Plenarprotokoll 16/38

Deutscher

Stenografischer Bericht

38. Sitzung

Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006

Inhalt:

Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeord- in Verbindung mit neten ...... 3471 B Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- b) Einzelplan 20 nung ...... 3471 B Bundesrechnungshof (Drucksache 16/1324) ...... 3472 B Tagesordnungspunkt I: Jürgen Koppelin (FDP) ...... 3472 C a) Zweite Beratung des von der Bundesregie- (Erfurt) (SPD) ...... 3475 D rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) ...... 3479 B zes über die Feststellung des Bundes- haushaltsplans für das Haushaltsjahr Steffen Kampeter (CDU/CSU) ...... 3481 C 2006 (Haushaltsgesetz 2006) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 3485 D (Drucksachen 16/750, 16/1348) ...... 3471 B Peer Steinbrück, Bundesminister BMF . . . . . 3489 A b) Beschlussempfehlung des Haushaltsaus- schusses zu der Unterrichtung durch die Dr. (FDP) ...... 3491 C Bundesregierung: Finanzplan des Bun- Dr. (DIE LINKE) ...... 3495 A des 2005 bis 2009 (Drucksachen 16/751, 16/1348, 16/1327) 3471 C Dr. (FDP) ...... 3495 C (CDU/CSU) ...... 1 Einzelplan 01 3497 B Dr. Hermann Otto Solms (FDP) ...... 3498 B Bundespräsident und Bundespräsidial- amt Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) ...... 3499 C (Drucksachen 16/1301, 16/1324) ...... 3471 D (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 2 Einzelplan 02 3501 B Jörg-Otto Spiller (SPD) ...... 3502 A Deutscher Bundestag (Drucksachen 16/1302, 16/1324) ...... 3472 A (FDP) ...... 3502 C (CDU/CSU) ...... 3 Einzelplan 03 3504 A (Hildesheim) (SPD) . . . 3505 D Bundesrat (Drucksachen 16/1303, 16/1324) ...... 3472 A Norbert Königshofen (CDU/CSU) ...... 3506 D

4 a) Einzelplan 08 5 a) Einzelplan 07 Bundesministerium der Finanzen Bundesministerium der Justiz (Drucksachen 16/1308, 16/1324) . . . . 3472 B (Drucksachen 16/1307, 16/1324) . . . . 3508 D II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. , Dienstag, den 20. Juni 2006

b) Einzelplan 19 (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 3519 D Bundesverfassungsgericht (Drucksache 16/1324) ...... 3509 A , Bundesministerin BMJ . . . . 3520 B c) Erste Beratung des von der Bundesregie- Mechthild Dyckmans (FDP) ...... 3520 D rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Umsetzung europäischer Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU) ...... 3522 A Richtlinien zur Verwirklichung des (Köln) (BÜNDNIS 90/ Grundsatzes der Gleichbehandlung DIE GRÜNEN) ...... 3524 B (Drucksachen 16/1780, 16/1852) . . . . 3509 A (CDU/CSU) ...... 3525 C d) Erste Beratung des von der Fraktion der LINKEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Nächste Sitzung ...... 3527 D Schuldrechtsanpassungsgesetzes (Drucksache 16/1736) ...... 3509 A Berichtigungen ...... 3528 A e) Antrag der Abgeordneten Jerzy Montag, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, und weiterer Abgeordneter: Anlage 1 Richtlinie zur Vorratsdatenspeiche- Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 3529 A rung durch den Europäischen Ge- richtshof prüfen lassen (Drucksache 16/1622) ...... 3509 B Anlage 2 Zu Protokoll gegebener Redeteil zur Bera- in Verbindung mit tung: – Einzelplan 07, Bundesministerium der Zusatztagesordnungspunkt 1: Justiz Antrag der Fraktion der FDP: Bürokratie – Einzelplan 19, Bundesverfassungsgericht schützt nicht vor Diskriminierung – Allge- – Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung meines Gleichbehandlungsgesetz ist der europäischer Richtlinien zur Verwirkli- falsche Weg chung des Grundsatzes der Gleichbehand- (Drucksache 16/1861) ...... 3509 B lung Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) . 3509 C – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des () (SPD) ...... 3511 A Schuldrechtsanpassungsgesetzes Wolfgang Nešković (DIE LINKE) ...... 3512 C – Antrag: Richtlinie zur Vorratsdatenspei- cherung durch den Europäischen Gerichts- Dr. Ole Schröder (CDU/CSU) ...... 3515 A hof prüfen lassen Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ – Antrag: Bürokratie schützt nicht vor Dis- DIE GRÜNEN) ...... 3516 D kriminierung – Allgemeines Gleichbe- Brigitte Zypries, Bundesministerin BMJ . . . . 3518 A handlungsgesetz ist der falsche Weg Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ (Tagesordnungspunkt I.5 a bis e, Zusatztages- DIE GRÜNEN) ...... 3518 B ordnungspunkt 1) Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) ...... 3519 A Brigitte Zypries, Bundesministerin BMJ . . . . 3529 D Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006 3471

(A) (C) Redetext

38. Sitzung

Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006

Beginn: 10.30 Uhr

Präsident Dr. : Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Die Sitzung ist eröffnet. Haushaltsjahr 2006 Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle (Haushaltsgesetz 2006) sehr herzlich und wünsche uns ebenso intensive wie – Drucksachen 16/750, 16/1348 – konstruktive Beratungen. Die Haushaltswoche des Deut- schen Bundestages gilt im Allgemeinen als ein Höhe- b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haus- punkt des parlamentarischen Jahres. In diesem Jahr wird haltsausschusses (8. Ausschuss) zu der Unterrich- sie voraussichtlich die Aufmerksamkeit mit einem ande- tung durch die Bundesregierung ren bedeutenden Ereignis teilen müssen, das in der deut- schen Öffentlichkeit ähnlich große Begeisterung zu er- Finanzplan des Bundes 2005 bis 2009 zeugen scheint wie die Einnahmen und Ausgaben des Bundeshaushaltes. Deswegen könnte es ganz gewiss – Drucksachen 16/751, 16/1348, 16/1327 – (B) nicht schaden, wenn die Begabung zu einem fröhlichen (D) Patriotismus, die das Land in diesen Tagen entdeckt zu Berichterstattung: haben scheint, auch in dieser Debatte ihren Niederschlag Abgeordnete Otto Fricke finden könnte. Steffen Kampeter Carsten Schneider (Erfurt) Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich ein paar Dr. Gesine Lötzsch Mitteilungen zu machen. Der Kollege Volker Anja Hajduk Blumentritt feierte am 16. Juni seinen 60. Geburtstag. Im Namen des ganzen Hauses gratuliere ich nachträglich Wir kommen nun zur Beratung der Einzelpläne, und herzlich und wünsche alles Gute. zwar zunächst der drei Einzelpläne, zu denen nach Ver- einbarung der Fraktionen keine Aussprache vorgesehen (Beifall) ist. Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Tagesordnung um die Beratung des Antrags der FDP- Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.1 auf: Fraktion mit dem Titel „Bürokratie schützt nicht vor Einzelplan 01 Diskriminierung – Allgemeines Gleichbehandlungsge- setz ist der falsche Weg“ zu erweitern. Bundespräsident und Bundespräsidialamt (Beifall bei der FDP – Dr. Guido Westerwelle – Drucksachen 16/1301, 16/1324 – [FDP]: Ein toller Titel! Ein intelligenter An- trag, Herr Präsident!) Berichterstattung: Abgeordnete – Und wie ich den jetzt vorgetragen habe, Herr Vorsit- Klaas Hübner zender! – Die Vorlage soll beim Einzelplan 07 – Bundes- Jürgen Koppelin ministerium der Justiz – aufgerufen werden. Sind Sie da- Dr. mit einverstanden? – Das ist offenkundig der Fall. Dann Anja Hajduk ist das so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte I. a und b auf: Wer stimmt für den Einzelplan 01 in der Ausschuss- fassung? – Wer möchte dagegen stimmen? – Wer a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung möchte sich der Stimme enthalten? – Der Einzelplan 01 eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die ist einstimmig angenommen. 3472 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.2 auf: den vorgesehen. – Dazu höre ich keinen Widerspruch. (C) Also ist das so beschlossen. Einzelplan 02 Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu- Deutscher Bundestag nächst dem Kollegen Jürgen Koppelin für die FDP-Frak- – Drucksachen 16/1302, 16/1324 – tion. Berichterstattung: (Beifall bei der FDP) Abgeordnete Jürgen Koppelin Norbert Königshofen Jürgen Koppelin (FDP): Gunter Weißgerber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Dr. Gesine Lötzsch dieser Woche soll nun endlich nach wochenlanger Bera- Anja Hajduk tung der vom Bundesfinanzminister eingebrachte Bun- Wer stimmt für den Einzelplan 02 in der Ausschuss- deshaushalt 2006 beschlossen werden. Es gibt keinen fassung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich der Grund zur Freude über diesen Bundeshaushalt. Mit Stimme? – Damit ist auch der Einzelplan 02 einstimmig 38,2 Milliarden Euro liegt die Neuverschuldung um angenommen. 7 Milliarden Euro höher als 2005, als Rot-Grün noch re- gierte. Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.3 auf: (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ Einzelplan 03 DIE GRÜNEN]: Da können Sie mal sehen, wie gut das alles unter Rot-Grün war! – La- Bundesrat chen bei Abgeordneten der CDU/CSU) – Drucksachen 16/1303, 16/1324 – Jetzt verantwortet Rot-Schwarz diesen Haushalt und Berichterstattung: diese hohe Neuverschuldung. Abgeordnete Otto Fricke (Beifall bei der FDP) Johannes Kahrs Zukünftig – so wollen es SPD und Union – soll die Dr. Dietmar Bartsch notwendige Reduzierung der Neuverschuldung – wir Alexander Bonde sind uns darüber einig, dass es eine Reduzierung der Neuverschuldung geben muss – im Wesentlichen über Wer für den Einzelplan 03 in der Ausschussfassung ein gigantisches Steuererhöhungsprogramm erfolgen. stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Möchte je- (B) Das bringt dem Staat zwar mehr Geld, bremst aber die (D) mand dagegen stimmen? – Möchte sich jemand der Konjunktur und belastet die Bürger und die Unterneh- Stimme enthalten? – Bei Stimmenthaltung der Fraktion men. Die Linke ist auch dieser Einzelplan mit hinreichender Mehrheit angenommen. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.4 auf: NEN]) a) Einzelplan 08 Die Hoffnung, dass die Koalition unserem Land wie- Bundesministerium der Finanzen der Wachstum bringt und damit auch den Bundesetat aus der Krise holt, wird sich mit dem Haushalt der rot- – Drucksachen 16/1308, 16/1324 – schwarzen Koalition nicht erfüllen. Was ist vom Satz der Berichterstattung: Bundeskanzlerin „Wir werden es grundlegend anders Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme machen, damit es grundlegend besser wird in Deutsch- Bernhard Brinkmann (Hildesheim) land“ übrig geblieben? Für den Bundeshaltshalt, Frau Ulrike Flach Kanzlerin, trifft das jedenfalls nicht zu. Der Haushalt Dr. Gesine Lötzsch 2006, jetzt in Ihrer Verantwortung, ist noch schlechter Anja Hajduk als der Haushalt 2005. Damals – das wiederhole ich – hatte Rot-Grün die Verantwortung. b) Einzelplan 20 (Beifall bei der FDP) Bundesrechnungshof Der Bundeshaushalt 2006 ist verfassungswidrig und – Drucksache 16/1324 – setzt den Verfassungsbruch der letzten vier Jahre fort. Angesichts einer konjunkturellen Erholung und des von Berichterstattung: der Bundesregierung erwarteten Wachstums kann doch Abgeordnete nicht erneut die Ausnahmeregelung des Art. 115 des Petra Merkel (Berlin) Grundgesetzes herangezogen werden. Otto Fricke (Otto Fricke [FDP]: Sehr wahr!) Anja Hajduk Sie begründen das mit der schwachen Binnennachfrage. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Wenn Sie eine schwache Binnennachfrage feststellen, die Aussprache zu diesen beiden Einzelplänen drei Stun- dann müssen Sie sich doch fragen, wieso Sie eine Mehr- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006 3473

Jürgen Koppelin (A) wertsteuererhöhung durchführen, da die Binnennach- kürzungen in Höhe von 100 Millionen Euro – um genau (C) frage dadurch noch einmal geschwächt wird. diesen Betrag haben die Haushälter Kürzungen vorge- nommen – seien der große Wurf? Sie haben Monate der (Beifall bei der FDP) Beratung benötigt, um in einem Etat von 261 Milliarden Der Bundesfinanzminister hat in den letzten Wochen, Euro 100 Millionen Euro einzusparen. Das, was Sie uns auch im Bundesrat, in seiner eigenen Art die Haushalts- hier vorlegen, ist ein Armutszeugnis. politik der rot-schwarzen Koalition dargestellt. Er hat (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ versucht, die hohe Neuverschuldung und das gigantische DIE GRÜNEN) Steuererhöhungsprogramm der Koalition zu begründen. Herr Bundesfinanzminister, wer von unseren Bürgern Wenn wir das Ergebnis, das Sie uns heute präsentieren, soll Ihnen Ihre Argumente abnehmen? Wer soll Ihnen bereits im Februar gekannt hätten, dann hätten wir den das jetzt glauben? Haushalt bereits damals beschließen können. Dafür hät- ten wir nicht monatelang beraten müssen. Vor der Bundestagswahl haben die Sozialdemokraten und auch Sie sich massiv gegen eine Mehrwertsteuer- (Beifall bei der FDP) erhöhung gewandt. Wählt SPD, dann verhindert ihr eine Mehrwertsteuererhöhung – das war eines der Hauptargu- Das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts hat die rot- mente der Sozialdemokraten im Wahlkampf. Viele Bür- schwarze Koalition völlig aus den Augen verloren. Statt- ger – nach meiner Auffassung: zu viele Bürger – haben dessen wird die Schuldenlast des Bundes kräftig erhöht. Ihnen geglaubt und SPD gewählt. Nun, nach wenigen Die Nettoneuverschuldung im Bundeshaushalt 2006 in Monaten, erzählen die SPD und Sie, Herr Bundesfinanz- Höhe von mehr als 38 Milliarden Euro sei „ausgespro- minister, genau das Gegenteil. Wer soll Ihnen noch glau- chen hoch“, erklärte der haushaltspolitische Sprecher der ben? Union, Steffen Kampeter. Das ist wohl wahr. Aber die Union hat bei den Haushaltsberatungen nichts dagegen (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Anja Hajduk unternommen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist Hatte die SPD vor der Bundestagswahl mit ihren Ar- falsch!) gumenten Recht oder hat sie nach der Bundestagswahl und nennt das nun plötzlich, so wiederum der Kollege Recht? Darüber müssen Sie uns doch eigentlich einmal Kampeter, „einen erfolgreichen Start für die große Ko- aufklären. Ich sage Ihnen ganz offen, Herr Bundes- alition“. Über 38 Milliarden Euro neue Schulden! Und finanzminister, dass mich das ein bisschen an das alte da wagt es die Koalition, von diesem Bundeshaushalt als Lied erinnert, das es früher in der DDR gegeben hat: Die einem soliden Zahlenwerk mit angemessener Risikovor- (B) Partei hat immer Recht. – Das scheint das Motto der So- (D) sorge zu sprechen! Das, was Sie uns vorlegen, ist einfach zialdemokraten zu sein: Heute entscheiden wir so, mor- peinlich. Damit stellen Sie sich ein Armutszeugnis aus. gen so und die Partei hat immer Recht. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Wo trifft die Koalition eigentlich Vorsorge für die be- Dies hat die Politik in Verruf gebracht hat und sorgt stehenden Risiken, zum Beispiel im Hinblick auf das dafür – das erleben wir an manchen Wahlabenden –, dass Arbeitslosengeld II? Fehlanzeige! Dabei hat sogar der die Menschen nicht mehr zur Wahl gehen. Sie sind par- Bundesfinanzminister wörtlich erklärt: „Ich bin von Ri- teienverdrossen, und zwar auch und besonders durch siken umzingelt.“ Das mag so sein. Wenn ich die Tages- Ihre Politik. Kommen Sie bitte nicht mit dem Argument zeitungen lese, habe ich hin und wieder den Eindruck, – die Kanzlerin macht das auch –, die Wählerinnen und dass er, wenn er von „Risiken“ spricht, nicht nur die Wähler in Deutschland hätten diese Koalition und diese Haushaltsrisiken, sondern auch die Koalitionsfraktionen Politik gewollt. Kein Wähler der Sozialdemokraten hat meint. gewollt, dass Sie in einer Koalition mit der CDU/CSU eine Mehrwertsteuererhöhung um 3 Prozentpunkte (Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP) durchführen. Zu den Risiken des Bundeshaushalts – auch darauf (Beifall bei der FDP) will ich hinweisen; denn das ist bisher noch nicht deut- lich genug gesagt geworden – gehört auch die steigende Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Koalition ist zu Zinslast, die wir berücksichtigen müssen. Kollege einem Kartell der Abkassierer geworden. Zu mehr sind Meister hat gestern erklärt, er sehe große Risiken für den Sie, wie der vorliegende Bundeshaushalt zeigt, nicht fä- Bundeshaushalt. Da sowohl der Bundesfinanzminister hig. als auch der Kollege Meister von der Union von Risiken Die beispiellosen Steuererhöhungen werden seitens sprechen, frage ich mich: Wie können Sie es wagen, uns des Bundesfinanzministers damit begründet, dass die öf- einen solch unsoliden Haushalt vorzulegen? Das ist nicht fentlichen Haushalte ohne diese Maßnahmen zerreißen zu verantworten. würden. Doch das ist nur dann richtig, wenn man nicht (Beifall bei der FDP) bereit ist – dazu ist er und ist die Koalition nicht bereit –, auch bei den Ausgaben stärker zu kürzen. Ausgabenkür- Die CDU/CSU hat sich gegenüber dem Bundes- zungen? Fehlanzeige. Dazu hat die Koalition nicht die finanzminister, der einen typischen SPD-Haushalt vor- Kraft gehabt. Oder wollen Sie etwa sagen, Ausgaben- gelegt hat, nicht durchsetzen können. Das ist das Ergeb- 3474 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006

Jürgen Koppelin (A) nis der Haushaltsberatungen. Anders als die Koalition gungsetat auf den Prüfstand gestellt. Einsparvolumen: (C) hat die FDP in ihren mehr als 500 Anträgen aufgezeigt, 400 Millionen Euro. Die Union sollte sich die Anträge wie der Bundeshaushalt um 8,3 Milliarden Euro entlastet anschauen, die sie gestellt hat, als sie noch in der Oppo- werden könnte. sition war: Da hat sie die gleichen Anträge gestellt wie wir als FDP jetzt. (Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Masse statt Klasse! – Gegenruf des Abg. Otto (Iris Gleicke [SPD]: Was für eine Überra- Fricke [FDP]: Nein, Herr Kollege! Masse und schung! Das heißt, der FDP ist nichts Eigenes Klasse!) eingefallen!) Dann könnten auch die Vorgaben des Maastrichtvertra- Ein Einsparvolumen von 400 Millionen Euro ist schon ges endlich wieder erfüllt werden. Diese 500 Anträge, etwas anderes als die popeligen 100 Millionen Euro, die die wir eingebracht haben, Sie, Kollege Meister, uns hier heute präsentieren. (Der Abgeordnete hält ein Schriftstück hoch – (Beifall bei der FDP) Beifall bei der FDP – Zurufe von der SPD: Oh, Mit unseren Anträgen, mit unseren Entlastungsvor- oh!) schlägen, wäre ein erster großer Schritt in Richtung ei- haben Sie in Bausch und Bogen abgelehnt. Die Opposi- nes soliden Haushalts und mehr Glaubwürdigkeit getan tionsfraktionen haben insgesamt über 1 000 Anträge ge- worden. Eine Wende wäre eingeleitet worden, damit stellt, die Sie abgelehnt haben. man den Haushalt 2007 vernünftig aufbauen kann. Sie haben diese Chance vertan. Und dann legen Sie noch ein (Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: schuldenfinanziertes Konjunkturprogramm auf! Dabei Aber das haben Sie doch vorher gewusst! Da- lehrt doch die Vergangenheit, dass solche Programme rum haben Sie so viele Anträge gestellt!) – wenn überhaupt – kurzzeitige Strohfeuer sind. Was Der Kollege Meister hat in der Debatte zur Regie- von Ihrem Konjunkturprogramm bleibt, sind bloß noch rungserklärung der Kanzlerin am 1. Dezember 2005 er- mehr Schulden. Wissen Sie: Ihr Konjunkturprogramm klärt, die Union biete den Freien Demokraten an, ihre erinnert mich an den Versuch, mit einem Gummiband Anträge sehr sorgfältig zu prüfen und sie, wenn sie als eine Rakete zum Mond zu schießen – mehr ist es nicht. solide beurteilt würden, auch zu übernehmen. ( [CDU/CSU]: Zum Mond wol- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Tja, ein sol- len wir gar nicht!) cher Antrag war nicht dabei!) Dreh- und Angelpunkt auch für diesen Bundeshaus- Kollege Meister, ich frage Sie: Haben sie unsere Anträge halt ist der Arbeitsmarkt. Solange es 4,5 Millionen Ar- (B) (D) wirklich sorgfältig geprüft? beitslose gibt, Menschen Angst um ihren Arbeitsplatz haben, kann die Binnenkonjunktur nicht anspringen. (Dr. [CDU/CSU]: Ja!) Doch wie können arbeitslose Menschen in unserem – Er nickt; vielen Dank. – Ich muss Ihnen sagen: Unter Land wieder einen Arbeitsplatz bekommen? Wohl kaum den mehr als 500 Anträgen, die wir gestellt haben, waren – das sage ich in Richtung Union – mit dem von Rot- über 50 Anträge, die die Union bei der Beratung des Schwarz beschlossenen Gebäudesanierungsprogramm letzten Haushalts, also in der Zeit, als sie in der Opposi- oder der verbesserten Absetzbarkeit von Handwerker- tion war, selbst gestellt hat; ich gebe zu, dass wir das rechnungen. auch getan haben, um Sie zu testen. Auch diese Anträge (Steffen Kampeter [CDU/CSU], an die FDP haben Sie abgelehnt. gewandt: Was hat er jetzt dagegen? Ich bin ge- (Beifall bei der FDP) spannt, wie das bei euren Handwerkern an- kommt!) Kollege Meister, ich muss doch davon ausgehen, dass die Anträge, die Sie damals gestellt haben, von Ihnen Erst recht nicht gibt es neue Arbeitsplätze, Kollege überprüft und als solide beurteilt worden sind; denn Kampeter, wenn man die Steuern so drastisch erhöht, sonst hätten Sie sie nicht eingebracht. Zumindest diese wie Sie das gemacht haben. Anträge müssten also solide sein, sodass Sie sie hätten Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer die öffentlichen übernehmen können. Aber das haben Sie nicht getan. Sie Haushalte konsolidieren will, wer neue Arbeitsplätze haben im Rahmen der Haushaltsberatungen all unsere schaffen will, wer die Einnahmequellen der Sozialversi- Anträge, auch die, die Originalanträgen der Union glei- cherungen sichern will, der muss für mehr Wachstum in chen, abgelehnt. unserem Land sorgen. Mit einer Erhöhung der Abgaben- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in unse- last wird das Wachstum aber nicht gefördert, sondern ge- ren Anträgen, allein was den Subventionsabbau betrifft, bremst. Deswegen ist das Konzept der Koalition falsch Vorschläge gemacht, durch die 1 Milliarde Euro einge- angelegt. Dass es anders geht, haben doch die 80er-Jahre spart werden könnten. Die Koalition hat das abgelehnt. gezeigt; damals war die Haushaltslage ähnlich prekär. Wir haben eine Kürzung der Verwaltungsausgaben von Anscheinend muss man Sie daran erinnern, dass es einen 10 Prozent – nur 10 Prozent! – vorgeschlagen; das Bundesfinanzminister Stoltenberg von der Union gege- brächte bereits 800 Millionen Euro. Die Koalition hat ben hat, der gesagt hat: Ich spare ein – die Steuern wer- das abgelehnt. Wir haben, weil wir das für notwendig er- den auf keinen Fall erhöht! – Diese Strategie ist damals achten, auch Beschaffungsmaßnahmen im Verteidi- aufgegangen und die Lage hat sich von Jahr zu Jahr Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006 3475

Jürgen Koppelin (A) verbessert. Es ist traurig, dass man die Union heute da- chen? Wir, die Opposition, bestimmt nicht. Wenn sie so- (C) ran erinnern muss. lide ist, werden wir Sie dabei unterstützen. (Beifall bei der FDP) Die Abkehr der Union von ihren eigenen haushalts- politischen Forderungen der vergangenen Jahre ist bei- Heute nutzt die Union ihre Macht nur noch, um mit spiellos. Es muss etwas geschehen, aber wir von der den Sozialdemokraten zusammen an der Steuerschraube Union dürfen mit Rücksicht auf unseren Koalitions- zu drehen. Sie vergessen völlig: Was der Staat gewinnt, partner SPD nichts ändern – das ist das Motto der das verlieren seine Bürger. Bei der Union hat der Aus- Regierungspolitik der Union geworden. Dieser Bundes- spruch von Franz Müntefering Einzug gehalten, dass der haushalt ist ein Beispiel dafür. Wenn Sie diesen Bundes- Staat besser mit dem Geld umgehen kann als die Bürger. haushalt 2006 beschließen, dann ist wieder ein Jahr zur Das scheint jetzt auch das Motto der Union zu werden. Neuausrichtung des Bundeshaushaltes, das wir dringend Generell ist festzustellen, dass sich die Haushaltspoli- gebraucht hätten, vertan worden. tik von Union und SPD nur darauf konzentriert, wie man Es tut mir Leid, aber ich muss es so deutlich sagen: durch Abkassieren beim Bürger zu noch mehr Einnah- Dieser Bundeshaushalt 2006 erinnert mich an den Gam- men kommen kann. Es geht Ihnen nicht darum, die Aus- melfleischskandal: Er wurde neu verpackt, umetikettiert gaben zu reduzieren. Deshalb geht das größte Risiko für und als frisch angeboten. Er bleibt aber das, was er bis- die deutsche Konjunktur und letzten Endes für die Bür- her schon war: Gammel. Mit diesem Haushalt 2006 le- ger und die Unternehmen nach unserer Auffassung von gen Sie uns hier heute Gammel vor. dieser Koalition aus. (Iris Gleicke [SPD]: Das wird auch durch Wie- (Beifall bei der FDP) derholung nicht richtiger!) Sie reden in der Koalition davon – der Bundeswirt- Sie werden verstehen, dass Sie die Zustimmung der schaftsminister macht es; auch die anderen Minister ma- Freien Demokraten dafür nicht bekommen können. chen es –, dass mit Ihrer Politik Licht am Ende des Tun- nels zu sehen sei. Ich stelle für die FDP fest, dass die In Richtung des Herrn Bundesfinanzministers sage ich: Reden Sie zukünftig nicht davon, zu Ihrer Politik Koalition mit ihrer Politik alles, aber auch alles daran- gebe es keine Alternative! Es ist zwar eigentlich ein trau- setzt, um den Tunnel zu verlängern. Dabei denke ich riger Anlass, aber es ist mir trotzdem ein Vergnügen, Ih- zum Beispiel an die Vorstellungen – wenn man über- nen noch einmal das Sparbuch der Fraktion der Freien haupt von Vorstellungen sprechen kann –, die die Koali- Demokraten überreichen zu können, das über 500 An- tionsfraktionen in diesen Tagen im Hinblick auf eine Ge- träge enthält. sundheitsreform präsentieren. Das wird den Tunnel (B) verlängern. Dabei denke ich auch an die Vorverlegung (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (D) des Termins für die Fälligkeit der Sozialabgaben. Auch NEN]: Ein Telefonbuch? So groß ist die FDP das hat den Tunnel verlängert. Und ich denke an das gar nicht, dass das ein Telefonbuch sein Umfallen der CDU/CSU beim Antidiskriminierungsge- könnte! – Gegenruf des Abg. Dr. Guido setz. Diese Liste ließe sich fortsetzen. Westerwelle [FDP]: Größer als die Grünen!) Wir, Union und FDP, haben doch in der Opposition Schauen Sie einmal hinein, dann wissen Sie, dass Sie zusammen immer wieder auf die unsolide Haushaltspoli- hätten einsparen können. tik der Sozialdemokraten hingewiesen, ja wir sind sogar (Abg. Jürgen Koppelin [FDP] überreicht Bundes- zusammen vor das Bundesverfassungsgericht gezogen minister Steinbrück ein Schriftstück) und haben eine Klage eingereicht, die noch anhängig ist. Warum haben Sie von der Union das alles vergessen? Herzlichen Dank für Ihre Geduld. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Nichts haben (Beifall bei der FDP – Renate Künast [BÜND- wir vergessen, Kollege Koppelin, nichts!) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist auch eine Art, sein Büro aufzuräumen!) – Kollege Kampeter, Sie haben das alles vergessen. Ich finde, die Wählerinnen und Wähler der Union haben eine solche Haushaltspolitik nicht verdient; die übrigen Präsident Dr. Norbert Lammert: Bürger unseres Landes übrigens auch nicht. Das Wort hat nun der Kollege Carsten Schneider für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Es ist festzustellen: Die CDU/CSU hat sich gegen den der CDU/CSU) SPD-Finanzminister nicht durchsetzen können. Die Bundeskanzlerin hat kürzlich erklärt: Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Wort und Tat, Verkündung und Ergebnis müssen in Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! der Politik wieder zusammenpassen. Ferdinand Lassalle hat einmal gesagt: Das ist richtig. Warum machen Sie das dann nicht? Ihre Alle große politische Aktion besteht in dem Aus- Kanzlerin hat es Ihnen doch erlaubt; sonst hätte sie doch sprechen dessen, was ist, und beginnt damit. Alle nicht so gesprochen. Nein, Sie haben es nicht getan. Wer politische Kleingeisterei besteht in dem Verschwei- hindert Sie daran, eine solide Haushaltspolitik zu ma- gen und Bemänteln dessen, was ist. 3476 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006

Carsten Schneider (Erfurt) (A) Nun wollen wir uns als SPD und auch als große Koali- In diesem Jahr sind für den Bund zum Glück Steuer- (C) tion nicht der politischen Kleingeisterei schuldig ma- mehreinnahmen in Höhe von 4 Milliarden Euro zu ver- chen, sondern die große politische Aktion beginnen. Der zeichnen. Davon waren 2,5 Milliarden Euro bereits im Beschluss über den Bundeshaushalt 2006 nach der zwei- Regierungsentwurf eingeplant, sodass wir tatsächlich ten und dritten Lesung in dieser Woche wird dafür den nur noch über Mehreinnahmen in Höhe von 1,5 Milliar- Grundstein bilden. den Euro gegenüber dem Plan reden konnten. Diese ha- ben wir zur Deckung von Risiken und Einnahmeausfäl- Was ist? Ich denke, nach dem, was Herr Koppelin len eingesetzt. eben vorgetragen hat, ist es ganz erquicklich und erfri- schend, zu sehen, wie die Situation überhaupt ist. Neh- (Ulrike Flach [FDP]: Das glauben Sie doch men wir die Gesamtverschuldung des Bundes. Sie liegt selbst nicht!) – Stand: Februar 2006 – bei 890,8 Milliarden Euro. In der Zeit, in der die FDP an der Regierung beteiligt war Bei den Einnahmeausfällen ist zum einen der Aus- – das war von 1969 bis 1998 –, sind 711 Milliarden Euro steuerungsbetrag der Bundesagentur für Arbeit zu nen- davon angefallen. nen. Wir sind von Einnahmen in Höhe von 5,3 Milliar- den Euro ausgegangen, aber uns stehen nur 4 Milliarden (Dr. Hermann Otto Solms [FDP]: Was war in Euro zur Verfügung. Zum anderen konnten wir nur einen den letzten Jahren?) um 140 Millionen Euro verminderten Bundesbankge- winn etatisieren. Damit sind die Mehreinnahmen – hier – Herr Kollege Solms, in den letzten Jahren sind werden öfter Märchen erzählt – in das Gesamtpaket ein- 144 Milliarden Euro dazugekommen. Dazu stehe ich gearbeitet worden. Das heißt, für den Haushalt 2006 sind auch. Ich will nur sagen: Es gibt eine Gesamtverantwor- diese Einnahmen entsprechend veranschlagt und die tung aller hier vertretenen Parteien. Niemand kann sich Ausgaben entsprechend kalkuliert. Das heißt aber auch, hier vom Acker machen. dass wir für den Etat 2007 keine Entwarnung geben kön- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nen. der CDU/CSU) Sie haben in Ihrer Rede, Herr Koppelin, schon einige Nun komme ich zur Zinslast. Sie kritisieren, dass wir Reformen angesprochen, die wir in den nächsten Wo- in diesem Jahr eine Nettokreditaufnahme in Höhe von chen angehen werden. Ich nenne hier noch einmal die 38,2 Milliarden Euro haben. Die Zinslast beträgt aber Gesundheitsreform; ich nenne ferner die Föderalismus- ebenfalls circa 38 Milliarden Euro. Wenn Sie sich das reform für den Gesamtstaatsaufbau oder auch die wich- anschauen, dann erkennen Sie, dass wir die Nettokredit- tige Unternehmensteuerreform. Mit diesen Reformen hat (B) aufnahme in diesem Jahr nur benötigen, um die Zinsen der Haushalt eine gute Grundlage. (D) für die Schulden aus der Vergangenheit zu bezahlen. Da- Als Antwort auf die Frage: „Was ist?“ zitiere ich die bei ist noch keine Tilgung erfolgt. Mein politisches Ziel Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammer- als Abgeordneter ist es, dass wir einen Weg finden – ich tages vom 12. Juni 2006 zur Situation in Deutschland. glaube, mit diesem Haushalt und auch mit dem Haus- Nach dieser Umfrage seien die deutschen Unternehmen haltsbegleitgesetz, das wir vor einigen Wochen beschlos- so positiv gestimmt wie seit dem Wiedervereinigungs- sen haben, wird dies gelingen –, zu einem konsolidierten boom nicht mehr. Der Konjunkturaufschwung gewinne Staatshaushalt zu kommen, wodurch wir, so hoffe ich, in an Tempo und für 2006 sei mit einem Wirtschaftswachs- der nächsten Legislaturperiode auch einen ausgegliche- tum von 2 Prozent zu rechnen. Nicht nur der Export sei nen Haushalt erreichen werden. Wachstumstreiber, sondern nach und nach auch die Bin- (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des nennachfrage. Abg. Norbert Barthle [CDU/CSU]) Nun haben Sie gefragt, warum wir in diesem Jahr die Beim Bundeshaushalt haben wir eine strukturelle De- Mehrwertsteuer erhöhen würden. Das tun wir in die- ckungslücke von 50 Milliarden Euro. Das sind 20 Pro- sem Jahr doch gar nicht. Die Mehrwertsteuererhöhung zent der beschlossenen Gesamtausgaben in Höhe von ist für diesen Haushalt überhaupt nicht relevant, sondern 261 Milliarden Euro. Diese müssen durch die Nettokre- sie betrifft den Haushalt 2007. Wir haben uns bewusst ditaufnahme und durch Privatisierungserlöse finanziert dafür entschieden, mit dem Haushalt 2006 Schwung zu werden. Das zeigt: Nur durch eine Verbesserung der Ein- nehmen, um für 2007 die Auswirkungen der Mehrwert- nahmebasis oder allein durch Ausgabenkürzungen kann steuererhöhung, die sich in der Wirtschaft niederschla- man diesen Haushalt nicht konsolidieren. gen werden – die Bundesbank geht von einem halben bis dreiviertel Prozentpunkt weniger Wachstum für 2007, Herr Kollege Koppelin, wir tun daher beides: Wir aber auch von einem stärkeren Wachstum in diesem Jahr haben nicht nur die Nettokreditaufnahme um 100 Millio- aus –, abzumildern. nen Euro abgesenkt, sondern wir haben auch in enor- mem Maße umgeschichtet. Erkennbare Risiken, die auch Auf die Frage: „Was ist?“ muss man auch antworten, beim Vollzug dieses Haushalts auftreten – wir befinden dass die Bundesrepublik mit knapp 20 Prozent eine his- uns ja schon fast in der Jahresmitte –, haben wir verrin- torisch niedrige Steuerquote hat. Nur noch die Slowakei gert. liegt im europäischen Vergleich hinter der Bundesrepu- blik Deutschland. Für mich als Sozialdemokrat ist ent- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr richtig!) scheidend, dass wir nicht einen Nachtwächterstaat Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006 3477

Carsten Schneider (Erfurt) (A) haben, sondern dass der Staat auch soziale Sicherheit ge- 5 Millionen Euro zu erhöhen. Wir haben im Haushalts- (C) währleistet und die Angst vor Freiheit nimmt. begleitgesetz im Gegenzug zur Kürzung des Weih- nachtsgeldes die Sonderzahlung für Beamtinnen und Be- (Beifall des Abg. Dr. Guido Westerwelle amte der niedrigen Einkommensgruppen A 2 bis A 8 [FDP] – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Freud erhöht und wir haben im Bereich Wissenschaft und For- lässt grüßen!) schung insbesondere bei den Verpflichtungsermächti- – Entschuldigung, ich meine natürlich, dass er die Angst gungen die Mittel verstärkt. vor dem Verlust von sozialer Sicherheit nimmt. Sie wis- sen genau, was ich sagen will. Durch die soziale Sicher- Wir hatten uns als Koalitionsfraktion vorgenommen, heit muss der Staat jedem die Chance geben, wieder auf- die globalen Minderausgaben zu reduzieren. Das ist uns zustehen, wenn er fällt. im Einzelplan 60 um 300 Millionen Euro gelungen. Da- mit leisten wir einen Beitrag zur Haushaltswahrheit Ein anderer Zukunftsbereich, der uns wichtig ist, ist und -klarheit und zur Stärkung des Parlaments. Wir ha- das 6-Milliarden-Euro-Programm für Forschung und ben zudem in den Einzeletats die globalen Minderausga- Entwicklung zur Stärkung der Wissensgesellschaft. ben deutlich gekürzt. Diese Mittel sind in den Haushalt und die Finanzplanung eingestellt. Ich bin guter Dinge, dass diese Maßnahmen Zur strukturellen Verbesserung des Bundeshaushalts zusammen mit dem 25-Milliarden-Euro-Investitionspro- auch im Personalbereich haben wir die Stelleneinspa- gramm dazu führen werden, dass wir dank der positiven rung in Höhe von 1,9 Prozent, die die Regierung vorge- Konjunkturentwicklung, die sich erstmals seit langer sehen hatte, auf 2 Prozent erhöht. Das entspricht Zeit in den Beschäftigungszahlen widerspiegelt, 2007 220 Stellen im Bundeshaushalt und ist deutlich mehr als sowohl das Maastrichtkriterium hinsichtlich der Ver- die Zahl neuer Stellen, die durch die Regierungsneubil- schuldung als auch die Vorgaben aus Art. 115 des dung entstanden sind. Damit haben wir unsere Aufgabe Grundgesetzes, wonach die Summe der Investitionen als Haushälter, Kontrolle auszuüben und ein Gegenge- höher als die Nettokreditaufnahme sein muss, einhalten wicht darzustellen, wahrgenommen. werden. Wir haben die Investitionsausgaben auf dem Niveau (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gelassen, das von der Regierung vorgeschlagen wurde. der CDU/CSU) Wir haben einige Veränderungen vorgenommen. Insbe- sondere haben wir bei den Verpflichtungsermächtigun- Die Haushaltspläne für das Jahr 2007 werden von der gen im Rahmen des 25-Milliarden-Euro-Paketes wesent- Regierung noch verhandelt; da will ich mich nicht ein- liche Punkte konkretisiert. Ich denke dabei vor allen mischen. Aber ich möchte für meine Fraktion die Erwar- Dingen an den Verkehrsbereich, aber auch an einzelne (B) tung ausdrücken, dass der Koalitionsvertrag eingehalten Bereiche im Forschungsministerium. (D) wird. Ich habe keinen Zweifel daran, dass es dem Finanzminister gemeinsam mit der Bundeskanzlerin ge- Ein weiterer Punkt, den ich für einen entscheidenden lingt, für 2007 einen Haushalt aufzustellen, der sowohl Schritt hinsichtlich der Struktur des Bundeshaushaltes die Regelgrenze nach Art. 115 des Grundgesetzes als halte, mag zunächst abstrakt klingen. Bisher lagen die auch die Vorgaben der Europäischen Kommission hin- Pensionslasten, die für die Beamten des Bundes aufzu- sichtlich des Stabilitätspaktes einhält. bringen sind, in der Zuständigkeit des Bundesfinanzmi- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der nisters. Das heißt, die einzelnen Häuser waren nicht für CDU/CSU – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: die Finanzierung verantwortlich. Wir haben dieses Sys- Alles sehr artig hier!) tem umgestellt. Das Parlament hat sich an dieser Stelle gegen harten Widerstand durchgesetzt. Ab 2007 wird es Sie haben vorhin die Vorgaben zur Haushaltskonsoli- zum einen einen Pensionsfonds geben, mit dem für alle dierung und zur Verstärkung der Einnahmebasis kriti- ab 2007 neu eingestellten Beamten Vorsorge getroffen siert. Ich kann nur sagen: Die Europäische Kommission wird. Das ist für mich ein entscheidender Punkt auch für hat das Wachstumsprogramm, aber auch den Finanzbe- die nachhaltige Sicherung der öffentlichen Finanzen im richt, den wir der Kommission jährlich vorlegen Interesse zukünftiger Generationen. – schließlich läuft ein Defizitverfahren gegen uns –, be- grüßt und erklärt, dass insbesondere die Maßnahmen zur Wir haben des Weiteren vorgesehen, dass die Pen- Steuergesetzgebung, die wir hier im Deutschen Bundes- sionslasten bei den Ressorts veranschlagt werden. Das tag beschlossen haben – auch der Bundesrat hat diesem heißt, künftig ist jedes Ressort für die Pensionäre verant- Paket letzten Freitag zugestimmt –, konjunkturgerecht wortlich und muss deren Pensionen aus dem Etat finan- sind; da bin ich guter Dinge. zieren. Das hat meines Erachtens zur Folge, dass mit den öffentlichen Geldern – das heißt mit den Steuergeldern – Weil es wichtig ist, die Rahmendaten zu nennen, noch sachgerechter umgegangen wird. komme ich zu der Frage: Was haben wir in den Haus- haltsberatungen tatsächlich verändert? Hier sind einige (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Punkte für das Parlament besonders wichtig. Weil sich gute Politik auch gut verkauft, haben wir Ich nenne zum Beispiel den Wunsch, der von vielen die Mittel für Öffentlichkeitsarbeit um 10 Prozent bzw. Kollegen geäußert wurde, die Mittel für Maßnahmen im um 10 Millionen Euro gekürzt. Ich glaube, das würde Ih- Bereich der politischen Bildungsarbeit, bei denen die nen vonseiten der Opposition nie einfallen. Es steht den Regierung einige Kürzungen vorgesehen hat, um Ressorts frei, zu entscheiden, wie sie die Kürzungen 3478 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006

