bezieht Position – gegen Diskrimi- den Deutschen Bundestag geschafft hatte und dem Fa- nierung und gegen Ausgrenzung. Auch über unsere na- milienausschuss zugeteilt wurde, habe ich mich für die tionalen Grenzen hinaus wollen wir ein positives Signal Themen Alleinerziehende und LGBTI als Berichterstat- an Länder senden, in denen Homosexualität immer noch terin der Unionsfraktion beworben – aus Überzeugung stark geächtet wird. Neben der Individualentschädigung und weil ich etwas bewegen wollte. kommen wir auch der Forderung nach einer Kollekti- Zwei Vorhaben lagen mir besonders am Herzen: das ventschädigung nach, und zwar in Form einer institutio- Unterhaltsvorschussgesetz und der § 175. Beides sind nellen Förderung der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld Themen, die schon jahrelang in diesem Hohen Hause bereits in diesem Haushaltsjahr. debattiert wurden und bei denen sich bei manchen die Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, dass ich an Euphorie in Grenzen hielt, was eine Reformierung bzw. diesem einmaligen Vorgang mitwirken durfte, erfüllt die Rehabilitierung anbelangt. mich mit Stolz. Schade fnde ich nur, dass ich bei der ers- ten Lesung von einigen Medien als einzige der acht Red- Ich wollte meine Zeit hier im Deutschen Bundes- nerinnen und Redner nicht einmal namentlich erwähnt tag dafür nutzen, um mich für Alleinerziehende und die wurde. Vielleicht passt es einigen ideologisch nicht, dass LGBTI-Themen einzusetzen. Das hieß teilweise, dicke sich eine CSU-Politikerin für LGBTI-Themen einsetzt. (B) Bretter zu bohren, auch mit einem gewissen Quäntchen (D) an Hartnäckigkeit; vor allem aber hieß es, miteinander zu (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem reden, aufzuklären und zu überzeugen. Und Aufklärung BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- tat wirklich not. geordneten der LINKEN) (Johannes Kahrs [SPD]: Das stimmt!) Viele meiner Unionskolleginnen und -kollegen treten für die Rechte Homosexueller ein, und zwar aus Überzeu- Den § 175 oder zumindest die Bedeutung kannten vie- gung, auch wenn uns leider oft etwas anderes unterstellt le, wird. (Johannes Kahrs [SPD]: In der Union nicht!) (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sehr richtig!) aber die tragischen Schicksale, die dieser Paragraf für die betroffenen Männer mit sich brachte, kannten die we- Wir alle wissen aber auch: Politik besteht aus Kom- nigsten. Es war dieser Paragraf, der homosexuelle Män- promissen. Das erleben wir tagtäglich bei unserer Arbeit. ner zu Verbrechern machte, durch den viele ihre Arbeit Kein Gesetz verlässt das Plenum ohne Kompromiss. So und ihr Ansehen verloren, an dem Familien zerbrachen, auch dieses. Ich würde mir aber auch wünschen, dass wir der sie in den sozialen Tod trieb. oft respektvoller miteinander umgehen. Ich möchte Brü- cken bauen. Lassen Sie uns aufeinander zugehen, so wie Überzeugung brachten das Gutachten der Antidiskri- wir es interfraktionell bei der Rehabilitierung nach § 175 minierungsstelle des Bundes sowie unionsinterne Ex- verurteilter Männer geschafft haben. pertengespräche. Sie zeigten Möglichkeiten zur verfas- sungsgemäßen Umsetzung. Trotzdem war es für unsere Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte mich da- Juristen eine Herausforderung; wir betraten schließlich her heute bei den Kollegen der interfraktionellen Grup- verfassungsrechtliches Neuland. Aber wir haben es ge- pe, bei Harald Petzold und bei Karl-Heinz Brunner, auch schafft. Wir beschließen heute die Rehabilitierung der wenn er über uns heute ein bisschen geschimpft hat, für nach § 175 verurteilten Männer. Wer hätte das am An- die gute Zusammenarbeit bedanken, ganz besonders aber fang dieser Legislaturperiode gedacht? bei meiner Kollegin Dr. Sabine Sütterlin-Waack. Ihr möchte ich gleichzeitig ganz herzlich zu ihrer bevorste- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie henden Berufung als Justizministerin des Landes Schles- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE wig-Holstein gratulieren. GRÜNEN und des Abg. Harald Petzold [Ha- velland] [DIE LINKE]) (Beifall im ganzen Hause) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24613

Gudrun Zollner (A) Liebe Sabine, alles Gute und danke für das vertrauens- auf der Drucksache 18/10117 abzulehnen. Ich bitte die- (C) volle und freundschaftliche Miteinander. jenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält Vielleicht war es auch für mich als Listenkandidatin sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung heute die letzte Rede zu diesem Thema hier im Hohen mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen von Haus. Danke auch an den Vorstand der Bundesstiftung Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Magnus Hirschfeld, Jörg Litwinschuh, für seine Arbeit Linke abgelehnt worden. Damit entfällt nach unserer Ge- am Archiv der Erinnerungen, und danke an alle Männer, schäftsordnung die weitere Beratung. deren Strafmakel wir heute beseitigen konnten, für ihre Geduld im Glauben an unseren Rechtsstaat. Ab heute Wir setzen die Abstimmung zu den Beschlussemp- sind sie moralisch, politisch, gesellschaftlich und nun fehlungen des Ausschusses für Recht und Verbraucher- endlich auch rechtlich rehabilitiert. schutz auf Drucksache 18/12786 fort. Der Ausschuss Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. empfehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem Grünen auf Drucksache 18/10118 mit dem Titel „Indivi- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- duelle und kollektive Entschädigung für die antihomo- geordneten der LINKEN) sexuelle Strafverfolgung nach 1945 in beiden deutschen Staaten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die- Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich se Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition die Aussprache. gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- worden. desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur strafrecht- lichen Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16 a bis 16 c auf: einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteil- a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- ten Personen und zur Änderung des Einkommensteuerge- richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, setzes. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) empfehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfeh- lung auf Drucksache 18/12786, den Gesetzentwurf der – zu dem Antrag der Abgeordneten Heidrun Bundesregierung auf den Drucksachen 18/12038 und Bluhm, Caren Lay, Herbert Behrens, weiterer 18/12379 in der Ausschussfassung anzunehmen. Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE (B) (D) Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bünd- Bundesweiten Aktionsplan für eine ge- nis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/12835 vor, meinnützige Wohnungswirtschaft aufegen über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Damit ist – zu dem Antrag der Abgeordneten Christian der Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition ge- Kühn (Tübingen), Britta Haßelmann, Sven- gen die Stimmen der Opposition abgelehnt worden. Christian Kindler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- Die neue Wohnungsgemeinnützigkeit – chen. – Gibt es jemanden, der dagegenstimmt? – Gibt Fair, gut und günstig wohnen es jemanden, der sich enthält? – Damit ist der Gesetz- entwurf in zweiter Beratung einstimmig angenommen Drucksachen 18/7415, 18/8081, 18/10928 worden. b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Wir kommen zur richts des Ausschusses für Recht und Verbrau- cherschutz (6. Ausschuss) dritten Beratung – zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Lay, und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Herbert Behrens, Karin Binder, weiterer Ab- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – geordneter und der Fraktion DIE LINKE Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf einstimmig angenommen worden. Kündigungsschutz für Mieterinnen und (Beifall im ganzen Hause) Mieter verbessern Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent- – zu dem Antrag der Abgeordneten Christian wurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Aufhe- Kühn (Tübingen), Renate Künast, Hans- bung der nach 1945 in beiden deutschen Staaten gemäß Christian Ströbele, weiterer Abgeordneter den §§ 175, 175a Nummer 3 und 4 des Strafgesetzbu- und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ches und gemäß § 151 des Strafgesetzbuches der DDR NEN ergangenen Unrechtsurteile. Der Ausschuss für Recht Zusammenhalt stärken – Mietrecht refor- und Verbraucherschutz empfehlt unter Buchstabe b mieren seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12786, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksachen 18/11049, 18/10810, 18/12632 24614 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (A) c) Beratung der Beschlussempfehlung und des politik in den letzten Jahrzehnten vorzunehmen. Bevor (C) Berichts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) die Große Koalition an die Regierung kam, erfolgten zu dem Antrag der Abgeordneten Lisa Paus, die Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit durch Christian Kühn (Tübingen), Kerstin Andreae, Schwarz-Gelb, die Föderalismusreform, die die Zu- weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- ständigkeit der Länder für den sozialen Wohnungsbau NIS 90/DIE GRÜNEN begründet hat, der De-facto-Ausstieg vieler Länder aus dem sozialen Wohnungsbau, der Rückgang bezahlbaren Spekulation mit Immobilien und Land been- Wohnraums und von Sozialwohnungen in ganz Deutsch- den – Keine Steuerbegünstigung für Übernah- land und der Verkauf öffentlicher Wohnungsunterneh- men durch Share Deals men auf allen Ebenen und übrigens unter Beteiligung Drucksachen 18/8617, 18/12818 aller hier vertretenen Fraktionen, je nachdem, in welcher Verantwortung sie vor Ort waren. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu Das alles geschah wohl unter der Annahme, dass es ir- Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so gendwann in Deutschland kein Wohnungsproblem mehr beschlossen. gibt, weil ja die Bevölkerungszahlen sinken. Aber wie wir alle sehen, ist diese Prognose nicht eingetreten, son- Ich eröffne die Sprache dern wir haben einen enormen Handlungsbedarf, mehr (Heiterkeit) bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. – nein, natürlich die Aussprache und gebe damit die Ich bin der festen Überzeugung: Wohnen ist ein wich- Möglichkeit zur Sprache. Als erster Redner in dieser tiges soziales Gut, und vor allem Boden darf kein Speku- Aussprache hat der Parlamentarische Staatssekretär lationsobjekt sein. Deswegen begrüße ich die Initiative Florian Pronold für die Bundesregierung das Wort. – der Länder zur Besteuerung von Share Deals. Es kann Herr Staatssekretär. nicht sein, dass Grundstücksgeschäfte grunderwerbsteu- erbefreit bleiben, wenn sie von großen Gesellschaften (Beifall bei der SPD) gemacht werden, und die Familie, die Eigentum erwer- ben will, darauf bis zu 6,5 Prozent Grunderwerbsteuer Florian Pronold, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- zahlen muss. Das ist ungerecht. ministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsi- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – cherheit: Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Wer Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! macht die denn so hoch? Rot-Rot-Grün!) (B) Liebe Kollegen! „Sprache“ ist ein gutes Stichwort, fnde (D) ich. Wenn wir lesen „Wohnungswirtschaft“ und „Kündi- Und ich freue mich auf die Diskussion über die Gemein- gungsschutz“, dann verdeckt das ein bisschen, worum es nützigkeit. geht. Es geht um viele Menschen, die große Sorge haben, (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Wer dass sie sich das Leben in ihrer angestammten Wohnung verteuert denn den Wohnungsbau?) in Zukunft nicht mehr leisten können, wenn eine Moder- nisierungsankündigung kommt; es geht um Rentnerinnen – Wenn Sie eine Zwischenfrage haben, melden Sie sich. und Rentner, die in einer Wohnung leben, die eigentlich (Beifall des Abg. Harald Petzold [Havelland] zu groß ist, die gern wechseln würden, die aber in ihrem [DIE LINKE]) Kiez keine bezahlbare neue Wohnung fnden; es geht um explodierende Mieten in vielen Regionen Deutschlands, Wie immer gern. Wir haben ja schon in fnanzpolitischen die vielen, vielen Menschen einen ganz großen Teil des- Zeiten viel gemacht, und wir können gern auch über die- sen, was sie hart erarbeiten, aus dem Geldbeutel nehmen. se Frage reden; dann gebe ich Ihnen auch die entspre- Darum geht es heute: Wie können wir das verändern? chenden Antworten. Diese Große Koalition und vor allem die SPD-ge- Aber mir geht es jetzt darum: Ist gemeinnützige Woh- führten Ministerien haben in dieser Legislaturperiode nungswirtschaft eine Lösung für die Zukunft? Ich per- unheimlich viel nicht nur auf den Weg gebracht, sondern sönlich bin der Auffassung – auch mein Ministerium; auch umgesetzt. Wir haben die soziale Wohnraumför- wir haben jetzt einige Veranstaltungen dazu gemacht –, derung verdreifacht, wir haben die Städtebauförderung dass wir alles tun müssen, damit nicht proftorientierte verdoppelt, wir haben die Regelungen zu den Maklerge- Wohnungsgesellschaften auf dem Wohnungsmarkt wie- bühren durchgesetzt, wir haben die Mietpreisbremse ein- der stärker werden. Wenn man sich zum Beispiel die geführt, wir haben das Wohngeld erhöht. In den letzten Mieten in München und Wien anschaut, sieht man, dass 20 Jahren ist auf Bundesebene nie so viel gemacht wor- diese höchst unterschiedlich sind. Pro Quadratmeter wird den für die soziale Wohnungspolitik wie in dieser Legis- in Wien nur ungefähr die Hälfte von dem bezahlt, was laturperiode. Darauf können wir stolz sein. man in München zahlt. Und warum? Der Unterschied ist, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dass in Wien 70 Prozent des Wohnungsbestands in ge- der CDU/CSU) nossenschaftlicher Hand oder in der Hand kommunaler Wohnungsbaugesellschaften ist. In München sind es – je Trotzdem lohnt es, in dieser Debatte nicht nur nach nachdem, wie man rechnet – 10 bis 15 Prozent. Deswe- vorn zu blicken und zu schauen, was noch zu tun ist, gen müssen wir alles tun, damit gemeinwohlorientierte sondern auch eine kritische Refexion zur Wohnungs- Unternehmen oder diejenigen Unternehmen, die nicht so Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24615

Parl. Staatssekretär Florian Pronold (A) stark am Proft orientiert sind, wieder stärker werden und der angestrebte Effekt ... nicht eingetreten ist. Des- (C) einen größeren Anteil auf den Wohnungsmärkten bekom- wegen werden wir die entsprechenden Verordnun- men. gen ... ersetzen. (Beifall bei der SPD) Hier den Robin Hood für die Mieterinnen und Mie- Unser Ziel ist es, dass alle diejenigen gestärkt werden, ter zu spielen und dort, wo man in Verantwortung geht, die sich als Wohnungsunternehmen besonders engagie- den Sheriff von Nottingham zu geben, das hilft den Men- ren – für Schuldnerberatung, für Begegnungen zwischen schen nicht, die Angst davor haben, ihre vier Wände zu Nachbarn, für Integration, für Gemeinschaftsräume, für verlieren. Grünfächen, auch für die Integration von Menschen mit (Beifall bei der SPD) Handicap –, die eine Sozialrendite erwirtschaften; das sind insbesondere die Genossenschaften und die kommu- nalen Wohnungsbaugesellschaften. Das Wichtigste wäre, Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: dass sie von allen politischen Ebenen die Grundstücke, Als nächste Rednerin hat Heidrun Bluhm für die Frak- die sie für den Neubau dringend brauchen, endlich preis- tion Die Linke das Wort. günstiger bekommen (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der SPD) und dass alle dazu beitragen, dass es eine an sozialen Ge- Heidrun Bluhm (DIE LINKE): sichtspunkten orientierte Wohnungspolitik gibt. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Ulli Nissen [SPD]: Wichtige Forderung!) Wie das bei der SPD immer so ist: Man könnte nach dieser Rede glauben: Es ist alles in Ordnung, und alle Diejenigen, die meinen, Wohnungsgemeinnützig- Bürgerinnen und Bürger in Deutschland haben eine be- keit löse alle Probleme auf dem Wohnungsmarkt, gehen zahlbare Wohnung. allerdings fehl in ihrer Annahme. Es wird sehr lange dauern, bis sich der Anteil erhöht. Wer die Gutachten, (Ulli Nissen [SPD]: Das wäre schön, ja!) die dazu gemacht werden, genau liest, sieht auch, dass Ich will daran erinnern, dass heute Wohnungsbau-Tag es da auf alle Fälle noch einige ungelöste Fragen gibt. in Berlin ist. Was passt da eigentlich besser, vor allem Außerdem fehlt es vor allem an Partnern aus der Woh- vor dem Hintergrund, dass wir am Ende einer Legisla- nungswirtschaft, die die neue Gemeinnützigkeit wollen, turperiode sind, als mit konkreten Lösungen zu den Fra- wenn diese ähnlich ist wie die, die wir in den 90er-Jahren gen, die Herr Pronold hier eben deutlich analysiert hat, hatten. Deswegen, glaube ich, kommt es darauf an, dass (B) zu kommen? Wir haben heute die zweite Lesung unseres (D) wir überlegen, wie wir diejenigen stärken, die nicht den Antrags zur Einführung einer neuen gemeinwohlorien- Tanz ums goldene Kalb vollführen und nicht den Prof- tierten Wohnungswirtschaft. Wir haben eine Lösung vor- ten nachjagen, wie wir die Gemeinnützigkeit wieder in gelegt, die es möglich macht, genau die Probleme, die ein neues Licht bringen und auf dem Wohnungsmarkt zu hier besprochen worden sind, anzugehen. neuem Leben verhelfen. Das ist unser Anspruch. (Beifall bei der LINKEN) Ich glaube, das ist aber nur ein Teil der Lösung. Wir haben auch andere Themen in den Beratungen. Ich fnde, Die Linke schlägt Ihnen also vor, die Wohnungspolitik dass es genauso wichtig ist, über die anderen Instrumen- gemeinwohlorientiert zu organisieren. te zu reden. Dazu gehört, dass wir die Mieterinnen und Mieter endlich wirksam schützen, auch durch rechtliche Auf dem Wohnungsbau-Tag warf die Wohnungswirt- Gegebenheiten. Dazu gehört die Nachbesserung bei der schaft der Politik heute Staatsversagen vor, und die Po- Mietpreisbremse. Einer meiner Nachredner lässt sich auf litik warf der Wohnungswirtschaft Marktversagen vor. der einen Seite hier im Deutschen Bundestag dafür loben, Die Menschen haben deshalb trotzdem keine bezahlbare dass er für die Mietpreisbremse kämpft Wohnung. Dabei verhält sich der Markt – auch der Woh- nungsmarkt – genauso, wie er ja nach Ansicht der Wis- (Ulli Nissen [SPD]: War das der Luczak?) senschaft auch funktionieren soll: Markt ist Wettbewerb, – Herr Luczak –, und auf der anderen Seite vor Ort dafür Wettbewerb ist Geschäft, und ein gutes Geschäft ist nur loben, dass er hier alles dafür getan hat, dass sie nicht zur dann ein gutes Geschäft, wenn es auch etwas abwirft, Wirkung kommt. also Gewinn. (Ulli Nissen [SPD]: Ja! Ich erinnere mich da- Versagt hat aber der Staat – leider –, weil er erstens ran, Herr Luczak! – Dr. Jan-Marco Luczak alle Wohnungen komplett zur Ware und damit marktfä- [CDU/CSU]: Nein!) hig gemacht hat, Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ich (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Die fnde es auch schade, dass Worte und Taten dann nicht Plattenbauten!) zusammenpassen, wenn es ums Regieren geht. Wenn weil er zweitens das öffentliche Wohnungswesen pri- ich mir den Koalitionsvertrag in Schleswig-Holstein an- vatisiert hat, weil er sich drittens aus der Wohnraum- schaue, dann lese ich dort: versorgung komplett verabschiedet hat – wir als Bund Die Erfahrungen mit ... der ... Mietpreisbremse und spätestens nach 2020 – und weil er viertens Milliarden der Kappungsgrenzenverordnung zeigen ..., dass öffentlicher Gelder in private Profte umwandelt. Das gilt 24616 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Heidrun Bluhm (A) übrigens für alle Parteien, die am Staat irgendwo beteiligt die Gewerbesteuer, dafür aber zinslose Kredite und Woh- (C) sind; das will ich hier deutlich sagen. nungszuschüsse geben. Von all dem hatten Wohnungssuchende bisher nichts. Deshalb wollen wir die Wohnungspolitik vom Kopf auf Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: die Füße stellen und die Wohnung wieder zum Allge- Frau Kollegin, Sie müssen wirklich dringend zum meingut machen. Schluss kommen. (Beifall bei der LINKEN) Heidrun Bluhm (DIE LINKE): Das, was wir wollen, hat sich auch längst und vor allem Das können drittens die Kommunen dadurch, dass sie schnell herumgesprochen. Umso mehr und umso erbit- geeignete Grundstücke über Erbpacht oder durch verbil- terter formiert sich auch der Widerstand, vor allem aus ligte Konzeptvergabe zur Verfügung stellen. Dann sind Teilen der Immobilienwirtschaft und selbstverständlich alle in der Verantwortung, und alle haben ihren Teil ge- auch bei unseren politischen Gegnern. Unserem Konzept leistet. Lassen Sie uns das wenigstens in der nächsten Le- und den wissenschaftlichen Gutachten werden mittler- gislatur angehen. Wir werden sehen, dass dann auch die weile nicht nur fächendeckend Gegengutachten und jede Wohnungswirtschaft diese Möglichkeiten nutzen wird. Menge aufgeregte Polemik entgegengestellt. Auch die Debatte ist zunehmend intensiver geworden und vor al- Herzlichen Dank. lem durch Schärfe und wenig Sachlichkeit geprägt. (Beifall bei der LINKEN) Deshalb will ich hier einmal einiges klarstellen: Unser Antrag, die neue Wohnungsgemeinnützigkeit einzufüh- Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: ren, soll das bisherige System der Wohnungswirtschaft Dr. Jan-Marco Luczak hat jetzt für die CDU/ nicht abschaffen – so weit gehen wir gar nicht –, son- CSU-Fraktion das Wort. dern es um mehr als nur ein Segment erweitern. Die neue Wohnungsgemeinnützigkeit soll und kann auch nicht per (Beifall bei der CDU/CSU – Ulli Nissen Dekret erzwungen werden. Das kann niemand verord- [SPD]: Jetzt wird es spannend! – Christian nen; das ist auch nicht umsetzbar. Sie kann sich nur durch Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- eigenes, ökonomisch sinnvolles Handeln der Träger dau- NEN]: Jetzt kommt der Robin Hood der erhaft etablieren und einen öffentlichen Daseinsvorsor- CDU!) geauftrag verlässlich und aus eigener Wirtschaftskraft erfüllen. Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): (B) (D) Der Staat soll nach unserem Konzept die Wohnungs- Jedenfalls nicht der Sheriff, Herr Kühn. – Meine Da- wirtschaft nicht ersetzen, wie das in diversen Debatten men und Herren! Wir diskutieren ja unter diesem Tages- immer behauptet wird, sondern er soll nur die Rahmen- ordnungspunkt insgesamt vier Anträge. Sie erlauben mir, bedingungen setzen, die es gemeinnützigen Unterneh- dass ich mich auf zwei von diesen konzentriere, bei de- men oder Unternehmensteilen ermöglichen, Menschen nen es um das Mietrecht geht. mit bezahlbaren Wohnungen zu versorgen, anstatt öffent- Das Mietrecht haben wir hier im Hohen Haus schon oft liches Geld über den Umweg von Wohngeld oder Kosten debattiert. Ich glaube, das zeigt ein Stück weit, dass wir der Unterkunft in direkte Unternehmensgewinne umzu- alle miteinander dieses Thema sehr ernst nehmen, weil wandeln. es um Menschen geht, die Angst haben, ihre Wohnung zu (Beifall bei der LINKEN) verlieren, und die sich oftmals auch existenziell bedroht fühlen. Ich glaube, wir sind uns da im Ziel völlig einig. Daran sollen nach unseren Vorstellungen alle, nicht Wir wollen den Mieterinnen und Mietern in unserem nur kommunale Wohnungsunternehmen, sondern auch Land selbstverständlich helfen. Wir wollen gewährleis- die privaten und die genossenschaftlichen, partizipieren. ten, dass sie auch weiterhin bezahlbar wohnen können. Einzige Voraussetzung ist: Diese wirtschaftlichen Vortei- Wir wollen vor allem nicht, dass Menschen, insbeson- le sollen sie in dauerhafte Sozialwohnungen investieren dere junge Familien, aus ihren angestammten Kiezen und diese vorhalten; denn das ist ja der Sinn der Gemein- verdrängt werden. Der einzige Punkt, bei dem wir uns nützigkeit, sonst wäre es ja keine. Der Clou ist: Wir haben unterscheiden, ist der Weg dorthin. Das sehen wir auch mit einem neuen Gutachten nachgewiesen, dass das geht, an diesen Anträgen. und zwar auch mit unter 5 Euro Nettokaltmiete, wenn alle zusammenarbeiten – Bund, Länder und Gemeinden. Die Wohnungsmärkte sind sehr differenziert; daher brauchen wir, wie ich immer sage, auch differenzierte (Beifall bei der LINKEN) Antworten. Normalerweise werfe ich der SPD und den Linken vor, dass sie etwas einfache, oftmals ideologische Das geht einfach, indem erstens der Bund ermöglicht, Antworten geben. Der Antrag der Grünen ist aber sehr dass Wohnungsunternehmen das können, was die Stif- differenziert. Dort sind insgesamt 15 Punkte mit entspre- tung Humboldt Forum im Berliner Schloss auch kann, chenden Unterpunkten aufgeführt. nämlich Umsatzsteuer dadurch zu sparen, dass sie ge- meinnützigen Zwecken zugeordnet werden. Das können (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ zweitens die Länder, indem sie in der föderalen Verant- DIE GRÜNEN]: Wenn Sie uns loben, dann wortung auf eigene Steuern verzichten, zum Beispiel auf müssen wir etwas falsch gemacht haben, Herr Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24617

Dr. Jan-Marco Luczak (A) Luczak! – Ulli Nissen [SPD]: Er sucht einen Selbstverständlich können die Mieter ihre Rechte dann (C) Koalitionspartner!) vor Gericht gerne geltend machen. Das summiert sich dann auf insgesamt 36 Forderungen. Vonseiten der Grünen und der Linken wird vorgeschla- Ich hätte mir an dieser Stelle trotzdem etwas mehr ge- gen, dass wir die Ausnahmen bei der Mietpreisbremse wünscht, nämlich dass Sie, nachdem Sie sich die Mühe streichen. Es geht um die Ausnahme für den Neubau, um gemacht haben, Forderungen aufzustellen, einen eigenen die Ausnahme für die umfassende Modernisierung, um Gesetzentwurf formulieren. die Ausnahme für die Vormiete. All diese Punkte haben wir hier schon diskutiert. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt geht es aber los!) Ich wundere mich über das, was ich im Antrag der Grünen zu dem Punkt Modernisierung lese. Dort wird Das macht es etwas einfacher, diese Dinge zu formulie- formuliert, dass unsere Wohnungsmärkte für die Zu- ren. kunft ft gemacht werden müssen, dass es angesichts der Klimakrise dringend notwendig sei, auch im Gebäude- Für uns ist klar: Wir wollen einen Ausgleich zwischen bestand deutlich mehr Energie einzusparen. Dort steht den Mietern auf der einen Seite und den Vermietern und mit Blick auf den demografschen Wandel, dass man Eigentümern auf der anderen Seite. Ich glaube, wir ha- vermehrt altersgerechte und barrierefreie Wohnungen ben – das hat der Staatssekretär schon dargestellt – in braucht. Ja, Sie haben völlig recht, das ist absolut richtig. dieser Legislaturperiode eine ganze Menge auf diesem Nur die Frage ist: Wie kommen wir dahin? Gebiet gemacht. Wir haben das Bestellerprinzip einge- führt. Wir haben das Wohngeld angehoben. Wir haben Wir bekommen altersgerecht umgebauten Wohnraum die Mittel für die Städtebauförderung verdoppelt und die und energetisch sanierten Wohnraum nur dann, wenn in Mittel für die soziale Wohnraumförderung sogar ver- den Wohnungsbestand investiert wird und neue Wohnun- dreifacht. Insgesamt stellen wir den Ländern jedes Jahr gen entsprechend gebaut werden. Das können wir als 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung. Staat nicht alleine leisten. Es ist ganz klar, dass wir auch privates Kapital, private Investitionen benötigen. Deswe- (Ulli Nissen [SPD]: Wann kommt das Bestel- gen ist es richtig, dass wir die Ausnahmen von der Miet- lerprinzip für den Immobilienkauf?) preisbremse für die umfassende Modernisierung haben Hier muss man eine große Klammer machen: Viele und dass wir sie auch für den Neubau haben, ansonsten Länder geben es leider immer noch nicht dafür aus, wo- wäre die Folge, dass niemand mehr in den Wohnungs- für es eigentlich ausgegeben werden soll, nämlich für den neubau, niemand mehr in den Umbau des Wohnungsbe- standes mit Blick auf altersgerechten Umbau und energe- (B) Wohnungsbau. Wir müssen in Zukunft viel stärker darauf (D) schauen, dass die Gelder, die wir als Bund zur Verfügung tische Sanierung investiert. stellen, auch zweckgebunden dahin fießen, wo sie hin- Wir haben uns gesamtgesellschaftliche Ziele gesteckt, sollen, nämlich in den Neubau von Wohnungen, meine nämlich Klimaschutz zu gewährleisten und den Heraus- Damen und Herren. forderungen der älterwerdenden Gesellschaft zu begeg- (Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Mindrup nen. Deshalb glaube ich, dass das, was Sie hier vor- [SPD]: Das geht mit der Gemeinschaftsaufga- schlagen, also die Ausnahmen für die Mietpreisbremse be!) abzuschaffen, den Mietern unter dem Strich Steine statt Brot geben würde. Deswegen werden wir als Union das Natürlich haben wir in dieser Legislaturperiode auch nicht mittragen. die Mietpreisbremse beschlossen. Daran entzündet sich sehr viel Streit: Funktioniert sie, funktioniert sie nicht? (Zuruf der Abg. Ulli Nissen [SPD]) Manche Gutachten sagen: ja, viele sagen auch: nein. Das Ich könnte jetzt noch ganz viele Punkte ausführen, gebe ich offen zu. Es ist wie bei Juristen. Man fragt zwei zum Beispiel was die Linken zum Kündigungsschutz Juristen und erhält drei Meinungen. ausführen. Ich kann, auch mit Blick auf die Rechtspre- Vielleicht kann man auch einmal den Direktor des chung des Bundesgerichtshofs, nur sagen: Wir haben ein Deutschen Mieterbundes fragen. Er hat gesagt: Wenn sehr ausdifferenziertes Kündigungsschutzsystem; nur Mieter vor Gericht gehen und sich auf die ihnen einge- wenn es berechtigte Interessen gibt, kann man einem räumten Rechte berufen, dann bekommen sie recht. – Ich Mieter kündigen. Das fnde ich auch richtig so. kenne kein einziges Urteil – auch der Deutsche Mieter- bund kennt kein einziges Urteil –, wo die Mieter nicht Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: recht bekommen haben. Man muss auch einmal zur Herr Kollege, ich möchte auch Sie bitten, zum Schluss Kenntnis nehmen, dass das, was wir gemacht haben, zu kommen. tatsächlich nur dann Wirkung entfalten kann, wenn die Mieter ihre Rechte wahrnehmen. Ich kann alle Mieter nur auffordern: Tun Sie das. Überprüfen Sie Ihre Mieten. – Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): Wir als Gesetzgeber haben natürlich die Erwartung, dass Denn die Wohnung ist für die Menschen existenziell; sich die Vermieter und Eigentümer an das Gesetz halten. sie ist ihr Lebensmittelpunkt. Man kann sie nicht einfach kündigen; es ist kein normales Gut. (Ulli Nissen [SPD]: Aber Rückzahlungsan- spruch bitte ab Mietbeginn, Herr Luczak!) Wir haben ein wirklich sehr ausdifferenziertes System. 24618 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

(A) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: 1 Milliarde Euro zu viel Miete in Deutschland gezahlt (C) Herr Kollege, die Bitte ist wirklich nachdrücklich. wird. Ich sage Ihnen eines: Sie haben Ihr Versprechen aus dem letzten Wahlkampf, die Mieten zu deckeln, ge- (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE brochen. Daran werden wir Sie in den nächsten 90 Tagen GRÜNEN]: Die CDU/CSU hat ja so wenig bis zur Bundestagswahl erinnern. Redezeit!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): Die Situation in den deutschen Städten ist doch dra- Was Sie hier vorschlagen, ist letztlich eine Über- matisch. Wir haben entfesselte Wohnungsmärkte, wir ha- bürdung. Sie verlassen den Gedanken des sozialen ben soziale Verdrängung, und der Geldbeutel entscheidet Ausgleichs und setzen plötzlich nur noch aufseiten der doch längst darüber, ob jemand die Wohnung bekommt Vermieter und Eigentümer an. Das ist für ein soziales oder nicht. Ich sage Ihnen: Die deutsche Gesellschaft zer- Mietrecht, das die Interessen beider Seiten im Blick ha- reißt im Augenblick an dieser Frage. Ich will, dass der ben muss, nicht angemessen. Deswegen werden wir die- Kitt in dieser Gesellschaft nicht weiter an der Mietenfra- sen Antrag nicht mittragen, meine Damen und Herren. ge zerbröselt. Deswegen haben wir diese Anträge heute hier gestellt. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU) Ursächlich dafür ist doch die Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit durch Schwarz-Gelb im Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Jahr 1990. Sie ist ursächlich dafür, dass der sozia- Ich habe vorhin schon einmal darauf hingewiesen, le Wohnungsbau niedergegangen ist, wir mittlerweile Herr Kollege Luczak und Frau Kollegin Bluhm, dass Spekulation in unseren Städten haben und der Mieten- wir wirklich schon eine sehr große zeitliche Verzögerung druck zugenommen hat. Deswegen wollen wir eine haben. Deshalb bitte ich die Kolleginnen und Kollegen, neue Wohnungsgemeinnützigkeit einführen. Diese neue nicht so stark zu überziehen. Die anderen Kollegen haben Wohnungsgemeinnützigkeit wird dafür sorgen, dass wir sich daran gehalten, haben es gut gemacht. Ich bitte, das sukzessive wieder einen Bestand an bezahlbarem Wohn- wirklich zu berücksichtigen. Es ist einfach nicht fair ge- raum aufbauen, der der Spekulation entzogen ist. Den genüber den anderen Kollegen, die dann um Mitternacht brauchen wir dringend; denn im Augenblick verlieren und später reden müssen. wir jedes Jahr im Schnitt 25 000 Sozialwohnungen. Ich (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der glaube, diese Entwicklung müssen wir stoppen, und wir Grüne werden sie mit einer neuen Wohnungsgemeinnüt- (B) Abg. Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (D) NEN]) zigkeit in Deutschland auch stoppen. Jetzt hat Herr Kühn für die Fraktion Bündnis 90/Die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Grünen das Wort. Ich will eines sagen, Herr Pronold: Ihre Rede war eine super Begründung für die neue Wohnungsgemeinnützig- Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE keit. GRÜNEN): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Danke, Frau Präsidentin. – Sehr geehrte Damen und Herren! Ich fnde es ja gut, dass wir hier zum wiederhol- Ich bin total happy, dass mittlerweile ein Fan der neu- ten Male über Wohnungsgemeinnützigkeit und die Lage en Wohnungsgemeinnützigkeit auf der Regierungsbank auf unseren Wohnungsmärkten sprechen. Es ist ein Er- sitzt. Ich bin mir sicher, dass es in der nächsten Wahl- folg der Opposition, dass Sie von der Großen Koalition periode Konstellationen gibt, die geeignet sind, dieses sich heute substanziell mit diesen Themen auseinander- Thema voranzutreiben und gemeinsam entsprechende setzen müssen. Maßnahmen umzusetzen. Wir Grünen werden alles dafür tun, dass die Stadtrendite endlich in der Stadt bleibt und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht auf den Konten der Hedgefonds weltweit landet. sowie der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Menschen erwarten von uns, dass wir Antworten auf die galoppierenden Mieten in unseren Städten geben. Wir Herr Pronold, Sie haben gesagt, die Praxis der Share bieten hier als Opposition Antworten. Deals müsse beendet werden. Ja, wir wollen diese Praxis beenden. Herr Luczak, Sie haben gesagt, der grüne Antrag habe ziemlich viele Unterpunkte. Wir geben die Antworten (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: mit Blick auf die Wohnungsgemeinnützigkeit. Aber wo Aber wir nicht!) sind heute die Antworten der Union auf die galoppieren- Wir Grüne haben das Thema Share Deals hier ins Parla- den Mieten in Deutschland? Da ist leider Fehlanzeige; da ment eingebracht, weil es doch absurd ist, dass jemand, kommt von Ihnen leider nichts. der eine Immobilie, ein kleines Haus kauft, die volle Grunderwerbsteuer zahlt und jemand, der große Woh- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nungsbestände kauft und das Steuerinstrument der ­Share Wir werden dafür sorgen, dass die Mietpreisbremse Deals nutzt, keinen Cent Grunderwerbsteuer zahlen funktioniert, dass es in Zukunft nicht mehr passiert, dass muss. Das geht nicht. Das ist sozial ungerecht. Es macht Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24619

Christian Kühn (Tübingen) (A) auch wohnungspolitisch keinen Sinn. Wir Grüne wollen Diese rentierlichen Großinvestitionen sind für den Woh- (C) das beenden. nungsbau dringend notwendig, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (Beifall der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/ Ulli Nissen [SPD]: Wir auch!) CSU]) Ich bin sehr gespannt, Ulli Nissen und Florian Pronold, weil die institutionellen Anleger sonst gleich auf den Ka- wie sich die SPD zu unserem Antrag verhält. Wenn ihr pitalmarkt gehen, ohne dass der Wohnungsbau davon es beenden wollt, dann stimmt doch unserem Antrag hier proftiert. zu. (Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die gehen doch auf den Wohnungsmarkt, weil Das Geld, das durch die Praxis der Share Deals verlo- dort die fetten Renditen sind! Das ist doch die ren geht, ist doch das Geld, das den Ländern und Kom- Wahrheit!) munen fehlt, um in den sozialen Wohnungsbau zu inves- tieren. Deswegen muss sich hier endlich etwas ändern. Lassen Sie Ihre Ideologie zum Wohle der Wohnungssu- Wir Grünen wollen eine neue Wohnungsgemeinnützig- chenden einfach einmal beiseite. Mit dem Vorwurf der keit, und wir werden weiter dafür streiten. Proftgier helfen Sie niemandem, schon gar nicht den Wohnungssuchenden. Ich sage Ihnen: Bei uns wird es nicht so sein wie bei der CDU, nämlich dass ein Thema wie die Mietpreis- (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) bremse im Wahlkampf zwar auftaucht und im Titel eines Gesetzes erscheint, dann aber inhaltlich im Gesetz keine Die Wahrheit ist: Wir müssen Nachfrage und Angebot Rolle spielt. Das wird es mit uns nicht geben. zusammenbringen und die Rahmenbedingungen verbes- sern, damit wieder mehr Wohngebäude errichtet werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Um die Situation in einzelnen Gebieten in Deutschland zu entspannen, müssen wir den Wohnungsbau weiter mit Wir als Grüne haben in unser Programm hineingeschrie- marktwirtschaftlichen Maßnahmen ankurbeln. ben, was wir wollen: die Wohnungsgemeinnützigkeit und Änderungen bei der Mietpreisbremse. Wir werden (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ uns um das Thema „Bezahlbarer Wohnraum in Deutsch- DIE GRÜNEN]: Was ist da Ihr Instrument?) land“ kümmern. Um in Städten, in Ballungszentren oder in Universitäts- Danke schön. städten für ausreichenden und vor allem bezahlbaren (B) Wohnraum zu sorgen, brauchen wir zielgerichtete För- (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dermaßnahmen, zum Beispiel durch Verbesserungen bei der steuerlichen Abschreibung, wie wir sie eigentlich in Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: dieser Legislaturperiode durchsetzen wollten. Aber da Als letzter Redner in dieser Debatte hat Dr. Hans hat sich unser Koalitionspartner leider vom Acker ge- Michelbach für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. macht. (Beifall bei der CDU/CSU) (Klaus Mindrup [SPD]: Zu Recht!) Entscheidend ist doch, dass die Privatwirtschaft An- Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): reize erhält, um ausreichend Wohnungen zu bauen. Mei- Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Dem ne Damen und Herren, die Staatswirtschaft schafft es Bürger genügend Wohnraum zur Verfügung zu stellen, nicht, die 350 000 Wohnungen für die Wohnungssuchen- ist eine wichtige und dringliche politische Aufgabe. Das den zu bauen. Ziel muss sein, jährlich 350 000 Wohnungen zu bauen. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Hat sie Lassen Sie mich aber deutlich sagen: Die Anträge der noch nie geschafft!) Linken und der Grünen Die Mobilisierung von privatem Kapital ist unverzicht- (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Sind gut!) bar. Das müssen Sie sich einmal hinter die Ohren schrei- zur Situation auf dem Immobilienmarkt in Deutschland, ben. Das ist eine Tatsache. Da besteht Handlungsbedarf. die wir heute beraten, bewirken genau das Gegenteil und (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe vom sind deshalb grundsätzlich zu kritisieren. Aus vorder- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gründigen politischen Beweggründen wird eine Immo- bilienblase geradezu herbeigeredet, geradezu erwünscht Wir brauchen nicht immer neue Vorschriften mit ideo- und gegen rentierliche Groß-Investitionen etwa von Ver- logischem Hintergrund. Ich bedaure außerordentlich, sicherungen geradezu gehetzt. dass unser Koalitionspartner den Gesetzentwurf der ei- genen Ministerin zur steuerlichen Förderung des Miet- (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ wohnungsbaus zerredet und letzten Endes gestoppt hat. DIE GRÜNEN]: Haben Sie sich denn die Stu- die von Prognos angeschaut, die uns an die (Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört! – Ulli Hand gegeben worden ist, wie die Situation in Nissen [SPD]: Sie wollten ja nicht mitmachen, Deutschland ist?) Herr Kollege!) 24620 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Dr. h. c. Hans Michelbach (A) Wir haben bis zuletzt gekämpft. Aber Ihre Ideologie hat Letzten Endes zahlt es der Bürger, letzten Endes zahlt es (C) auch vor der Ministerin nicht haltgemacht. der Wohnungssuchende, und letzten Endes zahlt es der Mieter, meine Damen und Herren. (Ulli Nissen [SPD]: Wir wollten langfristige Bindung und die Obergrenze! Ohne die Ober- (Beifall bei der CDU/CSU) grenze konnten wir natürlich nicht mitma- chen!) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Dies ist ein Schaden für potenzielle Mieter, den wir Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich beende diese lei- schnellstens revidieren werden. Wenn wir hier die ent- denschaftliche Aussprache, und wir kommen jetzt zu den sprechende Mehrheit haben, werden wir die steuerlichen Abstimmungen. Anreize für den Wohnungsbau zum Wohle der Woh- nungssuchenden beschließen. Das ist die Aufgabe, die Tagesordnungspunkt 16 a. Beschlussempfehlung des vor uns liegt. Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor- sicherheit auf der Drucksache 18/10928. Der Ausschuss (Beifall bei der CDU/CSU – Ulli Nissen empfehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung [SPD]: Warum sollen wir Geld bezahlen, die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf wenn wir keine Obergrenze haben?) Drucksache 18/7415 mit dem Titel „Bundesweiten Ak- Eines müssen Sie sich merken: Es geht auch uns tionsplan für eine gemeinnützige Wohnungswirtschaft grundsätzlich um die Mietpreisentwicklung. Je höher die aufegen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Kosten, desto höher die Mieten. Sie haben immer wie- Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die- der durch Steuererhöhungen und durch Regulierung die se Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition Baukosten erhöht, und damit erhöhen Sie gleichzeitig die gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthal- Mieten. Auch das ist eine Tatsache. Durch Ihre Politik tung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. kam es zu den Mietpreiserhöhungen, die hausgemacht Unter Buchstabe b empfehlt der Ausschuss die Ab- waren. lehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- (Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn nen auf Drucksache 18/8081 mit dem Titel „Die neue [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wohnungsgemeinnützigkeit – Fair, gut und günstig woh- Wer regiert denn seit zwölf Jahren in Deutsch- nen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer land?) stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Dann ist auch diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koa- Es ist erstaunlich, dass Sie diesen Widerspruch nicht zur lition gegen die Stimmen der Opposition angenommen Kenntnis nehmen, meine Damen und Herren. Mieter- worden. (B) freundlich ist letzten Endes etwas anderes. (D) Tagesordnungspunkt 16 b. Abstimmung über die Be- Schauen Sie sich insbesondere die Grunderwerbsteu- schlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Ver- ersätze an. Dort, wo die Grunderwerbsteuersätze niedrig braucherschutz auf Drucksache 18/12632. Der Ausschuss sind – wie beispielsweise in Bayern mit 3,5 Prozent –, empfehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung gibt es weniger Share Deals, die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf (Ulli Nissen [SPD]: Das ist doch Unfug!) Drucksache 18/11049 mit dem Titel „Kündigungsschutz für Mieterinnen und Mieter verbessern“. Wer stimmt für weil es die Leute und letztlich die Investoren aufgrund diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – eines niedrigen Grunderwerbsteuersatzes nicht nötig ha- Enthält sich jemand? – Dann ist auch diese Beschluss- ben. empfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Stimmen der Opposition angenommen worden. NEN]: Nürnberg auch nicht! Fürth auch nicht! Unter Buchstabe b empfehlt der Ausschuss die Ableh- Würzburg auch nicht!) nung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Bei einem Grunderwerbsteuersatz von 6,5 Prozent wie auf Drucksache 18/10810 mit dem Titel „Zusammenhalt in Brandenburg, von 6 Prozent wie in Berlin oder von stärken – Mietrecht reformieren“. Wer stimmt für diese 5 Prozent wie in Baden-Württemberg wollen die Men- Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthält schen aus Gründen der Rentierlichkeit Steuern sparen. sich jemand? – Dann ist auch diese Beschlussempfeh- Das heißt, Sie beklagen etwas, was Sie durch einen ho- lung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen hen Grunderwerbsteuersatz selbst herbeiführen, meine der Opposition angenommen worden. Damen und Herren. Das ist die Tatsache, die Sie letzten Tagesordnungspunkt 16 c. Beschlussempfehlung des Endes mal zur Kenntnis nehmen sollten. Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bünd- (Beifall bei der CDU/CSU) nis 90/Die Grünen mit dem Titel „Spekulation mit Im- mobilien und Land beenden – Keine Steuerbegünstigung Sie nehmen als Erstes immer Steuererhöhungen vor. für Übernahmen durch Share Deals“. Der Ausschuss (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- empfehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck- NEN]: Wer regiert denn seit zwölf Jahren? – sache 18/12818, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/ Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ Die Grünen auf Drucksache 18/8617 abzulehnen. Wer DIE GRÜNEN]: Wer hat denn die Mehrwert- stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt steuer erhöht? – Ulli Nissen [SPD]: Hessen!) dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist auch diese Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24621

Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (A) Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition ge- also: Durch das Anpassungsprogramm, durch die Refor- (C) gen die Stimmen der Opposition angenommen worden. men, die im Rahmen dieses Hilfsprogramms miteinander vereinbart wurden, hat Portugal Erfolg gehabt. Es hat den Ich rufe den Zusatzpunkt 9 auf: Zugang zurück zu den Kapitalmärkten gefunden, kann Beratung des Antrags des Bundesministeriums sich also selbst wieder refnanzieren, und das Land steht der Finanzen wirtschaftlich und fnanziell wieder auf eigenen Beinen. Portugal: Vorzeitige teilweise Rückzah- Das ist noch kein Grund zur Euphorie; wir sind noch lung der IWF-Finanzhilfe; nicht durch. Aber es ist erst einmal ein Zeichen dafür, Einholung eines zustimmenden Beschlusses dass Reformen und Veränderungen wirken. Wir haben des Deutschen Bundestages nach § 3 Absatz 2 keinen Mangel an Schulden in der Euro-Zone. Es sind Nummer 2 des Stabilisierungsmechanismus- auch nicht Schulden, die am Ende über die Probleme hin- gesetzes weghelfen, sondern es geht darum, teilweise auch harte Reformen durchzubringen, um Wettbewerbsfähigkeit Drucksache 18/12733 und wirtschaftliches Wachstum wiederzuerlangen. Dann Ich möchte die Kolleginnen und Kollegen bitten, die lässt es sich vor allem eben auch mittel- und langfristig Plätze einzunehmen, damit wir zügig fortfahren können. wieder auf eigenen Beinen stehen. Das zeigt Portugal, und das ist Anlass zur Freude, auch heute am Donners- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für tagabend. die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen, und (Beifall bei der CDU/CSU) ich kann die Aussprache eröffnen. Das zeigt eben auch – darum geht es in diesem An- Als erster Redner in dieser Aussprache hat der Parla- trag –, dass Portugal wieder eigene Möglichkeiten hat, mentarische Staatssekretär Jens Spahn für die Bundesre- an die Finanzmärkte zu gehen. Portugal will jetzt sogar gierung das Wort. – Herr Staatssekretär. vorzeitig einen Teil der IWF-Kredite, der Kredite des In- ternationalen Währungsfonds, zurückzahlen. Insgesamt (Beifall bei der CDU/CSU) geht es dabei um 9,4 Milliarden Euro, die in den nächsten 30 Monaten in einzelnen Tranchen vorzeitig zurückge- Jens Spahn, Parl. Staatssekretär beim Bundesminis- zahlt werden sollen. ter der Finanzen: Um Portugal dies zu ermöglichen, müssen wir als Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! europäische Geldgeber auf die Anerkennung der soge- Wer hätte das gedacht? Als Portugal im Jahr 2011 sei- (B) nannten Parallelitätsklausel verzichten. Es war eigent- (D) ne europäischen Partner um Finanzhilfen bat, war das lich vorgesehen, dass dann, wenn Portugal an den IWF Land von einer schweren Finanz- und Wirtschaftskrise zurückzahlt, es parallel auch an die europäischen Geld- gezeichnet. Die Arbeitslosigkeit war enorm gestiegen, geber zurückzahlen müsste, es sei denn, wir sagen aus- portugiesische Zehnjahresanleihen lagen Anfang 2011 drücklich, dass das nicht notwendig ist. Wir brauchen bei einem Zinssatz von fast 7 Prozent. Das waren über heute die Zustimmung des Deutschen Bundestages, da- 4 Prozentpunkte mehr, als etwa Deutschland zu zahlen mit wir in den Gremien in Europa in der nächsten Woche hatte. Wann das Land wirtschaftlich wieder auf die Bei- zustimmen können. ne kommen würde, stand in den Sternen. Ohne externe Hilfe jedenfalls – das war damals klar – würde das kaum Wir befürworten das sehr und ausdrücklich, weil es gelingen. Portugal entlastet. Die IWF-Kredite sind relativ teuer, über 4,5 Prozent Zinsen sind zu zahlen. Das ist deutlich Für die portugiesische Regierung war damals aber mehr, als Portugal an den Kapitalmärkten zahlen müsste. auch klar: Im Gegenzug für die Unterstützung – am Ende Es entlastet Portugal dann eben beim Zinsdienst und wird wurden Hilfsgelder im Umfang von fast 77 Milliarden damit den Schuldenstand um ein Drittel Prozentpunkt Euro gewährt, von denen zwei Drittel von den beiden des portugiesischen Bruttoinlandsprodukts entsprechend europäischen Rettungsschirmen EFSF und EFSM und senken. ein Drittel vom IWF bereitgestellt wurden – würde man sich zu umfassenden Reformen verpfichten müssen. Das Es ist übrigens nicht das erste Mal, dass Portugal eine war ohne Zweifel bittere Medizin, es waren schwierige vorzeitige Rückzahlung an den IWF leistet. Es gab schon Reformen und Veränderungen; es bedeutete auch Ein- vor zwei Jahren eine solche Zahlung in zweistelliger Mil- schnitte, die vorzunehmen waren. Aber es war – das ist liardenhöhe, und auch da können wir in der Rückschau eben das, was wir heute feststellen können – am Ende sagen: Das war eine richtige Entscheidung, weil es eben wirksam: Das portugiesische Staatsdefzit wurde enorm die Zinskosten für Portugal gesenkt und entsprechend zurückgeführt. Es liegt nun, bezogen auf das Bruttoin- Spielraum für Wachstum und Investitionen geschaffen landsprodukt, aktuell deutlich unter 3 Prozent und wird hat, aber vor allem eben auch Vertrauen auf den Finanz- wahrscheinlich bald sogar unter 2 Prozent liegen. Die märkten stärkte. portugiesische Wirtschaft wächst, die defzitäre Leis- tungsbilanz wurde nachhaltig verbessert. Schauen wir uns für die Bewertung einmal alle fünf Programmländer an. Über vier Programmländer dis- Die Arbeitslosigkeit, die einmal erheblich höher lag, kutieren wir im Moment kaum, weil wir eigentlich nur ist mittlerweile auf unter 10 Prozent gesunken. Allein über eines diskutieren, über Griechenland. Zu den Pro- letztes Jahr sind etliche neue Jobs entstanden. Das zeigt grammländern gehören aber auch Portugal, Spanien, 24622 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Parl. Staatssekretär Jens Spahn (A) Zypern und Irland. Auch diese vier Länder waren in der auf der europäischen Bühne mit allen Mitteln verteidigt (C) schweren Finanzkrise darauf angewiesen, dass die euro- und auch Portugal weiter aufzwingen wollte. Diese Aus- päische Solidarität gilt. Diese Solidarität haben wir mit teritätspolitik ist jedoch vor allem eine Politik des Ka- den Rettungsschirmen gezeigt. Es war aber immer klar: puttsparens. Darunter haben auch die Portugiesen lange Solidarität gibt es nur gegen Solidität, gegen die Bereit- gelitten. schaft zu Reformen, also zu Veränderungen, damit man das Problem bei den Wurzeln packen kann. Bereits Anfang 2015, also vor über zwei Jahren, haben wir hier eine ähnliche Debatte geführt; das ist erwähnt Eines ist dabei wichtig: Es geht nicht um dieses gro- worden. Auch damals konnte Portugal einen Teil der ße Wort der Austerität, um das Sparen um des Sparens Kredite vorzeitig zurückzahlen. Die Gesamtsituation im willen. Im Übrigen war die Frage der Haushaltsdiszip- Land war damals jedoch alles andere als gut: Lohnkür- lin immer nur ein kleiner Bestandteil der notwendigen zungen und Rentenkürzungen waren die Resultate der ab Reformen. Am Ende geht es darum, dass man durch 2011 amtierenden konservativen Regierung Portugals, Strukturreformen zu wirtschaftlichem Wachstum kommt, die Schäubles Mantra folgte. Über 2 Millionen Portugie- damit die Länder wieder in der Lage sind, auf eigenen sen, fast ein Viertel der Bevölkerung, lebte in Armut oder Beinen zu stehen. Heute gehören diese genannten vier knapp an der Grenze dazu. Das haben wir als Linke im- Länder zu den Ländern mit den höchsten Wachstumsra- mer wieder kritisiert. Daher freut es uns umso mehr, dass ten in der Euro-Zone. Wir sehen, dass die Arbeitslosig- sich Portugal aus diesem Würgegriff befreien konnte. keit in diesen Ländern zurückgeht und sie, wie Portugal, in der Lage sind, Kredite vorzeitig zurückzuzahlen. Dass Portugal nun insgesamt auf dem Weg der Bes- serung ist, ist nicht das Verdienst des von Schäuble ge- Abschließend sei all denjenigen, die auch in diesen forderten Sparkurses. Nein, das ist das Verdienst der Monaten, Wochen und Tagen das Heil der Euro-Zone inzwischen von den linken Parteien getragenen portugie- in mehr Schulden suchen, zugerufen: Wir haben keinen sischen Regierung. Mangel an Schulden in der Euro-Zone; wir haben einen Mangel an Wettbewerbsfähigkeit und einen Mangel an (Beifall bei der LINKEN – Margaret Horb Strukturreformen. Portugal hat gezeigt, was Reformen [CDU/CSU]: Das glaubst du doch selbst nicht, bringen können. Andere Länder wollen über Schulden- oder?) schnitte diskutieren. Portugal will vorzeitig zurückzah- Ende 2015 haben die Portugiesen nämlich ihre Mit- len, und das sollten wir honorieren. te-Rechts-Regierung und damit auch den von Schäuble (Beifall bei der CDU/CSU) und Co verordneten strengen Sparkurs abgewählt. (Beifall bei der LINKEN) (B) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: (D) Richard Pitterle hat für die Fraktion Die Linke das Die neue Regierung hat vor ungefähr anderthalb Jahren Wort. einen anderen Weg eingeschlagen und damit richtig ge- legen. Anstatt das Land weiter kaputtzusparen, wurden (Beifall bei der LINKEN) zum Beispiel Löhne und Renten erhöht. Steuererhöhun- gen, die vor allem die unteren Einkommensschichten Richard Pitterle (DIE LINKE): trafen, wurden zurückgenommen. Dadurch wurde der Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle- Binnenkonsum angekurbelt. Die Leute haben schlicht ginnen und Kollegen! Portugal wurde durch die Finanz- wieder mehr Geld zum Ausgeben, was der portugiesi- krise so schwer getroffen, dass es 2011 einen Kredit in schen Wirtschaft direkt zugutekommt. Das wiederum Höhe von 78 Milliarden Euro aufnehmen musste, und hat Arbeitsplätze geschaffen. Die Steuereinnahmen sind zwar jeweils zu ungefähr einem Drittel beim Internati- gestiegen. Den Menschen in Portugal geht es insgesamt onalen Währungsfonds und den beiden europäischen In- besser, und das ist gut so. stitutionen EFSF und EFSM. (Beifall bei der LINKEN) Nun geht es Portugal wieder deutlich besser. Deshalb Der Bundesfnanzminister hingegen hat noch Mitte will es einen Teil dieser Kredite vorzeitig zurückzahlen, letzten Jahres behauptet, dass Portugal wegen der Abkehr aber nur an den IWF, weil dadurch die meisten Zinsen vom strengen Sparkurs schon bald ein neues Rettungs- gespart werden. Damit müssen aber alle Gläubiger ein- programm brauchen würde. Da lag Herr Schäuble völlig verstanden sein. Daher muss heute auch der Bundestag daneben. ein Votum abgeben. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Ich kann Ihnen gleich sagen: Die Linke wird dem Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ansinnen Portugals zustimmen. Die vorzeitige Schul- NEN]) dentilgung ist gleich in doppelter Hinsicht positiv: Zum einen erhält Portugal wieder mehr fnanziellen Spiel- Wir Linken wünschen Portugal deshalb weiterhin raum – nach Berechnungen der EU könnte Portugal rund „mais Bloco de Esquerda“ und „mais CDU“, übersetzt: 660 Millionen Euro an Zinsen sparen; Geld, das im ei- mehr CDU. Damit sind jedoch keineswegs die Herren genen Land deutlich besser genutzt werden kann –, zum hier zur Rechten gemeint, sondern das Wahlbündnis der anderen erhält Bundesfnanzminister Schäuble einen portugiesischen Kommunisten und Grünen, die die por- kräftigen Dämpfer. Der Minister ist nämlich hinlänglich tugiesische Regierung mittragen und somit einen großen bekannt dafür, dass er seine strenge Austeritätspolitik Anteil an der guten Entwicklung Portugals haben. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24623

Richard Pitterle (A) Vielen Dank. europäische Gedanke funktioniert, dass die Menschen in (C) Portugal eine Perspektive bekommen haben, dass sich (Beifall bei der LINKEN) die Arbeitsmarktlage verbessert und Jugendliche wieder einen Ausbildungsplatz fnden. Die Situation ist nicht so Vizepräsident Johannes Singhammer: gut, wie wir uns das wünschen würden. Aber sie ist deut- Nächster Redner ist für die Fraktion der SPD der Kol- lich besser als gedacht. lege Johannes Kahrs. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD – Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich twitte- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten re jetzt: „Linke will mit CDU koalieren!“ – der CDU/CSU) Gegenruf des Abg. Richard Pitterle [DIE LINKE]: Wir sind fexibel! – Gegenruf des Vizepräsident Johannes Singhammer: Abg. René Röspel [SPD]: Der war gut! – Ver- Nächster Redner ist der Kollege Manuel Sarrazin für einzelt Heiterkeit) Bündnis 90/Die Grünen.

