Plenarprotokoll 19/215

Deutscher

Stenografischer Bericht

215. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Inhalt:

Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeord- – zu dem Antrag der Abgeordneten neten Klaus-Peter Willsch ...... 27017 A Dr. , , Begrüßung des neuen Abgeordneten Dr. Axel , weiterer Abgeordne- Troost ...... 27017 A ter und der Fraktion der AfD: Sofortige Beendigung der epidemischen Lage Änderung der Tagesordnung ...... 27017 B von nationaler Tragweite – Ende mit Absetzung des Tagesordnungspunktes 8 d . . . . 27017 B dem Endlos-Lockdown Drucksachen 19/26899, 19/26903, Erweiterung der Tagesordnung ...... 27017 D 19/27291 ...... 27017 D

in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 8: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Zusatzpunkt 3: Fraktionen der CDU/CSU und SPD ein- Antrag der Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur GRÜNEN und DIE LINKE: Sichere Bildung Fortgeltung der die epidemische Lage in der Krise – Schnellteststrategie für Kitas von nationaler Tragweite betreffen- und Schulen einführen den Regelungen Drucksache 19/27195 ...... 27017 D Drucksachen 19/26545, 19/27291 ...... 27017 B (CDU/CSU) ...... 27018 A – Bericht des Haushaltsausschusses Dr. Robby Schlund (AfD) ...... 27019 A gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 19/27292 ...... 27017 C (SPD) ...... 27019 D b) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) ...... 27021 A SPD: Feststellung des Fortbestehens der (DIE LINKE) ...... 27022 A epidemischen Lage von nationaler Trag- Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ weite DIE GRÜNEN) ...... 27023 B Drucksache 19/27196 ...... 27017 C , Bundesminister BMG ...... 27024 A c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit Stephan Brandner (AfD) ...... 27025 B – zu dem Antrag der Abgeordneten Detlev (SPD) ...... 27026 A Spangenberg, Paul Viktor Podolay, (FDP) ...... 27027 A Dr. Robby Schlund, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der AfD: Ständi- Dr. (BÜNDNIS 90/ ge Epidemiekommission einrichten – DIE GRÜNEN) ...... 27027 C Unabhängige, ausgewogene und Dr. (fraktionslos) ...... 27028 C umfassende Expertise für den Seu- chenschutz in Deutschland sicherstel- (CDU/CSU) ...... 27028 D len (fraktionslos) ...... 27029 D II Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. , Donnerstag, den 4. März 2021

Dr. (SPD) ...... 27030 B Dr. (AfD) ...... 27050 C (CDU/CSU) ...... 27031 B Fritz Güntzler (CDU/CSU) ...... 27050 C (CDU/CSU) ...... 27051 A Namentliche Abstimmung ...... 27032 C

Ergebnis ...... 27043 C Tagesordnungspunkt 10: a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Zusatzpunkt 12: Nationaler Bildungsbericht – Bildung in Deutschland 2020 und Stellungnahme Beschlussempfehlung des Ausschusses für der Bundesregierung Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsord- Drucksache 19/24780 ...... 27053 A nung: Antrag auf Genehmigung zum Voll- zug gerichtlicher Durchsuchungs- und Be- b) Antrag der Abgeordneten Dr. Götz schlagnahmebeschlüsse Frömming, Nicole Höchst, Dr. Michael Drucksache 19/27270 ...... 27032 D Espendiller, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD: Jetzt die richtigen Konsequenzen aus dem Nationalen Bil- Tagesordnungspunkt 9: dungsbericht ziehen Drucksache 19/27203 ...... 27053 B a) Antrag der Abgeordneten Dr. Bruno c) Antrag der Abgeordneten Dr. h. c. Thomas Hollnagel, Steffen Kotré, , Sattelberger, , Dr. Jens weiterer Abgeordneter und der Fraktion (Rhein-Neckar), weiterer der AfD: Aufbruch für Deutschland – Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Raus aus der Wirtschafts- und Lock- Übergangssystem und duale Berufsaus- down-Krise bildung erneuern Drucksache 19/26895 ...... 27033 A Drucksache 19/22298 ...... 27053 B b) Antrag der Abgeordneten Dr. Bruno d) Antrag der Abgeordneten Dr. Jens Hollnagel, , Armin- Brandenburg (Rhein-Neckar), Katja Paulus Hampel, weiterer Abgeordneter Suding, (Südpfalz), und der Fraktion der AfD: Den Steuerzah- weiterer Abgeordneter und der Fraktion lern einen fairen Anteil lassen – Sen- der FDP: Fit für die Arbeitswelt der Zu- kung der Umsatzsteuer von 19 Prozent kunft – Individuelle Bildungswege, Digi- auf 15 Prozent beziehungsweise von talisierung und Internationalisierung in 7 Prozent auf 5 Prozent der beruflichen Bildung Drucksache 19/27204 ...... 27033 A Drucksache 19/27120 ...... 27053 C c) Antrag der Abgeordneten Steffen Kotré, e) Beschlussempfehlung und Bericht des Hansjörg Müller, , weite- Ausschusses für Bildung, Forschung und rer Abgeordneter und der Fraktion der Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag AfD: Aufbruch für Deutschland – Been- der Abgeordneten Katja Suding, Grigorios digung der vom Staat zu verantworten- Aggelidis, , weiterer Abgeord- den Corona-Krise und deren Auswir- neter und der Fraktion der FDP: Smart kungen auf die Wirtschaft – Learning Analytics und Drucksache 19/27206 ...... 27033 B Künstliche Intelligenz in der Schule för- (AfD) ...... 27033 C dern, Lerndaten schützen (CDU/CSU) ...... 27035 A Drucksachen 19/14033, 19/16957 ...... 27053 C (FDP) ...... 27036 B f) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Dr. (SPD) ...... 27037 B Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag (DIE LINKE) ...... 27038 C der Abgeordneten Mario Brandenburg (Südpfalz), Katja Suding, Grigorios Claudia Müller (BÜNDNIS 90/ Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der DIE GRÜNEN) ...... 27040 A Fraktion der FDP: Smart Germany – Dr. (CDU/CSU) ...... 27041 C Deutschland digital stärken, Onlinekurs Dr. (DIE LINKE) ...... 27042 B „Künstliche Intelligenz“ initiieren Drucksachen 19/14034, 19/15757 ...... 27053 C (FDP) ...... 27046 A g) Beschlussempfehlung und Bericht des (SPD) ...... 27046 C Ausschusses für Bildung, Forschung und Alexander Ulrich (DIE LINKE) ...... 27048 C Technikfolgenabschätzung – zu dem Antrag der Abgeordneten Timon Gremmels (SPD) ...... 27049 A Dr. Götz Frömming, Nicole Höchst, Fritz Güntzler (CDU/CSU) ...... 27049 B Dr. , weiterer Abgeordneter Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 III

und der Fraktion der AfD: Zukunft für Tagesordnungspunkt 11: Deutschlands Wohlstand – Berufliche a) Antrag der Abgeordneten Susanne Ferschl, Bildung stärken , Lorenz Gösta Beutin, wei- – zu dem Antrag der Abgeordneten terer Abgeordneter und der Fraktion DIE Dr. (Rhein-Neckar), LINKE: Steuergelder gegen Missbrauch Johannes Vogel (Olpe), Katja Suding, durch Konzerne schützen weiterer Abgeordneter und der Fraktion Drucksache 19/27190 ...... 27070 A der FDP: Corona-Sofortprogramm b) Beschlussempfehlung und Bericht des für die Berufliche Bildung – Fach- Ausschusses für Arbeit und Soziales zu kräfte sichern, Digitalisierung dem Antrag der Abgeordneten Susanne beschleunigen Ferschl, Sabine Zimmermann (Zwickau), Drucksachen 19/22193, 19/19514, , weiterer Abgeordneter 19/27048 ...... 27053 D und der Fraktion DIE LINKE: Mindest- h) Beschlussempfehlung und Bericht des Kurzarbeitergeld zügig einführen Ausschusses für Bildung, Forschung und Drucksachen 19/26526, 19/27273 ...... 27070 B Technikfolgenabschätzung c) Antrag der Abgeordneten Katharina – zu dem Antrag der Abgeordneten Britta Dröge, , Claudia Müller, wei- Katharina Dassler, Katja Suding, terer Abgeordneter und der Fraktion , weiterer Abgeord- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für Wirt- neter und der Fraktion der FDP: Pande- schaftshilfen, die schnell, unkompliziert mie-Erfahrungen bei Schulunterricht und zuverlässig helfen nicht vergessen – Know-how von Leh- Drucksache 19/27194 ...... 27070 B rern und Zivilgesellschaft auf Dauer heben Susanne Ferschl (DIE LINKE) ...... 27070 B Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) ...... 27071 C – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Birke Bull-Bischoff, Dr. , Steffen Kotré (AfD) ...... 27072 D Doris Achelwilm, weiterer Abgeordne- Bernd Rützel (SPD) ...... 27073 C ter und der Fraktion DIE LINKE: Unterstützung für Schulen in der Matthias Nölke (FDP) ...... 27074 C Pandemie – Mangelwirtschaft in der Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/ Bildung beenden DIE GRÜNEN) ...... 27075 A Drucksachen 19/23119, 19/24450, (CDU/CSU) ...... 27076 A 19/27176 ...... 27054 A (AfD) ...... 27077 B i) Antrag der Abgeordneten Dr. Birke Bull- Bischoff, Dr. Petra Sitte, Doris Achelwilm, Dr. (SPD) ...... 27078 B weiterer Abgeordneter und der Fraktion Dr. (FDP) ...... 27079 B DIE LINKE: Reform des Übergangssek- Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn tors von der Schule in die Berufsausbil- (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ...... 27080 A dung Drucksache 19/24688 ...... 27054 A (CDU/CSU) ...... 27080 D , Bundesministerin BMBF . . . . 27054 B Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 27081 C Dr. Götz Frömming (AfD) ...... 27056 C (SPD) ...... 27082 C Bärbel Bas (SPD) ...... 27057 C Marco Bülow (fraktionslos) ...... 27083 B Dr. h. c. (FDP) ...... 27058 C () (CDU/CSU) ...... 27084 A Dr. Birke Bull-Bischoff (DIE LINKE) ...... 27059 B

Margit Stumpp (BÜNDNIS 90/ Tagesordnungspunkt 33: DIE GRÜNEN) ...... 27060 B a) Erste Beratung des von den Abgeordneten (CDU/CSU) ...... 27061 A , , Margarete Nicole Höchst (AfD) ...... 27063 A Bause, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (SPD) ...... 27064 A eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar) (FDP) . 27065 A zur Änderung des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . 27065 D die Integration von Ausländern im Bun- desgebiet (Aufenthaltsgesetz – Auf- (CDU/CSU) ...... 27066 C enthG) (SPD) ...... 27068 A Drucksache 19/27189 ...... 27085 B IV Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 b) Erste Beratung des von der Bundesregie- j) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- rung eingebrachten Entwurfs eines Ersten zes zu dem Protokoll vom 1. Oktober Gesetzes zur Änderung des Elektro- und 2020 zur Änderung des Abkommens Elektronikgerätegesetzes vom 22. November 1995 zwischen der Drucksache 19/26971 ...... 27086 A Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Dänemark zur Vermeidung k) Antrag des Bundesministeriums der Finan- der Doppelbesteuerung bei den Steuern zen: Entlastung der Bundesregierung für vom Einkommen und Vermögen sowie das Haushaltsjahr 2019: – Haushalts- bei Nachlass-, Erbschaft- und und Vermögensrechnung des Bundes Schenkungsteuern und zur Beistands- für das Haushaltsjahr 2019 – leistung in Steuersachen (Deutsch-däni- Drucksache 19/21479 ...... 27086 A sches Steuerabkommen) Drucksache 19/26833 ...... 27085 C l) Antrag der Abgeordneten Dr. h. c. Thomas Sattelberger, , Katja Suding, c) Erste Beratung des von der Bundesregie- weiterer Abgeordneter und der Fraktion rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- der FDP: Gleichstellung in der Wissen- zes zu dem Übereinkommen Nr. 169 der schaft – Vorgehensweise des Massachu- Internationalen Arbeitsorganisation setts Institute of Technology als Vorbild vom 27. Juni 1989 über eingeborene für das deutsche Wissenschaftssystem und in Stämmen lebende Völker in Drucksache 19/23629 ...... 27086 B unabhängigen Ländern Drucksache 19/26834 ...... 27085 C m) Antrag der Abgeordneten Dr. , Michael Theurer, Grigorios d) Erste Beratung des von der Bundesregie- Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Fraktion der FDP: Verbesserung der Ge- zes zur Änderung des Versorgungsausg- sundheitsversorgung mit nicht ver- leichsrechts schreibungspflichtigen Arzneimitteln Drucksache 19/26838 ...... 27085 C Drucksache 19/27051 ...... 27086 B n) Antrag der Abgeordneten Jürgen Braun, e) Erste Beratung des von der Bundesregie- , Tino Chrupalla, weiterer rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Abgeordneter und der Fraktion der AfD: zes zur Regelung des Erscheinungsbilds Rehabilitierung der Opfer der soge- von Beamtinnen und Beamten sowie zur nannten Bodenreform 1945 bis 1949 in Änderung weiterer dienstrechtlicher der Sowjetischen Besatzungszone Vorschriften Drucksache 19/27201 ...... 27086 B Drucksache 19/26839 ...... 27085 D o) Antrag der Abgeordneten Albrecht Glaser, f) Erste Beratung des von der Bundesregie- Peter Boehringer, Dr. Bruno Hollnagel, rung eingebrachten Entwurfs eines Vier- weiterer Abgeordneter und der Fraktion ten Gesetzes zur Änderung des Seefi- der AfD: Next Generation EU ist unzu- schereigesetzes lässig – Bundesregierung muss EU-Ver- Drucksache 19/26840 ...... 27085 D schuldung stoppen Drucksache 19/27210 ...... 27086 C g) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- q) Antrag der Abgeordneten Dr. h. c. Thomas zes über die statistische Erhebung der Sattelberger, , Katja Suding, Zeitverwendung (Zeitverwendungser- weiterer Abgeordneter und der Fraktion hebungsgesetz – ZVEG) der FDP: Verantwortung der außeruni- Drucksache 19/26935 ...... 27085 D versitären Forschungseinrichtungen für die Beschäftigung von Menschen mit h) Erste Beratung des von der Bundesregie- Behinderungen einfordern rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Drucksache 19/27175 ...... 27086 C zes zur Änderung des Medizinprodukte- recht-Durchführungsgesetzes und r) Antrag der Abgeordneten , weiterer Gesetze Alexander Müller, , weiterer Drucksache 19/26942 ...... 27085 D Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Rechtssicherheit bei Rohmessdaten i) Erste Beratung des von der Bundesregie- schaffen rung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Drucksache 19/27110 ...... 27086 D Gesetzes zur Änderung des Strahlen- schutzgesetzes Drucksache 19/26943 ...... 27086 A in Verbindung mit Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 V

Zusatzpunkt 4: FDP: Vertrauen in Bundesministerien a) Erste Beratung des von den Abgeordneten und Behörden stärken – Insiderhandel Dr. , , wirksam unterbinden Grigorios Aggelidis, weiteren Abgeordne- Drucksache 19/27186 ...... 27087 C ten und der Fraktion der FDP eingebrach- j) Antrag der Abgeordneten Benjamin ten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung Strasser, Manuel Höferlin, Stephan der Kontrolle der Exekutive durch das Thomae, weiterer Abgeordneter und der Parlament (Exekutivkontrollgesetz – Fraktion der FDP: Smart Police – Digita- ExekutivkontrollG) lisierung der deutschen Polizei anschie- Drucksache 19/27182 ...... 27086 D ben Drucksache 19/27172 ...... 27087 C b) Erste Beratung des von den Abgeordneten , , Michael Theurer, weiteren Abgeordneten und der in Verbindung mit Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur befristeten Wieder- einführung der 115-Tage-Regelung – Tagesordnungspunkt 21: Achtes Gesetz zur Änderung des Vierten c) Antrag der Abgeordneten , Buches Sozialgesetzbuch Franziska Gminder, Wilhelm von Drucksache 19/27181 ...... 27087 A Gottberg, weiterer Abgeordneter und der c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Fraktion der AfD: Wald mit Wild – Fach- Kai Gehring, Dr. , Margit lich fundiertes Miteinander zwischen Stumpp, weiteren Abgeordneten und der Förstern und Jägern Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 19/27205 ...... 27087 D eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur weiteren Unterstützung der Wissen- in Verbindung mit schaft aufgrund anhaltender COVID- 19-Pandemie Drucksache 19/27188 ...... 27087 A Tagesordnungspunkt 33: d) Antrag der Abgeordneten Stefan Schmidt, p) Antrag der Abgeordneten , Corinna Rüffer, , weiterer Katja Suding, Grigorios Aggelidis, weite- Abgeordneter und der Fraktion BÜND- rer Abgeordneter und der Fraktion der NIS 90/DIE GRÜNEN: Reisen für alle FDP: Serious Games – Zukunfts-Bau- ermöglichen – Barrierefreiheit im Tou- steine für einen digitalen Bildungs- und rismus zum Standard machen Wirtschaftsstandort Drucksache 19/17132 ...... 27087 A Drucksache 19/27050 ...... 27087 D e) Antrag der Abgeordneten Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar), Gyde in Verbindung mit Jensen, Katja Suding, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der FDP: Freiheit von Forschung und Lehre schützen − Ko- Tagesordnungspunkt 33: operationen mit Chinas Konfuzius −Instituten an deutschen Hochschulen s) Antrag der Abgeordneten , beenden Anke Domscheit-Berg, Dr. Petra Sitte, Drucksache 19/27109 ...... 27087 B weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Recht auf schnelles Internet f) Antrag der Abgeordneten , für alle Frank Sitta, , weiterer Abge- Drucksache 19/27192 ...... 27088 B ordneter und der Fraktion der FDP: Leh- ren aus Havarien ziehen − Die deutsche Bucht besser schützen in Verbindung mit Drucksache 19/27121 ...... 27087 B h) Antrag der Abgeordneten Dr. Jürgen Zusatzpunkt 4: Martens, Stephan Thomae, Renata Alt, g) Antrag der Abgeordneten , weiterer Abgeordneter und der Fraktion Nicole Bauer, Alexander Graf Lambsdorff, der FDP: Haftungsprivileg im Ehrenamt weiterer Abgeordneter und der Fraktion anpassen der FDP: Frauenrechte im digitalen Drucksache 19/27187 ...... 27087 C Raum schützen und geschlechterspezifi- i) Antrag der Abgeordneten Frank Schäffler, sche digitale Straftaten stärker bekämp- Christian Dürr, Dr. , weite- fen rer Abgeordneter und der Fraktion der Drucksache 19/27185 ...... 27088 C VI Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Tagesordnungspunkt 34: Jürgen Hardt (CDU/CSU) ...... 27099 C a) Beschlussempfehlung und Bericht des (SPD) ...... 27100 C Ausschusses für Gesundheit Mario Mieruch (fraktionslos) ...... 27101 C – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Wieland Schinnenburg, Michael Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) ...... 27102 A Theurer, Grigorios Aggelidis, weiterer (SPD) ...... 27102 D Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Allergien und Unverträglichkei- (CDU/CSU) ...... 27103 D ten wirksam vorbeugen und Thera- pien und Aufklärung verbessern Tagesordnungspunkt 12: – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Bettina Hoffmann, Dr. Kirsten a) Erste Beratung des von der Bundesregie- Kappert-Gonther, Maria Klein- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Schmeink, weiterer Abgeordneter und zes zur Stärkung der Finanzmarktinteg- der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- rität (Finanzmarktintegritätsstärkungs- NEN: Die hohe individuelle und gesetz – FISG) gesellschaftliche Belastung durch Drucksache 19/26966 ...... 27104 D Allergien mit einem Aktionspro- b) Erste Beratung des von den Abgeordneten gramm reduzieren und die Versor- , Albrecht Glaser, Stefan gungssituation der Allergikerinnen Keuter, weiteren Abgeordneten und der und Allergiker verbessern Fraktion der AfD eingebrachten Entwurfs Drucksachen 19/24373, 19/19865, eines Gesetzes zur Änderung des Han- 19/27036 ...... 27089 A delsgesetzbuchs – Verbesserung der b) Beratung der Beschlussempfehlung des Abschlussprüfung von Kapitalgesell- Ausschusses für Recht und Verbraucher- schaften als Reaktion auf den Fall Wire- schutz: Übersicht 10 – über die dem card Deutschen Bundestag zugeleiteten Drucksache 19/27023 ...... 27105 A Streitsachen vor dem Bundesverfas- , Parl. Staatssekretärin BMF . 27105 A sungsgericht Drucksache 19/27247 ...... 27089 B Kay Gottschalk (AfD) ...... 27106 A c)–r) Beratung der Beschlussempfehlungen (CDU/CSU) ...... 27107 A des Petitionsausschusses: Sammelüber- Dr. Florian Toncar (FDP) ...... 27108 A sichten 806, 807, 808, 809, 810, 811, 812, 813, 814, 815, 816, 817, 818, 819, Fabio De Masi (DIE LINKE) ...... 27109 A 820 und 821 zu Petitionen (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . 27109 C Drucksachen 19/26946, 19/26947, 19/26948, (SPD) ...... 27110 C 19/26949, 19/26950, 19/26951, 19/26952, 19/26953, 19/26954, 19/26955, 19/26956, Fritz Güntzler (CDU/CSU) ...... 27111 B 19/26957, 19/26958, 19/26959, 19/26960, Dr. h. c. (Univ Kyiv) 19/26961 ...... 27089 C (CDU/CSU) ...... 27112 B (CDU/CSU) ...... 27090 A

Tagesordnungspunkt 13: Zusatzpunkt 11: Antrag der Abgeordneten , Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktio- Christian Dürr, Dr. Florian Toncar, weiterer nen der CDU/CSU und SPD: Weitere Eska- Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Dop- lation der Gewalt in Myanmar stoppen und pelbesteuerung bei Renten verhindern demokratische Rechte wiederherstellen Drucksache 19/27174 ...... 27112 D , Bundesminister AA ...... 27091 C Markus Herbrand (FDP) ...... 27113 A Jürgen Braun (AfD) ...... 27092 D (CDU/CSU) ...... 27113 D (CDU/CSU) ...... 27093 D Ulrike Schielke-Ziesing (AfD) ...... 27115 A Dr. Christoph Hoffmann (FDP) ...... 27094 D Cansel Kiziltepe (SPD) ...... 27115 D Sevim Dağdelen (DIE LINKE) ...... 27095 D Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) ...... 27116 C (BÜNDNIS 90/ Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn DIE GRÜNEN) ...... 27096 D (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ...... 27117 A (SPD) ...... 27097 D Sebastian Brehm (CDU/CSU) ...... 27118 A Dr. (AfD) ...... 27098 C () (SPD) ...... 27119 A Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 VII

Tagesordnungspunkt 28: Margarete Bause (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 27132 B a) Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Dr. (CDU/CSU) ...... 27133 A Streitkräfte am NATO-geführten Ein- satz Resolute Support für die Ausbil- dung, Beratung und Unterstützung der Tagesordnungspunkt 16: afghanischen nationalen Verteidigungs- Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, und Sicherheitskräfte in Afghanistan , Dr. Bettina Hoffmann, weiterer Drucksache 19/26916 ...... 27120 A Abgeordneter und der Fraktion BÜND- b) Beratung der Antwort der Bundesregie- NIS 90/DIE GRÜNEN: 10 Jahre nach dem rung auf die Große Anfrage der Abgeord- GAU von Fukushima – Atomkraft hat keine neten Armin-Paulus Hampel, Dr. Roland Zukunft Hartwig, , weiterer Abgeord- Drucksache 19/27193 ...... 27133 D neter und der Fraktion der AfD: Ergebnis- Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ se der deutschen Aufbau- und Entwick- DIE GRÜNEN) ...... 27134 A lungszusammenarbeit in Afghanistan 2002 bis 2018 Karsten Möring (CDU/CSU) ...... 27135 A Drucksachen 19/10492, 19/16274 ...... 27120 B Dr. Rainer Kraft (AfD) ...... 27136 B c) Antrag der Abgeordneten Armin-Paulus Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ Hampel, Dr. , Petr Bystron, DIE GRÜNEN) ...... 27137 C weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD: Deutschland wird nicht am Dr. Rainer Kraft (AfD) ...... 27137 C Hindukusch verteidigt – Abzug deut- Dr. (SPD) ...... 27138 A scher Soldaten aus Afghanistan zeitnah (FDP) ...... 27139 C einleiten Drucksache 19/27199 ...... 27120 B Ralph Lenkert (DIE LINKE) ...... 27140 A Heiko Maas, Bundesminister AA ...... 27120 C Dr. (AfD) ...... 27121 D Tagesordnungspunkt 15: Jürgen Hardt (CDU/CSU) ...... 27122 C a) Erste Beratung des von der Bundesregie- Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) . 27123 B rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Einführung von elektronischen Heike Hänsel (DIE LINKE) ...... 27124 A Wertpapieren Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann Drucksache 19/26925 ...... 27140 D (FDP) ...... 27124 B b) Erste Beratung des von der Bundesregie- (BÜNDNIS 90/ rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- DIE GRÜNEN) ...... 27125 A zes zur Umsetzung der Richtlinie Annegret Kramp-Karrenbauer, (EU) 2019/2034 über die Beaufsichti- Bundesministerin BMVg ...... 27126 A gung von Wertpapierinstituten Drucksache 19/26929 ...... 27141 A (CDU/CSU) ...... 27127 A c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Tagesordnungspunkt 30: zes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/2162 des Europäischen Parla- a) Beratung der Unterrichtung durch das ments und des Rates vom 27. November Deutsche Institut für Menschenrechte: 2019 über die Emission gedeckter Jahresbericht 2019 Schuldverschreibungen und die öffentli- Drucksache 19/24970 ...... 27127 D che Aufsicht über gedeckte b) Beratung der Unterrichtung durch das Schuldverschreibungen (CBD-Umset- Deutsche Institut für Menschenrechte: zungsgesetz) Bericht über die Entwicklung der Men- Drucksache 19/26927 ...... 27141 A schenrechtssituation in Deutschland im d) Antrag der Abgeordneten Frank Schäffler, Zeitraum Juli 2019 bis Juni 2020 Christian Dürr, Dr. Florian Toncar, weite- Drucksache 19/24971 ...... 27127 D rer Abgeordneter und der Fraktion der Frank Schwabe (SPD) ...... 27128 A FDP: Einen innovationsfreundlichen Jürgen Braun (AfD) ...... 27129 B Rechtsrahmen für Kryptoassets schaf- fen – Digitale Wertpapiere aller Art er- Dr. (CDU/CSU) ...... 27130 A möglichen Gyde Jensen (FDP) ...... 27131 A Drucksache 19/26025 ...... 27141 B Zaklin Nastic (DIE LINKE) ...... 27131 D Sarah Ryglewski, Parl. Staatssekretärin BMF . 27141 B VIII Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Stefan Keuter (AfD) ...... 27142 B weiterer Abgeordneter und der Fraktion (CDU/CSU) ...... 27143 A BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Persönliche Eignung nach § 6 des Waffengesetzes wirk- (AfD) ...... 27143 C sam gewährleisten Frank Schäffler (FDP) ...... 27144 C Drucksachen 19/17520, 19/27022 ...... 27164 B Jörg Cezanne (DIE LINKE) ...... 27145 A Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . 27145 C in Verbindung mit (SPD) ...... 27146 B Sepp Müller (CDU/CSU) ...... 27147 B Zusatzpunkt 6: (CDU/CSU) ...... 27148 A Antrag der Abgeordneten , Bernd Reuther, Britta Katharina Dassler, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Tagesordnungspunkt 18: Waffenrecht mit Augenmaß und Konse- Antrag der Abgeordneten Cornelia Möhring, quenz Doris Achelwilm, Gökay Akbulut, weiterer Drucksache 19/27183 ...... 27164 C Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: (CDU/CSU) ...... 27164 C Für das Leben – Das Recht auf körperliche und sexuelle Selbstbestimmung sichern, (AfD) ...... 27165 D reproduktive Gerechtigkeit ermöglichen (SPD) ...... 27166 C Drucksache 19/26980 ...... 27148 C Konstantin Kuhle (FDP) ...... 27167 D Cornelia Möhring (DIE LINKE) ...... 27148 D (DIE LINKE) ...... 27168 C (CDU/CSU) ...... 27149 C Dr. (BÜNDNIS 90/ (AfD) ...... 27150 D DIE GRÜNEN) ...... 27169 B Gülistan Yüksel (SPD) ...... 27152 A (CDU/CSU) ...... 27170 A Katrin Helling-Plahr (FDP) ...... 27153 C (CDU/CSU) ...... 27171 A (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 27154 A (CDU/CSU) ...... 27155 A Tagesordnungspunkt 19: Tagesordnungspunkt 17: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweite und dritte Beratung des von den Frak- Ersten Gesetzes zur Änderung des GRW- tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Gesetzes Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung Drucksachen 19/25632, 19/27272 ...... 27172 A des Abgeordnetengesetzes – Einführung eines Ordnungsgeldes (CDU/CSU) ...... 27172 B Drucksachen 19/26540, 19/26848 ...... 27156 A Enrico Komning (AfD) ...... 27173 A (CDU/CSU) ...... 27156 B (SPD) ...... 27173 D (AfD) ...... 27157 A (FDP) ...... 27174 C Dr. (SPD) ...... 27158 A (DIE LINKE) ...... 27175 B Dr. Marco Buschmann (FDP) ...... 27158 D (DIE LINKE) ...... 27159 C Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ Tagesordnungspunkt 22: DIE GRÜNEN) ...... 27160 B Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Dr. (CDU/CSU) ...... 27161 B desregierung eingebrachten Entwurfs eines Friedrich Straetmanns (DIE LINKE) ...... 27161 D Siebten Gesetzes zur Änderung von Ver- brauchsteuergesetzen (SPD) ...... 27162 D Drucksachen 19/25697, 19/27274 ...... 27176 A (CDU/CSU) ...... 27163 C (SPD) ...... 27176 B Franziska Gminder (AfD) ...... 27177 C Tagesordnungspunkt 20: Sebastian Brehm (CDU/CSU) ...... 27178 B Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Stefan Schmidt (BÜNDNIS 90/ schusses für Inneres und Heimat zu dem An- DIE GRÜNEN) ...... 27179 C trag der Abgeordneten Dr. Irene Mihalic, Dr. , Luise Amtsberg, (SPD) ...... 27180 A Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 IX

Tagesordnungspunkt 23: Dr. (CDU/CSU) ...... 27197 A Erste Beratung des von der Bundesregierung (CDU/CSU) ...... 27197 B eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Verbraucherdarlehensrechts Alexander Müller (FDP) ...... 27197 C zur Umsetzung der Urteile des Gerichtshofs Christian Sauter (FDP) ...... 27197 D der Europäischen Union vom 11. September 2019 in der Rechtssache C-383/18 und vom Frank Schäffler (FDP) ...... 27198 A 26. März 2020 in der Rechtssache C-66/19 Jana Schimke (CDU/CSU) ...... 27198 B Drucksache 19/26928 ...... 27181 A Rita Hagl-Kehl, Parl. Staatssekretärin BMJV . 27181 B Tobias Matthias Peterka (AfD) ...... 27182 A Anlage 5 Alexander Hoffmann (CDU/CSU) ...... 27182 C Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten (FDP) ...... 27183 B (DIE LINKE) zu der Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU Nächste Sitzung ...... 27184 C und SPD: Feststellung des Fortbestehens der epidemischen Lage von nationaler Tragweite (Tagesordnungspunkt 8 b) ...... 27198 D Anlage 1 Entschuldigte Abgeordnete ...... 27193 A

Anlage 6 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten (DIE LINKE) zu der Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Abstimmung über die Beschlussempfehlung NEN) zu der namentlichen Abstimmung über des Petitionsausschusses: Sammelüber- die Beschlussempfehlung des Auswärtigen sicht 818 zu Petitionen, Beschlussempfeh- Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregie- lung 1, lfd. Nr. 2 (Wirtschaftsförderung und rung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter Wirtschaftssicherung) deutscher Streitkräfte an der NATO-geführten (Tagesordnungspunkt 34 o) ...... 27199 C Maritimen Sicherheitsoperation SEA GUAR- DIAN im Mittelmeer (214. Sitzung, 03.03.2021, Tagesordnungs- punkt 5) ...... 27193 D Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung Anlage 3 – der Unterrichtung durch das Deutsche Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Institut für Menschenrechte: Jahresbe- Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu richt 2019 der namentlichen Abstimmung über die Be- – der Unterrichtung durch das Deutsche schlussempfehlung des Auswärtigen Aus- Institut für Menschenrechte: Bericht über schusses zu dem Antrag der Bundesregierung: die Entwicklung der Menschenrechtssitua- Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut- tion in Deutschland im Zeitraum Juli 2019 scher Streitkräfte an der NATO-geführten bis Juni 2020 Maritimen Sicherheitsoperation SEA GUAR- (Tagesordnungspunkt 30 a und b) ...... 27200 A DIAN im Mittelmeer (214. Sitzung, 03.03.2021, Tagesordnungs- Sebastian Brehm (CDU/CSU) ...... 27200 A punkt 5) ...... 27194 A

Anlage 4 Anlage 8 Erklärungen nach § 31 GO zu der namentli- Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des chen Abstimmung über den von den Fraktio- Antrags der Abgeordneten Sylvia Kotting- nen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Uhl, Lisa Badum, Dr. Bettina Hoffmann, wei- Entwurf eines Gesetzes zur Fortgeltung der terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- die epidemische Lage von nationaler Tragwei- NIS 90/DIE GRÜNEN: 10 Jahre nach dem te betreffenden Regelungen GAU von Fukushima – Atomkraft hat keine (Tagesordnungspunkt 8 a) ...... 27194 A Zukunft (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 27194 A (Tagesordnungspunkt 16) ...... 27200 D (CDU/CSU) ...... 27195 D Michael Kießling (CDU/CSU) ...... 27200 D X Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Anlage 9 Till Mansmann (FDP) ...... 27204 B Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Jörg Cezanne (DIE LINKE) ...... 27204 D des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des GRW-Gesetzes Anlage 11 (Tagesordnungspunkt 19) ...... 27201 C Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung (CDU/CSU) ...... 27201 C des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des (SPD) ...... 27202 C Verbraucherdarlehensrechts zur Umsetzung Markus Tressel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 27203 A der Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 11. September 2019 in der Rechts- sache C-383/18 und vom 26. März 2020 in der Anlage 10 Rechtssache C-66/19 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung (Tagesordnungspunkt 23) ...... 27205 B des von der Bundesregierung eingebrachten (CDU/CSU) ...... 27205 B Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur Ände- rung von Verbrauchsteuergesetzen (SPD) ...... 27206 B (Tagesordnungspunkt 22) ...... 27203 D (DIE LINKE) ...... 27206 D Sepp Müller (CDU/CSU) ...... 27203 D Stefan Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 27207 C Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27017

(A) (C)

215. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bitte schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung nehmen Sie Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Drucksache 19/27292 Vor Eintritt in die Tagesordnung gratuliere ich nach- b) Beratung des Antrags der Fraktionen der träglich dem Kollegen Klaus-Peter Willsch zu seinem CDU/CSU und SPD 60. Geburtstag. Im Namen des ganzen Hauses wünsche ich alles Gute für das neue Lebensjahr. Feststellung des Fortbestehens der epide- (Beifall) mischen Lage von nationaler Tragweite Für den ausgeschiedenen Kollegen ist Drucksache 19/27196 der Kollege Dr. als Mitglied des Bundes- c) Beratung der Beschlussempfehlung und des tages nachgerückt. (B) Berichts des Ausschusses für Gesundheit (D) (Beifall) (14. Ausschuss) Ich begrüße Sie im Namen des ganzen Hauses und wün- – zu dem Antrag der Abgeordneten Detlev sche gute Zusammenarbeit. Es wird Ihnen leichtfallen; Spangenberg, Paul Viktor Podolay, Sie sind nicht ganz neu im Deutschen Bundestag. Dr. Robby Schlund, weiterer Abgeordne- Auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD ter und der Fraktion der AfD findet heute nach den Ohne-Debatte-Punkten eine Ständige Epidemiekommission einrich- Aktuelle Stunde mit dem Titel „Weitere Eskalation der ten – Unabhängige, ausgewogene und Gewalt in Myanmar stoppen und demokratische Rechte umfassende Expertise für den Seuchen- wiederherstellen“ statt. Die von der Fraktion Bündnis 90/ schutz in Deutschland sicherstellen Die Grünen verlangte Aktuelle Stunde zum Thema „Ver- trauensverlust von demokratischen Institutionen entge- – zu dem Antrag der Abgeordneten gentreten – Transparenz von politischen Entscheidungen Dr. Robby Schlund, Peter Boehringer, stärken“ wird morgen im Anschluss an Tagesordnungs- Stephan Brandner, weiterer Abgeordneter punkt 32 aufgerufen. und der Fraktion der AfD Tagesordnungspunkt 8 d wird abgesetzt. Sofortige Beendigung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite – Ende Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 c sowie mit dem Endlos-Lockdown Zusatzpunkt 3 auf: Drucksachen 19/26899, 19/26903, 8 a) – Zweite und dritte Beratung des von den 19/27291 Fraktionen der CDU/CSU und SPD einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur ZP 3 Beratung des Antrags der Fraktionen BÜND- Fortgeltung der die epidemische Lage NIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE von nationaler Tragweite betreffenden Sichere Bildung in der Krise – Schnellteststra- Regelungen tegie für Kitas und Schulen einführen Drucksache 19/26545 Drucksache 19/27195 Beschlussempfehlung und Bericht des Zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU Ausschusses für Gesundheit (14. Aus- und SPD liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der schuss) FDP, ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke Drucksache 19/27291 und ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/ 27018 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) Die Grünen vor. Über den Gesetzentwurf der Fraktionen Das zeigt auch, dass wir mit der Intensivierung der Impf- (C) der CDU/CSU und SPD werden wir später namentlich kampagne den Schutz besonders gefährdeter Bevölke- abstimmen. rungsgruppen ernst nehmen und dass wir damit Wirkun- gen erzielen. Für die Aussprache wurde eine Dauer von 60 Minuten beschlossen. Das RKI hat gestern seinen neuen Bericht zu besorg- niserregenden SARS-CoV-2-Virusvarianten vorgestellt. Diese Aussprache eröffne ich hiermit und erteile das Die britische Variante macht in Deutschland mittler- Wort dem Kollegen Rudolf Henke, CDU/CSU. weile rund 46 Prozent aus. Zugleich haben wir rund 2 800 Covid-19-Patientinnen und -Patienten in intensiv- (Beifall bei der CDU/CSU) medizinischer Behandlung. Das entspricht dem Höchst- stand der Welle im Frühjahr 2020, der ersten Welle. Rudolf Henke (CDU/CSU): Allein das zeigt, dass wir uns ohne jeden Zweifel wei- Werter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kolle- ter in einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite gen! Meine Damen und Herren! Liebe Zuschauerinnen befinden. Deshalb ist es gut und richtig, wenn wir heute und Zuschauer! „Die Medizin ist eine soziale Wissen- so fraktionsübergreifend wie möglich das rechtliche Fort- schaft, und Politik ist weiter nichts als Medizin im Groß- bestehen dieser Lage nach dem Infektionsschutzgesetz en.“ über den 31. März 2021, wenn die derzeitige Feststellung ausläuft, festhalten und für ab April festlegen. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Na Wir haben oft über die Rolle des Deutschen Bundes- ja!) tages in der Pandemiebekämpfung debattiert. Gerade Kein Satz von mir, kein Satz, den nur ich zitieren könnte. nachdem gestern die Ministerpräsidenten der Bundeslän- Es ist ein Satz von Rudolf Virchow, der hier in Berlin der bei der Bundeskanzlerin getagt haben, freue ich mich, Direktor der Pathologie an der Charité war, der gleich- dass unser Haus fraktionsübergreifend so voll besetzt ist, zeitig Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, des wie es ist. Preußischen Landtags und des Reichstags über Jahrzehn- (Beifall bei der CDU/CSU) te gewesen ist und der ein Verständnis von Wissenschaft in der Medizin und der Politik geprägt hat, wie wir es Ich fände es nicht schlecht, wenn wir hier nicht nur immer heute anwenden können und müssen in einem Maß, wie die Bundeskanzlerin, den Bundesminister für Gesund- es viele von uns sich nie hätten träumen lassen. heit, den Bundesminister für Wirtschaft zur Rede stellen und zur Verantwortung ziehen würden. Ich rege an, dass (B) Ich glaube, dass unsere Aufgaben, die wir fördern und sich vielleicht der eine oder andere Ministerpräsident (D) voranbringen müssen, darin bestehen, die weitere Reduk- auch mal überlegt, ob er sich diesem Haus stellt, wenn tion von Neuinfektionen in unserem Land voranzubrin- er so was veranstaltet, wie wir es gestern erlebt haben. gen, die Unterbrechung der diffusen Zirkulation von SARS-CoV-2 in der Bevölkerung zu erreichen und die (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Vermeidung eines Wiederanstiegs der Fallzahlen anzu- bei Abgeordneten der FDP – Zuruf des Abg. streben, indem die grundlegenden Verhaltensregeln – Alexander Ulrich [DIE LINKE]) AHA+L sowie eine Selbstisolierung bei Krankheits- Wir haben Konsequenzen aus den Debatten gezogen, symptomen – von der Bevölkerung weiter praktiziert und diese Konsequenzen sind im Wesentlichen, dass wir werden und indem wir mit effektiver Testung und Kon- eine Rechtsgrundlage für die Impfverordnung des BMG taktpersonennachverfolgung die Zahl der Neuinfektionen neu fassen und in das Infektionsschutzgesetz einfügen. niedrig halten, damit der Öffentliche Gesundheitsdienst Wir haben uns darauf verständigt, über die Inzidenz neu auftretende Fälle nachverfolgen kann, damit Quaran- hinaus weitere Kriterien im Gesetz festzuhalten: sowohl täne und Isolation überall, wo erforderlich, praktiziert die Frage der Reproduktionsziffer als auch die Anzahl der werden können und damit Ausbruchsuntersuchungen Geimpften als auch die Belastungssituation im Gesund- durchgeführt werden können. heitswesen. Und wir haben uns darauf verständigt, dass wir eine Evaluation mit unabhängigen Wissenschaftlern Wir brauchen einen umfassenden Einsatz der Impfprä- betreiben, die ihr Ergebnis bis Ende 2021 vorlegen. Wir vention. Wir können erkennen, dass Impfprävention hilft. erwarten von der nächsten Bundesregierung, sich dazu zu Ich erinnere an den 23. Dezember 2020, als wir in den verhalten, sodass wir dann eine Debatte darüber bekom- nordrhein-westfälischen Pflegeheimen vor dem Start der men, welche Konsequenzen daraus für die Gestaltung des Impfkampagne eine Anzahl von über 5 200 infizierten Infektionsschutzgesetzes zu ziehen sind. Wir haben uns Menschen hatten, die dadurch in größte Gefahr gekom- außerdem darauf verständigt, dass wir bei den Kompeten- men sind. Wir haben in dieser Woche erlebt, dass, nach- zen, die wir dem Bundesminister für Gesundheit über- dem praktisch alle Bewohner von Altenheimen durch- tragen, durch die Streichung des Wortes „insbesondere“ geimpft sind, in Nordrhein-Westfalen die Zahl der noch an vier Stellen eine Konkretisierung des Auftrags vor- von der Krankheit Befallenen in den Heimen auf 560 nehmen. gesunken ist. Das zeigt, wie sehr Impfprävention wirkt. Impfung ist eine starke Waffe in der Auseinandersetzung Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, dass der mit der Pandemie. Bundestag seine Rolle mit der Verabschiedung dieses Gesetzes stärkt, und deswegen bitte ich Sie alle sehr herz- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) lich um Ihre Zustimmung. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27019

Rudolf Henke (A) Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Ergänzt wird das Ganze durch einen staatlich organisier- (C) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – ten Freiwilligendienst, um die Risikogruppen und [CDU/CSU]: Sehr kluger Erkrankten effektiv zu unterstützen. Einen neuerlichen Hinweis auf die Ländervertreter! Den grünen Lockdown gab und gibt es in Russland nicht. Kretschmann sieht man hier auch nie! Der Schauen wir auf die aktuellen Daten der Johns-Hop- redet ständig nur über die Medien zu uns! Hat kins-Universität, wird schnell deutlich, dass es keinen der keine Zeit? Der muss wahrscheinlich wahl- Zusammenhang – ich betone: keinen Zusammenhang – kämpfen! Wieso sich nicht mal dem Parlament zwischen den Sieben-Tage-Inzidenzen und den Todesra- stellen? – Gegenruf der Abg. ten bei Lockdown-Maßnahmen oder eben keinen Lock- [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: down-Maßnahmen gibt. Das müssen andere auch, Herr Dobrindt! Aber holla!) (Beifall bei der AfD – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mal sehen, wie die Daten sind! Anschauen und Verstehen Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: sind zwei unterschiedliche Dinge!) Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Robby Schlund, AfD. So sind in Russland zum Beispiel die Sieben-Tage-Inzi- denz wie auch die Coronatodeszahlen, bezogen auf die (Beifall bei der AfD) Gesamtbevölkerung, um circa die Hälfte niedriger als in Deutschland oder in Österreich. In Anbetracht des weni- Dr. Robby Schlund (AfD): ger effizienten Gesundheitssystems in Russland zeigt Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kollegen! Frau sich hier deutlich, dass es auf jeden Fall am Management Bundeskanzlerin, nur noch ein Drittel der Bevölkerung liegt und nicht primär an der Gesundheitsversorgung. hält eine Beibehaltung der Coronamaßnahmen für sinn- voll. Immer mehr Mittelständler stellen sich die Existenz- (Beifall bei der AfD – frage, und die Zahl der psychischen Krankheiten durch [Erfurt] [SPD]: Was für ein Blödsinn!) den Dauerlockdown steigt exorbitant. Der Mittelstand in Trotz massiver Kritik aus dem Gesundheitsausschuss Deutschland steht vor der schwersten Krise seit dem besteht aus unserer Sicht eben kein Widerspruch zwi- Zweiten Weltkrieg. Arbeitslosigkeit, Betriebsschließun- schen einem effizienten Expertenrat und der Forderung gen und Insolvenzen beherrschen in Deutschland die nach Aufhebung der Feststellung der epidemischen Lage. Tagesordnung. Die Coronapandemie ist längst nicht Denn die epidemische Lage wird sozusagen benutzt, um mehr nur ein gesundheitspolitisches, sondern mittlerwei- Grundrechtseinschränkungen zu legitimieren. Deshalb (B) le auch ein gesamtgesellschaftliches Problem. plädieren wir erstens für die sofortige Aufhebung der (D) (Beifall bei der AfD – Michael Grosse-Brömer epidemischen Lage von nationaler Tragweite, [CDU/CSU]: Wo leben Sie eigentlich?) (Beifall bei der AfD) Umso unverständlicher ist es, dass statt kurz-, mittel- zweitens für die Beseitigung der Grundrechtseingriffe und langfristiger Lösungen ein chaotisches Krisenma- und Ermächtigungen durch dieses Gesetz und drittens nagement angeboten wird, mit fehlenden Öffnungs- und für die Entwicklung eines Rastermanagementkonzeptes Unterstützungsperspektiven. Wir brauchen kein Gesetz mit Expertenrat unter Berücksichtigung der drei Säulen für den Fortbestand einer epidemischen Lage. des Pandemiemanagements: Schutz der Risikogruppen, (Beifall bei der AfD – Michael Grosse-Brömer medikamentöse Beeinflussung der Virusausbreitung [CDU/CSU]: Sondern?) und – last, but not least – Prophylaxe sowie Impfstrategie Was wir aber brauchen, meine Damen und Herren, was auf freiwilliger Basis. wir in der Tat brauchen, ist ein Rastermanagement, wel- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ches die AfD bereits seit Februar 2020 fordert. Dies gilt es umzusetzen, und dem gilt es Aufmerksamkeit zu (Beifall bei der AfD) schenken. (Beifall bei der AfD) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Jetzt erhält das Wort die Kollegin Sabine Dittmar, Aber was, meine Damen und Herren, ist denn nun der SPD. große Unterschied zu dem, was hier gerade in Deutsch- land stattfindet? Bei unserem Rastermanagement werden (Beifall bei der SPD) die Risikogruppen und Erkrankten bei gleichzeitigem Aufrechterhalten systemrelevanter gesellschaftlicher Sabine Dittmar (SPD): und wirtschaftlicher Prozesse geschützt. Eine indirekte Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Bestätigung erfuhr ich dazu bei einem Gespräch mit Kollegen! Fast genau vor einem Jahr musste das Parla- dem Chef des russischen Gesundheitsausschusses im ment erstmals eine epidemische Lage von nationaler Oktober letzten Jahres, Herrn Dr. Morozov. Denn in Tragweite feststellen. Wir haben damals in Verbindung Russland setzt man ein ähnliches Konzept mit Experten- mit dem Ersten Bevölkerungsschutzgesetz wichtige kommissionen ein, wie wir, die AfD, es fordern. gesetzliche Regelungen getroffen, um flexibel und (Lachen der Abg. Claudia Roth [Augsburg] schnell auf die Entwicklungen der SARS-CoV-2-Epide- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) mie reagieren zu können. 27020 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Sabine Dittmar (A) Wir haben die pandemiebedingten Regelungen im ren Lockerungen, das Für und Wider zwischen Öffnen (C) lnfektionsschutzgesetz damals für ein Jahr befristet. und Aufrufen zum Durchhalten – es ist und bleibt eine Dies geschah in der Annahme, dass Corona heute schon Gratwanderung. längst der Vergangenheit angehören würde. Allerdings kann dieser schmale Grat mittlerweile mit (Enrico Komning [AfD]: Hat ja richtig gut etwas mehr Zuversicht beschritten werden. Denn mit den geklappt!) Impfungen, den Tests und dank der digitalen Kontakt- datenerfassung haben wir neue und bessere Möglichkei- Leider ist das nicht der Fall. SARS-CoV-2 hält weiterhin ten zur Verfügung. Deshalb bin ich froh, dass die Bund- die Welt in Atem, mit fast 150 Millionen Erkrankten und Länder-Konferenz gestern nicht nur über Öffnungsstrate- 2,5 Millionen Todesfällen. gien, sondern vor allem auch über Impf- und Teststrate- (Stephan Brandner [AfD]: Gutes Wortspiel: gien gesprochen hat. Bei der Teststrategie bleiben für „Corona hält die Welt in Atem“!) mich als Medizinerin allerdings noch einige Fragen offen. Ein Test pro Woche in Schule und Kita kann nur Auch in Deutschland gibt es keine Entwarnung. Nach ein Anfang sein. einem erfreulichen Rückgang der Zahl der Neuinfektio- nen befinden wir uns seit Mitte Februar in einer Seit- (Beifall bei der SPD) wärtsbewegung auf einem sehr hohen Niveau mit steig- ender Tendenz. Das Virus und mittlerweile maßgeblich Ich begrüße, dass wir nun endlich bei der Impfstrategie die wesentlich infektiöseren Virusmutanten, die in Kürze weiterkommen. Die große Menge an Impfstoffdosen auf auch das lnfektionsgeschehen bestimmen werden, erfor- Halde ist für mich völlig inakzeptabel. dern deshalb weiterhin ein konsequentes Handeln von (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten uns allen. Deshalb werden wir heute feststellen, dass der FDP) die epidemische Lage von nationaler Tragweite weiter besteht. Ein Ausdehnen des Intervalls zwischen erster und zweiter Impfung, ein Abschmelzen der Reserve für die Zweit- (Stephan Brandner [AfD]: Das wissen Sie aber impfung und die hoffentlich zügige Anpassung der STI- nicht!) KO-Empfehlung bezüglich des Einsatzes von AstraZene- Wir werden weiter regeln, dass, wenn nach drei Monaten ca sind gute Signale. keine erneute Feststellung erfolgt, diese automatisch als aufgehoben gilt und damit auch alle verbundenen Rechts- (Beifall bei der SPD) verordnungen und Anordnungen ihre Gültigkeit verlie- Ich sage mit allem Nachdruck: Neben einer deutlichen (B) ren. Kapazitätssteigerung in den Impfzentren müssen jetzt (D) Ich möchte an dieser Stelle eines mal ganz deutlich sehr zeitnah die Haus- und Facharztpraxen und auch die machen, weil ich in vielen Gesprächen den Eindruck Betriebsärzte mit in die Impfstrategie integriert werden. gewinne, dass es immer wieder vermischt wird: Wenn (Beifall bei der SPD) der Bundestag heute das Fortbestehen der epidemischen Lage feststellt, heißt das nicht, dass die zur Bekämpfung Meine Damen und Herren, zum Ende meiner Rede von Corona getroffenen Maßnahmen auch auf Dauer fort- möchte ich noch auf ein paar wichtige Veränderungen bestehen. hinweisen, die wir im parlamentarischen Verfahren erreicht haben; auf die rechtlichen Feinheiten wird mein (Enrico Komning [AfD]: Ha, ha, ha!) Kollege Fechner eingehen. Für uns als Gesundheits- Schritt für Schritt wird zwischen Bund und Ländern über politiker war es wichtig, den Pflegeschutzschirm unver- Lockerungsmöglichkeiten und über notwendige und ändert fortzuführen. Die angedachten Regelungen hätten angemessene Einschränkungen beraten werden, und die zu großer Unsicherheit bei den Einrichtungsträgern Länder müssen bei der Umsetzung begründen, dass die geführt. Ich hoffe, diese Sorgen haben wir nehmen kön- Maßnahmen geeignet, erforderlich und angemessen sind. nen. Wir passen auch die Entschädigungsregel im In- Und hierzu genügt es eben nicht, sich ausschließlich an fektionsschutzgesetz für Eltern, die pandemiebedingt den Inzidenzwerten zu orientieren. Hier müssen bei- Kinderbetreuung leisten, an die bereits erweiterten Rege- spielsweise auch der R-Wert, die Belastung des Gesund- lungen zum Kinderkrankengeld im Sozialgesetzbuch an. heitssystems, die Impfquote oder neue Testmöglichkeiten Und wir haben die Prämienzahlung für besonders belas- berücksichtigt werden. Das haben wir in dem vorliegen- tete Pflegekräfte und andere Krankenhausbeschäftigte den Gesetzentwurf auch noch einmal ganz deutlich fest- erheblich ausgeweitet. Hierzu werden 450 Millionen gestellt. bereitgestellt. Ich denke, die Beschäftigten haben diese Prämie mehr als verdient. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Alexander Dobrindt [CDU/CSU]) Meine Damen und Herren, insgesamt legen wir Ihnen ein gelungenes Gesetz vor, das im parlamentarischen Ver- Meine Damen und Herren, ich kann den Wunsch nach fahren wirklich entscheidende Veränderungen erfahren Lockerungen gut verstehen; es geht uns ja allen so. Bür- hat. Ich denke, mit ein bisschen mehr Tempo beim Imp- gerinnen und Bürger, Gewerbetreibende, Touristiker, fen, einer gut durchdachten Teststrategie Kulturschaffende, wir alle brauchen eine klare Perspek- tive. Und genau das ist auch die Herausforderung. Denn (Stephan Brandner [AfD]: Was macht die das Abwägen zwischen Infektionsgeschehen und weite- Bundesregierung?) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27021

Sabine Dittmar (A) und wenn wir alle weiterhin achtsam und sorgfältig mit- Sie wollen einfach nicht akzeptieren, dass Ihre Verord- (C) einander umgehen, werden wir peu à peu ein Stück Nor- nungsermächtigung ohne Beteiligung des Bundestages malität zurückgewinnen. von allen Verfassungsrechtlern einhellig als Verstoß gegen Artikel 80 Grundgesetz bewertet wird, meine (Beatrix von Storch [AfD]: Peu à peu? Ein Jahr Damen und Herren. lang!) (Beifall bei der FDP) Ich danke für die Aufmerksamkeit und bitte um Zustimmung zum Gesetz. Bleiben Sie gesund! Außerdem ist die Nennung von Impfzielen für die Priorisierung allein nicht ausreichend; auch das haben (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Verfassungsrechtler bestätigt. Eine Impfpriorisierung, der CDU/CSU) die ja im Moment leider noch aufgrund der beschränkten Verfügbarkeit der Impfstoffe notwendig ist, muss gesetz- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: lich normiert sein. Alles andere ist verfassungswidrig. Nächste Rednerin ist die Kollegin Christine (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Aschenberg-Dugnus, FDP. Leider stellen Sie unseren Regelungsvorschlag immer (Beifall bei der FDP) wieder falsch dar, wenn Sie behaupten, er wäre zu sta- tisch und zu unflexibel. Ich empfehle einfach mal einen Blick in unseren Änderungsantrag. Auch wir wollen eine Christine Aschenberg-Dugnus (FDP): Verordnungsermächtigung, um schnell auf neue Impf- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und stoffe oder mit Anpassung der Priorisierung reagieren Kollegen! Wir als FDP-Bundestagsfraktion erkennen an, zu können; auch wir wollen Flexibilität, auch wir wollen dass Sie einige unserer Forderungen in diesem Gesetz- Impfungen in Arztpraxen und von Betriebsärzten. Aber – entwurf umgesetzt haben. So begrüßen wir, dass der Bun- und das weigern Sie sich leider zu akzeptieren – das kann destag nunmehr mindestens alle drei Monate der Fest- nur mit Zustimmung des Deutschen Bundestages gesche- stellung der epidemischen Lage zustimmen muss. Das hen, meine Damen und Herren. Genau das steht in unse- haben wir schon sehr lange gefordert! rem Änderungsantrag. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Ebenso positiv ist, dass Impfziele für die Priorisierung Denn die Frage, wann wer geimpft wird, hat nun mal jetzt im Gesetz aufgeführt werden und auch dass be- Auswirkungen auf Leben und körperliche Unversehrtheit stimmte Schutzschirme verlängert werden; das ist für der Menschen. Wir benötigen Rechtssicherheit, und als (B) die Akteure sehr wichtig. Leider haben Sie es aber nicht Fraktion, die die Rechtsstaatlichkeit sehr hochhält, ist uns (D) geschafft, die verfassungsrechtlichen Verstöße, die das besonders wichtig. immer noch vorliegen, aufzuheben, meine Damen und (Beifall bei der FDP) Herren. Meine Damen und Herren, leider müssen wir aufgrund (Beifall bei der FDP) des Missmanagements bei der Impfstoffbeschaffung auch Von Ihnen als Regierung wurde trotz öffentlicher Anhö- weiterhin priorisieren. Deshalb kommt es beim Wettlauf rungen, trotz einhelliger Auffassung der Verfassungs- gegen das Virus aufs Tempo beim Impfen an. Da hakt es rechtler, trotz Einschätzung der Leopoldina und des noch gewaltig. Deswegen gehen wir erneut in Vorleistung Ethikrates ganz einfach die Mute-Taste, also die Stumm- und bringen morgen einen Antrag für ein nationales schaltung, gedrückt und auf Durchzug geschaltet. Das Impfportal in den Deutschen Bundestag ein. Dass Impf- geht nicht, meine Damen und Herren! dosen auf Halde liegen und nicht verimpft werden, ist ein Zustand, den wir nicht akzeptieren können und der been- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) det werden muss. Ich frage mich ernsthaft: Wo ist die verfassungsrechtliche (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Expertise der Koalition geblieben? Ich sehe da nichts. Meine Damen und Herren, das Impfmanagement der (Beifall bei der FDP) Bundesregierung hat der Politik und dem Ansehen Deutschlands einen schweren Schaden zugefügt: Die Feststellung der epidemischen Lage alle drei (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Monate eröffnet dem Ministerium doch nach wie vor die Option, innerhalb dieser drei Monate Verordnungen Platz 22 in Europa, Platz 40 in der Welt. Das ist doch ohne Zustimmung des Bundestages zu erlassen. Das geht einfach nicht hinnehmbar! Das ist doch eine Schande, nicht, meine Damen und Herren! und das muss geändert werden! (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Eine solche Dauergenehmigung ist verfassungswidrig. Des Weiteren kritisieren wir an dem Gesetzentwurf, Sie umgehen hier den Parlamentsvorbehalt, und das ist dass die Schutzschirme nicht ausreichend aufgespannt eine Missachtung des Parlamentes. werden. Es fehlen wichtige Akteure wie zum Beispiel die Hebammen, Heilmittelerbringer und Zahnärzte, die (Beifall bei der FDP – [CDU/ jetzt in dem Schutzschirm nicht berücksichtigt werden. CSU]: Ja, ja!) Im Ergebnis werden wir Ihr Gesetz ablehnen. 27022 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Christine Aschenberg-Dugnus (A) Vielen Dank. ge andersherum: Wann wird denn wieder geöffnet? Das (C) einzig Wesentliche, was der Bundestag in diesen Fragen (Beifall bei der FDP) beschlossen hat,

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die Nächste Rednerin ist die Kollegin Susanne Ferschl, Gesetzesgrundlage!) Die Linke. war vor circa einem Jahr eine umfassende Verordnungs- (Beifall bei der LINKEN) ermächtigung der Bundesregierung und auch der Landes- regierungen. Susanne Ferschl (DIE LINKE): Was fällt Ihnen nach einem Jahr an Verbesserungen Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kolle- ein? Der Bundestag soll nun die epidemische Lage im gen! Die pandemische Lage besteht weiterhin; das bele- Dreimonatsrhythmus beschließen. Tut er es nicht, gelten gen die aktuellen Zahlen. Deswegen sind auch weitere auch alle Verordnungen, die seit Anfang 2020 in Kraft Maßnahmen notwendig; das ist unstrittig. Aber das, was getreten sind, nicht mehr, also auch Krankenhausfinan- wir hier seit einem Jahr erleben, ist nichts anderes als zierung, Arbeitsschutz usw. Das ist doch lediglich eine Chaos und Planlosigkeit. Es fehlt nach wie vor an Trans- Scheinbeteiligung des Parlaments; parenz, an demokratischer Beteiligung des Parlaments und an einer klaren Strategie. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist Regieren per Verordnung bleibt weiter möglich. Das ist Unsinn!) mit uns nicht zu machen, und deshalb lehnen wir das ab. Gestern tagte wieder die Ministerpräsidentenkonferenz (Beifall bei der LINKEN) samt Kanzlerin, und mir kommt es langsam so vor wie „Und täglich grüßt das Murmeltier“: stundenlanges Spek- Was bezüglich der Akzeptanz der Bevölkerung ein takel im Kanzleramt drinnen und stundenlanges Warten genauso großes Problem ist wie die fehlende Transpa- draußen auf die Ergebnisse. Ich weiß, ich wiederhole renz, ist die fehlende Strategie. Im Vorfeld und auch im mich, aber: Die Debatten gehören raus aus dem Kanzler- Nachgang dieser Ministerpräsidentenkonferenz wird – so amt und rein hier ins Parlament! würde man es zumindest in Bayern sagen – regelmäßig eine andere Sau durchs Dorf getrieben. Jeder und jede hat (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- andere Ideen und andere Vorschläge. Der eine erzählt, NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- dass der Osterurlaub nicht möglich ist, der Nächste (B) ten der FDP – Michael Grosse-Brömer [CDU/ erzählt was von bedeutenden Schritten der Öffnung, die (D) CSU]: Wo sind Sie eigentlich, wenn wir über es demnächst geben wird. Die Inzidenzwerte, die gestern Corona debattieren?) diskutiert wurden, die für die Öffnungen maßgeblich Frau Bundeskanzlerin, Sie halten es seit einem Jahr sind, schwankten im Stundentakt zwischen 35, 50 und nicht für notwendig, zumindest vor dieser Runde hier 100. Es ist nicht mehr nachvollziehbar. eine öffentliche Regierungserklärung abzugeben, nicht Die bisherigen Öffnungsschritte muten zumindest selt- mal im Nachgang. Das ist doch an Ignoranz kaum zu sam an. Während aktuell noch ganze Schulklassen in überbieten! Homeschooling sind, haben Friseure seit 1. März wieder (Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse- geöffnet. Ich habe nicht grundsätzlich etwas dagegen. Brömer [CDU/CSU]: Wo waren Sie in den letz- Aber warum ausgerechnet Friseure, ten drei Sitzungswochen?) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wie Öffentlichkeit würde für Transparenz sorgen und so läuft das eigentlich in Thüringen?) manchen wilden Theorien vorbeugen. Umso entsetzter bin ich, dass Union und SPD gestern im Gesundheits- und warum ausgerechnet zum 1. März? Und warum sind ausschuss mit den Stimmen der AfD einen Unteraus- eigentlich bayerische Baumärkte weniger infektiös als schuss beschlossen haben, der nichtöffentlich hinter ver- andere? Ich sage Ihnen: Das ist alles nicht logisch. Das schlossenen Türen beraten soll. ist Willkür und keine Strategie. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Wie jeder (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Ausschuss!) neten der AfD und des BÜNDNISSES 90/DIE Das schlägt doch dem Fass den Boden aus! GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN) Wir sind uns einig: Alle Freiheitseinschränkungen müssen so schnell wie möglich aufgehoben werden. Liebe Union und liebe SPD, ich weiß nicht, wie Sie Aber für Öffnungsszenarien sind Kontaktnachverfol- Ihre Rolle verstehen; aber unsere Aufgabe als Parlamen- gung, ein breiter Zugang zu Impfstoffen und Schnelltests tarier ist doch, für Transparenz zu sorgen und wesentliche nötig. Und bei all diesen Punkten hat die Bundesregie- Entscheidungen selbst zu treffen und nicht der Bundesre- rung bislang versagt. gierung zu überlassen. Und die Fragen, ob man seinem Beruf nachgehen kann, ob es Ausgangssperren gibt, ob (Stephan Brandner [AfD]: Was hat der Rame- Schulen und Kitas geschlossen sind, sind doch wohl we- low denn gestern dazu gesagt? Bei Ramelow sentliche Entscheidungen. Und im Übrigen auch die Fra- gestern ging alles!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27023

Susanne Ferschl (A) Die Corona-Warn-App hat gefloppt, und die Gesund- mit all den Lieben, die sie treffen wollen, wo sie große (C) heitsämter sind über einen viel zu langen Zeitraum Sehnsucht haben nach Kontakt, nach Kulturveranstaltun- runtergespart worden, sodass die Kontaktverfolgung gen, nach Erleben, nach Gemeinsamkeit. Und gleichzei- erschwert wurde. Ausreichender Impfstoff steht nach tig wissen wir, dass die Virusvarianten auf dem Vor- wie vor nicht zur Verfügung, auch weil sich die Bundes- marsch sind; fast 50 Prozent aller Infektionen gehen regierung standhaft weigert, die Lizenzen freizugeben. mittlerweile auf diese Varianten zurück. Und wir wissen, (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wer dass das eine gefährliche Entwicklung ist, die viele unse- schreibt Ihnen so was eigentlich auf? Unglaub- rer Bemühungen der letzten Monate hinfällig machen lich!) kann. Deshalb ist es so wichtig, besonnen und achtsam und nachvollziehbar vorzugehen. Und auf die angekündigten Schnelltests und Selbsttests warten wir noch, während unsere österreichischen Nach- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) barn damit schon lange arbeiten. Genau das passiert heute nicht. Ja, wir werden heute Ja, natürlich ist die Lage dynamisch. Aber ein Jahr der Feststellung der Fortsetzung der epidemischen Lage nach der Pandemie können die Menschen in diesem natürlich zustimmen müssen. Wir sind in dieser gefähr- Land doch erwarten, dass Sie Ordnung in dieses Chaos lichen Situation. Das ist das eine. Aber wir sagen Nein zu bringen. diesem Gesetzentwurf, der weiterhin nicht vorsieht, dass (Beifall bei der LINKEN) man im Infektionsschutzgesetz nachvollziehbar findet, was die Politik, was die Regierung in welcher Lage, bei Und dazu gehören ein im Parlament – und ich betone: im welcher Infektionsrate, mit welchen Maßnahmen und aus Parlament – beschlossener Stufenplan, der regelt, welche welchen Gründen tun wird. Einschränkungen und welche Bedingungen gelten, und eine hier beschlossene Impf- und Teststrategie. Das alles Wir haben immer gefordert, dass es einen Stufenplan fehlt in Ihrem Gesetzentwurf. Nach zwölf Monaten hätte geben muss, der Verlässlichkeit schafft, der Berechenbar- ich wirklich mehr erwartet. keit schafft, (Beifall bei der LINKEN) (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Bei einem Ich erwarte von dieser Bundesregierung auch, dass sie unberechenbaren Virus einen verlässlichen die Weichen für die Zukunft anders stellt. Wir brauchen Plan! Ja, das ist toll!) Investitionen ins Bildungssystem. Das, was in dieser Pan- demie mit Kindern und Jugendlichen passiert ist, darf nie der Nachvollziehbarkeit schafft. Und genau das haben wieder passieren. Sie mit diesem Gesetzentwurf nicht vorgelegt. (B) (D) (Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Und der Gesundheits- und Pflegebereich muss endlich Um zu zeigen, wie das ist: Gestern Abend sind Inzidenz- der Marktlogik entzogen werden. Es ist doch völlig irre, werte beschlossen worden, die sich in diesem Gesetzent- dass im letzten Jahr 20 Krankenhäuser geschlossen wor- wurf überhaupt nicht wiederfinden. Sie werden sofort den sind. eine Änderung des Gesetzes verabschieden müssen, (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Absurd, ja!) (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Quatsch! Wieso das denn? Das ist überhaupt nicht not- Abschließend bitte ich Sie, unserem Entschließungsan- wendig! trag für eine Lohnersatzleistung für die pflegenden Ange- hörigen zuzustimmen; denn es sind Menschen, die sehr um diese Beschlüsse der MPK mit der Kanzlerin über- häufig vergessen werden, und sie brauchen unbedingt ein haupt umsetzen zu können. So ist die Sachlage. soziales Sicherungsprogramm. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Nein! Vielen Dank. Falsch!) (Beifall bei der LINKEN) Das zeigt: Sie haben es verschlafen, Sie haben es nicht hingekriegt, innerhalb von zwölf Monaten ein Infektions- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: schutzgesetz vorzulegen, das nachvollziehbar ist, klar ist, Nächste Rednerin ist die Kollegin Maria Klein- rechtssicher ist und damit den Menschen Orientierung Schmeink, Bündnis 90/Die Grünen. und Klarheit und Perspektiven gibt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Zusätzlich fehlt eine stringente Teststrategie. Die NEN): Selbsttests kommen nicht vor. Es fehlt eine wirkliche Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin- Strategie für die Impfung. Die Angehörigen der Risiko- nen und Kollegen hier im Hause! Wir diskutieren heute gruppen bleiben weiterhin außen vor; sie werden nur sehr unter diesem Tagesordnungspunkt zwei wichtige Punkte, schleppend mit Terminen versorgt. Und es fehlt eine kon- in einer Situation, die ausgesprochen gefährlich und sequente und gute, digital gestützte Kontaktnachverfol- besonders ist. Wir sind in einer Situation, wo die Men- gung. Auch das haben Sie verschlafen und nicht auf den schen es satthaben, nicht mehr nach draußen zu können Weg gebracht. 27024 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Maria Klein-Schmeink (A) Ich muss an dieser Stelle sagen: Sie haben an vielen, Regelung. Erstmalig haben wir damit eine Pandemiege- (C) vielen Stellen versäumt, wirklich voranzukommen, die setzgebung in Deutschland fest verankert. Das ist eine Menschen mitzunehmen und ihnen Orientierung und Ver- neue Qualität, ein großer Schritt. lässlichkeit für die nächsten Wochen zu geben. (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) AfD) Es ist ein Schritt, mit dem wir aus dieser noch währenden Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Pandemie Für die Bundesregierung hat das Wort der Bundesge- ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: sundheitsminister Jens Spahn. Nichts gelernt haben!) (Beifall bei der CDU/CSU) weiter Schlüsse ziehen wollen. Der Bundestag hat sich mit dem Gesetz selbst aufgegeben, diese Rechtsgrund- Jens Spahn, Bundesminister für Gesundheit: lage nach Ende der Pandemie gemeinsam mit der Bun- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Alle desregierung weiterzuentwickeln. Aber die Grundlage ist sehnen sich das Ende dieser Pandemie herbei: die Zwölf- gelegt. jährige, die endlich wieder normal in die Schule gehen Von den vielen wichtigen Regelungen will ich auf zwei will und am Nachmittag ihre Freunde vermisst, die 90- eingehen: Ich bin dankbar, dass Bund und Länder gestern Jährige im Pflegeheim, die gerne wieder unbesorgt unseren Vorschlägen – auch meinen Vorschlägen – zum Besuch von Kindern, Enkeln und Urenkeln hätte, der Testen und zum Impfen gefolgt sind. Es stehen mehr freiberufliche Musiker, dessen Existenz von Konzerten Tests zur Verfügung. Bei den Schnelltests übersteigt das abhängt, die aktuell nicht stattfinden können – drei von Angebot mittlerweile deutlich die Nachfrage. unzähligen Beispielen. Ich kenne niemanden, der diese Pandemie nicht leid ist. (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Aber nicht vom 1. März an!) (Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD] – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Selbsttests werden in den nächsten Tagen nach den ersten Zulassungen an vielen Stellen im Land – nach und Niemand möchte Einschränkungen einen Tag länger als nach, es wächst auf – verfügbar sein. Ab nächstem Mon- nötig. Aber wir sind noch in einer besonderen Lage. Die tag, dem 8. März – tatsächlich eine Woche später –, wird Pandemie ist noch nicht am Ende. Das zeigen die Zahlen der Bund die Kosten für einen Bürgertest übernehmen. zur Belegung der Intensivstationen, die Zahl der Alle können sich regelmäßig kostenlos in einem der Test- (B) Covid-19-Patienten, die immer noch zu behandeln sind. zentren vor Ort testen lassen. Die Länder haben deutlich (D) Das zeigen die Infektionszahlen. Das zeigt im Übrigen gemacht, dass das Angebot nicht gleich überall gleich- auch der Blick in unsere europäischen Nachbarländer. mäßig vorhanden sein wird, aber sehr viele Länder haben Deshalb ist es richtig, wenn wir als Bundestag heute fest- auch gesagt, dass sie startklar sind. stellen, dass die epidemische Lage weiterhin andauert; denn das entspricht der Lage. Wir setzen auf Vielfalt vor Ort. Die Maßnahmen wer- den pragmatisch, flexibel und kreativ umgesetzt, in Böb- Auch wegen der Mutationen ist die Lage dynamisch. lingen, in Tübingen, in Schmalkalden und in vielen ande- Das Virus verändert sich. Die flexible Anpassung bleibt ren Landkreisen bereits. Der Bund setzt den Rahmen, daher notwendige Strategie. Gerade in dieser schwierigen rechtlich und finanziell. Der Bund übernimmt die Kosten, Phase – Frau Klein-Schmeink hat darauf hingewiesen – umgesetzt wird vor Ort. Dafür muss der Bund gar nicht, ist es schwierig, die richtige Balance zu finden. Es gibt wie ich heute lese, die Tests zentral beschaffen. Eine zent- ein Bedürfnis nach Normalität. Wir spüren ja alle nach rale Planung wird den Gegebenheiten vor Ort meist nicht zwölf Monaten der Pandemie diese Sehnsucht nach Nor- gerecht. Die Tests sind verfügbar. Wir setzen den Rah- malität, wissen, dass viele Nerven wundgescheuert sind, men. Wir haben eine gemeinsame Strategie, in welchen und sehen gleichzeitig die Notwendigkeit, diese Pande- Kontexten wer wie häufig getestet wird, und das wird mie unter Kontrolle zu halten. dann vor Ort gelebt. Das ist bis jetzt ein sehr gutes Erfolgsrezept in dieser Pandemie. Das setzen wir auf Und wir ringen – Abgeordnete, Fraktionen, Minister- der Grundlage des vorliegenden Gesetzentwurfs fort. präsidenten –; wir suchen den Ausgleich der Interessen, so wie gestern zehn Stunden lang Bund und Länder. Es (Beifall bei der CDU/CSU) geht ja um was. Deswegen ist es auch richtig, dass gerun- gen wird. Es geht nicht um absolute Wahrheiten; es geht Zum Impfen. Impfen wirkt, das sehen wir jetzt schon. um Abwägen und das Finden der richtigen Balance. Der Kollege Henke hat darauf hingewiesen: Über 5,5 Pro- Nicht der Einzelne gewinnt bei solchen Abwägungen, zent der Deutschen sind geimpft, zuerst die besonders sondern wir gemeinsam, weil es um Schadensbegrenzung Verwundbaren. Die täglichen Meldungen zeigen, dass geht, um die Balance zwischen Gesundheitsschutz, wirt- der Schutz wächst. Ab April werden die Arztpraxen rou- schaftlichen Folgen und sozialen Härten. tinemäßig mitimpfen, jeden Tag Zigtausende, Hundert- tausende, später Millionen. Wir müssen schneller wer- Dreh- und Angelpunkt ist die Feststellung der epidemi- den. War der Impfstoff am Anfang knapp, kommt er schen Lage von nationaler Tragweite durch den Deut- jetzt in steigender Menge. Vorhandene Impfdosen müs- schen Bundestag. Das Parlament überführt die Rechts- sen schnellstmöglich verimpft werden: in den Impfzent- grundlage für diese Feststellung nun in eine dauerhafte ren der Länder, in den Arztpraxen und später auch bei den Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27025

Bundesminister Jens Spahn (A) Betriebsärzten. Das ist die berechtigte Erwartung der ob zum Marktpreis, Herr Spahn, das weiß ich nicht – von (C) Bürgerinnen und Bürger. Das ist auch meine Erwartung, einem Mann, der danach mit üppigem Gehalt Geschäfts- das ist auch mein Ziel als Bundesminister für Gesundheit. führer einer vom Bund beherrschten GmbH wurde, und, (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. wie praktisch, in einer seiner Wohnungen lebt FDP-Chef Sabine Dittmar [SPD]) . Auch der Rahmen für das Impfen, die Organisation, die (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wollen Finanzierung, die noch notwendige Priorisierung – all das Sie eine Biografie schreiben, oder was? – Zuruf fußt auf diesem Gesetz und auf der Feststellung der epi- von der FDP: Unterirdisch!) demischen Lage. Sehr viel Zeit verwendet Jens Spahn auch darauf, Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, wich- Medienberichterstattungen über sein fragwürdiges Trei- tig ist nun: Umsicht beim Öffnen hin zu mehr Normalität, ben zu unterbinden und Journalisten auszuspionieren, mehr testen, um den Weg zu mehr Normalität abzusi- ( [SPD]: Wann reden Sie denn chern, und schneller impfen, um den beschwerlichen endlich zum Thema?) Weg raus aus der Pandemie unumkehrbar zu machen. die ihm und seinen Machenschaften auf die Schliche (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Dann müs- kommen wollen. Und wenn er nicht gerade beim Notar sen Sie mal bestellen!) ist oder mit seinen Anwälten spricht, dann predigt er Ver- Das wird nun das zweite Frühjahr in der Pandemie – zicht, treibt sich aber gerne auf Partys herum, an denen wir sind noch mittendrin, das Virus hat noch nicht aufge- man gegen eine Spende von läppischen 9 999 Euro teil- geben –, nehmen darf, 9 999 Euro, damit es nicht dem Bundestags- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wir präsidenten gemeldet werden muss. Wasser predigen und auch nicht!) Schampus aus Kübeln trinken – das ist das Motto des Jens Spahn, meine Damen und Herren. aber alles spricht dafür, dass das das letzte Frühjahr in dieser Pandemie wird. Umsicht, Testen und Impfen (Beifall bei der AfD) machen das möglich. Dafür legt der vorliegende Gesetz- Wenn Herr Spahn ein guter Minister wäre, könnte man entwurf die Grundlage. Daher bitte ich um Ihre Zustim- ihm das nachsehen und verzeihen, aber er ist das Gegen- mung. teil. Komplettversagen überall: Erst nutzen Masken (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. nichts, dann plötzlich sind sie Pflicht. Erst reicht ein Sabine Dittmar [SPD]) Tuch oder ein Schal oder irgendwas, dann muss es eine (B) medizinische Maske sein. Impfstoff ist erst keiner da, und (D) wenn er da ist, will ihn kaum einer haben. Das ist in der Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Dritten Welt besser organisiert, Herr Spahn. Selbsttests, Stephan Brandner, AfD, ist der nächste Redner. ja oder nein? Wenn ja, wie viele, und wer bezahlt? Nur (Beifall bei der AfD) Herumgeeiere. Corona-App, ein Flop. R-Wert, Inziden- zen, alles willkürlich festgelegt. Kurz und knapp: Beim Stephan Brandner (AfD): Versagen in der Coronakrise steht einer ganz vorne, und Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der das ist Jens Spahn. zweiten Hälfte dieser Debatte stellt sich eine grund- (Beifall bei der AfD) sätzliche Frage, nämlich die nach dem Warum. Warum wird diese Debatte hier und heute eigentlich geführt? Knapp dahinter übrigens die Merkel-Trompete Altmaier Weil ich am Rednerpult stehe, meine Damen und Herren, und das gesamte Kabinett, aber auch die Ministerpräsi- beantworte ich die Frage gleich selber: weil Merkel und denten lassen sich nicht lumpen; denn sie regieren alle Co es nicht können. irgendwo mit. (Beifall bei der AfD) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Irgendwie alles scheiße!) Seit über einem Jahr gelingt es dieser Regierung nicht, die Coronaherausforderungen auch nur ansatzweise in Meine Damen und Herren, dann wäre da noch ein ries- den Griff zu bekommen. Seit über einem Jahr wird hilflos iger Korruptionssumpf, der sich auftut, zurzeit be- und planlos herumdilettiert, erst gar nicht und, wenn, schränkt auf die Union, aber andere werden folgen. dann falsch agiert. Man versucht, eine Krise im 21. Jahr- Nüßlein, ehemaliger – oder ist er es noch? – Fraktions- hundert mit den Mitteln des 16. Jahrhunderts in den Griff vize der Bundestagfraktion, ist schon aufgeflogen: zu bekommen. Verdacht auf Bestechlichkeit und Steuerhinterziehung. Über 600 000 Euro soll er als Maskenlobbyist eingesteckt (Beifall bei der AfD – Rudolf Henke [CDU/ haben. Spuren führen – wohin? – ins Gesundheits- CSU]: Es ist doch keine Krise!) ministerium, meine Damen und Herren. Spuren führen Im Mittelpunkt dieses erbärmlichen Treibens steht ein auch in den Amigo-Sumpf in Bayern. Der Name Strauß vollkommen überforderter Jens Spahn, Bankkaufmann, taucht auf. Der Name Tandler, ehemaliger Finanzminis- 14 Jahre Student und Ex-Pharmalobbyist. Er steckt einen ter, taucht auf, meine Damen und Herren. Der Name erheblichen Teil seiner Energie in dubiose Immobilien- Söder taucht auf. Laschet in Nordrhein-Westfalen ist geschäfte. Mitten in der Krise wurde er Eigentümer einer über seinen Sohn in millionenteure Geschäfte verwickelt. millionenteuren Luxusvilla. Eine Immobilie erwarb er – Alles dubios. Das stinkt aus unserer Sicht zum Himmel. 27026 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Stephan Brandner (A) Zusammenfassend zeigt sich also: Alles in allem war ( [AfD]: Den habt ihr nicht, den (C) es ein Jahr des Totalversagens dieser Regierung, flankiert Plan!) von und basierend auf der sogenannten epidemischen Lage von nationaler Tragweite, über deren Fortsetzung Wir wollten, dass der Bevölkerung klar ist, dass die Test- heute abgestimmt werden soll. Meine Damen und Her- strategie schnell umgesetzt wird und jeder gleichermaßen ren, diese Notstandsgesetzgebung trägt, wie ausgeführt, Zugang zu Tests hat. Wir alle wollen weiterhin vorsichtig wirre und irre Blüten und öffnet Vetternwirtschaft und sein; aber leider muss man sagen: Das, was gestern ver- Korruption Tür und Tor. Lassen Sie uns das hier und einbart worden ist, sind zwei Schritte vor und einer zu- heute beenden, und lehnen Sie alle, die Sie für Grund- rück. Das ist schade, und das bemängele ich. rechte, für Verantwortlichkeit und für einen verantwort- lichen Umgang mit Steuergeldern stehen, mit uns ge- Ich glaube, da müssen wir als Parlamentarierinnen und meinsam diesen Gesetzentwurf und die vorliegenden Parlamentarier ran. Herr Spahn hat es ja gesagt: Uns Anträge ab, und beenden Sie die epidemische Lage von Parlamentarierinnen und Parlamentariern obliegt die nationaler Tragweite hier und heute. Rahmensetzung. Pro Woche geben wir aufgrund der Coronakrise 3 Milliarden Euro aus. Das ist gut angelegtes Vielen Dank. Geld; das ist wichtig. Darauf aufgesetzt brauchen wir eine (Beifall bei der AfD) Teststrategie, die den Menschen genauso eine Option offenbart, die die Möglichkeit zur gesellschaftlichen Teil- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: habe an Ostern, im Frühjahr und auch danach eröffnet. Nächste Rednerin ist die Kollegin Hilde Mattheis, Für mich ist diese Teststrategie leider keine Teststrate- SPD. gie, sondern ein Schritt, der viele weitere notwendig (Beifall bei der SPD) macht. Ich glaube, wenn wir diese Teststrategie vervoll- kommnen, dann eröffnen wir damit Perspektiven, nicht Hilde Mattheis (SPD): vorher. Ich möchte mir nicht vorstellen müssen, dass auch Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ges- das, was gestern vereinbart worden ist – ein Test, über- tern wurde in der Presse veröffentlicht: Der Verfassungs- wacht, pro Woche –, in irgendeinem Verwaltungschaos schutz stuft die gesamte AfD als Verdachtsfall ein. untergeht. Ich möchte mir nicht vorstellen müssen, dass wir es nicht hinbekommen, dass klar ist: Wo wird getes- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten tet? Hat jemand wirklich nur einmal pro Woche diesen der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Test in Anspruch genommen? GRÜNEN) (B) (D) Ich glaube, mehr braucht man dazu nicht zu sagen. (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem Sind Sie noch Teil der Regierung?) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- ordneten der FDP – Lachen bei der AfD) Ich möchte, wir möchten, dass diese Eigentests zu unse- Uns geht es heute darum, die parlamentarische Demo- rem Alltag gehören; denn nur so, mit diesen Eigentests, kratie zu festigen. Das tun wir mit dem heute vorliegen- können wir Schritt für Schritt öffnen. Ich möchte nicht, den Gesetzentwurf, indem wir die Fortgeltung der epide- dass auch in sechs Monaten die Inzidenzzahlen und die mischen Lage von nationaler Tragweite beschließen. Maskenpflicht noch zum Alltag unserer Kinder gehören. Keiner von uns hat sich letztes Jahr vorstellen mögen, dass wir heute für weitere drei Monate eine pandemische (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Notsituation feststellen müssen. Jeder hat sich ge- Wenn es so weitergeht, bestimmt!) wünscht, sehr schnell zur Normalität zurückzukehren. Jeder hat sich gewünscht, sehr schnell massive Öff- Ich möchte, dass in sechs Monaten nicht nur Sommer ist, nungsstrategien fahren zu können. Niemand hat sich ge- sondern wir auch ein normales Leben haben. Dafür soll- wünscht, dass Inzidenzzahlen weiter zu unserem Alltag ten wir gemeinsam streiten. gehören. Vielen Dank. Lassen Sie uns hier und heute als Parlament in unserer Verantwortung für die Situation in unserem Land mit- einander klären, wie es weitergehen soll. Wir wollen (Beifall bei der SPD – Dr. Marie-Agnes Strack- erstens, dass alle Schutzmaßnahmen, die wir ergriffen Zimmermann [FDP]: Der Sommer wartet nicht haben, weiter fortgelten. Wir wollen zweitens die Impf- auf die Sozialdemokratie! – strategie verbessern und fortentwickeln und unsere Impf- [AfD]: Und dann ohne Maske rumlaufen! ziele besser formulieren. Und wir wollen drittens eine Heuchler! – Gegenruf der Abg. Ulli Nissen belastbare Teststrategie verfolgen. [SPD]: Meinen Sie sich selbst damit, mit Heuchler?) Natürlich überlagert das, was gestern die Ministerprä- sidentinnen und Ministerpräsidenten mit der Bundes- kanzlerin vereinbart haben, unsere Debatte heute. Manch Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: einer hat sich einen Stufenplan gewünscht, der eine Per- Nicole Westig, FDP, ist die nächste Rednerin. spektive eröffnet, auch wir. Ein Stufenplan vermittelt der Bevölkerung: Wir haben einen Plan. (Beifall bei der FDP) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27027

(A) Nicole Westig (FDP): Beenden Sie das Schneckentempo beim Impfen, und (C) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Las- flankieren Sie dies mit klugen Testkonzepten. Sorgen sen Sie mich mit dem Positiven beginnen. Gut, dass Sie, Sie dafür, dass unser Land nicht zum Schlusslicht in der liebe Kolleginnen und Kollegen der GroKo, einige For- Pandemiebekämpfung wird. derungen unserer Änderungsanträge aufgenommen und Ihren Gesetzentwurf nachgebessert haben. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Es ist richtig, die coronabedingten Mindereinnahmen von Pflegeheimen weiterhin auszugleichen. Die pflegerische Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Infrastruktur einzuschränken, wie Sie es erst vorhatten, Dr. Manuela Rottmann, Bündnis 90/Die Grünen, ist die wäre das völlig falsche Signal zum völlig falschen Zeit- nächste Rednerin. punkt. Gleiches gilt für die Pflegehilfsmittelpauschale. Aber, meine Damen und Herren, damit erschöpfen sich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die guten Nachrichten dann auch; denn bei Zahnärzten, Hebammen und Heilmittelerbringern haben Sie nicht Dr. Manuela Rottmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nachgebessert. Diese lassen Sie mit Einmalzahlungen NEN): und unzureichenden Hilfen im Regen stehen. So gefähr- Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und den Sie die Versorgungslandschaft, und das kritisieren Herren! Sehr geehrter Herr Bundesminister Jens Spahn, wir. ich vermute, irgendjemand rät Ihnen zu diesem rhetori- (Beifall bei der FDP) schen Trick, den Sie hier jedes Mal anwenden: dann, Die erneute Coronaprämie ist ein gutes Zeichen für die wenn die Leute außer sich sind, hier in sedierender Lang- Beschäftigten in den Kliniken. Es bleibt allerdings halb- weiligkeit zu reden, und dann, wenn Sie keinen Plan mehr herzig, solange die Steuerfreiheit der Prämie nicht geklärt haben, das Wort „Gemeinsamkeit“ in den Raum zu stel- ist. Eines ist auch klar: Mit 1 000 Euro lässt sich die über- len. Ich muss Ihnen sagen: Ich hoffe, Sie haben nicht viel fällige Anerkennung in der Pflege nicht kaufen. Der Geld für diesen Rat bezahlt; er funktioniert nicht mehr. Coronabonus entbindet Sie, Herr Minister, nicht von der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Pflicht, endlich für nachhaltige Verbesserungen in der sowie bei Abgeordneten der AfD und der Pflege zu sorgen. FDP und des Abg. Thomas Lutze [DIE LIN- (Beifall bei der FDP) KE]) (B) Im Herbst haben Sie noch vollmundig eine Pflegereform Liebe Kollegin Sabine Dittmar, lieber Rudolf Henke, (D) in der „Bild“-Zeitung angekündigt, jetzt schlummert die liebe Hilde Mattheis, Sie alle arbeiten sich hier an den Reform in irgendeiner Schublade. Beschlüssen der Ministerpräsidentenkonferenz von ges- (Beifall bei der FDP) tern ab. Ich frage mich allmählich, ob Sie noch was mer- ken. Sie sind Mitglied dieser Regierungskoalition, Mit- Doch kommen wir zurück zur Fortgeltung der epide- glied der Mehrheit hier im Parlament. mischen Lage. Herr Minister Spahn, vor einem Jahr hat der Deutsche Bundestag Sie mit Befugnissen ausgestat- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tet, die man sich vor der Pandemie in unserer parla- sowie bei Abgeordneten der FDP) mentarischen Demokratie nicht hätte vorstellen können. Die Bürgerinnen und Bürger haben sich seither mit Klare Regelungen zu schaffen, die die Gefahren für die beispielhafter Disziplin an die Coronamaßnahmen gehal- Gesundheitsversorgung und die zu ihrer Eindämmung ten. Sie haben ein Recht darauf, dass Sie, Herr Minister, zulässigen Grundrechtseingriffe in ein Verhältnis setzen, diese umfangreichen Befugnisse nutzen, um die Pande- das ist Ihr Job. Abzuwägen, ob und wann Impffortschrit- mie bestmöglich zu managen. te, Testmöglichkeiten und die Nachverfolgungskapazität der Gesundheitsämter Alternativen zu Beschränkungen (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Michael ermöglichen, das ist Ihr Job. Und auch, das den Bürger- Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Macht er ja!) innen und Betrieben endlich nachvollziehbar zu erklären, Stattdessen fährt man seit einem Jahr auf Sicht. Lock- ist ihr Job. Alles ihr Job! down scheint zur Dauerlösung zu werden. Es wird agiert, als ob es auf den Tag nicht ankäme. Dabei zählt jeder Tag; (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – denn jeder Tag kostet Leben, jeder Tag kostet Existenzen, Stephan Brandner [AfD]: Was sagt der und jeder Tag vernichtet Bildungschancen für junge Men- Kretschmann denn dazu? Auch Candy Crush schen. spielen?) (Beifall bei der FDP) Der gesetzliche Stufenplan ist die einzige Lösung für dieses Problem: für Vorhersehbarkeit, für Rechtssicher- Mit einem Stufenplan, der den Gesundheitsschutz ach- heit, für Verhältnismäßigkeit. Was Sie uns aber heute tet, können wir den Menschen endlich wieder eine Per- vorlegen, ist die Verstetigung des Weiterwurstelns. Es spektive geben. Eine solche Strategie zu entwickeln, ist bleibt bei Worthülsen wie „breit angelegte“ und „umfas- lange überfällig, und das nicht in irgendeinem Hinterzim- sende Schutzmaßnahmen“. Das Verfallsdatum für Ver- mer, sondern hier im Parlament. ordnungen wird ganz abgeschafft. Jede inhaltliche Steue- (Beifall bei der FDP) rung der Pandemiebekämpfung durch das Parlament 27028 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Dr. Manuela Rottmann (A) geben Sie auf. Entweder ist die Lage ganz schlimm – Dr. Frauke Petry (fraktionslos): (C) dann muss per Verordnung alles gehen –, oder sie ist Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und vorbei. Herren! Liebe Koalition, blicken Sie eigentlich noch durch? Wir erinnern uns: Vor einem Jahr war das Coro- (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Das ist ja jetzt navirus in Ihren Worten „beherrschbar“. Seitdem verstol- Quatsch!) pern Sie nahezu jede Maßnahme. Ob Abstand, PCR-Test, Jedes Schulkind in Deutschland hat mittlerweile eine dif- Masken – die einen oder die anderen oder gar keine –, ferenziertere Sicht auf die Pandemie als die Autoren die- Lockdown, Schnelltests oder Impfung: Offenbar sind all ses Gesetzentwurfs. diese Dinge für Sie nach wie vor ein medizinisches Buch mit sieben Siegeln. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dabei bekommen Sie grundlegende wissenschaftliche sowie bei Abgeordneten der AfD und der FDP) Probleme nicht in den Griff. Noch heute sind beim RKI Keine einzige der Verabredungen von gestern findet sich drei Tests derselben Person statistisch drei einzelne Fälle. hier wieder, von der sogenannten Notbremse keine Spur. Damit ist die Statistik wertlos. Das kann Ihnen jeder Und genau deshalb droht sie im Ernstfall zu versagen. Student im Grundstudium sagen. Todeszahlen kommen mit wochenlanger Verspätung. Sie passen also nie zu den (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- gemeldeten Zahlen, die wir vermutlich alle täglich konsu- SES 90/DIE GRÜNEN) mieren. Sie ignorieren, dass ein PCR-Test keine Infektion anzeigen kann; auch das mehrfach festgestellt. Was mes- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: sen Sie dann eigentlich? Womit ängstigen Sie die Bevöl- Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des kerung? Auf welchen Werten basieren Sie Ihre Maßnah- Kollegen Brandner? men? Studien zeigen, dass der Lockdown epidemiologisch Dr. Manuela Rottmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nichts bringt. Ja, was tun Sie eigentlich? Sie bedauern, NEN): dass Kindern und Jugendlichen wertvolle Lebenszeit Nein. gestohlen wird. Das ist richtig. Dann bekommen Sie end- lich die medizinischen Grundlagen in den Griff! Sie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schüren in den letzten Wochen Angst vor Virusmutatio- sowie der Abg. Ulli Nissen [SPD]) nen, dabei sind diese medizinisch völlig normal – bei Grippe redet kein Mensch darüber –, und sie sind kein Die Grundrechtseingriffe vertiefen sich mit jedem wei- Grund zur Panik. (B) teren Tag. Die Begründungslast dafür steigt. Und in die- (D) ser Situation riskieren Sie, dass uns die Instrumente zur Seit einem Jahr setzen Sie das normale Leben in Abwehr der letzten Welle vor Gericht in den Händen Deutschland außer Kraft. Dabei haben wir als Politiker zerrinnen. Das liegt doch nicht daran, dass die Gerichte vor allem eine Aufgabe: Bürger und Unternehmen in bösen Willens sind oder den Ernst der Lage nicht erkannt Ruhe zu lassen und uns aus ihrem Privat- und Berufs- haben. Ich glaube, Sie haben ihn nicht erkannt. Sie leben herauszuhalten. Nicht Corona hält dieses Land begründen zu schlecht. gefangen, meine Damen und Herren – Sie sind es. Lassen Sie unser Land endlich frei, und beenden Sie die epide- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) mische Lage und den Lockdown – nicht tröpfchenweise, Wie soll man aber etwas begründen können, wenn man die Beratung durch einen Pandemierat seit einem Jahr (Ulli Nissen [SPD]: Tröpfchen sind gefähr- stur ablehnt, wenn man jetzt erst anfangen will, sich mit lich!) der Frage zu befassen, wie die Maßnahmen überhaupt sondern konsequent und vollständig! wirken, und es einem nicht zu peinlich ist, das Ergebnis dazu für den März 2022 anzukündigen? Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Auf den letzten Metern setzen Sie mutwillig alles aufs Nina Warken, CDU/CSU, ist die nächste Rednerin. Spiel – die Erfolge der bisherigen Einschränkungen und die Bereitschaft der Bevölkerung, mitzuwirken. Deswe- (Beifall bei der CDU/CSU) gen lehnen wir dieses Gesetz ab. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nina Warken (CDU/CSU): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle- Früher galt die Große Koalition einmal als Bollwerk in gen! In dieser Krisensituation, in der wir uns trotz auch der Krise. Ich will Ihnen sagen: Das ist mit dem heutigen positiver Entwicklungen befinden, ist das Gesetz zur Tag vorbei. Fortgeltung der Regelungen über die epidemische Lage ein weiterer wichtiger und richtiger Schritt zur Bekämp- (Anhaltender Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE fung der Coronapandemie. Wir sorgen durch maßvolle GRÜNEN) Änderungen dafür, dass die notwendigen Regelungen zur Überwindung der Krise in der erforderlichen Weise Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: fortgeführt und an die Gegebenheiten angepasst werden Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Dr. Frauke Petry. können. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27029

Nina Warken (A) Kernpunkt ist: Künftig überprüft der Bundestag in kur- schritte oder andere Erleichterungen nicht nur die Zahl (C) zen und regelmäßigen Abständen, ob diese epidemische der Infektionen, sondern auch die Impfquote und der R- Lage nach wie vor gegeben ist. Die Feststellung der epi- Wert zu berücksichtigen sind. demischen Lage tritt automatisch außer Kraft, wenn sie (Beifall bei der CDU/CSU) nicht spätestens binnen drei Monaten durch den Bundes- tag erneut bestätigt wird. Um es ganz deutlich zu sagen: Auch normieren wir, dass Virusmutationen bei der Wir stellen hier keinen Blankoscheck aus, wie es immer Abwägung, welche Maßnahmen zu treffen sind, beson- wieder heißt, im Gegenteil, der Bundestag wird stärker in ders berücksichtigt werden können. den Entscheidungsprozess einbezogen. Sehr geehrte Damen und Herren, wir befinden uns momentan in einer Ausnahmesituation, und diese Aus- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und nahmesituation bedarf auch außergewöhnlicher Maßnah- der SPD) men. Gerade deswegen ist es uns wichtig, dass wir die Damit gilt auch für die Zukunft: Die Befugnisse zur getroffenen Maßnahmen laufend bewerten. Daher sehen Bewältigung der Pandemie werden auf Zeit erteilt und wir zum Jahresende vor, dass die Maßnahmen der Krisen- kommen künftig regelmäßig in festgelegten und kürzeren bekämpfung von einem unabhängigen und interdiszipli- Fristen auf den Prüfstand. Die Beteiligungsrechte des nären wissenschaftlichen Gremium evaluiert werden. Bundestages werden nochmals gestärkt, auch wenn man- Wir lassen damit unser Handeln in der Ausnahmesitua- che Kollegen das hier nicht verstehen. Wenn man dann tion überprüfen und schreiben das auch im Gesetz fest. am Thema vorbeiredet – wie der Kollege Brandner –, ist (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) man dafür dann auch selbst verantwortlich. Unser Handeln soll für die Bürgerinnen und Bürger (Beifall bei der CDU/CSU) noch nachvollziehbarer und verständlicher werden. Anhand der Erfahrungen passen wir die Gesetze maßvoll Sehr geehrte Damen und Herren, dass all diese Befug- an. Das ist es doch, was mir und was allen demokrati- nisse hoffentlich nicht mehr lange nötig sein werden, das schen Parteien in diesem Hohen Haus ganz besonders ist natürlich unser aller Hoffnung und das gemeinsame wichtig sein sollte. Diese Grundlagen geben uns die Ziel, auf das wir hinarbeiten. Doch in der gegenwärtigen notwendige Flexibilität, um, wie bereits erwähnt, auf Situation ist es schlicht unumgänglich, dass die Voraus- Virusmutationen reagieren zu können. So können auch setzungen für eine wirksame Bekämpfung der Corona- Anpassungen an die sich ändernde pandemische Lage pandemie gesichert bleiben und auch weiterentwickelt vorgenommen werden. werden. Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass wir (B) Die Gefahr durch das Virus besteht nicht nur fort, son- mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ein gut weite- (D) dern die aktuelle Situation wird noch verschärft durch das rentwickeltes Instrumentarium zur Verfügung stellen, Auftreten neuer Virusvarianten. Daher bleibt das vorran- mit dem wir rechtssicher auf die epidemische Lage rea- gige Ziel, mit geeigneten und situationsabgestimmten gieren können. Wir führen mit dem Gesetz einen Krisen- Schutzmaßnahmen die Ausbreitung der Pandemie zu ver- mechanismus ein. Wir erweitern die Kriterien und gestal- hindern und sie zu bekämpfen, um Leben und Gesundheit ten sie differenzierter aus. der Menschen zu schützen. Nur so stellen wir die Funk- Ich werbe daher nicht nur um Zustimmung zu diesem tionsfähigkeit unseres Gesundheitssystems sicher und Gesetz, werte Kolleginnen und Kollegen. Wir können die schützen es vor Überlastung. Das schaffen wir durch Pandemie nicht allein nur mit Gesetzen und Verordnun- dieses Gesetz. gen bekämpfen. Wir schaffen hier zwar eine gute Grund- An die Kolleginnen und Kollegen der Grünen gerich- lage, wir brauchen aber auch die Bürgerinnen und Bürger. tet: Sie sind hier schon eine Antwort schuldig geblieben, Deshalb lassen Sie uns auch gemeinsam bei den zu Recht wie Sie denn mit der dynamischen Lage umgehen wollen. pandemiemüden Bürgerinnen und Bürgern für dieses Ge- Sie werfen uns Planlosigkeit vor. Was Ihr Plan ist, das setz und für unser Handeln werben. haben wir in Ihren Wortbeiträgen aber auch nicht gehört. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU)

Sehr geehrte Damen und Herren, weil das hier auch oft Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: angesprochen wird, möchte ich an dieser Stelle klar zum Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Mario Ausdruck bringen, dass wir stärker darauf achten müssen, Mieruch. dass wir die wesentlichen grundrechtsrelevanten Fragen im Parlament selbst entscheiden. Genau das machen wir heute. Wir legen mit diesem Gesetz klare und ausdiffe- Mario Mieruch (fraktionslos): renzierte Rechtsgrundlagen vor. Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrte Damen und Herren! Am 18. November des letzten Jahres hat Darüber hinaus geben wir der Bundesregierung, dem sich dieses Parlament mit der Zustimmung zum Infek- Bundesgesundheitsminister, die Ermächtigung, durch tionsschutzgesetz selbst entmachtet. Auch wenn insbe- Rechtsversordnung gezielt und schnell auf Herausforde- sondere die FDP und die Linken heute lautstark die feh- rungen reagieren zu können. Wir präzisieren im Gesetz lende parlamentarische Mitsprache bejammern – Sie alle auch die Vorgaben für die Maßnahmen der Länder, indem haben den Änderungsantrag der LKR, der damals genau wir festschreiben, dass bei Erwägungen über Öffnungs- das forderte, mit abgelehnt. 27030 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Mario Mieruch (A) (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE Aber wir müssen eben auch feststellen, dass die Schutz- (C) GRÜNEN]: Wem? – Stephan Brandner [AfD]: maßnahmen der Länder für die Unternehmen und für die Was ist denn LKR?) Familien massive negative Beeinträchtigungen zur Folge Eingriffe in die Grundrechte, in Leben, Wirtschaft und haben. Die Familien sind am Limit, viele Unternehmen Gesellschaft erfordern Vertrauen und Verhältnismäßig- stehen vor dem Aus. Deswegen ist für mich eines klar: keit. Gehen wir diese Bilanz einmal durch. Diese weitreichenden Schutzmaßnahmen, diese Grund- rechtseingriffe müssen immer wieder genauestens über- Zu Beginn der Situation, bei der Einschätzung, ob es prüft werden, ob sie überhaupt noch erforderlich sind, eine Grippe ist, ob es schlimmer als eine Grippe ist, ob liebe Kolleginnen und Kollegen. Masken sinnvoll sind, ja oder nein, wurde bereits Ver- trauen verspielt. In der Folge, als es um Maskenbeschaf- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten fung, Umgang mit Pflegekräften, Auszahlung von Hilfs- der CDU/CSU) geldern, Impfstoffbeschaffung, Impfpläne ging und Diese Fragestellung der Erforderlichkeit nehmen wir mittlerweile auch um die Beschaffung der Selbsttests heute mit diesem Gesetz auf; denn Schutzmaßnahmen geht, überall hat diese Regierung Vertrauen verspielt. sind erhebliche Grundrechtseingriffe: Ausgangssperren, Erst basierten die Maßnahmen auf dem R-Wert, dann Schulschließungen und Ähnliches. Deswegen können auf dem Inzidenzwert, und jetzt wird die Fortführung der wir diese Maßnahmen nicht allein am Inzidenzwert 35 Einschränkungen ausschließlich mit neuen Mutationen oder 50 orientieren. Das ändern wir heute mit diesem begründet. Aber Viren mutieren nun einmal dauernd, Gesetz. und so könnten Sie uns in einen ewigen Dauer-Lockdown Der Deutsche Ethikrat hat in seiner Stellungnahme schicken. Für die Bürger ist das alles völlig willkürlich: ausdrücklich gesagt – ich zitiere –, dass „nicht die Aus- Es gibt keine Planungssicherheit, keine Fakten, keine breitung des Virus als solche entscheidend“ sei, sondern Richtwerte, sondern eine dynamische Lage, die Sie gar vielmehr „nur gravierende negative Folgen wie etwa eine nicht zu definieren wissen und wahrscheinlich auch gar hohe Sterblichkeit, langfristige gesundheitliche Beein- nicht definieren wollen; denn es steht ja der Wahlkampf trächtigungen signifikanter Bevölkerungsteile oder der vor der Tür. Warum soll Ihnen nach diesen Erfahrungen drohende Kollaps des Gesundheitssystems“. Genau aus noch irgendjemand der Steuerzahler trauen? diesen Gründen war es uns als SPD so wichtig, dass wir Die Antwort auf Corona kann indes nicht sein, das im Infektionsschutzgesetz eine klare Regelung haben, Virus zu leugnen und gar nichts zu tun. Wer aber trag- dass nicht nur einzig und allein der Inzidenzwert, sondern fähige Hygienekonzepte entwickelt hat, der hat es nicht auch die Auslastung des Gesundheitswesens, der R-Wert verdient, dass man ihm anschließend mit dem Lockdown- oder die Impfquote berücksichtigt werden müssen, und (B) Hammer die Lebensgrundlage entzieht und nach teuren zwar zwingend von den Ländern. (D) Investitionen von hinten herumgrätscht und doch alles (Beifall bei der SPD) zumacht. Wenn jetzt Wahlkampf wäre, würde ich sagen, dass das Aber ich lehne den Antrag nicht nur wegen seiner frag- die SPD durchgesetzt hat. würdigen Grundlagen und seiner existenzbedrohenden Auswirkungen auf Familien, Mittelständler, Künstler (Beifall bei Abgeordneten der SPD) und Selbstständige ab. Ich lehne ihn speziell als Abge- Da gab es erhebliche Widerstände bei der Union. ordneter dieses Hohen Hauses ab. Sie alle haben sich (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Wann?) hierher wählen lassen, um Verantwortung zu tragen. Dann werden Sie dem auch gerecht! Dieser Bundestag Gut, dass wir diese Gesetzesänderung heute so beschlie- ist das Gremium, in dem die Politik für dieses Land ent- ßen können. schieden wird, und nicht, wie jetzt vorgeschlagen, in (Beifall bei Abgeordneten der SPD) irgendwelchen Räten und schon gar nicht in Candy- Crush-Runden. Denn die Grundrechte wie Bewegungsfreiheit oder Gewerbefreiheit können wir nur dann einschränken, Vielen Dank. wenn es tatsächlich erforderlich ist. Deswegen müssen (Beifall der Abg. Dr. Frauke Petry [fraktions- wir an weiteren Kriterien als nur den Inzidenzwerten los]) anknüpfen. Wenn jetzt gesagt wird, dass hier eine verfassungswid- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: rige Regelung beschlossen würde, dann ist das schlicht Nächster Redner ist der Kollege Dr. Johannes Fechner, unzutreffend; SPD. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD) denn wir stärken doch gerade die Rolle des Parlamentes, weil wir als Parlament und als Volksvertretung eine Eva- Dr. Johannes Fechner (SPD): luierung mit einer klaren Befristung, mit einem klaren Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Untersuchungsauftrag beschlossen haben. Wir beschrän- Infektionszahlen sind bei Weitem nicht mehr so hoch, wie ken die Befugnisse des Bundesgesundheitsministers. Er sie schon waren. Die Impfungen laufen an, und es stehen wird zukünftig nur genau die Maßnahmen machen kön- demnächst auch Tests in viel größerer Zahl zur Verfü- nen, die im Gesetz stehen, und nichts darüber hinaus. Vor gung. All das sind Schritte in die richtige Richtung. allem: Wir als Parlament haben die Fäden in der Hand. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27031

Dr. Johannes Fechner (A) Wir bestimmen, ob eine epidemische Lage vorliegt. Wir Entscheidungen treffen; denn das ist nicht der Fall. Wir (C) machen das jetzt nicht für ein Jahr, sondern nur für drei geben mit verschiedensten Maßnahmen den Ländern den Monate. Also kann keiner sagen, dass das Parlament hier Auftrag, entsprechend danach Maßgaben für die Rechte aufgibt, liebe Kolleginnen und Kollegen. Bekämpfung der Pandemie vorzugeben. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Das möchte ich hier ausdrücklich auch an die Adresse ordneten der SPD) der Grünen sagen. Das war schon ein bisschen starker Es verwundert mich manchmal schon, was denn jetzt Tobak, wie Sie hier gegen dieses Gesetz geschimpft gewollt ist. Sollen wir jetzt regional Antworten geben, haben. Die Sachverständigen, die Sie benannt haben, oder sollen wir ganz starre Vorgaben in einem engen sehen das anders. Diese politische Energie sollten Sie Rahmen geben? Sollen wir Flexibilität ermöglichen, vielleicht darauf verwenden, im grün regierten Baden- oder sollen wir eben alles bis ins letzte Klein-Klein Württemberg etwas dafür zu tun, dass dort die Impfungen regeln? Deswegen sage ich gerade auch im Hinblick endlich besser laufen, liebe Kolleginnen von den Grünen. darauf, dass ich weiß, wie viel die Bürgermeister, die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Oberbürgermeister, die Landräte vor Ort in unserem der CDU/CSU) Land leisten, dass es wirklich wichtig ist, dieses Gesetz heute auf den Weg zu bringen, wir gleichzeitig aber im Wichtig ist auch – ich will es ganz klar sagen –: Es ist Blick behalten, dass wir regionale Antworten geben und ein Zeichen der Stärke, dass wir als Parlament sagen, wir dass wir differenziert vorgehen können, beispielsweise nehmen Hinweise aus der Rechtswissenschaft oder auch abhängig vom Inzidenzwert vor Ort oder auch von der von Gerichten auf – in diesem Zusammenhang schöne Durchimpfung der Menschen vor Ort. Viele andere Punk- Grüße nach Lüneburg an die dortigen Richter – auf. te sind von den Kollegen auch schon angesprochen wor- Das ist ein Zeichen der Stärke und nicht der Schwäche. den. Wir sagen nicht, dass das Gesetz verfassungswidrig wäre, auf keinen Fall. Es hat vor den Gerichten bisher Bestand Wir sind uns dahin gehend einig, dass wir mehr impfen gehabt. Aber wenn es diese gewichtigen Hinweise gibt, wollen. Wir wollen mehr testen, wir wollen mehr nach- dann müssen wir auch zu Verbesserungen kommen, liebe verfolgen, wir wollen auch mehr Medikamentenentwick- Kolleginnen und Kollegen, und das machen wir heute mit lung. Auch hier schafft dieses Gesetz entsprechenden diesem Gesetz. Rahmen und gibt Antworten. Denn wenn es um die Impf- reihenfolge geht, dann ist es so, dass wir uns in diesem (Beifall bei der SPD) Gesetz klar dazu bekannt haben, dass wir eben als Bun- Insbesondere ist es auch wichtig vor dem Hintergrund desgesetzgeber vorgeben wollen, woran sich die STIKO, (B) dessen, was die Ministerpräsidentenkonferenz gestern die Ständige Impfkommission, halten muss. Das gilt bei- (D) Abend beschlossen hat. Zugegeben, diese Diskussion spielsweise für den Fall – die Ergebnisse geben uns da um Stufenpläne und darüber, ob solche Regelungen nicht auch recht –, dass es dabei für Senioren, für Ältere über doch noch Platz im Infektionsschutzgesetz finden, kön- 80, entsprechend einen Vorrang geben muss. Die Zahlen nen wir durchaus auch noch führen. Und ja, es mag sein, belegen auch, dass wir in diesem Bereich recht haben. dass das recht komplizierte Regelungen sind. Aber eines Denn wir haben es von unserem Bundesgesundheitsmi- ist bei all diesen Maßnahmen, die gestern beschlossen nister gehört, dass wir rund 5 Prozent der Bevölkerung wurden, auch ganz klar: Zukünftig kann nicht nur der jetzt schon geimpft haben und dass im Kern die Über- Inzidenzwert allein das Maß sein, ob eine Maßnahme sterblichkeit bei den über 80-Jährigen komplett zurück- angeordnet wird oder nicht, liebe Kolleginnen und Kol- gegangen ist. Deswegen ist es wichtig, dass wir das hier legen. Das wird ein Beitrag dazu sein, dass die Maßnah- noch einmal im Gesetz festgelegt haben und damit auch men gerichtsfest sind, und das stärkt das Vertrauen und einen weiteren Rahmen geben. die Akzeptanz der Bevölkerung, was aus meiner Sicht (Beifall bei der CDU/CSU) das wichtigste Gut in dieser Pandemiebekämpfung ist. Vielen Dank. Für mich ist es aber auch wichtig, wenn die Kollegen von der AfD in ihrem Antrag sagen, dass sie einen Exper- (Beifall bei der SPD) tenrat einsetzen wollen, danach zu fragen: Ja, was denn jetzt? Ist es jetzt die Beendigung der epidemischen Lage, Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: haben wir jetzt keine Pandemie, oder brauchen wir einen Voraussichtlich letzte Rednerin ist, sobald das Pult Expertenrat? Wir als Unionsfraktion haben auch zusam- desinfiziert ist, die Kollegin Emmi Zeulner, CDU/CSU. men mit der SPD ganz klar gesagt: Wir wollen ein Begleitgremium, das jetzt auch eingesetzt wird, um ent- (Beifall bei der CDU/CSU) sprechend Experten zu hören, und wir wollen eine Eva- luation mit einem interdisziplinären Expertengremium. Emmi Zeulner (CDU/CSU): Dass wir dieses Expertengremium natürlich vor allem Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und damit beauftragen, nach Abschluss der Pandemie ent- Kollegen! Mit diesem Gesetz heute geben wir einen Rah- sprechend Ergebnisse zu liefern – denn jetzt stecken wir men. Wir geben den Ländern einen Rahmen, die in ganz mitten darin –, ist für mich nur logisch und folgerichtig; erheblichem Maße zuständig sind. Das gibt unser Grund- gesetz her. Deswegen ist es wirklich nicht redlich, wenn (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) einige Kollegen hier so tun, als würden wir vonseiten des denn wir müssen vor allem im Nachgang bewerten, wel- Bundestages schlicht verfassungsrechtlich schwierige che Dinge wo nachgesteuert werden müssen. 27032 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Emmi Zeulner (A) Deswegen glaube ich, dass es insgesamt ein guter Ge- Die Fraktion der AfD hat namentliche Abstimmung (C) setzentwurf ist. Es ist nicht so, wie auch Kollegen der verlangt. Die Abstimmung erfolgt in der Westlobby. Ich Grünen suggeriert haben, dass wir als Parlament dort weise ausdrücklich darauf hin, dass auch in diesem Teil nicht mitsprechen können, sondern das Gegenteil ist der des Plenarbereichs die Pflicht zum Tragen einer medizin- Fall. Es ist selbstverständlich möglich, dass jede Verord- ischen Mund-Nasen-Bedeckung besteht. Mund-Nasen- nung auch per Gesetz von diesem Hohen Haus, von die- Bedeckung heißt übrigens, dass man die Bedeckung nicht sem Parlament wieder ausgehebelt werden kann. unterhalb der Nase, sondern über der Nase trägt. Ich bin sehr dankbar, dass wir in diesen Gesetzentwurf (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der auch Regelungen aufgenommen haben wie beispielswei- SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/ se die Entschädigungszahlungen für Eltern, einen weite- DIE GRÜNEN) ren Schutzschirm für die Pflegeheime und viele andere Maßnahmen. Dies ist ein ganz klares Signal: Auch wir Ich habe einige Kollegen gesehen, die dies heute Morgen wollen mehr Normalität, auch wir wollen mit unseren ein bisschen übersehen haben. Ich muss Verstöße gegen Maßnahmen erreichen, dass wir Stück für Stück zurück- diese Pflicht mit den Mitteln des parlamentarischen Ord- kommen. Aber wir sind eben zum jetzigen Zeitpunkt nungsrechts ahnden. Ich bitte die Schriftführerinnen und noch in einer Pandemie, und wir wollen gut aufpassen, Schriftführer, darauf zu achten. dass sie uns nicht entgleitet. Sie haben zur Abgabe Ihrer Stimme nach Eröffnung In diesem Sinne bitte ich Sie um Unterstützung zu der Abstimmung 30 Minuten Zeit. Gehen Sie bitte nicht diesem Gesetzentwurf; denn wir alle in diesem Haus alle gleichzeitig zur Abstimmung. Es stehen acht Urnen haben das Gemeinwohl im Blick. Daran richtet sich unse- zur Verfügung. re Politik aus. Die Schriftführerinnen und Schriftführer haben die Vielen Dank. vorgesehenen Plätze eingenommen, sodass ich die na- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- mentliche Schlussabstimmung über den Gesetzentwurf ordneten der SPD) der Koalitionsfraktionen eröffne. Die Abstimmungsurnen werden um 10.55 Uhr ge- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: schlossen. Das bevorstehende Ende der namentlichen Damit schließe ich die Aussprache. Abstimmung wird rechtzeitig bekannt gegeben. Das Ergebnis der namentlichen Schlussabstimmung über Tagesordnungspunkt 8 a. Wir kommen jetzt zur den Gesetzentwurf wird Ihnen erst nach dem Tagesord- Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/ nungspunkt 9 mitgeteilt.2) Im Anschluss daran setzen wir (B) (D) CSU und SPD eingebrachten Gesetzentwurf zur Fortgel- die Abstimmungen zu den weiteren Vorlagen zu Tages- tung der die epidemische Lage von nationaler Tragweite ordnungspunkt 8 und Zusatzpunkt 3 fort. betreffenden Regelungen. Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung Jetzt soll die heutige Tagesordnung um die Beratung auf der Drucksache 19/27291, den Gesetzentwurf der einer Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahl- Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf der Drucksache prüfung, Immunität und Geschäftsordnung auf der 19/26545 in der Ausschussfassung anzunehmen. Drucksache 19/27270 zu einem Antrag auf Genehmigung zum Vollzug gerichtlicher Durchsuchungs- und Be- Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP vor, schlagnahmebeschlüsse erweitert und diese jetzt gleich über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den als Zusatzpunkt 12 aufgerufen werden. Das entspricht Änderungsantrag auf der Drucksache 19/27301? – Die der langjährigen Praxis des Deutschen Bundestages. Ich FDP und die AfD. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält gehe davon aus, dass wir auch heute so verfahren. – Ich sich? – Dann ist der Änderungsantrag mit den Stimmen höre keinen Widerspruch. Dann ist der Punkt aufgesetzt. der Koalition bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke gegen die Stimmen von AfD und FDP Ich rufe den Zusatzpunkt 12 auf: abgelehnt. Beratung der Beschlussempfehlung des Aus- Damit bitte ich diejenigen, die dem Gesetzentwurf der schusses für Wahlprüfung, Immunität und Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf der Drucksache Geschäftsordnung (1. Ausschuss) 19/26545 in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktio- Antrag auf Genehmigung zum Vollzug nen. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist gerichtlicher Durchsuchungs- und Beschlag- der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen nahmebeschlüsse der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposi- Drucksache 19/27270 tionsfraktionen angenommen. Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Dritte Beratung Der Ausschuss empfiehlt, die Genehmigung zu ertei- und Schlussabstimmung. len. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer Zur Schlussabstimmung liegen mir mehrere Erklä- stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss- rungen nach § 31 der Geschäftsordnung vor.1) empfehlung ist einstimmig angenommen.