Carsten Schneider (Erfurt) (A) umsetzen werden. Ich denke, das ist ein Signal, dass das Zudem wollen Sie die Mittel für die Eingliederungs- (C) Parlament durchaus selbstbewusst ist. leistungen der aktiven Arbeitsmarktpolitik, die wir mit 6 Milliarden Euro etatisiert haben, um 3 Milliarden Euro (Zuruf von der FDP: Das ist doch Taschen- kürzen. Schönen Gruß nach Ostdeutschland! Denn spielerei!) 50 Prozent dieser Mittel fließen dorthin. Die Menschen Ich möchte gerne noch auf einen Punkt eingehen, der dort werden sich bedanken, dass Sie ihnen die letzte die Kritik der FDP-Fraktion betrifft. Kollege Koppelin Chance nehmen wollen. Ein weiteres Beispiel: Im Ver- hat eben noch einmal auf sein Maßnahmebündel verwie- teidigungsbereich werden Sie nur noch von der Links- sen. Er hat kritisiert – ich nehme an, Herr Westerwelle partei übertroffen, die die dafür vorgesehenen Mittel um wird das morgen noch einmal bestätigen –, dass die Net- 2,5 Milliarden Euro kürzen will. Aber darauf will ich tokreditaufnahme in diesem Jahr rund 38 Milliarden nicht näher eingehen. Euro beträgt und damit – das ist richtig – um rund Sie nennen als Beispiel für Kürzungsmöglichkeiten 16 Milliarden Euro über der Regelgrenze des Art. 115 ständig die Steinkohlesubventionen. Ich glaube, dass des Grundgesetzes liegt. Sie haben das als verfassungs- keine andere Subvention einer so starken Degression un- widrig bezeichnet. Ich habe dazu eine andere Auffas- terliegt wie die Steinkohlesubvention. sung: Wir machen von dem Ausnahmetatbestand des Art. 115 des Grundgesetzes Gebrauch. (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Es gab aber auch keine, die so hoch war!) Wenn es Ihnen wirklich um sachgerechte Opposi- tionsarbeit geht, dann frage ich Sie, wie Sie bei einer Sie sollten nicht vergessen, dass wir die bis 2009 gelten- Einsparung in Höhe von 8 Milliarden Euro, bei der die den rechtsverbindlichen Zuwendungsbescheide gar nicht Nettokreditaufnahme immer noch 30 Milliarden Euro ändern können. – Herr Westerwelle, Sie haben zugeru- betragen würde und die Investitionsausgaben bei fen, keine andere Subvention sei so hoch gewesen wie 22 Milliarden Euro verharren würden, begründen wol- die Steinkohlesubvention. Ich darf Sie daran erinnern, len, dass die auch dann bestehende Differenz von dass es ein Wirtschaftsminister der FDP war, der den 8 Milliarden Euro, um die die Nettokreditaufnahme die entsprechenden Vertrag unterschrieben hat. Das alles Investitionsausgaben überstiege, nicht verfassungswid- holt Sie nun wieder ein und hat dazu geführt, dass wir rig wäre. Ich glaube, es wird deutlich, dass die von Ihnen Ihre Vorschläge ablehnen mussten. vorgelegte Alternative absurd ist. Ich würde gerne dem (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten einen oder anderen Antrag zustimmen, wenn er denn der CDU/CSU – Dr. Guido Westerwelle sachgerecht wäre. Es ist mir aber aufgrund der Absurdi- [FDP]: Da waren Sie noch gar nicht geboren!) tät Ihrer Vorschläge im Rahmen der Haushaltsberatun- (B) gen nicht möglich gewesen. Ich nenne gerne ein paar Das Verhältnis des Bundes zu den Ländern halte ich (D) Beispiele, um es der Bevölkerung zu verdeutlichen. Sie persönlich für sehr wichtig. Es hat Auseinandersetzun- wollen die Beiträge für internationale Organisationen gen über die Regionalisierungsmittel gegeben. Ich bin um 2 Millionen Euro kürzen. Wir sind aber an dieser froh, dass wir nun einen Kompromiss gefunden haben, Stelle vertraglich gebunden. Sie wollen die Ausgaben im wiewohl ich sagen muss, dass es mir lieber gewesen Verteidigungsbereich um 1 Milliarde Euro kürzen. wäre, wenn wir den ursprünglichen Ansatz der Bundes- Schöne Grüße an alle Soldatinnen und Soldaten, die im regierung fortgeschrieben hätten. Bund und Länder ha- internationalen Bereich tätig sind! ben schließlich gemeinsam Verantwortung für diesen Staat. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Steffen Kampeter [CDU/ (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Oh ja!) CSU]: Pfui!) Wenn ich mir einen Ausblick auf 2007 erlaube und ins- Sie wollen bei der internationalen Krisenprävention besondere die Zinslast der einzelnen Körperschaften an- die Ausgaben um 3 Millionen Euro senken. Die Men- schaue, dann stelle ich fest, dass die Situation des Bun- schen in den Krisengebieten werden sich bedanken. des am schlechtesten ist. Das liegt daran, dass in den letzten Jahren im Vermittlungsausschuss ständig zulas- Sie wollen bei der Flug- und Gepäckkontrolle und der ten des Bundes verhandelt wurde. Fahrgastsicherheit Kürzungen in Höhe von 20 Millionen Euro vornehmen. Ist Ihnen nicht bekannt, Ich möchte noch einen anderen Punkt nennen, der nicht nur im Verhältnis zwischen Bund und Ländern, (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Nein, offen- sondern auch zwischen Ost und West eine maßgebliche bar nicht!) Rolle spielt. Das ist die Verwendung der Solidarpakt- dass sich die Sicherheitslage in der Bundesrepublik mittel durch die ostdeutschen Bundesländer. Wir werden Deutschland insbesondere seit dem 11. September 2001 diese Mittel – die reinen Bundesmittel beliefen sich im und vor dem Hintergrund der Fußballweltmeisterschaft, Jahr 2006 auf insgesamt 10 Milliarden Euro; die Bun- durch die wir im Fokus stehen, nachhaltig verändert hat? desländer haben dazu nichts gegeben – nicht kürzen. Das Dies alles scheint Ihnen nicht deutlich zu sein. Daher ist gut im Hinblick auf die Planungssicherheit und die verbuche ich Ihren Vorschlag unter „Heiteres und Weite- Tragfähigkeit der vom Deutschen Bundestag gefassten res“. Beschlüsse. Klar muss aber auch sein, dass diese Mittel tatsächlich für den Aufbau Ost und insbesondere für die (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Schließung der Lücke zwischen Ost und West verwendet Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006 3479

Carsten Schneider (Erfurt) (A) werden. Ich unterstütze daher ausdrücklich die Position kein Regierungsmitglied erhalten, wenn die Wähler ent- (C) des Bundesfinanzministers gegenüber dem einen oder scheiden könnten. anderen Ministerpräsidenten, egal welcher Couleur. Es (Beifall bei der LINKEN) ist wichtig, dass wir diese Mittel zum einen zum Schlie- ßen der Infrastrukturlücke und zum anderen für den Aus- Die Aufgabenstellung war klar: Die Bundesregierung gleich der unterproportionalen Finanzkraft der Kommu- war von den Wähler beauftragt, die Arbeitslosigkeit zu nen und für nichts anderes einsetzen. senken. Diese Aufgabe hat sie nicht erfüllt. Sie hat sich einfach andere Aufgaben gesucht, die ihnen keiner ge- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) stellt hat, zum Beispiel das SGB-II-Optimierungs- Denn alles andere führte dazu, dass die ostdeutschen gesetz. Herr Müntefering hat es als seine Aufgabe ange- Bundesländer, deren Haushalte sich schon jetzt in einer sehen, die Kosten für Hartz IV zu senken – allerdings bedrohlichen Schieflage befinden, 2009, wenn diese auf Kosten der Arbeitslosen. Dabei war es die eigentli- Mittel der Degression unterliegen, in eine Schuldenfalle che Aufgabenstellung, die Arbeitslosen nicht nur zu for- liefen. Um die Diskussion ein bisschen zu versachlichen, dern, sondern auch zu fördern. Aber was machen Herr mache ich darauf aufmerksam, dass man die Entwick- Müntefering und Herr Beck, der Parteivorsitzende der lung nicht einseitig den ostdeutschen Bundesländern SPD? Sie beklagen, obwohl sie es besser wissen, in einer vorwerfen darf. Sie leisten zwar eine gute Arbeit, sind unerträglich populistischen Art die angebliche Faulheit aber in besonderem Maße durch Abwanderung, die sich und Raffgier der Hartz-IV-Empfänger. Das ist unerträg- auch auf die Zuweisungen im Rahmen des Länderfi- lich und unerhört. Wir als Linke werden uns dagegen im- nanzausgleichs auswirkt, betroffen. Ich möchte in die- mer wehren. sem Zusammenhang ein paar Zahlen betreffend den (Beifall bei der LINKEN) Vollzug der Länderhaushalte nennen. So hat der Finanz- planungsrat vereinbart, dass die Haushaltsmittel nur um Denn man kann die Menschen noch so drangsalieren und 1 Prozent steigen dürfen. Tatsächlich wiesen die Haus- piesacken, sie werden keine Arbeitsplätze bekommen, halte der Stadtstaaten eine Steigerung von 2,4 Prozent wenn es nicht ausreichend Arbeitsplätze gibt. und die der westdeutschen Flächenländer eine Steige- rung von 1,7 Prozent auf, während die ostdeutschen Flä- Dieser Populismus gefällt einigen CDU- und SPD- chenländer ihre Haushaltsmittel um 0,7 Prozent zurück- Wählern, die sich an Stammtischen das Maul über die geführt haben. Arbeitslosen zerreißen. Es gibt also Licht und Schatten. Ich glaube, wir tun (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Ausgerechnet als Deutscher Bundestag gut daran, an dieser Stelle hart Sie sprechen von Populismus!) (B) zu bleiben. Wir sollten aber auch zur Kenntnis nehmen, Allerdings bringt uns das keinen Schritt weiter bei der (D) dass die Situation insbesondere in den ostdeutschen Schaffung von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen. Ich Bundesländern sehr schwierig ist. Wir sollten uns in der habe daraus übrigens gelernt, dass Populismus nicht ein zweiten Hälfte dieses Jahres mit diesem Thema noch Privileg von Oppositionsparteien ist. Er wird offensicht- einmal beschäftigen. Das liegt im Gesamtinteresse nicht lich auch von mittelgroßen Volksparteien genutzt, um nur des Deutschen Bundestages, sondern auch der Bun- Stimmung gegen Arbeitslose zu machen. desrepublik Deutschland; denn es wird uns nur gelingen, die binnenwirtschaftliche Situation zu verbessern und (Beifall bei der LINKEN) letztendlich das Zusammenwachsen von Ost und West Genauso populistisch finde ich es, wenn Herr zu befördern, wenn der Aufbau in den neuen Bundeslän- Müntefering behauptet, dass viele Arbeitslose Angebote dern sachgerecht fortgeführt wird und wenn es dafür ablehnen. Viele können aus ihren Abgeordnetensprech- weiterhin das Verständnis und die Solidarität der Men- stunden gegenteilige Beispiele erzählen. Ich sage Ihnen schen im Westen Deutschlands gibt. einmal eines aus meiner Sprechstunde: Da ist ein Mann Vielen Dank. – Anfang 40, mit Frau und Kindern –, der eine Umschu- lung zum Physiotherapeuten machen möchte. Er hat be- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) reits eine Einstellungszusage eines zukünftigen Arbeit- gebers, doch die Arbeitsagentur will die Ausbildung Präsident Dr. Norbert Lammert: nicht bezahlen. Sie bietet ihm dafür einen Job als Pizza- Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Gesine ausfahrer in Köln an. Das ist doch absurd; mit einer Lötzsch, Fraktion Die Linke. nachhaltigen Arbeitsmarktpolitik hat das nichts zu tun. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Herr Müntefering hat im Wahlkampf über Frau Merkel Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): geäußert: „Sie kann es nicht.“ Heute müssen wir feststel- Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine Damen und len: Er kann es auch nicht. Herren! Am 4. Juli gibt es an den Berliner Schulen (Beifall bei der LINKEN) Zeugnisse und die Empfehlung für die weiterführenden Schulen. Nach diesen Haushaltsberatungen komme ich, Finanzminister Steinbrück gehört zu denjenigen, die wie sicher auch viele Wähler, zu dem Schluss: Diese gerne etwas von Nachbarn abschreiben. Dumm ist nur, Bundesregierung ist stark versetzungsgefährdet. Eine wenn der Nachbar einen Fehler gemacht hat. Das fällt Empfehlung für die gymnasiale Oberstufe würde wohl dem Lehrer in der Regel auf. Herr Steinbrück hat von 3480 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006

Dr. Gesine Lötzsch (A) seinem Vorgänger, Herrn Eichel, abgeschrieben. Der (Iris Gleicke [SPD]: Den würde ich ja nun (C) hatte es nämlich in kürzester Zeit geschafft, auf Steuer- nicht als Kronzeugen heranziehen!) einnahmen in Höhe von mehr als 50 Milliarden Euro zu Er will die Mittel für Bildungsinvestitionen nutzen dür- verzichten. Damit hatte er die Hoffnung verbunden, dass fen. Wir brauchen im Osten nicht noch mehr Autobah- die Unternehmen, die von diesen Steuerreformen am nen, sondern Investitionen in die Köpfe, also in Schulen meisten profitierten, die gesparten Mittel in neue sozial- und Universitäten. Die Kriterien für die Vergabe der versicherungspflichtige Arbeitsplätze investieren wür- Mittel sind überholt. Doch es gibt eine breite Front von den. Das ist bekanntlich nicht passiert. Aber der aktuelle Personen, die diese Kriterien nicht ändern wollen. Sie Finanzminister macht den gleichen Fehler. Er hebt die haben nämlich kein Interesse daran, dass im Osten mehr Mehrwertsteuer ab dem 1. Januar 2007 um 3 Prozent- Geld in die Bildung gesteckt wird. punkte von 16 auf 19 Prozent an – die größte Steuer- erhöhung in der Geschichte der Bundesrepublik und ein Noch fataler ist allerdings die Abwesenheit des so ge- Griff in die Taschen der kleinen Leute. Pro Prozentpunkt nannten Ostministers bei der Föderalismusreform. Nur will der Finanzminister 8 Milliarden Euro einnehmen. so viel – wir werden nächste Woche ausführlich darüber Komischerweise wird die geplante Unternehmensteuer- diskutieren –: Ich habe den Eindruck, dass einige Minis- reform dieses Ministers die Steuerzahler ebenfalls terpräsidenten den Zug zur deutschen Einheit stoppen 8 Milliarden Euro kosten. Das heißt, die Einnahmen aus wollen, und das ist nicht sehr patriotisch, schon gar nicht einem Prozentpunkt Mehrwertsteuererhöhung fließen di- „fröhlich“, wie es der Präsident uns allen heute Morgen rekt an die Unternehmen. – Meine Damen und Herren, empfohlen hat. ich finde, jeder hat das Recht, Fehler zu machen. Doch wissentlich Fehler zu wiederholen, das ist schon beängs- Es gibt allerdings einen Erfolg, mit dem sich Herr tigend und ein Fall für den Schulpsychologen. Tiefensee gerne schmückt: Das ist die Angleichung des Ostniveaus des Arbeitslosengeldes II an das Westniveau. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Allerdings muss dieser Erfolg gerechterweise den Dr. Hermann Otto Solms [FDP]) Hartz-IV-Demonstranten zugestanden werden, die bei Wind und Wetter jeden Montag auf die Straße gegangen Minister Tiefensee ist schon deshalb versetzungsge- sind, um gegen diese Ungerechtigkeit zu demonstrieren. fährdet, weil ihn nie jemand gesehen hat. Ihnen gebührt meine Hochachtung. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie sind blind, Frau Lötzsch, absolut blind! Schauen (Beifall bei der LINKEN) Sie doch einmal zur Regierungsbank!) Der Finanzminister verteilt schon heute das Geld, das Der Aufbau Ost hat in dieser Legislaturperiode bisher er noch gar nicht hat. Er und die Familienministerin wol- (B) (D) noch nicht stattgefunden. In einem Interview mit Herrn len jedes Jahr 3,9 Milliarden Euro Erziehungsgeld zah- Tiefensee habe ich jetzt gelesen, dass er gerne im Ver- len. Es wird immer wieder gern erklärt – auch von Herrn borgenen arbeitet. Steinbrück –, dass die Steuergelder zielgenauer einge- setzt werden müssen, dass nur diejenigen Geld bekom- (Lachen bei der LINKEN) men sollen, die es dringend brauchen und sich selbst nicht helfen können. Da stimme ich zu. Doch beim Er- Doch das scheint nicht erfolgreich zu sein. ziehungsgeld ist es genau umgekehrt: Die Mütter, die auf (Beifall bei der LINKEN) das Erziehungsgeld angewiesen sind, bekommen weni- ger; die Mütter, die es nicht unbedingt brauchen, bekom- Der Finanzminister hat schon angekündigt, dass er men mehr. Bisher begann die Sozialauswahl in unserem Herrn Tiefensee in Zukunft 100 Millionen Euro für den Land erst nach der Grundschule. Dort wurde entschie- Aufbau Ost wegnehmen will. Das ist Geld, das für die den, wer auf das Gymnasium und wer auf die Haupt- Gemeinschaftsaufgabe in Ostdeutschland gebraucht schule kommt, wer also Gewinner oder Verlierer ist. Die wird. Ich habe auch gehört, dass sich der Ostbeauftragte Familienministerin will die Sozialauswahl schon vor der der Bundesregierung über die angebliche Verschwen- Geburt treffen. Das ist wirklich erschreckend. dung von Solidarpaktmitteln öffentlich beklagt. Ich halte das im Gegensatz zu meinem Vorredner für eine (Beifall bei der LINKEN – Iris Gleicke [SPD]: Anbiederei bei den Herren Koch und Stoiber. Es ist rich- So ein Quatsch! Das Babyjahr in der DDR ist tig: Mittel, die für Investitionen gedacht sind, sind in den auch nach dem Einkommen abgerechnet wor- konsumtiven Bereich geflossen, allerdings um die Erfül- den!) lung von Pflichtaufgaben der Länder und Kommunen Wenn die ganze Bundesregierung versetzungsgefähr- abzusichern. Der Osten verjubelt das Geld nicht. Die det ist, kann das nicht nur an den Schülern liegen. Dann Steuereinnahmen der neuen Länder und der Gemeinden muss man sich auch einmal die Frage stellen, was die in Ostdeutschland sind im Vergleich zu denen in den al- Lehrer denn falsch gemacht haben; nehmen wir einmal ten Ländern so niedrig, dass man dort nicht einmal mehr den Wirtschaftsweisen Rürup. Egal welche Regierung seine Pflichtaufgaben erfüllen kann. wir haben: Die falschen Konzepte kommen immer aus In Anbetracht der dramatischen Situation im Osten ist den gleichen Häusern. Ich erinnere an die Gesundheits- es ein Gebot der Vernunft, die Nutzung der Solidarpakt- reform 2004: Ziel war es, die Lohnnebenkosten und die mittel flexibler zu gestalten, so wie es übrigens auch der Beitragssätze der Krankenkassen auf Kosten der Bei- Ministerpräsident Thüringens, Herr Althaus von der tragszahler zu senken. Was ist passiert? Die Lohnneben- CDU, gefordert hat. kosten wurden nicht gesenkt; aber die Kassenbeiträge Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006 3481

Dr. Gesine Lötzsch (A) steigen und der Patient zahlt. Da muss man sich doch die Steffen Kampeter (CDU/CSU): (C) Frage stellen: Wie lange noch dürfen diese nicht gewähl- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und ten Experten ihre falschen Konzepte verkaufen? Herren! Die große Koalition hat sich drei zentrale Ziele im Bereich der Wirtschafts- und Sozialpolitik gesetzt: (Beifall bei der LINKEN) (Jürgen Koppelin [FDP]: Steuern erhöhen! Aber vielleicht interessieren sich die Mitglieder der Schulden erhöhen!) Bundesregierung gar nicht mehr dafür, ob die Reformen den Haushalt in Ordnung bringen, die Arbeitslosigkeit das Land wirklich weiterbringen, ob sie ihre Aufgaben senken und die sozialen Sicherungssysteme konsolidie- im Interesse der Wähler erfüllen. Vielleicht gibt es für ren. Das sind große Aufgaben. Wir wollen in dieser Wo- das eine oder andere Regierungsmitglied auch schon lu- che als große Koalition gemeinsam deutlich machen, krative Angebote aus der Wirtschaft, sodass sie auf die dass wir die Haushaltskonsolidierung mit Entschieden- Beurteilung der Wähler pfeifen können, wie es Altbun- heit angehen. Es gibt zu ihr keine Alternative. deskanzler Schröder getan hat. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Noch ein Wort zum Verlauf der Beratungen. Kein An- trag der Opposition bekam im Haushaltsausschuss eine Das Leitbild der großen Koalition ist dabei eine gene- Mehrheit; Herr Koppelin ist darauf schon eingegangen. rationengerechte Haushaltspolitik. Wir wollen keine ver- Das ist natürlich eine ideologiebetriebene Politik. Es meidbaren Lasten auf die nächsten Generationen wäl- kann und darf aus der Sicht von CDU/CSU und SPD zen. Dieses ehrgeizige Anliegen umzusetzen ist keine nicht sein, dass Oppositionspolitiker – in unserem Falle Aufgabe für einen Tag, sondern soll für die nächsten Le- sind es Linke – vernünftige Vorschläge machen. Wenn gislaturperioden unsere Leitlinie bleiben. Damit leistet die Regierungsfraktionen an diesen Vorschlägen nicht die Haushaltspolitik durch strikte Haushaltskonsolidie- vorbei können, dann werden die entsprechenden Anträge rung ihren Beitrag dazu, dass es unserem Land weiter trotzdem abgelehnt und diese Vorschläge werden über besser geht. eigene Anträge in die Beratungen eingebracht. Ist das (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – wirklich ein souveränes Verhalten oder ist das nicht eher Dr. Guido Westerwelle [FDP]: „Weiter besser kleinkariert und ein schlechtes Vorbild für diejenigen, geht“, bezieht sich das auf Rot-Grün?) die sich an den Diskussionen hier im Bundestag orientie- ren wollen? Kein Land hat eine wirtschaftliche Spitzenposition dauerhaft gehalten, das seinen Haushalt nicht konsoli- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Otto diert hat, das einen Haushalt vorgewiesen hat, der nicht Fricke [FDP]) in Ordnung war. (B) (D) In diesem Jahr werden mit dem Haushalt 260 Milliar- (Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP]) den Euro verteilt. Die Bundesregierung behauptet im Kein Sozialstaat kann es sich auf Dauer leisten, dass die gleichen Atemzug, dass es nichts mehr zu verteilen gibt. öffentlichen Finanzen nicht in Ordnung sind. Da liegt Das klingt unlogisch, ist es aber nicht. Es gibt zwar an eine enorme Aufgabe, die weit über die heutigen Haus- die Mehrheit nichts zu verteilen, aber – wie ich an eini- haltsberatungen hinausreicht. Sie wird von der großen gen Beispielen dargestellt habe –: Eine Minderheit wird Koalition angegangen. eher diskret bedient. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Wir als Linke schenken den Menschen reinen Wein neten der SPD) ein. Mit dem Haushalt 2006 und dem Finanzplan für die (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Na, na! Das Zeit bis 2009 geht die große Koalition einen ersten ist wohl die Spitze!) Schritt auf dem beschwerlichen Weg zu dauerhaft und nachhaltig konsolidierten Bundesfinanzen. Der erste Es ist genügend Geld da; es muss nur richtig verteilt Haushalt der großen Koalition ist Ergebnis eines kom- werden. plexen Vorgangs. Warum? Hierzu empfiehlt es sich, sich die haushalts- und finanzpolitische Lage zu Beginn der (Beifall bei der LINKEN) Koalitionsverhandlungen im vergangenen Oktober ins Das ist von dieser Regierung aber nicht zu erwarten. Gedächtnis zu rufen. Entscheidender Ausgangspunkt Deshalb werden wir den Haushalt ablehnen. war die gemeinsame Feststellung der Koalitionspartner, dass wir im Bundeshaushalt ein strukturelles Defizit Vielen Dank. von über 60 Milliarden Euro per annum haben. Um die Dimension dieser haushaltspolitischen Schieflage ein- (Beifall bei der LINKEN) mal klar zu machen, kann man auch sagen: Rund 20 Prozent der Ausgaben des Bundes waren zu diesem Zeitpunkt nicht durch regelmäßige Einnahmen gedeckt. Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Steffen Dieser Besorgnis erregende Zustand der Bundesfinan- Kampeter, CDU/CSU-Fraktion. zen ist das Ergebnis eines Prozesses, der sich seit Jahren abgezeichnet hat. Wir haben in den vergangenen Jahren, (Beifall bei der CDU/CSU) und zwar nicht erst seit 1998, deutlich über unsere 3482 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006

Steffen Kampeter (A) Verhältnisse gelebt. Die Neuverschuldung des Bundes- tige Schritte zur Konsolidierung eingeleitet. Wenn nun (C) haushalts lag 2005 zum vierten Mal in Folge über der die FDP behauptet, man könne diesen Haushalt inner- Regelgrenze des Art. 115 des Grundgesetzes. Ebenso ha- halb weniger Wochen konsolidieren, indem man die in ben wir als Gesamtstaat, also Bund, Länder, Gemeinden einem dicken Buch vorgelegten Anträge, von denen ei- und Sozialversicherungen, viermal in Folge das 3-Pro- nige rechtlich nicht möglich bzw. politisch nicht geboten zent-Defizitkriterium des Stabilitäts- und Wachstums- sind, umsetzt, paktes verletzt. Es ist allerhöchste Zeit, diese Entwick- (Ulrike Flach [FDP]: Das sind Ihre alten lung zu stoppen, wollen wir nicht die Lasten unseren Anträge!) Kindern und Enkelkindern aufbürden. Wir fangen mit der Haushaltskonsolidierung an. Es ist ein schwerer dann ist das unanständig, unseriös und hemmungslos Weg. Er muss gegangen werden. Es gibt zu ihm keine populistisch. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Alternative. so kann man keine seriöse Haushaltspolitik machen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Jürgen Koppelin [FDP]: Was ist denn mit den Vor diesem Hintergrund haben wir uns ehrgeizige ehemaligen CDU-Anträgen?) Ziele gesetzt, nämlich die Regelgrenze des Art. 115 des Grundgesetzes sowie das Defizitkriterium wieder einzu- Ein Beispiel: Wir alle wissen, dass wir bestimmte Auf- halten. Dieser Anspruch erfordert eine enorme Kraft- gaben im Zusammenhang mit der Lage am Arbeitsmarkt anstrengung. Schon die Einhaltung der Regelgrenze des – Herr Kollege Müntefering weiß das – lösen müssen. Art. 115 des Grundgesetzes bedeutet ein Konsolidie- rungsvolumen von 35 Milliarden Euro allein für den (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Gleich fällt er Bundeshaushalt. Ein solches Einsparvolumen lässt sich Müntefering um den Hals!) nicht von heute auf morgen erzielen. Jeder, der etwas an- Die FDP schlägt angesichts eines möglichen Mehrbe- deres behauptet, macht den Menschen etwas vor. Er ist darfs für arbeitsmarktpolitische Ausgaben eine Leis- unehrlich. Eine unehrliche Politik hat beim Haushalt tungsabsenkung vor. Wer so unrealistisch den Menschen ausgedient. Sand in die Augen streut, der erschüttert den Glauben an (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- die Seriosität der Politik. Wer so Oppositionspolitik be- neten der SPD – Dr. Guido Westerwelle [FDP] treibt, der macht damit deutlich, dass er keinerlei Regie- [zur SPD gewandt]: Damit seid ihr gemeint! rungsfähigkeit besitzt. Das hat die FDP mit ihrem Vorge- Und ihr klatscht auch noch!) hen klar deutlich gemacht. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir betrei- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (B) (D) ben keine Verschleierung der dramatischen Finanzsitua- der SPD – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: tion, sondern wir wollen eine transparente Haushalts- Würden Sie das auch für Nordrhein-Westfalen, politik machen. Wahrheit und Vollständigkeit sind Niedersachsen und Baden-Württemberg ste- verfassungsrechtlich gebotene Haushaltsgrundsätze, die hen lassen?) wir achten wollen. Die Überschreitung der Regelgrenze des Art. 115 des Dazu gehört, dass wir mit den der Haushaltsplanung Grundgesetzes ist erforderlich, um eine drohende Stö- zugrunde gelegten gesamtwirtschaftlichen Entwick- rung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts abzu- lungsannahmen vorsichtig umgegangen sind. Korrektu- wehren. Insbesondere das Ziel eines hohen Beschäfti- ren wird es auch in der großen Koalition geben, zum gungsstandes, aber auch das Ziel eines angemessenen Beispiel bei den Wachstumsannahmen. Sie entwickeln Wirtschaftswachstums wäre bei alternativen Maßnah- sich in den letzten Wochen positiv. Das ist eine gute Bot- men gefährdet. Die Lage am Arbeitsmarkt ist nach wie schaft für Deutschland. Wir wollen, dass es so weiter vor schwierig; insbesondere das Fehlen einer nachhalti- geht. gen Besserung im Bereich der Langzeitarbeitslosen zeigt, dass die konjunkturellen Erholungsimpulse, die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- wir Gott sei Dank verspüren, den Arbeitsmarkt noch neten der SPD) nicht spürbar erreicht haben. Die Wachstumserwartun- gen haben sich ausweislich der Frühjahrsprojektion nur Auch bei den großen Schätzansätzen haben wir realis- geringfügig von 1,4 auf 1,6 Prozent erhöht. Die gesamt- tische Größenordnungen veranschlagt. wirtschaftlichen Eckwerte, die Grundlage der Entschei- Schließlich haben wir die Nettokreditaufnahme offen dung der Bundesregierung, die Ausnahmeregelung des ausgewiesen, die sich aus einem strukturellen Defizit Art. 115 in Anspruch zu nehmen, sind, liegen im Mittel- von 60 Milliarden Euro ergibt. Sie liegt mit rund feld des Spektrums der Prognosen wichtiger nationaler 38 Milliarden Euro – der Kollege Koppelin hat mich ja und internationaler Institutionen. schon zitiert, indem er darauf verwies, dass ich das nicht Zwar sieht die Deutsche Bundesbank in ihrer aktuel- besonders gut finde – um rund 15 Milliarden Euro über len Einschätzung der Konjunkturlage die wirtschaftliche den Investitionsausgaben und ist auch höher als die Net- Aufwärtsbewegung zu Beginn des Jahres durch eine tokreditaufnahme im vergangenen Haushaltsjahr. günstige Entwicklung bei den Ausrüstungsinvestitionen Nun beschäftigen wir uns einmal ein wenig mit der sowie durch einen kräftigen außenwirtschaftlichen Im- Realität: Das strukturelle Defizit beträgt 60 Milliarden puls gestützt, von einer nachhaltigen Wende beim priva- Euro und erst seit wenigen Monaten wurden erste kräf- ten Konsum kann aber nach Auffassung der Bundesbank Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006 3483

Steffen Kampeter (A) noch nicht gesprochen werden. Der Kollege Schneider klatscht für die Mehrwertsteuererhöhung; das (C) hat darüber hinaus in seiner Rede auf die erfreuliche Ent- ist auch neu!) wicklung bei den Steuereinnahmen hingewiesen. Bisher deutet allerdings wenig darauf hin, dass sich die Steuer- Wir als große Koalition haben uns deshalb für den basis strukturell verändert hat. Aufgrund der aktuellen Weg einer konjunkturunterstützenden Konsolidie- Steuerschätzung belaufen sich die Mehreinnahmen im rung entschieden. Durch kurzfristige Wachstumsim- Bundeshaushalt, denen ja Mindereinnahmen gegenüber- pulse soll die konjunkturelle Erholung gefördert werden, stehen, lediglich auf 1,5 Milliarden Euro. um in diesem Jahr zunächst Schwung zu holen und auf höherem Niveau die dämpfenden Effekte, die ich keines- Jeder, der hier im Gegensatz zu unseren Planungen falls bestreite, besser zu verkraften. Gleichzeitig sollen eine abrupte Haushaltskonsolidierung fordert – gleich, die Angebotskräfte dann so weit gestärkt sein, dass die ob sie durch Abgabenerhöhung oder durch Reduzierung Belastungen – wir haben ja Erfahrung mit Mehrwert- staatlicher Leistungen erfolgt –, muss sich der Gefahr steueranpassungen in den vergangenen Jahrzehnten – bewusst sein, dass dies zusätzlich nachdrücklich nega- nur einen temporären Effekt darstellen. Daher ist auch in tive Impulse auf die derzeitige Konjunkturentwicklung der Frühjahrsprojektion unterstellt, dass, betrachtet man ausüben und die Störung des gesamtwirtschaftlichen die Jahre 2006 und 2007 zusammen, der begonnene Weg Gleichgewichts nach sich ziehen würde. Eine Störung in Richtung eines höheren Wachstums stabilisiert, unter- des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu erreichen stützt und nicht abgebrochen wird. ist nicht Ziel der großen Koalition. Wir wollen, dass es besser wird in diesem Land und aufwärts geht. Der Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit den Be- Haushalt 2006 dient diesem Ziel. schlüssen zum Haushalt 2006 sind die Rahmenbedin- gungen für mehr Wachstum und mehr Beschäftigung in (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – dieser Legislaturperiode gegeben. Die nachhaltige, kon- Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Und dass junkturschonende Haushaltskonsolidierung wird von ei- Deutschland Weltmeister wird! Das dürfen Sie nem Maßnahmenbündel begleitet, das sowohl Konsoli- in diesem Zusammenhang nicht vergessen!) dierungsmaßnahmen im engeren Sinne enthält als auch Wachstumsimpulse im weiteren Sinne gibt. Ich weiß, dass viele der Experten – dazu zähle ich auch viele Mitglieder dieses Hauses aus allen Fraktionen – Der erste Schritt ist dabei in der vergangenen Woche (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Dazu zählen auch vom Bundesrat abgesegnet worden: das so ge- Sie nicht!) nannte Haushaltsbegleitgesetz 2006, das mit ansteigen- den Entlastungen des Bundeshaushalts – beginnend im Zusammenhang mit der Debatte zur Mehrwertsteuer- 2007 bei 12,5 Milliarden Euro, gefolgt von weiteren (B) erhöhung gesagt haben: Wir sind nicht begeistert, dass Schritten – die Konsolidierung vorantreiben wird. Wir (D) wir diese Mehrwertsteueranpassung vornehmen müssen. haben aber auch im Bereich der sozialen Sicherungssys- teme mutige Reformschritte zur Flankierung des Haus- (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: „Mehrwert- haltskonsolidierungskonzeptes eingeleitet. Ich erwähne steueranpassung“!) beispielsweise die Rente mit 67. Sie ist ein wichtiger Aber angesichts der Handlungsmöglichkeiten in den ver- Meilenstein. Durch sie wird nicht nur die demografische bleibenden sechs Monaten dieses Jahres und im Entwicklung aufgegriffen, sondern auch eine strukturelle Jahr 2007 – ich habe Ihnen die Alternativperspektiven Entlastung der sozialen Sicherungssysteme und damit hier klar und deutlich aufgezeigt – gibt es dazu keine auch des Bundeshaushalts herbeigeführt. vernünftige, realistische, konjunkturverträgliche Alter- Wir müssen darüber nachdenken, ob die solide Fi- native. Wir sind bereit, diesen schweren Weg zu gehen, nanzpolitik, aufgrund dessen die große Koalition diesen weil er ohne Alternative für unser Land ist. Das ist ehr- Haushalt vorlegt, nicht auch auf andere öffentliche lich und das muss gesagt werden. Haushalte übertragen werden sollte. Einzelne Bundes- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und länder haben bereits Notlagen angezeigt; eventuell kom- der SPD) men weitere Länder hinzu. Insoweit war die Debatte um die richtige Verwendung der Solidarpaktgelder sinnvoll. Angesichts des Sachverhaltes, dass internationale Or- Es kann nach meiner Auffassung nicht sein, dass einige ganisationen wie der Internationale Währungsfonds Länder die Mittel für Investitionen einsetzen, während diese Mehrwertsteuererhöhung im Rahmen des wirt- andere sie – nicht regelkonform – anderen Verwendun- schaftlichen Umfeldes und der Reformperspektiven, die gen zuführen. Wir brauchen eine strengere Finanzdiszi- die große Koalition in vielen Bereichen geschaffen hat, plin auf allen Gebietskörperschaftsebenen. Ich spreche weitaus positiver bewerten, müssen all diejenigen, die mich dafür aus, die Idee eines nationalen Stabilitäts- die Mehrwertsteuererhöhung hier als Konjunkturkiller pakts, die wir auf allen Ebenen erörtern, weiterzuverfol- charakterisieren, sich fragen lassen, ob sie nicht einen in- gen. teressengeleiteten Pessimismus zum Maßstab ihres poli- tischen Handelns machen, der weder im Interesse der öf- (Beifall des Abg. Otto Fricke [FDP]) fentlichen Finanzen noch im Interesse der Menschen in Deutschland sein kann. Es kann nicht sein, dass der Bundeshaushalt in der Kon- solidierung voranschreitet, aber andere Gebietskörper- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – schaften in eine andere Richtung marschieren. Die Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Die SPD öffentlichen Haushalte sitzen alle in einem Boot. Konso- 3484 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006

Steffen Kampeter (A) lidierung ist eine föderale Gemeinschaftsaufgabe. Dies denn wir glauben, dass die von den Beitragszahlerinnen (C) wollen und müssen wir deutlich machen. Bund und Län- und Beitragszahlern gezahlten Beiträge innerhalb dieses der müssen gemeinsam – und zwar nicht nur im Rahmen Systems verwendet werden sollen. der Fortentwicklung des Föderalismuskonzeptes, son- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- dern auch durch verbindliche Regelungen bezüglich der neten der SPD) Konsolidierung der Haushalte – deutlich machen, dass es um eine nationale Aufgabe geht, der wir uns stellen Mit den überschüssigen Einnahmen, die sich aufgrund wollen. der positiven Entwicklung ergeben und die von den Bei- tragszahlern stammen, soll nicht der Bundeshaushalt sa- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) niert werden. Die Sozialisierung finanzpolitischen Fehlverhaltens Bei der Arbeitsmarktpolitik stehen wir erst am An- kann eben nicht Ziel der großen Koalition sein. Ich setze fang eines durchgreifenden Prozesses, der auch etwas da hohe Erwartungen in die Beratungen für diesen Be- mit dem Bundeshaushalt zu tun hat. In einem ersten reich. Schritt müssen wir die Strukturreformen am Arbeits- Mit dem Bundeshaushalt 2006 haben wir einen ersten markt vorantreiben. Wir müssen in einem zweiten Schritt auf dem steinigen Weg der Konsolidierung getan. Schritt die Reformen innerhalb des Systems weiter vo- Ich will in diesem Zusammenhang einen Bereich aus- rantreiben. Ich danke Bundesminister Müntefering, dass drücklich hervorheben, bei dem uns dieser Schritt nicht er hier engagiert vorangegangen ist ganz einfach gefallen ist, nämlich den Bereich der Ar- (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Jetzt hört er beitsmarktpolitik. Dazu gehört Hartz IV, worüber in das nicht einmal! So ein Mist!) diesem Hause schon oft debattiert wurde. Man muss kein Hellseher sein, um vorherzusagen, dass das auch und dass er mit den bestehenden Gesetzen einen wichti- zukünftig so sein wird. Vielleicht könnte man auch den gen Grundstein dafür gelegt hat, dass wir die Ausgaben- Namen dieses Reformprojekts einer Revision unterzie- entwicklung erstmals in den Griff bekommen können. hen. Aber ich mache für die Union auch deutlich, dass wir (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und noch nicht am Ende der Entwicklung sind und dass die der FDP) Reformschritte innerhalb des SGB sozialverträglich, für die Menschen nachvollziehbar und der Konsolidierung Das halte ich auch im Interesse der Betroffenen für sinn- des Bundeshaushalts dienend weitergeführt werden müs- voll. sen. (B) Ich will einen Punkt besonders deutlich machen: Aus (Jürgen Koppelin [FDP]: Mit dieser Rede kannst (D) Sicht der Union, aber auch aus Sicht der großen Koali- du SPD–Ehrenvorsitzender werden!) tion war und bleibt die Zusammenlegung von Arbeitslo- Wir müssen in einem dritten Schritt dazu beitragen, senhilfe und Sozialhilfe richtig. Sie war ordnungspoli- dass die Belastung für den Bundeshaushalt durch die Ar- tisch sinnvoll. Mit ihr wurden allerdings noch nicht die beitsmarktpolitik begrenzt wird, indem wir Beschäfti- erwünschten Haushaltseinsparungen erzielt. gungsimpulse nutzen. Mit dem Bundeshaushalt 2006 ha- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) ben wir zur Stärkung von besonders zukunftsträchtigen Bereichen ein Sofortprogramm mit einem Volumen Dies muss aber in einem weiteren Schritt gelingen. von 25 Milliarden Euro aufgelegt, von dem insbesondere Wir sind uns bewusst – insbesondere die Union hat auch die Arbeitslosen profitieren werden. Nicht ohne sich dieses Themas angenommen –, dass wir, wenn wir Grund haben wir die Abschreibungsbedingungen für die Annahmen des Gesetzentwurfes zugrunde legen, Unternehmen verbessert und die Mittel für das CO2-Ge- eine erhebliche Zielabweichung von der Finanzprognose bäudesanierungsprogramm aufgestockt. Auch die Mittel für diese Legislaturperiode haben werden, und zwar in für Verkehrsinvestitionen werden mit diesem Bundes- einer Größenordnung von zwei Mehrwertsteuerpunkten. haushalt erheblich, nämlich um 1 Milliarde Euro, aufge- Ich wiederhole: Die Zielabweichung hinsichtlich des Fi- stockt. Das soll nicht nur zur Verbesserung der Infra- nanzvolumens für die Arbeitsmarktpolitik umfasst zwei struktur beitragen, sondern auch einen wesentlichen Mehrwertsteuerpunkte! Beschäftigungsimpuls liefern. Deswegen war es richtig – dafür danke ich allen Be- All das macht deutlich, dass dies nicht ein Haushalt teiligten –, dass wir für das Haushaltsjahr 2006 eine der harten Konsolidierung, sondern ein Haushalt ist, mit Risikovorsorge getroffen haben, um höhere Kosten dem im Rahmen des Möglichen auch Wachstumsim- durch mögliche Umschichtungen innerhalb des Arbeits- pulse gesetzt werden. Diese Politik müssen wir als große marktetats auffangen zu können. Die Koalition hat sich Koalition gemeinsam offensiv vertreten. insbesondere auf eine Haushaltssperre im Bereich der ar- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) beitsmarktpolitischen Leistungen verständigt. Wir haben es gleichzeitig abgelehnt, dass weiter auf Beitragsmittel Insgesamt ist zu vermerken, dass die Höhe der Inves- zugegriffen wird; titionsausgaben mit über 23 Milliarden Euro auf dem Niveau des Regierungsentwurfs gehalten werden kann. (Beifall des Abg. Hans–Joachim Fuchtel Wir müssen uns zukünftig überlegen, wie wir diesen Be- [CDU/CSU]) reich ausbauen. Wir haben zu den Forschungsinvestitio- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006 3485