Johannes Kahrs (SPD): Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol- Kollegen! Über die Flexibilität der Linken wollen wir legen! Ich muss ein bisschen Wasser in den Wein gießen, heute nicht reden; dazu würde mir allerdings einiges ein- weil wir an zwei Stellen etwas recht Bemerkenswertes fallen. erleben. Auf der einen Seite gibt es in Portugal eine lin- Wir reden heute über Portugal. Portugal ist auf einem ke Minderheitenregierung, die sogar von Kommunisten guten Weg; wir haben das eben schon von Staatssekretär toleriert wird, die es seit ihrem Amtsantritt geschafft Spahn gehört. Das liegt daran, dass Portugal in Zeiten hat, klar auf Stabilität zu setzen, und die die Stabilität der Krise Unterstützung und Kredite bekommen und bzw. das Vertrauen in das Land, in Portugal, zur obers- am Ende sich selbst geholfen hat. Weder Portugal noch ten Priorität gemacht hat. Das ist nicht das, was man von Spanien noch Griechenland wird von Deutschland oder Kommunisten erwartet; da ist ja sonst eigentlich immer vom ESM gerettet. Portugal können nur die Portugiesen Revolution angesagt. retten, Griechenland nur die Griechen. Wir können dabei Auf der anderen Seite haben wir den Bundesfnanz- nur helfen. minister, der im letzten Jahr dermaßen foul gespielt hat, Portugal ist, wie gesagt, auf einem guten Weg. Das Er- dass er heute eigentlich hier hätte reden und sich für sein (B) gebnis ist, dass das Land Staatsanleihen platzieren kann. schlechtes Gerede über Portugal hätte entschuldigen (D) Es ist nicht so, dass Portugal IWF-Kredite vorzeitig aus müssen. eigenem Vermögen zurückzahlt, sondern die Portugiesen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schichten um. Das heißt, sie fnanzieren die Rückzahlung und bei der LINKEN) der IWF-Kredite mit Staatsanleihen, die sie jetzt aufneh- men. Sie proftieren davon, dass die Zinsen, die sie für Er hat an der Stabilität gezündelt. die Staatsanleihen zahlen, deutlich niedriger sind als die Wir haben also eine linke Regierung, die dort eine Zinsen, die sie für den IWF-Kredit zahlen müssten. Das kluge Politik macht und sagt: Wir schaffen dadurch ist ein richtiger Schritt und zeigt, dass die Märkte Ver- Spielräume, dass wir keinen Schmarrn machen. Diese trauen haben. Spielräume nutzen wir, um sie beispielsweise durch eine Das heißt aber noch nicht, dass in Portugal alles gut ist. teilweise Rücknahme von Rentensenkungen auch den Deswegen ist es wichtig, dass man Portugal auch weiter- Menschen zugutekommen zu lassen. – Anstatt das zu be- hin unterstützt. Man muss dafür sorgen, dass es zu einer lohnen, wurde von Herrn Schäuble im letzten Jahr ideo- Reindustrialisierung Portugals kommt, sodass Portugal logische Parteipolitik auf dem Rücken der Anleihekosten langfristig auf eigenen Beinen stehen kann. Der IWF hat Portugals gemacht. Das musste hier schon noch einmal hier eine gute Rolle gespielt und sich mit viel Geld betei- gesagt werden. ligt. Da Staatssekretär Spahn eben in aller Freundschaft (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN über Griechenland gesprochen hat, könnte man jetzt über und bei der LINKEN) die Frage diskutieren, warum der IWF beim dritten Grie- chenland-Kredit nicht mitmacht. Ich glaube, diese Dis- Das hat nichts mit Stabilität zu tun, genauso wenig kussion werden wir im Haushaltsausschuss führen. Dort wie das, was im Fall Griechenland geschieht. Wir be- werden wir dann über die Frage diskutieren, warum uns schließen hier durch die Umschichtung, wie Herr Kahrs 2015 eine Teilnahme des IWF versprochen worden ist das richtig beschrieben hat, eine Schuldenerleichterung und warum es sie bis heute nicht gibt. für Portugal in Höhe von ungefähr 300 bis 600 Millionen Euro. Das bringen wir hier ins Plenum. Die gute Nachricht ist: Die Euro-Krise ist auf dem Rückzug. Es geht vielen Ländern deutlich besser. Zur Herr Spahn hat gesagt, dass wir die ganze Zeit über Wahrheit gehört aber auch, dass Länder wie Deutsch- Griechenland, aber nicht über die anderen Länder re- land, indem sie Geld bezahlt, die richtigen Diskussion den. Genau das ist das Problem. Sie reden die ganze Zeit geführt und die Länder unterstützt haben, solidarisch schlecht über Griechenland und haben am Ende wegen waren und ihren Teil dazu beigetragen haben, dass der der Bundestagswahl nicht einmal den Allerwertesten in 24624 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Manuel Sarrazin (A) der Hose, heute hier im Bundestag Schuldenerleichte- Vizepräsident Johannes Singhammer: (C) rungen für Griechenland zu beschließen. Es weiß jeder, Zum Abschluss dieser Aussprache hat der Kollege dass nach der Bundestagswahl Schuldenerleichterungen Alois Karl für die Fraktion der CDU/CSU das Wort. anstehen, wenn der IWF an Bord bleiben soll. Sie haben aber einfach nicht den Mut, das hier zu sagen. Sie trick- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. sen hier bis nach der Wahl. Thomas Jurk [SPD])

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Alois Karl (CDU/CSU): Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Weil es nicht Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten richtig ist! Blödsinn!) Damen und Herren Kollegen des Deutschen Bundesta- Damit sorgen Sie nicht für Stabilität. ges! Sehr geehrte Zuhörer im Auditorium! Lieber Herr Sarrazin, mit Interesse habe ich Ihre Rede verfolgt, ins- Wenn wir im Wahlkampf wieder Griechenland-Debat- besondere den Abschluss, dass Sie vielleicht in die Situa- ten führen – die Menschen und die Presse wissen doch, tion kommen werden, regierungsbeteiligt an der Lösung dass da getrickst wird –, dann sorgen Sie genau dafür, der Schuldenproblematik Griechenlands mitzuwirken. dass das stabile Umfeld dort, in dem auch linke Regie- Ich glaube, das ist für Sie ein Wunschtraum und für uns rungen etwas kommunizieren und vernünftig bleiben ein Albtraum. Ich meine, dort führen keine großen Wege können, kaputtgemacht wird. Das heißt, die Bundesre- hin. gierung sorgt nicht für Stabilität, sondern inzwischen (Beifall bei der CDU/CSU) sorgen dort die Linken gegen die Bundesregierung für Stabilität. Das ist doch absurd. Ich bin mir auch sicher, dass die Probleme in Grie- chenland, die Sie geschildert haben und die natürlich da (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sind, in gar keiner Weise Geldprobleme sind. Geld hat und bei der LINKEN) Griechenland genug, es fehlt aber am Reformwillen und an den Reformen, die durchgeführt werden müssen. Deswegen fnde ich es lobenswert, dass die Linkspar- tei zustimmt. Wir werden auch zustimmen. Herr Schäuble, den Sie jetzt zweimal zitiert haben, hat in den letzten Tagen ja gesagt, dass das jetzt möglicher- Portugal ist auf einem guten Weg, und ich möchte an weise das letzte Rettungsprogramm für Griechenland ist, dieser Stelle auch noch sagen: Wir können es uns meiner weil sie sich jetzt auf einen guten Weg gemacht haben. Ansicht nach durchaus erlauben, dass wir, wenn die Por- Wir sind sehr zuversichtlich, dass die Maßnahmen, die in (B) tugiesen jetzt an den IWF zurückzahlen, von der Gleich- den letzten vier, fünf Jahren von Griechenland eingefor- (D) zeitigkeit an dieser Stelle Abstand nehmen. Wir haben dert worden sind, so Platz greifen und zu so guten Ergeb- sowieso nie strikt gesagt, der IWF sei bei solchen Pro- nissen führen, wie das jetzt in Portugal auch der Fall ist. grammen am wichtigsten. Einige der Kollegen sind heute nicht hier, weil sie wichtige Termine haben, zum Beispiel eine Zusammen- Wenn Portugal sein Sonderziehungsrecht beim IWF kunft in der Parlamentarischen Gesellschaft, wo sie et- ausübt, macht das Sinn. Wie gesagt: Je nachdem, ob sie was feiern. Auch Portugal kann heute feiern, wenn wir zehnjährige oder fünfjährige Staatsanleihen ausgeben, diesen Beschluss fassen. Alle Fraktionen hier haben er- wären das bei dem jetzigen Marktpreis Zinsersparnisse in klärt, dass man Portugal helfen wird, sodass es auch dort Höhe von 300 bis 600 Millionen Euro. Dieses Geld wird eine Gelegenheit zum Feiern gibt. die portugiesische Regierung einsetzen können, um den Menschen in Portugal zu zeigen, dass auch ein harter und Uns geht es fast schon wie den Pfadfndern: Jeden anstrengender Weg Sinn machen kann und dass die Poli- Tag eine gute Tat. Wer heute noch keine gemacht hat: tik Spielräume zurückgewinnen kann, die dann auch für Heute am späten Abend wäre durch den Beschluss, den politische Entscheidungen der Parteien – abhängig von Portugiesen dabei zu helfen, ihre Schulden besser zu ver- ihrem jeweiligen Programm – genutzt werden können. walten, eine gute Tat möglich. Ich freue mich, dass wir zustimmen. Das haben wir auch vor zweieinhalb Jahren Deswegen sage ich von meiner Stelle aus: Gut, dass schon gemacht – übrigens auf Vorschlag des mit Ihnen Portugal hier heute geholfen wird. Gut, dass der Deut- befreundeten Herrn Schäuble –, sodass man seinerzeit in sche Bundestag hier im Plenum den Mut hat, das zu tun. Portugal über 12 Milliarden Euro hat umschichten kön- Ich würde mich freuen, wenn Sie endlich auch einmal nen, damit Portugal eine deutlich verbesserte Zinssitua- eine mutige und auf Stabilität ausgerichtete Griechen- tion erreichen konnte, so wie das hier der Kollege Spahn land-Politik hinbekommen würden. Vielleicht haben wir ausgeführt hat. nach der Bundestagswahl ja die Verantwortung dafür, sodass wir diesen Job dann für Sie übernehmen; darauf In der Tat war nach dieser Weltfnanzmarktkrise vor hoffe ich sehr. acht, neun Jahren Portugal genauso wie Griechenland, Zypern und Irland in einer ganz schwierigen Situation. (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) Wir haben in Europa immense Rettungsschirme aufge- spannt, übrigens auch in Deutschland. An einem einzigen Danke sehr. Tag haben wir Kredite in Höhe von 480 Milliarden Euro für die deutschen Banken und für die Wirtschaft bereitge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) stellt. Ich glaube, wir haben alles richtig gemacht. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24625

Alois Karl (A) Auch wenn das ganz schwierige Situationen waren, Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 18 a und 18 b (C) haben wir, im Nachhinein betrachtet, die richtigen Ent- auf: scheidungen getroffen und die Rettungsschirme aufge- a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tom spannt. Wir haben den EFSF und den EFSM gegründet, Koenigs, Claudia Roth (Augsburg), Omid wodurch Portugal Finanzhilfen in Höhe von 26 Milli- Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Frak- arden und 24,3 Milliarden Euro bereitgestellt wurden. tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Der Internationale Währungsfonds hat den Portugiesen weitere 26,5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Die Ein Institut für humanitäre Angelegenheiten Portugiesen haben mit diesem Geld in der Tat etwas ge- schaffen macht: Sie haben Reformen angestoßen. Sie haben sich Drucksache 18/12530 teilweise entschuldet. Das Defzit ist auf unter 3 Prozent gesunken und geht auf 2 Prozent zu. Wir sind mit der b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Situation sehr zufrieden. Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu dem Ähnlich wie 2015 glauben wir, dass wir auch dieses Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Omid Mal den Beschluss fassen können, ja fassen müssen, die Nouripour, Luise Amtsberg, weiterer Abgeord- Parallelitätsklausel nicht anzuwenden. Diese Klausel neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- bedeutet, dass ein Schuldnerland dann, wenn es einem NEN der Geldgeber seine Schulden zurückzahlt, auch bei al- len anderen seine Schulden tilgen muss. Das schaffen die Eine Menschheit, gemeinsame Verantwor- Portugiesen natürlich nicht. Aber wenn sie dem IWF das tung – Geld zurückzahlen, nützt ihnen das am meisten. Ihnen Für eine fexible, wirksame und zuverlässige nützt das, und uns schadet es nicht. Unter Freunden ist humanitäre Hilfe es üblich, dass man sich gegenseitig hilft, insbesondere Drucksachen 18/8619, 18/10627 dann, wenn es einem nicht schadet. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Meine sehr geehrten Damen und Herren, Zinsgewinne die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Widerspruch von fast 700 Millionen Euro sind kein Pappenstiel. Die erhebt sich keiner dagegen. Dann ist das so beschlossen. Portugiesen können dieses Geld in der Tat gut gebrau- Ich darf mir den Hinweis erlauben, dass die Kollegen, chen. Wir gehen aus dieser Sache nicht als Verlierer und die den vorausgehenden Tagesordnungspunkt bestrit- nicht einmal neutral heraus, sondern wir gewinnen, weil ten haben, alle außerordentlich diszipliniert und präzise damit die Schuldentragfähigkeit von Portugal gestärkt die Redezeiten eingehalten und gelegentlich sogar nicht (B) (D) wird. Gestärkt werden dadurch auch unsere Kredite, die vollständig ausgeschöpft haben. wir Portugal gewährt haben, die dadurch risikoärmer werden. Außerdem haben wir Vertrauen in die Wirtschaft Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Kol- von Portugal. lege Tom Koenigs für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sind, wie wir das in unserer Oberpfälzer Heimat sagen, in einer Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Win-win-Situation. Daher sollten wir hier zustimmen. Wir sollten den Portugiesen helfen, wie das unter Freun- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- den üblich ist. Uns bringt das keinen Schaden. Im Ge- ren! Seit wir das letzte Mal über humanitäre Hilfe disku- genteil: Wir werden damit die Freundschaft zu Portugal tiert haben – vor fast einem Jahr –, hat sich die Situation weiter festigen. Ich denke, wir alle stimmen zu. nicht gebessert, weder kurzfristig noch langfristig. Im Augenblick sind mindestens 125 Millionen Menschen Vielen herzlichen Dank. Ihnen einen schönen Abend. von humanitärer Hilfe abhängig. Das sind doppelt so vie- le wie vor zehn Jahren. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Auch der fnanzielle Bedarf bei der humanitären Hilfe ist explodiert. Er wird für dieses Jahr auf 23,5 Milliarden Vizepräsident Johannes Singhammer: US-Dollar geschätzt. Deutschland ist laut den Vereinten Nationen mit insgesamt 2,8 Milliarden der drittgrößte Damit schließe ich die Aussprache. Geber im humanitären Bereich. Das ist ein Haufen Geld. Rechnete man die 21 Prozent Beitrag an die Europäische Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag Union noch hinzu, wären es etwa 3,5 Milliarden. Das ist des Bundesministeriums der Finanzen auf Drucksa- natürlich weit entfernt vom Gesamtbedarf. Das Weiße che 18/12733 mit dem Titel „Portugal: Vorzeitige teilwei- Haus hat dem Kongress vorgeschlagen, die humanitären se Rückzahlung der IWF-Finanzhilfe; Einholung eines Gelder um 30 Prozent zu kürzen. Da die Amerikaner der zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages größte Geber sind, wäre das ein Betrag von ungefähr nach § 3 Absatz 2 Nummer 2 des Stabilisierungsmecha- 2 Milliarden Dollar, die dann weniger zur Verfügung nismusgesetzes“. Wer für diesen Antrag stimmt, den bitte stünden. Es ist also überhaupt nicht vorstellbar, wie die- ich um ein Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Eine ses Problem quantitativ zu lösen ist. Gegenstimme. – Gibt es Enthaltungen? – Damit ist der Antrag mit den Stimmen des gesamten Hauses bei einer Deshalb diskutieren wir – und so hat auch der World Gegenstimme des Kollegen Willsch angenommen. Humanitarian Summit in Istanbul diskutiert – die Frage 24626 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Tom Koenigs (A) nicht mehr quantitativ, sondern qualitativ. Wir müssen Deutschland. Und IDPs im Lande verändern die politi- (C) uns darum kümmern, wie der humanitäre Bedarf erst gar sche, aber auch die humanitäre Situation. nicht entsteht oder sich zumindest reduzieren lässt. Da Betrachten wir die Krisen im Sudan oder in Venezue- muss es ein Umdenken auch im Umfeld der humanitä- la, wo sehr reiche Länder in humanitäre Krisen hinein- ren Hilfe, im Umgang mit Konfikten, geben. Viel stärker laufen. muss die Konfiktprävention betont werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vizepräsident Johannes Singhammer: sowie der Abg. Dr. Ute Finckh-Krämer [SPD]) Herr Kollege Koenigs, Sie denken an die Redezeit. Dazu gehört auch ein systematisches Umsetzen der SDGs. Denn das vermindert die Vulnerabilität der Ge- Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sellschaften, die unter Umständen in solche Krisen kom- Ich denke an die Redezeit. Ich kann Ihnen sogar zu- men. sichern, dass ich dann, wenn ich dieses hier beende, von Deutschland hat eine Riesenverantwortung. Das erste dieser Stelle aus nicht mehr reden werde. humanitäre Prinzip Menschlichkeit bedeutet auch eine (Heiterkeit) globale Verantwortung. Man kann das unterschiedlich formulieren; denn es klingt etwas allgemein. Aber eine Die Flüchtlinge verändern auch die Aufnahmege- Ausprägung ist zum Beispiel das viel gepriesene „Wir sellschaft. Darauf müssen wir antworten. Das sind neue schaffen das“ der Kanzlerin. Das hat ihr in Istanbul ein Herausforderungen, das sind auch neue intellektuelle ganz anderes Standing als den anderen gegeben, weil Herausforderungen. Dafür brauchen wir einen Ort der Deutschland im Humanitären fast beispielhaft ist. Diskussion. Die Engländer haben so einen Ort geschaf- fen durch das ODI, das Overseas Development Institute. Der humanitäre Bedarf entsteht da, wo Politik versagt. Wir haben in der Außenpolitik die Stiftung Wissenschaft Es widerspricht auch nicht den humanitären Prinzipien, und Politik. Hier wäre ein Institut für humanitäre Angele- wenn man sagt: Hier kommt Politik ins Spiel. Im Gegen- genheiten die richtige institutionelle Antwort. teil: 90 Prozent der Opfer von Kriegen sind Zivilisten. Das humanitäre Völkerrecht wird bewusst und massiv (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) verletzt. Deshalb plädieren wir dafür, und deshalb schlagen wir Es geht nicht nur darum, wie viel wir leisten – die das vor. Wir hoffen, dass das wenigstens in der nächsten quantitative Diskussion ist fast ausgeschöpft –, sondern, Legislaturperiode angegangen wird; denn wir haben im wie. Das Thema des Zugangs: welche Leistungen, die Bereich der Menschenrechte sehr gute Erfahrungen mit (B) Art der Leistungen. 65 Millionen Menschen sind auf der dem Deutschen Institut für Menschenrechte gemacht. (D) Flucht; davon sind zwei Drittel IDPs. Auch darüber muss (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) man einmal diskutieren. Auch das wäre eines Kongresses würdig: über den Umgang mit IDPs zu reden. So kämen wir auch in die internationale Diskussion po- sitiv hinein. Beim humanitären Weltgipfel – das habe ich schon gesagt – waren wir hochrangig vertreten, aber inhalt- Ich bedanke mich für die Zusammenarbeit. Guten lich haben wir fast nichts beigetragen. Offensichtlich Abend. fehlt bei uns eine öffentliche Diskussion, aber auch eine (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Expertendiskussion um das Wie der humanitären Hilfe. sowie bei Abgeordneten der SPD) Der Koordinierungsausschuss Humanitäre Hilfe ist zwar wichtig, kann aber diese strategische, diese strategiebil-

dende Leistung nicht erbringen. Auch den NGOs kann Vizepräsident Johannes Singhammer: man das nicht zuweisen und sagen: „Ihr könnt ja mal vor- Sehr geschätzter Kollege Koenigs, nachdem wir ver- denken“; denn es ist ja der Staat, der in ungeheurer Weise nommen haben, dass das Ihre letzte Rede im Deutschen da tätig ist. Bundestag war, möchte ich Ihnen an dieser Stelle herz- lich danken für Ihr parlamentarisches Wirken über viele Die strategischen Entscheidungen werden deshalb gar Legislaturperioden. Herzlichen Dank. nicht erst in Deutschland gefasst, sondern in internatio- nalen Organisationen, und wir sind weder beteiligt, noch (Beifall) leisten wir einen Beitrag. Ich wünsche mir, dass wir nicht Für die Unionsfraktion hat jetzt der Kollege Frank nur einer der größten Geber, sondern auch einer der inno- Heinrich das Wort. vativsten strategischen Geber würden. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deshalb schlagen wir dieses Institut für humanitäre Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU): Angelegenheiten vor. Das ist genau der Weg, wie man Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und sich aus den immer nur um das Finanzielle und die Quan- Kollegen! Liebe Zuschauer und Zuhörer! Sehr geehrter titäten kreisenden Diskussionen befreit und Ideen entwi- Herr Koenigs! Ebola 2014 in Westafrika: 28 000 Men- ckelt. Die Flüchtlinge verändern auch die Gesellschaf- schen erkranken, etwas weniger als die Hälfte von ihnen ten, das muss man mitbetrachten, und zwar nicht nur in stirbt. 2015, wir erinnern das Erdbeben in Nepal: Die Jordanien, dem Libanon und der Türkei, sondern auch in Welthungerhilfe hat bis heute über 150 000 Menschen mit Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24627

Frank Heinrich (Chemnitz) (A) Nothilfemaßnahmen versorgt. In den Jahren 2015/2016 – neu zu denken. Nicht das Wieviel – wir stimmen sicher (C) Sie haben es gerade genannt – kamen viele Flüchtlinge darin überein, dass es mehr sein darf –, sondern das Wie nach Deutschland, hauptsächlich aus den Regionen um der humanitären Hilfe muss neu gedacht werden. Syrien und den Irak. Deutschland hat in den vergangenen zwei Jahren etwa 1 Million Menschen aufgenommen. Der humanitäre Weltgipfel im letzten Jahr wurde gera- Ganz aktuell ist die Hungerkatastrophe vor allem im Os- de genannt. Das war eine gute Gelegenheit dafür. Wich- ten Afrikas und im Jemen. 20 Millionen Menschen sind tige und richtige Perspektivwechsel sind auf den Weg vom Hungertod bedroht. Allein dafür werden 4,4 Milli- gebracht worden, zum Beispiel im Bereich von Bildung arden US-Dollar an Hilfe benötigt. mit Blick auf lokale Akteure. Die vergangenen vier Jahre haben wohl jedem vor Wir hatten dabei drei klare Prioritäten. In Istanbul Augen geführt, warum wir humanitäre Hilfe leisten. Die wurden wir anders wahrgenommen, als wir teilweise hier Bundesregierung stellt 2017 knapp zehnmal so viel an wahrgenommen wurden. Der erste Punkt ist: Es bedarf fnanziellen Mitteln für Krisen zur Verfügung wie noch einer soliden fnanziellen Grundlage, damit die Hilfsor- vor fünf Jahren, und offensichtlich haben wir als Par- ganisationen nicht ständig befürchten müssen, dass das lament wie auch als Regierung begriffen, dass wir eine Geld im nächsten Vierteljahr oder in einem halben Jahr Verantwortung mittragen. weg ist. Diese Organisationen brauchen Planungssicher- heit. Deutschland ist in dieser Hinsicht proaktiv, wir ge- Trotzdem: Unsere zentralen Herausforderungen sind hen mit gutem Beispiel voran. erstens, wie gerade genannt, dass die Not zugenommen hat. Zweitens muss der Zugang zu humanitärer Hilfe je Der zweite Punkt ist, dass diese Hilfe sofort und länger je besser gewährleistet werden. Wir haben das in verlässlich verfügbar sein muss; denn wenn eine Krise Syrien erlebt, und wir wissen, was im Südsudan passiert. kommt – sie kündigt sich meistens nicht vorher an –, Das World Food Programme und andere Organisationen dann bleibt keine Zeit mehr für komplizierte Abstim- leiden darunter, dass sie einfach nicht an die Orte gelas- mungsprozesse. sen werden, selbst nicht in die extremsten Gebiete, in de- Der dritte Punkt ist: Wir müssen die Krisenprävention nen die Hungersnot groß ist, wo zwei von 10 000 Men- verstärken und die Stabilisierung und Konsolidierung des schen oder vier von 10 000 Kindern pro Tag sterben. Friedens noch besser Hand in Hand gehen lassen, damit Drittens müssen die Einhaltung und die Akzeptanz des humanitäres Leid – das ist eine entscheidende Fluchtur- humanitären Völkerrechts gewährleistet werden. sache – von vornherein möglichst verhindert wird. Fi- Der Blick in die Zukunft zeigt, dass die globale Fi- nanzielle Mittel reichen nicht aus, um das Leid der Men- nanzierung der humanitären Hilfe schwieriger wird. Sie, schen zu reduzieren. Genau aus diesem Grund hat die (B) Herr Kollege, haben das Stichwort gerade genannt. Kei- Bundesregierung diese Leitlinien verabschiedet: Krisen (D) ner weiß, wie stark die Zuwendungen des größten Gebers verhindern, Konfikte bewältigen, Frieden fördern. tatsächlich reduziert werden. Wir hoffen, dass sich das Um Frieden zu fördern, hat das Auswärtige Amt die Parlament gegen den Präsidenten durchsetzt. Man kann Initiative „Friedensverantwortung der Religionen“ ge- nur ahnen, was anderenfalls passieren würde. Auch die gründet. Ende Mai kamen über 100 Vertreterinnen und Konfikte und die Notlagen werden nicht weniger. Vertreter unterschiedlichster Religionsgemeinschaften Ich glaube, deshalb ist der Antrag richtig. Ich hoffe, zu der Auftaktveranstaltung. Das war eine illustre Run- wir tragen ihn in die nächste Legislaturperiode. Wir müs- de: Bischöfe, Ajatollahs, Priester, Rabbiner, Brahmanen, sen uns trauen, humanitäre Hilfe tatsächlich neu zu den- Imame. Das sind für viele Menschen weltweit die wich- ken. Ein Beispiel ist das gerade von mir genannte World tigsten Ansprechpartner vor Ort. Sie spielen eine zentrale Food Programme. Diese Organisation hat im Südsudan, Rolle in der Friedensbildung und in der Krisenpräventi- aber auch in anderen Regionen gemerkt: Wenn man mit on. relativ kleinen Luftschiffen, mit kleinen Hubschraubern Ich selber war Heilsarmeeoffzier. Die Heilsarmee ar- in die Regionen fiegt, dann kann man nur wenige Hilfs- beitet oft in diesen Krisengebieten, wenn die Katastrophe güter mitnehmen. Deshalb muss man einen anderen Weg ausgebrochen ist. Eine Freundin von mir ist direkt vor fnden und die Hilfe umstrukturieren. Das World Food Ort. Sie ist immer eine der Ersten. Sie erzählte, wie wich- Programme hat auf Air-Drop-Maßnahmen zurückgegrif- tig es ist, nicht nur innerhalb der eigenen Organisation fen und spart damit 45 Millionen US-Dollar pro Jahr. Kontakte zu suchen, sondern eben diese Geistlichen, die Ein zweites Beispiel ist die Initiative des Auswärtigen Priester und Imame aufzusuchen und sich relativ schnell Amtes #CSRhumanitär. Die Schirmherrschaft haben die zu verständigen. Menschenrechtsbeauftragte Bärbel Kofer und mein Kol- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) lege Michael Brand. Das ist eine tolle Initiative, in die Unternehmen mit ihren Fähigkeiten, Kenntnissen und ih- Bei der Ebolakrise waren es genau die Geistlichen, die rem Know-how eingebunden werden, um dem wachsen- die Bewohner in den Dörfern erreichen konnten. Ohne den humanitären Bedarf tatsächlich begegnen zu können. die hätte es noch viel länger gedauert, die Epidemie ein- zudämmen, und das hat schon viel zu lange gedauert. Dabei arbeiten sie direkt mit den Akteuren, die im humanitären Bereich engagiert sind, zusammen, so zum Humanitäre Hilfe neu denken: Jetzt ist die Zeit güns- Beispiel bei der sanitären Versorgung, der Bereitstellung tig, weil dieser Gedanke in unserem Volk angekommen von Notunterkünften sowie im Bereich der Bildung und ist, nicht nur in unserem Parlament. Es bietet sich jetzt Gesundheit. Wir müssen uns trauen, humanitäre Hilfe eine reale Chance, auch im Bundestag die humanitäre 24628 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Frank Heinrich (Chemnitz) (A) Hilfe besser aufzustellen. Die Krisen haben uns gezeigt, Vizepräsident Johannes Singhammer: (C) dass neben dem Ausschuss für Menschenrechte und hu- Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt die Kollegin manitäre Hilfe, den wir vertreten, das Thema auch ande- Inge Höger. re Ausschüsse betrifft: den Auswärtigen Ausschuss, den Verteidigungsausschuss, den Bildungsausschuss und den (Beifall bei der LINKEN) Innenausschuss. Im Kontext der Ebolakrise war auf ein- mal der Entwicklungshilfeminister zusammen mit dem Inge Höger (DIE LINKE): Gesundheitsminister vor Ort. Alle haben auf einmal mit Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Zahl humanitärer Hilfe zu tun und müssen deshalb auch mehr der humanitären Krisen hat weltweit in erschreckendem einbezogen werden. Maße zugenommen. UNICEF warnt, dass in diesem Jahr etwa 2 Millionen Kinder am Horn von Afrika, im Süd- Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, sudan, in der Tschadsee-Region und im Jemen lebens- noch einmal danke für den Antrag; denn es ist wichtig, bedrohlich mangelernährt und vom Hungertod bedroht dass wir uns mit diesen Themen eingehender und tie- sind – 2 Millionen Kinderleben! Das kann und darf uns fer beschäftigen. Ihr Vorschlag lautet, das Institut für nicht egal sein. humanitäre Angelegenheiten zu gründen. Unser, mein Vorschlag ist, nicht gleich alles infrage zu stellen, was Auch immer mehr erwachsene Menschen sind wegen wir schon haben – das tun Sie nicht –, sondern das, was Mangelernährung so geschwächt, dass sie an heilbaren da ist, tatsächlich zu nutzen. Wir sollten anfangen, auch Krankheiten sterben und dass Epidemien um sich grei- außerhalb unseres Ausschusses über humanitäre Hilfe zu fen. Im Jemen sind über 100 000 Menschen an Cholera diskutieren und dabei das Wie genauer unter die Lupe zu erkrankt. 1 100 sind bereits gestorben. Wie viele noch nehmen. sterben werden, weiß niemand. Es gibt den von Ihnen genannten Koordinierungsaus- Die saudische Blockade hat die jemenitische Öko- schuss im Auswärtigen Amt, in dem sich Hilfsorganisati- nomie weitgehend zerstört, und sie behindert auch die onen regelmäßig über humanitäre Hilfe austauschen. Wir humanitäre Hilfe. Durch Luftangriffe wurden Dutzende könnten daran sehr oft teilnehmen. Bisher haben wir das von Krankenhäusern zerstört und wurde medizinisches oft wegen fehlender Terminabstimmung nicht geschafft. Personal einschließlich Angehöriger internationaler Aber ich bin begeistert und ich bin froh über die Konst- Hilfsorganisationen getötet. Wie kann es sein, dass an ruktivität, mit der dort gearbeitet wird. die verantwortlichen Golfstaaten nach wie vor Waffen geliefert werden? Die Rüstungsexporte müssen sofort (Beifall bei der CDU/CSU) gestoppt werden. Ich plädiere dafür, den Dialog zwischen diesem Aus- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- (B) schuss und dem Deutschen Bundestag zu stärken. Wir (D) NIS 90/DIE GRÜNEN) sollten schauen, wie wir das in der nächsten Legislatur besser koordiniert bekommen, um das ganze Wissen ers- Der Klimawandel verursacht immer mehr Extrem- tens sichtbarer zu machen und das Gremium zu stärken wetterlagen, Stürme, Dürren und Überschwemmungen. und um es zweitens in unsere aktuelle Arbeit verstärkt Diese Katastrophen zerstören Ernten, töten und verletzen einfießen lassen zu können. Menschen direkt und indirekt. Den betroffenen Men- schen schulden wir unmittelbare Nothilfe, aber auch ei- (Beifall des Abg. Michael Brand [CDU/ nen grundlegenden Politikwechsel. CSU]) (Beifall bei der LINKEN) Wir sollten die Expertise und das Potenzial nutzen. Deswegen fordert die Linke einen konsequenten sozial- Herr Koenigs, Sie wissen selbst, dass nicht alle Or- ökologischen Umbau. ganisationen diesen Antrag unterstützen; wir haben mit verschiedenen gesprochen. Nicht alle sehen einen solch Es ist dringend nötig, die humanitäre Hilfe auszubau- starken Bedarf. Allerdings tragen sie die Hauptmotivati- en. Es ist unerträglich, dass sie seit vielen Jahren drastisch on des Antrags mit: dass wir mehr denken, dass wir neu unterfnanziert ist. Es darf nicht sein, dass bei Notlagen strukturieren. Das unterstütze ich. nur selektiv geholfen werden kann, weil das Geld nicht reicht. Es ist gut, Institutionen zu haben und zu stärken, Lassen Sie uns die Strukturen verändern, die Diskus- die es sich zur Aufgabe machen, die humanitäre Hilfe zu sionen in andere Ausschüsse tragen, den Austausch mit verbessern. Es lohnt sich, die internationale Kooperati- der Zivilgesellschaft stärken. Das können wir mit einem on zu verbessern und in die Fortbildung der humanitä- fnanziellen Aufwand leisten, der ein wenig geringer ist, ren Akteurinnen und Akteure zu investieren. Vor allem als wir möglicherweise für die Schaffung eines solchen muss alles dafür getan werden, dass humanitäre Hilfe Instituts brauchen, und mit Ressourcen, die uns dafür neutral und allein an sachlichen Kriterien orientiert ar- schon jetzt zur Verfügung stehen. Wir müssen uns trauen, beiten kann. Eine Instrumentalisierung für Machtpolitik humanitäre Hilfe neu zu denken. Ich wünsche Ihnen für oder gar für militärische Interessen muss ausgeschlossen die Zusammenarbeit alles Gute. werden. Ganz herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. Eines jedoch ist klar: Alle noch so gut ausgestatte- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ten Beratungsinstitute und Hilfsfonds bleiben machtlos, ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ wenn bewusst humanitäre Katastrophen ausgelöst oder DIE GRÜNEN) diese zumindest in Kauf genommen werden. Ich nenne Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24629

Inge Höger (A) hier nur beispielhaft den Krieg gegen den Irak oder in und die Refexion in Deutschland sehr wichtig. Schließ- (C) Libyen oder die Verweigerung legaler Einreisemöglich- lich brauchen diejenigen, die als humanitäre Helferinnen keiten für Menschen, die Schutz in Europa suchen. und Helfer in andere Länder gehen, eine sorgfältige Vor- bereitung und Ausbildung. Dass immer mehr Menschen im Mittelmeer ertrinken, ist ein Ergebnis der EU-Abschottungspolitik. Schaffen Die Frage ist: Was sind die besten Mittel und Wege, Sie endlich legale Einreisemöglichkeiten für Menschen um diese fünf Ziele zu erreichen? Wenn wir jetzt nicht in Not! am Ende einer Legislaturperiode wären, dann wäre ei- gentlich mein Vorschlag, dass wir im Ausschuss für Men- (Beifall bei der LINKEN) schenrechte und humanitäre Hilfe eine Anhörung machen Wie kann es ein, dass sich Deutschland an einer soge- und uns genau aus diesen verschiedenen Bereichen – aus nannten Antiterrorkoalition beteiligt, die durch ihre Bom- dem Auswärtigen Amt, aus dem neu geschaffenen zu- bardements die humanitäre Notlage im Irak und in Syri- ständigen Grundsatzreferat für humanitäre Hilfe, von den en noch verschärft? Wie kann es sein, dass Verbündete großen Hilfsorganisationen, vielleicht auch von einigen Deutschlands weißen Phosphor über zivilen Stadtvierteln der kleinen Hilfsorganisationen, die auf bestimmte The- einsetzen – zum Beispiel in Mosul oder Rakka? Weißer men oder bestimmte Länder spezialisiert sind, von den Phosphor frisst sich durch die Haut bis auf die Knochen. Wissenschaftlern und den politischen Stiftungen, die sich Da diese Verbrennungen meist großfächig sind, sterben mit dem Thema befassen, und eventuell auch von den Betroffene langsam, sofern sie nicht vorher schon durch internationalen Organisationen – in einer dreistündigen Inhalation der giftigen Dämpfe, Verbrennung der Atem- Anhörung möglichst viele unterschiedliche Einschätzun- wege oder Vergiftungen sterben. gen erläutern lassen. Wer so eine vollständig inhumane Waffe einsetzt, Wir können das in dieser Legislaturperiode nicht mehr stellt kurzfristige militärische Erfolge über Menschenle- machen. Aber diejenigen von uns, die wieder antreten ben und füttert am Ende doch die Propagandamaschine und hoffentlich auch wiedergewählt werden, können das des IS. Das ist falsch und unerträglich. in der nächsten Legislaturperiode machen. Es kann gut sein, dass der Vorschlag, den einige der deutschen Hilfs- (Beifall bei der LINKEN) organisationen gemacht haben, nämlich ein solches In- Wenn wir die humanitäre Lage wirklich weltweit stitut für humanitäre Angelegenheiten in Deutschland zu verbessern wollen, dann muss nicht nur deutlich mehr gründen und dafür vielleicht auch deutlich weniger als Geld zur Verfügung gestellt werden, sondern auch die 1 Prozent der Gelder, die im Bundeshaushalt für humani- deutsche und die europäische Außenpolitik müssen sich täre Hilfe zur Verfügung stehen, bereitzustellen, schließ- grundlegend ändern. Notwendig sind eine Abkehr von lich als gemeinsamer Vorschlag der verschiedenen Ak- (B) (D) der militärischen Außenpolitik, eine verantwortungsvol- teure dabei herauskommt. lere Klimapolitik und ein Ende der Rüstungsexporte. An- Ich glaube auch, dass der Vorschlag, den einige der gesichts der globalen Situation haben wir hier keine Zeit Hilfsorganisationen erarbeitet haben, eine sorgfältige zu verlieren. Diskussion im Koordinierungsausschuss Humanitäre (Beifall bei der LINKEN) Hilfe erfahren wird, der nicht wie wir an Wahlperioden gebunden ist, sondern der kontinuierlich arbeitet – mit mehreren Treffen im Jahr und oft auch einem zweitägi- Vizepräsident Johannes Singhammer: gen Treffen, bei dem für Grundsatzdiskussionen Zeit ist. Als abschließende Rednerin hat jetzt die Kollegin Dr. Ute Finckh-Krämer für die Fraktion der SPD das Insofern bin ich froh, dass du, Tom Koenigs, dieses Wort. Thema als dein Abschlussthema gewählt hast. Es ist ein Thema, das uns allen, glaube ich, am Herzen liegt. Wir (Beifall bei der SPD) alle sollten und können uns vornehmen, dieses Thema in der nächsten Legislaturperiode weiterzuverfolgen. Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD): Ich bitte um Verständnis dafür, dass vor allem unser Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie- Koalitionspartner und wir sagen: Da ist zunächst einmal be Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! Wir sind noch mehr Diskussionsbedarf, bevor wir die Schaffung uns über alle Fraktionen hinweg einig, dass humanitäre eines solchen Instituts beschließen. Ich sehe zwar viele Hilfe ein wichtiges Thema ist und dass wir alles tun wol- Parallelen zum Deutschen Institut für Menschenrechte, len und sollen, um die humanitäre Hilfe kompetent, nach aber es gibt auch Unterschiede. Das Deutsche Institut den Prinzipien der humanitären Hilfe und international für Menschenrechte – dafür haben wir gemeinsam ge- abgestimmt zu leisten. Wir sind uns, – glaube ich, – auch kämpft – beobachtet auch die Menschenrechtssituation einig über die fünf Punkte, die Tom Koenigs genannt hat in Deutschland, berichtet dazu, ist als kritisches Pendant und die in dem von ihm mit formulierten Antrag stehen: zu Regierung und Parlament tätig. Demgegenüber gibt es Wir brauchen für die deutschen Nichtregierungsorgani- im Bereich der humanitären Hilfe, wenn überhaupt, nur sationen, die mit großer Sorgfalt, mit großem Engage- sehr wenige Aufgaben, die in Deutschland anfallen; die ment humanitäre Hilfe leisten, Beratungsangebote und meisten Aufgaben sind international. Austauschmöglichkeiten. Humanitäre Hilfe sollte ein Thema für Forschung sein, und konkrete Projekte oder Ich möchte als Letztes auch noch einmal auf das hin- auch Länderstrategien sollten evaluiert werden. Die in- weisen, was Frank Heinrich eben schon zu Recht ange- ternationale Zusammenarbeit ist ebenso wie der Dialog sprochen hat. Die humanitäre Hilfe hat natürlich auch 24630 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Dr. Ute Finckh-Krämer (A) ihren Platz in den Leitlinien des Auswärtigen Amtes. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für (C) Nachdem wir es in dieser Legislaturperiode geschafft diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Widerspruch haben, sie im Ausschuss für Menschenrechte und hu- dagegen erhebt sich keiner. Dann sind alle damit einver- manitäre Hilfe deutlich häufger und deutlich fundierter standen. als in der letzten Legislaturperiode zu behandeln, sollten wir uns für die nächste Legislaturperiode vornehmen, sie Deshalb kann ich auch sofort die Aussprache eröff- auch in die anderen Ausschüsse einzubringen, die thema- nen. Ich erteile als erster Rednerin Bundesministerin tisch etwas dazu beitragen können und die mit den Be- Dr. Barbara Hendricks für die Bundesregierung das Wort. dingungen zu tun haben, unter denen humanitäre Hilfe in (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten vielen Krisen- und Konfiktregionen oder dort, wo Natur- der CDU/CSU) katastrophen oder gesundheitliche Krisen sind, arbeitet. Wenn wir das schaffen, dann haben wir auf jeden Fall aus der heutigen Diskussion etwas gelernt und können Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um- etwas mitnehmen. welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Danke schön. Seit fast zehn Jahren gibt es die Nationale Strategie zur (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten biologischen Vielfalt. Sie ist mit ihren konkreten Zielen der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ bis zum Jahr 2020 nach wie vor ein, wie ich fnde, an- DIE GRÜNEN) spruchsvolles Programm. Trotz einiger Erfolge in den letzten Jahren haben wir jedoch die Trendwende dahin, den Artenverlust zu stoppen, bisher nicht geschafft. Weil Vizepräsident Johannes Singhammer: es absehbar wurde, dass wir die Ziele der Nationalen Vielen Dank. – Ich schließe damit die Aussprache. Strategie verfehlen könnten, haben wir unsere Anstren- gungen verstärkt. Das Bundesumweltministerium hat vor Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag fast zwei Jahren die Naturschutz-Offensive 2020 gestar- der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksa- tet. Wir haben die zehn Handlungsfelder mit dem größten che 18/12530 mit dem Titel „Ein Institut für humanitäre Bedarf identifziert. 40 konkrete Maßnahmen sollen bei Angelegenheiten schaffen“. Wer stimmt für diesen An- der Umsetzung der Nationalen Strategie helfen und eine trag der Fraktion der Grünen? – Wer stimmt dagegen? – neue Dynamik in das Thema „Schutz der biologischen Enthaltungen? – Der Antrag ist damit mit den Stimmen Vielfalt“ bringen. Eine dieser Maßnahmen – damit sind von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion wir bei unserem Tagesordnungspunkt von heute Abend – Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke ab- ist Gegenstand der Novelle des Bundesnaturschutzge- (B) gelehnt. setzes. Es handelt sich um die Ermächtigungsgrundlage (D) Tagesordnungspunkt 18 b. Beschlussempfehlung des zum Erlass von Naturschutzgebieten in der deutschen Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hil- Ausschließlichen Wirtschaftszone. fe zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen In der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt mit dem Titel „Eine Menschheit, gemeinsame Verant- haben wir uns verpfichtet, für alle Arten und Lebensräu- wortung – Für eine fexible, wirksame und zuverlässige me der Küsten und Meere eine signifkante Verbesserung humanitäre Hilfe“. Der Ausschuss empfehlt in seiner des Erhaltungszustandes zu erreichen. Bis dahin ist es Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/10627, aber noch ein weiter Weg. Derzeit sind rund ein Drittel den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der der marinen Lebewesen in Nord- und Ostsee in ihrem Drucksache 18/8619 abzulehnen. Wer für die Beschluss- Bestand gefährdet. Die Ursachen der Gefährdung liegen empfehlung des Ausschusses stimmt, den bitte ich um vor allem in schädlichen Fischereipraktiken, in der Über- ein Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält fschung der Meere und in einer Vielzahl von weiteren sich? – Die Beschlussempfehlung des Ausschusses ist Nutzungen. Die kumulativen Auswirkungen dieser Nut- angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD zungen auf die Natur bereiten immer größere Probleme. gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Ent- Denken Sie zum Beispiel an den Meeresmüll, der viele haltung der Fraktion Die Linke. Ökosysteme und Arten bedroht. Ich bin sehr froh, dass Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 15 a auf: wir kürzlich auf der G‑20-Konferenz in Bremen einen Aktionsplan gegen Meeresmüll fnalisieren konnten, der Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- auch Teil des G‑20-Gipfels der Staats- und Regierungs- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes chef in Hamburg sein wird. zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem vorliegen- Drucksache 18/11939 den Gesetzentwurf schaffen wir die Voraussetzungen für einen besseren Schutz. Er erlaubt es, die Natur der Nord- Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- und Ostsee in Zukunft umfassender und zielgenauer zu ses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsi- schützen. Übrigens haben wir hier durch die Beratun- cherheit (16. Ausschuss) gen im Umweltausschuss eine wichtige Verbesserung Drucksache 18/12845 des Gesetzentwurfes erreicht. Denn jetzt ist klargestellt, dass auch in Zukunft die Ausweisung neuer Schutzge- Hierzu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktio- biete allein durch das fachlich zuständige Ministerium nen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen vor. geschieht, nämlich durch das Bundesumweltministeri- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24631

Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks (A) um. Die fachlich betroffenen Ressorts werden natürlich und Ostsee Meeresschutzgebiete im Rahmen von Na- (C) wie bisher beteiligt. Ein weiterer Beitrag zu mehr biolo- tura 2000 ausgewiesen, ohne dass bisher ausreichende gischer Vielfalt in Deutschland ist die Erweiterung der Schutzmaßnahmen ergriffen wurden. Es darf dort mun- Liste der gesetzlich geschützten Biotope um Höhlen und ter weiter gefscht sowie Sand- und Kiesabbau betrieben naturnahe Stollen. Diese Regelung unterstützt zum Bei- werden – und das in einem ausgewiesenen Schutzgebiet. spiel die Erhaltung des Lebensraums für Fledermäuse Das aktuelle europäische Vertragsverletzungsver- und zahlreiche andere hochspezialisierte Arten. fahren wegen unzureichender Unterschutzstellung von Auch beim Artenschutz gibt es Verbesserungen. Wir Natura-2000-Gebieten in der AWZ dauert an und ist nur werden die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsge- ein Beleg für die unzureichende Meeresschutzpolitik, richts in das Gesetz übernehmen. So gewährleisten wir die die Bundesregierung auf nationaler Ebene in den nicht nur ein hohes Schutzniveau für gefährdete Arten in letzten Jahren betrieben hat. Die Vermutung liegt nahe, Deutschland, sondern erhöhen auch die Rechtssicherheit dass die deutschen Prioritäten bezüglich der Meerespoli- für Vorhabenträger und für die Verwaltung. Auch hier hat tik nicht etwa beim Schutz von Meeresumwelt oder der die Arbeit des Umweltausschusses zu einer Verbesserung Artenvielfalt liegen, sondern anders geartet sein müssen. des Entwurfs beigetragen, namentlich zu einer klareren Wie sonst würde sich die noch im Entwurf enthaltene und eindeutigeren Formulierung des Gesetzeswortlauts. Einvernehmensregelung bezüglich der Ausgestaltung Ich will die Gelegenheit nutzen, mich bei den Mitglie- der AWZ-Verordnungen erklären? Diese Regelung hät- dern des Umweltausschusses dafür herzlich zu bedanken. te einen effektiven Meeresschutz verhindert, da sie den einzelnen Ministerien die Möglichkeit gegeben hätte, die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten für den Meeresschutz dienlichen Verordnungen aufgrund der CDU/CSU) anderer, meist wirtschaftlicher Interessen zu blockieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, all diese Änderun- So etwas darf nicht sein. gen sind für den Naturschutz in Deutschland wichtig. Ich (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- würde mich deshalb freuen, wenn der Deutsche Bundes- NIS 90/DIE GRÜNEN) tag heute grünes Licht für die Novelle des Bundesnatur- schutzgesetzes gibt. Wir brauchen verbindliche Regelungen, die die Gebie- te in Nord- und Ostsee auch effektiv schützen und ihnen Herzlichen Dank. Zeit zur Erholung geben, damit diese auch für folgende (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Generationen erhalten bleiben. Solche Regelungen gibt der CDU/CSU) es derzeit aber nicht. Doch nicht nur zu Wasser erfolgt der Schutz von Natur (B) Vizepräsident Johannes Singhammer: und Tier schleppend, auch an Land kommt die Bundes- (D) Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt die Kollegin Birgit regierung nicht in Schwung. Exemplarisch steht dabei Menz für die Fraktion Die Linke. die Schaffung – man müsste eigentlich sagen: die Nicht- schaffung – eines Biotopverbundes an Land. Ziel eines (Beifall bei der LINKEN) solchen Verbundes ist es unter anderem, heimische Ar- ten und Artengemeinschaften sowie deren Lebensräume Birgit Menz (DIE LINKE): nachhaltig zu schützen. Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Seit dem Jahr 2002, also seit sage und schreibe 15 Jah- Kollegen! Liebe Gäste! Mit dem Entwurf zur Novellie- ren, ist dessen Realisierung vorrangig Aufgabe der Län- rung des Bundesnaturschutzgesetzes wurde seitens der der, welche bisher jedoch nicht ausreichend umgesetzt Bundesregierung der Versuch unternommen, unter ande- werden konnte, da es bisher weder Fristen noch Anreize rem – ich zitiere – „die Grundlagen für einen umfassen- oder andere Mechanismen gibt, die eine Umsetzung be- deren Schutz der Natur in Nord- und Ostsee sowie für schleunigen würden. Was macht die Bundesregierung? die beschleunigte Errichtung eines Biotopverbundes an Sie legt eine Frist für das Jahr 2027 fest, welche über- Land“ zu legen. haupt nicht im Einklang mit den Zieljahren anderer Bio- Nun hört sich diese Absicht sehr gut an, und es ist diversitätsziele steht. auch dringend geboten; denn vor allem der ökologische Noch schlimmer macht es der Änderungsantrag der Zustand von Nord- und Ostsee ist mehr als bedenklich. Großen Koalition mit der Forderung, sich, wenn über- Gründe dafür gibt es viele: Überfschung, Umweltver- haupt, erst in der nächsten Legislaturperiode mit einer schmutzung, Lebensraumzerstörung durch Schlepp- Frist zu beschäftigen. netzfscherei oder Rohstoffabbau. Aber auch Lärmver- schmutzung durch zunehmenden Schiffsverkehr und Bitte führen Sie sich vor Augen: Wir erleben gerade militärische Übungen gefährden nicht nur den ökologi- das größte Artensterben seit dem Zeitalter der Dinosauri- schen Zustand der Gewässer, sondern auch die darin le- er. Die Rote Liste der Weltnaturschutzunion weist derzeit benden Arten wie zum Beispiel den Ostseeschweinswal, etwa 24 000 Tier- und Pfanzenarten aus, die vom Aus- von dem es nur noch 450 Exemplare gibt. sterben akut bedroht sind. Auch in Deutschland können wir beobachten, dass immer weniger Tier- und Pfanzen- Mit der Novellierung hätte die Chance bestanden, arten Raum zum Leben haben. insbesondere beim nationalen Meeresschutz ein paar Schritte voranzukommen. Aber seit Jahren sind in der Die schnellstmögliche Umsetzung eines Biotopver- deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone von Nord- bundes ist daher dringend notwendig, um dem auch hier- 24632 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Birgit Menz (A) zulande stattfndenden Artensterben entgegenzuwirken. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf eines hin- (C) Dem vorliegenden Gesetzentwurf können wir nicht zu- weisen: Der nationale Biotopverbund ist von seinem stimmen. Er ist in dieser Form ein Schlag ins Gesicht Charakter her auf lineare Strukturen angelegt, die die engagierter Naturschützer. großräumigen Schutzgebiete verbinden sollen. Deswe- gen reicht es keinesfalls, auf die europäischen Schutzge- Danke. biete auch noch das Etikett „nationales Biotopverbund- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- system“ zu kleben. Es ist fachlich schon zu Zeiten von neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wolfgang Haber, dem großen bayerischen Naturschützer und Landschaftspfeger, so konzipiert worden, dass die großen Schutz- und Rückzugsräume durch lineare Struk- Vizepräsident Johannes Singhammer: turen verbunden werden müssen, wenn sie wirken sollen Für die Unionsfraktion spricht jetzt der Kollege Josef und wenn den Mitgeschöpfen des Menschen in der tech- Göppel. nisierten Welt noch Lebensraum bleiben soll. Deswegen dürfen wir denen, die in der nächsten Wahlperiode dem (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Deutschen Bundestag angehören, anempfehlen, in den Koalitionsverhandlungen auf diesen Punkt besonders Josef Göppel (CDU/CSU): Wert zu legen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen! So unterschied- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ lich sind die Sichtweisen, Frau Kollegin: Ich sehe dieses DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Klaus- Gesetz als ein schönes Beispiel für selbstbewusstes par- Peter Schulze [CDU/CSU]) lamentarisches Handeln. Ich möchte in diesem Zusammenhang auch darauf Aus meiner Sicht sind zunächst einmal drei Paragrafen hinweisen, dass der Mensch trotz aller Technik und aller besonders erwähnenswert: der § 57 Bundesnaturschutz- zivilisatorischen Errungenschaften, die wir heute haben, gesetz, mit dem es dank des selbstbewussten parlamenta- auf die natürlichen Grundlagen des Lebens angewiesen rischen Handelns gelungen ist, die Ausweisung von Mee- bleibt: auf ackerfähige Böden, auf Weidefächen, auf resschutzzonen außerhalb der Zwölfmeilenzone vor der Fisch­gründe, auf Wälder. Die Grundlagen für die Erzeu- Küste rechtlich so abzusichern, dass diese Schutzgebiete gung von Lebensmitteln im umfassenden Sinn sind auch in den nächsten Jahren wirklich zum Tragen kommen. notwendig zur Aufnahme unserer zivilisatorischen Rest- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) stoffe. Ein Kollege hat in diesem Zusammenhang neulich zu (B) Das ist eine deutliche Verbesserung gegenüber dem Re- (D) gierungsentwurf. Zu Recht, Frau Ministerin, haben Sie mir gesagt: Aber unsere Kernkompetenz ist doch Wirt- sich in dieser Beziehung beim Ausschuss für Umwelt schaft. bedankt. (Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN – Dr. André Hahn Es ist weiter auch der § 44 zu nennen. Darin geht es [DIE LINKE]: Auch das stimmt nicht!) um die Verletzung oder den Tod von Arten im Zusam- menhang mit Eingriffen in die Natur. Manche sagen ja: Gestatten Sie mir an der Stelle einen Vergleich aus dem Wenn das jetzt an die Signifkanz einer Maßnahme ge- Alltagsleben. Ein kleiner Junge sitzt auf dem Arm seines bunden wird, heißt dies, dass eine Maßnahme nur dann, Großvaters. Er streckt seine Hände hoch und ruft: Ich bin wenn durch sie die Gefahr eine bestimmte Schwelle größer als du. – So wie diesem kleinen Jungen ist uns oft überschreitet, nicht zulässig ist. Ich möchte Sie darauf nicht bewusst, was uns trägt. Das steckt in diesem Bun- hinweisen: Die Formulierung ist anders, als die öffent- desnaturschutzgesetz auch drin. liche Diskussion vielfach glauben macht. Es ist nicht so, dass es nur um Populationen und deren Erlöschen geht. Man hat gedacht, dass der unserem Wirtschaftssystem Im Gesetzestext heißt es: Wenn für Exemplare der betrof- innewohnende Wachstumszwang hin zu den Oligopolen fenen Arten ein erhöhtes Verletzungs- oder Todesrisiko seine Begrenzung durch die soziale Marktwirtschaft fn- besteht, dann sind die Maßnahmen zu unterlassen, und det. Heute hat der Entwicklungsminister Gerd Müller ein vorher sind Schutzmaßnahmen vorzunehmen. Die Rege- Buch vorgestellt mit dem Titel Unfair! Für eine gerech- lung bezieht sich also wirklich auch auf eine nennens- te Globalisierung. Es ist unverkennbar, dass die jetzige werte Zahl einzelner Exemplare und nicht lediglich auf Globalisierung am ehesten zu vergleichen ist mit den die Auslöschung der Gesamtpopulation. wild dahinbrausenden Rössern eines antiken Wagenren- nens. Eines Tages wird der Wagen aus der Kurve getra- Schließlich geht es um den § 21. Das ist in der Tat gen und ist führungslos. Deswegen brauchen wir eben kein besonderes Ruhmesblatt für uns im Umweltaus- keinen Rückzug der sozialen Marktwirtschaft auf inter- schuss; denn wenn eine Frist von zehn Jahren für eine nationaler Ebene, sondern gerade wir Deutsche dürfen Maßnahme vorgesehen ist, die eigentlich schon seit dem mit großer Glaubwürdigkeit dafür eintreten, dass eine Jahr 2002 laufen soll, dann kann man nicht sagen, sie soziale und ökologische Marktwirtschaft die Dinge am wäre überstürzt. besten ordnet. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Abgeordneten der LINKEN und des BÜND- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der NISSES 90/DIE GRÜNEN) CDU/CSU und der LINKEN) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24633