1) Anlage 4 2) Ergebnis Seite 27043 C Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27033

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) Damit rufe ich die Tagesordnungspunkte 9 a bis 9 c Tino Chrupalla (AfD): (C) auf: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Vertreter der Bundesregierung! Werte Kollegen! Liebe Landsleute! a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Seit Wochen und Monaten befindet sich unser Land im Dr. Bruno Hollnagel, Steffen Kotré, Albrecht Stillstand. Betriebe stehen still, Familien sind zerrissen. Glaser, weiterer Abgeordneter und der Frak- Der psychische Druck der Menschen steigt ebenso stark tion der AfD an wie das Unverständnis über die abermaligen Verbote und Einschränkungen. Die Coronamaßnahmen der Bun- Aufbruch für Deutschland – Raus aus der desregierung sind unhaltbar, unvermittelbar und für die Wirtschafts- und Lockdown-Krise vernünftigen Menschen mittlerweile absolut unverständ- Drucksache 19/26895 lich. Überweisungsvorschlag: (Beifall bei der AfD) Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Finanzausschuss Frau Bundeskanzlerin, Sie haben unser Land in eine b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sackgasse manövriert, in der wir nur sehr schwer wenden Dr. Bruno Hollnagel, Franziska Gminder, können. Die Menschen waren geduldig. Sie haben Ein- Armin-Paulus Hampel, weiterer Abgeordne- schränkungen hingenommen. Nur zu welchem Preis? ter und der Fraktion der AfD Immer wieder wurden sie vertröstet. Man erlangt den Eindruck, dass Ihre Bundesregierung Den Steuerzahlern einen fairen Anteil las- weder einen Plan noch das Geschick noch einen Willen sen – Senkung der Umsatzsteuer von zu einem gezielten Wendemanöver besitzt. Sehen Sie 19 Prozent auf 15 Prozent beziehungswei- nicht, was mit diesem Land und seinen Bürgern passiert? se von 7 Prozent auf 5 Prozent Sind Sie alle auf der Regierungsbank ohnmächtig und Drucksache 19/27204 angstgefangen? Wo sind Ihre Konzepte für die deutsche Wirtschaft, Herr Altmaier? Wo bleiben die lang verspro- Überweisungsvorschlag: chenen und dringend notwendigen Unterstützungszah- Finanzausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie lungen? Was liegt Ihnen an dem Wirtschaftszweig, der Ausschuss für Arbeit und Soziales noch die meisten Beschäftigten hat: den kleinen und mit- Haushaltsausschuss telständischen Unternehmen? Wer garantiert die Zukunft c) Beratung des Antrags der Abgeordneten unserer sozialen Sicherungssysteme, wenn die Basis Steffen Kotré, Hansjörg Müller, Enrico dafür – der Mittelstand und das Handwerk – de facto (B) Komning, weiterer Abgeordneter und der nicht mehr vorhanden ist, von Ihnen abgeschafft wurde? (D) Fraktion der AfD Nur hier findet die wirkliche Wertschöpfung statt. Nur so können wir weiter in Wohlstand und Frieden leben. Aufbruch für Deutschland – Beendigung der vom Staat zu verantwortenden Coro- (Beifall bei der AfD) na-Krise und deren Auswirkungen auf die Herr Altmaier, auch Herr Wanderwitz, gegen Sie Wirtschaft waren in der DDR Günter Mittag und auch Hermann Drucksache 19/27206 Axen wirklich wirtschaftliche Visionäre.

Überweisungsvorschlag: (Timon Gremmels [SPD]: Mein Gott!) Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Von Ihnen kommt in diesem Bezug gar nichts. Finanzausschuss Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen (Beifall bei der AfD) Für die Aussprache wurde eine Dauer von 60 Minuten Uns, dem Deutschen Bundestag, wurde durch die Wähler beschlossen. sehr viel Vertrauen geschenkt, dieses Land auch in Kri- senzeiten zu führen. Davon, dass wir dieses Vertrauen Nehmen Sie bitte, auch da Sie jetzt nicht alle gleich- verdient haben, müssen wir unser Volk wieder überzeu- zeitig zur namentlichen Abstimmung gehen sollen, die gen. Plätze ein. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben Die Bundestagsfraktion der Alternative für Deutsch- heute eine lange Tagesordnung. Sie werden es heute land legt mit dem vorliegenden Antrag schlüssige und Nacht büßen. Bitte nehmen Sie die Plätze ein. Das gilt zügig umsetzbare Einzelmaßnahmen vor. Unser Ziel ist auch in den hinteren Rängen, auch bei der CDU/CSU- es, Fraktion. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Vor- (Zuruf von der AfD: Disziplin!) wärts immer! Rückwärts nimmer!) Wenn die notwendige Ruhe und Aufmerksamkeit her- damit die wirtschaftliche Gegenwart und die Zukunft gestellt sind, können wir die Aussprache eröffnen. Das Deutschlands überhaupt noch gestalten zu können. Viel Wort hat der Kollege Tino Chrupalla, AfD. lieber wäre es uns, wäre es mir, wenn ich meinen Kindern sagen könnte: Ihr müsst euch keine Sorgen um die Zu- (Beifall bei der AfD) kunft machen. Im Moment bin ich mir nicht mehr sicher, 27034 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Tino Chrupalla (A) was wir unseren zukünftigen Generationen noch überge- der Bürokratie. Jede Woche kommen neue Auflagen hin- (C) ben können, wenn sich Deutschland länger in der Regie- zu. Wir bringen das permanent in die politische Debatte rungsgewalt von Frau Dr. Merkel befindet. ein. Nur, Sie sind leider taub. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Ganz sicher bleiben: Schulden, Depression, Perspektiv- Schauen wir uns die Seite der Verbraucher an. Ein losigkeit. funktionierendes Wirtschaftssystem lebt von Angebot und Nachfrage. Vielen der Endkunden fehlt nach einem Die wissenschaftlich fragwürdigen und rein politisch Jahr Kurzarbeit einfach das Geld, um es wieder investie- motivierten „Inzidenzwerte“ dürfen nicht mehr als Basis ren zu können. Dafür schlagen wir die dauerhafte Sen- für Ihre einsamen Entscheidungen im Coronakabinett kung des Mehrwertsteuersatzes von 19 auf 15 Prozent herhalten. Deswegen zeigen wir hier konkrete Alternati- vor. Profitieren werden davon auch die Binnennachfrage ven und Konzepte für einen Ausweg aus der von Ihnen und unsere Einzelhändler. verschuldeten Misere. (Beifall bei der AfD) Sehr geehrte Damen und Herren, lassen Sie mich zu den Kernforderungen unseres Antragspapiers kommen. Nun fragt man sich natürlich: Wie kann man diese Ich beginne mit der Grundvoraussetzung: das geregelte Dinge eigentlich finanzieren? Da hören wir ja immer: Ende des Lockdowns – so schnell wie möglich! Steuererhöhungen oder sonstige weitere Einnahmen. – Aber hier müssen wir auch mal an die Ausgaben ran, (Beifall bei der AfD – Timon Gremmels [SPD]: zum Beispiel durch Einsparungen bei den finanziellen Sicher und nicht schnell!) Beteiligungen an der Europäischen Union. Die Bundes- Ziel muss es sein, die seit nun fast einem Jahr einge- regierung plant, den deutschen Bruttobeitrag auf über schränkte Wirtschaft langsam wieder hochzufahren. Die- 40 Milliarden Euro pro Jahr zu erhöhen. Dem können ser Prozess dauert je nach Wirtschaftszweig und Unter- und müssen wir einen Riegel vorschieben. nehmen unterschiedlich lange. Das muss vorbereitet (Beifall bei der AfD) werden! Mittlerweile sind Lieferketten unterbrochen. Produktionen der Zulieferer wurden ebenso reduziert Die Zahlungen an Brüssel werden nach unserem Konzept wie die Konsumketten mit den Endverbrauchern. auf die Beitragshöhe des Jahres 2019 rückgeführt und eingefroren. Auch das Projekt Europa kann nur mit star- Nehmen wir das Beispiel der Gastronomie. Noch kurz ken nationalen Finanzpartnern eine Zukunft haben. Dafür vor Weihnachten waren die Vorratslager gefüllt. Die brauchen wir in Deutschland und für unsere Bürger nach- Feiertage standen bevor, und die erwarteten Umsätze haltige Investitionen. Wir müssen die einheimische Wirt- (B) blieben aus. Der Verlust stellte sich mehrfach dar: Zum schaftskraft endlich wieder stärken. (D) einen waren die Lokale geschlossen; zum anderen muss- ten Lebensmittel in erheblichen Größenordnungen ver- (Beifall bei der AfD) nichtet werden. Meine Damen und Herren der Bundesregierung, ein (Timon Gremmels [SPD]: Das wird aber ent- Kommentar in der „Neuen Zürcher Zeitung“ vom schädigt!) 1. März dieses Jahres spricht in seinem Titel aus, was die Mehrheit der Deutschen mittlerweile über Ihre Coro- Und nun greift der zuvor beschriebene Prozess: Die Lie- napolitik denkt: „Deutschland im Dauer-Lockdown: Zu ferketten müssen wieder anlaufen, um Geschäfte wieder Tode geschützt ist auch gestorben“. Die rückläufige zu ermöglichen. Akzeptanz Ihrer Maßnahmen oder vielmehr die deutliche Das lässt mich zum nächsten Punkt und zu einer der Ablehnung der Bevölkerung zeigt, was die Bürger ver- Kernforderungen unseres Antrags kommen: die finanz- langen. ielle Grundausstattung der Geschäftsleute. Von denen, (Timon Gremmels [SPD]: Es gibt keine deut- die noch existieren, brauchen alle endlich die lang ver- liche Ablehnung!) sprochenen Coronahilfen. Frau Bundeskanzlerin, beenden Sie diesen leidbrin- (Zuruf von der AfD: Genau!) genden Lockdown! Was muss noch passieren, dass Sie Ohne diese können weder Grund- und Lohnkosten noch auf die Rufe aus dem Volk hören, bevor Sie zur Vernunft die Kosten für den Neustart bestritten werden. kommen? Es wurden und werden die Hygienekonzepte angepasst und erweitert. Trauen Sie Ihren Bürgern end- Uns allen ist mittlerweile klar, dass wir auch in den lich mal was zu! Behandeln Sie sie nicht wie dumme nächsten Monaten noch eine Vielzahl von Hilfszahlungen Kinder! an die betroffenen Unternehmen sicherstellen müssen. Wir müssen vonseiten des Staates zeigen, dass wir die (Beifall bei der AfD) Unternehmen auch in schwierigen Zeiten unterstützen. Mit andauernden Verboten werden Sie die Stimmen Ihrer Wir müssen schon heute Rahmenbedingungen dafür Kritiker nicht verstummen lassen. Wir werden mehr und schaffen, dass die Menschen ihre innovativen Ideen wie- mehr den Anschluss an das Leben da draußen verlieren der im Land der Dichter und Denker umsetzen möchten. und die Stabilität unserer Demokratie damit aufs Spiel Trotz aller Schwierigkeiten muss es wieder attraktiv sein, setzen. in Deutschland ein Unternehmen zu gründen. Ein Schlag- Werte Kollegen dieses Hohen Hauses, die Wirtschaft wort hierbei ist Bürokratieabbau. Ich kann es nicht mehr und die Menschen in Deutschland brauchen eine wahre hören. Die Bürger und die Unternehmen ersticken unter Perspektive. Wir sind alle müde von den politischen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27035

Tino Chrupalla (A) Wendemanövern dieser Bundesregierung, die nicht mehr Wir können dankbar sein, dass wir in dieser Krisenzeit (C) auf unser Wohl ausgerichtet sind. Lassen Sie uns vernünf- mit eine Bundeskanzlerin haben, die die tig handeln! Geben Sie sich endlich einen Ruck, und Nerven behalten, klug, besonnen und zielführend gehan- stimmen Sie dem Antrag der AfD zu! Wir brauchen einen delt, die Menschen in der Gesundheit geschützt und Aufbruch für Deutschland. gleichzeitig die Wirtschaft funktionsfähig gehalten hat. Vielen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Am 1. März schrieb der Deutsche Sparkassen- und (Beifall bei der AfD – Michael Grosse-Brömer Giroverband – ich zitiere –: [CDU/CSU]: Welchem Antrag?) Der Dienstleistungsbereich ist in vielen Teilen von direkten Schließungen betroffen, während die Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Industrie größtenteils ungebremst durchproduzieren Verehrte Kolleginnen und Kollegen, darf ich mich mal kann. an die Kollegen der AfD wenden, die so zahlreich anwe- send sind, dass sie keinen Sitzplatz finden? Wir haben Natürlich ist die Situation in Gastronomie, Einzelhan- extra, um die bestehenden Abstandsregeln im Plenarsaal del, Tourismus- und Kulturbereich dramatisch. Aber einhalten zu können, die Zuschauertribünen freigehalten. genau deswegen haben wir ein nie dagewesenes Hilfs- Also, wenn Sie keine Plätze im Plenarsaal finden, dann programm auf den Weg gebracht. Und, meine Damen stehen Sie bitte nicht hinten dicht zusammen, sondern und Herren: Das Ziel ist ja nicht mehr weit. Wir dürfen nutzen Sie die Plätze auf den Zuschauertribünen. – Ich nur nicht leichtsinnig und ungeduldig werden. Mit Tes- danke Ihnen. ten, Impfen, Lüften, Corona-App und AHA-Regeln kön- nen wir es bis Ende des Sommers geschafft haben. Nächster Redner ist der Kollege Peter Bleser, CDU/ (Lachen bei Abgeordneten der AfD) CSU. Den gleichen Optimismus habe ich übrigens auch für (Beifall bei der CDU/CSU – Sebastian Brehm die wirtschaftliche Entwicklung. Binnen eines Jahres [CDU/CSU]: Jetzt kommt Niveau in die Debat- haben wir in Deutschland einen Impfstoff gegen ein Virus te!) entwickelt, das wir vor gut einem Jahr noch nicht einmal gekannt haben. Das ist für mich der klare Beweis für die Innovationskraft unseres Landes. Für diese Innovations- Peter Bleser (CDU/CSU): kraft unserer Wirtschaft spricht aber nicht nur die rasante Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Rhein- Impfstoffentwicklung. Federführend sind wir auch bei (B) (D) land-Pfalz und in Baden-Württemberg stehen Landtags- Investitionen in die Entwicklung von Strategien zur Ab- wahlen an, und Sie von der AfD suchen die große Bühne. schaffung der Kernenergie und fossiler Energieträger, beim Umbau der Energieversorgung, bei der Dekarboni- (Tino Chrupalla [AfD]: Das ist ja nicht verbo- sierung der Wirtschaft, der Mobilität, der Wärmeversor- ten! – Gegenruf des Abg. Michael Grosse- gung. Auch hier stecken Sie in alten Denkschablonen. Sie Brömer [CDU/CSU]: Nur schlecht, wenn man betiteln Ihren Antrag zwar mit „Aufbruch für Deutsch- nicht weiß, was man aus der Bühne machen land“; aber in Wahrheit ist es ein Aufbruch in die Ver- soll!) gangenheit. Deswegen verstehen Sie auch die Energie- wende nicht: weil diese ein Projekt für die Zukunft ist. Nur das kann eigentlich der wahre Grund dafür sein, dass Sie hier drei schludrige Anträge eingebracht haben. Sie (Lachen bei Abgeordneten der AfD) befassen sich mit einem Sammelsurium von Themen: Ich hingegen sage Ihnen: Damit sind gigantische von der Coronabekämpfung bis zur Energiewende. Sie Chancen verbunden, nämlich neue Geschäftsmodelle, reden einfach nur alles schlecht. zukunftsfähige Technologien, Arbeitsplätze, Technolo- gieführerschaft und Wertschöpfung, insbesondere auch Bei Ihren Vorschlägen zu Corona ist mein Eindruck, im ländlichen Raum. Ich bin politisch schon einige Jahre dass wir in verschiedenen Welten leben. Sie ignorieren unterwegs, und ich kann Ihnen sagen: So etwas Tolles mehr als mittlerweile 70 000 Tote, die Menschen mit habe ich noch nicht erlebt. Jeden Tag drängen neue Ent- Langzeitschäden und das Leid in den Familien. Sie wol- wicklungen und neue Ideen auf den Markt. len eigentlich nur Risikogruppen schützen, schreiben Sie. In Deutschland haben aber 36 Millionen Menschen ein Ich sage Ihnen: Die Klimaziele und die Energiewende erhöhtes Risiko für einen schweren Covid-19-Verlauf. sind nicht nur erreichbar und machbar, sondern sie sind Davon sind 21 Millionen Menschen in der Hochrisiko- zwingende Voraussetzungen für unseren wirtschaftlichen gruppe. Sie stellen Ihre populistischen Forderungen über Erfolg. Woher weiß ich das? Als Berichterstatter für diese Schicksale. Energieforschungs- und Förderprogramme sehe ich, wie das Bundeswirtschaftsministerium unter der Führung von Für uns und für mich persönlich steht nach wie vor die Energiewende systematisch vorberei- fest: Menschenleben und Gesundheit stehen vor wirt- tet. Mit fünf SINTEG-Schaufensterprojekten im ganzen schaftlichen Erwägungen. Land haben wir die Energiewende geübt, mit 20 Reallabo- ren testen wir jetzt die großtechnische Anwendung, und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und mit 9 Milliarden Euro gehen wir bei der Wasserstoffstra- der Abg. Ulli Nissen [SPD]) tegie in die Vollen. 27036 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Peter Bleser (A) Wen glauben Sie von der AfD eigentlich mit Ihrer (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, (C) restriktiven Handlung zu vertreten? Die Wirtschaft jeden- der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE falls nicht. GRÜNEN) (Karsten Hilse [AfD]: Mit Sicherheit!) Die wichtigste Maßnahme für die politische Hygiene wäre aber, dass die Bürgerinnen und Bürger diese Frak- Die Firmen überschlagen sich mit Ankündigungen, wann tion aus den Parlamenten in Bund und Ländern heraus- sie klimaneutral sein wollen. Das fängt bei der Stahl- und wählen, meine Damen und Herren. Kupferproduktion an und geht über die chemische Industrie bis hin zu den Rechenzentren. (Beifall bei der FDP) Nur die Energiewende wird unsere Wirtschaft wettbe- Jetzt zu Ihren Anträgen. Sie vermischen Steuersenkun- werbsfähig halten können. Auf der ganzen Welt läuft die gen und Bürokratieabbau – für beides hat die FDP schon Umstellung schon auf Hochtouren. Die Energiewende gekämpft, als es die AfD noch gar nicht gab – mit regenerativer Stromerzeugung und Wasserstoffwirt- schaft ist die nächste große industrielle Revolution. Das (Zurufe von der AfD) müssen wir uns vor Augen halten. mit Nationalismus, mit Fremdenfeindlichkeit, mit Res- (Beifall bei der CDU/CSU – Sebastian Brehm sentiments zu einem giftigen Cocktail. Und dann verbrei- [CDU/CSU]: So schaut’s aus!) ten Sie auch noch Unwahrheiten. Sie sagen, wenn man EU-Beiträge streichen würde, blieben 40 Milliarden Euro Diese Umsetzung ist natürlich eine große Herausfor- netto bei uns – als ob es keine Rückflüsse aus der EU zu derung; das sehe ich auch. Daran mitzuarbeiten, ist mir uns gäbe. aber eine große Freude. Ich kann Ihnen von der AfD nur empfehlen: Beteiligen Sie sich daran. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Karsten Hilse [AfD]: Nein! Das hat doch nie- (Karsten Hilse [AfD]: An der Zerstörung mand gesagt!) Deutschlands werden wir uns niemals beteili- gen!) An der Stelle, meine Damen und Herren, sage ich: Das A in Ihrem Parteinamen steht für Abschottung, für Aus- Ansonsten trifft für Sie das Sprichwort zu: „Wer nicht mit grenzung, für Abstieg, für Albtraum – nicht für Auf- der Zeit geht, geht mit der Zeit.“ bruch, meine Damen und Herren. Ich wünsche Ihnen eine gute Reise. (Beifall bei der FDP – [BÜND- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Für Hass und Hetze!) (B) Timon Gremmels [SPD]) Sie sind auch nicht für etwas, sondern Sie sind meis- (D) tens gegen etwas. Sie sind gegen die Vertretung der deut- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: schen Interessen in der Europäischen Union. Michael Theurer, FDP, ist der nächste Redner. (Lachen bei der AfD) (Beifall bei der FDP) Es kann Deutschland auf Dauer nicht gut gehen, wenn es unseren Nachbarn schlecht geht, meine Damen und Her- Michael Theurer (FDP): ren. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – einem ihrer drei vorliegenden Anträge beantragt die AfD, Timon Gremmels [SPD]: So ist es!) sofort alle Anticoronamaßnahmen mit Ausnahme des Schutzes der vulnerablen Gruppen und der Maßgabe Wer ethnische Kriterien zur Grundlage der Politik macht – von Hygienekonzepten zu beenden. das kann man in den Donauländern, in Mittel- und Ost- europa sehen –, der endet in Krieg und Krise. Sie aber (Beifall bei der AfD) machen ethnische Kriterien zur Grundlage Ihrer Politik. Dabei sieht man an Ihrem realen Verhalten heute hier, Herr Gauland, wann ziehen Sie endlich Ihre Pickelhaube aber auch an anderer Stelle, dass Sie längst im Lager ab? der Coronaleugner angekommen sind. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE SPD – Christian Dürr [FDP]: So ist es!) GRÜNEN – Widerspruch bei der AfD) Auf Ihren Pressekonferenzen sitzen Sie ohne jeden Die große Idee der europäischen Einigung ist es, den Abstand. Schon wieder hat sich ein Kollege von Ihnen Verlauf der Grenzen unwichtig zu machen, weil die Gren- infiziert; schon wieder müssen die Fraktionsvorstands- zen durchlässig und offen sind. Darauf müssen wir gerade kollegen der anderen Fraktionen in Quarantäne. jetzt achten. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: So ist (Zuruf von der AfD: Dann macht doch die es!) Grenzen auf!) Die wichtigste Hygienemaßnahme, die ich mir langsam Angesichts Hunderter aktueller Grenzkonflikte in der wünschen würde, wäre eine Plexiglaswand zwischen Welt wäre das ja die Blaupause für den Frieden in ande- unserer Fraktion und Ihrer. ren Erdteilen. Dabei sind der Zugang zum Binnenmarkt Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27037

Michael Theurer (A) und die Aufrechterhaltung des Binnenmarktes, also ein Die AfD will in ihrem Antrag die Umsatzsteuer um 4 (C) klares Bekenntnis zur Europäischen Union – die auch bzw. um 2 Prozentpunkte senken. Das klingt – das muss finanziert werden muss –, man zugeben – erst einmal gar nicht so unpopulär. Wir (Zuruf von der AfD) wissen aber, meine Damen und Herren, dass eine dauer- hafte Senkung der Mehrwertsteuer leider nicht oder nur die Grundlage für Wachstum, für Wohlstand und für um weniger als die Hälfte an die Verbraucherinnen und Arbeitsplätze. „Aufbruch Deutschland“ heißt: ein ganz Verbraucher weitergegeben wird; das ist nun mal so. Das klares Bekenntnis zur Europäischen Union. Das lassen zeigt auch die Erfahrung aus anderen Ländern wie Frank- Sie vermissen; das ist der Hasenfuß an Ihren Anträgen. reich, Finnland und Schweden, die 2009 die Umsatz- Deshalb müssen Ihre Anträge abgelehnt werden. steuer für Restaurants gesenkt haben. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD Das heißt: Das, was Sie in Ihrem Antrag den Menschen und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) vorrechnen und vollmundig versprechen, wird so nicht Das Medianvermögen in anderen Ländern ist doch eintreten. Ihr Antrag ist voller leerer Versprechen. Er ist deshalb höher, weil in Deutschland viele Mittel in die damit ökonomisch unsinnig. Wenn wir die Steuern für Sozialversicherung und in den Staat gesteckt werden. Verbraucherinnen und Verbraucher senken wollen, dann Wir als Freie Demokraten haben hier Alternativkonzepte sollten wir das wohlüberlegt tun und an den richtigen vorgelegt. Wir sehen Reformbedarf in Deutschland; aber Stellen. das hat mit der Europäischen Union nichts zu tun, meine (Beifall bei der SPD) Damen und Herren. Deshalb müssen wir Ihre Anträge ablehnen. Es ist richtig: Gemessen an ihrem eigenen Einkom- men, profitieren Menschen mit wenig Geld von der Noch ein Wort zur Fachkräftezuwanderung. Wer ver- Mehrwertsteuersenkung am meisten. In absoluten Beträ- breitet denn Ressentiments gegen Ausländer und Zuwan- gen wiederum profitieren sie aber nicht am stärksten; derer? Das sind doch Sie! denn wenn Sie die Mehrwertsteuer auf Luxusgüter sen- (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der ken, dann profitieren davon diejenigen, die sich teuren SPD – Timon Gremmels [SPD]: Ja!) Schmuck und andere Luxusgüter kaufen. Wer in Zukunft die Renten finanzieren will, der muss (Beifall bei der SPD) doch für Weltoffenheit stehen, der muss für Liberalität Wenn die AfD die unteren Einkommen hätte entlasten stehen, der muss gesteuerte Zuwanderung akzeptieren. wollen, dann hätte sie der Abschaffung des Solidaritäts- Dafür stehen Sie nicht. Sie sind für eine rückwärtsge- zuschlages zugestimmt. wandte Politik. Ihre Politik ist kein Aufbruch für (B) (D) Deutschland; Ihre Politik ist Abbruch für Deutschland. (Karsten Hilse [AfD]: Das haben wir gefordert, bevor Sie mit Ihrem Gesetz gekommen sind!) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wir haben den Solidaritätszuschlag für 90 Prozent der Deshalb, meine Damen und Herren, rufe ich Sie auf: Einkommen abgeschafft, nur die oberen 3,5 Prozent zah- Folgen Sie einem ihrer Gründer! Hans-Olaf Henkel hat len ihn weiter. klar gesagt – ich zitiere auswendig –, es gräme ihn, mit der AfD ein Monster erschaffen zu haben. Er hat die (Beifall bei der SPD) Konsequenzen gezogen: Er ist ausgetreten. – Ich rufe Sie bemühen in Ihrem Antrag auch die kalte Progres- alle Menschen in Ihrer Partei, die es gut mit Deutschland sion, obwohl Sie wissen oder zumindest wissen müssten, meinen, auf, auszutreten und damit Herrn Henkel – noch dass wir mit der Eckwerteverschiebung nach rechts und mal: einem der Gründer – zu folgen. der Anhebung des steuerlichen Grundfreibetrages die Vielen Dank. kalte Progression ausgleichen. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der (Beifall bei der SPD) SPD – Christian Dürr [FDP]: Sehr gut, Man kann zu der Systematik der Mehrwertsteuer und Michael! – Michael Grosse-Brömer [CDU/ auch zu der Tatsache, dass sie angehoben wurde, kritisch CSU]: Das war seit Langem mal wieder eine stehen – ich stehe dazu sehr kritisch –, aber wer an die gute Rede!) Mehrwertsteuer heranwill, der sollte sie klug reformie- ren, nicht einfach via Gießkanne alles senken. Darum Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: ist der vorgelegte Antrag hier keine Alternative. Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Wiebke Esdar, (Beifall bei der SPD) SPD. Es ist aber auch kein gut überlegter Vorschlag; denn er (Beifall bei der SPD) ist völlig überholt. Sie legen den Haushaltsüberschuss der Jahre 2018 und 2019 zugrunde. Haben Sie eigentlich Dr. Wiebke Esdar (SPD): nicht mitbekommen, was in den letzten Jahren hier pas- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zukunft siert ist? gibt es nicht für lau. Darum ist der Antrag der AfD öko- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) nomisch unsinnig, er ist völlig überholt, und er ist vor Es ist ja bekannt, dass es Coronaleugner in der AfD gibt. allem feindlich gegenüber der jungen Generation. Dass das aber so weit um sich greift, hätte ich persönlich (Beifall bei der SPD) nicht gedacht. 27038 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Dr. Wiebke Esdar (A) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (C) Ich weise darauf hin, dass die Frist für die namentliche Um auch das ganz klar zu sagen: Dass wir in dieser Abstimmung zu Punkt 8 a der Tagesordnung in wenigen Pandemie milliardenschwere Hilfspakete aufgelegt Minuten abläuft, sodass ich diese namentliche Abstim- haben, ist richtig, weil gegen die Krise anzusparen uns mung nach dem nächsten Redner schließen werde. am Ende noch viel teurer zu stehen kommen würde. Ich mache mir auch aufgrund unserer Wirtschaftskraft und Jetzt erteile ich als nächstem Redner dem Kollegen der im internationalen Vergleich immer noch geringen Alexander Ulrich, Die Linke, das Wort. Schuldenquote keine Sorgen. Schätzungen gehen davon (Beifall bei der LINKEN) aus, dass die Schulden von Bund, Ländern und Gemein- den 2021 bei rund 73 Prozent liegen. Das sind dann Alexander Ulrich (DIE LINKE): immer noch 9 Prozentpunkte weniger als 2010 nach der Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Finanzkrise. einer viel zu guten Zeit müssen wir hier heute AfD-Anträ- ge behandeln, die eigentlich unnötig sind. Das, was wir Darum kommt es in dieser Krise darauf an, dass wir die heute vorgelegt bekommen haben, ist wirtschaftspolitisch richtigen Entscheidungen treffen. Das, was Sie vorgelegt und europapolitisch eine Geisterfahrt und sollte eigent- haben, meine Damen und Herren, trägt nicht dazu bei. lich von Ihnen schon heute zurückgezogen werden, damit wir im Ausschuss überhaupt nicht mehr darüber reden (Beifall bei der SPD) müssen. Denn der Vorschlag, den Sie vorgelegt haben, würde zu (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Mindereinnahmen von mehreren Milliarden Euro führen. neten der CDU/CSU) Sie rechnen mit 51 Milliarden Euro. Im Endeffekt wird es Sie haben kurz vor zwei Landtagswahlen mal wieder von der Konjunktur abhängen, wie viel Milliarden es alles auf Papier gebracht, was Ihnen schon immer wichtig sind; aber es ist klar, dass es hohe Milliardenbeträge war, aber was uns als Land massiv schaden würde. Man sein werden. muss noch mal deutlich sagen: Wenn die AfD was zu sagen hätte, hätten wir heute schon Millionen Arbeitslose Mich treibt vor allem um, wie wir die Handlungsfähig- mehr, diesem Land würde es insgesamt schlechter gehen, keit des Staates, insbesondere der Kommunen, nach der und wir wären europapolitisch und in der ganzen Welt Krise sichern. Wir brauchen vor Ort Spielraum; denn für sehr isoliert. Klimaschutz und Verkehrswandel brauchen wir Investi- tionen. In Deutschland schließt seit Jahren alle vier Tage (Dr. [AfD]: Das sind nur (B) (D) ein Schwimmbad. Das hat nichts mit Corona zu tun. Behauptungen!) Diese Hallenbäder sind einfach marode, sie sind kaputt- Das haben Sie heute noch mal sehr gut zu Papier gespart. Ich will aber, dass in Deutschland alle Menschen gebracht. Schwimmen lernen können. Darum brauchen wir Geld In den Anträgen steht wieder alles drin, beginnend für unsere öffentliche Infrastruktur. damit, dass man das Lieferkettengesetz ablehnt. Was das mit der Coronakrise zu tun hat, weiß ich nicht. Sie (Beifall bei der SPD) wollen zurück zur Kernkraft. Sie wollen im Prinzip, dass die Coronamaßnahmen beendet werden. Das heißt, für Meine Damen und Herren, ich bin davon überzeugt, Sie sind Profite wichtiger als Menschenleben und dass wir besser in unsere Zukunft investieren und das Gesundheit. Geld besser dafür verwenden sollten, Schulen besser aus- zustatten, Straßen zu sanieren, Breitband bis an jede (Zuruf von der AfD: Arbeitsplätze! Davon Milchkanne auszubauen, in jeder Kommune ausreichend verstehen Sie ja nichts!) Schwimmbäder zu haben und die Angebote in der offe- All das bringen Sie zu Papier. Deshalb kann das alles nen Kinder-und Jugendarbeit, in der Quartiersarbeit und nur abgelehnt werden. in der Senioren- und Seniorinnenarbeit auszuweiten, weil (Beifall bei der LINKEN) all das zum Zusammenhalt in unserer Gesellschaft bei- trägt und Zukunftsinvestitionen nicht nur wichtig sind, Es ist ein krudes Gemisch und Ausdruck von Planlo- um den Wirtschaftsstandorts zu sichern, sondern auch, sigkeit, was Sie uns hier vorschlagen. Von daher: Ziehen um ganz einfach das Leben lebenswerter zu machen. Sie die Anträge zurück! Sie sind eigentlich keine Rede wert. Das will aber die AfD nicht, weil sie spalten will. Die (Beifall bei der LINKEN) AfD hat auch mit diesem Antrag wieder einmal gezeigt, dass sie Politik nur für die Reichen macht, auch wenn sie Dass Herr Altmaier da ist, finde ich gut. Denn dann vorgibt, dass das anders sei. Weil sich aber am Ende nur können wir uns auch ein bisschen mit der Bundesregie- reiche Menschen einen armen Staat leisten können, leh- rung beschäftigen, wenn wir schon mal Anlass zum nen wir den Antrag der AfD ab. Reden haben. Herr Altmaier, das Wirtschaftsministerium ist in dieser Coronakrise wirklich – das muss man sagen – Herzlichen Dank. ein Schwachpunkt. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das (Beifall bei der SPD) stimmt!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27039

Alexander Ulrich (A) Sie machen ein Wettrennen mit dem Gesundheits- verzichten und gleichzeitig sagen, man will wieder zur (C) minister, wer der schwächste Minister in Deutschland Schuldenbremse zurückkehren. – Denn dann versündigt ist. Jetzt können Sie vielleicht froh sein, dass Herr Spahn man sich an den kommenden Generationen. mal ein, zwei Wochen vor Ihnen liegt; aber Sie werden Deshalb glauben wir, es braucht einen Mix. Wir brau- sich mit der Notfallhilfe wahrscheinlich bemühen, nächs- chen höhere Steuern für Reiche und Wohlhabende, und te Woche wieder derjenige zu sein, der sich schwertut, wir müssen weiterhin die schwarze Null zumindest mal uns durch die Coronakrise zu bringen. Deshalb glaube aussetzen, damit in die Zukunft investiert werden kann. ich: Wenn wir Gesundheit vor wirtschaftliche Interessen Denn die Klimakrise macht auch wegen Corona keine stellen, was wir als Linke begrüßen, dann müssen die Pause. Es muss dringend viel Geld in die Zukunft inves- Maßnahmen, die wir für diejenigen gedacht haben, die tiert werden. wirtschaftlich unter dieser Krise leiden, aber auch bei ihnen ankommen. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Herr Theurer, ich muss auf Ihre Rede eingehen. Was Sie mit Ihren Wirtschaftshilfen bisher gemacht (Christian Dürr [FDP]: Eine sehr gute Rede!) haben, ist eine reine Katastrophe. Sie haben sich von der AfD gut absetzen wollen, indem Da reicht es auch nicht aus, wenn Sie immer wieder auf Sie vorgeschlagen haben, hier eine Plexiglaswand zu die Bundesländer verweisen. Wenn es mit der Coronaso- errichten. Sie haben dann noch gesagt, dass die Vorschlä- forthilfe schon im letzten Sommer nicht geklappt hat, ge, die die AfD macht, die FDP schon gemacht hätte, als dann hätte doch Ihr Haus sagen müssen: Wir nehmen es die AfD noch gar nicht gegeben hätte. Vielleicht sollte das jetzt selbst in die Hand und sorgen dafür, dass die sich die FDP mal Gedanken machen, ob ihr neoliberaler November- und Dezemberhilfen, die Coronahilfe III Mix, der zur sozialen Spaltung führt, nicht im Ergebnis oder nun auch die Notfallhilfe für die, die bisher durch auch dazu geführt hat, dass die AfD überhaupt da ist. Eine jedes Raster gefallen sind, endlich dort ankommen. – Es soziale Spaltung macht natürlich auch die rechte Seite kann nicht sein, dass viele Existenzen, Arbeitsplätze, stark. Soloselbstständige und Einzelhändler darunter leiden müssen, dass dieses Wirtschaftsministerium nichts auf die Reihe kriegt. (Christian Dürr [FDP]: Was ist denn das für ein Bullshit?) (Beifall bei der LINKEN) Herr Altmaier, Sie sind vielleicht wie die AfD und die Deshalb: Ihre Politik und das, wofür Sie stehen, ist (B) FDP Anhänger der Meinung: Wir müssen schnell zurück auch Ausdruck dessen, dass jetzt die AfD im Bundestag (D) zu dem alten Zustand. – Wir als Linke sagen Ihnen ganz ist. deutlich: Nach Corona wird es nie mehr so sein wie vor Corona. Denn die Coronakrise hat gezeigt, wie dringend (Beifall bei der LINKEN – notwendig Zukunftsinvestitionen in diesem Land sind. [AfD]: Das hat eine Wahl entschieden!) (Beifall bei der LINKEN) Deshalb, glaube ich, müsste auch die FDP ihre Politik mal grundsätzlich überdenken. Ob Krankenhäuser, die Infrastruktur, das Gesundheits- wesen insgesamt oder die ökologischen Notwendigkeiten Herr Altmaier, wenn wir jetzt noch einige Wochen und der Klimakrise, wir brauchen viel, viel Geld. Deshalb Monate mit der Coronakrise leben müssen, bleibt Die erneuern wir unseren Vorschlag vom letzten Jahr. Wir Linke bei ihren Vorschlägen. Wir müssen diejenigen brauchen zusätzliche Investitionen in Höhe von 500 Mil- schützen, die darunter zu leiden haben. Das heißt, die liarden Euro in den nächsten zehn Jahren für den sozial- Coronahilfen müssen schnell dort ankommen, wo sie hin- ökologischen Umbau unserer Gesellschaft. gehören. Die Notfallhilfe muss jetzt schnell zur Auszah- lung kommen. Wir brauchen eine Erhöhung des Kurz- (Beifall bei der LINKEN) arbeitergelds. Wir bleiben dabei: Wir brauchen ein Das bekommt man natürlich nicht damit hin, dass man Mindestkurzarbeitergeld von 1 200 Euro. Und wir sagen der Frage aus dem Weg geht, wer es zu bezahlen hat. Wir klipp und klar: Wenn Firmen gerettet werden, dann muss als Linke sagen deutlich: Die Wohlhabenden und die das mit Beschäftigungssicherung verbunden werden. Es Reichen in Deutschland und in Europa müssen nach der kann nicht sein, dass die Lufthansa Milliarden bekommt Krise zur Verantwortung gezogen werden; sie müssen und dann 30 000 Menschen rauswirft. Auch heute, wo die mehr beitragen, damit die Gesellschaft gelingt. Deshalb Lufthansa ja ihre Pressekonferenz hat, muss das noch mal ran an das Geld der Reichen! Mehr Umverteilung! deutlich zum Ausdruck gebracht werden. (Dr. [AfD]: Unfassbar!) Vielen Dank. Dann ist der sozialökologische Umbau auch ohne neue (Beifall bei der LINKEN) Schulden zu finanzieren. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Aber wenn man darauf verzichtet, sich mit den Wohl- Jetzt komme ich zurück zu Tagesordnungspunkt 8 a. Ist habenden anzulegen, dann muss man halt die Schulden- noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stim- bremse und die schwarze Null außer Kraft setzen. Denn me nicht abgegeben hat? – Das ist offenbar nicht der Fall. beides geht nicht: Man kann nicht auf Steuererhöhungen So schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftfüh- 27040 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (C) nen. Das Ergebnis der Abstimmung wird später bekannt Das Motto muss sein: „Aus der Krise lernen und sie gegeben.1) nutzen, um umzusteuern.“ Es werden Milliardeninvesti- Damit erteile ich als nächster Rednerin das Wort der tionen notwendig sein, um aus der Coronakrise heraus- Kollegin Claudia Müller, Bündnis 90/Die Grünen. zukommen. Die können und müssen wir auch so nutzen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dass wir uns nachhaltig aufstellen. Das wäre klug. Hin zu mehr Klimaschutz, hin zu mehr Kreislaufwirtschaft und Claudia Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): hin zu mehr Widerstandsfähigkeit gegen Krisen! Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nen und Kollegen! Das Motto der AfD: „Zurück ins Vor- gestern!“ Was sollte man auch anderes von einer vom Das ist der Zeitgeist. Die EU und die USA machen es Verfassungsschutz beobachteten rechtsextremen Partei vor. Aber die schwarz-rote Koalition sendet über die letz- erwarten? Die AfD schreibt „Lockdown aufheben“ darü- ten Jahre hinweg immer wieder widersprüchliche und ber, will aber möglichst gleich noch sämtliche Maßnah- falsche Signale. men für den Klimaschutz aufheben. (Zuruf des Abg. Dr. [AfD]) Dass die braune AfD eine Partei der Vergangenheit ist, das hat sie schon oft bewiesen. Sie nimmt Klimaschutz, Digitalisierung und Kreislauf- wirtschaft nicht ernst genug. Gerade in Bezug auf die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Digitalisierung haben wir doch in dieser Krise schmerz- Mit diesen Anträgen offenbart sie ihre rückwärtsgewand- lich gemerkt, wie sehr uns die fehlende Infrastruktur te und wissenschaftsfeindliche Einstellung einmal mehr. lähmt. Es ist eine Zukunftsfrage, ob wir nicht nur die Großstädte, sondern auch die Klein- und Mittelstädte (Martin Reichardt [AfD]: Das muss man sich und den ländlichen Raum anschließen und ihnen gute von Neomarxisten nicht gefallen lassen!) Entwicklungschancen bieten. Egal ob Gender Studies, Epidemiologie oder Klimafor- schung, wissenschaftliche Erkenntnisse und die Positio- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nen der AfD gehen nicht zusammen. Zu wenig Investitionen, ordnungspolitisch zu niedrige (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Leitplanken und in Brüssel zum Teil sogar der Einsatz sowie bei Abgeordneten der SPD und der gegen entsprechende Regelungen: So schaffen wir die LINKEN) Transformation hin zu ökologischem und krisensicherem Wirtschaften nicht. Da müssen wir dringend was ändern, (B) „Zurück ins Vorgestern!“, das ist Ihr Motto. Dabei mar- und da brauchen wir klare Signale der Bundesregierung (D) schieren Sie im Stechschritt an der Wirklichkeit vorbei. für Stabilität. Denn wir können es schaffen, aus dieser Ihr Antrag mit Vorschlägen zur Konjunkturbelebung Krise langfristig stärker hervorzugehen. liest sich wie eine Sammlung von Worst-of-AfD-Wirt- Ich will mal ein Positivbeispiel nennen. Das EEG, von schaftsideen, geprägt von Ihrem vorgestrigen Weltbild vielen heute sehr gescholten, hat sehr positive Impulse für und in der heutigen Zeit kontraproduktiv. Nur ein die Entwicklung der erneuerbaren Energien gesetzt. Beispiel: Deutschland braucht dringend mehr Fachkräfte- zuwanderung. Dafür brauchen wir eine Willkommens- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – kultur, um im globalen Wettbewerb um die bestausge- Lachen bei Abgeordneten der AfD – Timon bildeten Talente bestehen zu können. Ihre Vorschläge Gremmels [SPD]: Wer hat’s erfunden? – gehen in die genau entgegengesetzte Richtung. Gegenruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir!) Doch dafür, mich an Ihren Widersprüchen und Ihrer Recycling, Kreislaufwirtschaft, Energieeffizienz im Bau, Ahnungslosigkeit abzuarbeiten, ist mir, ehrlich gesagt, im Bereich Mobilität: Wir haben hier unglaubliche Po- meine Redezeit zu schade. tenziale für die Wirtschaft, für die Gesellschaft, für den Klimaschutz. Dabei, Herr Altmaier, müssen wir immer (Timon Gremmels [SPD]: Ja!) auch insbesondere die kleinen und mittelständischen Konstruktive Vorschläge, um Probleme zu lösen, über- Unternehmen mit in den Blick nehmen; denn dort ist lassen Sie sowieso uns allen anderen. Das ist schließlich das Innovationspotenzial Deutschlands. Darauf müssen nicht Ihre Stärke. unsere Programme entsprechend ausgerichtet sein. Dass sich die Klimakrise zuspitzt und das Klima sich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) durch den hohen CO2-Ausstoß erhitzt, leugnet außer Ihnen und Ihresgleichen niemand mehr. Sogar die großen Die Coronapandemie hat deutlich gemacht: Unsere Wirtschafts- und Industrieverbände stellen sich auf den Widerstandsfähigkeit in Krisen ist zu gering. Wir müssen Klimaschutz ein und fordern entsprechende Rahmenbe- unsere Krisenresilienz in allen Bereichen erhöhen. In dingungen, damit Klimaschutz sich endlich besser rech- Bezug auf die Pandemie heißt das zum Beispiel: Wir net. Damit sind die Unternehmen und Verbände inzwi- brauchen langfristig den Aufbau einer Pandemiewirt- schen weiter als die Bundesregierung. schaft, (Dr. [AfD]: Einer was? – Zuruf 1) Ergebnis Seite 27043 C des Abg. Dr. Harald Weyel [AfD]) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27041

Claudia Müller (A) in der schnell und zuverlässig Medikamente, Schutzklei- Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): (C) dung und Tests produziert werden können. Diese Kapa- Liebe Frau Präsidentin, guten Morgen! Sehr geehrte zitäten müssen wir in Europa vorhalten können; denn wir Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! machen das alles nicht alleine, sondern in einem inter- Zunächst einmal möchte ich betonen, dass die Anstren- nationalen Kontext – etwas, was Sie nicht verstanden gungen der letzten Wochen und Monate nicht umsonst haben. Aber dafür brauchen diese Unternehmen Verbind- waren, wie das ja suggeriert wurde. Wir haben gemein- lichkeit in Bezug auf Abnahme und Preis. sam erreicht, dass die Zahl derer, die sich in intensivme- dizinischer Behandlung befinden, massiv gesunken ist. (Beifall des Abg. Timon Gremmels [SPD]) Das ist gut, und das ist ein Erfolg, meine Damen und Aber da ist mehr. Die Klimakrise wird uns immer wie- Herren. der in solche Ausnahmesituationen bringen, und wir sind Jetzt, kurz bevor wir am Ziel sind, von Durchseu- unzureichend darauf vorbereitet. Wir brauchen Lösun- chungsstrategien zu sprechen, wäre natürlich grund- gen, wenn zum Beispiel langanhaltende Trockenheit die falsch. Man kann über den Lockdown, man kann auch Landwirtschaft oder eben durch Niedrigwasser auch über einzelne Maßnahmen trefflich diskutieren, aber Transportwege, notwendig für unsere Stahl- und chemi- doch nicht über die Wirkung. Weniger Kontakte gleich sche Industrie, gefährdet. weniger Infektionen, das sollten sogar Sie verstehen. Sie zitieren ganz bewusst oder eben auch nicht bewusst Stu- Vizepräsidentin Claudia Roth: dien falsch oder einseitig. Es ist so, dass die Impfungen Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder jetzt schon eine Wirkung zeigen. Die Zahl der Neuinfek- Bemerkung aus der AfD-Fraktion? tionen ist gerade bei älteren Menschen bereits merklich gesunken. Das ist gut, und das ist wichtig, meine sehr Claudia Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): geehrten Damen und Herren. Auf gar keinen Fall. Gerade jetzt müssen wir auch mal ein deutliches Dan- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN keschön sagen: Danke für die Disziplin, für den nicht sowie bei Abgeordneten der SPD und der einfachen Verzicht, für das Mitmachen! Es war ja letzt- LINKEN) lich nicht die Politik, es waren nicht die Maßnahmen, es Um Resilienz zu fördern und Klimaneutralität zu errei- waren die Menschen, die dazu beigetragen haben, dass chen, muss die Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen die Situation jetzt wieder besser ist. Dafür möchte ich aufgebrochen werden. Kreislaufwirtschaft, Recycling mich ganz herzlich bedanken. und Upcycling erfahren berechtigterweise neues Interes- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (B) se. Hier brauchen wir eine bessere Vernetzung. Wir brau- ordneten der SPD und der FDP) (D) chen mehr regionale Wirtschaftskreisläufe, reduzierte Lieferwege und Transporte, um dauerhaft Arbeitsplätze, Eines muss immer klar sein: Nur wenn die Menschen Wertschöpfung hier zu sichern und gleichzeitig die glo- mitmachen, können die Maßnahmen letztlich auch grei- bale Klimakrise zu bekämpfen. Das ist ein wichtiger Bei- fen. Deshalb brauchen wir jetzt vor allem Akzeptanz in trag zur Krisenresilienz. der Bevölkerung, auch für die weiteren Maßnahmen. Zur Akzeptanz gehören natürlich auch Perspektiven – Per- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) spektiven für Öffnungen, für mehr Normalität. Ich bin dankbar, dass dementsprechend die MPK gestern einige Die Aufgabe ist komplex. Krisenpotenziale greifen Schritte in die richtige Richtung beschlossen hat. ineinander. Genauso vernetzt müssen daher unsere Ant- worten darauf sein. Zur Bewältigung und für eine Klar ist auch, dass für die Einschränkungen, die gerade zukunftsfähige Gesellschaft brauchen wir die drei T: der Gastro, dem Einzelhandel, aber auch beispielsweise Technologie, Talent und Toleranz. den Friseuren und anderen zugemutet wurden, wirt- schaftliche Hilfen benötigt werden. Die Hilfen laufen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) jetzt endlich Gott sei Dank an, und sie kommen auch Für nichts davon an. Wir brauchen aber zusätzlich einen Härtefallfonds – es sind 1,5 Milliarden Euro in den Raum gestellt wor- (Zuruf von der AfD: … stehen die Grünen!) den –, genau für die Fälle, in denen die bestehenden steht die AfD. Das haben Sie mit Ihren Anträgen mal Programme, aus welchen Gründen auch immer, eben wieder eindrucksvoll bewiesen. nicht greifen. Auch die Ausdehnung der Hilfen für Unter- nehmen bis 750 Millionen Euro Umsatz darf nicht an (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bürokratischen Hürden scheitern. Wir sehen da Olaf sowie der Abg. Ulli Nissen [SPD]) Scholz in der Pflicht. Hier muss gemeinsam geliefert werden, meine Damen und Herren. Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Claudia Müller. – Schönen guten Mor- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) gen, liebe Kolleginnen und Kollegen! – Ich hatte Ihnen Aber uns muss klar sein, dass die Hilfen natürlich kein noch keinen guten Morgen gewünscht. Ewigkeitsinstrument sind. Sie sind notwendig, aber nor- Nächster Redner für die CDU/CSU-Fraktion: malerweise will natürlich kein Unternehmer alimentiert Dr. Andreas Lenz. werden. Die Menschen wollen arbeiten. Das ist gut, und das muss von uns auch mit Perspektiven flankiert wer- (Beifall bei der CDU/CSU) den. Das Testen wird mehr Freiheit ermöglichen. Selbst- 27042 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Dr. Andreas Lenz (A) tests bieten Chancen für mehr Eigenverantwortung, für Vizepräsidentin Claudia Roth: (C) mehr Freiheit insgesamt, die wir natürlich nutzen müs- Gut. – Dr. Lenz, bitte. sen. Wir müssen weiter alle Potenziale beim Impfen nut- Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): zen. Wir brauchen so viel Impfstoff wie möglich, der so Herr Dehm, zunächst einmal macht es mir eigentlich schnell wie möglich verimpft werden muss. Wir werden immer Angst, wenn Die Linke mir zustimmt, auch wenn uns weiter an die AHA-Regeln halten müssen. Wir brau- es nur eine teilweise Zustimmung ist. chen die Masken, die Sie für lächerlich halten. (Timon Gremmels [SPD]: Warte mal ab, wenn Impfen, Testen, AHA und Öffnen, könnte man auch ich dir zustimme!) sagen. Wir brauchen Öffnungen, aber wir brauchen dif- Aber Sie nehmen sie auch gerne zurück. Aber Spaß bei- ferenzierte Öffnungen und nicht undifferenzierte Öffnun- seite: Zustimmung von Ihrer Seite wird letztlich auch von gen, wie sie die AfD fordert. Dabei betrachte ich die mir angenommen. Ergebnisse von gestern als ersten wichtigen Schritt. Wei- tere werden sich sukzessive nach Wenn-dann-Bedingun- Zu den Gesundheitsämtern. Sie haben wahrscheinlich gen anschließen. die Beschlüsse des Konjunkturpaketes des letzten Jahres nicht ganz gelesen. Es ist so, dass der Bund insgesamt Schließlich brauchen wir aber auch jetzt schon Kon- über 7,5 Milliarden Euro für die Gesundheitsämter zur zepte für das Wiederdurchstarten der Wirtschaft. Ein Verfügung stellt: für die personelle Ausstattung, aber Licht am Ende des Tunnels beispielsweise ist die schritt- auch für die Ausrüstung im digitalen Bereich. Das läuft weise Mehrwertsteuersenkung für die Gastro, die von uns jetzt an. Wir sind bei der Umsetzung schon massiv voran- bis Ende 2022 beschlossen wurde. Übrigens hat die AfD gekommen. Insofern läuft es. – Ich bedanke mich trotz- dagegengestimmt. dem für Ihre Wortmeldung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Dr. Lenz – Sekunde –, erlauben Sie eine Zwi- schenfrage oder -bemerkung von Dr. Diether Dehm? Er Vizepräsidentin Claudia Roth: sitzt links. Dann geht es weiter mit der Rede. (Heiterkeit) Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Ja, zu mehr Normalität zurückkehren – ich habe es Ach, der Komponist, genau. gesagt –: Testen, AHA-Regeln, Impfen werden dazu bei- (B) (Zuruf von der LINKEN: Nicht nur Kompo- tragen. (D) nist! – [DIE LINKE]: Nicht nur!) Wir wissen auch, wie wichtig die Innenstädte jetzt, – Aber auch. aber auch in der Zukunft sind, und wir wissen ferner – das vergegenwärtigt ein Blick in die Runde –, dass auch Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Friseure für das Erscheinungsbild wichtig sind, aber auch Herzlichen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Möglich- für vieles mehr. Es ist vielen erst jetzt richtig bewusst keit einer Zwischenfrage auch nach Ansichtigwerden geworden: Wir müssen also jetzt Konzepte entwickeln, meiner Person noch aufrechterhalten haben. erarbeiten, wie wir den Einzelhandel fit für die Zukunft machen. Da geht es um mehr als Resilienz. Wir haben Ich vermisse einen Begriff, stimme Ihnen bei dem tolle Einzelhändler, tolle Unternehmer. Das erfahren wir Wort Differenzierung bei Öffnungen, aber auch bei Pan- auch jeden Tag. Diese brauchen natürlich Perspektiven, demiebekämpfung völlig zu. Aber brauchen Augenmaß auch wenn es darum geht, Langfristperspektiven zu ent- und Differenzierung nicht auch mehr Personal? Ich spüre wickeln, auch im Wettbewerb gegen die digitale Konkur- den Verzicht bei vielen Rednerinnen und Rednern. Ich renz. glaube auch – Kollege Ulrich hat das vorhin angespro- chen –, dass das Steilvorlagen für die AfD und ähnliche (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Kräfte werden könnten, wenn man nicht sagt: Augenmaß Darum wird es gehen. Dazu müssen wir beitragen. braucht einen starken Sozialstaat. Wir müssen die Ge- Hier müssen wir liefern, und hier werden wir auch ent- sundheitsämter wieder in den Stand von 1995 versetzen, sprechende Konzepte erstellen. also die 20 000 weggekürzten Stellen neu schaffen, In dem Sinne: Herzlichen Dank. sodass sie Theater für Theater, Einrichtung für Einrich- tung, Kita für Kita, Schule für Schule wieder prüfen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- können, damit sie Infektionsverläufe nachvollziehen kön- ordneten der SPD) nen und wir nicht blinde Werte ansetzen, weil wir die Gesundheitsämter heruntergewirtschaftet haben. – Wür- Vizepräsidentin Claudia Roth: den Sie mir also darin zustimmen, dass wir die Gesund- Vielen Dank, Dr. Lenz. – Liebe Kolleginnen und Kol- heitsämter wieder stärken müssen, weil ein starker legen, vor dem nächsten Redner werde ich Ihnen das von Sozialstaat das Augenmaß, die Differenzierung, also den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte auch die vertikale Pandemiebekämpfung ermöglicht, Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt von der Sie gesprochen haben? geben – das war die namentliche Abstimmung über den (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Entwurf eines Gesetzes zur Fortgeltung der die epidemi- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27043

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) sche Lage von nationaler Tragweite betreffenden Rege- Logischerweise ist damit der Gesetzentwurf angenom- (C) lungen –: abgegebene Stimmen 664. Mit Ja haben men. Aber das hätten Sie ja gemerkt, wenn dem nicht so gestimmt 368, mit Nein haben gestimmt 293 Kolleginnen gewesen wäre. und Kollegen, und enthalten haben sich 3 Kollegen oder Kolleginnen.

Endgültiges Ergebnis Dr. Norbert Röttgen Abgegebene Stimmen: 663; Dr. Katja Leikert davon Ursula Groden-Kranich Dr. Andreas Lenz Erwin Rüddel ja: 367 Hermann Gröhe Albert Rupprecht nein: 293 Klaus-Dieter Gröhler enthalten: 3 Michael Grosse-Brömer Dr. Dr. Wolfgang Schäuble Astrid Grotelüschen Ja Markus Grübel Nikolas Löbel Tankred Schipanski CDU/CSU Bernhard Loos Christian Schmidt (Fürth) Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Dr. Monika Grütters Patrick Schnieder Norbert Maria Altenkamp Fritz Güntzler Nadine Schön Peter Altmaier Olav Gutting Dr. Thomas de Maizière Dr. Klaus-Peter Schulze Peter Aumer Jürgen Hardt Dr. Dorothee Bär Matthias Hauer Matern von Marschall Thomas Bareiß Hans-Georg von der Dr. Marwitz Dr. Patrick Sensburg (Altötting) (Börde) Dr. Björn Simon (Chemnitz) Dr. Angela Merkel Dr. André Berghegger Mark Helfrich Jan Metzler Jens Spahn Rudolf Henke Dr. h. c. (Univ Kyiv) Hans Christoph Bernstiel Michelbach (B) Marc Henrichmann Dr. Dr. (D) Karsten Möring Peter Bleser Dr. Peter Stein (Rostock) Alexander Hoffmann Axel Müller Johannes Steiniger Michael Brand (Fulda) Karl Holmeier Dr. Gerd Müller Christian Frhr. von Stetten Dr. Dr. Sepp Müller Dr. Carsten Müller (Braunschweig) Sebastian Brehm Stefan Müller (Erlangen) Dr. Ralph Brinkhaus Anja Karliczek Dr. Dr. Hermann-Josef Tebroke Dr. Hans-Jürgen Thies Dr. Stefan Kaufmann Florian Oßner Alexander Dobrindt Michael Kießling Dr. Dr. Volker Ullrich Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Martin Patzelt Thomas Erndl Markus Koob Dr. (Kleinsaara) Hermann Färber Carsten Körber Stephan Pilsinger Alexander Krauß Dr. Christoph Ploß Dr. Johann David Wadephul Dr. Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Nina Warken Dr. Hans-Peter Friedrich Michael Kuffer Alexander Radwan (Hof) Dr. Roy Kühne Alois Rainer Michael Frieser Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers Dr. () Hans-Joachim Fuchtel Dr. Ingo Gädechens Ulrich Lange Peter Weiß (Emmendingen) Dr. Dr. Sabine Weiss () Johannes Röring 27044 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

(A) Peter Felser (C) Annette Widmann-Mauz (Aachen) Bettina Margarethe Cansel Kiziltepe (Wetzlar) Dr. Anton Friesen Wiesmann Carsten Schneider (Erfurt) Klaus-Peter Willsch Johannes Schraps Dr. Götz Frömming Elisabeth Winkelmeier- Dr. Bärbel Kofler Michael Schrodi Dr. Alexander Gauland Becker Daniela Kolbe Albrecht Glaser -Emre Franziska Gminder (Spandau) Emmi Zeulner Frank Schwabe Kay Gottschalk Christian Lange Mariana Iris Harder-Kühnel Dr. Matthias Zimmer (Backnang) Dr. Rita Schwarzelühr-Sutter Udo Theodor Hemmelgarn SPD Waldemar Herdt Helge Lindh Martin Hess Ingrid Arndt-Brauer Martina Stamm-Fibich Dr. Heiko Heßenkemper Kirsten Lühmann Sonja Amalie Steffen Karsten Hilse Heiko Maas Nicole Höchst Isabel Mackensen Dr. Bruno Hollnagel Dorothee Martin Leif-Erik Holm Dr. Matthias Bartke Markus Töns Sören Bartol Carsten Träger Hilde Mattheis Bärbel Bas Lothar Binding Dr. Marja-Liisa Völlers Stefan Keuter (Heidelberg) Dirk Vöpel Norbert Kleinwächter Dr. Dr. Joe Weingarten Enrico Komning Falko Mohrs Jörn König Dirk Wiese Steffen Kotré Dr. Siemtje Möller Gülistan Yüksel Dr. Rainer Kraft Bettina Müller Rüdiger Lucassen Dr. Detlef Müller (Chemnitz) (B) Dr. Michelle Müntefering Dr. Jens Zimmermann Jens Maier (D) Esther Dilcher Dr. Rolf Mützenich Dr. Lothar Maier Dietmar Nietan Sabine Dittmar Nein Dr. Birgit Malsack- Dr. Wiebke Esdar Ulli Nissen Winkemann CDU/CSU Yasmin Fahimi Mahmut Özdemir Veronika Bellmann Volker Münz () Dr. Johannes Fechner Axel E. Fischer (Karlsruhe- Sebastian Münzenmaier Dr. Aydan Özoğuz Land) Dr. Hans-Jürgen Irmer Jan Ralf Nolte Dr. Saskia Ludwig Sylvia Pantel Tobias Matthias Peterka (Minden) Jana Schimke Paul Viktor Podolay Angelika Glöckner Jürgen Pohl Timon Gremmels Dr. Stephan Protschka AfD Martin Reichardt Michael Groß Dr. Bernd Baumann Martin Erwin Renner Uli Grötsch Roman Johannes Reusch Sönke Rix Ulrike Schielke-Ziesing Rita Hagl-Kehl Peter Boehringer Dr. Robby Schlund Dr. Stephan Brandner Jörg Schneider René Röspel Jürgen Braun Dr. Marcus Bühl Martin Sichert (Peine) Michael Roth (Heringen) Petr Bystron Bernd Rützel Tino Chrupalla Dr. Dirk Spaniel Dr. Barbara Hendricks Sarah Ryglewski René Springer Gabriele Hiller-Ohm Johann Saathoff Dr. Beatrix von Storch Axel Schäfer (Bochum) Dr. Harald Weyel Frank Junge Dr. Nina Scheer Berengar Elsner von Dr. Gronow Dr. Christian Wirth Oliver Kaczmarek Dr. Dr. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27045

(A) FDP Dr. h. c. Thomas Sven-Christian Kindler (C) Sattelberger Amira Mohamed Ali Grigorios Aggelidis Maria Klein-Schmeink Christian Sauter Cornelia Möhring Renata Alt Sylvia Kotting-Uhl Frank Schäffler Christine Aschenberg- Dr. Wieland Schinnenburg Dugnus Norbert Müller () Christian Kühn (Tübingen) Matthias Seestern-Pauly Nicole Bauer Zaklin Nastic Renate Künast Frank Sitta Jens Beeck Dr. Alexander S. Neu Markus Kurth Judith Skudelny Dr. Jens Brandenburg Petra Pau (Rhein-Neckar) Dr. Sören Pellmann Sven Lehmann Mario Brandenburg Bettina Stark-Watzinger Steffi Lemke Dr. Marie-Agnes Strack- (Südpfalz) Tobias Pflüger Dr. Sandra Bubendorfer-Licht Zimmermann Martina Renner Dr. Irene Mihalic Dr. Marco Buschmann Claudia Müller Katja Suding Eva-Maria Schreiber Beate Müller-Gemmeke Dr. Petra Sitte Carl-Julius Cronenberg Dr. Britta Katharina Dassler Michael Theurer Helin Dr. Konstantin von Notz Bijan Djir-Sarai Stephan Thomae Christian Dürr Friedrich Straetmanns Cem Özdemir Dr. Florian Toncar Dr. Dr. Dr. Lisa Paus Daniel Föst Dr. Axel Troost Filiz Polat Johannes Vogel (Olpe) Alexander Ulrich Claudia Roth (Augsburg) Thomas Hacker Sandra Weeser Dr. Manuela Rottmann Nicole Westig Dr. Katrin Helling-Plahr Katharina Willkomm Andreas Wagner Ulle Schauws Markus Herbrand Dr. Torsten Herbst DIE LINKE Stefan Schmidt Sabine Zimmermann Charlotte Schneidewind- Doris Achelwilm Dr. (Zwickau) Hartnagel Gökay Akbulut Manuel Höferlin Kordula Schulz-Asche Simone Barrientos Dr. Christoph Hoffmann Dr. Wolfgang Strengmann- Dr. BÜNDNIS 90/ Kuhn Lorenz Gösta Beutin DIE GRÜNEN (B) (D) Matthias W. Birkwald Luise Amtsberg Markus Tressel Gyde Jensen -Förster Lisa Badum Jürgen Trittin Dr. Dr. Dr. Birke Bull-Bischoff Margarete Bause Dr. Marcel Klinge Jörg Cezanne Dr. Beate Walter-Rosenheimer Pascal Kober Sevim Dağdelen Canan Bayram Dr. Lukas Köhler Fabio De Masi Dr. Carina Konrad Dr. Diether Dehm Agnieszka Brugger Dr. Anna Christmann Fraktionslos Konstantin Kuhle Susanne Ferschl Dr. Ekin Deligöz Marco Bülow Alexander Graf Dr. Katharina Dröge Lambsdorff Dr. André Hahn Heike Hänsel Mario Mieruch Christian Lindner Matthias Höhn Kai Gehring Dr. Frauke Petry () Katrin Göring-Eckardt Oliver Luksic Till Mansmann Dr. Anja Hajduk Enthalten Dr. Jürgen Martens Britta Haßelmann CDU/CSU Jan Korte Dr. Bettina Hoffmann Andreas G. Lämmel Alexander Müller Dr. Frank Müller-Rosentritt Dr. (Lausitz) Ralph Lenkert Dr. Kirsten Kappert- SPD Matthias Nölke Gonther Reinhold Dr. Gesine Lötzsch Bernd Reuther Thomas Lutze Katja Keul Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt. 27046 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

(A) Dann rufe ich den nächsten Redner auf: Till Ja, wir müssen ans Umsatzsteuersystem ran. Gerade (C) Mansmann für die FDP-Fraktion. haben meine Fraktionskollegen und ich im Bundestag einen Antrag vorgelegt, in dem wir Möglichkeiten einer (Beifall bei der FDP) modernen Umsatzbesteuerung aufzeigen: durch die Ein- führung eines elektronischen Meldesystems zur Erstel- Till Mansmann (FDP): lung, Prüfung und Weiterleitung von Rechnungen. Damit Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen können wir echten Mehrwert schaffen. So bringen wir die und Kollegen! Heute vor genau einem Jahr erreichte uns Mehrwertsteuer ins 21. Jahrhundert. die Nachricht, dass die Leipziger Buchmesse abgesagt (Beifall bei der FDP) werden musste. Die Steuerpflichtigen könnten medienbruchfrei Kunden- (Christian Dürr [FDP]: Ja!) aufträge verarbeiten. So würde den kriminellen Karus- Seitdem sind Tausende von Veranstaltungen nachgefolgt. sellgeschäften endlich etwas Wirksames entgegengesetzt. Nichts ist mehr, wie es war. Viele Menschen sind in (Christian Dürr [FDP]: Sehr richtig!) Kurzarbeit oder haben ihren Job verloren. Viele müssen fürchten, ihre Lebensgrundlage zu verlieren. Es ist daher Ihre Anträge tragen zu alldem wenig bei. Daran wer- ganz klar: Wir brauchen eine nachvollziehbare Öffnungs- den wir zwar auch in der Ausschussarbeit nichts ändern, strategie und starke wirtschaftspolitische Impulse. der Verweisung stimmen wir natürlich zu. Dann lasst uns aber bitte dort nicht über ein paar klägliche Punkte spre- (Beifall bei der FDP) chen, die Sie uns hier vorgelegt haben, sondern schauen, In der Tat bietet uns die aktuelle Lage Anlässe, auch wo der Schuh bei der Umsatzsteuer wirklich drückt. über Grundsätzliches nachzudenken. Unser Umsatz- (Beifall bei der FDP) steuersystem ist dringend reformbedürftig. Auch über die Sätze müssen wir sprechen. Darüber sind wir uns weitgehend einig. Ständig wiederkehrende Betrugsfälle, Vizepräsidentin Claudia Roth: eine nicht nachvollziehbare Anwendung des ermäßigten Vielen Dank, Till Mansmann. – Der nächste Redner ist Steuersatzes – so kann es nicht weitergehen. für die SPD-Fraktion Timon Gremmels. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der SPD) Doch wenn Sie, werte Kollegen von der AfD, ein Timon Gremmels (SPD): Papier vorlegen, mit dem Sie Ihre Visionen für eine Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten (B) moderne Umsatzbesteuerung darstellen, dann ist das Bes- Damen und Herren! Sie von der AfD beschreiben keine (D) te, was Ihnen einfällt, eine pauschale Umsatzsteuersen- Wege raus aus der Wirtschafts- und Lockdown-Krise, wie kung um ein paar Prozentpunkte. Brauchen wir jetzt der Titel Ihres Antrags verspricht. Vielmehr servieren Sie wirklich das vierte oder fünfte Herumgewuschel am uns ein Sammelsurium altbekannter AfD-Propaganda. Mehrwertsteuersatz? Das ist keine Strategie; das ist Sie hetzen gegen die EU, Sie hetzen gegen Migranten, papiergewordene Einfallslosigkeit. Sie hetzen gegen die Energiewende und gegen die Klima- (Beifall bei der FDP) rettung, Sie hetzen gegen die Frauenquote in Führungs- positionen. Das hat alles nichts und überhaupt gar nichts Jetzt haben wir schon eine Regierung, die sich jeden mit der Bewältigung der Coronakrise zu tun, meine sehr nächsten Planungsschritt in der Pandemie aus der Nase verehrten Damen und Herren. ziehen lässt, und jetzt wollen Sie als Oppositionspartei mit noch weniger Plan dagegenwursteln. Das haben die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Bürger nicht verdient. der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP) Das alles ist alter Kaffee. Aber alter Kaffee zum x-ten Ein besonderes Highlight ist übrigens Ihr Vorschlag Mal aufgebrüht ist am Ende doch nur braune Plörre. zur Gegenfinanzierung. Streichen wollen Sie bei der EU. Dabei ist doch gerade der europäische Binnenmarkt (Beifall bei der SPD – Ulli Nissen [SPD]: Sehr die größte Hoffnung für unsere wirtschaftliche Erholung gut! – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Toller Rhe- nach der Krise. toriker!) (Beifall bei der FDP) Lassen Sie sich das deutlich sagen: Sowohl die Pande- mie wie auch die damit verbundene Wirtschaftskrise löst Noch erstaunlicher ist der Hinweis auf die kalte Pro- man als Exportnation doch nicht national, sondern nur gression bei der Einkommensteuer. Wir wollen sie europäisch und global. Das ist das kleine Einmaleins abschaffen. Sie werben dafür, diese heimliche Steuerer- der VWL, der Volkswirtschaftslehre; aber die beherr- höhung durch die Hintertür bei den Bürgern abzukassie- schen Sie ja scheinbar nicht. ren – davon abgesehen, dass gerade in der aktuellen Lage das derzeit gar nicht so viel bringt, eigentlich gar nichts. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Mit der Forderung, alle Maßnahmen der Energiewende (Beifall bei der FDP) und des Klimaschutzes auszusetzen, ignorieren Sie doch, Falscher Ansatz, falsche Finanzierung, falsche Zielrich- dass wir neben der Coronakrise auch noch eine Klima- tung! krise haben, die wir bewältigen müssen. Diese Krise war- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27047

Timon Gremmels (A) tet doch nicht darauf, dass wir uns erst um Corona küm- Ich finde: Jetzt habe ich mich schon viel zu lange mit (C) mern. Wir haben jetzt die einmalige Chance, beides zeit- diesem Antrag der AfD beschäftigt. Lassen Sie mich die gleich zu bewältigen, Zeit doch nutzen, um Ihnen darzulegen, wie wir als Sozialdemokratie aus dieser Krise kommen wollen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Martin Reichardt [AfD]: Schön, dass Sie ver- weil wir der Auffassung sind, dass die Bewältigung der standen haben, dass die Sozialdemokratie in Klimakrise auch einen Beitrag dazu leisten kann, aus der einer Krise ist!) Coronakrise herauszukommen. Da ist die deutsche Wirt- schaft, Gott sei Dank, viel weiter als die AfD, meine sehr Wir sind der Auffassung: Das müssen wir solidarisch verehrten Damen und Herren. machen – mit Respekt, mit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und gemeinsam. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Wir wollen den Mindestlohn auf 12 Euro anheben. CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Mit Ihrer Forderung nach einer pauschalen Öffnung würden Sie die dritte Welle, an deren Anfang wir stehen, 12 Euro! Wer arbeitet, muss davon auch leben können zu einem Tsunami machen, und all unsere Erfolge, die und sein Leben bezahlen können. Das ist eine Frage des wir errungen haben, würden Sie leichtfertig gefährden. Respekts. Deswegen ist ein erster Schritt Richtung Ich finde: Die gestern beschlossene schrittweise Öffnung, 12 Euro genau der richtige Weg. Dafür steht die Sozial- verbunden mit einer Schnell- und Selbstteststrategie, gibt demokratie, meine Damen und Herren. Handel, gibt Gastronomie, gibt Kultur eine echte Per- spektive, auf die wir vor Ort so dringend gewartet haben, (Beifall bei der SPD – Alexander Ulrich [DIE meine sehr verehrten Damen und Herren. LINKE]: Das sagen Sie vor Wahlen!) Und wir wollen die Allgemeinverbindlichkeit des (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Tarifvertrages in der Altenpflege. Das ist für uns wichtig. Sie von der AfD bemängeln auch die schleppende Aus- zahlung der Wirtschaftshilfen. Das Argument habe ich (Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) hier auch immer gebracht, und das war bis Mitte Februar Denn schlechte Löhne für harte Arbeit – das sage ich ja auch richtig, meine sehr verehrten Damen und Herren. auch Richtung Caritas – sind unsozial. Damit es auch Jetzt aber nicht mehr. Ein Großteil der Novemberhilfen, die Caritas versteht: Die sind unchristlich, meine sehr der Dezemberhilfen und der Neustarthilfen wurde inzwi- verehrten Damen und Herren. (B) schen ausbezahlt. Auch die Gelder der Ü III fließen mitt- (D) lerweile. Ich zitiere jetzt aus einer Whatsapp-Nachricht (Beifall bei Abgeordneten der SPD) eines Gastronomen aus meinem Wahlkreis. Der hat mir Deswegen ist es gut, dass unser Bundesarbeitsminister gestern geschrieben: Lieber Timon, Update zu Ü III: Hubertus Heil die Pflegemindestlohnkommission einbe- Freitag Antrag gestellt, Samstag Bestätigung, Mittwoch rufen will. Genau das ist der richtige Schritt. erste Abschlagszahlung auf dem Konto. Das ging ja mal richtig flott. (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD]) (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Fritz Ich erwarte aber auch von Jens Spahn, statt zu irgend- Güntzler [CDU/CSU]) welchen netten Spendenessen nach zu fahren, doch bitte seine Hausaufgaben zu machen Weil ich ja auch häufig kritisiert habe, Herr Altmaier: Herzlichen Dank an Sie und auch an ; denn (Beifall bei Abgeordneten der SPD) die Gelder kommen an. und sicherzustellen, dass künftig auch in der Altenpflege Das ist keine individuelle Erfahrung, sondern, wenn klar ist, dass die Refinanzierung aus der Pflegeversiche- ich richtig informiert bin, mit Stand vom 1. März 2021 rung daran gekoppelt wird, dass es Tarifverträge gibt. sind in allen Förderprogrammen des Bundes, die wir auf- Herr Spahn, machen Sie Ihre Hausaufgaben im Sinne gelegt haben, von den insgesamt beantragten 30 Milliar- der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer! den Euro mittlerweile 26 Milliarden Euro abgeflossen. Ich finde: Das kann sich sehen lassen. – Hilft aber nichts, Vizepräsidentin Claudia Roth: wenn es vor Ort das ein oder andere Problem gibt. Darum Herr Kollege Gremmels, erlauben Sie eine Zwischen- kümmern wir uns jetzt auch mit dem Härtefallfonds. frage oder -bemerkung von Herrn Ulrich? Der sitzt auch Aber ich glaube, dass wir daran einen Haken machen links. können.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Timon Gremmels (SPD): der CDU/CSU) Nein. Das ist sehr nett; aber er kann ja anschließend eine Kurzintervention machen. Vielen Dank. Ich würde Es läuft jetzt, und dazu haben auch maßgeblich die Koa- gerne in meiner Rede fortfahren. litionsfraktionen beigetragen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das muss man an dieser Stelle (Martin Reichardt [AfD]: Da ist aber die auch mal sagen. sozialistische Solidarität gebrochen worden!) 27048 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Timon Gremmels (A) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte auch die Klimakrise sozialverträglich bewältigen. Beide (C) deutlich machen, dass die AfD zum Thema der systemre- Mammutaufgaben gehen nur partnerschaftlich mit den levanten Berufe, der sozialen Berufe in ihrem Antrag Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und den Arbeit- überhaupt nichts gesagt hat. Dass Sie dazu nichts sagen, gebern und Arbeitgeberinnen. Dafür braucht es eine star- spricht noch mal gegen Sie. ke SPD. Ich möchte sagen: Wir als SPD wollen weiter eine In diesem Sinne: Glück auf und vielen Dank! Tarifbindung; die wollen wir stärken. Wir wollen ein (Beifall bei der SPD) Bundestariftreuegesetz; für uns ist die Vorbildfunktion des Staates bei der Bezahlung, bei ordentlichen Löhnen ganz wichtig. Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Timon Gremmels. – Das Wort zu einer Wir wollen künftig investieren; die öffentliche Hand Kurzintervention hat Alexander Ulrich. muss stärker in Zukunftsfelder investieren. Deswegen streben wir eine Investitionssumme des Staates in Höhe von 50 Milliarden Euro pro Jahr an. Wir wollen die För- Alexander Ulrich (DIE LINKE): derbank des Bundes, die KfW, zur modernen Innova- Herr Gremmels, Sie wissen doch, dass ich ein Guter tions- und Investitionsbank weiterentwickeln, meine bin. Wir sind schon seit Jahren im gleichen Ausschuss; da sehr verehrten Damen und Herren. brauchen Sie doch keine Angst zu haben, wenn ich Ihnen eine Frage stellen will. Denn jetzt müssen Sie ja trotzdem (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD]) antworten oder können antworten. Wir wollen Start-ups nachhaltig unterstützen und Ich will zuvor sagen: Wir geben Ihrem Parteivorsitzen- ihnen auch einen besseren Zugang zu Wagniskapital den ja recht, der diese Woche gesagt hat, dass in der geben. Und wir möchten die Kultur der zweiten Chance, Coronakrise die Minister der CDU die absoluten gerade bei den Start-ups, etablieren, meine sehr verehrten Schwachpunkte sind. Ich habe das in meiner Rede ja Damen und Herren. – Das sind die sozialdemokratischen auch gesagt. Herr Altmaier und Herr Merz rennen dabei Vorstellungen von einer modernen Wirtschaftspolitik. um Platz eins, Woche für Woche. Und: Wir müssen nachhaltig aus der Krise kommen; (Zurufe von der SPD: Herr Merz?) Stichwort „Zukunft heute gestalten“. Die SPD hat in die- ser Großen Koalition dafür schon einige Akzente gesetzt. – Herr Spahn und Herr Altmaier. Im Verkehrsbereich haben wir viel erreicht: Die E-Mobi- (Timon Gremmels [SPD]: Merz passt auch!) lität boomt endlich. Wir haben Förderprogramme für die – Ja, Herr Merz wollte ja heute schon Minister sein, wenn (B) Automobilzulieferer auf den Weg gebracht. Wir haben (D) das größte Investitionsprogramm für die Schiene aufge- es so gekommen wäre, wie er nach dem Parteitag gewollt legt. Wir wollen aber mehr: Wir wollen 15 Millionen E- hätte. Das hat die CDU nicht gemacht. Autos bis 2030, wir wollen Wasserstoff-Lkws und Mobi- Heute haben Sie den Mindestlohn von 12 Euro ge- litätsgarantie, auch auf dem Land. nannt. Warum ich es ansprechen will, ist: Wir als Links- Im Gebäudebereich das Gleiche; wir haben viel fraktion haben diesen Antrag zu 12 Euro Mindestlohn erreicht: die Verfünffachung der Gebäudeförderung, ein schon mehr als einmal in dieser Legislaturperiode hier Gebäudeenergiegesetz samt Anrechenbarkeit von Photo- eingebracht. Wir waren kurz nach der Bundestagswahl, als die SPD noch nicht davon ausgehen musste, wieder in voltaik, Quartiersansätzen und CO2-Preis. Aber auch da wollen wir mehr: 5 Millionen Wärmepumpen bis 2030, einer Koalition zu landen, überrascht, dass der jetzige nachhaltige Baustoffe und reelles Sanieren. Das ist uns Kanzlerkandidat auch auf 12 Euro gegangen ist. Aber wichtig. warum stimmen Sie denn immer gegen unseren Antrag hier im Bundestag, wenn Sie jetzt wieder 12 Euro for- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des dern? Abg. Martin Reichardt [AfD]) (Zurufe von der SPD: Och!) Im Energiebereich haben wir auch viel erreicht: eine – Ja, man soll Sie an den Taten messen, nicht an den Verdreifachung des jährlichen PV-Zubaus, grundlegende Worten. Bei der SPD ist es zu oft so, dass man vor den Verbesserungen beim Mieterstrom, Anteil erneuerbarer Wahlen links blinkt und danach doch wieder rechts Energien bei 50 Prozent. Aber auch hier wollen wir abbiegt. noch mehr: eine weitere Anhebung der Ausbaupfade noch in dieser Legislatur – das sage ich auch in Richtung Das zweite Thema, das ich ansprechen will: Im Koali- unseres Koalitionspartners –, Klimaneutralität im Strom- tionsvertrag steht drin, dass man die sachgrundlosen sektor bis 2040. – Das alles wollen wir, und zwar nicht Befristungen abschaffen will. Wir haben noch ein paar nur der Umwelt zuliebe, sondern weil wir auch der Auf- Monate diese Regierung. Wann wird es in diesem Haus fassung sind: Das ist ein echtes Job- und Konjunktur- einen Gesetzentwurf geben, mit dem die sachgrundlosen programm für das Handwerk und für den Mittelstand, Befristungen endlich abgeschafft werden? Oder ist das meine sehr verehrten Damen und Herren. auch wieder nur ein Wahlkampfthema für die SPD? (Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Lassen Sie mich zum Schluss kommen, Frau Präsiden- tin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Weg aus der Vizepräsidentin Claudia Roth: Wirtschaftskrise gelingt nur dann, wenn wir gleichzeitig Danke, Alexander Ulrich. – Herr Gremmels. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27049

(A) Timon Gremmels (SPD): lungsfähigkeit gezeigt haben. Es geht um konjunkturelle (C) Herr Kollege Ulrich, ich will hinterher meine Rede ins Stützungsmaßnahmen, es geht um steuerliche Unterstüt- Netz stellen, und da wäre es blöd, wenn Ihre Frage dazwi- zung, damit wir Liquidität in die Unternehmen bekom- schengegangen wäre. Deswegen: Es lässt sich besser men und damit auch Insolvenzen verhindern, aber auch schneiden, wenn wir es hinterher klären. darum, die Arbeitsplätze zu sichern, und dafür haben wir (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) das gute Instrument der Kurzarbeit. So viel dazu. – Scherz beiseite. Es geht also darum, zu gewährleisten, dass aus dieser Gesundheitskrise keine systematische Wirtschaftskrise Ich möchte an dieser Stelle noch mal deutlich sagen, wird und wir den Wirtschaftsstandort Deutschland wie- dass gerade wir Sozialdemokraten uns in dieser Koalition der gut an den Neustart bringen, nachdem die Krise über- keine Vorwürfe machen müssen. Wir haben als Sozial- wunden ist. Daran wollen wir uns beteiligen, und zwar als demokratie die Grundrente eingeführt. Wir haben dafür Parlament, als Regierungsfraktion gemeinsam mit der gesorgt, dass das Recht auf Rückkehr von Teilzeit- in Regierung. Wir haben Konjunkturprogramme im Vollzeitbeschäftigung eingeführt wird. Wir haben für Umfang von fast 200 Milliarden Euro gestaltet. Das war 90 Prozent der Menschen den Solidaritätszuschlag abge- nur deshalb möglich, weil wir in den letzten Jahren ver- schafft. Wir brauchen da von den Linken keine Beleh- nünftig gewirtschaftet haben. rungen. Wir haben im steuerlichen Bereich viel gemacht. Wir (Beifall bei Abgeordneten der SPD) haben die Möglichkeit eröffnet, Steuerzahlungen zu stun- Und zu den 12 Euro Mindestlohn: Wir regieren leider den. Wir haben die Herabsetzung von Vorauszahlungen nicht allein. Aber wir können ja alles dafür tun – und Sie ermöglicht. Wir haben den Verlustrücktrag verbessert. Da können uns dabei unterstützen –, dass wir nach dem könnten wir uns als Union hier und da noch mehr vor- 26. September hier eine absolute Mehrheit haben. stellen. Ich bin auch der Bayerischen Staatsregierung dankbar, dass sie einen neuen Anlauf im Bundesrat neh- (Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Ich dachte, mit men werden; aber darüber werden wir diskutieren. den Grünen zusammen!) Darüber hinaus haben wir das Instrument der Wirt- Dann setzen wir das alles eins zu eins um. schaftshilfen; das ist ja hier mehrfach diskutiert worden, Vielen Dank. und auch ich habe mich in diese Debatte als Steuerberater des Öfteren einbringen dürfen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Zuruf der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]) (B) Vizepräsidentin Claudia Roth: (D) Danke schön. – Dann kommt der nächste Redner für Da ist am Anfang nicht alles gut gelaufen. Ich glaube, das die CDU/CSU-Fraktion, und das ist Fritz Güntzler. konnte man auch gar nicht erwarten. Wir haben für diese Krise halt keine Blaupause. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Fritz Güntzler (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kollegin- Herr Güntzler, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder nen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Hier erle- -bemerkung von Dr. Hollnagel von der AfD-Fraktion? ben wir ja schon Koalitionsverhandlungen am linken Rand des Plenums; das ist schon spannend. Fritz Güntzler (CDU/CSU): Nein, darauf verzichte ich gerne. Aber es geht ja eigentlich um drei Anträge der AfD, über die man eigentlich – das haben die Vorredner auch (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und schon schön herausgearbeitet – gar nicht diskutieren der Abg. Ulli Nissen [SPD] – Dr. Bernd müsste, weil sie absolut inhaltslos sind. Sie sind einfach Baumann [AfD]: Diese Hochnäsigkeit, Herr unterirdisch, geben keine Antworten auf die Herausfor- Abgeordneter!) derungen der Zeit und schüren weiterhin Feindbilder – Wir haben also die Wirtschaftshilfen in die Welt das ist genannt worden –: Hetze gegen die EU, gegen gebracht. Wir haben mit Soforthilfen, der Überbrü- Migranten usw. Von daher ist das kein Beitrag zur Dis- ckungshilfe I, II und III, der Novemberhilfe und Dezem- kussion in dieser schwierigen Zeit, in der sich unser Land berhilfe klare Signale in die Wirtschaft gesendet. Und, bzw. die Welt insgesamt befindet. wie gesagt, es gab am Anfang Sand im Getriebe, weil (Beifall des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] nicht alles sofort klar war, und wenn was beschlossen [SPD]) ist, ist es nicht gleichbedeutend mit sofortiger Umset- zung. Da ist auch das Erwartungsmanagement von uns Eigentlich schade, dass Sie Ihrer Verantwortung hier in vielleicht nicht immer optimal gewesen. Aber jetzt – das keiner Weise gerecht werden! hat der Kollege Gremmels eben auch gesagt – laufen die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Geschichten. Selbstverständlich müssen wir auf die coronabeding- Ich will nur mal ein paar Zahlen nennen: Zur Novem- ten Einbrüche der Volkswirtschaften reagieren. Das ist berhilfe gab es mittlerweile 340 000 Anträge. Von die Stunde der Wirtschaftspolitik. Von daher ist es richtig, 5,2 Milliarden Euro sind 4,2 Milliarden Euro bewilligt; dass dieses Parlament und auch die Regierung Hand- das entspricht 96 Prozent der Anträge. Bei der Dezember- 27050 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Fritz Güntzler (A) hilfe sind es 300 000 Anträge: 5,2 Milliarden Euro wur- Dr. Bruno Hollnagel (AfD): (C) den beantragt, 3,5 Milliarden Euro wurden ausgezahlt, Frau Vorsitzende, ich bedanke mich herzlich für das 97 Prozent der Anträge sind bearbeitet. Da gibt es ein Wort. – Herr Kollege Güntzler, Sie haben eben gerade Delta zwischen den Antragssummen und den bewilligten ausgeführt, dass wir Wirtschaftshilfen brauchen. Wir Summen, weil die Novemberhilfe Plus – oder November- haben erlebt, dass Kollegin Tillmann und Kollege hilfen Extra, wie Sie sie nennen wollen –, die ja unbe- Rehberg seinerzeit enthusiastisch und mit Begeisterung grenzt gezahlt wird, erst jetzt an den Start geht. Erst seit die Mehrwertsteuer- und Umsatzsteuersenkung gefordert dieser Woche können dort Anträge gestellt werden. Dann haben, und zwar, um die Wirtschaft zu stärken. Erklären wird sich auch dieses Loch ganz schnell schließen. Damit Sie doch mal bitte, warum eine nachhaltige Umsatz- sind die November- und Dezemberhilfen ein großer steuerreduzierung die Wirtschaft nicht stärken soll. – Erfolg, und ich danke Peter Altmaier und seinen Mitar- Danke schön. beiterinnen und Mitarbeitern im Ministerium dafür, dass das jetzt so gut auf den Weg gebracht worden ist. Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall bei der CDU/CSU) Herr Güntzler, bitte.