Steffen Kampeter (A) nen, aber auch zu den Investitionen, die die Vereinbarkeit auch bei den Dingen, die wir selbst verantworten müs- (C) von Familie und Beruf betreffen, wichtige Entscheidun- sen. gen getroffen, die sich teilweise nicht auf dem engen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Investitionsbegriff abbilden lassen. Auch dies macht neten der SPD) deutlich, dass wir für die Sicherstellung der Zukunftsfä- higkeit unseres Landes Haushaltsmittel in erheblicher Die Einhaltung des in den Koalitionsverhandlungen Höhe zur Verfügung stellen. verabredeten Finanztableaus bis 2009 ist ein schweres Geschäft. Erschwerend kommt die Erkenntnis dazu, dass Was sind weitere Ergebnisse der Beratungen für den Haushalte, deren Neuverschuldung sich knapp unter der Haushalt 2006? Der Kollege Schneider hat bereits auf Höhe der Investitionsausgaben bewegt, keine Dauerlö- die Dezentralisierung der Versorgungsausgaben und die sung auf dem Weg zu nachhaltigen und tragfähigen Fi- Auflösung des Versorgungsplanes hingewiesen. Seit nanzen sein können. Wir wollen mit dem Ziel sinkender über 20 Jahren diskutieren wir bei jeweils unterschiedli- Schulden wieder größere Handlungsspielräume für die chen Mehrheitsverhältnissen über die Dezentralisierung öffentliche Hand erreichen. Das bedeutet, dass wir auch der Versorgungsleistungen im öffentlichen Bereich. das Ziel eines ausgeglichenen Haushaltes anpeilen müs- Wir haben der gesetzlichen Rentenversicherung viele sen. Dies ist Grundlage der Koalitionsvereinbarung. Reformnotwendigkeiten aufgebürdet. Die Dezentralisie- Als nächste Etappe müssen wir in dieser und in der rung der Versorgungsausgaben ist ein wesentlicher nächsten Legislaturperiode nach dem Umsteuern einen Schritt zur Modernisierung des Aufbaus der Bundesver- klaren Sinkflug in Bezug auf die Nettokreditaufnahme waltung. Zum ersten Mal müssen die einzelnen Ministe- schaffen und im Laufe der nächsten Legislaturperiode rien die fiskalische Verantwortung für ihre Pensionäre zur Sicherung der dauerhaften Tragfähigkeit der öffentli- übernehmen. Dies löst die kollektive Verantwortungslo- chen Finanzen ausgeglichene Haushalte vorlegen. Dazu sigkeit im Bereich der öffentlichen Versorgung auf. sind viele – auch unangenehme – Beschlüsse erforder- Nach 20 Jahren hat die große Koalition in diesem Be- lich. Die wollen und werden wir gemeinsam treffen, weil reich eine wesentliche Modernisierung erreicht. Dies ist wir glauben: Nur mit ausgeglichenen Haushalten wird ein Erfolg, den wir deutlich machen müssen. die Haushaltspolitik ihren Beitrag dazu leisten, dass es in diesem Land weiter aufwärts geht. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich danke Ihnen. Die Einsparungen, die wir den Bürgerinnen und Bür- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) gern zumuten, müssen wir vorantreiben. Wir haben im Bereich der öffentlichen Verwaltung weitere Einsparun- Präsident Dr. Norbert Lammert: (B) gen vorgenommen. Wir haben im Übrigen im personal- (D) wirtschaftlichen Bereich alle zusätzlichen Stellenanfor- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich stelle eine au- derungen, die sich aus dem Regierungswechsel ergeben, ßergewöhnliche Disziplin im Einhalten der Redezeiten überkompensiert. Es kann keiner sagen, dass wir hier fest, die mir – zumal bei Haushaltsdebatten – überhaupt nicht erinnerlich ist. nicht entschieden vorgegangen seien. Wir haben die jährlichen Sonderzahlungen an die Beamten schon in (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das hat etwas diesem Jahr halbiert. Weil wir glauben, dass es eines mit dem Fußball zu tun! – Otto Fricke [FDP]: wichtigen Signales bedurfte, sind die Mitglieder der War das eine Aufforderung zu Zwischenfra- Bundesregierung, insbesondere die Bundeskanzlerin, gen?) vorangeschritten: Die Sonderzahlungen an sie wurden Dafür mag es Gründe geben. nicht nur befristet halbiert, sondern dauerhaft abge- schafft. Damit machen wir deutlich: Gekehrt wird auch Nun erteile ich das Wort der Kollegin Anja Hajduk, oben und gespart wird auch an der Spitze der Regierung. Bündnis 90/Die Grünen. Das ist ein Signal, das die große Koalition setzen wollte. Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Der neten der SPD) Kollege Steffen Kampeter hat seine Rede mit einer be- achtlichen Ehrlichkeit eröffnet. Ich weiß nicht, ob es Ih- Selbstverständlich haben wir auch bei der Öffentlich- nen aufgefallen ist: Er hat davon gesprochen, dass die keitsarbeit der Ressorts Mittel eingespart. Der einge- große Koalition sich drei Ziele gesetzt hat: die sozialen sparte Betrag von 10 Millionen Euro mag manchem Sicherungssysteme zu konsolidieren, die Arbeitslosig- nicht hoch genug erscheinen, wie ich aus dem Redebei- keit abzubauen und den Haushalt zu konsolidieren. Dann trag der FDP vernommen habe. Man muss aber eines hat er ganz deutlich gesagt: Das haben wir uns für die deutlich machen: Es hat sich zwar noch kein Bundes- nächste Legislaturperiode vorgenommen. minister bei uns dafür bedankt, dass wir ihm weniger Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit zugestehen. Aber die (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Nein!) Glaubhaftigkeit der Konsolidierungspolitik setzt voraus, Das war eine beachtliche Ehrlichkeit. dass die die Regierung tragende Koalition auch in denje- nigen Bereichen, von denen man vermuten könnte, dass (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Regierung ein großes Interesse an ihnen hat, sparsam sowie bei Abgeordneten der FDP und der LIN- vorgeht und Einsparungen durchführt. Das ist glaubwür- KEN – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Klein- dige Haushaltspolitik. Das macht deutlich: Wir sparen karierte Opposition!) 3486 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006

Anja Hajduk (A) Herr Kampeter, ich will Ihnen sagen: Sich zu verspre- waren selbstgefällig. Sie haben 100 Millionen Euro ein- (C) chen, passiert uns allen und wahrscheinlich auch mir in gespart, 0,04 Prozent. Dafür versuchen Sie sich auch dieser Rede. Aber wir wissen auch: Diese Versprecher noch zu rühmen. Das ist schlichtweg lächerlich. sind nicht zufällig. Sie haben einen tiefen, wahren Kern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das war ein guter Beitrag zur Debatte. und bei der FDP) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Auch die Investitionsquote sieht mit unter 9 Prozent Sie haben Ihre Rede zwar mit einer freudschen Fehl- eher bescheiden aus. Hier haben Sie den Mittelansatz um leistung begonnen. Aber ich möchte ernster werden und 9 Millionen Euro verändert, bei einem Volumen von sagen, dass die Haushaltsberatungen leider durch eines 23 Milliarden Euro. gekennzeichnet sind: Wir haben nicht nur eine große (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wer hat denn Koalition, die das Land regiert, sondern wir werden re- das strukturelle Defizit von 60 Milliar- giert von einer großen Selbstgefälligkeit. Wenn Sie, den Euro aufgebaut?) Herr Kampeter und andere in der Koalition, diesen Haushalt am Freitag beschließen, der sich durch die Ich kann nur sagen: Die Wochen der Haushaltsberatun- größte Nettokreditaufnahme auszeichnet, die es jemals gen waren von marginalen Veränderungen gekennzeich- in der Planung gegeben hat – es ist mit über net. Das ist, gemessen an der Größe dieser Koalition, ein 38 Milliarden Euro ein Schuldenrekord –, und gleichzei- eklatantes Armutszeugnis. tig sagen, dass Sie brutal konsolidieren, dann ist das der Versuch einer Volksverdummung, der nicht gelingen Die Zahl, die diesen Haushalt prägt, ist die Nettokre- wird. Das ist Selbstgefälligkeit und zeugt von Kraftlo- ditaufnahme in Höhe von 38,2 Milliarden Euro. Ich sigkeit in der großen Koalition. will noch einmal darauf eingehen, weil diese Zahl – sie müsste nicht so hoch sein – die Belastung angibt, die wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den kommenden Generationen aufbürden. Die Nettokre- und bei der FDP – Dr. Guido Westerwelle ditaufnahme in Höhe von 38 Milliarden Euro entspricht [FDP]: Verarschung ist das!) ziemlich genau der Summe, die wir für die laufenden Zinszahlungen ausgeben. Wenn wir die Kredite aus- – Man kann auch härtere Worte dafür finden, Herr schließlich für die Zinszahlungen brauchen, dann sieht Westerwelle; da gebe ich Ihnen Recht. – Damit leisten man doch, dass wir mit der kompletten Summe Vergan- Sie diesem Land keinen Dienst. Das müssten Sie aber ei- genheitsbewältigung betreiben und überhaupt nichts für gentlich tun. die Zukunft bereithalten. Ich komme noch einmal zu den Ergebnissen der (Zurufe von der CDU/CSU) (B) Haushaltsberatungen. 261 Milliarden Euro sollten aus- (D) gegeben werden; das sind 1,8 Milliarden mehr als im Deswegen kann ich nicht verstehen, dass die Regie- Vorjahr. Dies entspricht immerhin einer Steigerung um rungsfraktionen nicht angetreten sind, die Nettokredit- 0,7 Prozent. Die große Koalition hat während der Haus- aufnahme abzumildern. Wir Grünen haben nicht ver- haltsberatungen Kürzungen in Höhe von 100 Millionen sprochen, sie wegzuputzen. Aber wir haben Vorschläge Euro vorgenommen. Im Verhältnis zu den 261 Milliar- gemacht, sie um 6 Milliarden Euro deutlich zu senken. den entspricht dies 0,04 Prozent. Das muss man sich ein- Was Sie machen, ist verantwortungslos gegenüber den mal klar machen. – Ich erinnere mich noch daran, wie kommenden Generationen; denn Sie betreiben aus- der frühere haushaltspolitische Sprecher der CDU/CSU, schließlich Vergangenheitsbewältigung. der Kollege Austermann, Lieber Herr Schneider, Sie haben hier von Ihren poli- (Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Guter tischen Zielen gesprochen, von konsolidierten Haushal- Mann!) ten. Sie als haushaltspolitischer Sprecher der SPD-Frak- tion haben keinen einzigen Schritt in diese Richtung gewettert hat, der hemmungslose Schuldenaufbau vorgeschlagen. Auch das ist ein schwaches Bild nach werde jedes Jahr ungebremst fortgesetzt. So hat er ge- diesen Haushaltsberatungen. poltert. Dieses Jahr tritt die CDU/CSU mit einer Kür- zung von 100 Millionen Euro an; damals hat sie 8 Mil- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN liarden Euro gefordert. Die CDU/CSU bewegt sich jetzt und bei der FDP) bei rund 1 Prozent davon. So viel ist von Ihren alten Vor- Ich will deutlich machen, dass es gar nicht so schwer stellungen übrig geblieben. Sie sind ein ganz kleines gewesen wäre. Sie hatten doch so genannte Windfall- Karo in dieser großen Koalition. Profits: Die Steuermehreinnahmen betrugen im Ver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gleich zum letzten Jahr 3,7 Milliarden Euro; im Mai die- und bei der FDP – [CDU/ ses Jahres besagte die Steuerschätzung Mehreinnahmen CSU]: Denken Sie daran, was Sie in den letz- in Höhe von 1,4 Milliarden Euro. Kollege Schneider hat ten Jahren gemacht haben!) in der Öffentlichkeit gesagt, diese Einnahmen würden zur Reduzierung der Nettokreditaufnahme verwendet. Vor diesem Hintergrund muss ich sagen: Die große Nichts davon ist geblieben. Mit einem kraftlosen Akt ha- Koalition hat die wirtschaftliche Erholung, die wir zur- ben Sie sie nur stabil gehalten. Sie haben für meine Be- zeit haben, nicht genutzt, um im Rahmen der Haushalts- griffe sehr müde agiert. beratungen eine Perspektive für eine längerfristige Kon- solidierungsstrategie zu eröffnen. Im Gegenteil: Sie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006 3487

Anja Hajduk (A) Ich möchte noch weitergehen. Ich habe schon ange- weis auf die Konjunktur und geben richtig Gas im (C) deutet, dass bisher noch kein Haushalt mit einer solch Jahr 2006. Im Jahr 2007 aber ziehen Sie voll die Hand- hohen Nettokreditaufnahme vorgelegt worden ist. Man bremse an. Gasgeben bei voll angezogener Handbremse könnte glatt die Losung ausgeben: Große Koalition führt dazu, dass es schon nach einigen Metern zum Him- macht große Schulden. Ich will die Debatte noch vertie- mel stinkt. So ist es auch mit Ihrer Politik. fen. Sie nehmen in Anspruch, eine neue Ehrlichkeit zu pflegen. Es wurde schon erwähnt, man müsse sagen, was (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sache ist. Das sei wichtig, um Vertrauen zu gewinnen. sowie des Abg. Jürgen Koppelin [FDP]) Ich muss Ihnen sagen, dass Ehrlichkeit kein Freibrief da- Ich habe deutlich gemacht, dass die Mehrwertsteuer- für ist, regungslos zu verharren. Man kann nicht sagen, erhöhung insbesondere deshalb ein Problem ist, weil die die Lage sei ernst, die öffentliche Verschuldung sei hoch Einnahmen ausschließlich zum Stopfen der Haushaltslö- und wir hätten strukturelle Probleme und deshalb bringe cher verwendet werden. Es ist ja nicht so, dass Sie mit man nicht die Kraft auf, die Richtung anzugeben, die der Reform der sozialen Sicherungssysteme schon vo- eingeschlagen werden müsse, um die Schulden zu ver- rangekommen wären. Sie senken zwar die Beiträge zur ringern. Eine Neuverschuldung in Höhe von 38 Mil- Arbeitslosenversicherung, indem Sie Steuermittel hin- liarden Euro hat nichts mit Ehrlichkeit zu tun, sondern einstecken. Bei den Lohnnebenkosten veranstalten Sie sie ist Ausdruck der Behäbigkeit der großen Koalition, genau das gleiche Chaos wie bei der Mehrwertsteuer: die keine Alternativen aufzeigt. Ich komme gleich zu un- Gas geben und Vollbremsung gleichzeitig! Sie senken seren Alternativen. die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung, erhöhen aber (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die Beiträge zur Rentenversicherung um 0,4 Prozent. Ich will einen Punkt ansprechen, bevor ich zu den Al- Ich komme auf die Gesundheitsreform zu sprechen. ternativen komme, nämlich die Maastrichtkriterien. In einem Punkt kann man sich ganz sicher sein: Weder Mit der Neuverschuldung von 38 Milliarden Euro be- die Kanzlerin Merkel noch sonst irgendjemand in der steht das Risiko, dass wir auch in diesem Jahr das großen Koalition glaubt noch, dass eine Gesundheitsre- Maastrichtkriterium nicht einhalten, obwohl viele Ex- form zum 1. Januar 2007 finanzwirksam wird und die perten sagen, dass das bei der wirtschaftlichen Entwick- Beiträge gesenkt werden können. Genau das müssen Sie lung, die wir haben, im Jahre 2006 sehr wohl möglich aber schaffen, wenn Sie die Lohnnebenkosten senken wäre. Die Vorgängerregierung hat in Verhandlungen viel wollen. dazu beigetragen, dass der Stabilitätspakt reformiert (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bzw. angepasst wurde. Das geschah ausdrücklich mit der und bei der FDP) (B) Ansage, konjunkturgerechter zu agieren. Das haben wir (D) Grüne mitgetragen. Ich kann die Kritik aus EU-Kreisen Ab dem 1. Januar 2007 stehen die Krankenkassen unter verstehen. Viele reiben sich ein Jahr nach der Reform Druck, ihre Beiträge um 0,5 Prozent, konservativ ge- des Stabilitätspaktes die Augen, weil in diesem Jahr rechnet, bis 1 Prozent zu steigern. Trotzdem vertagen Sie eine konjunkturelle Erholung zu verzeichnen ist, aber Ihre Einigung über die Eckpunkte der Gesundheitsre- wichtige Länder der Europäischen Union diese nicht ge- form ständig von dem einen Wochenende auf das nutzt haben, um weniger Schulden aufzunehmen. Leider nächste. gehört auch Deutschland dazu. Aufgrund der besseren wirtschaftlichen Bedingungen könnten wir die Die Bevölkerung ahnt schon, dass es nicht klappen Maastrichtkriterien in diesem Jahr einhalten. Nichts da- wird. Die Lohnnebenkosten werden nicht unter 40 Pro- von ist in der Planung der Regierung zu sehen. Sie stützt zent sinken. Mit Sicherheit werden wir aber eine um sich auf ein „vielleicht“ und glückliche Wendungen, 3 Prozentpunkte höhere Mehrwertsteuer zahlen. Diese setzt sich das aber nicht zum Ziel. Das halte ich für eine Konjunkturbremse kann das Land nicht gebrauchen. Da- Missdeutung der Reform des Stabilitätspaktes. Der ein- ran sieht man einmal wieder: Die große Koalition macht zige Grund, warum Deutschland nicht in der Kritik steht nicht nur große Schulden, sondern verursacht langfristig und warum der Konsolidierungsplan in Deutschland ge- auch große Probleme auf dem Arbeitsmarkt. billigt wird, ist die massive Mehrwertsteuererhöhung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie zum nächsten Jahr. Das ist eine einseitige und falsche des Abg. Carl-Ludwig Thiele [FDP]) Ausrichtung Ihrer Politik. Ich komme jetzt zu den Alternativen. Wir Grünen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) haben uns natürlich dem Anspruch gestellt, die Regie- Ich möchte ganz kurz auf das Reizthema der Mehr- rung nicht nur zu kritisieren, sondern ein Szenario aufzu- wertsteuererhöhung eingehen. Was ist eigentlich das zeigen, wie man es besser machen könnte. Dramatische und das Schlimme an Ihrer Politik? Ich (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Die Alterna- glaube, das Schlimmste daran ist die Unordnung und das tive war Rot-Grün! Wir haben gesehen, was Chaos. Was machen Sie 2006 und was machen Sie dann los ist! Die haben doch alles schlechter 2007? Sie argumentieren, Sie wollten im Jahr 2006 das gemacht!) Wachstum unterstützen, und Sie legten ein Programm in Höhe von 25 Milliarden Euro zur Stabilisierung der Der Kollege Schneider hat gesagt, dass sich niemand Konjunktur auf. Sie machen viele Schulden unter Hin- vom Acker machen darf. Dazu gehört, dass man beim 3488 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006

Anja Hajduk (A) Haushalt Veränderungen vorschlägt. Das haben Sie nicht tes ab. Sie zeigen an dieser Stelle keine Verantwortung (C) gemacht. gegenüber den zukünftigen Generationen. Auch wenn Sie dieses Thema immer im Munde führen, Sie handeln (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das stimmt nicht entsprechend. doch gar nicht!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wir haben zwar kein Buch gebunden, wie es die FDP ge- sowie bei Abgeordneten der FDP) tan hat, aber wir haben 400 Änderungsvorschläge ge- macht. Ich möchte meine Ausführungen mit einigen Beispie- Wir haben drei Ziele verfolgt: len unsinniger Maßnahmen garnieren. Die rot-grüne Re- gierung hat – das wurde damals kritisiert – den Umzug Erstens. Weniger Schulden machen. Das habe ich des BND von Pullach nach Berlin geplant. Es ist eine schon begründet. Weniger Schulden kann man insbeson- sehr kostspielige Angelegenheit, wenn der Nachrichten- dere dadurch machen, dass man beim Subventionsab- dienst umzieht. Wir Grüne – damals im Übrigen sogar bau konsequenter vorgeht. Im Rahmen der Beratungen interfraktionell mit der CDU/CSU noch in der Opposi- über das Haushaltsbegleitgesetz haben wir Maßnahmen tion und auch mit der FDP – waren sehr skeptisch, ob vorgeschlagen, die die Steuereinnahmen um 1,4 Milliar- das nicht eine Maßnahme sei, die man noch aufschieben den Euro erhöhen. Bei dem schönen Thema Kohle- müsse, ob die Planung überhaupt schon so weit gediehen subventionen gibt es Verbesserungsmöglichkeiten. Die sei. Was macht die große Koalition aus dem geplanten Kohlesubvention ist keine heilige Kuh. Umzug des Nachrichtendienstes von Pullach nach Ber- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ lin, der erwiesenermaßen über 1 Milliarde Euro kosten DIE GRÜNEN) wird? Sie macht daraus eine Doppelbelastung für alle Bürgerinnen und Bürger. Der Umzug nach Berlin soll Sie entwickelt sich bereits heute degressiv. Ein vollstän- stattfinden, obgleich teuer; aber damit die CSU auch diger Abbau ist aber immer noch nicht geplant. Fragen mitmacht, bleibt ein großer Teil des BND dann doch in Sie einmal Experten aus der Wirtschaft. Keiner würde Pullach. Das bedeutet eine Neubelastung in Höhe eines Ihnen sagen, eine Dauersubventionierung der Kohle ist dreistelligen Millionenbetrages. eine vernünftige Maßnahme. Das muss auch die SPD einmal zur Kenntnis nehmen. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist echt eine Sauerei!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Man muss wirklich sagen: Die Lösung und die Einigung Wir schlagen einen Subventionsabbau in Höhe von der großen Koalition zum inneren Frieden hinsichtlich (B) insgesamt 2 Milliarden Euro vor. Wir haben keine Fabel- des BND-Umzuges ist inhaltlich unsinnig und eine teure (D) zahlen errechnet. Wir haben eine Summe von 2 Mil- Hypothek für die Bürgerinnen und Bürger. Wir haben liarden Euro errechnet, die in den nächsten Jahren auf vorgeschlagen, davon Abstand zu nehmen. Auch dazu 5MilliardenEuro anwächst. hatten Sie nicht die Kraft. Das ist ein schönes Beispiel Wir schlagen Ausgabenkürzungen in Höhe von für den Unsegen, den Ihre Politik für das Land bedeutet. 2,3 Milliarden Euro vor. Diese Summe können wir ein- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sparen. Ich befinde mich in guter Gesellschaft, wenn ich diese Zahl nenne. Das ist eine realistische Größe. Auch Zweites Beispiel: die SPD-Fraktion. Wie sehr haben der Präsident des Bundesrechnungshofs hat in der Dis- wir in der vergangenen Legislaturperiode darauf geach- kussion über das Haushaltsbegleitgesetz gesagt: Man tet, dass die Integrationsmittel nicht gekürzt werden! kann den Haushalt nicht nur über Ausgabenkürzungen Das war schon immer eine schwierige Übung, da der In- ausgleichen; auch Einnahmesteigerungen gehören dazu. nenminister zu SPD-Zeiten hinsichtlich der Integrations- Dem stimmen wir zu. Aber man kann durchaus Ausga- mittel sehr bescheiden war. Was haben wir gemacht? benkürzungen in Höhe von rund 2 Milliarden Euro jähr- Wir haben in den Haushaltsberatungen dafür gesorgt, lich vornehmen. dass die Mittel auf einem vernünftigen Niveau geblieben sind. Sie haben nun zugelassen, dass diese Mittel um Subventionsabbau plus Ausgabenkürzungen plus zu- 30 Prozent gekürzt werden. Das ist angesichts der Ziel- sätzliche Steuereinnahmen, die in der Steuerschätzung setzung des geplanten Integrationsgipfels ein Armuts- im Mai errechnet wurden, bieten eine Möglichkeit zur zeugnis. Auch das zeigt: Die SPD-Fraktion hat keine Konsolidierung dieses Haushaltes in Höhe von knapp Kraft für Maßnahmen, die sie eigentlich für richtig hält. 6 Milliarden Euro. Wir lägen dann bei der Neuverschul- dung unter 33 Milliarden Euro. Damit würden wir die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Maastrichtkriterien einhalten. Joachim Poß [SPD]: Es stehen ausreichend Mittel zur Verfügung!) Ich frage die große Koalition: Warum machen Sie das nicht? Warum bringen Sie die Kraft nicht auf? Wenn Sie Ich komme zum Schluss. Das Maastrichtkriterium von einer Konsolidierungsstrategie reden und für sich in wird dieses Jahr vielleicht erreicht. Ehrgeiz hat die große Anspruch nehmen wollen, zu konsolidieren, dann hätten Koalition nicht. Sie sagen: Das Maastrichtkriterium wird Sie auf diesem Weg wenigstens ein Stück weit mitgehen in 2007 erreicht; denn da haben wir ja die Mehrwertsteu- müssen. Sie haben nicht eine einzige Maßnahme vorge- ererhöhung. Aber in der jetzigen Finanzplanung gibt es schlagen, die in diese Richtung zielt. Deswegen spreche insgesamt keine Sicht auf Besserung. Trotz der massiven ich Ihnen einen Willen zur Konsolidierung des Haushal- Steuererhöhungen im satten zweistelligen Milliardenbe- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006 3489

Anja Hajduk (A) reich ist nicht in Sicht, die Nettokreditaufnahme zu sen- Wer angesichts dessen davon redet, dass wir Sozialabbau (C) ken. Mit großer Sorge sehe ich auf das Jahr 2007. Denn betreiben, der hat eine ziemlich schiefe Optik. ich glaube, dass die wirtschaftliche Belebung durch die Mehrwertsteuererhöhung kaputtgemacht wird. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Man kann eigentlich nur ein Fazit ziehen: Die große Gelegentlich wird – nicht nur auf dem Boulevard – Koalition hat die haushaltspolitischen Risiken nicht ent- der Popanz, ja sogar das Feindbild eines geradezu irrsin- schärft. Sie hat sie auf die Zukunft verlagert. nigen Steuerstaates aufgebaut, der von den Bürgerinnen und Bürgern mit geballter Faust gestoppt werden müsse. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das stimmt Ich denke, es ist – auch was unsere politische Selbstach- doch alles nicht!) tung betrifft – wichtig, darauf hinzuweisen, dass eine Das ist verantwortungslos gegenüber der jungen Genera- solche Debatte für unser demokratisches Gemeinwesen tion. Die große Koalition mit ihrer übergroßen Mehrheit kein positiver Beitrag ist. ist – das wissen wir seit acht Monaten und das spüren Tatsächlich ist es so, dass die Staatsquote in Deutsch- auch die Bürgerinnen und Bürger, deren Zustimmung land sinkt. Unsere Steuerquote ist im europäischen Ver- sinkt – gemessen an ihren Taten nichts weiter als ein gleich eher unterdurchschnittlich. Ich gebe zu: Die an- kleinmütiger Verein. Das ist die traurige Wahrheit. stehenden Entscheidungen werden zur Folge haben, dass (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sie ungefähr das durchschnittliche Niveau der Mitglied- staaten der Europäischen Union erreicht. Auch die Staatsausgaben stagnieren; auf die verzerrenden Hin- Präsident Dr. Norbert Lammert: weise mit Blick auf die Nettokreditaufnahme komme ich Das Wort hat nun der Bundesminister der Finanzen, noch zu sprechen. Die gegenwärtige Entwicklung wider- Peer Steinbrück. spricht also dem, was als Schimäre aufgebaut bzw. zu- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten mindest als Vorurteil geäußert wird. der CDU/CSU) Das hat Konsequenzen für die Bürgerinnen und Bür- ger. Sie alle haben den Eindruck, als würden wir verant- Peer Steinbrück, Bundesminister der Finanzen: wortungslos mit Geld um uns werfen bzw. als würden Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten wir das Geld aus dem Fenster werfen. Tatsächlich aber Damen und Herren! Mir ist an einer eher grundsätzli- stagnieren die öffentlichen Ausgaben, und zwar auf den chen Vorbemerkung gelegen, ehe ich auf einige Hin- verschiedenen Ebenen der Gebietskörperschaften. weise und Argumente eingehe. (Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Ja, (B) (D) Ich möchte gern eine Bemerkung zu der Debatte in seit Jahren!) der Bundesrepublik Deutschland machen, die ich im Au- genblick als ziemlich schrill empfinde und die gelegent- Ich lasse mich gerne auf eine kritische Debatte da- lich auch aus unseren Reihen befeuert wird. Das ist die rüber ein, ob wir das Geld zielgerichtet genug ausgeben Debatte – das ist vornehm ausgedrückt; denn in vielen und ob es effektiv eingesetzt wird. Aber angesichts der Fällen ist es gar keine Debatte – über die aktuelle und Bilder, die teilweise verbreitet werden, möchte ich in die künftige Rolle des Staates und seiner Finanzie- dieser Haushaltsdebatte ein etwas anderes Bild zeichnen. rung. Man kann darüber sehr engagiert diskutieren. Man (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) kann den Staat in seinem Ausgabeverhalten kritisieren. Man muss den Staat in seinem Ausgabeverhalten kriti- Man muss sich vor Augen halten, dass auch von se- sieren, insbesondere in der Funktion als Opposition. Das riöseren Stellen – ich rede jetzt nicht vom Boulevard – hat es immer gegeben und das wird es auch in Zukunft behauptet wird, der Staat sei gefräßig, bereichere sich, geben. arbeite für sein eigenes Konto – welches Konto auch im- mer das sein soll – und habe sich auf das Kassieren statt Aber mir ist daran gelegen, darauf hinzuweisen, dass auf das Reformieren verlegt. Mancher, Herr Koppelin, von manchen Absendern inzwischen Vorwürfe und auch erliegt dann der Versuchung, sogar im Rahmen dieser Polemiken gegen den Staat sowie gegen seine Repräsen- Debatte um des kurzfristigen rhetorischen Effektes wil- tanten in Ämtern und Mandaten gerichtet werden, die, len Bilder vom „Kartell der Abkassierer“ zu zeichnen. wie ich finde, eine neue Qualität haben und in meinen Das korrespondiert nicht mit der Selbstachtung, die die Augen gelegentlich jene Linie überschreiten, an deren politische Klasse eigentlich haben sollte. Einhaltung auch diesen Kritikern gelegen sein sollte, weil deren Überschreitung sich auf die demokratische (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Substanz unseres Gemeinwesens auswirken könnte. Der Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Sie sind keine Staat wird als Moloch verteufelt, als jemand, der sich auf Klasse!) Kosten der Steuerzahler bereichert und immer fetter – Dann bezeichnen Sie es anders. Herr Westerwelle, re- wird. Dies korrespondiert angeblich mit Sozialabbau. gen Sie sich nicht über den Begriff auf, sondern über den Das ist definitiv nicht der Fall. Sachverhalt, den ich vermittle. (Zuruf des Abg. Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]) (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Sie sind keine – Entschuldigen Sie bitte, mit 70 Cent von jedem Euro Klasse! – Ulrike Flach [FDP]: Sie regen sich Steuern, den wir einnehmen, betreiben wir Sozialpolitik. doch auf!) 3490 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006

Bundesminister Peer Steinbrück (A) Es gibt einen verbreiteten Reflex gegen das Staatli- Bürger an die Bereitstellung kommunaler bzw. staatli- (C) che, der gelegentlich jedes Augenmaß und oft auch jedes cher Leistungen zu tun. Niveau vermissen lässt. Tatsächlich ist es so, dass die Ich hielt und halte es für wichtig, diesen relativ Bürgerinnen und Bürger dieses Landes einen hand- schlichten Tatbestand an den Anfang meiner Rede zu lungsfähigen Staat brauchen. Eine 80-Millionen- stellen. Gesellschaft wie unsere ist auf intakte und politisch legi- timierte Einrichtungen, die Spielregeln erlassen, ange- Herr Koppelin, ich war über Ihre Rede, gelinde ge- wiesen; sonst würden wir im Chaos landen. Wir brau- sagt, nicht überrascht: Ich habe sie jetzt zum dritten oder chen den Staat, weil er für seine Bürger Leistungen vierten Mal gehört. Ich frage mich, ob wir nicht originel- vielfältiger Art erbringt. lere Beiträge, auch im Wechselspiel, machen können. Das fängt schon morgens an, wenn sie zur Arbeit fah- (Beifall bei der SPD) ren und dabei den öffentlichen Nahverkehr bzw. den Schienenpersonennahverkehr in Anspruch nehmen. Das Welchen Sinn hat es, sich gelegentlich über Sachver- setzt sich fort, wenn sie ihre Kinder in Kindergärten oder halte auszutauschen, wenn dies auf die politische De- Schulen schicken wollen. Die Bürger wollen, dass Hoch- batte absolut wirkungslos bleibt? Frau Hajduk, ich habe schulen vorgehalten werden. Sie wollen, dass Polizisten Ihnen die Entwicklung der Nettokreditaufnahme auf bezahlt werden. Gelegentlich wollen sie vielleicht auch das Niveau von 38 Milliarden Euro im Ausschuss und ein subventioniertes Theater besuchen. Sie wollen, dass auch hier im Plenum zwei- oder dreimal erklärt – min- öffentliche Sicherheit gewährleistet wird. Sie wollen destens! kommunale Daseinsvorsorge. Sie brauchen Ver- und (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Entsorgung. Sie möchten, dass die Bundesrepublik Aber nicht überzeugend!) Deutschland, auch im Außenverhältnis, gesichert ist. Sie möchten, dass Sportförderung betrieben wird. Und sie – Entschuldigen Sie, wenn ich das sage: Das spielt bei möchten, dass Kulturförderung betrieben wird. Das Ihnen keine Rolle. Ich habe Ihnen gesagt, dass die Netto- muss finanziert werden – oder wir müssen Abstriche ma- kreditaufnahme im Wesentlichen dadurch geprägt ist, chen. dass wir inzwischen ein Wachstums- und Investitions- programm, ein Impulsprogramm, (Beifall bei der SPD) (Widerspruch bei der FDP und dem BÜND- Wenn jemand, der zum Beispiel eine andere Auffas- NIS 90/DIE GRÜNEN) sung zur Mehrwertsteuererhöhung hat, der Regierung verabschiedet haben und bereit sind, dafür mehr Geld in vor das Schienbein treten will, ist das nachvollziehbar. die Hand zu nehmen; das war die erste Komponente. Die (B) Die Regierung und die Koalition werden das verschmer- (D) zweite Komponente, die ich hier mehrmals erklärt habe, zen müssen. Das ist eine demokratische Spielregel. Aber ist, dass wir von der Koalition die Einmaleffekte über die Vermischung von Politikschelte und Staatskritik ist die Zeitachse dieser Legislaturperiode, wie ich finde, unredlich. Ich füge hinzu: Sie ist auch gefährlich. Jeder sehr vernünftig verteilt haben. muss die aktuelle Politik und die Mitglieder der Bundes- regierung kritisieren dürfen. Aber dazu muss man kein (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Zerrbild unseres Staates zeichnen und die Bürger nicht CDU/CSU) gegen den Staat in Stellung bringen. Die dritte Komponente sind Mehrkosten mit Blick auf (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Hartz IV. Das sind die drei Komponenten, wegen deren wir auf das Niveau von 38 Milliarden Euro kommen. Abschließend zur Frage: Wer ist der Staat? Es wird immer der Eindruck erweckt, als bestünde der Staat aus (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- irgendwelchen Leuten „da oben“ und als sei das eine NEN]: Sie sind zu klug, um das selber zu glau- sich bereichernde und unfähige Politikerkaste. Dem leis- ben!) ten wir sogar Vorschub, auch durch wechselseitige Vor- Herr Koppelin, Sie reden wiederholt davon, der Bun- würfe, die gelegentlich über das erträgliche Maß hinaus- deshaushalt sei verfassungswidrig. Das tun Sie, weil Sie gehen. diese Aussage in der Zeitung wieder finden wollen. Ich möchte betonen: Wir alle sind der Staat. Durch (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Stimmt ja Wahlakte haben die Bürgerinnen und Bürger die Aus- auch!) übung staatlicher Gewalt für eine begrenzte Zeit dele- giert und demokratisch legitimiert. Dennoch besteht der – Es stimmt nicht. Sie sind zwar Jurist, Herr Staat aus uns allen. Wenn wir also über das Ausgabever- Westerwelle, aber ich muss doch Zweifel haben, ob Sie halten des Staates reden, reden wir auch über unser Ver- die Verfassung richtig interpretieren. halten und unsere Erwartungen. Teilweise sind die (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ich habe es Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger an die Bereit- ihm erklärt! – Bernhard Brinkmann [Hildes- stellung staatlicher Leistungen gewachsen. Es liegt also heim] [SPD]: Ganz tiefe Zweifel, Herr nicht nur an den verrückt gewordenen Politikern, dass Westerwelle!) uns gelegentlich manches aus dem Ruder gelaufen ist, sondern das hat auch etwas mit nicht mehr zu bedienen- Wir überschreiten die Regelgrenze des Art. 115. Aber den, weil nicht mehr zu finanzierenden Erwartungen der das ist keineswegs verfassungswidrig. Doch Sie argu- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006 3491

Bundesminister Peer Steinbrück (A) mentieren genau so, weil Sie gerne eine Zeitungsüber- in diesem Interview – wie übrigens auch in vielen ande- (C) schrift „FDP hält den Bundeshaushalt für verfassungs- ren Interviews –, dass wir Freie Demokraten aus volks- widrig“ hätten. wirtschaftlichen Gründen strikt gegen eine Mehrwert- steuererhöhung sind. Ich darf Sie daran erinnern, dass (Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Macht Sie selbst als Sozialdemokrat überhaupt nur auf dieser der Hirche doch mit in Hannover!) Regierungsbank sitzen – – Mit Blick auf die Mehrwertsteuererhöhung war ich eher erstaunt, dass Sie nicht ganz so viele Zitate gebracht Peer Steinbrück, Bundesminister der Finanzen: haben wie Herr Westerwelle in den letzten Debatten. Er Das haben Sie mir jetzt schon ein paar Mal gesagt; war auch etwas aufgeregter in der Gestik; auch das erle- das ist doch nichts Neues. ben wir das vierte oder fünfte Mal. (Jürgen Koppelin [FDP]: Aber es stimmt (Zuruf: Und sehr laut!) doch!) – Auch sehr laut. – Wiederholung, Wiederholung; so etwas haben Sie in Ich stelle jetzt einmal die Gegenthese in den Raum. jeder Rede gesagt. (Jürgen Koppelin [FDP]: Herr Professor! Herr Professor!) Dr. Guido Westerwelle (FDP): Herr Präsident, könnten Sie dem Minister sagen, dass Die Gegenthese lautet: Herr Westerwelle, wenn Sie tat- eine Zwischenfrage aus einer Frage und einer Antwort sächlich dort gelandet wären, wo Sie gerne gelandet wä- besteht? ren, nämlich in der Regierung, dann hätten Sie die Mehr- wertsteuererhöhung mitgemacht. (Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP]) (Otto Fricke [FDP]: Sie in der Opposition Präsident Dr. Norbert Lammert: auch!) Es wäre gut, wenn möglichst bald die Frage käme, da- Ja, Sie hätten sie mitgemacht! mit auch möglichst bald die Antwort erfolgen kann. Sie haben im Mai des Jahres 2005 dem ZDF ein, wie (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ich finde, ganz interessantes Interview gegeben. Ich zi- der CDU/CSU) tiere aus der Zusammenfassung: Auf die Frage, ob er, Herr Westerwelle, seine Unterschrift unter einen Koali- Dr. Guido Westerwelle (FDP): (B) tionsvertrag setzen würde, der eine Erhöhung der Mehr- Das ist natürlich wahr; ich danke Ihnen, Herr Präsi- (D) wertsteuer vorsehe, antwortete Westerwelle, er werde dent, dass Sie mir das noch einmal klar gemacht haben. nicht apodiktisch sagen: Niemals, nimmer, auf gar kei- nen Fall und nur über meine Leiche. Herr Minister, ich möchte Sie fragen: Sind Sie bereit, das ganze Zitat wiederzugeben? Und wie können Sie er- (Abg. Dr. Guido Westerwelle [FDP] meldet klären, dass Sie mir heute eine Ansicht vorwerfen, die sich zu einer Zwischenfrage) Sie selbst im Wahlkampf so oft vertreten haben? Sie wa- Was Sie uns vorhalten, auch mit Blick auf die richtige ren doch selbst gegen eine Erhöhung der Mehrwertsteuer Beschreibung der Position vor und nach der Wahl, das und sitzen auf dieser Regierungsbank doch nur, weil Sie ist so vorgetragen, als ob Sie sich in denselben Zwängen gegen die Mehrwertsteuererhöhung Wahlkampf gemacht befänden wie diese Koalition. Unter der Notwendigkeit, haben. Darf ich Sie daran erinnern, dass meine Partei in einer Regierung Verantwortung zu übernehmen, hät- hätte regieren können, wenn wir bereit gewesen wären, ten Sie diese Mehrwertsteuererhöhung genauso vorge- Ihrer Einladung zu folgen und all die Wahlversprechen nommen wie wir in dieser großen Koalition; insofern ist zu brechen, vieles an Ihren Vorwürfen bigott. (Zurufe von der SPD: Oh!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der die wir gegeben haben, wozu wir, anders als Sie, nicht CDU/CSU – Hans Michelbach [CDU/CSU]: bereit gewesen sind? Das schreibt er nicht in der „Bild“-Zeitung!) (Beifall bei der FDP – Bernhard Brinkmann [Hil- Präsident Dr. Norbert Lammert: desheim] [SPD]: Immer noch Frust!) Herr Minister, darf der Kollege Westerwelle Ihnen eine Frage stellen? Peer Steinbrück, Bundesminister der Finanzen: Herr Präsident, ich muss zugeben, dass ich die Frage Peer Steinbrück, Bundesminister der Finanzen: nach diesem längeren Beitrag von Herrn Westerwelle Bitte sehr. leider vergessen habe. Ich habe gar keine Mühe damit, zuzugeben, dass ich Dr. Guido Westerwelle (FDP): eine Position im Bundestagswahlkampf gehabt habe. Herr Minister, zunächst einmal will ich darauf auf- Das tue ich sofort und das habe ich auch in der letzten merksam machen, dass Sie bei diesem richtigen Zitat ei- Sitzung des Bundesrates getan. Ich habe auch zugege- nes weglassen, nämlich die klare Aussage meiner Person ben, dass eine Mehrwertsteuererhöhung konjunktur- 3492 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006

Bundesminister Peer Steinbrück (A) dämpfend bzw. konjunkturschädlich ist. Die Frage ist Seite Wachstum und Impulse zu geben – nicht zuletzt (C) nur, wie das in der Abwägung mit anderen relativen durch ein Programm von 25 Milliarden Euro, das durch Nachteilen aussieht. die Länder um weitere 12 Milliarden Euro und durch die dadurch ausgelösten privaten Investitionen ergänzt wird, (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Richtig!) sodass wir über mehr als nur über die 37 Milliarden Euro Ich komme dabei zu dem Ergebnis, dass diese Mehr- reden, die staatlich in Gang gesetzt wurden – und auf der wertsteuererhöhung unter den obwaltenden Bedingun- anderen Seite eine notwendige Konsolidierung zu errei- gen das weniger Schädliche ist. Das ist das Ergebnis un- chen. serer Abwägung. Frau Hajduk, bezogen auf Ihre Einlassung bin ich er- Bezogen auf mich habe ich Ihnen nichts vorgehalten. staunt. Sie sagten, wir könnten im Jahre 2006 das Ich halte Ihnen nur vor, dass Sie hier in mehreren Reden Maastrichtkriterium von unter 3 Prozent erreichen, und auch heute wieder sehr redundant einen bestimmten und Sie fragten, warum die Bundesregierung das nicht Eindruck vermittelt haben, wobei ich mir ziemlich sicher anstrebe. Die Antwort lautet: Ja, am Ende dieses Jahres bin, dass Sie genau so wie wir entschieden hätten, wenn könnten wir dieses Maastrichtkriterium von unter Sie dort auf der Regierungsbank sitzen würden. Das ist 3 Prozent erreichen. Aber wenn sich die Bundesregie- mein Vorwurf an Sie. rung dies zum Ziel gesetzt hätte, dann hätte sie bei der Haushaltsverabschiedung im Februar korrespondie- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) rende Maßnahmen nach Brüssel berichten müssen. Der erste Teil des Zitats, den Sie ja nicht für falsch er- (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, klärt haben – den zweiten Teil besorge ich mir gerne –, das hätten Sie in der Tat machen müssen!) gibt Nahrung und Perspektive für die Annahme, dass Sie sich so wie wir eingelassen hätten. Darauf will ich vor Diese hätten wir auch ergreifen müssen. Unsere unter- dem Hintergrund Ihrer wiederholten Darstellung bis hin schiedliche Einschätzung besteht darin: Dadurch wäre zu dieser Fragestellung hinaus. das Kriterium verletzt worden, die Konjunktur nicht ein- zutrüben. Meine Damen und Herren, diese Lesung eines Haus- haltes ist die erste seit sehr langer Zeit, die mitten in ei- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) nem stabilen Konjunkturaufschwung stattfindet. Das Das ist ein ganz unterschiedlicher inhaltlicher Ansatz. ist anders als in den vergangenen Jahren. Die Stimmung Den kann man bewerten, aber bitte nicht mit Unterstel- in der deutschen Wirtschaft ist so gut wie seit 16 Jahren lungen gegenüber der Bundesregierung arbeiten. Das ist nicht mehr. Das sagen mehrere Protagonisten, insbeson- ausgesprochen vorsätzlich. Ich halte die Politik dieser dere auch der DIHK. Die zentralen konjunkturellen (B) Bundesregierung für das Jahr 2006 für absolut richtig. (D) Kennziffern, der Ifo-Geschäftsklimaindex und der Kon- sumklimaindex, die Zahlen für die Gesamterzeugung Die große Koalition kann für sich in Anspruch neh- des produzierenden Gewerbes, die Ausrüstungsinvesti- men, dass wir niemandem etwas vormachen. tionen und die Auftragseingänge sowie der Export haben seit Monaten eine klare Tendenz nach oben mit anhal- (Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Außer euch tend positiven Prognosen. selbst!) Ich will nicht missverstanden werden und schon gar Wir haben eine realistische Bestandsaufnahme gemacht nicht behaupten, dass die Politik der Bundesregierung und wir rechnen sehr konservativ bezüglich dessen, was diese positive Entwicklung ausgelöst hat. auf uns zukommt. Wir rechnen uns nicht gesund und wir rechnen nicht zweckoptimistisch. Es kann sein, dass die (Jürgen Koppelin [FDP]: Oder dass das Bundesregierung am Ende dieses Jahres wirtschaftliche war!) Kennziffern – auch Haushaltskennziffern – vertreten kann, die besser sind als heute. Ich würde mich darüber Das war nie unser Anspruch. Wir nehmen den Mund hier freuen, weil die Bundesregierung dem Publikum dann nicht zu voll; aber ich nehme für die Bundesregierung zum ersten Mal seit langem sagen könnte, dass sie sich und für die große Koalition in Anspruch, dass wir einen zugunsten der Konjunktur, des Wachstums, der Beschäf- wichtigen Beitrag dazu leisten, dass das so ist. Das sage tigung und des Haushalts geirrt hat, was sehr vertrauens- ich mit dem gebotenen Selbstbewusstsein. bildend wäre. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) An dieser Stelle möchte ich den Kolleginnen und Es zeigt sich zunehmend, dass die von uns vertretene Kollegen aus den Koalitionsfraktionen sehr herzlich Doppelstrategie für den Haushalt 2006 und 2007 richtig danken, die das parlamentarische Verfahren sehr en- ist, nämlich in 2006 alles zu tun, um die Konjunktur zu gagiert, kritisch und konstruktiv gestaltet haben. Sie ha- unterstützen, und alles zu unterlassen, was den konjunk- ben bereits im Februar 2006 ein solides haushaltspoliti- turellen Verlauf auf der Einnahme- und der Ausgaben- sches Fundament gelegt. Die Änderungen gegenüber seite beschädigen oder eintrüben könnte, um 2007 einen dem Regierungsentwurf sprechen für den Ehrgeiz dieser konsolidierten Haushalt und eine in der Tendenz weiter Koalition, Gutes besser zu machen und selbst gesteckte konsolidierende mittelfristige Finanzplanung vorzule- Ziele sogar noch zu überbieten. Die Beispiele sind Ihnen gen. Das heißt, in der Logik der Politik der Bundesregie- geläufig: Die Nettokreditaufnahme wird um 110 Millio- rung gehört beides zusammen, weshalb ich häufig von nen Euro geringer ausfallen. Der moderate Ausgaben- der doppelten Tonlage spreche, nämlich auf der einen kurs wird fortgesetzt. Die globalen Minderausgaben Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006 3493