Josef Göppel (A) Es gab schon einige – ich erinnere an Ernst Ulrich von verbände hin hat die Koalition diesbezüglich gehandelt. (C) Weizsäcker oder an Franz Josef Radermacher –, die Dieser Punkt in der Novelle ist defnitiv positiv. Schritte dorthin aufgezeichnet haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wie oft schauen wir gleichgültig zu, wenn wieder ir- sowie bei Abgeordneten der SPD) gendwo ein Stück dieser atmenden, offenen, fruchtbaren Erde zugebaut wird. Dass die SPD dafür die zeitliche Zielvorgabe für den Biotopverbund im Gesetz aufgeben musste, dass die SPD (Beifall des Abg. Christian Kühn [Tübingen] das für diesen Erfolg an die CDU geopfert hat, haben der [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Kollege Göppel und die Kollegin Menz von der Links- fraktion vor mir bereits ausgeführt; das ist schade. Das ist Wie gleichgültig beobachten wir zum Beispiel den der erste schlechte Punkt an der Novelle. landfressenden erdgeschossigen Gewerbebau, der land- auf, landab immer noch große Flächen in Anspruch Meine Hauptkritik besteht darin, dass die Novelle an nimmt, obwohl es andere technische Möglichkeiten gäbe. den real existierenden Problemen des Naturschutzes und des Artenschutzes komplett vorbeigeht. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der LINKEN und des Abg. Dr. Klaus-Peter Wir bekommen fast im Wochenrhythmus vom Bun- Schulze [CDU/CSU]) desumweltministerium und seinen nachgeordneten Be- Ich möchte darum bitten und ich fordere uns alle auf: hörden neue Berichte und Katastrophenmeldungen über Unterziehen wir uns der Mühe, auf diese Sachverhalte den Zustand der Natur in Deutschland. Das Artensterben immer wieder hinzuweisen und Anstöße zu geben. schreitet in einem so rasanten Tempo voran, dass wir fast nicht hinterherkommen, diese Berichte überhaupt noch Neulich hat einer in einer Diskussion gefragt: Ja, wie zu lesen und zu analysieren. machen wir es denn dann richtig? – Es gibt für die prak- tische Politik eine klare Richtschnur: Immer dann, wenn Der jüngste Bericht, der „Agrar-Report zur biologi- sich eine Maßnahme den Kreisläufen der Natur nähert, schen Vielfalt“, wurde in dieser Woche von einer nachge- ist sie richtig. Das ist eine gute und kluge Messlatte für ordneten Behörde des Bundesumweltministeriums, dem alle, die unser Land und die Heimat lieben. Bundesamt für Naturschutz, vorgestellt und zieht eine desaströse Bilanz für den Artenschutz und den Zustand (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem der Natur vor allem in agrarisch genutzten Gebieten. Es BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- ist eine Katastrophenbilanz, die dort gezogen wird. Es (B) geordneten der LINKEN) ist ein Armutszeugnis für die Naturschutzpolitik dieser (D) Bundesregierung. Vizepräsident Johannes Singhammer: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Kollegin Steff Lemke spricht jetzt für die Frakti- on Bündnis 90/Die Grünen. Das kann ich Ihnen – liebe Frau Hendricks, Sie wis- sen, dass ich Sie persönlich sehr schätze, und Ihr Ressort ist auch nicht der Verursacher für diese Problematik – Steff Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): trotzdem nicht ersparen: Sie haben in dieser Legislatur- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich periode nicht genug für den Artenschutz und für den Na- beginne mit dem Positiven: Es ist gut, dass mit dieser turschutz getan. Bundesnaturschutzgesetznovelle die Rechtsgrundlage (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) für die Ausweisung der Meeresschutzgebiete außerhalb der Zwölfmeilenzone geschaffen wird. Schade ist, dass Der Rückgang bei den Vögeln ist so dramatisch, dass das Ganze so lange dauert. Der Hintergrund ist ein Ver- zwei Drittel als gefährdet gelten. Unsere Enkel werden tragsverletzungsverfahren der EU gegen Deutschland, Vogelarten, die wir für vollkommen normal halten, wie weil Deutschland mit der Ausweisung dieser Meeres- den Kiebitz oder das Rebhuhn, nicht mehr kennen, wenn schutzgebiete säumig ist. Aber es ist gut, dass es jetzt die Politik der Großen Koalition fortgesetzt werden soll- kommt. te. Sie werden sie dann nur noch aus Lehrbüchern ken- nen. Das Gleiche können wir für Moore und Insekten sa- Ich möchte mich in einem Punkt dem Lob für den gen. Inzwischen sind in einzelnen Regionen 80 Prozent Änderungsantrag anschließen. Es ist gut, dass die aus der Insektenbiomasse verschwunden. meiner Sicht komplett absurde Idee, den Nutzerressorts bei der Ausweisung dieser Schutzgebiete ein Vetorecht Es ist doch vollkommen klar, dass das Auswirkungen einzuräumen, von den Koalitionsfraktionen gestrichen auf das gesamte Wirtschaftsleben – nicht nur auf die Ag- worden ist. Das wäre im deutschen Naturschutzrecht ein rarwirtschaft – in Deutschland haben wird, dass es unser einmaliger Vorgang gewesen. gesamtes Leben infrage stellt, wenn das Artensterben in so galoppierender Weise weiter voranschreitet. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte in den Dank unbedingt die Umweltverbände Weil die Novelle all diese Aspekte in keiner Weise mit einschließen; denn nur auf den Druck der Umwelt- aufgreift – die gesamte Agrarproblematik bleibt dort au- 24634 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Steff Lemke (A) ßen vor –, geht sie an den real existierenden Problemen das Forschungsministerium ein Quasivetorecht erhalten (C) vorbei. sollten, ausgerechnet also diejenigen Ministerien, die in den Meeresschutzgebieten ganz andere Interessen als Sie haben mit einer anderen Novelle vor wenigen Wo- den Schutz von Natur und Arten haben. chen hier im Haus, die das Baugesetzbuch betraf, beim Ziel, den Flächenfraß in Deutschland zu stoppen, noch Wenn nach einem einstimmigen Kabinettsbeschluss eins oben draufgesetzt. Das zeigt, dass die Prioritätenset- praktisch jede und jeder vom Gegenteil des Beschlus- zung in Ihrem Ministerium sehr stark auf den Bereich ses überzeugt werden muss, dann ist das eben doch ein Bauen und nicht auf den Bereich Naturschutz oder Um- schweres Stück politischer Arbeit, und deshalb ist es jetzt weltschutz ausgerichtet war. ein großer Erfolg. Von daher ist Ihre Naturschutzbilanz und Ihre Arten- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Marie- schutzbilanz, Frau Hendricks, negativ. Sie ist eine Kata- Luise Dött [CDU/CSU]) strophe angesichts dessen, was wir jede Woche neu lesen müssen, angesichts dessen, was wir zu verlieren drohen: Namentlich geht es um den § 57 der Novelle, der die die wunderbare Natur, die Naturlandschaften, die wir alle Ausweisung der Meeresschutzgebiete betrifft. Es ist noch kennen und in die wir gehen, um uns zu erholen. schon angesprochen worden: Alle Naturschutzverbände Diese würden wir verlieren, wenn Sie mit Ihrer Politik haben völlig zu Recht Alarm geschlagen. Sie befürchte- fortfahren würden. Das ist am 24. September bei der ten, dass dringend notwendige Schutzmaßnahmen un- Bundestagswahl änderbar; daran werden wir arbeiten. möglich werden, und sie befürchteten, dass wir einen Herr Präsident, wenn ich noch einen Satz sagen darf: Präzedenzfall für andere Umweltbelange schaffen, wenn Herr Göppel, ich möchte Ihnen für Ihre Rede und für Ihre die Nutzer gleichberechtigt mit den Naturschützern ver- Arbeit im Ausschuss persönlich sehr danken. Sie werden handeln – wohlgemerkt in Bezug auf Naturschutzgebiete. dem nächsten Hohen Haus sehr fehlen, Sie werden Ihrer Auch der Bundesrat und die Experten in der Aus- Fraktion sehr fehlen. Aber ich hoffe, dass Sie dem Natur- schussanhörung haben ganz klar zum Ausdruck gebracht, schutz erhalten bleiben, an anderen Stellen, an denen Sie was sie von dem Vorschlag des Einvernehmens halten: in Zukunft wirken werden. Ich würde mich freuen, wenn nämlich nichts. Denn selbstverständlich werden ja be- wir uns in diesem Zusammenhang wiedersähen. reits heute die Belange der betroffenen Ressorts berück- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sichtigt, aber dies eben durch die bestehende Formulie- und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der rung einer Beteiligung, und sie ist längst gute politische CDU/CSU) Praxis. (B) Deshalb ist es ein Gebot der Vernunft und Ausdruck (D) Vizepräsident Johannes Singhammer: der Klugheit des Parlaments, die uns ja gelegentlich ab- Herr Kollege Göppel wird noch eine weitere Rede in gesprochen wird, dass wir eben nicht abnicken, sondern der nächsten Sitzungswoche halten. Sonst hätten wir alle dass wir diesen Änderungsvorschlag zurückweisen und natürlich schon die passenden Worte gefunden. – Vielen bei der guten alten Regelung bleiben. Ich freue mich Dank aber. sehr, dass wir und dass du, Josef, unseren Koalitionspart- Zum Ende der Aussprache hat der Kollege Carsten ner überzeugt haben. Nach meinem Empfnden haben Träger für die Fraktion der SPD das Wort. wir das ganz gut gemacht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD) der CDU/CSU) Wenn uns sogar Steff Lemke dafür lobt, dann will das ja wahrlich etwas heißen. Carsten Träger (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Ich möchte noch zwei andere Punkte loben. Kollegen! Was würden Sie sagen: Wer soll in der Regie- rung für Naturschutzgebiete zuständig sein? (Steff Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ich hoffe, du hast die Kritik auch zur (Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Kenntnis genommen!) Ich! – Heiterkeit) – Ja. Das habe ich aber jetzt, weil du vor mir gesprochen Wahrscheinlich sagen Sie jetzt: das Ministerium für hast, herausgenommen; sonst hätte ich es noch erwähnt. Umwelt und Naturschutz. – Genau. So sehen wir das auch, und deshalb beschließen wir das heute auch so. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und Wahrscheinlich werden Sie jetzt fragen: Ja, und das soll des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) eine tolle Leistung sein? – Und ich sage Ihnen: Ja, das ist eine tolle Leistung des Parlaments und in diesem Fall der Wir sind dem Wunsch der Naturparke nachgekom- SPD-Fraktion; men. Die Novelle schreibt jetzt den gesetzlichen Auf- trag für die Naturparke fest – Bildung für nachhaltige (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Entwicklung –, und wir stellen Höhlen und naturnahe denn zwischenzeitlich sah der Regierungsentwurf näm- Stollen als Lebensraum für Fledermausarten und andere lich vor, dass das Verkehrsministerium, das für Fischerei schützenswerte Arten unter Schutz. Auch das sind gute zuständige Ministerium, das Wirtschaftsministerium und Punkte. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24635

Carsten Träger (A) Trotzdem ist es aber richtig: Es gibt noch viel zu tun Wir kommen jetzt zum Entschließungsantrag der Frak- (C) im Naturschutz. Ich hoffe sehr, dass wir auch nach der tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12853. Wahl eine Mehrheit dafür haben werden. Wer für diesen Entschließungsantrag der Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen stimmt, den bitte ich um ein Hand- Wie es nicht kommen darf, zeigt uns der Koalitions- zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Kei- vertrag von NRW. Ich darf einen Satz daraus zitieren, aus ne. Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von dem Kapitel „Naturschutz“ wohlgemerkt: CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Um den weiteren Verlust biologischer Vielfalt zu Linke und von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. stoppen, wollen wir auf eine bessere Ursachener- Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 20 auf: mittlung statt Beschränkungen ... setzen. Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Hinzu kommt eine Rolle rückwärts im Bereich der Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu erneuerbaren Energien durch überdimensionierte Ab- dem Antrag der Abgeordneten Roland Claus, standsregelungen bei der Windkraft. Dieser Koalitions- Stefan Liebich, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Ab- vertrag sollte uns eine Lehre sein. Er zeigt, warum es eine geordneter und der Fraktion DIE LINKE Neuaufage von Schwarz-Gelb nicht geben darf; aber las- Beendigungsgesetz zum Berlin/Bonn-Gesetz sen wir uns durch NRW nicht die Petersilie verhageln. Heute ist ein guter Tag für den Meeresschutz. Arbeiten Drucksachen 18/8130, 18/12620 wir daran, dass es noch viele weitere gute Tage geben Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Da- wird. gegen erhebt sich keinerlei Widerspruch. Daraus schließe Vielen Dank. ich, dass Sie alle damit einverstanden sind.1) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Deshalb kommen wir auch unmittelbar zur Abstim- der CDU/CSU) mung. Es liegt mir eine Erklärung nach § 31 unserer Ge- Vizepräsident Johannes Singhammer: schäftsordnung vor.2) Ich schließe die Aussprache. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Re- Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der aktorsicherheit empfehlt in seiner Beschlussempfehlung Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Än- auf Drucksache 18/12620, den Antrag der Fraktion Die (B) derung des Bundesnaturschutzgesetzes. Der Ausschuss Linke auf Drucksache 18/8130 abzulehnen. Wer für diese (D) für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Beschlussempfehlung des Ausschusses stimmt, den bitte empfehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- ich um ein Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Darf che 18/12845, den Gesetzentwurf der Bundesregierung ich noch einmal nachfragen: War das bei der Fraktion auf Drucksache 18/11939 in der Ausschussfassung an- Die Linke ein unterschiedliches Stimmverhalten? zunehmen. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzent- (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Ja! Ich wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das stimme mit der CDU!) Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung – Sie haben dafürgestimmt. Gut. – Die Beschlussempfeh- mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die lung ist angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU Stimmen der Fraktion Die Linke und von Bündnis 90/ und SPD sowie mit den Stimmen der Fraktion von Bünd- Die Grünen angenommen. nis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke, bei einer Ausnahme. Wir kommen jetzt zur (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Einer dritten Beratung einzigen!) und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Damit können wir diesen Tagesordnungspunkt verlassen. Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Der Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 17: Gesetzentwurf ist mit den Stimmen von CDU/CSU und Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und von regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Bündnis 90/Die Grünen angenommen. zes zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit Wir kommen nun zur Abstimmung über die Entschlie- in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung ßungsanträge. der Kommunikationshilfen für Menschen mit Sprach- und Hörbehinderungen Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf der (Gesetz über die Erweiterung der Medienöf- Drucksache 18/12852. Wer stimmt für diesen Entschlie- fentlichkeit in Gerichtsverfahren – EMöGG) ßungsantrag der Fraktion Die Linke? – Wer stimmt dage- gen? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Drucksache 18/10144 Fraktionen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die 1) 5 Anlage Grünen abgelehnt. 2) 6 Anlage 24636 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Vizepräsident Johannes Singhammer (A) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem (C) ses für Recht und Verbraucherschutz (6. Aus- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – schuss) Gibt es Gegenstimmen? – Das ist nicht der Fall. – Ent- haltungen gibt es auch nicht. Der Gesetzentwurf ist damit Drucksache 18/12591 mit allen Stimmen des Hohen Hauses angenommen. Diese Reden sollen ebenfalls zu Protokoll gegeben Wir kommen jetzt zu Tagesordnungspunkt 21, den ich werden. – Ich sehe allgemeines Einverständnis dazu.1) hiermit aufrufe: Deshalb kommen wir sofort zur Abstimmung. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfehlt in Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12591, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf der Druck- Hilfen für Kinder psychisch kranker Eltern sache 18/10144 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Drucksache 18/12780 Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für chen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Widerspruch Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den dagegen sehe ich keinen. Dann ist das so beschlossen. Stimmen des gesamten Hauses angenommen. Ich eröffne die Aussprache. Als erstem Redner ertei- Wir kommen zur le ich dem Kollegen Eckhard Pols für die Fraktion der dritten Beratung CDU/CSU das Wort. und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – ordneten der SPD) Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Auch keine. Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen des ge- Eckhard Pols (CDU/CSU): samten Hohen Hauses angenommen. Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 19 auf: Kollegen! Die Hilfe für Kinder mit psychisch erkrank- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio- ten Eltern begleitet mich schon einige Jahre. Durch Ge- nen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ent- spräche zum Thema Kindergesundheit – auch mit dem wurfs eines Gesetzes zur Sicherung der tarif- Chefarzt der Kinder- und Jugendabteilung der Psychia- trischen Klinik in Lüneburg, Dr. Naumann – bin ich auf (B) vertraglichen Sozialkassenverfahren und zur (D) Änderung des Arbeitsgerichtsgesetzes dieses Thema aufmerksam geworden. Drucksache 18/12510 Dass etwas passieren muss, kann bei geschätzt 3 bis 4 Millionen betroffenen Kindern mit einem vorüberge- Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- hend oder dauerhaft psychisch erkrankten Elternteil nie- ses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) mand bezweifeln. Viele Familien fnden geeignete Wege, mit der Belastung umzugehen und negative Folgen für Drucksache 18/12827 ihre Kinder zu vermeiden. Klar ist auch, dass nicht jede Auch diese Reden sollen zu Protokoll gegeben wer- psychische Störung eines Elternteils zwangsläufg zu ei- den. – Ich sehe auch dazu ausschließlich Einverständnis.2) ner eingeschränkten Erziehungskompetenz führt. Häufg genug erfahren Kinder und Jugendliche aus betroffenen Deshalb kommen wir unmittelbar zur Abstimmung. Familien jedoch unzureichende Unterstützung und Für- Auch dazu liegen mir zwei Erklärungen nach § 31 un- sorge oder leiden unter den Auswirkungen elterlichen serer Geschäftsordnung vor.3) Verhaltens, was sich negativ auf ihre Entwicklung aus- wirken kann. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfehlt in sei- ner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/12827, Statistiken besagen, dass Kinder und Jugendliche von den Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU/CSU und psychisch kranken Eltern ein drei- bis vierfaches Risi- SPD auf der Drucksache 18/12510 in der Ausschussfas- ko haben, selber psychisch zu erkranken. Bei einer Ex- sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz- pertenanhörung der Kinderkommission des Deutschen entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um Bundestages im Jahre 2013 wurde als Ursache für dieses das Handzeichen. – Gibt es Gegenstimmen? – Enthal- erhöhte Risiko ein Zusammenspiel aus sozialen Kom- tungen? – Keine. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter ponenten, besonders schwierigen Lebens- und Entwick- Beratung mit allen Stimmen des Hohen Hauses ange- lungsbedingungen sowie genetischen Faktoren genannt. nommen. Eine besondere Belastung für Kinder und Jugendliche entsteht durch die Tabuisierung psychischer Erkrankun- Wir kommen jetzt zur gen der Eltern durch die Familien, was Isolation und dritten Beratung Ausgrenzung der Kinder zur Folge haben kann. Hinzu kommen häufg fnanzielle Probleme, wenig soziale Un- 1) 7 Anlage terstützung, Desorientierung, sozialer Rückzug, Ängste 2) 8 Anlage und Schuldgefühle. Es stellt sich also die Frage, was wir 3) 9 Anlage tun können, um Kindern in dieser Situation zu helfen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24637

Eckhard Pols (A) Wie so häufg sind auch hier Prävention und das frü- chungsschwerpunkten berichten. Da meine Redezeit ab- (C) he Bereitstellen von Hilfen Schlüssel zum Erfolg. Kin- läuft, überlasse ich es Paul, etwas dazu zu sagen. der haben weitaus bessere Chancen als Erwachsene, ein normales Leben zu führen, wenn sie frühzeitig Unter- Ich glaube, dass wir heute einen großen Schritt ma- stützung erhalten. Gleichzeitig dürften sich die Kosten chen, um die Situation der Betroffenen zu verbessern, für die Gesellschaft und für unser Gesundheitssystem und hoffe, dass der breite Konsens zur Erreichung dieser verringern. Hierbei spielen kommunale Angebote wie Verbesserung über diese Legislaturperiode hinaus auch lokale Initiativen und ehrenamtliches Engagement eine in der kommenden Legislaturperiode Bestand hat. wichtige Rolle. Vielen Dank. Wir als Bund sind aufgefordert, in unserem Aufgaben- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bereich die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu schaf- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE fen. Der Hilfebedarf betroffener Kinder und Jugendli- GRÜNEN) cher umfasst ein breites Spektrum von niederschwelliger punktueller Unterstützung bis hin zur Intervention im Vizepräsident Johannes Singhammer: Falle einer drohenden Kindeswohlgefährdung. Ein früh- zeitiges Erreichen der Familien zu Beginn der Behand- Die Kollegin Birgit Wöllert spricht jetzt für die Frak- lung der Eltern und die Identifkation der spezifschen tion Die Linke. familiären Belastung sind hier unerlässlich. Hierdurch (Beifall bei der LINKEN) kann die Entwicklung der Kinder gezielt gefördert und ihre psychische Widerstandsfähigkeit gestärkt werden, Birgit Wöllert (DIE LINKE): und das ist unerlässlich für das Kindeswohl. Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle- (Beifall bei der CDU/CSU) gen! Werte Gäste, die Sie es zu dieser späten Stunde hier noch aushalten! Familien mit psychisch kranken Eltern benötigen häufg Hilfen, die auf verschiedenen landesrechtlichen (Dagmar Ziegler [SPD]: Es ist doch schön Vorschriften und verschiedenen Sozialgesetzbüchern be- hier!) ruhen. Wie so oft hapert es auch hier an den Schnittstel- len der Problematiken und an nicht immer eindeutigen Aber das Thema ist ja auch wichtig. Zuständigkeiten. Die Kooperation und die Koordination Lange, viel zu lange wurde darüber diskutiert, wie der unterschiedlichen Hilfsangebote und Leistungser- Kinder psychisch kranker Eltern vor eigenen psychischen bringer für Kinder und Erwachsene spielen eine zentrale Erkrankungen bewahrt werden können und wie man ih- (B) Rolle. Aufgrund ihrer Krankheitsbilder sind die Betroffe- nen gute Entwicklungschancen ermöglicht. Statt der von (D) nen oft nicht in der Lage, alle verfügbaren Informationen der Kinderkommission geforderten Expertenkommission und Hilfeleistungen selbst anzufordern und für sich in wird in dem uns nun vorliegenden Antrag eine interdis- Anspruch zu nehmen. Aufsuchende Hilfen sind hier die ziplinäre Arbeitsgruppe gefordert. Dieser Arbeitsgrup- naheliegende Lösung. Es ist nun endlich Zeit, Ansätze pe sollen konkrete Arbeitsaufgaben übertragen werden. auszuarbeiten, um eine optimale interdisziplinäre Versor- Über deren Ergebnisse soll dann im Juli 2018 dem Bun- gung der betroffenen Familien zu gewährleisten. destag berichtet werden. Auch gegen die geforderten Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen ist natürlich nichts An dieser Stelle möchte ich euch, liebe Ulrike Bahr einzuwenden. Die aufgeführten Professionen sollten un- und liebe Beate Walter-Rosenheimer, einmal ausdrück- serer Meinung nach allerdings um Fachkräfte der Kin- lich Danke sagen. Ich fnde es großartig, dass wir hier der- und Jugendsozialarbeit ergänzt werden; diese fehlen interfraktionell einen breiten Konsens gefunden haben bei Ihnen nämlich. und diesen Antrag auf den Weg bringen. Auch dir, lie- ber Paul Lehrieder, sage ich als Ausschussvorsitzendem (Beifall bei der LINKEN) herzlichen Dank, dass du uns dabei unterstützt hast. All dem können wir in der Hoffnung zustimmen, dass (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie dies wenigstens ein Anfang ist. bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In den letzten Jahren ist die Zahl der psychisch Er- krankten laut Statistiken der gesetzlichen Kranken- Du hast großen persönlichen Einsatz gezeigt und dich versicherung ständig gestiegen. Gleichzeitig ist unser für dieses Thema starkgemacht, sodass wir endlich etwas vielfach strukturiertes Gesundheits- und Sozialsystem in die Hand bekommen, um den Betroffenen helfen zu immer komplizierter geworden. Daraus resultiert, dass es können. schwer ist, die richtigen Hilfs- und Unterstützungsange- bote zu fnden und miteinander zu vernetzen. Ziel ist es, diesen Kindern zu helfen und klarzustel- len, an welchen Stellen Handlungsbedarf besteht. Wir In der Antwort auf die Kleine Anfrage meiner Frakti- wollen deshalb die Einrichtung einer zeitlich befristeten on zu diesem Thema konnte die Bundesregierung zwar interdisziplinären Arbeitsgruppe unter Beteiligung der keine genauen Zahlen zu betroffenen Kindern und Ju- zuständigen Bundesministerien, des Bundesfamilienmi- gendlichen nennen. Fallzahlen, die auf Hochrechnungen nisteriums, des Bundessozialministeriums und des Bun- beruhen, gehen aber von 3,8 Millionen betroffenen Kin- desgesundheitsministeriums, beschließen, die genau das dern und Jugendlichen aus; davon sind etwa 15 Prozent leisten wird. Diese Arbeitsgruppe soll zu fünf Untersu- Kinder unter drei Jahren. Ebenfalls in der Antwort auf 24638 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Birgit Wöllert (A) unsere Kleine Anfrage wurde uns mitgeteilt – das hatte Vizepräsident Johannes Singhammer: (C) der Kollege Pols schon genannt –, dass gesichert ist, dass Frau Kollegin Wöllert, denken Sie an Ihre Redezeit. Kinder psychisch erkrankter Eltern ein erhöhtes geneti- sches wie auch ein vor allem aus sozialen Komponenten Birgit Wöllert (DIE LINKE): abzuleitendes Krankheitsrisiko haben. Das haben wir in der letzten Gesundheitsausschusssit- Unter diesem Aspekt gesehen, ist der Hinweis im An- zung erlebt, als Ihre Kollegen vor Schreck den eigenen trag völlig richtig, dass diese Kinder und Jugendlichen Antrag ablehnten, weil wir ihm zustimmten. ein unterstützendes soziales Umfeld brauchen, das von Vielen Dank. alltagspraktischer bis zu ärztlicher und psychotherapeu- tischer Behandlung reicht. Hier ist zu ergänzen, dass (Beifall bei der LINKEN) Gesundheitsvorsorge und Prävention noch dazukommen müssen; denn wenn eine Behandlung notwendig sein Vizepräsident Johannes Singhammer: sollte, ist das Kind schon in den Brunnen gefallen. Gera- Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulrike Bahr für die de das soll ja verhindert werden. Fraktion der SPD. Hier bin ich bei dem Punkt, den ich aus gesundheits- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) politischer Sicht als zu kurz gekommen betrachte. Auf unsere Frage nach bundesrechtlich geregelten Leistun- Ulrike Bahr (SPD): gen mit Rechtsanspruch verweist die Bundesregierung Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen und auf Leistungen der Kinderrehabilitation, die von der Kolleginnen! Heute machen wir einen Schritt hin zu Lö- Deutschen Rentenversicherung erbracht werden. Die- sungen für eine völlig unterversorgte Personengruppe. se Rehamaßnahmen richten sich aber ausschließlich an Seit ich im Deutschen Bundestag wirken darf, begleitet Kinder und Jugendliche, die selbst an einer schweren mich dieses Thema, und ich bin sehr froh, dass wir die- chronischen Krankheit leiden. Eine psychosoziale Be- sen Schritt jetzt endlich gehen, und zwar gemeinsam mit lastungssituation durch die Erkrankung der Eltern reicht einem interfraktionellen Antrag. eben gerade nicht aus, um eine Rehaleistung in Anspruch zu nehmen. Genau das muss geändert werden. Ich möchte Ihnen mit einem Beispiel illustrieren, was es für die ganze Familie bedeutet, wenn ein Elternteil (Beifall bei der LINKEN) psychisch erkrankt, und wie schwierig es ist, abgestimm- te Hilfen zu bieten, obwohl viele Menschen mitbekom- Laut der Antwort auf meine schriftliche Frage an die men, dass in der Familie etwas nicht rundläuft. Aber es (B) Bundesregierung sinkt die Zahl der gewährten Reha­ hat eben niemand eine Gesamtverantwortung oder auch (D) leistungen insgesamt seit 2007 konstant. Das heißt also: bloß die Autorität, eine Gesamtversorgung mit unter- Weil auch gesundheitsgefährdete Kinder Anspruch auf schiedlichen Hilfen zu steuern. eine Reha haben, müsste es laut Aussagen der Deutschen Frau Mayer, wie wir sie einmal nennen wollen, lebt in Rentenversicherung schon jetzt möglich sein, diese Kin- Augsburg. Sie ist in einem Altenheim in Teilzeit beschäf- der mit einzubeziehen. tigt und mit einem Polizisten verheiratet, der im Schicht- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) dienst arbeitet und sich außerdem mit viel Sport ft halten muss. Schon immer hat die Mutter die Verantwortung für Auf die Frage, wie die Bundesregierung die Wirksam- die Kinder ganz überwiegend übernommen. Die Großel- keit präventiver Angebote für Kinder psychisch kranker tern wohnen weit entfernt und können nicht einspringen. Eltern einschätzt, wurden wir auf Projekte wie STEEP Seit zwei Jahren hat Frau Mayer immer mal wieder und die Entwicklungspsychologische Beratung hinge- psychische Krisen mit akuter Angst und Wahnideen, die wiesen. Diese Projekte waren aber gerade nicht für die in Schüben verlaufen. Der Sozialpsychiatrische Dienst betroffenen Kinder konzipiert, von denen wir hier reden. hatte sie phasenweise betreut. Die Schwangerschaft mit Was noch schlimmer ist: Die Projekte sind ausgelaufen; ihrem dritten Kind war für Frau Mayer problematisch. sie wurden nicht kontinuierlich fortgeführt. Sie gehörten Sie entwickelte starke Ängste, die zwar ihrer Frauenärz- zu den Frühen Hilfen – es war also nur der Bereich der tin und dem Hausarzt auffelen, die beide aber nicht wei- Kinder bis zu drei Jahren abgedeckt –, und jetzt ist davon ter zum Thema machten. Während akuter Krisen geht zum größten Teil nichts mehr da. Frau Mayer nicht aus dem Haus, auch nicht zum Ein- kaufen. Das müssen während dieser Phasen ihr Ehemann Die angesprochenen Hilfen zur Erziehung sind rich- oder die älteste Tochter, elf Jahre alt, erledigen. tig. Aber auch hier ist ein Antrag durch die Eltern Voraus- setzung; denn Hilfen zur Erziehung werden auf Antrag Seit der Geburt ihres dritten Kindes vor vier Monaten gewährt. schafft sie die Grundversorgung der Familie zunehmend nicht mehr. Sie verwahrlost nach außen, schämt sich sehr Wir bedauern sehr, dass das ideologische Dogma der und ist überzeugt davon, keine gute Mutter mehr zu sein. CDU/CSU-Fraktion verhindert hat, die bisherige ge- Das prägt ihr Verhalten den Kindern gegenüber, das von meinsame sachorientierte Arbeit auch zu einem gemein- hoher Sprunghaftigkeit und emotionaler Instabilität ge- samen Antrag aller Fraktionen zu führen. Lassen Sie sich kennzeichnet ist. Zunehmend werden die Kinder auch einmal vom Kollegen Irlstorfer berichten, wie peinlich ein Bestandteil ihrer Ängste. Das führt dazu, dass sie die solche Dogmen werden können. Kinder möglichst bei sich in der Wohnung haben möchte. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24639

Ulrike Bahr (A) Sie ist aber nicht in der Lage, sich länger mit ihnen zu frühzeitig die nötige Hilfe bekommen. Aufgabe für die (C) beschäftigen. nächste Wahlperiode wird es dann sein, auf der Grundla- ge der Ergebnisse dieser Arbeitsgruppe ein Rahmenkon- Die Kinder zeigen alle auf ihre Art, dass sie unter der zept für die Gestaltung von komplexen, mischfnanzier- Situation leiden. Der Nachbarin ist aufgefallen, dass das ten Hilfen für Familien mit psychisch kranken Eltern zu vier Monate alte Baby sehr viel weint. Sie hat aus Sorge entwickeln. um das Kind das Jugendamt angerufen. Die Mutter hat die letzte vorgesehene Untersuchung des Babys beim Diese Probleme – das möchte ich noch einmal beto- Kinderarzt versäumt. nen – sind keine Nischenprobleme. Psychische Erkran- kungen sind nicht selten. Mehr als 3 Millionen Kinder Ihr mittleres Kind, ein sechsjähriger Junge, steht kurz sind zumindest vorübergehend betroffen. Für sehr sinn- vor dem Übergang vom Kindergarten in die Grundschu- voll halte ich es deshalb auch, über psychische Erkran- le. Er hat wieder angefangen, nachts einzunässen, träumt kungen mehr und breiter aufzuklären. Zu wenig Wissen schlecht und wacht manchmal schreiend auf. In den Kin- über Krankheitsanzeichen und -verläufe auf der einen dergarten kommt er oft ohne Frühstücksbrot und fällt den Seite, Tabus und Scham auf der anderen schaffen ein Kli- Erzieherinnen manchmal durch unpassende Kleidung ma, das es den Kindern fast unmöglich macht, sich Er- auf. Er ist ein sehr unauffälliges und ängstliches Kind, ziehern oder Lehrern, Freunden oder Nachbarn zu offen- zieht sich immer mehr zurück und hat keine Freunde. Im baren. Für Kinder ist es nicht einfach, wenn die geliebten Kindergarten bekommt er zusätzliche Sprachförderung. Eltern plötzlich seltsam, komisch oder beängstigend wir- Die große Schwester besucht die Realschule. Sie ist ken. Noch schlimmer ist es aber, wenn daraus ein Fami- eine gute Schülerin, jedoch insgesamt sehr zurückhal- liengeheimnis gemacht werden soll, wenn weitere Ver- tend. Es fällt auf, dass sie sehr umsichtig ist, dabei aber trauenspersonen mit Unverständnis reagieren, wenn die kaum eigene Bedürfnisse anmeldet oder durchsetzt. Mit- Kinder vielleicht wegen ihrer komischen Eltern gemobbt tags nach der Schule geht sie direkt nach Hause. Manch- oder gemieden werden. mal geht sie alleine einkaufen. Der Bruder erzählt, dass Hier hilft nur ein dreistufges Vorgehen, wie im Antrag seine Schwester das Essen macht, wenn Mama wieder beschrieben, nämlich erstens allgemein der Stigmatisie- komisch ist. Die wenigen Freunde der Familie haben sich rung psychisch Erkrankter entgegenzuwirken, zweitens zurückgezogen und machen sich aus der Ferne Sorgen. alle Fachleute, die mit Kindern oder Eltern arbeiten, ent- Das Beispiel zeigt: Die schwierige Lage der Familie sprechend fortzubilden und drittens, kindgerechte Mate- ist eigentlich vielen bekannt. Der Sozialpsychiatrische rialien für die betroffenen Kinder selbst in die Breite zu Dienst hatte schon Kontakt. Der Hausarzt und die Frau- tragen. Der Dachverband Gemeindepsychiatrie zum Bei- enärztin haben die Probleme zumindest im Ansatz gese- spiel hat dazu schon sehr gute Materialien bereitgestellt. (B) hen; die Hebamme und der Kinderarzt sehen sie auch. (D) In der Umsetzung des vorliegenden Antrags freue ich In der Kita, der Schule und auch beim Jugendamt liegen mich auf eine engagierte Aufklärungsarbeit und auf die Informationen vor. Aber niemand handelt; denn es gibt Vorschläge der Arbeitsgruppe zur besseren Kooperation keine geregelte und vor allem fnanzierte Netzwerkarbeit der Hilfesysteme, die wir dann im nächsten Jahr im neu- der jeweiligen Systemvertreter. Die Akteure aus dem Ge- en Bundestag beraten werden. sundheits- und Jugendhilfebereich, aus den Betreuungs- und Bildungseinrichtungen brauchen einen rechtlichen Ich möchte es nicht versäumen, besonders dem Bun- und fnanziellen Rahmen für die Möglichkeit einer an- desverband für Erziehungshilfe, AFET, und dem Dach- onymisierten Fallbesprechung. Bei Familie Mayer – wie verband Gemeindepsychiatrie für ihre jahrelange be- auch bei vielen anderen ähnlich gelagerten Fällen – sind harrliche Begleitung und Lobbyarbeit ganz herzlich zu zwar zeitgleich mehrere Unterstützersysteme und Fach- danken; denn wir alle wissen seit Max Weber: Politik ist kräfte aktiv, aber sie wissen nichts voneinander und neh- das starke und langsame Bohren dicker Bretter mit Lei- men nur ihre eigene Fachlichkeit wahr. denschaft und Augenmaß. Familien mit einem psychisch kranken Elternteil, des- Vielen Dank. sen Erkrankung vielleicht in Schüben verläuft, bedürfen einer fexiblen Unterstützung, die sich mal an die kranke (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem Mutter, mal an die Kinder und dann wiederum an alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- richtet. Je nach dem aktuellen Bedarf der jeweiligen Fa- geordneten der LINKEN) milienmitglieder ist mal das eine Unterstützersystem, dann wieder ein anderes stärker im Einsatz und damit Vizepräsident Johannes Singhammer: federführend. Nächste Rednerin ist die Kollegin Beate Walter- Rosenheimer für Bündnis 90/Die Grünen. Mit unserem Antrag wollen wir jetzt eine Grundlage für eine verbindliche und verpfichtende Kooperation der verschiedenen Leistungsträger schaffen. Eine Ar- Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/DIE beitsgruppe aus Fachleuten, begleitet von den beiden zu- GRÜNEN): ständigen Ministerien, wird die Schnittstellen zwischen Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrte Kollegin- den Sozialgesetzbüchern identifzieren, Vorschläge zur nen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf Vernetzung erarbeiten und Regelungslücken ermitteln, den Tribünen! Erlauben Sie mir zunächst eine persönli- damit es nicht mehr vom Wohnort und von Modellpro- che Bemerkung: Mir fällt heute Abend wirklich ein Stein jekten vor Ort abhängt, ob die Kinder der Familie Mayer vom Herzen. Endlich haben wir diese wichtige Abstim- 24640 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Beate Walter-Rosenheimer (A) mung über unseren interfraktionellen Antrag. Wir alle in Deutschland, über die wir sprechen. Wir sprechen also (C) wissen, was für ein Prozess und was für ein langer Weg über eine ziemlich große Gruppe. Diese Kinder brauchen das war und dass es keine ganz einfache Geburt war, den unsere Unterstützung ganz besonders. Sie brauchen ein Antrag noch in dieser Legislatur auf den Weg zu bringen. starkes soziales Umfeld und fachlich qualifzierte Hilfe und sind auf Versorgung angewiesen. Bisher ist leider Für mich als klinische Psychologin, als Mutter von wenig an die Kinder gedacht worden, wenn sich die El- fünf Kindern und auch als Politikerin ist dieses Thema tern in Behandlung begeben haben. eine Herzensangelegenheit. Ich habe bereits 2013 als Vorsitzende der Kinderkommission das Thema bearbei- Die Expertenkommission, die wir einsetzen, soll nun tet, und wir haben damals eine Stellungnahme dazu vor- Lösungsansätze aufzeigen, um künftig eine optimale in- gelegt, die sehr klar auf diesen dringenden Handlungs- terdisziplinäre Versorgung betroffener Familien zu ge- bedarf hingewiesen hat; du wirst dich erinnern, Eckhard. währleisten und diese Kinder fächendeckend zu unter- Sie alle wissen, dass es dann einen Antrag der Grünen stützen. Die Situation ist sehr komplex. Es sind sehr viele gab, den wir im Dezember 2015 verabschiedet haben, Probleme zu berücksichtigen, die man nicht so schnell und dass dann auf unsere Initiative hin Bewegung in die lösen kann. Einfache Antworten sind hier fehl am Platz. Sache kam. Ich bin sehr froh, dass wir in dieser Sache Deshalb machen wir uns für die Einsetzung dieser Grup- Verbündete gefunden haben und dieser gemeinsame An- pe stark. Ich sage ganz klar: Diese Expertenkommission trag möglich war. – Sie können gerne klatschen; denn es ist keine Minimalforderung, wie ich lesen musste, und ist wirklich toll, dass wir das geschafft haben. auch keine Kompromisslösung. Wer das sagt, hat die Sa- che nicht verstanden. Sie ist nämlich der Kern dessen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN was auch die Verbände sich gewünscht haben. Wenn sie und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der gut besetzt ist, wird sie auch sehr kraftvoll sein. CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Mein Dank geht an Sie, Herr Lehrieder, weil Sie ein bei der CDU/CSU und der SPD) wirklich äußerst engagierter und verlässlicher Mitstrei- ter an meiner Seite waren. Ihre Arbeit war sehr von Ih- Ich sage auch ganz klar: Sobald in einem Jahr der Be- rem persönlichen Engagement geprägt, das man immer richt auf dem Tisch liegt, heißt es für uns Politikerinnen merken konnte. Mein Dank geht auch an Sie, liebe Frau und Politiker, die Ärmel hochzukrempeln und an die Ar- Bahr, für die tolle Zusammenarbeit und natürlich an dich, beit zu gehen; denn mein Ziel ist es – ich glaube, das Eckhard Pols, als Berichterstatter. Wir sind auch Kolle- teilen auch Sie –, sobald wie möglich den betroffenen gen in der Kinderkommission. Dank auch an meine Kol- Kindern wirkliche und wirkungsvolle Unterstützung zu legin Maria Klein-Schmeink, die uns von der gesundheit- gewährleisten. Lassen Sie uns das als Ziel für die nächste (B) lichen Seite her unterstützt hat. Nicht zuletzt bedanke ich Wahlperiode schon jetzt festhalten und auf die Agenda (D) mich bei meiner Mitarbeiterin Julia Frederking, die oben setzen, damit in Zukunft keines dieser Kinder mit seiner zuhört und ohne die es nicht geklappt hätte. Überforderung alleingelassen wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Danke für die Arbeit. bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Mein Dank geht an dieser Stelle auch an die Verbände, bei der CDU/CSU und der SPD sowie der die uns sehr unterstützt haben, sehr viel fachlichen Input Abg. Birgit Wöllert [DIE LINKE]) geleistet und dazu beigetragen haben, dass sich etwas be- wegt und wir einen wirklich fundierten Antrag vorlegen können. Vizepräsident Johannes Singhammer: Zum Abschluss dieser Aussprache hat für die Unions- Ein wichtiges Etappenziel ist damit erreicht. Die Ex- fraktion der Kollege Paul Lehrieder das Wort. pertenkommission, die eine Kernforderung dieses An- trags ist, wird daran arbeiten und uns in einem Jahr – das (Beifall bei der CDU/CSU) halte ich für eine tolle Sache – ganz klar den politischen Handlungsbedarf aufzeigen. Wir haben dann also einen Paul Lehrieder (CDU/CSU): Rahmen, um die Situation der betroffenen Kinder und deren Familien wirklich grundsätzlich zu verbessern. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Lie- be Kollegen! Damit mir am Ende meiner Redezeit die Diese Kinder und ihre speziellen Bedürfnisse stan- Zeit nicht zu knapp wird, will ich gleich mit dem Dank den bisher viel zu wenig im Fokus. Frau Bahr, Sie ha- beginnen. Ich darf mich an dieser Stelle ebenfalls sehr ben ein Beispiel gebracht, anhand dessen man sehr gut herzlich bei allen Kolleginnen und Kollegen bedanken, verstanden hat, dass die Kinder Aufgaben übernehmen die wohlmeinend an diesem Antrag mitgeschrieben ha- müssen, denen sie eigentlich noch gar nicht gewachsen ben. Ich darf mich auch beim Gesundheitsministerium, sind. Sie haben geschildert, wie das normale Kinderleben besonders bei Annette Widmann-Mauz, und beim Fami- aus den Fugen gerät und dass sie eigentlich niemanden lienministerium bedanken. Liebe Elke Ferner, dass wir haben, dem sie ihren Kummer und ihre Nöte anvertrau- das noch zum Ende der Amtszeit der Staatssekretärin en können. Diese Situation wollen wir verbessern; daran Ferner auf den Weg bringen können, fnde ich gut. Später arbeiten wir. Sie haben auch erwähnt, dass diese Kinder können Sie aus dem Saarland nach Berlin schauen und ein drei- bis vierfach höheres Risiko haben, später selber sagen: Da haben wir doch etwas Gutes hinbekommen. psychisch zu erkranken. Es sind 3 bis 4 Millionen Kinder Darauf können wir einen Sekt trinken. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24641

Paul Lehrieder (A) Natürlich auch herzlichen Dank an Sie, Frau Kolle- Kommunen, mit den Jugendämtern diesem Problem stel- (C) gin Bahr, und an Sie, Frau Kollegin Walter-Rosenheimer, len. Die Zahlen wurden bereits mehrfach genannt: Zwi- und an Eckhard Pols. Wir haben es gemeinsam geschafft. schen 2,6 und 3,8 Millionen Kinder leben in psychisch Das ist kein Erfolg eines Einzelnen, sondern wir haben belasteten Familien. Nicht alle von ihnen brauchen Hilfe; das gemeinsam auf den Weg gebracht. Vor dreieinhalb aber wir müssen zumindest hinschauen, um herauszufn- Jahren haben wir bereits in der Kinderkommission eine den, wo verzweifelte kleine Helden sind. Anhörung dazu gemacht, und wir haben im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vor fast drei Ich darf mit der geschätzten Erlaubnis des Herrn Prä- Jahren eine Anhörung durchgeführt. Ich bin stolz, dass sidenten einfach ein paar Überschriften aus diesem für sich um diese Zeit – es ist immerhin kurz vor 23 Uhr – Kinder geschriebenen richtungsweisenden Buch zitieren, im Plenum zumindest von unserer Truppe die komplette um Ihnen ein paar Denkanstöße zu geben: „Viele Kinder Arbeitsgruppe „Familie, Senioren, Frauen und Jugend“ fragen sich: Was ist los mit Mama oder Papa? Doch die diesem Thema stellt. Herzlichen Dank dafür! Antworten bleiben oft aus.“ „Kinder psychisch erkrank- ter Eltern erleben überdurchschnittlich häufg Trennun- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU gen und Beziehungsabbrüche.“ „Viele Kinder sind auf und der SPD sowie der Abg. Beate Walter- die Eltern und deren Erkrankung wütend.“ „Viele Kinder Rosenheimer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- fragen sich, ob auch sie eine psychische Erkrankung ent- NEN] – Zurufe von der SPD und dem BÜND- wickeln können.“ „Viele Kinder von psychisch kranken NIS 90/DIE GRÜNEN) Eltern fnden keinen Anschluss an Gleichaltrige.“ „Oft – Das gilt natürlich auch für euch. Ich kann jetzt nicht sind Kinder der Meinung, dass ihr Verhalten Einfuss auf beurteilen, ob ihr vollzählig seid. die elterliche Erkrankung habe, und übernehmen Verant- wortung für Geschwister und Eltern.“ Sie befürchten au- (Beate Walter-Rosenheimer [BÜNDNIS 90/ ßerdem, dass sich beispielsweise ungezogenes Benehmen DIE GRÜNEN]: Wir sind halt weniger!) oder schlechte Schulleistungen negativ auf das Krank- heitsbild der Eltern auswirken können. Mangels Wissen Aber ich unterstelle einmal, dass SPD und Grüne hier über die Existenz und Erscheinungsformen psychischer vollzählig sind. Erkrankungen ohne sichtbare Auslöser der Erkrankung Dieses Thema ist wichtig. Ich will zu meiner Schan- sowie der Tabuisierung von psychischer Krankheit in- de gestehen: Vor fünf oder sechs Jahren hatte ich dieses nerhalb und außerhalb der Familie können insbesondere Thema nicht ganz auf dem Schirm. Aber durch die Sach- jüngere Kinder das elterliche Verhalten überhaupt nicht verständigenanhörungen, durch die Ausführungen von als krankhaft einstufen. Stattdessen werten sie es als Er- etlichen Sachverständigen, etwa von Andreas Schrappe, ziehungsverhalten und suchen die Schuld bei sich. (B) bin ich sensibilisiert worden. (D) In genau dieser Situation sind wir als verantwortliche Ich habe extra ein Buch von Schirin Homeier mitge- Politiker gefordert, zu fragen: Wie können wir diesen bracht: Sonnige Traurigtage. In diesem Buch wird be- kleinen Helden Hilfe geben, Kindern, die in der Gesell- schrieben, in welcher Situation diese Kinder leben. Ich schaft quasi im Verborgenen leben? Von den Eltern kön- glaube, es ist die einzige Bevölkerungsgruppe in unserer nen wir diese Hilfe nicht erwarten. Sie leben zum Teil Gesellschaft, die keine Lobby hat, die niemanden hat, der in Schuld, schämen sich für ihre Erkrankung, gestehen für sie kämpft. Wenn wir uns beschweren wollen, fnden sich ihre Erkrankung oft genug gar nicht ein. Ich habe wir Gewerkschaften, Anwälte, Beratungsstellen. Man mir einmal die Krankheitsbilder herausgesucht: 25 Pro- geht zur Not zu seinem Abgeordneten und beschwert sich zent sind psychische Störungen und Verhaltensstörun- über Sachen, die im Argen liegen. Aber die Kinder ha- gen nach Substanzgebrauch – Drogen, Alkohol etc. –, ben niemanden, weil die natürlichen Anwälte der Kinder, 25 Prozent sind schizophrene Störungen, 20 Prozent sind ihre Eltern, durch psychische Erkrankungen als Anwäl- affektive Störungen, Depressionen, bipolare Störungen, te ausfallen. Dann sind sie in einer Situation, in der sie manische Erkrankungen. Von daher ist es eine große Auf- für sich selber Verantwortung tragen müssen, zum Teil gabe, der wir uns stellen. Ich bin allen Wohlmeinenden auch für Geschwister. Möglicherweise suchen sie in ihrer dankbar, dass wir diese interdisziplinäre Arbeitsgruppe Verzweifung die Schuld für das Fehlverhalten oder das auf den Weg bringen, sodass wir hoffentlich im nächsten Nichtfunktionieren von familiären Beziehungen bei sich. Dreivierteljahr ein Ergebnis haben. Ja, es ist richtig: Wir hatten vor wenigen Monaten einen Liebe Frau Staatssekretärin, ich bitte darum, dass die parlamentarischen Abend zu der Situation früher Hilfen. Ministerien auf der Arbeitsebene auftauchende Probleme Wir haben erfahren, dass 44 bis 70 Prozent der Kinder, lösen und sich auftuende Hürden beseitigen – wir müssen die über Jahre hinweg in einer derart belastenden Situ- jetzt Wahlkampf machen –, sodass diese Arbeitsgruppe ation waren, später ebenfalls psychische Unterstützung möglichst bald starten kann und wir zu Beginn der nächs- brauchen. Ja, Frau Staatssekretärin Widmann-Mauz, es ten Legislaturperiode dieses Vorhaben konkret angehen wäre ganz gut, wenn wir rechtzeitig auf dieses Problem können. schauen; denn die Mittel, die wir heute nicht ausgeben, werden wir um ein Mehrfaches in 10, 20 oder 25 Jah- Herzlichen Dank. ren in die psychische Behandlung von kranken Kindern stecken müssen. Darum sollten wir uns fraktionsüber- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie greifend bzw. ressortübergreifend – Gesundheitsressort, bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Familienressort –, aber natürlich auch zusammen mit den GRÜNEN) 24642 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

(A) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: – Danke für Ihren Applaus, Frau Kollegin. (C) Vielen Dank. – Damit hat der Kollege Lehrieder die (Steff Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Aussprache beendet. NEN]: Wenn es so ist, wie Sie es sagen! – Zu- Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der ruf von der SPD: Für das Protokoll: Kollegin Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und des Bündnis- Lemke hat applaudiert!) ses 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12780 mit dem – Also für das Protokoll: Kollegin Lemke hat applau- Titel „Hilfen für Kinder psychisch kranker Eltern“. Wer diert. – Vielen Dank dafür. stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag einstimmig ange- Häufg wird das so im Munde von Politikern und Ver- nommen. antwortlichen geführt, aber wenn es um das konkrete Umsetzen, Handeln geht, sieht es häufg schwieriger aus. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem Diese schwierige Aufgabe für eine Wasserstraßen- und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- Schifffahrtsverwaltung, die ja nur für die Ertüchtigung, geordneten der LINKEN) die Sicherheit und Leichtigkeit eines Schiffsweges, eines – Ich glaube, das ist ein guter Antrag. Flusses zuständig ist, dann auch Ökologie zu betreiben, ist eigentlich so vom Gesetz gar nicht vorgesehen. Auf Ich rufe dann die Tagesordnungspunkte 23 a und b auf: der anderen Seite haben wir an der Elbe eine ökologische a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Situation, die danach ruft, dass sie verbessert wird. Stich- richts des Ausschusses für Verkehr und digitale wort „Sohlerosion“. Infrastruktur (15. Ausschuss) zu der Unterrich- Die Problematik, dass eine Wasserstraßen- und Schiff- tung durch die Bundesregierung fahrtsverwaltung eigentlich diese ökologisch sinnvolle Gesamtkonzept Elbe Maßnahme gar nicht durchführen kann und durchführen darf, weil sie ja der Ökologie dient, musste überwunden Strategisches Konzept für die Entwicklung werden. der deutschen Binnenelbe und ihrer Auen Daneben gab es schwere Konfikte vor allem mit der Drucksachen 18/11830, 18/12181 Nr. 1.3, evangelischen Kirche, die sich sehr um diese Region be- 18/12844 müht, um diesen Fluss bemüht. Das können wir ja auch b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Steff absolut begrüßen. Deswegen galt es, alle Beteiligten Lemke, Stephan Kühn (Dresden), Dr. Valerie zusammenzuführen zu einem Prozess nach dem Motto: Wilms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Lasst uns das gemeinsam angucken, dieses unglaublich (B) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schöne Flussareal, dieses Ästuar, um Ökologie und Öko- (D) nomie zusammenzubringen, auf der einen Seite den Fluss Ein ökologisches Gesamtkonzept Elbe auf den schiffbarer zu machen, vor allem auch unser Versprechen Weg bringen – Sohlerosion stoppen gegenüber den Tschechen einzuhalten, deren Zugang zur Drucksache 18/12787 Nordsee dieser Fluss ist, und auf der anderen Seite den ökologischen Notwendigkeiten Rechnung zu tragen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- Wir haben das in der vergangenen Legislaturperio- nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. de vorbereitet, und es hat dazu ziemlich zum Ende der Legislatur einen Entschließungsantrag gegeben, der uns Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Bundes- diese Aufträge erteilt hat. Wir haben diese vier Jahre regierung hat der Parlamentarische Staatssekretär Enak effektiv genutzt mit zahllosen Gesprächen und Bespre- Ferlemann. – Bitte schön, Herr Ferlemann. chungen. Das Ergebnis liegt vor. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Wir haben es geschafft, ein Gesamtkonzept Elbe zu sowie der Abg. Dagmar Ziegler [SPD]) stricken, mit dem sowohl die Schiffbarkeit der Elbe ver- bessert wird, die Versprechen den Tschechen gegenüber Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim Bundes- eingehalten werden können, aber auch den ökologischen minister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Notwendigkeiten Rechnung getragen wird, eben Ökolo- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und gie und Ökonomie im besten Sinne zusammenzubringen. Kollegen! Auch wenn die Uhrzeit schon vorgerückt ist, Das war ein riesiger Prozess, der auch Vertrauen be- so ist es dennoch ein sehr wichtiges Thema, das wir heute durfte, vertrauensbildender Maßnahmen. Unzählige Abend noch behandeln, die Frage des Gesamtkonzeptes Gespräche, Kongresse, Besprechungen haben stattge- Elbe. Dazu muss man wissen, dass es über Jahre schwe- funden. Aber das Ergebnis kann sich sehen lassen, lie- re Konfikte um die Fragen gab: Soll man die Elbe bes- be Kolleginnen und Kollegen. Es ist ein gutes Ergebnis, ser schiffbar machen, wie kann man die Mittel- und die weil es diesen Bedenken auf der einen Seite und den Be- Ober­elbe ökologisch stärken, wie funktioniert das? langen auf der anderen Seite Rechnung getragen hat und Ökologie und Ökonomie sind die zwei Seiten dersel- zu einem Ausgleich geführt hat. ben Medaille. Viele sagen das so. Ich bin allen, die daran beteiligt waren, sehr dankbar. (Beifall der Abg. Steff Lemke [BÜND- Ich möchte mich insbesondere bei meinem Kollegen NIS 90/DIE GRÜNEN]) Ulrich Petzold bedanken. Ulrich Petzold war einer, der Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24643