Gleiches gilt für die Überbrückungshilfen. Der Kolle- Fritz Güntzler (CDU/CSU): ge hat die Beispiele genannt; die kann ich ergänzen: Ich Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie mir die Möglich- habe selber für einen Mandanten einen Antrag gestellt am keit geben, einen Teil meiner Rede jetzt noch auszufüh- Freitag. Am Samstag kam der Bewilligungsbescheid. Am ren, die ich sonst aufgrund der Zeit nicht hätte ausführen Dienstag war das Geld auf dem Konto. Schneller kann es können. nicht gehen. (Tino Chrupalla [AfD]: Dann hätten Sie die (Zuruf des Abg. Alexander Ulrich [DIE LIN- Frage zulassen sollen!) KE]) Von daher hätte ich vielleicht doch die Zwischenfrage zulassen sollen; aber jetzt habe ich hier ja die Möglich- Und auch wenn die Abschlagszahlungen jetzt auf keit. 800 000 Euro erhöht worden sind, läuft es gut. Wenn Sie sich erinnern – ich weiß nicht, ob Sie dabei Wir haben den WSF für die Unternehmen, die größer waren bei den Anhörungen zum Corona-Steuerhilfege- sind, die über 250 Mitarbeiter haben. Dort gab es mittler- setz II, wo wir uns über die temporäre Senkung der weile elf Direktzusagen von über 8 Milliarden Euro. Wir Umsatzsteuer unterhalten haben – war genau die Ziel- sind also auf einem guten Weg, dort zu helfen, wo wir (B) richtung aller Sachverständigen, zu sagen: So was muss (D) helfen wollen. Wir haben Zukunftstechnologien geför- man temporär machen, damit man einen Nachfrageeffekt dert im Rahmen der Digitalisierung, der künstlichen auslöst. Intelligenz und der Wasserstofftechnik. (Stephan Brandner [AfD]: Der Effekt war nicht Wir können zudem feststellen: Der ifo-Geschäftsindex da!) geht nach oben. Die Wirtschaft zeigt sich robust, nicht in Wenn so was dauerhaft ist, wird dieser Konjunkturimpuls allen Branchen – das ist klar –, aber in der Gänze schon. halt nicht gesetzt. Von daher war es richtig, es bis zum Darauf können wir aufbauen für einen Neustart. Denn wir 31. Dezember 2020 zu begrenzen. brauchen die Rückkehr auf einen nachhaltigen Wachs- tumspfad, um das finanzieren zu können, was wir jetzt Ich erlaube mir auch folgende Anmerkung: Die AfD als Staat ausgegeben haben. Das werden wir schaffen formuliert in ihrem Antrag, es gebe Ausfälle von 50 Mil- über Wachstum und dadurch mehr Steuereinnahmen, liarden Euro; das ist fast das einzig Konkrete in Ihrem und daraus werden wir tilgen können. Von daher sind Antrag. Gleichzeitig aber sagen Sie: Wir haben Haus- Vermögensteuer, Vermögensabgabe und Verschärfung haltsüberschüsse aus 2019, also könnte man das damit der Erbschaftsteuer die falschen Mittel. finanzieren. – Ich frage Sie: Haben Sie das Jahr 2020/2021 überhaupt nicht mitbekommen? Haben Sie Wir können das durch Wirtschaftswachstum bezahlen, nicht mitbekommen, dass hier andere Haushaltslagen aber dafür brauchen wir eine Modernisierung des Unter- sind, dass wir uns verschulden müssen, damit wir die nehmensteuerrechts. Wir brauchen eine Unternehmens- Wirtschaftshilfen leisten können? Das scheint an Ihnen teuerbelastung, die es uns ermöglicht, im Standortwettbe- vorbeizugehen. werb mit anderen Ländern mitzuhalten. Wir sind dort Hochsteuerland, wir sind ganz oben; aber an dieser Stelle Wenn Sie sich wissenschaftlich mit dem Thema wollen wir ausnahmsweise nicht ganz oben sein. Lassen beschäftigen wollen, gucken Sie sich die Untersuchungen Sie uns gemeinsam daran arbeiten. Die Union ist bereit. zum Vereinigten Königreich an. Dort sind 2008 die Mehr- wertsteuersätze gesenkt worden, und da gab es eben auch Herzlichen Dank. nur diesen temporären Effekt. Sie werden konjunkturell keinen dauerhaften Effekt haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Anders ist es übrigens – wenn Sie sich die Studien zu Schweden, Frankreich und Finnland ansehen – im gast- Vizepräsidentin Claudia Roth: ronomischen Bereich. Dort gibt es Erfolge, die man nach- Vielen Dank, Herr Güntzler. – Das Wort zu einer Kurz- weisen kann und die zeigen, dass es in diesem Bereich intervention hat Dr. Hollnagel. dauerhaft zu höheren Nachfragen gekommen ist. Von Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27051

Fritz Güntzler (A) daher ist es auch richtig, dass wir hier, jedenfalls erst mal und wir die Debatte hier nicht führen müssten, wäre das (C) temporär bis zum Ende des Jahres 2022, eine Senkung das Beste, was Sie heute zur Entbürokratisierung beitra- haben. Von daher finde ich das alles sehr stringent, und gen könnten. wir machen da, glaube ich, eine klügere Politik, als ein- fach mal so einen Schuss rauszuhauen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Im Übrigen – auch das haben schon ein paar Kollegen Also, konzentrieren Sie sich doch auf die Sache! angesprochen –: Das, was Sie vorhaben, ist überhaupt nicht zielgenau; denn Sie treffen alle. Sie fingieren in Zum ersten Antrag „Aufbruch für Deutschland – Raus Ihrem Antrag, dass Sie die unteren Einkommensgruppen aus der … Krise“: Sie wollen wichtige Weichen stellen; damit entlasten wollen. Sie entlasten aber alle Einkom- aber was Sie mit Ihrem Antrag liefern, ist eine unendlich mensgruppen. Von daher sollten wir vielmehr darüber lange, ermüdende Liste von Behauptungen, verbunden nachdenken, ob wir den Einkommensteuertarif nicht mit der Bitte, nicht genau hinzuschauen und dann even- modernisieren können, weil die Eingangssteuersätze zu tuell zuzustimmen. Ich greife mal nur einen Punkt raus: hoch sind, weil der Anstieg der Tarife zu steil ist. Darüber systemische Mehrkosten für die Energiewende zwi- sollten wir debattieren, aber nicht über diese Umsatz- schen – so geschätzt – 500 Milliarden und 3 Billionen steuer. Euro. Herzlichen Dank. (Heiterkeit der Abg. Ulli Nissen [SPD]) Übrigens: Im zweiten Antrag zur Umsatzsteuer sind es (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. 2,3 Billionen Euro. Welcher Satz stimmt jetzt eigentlich Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]) in Ihren Anträgen? Oder machen Sie Haushaltspolitik nach dem Prinzip des grünen Daumens? Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank Ihnen beiden. – Nächster und letzter Red- (Ulli Nissen [SPD]: Brauner Daumen! – Zurufe ner in dieser Debatte: Sebastian Brehm für die CSU/ vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) CDU-Fraktion. Für Sie gibt es keine Klimakrise, also wollen Sie alle diese Mehrkosten abschaffen. Übrigens: Was Sie damit (Beifall bei der CDU/CSU) in der Wirtschaft anrichten würden, wäre ein Desaster. Der Duktus setzt sich im zweiten Antrag „Den Steuer- Sebastian Brehm (CDU/CSU): zahlern einen fairen Anteil lassen – Senkung der Umsatz- (B) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! steuer …“ fort. Sie hatten mehrmals die Gelegenheit, (D) Man kann ja mit Sicherheit trefflich über die einzelnen übrigens auch in der letzten Sitzungswoche, der Senkung getroffenen Maßnahmen diskutieren, und das tun wir hier der Mehrwertsteuer zuzustimmen, auch – der Kollege im Parlament. Wir ringen um die beste Lösung für unser Güntzler hat es korrekt ausgeführt – der Verstetigung Land – gerade in dieser Situation – mit den unterschied- der Herabsenkung der Umsatzsteuer für die Gastronomie. lichsten Sichtweisen. Das ist Wesen der Demokratie: Sie haben nicht zugestimmt. Das muss man all den Gast- Rede und Gegenrede und dann vor allem das Finden eines ronomen in unserem Land mal sagen: Sie haben nicht guten Kompromisses. Das Wesen der Demokratie ist aber zugestimmt. Sie fordern es heute, und wenn es im Parla- auch ein respektvoller und vor allem ein sachlicher ment zur Abstimmung steht, dann stimmen Sie nicht zu. Umgang miteinander. Diesen sachliche Umgang lassen So ist natürlich auch irgendwie Politik zu machen. Sie in Ihren drei Anträgen vermissen. Sie haben diese drei Anträge gestellt, um Unruhe zu stiften und um Des- (Beifall bei der CDU/CSU) informationen zu verbreiten. Nichts anderes bezwecken Der letzte Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen, der Sie mit diesen drei Anträgen. dritte Antrag „Aufbruch für Deutschland – Beendigung der vom Staat zu verantwortenden Corona-Krise …“, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- setzt dem Ganzen die Krone auf. Und wenn man den neten der SPD – Nicole Höchst [AfD]: Gut, Antrag wirklich ernsthaft durchliest – das kann man, dass das jeder selbst lesen kann!) wie es der Kollege Alois Karl mal gesagt hat, wahr- Gerade in einer solch schwierigen Lage für alle Betei- scheinlich nur, wenn man zwei Bier trinkt –, ligten brauchen wir genau das Gegenteil: Sorgfalt, Kon- (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: zentration, Sachlichkeit und vor allem auch Zuversicht. Weißbier! – Gegenruf des Abg. Timon Ihre drei heutigen Anträge zeigen, dass Sie diese Attri- Gremmels [SPD]: Fastenzeit!) bute – Sorgfalt, Konzentration, Sachlichkeit – überhaupt nicht können; von Zuversicht will ich gar nicht reden. Ihr kommt man aus dem Kopfschütteln nicht mehr raus. Ich Mantra ist: Masse statt Klasse. – Sie fordern ja immer zitiere: „Je mehr Tests, desto mehr ‚positiveʼ.“ Das steht Bürokratieabbau und Entbürokratisierung. Wenn Sie in dem Antrag, den Sie da stellen: „Je mehr Tests, desto einen anständigen Antrag stellen würden, anstatt drei mehr ‚positiveʼ.“ Was ist denn das für eine Haltung? schlampige, die die Bundestagsverwaltung behandeln Also, wer nicht testet, hat auch keine Krise. Wer die muss, Augen zumacht, sieht auch nichts. Wegschauen ist sozu- sagen Ihr Mantra, um aus der Krise herauszukommen. (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD] – Heiter- Das ist eine verantwortungslose Haltung; das ist ein ver- keit des Abg. Fritz Güntzler [CDU/CSU]) antwortungsloses Handeln; das bietet auch keinen Schutz 27052 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Sebastian Brehm (A) für die Menschen und ist übrigens auch für die Wirtschaft haben die Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, der FDP (C) extrem schädlich. Wir brauchen ganz andere Maßnah- und der AfD, und enthalten hat sich die Fraktion von men; der Kollege Fritz Güntzler hat es ja ausgeführt. Bündnis 90/Die Grünen. (Nicole Höchst [AfD]: Zum Beispiel 20 Kran- Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion kenhäuser schließen!) Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/27303. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt Ich sage Ihnen: Wir können natürlich trefflich über die dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Der Entschließungs- einzelnen Maßnahmen diskutieren. Gestern sind gute antrag ist abgelehnt. Zugestimmt haben die Fraktionen Maßnahmen, eine gute Öffnungsstrategie, beschlossen von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken. Dagegen- worden. gestimmt haben die Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, (Claudia Müller [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der FDP und der AfD. NEN]: Na ja!) Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 8 b. Dazu liegt uns eine Erklärung zur Abstimmung gemäß § 31 unserer Das ist der erste Schritt in die richtige Richtung; wir Geschäftsordnung vor.1) brauchen natürlich auch die entsprechenden Maßnahmen. Aber Ihnen ist es völlig egal, was in unserem Land pas- Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der siert; das zeigen Ihre Anträge. Ihnen ist es wurscht, wie CDU/CSU und SPD auf Drucksache 19/27196 zur Fest- viele Tote es in unserem Land gibt. Ihnen ist es völlig stellung des Fortbestehens der epidemischen Lage von egal, was mit unserer Wirtschaft passiert. Sie stellen nationaler Tragweite. Wer stimmt für diesen Antrag? – Anträge mit Auflistungen von irgendwelchen Forderun- Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist gen, die in keiner Weise substanziiert sind, die in keiner angenommen. Zugestimmt haben die Fraktionen der Weise haushaltsrechtlich in irgendeiner Art und Weise Linken, der SPD, von Bündnis 90/Die Grünen und der verifizierbar sind. Das ist eine schlampige Arbeit, kann CDU/CSU. Dagegengestimmt hat die Fraktion der AfD, ich da nur sagen, und Sie haben sich mit diesen und enthalten hat sich die FDP-Fraktion. Damit hat der schlampigen Anträgen völlig disqualifiziert – spätestens Deutsche Bundestag das Fortbestehen der epidemischen heute, liebe Kolleginnen und Kollegen. Lage von nationaler Tragweite festgestellt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Tagesordnungspunkt 8 c. Wir setzen die Abstimmung der SPD) zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesund- heit auf Drucksache 19/27291 fort. Man kann es so zusammenfassen: keine Klimakrise – keine Kosten, keine Coronakrise – keine Maßnahmen. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Be- (B) Ich sage Ihnen, was ich da aus den Anträgen herauslese, schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak- (D) ist keine Alternative für Deutschland. Liebe Kolleginnen tion der AfD auf Drucksache 19/26899 mit dem Titel und Kollegen, lassen Sie uns weiter um die einzelnen „Ständige Epidemiekommission einrichten – Unabhängi- Maßnahmen trefflich streiten, aber mit solchen Anträgen ge, ausgewogene und umfassende Expertise für den Seu- uns nicht mehr beschäftigen. chenschutz in Deutschland sicherstellen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Herzlichen Dank. Enthaltungen? – Keine. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Die Gegenstimme kommt von der AfD- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Fraktion. Alle anderen Fraktionen des Hauses haben ordneten der SPD) zugestimmt.

Vizepräsidentin Claudia Roth: Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ableh- nung des Antrags der Fraktion der AfD auf Drucksache Vielen Dank, Sebastian Brehm. – Damit schließe ich 19/26903 mit dem Titel „Sofortige Beendigung der epi- die Aussprache. demischen Lage von nationaler Tragweite – Ende mit Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf dem Endlos-Lockdown.“ Wer stimmt für diese Be- den Drucksachen 19/26895, 19/27204 und 19/27206 an schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun- die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- gen? – Keine. Die Beschlussempfehlung ist bei Gegen- schlagen. – Weitere Vorschläge liegen uns nicht vor. stimme der AfD-Fraktion und Zustimmung aller anderen Dann verfahren wir genau so. Fraktionen des Hauses angenommen. Ich komme zurück zu den Tagesordnungspunkten 8 a Zusatzpunkt 3. Abstimmung über den Antrag der Frak- bis 8 c sowie zum Zusatzpunkt 3. Sie erinnern sich: Ich tionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke auf Druck- habe Ihnen ja das Ergebnis der namentlichen Abstim- sache 19/27195 mit dem Titel „Sichere Bildung in der mung vorhin vorgetragen. Krise – Schnellteststrategie für Kitas und Schulen ein- führen“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt Wir sind jetzt beim Tagesordnungspunkt 8 a. Wir kom- dagegen? – Wer enthält sich? – Moment, das war jetzt men zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. uneinheitlich. Darf ich noch mal bei der AfD nachfragen: Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Es haben manche dagegengestimmt, und manche haben Drucksache 19/27302. Wer stimmt für diesen Entschlie- sich enthalten. Könnten Sie das klären? Oder sage ich ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält halbe-halbe? sich? – Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Zuge- stimmt hat die Fraktion der Linken, dagegengestimmt 1) Anlage 5 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27053

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) (Unruhe bei der AfD-Fraktion – Steffi Lemke Drucksache 19/27120 (C) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an die AfD- Überweisungsvorschlag: Fraktion gewandt: Macht doch irgendwas! Es Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- interessiert eh keinen! – Weiterer Zuruf: Wür- schätzung (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie feln!) Ausschuss für Arbeit und Soziales – Okay, es bleibt bei Ihnen so, wie ich es gesehen habe. – e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Der Antrag ist abgelehnt. Zugestimmt haben die Fraktio- Berichts des Ausschusses für Bildung, For- nen der Linken und von Bündnis 90/Die Grünen. Dage- schung und Technikfolgenabschätzung gengestimmt haben die Fraktionen der SPD, der CDU/ (18. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord- CSU und große Teile der AfD, und enthalten haben sich neten Katja Suding, Grigorios Aggelidis, die Fraktion der FDP und auch Teile der AfD-Fraktion. Renata Alt, weiterer Abgeordneter und der Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a bis 10 i auf: Fraktion der FDP a) Beratung der Unterrichtung durch die Bun- Smart Germany – Learning Analytics und desregierung Künstliche Intelligenz in der Schule för- Nationaler Bildungsbericht – Bildung in dern, Lerndaten schützen Deutschland 2020 Drucksachen 19/14033, 19/16957 und f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Stellungnahme der Bundesregierung Berichts des Ausschusses für Bildung, For- Drucksache 19/24780 schung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- neten Mario Brandenburg (Südpfalz), Katja schätzung (f) Suding, Grigorios Aggelidis, weiterer Abge- Sportausschuss ordneter und der Fraktion der FDP Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Smart Germany – Deutschland digital Ausschuss für Kultur und Medien stärken, Onlinekurs „Künstliche Intelli- Ausschuss Digitale Agenda Haushaltsausschuss genz“ initiieren b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Drucksachen 19/14034, 19/15757 (B) Dr. Götz Frömming, Nicole Höchst, (D) Dr. Michael Espendiller, weiterer Abgeord- g) Beratung der Beschlussempfehlung und des neter und der Fraktion der AfD Berichts des Ausschusses für Bildung, For- schung und Technikfolgenabschätzung Jetzt die richtigen Konsequenzen aus dem (18. Ausschuss) Nationalen Bildungsbericht ziehen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Götz Drucksache 19/27203 Frömming, Nicole Höchst, Dr. Marc Überweisungsvorschlag: Jongen, weiterer Abgeordneter und der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- schätzung Fraktion der AfD c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Zukunft für Deutschlands Wohlstand – Dr. h. c. Thomas Sattelberger, Katja Suding, Berufliche Bildung stärken Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar), wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar), Johannes Übergangssystem und duale Berufsausbil- Vogel (Olpe), Katja Suding, weiterer Ab- dung erneuern geordneter und der Fraktion der FDP Drucksache 19/22298 Corona-Sofortprogramm für die Beruf- Überweisungsvorschlag: liche Bildung – Fachkräfte sichern, Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Digitalisierung beschleunigen Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- schätzung (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Drucksachen 19/22193, 19/19514, Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 19/27048 Federführung strittig d) Beratung des Antrags der Abgeordneten h) Beratung der Beschlussempfehlung und des Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar), Katja Berichts des Ausschusses für Bildung, For- Suding, Mario Brandenburg (Südpfalz), wei- schung und Technikfolgenabschätzung terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP (18. Ausschuss) Fit für die Arbeitswelt der Zukunft – Indi- – zu dem Antrag der Abgeordneten Britta viduelle Bildungswege, Digitalisierung Katharina Dassler, Katja Suding, und Internationalisierung in der berufli- Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordne- chen Bildung ter und der Fraktion der FDP 27054 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Pandemie-Erfahrungen bei Schulun- Inzwischen arbeitet die große Mehrheit der Schulen mit (C) terricht nicht vergessen – Know-how digitalen Lern- und Arbeitsplattformen, und digitale von Lehrern und Zivilgesellschaft auf Tools werden immer selbstverständlicher. Dauer heben (Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: Kommen – zu dem Antrag der Abgeordneten Sie doch in der Realität an! – Jan Korte [DIE Dr. Birke Bull-Bischoff, Dr. Petra Sitte, LINKE]: In welchen Schulen sind Sie eigent- Doris Achelwilm, weiterer Abgeordneter lich so unterwegs? Das ist nicht von dieser und der Fraktion DIE LINKE Welt! – Weitere Zurufe von der LINKEN) Unterstützung für Schulen in der Pan- Und nein, natürlich ist noch nicht alles perfekt; denn demie – Mangelwirtschaft in der Bil- digitale Bildung ist eben nicht nur das Nutzen von Tech- dung beenden nik. Im Gegenteil: Es geht um Lernen, angepasst an die Drucksachen 19/23119, 19/24450, Bedürfnisse unserer Kinder, es geht um Lehren, wie es 19/27176 den Lehrerinnen und Lehrern entspricht. Das wird eine Aufgabe sein, die Bund, Länder und Kommunen in i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Arbeitsteilung noch länger fordert. Aber das Geld aus Dr. Birke Bull-Bischoff, Dr. Petra Sitte, dem DigitalPakt kommt an: Doris Achelwilm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE (Zuruf des Abg. Dr. Jens Brandenburg [Rhein- Neckar] [FDP]) Reform des Übergangssektors von der Schule in die Berufsausbildung Die jüngsten Berichte aus allen Ländern zeigen zuneh- Drucksache 19/24688 mende Fortschritte bei der Umsetzung, die finanziellen Abflüsse nehmen zu. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- schätzung (f) Dr. Birke Bull-Bischoff [DIE LINKE]: 28 Pro- Federführung strittig zent!) Für die Aussprache wurde eine Dauer von 60 Minuten Natürlich stellt mich der aktuelle Zustand nicht zufrieden, beschlossen. und natürlich hätten wir uns schnellere Umsetzung ge- Ich warte, bis die Kolleginnen und Kollegen die Plätze wünscht. eingenommen haben. – Bitte nehmen Sie Platz. Dann (Jan Korte [DIE LINKE]: Mit wem reden Sie (B) kann ich die erste Rednerin aufrufen. (D) eigentlich so?) Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort Minis- terin Anja Karliczek. Aber mein Blick nach vorn ist positiv. Überall herrscht Aufbruchsstimmung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU – Jan Korte [DIE LINKE]: Das ist ein anderes Land, in dem Sie leben! – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Anja Karliczek, Bundesministerin für Bildung und NEN) Forschung: Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol- Und deshalb, liebe Opposition, ist es besser, wenn Sie legen! Bildung ist in diesen Tagen in aller Munde; und nun nicht wieder einen falschen Anschein erwecken, son- das ist auch gut so. Denn mit einem Spot auf die Schwie- dern ehrlich anerkennen, dass vieles passiert ist. rigkeiten des Bildungssystems, die Corona so gnadenlos (Beifall bei der CDU/CSU – Jan Korte [DIE offengelegt hat, gibt es auch die Hoffnung, dass wir mit LINKE]: Das ist doch nicht wahr, was Sie vereinten Kräften für Fortschritt sorgen. hier erzählen!) (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hoffnung ist keine Strategie, um es noch mal Wo stünden wir denn wohl heute, wenn der Bund den festzuhalten! – Dr. Birke Bull-Bischoff [DIE DigitalPakt nicht so entschieden auf den Weg gebracht LINKE]: Das hätten wir schon von Anfang an hätte? machen müssen!) (Lachen bei der LINKEN und dem BÜND- Und ich will es hier und heute ganz deutlich sagen: Die NIS 90/DIE GRÜNEN) Digitalisierung des Bildungssystems bietet Chancen für Allein für den DigitalPakt stellen wir inzwischen 6,5 Mil- jeden und jede. liarden Euro bereit. Wir bezahlen Schülerlaptops, wenn Seit Beginn der Legislaturperiode haben wir viele Pro- Schüler keine eigenen Geräte haben. Wir bezahlen Lap- jekte in Gang gesetzt, gerade auch in der digitalen Bil- tops für Lehrerinnen und Lehrer. dung. Und ja, es hat eine Weile gebraucht, bis der Digital- (Zurufe der Abg. Dr. Jens Brandenburg [Rhein- Pakt ins Laufen gekommen ist. Neckar] [FDP], Jan Korte [DIE LINKE] und (Dr. Birke Bull-Bischoff [DIE LINKE]: Es Margit Stumpp [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schleicht!) NEN]) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27055

Bundesministerin Anja Karliczek (A) Wir bezahlen den Aufbau professioneller Administrato- Denn der Bildungsbericht dokumentiert eine ganze Reihe (C) renstrukturen in den Ländern. Alles übrigens Aufgaben sehr erfreulicher Entwicklungen: Die Bildungsbeteili- der Länder und Kommunen – wo auch Sie Verantwortung gung nimmt zu, der Bildungsstand hat sich verbessert, tragen –, bei denen wir sie finanziell unterstützen. die Bildungsausgaben steigen kontinuierlich, Bildungs- (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. wege werden flexibler. Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Flexibilität – ein magisches Wort für die Zukunft der Was uns in diesen Tagen aber auch umtreibt, ist die Bildung. Frage, wie wir den Kindern helfen können, verpasste (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Magisch! Bildungschancen nachzuholen. Magisch! – Dr. Birke Bull-Bischoff [DIE LIN- KE]: Das ist jetzt nicht wahr!) (Zuruf von der FDP: Schnelltests!) Denn jeder wird in Zukunft berufliche und theoretische Und dabei geht es mir nicht nur um Lernrückstände; denn Elemente in seine Aus- und Weiterbildung hineinbringen. geschlossene Schulen sind auch verpasste Chancen in der Wir werden immer wieder im Laufe unseres Lebens Persönlichkeitsentwicklung. modular lernen. Deshalb möchte ich gerne für den (Dr. Anna Christmann [BÜNDNIS 90/DIE Sommer Praktika in Betrieben unterstützen. Denn das GRÜNEN]: Wohl wahr!) hilft Betrieben und Jugendlichen gleichermaßen, und Und Schulleitungen berichten mir, dass Teamwork und wir wissen, dass das Matching die große Herausforde- Rücksichtnahme mittlerweile neu erlernt werden müs- rung bleibt; und da bieten Praktika beste Chancen. sen – manchmal habe ich auch hier im Hohen Haus den (Beifall bei der CDU/CSU – Jan Korte [DIE gleichen Eindruck. LINKE]: Das ist völlig abgedreht!) Als erste Maßnahme haben wir den Ländern unsere Ich möchte, dass in diesem Sommer für die nächsten Unterstützung für Osterferien- und Sommerferienpro- Jahre möglichst viele Ausbildungsverträge abgeschlos- gramme angeboten. sen werden können. Denn unsere Berufsausbildung ist (Jan Korte [DIE LINKE]: Völlig ungeeignet! stark, modern und attraktiv. Wir werden nicht umsonst Echt wahr!) weltweit darum beneidet. Aber Kinder mit größeren Lernrückständen brauchen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und umfangreichere Unterstützung. des Abg. Oliver Kaczmarek [SPD] – Zuruf des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Wir befinden uns mitten in einem technologischen (B) des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD] – (D) Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sprung. Die duale Bildung ist ein tolles Instrument in Und was machen Sie da? – Weiterer Zuruf diesem Wandel, weil sie Wurzeln und Flügel verleiht: der Abg. Margit Stumpp [BÜNDNIS 90/DIE Wurzeln für ein stabiles Fundament der eigenen berufli- GRÜNEN]) chen Zukunft und Flügel, weil die Aufstiegschancen in der dualen Bildung noch nie so groß waren wie heute. Dazu brauchen wir Klarheit, wie groß die Lernrückstände tatsächlich sind, und dann können wir gemeinsam mit der (Dr. Birke Bull-Bischoff [DIE LINKE]: Das ist KMK die Rede einer Märchentante! Echt!) (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Weiter Liebe Kolleginnen und Kollegen, die digitale Bildung abwarten!) ist jetzt überall im Alltag angekommen – in der dualen und in der schulischen Bildung, aktiv werden. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Wo denn?) Doch zurück zum aktuellen Bildungsbericht. Ja, es gibt noch viel zu tun. in der Hochschulbildung und in der Weiterbildung. Das ist der Grund, warum ich mit der Bundeskanzlerin die (Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD] und digitale Bildungsinitiative ins Leben gerufen habe. Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP] – Jan Korte [DIE LINKE]: Was für eine Erkenntnis!) (Zurufe von der LINKEN) Der Bericht ist ein Gradmesser, wo wir in der Bildung in Ziel ist, einen nationalen digitalen Bildungsraum zu ent- Deutschland stehen. Und weil er den Schwerpunkt auf wickeln, damit Bildung für die Menschen in unserem die digitale Bildung legt, ist er höchst aktuell. Und er ist Land bedeutet: sicher navigieren in der digitalen Welt. Ansporn für alle, sich für Bildung weiterhin zu engagie- (Zuruf des Abg. Dr. Jens Brandenburg [Rhein- ren. Neckar] [FDP]) (Zuruf von der LINKEN: Wer hat denn die Viele Schritte haben wir angepackt. Aber wir kommen Rede geschrieben?) in der Zusammenarbeit zwischen Bund, Länder und Und er ist weiß Gott kein Grund, schwarzzumalen. Kommunen an unsere Grenzen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (Lachen bei der LINKEN) Zuruf von der LINKEN: Wann haben Sie In jedem Gespräch sagen mir Schulleiter, dass das Geld denn das letzte Mal eine Schule von innen bei ihnen zu langsam ankommt. Wir brauchen kürzere gesehen?) Drähte und schnellere Koordination. 27056 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Bundesministerin Anja Karliczek (A) (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann Wirklich! Da muss man mal mit einem Lehrer (C) [SPD] – Zurufe von der LINKEN) reden! – Heiterkeit des Abg. Alexander Graf Die Pandemie wirkt wie ein Brennglas. Wir haben Lambsdorff [FDP]) gesehen, dass wir in vielen Bereichen nicht wirklich gut aufgestellt waren. Doch in den vergangenen Monaten Vizepräsidentin Claudia Roth: sind viele Weichen gestellt worden. Vielen Dank, Anja Karliczek. – Nächster Redner: für (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die AfD-Fraktion Dr. Götz Frömming. Deshalb möchte ich hier und jetzt auch die Gelegenheit (Beifall bei der AfD) nutzen, allen zu danken, die diese schwere Zeit mit uns gemeinsam durchstehen. Mein Dank geht an Lehrerinnen und Lehrer, an Schülerinnen und Schüler, an Eltern, aber Dr. Götz Frömming (AfD): ganz genauso – und das will ich hier auch deutlich sagen, Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen weil wir oft über Schule, aber selten über Hochschule und Herren! Sehr geehrte Frau Ministerin Karliczek, Sie reden – an alle Studierenden und Hochschullehrenden, haben versucht, zu beschönigen, wo es nichts mehr zu aber natürlich auch an alle Auszubildenden und Ausbil- beschönigen gibt. Ich glaube, ich spreche nicht nur für der in den Betrieben. die AfD-Fraktion, sondern für das ganze Haus – – (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Widerspruch bei der SPD, der LINKEN und ordneten der SPD) dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, Wir wissen, was die Pandemie ihnen in den letzten Mona- definitiv nicht!) ten zugemutet hat, und wir wissen auch, dass wir alle miteinander langsam an Grenzen stoßen. – Hören Sie doch erst einmal, was ich sage. Die Pandemie ist für uns alle eine Geduldsprobe. (Zuruf von der FDP: Der DigitalPakt auch!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Bitte! Jetzt ist Herrn Frömming dran. Und wo es auf der einen Seite so schwer ist, gibt es auf der anderen Seite eine Aufbruchsstimmung: Es geht ein Ruck durch das Bildungsland Deutschland. Dr. Götz Frömming (AfD): Etwas mehr Mut zur Wahrheit hätte Ihnen in der der- (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: zeitigen Lage gut zu Gesicht gestanden. Das ist doch lächerlich! – Zuruf der Abg. (B) (D) Nicole Höchst [AfD]) (Beifall bei der AfD – Sören Pellmann [DIE Von vielen im Bildungssystem höre ich in diesen Tagen: LINKE]: Mit der Wahrheit haben Sie es ja Jetzt erst recht. -Gemeinsam werden wir Bildung in auch nicht so!) Deutschland wieder erstklassig machen. Meine Damen und Herren, zurück zur Realität. Vor (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: zwei Tagen berichtete der Berliner „Tagesspiegel“ direkt Die arme Phrasendreschmaschine!) aus den Schulen, wie es den Schülern wirklich geht. Ein Gute Bildung ist nicht nur für jeden Einzelnen und die Schüler berichtet – ich zitiere –: Gesellschaft wichtig, sondern soll auch Freude machen – Meine Schwester hat einfach aufgegeben und sitzt ein Leben lang. Denn in der Bildung ist „lebenslang“ ein nachts weinend im Bett und schläft tagsüber – sie Versprechen für immer wieder neue Chancen, für persön- nimmt einfach nicht mehr am Homeschooling teil, liche Weiterentwicklung, für das permanente Entdecken weil es ihr zu viel wird. neuer Lebenswelten. Ein weiterer Schüler schreibt: (Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: Sonn- tagspredigt!) Ich habe das Gefühl (und ich glaube, viele andere Das Bildungsland Deutschland und das Innovations- auch), dass die Tage nur vorbeifliegen und man in land Deutschland gehen Hand in Hand einer Sackgasse gelandet ist und nicht weiß, wie man wieder heraus kommt. (Nicole Höchst [AfD]: In den Abgrund!) Meine Damen und Herren, die Zahl der psychisch in eine wettbewerbsfähige Zukunft, eine am Menschen erkrankten Kinder hat während des Lockdowns drama- ausgerichtete Zukunft, tisch zugenommen, wie eine Studie der Uniklinik Ham- (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: burg nachweist. Fast jedes dritte Kind zeigt inzwischen An jeder Milchkanne!) Hinweise auf psychische Belastungsstörungen. Eine aktuelle Auswertung der Krankenkasse DAK kommt zu eine Zukunft, in der Kreativität und Empathie der Kern dem Ergebnis, dass sich in Berlin im ersten Halbjahr eines neuen Bildungsversprechens sind. 2020 die Zahl der Psychiatrieeinweisungen junger Men- (Beifall bei der CDU/CSU – Jan Korte [DIE schen fast verdoppelt hat. 16 Prozent der Schüler haben LINKE]: Fachkräftemangel in der CDU sollten nach einer österreichischen Studie – in Deutschland sieht wir hier mal diskutieren! Das ist ja wirklich es wahrscheinlich ähnlich aus – suizidale Gedanken, weil nicht mehr zu fassen, was wir da gehört haben! sie es einfach nicht mehr aushalten. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27057

Dr. Götz Frömming (A) Meine Damen und Herren, der Blick in unser Nachbar- Ich danke Ihnen. (C) land Frankreich zeigt: Der permanente Schul-Lockdown (Beifall bei der AfD – Oliver Kaczmarek war und ist nicht alternativlos. Es geht auch anders. In [SPD]: Das glauben Sie doch selber nicht! – Frankreich sind die Schulen offen geblieben, und wir Gegenruf der Abg. Nicole Höchst [AfD]: Der sehen, dass Frankeich bei den schweren Verläufen und Niveaulimbo ist ja schon ganz unten, was Sie bei den Coronatodesfällen nicht wesentlich mehr, son- da vorgelegt haben!) dern weniger – sogar fast 40 Prozent weniger – Fälle verzeichnet. Der Bildungsforscher Heinz-Elmar Tenorth fasst die gesamte Situation zusammen, indem er sagt: Vizepräsidentin Claudia Roth: „Das Vorenthalten der Schule ist ein Verbrechen am Vielen Dank, Dr. Frömming. – Nächste Rednerin: für Kind.“ Ich finde, er hat recht. die SPD-Fraktion Bärbel Bas. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der SPD ) Schauen wir in den Nationalen Bildungsbericht. Klar ist, dass er die Folgen der Pandemie noch nicht abbilden Bärbel Bas (SPD): kann. Aber auch schon vor dem Lockdown sah es nicht Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe gut aus. Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mir den Bildungs- bericht angeschaut und will zunächst mit den positiven Ich möchte einen Blick auf den Schulbereich werfen, Ergebnissen beginnen. Ja, es ist so, dass die Bildungs- der meist sträflich vernachlässigt wird, und zwar auf die ausgaben insgesamt gestiegen sind – das ist erst mal ein Hauptschulen. Es gibt in Deutschland immer weniger gutes Zeichen –, und auch der Bildungsstand steigt. Das Hauptschulen. Die Zahl der Hauptschulen nimmt bundes- Bildungssystem selbst ist durchlässiger geworden, und weit ab. Man kann geradezu von einem Hauptschulster- deshalb kann die Bildungspolitik insgesamt durchaus ben sprechen. Dass einige diese Entwicklung offenbar auf Erfolge verweisen. auch noch begrüßen, zeigt, wie wenig Ahnung sie von der Sache haben. Die Hauptschule ist über Jahre hinweg Ich will aber auch deutlich machen, wo die Defizite systematisch schlechtgemacht worden. In Berlin hat man liegen. Darauf ist mir die Ministerin zu wenig eingegan- sie heruntergewirtschaftet und am Ende ganz abgeschafft. gen; denn die Defizite stehen deutlich in diesem Bericht. Aber mit welchem Ergebnis, meine Damen und Herren? Ich finde, die muss man ansprechen. Sind dadurch die Leistungen der Schüler wirklich besser Zum einen gibt es Defizite im Bereich der Digitalisie- geworden? Das Gegenteil ist interessanterweise der Fall. rung. Wir als Koalition – und das ist richtig gut gewesen – Ausgerechnet in Bayern, wo es noch die meisten Haupt- haben den DigitalPakt Schule ins Leben gerufen und mit (B) schulen gibt, schneiden die Schüler quer über alle richtig viel Geld versehen. Doch wenn man sich (D) Schultypen relativ gut ab. anschaut, wie viel Geld daraus abgerufen wurde und (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: In Bayern gibt wie viel Geld liegen bleibt, es die wenigsten Bildungsaufsteiger! Nehmen (Dr. Birke Bull-Bischoff [DIE LINKE]: Graust Sie das mal zur Kenntnis!) es einen!) Und ich sage: Noch schneiden sie in Bayern gut ab; denn und auch angesichts der Tatsache, dass wir es nicht schaf- inzwischen muss man dem ergrünten Ministerpräsiden- fen, in die Wege zu leiten, dass die Mittel in der letzten ten Söder ja alles zutrauen. Schule, auf dem letzten Schreibtisch und in der letzten Es ist allerdings erschreckend, meine Damen und Her- Wohnung ankommen – auch was Geräte angeht –, müs- ren, dass der Anteil der Gruppe von Jugendlichen ohne sen wir doch alle gemeinsam feststellen, dass wir nicht Hauptschulabschluss um 20 Prozent gestiegen ist, gut genug sind. Es braucht da in der Tat mehr Initiative. obwohl es vor zwölf Jahren das Ziel des Bildungsgipfels Jetzt kann man zweierlei machen: Man kann sich aus- in Dresden war, die Zahl der Schulabbrecher zu halbie- ruhen, zurücklehnen und sagen: Dafür sind die Länder ren. Allein in den ostdeutschen Flächenländern sieht es und Kommunen zuständig. Man kann aber auch die Ini- gut aus. Dort haben wir relativ wenige Bildungsabbrüche tiative ergreifen und, ich sage mal, mit Verve dafür sor- und relativ viele gelungene Fachausbildungsabschlüsse. gen, dass die Mittel in jeder einzelnen Schule ankommen. Ganz anders sieht es aus, wenn man nach , ins oder nach Nordrhein-Westfalen schaut. Kurz (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Bitte konkret gesagt: Überall dort, wo die SPD lange regiert hat, geht werden!) es mit der Bildung bergab. Diese Kritik will ich hier vorbringen; denn wir können doch nicht so tun, als wären wir schon richtig gut. Wir (Mechthild Rawert [SPD]: In Bayern?) haben den richtigen Weg beschritten. Wir als Bund haben In den Bundesländern, wo die AfD gute Wahlergebnisse die Mittel zur Verfügung gestellt. Auch ich kritisiere die erzielt, steht es um die solide Bildung sehr gut. Länder, dass es nicht funktioniert. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich finde, der nächste Nationale Bildungsbericht sollte Aber ich erwarte von einer Bundesministerin auch, dass dies gründlicher erforschen. sie das Problem in Angriff nimmt. Stimmen Sie unserem Antrag zu. Dann geht es mit der (Beifall bei der SPD, der FDP, der LINKEN Bildung in Deutschland wieder voran. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 27058 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Bärbel Bas (A) Ich will an den Nationalen Bildungsrat erinnern. Frau Am 21. Juni beginnen die Ferien in Mecklenburg-Vor- (C) Karliczek, Sie haben gerade betont, dass die Kooperation pommern und in Schleswig-Holstein. Ich finde, bis dahin zwischen Bund, Land und Kommune sehr wichtig ist. muss eine Lösung her, damit wir die Ferien nutzen kön- Wir hatten uns auf einen Nationalen Bildungsrat geeinigt, nen, um den Kindern zu helfen, dass sie zumindest einen um eine Kooperation auf den Weg zu bringen, in der wir Teil ihrer Defizite aufholen, die jetzt in der Pandemie gemeinsam handeln und im Sinne der Kinder gleichwer- entstanden sind und die vielleicht sogar schon vor der tige Bildungschancen schaffen; das ist das Ziel. Doch der Pandemie vorhanden waren. Nationale Bildungsrat ist an Bayern und Baden-Württem- Herzlichen Dank. berg gescheitert; das muss man hier festhalten. (Beifall bei der SPD – Jan Korte [DIE LINKE]: (Beifall bei der SPD) Das war ganz okay!) Es sollte eigentlich an einer Alternative gearbeitet wer- den, aber bis jetzt ist nichts passiert. Deshalb scheitern Vizepräsidentin Claudia Roth: wir alle gemeinsam an der Aufgabe, für gleichwertige Bildungschancen in diesem Land zu sorgen. Das muss Herr Korte verteilt die Noten. – Vielen Dank, Bärbel besser werden. Bas. – Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Dr. Thomas Sattelberger. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der FDP) Das will ich an der Stelle als großes Defizit benennen; auch das steht im Bildungsbericht. Und auch im Bereich der Infrastruktur – das ist der Arbeitsauftrag, den Sie Dr. h. c. Thomas Sattelberger (FDP): bekommen haben – müssen wir besser werden. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bil- dungsbericht 2020 – es geht um die Zeit vor Corona. Zum anderen – es ist angesprochen worden – gibt es Wie wird erst der Bildungsbericht 2022 ausfallen, der eigentlich einen Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz. das Bildungsfiasko in voller Tragweite abbilden wird? Aber auch dieses Vorhaben ist noch in der Schwebe. Das liegt nicht nur am Bund – keine Frage –, sondern es stockt Der 2020er jedenfalls ist ein Armutsbericht gegenüber an mehreren Stellen. Aber der Bildungsbericht sagt deut- dem von 2018: Die Zahl junger Menschen ohne Haupt- lich: Der Bedarf an Betreuung ist gestiegen. Die Eltern schulabschluss ist um fast 20 Prozent gestiegen. Rund brauchen das. Die Kinder brauchen das. Auch die früh- 30 Prozent der Schulabgängerinnen und Schulabgänger kindliche Bildung bleibt auf der Strecke. Deshalb kriti- beginnen keine vollqualifizierende Ausbildung. Sie lan- siere ich hier, dass Sie die Initiative nicht ergreifen. Gerne den im Dschungel des Übergangssystems. Und von dort gelingt gerade mal der Hälfte der Sprung in eine Aus- (B) ergreifen wir gemeinsam die Initiative, aber klar ist: Wir (D) müssen dieses Koalitionsprojekt jetzt auf die Reise bildung – nach zwei oder mehr Übergangsmaßnahmen. schicken, sonst wird das nichts mehr, und die Angebote Um eine Stadt so groß wie Heidelberg ist die Zahl junger für die Kinder und für die Eltern kommen zu spät. Menschen zwischen 20 und 35 ohne berufliche Ausbil- dung gestiegen: um 150 000 auf 1,5 Millionen. (Beifall bei der SPD) Die Kompetenzverluste durch die Pandemie werden Meine letzte Minute will ich noch dafür verwenden, die Situation dramatisch verschlechtern. Nachhilfe allein um auf ein weiteres Defizit einzugehen – das ist ein reicht nicht, Frau Bas. Deswegen unser Antrag. Wir müs- wichtiger Punkt –: Ganz viele Kinder und Jugendliche sen Brücken bauen, zum Beispiel indem wir das untaug- gehen ohne Abschluss von der Schule. Das war vor der liche Übergangssystem rasch reformieren. Mein Favorit Pandemie schon so, und die Pandemie wird das noch ist die Renaissance der Einstiegsqualifizierung. Sie führt verschärfen. Jetzt habe ich gerade Ihrer Rede entnom- zu 70 bis 80 Prozent in die Berufsausbildung. Ein seriöses men, dass man eine Lernstandsprüfung durchführt, und Programm, eine Marke, eine Finanzierung, eine Evaluie- dann guckt man weiter. Ich glaube, das ist zu spät. rung, eine Bildungsmarke – Optimierung statt Wild- (Beifall bei der SPD, der FDP, der LINKEN wuchs, das wäre es. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP) Ich sage ganz deutlich: Wir brauchen jetzt ein Konzept So was hätte als Erfolg in den Bildungsbericht gehört, für Nachhilfe. Wir brauchen jetzt ergänzende Kräfte, die Frau Karliczek. Wir brauchen Perspektiven statt Etiket- die Lehrerinnen und Lehrer unterstützen. tenschwindel wie beim Bachelor Professional; selbst der Ich komme aus Duisburg, einer Ruhrgebietsstadt, und hat heute keine Rose für Sie, wir haben genau diese Probleme. Wenn wir jetzt nicht (Heiterkeit bei der FDP) gemeinsam die Schulen unterstützen, wenn jetzt nicht ein Konzept auf den Tisch kommt, dass wir die Nachhilfe auch nicht für die Kanzlerin, die 2008 die Bildungsrepub- ausbauen und dass wir den Kindern helfen, ihre Defizite lik ausgerufen hat. Wenn wir uns heute, gut zwölf Jahre in den Ferien aufzuholen, dann werden wir das nicht danach, mit anderen Nationen vergleichen, dann blicken schaffen, und dann wird die Lücke, die es schon jetzt wir eben nicht auf eine Bildungsrepublik, sondern auf gibt und die dieser Bildungsbericht anspricht, noch größ- eine Bildungsarmutsrepublik, und zwar am Sockel der er werden. Deshalb kann ich uns allen nur raten, dass wir Bildungspyramide genauso wie an ihrer Spitze. Selbst noch in dieser Koalition ein Konzept erarbeiten – meinet- bei Topleistungen liegt Deutschland inzwischen im Mit- wegen auch mit Bundesgeld –, mit dem wir den Schülern telfeld. Die Bildungskette ist ungenügend, von der Kita helfen. bis zum Berufseinstieg. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27059

Dr. h. c. Thomas Sattelberger (A) (Beifall bei der FDP) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer in Deutschland (C) in armen Verhältnissen groß wird, der kriegt das auch in Das ist nicht – ich zitiere Ihre Aussage, Frau Karliczek, der Schule zu spüren: wenn das Gebäude der Förderschu- aus dem Sommer 2020 – viel Licht, aber auch Schatten. le noch den Charme von vor 30 Jahren hat, wenn diese Nein, es ist quer durch die Republik schattenduster. Hic Schülerinnen und Schüler in der nahegelegenen Sekun- Rhodus, hic salta, Anja! Vielleicht hilft es Ihrer zarten darschule gar nicht gewollt sind, weil – positiv formu- Seele, Herr Rossmann, wenn ich meinen regelmäßigen liert – das Personal fehlt, wenn sich Eltern mit wenig Aufruf extra für Sie – aber nur heute – einmal bildungs- Geld keinen Laptop, keinen Drucker leisten können, bürgerlich formuliere. wenn junge Leute mit Hauptschulabschluss nahezu auto- (Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP) matisch im Übergangssystem zwischen Schule und be- ruflicher Ausbildung geparkt werden oder wenn das Schavan, Wanka, Karliczek, eine nach der anderen hat Gymnasium deshalb verwehrt wird, weil mutmaßlich Schule versaubeutelt! die Unterstützung im Elternhaus fehlt. Kinder werden in Deutschland platziert, und zwar abhängig von den Ver- (Beifall bei der FDP) hältnissen, aus denen sie kommen. Meine Damen und 16 Jahre christdemokratische Bildungspolitik wurden Herren, das ist ein jahrzehntelanger Befund, ein jahrzehn- von der Realität brachial eingeholt, genauso wie der Digi- telang beschämender Befund. talPakt Schule, der seit 2000 nötig ist und jetzt, in der (Beifall bei der LINKEN) Krise, vollends eingeknickt ist. Wir haben kein Erkenntnisproblem. Die Bildungspoli- Frau Karliczek, Sie haben es immer noch nicht ver- tik in Deutschland hat ein Glaubwürdigkeitsproblem, standen: Das Land ist mitten in einer Transformation. allen voran die Bundesregierung. Mindestens fünf Punkte Es geht nicht um ein bisschen mehr Onlineunterricht. fallen mir dazu ein: Was Sie gut konnten, war Schulen schließen. Was Sie gar nicht können: Krisen managen, Deutschland fit Erstens. Die Mangelwirtschaft muss endlich beendet machen für die Digitalisierung, Transformieren, Lösun- werden: der Lehrermangel, der Mangel an Schulsozialar- gen finden für die junge Generation. Dieses Land braucht beiterinnen und Schulsozialarbeitern, der Mangel an einen Neustart. Dann geht ein Ruck durch Deutschland. schönen Schulen und der Mangel an digitaler Infrastruk- Wir freuen uns auf den 26. September! tur. (Beifall bei der FDP – Jan Korte [DIE LINKE]: (Beifall bei der LINKEN) Das würde ich nicht so leichtfertig sagen! – Hinzu kommt, dass auch in der Bildung gilt: Wer hat, (B) Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: dem wird gegeben. Geld, Ressourcen, öffentliche Auf- (D) Ich frage mich auch gerade: Was passiert nach merksamkeit und sogar der Mangel selbst sind ungleich dem 26.? Tretet ihr diesmal in die Regierung verteilt. Lehrermangel ist vor allen Dingen ein Problem ein?) von Brennpunktschulen. Alte und baufällige Schulen fin- den sich vor allem dort, in sozialen Brennpunkten. Digi- Vizepräsidentin Claudia Roth: tale Infrastruktur wird vor allem in der dualen Bildung Vielen Dank, Dr. Thomas Sattelberger. – Nächste Red- gefördert, nicht aber in den Ausbildungen, beispielsweise nerin: für die Fraktion Die Linke Dr. Birke Bull-Bischoff. bei Trägern der Jugendsozialarbeit oder im Übergangs- system. Geld und Ressourcen müssen stattdessen vor (Beifall bei der LINKEN) allem dorthin fließen, wo sie am meisten gebraucht wer- den. Deshalb brauchen wir einen Sozialindex und keinen Königsteiner Schlüssel. Dr. Birke Bull-Bischoff (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Kollegen! Mit Verlaub, Frau Bundesministerin, Ihre Rede neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) war die einer Märchentante. Ich muss es mal sagen: In Zweiter Punkt. Frau Giffey, Sie legen ein Kinder- und welcher Welt leben Sie? Jugendstärkungsgesetz vor, aber ohne klare Regelung zur (Beifall bei der LINKEN, der FDP und dem Schulsozialarbeit. Seit Jahren ist klar und unumstritten – BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sogar bei der Union, und das war nicht immer so, wie die Debatte gezeigt hat –, dass Schulsozialarbeit erfolgrei- Lassen Sie sich bitte die Anrufe aus Schulen in Ihr Büro ches Lernen unterstützt. Dennoch bleibt auch diese durchstellen. Das Chaos an sich ist schlimm genug, aber Erkenntnis folgenlos. Wir bleiben dabei: Schulsozialar- noch schlimmer ist es, das hier schönzureden. 28 Prozent beit muss Regelaufgabe im SGB VIII, im Kinder- und der Mittel aus dem DigitalPakt sind abgeflossen. Was Jugendhilferecht, werden. wäre das eigentlich für eine Schulleistung? Einen Abschluss schaffen Sie auf diese Weise ganz sicher nicht! (Beifall bei der LINKEN) Um mal den kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen Drittens. Ich finde, es wäre ein sehr starkes Signal, Herrn Sattelberger und mir zu nennen: Ich hoffe ehrli- wenn jetzt ein ernstzunehmendes Programm gegen Bil- chen Herzens, dass Sie den Bildungsbericht 2022 nicht dungsarmut aufgelegt würde. mehr kommentieren. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann (Beifall bei der LINKEN und der FDP) [SPD]) 27060 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Dr. Birke Bull-Bischoff (A) Geld, Personal und Unterstützung müssen an finanz- den. Das ist wie TÜV ohne Plakette. Jedes Mal sagt der: (C) schwache Kommunen gehen, „Die Karre hat erhebliche Mängel“, und dann wundert (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- man sich, wenn sie auf einer Holperstrecke, sprich: Pan- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN demie, auseinanderfällt. und des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann Ministerin Karliczek hat gerade sehr deutlich demonst- [SPD]) riert: Der Blick zurück verklärt so manches, und wer jetzt an die, die gebeutelt sind durch Sozialausgaben, durch einen bildungspolitischen Aufbruch spürt, dem darf man, einen hohen Anteil benachteiligter Kinder. Die Landkrei- glaube ich, ruhig Realitätsverlust bescheinigen. se legen ihrerseits ein Konzept gegen Bildungsarmut vor. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das tun einige Gemeinden und Städte übrigens bereits und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten jetzt, gerade die finanzschwachen, allerdings auf eigene der FDP) Rechnung. Viertens. Bildung in einer digitalen Gesellschaft Meine Perspektive ist eine andere. Der Blick zurück braucht Verlässlichkeit und Sicherheit. Es wurde vielfach erklärt vieles: Nach wie vor hängt der Bildungserfolg gesagt: Wir brauchen ein Recht auf digitale Grundsiche- vom Elternhaus ab. Die Risikolagen – sozial, finanziell, rung: Laptop, Drucker, Papier für jede Schülerin, für formal geringqualifizierte Eltern – sind bei Alleinerzieh- jeden Schüler. Und wir brauchen jetzt die Regelungen enden und Familien mit Migrationshintergrund beson- für eine dauerhafte gemeinsame Finanzierung digitaler ders zahlreich. Ergebnis: Die Zahl der Abiturientinnen Infrastruktur – für die Zukunft. und Abiturienten stagniert, und – das ist ganz bitter – auch die Zahl der Abgängerinnen und Abgänger ohne Fünfter Punkt. Das Übergangssystem zwischen Schule Abschluss steigt. Das heißt, die Lebenschancen der Kin- und der beruflichen Ausbildung muss reformiert werden; der sinken. Das Versprechen des Aufstiegs durch Bildung dazu haben wir einen Antrag vorgelegt. Zwei Qualitäts- wird immer seltener eingelöst. Das muss sich wieder kriterien, sagt uns die Wissenschaft, sind dafür entschei- ändern! dend: Zum einen müssen 50 Prozent der Maßnahme tat- sächlich in den Unternehmen, also praxisbezogen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stattfinden, und zum anderen müssen die jungen Leute und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten eine Chance haben, ihren Schulabschluss zu verbessern. der FDP) (Beifall bei der LINKEN) Eine wesentliche Voraussetzung dafür ist, dem Lehr- Was müssen wir aus der Krise lernen? Wir brauchen kräftemangel abzuhelfen. Das Bildungspersonal wird im (B) einen Bildungsgipfel. Wir brauchen einen Bildungsgipfel Moment zahlenmäßig mehr, aber eben auch älter. Viele (D) gegen Bildungsarmut. Lehrkräfte stehen vor dem Ruhestand. Trotzdem gibt es dazu bis heute keine Impulse aus dem BMBF. Das nenne (Beifall bei der LINKEN) ich Arbeitsverweigerung. Erstens muss die Mangelwirtschaft beendet werden. 2018 waren 13 Prozent der neueingestellten Lehrkräfte Zweitens gehört die soziale Spaltung abgebaut. Drittens Quer- und Seiteneinsteiger. Diese werden überdurch- muss Schule endlich zu einem freudvollen, innovativen schnittlich oft an Brennpunktschulen eingesetzt, also da, Ort des Lernens werden, zu einem Treiber von Bildung wo man pädagogische Qualifikationen ganz besonders und Innovation. braucht. Diese Schulen können von der Alltags- und Lernanstalten preußischer Prägung – ich sage es ruhig Lebenserfahrung der Quereinsteigerinnen und Querein- mal so zugespitzt – müssen der Vergangenheit angehören. steiger wirklich sehr profitieren, allerdings muss bei der Neue Schule braucht das Land! pädagogischen Qualifizierung dringend nachgebessert (Beifall bei der LINKEN – Jan Korte [DIE werden. LINKE]: Bis jetzt die beste Rede!) Die verheerende Bestandsaufnahme der Digitalisie- rung erspare ich Ihnen. Ich fürchte, Frau Karliczek wird Vizepräsidentin Claudia Roth: sich im nationalen Bildungsraum wieder verlaufen. Vielen Dank, Dr. Birke Bull-Bischoff. – Nächste Red- Gehen Sie endlich die Basisdigitalisierung der Schulen nerin: für Bündnis 90/Die Grünen Margit Stumpp. an! Das wäre das Wesentliche. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Margit Stumpp (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aktuell steht die Erreichbarkeit der Schülerinnen und Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen Schüler noch im Vordergrund. Das darf aber nicht den und Herren! Der Nationale Bildungsbericht zeigt vor Blick darauf verstellen, dass Technik der Pädagogik fol- allem eines: Seit Jahren nimmt diese Regierung die ekla- gen muss. Der Bericht bemängelt in diesem Zusammen- tanten Mängel unseres Bildungssystems hin, ohne sich hang, dass es an wissenschaftlichen Untersuchungen zum darum zu kümmern. Die Analyse bezieht sich noch auf Nutzen digitaler Technologien im Unterricht immer noch die Zeit vor der Pandemie. Man kann sich heute schon fehlt. Auch hier besteht dringender Handlungsbedarf. ausmalen, wie verheerend die nächste Zustandsbeschrei- bung ausfallen wird. Der Bericht offenbart, dass die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN offensichtlichen Mängel jahrzehntelang ignoriert wur- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27061

Margit Stumpp (A) Ein Satz ist in allen Bildungsberichten wie in Stein diskutiert – ist vollkommen unzureichend. Da ist die Fra- (C) gemeißelt – leider –: Die Bildungsausgaben bleiben, ge – abseits von Rumgeschrei und Skandalisierung –: gemessen an der Wirtschaftskraft, weit unter EU- und Was sind unsere politischen Konzepte? OECD-Schnitt. Solange der Bund sich nicht angemessen Gehen wir doch mal ans Eingemachte: Wer macht es und stetig an Bildungsinvestitionen beteiligt, fehlen die gut, und wer macht es schlecht? Mittel für gerechte Bildungschancen. Das dürfen wir nicht länger hinnehmen! (Zurufe von der LINKEN: Oh!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Welche politischen Konzepte funktionieren, und welche und bei der LINKEN) sind bloß Sonntagsreden? Vizepräsidentin Claudia Roth: (Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: Die vom Vielen Dank, Margit Stumpp. – Nächster Redner: für Söder wohl nicht!) die CDU/CSU-Fraktion Albert Rupprecht. Gehen wir mal die Punkte im Bildungsbericht durch: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Erster Punkt: Schulqualität, Mathematikkompetenzen. Albert Rupprecht (CDU/CSU): Am Ende der 9. Klasse haben 25 Prozent der Schüler den Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Mindeststandard nicht erreicht. Herr Sattelberger, der vorliegende Nationale Bildungsbe- (Zuruf der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) richt gibt überhaupt keine Grundlage für eine derartige Bayern ist 8 Prozentpunkte besser und Sachsen 11 Pro- Skandalisierung, wie Sie sie hier vorbringen. zentpunkte besser als der Durchschnitt. (Beifall bei der CDU/CSU) (Zuruf von der CDU/CSU: Die sind eben hel- Ich war wirklich gespannt – – le!) (Zuruf des Abg. Dr. h. c. Thomas Sattelberger Zweiter Punkt: Bildungsarmut. Der Anteil von [FDP]) Schulabsolventen ohne Abschluss beträgt in Bayern – Eigentlich sollten Sie Mitarbeiter der „Bild“-Zeitung 5,5 Prozent, in Berlin aber 9,6 Prozent – das sind Unter- werden. Sie lesen durch, schauen überall, wo ein schiede! Schwachpunkt ist, (Zuruf von der CDU/CSU: Eijeijei!) (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Das ist ja Dritter Punkt: Bereich der Integration, Zusammenhang Medienschelte hier!) zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg. Im (B) und skandalisieren das auf eine dramatische Art und Bildungsmonitor 2020 hat Bayern hier den ersten Platz. (D) Weise. Aber Lösungen – ich war wirklich gespannt Das sind die Unterschiede, sehr geehrte Damen und Her- darauf, was Sie an Lösungen vorschlagen –: null Komma ren! null. (Beifall bei der CDU/CSU) (Zuruf von der CDU/CSU: Die Anträge lesen!) Jetzt könnte man weitermachen mit beruflicher Bildung Wenn das die Auseinandersetzung mit einem komplexen und noch vielen anderen Sachen darüber hinaus. Bildungssystem in unserem Land ist, dann ist das viel zu kurz gesprungen. Erstes Zwischenergebnis. Wenn alle Bundesländer die- selben Ergebnisse hätten wie Bayern und Sachsen – alte (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Bundesländer, neue Bundesländer –, dann wären wir im Dr. Birke Bull-Bischoff [DIE LINKE]) internationalen Vergleich vorne dabei. Der Nationale Bildungsbericht zeigt Stärken, und er (Zuruf der Abg. Dr. Birke Bull-Bischoff [DIE zeigt Schwächen. Er zeigt im Ergebnis ein weit besseres LINKE]) und ein weit differenzierteres Bild, als die Debatte hier abbildet. Auf der Positivseite ist zu vermerken: Die Zahl Zweites Zwischenergebnis. Das ist an Sie gerichtet: der Bildungsteilnehmer, der Bildungsstand, die Zahl der Wo Unionsparteien schon seit langer Zeit regieren wie Beschäftigten im Bildungswesen und die Ausgaben für in Bayern und in Sachsen, sind die Bildungsergebnisse Bildung sind gestiegen. Die Ausgaben für Bildung sind substanziell besser. gegenüber 2010 um 30 Prozent gestiegen, also 9,3 Pro- (Zuruf des Abg. Dr. Jens Brandenburg [Rhein- zent des Bruttoinlandsproduktes für Forschung und Bil- Neckar] [FDP]) dung insgesamt. Drittes Zwischenergebnis. Dieses ewige Lamento, die (Beifall bei der CDU/CSU – Tankred Länder seien überfordert und der Bund müsse alles lösen, Schipanski [CDU/CSU]: Fakten! Fakten! Fak- stimmt schlichtweg nicht. ten!) (Zuruf der Abg. Dr. Birke Bull-Bischoff [DIE Die Durchlässigkeit des Bildungssystems nimmt zu. Die LINKE]) Zahl der Kinder geht zurück, aber die Zahl der Lehrkräfte steigt. Wenn man sich die Länder genauer anschaut, sieht man nämlich, dass es Länder gibt, die die Kraft haben, gute Ja, es gibt auch viele Punkte auf der Negativseite. Ja, Bildungspolitik hinzukriegen. die Zahl der Jugendlichen ohne Abschluss steigt. Der Grad der Digitalisierung – das haben wir rauf und runter (Beifall bei der CDU/CSU) 27062 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Albert Rupprecht (A) Sie müssen es nur endlich tun, sehr geehrte Kolleginnen (Margit Stumpp [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) und Kollegen! NEN]: Wir können doch nichts dafür! – Weite- rer Zuruf: Das sagen wir doch!) (Dr. Jens Brandenburg [Rhein-Neckar] [FDP]: Was macht denn die Frau Eisenmann?) – Ich sage nur: Das gehört auch zur Bildungspolitik dazu. Subsidiarität, Dezentralität, Entscheidungsfähigkeit in Hier wird ständig ausschließlich über Schulpolitik disku- kleinen Einheiten vor Ort sind in komplexen, modernen tiert. Es geht um den Nationalen Bildungsbericht. Da geht Zeiten wichtiger denn je. Die Hattie-Studie aus dem Jahr es um weit mehr als um die Kerntätigkeiten von Schule. 2009 hat genau das noch einmal gezeigt: Entscheidend (Beifall bei der CDU/CSU) für den Unterschied im Lernergebnis ist der Lehrer, seine Einstellung, wie er auf die Schüler zugeht und wie er Wir haben in den vergangenen Jahren mit großen Pake- seinen Beruf versteht. ten Verantwortung übernommen: Wir geben für den Hochschulpakt bis 2023 20 Milliarden Euro an Bundes- (Beifall des Abg. Dr. Götz Frömming [AfD]) mitteln. Wir geben in den nächsten Jahren für die Hoch- Deswegen braucht der Lehrer Freiheit. Er braucht eines schulen mit dem Zukunftsvertrag „Studium und Lehre als Allerletztes: dass wir hier glauben, in Berlin ohne stärken“ 2 Milliarden Euro jährlich. Wir haben für Inno- Komma und Punkt alles übernehmen zu wollen, weil vation und Modernisierung in der beruflichen Bildung in wir anscheinend für alles zuständig wären. Subsidiarität den letzten drei Jahren während dieser Legislaturperiode und Dezentralität sauber neu durchdeklinieren – das ist so viel zusätzliches Geld gegeben wie Jahrzehnte nicht, das, was wir tun müssen. liebe Kolleginnen und liebe Kollegen. Wir geben jetzt die 6,5 Milliarden Euro für den DigitalPakt Schule. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Götz Frömming [AfD]: Wo er recht hat, hat er Und vielleicht eine Anmerkung: Ich war einer von recht! – Zuruf der Abg. Dr. Birke Bull-Bischoff denen, der vor fünf Jahren hier mit Ministerin Wanka [DIE LINKE]) gesagt hat: Wir stellen die 5 Milliarden Euro ins Schau- fenster. Das gilt im Übrigen auch in Coronazeiten. Ich habe eine Tochter von acht und eine Tochter von zwölf Jahren, (Dr. Birke Bull-Bischoff [DIE LINKE]: Da und ich kriege das mit so wie viele Eltern zu Hause. Da sind sie ja geblieben! Das ist doch das Pro- gibt es Lehrer, die sind herausragend trotz widriger blem!) Umstände. Und wieso sind sie das? Weil sie die richtige Einstellung haben. Weil sie trotz dieser widrigen Umstän- Von den Kolleginnen und Kollegen hier ist so etwas nicht de einen genialen, bravourösen Fernunterricht machen. gekommen. Von den Ländern, in denen Sie Verantwor- (B) Ich weiß, dass die Umstände schwierig sind, dass das tung haben, gab es keinen Antrag im Bundesrat. Es war (D) nicht zufriedenstellend ist. Aber es ist möglich, wenn unsere Initiative. Aber wir erwarten schon, dass Sie bei man Lehrerinnen und Lehrer motiviert und unterstützt. der Umsetzung Ihre Arbeit machen. Das ist die Schlüsselfrage. (Beifall bei der CDU/CSU – Alexander Graf (Beifall bei der CDU/CSU – Steffi Lemke Lambsdorff [FDP]: Bildungsdigitalisierung [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Soll das jetzt haben wir gemacht, nicht Sie! – Dr. Birke Lehrerschelte werden? Das ist ja unglaublich!) Bull-Bischoff [DIE LINKE]: Was sollen die im Schaufenster?) Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen, das heißt aber nicht, dass unsere Position wäre, dass der Bund nicht Zum Geld. Was haben wir als Bund gemacht? Und zuständig sei und keine Aufgaben hätte; ganz im Gegen- dann schauen wir, ob das die ganze Nation hinkriegt. teil. Wir haben vonseiten des Bundes seit 2005 die Bildungs- ausgaben von 4,4 auf 11 Milliarden Euro erhöht. Das ist (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Echt? – Zuruf eine Steigerung um 150 Prozent. Das Land Brandenburg vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nein?) hat im selbigen Zeitraum die Gelder um 72 Prozent Wir müssen uns sehr genau überlegen, was wir tun und erhöht – um nur ein Beispiel zu nennen. Also, reden Sie wie wir es tun. Diese naive Sicht einiger linker Gruppie- nicht über uns, sondern reden Sie dort, wo Sie Zugang rungen – im Übrigen gehört die FDP seit dieser Legisla- haben, mit denen, die da Verantwortung tragen! turperiode inzwischen dazu –, (Beifall bei der CDU/CSU) (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Unsinn! – Zuruf der Abg. Nicole Gohlke [DIE LINKE]) Wenn alle das machten, was wir, seit wir an der Regie- rung sind, machen, dann wären das gute Zeiten in diesem dass immer dann, wenn etwas nicht klappt, der Bund Lande. Deswegen abschließend: Ja, der kooperative sofort in die Bresche springen muss, das ist der falsche Föderalismus muss weiterentwickelt werden. Ansatz. Das ist Unsinn, weil es letztendlich das gesamte System durcheinanderbringt und das Problem nicht löst, (Zuruf von der LINKEN) sondern mehr Probleme schafft. Natürlich macht es keinen Sinn, dass jedes Bundesland Die Aufgaben des Bundes nehmen zu. Aber es braucht eine eigene Schul-Cloud hat. Deswegen haben wir auch klare Verantwortlichkeiten. Und wenn jeder für alles in den letzten zwei Legislaturperioden die Verfassung zuständig ist, ist zuletzt keiner verantwortlich und zustän- geändert, 2014 den Artikel 91b – seither können wir dig, sehr geehrte Damen und Herren. uns an der Grundfinanzierung der Hochschulen beteili- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27063

Albert Rupprecht (A) gen – und 2019 den Artikel 104c hinzugefügt. Seither Meine Damen und Herren, alle tanzen um den weißen (C) können wir die Schulen bei Digitalisierung, Betreuung- Elefanten im Raum. Der Bildungsbericht hingegen sangeboten und Weiterem mehr unterstützen. spricht Probleme an, die die staatlich forcierte Zuwande- Wir werden auch in der nächsten Legislaturperiode die rung nach Deutschland mit sich bringt. Zuständigkeiten weiterentwickeln. Ralph Brinkhaus hat (Lachen der Abg. Yasmin Fahimi [SPD]) recht, wenn er sagt: Corona hat uns gezeigt, dass die – Ja, lachen Sie nur. Es ist so. – 40 Prozent der Zuzügler Zusammenarbeit auf den staatlichen Ebenen grundlegend über 19 Jahren haben keinen Berufsabschluss. Von den in verbessert werden muss. – Genau das werden wir tun, Deutschland geborenen Menschen mit besonderem nicht aktionistisch, beliebig und nach dem Motto „Jeder Migrationshintergrund hat mehr als jeder Vierte keinen ist für alles zuständig“, sondern indem wir genau über- Berufsabschluss, und das, obwohl diese Menschen das legen, was unsere Aufgabe auf Bundesebene sein soll, komplette Bildungsangebot in Deutschland wahrnehmen was wir weiterentwickeln müssen. Dann werden wir konnten. Leider passt das genau zu den Erkenntnissen genau diese Reform des Staatswesens machen – nicht von 2019, aktionistisch, sondern klug und vernünftig. (Zuruf der Abg. Margit Stumpp [BÜND- Danke schön. NIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei der CDU/CSU) dass sich nämlich Zugezogene aus bestimmten Zuzugs- Vizepräsidentin Claudia Roth: kontexten in unserem Hartz-IV-System mit 53 Prozent Vielen Dank, Albert Rupprecht. – Nächste Rednerin: besonders wohlfühlen. Wann fangen Sie endlich an, mit für die AfD-Fraktion Nicole Höchst. diesen Erkenntnissen zu arbeiten? (Beifall bei der AfD – Jan Korte [DIE LINKE]: (Beifall bei der AfD) Das wird definitiv die schlechteste Rede!) Wer die Zukunft sehen will, schaut in die Kitas. Selbst im beschaulichen Kurort Bad Kreuznach waren im Jahr Nicole Höchst (AfD): 2016 die Kinder mit Migrationshintergrund teilweise Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Werte Kollegen! schon in der Mehrheit. Spitzenreiter war eine Kita mit Sehr geehrte Damen und Herren! Vieles ist bereits gesagt fast 95 Prozent Kindern mit Zuwanderungsgeschichte. worden. Auf der Tagesordnung heute müsste eigentlich Wer integriert sich hier wo hinein? nicht die Selbstbeweihräucherung der Regierung, son- dern ein Strategiepapier zur schnellstmöglichen Wieder- (Beifall bei Abgeordneten der AfD) herstellung des Regelbetriebs in unseren Bildungsein- Der Bildungsbericht und sämtliche Statistiken zeigen: (B) richtungen stehen. Wir haben ein wachsendes migrationsgeschuldetes Pas- (D) (Beifall bei der AfD) sungsproblem beim Übertritt in den Ausbildungsmarkt und die Beruflichkeit. Der Bericht und die Vielzahl der gestellten Anträge zeigen, dass die Fehlentwicklungen in Bund und Ländern (Dr. Birke Bull-Bischoff [DIE LINKE]: So ein nun überdeutlich zutage treten. Dass immer mehr Bürger Schwachsinn! Verdammt noch mal! Das über Abitur oder einen Hochschulabschluss verfügen, ist stimmt überhaupt nicht!) generell keine Errungenschaft, sondern ein trauriges Deutschland braucht dringend eine Abkehr von der glo- Zeugnis über den Niveauverfall im deutschen Schul- balistischen Politik, die scheinbar jedem Erdenbürger das und Hochschulwesen, meine Damen und Herren. Menschenrecht auf ein Leben in Deutschland zuerkennen (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- möchte. NEN]: Was ist denn das?) (Beifall bei der AfD – Zurufe vom BÜND- Zudem verschärft diese Entwicklung den Fachkräfteman- NIS 90/DIE GRÜNEN) gel im Handwerk und die Quote arbeitsloser Akademiker. Die Alternative für Deutschland fordert eine Willkom- Stärken Sie endlich die berufliche Bildung, wie in unse- menskultur für Kinder, eine geregelte qualifizierte Zu- ren zwei heute zu beratenden Anträgen gefordert! wanderung. Dann klappt es auch wieder mit Integration (Beifall bei der AfD – Zurufe von der SPD) und Bildung. Das Anwachsen des Segments „frühkindliche Bil- Vielen Dank. dung“, das heißt die Fremdbetreuung von Klein- und (Beifall bei der AfD – Yasmin Fahimi [SPD]: Kleinstkindern ab einem Jahr, feiern Sie als einen Erfolg. Integration ist keine Einbahnstraße! – Dr. Birke Dabei ist die klassische Familie die pandemiekrisensich- Bull-Bischoff [DIE LINKE]: Ich bin froh, dass erste, maskenfreieste und kinderfreundlichste Form, sei- ich nicht nach ihr reden muss! – Jan Korte [DIE ne Kinder zu betreuen. LINKE]: Definitiv die schlechteste Rede in der (Beifall bei der AfD) gesamten Legislaturperiode!) Wir fordern: Eine Familie muss endlich wieder von einem Gehalt leben können, damit sie echte Wahlfreiheit Vizepräsidentin Claudia Roth: bezüglich innerfamiliärer Arbeitsaufteilung und Kinder- Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Oliver betreuung hat. Kaczmarek. (Beifall bei der AfD – Zuruf von der LINKEN) (Beifall bei der SPD) 27064 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

(A) Oliver Kaczmarek (SPD): dungsbericht weist einen Bedarf von etwa 800 000 Plät- (C) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Natürlich zen bis 2025 für die Ganztagsbetreuung in der kann man so tun, als wenn das eine Debatte wäre, in der Grundschule aus. man alles Mögliche unterbringen kann. Aber es geht um Bildungspolitik, und darum, dass in diesem Land, in die- Deshalb war es richtig, dass wir als Koalition in dieser ser Situation viele Anforderungen an unser Bildungssys- Frage gehandelt haben. Insgesamt 3,5 Milliarden Euro tem gestellt werden. für den Ausbau von ganztägiger Bildung und Betreuung an den Grundschulen haben wir in dieser Wahlperiode Ich will zwei Punkte aufgreifen. zur Verfügung gestellt. Das Geld steht zur Verfügung. Der Lockdown hat doch gezeigt, wie wichtig Schulen, Wir können jetzt in mehr Ganztagsbetreuung investieren. wie wichtig Kitas als Orte sind, wo Wissen geschaffen Das war eine richtige Entscheidung und auch eine wich- wird, als Orte, wo sozialer Zusammenhalt geschaffen tige Lehre aus Corona. wird. Und deshalb ist es gut, dass die ersten Schülerinnen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) und Schüler wieder in die Schule gehen können; wenn auch noch nicht alle und viele im Wechselunterricht. Jetzt Ich will aber auch sagen: Der Rechtsanspruch auf kommt es darauf an, dass wir dieser Öffnung von Schulen Ganztagsbetreuung an Grundschulen fehlt uns noch; der den Rücken stärken. Ich will deshalb auch ganz klar würde das vervollständigen. Ich habe deshalb die Bitte, sagen: Das, was da gestern beschlossen worden ist – dass unser Koalitionspartner, aber auch die Grünen auf das Vorziehen der Impfung von Erzieherinnen und Erzie- ihre Landesverbände in Baden-Württemberg und Hessen hern, von Lehrerinnen und Lehrern und die Vereinbarung zugehen, damit wir Klarheit bekommen, wie man dort zu über regelmäßige Tests in den Schulen und Kitas –, gibt einem Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung an Grund- Sicherheit für den Schul- und Kitabetrieb, das ermöglicht schulen steht. Wir müssen auch bei diesen Ländern end- weitere Öffnungsschritte. Die Beschlüsse von gestern lich die Bremsen lösen. Dazu reicht es nicht, Appelle hier gehen vielleicht noch nicht so weit, wie wir uns das vor- im Bundestag abzugeben. Bitte sorgen Sie in Ihren eige- gestellt haben, nen Läden dafür, dass das in dieser Wahlperiode über die (Zuruf des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE Bühne gehen kann. LINKE]) (Beifall bei der SPD) aber sie sind ein Fortschritt und geben auch ein bisschen Corona hat gezwungenermaßen die Potenziale und Rückenwind für die Öffnung von Schulen und Kitas. Defizite des digital unterstützten Lernens aufgezeigt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Der DigitalPakt hilft; das ist doch gar keine Frage. Er (B) der CDU/CSU) hilft vielleicht noch nicht ausreichend und sicherlich (D) Aber das reicht noch nicht; denn Schülerinnen und noch nicht schnell genug, aber man muss sich doch ein- Schüler haben zu Hause in den letzten Wochen und mal vorstellen, wo wir in der Pandemie ohne ihn wären. Monaten unterschiedlich lernen können. Schätzungen Von Frau Wanka gab es nur eine Ankündigung ohne gehen davon aus, dass bis zu 20 Prozent aller Schülerin- Ergebnis; kein einziger Euro wurde im Haushalt dafür nen und Schüler, die jetzt in die Einrichtungen zurück- bereitgestellt. Es war doch richtig, dass Olaf Scholz und kommen, Lernrückstände haben und damit auch unter- Frau Karliczek gehandelt haben und dass Olaf Scholz als schiedlich ausgeprägten Förderbedarf aufweisen. Diese Finanzminister in einer seiner ersten Amtshandlungen Schülerinnen und Schüler, meine Damen und Herren, den Digitalfonds eingerichtet hat. Das erste Geld für brauchen Unterstützung, und zwar nicht nur in den nächs- den DigitalPakt Schule stand bereits zur Verfügung, ten vier Wochen oder in den Ferien, sondern über mindes- bevor es eine entsprechende Bund-Länder-Vereinbarung tens ein Jahr, damit aus Lernrückständen eben nicht we- gegeben hat. Deswegen sage ich: Der DigitalPakt ist eine niger Chancen für die Zukunft junger Menschen werden. gute Sache. Das Geld ist da. Es muss jetzt noch schneller und unkomplizierter gehen. Daran müssen wir noch (Beifall bei der SPD) arbeiten. Frau Karliczek, wir fanden es gut, dass Sie schon vor (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zwei, drei Wochen angekündigt haben, dass Sie den Län- der CDU/CSU) dern dazu auch ein Angebot machen wollen. Wir freuen uns darüber und auch darüber, dass wir von Ihnen jetzt Ich glaube, wenn wir dies in den Mittelpunkt stellen – konkrete Vorschläge und Verhandlungsergebnisse be- Ganztagsbetreuung, Digitalisierung – und wenn wir uns kommen. Denn das, was wir machen müssen, ist klar: jetzt um die Schülerinnen und Schüler mit Lernrückstän- Wir müssen die Lernrückständige in den Mittelpunkt stel- den kümmern, dann können wir Vertrauen in Bildungs- len – nicht alles Mögliche, sondern die Lernrückstände –, politik zurückgewinnen. Ich glaube, die Debatte heute hat und es muss schnell gehen. Das Datum der Sommerferien gezeigt, dass das notwendig ist. ist genannt. Wir freuen uns über die Initiative. Es muss jetzt auch ganz konkret werden. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: In Corona hat sich bestätigt, was der Nationale Bil- Vielen Dank, Kollege Kaczmarek. – Nächster Redner: dungsbericht mit Zahlen belegt hat: Die Menschen in für die FDP-Fraktion Dr. Jens Brandenburg. diesem Land wünschen sich die Vereinbarkeit von Fami- lie und Beruf. – Der Bedarf ist groß. Der Nationale Bil- (Beifall bei der FDP) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27065

(A) Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar) (FDP): Wir brauchen eine strukturelle Reform des BAföG zu (C) Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen einer elternunabhängigen Förderung, damit sich jeder ein und Kollegen! Wir diskutieren heute einen Bericht, der Studium leisten kann, eine Qualitätsoffensive in der Leh- im Wesentlichen unser Bildungssystem in der Zeit vor re, um den Hochschulen zu ermöglichen, auch bessere der Pandemie beschreibt. Seitdem hat sich viel verändert. Betreuungsquoten und innovativere Lehrkonzepte anzu- Aber einiges war vorher schon absehbar. Der Bildungs- bieten, eine Exzellenzinitiative in der beruflichen Bil- erfolg eines Menschen hängt in Deutschland von seiner dung, angefangen bei der Berufsorientierung über Aus- sozialen Herkunft ab, stärker als in vielen anderen ent- landsaufenthalte bis hin zur besseren Ausstattung der wickelten Staaten. Die Zahl junger Menschen ganz ohne Berufsschulen. Schulabschluss ist um erschreckende 20 Prozent ange- stiegen. Auch die digitale Bildung hat Deutschland völlig (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Ja, machen verschlafen. wir!) Die Coronakrise hat diese Probleme massiv verschärft. Ein weiterer Vorschlag betrifft eine Öffnung der Im Fernunterricht haben schon jetzt viele Schüler und Begabtenförderung – dies wurde mehrfach hier im Deut- Schülerinnen den Anschluss verloren. Viele Auszubil- schen Bundestag beantragt –, der akademischen Begab- dende sorgen sich um ihre Zukunft. Viele Studierende tenförderung für Talente in der beruflichen Bildung. Wir haben Nebenjobs verloren und fallen beim BAföG trotz wollen ein Midlife-BAföG für Weiterbildung ein Leben finanzieller Nöte weiter durchs Raster. Sie alle leiden im lang, auch in der Mitte des Lebens. Lockdown unter sozialer Isolation. Die Probleme sind Frau Karliczek, ich hoffe, Sie haben jetzt fleißig mit- riesig. Und was macht unsere Regierung? Ein Progrämm- geschrieben. Wir haben all diese Vorschläge und vieles chen hier, ein Trostpflaster dort. Aber die nötigen PS mehr in dieser Legislaturperiode immer wieder in den bringen Sie nicht auf die Straße. Deutschen Bundestag eingebracht. Das Vorhaben, einen Nationalen Bildungsrat einzuset- (Zuruf des Abg. Dr. Götz Frömming [AfD]) zen, haben Herr Söder aus Bayern und Herr Kretschmann aus Baden-Württemberg gegen die Wand gefahren. Im Sie müssen das nicht alles sofort übernehmen, aber schon Kernprogramm des DigitalPakts Schule sind nach fast ein Stück davon würde unser Land spürbar voranbringen. zwei Jahren bundesweit gerade einmal etwa 2 Prozent Tun Sie es nicht für uns, sondern für Millionen Schüle- der Mittel abgeflossen. Frau Eisenmann hat diesen rinnen und Schüler, für Auszubildende und Studierende Schnitt in Baden-Württemberg mit 1,3 Prozent noch in diesem Land. Weltbeste Bildung für jeden, unabhängig deutlich unterboten, und Bayern, Herr Rupprecht, liegt von der sozialen Herkunft, das muss unser aller Anspruch sein. (B) übrigens bei 0,1 Prozent des Mittelabrufs nach zwei Jah- (D) ren. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Vizepräsidentin Claudia Roth: Wenn Sie, Frau Ministerin, dieses bundesweite Schne- ckentempo heute hier in der Debatte allen Ernstes als Vielen Dank, Dr. Brandenburg. – Nächster Redner: für eigenen Erfolg verkaufen wollen, dann ist das ein Bündnis 90/Die Grünen Kai Gehring. schlechter Witz. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP) Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Von routinierten Kenntnisnahmen haben wir hier genug. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unser Land braucht endlich eine Regierung, die Bil- Ich bin eigentlich immer noch ziemlich konsterniert. Nie- dungschancen in Deutschland wieder zu einem Schwer- mand braucht eine Ministerin fürs Schönreden, sondern punkt ihrer Arbeit macht. es braucht eine Bundesbildungsministerin, die Bildungs- (Beifall bei der FDP) realitäten anerkennt, die Ambitionen hat, die Engagement für beste Bildung zeigt, die dafür brennt, dass alle Kinder Ein paar Vorschläge dazu? Sehr gerne: Schaffen Sie in unserem Land die gleichen Chancen haben. Ihre Rede doch endlich einen DigitalPakt 2.0, der Schulen Pla- aber strotzte vor Realitätsverweigerung und Planlosig- nungssicherheit gibt und auch in IT-Kräfte, in pädagogi- keit. sche Konzepte und Lehrerweiterbildung investiert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Zuruf des Abg. Dr. Götz Frömming [AfD]) und bei der FDP) Wir brauchen ein Bundesprogramm Lern-Buddys – dies Der Bildungsbericht, den wir hier heute debattieren, ist haben wir letzte Woche vorgeschlagen –, bei dem Studie- für mich wie ein Stillleben, eine Momentaufnahme der rende bundesweit Schülerinnen und Schülern helfen, die deutschen Bildungslandschaft vor dem Coronaausbruch. Lernrückstände aufzuholen. Wir brauchen eine starke Und was sehe ich? Ich sehe Schulen und Universitäten, MINT-Offensive für Mathe und Naturwissenschaften, die kaum digitale Bildung anbieten konnten. Ich sehe, auch um die Fachkräftelücke endlich wieder zu schlie- dass wieder mehr Jugendliche ohne Abschluss die Schule ßen, einen modernen Bildungsföderalismus mit verbind- verlassen und mehr junge Erwachsene ohne Berufsaus- lichen Standards und Abschlussprüfungen und auch bildung bleiben. Im BMBF müssten alle Alarmglocken hoher Umsetzungsfreiheit vor Ort. schrillen, aber keiner reagiert. Das ist doch fatal. 27066 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Kai Gehring (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C) sowie der Abg. Dr. Birke Bull-Bischoff [DIE Ich komme zum Schluss. – Mangels Tatkraft klafft die LINKE]) Bildungsschere weiter auseinander. Ich mache mir große Sorgen und fürchte mich vor dem nächsten Bildungsbe- Dann kam die Coronapandemie. Sie wirkte wie ein richt und vor einem PISA-Schock in der Zukunft. Der Krisenbeschleuniger. Geschlossene Kitas und Schulen muss abgewendet werden. Wenn jeder vor Ort an seiner bedeuten weniger Chancen auf Bildung. Einschränkun- Stelle die Verantwortung wahrnimmt, – gen im sozialen Leben lassen Kinder und Jugendliche vereinsamen. Viele Studierende und Azubis haben Finanznöte, stehen vor einem ungewissen Berufseinstieg. Vizepräsidentin Claudia Roth: Ob Homeschooling oder Onlinesemester – Lernen und Herr Kollege! Prüfungen digital sind der pure Stresstest. (Dr. Götz Frömming [AfD]: Die Grünen wol- Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): len einen längeren Lockdown!) – dann schaffen wir es, dass auch bildungsbenachtei- ligte Kids Chancen bekommen. Ob Kinderärzte, ob Bildungsforscherinnen und Bildungs- forscher – alle warnen vor den Folgen des Lockdowns auf (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die psychosoziale Gesundheit, auf die Entwicklung von Kids, auf ihre Chancen. Aber wann kapiert das eigentlich Vizepräsidentin Claudia Roth: diese Bundesregierung? Vielen Dank, Kai Gehring. – Nächster Redner: für die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) CDU/CSU-Fraktion Tankred Schipanski. Nach einem Jahr Corona wird weiter herumgedoktert (Beifall bei der CDU/CSU) ohne ein klares Regierungskonzept, wie Familien mit der Pandemie leben und wie Bildungseinrichtungen sicher Tankred Schipanski (CDU/CSU): geöffnet werden können. Bundesregierung und Minister- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! präsidentenkonferenz gehen eindeutig den zweiten Meine Damen und Herren! In dieser Debatte heute geht Schritt vor dem ersten. Öffnungen ohne ausreichende es um den Nationalen Bildungsbericht 2020. Erst mal Tests, ohne Teststrategie, mit geringen Impfquoten sind sage ich ein ganz herzliches Dankeschön an das Wissen- ein Wagnis. Man sehnt die Normalität herbei, aber schaftlerteam, das diesen Bericht zusammengestellt hat. vorausschauendes Handeln für sichere Bildung geht ein- Dieser Bericht liefert Fakten. Diese Fakten hat Albert deutig anders. (B) Rupprecht vorgetragen, und diese Fakten hat die Minis- (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) terin vorgetragen. Es ist keine Schönrederei, lieber Herr Gehring, wenn man Fakten darstellt. Ihre S3-Leitlinie zu Schulen in der Pandemie bündelt wissenschaftliche Erkenntnisse von 30 Fachgesellschaf- (Beifall bei der CDU/CSU) ten, kam aber ein Dreivierteljahr zu spät. Frau Karliczek, Mich entsetzt an dieser Stelle die Skandalisierung, die Sie haben einfach Ihren Job nicht gemacht. AfD, Linke und FDP mit diesem Bericht betreiben. Ich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wundere mich auch über Ihre Wortwahl, Frau Bull- Bischoff, und darüber, dass Sie im Zusammenhang mit Die Bundesregierung macht so aus der Coronakrise der Ministerin von „Märchentante“ sprechen. Hätten Sie eine Bildungskrise. Das muss sich ändern. Es geht um nach der Rede von Frau Höchst – Stichwort: Migration – 13,5 Millionen unter 18-Jährige. Viele können die Coro- von „Märchentante“ gesprochen, dann hätte ich das alles naeinschränkungen kompensieren, indem sie auf Wissen verstanden, und Unterstützung der Eltern zurückgreifen. Andere kön- nen das aber nicht. Gerade Kinder aus bildungsfernen (Beifall bei der CDU/CSU – Katharina Dröge Elternhäusern haben nur eine Chance, wenn sie gute Bil- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da wäre dung und Begleitung bekommen. „Märchentante“ viel zu nett gewesen!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) aber im Zusammenhang mit einer sachbezogenen Rede der Ministerin verstehe ich eine solche Wortwahl auf gar Initiativen von den demokratischen Oppositionskräf- keinen Fall. ten, die Sie hätten aufgreifen können, gab es zuhauf: Luft- filter an Schulen, Teststrategien, Anspruch auf Förderung Schauen Sie mal in den Spiegel! Ich glaube, Sie sind bei Lernrückständen, eine Öffnung des BAföG für die Märchentante in dieser Debatte. Oder Sie sind hier bedürftige Studierende, eine Ausbildungsgarantie und, vielleicht doch noch mal als FDJ-Sekretärin aufgetreten. und, und. Wann bringen Sie das denn endlich auf den Weg? Ein Bildungsschutzschirm des Bundes ist überfäl- (Dr. Birke Bull-Bischoff [DIE LINKE]: lig. Gähn! – Weitere Zurufe von der LINKEN) Uns zu erzählen, wie wir Mangel beenden sollen, liebe (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Linke, wo Sie über Jahre Mangel produziert haben! Sie sind die personifizierte Mangelwirtschaft. Schauen Sie da Vizepräsidentin Claudia Roth: hin, wo Sie Verantwortung tragen. Ich erinnere wieder an Kommen Sie zum Schluss bitte! Thüringen und daran, welches Chaos wir da haben. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27067

Tankred Schipanski (A) (Kersten Steinke [DIE LINKE]: Jetzt kommt Blick in die Verfassung; das habe ich Ihnen ja schon oft (C) der Märchenonkel!) erklärt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein kurzer Ihr Kultusminister Holter kriegt es nicht hin. Der Bund Blick auf die leere Bundesratsbank während der Debatte muss helfen – Albert Rupprecht hat es gesagt –: bei der über einen so wichtigen Bericht, den auch die Kultus- Schul-Cloud, bei den Laptops, bei den Systemadminis- ministerkonferenz mit in Auftrag gibt, zeigt: Die Länder tratoren, bei der Ausstattung von Schülern. Der Bund verweigern hier förmlich ihre Verantwortung. Das ist muss helfen, weil es das Land nicht packt. skandalös. Das muss an dieser Stelle auch gesagt werden. (Beifall bei der CDU/CSU – Kersten Steinke (Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Kaczmarek [DIE LINKE]: Weil es der Bund nicht packt!) [SPD]: Sind alle am Bildschirm!) Blicken wir einfach mal in den Bildungsbericht. Was Abschließend blicke ich noch auf das Schwerpunktka- steht denn da? Es wird gezeigt, dass es sinnvoller ist, in pitel „Bildung in einer digitalisierten Welt“. Hier stellen die Anzahl der Erzieher in einem Kindergarten zu inves- die Wissenschaftler mit Daten aus 2018 das fest, was wir tieren als kostenfreie Besuche dieser Einrichtungen zu jetzt in der Coronapandemie erleben. Die Hochschulen ermöglichen. – Ganz logisch. Leider handeln Länder kommen mit dem digitalen Lernen vergleichsweise gut wie Berlin und Thüringen, rot-rot-grün regiert, nicht zurecht, die Schulen nicht. Auf die mangelnde technische nach diesen Empfehlungen der Wissenschaftler. Ausstattung haben wir ebenso hingewiesen wie auf die mangelnde Qualifizierung der Lehrkräfte usw. Aber Schauen wir weiter: Natürlich ist es bedauerlich, dass genau da setzen wir an. Die Ministerin hat den Digital- immer mehr Jugendliche die Schule ohne Schulabschluss Pakt Schule noch mal dargestellt. verlassen. Aber gehen Sie mal in die Einrichtungen, wel- che die Jugendlichen dann betreuen, und schauen Sie sich (Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: Sie an, wie massiv wir dort Förderprogramme einsetzen. In haben den Pakt 16 Jahre verschlafen!) einem Punkt muss ich Ihnen allerdings recht geben: Die Nebenvereinbarungen wurden erwähnt. Wir haben Natürlich wäre es sinnvoller, Gelder auch in die außer- vor zwei Wochen die bundesweite Lernplattform vorge- schulische Bildung zu investieren, um diesen jungen stellt, Menschen früher zu helfen. Ja, die Zahl der Menschen, die einen Fachhochschul- (Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: 2000 abschluss schaffen, ist leicht rückläufig. Die Forscher wäre der DigitalPakt nötig gewesen!) finden das aber völlig normal. Wir haben eine Art Sätti- die wir auf den Weg gebracht haben. Beim Thema Leh- gung erreicht. Nicht alle Menschen können und wollen rerfortbildung sind wir mittendrin, digitale Kompetenz- (B) studieren; das ist auch gut so. Dafür steigt die Zahl bei der zentren zu schaffen. Impulse und Maßstäbe setzen wir (D) beruflichen Ausbildung, und darüber freue ich mich; hier. Wir haben ein ausbaufähiges Eckpunktepapier zwi- denn berufliche Bildung ist Teil des Bildungsaufstiegs. schen Bund und Ländern vereinbart. Sie sehen aber auch (Beifall bei der CDU/CSU) hier: Der Bund ist wieder Taktgeber, Liebe Kollegin Bas und lieber Kollege Brandenburg, (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN) hier in der Debatte jetzt noch einmal das tote Pferd des weil sich die Länder über Jahre verweigert haben. Bildungsrates zu reiten, ist, glaube ich, einfach unnütz. (Beifall bei der CDU/CSU) (Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: Das hat doch der Herr Söder getötet!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich abschließend feststellen: Die Digitalisierung ist nicht Blicken Sie noch einmal in den Bericht! Er stellt eindeu- nur im Bildungsbereich für unser System eine Heraus- tig fest – Albert Rupprecht hat darauf hingewiesen –, dass forderung; wir erleben das auch im Verwaltungsbereich. Deutschland mehr Geld in die Bildung jedes Einzelnen Ralph Brinkhaus hat es in seinem wegweisenden Inter- steckt als die OECD- oder die EU-Staaten im Durch- view vom 21. Februar mit der „Welt am Sonntag“ treff- schnitt. Auch das ist eine positive Tatsache, die man lich festgestellt: noch mal betonen muss. (Zuruf des Abg. Dr. h. c. Thomas Sattelberger … es macht keinen Sinn, die Digitalisierung der [FDP]) Schulen 16 Bundesländern und 16 Datenschutz- beauftragten jeweils individuell zu überlassen. Das spricht nicht für eine Armutsrepublik, Herr Sattelberger, sondern wir leben wirklich in einer Bil- Wir müssen dungsrepublik. … d ie einzelnen Ebenen vom Bund bis zur Kom- (Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: In wel- mune besser miteinander vernetzen. chem Land leben Sie denn?) Das wollen wir tun. Da brauchen wir ein neues Mit- Schauen Sie mal international, wie es woanders aussieht. einander. Wir brauchen dafür einen neuen Rahmen. Auf diese Reform hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. h. c. Thomas Lust. Wir werden Ihnen dazu die entsprechenden Vor- Sattelberger [FDP]: Das Geld kommt nicht an!) schläge präsentieren und umsetzen. Die Wissenschaftler sagen zudem auch ganz deutlich, Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. wer für welchen Bildungspart Verantwortung trägt. Das stellen sie ganz nüchtern fest, auch mit dem einfachen (Beifall bei der CDU/CSU) 27068 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

(A) Vizepräsidentin Claudia Roth: Es gibt Jugendliche, die Sprachförderung brauchen. Es (C) Vielen Dank, Tankred Schipanski. – Nächste und letzte gibt Jugendliche, die Hilfen zum Aufbau einer Alltags- Rednerin in dieser Debatte: für die SPD-Fraktion Yasmin struktur brauchen. Es gibt Jugendliche, die Suchtproble- Fahimi. matiken oder Gewalterfahrungen haben. Auf all das gehen Sie nicht ein, sondern scheren alle schön über (Beifall bei der SPD) einen Kamm und sagen: Die sind selber schuld, dass sie keinen Ausbildungsplatz gefunden haben. Deswegen ste- Yasmin Fahimi (SPD): cken wir sie in ein System. Da sollen sie eine grund- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und ständige Ausbildung bekommen, und zwar für die Arbeit- Kollegen der demokratischen Parteien dieses Hauses! Ich geber kostenfrei – das ist nämlich der zweite Aspekt, Sie muss jetzt auf einiges eingehen, was in der Debatte gesagt wollen einfach mal nebenbei das ganze Berufsbildungs- worden ist. system zerschlagen –, und wenn sie sich dort vielleicht ordentlich angestellt haben, können sie vom Arbeitgeber Frau Höchst, Sie wissen ganz genau, dass Kinder mit übernommen haben. Das ist nichts anderes als ein kosten- Migrationsgeschichte oft aus Haushalten in prekärer freies Probejahr für den Arbeitgeber. Lage kommen. – Sie können mir übrigens auch gerne mal zuhören, wenn ich schon auf Sie eingehe. (Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: Sie haben den Antrag nicht gelesen!) (Dr. Götz Frömming [AfD]: Das macht es ja Erklären Sie doch erst mal diesem Hause und den nicht einfacher!) Menschen da draußen, was Jugendliche überhaupt im Da sind sie nicht aus Zufall, sondern weil wir immer noch Übergangssystem zu suchen haben, wenn sie offensicht- eine Willkommenskultur haben, die darin besteht, dass lich doch geeignet sind, eine Ausbildung aufzunehmen! diejenigen, die in unser Land einwandern, die dreckigsten Das beantworten Sie überhaupt nicht. und billigst bezahlten Jobs machen. Das gilt für die Gast- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten arbeiterfamilien genauso wie für die Russlanddeutschen der CDU/CSU und der LINKEN) oder jetzt für die Flüchtlinge. Im Bericht kann man Folgendes lesen, ich zitiere: Es (Dr. Götz Frömming [AfD]: Finden Sie das gut?) kann jedoch auch 2019 nicht von einer ausgegliche- nen Ausbildungsmarktsituation gesprochen werden Wenn wir dann noch in Deutschland ein Bildungssystem ... Die ANR variiert auch im Jahre 2019 erheblich … haben, das kaum Aufstieg ermöglicht oder jedenfalls In 21 Prozent der Arbeitsagenturbezirke haben wir eine (B) deutlich unterdurchschnittlich im globalen Vergleich – (D) das bescheinigt PISA; dabei schneidet Bayern übrigens deutliche Unterversorgung. – Sehr verehrtes Haus, wie besonders schlecht ab –, ist es kein Wunder, dass auch die viele Argumente braucht man eigentlich noch, um jetzt zweite und dritte Generation in einer sozialen Lage lebt, endlich mal eine Ausbildungsgarantie und eine Ausbil- die ihr einen entsprechenden Bildungsaufstieg nicht dungsverpflichtung in diesem Land einzuführen? Das ermöglicht. Sie wollen hier keine evidenzbasierte Politik würde im Übrigen auch die Lasten unter den Branchen machen, sondern Sie wollen den Menschen immer noch endlich mal gerecht verteilen. erzählen, dass die Geburtenrate in der DDR deswegen (Beifall bei der SPD) angestiegen ist, weil dort Störche angesiedelt worden sind. Ja, sehr geehrtes Haus, jetzt ist die Prüfstunde der Politik. Jetzt wird sich zeigen, wer es wirklich ernst meint (Nicole Höchst [AfD]: Sie haben nicht zuge- mit der Gleichwertigkeit von Bildungswegen und dem hört!) Respekt aller Lebensentwürfe. Deswegen bitte ich Frau Ministerin Karliczek, endlich eine kostenlose Prüfungs- Hören Sie auf mit Ihrer Hassideologie und damit, in einer hilfe für diejenigen in der Ausbildung anzubieten, die solchen Art und Weise Fakten zu verdrehen! schon viel zu lange im Ausnahmezustand lernen mussten. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie Ich bedanke mich bei Hubertus Heil für den Schutz- bei Abgeordneten der CDU/CSU und des schirm, den er für die Ausbildung geschaffen hat, für die BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe Impulse, die er gesetzt hat, aber auch dafür, dass er jetzt von der AfD) noch mal nachjustiert. Jetzt zur FDP. Ich kann die Krokodilstränen wirklich (Beifall des Abg. Dr. Karamba Diaby [SPD]) nicht mehr ertragen, die Sie hier mit Blick auf die Jugend- lichen im Übergangssystem verdrücken. 255 000 junge Ich fordere den Bundesminister Altmaier auf, die Wirt- Menschen im Übergangssystem: Ja, das ist eindeutig zu schaft endlich an ihre Verantwortung zu erinnern. Der viel. Aber die Gründe dafür sind eben sehr unterschied- jungen Generation jetzt Ausbildung und Übernahme zu lich. Was findet sich dazu eigentlich im FDP-Antrag wie- verweigern, steht in keinem Verhältnis zu den Hilfen, die der? Da steht: ein Programm, ein Zertifikat für alle, die die Wirtschaft gerade von der Gemeinschaft erhält. Die im Übergangssystem sind. – Die Bedarfslagen sind aber SPD wird dies jedenfalls nicht schweigend zur Kenntnis sehr unterschiedlich. nehmen. Wir fühlen uns zum Handeln aufgerufen. Vielen Dank. (Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: Deswe- gen ist es flexibel und anpassbar!) (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27069

(A) Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Tagesordnungspunkt 10 g. Beschlussempfehlung des (C) Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache. Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgen- abschätzung auf Drucksache 19/27048. Unter Buchstabe Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf a seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss Drucksache 19/22298 an die in der Tagesordnung aufge- die Ablehnung des Antrags der Fraktion der AfD auf führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist Drucksache 19/22193 mit dem Titel „Zukunft für jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD Deutschlands Wohlstand – Berufliche Bildung stärken“. wünschen Federführung beim Ausschuss für Arbeit und Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind Soziales. Die Fraktion der FDP wünscht Federführung die Fraktionen der Linken, der SPD, des Bündnisses 90/ beim Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfol- Die Grünen, der CDU/CSU und der FDP. Gegenprobe! – genabschätzung. Das ist die Fraktion der AfD. Gibt es Enthaltungen? – Sehe ich nicht. Die Beschlussempfehlung ist angenom- Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der men. Fraktion der FDP abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Das sind die Fraktionen Die Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Be- Linke, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und AfD. Wer schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak- stimmt dagegen? – Das sind die Koalitionsfraktionen. tion der FDP auf Drucksache 19/19514 mit dem Titel Enthaltungen? – Sehe ich nicht. Der Überweisungsvor- „Corona-Sofortprogramm für die Berufliche Bildung – schlag ist damit abgelehnt. Fachkräfte sichern, Digitalisierung beschleunigen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor- Fraktionen der Linken, der SPD, der CDU/CSU. Wer schlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Feder- stimmt dagegen? – Die FDP. Gibt es Enthaltungen? – führung beim Ausschuss für Arbeit und Soziales. Wer Die Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und AfD enthal- stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Das sind ten sich. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. die Fraktionen der SPD und der CDU/CSU. Wer stimmt dagegen? – Das ist der Rest des Hauses. Gibt es Ent- Tagesordnungspunkt 10 h. Beschlussempfehlung des haltungen? – Der Überweisungsvorschlag ist damit ange- Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgen- nommen. abschätzung auf Drucksache 19/27176. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung Tagesordnungspunkte 10 a, 10 b und 10 d. Interfrak- die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf tionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Druck- Drucksache 19/23119 mit dem Titel „Pandemie-Erfah- sachen 19/24780, 19/27203 und 19/27120 an die in der rungen bei Schulunterricht nicht vergessen – Know- (B) Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. how von Lehrern und Zivilgesellschaft auf Dauer heben“. (D) Gibt es weitere Überweisungsvorschläge? – Sehe ich Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind nicht. Dann verfahren wir wie vorgeschlagen. die Fraktionen der Linken, der SPD, der CDU/CSU und der AfD. Gegenprobe! – Das sind die Fraktionen Bünd- Tagesordnungspunkt 10 e. Wir kommen zur Be- nis 90/Die Grünen und FDP. Gibt es Enthaltungen? – Das schlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, For- ist nicht der Fall. Die Beschlussempfehlung ist damit schung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag angenommen. der Fraktion der FDP mit dem Titel „Smart Germany – Learning Analytics und Künstliche Intelligenz in der Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp- Schule fördern, Lerndaten schützen“. Der Ausschuss fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Frak- empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache tion Die Linke auf Drucksache 19/24450 mit dem Titel 19/16957, den Antrag der Fraktion der FDP auf Druck- „Unterstützung für Schulen in der Pandemie – Mangel- sache 19/14033 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be- wirtschaft in der Bildung beenden“. Wer stimmt für diese schlussempfehlung? – Das sind die Fraktionen der Beschlussempfehlung? – Das sind die Fraktionen der Linken, der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen, der SPD, der CDU/CSU und der AfD. Gegenprobe! – Die CDU/CSU und der AfD. Gegenprobe! – Das ist die Frak- Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Gibt tion der FDP. Gibt es Enthaltungen? – Sehe ich nicht. Die es Enthaltungen? – Das ist die Fraktion der FDP. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen. Beschlussempfehlung ist damit angenommen.