Bundesminister Peer Steinbrück (A) werden um nicht weniger als fast ein Drittel weiter redu- Peer Steinbrück, Bundesminister der Finanzen: (C) ziert; das sind immerhin 500 Millionen Euro. Ich freue Nein, ich habe nur noch sehr wenig Redezeit. Außer- mich, dass wir damit unsere Konsolidierungsziele noch dem bin ich jetzt ganz gut in Schwung. stärker übertroffen haben, als es in dem Regierungsent- ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: wurf festgehalten war. Herzlichen Dank dafür! Das ist eine Selbsteinschätzung!) Ich möchte auch bestätigen, dass die Koalitionsfrak- Deswegen möchte ich gerne weitermachen. tionen einem möglichen Vorurteil begegnet sind, näm- lich dass eine so große Mehrheit eher zu Bequemlich- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der keit, vielleicht auch zu Überbietungswettbewerb und zu CDU/CSU) Selbstzufriedenheit neigen könnte. Das tut sie nicht. Da- Dasselbe gilt auch für die Arbeitsmarktpolitik. Hier mit hat diese große Koalition ein wichtiges Signal ge- 4 Milliarden Euro einzusparen, wie es, glaube ich, die setzt. FDP vorschlägt – sie ist einer der Lieblingsgegner der Langzeitarbeitslosen –, hieße, die aktive Arbeitsmarkt- Sie hat sich den Realitäten gestellt. Das kann ich von politik massiv zu kürzen. Das ist völlig irrational. den Vorschlägen der Opposition nicht behaupten. Ähnliches gilt für Forderungen nach Kürzungen bei (Widerspruch bei der FDP) den Kohlesubventionen. Hier möchte ich in keine Grundsatzdebatte einsteigen. Vielmehr möchte ich – Ich gehe auf einiges ein. Die FDP hat Vorschläge mit schlicht und einfach darauf hinweisen, dass die FDP, einem Einsparvolumen von 9,4 Milliarden Euro ge- ausgestattet mit juristischem Sachverstand, darüber hin- macht, die Grünen – helfen Sie mir, Frau Hajduk – for- weggeht, dass es bindende Zuwendungsbescheide in der dern Einsparungen von 6 Milliarden Euro; da bin ich mir Perspektive bis 2008 gibt. Sie aber machen Vorschläge nicht ganz sicher. für 2006. Irgendjemand in Ihren Reihen müsste Ihnen doch sagen, dass Rechtsansprüche entstanden sind und (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: dass das, was Sie vorschlagen, jenseits einer Grundsatz- Das ist einnahmeseitig!) debatte über die Kohle, nicht zu erreichen ist. Etwas um- gangssprachlicher formuliert und hoffentlich ohne eine – Gut, wie auch immer. Die Linkspartei möchte gerne Intervention des Herrn Bundestagspräsidenten nach sich 1 Milliarde Euro draufsatteln. Sie möchte also den zu ziehen: Das, was Sie vorgelegt haben, ist schlichter Schuldenstand in der Bundesrepublik Deutschland noch Unsinn! weiter erhöhen. Aber das ist Utopia 2006. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (B) (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Falsch der CDU/CSU) (D) nachgerechnet!) Dasselbe lässt sich bei den Vorschlägen der Grünen und auch der Linkspartei nachweisen. Ich will nur zwei Ihren Ehrgeiz, noch mehr einzusparen, liebe Kollegen Beispiele nennen. Das erste Beispiel ist die Rückzahlung von der FDP und den Grünen, in allen Ehren, aber es von Zuschüssen für den Steinkohleabsatz, den die Grü- muss auch realistisch sein. Mehrere Redner der Koali- nen wegen gestiegener Weltmarktpreise fordern. Hierzu tion haben bereits darauf hingewiesen: Was Sie vorle- gibt es nicht einmal eine abgeschlossene Abrechnung. gen, ist nicht realistisch. Ich muss nicht wiederholen, Wie können Sie dann so etwas fordern? was Sie hinsichtlich des Verteidigungsetats vorschlagen: Die FDP will 1,1 Milliarden Euro, die Grünen wollen (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- fast 500 Millionen Euro und die Linkspartei will sogar NEN]: Dann machen Sie doch mal! – Anja 2,6 Milliarden Euro einsparen. Dies ist auch vor dem Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Hintergrund der internationalen Verpflichtungen der war 2003! Darauf warten wir noch heute!) Bundesrepublik Deutschland und mit Blick auf die Kon- – Entschuldigen Sie bitte, aber wir müssen die normale sequenzen für die Soldaten und Soldatinnen, aber auch Reihenfolge einhalten. Das, was Sie in die Welt setzen, in Bezug auf Verträge mit Erfüllungsansprüchen, die wir ist populistisch. nicht so einfach kündigen können, nicht zu realisieren. Dasselbe gilt für Ihre Vorschläge, die Wohnungsbauprä- Das zweite Beispiel: Die Linkspartei will höhere Ein- mien und die Beiträge für nationale und internationale nahmen von 1,25 Milliarden Euro aus dem Maut- Organisationen zu kürzen, sowie diverse andere Punkte. schiedsgerichtsverfahren in den Haushalt einstellen. Das klingt fantastisch, hat aber einen Pferdefuß: In die- (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: sem Jahr ist in dieser Auseinandersetzung überhaupt Wer hat Ihnen denn den Unsinn aufgeschrie- kein Urteil zu erwarten. Wie können Sie dann ben?) 1,25 Milliarden Euro einstellen wollen? Keiner der Vorschläge von der FDP, den Grünen und Sie sind schlicht und einfach nicht realitätsfest, sondern der Linkspartei sowieso nicht würde das Problem des irrational. verfassungswidrigen Haushalts lösen, den uns Herr Koppelin vorwirft. Auch Ihre Vorschläge würden dazu Präsident Dr. Norbert Lammert: führen, dass nach Ihrer Interpretation der Haushalt ver- fassungswidrig wäre. Herr Minister, würden Sie eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Dr. Dehm zulassen? (Joachim Poß [SPD]: Ja!) 3494 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006

Bundesminister Peer Steinbrück (A) Ich finde es faszinierend: Sie stellen sich hier hin und diesen Zielen wird nicht gewackelt. Glauben Sie nicht (C) kritisieren die Bundesregierung dafür, dass sie einen ver- den Zeitungsartikeln; glauben Sie mir! fassungswidrigen Haushalt vorlegt. Aber sehr schnell (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei kommt man zu dem Ergebnis, dass Sie ebenfalls die Re- Abgeordneten der CDU/CSU) gelgrenze nach Art. 115 des Grundgesetzes verletzen würden. Diese Logik ist faszinierend. Es liegen schwere Brocken vor uns. Deshalb ist es kein Widerspruch, Herr Koppelin, über Risiken zu reden (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Joachim und trotzdem nach bestem Wissen und Gewissen Haus- Poß [SPD]: Dieser logische Schritt fehlt ih- halts- und Finanzpolitik zu betreiben. Wir sind von Risi- nen!) ken umzingelt, um dieses Verb aufzugreifen. Man muss sie kennen, um verantwortliche Politik zu machen. Man Noch eine Zwischenbemerkung, Herr Koppelin. darf sich nicht von ihnen erdrücken lassen. Im Übrigen Wenn man einmal einen Weg eingeschlagen und seinen gleichen sich gelegentlich manche dieser Entwicklungen Stil gefunden hat, dann sollte man dabei bleiben. Das aus. heißt, wenn Sie mir und der Bundesregierung vorwerfen, wir würden Gammelfleisch verteilen, dann sollten Sie Ich will aber kein Hehl daraus machen, dass mit der dem Hersteller nicht anschließend die Hand reichen wol- Gesundheitsreform, der Unternehmensteuerreform, der len. Das passt nicht zusammen. Optimierung der Arbeitsmarktpolitik und dem Haus- haltsentwurf 2007, den das Kabinett am 5. Juli beschlie- (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der ßen will, schwere Brocken vor uns liegen. Insbesondere SPD) der Bundeshaushalt 2007 ist von erheblicher Bedeutung, wenn die Konsolidierungsmaßnahmen – auch und ge- Es gibt nur zwei Erklärungen dafür, dass Sie solche rade durch die Mehrwertsteuererhöhung – greifen. Dabei Vorschläge machen, die erkennbar nicht realitätsfest ist es in gewisser Weise beispielgebend, in welcher Ton- sind. Die erste lautet: Sie wissen es nicht besser. Aber in lage und mit welchen Absichten wir über dieses Thema Wertschätzung Ihrer intellektuellen Kapazitäten weise reden. ich das mit dem Ausdruck des Abscheus und der Empö- rung zurück. Die zweite lautet: Sie wissen es besser, aber In den meisten Debatten geht verloren – damit Sie stellen sich ahnungslos. Damit haben Sie sich aller- komme ich zum Schluss –, dass bei der Mehrwertsteuer- dings ein Armutszeugnis ausgestellt. Ich kann mit diesen erhöhung die Arbeitnehmer und Arbeitgeber in der Bun- Vorschlägen nichts anfangen. desrepublik Deutschland durch die Absenkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge um 14,4 Milliar- Erlauben Sie mir zum Schluss einige Bemerkungen den Euro entlastet werden. Frau Hajduk hat das infrage (B) zum Haushaltsbegleitgesetz. Ich bin dem Bundesrat gestellt, nach dem Motto „Die Menschen ahnen schon (D) dankbar, dass er dem Gesetz am vergangenen Freitag zu- wieder etwas“. Die Menschen ahnen aber nichts. Mög- gestimmt hat. Damit wird ein Kernbestandteil unserer lich ist höchstens, dass Sie ihnen etwas einreden und un- Strategie zur Konsolidierung der Haushalte – ich rede ser Vorhaben in Zweifel stellen. von den öffentlichen Haushalten insgesamt – herbeige- (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: führt. Ich erinnere daran, dass dies nicht nur mit Blick Aber Sie erhöhen doch die Rentenbeiträge!) auf den Bundeshaushalt nötig ist. Es gibt sieben oder acht Länder, die im Aufstellungsverfahren die Regel- Was die Menschen glauben und wie viel Vertrauen sie zu grenze ihrer Verfassungen verletzen. Die wenigen dem fassen, was wir in der Politik entscheiden, ist auch Länder, die das Haushaltsbegleitgesetz im Bundesrat ab- von Ihrer öffentlichen Rede abhängig und davon, wie gelehnt haben, haben das in einer Haltung der hoff- Sie an manche Punkte herangehen. nungsvollen Verweigerung – nach dem Motto „Hoffent- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – lich stimmen die anderen zu“ – getan. Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und von Ihrer Ehrlichkeit, Herr Steinbrück! (Heiterkeit bei der SPD) Ihre Selbstgefälligkeit hilft Ihnen heute auch Das stimmt leider insbesondere für das Bundesland, in nicht weiter!) dem ich zu Hause bin und für das ich längere Zeit Ver- – Das ist keine Selbstgefälligkeit. antwortung gehabt habe. (Beifall bei der SPD – Joachim Poß [SPD]: Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Rüttgers!) Denken Sie bitte an Ihre Redezeit.

– Nicht mehr. Damit habe ich keine Mühe. Peer Steinbrück, Bundesminister der Finanzen: Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie den Haushaltsent- Ich will an dieser Stelle auch darauf hinweisen, dass wurf in der vorgesehenen Fassung verabschieden wür- für die Bundesregierung – ich sage das gezielt wegen den. Ich darf Ihnen in Aussicht stellen, dass wir dann mancher Pressespekulationen, die offenbar immer aufs sehr schnell – nämlich gleich nach der Sommerpause – Wochenende fallen – die beiden Ziele für 2007 und die in die nächsten Haushaltsberatungen hineingehen wer- Folgejahre, die Regelgrenze des Art. 115 des Grundge- den. Ich freue mich, wenn ich Ihnen dabei wieder Rede setzes einzuhalten und das Maastrichtverfahren zu be- und Antwort stehen darf. streiten, sodass wir wieder von den Auflagen entlastet werden, für uns von konstitutiver Bedeutung sind. An Herzlichen Dank. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006 3495

Bundesminister Peer Steinbrück (A) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Hermann Otto Solms (FDP): (C) Jürgen Koppelin [FDP]: Antworten haben Sie Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen in Ihrer Rede nicht gegeben!) und Kollegen! Ich werde unabhängig davon, welche Schulnote ich nun für Betragen oder Ausdruck von unse- Präsident Dr. Norbert Lammert: rem neuen Schulmeister Peer Steinbrück bekomme, das sagen, was ich für richtig halte. Zu einer Kurzintervention erhält das Wort der Kollege Dr. Dehm, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): GRÜNEN) Herr Bundesminister, wenn Sie darum bitten, Ihnen Das ist schließlich die Aufgabe der Opposition. Im Übri- zu glauben, dann sollten Sie bedenken, dass es den Glau- gen lohnt es sich, über bestimmte Grundsatzfragen zu ben erschüttern könnte, wenn Sie so mit Zahlen umge- streiten. Wenn beispielsweise die Mehrheit der deut- hen, wie Sie mit Zitaten des Kollegen Westerwelle um- schen Bevölkerung den Eindruck hat, dass in Deutsch- gegangen sind, und wenn Sie eine Zwischenfrage mit land Nichtarbeit durch den Staat und seine Instrumente dem Hinweis auf Ihre beschränkte Redezeit nicht zulas- zu stark gefördert und Arbeit zu stark belastet wird, dann sen. Dabei weiß doch sicherlich jeder, der dieser Debatte ist das ein Grund, darüber zu streiten und zu fragen, ob zuhört, dass eine Zwischenfrage und die Antwort darauf eine bessere Justierung möglich ist. Es ist gerade die nicht auf die Redezeit angerechnet werden. Das erschüt- Aufgabe der Regierung, die aus ihrer Sicht richtige Jus- tert dann auch ein bisschen Ihre Glaubwürdigkeit. tierung vorzunehmen, und die Aufgabe der Opposition, dort zu kritisieren, wo etwas zu kritisieren ist. Es gibt (Zuruf von der CDU/CSU: Das hat er doch gar viele Beispiele, über die es sich lohnt zu streiten, und nicht gesagt! – Weiterer Zuruf von der CDU/ zwar auch heftig; denn es geht um das Schicksal der CSU: Wahrheitsverdreher!) Menschen in diesem Land. Ich will Ihnen jetzt meine Fragen stellen. Sind Sie be- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten reit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Linkspartei in al- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) lererster Linie an der Einnahmesituation des Staates inte- ressiert ist? Auch nach den Haushaltsberatungen bleibt es dabei: Der Bundeshaushalt 2006 und die Finanzplanung bis (Vorsitz: Vizepräsidentin Katrin Göring- 2009 sind eine einzige finanzpolitische Bankrotterklä- Eckardt) rung. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass wir in (B) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (D) diesem Zusammenhang immer darauf hingewiesen ha- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ben, dass Sie und auch Ihre Vorgängerregierung willkür- lich und bewusst den Staat verarmen, indem Sie auf Dafür trägt die Regierung Merkel/Müntefering nun ein- Steuereinnahmen verzichten? Sind Sie darüber hinaus mal die Verantwortung und nicht die Opposition, der bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Freistellung man gerne die Verantwortung zuschieben will. Das, was von Veräußerungsgewinnen der Staatskasse sowohl Sie hier vorlegen, ist kein Zukunftsentwurf, sondern ein unter der Vorgängerregierung und als unter der jetzigen Armutszeugnis. Die Neuverschuldung übersteigt sogar noch die im letzten Haushalt von vorgese- Regierung – daran waren Sie, Herr Steinbrück, nicht hene Nettokreditaufnahme um 7 Milliarden Euro und ganz unbeteiligt – Milliarden entzogen hat? den Wert in der mittelfristigen Finanzplanung um Darf ich Sie fragen, wie es in diesem Land ankommt, 16 Milliarden Euro. Es ist dreist und unehrlich gegen- wenn man um Steuerehrlichkeit sowie die Vertrauens- über den Bürgern, dies als Erfolg und Neuanfang zu ver- würdigkeit und die Verbindlichkeit unseres Steuersys- kaufen. tems wirbt und wenn gleichzeitig ein Mensch wie Franz (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Beckenbauer – wir sollten bei Steuermeidung nicht nur des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) über die Deutsche Bank, Daimler oder BMW reden –, der seinen Wohnsitz in Kitzbühel hat und ständig mit der Stattdessen bleibt alles wie gehabt: noch mehr Schul- Bundeskanzlerin gesehen wird, in Deutschland keine den und keine Korrektur an der ungezügelten Ausgaben- Steuern zahlt? erweiterung. Geschönt werden soll die katastrophale Situation durch als Haushaltsentlastung titulierte vielfäl- (Beifall bei der LINKEN – Dr. Martina tige Steuererhöhungen. Damit werden alle Anstrengun- Krogmann [CDU/CSU]: Jetzt wird es ganz gen zur Erhöhung des Wirtschaftswachstums und zur peinlich!) Ankurbelung der Binnenkonjunktur zunichte gemacht. Im Übrigen beruhen die Maßnahmen auf einem eklatan- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: ten Wahlbetrug der beiden regierenden Parteien. Darauf Herr Steinbrück, möchten Sie darauf antworten? – werden wir die nächsten drei Jahre ständig hinweisen. Das ist nicht der Fall. Das ist unsere Pflicht; denn wir müssen uns dem Wähler stellen und ihm gegenüber ehrlich sein. Wir dürfen nicht Dann erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Hermann das Gegenteil von dem tun, was wir im Wahlkampf ver- Otto Solms, FDP-Fraktion. sprochen haben. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP und der LINKEN) 3496 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006

Dr. Hermann Otto Solms (A) Mittelfristig verschlechtern sich die Aussichten für heißen beschönigend: Gesetz zum Einstieg in ein steuer- (C) mehr Wachstum und eine nachhaltige Haushaltskonsoli- liches Sofortprogramm, Haushaltsbegleitgesetz, dierung, weil die Zahl der sozialversicherungspflichtig Steueränderungsgesetz usw. Niemand, der diese Be- Beschäftigten weiter zurückgehen wird. Damit fallen zeichnungen hört, befürchtet, dahinter verberge sich noch mehr Menschen als Steuer- und Beitragszahler aus. Dramatisches. Ebendies ist aber der Fall. Wenn Sie die aktuelle Ausgabe des „Spiegel“ lesen, dann stellen Sie fest, dass die verbesserte Arbeitslosen- Ich wette, dass die Abgeordneten der Koalition gar statistik nicht auf tatsächlichen Entwicklungen beruht, nicht mehr wissen, welche Mehrbelastungen sie schon sondern auf statistischen Manipulationen. Die momen- beschlossen haben oder dabei sind zu beschließen. Des- tane Entwicklung der Arbeitslosigkeit ist saisonüblich. wegen will ich Ihnen die Freude machen, das in Erinne- Sie sollten also nicht so große Töne spucken. Wir sind rung zu rufen. So können Sie sich das einprägen und vor weiterhin in einer beängstigenden Situation, was die Ar- Ihren Wählern Rechenschaft ablegen. beitslosigkeit betrifft. Die Verbraucher, insbesondere die Familien, werden Ich will auf einige wesentliche Punkte des Bundes- belastet. Erhöhung der Mehrwertsteuer: 12,36 Milliar- haushalts hinweisen. Erstens. Der Bundeshaushalt 2006 den Euro; Erhöhung der Versicherungsteuer: knapp ist vorsätzlich verfassungswidrig. Zu diesem Schluss 2 Milliarden Euro; Abschaffung der Eigenheimzulage: kommen auch Sie, wenn Sie Art. 115 des Grundgesetzes 3,5 Milliarden Euro; Gewährung von Kindergeld und richtig lesen. Wenn Sie anderer Meinung sein sollten, Kinderfreibetrag nur noch für Kinder unter 25 Jahren: dann empfehle ich: Warten wir doch einmal ab, was das 534 Millionen Euro; Tausch von Erziehungsgeld gegen Bundesverfassungsgericht dazu sagt! Es ist aufgefor- Elterngeld. Dazu ist noch etwas Besonderes zu sagen. dert, ein endgültiges Urteil zu fällen. Der Bezug auf die Das Erziehungsgeld in Höhe von 1,9 Milliarden wird ab- Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts geschafft, dafür wird mit 4 Milliarden das Elterngeld scheint mir jedenfalls bei einem Wachstum von 1,6 bis eingeführt. Allerdings bezahlen die Eltern das doppelt 2 Prozent weit hergeholt zu sein. und dreifach, zum Beispiel über die Mehrwertsteuer- erhöhung, über die Kürzungen beim Kindergeld, über Zweitens. Die Bundesregierung legt zum fünften Mal die Erhöhung bei der Versicherungsteuer und weitere und in voller Absicht einen stabilitätswidrigen Haus- Abgabensteigerungen. Abschaffung des Sonderausga- halt vor, obwohl – bei ohnehin steigenden Steuereinnah- benabzugs für Steuerberatungskosten: 600 Millionen men – die Lücke durch entschlossene Sparanstrengun- Euro. Das ist besonders elegant: Einerseits verkompli- gen ohne weiteres zu schließen wäre. Dazu haben die ziert man das Steuerrecht weiter, andererseits streicht Haushälter der FDP ein „Sparbuch“ vorgelegt. Wir wol- man die Steuerabzugsfähigkeit von Beraterkosten. len zeigen, dass wir bereit sind, auch unbequeme Einspa- (B) (D) rungen zu verlangen und dafür geradezustehen. Wir (Beifall bei der FDP sowie des Abg. glauben, dass wir das im Hinblick auf die Gesamtverant- Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]) wortung tun müssen. Reduzierung des Sparerfreibetrages: 750 Millionen (Beifall bei der FDP) Euro; Besteuerung von Kohle als Heizstoff: 33 Millio- nen Euro. Drittens. Trotz vollmundiger Sparversprechungen steigen die Bundesausgaben von 2006 bis 2009 weiter Für die Wirtschaft: Abschaffung der degressiven um 13,6 Milliarden Euro an. Von einem Sparhaushalt AfA für den Wohnungsbau: 150 Millionen Euro; Be- kann also keine Rede sein. schränkung der Verlustverrechnung bei Steuerstun- dungsmodellen: 2,135 Milliarden Euro; Verschärfung bei Viertens. Das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts der Gewinnermittlung für Freiberufler: 500 Millionen hat die Bundesregierung völlig aus den Augen verloren. Euro. Selbst in den Folgejahren bis 2009 verharrt die mittel- fristige Finanzplanung bei einer Neuverschuldung von Für die Arbeitnehmer: Abschaffung des Freibetrages mehr als 20 Milliarden Euro. Die Schuldenlast, die un- für Abfindungen: 450 Millionen Euro; Abschaffung des sere Kinder und Enkel zu tragen haben, steigt kontinu- Freibetrages für Heirats- und Geburtsbeihilfen: ierlich weiter. 50 Millionen Euro; Abschaffung der Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer: 300 Millionen Euro; Rei- Fünftens. Der Investitionsverfall findet in der mittel- chensteuer für gutverdienende Arbeitnehmer: 1,3 Mil- fristigen Finanzplanung seine Fortsetzung. Die Investi- liarden. tionsquote sinkt von 8,9 auf 8,5 Prozent im Jahre 2009. Ich erinnere daran: Im Jahre 1998 lag die Investitions- Schließlich die Autofahrer, zusätzlich zu den Steuer- quote noch bei 12,5 Prozent. Daran sehen Sie, was die erhöhungen – insbesondere der Mehrwertsteuer –: Strei- rot-grüne Regierung und jetzt die schwarz-rote Regie- chung der Entfernungspauschale: 2,53 Milliarden Euro; rung getan bzw. unterlassen hat. Besteuerung von Biokraftstoffen: 370 Millionen Euro; Verschärfung der Einprozentregelung für Dienstwagen: Sechstens. Die in vielen Gesetzen unter harmlosen 255 Millionen Euro – wobei man auch noch bedenken Bezeichnungen verborgenen direkten und indirekten muss, welches Chaos in den Vorschriften bei der Dienst- Steuern und Abgaben sind unsozial, wirtschaftsfeind- wagenregelung besteht. lich und arbeitsplatzvernichtend. Das brauchen Sie mir nicht zu glauben; das wird die wirtschaftliche Entwick- (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dr. Diether lung in den nächsten Jahren beweisen. Die Gesetze Dehm [DIE LINKE]) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006 3497

Dr. Hermann Otto Solms (A) Allein um das richtig zu machen, braucht man einen Dieser Konflikt wird bei dem auch heute immer wie- (C) Steuerberater. der angesprochenen Thema der Mehrwertsteuererhö- hung offensichtlich. Ein Drittel der Mittel durch diese Hinzu kommt der so genannte Gesundheitssoli. Da- Steuererhöhung ist ein Beitrag zur Stärkung der Be- hinter verbirgt sich eine weitere Einkommensteuer, ver- schäftigung; dieses Drittel ist bekanntlich bestimmt, um mutlich – je nach Ausgestaltung – in Höhe von 14 bis die Lohnnebenkosten zu senken. 16 Milliarden Euro. (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Zu der geplanten Einschränkung des Ehegattensplit- NEN]: Das macht ihr doch gar nicht! Wo kon- tings wird es nicht kommen, auch wenn dies immer wie- solidieren Sie?) der gefordert wird. Eine solche Einschränkung ist ganz einfach verfassungswidrig. Ich verstehe nicht, wie der Ein weiteres Drittel dieser Mittel ist für die Konsolidie- CDU-Generalsekretär, der Volljurist ist, so einen Unsinn rung der Finanzen der Länder vorgesehen; die meisten in die Welt setzen kann. Länder haben diese Mittel sehr nötig. Das letzte Drittel ist für die Konsolidierung des Bundeshaushalts be- (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Volker stimmt. Ich sage ganz klar: Es gibt keine andere Mög- Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: lichkeit, unser Ziel zu erreichen, im Jahre 2007 einen Können Sie einmal näher erklären, warum das Haushalt vorzulegen, der eine Neuverschuldung vor- verfassungswidrig ist?) sieht, deren Umfang nicht höher ist als der der Investitio- – Das kann ich Ihnen erklären. In Art. 9 des Grundgeset- nen. zes ist die Vereinigungsfreiheit verankert. Wenn zwei (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Personen sich zusammentun und beispielsweise eine of- GRÜNEN]: Es gibt immer mehrere Möglich- fene Handelsgesellschaft bilden, dann werden sie so wie keiten!) beim Ehegattensplitting besteuert. Man darf ein Ehepaar, das nach Aussagen des Verfassungsgerichts eine Er- An der Erhöhung der Mehrwertsteuer führt bei solider werbs- und Verbrauchsgemeinschaft bildet, nicht Betrachtung – ich sage es sehr deutlich – leider kein Weg schlechter stellen als andere Erwerbsgemeinschaften. vorbei. Das gebietet der Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 des (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Grundgesetzes. So einfach ist der Zusammenhang. Eine neten der SPD) Abschaffung des Ehegattensplittings ist schlicht verfas- sungswidrig. Ein Blick ins Gesetzbuch – in diesem Fall Ich habe gesagt: Wir haben uns das Ziel gesetzt, zwei ins Grundgesetz – erleichtert die Rechtsfindung auch in Aufgaben gleichzeitig zu erfüllen. Ich will darauf hin- diesem Fall. weisen, wie es mit den Zielen aussieht. Ich habe den (B) (D) Eindruck, dass mancher, der von öffentlichen Finanzen (Beifall bei der FDP) spricht, nicht weiß, wie es um sie bestellt ist. Die Bun- Schließlich – das ist der Höhepunkt – die zusätzlichen desebene nähert sich einer Gesamtverschuldung von Sozialabgaben, die 13. Abgabe in diesem Jahr, einmalig 900 Milliarden Euro. Unsere jährlichen Zinszahlungen 20 Milliarden Euro. All das führt dazu, dass in den betragen annähernd 40 Milliarden Euro. Das ist die nächsten drei Jahren dieser Legislaturperiode Kaufkraft Situation. Dass wir angesichts dessen gezwungen sind, in einem Volumen von 120 Milliarden Euro abgeschöpft die Sanierung des Haushalts in den Mittelpunkt unserer wird und das wird – Sie können die ökonomischen Ge- Betrachtungen zu stellen, dürfte klar sein. setze nicht außer Kraft setzen – zu einer entsprechenden Dämpfung, zu einer Schwächung des Wachstums und zu (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- mehr Arbeitslosen führen. Damit werden sich die Löcher NEN]: Nichts macht ihr 2006!) in den öffentlichen Haushalten weiter öffnen. Die Sanierung des Haushalts ist – auch bezogen auf die Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. nächste Generation; Vorredner haben es gesagt – drin- gend notwendig. Wir müssen den Haushalt konsolidie- (Beifall bei der FDP) ren; sonst betreiben wir auf Dauer keine solide Politik. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: neten der SPD) Als Nächster hat der Kollege Otto Bernhardt, CDU/ CSU-Fraktion, das Wort. Es wird dabei ein Weiteres vergessen. Wenn es uns wirklich gelingt, eine Nettoneuverschuldung von 2,9 Pro- zent zu erreichen, halten wir alle uns schon für gut; das Otto Bernhardt (CDU/CSU): wären wir auch. Nur, unserer Ziel ist natürlich – das Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und steht im Maastrichtvertrag –, langfristig einen ausgegli- Herren! Die Finanzpolitik der großen Koalition hat sich chenen Haushalt vorzulegen. Ein Bundesland hat das das Ziel gesetzt, zwei Aufgaben gleichzeitig zu erfüllen: bisher geschafft – das wollen wir an dieser Stelle einmal einmal die Stärkung der Wachstumskräfte der Wirtschaft festhalten –: Bayern hat einen ausgeglichenen Haushalt und zum Zweiten eine nachhaltige Haushaltskonsolidie- vorgelegt. Bis wir dieses Ziel erreichen, dauert es sicher- rung. Ich sage sehr deutlich: Es wäre natürlich einfacher, lich noch länger. auch einfacher darstellbar, wenn wir uns nur ein Ziel, etwa die Haushaltskonsolidierung oder die Förderung Zum zweiten Ziel, der Förderung der Wachstums- der Wachstumskräfte, gesetzt hätten; aber das geht nicht. kräfte. Ich will nicht so sehr in die Vergangenheit gehen 3498 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006

Otto Bernhardt (A) – das bringt uns nicht weiter –, nur so viel: Sie alle wis- ware bei der Arbeitsverwaltung mal in der einen und mal (C) sen, dass Deutschland, aus welchem Grund auch immer, in der anderen Richtung ein Stück verändert wird. Aber seit einer Reihe von Jahren in der EU zu den Ländern jeder, der die Fakten in Deutschland zur Kenntnis mit den geringsten Wachstumsraten gehört. Sie wissen nimmt, wird mir zustimmen, wenn ich sage: Die Arbeits- auch, dass die Arbeitslosigkeit bei uns im EU-Vergleich losigkeit ist nachhaltig zurückgegangen. Wir sind auch eher im oberen Drittel liegt. Das heißt, auch dieses Ziel, hier auf dem richtigen Weg. hier zu einer Verbesserung zu kommen, dürfen wir nicht (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) vernachlässigen. Wir haben für die Erreichung dieses Ziels ein 25-Milliarden-Programm aufgelegt. Wir versu- Ähnlich sieht es beim Wirtschaftswachstum aus. chen wirklich, beiden Zielen gerecht zu werden. Die Prognosen der Institute gehen ein Stück auseinander, aber alle sind sich darin einig, dass wir in diesem Jahr Jetzt zum Ergebnis. Wir alle neigen ein bisschen ein Wirtschaftswachstum von roundabout 2 Prozent ha- dazu, die Dinge schlecht zu reden; die Presse hilft zum ben werden. Im Vergleich zum Durchschnitt der Vor- Teil dabei. Wenn ich mir allerdings die objektiven Zah- jahre ist das schon ein interessanter Wert. Nur muss uns len zur Arbeitslosigkeit – daran werden wir am stärks- natürlich nachdenklich stimmen, dass das Wirtschafts- ten gemessen – anschaue, dann stelle ich fest, dass es im wachstum in diesem Jahr in den anderen Industrielän- Mai dieses Jahres im Vergleich zum Vorjahr einen Rück- dern der Welt 50 Prozent höher ist als bei uns. Es beträgt gang um 350 000 gibt. Das ist der größte Rückgang seit dort gut 3 Prozent, bei uns nur 2 Prozent. Das zeigt, dass vielen Jahren. wir hier noch ein Stück Nachholbedarf haben; davon In diesen Tagen hat das renommierte Weltwirtschafts- müssen wir ausgehen. institut in Kiel seine Prognosen für das Jahr 2007 vorge- Aber das, was wir heute erkennen, nämlich dass die legt. Das Weltwirtschaftsinstitut kommt zu dem Ergeb- Stimmung in der Wirtschaft heute so gut ist wie noch nie nis, dass wir 2007 in Deutschland im Durchschnitt in den letzten 16 Jahren und dass der private Konsum 4,3 Millionen Arbeitslose haben werden. Im letzten Jahr endlich wieder steigt, was für die wirtschaftliche Ent- waren es noch 4,8 Millionen. Das ist ein Rückgang um wicklung nun wirklich von entscheidender Bedeutung 500 000. Wir können heute sagen: Die Wende am Ar- ist, unterstreicht: Die große Koalition kann nach gut ei- beitsmarkt haben wir geschafft, auch wenn an diesem nem halben Jahr schon Erfolge bei der Bekämpfung der Punkt noch viel vor uns liegt. Arbeitslosigkeit und bei der Stärkung der Wachstums- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – kräfte der Wirtschaft vorzeigen. Die Bilanz bis heute ist Abg. Dr. Hermann Otto Solms [FDP] meldet – bescheiden gesagt – zumindest zufrieden stellend; ich sich zu einer Zwischenfrage) würde sagen: Drei plus. Wir sind auf dem richtigen Weg. (B) (D) – Gerne. (Beifall des Abg. Bernhard Brinkmann [Hil- desheim] [SPD] – Lachen beim BÜNDNIS 90/ Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: DIE GRÜNEN) Sie möchten die Zwischenfrage vom Kollegen Nun weiß ich natürlich, meine Damen und Herren, Dr. Solms zulassen. dass alle wirtschaftswissenschaftlichen Institute sagen: Die Mehrwertsteuererhöhung – ich habe begründet, Otto Bernhardt (CDU/CSU): warum wir sie brauchen – wird im Jahre 2007 zu einer Gern. Zwischenfragen von Herrn Dr. Solms lasse ich gewissen Belastung für die Konjunktur führen. Das ist immer zu. nachrechenbar, denn letztlich bedeutet diese Erhöhung ja, dass der Bevölkerung 14 Milliarden Euro Kaufkraft Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: genommen werden – ich lege nur die entsprechenden Bitte schön. 2 Prozentpunkte zugrunde –, die für die Konsolidierung der Haushalte benutzt werden. Die große Koalition ruht sich darauf aber nicht aus. Wir haben zwei große Pro- Dr. Hermann Otto Solms (FDP): jekte in der Pipeline, die schon sehr konkrete Formen an- Vielen Dank. – Ich möchte auf das zurückkommen, nehmen und die beide einen Beitrag zur Stärkung von was ich eben in meinen Ausführungen gesagt habe, näm- Wachstum und Beschäftigung darstellen: lich dass nach dem „Spiegel“-Artikel der Rückgang der Arbeitslosigkeit bei weitem nicht so hoch ausfällt, wie er Das erste Vorhaben beinhaltet Änderungen bei der jetzt auch von Ihnen dargestellt worden ist. Würden Sie Erbschaftsteuer in der Weise, dass dann, wenn Betriebe bitte zur Kenntnis nehmen, dass ein Gutteil des Rück- auf die nächste Generation übergehen, unter bestimmten gangs der Arbeitslosigkeit durch eine statistische Verän- Voraussetzungen keine Erbschaftsteuer mehr gezahlt derung, eine Veränderung im Softwareprogramm – dabei werden muss – und das bereits ab dem 1. Januar 2007. geht es um kranke Arbeitslose –, entstanden ist und dass Dies ist ein erheblicher Beitrag zur Stärkung von Be- es sich bei dem Rückgang deswegen nur um den norma- schäftigung in Deutschland. len saisonbedingten handelt? Viel wichtiger ist das andere große Vorhaben, das in diesen Tagen Gestalt annimmt: die Unternehmensteu- Otto Bernhardt (CDU/CSU): erreform. Natürlich sind Steuersätze von 39 Prozent, Herr Kollege Solms, ich habe die Prognosen des die wir heute auf einbehaltene Gewinne von Kapitalge- Weltwirtschaftsinstituts zitiert. Ich weiß, dass die Soft- sellschaften erheben, innerhalb der EU nicht mehr wett- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006 3499

Otto Bernhardt (A) bewerbsfähig. Wir nehmen hier eine Spitzenposition ein; Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): (C) nicht, weil wir die Steuern erhöht haben – nein, wir ha- Herr Minister Steinbrück! Liebe Kolleginnen und ben die Steuern sogar gesenkt –, sondern weil die ande- Kollegen! Herr Bernhardt, Sie können vor allem eines: ren Länder sie stärker gesenkt haben bzw. osteuropäi- sich erfolgreich ein X für ein U vormachen. Herr sche Länder mit deutlich geringeren Steuersätzen Kampeter hat hier zum Glück sehr offen gesprochen: Er aufgenommen wurden. Die sich jetzt abzeichnende Sen- hat von einem Haushalt der brutalen Konsolidierung ge- kung von 39 Prozent – das sind immer Circawerte, weil sprochen. Herr Kampeter, selbst seit 1990 im Bundestag, da der Hebesatz eine gewisse Rolle spielt – auf voraus- also durchaus Mitverantwortung tragend für den Zu- sichtlich 29 Prozent bedeutet eine Reduzierung um stand, in dem sich der Bundeshaushalt befindet, der bei 10 Prozentpunkte bzw. um 25 Prozent. jeder Haushaltsberatung konsolidiert werden soll, ver- kündet, die Politik, die hier gemeinschaftlich gemacht Zu dem immer wieder erhobenen Vorwurf, die große werde – ich möchte unterstreichen: die Linksfraktion Koalition sei eine Koalition der Steuererhöher, kann ich war nicht beteiligt an der unsozialen Politik, die Sie vor- nur sagen: Mit der Reform der Erbschaftsteuer, die der nehmen, und wird sich auch nicht beteiligen –, Sicherung von Arbeitsplätzen dient, und der der Unter- nehmensteuer werden wir die größte Steuersenkung für (Beifall bei der LINKEN) die Unternehmen – ich sage es noch einmal – seit Beste- sei alternativlos. Das ist nicht nur feige, weil Sie damit hen der Bundesrepublik durchführen. Hier geht es nicht nicht zu Ihren Entscheidungen stehen; es ist kleinmütig darum, Unternehmer zu privilegieren, hier geht es da- und Sie machen sich damit eigentlich überflüssig. Wozu rum, Firmen zu privilegieren, damit sie vorhandene Ar- brauchen wir Sie denn noch als Parlamentarier, wenn es beitsplätze erhalten und neue Arbeitsplätze schaffen. Ich keine Alternativen gibt? Dann können wir doch ir- stelle sogar die These auf – ich glaube, der Finanzminis- gendeine Verwaltung einsetzen, die das umsetzt. ter rechnet da ähnlich –, Nein, unser Anspruch ist höher. Politik hat etwas mit (Zuruf von der LINKEN: Das glaube ich dem Finden von Antworten auf die anstehenden Fragen auch!) zu tun. Es gibt immer verschiedene Antworten. Man dass, da mit 29 Prozent die steuerliche Belastung bei uns braucht aber Mut, um darüber zu diskutieren. günstiger als in den anderen großen Volkswirtschaften (Beifall bei der LINKEN) Europas wäre, besser als in Italien, Spanien, Frankreich und Großbritannien, vermutlich eine ganze Reihe von Herr Steinbrück, ich habe sehr wohl gehört, dass Sie Steuern, die heute nicht in Deutschland anfallen, den – zu Recht – große Worte bezüglich der Notwendigkeit Weg zurück nach Deutschland finden und wir mittelfris- des Staates gefunden haben. Wir brauchen tatsächlich ei- (B) tig – meiner Ansicht über einen Zeitraum von drei bis nen Staat, der für Infrastruktur, öffentliche Daseinsvor- (D) vier Jahren – trotz deutlich niedrigerer Steuersätze vo- sorge, Bildung und vieles andere bürgt. Niemand sonst raussichtlich sogar mehr Steuern einnehmen werden und wird entsprechend für die Umwelt eintreten und für Kin- zugleich einen wesentlichen Beitrag zur Erhöhung des dertagesstätten, Schulen sowie einen gleichen Zugang zu Wirtschaftswachstums und der Beschäftigung in der Bildung für alle sorgen. Die Botschaft hör’ ich wohl, al- Bundesrepublik leisten. lein mir fehlt der Glaube. Denn das, was Sie an Antwor- ten vorlegen, entspricht nicht dem, was Sie thematisiert (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- haben. Sie selbst haben beim Neujahrsempfang der In- NEN]: Und Togo wird Weltmeister!) dustrie- und Handelskammer in gesagt: Lassen Sie mich abschließend feststellen, meine Da- Man kann den Bundeshaushalt als nüchternes Zah- men und Herren: Die große Koalition ist auf einem er- lenwerk betrachten – was er natürlich auch ist. Aber folgreichen Weg, beide Ziele, Stabilisierung bzw. nach- es macht auch viel Sinn, sich immer wieder die ge- haltige Sanierung des Haushaltes und Stärkung der sellschaftspolitischen Botschaften, die sich in den Wachstumskräfte der Wirtschaft, zu erreichen. Wir kön- nüchternen Zahlen abbilden, vor Augen zu führen. nen nach sechs Monaten eine hervorragende Zwischen- bilanz vorlegen. Das unterstreicht der Haushalt. Die nüchternen Zahlen belegen, dass die Verschul- dung der öffentlichen Hand und eben auch des Bundes (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- seit Jahren kontinuierlich ansteigt. 1995 waren es umge- NEN]: Märchenstunde!) rechnet 1 019 Milliarden Euro, 2000 waren es 1 468 Mil- Zugleich wissen wir, große Aufgaben liegen noch vor liarden Euro, 2006 sind es 1 491 Milliarden Euro. uns, aber die große Koalition hat noch viel Kraft, auch 38 Milliarden Euro sind die höchste Neuverschuldung in diese zu lösen. der Geschichte der Bundesrepublik überhaupt. Die Neu- verschuldung war unabhängig davon, ob die Regierung Danke schön. von CDU/CSU und FDP, von SPD und Grünen oder von (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) der großen Koalition gestellt wurde. In schöner Einigkeit haben Sie in den letzten 16 Jahren eine Politik gemacht, Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: die dazu geführt hat, dass unsere Handlungsmöglichkei- ten in Bezug auf die Probleme in der gegenwärtigen Situa- Als Nächste hat die Kollegin Dr. Barbara Höll, Die tion beschränkt sind, weil ein großer Teil des Geldes, das Linke, das Wort. wir eigentlich haben, durch die Tilgung der aufgenomme- (Beifall bei der LINKEN) nen Kredite gebunden ist. 3500 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006