Parl. Staatssekretär Enak Ferlemann (A) immer dann, wenn man mal den Mut verloren hatte und tritt gegeben hat, Ökonomie und Ökologie an dieser Stel- (C) sich gefragt hatte: „Klappt das noch?“, gesagt hat: Wenn le zusammenzubringen, um den Stillstand zu überwin- es einer schafft, dann du; mach so weiter. den. Das Verfahren begrüßen wir außerordentlich, und darum ist es gut, dass es das Gesamtkonzept Elbe gibt (Beifall bei der CDU/CSU) und wir es heute Abend diskutieren können. Ich bin dir sehr dankbar, dass ich immer wieder Rücken- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- deckung erhalten habe. Daneben darf ich auch den Kol- neten der SPD) legen Herzog erwähnen, der eigentlich ein Lobbyist der Binnenschifffahrt vom Feinsten ist – das ist der ökolo- Ich möchte betonen: Wir reden hier über ein Zwi- gische Verkehrsträger überhaupt –, der aber gesagt hat: schenergebnis. Es ist kein abgeschlossenes Konzept im Seht zu, dass ihr die Binnenschifffahrt stärkt, aber gleich- eigentlichen Sinne. Das geht auch aus dem Text des Kon- zeitig auch die Ökologie nicht aus dem Auge lasst! – So zepts selber hervor. Es ist die Rede davon, dass noch vie- haben wir das hinbekommen. le offene Fragen zu diskutieren sind. Von daher können wir nicht abschließend sagen: Das ist es jetzt, und darauf Wir haben jetzt ein Gesamtkonzept, das beinhaltet, bauen die nächsten Maßnahmen auf. – Wir werden weiter was wir machen sollen, wie es gehen soll. Nun kommt in dem Aushandlungsprozess bleiben. So steht es richti- die Umsetzungsphase. Auch das wird nicht einfach. Wir gerweise auch im Konzept auf der Seite 12: beginnen mit dem, was, glaube ich, am meisten Vertrau- en schafft. Wir stoppen die Sohlerosion. Wir beginnen Dabei mit einer ökologischen Maßnahme, realisieren aber auch – in dem Aushandlungsprozess – viele andere Punkte, die die Schifffahrt verbessern: die Streichlinie stärker machen, alte Buhnen wieder nutzen. wurde auch deutlich, dass nicht alle Fragestellungen im Gesamtkonzept abschließend behandelt werden Das, glaube ich, ist uns gut gelungen. So müssen wir können. weitermachen. Wie wir es hinbekommen haben, an ei- nem großen Fluss Ökologie und Ökonomie zusammen- Darauf bestehen wir, wenn es dabei bleiben soll, dass wir zubringen, ist ein Beispiel dafür, wie wir es auch an vie- der Beschlussempfehlung zustimmen. len anderen Gewässern in der Zukunft machen müssen: Wir haben darüber im Ausschuss diskutiert, am Mitt- den Ausgleich fnden, das Gemeinsame fnden, um dann woch zum ersten Mal, sodass wir eigentlich nicht alle zur Lösung beizutragen. grundsätzlichen Positionen erörtern konnten. Wir haben Wir haben einen spannenden, interessanten Prozess in dieser Debatte aber klargemacht: Wir brauchen einen vor uns. Wir haben festgelegt, wie wir weiter miteinan- stabilen Grundkonsens. Dieser Grundkonsens darf nicht (B) der umgehen wollen. Ich kann nur alle Beteiligten bitten: durch eine Partei oder eine Gruppe der Beteiligten auf- (D) Lassen Sie uns gemeinsam so weitermachen! Heute hat gelöst werden. – Darum hat es lange gedauert. Bis heute ein Umweltverband wieder ein bisschen Kritik geübt. sind es vier Jahre gewesen, die gebraucht worden sind, Aber vielleicht hat man auch das Konzept nicht ganz um das Konzept vorzulegen. gelesen. Wenn man es getan hätte, hätte man gewusst, Wenn ich jetzt den Entschließungsantrag der Großen welche Vorschläge wir gemacht haben, um das zu einem Koalition sowie die Kritik der Umweltverbände, aber guten Ergebnis zu führen. auch der Kirchen und der Bürgerinitiative „Pro Elbe“ In diesem Sinne herzlichen Dank, liebe Kolleginnen sehe, dann habe ich etwas Zweifel, ob dieser Grundkon- und Kollegen, dass das möglich war! Ich danke sehr für sens nicht doch zumindest angekratzt wird. den Entschließungsantrag, den die Koalitionsfraktionen (Steff Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- im Ausschuss eingebracht haben und der uns in die Lage NEN]: Ja, wird er! – Gustav Herzog [SPD]: versetzen wird, die Maßnahmen, die wir vorgesehen ha- Von den Umweltverbänden und von der Kir- ben, auch umzusetzen. Alles Gute für die Mittel- und die che!) Oberelbe! Ich habe intensiv mit den Kolleginnen und Kollegen Ihnen einen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksam- gesprochen, und sie haben darauf hingewiesen, dass es keit. nicht ganz so ist, wie es in diesem Entschließungsantrag (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) steht. Darin heißt es nämlich, dass es eine Zustimmung der Umweltverbände gibt, dass es Konsens gibt, wo es um die Zusage an die Tschechische Republik geht, dass Vizepräsidentin Ulla Schmidt: man sozusagen den ungehinderten Zugang von Tschechi- Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt Herbert Behrens, en zur Nordsee realisieren will. Ich habe die Information Fraktion Die Linke. Bitte schön. bekommen, dass dem nicht so ist. (Beifall bei der LINKEN) (Steff Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Dann solltet ihr nicht zustimmen!) Herbert Behrens (DIE LINKE): Ich bitte die folgenden Redner der Großen Koalition, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! auf diese Fragen einzugehen: Hat es diese Zustimmung Die Wasserqualität der Elbe ist nicht gut, und auch der der Umweltverbände gegeben? Wir reden hier nicht nur Binnenschifffahrt auf der Elbe geht es nicht gut. Darum über singuläre Meinungen, sondern über einen wesentli- war es ein Fortschritt, als es vor einigen Jahren den An- chen Teil der Beteiligten, die sich dort zusammengefun- 24644 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Herbert Behrens (A) den haben. Von daher wäre es sicherlich nicht gut, wenn bracht werden. Insofern bitte ich Sie sehr darum, dass (C) wir ein tragfähiges Konzept aufbauen und dann feststel- Sie sich in Ihren Ausführungen noch einmal mit dieser len müssen, dass dieser Konsens zumindest brüchig wird. Frage auseinandersetzen, damit wir hier einvernehmlich zu einem guten Ende kommen und in der Lage sind, bei Ich erwarte von der Bundesregierung eine Antwort den kommenden Verhandlungen, die zur Ausgestaltung auf die Frage, ob diese Gespräche stattgefunden haben und zur Umsetzung des Konzepts gehören, diese Einmü- oder nicht. Ich erwarte auch, dass die Frage beantwortet tigkeit auch zu erhalten bzw. wiederherzustellen, wo sie wird: Hat man gegenüber Tschechien in der Vorbereitung zurzeit aufgelöst scheint. bereits eine Zusage gemacht, dass es diesen ungehinder- ten Zugang geben muss? Wenn diese Fragen nicht beant- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. wortet werden, müssen wir uns vorbehalten, dass wir zu Gustav Herzog [SPD]) einem anderen Abstimmungsverhalten kommen, als dies bei der Beschlussempfehlung im Ausschuss der Fall war. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: (Steff Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion erhält jetzt NEN]: Das klingt vernünftig!) Dagmar Ziegler das Wort. Bitte schön. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege Behrens, darf ich Sie einmal kurz unter- brechen. Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dagmar Ziegler (SPD): Petzold? Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Elbe ist Teil einer gewachsenen Kultur- landschaft. Seit über 200 Jahren sind Maßnahmen unter- Herbert Behrens (DIE LINKE): nommen worden, die Schifffahrtsbedingungen auf dem Ja, gerne. Fluss zu verbessern und Gefahren zu beseitigen. Der Zweite Weltkrieg und die deutsche Teilung führten dazu, Vizepräsidentin Ulla Schmidt: dass notwendige Unterhaltungs- und Instandsetzungs- Bitte schön. maßnahmen nicht oder nur teilweise umgesetzt werden konnten oder sollten. Spätestens seit dem Versailler Ver- Ulrich Petzold (CDU/CSU): trag, lieber Herr Kollege Behrens, ist über die Elbe für Tschechien der Zugang zu den Weltmeeren garantiert. Herr Kollege Behrens, ich habe heute eine E-Mail Damals ist unseren Nachbarn eine Schiffbarkeit des Flus- des Leiters des Biosphärenreservats Mittelelbe bekom- ses zugesagt worden. Die Erarbeitung des Gesamtkon- (B) men, in der er mir ganz herzlich zu genau diesem Antrag (D) zepts Elbe hat den Anspruch, die jahrzehntelange Stag- gratuliert hat, den Sie so bezweifeln. Er hat „Juchhu!“ nation zu beenden. An dem Prozess waren Umwelt- und geschrien, als ich ihm über diesen Antrag berichtet habe. Wirtschaftsverbände, die zuständigen Bundesministeri- Könnten Sie akzeptieren, dass er als Leiter des Biosphä- en für Umwelt und Verkehr, die Anrainerbundesländer, renreservats wirklich glücklich ist mit einem solchen An- die evangelische Kirche und die Tschechische Republik trag? beteiligt. Gemeinsam mit den Kollegen von der Union, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – lieber Kollege Jürgen Klimke, haben wir diese Entschei- Reinhold Sendker [CDU/CSU]: Hört! Hört!) dung sehr intensiv begleitet und politisch fankiert. Wir haben das Gespräch gesucht mit den Mitgliedern des Be- Herbert Behrens (DIE LINKE): ratergremiums, aber auch mit den vielen Akteuren und Verantwortlichen vor Ort. Lassen Sie mich zwei Beispie- Danke für die Frage. – Ich will das gerne in den Kon- le herausgreifen, um zu verdeutlichen, was an der Elbe trast setzen zu der Diskussion, die ich heute Nachmittag passieren muss. mit den Umweltverbänden hatte. Ja, auch die Umwelt- verbände stehen zu diesem Gesamtkonzept, weil sie der Probleme für die Schiffbarkeit auf der Elbe gibt es an Meinung sind, dass alles, was an wichtigen Fragen zu lö- circa 4 Prozent der Strecke in Deutschland. Prominen- sen ist, dort niedergelegt ist. Sie warnen aber davor, heu- testes Beispiel ist die sogenannte Reststrecke zwischen te schon aus den Fragen die Antworten abzuleiten, ohne Dömitz und Hitzacker. Es geht dabei nicht um wildes dass eine Kommunikation darüber stattgefunden hat. Ich Ausbaggern. Vielmehr soll sich der Fluss mithilfe von appelliere sehr, dass dieser konsensuale Ansatz, den das Strombauwerken selbst regulieren. Dass diese ökolo- Verfahren insgesamt hat, auch bis zum Ende trägt. Von gisch verträglich gestaltet werden können und so auch daher ist jede positive Stellungnahme sicherlich gern Lebensräume für Tiere und Pfanzen bieten, belegen Ver- gesehen. Aber auch die Kritik daran muss genauso ernst suche der Wasser- und Schifffahrtsämter. Gleichzeitig genommen werden wie die Unterstützung, die wir in un- müssen Maßnahmen erforscht und umgesetzt werden, die serer Arbeit haben. zu einem Stopp der Sohlenerosion führen. Nur so können ein Absinken des Grundwasserspiegels im Einzugsgebiet (Beifall bei der LINKEN) und damit das Trockenfallen der wertvollen Auenwäl- Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Gesamtkonzept der sowie Probleme für die Landwirtschaft und für das Elbe ist nötig, um den Stillstand zu überwinden, und es Weltkulturerbe des Dessau-Wörlitzer Gartenreiches ver- ist ausdrücklich erforderlich, dass wir dahin kommen, hindert werden. Von den angenommenen 300 Millionen dass hier Ökologie und Ökonomie zum Ausgleich ge- Euro, deren es zur Umsetzung des Gesamtkonzepts Elbe Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24645

Dagmar Ziegler (A) bedarf, sind nur rund 60 Millionen Euro für die Verbes- Ausbaupläne, die die Regierungen der letzten Jahrzehnte (C) serung der Schifffahrtsbedingungen vorgesehen. Die üb- verfolgt haben, einfach nicht. Das ist das Problem, das rigen 240 Millionen Euro werden genutzt, um Umwelt- wir an der Elbe haben. schutzmaßnahmen umzusetzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich mache aber auch eines deutlich: Das eine wollen wir nicht ohne das an- Deshalb haben wir Grüne den Prozess um das Ge- dere. Der Antrag der Grünen spricht leider eine andere samtkonzept Elbe begrüßt, weil er versucht hat – Herr Sprache. Ich habe mich über den Beifall zu den Ausfüh- Ferlemann hat es dargestellt –, diese Konfikte aufzu- rungen des Staatssekretärs sehr gefreut, aber er wider- lösen. Deshalb habe ich geklatscht, als Sie sagten: Wir spricht diametral Ihrem Antrag; denn Sie wollen das Mo- wollen Ökologie und Ökonomie in Übereinstimmung ratorium aufrechterhalten, Sie wollen alles verhindern, bringen. Denn die Tonnagen, die auf der Elbe transpor- was der Schiffbarkeit dienen kann. Sie sprechen alles ab, tiert werden, rechtfertigen überhaupt gar keinen Ausbau. was zur wirtschaftlichen Nutzung der Elbe dient. Das ist Die Tonnagen, die dort transportiert werden, gehen ge- mit uns auf keinen Fall zu machen. Der Haushaltsgesetz- gen null. Wir reden prioritär über Kreuzfahrtschiffe, die geber wird eine andere Sprache sprechen müssen; denn für den Tourismus eine wichtige Quelle darstellen, und wenn dieser Konsens aufgelöst ist, dann sicherlich nicht die wir durchaus unterstützen wollen. Aber bei 70 Zenti- von unserer Seite. Wir wollen beides, so wie Sie es auch metern ist für manche von ihnen bereits Schluss. Ich habe dargestellt haben. geklatscht, Herr Ferlemann, bei der Passage „Ökologie und Ökonomie in Übereinstimmung bringen“. Sie stehen Es gehört aber noch viel mehr dazu. Die Digitalisie- jetzt vor der Aufgabe, Ihre Worte und Taten in Überein- rung nimmt auch dort ihren Lauf. Die Länder Hamburg, stimmung zu bringen. Brandenburg und Sachsen-Anhalt haben eine Verein- barung abgeschlossen, dass Schiffsbegegnungen auch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – intelligent organisiert werden können, indem man sich Matthias Lietz [CDU/CSU]: Aber Sie auch!) die Schiffe nicht auf der gesamten Breite begegnen lässt. – Ja, natürlich. Ich habe damit aber kein Problem, weil Dazu gehört eine andere Ausbildung der Binnenschiffer ich in den letzten Jahrzehnten nicht gefordert habe, einen genauso wie neue Schiffe mit weniger Tiefgang. Das al- solchen Fluss auszubauen, obwohl es dort überhaupt kei- les wissen wir. Das alles sind Aufgaben, die noch zu erle- nen Gütertransport gab. digen sind, die wir auch so schnell wie möglich angehen müssen. Ich bitte, das zu berücksichtigen und nicht den (Gustav Herzog [SPD]: Kollegin Lemke, Konsens, den wir in grundsätzlicher Art und Weise er- niemand will die Elbe ausbauen! – Kirsten reicht haben, aufzugeben. Lühmann [SPD]: Vielleicht sollte man das (B) Konzept lesen!) (D) Vielen Dank. – Sie reden doch auch gleich, Herr Herzog. Dann schau- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) en Sie doch einmal in Ihren Antrag. Das ist das Problem an der Diskussion, die wir ge- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: genwärtig führen. Das Gesamtkonzept Elbe ist eine gute Vielen Dank. – Steff Lemke spricht jetzt für Bünd- Grundlage, um jetzt voranzukommen. Aber in dem Ge- nis 90/Die Grünen. samtkonzept Elbe wird nicht die entscheidende Frage be- antwortet, wie die Sohlerosion zu stoppen ist. Steff Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte als Erstes feststellen, dass diese Debatte vor Das positive Ergebnis dieses Prozesses ist, dass endlich dem Hintergrund stattfndet, dass die Elbepolitik der letz- nach Jahrzehnten anerkannt wird, dass die Sohlerosion ten Jahrzehnte gescheitert ist. Es ist ein Scherbenhaufen, für die Ökologie und für die Schifffahrt ein Riesenpro­ was an der Elbe gegenwärtig stattfndet und was man blem darstellt und das Ökosystem Fluss zum Kippen dort sieht. Wir haben einen Fluss, der sich eingetieft hat: bringen könnte, wenn wir nichts dagegen unternehmen. 2 Zentimeter pro Jahr seit circa 100 Jahren. In einzelnen Flussgebietsabschnitten in der Region bei Dessau, in der Es ist positiv, dass sich diese Erkenntnis jetzt endlich ich lebe, genauer bei Barby, sind es fast 2 Meter in den durchsetzt. Aber es gibt im Gesamtkonzept Elbe keine letzten Jahrzehnten. Können Sie sich vorstellen, wie ein Antwort darauf, wie das erreicht werden soll. Es fndet Fluss aussieht, der sich 2 Meter eingetieft hat? sich keine Ziel-Jahresgröße. Was Sie aber andererseits als Zielgröße hineingeschrieben haben, ist das Ausbau- Die Elbe hat ein Sandbett. Das ist in den letzten Jahren ziel einer Mindestfahrrinnentiefe von 1,40 Meter für die der Flusspolitik in keiner Weise berücksichtigt worden. Schifffahrt. Daran halten Sie fest. Sie geben dankenswer- Man hat gebaut und gebaut mit der Folge, dass sich der terweise zu, dass dies fast der alten Forderung nach einer Fluss immer weiter eingetieft hat und dort noch weni- Tiefe von 1,60 Meter entspricht, weil nun die Parameter ger Schiffe fahren können als früher. Im Moment haben ein wenig verändert wurden. Das ist das Problem, und wir einen Pegelstand von 70 Zentimetern. Ich weiß nicht, deshalb stellt sich nun sehr wohl die Frage: Ist das mit welche Schiffe Sie noch fahren lassen wollen. Seit dem dem Gesamtkonzept ernst gemeint? Geht es jetzt wirk- Jahr 2015 hatten wir mehrere Monate, in denen gar keine lich darum, die Ökologie an diesem Fluss stärker zu be- Schiffe fahren konnten. Der Fluss hat das Wasser für die rücksichtigen? 24646 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Steff Lemke (A) Jetzt haben die Koalitionsfraktionen einen Antrag vor- – Sie hat die Redezeit überschritten; aber ich wusste ja, (C) gelegt, in dem sie – erstens – den Ausbau der Reststrecke dass sie zu Ende war, Herr Herzog. Außerdem haben Sie Dömitz fordern, und zwar prioritär. Deshalb stimmt es nachher das Wort. nicht, was Sie eben dazwischengerufen haben, nämlich, dass Sie keinen Ausbau wollen. Sie wollen die Reststre- (Steff Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- cke Dömitz ausbauen. Sie brauchen dafür ein Planfest- NEN]: Die Opposition hat immer zu wenig stellungsverfahren – das ist Ausbau. Redezeit! – Gegenruf des Abg. Sebastian Hartmann [SPD]: Wir haben euch Redezeit (Dagmar Ziegler [SPD]: Für die Sohlesanie- abgegeben!) rung auch!) Dann hat jetzt der Kollege Jürgen Klimke für die Dies jetzt prioritär zu fordern, wiederspricht der Idee des CDU/CSU-Fraktion das Wort. Gesamtkonzeptes Elbe, weil Sie gar nicht beantworten (Beifall bei der CDU/CSU) können, wie dort Ökologie und Ökonomie in Überein- stimmung zu bringen sind. Jürgen Klimke (CDU/CSU): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe sowie der Abg. Dr. Rosemarie Hein [DIE Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Lemke, Sie LINKE]) reden über Probleme; wir machen ein Gesamtkonzept, Darauf kann Ihnen bisher keiner eine Antwort geben. aus dem hervorgeht, wie wir die Probleme lösen können. Ich bin richtig stolz darauf, dass wir heute darüber de- (Kirsten Lühmann [SPD]: Doch! Es gibt gleich battieren können. Ich mache das mit großer Freude und eine Antwort! Ich rede noch um Mitternacht!) Erleichterung darüber, dass wir ein Gesamtkonzept Elbe mit Ergänzungen aus unserem Antrag vorlegen können. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Die Verständigung zwischen Bund und Ländern unter Sie haben Ihre Redezeit schon überschritten, Frau Einbeziehung der maßgeblichen Wirtschafts- und Um- Lemke, und deswegen gibt es keine Zwischenfrage mehr. weltverbände war keine Selbstverständlichkeit, sondern Ich würde Sie bitten, zum Schluss zu kommen. harte Arbeit. Aber es ist in diesem Zusammenhang ein gutes Ergebnis herausgekommen. Steff Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Als Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Elbe der Schade. Da Sie keine Zwischenfrage mehr zulassen, CDU/CSU-Fraktion begleite ich die Diskussion über die will ich mit einigen Sätzen abschließen. Zukunft der Elbe seit mehr als zehn Jahren. Bereits in (B) der letzten Legislaturperiode hatten wir dazu einen sehr (D) Der zweite sehr kritische Punkt, den Sie in Ihren An- umfangreichen Antrag eingereicht. Heute liegt nun das trag eingebaut haben, ist der geforderte Staatsvertrag mit Ergebnis des Gesamtprozesses vor. Daraus können wir Tschechien. Man muss dazu wissen, dass Tschechien dreierlei Sachen lernen: Staustufen bauen will. In einer solchen Situation einen Staatsvertrag schließen zu wollen, ohne inhaltliche Pa- Erstens. Prozesse unter Einbeziehung der maßgebli- rameter anzugeben, widerspricht dem Gedanken des Ge- chen Beteiligten, die zudem ergebnisoffen sind, erfordern samtkonzeptes ebenso. Deshalb möchte ich an Sie appel- Zeit und Kompromissfähigkeit der handelnden Akteure. lieren: Reißen Sie mit diesem Antrag nicht ein, Zweitens. Ein Kompromiss, der von allen Beteiligten (Dagmar Ziegler [SPD]: Dito!) mitgetragen werden kann, ist machbar. Dabei können selbst scheinbar gegensätzlich orientierte Interessens- was besonders die Mitarbeiter Ihres Hauses, Herr gruppen wie Wirtschafts- und Umweltverbände gemein- Ferlemann – auch von dieser Stelle herzlichen Dank an same Lösungen entwickeln. Herrn Klingen –, in jahrelanger mühevoller Arbeit aufge- baut haben. Halten Sie daran fest. Bleiben Sie im Geiste Drittens. Das Besondere an diesem Prozess ist das der Forderungen des Gesamtkonzeptes. Der Antrag der Entstehen einer Vertrauensbasis, die die eigentliche Koalitionsfraktionen tut das nicht. Grundlage der Lösungsversuche und der Lösungsansätze ist. Danke schön. Dieser Erfolg, meine Damen und Herren, ist vor allem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – auch den am runden Tisch beteiligten Personen zuzu- Dagmar Ziegler [SPD]: Aber Ihrer!) schreiben. Ich darf dem Kollegen Ferlemann in diesem Zusammenhang herzlich für die Zusammenarbeit dan- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: ken, der Kollegin Ziegler dafür, dass wir im Koalitions- Das war jetzt ein langer Schluss. – Noch einmal zur rahmen intensiv die Umwelt- und Wirtschaftsverbände Information: Zwischenfragen oder -bemerkungen sind haben hören können und damit zu diesem Ergebnis kom- nur innerhalb der Redezeit möglich. Nach Ablauf der Re- men konnten. Einige Personen darf ich auch namentlich dezeit gibt es keine Zwischenfragen mehr. nennen. Das sind die Abteilungsleiter aus dem Umwelt- und dem Verkehrsministerium Dr. Helge Wendenburg (Gustav Herzog [SPD]: Frau Präsidentin, un- und Reinhard Klingen sowie Jochen Kies, der als Fach- tertänigst, sie hat noch 30 Sekunden länger mann für belastbare Informationen galt und dies auch geredet!) unter Beweis stellte. Ich freue mich, auch einen Ham- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24647

Jürgen Klimke (A) burger Kollegen nennen zu dürfen, Henning Finck von Vizepräsidentin Ulla Schmidt: (C) der Handelskammer Hamburg, der sich intensiv ins Zeug Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege gelegt hat, einen Kompromiss zwischen Wirtschafts- und Gustav Herzog, SPD-Fraktion. Umweltverbänden herbeizuführen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Noch einige Bemerkungen zu unserem Entschlie- der CDU/CSU) ßungsantrag.

Erstens. Wir fordern: Das Gesamtkonzept soll durch Gustav Herzog (SPD): Maßnahmen unterlegt werden, die möglichst rasch um- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! zusetzen sind, Planfeststellungsbeschlüsse sind einzulei- Auch wenn es 23.30 Uhr ist, bemühe ich Ihre Fantasie: ten, und Personal- und Sachmittel müssen über den Bun- Wo würden Sie Ihre Liebsten zum Picknick einladen? deshaushalt zur Verfügung gestellt werden. (René Röspel [SPD]: An die Ruhr!) Zweitens. Das Gesamtkonzept ist ein Kompromiss zwischen den vordringlich ökologischen und verkehrli- An den Bahndamm? Nein. An den Autobahnzubringer? chen Maßnahmen. Wir treten für eine Ausgeglichenheit Nein. Wo gehen die Menschen hin? Ans Wasser. Wir fn- bei der Umsetzung ein. So erwarten wir, dass binnen den sie an der Mosel in Traben-Trarbach, in Oppenheim Jahresfrist eine Voruntersuchung für die Reststrecke am Rhein Dömitz–Hitzacker vorgelegt wird, in der die Möglich- keiten der Sanierung der Reststrecke aufgezeigt werden. (Beifall des Abg. Marcus Held [SPD]) Gleichzeitig sollen Maßnahmen zum Stopp der Sohlen­ erosion eingeleitet werden – dies als kleine Antwort auf und vor allen Dingen an der Elbe. Dort kann man se- Ihre Fragen. hen: Die Menschen gehen gerne ans Wasser, an unsere Bundeswasserstraßen, Herr Staatssekretär, und sie freuen Drittens. Das Gesamtkonzept soll in einem Anschluss- sich, Frau Lemke, wenn Schiffe auf dem Wasser fahren. prozess weitergeführt werden, in dem weitere Fragen der Das wollen sie sehen, und sie fnden das nicht irgendwie Umsetzung sowie der innovativen Erosionsbekämpfung abwertend. debattiert werden. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Viertens. Die Elbe ist ein internationaler Fluss. Des- halb sind tragfähige Vereinbarungen mit der Tschechi-

schen Republik zur Schiffbarkeit der Elbe zu treffen. Ein Vizepräsidentin Ulla Schmidt: (B) Staatsvertrag, der auch andere Komponenten beinhaltet, Das ist ein guter Zeitpunkt, um Sie zu fragen, Herr (D) kann hier ein langfristiges Ziel sein. Kollege Herzog: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Behrens? Fünftens. Das Gesamtkonzept Elbe kann nicht nur Vorbild für andere Flussläufe sein, es kann auch über die Bereiche Wirtschaft und Ökologie hinaus greifen. Sym- Gustav Herzog (SPD): bolisch dafür möchte ich den Elberadweg nennen – in- Gerne. zwischen einer der bekanntesten Radwege Europas –, der die Regionen über die Ländergrenzen hinweg verbindet. Hier wünschen wir uns Unterstützung beim Ausbau so- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: wie beim länderübergreifenden Tourismus und der Ver- Bitte schön. marktung im Ausland. (Kirsten Lühmann [SPD]: Er hat doch noch Die Kritik einzelner Umweltverbände sowie der Grü- gar nichts gesagt!) nen, der Entschließungsantrag würde dem Gesamtkon- zept Elbe nicht gerecht werden, weise ich zurück. Die (DIE LINKE): kritische Haltung einiger Umweltverbände, die teilweise Herbert Behrens auch im Widerspruch zu deren Zustimmung zum Ge- Bevor das Thema durch ist, möchte ich an dieser Stel- samtkonzept steht, kann ich schon deshalb nicht akzep- le eine Zwischenfrage stellen. Ich will Sie fragen, lieber tieren, weil wir mit unserem Antrag sicherstellen, dass Kollege Herzog, ob es wirklich so ist, wie die Umwelt- für die Umsetzung der Gesamtkonzeption Elbe Mittel verbände behaupten, nämlich dass sie nicht, so wie es im dreistelligen Millionenbereich zur Verfügung gestellt in dem Entschließungsantrag steht, dem Gesamtkonzept werden. Das macht deutlich, dass wir schwerpunktmäßig Elbe zugestimmt haben? ökologische Maßnahmen umsetzen wollen. (Dagmar Ziegler [SPD]: Natürlich! Sie haben Das ist das Gesamtkonzept. Lassen Sie uns gemein- unterschrieben!) sam an diesem Konzept arbeiten, damit wir es rasch um- setzen können. Ich weise darauf hin, dass ich in der Diskussion im Aus- schuss auf dieser Grundlage signalisiert habe: Die Linke Herzlichen Dank. kann diesem Konzept zustimmen. Wenn ich an so einer zentralen Stelle hinter die Fichte geführt werden, dann (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) werde ich dem nicht zustimmen können. Darum will ich 24648 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Herbert Behrens (A) eine klare Ansage haben: Wann haben die fünf Verbände Ihnen nur sagen: Die Unterschriften aller Beteiligten un- (C) diesem Konzept zugestimmt? ter dem Gesamtkonzept – – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (Widerspruch des Abg. Herbert Behrens [DIE Zuruf von der CDU/CSU: Aber die Umwelt- LINKE]) verbände sind nicht der Nabel der Welt!) – Dann müssen Sie Ihre Kommunikationswege überprü- fen. Es sind die Unterschriften drunter. Wenn sich andere Gustav Herzog (SPD): Beteiligte da nicht wiederfnden oder nichts davon wis- Herr Kollege Behrens, vielen Dank für diese Frage. sen, dann ist das deren Problem, nicht unseres. Sie gibt mir die Gelegenheit, etwas zu zitieren, ohne dass meine Redezeit in Anspruch genommen wird, und zwar (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Anja aus einer Stellungnahme der Umweltverbände, nach de- Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das nen Sie gefragt haben, vom 13. Januar 2017. Der erste geht nicht, was Sie hier machen! Das können Satz lautet: wir alles künstlich verlängern! Ich möchte wis- sen, wo in der Geschäftsordnung steht, dass Mit der Erarbeitung eines Gesamtkonzeptes für die bei einer Zwischenintervention auf jemand Elbe … von Bund und Ländern wurde ein wichti- anderen Bezug genommen werden darf!) ger Prozess in Gang gesetzt, der für alle Beteiligten einen großen Erkenntnisgewinn gebracht hat. Die Umweltorganisationen/BI PE Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Ehe wir uns hier künstlich aufregen: In unserer Ge- – Bürgerinitiative Pro Elbe – schäftsordnung steht, dass der einzelne Abgeordnete begrüßen diesen Prozess der Erstellung eines Ge- während einer Rede eines Abgeordneten hier vorne am samtkonzeptes Elbe als eine wichtige Initiative, den Rednerpult die Möglichkeit hat, wenn der Redner es zu- seit über 20 Jahren währenden Konfikt um die In- lässt, eine Zwischenfrage oder eine Zwischenbemerkung teressen von Ökologie und Binnenschifffahrt aufzu- zu machen. lösen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Anja (Beifall bei der CDU/CSU) Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber an den Redner gerichtet!) – Sie begrüßen es; das ist das Entscheidende. – Das wird dort nicht ausgeführt. Die Geschäftsord- (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Das war vor nungslage ist aber so. Sie können sich ja nächste Woche dem Hintergrund des unveränderten Konzep- (B) im Ältestenrat beschweren. (D) tes, aber nicht vor dem dieses Antrags!) (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Dass, liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich Fra- NEN]: Das mache ich! Das war eine sehr ein- gen offen sind, hat hier niemand bestritten, sondern es ist seitige Auslegung!) vielleicht auch die besondere Qualität dieses Prozesses, dass die vorhandenen Konfikte sehr deutlich beschrie- – Bitte schön. ben werden. Dem geht niemand aus dem Weg. Die Was- serstraßen sind nun mal nicht nur der umwelt-, sondern (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und auch der menschenfreundlichste Verkehrsträger. der SPD – Sebastian Hartmann [SPD]: Das hat die Elbe nicht verdient!)

Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Jetzt hat der Kollege Herzog das Wort. Herr Kollege Herzog, Sie regen die Abgeordneten so an, dass Frau Ziegler jetzt gerne eine Zwischenfrage stel- Gustav Herzog (SPD): len möchte. Ich sage aber gleich dazu: Das ist die letzte, Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kollegin die jetzt bei Herrn Herzog zugelassen wird. Dass sich Lemke, wir sollten uns gemeinsam bemühen, nicht Grä- jetzt hier keiner mehr meldet! ben, die durch diesen Prozess zugeschüttet worden sind, (Steff Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wieder auszuheben. Ich biete an: Wenn wir den Spaten in NEN]: Das ist peinlich! Die eigene Fraktion! die Hand nehmen, um Gräben auszuheben, dann, um die Und bei mir lassen Sie es nicht zu! – Anja Elbauen wieder an den Fluss anzuschließen. Das können Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wir gerne gemeinsam machen. ist nicht in Ordnung! – Gegenruf der Abg. (Zuruf der Abg. Steff Lemke [BÜNDNIS 90/ Dagmar Ziegler [SPD]: Das entscheidet im- DIE GRÜNEN]) mer noch die Präsidentin!) Das ist ein ökologisches Projekt; da bin ich gerne an Ihrer Seite. Dagmar Ziegler (SPD): Liebe Kolleginnen und Kollegen, regen Sie sich mal Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist ein guter nicht so auf. Ich wollte Herrn Behrens noch einen Ge- Abend nicht nur für die Elbe, sondern für alle naturna- fallen tun, weil er noch einmal nachgefragt hat, ob die hen Wasserstraßen, weil der Prozess insgesamt ebenso Verbände und Initiativen hinter dem abgeschlossenen wie die entsprechenden Vorschläge, die gemacht worden Gesamtkonzept stehen. Lieber Herr Kollege, ich wollte sind, Modellcharakter hat. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24649

Gustav Herzog (A) Wegen der Zweifel, die immer noch vorhanden sind – Drucksache 18/12844 zu der Unterrichtung durch die (C) auch bei den Umweltverbänden, bei denen ich den Ein- Bundesregierung auf Drucksache 18/11830 über das druck habe, dass da nach dem Motto agiert wird: „Wasch Gesamtkonzept Elbe/Strategisches Konzept für die Ent- mich, aber mach mich nicht nass!“ –, will ich aus unserer wicklung der deutschen Binnenelbe und ihrer Auen. Der Entschließung zitieren. Da haben wir sehr klar die Bun- Ausschuss empfehlt in Kenntnis der Unterrichtung, desregierung aufgefordert, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer … bei der zeitlichen Abfolge der Umsetzung von enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Maßnahmen auf eine Ausgeglichenheit von ökolo- Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der gischem und verkehrlichem Nutzen zu achten; Opposition angenommen. – auf eine ökologische und verkehrliche Ausgeglichen- heit! – Tagesordnungspunkt 23 b. Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck- binnen Jahresfrist eine Voruntersuchung für die sache 18/12787 mit dem Titel „Ein ökologisches Ge- Reststrecke … vorzulegen …; samtkonzept Elbe auf den Weg bringen – Sohlerosion – zur Sanierung, Frau Kollegin Lemke, nicht zum Aus- stoppen“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt bau; das ist etwas anderes – dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen unverzüglich einen Untersuchungsauftrag zur Er- der Opposition abgelehnt. arbeitung von Szenarien zum Stopp der Erosion an unabhängige wissenschaftliche Einrichtungen zu Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf: erteilen … Ich glaube, es ist ganz im Sinne des Gesamtkonzeptes, Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- dass wir als Parlament der Regierung sagen, was wir von regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes den beiden Ministerien erwarten. Und diese haben da ja zur Änderung der materiellen Zulässigkeits- ganz hervorragend zusammengearbeitet. voraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaß- nahmen und zur Stärkung des Selbstbestim- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten mungsrechts von Betreuten der CDU/CSU) Drucksachen 18/11240, 18/11617, 18/11822 Liebe Kolleginnen und Kollegen, Frau Präsidentin, Nr. 5 gestatten Sie mir einen persönlichen Satz oder zwei an die Kollegin Wilms, die heute Abend nicht da sein kann, (B) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- (D) die aber ein sehr engagiertes Mitglied der Parlamentari- ses für Recht und Verbraucherschutz (6. Aus- schen Gruppe Binnenschifffahrt war. schuss) (Zuruf von der CDU/CSU: Stimmt!) Drucksache 18/12842 Mit ihr habe ich mich immer gerne und gut gestritten. Wenn wir uns einig waren, dann waren wir unwider- Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich stehlich. Und eines kann man sagen: Mit Frau Kollegin sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist so beschlos- Wilms war es niemals langweilig. sen.1) (Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/ Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für DIE GRÜNEN]: Das kann ich bestätigen!) Recht und Verbraucherschutz empfehlt in seiner Be- Ich will ihr persönlich danken, weil sie mit ihrer per- schlussempfehlung auf Drucksache 18/12842, den sönlichen Erklärung zum Abstimmungsverhalten bei der Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksa- Entscheidung über die Bundesfernstraßengesellschaft, chen 18/11240 und 18/11617 in der Ausschussfassung die sie hier vorn vorgetragen hat, für mich als Parla- anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent- mentarier etwas ganz Tolles gemacht. Sie hat deutlich wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um gemacht: Wir sind hier keine Versammlung von Abni- das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält ckern oder von Helden, sondern wir sind Vertreter des sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit deutschen Volkes, die sich informieren, die abwägen und den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stim- entscheiden. Ich glaube, das ist unsere Aufgabe, der wir men der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion hier auch sehr gut nachkommen. Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Vielen Dank. Dritte Beratung (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen

Vizepräsidentin Ulla Schmidt: zu erheben. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Der Vielen Dank. – Damit schließe ich die Aussprache. Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis Wir kommen unter Tagesordnungspunkt 23 a zur angenommen. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus- schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur auf 1) Anlage 10 24650 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Vizepräsidentin Ulla Schmidt (A) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 25 a und b auf: einzuführen, verbunden mit einer Weiterbildungspficht (C) für Verwalter und Mitarbeiter, die aktive Verwaltertä- a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- tigkeiten im Unternehmen ausüben. Leider konnten wir regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- als SPD in der Koalition nur die Pficht zu regelmäßigen zes zur Einführung einer Berufszulassungs- Fortbildungen durchsetzen. Am Ende der Verhandlungen regelung für gewerbliche Immobilienmakler kamen 20 Stunden innerhalb von drei Jahren heraus. und Verwalter von Wohnungseigentum Den Sachkundenachweis fordern wir nach wie vor, Drucksache 18/10190 dann eben in der nächsten Legislaturperiode; denn un- Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- qualifziertes Handeln bei der Immobilienverwaltung ses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) kann zu erheblichen Schäden führen. Für Eigentümer einzelner Wohnungen ist es häufg nur sehr schwer zu Drucksache 18/12831 überblicken, ob der jeweilige Verwalter über ausreichen- b) Beratung der Beschlussempfehlung und des de Qualifkationen verfügt, um die Verwaltung durchfüh- Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und ren zu können. Wohneigentum – das sagte ich schon in Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Ab- meiner ersten Rede zu diesem Gesetzentwurf – wird für geordneten Christian Kühn (Tübingen), Renate viele ältere Menschen hier in Deutschland früher oder Künast, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter später zur Altersvorsorge und damit immer wichtiger. und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Deswegen ist die Einführung von Qualitätsmerkmalen bei Verwaltern aus unserer Sicht von enormer Wichtig- Wohneigentumsrecht umfassend reformieren keit. und modernisieren Auch die öffentliche Anhörung, die wir im Ausschuss Drucksachen 18/8084, 18/12831 durchgeführt haben, zeigte konkret auf, dass wir auf die- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für sem Gebiet als Gesetzgeber in Zukunft einiges regeln die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. Gibt es dagegen sollten. Es herrschte eine ungewohnt große Einigkeit Widerspruch? – Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann ist zwischen den verschiedenen Verbänden. Alle wollten so beschlossen. klare Voraussetzungen und Regeln, nur der Normenkon- trollrat hatte hierzu eine andere, für mich nach wie vor Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege nicht nachvollziehbare Meinung. Schade, dass die Union Marcus Held, SPD-Fraktion. nur dem Normenkontrollrat ein offenes Ohr geschenkt (Beifall bei der SPD) hat und alle anderen Sachverständigenmeinungen ein bisschen ausgeblendet hat. Ein Blick über den Tellerrand (B) wäre an dieser Stelle sicherlich wünschenswert gewesen. (D) Marcus Held (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LIN- Damen und Herren! Heute behandeln wir zu später Stun- KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- de abschließend in zweiter und dritter Lesung den Ent- NEN) wurf eines Gesetzes zur Einführung einer Berufszulas- Dass wir das Kind nicht mit dem Bade ausschütten sungsregelung für gewerbliche Immobilienmakler und wollen, zeigt sich auch daran, dass wir eine sogenannte Verwalter von Wohnungseigentum. Man möchte sagen: Alte-Hasen-Regelung vorgeschlagen haben, die erfahre- „Endlich beraten wir diesen Gesetzentwurf abschlie- ne Verwalter für längere Zeit von der Fortbildungsver- ßend“; denn schon am 15. Juli letzten Jahres wurde der pfichtung freigestellt hätte. Referentenentwurf dazu vorgelegt, und seit dem 10. No- vember 2016 haben wir hierzu zahlreiche Beratungen im WEG und Mietverwaltungen übernehmen heute Ausschuss und mit unserem Koalitionspartner durchge- schon eine wichtige treuhänderische Aufgabe, nämlich führt. Das waren leider nicht immer leichte Gespräche. die Verwaltung eines Vermögenswertes in Höhe von über Dennoch möchte ich mich natürlich für die guten Dis- 2 Billionen Euro in Deutschland. Wir haben laut Statis- kussionen bedanken und auch für das Ergebnis. Dass wir tischem Bundesamt rund 261 000 Rechtsverfahren pro dieses Gesetz auf den Weg bringen wollten, hatten wir Jahr. Diese Rechtsverfahren beschäftigen sich in erster ja bereits im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Insofern Linie mit Auseinandersetzungen, die vermieden werden bin ich froh, dass wir wenigstens einen kleinen Teil aus könnten, wenn die Hausverwaltungen qualitativ hoch- dem entsprechenden Absatz unseres Vertrages nun end- wertig arbeiten würden. Deshalb plädierte sogar die ein lich umsetzen können. Ich persönlich nenne das einen oder andere Anwaltsvereinigung für eine Verschärfung Einstieg in mehr Qualität und einen Einstieg in mehr bei den Berufszulassungsregeln, die wir mit diesem ers- Verbraucherschutz. ten Schritt heute leider noch nicht auf den Weg haben bringen können. Uns als SPD ist es vor allem um die Verbesserung der Situation von Hunderttausenden Eigentümergemein- Als Koalition, meine Damen und Herren, haben wir schaften in Deutschland gegangen. 9 Millionen Eigen- aber erreicht – dafür bedanke ich mich –, dass Verwal- tumswohnungen existieren in Deutschland, Tendenz ter von Wohneigentum und vermietetem Wohnraum, steigend – zum Glück. Unser Ziel war und ist, dass die also Wohnimmobilienverwalter und Immobilienmakler, Verwaltung von Eigentumswohnungen nicht mehr von künftig eine Gewerbeerlaubnis vorlegen müssen und jedermann durchgeführt werden kann. Deshalb haben Wohnimmobilienverwalter darüber hinaus auch eine wir von Anfang an gefordert, einen Sachkundenachweis Berufshaftpfichtversicherung abschließen müssen. Dies Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24651

Marcus Held (A) ist sicherlich ein erster Schritt hin zu mehr Verbraucher- des Verbraucherschutzes führen. Ein Sachkundenach- (C) schutz und hin zu mehr Qualität. weis für Makler soll die Qualität der Arbeit sichern und bremst die dann wahrscheinlich nur vereinzelt auftreten- Alles in allem bin ich zufrieden, dass dieses Gesetz den schwarzen Schafe endlich aus. überhaupt noch in dieser Legislaturperiode zur Umset- zung kommt. Das Gesetz ist ein wichtiger Schritt hin zu Die Linke sieht in einigen Bereichen aber noch einen mehr Verbraucherschutz bei Wohnimmobilien. Das wird deutlichen Veränderungsbedarf; da schließe ich mich den bei der nächsten Evaluierung gewiss auch der Normen- Worten meines Kollegen Held von der SPD-Fraktion an. kontrollrat so sehen. Sicherlich muss in der nächsten Denn der Gesetzentwurf bleibt an mehreren Punkten weit Wahlperiode an der einen oder anderen Stelle entspre- hinter seinen Möglichkeiten zurück: chend nachjustiert werden, wenn es darum geht, für noch mehr Qualität und noch mehr Verbraucherschutz zu sor- Erstens. Es ist nicht nachvollziehbar, warum Mitarbei- gen. Dies wollen zumindest wir als SPD-Fraktion uns auf ter von Wohneigentumsverwaltern keinen Sachkunde- die Fahne schreiben und nach dem 24. September dieses nachweis vorlegen müssen, obwohl sie meist dieselben Jahres angehen. Tätigkeiten ausüben. Bei den Finanzvermittlern ist so etwas im Übrigen eingeführt worden. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend und proste Ihnen mit einem Glas Wasser zu. Zweitens. Es ist nicht nachvollziehbar, warum der obligatorische Abschluss einer Berufshaftpfichtversi- Danke schön. cherung nicht auch auf Makler ausgedehnt wird. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Drittens. Es ist nicht nachvollziehbar, wie eine Fort- bildungspficht von 20 Stunden in drei Jahren die Qua- lität der Dienstleistung von Wohneigentumsverwaltern Vizepräsidentin Ulla Schmidt: erhöhen soll. Das bedeutet einen Tag Fortbildung pro Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt Jahr, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das ist ein biss- der Kollege Thomas Lutze. chen dünn. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall des Abg. Herbert Behrens [DIE LINKE]) Thomas Lutze (DIE LINKE): Auch die Inhalte dieser Fortbildung sind vollkommen Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! unklar; sie sind nicht geregelt, und Immobilienmakler Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle wissen, dass (B) sind von dieser Fortbildungspficht übrigens ausgenom- (D) der Bereich des Immobilienerwerbs und der Immo- men. Das Qualifkationsniveau in der Verwaltungsbran- bilienverwaltung ein wichtiges Thema ist, weil viele che kann und wird sich so nicht verbessern, liebe Kolle- Menschen davon betroffen sind. Es geht allein bei der ginnen und Kollegen. Fremdverwaltung von Wohneigentumsgemeinschaften um einen Immobilienwert von 640 Milliarden Euro. Zugleich werden die Bürokratiekosten erhöht, wenn Daher ist diese Gesetzesinitiative der Bundesregierung allein aufgrund der Erlaubnis- und der Fortbildungs- zur – ich zitiere – „Einführung einer Berufszulassungsre- pficht ein Register aufgebaut und regelmäßig aktuali- gelung für gewerbliche Immobilienmakler und Verwalter siert werden muss. Der Nutzen für Wohnungseigentümer von Wohneigentum“ richtig und notwendig. Denn gerade hingegen ist gering. Im Vergleich mit europäischen Stan- Makler und Verwalter sind mit ständig wechselnden An- dards werden die deutschen Regelungen in diesem Be- forderungen und Gesetzeslagen konfrontiert. Wir Linke reich daher auf den hinteren Plätzen bleiben. begrüßen den Ansatz, eine verbindliche Berufsqualifka- tion für Makler und Verwalter von Wohneigentum mit Aufgrund dieser Sachlage werden wir der Gesetzes- gewerblichem Zweck einzuführen. initiative der Bundesregierung noch nicht zustimmen können, obwohl einiges in die richtige Richtung führt. (Beifall des Abg. Herbert Behrens [DIE Wir fordern daher eine Korrektur der aufgeführten De- LINKE]) fzite spätestens zu Beginn der nächsten Wahlperiode. Es ist nicht alltäglich, dass sich Interessens- und Ver- Ansonsten können unter anderem Verbraucherschutz und treterverbände von Mietern und Wohnungseigentümern Bürokratieabbau nicht erreicht werden. mit Maklerverbänden einig sind und gemeinsam eine Herzlichen Dank, ein herzliches Glückauf und einen gesetzliche Regelung aufgrund der momentanen Situati- schönen Feierabend nachher! on einfordern; das ging ja aus der Anhörung hervor. Als neue Voraussetzung soll es daher eine Erlaubnispficht (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. für beide Berufe geben, für Makler darüber hinaus einen Marcus Held [SPD] – Dr. Joachim Pfeiffer Sachkundenachweis. Für Verwalter von Wohneigentum [CDU/CSU]: Weidmannsheil!) soll es zusätzlich eine Versicherungspficht geben, für Makler allerdings nicht. Diese Berufshaftpfichtversiche- rung schützt im Endeffekt Mieterinnen und Mieter vor f- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: nanziellen Schäden bei Zahlungsunfähigkeit des Verwal- Vielen Dank. – Das mit dem Feierabend dauert noch ters. Diese Maßnahmen sollen auch zur Verbesserung der etwas. Es ist aber schon einmal gut, dass wir ihn ge- erbrachten Dienstleistungen und somit zu einer Stärkung wünscht bekommen. 24652 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Vizepräsidentin Ulla Schmidt (A) Jetzt hat Astrid Grotelüschen für die CDU/CSU-Frak- Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, mit (C) tion das Wort. Bitte schön. diesem Gesetzentwurf und auch mit den nachfolgenden Verordnungen, die wir zur Präzisierung unseres Vorha- (Beifall bei der CDU/CSU) bens notwendigerweise brauchen, führen wir aus meiner Sicht vier wichtige Leitplanken ein, und zwar in großer Astrid Grotelüschen (CDU/CSU): Übereinstimmung mit unserem Koalitionspartner. In die- sem Zusammenhang danke ich Herrn Held für die – ich Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten bezeichne das jetzt einmal so – unkomplizierte Zusam- Kollegen! Bei der Einführung einer Berufszulassungsre- menarbeit. gelung für gewerbliche Immobilienmakler und Verwalter haben wir von Anfang an recht unterschiedliche Diskus- Die vier Leitplanken lauten, und zwar einheitlich für sionen geführt. Ich denke, das liegt einfach daran, dass es Makler, für Verwalter und für Mietverwalter, Herr Lutze: sich um eine sehr hoch diversifzierte Branche handelt, erstens Erlaubnispficht nach § 34c der Gewerbeordnung, die in den vergangenen Jahren ständig gewachsen ist und zweitens als zentraler Punkt Vermittlung von Fachwissen, der damit natürlich auch eine steigende Bedeutung beim das über die IHK oder ein zertifziertes Institut erbracht Verkauf und auch bei der Verwaltung von Immobilien werden kann, drittens Informationspficht und viertens zukommt. Verpfichtung zum Abschluss einer Berufshaftpfichtver- sicherung. Aus meiner Sicht ist das eine sehr sinnvolle Es gibt bisher keine bzw. nur geringe Berufszulas- Kombination von Maßnahmen, die uns, gemeinsam mit sungsregelungen, sodass der Ruf nach gesetzlichen Re- der Branche umgesetzt, unseren Zielen etwas näher brin- gelungen immer lauter wurde. In diesem Zusammenhang gen. kam natürlich die Diskussion auf, wie und in welchem Umfang die Politik hier eingreifen soll. Da schieden sich Mir ist besonders wichtig – deshalb gehe ich noch ein- dann doch die Geister. Ich fnde, das hat man bei der An- mal auf den zweiten Punkt ein –, dass genau diese Ver- hörung sehr deutlich gesehen, und ich habe das auch in mittlung von Fachwissen in regelmäßigen Abständen und Gesprächen im Wahlkreis feststellen können. In Zeiten kontrolliert stattfndet. Hier hat die Immobilienwirtschaft von Deregulierung im Europäischen Binnenmarkt – hin- zukünftig aus meiner Sicht die Verpfichtung und auch sichtlich der Freien Berufe begleite ich das Ganze ja als die Möglichkeit, aktiv ein Lernmodul zu entwickeln, Berichterstatterin – mutet die Forderung der Branche na- das bei der ersten fälligen sogenannten Fortbildung dem türlich – so ging es mir jedenfalls – eher anachronistisch Sachkundenachweis entspricht und dann bei jeder jetzt an, weil gleichzeitig Wünsche nach praktikablen und gesetzlich geforderten Wiederholung, spätestens also nicht zu bürokratischen Regelungen formuliert wurden. nach drei Jahren, die Schwerpunkte auf die Weiterbil- (B) dung fokussiert bzw. sich aktueller Fragestellungen an- (D) Der Erstentwurf des Ministeriums war ohne nennens- nimmt. Das, meine Damen und Herren, ist doch allemal werte Erweiterungen der Regelungen für Makler formu- mehr Wissensvermittlung und Verbraucherschutz als das, liert, Mietverwalter wurden gar nicht erwähnt, und ein was vorher vorgeschlagen war, nämlich der einmalig in einmaliger Sachkundenachweis von 15 Stunden sollte 15 Stunden zu erwerbende Sachkundenachweis. Deshalb als Hürde für den zukünftigen Berufszugang aufgestellt fnde ich die vereinzelt hochgezogene Diskussion wirk- werden. lich unredlich, weil wir mit genau dieser Fortbildungs- Ein zentraler Punkt, der uns in der politischen Dis- pficht viel mehr für den Verbraucher erreichen werden. kussion von Anfang an geeint hat, war – das möchte ich (Thomas Lutze [DIE LINKE]: Mit einem Tag schon zusammenfassen –: Wenn wir ein Gesetz formu- Fortbildung im Jahr?) lieren, dann soll es zu einer zusätzlichen Transparenz führen, dem Schutz der Verbraucher dienen und vor allen Praktisch ist aus meiner Sicht zudem, dass die Al- Dingen durch Einziehen einer Leitplanke zu einer quali- te-Hasen-Regelung entfällt. Ich betone, dass die Fort- tativen Differenzierung bei der Berufsausübung des Ma- bildung nachgewiesen werden muss. Es besteht zudem klers und des Verwalters führen. eine Informationspficht in Kombination mit der Fortbil- dungspficht. Deshalb glaube ich, dass der Verbraucher Diesem Vorhaben haben wir uns als CDU/CSU-Frak- nach einem Blick auf das Zertifkat sicherlich besser in- tion gestellt, und zwar auf dem Hintergrund – das ist formiert ist und weiß, wer ihm gegenübersitzt. schon mehrfach angeklungen –, dass der Erwerb von Wohnungseigentum und natürlich auch dessen Vermie- Ich denke, das ist ein starkes Signal, zumal eine Nicht­ tung wichtige Formen der Vermögensbildung hier bei erfüllung dieser Pficht eine Ordnungswidrigkeit dar- uns in Deutschland sind. Dem Verbraucherschutz kommt stellt, also auch zu ahnden ist. hier unter dem Aspekt der Altersvorsorge eine ganz be- sondere Bedeutung zu – natürlich auch aufgrund der Mein Ziel und das meiner Fraktion war neben dem wachsenden Zahl an Fremdverwaltungen. Aspekt der erweiterten Verbraucherinformation immer, dass übermäßige Bürokratie und ausufernde Kosten ver- Ich denke, mit dem vorliegenden Entwurf erreichen mieden werden. Wir sind davon überzeugt, dass wir mit wir unser Gesamtziel, nämlich den Verbraucherschutz zu diesem Gesetz genau das erreichen. Deshalb werden wir stärken, Bürokratie zu vermeiden und die Gewerbefrei- heute Abend oder heute Morgen – ist es schon so weit? heit zu wahren. Wir reden von einer praktikablen Lösung. ich weiß es nicht – (Beifall bei der CDU/CSU) (Gustav Herzog [SPD]: In vier Minuten!) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24653