Tagesordnungspunkt 10 f. Beschlussempfehlung des Tagesordnungspunkt 10 i. Interfraktionell wird die Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgen- Überweisung der Vorlage auf Drucksache 19/24688 an abschätzung zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- dem Titel „Smart Germany – Deutschland digital stärken, schlagen. Die Federführung ist jedoch strittig. Die Frak- Onlinekurs ‚Künstliche Intelligenzʼ initiieren“. Der Aus- tionen der CDU/CSU und SPD wünschen Federführung schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf beim Ausschuss für Arbeit und Soziales. Die Fraktion Drucksache 19/15757, den Antrag der Fraktion der FDP Die Linke wünscht Federführung beim Ausschuss für auf Drucksache 19/14034 abzulehnen. Wird stimmt für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung. diese Beschlussempfehlung? – Die Fraktionen der SPD und der CDU/CSU. Wer stimmt dagegen? – Die Fraktion Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungsvor- der FDP. Enthaltungen? – Die Fraktionen Die Linke, schlag der Fraktion Die Linke. Wer stimmt für diesen Bündnis 90/Die Grünen und die AfD. Die Beschlussemp- Überweisungsvorschlag? – Das sind die Fraktionen Die fehlung ist damit angenommen. Linke, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und AfD. Wer 27070 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Vizepräsidentin Dagmar Ziegler (A) stimmt dagegen? – Die Fraktionen der SPD und der videnden. Das ist bezeichnend für die Krisenpolitik der (C) CDU/CSU. Enthaltungen? – Sehe ich nicht. Der Über- Bundesregierung. Wie oft habe ich hier schon gehört: In weisungsvorschlag ist damit abgelehnt. dieser Krise sitzen wir alle in einem Boot. – Der Unter- Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor- schied ist nur: Ein paar sind schon über Bord gegangen, schlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Feder- einige rudern wie verrückt, und auf dem Oberdeck findet führung beim Ausschuss für Arbeit und Soziales. Wer gleichzeitig eine Party statt. stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Das sind (Frank Sitta [FDP]: Das ist doch unglaublich!) die Fraktionen von SPD und CDU/CSU. Wer stimmt dagegen? – Die Fraktionen Die Linke, Bündnis 90/Die Um das Bild zu übersetzen: Viele Beschäftigte haben Grüne, FDP und AfD. Der Überweisungsvorschlag ist ihren Job verloren. Leiharbeitnehmer, befristet Beschäf- damit angenommen. tigte und Minijobber waren als Erste raus. Nach nur zwölf Monaten Arbeitslosengeld fallen sie sofort in Hartz IV Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a bis 11 c auf: oder sind, wie Minijobbende, gar nicht in der Arbeits- a) Beratung des Antrags der Abgeordneten losenversicherung abgesichert. Kolleginnen und Kolle- Susanne Ferschl, Fabio De Masi, Lorenz gen in der Gastronomie und im Dienstleistungsbereich Gösta Beutin, weiterer Abgeordneter und sind besonders betroffen. Das Kurzarbeitergeld reicht der Fraktion DIE LINKE hinten und vorne nicht. Steuergelder gegen Missbrauch durch (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Beate Konzerne schützen Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]) Drucksache 19/27190 Selbstständige, Künstler, Einzelhändler und Kneipen- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) besitzer stehen vor dem Ruin, weil die Hilfen nicht oder Finanzausschuss nicht ausreichend ankommen. Gleichzeitig schütten mit- Ausschuss für Arbeit und Soziales Haushaltsausschuss ten in der größten Krise elf DAX-Konzerne – und das ist nur die Spitze des Eisbergs – insgesamt fast 14 Milliarden b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Euro an Dividenden an ihre Aktionäre aus. Das ist doch Berichts des Ausschusses für Arbeit und So- unfassbar. ziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Susanne Ferschl, Sabine (Beifall bei der LINKEN) Zimmermann (Zwickau), Doris Achelwilm, Daimler hatte im vergangenen Jahr einen Gewinn von weiterer Abgeordneter und der Fraktion 6,6 Milliarden Euro und hat die Dividenden auf sage und (B) DIE LINKE (D) schreibe 1,4 Milliarden Euro erhöht. Mindest-Kurzarbeitergeld zügig einfüh- ren (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Unglaub- lich!) Drucksachen 19/26526, 19/27273 Allein BMW hat 770 Millionen Euro ausgeschüttet. c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Diese Unternehmen haben sich über Kurzarbeit die Katharina Dröge, Anja Hajduk, Claudia Gehälter und die Sozialversicherungsbeiträge ihrer Mit- Müller, weiterer Abgeordneter und der Frak- arbeiter erstatten lassen. Allein im Fall von Daimler tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN waren es 700 Millionen Euro. Für Wirtschaftshilfen, die schnell, unkom- (Frank Sitta [FDP]: Aktien sind frei verkäuf- pliziert und zuverlässig helfen lich!) Drucksache 19/27194 Geld der Solidargemeinschaft wandert so direkt in die Überweisungsvorschlag: Taschen von Millionären wie Stefan Quandt und Susanne Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Klatten. Das hat mit „Wir sitzen alle in einem Boot“ rein Finanzausschuss gar nichts mehr zu tun. Das ist Abzocke unter den Augen Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Kultur und Medien der Bundesregierung und gehört unterbunden. Haushaltsausschuss (Beifall bei der LINKEN – Frank Sitta [FDP]: Für die Aussprache wurde eine Dauer von 60 Minuten Zurück zur DDR!) beschlossen. Bevor Sie jetzt sagen: „Da kann man nichts machen; Ich eröffne die Aussprache, wenn die Plätze gewech- das regelt alles der Markt“, schauen wir mal zu unseren selt sind, und gebe als Erstes das Wort an Susanne Ferschl europäischen Nachbarn: In Frankreich und Dänemark ist von der Fraktion Die Linke. so was verboten. Hierzulande dürfen Unternehmen Kurz- (Beifall bei der LINKEN) arbeit in Anspruch nehmen, ungeniert Dividenden aus- schütten, Aktien zurückkaufen und ihren Vorständen Boni und überhöhte Gehälter zahlen. Der Gipfel ist, Susanne Ferschl (DIE LINKE): wenn dann noch Beschäftigte entlassen werden. Damit Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kollegin- muss Schluss sein. nen und Kollegen! Während einfache Menschen in der Pandemie um ihre Existenz ringen, kassieren andere Di- (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27071

Susanne Ferschl (A) Ja, ich kenne die Leier: Die Arbeitslosenversicherung zeitig Gewinne an Aktionäre ausschütten.“ Dieses (C) ist eine Versicherung, an die auch Unternehmen Beiträge Gerechtigkeitsverständnis wird aber mit einer Union in abführen. – Aber das, was wir hier erleben, das grenzt der Bundesregierung niemals realisierbar sein. Deswegen nahezu an Versicherungsbetrug. brauchen wir nach der Bundestagswahl einen sozialen (Beifall bei der LINKEN) Aufbruch, und dafür gehört die Union in die Opposition. Unternehmen, die so liquide sind, dass sie Dividenden in Vielen Dank. Millionenhöhe auszahlen können, sind kein Fall für die (Beifall bei der LINKEN) Sozialversicherung und brauchen erst recht nicht unser Steuergeld. Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: (Beifall bei der LINKEN) Vielen Dank. – Das Wort geht an Klaus-Peter Willsch Die Sozialversicherung ist dafür da – so formuliert es für die CDU/CSU-Fraktion. das Sozialgesetzbuch I –, wirtschaftliche Sicherheit her- (Beifall bei der CDU/CSU) zustellen. Davon, dass sich auch die Aktionäre die Taschen füllen, steht da nichts drin. Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Genau!) Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Menschen an Letztes Jahr hat der Bund fast 7 Milliarden Euro an den Bildschirmen und den digitalen Endgeräten! Wir Liquiditätshilfen an die Bundesagentur für Arbeit über- beraten heute drei Anträge, davon zwei von den Linken, wiesen, und dieses Jahr werden es voraussichtlich über der SED-Fortsetzungspartei. 3 Milliarden Euro sein, um sie zu stützen. Spätestens wenn Staatszuschüsse an die Bundesagentur für Arbeit (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ach ja! nötig sind und gezahlt werden, muss doch dieses Treiben Lass mal stecken!) ein Ende haben. Die Sprüche, die wir von Ihnen zu dem Thema hören, (Beifall bei der LINKEN) heucheln Mitgefühl für Betroffene und Ähnliches. Man muss sich das vor Augen führen: Millionen von (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Seid Ihr Menschen fürchten um ihre Existenz, und gleichzeitig das Zentrum? Ist das Euer Parteiname?) landet staatliches Geld auf Umwegen bei den Aktionären, In Wirklichkeit geht es Ihnen darum – das haben Sie ganz und das in einer Zeit, in der die Bundesregierung ein zum Schluss zum Ausdruck gebracht –, möglichst mit Mindestkurzarbeitergeld von 1 200 Euro ebenso ablehnt Sozialdemokraten und Grünen dieses Land in einer Art wie die verlängerte Zahlung des Arbeitslosengeldes. Das (B) und Weise umzubauen, dass wir dann munter sagen kön- (D) würden die Betroffenen so dringend benötigen. nen: Wir haben wieder Volkseigene Betriebe und HO- (Beifall bei der LINKEN) Gaststätten. – Dann ist das Ziel erreicht, das Sie sich so Ein Argument dafür, warum das nicht gezahlt wird, ist vorstellen. die klamme Finanzsituation der Bundesagentur für (Beifall bei der CDU/CSU und der AfD – Arbeit. Ja, richtig, die Rücklagen sind aufgebraucht, Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Man und auf die Liquiditätshilfen hatte ich hingewiesen. hört die Zentrumspartei! Sehr seriös!) Aber das ist doch erst recht ein Grund, Kurzarbeit und auch die Gewährung von staatlichen Hilfen an Bedingun- Deshalb will ich mich mit Ihrem Quatsch gar nicht weiter gen zu knüpfen. auseinandersetzen. Lesen Sie mal ein Schulbuch zu Poli- tik und Wirtschaft für die Sekundarstufe I, darin können (Beifall bei der LINKEN) Sie nachlesen, was der Unterschied zwischen einer Ver- Es muss klar sein: Wer die Hand aufhält, darf nicht sicherungsleistung und einer Sozialleistung ist. Kurzar- betriebsbedingt kündigen, keine Dividenden oder Boni beitergeld ist eine Versicherungsleistung – da gilt das auszahlen und muss die Vorstandsgehälter begrenzen. Äquivalenzprinzip –; darauf hat man Anspruch, wenn man Beiträge gezahlt hat. (Beifall bei der LINKEN) So bekäme man zumindest ansatzweise wieder das (Susanne Ferschl [DIE LINKE]: Dafür werden Gefühl, wir sitzen tatsächlich alle in einem Boot, und es aber Steuergelder gebraucht!) rudern auch alle ein Stück weit mit. Aber darauf werden die Kollegen aus dem Ausschuss für Wenn die Bundesregierung hier nicht handelt, dann Arbeit und Soziales sicher noch näher eingehen. verkommt die von ihr vielbeschworene Solidarität zur Lassen Sie mich kurz zu dem Antrag der Grünen spre- hohlen Phrase. Dafür braucht es Mut, sich mit den Kon- chen, die hier große Krokodilstränen fließen lassen, zernen und Mächtigen anzulegen. Neben Mut braucht es obwohl sie – zumindest Sie, Frau Dröge – im Wirtschafts- aber auch andere Mehrheiten für die praktische Umset- ausschuss mit dabei waren, wo wir bei allen Maßnahmen zung. Schritt für Schritt immer wieder nachgebessert haben. (Beifall bei der LINKEN) Die Wirtschaft ist nämlich ungeheuer komplex Letzten April hat mir der Kollege Carsten Schneider (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- von der SPD aus der Seele gesprochen, als er gesagt hat – NEN]: Zu komplex für das Wirtschaftsministe- ich zitiere –: „Wer auf Staatshilfe setzt, kann nicht gleich- rium!) 27072 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Klaus-Peter Willsch (A) und übersteigt an Komplexität gelegentlich das Vorstel- funktionierte. Ich will jetzt kein Schwarzer-Peter- (C) lungsvermögen der Ministerialbürokratie und selbst das Zuschieben vornehmen, auch nicht zum roten Minister von Abgeordneten. Wir haben jeden Tag neue Fallkons- hier; aber wir haben natürlich als Wirtschaftspolitiker tellationen gesehen, die wir uns nicht ausgemalt hatten, der Union zeitig gefordert, viel stärker auf schon beste- und immer wieder nachgesteuert. Das hat natürlich Zeit hende Finanzbeziehungswege zu setzen, also auf viel gekostet. großzügigere Steuerverlustverrechnungsmöglichkeiten. Das wäre ein ganz schneller und sehr viel treffsicherer (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Weg gewesen. Da ist ja zum Glück auch ein wenig nach- NEN]: Viel zu viel Zeit!) gebessert worden. Die Coronahilfsmaschine läuft aber mittlerweile auf Im Rahmen der Überbrückungshilfe III sind etwa Hochtouren. 85 Milliarden Euro Hilfsgelder hat der Staat 1,92 Milliarden Euro beantragt und mehr als ein Viertel in den letzten zwölf Monaten ausgezahlt. Ich denke, das davon schon ausgezahlt worden, obwohl das Programm kann sich durchaus sehen lassen. Bei der November- und ja noch nicht lange offen ist. Ich finde, wir sollten da nach Dezemberhilfe sind es mittlerweile 75 Prozent. Alle, die vorne schauen. Ich habe gestern in der Aktuellen Stunde sich ein wenig eingehender mit der Thematik befasst schon mal kurz darüber gesprochen. Clemens Fuest vom haben, wissen: Das sind keine trivialen Vorgänge, son- ifo-Institut hat das heute Morgen im „Morgenmagazin“ dern sie sind gerade im Zusammenwirken von Bundes- gemacht. Wir müssen den Menschen die Vorteile von verwaltung und Landesverwaltung nicht immer einfach Selbsttests deutlich machen. Clemens Fuest hat heute zu lösen. ein Beispiel gewählt und gesagt: Wenn vor der Einkaufs- Sie begrüßen in Ihrem Antrag die unbürokratische galerie die Teststation ist und die Leute sehen: „Wenn du Beantragung der Soforthilfe, sagen aber nichts dazu, dich testen lässt, kannst du da reingehen“, dann kriegen dass wir später jede Menge Beschwerden über Hundert- wir einen höheren Kenntnisstand in der Frage, wer bei tausende Bescheide hatten – gerade hier in Berlin ist sehr uns infiziert ist, zumindest einen guten Anhaltspunkt großzügig mit dickem Daumen verteilt worden –, bei dafür, und dann werden die Menschen von sich aus Tests denen die Empfangsberechtigung völlig infrage stand nachfragen. – Dann müssen wir uns nicht ständig nur und es zu Rückforderungen kam. Da ist es mir schon Gedanken darüber machen, wie der Staat die bezahlt lieber, wenn wir es jetzt über Steuerberater und Wirt- und welche Stelle vom Staat die bezahlt und welche schaftsprüfer machen, die sich da auch sehr gut einbrin- Stelle vom Staat das organisiert. Hier müssen wir auf gen, den Prozess mitbegleiten und Anregungen geben Kräfte des Marktes setzen. Deshalb hoffe ich, dass die und dabei durch spezielle Informationen dazu auf der behutsamen Öffnungsschritte, die gestern besprochen Homepage des Wirtschaftsministeriums unterstützt wer- worden sind, hier genug Raum geben, dass diese Markt- (B) den. Damit können wir einen Beitrag dazu leisten, dass kräfte sich entfalten können. – Vielen Dank für Ihre (D) die ganzen Programme passgenauer werden. Geduld, Frau Präsidentin. Der Satz ist zu Ende. Wir arbeiten also kontinuierlich daran, weil wir das Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. alles sehen. Als Wahlkreisabgeordnete bekommen Sie (Beifall bei der CDU/CSU) jeden Tag neue Fallschilderungen, wo was nicht passt bzw. wo Anspruchsvoraussetzungen, Umsatzgrenzen oder Verlustgrenzen in der konkreten Situation unpassend Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: erscheinen. Wir werden das nie alles hundertprozentig Danke sehr. – Das Wort geht an Steffen Kotré von der gerecht abbilden können. Das wird nicht funktionieren. AfD-Fraktion. Umso wichtiger ist es, dass gestern Abend bei der Mi- (Beifall bei der AfD) nisterpräsidentenkonferenz mit der Kanzlerin wieder verschiedene Erleichterungen und Verbesserungen mit- einander vereinbart worden sind: Erhöhung der Steffen Kotré (AfD): Abschlagszahlungen in der Überbrückungshilfe III auf Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen bis zu 800 000 Euro. Es können jetzt auch an große und Herren! Die Linke will also Steuergeldverschwen- Unternehmen mit höherem Finanzbedarf Hilfen gezahlt dung der Unternehmen verhindern. Aber wir müssen werden; die Umsatzhöchstgrenze ist entfallen. Wir haben auch grundsätzlich Steuergeldverschwendung und -miss- damit eine Grundlage für Hilfsoperationen auch für Fir- brauch anprangern und verhindern, eben auch den Miss- men, die in den Bereichen Einzelhandel, Veranstaltungs- brauch durch die Bundesregierung, meine Damen und und Kulturbranche, Hotellerie, Gastronomie, Pyrotech- Herren. nik, Großhandel, Reisebranche unmittelbar von den (Beifall bei der AfD) Schließungsanordnungen des Bundes und der Länder betroffen sind. Der Lockdown zum Beispiel ist längst schon Willkür. Er muss sofort aufgehoben werden, damit Steuergelder nicht Darüber hinaus bin ich, um wirklich noch ein Tool zu weiter missbräuchlich Verwendung finden. haben, um helfen zu können, auch froh, dass die Verein- barung über den Bund-Länder-Härtefallfonds gestern (Kersten Steinke [DIE LINKE]: Thema ver- Abend bekräftigt worden ist und im Laufe der nächsten fehlt!) Woche das Bundeskanzleramt und die Staats- und Senats- Wenn wir mal weiter in diesem Reigen gehen: Das kanzleien den Ablauf dazu klären werden. Das ist eine Erneuerbare-Energien-Gesetz muss abgeschafft werden, Möglichkeit, noch einmal nachzusteuern, wo es trotz der damit wir für diese schädliche Art der Stromversorgung großen Möglichkeiten aufseiten der Bundesebene nicht nicht weiter Steuergelder verwenden und verschwenden. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27073

Steffen Kotré (A) Wir können es den Bürgern eigentlich auch gar nicht zum Thema! Das muss man erst einmal hin- (C) mehr erklären, warum links-grüne Wind- und Sonnenun- kriegen! – Josephine Ortleb [SPD]: Textbau- ternehmen hier die Gewinne garantiert bekommen. steine!) Anderes Beispiel: Dänemark hat gerade seinen syri- schen Bürgerkriegsflüchtlingen erklärt, dass sie zurück Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: in ihre Heimat gehen sollen. Syrien ist längst sicher. Das Wort geht an Bernd Rützel von der SPD-Fraktion. Genau das Gleiche sollten auch wir tun. Dann hätten wir nämlich hier auch keine Veruntreuung von Steuer- (Beifall bei der SPD) geldern mehr in der Form, dass wir Menschen hier ali- mentieren, die im Übrigen größtenteils gar nicht bei uns Bernd Rützel (SPD): sein dürfen. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Coronapandemie ist keine Ideologie, sie (Kersten Steinke [DIE LINKE]: Einfach nur ist Realität. Man kann sie vergleichen mit einer Wande- widerlich!) rung auf einem Grat. Wer in den Bergen schon mal unter- Wir haben es hier mit dem massenhaften Bruch des Arti- wegs war und so eine Wanderung gemacht hat, der weiß, kels 16a GG zu tun, nur noch mal zur Erinnerung. Aber dass man genau balancieren muss, dass man jeden Schritt davon reden wir ja schon seit Jahren. mit Bedacht wählen muss, dass man aufpassen muss; (Beifall bei der AfD) denn auf beiden Seiten geht es runter. Hier ist es ver- gleichbar: Auf der einen Seite ist die Vermeidung der Der deutsche Steuerzahler zahlt Kindergeld ins Aus- Gefährdung der Gesundheit ganz wichtig; auf der ande- land. Also auch hier geschieht ein Missbrauch des deut- ren Seite sieht man aber auch die Auswirkungen auf schen Sozialstaates durch die Bundesregierung, meine unsere Gesellschaft und unser Gemeinwesen. Dieses Damen und Herren. Gemeinwesen hat bisher sehr, sehr gut funktioniert und (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- tut es immer noch. Der Zusammenhalt ist da, weil wir NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sollen Deutsche im einen starken Sozialstaat haben. Und wenn wir eines Ausland kein Kindergeld mehr bekommen?) gelernt haben, dann doch, dass wir diesen starken Staat, diesen starken Sozialstaat noch mehr ausbauen, noch Dann gibt es den Missbrauch in Form der Entschädi- mehr stärken, noch mehr für die Zukunft ausrichten müs- gungszahlung an die Kraftwerksbetreiber, die ihren Kern- sen; denn so was kann uns immer wieder passieren. energiestrom jetzt nicht mehr liefern dürfen, weil die Bundesregierung aus der Kernenergie eben völlig über- (Beifall bei der SPD und der LINKEN) (B) stürzt und ideologiebedingt ausgestiegen ist. Man hätte Wir haben einen Schutzschirm aufgespannt für (D) einfach nur die Laufzeiten entsprechend so gestalten Arbeitsplätze, für Selbstständige, für Unternehmen, und müssen, wie es geplant war. Auch hier geschieht ein wir haben Großartiges geleistet. Ich weiß, dass immer Missbrauch in Höhe von 4 bis 5 Milliarden Euro zulasten wieder Probleme geschildert werden; das ist ja auch gut des Steuerzahlers. Aber die Laufzeitverlängerung wurde so, das ist eben diese Gratwanderung, einen Schritt nach ja leider durch eine unverantwortlich agierende Kanzlerin dem anderen. Aber Arbeitsminister Hubertus Heil, verhindert. Finanzminister Olaf Scholz bin ich sehr dankbar für (Beifall bei der AfD) das, was sie die letzten Monate geleistet haben. Der Kohleausstieg kostet uns 150 Milliarden Euro. (Beifall bei der SPD) Auch hier kommen wieder mindestens 40 Milliarden Wir helfen nämlich Unternehmen dabei, liquide zu Euro aus dem Steuersäckel. Das ist eine verwahrlosende bleiben, und den Beschäftigten helfen wir, ihren Arbeits- Politik, die Marktwirtschaft und Alternativen missachtet. platz zu behalten. Durch Kurzarbeit konnten 3 Millionen Ohne Ideologie, meine Damen und Herren, wäre das alles Jobs, 3 Millionen Arbeitsplätze, gerettet werden. Für über billiger gewesen. 10 Millionen Menschen wurde Kurzarbeit beantragt. Oder nehmen Sie die 1 Milliarde Euro im sogenannten 3 Millionen Menschen mehr wären jetzt in der Arbeits- Kampf gegen rechts. Auch hier offenbart sich, dass die losigkeit. Was das für diese Menschen, für ihre Familien, Bundesregierung und die Koalitionsparteien Steuergelder für alle bedeuten würde – für die Gemeinden, für die dafür verwenden, die politische Opposition zu bekämp- Städte, wo sie wohnen, wo sie leben –, das können und fen. Auch das wäre ein Fall für den Staatsanwalt, meine wollen wir uns nicht ausmalen. Deswegen ist Kurzarbeit Damen und Herren. extrem wichtig. (Beifall bei der AfD) Liebe Susanne Ferschl von den Linken, ich habe Ihnen das schon letzte Woche hier an diesem Pult gesagt: Man Vor diesem Hintergrund fordern wir einmal mehr die kann immer verschiedener Meinung sein, und man muss Einführung eines separaten Straftatbestandes der Steuer- das auch austragen. Aber Sie stellen sich hierher und geldverschwendung. An dieser Stelle sei darauf noch mal sagen: Da ist nie was gelaufen, da ist nie was gemacht hingewiesen. worden. – Entschuldigung, wo waren Sie die letzten Vielen Dank. zwölf Monate? (Beifall bei der AfD – Kersten Steinke [DIE (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – LINKE]: Thema verfehlt! – Matthias W. Widerspruch der Abg. Susanne Ferschl [DIE Birkwald [DIE LINKE]: Kein einziger Satz LINKE]) 27074 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Bernd Rützel (A) Haben Sie nicht mitbekommen, dass das Kurzarbeiter- Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: (C) geld vereinfacht worden ist, dass die Regeln dazu ver- Das Wort erhält Matthias Nölke von der FDP-Fraktion. längert worden sind, dass die Zugangsbedingungen ver- (Beifall bei der FDP) einfacht worden sind, dass wir das Kurzarbeitergeld erhöht haben? Natürlich können wir darüber debattieren, ob es reicht oder sonst was. Aber man kann doch das, was Matthias Nölke (FDP): wir hier geleistet haben, nicht so hinstellen, als ob nichts Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist gemacht worden sei. Das ist nicht fair, liebe Kolleginnen wichtig, über Kurzarbeit und Kurzarbeitergeld zu spre- und Kollegen. chen, und es ist wichtig, sich zu fragen, wie wir Men- schen aus diesen existenziellen Problemen herausbekom- (Beifall bei der SPD) men, insbesondere dort, wo Kurzarbeit und niedrige Löhne zusammenkommen. Wir als Freie Demokraten Ich will sagen: Das Kurzarbeitergeld ist aber auch eine haben das Kurzarbeitergeld von Anfang an unterstützt. Versicherungsleistung. Die Beschäftigten, die Unterneh- Es ist ein erfolgreiches Instrument in der Krise. Bei den men haben in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt. Beratungen zur Verlängerung der Kurzarbeit haben wir Deswegen haben sie ein Anrecht darauf – wenn es dem ausdrücklich darauf hingewiesen: Nicht die Dauer des Betrieb schlechter geht, wenn es notwendig ist –, dass Bezuges von Kurzarbeitergeld, sondern die Einkom- diese Leistung ausgezahlt wird. menshöhe muss entscheidend sein. Wer wenig hat, ist Natürlich stimme ich zu – da stimmen wir alle zu; das mit dem GroKo-Modell, gerade zu Beginn der Kurzar- ist heute im „Handelsblatt“ durch unsere Sprecherin noch beit, mit existenziellen Problemen konfrontiert. Die einmal deutlich geworden –, dass es nicht in Ordnung ist, GroKo hat sich aber leider für diesen Weg entschieden. wenn Boni von Unternehmen gezahlt werden, die viel Deshalb müssen wir nun in die Zukunft blicken. Unterstützung erhalten haben. Wir müssen auch noch Heute ist es wichtig, endlich allen Menschen zu helfen. einmal darüber nachdenken, dass diejenigen, die in Kurz- Noch immer gibt es keine wirkliche Hilfe für Selbststän- arbeit geraten, am Anfang wenig zum Leben haben. Es ist dige, die keine Angestellten haben. immer ein Balanceakt zwischen bürgernaher, sofortiger und schneller Hilfe auf der einen Seite und einer kontrol- (Beifall bei der FDP) lierten Auszahlung an die Richtigen auf der anderen Sei- Wir Freie Demokraten setzen uns von Anfang an dafür te. ein, auch den Selbstständigen zu helfen. Wir brauchen Es wurde sehr schnell und sehr umfangreich geholfen. endlich ein verlässliches und unbürokratisches Hilfspro- Die Bundesagentur für Arbeit hatte 790 000 Unterneh- gramm, das während der Pandemie für eine angemessene (B) men, die für bis zu 10,7 Millionen Beschäftigte Kurzar- Absicherung für Selbstständige sorgt, und zwar jenseits (D) beit angemeldet haben. Da ist schnell und gut reagiert des Arbeitslosengeldes II. worden. Allen Frauen und Männern, die in der Bundes- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten agentur für Arbeit, auch in den Jobcentern, arbeiten, gilt des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) großer Dank. Sie haben Großes geleistet. Das will ich an Dafür setzen wir uns ein. dieser Stelle noch einmal ausführen. Der Antrag der Linken ist zudem nicht ausgereift. Der (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Antrag spart wichtige Fragen einfach aus. Was ist zum Beispiel mit Teilzeitbeschäftigten? Ihr Antrag führt zu Jetzt beginnt eine Zeit der Kontrollen. Das ist in Ord- enormen Ungerechtigkeiten, wenn Teilzeitbeschäftigte nung so. Das muss auch so sein. All das, was schnell mehr Kurzarbeitergeld erhielten als bei regulärer Arbeit geleistet worden ist, muss auch überprüft werden. oder mehr Geld als ihre arbeitenden Kollegen. Aus die- Meine Kollegin Daniela Kolbe geht noch einmal sem Grund lehnen wir den Antrag ab. darauf ein. Dann können Sie von den Linken noch einmal (Beifall bei der FDP) hören, was wir alles gemacht haben. Hoffentlich haben Sie das nächste Woche nicht wieder vergessen. Joe Was wir brauchen, sind Rahmenbedingungen, um die Weingarten geht auf die wirtschaftliche Situation ein; Menschen wieder raus aus der Kurzarbeit zu holen. Wir denn wir sorgen nicht nur dafür, dass Menschen durch brauchen Impulse für neues Jobwachstum, wir brauchen Kurzarbeit nicht arbeitslos werden, sondern wir sorgen steuerliche Entlastung bei Investitionen; denn für unser dafür, dass sie die Arbeit von morgen machen können: Land sind Kurzarbeit und Schuldenwirtschaft keine mit Qualifizierung, mit Weiterbildung, mit dem Arbeit- Lösung. von-morgen-Gesetz. Das ist wichtig. Das ist eine Investi- (Beifall bei der FDP) tion in die Zukunft. Und deshalb werden auch die Grünen unserem An- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) spruch nicht gerecht; denn sie fordern die Bundesregie- rung auf, einen Stufenplan vorzulegen – die Bundesregie- Da lohnt sich jeder Cent Steuergeld, liebe Kolleginnen rung, die seit Monaten keinen Plan mehr hat. Das ist nicht und Kollegen. unser Verständnis von parlamentarischer Verantwortung. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Uwe Seriöse Oppositionsarbeit wäre es gewesen, einen eige- Schummer [CDU/CSU] – Susanne Ferschl nen Stufenplan vorzulegen. [DIE LINKE]: Dafür schon! Das habe ich nicht (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- in Abrede gestellt!) NEN]: Haben wir schon letztes Jahr vorgelegt!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27075

Matthias Nölke (A) So haben wir es gemacht; denn wir meinen es ernst. Auf der anderen Seite ist der Antrag der Linken leider (C) so unspezifisch oder vielleicht auch einfach nur bisschen (Beifall bei der FDP) kurz geraten, dass wir uns enthalten müssen, weil Sie Wir haben einen Sieben-Stufen-Plan mit klaren Wenn- leider nicht zwischen großen und kleinen Unternehmen dann-Regeln vorgelegt, der einen Weg aus dem Lock- differenzieren. Das wäre schon notwendig gewesen. down und damit auch aus der Kurzarbeit weist. Wir spre- Wenn Sie die Zahlung des Kurzarbeitergeldes beispiels- chen darüber, wie wir die Kurzarbeit beenden; denn das weise an ein Kündigungsverbot knüpfen und das auch auf hilft den Menschen wirklich. Kleinunternehmen beziehen – das haben Sie in dem An- trag leider nicht differenziert –, dann geht das so nicht, (Beifall bei der FDP) weil diese Krise momentan so tief und so hart ist. Man- Wir helfen den Menschen nicht, indem wir nur über das chen Unternehmen steht das Wasser so sehr bis zum Hals, Verteilen reden. Wir helfen ihnen, indem wir ihnen ihre dass es vielleicht sein kann, dass sie nicht auf Kündigun- Arbeit zurückgeben. gen verzichten können, weil sonst die wirtschaftliche Existenz des gesamten Unternehmens in Gefahr ist. Da Wir Freie Demokraten wollen eine Perspektive schaf- müssen wir differenziert hinschauen, und das tun Sie fen für alle Bürgerinnen und Bürger in unserem Land; leider nicht. denn unser Land braucht jetzt eine Perspektive, eine Per- spektive raus aus der Kurzarbeit. Diese Perspektive gibt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) es nur mit den Freien Demokraten. Holen wir das Land Diesen Unternehmen kann man helfen. Das wäre auch aus der Kurzarbeit! Das muss das Ziel sein. unser Job als Bundestag gewesen. Denen kann man hel- Vielen Dank. fen, wenn man Wirtschaftshilfen in der Krise macht, die wirklich helfen. Das haben Peter Altmaier und Olaf (Beifall bei der FDP) Scholz im Duett im letzten Jahr komplett versemmelt; so hart muss man das sagen. Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Wir haben Wirtschaftshilfen gehabt, die so kompliziert Das Wort geht an Katharina Dröge von der Fraktion waren, dass selbst Steuerberater sie nicht mehr verstan- Bündnis 90/Die Grünen. den haben. Wir haben Wirtschaftshilfen, die so sehr vor Missbrauch schützen sollten, dass sie am Ende niemand (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) mehr beantragt hat, weil sie keiner mehr verstanden hat, und sie bei keinem angekommen sind. Es kann nicht Sinn Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): guten staatlichen Handelns sein, dass man sich zu Tode (B) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und bürokratisiert und am Ende die Unternehmen im Regen (D) Kollegen! Der Antrag der Linken hat im Kern ein sehr stehen lässt. berechtigtes Anliegen. Wenn der Staat große Konzerne in (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Krise mit massivem Einsatz von Steuergeld unter- sowie bei Abgeordneten der FDP) stützt und damit so ins Risiko geht, dann muss das auch mit Bedingungen verbunden sein. Wir haben das bei- Deshalb haben wir jetzt noch einmal Vorschläge spielsweise bei der Beteiligung an der Lufthansa oder gemacht, wie die Überbrückungshilfe III verbessert wer- bei TUI gefordert. Eine solche Hilfe muss mit Auflagen den muss. Unternehmen, die seit Monaten 0 Euro Ein- für den Klimaschutz verbunden sein, aber natürlich auch nahmen haben, können jetzt nicht nur mit Hilfen in Höhe mit Auflagen zur Beschäftigungssicherung. von 90 Prozent der Fixkosten unterstützt werden. Wer keine Einnahmen hat, der kann auch 10 Prozent Fixkos- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ten nicht mehr zahlen. Ich verstehe nicht – wir haben das und bei der LINKEN) seit Monaten beantragt –, warum Sie diesen kleinen Und selbstverständlich müssen staatliche Hilfen auch Schritt nicht noch gehen, der aber für Unternehmen daran gebunden sein, dass Unternehmen, die in der Krise manchmal die wirtschaftliche Existenz bedeuten kann. Hilfen des Staates in Anspruch nehmen, sich auch selber (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) daran beteiligen. Deswegen ist es total wichtig, dass diese Unternehmen dann auch auf Dividendenzahlungen und Wenn Sie die Unternehmen mit den Wirtschaftshilfen hohe Zahlungen von Boni an Manager verzichten. schon so lange hingehalten haben und Sie es jetzt endlich, Mitte Februar, geschafft haben, die schnellen, vorgezo- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) genen Soforthilfen für Dezember beantragen zu lassen, Ich kann es absolut verstehen, dass man es unverständ- warum gehen Sie dann in den Abschlagszahlungen nicht lich findet – ich teile diese Kritik –, wenn Konzerne wenigstens pragmatisch und unbürokratisch hoch auf Leistungen wie das Kurzarbeitergeld in Anspruch neh- 75 Prozent, damit wenigstens mal wieder Geld auf den men und gleichzeitig hohe Dividenden ausschütten. Das Konten der Unternehmen ist? Das wäre wirklich krisen- alleine ist gesellschaftlich so massiv unsensibel, dass man gerechtes Handeln gewesen. nur sagen kann: Da sollten Leiter von großen Konzernen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) auch ihre gesellschaftliche Verantwortung im Blick haben. Peter Altmaier und Olaf Scholz haben sich sehr toxisch in den letzten Monaten gegenseitig blockiert bei wichti- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gen und relevanten Hilfsmaßnahmen. Wir haben jetzt ein sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Maßnahmenpaket vorgeschlagen, mit dem man zuver- 27076 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Katharina Dröge (A) sichtlich in die Zukunft schauen kann, mit dem man wirk- die klassische Aufstockung. Jeder Mensch, der bedürftig (C) lich helfen kann. Geben Sie sich einen Ruck: Bessern Sie ist, der in diese Situation gerät, kann das in Anspruch endlich vernünftig nach! nehmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir haben uns bei der Ausgestaltung des Kurzarbeiter- geldes etwas gedacht, das in den ersten Monaten auf 60 bzw. 67 Prozent begrenzt ist; später steigt es, zum Anfang Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: hat es aber diese Höhe. Das hat den einfachen Grund, Das Wort hat Jana Schimke von der CDU/CSU-Frak- dass sich auch die Leistungen zum Arbeitslosengeld I tion. an derselben Höhe orientieren. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir haben die Diskussion schon vor einigen Wochen hier im Plenum geführt: Ich halte es für schwierig, dass wir immer wieder mit einem sozialpolitischen Wunsch- Jana Schimke (CDU/CSU): konzert darauf hinsteuern, dass wir bedürftige Gruppen Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich den- gegeneinander ausspielen. ke, nach einem Jahr Corona und mehrfachen Lockdowns sollten wir uns gut überlegen, wofür wir Geld ausgeben, (Beifall des Abg. Klaus-Peter Willsch [CDU/ wo wir soziale Unterstützung leisten, und vor allen Din- CSU]) gen, wie wir mit den Beitragsgeldern der Versicherten in Sie suchen sich jetzt die Gruppe der Beschäftigten und diesem Land umgehen. Wenn eines klar ist – das habe ich sagen: „Die müssen viel mehr Kurzarbeitergeld bekom- bereits in der ersten Debatte zum Thema Mindestkurzar- men“, beitergeld hier in dieser Runde deutlich gemacht –, dann das, dass gerade die Coronakrise gezeigt hat, dass unser (Zuruf von der LINKEN: Wer macht denn Sozialstaat funktioniert. das? – Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir haben inzwischen in der letzten Sitzungswoche NEN]) das dritte Sozialschutzpaket auf den Weg gebracht. Wir und letztendlich ist das genauso eine Versicherungsleis- haben Bedürftigen, wir haben Menschen, die Hartz-IV- tung wie das Arbeitslosengeld I; aber ein Arbeitslosen- Leistungen beziehen, mehrere Einmalzahlungen zukom- geld-I-Empfänger bekommt eben nur 60 bzw. 67 Prozent. men lassen für Kinder, aber auch für Hartz-IV-Empfänger selbst. Wir haben den erleichterten Zugang zu Hartz IV (Kersten Steinke [DIE LINKE]: Stimmt doch geschaffen, der insbesondere für die vielen Selbstständi- gar nicht!) (B) gen in unserem Land gedacht ist, die zurzeit keine Ein- Meine Damen und Herren, ich bin dagegen, dass wir ein (D) künfte erzielen. Die Geltungsdauer für diesen leichteren Zweiklassensozialrecht schaffen. Zugang haben wir noch einmal verlängert. Was mir besonders gut gefällt – das ist nicht Gegenstand des (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir sind Sozialschutzpaketes, aber eine ganz wichtige Maßnahme auch dagegen!) unserer Bundesagentur für Arbeit –, ist, dass Bedürftigen Ich verstehe gar nicht, warum Sie alle immer eine dort noch einmal 350 Euro zusätzlich zur Verfügung solche Angst vor einheitlichen Standards haben. Das ist gestellt werden, um Kindern beispielsweise ein Tablet doch das, was Sozialpolitik erklärbar, logisch und nach- zu besorgen, um das Homeschooling gewuppt zu bekom- vollziehbar macht. Warum sollen wir denn für unter- men. schiedliche Gruppen immer unterschiedliche Messwerte und Größen hier in diesem Hause verabschieden? Das Also, es ist eine Menge passiert in den letzten Mona- halte ich schlichtweg nicht für nachvollziehbar. ten, auch an sozialen Leistungen. Ich glaube, wir haben sehr gut deutlich gemacht, dass wir Sozialpolitik können, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist meine Damen und Herren. ungerecht! – Weitere Zurufe von der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU) Damit machen wir uns angreifbar, und das ist auch keine glaubwürdige Sozialpolitik, meine Damen und Herren. Man darf an dieser Stelle auch eines sagen – weil es (Beifall bei der CDU/CSU) beim Thema Mindestkurzarbeitergeld um Menschen mit geringem Einkommen geht; ich habe damals schon An letzter Stelle möchte ich noch an eines erinnern: darauf hingewiesen –: Unser Sozialstaat funktioniert Douglas wird in den nächsten Wochen und Monaten 60 auch hier. Denn jemand, der in die Bedürftigkeit gerät, Filialen schließen, der Friseur Klier 315, das Modege- tut das, was alle anderen Menschen in diesem Land auch schäft Pimkie: 29 Filialen weniger. DER Reisebüro ver- tun, die bedürftig sind: Der geht zum Sozialamt und be- abschiedet sich von 40 Filialen, und da ist H&M mit 14 antragt dort Leistungen. Filialen weniger vielleicht noch das kleine Schlusslicht. Aber was sagt uns das, meine Damen und Herren? Wenn (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- sich die Nebelwolke der Coronaförderpolitik mal verzo- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das tun sie gen hat aus diesem Land, dann werden wir sehen, wo die nicht!) Notwendigkeiten der künftigen Monate tatsächlich liegen Niemand sagt, dass das angenehm ist, niemand sagt, dass werden, das schön ist. Aber in diesem Fall, wo Ihr Vorschlag mit (Zuruf der Abg. Katharina Dröge [BÜND- einem Mindestkurzarbeitergeld ansetzen soll, haben wir NIS 90/DIE GRÜNEN]) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27077

Jana Schimke (A) nämlich bei der Schaffung von Arbeitsplätzen, bei der deutlich, dass Sie sozialistisch-autokratisch denken. Wir (C) Unterstützung von Menschen, die tatsächlich in Arbeits- als AfD hingegen sind eine freiheitlich-demokratische losigkeit geraten. Partei. Ich kann nur davor warnen, mit Vorschlägen wie einem (Lachen bei der LINKEN – Matthias W. Mindestkurzarbeitergeld alles noch komplizierter zu Birkwald [DIE LINKE]: Der war gut!) machen, natürlich auch für die Menschen, die das auf den Weg bringen müssen, die das bewilligen müssen. Egal wie sehr Sie uns attackieren, wir werden die Freiheit Das Kurzarbeitergeld stammt aus Beitragsgeldern. Das und die Demokratie in Deutschland verteidigen. sind Gelder von den Versicherten in diesem Land. Das (Beifall bei der AfD – Lachen bei der LINKEN sind Beitragsgelder von Menschen, die noch in Lohn und und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Brot stehen. 26 Milliarden Euro der Bundesagentur für Arbeit sind bereits aufgebraucht. Wovon wollen Sie das Die Fakten aus anderen Ländern beweisen uns, dass es denn bitte alles bezahlen? komplett anders geht. Die Schweden, die ihre Bürger nicht gegängelt haben, sondern leben und arbeiten ließen, Und noch etwas: Ich finde, das Kurzarbeitergeld – das ist doch die Aufgabe vom KuG – soll vor Arbeitslosigkeit (Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann- schützen und nicht einen Lebensstandard subventionie- Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) ren. sind nicht schlechter durch den Winter gekommen als (Zurufe von der LINKEN sowie des Abg. wir. Denken wir freiheitlich statt sozialistisch. Geben Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- wir den Menschen ihr Leben wieder, und kümmern wir NIS 90/DIE GRÜNEN]) uns um die Risikogruppen. Dessen müssen wir uns doch hier in diesem Hause durch- (Beifall bei der AfD) aus einmal bewusst sein. Lassen Sie uns das Wesentliche Der Chef des RKI hat verkündet, dass über die Hälfte im Blick behalten! Lassen Sie uns die Prioritäten richtig der Fälle auf den Intensivstationen Muslime sind. setzen, damit unser Land mit halb so gutem Schwung, wie wir ihn bisher hatten, weitermachen kann, wenn wir (Kersten Steinke [DIE LINKE]: Das kann doch das Virus in den Griff bekommen haben. jetzt nicht sein! – Weitere Zurufe von der LINKEN) Vielen Dank. Es sind nicht Migranten das Problem, sondern die Paral- (Beifall bei der CDU/CSU) lelgesellschaften, die mit der deutschen Sprache und (B) deutschen Tugenden nichts anfangen können. Corona (D) Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: beweist einmal mehr: Multikulti ist krachend gescheitert! Das Wort geht an Martin Sichert von der AfD-Frak- (Beifall bei der AfD – Josephine Ortleb [SPD]: tion. Unglaublich! – Zurufe von der LINKEN: (Beifall bei der AfD) Pfui! – Widerlich!) Das zeigen die Daten des RKI übrigens schon vor dem Martin Sichert (AfD): Lockdown. Im letzten Herbst war bekannt, dass sich in Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Staat Asylbewerberheimen mehr als doppelt so viele Men- verursacht massive Schäden an Unternehmen, und den schen anstecken wie in Schulen, Gastronomie und Hotel- Linken fällt nichts Besseres ein, als die Entschädigung lerie zusammen. für Unternehmen an Bedingungen zu knüpfen. Noch (Zurufe von der LINKEN und dem BÜND- gilt das Grundgesetz, NIS 90/DIE GRÜNEN) (Susanne Ferschl [DIE LINKE]: Eigentum Anstatt dass Sie zielgerichtet vorgehen mit Aufklärungs- verpflichtet!) kampagnen und die Asylbewerberheime leeren durch auch wenn viele von Ihnen versuchen, das unzulässiger- konsequente Abschiebung abgelehnter Asylbewerber, weise durch das Infektionsschutzgesetz auszuhebeln. gängeln Sie lieber 83 Millionen Menschen und legen das ganze Land still. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das sagt der Richtige!) (Josephine Ortleb [SPD]: Ungeheuerlich! – Weitere Zurufe von der SPD – Zurufe von der Die Bürger haben Grundrechte; dazu gehören auch das LINKEN) Recht auf Eigentum und das Recht auf freie Berufswahl. Diese Grundrechte wurden durch den Lockdown zerstört. Das Problem ist – das erleben wir gerade auch wieder, nämlich das Geschrei von links –, dass Sie von der Union (Beifall bei der AfD) und von der SPD vor dem absurden Rassismusvorwurf von ein paar linken Verrückten mehr Angst haben als Anstatt dass die Opposition gemeinsam darauf drängt, davor, was passiert, wenn Sie die Augen vor den realen dass die Menschen wieder ihrer Arbeit nachgehen und ihr Problemen verschließen. eigenes Einkommen erwirtschaften können, fällt Grünen und Linken nur ein, über Entschädigungen zu diskutie- (Beifall bei der AfD – Kersten Steinke [DIE ren. Die hier vorliegenden Anträge machen einmal mehr LINKE]: Was für ein Rassismusvorwurf?) 27078 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Martin Sichert (A) Statt echte Ursachen anzugehen, verscheucht der Staat kam zu spät, manches war zu zaghaft, auch aus dem Wirt- (C) nun friedliche Bürger von Parkbänken, jagt Jugendliche schaftsministerium. Aber im Kern haben wir gemeinsam durch Parks und stürmt Kochabende von zwei Freunden. die Aufgabe erfüllt. Die deutsche Wirtschaft ist in einigen Die Regierung nutzt den Lockdown, um sich den Staat Bereichen sehr angeschlagen, aber sie hat überlebt. Mil- zur Beute zu machen. Dazu konnte es nur kommen, weil lionen gefährdeter Arbeitsplätze wurden erhalten, Zehn- das Parlament als Kontrollinstrument versagt hat. Sie von tausende Unternehmen stabilisiert. Das ist ein nicht der Union sind keine Demokraten, sondern Karrieristen, selbstverständlicher Erfolg. die alles abnicken, was von oben vorgegeben wird, weil Sie Angst haben, sonst bei der nächsten Wahl einfach (Beifall bei der SPD) nicht mehr aufgestellt zu werden. Und anstatt die Regie- Wir reden hier über eine hochkomplexe Industrie- und rung zu kontrollieren, nutzt Ihr stellvertretender Frak- Dienstleistungsgesellschaft, in der quasi über Nacht tionsvorsitzender die Lockdown-Politik lieber, um sich Arbeitskräfte, Kunden, ihre nationalen und internationa- zu bereichern. Die SPD freut sich, weil Lauterbach, der len Kontakte und Zulieferer durch die Pandemie vonei- noch nicht mal im Gesundheitsausschuss sitzt, nun im nander isoliert wurden. Politik kann das nicht alles unge- Fernsehen von Talkshow zu Talkshow tingelt. Die Grü- schehen machen. Aber sie kann die größten Lücken nen machen alles mit in der Hoffnung auf eine schwarz- schließen, Hilfen geben und Hoffnung vermitteln, und grüne Koalition. Die Linken denken sich: „Genial, noch das haben wir getan. mehr Sozialismus“ und versuchen, immer noch einen obendrauf zu setzen. Und die FDP? Die hat eine große (Beifall bei der SPD) Klappe; aber immer, wenn es darum geht, wirklich Farbe Die Soforthilfen – Überbrückungshilfen I und II, zu bekennen, dann sind Sie leider unauffindbar. November- und Dezemberhilfe, Überbrückungshilfe III (Beifall bei der AfD) und jetzt das Neustartprogramm – sind eine große Auf- Meine Damen und Herren, finden Sie endlich Ihr gabe, in der sich unser föderaler Staat bewährt hat – nicht Gewissen wieder, und kommen wir gemeinsam unserem immer strahlend, aber effizient und zielorientiert, vor Auftrag nach, die Regierung zu kontrollieren! Lassen Sie allen Dingen auch im internationalen Vergleich. Das ist uns den Lockdown beenden! Geben wir den Menschen auch das Ergebnis einer stetigen Maßnahmenkritik nach die Freiheit und ihr Leben zurück! Dann brauchen wir jeder Förderrunde. Zielgruppen wurden präzisiert, Hilfen hier gar nicht erst darüber zu diskutieren, wie Entschädi- angepasst, Verfahren vereinfacht und – nicht trivial – das gungen ausgestaltet werden sollen. Ganze eingefügt in das komplizierte europäische Beihil- ferecht. So ist ein differenziertes Fördersystem entstan- Herzlichen Dank. den, in dem bislang über 110 Milliarden Euro in die (B) (Beifall bei der AfD – Uwe Schummer [CDU/ Unternehmen und an die Beschäftigten geflossen sind, (D) CSU]: Wie viele Tote wollen Sie? – Kersten allein 25 Milliarden Euro über die heute diskutierten Steinke [DIE LINKE]: Widerlich!) Unternehmenshilfen. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Nicht jede Hilfe kam unmittelbar. Es gab Lernprozes- Herr Abgeordneter Sichert, ich mache Sie darauf auf- se. Aber es ist eine völlige Überzeichnung, zu behaupten, merksam, dass, solange keine Beweise für eine Bereiche- dass noch heute in großer Zahl Rückstände bestünden. rung eines Abgeordneten vorliegen, noch immer die Aus den rund 660 000 Anträgen der November- und Unschuldsvermutung gilt. Das möchte ich an dieser Stel- Dezemberhilfe sind rund 96 Prozent der Abschlagszah- le gesagt haben. Bitte lassen Sie solche Bemerkungen in lungen ausgezahlt. Ähnlich bei den Abschlussprüfungen einer Rede in Zukunft sein. in den Bundesländern: In meinem Bundesland Rhein- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und land-Pfalz liegen die Abschlusszahlungen auch bei einer der SPD) Quote von deutlich über 90 Prozent. Das kommt vor allen Ich gebe das Wort an Dr. Joe Weingarten von der SPD- Dingen mittelständischen Unternehmen zugute. Fraktion. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Wir müssen konstatieren: Dort, wo es klemmt, liegt das Problem zum Teil auch bei unvollständigen Anträgen, bei Dr. Joe Weingarten (SPD): widersprüchlichen Angaben oder schlicht mangelnder Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Förderfähigkeit, und da lohnt es sich, jedem einzelnen Kollegen! Meine Damen und Herren! Lassen Sie uns Antrag nachzugehen und zu helfen. Ich mache das in wieder aus den Wolken der Vermutungen und Vorurteile meinem Wahlkreis auch. zu den Fakten zurückkommen. Aber: Trotz erfolgreicher Förderung ist für viele Unter- (Beifall bei der SPD) nehmen aus Gastronomie und Hotellerie, aus dem Ein- Die Coronapandemie ist eine der größten gesellschaft- zelhandel, aus dem Kultur- und Veranstaltungsbereich, lichen Herausforderungen nach dem Krieg. Sie fordert bei den Schaustellern oder bei den Soloselbstständigen auch unser Wirtschaftssystem und unsere Wirtschaftsför- die Not groß. Es stehen Existenzen auf dem Spiel. Des- derung in nie gekanntem Umfang. Wenn wir heute dazu wegen brauchen wir eine Öffnungsstrategie für diese eine Zwischenbilanz ziehen, können wir konstatieren: Es Unternehmen. Wir müssen die Fördermittel für sie natür- ist natürlich nicht alles richtig gemacht worden. Manches lich auch weiterentwickeln, und das geschieht ja gerade. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27079

Dr. Joe Weingarten (A) Die aktuellen Coronahilfen wurden noch einmal substan- und den Rückgang des Betriebsergebnisses als Grundlage (C) ziell verbessert, um gerade mittelständischen Unterneh- für alle Unterstützungszahlungen zu nehmen, Stichwort men und Selbstständigen zu helfen. „Kieler Modell“. Aber auch mit immer differenzierteren Hilfen lässt sich (Beifall bei der FDP) letztlich nicht jede Branche, nicht jedes Geschäftsmodell Mit diesem Vorschlag helfen wir nicht nur schnell und gerecht ansprechen. Deswegen ist es wichtig, einen Här- unkompliziert – denn jeder Tag zählt für die Betroffe- tefallfonds von Bund und Ländern zu schaffen. Als nen –, sondern wir verhindern damit auch die Diskrimi- sozialdemokratische Bundestagsfraktion achten wir nierung bestimmter Branchen, Rechtsformen und Unter- darauf, dass dieser Fonds unbürokratisch und flexibel nehmensgrößen. aufgebaut wird, um schnell und einfach zu helfen. Als Sprecher für Tourismus möchte ich heute an dieser (Beifall bei der SPD) Stelle noch darauf hinweisen, dass eine kluge Pandemie- Liebe Kolleginnen und Kollegen, sinnlos wäre es, die hilfe eben nicht immer was mit Geld zu tun haben muss. bislang beschlossenen Hilfen grundsätzlich zu kritisieren Folgende zwei Punkte sind ähnlich wichtig: oder pauschal abzulehnen, wie das der Antrag der Grünen Erstens. Wir brauchen eine verlässliche und klare Öff- tut. Das hilft uns nicht weiter. Lassen Sie uns lieber disku- nungsperspektive, und das bitte für die gesamte Touris- tieren, wie wir in den nächsten Monaten den Übergang in muswirtschaft. Dazu habe ich im Papier der Ministerprä- normalere Verhältnisse organisieren, wie wir den Unter- sidentenkonferenz nichts gelesen. Eine der wichtigsten nehmen helfen, wieder Tritt zu fassen und ihre Geschäfts- Wirtschaftsbranchen in Deutschland wird von Ihnen kon- modelle neu aufzustellen. sequent ignoriert. Damit sind wir Freie Demokraten nicht Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. einverstanden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der FDP) der CDU/CSU) Wenn wir möchten, dass das Ostergeschäft in diesem Jahr für die Betroffenen und für viele Familien eben nicht Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: ins Wasser fällt, dann muss diese Woche noch ein ganz klares Signal von Ihnen kommen. Wenn nichts passiert, Danke sehr. – Das Wort geht an Dr. Marcel Klinge von wird man über Ostern in den Urlaub nach Mallorca flie- der FDP-Fraktion. gen, aber nicht in die Ferienwohnung an der Ostsee fah- (Beifall bei der FDP) ren können. Das ist kein gutes Krisenmanagement. (B) (Beifall bei der FDP) (D) Dr. Marcel Klinge (FDP): Zweitens. Meine Damen und Herren, pfeifen Sie doch Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und endlich mal den Altmaier und den Söder zurück! Also, Kollegen! Seit Monaten diskutieren wir hier im Deut- was die in den vergangenen Wochen, ohne sich groß schen Bundestag in Dauerschleife über die Coronawirt- einen Kopf zu machen, zum Thema Reisen gesagt haben, schaftshilfen und kommen dabei nur in Trippelschritten hat unglaublich viele Menschen verunsichert und eine voran. Dabei könnte das Ganze doch so einfach sein: Wer ganze Wirtschaftsbranche demoralisiert. monatelang ganze Wirtschaftszweige lahmlegt – ich den- ke hier an den Handel, an die Reise- und Veranstaltungs- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten wirtschaft, an Schausteller, Hotels, Gastronomie und die der AfD) dahinterstehende Food-Service-Industrie –, der muss Dabei, meine Damen und Herren, ist Reisen doch nicht genauso blitzschnell und unkompliziert helfen. per se das Problem. Am Ende des Tages ist es doch das (Beifall bei der FDP) Verhalten der Menschen. Im letzten Sommer haben wir doch gesehen, dass mehr Urlaub eben nicht bedeutet, dass Doch genau diesen Anspruch erfüllt die Bundesregie- die Pandemiezahlen insgesamt steigen. Hören Sie also rung bislang nicht. Schwarz-Rot hangelt sich doch von bitte auf, Reisen schlechtzureden. Das ist unfair und nicht einer Panne zur nächsten. Zehntausende Betriebe und in Ordnung. Selbstständige haben die Novemberhilfen weiterhin nicht auf ihrem Konto. Ich frage Sie: Warum muss das eigent- (Beifall bei der FDP) lich alles so kompliziert sein? Warum führen Sie immer Lassen Sie uns endlich nach vorne schauen und darü- neue Kriterien ein, die am Ende überhaupt keiner mehr ber sprechen, was in diesem Jahr noch möglich ist! Dazu versteht? brauchen wir endlich eine klare Öffnungsperspektive für (Beifall bei der FDP) die Branche. 3 Millionen Beschäftigte im Tourismus war- ten darauf, dass es endlich wieder losgeht. Zunächst waren es die Fixkosten, dann war es der (Beifall bei der FDP) Umsatz, dann waren es die ungedeckten Fixkosten. Dazu verlangt der Wirtschaftsstabilisierungsfonds auch noch Wucherzinsen. Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Das Wort geht an Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn von Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, geht der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. doch alles viel einfacher: Wir Freie Demokraten schlagen vor, die Hilfen direkt über die Finanzämter auszuzahlen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 27080 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

(A) Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/ ckend ist. Die bürokratischen Hürden sind immer noch zu (C) DIE GRÜNEN): hoch. Deswegen müssen wir da andere Lösungen über- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und legen. Kollegen! Kurzarbeitergeld und Wirtschaftshilfen wer- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den in dem Antrag der Linken in einem Atemzug sowie bei Abgeordneten der LINKEN) genannt; das ist aber nicht das Gleiche. Beim Kurzarbei- tergeld muss man außerdem differenzieren; denn es sind Das gilt ja nicht nur für die Kurzarbeitenden, sondern Beitragsmittel. Kollege Rützel hat das eben beschrieben: auch für die Künstlerinnen und Künstler, für die Solo- Es dient vor allem dazu, Arbeitslosigkeit zu verhindern. selbstständigen; auch da versagt die Bundesregierung. Das ist in dieser Krise auch gut gelungen. Aber bei den Kurzarbeitenden braucht es eine Lösung, damit das Existenzminimum abgesichert ist. Ich habe Aber: Nicht nur das Kurzarbeitergeld wird ausgezahlt; mich ja gefreut, dass die Expertinnen und Experten in vielmehr werden auch die Sozialversicherungsbeiträge der Ausschussanhörung gesagt haben, dass der grüne der Arbeitgeber in dieser Krise mit ausgezahlt. Das heißt, Vorschlag, den wir letztes Jahr vorgelegt haben, eigent- das Kurzarbeitergeld ist auch eine Unterstützung für die lich noch besser sei. Das nützt den Menschen jetzt aber Wirtschaft, und deswegen müssen wir genau prüfen, ob auch nicht. Der Vorschlag der Linken, der auf einem Vor- Missbrauch stattfindet. Missbrauch ist an dieser Stelle schlag von NGG und Verdi beruht, den wir Grünen auch nicht akzeptabel. unterstützt haben, ist gut. Stimmen Sie dem zu! Und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wenn Sie dem nicht zustimmen, wovon ich leider aus- gehen muss, dann sorgen Sie für eine Lösung für die Es ist nicht akzeptabel, wenn Unternehmen die Arbeits- Menschen, die kurzarbeiten und die zu wenig Geld zeit ihrer Beschäftigten reduzieren, Kurzarbeitergeld in haben, damit das Existenzminimum abgesichert ist. Anspruch nehmen, dann Überstunden machen lassen, Vielen Dank. sodass die Beschäftigten das Gleiche arbeiten, und das Ganze noch vom Staat subventioniert wird. Das geht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht! und bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Das ist mindestens geschmacklos!) Vielen Dank. – Das Wort geht an Peter Aumer von der CDU/CSU-Fraktion. Es geht auch nicht, dass zur Arbeitszeitreduzierung Kran- kentage oder Urlaubstage verwendet werden. Auch das (Beifall bei der CDU/CSU) (B) ist klarer Missbrauch; das müssen wir verhindern. Und es (D) geht auch nicht, dass das Kurzarbeitergeld dazu verwen- Peter Aumer (CDU/CSU): det wird, Boni und Dividenden zu erhöhen, wie das jetzt Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und bei Daimler passiert ist. Auch da müssen wir klar sagen: Kollegen! Wir diskutieren Anträge von Linken und Grü- Das geht so nicht! nen. Diese Anträge zeigen deutlich den Zustand der bei- den Parteien: Die Linke ist rückwärtsgewandt und sozia- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN listisch. Die Grünen wissen zum einen nicht, was sie und bei der LINKEN) wollen, und zum anderen kommen sie zu spät. Beides, Die Linken haben einen zweiten Antrag zur Einfüh- meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kollegin- rung eines Mindestkurzarbeitergelds vorgelegt. Den nen und Kollegen, kann in dieser schwierigen Phase haben wir in der letzten Sitzungswoche in erster Lesung unser Land nicht gebrauchen. Mehr denn je kommt es beraten; diese Woche hatten wir dazu eine Anhörung im jetzt auf den Blick in die Zukunft an, auf Perspektiven Ausschuss und haben darüber diskutiert. Ich würde Sie und auf Verlässlichkeit in der Politik. alle dringend bitten, diesem Antrag zuzustimmen; denn (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Phrasen! er ist wichtig. Phrasen! Phrasen!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, Sie las- und bei der LINKEN) sen diesen verantwortungsvollen Blick leider schmerz- lich vermissen, wie die Anhörung zu Ihrem Vorschlag Viele Menschen beziehen in dieser Krise Kurzarbeiter- für ein Mindest-Kurzarbeitergeld in dieser Woche deut- geld. Die Kurzarbeit ist diesmal anders: Es gibt ganz viele lich gemacht hat. Ihr Antrag ist erstens unsozial und Menschen, die gar nicht oder ganz wenig arbeiten. Dann ungerecht, reicht das Kurzarbeitergeld, so wie es jetzt konstruiert ist, nicht aus. Dafür brauchen wir eine Lösung. (Susanne Ferschl [DIE LINKE]: Na, na, na!) zeigt zweitens Ihre sozialistischen Umverteilungsutopien (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und widerspricht drittens dem Äquivalenzprinzip. Das, und bei der LINKEN) sehr geehrte Frau Ferschl, trifft auch auf den anderen Wenn man wie SPD und Union – wie Frau Schimke Antrag, den Sie heute diskutieren wollen, zu. Allein der eben wieder – auf das Arbeitslosengeld II verweist, dann Titel „Steuergelder gegen Missbrauch durch Konzerne ist es zwar formal richtig, dass die Kurzarbeitenden schützen“ verdeutlicht den Populismus, den Sie heute darauf Anspruch haben; aber sie beziehen es nicht, da auf die Tagesordnung setzen, und Ihre Rede, Frau Hartz IV trotz der Zugangserleichterung enorm abschre- Ferschl, toppt das noch. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27081

Peter Aumer (A) Sie haben BMW angesprochen. Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: (C) Herr Aumer, erlauben Sie noch eine Zwischenfrage (Susanne Ferschl [DIE LINKE]: Ja, und?) von der Kollegin Dröge, Bündnis 90/Die Grünen? – Nix „ja, und?“. – Ich bin Wahlkreisabgeordneter. In meinem Wahlkreis arbeiten 10 000 Menschen bei Peter Aumer (CDU/CSU): BMW. Im Großraum Regensburg arbeiten über 60 000 Ich bin eigentlich schon fertig, aber wenn sie möchte, in der Automobilindustrie; sie haben gut verdient, auch gerne. in dieser Krise. Wenn Sie die Automobilindustrie schlechtreden, dann, glaube ich, zeigt das auch Ihre Sicht Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): auf die Dinge. Herr Aumer, Sie sagen, unser Antrag komme so kurz- (Kersten Steinke [DIE LINKE]: Hat kein fristig, wir hätten ihn zur Debatte dazugestellt. Das macht Mensch gemacht! – Matthias W. Birkwald man im parlamentarischen Verfahren so. Aber mit der [DIE LINKE]: Sie haben noch nicht mal den Sache haben Sie sich recht wenig auseinandergesetzt. Antrag verstanden! Es geht darum, dass Unter- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wohl nehmen keine Rendite an Aktionäre auszah- wahr!) len!) Deswegen würde ich Sie gerne zu den Wirtschaftshilfen Es geht auch um Unternehmen. Wir sollten gut aufpassen, und der Debatte in der Vergangenheit fragen: Nehmen Sie dass wir mit ihnen nicht so umgehen wie Sie. wahr, dass wir, die FDP und auch die Linken schon seit dem Sommer Vorschläge machen, wie die Wirtschafts- (Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Klassen- hilfen verbessert werden könnten? Zum Beispiel steht kämpfer!) die Ausweitung des Verlustrücktrags in unserem Antrag; Es geht um Grundprinzipien, auch der sozialen Markt- dazu haben Sie gar nichts gesagt. Wir fordern seit dem wirtschaft. Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren Sommer die Aufstockung der Hilfen auf 100 Prozent; der Linken, haben diese Grundprinzipien nicht verstan- dazu haben Sie gar nichts gesagt. Auch zu der Höhe der den. Deshalb lehnen wir Ihre beiden Anträge ab. Abschlagszahlung haben Sie gar nichts gesagt. Das sind Vorschläge, die wir seit dem Sommer gemacht und (Beifall bei der CDU/CSU) zumindest im Wirtschaftsausschuss debattiert haben. Ich finde, wenn man sagt: „Ich bin jemand, der die Wirt- Nun zu den Kolleginnen und Kollegen der Grünen. Es schaft vertritt“ – und das haben Sie in Ihrer Rede für sich ist wirklich schade, dass Sie das wichtige Thema „Mehr in Anspruch genommen –, dann müssen Sie auch etwas (B) Sicherheit für Beschäftigte im Wandel“ von der Tages- zu den Wirtschaftshilfen in der Sache sagen können. (D) ordnung genommen haben. Ich habe mich gestern sehr intensiv auf diesen Antrag vorbereitet. Über Nacht kam (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dann der Antrag zu Wirtschaftshilfen, über den wir jetzt reden. Peter Aumer (CDU/CSU): Liebe Frau Kollegin Dröge, ich habe versucht, die (Zuruf der Abg. Katharina Dröge [BÜND- Anträge, über die wir zu diesem Tagesordnungspunkt NIS 90/DIE GRÜNEN]) diskutieren, zu beleuchten. Sie haben ursprünglich einen – Ja, ich glaube, Sie wissen selber nicht, was Sie auf die anderen Antrag eingebracht. Tagesordnung gesetzt haben. Das ist bezeichnend und (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE zeigt, glaube ich, ein bisschen auch den Zustand der GRÜNEN]: Nein, haben wir nicht!) Partei. Also, bei mir zumindest stand ein Antrag zum Thema Sie fordern in Ihren Anträgen Stufenpläne, Transpa- Qualifizierungskurzarbeit auf der Tagesordnung. Ich renz und Verlässlichkeit. Ich glaube, Sie haben nicht gele- weiß nicht, ob wir dieselbe Tagesordnung haben. sen, was gestern Abend beschlossen worden ist. Die Bun- deskanzlerin und die Ministerpräsidenten haben sehr (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE sorgfältig einen Plan ausgearbeitet, wie wir aus dieser GRÜNEN]: Der stand da nicht drauf!) Krise kommen sollen, und der Öffentlichkeit vorgestellt. Selbstverständlich habe ich zu dem Punkt Wirtschafts- In diesen Punkten hat sich Ihr Antrag zu den Wirtschafts- hilfen etwas gesagt. Ich habe gesagt: Wir sind in vielen hilfen also erledigt. Bereichen nicht ganz optimal aufgestellt gewesen. Aber wir haben nachgebessert, Punkt für Punkt. Ich war in Zu Ihrer Kritik. Ja, es hat nicht alles auf Anhieb meinem Wahlkreis unterwegs, bei vielen Einzelhändlern, geklappt; da haben Sie recht. Das sehen wir auch. Ja, es bei Friseuren, bei Demonstrationen von Friseuren, bei gibt noch Härten, zum Beispiel im Einzelhandel, und fast allen, die in dieser schwierigen Phase betroffen ungelöste Fälle, beispielsweise die Brauereigasthöfe. sind. Ich weiß um die Schwierigkeit in dem Bereich. Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, im Ge- gensatz zu Ihnen und zu Ihren Anträgen, die viel zu spät Es ist natürlich einfach, in der Opposition weniger gekommen sind, arbeiten wir seit Monaten Tag für Tag Bürokratie und viele andere Dinge zu fordern. Ich bin daran, diese schwierigen Situationen abzufedern. Deswe- gespannt, wie stark Sie uns unterstützen werden, wenn gen sind wir in der Regierung und Sie in der Opposition. wir in diesem Haus über das Bürokratieabbaugesetz Wir lehnen Ihren Antrag ab. reden. 27082 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Peter Aumer (A) Ich glaube, es gibt viele Dinge, die man besser hätte Daniela Kolbe (SPD): (C) machen können. Aber wir haben in einer kurzen Zeit Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und schnell reagieren müssen. Wir haben in einer kurzen Zeit Kollegen! Meine Kollegen Bernd Rützel und Joe Weingarten haben schon jede Menge Aspekte zu den (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE vielen Anträgen angeführt, sodass ich mich jetzt auf das GRÜNEN]: Nein, seit dem Sommer!) Mindestkurzarbeitergeld konzentrieren darf. den Unternehmen, die ihr Geschäft nicht ausführen konn- Ich will zunächst einmal den Antragstellern für diese ten, helfen müssen. wichtige Debatte Danke sagen. Ich habe ja schon in der (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ersten Lesung prinzipiell Sympathie dafür gezeigt, dass NEN]: Seit dem Sommer!) wir uns anschauen, was eigentlich mit denjenigen ist, die gerade mit sehr, sehr wenig Geld auskommen müssen. Das, denke ich mal, ist vielleicht nicht ganz optimal ange- Auch in der Anhörung ist herausgekommen, dass es mit laufen. Viele Unternehmerinnen und Unternehmer kämp- dieser Wirtschaftskrise etwas Besonderes auf sich hat. fen heute noch damit, die Hilfen zu bekommen. Aber ich Diesmal sind es nämlich nicht die exportorientierten, glaube, man muss der Regierung zugestehen: Wir kämp- gut bezahlenden Branchen, die es besonders stark trifft, fen – ich habe Ihnen das vorhin schon gesagt – Tag für sondern tatsächlich Branchen im Niedriglohnbereich. Tag Aber ich muss auch sagen: Der konkrete Vorschlag (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- überzeugt uns immer noch nicht, auch und gerade nicht NEN]: Gegen Ihre Minister!) nach der Anhörung. dafür, dass wir aus dieser schwierigen Phase gut raus- (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- kommen. Und deswegen sollten wir uns in diesem Hause NIS 90/DIE GRÜNEN]: Macht einen eige- zumindest bei diesen Themen gemeinschaftlich um einen nen!) Konsens bemühen und uns nicht mit dem Klein-Klein von Opposition und Regierung aufhalten. Dort ist nämlich noch mal deutlich geworden, dass die Vermischung des Beitragssystems mit dem Sozialsystem (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE es in sich hat und davon eher abzuraten ist. Die BA hat GRÜNEN]: Klein-Klein? Da geht es um Unter- darauf hingewiesen, mit was für einem zusätzlichen nehmensüberleben!) Bürokratieaufwand zu rechnen wäre, gerade wenn man – Ja. Deswegen: Helfen Sie mit, arbeiten Sie mit daran, das dann – das würde man ja sinnvollerweise machen – Lösungen zu präsentieren. rückwirkend einführen würde. Enzo Weber hat auf die vielen Ungerechtigkeiten hingewiesen, die neu entstehen (B) (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE würden. Enzo Weber hat auch gesagt, was für Vorteile das (D) GRÜNEN]: Wir machen ja Vorschläge!) hat. Er hat das, finde ich, sehr klug abgewogen. Schluss- endlich hat er gesagt: Das ist abzuwägen. Im Nachgang ist man immer schlauer. Wenn Sie sagen, dass Sie im Sommer Lösungen angeboten haben, dann Wir kommen zu der Abwägung, dass uns der konkrete erinnere ich daran: Wir mussten schon im März entschei- Vorschlag hier nicht überzeugt. Ich will aber hinzufügen, den, wie man den Unternehmen helfen kann, und wir dass uns die konkrete Situation der Beschäftigten im haben das getan. Das ist verantwortungsvolles Regie- Gastronomiebereich, wo ja nicht nur der Lohn, sondern rungshandeln. Die Hilfen sind leider auch Trinkgelder massiv wegbrechen, in der Kultur, wo das Gleiche gilt, bei Hotels und im Tourismus sehr nahe (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- geht. Wir gucken uns das an. Wir denken das als Sozial- NEN]: Nicht angekommen!) demokratinnen und Sozialdemokraten mit, auch weit in vielen Bereichen zu spät oder noch nicht angekommen. über die Pandemie hinaus, indem wir sagen: Wir brau- chen da bessere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen, (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- mehr Tarifverträge, die allgemeinverbindlich gelten, NEN]: Ja, genau!) und auch einen Mindestlohn, der deutlich über dem liegt, Daran arbeiten wir. den wir jetzt haben. (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der SPD) NEN]: Beschließen Sie es doch endlich! Dann Ich finde, die SPD hat auch über die Reform des Kurz- würden Sie den Unternehmen helfen!) arbeitergeldes bewiesen, dass wir an der richtigen Stelle Jetzt ist die große Herausforderung, dass wir den Unter- kämpfen. Ich will noch mal sagen: Weder die Verlänge- nehmen helfen, eine Zukunftsperspektive zu haben. Das rung noch die Vereinfachung noch die bessere Weiterbil- muss ein gemeinsamer Auftrag in diesem Hause sein. dung noch die Erhöhung beim Kurzarbeitergeld hätte es ohne die SPD und ohne Hubertus Heil gegeben, dem ich (Beifall bei der CDU/CSU) an der Stelle noch mal herzlich danke. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Danke. – Das Wort geht an Daniela Kolbe von der Manche sagen ja jetzt: „Das ist so toll“, auch beim SPD-Fraktion. Koalitionspartner. Ich muss jetzt aber, ehrlich gesagt, ein bisschen an die Geschichte der Erhöhung des Kurz- (Beifall bei der SPD) arbeitergeldes erinnern. Die SPD ist damals hingegangen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27083

Daniela Kolbe (A) und hat gesagt: Wir sehen es wie der DGB, wir wollen – werden und diese Staatsgelder dann genommen werden, (C) das wäre am einfachsten administrierbar – eine befristete um Boni oder Dividenden auszuschütten. Das zumindest Anhebung des Kurzarbeitergeldes. – Danach gab es sehr ist nicht das Grundprinzip der Marktwirtschaft. viel Streit; der Fanklub beim Koalitionspartner war über- sichtlich. Schlussendlich haben wir gekämpft wie die (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Löwen und haben es hinbekommen, dass ab dem vierten neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Monat 70 bzw. 77 Prozent und ab dem siebten Monat 80 Deswegen müssen wir genau darüber diskutieren. Und da bzw. 87 Prozent des Nettolohns gezahlt werden. Wir wis- finde ich manche Kommentare zu den entsprechenden sen, was das für eine Kraft gekostet hat, und ich muss Anträgen und Bestimmungen schon anmaßend. sagen: Wir sind auch stolz darauf, dass wir diese Ver- besserungen hinbekommen haben. Ich will hier aber einen Punkt in die Debatte einbrin- gen, der eigentlich in der Debatte danach behandelt wor- (Beifall bei der SPD – Bernd Rützel [SPD]: den wäre; denn eigentlich war für heute eine Aktuelle Sehr richtig!) Stunde zum Thema Lobbyismus beantragt. Es ist sehr Insofern lassen wir uns gerne vorwerfen, dass das Kurz- unwürdig, wie dieses Haus wieder mit diesem Thema arbeitergeld nicht perfekt ist. Aber was wir uns sicher umgeht. Wir müssen über dieses Thema sprechen. Das nicht vorwerfen lassen möchten – ich bitte aus Fairness- wäre der aktuellen Lage angemessen. Wir sprechen hier gründen darum, nicht so einen Anschein zu erwecken –, über einen Minister, wir sprechen hier über einen stell- ist, dass nichts passiert wäre oder die SPD nicht an der vertretenden Fraktionsvorsitzenden, wir sprechen hier richtigen Stelle kämpfen würde. Wir kämpfen wie die über Lobbyismus, wir sprechen hier über Bestechung, Löwen. und wir sprechen über das Vertrauen in die Politik. Und es kann nicht sein – wie damals schon im Sommer bei der (Beifall bei der SPD) Amthor-Debatte –, dass eine Aktuelle Stunde mal wieder Ich will an der Stelle auch den BA-Mitarbeitenden verlegt wird auf eine Zeit, wo die Öffentlichkeit es nicht danken. Über die Wirtschaftshilfen kann man an vielen mitkriegt. Sie müssen es sich schon gefallen lassen, damit Stellen streiten, was die Schnelligkeit angeht. Bei der BA konfrontiert zu werden, was im Bereich Lobbyismus pas- meckert gerade niemand. siert, was einige hier anscheinend veranstalten. Genau darüber müssen wir reden. Und da rede ich noch nicht (Beifall bei der SPD sowie des Abg. mal darüber – das muss an den Stellen, wo es notwendig Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- ist, wirklich geprüft werden –, was erlaubt und was nicht NIS 90/DIE GRÜNEN]) erlaubt ist, was verboten ist. Ich spreche vor allen Dingen Die Beschäftigten dort machen einen Megajob und tun, über das, was hier erlaubt ist und was wir komplett ändern (B) (D) was sie können, damit das Kurzarbeitergeld sofort ausge- müssen. zahlt wird. Dafür einen Riesendank! Nehmen wir doch mal den Fall – ob er jetzt fiktiv ist Für Verbesserungen sind wir offen – ich glaube, da gibt oder nicht –, dass ein Minister, eine Ministerin oder ein es bei uns in der Sozialdemokratie einen Denkprozess –; Abgeordneter während der Coronazeit eine Party feiert – aber Sie verzeihen uns, dass wir den konkreten Vorschlag schon das ist, wie ich finde, irgendwie ziemlich anma- heute hier ablehnen. ßend – und dass das von einem ehemaligen Abgeordneten organisiert wird, der jetzt eine Lobby- oder PR-Agentur (Beifall bei der SPD) gegründet hat. Es wird darüber debattiert, was in Zukunft passiert, und dann wird dazu aufgerufen, Spenden in Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Höhe von 9 000 oder 9 900 Euro abzugeben, weil die ja Danke sehr. – Das Wort geht an Marco Bülow, frak- nicht sofort veröffentlicht werden müssen. All das ist tionsloser Abgeordneter. legal, und das darf es nicht sein. Wir brauchen für dieses Haus, für Abgeordnete, für Marco Bülow (fraktionslos): Ministerinnen und Minister, Spielregeln. Wir brauchen Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! einen Kodex, der regelt, was man darf und was man nicht Das Kurzarbeiter- oder Kurzarbeiterinnengeld ist nicht darf, damit so was gar nicht erst in Verruf kommt. Dann zu unterschätzen. Die Leistung, die dahintersteckt, wurde müssten wir nämlich nicht darüber diskutieren, dann hier an verschiedensten Stellen gewürdigt. Das möchte bräuchten wir keine Aktuelle Stunde, und dann müssten ich unterstreichen, auch das, was Daniela Kolbe dazu Sie sich das heute auch nicht anhören. Darum sollten wir gesagt hat. Trotzdem muss man natürlich darüber reden, uns in Zukunft kümmern, und wir sollten solche Debatten wie es in Zukunft aussieht. Man muss darüber reden, wie nicht wieder an den Rand drängen. viele Menschen das Kurzarbeitergeld schon so lange Vielen Dank. beziehen und wie sie in der nächsten Zeit über die Run- den kommen. Und genau da geht einer dieser Anträge (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. hin, für den ich sehr dankbar bin. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir müssen auch über den Antrag der Linken reden, in dem sie noch mal deutlich machen, was mit bestimmten Staatsgeldern passiert. Und da sind Belehrungen, was Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Marktwirtschaft ist, fehl am Platz. Das Prinzip der Markt- Das Wort geht an Peter Stein von der CDU/CSU-Frak- wirtschaft ist es eben nicht, dass Staatsgelder gezahlt tion. 27084 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Vizepräsidentin Dagmar Ziegler (A) (Beifall bei der CDU/CSU) sende Jobs allein in Mecklenburg-Vorpommern, beinahe (C) alle, konnten dank der Kurzarbeiterregelungen bisher Peter Stein (Rostock) (CDU/CSU): erhalten werden. Darum beneidet uns nahezu die ganze Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Welt. Das ist ein riesiger Erfolg, der jedoch Grenzen hat, Wir haben auf eine historisch einzigartige Pandemiesi- und diese Grenzen sind nahe. tuation reagieren müssen; es blieb uns auch nichts ande- Wir brauchen vernünftige und regional abgestufte res übrig. Sehr viele sind sehr dankbar dafür, dass zu Strategien für die Öffnung von Tourismus und Einzel- Beginn der Pandemie mit dem Prinzip Gießkanne agiert handel. Die Bundesregierung hat dazu gestern einen klu- wurde. Das war richtig und wichtig. Jetzt ist es richtig, gen Perspektivplan aufgestellt. Wir müssen die Men- deutlich gezielter zu arbeiten. Das gelingt in vielen auf- schen wieder in ihre Beschäftigung zurückholen, gelegten Programmen recht gut. Jetzt gilt es, an den Stel- schnell und sicher. Die Impf- und Teststrategie hat zu len nachzubessern, wo es nicht gut funktioniert hat. Das Beginn gerumpelt, wie Minister Spahn es nannte; aber wird auch auf allen Ebenen – Bund, Länder und Kommu- jetzt laufen die Maßnahmen stark an, und zunehmend nen – gemacht. Vieles muss wesentlich schneller und läuft es auch rund. Testmöglichkeiten werden ausgewei- unbürokratischer erfolgen, als wir das gewohnt sind. tet. Es gibt technische Möglichkeiten, die auch dem Wir sollten den Kommunen dafür mehr Freiheiten geben. Datenschutz gerecht werden. Ich weise in diesem Zusam- Das sind unsere Profis vor Ort, wenn es ums Detail geht. menhang auf die Regionen hin, die die App Luca testen. Wir Abgeordnete hier im Parlament haben gezeigt, wie Rostock probiert sie aus, und die ersten Rückmeldungen schnell Demokratie sein kann, wenn es klemmt. Darauf sind positiv. Bei allen Abwägungen, die wir im Zusam- sollten wir immer wieder hinweisen. Wir sollten stolz menhang mit der Pandemie treffen müssen – und die die darauf sein, wie schnell wir agieren konnten. Die aktuel- Regierungen treffen mussten, an denen Sie von der Oppo- len Konjunkturdaten zeigen uns, dass wir bisher insge- sition, wie gesagt, in den Ländern beteiligt sind –, stelle samt gut durch die Krise gekommen sind, auch wegen der ich mir heute die Frage, ob wir die Rolle des Datenschut- Hilfen des Bundes. zes gegenüber dem Gesundheitsschutz und gegenüber Das Kurzarbeitergeld ist ein großer Teil dieser Erfolgs- dem Schutz der Wirtschaft nicht zu sehr unter ein Tabu geschichte. Sie von den Linken entwürdigen dies jetzt mit gestellt haben. einem Antrag auf nur einer Seite mit im Grunde nur Noch ein wichtiger Punkt zum Schluss. Bei der ganzen einem Satz. Debatte um Öffnungsstrategien störe ich mich sehr an (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Quatsch!) den Kategorien „Lockerer“ und „Bremser“. Es geht um Menschenleben, und, ja, es geht auch um das Überleben Von Ihnen liegt kein Gesetzentwurf vor, und es gibt kei- (B) der Wirtschaft. Niemand zögert etwas aus reinem Selbst- (D) nen Vorschlag zur Gegenfinanzierung oder zur genauen zweck hinaus. Es gibt nicht „Lockerer“ und „Bremser“; Ausgestaltung der Maßnahmen. Sie stellen lediglich die es gibt „Verantworter“. Dieser Staat, Deutschland, hat Systemfrage und reden von Konzernen, die natürlich wie- nicht versagt, die Gesellschaft hat nicht versagt, das Sys- der den Staat missbrauchen. Liebe linke Freunde, das tem hat nicht versagt. Nein! Es wurden Fehler gemacht – sind Vorschläge aus der Mottenkiste und passen über- ganz klar –, aber sehr vieles wurde auch gut und richtig haupt nicht in eine Krisenlage. gemacht. Und es wurde gelernt. Es kann niemand ein Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Versager sein, der sich seiner Aufgabe und Herausforde- allein in meinem Wahlkreis habe ich seit dem zweiten rung gestellt hat und Verantwortung trägt. Es kann nie- Lockdown im November mit mehr als 150 Unternehmer- mand ein Versager sein, der aus Fehlern gelernt hat. Feh- innen und Unternehmern gesprochen. Ich kenne deren ler und Verantwortung, Lösung und Zukunft haben in Sorgen, die sehr unterschiedlich sind. Sehr viele sind Deutschland ein gemeinsames Fundament: Demokratie, gut durch die Zeit gekommen. Was die jetzt nicht brau- Rechtsstaatlichkeit, Respekt, Würde und Anstand. Ich chen, sind ausschließlich pauschale Forderungen nach bin sehr froh, dass es in Deutschland Parlamente gibt, bürokratischer Entlastung. Bei den gewaltigen Summen, die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verteidigen. Ich die bereits geflossen sind und noch fließen werden, freue mich, dass die weiterhin übergroße Mehrheit unse- braucht es ein Mindestmaß an Regeln; das betont auch rer Bevölkerung denjenigen, die heute Verantwortung Ihr wahlkämpfender Ministerpräsident in Baden-Würt- tragen – im Gesundheitswesen, bei den Sicherheitskräf- temberg immer wieder. ten, in der Bildung, aber auch in Verwaltung und Politik –, Wir müssen ganz klar noch genauer hinschauen. Wir Respekt entgegenbringt und wir allein dadurch in Würde brauchen mehr branchenspezifische und regional abge- und Anstand gemeinsam durch diese schwerste Zeit hin- stufte Strategien. Wir brauchen auch Härtefalllösungen durchkommen werden. für die Bereiche der Wirtschaft, die in 2020 unverschul- Ein Satz zu den Ausführungen des Kollegen Sichert det durchs Raster gefallen sind. Damit können auch so- von der AfD sei mir noch gestattet. Ganz offen gesagt: ziale Härten abgefedert werden. Peter Altmaier hat einen Die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft mit Vorschlag gemacht. Nun sind die Bundesländer gefragt, der Belegung von Intensivplätzen in einen Zusammen- in denen Sie von der Opposition nahezu überall mitregie- hang zu stellen, ist würdelos, ist ohne Anstand. ren. Als Rostocker Abgeordneter denke ich besonders an (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der die Situation der Werften, der Zulieferer, der Kreuzfahrt- LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- branche und des Tourismussektors insgesamt. Viele Tau- NEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27085

Peter Stein (Rostock) (A) Sie betteln von diesem Pult aus darum, mehr als nur ein Schenkungsteuern und zur Beistandsleis- (C) Verdachtsfall zu werden. tung in Steuersachen (Deutsch-dänisches Steuerabkommen) Herzlichen Dank. Drucksache 19/26833 (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) ordneten der FDP und der LINKEN) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz c) Erste Beratung des von der Bundesregierung Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu Ich schließe die Aussprache. dem Übereinkommen Nr. 169 der Interna- Tagesordnungspunkte 11 a und 11 c. Interfraktionell tionalen Arbeitsorganisation vom 27. Juni wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 1989 über eingeborene und in Stämmen 19/27190 und 19/27194 an die in der Tagesordnung auf- lebende Völker in unabhängigen Ländern geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es weitere Drucksache 19/26834 Überweisungsvorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann Überweisungsvorschlag: verfahren wir wie vorgeschlagen. Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Tagesordnungspunkt 11 b. Wir kommen zur Be- Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe schlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und So- d) Erste Beratung des von der Bundesregierung ziales zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Titel: „Mindest-Kurzarbeitergeld zügig einführen“. Der Änderung des Versorgungsausgleichs- Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf rechts Drucksache 19/27273, den Antrag der Fraktion Die Linke Drucksache 19/26838 auf Drucksache 19/26526 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Fraktionen Überweisungsvorschlag: von SPD, CDU/CSU, FDP und AfD. Gegenprobe! – Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Fraktion Die Linke und Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. e) Erste Beratung des von der Bundesregierung Enthaltungen? – Sehe ich nicht. Die Beschlussempfeh- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur lung ist angenommen. Regelung des Erscheinungsbilds von Beamtinnen und Beamten sowie zur Ich rufe die Tagesordnungspunkte 33 a bis 33 s und Änderung weiterer dienstrechtlicher Vor- 21 c sowie die Zusatzpunkte 4 a bis 4 j auf. Es handelt (B) schriften (D) sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Drucksache 19/26839 Wir kommen zunächst zu den unstrittigen Überwei- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Inneres und Heimat (f) sungen. Tagesordnungspunkte 33 a bis 33 o sowie 33 q, Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz 33 r, Zusatzpunkte 4 a bis 4 f und 4 h bis 4 j sowie Verteidigungsausschuss Ausschuss Digitale Agenda Tagesordnungspunkt 21 c: Haushaltsausschuss 33 a) Erste Beratung des von den Abgeordneten f) Erste Beratung des von der Bundesregierung Luise Amtsberg, Filiz Polat, Margarete eingebrachten Entwurfs eines Vierten Bause, weiteren Abgeordneten und der Frak- Gesetzes zur Änderung des Seefischereige- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- setzes brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- rung des Gesetzes über den Aufenthalt, Drucksache 19/26840 die Erwerbstätigkeit und die Integration Überweisungsvorschlag: von Ausländern im Bundesgebiet (Aufent- Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) haltsgesetz – AufenthG) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz g) Erste Beratung des von der Bundesregierung Drucksache 19/27189 eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Überweisungsvorschlag: die statistische Erhebung der Zeitverwen- Ausschuss für Inneres und Heimat (f) Auswärtiger Ausschuss dung (Zeitverwendungserhebungsgesetz – Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ZVEG) b) Erste Beratung des von der Bundesregierung Drucksache 19/26935 eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu Überweisungsvorschlag: dem Protokoll vom 1. Oktober 2020 zur Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Änderung des Abkommens vom h) Erste Beratung des von der Bundesregierung 22. November 1995 zwischen der Bundes- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur republik Deutschland und dem König- Änderung des Medizinprodukterecht- reich Dänemark zur Vermeidung der Dop- Durchführungsgesetzes und weiterer pelbesteuerung bei den Steuern vom Gesetze Einkommen und Vermögen sowie bei Nachlass-, Erbschaft- und Drucksache 19/26942 27086 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Vizepräsidentin Dagmar Ziegler (A) Überweisungsvorschlag: Überweisungsvorschlag: (C) Ausschuss für Gesundheit (f) Haushaltsausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Inneres und Heimat Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe i) Erste Beratung des von der Bundesregierung Ausschuss für Kultur und Medien eingebrachten Entwurfs eines Ersten Geset- o) Beratung des Antrags der Abgeordneten zes zur Änderung des Strahlenschutzge- Albrecht Glaser, Peter Boehringer, Dr. Bruno setzes Hollnagel, weiterer Abgeordneter und der Drucksache 19/26943 Fraktion der AfD Überweisungsvorschlag: Next Generation EU ist unzulässig – Bun- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit desregierung muss EU-Verschuldung j) Erste Beratung des von der Bundesregierung stoppen eingebrachten Entwurfs eines Ersten Geset- Drucksache 19/27210 zes zur Änderung des Elektro- und Elekt- ronikgerätegesetzes Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss (f) Drucksache 19/26971 Finanzausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit q) Beratung des Antrags der Abgeordneten k) Beratung des Antrags des Bundesministe- Dr. h. c. Thomas Sattelberger, Jens Beeck, riums der Finanzen Katja Suding, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 2019 Verantwortung der außeruniversitären Forschungseinrichtungen für die Beschäf- – Haushalts- und Vermögensrechnung des tigung von Menschen mit Behinderungen Bundes für das Haushaltsjahr 2019 – einfordern Drucksache 19/21479 Drucksache 19/27175

Überweisungsvorschlag: Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- schätzung (f) l) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ausschuss für Arbeit und Soziales Dr. h. c. Thomas Sattelberger, Nicole Bauer, Haushaltsausschuss (B) (D) Katja Suding, weiterer Abgeordneter und der r) Beratung des Antrags der Abgeordneten Fraktion der FDP Oliver Luksic, Alexander Müller, Frank Gleichstellung in der Wissenschaft – Vor- Sitta, weiterer Abgeordneter und der Frak- gehensweise des Massachusetts Institute tion der FDP of Technology als Vorbild für das deutsche Rechtssicherheit bei Rohmessdaten schaf- Wissenschaftssystem fen Drucksache 19/23629 Drucksache 19/27110 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- Überweisungsvorschlag: schätzung (f) Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Inneres und Heimat Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz m) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Wieland Schinnenburg, Michael Theurer, ZP 4 a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter Dr. Marco Buschmann, Stephan Thomae, und der Fraktion der FDP Grigorios Aggelidis, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Ent- Verbesserung der Gesundheitsversorgung wurfs eines Gesetzes zur Stärkung der mit nicht verschreibungspflichtigen Arz- Kontrolle der Exekutive durch das Parla- neimitteln ment (Exekutivkontrollgesetz – Exekutiv- Drucksache 19/27051 kontrollG)

Überweisungsvorschlag: Drucksache 19/27182 Ausschuss für Gesundheit Überweisungsvorschlag: n) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsord- nung (f) Jürgen Braun, Waldemar Herdt, Tino Auswärtiger Ausschuss Chrupalla, weiterer Abgeordneter und der Ausschuss für Inneres und Heimat Fraktion der AfD Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Rehabilitierung der Opfer der sogenann- b) Erste Beratung des von den Abgeordneten ten Bodenreform 1945 bis 1949 in der Carina Konrad, Pascal Kober, Michael Sowjetischen Besatzungszone Theurer, weiteren Abgeordneten und der Drucksache 19/27201 Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27087

Vizepräsidentin Dagmar Ziegler (A) eines Gesetzes zur befristeten Wiederein- h) Beratung des Antrags der Abgeordneten (C) führung der 115-Tage-Regelung – Achtes Dr. Jürgen Martens, Stephan Thomae, Renata Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Alt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Sozialgesetzbuch der FDP Drucksache 19/27181 Haftungsprivileg im Ehrenamt anpassen Überweisungsvorschlag: Drucksache 19/27187 Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Ausschuss für Inneres und Heimat Kai Gehring, Dr. Anna Christmann, Margit Finanzausschuss Stumpp, weiteren Abgeordneten und der i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein- Frank Schäffler, Christian Dürr, Dr. Florian gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Toncar, weiterer Abgeordneter und der Frak- weiteren Unterstützung der Wissenschaft tion der FDP aufgrund anhaltender COVID-19-Pande- mie Vertrauen in Bundesministerien und Drucksache 19/27188 Behörden stärken – Insiderhandel wirk- sam unterbinden Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- Drucksache 19/27186 schätzung (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Stefan Schmidt, Corinna Rüffer, Markus Ausschuss für Wirtschaft und Energie Tressel, weiterer Abgeordneter und der Frak- j) Beratung des Antrags der Abgeordneten tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Benjamin Strasser, Manuel Höferlin, Reisen für alle ermöglichen – Barrierefrei- Stephan Thomae, weiterer Abgeordneter heit im Tourismus zum Standard machen und der Fraktion der FDP Drucksache 19/17132 Smart Police – Digitalisierung der deut- schen Polizei anschieben Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Tourismus (f) Drucksache 19/27172 (B) Sportausschuss (D) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Inneres und Heimat (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss Digitale Agenda Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Kultur und Medien Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen 21 c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Haushaltsausschuss Peter Felser, Franziska Gminder, Wilhelm e) Beratung des Antrags der Abgeordneten von Gottberg, weiterer Abgeordneter und Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar), der Fraktion der AfD Gyde Jensen, Katja Suding, weiterer Abge- Wald mit Wild – Fachlich fundiertes Mit- ordneter und der Fraktion der FDP einander zwischen Förstern und Jägern Freiheit von Forschung und Lehre schüt- Drucksache 19/27205 zen − Kooperationen mit Chinas Konfu- zius−Instituten an deutschen Hochschulen Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) beenden Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Drucksache 19/27109 Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an Überweisungsvorschlag: die in der Tagesordnungsordnung aufgeführten Aus- Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- schüsse zu überweisen. Gibt es weitere Überweisungs- schätzung (f) Auswärtiger Ausschuss vorschläge? – Das sehe ich nicht. Dann verfahren wir Ausschuss für Inneres und Heimat wie vorgeschlagen. f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wir kommen nun zu drei Überweisungen, bei denen Bernd Reuther, Frank Sitta, Torsten Herbst, die Federführung strittig ist. weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Tagesordnungspunkt 33 p: Lehren aus Havarien ziehen − Die deut- Beratung des Antrags der Abgeordneten Thomas sche Bucht besser schützen Hacker, Katja Suding, Grigorios Aggelidis, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Drucksache 19/27121 Serious Games – Zukunfts-Bausteine für einen Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) digitalen Bildungs- und Wirtschaftsstandort Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Drucksache 19/27050 27088 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Vizepräsidentin Dagmar Ziegler (A) Überweisungsvorschlag: Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor- (C) Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) schlag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD, also Ausschuss für Kultur und Medien (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Federführung beim Ausschuss für Verkehr und digitale Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Infrastruktur. Wer stimmt für diesen Überweisungsvor- Ausschuss Digitale Agenda Haushaltsausschuss schlag? – Das sind die Fraktionen der SPD, der CDU/ Federführung strittig CSU, der FDP und der AfD. Gibt es Gegenstimmen? – Interfraktionell wird Überweisung des Antrags der Das sind die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Fraktion der FDP auf Drucksache 19/27050 mit dem Titel Grünen. Gibt es Enthaltungen? – Das sehe ich nicht. Der „Serious Games – Zukunfts-Bausteine für einen digitalen Überweisungsvorschlag ist angenommen. Bildungs- und Wirtschaftsstandort“ an die in der Tages- Zusatzpunkt 4 g: ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Federfüh- Beratung des Antrags der Abgeordneten Gyde rung beim Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruk- Jensen, Nicole Bauer, Alexander Graf tur. Die Fraktion der FDP wünscht Federführung beim Lambsdorff, weiterer Abgeordneter und der Frak- Ausschuss für Kultur und Medien. tion der FDP Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungsvor- Frauenrechte im digitalen Raum schützen und schlag der Fraktion der FDP. Wer stimmt für diesen Über- geschlechterspezifische digitale Straftaten weisungsvorschlag? – Das sind die Fraktion der FDP, die stärker bekämpfen Fraktion Die Linke, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Drucksache 19/27185 Wer stimmt dagegen? – Fraktionen der SPD, der CDU/ CSU und der AfD. Enthaltungen? – Sehe ich nicht. Der Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Überweisungsvorschlag ist abgelehnt. Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f) Auswärtiger Ausschuss Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend schlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, also Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss Digitale Agenda Federführung beim Ausschuss für Verkehr und digitale Federführung strittig Infrastruktur. Wer stimmt für diesen Überweisungsvor- schlag? – Fraktion der SPD, Fraktion der CDU/CSU Interfraktionell wird Überweisung des Antrags der und der AfD. Wer stimmt dagegen? – Fraktion Die Linke, Fraktion der FDP auf Drucksache 19/27185 mit dem Titel Bündnis 90/Die Grünen und FDP. Wer enthält sich? – „Frauenrechte im digitalen Raum schützen und Sehe ich nicht. Der Überweisungsvorschlag ist damit geschlechterspezifische digitale Straftaten stärker angenommen. bekämpfen“ an die in der Tagesordnung aufgeführten (B) Ausschüsse vorgeschlagen. Die Fraktionen der CDU/ (D) Tagesordnungspunkt 33 s: CSU und SPD wünschen Federführung beim Ausschuss Beratung des Antrags der Abgeordneten Ralph für Recht und Verbraucherschutz. Die Fraktion der FDP Lenkert, Anke Domscheit-Berg, Dr. Petra Sitte, wünscht Federführung beim Ausschuss für Menschen- weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE rechte und humanitäre Hilfe. LINKE Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungsvor- Recht auf schnelles Internet für alle schlag der Fraktion der FDP. Wer stimmt für diesen Über- Drucksache 19/27192 weisungsvorschlag? – Das sind die Fraktionen der FDP und des Bündnisses 90/Die Grünen. Wer stimmt dage- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) gen? – Das sind die Fraktionen der Linken, der SPD, Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) der CDU/CSU und der AfD. Gibt es Enthaltungen? – Ausschuss für Inneres und Heimat Das sehe ich nicht. Der Überweisungsvorschlag ist abge- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union lehnt. Ausschuss Digitale Agenda Haushaltsausschuss Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor- Federführung strittig schlag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD, also Der Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache Federführung beim Ausschuss für Recht und Verbrau- 19/27192 mit dem Titel „Recht auf schnelles Internet cherschutz. Wer stimmt für diesen Vorschlag? – Das für alle“ soll an die in der Tagesordnung aufgeführten sind die Fraktionen Die Linke, der SPD, der CDU/CSU Ausschüsse überwiesen werden. Die Fraktionen der und der AfD. Wer stimmt dagegen? – Die Fraktionen des CDU/CSU und SPD wünschen Federführung beim Aus- Bündnisses 90/Die Grünen und der FDP. Gibt es Ent- schuss für Verkehr und digitale Infrastruktur. Die Frak- haltungen? – Das sehe ich nicht. Der Überweisungsvor- tion Die Linke wünscht Federführung beim Ausschuss schlag ist angenommen. für Wirtschaft und Energie. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 34 a bis 34 r auf. Es Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungsvor- handelt sich um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu schlag der Fraktion Die Linke. Wer stimmt für diesen denen keine Aussprache vorgesehen ist. Überweisungsvorschlag? – Das sind die Fraktionen Die Zu dem TOP 34 o liegt eine Erklärung nach § 31 der Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Gegenprobe! – Die 1) Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, der FDP und der Geschäftsordnung des Bundestages vor. AfD. Gibt es Enthaltungen? – Das sehe ich nicht. Der Überweisungsvorschlag ist abgelehnt. 1) Anlage 6 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27089

Vizepräsidentin Dagmar Ziegler (A) Tagesordnungspunkt 34 a: Tagesordnungspunkte 34 c bis 34 r. Wir kommen zu (C) Beratung der Beschlussempfehlung und des den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Berichts des Ausschusses für Gesundheit Tagesordnungspunkt 34 c: (14. Ausschuss) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- – zu dem Antrag der Abgeordneten tionsausschusses (2. Ausschuss) Dr. Wieland Schinnenburg, Michael Theurer, Sammelübersicht 806 zu Petitionen Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Drucksache 19/26946 Allergien und Unverträglichkeiten wirk- Es handelt sich um 138 Petitionen. Wer stimmt dafür? – sam vorbeugen und Therapien und Auf- Ich sehe das als einstimmig an. Gegenprobe! – Keine klärung verbessern Gegenstimme. Enthaltungen? – Auch nicht. Damit ist die Sammelübersicht 806 einstimmig angenommen. – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Bettina Hoffmann, Dr. Kirsten Kappert-Gonther, Tagesordnungspunkt 34 d: Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordne- Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE tionsausschusses (2. Ausschuss) GRÜNEN Sammelübersicht 807 zu Petitionen Die hohe individuelle und gesellschaftliche Drucksache 19/26947 Belastung durch Allergien mit einem Aktionsprogramm reduzieren und die Es handelt sich um 106 Petitionen. Wer stimmt dafür? – Versorgungssituation der Allergikerinnen Auch hier sehe ich Einstimmigkeit. Gegenprobe! – Ent- und Allergiker verbessern haltungen? – Damit ist die Sammelübersicht 807 ange- nommen. Drucksachen 19/24373, 19/19865, 19/27036 Tagesordnungspunkt 34 e: Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be- schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak- Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- tion der FDP auf Drucksache 19/24373 mit dem Titel tionsausschusses (2. Ausschuss) „Allergien und Unverträglichkeiten wirksam vorbeugen Sammelübersicht 808 zu Petitionen und Therapien und Aufklärung verbessern“. Wer stimmt Drucksache 19/26948 für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Fraktio- (B) nen der SPD, der CDU/CSU und der AfD. Gegenprobe! – Es handelt sich um 64 Petitionen. Wer stimmt dafür? – (D) Die Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und FDP. Gibt es Gegenprobe! – Enthaltungen? – Damit ist die Sammel- Enthaltungen? – Das ist die Fraktion Die Linke. Die Be- übersicht 808 einstimmig angenommen. schlussempfehlung ist angenommen. Tagesordnungspunkt 34 f: Noch zum Tagesordnungspunkt 34 a. Schließlich emp- Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- fiehlt der Ausschuss unter Buchstabe b seiner Beschluss- tionsausschusses (2. Ausschuss) empfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/19865 mit Sammelübersicht 809 zu Petitionen dem Titel „Die hohe individuelle und gesellschaftliche Drucksache 19/26949 Belastung durch Allergien mit einem Aktionsprogramm Es handelt sich um 25 Petitionen. Wer stimmt dafür? – reduzieren und die Versorgungssituation der Allergiker- Das sind die Fraktionen von SPD, CDU/CSU, FDP und innen und Allergiker verbessern“. Wer stimmt für diese AfD. Wer stimmt dagegen? – Das ist die Fraktion Die Beschlussempfehlung? – Die Fraktionen von SPD, CDU/ Linke. Gibt es Enthaltungen? – Bündnis 90/Die Grünen. CSU und AfD. Gegenprobe! – Die Fraktion Bündnis 90/ Die Sammelübersicht 809 ist damit angenommen. Die Grünen. Enthaltungen? – Die Fraktionen Die Linke und der FDP. Die Beschlussempfehlung ist damit ange- Tagesordnungspunkt 34 g: nommen. Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Tagesordnungspunkt 34 b: tionsausschusses (2. Ausschuss) Beratung der Beschlussempfehlung des Aus- Sammelübersicht 810 zu Petitionen schusses für Recht und Verbraucherschutz Drucksache 19/26950 (6. Ausschuss) Das sind 13 Petitionen. Wer stimmt dafür? – Das sind Übersicht 10 die Fraktionen Die Linke, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, über die dem Deutschen Bundestag zugeleite- CDU/CSU und FDP. Wer stimmt dagegen? – Das ist die ten Streitsachen vor dem Bundesverfassungs- Fraktion der AfD. Gibt es Enthaltungen? – Das sehe ich gericht nicht. Damit ist die Sammelübersicht 810 angenommen. Drucksache 19/27247 Tagesordnungspunkt 34 h: Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das ist Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- das gesamte Haus. Gegenprobe! – Stimmenthaltungen? – tionsausschusses (2. Ausschuss) Dann ist das einstimmig angenommen. Sammelübersicht 811 zu Petitionen 27090 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Vizepräsidentin Dagmar Ziegler (A) Drucksache 19/26951 Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: (C) Das ist eine Petition. Wer stimmt dafür? – Die Fraktio- Herzlichen Dank. – Dann kommen wir jetzt zur nen der SPD, der CDU/CSU und der FDP. Wer stimmt Abstimmung über die Sammelübersicht 812 auf Druck- dagegen? – Die Fraktionen Die Linke und der AfD. Gibt sache 19/26952. Wer stimmt dafür? – Gegenprobe! – Ich es Enthaltungen? – Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Die sehe keine Gegenstimmen. Enthaltungen? – Sehe ich Sammelübersicht 811 ist damit angenommen. auch nicht. Damit ist die Sammelübersicht 812 einstim- mig angenommen. Tagesordnungspunkt 34 i: Tagesordnungspunkt 34 j: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuss) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 812 zu Petitionen Sammelübersicht 813 zu Petitionen Drucksache 19/26952 Drucksache 19/26953 Das ist eine Petition. Wir kommen vor der Abstimmung über die Sammel- Das sind vier Petitionen. Wer stimmt dafür? – Das sind übersicht zur Wortmeldung des Kollegen Loos zur die Fraktionen Die Linke, SPD, CDU/CSU, AfD und ergänzenden Berichterstattung. – Bitte sehr. FDP. Wer stimmt dagegen? – Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich? – Das sehe ich nicht. Damit ist die Sammelübersicht 813 angenommen. Bernhard Loos (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Tagesordnungspunkt 34 k: Kollegen! Der Petitionsausschuss hat in seiner Sitzung Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- vom 24. Februar 2021 einstimmig beschlossen, eine Peti- tionsausschusses (2. Ausschuss) tion, in der eine verbesserte steuerliche Absetzbarkeit von Werbungskosten und Betriebsausgaben im Zusammen- Sammelübersicht 814 zu Petitionen hang mit dem Übungsleiterfreibetrag gefordert wird, an Drucksache 19/26954 die Bundesregierung zur Berücksichtigung zu überwei- sen. Das ist eine Petition. Wer stimmt dafür? – Die Fraktio- nen SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU, FDP und In der Praxis können Betriebsausgaben und Werbungs- AfD. Wer stimmt dagegen? – Die Fraktion Die Linke. kosten aus ehrenamtlicher Tätigkeit nur dann geltend Enthaltungen? – Sehe ich nicht. Damit ist die Sammel- gemacht werden, wenn sowohl die Einnahmen als auch übersicht 814 angenommen. (B) die Ausgaben über dem Übungsleiterfreibetrag bzw. der (D) Ehrenamtspauschale liegen. Ein konkretes Beispiel zur Tagesordnungspunkt 34 l: Verdeutlichung: Reise- und Übernachtungskosten eines Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Jugendtrainers von rund 4 000 Euro können bei Einnah- tionsausschusses (2. Ausschuss) men von 1 500 Euro nicht abgesetzt werden. Hätte er aber Einnahmen von 3 000 Euro, könnte er 1 000 Euro steuer- Sammelübersicht 815 zu Petitionen lich geltend machen. Dies ist eine paradoxe Wirkung, die Drucksache 19/26955 nicht richtig ist. Das ist eine Petition. Wer stimmt dafür? – Die Fraktio- Am 20. November 2018 hat der Bundesfinanzhof be- nen Die Linke, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU reits in einem Einzelfall entschieden, dass ehrenamtlich und FDP. Wer stimmt dagegen? – Das ist die Fraktion der Tätige, die steuerfreie Einnahmen auch unterhalb des AfD. Gibt es Enthaltungen? – Sehe ich nicht. Damit ist sogenannten Übungsleiterfreibetrages erzielen, die damit die Sammelübersicht 815 angenommen. zusammenhängenden Aufwendungen auch in dem Fall Tagesordnungspunkt 34 m: abziehen können, wenn diese die Einnahmen übersteigen. Voraussetzung dafür ist eine Einkünfteerzielungsabsicht, Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- also keine Liebhaberei. Diese Einzelfallentscheidung des tionsausschusses (2. Ausschuss) Bundesfinanzhofes muss in einer entsprechenden Präzi- Sammelübersicht 816 zu Petitionen sierung der Lohnsteuerrichtlinien nun rasch ihren Nieder- schlag finden. Drucksache 19/26956 Wir wollen Klarheit für 31 Millionen Menschen, die Es handelt sich um 16 Petitionen. Wer stimmt dafür? – sich in ihrer Freizeit für das Gemeinwohl einsetzen und Die Fraktionen SPD, CDU/CSU, FDP und AfD. Wer dafür neben ihrer Freizeit oft auch finanzielle Opfer brin- stimmt dagegen? – Die Fraktionen Die Linke und Bünd- gen. Wir wollen mit unserem einstimmigen Votum auch nis 90/Die Grünen. Gibt es Enthaltungen? – Das sehe ich unterstreichen, dass wir das Ehrenamt in besonderer nicht. Die Sammelübersicht 816 ist damit angenommen. Weise schützen und fördern wollen, um den Zusammen- Tagesordnungspunkt 34 n: halt in der Gesellschaft weiter zu stärken. Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. tionsausschusses (2. Ausschuss) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Sammelübersicht 817 zu Petitionen SPD, der AfD, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Drucksache 19/26957 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27091