Dr. Barbara Höll (A) Wir haben also auch im Bundeshaushalt durchaus ein 10 000 unterhaltspflichtigen Eltern, die arbeitslos sind, (C) strukturelles Problem. Die Frage ist, wenn man diesen fi- streichen Sie einfach das Kindergeld. Gleichzeitig sinkt nanztechnischen Begriff zu unterfüttern versucht: Ist es auch der Anspruch der arbeitslosen Eltern, so sie noch ein Einnahme- oder ein Ausgabenproblem? Ihre heu- Arbeitslosengeld I bekommen, von 67 auf 62 Prozent. tige Antwort war wieder eindeutig: Wir brauchen eine Sie haben nicht nur den Ausfall von 154 Euro zu ver- brutale Konsolidierung. Das heißt, Sie gehen – und das kraften. Nein, sie haben auch noch die Senkung des Ar- seit Jahren – von einem Ausgabenproblem aus. Könnte beitslosengeldes zu verkraften. Außerdem hängen noch es nicht aber vielleicht sein, dass wir ein Einnahmepro- eine ganze Reihe anderer Punkte wie die Riesterrente da- blem haben? ran. Entsprechende Maßnahmen, die hier einfach mal so verkündet werden, sollen nächste Woche durchgewun- (Beifall bei der LINKEN) ken werden. Ich stelle klar, dass wir als Linksfraktion nicht gegen Sie haben die Hartz-IV-Gesetze verschärft, indem Sie die Aufnahme von Krediten sind. Nein; Kredite sind im unter anderem die Rentenversicherungsbeiträge von Ar- privaten Bereich sehr gut und können das auch für die beitslosengeld-II-Empfängerinnen und -Empfängern von öffentliche Hand sehr wohl sein – 78 Euro auf 40 Euro gesenkt haben. Wissen Sie über- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Deswegen haupt, was das bedeutet? Diese Menschen werden später wollt ihr eine Milliarde mehr aufnehmen!) in Altersarmut leben müssen, weil die Rentenbeiträge gesenkt werden und sie auf der anderen Seite keine wenn sie tatsächlich dazu dienen, Investitionen in die Chance haben, Arbeit zu bekommen und für ihr Alter Zukunft zu tätigen. Geld für Bildung ist nicht falsch, selbst vorzusorgen. auch nicht, wenn es kreditfinanziert ist. Aber was haben Sie mit den Krediten gemacht? Sie haben in den letzten Sie haben die Begrenzung der Sozialversicherungs- Jahren einfach Blankoschecks an die Wirtschaft ausge- freiheit für Sonntags-, Feiertags- und Nachtzuschläge teilt und sind dabei, das wieder zu tun. Sie versprechen eingeführt. Sie wollen die Zuschüsse für die gesetzlichen weitere Steuererleichterungen; immer mehr Geld wird Rentenkassen senken. Auch das wird natürlich dazu füh- rausgepfeffert. Wir können es uns anscheinend leisten, ren, dass die Beiträge steigen. Durch diese Reihe von darauf zu verzichten. Irgendwann werden sicher Arbeits- Maßnahmen – es ist Ihnen auch jede Schnüffelei bei plätze geschaffen werden. Empfängerinnen und Empfängern von Hartz IV recht – werden die Menschen belastet, die nur ein sehr geringes Aber es sind keine Arbeitsplätze geschaffen worden. oder ein mittleres Einkommen haben. Wir haben einen Arbeitslosenstand von offiziell fast 5 Millionen Menschen. Viele können trotz Vollerwerbs- Merkwürdigerweise ist jedoch ausreichend Geld für (B) tätigkeit von ihrer Arbeit nicht leben. So viel zu der Be- andere Dinge vorhanden. Die degressive AfA für be- (D) merkung, die vorhin nebenbei fiel, es könne sein, dass in wegliche Wirtschaftsgüter wurde von 20 auf 30 Pro- Deutschland die Nichttätigkeit zu stark gefördert werde. zent erhöht. Was kostet die Welt? Was macht es schon, Im Gegenteil, die Menschen arbeiten und können trotz- wenn wir 2,4 Milliarden Euro weniger Einnahmen in ei- dem nicht davon leben. Aber Sie stellen sich diesen Pro- nem Jahr haben? Wir haben es doch! blemen nicht. Sie wollen eine Abgeltungssteuer auf Kapitalein- Wie sehen nun Ihre Antworten aus? Sie sagen, dass künfte von 30 Prozent. Der Sparerfreibetrag für die wir kein Geld haben und deshalb konsolidieren müssen. Kleinsparer hingegen wird halbiert. Das heißt, der Klein- Eine Maßnahme zur Konsolidierung ist die Mehrwert- sparer muss mehr zahlen; aber diejenigen, die ein hohes steuererhöhung, mit der insbesondere Arbeitslose sowie Sparvermögen haben, werden privilegiert, indem auf Rentnerinnen und Rentner getroffen werden; denn sie ihre Zinserträge nicht mehr eine Steuer in Höhe ihres in- müssen ab 1. Januar nächsten Jahres durchschnittlich dividuellen Steuersatzes erhoben wird. 20 Euro im Monat mehr für ihren Lebensunterhalt auf- (Beifall bei der LINKEN) bringen. Ich habe aber noch nichts davon gehört, dass Sie die BAföG-Sätze erhöhen wollen. Warum bringen Die Eckdaten der Unternehmenssteuerreform sind der Sie nicht ein entsprechendes Gesetz ein? Das wäre eine Öffentlichkeit schon bekannt. Herr Steinbrück, ich muss ehrliche Antwort auf die durch Ihre Politik verursachten Sie loben – das mache ich in diesem Fall gerne –, dass Probleme. Sie hart bleiben, was die Gewerbesteuer betrifft. Denn Sie treten für den Erhalt dieser Steuer und für die Ver- (Beifall bei der LINKEN) breiterung der Bemessungsgrundlage ein. Andererseits wollen Sie als Finanzminister auf 8 Milliarden Euro ver- Ich habe auch noch nicht gehört, dass Sie bereit sind, zichten. Ich frage mich wirklich, woher Sie das fehlende das Kindergeld zu erhöhen. Nein, etwas anderes wird an- Geld nehmen wollen. visiert. Nächste Woche wollen Sie eine Regelung verab- schieden, mit der die Bezugsdauer für das Kindergeld (Beifall bei der LINKEN) gekürzt werden soll, indem die Altersgrenze von 27 auf Die Erhöhung der Mehrwertsteuer um einen Punkt ist 25 Jahre herabgesetzt wird. Das bedeutet nicht nur, dass Ihre Antwort auf diese Einnahmeausfälle. das Kindergeld einer bisher anspruchsberechtigten Per- son gestrichen wird. Es bedeutet auch, dass noch weitere Eine solche Politik kann man nicht mittragen. Sie ist Leistungen verloren gehen. Davon werden im nächsten unsozial und die Fortsetzung einer neoliberalen Politik Jahr 451 000 Kindergeldberechtigte betroffen sein: der Umverteilung von unten nach oben. Wenn Sie mutig Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006 3501

Dr. Barbara Höll (A) wären, dann würden Sie sich gerade im Bereich der Un- auch noch wagt, zu bemerken, dass dieser Haushalt mit (C) ternehmensbesteuerung dem realen Problem stellen, einer Rekordverschuldung operiert. dass wir in Deutschland auf der einen Seite zwar eine hohe nominale Steuerbelastung haben, dass wir aber auf Wir reden hier über einen Haushalt mit einer geplan- der anderen Seite – auf die entsprechenden Zahlen wies ten Neuverschuldung in Höhe von 38,2 Milliarden Herr Bernhardt vorhin hin – eine sehr geringe effektive Euro. Der Bundesfinanzminister aber sagt, es gebe keine Steuerbelastung haben. Das heißt, die Unternehmen zah- Alternative und es sei peinlich, dass die Haushaltspolitik len effektiv keine Steuern in Höhe der von Ihnen vorhin der Koalition überhaupt hinterfragt werde. Herr Finanz- genannten 39 Prozent. Im Durchschnitt zahlen die inter- minister, Sie müssen schon mehr liefern, um zu begrün- national tätigen Konzerne in Deutschland auf ihre Ge- den, was Sie mit dieser Neuverschuldung anstellen wol- winne gerade einmal 15 bis höchstens 20 Prozent Steu- len. Ihre Begründung, warum die Abwehr einer Störung ern. des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts nötig wird, ist auch nach Ihrer dritten Begründung, die zu erklären Wenn Sie mutig wären, würden Sie sagen, dass es Ihnen wichtig war, nicht besser geworden. Ihre Begrün- diese Lücke gibt und dass sie geschlossen werden muss. dung für eine Neuverschuldung in Höhe von 38,2 Mil- Aber wir schließen sie nicht, indem wir einfach die Steu- liarden Euro ist platt. Deshalb dürfen Sie – mit Verlaub – ersätze senken; wir schließen sie vielmehr, indem wir si- nicht davon ausgehen, dass wir als Opposition und wir cherstellen, dass die nominalen Steuersätze auch tatsäch- als Grüne uns von Ihnen hinters Licht führen lassen. lich gezahlt werden. – Das wäre mutig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN) Angesichts der großen Zahl an Anträgen hatten Sie Der Verbreiterung der Bemessungsgrundlage, von der natürlich die Möglichkeit, Kostenreduzierungen vorzu- Sie immer reden und die hierbei eine Rolle spielen nehmen. Meine Fraktion hat 400 Anträge vorgelegt. Da- würde, stellen Sie sich nicht. Sie sind zwar bereit, die von haben Sie einen, politisch motiviert, als falsch kriti- Steuersätze zu senken. Sie sind aber nicht bereit, Steuer- siert. Sie haben sich hier wieder als Kohlelobbyist schlupflöcher tatsächlich zu schließen, und Sie sind geoutet. Sie verschweigen dabei, dass die Kohlesubven- nicht bereit, sich den realen Problemen in diesem Land tionen von Ihnen politisch gewollt sind und nicht auf zu stellen. Sachzwängen beruhen. Das ist die Wirklichkeit in Sa- Wir werden diese Politik nicht mitmachen, so wie wir chen Peer Steinbrück und Kohlesubventionen. auch bei der Mehrwertsteuererhöhung nicht mitmachen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Landesregierungen mit unserer Beteiligung haben sowie der Abg. Ulrike Flach [FDP]) (B) der Mehrwertsteuererhöhung nicht zugestimmt. Sie kön- (D) nen davon ausgehen, dass sich diese Glaubwürdigkeit Wir haben Ihnen vom kürzesten bis zum längsten An- bei der Bevölkerung auszahlt. Wenn wir an weiteren Re- trag Vorschläge für Ausgabenkürzungen in Höhe von gierungen beteiligt sein werden, wird es auf Bundes- 2,3 Milliarden Euro vorgelegt. Sie glauben doch selber ebene und in den Ländern Widerstand geben. nicht, dass Sie nicht in der Lage gewesen wären, das po- Ich danke. litisch motivierte zusätzliche Einstellen von Personal in den Ministerien zu reduzieren. (Beifall bei der LINKEN) (Ulrike Flach [FDP]: So ist es!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass es nicht möglich Das Wort hat der Kollege Alexander Bonde, gewesen wäre, bei den sächlichen Verwaltungskosten Bündnis 90/Die Grünen. einzusparen. Wenn Sie tatsächlich glauben, dass jeder Radiergummi in Ihrem Ministerium heilig ist, dann wer- Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): den Sie eine Konsolidierung des Bundeshaushaltes nie Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! hinbekommen, Herr Steinbrück. Wir erleben hier eine stückweise absurde Debatte. Es ist (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN absurd, mit welcher Selbstgefälligkeit die große Koali- sowie der Abg. Ulrike Flach [FDP]) tion den Haushalt 2006 zu verkaufen versucht. Das Gleiche gilt für die unterschiedlichsten Bereiche Der Bundesfinanzminister hat sich pathetisch hier dieses Haushaltes, wozu wir umsetzbare Vorschläge vor- vorne hingestellt, mit Tremolo in der Stimme und hei- gelegt haben. ßem Blick in den Augen formuliert: „Glauben Sie mir!“ und danach versucht, eine Schnecke als Rennpferd zu Wenn das so ist wie beschrieben, dann muss man sich verkaufen. fragen, ob Sie wirklich eine Konsolidierung wollen und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – ob die Koalition in der Lage ist, eine Konsolidierung zu [SPD]: Da haben Sie aber betreiben. Wir haben erlebt, dass, politisch motiviert, lange gebraucht, bis Sie dieses Bild gefunden Ausgabenkürzungen in vielen Punkten verweigert und haben!) keine Einsparungen vorgenommen werden. Wir haben erlebt, dass die Erfüllung der langen Wunschlisten der Dann hat er weinerlich kritisiert, dass es in diesem Fraktionen in vielen Punkten wichtiger war als das Ziel Hause trotz großer Koalition eine Opposition gibt, die es der Konsolidierung. 3502 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006

Alexander Bonde (A) Da wir hier wieder große Worte von der Konsolidie- Danach hat die Koalition gehandelt. (C) rung, der Generationengerechtigkeit und der Verantwor- tung vorgeschmettert bekommen haben, kann ich nur sa- Wie war denn die gesamtwirtschaftliche Lage zu Be- gen: Sie haben zwar für 2007 erneut viel versprochen; ginn des Jahres? Ich glaube, man kann sagen, dass es aber zum Haushalt 2006, über den wir heute reden, ha- keine Bedrohung der Preisstabilität gibt. Eine Infla- ben Sie nichts Neues geliefert. tionsrate um die 2 Prozent kann man durchaus als Stabi- lität bezeichnen. Wir haben eine brillante außenwirt- Ich finde, dass es dieser Koalition, wenn sie sich wei- schaftliche Situation; der Leistungsbilanzüberschuss be- terhin „groß“ nennen will, gut anstünde, endlich einmal lief sich im Jahr 2005 auf 92 Milliarden Euro. Dieses haushaltspolitisch Großes zu tun. Das, was Sie bisher Ergebnis ist besser, als es in der alten Bundesrepublik zu tun, ist klein und selbstgefällig. Sie müssen sich deshalb ihren besten Zeiten war. zumuten, dass die Koalition dafür von uns kritisiert wird. Sie haben nach meinem Beitrag wieder die Möglichkeit, Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: 40 Minuten lang selbstgefällige Selbstgespräche zu hal- Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage des ten. So ist es eben, wenn die Mehrheiten in diesem Par- Kollegen Fricke zulassen? lament so sind. Glauben Sie aber nicht, dass dadurch, dass Sie hier die Debattenbeiträge bestimmen, irgendet- was an diesem Bundeshaushalt besser wird. Glauben Sie Jörg-Otto Spiller (SPD): nicht, dass sich die Zinszahlungen dadurch reduzieren. Ja, bitte. Glauben Sie nicht, dass die Menschen nicht merken, was Sie hier tun. Diese Koalition ist eine Aussitzerkoalition Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: und dieser Haushalt ist peinlich, Herr Finanzminister. Bitte schön, Herr Fricke. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Otto Fricke (FDP): Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege, habe ich Sie richtig verstanden, dass Das Wort hat der Kollege Jörg-Otto Spiller, SPD- Sie gerade gesagt haben, eine Inflationsrate um die Fraktion. 2 Prozent gehe in Ordnung? (Jörg-Otto Spiller [SPD]: Ja!) Jörg-Otto Spiller (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Widerspricht das nicht der Tatsache, dass die Europäi- Herren! Die Nettokreditaufnahme in Höhe von sche Zentralbank, wenn die Inflationsrate dauerhaft, je- (B) 38,2 Milliarden Euro überschreitet die Investitionsaus- denfalls regelmäßig, über 2 Prozent liegt – seien es auch (D) gaben in Höhe von 23,2 Milliarden Euro um 15 Milli- nur 2,01 Prozent –, die Zinsen erhöhen muss? Ist es nicht arden. Das bedarf der Begründung; denn nach der Regel ein Widerspruch, wenn die Europäische Zentralbank, der in Art. 115 des Grundgesetzes versteht sich das nicht wir verpflichtet sind, dann die Zinsen erhöhen muss, was von selbst. Art. 115 steht allerdings nicht alleine da. Es unseren Haushalt im Übrigen wiederum belastet, denn gibt noch Art. 109, der besagt: um 0,11 Prozentpunkte höhere Zinsen bedeuten 1 Mil- liarde Euro mehr? Bund und Länder haben bei ihrer Haushaltswirt- schaft den Erfordernissen des gesamtwirtschaftli- Jörg-Otto Spiller (SPD): chen Gleichgewichts Rechnung zu tragen. Wir haben, gemessen am Anstieg der Verbraucher- Das ist seit 1967 präzisiert, und zwar – das war ein be- preise in Deutschland, trotz massiver Verteuerung der sonders wichtiges Gesetz der ersten großen Koalition – importierten Energie, trotz massiver Steigerungen der im Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachs- Rohstoffpreise eine Inflationsrate um die 2 Prozent; tums der Wirtschaft. Darin heißt es in § 1 als Erläuterung meistens liegt sie etwas darunter. Das ist eine Inflations- zu Art. 109 des Grundgesetzes: rate, die sowohl im Zeitvergleich als auch im internatio- nalen Vergleich allgemein als ein Maßstab für innere Die Maßnahmen sind so zu treffen, dass sie im Rah- Geldwertstabilität betrachtet wird. men der marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzei- tig zur Stabilität des Preisniveaus, zu einem hohen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Beschäftigungsstand und außenwirtschaftlichem Wenn die Europäische Zentralbank warnt, wenn die Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Inflationsrate darüber hinausgehe, müsse sie sich Gedan- Wirtschaftswachstum beitragen. ken machen, dann entspricht das ihrer Verpflichtung. Sie Das ist das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht. werden anerkennen müssen – mehr habe ich nicht gesagt –, dass die Gefährdung des gesamtwirtschaftlichen Gleich- Die ökonomischen Rahmenbedingungen sind heute gewichts nicht aus der Preisentwicklung resultiert. Sie anders als 1967; aber den Auftrag, dass Bund und Län- resultiert auch nicht aus außenwirtschaftlichen Entwick- der bei ihrer Finanz- und Haushaltswirtschaft Rücksicht lungen. Sie ist vielmehr das Ergebnis der Arbeitslosig- nehmen auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung, keit. Wir haben rund 4,5 Millionen arbeitslose Men- schreibt uns das Grundgesetz nach wie vor vor. schen in Deutschland. Deshalb haben wir kein (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht; dieses ist viel- der CDU/CSU) mehr gestört. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006 3503

Jörg-Otto Spiller (A) Es trifft zu, dass wir erfreulicherweise eine Belebung einfachen Weg gehen, Schulden zu machen. Das will uns (C) des wirtschaftlichen Wachstums haben. Diese ist aber die Fraktion der Linken zwar schmackhaft machen; aber nicht gerade donnernd. Das Wachstum bewegt sich in ei- das ist nicht Erfolg versprechend. ner Größenordnung von 1,5 Prozent, wobei nach wie vor der Hauptimpuls von der Auslandsnachfrage ausgeht. Das erste Gesetz, das die große Koalition 2005 be- Erfreulicherweise belebt sich auch die Investitionsgüter- schlossen hat – das wurde von den meisten Rednern der nachfrage insbesondere in Bezug auf Ausrüstungsinves- Opposition völlig zu Unrecht überhaupt nicht erwähnt –, titionen bei den inländischen Unternehmen. Aber wir ha- brachte den Einstieg in eine dezidierte Konsolidierungs- ben kein gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht. Es war politik. Wir haben damals die größte Subvention, die voll gerechtfertigt, dass sich die Bundesregierung und Eigenheimzulage, abgeschafft und ein großes Steuer- die Koalitionsfraktionen nach sorgfältiger Überlegung schlupfloch – Stichwort Medienfonds und ähnliche Steu- entschieden haben, im Jahre 2006 nicht auf die Bremse erstundungsmodelle – dicht gemacht. Wir wären noch zu treten und mit der Haushaltspolitik nicht die aufkei- weiter gegangen, wenn Herr Trittin nicht mit Blick auf mende konjunkturelle Erholung zu bremsen, sondern da- seine Windmühlenklientel gebremst hätte. Da hätten wir für zu sorgen, dass die Voraussetzungen für die mittel- eigentlich noch ein paar Milliarden Euro mehr sparen fristige Konsolidierung geschaffen werden. können. Wir hätten noch stärker konsolidieren und frü- her zu einem guten Ergebnis kommen können. Das ha- (Beifall des Abg. Joachim Poß [SPD]) ben die Grünen damals aus Gründen der Klientelpolitik Das passt genau in das Schema, das uns das Grundgesetz verhindert. vorschreibt. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: So viel zum Es gibt die nüchterne Erkenntnis bei allen Ökonomen, Thema Selbstgerechtigkeit! – Volker Beck dass es ohne gesamtwirtschaftliches Wachstum nahezu [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das unmöglich sein wird, die Haushalte der Gebietskör- ist aus der Kohlesteinzeit!) perschaften zu konsolidieren, es sei denn, wir nehmen Die vorübergehende Hinnahme eines zugegebener- unerträgliche Verwerfungen in Kauf, was wir nicht wol- maßen großen Defizits im Jahr 2006 geht mit einer ziel- len. Das heißt nicht, dass wir so naiv sind, zu glauben, bewussten Konsolidierungspolitik einher, die insbeson- mit klassischem Deficit Spending – der Staat gibt bloß dere darauf abzielt, die Einnahmen von Bund, Ländern mehr Geld aus und dann wird schon wieder alles ins Lot und Gemeinden zu festigen und die Handlungsfähigkeit kommen – könnten wir den Haushalt und die gesamt- des Staates durch den Abbau von Vergünstigungen, wirtschaftliche Entwicklung auf einen richtigen Pfad durch den Abbau von nicht mehr zu rechtfertigenden bringen. Das glauben wir nicht. Subventionen zu stärken. (B) (D) (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr wahr!) Ich finde es erfreulich, dass sich inzwischen auch bei Die Situation hat sich seit den 60er-Jahren deutlich ver- nüchternen Beobachtern herumgesprochen hat, dass ändert, auch deswegen, weil wir über die Jahrzehnte Deutschland ein ausgesprochen guter Wirtschaftsstand- – der Kollege Carsten Schneider hat das schon angespro- ort ist. Dass die Verbände das nicht immer so sehen, ge- chen; da sind alle beteiligt gewesen – einen Schuldenso- hört zu ihren Pflichten. Ob es weise ist, immer nur zu ckel aufgebaut haben. Am deutlichsten sind die Schul- kritisieren, lasse ich einmal dahingestellt. den immer in der Zeit gestiegen, als die FPD mitregiert hat. Vor ein paar Wochen ist das Ergebnis einer Untersu- chung von Ernst & Young vorgestellt worden, in der der (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Standort Deutschland mit anderen Standorten in der Welt Widerspruch bei der FDP) verglichen wurde. Befragt wurden circa 1 000 Manager Ich finde es erfreulich, dass die FDP jetzt begonnen hat, und Vorstandsmitglieder. Kernaussage: International ge- sich für Haushalt und Finanzen zu interessieren, und sehen gilt Westeuropa als attraktivster Standort der Welt; dass sie gemerkt hat, dass das Heil nicht in der Verwüs- als für Unternehmen attraktivstes Land in Westeuropa tung des Steuerrechts zugunsten einer bestimmten Klien- gilt Deutschland. In der Studie steht nicht, dass Deutsch- tel liegt und diese Verwüstung nicht dem Staate dient. Es land so attraktiv ist – das trifft zu –, weil hier alles so wäre noch viel schöner gewesen, sie wäre auf diese gu- billig ist. In der Studie steht, Deutschland bietet Qualität: ten Ideen gekommen, als sie noch in der Regierungsver- hervorragende Infrastruktur, etwa Verkehrswege, antwortung stand. Rechtssicherheit, hohe Qualität bei den Arbeitskräften, es gibt Forschung und Entwicklung. Deutschland ist (Beifall bei der SPD) einfach ein Premiumstandort. Wir glauben auch – das muss man anerkennen –, dass (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) das Wachstum heute eher dadurch gestärkt wird, dass die Menschen in unserem Lande wieder Vertrauen in die Fä- Ein Premiumstandort ist natürlich nicht ganz billig. higkeit des Staates gewinnen, dass er mit seinen Haus- Das gilt für die Arbeitslöhne wie auch für die Besteue- haltsproblemen fertig wird – das betrifft Bund, Länder rung. Wenn sich jemand darüber wundert, dass der Por- und Gemeinden –, und dass Investoren und Verbraucher sche teurer ist als die Vespa, dann muss er sich überle- wieder das Vertrauen in die Fähigkeit des Staates finden, gen, ob er nicht lieber die Vespa nimmt. Wenn man sehr seinen Aufgaben gerecht zu werden und nicht immer nur schnell fahren will, ist das allerdings nicht das ideale Schulden zu bedienen. Deswegen werden wir nicht den Fahrzeug. 3504 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006

Jörg-Otto Spiller (A) Ich sage das, weil wir auch künftig in der Politik da- Allein der Bundeshaushalt hat ein strukturelles Defizit (C) rauf zu achten haben, dass die Handlungsfähigkeit des von mehr als 50 Milliarden Euro angehäuft. Mit anderen Staates nicht beschränkt wird; denn sonst verliert dieser Worten: Der Bund hat jeden fünften Euro, den er heute Standort seine Qualität. Dieser Standort braucht einen ausgibt, gar nicht, den muss er sich von der Bank holen, handlungsfähigen Staat, der die Infrastruktur und die den muss er über Schulden finanzieren. Dass dieses Bildung sicherstellt sowie Rechtssicherheit gewährt. Ich strukturelle Defizit abgebaut werden muss, versteht sich bin ganz sicher, dass sich die große Koalition dessen von selbst. Ebenso klar ist aber auch: Es wird einige Zeit auch bei den künftigen Schritten bewusst sein wird und dauern, bis wir zufriedener auf die Haushaltszahlen bli- dass wir an die ökonomisch sehr erfolgreiche Politik der cken können. ersten großen Koalition – Stichwort Stabilitäts- und Die zweite Botschaft im Zusammenhang mit dem Wachstumsgesetz von 1967 – anknüpfen werden. Haushalt 2006 lautet: Die große Koalition setzt auch in (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) dieser Konsolidierungsphase erkennbare politische Ak- zente: Konsolidierung einerseits und Wachstum anderer- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: seits. Denn Konsolidierung und Wirtschaftswachstum bedingen einander. Solide Staatsfinanzen und eine nach- Das Wort hat der Kollege Georg Fahrenschon, CDU/ haltige Konsolidierung sind wichtige Voraussetzungen CSU-Fraktion. für eine Steigerung von Wachstum und Beschäftigung. (Beifall bei der CDU/CSU) Sparen fördert Wachstum. Sparen leistet einen unver- zichtbaren Beitrag zu stabilen Preisen und niedrigen Zin- sen und stärkt das Vertrauen der Konsumenten und In- Georg Fahrenschon (CDU/CSU): vestoren. Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kollege Kampeter hat es schon herausgearbei- (Jürgen Koppelin [FDP]: Warum macht ihr das tet: Nachhaltige, stabile Staatsfinanzen gehören für die dann nicht?) Union zum Kern erfolgreicher bürgerlicher Politik. Ich Umgekehrt gilt genauso, dass uns ohne ein erhöhtes möchte betonen: Generationenengerechte Haushalts- Wirtschaftswachstum der Abbau der Arbeitslosigkeit, politik bedeutet, keine vermeidbaren Kosten auf die fol- die Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme und genden Generationen zu übertragen. die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte nicht ge- (Beifall bei der CDU/CSU) lingen werden. Dafür gibt es im Jahr 2006 auch einen Kronzeugen. Angesichts der enormen Dimensionen des Konsoli- dierungsbedarfs müssen wir allerdings bei allen Maß- (B) Denn seit über 30 Jahren gibt es in Deutschland ein Bun- (D) desland, das endlich einmal wieder einen ausgegliche- nahmen auch deren Rückwirkung prüfen. Wir müssen nen Haushalt vorlegt. Das ist der Freistaat Bayern. alle Sparanstrengungen und alle Einsparungen in ihren Auswirkungen auf die Wirtschaftsentwicklung austarie- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Welche Über- ren. Deshalb stehen Anpassungen bei den konsum- raschung!) tiven Ausgaben, zum Beispiel bei Einsparungen von Subventionen und sonstigen Fördertatbeständen, und Das zeigt, dass wir die Möglichkeiten haben, diesen Weg Maßnahmen zum Abbau von Steuervergünstigungen zu gehen. Er ist nicht einfach und steinig; aber er ist und steuerlichen Sonderregelungen im Vordergrund. machbar. Ich glaube, wir sind gut beraten, wenn wir uns an diesem leuchtenden Beispiel orientieren. Denn man darf in dieser Haushaltswoche nicht ver- gessen, dass die große Koalition und die von ihr getra- (Beifall bei der CDU/CSU – Steffen Kampeter gene Bundesregierung bereits eine Reihe von gesetzli- [CDU/CSU]: Der bayerische Finanzminister chen Maßnahmen beschlossen hat: Stichwort „Abbau hat seine Ausbildung im Bundestag bekom- der Eigenheimzulage“, Stichwort „Beschränkung der men!) Verlustverrechnung im Zusammenhang mit Steuerstun- Für den Bund ist dieses ehrgeizige Anliegen keine dungsmodellen“, Stichwort „Einstieg in ein steuerliches Aufgabe, die er an einem Tag erledigen kann, sondern Sofortprogramm“ und Stichwort „Gesetz zur Eindäm- sie muss, angefangen mit dieser Legislaturperiode, die mung missbräuchlicher Steuergestaltung“. Die große Leitlinie unserer Haushalts- und Finanzpolitik sein. Als Koalition verbindet die notwendige Konsolidierungs- erster Schritt – diesen gehen wir mit dem Haushalt 2006 – politik, die auf längere Sicht die Basis für ein dauerhaf- bedeutet das die Rückkehr zur Ehrlichkeit in der Haus- tes Wachstum verbessert, mit Maßnahmen, die bereits haltspolitik. Mit dem Haushalt 2006 wird das wirkliche kurzfristig die Wachstumsdynamik erhöhen. Ausmaß der finanziellen Fehlentwicklungen der letzten Deshalb legen wir ein befristetes Impulsprogramm Jahre deutlich. zur Stärkung besonders zukunftsträchtiger Bereiche mit (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr wahr!) einem Gesamtvolumen von 25 Milliarden Euro auf, um kurzfristig übergreifend wirkende Wachstumsimpulse zu Das betrifft alle, ohne Zensuren zu vergeben oder Schuld setzen. Im Haushalt 2006 haben wir dafür bereits mit zu verteilen. Wir haben im Bund, aber auch in der Mehr- 3,5 Milliarden Euro den Start gemacht. zahl der Länder über unsere Verhältnisse gelebt. Um positive Impulse für den Standort Deutschland zu (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr wahr!) schaffen, um also ein höheres Wirtschaftswachstum und Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006 3505

Georg Fahrenschon (A) mehr Beschäftigung zu ermöglichen, arbeiten wir gerade – Lieber Kollege Bonde, Sie sind der Letzte, der darauf (C) mit Hochdruck an Eckpunkten einer durchgreifenden hinweisen sollte, dass wir zu spät dran sind. Wo waren Unternehmensteuerreform. Denn zwischen allen Ex- Sie denn in den letzten sieben Jahren? perten besteht Konsens: Die Steuerbelastung für Unter- (Beifall bei der CDU/CSU) nehmen in Deutschland ist im internationalen Vergleich zu hoch. Die Unternehmensbesteuerung ist mittlerweile Sie haben in den letzten sieben Jahren den Weg zu einer zu einem echten Standortnachteil im internationalen maximalen Staatsverschuldung mitgetragen! Und da sa- Wettbewerb um knappes Investitionspotenzial und -ka- gen Sie und Ihre Kollegen, wir seien nicht mutig genug. pital geworden. Sie sind doch in den letzten sieben Jahren den falschen Weg mitgegangen; Sie haben sich an keiner Stelle ge- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ja, leider!) meldet. Heute sprechen Sie von Windfall-Profits und Unsere Unternehmensbesteuerung ist ein Wachstums- weisen auf die Steuerschätzung vom Mai hin. Was haben hemmnis. Deshalb ist eine durchgreifende Reform Sie denn mit den UMTS-Erlösen gemacht? Sie haben dringlich – für höheres Wachstum und mehr Beschäfti- daraus nichts Produktives gemacht. gung in Deutschland. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Ulrike Flach [FDP]: Hoffentlich hat der Fi- Sie fangen hier an, parlamentarische Regeln zu bre- nanzminister das auch gehört!) chen, und führen jetzt den BND-Umzug in die Debatte ein, obwohl Sie genau wissen, dass wir angesichts der Wenn wir zum 1. Januar 2008 eine kluge und richtig Vorlagen nicht in der Lage sind, hierauf zu reagieren. konzipierte Unternehmensteuerreform durchführen, kann das wesentlich dazu beitragen, dass in- und ausländische (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Unternehmer wieder vermehrt in Deutschland investieren NEN]: Ihr seid doch immer so schlau!) und so neue Arbeitsplätze im Inland entstehen. Dazu ist Dabei müssen wir feststellen: Die Entscheidung des Si- es allerdings notwendig, auch die Steuerstruktur zu refor- cherheitskabinetts war doch geprägt durch Ihren Vize- mieren und die ertragsteuerliche Belastung der Unterneh- kanzler. Sie hat sonst überhaupt keine Grundlage gehabt; mer auf unter 30 Prozent zu senken. Im Ziel bedeutet das, das Sicherheitskabinett ist nicht einmal einberufen wor- dass es uns über diesen Weg gelingen kann, Steuersub- den. Man hat den Finanzminister vor der Tür stehen las- strat, das wir in den vergangenen Jahren in erheblichem sen und hat den Umzug des BND beschlossen, weil der Maße verloren haben, wieder nach Deutschland zu holen Vizekanzler und Kanzler der alten Regierung einfach ge- und hier zu halten. sagt haben: Wir machen jetzt Politik. Da haben Sie bis vor kurzem mitgemacht. Sie waren doch nicht zu hören. (B) Eine kleine und zu eng gezogene Reform, bei der die (D) Strukturen beibehalten werden und lediglich die Höhe (Beifall bei der CDU/CSU) einiger Steuersätze variiert wird, würde den Erwartun- gen an eine durchgreifende Verbesserung der steuerli- Meine Damen und Herren, der Haushalt 2006 und der chen Rahmenbedingungen am Standort Deutschland mit Finanzplan bis 2009 sind der in Zahlen gegossene Fahr- Sicherheit nicht gerecht. plan der großen Koalition zur Konsolidierung der öffent- lichen Haushalte. Ich versichere Ihnen – und das steht im (Beifall bei der CDU/CSU) Zentrum der politischen Auseinandersetzung –: Mit dem Politik kann nicht direkt Arbeitsplätze schaffen. Das Bundeshaushalt 2007 werden es CDU und CSU gemein- können in einer sozialen Marktwirtschaft nur die Unter- sam mit den Kollegen der SPD schaffen, dass die Regel- nehmer bzw. Unternehmen. Damit sie aber in die Lage grenze der Neuverschuldung des Art. 115 des Grund- versetzt werden, zu investieren und Menschen in Lohn gesetzes wieder eingehalten wird. und Brot zu bringen, müssen die Rahmenbedingungen Herzlichen Dank. stimmen. Für die Schaffung der richtigen Rahmenbedin- gungen trägt die Politik die Verantwortung. Die große (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Koalition wird diese Verantwortung wahrnehmen, ange- neten der SPD) fangen mit der Haushaltspolitik über die Steuerpolitik bis hin zur Reform der sozialen Sicherungssysteme. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das Wort hat der Kollege Bernhard Brinkmann, SPD- Bezogen auf den Haushalt treibt uns eine politische Fraktion. und, wenn Sie so wollen, auch eine moralische Verant- wortung an. Denn insbesondere unter Berücksichtigung des Gebots der Nachhaltigkeit darf die heutige Genera- Bernhard Brinkmann (Hildesheim) (SPD): tion nicht dauerhaft mehr verbrauchen, als sie leistet. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir müssen die bestehenden Verteilungskonflikte jetzt Wenn man in diesem Hohen Haus kurz vor Schluss der angehen und lösen. Wir dürfen sie nicht im Wege der Debatte über den Einzelplan 08 reden darf, könnte man Verschuldung auf dem Rücken unserer Kinder und Kin- eine Menge Vergangenheitsbewältigung betreiben. deskinder austragen. (Ulrike Flach [FDP]: Ich habe es ja geahnt!) (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- – Die Kollegin Flach hat das schon geahnt; doch ich will NEN]: Wie könnt ihr dann so einen Haushalt das nicht tun. Ich will stattdessen auf drei zentrale verabschieden?) Punkte eingehen, die für diesen Haushalt 2006 wichtig 3506 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006

Bernhard Brinkmann (Hildesheim) (A) sind und es verdienen, noch einmal erwähnt zu werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ulrike (C) Der Bundeshaushalt 2006 folgt einem politischen Drei- Flach [FDP]: Das ist eine Ente!) klang, und zwar – in dieser Reihenfolge – sanieren, re- – Frau Kollegin Flach, wenn Sie mir in den nächsten Ta- formieren und investieren. gen belegen können, dass das, was im „Westfälischen (Jürgen Koppelin [FDP]: Abkassieren!) Anzeiger“ steht, nicht wahr ist, – Herr Kollege Koppelin, ich bin für jeden Hinweis (Ulrike Flach [FDP]: Aber nur, wenn es dankbar, und sei es unter der Überschrift „abkassieren“; stimmt!) aber damit reizen Sie mich, doch ein Stückchen Vergan- bin ich gerne bereit, meine Meinung in dieser Hinsicht genheitsbewältigung zu betreiben. zu ändern. (Otto Fricke [FDP]: War klar! – Ulrike Flach (Otto Fricke [FDP]: Das ist alles?) [FDP]: Keiner sei ohne Schuld!) Wenn man sich den Haushalt 2006 anschaut, wird Ich gebe Ihnen am Schluss meiner Rede eine Liste der man feststellen, dass auch bei den Mehreinnahmen ab Schulden, die die FDP allein seit 1990 mit zu verantwor- und zu – aus welchen Gründen auch immer, wider besse- ten hat. Sie waren ja weitaus länger in der Regierungs- res Wissen oder absichtlich – falsche Informationen ver- verantwortung, in unterschiedlichsten Koalitionen. Ich breitet werden. Es geht um die Frage der Mehreinnah- nenne Ihnen nur zwei Steuererhöhungen, die Sie men durch die – ich gebe zu, eine sehr bittere Pille – seit 1990 beschlossen haben – fairerweise muss man sa- Erhöhung der Mehrwertsteuer. Wir sollten bei dieser gen: als Gegenfinanzierung der Sonderkosten der deut- Frage und bei einigen anderen auch darauf hinweisen, schen Einheit; darüber ist heute überhaupt noch nicht ge- dass alle öffentlichen Haushalte, also die des Bundes, sprochen worden –: Erstens. Versicherungsteuer von der Länder und der Kommunen, Not leidend sind. Die 5 Prozent auf 15 Prozent verdreifacht. Zweitens. Von Ih- Einnahmen aus der Mehrwertsteuererhöhung werden ren Erhöhungen der Mineralölsteuer haben Sie den sich im Rahmen des Finanzausgleichs vom Bund über Bürgern letztendlich nichts zurückgegeben, wie das zu- die Länder bis zu den Kommunen vorteilhaft auswirken. mindest in bestimmten Bereichen nach Ihrer Regie- Hoffentlich werden die Mehreinnahmen nicht mehr oder rungszeit passiert ist. Das hat schon mehr mit Abkassie- weniger in den Portemonnaies einiger Landesfinanz- ren zu tun als das, was Sie eben mit Ihrem Zwischenruf minister bleiben. zum Ausdruck bringen wollten. Ich bin der festen Überzeugung, dass die große Koali- Ich will einen zweiten Punkt ansprechen – das war tion der gemeinsamen nationalen Anstrengung, das ge- samtwirtschaftliche Wachstum zu steigern und die Fi- (B) schon beeindruckend für mich –: Bisher haben die (D) Freien Demokraten hier an diesem Rednerpult, in Aus- nanzen langfristig auf eine solide Basis zu stellen, schussberatungen und natürlich auch gegenüber der Be- gerecht wird. völkerung immer von weiteren Steuersenkungen ge- Zum Schluss meiner Ausführungen habe ich die herz- sprochen. Darauf haben Sie heute, jedenfalls solange ich liche Bitte, dass sich sowohl die linke als auch die rechte hier gesessen habe, keinen Bezug genommen. Sie schei- Seite dieses Hohen Hauses bei dieser Arbeit konstruktiv nen also zumindest, was Haushalts- und Finanzpolitik und nachvollziehbar einbringt. Die Bezeichnung rechte angeht, in der Realität angekommen zu sein; denn auch und linke Seite gilt übrigens unabhängig davon, wo man Sie müssen zur Kenntnis nehmen, dass kein Landes- steht. Da die Grünen in der Mitte sitzen und gemeinsam finanzminister – auch da nicht, wo Sie noch Regierungs- mit meiner Fraktion bis 2005 diese Haushalts- und Fi- verantwortung tragen – ernsthaft über weitere Steuersen- nanzpolitik zu verantworten hatten, wäre ich Ihnen sehr kungen nachdenkt respektive bereit wäre, einer solchen dankbar – ganz besonders auch dem Kollegen Bonde –, Senkung im Bundesrat zuzustimmen. wenn Sie das so fortführen könnten, wie Sie das in den Aber es wird noch abenteuerlicher, was das Verhalten Haushaltsberatungen zumindest bis November 2005 ei- der Freien Demokraten angeht: Die Landesregierung gentlich immer sehr konstruktiv getan haben, und wenn von Nordrhein-Westfalen hat, wenn ich richtig infor- der Auftritt von Ihnen heute, Herr Bonde, nicht wieder- miert bin, im Bundesrat die Erhöhung der Mehrwert- holt wird. steuer abgelehnt, und zwar unter maßgeblicher Beglei- Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. tung des kleineren Koalitionspartners, der FDP. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Otto Fricke [FDP]: Aha!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Allerdings schreibt der „Westfälische Anzeiger“ vom Das Wort hat der Kollege Norbert Königshofen, 15. Juni, dass diese Einnahmen im Etat letztlich schon CDU/CSU-Fraktion. veranschlagt sind. (Beifall bei der CDU/CSU) (Ulrike Flach [FDP]: Stimmt aber nicht!) Das hat nichts mit Haushaltsklarheit und Haushaltswahr- Norbert Königshofen (CDU/CSU): heit zu tun, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol- FDP. Da liegen Sie falsch. Auch das muss man hier in al- legen! Ich will zu einem Teilaspekt des Haushalts ler Deutlichkeit zum Ausdruck bringen. Stellung nehmen, nämlich zu den Folgen von Privatisie- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006 3507