Astrid Grotelüschen (A) zustimmen und im weiteren Verlauf die Rechtsverord- WEG-Verwalter in Deutschland verwalten ein Immo- (C) nung inhaltlich und konstruktiv begleiten. bilienvermögen in Höhe von 640 Milliarden Euro. Dass wir hier nicht einmal ein Mindestmaß an Qualifkation (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) hinbekommen, was es bei vielen anderen Berufsgruppen Die Branche – das soll mein letzter Satz sein – steht gibt, ist, wie ich fnde, ein Skandal. Da geht es um das nun in der Pficht und muss dieses Gesetz nutzen, um Altersvermögen von Menschen. Da geht es darum, dass sich ab dem kommenden Jahr über Verbraucheraufklä- deren Vermögen treuhänderisch verwaltet wird, und zwar rung, über eine gute Informationspolitik und defnierte auf einem hohen Niveau im Rahmen einer schwierigen Lerninhalte selbst zu regulieren. So kann sie sicherstel- Gesetzgebungsmaterie. Mir ist nicht klar, warum sich die len, dass auch der Verbraucher von diesen Maßnahmen Union hier so sperrt. proftieren wird. Ich denke, das wird der Fall sein. Es ist heute Abend schon zitiert worden, wie die Er- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. gebnisse von Gerichtsverfahren zum WEG-Recht sind. Ich meine, das WEG-Recht an sich müsste dringend (Beifall bei der CDU/CSU) angepackt werden, damit wir hier endlich mehr Klar- heit bekommen. Aber dass Sie bei dem ersten Schritt, Vizepräsidentin Ulla Schmidt: bei der WEG-Verwaltung anzusetzen, nicht vorankom- Vielen Dank. – Für Bündnis 90/Die Grünen spricht men und dass Sie hier so wenig bringen, kann ich nicht jetzt Christian Kühn. verstehen. Es gibt über 30 000 Gerichtsverfahren wegen WEG-Streitfällen. Das ist ein deutlicher Anstieg, und das zeigt ganz klar, dass hier deutlich mehr notwendig ist. Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen sowie bei Abgeordneten der LINKEN) und Herren! Nach so einer Rede denkt man: Jetzt ist al- Wenn wir die Energiewende im Gebäudebereich schaf- les super. – Aber es ist eben nicht alles super. Die Große fen wollen, dann schaffen wir das eben nicht nur durch Koalition hat bei dem Thema Verbraucherschutz von Ei- technische Regelungen und Förderprogramme, sondern gentümerinnen und Eigentümern wirklich relativ wenig wir brauchen auch Menschen, die sie umsetzen. Wer sich auf die Reihe gebracht. Das, was Sie heute Abend durch mit dem Thema „energetische Gebäudesanierung“ be- das Parlament bringen wollen, ist, sage ich einmal, sehr schäftigt, weiß auch, dass ein Verwalter in einer WEG dürftig. dabei eine ganz zentrale Schlüsselrolle spielt. Dass wir es (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nicht zum Bestandteil der Ausbildung machen, wie eine (B) Immobilie heute modernisiert wird, ist für mich völlig (D) Ihnen ist dazu nicht richtig viel eingefallen. Ich fnde, schleierhaft. Hier wäre es dringend notwendig gewesen, gerade von der Union ist dieses zögerliche Handeln in dass Sie vorankommen und einen Sachkundenachweis diesem ganzen Gesetzgebungsprozess sehr peinlich. Ich auch für den Bereich Modernisierung einführen. als bau- und wohnungspolitischer Sprecher bekomme von Ihnen auf jedem Podium das Hohelied zu hören, wie Ich halte das, was Sie heute Abend hier durchbringen, wichtig Ihnen die Eigentümerinnen und Eigentümer in ehrlich gesagt, ein Stück weit für einen verbraucherpoli- Deutschland sind tischen Skandal. (Zurufe von Abgeordneten der CDU/CSU: (Ulrich Lange [CDU/CSU]: Es gibt keine grü- Genau! – Sind sie auch! – Dr. Joachim Pfeiffer ne Rede ohne das Wort „Skandal“! – Weitere [CDU/CSU]: Wir geben Freiheit und nicht die Zurufe von der CDU/CSU) Regulierung und die Bevormundung!) – Doch. Denn Sie sind nicht bereit, den Weg für den und was sie für sie alles tun wollen. Wenn es dann aber Sachkundenachweis frei zu machen und damit den Ver- konkret darum geht, den Verbraucherschutz von Eigen- braucherschutz wirklich zu stärken. tümerinnen und Eigentümern voranzubringen, dann kni- Es geht, wie gesagt, um eine treuhänderische Verwal- cken Sie ein und machen einen Gesetzentwurf mit sehr tung. Wir hätten bei dem Sachkundenachweis mitge- spärlichem Inhalt. macht, auch wenn es nur der Spatz in der Hand gewesen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wäre. Am Ende haben Sie aber aus dem Spatz eine Mü- cke gemacht, und das ist angesichts der Probleme, die es Ich habe ursprünglich einmal gedacht, dass wir hier auf diesen Märkten gibt, viel zu wenig. im Parlament, also alle vier Fraktionen gemeinsam, den Sachkundenachweis für Verwalter und Makler voran- Denken Sie nur daran, wie die Anhörung gelaufen ist. bringen. Das wäre dringend notwendig gewesen. Aus Da waren sich die Mieterverbände und die Eigentümer- der Idee eines Sachkundenachweises ist nun eine Fortbil- verbände einig. Die Makler selber und auch die Verbrau- dungspficht geworden. Ich fnde, das ist angesichts der cherschützer wollten es. Dass Sie als Union diese Allianz Tatsache, dass wir beim Verbraucherschutz von Eigen- nicht als Weckruf wahrnehmen, dass man hier wirklich tümerinnen und Eigentümern auf den Immobilienmärk- vorangehen muss, fnde ich sehr, sehr schade, und wir be- ten in Deutschland riesengroße Probleme haben, viel zu dauern es sehr, dass wir dem Gesetzentwurf heute nicht wenig. zustimmen können. Denn was Sie machen, ist eher Ver- brauchertäuschung als etwas, das uns beim Verbraucher- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schutz bei Eigentum wirklich voranbringt. 24654 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Christian Kühn (Tübingen) (A) Danke schön. Das Ergebnis dieser langen und auch intensiven Ver- (C) handlungen ist jetzt ein ausgewogenes Gesetz. Das haben (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie und auch Kollegin Grotelüschen richtig gesagt. Wir haben Maß gehalten und das Ende bedacht. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Die Anhörung war aber nicht so eindeutig, wie Sie es Vielen Dank. – Letzte Rednerin zu diesem Tagesord- geschildert haben. nungspunkt ist die Kollegin Barbara Lanzinger, CDU/ CSU-Fraktion. (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Im Ge- genteil!) (Beifall bei der CDU/CSU) – Eher das Gegenteil. – Sie war schon zweigeteilt. Barbara Lanzinger (CDU/CSU): Wir sorgen für Verbraucherschutz. Wir schränken die Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Gewerbefreiheit nicht unnötig ein. Ich wiederhole es Kollegen! Im Koalitionsvertrag der 18. Legislaturperio- noch einmal: Die Verwalter brauchen künftig eine Ge- de, die jetzt bald zu Ende geht, heißt es – ich zitiere aus werbeerlaubnis. Für Makler gibt es sie bereits; das wurde diesen Leitlinien, die die Regierungsfraktionen damals schon gesagt. Die Erlaubnisvoraussetzungen sind Zu- vorgaben –: verlässigkeit und geordnete Vermögensverhältnisse. Die Der Abbau von unnötiger Bürokratie stärkt die Verwalter müssen die Berufshaftpfichtversicherung ab- Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen, insbe- schließen, damit auch gewährleistet ist, dass Verbraucher sondere kleiner und mittlerer Unternehmen. … Wir im Schadensfall zu ihrem Geld kommen. wollen Wirtschaft und Bürger weiter spürbar von Wir führen die regelmäßige Fortbildungspficht für unnötiger Bürokratie entlasten. … Gesetze müssen Verwalter und Makler ein. Wer den Nachweis nicht er- einfach, verständlich und zielgenau ausgestaltet bringt, kann mit einem Bußgeld belegt werden. Wer eine werden, solide Aus- und Weiterbildung hat, nämlich zum staatlich – sofern wir sie denn überhaupt brauchen – anerkannten Immobilienkaufmann und Immobilienfach- wirt, muss erst drei Jahre später mit der Fortbildung be- damit Bürokratielasten vermieden und so gering ginnen. wie möglich gehalten werden. Ich halte das für richtig. Wichtig ist uns bei alldem: Ich füge hinzu: Halte Maß und bedenke das Ende! Wir setzen auf den mündigen Verbraucher. Das heißt, Genau das macht unsere Koalition aus, nämlich dass wir Wohnungseigentümer oder Maklerkunden sollten selbst (B) überlegen, ob wir tatsächlich noch mehr Gesetze brau- darauf achten, dass Verwalter oder Makler qualifziert (D) chen. Wir reden jeden Tag darüber, wie viele unnötige sind. Schließlich geht es dabei um ihre Interessen. Aber Gesetze wir haben. nur der, der ausreichend informiert ist, kann tatsächlich richtig entscheiden. Deshalb setzen wir eine Verbraucher­ (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: informationspficht ein. Warum habt ihr es überhaupt gemacht?) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die ganzen Diskussionen im Bundestag zeigen, dass es oftmals um Gesetzesvorhaben geht, die unsere Bürger Von vielen Vertretern wurde dieser Sachkundenach- belasten. Sie verwalten nur, und der Bürger hat gar nicht weis gefordert. Ein solcher Eingriff muss gerechtfertigt mehr die Möglichkeit, selbst entscheiden zu können. sein. (Beifall bei der CDU/CSU) (Marcus Held [SPD]: Ja!) In diesem Fall wollen wir wieder ein Mehr an Geset- – Da können Sie jetzt lachen. zen. Wir haben uns dann als Koalition mit dem Kollegen Held von der SPD über diesen Gesetzentwurf verstän- (Marcus Held [SPD]: Ich freue mich doch digt, nur!) (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ Wir haben ganz klar gesagt: wenn Missstände benannt DIE GRÜNEN]: Der einen guten Job gemacht werden. Diese wurden nicht benannt. Deshalb haben wir hat!) auch darauf verzichtet und das so gelöst, wie wir es ge- löst haben. Es hieß, es wäre eine Grundvoraussetzung, und wir haben als Union den Entwurf ernsthaft geprüft. um die Notwendigkeit der Regulierung zu erfüllen, um Ich sage Ihnen ganz klar: Wir haben ernsthaft überlegt, auch verfassungsrechtlich die Rechtfertigung zu beurtei- diesen Gesetzentwurf gar nicht durchgehen zu lassen. len, zumal die geplanten Regelungen insbesondere kleine und mittelständische Immobilienverwaltungen und -ma- (Marcus Held [SPD]: Das war ehrlich jetzt!) kler belastet hätten. Dass es diese vielen Missstände gibt, – Ich bin immer ehrlich. So weit müssten Sie mich ken- hat sich aus den Stellungnahmen der Experten nicht erge- nen. ben. Zumindest wurden uns keine Zahlen dazu genannt. Wir haben uns zusammengesetzt und uns gefragt: Was (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ schaffen wir? Was bekommen wir hin? – Dafür bedanke DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch gar nicht! ich mich. Das war nicht einfach. Das stimmt; das gebe Herr Kaßler hat bei der Anhörung einige Zah- ich auch ganz ehrlich zu. len genannt!) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24655

Barbara Lanzinger (A) Es gab noch weitere Argumente gegen den Sachkun- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem (C) denachweis. Bei der vieldiskutierten Alte-Hasen-Rege- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen lung hätten Verwalter und Makler, die schon länger im zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Markt sind und von denen behauptet wurde, wir hätten Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit dem glei- im Zusammenhang mit ihnen Altlasten, keinen Nachweis chen Stimmenverhältnis angenommen. erbringen müssen. Damit hätte sich zwar der Erfüllungs- aufwand der Wirtschaft reduziert, aber überzeugt hätte Wir setzen die Abstimmungen zu der Beschlussemp- mich diese Regelung nicht, und zwar deshalb: Wenn die fehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie behaupteten Missstände vom Versagen unqualifzierter auf Drucksache 18/12831 fort unter Tagesordnungs- Altverwalter herrühren, ist nicht einzusehen, warum ge- punkt 25 b. Der Ausschuss empfehlt unter Buchstabe rade sie dann keinen Sachkundenachweis leisten sollen. b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des An- trags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck- (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ sache 18/8084 mit dem Titel „Wohneigentumsrecht um- DIE GRÜNEN]: Wir wollten die Alte-Ha- fassend reformieren und modernisieren“. Wer stimmt für sen-Regelung nicht!) diese Beschlussempfehlung? – Das ist die Koalition. Wer stimmt dagegen? – Das ist die Opposition. Wer enthält Es war auch aus diesem Grund sachgerecht, den Sach- sich? – Niemand. Damit ist die Beschlussempfehlung an- kundenachweis nicht einzuführen. genommen. Ich denke, bei allen Diskussionen, die geführt wurden, Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf: und bei allen Forderungen, die gestellt wurden, müssten wir eigentlich insgesamt überlegen – das könnte dann der Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- neue Bundestag tun –, nicht über einen Sachkundenach- regierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten weis zu reden, sondern gleich auf die Ausbildung zum Gesetzes zur Änderung des Schornsteinfe- Immobilienkaufmann oder zur Immobilienkauffrau zu ger-Handwerksgesetzes verweisen. Dann können Sie nämlich die ganzen Punk- te, die Sie fordern, zum Beispiel Energie, abdecken. Der Drucksache 18/12493 Sachkundenachweis, den Sie fordern, ist ein eierlegen- der Sachkundenachweis. Der bringt Ihnen gar nichts; Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- denn der einmalige Sachkundenachweis bedeutet keine ses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) beständige Fortbildung. Wählen Sie lieber gleich einen gescheiten Beruf, dann haben Sie das, was Sie eigentlich Drucksache 18/12832 wollen. (B) Wenn Sie damit einverstanden sind, werden die Re- (D) 1) Ich fasse zusammen: Mit dem vorliegenden Gesetz den zu Protokoll gegeben. – Ich sehe, das ist der Fall. ist dem Verbraucherschutz ausreichend Rechnung getra- Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Ausschuss gen. Wir setzen auf den mündigen Verbraucher. Uns ist für Wirtschaft und Energie empfehlt in seiner Beschluss- es hoffentlich gelungen, nicht ein Zuviel an Bürokratie empfehlung auf Drucksache 18/12832, den Gesetzent- zu erzeugen. wurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/12493 in Ich bedanke mich fürs Zuhören und danke für die Zu- der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, sammenarbeit. die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim- men wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dage- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- gen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zwei- ordneten der SPD) ter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Damit ist die Aussprache beendet. und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen Wir kommen unter Tagesordnungspunkt 25 a zur zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Abstimmung über den von der Bundesregierung einge- Damit ist der Gesetzentwurf mit dem gleichen Stimmen- brachten Gesetzentwurf zur Einführung einer Berufs- verhältnis angenommen. zulassungsregelung für gewerbliche Immobilienmakler und Verwalter von Wohnungseigentum. Der Ausschuss Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf: für Wirtschaft und Energie empfehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12831, Zweite Beratung und Schlussabstimmung des den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa- von der Bundesregierung eingebrachten Ent- che 18/10190 in der Ausschussfassung anzunehmen. wurfs eines Gesetzes zu der am 19. Juni 1997 Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der beschlossenen Urkunde zur Abänderung der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- Verfassung der Internationalen Arbeitsorga- chen. – Das ist die Koalition. Wer stimmt dagegen? – Das nisation ist die Opposition. Wer enthält sich? – Damit ist der Ge- Drucksachen 18/12331, 18/12716 setzentwurf in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung 1) Anlage 11 24656 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Vizepräsidentin Ulla Schmidt (A) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim Bundes- (C) ses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) minister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Drucksache 18/12820 Sehr geschätzte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man fragt sich, was man eigentlich falsch Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben gemacht hat, dass man als Staatssekretär nach Mitter- werden. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das nacht noch zu einem Thema hier im Hohen Hause reden ist der Fall.1) muss. Dann kommen wir auch hier zur Abstimmung. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfehlt in sei- (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Da haben Sie ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12820, ganz schön viel falsch gemacht! Eigentlich den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa- alles!) chen 18/12331 und 18/12716 anzunehmen. Die Frage stellt sich deshalb, weil meine Wenigkeit Zweite Beratung heute Morgen um 7.30 Uhr den ersten Termin hatte, und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem ebenso wie meine geschätzten Kollegen Staatssekretäre, Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – denen ich für die Solidarität, heute Abend diese Debatte Wer stimmt dagegen? – Niemand. Wer enthält sich? – noch zu begleiten, von Herzen dankbar bin. Wenn man Auch niemand. Damit ist der Gesetzentwurf einstimmig viel gesprochen hat, merkt man an der Stimme, dass es angenommen. langsam grenzwertig wird. Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 28 a und Wir haben diese Debatte unter anderem dem Kollegen 28 b: Gastel zu verdanken. Der Kollege Gastel wollte, dass die a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Mitglieder des Hohen Hauses einmal spüren, wie man richts des Ausschusses für Verkehr und digitale sich fühlt, wenn man nachts um diese Zeit in einen Zug Infrastruktur (15. Ausschuss) steigt, wie man sich fühlt, wenn man mit einem Nachtzug fahren würde. Deswegen ist die Zeit, wie die Präsidentin – zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU es gesagt hat, durchaus richtig. Herr Gastel, ich komme und SPD gleich noch auf Sie zurück. Kooperationsmodelle im Nachtzugverkehr stärken Es hat natürlich eine große Diskussion in Deutschland gegeben, als die DB AG entschieden hat, sich aus dem (B) – zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Segment Nachtzugverkehr zurückzuziehen. Sie könne (D) Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer ihn wirtschaftlich nicht mehr betreiben, das Wagenma- Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE terial sei veraltet, die Kosten könnten nicht eingespielt Die Nachtzüge retten – Klimaverträgli- werden, und die Nachfrage gehe deutlich zurück. chen Fernreiseverkehr auch in Zukunft Wir sind sehr froh, dass es durch Vermittlung von Par- ermöglichen lamentariern, aber auch unseres Hauses gelungen ist, die Drucksachen 18/12363, 18/7904, 18/12775 ÖBB, die Österreichischen Bundesbahnen, bewegen zu können, dieses Segment in Deutschland zu fahren. Die b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias Österreicher können das, sie verdienen damit auch Geld. Gastel, Stephan Kühn (Dresden), Markus Tressel, Sie haben die Wagen übernommen und modernisiert. Es weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- ist nichts schöner, als morgens mit einem Wiener Schmäh NIS 90/DIE GRÜNEN den ersten Kaffee um 5.30 Uhr im Nachtzug genießen zu Nachtzugverkehr als Teil moderner und kli- können. Es ist ein Segment, über dessen Existenz sich mafreundlicher Mobilität ausbauen – Zehn- viele Menschen freuen. Punkte-Plan für ein europäisches Nachtzug- netz Die DB hat entschieden, als Ausgleich ICs und ICEs zu späterer Stunde fahren zu lassen, und viele Menschen Drucksache 18/12560 fahren heute mit Fernbussen oder fiegen. Deswegen Das Thema entspricht auch der jetzigen Zeit. glauben viele, dass es kein Marktsegment für Nachtzüge mehr gibt. Aber es gibt eine Klientel in unserem Land, Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gerne einmal Nachtzug fährt, im Liegewagen oder die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Da gibt es kei- im Schlafwagen. Ich bevorzuge Letzteres. Es ist wichtig, nen Widerspruch. dass es dieses Verkehrssegment weiter gibt. Wir sind den Ich eröffne die Aussprache. Für die Bundesregierung Österreichern sehr dankbar dafür, dass sie Nachtzüge in hat erneut der Parlamentarische Staatssekretär Enak Deutschland fahren lassen. Ferlemann das Wort. – Bitte schön, Herr Ferlemann. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Gustav Herzog [SPD]: Tapfer!) Sehr geehrter Herr Kollege Gastel, Sie waren ges- tern – das muss ich jetzt um diese Uhrzeit sagen – ein 1) Anlage 12 sehr berühmter Mann im Netz, und Sie werden es wahr- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24657

Parl. Staatssekretär Enak Ferlemann (A) scheinlich auch noch heute sein. Ich hoffe, Sie haben die Sabine Leidig (DIE LINKE): (C) Sequenz gesehen, Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Einen (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schönen guten Abend! Ich bin jetzt wirklich verleitet, auf NEN]: Ich war dabei!) Herrn Ferlemann direkt einzugehen. Das werde ich aber nicht tun, weil ich nur vier Minuten Redezeit habe. in der der Ministerpräsident Ihres Bundeslandes Sie in einer Weise belehrt, die einfach großartig ist. Ich möchte noch einmal deutlich machen, dass ein gu- tes Nachtzugnetz in Europa eine entspannte Alternative (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – zum stressigen und umweltschädlichen Fliegen wäre und Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Ganz ohne dass die Politik dieses Thema viel zu lange verschlafen Schlafwagen!) hat. Das sage nicht nur ich, sondern das sagt auch der Der Ministerpräsident hat vollkommen recht. Und Journalist und Bahnexperte Thomas Wüpper, der sich auch ich – ich kann es Ihnen nicht ersparen – muss Ihnen mit dieser Frage sehr intensiv beschäftigt hat, und das heute noch eine leichte Belehrung erteilen. Denn so gut sagen auch Millionen Reisende, die tatsächlich Nacht- der Antrag der Koalitionsfraktionen ist, um das Segment züge, und zwar mit Schlaf- und Liegewagen, sehr gerne Nachtzugverkehr zu stärken, so innerlich vollkommen benutzen bzw. benutzen würden, wenn es sie denn gäbe. falsch ist wiederum der von Ihnen gestellte Antrag. Sie Im besten Fall macht man sich abends ganz entspannt sind jetzt lange genug im Verkehrsausschuss. Sie sind lan- im Zug lang. Zu dieser Zeit schläft man schon. Man ge genug dabei. Ich habe Ihnen x-mal das Aktienrecht in spart die Kosten für eine Nacht im Hotel und kommt am Deutschland erklärt und welche Rechte Sie als Parlamen- nächsten Morgen ausgeschlafen und pünktlich mitten in tarier und stellvertretend als Eigentümer der Deutschen der Stadt an, in der man sein möchte, und nicht irgendwo Bahn haben. Doch jedes Mal stellen Sie wieder Anträge, jwd in einem Airport. Dazu kommt das berechtigte Ge- das Aktienrecht nicht zu beachten – vollkommen neben fühl, dass man mit dieser Bahnreise die Umwelt und das der Spur, im wahrsten Sinne des Wortes. Vielleicht haben Klima wesentlich weniger belastet hat; beim Fliegen sind Sie den Antrag in einem Nachtzug geschrieben. Abgase und Lärm wirklich ein Riesenproblem. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Peter Ich weiß es nicht. Jedenfalls ist es sachlich nicht gerecht- Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) fertigt. Nun sieht die Lage aber leider so aus, dass die Deut- So wie Sie völlig zu Recht die Belehrung vom Minis- sche Bahn AG im Dezember 2016 ihren letzten Nachtzug terpräsidenten bekommen haben, so müssen Sie sich das eingestellt hat. Die Deutsche Bahn AG hat diesen Kom- (B) heute hier auch anhören. Was Sie beantragen, ist inhalt- fort den Reisenden entzogen, und das, obwohl dieses (D) lich wiederum völlig falsch. Gewöhnen Sie es sich ab! Angebot laut Bahn-Vorstand Berthold Huber mit einem Sollte den Wählerinnen und Wählern das Missgeschick Fahrgastzuwachs von 30 Prozent im Jahr 2015 aufwarten passieren, dass Sie noch einmal Mitglied dieses Hauses konnte. Also, das ist schon irgendwie eine kuriose Ge- werden, schichte. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das ist jetzt Sie haben es gerade gesagt: Die Österreichische Bun- aber wirklich völlig unterirdisch!) desbahn, die ÖBB, übernimmt einige Verbindungen und baut andere aus. Wir können nach Wien, Salzburg, Rom, gewöhnen Sie sich daran, dass Sie sich wenigstens an Mailand und Venedig fahren, nach Zürich und demnächst Recht und Gesetz halten; denn es ist Ihnen oft genug er- auch nach Kroatien, aber es gibt keine Nachtzugverbin- klärt worden. dungen nach Warschau, nicht nach Paris, nicht nach Ko- penhagen, nicht nach Prag, nicht nach Bratislava, nicht (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nach Amsterdam. Überall dort gibt es Initiativen von NEN]: Sie haben den falschen Antrag gele- Reisenden, von Bahnfreundinnen und -freunden für die sen!) Wiederherstellung dieser Nachtzugverbindungen. Es gibt Von daher gesehen kann ich nur daran appellieren, den auch bei vielen jungen Leuten einen Bedarf, die nämlich Antrag der Koalitionsfraktionen zu unterstützen. Er ist wirklich ein Bewusstsein dafür entwickelt haben, dass gut. Er hilft uns bei unserer Arbeit. In diesem Sinne freue man Alternativen braucht zum klimazerstörerischen Flie- ich mich, wenn viele Nachtzüge durch Deutschland rol- gen. len und sie vor allem sicher und unfallfrei Menschen an die Orte bringen, an die sie gelangen wollen. Es hätte natürlich jede Menge Möglichkeiten gegeben für eine Politik auf der Höhe der Zeit, um dieses Nacht- Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. zugsegment zu unterstützen. Da muss man nicht sozusa- gen dirigistisch dem Bahnvorstand Vorschriften machen, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- aber selbstverständlich kann man auf die Bahn einwir- ordneten der SPD) ken. Das haben Sie ja jetzt auch mit dem Antrag der Gro- ßen Koalition quasi als Auftrag an die Bundesregierung Vizepräsidentin Ulla Schmidt: gegeben. Das hätten Sie aber vor drei Jahren machen Vielen Dank. – Jetzt hat die Kollegin Sabine Leidig, müssen, als das Thema auf die Tagesordnung kam. Fraktion Die Linke, das Wort. Ich will noch einmal daran erinnern, dass wir im (Beifall bei der LINKEN) März 2015 die Anhörung hatten, in der Sie sich tatsäch- 24658 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Sabine Leidig (A) lich von den Sachverständigen darüber haben aufklären Sabine Leidig (DIE LINKE): (C) lassen, dass Nachtzüge eben nicht out und von gestern Danke. sind und keiner sie mehr will, sondern dass sie ein wich- tiger Teil des Angebots auf der Schiene sind. (Beifall bei der LINKEN) In der nachfolgenden Debatte wurde hoch und heilig Vizepräsidentin Ulla Schmidt: versprochen – auch vom Kollegen Donth; ich habe mir das Zitat noch einmal herausgesucht –, dass es auf keinen Danke. – Nächste Rednerin ist Kirsten Lühmann, Fall dazu kommen würde, dass sich die Deutsche Bahn SPD-Fraktion. AG komplett aus diesem Segment zurückzieht. Im Ge- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten genteil, man wäre in enger Abstimmung mit der Bahn für der CDU/CSU) ein neues Konzept. (Michael Donth [CDU/CSU]: Sicher!) Kirsten Lühmann (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Dieses Konzept hat die Bahn sozusagen verkündet, als Vor fast zwei Jahren haben wir uns hier das letzte Mal sie im Dezember 2016 mit der pressewirksamen Aktion getroffen, um über dieses Thema zu reden. Grund war, „Klimazug zum Klimagipfel nach Kopenhagen“ gleich- dass die Deutsche Bahn AG angekündigt hat, mit dem zeitig verkündet hat: Ende, aus! Wir ziehen uns komplett Fahrplanwechsel sämtliche Nachtzugverbindungen, die zurück. – sie selber betreibt, einzustellen. (Zuruf des Abg. Michael Donth [CDU/CSU]) Ich erinnere mich sehr gut: Wir standen hier, und Sie lassen sich da auf der Nase herumtanzen und unter- alle Redenden haben von ihren eigenen Erfahrungen in stützen einen Bahnvorstand, der an dieser Stelle wirklich Nachtzügen berichtet. Wir waren uns einig, das waren fantasielos ist. schöne Erfahrungen. Und damit endete unsere Einigkeit. Sie hätten zum Beispiel Investitionszuschüsse geben Die Deutsche Bahn AG hat uns damals gesagt: Wir können. Sie haben das Automobilunternehmen Porsche können die Nachtzüge nicht mehr selber fahren. – Wa- mit 360 Millionen Euro darin unterstützt, auf der IAA rum nicht? Zum einen ist es die Konkurrenz von Bil- einen Elektro-Porsche zu präsentieren. Warum haben Sie ligfiegern und sind es die Hotelkosten, die deutlich ge- dann nicht 30 Millionen Euro übrig, um die Deutsche sunken sind, die dagegenstehen, zum anderen ist es aber Bahn zu befähigen, neue Nachtzüge anzuschaffen? Das auch die Tatsache, dass das rollende Material veraltet ist, war ein Argument, warum sich das für Sie nicht lohnen auch keine Zulassung mehr hat und für teures Geld hätte (B) würde. nachgerüstet werden müssen. Zum Schluss wurde auch (D) noch die Tatsache genannt, dass die Betriebskosten sehr Wir haben eine tolle internationale Kampagne erlebt hoch sind, unter anderem durch erhöhte Trassenpreise und erleben sie immer noch. Menschen überall und eben im Ausland. Ich weiß es selber. Meine Lieblingsverbin- auch ganz viele in Deutschland – 38 000 – haben die Pe- dung Berlin–Brüssel ist schon wesentlich früher einge- tition unterschrieben; die Betriebsräte haben sich massiv stellt worden, weil die Trassenpreise in Belgien so hoch eingebracht. waren, dass es keine Kunden mehr gab, die diesen Preis bezahlen wollten. Ich möchte an der Stelle noch einmal sagen: Den Anstoß dazu, dass dieses Thema überhaupt auf die Ta- Aus all diesen Gründen hat uns die Bahn gesagt: Un- gesordnung gebracht wurde, dass wir uns damit beschäf- sere Züge haben zwar eine hervorragende Auslastung – tigen, dass Journalisten, Künstlerinnen und Künstler, Herr Gastel, ich kann mich noch erinnern: Sie haben uns Professoren, alle möglichen Leute sich damit identifzie- hier von Ihren Erfahrungen berichtet; Sie haben mehrfach ren und sagen: „Wir wollen diese Reisekultur“, haben die versucht, kurzfristig in einem Nachtzug zu reservieren, Betriebsräte aus diesem Bahnsegment gegeben. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Vier Wochen vorher schon!)

Vizepräsidentin Ulla Schmidt: und haben die Auskunft bekommen, dass er ausgebucht Frau Leidig. ist und Sie nicht mehr hineinkommen; die Bahn hat uns bestätigt, dass es so ist –; aber trotz dieser Auslastung Sabine Leidig (DIE LINKE): stehen wir vor der Situation, dass wir Verluste in Höhe Das sind dieselben, die jetzt vom Bahnkonzern wirk- von 30 Millionen Euro pro Jahr einfahren. lich schäbig behandelt werden und immer noch keine or- Die Frage war: Was ist zu tun? Die Bahn hat uns ge- dentliche Alternativbeschäftigung haben. Ich fnde, das sagt: Wir können diese Verluste nicht übernehmen. Wir ist wirklich auch eine Aufgabe dieses Hauses, sich da- kündigen aber an, dass wir ein neues Konzept machen, rum zu kümmern, dass diese Leute nicht auf der Strecke dass wir für Reisende die Möglichkeit anbieten, auch bleiben. über die Nacht von A nach B zu kommen. In unserer Diskussion gab es einige, die der Meinung Vizepräsidentin Ulla Schmidt: waren, das müsse man nicht abwarten, sondern man kön- Frau Kollegin Leidig, jetzt muss ich Sie wirklich bit- ne da auch mit Steuergeldern hineingehen. Ich bin sehr ten, zum Schluss zu kommen. froh, dass die Koalition dieses Konzept abgelehnt hat; Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24659

Kirsten Lühmann (A) denn dieses Geld hätte uns im System Schiene an anderer deren Ländern das Wasser abgegraben wird. Das wollen (C) Stelle gefehlt, wo es eventuell einen wesentlich höheren wir nicht. Ich glaube, dass die Bundesregierung da noch Nutzen hat. eine sehr wichtige Aufgabe hat, nämlich zusammen mit unseren europäischen Nachbarn ein solches Konzept auf (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Stuttgart 21 die Beine zu stellen. zum Beispiel! Da gibt es 3 Milliarden zusätz- lich!) Der dritte Punkt, den wir in unserem Antrag ange- sprochen haben, ist die Frage der Buchungen. Es ist sehr Wenn ich mir das heute anschaue, komme ich zu dem Er- schön, dass wir solche Nachtzüge haben. Es bringt uns gebnis: Es war gut, dass wir gewartet haben, bis die Bahn aber wenig, wenn wir die umständlich auf irgendwelchen ihr Konzept vorgelegt hat; denn die Situation heute, liebe Internetseiten suchen müssen. Das Buchungssystem Kolleginnen und Kollegen, ist eine sehr komfortable. muss eingepfegt werden. Es muss einfacher werden. Die Erstens. Wir haben die schnellen ICE. Wir haben als Leute müssen auf diese neuen Möglichkeiten hingewie- Koalition und Bundesregierung in dieser Legislatur sehr sen werden. Ich denke, da gibt es auch für die Bahn noch viel Geld ausgegeben, um diese schnellen Städteverbin- einiges zu tun. dungen zu fördern. Als Letztes wird unter anderem das Der vierte Punkt ist ein ganz wichtiger Punkt. Er wur- Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nr. 8.1/Nr. 8.2 im De- de heute auch schon angesprochen. Es ist nämlich das zember eröffnet werden. Die Folge ist, dass die Verbin- Thema Personal. Die Bahn hat uns vor zwei Jahren zu- dung von München nach Berlin um glatte zwei Stunden gesichert, dass das Personal, das für ihre Nachtzüge nicht schneller ist. Das heißt, wir werden deutlich mehr Ver- mehr benötigt wird, innerhalb des Konzerns adäquat kehr auf die Schiene bekommen, und das ist auch gut so. weiter eingesetzt wird. Wir haben von den Personalver- Als Zweites hat die Bahn den Nacht-ICE eingeführt. tretungen gehört, dass das in vielen Fällen auch passiert. Ja, Herr Ferlemann, dort können Sie kein Bett buchen – Aber viele Fälle sind eben noch nicht alle Fälle. Ich glau- das ist richtig –, aber Sie können diesen Zug nachts neh- be, dass wir weiterhin ein Auge darauf werfen sollten, men, und er hat Liegesitze, die deutlich komfortabler dass diese Ankündigungen und Versprechungen auch sind als das, was man früher in den Nachtzügen als Lie- eingehalten werden. gesitz verkauft hat. Der letzte Punkt, den ich hier anspreche, ist die Tat- Als drittes Segment haben wir tatsächlich die Nacht- sache, dass wir gerne einmal in der Legislatur einen Be- züge. Die Bahn hat die Kooperation mit der ÖBB, den richt von der Bundesregierung hätten, wie es mit diesen Österreichischen Bundesbahnen, gemacht. Aber es gibt Themen weitergegangen ist. Ich glaube, es ist mit der nicht nur die ÖBB, sondern auch weitere ausländische wichtigste Punkt, dass wir nicht sagen: „Wir haben jetzt (B) Eisenbahnverkehrsunternehmen, die Nachtzugverbin- in dieser Legislatur zwei- oder dreimal über Nachtzü- (D) dungen anbieten, zum Beispiel die ungarische Bahn, zum ge geredet. Jetzt muss es auch gut sein. Jetzt lasst mal Beispiel die kroatische Bahn und von Moskau über Ber- die Bahn arbeiten“, sondern dass wir sagen: Das ist ein lin nach Paris die russische RZD. Thema, das uns wirklich am Herzen liegt. Diese Nach- besserungen, die wir gefordert haben, diese Konzepte, Ich glaube, liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist die wir aufegen, möchten wir als deutsches Parlament eine sehr gute Lösung. Wir hören auch, dass sie hervorra- verfolgen. – Das können wir nur, wenn die Bundesre- gend angenommen wird. Trotzdem sind wir als Koalition gierung uns regelmäßig einen Bericht gibt, damit wir als der Meinung, dass es Optimierungsbedarf gibt. Parlament erkennen können, ob es Punkte gibt, wo wir Das Erste ist: Die Deutsche Bahn hat uns im Ver- nachsteuern müssen. kehrsausschuss erklärt, dass die Tarifeinheit mit der ös- Insofern freue ich mich, wenn wir uns hier alle zu ei- terreichischen Bahn – man hat gemeinsame Tarife, man ner nachtschlafenden oder vielleicht zu einer etwas pro- erkennt die Tickets gegenseitig an – nur ein Versuch ist. minenteren Zeit in diesem Parlament wiedersehen, um Wir sind der Meinung: Das darf nicht nur ein Versuch auch weiterhin diesem wichtigen Thema unser Augen- bleiben, sondern das muss verstetigt werden. Hier for- merk zu schenken. dern wir die Bundesregierung auf, ihren Einfuss geltend zu machen, um die Deutsche Bahn davon zu überzeugen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Außerdem muss das natürlich auch auf die anderen Ko- operationspartner übertragen werden. Ich hatte ja gesagt: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Es sind mehrere ausländische Eisenbahnverkehrsunter- der CDU/CSU) nehmen. – Für die muss das auch gelten. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Der zweite Punkt, den wir angesprochen haben, ist die Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Matthias Gastel Tatsache, dass wir im Prinzip ein europäisches Nachtzug- für Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Bitte schön. konzept bräuchten; der Beginn ist schon gemacht. Wir haben – das wurde schon gesagt – sehr viele Verbindun- gen in den Osten Europas, in den Süden Europas, aber Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): nur ganz wenige in den Westen Europas. Wir brauchen Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! ein europäisches Nachtzugkonzept. Dazu müssen wir Die Nachtzüge wurden von der Deutschen Bahn über technische, administrative und Wettbewerbsschranken Jahre hinweg lust- und fantasielos betrieben, und von einreißen. Es kann nicht sein, dass Nachtzugverbindun- Jahr zu Jahr wurden mehr und mehr davon aufs Abstell- gen zum Beispiel durch überhöhte Trassenpreise in an- gleis gestellt. Es ist bedauerlich, dass die Deutsche Bahn 24660 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

Matthias Gastel (A) bei den Nachtzügen das Licht ausgeknipst hat. Hingegen Das ist jetzt keine Idee von uns, aber wir greifen diese (C) ist es erfreulich, dass die Österreichischen Bundesbahnen Idee gerne auf. die noch verbliebenen Angebote übernommen haben. Herr Ferlemann, vielleicht können Sie nachher einmal (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) erklären, was daran bitte schön ein Eingriff in das Aktien- recht ist. Ich kann hier nichts Entsprechendes feststellen. Es ist schade, dass CDU/CSU- und SPD-Fraktion in ihrem Antrag letztlich nichts anderes machen, als den (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Rückzug der Deutschen Bahn aus diesem Marktsegment Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ nachträglich noch zu rechtfertigen. Der Sinn dieses An- DIE GRÜNEN]: Ich glaube, Herr Ferlemann trages erschließt sich mir und uns jedenfalls nicht. braucht selber mal eine Schulung!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Erfreulich ist, meine Damen und Herren, dass die Österreichischen Bundesbahnen angekündigt haben, ihr Was unter fast vier Jahren Großer Koalition fehl- Nachtzugkonzept weiter auszubauen. Wir hoffen natür- te, waren die notwendigen Weichenstellungen für eine lich, dass dann zusätzliche Angebote auch in Deutsch- starke Bahn. Sie haben nämlich genau das Gegenteil land entstehen. Wichtig ist – an die Adresse der Deut- dessen gemacht, was Sie in Ihrem Antrag behaupten schen Bahn gerichtet –, dass die Bahn-Card auch nach bzw. fordern. Ich nenne das Beispiel Trassenpreise. Sie Dezember 2017, also auch nach dem Fahrplanwechsel, stellen fest, dass die Trassenpreise ab Dezember für die für die Nachtzüge der ÖBB anerkannt wird. Das ist eine Nachtstunden sinken. Das ist zwar richtig. Was Sie aber ganz wichtige Maßnahme. Wir sind davon überzeugt: verschweigen, ist, dass sie außerhalb der Zeit zwischen Der Nachtzug hat mit seinen Schlaf- und Liegewagen 23 Uhr und 6 Uhr steigen werden. Die Nachtzüge fahren Potenzial für die Zukunft, wenn es die richtigen Ideen aber eben nicht nur zwischen 23 Uhr und 6 Uhr, son- gibt, wenn es den unternehmerischen Willen gibt und dern sie starten schon vorher, und sie kommen erst später, wenn es die politische Unterstützung gibt. nämlich dann, wenn die Trassenpreise wieder höher sind, an ihrem Ziel an. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie behaupten, Sie hätten mit Ihrem Bundesverkehrs- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: wegeplan ein verbessertes Schienennetz in die Wege geleitet. Da müssen Sie sich mal bitte schön Ihren Bun- Vielen Dank. – Letzte Rednerin ist die Kollegin desverkehrswegeplan anschauen. Seit wann fahren denn Daniela Ludwig, CDU/CSU-Fraktion. Züge auf Straßen? Straßen sind zuhauf in Ihrem Bun- (Beifall bei der CDU/CSU) (B) desverkehrswegeplan berücksichtigt, aber mehr als die (D) Hälfte der Schienenwege ist noch nicht einmal bewertet (CDU/CSU): worden. Da kommen Sie überhaupt nicht voran, und da- Daniela Ludwig mit wird auch nichts besser in diesem Bereich. Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht nicht ohne Kooperationen. Ein ein- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zelnes Land wird kein nationales Nachtzuggeschäft mit einer positiven Bilanz betreiben können. Das Nacht- Wir haben einen Antrag gestellt. In diesem Antrag zugsegment ist ein komplexes, schwieriges Geschäft, das fordern wir bessere Wettbewerbsbedingungen für die nur gemeinsam zu betreiben ist. – Das hat nicht die Deut- Schiene, beispielsweise gegenüber dem Flugverkehr. sche Bahn gesagt, sondern der Vertreter der ÖBB in der Wir fordern ein europäisches Nachtzugkonzept unter Sachverständigenanhörung des Verkehrsausschusses im Einbeziehung der Hochgeschwindigkeitsstrecken, damit Februar dieses Jahres. Ich glaube, damit ist alles gesagt. im Nachtsprung auch längere Distanzen zurückgelegt werden können. Wir fordern den Aufbau eines Deutsch- Das ist auch der Hintergrund unseres Antrages. Wir land-Taktes im Bundesverkehrswegeplan unter Berück- sind der Meinung, dass die DB mit der ÖBB und mit sichtigung der Nachtzüge. Privatbahnen europaweit kooperieren darf und können muss, um Nachtzugverkehre zur Verfügung zu stellen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der Nachtzugbetrieb hat einen hohen Wettbewerbs- Damit kommen wir aber leider nicht voran, weil das druck – das ist heute schon gesagt worden – durch die Projekt Deutschland-Takt mit Blick auf den Bundesver- Fernbusse, die stark genutzt werden, aber auch durch das kehrswegeplan auf die lange Bank geschoben wurde. eigene gute Angebot untertags. Wenn Sie sich die Strecke Berlin–München mit künftig vier Stunden Fahrzeit an- Wir fordern Trassenpreise, die niedriger sind als die schauen, dann wird klar, dass sich die Bahn selber im po- heutigen und die auf der Empfehlung der Europäischen sitiven Sinne Konkurrenz macht, weil sie etwas anbietet, Union basieren. Das heißt, dass das Grenzkostenprinzip was für die Leute höchst attraktiv ist und sogar auf dieser gilt und nicht die Ausnahme, die Sie mit dem höheren Strecke mitunter das Flugzeug schlagen wird. Dann ist Vollkostenprinzip beschlossen haben. Und wir schlagen vielleicht die eine oder andere Strecke im Nachtzugver- ein Interrailticket für alle jungen Menschen in der EU kehr nicht mehr so attraktiv, wie sie es vielleicht vor 10, vor, um ihnen sowohl Europa als auch die Bahn näher- 15 oder 20 Jahren war. Das muss man anerkennen. zubringen. Wir begrüßen es sehr, dass es an vielen Stellen, auch in (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN meinem Wahlkreis, die erfolgreichen Kooperationen mit sowie bei Abgeordneten der LINKEN) der ÖBB gibt. Wir begrüßen es aber auch, dass die Deut- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24661

Daniela Ludwig (A) sche Bahn sich nicht komplett aus dem Nachtzugverkehr Wir unterstützen die Bahnen bei den Kooperationen, die (C) zurückzieht, sondern ein eigenes Segment erschließt, nachgefragt werden. nämlich – es ist heute schon gesagt worden – ICE und IC in der Nacht, aber nur mit Sitzplätzen, wohingegen Vielen herzlichen Dank. das klassische Nachtzugsegment an geeigneter Stelle von den Österreichern oder anderen übernommen wird. (Beifall bei der CDU/CSU) Diese Entwicklungen, die wir gerade in den letzten zwei bis drei Jahren beobachten konnten, sind nicht Er- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: gebnis eines staatlichen Eingriffs oder einer staatlichen Order, sondern sie sind Ergebnis einer unternehmeri- Vielen Dank. – Damit ist die Aussprache beendet. schen Entwicklung, die auf die Marktnachfrage reagiert. Wir kommen unter Tagesordnungspunkt 28 a zur Es ist mir, ehrlich gesagt, wesentlich lieber, wenn sich die Bahn am Kunden orientiert, als wenn wir ihr etwas Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus- aufoktroyieren, was nachweislich wirtschaftlich in den schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur auf letzten Jahren zumindest für die DB nicht funktioniert Drucksache 18/12775. Der Ausschuss empfehlt unter hat. Hier bitte ich um Verständnis, dass mir die freiwil- Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Annahme lige Form lieber ist als andersherum und dass wir keine des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf staatlichen Aufträge dafür benötigen. Wir wollen schon Drucksache 18/12363 mit dem Titel „Kooperationsmo- gar nicht ein staatlich subventioniertes Nachtzugangebot, delle im Nachtzugverkehr stärken“. Wer stimmt für diese wie es die Linken in ihrem Antrag fordern. Das lehnen Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer wir in aller Deutlichkeit ab. Es muss alles eigenverant- enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den wortlich und eigenwirtschaftlich funktionieren. Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion (Beifall bei der CDU/CSU) Die Linke angenommen. Deswegen sind wir sehr dafür, lieber Herr Gastel, dass wir die bestehenden Kooperationen weiter ausbau- Unter Buchstabe b empfehlt der Ausschuss die Ab- en. Wir werden uns das in der nächsten Legislatur, Frau lehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Druck- Lühmann, intensiv anschauen. Ich bin sehr dafür, dass sache 18/7904 mit dem Titel „Die Nachtzüge retten – wir diesen Bericht konsequent einfordern. Ich bin aber Klimaverträglichen Fernreiseverkehr auch in Zukunft auch dafür, dass wir darauf drängen, dass die Kundenvor- ermöglichen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- teile wie Rabattaktionen usw. auch Bahnen übergreifend lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die (B) gelten müssen. Das ist selbstverständlich. Wenn wir ei- Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti- (D) nen europäischen, immer stärker einheitlich werdenden – onsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke Stichwort: viertes Eisenbahnpaket – Schienenverkehr und bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen ange- anstreben, müssen auch solche Dinge irgendwann Usus nommen. werden und ganz selbstverständlich sein und nicht mehr ständig eingefordert werden. Darauf zielt unser Antrag Unter Tagesordnungspunkt 28 b stimmen wir jetzt ab. Ich denke, dass wir in der nächsten Legislatur daran über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf weiter arbeiten müssen. Drucksache 18/12560 mit dem Titel „Nachtzugverkehr Aber noch einmal: Ich halte nicht viel davon, einer als Teil moderner und klimafreundlicher Mobilität aus- Aktiengesellschaft vorschreiben zu wollen, wie sie sich bauen – Zehn-Punkte-Plan für ein europäisches Nacht- wirtschaftlich zu verhalten hat. Ich halte auch nicht viel zugnetz“ ab. Wer stimmt für diesen Antrag? – Das sind davon, den Kunden vorzuschreiben, dass sie zu Millionen die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Das ist die Koaliti- den Nachtzug nutzen sollen. Liebe Frau Leidig, wenn in on. Wer enthält sich? – Das ist die Linke. Damit ist der den letzten Jahren Millionen gefahren wären, dann hätte Antrag abgelehnt. man den Nachzugsverkehr vermutlich auch nicht redu- zieren müssen. Also lassen wir mal die Kirche im Dorf. Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Gegensatz zu Ihrer Lebhaftigkeit steht auf meinem Zettel, dass die Ta- (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gesordnung erschöpft ist. NEN]: Die waren ja voll ausgelastet! Sie sind ja offensichtlich noch nie mit dem Nachtzug (Heiterkeit bei Abgeordneten aller Fraktio- gefahren! Sonst wüssten Sie das!) nen) Lassen wir die Bahnen es so gestalten, wie es die Nachfrage erfordert, auch wenn es für Sie irgendwie Dann schlage ich mal vor, dass wir Schluss machen. eine romantische Bahnfahrt zu sein scheint, wenn man in der Nacht durch die Gegend fährt. Ich glaube, der Kun- Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- de kann selber entscheiden, was für ihn bequem ist; das tages auf heute, 23. Juni 2017, 9 Uhr, ein. müssen wir ihm nicht vorschreiben. Die Sitzung ist geschlossen. Einen guten Nachhause- (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- weg! NEN]: Er kann aber nur das Angebot nutzen, das es gibt!) (Schluss: 0.42 Uhr)

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24663

(A) Anlagen zum Stenografschen Bericht (C)

Anlage 1 Ich werde heute dem Gesetz zur Reform der Pfegebe- rufe (Pfegeberufereformgesetz – PfBRefG) – Drucksa- Liste der entschuldigten Abgeordneten che 18/7823 – zustimmen. Dies jedoch mit Bedenken, die ich in dieser persönlichen Erklärung darlegen möchte.

entschuldigt bis Zentral zu nennen ist hierbei, dass wir kein Gesetz Abgeordnete(r) einschließlich zu den Pfegeberufen verabschieden wollten, ohne dass die entscheidende Ausbildungs- und Prüfungsordnung Bär, Dorothee CDU/CSU 22.06.2017 als Grundlage und Bezugspunkt vorliegt. Doch nun wird die genaue Ausgestaltung den Parlamentariern der nächs- Bellmann, Veronika CDU/CSU 22.06.2017 ten Wahlperiode überlassen. Wir geben also ein großes Stück zentraler Weichenstellungen aus unserer Hand und Dehm, Dr. Diether DIE LINKE 22.06.2017 können nicht gewiss sein, dass unsere Ziele dann noch berücksichtigt werden. Diesem Umstand sehe ich mit Ernstberger, Petra SPD 22.06.2017 großen Bedenken entgegen.

Färber, Hermann CDU/CSU 22.06.2017 Ein weiterer Punkt ist, dass die gemeinsame genera- listische Ausbildung durch mehr generelle Inhalte be- Gottschalck, Ulrike SPD 22.06.2017 sonders die Kinderkrankenpfege in ihrer Spezialisierung schwächt. Der Grundgedanke hinter einer Zusammenle- Kömpel, Birgit SPD 22.06.2017 gung der Alten- und Krankenpfege war es, dass Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpfeger künftig dieselbe Lerchenfeld, Philipp CDU/CSU 22.06.2017 Ausbildung genießen und fexibler einsetzbar sind. Das Graf Ziel der Flexibilität ist weiterhin ein gutes.