Vizepräsidentin Dagmar Ziegler (A) Das betrifft zwei Petitionen. Wer stimmt dafür? – Die Ich eröffne die Aussprache. Das Wort geht an Bundes- (C) Fraktionen Die Linke, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, minister Heiko Maas. CDU/CSU. Wer stimmt dagegen? – FDP und AfD. Gibt (Beifall bei der SPD) es Enthaltungen? – Das sehe ich nicht. Damit ist die Sammelübersicht 817 angenommen. Heiko Maas, Bundesminister des Auswärtigen: Tagesordnungspunkt 34 o: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Damen und Herren! Wer wissen will, was derzeit in tionsausschusses (2. Ausschuss) Myanmar passiert, der muss nur in die sozialen Netz- werke gehen. Die Bilder dort sind wirklich erschütternd: Sammelübersicht 818 zu Petitionen Frauen flehen weinend um Hilfe angesichts der Brutalität Drucksache 19/26958 des Militärs. Kampfjets kreisen über friedlichen Demon- stranten, und Menschen verbluten auf offener Straße – Es handelt sich um 20 Petitionen. Wer stimmt dafür? – erschossen, weil sie für Demokratie protestiert haben. Das sind die Fraktionen von SPD, CDU/CSU und AfD. Erst gestern kamen Dutzende Menschen, Dutzende De- Wer stimmt dagegen? – Fraktion Die Linke, Bündnis 90/ monstranten, zu Tode. Die Grünen und FDP. Gibt es Enthaltungen? – Das sehe ich nicht. Die Sammelübersicht 818 ist damit angenom- Noch im November des letzten Jahres waren diese men. Menschen voller Hoffnung zu den Wahlurnen gegangen. Mitten in der Coronakrise lag die Wahlbeteiligung in Tagesordnungspunkt 34 p: Myanmar bei 72 Prozent. Mit überwältigender Mehrheit Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- haben die Wählerinnen und Wähler ihrer De-facto-Regie- tionsausschusses (2. Ausschuss) rungschefin Aung San Suu Kyi erneut das Vertrauen aus- Sammelübersicht 819 zu Petitionen gesprochen, und die Militärpartei hat eine deftige Nieder- lage erlitten. Internationale Wahlbeobachter haben Drucksache 19/26959 bestätigt, dass die Wahlen grundsätzlich frei und fair Das sind drei Petitionen. Wer stimmt dafür? – Die gewesen sind. Damit war eigentlich der Weg frei für die Fraktionen der SPD, der CDU/CSU und der FDP. Gibt Fortsetzung eines sicherlich schwierigen Demokratisie- es Gegenstimmen? – Fraktionen Die Linke, Bündnis 90/ rungsprozesses, den Deutschland und die Europäische Die Grünen und AfD. Enthaltungen? – Sehe ich keine. Union nach besten Kräften unterstützt haben. Damit ist die Sammelübersicht 819 angenommen. Doch dann kam der 1. Februar und der Versuch des Tagesordnungspunkt 34 q: Militärs, die Uhr noch einmal zurückzudrehen. Die Fra- (B) ge, um die es nicht nur in Deutschland, sondern in vielen (D) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Teilen der Welt geht, ist: Was können wir jetzt tun? Dabei tionsausschusses (2. Ausschuss) sind nach unserer Auffassung drei Dinge entscheidend. Sammelübersicht 820 zu Petitionen Erstens: Das, was wir hier und heute im Deutschen Drucksache 19/26960 Bundestag tun, nämlich klar und deutlich zu machen, dass wir einen Putsch nicht und niemals akzeptieren wer- Wer stimmt dafür? – Das sind die Fraktionen von SPD, den. Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU. Wer stimmt dage- gen? – Das sind die Fraktionen Die Linke, der FDP und (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ der AfD. Gibt es Enthaltungen? – Die sehe ich nicht. DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Damit ist die Sammelübersicht 820 angenommen. CDU/CSU] – Stephan Brandner [AfD]: So wie in Thüringen!) Tagesordnungspunkt 34 r: Es ist deshalb ein wichtiges Zeichen gewesen, dass der Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Präsident des Bundestages den gewählten Abgeordneten tionsausschusses (2. Ausschuss) in Myanmar Anfang der Woche im Namen unseres gan- Sammelübersicht 821 zu Petitionen zen Hauses Solidarität und Unterstützung zugesichert hat. Drucksache 19/26961 (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Wer stimmt dafür? – Fraktionen von SPD und CDU/ FDP) CSU. Wer stimmt dagegen? – Fraktionen Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und AfD. Gibt es Enthal- Die sofortige Freilassung aller politischen Gefangenen tungen? – Das sehe ich nicht. Damit ist die Sammelüber- und eine Rückkehr zu den demokratisch legitimierten sicht 821 angenommen. Institutionen muss unsere gemeinsame Forderung sein. Ich rufe den Zusatzpunkt 11 auf: (Beifall bei der SPD) Aktuelle Stunde Die Europäische Union und die G 7 haben sich auch auf unsere Initiative hin entsprechend klar geäußert. Aber auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und auch der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, und zwar SPD mit und Russland, hat unsere zentralen Forderun- Weitere Eskalation der Gewalt in Myanmar gen unterstützt. Diese internationale Geschlossenheit, die stoppen und demokratische Rechte wiederher- in zurzeit so vielen Krisendossiers nicht mehr vorhanden stellen ist, ist gerade in diesem Fall unser größtes Pfund, wenn es 27092 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Bundesminister Heiko Maas (A) darum geht, die Militärs zum Einlenken zu bringen. Doch Facebook kann man abschalten, doch die Stimmen der (C) auch hier gilt: Worte alleine reichen nicht aus, wenn Demonstrierenden bringt man damit nicht zum Verstum- gleichzeitig in Rangun und in anderen Städten auf men. Sie suchen sich einfach andere Plattformen, so wie unschuldige Zivilisten geschossen wird. es die jungen Menschen in Myanmar gerade jetzt mit großem Mut und auch mit großer Kreativität tun. Protest- Deshalb haben wir – zweitens – im Februar schon beim ierende kann man wegsperren, aber nie ein ganzes Volk. Außenministerrat der Europäischen Union den Weg für gezielte Sanktionen freigemacht, die wir jetzt zeitnah (Stephan Brandner [AfD]: Wie in Deutsch- beschließen können. Dabei zielen wir ganz bewusst auf land!) die Entscheidungsträger des Militärs. Auch weitere Optionen, wie etwa die Listung von Wirtschaftsbetrieben Die Militärs in Myanmar mögen versuchen, das Rad des Militärs, liegen bereits auf dem Tisch und können in der Geschichte zurückzudrehen, doch die Menschen in Kürze ergriffen werden. Dabei muss uns allen eines ganz Myanmar wollen kein Déjà-vu der überwundenen Mili- besonders wichtig sein: dass es sich nämlich ausschließ- tärdiktatur; denn sie haben Frieden und Demokratie lich um Maßnahmen handelt, die eben nicht die Bevöl- schon einmal erlebt. „Das einzig wirkliche Gefängnis kerung treffen, die ohnehin schon unter der gegenwärti- ist die Angst“, hat Aung San Suu Kyi bereits vor einigen gen Lage leidet. Jahren geschrieben. Dieses Gefängnis haben die Men- schen in Myanmar längst verlassen, und sie sollten uns Deshalb, meine Damen und Herren, stehen wir – drit- an ihrer Seite wissen. tens – von Beginn an eng im Austausch mit unseren inter- nationalen, vor allen Dingen auch unseren regionalen Vielen Dank. Partnern, um die Lage in Myanmar diplomatisch zu ent- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, schärfen. Dabei ist es unser Ziel – und nicht nur unseres –, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Raum für einen notwendigen Dialog zu schaffen, den es GRÜNEN) bisher noch nicht gibt. Deshalb suchen wir dabei insbe- sondere den Schulterschluss mit den USA, mit Kanada, mit Japan und mit Australien. Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Vielen Dank. – Der Kollege Brandner von der AfD- Vor allem aber setzen wir auf ASEAN; denn der Fraktion hat eine Äußerung getätigt, die ich im Vorpro- Schlüssel zum Dialog und auch zu nachhaltigen Lösun- tokoll prüfen lassen werde, um dann eine Ordnungsmaß- gen liegt in der Region. Mit Singapur, Indonesien, dem nahme zu überprüfen. – Vielen Dank. aktuellen Vorsitz Brunei und anderen stimmen wir uns zurzeit eng über das weitere Vorgehen ab. Dass am Diens- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der (B) tag ein Treffen der ASEAN-Außenminister zu Myanmar SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜND- (D) stattgefunden hat, an dem auch Vertreter des Militärs teil- NISSES 90/DIE GRÜNEN) genommen haben, war ein wichtiger Schritt. Das Wort geht an Jürgen Braun von der AfD-Fraktion. Alle, die sich in der Region etwas auskennen, wissen, dass wegen des Nichteinmischungsgebotes, das ein (Beifall bei der AfD) Grundprinzip von ASEAN ist, dies alles keine Selbstver- ständlichkeit gewesen ist. Aber auch den ASEAN-Part- Jürgen Braun (AfD): nern ist längst klar, dass der Putsch in Myanmar ein Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- Rückschritt für ganz ASEAN ist. Mehr noch: Er birgt ren! Liebe Kollegen! eine echte Gefahr für Stabilität und für Wohlstand in einer Region, die wie kaum eine andere im Fokus des ameri- Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: kanisch-chinesischen Ringens um Einfluss steht. Auch Das heißt „Frau Präsidentin“! Benehmen Sie das erklärt, warum sich Länder wie Singapur und Indone- sich mal!) sien mit sehr klaren Worten an das myanmarische Militär – Generisches Maskulinum. gewendet haben. Auch das ist alles andere als selbstver- ständlich in dieser Region. (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Den Schlüssel zur Diplomatie, der insbesondere in den Es ist alles in Ordnung. Händen der UN-Sondergesandten Schraner Burgener liegt, die bereits seit der Rohingya-Krise über Zugänge (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: zu allen Seiten verfügt, müssen wir ebenfalls nutzen. Nein! Es heißt „Frau Präsidentin“! Deshalb unterstützen wir ihr Engagement nachdrücklich. Es ist alles deutsche Sprache. Liebe Kollegen, wenn Sie Wir fordern auch dazu auf, dass es endlich möglich sein nervös werden, dann merke ich: Irgendwie scheine ich muss, Gespräche in Myanmar zu führen, einschließlich einen Nerv bei Ihnen zu treffen, dass Sie mit deutscher eines persönlichen Gesprächs mit Aung San Suu Kyi. Sprache ein Problem haben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der AfD – Lachen bei Abgeordne- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE CDU/CSU und der FDP) GRÜNEN – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/ Liebe Kolleginnen und Kollegen, demokratisch DIE GRÜNEN]: Und Sie haben mit Frauen gewählte Politiker kann man unter Hausarrest stellen, ein Riesenproblem! Sie kommen mit Frauen aber dadurch wird eine Militärdiktatur nicht legitim. nicht klar, das ist Ihr Ding!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27093

Jürgen Braun (A) Das muss man einmal ganz deutlich feststellen. Die deut- geschwächt. Und nun ist sie da, eine linke Militärdiktatur, (C) sche Sprache bietet viele Möglichkeiten, und ich wähle eine kommunistische Diktatur unter enger Bindung an die richtige. die kommunistische Führung in Peking. Die versammel- ten Altparteien hier im Bundestag müssen sich fragen In Myanmar hat sich das Militär zurück an die Macht lassen, wie viel Verantwortung sie an diesem Blutvergie- geputscht. Demonstrationen werden gnadenlos niederge- ßen tragen. prügelt, 38 Tote allein heute gemeldet, viele Schwer- und Schwerstverletzte – eine bedrückende Situation für die (Beifall bei der AfD) Menschen in Myanmar, dem früheren Birma. Eine mögliche Lösung für Myanmar könnte in der Die große Mehrheit des Volkes unterstützt Aung San Politik der ASEAN-Staaten liegen; da bin ich ausnahms- Suu Kyi. In Myanmar konnte ich selbst erleben, als ich weise mit Herrn Maas einer Meinung. Die südostasiati- privat mehrere Wochen dort war, wie das geht. Händler schen Staaten versuchen, den Konflikt in Myanmar zu und Handwerker in Rangun, Restaurantpächter und befrieden; denn sie haben ein Interesse daran, dass Myan- Fischer am Inle-See, Lehrer und Arbeiter in Neu Bagan – mar ein starker Partner bleibt -gegen den chinesischen ich sprach mit Menschen aus ganz unterschiedlichen so- Einfluss, also auch gegen das kommunistische Militär. zialen Schichten. Eine beeindruckende Mehrheit unter- Dort liegt die Lösung, nicht in den grün-linken Ansprü- stützt Suu Kyi. Die meisten haben Bilder von ihr in den chen, die unrealistisch und unerfüllbar sind. Wohnungen, am Arbeitsplatz. Sie ist die legitime Regie- rungschefin. Ganz deutlich war das zu spüren – bei den Die AfD ist die einzige Fraktion, die konsequent und Menschen im Land, nicht in einer Parteizentrale, nicht bei trotzdem nicht unkritisch zur Friedensnobelpreisträgerin einer deutschen Stiftung, nicht bei einer NGO, sondern Suu Kyi steht. Auch Aung San Suu Kyi kann keine Wun- bei den normalen Menschen in Birma oder Myanmar. der bewirken, aber ihr Staatsvolk erkennt ihre Politik mehrheitlich an. Die linken Regierungen Europas haben Aung San Suu Kyi hat eine starke Stellung im Volk. Sie diese Frau im Stich gelassen, die Vereinten Nationen ist die Tochter des Freiheitshelden Aung San, und sie hat haben sie im Stich gelassen, die Bundesregierung hat sich einen eigenen Ruf als Freiheitsheldin erworben – sie im Stich gelassen. jahrelanger Hausarrest, schon damals unter einer linken Militärdiktatur. Wäre es anders, hätte sich das Militär nicht getraut, die Hand an das zarte Pflänzchen der Demokratie in Birma zu (Margarete Bause [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- legen. Aber die Friedensnobelpreisträgerin Aung San NEN]: Einer „linken Militärdiktatur“?) Suu Kyi wurde alleingelassen. Sie ist und bleibt die Hoff- Ihren Friedensnobelpreis, 1991 ausdrücklich für ihren nung aller Demokraten. Wir, die AfD-Fraktion, stehen an (B) Einsatz für die Menschenrechte verliehen, konnte sie der Seite der friedlichen Demokraten in Myanmar. (D) nicht persönlich in Empfang nehmen – Hausarrest, Reise- (Beifall bei der AfD) verbot. Was war sie damals für ein Idol, auch für die Altpar- Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: teien, und wie ist sie in den letzten Jahren von den Alt- Das Wort geht an Markus Koob für die CDU/CSU- parteien verlassen worden! Die demokratisch legitimierte Fraktion. Wahlsiegerin in Birma wurde aus dem Ausland mit Erwartungen überfrachtet, die niemand, absolut niemand (Beifall bei der CDU/CSU) erfüllen kann. Typisch für Grüne und Linksgrüne: von allen anderen übermenschliche Leistungen erwarten, Markus Koob (CDU/CSU): aber selbst nichts leisten. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Beifall bei der AfD) Nach dieser Rede bräuchte man eigentlich etwas deutlich Härteres als Wasser zum Einstieg in die Rede, Im Vielvölkerstaat Birma regieren, in erzwungener Kooperation mit dem kommunistischen Militär, das ist (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der hochkompliziert. In Birma regieren ist nicht so einfach FDP) wie in Prenzlauer Berg, Berlin-Mitte oder München- aber da das nicht zur Verfügung steht, kommen wir viel- Schwabing: bei Latte Macchiato und Prosecco einmal leicht einmal wieder zum Thema zurück und reden hier eben kurz die Welt retten. Aber linker Hypermoral ist nicht über linke Fantasien, sondern über die Lage in das ja egal. Myanmar. Die Altparteien und die Bundesregierung verkennen (Stephan Brandner [AfD]: Bleiben Sie mal die Realitäten der Welt. Gemeinsam mit anderen linken ganz nüchtern, Herr Koob!) Regierungen wollten sie Aung San Suu Kyi und ihre Regierung zwingen, einmal eben mehr als 1 Million Ben- – Ich bin total nüchtern, keine Sorge. galen einzubürgern, Menschen, die nicht zum Staatsvolk (Ulli Nissen [SPD], an den Abg. Stephan gehören, Menschen, deren Familien oft nicht aus Birma Brandner [AfD] gewandt: Die Frage ist, ob stammen, die künstlich zu Staatsbürgern gemacht werden Sie nüchtern sind!) sollen. Das dazugehörige diplomatische Sperrfeuer wur- de vom islamischen Staatenblock in den Vereinten Natio- Die Bilder, die wir aus Myanmar in den letzten Tagen nen eifrig geschürt, und die Bundesregierung hat mitge- erleben und sehen, sind zutiefst dramatisch, und sie eska- macht. Das hat die legitime birmanische Regierung lieren immer weiter. Die Anzahl der Toten steigt, und das 27094 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Markus Koob (A) Militär geht mit immer größerer und unbarmherzigerer kammerversammlung. Die dort gefundenen Worte sind (C) Härte gegen die Demonstrantinnen und Demonstranten klar in der Verurteilung und in der Solidarität, und ich vor. kann mich diesem Appell uneingeschränkt anschließen.

Wir haben hier im Bundestag schon öfter zu Myanmar (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- gesprochen, zu kritischen Dingen – das ist auch vorhin neten der SPD, der FDP und des BÜNDNIS- schon angesprochen worden –, zur Lage der Rohingyas in SES 90/DIE GRÜNEN) Myanmar, woran wir zu Recht sehr stark Kritik geübt haben. Aber nichtsdestotrotz, so muss man sagen, haben Aber es ist auch unsere Aufgabe als Parlament und wir in Myanmar in den letzten Jahren eine hoffnungsvolle auch im Auswärtigen Ausschuss, über die eigentlichen Demokratisierung erlebt. Diese hoffnungsvolle Demo- Grenzen Myanmars hinaus die Rolle Chinas in diesem kratisierung hat im Februar ein Ende gefunden. Der Mili- Konflikt in den Blick zu nehmen. Der Oberbefehlshaber tärputsch, den wir jetzt sehen, verursacht bei uns ein trau- der Militärs in Myanmar und Chinas Außenminister riges Déjà-vu; denn in Myanmar gab es nicht zum ersten Wang Yi kamen noch drei Wochen vor dem Putsch für Mal einen Militärputsch, sondern bereits dreimal vorher – intensive Gespräche zusammen. Es gilt zu vermuten, dass 1962, 1988, 1990 – und jetzt eben auch 2021, und das, Chinas bedrohliche Arme länger werden. Nach Nordko- obwohl Aung San Suu Kyi im Jahr 2016 die Macht mit rea und Hongkong erreichen sie auch mithilfe der Abhän- dem Militär teilte. Es war ein durchaus gewagter, ein gigkeitsstrukturen der Belt and Road Initiative mittler- interessanter Ansatz, ein kühnes Experiment, eine eth- weile einige Staaten Südostasiens. Dass sie auch nisch, religiös und geschichtlich so diversifizierte Gesell- Myanmar erreichen, ist daher wahrscheinlich. Ob es aus schaft wie Myanmar in Südostasien zu regieren. China eine Anweisung zu dem Putsch gab oder auch nur ein Einverständnis, kann China ganz einfach aufklären, Dieses Experiment ist nun leider gescheitert. Das Mili- indem es den Putsch verurteilt und dazu aufruft, das tär war nicht bereit, die Wahlergebnisse zu akzeptieren, demokratisch gewählte Parlament umgehend wiederein- die aus diesen freien und fairen Wahlen hervorgegangen zusetzen und zur rechtlichen Ordnung zurückzukehren. sind. Dieses hybride demokratische Regierungssystem, Ein solches Signal bleibt Peking bislang aber schuldig. das wir erlebt haben, wurde zum Unwillen der Bevölke- rung geopfert, um den Machterhalt der Militärs weiter zu Das Vorgehen in Myanmar und auch die Anzeichen für sichern. Die Argumentation des Militärs, diese Wahl- Chinas Rolle in diesem Konflikt zeigen einmal mehr, wie kommission habe versagt, es habe Betrug bei den Wäh- wichtig es war, dass die Bundesregierung im vergange- lerlisten gegeben und diese würden den Weg zur Demo- nen Jahr ihre Indopazifik-Leitlinien vorgelegt hat; denn kratie behindern, ist auch in sich nicht stichhaltig. Schon auch wir haben ein Interesse an einem stabilen und vor (B) gar nicht plausibel ist, weshalb Wahlbetrug zu einem Not- allem friedlichen Indopazifik. Es ist grundsätzlich wich- (D) stand und zum Übertrag aller exekutiven, legislativen und tig und richtig, unsere räumliche Distanz zu unseren judikativen Befugnisse aller Ebenen auf den Oberbe- Freunden aus der Region zu verringern, sie wertzuschät- fehlshaber führen sollte. Das ist grotesk. Denn erstens zen, ihnen beizustehen und sie eben nicht mit der wirt- müssten gemäß der Verfassung aus dem Jahr 2008 Wahl- schaftlichen Übermacht Chinas alleine zu lassen. Auch angelegenheiten von den zuständigen Behörden behan- deshalb müssen wir endlich dafür sorgen, dass wir auch delt und gelöst werden, und zweitens ermächtigt Arti- auf EU-Ebene zu einer einheitlichen und verbindlichen kel 417 der Verfassung nur den Präsidenten, in Indopazifik-Strategie gelangen. Absprache mit dem Nationalen Verteidigungs- und Sicherheitsrat den Notstand auszurufen. Dieser Rat hat Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. nicht getagt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Aus deutscher Perspektive steht daher für meine Frak- ordneten der SPD) tion und mich fest: Wir unterstützen die in Myanmar friedlich demonstrierenden Bürgerinnen und Bürger, die Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: für die Rettung ihrer Demokratie und die Berücksichti- Der nächste Redner: für die FDP-Fraktion gung ihres Wählerwillens auf die Straße gehen. Dr. Christoph Hoffmann. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Christoph Hoffmann [FDP]) (Beifall bei der FDP) Wir fordern den Rückzug des Militärs, die Freilassung der politischen Gefangenen und eine Wiedereinsetzung Dr. Christoph Hoffmann (FDP): rechtsstaatlicher und demokratischer Strukturen sowie Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- die Anerkennung des Wahlergebnisses. Wir begrüßen ren! Der brutale und inzwischen blutige Militärputsch die EU-Sanktionen, sind aber auch für eine Ausweitung vom 1. Februar hat die einen Spalt geöffnete Tür zur offen, sollte das Militär nicht einlenken. Eine irgendwie Demokratie in Myanmar zugeschlagen. 2008 gab es geartete deutsche Zusammenarbeit mit dem Militärre- eine zarte Demokratisierung und damit verbunden Hoff- gime wird es in Zukunft nicht geben. nung für wirtschaftlichen Aufschwung – das alles nach einer dunklen Zeit der 50-jährigen Diktatur. Die Mei- Ich danke auch an dieser Stelle Bundestagspräsident nungsfreiheit blieb aber auch in dieser Zeit sehr begrenzt. Wolfgang Schäuble für seinen offenen Brief an den bishe- So wurde ein Cartoon über das Militär mit mehreren rigen und unter Hausarrest stehenden Sprecher der Volks- Jahren Gefängnis bestraft. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27095

Dr. Christoph Hoffmann (A) Ich konnte das Land zweimal besuchen – der Kollege Als ersten Schritt würde ich vorschlagen, den Militär- (C) Grübel war auch dabei –, und wir haben gesehen, dass die attaché hier in Berlin zusammen mit der Botschafterin deutsche Entwicklungszusammenarbeit dort Projekte zur einzubestellen, um die Möglichkeiten eines Dialogs zwi- Dezentralisierung, aber auch zur Förderung der Demo- schen den beiden Parteien auszuloten. Es sollte aber auch kratisierung und wirtschaftlichen Entwicklung installiert Klartext gegenüber den Militärs gesprochen werden, und hat. Der spontane und nicht abgestimmte Abbruch der Sie sollten dringend ein UN-Waffenembargo vorantrei- Entwicklungszusammenarbeit durch Minister Müller ben und die ASEAN-Staaten bei der Vermittlung unter- war aus heutiger Sicht sicherlich ein Fehler, weil bis stützen. Das hatten Sie ja angedeutet. – Vielen Dank dahin genau die Projekte der Zivilgesellschaft gestärkt dafür. wurden, die jetzt um ihr Überleben kämpfen. Der zweite Schritt: Wir sollten konsequent sein und der Die Menschen in Myanmar waren enttäuscht von Militärregierung die Anerkennung auf internationaler einem langsamen Agieren der EU beim Engagement für Bühne verweigern. Lassen Sie uns die demokratisch die Demokratisierung. Dass zu wenige Investitionen aus gewählte Regierung weiterhin als die einzige Vertretung der EU gekommen sind, war vielleicht auch mit ein des Volkes anerkennen! Grund dafür, warum die Tür zur Demokratie überhaupt Der dritte Schritt sind Wirtschaftssanktionen, eng wieder zufallen konnte. abgestimmt mit unseren amerikanischen Freunden; denn viele Firmen im Rohstoffsektor, in der Logistik Myanmar hatte alles, um aus der Armut herauszukom- und mit Finanzdienstleistungen gehören dem Militär men und den Beispielen der anderen ASEAN-Staaten zu und finanzieren es damit. Damit würden wir die Generäle folgen: vergleichsweise gute Bildung, englische Sprach- genau dort treffen, wo es ihnen wirklich wehtut, nämlich kenntnisse, fleißige, ehrliche und liebenswerte Men- bei den Finanzen. schen. Aber seit dem Militärputsch sind Millionen Men- schen an Protesten beteiligt. Ziviler Ungehorsam und (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Generalstreik legen das öffentliche Leben lahm. der CDU/CSU) Von Teilen der NLD, also der siegreichen Partei, wurde Es ist auch aus einem anderen Grund Eile geboten, inzwischen eine eigene Regierung benannt. Hunderte, Herr Maas oder Herr Borrell: Es gibt 20 bewaffnete eth- wenn nicht Tausende Demonstranten und Journalisten nische Minderheiten im Land, und sie werden sich bei sind in Gefängnisse gesteckt worden. Viele unserer Kol- weiterer Eskalation den Demonstranten anschließen. legen in Myanmar – gewählte Abgeordnete wie Sie und Das bedeutet Bürgerkrieg und das völlige Abdriften ins ich – wurden direkt unter Hausarrest gestellt. Chaos – ja, vielleicht den Untergang des gesamten Staa- tes. (B) (D) Die Freien Demokraten bedanken sich an dieser Stelle Heute, meine Damen und Herren, verneigen wir uns bei unserem Bundestagspräsidenten Schäuble; denn Herr vor den Opfern, die im Kampf für Freiheit gefallen sind. Schäuble, Sie haben mit Ihrem Brief an den Parlaments- Wir trauern mit dem Volk von Myanmar. People of sprecher Khun Myatt ein wichtiges Signal gesendet: Myanmar, we’ll stand by you! Gewählte Parlamentarier stehen zusammen. – Herzlichen Dank dafür. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: GRÜNEN) Für die Fraktion Die Linke hat das Wort die Abge- Das Militär schießt mit scharfer Munition in die Men- ordnete Sevim Dağdelen. schenmengen; allein gestern gab es 38 Tote. Es sind junge (Beifall bei der LINKEN) Frauen und Männer, für die der Traum von Freiheit und Selbstbestimmung brutal mit einem Kopfschuss platzt. Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Es sind dieselben Militärs, die die Rohingyas im Rakhine Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit dem State vertrieben haben. Militärputsch in Myanmar vor einem Monat sind Dutzen- Die internationalen Reaktionen auf den Putsch sind de Menschen getötet worden. Deshalb ist es auch an der eindeutig: Gewalt wird verurteilt, die Freilassung der Zeit, dass der Deutsche Bundestag von hier aus ein klares politischen Gefangenen wird gefordert, und Einzelperso- Zeichen setzt: Wir verurteilen diese gewaltsame Macht- nen werden bereits durch die USA und die EU sanktio- übernahme des Militärs in Myanmar. niert; deren Vermögen wird eingefroren. Das ist gut so, (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- doch das reicht nicht. Wir müssen mehr machen und dem neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Militär zeigen: Ihr seid nicht die Zukunft, und ihr seid Nach allem, was wir wissen, ist der Grund, den die nicht Myanmar. Militärführung für den Putsch anführt – angebliche Unre- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten gelmäßigkeiten bei den Wahlen im November 2020 –, der CDU/CSU und der SPD) schlicht vorgeschoben. Hintergrund ist offenbar der über- wältigende Wahlsieg der Nationalen Liga für Demokratie Ein Generalstreik, Herr Maas, lässt sich nicht ewig von Aung San Suu Kyi, durch den die Militärs ihre durchhalten. Deshalb brauchen wir schnelle neue Sank- gemeinsame Herrschaft mit der Nationalen Liga für tionen. Demokratie in Myanmar bedroht fühlten. 27096 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Sevim Dağdelen (A) Mehr als 1 300 Menschen sollen seit dem Putsch inhaf- Deshalb noch einmal: Wir sollten es nicht zulassen, dass (C) tiert worden sein, und deshalb fordern wir auch hier die der Konflikt in Myanmar geopolitisch aufgeladen wird. sofortige Freilassung aller politischen Gefangenen in Das hilft den Menschen im Land keinen Deut, meine Myanmar. Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (Beifall bei der LINKEN) neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ein Wort noch zum Umgang mit Aung San Suu Kyi: Sicher, wir als Linke fordern ihre sofortige Freilassung – Und nicht nur das: Wir fordern auch die Ausweisung des wie die der anderen politischen Gefangenen im Land. Militärattachés von Myanmar aus Deutschland und einen Aber wir müssen auch sehen, dass sie als Heldenfigur Stopp der Waffenexporte an Myanmar, auch – ich weiß, und Projektionsfläche nur wenig taugt. Es sei mir die dass es ein Waffenembargo gibt – über Drittländer und Bemerkung erlaubt, dass ein sorgsamerer Umgang auch über Tochterfirmen deutscher Waffenschmieden im Aus- bei anderen gelten sollte, beispielsweise Alexej Nawalny, land. dem Amnesty International den Status des gewaltlosen politischen Gefangenen aberkannt hat, und zwar mit (Beifall bei der LINKEN) dem Verweis darauf, er habe in der Vergangenheit Hass Wenn man sich die Recherchen von Greenpeace gegen Muslime geschürt. Aung San Suu Kyi war es anschaut, dann sieht man, dass dort nach wie vor Waffen jedenfalls, die gemeinsam mit den Militärs gegen die im Einsatz sind, die der deutsche Hersteller Rheinmetall Rohingya im Süden des Landes vorgegangen ist. Sie trägt entwickelt hat, Maschinengewehre, die dort auf den Pat- eine Mitverantwortung für die Geschehnisse dort. Sie rouillenbooten benutzt werden. Das zeigt einmal mehr, taugt nicht zur demokratischen Heldin, auch wenn wir dass es Ihnen zu denken geben sollte, wenn Waffen an ihre sofortige Freilassung wie die aller anderen Verhafte- andere Länder geliefert werden. ten fordern und den Militärputsch in Myanmar klar und deutlich verurteilen. (Beifall bei der LINKEN) Vielen Dank. Vor zwei Dingen möchte ich hier im Zusammenhang mit dem Putsch allerdings ausdrücklich warnen: (Beifall bei der LINKEN)

Einmal vor einer Neuauflage von Wirtschaftssanktio- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: nen, die am Ende allein die Bevölkerung treffen und die nicht gerade rosige Wirtschaftslage in Myanmar drama- Die nächste Rednerin: die Abgeordnete Margarete (B) tisch verschlechtern würden. In diesem Zusammenhang Bause, Bündnis 90/Die Grünen. (D) darf auch an den Aufruf der Vereinten Nationen erinnert (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) werden, die sagen, die einseitigen, völkerrechtswidrigen Sanktionen weltweit sollten beendet werden. Ich finde, es kann nicht sein, dass erneut auf dieses verheerende völ- Margarete Bause (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): kerrechtswidrige Instrument zurückgegriffen wird, ein- Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! „Every- fach nur, um Handlungsbereitschaft zu simulieren; denn thing will be OK“ – alles wird gut. Das stand auf dem nichts anderes als Simulation ist es. T-Shirt der 19-jährigen Ma Kyal Sin, die gestern wie Tausende andere in Myanmar auf die Straße ging. Sie Zum Zweiten will ich davor warnen, den Konflikt in protestierte gegen den Putsch des Militärs, für die Aner- Myanmar geopolitisch zu einem Kampf des Westens kennung der Wahlen und für die Freilassung der politi- gegen China um Einfluss in diesem Land weiter aufzu- schen Gefangenen. Ma Kyal Sin hat den Tag nicht über- laden. Die Einzigen, die dabei verlieren werden, sind die lebt. Sie wurde mit einer Kugel in den Kopf ermordet. Einwohnerinnen und Einwohner von Myanmar. Mindestens 37 weitere Menschen sind allein gestern bei Deshalb noch mal zur Erinnerung: Kein anderes Land ihren gewaltfreien Protesten getötet worden. hat Aung San Suu Kyi öfter besucht als China. China Mit allen Mitteln und mit äußerster Brutalität versucht hatte mit Myanmar beste Beziehungen. Es waren die das Militär, die Proteste der myanmarischen Bevölkerung Generäle, die die Öffnung des Landes wollten, damit zu unterdrücken: von Internetsperren über Tränengas bis der chinesische Einfluss nicht zu groß werden würde. hin zu scharfer Munition und gezielten Schüssen in den Und es waren auch die Generäle, die die Minderheiten Kopf. Soldaten posieren bei TikTok mit Maschinenge- an der chinesischen Grenze bekämpften und China ver- wehren und prahlen unverhohlen, dass sie mit einer ein- dächtigten, als Rückzugsgebiet für die Aufständischen zu zigen Magazinladung 30 Menschen auf einmal töten kön- fungieren. nen. Videos zeigen, wie Ersthelfer/-innen brutal Sicher – es ist richtig –, China ist Myanmars größter verprügelt werden. Dieses Militär, dem die Vereinten Handelspartner. Aber aus Japan und Südkorea kommen Nationen schwerste Menschenrechtsverbrechen gegen die meisten ausländischen Direktinvestitionen. China hat die Rohingya bis hin zu Völkermord vorwerfen, versucht, nicht zuletzt mit Aung San Suu Kyi im letzten Jahr ein sich als Retter der Verfassung und als legitime Vertretung großes Investitionspaket im Rahmen der Belt and Road Myanmars zu präsentieren. Das ist an Zynismus und Initiative verabredet. All dies steht jetzt auf der Kippe. Menschenverachtung nicht zu überbieten, und dem muss sich die internationale Gemeinschaft mit aller Ent- (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Ja!) schiedenheit entgegenstellen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27097

Margarete Bause (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, unterstützt. Hier verlangen wir umfassende Aufklärung (C) bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP) und gegebenenfalls die Beendigung der Geschäftsbezie- hungen. Offenbar hat die Militärjunta das Ausmaß des Wider- stands in der Bevölkerung massiv unterschätzt. Der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gewaltlose Aufstand gegen das Militärregime zeigt sich sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) mit anhaltenden Protesten im ganzen Land, mit General- Eine zentrale Rolle muss jetzt auch ASEAN einneh- streiks, mit zivilem Ungehorsam. Trotz der massiven men. Wenn die Bundesregierung ihre neuen Indo-Pazifik- Gewalt geben die Menschen nicht auf. Sie protestieren Leitlinien ernst nimmt, dann muss sie auf ASEAN ein- mit Gesängen, mit Sprechchören, mit Mopedkonvois, mit wirken, im Dialog mit allen Konfliktparteien eine fried- Autoblockaden, mit Plakaten, mit Graffitis, und sie orga- liche Lösung und einen Übergang zu demokratischen nisieren sich trotz der Internetsperren in den sozialen Verhältnissen zu finden. Und dazu müssen auch alle eth- Netzwerken. nischen Gruppen gleichberechtigt einbezogen werden. In Hongkong, in Thailand und jetzt in Myanmar bieten Und damit meine ich auch die Hunderttausenden Roh- Millionen vor allem junge Menschen den autoritären ingya, die ins Elend der Flüchtlingslager in Bangladesch Regimen und den übermächtigen Militärs die Stirn. Der vertrieben wurden. Wunsch nach Demokratie, nach Rechtsstaatlichkeit, nach (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN politischer Teilhabe und nach Achtung der Menschen- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und rechte ist omnipräsent. Diese international vernetzten, der SPD) kreativen und mutigen Demokratiebewegungen zu erle- „Everything will be OK“, das sollte nicht nur eine ben, macht leise Hoffnung auf langfristige Veränderun- Hoffnung bleiben. gen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Und es ist unsere Aufgabe, dass wir uns hier an die sowie des Abg. Markus Grübel [CDU/CSU]) Seite dieser mutigen Menschen stellen und sie mit all unseren Möglichkeiten unterstützen. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für die SPD-Fraktion hat nun das Wort der Abgeord- und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten nete Johann Saathoff. der SPD und des Abg. Dr. Christoph Hoffmann [FDP]) (Beifall bei der SPD) Es freut mich – das wurde auch schon mehrfach Johann Saathoff (SPD): (B) erwähnt –, dass Bundestagspräsident Dr. Schäuble den (D) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Militärputsch gestern so klar verurteilt hat und sich an Kollegen! Die Bilder und die Nachrichten, die uns in den die Seite der gewählten Parlamentarier/-innen gestellt vergangenen Wochen aus Myanmar erreichten, sind hat. erschütternd. Wir sehen Gewalt gegen friedliche Demon- Angesichts der Eskalation der Gewalt der Militärjunta stranten. Wir sehen den Einsatz scharfer Munition durch muss die internationale Gemeinschaft, muss die Europä- die Sicherheitskräfte und sogar das Prahlen damit. Es gibt ische Union und müssen auch wir hier das Vorgehen des viele Tote und zahlreiche Verletzte unter den friedlichen Militärs aufs Schärfste verurteilen. Der Ausnahmezu- Demonstranten. Wir sehen Einschüchterungsversuche stand muss umgehend aufgehoben werden. Aung San durch das Militär gegen Journalisten, die über die Protes- Suu Kyi und alle anderen Regierungsmitglieder müssen te berichten wollen. Und wir sehen willkürliche Verhaf- sofort freigelassen werden und ebenso alle politischen tungen in großer Zahl. Gefangenen. Die EU muss jetzt individuelle Sanktionen Diese Bilder und Nachrichten führen uns deutlich vor gegen die Verantwortlichen des Putsches verhängen. Augen: Der Militärputsch in Myanmar erfolgte gegen Und von der Bundesregierung erwarte ich da konse- den ausdrücklichen Willen der Bevölkerung. Die Men- quentes Handeln. Jegliche Zusammenarbeit und damit schen wollen, dass Myanmar zurückkehrt auf einen die Anerkennung der Militärjunta muss tabu sein. Demokratisierungskurs, für den die Novemberwahlen standen. Sehr viele Menschen in Myanmar sind bereit, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN unter Einsatz ihres Lebens für demokratische und rechts- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und staatliche Entwicklungen ihres Landes einzutreten. „Wir der SPD) sind wie Wasser, ihr könnt uns nicht aufhalten“, rufen sie Der Militärattaché und Brigadegeneral von Myanmar auf den Straßen. Und wir stehen an der Seite dieser muti- muss ausgewiesen werden, und das gilt auch für die sechs gen Männer und Frauen, die von ihrem Recht auf Mei- anderen Militärangehörigen in Deutschland. Gleichzeitig nungsfreiheit Gebrauch machen. müssen die Kanäle mit den zivilen und demokratisch (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gewählten Vertreterinnen und Vertretern Myanmars wie- der CDU/CSU und der FDP und der Abg. der aufgenommen bzw. aufrechterhalten werden. Sevim Dağdelen [DIE LINKE]) Und auch deutsche Unternehmen sind in der Verant- Liebe Kolleginnen und Kollegen, tödliche Gewalt wortung. Dieser Tage wurde bekannt, dass der Telekom- gegen friedliche Demonstranten ist durch nichts zu recht- munikationsspezialist ADVA aus München zumindest fertigen. Es ist richtig und wichtig, dass die Bundesregie- indirekt das Militär mit Telekommunikationstechnologie rung diese Gewalt durch Sicherheitskräfte sowohl öffent- 27098 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Johann Saathoff (A) lich wie auch in Gesprächen mit Vertretern Myanmars auf kurs steuernde Regierung in Naypyidaw an ihre Ver- (C) das Schärfste verurteilt hat. Dass sowohl der Hohe Ver- pflichtungen, etwa zum Schutz von Minderheiten, zu treter der EU, Josep Borrell, der EU-Generalsekretär erinnern, haben wir in der Vergangenheit gezeigt. Guterres als auch die Außenminister der G 7 sich glei- „Wir sind wie Wasser, ihr könnt uns nicht aufhalten“, chermaßen geäußert haben, zeigt, wie breit diese Position sagen die Menschen. In Ostfriesland würde man sagen: weltweit getragen wird. Tegen Backobend kannst neet angaapen. -„Es ist unsere In Myanmar zeigen sich einmal mehr die Kraft einer Aufgabe, hier zu demonstrieren“, sagen die Menschen. Zivilgesellschaft und die Kraft der Idee der Demokratie. Sie kämpfen um ihr Land, ein Land mit enormen Potenz- Unsere gemeinsame Forderung ist und muss es sein, dass ialen und mit enormen Perspektiven. Sie kämpfen um ein Myanmars Sicherheitskräfte ihre Gewalt gegen Demon- Land in einer Region mit einer großen Zukunft. Die Men- stranten sofort beenden, dass Menschenrechte und das schen setzen sich mit friedlichen Mitteln für Frieden und Völkerrecht in und von Myanmar geachtet werden müs- Demokratie ein. Sie haben unsere Hilfe verdient. Nach sen. Wir fordern, dass die zahlreichen willkürlich Ver- Naypyidaw muss nun demokratische Offenheit zurück- hafteten freigelassen werden, dass die festgenommenen kehren. Spitzenpolitiker, darunter San Suu Kyi und Staatspräsi- Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. dent Win Myint, umgehend freigelassen werden. Wir for- dern, dass rechtsstaatliche Prinzipien in Myanmar wieder (Beifall bei der SPD) respektiert werden und dass die gewählte Zivilregierung wieder eingesetzt wird, damit eine Rückkehr zur demo- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: kratischen Ordnung möglich ist. Für die Fraktion der AfD hat das Wort der Abgeordnete (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Professor Dr. Lothar Maier. der CDU/CSU und der LINKEN) (Beifall bei der AfD) Es braucht einen politischen Dialog, der den Boden für die Rückkehr auf den Pfad der Demokratisierung bereitet. Dr. Lothar Maier (AfD): Ich begrüße, dass sich im Rahmen der ASEAN die Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- Nachbarstaaten Myanmars für eine Lösung dieser Krise ren! Das kann ich mir zum Einstieg nicht verkneifen: engagieren. Es ist ein Erfolg, dass es am 2. März 2021 zu Zwei Fraktionen dieses Hauses beantragen für diese einem informellen ASEAN-Außenministertreffen ge- Stunde eine Aktuelle Stunde zu der Frage, ob bestimmte kommen ist, bei dem die Situation in Myanmar Thema politische Entscheidungen in diesem Hause durch Machenschaften beeinflusst worden sind, ob es mutmaß war. Das ist beileibe keine Selbstverständlichkeit ange- - (B) sichts der anderen Dinge, die wir im Zusammenhang mit lich Korruption in der zahlenmäßig stärksten Fraktion in (D) ASEAN erlebt haben; Bundesaußenminister Heiko Maas diesem Hause gibt oder nicht. Und was macht die Koali- hat darauf ausdrücklich und zu Recht hingewiesen. Auch tion? – Sie verschiebt diese Debatte auf morgen, 18 Uhr, die Rolle der Sondergesandten der Vereinten Nationen auf Freitagabend, wo garantiert niemand mehr zusieht für Myanmar, Frau Christine Schraner Burgener, eröffnet und wo in diesem Hause nur noch relativ wenige da Myanmars Militär eine Chance auf einen politischen sein werden, weil sie sonst zu ihren entfernten Wohnorten Ausweg aus der Krise – über den Dialog. nicht mehr nach Hause kämen. (Beifall bei der AfD) Angebote zum Dialog gibt es also durchaus. Richtig ist aber auch, dass die EU sich zugleich darauf vorbereitet, Über Korruption soll hier nicht geredet werden; das ist jene Personen durch gezielte Sanktionen zu treffen, die der eigentliche Skandal, und das ist auch das einzig direkt für den Militärputsch und damit für die Verbrechen Aktuelle an dieser Aktuellen Stunde. auf der Straße verantwortlich sind. Wir sind es Myanmars (Beifall bei der AfD) Zivilgesellschaft schuldig, diejenigen zur Verantwortung zu ziehen, die das Recht aller Menschen auf freie Mei- Stattdessen reden wir nun eben über Myanmar; und nungsäußerung und demokratische und rechtsstaatliche von dort kommen schlechte Nachrichten. Entwicklung niederschießen lassen. Es gehört zur Ehr- (Johann Saathoff [SPD]: Über Menschen reden lichkeit dazu, festzuhalten, dass wir auch in der Vergan- wir auch!) genheit, als Myanmar auf Demokratisierungskurs war, manches Mal höhere Erwartungen an Myanmars Regie- Nach einem demokratischen Interregnum hat das Militär dort wieder die Macht übernommen. Eine brutal nieder- rung hatten, als diese zu erfüllen bereit war. Der Umgang geschlagene Demonstration in der Hauptstadt hat zu mit der Minderheit der Rohyngia sei in diesem Zusam- 38 Toten geführt – eine furchtbare Zahl. Das muss verur- menhang genannt. teilt werden; das steht vollkommen außer Frage. (Beifall bei der SPD) Aber man muss sich auch fragen: Wie ist es dazu ge- Bei meinen Besuchen habe ich die Hoffnungslosigkeit kommen? Dazu braucht man einen Blick in die neuere der Menschen vor Ort erlebt und werde sie wohl nie Geschichte von Myanmar. Es ist ein Vielvölkerstaat, wieder in meinem Leben vergessen. Alle Menschen in zusammengesetzt aus vielen Völkerschaften. Die Birma- Myanmar verdienen die Chance, dass die Regierung ihres nen sehen sich zwar als Staatsvolk, aber sie sind eben nur Landes auf einen Demokratisierungskurs zurückkehrt eines von vielen. Es ist ein schwieriges Erbe der Kolo- und so ihren Einfluss auf politische Prozesse ermöglicht. nialzeit, das Myanmar zu tragen hat. Es hat dazu geführt, Dass wir nicht zögern, auch eine auf Demokratisierungs- dass die Briten seinerzeit die Völkerschaften dieses Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27099

Dr. Lothar Maier (A) Landes gegeneinander ausgespielt haben. Sie haben die Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (C) Birmanen unterdrückt, dagegen die Völker des Nordos- (Beifall bei der AfD) tens, insbesondere die Shan, die Kachin in ihren alten Herrschaften belassen und sie gegen die Birmanen aus- gespielt. Nach der Staatsgründung 1958 hat es jahrzehn- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: telange Kämpfe gegen separatistische Bestrebungen Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion der Kol- gegeben, insbesondere in der Kachin-Region, die ja lege Jürgen Hardt. mehrheitlich christlich strukturiert ist. Daher führte (Beifall bei der CDU/CSU) auch die Erklärung des Buddhismus zur Staatsreligion unter der Regierung U Nu schon vor Jahrzehnten zu zusätzlichen Konflikten, nicht nur mit den Kachin, son- Jürgen Hardt (CDU/CSU): dern auch mit den muslimischen Rohyngias. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte mir zwei Vorbemerkungen nicht ver- Es hat immer wieder – das ist von den Vorrednern auch kneifen. Es ist gute Tradition dieses Hauses, dass wir schon gesagt worden – Interventionen Chinas in die inne- wichtige außenpolitische Entwicklungen, insbesondere ren Verhältnisse von Myanmar und in gewissem Umfang dann, wenn Menschenrechte in Gefahr sind, wenn auch in die Angelegenheiten von Thailand gegeben. Die gewaltsame Umstürze erfolgen, auch immer zum Gegen- Thailänder haben allerdings in der Vergangenheit ihre stand der Debatten im Deutschen Bundestag machen. eigenen Erfahrungen mit den Burmesen machen müssen, Es ist auch gut, dass der Bundesaußenminister die die in den vergangenen Jahrhunderten immer wieder mit Gelegenheit hat, hier die Position der Bundesregierung ihren Armeen in Thailand eingefallen sind und sich dort zu diesem Thema darzulegen. Ich habe den Eindruck, furchtbar aufgeführt haben. dass die versammelten interessierten Kolleginnen und Deswegen sieht sich das Militär in Burma oder in Kollegen es als genauso richtig ansehen, dass wir als Myanmar – wie immer man es nennen mag – als Garant Koalition die Aktuelle Stunde zu diesem Thema bean- der nationalen Einheit. Es sieht sich zum Regieren gewis- tragt haben und dass wir sie heute durchführen. sermaßen legitimiert. Diesen Anspruch hat es im Zuge (Beifall bei der CDU/CSU) der Verfassungsänderung von 2008 auch durchsetzen können: 25 Prozent der Sitze im Parlament sind für das An die Adresse meines Vorredners möchte ich sagen: Militär reserviert, auch bestimmte einflussreiche Minis- Ich finde es, offen gesagt, ziemlich absurd, hier über gute terposten. Die führenden Militärs haben sich ziemlich und schlechte Diktaturen zu dozieren ungeniert persönlich bereichert. Gegen das Militär kann (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (B) dort praktisch niemand regieren. der SPD) (D) Das hätte man vielleicht hinnehmen können, wenn das und dann noch in dieser absolut herrschaftlichen, chauvi- birmanische Militär seine Herrschaft als eine Entwick- nistischen Attitüde zu sagen: Demokratie ist ja gar nicht lungsdiktatur verstanden hätte. Das war es aber nicht. was für alle; die in Asien wissen sowieso nicht, wie man Es war eine Stagnationsdiktatur, und das ist es immer das macht. noch. Wenn man den Lebensstandard in Myanmar heute mit dem im benachbarten Thailand vergleicht – es sind (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und zwei sehr ähnlich strukturierte Völker –, dann ist es depri- der SPD – Dr. Lothar Maier [AfD]: Das habe mierend, zu sehen, wie schlecht es den Birmanen, den ich mit keinem Wort gesagt!) Völkern von Myanmar, geht. Diese Art und Weise des Umgangs mit anderen Völkern und den Rechten – auch den Menschenrechten – anderer Myanmar hat seit ungefähr 2012 eine politische und Menschen auf der Erde spricht, finde ich, Bände und wirft wirtschaftliche Öffnungsstrategie erlebt, aber eine Demo- ein bezeichnendes Licht auf Ihre Partei und Ihre Gesin- kratie im europäischen Sinne ist nicht entstanden. Es ent- nung. stand eine sogenannte disziplinierte Demokratie – ein Ausdruck, auf den wahrscheinlich nur Militärs kommen (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem können. Aber man muss sich auch fragen: Muss eine BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Marianne parlamentarische Demokratie nach dem Vorbild Europas Schieder [SPD]: Da weiß man, was man zu das eigentliche Ziel unserer Intervention sein? Muss erwarten hat! – Dr. Lothar Maier [AfD]: Hören überall alles genau nach dem europäischen Muster struk- Sie mal richtig zu!) turiert sein? Ich denke, das sollte man nicht einem euro- Ich könnte noch hinzufügen: Ich habe das Gefühl, die päischen Moralkolonialismus überlassen. AfD betrachtet auch in Deutschland nicht jeden als demo- (Beifall bei der AfD) kratiefähig: Wenn man nicht glaubt, was Sie erzählen, dann ist man auch kein Demokrat. Sanktionen, wie sie von der EU geplant sind, treiben Myanmar noch mehr in die Abhängigkeit von China. Ich (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und meine, unsere Leitlinie muss sein, die demokratischen der SPD – Zuruf des Abg. Jürgen Braun [AfD]) Kräfte in diesem Land zu stärken und die wirtschaftliche Vor ziemlich genau zehn Jahren hat die deutsche Bun- Entwicklung zu fördern. Das Erste fordert die Zusam- deskanzlerin Angela Merkel der damaligen Oppositions- menarbeit mit den Oppositionsparteien in Myanmar, das führerin und Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Zweite fordert aber auch die Zusammenarbeit – im ent- Kyi die volle Unterstützung Deutschlands bei der Demo- wicklungspolitischen Sinne – mit der Verwaltung. kratisierung des Landes zugesagt. Das war ein damals 27100 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Jürgen Hardt (A) vielbeachteter internationaler Akt der Bundesregierung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (C) Der Deutsche Bundestag hat dann in einer Debatte, die ordneten der SPD) auf Grundlage eines von der damaligen Koalition aus Union und FDP eingebrachten Antrags geführt wurde, Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: festgestellt, dass wir in Myanmar den äußerst seltenen Das Wort hat als Nächstes der Kollege Dietmar Nietan, Fall beobachten, dass sich eine Diktatur offenbar aus SPD-Fraktion. sich heraus wandelt. Das haben wir damals, 2012, so erhofft und erwartet, und wir hatten in den letzten neun (Beifall bei der SPD) Jahren auch den Eindruck – trotz aller Schwierigkeiten und Rückschläge, die es gegeben hat –, dass dieses Land auf einem guten Weg war. Dietmar Nietan (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Das, was Anfang Februar in Myanmar geschehen ist, Kollegen! Wir erleben, dass auch jetzt wahrscheinlich, in ist ein derber Rückschlag. Es ist ein kompletter Kurs- diesen Minuten, unschuldige Menschen, die für ihr Recht wechsel dieses Landes, auch der Militärführung dieses auf Demokratie auf die Straße gehen, in Myanmar kalt- Landes, die selbst vor zehn Jahren dem Demokratisie- blütig ermordet werden. Dieses Leid nutzen die Vertreter rungsprozess nicht im Wege gestanden hat. der AfD-Fraktion, um sich in ihrer ideologischen Ver- Wir fordern erstens, dass man das Wahlergebnis aner- blendung an den sogenannten Altparteien abzuarbeiten kennt, das die letzten Parlamentswahlen ergeben haben. oder darüber zu schwadronieren, ob vielleicht auch eine Es gibt keine vernünftigen Zweifel daran, dass dieses Entwicklungsdiktatur hinnehmbar ist. Wie zynisch und Ergebnis gerecht ist. Im Übrigen ist auch die Stimmung menschenverachtend muss man sein, wenn man dieses im Land so, dass die Niederlage der Militärpartei und der Leid für diese ideologischen Kampfreden missbraucht? große Erfolg der Partei Aung San Suu Kyis und ihrer Unterstützer entsprechend richtig gewesen ist. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Wir fordern ein Ende der Gewalt gegen friedliche De- GRÜNEN und des Abg. Dr. Marcus Faber monstranten. Wir haben große Befürchtungen angesichts [FDP]) der Eskalation der Gewalt, die mittlerweile zu mehreren Dutzend Todesopfern geführt hat und zu der wir leider Ich möchte aus einigen Nachrichten zitieren, die mich schreckliche Bilder in den sozialen Netzwerken quasi erreicht haben, von Menschen aus Myanmar, die ich stündlich beobachten müssen. Ihr muss Einhalt geboten kenne. Ein deutscher Touristen-Guide aus Yangon schrieb gestern: (B) werden, weil sonst die Gefahr besteht, dass das Land (D) insgesamt noch stärker in Gewalt versinkt, als es bereits Ich weiß nicht mehr, was ich sagen soll. Ich bin jetzt der Fall ist, weil Gewalt im Zweifel Gegengewalt verzweifelt. Menschen werden auf offener Straße provoziert. Das muss unbedingt vermieden werden. ermordet – von Terroristen in Polizei- und Militär- Das Land war 50 Jahre von der wirtschaftlichen und uniform … gesellschaftlichen Entwicklung der Erde abgeschottet. Es Keiner ist mehr sicher. Terroristen haben das Land ist seit etwa zehn Jahren auf dem Weg der Öffnung gewe- übernommen und töten jeden Widerstand im Keim sen. Das hat dem Land gutgetan. Das Land hat im Übri- ab – im wahrsten Sinne des Wortes. Es ist nicht in gen durch seine geografische Lage und seine Boden- Worte zu fassen. schätze auch ziemlich gute Voraussetzungen, zu einem Und ein früherer Schulkamerad von mir schrieb mir prosperierenden Partner der Weltökonomie und Weltvöl- gestern: kergemeinschaft zu werden. Die geografische Lage mit der langen Küste zum Indischen Ozean, im Nordosten Hier geht es um eine kleine Gruppe, macht- und angrenzend an China, ist nicht nur für China und seine geldhungrig. Keiner, aber auch keiner im Land will Exportbemühungen, sondern auch für alle anderen, die diese kleine schmutzige Armeegruppe haben … Richtung China exportieren wollen, durchaus eine gute Perspektive, um einen weiten Seeweg durch die Straße Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen von Malakka zu vermeiden. und Kollegen, genau darum geht es: Eine Clique von mächtigen Männern, Militärs, betrachtet seit Jahrzehnten Deswegen wird das, was das Militär jetzt gemacht hat, das Land Myanmar als ihr persönliches Eigentum. Sie das Land nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich beuten das Land aus. Sie bereichern sich selbst, anstatt deutlich zurückwerfen. Ich setze darauf, dass die ASEAN die verschiedenen Gruppen und Ethnien miteinander zu vorankommt. Ich glaube aber, dass auch der G-7-Gipfel versöhnen und das Land zum Wohle aller dort lebenden im Sommer ein klares Zeichen setzen muss und dass Menschen in eine bessere politische, soziale und wirt- Sanktionen der Europäischen Union und Deutschlands schaftliche Zukunft zu führen. gegen einzelne Personen insbesondere dann eine Wir- kung entfalten, wenn sie im Schulterschluss der G-7- Einige dieser Generäle glauben immer noch, dass sie Nationen durchgeführt werden. Deswegen plädiere ich ihre alte Ordnung mit enthemmter Gewalt gegen friedlich dafür, dass wir diesen Schulterschluss mit den Demokra- demonstrierende Menschen wiederherstellen können, tien dieser Welt suchen. und nicht nur mit Tränengas und Schlägen, sondern auch mit gezielten tödlichen Schüssen in Kopf und Brust. Herzlichen Dank. Das ist unerträglich, liebe Kolleginnen und Kollegen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27101

Dietmar Nietan (A) Doch diese Gewaltorgie wird den Diktatoren nichts Generälen unmissverständlich klarzumachen, dass ihr (C) nutzen. Denn alles hat seine Zeit, und jetzt ist die Zeit Terror gegenüber dem eigenen Volk für sie nicht folgen- gekommen, dass die Menschen in Myanmar sich nicht los bleiben wird. mehr einschüchtern lassen. Sie werden sich weiter dem Abschließend möchte ich sagen: Angesichts des groß- Terrorregime widersetzen. en Leids in Myanmar möchte ich diesen Generälen Deshalb sage ich den Herren Generälen hier von die- immer wieder zurufen: Ihr werdet nicht durchkommen. sem Rednerpult des Deutschen Bundestages in aller Klar- Beendet das Morden, und gebt dem Volk seine Freiheit! heit: Stoppen Sie Ihren Terror! Lassen Sie alle politischen Herzlichen Dank. Gefangenen frei! Ihre Zeit ist schon lange vorbei. Geben Sie die Macht dahin, wo sie hingehört: in die Hände des (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Souveräns, und das ist niemand anders als die 50 Millio- nen Bürgerinnen und Bürger Myanmars. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie Das Wort hat als Nächstes der Abgeordnete Mario des Abg. Dr. Christoph Hoffmann [FDP]) Mieruch. Was in Myanmar passiert, kann uns, die wir in Freiheit und Demokratie leben dürfen, nicht kaltlassen. Wir dür- Mario Mieruch (fraktionslos): fen nicht nur ohnmächtige und mahnende Beobachter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Vor- bleiben, sondern müssen schnell und entschlossen han- gänge, die Bilder, die uns aus Myanmar erreichen, sind deln. furchtbar, aufs Schärfste zu verurteilen und müssen sofort Daher begrüße ich ausdrücklich die klaren Worte aufhören. Sich aber heute hierhinzustellen und das Kind unseres Bundesaußenministers und unseres Bundestags- zu verurteilen, nachdem es in den Brunnen gefallen ist, ist präsidenten zu den Putschisten in Myanmar. Und selbst- etwas zu einfach. Denn die Zivilregierung Myanmars hat verständlich begrüßen wir es in der SPD-Bundestagsfrak- mehrfach in den vergangenen Jahren die Hand in Rich- tion, dass die Europäische Union Sanktionen auf den Weg tung Deutschland ausgestreckt und um Hilfe gebeten. bringen will, die gezielt die Verantwortlichen für diesen Aber Deutschland ging es offensichtlich nie wirklich Militärputsch und deren wirtschaftliche Interessen treffen um ein tieferes Verständnis für dieses kleine Land, das sollen. Aber diese Sanktionen müssen jetzt auch kom- jahrzehntelange Militärherrschaft brechen musste – eine men. Sie müssen zeitnah kommen, und sie müssen ziel- Militärherrschaft, die auch die Nobelpreisträgerin Aung sicher angewendet werden. San Suu Kyi nicht alleine ohne Hilfe abschütteln konnte. Dass die Militärs an den Schaltstellen sitzen, so wie es (B) Im engen Schulterschluss mit der neuen US-Regierung heute hier beklagt wird, ist keine Überraschung; es ist ja (D) müssen die EU und auch die internationale Gemeinschaft nicht erst seit heute so. den Druck auf die Militärs und ihre Netzwerke spürbar erhöhen. Dazu muss, falls es noch nicht geschehen ist, Die Verantwortung dieses Parlamentes hätte darin gerade jetzt auch das Gespräch mit den ASEAN-Staaten, bestanden, diesem Land zu helfen und genau und objek- die hier eine besondere Verantwortung tragen, weiter tiv zu prüfen, was vor Ort eigentlich geschieht. Man hätte gesucht werden. auch im Rohingya-Konflikt mit der Botschafterin reden müssen, statt sie wie eine Aussätzige zu behandeln. Statt- Die Kollegin Dağdelen hat völlig recht: Es darf keine dessen haben sich im Sommer 2018 – das ist mittlerweile geopolitische Aufladung dieses Konflikts in dieser fast drei Jahre her – nur Frauke Petry und ich mit ihr Region geben. – Aber das heißt nicht, dass wir tatenlos getroffen, um uns einmal wirklich auch aus ihrer Sicht zusehen, wenn China Myanmar zu seinem Spielball schildern zu lassen, wie sich die Verhältnisse im Land machen möchte, liebe Kolleginnen und Kollegen. darstellen. Ein Außenminister Gabriel hat es damals so- Was neben dem Druck auf die Putschisten jetzt wichtig gar noch geschafft, die Regierung bei einem ASEAN- ist: Wir müssen immer wieder deutlich machen, dass wir Treffen zu düpieren, indem er nur kurz aufsetzte und auf der Seite der friedlichen, mutigen Menschen in ohne direkten Kontakt einfach weiterfuhr. Myanmar stehen, die zurzeit jeden Tag ihr Leben für Sie haben sich zu keinem Zeitpunkt für die in Arakan Freiheit und Demokratie riskieren. Diese Akteure der aktiven Dschihadisten interessiert, die den fragilen Viel- demokratischen Zivilgesellschaft brauchen längerfristig völkerstaat destabilisierten. Und Sie haben es nicht für eine klare Strategie und eine breite internationale Unter- nötig gehalten, deren Vorgehen zu ächten. Stattdessen stützung. Denn es ist doch gerade diese mutige Zivilge- hat man Myanmar geächtet und dann Sanktionen be- sellschaft, so wie wir sie jetzt erleben, die in großer Soli- schlossen, ohne sie mit den offiziellen Vertretern hier darität zusammensteht, die ja die Zukunftsoption für im Lande zu besprechen. Man hat der Zivilregierung dieses tolle Land sein kann. keine Hilfe angeboten, um den Rückfall in genau dieses Doch jetzt müssen wir erst mal alles tun, um die autoritäre Regime zu verhindern. Das wäre aber vielleicht Gewalt der Herrschenden zu stoppen, damit ein neuer der richtige Weg gewesen, um auch die Rohingya-Frage Dialog beginnen kann. Dieses Land braucht dringender nachhaltig zu lösen, über die hier im Haus augenschein- denn je einen Dialog zwischen den politischen Lagern, lich öfter gesprochen wird als über die Uiguren oder die zwischen ethnischen Gruppen. Wir alle wissen: Das wird weltweite Christenverfolgung. Kurzsichtige moralische eine Herkulesaufgabe. Doch wenn der Moment gekom- Selbstbeweihräucherung scheint einigen hier wichtiger men ist, sollten wir da sein und Hilfe anbieten. Bis es so zu sein als eine objektive Bewertung des Spannungsver- weit ist, müssen wir jede Gelegenheit nutzen, den Herren hältnisses, in welchem dieses Land steht, nicht nur zu 27102 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Mario Mieruch (A) China, und welche geostrategische Bedeutung es dort hat. unabhängig vom Wahlergebnis für das Militär reserviert (C) Denn den Konflikt haben wir längst. Sie messen wieder sind, kam es zu diesem Erdrutschsieg für die Nationale einmal mit zweierlei Maß, und das prägt Ihr Handeln. Liga. Das bedeutet, dass hier ein klarer Auftrag für die Ich fordere Sie daher auf, nicht nur in sich zu gehen Führung Myanmars vorliegt. Deswegen ist die Militär- und zu überdenken, wie man mit Myanmar in der Ver- junta aufgerufen, diesen Willen des Volkes zu respektie- gangenheit umgegangen ist; ich fordere Bundestag und ren und ihn in die Tat umzusetzen. Bundesregierung gleichermaßen dazu auf, sich klar und Wir stehen auch an der Seite des burmesischen Volkes, deutlich hinter die demokratische Zivilregierung zu stel- weil wir wissen, dass dieses Volk eine lange Leidensge- len und mit einer symbolischen Geste das Verhältnis zwi- schichte hat. Bereits 1988 wurden Proteste sehr blutig schen unseren beiden Ländern wieder zu versöhnen. niedergeschlagen, damals ohne soziale Medien, ein von Daher fordern wir als LKR ein Asylangebot an Aung der Weltgemeinschaft fast vergessenes Ereignis. Aber San Suu Kyi. heute muss es anders sein. Es muss erfolgreich sein, es Vielen Dank. muss gewaltlos sein. Die junge Generation lebt diesen Protest und trägt ihn über die sozialen Medien in die (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Von Welt hinaus. Deswegen muss deutlich werden, dass sie wem? Was für ein Ding? – Gegenruf des Abg. sich unserer Solidarität sicher sein kann. Sie kämpft für Mario Mieruch [fraktionslos]: Die Arroganz Demokratie, für Freiheit und für den Respekt vor Men- könnt ihr euch schenken!) schenrechten. Überall dort, wo Menschen für Menschen- rechte und Demokratie und Freiheit eintreten, muss auch Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: dieser Bundestag mit Solidarität zur Seite stehen. Des- Der nächste Redner ist für die CDU/CSU-Fraktion der wegen ist es wichtig, heute Mittag diese Debatte zu füh- Kollege Dr. Volker Ullrich. ren, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Wir müssen auch deutlich zum Ausdruck bringen, was Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- wir uns erwarten: eine Resolution des UN-Sicherheits- ren! Wenn wir auf die Bilder aus Myanmar schauen, sind rats, gemeinsam mit unseren Freunden in Nordamerika, Wut und Trauer unsere Gefühle. Nach UN-Angaben sind den Vereinigten Staaten und Kanada, personenbezogene allein gestern bei Protesten 38 Menschen ermordet wor- Sanktionen gegen die führenden Köpfe der Militärjunta, den. Trotz der schlimmen Vorkommnisse gehen die Pro- (Beifall des Abg. Martin Patzelt [CDU/CSU]) (B) teste weiter, und die Menschen lassen sich nicht entmu- (D) tigen. Davor haben wir Respekt. Deswegen ist es wichtig, Einfrierung von Guthaben, um deutlich zu machen, dass heute zu debattieren und klar und deutlich zum Ausdruck es auch ökonomisch Konsequenzen hat, wenn jemand so zu bringen: Wir stehen an der Seite des burmesischen mit seinem eigenen Volk umgeht. Volkes. Aber in Myanmar geht es noch um mehr. Myanmar (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. grenzt an Thailand, an Indien und an China. Es ist ein Dr. Christoph Hoffmann [FDP]) starkes Land im südostasiatischen Raum. In diesem Be- reich der Welt kristallisiert sich gerade – das zeigt auch Wir bringen klar und deutlich folgende Forderungen der Blick nach Hongkong – eine große Frage heraus: Was zum Ausdruck: Die Gewalt muss enden, und die Täter ist stärker, Freiheit und Demokratie oder Unterdrückung aus der Militärjunta sind konsequent zur Rechenschaft zu und ein autoritäres Regime? Die Antwort, die die Welt- ziehen. Die politischen Gefangenen und Inhaftierten sind gemeinschaft darauf geben muss, ist eindeutig. Die Ant- sofort freizulassen. Der Ausnahmezustand ist aufzuhe- wort kann nur sein, dass Menschenrechte, Freiheit und ben. Das burmesische Parlament muss sofort seine Tätig- Demokratie am Ende stärker sind. Auch dieser Kampf keit wieder aufnehmen können, um eine demokratisch wird im Augenblick in den Straßen von Myanmar ausge- legitimierte Regierung zu stützen. – Das muss Grund- tragen. Deswegen ist noch mal das Signal wichtig: Wir konsens in diesem Hause sein. stehen an der Seite des Volkes in Myanmar. Der Umstand, dass ausgerechnet am 1. Februar, am Herzlichen Dank. Tag der konstituierenden Sitzung des burmesischen Par- laments, der Militärputsch erfolgte, zeigt die besondere (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Missachtung auch der Militärjunta für demokratisch legi- ordneten der SPD) timierte Volksvertreter. Deswegen brauchen wir in allen Parlamenten der Welt ein deutliches Zeichen der Ächtung Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: der Ereignisse in Myanmar und der Distanzierung davon. Das Wort hat für die SPD-Fraktion der Kollege Frank (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Schwabe. ordneten der SPD) (Beifall bei der SPD) Am 8. November 2020 hat das Volk gesprochen und mit einer großen Mehrheit der Nationalen Liga für Demo- Frank Schwabe (SPD): kratie unter der Führung von Aung San Suu Kyi die Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Min Führung des Landes anvertraut. Obwohl nach der halb- Aung Hlaing, Soe Win, Myint Swe, Sein Win, Soe autoritären Verfassung Myanmars 25 Prozent der Sitze Htut, Ye Aung, Mya Tun Oo, Tin Aung San, Ye Win Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27103

Frank Schwabe (A) Oo und Aung Lin Dwe. Man könnte auf die Idee kom- Jetzt haben wir aber die Situation, dass eine demokra- (C) men, die Namen der Opfer der Ermordeten der letzten tisch legitimierte Führung des Landes geputscht wurde Tage und Stunden hier vorzutragen. Das sind sie in dem und dass junge Menschen dagegen aufbegehren, eine Falle aber nicht, sondern es sind die Namen der Täterin- Zivilgesellschaft, wie man sich das, glaube ich, nicht nen und Täter. Aber das ist auch wichtig, damit man sich hätte vorstellen können, wie sich das auch die Militärs die Namen merkt und schaut, wie man damit internatio- nicht hätten vorstellen können. Das macht große Hoff- nal umgehen kann. Die USA haben sie bereits auf eine nung. Es stimmt tieftraurig, zu sehen, wie tagtäglich Sanktionsliste gesetzt. Es sind dieselben Vertreterinnen Menschen ermordet werden. und Vertreter der Militärs, die übrigens in Den Haag Was können wir tun? Wir tun das ja in großer Einigkeit, schon vor dem Internationalen Strafgerichtshof stehen. glaube ich. Wir müssen die Dinge auf den Tisch legen Ich will noch mal sagen: Ich glaube, man kann nicht und die Fragen diskutieren, um deutlich zu machen: Nie- Opfer gegen Opfer aufrechnen. Aber es ist schon infam, mand kommt ungenannt davon. – Wir müssen alles tun, Herr Braun, wenn Sie hier die Argumentationsmuster um Aung San Suu Kyi, ihre Partei und die demokratisch genau der Militärs übernehmen, die von Bengalen reden, legitimierte Regierung zu unterstützen, dass sie wieder die eigentlich gar nicht zu Myanmar gehören würden, ins Amt kommt. Wir müssen verurteilen, dass diese wenn Sie über die Rohingya reden und genau diese Argu- Gewalt gerade stattfindet, und fordern, dass politische mentationsmuster übernehmen, die die Grundlage und Gefangene freigelassen werden, dass die Verfolgung ein- der Hintergrund des Völkermordes, des Genozids, sind, gestellt wird. Und wir müssen den EU-Sanktionsmecha- der an Tausenden Menschen verübt wird. Hunderttausen- nismus nutzen, den wir dankenswerterweise mittlerweile de sind vertrieben worden. Das sollten Sie bei aller politi- haben, auch in Abstimmung mit den Vereinigten Staaten schen Auseinandersetzung wirklich unterlassen. von Amerika, die zum Glück zurück sind auf der Welt- bühne. Wir dürfen solche Verbrechen nicht decken, son- (Jürgen Braun [AfD]: Lenken Sie nicht ab!) dern müssen sie entsprechend anprangern. Und wir müs- Der Völkermord an den Rohingya ist dramatisch und sen auch gemeinsam alles tun, um das Verfahren vor dem schlimm. Deswegen ist es richtig, dass der Deutsche Bun- Internationalen Strafgerichtshof voranzutreiben. destag diesen verurteilt. Noch mal: Man trifft sozusagen immer die Richtigen. Es sind dieselben, die den Völkermord an den Rohingya (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP begehen und die gerade unschuldige Menschen erschie- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ßen lassen. Lassen Sie uns hoffen, dass mit dem inter- Es sind dieselben Militärs, die diesen Völkermord ver- nationalen Protest, aber vor allem mit dem Engagement der jungen Menschen im Land, die Demokratie in Myan- (B) antworten und die jetzt auf unschuldige Menschen (D) schießen lassen, sie gezielt erschießen lassen. Sie sind mar schnell zurückkehrt. verantwortlich und müssen dafür zur Verantwortung Vielen Dank. gezogen werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Die Lage und Entwicklung Myanmars ist wirklich ein der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE internationales Drama. Myanmar hat mehr Aufmerksam- GRÜNEN) keit bekommen als viele andere Länder der Welt. Das hat sicherlich etwas zu tun mit dem Charisma von Aung San Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Suu Kyi. Es hat sich am Ende leider das bewahrheitet, Der letzte Redner in der Aktuellen Stunde ist der Abge- was sie befürchtet hat. Sie hat befürchtet, dass am Ende ordnete Martin Patzelt, CDU/CSU-Fraktion. – Bitte die Militärs wieder putschen werden. Sie hat sich wahr- schön. scheinlich auch deswegen in der Frage der Rohingyas zurückgehalten. Man könnte es aber auch andersherum (Beifall bei der CDU/CSU) sagen: Das, was sie versucht hat, nämlich einen Völker- mord nicht „Völkermord“ zu nennen, hat sich am Ende Martin Patzelt (CDU/CSU): für sie nicht ausgezahlt. Es hat trotzdem am Ende diesen Danke schön. – Herr Präsident! Herr Minister! Meine Putsch gegeben. Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es hat sich auch nicht ausgezahlt – so viel kritische Wir haben eine Stunde lang mit Betroffenheit die Betrachtung muss schon sein –, dass sie es versäumt Geschehnisse in Myanmar geschildert und aufgenom- hat, ihre Partei, die Nationale Liga, entsprechend neu men. Wir haben sie mit Empathie aufgenommen. Wir aufzustellen. Auch ich war in Myanmar und habe Ver- haben danach gefragt: Wie ist das zu beurteilen? Und treterinnen und Vertreter dieser Nationalen Liga getrof- wir haben zusammen versucht, die Frage zu beantworten: fen. Es war eine Riege alter Männer. Die Partei hat es Was können wir eigentlich tun? leider nicht geschafft, das, was wir jetzt auf den Straßen Mich persönlich überfällt immer – das wird manchem an jungen Menschen, an Zukunftshoffnung, an Zukunfts- in diesem Haus so gehen – eine große Ohnmacht: eine perspektiven sehen können, mit in diesen demokratischen Aktuelle Stunde, wie schon öfters bei solchen Gelegen- Prozess einzubringen. Am Ende sind auch die Vertreter heiten, und dann war es das wieder und wir gehen zu der Rohingyas, die früher in dieser Partei an führender unseren Tagesgeschäften über. Was sollen wir auch tun? Stelle waren, zum Teil als stellvertretende Parteivorsit- Wie können wir dieses Leid, die Gewalt, das Morden, die zende, ausgeschlossen worden. Das hat zu großen Ent- Herrschaftssucht von führenden Personen der Weltge- täuschungseffekten geführt. schichte wirklich begrenzen? Als Mitglied des Men- 27104 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Martin Patzelt (A) schenrechtsausschusses überfällt mich diese Ohnmacht unser Wohlstand und unsere Freiheit resultieren. Ich (C) immer wieder. Wir hören Sitzungswoche für Sitzungs- kann ihnen nur wünschen, dass das Wasser, von dem sie woche vom Elend aus allen Teilen der Welt und wissen sprechen, überall hinrinnen wird, dass es auch die harten dann doch nicht so richtig, was wir machen können. Strukturen und die harten Menschen erreichen und erwei- Herr Braun, ich möchte Ihnen und auch Herrn Mieruch chen wird. Denn – ich will das mal ein bisschen relati- entgegentreten. Es ist nicht so, dass die deutsche Regie- vieren – von Insidern höre ich, dass es gar nicht so ein- rung oder die deutschen Parlamentarier nichts getan hät- deutig ist, dass zwar die Mehrheit, insbesondere junge ten. Allein das Schreiben unseres Bundestagspräsidenten Menschen, aufseiten der Präsidentin steht, aber es auch an den Sprecher des Parlaments macht deutlich, dass enge eine große Gruppe von Nationalisten und Menschen, die Beziehungen gewachsen waren, dass wir im Austausch totalitären Regimen anhängen, gibt, die dem Militär sehr standen. Es wurde erwähnt, dass die Bundeskanzlerin wohl die Stange halten und die jetzt als Bürgermilizen gleich zu Beginn der Präsidentschaft von Aung San Suu durch die Straßen gehen und die Bürger kontrollieren, Kyi die Kontakte gesucht hat. In der Entwicklungszusam- die die Ermächtigung dazu haben, ihnen die Handys weg- menarbeit haben wir zusammengearbeitet. Es ist einfach zunehmen, sie zu verhaften, sie in die Gefängnisse zu nicht wahr, wenn man das so sagt. Ich denke an die vielen bringen. Im Land selber und nicht nur in der Generalität Briefe und Kontakte, die wir als Menschenrechtler herrscht also eine Stimmung, die vielleicht sogar zum geknüpft haben. Bürgerkrieg führen könnte. Darauf müssen wir achten. Aber, Frau Dağdelen, wer kann denn wirklich ermes- Was können wir tun? Neben dem, was hier schon ge- sen, welche Drahtseilwanderung es ist, die die Präsiden- sagt wurde, will ich nur noch eins anmahnen. Ich habe es tin mit dieser Verfassung und den Erbschaften angetreten nämlich öfter erlebt, wie schwer es ist, ein Visum für hat: mit einem hochgradigen Nationalismus im Land, mit Menschen, die auf der Flucht sind, zu bekommen. Einer einem Hass auf die Rohingyas? Wir kennen ja die Aktio- meiner Vorredner – ich glaube, Herr Schwabe – hat das nen gegen Flüchtlinge, gegen Fremde in unserem Land. gesagt: Wir müssen diesen Menschen Asyl bieten, und Diese Präsidentin, von der wir so beeindruckt waren, weil zwar ohne große Schwierigkeiten. – Immer wieder erle- sie den Friedensnobelpreis bekommen hat, stand in der ben wir, wie schwer es ist, aus solchen Situationen heraus Kritik, weil sie versucht hat, auf diesem Drahtseil weiter- in Deutschland eine Zuflucht zu finden. Ich denke an die zugehen. Das ist gerissen. Das ist gerissen, weil die Mili- Botschaft in Prag, als sich die DDR aufgelöst hat. Wie tärs es nicht mehr ertragen konnten, dass die Entwicklung viele Menschen wurden dort aufgenommen! So schlimm vielleicht in eine demokratische Richtung geht, die sie so muss es nicht kommen. Aber ich habe bei meinen Reisen nicht wollen, vielleicht nicht nur, weil ihre Pfründe we- in Vietnam und auf die Philippinen auch erlebt, wie niger werden, sondern weil sie auch dem alten Weltbild – schwer sich unsere Botschaften tun, – (B) und da sind wir ganz nah auch bei unserem Land – ver- (D) haftet sind und nicht verstehen, dass eine multikulturelle Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Gesellschaft wie Myanmar mit der Vielvölkersituation Herr Kollege, auch der letzte Redner hat nur fünf gerade ein Vorbild sein könnte, dass diese multikulturelle Minuten. Letzter Satz, bitte. Situation die Zukunft der Welt ist. Anders können wir nicht friedlich und gerecht zusammenleben. Martin Patzelt (CDU/CSU): Ich würde mir wünschen, liebe Kolleginnen und Kol- – ja – hilfesuchenden Menschen auch konkret Hilfe zu legen, dass wir Menschenrechtler in diesem Parlament geben. Das will ich nur mitgeben. eine stärkere Stimme bekommen. Ich empfinde uns Und dann will ich noch – Herr Präsident, wenn Sie immer als ein Anhängsel. Ja, wir tun etwas, vielleicht gestatten – das Patenschaftsprogramm „Parlamentarier sind wir auch das Feigenblatt des Parlaments, vielleicht schützen Parlamentarier“ erwähnen. Es ist immer schwer, sind wir in Einzelfällen dann auch mal erfolgreich. Aber Parlamentarier dafür zu finden. Wir haben viel mehr Par- eigentlich müsste unsere Regierung mit uns intensiver lamentarier, die Schutz suchen, als Kolleginnen und Kol- zusammenarbeiten. Eigentlich müssten die anderen Aus- legen, die ihnen helfen wollen. schüsse intensiver mit uns zusammenarbeiten, sozusagen als Gütekontrolleur: ob das, was wir in unserer Politik Danke. und den einzelnen Bestrebungen machen, tatsächlich (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- unseren menschenrechtlichen Vorstellungen entspricht. ordneten der SPD) Denn im Abgleich zwischen wirtschaftlichen und diplo- matischen Interessen erlebe ich immer wieder, dass men- schenrechtliche Interessen ganz zurücktreten. Das will Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: ich keinem vorwerfen; die sind ja auch wichtig. Aber Die Aktuelle Stunde ist beendet. wenn wir uns so schmücken und wenn wir eine solche Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 12 a und Aktuelle Stunde haben, dann müsste uns das mehr beein- 12 b: drucken und wir müssten sagen: Wir wollen uns dieser Selbstkontrolle auch unterwerfen. – Warum? Weil natür- a) Erste Beratung des von der Bundesregierung lich alle Menschen und vor allem die jungen Menschen in eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur der Welt uns zum Vorbild nehmen. Sie wollen frei leben. Stärkung der Finanzmarktintegrität Sie wollen wirtschaftlich erfolgreich leben. Sie wollen in (Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz – einem allgemeinen Wohlstand leben, wie wir es tun. Und FISG) sie schauen, wie wir miteinander umgehen und woher Drucksache 19/26966 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27105

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) Überweisungsvorschlag: drücklich betonen – werden sie in der absoluten Mehrheit (C) Finanzausschuss (f) auch gerecht. Dass sie dieser hohen Verantwortung Ausschuss für Inneres und Heimat Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz gerecht werden, ist in unserem Aufsichtsregime aber Ausschuss für Wirtschaft und Energie auch zwingend notwendig. Alle Marktakteure bis hin Ausschuss Digitale Agenda Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO zum Kleinanleger müssen sich auf die geprüften Jahres- und Konzernabschlüsse verlassen können. Dieses Ver- b) Erste Beratung des von den Abgeordneten trauen – das hat der Fall Wirecard gezeigt – hat gelitten. Kay Gottschalk, Albrecht Glaser, Stefan Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf wollen wir dieses Keuter, weiteren Abgeordneten und der Vertrauen wiederherstellen. Fraktion der AfD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Handels- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Sepp gesetzbuchs – Verbesserung der Müller [CDU/CSU]) Abschlussprüfung von Kapitalgesellschaf- Mit verschärften Rotationspflichten und einer strikteren ten als Reaktion auf den Fall Wirecard Trennung von Prüfung und Beratung wollen wir nicht nur Drucksache 19/27023 Interessenkonflikte oder auch nur den Anschein von Inte-

Überweisungsvorschlag: ressenkonflikten vermeiden, sondern wir wollen auch Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) durch den häufigeren frischen Prüferblick die Qualität Finanzausschuss der Prüfungen verbessern. Ausschuss für Wirtschaft und Energie Es ist eine Aussprache von 30 Minuten beschlossen. Ein weiterer Punkt in diesem Zusammenhang ist die Erhöhung der Haftungshöchstgrenzen und die Abschaf- Ich bitte Sie, Platz zu nehmen, damit wir mit der Aus- fung des Haftungsprivilegs bei grober Fahrlässigkeit. sprache beginnen können. (Cansel Kiziltepe [SPD]: Sehr gut!) Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Parla- mentarische Staatssekretärin Sarah Ryglewski. Damit wollen wir ebenfalls verlorengegangenes Vertrau- en wiederherstellen, aber auch zusätzliche Anreize für (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten eine qualitativ hochwertige Prüfung geben. der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD) Sarah Ryglewski, Parl. Staatssekretärin beim Bun- In den meisten Fällen wird das nicht notwendig sein; das desminister der Finanzen: wissen wir. Die meisten Prüfer prüfen gewissenhaft. Aber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mei- wir halten es doch für angemessen, dass in den Fällen, wo (B) ne sehr verehrten Damen und Herren! Der Fall Wirecard tatsächlich – und das ist die Definition von „grober Fahr- (D) hat gezeigt, dass das bisherige System der Bilanzkontrol- lässigkeit“ – einfache und offenkundig grundlegende le börsennotierter Unternehmen und deren Abschlussprü- Regeln nicht beachtet wurden und Schaden in Kauf fung in Deutschland verbessert werden muss. genommen wird, eben auch ein wirtschaftlicher Anreiz Mit dem Aktionsplan zur Bekämpfung von Bilanzbe- besteht, genauer hinzuschauen. Das ist insbesondere auch trug und zur Stärkung der Kontrolle über Kapital- und im Sinne all derer, die einen ordentlichen Job machen. Finanzmärkte hat Bundesminister Olaf Scholz schon im Drittens. Wir wollen neben den Durchgriffsrechten für Oktober deutlich gemacht, dass wir entschlossen und die BaFin und den Regeln für die Abschlussprüfer auch schnell Konsequenzen aus dem Fall Wirecard ziehen die internen Kontrollsysteme in den Unternehmen ver- wollen. Der im Dezember vorgelegte Entwurf für ein bessern, zum Beispiel durch einen verpflichtenden Prü- Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität, den wir fungsausschuss. Wir wollen verhindern, dass sich Einzel- hier heute beraten, ist ein wesentlicher Schritt, damit sich ne, wie im Fall Wirecard geschehen, mit kriminellem der Fall Wirecard nicht wiederholt. Verhalten ein Unternehmen zur Beute machen. Worum geht es konkret? Natürlich bringen wir noch weitere Reformen auf den Erstens. Wir brauchen eine Neuaufstellung der Bilanz- Weg. Für einen integren und damit attraktiven Finanz- kontrolle. Die Erfahrung mit Wirecard hat gezeigt: Die platz Deutschland brauchen wir auch eine gut aufgestell- Bilanzkontrolle muss insgesamt schneller, transparenter te, moderne und schlagkräftige Finanzaufsicht. Wir und auch effektiver werden. Wo Anhaltspunkte für Unre- schieben den Handelsaktivitäten der einzelnen Mitarbei- gelmäßigkeiten bestehen, müssen wir sofort hoheitlich ter der BaFin einen Riegel vor. Ich glaube, auch das stärkt tätig werden können, und wir müssen auch die Prozesse Vertrauen. Wir stärken die Rolle des Präsidenten, der deutlich beschleunigen. Anlass- und Verdachtsprüfungen damit aber natürlich – auch das muss uns allen klar sein – sollen daher grundsätzlich in die alleinige Zuständigkeit mehr Verantwortung bekommt, und wir möchten das der BaFin fallen. Wir wollen die Durchgriffsrechte der Säulendenken innerhalb der BaFin durchbrechen durch BaFin insgesamt stärken, sodass sie auch in der Bilanz- eine abteilungsübergreifende Taskforce und eine stärkere kontrolle forensisch ermitteln kann. datengetriebene Aufsicht. (Dr. h. c. [Univ Kyiv] Hans Michelbach [CDU/ (Beifall bei der SPD) CSU]: Die machen doch Versteckspiele!) Auch hierzu werden wir weitere Vorschläge unterbrei- Zweiter Punkt. Die Abschlussprüferinnen und ten, und ich freue mich auch schon auf die weiteren Abschlussprüfer tragen in dem System der Kontrolle Diskussionen. Ich bin der Union auch sehr dankbar für eine hohe Verantwortung. Dieser – das möchte ich aus- das Positionspapier, das sie eingebracht hat. Ich nehme 27106 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Parl. Staatssekretärin Sarah Ryglewski (A) das einmal als Signal dafür, dass wir alle zusammen hier die es 2005 bzw. 2006 veranlasst hat – das war damals (C) gut und angeregt diskutieren wollen, aber auch als Signal schon die Regierung Merkel –, – sagen: Leute, da habt ihr dafür, dass wir nicht nur gründlich beraten wollen, son- handwerklich unsauber gearbeitet. dern dass uns allen auch bewusst ist, dass wir möglichst (Beifall bei der AfD) zügig beraten sollen. Denn der Finanzplatz Deutschland braucht Vertrauen, und das bekommen wir, wenn wir Mit dem sogenannten Finanzmarktintegritätsstär- schnell Klarheit schaffen. kungsgesetz versucht nun Herr Scholz – das muss man eben auch so sagen –, zunächst politisches Vertrauen Vielen Dank. zurückzugewinnen. Denn das Vertrauen der Anleger, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Märkte und der Menschen, die investieren, wird nicht der CDU/CSU) allein durch einen Gesetzentwurf wiederhergestellt. Wir müssen grundlegend an dieses Problem heran; und daran wird sich die AfD konstruktiv beteiligen. Wir haben dem- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: entsprechend einen Gesetzentwurf – wohlbemerkt einen Vielen Dank. – Für die Fraktion der AfD hat das Wort Gesetzentwurf und nicht nur einen Antrag – vorgelegt. der Abgeordnete Kay Gottschalk. Ich möchte einigen Dingen mal vorgreifen. Wir als (Beifall bei der AfD) AfD schütten nicht wie die Regierung in ihrem Entwurf das Kind mit dem Bade aus, sondern wollen die Haf- Kay Gottschalk (AfD): tungssumme der Wirtschaftsprüfer – diese ist nach dem Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Damen und HGB auf 4 Millionen Euro begrenzt gewesen – auf 1 Pro- Herren! Verehrte Vorrednerin Frau Ryglewski, der Fall zent der Bilanzsumme des zu prüfenden Unternehmens, Wirecard fällt nicht vom Himmel, und wir diskutieren aber mindestens 10 Millionen Euro festsetzen. Die Regie- schon sehr lange über die BaFin und ihre Disfunktiona- rung, insbesondere die SPD, möchte ja schon 20 Millio- lität. Ich bin heilfroh, dass es den Untersuchungsaus- nen Euro, wenn es geht, wahrscheinlich 40 Millionen schuss Wirecard gibt, der – da bedanke ich mich bei allen Euro – ich weiß es nicht –, aber auf jeden Fall ganz, Kollegen – durch seinen Druck und seine Aufklärungs- ganz hohe Summen in den Strafkatalogen ansetzen. Ich arbeit dazu beigetragen hat, dass die Koalition nun end- glaube nicht, dass es zu besseren Prüfungen und Prü- lich auch handelt. Denn dass bei der BaFin was war, ist fungsergebnissen führt, wenn wir die Strafen hochschrau- seit vier Jahren in den Anhörungen, glaube ich, kenntlich ben. Aber sie müssen merklich sein, und sie sollten daran gewesen, meine Damen und Herren. orientiert sein – das ist immer vernünftig –, welchen Jahresumsatz das zu prüfende Unternehmen eigentlich (B) (Beifall bei der AfD) macht. (D) Aber es geht nicht nur um die gesetzliche Regelung. (Beifall bei der AfD) Wir haben hier ja einen sehr guten Gesetzentwurf beige- Des Weiteren haben wir einen Vorschlag zur Rotation; stellt. Was vielmehr deutlich geworden ist – das zieht sich ich kann mir schon vorstellen, dass da der eine oder durch alle Regierungsmitglieder, das betrifft alle Ministe- andere stöhnt. Man muss sich das mal vorstellen: Bis zu rien, die APAS, das Wirtschaftsministerium und das 24 Jahre hätte EY bei Wirecard maximal prüfen und Finanzministerium –, ist die Corporate Governance und testieren können. Also dass da nicht vorher schon mal vor allen Dingen die Compliance. In der BaFin wird – Sie einer darauf gekommen ist, dass das ein bisschen lang haben es gesagt – gezockt, da wird gar kein entsprech- ist, erschließt sich mir nicht. Wir sagen hier ganz klar – ender Regelkatalog vorgehalten. Jemand von der APAS – da gibt es zwar Kritik, aber wenn schon, denn schon –: wenn auch unabhängig, aber beim BAFA im Wirtschafts- Nein, jeweils vier Jahre sollen es sein. – Sie wollen jetzt ministerium angesiedelt – hat Aktien der Wirecard AG zehn Jahre nehmen. Vier Jahre sind relevant. Ich möchte und soll das alles beaufsichtigen. auch keinen Arzt haben, der sagt, er brauche ein, zwei Meine Damen und Herren, wir müssen ähnlich wie für Jahre, bis er mal eine Herz-OP machen kann oder bis er die Wirtschaftsprüfer auch für Regierungseinrichtungen den Blinddarm rausnehmen kann. Nein, ich glaube, ich wie Wirtschaftsministerium und alle anderen nachgela- kann heute von guten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften gerten Geschäftsbereichsbehörden eine neue Compli- erwarten, dass sie sofort, wenn sie ein Unternehmen prü- ance, eine kritische Grundhaltung einführen. Wenn wir fen, ihrem Prüfungsauftrag auch entsprechend nachkom- das nicht tun, dann sind viele Gesetze Makulatur und men. laufen ins Leere. Alles in allem begrüßt meine Fraktion aber tatsächlich, (Beifall bei der AfD) dass die Koalition hier sehr schnell auf die Anliegen unseres Untersuchungsausschusses reagiert. Wir werden Ich höre zum Beispiel in Bezug auf die Geldwäsche – das kritisch begleiten. Wir werden uns mit einbringen und auch da müssen wir ran –, dass es da mal wieder eine hoffen, dass sich ein Fall wie Wirecard tatsächlich nicht Regelungslücke zwischen Niederbayern und der BaFin wieder ereignet – im Interesse der Sparer, der Rentner gab. Auch hier ist es wieder die BaFin. Wenn es eine und vor allen Dingen auch des Finanzplatzes Deutsch- Regelungslücke in Gesetzen gibt, dann ist immer die land und damit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- Regierung daran schuld, die dieses Gesetz auf den Weg mer. Denn Wirecard hat auch Arbeitsplätze gekostet. gebracht hat; denn sie hat handwerklich gepfuscht und hat nicht richtig gehandelt bzw. juristisch nicht einwand- Vielen Dank. frei gearbeitet. Also auch hier muss man der Regierung, (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27107

(A) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Bilanzbetrug aufzudecken. Dennoch hält Herr Scholz (C) Das Wort für die CDU/CSU-Fraktion hat der Abge- am zweistufigen Verfahren mit einer privaten Prüfstelle ordnete Matthias Hauer. fest. Wir als Union stehen für einen wirklichen Neuan- fang beim Enforcement. Wir wollen nämlich eine Bilanz- (Beifall bei der CDU/CSU) kontrolle bei der BaFin aus einer Hand mit klaren Zustän- digkeiten und mit sachgerechten Kompetenzen. Matthias Hauer (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und ren! Im Untersuchungsausschuss Wirecard gehen wir seit des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) fünf Monaten dem Fall Wirecard auf den Grund. Wir Auch bei der Geldwäscheaufsicht brauchen wir eine finden dabei eine BaFin vor, die nicht den Gesamtkon- konsequente Lösung. Derzeit prüfen BaFin und Bundes- zern Wirecard beaufsichtigt hat, eine Bilanzkontrolle, die länder weitgehend unabgestimmt nur die jeweils eigene keinen Betrug aufdecken konnte, und eine Geldwäsche- Zuständigkeit oder eben Unzuständigkeit. Deshalb konn- aufsicht, die niemand ausgeübt hat. Wir sehen dort eine te sich ein Milliardenkonzern wie Wirecard über Jahre BaFin, die mit einem Leerverkaufsverbot und Strafanzei- nahezu komplett der Geldwäscheaufsicht entziehen. gen Partei für Wirecard ergriffen hat, Insiderhandel durch Sobald zu einem Konzern eine Bank gehört, soll sich einige Aufseher und Banker sowie Abschlussprüfer, die nach unserer Sicht die BaFin-Aufsicht bei der Geldwä- testiert haben, obwohl Milliardenbeträge nicht existier- sche künftig nicht nur auf die Bank, sondern auf die ten. gesamte Holding erstrecken. Dennoch findet sich dazu Die Aufklärung dort läuft auf Hochtouren. Ich darf bislang im Gesetzentwurf nichts. Aber es ist ja noch nicht mich für die fraktionsübergreifend sehr gute Zusammen- zu spät. Diese Zuständigkeitslücke können wir noch arbeit im Untersuchungsausschuss bedanken. Wir wollen schließen. den Skandal gemeinsam lückenlos aufklären. Das sind wir Anlegern, Mitarbeitern und auch allen anderen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Akteuren am Finanzmarkt schuldig. Auf dem Abschlussprüfermarkt brauchen wir mehr (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Wettbewerb und nicht weniger. Wir als Union wollen Dr. Florian Toncar [FDP]) deshalb Anreize für Joint Audits prüfen, um durch das Vieraugenprinzip die Prüfungsqualität zu steigern und Wir müssen die richtigen Schlüsse aus dem Fall Wire- der Konzentration auf dem Markt entgegenzuwirken. card ziehen. Der vorliegende Gesetzentwurf bietet dafür Wir halten eine maßvolle Haftungserweiterung nach eine gute Grundlage. Er geht in die richtige Richtung. Um dem Proportionalitätsprinzip für geboten. Die im Gesetz- (B) jedoch konsequente Lehren aus dem Fall Wirecard zu entwurf vorgesehene Haftungsregelung geht deutlich (D) ziehen, wollen wir als Unionsfraktion den Gesetzentwurf über das Ziel hinaus und würde die Konzentration auf nachschärfen. Wir brauchen eine starke Bilanzkontrolle dem Wirtschaftsprüfermarkt sogar noch fördern. Hier aus einer Hand, gibt es dringenden Änderungsbedarf. (Beifall der Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/ Wir wollen noch weitere Verbesserungen am Gesetz- DIE GRÜNEN] – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/ entwurf. Wir wollen, dass die Abschlussprüfergesell- DIE GRÜNEN]: Die CDU/CSU will das offen- schaft nach zehn Jahren wechselt; aber wir wollen zusätz- sichtlich nicht!) lich, dass auch die Prüfungsteams vor Ort regelmäßig klare Kompetenzen bei der Geldwäscheaufsicht, weniger wechseln, nämlich spätestens nach fünf Jahren. Wir wol- Konzentration auf dem Wirtschaftsprüfermarkt, die Stär- len, dass sich der Prüfungsausschuss des Aufsichtsrates kung der Rechte von Aufsichtsräten und auch mehr mindestens einmal im Jahr auch mit den Abschlussprü- Transparenz bei Verstößen. Diese Punkte sollten wir im fern ohne Vorstand zusammensetzt. Wir wollen die prä- Gesetzgebungsverfahren zwingend ergänzen. Das hat ventive Wirkung berufsaufsichtlicher Maßnahmen durch übrigens die gemeinsame Arbeit im Untersuchungsaus- erhöhte Transparenz stärken, und wir wollen Informatio- schuss gezeigt. Ich freue mich auch über die zustimm- nen von Whistleblowern besser nachgehen. Wenn also enden Worte von der Parlamentarischen Staatssekretärin künftig ein Informant bei der BaFin anruft und auspacken Ryglewski dazu. Ich hätte dazu hier auch gerne zustim- will, dann darf es nicht mehr vorkommen, dass die BaFin mende Worte des Bundesministers vernommen und finde beim Wort „Wirecard“ plötzlich kein Englisch mehr ver- eigentlich, dass bei einer solchen Debatte die Anwesen- steht und den Hörer auflegt. heit von Herrn Scholz angemessen wäre. Es liegt also noch viel Arbeit vor uns. Abschließend (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- sage ich sehr deutlich: Wenn der Parlamentarische Unter- neten der AfD und der FDP – Sören Bartol suchungsausschuss oder auch die Sachverständigenanhö- [SPD]: Ja, ja! Wenn bei euch ein Minister nicht rung noch weitere Dinge zu Tage fördern, werden wir als da ist, ist das aber okay! Mann, Mann, Mann! Union bereitstehen, das ins Gesetzgebungsverfahren Das ist echt billig!) noch mit aufzunehmen. Aufklärung und gesetzgeberische Das zweistufige Verfahren der Bilanzkontrolle hat bei Schlussfolgerungen müssen im Fall Wirecard Hand in Wirecard versagt. Die BaFin hat sich bei der Kontrolle Hand gehen. auf die privatrechtlich organisierte Prüfstelle verlassen, Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. obwohl beide Seiten, BaFin und DPR, wussten, dass der Prüfstelle die forensischen Werkzeuge fehlen, um (Beifall bei der CDU/CSU) 27108 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

(A) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Insofern ist das, was Sie hier vorgelegt haben, aus (C) Vielen Dank, Matthias Hauer. – Der nächste Redner für meiner Sicht erst mal kein Finanzmarktintegritätsstär- die FDP-Fraktion ist der Abgeordnete Dr. Florian Toncar. kungsgesetz, sondern ein Schlechtes-Gewissen-Gesetz, meine Damen und Herren von der Bundesregierung. (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Antje Tillmann [CDU/CSU]) (Beifall bei der FDP) Wir werden uns natürlich in den nächsten Wochen über Dr. Florian Toncar (FDP): Corporate Governance, die Organisation von Unterneh- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die men unterhalten. Starke Aufsichtsräte heißt starkes meisten unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger kennen Eigentum, und starkes Eigentum muss in der sozialen Deutschland als ein gut organisiertes Land, in dem funk- Marktwirtschaft das Ziel Nummer eins sein. Deswegen tionsfähige Behörden und eine gute Regierung dafür sor- wollen auch wir die Aufsichtsräte stärken – über das gen, dass das Recht in der Fläche durchgesetzt wird. hinaus, was Sie vorgelegt haben. Dieses Bild hat in den letzten Monaten gelitten: Andere Zum Thema Abschlussprüfer. Auch das betrifft eine Länder impfen schneller, sie sind uns bei der Digitalisie- Kernfunktion der sozialen Marktwirtschaft; denn der nor- rung voraus, können Kontakte nachverfolgen und Unter- male Kleinanleger kann ja nicht nach Singapur reisen und richt digital organisieren. Deutschland 2021 ist ein Land, nachschauen, ob dort bei einer örtlichen Bank ein Treu- in dem zwar alles geregelt ist, aber niemand mehr han- handguthaben von 1,9 Milliarden Euro vorhanden ist delt, in dem viele mitdiskutieren, aber niemand entschei- oder nicht. Er ist darauf angewiesen, dass das jemand det, geschweige denn für die Ergebnisse der eigenen Ent- für ihn macht. Insofern sehen wir auch hier Reformbe- scheidungen noch geradesteht. Deutschland 2021 ist ein darf, ohne aber, wie Sie es machen, die mittelständische Reformfall in vielerlei Hinsicht. Prüferbranche derart mit Kosten und Auflagen zu belas- ten, dass es am Ende eine stärkere Konzentration auf die (Beifall bei der FDP) Big Four geben wird als vor Wirecard; das wäre nämlich genau die falsche Konsequenz aus diesen Erkenntnissen. Ein Beispiel dafür ist auch der Fall Wirecard. Alles, was ich gerade eher im Kontext der Pandemie gesagt (Beifall bei der FDP) habe, kann man eins zu eins auf Wirecard übertragen. Ein beispielloser Betrug vor den Augen unserer Behör- Und wir werden uns mit Ihnen natürlich über das Auf- den! Nicht nur, dass die Behörden wie in vielen Fällen gabenprofil der Finanzaufsicht unterhalten müssen. Eine sonst untätig geblieben wären, nein, es ist den Leuten bei (B) Finanzaufsicht, die für alles zuständig ist, was sich auf (D) Wirecard sogar gelungen, die Täuschung so weit zu trei- dem Finanzmarkt abspielt, die Sie noch stärker in neue ben, die Behörden zum Werkzeug ihres Betruges zu Aufgaben wie die Überwachung von kleinen Selbststän- machen, Staatsanwälte und die Finanzaufsicht dazu zu digen, kleinen Anlageberatern oder in Form von Testkäu- bringen, in Form von Leerverkaufsverboten und Strafan- fen im Kontext Verbraucherschutz einbinden wollen, eine zeigen gegenüber Journalisten Partei zu ergreifen und solche Aufsicht wird doch die Aufgaben, die sie heute dabei mitzuhelfen, die Märkte noch weiter zu täuschen. erledigen muss – Überwachung der Stabilität von Märk- Das ist aus qualitativer Hinsicht ein sehr viel gravierende- ten oder Betrugsaufdeckung – nicht besser, sondern we- rer Vorgang als viele andere Betrugsfälle in der Vergan- niger gut erfüllen können. genheit. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Herr Kollege, die Zeit ist abgelaufen. Wir haben im Untersuchungsausschuss gesehen, dass die zentralen Behauptungen der Bundesregierung aus Dr. Florian Toncar (FDP): dem letzten Sommer widerlegt sind. Deshalb ist bei der BaFin das Gebot der Stunde: Fokussierung, Schwerpunktsetzung, ein klares Profil Behauptung eins: Das war für die Behörden nicht und nicht immer mehr Aufgaben in der Breite. Das wer- erkennbar aus Zeitungsartikeln. – Wir haben inzwischen den wir vorschlagen, und in diese Richtung muss das eine ganze Fülle an Hinweisen aus seriösen Quellen, auch Ganze auch gehen. von anderen Behörden, gefunden, die insbesondere die Finanzaufsicht und die Staatsanwaltschaft zum Handeln Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: bei Wirecard gezwungen hätten. Herr Kollege Toncar. Die zweite widerlegte Behauptung ist, es gebe keine ausreichenden Kompetenzen, weiter in die Muttergesell- Dr. Florian Toncar (FDP): schaft hineinzugehen. Dass das nicht der Fall ist, haben Gesetze decken keine Skandale auf, sondern Men- wir gerade erst in der letzten Woche vom Exekutivdirek- schen. Das ist doch der entscheidende Punkt. tor für die Bankenaufsicht, Herrn Röseler, bestätigt be- kommen. Ob diese Kompetenzen bestehen, sei sogar Herzlichen Dank. geprüft worden, aber man habe sie am Ende nicht ausge- übt. (Beifall bei der FDP) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27109