Norbert Königshofen (A) rungen von bundeseigenen Unternehmen für den gebnis sieht heute so aus: Die Ziele sind nicht erreicht (C) Bundeshaushalt. Es gibt ja nur nicht gesellschaftspoliti- worden. Der Bund zahlt für das System Schiene jährlich sche, betriebs- und volkswirtschaftliche Gründe, so et- 9 bis 19 Milliarden Euro, je nachdem, ob man die Bedie- was vorzunehmen, sondern die Privatisierung bringt in nung der Altlasten mitrechnet oder nicht. Der Anteil des der Regel auch ein wenig Geld in unsere Bundeskasse. Verkehrs auf der Schiene ist nicht signifikant größer als Ich erinnere daran, dass es in den vergangenen Jahren vor zehn Jahren. Der Wettbewerb hält sich in Grenzen. durch die Privatisierung der Lufthansa, der Deutschen Die DB AG hat erneut Schulden in Höhe von Post und der Deutschen Telekom namhafte Erlöse für 19,7 Milliarden Euro angehäuft. den Bundeshaushalt gab. Im April dieses Jahres haben wir beschlossen, 74,9 Prozent der Anteile an der Deut- Hinzu kommt das, was wir in den letzten Tagen erfah- schen Flugsicherung zu verkaufen. Hier rechnen wir ren mussten: Es geht um eine gesetzeswidrige Zuord- vielleicht noch nicht in 2006, aber spätestens in 2007 mit nung von Immobilien auf die einzelnen Bereiche. Wir le- Erlösen von weit über 1 Milliarde Euro für den Bundes- sen und hören jetzt: Nach Verhandlungen hat es eine haushalt. Einigung zwischen Verkehrsminister und Bahnvorstand gegeben, nach der die Immobilien innerhalb des Kon- Zurzeit wird über den Börsengang der Deutschen zerns wieder richtig zuzuordnen sind. Nun muss man Bahn AG diskutiert. Es gibt ein Gutachten der Booz dem Herrn Minister Tiefensee bei aller Koalitions- Allen Hamilton GmbH und zwei verschiedene Grund- freundschaft sagen: Das Management eines Unterneh- modelle, je nachdem, ob der Börsengang mit oder ohne mens, das zu 100 Prozent dem Bund gehört, ist kein Netz durchgeführt wird. Geht die Bahn mit dem Netz an gleichwertiger Verhandlungspartner. die Börse, dann können wir nur bis zu 49,9 Prozent ver- kaufen, da der Bund nach Art. 87 e des Grundgesetzes (Otto Fricke [FDP]: Sehr wahr!) mit über 50 Prozent Eigentümer bleiben muss. Der Erlös Der Bahnvorstand hat das Deutsche Bahn Gründungs- für den Haushalt wird sich dann zwischen 5 und gesetz zu beachten und Anweisungen des Eigentümers 8,7 Milliarden Euro belaufen. zu befolgen; sonst muss er gehen. (Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Ein lächerlicher (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP Betrag!) und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das geht jedenfalls aus dem Gutachten hervor. Trennen Sollten die erhobenen Vorwürfe stimmen, müssen die wir Netz und Betrieb, bleibt das Netz also beim Bund, Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. dann kann der Betrieb bis zu 100 Prozent privatisiert werden. Hier rechnet man mit Erlösen von Der Bundestag soll noch in diesem Jahr entscheiden, (B) 14,6 Milliarden Euro. ob die Kapitalprivatisierung mit oder ohne Netz vor- (D) genommen wird. Der Wiederbeschaffungswert des Net- Der Vorstand der DB AG ist für den Börsengang mit zes beträgt 150 Milliarden Euro. Laut Gutachten erhält Netz. Die Frage lautet also, welche Vor- und Nachteile der Bund für die Hälfte von Netz und Betrieb maximal für den Bundeshaushalt zu erwarten sind. 8,7 Milliarden Euro. Können wir, so frage ich als Abge- Kurz zur Erinnerung, dass mit der Bahnreform 1993 ordneter – das gilt auch für die Regierung –, überhaupt folgende Ziele verfolgt wurden: geringere Belastung des vertreten, die Hälfte des Netzes an Private fast zu ver- Bundes, mehr Verkehr auf die Schiene und Wettbewerb. schenken? Die neu geschaffene DB AG wurde komplett entschul- (Otto Fricke [FDP]: Sehr wahr! – Dr. Gesine det. Der Bund übernahm 68,45 Milliarden DM an Alt- Lötzsch [DIE LINKE]: Richtig!) schulden, was nach heutigem Geld 35 Milliarden Euro sind. Der Rückkauf ist eine andere Frage. Was passiert, wenn wir zurückkaufen müssen, weil beispielsweise in Nach dem Deutsche Bahn Gründungsgesetz vom Europa geklagt wird oder, wie in England geschehen, 27. Dezember 1993 sollte eine organisatorische und das Netz verrottet und der Staat zurückkaufen muss? rechnerische Trennung der Bereiche Personennahver- Wie hoch sind dann der Preis und die Belastung für den kehr, Personenfernverkehr, Güterverkehr und Fahrweg Bundeshaushalt? Sicherlich wird der Preis ein Vielfa- vorgenommen werden. Diese sollten dann als neu ge- ches des heutigen Verkaufserlöses betragen. gründete Aktiengesellschaften ausgegliedert werden. Die Holding Deutsche Bahn AG sollte nur kontrollie- (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Sehr rich- rende und koordinierende Aufgaben haben und später tig!) eventuell sogar aufgegeben werden. Das ist damals von „Fresh money“, also neues Geld, für das Unterneh- den beiden Koalitionsfraktionen Union und FDP so be- men ist die nächste Frage. Was bleibt dann, Herr Minis- schlossen und auch von der Opposition – auch von der ter Steinbrück, vom Verkaufserlös für den Bundeshaus- SPD – mitgetragen worden. halt übrig, Leider ist diese Bahnreform nicht konsequent umge- (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Schulden!) setzt worden. wenn Sie aus dem Verkaufserlös Milliardenbeträge wie- (Beifall bei der FDP) der zurück in das Unternehmen pumpen müssen? Auch Man muss sagen: Mit Duldung der letzten Regierung hat stellt sich bei dieser Gelegenheit die Frage: Muss der seit 2000 eine Rezentralisierung stattgefunden. Das Er- Bund überhaupt an einem weltweit operierenden Logis- 3508 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006

Norbert Königshofen (A) tikunternehmen beteiligt sein? Auch diese Frage muss Wir alle – auch die Regierung – müssen uns sehr kri- (C) man einmal grundsätzlich klären. tisch mit den außerordentlich hohen Haushaltsrisiken – es geht um zweistellige Milliardenbeträge, um die (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP Größenordnung deutlich zu machen – auseinander set- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zen. Der Staat darf auch nicht erpressbar sein, Was geschieht bei notwendigen Kapitalerhöhungen? (Zuruf von der SPD: Richtig!) Wie ausgeführt, muss der Bund wegen des Netzes mehr als 50 Prozent behalten und dann bei Kapitalerhöhungen beispielsweise wenn das Netz zur Hälfte ihm gehört und mitgehen. Was wird uns das kosten? Das Netz muss un- zur anderen Hälfte in privater Hand ist und die DB AG feststellt, dass sie es mit 2,5 Milliarden Euro jährlich terhalten werden. Wem immer es gehört, aus der Sicht nicht unterhalten kann, uns den Ball wieder zuspielt und der Bürger ist die Politik für das Netz verantwortlich. wir auf die Forderungen – seien es 3,5 Milliarden, seien Für private Eigentümer sind Investitionen in das Netz es 4,5 Milliarden Euro – eingehen. Es geht doch nicht betriebswirtschaftlich nicht vertretbar; denn die Bahn an, dass ein großes Unternehmen die Führung der Bun- verdient im Kerngeschäft kaum Geld. Im Nahverkehr desrepublik an der Nase herumführt. verdient sie zwar etwas Geld, aber sie ist von Struktur und Höhe der staatlichen Bezuschussung auch in Zu- (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der FDP, kunft abhängig. Ohne Regionalisierungsmittel sähe das des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der alles andere als rosig aus. Also muss der Staat das Netz Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE] – unterhalten. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Was ist denn mit Ihrer Fraktion?) Nun soll es eine Leistungsfinanzierungsvereinbarung geben. Der Bund verpflichtet sich, zehn Jahre lang jähr- Als Abgeordneter, zumal als Mitglied des Haushalts- lich 2,5 Milliarden Euro für das Netz an die DB AG zu ausschusses, sehe ich es als meine Aufgabe an, den Bund zahlen. Schon jetzt zahlen wir im Schnitt der Jahre vor unübersehbaren Risiken zu bewahren und vorhan- 3,5 Milliarden Euro. Also sind 2,5 Milliarden Euro ein dene Risiken so weit wie möglich zu minimieren. Im Falle der geplanten Kapitalprivatisierung der DB AG wenig tief gegriffen. scheint es mir deshalb dringend geboten zu sein, sich auf Dann stellt sich natürlich die Frage: Wie viel Einfluss das zu besinnen, was uns die Väter der Bahnreform vor- haben wir auf die Verwendung? Das Beispiel mit der fal- gegeben haben: Sie wollten eine Privatisierung aller Be- schen Zuordnung der Immobilien hat unseren Einfluss reiche mit Ausnahme des Netzes. deutlich gemacht; denn dies ist nur durch einen Bericht Ich danke Ihnen, dass Sie mir zugehört haben. des Bundesrechnungshofes an den Haushaltsausschuss (B) bekannt geworden. Ansonsten hätten dies die Herren in (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP (D) den Ministerien wahrscheinlich gar nicht gemerkt. Ich und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – bezweifle, dass wir einen größeren Einfluss haben wer- Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Respekt!) den. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Deswegen ist es auch kein Wunder, dass sich in zwei Ich schließe die Aussprache zu diesem Punkt. Anhörungen des Deutschen Bundestages nur die Vertre- ter der DB AG und der Gewerkschaft Transnet – das ist Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zu- die Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands – für nächst zur Abstimmung über den Einzelplan 08 – Bun- den Börsengang mit Netz ausgesprochen haben. Die desministerium der Finanzen – in der Ausschussfassung. überwältigende Mehrheit der Sachverständigen, der Be- Wer stimmt für diesen Einzelplan? – Gegenstimmen? – troffenen und der Experten hält den Weg eines Börsen- Enthaltungen? – Damit ist der Einzelplan 08 mit den gangs mit Netz für falsch. Stimmen der Koalition gegen den Rest des Hauses ange- nommen. In einer Haushaltsdebatte ist es wichtig, Dinge anzu- Abstimmung über den Einzelplan 20 – Bundesrech- sprechen, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist. nungshof – in der Ausschussfassung. Wer stimmt da- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der für? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist die- SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE ser Einzelplan mit den Stimmen des ganzen Hauses GRÜNEN) angenommen. Wir reden in der Regel immer über Dinge, die schon er- Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.5 auf: ledigt und abgehakt sind. Die Opposition kritisiert das a) Einzelplan 07 dann und wir verteidigen das. Das ist aber nicht zielfüh- rend. Wir müssen vorher über diese Fragen sprechen, Bundesministerium der Justiz und zwar auch hier, nicht nur in kleinen Runden. Die Be- – Drucksachen 16/1307, 16/1324 – ratung des Haushalts ist ein guter Anlass dafür. Denn die Verantwortung tragen wir alle. Berichterstattung: Abgeordnete Lothar Binding (Heidelberg) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Dr. Ole Schröder neten der SPD, der FDP, des BÜNDNIS- Dr. Claudia Winterstein SES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]) Anna Lührmann Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006 3509

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) b) Einzelplan 19 die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD jeweils zwei (C) Minuten zusätzlich und die Fraktionen der FDP, Die Bundesverfassungsgericht Linke und des Bündnisses 90/Die Grünen jeweils eine – Drucksache 16/1324 – Minute zusätzlich erhalten. – Dazu höre ich keinen Wi- derspruch. Dann ist das so beschlossen. Berichterstattung: Abgeordnete Lothar Binding (Heidelberg) Ich eröffne die Aussprache und gebe der Kollegin Dr. Ole Schröder Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, FDP-Fraktion, das Otto Fricke Wort. Dr. Dietmar Bartsch Anna Lührmann (Beifall bei der FDP) c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umset- Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP): zung europäischer Richtlinien zur Verwirkli- chung des Grundsatzes der Gleichbehandlung Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin- nen und Kollegen! – Drucksachen 16/1780, 16/1852– Menschen wollen in rechtlich verlässlichen Struk- Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) turen frei und sicher leben. Rechtspolitik schafft Innenausschuss den Ausgleich zwischen dem Bedürfnis der Men- Ausschuss für Wirtschaft und Technologie schen nach Sicherheit und ihrem grundgesetzlich Ausschuss für Arbeit und Soziales garantierten Recht auf Freiheit. Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Dieses Zitat steht am Anfang Ihrer Koalitionsvereinba- Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Bildung, Forschung und rung, Frau Ministerin. Es ist inhaltlich richtig. Aber wie Technikfolgenabschätzung sieht die Rechtspolitik der schwarz-roten Koalition in Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO den ersten acht Monaten tatsächlich aus? Sie haben die Geltungsdauer eines verfassungsrechtlich äußerst be- d) Erste Beratung des von der Fraktion der LINKEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än- denklichen Gesetzes, des Zollfahndungsdienstgesetzes, derung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes für anderthalb Jahre verlängert. Der Entwurf eines Ge- setzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses zum Eu- – Drucksache 16/1736 – ropäischen Haftbefehl, den Sie in einem zweiten Anlauf vorgelegt haben, wurde in einer Expertenanhörung (B) Überweisungsvorschlag: (D) Rechtsausschuss (f) scharf kritisiert: zu unbestimmt, zu wenig Rechtsschutz Innenausschuss und Nachteile für im Ausland straffällig gewordene Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Deutsche, die sich in Deutschland für dieselbe Tat nicht e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jerzy strafbar gemacht hätten. Sie sollen nicht rücküberstellt Montag, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, werden. Die Verfassungswidrigkeit des Luftsicherheits- Jan Korte und weiterer Abgeordneter gesetzes aus der letzten Legislaturperiode, von Liberalen eingeklagt und vom Bundesverfassungsgericht am Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung durch 15. Februar 2006 festgestellt, hat innerhalb der Bundes- den Europäischen Gerichtshof prüfen lassen regierung zu einer gespenstischen Debatte über die Mög- – Drucksache 16/1622 – lichkeit einer Umgehung des Urteils und des Grundge- setzes ausgelöst. Stattdessen hätte dieses missglückte ZP 1 Beratung des Antrags der Fraktion der FDP Vorhaben endgültig ad acta gelegt werden müssen. Bürokratie schützt nicht vor Diskriminie- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten rung – Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz der LINKEN) ist der falsche Weg Das alles trägt nicht dazu bei, dass sich der Bürger – Drucksache 16/1861 – – wie in der Koalitionsvereinbarung zu Recht eingefor- Überweisungsvorschlag: dert – sicherer fühlt und dass Rechtssicherheit gewähr- Rechtsausschuss (f) Innenausschuss leistet wird. Vertrauen in die Funktionsfähigkeit unseres Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Rechtsstaates ist das wichtigste Gut, das wir als Rechts- Ausschuss für Arbeit und Soziales politiker insbesondere bei den Beratungen über den Jus- Verteidigungsausschuss tizhaushalt zu verteidigen haben. Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (Beifall bei der FDP) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Der Justizhaushalt kann mit Sicherheit nicht entschei- Zum Einzelplan 07 liegt ein Änderungsantrag der dend zur Sanierung des Gesamthaushalts 2006 beitra- Fraktion Die Linke vor. gen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Kleinvieh die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen, wobei macht auch Mist, Frau Kollegin!) 3510 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (A) Es gibt zwar einige Ansätze, deren Sparpotenzial nicht (Zuruf von der SPD: Das hat allerdings nichts (C) vollständig ausgeschöpft wird. Hier können die Mittel mit dem Haushalt zu tun!) möglicherweise niedriger angesetzt werden; das wäre in Ordnung. Sie haben das in der Koalitionsvereinbarung als Notwen- digkeit angesprochen, aber bisher hat das Thema über- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das sagen haupt noch keine Rolle gespielt. Ich fordere Sie auf – ich alle!) hoffe, Sie kommen dem nach –, möglichst schnell zu- mindest Eckpunkte vorzulegen, damit wir darüber hier Aber sonst, denke ich, sind wir uns im Großen und Gan- im Bundestag, wohin es gehört, beraten können. zen einig: Der Justizhaushalt ist nicht dazu da, entschei- dend zur Sanierung des Bundeshaushalts beizutragen. Die Europäische Union mit ihren Initiativen und Vor- haben spielt gerade in der Rechtspolitik eine immer grö- Es ist entscheidend, dass die Justiz, die Gerichte in ßere Rolle. Hierbei geht es wirklich im Kern um das Bund und Ländern, die Anerkennung – auch in dieser Selbstverständnis des Deutschen Bundestages, um das Debatte im Bundestag – bekommen, die sie verdient ha- Verhältnis von Exekutive und Legislative und um den ben und brauchen; denn das Vertrauen der Bürgerinnen Stellenwert, den der Bundestag hat. Deshalb haben wir und Bürger in die Justiz, sowohl in die oberste Gerichts- einen Gruppenantrag mit initiiert, der die Bundesregie- barkeit als auch in die Gerichte der Länder, ist mit am rung auffordert, sich mit einem Vorhaben, das extrem kri- größten. Unsere Justiz leistet hervorragende Arbeit und tisch ist und in der letzten Legislaturperiode im gesamten genießt hohes Ansehen. Deshalb dürfen – meistens fis- Bundestag sehr kritisch gesehen wurde, nämlich mit der kalisch orientierte – Überlegungen zu einer Justiz- Vorratsdatenspeicherung, in einer bestimmten Weise reform, die in erster Linie die Einschränkung des auseinander zu setzen. Die Vorratsdatenspeicherung ist Rechtsschutzes sowie die Beschränkung des Zugangs beschlossen worden. Wir fordern die Bundesregierung der Bürgerinnen und Bürger zu den Gerichten, wenn es auf, mit ihren Möglichkeiten – nur sie hat solche Mög- um niedrige Streitwerte geht, zum Ziel haben, nicht wei- lichkeiten; wir haben sie nicht – dagegen vorzugehen. ter verfolgt werden. (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der FDP) DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Frau Justizministerin, Sie haben hier unsere Unter- stützung im Bundestag. Sie wissen, dass sich gerade der Warum? Weil es keine Rechtsgrundlage für die Richtli- Bundestag über alle Fraktionsgrenzen hinweg für Ihre nie gibt. Das ist nicht aus der Luft gegriffen. Das Urteil Position immer stark gemacht hat. Ich weiß angesichts des EuGH zum Passagierdatenübereinkommen hat auf- der Diskussionen und der Vorschläge der Länder – das gezeigt, dass es dafür keine Rechtsgrundlage gab. Jetzt (B) ist parteipolitisch neutral gemeint –, dass Sie diese Un- stützen Sie sich auf genau dieselbe Rechtsgrundlage, die (D) terstützung brauchen. dort angeführt worden war. Das hat keinen Bestand. Las- sen wir uns doch nicht durch den EuGH immer wieder Ich möchte noch ein anderes für unsere Justiz und ihr zu Reaktionen veranlassen, sondern machen wir es an- Ansehen wichtiges Vorhaben – es liegt zwar noch kein ders! Machen Sie von der Bundesregierung, machen Sie, Gesetzentwurf vor, wohl aber ein Referentenentwurf – Frau Justizministerin, von den Möglichkeiten Gebrauch, erwähnen. Sie wollen ein großes Familiengericht er- die es gibt! Ich fordere CDU/CSU- und SPD-Kollegen richten. Wir halten das auch im Hinblick auf eine bessere auf, diesem Antrag zuzustimmen; denn nur dann macht Übersichtlichkeit und das Zusammenführen vieler Strei- der Bundestag von seinen Machtmöglichkeiten Ge- tigkeiten für einen richtigen Weg. Aber wir sehen die ge- brauch. plante „Scheidung light“ kritisch, weil gerade die Wahr- nehmung der Interessen der Schwächeren bei einer (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ Scheidung – das sind heutzutage meistens Frauen; das DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der können in zehn Jahren aber auch Männer sein – nicht LINKEN) ausreichend gewährleistet ist. Deshalb halten wir es für Ich darf zum Schluss – dringend notwendig, dass in jedem Fall eine anwaltliche Beratung gegeben ist, sodass nicht der ökonomisch Stär- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: kere den Schwächeren beim Versuch, eine einvernehmli- Ganz zum Schluss! che Regelung zu erzielen, über den Tisch ziehen kann.

(Beifall bei der FDP) Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP): Frau Ministerin, es gibt eine Fülle von Vorhaben, die – einen ausdrücklichen Dank sagen an die Mitarbeite- in der Koalitionsvereinbarung angekündigt werden. Ich rinnen und Mitarbeiter im Justizministerium, an alle, die bedauere, dass bis heute noch nicht einmal ein Zeitplan an diesem Haushalt mitgewirkt haben, auch an den für die Beratung eines wichtigen Vorhabens, nämlich der Rechtsausschuss. Ich würde mich natürlich sehr freuen, Neuordnung der Telekommunikationsüberwachung liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir uns nicht nur in der Strafprozessordnung, hier im Bundestag und in hier sehen würden, sondern auch übermorgen in einer den Ausschüssen vorliegt. Es gibt seit einigen Jahren Sitzung des Rechtsausschusses, die jetzt leider abgesagt ausreichend Urteile des Bundesverfassungsgerichts, die worden ist. sich mit Bundes- und Landesgesetzen befasst haben und Recht herzlichen Dank. die klar dazu auffordern, auch politisch, die Telekommu- nikationsüberwachung anders auszugestalten. (Beifall bei der FDP) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006 3511

(A) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: kommenden 30 000 Patentfällen auch die aufgestauten (C) Das Wort hat der Kollege Lothar Binding, SPD-Frak- bis zum Jahr 2009 abgearbeitet sein werden. Wir glau- tion. ben, dass das ein sehr gutes Konzept ist, solche Bearbei- tungsrückstände abzubauen. Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zu- Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! ruf von der SPD: Das ist auch für die wirt- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu den rechtspoliti- schaftliche Entwicklung bedeutsam!) schen Inhalten und zu den Aufgaben, die das Ministe- rium hat und erledigt, möchte ich mich nicht äußern, Dann gibt es eine weitere Neuerung, die sehr wichtig weil wir in der Haushaltsdebatte sind. Ich möchte vor- ist. Sie trägt den schönen Namen ELSA; das steht für nehmlich die haushaltspolitische Seite etwas beleuchten. Elektronische Schutzrechtsakte und umfasst die Ein- führung einer vollständig IT-gestützten Vorgangsbear- Da kann ich an den Dank anschließen, den die Kolle- beitung in den Schutzrechtsbereichen Patente- und Ge- gin Leutheusser-Schnarrenberger schon zum Ausdruck brauchsmuster. Die Unterstützung dieses Bereichs stellt gebracht hat. für das Ministerium einen besonderen Schwerpunkt dar und deshalb wurde auch schon im Haushaltsentwurf des (Zuruf von der SPD: Das ist auch das Einzige, Ministeriums vorgesehen, diesen Haushaltstitel deutlich woran man anschließen kann!) zu erhöhen, nämlich um 9 Millionen. Ich denke, dass die Berichterstatter – ich möchte sie nen- Diesen Haushaltsansatz möchte ich zum Anlass neh- nen: Es sind außer mir Dr. Ole Schröder, Dr. Claudia men, einmal über unser Politikverständnis nachzuden- Winterstein, Roland Claus und Anna Lührmann sowie ken. Die Linke hatte, wohl wissend, dass der ursprüngli- zu Einzelplan 19 noch Otto Fricke und Dr. Dietmar che Haushaltsansatz insgesamt schon um 9 Millionen Bartsch – mit der Unterstützung durch die Ministerin erhöht wird, den Antrag gestellt, ihn um weitere Brigitte Zypries, aber auch durch den Ministerialrat 5 Millionen zu erhöhen, ohne dabei sicherzustellen, dass Dr. Vogel und durch die Direktorin beim Bundesverfas- diese Mittel überhaupt gebraucht werden und sinnvoll in sungsgericht Frau Dr. Bahnstedt sehr zufrieden sein die Projektarbeit dieses Jahres einfließen können. Wa- konnten. Ich glaube, dass sie exzellente Unterstützungs- rum mich diese Art von Politikverständnis besonders ge- arbeit geleistet haben, als es darum ging, unsere schwie- ärgert hat, möchte ich an einem kleinen Beispiel deutlich rigste Aufgabe zu bewältigen, nämlich die globale Min- machen: Bevor ich in den Bundestag gewählt wurde, derausgabe aufzulösen. war ich Planer und habe für die Universität Heidelberg Man wird es kaum glauben: Je kleiner der Haushalt, große EDV-Netze für 10 000 bis 15 000 Arbeitsplätze (B) umso komplizierter scheint es, eine globale Minderaus- geplant und habe so etwas Ähnliches auch für die Indus- (D) gabe aufzulösen. Die Aufgabe war, immerhin trie gemacht. Dabei habe ich zwei Kategorien von Pla- 9 Millionen Euro zu sparen. Bei einem Haushalt, dessen nern kennen gelernt: Volumen kaum über 300 Millionen Euro beträgt, ist das Es gibt Planer, die für ihre Planung beliebig viel Geld eine sehr große Aufgabe, vor allem mit Blick darauf, und einen großen Zeitvorrat haben. Diese planen sehr dass in einem solchen Haushalt bis zu 86 Prozent Perso- detailliert; das Projekt wird immer schöner, größer, di- nalkosten sind – das ist für viele vielleicht gar nicht so cker. Der Plan landet dann aber – das wissen diese Pla- transparent – und damit die Einsparmöglichkeiten be- ner meistens schon von vornherein – im Regal. kannterweise sehr gering sind. Deshalb möchte ich dem Ministerium danken. Diese Kooperation war nicht Dann gibt es Planer – zu denen gehörte ich –, die selbstverständlich. große Projekte planen, für die vielleicht (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der 10 000 Komponenten erforderlich sind, die eine Größen- CDU/CSU) ordnung von 30 bis 50 Millionen Euro umfassen und bei denen viele hundert Menschen und möglicherweise auch Ich möchte auf zwei kleine Einzelheiten eingehen, die noch mehr beteiligt sind. Denken Sie etwa an ein großes im Ministerium immer eine wichtige Rolle spielen und Hochregallager mit 50 000 Palettenplätzen, das Zusam- die zu einer besonderen Aufgabe geführt haben. Das menspiel von vielen Maschinen, verkettete Fertigung BMJ kümmert sich maßgeblich um das Deutsche oder ein Ausgangslager. Wenn Sie nun anfangen, den Patent- und Markenamt. Das ist auch wieder eine Plan zu verwirklichen, merken Sie bald, dass es kompli- wichtige Angelegenheit; denn durch den Deckungsbei- ziert wird. Schließlich geht es an die Inbetriebnahme. trag, also durch die Gebühren, die dort erhoben werden, Man schaltet ein, aber es funktioniert nicht. Das kann da- wird das Ministerium zu einem ganz großen Teil gegen- ran liegen, dass ein Denkfehler gemacht wurde, jemand finanziert. Hierfür ist aus Haushältersicht ein sehr großes eine Komponente mit nach Hause genommen hat, ir- Lob angebracht. gendein Bagger ein Kabel durchtrennt hat oder ein Feh- ler bei der Bedienung gemacht wurde. Hier gab es aber ein Problem: Über die Jahre hatten sich mehr als 100 000 Bearbeitungsfälle aufgestaut. Deshalb geht man in der Praxis nicht so vor, sondern Brigitte Zypries und ihre Vorgängerin hatten deshalb ein reserviert sich für die Inbetriebnahme einen längeren Stauabbaukonzept entwickelt und umgesetzt. So wird Zeitraum und lässt den Vorstand der auftraggebenden seit knapp zwei Jahren dieser Rückstau abgebaut. Wir Firma erst nach drei, sechs oder gar neun Monaten den können davon ausgehen, dass neben den jährlich hinzu- Schalter zur Inbetriebnahme umlegen, weil dann das 3512 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006

Lothar Binding (Heidelberg) (A) System eingeschwungen ist, die Fehler ausgemerzt sind Wolfgang Nešković (DIE LINKE): (C) und alles gut funktioniert. Man hat also seine ursprüngli- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten chen Planungen in dieser Phase an die realistischen Damen und Herren! Im vierten Nachwendejahr äußerte Möglichkeiten angepasst. Theo Sommer in der „Zeit“ die Überlegung, der Kapita- lismus habe gar nicht gesiegt, er sei nur übrig geblieben. So ähnlich ist es in der Politik auch. Es gibt zwei Sor- Heute, 16 Jahre nach dem gewaltigen Umbruch, werden ten von Leuten, die Programme machen: Die einen ma- die Wahrheit und die Tragik dieses Satzes vom übrig ge- chen das geniale Programm, das meistens noch etwas di- bliebenen Kapitalismus für uns alle erkennbar. cker, noch etwas schöner, noch etwas größer und teurer ist, und nehmen sich dafür beliebig viel Zeit. Der kleine Die Bundesrepublik war weit davon entfernt, eine Antrag, den die PDS gestellt hat, zeigt beispielhaft, dass perfekte Gesellschaft zu sein. Aber unter der Herrschaft hier die realistischen Möglichkeiten überschätzt wurden. des Grundgesetzes hat sie sich immerhin zu einem Staat Ich nehme das nur als Beispiel für einen systemischen entwickelt, der sich ernsthaft bemühte, den Menschen Ansatz, sich politisch entsprechend zu verhalten. Auch nicht nur Freiheit und Selbstverwirklichung zu verschaf- mit anderen Beobachtungen kann man das leicht bele- fen, sondern ihnen auch zu sozialer Sicherheit und Chan- gen: Was ist nämlich passiert, als Planer dieser Kategorie cengleichheit zu verhelfen. Man hat bewiesen, dass Ka- die Chance hatten, ihren Plan umzusetzen? Oskar pitalismus und soziale Ziele nicht notwendigerweise Lafontaine ist als Superminister kurze Zeit nach der In- Gegner sein müssen. Die Wiedervereinigung Deutsch- betriebnahmekatastrophe geflüchtet. Auch , lands stand unter dem Versprechen, diesen Erfolg zu hal- davon nicht sehr verschieden, ist geflüchtet, kaum dass ten und weiter auszubauen. Wir erleben heute jedoch, er die Chance hatte, seine Pläne wirklich umzusetzen. wie die Erfolge des sozialen Rechtsstaats hinwegrefor- miert werden. So gewinnt das eingangs verwandte Zitat (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- erst heute seine wirkliche Bedeutung: Übrig geblieben NEN]: Das ist alles richtig, aber was hat das ist heute der Kapitalismus. mit dem Justizhaushalt zu tun?) Die politische Mehrheit in diesem Hause schämt sich Deshalb glaube ich, mit diesem Ansatz kann man Op- nicht einmal dafür, dass sie die Werkzeuge des Abrisses positions- und Regierungspolitik charakterisieren und von Errungenschaften aus Jahrzehnten als Reformen die möglichen und realistischen Politikansätze von jenen bezeichnet. Eine Reform reißt soziale Errungenschaften unterscheiden, deren Antragsteller gleich wissen, dass nicht nieder, sondern schafft soziale Errungenschaften. sie keine Realisierungschance haben. Letzteres halte ich (Beifall bei der LINKEN) für eine unseriöse Politik. (B) Die Anerkennung der Gewerkschaften als Vertreter der (D) Mit dem Hinweis auf meinen beruflichen Hintergrund Interessen der Arbeitnehmer – das war eine Reform. Die und die Beobachtung, wie Regierungs- und Oppositions- Bindung der drei Gewalten an das Sozialstaatsprinzip – politik hier gegeneinander gestellt werden, möchte ich das war eine Reform. Die Einrichtung und der Ausbau schließen, aber nicht ohne Ihnen den Lösungsansatz von der Arbeitnehmermitbestimmung – das war eine Re- jemandem zu zeigen, der von mir eine kleine Aufgabe form. Eine Reform erkennen Sie immer daran, dass sie gestellt bekommen hat. Viele von Ihnen wissen, dass ich die Position der Schwachen stärkt. Keine Reform ist es, oft einen kleinen Bleistift an eine Jacke hefte, den man wenn die Schwachen der Gesellschaft für ihre Schwä- mit etwas Geschick ablösen kann. Ich sage Ihnen, wie chen auch noch büßen müssen. Ulrich Maurer dieses Problem gelöst hat: Er hat ihn durchgebrochen. Hartz IV ist dabei nur die Spitze des Eisberges in ei- nem kalten Meer neoliberaler Maßnahmen, in dem die Das war eine Lösung, der ich nicht folgen will. Verlierer der Gesellschaft frierend ertrinken. (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Völliger NEN]: Ja, schade um den Bleistift!) Blödsinn!) – Sie sollten darüber keine Scherze machen. Für viele Ich glaube deshalb, dass es sehr gut ist, einen Haushalt Menschen ist das bittere Wahrheit. wie diesen zu haben, mit seriösen Anträgen der Regie- rungskoalition, einen Haushalt, der realistisch, konse- (Beifall bei der LINKEN – Steffen Kampeter quent und mit unseren Zielsetzungen auch zukunftswei- [CDU/CSU]: Nein, das ist zynisch!) send ist. Der Erfolg des sozialen Rechtsstaates Bundesrepublik Schönen Dank. ruhte auf vier stabilen Säulen. Als erste der Säulen ist die Pflicht zur Einrichtung eines sozialstaatlichen Rechts- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) systems zu nennen, zu dem Arm und Reich gleicherma- ßen Zugang haben. Der Gerichtssaal nivelliert die soziale Herkunft für die Dauer der Verhandlung. Er ist die Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Schicksalskorrektur, wenn es um die Durchsetzung des Das Wort hat der Kollege Wolfgang Nešković, Die Rechts geht. Linke. Sie können dem Einzelplan 19 entnehmen, dass dem (Beifall bei der LINKEN) Bundesverfassungsgericht zukünftig rund 1 Million Euro Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006 3513

Wolfgang NeškoviNeškoviæć (A) weniger zur Verfügung stehen. Ähnliches können Sie schen Union, die längst in innerdeutsches Recht umzu- (C) den Haushaltsplänen der Länder entnehmen. Dieser Ab- setzen waren. Indem diese Aufgabe erst lustlos angegan- wärtstrend in Ausstattung und Besetzung der Gerichte gen, dann wiederholt verschleppt wurde, ist deutlich trifft zuerst diejenigen, die den Gleichmacher Recht am geworden, was Sie von diesem politischen Erbe heute dringendsten benötigen: die Schwachen in der Gesell- halten. schaft. Der Entwurf des AGG, den Sie heute in die Beratung (Zuruf von der SPD: So ein Unsinn!) eingebracht haben, hat der Wirtschaft viel Sorge bereitet. Die Wirtschaft wird ihre Ängste rasch los sein. Der Ent- Ganz im Trend der Zeit legte der Bundesrat kürzlich wurf ist nur ein schüchternes Schäfchen in einem gewal- einen wirklich schaurigen Gesetzentwurf zur Neurege- tigen Wolfskostüm. lung der Prozesskostenhilfe vor. Der Entwurf sieht ganz erhebliche Erschwernisse für die Gewährung der (Beifall bei der LINKEN) Prozesskostenhilfe vor. Um Ihnen nur den unerträglichs- ten Neuregelungsvorschlag zu nennen: Allein die Prü- Ein ganz wesentlicher Mangel ist die fehlende Ver- fung der Gewährung der Prozesskostenhilfe soll eine bandsklage für Antidiskriminierungsverbände. Zahlungspflicht von 50 Euro für jeden Bürger auslösen, (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Um Himmels dessen monatliches Einkommen nur 100 Euro über dem willen!) Existenzminimum liegt. Das ist also die Praxisgebühr im Gerichtssaal. Wenn das Gesetz wird, dann werden viele – Genau. Um Himmels willen! Der Kapitalismus ist üb- in unserem Land feststellen, dass sie sich sogar ihren rig geblieben. von der Verfassung garantierten Justizgewährungsan- ( [CDU/CSU]: Oh je! – Steffen spruch nicht mehr leisten können. Übrig geblieben ist Kampeter [CDU/CSU]: Der arme Theo der Kapitalismus. Sommer! Er wird missbraucht!) Ich komme zur zweiten Säule des sozialen Rechts- Dort, wo Ihr Mut, Ihre Veränderungsbereitschaft beson- staates. Verwandt mit dem sozialen Recht ist der An- ders gefragt gewesen wären, nämlich bei der Anerken- spruch, ein Recht zu schaffen, das mit Besonderheiten nung der sozialen Herkunft als Merkmal für Diskrimi- angemessen umgeht und dabei den Grundsatz der Billig- nierung, haben Sie gekniffen. Die soziale Herkunft sucht keit beachtet. man in Text und Begründung des Entwurfs vergeblich. (Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]: Ihre Rede Zu den ganz alltäglichen Benachteiligungen bestens ist billig!) ausgebildeter und hoch intelligenter Jobbewerber aus ar- (B) Ein Recht um jeden Preis ist Unrecht. Als die alte Bun- mem Elternhaus empfehle ich Ihnen statt Polemik und (D) desrepublik fünf neue Länder dazu brachte, sich in den unqualifizierter Zwischenrufe Michael Hartmanns Buch Geltungsbereich des Grundgesetzes zu begeben, da ver- „Der Mythos von den Leistungseliten“. Darin wird em- pflichtete sie sich, mit den Besonderheiten des Ostens pirisch aufbereitet, dass die soziale Herkunft weit be- gerecht umzugehen. Das bedeutete die Pflicht, grobe deutsamer für eine Karriere ist als aller Fleiß und alle Unbill zu korrigieren. Das bedeutet aber auch die Pflicht, Klugheit. lang Gewachsenes anzuerkennen. (Beifall bei der LINKEN) Man hat die Rechtsfigur des getrennten Gebäudeei- Trotz dieser schwer wiegenden Mängel wäre dieser gentums nicht anerkannt, sondern den Häuschen- und Entwurf noch von einem gewissen Wert gewesen, hätten Garageneigentümern lediglich Übergangsfristen einge- Sie nicht den Anspruch auf Abschluss einen Arbeitsver- räumt, nach deren Ablauf sie ihr Eigentum faktisch ent- trages ausdrücklich ausgeschlossen. Was also hat der schädigungslos verlieren. diskriminierend abgewiesene Arbeitsuchende von Ihrem (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Richtig! Entwurf? Wenn es ihm überhaupt gelingt, die Diskrimi- So ist es!) nierung nachzuweisen, dann erhält er nicht etwa die be- gehrte Stelle, sondern hat Anspruch auf Schadenersatz. Wir haben Ihnen heute einen Antrag vorgelegt, der Damit geben Sie dem Abgewiesenen Geld an die Hand mit dem Ablauf dieser Fristen Entschädigungsleistungen anstelle einer Chance im Leben. Fortan kann sich also in der Höhe des Zeitwerts vorsieht. jeder ausrechnen, was ihn die Diskriminierung seines (Beifall bei der LINKEN) Mitmenschen kostet. Lohnt sie sich oder ist sie mit Blick auf die Gesamtbilanz bereits ineffektiv? Da der Antrag von uns kommt, werden Sie ihn erwar- tungsgemäß ablehnen. Übrig geblieben ist der Kapitalis- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie sind ja mus. zynisch!) Ich komme zur dritten Säule des sozialen Rechtsstaa- Heribert Prantl tes. Ein dritter Grund für die Erfolge der alten Bundesre- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Der hat noch publik bestand darin, dass man am Ende, trotz aller Mei- gefehlt!) nungsverschiedenheiten und heftiger Streitigkeiten, für mehr Gleichheit unter den Menschen sorgte. Um dieses fragte unlängst völlig zu Recht, ob wir wirklich eine Ge- Ideal von der Gleichheit der Menschen ging es auch bei sellschaft wollen, in der der Wert des Menschen am Li- den Antidiskriminierungsrichtlinien der Europäi- neal des Ökonomen gemessen wird. 3514 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006

Wolfgang NeškoviNeškoviæć (A) (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Nichts gegen (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Nein! – (C) Ökonomen! Keine Diskriminierung von Öko- Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]: Sie sollten nomen am Rednerpult!) Vernunft annehmen!) Übrig geblieben ist ganz offenbar der Kapitalismus. Der Antrag bezweckt die Überprüfung der europäischen Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung im Wege der (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Nichtigkeitsklage. NEN]: Habt ihr das denn alles im Realsozialis- mus gehabt? Hattet ihr dort ein Antidiskrimi- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wenn Sie den nierungsgesetz? Hattet ihr dort unabhängige empfehlen, dann zweifeln wir sofort!) Richter wie Sie, Herr Nešković?) – So einfach strukturiert denken Sie; das ist wahr. Ich komme zur vierten und letzten Säule des sozialen Rechtsstaates. Die vierte Säule ist die Begrenzung staat- (Beifall bei der LINKEN – Steffen Kampeter lichen Handelns durch die Grundrechte. Auch hier trei- [CDU/CSU]: Ja, das ist so!) ben Sie heute Pfusch am Staatsbau. Die Liste der Grund- Die Freiheitsrechte waren bislang für nahezu jeder- rechtsverletzungen per Gesetzesverabschiedung, die mann – ob links oder konservativ – eine Grundbedin- Ausdruck Ihres politischen Grundverständnisses sind, ist gung des demokratischen Staates. Ich frage mich: Was lang: großer Lauschangriff, Zollfahndungsdienstgesetz, ist aus diesem Grundkonsens geworden? Ist er noch Europäisches Haftbefehlgesetz, Luftsicherheitsgesetz, Richtlinie der Politik, die Sie machen? Rasterfahndung, Jugendstrafvollzug. Man kann sagen: Verfassungsbruch im Fortsetzungszusammenhang. Frau Bundeskanzlerin Merkel sagte vor deutschen und amerikanischen Wirtschaftsvertretern am 6. Mai (Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der 2006 in New York, das „demokratische Modell“ stehe CDU/CSU: Oh!) im Wettbewerb der globalen Wirtschaft auf dem „Prüf- Immer wieder musste Ihnen das Bundesverfassungs- stand“. Sie sagte wörtlich: gericht in den Arm fallen, weil Sie jeden Respekt vor der … man kann nicht von einer Überlegenheit der De- Verfassung und ihren Werten verloren haben. mokratie sprechen, wenn die ökonomischen Erfolge (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das Verhält- ausbleiben … nis Ihrer Fraktion zu der Verfassung werden Diese Formulierung, Herr Kampeter, zeugt von einem wir noch einmal überprüfen!) fundamentalen Missverstehen unserer Verfassung. Das (B) Mit bisher nicht bekannter Schärfe hat Ihnen das Bun- Grundgesetz enthält, wie allgemein – und somit auch Ih- (D) desverfassungsgericht beim Luftsicherheitsgesetz ins nen – bekannt ist, keine Festlegung auf ein bestimmtes Stammbuch geschrieben, dass das Parlament mit diesem Wirtschaftssystem. Aber dieses Grundgesetz enthält sehr Gesetz die Kernvorschrift unserer Verfassung verletzt wohl eine ganz eindeutige Festlegung auf das politische hat. Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass System. Es handelt sich nämlich um die Demokratie – die Annahme des Gesetzgebers, der Staat sei berechtigt, und nur um die. unschuldige Menschen vorsätzlich zu töten, unter der (Beifall bei der LINKEN) Geltung des Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes schlechter- dings unvorstellbar sei. Sie haben sich dies nicht nur Da gibt es keinen Bedarf für Wettbewerb. vorgestellt. Nein, Sie sind weit darüber hinausgegangen. Sie haben ein solches Gesetz gemacht. Niemals zuvor in Übrig geblieben ist der Kapitalismus, der den in Jahr- der Geschichte der Bundesrepublik hat ein Gesetzgeber zehnten geschaffenen Schutz der Schwachen beseitigt, ein Gericht gebraucht, um in Erfahrung zu bringen, dass der sich der Politik mit seinen Interessen als Entschei- es falsch sei, Unschuldige durch den Staat vorsätzlich zu dungsprimat aufzwingt, der seinen ökonomischen Zielen töten. sogar demokratische Grundprinzipien opfern möchte. Das ist die Politik, die wir von der Linksfraktion be- (Beifall bei der LINKEN – Dr. Carl-Christian kämpfen. Dafür sind wir gewählt worden; dafür stehen Dressel [SPD]: Nun kommt die Tränendrüse wir hier. des Herrn Bundesrichters! – Joachim Stünker [SPD]: Nun reicht es aber!) Vielen Dank. – Es reicht in der Tat, was Sie mit diesem Staat und sei- (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der ner Verfassung machen. SPD: Armes Deutschland!) (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Noch etwas anderes ist in diesem Zusammenhang Das Wort hat der Kollege Dr. Ole Schröder, CDU/ neu: Ihr Verfassungsbruch im Fortsetzungszusammen- CSU-Fraktion. hang ruft Allianzen hervor, die ich mir früher nicht hätte vorstellen können. Ihnen liegt heute ein Gruppenantrag (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der aller drei Oppositionsfraktionen zur Vorratsdatenspei- CDU/CSU: Jetzt bring mal ein bisschen cherung vor, den Sie annehmen sollten. Niveau in die Debatte!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006 3515