Mortler, Marlene CDU/CSU 22.06.2017 Das Hauptargument für die Generalistik ist der Um- stand, dass sich die Anforderungen in der Kranken- und Müller, Bettina SPD 22.06.2017 Altenpfege immer weiter angleichen. So nimmt zum Beispiel die Anzahl der an Demenz erkrankten Men- Nietan, Dietmar SPD 22.06.2017 schen in der Krankenpfege immer weiter zu, und um- (B) gekehrt müssen sich die Altenpfegekräfte zunehmend (D) Obermeier, Julia CDU/CSU 22.06.2017 mit den Problemen der Wundversorgung beschäftigen. Denn dadurch, dass die Menschen immer älter werden Schlecht, Michael DIE LINKE 22.06.2017 und aber auch immer später in die Pfegeheime gehen, steigt die Pfegebedürftigkeit dort weiter an. Die Kompe- Stritzl, Thomas CDU/CSU 22.06.2017 tenzen, die gefordert sind, überschneiden sich bei diesen beiden Berufsbildern spürbar. Doch im Umkehrschluss Terpe, Dr. Harald BÜNDNIS 90/ 22.06.2017 zeigt sich auch ganz deutlich, dass die Anforderungen DIE GRÜNEN und die Bedürfnisse an und in der Kinderkrankenpfege ganz andere sind – und sich diese durch die demograf- Timmermann-Fechter, CDU/CSU 22.06.2017 sche Entwicklung auch nicht gewandelt haben. Eine ge- Astrid meinsame Ausbildung ist hier nicht zielführend. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Ausbildung in der Kin- Troost, Dr. Axel DIE LINKE 22.06.2017 derkrankenpfege abgetrennt von der generalistischen Ausbildung erfolgen sollte. Veit, Rüdiger SPD 22.06.2017 Letztlich war es eines der zentralen Ziele, mehr Men- Vries, Kees de CDU/CSU 22.06.2017 schen für den Beruf der Pfege zu begeistern und die Pfe- ge fächendeckend zu sichern. Dieses Ziel werden wir Wawzyniak, Halina DIE LINKE 22.06.2017 aber nur erreichen, wenn wir auch die kleinen Schulen in der Fläche erhalten. Denn Studien zeigen, dass vor al- Zimmermann, Pia DIE LINKE 22.06.2017 lem dort, wo ausgebildet wird, die Arbeitskräfte gehalten werden können. Durch die Generalistik werden gerade die kleinen Schulen vor große Herausforderungen ge- Anlage 2 stellt. Wir werden von politischer Seite hier genau beob- Erklärung nach § 31 GO achten müssen, wie sich das entwickelt, um dann, wenn es nötig wird, diese Schulen zu unterstützen und ihnen der Abgeordneten Emmi Zeulner (CDU/CSU) zu nicht die Existenzgrundlage zu entziehen. der Abstimmung über den von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Auch wenn ich diese Bedenken habe, so haben wir Reform der Pfegeberufe (Pfegeberufereformge- durch das Gesetz in vielen Bereichen Verbesserungen er- setz – PfBRefG) (Tagesordnungspunkt 7 a) reicht, und diese gilt es zu würdigen. Gut ist, dass die drei 24664 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

(A) Berufsabschlüsse – insbesondere die der Alten- und Kin- ansatz“. In der Begründung des Gesetzentwurfes des (C) derkrankenpfege – erhalten bleiben und gleichberechtigt Bundesrates wird gar vom Ausschluss „extremistischer nebeneinanderstehen. Damit haben wir die Wahlfreiheit Parteien von der Parteienfnanzierung“ gesprochen. Ge- der Auszubildenden gesichert und die Ausbildung für die mäß dieser These gibt es innerhalb demokratischer Staa- Zukunft attraktiver gemacht. Auf diese Weise haben wir ten eine politische Mitte sowie rechts und links davon sichergestellt, dass jeder Auszubildende, egal ob Gym- extremistische Ränder, die eine Gefahr für den Rechts- nasiast, Real- oder Hauptschüler, den Ausbildungsgang staat darstellen würden und dementsprechend bekämpft wählen kann, den er für sich selbst am geeignetsten emp- werden müssen. Doch dabei wird zum einen ignoriert, fndet. Daneben sind auch die Zwischenprüfung und die dass innerhalb der sogenannten politischen Mitte eben- bessere fnanzielle Aufstellung durch den Ausbildungs- falls „rechte“ und menschenfeindliche Orientierungen zu fonds wichtige Schritte gewesen. fnden sind. Die „Mitte“-Studien der Universität Leipzig haben diesen Befund immer wieder empirisch unter- stützt. Zum Zweiten wird mit dem „Extremismusansatz“ eine unzulässige Gleichsetzung von Linken und Rechten Anlage 3 betrieben. Auch wenn es mit der NPD die richtige Par- Erklärung nach § 31 GO tei trifft, ist nicht ausgeschlossen, dass sich die „Verfas- sungstreuepficht“ nicht auch gegen linke Parteien rich- der Abgeordneten Nicole Gohlke, Christine ten kann. Immer wieder stellen CDU- und CSU-Politiker Buchholz, Birgit Menz, Cornelia Möhring, Martina die Verfassungstreue der Linkspartei in Frage. Renner und Hubertus Zdebel (alle DIE LINKE) zu der namentlichen Abstimmung zu dem von den Die NPD verlor bei den letzten Landtagswahlen die Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten einstigen Hochburgen, unter anderem weil unzählige Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grund- Neofaschistinnen und Neofaschisten in der AfD eine po- gesetzes (Artikel 21) (Tagesordnungspunkt 10) litische Heimat gefunden haben – insofern gilt es auch die AfD aktuell in den Fokus zu nehmen. Wir enthalten uns bei der Abstimmung zur Änderung des Grundgesetzes. Rassistische Einstellungen werden nicht durch Ver- bote gestoppt, sondern indem sich Menschen solidarisch Die NPD ist eine neofaschistische Partei, die in der dagegen organisieren. Letztlich müssen soziale Verhält- programmatischen Tradition der NSDAP steht. Sie ist nisse geschaffen werden, in denen rassistisches Gedan- eine antisemitische, islamfeindliche, rassistische und kengut gar nicht erst gedeihen kann. menschenverachtende Partei. Sie ist organisch mit rech- ten Kameradschaften und rechten Schlägertruppen ver- Der Kampf gegen Rechts wird nicht im Gericht, son- (B) woben. Sie gehört auf allen Ebenen politisch bekämpft. dern auf den Straßen, in den Schulen und Betrieben ge- (D) Die politische Bedeutungslosigkeit, in der sie heute wonnen. verschwunden ist, ist das Ergebnis der unermüdlichen, jahrelangen Arbeit Tausender Antifaschistinnen und Antifaschisten in diesem Land. Die Kampagne zum Anlage 4 NPD-Verbot leistete dabei einen zentralen Beitrag für antifaschistische Mobilisierung und Aufklärung. Erklärungen nach § 31 GO Die einstigen Erfolge der NPD wären ohne die po- zu der namentlichen Abstimmung zu dem von den litische Aufbauarbeit der V‑Leute des Bundesamtes für Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Verfassungsschutz nicht möglich gewesen. Allein in der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grund- NPD-Spitze führte der Verfassungsschutz mindestens elf gesetzes (Artikel 21) (Tagesordnungspunkt 10) V‑Leute. Nach Angaben zahlreicher enttarnter Spitzel wurden ihre Honorare, die letztlich aus Steuergeldern Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE): Ich werde mich bezahlt wurden, massiv für den Aufbau der neofaschisti- bei der Abstimmung der Stimme enthalten. Der Bun- schen Partei eingesetzt. In den NSU-Untersuchungsaus- destag wird heute eine Änderung des Grundgesetzes be- schüssen wurde deutlich, dass die Verfassungsschutzbe- schließen, deren Ziel der Entzug der staatlichen Mittel hörden einen maßgeblichen Anteil am personellen und für die Parteienfnanzierung für Parteien ist, die als ver- materiellen Aufbau militanter rechter Strukturen haben. fassungswidrig eingestuft worden sind. Ich enthalte mich Sollte es das tatsächliche Anliegen der Bundesregierung bei der Abstimmung der Stimme, weil ich den Entzug sein, die militante Neonazi-Szene nicht mit weiteren von fnanziellen Mitteln für ein untaugliches Mittel der Steuergeldern zu versorgen, sollte sie das gescheiterte Auseinandersetzung mit verfassungsfeindlichen Parteien V‑Leute-System beenden und das Bundesamt für Ver- halte, die nur aus Gründen der Erfolglosigkeit bei Wah- fassungsschutz aufösen, anstatt diesem immer weitere len nicht dem Parteienverbot unterliegen. fnanzielle Mittel und Befugnisse einzuräumen. Erstens. Ich verstehe zutiefst die Empörung, dass Während das Bundesverfassungsgericht in seinem rechte Parteien wie die NPD staatliche Mittel, die sie NPD-Urteil die Verfassungsfeindlichkeit an inhaltli- nach Wahlen erhalten, einsetzen können, um ihre offen che Kriterien – Menschenwürde, Demokratieprinzip, oder verdeckt verfassungsfeindliche Politik weiter zu be- NS‑Verherrlichung – gebunden hat, steht hinter dem treiben. Die Hoffnung aber, dass das Wirken der NPD Verdikt der Verfassungsfeindlichkeit in der Änderung durch den Entzug von staatlichen Mitteln behindert oder des Grundgesetzes immer auch der alte „Extremismus- gar verhindert werden könnte, ist trügerisch. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24665

(A) Zweitens. Die staatliche Finanzierung von Parteien Anlage 5 (C) auf der Grundlage des Grundgesetzes ist ein Grund- Zu Protokoll gegebene Reden pfeiler der Parteiendemokratie, der – wie alle demokra- tischen Grundrechte – nicht aus Opportunitätsgründen zur Beratung der Beschlussempfehlung und des eingeschränkt werden darf. Demokratie gilt für alle glei- Berichts des Ausschusses für Umwelt, Natur- chermaßen, oder es ist keine Demokratie. Die Einschrän- schutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag kung demokratischer Rechte beschädigt demokratische der Abgeordneten Roland Claus, Stefan Liebich, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter und Grundwerte, auf die die Bundesrepublik zu Recht stolz der Fraktion DIE LINKE: Beendigungsgesetz zum ist. Berlin/Bonn-Gesetz (Tagesordnungspunkt 20) Drittens. Wir wissen alle, dass rechtsextremes Denken und Angriffe auf die freiheitlich-demokratische Grund- Josef Rief (CDU/CSU): In diesen Tagen trauern wir ordnung und demokratische Werte durch Parteien und um Helmut Kohl und sprechen überall darüber, was sein andere politische Strukturen bis in die Mitte der Gesell- Verdienst war und was von ihm bleibt. Ganz sicher ist es neben der deutschen Einheit auch die Entscheidung, Ber- schaft hinein auf erschreckende Zustimmung stoßen. Ver- lin wieder zur deutschen Hauptstadt zu machen. Helmut bote und der Entzug demokratischer Rechte helfen nicht, Kohl hat stets dafür geworben – auch gegen viele Stim- rechtes Denken in der Gesellschaft zurückzudrängen und men in seiner eigenen Fraktion. Wie sich heute zeigt, war wirkungslos zu machen. Dagegen zeigt das Staatsversa- das richtig. gen bei der Aufklärung der NSU-Morde, dass es andere rechtliche Möglichkeiten der Auseinandersetzung und Sie wissen alle, das war auch für das Parlament eine Sanktionierung gibt, die allerdings konsequenter zu ver- schwere Entscheidung. Quer durch alle Fraktionen gab es Uneinigkeit. Die Gegner des Umzugs nach Berlin sa- folgen sind. Wir brauchen eine konsequente Strafverfol- hen vor allem die Kosten als Problem. In Bonn hatte man gung bei rechtsextremen Straftaten, gleich, ob sie „nur sich eingerichtet. Nicht wenige, die damals gegen den verbal“ oder als offene Gewalt daherkommen. Darüber Umzug im Bundestag gestimmt hatten, sagen heute, dass hinaus brauchen wir eine deutliche Stärkung demokrati- sie es hätten besser wissen müssen. scher Strukturen. Wir brauchen den Schutz und die Sen- sibilität der Öffentlichkeit und eine stärkere Resilienz Auch ich halte es für eine kluge Entscheidung. Es war der demokratischen Öffentlichkeit gegen nationalistische für das Zusammenwachsen von Ost und West von sehr großer Bedeutung, dass Berlin als neue, alte Hauptstadt und rassistische Äußerungen. Wir brauchen mehr politi- inmitten der neuen Bundesländer lag. Was wäre aus der sche Bildung, mehr Mitsprache- und Entscheidungsmög- (B) wiedervereinigten Stadt Berlin geworden, ohne dass sich (D) lichkeiten und eine bessere Unterstützung all jener Struk- hier wieder Parlament und Regierung angesiedelt hätten turen, die das demokratische Gemeinwesen ausmachen. und mit ihnen die vielen Unternehmens- und Verbands- Das wird langfristig helfen, rechtes Denken und demo- vertretungen, Botschaften, Organisationen und Vereine? kratiefeindliche Gesinnungen zurückzudrängen und wir- Was hätte mit dem Reichstagsgebäude und den vielen kungslos zu machen. leerstehenden Gebäuden passieren sollen? Heute sehen wir ein Berlin, das mit seinem Parlaments- und Regie- Aus diesen Gründen enthalte ich mich der Stimme. rungsviertel unser Land angemessen repräsentiert. Berlin ist beliebt bei innerdeutschen und internationalen Besu- chern. Thomas Lutze (DIE LINKE): Heute stimmt der Bun- destag namentlich über eine Grundgesetzänderung ab, Wir dürfen auch die historische Bedeutung unserer bei der es um die Parteienfnanzierung geht. Ich werde Hauptstadt nicht vergessen. Berlin ist der Ort, an dem so dem Antrag nicht zustimmen, ich werde mit Stimment- viel gute, aber auch so viel abgrundtief böse Geschichte haltung votieren. unseres Landes geschrieben wurde. Nur hier können wir angemessen den Lehren der Geschichte Rechnung tra- Die NPD ist eine offen faschistische und rassistische gen. Nur hier mahnt uns täglich der Verlauf der Mauer, der in das Straßenpfaster eingelassen ist, was es bedeu- Partei, die verboten sein sollte. Zweimal lehnte aber das tet, wenn wir Freiheit und Demokratie leichtfertig aufs Bundesverfassungsgericht einen Verbotsantrag ab, was Spiel setzen. In der ganzen Stadt spürt man die Folgen ich politisch für falsch halte. der beiden Diktaturen, die unser Land erleben musste. All dies ist unabhängig davon, ob noch ein Teil der Bun- Nun versuchen große Teile der Politik, der NPD durch desverwaltung in Bonn verblieben ist. Wir müssen die Mittelentzug den Garaus zu machen. Diskussion also sachlich führen. Ich bleibe dabei: Entweder wird eine Partei verboten, Auch wenn Berlin unumstritten unsere Hauptstadt ist, was ich im Falle faschistischer und rechtsextremer Par- haben wir uns gegenüber Bonn verpfichtet, einen großen teien wie der NPD absolut begrüße. Oder man muss sich Teil der Arbeitsplätze in Bonn zu erhalten. Schon vor fast politisch mit ihnen auseinandersetzen, damit sie keine zehn Jahren sind wir unter die Marke von 50 Prozent der Wähler mehr bekommen. Der Entzug der Parteienfnan- Stellen gefallen, die in Bonn bleiben sollten. zierung lässt sie als Opfer dastehen. Eine Opferrolle ha- Seitdem hat sich einiges verändert. Bonn hat mithil- ben sie aber nicht verdient. fe des Bundes das Beste aus der Situation gemacht und 24666 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

(A) viele neue Arbeitsplätze angesiedelt, sodass der Anteil eine zentrale Triebfeder für den gesamten politischen (C) von heute unter 40 Prozent verkraftbar erscheint. Bonn Cluster bildet. Ein im Antrag der Linken geforderter radi- ist inzwischen eine Region der Qualifkation, Bildung kaler Umzug nach Berlin hätte daher unabsehbare Folgen und Forschung und ein bedeutender Kulturstandort. Zu- sowohl für die Stadt als auch für die Region. gleich ist die ehemalige Hauptstadt heute ein bedeuten- der Standort der Vereinten Nationen. Nicht zuletzt muss Der Fraktion Die Linke argumentiert, dass zwei Re- man auch die Beschäftigten von Post und Telekom hinzu- gierungssitze ineffektiv, umweltschädlich und zu teuer zählen, die ihren Hauptsitz in Bonn haben. seien. Es ist schon erstaunlich, dass über 25 Jahre nach dem Beschluss des Berlin/Bonn-Gesetzes diese Punk- Trotzdem sind wir es auch 26 Jahre nach dem Haupt- te verwendet werden, um daraus politisches Kapital zu stadtbeschluss des Bundestages der Region Bonn und schlagen. Die zusätzlichen ökonomischen und ökologi- den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Bundes- schen Kosten sowie die Effzienzeinbußen waren schließ- behörden schuldig, dass wir den Umzug mit Augenmaß lich schon im Jahr 1991 absehbar. Dennoch sprach sich machen und an die praktischen Erfordernisse anpassen. nach umfangreichen und harten Debatten eine Mehrheit Im Haushaltsausschuss lassen wir uns alle zwei Jahre des Deutschen Bundestages für eine Teilung der Regie- über den Stand und die Kosten der Verwaltung mit zwei rung auf zwei Standorte aus, eben weil eine Berücksichti- Standorten berichten. Im Bundesbauministerium wurde gung der Interessen beider Städte gegenüber den Kosten ein Arbeitsstab eingerichtet, der die Entwicklung der stärker gewichtet wurde. Zudem sollten sowohl Bonn als vergangenen Jahre in eine ressortübergreifende Strate- auch Berlin von der Regelung proftieren. Dieses Streben gie überführen soll, um verlässliche Perspektiven und nach einem Kompromiss ist schließlich ein Merkmal der Planungssicherheit für alle Beteiligten zu schaffen, ins- Demokratie. besondere für den Standort Bonn und die Beschäftigten dort. Sowohl in dem Antrag als auch in der öffentlichen Im Koalitionsvertrag haben CDU/CSU und SPD ver- Debatte wird immer wieder auf die durch die zwei Re- einbart, dass wir am Berlin/Bonn-Gesetz festhalten wer- gierungssitze hervorgerufenen Kosten verwiesen. Dabei den. Bonn wird vorerst das zweite politische Zentrum in sind sie in den vergangenen Jahren stetig gesunken und Deutschland bleiben. Aus diesem Grund lehnen wir den haben aktuell mit 7,5 Millionen Euro einen Tiefstand er- Antrag der Fraktion Die Linke ab. reicht. Diese positive Entwicklung ist vor allem den um- fangreichen Fortschritten im Bereich der Digitalisierung Es wäre interessant gewesen, wenn die Linke den An- zu verdanken. Ein Meinungs- und Informationsaustausch trag vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen ge- setzt heute dank vielfältiger Instrumente nicht mehr die stellt hätte. So bleibt politisch ein schaler Beigeschmack. gemeinsame Anwesenheit an einem Ort voraus. Mit (B) Blick auf die fnanziellen Aspekte ist es zudem äußerst (D) fragwürdig, nur die aktuell durch die zwei Regierungs- Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU): Helmut Kohl gelang die Realisierung der deutschen Wiedervereinigung sitze verursachten Kosten anzuprangern und gleichzeitig unter anderem deshalb, weil er die Interessen sowohl der die Kosten für einen kompletten Umzug der Ministerien Sowjetunion als auch der westlichen Partner ausreichend nach Berlin zu verschweigen. Es müssen alle Fakten ge- berücksichtigte und ihnen mit einer umfassenden Einbet- nannt werden; schließlich ist nur so eine objektive Be- tung der Bundesrepublik in europäische Strukturen die wertung der Problematik möglich. Berechnungen gehen Angst vor einem wiedervereinigten Deutschland nahm. davon aus, dass ein Komplettumzug nach Berlin zwi- Der Aspekt einer Berücksichtigung beiderseitiger Inte- schen 2 Milliarden und 5 Milliarden Euro kosten wür- ressen wohnt auch dem Berlin/Bonn-Gesetz inne, das de. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht würden sich diese die Grundlage für die beiden Regierungsstandorte Berlin Kosten erst in mehreren Hundert Jahren amortisieren. und Bonn bildet. Die Linke schwingt sich in ihrem Antrag zum Verteidi- ger der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler auf, fordert Das Berlin/Bonn-Gesetz ist aufgrund der vielverspre- jedoch gleichzeitig solch ein staatlich fnanziertes Mam- chenden Entwicklung beider Städte als Erfolgsgeschich- mutprojekt. Aus fskalpolitischer Perspektive wäre es zu- te zu bezeichnen. Berlin ist heute anerkannte Hauptstadt dem sinnvoller, den Bau öffentlich fnanzierter Projekte Deutschlands, mit all den damit verbundenen positiven eines solchen Umfangs in konjunkturschwachen Zeiten Effekten auf Bereiche wie Kultur und Tourismus. Die vorzunehmen. Dieser scheinbar bei den Antragstellern Stadt Bonn wiederum hat den Wegzug der Legislative unbekannte Haushaltsgrundsatz entstammt dem Stabili- sowie erheblicher Teile der Exekutive sehr gut verkraftet. täts- und Wachstumsgesetz aus dem Jahr 1967. Heute ist die Region ein Kompetenzzentrum in den Be- reichen Bildung, Wissenschaft und Forschung sowie Ein besonders kritikwürdiger Punkt des vorliegenden Telekommunikation und Cybersicherheit. Zudem ist die Antrags ist der geforderte Zeithorizont. Bis zum Jahr 2020 ehemalige Hauptstadt seit über 20 Jahren UN-Standort soll die Zusammenführung der Bundesministerien in und darüber hinaus Sitz von 20 Bundesbehörden sowie Berlin erfolgen. In Anbetracht der über 7 000 Beschäf- zahlreichen Nichtregierungsorganisationen. Gewisser- tigten in Bonn ist die Zeitvorgabe von nur 2,5 Jahren mit maßen unter der Flagge der Vereinten Nationen hat sich Blick auf die Gebäudekapazitäten in Berlin eine immen- Bonn inhaltlich zu einem Schwerpunkt der Bereiche se Herausforderung. Darüber hinaus würden die Bonner Nachhaltigkeit und Entwicklungszusammenarbeit he- Beschäftigten auf einen Berliner Wohnungsmarkt drän- rausgebildet. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass das gen, der schon heute durch eine Angebotsknappheit und noch immer in Bonn vorhandene Regierungsgeschehen deutliche Preisanstiege gekennzeichnet ist. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24667

(A) Viel mehr als der leichtfertige Umgang mit den fnan- vollständiger Umzug wäre effektiv, kostengünstig und (C) ziellen Kosten irritiert jedoch, wie abgebrüht die Linke umweltfreundlich. mit den sozialen Kosten umgeht. Schließlich haben sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter teilweise schon vor Jedoch gibt es auch gewichtige Gründe, die gegen Ih- vielen Jahren für Bonn als Arbeitsplatz entschieden. Sie ren Antrag sprechen. Der wichtigste Grund – wir haben haben sich ein persönliches Umfeld aufgebaut und Fami- das schon in der ersten Lesung thematisiert – ist, dass lien gegründet. All dies soll nun nach Plänen der Linken Sie für den kompletten Umzug einen extrem kurzen Zeit- in einer Art Hauruckaktion zerschlagen werden. raum gewählt haben. Binnen eines Zeitraums, der im Jahr 2020 abgeschlossen sein soll, einen solchen Umzug Der vorliegende Antrag der Linken greift ein wichti- durchzuführen, ist aus Sicht der betroffenen Beschäftig- ges Problem auf, nur werden daraus die falschen Schlüsse ten nur eines: Wahnsinn – mich erstaunt sehr, liebe Kol- gezogen. Es ist zutreffend, dass sich mittlerweile 65 Pro- leginnen und Kollegen von den Linken, dass Sie ausge- zent der ministeriellen Arbeitsplätze in Berlin befnden, rechnet die Interessen der Beschäftigten überhaupt nicht obwohl das Berlin/Bonn-Gesetz eine Mehrheit der Mi- in den Blick genommen haben. Jede Arbeitsorganisation nisteriumsmitarbeiter in Bonn vorsieht. Zudem erfolgen braucht Zeit, um solch einen Umzug zu planen und ihn heute fast drei Viertel der Neueinstellungen in Berlin. dann sozialverträglich durchführen zu können. Es ist somit offensichtlich, dass sich der Schwerpunkt schleichend immer mehr hin zur Hauptstadt verlagert. Weiterhin spricht gegen Ihren Antrag, dass die Kos- Diese Entwicklung wird sich aufgrund der Altersstruktur ten für einen Umzug, insbesondere wenn er so schnell der Bonner Belegschaft und der überwiegend in Berlin durchgeführt werden soll, immens sein werden. Unter stattfndenden Schaffung neuer Planstellen in den nächs- dem Strich müssen wir konstatieren, dass die Amortisati- ten Jahren fortsetzen. Ein solcher nur indirekt gesteuer- onsphase extrem lang sein wird. ter Vorgang muss zukünftig in einen geplanten Prozess Darum bin ich sehr zufrieden, dass die Beauftrag- überführt werden. Es darf dabei allerdings nicht heißen te der Bundesregierung für den Berlin-Umzug und den Bonn oder Berlin, sondern es muss ganz im Geiste des Bonn-Ausgleich einen hervorragenden Statusbericht Berlin/Bonn-Gesetzes eine Debatte angestoßen werden, vorgelegt hat. Dieser ist eine ehrliche Grundlage, um die in der die Interessen beider Städte ausreichend Berück- notwendige Diskussion über einen sozialverträglichen sichtigung fnden. Umzug anzustoßen. Lassen Sie uns in der nächsten Le- gislaturperiode hieran gemeinsam arbeiten. Matthias Schmidt (Berlin) (SPD): Liebe Kollegin- nen und Kollegen von der Fraktion Die Linke, lassen Sie (B) Susanna Karawanskij (DIE LINKE): In der ersten (D) mich zunächst sagen, dass ich als Berliner Abgeordneter Lesung zu unserem Antrag stellte ich fest, dass es in 2015 durchaus Sympathien für die Intention ihres Antrages fast 21 000 teilungsbedingte Dienstreisen zwischen Bonn „Beendigungsgesetz zum Berlin/Bonn-Gesetz“ hege. und Berlin gab. Dazu machte Herr Kollege Lengsfeld Gleichwohl – das wird Sie kaum überraschen – komme den spöttischen Zwischenruf: „Was das an CO2 kostet!“. ich zu der Erkenntnis, dass ich ihren Antrag im Ergebnis Ich fnde es erschreckend, wie schnell die CDU/CSU mit ablehnen werde. Doch lassen Sie uns zunächst mit dem Hohn und Spott bei der Sache ist, wenn es um Umwelt- Positiven beginnen. schutz und Ökologie geht. Natürlich sind teilungsbeding- te Flüge nicht alleinige Ursache des Klimawandels. Aber Der vollständige Umzug aller Ministerien nach Ber- es bleibt dabei: Die Teilung der Regierung ist unöko- lin ist sinnvoll. Dies ist augenscheinlich. Vordergründig logisch. Dies sollte Sie eher zum Nachdenken als zum werden oft die Reisekosten als erstes Argument aufge- Spotten anregen. Denn die miese Ökobilanz in Sachen führt. Es ist zwar richtig, dass diese dann nicht mehr Bonn-Berlin ist ein Abziehbild der politischen Bilanz anfallen würden, aber dies ist nur das schwächste Argu- dieser Regierungskoalition. ment. Viel wichtiger ist aus meiner Erfahrung als ehe- maliger Mitarbeiter eines Bundesministeriums in Berlin, Dabei tut die Teilung der Regierung in zwei Regie- dass derzeit die formale Arbeitseffektivität erheblich lei- rungssitze schon lange nicht mehr not. Das Berlin/ det. Aufgaben lassen sich an getrennten Orten nun mal Bonn-Gesetz, das seit 1994 in Kraft ist, hat seinen Sinn, schlechter lösen. Nicht zu unterschätzen sind aus meiner seine Aufgabe erfüllt, indem die Bundesstadt Bonn be- Sicht weiterhin die informellen Gespräche unter Kolle- sonders gefördert wurde und heute wirtschaftlich, kul- ginnen und Kollegen auf den Fluren oder in den Kanti- turell und politisch gut aufgestellt ist. Die Region Bonn nen. Informelle Kontakte haben auch in Behörden eine droht nicht, Einöde zu werden. Da haben manche Kom- ausgesprochen wichtige Funktion. Diese fallen bei der munen in NRW ganz andere Sorgen. derzeitigen Arbeitsteilung häufg weg, und dies allen modernen Errungenschaften wie E-Mail, Telefonkon- Zudem sind einige wenige Ausnahmen sinnvoll: Wir ferenz oder Ähnlichem zum Trotz. Hinzu kommt, dass wollen zum Beispiel nicht, dass Einrichtungen, die in ich in meinem Berliner Wahlkreis sehr häufg auf das ihrem Wirken explizit der Region Köln/Bonn verbun- Thema des vollständigen Regierungsumzuges nach Ber- den sind, nach Berlin umziehen müssen. Dies trifft unter lin angesprochen werde. Bürgerinnen und Bürger haben anderem auf das Haus der Geschichte zu. Wir fordern kaum Verständnis dafür, dass die Bundesregierung ihre des Weiteren, dass bei einem Umzug des Bonner Regie- Aufgaben noch immer an zwei mehr als 600 Kilometer rungssitzes die Mitbestimmungsrechte der Belegschaften voneinander entfernt liegenden Orten wahrnimmt. Ein beachtet werden. 24668 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

(A) Fast 40 Prozent der Regierungsstellen sind noch in Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE (C) Bonn – ein absurd hoher Wert! Dabei ist eine Arbeits- GRÜNEN): Ich fnde, das Bonn/Berlin-Gesetz taugt teilung zwischen Bonn und Berlin längst nicht mehr nicht zum parteipolitischen Streit, weder hier im Bun- angezeigt, erst recht nicht, wenn es um zukunftsfähiges destag noch im Bundestagswahlkampf. Denn hier geht Regierungshandeln geht. Wir brauchen doch viel eher es um Regionen: einerseits Berlin, andererseits die Regi- schnelle Reaktionen, gezielte, auch persönliche Abspra- on um Bonn. Und diese beiden Regionen gegeneinander chen, kurze Reaktionszeiten. Die Teilung steht dem ent- auszuspielen, da machen wir Grüne nicht mit. Ich glaube, gegen und ist schlicht ineffektiv. wenn man hier einen solchen Antrag auf den Weg bringt, dann muss der Blick auf beide Regionen gerichtet sein. Selbst wenn die Arbeitsstellen der Regierung sich sehr, sehr langsam zugunsten Berlins bewegen, ist die Tren- Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen nung der Regierungstätigkeit aus drei weiteren Gründen Koalition, wir haben doch ein Problem mit dem Berlin/ äußerst ineffektiv: Die Zweiteilung der Bundesregierung Bonn-Gesetz. So wie es jetzt ist, kann es nicht bleiben, schwächt erstens die Rolle Berlins als Bundeshauptstadt. weder in Berlin noch in Bonn. Zweitens wird die Koordinierung zwischen Regierung Ich habe sehr wohl wahrgenommen, was Ministerin und Parlament erschwert, was nicht gut für unsere De- Hendricks, die Beauftragte für den Umzug von Bonn mokratie ist. Da ferner junge Menschen viel eher nach nach Berlin, dazu in dieser Wahlperiode gemacht hat: Sie Berlin als nach Bonn ziehen würden, wird drittens auf- hat mal wieder einen Bericht vorgelegt, eine „ergebnisof- grund der zwei Standorte die Nachwuchsarbeit in den fene Bestandsaufnahme“. Was soll das denn sein? Das ist Bundesministerien erschwert. doch nur ein Synonym für Untätigkeit. Hinter solch ei- Die anhaltende Trennung der Regierungsstellen ist nem Bericht kann man sich natürlich bestens verstecken nicht nur unökologisch und besonders ineffektiv, sondern und eine weitere Bild-Zeitung-Schlagzeile produzieren. vor allem auch teuer. Gewiss kostet ein Komplettumzug In dem Bericht steht, es gibt Effzienzverluste, die wir der Regierungsstellen von Bonn nach Berlin auch Geld. lösen müssen. – Wie soll das konkret gestaltet werden? Doch das ist ein einmaliger Akt über einen überschauba- Wie soll die Struktur unter Berücksichtigung aller Inte- ren Zeitraum hinweg. Im Vergleich dazu bleiben die jähr- ressen neu geordnet werden? lichen Kosten für die Regierungsteilung mit fast 7,5 Mil- lionen Euro in 2016 relativ konstant auf hohem Niveau. Dazu schweigt das BMUB. Dazu schweigen die Mi- Die Kosten für die bereits erwähnten umweltschädlichen nisterin und auch die Bundesregierung. Am Ende hat Zehntausenden von Dienstreisen pro Jahr beliefen sich in Hendricks auch hier wieder nicht geliefert. Und ich sage 2015 auf stolze 4,7 Millionen Euro. Und das sind jährli- Ihnen eins: Sie ist die zuständige Ministerin, und das hät- te sie in dieser Wahlperiode liefern können. Die Große (B) che Kosten! Wie wollen Sie diese Kosten vor den Steu- (D) erzahlerinnen und Steuerzahlern weiterhin rechtfertigen? Koalition hat sich in dieser Frage weggeduckt. Selbst in einigen Ministerien wird ja schon mehr oder Eine neue Bundesregierung muss sich wirklich ernst- weniger laut über eine Beendigung der Aufteilung der haft mit diesem Thema beschäftigen, aber nicht in der Regierungsstandorte nachgedacht. Vielleicht gibt es Ih- Form wie der vorliegende Antrag der Linken. Er ist nen einen weiteren Ruck, wenn Sie berücksichtigen, dass schlicht zu kurz gegriffen und spielt die Regionen gegen- gemäß einer repräsentativen Umfrage 83 Prozent der Be- einander aus. völkerung einen Komplettumzug befürworten. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, bei Schließlich schwächt eine Zweiteilung der Regie- einer ernsthaften Debatte wären wir auch dabei gewesen. rungstätigkeit sogar das föderale System. Wenn das föde- Aber glauben Sie denn im Ernst, dass diese Bun- rale System durch Verteilung einzelner Ressorts, Behör- desregierung hier noch was macht? Was soll die Große den und sonstiger Einrichtungen auf Standorte außerhalb Koalition denn in den nächsten eineinhalb Wochen zum Berlins wirklich gestärkt werden soll, dann müsste man Berlin/Bonn-Gesetz noch vorlegen? Nichts. Und sie wird aber mehrere Standorte in den alten Bundesländern und auch nichts vorlegen. Deswegen macht dieser Antrag in insbesondere auch in Ostdeutschland wählen. Das Um- der Form heute auch keinen Sinn. weltbundesamt in Dessau oder das Biomasseforschungs- zentrum in Leipzig bleiben da jedoch leider Ausnahmen. Die Forderung umzusetzen, dass der Umzug komplett Knapp 40 Prozent der Regierungsangestellten sind statt- bis 2020 stattfnden soll, ist schlicht unmöglich. Wo sol- dessen in einer einzigen Stadt angestellt, in Bonn. Damit len denn die ganzen Liegenschaften und Wohnungen in wird die Grundidee des Föderalismus entwertet. Berlin herkommen? Wie sollen alle Personalfragen ge- klärt werden? Dieses Datum ist ein Hauruckdatum. Und Viele gute Gründe sprechen also für einen Komplett­ da machen wir Grüne nicht mit, denn das produziert umzug nach Berlin; deshalb brauchen wir ein Beendi- Ängste, und damit machen wir keine Politik! gungsgesetz zum Berlin/Bonn-Gesetz. Damit muss der Wir Grüne werden uns auch in der nächsten Wahlperi- Zustand der Regierungszweiteilung bis 2020 endgültig ode sehr ernsthaft damit auseinandersetzen, weil wir die aufgehoben werden. Ich hoffe, dass die Bonner Repu- Probleme wirklich lösen wollen. blik somit in ihren wohlverdienten Ruhestand geschickt wird und alle, die immer noch für zwei Regierungssitze Wir werden uns so darum kümmern, dass nicht eine sind, endlich in der Jetztzeit und in der Berliner Republik Region in die Röhre guckt. Wir suchen nach einer ver- ankommen, damit wenigstens diese Zweiteilung in unse- antwortungsvollen Lösung für alle. Wir werden dafür rem Land endlich beendet wird. sorgen, dass auch die ökologischen Aspekte nicht hinten Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24669

(A) runterfallen, und wir werden dafür sorgen, dass es auch Machen wir doch einen Faktencheck: Mehr als die (C) eine fnanzpolitisch sinnvolle Lösung ist. Hälfte der rund 6 000 Ministeriumsmitarbeiter in Bonn muss überhaupt keine Dienstreise nach Berlin unterneh- Deswegen lehnen wir Ihren unausgegorenen Antrag men. Ihre Ansprechpartner sitzen in anderen Regionen heute ab. Deutschlands und in Brüssel. Nebenbei: Eine Dienstreise von Berlin nach Brüssel ist laut Auswertung 125 Prozent Ulrich Kelber, Parl. Staatssekretär beim Bundes- teurer als die gleiche Dienstreise von Bonn aus. Die an- minister der Justiz und für Verbraucherschutz: Mehr dere Hälfte der Bonner Beamten macht weniger als eine Einwohner, mehr Jobs, junge Bevölkerung. Diese Be- Dienstreise im Vierteljahr nach Berlin. Ein Wanderzirkus schreibung gilt für Bonn, und diese Beschreibung gilt sieht wahrlich anders aus. für Berlin. Berlin ist Hauptstadt mit internationaler Obwohl die Ausgaben für die Arbeitsteilung zwischen Ausstrahlung. Bonn ist zweites politisches Zentrum und Berlin und Bonn stetig sinken, behauptet die Linkspartei, Kompetenzzentrum Deutschlands für bestimmte Politik- diese Arbeitsteilung sei unbezahlbar. felder. Beides ist gut für Deutschland. Beides nutzt den Bürgern und Bürgerinnen im ganzen Land. Auch hier ein Faktencheck: Die Arbeitsteilung kostet weniger als 8 Millionen Euro pro Jahr, ein Umzug allein Die Linkspartei dagegen startet jährlich eine Neidde- der Ministerien schon bis zu 5 Milliarden Euro, die Kos- batte gegen die Region Bonn und den Westen Deutsch- ten für Umzüge weiterer Bundesbehörden nicht einmal lands. Die Linkspartei redet über Arbeitnehmer in meiner mitgerechnet. Heimatregion wie über Bürobedarfsartikel. Lebenspla- nung, Familien, weitere abhängige Arbeitsplätze: Kein Hält die Europäische Zentralbank ihre Nullzinspoli- Wort darüber von der Linkspartei. tik bis zum Jahr 2642 durch, würde sich der Umzug à la Linkspartei rechnen. Rückt die EZB aber noch vor dem Und schaut man genau in den Antrag der Linkspartei, Jahr 2550 von der Nullzinspolitik ab, sind allein schon geht es keineswegs nur um die rund 6 000 Jobs in den die Zinsen für die Umzugskosten höher als die Ausgaben Bonner Ministerien. Die Linkspartei will auch Tausen- für die Arbeitsteilung. de weitere Arbeitsplätze in anderen Behörden aus West- deutschland und Bonn abziehen. Die Linkspartei gibt Der Umzug wird sich also nie rechnen. Das haben alle damit den Anspruch auf, Arbeitnehmerpartei zu sein. Sie verstanden, nur die Linkspartei nicht. will nur regionalen Neid schüren, um sich Stimmen zu Im Koalitionsvertrag haben sich SPD und CDU/CSU sichern. darauf geeinigt, dass Bonn zweites politisches Zentrum Rund um die verbliebenen ministeriellen Arbeitsplät- bleibt, so wie es das Berlin/Bonn-Gesetz vorsieht. Die (B) ze und andere Bundesbehörden ist in Bonn ein Kompe- Linkspartei dagegen will – so hat Frau Karawanskij (D) tenzzentrum für Deutschland entstanden. Drei Beispiele: bei der Einbringung des Antrags gesagt – „die Bonner Republik in den Ruhestand … schicken“. Bonner Re- Die Vereinten Nationen und eine große Zahl von in- publik, das steht für erfolgreiche Demokratie, Freiheit, ternationalen Regierungs- und Nichtregierungsorgani- Rechtsstaat, soziale Verantwortung, Ausgleich der Inte- sationen suchen die Nähe zu den Gesprächspartnern der ressen. Diese Errungenschaften werden wir nicht in den Bundesregierung und der Europäischen Union im nahen Ruhestand schicken. Diese Erfahrung wollen wir für die Brüssel. Politikbereiche nutzen, in denen sich Bonn zum Kompe- tenzzentrum Deutschlands entwickelt hat. Nationale und internationale Wissenschaftseinrich- tungen proftieren vom Cluster der dichtesten Wissen- Deswegen lehnen wir den Antrag der Linkspartei ab. schaftsregion Europas (Aachen, Bonn, Köln) und den Gesprächspartnern im Forschungsministerium, im Ge- sundheitsministerium und weiteren nationalen Behörden. Anlage 6 In der Region Bonn ist Deutschlands Cluster für Cy- Erklärung nach § 31 GO bersecurity entstanden: Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, Kommando Cyber- und Informa- des Abgeordneten Dr. Alexander S. Neu (DIE tionsraum der Bundeswehr, Cyber Defense Center der LINKE) zu der Abstimmung über die Beschluss- Deutschen Telekom, Start-ups, mittelständische Firmen, empfehlung des Ausschusses für Umwelt, Natur- Wissenschaftseinrichtungen sowie die Regulierungsbe- schutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag hörden Kartellamt, Bundesnetzagentur und Bundesan- der Abgeordneten Roland Claus, Stefan Liebich, stalt für die Finanzdienstleistungsaufsicht. Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Beendigungsgesetz zum Die Linkspartei will dieses Kompetenzzentrum auf- Berlin/Bonn-Gesetz (Tagesordnungspunkt 20) brechen und damit schwächen. Das ist der falsche Weg und schadet dem ganzen Land. Meine Fraktion bringt heute einen Antrag in den Bundestag ein, der die Bundesregierung auffordert, ei- Ihren Antrag begründet die Linkspartei mit nachweis- nen Gesetzentwurf vorzulegen, mit welchem das 1994 lich falschen Zahlen und Behauptungen. Die Arbeitstei- geschlossene Berlin/Bonn-Gesetz beendet werden soll. lung sei ineffzient, behauptet die Linkspartei. Es sei ein Ich stamme selbst aus dieser Region und vertrete den „Wanderzirkus“ zwischen Berlin und Bonn notwendig, Rhein-Sieg-Kreis, den ein solches Gesetz unmittelbar so die Linkspartei. und nachteilig betreffen würde. Ich kann diesem Antrag 24670 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

(A) daher nicht mit gutem Gewissen zustimmen und werde führung oder Veröffentlichung sind bereits seit 1964 (C) es daher auch nicht tun. Diese Entscheidung möchte ich unzulässig. Damals hatte man Liveübertragungen sicher wie folgt begründen: noch nicht so sehr im Fokus. Es sollte vielmehr kein öf- fentliches An-den-Pranger-Stellen geben, zumal natür- Mit der Verlegung des Regierungssitzes von Bonn lich Ton- und Fernsehaufnahmen auch das Verhalten von nach Berlin sind Tausende von qualitativ hochwertigen Richtern, Anwälten, Parteien, Zeugen und Beschuldigten Arbeitsplätzen aus der Region Bonn nach Berlin verla- beeinfussen können. gert worden. Die dafür erfolgten Ausgleichsleistungen waren gut angelegt, sie trugen dazu bei, einen Abstieg Andererseits haben sich bis heute die technischen der Region zu verhindern. Nun ist seit Jahren zu beob- Möglichkeiten verändert – zumal nicht wegzudiskutieren achten, dass auch die verbliebenen 50 Prozent der Ar- ist, dass bestimmte Prozesse durchaus von einer Bedeu- beitsplätze Stück für Stück nach Berlin abwandern. Die- tung sein können, die es rechtfertigt, die Medienöffent- ser Trend wird auch von der Bundesregierung und allen lichkeit zu erweitern. Parteien massiv vorangetrieben. Ein Komplettumzug ist in Planung und aller Voraussicht nach auch nicht mehr zu Ich freue mich deshalb, dass der vorliegende Gesetz- verhindern. Die Menschen vor Ort werden aller Voraus- entwurf maßvolle Anpassungen in diesem Bereich vor- sicht nach die Leidtragenden sein, wenn nicht rechtzeitig nimmt. Im Zeitalter der Internetberichterstattung, von Maßnahmen ergriffen werden, die den Umzug für die Internetblogs und anderen neuen Kommunikations- und Region sozialverträglich gestalten. Informationsformen müssen auch für Transparenz und Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren neue Grund- Da der Komplettumzug in absehbarer Zeit unumgäng- sätze gelten. lich ist, beharre auch ich nicht, wie viele Abgeordnete der Region aus den anderen Fraktionen, auf Einhaltung des Dennoch müssen diese Änderungen mit Augenmaß Berlin/Bonn-Gesetzes – es wurde sowieso schon in meh- vorgenommen werden, denn es geht daneben auch im- reren tausend Fällen gebrochen –, sondern darauf, dass mer noch um die Wahrung der Beschuldigtenrechte. dieser Umzug sozialverträglich, sowohl gegenüber der Zudem muss sichergestellt sein, dass Aufzeichnungen Region, als auch gegenüber den direkt Betroffenen, ge- aus dem Gerichtsverfahren nicht im Nachhinein neue staltet wird. Es muss nun geprüft werden, welche Projek- Anfechtungsgründe generieren. Dieser Herausforderung te geeignet wären, um den in den letzten Jahren bereits wird die Neuregelung gerecht. vollzogenen und den anstehenden Arbeitsplatzverlust in der Region aufzufangen. Über die Finanzierung und wei- Ich will aber auf keinen Fall an dieser Stelle unter- tere Ausgleichszahlungen für die Region muss mit dem schlagen, dass wir mit dem heutigen Beschluss auch weitere, ganz wesentliche Optimierungen auf den Weg (B) Bund verhandelt werden. (D) bringen. So schließen wir eine Regelungslücke, die die Letztendlich hat der Bund den Menschen der Region Kostentragung für das gerichtliche Verfahren außerhalb mit dem Berlin/Bonn-Gesetz zur damaligen Zeit ein Ver- der mündlichen Verhandlung betrifft, wenn Personen mit sprechen gemacht, sie mit den negativen Auswirkungen Sprach- oder Hörbehinderung bei anderen gerichtlichen des Umzuges nicht allein zu lassen. Wenn man nun of- Verfahren außerhalb des Strafverfahrens eine Sprach- fenbar beschließt, sich nicht weiter an das eigene Gesetz oder Übersetzungshilfe beigeordnet bekommen. Diese zu halten, dann hat dies nicht nur wirtschaftliche Folgen, Lücke entstand durch die Tatsache, dass im Strafverfah- sondern stellt für die vor Ort betroffenen Menschen auch ren die Beiordnung einer Sprach- oder Übersetzungshil- einen herben Vertrauensbruch demokratischer Werte da. fe für das gesamte Verfahren vorgesehen ist. In anderen Daher ist es umso wichtiger, jetzt schnellstmöglich über Gerichtsverfahren ist das jedoch nur für die mündliche adäquate Ausgleichzahlungen zu verhandeln. Verhandlung der Fall. Sie sehen also, insgesamt ist es ein Gesetz, welches das Gerichtsverfassungsgesetz und die StPO zeitgemäß Anlage 7 und mit Augenmaß modernisiert. Deshalb bitte ich um Zu Protokoll gegebene Reden Zustimmung. zur Beratung des von der Bundesregierung einge- Dietrich Monstadt (CDU/CSU): Die Demokratie – brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erweiterung zum Beispiel auch der Deutsche Bundestag – hat ein ele- der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren und mentares Interesse, ihre Entscheidungen bürgernah und zur Verbesserung der Kommunikationshilfen für aktuell einer großen Öffentlichkeit zugänglich zu ma- Menschen mit Sprach- und Hörbehinderungen chen. Transparenz und öffentliche Berichterstattung sind (Gesetz über die Erweiterung der Medienöffent- für die Wahrnehmung der Rechtsstaatlichkeit in unserem lichkeit in Gerichtsverfahren – EMöGG) demokratischen Gemeinwesen herausragend wichtig. (Tagesordnungspunkt 17) Nur wenn die Bürgerinnen und Bürger die Entschei- dungen der Judikative verstehen, wenn Hintergründe, Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Gerichtsver- Abläufe und tragende Gründe der Entscheidung erklärt handlungen sind öffentlich. Der Rechtsstaat will jedem werden, nur wenn über sie berichtet wird, besteht die Bürger die Gelegenheit geben, sich vom Funktionieren Chance, aber auch die Erwartung, diese Entscheidungen rechtsstaatlicher Mechanismen zu überzeugen. Ton- und zu akzeptieren, bis hin zu deren Umsetzung auf allen sie Fernsehaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vor- betreffenden Ebenen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24671

(A) Schon heute sind an den obersten deutschen Bundes- fen sein, ob sich der Charakter einer Verhandlung ändert, (C) gerichten zahlreiche Journalisten akkreditiert. Presse- wenn die Kamera mitläuft. Darüber hinaus müssen wir sprecherinnen und Pressesprecher der Gerichte erklären zu 100 Prozent ausschließen, dass es zu einem Miss- die getroffenen Entscheidungen und stehen den Medien- brauch der gefertigten Archivaufzeichnungen kommt. vertretern zur Verfügung. Und auch die Onlineangebo- Außerdem sollten und werden wir die Bundesländer er- te unserer Gerichte haben in den letzten Jahren deutlich mutigen, die entsprechenden Landesarchivgesetze anzu- aufgeholt. Das zeigt: Die Notwendigkeit, das Bedürfnis, passen. Gerade mit Blick auf die besondere Sensibilität komplexere Angebote zuzulassen, ist immanent. der zu archivierenden Aufnahmen kann ein Flickentep- pich unterschiedlicher Bestimmungen nicht in unserem Mit dem von der Bundesregierung eingebrachten Interesse sein. Gesetz zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Ge- richtsverfahren und zur Verbesserung von Kommunika- Wie bereits eingangs angedeutet, zielt das vorliegende tionshilfen für Sprach- und Hörbehinderte kommen wir Gesetz jedoch nicht ausschließlich auf eine Erweiterung dieser Notwendigkeit nach. Im Kern geht es dabei da- der Medienöffentlichkeit. Auch beim Thema Kommuni- rum, die Abläufe an unseren obersten Bundesgerichten kationshilfen für Sprach- und Hörbehinderte setzen wir an die Praxis des Bundesverfassungsgerichtes anzuglei- ein klares Zeichen. In § 186 Gerichtsverfassungsgesetz chen. Das vorliegende Gesetz sieht hierfür eine Reform stärken wir den barrierefreien Zugang zu Gerichtsverfah- der §§ 169 und 186 Gerichtsverfassungsgesetz sowie ren. Wir erweitern die Leistungen für hör- und sprachbe- eine Neufassung des §§ 17a Bundesverfassungsgerichts- hinderte Menschen, die nach jetziger Rechtslage Gebär- gesetz vor. Damit werden die strengen Regelungen, die densprachdolmetscher zwar im gesamten Strafverfahren, seit 1964 für Fernsehübertragungen in Gerichtssälen gel- in allen anderen Verfahren jedoch nur im Rahmen der ten, gelockert. mündlichen Verhandlung in Anspruch nehmen können. Künftig soll eine Beiordnung von Kommunikationshil- Mit Blick auf eine erweiterte Medienöffentlichkeit fen auch in den übrigen gerichtlichen Verfahren möglich wollen wir das durch folgende Maßnahmen erreichen: sein. Erstens. In § 169 Absatz 1 Gerichtsverfassungsgesetz werden wir die Möglichkeit schaffen, Tonübertragungen In Sachen Bürgernähe und Transparenz geben wir un- der mündlichen Verhandlung sowie der Urteilsverkün- seren obersten Bundesgerichten damit Instrumente an die dung in einen Nebenraum für Medienvertreter zu er- Hand, die eine Medienöffentlichkeit und einen barriere- möglichen. Ausgestaltet wird diese Regelung als Ermes- freien Zugang auf der Höhe der Zeit sicherstellen. sensentscheidung des zuständigen Gerichtes. Auch ein In diesem Sinne bitte ich um Zustimmung. Untersagen der Tonübertragung wird ermöglicht, sollte (B) dies zur Wahrung schutzwürdiger Interessen von Betei- (D) ligten oder Dritten angezeigt sein. Dr. Matthias Bartke (SPD): Vor kurzem ist bei der ARD eine neue Serie gestartet: Die Sofa-Richter. Privat- Zweitens. § 169 Absatz 2 Gerichtsverfassungsgesetz personen sitzen bei sich zu Hause auf der Couch und dis- sieht darüber hinaus vor, Tonaufnahmen der Verhand- kutieren über Rechtsfragen mitten aus dem Leben. Der lung einschließlich der Entscheidungsverkündung zu ARD-Rechtsexperte Frank Bräutigam ordnet die Argu- wissenschaftlichen und historischen Zwecken zu ermög- mente und löst auf, wie die Gerichte wirklich entschieden lichen. Gelten wird dies ausschließlich für Verfahren haben. von herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland. Auch hier gibt es eine Die Sendung will den Zuschauern Recht und Justiz Ermessensentscheidung des zuständigen Gerichts. Die näherbringen. Ob die Gerichtsshows auf den Privatsen- Aufnahmen dürfen nicht zur Akte genommen und auch dern ebenfalls dieses Motiv verfolgen, sei mal dahinge- nicht herausgegeben oder zu Verfahrenszwecken genutzt stellt. Fakt ist aber, dass diese Gerichtsshows bisher im werden. Außerdem müssen sie nach Verfahrensabschluss ganz besonderen Maße unser Bild von Gerichten geprägt dem zuständigen Bundes- oder Landesarchiv zur Über- haben. nahme angeboten werden. Diese entscheiden dann, ob In den letzten Jahren sind Stimmen laut geworden, die den Aufnahmen bleibenden Wert zukommt oder ob sie behaupten, den „wahren Willen“ des Volkes zu vertreten. vom Gericht zu löschen sind. Gleichzeitig beobachten wir eine gefährliche Tendenz, etablierte Institutionen zu verachten. Es ist aktuell des- Drittens. Schließlich ermöglicht § 169 Absatz 3 Ge- wegen ganz besonders wichtig, unsere Gerichte sichtbar richtsverfassungsgesetz die Übertragung von Entschei- zu machen. Gerichtsurteile, die eben nicht nur individu- dungsverkündungen an den obersten Bundesgerichten im elle Gerechtigkeit schaffen, sondern für die Allgemein- Fernsehen oder Hörfunk. Auch hier gelten entsprechen- heit von Belang sind, müssen kommuniziert werden. de, gegebenenfalls einschränkende Ermessensentschei- dungen des jeweiligen Gerichts. Dafür schafft der vorliegende Gesetzentwurf die not- wendigen moderaten Öffnungen. Verkündungen von Durch dieses Bündel an Maßnahmen erweitern wir die Entscheidungen der obersten Bundesgerichte sollen in Medienöffentlichkeit deutlich. Wir verlieren in diesem den Medien übertragen werden können. Zusammenhang nicht aus dem Auge, dass ein Gerichts- verfahren eine höchst sensible Angelegenheit ist und Dieser Vorschlag ist durchaus auf Skepsis gestoßen. bleibt. Abzuwägen war und ist das öffentliche Interesse Ich teile diese Skepsis nicht. Die Urteilsverkündungen gegen gewichtige Persönlichkeitsrechte von Beteiligten des Bundesverfassungsgerichts können schon seit 1998 oder Dritten. In der Praxis wird beispielsweise zu prü- übertragen werden. Es würde wohl niemand so weit ge- 24672 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

(A) hen, hier von Clowns und Showmastern zu sprechen. Ebenso wird es nun möglich sein, dass bei zeitge- (C) Im Gegenteil: Das Bundesverfassungsgericht genießt zu schichtlich herausragenden Gerichtsverfahren Tonauf- Recht hohes Ansehen. Die Praxis der Fernsehübertragun- nahmen angefertigt werden, um als Dokumentations- gen hat dazu beigetragen. grundlage für die wissenschaftliche und historische Aufarbeitung zur Verfügung zu stehen. Dabei hat die Auch die oberste Bundesjustiz muss sich nicht verste- SPD-Fraktion gegen viel Widerstand in den parlamenta- cken. Schon heute bereiten sich die Vorsitzenden auf die rischen Verhandlungen zumindest die Tonaufzeichnun- Urteilsverkündungen wichtiger Verfahren akribisch vor. gen durchgesetzt. Sie wissen schließlich, dass vor ihnen die Presse sitzt und jedes einzelne Wort mitschreibt. Viele Kritiker des Gesetzes hatten die Befürchtung, dass durch TV- bzw. Filmaufzeichnungen, sei es live Der Gesetzentwurf sieht außerdem vor, dass mündli- oder zur Dokumentation, die Wahrheitsfndung gestört che Verhandlungen und die Urteilsverkündung in einen werden könnte sowie die Persönlichkeitsrechte der Ver- Arbeitsraum für Medienvertreter übertragen werden kön- fahrensbeteiligten und die Rechte des Beschuldigten auf nen. Den Bedarf für diese Regelung hat nicht zuletzt der ein faires Verfahren verletzt werden könnten. NSU-Prozess mehr als deutlich gemacht. Nach viel Hin und Her sind die Medienplätze damals verlost worden. Wir haben im parlamentarischen Verfahren darauf be- Und selbst damit war keine zufriedenstellende Lösung sonders geachtet und sind deshalb zu dem Schluss ge- gefunden. Mit der Übertragung in den Medienraum ste- kommen, dass wir bei der – dauerhaften – Aufzeichnung hen nach Bedarf zusätzliche Plätze für Journalisten zur während der gesamten Verhandlung zu historischen und Verfügung. wissenschaftlichen Zwecken noch einmal nachbessern und dass nur Tonaufzeichnungen zugelassen werden In der Richterschaft gab es in Bezug auf diese Rege- sollten. lung anfänglich Bedenken. Ich denke, die haben wir aus dem Weg räumen können. Ein Urteil kann nicht aufge- Im Hinblick auf die Urteilsverkündung sehen wir die hoben werden, weil im Nebenraum etwas nicht richtig Persönlichkeitsrechte bei TV- bzw. Filmaufzeichnungen funktioniert hat. Und auch die Vorsitzenden werden nicht gewahrt. Denn zum einen sind Richter der Bundesge- abgelenkt sein; denn im Nebenraum ist die Justizverwal- richte bereits erfahren im Umgang mit den Medien und tung für die Organisation zuständig. mit dem Publikum vertraut; denn ein solches gibt es ja in der Regel bei Urteilsverkündungen. Zum anderen sind Insofern konzentrierte sich unsere parlamentarische die Verfahren bei Aufzeichnung bzw. Übertragung des Arbeit besonders auf eine weitere Neuregelung. Der Urteils ja bereits abgeschlossen, sodass die Wahrheitsfn- Gesetzentwurf sah vor, dass Gerichtsverfahren von he- dung und auch der Prozessablauf nicht gestört und die rausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung in Ton und (B) Rechte der Beteiligten berücksichtigt werden. (D) Bild dokumentiert werden können – wohlgemerkt nur für wissenschaftliche und historische Zwecke. Dass es hier nicht um Fernsehgerichte à la Barbara Salesch geht, sollte allen klar sein. Denn das Gericht legt Wir haben uns geeinigt, dass doch nur Tonaufnahmen selbst fest, ob und wie eine Urteilsverkündung übertra- möglich sein sollen; Bildmaterial entsteht also keines. gen werden kann und wann ein Verfahren von herausra- Wir haben auch noch mal klargestellt, dass die Tonauf- gender zeitgeschichtlicher Bedeutung vorliegt. Und ein nahmen für kein Gerichtsverfahren verwertet werden Kachelmann-Prozess dürfte meines Erachtens deshalb dürfen. Die Persönlichkeitsrechte werden damit gewahrt auch nicht unter den Begriff des Verfahrens von heraus- und die Wahrheitsfndung nicht beeinfusst. ragender geschichtlicher Bedeutung fallen. Die vorgesehene Öffnung ist weit von einem Damm- Wir schaffen mit dem Gesetz eine moderate Öffnung bruch entfernt und ganz klar im Interesse des Rechts- für die Medienöffentlichkeit der Gerichtsverfahren von staats. Wir sollten es nicht den Sofarichtern und überzo- Bundesgerichten, die sich auch bereits seit 1998 beim genen Gerichtsshows überlassen, Akzeptanz für unsere Bundesverfassungsgericht bewährt hat. Entgegen vieler Justiz zu schaffen. Befürchtungen ist nicht eine der übertragenen Urteilsver- kündungen des Bundesverfassungsgerichts bei der heu- Dr. Johannes Fechner (SPD): Ich freue mich, dass te-show oder bei YouTube gelandet – und das entgegen wir heute mit dem Gesetz zur Erweiterung der Medien- vieler Befürchtungen im Vorfeld! öffentlichkeit in Gerichtsverfahren einen wichtigen Wir wollen erreichen, dass die Justiz stärker bei den und richtigen Schritt zu mehr Transparenz in der Justiz Bürgerinnen und Bürgern ankommt und ein Bewusstsein gehen. Wir wollen, dass die Urteile der obersten deut- für unseren Rechtsstaat geschaffen wird. schen Gerichte auch bei den Bürgerinnen und Bürgern unmittelbar und direkt ankommen. Diese Urteile haben Der Gesetzentwurf schafft auch eine Lösung für die oft weitreichende Auswirkungen. Deshalb ist es wichtig, überfüllten Gerichtssäle, weil nunmehr die Tonübertra- dass eine schnelle und unmittelbare Information über die gung in einen Nebenraum für Medienvertreter vom Ge- Rechtsprechung nunmehr erfolgen kann und somit mehr richt zugelassen werden kann. Transparenz und Bürgernähe entsteht. Wichtig ist uns auch, noch einmal klarzustellen, dass Mit Inkrafttreten des Gesetzes ist es möglich, dass Ur- der Gesetzentwurf einen barrierefreien Zugang zu Ge- teilsverkündungen der Bundesgerichte live aufgezeich- richtsverfahren regelt. Dazu soll die Inanspruchnahme net und übertragen werden, so wie dies beim Bundesver- von Gebärdensprachdolmetschern oder anderen geeig- fassungsgericht schon heute möglich ist. neten Kommunikationshilfen in gerichtlichen Verfahren Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24673