(A) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Uwe (C) Der nächste Redner für die Fraktion Die Linke ist der Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Kollege Fabio De Masi. Deswegen, sagen wir, braucht es das Vieraugenprinzip (Beifall bei der LINKEN) in der Wirtschaftsprüfung, Joint Audits. Es braucht häufi- gere Rotationen; der Bundesrat hat bei Unternehmen von öffentlichem Interesse sechs Jahre als Frist empfohlen. Fabio De Masi (DIE LINKE): Und wir brauchen eine klare Trennung von Prüfung und Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Beratung. Wenn es eine Bank im Konzern gibt, brauchen Deutschland hat eine ganze Serie von Finanzskandalen erlebt: vom Cum/Ex-Skandal über den P&R-Skandal hin wir auch eine Geldwäscheaufsicht, die bei der ganzen Holding ansetzt, damit wir dieses Aufsichtstennis zwi- zu den Skandalen bei der German Property Group und schen Regierungsbezirk Niederbayern und BaFin nie dieser Tage bei der Greensill Bank in Bremen sowie eben den Wirecard-Skandal. Das hat auch die Reputation der wieder erleben. deutschen Finanzaufsicht massiv beschädigt. 20 Milliar- Zum Schluss ein Problem, über das auch viel gespro- den Euro Börsenwert haben sich im Wirecard-Skandal chen worden ist, nämlich dass in Aufsichtsbehörden über Nacht in Konfetti aufgelöst, und das hat dramatische Insiderhandel gemacht wurde, Beschäftigte selber mit Konsequenzen, auch für Kleinanlegerinnen und Kleinan- Wirecard-Aktien gezockt haben. Hier gibt es eine große leger. Betroffen ist zum Beispiel ein Seemann, der bereits Regelungslücke, auch in Ministerien. Und ja, auch in in Rente war; er muss jetzt wieder zur See fahren, weil er dieser Institution, im Deutschen Bundestag, ist es mög- seine Lebensersparnisse verloren hat. lich, dass Abgeordnete Insiderinformationen verwerten. Hier müssen wir dringend nachschärfen. Herr Kollege Toncar hat recht: In einem Land, in dem wir zum Beispiel die Taskforce während der Coronakrise Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ausgerechnet Herrn Scheuer und Herrn Spahn übertra- (Beifall bei der LINKEN) gen, schwindet vielleicht auch irgendwann das Vertrauen in andere Institutionen, in die Finanzaufsicht. Wir haben das Versprechen des Finanzministers, die BaFin solle die Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: beste Finanzaufsicht der Welt werden. Aber momentan Die nächste Rednerin: für Bündnis 90/Die Grünen die hat sie eher eine Performance wie Schalke 04. Abgeordnete Lisa Paus. (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Widerspruch bei der SPD) Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (B) Deswegen müssen wir, glaube ich, hier jetzt die rich- (D) tigen Schlüsse ziehen. Das zweistufige Bilanzkontroll- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben verfahren mit der DPR, der sogenannten Bilanzpolizei, heute ein Gesetz vorliegen, das Olaf Scholz sozusagen hat sich nicht bewährt; denn die DPR ist eben privatrecht- ein bisschen Luft im Wirecard-Skandal verschaffen soll. lich organisiert, und sie hat in der Kommunikation mit (Matthias Hauer [CDU/CSU]: Heute hat er sich Wirecard, um nur mal ein Beispiel zu nennen, Wirecard schon mal in Luft aufgelöst! – Gegenruf des darum gebeten, ihr Argumente zu liefern, weswegen sie Abg. Sören Bartol [SPD]: Jetzt ist aber mal Betrugsvorwürfe nicht untersuchten sollte. Der Präsident gut! Wo ist denn Altmaier?) der DPR, Professor Ernst, hat Aufsichtsratsmandate Es stimmt, in dem Gesetz steht auch was drin; das ist gesammelt wie andere Leute Briefmarken. Deswegen nicht nichts. Es enthält zum Teil Relevantes. ist es Zeit, dass wir uns von dem zweistufigen Bilanz- kontrollverfahren verabschieden. (Zuruf des Abg. Dr. h. c. [Univ Kyiv] Hans Michelbach [CDU/CSU]) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Allerdings wäre es noch besser, wenn wir, nachdem wir dieses Gesetz jetzt haben, eine neue Führung bei der Das wäre ein Stück europäische Normalität; denn in BaFin einsetzen würden. Das ist völlig klar: Mit diesem anderen EU-Mitgliedstaaten ist diese Bilanzkontrolle Gesetz braucht es auch eine neue Führung bei der BaFin. eine hoheitliche Aufgabe. Die BaFin ist dafür bisher Aber da Olaf Scholz offenbar Herrn Hufeld noch länger aber nicht befähigt. Sie hat nur fünf Mitarbeiter mit Wirt- als Schutzschild brauchte, werden wir jetzt zwar ein Ge- schaftsprüferexamen; und das müssen wir dringend än- setz beschließen, aber diese neue BaFin ist bisher füh- dern. rungslos; das wird sich um weitere Wochen und Monate (Beifall bei der LINKEN) verzögern. Ein echter Neustart bei der BaFin sähe anders Denn man überträgt auch nicht dem ADAC die Alkohol- aus. Sie hätten es anders machen können. kontrolle am Ortseingang. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wenn sich jetzt alle Welt über EY aufregt, die die sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Jahresabschlüsse immer so problemlos testiert haben, Und an entscheidenden Stellen greift dieses Gesetz muss kritisch angemerkt werden: EY ist immer noch eben zu kurz, auch wenn richtige Ansätze drin sind. Ein das Beratungsunternehmen, das am meisten Aufträge zentraler Punkt wurde schon genannt: Die Deutsche Prüf- von der Bundesregierung bekommt, insbesondere von stelle für Rechnungslegung hat total versagt; sie hat ge- Herrn Spahn beim Management des Maskenchaos. Damit sagt, sie sei eine Bilanzpolizei, hatte aber überhaupt nicht muss endlich Schluss sein! die Mittel dazu. – Sie wollen sie mit diesem Gesetz trotz- 27110 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Lisa Paus (A) dem weiter bestehen lassen. Sie wollen jetzt Teilkompe- eine klare Trennung von Prüfung und Beratung über (C) tenzen an die BaFin übertragen; weiterhin soll es aber einen Zeitraum von fünf oder sechs Jahren. Auch dafür diese Prüfstelle geben. Warum? Diese Prüfstelle in der brauchen wir konkrete Anknüpfungspunkte in diesem Form braucht kein Mensch! Deswegen: Seien Sie konse- Gesetz. Dann könnten wir dem auch zustimmen. Viel- quent! Unterstützen Sie das, was schon gesagt wurde: leicht schaffen wir es ja in der entsprechenden Beratung. Diese Prüfstelle gehört abgeschafft und die Zuständigkeit für die Bilanzkontrolle vollständig auf die BaFin über- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tragen, meine Damen und Herren! Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Matthias Hauer [CDU/CSU]) Die nächste Rednerin: für die Fraktion der SPD die Kollegin Cansel Kiziltepe. Mit diesem Gesetz stärken Sie tatsächlich auch Berei- che der BaFin; aber nach wie vor ist das Thema Verant- (Beifall bei der SPD) wortung unklar. Wir haben es ja im Wirecard-Untersu- chungsskandal erlebt – gerade heute haben wir das Cansel Kiziltepe (SPD): Thema Leerverkaufsverbot auf der Tagesordnung –: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bisher ist schon völlig klar, dass die BaFin hier fachlich Fall Wirecard hat gravierende Missstände am Wirt- nicht sauber gearbeitet hat. Vielmehr hat sie, obwohl es schaftsstandort Deutschland offenbart. Ein krimineller klare gesetzliche Grundlagen gibt, welche Tatbestands- Clan hat es mit Märchen und Lügen bis in den DAX merkmale erfüllt sein müssen, um ein Leerverkaufsver- hinein geschafft. In der europäischen Geschichte war es bot zu verhängen, gegen diese Grundlagen verstoßen. ein beispielloser Raubzug – ein Raubzug, dessen Wieder- Wir brauchten außerdem einen Untersuchungsausschuss, holung wir mit allen Mitteln verhindern müssen. um zu klären, wer genau wie miteinander korrespondiert hat oder nicht. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Matthias Hauer [CDU/CSU]) Deswegen sagen wir ganz klar: Die fachliche Verant- wortung für solche Entscheidungen sollte allein bei der Die Ursachen für den Wirecard-Skandal sind vielfältig. BaFin liegen; sie muss verantwortlich sein. Dafür braucht Im Mittelpunkt stehen jedoch zum einen das Versagen der sie mehr fachliche Unabhängigkeit und nicht die Fach- Wirtschaftsprüfer und zum anderen ein lückenhaftes aufsicht des Bundesfinanzministeriums. Wir sagen: Die- Regelwerk für die Aufsicht. Solange Prüfer lieber Blu- se BaFin sollte sich zukünftig auch gegenüber dem Par- men verschenken, als kritisch zu sein, und Behörden sich lament und der Öffentlichkeit verantworten. Mehr in die Nichtzuständigkeit flüchten, gibt es Handlungsbe- (B) Unabhängigkeit, mehr fachliche Stärke bei der BaFin – darf. An diesen Stellen setzen wir mit dem vorliegenden (D) auch hier könnten Sie weiter gehen, meine Damen und Gesetzentwurf auch an; ein zweites Wirecard darf es Herren. nicht geben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD) Eine völlige Leerstelle in dem Gesetz ist das Thema Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir verschärfen die „Geldwäscheaufsicht bei der BaFin“. Da passiert gar Rotationsfristen; kein Prüfer wird mehr über 20 Jahre mit nichts, und das, obwohl ein ganz zentraler Aspekt der seinen Prüflingen in den Jacuzzi springen. Kein Prüfer ganzen Wirecard-Geschichte das Thema Geldwäsche- wird mehr aus Gründen fehlender Folgen auf Saldenbes- skandal ist. Dazu findet sich in diesem Gesetz nichts – tätigungen verzichten. Wir heben die Haftungsgrenzen Fehlanzeige! Auch da gibt es dringenden Nachbesse- für grobe Fahrlässigkeit auf. Wir wollen, dass die Big rungsbedarf. Es wurde schon angesprochen: Wir brau- Four keinen Haftungsblankoscheck mehr bekommen. chen auf jeden Fall etwas zum Thema Mischkonzern, wir brauchen auch etwas zur klaren Definition von (Beifall bei der SPD) Finanzunternehmen. Auch hier brauchen wir dringend Doch das wird nicht reichen. Diese Vorschläge kom- Nachbesserungen. men aus dem Sommer, und bis heute gab es keinen ein- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zigen Vorschlag aus der Fraktion der Union. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Matthias Hauer [CDU/CSU]: Was? Das des Abg. Fabio De Masi [DIE LINKE]) stimmt doch gar nicht! Das ist doch Unsinn!) Zum Schluss das Thema Wirtschaftsprüfer. Es wurde Aber seitdem haben wir einiges im Untersuchungsaus- ja schon darauf hingewiesen: Es gibt große Panik, dass schuss aufgedeckt. An dieser Stelle noch mal Dank an wir auf einmal statt „Big Four“ nur noch „Big Three“ meine Kollegen, mit denen wir unermüdlich versuchen, haben. Wie absurd ist das denn? Ganz sicher ist: Die den Fall Wirecard aufzuarbeiten! vielen Beraterverträge der Bundesregierung allein wer- den nicht reichen, um EY das Überleben zu garantieren. So sind uns umfangreiche Missstände bei der Prüfer- Was wir dringend brauchen, ist tatsächlich mehr Wett- aufsicht der APAS bekannt geworden: Nicht nur zockt bewerb. Das geht nicht von heute auf morgen. Deswegen der APAS-Leiter trotz Insiderwissen mit Wirecard- sagen wir: Wir müssen damit anfangen, dass wir Joint Aktien – nein, über 30 der 50 APAS-Mitarbeiter/-innen Audits ermöglichen, bei denen man dann gemeinsam sind auch direkt abhängig von den Big Four, sie hängen prüft – Vieraugenprinzip statt Zweiaugenprinzip –, und sozusagen am Tropf der Beaufsichtigten. Und von Wirt- dass wir, wie Großbritannien, den Weg freimachen für schaftsminister Altmaier – ich vermisse ihn heute hier – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27111

Cansel Kiziltepe (A) (Matthias Hauer [CDU/CSU]: Der ist doch wichtig, dass der Untersuchungsausschuss seine Tätig- (C) nicht federführend! Wo ist denn die Frau keit dafür unterbrochen hat und viele Mitglieder des Lambrecht? Wer ist denn für die DPR zustän- Untersuchungsausschusses hier heute auch sprechen. dig? Nur die Frau Lambrecht! – Gegenruf des Der Untersuchungsausschuss hat deutlich gemacht, Abg. Sören Bartol [SPD]: Das ist doch Kinder- dass der Fall Wirecard, aber nicht nur er – es gibt auch garten! Selber schuld! Das war doch Ihre andere Fälle, die wir mit der BaFin in Verbindung bringen bescheuerte Rede!) können, wie Grenke, AvP und jetzt die Greensill Bank –, wünsche ich mir ein bisschen mehr Einsatz bei der Auf- dazu führt, dass wir handeln müssen. Aber was mir in sicht über die Wirtschaftsprüfer. Die APAS muss gestärkt dieser Debatte bis jetzt fehlt, ist der Hinweis, dass wir und vom Berufsstand unabhängiger werden. Liebe Kol- natürlich über Aufsicht diskutieren müssen, aber die leginnen und Kollegen, man kann nicht einfach wie ein Betrüger andere sind: Es gibt bei Wirecard im Vorstand Strauß den Kopf in den Sand stecken und hoffen: Das Leute, die gezielt betrogen haben. Ich finde, das sollte geht an mir vorbei. man heute auch erst mal feststellen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: bei Abgeordneten der FDP) Kein Aufruhr! Die Kollegin spricht. Natürlich müssen wir uns Fragen stellen, wenn so ein Betrug vorkommt: Warum erwischen wir die Betrüger Cansel Kiziltepe (SPD): nicht? Warum funktioniert das Aufsichtssystem nicht, Nehmen Sie sich doch ein Beispiel an Ihren Kabinetts- das wir vielfältig gestaltet haben? Da sind natürlich kollegen: Bei der BaFin wird jeder Stein umgedreht. Die auch die Abschlussprüfer im Fokus der Debatte – das BaFin wird neu aufgestellt. Sie bekommt neue Befugnis- weiß ich auch als Wirtschaftsprüfer –; aber, Frau se, damit die Bilanzkontrolle Biss bekommt. Wir stellen Kiziltepe, in diesem Zusammenhang vermisse ich schon sicher, dass die DPR kein Rotary Club für Aufsichtsräte die BaFin, die Sie in Ihrer ganzen Rede nicht einmal mehr ist. erwähnt haben. (Matthias Hauer [CDU/CSU]: Herr Scholz will (Beifall der Abg. Matthias Hauer [CDU/CSU] doch an der DPR festhalten! Das zweistufige und Kay Gottschalk [AfD] – Matthias Hauer Verfahren steht doch im Gesetz drin!) [CDU/CSU]: Das sind die Scheuklappen!) Und diesen Rotary Club können wir meinetwegen gerne Ich bin ja auch gerne dafür, darüber nachzudenken, das auch auflösen. Enforcement – also die Überprüfung, die Bilanzkontrol- (B) le – bei der BaFin einstufig zu gestalten. Das setzt aber (D) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) voraus, dass die BaFin in Zukunft anders arbeitet, als sie im Fall Wirecard gearbeitet hat. Sonst funktioniert das Liebe Kolleginnen und Kollegen, hier fehlt aber eindeu- nämlich nicht, meine Damen und Herren. tig die APAS; bei ihr etwas zu ändern, ist entscheidend. Da warten wir noch auf konkrete Vorschläge. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD) (Matthias Hauer [CDU/CSU]: Wir haben schon Vorschläge zur Transparenz gemacht!) Wir müssen uns natürlich auch ansehen, ob wir bei den Abschlussprüfern Reformbedarf haben. Wir müssen aber Wir brauchen und wollen – das ist klar – eine Welt- auch gucken, ob die Maßnahmen, die wir wirklich klasseaufsicht. Dafür legen wir mit diesem Gesetz den beschließen, tatsächlich einen Fall Wirecard oder einen ersten Grundstein. Ich bin gespannt auf Ihre Vorschläge. ähnlichen Fall in Zukunft ausschließen. Aktionismus Danke schön. alleine hilft nicht. (Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ Ich sage schon deutlich, dass wir nicht alle 13 000 CSU]: Das ist doch alles lächerlich! – Matthias Wirtschaftsprüfer in Deutschland – es gibt nahezu 2 400 Hauer [CDU/CSU]: Wir haben Vorschläge Wirtschaftsprüfungsgesellschaften –, die ihren Job im gemacht!) Wesentlichen wahrscheinlich gut machen, in Bausch und Bogen verurteilen dürfen. Denn wir haben in Deutschland kein Problem im System der Abschlussprü- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: fung, sondern wir haben hier Abschlussprüfer gehabt, die Der Kollege Fritz Güntzler hat jetzt das Wort für die anscheinend ihren Job nicht ordentlich gemacht haben, CDU/CSU-Fraktion. und das ist ein feiner Unterschied. (Beifall bei der CDU/CSU – Volker Kauder (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie [CDU/CSU], an die Abg. Cansel Kiziltepe bei Abgeordneten der SPD) [SPD] gewandt: Da brauchen Sie gar nicht zu Natürlich muss man sich die Frage stellen, warum in lachen! Das war peinlich!) einer so großen Organisation wie EY das passieren konn- te. Aber ich halte es auch für falsch, die gesamte Organi- Fritz Güntzler (CDU/CSU): sation oder das Gesamtunternehmen EY mit über 11 000 Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Mitarbeitern einfach auf die Anklagebank zu setzen. Ich Kollegen! Meine Damen und Herren an den Fernsehern, finde, das ist kein fairer Umgang mit den Mitarbeiterin- die sich diese Debatte heute anhören! Sie ist wirklich so nen und Mitarbeitern dieser Gesellschaft. 27112 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Fritz Güntzler (A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- mehr Transparenz bei schwerwiegenden berufsrechtli- (C) ordneten der SPD und der FDP) chen Verstößen durch die Abschlussprüfer. Vor allem aber müssen die Ergebnisse des Wirecard-Untersu- Der Kollege Hauer hat aufgezählt, was wir alles chungsausschusses Eingang in den Gesetzentwurf finden. machen wollen. Ich finde, da sind auch gute Dinge dabei, Es geht nicht, dass lediglich ein Ablenkungsmanöver die wir bei den Abschlussprüfern beachten müssen. Das stattfindet. Wir brauchen ein durchdachtes Regelwerk. Entscheidende ist – und das ist eine Bitte von einem Wirt- Mit Aktionismus gewinnen wir kein Vertrauen am schaftsprüfer, der aus dem Mittelstand kommt, der vor Finanzplatz zurück. seinem Abgeordnetenmandat diesen Beruf sehr gerne ausgeübt hat, ihn teilweise auch noch ausübt und, auch (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Kay wenn ich hoffe, dass mich der Wähler wieder wählt, Gottschalk [AfD]) irgendwann weiter ausüben möchte –, dass unser Gesetz Bei Wirecard gab es im BMF, bei der BaFin und in nicht dazu führen darf, dass es nur noch große Wirt- anderen Behörden eine organisierte Verantwortungslo- schaftsprüfungsgesellschaften gibt, dass wir den ganzen sigkeit der handelnden Personen. Jetzt müssen Behörden Mittelstand vom Markt fegen. Die Gefahr besteht derzeit, und Bundesregierung Verantwortung übernehmen. wenn wir die Haftung so regeln, wie sie jetzt im Gesetz steht. Von daher haben wir da Diskussionsbedarf. Der Erfolg unserer sozialen Marktwirtschaft beruht auf dem Prinzip der freien wirtschaftlichen Betätigung im Wir freuen uns auf die Diskussionen. Uns eint der Rahmen der politisch gesetzten Leitplanken. Unterneh- Wille, etwas Gutes für den Finanzmarkt in Deutschland men wie Wirecard, die diese Leitplanken bewusst miss- zu erreichen; denn er ist von zentraler Bedeutung für die achten, beschädigen das Vertrauen in unsere Wirtschafts- deutsche Wirtschaft und damit für unseren gesamten ordnung und liefern Vorwände, unser Wirtschaftssystem Wohlstand. zu diffamieren. Aber auch der Staat, der die Einhaltung Herzlichen Dank. der Leitplanken nicht oder nur unzureichend kontrolliert, beschädigt Vertrauen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Johannes Schraps [SPD]) Es ist unbestritten: Bei Wirecard hat es schwerwiegen- des Aufsichtsversagen gegeben. So etwas, meine Damen und Herren, darf nie wieder geschehen. Wir beraten heute Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: über einen Gesetzentwurf aus dem Bundesfinanzministe- Jetzt kommen wir zum letzten Redner zu TOP 12: Herr rium, nicht aus dem Bundeswirtschaftsministerium. Kollege Hans Michelbach, CDU/CSU-Fraktion. Nichts gegen Sie, Frau Staatssekretärin Ryglewski, aber (Beifall bei der CDU/CSU) wenn der Minister in den Medien groß einen Gesetzent- (B) wurf ankündigt, dann darf er, wenn der Gesetzentwurf im (D) Parlament beraten wird, nicht fehlen. Dr. h. c. (Univ Kyiv) Hans Michelbach (CDU/ CSU): Danke schön. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die- (Beifall bei der CDU/CSU) ser Gesetzentwurf hat seinen Ursprung im Wirecard- Skandal, dem größten Finanzskandal der deutschen Nachkriegsgeschichte – eine Insolvenz mit Ansage, ein Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: massiver Schaden für Aktionäre und Gläubiger und für Ich schließe die Aussprache zu den Tagesordnungs- den Ruf unseres Finanzplatzes Deutschland. punkten 12 a und 12 b. Wir arbeiten diesen Betrugsfall in einem Untersu- Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwürfe chungsausschuss auf. Was wir dort zu hören bekommen, auf den Drucksachen 19/26966 und 19/27023 an die in deutet auf schwerwiegende Versäumnisse und Fehler bei der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- der Aufsicht durch Behörden, BaFin und Bundesfinanz- gen. Gibt es weitere Überweisungsvorschläge? – Das ist ministerium hin. Der Betrug wurde einfach zu leicht nicht der Fall. Dann verfahren wir so. gemacht. Es hat wohl noch keinen Untersuchungsaus- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf: schuss gegeben, dessen Ergebnis in den Behörden so rasch so viele personelle Konsequenzen nach sich gezo- Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus gen hat. Herr Hufeld, der damalige BaFin-Präsident, war Herbrand, Christian Dürr, Dr. Florian Toncar, das Bauernopfer und musste letztendlich gehen. weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Meine Damen und Herren, es sind vor allem struktu- Doppelbesteuerung bei Renten verhindern relle Konsequenzen nötig, um das Vertrauen in den Drucksache 19/27174

Finanzplatz Deutschland wiederherzustellen. Wir haben Überweisungsvorschlag: als CDU/CSU dazu bereits im Juli 2020 in der Öffent- Finanzausschuss (f) lichkeit Vorschläge unterbreitet. Ich bin erfreut, manches Ausschuss für Arbeit und Soziales von dem im vorliegenden Gesetzentwurf wiederzufinden. Für die Aussprache sind wiederum 30 Minuten be- (Beifall des Abg. Matthias Hauer [CDU/CSU]) schlossen. Aber manches, das verbesserungsbedürftig ist, fehlt. Ich eröffne die Aussprache, und es beginnt für die Ich nenne nur einige Beispiele: Stärkung der Aufsichts- FDP-Fraktion der Kollege Markus Herbrand. Bitte schön. räte, kürzere Rotationszeiten für Abschlussprüfer und (Beifall bei der FDP) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27113

(A) Markus Herbrand (FDP): (Beifall bei der FDP und der LINKEN) (C) Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine lieben Kollegin- nen und Kollegen! Zur Umsetzung eines Urteils des Deshalb steht die Umkehr der Beweislast im Zentrum Bundesverfassungsgerichts hatte sich der Gesetzgeber unseres Antrags. Zukünftig sollen Rentnerinnen und entschieden, ab 2005 bis 2040 auf die sogenannte nach- Rentner einen Anspruch darauf haben, dass auf Antrag gelagerte Besteuerung von Renten umzusteigen. Das Ver- festgestellt und nachgewiesen wird, dass es nicht zu einer fassungsgericht hatte eine hohe, aber sehr nachvollzieh- doppelten Besteuerung kommt. bare Hürde gestellt, indem es damals anmahnte, dass es in (Beifall bei der FDP) keinem Fall zu einer doppelten Besteuerung kommen darf. Es darf also keine Versteuerung von Renten geben, Ich bin mir sicher: Wenn wir diese Beweislastumkehr soweit diese aus Beiträgen stammen, die nicht von der eingeführt haben, wird auch dem Letzten relativ schnell Steuer absetzbar waren. klar werden, dass wir an dem Alterseinkünftegesetz von 2005 werden nachbessern müssen. Viele Rentnerinnen und Rentner spüren diese Umstel- lung seit Jahren. In vielen Fällen führt der steigende In diesem Zusammenhang ein paar Worte zum Haus- Anteil der Versteuerung dazu, dass sie nun erstmals halt: Dieser Sachverhalt zeigt aus meiner Sicht exempla- Steuererklärungen abgeben müssen. Für uns steht die risch den recht respektlosen Umgang dieser Bundesregie- Frage im Raume, ob nicht doch viele der Bezieher von rung mit der Verfassung im Steuerrecht, ob es die jetzt versteuerten Renten Opfer einer zumindest teilwei- Rentenbesteuerung ist, ob es der Solidaritätszuschlag sen doppelten Versteuerung sind. ist, ob es ganz aktuell die Beschränkung der Verlustab- zugsmöglichkeiten bei den Kapitaleinkünften ist oder ob Aber weder die Bundesregierung noch die Koalition es die viel zu hohe Verzinsung im Steuerrecht ist. Das sehen hier wohl gesetzgeberischen Handlungsbedarf. alles sind ja auch enorme Haushaltsrisiken, die immer Deshalb beantragen wir heute unter anderem detaillierte mit getragen werden. Berechnungen für unterschiedliche Personengruppen und mehr Informationen darüber, welche Auswirkungen die (Zuruf von der FDP: Sehr wahr!) Anpassungen verschiedener Parameter aus der Reform von 2005 hätten, wenn es beispielsweise zu einer zeit- Wir sind der Auffassung, dass diese Bundesregierung lichen Streckung käme. auch an dieser Stelle nicht für solide Haushaltspolitik steht. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Gute Idee!) Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Wir benötigen auch sehr viel mehr Transparenz. Denn es (Beifall bei der FDP) (B) geht nicht darum, dass Renten nicht versteuert werden – (D) das muss gesagt werden –; aber es geht darum, dass Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Renten nicht doppelt versteuert werden. Vielen Dank, Markus Herbrand. – Jetzt hat das Wort (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten für die CDU/CSU-Fraktion der Abgeordnete Olav der SPD und der LINKEN) Gutting. Liebe Kolleginnen und Kollegen, neben dieser offen- (Beifall bei der CDU/CSU) kundigen Rechtsfrage wiegt ein anderer Aspekt beson- ders schwer, nämlich der Umgang mit denjenigen, die sich, gestützt auf das Urteil des Bundesverfassungsge- Olav Gutting (CDU/CSU): richts, gegen die aktuelle Versteuerungspraxis wehren. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich Sie scheitern zurzeit daran, dass es ihnen nahezu unmög- glaube, beim Thema Doppelbesteuerung von Renten lich gemacht wird, ihre Beschwer zu begründen. Man wird gerade ein ziemlicher Popanz aufgebaut. erwartet allen Ernstes, dass jeder Einzelne nachweist, (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann- dass es zu einer doppelten Besteuerung kommt. Dabei Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) ist erkennbar, dass wir es hier eher mit einem Massen- phänomen zu tun haben als mit diversen Einzelfällen. Wir sollten keine Ängste schüren und keine Erwartungen wecken, die am Ende keine Grundlage haben. Gerade bei (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: diesem generationenübergreifenden Thema, das für unse- Stimmt!) re gesamte Gesellschaft so wichtig ist, sollten wir alles Um diesen Nachweis führen zu können, bedarf es unterlassen, was irgendwie nach Effekthascherei aus- neben großer Detailkenntnis unseres ohnehin viel zu sieht. Thomas Eigenthaler, der Bundesvorsitzende der komplexen und komplizierten Steuerrechts im Prinzip Deutschen Steuer-Gewerkschaft, hat sich vor Kurzem aller Steuerbescheide und Rentenversiche- so geäußert: Zurzeit wird viel heiße Luft über die rungsnachweise der vergangenen 40 Jahre; wer, auch Rentenbesteuerung verbreitet. Rentnerinnen und Rentner von uns, könnte das jetzt so beibringen. Zu Recht fühlen werden verunsichert, und die meisten Kritiker haben sich die Betroffenen in dieser Situation deshalb hilflos, fachlich wenig Ahnung. – Dem ist eigentlich nichts hin- und sie treten dann oft tief frustriert den Rückzug an. zuzufügen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Selbstver- Die nachgelagerte Besteuerung ist für die Bürgerinnen ständnis eines Steuerstaates im Umgang mit seinen Bür- und Bürger in der Regel von Vorteil. Da das Einkommen gerinnen und Bürger ist zutiefst fragwürdig. im Rentenalter regelmäßig geringer ist als während des 27114 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Olav Gutting (A) Erwerbslebens, führt das dazu, dass die Rentenzahlungen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (C) aufgrund der Steuerprogression mit einem niedrigeren des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Steuersatz belastet werden. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Otto Fricke [FDP]: Aber zweimal!) Wir wissen aber, dass es bei freiwillig versicherten Selbstständigen tatsächlich zu einer Doppelbesteuerungs- Die Umsetzung des Auftrags des Bundesverfassungs- situation kommen kann; denn die hatten bei der Einzah- gerichts mit der stufenweisen Einführung der nach- lung keinen Arbeitgeberanteil, der steuerfrei war. Aber gelagerten Besteuerung konnte und kann natürlich nur für genau diese Fälle haben wir ja die Öffnungsklausel, jahrgangsweise und typisierend erfolgen. Genaue Vor- und die zieht in diesen Fällen auch. ausberechnungen für einen Zeitraum von 50 Jahren oder mehr – das liegt ja alles in der Zukunft – sind seriös (Cansel Kiziltepe [SPD]: Genau!) einfach nicht möglich. Kritik ist aber immer willkommen; das finde ich auch (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und gut. An dieser Stelle komme ich auf den Antrag der FDP der SPD) zurück: Nicht gut finde ich, dass das BMF den zugesag- Wir haben unterschiedliche Erwerbsbiografien, wir ten Bericht zu den Erfahrungen des Rentenbezugsmittei- haben Unterschiede beim Eintritt ins Rentenalter, bei lungsverfahrens – leider – bis heute noch nicht vorgelegt den Rentenbezugszeiten, bei der Pauschalierung der hat. Wir als Fraktion – eigentlich das ganze Haus – müs- Übergangsregelungen, also insgesamt ein komplexes sen das BMF noch mal drängen, diesen Bericht nun end- Rentensystem. Deswegen kann es dazu kommen – in lich vorzulegen. einigen wenigen Fällen –, dass heute Rentner Steuern (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und auf Teile ihrer Rente zahlen, obwohl bereits die Beitrags- der Abg. Markus Herbrand [FDP], Matthias W. zahlungen teilweise der Steuer unterworfen waren. Das Birkwald [DIE LINKE] und Dr. Wolfgang haben wir schon 2004 bei der Diskussion über den Ent- Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wurf des Alterseinkünftegesetzes erkannt. Diese Einzel- NEN]) fälle wurden schon damals identifiziert. Überall dort, wo es zu tatsächlichen und nicht nur zu gefühlten Doppel- Auch bezüglich der Forderung im Antrag der Libera- besteuerungen kommen kann, haben wir auf Initiative len, in den Rentenbezugsmitteilungen deutlich zu meiner Fraktion hin die Öffnungsklausel eingeführt, die machen, welcher Teil der Rente oder des Erhöhungsbet- sich in der Praxis bewährt hat. Damit wird eine Zwei- rages seit Rentenbeginn steuerpflichtig ist und welcher fachbesteuerung definitiv ausgeschlossen. nicht, bin ich völlig bei Ihnen. Das ist ein richtiger Ansatz. Wir müssen insgesamt die steuerlichen Pflichten (B) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein!) (D) für Bezieher von Alterseinkommen vereinfachen. Wir Wir haben in der Gesamtbetrachtung einen neutralen müssen das auf einen neuen Weg bringen. Wir müssen Steuereffekt. vor allem auch die Fälle berücksichtigen, bei denen es teilweise zu erheblichen Nachzahlungen kommen kann. Nun will ich das, was der Kollege Herbrand gesagt hat, Wir kennen das ja alle: Das sind Rentnerinnen und ja gar nicht verleugnen. Diese Nachweispflicht für den Rentner, die über Jahre hinweg keine Steuererklärungen Steuerpflichtigen – in einzelnen Fällen – ist nicht trivial. mehr abgegeben haben und auch nicht abgeben mussten Wir können uns gerne alle zusammen die Beweislastver- und nun plötzlich der Steuerpflicht unterliegen. Das ist teilung noch einmal genauer anschauen und einer Über- völlig korrekt, aber da kann es dann zu erheblichen Nach- prüfung unterziehen. Aber eines ist klar: Wir können zahlungen kommen, und das muss verhindert werden. nicht zu einer kompletten Beweislastumkehr kommen. Es ist grundsätzlich so, dass derjenige, der etwas in An- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- spruch nehmen will, das natürlich auch beweisen und SES 90/DIE GRÜNEN – Matthias W. vortragen muss. Birkwald [DIE LINKE]: Da helfen wir Ihnen (Beifall des Abg. Sebastian Brehm [CDU/ gern!) CSU] – Otto Fricke [FDP]: Was?) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir uns diese Es rechtfertigt aber nicht, dass hier der Eindruck erweckt Punkte zu Herzen nehmen und umsetzen und das Ver- wird, das sei ein Massenphänomen und es käme in breiten ständnis für die nachgelagerte Besteuerung noch mal stär- Teilen zu einer Doppelbesteuerung der Renten. ken, dann haben wir, glaube ich, etwas Gutes getan. Es braucht dabei eine Gesamtbetrachtung und nicht die Ver- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: In Zu- folgung von Einzelinteressen. Wenn wir das schaffen, kunft wird das ein Massenphänomen!) dann werden wir die Verunsicherung der Rentnerinnen In der Anhörung des Finanzausschusses zu diesem und Rentner, die in weiten Teilen auch durch Debatten Thema vor gut einem Jahr, im Januar 2020, herrschte wie diese ausgelöst wird, beseitigen. Das sollte doch dann ja auch Einigkeit darüber, dass Arbeitnehmern, die unser gemeinsames Ziel sein. demnächst in Rente gehen oder schon in Rente sind, hier Vielen Dank. überhaupt keine Doppelbesteuerung droht, weil die Hälf- te ihrer Rentenbeiträge, die sie eingezahlt haben, bei der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Einzahlung nicht der Steuer unterlagen; denn das sind die SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Arbeitgeberbeiträge, die steuerfrei eingezahlt werden. NEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27115

(A) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: wieder auf den Boden der Realität holt. Dieser hat im (C) Das Wort hat die Abgeordnete Ulrike Schielke-Ziesing Haushalt leider keine Rückstellungen für den Fall der für die Fraktion der AfD. wahrscheinlichen Niederlage vor Gericht gebildet. (Beifall bei der AfD) Eine praktikable Lösung, wie dieser Übergang verfas- sungskonform gestaltet werden kann, haben wir als AfD bereits 2019 mit unserem Antrag „Abschaffung der Ulrike Schielke-Ziesing (AfD): Renten-Doppelbesteuerung“ vorgelegt. Dafür ist nichts Herr Präsident! Liebe Kollegen! Verehrte Bürger! Zur weiter nötig als eine ausreichende Streckung der Über- Doppelbesteuerung der Rente und zum Urteil des Bun- gangszeit auf 30 Jahre. desverfassungsgerichts von 2002 ist ja in der Vergangen- heit schon sehr viel gesagt worden, auch dazu, dass dieses Zu unserem Antrag und zu Anträgen der Grünen und Gericht in seinem Urteil klar und deutlich ausgeführt hat, der Linken hat es im letzten Jahr eine Anhörung im Fi- dass eine Doppelbesteuerung unbedingt und in jedem nanzausschuss gegeben. Diese Anhörung beförderte Fall zu vermeiden sei. Die daraufhin vom Gesetzgeber erneut eine klare und simple Erkenntnis zutage: Die Dop- geschaffene Übergangslösung mit einem Stufenmodell pelbesteuerung der Renten ist nicht verfassungsgemäß. entspricht aber nicht der Vorgabe des Bundesverfas- Es ist schön, dass die FDP dies nun auch so sieht und sungsgerichts, da sie von einer zu kurzen Übergangspha- einen Antrag hinterherschiebt. Ich möchte Sie aber daran se ausgeht und es damit eben zu einer Doppelbesteuerung erinnern, dass Sie während Ihrer Regierungsbeteiligung kommt. von 2009 bis 2013 ausreichend Zeit gehabt hätten, diese Ungerechtigkeit zu beseitigen. Aber damals hatten Sie Klagen dagegen liegen jetzt beim Bundesfinanzhof zur wahrscheinlich Wichtigeres zu tun. Entscheidung vor. Das zu erwartende Urteil hat einige Brisanz; denn wenn der Kläger hier erfolgreich wäre, Zum Antrag selbst: Sie organisieren hier viel Arbeit für hätte der Finanzminister erhebliche Steuerausfälle zu ver- die Rentner und vor allem für die Finanzämter, dort ein- kraften. hergehend mit einem Aufwuchs an Bürokratie. Das ist schon erstaunlich für eine Partei, die sich doch den Abbau Es ist ja nicht so, dass es nicht schon damals, vor Ver- der Bürokratie auf die Fahne geschrieben hat. Sie lösen abschiedung des Gesetzes, Zweifel an der Verfassungs- mit Ihrem Antrag keine Probleme, Sie wälzen sie nur mäßigkeit gegeben hätte. Mit Ach und Krach gelang es bürokratisch aus. Man kann es bedeutend einfacher der SPD damals, CDU und FDP im Bundesrat zu über- machen und die Erhöhung des Besteuerungsanteils der zeugen, die sich übrigens genau wegen dieser verfas- Rente zeitlich wesentlich strecken, sodass es zu keiner sungsrechtlichen Bedenken dagegen gesträubt hatten – Doppelbesteuerung kommt. Das wäre dann der Antrag, (B) mit gutem Grund. Sowohl der ehemalige Vorsitzende den wir als AfD-Fraktion eingebracht haben. (D) der Sachverständigenkommission der Bundesregierung, Professor Rürup, als auch der damalige Vorsitzende der Vielen Dank. Deutschen Rentenversicherung, Herbert Rische, warnten (Beifall bei der AfD) eindringlich, dass das Gesetz „in erheblichem Umfang gegen das Verbot der Zweifachbesteuerung“ verstoße. Professor Kulosa, jetzt Richter am Bundesfinanzhof, Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: sprach von einer evidenten Zweifachbesteuerung, die zu Für die Fraktion der SPD hat das Wort die Kollegin erkennen – ich zitiere – es „keiner komplizierten mathe- Cansel Kiziltepe. matischen Übung“ bedürfe. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der AfD) Cansel Kiziltepe (SPD): Dass dieses Gesetz damals trotzdem verabschiedet Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein wurde, ist ein alarmierendes Zeichen für eine bedenkliche Jahr nach der öffentlichen Anhörung im Finanzausschuss Rechtsauffassung und eine eklatante Unfähigkeit zur zu einer möglichen Doppelbesteuerung bei Renten und Gestaltung von Gesetzen. Nicht nur ich, ich glaube, nach mehrfacher Ankündigung liegt uns nun endlich der auch unsere Bürger würden es sehr begrüßen, wenn sich Antrag der FDP vor. Da hat wohl eine Fraktion sechs die Regierung vorher Gedanken macht, ob ein Gesetz Monate vor der Bundestagswahl die Rentnerinnen und gegen unsere Verfassung verstößt, statt darauf zu hoffen, Rentner für sich entdeckt, Herr Herbrand. Anders kann dass bis zur endgültigen Klärung durch die Gerichte der ich mir Ihren Stimmungswandel nicht erklären, weil Sie eine oder andere Euro in die Staatskasse wandert. sich in der Anhörung genau gegenteilig geäußert haben. (Beifall bei der AfD) (Beifall des Abg. Timon Gremmels [SPD] – Oder wie es der damals zuständige SPD-Finanzminister Otto Fricke [FDP]: Dass Sie das nicht können, rückblickend so schön sagte: „Wir hatten ist klar!) natürlich auch das Geld nicht mit vollen Händen, wie Wir in der SPD kümmern uns nicht nur in Wahljahren das dann später der Fall war, sondern wir hatten Defizi- um die Rentnerinnen und Rentner. Für uns ist klar: Es te.“ darf keine doppelte Besteuerung von Renten geben! Dies war immer unsere Position, und diese Position Ich bin sehr zuversichtlich, dass der oberste Finanzhof wird sich nicht ändern. in Kürze hier ob der Eindeutigkeit der Rechtslage eine klare Linie ziehen wird, die auch den Finanzminister (Beifall bei der SPD) 27116 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Cansel Kiziltepe (A) Im Moment stecken wir mitten im Umstellungsprozess Der nächste Redner ist der Kollege Matthias W. (C) bei der Rentenbesteuerung, den der Kollege Gutting Birkwald, Fraktion Die Linke. beschrieben hat, hin zur nachgelagerten Besteuerung. Diese Umstellung ist auf insgesamt 35 Jahre angelegt. (Beifall bei der LINKEN) Begonnen hat der Prozess im Jahre 2005. Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Zu Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- kurz!) ren! Nach den Kriterien der Europäischen Union lebt ein Grund für diese Umstellung ist ein Urteil des Bundesver- Single in Deutschland in Armut, wenn er oder sie weniger fassungsgerichts. Dieses Urteil beinhaltete damals vor als 1 174 Euro monatlich zur Verfügung hat. Ganz kon- allem zwei Punkte: Es darf keine unterschiedliche kret: Menschen ohne weitere Einkünfte, die 2021 in Behandlung von Renten und Pensionen geben, und es Rente gehen, müssen auf eine gesetzliche Rente in darf keine doppelte Besteuerung geben. – Wir befinden Höhe von 1 200 Euro brutto circa 2,33 Euro Steuern uns aktuell mitten in der Umsetzung der ersten Vorgabe. monatlich zahlen. Bei 1 400 Euro Rente sind es dann Liebe Kolleginnen und Kollegen, die zweite Vorgabe schon fast 25 Euro im Monat. Für Unionsabgeordnete ist grundsätzlicher Natur. Welche Aspekte zu einer Dop- mag das nach wenig klingen, aber die Rentnerinnen und pelbesteuerung führen, hat Karlsruhe nicht näher defi- Rentner regt das auf. niert. Hier gibt es unterschiedliche Auffassungen dazu, (Beifall bei der LINKEN) was eine Doppelbesteuerung überhaupt auslösen kann. Die Frage ist bis heute nicht vollständig geklärt. Es gibt Ja, das hat mit der Doppelbesteuerung der Renten zwei anhängige Verfahren beim Bundesfinanzhof, und nichts zu tun, aber es ist sozial ungerecht! Die Linke ein Urteil wird für das zweite Quartal dieses Jahres erwar- sagt: Niedrige Einkommen dürfen nicht besteuert wer- tet. den, und erst recht nicht die von Rentnerinnen und Rent- nern. Frau Staatssekretärin Ryglewski, ich fordere darum Anders als die FDP behauptet, waren sich bei der Ihr Ministerium auf: Erhöhen Sie den Grundfreibetrag für Anhörung im letzten Jahr nicht alle Sachverständigen alle auf 1 200 Euro monatlich! Sorgen Sie dafür, dass einig, wie genau eine Doppelbesteuerung zu definieren Millionenerbinnen und -erben ordentlich Erbschaftsteuer sei. Unsere Auffassung ist bisher: Der Sonderausgaben- zahlen, und wecken Sie die Vermögensteuer aus ihrem abzug für die Kranken- und Pflegeversicherung beispiels- Dornröschenschlaf. weise und auch der Grundfreibetrag führen dazu, dass auch der steuerpflichtige Teil der Rente in bestimmtem (Beifall bei der LINKEN) Umfang steuerunbelastet zufließt. Nach dieser Auffas- (B) Dann hätten wir mehr Steuergerechtigkeit, und dann (D) sung käme es eben zu keiner Doppelbesteuerung. müssten Rentnerinnen und Rentner an der Armuts- Wir als SPD-Fraktion wollen natürlich eine starke schwelle nicht auch noch Steuern zahlen. So viel dazu. gesetzliche Rente. Das Gleiche wollen auch die Linken (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) in ihrem sozialpolitischen Antrag. Der Antrag der Linken ist aber nicht Teil einer finanzpolitischen Debatte, da er Zur doppelten Besteuerung der Altersrenten. Keine sich überwiegend mit sozialpolitischen Fragestellungen Bundesregierung der vergangenen 15 Jahre hat diese beschäftigt. Ich will ihn hier aber trotzdem erwähnen. offensichtliche Ungerechtigkeit beseitigt. Keine! Union, SPD, Grüne und FDP waren untätig. Die FDP hat das nun Wir als SPD-Fraktion haben in den vergangenen Jah- erkannt. Vielen herzlichen Dank für Ihren Antrag. In dem ren mehrfach die Renten in Deutschland gestärkt: mit Thema ist Musik drin; denn der Bundesfinanzhof wird dem Rentenpakt zur Stabilisierung des Rentenniveaus, bald über die Doppelbesteuerung der Renten entscheiden. mit der Grundrente und der digitalen Rentenübersicht – Dr. Egmont Kulosa, Richter am Bundesfinanzhof, sagte um nur einige Erfolge sozialdemokratischer Rentenpoli- dazu in der „Süddeutschen“ – ich zitiere –: tik zu nennen. Es bedarf keiner komplizierten mathematischen (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Da ist Übungen, um bei Angehörigen der heute mittleren noch mehr drin! Das reicht nicht!) Generation, die um das Jahr 2040 in den Das ist gerechte, nachhaltige Politik und keine Show im Rentenbezug eintreten werden, eine Zweifachbe- Wahlkampfjahr. steuerung nachzuweisen. Vielen Dank. Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD: Worauf warten Sie noch? Handeln Sie endlich im Inte- (Beifall bei der SPD – Markus Herbrand resse der Rentnerinnen und Rentner! [FDP]: Und das war kein Wahlkampf jetzt gerade? – Michael Theurer [FDP]: Das war (Beifall bei der LINKEN) auch Wahlkampf!) Die Linke fordert: Die Doppelsteuerung der Renten muss vermieden werden. Deshalb haben wir bereits im Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Mai 2019 einen Antrag mit einem Sieben-Punkte- Vielen Dank, Frau Kollegin. – Herr Theurer, da wir Programm gegen die Doppelbesteuerung der Renten eine Stunde hängen, bin ich gebeten worden, etwas zur vorgelegt. Im Januar 2020 gab es eine sehr erhellende Beschleunigung beizutragen, und diesem Wunsch der öffentliche Anhörung von Sachverständigen und breiten Massen werde ich nachkommen. Gewerkschaftsvertretern. Das Fazit: Das Problem der Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27117

Matthias W. Birkwald (A) Doppelbesteuerung war bisher klein und wird von Jahr zu (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (C) Jahr größer. Das sagen fast alle ernstzunehmenden Exper- Ulrike Schielke-Ziesing [AfD]: Erzählen Sie tinnen und Experten. das den Rentnern! – Zuruf des Abg. Markus Meine Damen und Herren der Koalition, ja, durch die Herbrand [FDP]) nachgelagerte Besteuerung werden viele der heute jungen Man fragt sich, warum dieses Scheinproblem in man- Beitragszahlerinnen und Beitragszahler in Zukunft über chen Medien und sogar bis hin zum Bundesfinanzhof ein ganzes Leben gesehen weniger Steuern gezahlt haben immer so große Wellen schlägt. Ich bin gespannt, was als ihre Eltern. da an Urteilen kommt. Aber es ist ein Scheinproblem. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Es schlägt meines Erachtens deshalb hohe Wellen, weil es mit echten Problemen zusammentrifft. Die stärkere In der Übergangsphase bis zum Jahr 2040 wird es aber oft Besteuerung von Renten führt nämlich durchaus zu Prob- zu einer Doppelbesteuerung kommen. Deswegen fordert lemen bei den Leuten. Ganz viele Rentnerinnen und Die Linke Sie auf: Verlängern Sie den Übergangszeit- Rentner sind überrascht, dass sie auf einmal Steuern zah- raum bis zur vollen Besteuerung der Renten vom Jahr len müssen, weil sie das vorher gar nicht wussten. Das 2040 bis zum Jahr 2070. Dann wäre definitiv Schluss heißt, wir brauchen da mehr Transparenz. Das ist ein mit der Doppelbesteuerung. wesentlicher Punkt. Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der LINKEN) sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ein zweiter Punkt – das hat der Kollege Gutting eben Vizepräsident Wolfgang Kubicki: auch schon angesprochen –: Die Finanzbehörden sind Vielen Dank, Herr Kollege Birkwald. – Nächster Red- teilweise so langsam, dass für mehrere Jahre Steuern ner ist der Kollege Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, nachgezahlt werden müssen. Das ist für viele Rentner- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. innen und Rentner wirklich eine große Belastung. Diese jahrelangen Nachzahlungen muss man verhindern, vor (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) allen Dingen dadurch, dass die Finanzbehörden schneller arbeiten. Wir haben in unserem Antrag, den wir letztes Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/ Jahr eingebracht haben und zu dem es auch die Anhörung DIE GRÜNEN): gab, ein paar Stellschrauben genannt, wie man es tech- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und nisch hinkriegen könnte, diese hohen Nachzahlungen tat- Kollegen! Wenn man dem Kollegen Birkwald zuhört, sächlich zu vermeiden. – Das war der zweite wichtige (B) dann scheint es so, als wäre die Sache auf der einen Seite Punkt. (D) sehr einfach und sehr klar und auf der anderen Seite ein riesengroßes Problem. Wenn man sich näher damit be- Letzter und dritter Punkt, der wichtig ist: Wir müssen schäftigt, stellt man aber fest: Beides ist nicht der Fall. Es versuchen, Wege zu finden, dass wenigstens die Rentner- ist nämlich eine sehr komplizierte Geschichte; das hat die innen und Rentner, die nur Rente beziehen, gar keine Anhörung im Ausschuss gezeigt, und das zeigt sich auch, Steuererklärung machen müssen. wenn man Hintergrundmaterial dazu liest. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Frage, ob es sich um eine Doppelbesteuerung han- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und delt, hängt nämlich von sehr vielen Annahmen und von des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) mathematischen Modellen ab. Die meisten Expertinnen Im Zusammenhang mit der Digitalisierung sollte das und Experten sagen: Es gibt zurzeit keine Doppelbesteue- doch möglich sein. – Und ich sehe jetzt hier Applaus rung. durchaus bei mehreren Fraktionen. Ich glaube, dass das (Beifall der Abg. Antje Tillmann [CDU/CSU]) ein Punkt ist, an den wir unbedingt ran müssen. Ansons- ten müssen wir die Doppelbesteuerung natürlich weiter Es könnte in der Zukunft aber mal eine Doppelbesteue- beobachten. rung geben, möglicherweise in den 30er-Jahren. Aber selbst das ist noch nicht ganz klar. Ebenso unklar ist, wie viele Fälle das betreffen wird, was das also quantita- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: tiv ausmacht. Wie gesagt: Die meisten sind der Meinung, Kommen Sie bitte zum Schluss. das sei bisher kein oder kein großes Problem. Hinzu kommt, dass sich alle Expertinnen und Experten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/ einig sind, dass die nachgelagerte Besteuerung einen DIE GRÜNEN): Fortschritt für alle bedeutet. Der Kollege Gutting hat Es gibt dazu durchaus Punkte im Antrag der FDP, über das eben schon erklärt: Da man im Alter üblicherweise die man diskutieren kann. Darüber werden wir im Aus- ein geringeres Einkommen hat als im Erwerbsleben, ist schuss reden. Aber lassen Sie uns bitte über die echten die nachgelagerte Besteuerung für alle besser. Das heißt, Probleme reden und nicht über Scheinprobleme. da entsteht überhaupt kein Nachteil. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und Das Ganze ist also ein absolutes Scheinproblem. der Abg. Yasmin Fahimi [SPD]) 27118 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

(A) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜND- (C) Nächster Redner ist der Kollege Sebastian Brehm, NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- CDU/CSU-Fraktion. ten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU) Auch einzelne Verlautbarungen, dass Fachgerichte das bereits entschieden haben, sind unzutreffend. Bislang konnte nie festgestellt werden, dass es überhaupt eine Sebastian Brehm (CDU/CSU): Doppelbesteuerung gibt. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um das Wichtigste gleich mal vorwegzuneh- (Cansel Kiziltepe [SPD]: Richtig!) men: Kein Mensch und schon gleich gar nicht wir als Die Gefahr der Doppelbesteuerung ist in Einzelfällen CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag wollen durchaus gegeben, und zwar bei denjenigen, für die Sie eine Doppelbesteuerung von Renten – nicht, dass da ein von den Linken übrigens höhere Erbschaftsteuern und falscher Eindruck entsteht. höhere Steuersätze beschließen wollen, nämlich bei den (Beifall bei der CDU/CSU) Selbstständigen, die vor 2005 die Höchstbeiträge in die Rente gezahlt haben; der Kollege Gutting hat es ausge- Ich glaube, das hat die Debatte auch gezeigt. Dass eine führt. Bei den Arbeitnehmern ist ja der steuerfreie Anteil Doppelbesteuerung sogar verfassungswidrig wäre und des Arbeitgebers mit zu berechnen, während die Selbst- schon allein deswegen in keiner Weise zur Debatte steht, ständigen ihre Rentenbeiträge selber – ohne steuerfreien steht nicht einmal im Vordergrund. Arbeitgeberanteil – gezahlt haben. Genau für diejenigen besteht sukzessive die Gefahr einer Doppelbesteuerung – Ich möchte noch mal auf den Hintergrund der Frage jetzt nicht, aber vielleicht in der Zukunft. „Wo kommt diese Besteuerung oder dieser Gedanke einer möglichen Doppelbesteuerung her?“ rekurrieren. Das (Markus Herbrand [FDP]: Doch!) Bundesverfassungsgericht – darüber haben wir ja schon gesprochen – hat im Jahr 2002 dem Gesetzgeber aufge- Genau deswegen haben wir aber 2005 eine Öffnungs- geben, bei der Rentenbesteuerung mittelfristig auf eine klausel in § 22 Einkommensteuergesetz aufgenommen – nachgelagerte Besteuerung umzustellen. Statt in der den sollten Sie mit erwähnen –, nach der Selbstständige, Ansparphase werden Renten dadurch zunehmend in der die vor 2005 zehn Jahre lang den Höchstbeitrag in die Auszahlungsphase besteuert – Sie haben vollkommen Rentenkasse eingezahlt haben, eben auch die Besteue- recht, das ist durchaus günstig für den Steuerbürger –, rung nach dem Ertragsanteil der Rente geltend machen und die Forderung des Bundesverfassungsgerichts wurde können, so wie es früher war, also die niedrigere Besteue- (B) mit der stufenweisen Besteuerung ab dem Jahr 2005 rung, um eben Doppelbesteuerungstatbestände zu ver- (D) umgesetzt. Dafür kann man natürlich auch immer mehr meiden. Die im Einzelfall mögliche Doppelbesteuerung Sonderausgaben und Rentenbeiträge von der Steuer bei Selbstständigen ist eben durch genau diese Sonder- absetzen und steuerlich berücksichtigen lassen. regelung und Öffnungsklausel abgefedert. Insofern kommt es nicht zu einer Doppelbesteuerung. Der der Besteuerung unterliegende Anteil der Rente bemisst sich nach dem Renteneintritt. Alle, die 2005 in Um ganz sicherzugehen, dass es auch in Zukunft zu Rente gegangen sind, müssen ihre Rente ein Leben lang keiner Doppelbesteuerung bei Renten kommt, beteiligt zu 50 Prozent der Besteuerung unterwerfen. Das hat jedes sich die Finanzverwaltung übrigens auch aktiv an Mus- Jahr um 2 Prozentpunkte zugenommen, ab diesem Jahr terklagen. Kollege Strengmann-Kuhn, Sie haben völlig ist es 1 Prozentpunkt. Wer jetzt in Rente geht, hat 81 Pro- recht: Vorhin ist da der Eindruck entstanden, es sei ganz zent seiner Renteneinkünfte der Besteuerung zu unter- leicht zu berechnen. – Das ist es eben nicht. werfen. Ab 2040 sind es dann 100 Prozent. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- Aber natürlich wächst der Sonderausgabenabzug wei- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben!) ter an, sodass man den Steuervorteil, den man zum Zeit- Die Hauptfrage ist ja übrigens: Was ist eine Doppelbe- punkt der Einzahlung in die Rentenkasse hat, gegen den steuerung? Liegt sie schon vor, wenn die Rente in die Steuervorteil, den man dann zum Zeitpunkt des Renten- Bemessungsgrundlage mit einfließt, oder erst dann, beginns und der Rentenauszahlung hat, gegeneinander wenn überhaupt eine Steuer entsteht? Also, auch das aufrechnen muss. Die klare Vorgabe des Gesetzgebers, muss man noch mal differenzieren. Wenn nämlich die also von uns, an das Fachressort war, dass es zu keiner Rente in die Bemessungsgrundlage einfließt und gar kei- Doppelbesteuerung führen darf. Und das ist übrigens ne Steuer anfällt, dann kann es auch zu keiner Doppelbe- heute genauso. steuerung führen. Auch da muss man noch einmal ganz Ich weiß nicht, warum, aber es wird immer wieder klar differenzieren. behauptet, die Gerichte hätten das entschieden. Aber: (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Alle bisherigen Urteile des Bundesfinanzhofs und des neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Bundesverfassungsgerichts – wir erwarten natürlich mit GRÜNEN) Spannung auch das Urteil des Bundesfinanzhofs im zwei- ten Quartal – konnten keine Doppelbesteuerung von Ich sage Ihnen: Wir freuen uns auf die Debatte im Altersrenten feststellen. Keine! Das muss man auch mal Finanzausschuss – dorthin wird der Antrag ja überwie- ganz klar feststellen, damit hier keine Legendenbildung sen –, und dann werden wir natürlich weiter in der Sache passiert. diskutieren. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27119

Sebastian Brehm (A) Sollten anderslautende Gerichtsurteile kommen, müs- seriös, nämlich das Bundesverfassungsgerichtsurteil, in (C) sen wir als Gesetzgeber natürlich sofort reagieren, selbst- dem steht: Wenn die Pensionen besteuert werden müssen, verständlich. Aber bislang konnte eben keine Doppelbe- dann müssen auch die Renten besteuert werden. – Die steuerung festgestellt werden. Und das muss man bei Kläger hatten das zwar anders gedacht, aber jedenfalls dieser Debatte allen Bürgerinnen und Bürgern auch ist klar, dass es hier zu einer Einheitlichkeit kommen noch mal sagen, weil die Verunsicherung durch solche soll. Das ist gut. Anträge groß ist. Das ist brandgefährlich. Ich würde da Und auch das Verfahren, dass es in Stufen passiert, lieber auf die Sachdebatte verweisen. erklärt der Antrag sehr gut und, wie ich finde, objektiv. (Beifall des Abg. Olav Gutting [CDU/CSU]) Insofern ist der Antrag für mich in Richtung Aufklärung Wir schauen, wie das Urteil des Bundesfinanzhofs aus- und Transparenz ein guter Antrag. fällt, und dann werden wir im Finanzausschuss darüber (Beifall bei Abgeordneten der FDP) diskutieren. Man muss allerdings sagen: Es gibt im Moment keinen Herzlichen Dank. Anlass für den Antrag. Das ist sozusagen das Geschmäckle dabei. Er greift etwas auf – Doppelbesteue- (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜND- rung der Rente –, weswegen man denken könnte: Ach, es NIS 90/DIE GRÜNEN) gibt Anlass zur Panik. – Es gibt aber gar keinen Anlass; denn gäbe es diesen Anlass, würden wir aktiv werden. Im Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Moment gibt es keinen Anlass, es gibt keinen Fall. Vielen Dank, Herr Kollege Brehm. – Letzter Redner in hat, fand ich, gut argumentiert; aber dieser Debatte ist der Kollege Lothar Binding, SPD-Frak- der Beginn war ein klein bisschen verräterisch. Er hat tion. nämlich die Angelegenheit der Doppelbesteuerung in (Beifall bei der SPD) den Kontext einer anderen Sache gestellt, nämlich dass es Arme und Reiche gibt. Das stimmt. – Aber dann hast Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): du selber gesagt: Das hat mit Doppelbesteuerung nichts Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Lie- zu tun. – Warum verknüpfst du diese harmlose Sache mit be Kolleginnen und Kollegen! Offen gestanden ist schon etwas anderem, um das wir uns jetzt schon kümmern viel Richtiges gesagt worden. Wodurch kommt das müssen? eigentlich? Weil wir alle einer Meinung sind. Keiner (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Weil ich von uns will eine doppelte Besteuerung der Rente. Das möchte, dass kleine Renten nicht besteuert wer- ist völlig klar. (B) den!) (D) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist – Nein. Da muss man aufpassen. Das ist eine psycho- schon einmal gut, zu hören, dass wir im Ziel logische Konditionierung der Angst, und dagegen bin einig sind!) ich strikt. Und falls sich herausstellen sollte, dass es eine doppelte (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP Besteuerung der Rente gibt, dann müssen wir etwas und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) machen. Auch das ist Konsens, und das ist auch verab- Wolfgang Strengmann-Kuhn hat gesagt, dass es so ein- redet. Das ist von Anfang an ganz klar gewesen. fach nicht ist, weil eben sozusagen die Abzugsbedingun- Von Cansel Kiziltepe und Olav Gutting ist auch schon gen – was darf ich in der aktiven Phase abziehen? – nicht gesagt worden, dass das neue System insgesamt für den ganz klar definiert sind. Das BMF und auch mancher einzelnen Bürger viel besser ist, dass es besser ist, nach- Verfassungsrichter haben da unterschiedliche Auffassun- gelagert zu besteuern, weil ich in meiner Rentenphase gen. Wir haben eine klare Auffassung; die Definitionen natürlich ein viel niedrigeres Einkommen habe als in sind alle vorgetragen worden. der Phase, in der ich noch arbeite. Ich glaube, wir müssen wirklich aufpassen, dass wir (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das hat nicht permanent, indem wir „keine Panik“ sagen, Panik niemand bestritten, Kollege Binding!) verbreiten. Und das ist ein gewisses Problem. Deshalb: Wenn ich also von einem hohen Einkommen Steuern Eines ist klar: Sollte die Zeit zwischen 2005 und 2040 zu bezahlen muss, ist das für mich ungünstiger, als wenn kurz sein, dann verlängern wir sie doch. ich von einem niedrigeren Einkommen Steuern bezahlen (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja, sehr muss. Das Gesamtsystem ist ein Riesenentlastungspro- gut!) gramm für die einzelnen Rentner, für die einzelnen Aber du brauchst einen Anlass, eine seriöse Rechnung, Bürger, und das ist gut. und so einfach, wie es sich hier gelegentlich gemacht (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wird, ist die Welt nicht. Wir greifen die komplizierte des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Welt auf und werden komplizierte Probleme sachgerecht Für die fiskalische Seite ist es von Nachteil, weil die lösen. Steuereinnahmen sinken. Schönen Dank. Der FDP-Antrag greift wirklich etwas auf, was wir alle (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ wollen. Ich muss auch sagen, dass mir etwas gut gefallen DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der hat: Der Antrag beschreibt nämlich den Anlass sehr CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LIN- 27120 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Lothar Binding (Heidelberg) (A) KE]: Aber die Bereitschaft dazu ist schon ein- (Beifall bei der SPD) (C) mal etwas!) Heiko Maas, Bundesminister des Auswärtigen: Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Vielen Dank, Herr Kollege Binding. – Damit schließe Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ich die Aussprache. Die Terroranschläge des 11. Septembers 2001 jähren sich dieses Jahr zum zwanzigsten Mal, und wir erinnern Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf uns: In den Trümmern des World Trade Centers und des Drucksache 19/27174 an die in der Tagesordnung aufge- Pentagons und in den Wracks der Flugzeuge fanden fast führten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es weitere Über- 3 000 Menschen den Tod; weitere Tausende wurden ver- weisungsvorschläge? – Ich sehe das nicht. Dann verfah- letzt. ren wir so. Die NATO reagierte darauf zum ersten und bisher ein- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a bis 28 c auf: zigen Mal in ihrer Geschichte mit der Ausrufung des a) Beratung des Antrags der Bundesregierung Bündnisfalles. Damals haben wir gemeinsam den Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter Beschluss gefasst: Von Afghanistan darf nie wieder eine deutscher Streitkräfte am NATO-geführ- Bedrohung für unsere Sicherheit ausgehen. Seitdem sind ten Einsatz Resolute Support für die Aus- wir einen schwierigen Weg gegangen. Auch deutsche bildung, Beratung und Unterstützung der Soldatinnen und Soldaten, Polizisten und Zivilisten afghanischen nationalen Verteidigungs- haben für unsere Sicherheit in Afghanistan ihr Leben und Sicherheitskräfte in Afghanistan und ihre Gesundheit gelassen. Drucksache 19/26916 Eines ist nach all dem, was wir in den letzten zwanzig Jahren gesehen haben, auch klar: Eine militärische Überweisungsvorschlag: Lösung für den Konflikt in Afghanistan wird es nicht Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Inneres und Heimat geben. Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss (Tobias Pflüger [DIE LINKE]: So ist es!) Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- Sie gibt es jetzt nicht, und sie wird es auch in Zukunft lung nicht geben. Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO b) Beratung der Antwort der Bundesregierung (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Aber weiterhin auf die Große Anfrage der Abgeordneten Militär!) (B) (D) Armin-Paulus Hampel, Dr. Roland Hartwig, Daher wollen wir unser militärisches Engagement in Petr Bystron, weiterer Abgeordneter und der Afghanistan auch beenden, aber wir wollen das verant- Fraktion der AfD wortungsvoll tun. Das schulden wir den Menschen in Ergebnisse der deutschen Aufbau- und Afghanistan, das schulden wir unseren Verbündeten, Entwicklungszusammenarbeit in Afgha- und das schulden wir vor allen Dingen denen, die für nistan 2002 bis 2018 unsere Sicherheit in Afghanistan ihr Leben riskiert und auch verloren haben. Drucksachen 19/10492, 19/16274 (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten c) Beratung des Antrags der Abgeordneten der FDP) Armin-Paulus Hampel, Dr. Roland Hartwig, Petr Bystron, weiterer Abgeordneter und der Meine sehr verehrten Damen und Herren, jahrelang Fraktion der AfD haben wir für innerafghanische Friedensverhandlungen geworben. Seit September des vergangenen Jahres ver- Deutschland wird nicht am Hindukusch handeln nun endlich Vertreter der Republik Afghanistan verteidigt – Abzug deutscher Soldaten mit den Taliban. Wir haben diese Gespräche von Anfang aus Afghanistan zeitnah einleiten an mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln unter- Drucksache 19/27199 stützt – auch vor Ort mit Kolleginnen und Kollegen des Auswärtigen Amtes und den Expertinnen und Experten Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) der Berghof Foundation. Verteidigungsausschuss Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- Dass diese Verhandlungen nach Jahrzehnten des Kon- lung fliktes nicht in wenigen Wochen oder Tagen abgeschlos- Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten sen sein werden, wird wohl niemanden überraschen. beschlossen. Dafür liegen die Positionen der jeweiligen Unterhändler auch heute noch sehr weit auseinander. Und doch sind Ich freue mich, wenn der Platzwechsel relativ zügig diese Verhandlungen, die ja nun einmal stattfinden, die vorgenommen wird, und ich freue mich auch, dass die erste realistische Chance auf Frieden in Afghanistan seit Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Frau langer Zeit, eine Chance, die nicht vertan werden darf. Dr. Högl, dieser Aussprache beiwohnt. Und ob es uns gefällt oder nicht, die internationale Trup- Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- penpräsenz bleibt dabei einer unserer wichtigsten Hebel. ner dem Herrn Bundesminister Heiko Maas für die Bun- Ohne internationalen Druck werden sich die Taliban nicht desregierung das Wort. ernsthaft auf eine politische Lösung einlassen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27121

Bundesminister Heiko Maas (A) Wenn wir unsere Soldatinnen und Soldaten überstürzt bar ist, wann diese Friedensverhandlungen beendet sein (C) abziehen, dann droht die ernste Gefahr, dass die Taliban werden. Deshalb liegen gerade jetzt entscheidende eine Lösung auf dem Schlachtfeld suchen, Monate vor uns. In dieser Zeit verschafft uns die Verlän- gerung des Mandats, um die wir Sie heute hier bitten, die (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das suchen die notwendige Flexibilität und, ja, auch ein Mehr an Zeit. die ganze Zeit!) Zeit, um weiter unserer Bündnisverantwortung gerecht statt weiter zu verhandeln – mit all den dramatischen zu werden, Zeit, um den Friedensverhandlungen den Folgen für alles, was wir in den letzten zwei Jahrzehnten nötigen Raum zu geben, und Zeit, um einen geordneten in Afghanistan mit den Menschen vor Ort – mit der Zivil- Abzug vorzubereiten, ohne ein gefährliches Vakuum in gesellschaft, mit den politisch Verantwortlichen – aufge- Afghanistan zu hinterlassen. baut haben. Den Preis wollen wir nicht zahlen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Das ist das Ziel der Mandatsverlängerung, und das hat der CDU/CSU) vor allen Dingen mit einem zu tun: Wir wollen die Errun- Schon in den vergangenen Monaten haben Taliban- genschaften der letzten Jahre, die es gibt, gerne erhalten. kämpfer ihre Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte Bei all den Problemen und Rückschlägen ist in Afghanis- und Vertreter von Staat und Zivilgesellschaft intensiviert. tan nämlich auch viel erreicht worden: erhebliche Fort- Das muss aufhören. Wer Friedensverhandlungen führt, schritte bei Bildung, Gesundheit, Rechtsstaatlichkeit und der muss mindestens zu einer Waffenruhe bereit sein. Demokratie und nicht zuletzt bei den Minderheitenrech- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der ten, den Menschenrechten und ganz besonders den Rech- CDU/CSU) ten von Frauen und Kindern. Meine Damen und Herren, die letzten 20 Jahre haben In der NATO werben wir deshalb dafür, die Lage in uns viel abverlangt, und deshalb gilt mein Dank beson- Afghanistan und die Fortschritte im Friedensprozess mit ders allen, die daran mitgewirkt haben – allen voran aber der Frage des Truppenabzuges zu verbinden. unseren Soldatinnen und Soldaten. Aktuell überprüft die neue amerikanische Regierung (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie das Abkommen mit den Taliban und seine Umsetzung bei Abgeordneten der FDP) und spricht auch bereits mit denselben darüber. Wir ste- hen dazu mit dem State Department in einem engen und Gemeinsam mit den Menschen in Afghanistan arbeiten auch sehr konstruktiven Austausch – ganz anders, als das sie seit zwei Jahrzehnten hart für die Sicherheit und eine in den letzten vier Jahren der Fall gewesen ist. Die Ame- bessere Zukunft dieses Landes. Ihre Leistungen und ihre (B) rikaner wissen, dass wir in Deutschland möglichst bald Opfer sollten deshalb auch uns hier Verpflichtung sein, (D) Klarheit über die nächsten Schritte brauchen. unser militärisches Engagement in Afghanistan verläss- lich und verantwortlich zu beenden, sobald es die Bedin- Eines ist aber bereits jetzt sicher: Über den Verbleib gungen erlauben, um so dem Frieden in Afghanistan eine unserer Truppen in Afghanistan wollen wir in der NATO echte Chance zu geben. gemeinsam beschließen. Auch das ist eine wesentliche Veränderung gegenüber der Situation in den letzten Jah- Herzlichen Dank. ren. Wir werden das gemeinsam beschließen, und wir (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) werden dann auch gemeinsam abziehen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Vizepräsident Wolfgang Kubicki: CDU/CSU) Vielen Dank, Herr Minister. – Vielleicht darf ich zwi- Dabei ist uns allen ganz besonders bewusst, dass sich schenzeitlich darauf hinweisen, dass die Fraktion Die die Sicherheitslage für unsere Truppen verschlechtern Linke für künftige Reden nach 20 Uhr vorbildlich bereits könnte, wenn sie über den 1. Mai 2021 hinaus in Afgha- Reden zu Protokoll gegeben hat. Andere sind nicht daran nistan bleiben. gehindert, Gleiches zu tun. Das wird die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit großer Freude erfüllen. (Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Genau!) Nächster Redner ist der Kollege Dr. Anton Friesen, Das muss hier auch offen ausgesprochen werden, weil AfD-Fraktion. das zur Realität gehört. Deshalb haben wir bereits jetzt in der NATO die notwendigen Schutzmaßnahmen getrof- (Beifall bei der AfD) fen; denn bei all den schwierigen Entscheidungen, die wir zu treffen haben, hat für uns eines allerhöchste Priorität, Dr. Anton Friesen (AfD): und das ist die Sicherheit unserer Soldatinnen und Solda- Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und ten in Afghanistan. Herren Abgeordnete! Liebe Bürger! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wir waren dreizehntausend Mann, der CDU/CSU) Von Kabul unser Zug begann, Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist keine einfache Soldaten … Weib und Kind, Situation – im Übrigen auch nicht für ein Parlament –, Erstarrt, erschlagen, verraten sind. eine Entscheidung zu treffen, wenn gleichzeitig Friedens- Was wie eine realistische Zustandsbeschreibung von verhandlungen geführt werden, die Prozesse miteinander Afghanistan 20 Jahre nach der NATO-Intervention verkoppelt werden sollen, im Moment aber nicht abseh- klingt, wurde von Theodor Fontane im 19. Jahrhundert 27122 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Dr. Anton Friesen (A) verfasst. Damals war gerade die britische Weltmacht am sowie den anderen internationalen Akteuren konstruktiv (C) Hindukusch gescheitert, ein paar Jahrzehnte später die begleiten und zusammen einen internationalen Mecha- sowjetische. Und nun scheitert die US-amerikanische nismus entwickeln, Weltmacht mit Deutschland als Anhängsel ohne eigene (Zuruf des Abg. Alexander Ulrich [DIE LIN- Strategie. KE]) (Beifall bei der AfD) der vernünftig verhindert, dass zukünftig von Afghanis- 20 Jahre Afghanistan-Krieg: Zeit, eine Bilanz zu zie- tan Terrorismus ausgeht. hen, eine Bilanz des Schreckens. 59 deutsche Soldaten sind seit 2001 am Hindukusch gefallen, so viele wie in (Beifall bei der AfD) keinem anderen Militäreinsatz der . Insge- Nicht zuletzt muss eine umfassende Evaluierung des samt 157 000 Menschen fanden den Tod, darunter Scheiterns und seiner Gründe erfolgen. 43 000 afghanische Zivilisten, alleine letztes Jahr Deutschland wird nicht am Hindukusch verteidigt, 1 500 Afghanen, 424 humanitäre Helfer, 67 Journalisten. sondern am Brandenburger Tor. Ihnen allen und ihren Familien gilt unser Beileid. Vielen Dank. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Sie alle sind Opfer einer kopf- und strategielosen Poli- tik, die bis 2024 mindestens 20 Milliarden Euro deut- sches Steuergeld für einen Krieg verschwendet, der nicht Vizepräsident Wolfgang Kubicki: zu gewinnen ist. Was könnte man mit diesen 20 Milliar- Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Friesen. – Nächster den Euro alles für unser Land, für unsere Bürger, für die Redner ist der Kollege Jürgen Hardt, CDU/CSU-Frak- Älteren und für die Bedürftigen tun? Zum Beispiel könn- tion. te man, wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsfor- (Beifall bei der CDU/CSU) schung schon 2019 errechnet hat, das Elterngeld um 44 Prozent anheben oder das Defizit in der Pflegeversi- cherung – dieses Jahr voraussichtlich bis zu 2,5 Milliar- Jürgen Hardt (CDU/CSU): den Euro – für Jahrzehnte ausgleichen, damit unsere Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich Großeltern menschenwürdig gepflegt werden können, bin dankbar dafür, dass die amerikanische Regierung ihre einseitigen Abzugspläne aufgegeben hat. Es wäre ein (Beifall bei der AfD) durch ein bloßes Datum getriebener Abzug ohne Berück- oder eben die Renten im Osten schneller anheben. Statt- sichtigung der wirklichen Verhältnisse in Afghanistan (B) dessen wird das hart verdiente Geld des deutschen Steu- gewesen. Es wäre eine Abkehr von unserer bisherigen (D) erzahlers in einen Krieg gepumpt, der längst verloren ist. Strategie gewesen, die wir gemeinsam in der NATO und mit unseren Partnern in der Koalition vereinbart hat- Mittlerweile kontrollieren die Taliban wieder dieselbe ten, dass wir gemeinsam reingehen und gemeinsam raus- Landesfläche wie 2001. Die Regierung in Kabul ist hoch- gehen und dass wir dies „condition-based“, also abhängig gradig korrupt. In Afghanistan blüht nicht die Demokra- von der Entwicklung im Land, gestalten. tie, sondern der Mohn. Blühende Landschaften afghani- scher Art! Afghanistan ist im Zuge der US-geführten Es ist in den letzten Jahren sicherlich Zeit verloren NATO-Intervention zum Opiumproduzenten Nummer gegangen, was den Friedensprozess zwischen den Tali- eins aufgestiegen. Tausende sind daran in Deutschland ban und der Regierung angeht. Was jetzt in Doha passiert, und in der Welt zugrunde gegangen. ist ein zäher, aber durchaus aussichtsreicher Prozess, um zu einem Ergebnis zu kommen, insbesondere dann, wenn Die Anzahl der Afghanen in Deutschland, oft Asylbe- wir als RSM-Kräfte unseren Druck aufrechterhalten. werber, ist von 2009 bis 2019 von 49 000 auf 263 000 gestiegen. Was wollen Sie eigentlich einer Mutter erzäh- Die Taliban haben massiv Gewalt gegen die Regie- len, deren Sohn am Hindukusch gefallen ist? Dass sie ihn rungskräfte und gegen die Zivilbevölkerung Afghanis- in einem Zinksarg in Empfang nehmen kann, während tans entfaltet. Man redet von 30 bis 50 Toten am Tag Afghanen am Ku’damm Kaffee trinken? unter den Sicherheitskräften Afghanistans. Glücklicher- weise richten sich diese Angriffe im Augenblick nicht (Beifall bei der AfD) gegen Kräfte der Koalition, also auch nicht gegen deut- Die AfD ist die Friedenspartei Deutschlands. sche Kräfte. Aber wenn wir jetzt entscheiden, über den 30. April hinaus dort zu bleiben, müssen wir gewahr sein, (Beifall des Abg. Dr. Götz Frömming [AfD] – dass die Gefährdung für unsere Truppen vielleicht wieder Lachen bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, steigt. Deswegen ist es gut, dass die Verteidigungsminis- der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE terin entschieden hat, entsprechende Vorsichtsmaßnah- GRÜNEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: men einzuleiten, die verhindern sollen, dass die Sicher- Das ist ja wohl das Allerletzte!]) heitslage für unsere Soldaten sich verschärft. Wir sagen: Abzug der Bundeswehr sofort einleiten, die Mit dem Afghanistan-Einsatz hatten wir von Anfang Friedensverhandlungen zwischen den Taliban, der afgha- an das Ziel, dass von Afghanistan keine internationale nischen Regierung terroristische Bedrohung mehr ausgehen soll. Dieses (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Ihr seid doch Ziel haben wir durch Präsenz in Afghanistan erreicht. Aufrüstungsfreaks sondergleichen!) Aber wir haben noch nicht erreicht, dass es in Afghanis- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27123

Jürgen Hardt (A) tan einen nachhaltigen, sich selbst tragenden Stabilisie- Aber zu befürchten ist, dass die Angriffe der Taliban (C) rungsprozess gibt, der das verhindert. Und das muss gegen die Alliierten wieder ausbrechen werden. Das unser Ziel sein. heißt, Frau Ministerin, dass alle sicherheitsrelevanten Vorkehrungen zu treffen sind, um unsere Soldatinnen Zum Schluss meiner kurzen Rede möchte ich noch und Soldaten zu schützen, damit sie ihrem Auftrag auch einige Punkte nennen, die wir darüber hinaus erreicht weiter nachkommen können. Denn der Verbleib der Bun- haben. Es wird ja immer so getan, als sei das alles ein deswehr in Afghanistan wäre ja unsinnig, wenn sich diese ganz großer Misserfolg. Ich glaube, dass der Afghanis- einer Schildkröte gleich ins Camp zurückziehen müsste tan-Einsatz und auch die zivilen Bemühungen hinter den und die afghanische Armee nur noch per Telefon aus- Erwartungen zurückgeblieben sind, aber dass wir deut- bilden würde. lich mehr erreicht haben, als manche glauben. Die Sicherheitslage in großen Teilen des Landes – es Ich will einige wichtige Aspekte hervorheben: Das wurde gerade gesagt – ist dramatisch schlecht: jeden Tag Pro-Kopf-Einkommen der afghanischen Bevölkerung entgrenzte Gewalt gegen Zivilisten, gegen Journalisten, hat sich fast verdreifacht. Die Zahl der Kinder, die zur Studentinnen, Richterinnen. Afghanistan braucht in der Schule gehen, hat sich fast verzehnfacht. Die Zahl der Tat eine Zukunftsperspektive. Die Lösung dieser hoch- Frauen, die nach einer Geburt sterben, hat sich mehr als komplexen Situation kann nicht nur eine militärische halbiert. Die Lebenserwartung ist im Übrigen um neun sein. Sie sollte auch unter Einbeziehung des Nachbarn Jahre, von 56 auf 65 Jahre, angestiegen. Dieses Land hat Pakistan politisch gelöst werden. unter RSM und unter der afghanischen Regierung Fort- schritte gemacht. Diese Fortschritte wollen wir nicht Deshalb muss die Unterstützung des innerafghani- gefährden, sondern schützen. schen Prozesses höchste Priorität haben. Hier sehen wir auch die Bundesregierung in der Verantwortung; denn Ich erwarte, dass die Bundesregierung uns über alle von dem Ergebnis der Gespräche hängt es ab, in welche Schritte, die jetzt in der NATO vereinbart werden, kurz- Richtung sich das Land am Hindukusch entwickeln wird fristig auf dem Laufenden hält, dass wir im Bundestag und ob die Gewalt, die das Land sage und schreibe 40 Jah- auch beraten und entscheiden können, wie es weitergeht, re beherrscht, Normalität bleibt. Deshalb wäre es so und dass wir vor dem 31. Januar 2022 in Ruhe entschei- wichtig, wenn in Doha auch die Stimmen von Frauen den, wie wir mit dem Einsatz in Afghanistan weiter vor- und Menschenrechtlern gehört werden würden. gehen. Wenn wir uns erinnern, mit welchen Zielen wir vor Herzlichen Dank. 20 Jahren in den Afghanistan-Einsatz gegangen sind, dann dürfen wir heute neben vielen gesellschaftlichen (Beifall bei der CDU/CSU) (B) Fortschritten feststellen: Der internationale Terrorismus, (D) der die westliche Welt am 11. September 2001 in seiner Vizepräsident Wolfgang Kubicki: ganzen Brutalität traf – 3 000 Menschen wurden ermor- Vielen Dank, Herr Kollege Hardt. det –, ist seit der Präsenz der NATO nicht mehr von afghanischem Boden ausgegangen. Das ist eine wichtige (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Lange Haare Erkenntnis, auch und besonders für die Angehörigen der stehen dir auch, Jürgen! – Gegenruf der Abg. deutschen Soldaten, die in Afghanistan ihr Leben verlo- Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE ren haben. GRÜNEN]: Das habe ich auch gerade gedacht! – Gegenruf der Abg. Dr. Marie-Agnes (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Strack-Zimmermann [FDP]: Kaum ist er 60!) der CDU/CSU und der SPD) – Bitte keine Äußerungen über das Aussehen von Kolle- Dieser Einsatz, meine Damen und Herren, war nicht ginnen und Kollegen, Frau Dr. Strack-Zimmermann! – umsonst. Wir, die Mitglieder des Deutschen Bundesta- Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Marie-Agnes ges, sind den gefallenen Soldaten und ihren Familien in Strack-Zimmermann, FDP-Fraktion. Trauer und allen, die dort ihren Dienst getan haben, in tiefstem Dank verbunden. (Beifall bei der FDP – Ingo Gädechens [CDU/ Aber ja, es gibt auch große Defizite: Korruption, feh- CSU]: Das war ein Kompliment!) lender Staatsaufbau. Deswegen, Herr Minister: Ziehen Sie endlich Bilanz! Evaluieren Sie diesen Einsatz! Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP): (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Das war ein Kompliment an den ewig Jugendlichen. der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN) CDU/CSU) Wir brauchen eine Abzugsperspektive, und wir müssen auch aus den Schwächen dieses Einsatzes lernen; denn Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bun- die Stabilisierung Afghanistans bleibt ein Ziel – vorerst deswehr wird über den April hinaus in Afghanistan blei- militärisch, langfristig nur durch Entwicklungshilfe und, ben. Für die Freien Demokraten ist es eine Selbstver- ja, auch durch deutsche diplomatische Intervention. ständlichkeit, der Biden-Administration diese Zeit einzuräumen, um die Situation in Afghanistan neu zu Wir sind sehr gespannt auf das Außenministertreffen in bewerten; erleichtert darüber, wieder einen verlässlichen Kürze. Wir Freien Demokraten werden diesen Prozess Partner im Weißen Haus zu wissen. positiv begleiten. 27124 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (A) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Heike Hänsel (DIE LINKE): (C) der CDU/CSU) Also, im Gegensatz zu Ihnen sind wir ja kein Fan der NATO und haben uns eigentlich auch immer kritisch zu Vizepräsident Wolfgang Kubicki: dieser Form von transatlantischen Beziehungen geäu- ßert – ganz im Gegensatz zu Ihnen. Die Linke ist seit Vielen Dank, Frau Kollegin Strack-Zimmermann. – 20 Jahren gegen diesen Afghanistan-Einsatz, weil wir Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Heike von Anbeginn gesagt haben: Wir können die Situation Hänsel, Fraktion Die Linke. mit Militär nicht lösen. – Das hören wir ja auch von (Beifall bei der LINKEN) Außenminister Heiko Maas. Es gibt keine militärische Lösung für die Situation in Afghanistan, und trotzdem Heike Hänsel (DIE LINKE): wird dieser Einsatz jedes Jahr verlängert. Wir sind völlig Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle- dagegen. Wir setzen uns dafür ein, dass endlich wirklich gen! Der Afghanistan-Krieg ist für die NATO verloren. politische Lösungen in diesem Land gefördert werden. Seit bald 20 Jahren stehen Soldaten des Militärpakts am (Beifall bei der LINKEN – Ulrich Lechte Hindukusch. Die Sicherheitslage ist so schlecht wie nie: [FDP]: Wie sehen die denn aus?) 51 Prozent des Landes werden von den Taliban kontrol- liert, soziales Elend und politische Unterdrückung durch Geostrategisch geht es um viel. Das sagen die Afgha- eine korrupte Regierung haben das Land fest im Griff. nen selbst. Und trotzdem setzt die Koalition aus Union und SPD auf Jetzt werden hier neue Pirouetten gedreht, um den Ein- ein Weiter-so. Koste es, was es wolle, soll die Bundes- satz weiterhin zu rechtfertigen – aber nicht nur von der wehr so lange in Afghanistan bleiben, wie die USA die- Koalition; mit dabei sind auch die Grünen. Sie fordern sen verlorenen Krieg weiterführen wollen. Das darf nicht eine umfassende Bilanz des Krieges – ja –, aber letzt- so weitergehen. Die deutschen Soldaten müssen sofort endlich verstecken Sie mit der Kritik an einzelnen Dingen aus Afghanistan abgezogen werden! Ihre nach wie vor erteilte Zustimmung zum Kriegseinsatz (Beifall bei der LINKEN – Ingo Gädechens in Afghanistan. [CDU/CSU]: Damit 70 Prozent des Landes (Beifall bei der LINKEN) die Taliban kontrollieren!) Sie zeigen, dass für Sie „regierungsfähig“ eben „kriegs- Was haben Sie uns hier nicht alles erzählt, um was es bereit“ heißt, und im Bundestag stimmen dann jedes Mal bei dem Afghanistan-Krieg gehe: um die Verteidigung etliche von Ihnen für den Bundeswehreinsatz. Andere Deutschlands am Hindukusch, ums Brunnenbohren, um stimmen zwar dagegen oder enthalten sich, aber man (B) die Befreiung der Frau. Das ist doch alles schlicht gelo- muss festhalten: Der Afghanistan-Krieg geht auch mit (D) gen! Ihren Stimmen weiter. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Karsten Hilse [AfD]) Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage? Deshalb noch einmal an SPD und Grüne, die diesen Kriegseinsatz ja begonnen haben: Im Afghanistan-Krieg Heike Hänsel (DIE LINKE): wurden nicht nur zu viele Fehler gemacht, wie Sie es jetzt Um all das ging es nachweislich nicht. Viele Afghanen gerne vortragen und weswegen Sie eine Bilanz fordern. selbst sagen ja, die geostrategisch wichtige Lage ihres Nein, der Krieg selbst war der Fehler. Und genau aus Landes bringe ihnen nichts als Krieg. diesem Grund haben wir von Anfang gegen diesen Krieg gestimmt. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage der (Beifall bei der LINKEN) Kollegin Strack-Zimmermann? Er hat laut Iraq Body Count nämlich bis zu 180 000 Men- schen das Leben gekostet. Mehr als 10 Milliarden Euro Heike Hänsel (DIE LINKE): wurden nur für den Bundeswehreinsatz verschlungen. Ja. Der Einsatz in Afghanistan – das hat das Bombardement von Kunduz 2009 gezeigt, bei dem bis zu 140 Zivilisten getötet wurden –, das ist auch Massenmord im deutschen Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP): Namen. Vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie mir diese kurze Zwischenfrage erlauben. – Gehe ich recht in der Annah- (Beifall bei der LINKEN) me, nachdem ich Ihnen jetzt gerade zugehört habe, dass Der verantwortliche Bundeswehroberst Klein wurde Sie das Ansinnen des ehemaligen US-Präsidenten Trump, auch noch befördert! kopfüber das Land zu verlassen, gut gefunden hätten? Wollen Sie damit sagen, dass Sie eigentlich insgeheim (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Eine Schan- ein großer Fan der Politik von Donald Trump waren? de! Eine Schande, dass man den auch noch befördert!) (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der Abg. Elisabeth Motschmann [CDU/CSU] – Eine Entschuldigung der Bundesregierung, geschweige Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Nach 20 Jahren denn Entschädigungszahlungen gibt es bis heute nicht. kopfüber!) Es ist höchste Zeit, zu sagen: Schluss damit! Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27125

Heike Hänsel (A) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Trump hat die wichtige Verhandlungslösung massiv (C) Es gibt keine Alternative zu einer politischen Lösung gefährdet. Nicht nur wegen seiner verheerenden Afgha- für dieses geschundene Land. Die Linke hat immer gegen nistan-Politik kann man nur sagen: Endlich ist das Unwe- diesen NATO-Krieg Position bezogen. Das gilt natürlich sen, das dieser bösartige Chaot auf internationaler Ebene auch bezüglich einer Regierungsbeteiligung: An einer getrieben hat, vorbei! Regierung, die den NATO-Krieg weiterführen will, wer- den wir uns nicht beteiligen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vielen Dank. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der neue US-Präsi- (Beifall bei der LINKEN – Dr. Marie-Agnes dent hat bisher zwei Entscheidungen getroffen: Das Strack-Zimmermann [FDP]: Die Frauen in Abzugsdatum April 2021 ist vom Tisch, und es gibt einen Afghanistan danken den Linken!) Review-Prozess zum weiteren Vorgehen. Die Taliban drohen deshalb nun mit Anschlägen gegen die interna- tionalen Truppen. In dieser unklaren Situation hat die Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Bundesregierung ein Mandat vorgelegt, das mehr Fragen Vielen Dank, Frau Kollegin Hänsel. – Nächste Redne- aufwirft, als es beantwortet. Sehen Sie noch eine Chance, rin ist die Kollegin Agnieszka Brugger, Fraktion Bünd- mit der Ausbildung von Sicherheitskräften etwas zu nis 90/Die Grünen. erreichen? Und wie lange soll die Bundeswehr in Afgha- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nistan bleiben? An diesem Punkt ist das Mandat höchst widersprüch- Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): lich. Sie sprechen in der Begründung von einem geordne- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und ten Abzug. Gleichzeitig sagen Sie, Sie wollen nur lage- Kollegen! 20 Jahre Einsatz in Afghanistan – das ist auch abhängig raus. Aber was sind dafür die Konditionen, eine lange Geschichte verpasster Chancen. Die Sicher- insbesondere wenn die Lage sich verschlechtern sollte? heitslage ist mittlerweile katastrophal. Die Taliban ver- Welche realistischen Erfolgsaussichten sehen Sie über- üben heftige Anschläge auf die Regierungskräfte und haupt? Für welches Szenario setzen Sie sich bei der machen ganz bewusst auch Richter und Journalisten NATO ein? Wer Soldatinnen und Soldaten in einen so zum Ziel ihrer brutalen Attacken. gefährlichen Einsatz entsendet, braucht darauf überzeu- Rückblickblickend muss man wohl sagen: Die gende Antworten. Momente, in denen eine (B) Chance für eine Wende zum Besseren da war, wurden (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (D) nicht oder nur unzureichend genutzt. Daraus müssen Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Was wir für die Zukunft lernen. Dass die Bundesregierung wäre denn Ihre Position?) sich einer selbstkritischen, unabhängigen Evaluation der Liebe Kolleginnen und Kollegen, unabhängig von der Auslandseinsätze verweigert, ist ein großes Versäumnis. Frage des Verbleibs der Bundeswehr dürfen wir jetzt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN trotzdem international nichts unversucht lassen, um das sowie des Abg. Dr. Alexander S. Neu [DIE Ruder bei den Verhandlungen rumzureißen. Ja, die Chan- LINKE]) cen dafür sind nicht groß; aber wir müssen in ein paar Es gab viele verpasste Chancen in Afghanistan in den Jahren im Rückblick sagen können: Wir haben alles Men- ersten Jahren, als mehr für den zivilen Wiederaufbau schenmögliche versucht – hätte getan werden müssen, oder auch nach den Präsi- dentschaftswahlen 2014, als auf Mut und Hoffnung der Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Menschen wieder einmal nur Korruption und Klientel- Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. wirtschaft der politischen Eliten folgten. Unabhängig ob für oder gegen den Einsatz, in einem Punkt herrscht Einigkeit: Militärisch sind die Taliban Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): nicht zu bezwingen. Die Chance auf eine friedlichere – und haben nicht einmal mehr eine der wenigen und Zukunft läge in ihrer politischen Einbindung, die aber schwierigen Chancen für die Menschen in Afghanistan rote Linien nicht überschreiten darf. Dass diese vielleicht verstreichen lassen. wichtigste Chance scheitern könnte, hat vor allem Donald Trump zu verantworten. Er hat weder die afghanische Vielen Dank. Regierung noch die Zivilgesellschaft, geschweige denn Frauen oder marginalisierte Gruppen in die Gespräche (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) mit den Taliban einbezogen und hat ihnen den baldigen Abzug der internationalen Truppen quasi für nichts rüber- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: gereicht. Vielen Dank, Frau Kollegin Brugger. – Als nächster Viele Expertinnen und Experten sehen deshalb kaum Rednerin erteile ich das Wort der Frau Bundesministerin Interesse mehr bei den Taliban, sich auf einen echten der Verteidigung, Annegret Kramp-Karrenbauer. innerafghanischen Friedensprozess mit der afghanischen Regierung und der Gesellschaft einzulassen. Donald (Beifall bei der CDU/CSU) 27126 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

(A) Annegret Kramp-Karrenbauer, Bundesministerin Abkommen mit den USA gebunden. Dieses Abkommen (C) der Verteidigung: hat beinhaltet, dass wir zum 30. April abziehen. Ja, ich Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- hätte mich gefreut, wir hätten in der Verteidigungsminis- ren! Es ist immer etwas Besonderes, wenn wir im Bun- tersitzung der NATO schon eine Entscheidung treffen destag über Afghanistan reden; denn bei keinem Einsatz können, und ich hoffe sehr, dass möglicherweise in der wird mir, wird Ihnen sicherlich so bewusst, wie groß die Außenministersitzung im März eine Entscheidung Gefahren sind, in die wir unsere Soldatinnen und Solda- getroffen wird. Aber wenn die Taliban sagen, wenn die- ten schicken, und dass in Afghanistan Soldaten ihr Leben ses Abkommen nicht umgesetzt wird, dann greifen sie gelassen haben – auch für das, was wir uns nach 9/11 uns auch wieder an, dann nehme ich diese Drohung ernst, vorgenommen haben: dass nämlich von Afghanistan und zwar sehr ernst. Das sind mehr als nur leere Worte. kein staatlich unterstützter internationaler islamistischer Terror mehr ausgehen darf. Seit zwanzig Jahren geht das Deswegen war ich letzten Freitag in Afghanistan; des- in Erfüllung. Das ist das Verdienst, das wir alle dort wegen habe ich mir vor Ort mit dem Kommandeur, mit erzielt haben. General Meyer zusammen angeschaut, wie wir insbeson- dere in Masar-i-Scharif aufgestellt sind; deswegen ver- Das ist auch das Verdienst der afghanischen Armee, kürzen wir die Verlegebereitschaft unserer Verstärkungs- der afghanischen Sicherheitskräfte, und sie konnten die- kräfte auf sieben Tage; deswegen sehen wir vor, dass die ses Verdienst nur deshalb erreichen, weil sie von uns auch vorgesehene Infanteriekompanie um einen Mörserzug unterstützt worden sind, bis zum heutigen Tag. All dieje- verstärkt wird, wenn es geht in Kooperation mit den Nie- nigen, die jetzt sagen, es war ein Fehler, damals gemein- derlanden; deswegen werden Material und Fahrzeuge sam – auf der Grundlage einer UN-Resolution und mit dafür vorab in Afghanistan stationiert; deswegen bereiten der NATO – nach Afghanistan zu gehen, hätten damit in wir auch über diese Maßnahmen hinaus weitergehende Kauf genommen, dass die Taliban bis heute ununterbro- Bedrohungsszenarien vor – Geisellagen oder anderes –, chen regiert hätten, dass wir nicht den Ansatz von Frauen für die wir auch Spezialkräfte brauchen. Und wir verfü- in Bildung, in Ämtern gehabt hätten, gen über diese Spezialkräfte, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Die sind ja bei Abgeordneten der SPD) berühmt-berüchtigt, Ihre Spezialkräfte!) dass wir nicht den Ansatz einer weiterentwickelten Armee gehabt hätten; auch das gehört zur Bilanz von und sie sind einsatzbereit, und deswegen halten wir sie Afghanistan dazu. auch in der Vorhand. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir werden (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (B) und wir müssen über die Bilanz von Afghanistan reden; Heike Hänsel [DIE LINKE]: Aufnahmerituale (D) das sind wir insbesondere den gefallenen Soldaten schul- und so weiter! Nein danke!) dig. Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie Aber heute reden wir vor allen Dingen über die nächs- mich das ganz deutlich sagen: Ich bin sehr dankbar, ten Monate, wir reden darüber, dass wir gemeinsam mit dass doch die Mehrheit in diesem Haus bereit ist, dieses dem Bündnis Zeit brauchen, damit die Friedensverhand- Mandat für die Übergangszeit zu gewährleisten. Denn lungen, die ja auch einmal mit einem Petersberger Dialog unsere Soldatinnen und Soldaten, mit denen ich gespro- begonnen haben, zu Ende geführt werden können, damit chen habe, haben nach wie vor gesagt, sie finden ihren wir weiter dafür sorgen – auch in der Ausbildung, in der Einsatz sinnvoll; sie finden ihn wichtig; sie sehen, welche Unterstützung –, dass wir die afghanischen Sicherheits- Fortschritte die afghanische Armee macht; sie erleben, kräfte nicht unkontrolliert von heute auf morgen allein- wie unter einem hohen Blutzoll die afghanischen Solda- lassen. Dazu dienen die nächsten Monate. ten dafür kämpfen, dass die Taliban nicht das ganze Land Wie schnell wir zu einem Ergebnis kommen, das ist übernehmen; sie sehen, dass wir die Zeit brauchen, um etwas, was wir gemeinsam im Bündnis besprechen müs- eine politische Lösung der Konfliktparteien in Afghanis- sen, natürlich unter einer besonderen Verantwortung der tan zu finden, und deswegen wünschen sie sich den Rück- Amerikaner, aber nicht nur, auch von uns. Wir sind im halt des Deutschen Bundestages. Norden Afghanistans die Anlehnnation für 16 andere Wenn Sie uns mit dem Übergangsmandat diesen Rück- Nationen; das sind über 500 Soldatinnen und Soldaten, halt geben, dann darf ich mich auch im Namen der Sol- die in Masar-i-Scharif gemeinsam mit uns Seite an Seite datinnen und Soldaten dafür bedanken. kämpfen. Auch für die tragen wir Verantwortung, und ich frage Sie: Wenn wir dieses Mandat nicht verlängern, wel- Herzlichen Dank. ches Signal setzen wir dann an diejenigen, die auch für uns ihren Kopf in Afghanistan hinhalten? (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD und der FDP) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich will es Vielen Dank, Frau Ministerin. – Letzter Redner in die- ganz deutlich machen: Die vor uns liegende Zeit ist ser Debatte ist der Kollege Thomas Erndl, CDU/CSU- gefährlich; sie ist insbesondere gefährlich für unsere Sol- Fraktion. datinnen und Soldaten, für die internationalen Truppen. Die Taliban haben bisher gesagt, sie fühlen sich an das (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27127

(A) Thomas Erndl (CDU/CSU): Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss bitte. Kollegen! Liebe Soldatinnen und Soldaten! Ich möchte am Anfang Ihnen, Frau Bundesministerin, sehr herzlich danken, dass Sie dargestellt haben, wie wir vorbereitet Thomas Erndl (CDU/CSU): sind auf die Situation, auf die Gefahren, weil wir in der Das sollte endlich klar sein. Tat hier eine große Entscheidung treffen müssen, große (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Verantwortung haben. Da ist es für uns gut, zu wissen, Widerspruch bei der SPD) dass unsere Soldaten gut vorbereitet, gut ausgerüstet sind. Parteitaktik und Ideologie können nie wichtiger sein als Meine Damen und Herren, in den nächsten Monaten die Sicherheit unserer Soldaten! wird sich zeigen, ob wir die wichtigen Erfolge am Hin- dukusch sichern können, ob wir ein Afghanistan zurück- Kolleginnen und Kollegen, – lassen werden, von dem kein Terror für uns ausgeht. Ich möchte hier ganz klar sagen: Lassen Sie uns in diesem Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Endspurt alles unternehmen, damit wir diese Ziele errei- Nein, Herr Kollege, Sie kommen bitte zum Schluss. chen, Erfolge sichern und Terror verhindern. Ich bin Sie haben jetzt noch einen Satz, sonst muss ich Ihnen davon überzeugt, dass wir das schaffen können. Dazu das Wort entziehen. muss Deutschland, dazu müssen wir hier im Deutschen Bundestag durch das Verlängern unseres Bundeswehrein- satzes diesen direkten Beitrag leisten. Thomas Erndl (CDU/CSU): – wir sollten unsere Erfolge nicht aufs Spiel setzen und Das ist jetzt wichtig, weil es einen Abzug nur dann deswegen das Mandat verlängern. geben kann, wenn wir eine konkrete Aussicht auf ein politisches Abkommen zwischen den Taliban und der Herzlichen Dank. Regierung in Kabul haben. Diese Perspektive gibt es (Beifall bei der CDU/CSU) zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht. Meine Damen und Herren, natürlich hat sich Afgha- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: nistan nicht so entwickelt, wie wir uns das 2001 vorge- Vielen Dank, Herr Kollege Erndl. – Damit schließe ich stellt haben. Die Regierung in Kabul muss Korruption die Aussprache. und Misswirtschaft deutlich besser in den Griff bekom- men. Aber wir haben Entscheidendes erreicht: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf (B) den Drucksachen 19/26916 und 19/27199 an die in der (D) Erstens. Seit Beginn des Einsatzes 2001 ist von Afgha- Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. nistan kein Terror gegen westliche Ziele ausgegangen. Gibt es weitere Überweisungsvorschläge? – Das sehe Zweitens wurde eine afghanische Armee aufgebaut – ich nicht. Dann verfahren wir wie vorgeschlagen. das ist ja jetzt auch der Schwerpunkt unseres Einsatzes –, Ich rufe die Tagesordnungspunkte 30 a und 30 b auf: die heute 95 Prozent der gefährlichen Einsätze gegen die Taliban selbstständig durchführt. Das ist doch eine wich- a) Beratung der Unterrichtung durch das Deut- tige Voraussetzung für einen funktionierenden Staat. sche Institut für Menschenrechte Drittens haben wir viele positive gesellschaftliche Ent- Jahresbericht 2019 wicklungen: eine vielfältige Medienlandschaft, in den Drucksache 19/24970 Städten eine lebendige Zivilgesellschaft, wesentlich Überweisungsvorschlag: mehr Kinder, mehr Mädchen in der Schule, deutlich Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f) höhere Lebenserwartung. Das alles, meine Damen und Ausschuss für Inneres und Heimat Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Herren, sind keine politischen Träumereien, sondern das Ausschuss für Arbeit und Soziales hat mir vergangene Woche erst eine junge Afghanin Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend geschildert, deren Volksgruppe, die Hazara – eine Min- Ausschuss Digitale Agenda derheit –, enorm von diesen positiven Entwicklungen b) Beratung der Unterrichtung durch das Deut- profitiert hat und die jetzt große Sorge hat, dass das alles sche Institut für Menschenrechte zusammenbricht, wenn wir überstürzt abziehen. Bericht über die Entwicklung der Men- (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Nach 20 Jah- schenrechtssituation in Deutschland im ren ist das nicht überstürzt, sondern langsam!) Zeitraum Juli 2019 bis Juni 2020 Meine Damen und Herren, wir reden viel über größere Drucksache 19/24971 Verantwortung, die Deutschland in der Welt übernehmen Überweisungsvorschlag: soll. Afghanistan ist nun genau so ein Ort, wo wir große Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f) Verantwortung übernommen haben und weiterhin große Ausschuss für Inneres und Heimat Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verantwortung haben. Ausschuss für Arbeit und Soziales Verantwortung heißt übrigens auch – das an die Adres- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend se der SPD und Olaf Scholz –, dass wir unsere Soldaten Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten natürlich mit bestmöglichem technischen Schutz in den beschlossen. – Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, Einsatz schicken, und dazu gehören bewaffnete Drohnen. den Platzwechsel zügig vorzunehmen. 27128 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- der Abschiebung – sie verlieren ja dadurch, dass sie abge- (C) ner dem Kollegen Frank Schwabe, SPD-Fraktion, das schoben werden, nicht die Menschenrechte – wahren Wort. kann. (Beifall bei der SPD) Das zweite Thema ist die Frage, wie wir eigentlich mit jungen Menschen umgehen, die eine Behinderung haben, und wie wir sie inklusiv in unser Wirtschafts-, Gesell- Frank Schwabe (SPD): schafts- und Bildungssystem integrieren. Wir sind bei Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Wir dis- dem Thema der Inklusion in der Schulbildung ganz gut kutieren heute den Bericht des Deutschen Instituts für vorangeschritten. Es gibt aber eine Hürde von der Schul- Menschenrechte, eines hervorragenden Instituts, eines bildung hin zur Ausbildung. Das Ergebnis der Untersu- Instituts – das muss man, glaube ich, mal so sagen, weil chungen des Deutschen Instituts für Menschenrechte ist, es vielleicht nicht jeder in Deutschland weiß – mit Welt- dass 90 Prozent der jungen Menschen mit Behinderung ruf, von hoher Anerkennung weltweit, egal wo man hin- am Ende immer noch in eine Sonderausbildung gehen guckt. Das deutsche Menschenrechtsinstitut macht Be- und es nur bei 10 Prozent dieser Menschen gelingt, sie richte in Deutschland, aber es moderiert auch eine inklusiv in das Ausbildungssystem zu integrieren. Da gibt ganze Reihe internationaler Prozesse. es also noch etwas, das umzusetzen wichtig ist. Da brau- Das Deutsche Institut für Menschenrechte ist guter chen wir noch ganz auf der körperlichen Ebene so etwas Ratgeber für uns hier in dem, was wir miteinander disku- wie barrierefreie Zugänge, müssen aber eben auch Förde- tieren und beschließen. Es hat zum Beispiel Wesentliches rungen und Beratung vorantreiben, etwas, was der zu- zum Thema Lieferkettengesetz beigetragen. Das Ganze ständige Ausschuss des Deutschen Bundestages sicher- hat ja nicht erst bei der Debatte um das Lieferkettengesetz lich in der Debatte aufnehmen wird. angefangen, sondern es gab den Nationalen Aktionsplan Das andere Thema – ich habe es gerade angedeutet – „Wirtschaft und Menschenrechte“. Das Deutsche Institut betrifft die Frage, wie wir mit den Menschen umgehen, für Menschenrechte hat uns sozusagen beraten und am die nicht in Deutschland bleiben können, die hier Asyl Ende auch darin bestärkt, zu einem Lieferkettengesetz zu haben wollten und dann abgeschoben werden. Vielleicht kommen. erinnern sich noch einige von uns an die Debatten zurück, Das Deutsche Institut für Menschenrechte ist Monito- die wir geführt haben und wo wir gesagt haben: Wir ringstelle. Es ist verantwortlich für die Prozesse, die uns wollen noch mal bei den Menschen, die krank sind, durch internationale Abkommen auferlegt sind, beispiels- genauer hingucken und uns fragen, ob nicht möglicher- weise bei den Kinderrechten, zu den Menschen mit weise das Reklamieren von Krankheit in einer mensch- (B) Behinderungen und auch bei der Umsetzung der Istan- lich nachvollziehbaren Art und Weise benutzt werden (D) bul-Konvention, des Übereinkommens des Europarats könnte, um Abschiebungen abzuwenden. – Darüber gab gegen die Gewalt gegen Frauen. Ich bin übrigens ganz es eine intensive Diskussion. stolz darauf, dass der Kreis Recklinghausen, bei mir vor Wie auch immer man damals zu dieser Frage gestan- Ort, jetzt auch eine solche Monitoringstelle einrichtet. den hat – ich habe das damals durchaus schon kritisch Vielleicht eine gute Anregung für alle Kolleginnen und gesehen –, das Deutsche Institut für Menschenrechte Kollegen, bei denen das noch nicht geschehen ist: stellt jedenfalls fest, dass wir möglicherweise über das Gucken Sie doch mal, ob so was vor Ort da ist oder nicht Ziel hinausgeschossen sind. Es macht verfassungsrecht- noch eingerichtet werden könnte! liche Bedenken geltend – ich glaube, mit denen sollten wir uns ernsthaft auseinandersetzen – und weist darauf (Beifall bei der SPD) hin, dass wir an manchen Stellen mittlerweile dazu kom- Heute debattieren wir den aktuellen Bericht. Das Inte- men, das wir Menschen auch in Krankheitssituationen ressante daran ist, dass er ein Ergebnis einer ehemaligen abschieben, wo man es eigentlich nicht tun dürfte. menschenrechtspolitischen Sprecherin der Union ist, Das Deutsche Institut für Menschenrechte guckt deren Namen ich hier gar nicht mehr erwähnen möchte besonders hin zum Beispiel bei der Frage der Abschie- und die heute für andere Fraktionen tätig ist. bungen aus stationären Einrichtungen. Es gibt Abschie- (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- bungen aus Krankenhäusern oder Psychiatrien, sozusa- NEN) gen aus der stationären Einrichtung heraus. Wir haben eben oftmals die Situation, dass die Abzuschiebenden Ihr war es besonders wichtig, dass das Deutsche Institut wirklich nicht genau wissen, wie gerade ihre Situation für Menschenrechte, als es eine gesetzliche Grundlage ist, wie ihre rechtliche Situation ist und welche Möglich- bekommen hat, jährlich einen Bericht vorlegen muss. keiten sie haben, entsprechenden medizinischen Beistand Das tut das Deutsche Institut für Menschenrechte. Des- zu bekommen, sodass selbst diejenigen, die sagen: „Wir wegen haben wir dankenswerterweise die Gelegenheit, müssen vielleicht restriktiver mit Flüchtlingsfragen uns heute mit diesem Bericht auseinanderzusetzen. umgehen“, doch sehen müssen, dass wir auf gar keinen Der aktuelle Bericht behandelt zwei Hauptthemen: Fall bei einer solchen Abschiebung Menschenrechtsver- letzungen begehen dürfen und dass wir jedenfalls alles Das eine ist die Frage des Umgangs mit Menschen, die tun müssen, um das zu verhindern. Deswegen empfehle in Deutschland Asyl begehren wollen, aber am Ende kein ich uns sehr, uns diesen Bericht des Deutschen Instituts Asyl bekommen und deshalb wieder abgeschoben wer- für Menschenrechte an dieser Stelle noch mal genau den, und die Frage, wie man die Menschenrechte auch bei anzugucken. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27129