(A) Dr. Ole Schröder (CDU/CSU): Ob die ehemalige Ministerin Künast genau wusste, was (C) Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten sie tat, als sie diesen Richtlinien auf europäischer Ebene Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Nešković, Ihre zugestimmt hat, mag einmal dahingestellt bleiben. Wir Rede war ein Griff in die Mottenkiste des Sozialismus. müssen jedenfalls mit diesen Richtlinien leben (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Leider!) Sie haben davon gesprochen, was insbesondere in der und sie in deutsches Recht umsetzen, Bundesrepublik Deutschland, in unserem Heimatland, (Norbert Geis [CDU/CSU]: Wir müssen mal übrig geblieben ist und was nicht. Nicht übrig geblieben darüber nachdenken, wer diese Richtlinien ist der Sozialismus. verbrochen hat!) (Daniela Raab [CDU/CSU]: Gott sei Dank!) obwohl sie eher angloamerikanischen Rechtstandards entstammen. Das ist eine schwierige Aufgabe, nicht nur Nicht übrig geblieben ist der Überwachungsstaat. Nicht für das Bundesjustizministerium. übrig geblieben ist der Kommunismus. Unser deutsches Rechtssystem befindet sich in einem (Zurufe von der LINKEN) internationalen Wettbewerb. Dadurch gewinnt die Aufgabe, einen in sich stimmigen Rechtsrahmen zu Übrig geblieben ist die soziale Marktwirtschaft. Dafür schaffen, zusätzlich an Bedeutung. Wie in jedem Wett- sollten wir dankbar sein. bewerb ist auch hier Stillstand der erste Schritt dahin, die (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der eigene gute Position zu verlieren. Also müssen wir uns FDP) immer wieder die Frage stellen, was noch verbessert werden kann. Hier hilft natürlich auch ein Blick über die Wir sollten diese soziale Marktwirtschaft und die Grenze, ein Blick in andere Rechtssysteme. Demokratie weiter verteidigen und nicht auf so eine un- flätige Art und Weise beschimpfen, wie Sie das hier zum Im Bereich des Unternehmensrechts konnte man Teil getan haben. den Handlungsbedarf leicht erkennen, da in der Vergan- genheit immer mehr Unternehmen die englische Limited (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) und nicht die deutsche GmbH als Rechtsform gewählt haben. Insofern ist es richtig, dass vonseiten des Bundes- Wir sind im Haushaltsausschuss und auch hier im justizministeriums auf diese Entwicklung mit einer Parlament sachliches Arbeiten gewöhnt. Ich danke Ih- GmbH-Reform reagiert wird. nen, Frau Ministerin, und insbesondere dem Hauptbe- (B) richterstatter, Herrn Binding, und den Mitberichterstat- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der (D) tern für die sachliche und gute Zusammenarbeit im FDP) Rahmen der Haushaltsberatung. Eine weitere wichtige Aufgabe, die das Bundesjustiz- Das Bundesjustizministerium erfüllt, wie ich meine, ministerium als Querschnittsfunktion innehat, ist die zwei wichtige Funktionen, zum einen die Gesetzgebung Förmlichkeitsprüfung aller Gesetze. Wir haben zwei we- und die Gesetzesanwendung im Bereich der Justiz und sentliche Probleme: zum einen die extreme Regelungs- ihrer Behörden. Zum anderen erfüllt das Justizministe- und Bürokratiedichte, die kaum noch überschaubar ist rium eine wichtige Querschnittsaufgabe für alle Minis- – der neu eingesetzte Normenkontrollrat wird hier anset- terien. Das Bundesjustizministerium ist nämlich dafür zen; die Koalition hat einen Anfang gemacht –, zum an- verantwortlich, die gesetzgeberischen Aktivitäten auf deren die Unverständlichkeit von Gesetzen. Das ist ein nationaler und immer mehr auch auf internationaler oft unterschätztes Problem. Hier besteht großes Poten- Ebene zu ordnen. In der Vergangenheit ist die Zahl na- zial, unser Rechtssystem noch effizienter zu gestalten. tionaler Gesetze stetig gestiegen. Hinzu kamen die euro- Wenn Bürgerinnen und Bürger nicht mehr verstehen, päische Gesetzgebung und die internationalen Verträge, was staatliche Stellen formulieren, dann wenden sie sich die wir in deutsches Recht umsetzen müssen. Gleichzei- ab. Wenn Unternehmen Gesetze aufwendig interpretie- tig ist die Regelungskomplexität extrem gestiegen. Hier ren müssen, entstehen unnötige Kosten. Ich verzichte kommt das Justizministerium ins Spiel: Die Vielzahl der hier auf unnötige Stilblüten zur Belustigung aller. Wich- unterschiedlichen Bausteine muss zu einem stimmigen tig ist, dass wir das Problem ernst nehmen und anpacken. Gesamtbild zusammengefügt werden. Ein stimmiges Ich bin froh, dass wir in der Bereinigungssitzung des Rechtssystem muss erhalten werden. Leider verhält es Haushaltsausschusses die Weichen hierfür gestellt ha- sich hier wie mit einem komplexen Puzzle: Je mehr Teile ben. vorhanden sind und je komplexer die Form dieser Teile (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ist, desto schwieriger ist es, sie richtig zusammenzuset- neten der SPD) zen. Das Bundesjustizministerium – da bin ich mir sicher – Ohne im Einzelnen auf die Inhalte einzugehen: Das wird Wächter über eine verständliche Sprache in den Antidiskriminierungsgesetz ist ein besonders gutes Gesetzen sein. Es freut mich, dass wir Signale von der Beispiel für diese Problematik. Diesem Gesetz liegen Justizministerin empfangen haben, dass dieses Problem bekanntermaßen viele Richtlinien zugrunde. verstärkt angepackt wird. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Vier!) (Vorsitz: Vizepräsidentin ) 3516 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006

Dr. Ole Schröder (A) Wesentliches Merkmal der beiden Einzelpläne, die wir hen so viele Anträge ein wie in Deutschland. Anderer- (C) heute beraten – Justiz und Bundesverfassungsgericht –, seits – das ist für den Haushaltsausschuss erfreulich – er- ist, dass in ihnen die Personalkosten dominieren. Das be- wirtschaftet das Deutsche Patent- und Markenamt sogar deutet nicht, dass wir bei den Beratungen nicht auch an- einen kleinen Überschuss. dere Positionen kritisch beleuchtet hätten. Insbesondere im Hinblick auf den Haushalt 2007 wird wieder kritisch Ich möchte am Schluss meiner Ausführungen auf die zu fragen sein, ob es sinnvoll ist, dass der Bund eine kri- Veränderungen eingehen, die wir im kommenden Haus- minologische Zentralstelle mit Bundesmitteln fördert, haltsjahr zu beraten haben. Ich nenne etwa das neu zu oder ob das nicht beispielsweise die Universitäten ma- schaffende Bundesamt für Justiz. Wichtig bei der Re- chen können. organisation wird sein, dass wirklich Kosten gesenkt und nicht nur Beamte mit ihrem Wunscheinsatzort Bonn ver- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Geld genug sorgt werden. kriegen sie ja!) (Daniela Raab [CDU/CSU]: So ist es!) Wir werden kritisch hinterfragen, ob es sinnvoll ist, dass das Institut für Menschenrechte aus drei unterschiedli- Ich halte die Maßnahme organisatorisch für sinnvoll. In chen Haushalten finanziert wird und damit die Transpa- dieser Bundesbehörde werden die Aufgaben des Bun- renz verloren geht. deszentralregisters und der nichtministeriellen Bereiche des Justizministeriums gebündelt und das Bundesjustiz- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr wahr!) ministerium kann sich dann auf die wesentlichen Aufga- Entscheidend bei den Einzelplänen sind die Personal- ben, die ich beschrieben habe, konzentrieren. Das ist vor kosten. Darüber sind wir uns im Klaren. Das Problem allen Dingen im Hinblick auf das Jahr 2007 wichtig, in bei den Personalkosten ist, dass sie sich langfristig aus- dem wir die Präsidentschaft im Europäischen Rat über- wirken und stetig wiederkehrend anfallen. Deshalb müs- nehmen. Da kommen eine Menge Aufgaben auf uns zu. sen wir gerade bei den Personalkosten besonders aufpas- Ich bedanke mich noch einmal für die guten Beratun- sen. Falsche Entscheidungen wirken sich langfristig gen und hoffe, dass wir die Einzelpläne 19 und 07 für negativ aus, nicht nur in dem jeweiligen Haushaltsjahr. das nächste Haushaltsjahr genauso kritisch und kon- Das beste Beispiel hierfür ist die Regelung der Alters- struktiv beraten werden. teilzeit. In der Vergangenheit sind hervorragende Beam- tinnen und Beamte in den Vorruhestand geschickt wor- Vielen Dank. den. Diese Politik, die ein Irrtum war, ist von uns in der (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Vergangenheit noch finanziell unterstützt worden. Wir Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr gute haben das Problem erkannt und angepackt. Aber die (B) Rede!) (D) Kosten treffen uns heute und sie werden uns weiterhin treffen. Der Schaden im Haushalt bleibt. Vizepräsidentin Petra Pau: Auf die weiteren Positionen der Einzelpläne will ich Das Wort hat der Kollege Jerzy Montag für die Frak- nicht weiter eingehen. Wir haben diese Einzelpläne mit tion des Bündnisses 90/Die Grünen. großer Übereinstimmung beschlossen, mit Ausnahme ei- niger Anträge der FDP, die sich eher willkürlich über den Einzelplan Justiz verteilt haben. Das Volumen dieser Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Anträge ist selbst in Relation zu den kleinen Einzelplä- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will nen – sie machen wenig mehr als ein Tausendstel des in Erinnerung rufen, dass wir unter diesem Tagesord- Gesamthaushalts aus – geringfügig. nungspunkt nicht nur über den Justizhaushalt, sondern auch über den Gruppenantrag gegen die Vorratsdaten- Wichtig bei den Beratungen war das Deutsche Pa- speicherung diskutieren. tent- und Markenamt. Hier werden bundesweit die Pa- tente und Marken angemeldet. Während der Beratungen (Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Sie vielleicht!) gab es einerseits den Antrag von der Fraktion der Lin- Mit unserem Gruppenantrag fordern wir die Bundes- ken, die Mittel wesentlich zu erhöhen, zum anderen den regierung auf, gegen die Richtlinie zur Vorratsdatenspei- Antrag der Fraktion der FDP, die Mittel wesentlich zu cherung Nichtigkeitsklage vor dem Europäischen Ge- kürzen. Ich denke, dass wir mit dem von uns gewählten richtshof zu erheben und bis zu einer Entscheidung keine Mittelweg richtig liegen. Die Entscheidung der letzten Umsetzung in deutsches Recht vorzunehmen. Ich will an Jahre, zusätzliche Prüfer einzustellen, trägt langsam dieser Stelle allen 130 Kolleginnen und Kollegen, die Früchte. Die Prüfer sind jetzt ausgebildet. Der Anmel- diesen Gruppenantrag unterstützen, ganz ausdrücklich destau der letzten Jahre bei den Patentanmeldungen kann danken. behoben werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Aufgrund der Komplexität der Materie ist leider nur sowie bei Abgeordneten der LINKEN) eine langfristige Steuerung möglich. Wir haben jetzt den Turnaround geschafft und sind auf einem guten Weg. Es zeugt nicht von großem Mut und parlamentarischem Diese Tendenz ist aus zwei Gründen sehr erfreulich: Ei- Selbstbewusstsein, dass sich trotz mannigfacher Zustim- nerseits ist das Deutsche Patent- und Markenamt für den mung hinter vorgehaltener Hand bis heute keine Kolle- Innovationsstandort Deutschland von herausragender gin und kein Kollege der Koalition zur Unterstützung Bedeutung. In keinem anderen Patentamt in Europa ge- bereit gefunden hat. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006 3517

Jerzy Montag (A) Der Deutsche Bundestag hat sich in der letzten Legis- rechte in den jeweiligen nationalen Rechtsordnungen; (C) laturperiode eindeutig und einstimmig dagegen ausge- das ist zentral. Normen der Strafverfolgung – um die sprochen, dass in der EU und in Deutschland von Privat- geht es – können nur da rechtsstaatlich eingehegt wer- firmen Daten der Telekommunikation auf Vorrat den, wo ihnen verfassungsrechtlich garantierte Grund- gesammelt und den Strafverfolgungsbehörden zur Verfü- und Bürgerrechte gegenüberstehen, die auch von einem gung gestellt werden müssen. Grundlegende rechtstaatli- durchsetzungsstarken Verfassungsgericht geschützt wer- che Bedenken, besonders hinsichtlich des Schutzes von den. persönlichen Daten von Abermillionen von Menschen, waren dafür ausschlaggebend. Auch wenn die jetzige Deswegen sind wir nur bereit, die Gesetzgebungs- große Koalition hierbei inzwischen eingeknickt ist, in ei- kompetenz auf diesem besonders sensiblen Feld auf Eu- nem Punkt herrscht in diesem Hause immer noch Einig- ropa zu übertragen, wenn dies Hand in Hand mit der keit: Die Speicherung von Daten auf Vorrat und deren Konstituierung europäischer Grund- und Bürgerrechte Zurverfügungstellung für Strafverfolgungsbehörden ist und einer europäischen Gerichtsbarkeit geht. Deshalb keine Frage, die mit der Regelung des Wettbewerbs im beharren wir darauf, dass wir uns im konkreten Fall ge- Binnenmarkt zu tun hat, sondern das gehört zum Straf- gen eine europäische Richtlinie wenden, auch wenn ihr recht, zum Strafverfahrensrecht und in den Bereich der das Europäische Parlament mehrheitlich zugestimmt hat, Gefahrenabwehr. weil die Europäische Gemeinschaft keine Kompetenz auf dem Gebiet der Strafverfolgung hat. Die Regelung von Normen im Bereich der Strafver- folgung gehört nicht zur originären Kompetenz europäi- Die Kommission und der Rat haben ihr Vorgehen da- scher Gesetzgebung. Nach Art. 5 des EG-Vertrages wird mit begründet, dass sie damit einen europarechtlichen die Gemeinschaft nur im Rahmen der ihr zugewiesenen Besitzstand verteidigen würden. Die Grundlage hierfür Befugnisse tätig. Sie kann und darf sich selbst keine sehen sie in Art. 95 des EG-Vertrages, der die Errichtung Kompetenzen zuweisen. Nur mit Zustimmung aller Mit- und das Funktionieren des Binnenmarkes behandelt. Ich gliedstaaten im Rat kann die Kommission im Wege von meine, mit Verlaub, dass einer solchen Argumentation Rahmenbeschlüssen auf eine Harmonisierung nationaler der Unsinn auf der Stirn geschrieben steht, Vorschriften hinwirken, die damit jedoch nicht europäi- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sches Recht werden, sondern nationales Recht bleiben. sowie bei Abgeordneten der FDP) Im ersten Entwurf hinsichtlich der Speicherung von und zwar auch dann, wenn jetzt zwei Gutachten auf eu- Telekommunikationsdaten – damals war es noch ein ropäischer Ebene dies angeblich rechtfertigen. Inzwi- Rahmenbeschluss – hieß es, dass damit die justizielle schen liegen uns die Gutachten, die die ganze Zeit ge- (B) Zusammenarbeit in Strafsachen geregelt werden soll. In sperrt waren, vor. Sie sind juristisch absolut jämmerlich (D) der inzwischen verabschiedeten Richtlinie vom und haben reinen Gefälligkeitscharakter. Es ist eine Ab- 15. März 2006 steht, dass damit sichergestellt werden surdität, dass man mit der Datenschutzrichtlinie aus dem soll, dass die Daten zum Zwecke der Ermittlung, Fest- Jahre 2002, die die Mindestnormen zum Datenschutz stellung und Verfolgung schwerer Straftaten zur Verfü- festlegt, nun die Untergrabung und den Abbau des Da- gung stehen. Jedem wird klar, dass Kommission und Rat tenschutzes begründen will. Es ist ebenfalls eine Absur- im laufenden Gesetzgebungsverfahren zwar die Pferde dität, dass man jetzt deswegen, weil private Unterneh- gewechselt haben, der zu ziehende Wagen aber der glei- mer gezwungen werden, Daten auf Vorrat zu speichern, che geblieben ist. Zur Regelung eines identischen Sach- sagt, dass dies zur Gewährleistung eines sauberen Wett- verhalts wurde erst ein Rahmenbeschluss angestrebt und bewerbs europarechtlich, über europäische Normen, zu dann mit Zustimmung des Europäischen Parlaments eine regeln ist. Richtlinie durchgesetzt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nun gibt es Stimmen, die sagen, für eine einwand- freie Rechtsgrundlage auf europäischer Ebene sei es Wir sind der Überzeugung, dass der Europäische Ge- zweitrangig, was man als Grundlage nimmt, wenn nur richtshof, der bereits im Verfahren zu den Flugpassagier- das Europäische Parlament an dem Verfahren beteiligt daten ein analoges Problem zugunsten der Grundrechte ist. Ich meine, dass wir als Initiatoren des Gruppenantra- der Menschen und zulasten einer willkürlichen Rechts- ges deswegen eine Antwort auf die Frage schuldig sind, grundlage der europäischen Rechtssetzung gelöst hat, warum wir trotz der Beteiligung des Europäischen Parla- auch in diesem Falle richtig entscheiden würde. Es ments darauf bestehen, dass die Kompetenzregeln der kommt jetzt darauf an, dass Sie, meine Damen und Her- Europäischen Gemeinschaft nicht beliebig austauschbar ren von der großen Koalition, uns helfen, die Bundesre- sind, sondern strikt eingehalten werden müssen. gierung zu bitten, Klage vor dem Europäischen Ge- richtshof einzureichen. Dies würde konsequent zu Zwei Argumente sprechen dafür: Bei den Kompe- unserer Haltung im letzten und in diesem Parlament pas- tenzregeln handelt es sich um rechtsstaatliche Grundla- sen, weil wir bisher immer einstimmig die fehlenden gen der Europäischen Gemeinschaft. Es würde politi- Grundlagen dieser Richtlinie gerügt haben. Deswegen schen Opportunitätserwägungen und in der Konsequenz bitte ich Sie: Gehen Sie noch einmal in sich, prüfen Sie, jeder Willkür Tür und Tor geöffnet, wenn sich die Ge- ob es nicht sinnvoller wäre, dass dieses Haus heute ge- setzgebungsorgane der Europäischen Gemeinschaft meinsam vor den Europäischen Gerichtshof zieht! Denn nicht an die ihnen zugewiesenen Kompetenzen halten damit würden wir vermeiden, hinterher der Gelackmei- würden. Es geht um den Schutz der Bürger- und Grund- erte zu sein, der von anderer Stelle gesagt bekommt, dass 3518 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006

Jerzy Montag (A) wir schon wieder auf eine falsche Rechtsgrundlage abge- Es gab immer einen Konsens darüber, dass es besser ist, (C) stellt haben. wenn sich die deutsche Bundesregierung in Brüssel an den Diskussionen über die Richtlinie, die Verordnung Danke schön. bzw. den Rahmenbeschluss beteiligt und versucht, sie in- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haltlich zu gestalten, als wenn sie sagt: Wenn ihr be- und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der stimmte Rechtsgrundlagen heranziehen wollt, dann ma- LINKEN) chen wir nicht mehr mit und klinken uns aus der Diskussion aus. – Letzteres zu vermeiden, war unser An- Vizepräsidentin Petra Pau: sinnen. Das Wort hat die Bundesministerin der Justiz, Brigitte Auf Brüsseler Ebene haben wir all das, worüber wir Zypries. immer materiell, inhaltlich diskutiert haben, umgesetzt: Wir haben die Speicherdauer auf das geringstmögliche Brigitte Zypries, Bundesministerin der Justiz: Maß – sechs Monate – reduziert; wir haben den Umfang Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kolleginnen der Daten, die gespeichert werden sollen, auf das ge- und Kollegen! Lieber Herr Montag, die Flexibilität ist ringstmögliche Maß reduziert. All das, was seinerzeit zwar groß, aber irgendwo hat sie Grenzen. Ich kann auf EU-Ebene vorgesehen war – beispielsweise die Spei- mich erinnern: Ich glaube, es war im Februar dieses Jah- cherung von Anrufversuchen –, haben wir in harten Ver- res, als der Deutsche Bundestag – ich meine, es war ein- handlungen abgewehrt. Ich habe nicht nur scherzhaft ge- stimmig – die Bundesregierung aufgefordert hat, dieser sagt, Deutschland habe den Oscar für den größten Richtlinie, gegen die nunmehr geklagt werden soll, im Widerstand auf Brüsseler Ebene im letzten Jahr erhalten. Ministerrat zuzustimmen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – sie haben wirk- lich einen exzellenten Job gemacht – haben es geschafft, (Widerspruch des Abg. Jerzy Montag [BÜND- vieles von dem, was intendiert war, abzuwehren. NIS 90/DIE GRÜNEN]) Es gab auf der Ebene des Rates unter der englischen – War das nicht richtig? Präsidentschaft mehrere Rechtsgutachten – nicht die, die Sie eben genannt haben –, in denen es hieß, dass die Vizepräsidentin Petra Pau: nunmehr gewählte Rechtsgrundlage besser sei als die an- Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen dere. Wir haben notgedrungen dabei mitgemacht, um die Montag? materielle Position nicht zu untergraben. Sie brauchen (Zurufe von der CDU/CSU: Wir wollen Fuß- aber keine Sorgen zu haben; denn der Europäische Ge- richtshof wird sich mit der Rechtsgrundlage beschäfti- (B) ball schauen!) (D) gen. Irland wird nämlich auf alle Fälle klagen. Insofern wird das, was Sie anstreben, gemacht, selbst wenn wir Brigitte Zypries, Bundesministerin der Justiz: nicht dafür eintreten. Es wäre völlig unsinnig, einen Ver- Ja. handlungserfolg, den wir so hart erkämpft haben, nun- mehr zu beklagen. Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin, es tut mir (Beifall des Abg. Joachim Stünker [SPD]) Leid, dass ich Sie korrigieren muss. Sind Sie bereit, zur Es ist auch in der Sache nicht nötig; denn das Ergebnis, Kenntnis zu nehmen, dass wir in der 15. Legislatur- das wir erzielt haben, beschneidet keine Bürgerrechte. periode, als wir gemeinsam in der Regierungskoalition Es ginge jetzt allenfalls um die Frage der reinen Rechts- waren, sowohl die Vorratsdatenspeicherung abgelehnt lehre: Was ist die richtige Rechtsgrundlage? Dass es als auch die Rechtsgrundlage gerügt haben? Mit dem sich darüber oft zu streiten lohnt, will ich Ihnen gerne neuen Beschluss des Deutschen Bundestages geben Sie zugestehen. in der 16. Legislaturperiode gegen die Stimmen der Op- position – ausschließlich mit den Stimmen der großen Jetzt sollten wir die anderen Punkte, die – außer dem Koalition – grünes Licht für die Vorratsdatenspeicherung kommenden Fußballspiel – heute zur Diskussion stehen, auf europäischer Ebene. Die Koalition selbst stellt aber ansprechen. Ein Thema ist die erste Lesung des Gesetz- in ihrem Antrag unter Nr. 13 fest, dass Bedenken im entwurfes der Bundesregierung zur Umsetzung europäi- Hinblick auf die Rechtsgrundlage bestehen. scher Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung. Wir haben in der Aktuellen Stunde am 11. Mai darüber ausführlich diskutiert. Ich Brigitte Zypries, Bundesministerin der Justiz: möchte auf zwei Punkte besonders hinweisen: Ich bin gerne bereit, das zur Kenntnis zu nehmen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich richtig erinnere. Erstens. Der Kompromiss der Koalition steht. Zusam- men mit der Stellungnahme des Bundesrates vom ver- (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: gangenen Freitag stellt er die Grundlage für die weitere Dann habe ich Ihnen geholfen!) parlamentarische Beratung dar. Ich weiß nur – insofern ist meine Erinnerung richtig –, Zweitens: Eine Bitte. Lassen Sie uns die parlamenta- dass wir vielfältig über die Rechtsgrundlage diskutiert rischen Beratungen zügig abschließen. Sie wissen, dass und immer das Hohe Haus sorgfältig informiert haben. wir uns in erheblichem Zeitverzug befinden und uns (Beifall bei Abgeordneten der SPD) massive Strafzahlungen von Brüssel drohen. Ich meine, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006 3519

Bundesministerin Brigitte Zypries (A) dass wir die parlamentarischen Beratungen zügig ab- sich Ihnen nämlich erhellen, dass dieser Betrag auf die (C) schließen können, denn wir haben bei diesem Thema Absenkung eines Bautitels zurückgeht. Sie wissen viel- kein Erkenntnisdefizit. Deshalb brauchen wir auch keine leicht – wenigstens Herr Montag weiß es; er war ja Anhörung zu diesem Gesetzentwurf. kürzlich mit mir in Karlsruhe –, dass das Bundesverfas- sungsgericht einen Erweiterungsbau errichtet. Dafür gibt Sie wissen – ich habe es am 11. Mai ausführlich dar- es einen speziellen Bautitel. Dieser Bautitel wird, wie gelegt –, was das Gesetz regeln soll. Wir setzen die das immer ist, mit dem Baufortschritt abgeschmolzen. Richtlinien im Wesentlichen eins zu eins um. Von der Das Bauwerk wächst, der Bautitel schmilzt, Erweiterung bei den Massengeschäften des täglichen Le- bens um vier Gruppen ist keine exorbitante Klagewelle (Beifall des Abg. Jerzy Montag [BÜND- zu befürchten; so etwas zu behaupten, ist absolut über- NIS 90/DIE GRÜNEN]) trieben und geht an der Sache vorbei. genauso ist es auch hier: Es gibt im Haushalt 1 Million Euro weniger, weil das Bauwerk Fortschritte macht. Vizepräsidentin Petra Pau: Ohne diesen Bautitel hat das Bundesverfassungsgericht Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des im Jahre 2006 sogar über rund 200 000 Euro mehr ver- Abgeordneten Seifert? fügt als im letzten Jahr. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Brigitte Zypries, Bundesministerin der Justiz: Ja, aber kurz; ich höre dann auch früher auf. Ich sage das auch deshalb, weil der Präsident des Bun- desverfassungsgerichts kürzlich öffentlich darüber ge- Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): klagt hat, dass die Anzahl der eingehenden Klagen in Vielen Dank, Frau Ministerin. Ich glaube, Fragen den ersten fünf Monaten des Jahres 2006 im Vergleich müssen immer kurz sein. zum Vorjahreszeitraum um 25 Prozent gestiegen sei. Das könnte den Schluss nahe legen, man habe erheblich Können Sie mir bitte erklären, warum in allen euro- mehr Klagen zu bearbeiten, bekomme aber zur Erledi- päischen Ländern „Antidiskriminierungsgesetze“ verab- gung der Verfahren weniger Geld. Das ist nicht der Fall. schiedet werden, Deswegen ist eine solche global geäußerte Rechtsstaats- (Daniela Raab [CDU/CSU]: Stimmt nicht!) kritik, die darin gipfelt, dass selbst das höchste deutsche Gericht nicht mehr genug Geld habe, um die Verfahren nur in Deutschland ein „Gleichbehandlungsgesetz“? zu behandeln, leider fehlerhaft und geht an der Sache (Markus Grübel [CDU/CSU]: Sprachlich viel schö- vorbei. (B) ner! Positiv besetzt! Sie sind halt „anti“!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der (D) Gibt es denn in Deutschland keine Diskriminierung? CDU/CSU) Oder fürchten Sie den Begriff? Oder was ist sonst der Meine Damen und Herren, ich hatte an und für sich Grund? vor, einen größeren rechtspolitischen Exkurs über die Bedeutung der Rechtsordnung Deutschlands zu machen; Brigitte Zypries, Bundesministerin der Justiz: den gebe ich jetzt aber zu Protokoll und wünsche Ihnen Materiell ist es derselbe Regelungsgehalt, es gibt allen einen schönen Nachmittag.1) keine Differenz: Es geht um die Umsetzung der europäi- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) schen Richtlinien, bei der wir, wie ich glaube, richtig ge- handelt und zu der wir vernünftige Vorschläge gemacht haben. Die Frage ist nur, wie man das Ganze nennt. Vizepräsidentin Petra Pau: Noch einmal: Ich wäre sehr dankbar, wenn wir dieses Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Gesetz zügig verabschieden könnten; denn Sie wissen, Montag. dass uns Strafzahlungen drohen und dass wir handeln (Markus Grübel [CDU/CSU]: Wir wissen es – müssen. die Grünen werden es nie begreifen!) Ich will einen weiteren Gesichtspunkt ansprechen, der bei der ersten Lesung unseres Haushalts eine Rolle ge- Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): spielt hat. Damals war es der Kollege Montag, der kriti- Wir sehen uns nachher beim Fußball wieder, aber siert hatte, dass die Gesamtausgaben für das Bundesver- noch ist es nicht so weit. fassungsgericht im Jahre 2006 um 1 Million Euro abgesenkt würden. Heute hat der Kollege Nešković die- Frau Bundesministerin, Sie haben in Ihrer Rede ge- ses auch noch einmal behauptet. rade gesagt, dass die Richtlinie zur Vorratsdatenspei- cherung, die Sie ausverhandelt haben und die letztend- (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lich ins europäische Gesetzblatt hineingeschrieben NEN]: Das muss man nicht in einem Atemzug worden ist, die Rechte der Bürger nicht mehr beschnei- nennen! – Gegenrufe von der CDU/CSU: den würde. Diese Aussage von Ihnen ist, um es milde zu Doch, doch! Das ist deutlich!) formulieren, kühn: Immerhin führt diese Richtlinie dazu, dass von Millionen von Menschen, gegen die keinerlei – Das ist nur die folgerichtige Aufzählung derjenigen, die kritisieren und denen ich die Lektüre der Haushalts- pläne ans Herz legen würde. Wenn Sie sie lesen, wird 1) Anlage 2 3520 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006

Jerzy Montag (A) Tatverdacht besteht, für die Dauer von sechs Monaten griffe sind! Aber nehmen Sie auch zur Kenntnis, was (C) – in Deutschland; in anderen Staaten vielleicht länger – hier im Einverständnis aller Telefonbenutzer geschieht! viele persönliche und sensible Daten gespeichert wer- Die Menschen wissen, dass ihre Daten zu Abrech- den. Ich meine, dass eine solche Speicherung nach dem nungszwecken gespeichert werden. Das müssen sie Datenschutzrecht und nach allgemeinem Rechtsver- nämlich erfahren, wenn sie diese Verträge unterschrei- ständnis für sich bereits ein erheblicher, grundrechtsrele- ben. Die Strafvollzugsbehörden können auch heute vanter Eingriff in die Rechte der Bürger ist. schon auf diese Daten zugreifen. Das ist in der Strafpro- Zum Zweiten haben Sie gesagt, dass die von mir an- zessordnung so vorgesehen. Das nur zu der Frage der gesprochenen beiden Gutachten auf der europäischen Vielzahl sensibler Daten. Ebene nicht die einzigen seien, die es gebe und durch die (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: die These bestätigt würde, dass die gewählte Rechts- Wozu gibt es dann die Richtlinie?) grundlage für Europa die richtige sei. Dazu will ich Ih- nen sagen, dass wir uns über Monate hinweg um alle Bezüglich der Gutachten will ich mich im Hause möglichen Gutachten in dieser Frage bemüht haben. gerne kundig machen, damit wir abgleichen können, Nachdem wir lernen mussten, dass auf europäischer welche Gutachten gemeint sind. Ich hatte Sie vorhin in- Ebene Rechtsgutachten Geheimsachen sind, und es uns haltlich anders verstanden. Vielleicht habe ich Sie da gelungen ist, zwei von ihnen entpflichtet zu bekommen, aber auch missverstanden. damit wir sie lesen können, wären wir Ihnen sehr dank- Es bleibt dabei: Ich meine, dass wir für Deutschland bar, wenn Sie uns auch alle anderen Schriftstücke und und für die Sache extrem gute Ergebnisse in Brüssel er- Rechtsgutachten benennen, damit wir diese studieren zielt haben. Deshalb werden wir dieses Ergebnis jetzt und dann vielleicht zu einer Einschätzung kommen kön- nicht beklagen, weil es in der Sache nicht besser werden nen. wird. Wir haben keinen Grund, diese Klage jetzt anzu- Zum Schluss will ich Sie selbst zitieren und Ihnen sa- strengen. Wir müssen sehen, dass aufgrund der Entschei- gen, dass ich mich über das gefreut habe, was Sie nach dung des Europäischen Gerichtshofs objektiv zur Kennt- der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur nis zu nehmen ist, dass sich offenbar, vielleicht oder wie Übermittlung der Flugpassagierdaten gesagt haben. Ich auch immer eine Meinungsänderung beim EuGH voll- darf Sie zitieren: Für die Vorratsdatenspeicherung steht zieht. Ich bin Juristin und kann die Entscheidungen le- nun das Klageverfahren vor dem Europäischen Gerichts- sen. Dass Ergebnisse offener sind, als sie es vorher wa- ren, ist dann halt so. Das kann ich nicht inkriminierend hof offen. – Um nichts anderes bitten wir Sie. Wir erwar- finden. ten von Ihnen als Bundesregierung, dass Sie jetzt vor dem Europäischen Gerichtshof klagen; denn nur Sie sind (B) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (D) klageberechtigt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Mechthild Dyckmans für Brigitte Zypries, Bundesministerin der Justiz: die FDP-Fraktion. Herr Montag, es geht nicht um die Speicherung einer (Beifall bei der FDP) Vielzahl sensibler Daten, sondern es geht um die Frage, wer mit wem eine Verbindung gehabt hat. Um das noch Mechthild Dyckmans (FDP): einmal ganz klar zu sagen: Es geht überhaupt nicht um Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir ha- Inhalte. Diese werden nicht gespeichert. Sie wissen, dass ben von der Frau Justizministerin schon einiges zum 90 Prozent dieser Daten auch heute schon gespeichert Entwurf des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes werden. gehört. Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Sie werden mir und Ihren Wählerinnen und Wählern, die NEN]: Das wissen wir!) zum Teil heute hier auch zuhören, aber erst einmal schlüssig erklären müssen, warum Sie dieses Gesetz, das In Deutschland ist das so. Sie noch vor einem Jahr heftigst bekämpft haben, jetzt In Deutschland ist die Telekom der größte Anbieter gemeinsam mit der SPD, dem Bündnis 90/Die Grünen und bei der Telekom werden alle diese Daten, über die und eventuell vielleicht sogar mit der Linkspartei verab- wir jetzt reden, längst zu Abrechnungszwecken gespei- schieden wollen. chert. (Beifall bei der FDP) (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- In der Regierungserklärung hat die Bundeskanzlerin NEN]: Aber nicht sechs Monate lang!) am 30. November 2005 noch erklärt – ich zitiere –: Man kann doch nicht so tun, als sei das alles nicht die Wir haben uns vorgenommen, die EU-Richtlinien Wirklichkeit in diesem Land. im Grundsatz nur noch eins zu eins umzusetzen … (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wenn wir uns zusätzlich zu dem, was wir in Europa der CDU/CSU) vereinbaren – das ist oft schon bürokratisch genug; das muss ich leider sagen –, Lasten aufbürden, dann Das ist doch irgendwann auch naiv und völlig übertrie- haben wir gegenüber unseren europäischen Mitbe- ben. Lassen Sie uns gerne darüber diskutieren, was Ein- werbern keine fairen Chancen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006 3521

Mechthild Dyckmans (A) Das, was die Bundeskanzlerin damals gesagt hat, ist (Beifall bei der FDP) (C) auch heute noch richtig. Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, Sie Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/ handeln nach dem Motto: Augen zu und durch! Der Ge- CSU-Fraktion, Herr Röttgen, hat noch im Januar 2006 setzentwurf soll schnell vom Tisch, damit Sie sich nicht erklärt: mehr damit beschäftigen und Rede und Antwort stehen Den alten Gesetzentwurf wird es mit der neuen Re- müssen, warum Sie jetzt genau das Gegenteil von dem gierung nicht mehr geben. machen, was Sie noch bis Januar dieses Jahres gesagt haben und was Sie überwiegend auch heute noch hinter Der Gesetzentwurf hat jetzt zwar einen neuen Titel, den vorgehaltener Hand für richtig halten. So kann man sich sich viele von Ihnen noch nicht merken können, aber in- nicht aus der Verantwortung stehlen. haltlich ist er derselbe geblieben. Ich habe hier eine Synopse vorliegen. Das, was farbig markiert ist, hat sich (Beifall bei der FDP) geändert. Wie Sie sehen, ist das sehr wenig. Inhaltlich hat sich gar nichts geändert; das wissen Sie auch, meine Ich komme jetzt zu einigen Einzelheiten des Gesetz- Damen und Herren von der CDU/CSU. entwurfs. Wenn ich im Bundestagswahlkampf meinem Kollegen Dr. Gehb vorhergesagt hätte, er werde einmal (Beifall bei der FDP) dem von der SPD vorgeschlagenen Klagerecht der Ge- werkschaften zustimmen, hätte er mich für verrückt er- Nun sagen Sie natürlich immer wieder: In einer klärt. Koalition muss man Kompromisse machen. – Wer weiß das besser als wir von der FDP? (Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Das hätte ich (Heiterkeit im ganzen Hause – Dr. Jürgen mich nie getraut!) Gehb [CDU/CSU]: Das ist wohl wahr! – Jerzy – Du hättest es wahrscheinlich noch drastischer ausge- Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr drückt. – Aber der Gesetzentwurf enthält dieses Klage- habt das zum Glück verlernt!) recht sogar gegen den Willen der Betroffenen. Mich ha- Aber selbst die Frau Justizministerin muss von Ihrem ben Frauen und Schwule angesprochen, die sich über die plötzlichen Einlenken sehr überrascht gewesen sein. Sie Bevormundung, die in diesem Gesetzentwurf steht, aus- hat noch im Dezember 2005 im Hinblick auf das Anti- drücklich beschwert haben. diskriminierungsgesetz bekräftigt, dass man sich im Koalitionsvertrag geeinigt habe, Richtlinien nur noch (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- eins zu eins umzusetzen. NEN]: Lächerlich!) (B) (D) (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE Die weit gehenden Dokumentationspflichten der Arbeit- GRÜNEN]: Das stimmt doch gar nicht!) geberinnen und Arbeitgeber, der hohe bürokratische Aufwand, der bei der Umsetzung des Gesetzes gefordert Dass diese plötzliche politische Kehrtwendung nicht wird, die Verkomplizierung des Kündigungsrechts – all zu erklären ist, zeigt auch die Reaktion der unionsge- dies ist in den letzten Tagen immer wieder kritisiert wor- führten Länder im Bundesrat. In ihrer Stellungnahme den. Dies haben wir in unserem Antrag im Einzelnen zum Entwurf eines Allgemeinen Gleichbehandlungsge- ausgeführt. setzes haben die Länder am vergangenen Freitag nur zu deutlich gemacht, was sie von dieser Kehrtwendung hal- Im zivilrechtlichen Bereich geht der Gesetzentwurf ten. Sie fordern eindeutig eine Änderung des Gesetzes weit über das von der EU Geforderte hinaus. Im Zivil- und eine Eins-zu-eins-Umsetzung der EU-Richtlinien. recht gilt grundsätzlich Vertragsfreiheit und damit das Frau Ministerin, ich habe gehört, dass diese Stellung- Recht, keine Gründe dafür benennen zu müssen, einen nahme des Bundesrates Grundlage der Beratungen sein Vertrag abzuschließen oder zu verweigern. Bundesjus- wird. Ich bin gespannt, wie Sie, meine Damen und Her- tizministerin Frau Zypries hat dazu in einer Rede am ren von CDU und CSU, dieser Aufforderung der Minis- 24. Juni 2004 ausdrücklich erklärt – ich zitiere –: terpräsidenten nachkommen. Bei einer namentlichen Abstimmung, die wir von der FDP fordern werden, müs- Die Freiheit für Bürgerinnen und Bürger in einem sen Sie dann Farbe bekennen. liberalen Staat besteht auch und gerade darin, Un- terschiede zu machen und ungleich behandeln zu (Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP]: dürfen. Genau!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Sie wollen diesen Gesetzentwurf jetzt im Schnellver- der CDU/CSU) fahren ohne eine zusätzliche Sachverständigenanhörung durch den Bundestag jagen. Der Hinweis auf die Straf- Dennoch haben wir in dem Gesetzentwurf Regelun- zahlungen greift nicht. Noch nie hat der EuGH Strafzah- gen vorgesehen, die es einem Gastwirt, der regelmäßig lungen festgesetzt, wenn sich ein Mitgliedstaat unmittel- seine Räumlichkeiten für Familienfeiern oder politische bar im Umsetzungsverfahren befunden hat. Veranstaltungen zur Verfügung stellt, nicht mehr erlau- ben werden, diese Räumlichkeiten wegen seiner eigenen (Jörg van Essen [FDP]: Genauso ist es!) politischen Überzeugung einer rechtsextremen oder Das ist also kein Grund. Sie können es nicht auf die EU linksextremen Gruppierung zu verweigern. Können wir schieben. dies wirklich wollen? 3522 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006

Mechthild Dyckmans (A) Frau Zypries hat in der eben zitierten Rede zu Recht Vorsitzendem des Rechtsausschusses für seine umsich- (C) die Meinung vertreten, ein umfassendes zivilrechtliches tige und kompetente Leitung über sehr viele Stunden Antidiskriminierungsgesetz ließe sich gar nicht vernünf- hier und heute ausdrücklich Dank sage. tig regeln, jedenfalls nicht so – ich zitiere weiter –, „dass es rechtlich einen fassbaren Mehrwert bringt“. Darin (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem kann ich Frau Zypries nur zustimmen. Dieses Gesetz BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. bringt keinen Mehrwert. Mechthild Dyckmans [FDP]) Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, lassen In diesen Dank sind selbstverständlich auch der Ko- Sie uns den Gesetzentwurf im Rechtsausschuss ordent- vorsitzende Minister Stegner sowie alle Mitarbeiter und lich beraten Mitarbeiterinnen des Rechtsausschusses, dieses Hauses, der Fraktionen und unserer Büros eingeschlossen, die (Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]: Wir beraten neben ihren Alltagsgeschäften zusätzlich eine Anhörung im Ausschuss alles ordentlich!) vorbereitet haben und sie auch nachbereiten werden. und lassen Sie uns nur solche Regelungen treffen, die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- notwendig sind, um die EU-Richtlinien eins zu eins um- wie des Abg. Wolfgang Wieland [BÜND- zusetzen. NIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei der FDP) Damit bin ich beim Thema. Die Nachbereitung steht nun ins Haus. Ich will ihr heute nicht im Detail vorgrei- Vizepräsidentin Petra Pau: fen. Das Wort hat der Kollege Dr. Jürgen Gehb für die (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Unionsfraktion. NEN]: Zwei oder drei Punkte langen uns (Beifall bei der CDU/CSU – Jerzy Montag schon!) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Gehb, Wir alle sollten allerdings bei unserer Nachbereitung jetzt wird es schwer!) nicht den Erfolg des Gesamtprojektes aus dem Blick ver- lieren. Schließlich geht es bei dem Reformvorhaben Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU): letztlich auch um die Reformfähigkeit Deutschlands Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch selbst, ich möchte zu Beginn meiner Rede die heute schon öfter (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zum Ausdruck gekommene Tradition pflegen und erst NEN]: Ja! – Volker Beck [Köln] [BÜND- einmal als Fachpolitiker allen Haushältern für ihre zeit- (B) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Die erweist sich aber (D) intensive und ordentliche Arbeit danken. auch dadurch, dass man es richtig macht, statt (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der irgendwas zu machen!) FDP) wie unser Altbundespräsident Roman Herzog uns allen Aber nicht nur für die Haushälter, sondern auch für vor wenigen Wochen noch einmal ins Stammbuch ge- die Mitglieder des Rechtsausschusses stellten die ver- schrieben hat. gangenen Wochen und Monate eine Zeit besonderer Ar- Roman Herzog erinnert in seinem Namensartikel in beitsbelastung dar. Schließlich fiel in diese Zeit eine be- der „Süddeutschen Zeitung“ auch völlig zu Recht an die sondere Premiere in unserer Parlamentsgeschichte. Konsequenzen, die bei einem Großprojekt wie der Föde- Ich spreche von den gemeinsamen Anhörungen des Bun- ralismusreform quasi unvermeidlich eintreten. Zum ei- desrates und Bundestages zur Föderalismusreform, die nen bleibt so ein Kompromiss – um einen solchen han- aufseiten dieses Hauses federführend vom Rechtsaus- delt es sich bei diesem Großprojekt schließlich – immer schuss durchgeführt wurden. hinter einer abstrakten Ideallösung zurück. Zum anderen (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ist ein in so mühsamen Verhandlungen ausgehandelter NEN]: Aber was folgt denn der Anhörung?) Kompromiss etwas sehr Fragiles, weil die Konzessionen und Gegenkonzessionen aller Seiten so fein austariert Wie es bei Premieren üblich ist, haben alle Beteiligten und ausbalanciert sind, dass schon kleine Veränderungen auch ein bisschen Lampenfieber. Anschließend ist man ihn wieder aus dem Gleichgewicht kippen könnten. glücklich und zufrieden, wenn die Premiere gut über die Bühne gegangen ist. Nach meinem Eindruck sind die Ein solch umfassender und damit zwangläufig auch Anhörungen zur Föderalismusreform gut über die Bühne recht unvollkommener Kompromiss – das will ich gerne gegangen. einräumen – lädt nachvollziehbar auch zu Änderungen ein. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Eine Anhörung ist aber kein Selbst- (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zweck!) NEN]: Ja!) Das Pro und Kontra zu Dutzenden von Einzelaspek- Auch im Bereich der Justiz werden wir als Folge der An- ten ist ausführlich beleuchtet und dargestellt worden. Ich hörung darüber reden müssen, ob beispielsweise die glaube, nicht nur im Namen meiner Fraktion zu spre- Regelungen zum Notariat nicht besser in der Bundes- chen, wenn ich unserem Kollegen Andreas Schmidt als kompetenz bleiben. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006 3523