(A) für Personen mit Sprach- und Hörbehinderungen besser NSU-Prozess praktiziert wurden –, ist die gerichtsinter- (C) verankert werden. ne Übertragung von Gerichtsverhandlungen bei erhebli- chem Medieninteresse ein legitimer Weg. Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): Wir be- Der Ermöglichung audiovisueller Dokumentationen schließen heute ein Gesetz zur Erweiterung der Medien- von Gerichtsverfahren, die eine herausragende zeitge- öffentlichkeit in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung schichtliche Bedeutung besitzen, kann nur dann zuge- der Kommunikationshilfen für Menschen mit Sprach- stimmt werden, wenn dies in engen Grenzen erfolgt. und Hörbehinderungen. Seit 1964 gibt es in der Bundes- Denn eine audiovisuelle Aufzeichnung des gesamten republik ein Verbot von Ton- und Fernseh- sowie Rund- Prozessverlaufes kann durchaus Auswirkungen auf das funkaufnahmen zum Zweck der öffentlichen Vorführung prozessuale Verhalten von Verfahrensbeteiligten haben. oder Veröffentlichung. Paragraf 169 Satz 2 des Gerichts- Daher ist es unabdingbar, genau zu defnieren, wann eine verfassungsgesetzes, GVG, erklärt dies für unzulässig. „herausragende geschichtliche Bedeutung“ zu bejahen Dieses Verbot wird heute vielfach kritisch hinterfragt, ist und von wem sowie wofür genau die Aufzeichnun- und das zu Recht. Die Entwicklung der Rechtsprechung gen verwendet werden dürfen. Die Änderungen, die von und die Veränderung der Verbreitung von Nachrichten den Koalitionsfraktionen im Rahmen der Beratungen in den Medien haben die Diskussion verstärkt, ob das des Rechtsausschusses eingebracht worden sind, bringen strikte gesetzliche Verbot von Bild- und Tonübertragun- keine genauere Defnition, als bei der ersten Lesung be- gen angesichts der technischen und gesellschaftlichen reits kritisiert. Veränderungen insgesamt noch zeitgemäß ist. Der heute zu beschließende Gesetzentwurf dient dazu, mit geeig- Alles in allem geht das Gesetz aber in die richtige neten Maßnahmen wenigstens eine moderate Lockerung Richtung. Meine Fraktion wird deshalb zustimmen. des bisherigen Verbots der Medienübertragung aus der Gerichtsverhandlung zu erzielen. Es handelt sich im We- Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der vor- sentlichen um eine Ergänzung des § 169 Gerichtsverfas- liegende Gesetzentwurf will eine Öffnung der Gerichts- sungsgesetz, GVG, sowie um Folgeänderungen. Schließ- verfahren gegenüber Öffentlichkeit und Presse bewirken. lich sollen mit dem Gesetz Verbesserungen für Personen Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden – solan- mit Sprach- und Hörbehinderungen zur barrierefreien ge die Rechte der Verfahrensbeteiligten und die Funkti- Zugänglichmachung des Gerichtsverfahrens, bei der In- onsfähigkeit der Rechtspfege und der Gerichte gewahrt anspruchnahme von Gebärdensprachdolmetschern oder bleiben. Da dies nach unserer Einschätzung der Fall ist, anderen geeigneten Kommunikationshilfen in gerichtli- werden wir diesem Gesetzentwurf unsere Zustimmung chen Verfahren gesetzlich verankert werden. geben. Die Umsetzung und die Auswirkungen werden (B) Für Die Linke bleibt es ein Grundprinzip, dass Ge- wir trotzdem genau beobachten müssen, um gegebenen- (D) richtsverfahren in der Öffentlichkeit, aber nicht für die falls nachzusteuern. Letztlich wird es im Einzelfall vor Öffentlichkeit stattfnden. Die geplanten Änderungen des allem Aufgabe der Gerichte und natürlich auch der Me- § 169 GVG tragen dem Rechnung. Sie sind moderat und dienvertreter sein, die Regelungen verantwortungsvoll verfolgen lediglich das Ziel, die Gerichtsverfahren in der umzusetzen und einen rücksichtsvollen Umgang mit den Öffentlichkeit besser wahrnehmbar zu machen. Dass es neu eingeräumten Möglichkeiten zu etablieren. dafür ein hohes gesellschaftliches Interesse gibt, hat bei- Natürlich wäre es wünschenswert, wenn die Justiz spielsweise das große Medieninteresse und gesellschaft- durch dieses Gesetz in der Öffentlichkeit mehr wahr- liche Interesse an den NSU-Prozessen gezeigt. Einer genommen und Wert geschätzt werden würde. Denn medialen Massenverwertung wird durch die geplanten die Wertschätzung der dritten Gewalt könnte in unserer Änderungen des § 169 GVG aber nicht Tür und Tor ge- Republik durchaus höher sein. Viele halten den funkti- öffnet. Und das ist gut so. onierenden Rechtsstaat irrigerweise für eine Selbstver- Gegen eine ausschließliche Übertragung von Urtei- ständlichkeit, obwohl wir derzeit in anderen Ländern len oberster Bundesgerichte durch die Medien ist nichts sehen, wie schnell es damit vorbei sein kann. Mehr Wert- einzuwenden. So werden auch Entscheidungen des Bun- schätzung tut also not. Dazu dürfte dieses Gesetz zwar desverfassungsgerichts bereits jetzt von den Medien nur einen sehr begrenzten Beitrag leisten, aber es könnte übertragen, ohne dass dies die Unabhängigkeit des Bun- immerhin ein Signal sein. desverfassungsgerichts bislang gefährdet hätte oder das Bundesverfassungsgericht zu einer Showbühne verkom- Es gibt aber auch noch einige Kritikpunkte, die nicht men wäre. ganz unerheblich sind. So soll bei Prozessen mit zeitge- schichtlicher Bedeutung zwar eine Dokumentation erfol- Auch gegen eine gerichtsinterne Übertragung von Ge- gen, diese darf aber eben gerade nicht zu Beweiszwecken richtsverhandlungen bei erheblichem Medieninteresse, dienen. Das ist nicht ganz so trivial. Die Verlockung, das heißt eine Einrichtung von Arbeitsräumen für Me- Film- oder Tonaufnahmen im Zweifelsfall auch für Be- dienvertreterinnen und -vertreter in demselben Gerichts- weiszwecke heranzuziehen, wenn sie denn erst einmal in gebäude, ist nichts einzuwenden. Der NSU-Prozess in der Welt sind, liegt auf der Hand. Außerdem kritisiert der München hat eindrucksvoll aufgezeigt, dass das Medien- Deutsche Richterbund, dass eine solche Dokumentation interesse durchaus – und berechtigterweise – beträchtlich eine weitere Belastung für große und bedeutsame Verfah- sein kann. Um zu vermeiden, dass Teile der interessier- ren darstellen könne. Der eigentliche Zweck der Straf- ten Öffentlichkeit ausgeschlossen werden – zum Beispiel verfahren, nämlich die individuelle Schuldfeststellung, bei Losverfahren, wie sie beim Landgericht München im laufe so nämlich Gefahr, durch andere Interessen überla- 24674 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

(A) gert zu werden. In jedem Fall muss dafür Sorge getragen Wilfried Oellers (CDU/CSU): Wir beraten heute den (C) werden, dass die Dokumentation nicht dazu dient, dass Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen zur Sicherung sich die Prozessbeteiligten eine Plattform verschaffen der tarifvertraglichen Sozialkassenverfahren und zur Än- oder Zeugen durch Kameras oder Mikrofone noch wei- derung des Arbeitsgerichtsgesetzes. ter eingeschüchtert werden. Es ist daher sinnvoll, dass die Dokumentation für wissenschaftliche und historische Das Bundesarbeitsgericht stellte im Jahre 2016 fest, Zwecke aufgrund Ihres Änderungsantrages nur noch auf dass die Allgemeinverbindlicherklärungen der Tarifver- Tonaufnahmen beschränkt sein soll und keine Filmauf- träge, die dem Sozialkassenverfahren der Baubranche nahmen angefertigt werden. zugrunde liegen, Fehlern unterliegen. Hierbei handelte es sich um die Thematik einer fehlenden Ministerbefas- Die öffentliche Anhörung zu dem Thema hat gezeigt, sung und um die Thematik der Feststellung der 50-Pro- dass sowohl die Richterschaft als auch die Anwaltschaft zent-Grenze. Diese Gründe sind allgemeiner Natur und ihre anfängliche Skepsis gegenüber dem Gesetzentwurf beziehen sich daher nicht nur auf das Sozialkassenver- inzwischen überwiegend abgelegt haben. Letztlich sind fahren im Baugewerbe, sondern im Ergebnis auch auf es diese Berufsgruppen, die mit der Umsetzung der Re- alle Sozialkassenverfahren aller Branchen bzw. deren Ta- gelungen maßgeblich befasst sein werden. Insofern ist rifverträge, die ein solches Verfahren eingerichtet haben. es unerlässlich, dass solche Neuerungen nicht gegen sie, sondern mit ihnen umgesetzt werden. Eines möch- Aus diesem Grunde ist es konsequent, auch die Tarif- te ich jedoch noch anmerken: Der Verlockung, Tonauf- verträge, die den Sozialkassenverfahren in anderen Bran- nahmen bei historischen Prozessen zu Beweiszwecken chen zugrunde liegen, entsprechend zu heilen und die zu verwenden, kann auf einfachem Wege abgeholfen Formfehler zu beseitigen. Bei den 11 Branchen, die be- werden. Die Einführung von Wortprotokollen in sämt- troffen sind, handelt es sich um das Maler- und Lackierer- lichen Strafverfahren würde helfen, die Beweisführung handwerk, das Dachdeckerhandwerk, das Gerüstbauer- in jedem Stadium des Verfahrens besser nachvollziehbar handwerk, das Steinmetz- und Steinbildhauerhandwerk, und nachprüfbar zu machen. Potenzielle Fehlerquellen das Betonsteingewerbe, die Steine- und Erdenindustrie würden dadurch – gerade bei langen Hauptverfahren – nebst Betonsteinhandwerk und Ziegelindustrie, das Bä- ausgemerzt. Der Beweisstoff könnte so umfassend ge- ckerhandwerk, die Brot- und Backwarenindustrie, das sichert und nachträglicher Streit – zum Beispiel über Garten-, Landschafts- und Sportplatzbaugewerbe, die den Inhalt von Aussagen – vermieden werden. Dank Land- und Forstwirtschaft und die Redakteurinnen und moderner Übertragungssysteme und moderner Technik Redakteure von Tageszeitungen. bedeutet die Anfertigung solcher Aufzeichnungen und In § 41 des Gesetzes wird auch die Tariffähigkeit der Wortprotokolle auch keinen unangemessenen Personal- jeweiligen Branchenverbände angesprochen, und die (B) aufwand oder hohe Kosten. Es gäbe damit nicht nur mehr Tarifverträge werden diesbezüglich für wirksam erklärt. (D) Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit, sondern vor Unabhängig davon, ob nun die hier in Rede stehenden allem auch innerhalb des Strafverfahrens. Für Zivilrecht- Branchenverbände tatsächlich von dieser Regelung be- ler wie mich ist es ohnehin nie verständlich gewesen, troffen sind, ist es nunmehr geboten und auch die Pficht warum ausgerechnet im Strafrecht, wo es am Ende um der jeweiligen Branchenverbände, genauestens zu über- den stärksten Eingriff des Staates in die Freiheitsrechte prüfen, ob ihre Tariffähigkeit sich tatsächlich aus ihren des Bürgers geht, auf ein Wortprotokoll verzichtet wird. Statuten ergibt und die Tariffähigkeit gerichtsfest ist. Hier gibt es also noch Handlungsbedarf für die nächste Legislatur. Darüber hinaus sind die hier angesprochenen Bran- chen auch in der Verpfichtung, bestehende Abgren- Und wo wir schon einmal beim Thema Transparenz zungsprobleme zwischen ihnen zu beheben. Hier stehen sind: Wäre es nicht schön, wenn wir nicht nur für mehr die Branchen und die entsprechenden Verbände in mei- Transparenz in der Justiz, sondern auch im Bundestag nen Augen nun in der Pficht. Auch in den hier genannten sorgen würden? Das Live-Streaming öffentlicher Anhö- Branchen gibt es ähnliche Abgrenzungsprobleme, die je- rungen im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz weils andersartig ausgestaltet sind. Hier erwarte ich nun wird von den Koalitionsfraktionen ausnahmslos abge- einvernehmliche Lösungen, die allen Branchen gerecht lehnt. Da kann man sich in Sachen Transparenz doch werden. zukünftig von den Gerichten eine Scheibe abschneiden. Mit dem heutigen Gesetz nehmen wir auch eine Än- Für heute begnügen wir uns mit der Stärkung der Me- derung des Arbeitsgerichtsgesetzes in § 98 Absatz 6 dienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren. vor. Dort soll den Sozialkassen die Möglichkeit eröffnet werden, auf Antrag das betroffene Unternehmen zur vor- läufgen Leistung der Sozialkassenbeiträge zu verpfich- ten. Dies gilt für den Fall, dass die Allgemeinverbind- Anlage 8 licherklärung in einem anhängigen Rechtsstreit in ihrer Zu Protokoll gegebene Reden Wirksamkeit bestritten wird. In einem solchen Fall ist das Gericht dann gehalten, das Verfahren auszusetzen, zur Beratung des von den Fraktionen der CDU/ bis über die Wirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklä- CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge- rung entschieden worden ist. Dies führt zu einer Verlän- setzes zur Sicherung der tarifvertraglichen Sozial- gerung des Rechtsstreits, bei der die Unternehmen bisher kassenverfahren und zur Änderung des Arbeitsge- nicht verpfichtet sind, Zahlungen an die Sozialkasse zu richtsgesetzes (Tagesordnungspunkt 19) leisten. Bevor das Unternehmen jedoch auf Antrag der Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24675

(A) Sozialkasse durch das Gericht zur vorläufgen Leistung drei Jahre nach Inkrafttreten auf den Prüfstand zu stellen (C) verpfichtet werden kann, ist die Erfolgsaussicht des hat. Die Auswirkungen sollen durch die Bundesregie- derzeitigen Sach- und Streitstandes eingehend zu prü- rung überprüft werden, und es soll eine Einschätzung ab- fen. Wenn der bisherige Sach- und Streitstand zu der gegeben werden, ob an dieser Regelung in § 98 Absatz 6 Erkenntnis führt, dass die Allgemeinverbindlicherklä- Satz 2 ArbGG weiter festgehalten werden soll. rung offensichtlich unwirksam ist, oder der Unternehmer glaubhaft macht, dass die vorläufge Leistungspficht ihm Ich hoffe sehr, dass sich bis dahin die Situation um die einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde, so Sozialkassen beruhigt hat. unterbleibt die Anordnung, und der genannte Antrag ist Hier sehe ich den Gesetzgeber in der Pficht, die Ent- abzulehnen. wicklungen im Rahmen der Gesamtsituation um die So- Überdies kann eine solche Zahlungsanordnung nur zialkassen herum aufmerksam zu verfolgen. Zum einen dann erfolgen, wenn alle weiteren anspruchsbegrün- muss beobachtet werden, wie sich die Gesetzesände- denden Voraussetzungen tatsächlich gegeben sind, so rungen ausgewirkt haben. Zum anderen muss allerdings auch der betriebliche Geltungsbereich des jeweiligen auch beobachtet werden, ob die Aufgaben, die die Bran- Tarifvertrags bezogen auf das betroffene Unternehmen chen und Verbände aus dem gesamten Verfahren heraus geklärt ist. Es müssen quasi zunächst einmal alle Voraus- noch zu erfüllen haben, auch tatsächlich erledigt und er- setzungen zur Anspruchsbegründung vorliegen, bevor füllt worden sind. die vorläufge Zahlungsanordnung durch das Gericht ge- genüber dem Unternehmen verfügt werden kann. Ob die Damit spreche ich die Tariffähigkeit der Branchen an. Rechtsgrundlage, auf der das Unternehmen durch eine Hier müssen die Satzungen entsprechend überarbeitet Sozialkasse in Anspruch genommen wird, also überhaupt werden, und die Verbände müssen ihren Aufgaben nach- rechtswirksam ist, wird erst ganz zum Schluss überprüft. kommen. Es wäre dem Gesetzgeber sicherlich schwer zu Währenddessen soll allerdings schon eine vorläufge vermitteln, dass er zukünftig noch einmal tätig werden Zahlungsverpfichtung des Unternehmens gegenüber der müsste, um Versäumnisse an dieser Stelle zu reparieren. Sozialkasse möglich sein. Der Gesetzgeber ist durch sein Handeln in Vorleistung getreten. Nun sind alle Betroffenen in der Pficht, ihre Diese Regelung stellt eine Abkehr vom bisherigen noch ausstehenden Aufgaben zu erfüllen. Grundsatz dar, dass eine Zahlung erst dann erfolgen muss, wenn auch ein entsprechender Titel (zum Beispiel Ergänzend dazu sind die Abgrenzungsschwierigkei- Urteil) vorliegt. Daher ist hier auch sehr deutlich zu beto- ten zu regeln. Daher müssen hier Branchenabsprachen nen, dass diese Ausnahmeregelung lediglich für die hier getroffen werden. Insbesondere muss die Verbändever- einbarung im Rahmen des SokaSiG I umgesetzt werden. (B) genannten Fälle gelten kann und nicht darüber hinaus (D) bzw. nicht erweitert werden kann und darf. Dies sollte in meinen Augen nun zügig und ohne wei- tere Verzögerungen erfolgen. Wie gesagt: Der Gesetz- Aufgrund dieser Besonderheit ist mit einem solchen geber ist in Vorleistung getreten, in der Erwartung, dass Antrag sehr sorgsam umzugehen. Hier ist der Gesetzge- die Branchen nun die ihnen obliegenden Aufgaben und ber gehalten, die Entwicklung aufmerksam zu beobach- Verabredungen erfüllen. Zur Abgrenzung der Branchen- ten und gegebenenfalls entstehenden Fehlentwicklungen zugehörigkeit von Unternehmen können sicherlich Kon- entgegenzuwirken. sultationsverfahren helfen. Diese sollten hier auch über die bisherigen Absprachen hinaus eingerichtet werden. Darüber hinaus sind die Sozialkassen in solchen Fäl- Letztlich sollten die Sozialkassen ihre Herangehensweise len auch verpfichtet, Rückstellungen zu bilden. Damit in jedem Einzelfall auf den Prüfstand stellen. Dabei sollte soll sichergestellt werden, dass die Unternehmen das von auch immer berücksichtigt werden, dass die Sozialkassen ihnen gezahlte Geld an die Sozialkasse sofort zurücker- keine staatlichen, sondern private, von den Tarifpartnern halten, wenn sie das Verfahren im Ergebnis doch gewon- gegründete Einrichtungen sind. nen haben. In diesem Fall hätten sie zu Unrecht gezahlt und haben damit auch ein Recht darauf, das Geld unver- Ich persönlich werde die Entwicklungen jedenfalls züglich zurückzubekommen. aufmerksam verfolgen und mir auch als Teil der Gesetz- Außerdem dürfen sich die Sozialkassen in diesem Fall gebung erlauben, zu gegebener Zeit Nachfragen zu stel- auch nicht auf die Einrede der Entreicherung berufen. len. Wenn sie also aufgrund der erhaltenen Zahlungen durch die Unternehmen Zahlungen an Dritte geleistet haben, Tobias Zech (CDU/CSU): Am 21. September 2016 zum Beispiel an die Arbeitnehmer des Unternehmens, und 25. Januar 2017 traf das Bundesarbeitsgericht dann trägt die Sozialkasse das Risiko, diese Beträge Entscheidungen mit weitreichenden Folgen: Die All- trotzdem an das Unternehmen zurückzuzahlen. gemeinverbindlicherklärung für das Sozialkassenver- Da die Abwicklung bzw. Rückabwicklung eines der- fahren im Baugewerbe wurde aufgrund der fehlenden artigen Falles sehr aufwendig und kompliziert sein wird, Ministererklärung sowie mangels Erfüllung des 50-Pro- ist hier den Sozialkassen zu raten, sehr behutsam und zent-Quorums für ungültig befunden. Dies hatte nicht sorgsam mit den Möglichkeiten aus dem neuen § 98 Ab- nur zur Folge, dass viele Unternehmen des Baugewer- satz 6 ArbGG umzugehen. bes ihre Zahlungen an die Sozialkassen einstellten und Rückzahlungen forderten, sondern stellte ebenfalls die Da diese Regelung eine Besonderheit ist, wird im neu- Gültigkeit der Allgemeinverbindlichkeit weiterer Sozial- en § 113 ArbGG geregelt, dass die Bundesregierung sie kassenverfahren infrage. 24676 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

(A) Im Januar haben wir dementsprechend bereits auf- Ich bin froh, dass wir weitere negative Konsequenzen (C) grund der großen Dringlichkeit das Sozialkassenver- für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der ent- fahrensicherungsgesetz im Baugewerbe verabschiedet sprechenden Branchen abwenden konnten. Sie können und die SOKA-BAU vor einer möglichen Insolvenz ge- sich aber auch darauf verlassen, dass wir uns den Bericht schützt. In der Konsequenz befassen wir uns nun mit den der Bundesregierung, zu dem dieses Gesetz verpfichtet, Sozialkassenverfahren elf weiterer Branchen, die infol- genau ansehen werden. ge der BAG-Urteile zum Teil in ihrer Existenz bedroht werden bzw. werden könnten. Konkret handelt es sich Bernd Rützel (SPD): Im Dezember letzten Jahres um das Maler- und Lackiererhandwerk, das Dachdecker- und im Januar dieses Jahres haben wir hier über die Ret- handwerk, das Gerüstbauerhandwerk, das Steinmetz- tung der Sozialkassen des Bauhauptgewerbes gespro- und Steinbildhauerhandwerk, das Betonsteingewerbe, chen. Schon damals waren wir uns einig, wie wichtig die Steine- und Erdenindustrie nebst Betonsteinhand- die Sicherung der Sozialkassen ist. Ich habe mich sehr werk und Ziegelindustrie, das Bäckerhandwerk, die Brot- darüber gefreut, dass wir dabei über alle Fraktionsgren- und Backwarenindustrie, den Garten-, Landschafts- und zen hinweg für die Sicherung der Sozialkassen gestimmt Sportplatzbau, die Land- und Forstwirtschaft, die Redak- haben. teurinnen und Redakteure von Tageszeitungen. Für diese Sozialkassen besteht also zum gegenwärtigen Zeitpunkt Heute stimmen wir über ein ebenso wichtiges Vorha- keine Rechtssicherheit. ben ab. Diesmal geht es um die gemeinsamen Einrichtun- gen von insgesamt 12 Branchen: Mit dem Sozialkassenverfahrensicherungsgesetz II – im Maler- und Lackiererhandwerk schaffen wir eine eigenständige Rechtsgrundlage für Bei- tragseinzug und Leistungsgewährung: Die nach § 5 TVG – im Dachdeckerhandwerk in der bis zum 15. August 2014 geltenden Fassung für – im Gerüstbauerhandwerk allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge, die den So- zialkassenverfahren zugrunde liegen, werden beginnend – im Steinmetz- und Steinbildhauerhandwerk mit dem 1. Januar 2006 kraft Gesetzes mittels statischer – im Betonsteingewerbe Verweisung für alle Arbeitgeber verbindlich angeordnet. Insofern handelt es sich also um ein Gesetz mit temporä- – in der Steine- und Erdenindustrie rer Wirkung. – im Betonsteinhandwerk und in der Ziegelindustrie Die Bedeutung der Sozialkassen ist nicht zu unter- – im Bäckerhandwerk schätzen. Sie entstanden innerhalb der vergangenen – in der Brot- und Backwarenindustrie (B) 70 Jahre aufgrund branchenspezifscher Besonderheiten (D) zum Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. – im Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau So leisten sie für ihre Branchen wichtige Beiträge im – in der Land- und Forstwirtschaft sowie Bereich der Aus- und Weiterbildung sowie der Alters- vorsorge und sorgen beispielsweise in Branchen mit – für Redakteurinnen und Redakteure von Tageszei- witterungsbedingter Beschäftigungslosigkeit für kon­ tungen. stante Einkommen. Neben der Sicherstellung guter Be- Durch die Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts schäftigungsbedingungen für Arbeitnehmerinnen und sind auch ihre gemeinsamen Einrichtungen nun bedroht. Arbeitnehmer proftiert auch der Wirtschaftsstandort Deutschland von den hohen Qualitätsstandards, die die Ich möchte noch einmal herausstellen: Das Bundes- Unternehmen durch die branchenweit fnanzierten Aus- arbeitsgericht hat in seinen Urteilen nicht das Sozialkas- und Weiterbildungsmöglichkeiten wahren können. Durch senverfahren in Abrede gestellt. Es hat lediglich Form- die Allgemeinverbindlicherklärungen werden diese Leis- fehler beanstandet. Und diese korrigieren wir nun. tungen jeweils von der gesamten Branche getragen. Dies Wir werden nicht zulassen, dass den Sozialkassen steht nicht zuletzt auch im öffentlichen Interesse. aus formalen Gründen nachträglich der Boden entzogen wird. Mit dem Gesetz treten wir rechtssicher und belast- Trotz meiner Unterstützung für dieses Gesetz ist es bar den Bedenken des Bundesarbeitsgerichts entgegen. mir wichtig, zwei Dinge zu betonen: Erstens stellt das Die Sozialkassenverfahren erhalten damit die größtmög- Mittel der Allgemeinverbindlichkeit immer einen gesetz- liche demokratische Legitimation. Das wurde uns auch geberischen Eingriff in die Tarifautonomie dar. Die Ta- in der Anhörung am Montag von zahlreichen Sachver- rifautonomie ist ein wichtiger Grundpfeiler unseres wirt- ständigen bestätigt. schaftlichen Erfolgs. Sie ist schützenswert. Der Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützte Koalitionsfreiheit Nun hat sich in diesem Gesetzgebungsverfahren ein muss immer im öffentlichen Interesse stehen und ent- neues Problem gezeigt: Viele Unternehmen verweigern sprechend ausgiebiger Prüfung unterliegen. den Sozialkassen die Beitragszahlungen. Die Klagen, die von den Sozialkassen dagegen erhoben werden, werden Zweitens sollte allen bewusst sein, dass es sich bei vom Arbeitsgericht nun häufg ausgesetzt. In dieser Zeit dem Sozialkassenverfahrensicherungsgesetz II um einen erhalten die Sozialkassen also nicht die ausstehenden Sonderfall handelt, der dem für alle Beteiligten überra- Beitragszahlungen. Sie benötigen diese Zahlungen aber schenden Urteil des Bundesarbeitsgerichts sowie der so- dringend, weil sie ja auch weiterhin ihre Leistungen an zialpolitischen Relevanz der Sozialkassen geschuldet ist. die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zahlen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24677

(A) Bisher hatte die Kasse in dieser Situation keine Mög- vor Gericht die Allgemeinverbindlichkeit des Tarifver- (C) lichkeit, die ausstehenden Beiträge einzuklagen. Das än- trags für das Baugewerbe an und stellten ihre Beitrags- dern wir nun mit diesem Gesetz. zahlungen ein. Wegen handwerklicher Fehler erklärte das Bundesarbeitsgericht die Allgemeinverbindlichkeit Werden Beitragsklagen der Sozialkassen ausgesetzt, des Bundesarbeitsministeriums aus den Jahren 2008 bis sollen die Sozialkassen künftig die Schuldner gerichtlich 2014 für unwirksam. Durch diese Entscheidung kam das zu einer vorläufgen Leistung verpfichten können. Ne- ganze Gefälle der sozialen Sicherheit in der Bauindustrie ben der Zahlungsfähigkeit der Sozialkassen stellen wir ins Wanken. Denn durch die Allgemeinverbindlichkeit auf diese Weise auch sicher, dass Betriebe nicht Jahre entfalten die Tarifverträge auch für tarifungebundene Be- später, wenn die Zahlungsverpfichtung wieder – und na- schäftigte und Unternehmen der Baubranche Wirkung. türlich auch nachträglich – gilt, insolvent sind oder dass sie aufgrund der Forderungen einem Insolvenzrisiko aus- Um zu verhindern, dass die Sozialkassen in wirtschaft- gesetzt sind. liche Bedrängnis kommen, hat der Bundestag am 26. Ja- Wir haben uns mit unserem Koalitionspartner darauf nuar diesen Jahres, mit dem SokaSiG I die Tarifverträge geeinigt, diese Regelung in drei Jahren zu überprüfen. im Baugewerbe rückwirkend für allgemeinverbindlich Ich bin froh, dass es uns im parlamentarischen Verfahren erklärt. Damit können die Kollegen auf dem Bau wieder gelungen ist, klarzustellen, dass sich diese Evaluierung ruhig schlafen – und bleibt der hohe soziale Standard im auch auf eventuelle Arbeitnehmeransprüche bezieht. Baugewerbe auch künftig erhalten. Doch die Entschei- dungen des Bundesarbeitsgerichtes vom 21. September Falls von der Entscheidung über die Wirksamkeit ei- 2016 und dem 25. Januar 2017 haben auch weitreichende ner AVE auch allgemeine Tarifvereinbarungen betroffen Folgen für Sozialkassen in anderen Branchen. sind, müssen diese auf jeden Fall ebenfalls berücksichtigt werden. Im Maler- und Lackiererhandwerk, im Dachdecker- Gerade in diesen Branchen – oft Niedriglohnberei- handwerk, im Gerüstbauerhandwerk, im Erde-, Stein- che – sind die Beschäftigten stark davon betroffen, wenn und Betongewerbe, im Bäckerhandwerk, in der Brot- und ihre Ansprüche für mehrere Jahre auf die lange Bank ge- Backwarenindustrie, in der Land- und Forstwirtschaft, schoben werden. Auch die Ansprüche der Beschäftigten für Redakteurinnen und Redakteure von Tageszeitungen in allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen müssen und viele andere mehr gibt es eine ähnliche Problematik vorläufg befriedigt werden können. wie im Baubereich. Das SokaSiG II soll den Inhalt von möglicherweise unwirksamen, in der Vergangenheit ab- Insgesamt werden wir so den bedeutenden Aufgaben geschlossenen Allgemeinverbindlicherklärungen erset- gerecht, die die Sozialkassen in Ausbildung, Altersver- zen. Wie wir in der Anhörung des Ausschusses für Arbeit (B) sorgung und anderem wahrnehmen. Und diese Leistun- und Soziales am Montag erfahren haben, ist die Rückwir- (D) gen müssen dauerhaft auch für Beschäftigte gesichert kung zulässig. Denn das Bundesverfassungsgericht sieht werden, die nicht tarifgebunden arbeiten. in den stabilen Arbeitsbedingungen und Sozialversiche- Mit der Allgemeinverbindlicherklärung und mit der rungen der abhängig Beschäftigten ein „hervorragend gesetzlichen Klarstellung, die wir heute verabschieden, wichtiges Gemeinschaftsgut“. Dieses Gut wäre durch ein sichern wir die Rechte Hunderttausender Beschäftigter. Zusammenbrechen der Sozialkassen in den betroffenen Branchen gefährdet. Sie leisten wichtige Arbeit. Dass sie dies weiterhin tun können – und zwar fair bezahlt, fair behandelt und fair Genauso wie bei der Abstimmung zum SokaSiG I abgesichert –, dafür sorgen wir heute. Das ist Verläss- stimmt die Linke dem Gesetzentwurf zu. Der Gesetzge- lichkeit. ber hat mit diesen Gesetzen einen Schritt gemacht, der beispielhaft für andere Branchen sein könnte. Die Tarif- Jutta Krellmann (DIE LINKE): Die Sozialkassen bindung im Einzelhandel wird immer schlechter. So sind schaffen für die Beschäftigten in den Branchen, in de- nur noch 30 Prozent der Betriebe tarifgebunden. Gerade nen es sie gibt, eine ungeheuer wichtige Sicherheit. Seit hat die Arbeitgeberseite in den aktuellen Tarifverhand- 60 Jahren verwalten diese Institutionen Urlaubsentgelte, lungen schon mal präventiv erklärt, dass egal, was in organisieren die Berufsbildung, sichern Arbeitszeitkon- den Verhandlungen herauskommt, sie einer Allgemein- ten und Betriebsrenten. Das sind alles sozialpolitische verbindlicherklärung nicht zustimmen werde. So geht Kernaufgaben, die sonst dem Staat überlassen werden das nicht. Auch hier ist es im gesellschaftlichen Interes- müssten. Ich selbst kenne die Sozialkassen seit Anfang se, dass die Kassiererin bei Lidl oder der Lagerist bei der 70er-Jahre. In vielen Diskussionen in der gewerk- Amazon einen Lohn verdient, von dem man leben kann. schaftlichen Jugendarbeit schauten wir neidisch auf die Scharfmacher des Arbeitgeberlagers missbrauchen ihr guten Ausbildungsvergütungen in der Bauwirtschaft, die Vetorecht zunehmend, um gleiche und gute Standards ei- damals schon 1 500 DM betrugen. Selbst in der Industrie ner Branche systematisch zu verhindern. Es ist deswegen zu der Zeit undenkbar! Am 21. September letzten Jahres überfällig, dass die Allgemeinverbindlicherklärung von schien dieses Sicherheitsnetz für die Bauindustrie plötz- Tarifverträgen erleichtert wird. lich wegzufallen. Nach herrschendem Mainstream ist man im Laufe der letzten Jahre nicht mehr so ohne Wei- Die Linke will den Arbeitgebern ihr Vetorecht neh- teres bereit, Tarifverträge als ein Element zu akzeptieren, men. Wir fordern die Bundesregierung auf, der Ver- das für alle Beteiligten gleiche Wettbewerbsbedingungen bandsfucht der Arbeitgeber endlich einen gesetzlichen bei Löhnen schafft. Denn einige Unternehmen fochten Riegel vorzuschieben. 24678 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

(A) Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Es wird also nur formal eine andere Rechtsgrundlage für (C) NEN): Anfang dieses Jahres musste die Sozialkasse der das Sozialkassenverfahren geschaffen. Bauwirtschaft gesetzlich abgesichert werden. Das war notwendig, weil das Bundesarbeitsgericht den allge- Vor diesem Hintergrund werden wir dem Gesetz heu- meinverbindlich erklärten Tarifvertrag für unwirksam er- te zustimmen. Denn viele Beschäftigte, Auszubildende, klärt hat, aber nur aus rein formalen Gründen. Und weil Rentnerinnen und Rentner, Leistungsanwärterinnen und solch ein Urteil „für und gegen jedermann“ wirkt, geht Leistungsanwärter proftieren von den Sozialkassen, und es jetzt weiter. In elf Branchen verweigern mittlerweile auch viele Betriebe. Sie alle vertrauen darauf. Die Leis- Betriebe ihre Beitragszahlungen aufgrund des BAG-Ur- tungen der Sozialkassen sind deshalb aus unserer Sicht teils, und deshalb rutschen auch andere Sozialkassen in im öffentlichen Interesse. Sie müssen abgesichert wer- eine fnanzielle Schiefage. Niemand von uns hier macht den – das ist politisch geboten. gerne solche Gesetze – da bin ich mir sicher. Aber die So- zialkassen sind wichtig, und deshalb werden wir Grüne heute dem Gesetz auch zustimmen. Anlage 9 Die Sozialkassen sind nicht nur historisch gewach- sen – sie sind auch politisch erwünscht. Sie garantieren Erklärung nach § 31 GO den Beschäftigten vielfältige Ansprüche und sorgen für eine branchenweite soziale Absicherung. Dabei geht es der Abgeordneten Klaus Brähmig und Andreas um Altersvorsorge, Berufsunfähigkeit, Lohnfortzahlung G. Lämmel (beide CDU/CSU) zu der Abstimmung bei Arbeitsausfall, Urlaub oder – ganz wichtig – um Aus- über den von den Fraktionen der CDU/CSU und und Weiterbildung. Und das ist dann auch alles noch SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur passend zugeschnitten auf die besonderen Arbeitsbedin- Sicherung der tarifvertraglichen Sozialkassenver- gungen in den jeweiligen Branchen. Die Sozialkassen fahren und zur Änderung des Arbeitsgerichtsge- entlasten damit die Betriebe. Sie haben auch eine wich- setzes (Tagesordnungspunkt 19) tige sozialpolitische Bedeutung und übernehmen quasi staatliche Aufgaben. Und deshalb müssen die Sozial- Die Entscheidung des Deutschen Bundestages, das kassen – in diesem Fall jetzt eben gesetzlich – geschützt SokaSiG II im Eilverfahren zu beschließen, halten wir werden. weiterhin für höchst bedenklich. Die Situation nach dem Beschluss zum SokaSiG I am 26. Januar 2017 hat Die Sozialkassen sind für die Beschäftigten wie auch sich keineswegs geändert. Wir können daher auch dem für die Betriebe wichtig, aber sie funktionieren nur bran- ­SokaSiG II nicht zustimmen. (B) chenweit, also nur mit allgemeinverbindlich erklärten (D) Tarifverträgen, die für alle Betriebe der Branche gelten – Es ist zu befürchten, dass die Mitglieder vieler mo- unabhängig von der Tarifbindung. Denn diese Leistun- mentan verhandelnder Verbände massiv betroffen und gen könnten von einzelnen Betrieben gar nicht erbracht mit Beitragsforderungen potenziell bedroht sind, die werden, und wenn sie es schaffen, dann würde das zu ohne das Gesetz keinerlei Bestand hätten. Wettbewerbsverzerrungen führen. Zudem entsteht bei den Betrieben nur durch eine solidarische Finanzierung Zudem ist die Problemlage mit dem Saarland unge- überhaupt Akzeptanz. Jetzt besteht aber Rechtsunsicher- klärt – sollte die Grundlage der Malerkasse nicht mehr heit bei den Allgemeinverbindlicherklärungen. Deshalb eine AVE sein, sondern ein Gesetz, muss entweder das müssen wir gesetzlich handeln, denn ein Solidarsystem Saarland komplett ausgenommen werden oder dem Saar- wie die Sozialkassen funktioniert nur solidarisch – mit land eine Regelung aufgezwungen werden, die es bisher allen. nicht hatte. Aber natürlich stellt sich die Frage, ob das Gesetz tat- sächlich verfassungskonform ist, denn die Tarifverträge Zur Verbändevereinbarung ist Folgendes zu sagen: werden jetzt rückwirkend für alle Arbeitgeber gesetzlich Die Tarifvertragsparteien der Bauwirtschaft haben bis- angeordnet. Die Einschätzung der Sachverständigen bei her jeden Vorschlag zu einer einfachen und transparenten der Anhörung im Ausschuss für Arbeit und Soziales am Abgrenzungsformel aus verschiedenen Gründen abge- Montag war eindeutig. Es bestand Einhelligkeit – der lehnt. Man strebt anscheinend nach wie vor an, in einem Gesetzentwurf sei verfassungsrechtlich vertretbar, weil juristischen Klein-Klein Abgrenzungsmodalitäten abzu- der Vertrauensschutz nicht verletzt wird. Denn niemand sprechen. konnte bisher davon ausgehen, dass die Allgemeinver- bindlicherklärungen keinen Bestand haben. Im Gegen- Es ist festzuhalten, dass sich nun betroffene Verbände teil – wir müssen das „schützenswerte Vertrauen“ der und Innungen an weiteren juristischen Auseinanderset- Betriebe und der Beschäftigten berücksichtigen, die zungen bis hin zum Bundesverfassungsgericht beteiligen schon lange auf die Tarifverträge und deren Leistungen werden, wenn das SokaSiG I und das SokaSiG II in ihren vertrauen. Hier geht es tatsächlich um Vertrauensschutz. Folgen durch Verbändevereinbarungen nicht abgemildert Voraussetzung dafür aber ist, dass bei den Regelungen werden. Da dies aus heutiger Perspektive nicht im In- alles beim Alten bleibt. Und das ist der Fall. Das Gesetz teresse der Sozialkassen ist, wird auch das SokaSiG II übernimmt den Anwendungsbereich der Tarifverträge. nicht zu einer Befriedung der Situation beitragen, son- Der Kreis der betroffenen Arbeitgeber bleibt identisch. dern weiteres Öl ins Feuer gießen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24679

(A) Anlage 10 liche Zwangsmaßnahme nicht angeordnet werden kann. (C) Sie kann wirklich nur dann angeordnet werden, wenn der Zu Protokoll gegebene Reden Patient vorher untergebracht worden ist. zur Beratung des von der Bundesregierung einge- Doch wo soll der Unterschied sein? Auf der einen Sei- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung te haben Sie eine hilfose Person, die in einer Einrichtung der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von untergebracht ist und sich daher nicht entziehen kann. ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung Auf der anderen Seite haben Sie eine hilfose Person, die des Selbstbestimmungsrechts von Betreuten (Ta- freiwillig in einer Einrichtung ist oder die sich aufgrund gesordnungspunkt 24) eines Oberschenkelhalsbruchs nicht aus dem Kranken- haus fortbewegen kann. Es kann doch nicht sein, dass Dr. Silke Launert (CDU/CSU): „Fürsorglicher wir da einen Unterschied machen. Schutz oder unangemessener Eingriff?“ – Diese Frage stellen sich Betreuungsrichter nahezu täglich und wan- Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf, den wir heu- dern dabei nicht selten auf einem ziemlich schmalen te verabschieden werden, schließen wir nun diese vom Grat. Bundesverfassungsgericht festgestellte Schutzlücke im Betreuungsrecht, indem wir die Einwilligung in eine Wenn es um ärztliche Zwangsmaßnahmen geht, müs- ärztliche Zwangsmaßnahme von der freiheitsentziehen- sen sie ganz genau abwägen: Soll der psychisch Kranke den Unterbringung entkoppeln. Statt an eine freiheits- wirklich gegen seinen Willen ein Medikament verab- entziehende Unterbringung kann die Zwangsmaßnahme reicht bekommen? Soll der geistig Behinderte wirklich künftig auch an einen stationären Aufenthalt in einem medizinisch untersucht werden, obwohl er partout nicht Krankenhaus geknüpft werden. einwilligen will? Oder sollen solche Maßnahmen unter- bleiben, obwohl wir wissen, dass die Patienten ohne die Das Bundesverfassungsgericht hat in dem oben be- medizinisch indizierte Behandlung einen schwerwiegen- schriebenen Fall betont, dass der Staat aus Artikel 2 Ab- den gesundheitlichen Schaden erleiden oder gar verster- satz 2 Satz 2 Grundgesetz verpfichtet ist, Betreute, wenn ben können? notwendig, vor schweren gesundheitlichen Gefahren zu schützen. Dabei darf keiner durchs Raster fallen. Hier gilt es für den Richter, das Recht jedes einzelnen, über seine Gesundheit und sein Leben selbst zu entschei- Gleichzeitig stand der Gesetzgeber vor der schwieri- den, in Einklang zu bringen mit der staatlichen Schutz- gen Aufgabe, auch das Selbstbestimmungsrecht der Be- pficht, wonach die Gemeinschaft einen Hilfosen nicht treuten nicht zu sehr einzuschränken. Auch hier haben sich selbst überlassen darf. wir eine gute Lösung gefunden; denn der natürliche Wil- (B) le des Betreuten muss als Ausdruck seines Selbstbestim- (D) 2013 hat der Gesetzgeber in § 1906 BGB eine Vor- mungsrechts grundsätzlich akzeptiert werden. schrift geschaffen, die genau dieses Spannungsfeld regeln soll, eine, die so wenig Zwang wie möglich vorschreibt Darüber hinaus haben wir nach der ersten Beratung und gleichzeitig so viel Schutz wie nötig gebietet. noch eine weitere wichtige Änderung an dem Gesetzent- wurf vorgenommen: So wollen wir die Möglichkeit einer Der Gesetzgeber ist dabei sehr sorgsam vorgegangen Fortsetzungsfeststellungsbeschwerde für den Verfah- und hat die Voraussetzungen für die Zulässigkeit ärztli- renspfeger einführen. Ähnlich wie im Verwaltungsrecht cher Zwangsmaßnahmen recht eng gestrickt. So dürfen soll dieser die Möglichkeit erhalten, gerichtlich feststel- sie unter anderem nur vorgenommen werden, wenn die len zu lassen, dass eine erledigte Maßnahme innerhalb Zwangsmaßnahme notwendig ist, um drohende erhebli- eines Betreuungsverfahrens rechtswidrig war. Gemeint che Gesundheitsgefahren abzuwenden. Und sie sind auch sind damit zum Beispiel solche Fälle, in denen Betroffe- nur dann zulässig, wenn sie im Rahmen einer Unterbrin- ne ohne die erforderlichen Voraussetzungen in Pfegehei- gung erfolgen. men fxiert oder ruhiggestellt werden. Im letzten Jahr hat das Bundesverfassungsgericht Bislang wurde dies von der Rechtsprechung abge- nun genau an dieser Stelle eine Schutzlücke aufgetan. lehnt, da der Verfahrenspfeger nicht in eigenen Grund- Im konkreten Fall ging es um eine Patientin mit Suizid- rechten betroffen ist. Lediglich die Beschwerde für eine absichten, die an Demenz erkrankt war und körperlich so andauernde Maßnahme war möglich. geschwächt war, dass sie nicht mehr in einer geschlosse- nen Einrichtung untergebracht war und auch nicht unter- Wir sind aber der Ansicht, dass es keinen Unterschied gebracht werden musste. Als sie an Brustkrebs erkrankte, für den Grundrechtsschutz des Betroffenen machen darf, lehnte sie die lebensnotwendige Behandlung ab. ob die Maßnahme noch andauert oder sich bereits erle- digt hat. Entscheidend ist, dass die Betroffenen infolge Was war in diesem Fall nun zu tun? Die Voraussetzun- ihrer psychischen oder geistigen Erkrankung meist nicht gen des § 1906 lagen nicht vor, weil sie ja nicht unter- in der Lage sind, ihre Rechte selbst wahrzunehmen. gebracht war. Gleichzeitig war aber eine Unterbringung nicht mehr möglich, denn sie konnte sich alleine nicht Lassen Sie mich abschließend bitte Folgendes festhal- mehr fortbewegen. Die Zwangsbehandlung konnte folg- ten: Zwangsmaßnahmen dürfen immer nur die Ultima lich nicht durchgeführt werden. Ratio, also das letzte wirksame Mittel, sein. Wir sollten mit dieser Möglichkeit deshalb sehr bedacht umgehen. Tatsächlich gibt das aktuelle Recht vor, dass in Fällen, in denen sich der Betreute räumlich nicht entziehen will Wir schaffen heute als Gesetzgeber die notwendige oder körperlich hierzu nicht in der Lage ist, eine ärzt- rechtliche Grundlage, um alle Betreuten im Notfall best- 24680 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

(A) möglich zu schützen. Vorrangig gilt es aber, die Betreu- ihnen gute Genesungschancen prognostiziert werden, da (C) ten durch Zeit und Worte von der Notwendigkeit einer sie nicht freiheitsentziehend untergebracht werden kön- Maßnahme zu überzeugen und ihnen dadurch so viel nen. Daher sieht der Gesetzentwurf eine „Entkoppelung“ selbstbestimmtes Leben wie möglich zu lassen. der ärztlichen Zwangsmaßnahme von der freiheitsent- ziehenden Unterbringung vor und lässt medizinische Zwangsbehandlung nun im Rahmen eines stationären Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU): Wir be- raten abschließend einen Gesetzentwurf, der sich mit der Aufenthaltes im Krankenhaus zu. äußerst schwierigen und emotionalen Thematik der ärzt- Zurückkommend auf den Anfang meiner Rede, möch- lichen Zwangsmaßnahmen beschäftigt. Die Erfahrung te ich nicht unerwähnt lassen, dass die im Gesetzentwurf einer medizinischen Zwangsbehandlung stellt für viele, vorgesehene Ausgestaltung der „Entkopplung“ nicht nur die diese Situation erleben, eine unvorstellbar schwere auf Kritik mancher Betroffenenverbände stieß, sondern Belastung, vielfach eine Grausamkeit, dar. Diese ein- auch auf Bedenken einzelner Sachverständiger in der schneidenden Erfahrungen, die uns Betroffenenverbände öffentlichen Anhörung. Dabei wurde insbesondere die persönlich und eindrucksvoll geschildert haben, machen Sorge geäußert, der Gesetzentwurf könne ungewollt neue nachdenklich. Wir sehen hier im Gesetzgebungsverfah- Türen für Zwang öffnen. Eine solche Folge war weder ren eine gewisse Parallelität zur Diskussion in der letzten geplant noch beabsichtigt. Deshalb bin ich sehr froh da- Wahlperiode. Die an uns herangetragenen Schilderun- rüber, dass wir diese Bedenken zügig und umfassend in gen haben uns dazu veranlasst, den Gesetzentwurf noch einem Änderungsantrag umsetzen konnten. einmal zu überdenken und den Schutz und das Selbst- bestimmungsrecht der Betroffenen noch stärker in den Die erste Änderung betrifft die Bindung an den Wil- Vordergrund zu stellen. Bevor ich aber auf die einzelnen len des Betreuten. Der Betreuer darf einer ärztlichen Änderungen zu sprechen komme, möchte ich noch kurz Maßnahme an Stelle des betreuten Patienten nun nur auf eine Frage eingehen, die sich vor dem Hintergrund dann zustimmen, wenn die ärztliche Maßnahme dem der uns geschilderten Erfahrungen stellt: Warum las- zu beachtenden Patientenwillen entspricht. Für diese sen wir als Gesetzgeber ärztliche Zwangsbehandlungen Entscheidung des Betreuers sind Patientenverfügung, überhaupt zu? Mit dieser Frage spreche ich zugleich die Behandlungswünsche und der mutmaßliche Wille des Kernforderungen einzelner Betroffenenverbände an, wo- Betreuten in dieser Reihenfolge maßgeblich. An dieser nach jegliche Zwangsbehandlungen verboten werden Stelle wird das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen sollten. erheblich gestärkt. Durch den Gesetzentwurf in seiner Ursprungsfassung kam die Bindung des Betreuers an Bitte stellen Sie sich die folgende Situation vor: Ein den Patientenwillen hingegen nur unzureichend zum 21-jähriges Mädchen ist stark unterernährt, wiegt bei ei- Ausdruck. Aus einer negativen haben wir eine positive (B) (D) ner Größe von 1,65 Meter nur noch 30 Kilogramm. Das Formulierung gemacht. Mädchen leidet an Anorexia nervosa, ebenfalls bekannt Eine zweite fundamentale Änderung möchte ich be- als Magersucht. Sie hat ein extrem gestörtes Essverhalten, sonders hervorheben. Nach geltender Rechtslage gibt eine falsche Körperwahrnehmung, nimmt sich als über- es, wie bereits erwähnt, zwei Schritte, bis eine ärztliche gewichtig wahr und verkennt ihre akut lebensbedrohli- Zwangsmaßnahme überhaupt stattfnden darf. Bei den che Situation. Sie lässt sich nicht behandeln, auch nicht zwei Hürden handelt es sich um zwei richterliche Geneh- auf Zureden ihres Vaters, der ihr Betreuer ist. Daraufhin migungsvorbehalte, die die Betroffenen schützen, aber wird mit seinem Einverständnis eine Zwangsbehandlung auch ärztliche Zwangsmaßnahmen verhindern können. angeordnet, die dem Mädchen das Leben rettet. Eine sol- Konkret bedeutet das, dass gegenwärtig zunächst nur che Situation zeigt, dass wir in bestimmten Fällen die die freiheitsentziehende Unterbringung genehmigt wird. Möglichkeit zur zwangsweisen Behandlung – und das Verweigert der Betreute auch nach der Unterbringung die möchte ich an dieser Stelle besonders betonen – als letz- ärztliche Behandlung, würde in einem zweiten Schritt tes Mittel nicht ausschließen sollten. Wir müssen als Ge- geprüft, ob eine ärztliche Zwangsmaßnahme genehmigt setzgeber auch der sich aus dem Grundgesetz ergebenden werden darf. Dieses zweistufge Verfahren, das auch die staatlichen Schutzpficht gerecht werden. Dabei müssen Betroffenenverbände als einen substanziellen Schutz zur wir einerseits das Selbstbestimmungsecht des Betreuten Vermeidung von ärztlichen Zwangsbehandlungen verste- im Blick behalten, andererseits auch seinen Schutz vor hen, führen wir auch für die zwangsweise Verbringung schweren Gesundheitsschäden. Diese Abwägung fand im des Betreuten zu einem stationären Aufenthalt in ein Rahmen des Gesetzes zur Regelung der betreuungsrecht- Krankenhaus ein. Diese strengen materiellen und verfah- lichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme rensrechtlichen Anforderungen werden der befürchteten im Jahre 2013 und auch im gegenwärtigen parlamenta- Ausweitung von ärztlichen Zwangsmaßnahmen effektiv rischen Verfahren statt. Der uns heute zur abschließen- entgegenwirken. den Beratung vorliegende Gesetzentwurf der Bundes- regierung knüpft an die Reform vom Jahr 2013 an und Für die Anwendung von Zwang und dessen Aus- schließt die vom Bundesverfassungsgericht im Juli 2016 wirkungen für die Betroffenen, auch wenn er unter der festgestellte Regelungslücke. Diese Regelungslücke be- Maßgabe, dem Wohl der Betreuten zu dienen, geschieht, trifft betreute Personen, die sich freiwillig in einer Klinik muss der Gesetzgeber stets sensibilisiert sein. Das Bun- befnden oder sich krankheitsbedingt räumlich nicht ent- desministerium für Gesundheit hat zwei bundesweite fernen können. Sie können nach der geltenden Gesetzes- Studien in Auftrag gegeben. Das erste Projekt zielt auf lage nicht ärztlich zwangsweise behandelt werden, selbst eine Erfassung und vertiefende Analyse von ärztlich an- dann nicht, wenn sie lebensbedrohlich erkrankt sind und geordneten Zwangsmaßnahmen in der psychiatrischen Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24681

(A) Versorgung ab. Im Rahmen des zweiten Projekts soll den zukünftig nur dieselben Personen zwangsbehandelt (C) insbesondere untersucht werden, welche Maßnahmen werden können wie bisher, hätten wir unsere Aufgabe geeignet sind, Zwang zu vermeiden oder zu vermindern. verfehlt. Sobald die Projekte abgeschlossen sind, werden wir uns ausführlich mit den Ergebnissen befassen und weitere Davon abgesehen gibt es aber keinen Anlass, von ei- Handlungsmöglichkeiten prüfen. ner Ausweitung der Zwangsbehandlungen auszugehen. Im Gegenteil: Die materiellen Zulässigkeitsvorausset- zungen für die Einwilligung ebenso wie die strengen ver- Dr. Matthias Bartke (SPD): Der Gesetzentwurf, den fahrensrechtlichen Anforderungen bleiben erhalten. wir heute beschließen wollen, regelt einen sehr sensi­ blen Bereich. Im Mittelpunkt stehen dabei sowohl das So muss die ärztliche Zwangsmaßnahme zum Wohl Selbstbestimmungsrecht wie auch das Recht auf Leben des Betreuten notwendig sein, um einen drohenden er- und körperliche Unversehrtheit. Das sind zwei Rechte, heblichen gesundheitlichen Schaden abzuwenden. Der die in den weitaus meisten Fällen Hand in Hand gehen. Betreute muss aufgrund einer psychischen Krankheit In manchen Fällen müssen sie aber auch gegeneinander oder einer geistigen oder seelischen Behinderung die abgewogen werden. Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme nicht erkennen Es war nicht zuletzt die Anhörung zu dem Gesetz- oder nicht nach dieser Einsicht handeln können. entwurf, die wohl alle Anwesenden sehr nachdenklich Die Zwangsmaßnahme muss dem nach § 1901a BGB gestimmt hat. Bei der Anhörung war unter anderem der zu beachtenden Willen des Betreuten entsprechen. Hier Chefarzt einer psychiatrischen Klinik als Sachverständi- haben wir übrigens nachgebessert. Ursprünglich sah ger geladen, der von einer Zwangsbehandlung berichtete. der Gesetzentwurf vor, dass der Wille des Betreuten der Der Patient litt nicht nur unter einer psychischen Er- Maßnahme nicht entgegenstehen darf. Wir haben diese krankung, sondern auch unter einer lebensgefährlichen Voraussetzung im Interesse der Betreuten nun enger ge- Schilddrüsenüberfunktion. Die Behandlung dieser Über- fasst. funktion lehnte er strikt ab; aber sterben wollte er auch § 1901a regelt, dass einer Patientenverfügung Aus- nicht. Im Resultat wurde er mit Schilddrüsenmedikamen- druck und Geltung verschafft werden muss. Wenn keine ten zwangsbehandelt. Patientenverfügung vorliegt, muss der Betreuer die Be- Dieses Beispiel zeigt uns, dass es Umstände geben handlungswünsche oder den mutmaßlichen Willen fest- kann, die eine ärztliche Zwangsbehandlung notwen- stellen. Gab es mündliche oder schriftliche Äußerungen? dig machen. Zwangsbehandlungen sind daher bei psy- Was sind die ethischen oder religiösen Überzeugungen, chisch Kranken grundsätzlich möglich. Sie stehen aber was sind die persönlichen Wertvorstellungen des Betreu- (B) zu Recht unter sehr engen Voraussetzungen. Dazu zählt ten? Vor einer ärztlichen Zwangsmaßnahme muss außer- (D) bisher, dass nur zwangsbehandelt werden darf, wer auch dem versucht werden, den Betreuten von der Maßnahme zwangsuntergebracht ist. zu überzeugen. Das hat aber zur Folge, dass hilfsbedürftige Men- An dieser Stelle haben wir die Vorschrift sogar ver- schen, die stationär in einer nicht geschlossenen Einrich- schärft: Wir haben ergänzt, dass das Gespräch ernsthaft, tung behandelt werden und sich nicht aus eigener Kraft mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzu- fortbewegen können, selbst notfalls nicht gegen ihren na- lässigen Drucks geführt werden muss. Wir wollen dem türlichen Willen ärztlich behandelt werden dürfen. Überzeugungsgespräch damit zu mehr Wirksamkeit ver- Das Bundesverfassungsgericht hat im vergangenen helfen. Es reicht nicht, schnell zu sagen: „Das wäre aber Jahr entschieden: Diese Rechtslage verstößt gegen das wichtig“, und das Gespräch damit als erledigt anzusehen. Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Der Der Betreuer darf in die Zwangsmaßnahme außerdem Staat hat eine Schutzpficht zu erfüllen. Dazu gehört im nur einwilligen, wenn der drohende erhebliche gesund- Zweifelsfall auch, Bürger vor sich selbst zu schützen. heitliche Schaden durch keine andere, weniger belasten- de Maßnahme abgewendet werden kann. Und last, but Das Bundesverfassungsgericht hat uns daher aufge- not least: Der zu erwartende Nutzen muss die zu erwar- tragen, die festgestellte Schutzlücke unverzüglich zu tenden Beeinträchtigungen deutlich überwiegen. schließen. Diesem Auftrag sind wir mit einem maßvol- len Gesetzentwurf nachgekommen: Wir entkoppeln die Wir haben übrigens noch zwei weitere Änderungen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme von der am Gesetzentwurf vorgenommen, um das Selbstbestim- freiheitsentziehenden Unterbringung. Ärztliche Zwangs- mungsrecht der Betroffenen zu stärken: maßnahmen werden stattdessen an das Erfordernis eines Zukünftig soll in einem ersten Schritt grundsätzlich stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus gebunden. nur über die zwangsweise Verbringung in ein Kranken- In den vergangenen Wochen ist mir immer wieder die haus entschieden werden. Erst in einem zweiten Schritt Sorge begegnet, dass es durch das neue Gesetz zu mas- soll darüber entschieden werden, ob die Genehmigung siven Ausweitungen der Zwangsbehandlungen kommen der Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme er- wird. Und tatsächlich müssen wir ehrlich sagen: In Zu- teilt werden darf. Der Gesetzentwurf sah vor, dass die kunft können theoretisch mehr Menschen zwangsbehan- Verbringung in das Krankenhaus zusammen mit der delt werden. Schließlich kommen dann auch diejenigen Maßnahme entschieden wird. Die Aufteilung in zwei infrage, die nicht untergebracht sind. Das liegt aber in der Entscheidungen schafft eine zusätzliche Hürde und hilft Natur des Urteils des Bundesverfassungsgerichts. Wür- so, ärztliche Zwangsbehandlungen zu vermeiden. 24682 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

(A) Die andere Änderung betrifft die Verfahrenspfege. zes zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraus- (C) Bisher ist der Verfahrenspfeger zwar berechtigt, Be- setzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur schwerde einzulegen. Wenn die Maßnahme aber schon Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Betreuten. erledigt ist, kann er keinen Antrag stellen, um die Statt- Es geht hier um die Frage, unter welchen Voraussetzun- haftigkeit der Beschwerde feststellen zu lassen. Bei ärzt- gen gesetzliche Betreuer ärztlichen Zwangsmaßnahmen lichen Zwangsmaßnahmen liegt aber ein schwerwiegen- gegen den Willen von Betreuten zustimmen können. der Grundrechtseingriff vor, und regelmäßig ist auch eine Ausgangspunkt dafür ist ein Urteil des Bundesverfas- Wiederholung nicht auszuschließen. sungsgerichts aus dem Sommer 2016. Schaue ich mir jetzt seine gesetzliche Umsetzung an, dann habe ich er- Wir schaffen darum ein Antragsrecht auf Feststellung hebliche Bedenken, ob der Gesetzwurf zur Umsetzung einer Rechtsverletzung für Verfahrensbeistand und Ver- des VerfG-Urteils tatsächlich beiträgt. Insbesondere sto- fahrenspfeger. Damit stärken wir den Grundrechtsschutz ßen Zwangsmaßnahmen grundsätzlich auf erhebliche der besonders schutzwürdigen Betroffenen. Bedenken. Nach Aussage des von der Linken benannten Ich habe schon in Bezug auf den zu beachtenden Wil- Sachverständigen Dr. med. Martin Zinkler, Chefarzt der len die Patientenverfügung angesprochen. Eine Patien- Psychiatrischen Klinik Heidenheim, sind Zwangsmaß- tenverfügung vermeidet Unsicherheiten. Jede und jeder nahmen in den allermeisten Fällen gar nicht erforderlich. kann für sich selber regeln, welche Behandlungen vor- Mit diesem Gesetzentwurf besteht die Gefahr, dass von genommen und welche unterlassen werden sollen. Da- Zwangsmaßnahmen noch exzessiver Gebrauch gemacht mit lassen sich im Resultat auch Zwangsbehandlungen wird, als es bisher der Fall war. vermeiden. Nicht ausreichend Rechnung trägt der Gesetzentwurf Wir verpfichten Betreuer daher zukünftig, auf die dem Grundrecht auf eine freie Lebensgestaltung. Es gibt Möglichkeit einer Patientenverfügung hinzuweisen und über objektive Fakten und logisches Folgern hinaus ei- bei der Errichtung zu unterstützen. Es ist also keineswegs nen Bereich der Bewertung und Gewichtung dieser Fak- so, dass der Gesetzentwurf Patientenverfügungen aushe- ten, der nichts mit mangelnden geistigen Fähigkeiten zu beln würde. Stattdessen stärken wir die Patientenverfü- tun hat. Das Selbstbestimmungsrecht von Menschen, gung als wichtiges Instrument. die unter gesetzlicher Betreuung stehen, ist aber auch in anderer Hinsicht eingeschränkt. Und ich bekomme das Wir sind mit dem Gesetzentwurf den schmalen Grat immer wieder zu spüren, wenn ich in meinem Wahlkreis zwischen Selbstbestimmungsrecht und Schutz der Be- Havelland/Oberhavel die Bewohnerinnen und Bewohner troffenen gegangen. Wir haben dabei eine gute Lösung der Einrichtungen der Lebenshilfe besuche. Da werde für das Schließen der Schutzlücke gefunden. ich zum Beispiel immer wieder gefragt: Na? Dürfen wir (B) Wir sind mit dem Gesetz aber noch nicht am Ende an- diesmal wählen gehen? – Was meine ich? Menschen, de- (D) gekommen. Ich habe zu Beginn meiner Rede von dem nen zur Besorgung aller Angelegenheiten ein Betreuer Chefarzt der psychiatrischen Klinik und dessen Beispiel bestellt ist oder die eine Straftat im Zustand der Schuld- einer Zwangsbehandlung berichtet. Was ich da noch unfähigkeit begangen haben und wegen befürchteter nicht gesagt habe: Seit 2011 war das die einzige Zwangs- Allgemeingefährlichkeit in einem psychiatrischen Kran- maßnahme bei mehr als 7 000 Behandlungen in dieser kenhaus untergebracht sind, sind in Deutschland vom Klinik. Das ist eine ungewöhnlich niedrige Quote. Sie aktiven und passiven Wahlrecht ausgeschlossen. Das zeigt uns: Wo ein Wille zur Vermeidung von Zwang ist, heißt, sie dürfen weder wählen noch sich zur Wahl stel- ist auch ein Weg. len. Aufgrund dieser Regelungen sind etwa 85 000 Men- schen von Bundestags- und Europaparlamentswahlen Ärzte und Pfegepersonal müssen sich Zeit nehmen für ausgeschlossen. Die Begründung dafür ist, man müsse die Patienten. Sie müssen ihre Bedürfnisse und Probleme annehmen, diese Personen seien zu einer vernünftigen ernst nehmen. Die Zwangsbehandlung darf nur als letz- Wahlentscheidung nicht in der Lage, da ihnen die nötige tes Mittel dienen, wenn wirklich alle anderen Lösungen Einsicht fehle. Dieses Argument ist gleich aus mehreren versagen. Die unterstützte Entscheidungsfndung muss Gründen problematisch bzw. falsch. Einerseits kann bei das oberste Ziel sein. Auch der Einsatz von Mitarbeitern, den betroffenen Personen keineswegs von einer grundle- die als Patienten Erfahrung mit der Psychiatrie gemacht genden Unfähigkeit zum Treffen rationaler Entscheidun- haben, ist ein vielversprechender Ansatz. gen ausgegangen werden. Zu diesem Schluss kommt eine Die strengen verfahrensrechtlichen Anforderungen Studie, die durch das Bundesministerium für Arbeit und und Zulässigkeitsvoraussetzungen sind ohne Frage wich- Soziales in Auftrag gegeben wurde. Andererseits han- tig. Am Ende kommt es aber auf die Praxis an. Mir liegt delt es sich beim Wahlrecht um ein fundamentales poli- daher auch die vorgesehene Evaluierung besonders am tisches Grundrecht, das allen Menschen gleichermaßen Herzen. Wir werden die Auswirkungen der Änderungen zugänglich sein muss. Dazu hat sich Deutschland durch auf die Anwendungspraxis untersuchen. Die Art und die Ratifzierung der Behindertenrechtskonvention der Häufgkeit von Zwangsmaßnahmen und die Wirksamkeit Vereinten Nationen im Jahr 2009 verpfichtet. Artikel 29 der Schutzmechanismen werden dabei im Mittelpunkt der Konvention verpfichtet die Vertragsstaaten, „Men- stehen. Am Ende werden wir Bilanz ziehen und dort schen mit Behinderungen die politischen Rechte sowie nachbessern, wo es nötig ist. die Möglichkeit, diese gleichberechtigt mit anderen zu genießen“, zu garantieren. Wählen ist Menschenrecht. Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): Wir re- Die menschenrechtswidrigen Wahlrechtsausschlüs- den heute abschließend über den Entwurf eines Geset- se müssen endlich abgeschafft werden. Statt Menschen Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24683

(A) mit Behinderungen von politischen Grundrechten auszu- umso mehr wird die Psychiatrie sich weiterentwickeln (C) schließen, muss es vielmehr darum gehen, die notwen- und auf Zwangsbehandlungen verzichten. digen Unterstützungen zu schaffen, um möglichst vielen Menschen den Zugang zu Wahlen zu ermöglichen. Dazu Der Gesetzentwurf der Bundesregierung birgt die Ge- gehört eine barrierefreie Ausgestaltung von Wahllokalen, fahr der Ausweitung der Anwendung von Zwang in der dazu gehört vollständig einkommens- und vermögens- Psychiatrie über das Erforderliche und das vom Bundes- unabhängige persönliche Assistenz, die nicht bevormun- verfassungsgericht Geforderte hinaus. Deswegen können wir dem Gesetzentwurf nicht zustimmen. Er erlaubt die dend, sondern selbstermächtigend tätig ist, und dazu ge- Zwangsbehandlung auch für Betroffene, die sich frei- hört eine barrierefreie politische Kommunikation. Gibt willig im psychiatrischen Krankenhaus befnden. Dies es beispielsweise umfassende Informationen zu allen könnte ein Hemmnis für Menschen in Krisen darstellen, politischen Themen in Leichter Sprache, können sich sich freiwillig in psychiatrische Behandlung zu begeben. deutlich mehr Menschen tiefergehend mit Politik ausei- Zwar können Personen, die nicht behandelt werden wol- nandersetzen. len, das Krankenhaus wieder verlassen. Aber gerade bei In der vergangenen Woche hat meine Fraktion ge- Personen in schweren Krisen, bei denen eine Zwangs- meinsam mit der Grünenfraktion dazu einen Gesetzent- behandlung infrage kommt, besteht die Gefahr, dass sie wurf in den Deutschen Bundestag eingebracht, der eine nicht in der Verfassung sind, das Krankenhaus zu verlas- Streichung der menschenrechtswidrigen Wahlrechtsaus- sen, oder nicht wissen, wohin sie ansonsten gehen sollen. Anstatt die Zwangsbehandlung von der Unterbringung schlüsse von Menschen mit Behinderungen noch vor der zu entkoppeln, wäre es besser gewesen, in § 1906 BGB Bundestagswahl im September vorsieht. In dieser Wo- eine entsprechende Anwendung des Absatzes 3 für sta- che hat die Große Koalition die Debatte im Ausschuss tionär behandelte Personen festzulegen, die sich einer verhindert. Sie verhält sich damit genauso wie im Zu- Zwangsbehandlung räumlich nicht entziehen können. sammenhang mit der durch drei Gesetzentwürfe einge- Denkbar wäre auch – in Abweichung zur Rechtspre- forderte Öffnung der Ehe für eingetragene Lebenspart- chung des Bundesgerichtshofes –, festzulegen, dass eine nerschaften. Erst plustert sich vor allem die SPD auf: Unterbringungsgenehmigung nach § 1906 Absatz 1 BGB „100 Prozent Gleichstellung nur mit uns.“ Und wenn immer schon dann erforderlich ist, wenn der Aufenthalt es zu entscheiden ist, kommt nichts als heiße Luft. Dies des Betreuten seinem Willen widerspricht. ist Verweigerung gegenüber dem berechtigten Interesse der Bürgerinnen und Bürger, dass wir eine Lösung für Positiv fnden wir, dass der Gesetzentwurf die Mög- ihre Probleme fnden. In der kommenden Woche haben lichkeit einer Zwangsbehandlung auf einen stationären Sie, sehr geehrte Abgeordnete der SPD, die letzte Chan- Krankenhausaufenthalt beschränkt und eine ambulante (B) ce, Ihren Worten auch Taten folgen zu lassen und die Zwangsbehandlung ausgeschlossen bleibt. Menschen (D) menschenrechtswidrigen Wahlrechtsausschlüsse vor der müssen sich zu Hause sicher fühlen können. Wir begrü- Bundestagswahl abzuschaffen. Nutzen Sie diese Chance! ßen auch den absoluten Vorrang des Patientenwillens und die Konkretisierung des Überzeugungsversuchs im Dem zu beschließenden Gesetzentwurf zur Zulässig- Sinn der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keit ärztlicher Zwangsmaßnahmen können wir aus den („mit genügend Zeit und ohne Druck“). eingangs genannten Gründen eine Zustimmung nicht ge- ben. Sinnvoll, aber nicht ausreichend ist die im Gesetz- entwurf vorgesehene Evaluation der Auswirkungen der gesetzlichen Änderungen auf die Anwendungspraxis. Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Notwendig ist ein dauerhaftes Monitoring über Anzahl, NEN): Dieses Gesetzgebungsverfahren ist aufgrund ei- Dauer und Durchführung von Zwangsbehandlungen, um ner Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Missstände in der Praxis und gesetzliche Fehlentwick- Zwangshandlung bei Betreuten, die zwar stationär be- lungen zu erkennen und zu korrigieren. Zwangsmaß- handelt werden, aber nicht geschlossen untergebracht nahmen sind schwere Eingriffe in die Grundrechte von werden können, weil sie sich der Behandlung räumlich Menschen, die, solange sie stattfnden, streng kontrolliert nicht entziehen können, notwendig geworden. Das Bun- werden müssen. desverfassungsgericht hat den Gesetzgeber aufgefordert, Mit der Änderung des § 1901a BGB werden Betreuer unverzüglich eine Rechtsgrundlage für eine Zwangs- verpfichtet, Betreute in geeigneten Fällen auf die Mög- behandlung für diese Fallgruppe zu schaffen, da die lichkeit einer Patientenverfügung hinzuweisen und sie Schutzlücke mit der aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG auf ihren Wunsch bei der Errichtung einer Patienten- folgenden Schutzpficht des Staates unvereinbar sei. Ziel verfügung zu unterstützen. Wir hätten uns hier die aus- muss sein, die vom Bundesverfassungsgericht festge- drückliche Erwähnung von Behandlungsvereinbarungen stellte Schutzlücke hinsichtlich der besonderen Perso- gewünscht, weil damit auch die Behandlerinnen und nengruppe zu schließen, ohne dabei die Voraussetzungen Behandler in die Pficht genommen werden. Vorteil ei- für Zwangsbehandlungen im Allgemeinen auszuweiten. ner Behandlungsvereinbarung ist außerdem, dass sie Be- Mit der Reform im Jahr 2013 scheint es – zumindest ers- handlungswünsche deutlich macht und nicht nur wie die ten veröffentlichten Zahlen zufolge – gelungen zu sein, Patientenverfügung Behandlungsauschlüsse formuliert. Zwangsbehandlungen in der Psychiatrie zu reduzieren. Das ist ein wichtiger Erfolg, der nicht durch das Öffnen Auch wenn es in den psychiatrischen Krankenhäusern neuer Türen gefährdet werden darf. Je restriktiver die ein stärkeres Bewusstsein für den mit der Anwendung rechtlichen Möglichkeiten zur Zwangsbehandlung sind, von Zwang verbundenen Grundrechtseingriff zu geben 24684 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

(A) scheint, sind wir noch weit entfernt von einem Ende des Diese Gesetzgebung verstieß laut EU-Kommission (C) Zwangs in der Psychiatrie. Deshalb sind weitere Anstren- jedoch gegen die Dienstleistungs- und Niederlassungs- gungen nötig, um die UN-Behindertenrechtskonvention freiheit, da anderen europäischen Schornsteinfegern umzusetzen und Betroffene in der Entscheidungsfndung die Übernahme eines Kehrbezirkes verwehrt blieb. Die zu unterstützen, anstatt ihre Entscheidung zu ersetzen. EU-Kommission hat daher ein Vertragsverletzungsver- Maßgeblich ist, die psychiatrische-psychotherapeutische fahren gegen Deutschland eröffnet, und das deutsche Versorgung so zu organisieren, dass stationäre Aufenthal- Schornsteinfegerrecht wurde auf den Prüfstand gestellt. te und Zwang von vornherein vermieden werden. Hierfür Aus Sicht der Europäischen Kommission hat es die Re- braucht es neue Formen der akuten Krisenhilfe, mehr in- geln eines freizügigen Marktes verletzt. Um die staatli- tegrierte Versorgungsangebote und genügend psychothe- chen Aufgaben der Betriebs-, Brandsicherheit, der Ener- rapeutische Plätze ohne lange Wartezeiten. Hilfreich sind gieeinsparung und des Klimaschutzes ohne eine neue zudem Nachsorgeangebote unter Einbeziehung von Psy- Behörde weiterhin durch das Schornsteinfegerhandwerk chiatrieerfahrenen und Angehörigen psychisch Kranker, ausüben zu können, hat die Bundesregierung 2008 mit die darauf ausgerichtet sind, das Auftreten einer psychi- der EU-Kommission einen Kompromiss ausgehandelt. atrischen Krise frühzeitig zu erkennen. Insgesamt muss Danach wurde das sogenannte Schornsteinfeger-Mono- die Versorgungsstruktur weiterentwickelt werden, hin zu pol 2013 aufgehoben und die hoheitlichen Aufgaben der einem personenzentrierten, gemeindenahen und sektor- Schornsteinfeger auf einen Kernbereich zum Beispiel übergreifenden Angebot. Abgasmessung laut Bundes-Immissionsschutzgesetz und Bundesimmissionsschutzverordnung beschränkt. Die üb- rigen Schornsteinfegerarbeiten wurden dem freien Wett- bewerb überlassen. Mit den jährlichen Abgasmessungen Anlage 11 und Prüfungen kann man seitdem einen Kaminkehrer seiner Wahl beauftragen. Darunter fallen nun nicht nur Zu Protokoll gegebene Reden alle freien Feger, die amtlich registriert sind, sondern auch Installateure/Heizungsbauer, SHKs, mit Zusatzqua- zur Beratung des von der Bundesregierung einge- lifkation zum Kaminkehrer. brachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Än- derung des Schornsteinfeger-Handwerksgesetzes Zentral für die heutige Diskussion: Nach dem Wegfall (Tagesordnungspunkt 26) des Schornsteinfeger Monopols wurde zum Ausgleich das Nebenerwerbsverbot der Schornsteinfeger aufgeho- ben. Schornsteinfeger sind seitdem nicht mehr nur auf Lena Strothmann (CDU/CSU): Seit 2003 bin ich die jährlichen Kehrwochen beschränkt und können wei- Abgeordnete im Deutschen Bundestag, und fast so lan- (B) tere Leistungen anbieten. Ist ein Schornsteinfeger in der (D) ge begleitet mich auch schon die Diskussion um das Handwerksrolle eingetragen, darf er nun auch Öfen bau- Schornsteinfegergesetz. Als ich mich erstmals mit dem en, Rauchmelder installieren und deren jährliche Prüfung Thema beschäftigt habe, hätte ich nicht damit gerechnet, durchführen oder die Heizungsanlage kontrollieren. Seit- dass der Inhalt meiner letzten Rede heute hier im Plenum dem beklagen einige Ofen-Luftheizungsbauer und der wieder Thema sein wird. Im Rahmen der parlamentari- SHK-Verband, dass sich viele Schornsteinfeger nach dem schen Beratung der aktuellen Novellierung des Schorn- Wegfall des Nebenerwerbsverbots im Ofenbauer-Hand- steinfegergesetzes haben mich viele Stellungnahmen von werk, dem Kompetenzbereich der SHKs, selbstständig Schornsteinfegern, vor allem aber von Ofenbauern und gemacht haben und sie seitdem unter einem starken Sanitär- und Heizungsbauern erreicht. Um die aktuelle Konkurrenzdruck und einer Verzerrung des Wettbewerbs Diskussion zu verstehen, ist ein Blick auf die Novellie- leiden. Daneben beklagen sie, dass die Schornsteinfeger rung des Schornsteinfeger-Handwerksgesetzes aus dem durch die Feuerstättenschau und ihre Kehrbuchdaten November 2008 und die zweite Stufe der Umsetzung über relevante Kundeninformationen verfügen und diese Anfang 2013 notwendig. Mit der Neuregelung wollte die Daten zu eigenen Geschäftszwecken nutzen, um selbst EU für Wettbewerb auf dem deutschen Schornsteinfeger- Öfen zu verkaufen. Die Ofenbauer und SHKs fordern markt sorgen. In Deutschland gibt es etwa 14 Millionen seitdem die Wiedereinführung des Nebenerwerbsverbots kehr- und überprüfungspfichtige Heizungsanlagen, auf für Schornsteinfeger und setzen sich dafür ein, dass dies die circa 7 500 Schornsteinfegerbetriebe, Kleinstbetriebe, in die Novellierung des SchfHwG aufgenommen wird. kommen. Laut altem Schornsteinfegerrecht war das ge- samte Bundesgebiet in Kehrbezirke unterteilt, in denen je Ich bin der Auffassung, dass hier unternehmerisches ein Bezirksschornsteinfegermeister allein verantwortlich Denken und Handeln und keine Regulierung durch die war. Der Staat hat dem Bezirksschornsteinfegermeister Politik gefragt sind. Wir haben die Möglichkeit der Wie- hoheitlich die staatlichen Grundaufgaben zur Messung dereinführung eines solchen Wettbewerbsverbots geprüft. und Überwachung der Feuerstätten, Heizungsanlagen Sie ist als faktisches Berufsverbot verfassungsrechtlich etc. hinsichtlich Betriebs-, Brandsicherheit, Energie- nicht zulässig und daher – abgesehen von inhaltlichen einsparung und Klimaschutz übertragen. Frei werdende Gründen – rechtlich nicht möglich. Die Aufhebung des Kehrbezirke wurden nach bestimmten Kriterien – Wohn- Nebenerwerbsverbots war zudem eine Bedingung des ort im Kehrbezirk etc. – und einer Liste weiterbesetzt. Vertragsverletzungsverfahrens der Europäischen Kom- Alternativ hätte eine staatliche Behörde diese Aufgaben mission gegen das alte Schornsteinfeger-Handwerks- übernehmen müssen. Die Länder haben die Zuständig- gesetz im Jahr 2005 und wurde bei der Novelle des keitsübertragung auf die unteren Behörden im Zuge der ­SchfHwG im Jahr 2008 umgesetzt. Die aktuelle Kritik Novelle 2008 abgelehnt. und die Argumente des SHK-Handwerks und der Ofen- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24685

(A) bauer sind nicht neu. Die Forderung, dass Schonsteinfe- Tätigkeiten, die dem Wettbewerb unterliegen, wird damit (C) ger im eigenen Bezirk keine Kaminöfen verkaufen sollen beibehalten. dürfen, wurde in den letzten Jahren bereits mehrfach dis- kutiert, aber nicht umgesetzt. Dabei wird es auch bleiben. Die Neuregelung verpfichtet neue Haus- und Die Abnahme der neuen oder geänderten Feuerstätten Wohnungseigentümer zudem, Eigentumswechsel am seitens der bevollmächtigten Bezirksschornsteinfeger Grundstück an den zuständigen bevollmächtigten Be- erfolgt nach den Landesbauordnungen der Länder. Zu- zirksschornsteinfeger zu melden. Neu ist auch die Streit- ständige Behörden sind die jeweiligen Bauaufsichtsbe- wertfestsetzung auf 500 Euro bei gerichtlicher Auseinan- hörden. Sie sind verantwortlich und nicht die Politik. dersetzung zwischen Eigentümer und bevollmächtigten Bezirksschornsteinfeger. All diese Inhalte sind unstrittig. Es ist Sache der Länder und der jeweils zuständigen Ein wichtiger Punkt, der die Diskussion um das Ne- Sachaufsichtsbehörden von Land, Kreis oder Stadt durch benerwerbsverbot aufgreift: Der Schornsteinfeger darf entsprechende Verordnungen hier verlässliche Regelun- keine Bescheinigungen für Anlagen ausstellen, die er gen zu schaffen und zu deren Einhaltung zu überprüfen. oder andere Mitarbeiter verkauft, eingebaut, zur Nut- Aus § 18 Absatz 2 SchfHwG ergibt sich bereits, dass kei- zung überlassen haben. Das gilt auch für Gesellschaften ne Abnahme durch den Schornsteinfeger erfolgen darf, die verkauft, eingebaut, zur Nutzung überlassen haben, wenn er die Anlagen selbst eingebaut oder verkauft hat. an welcher der Bezirksschornsteinfeger rechtlich oder Und das ist auch richtig so. Eine Werkstatt darf ja auch wirtschaftlich beteiligt ist. Hier haben wir mit unserem nicht die Verkehrssicherheit eines selbst reparierten Au- Änderungsantrag die Defnition des Angehörigen noch tos feststellen; das macht der TÜV. Gleichzeitig ist der einmal etwas präzisiert und verschärft. Demnach darf der Bezirksschornsteinfeger verpfichtet, seine Aufgaben Schornsteinfeger nicht nur keine Bescheinigungen für ordnungsgemäß, gewissenhaft und unabhängig durch- Anlagen ausstellen, die er verkauft/eingebaut hat, son- zuführen. Damit sollen Interessenskonfikte vermieden dern auch nicht für solche, die seine Angehörigen oder werden. Angehörige seines Betriebs verkauft/eingebaut haben. Die Länder wurden in der Vergangenheit immer wie- Das gilt auch für Gesellschaften, an denen er selbst, seine der aufgefordert, im Rahmen der Aufsicht auf mögliche Angehörigen oder Angehörige seines Betriebs rechtlich Interessenkollisionen zu achten und diese zu unterbinden. oder wirtschaftlich beteiligt sind. Damit ist klargestellt, Wenn es schwarze Schafe gibt – und die gibt es leider im- dass der Schornsteinfeger auch keinen Ofen prüfen und mer und in fast allen Bereichen – sind den zuständigen abnehmen darf, der beispielsweise über die gemeinsame Länderbehörden oder den Kartellbehörden der Länder GmbH mit seiner Frau oder seinem Kollegen verkauft die entsprechenden Fälle zu nennen, damit diese aktiv oder eingebaut wurde. Auch wenn ich bezweife, dass in der Praxis eine große Zahl an Ehepartnern oder Mitarbei- (B) werden können. § 21 (3) enthält bereits entsprechende (D) Sanktionsmechanismen. tern Ofenstudio GmbHs gegründet haben, damit ihr Part- ner als Schornsteinfeger eigene Öfen verkaufen, einbau- Nachdem ich jetzt viel darüber gesprochen habe, was en und prüfen und abnehmen kann, so haben wir diese das Gesetz nicht enthält – nämlich die seitens der SHKs rechtliche Lücke und Hintertür nun im Sinne der Ofen- und Ofenbauer geforderte Wiedereinführung des Ne- bauer und SHKs, aber auch der Verbraucher geschlossen. benerwerbsverbots der Schornsteinfeger –, möchte ich Da dies heute meine letzte Rede hier im Plenum ist, die verbleibende Zeit nutzen, um Ihnen von den Inhalten möchte ich an dieser Stelle die die Gelegenheit nutzen, der Novelle zu berichten. Bei der Novelle 2017 geht es um mich zu bedanken und bei Ihnen zu verabschieden. vor allem darum den, Vollzug der Länder zu erleichtern Das gilt für die Kollegen aus der Fraktion, mit denen wir und die Verwaltung von Kehrbezirken zu vereinfachen. gemeinsam viel erreicht haben, aber auch für den Ko- Da die Bestellung zum bevollmächtigten Bezirksschorn- alitionspartner, mit dem wir bei handwerkspolitischen steinfeger befristet ist, müssten Kehrbezirke nach dem Themen zumeist an einem Strang gezogen haben. Da ich Ablauf von sieben Jahren neu ausgeschrieben werden. dem Handwerk in meiner Funktion als Präsidentin der Die neu vorgesehene Sammelausschreibung soll eine Handwerkskammer Ostwestfalen noch weiter erhalten lückenlose Besetzung der Kehrbezirke sicherstellen. Da- bleibe, bin ich mir sicher, auch in der nächsten Legisla- neben sieht der Entwurf Änderungen vor, um die Kehr- turperiode weiter zu dem ein oder anderen Handwerks- bezirksverwaltung zu verbessern. Sie betreffen unter thema zusammenzuarbeiten. Darauf freue ich mich. anderem das Vollstreckungsrecht, die Regelung der Ver- tretung und den Schutz von Kehrbuchdaten. So muss das Kehrbuch vom bevollmächtigten Bezirksschornsteinfe- Sabine Poschmann (SPD): Im Jahr 2008 hat der ger elektronisch und nachvollziehbar erfasst werden und Gesetzgeber das Schornsteinfegerwesen grundlegend jährlich aktuell sein. Bei Verstößen sind nun hohe Geld- reformiert. Seinerzeit ging es darum, ein Vertragsver- bußen festgeschrieben. letzungsverfahren der EU-Kommission abzuwenden. Die EU-Kommission hatte die bestehenden Regeln als Um die Neutralität weiterhin sicherzustellen, wird die unverhältnismäßige Hemmnisse für die Niederlassungs- Feuerstättenschau auch zukünftig ausschließlich vom und die Dienstleistungsfreiheit in der EU kritisiert. Als bevollmächtigten Bezirksschornsteinfeger durchgeführt. Reaktion darauf wurde das Schornsteinfegermonopol Diese ist weiterhin zweimal innerhalb von sieben Jahren abgeschafft. Im Gegenzug erhielten die Schornsteinfeger durchzuführen, jetzt jedoch frühestens alle drei Jahre. die Erlaubnis, Nebentätigkeiten auszuüben. Diese neue Die Unterscheidung von hoheitlichen Aufgaben in der Situation verunsicherte damals viele Schornsteinfeger. Zuständigkeit öffentlich beliehener Schornsteinfeger und Viele befürchteten, allein von ihrem Kerngeschäft nicht 24686 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

(A) mehr leben zu können. Daher haben sich viele in die Abschließend lässt sich sagen, dass die aktuellen Än- (C) Handwerksrolle eintragen lassen, um sich weitere Ein- derungen und die von 2008 wichtige und richtige Schrit- kommensquellen zu erschließen. In der Praxis kam es te für das Schornsteinfegerhandwerk sind. Denn dies ist dann aber anders als gedacht. Die meisten Schornstein- eine Branche mit Zukunft. Während die Lehrlingszah- feger sind heute mit ihren eigentlichen Schornsteinfeger- len in vielen Gewerken rückläufg sind, liegt die Aus- tätigkeiten gut ausgelastet und haben ein verlässliches, bildungsbereitschaft dort seit einigen Jahren auf hohem solides Einkommen. Ein wichtiger Grund dafür ist, dass Niveau. Auch das Interesse an diesem Beruf ist gestie- die Menschen diesem Handwerk vertrauen und dessen gen: Mit der Ausschreibung der Kehrbezirke steigen die Arbeit schätzen. Chancen junger Menschen, frühzeitig bevollmächtigte Bezirksschornsteinfeger zu werden. Es ist somit gut, dass Warum dann also eine Novelle des Schornsteinfe- wir hier aktiv geworden sind. ger-Handwerksgesetzes? Nun, zunächst einmal geht es uns darum, den Vollzug des Gesetzes durch die Länder Thomas Lutze (DIE LINKE): Die Novelle zum zu vereinfachen. So wird bei der Verwaltung der Kehrbe- Schornsteinfeger-Handwerkgesetz ist notwendig, da eini- zirke klargestellt, dass die sogenannte Sammelausschrei- ge Paragrafen und Passagen aus der Übergangszeit nach bung als Verfahren zur Neubesetzung von Bezirken ge- der Liberalisierung obsolet geworden sind. Ferner haben nutzt werden kann. Auf diese Weise wird eine lückenlose sich aus aktuellen Rechtsprechungen und Praxiserfah- Besetzung der Kehrbezirke gewährleistet und der Pro- rungen weitere Anpassungen ergeben. Schauen wir also zess der Massenausschreibungen verschlankt. Dann wol- auf die jeweils geplanten Änderungen. Die Bestellung len wir die Kehrbuchdaten besser schützen. Dazu werden zum bevollmächtigten Bezirksschornsteinfeger erfolgt die Anforderungen an die Übergabe der Kehrbuchdaten befristet; nach sieben Jahren müssen die Kehrbezirke konkretisiert. Zudem wurden die Pfichten der bevoll- neu ausgeschrieben werden. Der Gesetzentwurf sieht nun mächtigten Bezirksschornsteinfeger bei der Übergabe vor, dass unter anderem Sammelausschreibungen zur Be- von Bezirken an Nachfolger präzisiert. setzung von Kehrbezirken durchgeführt werden sollen. Dies ist sinnvoll, da mit der Möglichkeit der Sammelaus- Darüber hinaus wollen wir die Anforderungen an die schreibung eine lückenlosere Besetzung der Kehrbezirke Neutralität der Bezirksschornsteinfeger verschärfen. Für sichergestellt wird. Auch die Präzisierungen hinsichtlich die allermeisten Schornsteinfeger brauchen wir hier ei- der obligatorischen Aufgaben wie Feuerstättenschau, gentlich keine Neuregelung, denn sie erledigen ihre Berichtswesen und Abnahmetätigkeiten sind sinnvoll. Aufgaben auch so unparteiisch und zuverlässig. Leider Selbiges gilt auch für die Festschreibung der unmittelba- gab es in der Vergangenheit aber auch einzelne Fälle, ren Ausfertigung einer Duldungsverfügung durch die zu- in denen bevollmächtigte Bezirksschornsteinfeger ihre (B) ständigen Behörden, wenn Schornsteinfegern der Zutritt (D) Stellung ausgenutzt und sich die von ihnen eingebauten für Grundstücke und Gebäude zur Ausübung hoheitlicher Öfen gegenseitig abgenommen haben. Dies darf natür- Tätigkeiten verweigert wird. Dass außerdem die Abnah- lich nicht sein. Bereits nach geltender Rechtslage dürfen me von Anlagen und Feuerstätten nicht mehr durch Be- bevollmächtigte Bezirksschornsteinfeger daher keine zirksschornsteinfeger, deren Angestellte und Vertreter Bescheinigungen für Anlagen ausstellen, wenn sie die- vorgenommen werden dürfen werden soll, wenn diese an se selbst oder Angehörige ihres Betriebes eingebaut oder der Erstellung dieser Anlagen beteiligt waren, führt dazu, verkauft haben. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf dass Erstellung und Überprüfung der Vorschriftsmäßig- gehen wir noch einen Schritt weiter. In Zukunft dürfen keit zukünftig deutlicher als bisher getrennt werden. Schornsteinfeger auch dann keine Bescheinigungen für Anlagen ausstellen, wenn Angehörige des Schornstein- Im internationalen und europäischen Vergleich wer- fegers rechtlich oder wirtschaftlich an der Gesellschaft den immer wieder der hohe Standard und das geringe beteiligt sind, die die Anlage verkauft oder eingebaut hat. Risiko deutlich, die durch die nach wie vor geltenden Damit schließen wir aus, dass ein Bezirksschornstein- Regularien und Überwachung durch das Schornstein- feger eine Anlage von jemandem abnimmt, mit dem er fegerhandwerk gesichert werden. Das Niveau der Be- in einer verwandtschaftlichen oder nachweislichen wirt- triebs- und Brandsicherheit kann in Deutschland trotz schaftlichen Beziehung steht. vereinzelter Missbräuche als hoch bezeichnet wer- den und wird durch die vorgesehenen Änderungen des Wir sind uns bewusst, dass damit noch nicht alle the- Schornsteinfeger-Handwerksgesetzes weiter verbessert. oretisch denkbaren Fälle von Wettbewerbsverzerrung Die Innungsverbände unterstützen daher das Maßnah- zulasten der Ofenbauer ausgeräumt sind. Daher haben menpaket grundsätzlich. Dass die Betreiber von Feuer- wir die vom Ofenbauerhandwerk geforderten weiteren stätten in Deutschland selbst im europäischen Vergleich Beschränkungen der Nebentätigkeitsbefugnis für Be- am sichersten leben, ist unzweifelhaft auch ein Verdienst zirksschornsteinfeger geprüft, diese aber letztlich nicht in des Schornsteinfegerhandwerks. Zugleich werden vom das Gesetz aufgenommen. Denn die damit verbundenen Gesetzgeber stets wachsende Vorgaben im Hinblick Eingriffe in die Berufs- und Gewerbefreiheit der Schorn- auf Baurecht, Betriebs- und Brandsicherheit, Umwelt- steinfeger wären, wenn überhaupt, verfassungsrechtlich schutz, Energieeinsparung und Klimaschutz erlassen, nur schwer zu rechtfertigen gewesen. Es wird daher Auf- deren Durchsetzung, Überwachung und Prüfung von gabe der Handwerksvertreter vor Ort sein, Lösungen zu den öffentlichen Behörden gar nicht übernommen wer- fnden, die einen für beide Berufsgruppen fairen Wett- den können. Dies bedeutet, dass über das Schornsteinfe- bewerb ermöglichen. Das klappt in vielen Regionen gut ger-Handwerksgesetz viele der hoheitlichen Tätigkeiten und ist auch in beiderseitigem Interesse. dem Handwerk übertragen werden, womit nicht zuletzt Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24687

(A) für die Sicherheit der über 30 Millionen bundesdeutschen des Schornsteinfegerwesens. Ich fordere Sie auf: Wenn (C) Feuerstätten nur Fachkräfte mit einer Mindestqualifka- Sie schon keine Regelung zur Stärkung des Wettbewerbs tion als Schornsteinfegergeselle zuständig sind. Hinzu in das Gesetz bringen, dann lassen Sie doch wenigstens kommt, dass immer mehr Schornsteinfeger inzwischen die zurückliegende Reform gründlich prüfen. Diese Eva- neben ihrer Schornsteinfeger-tätigkeit andere Gewerbe luierung muss auf der einen Seite die wettbewerblichen gegründet haben, unter anderem auch Ofenstudios. Es Auswirkungen bewerten und auf der anderen Seite die Si- gibt Berichte, wonach einige Schornsteinfeger die ho- cherung der hohen Feuersicherheits- und Umweltschutz- heitlichen Tätigkeiten nutzen, um ihr privates Gewerbe standards bei Heizungsanlagen im Blick haben. Es ist zu anzukurbeln, indem beispielsweise bei der Feuerstätten- prüfen, welche konkreten Maßnahmen den Wettbewerb schau oder Abnahme von Heizanlagen gleich noch Kun- stärken und dabei einen fairen Interessenausgleich zwi- den akquiriert werden. Diese Vermischung von hoheit- schen Schornsteinfegern, Ofen- und Luftheizungsbauern lichen Tätigkeiten und privatwirtschaftlichen Interessen und weiteren Akteuren erzielen können. Auch eine Ener- ist nicht erlaubt und vor allem auch gefährlich. Betref- gieberatung kann stärker im Fokus der Überprüfungs- fenden Beschwerden muss daher vonseiten der Behörden und Wartungsarbeiten stehen. Nicht zuletzt sollte geprüft intensiver nachgegangen werden. werden, ob die mit der Reform beabsichtigte Kostenre- duktion im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): tatsächlich erreicht worden ist. Schornsteinfeger bringen Glück, weiß der Volksmund. Der vorliegende Entwurf ist zwar ein Hüpfer in die Leider hatten Sie in der großen Koalition bei der Libera- richtige Richtung, springt aber viel zu kurz. Die Regie- lisierung des Schornsteinfegerwesens im Jahr 2008 kein rungskoalition hat offensichtlich noch nicht begriffen, besonders glückliches Händchen. Die damalige Reform dass die Energiewende viel stärkere Veränderungen nach ging nicht weit genug, was die zahlreichen Eingaben und sich zieht, wobei die Digitalisierung und die damit ver- Schreiben, die wir hierzu bekommen haben, zeigen. Es bundenen Möglichkeiten zur Überwachung und Steu- ist deutlich, dass es erheblichen Nachbesserungsbedarf erung von Heizungsanlagen noch gar nicht betrachtet gibt und die angestoßene Liberalisierung nicht durch- wurden. Hier bedarf es erheblicher Arbeiten und Verän- schlagend war. derungen, die sich sowohl an klaren Zielen des Klima- Leider geht die heute vorliegende Änderung des schutzes ausrichten als auch nachhaltige Veränderungen Schornsteinfegerhandwerks auf diese Problemstellung anstreben und offensichtlich nur von uns Grünen betrie- nicht ein. Das Gesetz beschränkt sich auf die Regelung ben werden. praktischer Anwendungsschwierigkeiten beispielsweise bei Ausschreibung, Verwaltung und Übergabe von Kehr- (B) (D) bezirken oder auch auf die Sicherung der Kehrbuchdaten. Anlage 12 Diese Anpassungen sind richtig, auch um die lückenlose Besetzung von Kehrbezirken zu gewährleisten. Deshalb Zu Protokoll gegebene Reden stimmt meine Fraktion dem Gesetz zu. Auch im Aus- zur Beratung des von der Bundesregierung ein- schuss hat der Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen, gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der am der Interessenkonfikte bei der baurechtlichen Abnahme 19. Juni 1997 beschlossenen Urkunde zur Abände- neuer Heizungsanlagen verhindern soll, unsere Zustim- rung der Verfassung der Internationalen Arbeits- mung erhalten. Schornsteinfeger sollten ihre hoheitli- organisation (Tagesordnungspunkt 27) chen Aufgaben mit der größtmöglichen Unabhängigkeit erfüllen. Doch mit diesem Gesetz stellen Sie einmal mehr unter Beweis, dass Sie in der Regierung lediglich Dienst Dr. Martin Pätzold (CDU/CSU): Wir befassen uns nach Vorschrift leisten. Einleitend schreiben Sie zwar, heute mit einer Urkunde zur Abänderung der Verfassung dass dieses Gesetz den Wettbewerb im Schornsteinfe- der Internationalen Arbeitsorganisation, die am 19. Juni gerhandwerk verstärken soll. Doch Maßnahmen in diese 1997, also heute vor fast genau 20 Jahren, beschlossen Richtung sucht man im Gesetzestext dann ebenso ver- wurde. Die Urkunde sollte und soll es den Mitgliedstaa- geblich wie den Gestaltungsanspruch der großen Koaliti- ten der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) noch on in ihrer Regierungszeit insgesamt. heute ermöglichen, Übereinkommen, die veraltet oder nicht mehr relevant sind, aufzuheben, was bis dahin nur Längst ist doch der Begriff „Schornsteinfeger“ mehr durch eine Neufassung der entsprechenden Abkommen als irreführend. Schornsteinfeger selber bezeichnen sich möglich war. Seit ihrer Gründung im Jahre 1919 hat die als Experten der Energieerzeugung. Dabei spielen Fragen IAO bereits über 180 Übereinkommen abgeschlossen. der Energieerzeugung in Hinblick auf Immissionen und der Energieeffzienz eine entscheidende Rolle. Längst Im Laufe ihrer Geschichte gab es einen Weltkrieg, ei- müsste der Schornsteinfeger umbenannt werden zum nen Kalten Krieg und starke wirtschaftliche Veränderun- „Energiewendemanager“, oder so ähnlich. Entsprechend gen in der Welt. Wer hätte damals daran geglaubt, welch fordern wir Grüne, das Thema viel breiter anzugehen. beeindruckende Geschichte die asiatischen Volkswirt- schaften zurücklegen würden, und wer hätte sich vor- Dazu kommt die Forderung nach mehr Markttranspa- stellen können, dass im einst so verfeindeten Europa ein renz und fairem Wettbewerb. Deshalb fordern wir Grüne riesiger Binnenmarkt entstehen würde? Da ist es nicht eine bessere Umsetzung der Liberalisierung bei nicht ho- überraschend, dass unter den knapp 200 Abkommen heitlichen Schornsteinfegertätigkeiten. Hierzu braucht es auch welche existieren, die in den letzten Jahrzehnten an eine neutrale Evaluierung der zurückliegenden Reform Bedeutung verloren haben und keinen nützlichen Beitrag 24688 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017

(A) zur Erreichung der Ziele der Organisation mehr leisten. der in den letzten vier Jahren mit Erfolg dazu beigetra- (C) An dieser Stelle ist es gut und richtig, dass es der Kon- gen hat, dass das Wirtschaftswachstum in Deutschland ferenz der Delegierten der Mitgliedstaaten freisteht, Ab- im europäischen Vergleich überdurchschnittlich ist. Der kommen auf Vorschlag des Verwaltungsrats aufzuheben. französische Präsident Emmanuel Macron hat ebenfalls erkannt, dass veraltete Arbeitsmarktgesetze die Volks- Warum ist es richtig, diese Urkunde zu ratifzieren? wirtschaft hemmen können. Es kann nur von europäi- Die IAO hat 187 Mitgliedstaaten und vereinigt dadurch schem Interesse sein, dass Frankreich innerhalb der EU fast alle Staaten der Welt. Die zehn Mitgliedstaaten, de- mit Reformen zu alter Stärke zurückfndet, und auch, nen wirtschaftlich die größte Bedeutung zukommt, sind dass die Länder Afrikas außerhalb der EU eine Wirt- ständige Mitglieder der Allgemeinen Konferenz der IAO. schaftskraft entwickeln, die den Menschen vor Ort eine Diese Staaten haben also eine große Verantwortung in- Zukunftsperspektive bietet und sie nicht zur Migration nerhalb der Organisation. Auch Deutschland zählt dazu. zwingt. Über zwei Drittel der Mitgliedsländer haben die Urkunde bereits ratifziert. Mit der nun geplanten Ratifzierung der Ich bin fest davon überzeugt, dass eine Aufhebung Urkunde würde die Bundesrepublik ein klares, deutliches überalterter Abkommen dazu beitragen kann, die Le- und wichtiges Signal aussenden, dass der Schutz der Ar- bens- und Arbeitssituation vieler, vieler Menschen beitnehmerrechte und die Wahrung der Menschenrechte weltweit zu verbessern, und bitte deshalb im Namen und der sozialen Standards unverzichtbar in der heutigen der CDU/CSU-Fraktion um Ihre Stimme. Unterstützen Welt sind. Sie die Ratifzierung, und geben Sie der Internationalen Arbeitsorganisation den Handlungsspielraum, den sie 70 bis 80 Prozent der Beschäftigten weltweit sind benötigt, um auf die schnell wechselnden Rahmenbedin- ohne oder nur mit unzureichender sozialer Absicherung gungen unserer heutigen und unserer zukünftigen Welt berufich tätig. Es ist eine der großen Aufgaben unseres reagieren zu können. Jahrhunderts, diesen Wert zu senken und nach Möglich- keit dahin gehend zu verändern, dass nach den nächsten 98 Jahren Existenz der IAO die Statistik lautet: 80 Pro- Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): 1921 hat die zent der Beschäftigten verfügen über eine sehr gute sozi- Internationale Arbeitsorganisation das Mindestalter von ale Absicherung. Kohlenziehern und Heizern auf Dampfschiffen festge- legt. Auf Schiffen dürfen seither dazu keine Jugendlichen Die Internationale Arbeitsorganisation ist die einzige unter 18 Jahren beschäftigt werden. Ausnahmen gibt es UN-Organisation, in der nicht nur Vertreter von Regie- an Häfen, wenn nur Jugendliche zur Verfügung stehen: rungen zu fnden sind, sondern zu gleichen Teilen auch Dort können statt eines Erwachsenen auch zwei Jugend- Vertreter von Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Diese liche unter 16 eingesetzt werden. (B) Struktur mag vielleicht mit ein Geheimnis dafür sein, (D) warum die IAO in den vergangenen Jahren so gut arbei- Die Technik von Schiffen hat sich seit 1921 stark ver- ten und effektiv gegen Kinderarmut und informelle Be- ändert. Mit dem Einzug der Dieselmotoren verloren die schäftigung vorgehen konnte. Sie ermöglicht es der IAO Berufe des Kohlenziehers und des Schiffsheizers an Be- aber auch, eine Plattform zu sein, auf der alle Akteure deutung. Auch die Rechtsetzung der ILO ist fortgeschrit- diskutieren und gemeinsam realistische und langfris- ten: Das Übereinkommen Nr. 138 über das Mindestalter tig orientierte Antworten auf die drängenden Probleme für die Zulassung zur Beschäftigung von 1973 hat das fnden. Von dem ausgehend kann durch den Dialog der Übereinkommen Nr. 15 (Kohlenzieher und Heizer) in- Beteiligten ein abgestimmtes Handeln garantiert werden. haltlich ersetzt. Die IAO wurde nicht umsonst mit dem Friedensnobel- Man höre und staune: In Kraft war es aber immer preis geehrt; denn wie sie in der Präambel ihrer Verfas- noch. Dieses Übereinkommen Nr. 15 ist eines von sechs sung festgeschrieben hat: „Der Weltfrieden kann auf die Abkommen, auf das die 106. Internationalen Arbeitskon- Dauer nur auf sozialer Gerechtigkeit aufgebaut werden.“ ferenz der ILO letzte Woche die Verfassungsänderung, Und in den kommenden Jahrzehnten mangelt es inter- die wir heute ratifzieren, angewandt hat. national betrachtet nicht an Baustellen, auf denen die Die Änderung der Verfassung der Internationalen Ar- soziale Gerechtigkeit ausgebaut werden muss. Dabei hat beitsorganisation sieht ein Verfahren vor, mit dem veral- die IAO eine herausragende Position bei der sozialen Ge- tete und nicht mehr relevante ILO-Übereinkommen auf- staltung der Globalisierung. Es müssen gemeinsam nach- gehoben werden können. Das macht inhaltlich Sinn; es haltige Instrumente gefunden werden, um internationa- gibt jedoch ein völkerrechtliches Problem: Völkerrecht- le Standards zu erhöhen und das Leben von Milliarden lich vertretbar wäre eine Aufhebung eines Übereinkom- Menschen zu verbessern. Die IAO ist dafür gut gerüstet. mens dann, wenn alle Staaten, die das jeweilige Über- Vielleicht werden Sie sich nun fragen, wo die Verbin- einkommen ratifziert haben, der Aufhebung zustimmen. dung zum heutigen Tagesordnungspunkt zu fnden ist. Die Verfassung der ILO regelt das nun anders: Sie sieht Ich möchte es Ihnen erklären: vor, dass die Konferenz der ILO mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen der anwesenden Delegierten Obsolete Abkommen können eine unnötige bürokra- Übereinkommen aufheben kann. tische Hürde für die wirtschaftliche Entwicklung der un- terentwickelten Länder, aber auch für die Entwicklung Deutschland hat wegen dieser völkerrechtlichen Ein- Deutschlands darstellen. Nicht jede Regierung der Mit- schätzung die Ratifzierung der Verfassungsänderung gliedstaaten der IAO verfügt wie die deutsche Bundes- lange nicht eingeleitet. Die überwiegende Mehrheit der regierung über einen Koordinator für Bürokratieabbau, ILO-Mitgliedstaaten teilt diese Auffassung jedoch nicht. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24689

(A) Die Änderung der ILO-Verfassung trat am 8. Oktober hinfällig darstellen. Zum anderen müssen zwei Drittel (C) 2015 für alle ILO-Mitglieder in Kraft, weil eine ausrei- der Mitglieder der Konferenz der Aufhebung zustimmen. chende Anzahl an Mitgliedstaaten die Änderung ratif- ziert hat. Damit gilt sie auch für Deutschland. Die in der Abänderungsurkunde festgeschriebene Ver- fahrensänderung ist in einem demokratischen Verfahren Mit der Ratifzierung vollziehen wir nun die bereits von zwei Dritteln der Mitglieder der IAO beschlossen in Kraft getretene Änderung nach. Dies ist nach unserer worden. Aus unserer Sicht scheint das neue Verfahren zur Verfassung geboten. Die Alternative wäre nur der Aus- Aufhebung veralteter Abkommen zudem praxistauglich. tritt aus der ILO. Das aber – und das versteht sich von Die Linke begrüßt den Gesetzentwurf daher und selbst – kommt für uns alle absolut nicht infrage. stimmt ihm zu.

(DIE LINKE): 1997 wurde von der All- Klaus Ernst Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gemeinen Konferenz der Internationalen Arbeitsorgani- NEN): Es hat 20 Jahre gedauert hat, bis die 1997 von der sation (IAO) ein Verfahren beschlossen, mit dem veralte- Internationalen Arbeitsorganisation IAO beschlossene te und nicht mehr relevante Übereinkommen aufgehoben Urkunde heute dem Bundestag zur Ratifkation vorgelegt werden können. Bisher waren dazu zwei Schritte not- wird. Die Urkunde sieht eine Abänderung der IAO-Ver- wendig. Zuerst wurde das alte Übereinkommen durch fassung vor. Sie macht es möglich, dass der Verwaltungs- eine Neufassung der IAO aktualisiert. Diese Neufassung rat der Allgemeinen Konferenz vorschlagen kann, veral- enthielt eine entsprechende Kündigungsklausel, die tete und nicht mehr relevante Übereinkommen der IAO dazu führte, dass bei der folgenden Ratifzierung durch aufzuheben. die Mitglieder der IAO das Übereinkommen automa- tisch gekündigt wurde. Einzelne Mitglieder hatten so die Die bisherigen Bundesregierungen waren mit der Chance, eine Neufassung nicht zu ratifzieren und somit Änderung der IAO-Verfassung aus gutem Grund nicht dessen Kündigung zu umgehen. einverstanden. Deswegen hat es 20 Jahre gedauert, bis der Bundestag damit befasst wurde. Es wurde befürchtet, Die vorliegende Änderung sieht vor, dieses Verfahren dass die Aufhebung einzelner Übereinkommen wichtige zu vereinfachen. Zukünftig soll die Allgemeine Konfe- internationale Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeit- renz auf Vorschlag des Verwaltungsrates veraltete Ab- nehmer außer Kraft setzt. Und wir, die Bundestagsfrakti- kommen direkt aufheben können. Dazu ist nur noch eine on von Bündnis 90/Die Grünen, teilen diese Befürchtung. Zweidrittelmehrheit der anwesenden Delegierten erfor- Die bisherigen Bundesregierungen waren der Auffas- derlich. Die im bisherigen Verfahren notwendige Ratif- sung, dass die Aufhebung von IAO-Übereinkünften völ- zierung durch die Mitgliedstaaten der IAO fällt weg. kerrechtlich nur unter zwei Bedingungen vertretbar wäre. (B) (D) Wie Sie wissen, hat die Bundesrepublik die Abände- Erstens. Alle Staaten, die einer Übereinkunft beigetreten rungsurkunde bisher wegen völkerrechtlicher Bedenken sind, müssten der Aufhebung zustimmen. Und zweitens. nicht ratifziert. Für die Vertragsstaaten muss es die Möglichkeit geben, die Übereinkommen auf freiwilliger Basis anzuwenden. Nach Auffassung der Bundesregierung wäre eine Dafür warben die unterschiedlichen Bundesregierungen Aufhebung eines veralteten Übereinkommens völker- seit 1997 in den IAO-Gremien. Doch viele IAO-Staaten rechtlich nur vertretbar, wenn alle Staaten, die das betref- sind der deutschen Auffassung nicht gefolgt. Zwei Drit- fende Übereinkommen ratifziert haben, der Aufhebung tel der IAO-Staaten haben die Urkunde im Oktober 2015 zustimmen. Es müsste aus Sicht der Bundesregierung ratifziert. Deswegen bleibt jetzt nur noch die Wahl: Ent- wenigstens für diese Vertragsstaaten die Möglichkeit weder wir kehren der IAO den Rücken, oder der deutsche geschaffen werden, dass das Übereinkommen zwischen Gesetzgeber ratifziert die Urkunde. Denn wenn wir nicht ihnen weiter angewandt wird. ratifzieren und trotzdem in der IAO bleiben würden, wäre dies ein verfassungswidriger Zustand. Dieser Auffassung ist die Mehrheit der Mitglieder (unter anderem Dänemark, Finnland, Frankreich, Irland, Natürlich müssen wir diese Urkunde ratifzieren, und Italien, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Österreich, deshalb werden wir Grünen heute auch zustimmen. Denn Polen, Portugal, Schweden, Schweiz, Spanien, Vereinig- wir stehen ohne Wenn und Aber hinter der IAO. Für uns tes Königreich) nicht gefolgt. Zwei Drittel der Mitglieder ist sie eine enorm wichtige, sinnvolle und schützenswerte der IAO haben der Abänderungsurkunde zugestimmt, Organisation. Gerade in Zeiten globaler Wertschöpfungs- wie es Artikel 36 der Verfassung der IAO erfordert. Die- ketten muss es auf globaler Ebene eine Verständigung se ist am 8. Oktober 2015 in Kraft getreten. Um keinen über internationale Rechtsnormen in der Arbeitsmarkt- verfassungswidrigen Zustand herbeizuführen, muss die und Sozialpolitik geben. Die IAO ist damit beauftragt, Bundesrepublik Deutschland nun ein Zustimmungsver- soziale Gerechtigkeit sowie Menschen- und Arbeitsrech- fahren durchführen, unabhängig jedweder Bedenken. Als te zu befördern und Menschenhandel zu verhindern. An Alternative würde nur die Kündigung der IAO-Verfas- dieser wichtigen Aufgabe hat sich knapp 100 Jahre nach sung in Betracht kommen. Dies ist weder wünschenswert der Gründung der IAO überhaupt nichts geändert. Im Ge- noch eine realistische Perspektive. genteil – neue Entwicklungen, wie die Digitalisierung, machen sie wichtiger denn je. Eine Gefahr, dass ein veraltetes Übereinkommen ge- gen den Willen von Mitgliedstaaten aufgehoben werden Die Internationale Arbeitsorganisation hat seit 1919 kann, ist äußert gering. Zum einen können nur Überein- erheblich dazu beigetragen, dass im internationalen kommen aufgehoben werden, die sich als grundsätzlich Arbeitsrecht wichtige Normen gesetzt werden konn- ten. Beispielsweise hat das erste IAO-Übereinkommen Risiken sind benannt. Aber es besteht auch die Chance, Obergrenzen für die Länge von Arbeitstag und Arbeits- das internationale Arbeitsrecht transparenter und damit woche in der Industrie defniert. Inzwischen gibt es fast auch wirkungsvoller zu gestalten. Wir hoffen sehr, dass 190 solcher IAO-Konventionen, die sich unter anderem sowohl der IAO-Verwaltungsrat als auch die Allgemei- mit dem Mindestalter von Beschäftigten, mit der Versi- cherung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, mit ne Konferenz sehr verantwortungsvoll handeln werden. den Rechten von Seeleuten oder von Migrantinnen und Gleichzeitig fordern wir die Bundesregierung auf, sich Migranten befassen oder mit dem Gesundheitsschutz am intensiv an weiteren Übereinkommen zu beteiligen. Arbeitsplatz. Deshalb muss die IAO weiterhin unterstützt Denn es gibt nicht nur in Entwicklungsländern, sondern und gestärkt werden. auch in den Industriestaaten noch erhebliche Defzite bei Der IAO-Verwaltungsrat hat nun die Möglichkeit, den Arbeitsbedingungen und im Bereich der sozialen Si- einzelne Übereinkommen außer Kraft zu setzen. Die cherheit.

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