Dr. Jürgen Gehb (A) (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die Sympathie für Europa, wenn man den Eindruck hat, (C) NEN]: Und im Strafvollzug nicht nur das, was dass über Umwege doch noch der Versuch gestartet schon konzediert ist!) wird, diese Kompetenz an sich zu ziehen. An dieser Stelle sollten wir als nationales Parlament einmal laut- Wir haben doch hier kein Schaulaufen veranstaltet! hals und vernehmlich Nein sagen, auch gegenüber unse- Auch bei allen denkbaren Änderungen müssen wir aller- ren Kollegen im Europäischen Parlament. dings immer wieder darauf achten, dass wir die Feinba- lance nicht gefährden. Wenn wir dies nicht tun, kann da- Nun weiß man allerdings, dass über die Bande Euro- ran das Gesamtprojekt noch scheitern. Daran haben wir pas noch ganz anders gespielt wird, und zwar schon zu Christdemokraten jedenfalls gar kein Interesse. Wir wol- Zeiten von Gerhard Schröder und . Jetzt len endlich einen besseren Zustand als den jetzigen errei- komme ich auf die Antidiskriminierungsrichtlinien zu chen. Wir wollen eine stärkere Entflechtung der Kom- sprechen. Unser Land hat schlicht und einfach die petenzen von Bund und Länder. Wenn dies mit dem Pflicht, die vier allseits bekannten Antidiskriminie- vorliegenden Entwurf und den noch zu erfolgenden Än- rungsrichtlinien umzusetzen. Frau Dyckmans, liebe derungen machbar ist, dann sollten wir diesen Weg auch Mechthild, mutig und zügig beschreiten. (Zurufe von der SPD und der FDP: Oh! Oh!) Überrascht war nicht nur ich während der Anhörung allerdings über den Widerwillen mancher Experten, ich nehme gerne deinen Ball auf, ohne dass ich dich je- wenn es generell darum ging, Kompetenzen an die Län- mals in deinem Wahlkreis für verrückt erklärt hätte. derebene abzutreten. Es scheint bei dem einen oder an- deren schlicht in Vergessenheit geraten zu sein, dass der (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Leitwert in einem demokratischen Gemeinwesen Viel- NEN]: Im Wahlkreis! – Heiterkeit) falt heißt. Vielfalt ist nicht nur produktiv, sondern kann Ich habe bei keiner Gelegenheit einen Hehl daraus ge- paradoxerweise auch zu einer Einheitlichkeit führen, die macht, dass ich bereits in den Antidiskriminierungsricht- einer verordneten Einheitslösung haushoch überlegen linien – ohne Ansehen ihrer Umsetzung – einen funda- ist. Dieser Fall tritt dann ein, wenn sich ein Lösungsan- mentalen Angriff auf unser kontinentaleuropäisches satz findet, der so gut und überzeugend ist, dass die an- Rechtssystem sehe; dazu stehe ich auch in Zukunft. deren ihn nachahmen. Wir Christdemokraten jedenfalls stehen zur Vielfalt in einem freiheitlichen Gemeinwesen (Beifall bei der CDU/CSU) wie dem unseren. Aber das ändert nichts daran – das zeigt die Perfidie; die (Beifall bei der CDU/CSU) Richtlinien sind ja nicht vom Himmel gefallen –, dass (B) (D) Wer dies im Grundsatz infrage stellt oder – anders for- uns die Exekutive häufig – weil sie weiß, dass sie im muliert – die Einheitlichkeit über alles stellt, der sollte eigenen Parlament keine Mehrheit bekommt – geschickt dann auch so konsequent sein, auf das Hohelied des Fö- über den Tauchsieder Europa Richtlinien zuspielt und deralismus in seinen Sonntagsreden zu verzichten, und dass wir dann sagen müssen: Hier stehe ich und kann stattdessen für das Modell eines Zentralstaats einstehen. nicht anders. So wird es auch beim Gleichbehandlungs- An seiner Seite wird man uns Christdemokraten aller- gesetz sein. dings nicht finden. Ich kann mich des Eindrucks nicht Es gibt noch anderes Recht, das uns von Europa erwehren, dass manche Leute den Föderalismus – quasi oktroyiert wird und unter dem wir sehr leiden. Unser als Synonym – mit Kleinstaaterei verwechseln. nationales Planungsrecht, sowohl das materielle als Wir sollten in diesem Zusammenhang auch nicht aus auch das verfahrensrechtliche, ist nicht beim Justiz- den Augen verlieren, dass wir im Verhältnis zu Europa ministerium angesiedelt; vielleicht wird sich Frau genau diese Vielfalt immer wieder für uns einfordern Zypries dieses Problems noch einmal annehmen. Das und uns gegenüber überzogenen oder sogar absprache- führt dazu, dass bei uns keine Landesstraße innerhalb widrigen Zentralisierungstendenzen der europäi- von 15 Jahren gebaut wird. Meistens dauert es über schen Ebene wehren und auch weiterhin wehren wollen. 30 Jahre. Ich wohne in Kassel an der A 44 und der A 49. An dieser Stelle möchte ich nur ein Beispiel aus diesem Die A 49 dümpelt jetzt schon seit 21 Jahren im Nirwana Monat nennen. Das Europäische Parlament debattierte vor sich hin. Sie endet in einer So-da-Brücke. Wenn ich über eine Beschleunigung der gegenseitigen Anerken- gefragt werde: „Was ist eigentlich eine So-da-Brücke?“, nung und der Vollstreckung von freiheitsentziehenden antworte ich: Das ist eine Brücke, die steht nur so da. – Maßnahmen innerhalb der EU, ein im Kern berechtigtes Die A 44 ist im 17. Jahr nach der Wiedervereinigung ge- und nachvollziehbares Anliegen. Mein Verständnis für rade mal auf einem Streckenabschnitt von drei Kilome- die Kollegen aus dem Europäischen Parlament endet al- ter Länge fertig gestellt, was mit großem Tamtam began- lerdings dort, wo es nach all den richtigen und wichtigen gen wurde. Während in anderen europäischen Ländern Sätzen zur besseren Harmonisierung und gegenseitigen bei entsprechenden Projekten schon zum zehnten Mal Anerkennung in einer Mitteilung des Europäischen Par- der Straßenbelag gewechselt wird, fahren wir immer laments lapidar heißt: Darüber hinaus soll nach Ansicht noch mit dem Finger auf der Landkarte herum und über- der Abgeordneten ein europäisches Strafrecht geschaf- legen, wie wir die Kammmolche und den Ameisenbläu- fen werden. – Ohne Ihnen auf den Leim zu gehen, Herr ling schützen können. So fahren die 30-Tonner weiter an Montag: Das Strafrecht gehört eindeutig nicht zur Kom- den Gartenzäunen vorbei, dass den Menschen die Tassen petenz der europäischen Ebene. Es steigert auch nicht aus dem Schrank fallen. 3524 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006

Dr. Jürgen Gehb (A) (Beifall bei der CDU/CSU – Jerzy Montag (Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Weil Sie nicht (C) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr Hessen rechtskundig sind!) seid unfähig!) Gehören Frankreich und die Niederlande jetzt nicht Damit lösen wir uns von unserem europäischen und mehr zu Kontinentaleuropa? Haben Sie die Länder zu deutschen anthropozentrischen Weltbild. Das darf nicht Inselstaaten erklärt? Warum hatten diese Länder in Be- sein. zug auf die Richtlinien überhaupt keinen Umsetzungsbe- darf? Weil in den Niederlanden seit den 80er-Jahren ein Deswegen appelliere ich an die Justizministerin, das zivilrechtliches Antidiskriminierungsgesetz gilt, so wie Planungsrecht endlich so zu entschlacken, dass der wir es jetzt auf dem Tisch liegen haben, und in Frank- Standortvorteil Deutschlands nicht so verspielt wird, wie reich diese Normen, was ich für falsch halte, sogar von der Erfolg verspielt werden würde, wenn dem Ballack strafrechtlicher Relevanz sind. Es gehört zum selbstver- als Mitglied der Fußballnationalmannschaft heute Nach- ständlichen Grundbestand der Republik, dass die Frei- mittag auch noch eine Eisenkugel an den Fuß gebunden heit da aufhört, wo sie nur noch Freiheit ist, willkürlich würde. zu diskriminieren und Menschen vom Arbeitsmarkt oder (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ Zugang zu Gütern und Dienstleistungen auszuschließen. DIE GRÜNEN]: Der hat es an der Wade! – Es muss doch klar sein, dass jeder Mensch in dieser Ge- Gegenruf von der CDU/CSU: Gehabt!) sellschaft die gleichen Chancen haben muss. Dem dient der Entwurf des Gleichbehandlungs- oder Antidiskrimi- Ich werbe insgesamt – ganz bewusst nicht nur an die- nierungsgesetzes. sem Punkt – für etwas mehr Mut. Das gilt auch für das Gesellschaftsrecht, das schon angesprochen worden ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Auch hier befinden wir uns im internationalen Wettbe- und bei der SPD) werb mit anderen Rechtsordnungen. Da muss man über- Lieber Kollege, ich gestehe allerdings, dass wir die legen, ob die ach so löbliche GmbH-Novelle, wie sie europäische Ebene tatsächlich genutzt haben. jetzt im Referentenentwurf vorliegt – ich finde sie auch in Ordnung –, dem bereits Genüge tun wird oder ob es (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ vielleicht noch das eine oder andere daneben geben DIE GRÜNEN]: Das war auch gut so!) kann. Ich werbe also insgesamt für etwas mehr Mut. 1990 hat unsere Fraktion eine erste Fassung für ein Anti- Alle reden in Sonntagsreden immer davon, dass man die diskriminierungsgesetz entworfen. 1991 habe ich für Dinge mutig anpacken soll, und im Alltag verlieren alle eine NGO einen ersten Entwurf für eine Antidiskrimi- dann den Mut. Wenn sich unsere Welt ändert – sie ändert nierungsrichtlinie geschrieben, deren wesentliche Ele- (B) sich rasant –, müssen wir hierauf zukunftstaugliche Ant- mente heute europäische Gesetzgebung sind. In der Tat, (D) worten geben. Ich weiß, dass zukunftstaugliche Antwor- wir haben auf allen Ebenen versucht, Gleichbehandlung ten nicht immer sofort den Beifall aller finden, manch- durchzusetzen, weil das in Deutschland so schwierig ist. mal deshalb nicht, weil sie einfach neu sind oder im Es gibt kein Land in der Europäischen Union, in dem es Augenblick nicht ganz angenehm sind. Aber vergessen so ein ideologisches Buhei um die selbstverständliche wir nicht, dass sie die notwendigen Weichenstellungen Umsetzung dieser Grundsätze gibt wie in unserem Land. für eine gute Zukunft sind! Für diese gute Zukunft arbei- ten wir in der großen Koalition unter Leitung unserer Mittlerweile haben Sie realisiert – das haben Sie in Bundeskanzlerin und auf dem Feld der Ihrer Rede zu erkennen gegeben; kürzlich hat es auch Ihr Rechtspolitik in gutem Zusammenwirken mit der Justiz- Parlamentarischer Geschäftsführer zugestanden –: 90 Pro- ministerin Brigitte Zypries. zent dessen, was hier auf dem Tisch liegt, ist Recht euro- päischer Richtlinien. Dagegen haben Sie im Wahlkampf Herzlichen Dank. eine Kampagne geführt und jetzt – Regieren macht im- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Zurufe mer klüger – müssen Sie gestehen, dass Sie gar nicht die vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!) Freiheit haben, davon abzuweichen. Die einzige Abweichung, die der nationale Gesetzge- Vizepräsidentin Petra Pau: ber vornehmen kann, liegt in der Entscheidung, ob er für Für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hat alle Kriterien des Art. 13 des Amsterdamer Vertrages der Kollege Volker Beck das Wort. oder nur für Geschlecht, ethnische Herkunft und Rasse den zivilrechtlichen Diskriminierungsschutz formuliert.

Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dass Sie von der FDP wie auch der Bundesrat auf der Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich Eins-zu-eins-Umsetzung der Richtlinie herumreiten, möchte zur ersten Lesung des Antidiskriminierungsge- verstehe ich nicht. Sie können doch nicht allen Ernstes setzes oder des Gleichbehandlungsgesetzes – so heißt es sagen, die Freiheit unserer Marktwirtschaft und unser ja unter neuer Verpackung – reden und Ihnen massiv wi- Wirtschaftswachstum hänge daran, dass man Schwule dersprechen, Herr Kollege Gehb. oder Lesben, dass man Juden, Muslime oder Christen, dass man Behinderte, Alte oder Junge beim Abschluss Einen Angriff auf kontinentaleuropäische Rechts- von Versicherungs-, Miet- und Hotelverträgen diskrimi- grundsätze kann ich in den vier Richtlinien der Europäi- nieren darf. Sie wollen doch nicht den Leuten draußen schen Union nicht erkennen. ernsthaft sagen, dass das Wirtschaftswachstum davon Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006 3525

Volker Beck (Köln) (A) abhänge, ob man solche Menschen diskriminieren darf Bei der Zurückweisung eines entsprechenden Ein- (C) oder nicht. spruchs des Bundesrates sind wir aber jederzeit gerne bereit, dieser Bundesregierung zu helfen, damit Frau (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Merkel ihr Gleichbehandlungsgesetz ungerupft durch sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- Bundestag und Bundesrat bekommt. KEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sie haben ja gerade über Gaststätten geredet; lassen sowie bei Abgeordneten der SPD) Sie mich dazu sagen: Ich habe mich damals tierisch auf- geregt, als in München den Verwandten eines Rabbi am Vizepräsidentin Petra Pau: Vortag ihrer Familienfeier von einem Gaststättenbesitzer unter Hinweis auf ihre jüdische Religionszugehörigkeit Als letzter Redner in dieser Debatte hat der Kollege die Räume gekündigt wurden und die Familienfeier Norbert Geis das Wort. nicht in der Gaststätte stattfinden konnte – das nach un- (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- serer Geschichte! Ich will nicht, dass so etwas in NEN]: Jetzt kommt der Vorkämpfer der Anti- Deutschland rechtens ist. Deshalb ist es richtig, dass wir diskriminierung!) den entsprechenden gesetzgeberischen Schritt unterneh- men. Norbert Geis (CDU/CSU): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich komme bei der SPD und der LINKEN) vielleicht ganz zum Schluss, wenn die Zeit noch reicht, zum Antidiskriminierungsgesetz; ich will es nicht anders Die Koalition hat ja nicht nur den Namen unseres An- bezeichnen. Lassen Sie mich aber erst ein paar andere tidiskriminierungsgesetzes geändert – ich weiß ja, wie es Gedanken dieser sicherlich sehr interessanten Debatte manchmal zwischen Koalitionspartnern zugeht –, son- hinzufügen. dern auch in einigen Punkten etwas gerupft. Hier möchte ich Sie warnen: Wenn mit der Beschneidung der zivil- Zunächst ein Blick ins Strafrecht: Wenn man die Zei- rechtlichen Rechte der Verbände bzw. dem Herausstrei- tungen aufschlägt, hat man manchmal den Eindruck, als chen des Abtretens von Rechten an Verbände und mit würden wir in Deutschland in einem furchtbar unsiche- der Streichung des Kontrahierungszwanges bei Versi- ren Land leben. Dabei – das sei auch einmal festgestellt – cherungsverträgen ist die Kriminalitätsrate bei uns zurückgegangen. (Daniela Raab [CDU/CSU]: Gute Regelung!) (Beifall des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜND- (B) NIS 90/DIE GRÜNEN]) (D) tatsächlich eine rechtliche Änderung bewirkt werden soll, werden Sie, wie ich glaube, ein Problem bekom- Vom Jahre 2004 auf das Jahr 2005 ging allein in Bayern men; denn zivilrechtliche Vorgaben werden dann nicht – für die anderen Länder kenne ich die Zahlen nicht – mehr vollinhaltlich durch dieses Gesetz umgesetzt. Ich die Kriminalitätsrate um 5,1 Prozent zurück. Auch das denke, das sollten wir noch intensiv diskutieren. sollte man vielleicht bei einer solchen Debatte erwäh- nen. Trotzdem möchte ich der Bitte der Justizministerin Sorgen macht uns nach wie vor die Jugendkrimina- gerne nachkommen. Auch ich denke, wir sollten das Ge- lität. Unsere jugendlichen Täter sind nicht sehr krimi- setz nicht länger aufhalten, sondern jetzt schnell durch nell, sondern sehr jung. Aus jugendlichem Übermut ge- den Bundestag bringen. Es muss dazu vorher keine lang- schehen eben oft entsprechende Straftaten, auf die atmige Anhörung stattfinden, da zwischen uns rein poli- natürlich der Staat reagieren muss, aber zugleich auch tische Divergenzen bestehen. Sobald aber das Gesetz im mit Maß reagieren sollte. Gesetzblatt steht, möchte ich Sie bitten, auf der Basis von Anträgen unserer Fraktion noch einmal mit uns da- (Beifall des Abg. Wolfgang Wieland [BÜND- rüber zu reden, ob nicht an einigen Punkten im Sinne ei- NIS 90/DIE GRÜNEN] – Jerzy Montag ner vollständigen Umsetzung der Richtlinie nachgear- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Geis, beitet werden sollte. Dazu könnte man noch einmal eine Sie bekommen noch Applaus, wenn das so Anhörung durchführen. Hierdurch sollte aber der Fort- weiter geht!) gang der Gesetzgebung nicht behindert werden. – Gut, applaudieren Sie ruhig. Da stimme ich ja mit Ih- Zum Schluss noch ein Wort zum weiteren Verfahren: nen überein. Die Bundesländer haben ja angekündigt, dass sie gerne (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und im Vermittlungsausschuss nachverhandeln möchten. Ich des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ermutige die Sozialdemokraten und die von Angela Merkel angeführte Bundesregierung: Lassen Sie sich Ich bin der Auffassung, dass unser Jugendstrafrecht ge- nicht auf diese zweite Runde ein. Die grüne Fraktion nug Reaktionsmöglichkeiten hat, um solchen Straftaten hilft Ihnen notfalls aus, wenn Ihnen die Leute aus der begegnen zu können. CDU/CSU-Fraktion weglaufen. Das machen wir ja sonst nicht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Zurufe von der CDU/CSU) DIE GRÜNEN) 3526 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006

Norbert Geis (A) Allerdings – darin können Sie mir wahrscheinlich Patentamt kommen 42 Prozent aus Deutschland; das (C) nicht folgen – muss man differenzieren. Es gibt jugendli- heißt, wir haben ein großes Potenzial an geistigem Ei- che Gewalttäter, die nicht unter das Jugendstrafrecht fal- gentum. Dieses geistige Eigentum muss geschützt wer- len können, weil sie die Jugendlichkeit nicht mehr haben den; da darf es keine strafrechtliche Aufweichung geben. und die Straftat nicht mehr aus jugendlichem Übermut Es muss ein Ausgleich gefunden werden zwischen heraus geschieht. Wenn ein 18-Jähriger einen Jungen Künstler und Hersteller, zwischen Produzent und Schau- vergewaltigt, sexuell missbraucht und dann umbringt, spieler. Ich glaube, dass in diesem Gesetz ein guter An- dann ist das eine kriminelle Tat schwersten Ausmaßes, satz dafür zu finden ist. die entsprechend geahndet werden muss. Ein weiterer Gedanke. Nach dem Karikaturenstreit (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. wurde die Überlegung laut, ob nicht §166 StGB erneut Joachim Stünker [SPD] – Wolfgang Wieland in die Diskussion gebracht werden sollte, weil diese [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Rechtsnorm offenbar nicht in der Lage ist, die Verlet- überhaupt keine Frage!) zung religiöser Gefühle zu bändigen. § 166 StGB ist keine leichte Norm und in der Praxis wahrscheinlich Deshalb sind wir dafür, bei Heranwachsenden zwischen schwer umzusetzen; das sehe auch ich. Deswegen müs- 18 und 21 Jahren bei solch schweren Straftaten nicht die sen wir uns überlegen, ob wir nicht eine bessere Formu- Jugendstrafe von zehn Jahren anzuwenden. In einem sol- lierung finden. Es geht dabei nicht nur um die christli- chen Fall muss für den Heranwachsenden – wenn er chen Kirchen, sondern auch um den jüdischen und den überhaupt nach dem Jugendstrafrecht verurteilt werden muslimischen Glauben. Wir können es nicht erlauben, kann und nicht das Erwachsenenstrafrecht anzuwenden dass Menschen bei uns einfach um sich schlagen, wenn ist, was wir für Täter ab 18 Jahren ja grundsätzlich wol- es beispielsweise um den muslimischen Glauben geht. len, weil man ab diesem Zeitpunkt als erwachsen gilt – Was glauben Sie, was dann in Deutschland los ist? Da- mindestens eine 15-jährige Höchststrafe angesetzt wer- von wäre der Tatbestand der Verletzung des öffentlichen den. Das sollten wir uns, glaube ich, noch in dieser Le- Friedens betroffen. Deswegen müssen wir über eine bes- gislaturperiode vornehmen. sere Formulierung nachdenken. Das Nachdenken müsste insbesondere den Begriff „Beschimpfen“ umfassen, weil Wir sollten uns, gerade in diesen Fällen, ebenso die wir unter diesem weit gefassten Begriff alles fassen kön- Sicherungsverwahrung für Heranwachsende vorneh- nen. men. Wenn in dem Fall eines Straftäters, der mit 18 Jahren wegen einer schwersten Straftat verurteilt Ein weiterer Gedanke. Wir werden in dieser Legisla- wurde und diese mit 28 Jahren, wenn es bei den zehn turperiode ganz sicher auch eine Diskussion über den Jahren Haft bleibt, abgebüßt hat, alle Sachverständigen Schutz des Lebens am Ende und ganz am Anfang be- (B) sagen, dass dieser Täter nach der Entlassung erneut kommen. Wir sind noch nicht weit genug mit der Patien- (D) Straftaten schwersten Ausmaßes begehen wird, dann tenverfügung. Auch zur Sterbehilfe werden wir eine Dis- muss es möglich sein, diesen Straftäter, auch wenn er zu- kussion bekommen. Beim Embryonenschutz wird uns nächst nach Jugendstrafrecht verurteilt worden ist, später eine Diskussion wahrscheinlich von der Forschung auf- noch in die Sicherungsverwahrung zu nehmen. Das gezwungen. scheint mir vor allen Dingen im Interesse der Sicherheit unserer Bevölkerung wichtig zu sein. Was ich als einen besonders großen Nachteil emp- finde und was mich auch schmerzlich berührt, ist die (Beifall bei der CDU/CSU) Tatsache, dass wir bei der Problematik der Spätabtrei- bung immer noch nicht zu einem Ergebnis gekommen Lassen Sie mich einen weiteren Punkt anführen. Wir sind. Es kommt noch hinzu: Das Bundesverfassungsge- hatten vor der Weltmeisterschaft die Diskussion über das richt hat uns 1993, als die Beratungsregelung eingeführt Thema Zwangsprostitution, die bei uns in diesen Tagen worden ist, aufgegeben, nach einer gewissen Zeit nach- vielleicht Platz greifen könnte. Es gibt – die UN hat zuprüfen, ob diese Regelung wirklich zu einer Verbesse- diese Zahl ermittelt, aber auch das Europäische Parla- rung des Lebensschutzes geführt hat. Diese Überprüfung ment – jährlich weltweit etwa 600 000 bis 800 000 Fälle fand bis heute, 13 Jahre nach dem Urteil, nicht statt. von Zwangsprostitution. Das heißt, in 600 000 bis 800 000 Fällen werden Frauen gezwungen, sich zu pros- Der Auftrag des Bundesverfassungsgerichts muss nun tituieren; sie werden ausgenutzt wie Sklaven. Das ist bei endlich ernst genommen werden. uns strafbar; das ist wahr. Aber die Frage ist, ob wir nicht auch die Freier, die diese Situation wissentlich aus- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) nutzen, wie beispielsweise in Schweden bestrafen. Auch darüber sollten wir einmal ernsthaft diskutieren. Denn es könnte sein, dass die heutige Praxis nicht den in dem Urteil von 1993 niedergelegten Vorstellungen des Lassen Sie mich noch ein Wort zum Standort Bundesverfassungsgerichtes entspricht. Es würde sich Deutschland sagen. Ich glaube, dass die Rechtspolitik also um eine verfassungswidrige Praxis handeln. Das auch einiges für einen guten Standort Deutschland leis- kann eigentlich keiner wollen. Deswegen muss zumin- ten kann. Wir bemühen uns darum. Es gibt die Novellie- dest eine Überprüfung vorgenommen werden. rung des Urheberrechtsgesetzes, den Korb II. Ich glaube, dass das ein guter Weg ist, jedenfalls die Voraussetzun- Lassen Sie mich noch ein Wort zum Antidiskrimi- gen dafür zu schaffen, das Potenzial, das wir in Deutsch- nierungsgesetz sagen. Ich bin der Auffassung, dass land haben, zu nutzen. Wir haben keine großen Ressour- schon die vier Richtlinien eine Katastrophe gewesen cen, aber von den Anmeldungen beim Europäischen sind. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006 3527

Norbert Geis (A) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Dann ist dieser Antrag gegen die Stimmen der Fraktion (C) der FDP) Die Linke abgelehnt. Ich habe die Dame, die diese Richtlinien in Brüssel vor- Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzel- bereitet hat – es handelt sich um Frau Dr. Helfferich; sie plan 07. Wer stimmt für den Einzelplan 07 in der Aus- wurde gestern in der „FAZ“ in einem hervorragend re- schussfassung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – cherchierten Artikel von Zastrow erwähnt –, vor vier Dann ist der Einzelplan 07 mit den Stimmen der Koali- Wochen angeschrieben. Sie hat bis heute nicht geantwor- tionsfraktionen beschlossen. tet. Keine Antwort ist auch eine Antwort. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel- Ich halte schon die vorliegenden Richtlinien, die wir plan 19, Bundesverfassungsgericht, ebenfalls in der Aus- nicht mehr ändern können, für einen großen Fehler. Aber schussfassung. Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – da sie vorliegen, müssen wir sie umsetzen. Wir sollten Enthaltungen? – Dann ist der Einzelplan 19 einstimmig sie aber nicht im Schnellverfahren umsetzen, Herr Beck. beschlossen. Ich bin dagegen, ein solch schwieriges Gesetz auf diese Weise zu behandeln. Sie verlangen viel von uns. Sie ver- Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten I.5 c langen nämlich, dass wir einem Gesetz zustimmen sol- und d sowie zu Zusatzpunkt 1. Interfraktionell wird len, das Sie, Herr Beck – dessen rühmen Sie sich –, for- Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/ muliert haben. Sie sollten uns daher wenigstens darin 1780, 16/1736 und 16/1861 an die in der Tagesordnung zustimmen, dieses Gesetz in aller Ruhe im Rechtsaus- aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vorlage schuss zu beraten. Ich glaube nicht daran, dass uns die auf Drucksache 16/1780 zu Tagesordnungspunkt I.5 c Brüsseler Behörde mit einer Strafregelung belegen wird. soll zusätzlich an den Ausschuss für Tourismus überwie- sen werden. Die Vorlage auf Drucksache 16/1861 zu (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zusatzpunkt 1 soll zusätzlich an den Ausschuss für Tou- Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- rismus, jedoch nicht an den Haushaltsausschuss über- NEN]: Wir sind schon einmal verurteilt!) wiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist Ich komme zum Schluss. Ich bitte Sie darum: Lassen der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Sie uns dieses Gesetz nicht mit der Brechstange verab- Wir kommen zu Tagesordnungspunkt I.5 e, zur Ab- schieden! Es wird sonst nur Widerspruch geben. Es wird stimmung über den Antrag der Abgeordneten Jerzy dann vielleicht viele geben, die nicht zustimmen, an- Montag, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Jan Korte sonsten aber vielleicht zugestimmt hätten. Ich bitte um eine ruhige und sachliche parlamentarische Beratung und weiterer Abgeordneter auf Drucksache 16/1622 mit dieses Gesetzes. dem Titel „Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung durch (B) den Europäischen Gerichtshof prüfen lassen“. Wer (D) Danke schön. stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Ent- haltungen? – Der Antrag ist bei einer Enthaltung aus der (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Unionsfraktion mit den Stimmen der SPD- und der Unionsfraktion abgelehnt. Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tages- ordnung. Wir kommen zu den Abstimmungen. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- Zum Einzelplan 07 in der Ausschussfassung, Bundes- destages auf morgen, Mittwoch, den 21. Juni 2006, ministerium der Justiz, liegt ein Änderungsantrag der 9 Uhr, ein. Fraktion Die Linke vor, über den wir zuerst abstimmen. Die Sitzung ist geschlossen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 16/1860? – Gegenstimmen? – Gibt es Enthaltungen? – (Schluss: 15.36 Uhr) 3528 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Berichtigungen (C) 37. Sitzung, Seite 3215, (D), erster Absatz, der letzte Satz ist wie folgt zu lesen: „Es gibt eine vorläufige Schät- zung der BA; sie beläuft sich auf 35 Millionen Euro.“ Seite XII, Anlage 22, der Name „, Staatsminister BK“ ist zu streichen. Seite 3385 (B) 3. Absatz, im zweiten Satz ist der Hin- weis auf Staatsminister Bernd Neumann zu streichen. Seite 3421 (A), der Redebeitrag von „Bernd Neumann, Staatsminister für Kultur und Medien“ ist an dieser Stelle versehentlich abgedruckt worden und daher zu streichen.

(B) (D) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006 3529

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Adam, Ulrich CDU/CSU 20.06.2006* Niebel, Dirk FDP 20.06.2006

Bareiß, Thomas CDU/CSU 20.06.2006 Raidel, Hans CDU/CSU 20.06.2006**

Barnett, Doris SPD 20.06.2006* Ramelow, Bodo DIE LINKE 20.06.2006

Dr. Bartsch, Dietmar DIE LINKE 20.06.2006 Schiewerling, Karl CDU/CSU 20.06.2006

Bellmann, Veronika CDU/CSU 20.06.2006* * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union ** für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- Dr. Bergner, Christoph CDU/CSU 20.06.2006 sammlung der NATO Bollen, Clemens SPD 20.06.2006 Anlage 2 Deittert, Hubert CDU/CSU 20.06.2006* Zu Protokoll gegebener Redeteil zur Beratung: Ernst, Klaus DIE LINKE 20.06.2006 – Einzelplan 07, Bundesministerium der Jus- tiz Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 20.06.2006* – Einzelplan 19, Bundesverfassungsgericht Fischer (Frankfurt), BÜNDNIS 90/ 20.06.2006 – Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung euro- Joseph DIE GRÜNEN (B) päischer Richtlinien zur Verwirklichung des (D) Grundsatzes der Gleichbehandlung Fischer (Karlsruhe- CDU/CSU 20.06.2006* Land), Axel E. – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes Dr. Gerhardt, Wolfgang FDP 20.06.2006 – Antrag: Richtlinie zur Vorratsdatenspeiche- Gloser, Günter SPD 20.06.2006 rung durch den Europäischen Gerichtshof prüfen lassen Götz, Peter CDU/CSU 20.06.2006 – Antrag: Bürokratie schützt nicht vor Diskri- minierung – Allgemeines Gleichbehand- Haustein, Heinz-Peter FDP 20.06.2006 lungsgesetz ist der falsche Weg

Herrmann, Jürgen CDU/CSU 20.06.2006** (Tagesordnungspunkt I.5. a bis e, Zusatztages- ordnungspunkt 1) Hilsberg, Stephan SPD 20.06.2006 Brigitte Zypries, Bundesministerin der Justiz: Vo r Höfer, Gerd SPD 20.06.2006* ein paar Wochen war ich zusammen mit den rechtspoliti- schen Sprechern der Fraktionen in Frankfurt am Main. Hörster, Joachim CDU/CSU 20.06.2006* Die Industrie- und Handelskammer hatte uns zu einer Diskussionsveranstaltung eingeladen. Der ungewöhnli- Dr. Hoyer, Werner FDP 20.06.2006** che Titel des Abends war eine sorgenvolle Frage: „Euro- pean and German law goes Hollywood?“ Es ging dabei Kröning, Volker SPD 20.06.2006 nicht um die kalifornische Traumfabrik, sondern vor al- lem um die rechtspolitischen Alpträume deutscher Un- Dr. Lamers (Heidelberg), CDU/CSU 20.06.2006** ternehmer. Die haben nämlich große Sorge vor einer Karl Amerikanisierung unseres Rechts. Das ist bemerkens- wert, denn gerade der Wirtschaft gelten die Vereinigten Lintner, Eduard CDU/CSU 20.06.2006* Staaten ja häufig als leuchtendes Vorbild: mehr Wachs- tum, mehr Flexibilität am Arbeitsmarkt oder ein einfa- Müller-Sönksen, FDP 20.06.2006 ches Steuersystem. Gelegentlich wird so getan, als sei Burkhardt dort alles besser. Wenn es allerdings um das Recht geht, 3530 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006

(A) dann sieht die Sache ganz anders aus. Sammelklagen. mehr Aufgaben zu übertragen und dadurch die Richter- (C) Strafschadenersatz oder ein Beweisrecht, das zur Offen- schaft zu entlasten, ist bislang nur in zwei Bundeslän- legung von Geschäftsinterna führt – das sind Rechts- dern Gebrauch gemacht worden – und zwar mit Erfolg. institute, die vielen Unternehmen auf dem amerikani- Die meisten Länder sind fast zwei Jahre nach In-Kraft- schen Markt schwer zu schaffen machen. Treten des Gesetzes immer noch dabei, seine Umsetzung „zu prüfen“. Dafür habe ich wenig Verständnis. Wenn es In Deutschland kennen wir all diese Rechtsfiguren darum geht, die Justiz zu entlasten, dann muss gehandelt nicht. Es hat auch niemand die Absicht, sie einzufüh- werden – das ist allemal besser, als den Verzicht auf ren – da kann die Wirtschaft ganz unbesorgt sein. Ihre Rechtsmittel zu fordern. Skepsis gegenüber fremden Einflüssen macht für mich aber vor allem eines deutlich: Bei Recht und Justiz sind Beim elektronischen Rechtsverkehr kommt es vor al- wir in Deutschland besser aufgestellt als manch andere lem darauf an, dass bei den Gerichten die technischen Länder. Hier besteht kein Reformstau. Und hier müssen Voraussetzungen für die Nutzung dieser neuen Möglich- wir uns auch nicht ständig umschauen, ob wir bei diesem keiten geschaffen werden. Bei der Justiz des Bundes ha- oder jenem Land irgendwelche Anleihen machen kön- ben wir das getan und die Länder sind hier ja auch red- nen. Ganz im Gegenteil: Unser Recht und unsere Justiz lich bemüht. Wir müssen aber darüber nachdenken, wie sind Standortvorteile für Deutschland und sie sind zu ei- wir zusätzliche Anreize schaffen können, damit etwa die nem Vorbild für andere geworden. Anwaltschaft von den neuen Angeboten noch mehr Ge- brauch macht. Es steht doch außer Frage, dass der elek- Die Globalisierung hat dazu geführt, dass die Berüh- tronische Rechtsverkehr eine hervorragende Chance für rungspunkte zwischen den verschiedenen Rechtssyste- mehr Effizienz und eine Beschleunigung der Arbeits- men immer zahlreicher werden. Das Recht ist dabei abläufe ist. Ich meine, wir dürfen diese Chance nicht un- nicht nur ein Faktor im wirtschaftlichen Wettbewerb, genutzt lassen. sondern es ist auch selbst Gegenstand der Konkurrenz. Dass wir mit unserer Rechtsordnung einen wertvollen Gutes Recht ist nicht zuletzt schnelles Recht und des- Exportartikel besitzen, haben wir erst vor wenigen halb muss eine Entlastung der Justiz insbesondere bei Wochen wieder erfahren. Bei unserem Besuch in China den Eingangsinstanzen ansetzen. Auch hier sind vor al- – einige von Ihnen waren mit dabei – haben wir gesehen, lem die Länder gefordert. Sie haben es in der Hand, wie China auf seinem Weg zum Rechtsstaat ganz kon- durch Personalverlagerungen von der Berufungs- in die krete Anleihen beim deutschen Recht nimmt. Ich meine, erste Instanz dafür zu sorgen, dass mehr Richterinnen auch dies ist ein Zeichen für die Qualität und die Attrak- und Richter an den Amts- und Landgerichten eingesetzt tivität unserer Rechtsordnung. werden. Mit der Reform der Zivilprozessordnung hat der Bund die Voraussetzungen dafür längst geschaffen, denn (B) Wir neigen in Deutschland gelegentlich dazu, uns an (D) die Evaluation der ZPO-Reform hat jetzt gezeigt, dass den Schwächen unseres Landes zu weiden und dabei un- die Zahl der Berufungen deutlich zurückgegangen ist. sere Stärken zu vergessen. Wenn wir heute über den Jus- tizhaushalt diskutieren, dann können wir mit berechtig- Gerade weil die ZPO-Reform erfolgreich wirkt, dür- tem Selbstbewusstsein sagen: Recht und Justiz gehören fen wir jetzt nicht schon wieder das Gesetz verändern. zu den Stärken unseres Landes! Ich halte deshalb überhaupt nichts von den Vorschlägen, die Zulassungsberufung des Verwaltungsstreitverfahrens Dieser positive Befund darf uns allerdings nicht dazu in den Zivil- und Arbeitsprozess einzuführen. Das ist verleiten, uns auf den Lorbeeren auszuruhen. Wir müs- sachlich unnötig und eine erneute Rechtsänderung wäre sen weiter daran arbeiten, vor allem die Qualität und die für die Praktiker eine echte Zumutung. Leistungsfähigkeit unserer Justiz zu sichern. Ich betone aber den positiven Befund deshalb so deutlich, weil ich Einen einzigen richtigen Gedanken hat dieser Vor- für manche Schwarzmalereien aus der Provinz über- schlag allerdings: Wir wollen die Verfahrensordnungen haupt kein Verständnis habe. der einzelnen Zweige unserer Gerichtsbarkeit weiter ver- einheitlichen. Das sorgt für mehr Transparenz und ver- Der Bund hat in den letzten Jahren eine Menge dafür einfacht die Rechtsanwendung. Aber eine solche Anglei- getan, damit die Justiz auch in Zukunft effizient und chung darf natürlich nicht einseitig erfolgen. Wir müssen qualitätvoll arbeiten kann. Mit einem 1. Justizmoderni- bei jedem Punkt genau schauen, welche Verfahrensord- sierungsgesetz haben wir an vielen Punkten das Verfah- nung hier die beste Lösung bietet. Das kann bei einem rensrecht verbessert und wir haben die Voraussetzungen einheitlichen Berufungsrecht aber am Ende auch dazu dafür geschaffen, dass mehr Aufgaben vom Richter auf führen, dass wir die Vorschriften der VwGO den Regeln die Rechtspfleger übertragen werden können angleichen, die heute schon in der ZPO, im Arbeitsge- Zugleich hat das Justizkommunikationsgesetz dafür richtsgesetz und in der Sozialgerichtsbarkeit gelten. gesorgt, dass der Rechtsverkehr künftig auch elektro- Die Vorschläge, die die Länder jüngst wieder unter nisch abgewickelt werden kann. Dank E-Mail und elek- dem Etikett „Große Justizreform“ präsentiert haben, ver- tronischen Akten können die Arbeitsabläufe der Ge- dienen diese Bezeichnung eigentlich nicht mehr. Von ih- richte noch effizienter werden. rer zentralen Idee haben sich die Länder zum Glück Allerdings ist es mit dem rechtlichen Dürfen allein weitgehend verabschiedet: Die funktionale Zweiglied- nicht getan. Die Länder müssen diese neuen Möglichkei- rigkeit der Justiz ist vom Tisch. Das ist auch gut so, denn ten auch nutzen. Leider ist das noch immer nicht ausrei- die hat in der Praxis niemand gewollt und wäre für die chend der Fall. Von der Option, den Rechtspflegern Justiz auch kein Gewinn gewesen. Allerdings geistern Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. Juni 2006 3531

(A) noch immer einige Überbleibsel dieser Zweigliedrigkeit merkt jeder Handwerker, der seine offenen Forderungen (C) durch die Welt. Ich halte überhaupt nichts von der Idee, einklagen muss. Vielleicht wäre es deshalb ganz hilf- im Strafverfahren nur noch eine Wahlmöglichkeit „ent- reich, wenn die Wirtschaft noch deutlicher machte, wie weder Berufung oder Revision“ vorzusehen. Das wäre wichtig für sie eine leistungsfähige und qualitätvolle Jus- eine gravierende Verkürzung der Rechtsmittel. Es ist tiz ist. Zügige Urteile oder schnelle Registereintragun- auch ein Irrtum, zu glauben, man entlaste die Justiz, gen können auch Standortvorteile sein. Und mancher wenn man die Berufung ausschließt. Ein Richter am Landesregierung, die das noch nicht ganz verinnerlicht Amtsgericht kann seine Urteile ja nicht zuletzt deshalb hat, sollte die Wirtschaft hier notfalls etwas auf die so zügig fällen, weil sie im Wege der Berufung noch ein- Sprünge helfen. mal überprüft werden können. Wenn jede Richterin ihre Entscheidungen revisionsfest begründen müsste, dann Der Bund wird im Rahmen seiner Zuständigkeit auch wäre dies ein ganz beträchtlicher Mehraufwand. Das in Zukunft für ein modernes Recht und eine leistungs- wäre keine Entlastung, sondern würde der Justiz letztlich fähige Justiz sorgen. Mit der Einführung des elektro- Steine statt Brot geben. nischen Handelsregisters schaffen wir in Kürze die Rechtsgrundlage, um die Formalitäten einer Unterneh- Der Justizhaushalt des Bundes, den wir heute verab- mensgründung noch schneller abzuwickeln. Die Reform schieden werden, ist zu rund 97 Prozent durch eigene des GmbH-Gesetzes ist dann der zweite Schritt, um auch Einnahmen gedeckt. Damit steht die Justiz an der Spitze materiell zu einer Erleichterung von Unternehmensgrün- aller Ressorts. Das liegt beim Bund vor allem an dem Gebührenaufkommen des Patent- und Markenamtes. dungen zu kommen. Aber auch abseits des Wirtschafts- Aber auch in den Ländern haben die Justizhaushalte stets lebens arbeiten wir daran, Recht und Justiz weiter zu ist ganz beträchtliche Einnahmen zu verzeichnen. Es ist verbessern, zum Beispiel durch die Reform des Verfah- deshalb nicht nur falsch, sondern auch ungerecht, Justiz- rens in Familiensachen. Wir wollen ein Großes Famili- politik heute vor allem unter fiskalischen Aspekten zu engericht schaffen, bei dem alle Streitigkeit um Ehe und betreiben. Männermut vor Fürstenthronen wurde in frü- Familie entschieden werden. Wenn es gelingt, mehrere heren Tagen gefordert. Heute würde es schon reichen, Konflikte in einem einzigen Verfahren zu bündeln, dann wenn manche Justizministerin ihrem Kollegen aus dem wird die Sache für die Justiz effizienter und für die Be- Finanzressort mit etwas mehr Rückgrat gegenüberträte. troffenen weniger Nerven aufreibend. Eine leistungsfähige Justiz ist schließlich nicht nur Diese wenige Beispiele zeigen, dass es auch in Zu- eine Frage der Rechtsstaatlichkeit und der bürgerlichen kunft eine Menge zu tun gibt, um die hohe Qualität und Freiheit. Sie hat auch ökonomische Bedeutung. Das die weltweite Attraktivität unserer Rechtsordnung zu (B) weiß jeder junge Gründer, der auf die Eintragung seines sichern, und dafür bitte ich schon heute um ihre Unter- (D) Unternehmens in das Handelsregister wartet, und das stützung. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Amsterdamer Str. 192, 50735 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Telefax (02 21) 97 66 83 44 ISSN 0722-7980