Frank Schwabe (A) (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Zaklin stellbar, dass ein Bericht über Menschenrechte in (C) Nastic [DIE LINKE] und Margarete Bause Deutschland 2020 noch ignoranter ist als dieser Bericht [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) des angeblichen Instituts für Menschenrechte? Wenn ich gerade beim Thema Geflüchtete bin, will ich (Beifall bei der AfD) zumindest die Gelegenheit noch mal nutzen und sicher- Der verfassungswidrige Staatsrat aus Kanzlerin lich auch im Sinne des Deutschen Instituts für Menschen- Merkel und den Ministerpräsidenten nimmt fleißigen rechte sagen: Wir sind in diesem Jahr im 70. Jahr des Mittelständlern ihr Eigentum, enteignet Handel und Gas- Bestehens der Genfer Flüchtlingskonvention. Es geht tronomie faktisch. Die Verletzung des Menschenrechts wirklich darum, zu gucken: Wie entwickeln wir eigent- auf Eigentum interessiert dieses sozialistische Institut lich die Genfer Flüchtlingskonvention weiter, und hält sie für Menschenrechte kein bisschen. noch für die nächsten Jahre und Jahrzehnte? Da habe ich jedenfalls große Sorge, dass das, was ja als Lehre aus den Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsge- schwärzesten Zeiten deutscher Geschichte, europäischer richts Hans-Jürgen Papier warnt bereits im Mai eindring- Geschichte eine Errungenschaft war, doch sehr gefährdet lich – Zitat –: ist. Wir diskutieren zunehmend über die Frage von Push- Wir haben in den letzten Monaten eine Einschrän- backs. Mich jedenfalls macht sehr besorgt, dass der kung unserer Grundrechte erlebt, wie wir es uns Frontex-Chef hier im Deutschen Bundestag, Herr Legge- wohl nie vorstellen konnten. ri, so etwa gesagt hat – ich hoffe, ich bekomme das eini- germaßen hin –, er wisse eigentlich auch nicht so genau, (Frank Schwabe [SPD]: Papier bekommt wo der Unterschied zwischen Pushbacks ist, also illega- Magenschmerzen, wenn Sie ihn zitieren!) len Pushbacks – das konzediert jeder –, und einer Art von sozusagen legalem Abfangen. Das macht mich jedenfalls Papier weiter – Zitat –: sehr besorgt. Ich glaube, das ist etwas, worum wir uns Der Staat darf nicht in der allgemeinen legitimen bemühen müssen: gerade vor dem Hintergrund der deut- Absicht, die Gesundheit der Bevölkerung zu schüt- schen Geschichte in diesem 70. Jahr des Bestehens der zen, jedweden Grundrechtseingriff von beliebiger Genfer Flüchtlingskonvention genau hinzugucken. Wir Schwere vornehmen. haben bei den Menschen auch zu trennen, indem wir sagen: Ja, nicht jeder bekommt das Asylrecht in Deutsch- Zitat Ende. land. Dafür gibt es gute Begründungen, und die müssen Auch den Inzidenzwert, den ach so heiligen Inzidenz- auch dargelegt werden. Wenn es sie nicht gibt, kann man wert, sieht er kritisch. Zitat: das Recht auch nicht verwirklicht sehen. – Aber die Men- (B) schen müssen ja überhaupt das Recht bekommen, zu Ein formales Zahlenverhältnis von 35 oder 50 pro (D) appellieren und deutlich zu machen: Was ist der Anlass 100 000 reicht jedenfalls allein nicht, um schwer- für das Begehr, Asyl zu bekommen? Das darf nicht ver- wiegende Grundrechtseinschränkungen zu begrün- hindert werden. Deswegen sind Pushbacks illegal. Ich den. finde, es muss auch die gemeinsame Aufgabe des Deut- Schwerwiegende Einschränkungen der Meinungsfrei- schen Bundestages sein, das deutlich zu machen. heit müssen die Menschen in Deutschland bei der Nut- zung von Internetdiensten in Kauf nehmen. Das Institut Ansonsten noch mal herzlichen Dank an das Deutsche interessiert es nicht. Facebook und Twitter zensieren Institut für Menschenrechte für die hervorragende Arbeit. unbequeme Meinungen weg. Die Wissenschaftsfreiheit Vielen Dank. ist bedroht, missliebige Wissenschaftler werden bedrängt – kein Wort dazu, was an deutschen Universitä- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ten mittlerweile Alltag ist. Die Einschränkung der Mei- der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE nungsfreiheit durch das NetzDG hierzulande ist für das GRÜNEN) Institut seit Jahren kein Thema. Die bedrohte Meinungs- freiheit hierzulande wird ignoriert. Straftaten gegen Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Christen werden ebenfalls ignoriert. Von Christenverfol- Vielen Dank, Herr Kollege Schwabe. – Als nächster gung in deutschen Asylbewerberunterkünften lesen wir Redner erhält das Wort der Kollege Jürgen Braun, AfD- nichts. Im ganzen Bericht für 2020 kommt das Wort Fraktion. „Christen“ nicht ein einziges Mal vor. Die angeblich christliche Bundesregierung scheint es auch nicht zu (Beifall bei der AfD – Zuruf von der LINKEN: stören; Frau Merkel und ihre Administration ganz in der Der Name passt!) unseligen Tradition der DDR. (Beifall bei der AfD) Jürgen Braun (AfD): Und dann? Ja, und dann natürlich wieder der böse Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- Klimawandel. Zitat: ren! Liebe Kollegen! Das Coronajahr 2020: Noch nie sind in der Bundesrepublik Deutschland Grundrechte so Die Auswirkungen des Klimawandels massiv und flächendeckend eingeschränkt worden. Im – so steht es im Bericht – Bericht des Deutschen Instituts für Menschenrechte steht für 2020 nichts über Lockdowns, nichts über Kontaktver- sind ein menschenrechtliches Schlüsselthema der bote für Millionen gesunder Menschen. Ist eigentlich vor- kommenden Jahrzehnte. 27130 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Jürgen Braun (A) Zitat Ende. – Genauso sinnvoll wäre es, zu sagen: Der und vielen anderen: Menschenrechte sind unteilbar. Wir (C) tägliche Aufgang der Sonne und ihr Niedergang ist ein tun dies auch, wo es nicht leichtfällt, etwa wenn es darum menschenrechtliches Schlüsselthema der kommenden geht, unseren amerikanischen Freunden zu sagen: Die Jahrzehnte. Also, irrer geht’s kaum noch. leuchtende Stadt auf der Anhöhe, die Amanda Gorman (Beifall bei der AfD) so feierlich bei der Amtseinführung von Joe Biden beschworen hat, sie ist nicht zu sehen hinter dem Nebel Das Klimathema hat mit Menschenrechten nichts, aber von Guantánamo. Wir klagen an, wenn Menschenrechte auch gar nichts zu tun. Sie machen mit dem Klimathema, verletzt werden: vor dem Weltgerichtshof als Weltgewis- mit dem Klimagelaber, die Menschenrechte lächerlich. sen, aber auch ganz konkret, etwa wenn Menschenrechte Dafür lesen wir von einem eingebildeten Rassismus. in Lieferketten verletzt werden oder wenn wir der Folter- Das ist eine der Modekrankheiten. Der islamische Anti- knechte dieser Welt habhaft werden. Und: Wir helfen den semitismus wird dagegen ausgeblendet. Stattdessen Opfern der Menschenrechtsverletzungen, auch mit den angeblicher Rassismus bei der Polizei. Das ist eine Mitteln des politischen Asyls. typisch linke Propaganda, die bis zur Unterstützung der hauseigenen Terrorgruppe, der Antifa, reicht. Das Deut- Wir haben einen kritischen Blick auf die Menschen- sche Institut für Menschenrechte – kurz gefasst –: ein rechtssituation in Deutschland. Dabei hilft uns das Deut- Institut zur Verhöhnung der Menschenrechte; leider. sche Institut für Menschenrechte als Monitoringstelle mit Blick auf die Behindertenrechtskonvention, die Kinder- (Beifall bei der AfD – Heike Hänsel [DIE LIN- konvention, aber auch mit Stellungnahmen zu grund- KE]: Das war Realsatire! – Gegenruf des Abg. sätzlichen Fragen des Menschenrechtsschutzes. Der Kol- Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Mit Matthias lege Schwabe hat einiges dazu ausgeführt. Deshalb – wird es besser!) diese Stellungnahmen sind nicht immer angenehm, aber doch notwendig – gilt mein Dank heute Beate Rudolf und Vizepräsident Wolfgang Kubicki: ihrem Team vom Institut für ihre engagierte, manchmal Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Profes- mutige, aber immer kompetente Arbeit. sor Dr. Matthias Zimmer, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem (Beifall bei der CDU/CSU) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber, meine Damen und Herren, wir tun mehr. Wir Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): dokumentieren Menschenrechtsverletzungen. Wir benen- Danke schön, Herr Präsident! – Meine Damen und nen die Folterknechte dieser Welt, die Unterdrücker der Herren! Hannah Arendt hat in einem ihrer wichtigsten Rechte, die Verächter der Idee, dass der Mensch wichti- (B) Aufsätze das Recht, Rechte zu haben, als einziges, als ger ist als der Staat oder eine Ideologie. Ich wünsche mir (D) wichtiges Menschenrecht bezeichnet. Sie schrieb dies gleichwohl mehr: mehr Aufklärung über die Menschen- vor dem Hintergrund der Erfahrung, dass Menschen als rechte – eine noble Aufgabe für das Deutsche Institut für Staatsangehörige ausgebürgert wurden und mit nichts Menschenrechte –, mehr Diskussion darüber, dass die zurückblieben als dem nackten Leben. Die alte Idee des Menschenrechte der Hebel sind, die Welt der National- Menschen als politischem Wesen, das einer Polis ange- staaten zu überwinden, mehr Debatte vielleicht auch hört und dadurch Rechte geltend machen kann, war damit darüber, dass wir, wie es die katholische Kirche formu- aufgehoben und in gewisser Weise auch die Grundidee liert und bei liberalen Denkern wie Otfried Höffe wider- der Aufklärung, es sei der Staat, der die Menschenrechte hallt, eine föderale, subsidiäre Weltpolitik brauchen, auch garantiere. Die Idee universeller Menschenrechte nach als Ausdruck der politischen Verfasstheit der Menschheit, dem Zweiten Weltkrieg verpflichtet die Menschheit: die Träger der Menschenrechte ist. Wie sagte Hans Nie wieder soll es passieren, dass das Recht, Rechte zu Jonas? Ich zitiere: haben, negiert wird. Der Mensch – das ist die Botschaft – In ihrem Wetterleuchten aus der Zukunft … werden ist wichtiger als der Staat. zuallererst die ethischen Prinzipien entdeckbar, aus Das ist eine revolutionäre Botschaft; denn sie stellt das denen sich die neuen Pflichten neuer Macht herlei- wichtigste Strukturprinzip des internationalen Systems ten lassen. seit dem Westfälischen Frieden infrage: die staatliche Souveränität. Nein, Souveränität heißt nicht, dass der Worauf könnten die Prinzipien beruhen, – Staat tun kann, was er will. Souveränität ist auch nicht mehr, wie über lange Zeit, mit dem Prinzip der Nicht- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: intervention verknüpft. Menschenrechte gelten univer- Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. sell; sie sind Ausdruck dessen, was Hans Jonas einmal die „Ethik der Fernverantwortung“ genannt hat. Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): Deswegen erheben wir unsere Stimme und klagen – wenn nicht auf den Menschenrechten? Wäre es nicht Menschenrechtsverletzungen an. Wir sind dankbar, dass Pflicht, mit dem Deutschen Institut zusammen, sich auf das Deutsche Institut für Menschenrechte an unserer Sei- diese Pflichten vorzubereiten und sie argumentativ stark te ist. Wir sagen es an China: Die Verletzung der Rechte zu machen? Ich meine, ja. der Uiguren ist unerträglich. Wir sagen es an Russland: Vielen Dank. Willkürliche Inhaftierungen und die Tötung von Journa- listen sind eine Verletzung der Menschenrechte. Wir (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- sagen es an Saudi-Arabien, an Venezuela, der Türkei ordneten der SPD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27131

(A) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Die Coronapandemie hat uns gezeigt, wo unsere men- (C) Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Zimmer. – Nächste schenrechtlichen Schwachstellen liegen. Entscheidend ist Rednerin ist die Kollegin Gyde Jensen, FDP-Fraktion. deswegen jetzt, dass wir diese Schwachstellen nicht nur stabilisieren, sondern tatsächlich auch die zugrunde lie- (Beifall bei der FDP) genden Probleme lösen. Von uns Freien Demokraten lie- gen dazu vielzählige Vorschläge auf dem Tisch. Liebe Gyde Jensen (FDP): Bundesregierung, wir würden uns freuen, wenn Sie sie Vielen Dank, Herr Präsident! – Liebe Kolleginnen und einfach abschreiben würden. Kollegen! Der Bericht des Deutschen Instituts für Men- (Beifall bei der FDP) schenrechte, den wir heute debattieren, trägt den Titel Liebe Kolleginnen und Kollegen, am Montag ist nicht „Bericht über die Entwicklung der Menschenrechtssitua- nur der Weltfrauentag, sondern am Montag feiert auch tion in Deutschland im Zeitraum Juli 2019 bis Juni 2020“. das Deutsche Institut für Menschenrechte sein 20-jähri- Zwischen diesen beiden Daten liegt eine Pandemie. Und ges Bestehen. Seit 20 Jahren wacht das DIMR nun über zwischen diesen beiden Daten liegen massive Grund- den Schutz der Grund- und Menschenrechte hier in rechtseingriffe, wie es die meisten von uns so noch nie Deutschland. Seine Bedeutung zeigt es übrigens auch erlebt haben. damit, dass es in der alles dominierenden Pandemie drän- Wir haben im vergangenen Jahr diskutiert über Ver- gende menschenrechtliche Defizite nicht nur nicht aus hältnismäßigkeit, über das Gleichheitsgebot, über das dem Blick verloren hat, sondern sie auch anspricht. Diskriminierungsverbot. Corona hat uns dazu gezwun- Auch in der diesjährigen Unterrichtung finden sich gen, die manchmal abstrakten Grundrechte in unsere Schwerpunktthemen – Frank Schwabe hat eines davon Lebenswirklichkeit zu übersetzen und sie gegeneinander genauer ausgeführt, nämlich die Menschenrechtsverstöße abzuwägen. Leider hat die Bundesregierung diese Dis- in Abschiebeprozessen –, wichtige Impulse für die Regie- kussion, diese Abwägungen, viel zu oft hinter verschlos- rung, aber auch für uns als Opposition. Deswegen herz- senen Türen geführt. Wenn wir Freie Demokraten, teil- lichen Dank an Professor Rudolf und das gesamte Team weise mit Grünen und Linken, öffentliche Debatten vom Deutschen Institut für Menschenrechte. gefordert haben, hat die Bundesregierung diese Forde- rungen regelmäßig abgeschmettert. Ich möchte hier (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten zwei Sätze mit Erlaubnis des Präsidenten aus dem Bericht des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) zitieren, in der Hoffnung, dass die Bundesregierung viel- leicht den Expertinnen und Experten des DIMR zuhört. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank, Frau Kollegin Jensen. – Nächste Redne- (B) Die parlamentarische Befassung (D) rin ist die Kollegen Zaklin Nastic, Fraktion Die Linke. – das ist das Zitat – (Beifall bei der LINKEN) mit der Einschränkung von Grund- und Menschen- rechten ermöglicht eine öffentliche Debatte über Zaklin Nastic (DIE LINKE): Ziele, Wirksamkeit und Auswirkungen geplanter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Deut- Maßnahmen sowie über Alternativen hierzu. Sie sche Institut für Menschenrechte beleuchtet die Situation stellt damit in besserer Weise sicher, dass Grund- hierzulande, aber auch die deutsche Verantwortung im und Menschenrechte nicht in unverhältnismäßiger Ausland. Zitat: Weise eingeschränkt werden … Hochproblematisch ist es, dass einzelne Menschen- Zitat Ende. rechte zeitweise völlig ausgesetzt waren, insbeson- dere die Versammlungsfreiheit und Religionsausü- Der aktuelle Vorschlag allerdings für die Gründung bungsfreiheit. eines Coronagremiums beispielsweise zeigt leider klar, Die Religionsgemeinschaften befürworteten die Ein- liebe Kolleginnen und Kollegen von der Bundesregie- schränkungen; dies führte auch zu einer gesellschaftli- rung, dass Sie es nicht verstanden haben. Entscheidend chen Akzeptanz. Aber was das Recht auf Versammlungs- ist hier nicht nur, dass das Parlament über Vorhaben und freiheit anbelangt, bedurfte es hier gerichtlicher Maßnahmen nachträglich benachrichtigt wird, sondern Wiederherstellung. Das Menschenrechtsinstitut stellt entscheidend ist auch, dass das Parlament sichtbar und fest, was die Linke hier seit fast einem Jahr fordert: Sol- wahrnehmbar eingebunden ist. che fundamentalen Eingriffe in Grundrechte müssen in (Beifall bei der FDP) einer demokratischen Gesellschaft öffentlich in den Par- lamenten entschieden werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung hat in den letzten Monaten nicht nur zu häufig hinter (Beifall bei der LINKEN) verschlossenen Türen debattiert und diskutiert, sondern, Die Coronapandemie „wirkt wie ein Brennglas. Das wie im Bericht auch veranschaulicht, über manche Dinge gilt auch aus grund- und menschenrechtlicher Perspek- viel zu selten: über Menschen, die in Pflegeheimen und tive“, stellt das Institut fest. Corona trifft Menschen in auf Krankenstationen unwürdig vereinsamten, über prekären Lebenssituationen am härtesten. Das zeigt sich Opfer häuslicher Gewalt, die ihren Peinigern kaum unter anderem an den deutlich gestiegenen Fällen von noch entkommen konnten, oder über Kinder, die sich häuslicher Gewalt – in meiner Heimatstadt Hamburg nicht mehr frei entfalten konnten. sind die Zahlen so hoch wie seit zehn Jahren nicht mehr –, 27132 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Zaklin Nastic (A) aber auch an der angemessenen Unterbringung von woh- Eine zentrale Säule dieser Architektur ist das Deutsche (C) nungslosen Menschen. Dies hat sich in diesem Corona- Institut für Menschenrechte. Seit 20 Jahren liefert es her- winter als besonders tödlich erwiesen: In Hamburg sind vorragende Expertise zu hochaktuellen Themen, und auf den Straßen 13 Menschen seit Beginn des Jahres dafür gebührt seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gestorben, während die Landesregierung sich weiterhin unser aller Dank. weigert, leerstehende Hotels anzumieten. Dies ist ein Skandal! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der (Beifall bei der LINKEN) LINKEN) Meine Damen und Herren, wer von Würde für Menschen Das Menschenrechtsinstitut legt den Finger in die durch einen Friseurbesuch spricht, der muss auch für die Wunde und weist darauf hin, wo auch wir hier in Würde der Menschen kämpfen, die wirklich nichts mehr Deutschland Handlungsbedarf haben, wenn es um die haben. Einhaltung und die Umsetzung der Menschenrechte geht. Im jüngsten Jahresbericht etwa erneuert das Institut (Beifall bei der LINKEN) seine Kritik an der Flüchtlingspolitik der Bundesregie- Die jahrelange Sparpolitik durch die Schuldenbremse rung; Kollege Schwabe hat schon darauf hingewiesen. im Bereich der Inklusion, der Frauenberatungsstellen, der Zitat aus dem Bericht: Kinder- und Jugendhilfe, des sozialen Wohnungsbaus Erkrankte Menschen dürfen in Deutschland nicht und bei den Gesundheitsämtern zeigt: Sie von der Regie- abgeschoben werden, wenn sich dadurch ihr Ge- rung haben kontinuierlich das Menschenrecht auf soziale sundheitszustand gravierend verschlechtert oder Sicherheit abgebaut. gar ihr Leben gefährdet ist. (Beifall bei der LINKEN) Das heißt, der Staat muss auch in Flüchtlingsunter- Wir Linken fordern das Menschenrecht auf soziale künften und auch bei Abschiebungen sicherstellen, dass Sicherheit! Dies ist nämlich auch ein Teil des Kampfes die Grund- und Menschenrechte gewahrt bleiben. Schöne gegen das Virus. Grüße an das Bundesinnenministerium! (Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber auch was die Einhaltung des humanitären Völ- Oder die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskon- kerrechts im Bereich der Rüstungsexportpolitik Deutsch- vention in der Berufsausbildung. Das Institut rügt deut- lands anbelangt, wird die Regierung hier erneut gerügt. lich, dass das derzeitige System der Berufsberatung und (B) Am Montag bei der Geldgeberkonferenz appellierte der Berufsausbildung nach wie vor nicht inklusiv ist; das (D) Heiko Maas, der Außenminister, noch an alle Konflikt- ist – Zitat – „mit den menschenrechtlichen Verpflichtun- parteien, das Leid in Jemen sei von Menschen gemacht. gen Deutschlands nicht vereinbar“. Ja, da darf Herr Maas sich die eigenen Hände nicht in Kolleginnen und Kollegen, wir sind gut beraten, diese Unschuld waschen: Die saudi-arabische Militärkoalition fundierte Kritik und auch die konkreten Verbesserungs- wird weiterhin mit Mordwerkzeug made in Germany aus- vorschläge ernst zu nehmen und umzusetzen und eben gerüstet, allein im vergangenen Jahr im Wert von 830 Mil- nicht hier in der Debatte den Dank auszusprechen, die lionen Euro. – Auch das Expertengremium der Vereinten Berichte dann aber in der Schublade verschwinden zu Nationen bezeichnet das als Beihilfe zu Kriegsverbre- lassen. Das Deutsche Institut für Menschenrechte und chen. Wir als Linke fordern: Stoppen Sie den Krieg in auch die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter sind Jemen und die Beteiligung an diesen Kriegsverbrechen, wichtige Korrektive unserer Menschenrechtspolitik. Ihre wenn Ihnen Menschenrechte auch in Jemen wirklich Empfehlungen umzusetzen, dient der Glaubwürdigkeit wichtig sind! Deutschlands weltweit. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN) Das Deutsche Institut für Menschenrechte leistet herausragende Arbeit unter schwierigen Bedingungen. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Die Themenpalette ist breit, aber das Budget ist schmal. In einem Gutachten hat der Wissenschaftliche Dienst des Vielen Dank, Frau Kollegin Nastic. – Nächste Redne- Bundestages festgestellt – ich zitiere –: Dem Institut wur- rin ist die Kollegin Margarete Bause, Fraktion Bünd- den nis 90/Die Grünen. seit seiner Gründung mehr und mehr Aufgaben (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) übertragen, während die institutionelle Grund- finanzierung … mit dem Zuwachs an Kompetenzen Margarete Bause (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): nicht Schritt hielt. Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Im Koali- Kolleginnen und Kollegen, wir hier im Parlament sind tionsvertrag von Union und SPD findet sich der schöne aufgefordert, bessere Arbeitsbedingungen für unser Men- Satz: Wir werden „die Menschenrechtsarchitektur in schenrechtsinstitut zu schaffen und den Schatz, den es Deutschland stärken“. Anlässlich der heutigen Debatte uns zur Verfügung stellt, besser zu nutzen. möchte ich mal genauer hinschauen, ob dieses Verspre- chen eingelöst wurde. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27133

Margarete Bause (A) Warum werden bei Anhörungen zu Gesetzentwürfen mit wird. Ich begrüße es auch ganz ausdrücklich, dass in dem (C) Menschenrechtsbezug nicht automatisch die Expertinnen Bericht auch aktuelle politische Vorhaben wie der Schutz des Instituts einbezogen? Warum bekommt es nicht das von Prostituierten und die Verankerung von Kinderrech- Recht, bestimmte Themen in Bundestagsausschüssen ten im Grundgesetz genannt werden. Das sind für mich aufzusetzen oder Musterklagen oder Untersuchungen wichtige Themen. Diese komplexen menschenrechtli- einzuleiten? Binden wir unser Menschenrechtsinstitut chen Fragestellungen brauchen eine unabhängige wissen- stärker ein in die Arbeit von Parlament und Regierung! schaftliche Begleitung. Machen wir es sichtbarer! Stärken wir es und damit unse- Anders als es die AfD sieht und eben dargestellt hat, ist re Menschenrechtspolitik! es gut, dass sich das Deutsche Institut für Menschenrech- Vielen Dank. te auch für menschenrechtliche Fragen bei den Themen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Datenschutz und Naturschutz interessiert. Man muss da nicht immer alles teilen – manches ist auch arg von unse- rem westlichen Wohlstandsniveau aus gedacht –, aber es Vizepräsident Wolfgang Kubicki: ist gut, sich damit auseinanderzusetzen. Aber gerade im Vielen Dank, Frau Kollegin Bause. – Als nächste Red- Bereich der politischen Bildung leistet das Deutsche nerin hat das Wort die Kollegin Dr. Katja Leikert, CDU/ Institut für Menschenrechte mit seinem offenen diskursi- CSU-Fraktion. ven Ansatz wertvolle und gute Arbeit an vielen Schulen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) unseres Landes, und für diese Arbeit ist ihm auch sehr zu danken. Dr. Katja Leikert (CDU/CSU): Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten dem Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Deutschen Institut für Menschenrechte ins Stammbuch Kollegen! Bei Menschenrechten denken wir – und das zu schreiben, in seiner politischen Bildungsarbeit noch Recht – an Gefängnisse in Teheran, an Mädchen in mehr in Milieus reinzugehen, in denen es wehtut, und Afghanistan, an Kindersoldaten im Kongo. Das sind vielleicht schaut das Deutsche Institut für Menschenrech- Bilder, die sich über Jahre in unsere Köpfe eingebrannt te dann auch mal bei Ihnen in der Fraktion vorbei, liebe haben. Gegen diese Schrecken müssen wir weltweit wei- Kolleginnen und Kollegen von der AfD. terkämpfen. (Margarete Bause [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das befreit uns aber nicht davon, vor der eigenen NEN]: Das wird man ihnen nicht wünschen Haustür zu kehren – ganz im Gegenteil. Einer der Seis- wollen!) mographen für menschenrechtliche Erschütterungen in Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich zum (B) unserem Land ist das Deutsche Institut für Menschen- Schluss kommen. Lassen Sie uns weiter daran arbeiten, (D) rechte. In unserem Land muss sich zwar niemand vor dass das Deutsche Institut für Menschenrechte ein dem Staat und seinen Behörden fürchten, niemand muss Erfolgsmodell bleibt und die Menschen in unserem Angst haben, dass die Polizei grundlos nachts die Tür Land, egal wie sie aussehen, wer sie sind oder woher aufsprengt, auch wenn das die Opposition in diesem Hau- sie kommen, sicher sind und bleiben. se manchmal so darstellt. Aber auch in unserem Land sind nicht alle Menschen sicher vor Menschenrechtsver- Vielen Dank. letzungen, sei es aufgrund ihres Geschlechts, ihres sozia- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- len Status oder ihrer Herkunft. Erst vor Kurzem gedach- ordneten der SPD) ten wir in meinem Wahlkreis in Hanau an die Opfer des rechtsterroristischen Amoklaufs des letzten Jahres. Neun Vizepräsident Wolfgang Kubicki: junge Menschen wurden von einem Rechtsextremisten Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Leikert. – Der Kollege sinnlos aus dem Leben gerissen. Ich erinnere auch an Sebastian Brehm, CDU/CSU-Fraktion, hat seine Rede zu den islamistisch-homophoben Messeranschlag auf zwei Protokoll gegeben.1) Damit schließe ich die Aussprache. Männer in Dresden, der einen Mann vor den Augen sei- nes Partners das Leben kostete. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 19/24970 und 19/24971 an die in der So hat die Direktorin des Deutschen Instituts für Men- Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. schenrechte, Frau Professorin Rudolf, recht, wenn sie im Gibt es weitere Überweisungsvorschläge? – Das erkenne Bericht schreibt: „Wachsamkeit ist angezeigt.“ Diese ich nicht. Dann verfahren wir so. Wachsamkeit kann das Deutsche Institut für Menschen- rechte nicht alleine leisten. Es ist aber ein wichtiger Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: Bestandteil davon. Dass das Deutsche Institut für Men- Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia schenrechte dabei unbequem ist, liegt in der Natur der Kotting-Uhl, Lisa Badum, Dr. Bettina Hoffmann, Sache. Ein gefälliges nationales Menschenrechtsinstitut weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- braucht keiner. NIS 90/DIE GRÜNEN Liebe Kolleginnen und Kollegen, deshalb ist es auch 10 Jahre nach dem GAU von Fukushima – richtig, dass sich das Deutsche Institut für Menschen- Atomkraft hat keine Zukunft rechte verstärkt dem Thema „Wirtschaft und Menschen- rechte“ widmet. Ich zähle dabei vor allem auf die wissen- Drucksache 19/27193 schaftliche Begleitung des Lieferkettengesetzes. Ja, es ist gut, wenn wir hier vorankommen und der Handel fairer 1) Anlage 7 27134 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) Überweisungsvorschlag: Auf der Suche nach neuen Förderquellen für Atom- (C) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (f) kraft fanden die Lobbyisten die Taxonomie und den Was- Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union serstoff, Atomenergie als nachhaltige Geldanlage und Gelben Wasserstoff dem Grünen an die Seite gestellt. Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten Tricky gedacht, aber auf Fake fußend. Nachhaltig an beschlossen. der Atomkraft ist vor allem ihr Müll, der uns über 1 Mil- Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, den Platz- lion Jahre in die Pflicht nimmt. Und die gern bemühte wechsel zügig vorzunehmen. – Ich eröffne die Ausspra- CO2-Armut des Atomstroms entlarvt sich schnell, wenn che und erteile als erster Rednerin der Kollegin Sylvia wir die Kette von Uranabbau bis zur Endlagerung in den Kotting-Uhl, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. Blick nehmen. Den Vergleich mit erneuerbarem Strom hält Atomstrom nicht nur bei den Kosten, sondern auch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) beim CO2-Fußabdruck nicht aus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sowie bei Abgeordneten der SPD und der Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und LINKEN) Kollegen! Am 11. März 2011 kam es zur Dreifachkata- strophe in Japan: Erdbeben, Tsunami und in der Folge ein Wer Klimaschutz will, braucht Erneuerbare, und wer atomarer GAU im Atomkraftwerk Fukushima Daiichi. Erneuerbare nicht als Nische will, muss sich von Grund- Der Tsunami tötete 20 000 Menschen. Ihrer wird in Japan lastkraftwerken verabschieden, von Kohle und Atom. in diesen Tagen gedacht, und zu Beginn unserer Debatte heute möchte ich mein Mitgefühl nach Japan senden und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN meine Verbundenheit mit den Menschen dort ausdrücken. sowie des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Trotzdem wird mancher nicht müde, eine Renaissance bei der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN der Atomkraft herbeizureden. Was sagt die Realität? sowie bei Abgeordneten der SPD) Nicht einmal die Hälfte der EU-Mitgliedstaaten will Atomstrom in der Zukunft. Schauen wir in die Welt, 20 000 Tote durch den Tsunami, 470 000 Menschen, die stellen wir fest, dass 50 Neubauplänen 190 Abschaltun- verstrahlte Gebiete verlassen mussten: Ich glaube, in gen gegenüberstehen. Die Zahl in Betrieb befindlicher übergroßer Mehrheit sind wir uns hier im Bundestag Atomkraftwerke verringert sich beständig. Das heißt, in einig, dass wir Dimensionen von Leid nicht abwägen. dieser Frage ist die Welt viel vernünftiger, als es manchen Japan ist ein äußerst technikaffines Land. Das Versa- gefällt. Atomstrom wird sich in diesem Jahrhundert erle- (B) gen seiner Atomtechnik war eine nationale Kränkung, digt haben. Wo es nicht die Einsicht in das Risiko ist oder (D) weshalb die japanische Regierung die Atomkraft immer in die letztliche Unlösbarkeit des Atommüllproblems, noch als Teil der Energieversorgung will. Das gilt aber wird es die ökonomische Vernunft sein. „Zu teuer“ ist nicht für die getroffene Präfektur Fukushima. Die hat den ein Argument, und Bill Gates kann irren. Atomausstieg beschlossen. Auch Nachbarkommunen der Aber auch wenn das Herbeireden einer Renaissance Atomkraftwerke verhindern mit ihrem Mitspracherecht der Atomkraft am Ende nicht erfolgreich sein wird, rich- den gewünschten Atomstromanteil. Für das japanische tet es Schaden an. Es verzögert die globale Energiewende Energieministerium funktioniert die Rechnung auch und damit erfolgreichen Klimaschutz. Es verschlingt nur, weil es die Hunderte Milliarden Folgekosten für Ressourcen und verlängert das Risiko. Deshalb zum den GAU konsequent von den Kosten des Atomstroms Schluss meine Bitte an die Bundesregierung: Kehren abspaltet. Sie zurück zu der kraftvollen Haltung von 2011, als Zehn Jahre nach dem GAU von Fukushima gibt es Deutschland parteiübergreifend den Atomausstieg immer noch Menschen, Parteien und Länder, die dem beschloss. Vervollständigen Sie ihn mit der Schließung Atomlobbyismus erliegen. der Atomfabriken bei uns, die das globale Atomkarussell antreiben. (Lachen des Abg. Karsten Hilse [AfD]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Der verlorene Glanz soll mit der Suggestion einer billi- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) gen, klimaschützenden, sauberen Energie wieder aufpo- liert werden. Der Realität halten solche Behauptungen nicht stand. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Frau Kollegin, bitte kommen Sie zum Schluss. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ein AKW-Neubau mit angemessenen Sicherheitsstan- Meine letzte Bitte an die Bundesregierung, Herr Präsi- dards ist unter 10 Milliarden Euro nicht zu haben. Die dent: Werden Sie Nachbarländern gegenüber deutlich bei Kilowattstunde Strom kostet über 10 Cent. Eine heute Laufzeitverlängerungen und Neubauplänen, und installierte Photovoltaikanlage liefert Strom für unter schweigen Sie nicht in der EU, wenn es um neue Förder- 5 Cent. quellen für Atomkraft geht. Das sind Sie und wir alle dem 11. März 2011 schuldig. (Jürgen Braun [AfD]: Vor allem nachts! Nachts ist perfekt!) Vielen Dank. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27135

Sylvia Kotting-Uhl (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spielt gar keine Rolle. Die Größenordnung der Strom- (C) sowie des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE]) erzeugungskosten durch Kernkraft hat eine Dimension erreicht, die nicht konkurrenzfähig ist, vor allen Dingen Vizepräsident Wolfgang Kubicki: nicht, wenn man den Lebenszyklus einer solchen Anlage vor Augen hat. Wir haben daraus die Schlussfolgerung Frau Kollegin Kotting-Uhl, wenn ich Sie auf die Rede- gezogen, aus der Stromerzeugung durch Kernenergie zeit hinweise, dann ist das keine Böswilligkeit, sondern auszusteigen. Am Ende dieses Jahres werden wir diesen ein dezenter Hinweis. Ausstieg vollendet haben; denn dann wird das letzte (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE Kernkraftwerk in Deutschland abgeschaltet. GRÜNEN]: Das ist mir bewusst!) (Dr. Rainer Kraft [AfD]: Nächstes Jahr!) Es ist für alle anderen Redner eine Benachteiligung, wenn Aus diesem Anlass legen die Grünen hier einen Antrag Sie 40 Sekunden überziehen. Ich mahne die entsprech- vor. Ich will auf die Ziele, die Forderungen im Einzelnen enden Kolleginnen und Kollegen dann zur Ordnung. nicht eingehen. Aber was in den Überlegungen dazu zu Nächster Redner ist der Kollege Karsten Möring, Papier gebracht worden ist, hat mich wirklich erschüttert. CDU/CSU-Fraktion. (Beifall der Abg. Judith Skudelny [FDP]) (Beifall bei der CDU/CSU) In dem Antrag wird ein bestimmter Typus von Mensch angesprochen, der offensichtlich empfänglich dafür ist, Karsten Möring (CDU/CSU): mit Kernkraft Strom zu erzeugen, und die Verbindung Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor hergestellt, dass dieser Typus von Mensch Macht und zehn Jahren hat ein Erdbeben einen Tsunami in Japan Unabhängigkeit hochstellt, die er glaubt durch Atomener- ausgelöst, der eine große Katastrophe mit vielen Tausend gie zu erwerben. Eine andere Stelle: Lobbyisten und Län- Toten zur Folge hatte. Wir gedenken dieser Toten heute; der, die sich von diesen haben einfangen lassen, versu- Frau Kotting-Uhl hat es gesagt. Aber wir gedenken ihrer chen, die Atomenergie weiterzuschreiben. nicht wegen der Größe dieses Tsunamis; denn dann müss- Liebe Kollegen von den Grünen, solche psychologi- ten wir auch der Toten des viel größeren Unglücks 2004 gedenken. Gegen Naturgewalten ist niemand gefeit. schen Überlegungen mögen richtig oder falsch sein. Aber dieses Ereignis hatte eine andere Katastrophe zur (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Folge, die nichts mit einer Naturgewalt zu tun hat, son- NEN]: Richtig!) dern die auf menschliches Versagen zurückgeht: die Zer- Aber ist Ihnen eigentlich klar, dass Sie damit unsere störung mehrerer Kernkraftwerksblöcke in Fukushima. Nachbarländer für doof erklären, (B) (D) Sie hatte zwar nicht Tausende von Toten zur Folge, aber (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie Hunderttausende von Menschen, die aus ihrer Heimat bei Abgeordneten der AfD) vertrieben wurden und bis heute in provisorischen Unter- künften leben, ohne Aussicht darauf, in ihre Heimat weil sie die Argumente, mit denen wir in Deutschland zurückkehren zu können. unsere Politik begründen, nicht auch nutzen? Unsere Nachbarn und Freunde in Frankreich, in England, in Hol- Dieses Ereignis kam nicht überraschend; es hatte eine land, in Polen, in den USA sind doch nicht so blöd; die lange Vorgeschichte von vielen anderen Unglücken. Ich haben doch einen Grund und bewerten anders als wir. Wir erinnere an die Teilkernschmelze in Harrisburg im Jahr sind doch nicht die Besserwisser der Welt. 1979, an Tschernobyl im Jahr 1986, ein noch viel größ- eres Unglück, und dann Fukushima im Jahr 2011. In allen (Gerold Otten [AfD]: Doch, doch! Da sitzen Fällen war menschliches Versagen die Ursache. Was an sie!) Fukushima so besonders war, ist die Tatsache, dass es in Wir müssen die Welt nicht mit dem, was wir machen, einem Hochtechnologieland, das eine Ingenieurskunst beglücken. beherrscht, die unserer gleichgestellt ist, zu einem sol- chen Unglück kam. Hinterher fragt man sich: Wieso rech- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie net man nicht damit, dass so etwas passieren kann, wenn bei Abgeordneten der AfD) man ein Kernkraftwerk an der Küste baut? – Das ist unser Wir können doch nicht verlangen, dass andere das genau- Problem. Wir sind offensichtlich nicht in der Lage, alle so machen müssen, damit wir zufrieden sind. Wir sind Varianten zu durchdenken und auszuschließen, dass wir souveräne Länder und können uns gegenseitig beeinflus- eine Technologie, die tatsächlich ein hohes Risiko birgt, sen – das ist richtig –, aber mit Rücksichtnahme. Diesen mit hinreichender Sicherheit kontrollieren können. missionarischen Ansatz, andere nahezu zu zwingen, Welche Schlussfolgerungen hat die Welt, haben wir unsere Politik nachzumachen, halte ich unter Freunden aus diesem Ereignis gezogen? Die Welt hat daraus die für unvertretbar. Schlussfolgerung gezogen, dass die Sicherheitsansprüche (Zuruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/ an Kernreaktoren immer höher geschraubt wurden, was DIE GRÜNEN]) zur Folge hatte, dass sie immer teurer wurden. Ob die Wir haben genug Baustellen, die wir noch bearbeiten Rechnung von Frau Kotting-Uhl jetzt genau stimmt müssen: die Endlagerung, die Finanzierung über den oder ungefähr, KENFO, der eine gute Arbeit macht und mit dem angele- (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE gten Geld gute Ergebnisse erzielt. Ich will auch darauf GRÜNEN]: Doch! Doch!) hinweisen: Wir haben in der 16. Atomgesetznovelle 27136 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Karsten Möring (A) Ansprüche von Firmen geregelt, die auf die Produktion Vorgeschlagen war Geraldine Thomas. Professor (C) von Strom verzichten müssen. Wir haben dieses Gesetz Thomas hat bahnbrechende Arbeiten zu Strahlungsschä- damals mit großen Bauchschmerzen beschlossen – ich den am menschlichen Gewebe vorzuweisen. Sie hält erinnere an die Debatte, die wir hier geführt haben –, einen Lehrstuhl für molekulare Pathologie an der Medi- und das Verfassungsgericht hat dieses Gesetz für nicht zinischen Fakultät des Imperial College in London. Sie existent erklärt. hat häufig und oft Tschernobyl und Fukushima besucht und maßgeblich am Aufbau der Tschernobyl-Gewebeda- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tenbank mitgewirkt. Und vor zwei Wochen wurde Profes- NEN]: Das waren nicht Bauchschmerzen! sor Thomas als „Officer of the Most Excellent Order of Das war Populismus!) the British Empire“ ausgezeichnet. Meine Damen und Ich erwarte vom Umweltministerium, dass es diese Herren, wir reden hier also von einer echten Expertin, Fragen beantwortet, bevor dieses Jahr zu Ende geht. Ich im Gegensatz zu diversen bezahlten NGO-Stimmungs- wünsche dem BMU dabei viel Glück, mehr Glück, als es machern, die üblicherweise von den linken Fraktionen beim letzten Mal hatte, als ich gemeint habe: „Das Pro- geladen werden. blem wird nicht gelöst“, und es wurde nicht gelöst. Jetzt (Beifall bei der AfD) ist es an der Zeit. Dass eine Ausschussvorsitzende im Deutschen Bundes- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tag mit den übrigen Obleuten eine öffentliche Anhörung NEN]: Stillstand hat einen Namen!) absagt, weil eine fachliche Expertise nicht passt, ist ein Ich wünsche Frau Ministerin Schulze viel Glück dabei – Skandal. vielleicht sagt ihr das jemand –, dieses Problem zu lösen. (Beifall bei der AfD) Ich danke für die Aufmerksamkeit. Überraschend ist das allerdings nicht. Wir haben uns schon daran gewöhnt, dass man sich hier mit Stichwort- (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. gebern und Jasagern umgibt. Es ist gerade einmal drei Judith Skudelny [FDP]) Wochen her, dass wir hier im Deutschen Bundestag, hier von diesem Pult aus, über den unsäglichen Einfluss Vizepräsident Wolfgang Kubicki: der Politik auf die Wissenschaft geredet haben. „Nichts Danke, Herr Kollege Möring. – Frau Künast, Sie haben deutet derzeit auf eine Abhängigkeit der Wissenschaftler erkannt, dass es manchmal von Nachteil, vielleicht auch von der Politik hin“, so sprach damals die Rednerin der von Vorteil ist, wenn man den Zwischenruf wegen der Unionsfraktion, Frau Mannes. Und selten ist eine Redne- Maske nicht verstehen kann. Sie haben bei den letzten rin so dermaßen vorgeführt worden; denn genau zeit- (B) beiden Zwischenrufen die Maske dankenswerterweise gleich zu ihrer Rede hat der bayerische Ministerpräsident (D) abgenommen, sodass die Schriftführerinnen und Schrift- Söder ein Mitglied des Bayerischen Ethikrates hinausge- führer die Zwischenrufe haben notieren können. worfen, weil ihm dessen fachliche Meinung zu Corona nicht gepasst hat. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Weiter nach vorne setzen hilft auch!) (Beifall bei der AfD) In den folgenden drei Wochen gab es weitere Fälle. – Frau Kollegin Lötzsch hat mit einer kräftigen Stimme, Der Göttinger Polizeipräsident wurde in den vorzeitigen wie es bei den Linken typisch ist, darauf hingewiesen, Ruhestand versetzt. Grund: Er hatte sich kritisch gegen- dass man auch weiter vorne sitzen kann. über den Coronamaßnahmen der Niedersächsischen Lan- Nächster Redner ist der Kollege Dr. Rainer Kraft, AfD- desregierung geäußert. Und Professor Feld wird nicht Fraktion. erneut in den Rat der Wirtschaftsweisen berufen, weil der SPD und Vizekanzler Scholz seine fachliche Exper- (Beifall bei der AfD) tise zur Schuldenbremse nicht gefällt. Der Redner der SPD, Kollege Röspel – bleiben wir dabei –, sagte damals, Dr. Rainer Kraft (AfD): in der Diskussion vor drei Wochen: Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kollegen! „Und (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Thema ver- jährlich grüßt das Murmeltier“, könnte man sagen. Wie fehlt!) jedes Jahr instrumentalisiert die grüne Fraktion die 20 000 Todesopfer des Tohoku-Erdbebens. Und auf An- „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind trag der Grünenvorsitzenden – wir haben sie gerade ge- frei“: Dieses in Artikel 5 des Grundgesetzes hört – war gestern im Umweltausschuss eigentlich eine beschriebene Abwehrrecht gegenüber staatlichen öffentliche Anhörung zum Thema Fukushima geplant. Eingriffen ist auch Ausdruck der Erfahrung aus der Erneut also hätten die Opfer des Erdbebens und der Tsu- Nazizeit. nami-Flutwelle ausgeblendet werden sollen; aber dazu Welche Schlüsse wurden denn aus der Erfahrung gezo- kam es nicht. Der Grund ist beschämend; denn eine fach- gen, wenn der niedersächsische Innenminister Pistorius liche Expertise einer geladenen Expertin hat der Aus- und Vizekanzler Scholz Experten rauswerfen, weil ihnen schussvorsitzenden und den anderen Obleuten nicht ihre fachliche Meinung nicht gefällt? gepasst. (Dr. Götz Frömming [AfD]: Unglaublich! – (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE Gabriele Katzmarek [SPD]: Wir reden über GRÜNEN]: So ist es!) Fukushima!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27137

Dr. Rainer Kraft (A) Der Gipfel der Heuchelei kommt wie immer von Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C) Ihnen, der Grünenfraktion. Ich danke Ihnen, Herr Präsident. Ich weiß, wie schwie- rig es ist, wenn in diesen späten Abendstunden immer Vizepräsident Wolfgang Kubicki: noch mal was Zusätzliches kommt. Herr Kollege, wir reden hier tatsächlich über zehn Ich möchte aber die anderen informieren, was der Jahre Fukushima und die Kernenergie Grund für die Absage war. In der Tat wollten wir anläss- lich von zehn Jahren Fukushima einen Blick nach Japan (Gabriele Katzmarek [SPD]: Es geht ihm um werfen, um zu sehen, wie die Situation dort ist, und hatten Videoaufnahmen!) uns auf ein Tableau gemeinsamer Sachverständiger geei- und nicht über das, was Sie aus Ihrer Sicht zu Recht nigt. Die AfD wollte eine eigene Sachverständige ernen- anprangern; nen, nämlich Frau Thomas, von der Herr Kraft berichtet hat. Was er nicht ausgeführt hat: Diese Dame ist der (Karsten Hilse [AfD]: „Zehn Jahre Fukushima“ Meinung, dass sich aus ihren wissenschaftlichen For- ist das Thema! Da geht es nicht nur um Kern- schungen ergibt, dass bei den Menschen, die von der energie!) Tschernobyl-Katastrophe betroffen waren, infolge der Strahlenexposition keine Schäden festzustellen sind, aber das ist ein anderes Thema. Würden Sie freundlicher- dass also ein atomarer GAU sozusagen sozial- und gesell- weise zur Sache kommen? schaftsverträglich ist. Und diese Botschaft wollte ich an einem Jahrestag von Fukushima aus dem Deutschen Bun- (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- destag heraus nicht senden. NEN]: Seine Ausführungen zur Kernenergie sind um nichts besser!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Dr. Rainer Kraft (AfD): Herr Präsident, wir reden auch über die gestrige Anhö- rung zum Thema Fukushima, die durch die Aktion der Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vorsitzenden abgesagt worden ist. Aber gut! Herr Kollege Dr. Kraft, Sie haben jetzt das Recht zur Erwiderung – auch zwei Minuten. „Politik darf Wissenschaft nicht instrumentalisieren“, sagte Ihr Kollege Gehring in der Diskussion vor drei (B) Wochen. Aber Sie, die Grünen, haben mit der Absage Dr. Rainer Kraft (AfD): (D) einer Fukushima-Diskussion genau das getan. Sie instru- Sehr geehrte Frau Kotting-Uhl, Sie haben es schon mentalisieren Wissenschaft und Forschung grund- wieder getan. Schon wieder instrumentalisieren Sie hier sätzlich. Sie laden grundsätzlich nur genehme selbster- Opfer. Und Ihre Ausführungen sind komplett falsch. nannte Experten aus der grünen Blase ein, die jenseits Wenn Sie die Arbeiten von Frau Professor Thomas ver- aller Fakten Horrorszenarien an die Wand malen, um folgt hätten, dann wüssten Sie: Sie hat selbstverständlich Angst zu schüren und Panik zu verbreiten. Als Folge auch Langzeitfolgen von Tschernobyl festgestellt. – Das und mit der Unterstützung Ihrer Abgeordneten stürmt heißt, Sie sind mit den Arbeiten von Frau Thomas über- dann eine Meute von Kohlegegnern den Bundestag. haupt nicht vertraut. Fassen wir zusammen: Jeder Ihrer Anträge der vergan- genen zehn Jahre, der sich mit Fukushima beschäftigt hat, (Beifall bei der AfD)

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wenn wir auf die Titel und die Inhalte Ihrer Anträge zu NEN]: Zehn?) sprechen kommen, muss ich feststellen: Dort steht immer „Fukushima“. Der Titel der Anhörung gestern wäre hat die verheerenden Folgen des Tohoku-Erdbebens und „Fukushima“ gewesen. Niemals hat sich einer Ihrer des Tsunamis völlig ignoriert. Die Opfer dieser Katastro- Anträge mit dem Tohoku-Erdbeben auseinandergesetzt, phe – 20 000 Menschenleben – werden von Ihnen, den niemals hat sich einer mit der Verbesserung von Küsten- Grünen, Jahr für Jahr in ekelerregender, widerwärtiger schutz oder mit Frühwarnsystemen für Erdbeben be- Art und Weise instrumentalisiert, und dafür sollten Sie schäftigt. Sie haben immer aus ideologischen Gründen sich schämen. ausschließlich auf Fukushima Bezug genommen. Sie haben die 20 000 Opfer immer instrumentalisiert. Ihre (Beifall bei der AfD – Gabriele Katzmarek Bundestagsvizepräsidentin hat das des Öfteren schon [SPD]: Boah! Boah! – Heike Hänsel [DIE LIN- mal leichtfertig durcheinandergebracht. Sie werden KE]: Jeder blamiert sich, so gut er kann!) auch im „Ostfriesischen Kurier“ zitiert, dass Sie einmal gesagt haben, dass in Fukushima 16 000 Menschen ums Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Leben gekommen sind. Vielen Dank, Herr Kollege Kraft. – Die Kollegin Kotting-Uhl möchte auf Antrag der Fraktion Bündnis 90/ (Beifall bei der AfD – Sylvia Kotting-Uhl Die Grünen eine Kurzintervention machen. Ich lasse das [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ganz sicher zu. – Frau Kollegin Kotting-Uhl, bitte. nicht!) 27138 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

(A) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) Vielen Dank, Herr Dr. Kraft. Ich will noch mitteilen: Frau Kollegin Dr. Scheer, im Deutschen Bundestag ist Es gibt nicht „Ihre Bundestagsvizepräsidentin“; denn die es üblich, dass man auch Zwischenrufe macht. Wenn Sie Vizepräsidentinnen und Vizepräsidenten sind die Präsi- das stört – – denten des gesamten Bundestages. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Dr. Nina Scheer (SPD): DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Ja. Man hat nur irgendwie das Gefühl, dass man noch CDU/CSU – Zuruf des Abg. Stephan Protschka nicht mal Luft holen kann, ohne Widerworte zu kriegen. – [AfD]) Also gut, ich versuche es noch mal. – Das habe ich jetzt phonetisch nicht verstanden. Das lag wahrscheinlich an Ihrem Dialekt. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Frau Kollegin, das Schicksal teilen Sie mit vielen Ab- (Stephan Protschka [AfD]: So viel Anstand geordneten der AfD. haben die Grünen! – Dr. Götz Frömming [AfD]: Frau Kotting-Uhl hat sich einfach hin- gesetzt bei der Antwort!) Dr. Nina Scheer (SPD): Okay, das stimmt. Das ist das Schicksal der Gemein- – Gut. schaft hier. Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Nina Scheer, (Beifall der Abg. Renate Künast [BÜND- SPD-Fraktion. NIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei der SPD) Ich wollte auf die Situation im Zusammenhang mit den Krebsraten zurückkommen, die massiv steigen. Da gibt Dr. Nina Scheer (SPD): es auch jüngste Berichte von Ärzten vor Ort, denen Sie ja Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und vielleicht mal Glauben schenken können, die davon spre- Kollegen! Wenn jetzt hier im Raum steht, dass die chen, dass die Krebsrate von Kindern, die unter Schild- Erwähnung des atomaren GAU, des Unfalls von Fukus- drüsenkrebs leiden, um das 20- bis 50-Fache nach oben hima, und die Fokussierung darauf eine Verharmlosung gegangen ist. gegenüber den anderen Schäden darstellt, gegenüber den (Dr. Rainer Kraft [AfD]: Laden Sie die Exper- Menschenopfern und den Tsunamischäden, die zu ver- ten mal ein!) zeichnen sind, dann muss ich sagen: Das ist einfach Ich habe jetzt keine Zeit, weiter darüber zu sprechen, weil (B) falsch. Diese Behauptung ist unwürdig gegenüber all (D) den Opfern der Komplettkatastrophe. ich noch viele andere Punkte anführen möchte. Aber allein schon aus Respekt vor den Opfern gebührt es sich (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem doch, dass Sie nicht ständig durch Zwischenrufe diese BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schreckliche Dramatik relativieren. Damit wollen Sie wieder nur vertuschen und die Folge- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ schäden der Atomenergie verharmlosen. DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der (Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD]) CDU/CSU) Wer vor ein paar Tagen den sehr aufschlussreichen Ich will als zweiten Punkt aber auf die Atomenergie- Bericht im Ersten Deutschen Fernsehen gesehen hat, situation weltweit eingehen. Es muss Sie doch aufrütteln, der noch mal daran erinnerte, was vor zehn Jahren pas- dass die Gesamtinvestitionen in Atomenergie in den letz- siert ist, der hat gesehen, dass dort auch der „Tagesthe- ten Jahrzehnten deutlich zurückgegangen sind, weil man men“-Reporter wiedergegeben wurde, der damals aus einfach erkannt hat: Das ist mit Blick auf die Risiken, mit Tokio berichtet hat. Man hat ja zuerst auf die Folgen Blick auf die gesamtgesellschaftlichen Kosten einfach des Tsunamis geschaut. Aber in dem Moment, in dem nicht mehr zu rechtfertigen; es ist nicht mehr opportun. – klar war, was das mit den Atomreaktoren macht, lag der Zurzeit werden weltweit Investitionen in Atomenergie im Fokus angesichts dieser Dramatik tatsächlich auf dieser Umfang von 31 Milliarden US-Dollar getätigt. Dem ste- Situation. Deswegen: Uns hier im Haus insgesamt zu hen aber Investitionen von 138 Milliarden US-Dollar in unterstellen, dass man den Opfern nicht gerecht wird, Windenergie und 131 Milliarden US-Dollar in Solarener- ist einfach zynisch, und es lenkt wieder nur ab von den gie gegenüber. Ich sage das einfach nur, um mal die Fragen, die heute zu zehn Jahren Fukushima in der Tat Größenordnungen in den Raum zu stellen. anstehen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Kirsten Die Anteile bei den Forschungsausgaben spiegeln das Tackmann [DIE LINKE]) aber nicht unbedingt wider, und das muss uns zu denken geben. Weltweit entfallen immer noch 22 Prozent der Es ist schon anderweitig erwähnt worden: Es gibt viele Forschungsausgaben auf die Atomenergie, aber nur Opfer, sowohl tsunamibedingt als auch aufgrund der 15 Prozent auf erneuerbare Energien und 8 Prozent auf Reaktorkatastrophe. Es gibt – – fossile Energien. Auch wir in Deutschland geben ange- (Zuruf des Abg. Karsten Hilse [AfD] – sichts der Verflechtung mit ITER und anderem immer Gegenrufe von der SPD) noch jährlich 138 Millionen Euro in diesen Bereich. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27139

Dr. Nina Scheer (A) Man muss sehen, dass die Beteiligung an ITER und wei- von der AfD: Keine Ahnung! – Weitere Zurufe (C) teren Atomprojekten die Hälfte aller Forschungsausga- von der AfD – Gegenruf des Abg. Carsten ben der Europäischen Union ausmacht. Träger [SPD]: Was seid denn ihr für Stamm- (Zuruf des Abg. Karsten Hilse [AfD]) tischproleten! – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was für Pro- Das ist etwas, was heutzutage nicht mehr hinnehmbar ist. leten!) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Es spiegelt auch nicht den Anteil an den Investitionen Das Wort hat die Kollegin Judith Skudelny für die wider, die weltweit getätigt werden. Hier muss eine Wen- FDP-Fraktion. de einsetzen. Hier muss auch eine Überarbeitung des (Beifall bei der FDP) Euratom-Vertrages her, weil das nicht mehr zeitgemäß ist und eine falsche Ausstrahlung auf Investitionen und die Forschung hat. Judith Skudelny (FDP): (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Frau Kotting-Uhl, Sie haben heute hier und im Ausschuss LINKEN) etwas richtiger gemacht als in Ihrem Antrag. Sie haben nämlich das Reaktorunglück von Fukushima als Drei- Im Übrigen kann auch nicht weiter verharmlost wer- fachkatastrophe eingeordnet. Im Ausschuss haben Sie den, welch dramatisches Bedrohungspotenzial für terro- es noch ein bisschen präziser formuliert. Sie haben ge- ristische Angriffe vom Umgang mit Atomkraftwerken sagt, das ist eine Dreifachkatastrophe, von der ein Teil ausgeht. Es muss uns auch zu denken geben, dass die eine Naturkatastrophe ist, aber das Reaktorunglück etwas Laufzeit von Atomkraftwerken, weil es unwirtschaftlich ist, aus dem wir lernen können. Dieser Teil fehlt in den ist, in neue zu investieren, immer länger wird und inzwi- schriftlichen Ausführungen Ihres Antrages vollständig, schen schon bei durchschnittlich 35 Jahren liegt. Je älter und das macht Ihren Antrag, menschlich gesehen, leider die Atomkraftwerke werden, desto anfälliger sind sie, nicht so gut, wie er hätte sein können. und desto größer ist die Bedrohung, die von ihnen aus- geht. Insoweit ist es richtig, dass wir es uns in der Koali- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten tion zur Aufgabe gemacht haben, sich in einer der noch der CDU/CSU) mindestens zwei in dieser Legislaturperiode anstehenden Atomgesetznovellen der Frage zu widmen, wie es um den Noch mehr hat mich aber tatsächlich Ihre Argumenta- (B) Schutz vor terroristischen Angriffen bestellt ist. tion gegenüber den Kernkraftbefürwortern verwundert. (D) Ich kann mich meinem Vorredner von der CDU nur Als letzten Punkt – ich habe noch eine halbe Minute – anschließen: Die einzigen Gründe für die Befürwortung möchte ich auf die Verflechtung hinweisen, die zwischen von Kernkraft, die Sie sich vorstellen können, sind Atomenergienutzung und Atomwaffen besteht. Machtgier, Naivität und Bestechlichkeit. Wenn man (Stephan Protschka [AfD]: Sie müssen nicht sich vor Augen führt, über wen Sie da sprechen: Da alles ausnutzen!) sind Demokratien dabei, befreundete Staaten. Sie reden über Japan und Frankreich. Sie können doch nicht davon Sie besteht definitiv, und das wird viel zu selten themati- ausgehen, dass die einzige Krönung der Intelligenz die siert. Der Ausgangspunkt ist: Zur Entwicklung der Atom- Grünenfraktion im Deutschen Bundestag ist! bombe wurden während des Zweiten Weltkriegs unter Eisenhower im Zuge des Manhattan-Projekts umgerech- (Beifall bei der FDP und der AfD sowie bei net 50 Milliarden US-Dollar investiert. Abgeordneten der CDU/CSU) (Zuruf von der AfD: Sie haben keine Ahnung!) Ganz ehrlich: Auch andere Nationen haben kluge Men- Mehr als 100 000 Menschen waren damals beschäftigt. schen. Das, was Sie hier formulieren, ist schlicht und Das war die Stunde null der Atomenergienutzung; das zu ergreifend arrogant. verleugnen, wäre falsch. Das bedeutet auch, dass die Ihr Antrag ist damit keine Handreichung für jene, die damals angelegte Verflechtung uns heute vor die Aufgabe Kernenergie befürworten und vielleicht eine Handrei- stellt, immer beides zu denken: Ohne Atomenergiebeen- chung brauchen, andere Energieerzeugungsformen für digung wird es keine Beendigung der Atomwaffennut- besser zu befinden. Er ist ein Faustschlag ins Gesicht zung geben, und ohne Ausstieg aus den Atomwaffen derer und dazu geeignet, jeglicher Diskussion, Argumen- wird es keinen gelingenden Atomenergieausstieg geben. tation und Kommunikation ein Ende zu setzen, und das (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem ist das Letzte, was wir im Bereich der Kernenergie und im BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bereich der Sicherheit brauchen. Dieser letzte Punkt in dieser Debatte soll verdeutlichen, (Beifall bei der FDP) welch weitreichende Aufgabe das für uns darstellt. Ein Beispiel haben Sie selber genannt, nämlich das Vielen Dank. Wassereinlassen in den Pazifik. Wir sehen, es gibt tech- (Beifall bei der SPD – Stephan Protschka nische Lösungen, aber die technischen Lösungen sind [AfD]: Das hat mit dem Manhattan-Projekt aufgrund der Menge des Wassers nicht einfach umzuset- noch nichts zu tun gehabt! -Weiterer Zuruf zen. Bei diesen technischen Lösungen können wir viel- 27140 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Judith Skudelny (A) leicht Hilfestellung leisten. Aber würden Sie jemanden Atomkraftwerk, ausgelegt und gebaut für Erdbebenstär- (C) um Hilfe, um Kooperation und um Zusammenarbeit bit- ke 8, mit einer Schutzmauer gegen 15-Meter-Tsunamis, ten, der Sie für naiv, bestechlich und machtgierig hält? überstand Erdbeben und Tsunami.

(Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Zuruf von der AfD: Es geht doch!) NEN]: Wo haben Sie denn diese Vokabeln her?) Es war das Profitstreben, das zur Katastrophe führte. Wir brauchen ein partnerschaftliches Miteinander, um die Umgerechnet 160 Milliarden Euro wird der Rückbau des Sicherheit auf der Welt zu erhöhen. Der vorliegende An- havarierten Atomkraftwerkes kosten. Über 60 Milliarden trag ist mit Sicherheit kein Beitrag dazu. Euro an Entschädigungen wurden bereits gezahlt. Hinzu kommen Milliardenkosten für Dekontamination und für (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) das sichere Verwahren des radioaktiv verseuchten Mate- Ihr Antrag hat gute und schlechte Seiten, aber die rials und des radioaktiv verseuchten Wassers. Und dies Inhalte treten leider völlig in den Hintergrund; denn der alles wird nicht von Unternehmen, sondern vom Steuer- arrogante Ton und die Überheblichkeit, die sich wider- zahler bezahlt. spiegelt, stehen leider Gottes im Vordergrund, und des- Es wird immer Naturkatastrophen geben, die niemand wegen werden die guten Argumente von den richtigen erwartete oder die stärker ausfallen als berechnet. Aber es Personen nicht gehört werden. gibt eine Möglichkeit, das Leid und die Kosten durch (Beifall bei der FDP – Zaklin Nastic [DIE LIN- Atomkatastrophen zukünftig zu vermeiden: den endgül- KE]: Jetzt kommt endlich was Inhaltliches!) tigen Ausstieg aus der Atomenergienutzung und das Beenden des Euratom-Vertrages. Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Das Wort hat der Kollege Ralph Lenkert für die Frak- NIS 90/DIE GRÜNEN) tion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Ich danke allen Kolleginnen und Kollegen des 17. Deutschen Bundestages, die im Angesicht von Fukushi- ma, in Erinnerung an Tschernobyl den deutschen Atom- Ralph Lenkert (DIE LINKE): ausstieg beschlossen haben. Es war ein richtiger Schritt Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kol- für mehr Sicherheit. Vor menschlichem und technischem legen! Am 11. März 2011 ereignete sich eine verheerende Versagen können wir nicht geschützt werden. Unnötige Katastrophe in Japan. Ein extremes Erdbeben der Stärke 9 Risiken sollte man vermeiden, wenn man klug ist. (B) traf die Ostküste. Der dadurch ausgelöste Tsunami, der (D) stärkste seit 400 Jahren, überspülte weite Küstenbereiche. Vielen Dank. Über 20 000 Menschen verloren ihr Leben, Städte und Dörfer wurden dem Erdboden gleichgemacht. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zu dem menschlichen Leid und zu den Zerstörungen kam dann noch die radioaktive Verseuchung durch den Super-GAU des Atomkraftwerkes Fukushima Daiichi. Vizepräsidentin Petra Pau: Über 450 000 Menschen mussten evakuiert werden. Bis Die Rede des Kollegen Michael Kießling für die CDU/ heute können viele Menschen trotz Entseuchungsmaß- CSU-Fraktion nehmen wir zu Protokoll.1) nahmen nicht in ihre Heimat zurückkehren. Die Men- schen der Region leben seitdem mit der Furcht vor Ich schließe die Aussprache. zukünftigen Krebserkrankungen. Schon heute steigt die Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Zahl der Fehlgeburten und Missbildungen bei Neugebo- Drucksache 19/27193 an die in der Tagesordnung aufge- renen. Millionen Kubikmeter kontaminierter Böden müs- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es weitere Über- sen dauerhaft sicher verwahrt werden. Unmengen ver- weisungsvorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ver- suchten Wassers traten in die Umwelt aus oder lagern in fahren wir wie vorgeschlagen. Tanks. Bitter ist: Die menschengemachte radioaktive Verseu- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 15 a bis 15 d auf: chung hätte vermieden werden können, wenn der a) Erste Beratung des von der Bundesregierung Betreiber die japanischen Vorgaben eingehalten hätte, eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur nach denen das Atomkraftwerk auf Erdbebenstärke 8 Einführung von elektronischen Wertpa- ausgelegt sein sollte. Der Betreiber Tepco hatte die Reak- pieren toren nur auf Erdbebenstärke 7 ausgelegt. Drucksache 19/26925 Historische Aufzeichnungen belegen, dass es in der Region Fukushima bereits Tsunamis von 15 Metern Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Höhe gegeben hatte. In den Verhandlungen mit den Auf- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz sichtsbehörden war es Tepco gelungen, die Tsunami- Ausschuss Digitale Agenda schutzanlagen nur für 5-Meter-Tsunamis auszulegen. Haushaltsausschuss Dieser verheerende Tsunami hatte im Bereich des Atom- kraftwerkes eine Höhe von 14 Metern. Ein benachbartes 1) Anlage 8 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27141

Vizepräsidentin Petra Pau (A) b) Erste Beratung des von der Bundesregierung der Blockchain-Strategie der Bundesregierung umge- (C) eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur setzt. Wir schaffen damit einen rechtssicheren Rahmen, Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/2034 in dem technologische Innovationen im Wertpapierbe- über die Beaufsichtigung von Wertpapie- reich zur Anwendung kommen können. rinstituten (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Drucksache 19/26929 Wir leisten damit nicht nur einen praxisnahen Beitrag zur Überweisungsvorschlag: Digitalisierung und zum Fortschritt im Finanzsektor, son- Finanzausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz dern wir bauen damit auch auf der Blockchain-Strategie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union der Bundesregierung auf. Ausschuss Digitale Agenda (Stefan Keuter [AfD]: Aber nicht nur!) c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Nach aktueller Rechtslage ist es nämlich zwingend so, Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/2162 dass Wertpapiere mit einer Papierurkunde zu verbriefen des Europäischen Parlaments und des sind. Künftig wird es möglich sein, diese Papierurkunde Rates vom 27. November 2019 über die durch die Eintragung von Wertpapieren in ein elektroni- Emission gedeckter sches Register zu verbriefen. Das mag für manche Nos- Schuldverschreibungen und die öffentli- talgikerinnen und Nostalgiker traurig sein. Viele Deut- che Aufsicht über gedeckte sche haben ja noch ihre erste Aktie zu Hause im Schuldverschreibungen (CBD-Umset- Bilderrahmen; bei vielen ist es die Disney-Aktie. zungsgesetz) (Stefan Keuter [AfD]: Keine Schleichwer- Drucksache 19/26927 bung!) Überweisungsvorschlag: – Das ist doch eine schöne Erinnerung, ein guter Einstieg Finanzausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz in das Thema Aktien; wir wollen ja auch die Aktienkultur Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union fördern. – Nichtsdestotrotz hoffe ich, dass wir nicht ver- d) Beratung des Antrags der Abgeordneten gleichbare Diskussionen führen werden wie beim Thema Frank Schäffler, Christian Dürr, Dr. Florian „bargeldloses Zahlen“. Toncar, weiterer Abgeordneter und der Frak- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) tion der FDP Ganz wichtig: Der Gesetzentwurf ist technologieoffen Einen innovationsfreundlichen Rechts- gestaltet, weil wir gerade in diesem Bereich sehr dyna- (B) rahmen für Kryptoassets schaffen – Digi- mische Entwicklungen sehen. Wir sagen: Der Gesetzent- (D) tale Wertpapiere aller Art ermöglichen wurf muss so offen sein, dass auch neue Technologien bei Drucksache 19/26025 der elektronischen Verbriefung möglich sind.

Überweisungsvorschlag: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Finanzausschuss (f) der CDU/CSU) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Der zweite Gesetzentwurf, über den wir hier heute Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- reden, dient der Umsetzung der Richtlinie zu gedeckten schätzung Schuldverschreibungen. In Deutschland betrifft dies vor Ausschuss Digitale Agenda allem den Pfandbrief als wichtigste gedeckte Schuldver- Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten schreibung. Wir wissen, Wohnimmobilienkredite von der beschlossen. – Ich bitte, Platz zu nehmen. Bank werden vielfach über Pfandbriefe refinanziert. Der Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Parla- Pfandbrief ist für alle vor allem im Wohnungsbau von mentarische Staatssekretärin Sarah Ryglewski. enormer Bedeutung. Der Pfandbrief ist ein bewährtes Instrument. Seit 250 Jahren existiert er, und wir wollen, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dass er weiter besteht. Aber wir wollen dafür sorgen, dass der CDU/CSU) er fit für die Zukunft ist, indem wir ihn auch für interna- tionale Investoren als europäisches Produkt sichtbar Sarah Ryglewski, Parl. Staatssekretärin beim Bun- machen und hier auch noch einmal attraktiver machen. desminister der Finanzen: Dazu führen wir die europaweit einheitliche Bezeichnung Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen „Europäische gedeckte Schuldverschreibung“ ein und und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! lassen sie schützen. Die heute gemeinsam diskutierten drei Gesetzentwürfe Die europäische Harmonisierung orientiert sich dabei dienen dem Ziel, den Finanzstandort Deutschland fit für ganz wesentlich an dem bewährten deutschen Pfandbrief- die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu machen. recht; denn, wie schon dargestellt, das ist eine gute Tradi- Der Entwurf des Gesetzes zur Einführung von elekt- tion, und damit haben wir sehr positive Erfahrungen ronischen Wertpapieren dient der Modernisierung des gemacht. Zur Umsetzung der Richtlinie sind daher nur deutschen Wertpapierrechts und des dazugehörigen Auf- punktuelle Anpassungen im Pfandbriefgesetz notwendig. sichtsrechts. Zentraler Bestandteil ist die Einführung von An dem anerkannten hohen Sicherheitsniveau des Pfand- Wertpapieren in elektronischer Form. Mit der Etablierung briefs – das möchte ich noch einmal betonen – ändert sich digitaler Wertpapiere wird einer der zentralen Bausteine nichts. 27142 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Parl. Staatssekretärin Sarah Ryglewski (A) Der dritte und letzte Gesetzentwurf, den wir hier heute hinzukommen, die auch elektronisch geboren werden (C) beraten, ist der Entwurf eines Wertpapierinstitutsgeset- sollen. Es gibt also de facto gar keine Urkunde mehr zes. Auch hier setzen wir europäische Vorgaben in natio- und auch gar keine Möglichkeit, sich solche Papiere aus- nales Recht um. Wir gewährleisten damit eine Solvenz- liefern zu lassen. Die Bundesregierung will eine zentrale aufsicht von Wertpapierinstituten, die an den für ihre Registerstelle, die FDP möchte dies dezentral organisie- Kunden und die Finanzstabilität bestehenden Risiken ren. Gut, darauf braucht man nicht weiter einzugehen, das ausgerichtet ist. Der Gesetzentwurf führt proportional machen Sie wahrscheinlich gleich selber. Vorrangig sol- zu Größe und Bedeutung der Wertpapierinstitute im We- len Schuldverschreibungen emittiert werden und in sentlichen Anforderungen an das Anfangskapital, die einem kleineren Umfang Fonds. Geschäftsorganisation und bestimmte Anzeigepflichten sowie die interne Unternehmensführung ein. Darüber Das Ganze wirft Fragen über Fragen auf: Warum soll hinaus werden Aufsichtsbefugnisse geschaffen, ins- das passieren? Welchen Zusatznutzen hat man davon? besondere im Hinblick auf die Solvenz der Wertpapie- Wann erfolgt die Ausdehnung auf andere Aktien und rinstitute sowie die Eigenkapital- und Liquiditätsanforde- auf andere Wertpapierarten? Frau Staatssekretärin, da rungen. Der Entwurf legt außerdem Maßstäbe zur sind Sie uns bisher leider auch im Ausschuss Antworten Beurteilung der Angemessenheit der internen Kapitalan- schuldig geblieben. Und welcher bürokratischen und forderungen fest und enthält Regelungen zur Vergütungs- organisatorischen Zusatzaufwendungen bedarf das Gan- politik. ze? Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. Außerdem möchten wir warnen – wir als AfD-Bundes- tagsfraktion haben es hier schon häufiger gesagt –: Der (Lachen bei Abgeordneten der AfD – Johannes Staat muss nicht alles wissen. – Dies ist die Abschaffung Steiniger [CDU/CSU]: Das ist aber Gendern des Tafelgeschäftes durch die Hintertür. Der Anleger hat auf hohem Niveau!) gar nicht mehr die Möglichkeit, sich seine Papiere aus- – Entschuldigung, hier vorne steht nur „Präsident“. Das liefern zu lassen, sie zu Hause aufzubewahren und somit müsste vielleicht auch gegendert werden. Verzeihen Sie dem staatlichen Zugriff zu entziehen. bitte. Außerdem sind so Tür und Tor für künftige Kapital- (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der schnitte geöffnet: Der deutsche Staat und auch Europa CDU/CSU) verschulden sich gerade in ungeheurem Maße. Wenn Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, mit den das Ganze nicht mehr bezahlt werden kann, wird es wahr- heute diskutierten Gesetzentwürfen sorgen wir für mehr scheinlich zu Kapitalschnitten kommen. Und das ist Proportionalität und machen wir den Finanzmarkt in natürlich viel einfacher, wenn es überhaupt gar keine (B) (D) Deutschland moderner, wettbewerbsfähiger und transpa- Urkunden gibt, sondern einfach nur einen Eintrag in renter. einem digitalen Register. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Zu zweitens: Neuregelung der Aufsicht. Dies betrifft etwa 750 Wertpapierhandelsunternehmen in Deutsch- Vizepräsidentin Petra Pau: land, also Finanzdienstleister, die keine Einlagen herein- Das Wort hat der Abgeordnete Stefan Keuter für die nehmen dürfen. Man nutzt hier die Umsetzung einer EU- AfD-Fraktion. Richtlinie, um die Aufsicht über diese Unternehmen dem (Beifall bei der AfD) KWG, also dem Kreditwesengesetz, zu entziehen, diese herauszulösen. Das kann man so machen. Dem stehen wir erst einmal emotionslos gegenüber. Wir möchten aber Stefan Keuter (AfD): darauf hinweisen, dass hier EU-Richtlinien in Deutsch- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und land als gegeben angesehen werden und diese einfach nur Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe noch in nationales Recht umgesetzt werden sollen. Da Zuschauerinnen! Wir beraten heute drei Gesetzentwürfe fragen wir uns: Wie kommen diese Richtlinien zustande? der Bundesregierung und einen beigestellten Antrag der Welche deutschen Interessen sind hier tangiert? Wer ver- FDP-Bundestagsfraktion. Worum geht es? Es geht ers- tritt diese deutschen Interessen? Demokratie braucht tens um die Einführung elektronischer Wertpapiere, Öffentlichkeit. Diese Öffentlichkeit sehen wir hier nicht zweitens um die Neuregelung der Aufsicht über Wert- immer; dies fehlt uns. Brüssel beschließt intransparent, papierhandelsinstitute und drittens um die Umsetzung unbeobachtet und oftmals hinter verschlossenen Türen. einer EU-Richtlinie in nationales Recht; es geht um Covered Bonds, also um Pfandbriefe. (Beifall bei der AfD) Zu erstens. Heute ist es so, dass Globalurkunden beim Zu drittens: zur Änderung des Pfandbriefgesetzes. Zentralverwahrer hinterlegt werden und dann Anteile Deutsche Pfandbriefe sind eine internationale Marke. daran im Effektengiroverkehr elektronisch gebucht wer- Man könnte sagen: Oft kopiert, nie erreicht. Insbesondere den und den Depots gutgeschrieben werden. Das ist ein unter Refinanzierungsgesichtspunkten ist der deutsche bewährtes System. Man hat tatsächlich noch eine ver- Pfandbrief erstklassig, nicht erreicht und vor allen Din- briefte Urkunde. Ich wüsste nicht, was man daran ändern gen eine mündelsichere Anlage. sollte, Frau Staatssekretärin. Wie gesagt, das ist ein bewährtes System. Jetzt sollen elektronische Wertpapiere (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27143

Stefan Keuter (A) Jetzt kommt wieder eine EU-Richtlinie, zur Auswei- Was jetzt passiert, ist Folgendes: Wir holen die Mög- (C) tung des Bezeichnungsschutzes. „Europäisch gedeckte lichkeit der Verbriefung als Urkunde, als Papier, nun mit Schuldverschreibung“ soll das Kind jetzt heißen. Deut- neuen technologischen Möglichkeiten ins 21. Jahrhun- sche Pfandbriefe dürfen sich aber immerhin „Premium“ dert. Stichwort ist die sogenannte Blockchain-Technolo- nennen. Das ist ein schleichender Prozess: die Opferung gie, die es ermöglicht, Transaktionen dezentral auf ver- deutscher Werte und Unterordnung unter eine vermeint- schiedenen Rechnern eindeutig verschlüsselt lich europäische Idee. Dem treten wir als AfD-Bundes- abzusichern. So haben wir genau das, was wir vorher tagsfraktion entschieden entgegen. als Papier hatten, jetzt über die Blockchain-Technologie als digitales Medium. Es ist also völlig falsch, Herr Wir freuen uns auf die Expertenanhörung im Finanz- Keuter, was Sie gerade zu dieser Technologie gesagt ausschuss. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. haben. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der AfD) Wir haben jetzt also die Möglichkeit, Besitzverhältnis- Vizepräsidentin Petra Pau: se papierlos und digital rechtssicher abzubilden. Block- Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege chain ist sozusagen der Ersatz für das Papier. Was den Johannes Steiniger das Wort. Gesetzentwurf betrifft, könnte man natürlich sagen: Das kommt alles vielleicht etwas spät. In der Schweiz bei- (Beifall bei der CDU/CSU) spielsweise gibt es entsprechende Regelungen schon, ebenso in Luxemburg. Johannes Steiniger (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegen! Wir erleben, wenn wir im Wahlkreis unterwegs Kollege Steiniger, gestatten Sie eine Frage oder sind – nicht nur in Coronazeiten –, durchaus Frust über Bemerkung von Herrn Keuter? die Digitalisierung in Deutschland, sei es im Hinblick auf die Digitalisierung der Verwaltung, die Digitalisierung der Bildung oder auch die Digitalisierung des Gesund- Johannes Steiniger (CDU/CSU): heitssystems, wenn es montags mal wieder heißt: Die Ja. Bevor er eine Intervention macht. Infektionszahlen können wir Ihnen nicht genau darstel- len, weil nicht alle Gesundheitsämter am Wochenende (B) melden. Stefan Keuter (AfD): (D) Vielen Dank, Herr Kollege. – Sie haben mich gerade Wir sehen also: Digitalisierung ist ein ganz wichtiger angesprochen und mir Unkenntnis vorgeworfen. Ich fin- Standortfaktor. Das ist auch ein wichtiger Standortfaktor de es schon relativ vermessen von einem Juristen, einem für den Finanz- und Rechtsstandort in Deutschland. Herr Banker erklären zu wollen, wie das Wertpapiergeschäft Keuter, nachdem ich mir diese ahnungslose Rede ange- funktioniert. Das war damals übrigens mein Spezialge- hört habe, die Sie gerade gehalten haben, die zeigt, dass biet, und ich habe das Geschäft von der Pike auf, also von Sie offensichtlich keine Ahnung von Blockchain, der Effektenkasse her, gelernt. Sie als Jurist müssten doch Dezentralitäten und anderem haben, bin ich froh, dass eigentlich wissen, was die Verbriefung, was eine Urkun- Sie keine Verantwortung in Deutschland haben und dass de bedeutet. Da kann man nicht sagen: Das liegt plötzlich Sie nie Verantwortung für dieses Land haben werden. digital vor.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Sie haben mir außerdem gerade Unkenntnis über die Stefan Keuter [AfD]: Wir werden sehen, Herr Blockchain-Technologie vorgeworfen. Sie haben offen- Kollege!) sichtlich Ihren eigenen Gesetzentwurf nicht gelesen, Wir machen hier einen ersten Schritt mit dem vorlie- worin explizit gesagt wird, dass Sie sich nicht auf eine genden Gesetzentwurf zur Einführung von elektron- Technologie festlegen wollen. Deshalb habe ich in mei- ischen Wertpapieren. Damit schaffen wir ein neues ner Rede dieses ganze Technologiethema ausgespart. Stammgesetz. Jetzt könnte der eine oder andere, der genau zuhört, vielleicht denken: Elektronische Wertpa- Sie haben offensichtlich Ihre Rede geschrieben, ohne piere, was soll das denn jetzt schon wieder sein? Ein zu wissen, was ich sagen werde. Sie wussten, dass Sie auf elektronisches Papier, das gibt es doch eigentlich gar mich erwidern müssen; dann hätten Sie aber bitte dieses nicht. Thema aussparen können. Das Thema Blockchain habe ich überhaupt gar nicht erwähnt. Wie kommen Sie Tatsächlich ist es so: Im Begriff „Wertpapier“ steckt darauf? Vielleicht nehmen Sie, wenn Sie schon die Tech- das Wort „Papier“ schon drin. Wenn ich eine Forderung nologie ansprechen, auch einmal Bezug auf Ihren eigenen oder ein Recht habe, dann kann ich das nicht anfassen; Gesetzentwurf, wo es nämlich ganz explizit darum geht, deswegen wurden die Forderung bzw. das Recht in der dass keine Technologiefestlegung erfolgen soll. Vergangenheit immer als Urkunde verbrieft. Eine Urkun- de ist eindeutig, ist klar festgelegt und wird, wie es eben Vielen Dank. auch dargestellt worden ist, im Zweifel in einem Tresor eingeschlossen. Dann ist das klar. (Beifall bei Abgeordneten der AfD) 27144 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

(A) Johannes Steiniger (CDU/CSU): Frank Schäffler (FDP): (C) Herr Kollege Keuter, herzlichen Dank für Ihre Frage, Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol- die mir die Gelegenheit gibt, Sie zuerst darauf hinzuwei- legen! Das ist jetzt der große Wurf dieser Koalition, was sen, dass Sie das nächste Mal besser googeln müssen. Ich die Blockchain-Technologie betrifft. bin kein Jurist, sondern Mathematiker, und kenne deshalb die kryptografischen Verfahren, die hinter der Distribu- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ted-Ledger-Technologie – das ist der Oberbegriff von Da lachen, ehrlich gesagt, die Hühner. Das hat mit Block- Blockchain-Technologien – stecken, sehr genau. chain eigentlich nichts zu tun. Was Sie in Ihrer Rede gesagt haben, hat offenbart, dass (Beifall bei der FDP) Sie überhaupt nicht verstehen, welche Chancen diese Das ist ein Blockchain-Verhinderungsgesetz, was Sie hier Technologie bietet, nämlich dass wir das, was wir früher vorlegen. Denn Blockchain hat per Definition keine dritte in Papierform gemacht haben, heute genauso sicher, fäl- Aufsicht, keine dezentrale Aufsicht, die von irgendeinem schungssicher und eindeutig im digitalen Bereich abbil- Unternehmen gesteuert wird oder die vom Staat beauf- den können. Herzlichen Dank für die Offenbarung dieser sichtigt wird. Bei der Blockchain wollen sich die Markt- Ahnungslosigkeit! teilnehmer vielmehr gegenseitig kontrollieren. Das ist der Grundgedanke. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- wie des Abg. Frank Schäffler [FDP]) Nachdem Sie hier vor zwei Jahren eine Blockchain- Strategie angekündigt haben und dies das Ergebnis dieser Ich war gerade dabei, auszuführen: Es wäre natürlich Blockchain-Strategie ist, ist das wirklich ziemlich lächer- schöner gewesen, wenn wir diesen Gesetzentwurf schon lich und ziemlich bescheiden, was Sie hier vorlegen. etwas früher gehabt hätten. Wir als Unionsfraktion haben schon im Jahr 2018 ein Eckpunktepapier gemacht. Ich (Beifall bei der FDP) sehe Thomas Heilmann, der damals als Kollege unserer Was Sie hier machen, ist im Grunde das, was in Europa Fraktion maßgeblich daran mitgearbeitet hat, ebenso vielfach schon längst existiert: In Luxemburg und in Heribert Hirte und andere. Im März 2019 gab es dann Frankreich gibt es bereits elektronische Wertpapiere. das Eckpunktepapier von BMF und BMJV. Es ist drin- Sie beziehen das auf eine ganz kleine Nische, indem Sie gend notwendig, dass jetzt endlich etwas passiert. Ich sich nur auf die Schuldverschreibungen und auf Teile von sage auch: Das ist jetzt ein erster Schritt in dieser Legis- Fonds konzentrieren, und damit glauben Sie, Sie könnten latur, und es ist im Grunde genommen ein in Text geg- hier den großen Standortvorteil ausspielen. Das wird aus ossener Arbeitsauftrag für die nächsten Jahre. meiner Sicht nicht gelingen. Im Gegenteil: Sie werden (B) dafür sorgen, dass die heutigen Monopolisten im Markt, (D) Wenn wir uns mit dem Gesetzentwurf beschäftigen, Clearstream, ihr Monopol behalten werden; denn das, werden wir noch über ein paar Punkte sprechen müssen, was Sie hier anlegen, führt dazu, dass das einzige Unter- zum Beispiel über die Frage, wie wir mit Fondsanteilen nehmen, das hiervon profitiert, Clearstream selbst ist, und umgehen. Derzeit ist die dezentrale Abbildung nur für deshalb ist das eben das Gegenteil dessen, was Sie uns Schuldverschreibungen möglich. Wir können uns durch- suggeriert haben. aus vorstellen, hier auch Fondsanteile zu übernehmen. Wir müssen über die Fragen von Abtretung und Über- Ich will noch einen anderen Aspekt ansprechen, weil tragung sprechen. Ich finde auch, eine Evaluation eines Sie ja noch andere Gesetzgebungsvorhaben vorgelegt solchen Gesetzes erst nach fünf Jahren ist viel zu spät. haben und das ja eigentlich der letzte große Wurf in dieser Wenn wir schon sagen, dass wir hier einen ersten Schritt Legislaturperiode sein soll, um die Wertpapierkultur in machen, dann sollten wir auch relativ schnell in eine Deutschland tatsächlich voranzubringen. Dieser Wurf Evaluation gehen. ist nun wirklich lächerlich; denn Sie setzen letztendlich nur EU-Richtlinien um, fast schon eins zu eins, und Sie Alles in allem: Es ist ein gutes Gesetz, das zwar ein machen eigentlich nichts, um die Wertpapierkultur in bisschen langweilig daherkommt, aber es macht etwas für Deutschland wirklich voranzubringen. die Attraktivität unseres Finanzstandortes. Wir wollen, dass die Unternehmen in Deutschland bleiben. Wir wol- (Beifall bei der FDP) len, dass die Blockchain-Start-ups in Deutschland Wo ist denn die Reform der Riester-Rente? Wo ist denn gegründet werden. Und wir wollen auch, dass die Infra- die Reform der Aktienkultur in Deutschland, die der struktur in Deutschland weiterentwickelt wird. Das hier Besteuerung? Stattdessen machen Sie jetzt eine Finanz- ist ein guter erster Schritt in Gesetzesform. transaktionsteuer. Das ist eigentlich das, woran Sie weiter arbeiten. Aber tatsächlich machen Sie eigentlich für die Herzlichen Dank. Aktienkultur, für die Sparkultur, für all das, was jetzt in der Null- und Negativzinsperiode eigentlich notwendig (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) wäre, nichts. Und das muss man Ihnen ins Stammbuch schreiben. Damit versündigen Sie sich im Kern an Millio- Vizepräsidentin Petra Pau: nen von Sparern in diesem Land. Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege Frank Vielen Dank. Schäffler. (Beifall bei der FDP – Christian Dürr [FDP]: (Beifall bei der FDP) Schäffler hat es auf den Punkt gebracht!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27145

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall bei der LINKEN) (C) Das Wort hat der Abgeordnete Jörg Cezanne für die Zu viele rein spekulative Produkte ohne echten Wert für Fraktion Die Linke. die wirtschaftliche Entwicklung werden gehandelt und (Beifall bei der LINKEN) bergen oft ein großes Risiko. Eine Finanztransaktion- steuer, die alle Finanzgeschäfte mit einer geringen Steuer Jörg Cezanne (DIE LINKE): belegt, wäre neben einer stringenten Regulierung ein Mit- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei den tel, diese Risiken gering zu halten. Um Finanzumsätze zu vorliegenden Gesetzentwürfen geht es um die Möglich- entschleunigen, die Orientierung auf die Realwirtschaft keit, Wertpapiere nicht auf Papier, sondern in elektron- zu stärken und Spekulationen zu verteuern, ist sie weiter- ischer Form auszugeben. Weiterhin sollen Vergütungen, hin dringend nötig. die Institute erhalten, die mit Wertpapieren sowie Pfand- (Beifall bei der LINKEN) briefen und ähnlichen Papieren handeln, EU-weit einheit- lich geregelt werden. Es wäre deshalb gut, wenn die deutsche Regierung die portugiesische Ratspräsidentschaft bei ihrer neuen Initia- Gegen eine Vereinfachung von Verfahren durch Digi- tive in diesem Bereich unterstützen würde. talisierung ist nichts einzuwenden; sie ist zeitgemäß. Sie muss allerdings sicher sein und darf keine neuen Schlupf- Vielen Dank. löcher zur Umgehung von bestehenden Regulierungen öffnen. Dass dies bei den vorliegenden Gesetzen voll- (Beifall bei der LINKEN) ständig gegeben ist, darauf werden wir als Linke in den kommenden Beratungen ein besonderes Augenmerk Vizepräsidentin Petra Pau: legen. Das Wort hat Lisa Paus für die Fraktion Bündnis 90/ (Beifall bei der LINKEN) Die Grünen. Und weiter: Wenn durch eine Finanzinnovation, die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) auf der Blockchain- oder vielleicht auch auf einer weni- ger energieintensiven Distributed-Ledger-Technologie Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): beruht, Banken als Zwischenhändler oder Abwicklungs- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Drei stellen von Finanzgeschäften verzichtbar werden, so darf Gesetze der Finanzmarktregulierung in drei Minuten: dies nicht zu einem Verlust an der notwendigen öffent- Es geht zweimal um die Umsetzung von europäischem lichen Kontrolle führen. Recht, und es geht einmal um ein neues deutsches Gesetz. (B) (Beifall bei der LINKEN) Ich kann schon vorab sagen: Wir begrüßen grundsätzlich, (D) dass diese Gesetze jetzt vorliegen, weil sie eine sinnvolle Der Banken- und Wertpapierhandelssektor unterliegt – Antwort auf die Veränderungen auf dem Finanzmarkt bisher jedenfalls – einer wenngleich noch zu schwachen sind und tatsächlich dafür sorgen, dass unsere Finanz- Regulierung. Wenn Umsätze von diesen bisher kontrol- marktregulierung zeitgemäß bleibt. Von daher: Gut, lierten Akteuren weggehen, muss die Aufsicht zumindest dass diese Gesetze heute vorliegen. auf gleichem Niveau gewahrt bleiben. Elektronischer Handel erlaubt auch eine schnellere (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) elektronische Aufsicht. Es muss also sichergestellt wer- Bei einem der Gesetze zur Umsetzung von der europä- den, dass diese neuen Möglichkeiten genutzt werden, um ischen auf die deutsche Ebene geht es um die Aufsicht Geldwäsche, Terrorfinanzierung oder Steuerhinterzie- über Wertpapierfirmen. Da gibt es jetzt neue europäische hung in Zukunft besser als heute im Auge behalten zu Regeln statt eines nationalen Flickenteppichs, und das ist können. auch wirklich wichtig, Herr Keuter; denn die Bedeutung (Beifall bei der LINKEN) von solchen Wertpapierfirmen wie BlackRock & Co ist eben seit 2010 deutlich gestiegen. Deswegen brauchen Ob die Bundesregierung bei der Gewährleistung der wir da einen entsprechenden europäischen Rahmen. staatlichen Aufsicht die nötige Entschlossenheit an den Tag legt, wage ich zu bezweifeln. Mit dem Gesetz über (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Beaufsichtigung von Wertpapierinstituten werden sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aufsichtsregeln, die bisher im Kreditwesengesetz klar geregelt sind, aus diesem herausgelöst. Damit einher Außerdem begrüßen wir sehr, dass diese größeren geht eher eine Aufweichung der Regulierung und der Wertpapierfirmen jetzt ökologische, soziale und Gover- Reichweite staatlicher Finanzaufsicht. Das lehnen wir ab. nance-Risiken offenlegen müssen – ein klarer grüner Erfolg, den wir im Europäischen Parlament hereinver- (Beifall bei der LINKEN) handelt haben. Auch deswegen begrüßen wir dieses Ge- Und insgesamt ist es ja nicht gerade so, dass die setz. Finanzmärkte an zu geringer Geschwindigkeit, zu nied- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) rigen Umsätzen oder zu wenigen Finanzprodukten lei- den. Im zweiten EU-Umsetzungsgesetz geht es tatsächlich um – ich benutze den englischen Ausdruck – Covered (Zuruf von der LINKEN: Genau!) Bonds; in Deutschland kennen wir solche Anleihen als Das Gegenteil ist der Fall: Pfandbriefe. Das Gute an diesem Gesetz ist, dass sich 27146 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Lisa Paus (A) hohe deutsche Standards auf der europäischen Ebene einen wichtigen Beitrag zu einem modernen, wettbe- (C) weitgehend durchgesetzt haben. Auch von daher begrü- werbsfähigeren und transparenteren Finanzmarkt in ßen wir dieses Gesetz in der deutschen Umsetzung. Deutschland leisten, verehrte Kolleginnen und Kollegen. Wir werden es in der Anhörung wahrscheinlich noch (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten genauer anschauen. Der deutsche Pfandbrief ist ja sehr der CDU/CSU) sicher. Der ist ja sogar sicher, wenn die Pfandbriefbank pleitegeht. Allerdings wollen wir uns im Rahmen der Alle drei sind genannt worden. Mit dem Wertpapie- Anhörung noch einmal genauer anschauen, wie die rinstitutsgesetz wollen wir ein spezifisches Aufsichtssys- Pfandbriefbanken in Deutschland insgesamt aufgestellt tem für Wertpapierfirmen etablieren. Das stärkt den Ver- sind; wir erinnern uns, dass es zumindest mal ein Problem braucherschutz und ebenso die Finanzstabilität. mit der HRE gegeben hat. Auch das ist, glaube ich, einen Beim CBD-Umsetzungsgesetz mögen manche beim Blick wert. Blick auf die Tagesordnung vielleicht auch an Cannabis (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) oder CBD-Öle gedacht haben, und bei der einen oder anderen Wortmeldung hier vorne mag man auch daran Beim dritten Gesetz ist noch nicht so viel Lob ange- denken, dass davon Gebrauch gemacht wurde. Darum bracht; denn das Beste, was man über dieses Gesetz sagen geht es bei dem Gesetz aber nicht – jetzt habe ich wahr- kann, ist, dass es vorliegt, mit anderthalb Jahren Verspä- scheinlich die Aufmerksamkeit –; es dient nämlich viel- tung – das ist ja schon bei den verschiedenen Akteuren mehr der Umsetzung der europäischen Covered-Bonds- hier jetzt deutlich geworden –, und dass man jetzt mit Richtlinie. Diese Richtlinie sieht eine Mindestharmoni- dem Thema E-Wertpapiere anfängt. Aber mit diesem Ge- sierung für sogenannte gedeckte Schuldverschreibungen setz schaffen wir es maximal, an einige europäische Län- vor; das ist genannt worden. Viele dieser Produkte, wie der heranzureichen. Wir sind weit davon entfernt, in bei uns eben der Pfandbrief, verfügen über eine sehr irgendeiner Art und Weise Vorreiter in diesem Bereich lange Tradition; aber sie sind in den verschiedenen EU- zu sein. Mitgliedstaaten eben auch sehr unterschiedlich ausgestal- Sie fangen jetzt mit einem Bereich an – das ist auch tet. schon genannt worden –: Schuldverschreibungen und Insofern geht es dabei um Schuldverschreibungen, die Fondsanteilsscheine. Die Frage ist: Warum soll das durch Deckungswerte, wie zum Beispiel Grund- noch nicht für Aktien gelten? Beispielsweise führen wir pfandrechte oder eben auch öffentliche Anleihen, besi- jetzt Registerführer ein. Das ist erst mal grundsätzlich chert sind. Insbesondere für den Immobilienmarkt erfül- eine gute Sache. Da wundert man sich aber, warum jetzt len diese eine ganz wichtige Finanzierungsfunktion. Um das Eigenkapital dafür auf 730 000 Euro präzisiert wor- (B) einen funktionierenden Markt auf europäischer Ebene zu (D) den ist. Da wollen wir auch noch einmal wissen: Was hat gewährleisten, ist es ganz wichtig, dass wir nun europa- das für Konsequenzen für die Markteinführung? Es gibt weit diese einheitliche Bezeichnung „Europäische weitere Fragen. Was ist zum Beispiel mit Kryptoverwah- gedeckte Schuldverschreibung“ einführen. rern? All diese Fragen sind nicht geklärt. Schließlich wird mit dem Gesetz zur Einführung elekt- Wir werden in der Anhörung sicherlich einen ersten ronischer Wertpapiere das deutsche Recht für elektroni- weiteren Schritt machen. Aber da ist völlig klar: Das sche Wertpapiere geöffnet. Das ist nicht nur ein zentraler kann in diesem Bereich nur der Anfang sein. Baustein dieses Gesetzespakets – das ist deutlich gewor- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) den –, sondern das ist eben auch Teil der Blockchain- Strategie der Bundesregierung. Von daher: Lassen Sie uns unsere Arbeit tun, diese Geset- ze hier vernünftig beraten und dann auch verabschieden. Die derzeit zwingende urkundliche Verkörperung von Wertpapieren in Papierform wird um die Möglichkeit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) elektronischer Wertpapiere erweitert. Die Eintragung die- ser elektronischen Wertpapiere kann auf zwei Arten Vizepräsidentin Petra Pau: erfolgen, und zwar entweder in einem zentralen Register Das Wort hat der Kollege Johannes Schraps für die oder in dezentralen Kryptowertpapierregistern, Kollege SPD-Fraktion. Schäffler, die auf dieser Blockchain-Strategie basieren. Damit erweitert der Gesetzentwurf ganz klar das innova- (Beifall bei der SPD) tive Potenzial dieser Technologie für unseren deutschen Finanzplatz. Johannes Schraps (SPD): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolle- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ginnen und Kollegen! Wir beraten heute in erster Lesung der CDU/CSU) drei Gesetzentwürfe der Bundesregierung; das ist schon Wenn sogar die „FAZ“, nachdem im letzten Jahr der genannt worden. Und aus der Debatte ist, glaube ich, Referentenentwurf veröffentlicht wurde, schreibt, dass auch schon deutlich geworden, dass das in einigen Berei- kaum ein Gesetzentwurf im letzten Jahr so positiv von chen ehrlicherweise sehr technisch ist. Wir setzen damit den Stakeholdern kommentiert wurde, dann muss auch maßgebliche Teile der europäischen Finanzmarktrichtli- was dran sein und dann kann der so falsch nicht sein. nien in nationales Recht um. Was aber alle drei Gesetz- entwürfe eint – das hat Staatssekretärin Ryglewski auch (Frank Schäffler [FDP]: Clearstream findet das gerade schon deutlich gemacht –, ist, dass sie alle drei super!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27147

Johannes Schraps (A) Olaf Scholz hat völlig zu Recht darauf hingewiesen, Was für mich in der jetzigen Debatte sehr bezeichnend (C) dass möglicherweise manchen aus nostalgischen Gründ- war, ist, dass von rechts außen, wo man ja immer die en die Papierurkunde weiterhin lieb und teuer sein wird, deutschen Interessen hochhält, gerade auf das Pfandbrief- dass aber der elektronischen Variante die Zukunft gehö- gesetz geschimpft wurde. Wir werden mit dem Pfand- ren wird. Ich denke, da hat er auch vollkommen recht. briefgesetz den guten alten deutschen Pfandbrief zu einer Premiummarke machen. Dass gerade Sie das kritisieren, (Beifall bei der SPD) zeigt doch, wie zwiegespalten Sie in Bezug auf das Ver- Wir haben hier in der Debatte gemerkt, dass an der hältnis EU–Deutschland sind. Wir sind diejenigen, die einen oder anderen Stelle sicherlich noch Diskussions- sagen: „Was Europa nützt, ist gut für Deutschland“, und bedarf besteht. deswegen setzen wir uns für die Umsetzung der EU- Richtlinie ein.

Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Kollege Schraps. Johannes Schraps [SPD]) Interessant war, Herr Cezanne von den Linken, dass Johannes Schraps (SPD): Sie hinsichtlich der Wertpapieraufsicht davon sprachen, Damit komme ich zum Schluss, Frau Präsidentin. – In dass es schwieriger wird, die Wertpapierinstitute zu den öffentlichen Anhörungen wird sicherlich noch genug beaufsichtigen. Ganz das Gegenteil ist der Fall. Mit der Zeit und Raum für Diskussionen sein. Herausnahme aus dem Kreditwesengesetz werden wir die Ich freue mich auf die weiteren Beratungen im Aus- Möglichkeit schaffen – Kollegin Paus von den Grünen schuss, und da werden wir sicherlich auch noch mal darü- hat das bereits gesagt –, internationale Wertpapierfirmen ber sprechen können, Kollege Schäffler, dass diejenigen, viel zielgenauer zu beaufsichtigen. Wir werden mit die- die hier am lautesten schreien, dass nicht über die EU- sem Gesetz – auch hier: danke für die Eins-zu-eins-Um- Regulierung hinausgegangen wird, immer die sind, die setzung – der BaFin ein Ziehungsrecht geben, sodass sie auch im Ausschuss am lautesten schreien, wenn über die Möglichkeit hat, große Unternehmen explizit zu EU-Regulierungen hinausgegangen wird. beaufsichtigen. Also, genau das Gegenteil ist der Fall. Mit diesem Gesetz werden wir zielgenauer Wertpapier- unternehmen beaufsichtigen können. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege, das müssen Sie jetzt wirklich in die Aus- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) schussberatungen verlagern. (B) Herr Schäffler, Sie haben ja den Vogel abgeschossen, (D) indem Sie gesagt haben, wir als Große Koalition hätten Johannes Schraps (SPD): für die Mitarbeiter und die Aktionäre nichts getan. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD – Stefan Keuter [AfD]: (Christian Dürr [FDP]: Wann kommt denn die Maske!) Riester-Reform?) Ich möchte an den geschätzten mittlerweile stellvertre- Vizepräsidentin Petra Pau: tenden Parteivorsitzenden unseres Koalitionspartners Die Maske bitte aufsetzen! – Für die CDU/CSU-Frak- Kevin Kühnert erinnern, der 2019 gesagt hat, wir müssten tion hat nun der Kollege Sepp Müller das Wort. Unternehmen kollektivieren, unter anderem BMW. Zu was hat das geführt? 2020 hatten wir in Deutschland über 600 000 zusätzliche Aktionäre, also mehr Men- Sepp Müller (CDU/CSU): schen, die sich am Produktivkapital beteiligen. Das müss- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und te die SPD freuen. Vor allem uns freut das; denn mittler- Herren! In der jetzigen Debatte unterhalten wir uns über weile gibt es in Deutschland mehr Menschen, die mit die Umsetzung von zwei EU-Richtlinien sowie über den Aktien ausgestattet sind, als Menschen, die SPD wählen, Gesetzentwurf zur Einführung von elektronischen Wert- und das ist ein gutes Zeichen. papieren. Mein Kollege Johannes Steiniger hat schon einiges zu den elektronischen Wertpapieren gesagt. Las- In dem Sinne freue ich mich auf die weitere Debatte. sen Sie mich hier also die Möglichkeit nutzen, um auf die Umsetzung der beiden Richtlinien zu sprechen zu kom- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – men. Frank Schäffler [FDP]: Da will ich gar nicht widersprechen! – Britta Haßelmann [BÜND- Es ist wichtig, dass wir europäische Richtlinien eins zu eins umsetzen, weil das Ziel ist, dass wir eine Kapital- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr seid ja nett zuei- marktunion schaffen. Was heißt das? Es darf nicht sein, nander!) dass innerhalb Europas unterschiedliche Aufsichtsregula- rien in Bezug auf Wertpapierinstitute gelten, sondern wir Vizepräsidentin Petra Pau: brauchen ein gleiches Spielfeld, das sogenannte Level Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Playing Field. Das gehen wir mit der Umsetzung der Alexander Radwan für die CDU/CSU-Fraktion. beiden Richtlinien – sowohl bei den Pfandbriefen als auch bei den Wertpapierinstituten – an. (Beifall bei der CDU/CSU) 27148 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

(A) Alexander Radwan (CDU/CSU): wir das wieder zusammenführen. Ein europäischer (C) Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Ansatz ist notwendig, und ich würde mir auch wünschen, Herren! Es wurde ja schon mehrfach angesprochen: Wir dass der deutsche Finanzminister dieses auf europäischer beraten heute drei Gesetzgebungsinitiativen. Ich konzent- Ebene entsprechend zur Sprache bringt. riere mich auf das Thema „digitale Wertpapiere“ und Besten Dank für die Aufmerksamkeit. möchte zum Abschluss der Debatte nur ganz kurz zwei wichtige Punkte ansprechen, warum wir das brauchen: (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der FDP) Der erste Punkt. Deutschland nimmt an der Digitalisie- rung teil – insbesondere im Bereich der Finanzdienstleis- tungen. Die Entwicklungen sind hier sehr rasant. Vizepräsidentin Petra Pau: Der zweite Punkt. Es geht um den Finanzstandort Ich schließe die Aussprache. Deutschland im europäischen Kontext. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf Die Digitalisierung schreitet voran. „Blockchain“ ist den Drucksachen 19/26925, 19/26929, 19/26927 und ein Schlagwort, „Kryptowährung“ ist ein Schlagwort. 19/26025 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus- Das kann man nur begleiten, indem man hier rechtliche schüsse vorgeschlagen. Gibt es weitere Überweisungs- Vorgaben dafür macht, dass eine solche Entwicklung in vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann verfahren wir Deutschland stattfinden kann. Eine andere Fraktion hier wie vorgeschlagen. im Haus träumt regelmäßig davon, Zahlungen per Kredit- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: karte und das Internetbanking zu verbieten. Das würde Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia nur einen Abstieg Deutschlands bedeuten. Deutschland Möhring, Doris Achelwilm, Gökay Akbulut, wei- würde in diesem Bereich nicht mehr stattfinden. terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE (Beifall bei der CDU/CSU) Für das Leben – Das Recht auf körperliche Digitale Wertpapiere sind hier jetzt ein erster Schritt, und sexuelle Selbstbestimmung sichern, und ich muss mit Blick auf das BMF auch sagen: Ich hätte reproduktive Gerechtigkeit ermöglichen mir einen mutigeren und schnelleren Entwurf gewünscht. Drucksache 19/26980

(Beifall bei Abgeordneten der FDP) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Nichtsdestotrotz müssen wir hier jetzt entsprechend Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz anfangen, daran zu arbeiten. Ausschuss für Gesundheit (B) Wenn wir schon beim Thema Verbriefung sind: Die deut- Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten (D) schen Sachenrechtler werden hier natürlich Bauchweh beschlossen. haben und ihre entsprechenden Probleme herantragen, Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin warum bestimmte Sachen nicht gehen. Cornelia Möhring für die Fraktion Die Linke. Wichtig ist ein Level Playing Field zwischen Markt- (Beifall bei der LINKEN) teilnehmern, die bereits in diesem Bereich tätig sind, und Start-ups, um ihnen die Teilnahme zu ermöglichen. Dazu gehören natürlich auch Technologieneutralität und eben- Cornelia Möhring (DIE LINKE): falls, dass entsprechende Zugänge zum Markt vorhanden Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! sind. „Für das Leben – Das Recht auf körperliche und sexuelle Selbstbestimmung sichern, reproduktive Gerechtigkeit Daneben ist genauso wichtig, dass wir auf den Standort ermöglichen“, so der Titel des Antrags, den wir einbrin- Deutschland schauen. Wir haben im Februar zum ersten gen. Wir wollen viel damit, zugegeben. Aber es ist auch Mal nach dem Brexit erlebt, dass der größte Handel höchste Zeit. innerhalb Europas – nicht innerhalb der Europäischen Union – nicht mehr in London, sondern in Amsterdam Körperliche und sexuelle Selbstbestimmung sind zent- stattgefunden hat. Wenn man sich anschaut, welche Digi- rale Voraussetzungen für eine selbstbestimmte Lebens- talisierungsmaßnahmen in Amsterdam, in der Schweiz planung. und in Luxemburg erfolgt sind, dann weiß man, dass es (Beifall bei der LINKEN) überfällig ist, dass wir entsprechend Gas geben, um den Standort Deutschland gerade nach der Neuverteilung des Deshalb muss eine Entscheidung gegen eine Schwanger- Marktes nach dem Brexit attraktiv zu halten. schaft frei von Zwängen möglich sein. Gleichzeitig ist unser politisches Ziel, dass Menschen sich ebenfalls frei (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und für eine Schwangerschaft und für ein Leben mit Kindern der FDP) entscheiden können. Darum ist das, Frau Staatssekretärin, ein erster Schritt, (Beifall bei der LINKEN) ein wichtiger Schritt, aber es muss weitergehen, und ich Leider sind wir hierzulande von diesem Zustand würde mir auch wünschen, dass wir die Initiative ergrei- fen, hier einen europäischen Rahmen zu setzen. Ein euro- „reproduktiver Gerechtigkeit“ noch weit entfernt. Das päischer Rahmen ist für einen europäischen Kapitalmarkt Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch gibt es nicht. notwendig. Sonst haben wir wieder das Problem der (Sylvia Pantel [CDU/CSU]: Das ist doch Fragmentierung der Märkte, und am Schluss müssen Unfug!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27149

Cornelia Möhring (A) Ärztinnen und Ärzte dürfen nicht über diese medizi- bekommt oder nicht, und drittens dem Recht auf ein gutes (C) nische Leistung informieren und sollen mit dem § 219a Leben mit Kindern, also auf ein materiell abgesichertes StGB eingeschüchtert werden. Geburtsstationen schlie- Leben in Würde und Sicherheit mit Kindern, die der ßen, der Hebammenberuf ist immer noch nicht ausrei- Gesellschaft willkommen sind. chend gesichert, und sichere Verhütung ist für viele eine (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Frage des Geldes. neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir haben unseren Antrag vorab mit Juristinnen und Ich freue mich sehr auf sicherlich sehr anregende und Juristen, mit Ärztinnen und Ärzten, Akteurinnen und auch turbulente Beratungen. Akteuren aus Bündnissen und Beratungsstellen diskutiert und ihre wichtigen Impulse aufgenommen. Wir alle sind Vielen Dank. uns einig: Es steht schlecht um die Versorgungslage, und (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- es muss sich fundamental etwas ändern. neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Wenn wir also „Für das Leben“ sagen, dann meinen Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun die Kollegin wir damit: Wir wollen eine Gesellschaft, in der Menschen Sylvia Pantel das Wort. gut und sicher leben können. Wir wollen eine Gesell- (Beifall bei der CDU/CSU) schaft, in der Kinder willkommen sind, ganz unabhängig von ihrer Herkunft und ihren Eigenschaften; willkommen Sylvia Pantel (CDU/CSU): in einer Gesellschaft, in der dafür gesorgt wird, dass sie Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und nicht in Armut und frei von Angst leben können. Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Das ist genau der Unterschied zu denen, die zwar laut Linkspartei ruft heute mit ihrem Antrag wieder das The- für das Leben krakeelen, denen es aber komplett egal ist, m1a Schwangerschaftsabbrüche auf den Plan, nicht etwa dass hierzulande 2,8 Millionen Kinder in Armut leben, das, worüber Sie hier gerade philosophiert haben. Ihre denen es komplett egal ist, wenn Kinder in europäischen Politik ist auch in diesem Bereich von skandalisierenden Lagern ihren Lebensmut verlieren und unter unwürdigen und undifferenzierten Anträgen geprägt. Bedingungen leben müssen, denen es egal ist, dass immer (Zaklin Nastic [DIE LINKE]: Das müssen Sie noch Zigtausende Frauen bei illegalen Abbrüchen ums sagen!) Leben kommen. Diesen selbsternannten Lebensschützern geht es nämlich vor allem um eins: um den Zugriff auf Im Februar 2018 brachte Die Linke einen Gesetzent- (B) Frauen und die Kontrolle über deren Körper. – Ich finde, wurf ein, mit dem das Werbeverbot für Abtreibungen (D) es ist an der Zeit, das hier auch so deutlich auszusprechen. aufgehoben werden sollte und in dem die Streichung von § 219a Strafgesetzbuch gefordert wurde. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Längst über- fällig! Längst überfällig!) Damit Frauen sich für oder gegen Kinder entscheiden können, braucht es den Zugang zu sicheren Verhütungs- – Ich habe Ihnen eben zugehört. Tun Sie das doch auch mitteln, und zwar unabhängig vom Geldbeutel, und das einfach! Recht, eine Schwangerschaft abbrechen zu können. Und Dann folgte im April 2020 ein Antrag der Linkspartei, natürlich darf niemand gegen seinen Willen zwangsste- der Schwangerschaftskonfliktberatungen während der rilisiert werden. Coronapandemie gesetzlich aussetzen und damit über- (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ulle flüssig machen wollte. Die Linke forderte dann die voll- Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) ständige Streichung des § 218 – § 218a, b und c – und die Streichung von § 219 – § 219a und b – Strafgesetzbuch. Die Wahlfreiheit für ein Leben mit oder ohne Kinder ist aber auch eine Frage der sozialen Absicherung und (Beifall bei der LINKEN) weiterer Rahmenbedingungen. Solange prekäre Arbeits- Für die CDU/CSU steht aber ganz klar fest: Ungebore- verhältnisse, fehlende öffentliche Infrastruktur, beengte nes Leben hat wie alle Menschen einen Anspruch auf Wohnverhältnisse und auch zeitliche Unvereinbarkeiten Schutz. Das Recht auf Leben steht für uns zu keiner die Entscheidung für Kinder zur Abwägungsfrage Zeit zur Disposition. machen, ist keine Wahlfreiheit gegeben. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) Deshalb haben wir auch die Abschaffung des § 219a Strafgesetzbuch im Koalitionsvertrag mit der SPD nicht Die Linke will reproduktive Gerechtigkeit für alle. Es vereinbart. Das war und ist mit uns auch in Zukunft nicht geht uns also um weit mehr als um die Durchsetzung zu machen. individueller Interessen. Wir wollen, dass die reproduk- tive Gerechtigkeit als politisches Ziel verankert wird und (Beifall bei der CDU/CSU) politisches Handeln sich damit an dem folgenden Drei- Ungeborenes Leben, ungeborene Kinder sind durch klang orientiert: erstens dem Recht auf sexuelle Selbst- das Grundgesetz – direkt zu Beginn – in Artikel 1 und 2 bestimmung aller Menschen, zweitens dem Recht, dass geschützt. Das Grundgesetz untersagt dem Staat erstens jede Person selbst entscheiden kann, ob sie ein Kind unmittelbare Eingriffe in das menschliche Leben. Zwei- 27150 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Sylvia Pantel (A) tens wird der Staat dazu verpflichtet, sich schützend und und die Beratung gemäß § 219 annimmt. Es ist deshalb (C) fördernd vor jedes menschliche Leben zu stellen. Jeder richtig, dass der Beratungsnachweis nach § 219 Absatz 2 ungeborene Mensch ist bereits Träger von Grundrechten. eine zwingende Voraussetzung für den straffreien Eine Verletzung seiner Menschenwürde aus Artikel 1 Schwangerschaftsabbruch darstellt. Absatz 1 Grundgesetz kann verfassungsrechtlich mit uns nicht gemacht werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich möchte Ihnen deshalb zum Abschluss noch den Wort- laut des § 219 Absatz 1 StGB in Erinnerung rufen, den Die Linkspartei stellt sich mit ihrem heutigen Antrag Sie ohne Not abschaffen wollen: wieder einmal gegen unsere Verfassungsordnung und kündigt die Fristenlösung auf. Sie fordert einen völlig Die Beratung dient dem Schutz des ungeborenen deregulierten Abtreibungsmarkt, diesmal unter dem Eti- Lebens. Sie hat sich von dem Bemühen leiten zu kett „körperliche und sexuelle Selbstbestimmung“. lassen, die Frau zur Fortsetzung der Schwanger- Selbstbestimmung ist kein bloßes Recht zur Durchset- schaft zu ermutigen und ihr Perspektiven für ein zung von Eigeninteressen, sondern Selbstbestimmung Leben mit dem Kind zu eröffnen; sie soll ihr helfen, findet ihre Grenzen dort, wo das vermeintliche Recht eine verantwortliche und gewissenhafte Entschei- des einen die Würde des anderen verletzt. Die Achtung dung zu treffen. der Menschenwürde des anderen gehört zu den grundle- Meine Damen und Herren, damit ist zusammengefasst, genden Werten unseres Menschenbildes und ganz grund- was uns in dieser Frage leitet: Der Schwangerschaftsab- legend zu unserer liberalen Rechtskultur. bruch darf nicht zu einem leichtfertigen Entschluss wer- Die Linkspartei aber will Schwangerschaftsabbrüche den, der dann als ein zusätzliches Instrument der Schwan- verharmlosend wie jede andere medizinische Leistung gerschaftsverhütung gesehen werden kann. Unsere behandeln und anbieten. Dabei verkennen Sie vollkom- Gesetze orientieren sich an der Menschenwürde, dem men, was hinter einer so weitreichenden und tiefgreif- Schutz des ungeborenen Lebens oder eben auch des enden Entscheidung steht. Sie verkennen die Sorgen ungeborenen Kindes und der Selbstbestimmung der und Nöte der Frauen und den Druck, den mitunter und Frau und nicht an dem Wunsch nach medialer Aufmerk- nicht selten Eltern oder Partner auf die Frauen ausüben. samkeit durch radikal lebensfeindliche Forderungen, die auch noch das Grundgesetz infrage stellen. Gerade in dieser schwierigen familiären und persön- lichen Ausnahmesituation hilft die Schwangerschafts- Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. konfliktberatung. Hier werden schwangere Frauen in (Beifall bei der CDU/CSU) ihren persönlichen Entscheidungsfindungen unterstützt – (B) ohne Druck in die eine oder andere Richtung. Alle Fra- (D) gen, ob zu Gesundheit, Arbeitssituation, Familie, oder Vizepräsidentin Petra Pau: auch persönlichen Problemen können hier besprochen Das Wort hat die Abgeordnete Beatrix von Storch für und erklärt werden. So können Frauen ihre persönlichen die AfD-Fraktion. Entscheidungen überlegt für sich und ihr Kind treffen. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der CDU/CSU) In Deutschland gibt es offiziell derzeit jährlich etwa Beatrix von Storch (AfD): 100 000 Schwangerschaftsabbrüche. Im Jahr 2001 gab Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Her- es noch einen Höchststand von 135 000 Abbrüchen. Die ren! Die Linke führt nicht nur einen Kampf gegen den Zahl der Schwangerschaftsabbrüche hat sich damit in den Klassenfeind und nach den Vorstandsneuwahlen jetzt letzten 20 Jahren kontinuierlich um rund 30 000 redu- ganz offiziell auch gegen die FdGO und unser Wirt- ziert. Besonders stark ist der Rückgang bei den jüngeren schaftssystem; sie kämpft mit diesem Antrag nun auch Frauen im Alter von 18 bis 25 Jahren. Es ist auch so, dass noch gegen die Realität, hier insbesondere gegen die die Kosten für Verhütungsmittel bis zum vollendeten Biologie und gegen die Menschenwürde. 22. Lebensjahr der Frauen von der Kasse übernommen In Ihrem Antrag reden Sie doch tatsächlich über – werden. Hartz-IV-Empfänger müssen Verhütungsmittel, Zitat – „Menschen, die schwanger werden können, in wenn sie sie verordnet bekommen, nicht bezahlen. der überwiegenden Mehrzahl Frauen“ 40 Prozent der Frauen, die abtreiben, sind verheiratet, (Lachen des Abg. Enrico Komning [AfD] – und über die Hälfte aller Frauen, die abtreiben, haben Enrico Komning [AfD]: Wo kommen die schon ein Kind. Wir haben in dieser Legislatur die fami- denn her?) lienpolitischen Leistungen für Familien und Alleinerzie- hende stark verbessert. Wir sollten weiterhin alle oder über – Zitat – „gebärfähige Körper, in der überwie- Anstrengungen unternehmen, dass gesellschaftliche und genden Mehrzahl Frauenkörper“. finanzielle Nachteile keine Gründe für eine Abtreibung (Lachen bei Abgeordneten der AfD – Zuruf darstellen. von der AfD: Echt? – Enrico Komning [AfD]: (Beifall bei der CDU/CSU) Wahnsinn ist das! Wahnsinn!) Nach langen Diskussionen in der Gesellschaft gab es Sie bezeichnen tatsächlich werdende Mütter als „gebär- den Kompromiss: Ein Schwangerschaftsabbruch ist nicht fähige Körper“. Sie sollten mal zum Bundestagspsycho- strafbar, wenn die betroffene Frau dem § 218a StGB folgt logen gehen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27151

Beatrix von Storch (A) (Enrico Komning [AfD]: Ja, das glaube ich Geschlecht ist für Sie wählbar, Kinder sind bestellbar und (C) auch!) dafür auch herstellbar. Und wenn das Kind dann nicht mehr gewollt ist, dann wird es entsorgt. Sie wollen Wer so was schreibt, hat schwerwiegende Probleme und Abtreibungen ohne Einschränkungen legalisieren – keine braucht Hilfe. Beratung, keine Indikation, keine Fristenlösung –, also (Beifall bei der AfD – Enrico Komning [AfD]: Abtreibungen bis fünf Minuten vor der Geburt; das woll- Irre! Völlig irre!) ten die Jusos auch schon. Ein Kind im neunten Monat fünf Minuten vor der Geburt zu töten, das ist Mord. Wie müssen Sie Ihre eigenen Mütter hassen, um sie so zu Und das wollen Sie erlauben! entmenschlichen! Aber wahrscheinlich ist das auch schon das Ergebnis einer bindungslosen Erziehung, (Beifall bei der AfD – Zurufe von der LINKEN) (Lachen der Abg. Cornelia Möhring [DIE LINKE]) Die Linke ist nicht die Partei der arbeitenden Bevölke- rung. Sie sind die Partei von bindungsgestörten, wohl- die Sie jetzt für das ganze Land einführen wollen. standsverwahrlosten Egomanen. Und Sie sind nicht die Sie wollen das Leitbild der heterosexuellen Eltern- Partei für die Arbeiterklasse, sondern für verhaltensge- schaft abschaffen. Vater und Mutter existieren für Sie störte Akademiker, Langzeitstudenten, Studienabbrecher nicht mehr, sondern nur noch – Zitat – „Erwachsene, und Berufsversager. die … Verantwortung übernehmen … jenseits der hetero- (Beifall bei der AfD) sexuellen, zweigeschlechtlichen Norm“. Liebe Linke, Ihr gesamter Antrag ist nicht Ausdruck (Cornelia Möhring [DIE LINKE]: Ist Ihnen das von Barbarei. Es ist viel schlimmer als Barbarei. Barba- nicht selber peinlich?) ren ehren ihre Eltern und lieben ihre Kinder. Die Eltern sollen besser nicht die biologischen Eltern (Gabriele Katzmarek [SPD]: Jetzt reicht es aber sein, weil die natürlich – Zitat – „immer mehr an Bedeu- mal mit Ihrer Methode, das will ich Ihnen mal tung“ verlieren. Das müssen ausdrücklich auch nicht sagen! Wir sind hier im Deutschen Bundestag!) zwei Personen sein, wie Sie schreiben; das kann irgend- jemand sein, wenn er denn einen Kühlschrank hat. Das Eine so verkommene, rücksichtslose und kaputte Gesell- können ganz viele Personen oder auch wechselnde Perso- schaft, wie die Linkspartei sie schaffen will, hat es in der nen sein. Was Sie schreiben, ist einfach nur irre. Anders Geschichte der Menschheit noch nie gegeben. ist es nicht zu bezeichnen. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (B) (Beifall bei der AfD) NEN]: Ich glaube, Sie haben heute was genom- (D) men, oder?) Eines in Ihrem Antrag ist aber konsequent – und konse- quent richtig –, nämlich dass Sie das Wort „Kindeswohl“ Die AfD wird mit ganzer Kraft dafür kämpfen, dass das nicht ein einziges Mal benutzen. Das Kindeswohl, das auch niemals kommen wird. Bedürfnis des Kindes nach Vater und Mutter, nach Vielen Dank. Geborgenheit, nach Verlässlichkeit, nach Bindung, das existiert in Ihrer kranken, kaputten Welt gar nicht mehr. (Beifall bei der AfD – Gabriele Katzmarek [SPD]: Ist ja widerlich! – Britta Haßelmann (Beifall bei der AfD) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich würde Für Sie sind Kinder eine Katalogware für kulturlose mir mal einen Termin machen!) Großstadtneurotiker, die nach Kiffen, LSD und Dark- room ihre innere Leere nun auch mal mit einem Kind Vizepräsidentin Petra Pau: kompensieren wollen. Ich nutze die Zeit, in der das Pult hergerichtet wird, (Zuruf der Abg. Zaklin Nastic [DIE LINKE]) und bitte darum, sich einer parlamentarischen Aus- drucksweise zu befleißigen und insbesondere – – Sie wollen eine Gesellschaft ohne Bindung, ohne Ehe, ohne Familie, (Beatrix von Storch [AfD]: Ich habe zitiert aus dem Antrag! – Uwe Schulz [AfD]: Das sagt die (Cornelia Möhring [DIE LINKE]: Ohne AfD!) FDJ-Sekretärin!) ohne Verwandtschaft, ohne Herkunft, ohne Wurzeln, – Im Übrigen: Sie schweben jetzt in höchster Gefahr! ohne Identität, kurz: Die Linke steht für die moralische Verkommenheit als Staatsprinzip. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Wer hat das gerade gesagt?) (Beifall bei der AfD) Die amtierende Präsidentin in irgendeiner Weise zu Folgerichtig fordern Sie natürlich auch den Anspruch bewerten bzw. dazu Äußerungen zu machen, steht Ihnen auf Spendersamen für alle Menschen und, klar, auf nicht zu mit diesem Zwischenruf. Staatskosten. Jeder muss sich ein Kind herstellen kön- nen – alleine, zu dritt, ganz egal. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜND- (Cornelia Möhring [DIE LINKE]: Wer lesen NISSES 90/DIE GRÜNEN – Britta kann, ist im Vorteil!) Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 27152 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Wer war das eigentlich? – Gegenruf des Abg. freie Vergabe der Pille danach zu gewährleisten. Denn (C) Uwe Schulz [AfD]: Ich war das!) Familienplanung darf nicht vom Geldbeutel abhängen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das war das Erste. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Das Zweite. Ich werde überhaupt nicht den Inhalt der DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Rede bewerten, aber wir haben uns hier vor Kurzem LINKEN) gerade mit der dunkelsten und schlimmsten Zeit in unse- rem Land, in Europa und auf der Welt beschäftigt, und In gleichem Maße müssen wir diejenigen unterstützen, deswegen finde ich, dass sich das Wort „entsorgen“ im die sich für ein Kind entschieden haben, aber ungewollt Zusammenhang mit menschlichem Leben einfach verbie- kinderlos sind. Laut einer aktuellen Studie des Familien- tet. ministeriums empfindet rund jeder zweite Befragte das Thema „ungewollte Kinderlosigkeit“ in unserer Gesell- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- schaft immer noch als ein Tabuthema. Ich möchte deshalb neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE auch an dieser Stelle den betroffenen Paaren Mut GRÜNEN und der Abg. Bettina Margarethe machen: Sprechen Sie darüber! Suchen Sie Beratung! Wiesmann [CDU/CSU] und Christian Dürr Sie sind nicht allein. – Wenn wir gemeinsam darüber [FDP]) reden, können wir das Thema entstigmatisieren. Denn Jetzt komme ich zum dritten Punkt, zu dem ich insbe- entscheidend ist nicht ein Trauschein, sondern die Ent- sondere angeregt wurde, da aus den Reihen der AfD- scheidung, Verantwortung für ein Kind übernehmen zu Fraktion offensichtlich eben fotografiert wurde. Ich erin- wollen. nere schlicht an unsere Verabredung und unsere Regeln Es ist deshalb gut, dass die Bundesinitiative des Fami- und behalte mir vor, sollten Fotos aus ebendieser Debatte lienministeriums „Hilfe und Unterstützung bei ungewoll- im Netz auftauchen, die entsprechenden Maßnahmen zu ter Kinderlosigkeit“ auch nichtverheiratete Paare bei ergreifen. – So viel dazu. ihrer Familiengründung fördert. Erfreulicherweise Wir fahren jetzt in der Debatte fort. Das Wort hat die schließen sich immer mehr Bundesländer der Initiative Kollegin Yüksel für die SPD-Fraktion. an. Seit Montag ist das Bundesland Rheinland-Pfalz der Bundesinitiative beigetreten. Was mich besonders freut: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Rheinland-Pfalz möchte erstmals auch gleichgeschlecht- der LINKEN) lichen Frauenpaaren eine finanzielle Förderung gewäh- ren. Ich finde, das sind gute Neuigkeiten. Gülistan Yüksel (SPD): (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der FDP, (B) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE (D) Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren vor den Bild- GRÜNEN) schirmen! Familie ist dort, wo Menschen füreinander Verantwortung übernehmen und füreinander einstehen. Ende dieser Legislatur werden voraussichtlich zwölf Länder die Initiative mittragen. Ich kann an die restlichen (Volker Münz [AfD]: Nee: Vater, Mutter und Bundesländer nur ausdrücklich appellieren, sich hier Kinder!) anzuschließen. Eine Unterstützung bei ungewollter Kin- derlosigkeit darf nicht von der Postleitzahl oder dem Familien sind bunt, Familien sind verschieden, und das Familienstand abhängen! ist auch gut so! Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen auch die (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Menschen unterstützen, die Sorge haben, dass sie sich ein BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kind nicht leisten können; denn auch die Entscheidung Sandra Bubendorfer-Licht [FDP]) für ein Kind darf nicht vom Geldbeutel abhängen! Hier Wir wollen eine Gesellschaft, in der Menschen frei bieten wir bereits etliche Unterstützungsangebote an, entscheiden, wie sie Familie leben wollen – ohne Dis- nicht nur finanzielle; auch die vielen Beratungsstellen kriminierung, ohne Benachteiligung. Wir wollen eine und -netzwerke, wie zum Beispiel die Frühen Hilfen, Gesellschaft, in der Menschen frei über ihren Körper stehen den Familien zur Seite. Das sind gute Unterstüt- und ihre Sexualität bestimmen. Wir Sozialdemokratinnen zungsleistungen für Frauen und Familien, die sich für ein und Sozialdemokraten wollen eine kinderfreundliche Kind entscheiden und auch Hilfe brauchen. Gesellschaft, eine Gesellschaft, die Familien und Frauen So wichtig diese Hilfen sind, so entscheidend ist aber in ihren individuellen Entscheidungen unterstützt. auch eine familienfreundliche Gesellschaft und vor allem (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Charlotte eine familienfreundlichere Arbeitswelt, damit Menschen Schneidewind-Hartnagel [BÜNDNIS 90/DIE sich für Kinder entscheiden; auch das ist ein Teil der GRÜNEN]) Selbstbestimmung, und dafür kämpfen wir. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Thomas Der vorliegende Antrag hält fest, dass fehlende finanz- Lutze [DIE LINKE]) ielle Möglichkeiten eine selbstbestimmte Familienpla- nung einschränken können. Ja, dieses Problem wollen Liebe Kolleginnen und Kollegen, genauso müssen wir wir überwinden. Deshalb verfolgen wir als SPD weiter aber auch an der Seite der Frauen stehen, die sich für den das Ziel, für Frauen mit niedrigem Einkommen den kos- Abbruch ihrer Schwangerschaft entscheiden. Die Ent- tenlosen Zugang zu Verhütungsmitteln und die kosten- scheidung gegen eine Schwangerschaft muss frei sein Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27153

Gülistan Yüksel (A) von Zwängen; da stimme ich dem Linkenantrag voll und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (C) ganz zu. Frauen brauchen einen gesicherten Zugang zum der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Schwangerschaftsabbruch, liebe Kolleginnen und Kolle- GRÜNEN) gen, (Beatrix von Storch [AfD]: Bis zur Geburt?) Vizepräsidentin Petra Pau: und zwar frei von Belästigung und Stigmatisierung. Für die FDP-Fraktion hat nun die Kollegin Katrin Helling-Plahr das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE (Beifall bei der FDP) GRÜNEN) Ärztinnen und Ärzte brauchen Rechtssicherheit, eben- Katrin Helling-Plahr (FDP): falls frei von Belästigung und Stigmatisierung. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Her- (Nicole Höchst [AfD]: Bis zur Geburt? – ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linksfrak- Gegenruf der Abg. Gabriele Katzmarek tion, was machen Sie nur mit uns? Jeder, der die Arbeit [SPD]: Ach, ist das Schwachsinn, was Sie meiner Fraktion und auch meine Arbeit verfolgt, weiß, erzählen! – Beatrix von Storch [AfD]: Was dass uns Freien Demokraten und auch mir persönlich heißt denn Schwachsinn? Abtreibungsverbot starke, individuelle Selbstbestimmung ein Herzensanlie- heißt: Verbot bis zum neunten Monat! – Gegen- gen ist, dass wir uns immer an die Seite der Menschen ruf: Halt die Klappe! – Ulle Schauws [BÜND- stellen, die sich sehnlichst ein Kind wünschen. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Keine Ahnung!) Wir sind eingetreten etwa für die vollständige Kosten- – Vielleicht halten Sie einfach mal Ihren Mund und hören übernahme für Kinderwunschbehandlungen für wirklich zu – ich glaube, das müssen wir Ihnen nicht jedes Mal jedermann, für die Kostenübernahme für die Kryokonser- sagen –; dann würde das alles viel besser laufen. vierung von Ei- oder Samenzellen bei Krebspatienten mit Kinderwunsch, für die Kostenübernahme bei Pränatal- (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der und Präimplantationsdiagnostik; denn die Möglichkeiten, LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE medizinische Methoden in Anspruch zu nehmen, um sich GRÜNEN) den Kinderwunsch zu erfüllen, dürfen nicht vom Geld- Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen beutel abhängen. und Kollegen, Sie wissen, dass die neue §-219a-Rege- (Beifall bei der FDP) lung ein Kompromiss mit unserem Koalitionspartner (B) war und dass wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemo- Und wir haben uns für die Legalisierung von Eizell-, (D) kraten uns eine andere Lösung gewünscht hätten. Ich den- Embryonenspenden und Leihmutterschaft aus Nächsten- ke, dass die aktuelle ganz klar zeigt, dass eine Verbesse- liebe eingesetzt, damit wir in Deutschland nicht weiter rung der rechtlichen Situation weiterhin dringend nötig mit einem überalterten Rechtsrahmen Betroffene, die ist, auch wenn Sie, liebe Kollegin, Frau Pantel, das anders nicht das Geld haben, diese Möglichkeiten im Ausland sehen; wir haben ja diesbezüglich schon öfters gespro- in Anspruch zu nehmen, im Regen stehen lassen. chen. (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Sonja (Nicole Höchst [AfD]: Das Grundgesetz sieht Amalie Steffen [SPD]) das auch anders!) Aber reproduktive Gerechtigkeit, wie Sie fordern, wird Aber: Schwangerschaftskonflikte gehören nicht ins Straf- es leider nie geben können. Es ist nicht gerecht, dass recht. manche Menschen keine Kinder bekommen können, (Sylvia Pantel [CDU/CSU]: Doch!) dass manche Frauen immer wieder Fehlgeburten erlei- den. Wir sollten aber unbedingt davon Abstand nehmen, Dafür steht die SPD, die Frage nach dem eigenen Kind zur Gerechtigkeitsfrage (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der zu machen. Der Begriff „reproduktive Gerechtigkeit“ LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE stammt ja auch aus einem ganz anderen Kontext. Er ent- GRÜNEN) stand, weil 1994 rund um die UN-Entwicklungskonfe- und dafür werden wir auch weiterhin kämpfen. renz in Kairo schwarze Frauen explizit in Abgrenzung zu der weiß dominierten Pro-Choice-Bewegung ausdrü- Sehr geehrte Damen und Herren, wir stehen sowohl an cken wollten, dass es auch ein Recht geben muss, sich für der Seite der Frauen, die sich für eine Schwangerschaft Kinder zu entscheiden. Sie standen unter dem Eindruck entscheiden, als auch an der Seite der Frauen, die sich westlicher Entwicklungspolitik, die zur Folge hatte, dass gegen eine Schwangerschaft entscheiden; denn wir wol- sich Frauen zu Empfängnisverhütung und Sterilisation len, dass alle Menschen diskriminierungsfrei, ohne gedrängt sahen. Bevormundung und unabhängig von ihrer sozialen oder ökonomischen Situation über ihre Familienplanung und Sie schreiben zwar im Titel Ihres Antrages „Für das ihr Sexualleben selbst entscheiden können. Dafür werden Leben“, wollen aber in Wahrheit mit Ihrem Antrag wir uns als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten Abtreibungen bis zum letzten Tag, ohne medizinische weiterhin einsetzen. Ich freue mich auf die Beratungen, Begründung, ohne Wenn und Aber. auch wenn sie hitzig werden, Frau Kollegin. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich danke Ihnen ganz herzlich fürs Zuhören. NEN]: Stimmt nicht!) 27154 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Katrin Helling-Plahr (A) Ich erspare Ihnen und mir Beispiele dafür, was das bedeu- (Beatrix von Storch [AfD]: Ja! Schlimm genug, (C) ten würde. Das ist offenkundig verfassungswidrig und dass sie das nicht wissen!) ethisch wie politisch untragbar. Wir Grünen haben das immer kritisiert. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Was aber jetzt passiert, ist besorgniserregend. Wir der CDU/CSU) sehen zunehmend eine Versorgungslücke für Frauen; Wir brauchen eine Regelung, die sowohl den Schutz denn die Anzahl der Ärztinnen und Ärzte, die Schwan- des ungeborenen Lebens als auch das Selbstbestim- gerschaftsabbrüche durchführen, geht seit Jahren zurück. mungsrecht berücksichtigt, die beide Rechtsgüter gegen- (Beatrix von Storch [AfD]: Sehr gut so!) einander abwägt, austariert. Wir haben, vom Regelungs- bedarf in § 219a StGB abgesehen, mit unserer derzeitigen Es gibt bereits Regionen und Landkreise, in denen Frauen gesetzlichen Regelung einen breit getragenen gesell- sehr weite Wege, zum Teil sogar in andere Bundesländer schaftlichen Konsens. Den müssen und sollten wir nicht fahren müssen, infrage stellen! Extreme Positionen bringen uns auch hier nicht weiter. (Nicole Höchst [AfD]: Reichen die 100 000 im Jahr denn nicht?) Vielen Dank. um den Zugang zu einem medizinisch sicheren Schwan- (Beifall bei der FDP) gerschaftsabbruch zu bekommen. Sie alle wissen, dass die Länder verpflichtet sind, die Vizepräsidentin Petra Pau: Versorgung sicherzustellen. Das geht aber nur, wenn auch Das Wort hat die Kollegin Ulle Schauws für die Frak- genügend Mediziner/-innen ausgebildet werden, mit dem tion Bündnis 90/Die Grünen. nötigen Know-how über alle Methoden eines Abbruchs. Das geht mit dem Strafgesetzbuch nicht überein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Her- Darum muss jetzt etwas passieren. Davor können Sie ren! Wenn wir über wirkliche Gleichberechtigung von alle sich nicht wegducken. Wir wollen das Recht auf Frauen reden, können wir die Freiheit, das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper und das eige- Selbstbestimmung und sichere Gesundheitsversorgung ne Leben als Teil einer guten öffentlichen Gesundheits- von Frauen in allen Lebensbereichen nicht außen vor versorgung sehen. (B) lassen. Darum danke ich der Kollegin Conny Möhring (D) für den guten Antrag und Auftakt zu dieser wichtigen (Nicole Höchst [AfD]: Und gleichzeitig Kin- Debatte. derrechte ins Grundgesetz! Was für eine Heu- chelei!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dazu zählt ein selbstbestimmter Schwangerschaftsab- und bei der LINKEN sowie der Abg. Katja bruch, der nicht im Strafgesetzbuch geregelt wird und Mast [SPD]) dessen Kosten grundsätzlich übernommen werden. Eine entscheidende Frage ist: Wem wird bei uns die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN körperliche und reproduktive Selbstbestimmung zuge- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) standen und wem nicht? Frauen wird die Entscheidung, über ihren Körper und ihr Leben uneingeschränkt selbst Ebenso zählen dazu eine plurale Familienplanung und zu entscheiden, nicht zugestanden. gut abgesicherte Beratungsstellen. (Cornelia Möhring [DIE LINKE]: So ist es!) Für uns sind die Gehsteigbelästigungen von Abtrei- bungsgegnerinnen und -gegnern – Durch § 219a werden Frauen Informationen über unge- wollte Schwangerschaften, wie die WHO es empfiehlt, (Zuruf von der AfD: Ja, mit Recht!) nach wie vor versagt, Ärztinnen und Ärzte werden weiter da schaue ich in diese Richtung – nicht hinnehmbar. verklagt. Das haben Frau Giffey, Herr Spahn und Sie von der Union vor allem zu verantworten. Dieses Versagen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, geht auf Ihre Kappe! bei der SPD und der LINKEN – Zuruf von der AfD: Meinungsfreiheit!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Hier müssen wir für besseren Schutz für die Frauen und für alle Mitarbeiterinnen sorgen. Und: Frauen wird die Entscheidung im Falle einer ungewollten Schwangerschaft nicht selbst überlassen. Wir als Grüne wollen eine breite, eine sachliche, eine Der Schwangerschaftsabbruch steht im Strafgesetzbuch zielorientierte Debatte, und zwar über Lösungen, die tat- unter § 218; er ist verboten unter Androhung einer Frei- sächlich rechtlich gehen und die nicht die Verfassung heits- oder Geldstrafe. Meine Damen und Herren, wenn infrage stellen. Wer hier die ganze Zeit davon redet, Sie das jüngeren Leuten erzählen, sind die fassungslos. dass es darum gehe, bis zur 39. Woche eine Abtreibung Den allermeisten ist nicht mehr bewusst, dass Schwan- zu erlauben, hat den Text dieses Antrags einfach nicht gerschaftsabbrüche eigentlich kriminalisiert sind. verstanden. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27155

Ulle Schauws (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Aber es wird noch verstörender – ich zitiere weiter –: (C) und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Während niemand dazu gezwungen werden darf, der SPD) den eigenen Körper, Körperflüssigkeiten oder Kör- Ich komme zum Schluss. Es ist unsere Aufgabe, für perteile gegen den eigenen Willen anderen zur Ver- eine gute Gesundheitsversorgung und Selbstbestimmung fügung zu stellen, gilt dies für ungewollt Schwange- von Frauen zu sorgen. Lassen Sie uns dafür Verantwor- re nicht. Sie werden verpflichtet, den eigenen tung übernehmen! Liberale und katholische Länder wie Körper für mindestens neun Monate zur Verfügung Irland, Argentinien und Neuseeland haben es uns vorge- zu stellen. macht. Da geht was. (Cornelia Möhring [DIE LINKE]: Ja, ist doch Vielen Dank. so!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Jetzt frage ich mich: Welches verabscheuungswürdige und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Menschenbild leben Sie hier eigentlich aus? der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der AfD sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Unabhängig davon, dass es nicht nur in der Mehrzahl Stephan Pilsinger das Wort. Frauenkörper sind, sondern meines Wissens biologisch ausschließlich Frauenkörper sind, die einen Menschen (Beifall bei der CDU/CSU) austragen, um in Ihrer Sprache zu bleiben, strotzt Ihr Antrag von Menschenfeindlichkeit. Stephan Pilsinger (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vor- (Beifall bei der AfD – Cornelia Möhring [DIE liegende Antrag der Linken reiht sich ein in die systema- LINKE]: Es gibt Menschen mit Uterus! – tische Bekämpfung des ungeborenen Lebens durch diese Thomas Lutze [DIE LINKE]: Nicht mal die Partei. Mit wohlfeilen Worten wird in Ihrem Antrag eigene Fraktion gibt Applaus! Mann, Mann, einem angeblichen Humanismus das Wort geredet. Aber Mann!) Ihr Antrag ist das Gegenteil: Er ist die Verkehrung der Sie sehen ganz offensichtlich den Menschen in seiner humanistischen Werte, die unsere Kultur prägen sollten. Gesamtheit als Summe seiner Teile, nämlich als beste- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) hend aus seinen Körperflüssigkeiten und Körperteilen. Damit objektivieren Sie den Menschen und degradieren (B) Schauen wir uns Ihren Antrag mal konkret an. Es wur- ihn zu einem austauschbaren Produkt. Mit Ihrem Men- (D) de ja heute schon über vieles allgemein geredet und schenbild entmenschlichen Sie das menschliche Lebewe- wenig konkret über diesen Antrag. Deswegen möchte sen und entwürdigen es damit. Aber ein verobjektiviertes ich dies an dieser Stelle tun. Wesen ist der Gemeinschaft schutzlos ausgeliefert; denn In Ihrem Antrag schreiben Sie: gegenüber einem im Kern entmenschlichten Wesen ver- Der Deutsche Bundestag lieren auch die Menschenrechte mit der Zeit ihre Wirk- kraft. Es ist daher nur folgerichtig, dass Sie die ersatzlose – also Die Linke – Streichung des § 218 fordern und damit künftig Abtrei- fordert die Bundesregierung auf, … bung ohne jede Einschränkung bis zur Geburt ermögli- chen wollen. einen Gesetzentwurf für ein „Gesetz zur Sicherung reproduktiver Rechte“ vorzulegen, mit dem Der vollständige Wegfall der gesetzlichen Regelung Schwangerschaftsabbrüche legalisiert werden, würde unweigerlich dazu führen, dass künftig das Leben indem die §§ 218 sowie 218a, b und c, sowie jedes ungeborenen Kindes bis zur Geburt zur Disposition §§ 219 und 219a und b Strafgesetzbuch gestrichen steht. Schon heute wird ein Großteil der ungeborenen werden, sowie das Schwangerschaftskonfliktge- Kinder, bei denen ein Downsyndrom festgestellt wird, setz … ersetzt wird … abgetrieben. Ihr Gesetzentwurf würde diese Entwicklung noch einmal verstärken (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Alles richtig!) Des Weiteren soll nach Ihrem Willen der Bundestag (Zuruf von der LINKEN: Quatsch!) feststellen – ich zitiere wiederum –: und die Akzeptanz von Menschen mit einer Behinderung Eine solche angenommene Austragungspflicht weiter schwächen. Deshalb frage ich Sie: Ist ein Mensch macht gebärfähige Körper, in der überwiegenden mit Behinderung für Sie weniger wert? Mehrzahl Frauenkörper, zum Objekt dieser Austra- (Widerspruch bei Abgeordneten der LINKEN) gungspflicht. Ich finde diesen Ansatz wirklich verabscheuungswür- Nur zum Verständnis, liebe Linkspartei: Wir sprechen dig. Mit Ihrem Gesetzentwurf würde der Staat die ihm hier von einer Schwangerschaft, von der Entstehung obliegende Schutzfunktion gegenüber dem ungeborenen neuen menschlichen Lebens, und nicht von der Herstel- Leben aufgeben, der sich aus Artikel 1 unseres Grundge- lung eines Produkts. setzes herleitet und der besagt, dass die Würde des Men- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und schen unantastbar ist. Dieser Antrag demaskiert Sie und der AfD) bringt Ihre wahre Gesinnung ans Licht. 27156 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Stephan Pilsinger (A) Ich fordere Sie daher auf: Akzeptieren Sie endlich im Sommer aber auch erlebt, wie sogenannte Aktivisten (C) unsere Verfassung! Akzeptieren Sie Artikel 1 des Grund- rund um Abstimmungen den Bereich des Plenarsaals, gesetzes, und überdenken Sie Ihr inhumanes Menschen- innen oder außen, für Inszenierungen missbraucht haben. bild! Jedes Leben ist wertvoll – davon sind wir als Union Das alles hätte es ohne die Mitwirkung von Abgeord- überzeugt –, und deshalb werden wir Ihren Antrag selbst- neten nicht geben können. Möglich wurde das in dem verständlich ablehnen. einen Fall, weil Abgeordnete von ihrem Besucherprivileg Vielen Dank. Gebrauch gemacht haben und Störer in den Bundestag geholt haben. Möglich wurde das in dem anderen Fall, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- weil Abgeordnete diese Störer teilweise aktiv unterstützt neten der AfD – Zuruf des Abg. Ralph Lenkert und verbotene Gegenstände eingeschleust haben. [DIE LINKE]) Man muss auch klar aussprechen, wer hier im Hause solche Aktionen unterstützt hat: Es waren Abgeordnete Vizepräsidentin Petra Pau: aus dem linken und vor allem aus dem ganz rechten Ich schließe die Aussprache. Spektrum. Deshalb wundert es auch nicht, dass weder die Linken noch die AfD dem Gesetzentwurf heute zu- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf stimmen werden. Sie werden ihn beide ablehnen. Schon Drucksache 19/26980 an die in der Tagesordnung aufge- im Ausschuss standen sie bei dem Vorhaben inhaltlich führten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es weitere Über- dicht beieinander. weisungsvorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ver- fahren wir wie vorgeschlagen. Dabei kann doch keiner gutheißen, was wir zuletzt erlebt haben. Seit November wissen wir, dass die AfD Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: mit allen Möglichkeiten, die sich ihr bieten, den demo- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio- kratischen Prozess in Deutschland sabotieren will. Sie nen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ent- möchte die Demokratie von innen aushöhlen und sie ver- wurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Ab- ächtlich machen. geordnetengesetzes – Einführung eines (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Ordnungsgeldes SPD und der FDP – Zurufe von der AfD: Drucksache 19/26540 Unsinn! – Das machen Sie doch schon!) Sie haben sich die Maske vom Gesicht gerissen. Sie Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- haben Ihre Handlanger dafür, ganz offen Abgeordnete ses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts- zu bedrängen, zu bedrohen und zu beleidigen. (B) ordnung (1. Ausschuss) (D) (Beatrix von Storch [AfD]: Jetzt hören Sie mal Drucksache 19/26848 auf, zu heulen! Das ist unerträglich!) Für die Aussprache ist einer Dauer von 30 Minuten Und die AfD hat keine Skrupel, diesen Handlangern die beschlossen. – Ich bitte, zügig die Plätze einzunehmen. Tür in den Bundestag zu öffnen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Wir werden, weil wir ein freies und offenes Parlament Schnieder für die CDU/CSU-Fraktion. bleiben wollen, weil wir das nicht akzeptieren, weil wir zeigen wollen: „So geht das geht!“, deshalb Sanktionen (Beifall bei der CDU/CSU) vorsehen und Ordnungsgelder im Abgeordnetengesetz installieren. Wir führen ein Ordnungsgeld von Patrick Schnieder (CDU/CSU): 1 000 Euro bei einer nicht nur geringfügigen Verletzung Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! der Hausordnung durch Abgeordnete ein, und im Wieder- Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die Debatte heute holungsfall wird sich dieses Ordnungsgeld auf hätten wir uns sicherlich gerne erspart. Stattdessen hätten 2 000 Euro verdoppeln. Wir halten das für eine angemes- wir uns lieber inhaltlich mit Dingen beschäftigt, die unser sene und spürbare Sanktion. Sie ist auch hinreichend Land voranbringen. Doch heute müssen wir das Parla- bestimmt. ment durch Einführung eines Ordnungsgeldes quasi vor Wir haben ja parallele Regelungen, vor allem für das, seinen Abgeordneten schützen. Wir müssen sicherstellen, was hier im Plenarsaal gilt. Wenn hier gegen Regeln in dass auch wir Abgeordnete unsere eigene Hausordnung nicht nur geringfügiger Weise verstoßen wird, können achten. Es ist beschämend, dass wir das tun müssen. Aber Ordnungsgelder in ähnlicher Höhe oder in genau dieser es hat Vorfälle gegeben, die uns veranlassen, dass wir Höhe verhängt werden. Wir haben auch die Höhe der auch gegen Abgeordnete bei Verstoß gegen die Hausord- Ordnungsgelder auf eindeutige Beträge festgeschrieben, nung Sanktionen vorsehen müssen. (Zurufe von der AfD) Warum? Wir haben im letzten Jahr wiederholt erlebt, wie der Bundestag zur Kulisse und Plattform für politi- sodass wir keinen Streit darüber bekommen, wie hoch im sche Agitation wurde, im November dann mit einer ganz Einzelfall ein Ordnungsgeld ausfallen soll. neuen Qualität, mit offen bedrohender und einschüch- Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, es hat sich bei den ternder Intention. Wir haben im November erlebt, wie vielen Beratungen der jüngsten Vorgänge leider erwiesen, Abgeordnete auf dem Weg zur Abstimmung fast körper- dass mittlerweile auch gegenüber den Mitgliedern des lich bedrängt, bedroht und beleidigt wurden. Wir haben Bundestages wirksame Sanktionen zur Durchsetzung Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27157

Patrick Schnieder (A) der Hausordnung erforderlich sind. Das hat es früher so „Würde des Bundestages“, „Hausordnung“, „nicht nur (C) nicht gegeben. Ich sage es noch einmal: Das ist eine geringfügig“ – das alles sind unbestimmte Rechtsbegrif- beschämende Erkenntnis. Aber ich bitte dennoch um fe, die dem Bestimmtheitsgebot in ihrer Gesamtheit nicht Zustimmung. genügen. Es wird auch nicht zwischen Vorsatz und Fahr- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- lässigkeit unterschieden. Offenbar ist da alles egal. ordneten der SPD und der FDP) (Beifall bei der AfD) Klar ist nur der Sanktionsrahmen: 1 000 Euro bei der Vizepräsidentin Petra Pau: ersten Tat, 2 000 Euro bei der Wiederholungshandlung. Das Wort hat der Abgeordnete Jens Maier für die AfD- Ja, für viele da draußen sind 1 000 Euro viel Geld. Das Fraktion. dürfte aber wohl nicht für die Mitglieder der Regierungs- (Beifall bei der AfD) parteien gelten, wenn man sich vergegenwärtigt, dass der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU- Jens Maier (AfD): Fraktion Nüßlein nach den Ermittlungen der General- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Her- staatsanwaltschaft München im Verdacht steht, sich ren! Wenn es nicht unbedingt notwendig ist, ein Gesetz durch Missbrauch seines Mandats ein Zubrot in Höhe zu erlassen, dann folgt daraus, dass es unbedingt notwen- von 600 000 Euro an der Steuer vorbei verdient zu haben. dig ist, kein Gesetz zu erlassen. Da würde ich sagen: Der Mann kann es hier in diesem Hohen Hause einmal richtig krachen lassen, (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Die hier geplante Änderung des Abgeordnetengesetzes ist nicht nur nicht unbedingt notwendig, sie ist nicht ein- für den sind 1 000 Euro Peanuts. Da kann man einmal mal notwendig. Sie ist völlig überflüssig, und deshalb über die Stränge schlagen. sollte sie unterbleiben. Herr Amthor, der junge Mann aus MeckPomm, ist Richtig ist, dass es im November 2020 Störungen des noch nicht so weit. Er muss da noch etwas üben. Mit Parlamentsbetriebs gegeben hat. Richtig ist, dass die Stö- seinen Optionen kommt er an die 600 000 Euro noch rer über zwei Abgeordnete der AfD ins Haus gelangt nicht heran. Aber ich bin sicher, er wird es auch einmal sind. Das ist der Sachverhalt. Zur Wahrheit gehört aber zum stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der CDU- auch, dass es schon zu ähnlichen Störungen in der Ver- Fraktion schaffen. gangenheit über Abgeordnete der Linkspartei gekommen (Beifall bei der AfD) ist. Damals sah man aber offenbar keinen Handlungsbe- (B) darf. Nun aber will man die Gelegenheit nutzen, um auf Damit ist auch klargestellt, gegen wen sich der Sankt- (D) populistische Weise AfD-Beschimpfung betreiben zu ionskatalog richten soll, nämlich gegen die – in Anfüh- können. rungsstrichen – „Geringverdiener“ hier. Das sind die, die aus idealistischen Motiven in diesem Hohen Hause ihre (Lachen des Abg. Michael Frieser [CDU/ Pflicht tun: Die meint man unter Kontrolle halten zu CSU]) müssen. Das stand ja hier vorhin im Mittelpunkt; das haben wir ja Gemäß dem neuen § 44e Absatz 3 Abgeordnetengesetz gehört. Schließlich stehen Wahlen an. soll übrigens das Bundesverfassungsgericht für die recht- Es sollen sich hier einmal alle fragen, ob der Preis für liche Überprüfung der Sanktionen zuständig sein. Als diese populistische Aktion nicht unangemessen hoch ist. wenn die Richter des Bundesverfassungsgerichts nichts Jeder hier im Raum unterliegt nämlich in weiterer Folge Besseres zu tun hätten, als sich um Sachverhalte und plötzlich einem Regime, bei dem auf der Tatbestandsseite Sanktionen zu scheren, gar nicht klar ist, wann man Sanktionen zu befürchten (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- hat, weil die Norm viel zu unbestimmt ist. Ich zitiere NEN]: Da rennen Sie doch jede Woche hin! – aus dem Entwurf: Zuruf des Abg. Dr. Matthias Bartke [SPD]) § 44e die normalerweise am Amtsgericht in einer Zehn-Minu- Ordnungsmaßnahmen gegen Mitglieder ten-Verhandlung behandelt werden! Die Verfassungs- (1) Wegen einer nicht nur geringfügigen Verletzung richter werden sich bedanken für diese Arbeit. der Ordnung oder der Würde des Bundestages bei (Beifall bei der AfD) dessen Sitzungen kann der Präsident gegen ein Mit- Insgesamt kann man diesen Gesetzentwurf nur ableh- glied des Bundestages ein Ordnungsgeld in Höhe nen. Er ist völlig daneben. von 1 000 Euro festsetzen. Im Wiederholungsfall erhöht sich das Ordnungsgeld auf 2 000 Euro. Vielen Dank. Absatz 2, Satz 1: (Beifall bei der AfD) Wegen einer nicht nur geringfügigen Verletzung der Hausordnung des Bundestages kann der Präsident Vizepräsidentin Petra Pau: gegen ein Mitglied des Bundestages ein Ordnungs- Das Wort hat Dr. Matthias Bartke für die SPD-Frak- geld in Höhe von 1 000 Euro festsetzen. tion. (Zuruf des Abg. Dr. Matthias Bartke [SPD]) (Beifall bei der SPD) 27158 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

(A) Dr. Matthias Bartke (SPD): Die Gefahr, dass Abgeordnete zu einem solchen Sturm (C) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! auch auf den Bundestag beitragen, ist seit dem Ordnungsmaßnahmen des Sitzungspräsidiums gegenüber 18. November leider ziemlich real. Deshalb schlagen Parlamentariern sind so alt wie der Parlamentarismus wir die vorliegende Ergänzung des Abgeordne- selber. Manchmal sind Ordnungsmaßnahmen so, dass tengesetzes vor. Künftig soll das Bundestagspräsidium sie regelrechte Staatskrisen auslösen. 1949 in einer der Ordnungsmaßnahmen auch außerhalb von Sitzungen ver- ersten Sitzungen des Bundestages bezeichnete Kurt hängen dürfen. Schumacher Konrad Adenauer als „Kanzler der Alliier - Herr Maier, Sie bemängeln, dass die Formulierung ten“. Dafür wurde er für 20 Sitzungstage ausgeschlossen. „Wegen einer nicht nur geringfügigen Verletzung“ im Manchmal sind die Anlässe für Ordnungsmaßnahmen neuen § 44e Absatz 2 in unserem Gesetzentwurf zu unbe- aber auch durchaus lustig. So gibt es ein ganzes Buch stimmt sei. Die Formulierung ist aber exakt übernommen über Herbert Wehner, das den Titel trägt „Ordnungsrufe“. aus § 44a des Abgeordnetengesetzes, der die Ordnungs- Den Inhalt können Sie sich lebhaft vorstellen. Da ist zum gelder bei Plenardebatten regelt. Seit Bestehen des § 44a Beispiel zu lesen, dass er in einer Rede die Hälfte der hat noch nie jemand Anstoß an dieser Formulierung Anwesenden als Trottel bezeichnete. Dafür kassierte er genommen. Aber jetzt ganz plötzlich? Nein, liebe Kolle- natürlich sofort einen Ordnungsruf. Darauf entschuldigte ginnen und Kollegen, es ist völlig offensichtlich: Diese er sich und sagte: Ich nehme das zurück. Die Hälfte der Kritik ist vorgeschoben. hier Anwesenden sind keine Trottel. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Heiterkeit im ganzen Hause – Beifall der Abg. der CDU/CSU) Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE Dass eine solche Kritik von Ihnen, von der AfD, GRÜNEN]) kommt, ist ja wahrlich nicht weiter verwunderlich. Ver- wunderlich ist es aber schon, dass die Linke ganz offen- Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt viele lustige bar ins gleiche Horn stößt. Liebe Linke, der AfD-Beifall Begebenheiten, die der Parlamentsbetrieb zuweilen mit ist Ihnen sicher. Ich finde das ziemlich befremdlich. sich bringt. Der Anlass für unseren heutigen Gesetzent- wurf zum Ordnungsrecht im Bundestag – Herr Schnieder (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- hat es gesagt – ist leider überhaupt nicht lustig. Wenn man ordneten der SPD) sich den Katalog der Ordnungsmaßnahmen in der Aber die gute Nachricht zum Schluss: Seit gestern ist Geschäftsordnung und im Abgeordnetengesetz anschaut, die AfD vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer so stellt man fest, dass sich alle auf den Plenarbetrieb Verdachtsfall eingestuft. beziehen. Das ist so seit Anbeginn der Republik. Nie- (B) mand konnte sich in den letzten 70 Jahren vorstellen, (Enrico Komning [AfD]: Stimmt doch gar (D) dass es einmal notwendig werden würde, außerhalb der nicht!) Plenarsitzungen Ordnungsmaßnahmen gegen Abgeord- Die FUNKE Mediengruppe schrieb dazu heute Morgen: nete verhängen zu müssen. Die AfD hat sich die Einstufung als „Verdachtsfall“ (Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/ redlich verdient. DIE GRÜNEN], an die AfD gewandt: Frau von Liebe Kolleginnen und Kollegen, das kann jeder hier im Storch, es geht um Sie!) Haus bezeugen. Niemand konnte sich früher auch vorstellen, dass eine Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Ihnen vorliegen- Partei wie die AfD wieder ins Parlament einziehen wür- de Gesetzentwurf macht eines deutlich: Wir haben nicht de. nur ein wehrhaftes Grundgesetz, wir haben auch ein wehrhaftes Parlament! – Ich bitte um Zustimmung. Hintergrund des Gesetzentwurfes sind natürlich die Ich danke Ihnen. Ergebnisse rund um die Debatte zum Dritten Bevölke- rungsschutzgesetz am 18. November. AfD-Abgeordnete (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dieses Parlamentes haben wissentlich und willentlich der CDU/CSU und der FDP) Randalierer in das Hohe Haus gelassen. Ein Abgeordne- ter rief die Demonstranten per Video dazu auf, sich Abge- Vizepräsidentin Petra Pau: ordnete – Zitat – „zu krallen“. Glücklicherweise ist nie- Das Wort hat der Kollege Dr. Marco Buschmann für mand zu Schaden gekommen. Was rechter Mob anrichten die FDP-Fraktion. kann, das wissen wir in Deutschland ganz genau. Und ganz sicher wissen wir das nicht erst, seitdem Donald (Beifall bei der FDP) Trump den rechten Mob zum tödlichen Sturm auf das Kapitol aufrief. Dass viele der AfD-Anhänger von so Dr. Marco Buschmann (FDP): etwas wie diesem Sturm träumen, dürfte leider die trau- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe rige Wahrheit sein. Zuschauerinnen und Zuschauer! – Schande! Es war eine Schande, was hier am 18. November 2020 im Parlament (Stephan Brandner [AfD]: Ich kenne keinen passiert ist. Dass Mitglieder dieses Hauses und Mitglie- einzigen, der das Kapitol stürmen möchte! – der der Bundesregierung im Gebäude des Reichstags Weiterer Zuruf von der AfD: Nein, überhaupt belästigt, bedrängt und beschimpft worden sind, ist eine nicht!) Schande, und es gibt kein besseres Wort dafür. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27159

Dr. Marco Buschmann (A) (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD (Beatrix von Storch [AfD]: Ja, machen Sie (C) und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie mal!) bei Abgeordneten der LINKEN – Siegbert und sie mit Sanktionen bewehren; denn unsere Demokra- Droese [AfD]: Da klatscht sogar die Linke!) tie ist wehrhaft. Denn Schande bedeutet jede Tat, die die Ehrlosigkeit des Täters zeigt oder die die Ehre der Opfer verletzt. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Die AfD-Abgeordneten und Petr Dr. Alexander Gauland [AfD]: So ein Stuss, Bystron haben die Störer hier ins Haus gelassen, die Mit- Herr Buschmann! – Beatrix von Storch glieder dieses Hauses bedrängt, beschimpft und beleidigt [AfD]: So ein Schwachsinn! – Gegenruf der haben. Wer wollte ernsthaft in Zweifel ziehen, dass es Abg. Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ehrlos ist, solche Leute hier ins Haus zu lassen? Wer NEN]: Was haben Sie eigentlich genommen?) wollte ernsthaft hier in Zweifel ziehen, dass es die Mit- glieder der Bundesregierung und die Mitglieder dieses Hauses, die betroffen waren, in ihrer Ehre verletzt hat? Vizepräsidentin Petra Pau: Und wer – was das Schlimmste ist – wollte ernsthaft in Das Wort hat der Kollege Friedrich Straetmanns für die Zweifel ziehen, dass das die Würde des demokratisch Fraktion Die Linke. gewählten Parlaments verletzt hat? Kurz: Es ist eine (Beifall bei der LINKEN) Schande! (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ Friedrich Straetmanns (DIE LINKE): DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin- CDU/CSU – Zurufe von der AfD) nen und Kollegen! Was wir gerade beraten, hat einen Jetzt wird so getan, als ob das irgendwie eine spontane äußerst ernsten Hintergrund. Im letzten Jahr wurde Berlin Nachlässigkeit gewesen sei. Es sei ja alles gar nicht so regelmäßig von Protesten gegen die Coronamaßnahmen schlimm gewesen. heimgesucht, denen rechtsradikale Kräfte zunehmend ihren Stempel aufdrückten. Nachdem es diesen im (Beatrix von Storch [AfD]: Genau!) August gelang, symbolträchtig die Treppe zum Reichs- Wer soll Ihnen das eigentlich glauben? Wer soll Ihnen das tagsgebäude zu stürmen und dort die Fahnen des zu unser eigentlich glauben an Tag eins, nachdem der Verfas- aller Glück untergegangenen Kaiserreichs zu schwenken, sungsschutz die AfD bundesweit zum rechtsextremisti- (Beatrix von Storch [AfD]: Ja, und die Türkei- schen Verdachtsfall eingestuft hat? Fahne und die Israel-Fahne!) (B) (Christian Dürr [FDP]: So ist es! – Enrico (D) sollte es im November noch schlimmer kommen. Komning [AfD]: Woher wollen Sie das denn wissen?) Am Tag der Abstimmung über das Infektionsschutzge- Hemmelgarn und Bystron haben doch eine uralte rechts- setz versuchten Teilnehmer dieser Proteste, den Bundes- extremistische Taktik verfolgt, und diese uralte Taktik hat tag zu blockieren, allerdings weitgehend ohne Erfolg. der große Dichter Stefan Zweig in seinen Lebenserinne- Darüber müssten wir jetzt aber nicht diskutieren, wenn rungen wie folgt beschrieben, nicht Mitglieder der AfD Teilnehmerinnen und Teilneh- mer in das Gebäude des Bundestages geschleust hätten, (Zuruf des Abg. Stephan Brandner [AfD]) die in der Folge Mitglieder des Bundestags und Mitarbei- und ich zitiere: terinnen und Mitarbeiter massiv bedrängten und versuch- ten, diese einzuschüchtern. Aus den Reihen der AfD wur- … immer nur eine Dosis und nach der Dosis eine de geäußert, Angehörigen ihrer Fraktion sei da etwas kleine Pause. Immer nur eine einzelne Pille entglitten. Aber davon dürfen wir uns nicht täuschen las- (Stephan Brandner [AfD]: Die Pille haben wir sen: Diese Truppe macht das sehr bewusst. geschluckt!) (Enrico Komning [AfD]: Wer im Glashaus und dann einen Augenblick Abwartens, ob sie nicht sitzt, Herr Straetmanns!) zu stark gewesen … Nun zum Inhalt des vorliegenden Entwurfs. Zunächst Wissen Sie, was die eigentliche Botschaft dieses möchte ich festhalten, dass der Bundestag ein offenes Gesetzentwurfes ist? Wir haben genug bittere Pillen Ihres Haus der Demokratie bleiben muss. schändlichen Verhaltens geschluckt. (Beifall bei der LINKEN) (Siegbert Droese [AfD]: Jetzt überdrehen Sie aber wirklich!) Um dies zu gewährleisten, müssen wir sicherstellen, dass das Verhalten von gewählten Abgeordneten die Funk- Die Dosis Ihres schändlichen Verhaltens ist uns jetzt tionsfähigkeit des Bundestages nicht beschränkt. Das schon zu stark. Ziel ist folglich richtig, aber der Weg falsch. (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ Vor der Einführung neuer Sanktionstatbestände, vor DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der allem für Abgeordnete, muss zunächst die bessere Durch- CDU/CSU und der SPD) setzung der vorhandenen Regeln, etwa auch der Haus- Die Botschaft dieses Gesetzentwurfes ist, dass wir eine ordnung zur Begleitung der Gäste, stehen. Dafür braucht Grenze ziehen man kein Ordnungsgeld, sondern Personal. 27160 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Friedrich Straetmanns (A) (Zuruf des Abg. Michael Frieser [CDU/CSU]) fähigkeit unseres Parlamentes stören. Das ist ein schwer- (C) Denkbar wären auch Nachjustierungen der Hausordnung wiegender Vorgang, meine Damen und Herren, und jede wie die Beschränkung auf sechs Besucher, also die und jeder von Ihnen muss wissen: Sechs-Personen-Regel. Dazu wären wir bereit. Selbst (Beatrix von Storch [AfD]: Sie brauchen uns eine Sanktionsmöglichkeit für Abgeordnete als letzter nicht zu gendern!) Schritt wäre für uns denkbar – nicht aber mit einem so Wer Abgeordnete versucht einzuschüchtern, greift diese weiten, unbestimmten Tatbestand, sondern nur für Demokratie an, meine Damen und Herren, schwerwiegende und ausdrücklich bestimmte Hausord- nungsverletzungen. So, wie Sie es nun regeln wollen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ist nicht hinreichend vorhersehbar, welches Verhalten bei der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) zu einer Sanktion führen kann. Das ist aber notwendig, und das müssen wir deutlich sagen. allein schon aus verfassungsrechtlichen Gründen. Die gemeinsame Antwort am 18. November – und (Beifall bei der LINKEN – Dr. Matthias Bartke darüber, meine Damen und Herren, war ich sehr froh – [SPD]: Aber bislang hattet ihr keine Beden- war die: Bei aller Unterschiedlichkeit in der Sache, bei ken!) allem harten Streit im Parlament und dem Ringen um Dazu kommt, dass wir bei der starren Höhe des Ord- viele Fragen haben wir an der Stelle zusammengestanden nungsgeldes Verstöße unterschiedlicher Qualität nicht und wussten genau, was es bedeutet, an der Stelle klarzu- differenziert werden behandeln können. Auch das ist für machen: Bis hierhin und nicht weiter! mich ein schwerwiegender Mangel. Insofern – folgerich- tig – stellen Sie die Verhängung des Ordnungsgeldes in (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, das Ermessen des Bundestagspräsidenten oder der Bun- bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Ab- destagspräsidentin. Das wird, so fürchte ich, zu Diskus- geordneten der SPD und der LINKEN) sionen über die Einzelfälle führen, die diese rechte Trup- Das ist wichtig – ganz wichtig. pe absehbar produzieren wird und die sie dann mit Genau diese Art, das Parlament mit destruktiven und Schmutzkampagnen gegen den Präsidenten oder die Prä- antiparlamentarischen Angriffen zu überziehen, hat doch sidentin begleiten wird. Methode, meine Damen und Herren bei der AfD. Wir Das Ziel Ihres Gesetzentwurfes teilen wir ohne Abstri- erleben Sitzungswoche für Sitzungswoche die Verächt- che. Deshalb finde ich es sehr schade, dass wir nicht zu lichmachung demokratischer Institutionen. Zersetzung einer gemeinsamen Lösung gekommen sind. hat Methode bei Ihnen. Deshalb sehen wir uns veranlasst, Vielen Dank. in der Hausordnung jetzt Veränderungen vorzunehmen – (B) die werden wir noch diskutieren –, aber vor allen Dingen (D) (Beifall bei der LINKEN) jetzt erst mal im Abgeordnetengesetz die Möglichkeit eines Ordnungsgeldes auch für Abgeordnete vorzusehen Vizepräsidentin Petra Pau: bei nicht nur geringfügigen Verstößen. Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Meine Damen und Herren, da verstehe ich jetzt die Kollegin Britta Haßelmann das Wort. Kolleginnen und Kollegen der Linken nicht; denn bisher (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) hatten sie kein Problem mit dem § 44a des Abgeordne- tengesetzes. Wir haben das auch im § 44a geregelt, und zwar genauso. Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Her- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ren! Ja, jede und jeder von uns hätte sich gerne, glaube sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der ich, die Änderung des Abgeordnetengesetzes an dieser SPD und der FDP) Stelle erspart. Es ist aber so, dass wir jetzt, zum Ende Natürlich weiß jeder, dass wir das nicht bei jeder kleinen der Legislaturperiode hin, dreieinhalb Jahre Erfahrungen Lappalie machen, sondern ganz klar geregelt und mit mit dieser Fraktion am rechten Rand in diesem Parlament Maßstab, meine Damen und Herren. Ich finde es bedauer- gemacht haben. Und, meine Damen und Herren, wir lich, dass wir das überhaupt machen müssen. Aber es haben hinreichend Erfahrungen gesammelt. scheint doch ganz offenkundig notwendig zu sein. Niemand hier im Haus wird die Vorgänge vom Für diejenigen, die es schon vergessen haben: Wir 18. November 2020 vergessen, meine Damen und Her- haben auch schon andere Dinge machen müssen durch ren. die Erfahrungen mit Ihnen. Nicht umsonst haben wir im (Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD]) Juni 2020 die Hausordnung dahin gehend geändert, mei- ne Damen und Herren, dass wir plötzlich das Mitbringen – Sie sicher auch nicht, Frau von Storch; denn Sie waren von Waffen ausdrücklich verbieten mussten. Da ist dieses ja mittendrin. – Niemand wird diese Vorgänge vergessen. Parlament in seiner ganzen Geschichte nicht draufge- (Dr. Matthias Bartke [SPD]: So ist es!) kommen, Ich kann nur sagen: Die Geschehnisse am 18. November (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, 2020 im Bundestag waren gravierend. Die von der AfD bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie eingeschleusten Personen wollten offensichtlich die freie bei Abgeordneten der LINKEN – Zuruf der Mandatsausübung der Abgeordneten und die Funktions- Abg. Beatrix von Storch [AfD]) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27161

Britta Haßelmann (A) zumindest in unserer gemeinsamen demokratischen Ge- legen, durch Nötigen, durch Filmen, was dazu führt, dass (C) schichte. man irgendwann in diesem Haus eine Stimmung, ein Klima der Angst hat. Das kann nicht das Ziel sein. Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem Frau Kollegin. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- ordneten der FDP) Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich wundere mich schon sehr – bei der AfD nicht so –, Das hatte einen Anlass, und das wissen Sie. Wir haben dass Sie, lieber Kollege Straetmanns – ich schätze Sie die Hausordnung im Hinblick auf die Frage des Mitbrin- wirklich – sagen, der Ausdruck „nicht nur geringfügig“ gens von Waffen geändert, weil klar ist, dass es ein sei ein unbestimmter Rechtsbegriff und das sei nicht rich- Gefährdungspotenzial gibt; und das geht von Ihnen aus. tig. Frau Kollegin Haßelmann und andere Vorredner haben schon auf das Abgeordnetengesetz hingewiesen. (Beatrix von Storch [AfD]: Was für ein Aber wenn Sie einfach nur mal „unbestimmter Rechtsbe- Schwachsinn!) griff“ und „nicht nur geringfügig“ googeln, dann kriegen Sie seitenweise Gesetze, wo dieser unbestimmte Rechts- Da muss man klar einen Riegel vorschieben. begriff geregelt ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Vizepräsidentin Petra Pau: SPD und der FDP – Beatrix von Storch Herr Kollege Sensburg? [AfD]: Sie beschäftigen hier Mehrfachmörder im Haus und kommen uns mit diesem Mist Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): an! – Gegenrufe von der SPD und dem BÜND- Frau Präsidentin? NIS 90/DIE GRÜNEN: Frau von Storch, jetzt halten Sie mal den Schnabel! – Wovon reden Sie denn? – Mehrfachmörder im Haus? Was Vizepräsidentin Petra Pau: war das? – Gegenruf der Abg. Beatrix von Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kolle- Storch [AfD]: Mehrfachmörder im Haus, und gen Straetmanns? Sie kommen mit diesem Affentheater! – Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Den Arzt, bit- Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): te!) Liebend gern. Ich diskutiere gerne über unbestimmte (B) Rechtsbegriffe und darüber, was sie bedeuten. Das habe (D) Vizepräsidentin Petra Pau: ich in meinem vorherigen Beruf stundenlang gemacht. – Den sachlichen bzw. substanziellen Inhalt des Zwi- Herr Kollege. schenrufes von Frau von Storch kann ich im Moment hier nicht überprüfen, aber ich nehme erst mal zur Kennt- Friedrich Straetmanns (DIE LINKE): nis, dass hier Behauptungen in den Raum gestellt werden, Vielen Dank. – Sie haben mich jetzt gerade direkt die wahrscheinlich auch noch zu weiteren Debatten in angesprochen, darum habe ich mich bemüßigt gefühlt, den dafür vorgesehenen Gremien Anlass geben werden. ein paar Anmerkungen zu machen: Das Wort hat nun Dr. Sensburg für die CDU/CSU- Erstens habe ich, glaube ich, in meiner Rede deutlich Fraktion. zum Ausdruck gebracht, dass wir das Ziel teilen, aber den Weg für falsch halten. Das ist ein großer Unterschied zu (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- dem, wie sich der Redner der AfD hier präsentiert hat. ordneten der SPD) Das bitte ich nur fürs Protokoll festzuhalten. (Zuruf von der AfD) Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Zweiter Punkt – der ist uns sehr wichtig –: Wir haben Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und hier eine grundsätzliche Rechtsänderung; über die unbe- Kollegen! Das hat es in allen Legislaturperioden vorher stimmten Rechtsprüfungen wollen wir jetzt keine juristi- noch nicht gegeben, dass es ein Ordnungsgeld geben sche Diskussion führen. Bei der alten Fassung des Abge- muss für Verstöße von Abgeordneten gegen die Haus- ordnetengesetzes ging es um das Verhalten direkt in der ordnung außerhalb dieses Plenarsaals. Jetzt ist das leider Sitzung, das quasi auf der offenen Bühne nachvollziehbar so. Die Vorgänge, die wir im November, aber auch im beanstandet wird. Bei dem Verstoß gegen die Hausord- Sommer erlebt haben, zwingen uns dazu, auch über diese nung haben wir quasi eine räumliche Verlagerung in Regelung zu diskutieren und sie einzuführen. Deswegen einen Bereich, wo eben keine Sitzungsaufsicht und keine ist das, was wir hier heute vorschlagen und beschließen Kontrolle stattfinden. Das ist der wesentliche Unter- werden – hoffentlich mit breiter Mehrheit – auch der schied, und deshalb haben wir Bedenken, ob es zielfüh- richtige Weg; denn dieses Parlament soll handlungsfähig rend ist, wenn man aus der Ferne einen Sachverhalt beur- sein. teilen will. Das Parlament ist ein Ort für die Auseinandersetzung Der letzte Punkt – das zieht sich durch unsere Kritik an mit Worten, mit Argumenten, im Diskurs auch streitig, allen Strafrechtsverschärfungen –: Wir warten immer aber nicht durch Bedrängen von Kolleginnen und Kol- darauf, dass einmal ausprobiert und evaluiert wird, was 27162 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Friedrich Straetmanns (A) am Ende überhaupt zu verändern notwendig ist. Wir hät- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (C) ten uns hier statt einer übertriebenen Eile gewünscht, erst der SPD – Beatrix von Storch [AfD]: Vollkom- mal abzuwarten, wie die eingeleiteten Ordnungswidrig- men lächerlich!) keitsverfahren ausgehen. Danach wären wir auch immer bereit, weiter zu diskutieren. Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall bei der LINKEN – Patrick Schnieder Ihre Antwort ist gegeben – guten Abend! –, jetzt reden [CDU/CSU]: Sie haben es jetzt nicht gerade Sie mal weiter, Herr Sensburg. besser gemacht!) Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Danke schön, Frau Präsidentin. Ich wusste gar nicht, Lieber Kollege Straetmanns, ich schätze Sie, und ich dass ich so lange geredet habe, dass schon die Präsidentin merke, wie schwer es Ihnen fällt, zu argumentieren, dass gewechselt hat. Ich habe aber noch zwei Minuten. Sie hier gemeinsam mit der AfD stimmen. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU Ich möchte auch hervorheben, dass dieses Gesetz gut und der SPD) formuliert ist. Diesen unbestimmten Rechtsbegriff „nicht nur geringfügig“ ist sehr bekannt und wird von vielen Aber Argumente haben Sie ja jetzt gar nicht gebracht. Es Gesetzen genutzt. Er wird durch Gerichte ausgelegt. geht nicht um eine Verschärfung, es geht um eine Neu- Wir haben eine klare Regelung zum Ordnungsgeld, und regelung einer Lücke, nämlich der Lücke, die durch das es besteht auch die Notwendigkeit, diese Regelung zu Verhalten insbesondere der AfD, aber auch im Sommer – treffen. das muss man ehrlich sagen – durch Vertreter Ihrer Frak- tion entstanden ist, Ich freue mich, dass eine breite Mehrheit hier gesagt hat: Wir brauchen Wehrhaftigkeit, wir brauchen ein Par- (Stephan Brandner [AfD]: Und der Grünen! lament der Argumente, kein Parlament des Bedrängens, Vergessen Sie die Grünen nicht!) damit das freie Wort, das die Demokratie ausmacht, nicht durch das Hereinlassen entsprechender Personen oder dass nämlich Abgeordnete es zugelassen haben, dass andere Aktionen beschädigt werden kann. Ich freue außerhalb des Plenarsaals, aber in diesem Gebäude dras- mich, dass eine breite Mehrheit dieses Gesetz unterstützt. tische Verstöße gegen die Hausordnung stattgefunden haben und der parlamentarische Ablauf – der Austausch Dazu, dass Sie dann auch noch auf der anderen Seite von Argumenten, der Diskurs, diese Freiheit des politi- sagen, das sei gar nicht genug an Ordnungsgeld, muss ich (B) schen Diskurses – beschränkt, bedrängt und nicht mehr abschließend sagen: Wir können es ganz einfach machen: (D) möglich gemacht wurde. Das müssen wir jetzt regeln. Verhalten Sie sich demokratisch wie Abgeordnete des Um Strafverschärfungen geht es gar nicht. Es geht übri- Deutschen Bundestages. Dann brauchen wir darüber gar gens um Ordnungswidrigkeiten; das ist juristisch sowieso nicht lange zu reden. Stimmen Sie doch einfach zu! ganz was anderes. Danke schön. Von daher: Ich verstehe, dass Sie sich jetzt hier winden. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Ich hätte mich aber über Ihre Zustimmung gefreut, insbe- bei Abgeordneten der FDP) sondere nach dem, was im November passiert ist, was, glaube ich, noch eine deutliche Stufe drastischer gewesen ist, als wir in allen vorherigen Legislaturperioden erlebt Vizepräsidentin Claudia Roth: haben. Vielen Dank, Dr. Sensburg. – Schönen guten Abend, liebe Kolleginnen und Kollegen! Hier ist ja was los! – Entschuldigung, Herr Straetmanns, dass ich bei der Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Dirk Wiese. Antwort an Sie ganz kurz noch auf das Zeichen von Frau von Storch eingehe: Da, als ich erzählte, was hier (Beifall bei der SPD) passiert ist, zu gähnen – das haben Sie gerade gemacht –, ist nicht okay. Dirk Wiese (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Kollegen! Die Debatten, die wir hier im Deutschen Bun- neten der SPD – Zuruf von der AfD: Vielleicht destag führen, die wir auch in der letzten Legislaturperio- ist sie müde!) de geführt haben – auch davor, auch mit Verweisen auf Sie sollten sich hier angesichts der Würde dieses Hauses, Herbert Wehner aus früheren Zeiten –, waren hart in der die wir hier gerade schützen wollen, nicht so despektier- Sache, sie waren teilweise auch heftig; aber sie waren lich verhalten. trotz aller Streitigkeiten, die es durchaus am Rednerpult bei den unterschiedlichsten Argumenten gegeben hat – (Beatrix von Storch [AfD]: Sie machen sich Frau Haßelmann, wir beide streiten uns auch manchmal, zum Affen!) weil Sie vergessen, dass Sie in elf Landesregierungen mit regieren –, Sie verhalten sich so, als wäre Ihnen dieses Haus nichts wert. Und wenn ich dem Kollegen Straetmanns gerade (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- etwas sage, dann könnten auch Sie zuhören; das ist nicht NEN]: Ich weiß das! Und ich freue mich darü- schlimm, Frau Kollegin. ber!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27163

Dirk Wiese (A) von Respekt und Anerkennung geprägt. Es zeugt auch (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (C) von Respekt, anzuerkennen, wenn jemand in der Aus- der CDU/CSU und der FDP) einandersetzung ein besseres Argument hat und man bei der einen oder anderen Debatte vielleicht auch mal das Vizepräsidentin Claudia Roth: Nachsehen hat. Das ist ein Umgang unter Demokraten, Vielen Dank, Dirk Wiese. – Der letzte Redner in dieser die wissen, was es bedeutet, Mitglied dieses Parlamentes, Debatte: Michael Frieser für die CDU/CSU-Fraktion. des Deutschen Bundestages, zu sein. (Beifall bei der CDU/CSU) Aber das, was wir erlebt haben – die bekannten Daten sind genannt worden –, war ein Angriff auf die parlamen- tarische Demokratie. Das war ein Angriff auf die Funk- Michael Frieser (CDU/CSU): tionsfähigkeit dieses Parlaments. Und wer nicht mehr das Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Argument gelten lässt, nicht mehr den Streit am Redner- Die Vorkommnisse waren ein neuer Tiefpunkt in unserer pult gelten lässt, sondern wer zulässt und dafür verant- parlamentarischen Geschichte, in dieser Legislatur; ich wortlich ist, dass Abgeordnete auf dem Weg in den Ple- hoffe, einer der letzten, zumindest in absehbarer Zeit. narsaal zu einer Debatte, zu einer Abstimmung Es war aber auch erwartbar. eingeschüchtert, bedrängt werden, in ihren eigenen Büros Verletzungen von Regeln als Vorsatz folgen immer aufgesucht werden, der steht nicht mehr auf dem Boden demselben Ablauf: zuerst der Tabubruch, dann Aufrufe, der Demokratie. Das gilt für Ihre Fraktion, und das haben Abgeordnete mal richtig zu bedrängen und einzuschüch- Mitglieder Ihrer Fraktion gezeigt. tern, hinterher die Verkleinerung, das Verniedlichen, die (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie halbseidene Entschuldigung. Es ist immer derselbe bei Abgeordneten der FDP) Ablauf. Wir werden mit Appellen an die Würde dieses Hauses, die Würde des Souveräns und derjenigen, die in Seit gestern wissen wir auch, dass Sie ein Verdachtsfall freier Wahl gewählt wurden, nichts ausrichten. sind. Sie sind ein Verdachtsfall, weil Sie offen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung dieses Landes, (Beatrix von Storch [AfD]: Was ist mit der gegen den Konsens dessen, was in unserem Grundgesetz Korruption in Ihrer eigenen Fraktion? Das niedergeschrieben steht, agieren. Sie können sich nicht häuft sich langsam! – Enrico Komning [AfD]: mehr hinter einer Fassade verstecken. Nein, Sie sind – Das ist doch Verschwörung, was Sie erzählen!) das hat sich jetzt an vielen Stellen offen gezeigt – der Wenn doch die Absicht genau darin besteht, diese Würde Wolf im Schafspelz; das tritt immer deutlicher hervor. dem Parlament nicht zukommen zu lassen, weil man da- mit die Demokratie unterminieren will, sind unsere Dagegen müssen wir antreten, weil aus Worten Taten Appelle wohl etwas fehlgeleitet. (B) werden können. Wir haben leider im letzten Jahr gesehen, (D) was Hass und Hetze bewirken können, was diese Ver- Letztendlich muss man schon deutlich sagen: Dieser schiebung des Diskurses auch letztendlich bewirken Angriff auf den Einzelnen unter uns ist ein Angriff auf kann. Darum ist es so wichtig, dass diese Demokratie das ganze Haus, ein Angriff auf die freie Rede, auf das wehrhaft ist, dass wir neben dieser heutigen wichtigen freie Mandat. Auf diesem Boden haben Menschen ihr Gesetzesänderung auch bei einem wehrhaften Demokra- Leben gelassen, um dieses freie Mandat, die freie Rede, tiegesetz vorankommen, dass wir auch ein klares Zeichen den freien Staat zu verteidigen. setzen gegen die Anfänge, dass wir gegen Hass und Hetze (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie im Netz vorgehen. Das ist aus meiner Sicht das Entschei- des Abg. Konstantin Kuhle [FDP]) dende. Und ich plädiere trotz aller Vorkommnisse auch dafür, dass wir gemeinsam weiter dafür streiten, dass Das in Abrede zu stellen, ist das eigentliche Drama. Des- dieser Deutsche Bundestag ein offener Ort bleibt, dass halb sage ich: Mit Appellen kommt man, glaube ich, nicht er sich nicht abschottet mit Mauern, mit Zäunen, wie weiter. Wo der Verstand aufhört und die Vernunft nicht wir es am Kapitol sehen. ausreicht, helfen nur Sanktionen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD und der FDP) Wenn ich Frau von Storch in erster Reihe als Vorsit- zende des Donald-Trump-Fanclubs sehe, dann muss ich In die andere Richtung gefragt: Ehrlich, das soll Ihre klar sagen: Ich möchte ein offenes Parlament, und ich Argumentation sein, der unbestimmte Rechtsbegriff? – möchte nicht solche Bilder sehen, wie wir sie im Kapitol Wie hilflos ist das! Egal welche Seite dieses Hauses: gesehen haben. Das wäre der falsche Weg. Ich bin mir sicher, Sie werden durch Einzelfälle schon dafür sorgen, dass die Juristerei in diesem Land genug Nach allem, was ich ausgeführt habe, liebe Kollegin- Möglichkeiten hat, diese unbestimmten Rechtsbegriffe nen und Kollegen von der Linken, sollten Sie noch mal auszufüllen. Darüber mache ich mir keinerlei Sorgen, Ihr Abstimmungsverhalten überlegen und über Ihren glauben Sie mir. Schatten springen. Ich glaube, es wäre ein Zeichen, wenn auch Sie heute Abend hier zustimmen würden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Herr Straetmanns, ich weiß, dass Sie und vielleicht der ordneten der FDP) eine oder andere Kollege gerne zustimmen würden. Wehrhafte Demokratie setzt voraus, dass sie gerade in Überlegen Sie noch mal, denken Sie nach. Es wäre ein Tiefpunkten standhaft ist, dass sie irgendwann entspre- Zeichen für unsere Demokratie, wenn wir das gemeinsam chende Maßnahmen, von denen man nie gedacht hätte, heute Abend auf den Weg bringen würden. dass man sie einmal braucht, auch hervorholt, um die 27164 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Michael Frieser (A) Zielrichtung deutlich zu machen. Darum geht es am Ende Drucksache 19/27183 (C) des Tages. Es geht nicht nur darum, zu sagen: „Wir müs- Überweisungsvorschlag: sen dieses Haus verteidigen“; vielmehr müssen wir deut- Ausschuss für Inneres und Heimat lich sagen: Hier steht mehr auf dem Spiel als die Frage Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten des unbeeinträchtigten Gelangens von A nach B im Parla- beschlossen. ment. Hier geht es darum, dass wir deutlich machen, dass das Mandat frei ist, die Rede und der Streit auch. Deshalb Ich bitte die Kollegen und Kolleginnen, die sich an der müssen wir uns entsprechend schützen. Überlegt es euch Aussprache beteiligen wollen, Platz zu nehmen. – Dann noch mal. Stimmt besser zu! kann ich die Aussprache eröffnen, wenn auch Herr Kuffer sich gesetzt hat. Vielen Dank. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Marc (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der Henrichmann für die CDU/CSU-Fraktion. FDP) (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Michael Frieser. – Damit schließe ich die Marc Henrichmann (CDU/CSU): Aussprache. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Niemand, der jedenfalls demokratisch auf festem Boden Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak- steht, will, dass Extremisten im Besitz von Waffen sind tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten „Entwurf oder in den Besitz von Waffen kommen. Das wollen erst eines … Gesetzes zur Änderung des Abgeordne- recht nicht die vielen Vereine und Verbände, die im Be- tengesetzes – Einführung eines Ordnungsgeldes“. Der reich des Schießsportes unterwegs sind. Ich habe jetzt Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts- auch einige Gespräche mit diesen geführt, weil ich finde, ordnung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf dass es sich gehört, mit Betroffenen und Beteiligten aller Drucksache 19/26848, den Gesetzentwurf der Fraktionen Seiten zu sprechen. Es ist schon beeindruckend, wie viele der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 19/26540 anzu- Gedanken man sich auch da macht, wie man Extremisten nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu- von den eigenen Reihen fernhalten kann. Es geht nicht stimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt nur um den Nachweis von Übungsstunden, sondern man dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit guckt sich auch sehr genau an, wer da kommt. in zweiter Beratung angenommen. Zugestimmt haben die Fraktionen der SPD, von Bündnis 90/Die Grünen, der Natürlich ist es eine Aussage, die stimmt, wenn man CDU/CSU und FDP. Dagegengestimmt haben die Frak- sagt: Wir haben in Deutschland vielleicht das schärfste (B) tion der AfD und große Teile der Fraktion der Linken. Waffenrecht weltweit. – Aber es macht natürlich nach- (D) Und es gab in der Fraktion der Linken zwei Enthaltungen. denklich – das ist richtig –, wenn wir sehen, dass es in Fällen wie zum Beispiel Hanau immer wieder Unstim- Dritte Beratung migkeiten und hier und da auch Behördenversagen gibt. und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Deswegen war es richtig, das Waffenrecht noch mal auf Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – den Prüfstand zu stellen. So haben wir mit dem Dritten Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- Waffenrechtsänderungsgesetz verschiedene Nachjustie- entwurf ist angenommen. Zugestimmt haben die Fraktio- rungen vorgenommen. Ich nenne beispielsweise die nen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und Pflicht zum Erscheinen, wenn die Behörde der Meinung FDP. Dagegengestimmt haben die Fraktion der AfD und ist, dass es Zweifel an der Zuverlässigkeit, an der Eig- große Teile der Fraktion Die Linke. Drei Kolleginnen und nung gibt, oder auch den Bedürfnisnachweis, den wir Kollegen der Linken haben sich enthalten. Damit ist der nachjustiert haben. Wir wollen gerade nicht, dass sich Gesetzentwurf angenommen. ein psychisch Kranker aus dem Trainingsbetrieb zurück- zieht und sich mit seinen Waffen zu Hause einigelt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 sowie Zusatz- punkt 6 auf: Das Ganze ist im letzten Jahr wirksam geworden, scharfgestellt worden, und die letzten Regelungen des 20 Beratung der Beschlussempfehlung und des Dritten Waffenrechtsänderungsgesetzes sind erst im Sep- Berichts des Ausschusses für Inneres und Heimat tember wirksam geworden, inklusive des NWR II, sozu- (4. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten sagen der Fortschreibung des Nationalen Waffenregis- Dr. Irene Mihalic, Dr. Konstantin von Notz, Luise ters. Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Und trotz der Tatsache, dass wir gerade erst mit dem neuen Recht arbeiten, haben die Grünen hier nicht die Persönliche Eignung nach § 6 des Waffenge- Evaluierung abgewartet, um zu sehen, ob das neue Gesetz setzes wirksam gewährleisten wirkt, sondern man treibt eine ziemlich bekannte Wahl- Drucksachen 19/17520, 19/27022 kampfsau durchs Dorf ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Konstantin Kuhle, Bernd Reuther, Britta und begleitet das mit einer Kleinen Anfrage, die auch Katharina Dassler, weiterer Abgeordneter und nicht gerade so wirkt, als hätte man sich mit der Materie der Fraktion der FDP des deutschen, recht scharfen Waffenrechtes intensiver Waffenrecht mit Augenmaß und Konsequenz auseinandergesetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27165

Marc Henrichmann (A) (Zuruf der Abg. Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE Da darf ich feststellen, dass Sie von den Grünen hier (C) GRÜNEN]) häufig der Behördenkommunikation, gerade was Sicher- heitsbehörden angeht, sehr im Weg stehen und manchmal Da geht es beispielsweise um Fragen des NWR und der ein überzogenes Datenschutzverständnis an den Tag Speicherung von Qualifizierungen mit Blick auf Waffen- legen. verbote, die da gar nicht hingehören und sich erübrigen. Aber meine Lieblingsfrage dieser Kleinen Anfrage ist, (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Konstantin wie viele Schussabgaben es im Jahre 2020 gegeben von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt habe und in wie vielen Fällen davon die Waffe geladen fangen Sie wieder damit an! Das ist ja unglaub- gewesen sei. lich!) (Christoph Bernstiel [CDU/CSU]: Unglaub- Ich glaube, da machen wir es doch besser so wie das lich!) BMI, das auf der Innenministerkonferenz konkrete Vor- schläge vorlegt. Wie man mit einer nicht geladenen Waffe eine Schussab- gabe vornehmen möchte, bleibt das Geheimnis der Grü- Vizepräsidentin Claudia Roth: nen. Denken Sie an die Redezeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Marc Henrichmann (CDU/CSU): Ich finde es schade, dass das BMI, das sich um die Sicher- Das schafft mehr Sicherheit und nicht Misstrauen heit in diesem Bereich intensiv kümmert, sich auch mit gegenüber Sportschützen, solchen Fragen auseinandersetzen muss. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE (Zuruf der Abg. Dr. Irene Mihalic [BÜND- GRÜNEN]: Das dünnste Brett!) NIS 90/DIE GRÜNEN]) die statistisch völlig unauffällig sind. Wir schaffen Aber auch faktenfreie und hier und da mit den Gegeben- Sicherheit, Sie schaffen Unsicherheit – das unterscheidet heiten des deutschen Waffenrechts vielleicht nicht ganz uns. Ihren Gesetzentwurf lehnen wir damit ab. vertraute Vorstöße können ja zum Erkenntnisgewinn bei- tragen. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU) Hätten Sie Ihre Hausaufgaben gemacht, dann hätten Sie sich die Beratungen in Brüssel zur Feuerwaffenricht- (B) linie angeschaut, und dann hätten Sie mitbekommen, dass Vizepräsidentin Claudia Roth: (D) die Frage einer psychischen Eignungsprüfung damals Darf ich einfach noch mal darauf hinweisen: Wenn es gestellt worden ist. Diese ist vom österreichischen Sach- da vorne blinkt – schauen Sie, da steht „Präsident“; das verständigen der Kommission abgelehnt worden, weil müssten wir jetzt mal gendern, ganz zur Freude von man sagt: Eine psychische Überprüfung kann immer Herrn Brandner –, dann heißt das, dass die Redezeit deut- nur eine Momentaufnahme sein, die keine Sicherheit bie- lich zu Ende ist. tet. (Christoph Bernstiel [CDU/CSU]: Ich dachte, Ich habe Ihren Vorstoß aber trotzdem zum Anlass das heißt, die Präsidentin stellt eine Frage! – genommen, mal mit Forensikern zu sprechen, mit Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE gerichtlichen Gutachtern, die genau das machen, die GRÜNEN], an den Abg. Marc Henrichmann anlassbezogen psychologische Eignungsgutachten erstel- [CDU/CSU] gewandt: Wenn doch noch was len. Und sie sagen mir genau das: Wir können nicht Interessantes gekommen wäre!) sagen, wie sich die Geisteshaltung beispielsweise eines Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Martin Hess. Sportschützen in Zukunft entwickelt, (Beifall bei der AfD) (Zuruf der Abg. Dr. Irene Mihalic [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]) Martin Hess (AfD): wir haben keine Sicherheit. – Was sie auch sagen, ist: Es Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kollegen! Die gibt keine Paralleltests. – Es ist wie eine MPU beim Grünen thematisieren in ihrem Antrag die persönliche Führerschein: Wenn man sie dreimal macht, kennt man Eignung von Waffenbesitzern. die Fragen. Ein Test bietet also keine Gewähr dafür, dass Natürlich ist auch unsere Fraktion dafür, gefährlichen der Proband wirklich nicht psychisch auffällig ist, weil er Psychopathen wie dem Amokläufer von Hanau eine Waf- einfach die Fragen kennt. fenerlaubnis sofort zu entziehen. Aber gerade das Ver- Deswegen gibt es nur eine Lösung, hier zu Verbesse- brechen von Hanau hat doch gezeigt, dass das Haupt- rungen und auch zu mehr Sicherheit zu kommen: Das ist problem massive Defizite beim Austausch relevanter die Verbesserung der Kommunikation der Behörden Informationen zwischen den Behörden ist. Hanau hätte untereinander. verhindert werden können, wenn der Generalbundesan- walt die zuständige Waffenbehörde vom wirren Pamphlet (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Tobias R. in Kenntnis gesetzt hätte. Deshalb brauchen des Abg. Konstantin Kuhle [FDP]) wir einen besseren Informationsaustausch zwischen den 27166 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Martin Hess (A) Behörden, wenn es um offensichtlich psychisch gestörte Noch ein Wort zur FDP: Sie sind in Ihrem Antrag zwar (C) Personen geht. Aber was wir sicher nicht brauchen, ist gegen die Regelabfrage bei den Verfassungsschutzbehör- eine weitere Verschärfung des Waffenrechts. den, Sie fordern aber eine proaktive Beteiligung des Ver- fassungsschutzes. (Beifall bei der AfD) (Konstantin Kuhle [FDP]: So ist es!) Aber den Grünen geht es doch auch gar nicht um die Da fragt man sich zwangsläufig: Wie soll diese denn aus- persönliche Eignung und Zuverlässigkeit von Sportschüt- sehen? Wollen Sie auch in diesem Bereich den Verfas- zen. Ihnen geht es doch darum, unseren Schützen den sungsschutz instrumentalisieren? Wollen auch Sie, dass persönlichen Waffenbesitz ganz und gar zu verbieten. wer konservative oder bürgerliche Meinungen äußert, Dieses Ziel sprechen Sie in Ihrem Grundsatzprogramm künftig um seine Waffenbesitzkarte fürchten muss? Vie- ganz offen und klar aus. Da steht: les spricht zumindest dafür; denn auch Ihre Partei diffa- Das Gewaltmonopol liegt beim Staat. Dies ernst zu miert alles als Hass und Hetze, was dem Mainstream und nehmen bedeutet ein Ende des privaten Besitzes von der links-grünen Political Correctness widerspricht. Des- tödlichen Schusswaffen … halb können wir auch Ihrem Antrag nicht zustimmen. Liebe Grüne, auch ein Luftgewehr kann bei falscher (Beifall bei der AfD) Handhabung tödlich wirken. Und das belegt eindeutig: Die AfD-Fraktion tritt dafür ein, den Informationsaus- Sie führen einen Krieg gegen Jäger und Sportschützen, tausch zwischen den Behörden zu verbessern, gerade und vor allem wollen Sie die jahrhundertealte Sportschüt- auch was gewaltbereite Extremisten angeht. Aber wir zentradition in unserem Land zerstören. verteidigen gesetzestreue Legalwaffenbesitzer gegen jede weitere Verschärfung des Waffenrechts. Hände (Beifall bei der AfD) weg von unseren Jägern und Sportschützen! Hören Sie auf mit Ihren irrwitzigen Verbotsfantasien. Die (Beifall bei der AfD) AfD wird niemals zulassen, dass Sie Millionen Menschen das Hobby wegnehmen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Aber bei diesen Ausführungen haben Sie in einem Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Helge Lindh. Punkt recht: Das Gewaltmonopol liegt zweifelsfrei (Beifall bei der SPD) beim Staat, und zwar nur beim Staat. Das sollten Sie dann aber auch Ihrem Berliner Vorstandsmitglied Jeff Klein mitteilen, der in einer Rede bei einer Demonstra- Helge Lindh (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (B) tion am 31. Mai 2020 folgende Aussage tätigte: (D) Herr Hess, nicht nur ein Luftgewehr kann bei einem Ein- … es ist wichtig, dass wir uns nicht auf den Staat satz tödlich wirken, auch jeder rassistische, rechtsextre- verlassen, sondern verbindliche und robuste Com- mistische Satz in diesem Parlament kann im Endeffekt munity-Strukturen aufbauen, um nicht mehr die tödlich wirken; das nur als Hinweis meinerseits an Sie. Polizei rufen zu müssen, wenn wir Hilfe brauchen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mir ist wichtig, dass Denn starke Communitys brauchen keine Polizei, wir jenseits ideologischer Grundsatzdiskussionen über denn die Polizei ist nicht für uns da, sie ist für die das Waffenrecht reden. Angesichts der heute vorliegen- Gewalt in unserem Leben verantwortlich. den Anträge, über die wir diskutieren, möchte ich fest- stellen: Hanau ist der Maßstab, und das meine ich sehr (Enrico Komning [AfD]: Ach!) ernst. Das meine ich umso ernster, nachdem ich heute Dass diese Person immer noch Mitglied Ihrer Partei ist eineinhalb Stunden mit Armin Kurtovic, dem Vater eines und sogar ein Vorstandsamt bekleidet, ist ein Skandal. der Opfer von Hanau, gesprochen habe. Er stellt wichtige Fragen, denen wir nicht ausweichen können. (Beifall bei der AfD) Er fragt, was gewesen wäre, wenn es nach entsprech- Sie haben sich bis heute nicht klar und eindeutig von ender Abschaffung bzw. Veränderung der Verwaltungs- dieser staatsfeindlichen Aussage distanziert. Also tun vorschrift 2012 doch noch möglich gewesen wäre, dass in Sie hier nicht so, als würden Sie das staatliche Gewalt- Hessen das Gesundheitsamt eine Stellungnahme zum monopol verteidigen. Sie unterstellen unseren Polizisten Täter abgibt. Er fragt zu Recht, wie es sein kann, dass pauschal Rassismus, stellen sie unter Generalverdacht angesichts von Ermittlungen zur nachgewiesenen Ein- und geben sie den Angriffen durch Linksextremisten fuhr von Betäubungsmitteln – auf Deutsch: Drogenhan- preis. Sie unterstützen staatsfeindliche Extremisten der del, Drogeneinfuhr – der Täter trotzdem eine weitere Antifa, führen aber einen Kreuzzug gegen gesetzestreue Waffenbesitzkarte erhielt. Er fragt zu Recht, wie es sein Legalwaffenbesitzer und gegen die bürgerliche Mitte. So kann, dass die hessische Waffenbehörde nicht die Mün- wie Sie den Familien das Einfamilienhaus verbieten wol- chener Behörden über die Situation des Täters informier- len, so wollen Sie jetzt den Sportschützen das Kleinkali- te. Er fragt zu Recht, wie es sein kann, dass der Täter in bergewehr wegnehmen. Sie sind und bleiben eine Ver- der Slowakei Schützentrainingseinheiten absolvierte. botspartei, und wer die Freiheit liebt, der darf den Und er fragt zu Recht, wie es sein kann, dass dieser Täter Grünen niemals seine Stimme geben. waffenrechtliche Erlaubnisse hatte, obgleich er doch, wie sein Vater, mehrfach durch eindeutige Schreiben an die (Beifall bei der AfD) Generalbundesanwaltschaft und an mehrere Polizeistel- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27167

Helge Lindh (A) len auffiel. Diesen Fragen können wir nicht ausweichen. schwörungstheoretisch und rechtsextremistisch auffal- (C) Über sie müssen wir sprechen, wenn wir heute über Waf- lend sind, Kenntnis haben, ein Instrument zu entwickeln, fenrecht reden. wodurch bekannt wird, ob diese Personen über waffen- rechtliche Erlaubnisse verfügen? Ich sage das als jemand, der sich bei den Verhandlun- gen zum Waffenrecht bewusst für pragmatische Lösun- Ein Weg, der pragmatisch, datensparsam, grund- gen eingesetzt hat, der sich dafür eingesetzt hat, dass wir rechtsschonend und vor allem bürokratiearm und prakti- bei der Bedürfnisprüfung den Sportschützinnen und kabel ist, wäre folgender: Wenn solche Schreiben ver- Sportschützen im Sinne einer Alltagstauglichkeit entge- schiedene Behörden erreichen, dann informieren wir genkommen. Ich sage an dieser Stelle klar: Nach Hanau über diesen Umstand einfach das Nationale Waffenregis- reicht es nicht mehr, nur deutlich zu machen, dass wir ter beim Bundesverwaltungsamt, das natürlich mit den Schützinnen und Schützen nicht unter Generalverdacht entsprechenden personellen Kräften ausgestattet ist. stellen wollen; das will, glaube ich, niemand hier. Aber Dann prüft das Bundesverwaltungsamt: Liegt eine waf- die Frage, die sich uns stellen muss, ist: Ist es der Fall, fenrechtliche Erlaubnis vor, ja oder nein? Und wenn das dass der Vater eines Opfers hier dieselbe Lobby hat wie der Fall ist – das ist eine einfache binäre Frage –, dann diejenigen, die Schießsport ausüben? Die Antwort lautet geht die Information an die Waffenbehörde, und die leitet Nein. entsprechende Maßnahmen ein. Das wäre ein praktikab- Wenn von künftigen Generationen gefragt wird: ler Weg, gerade um uns nicht vorwerfen zu lassen, dass „Haben wir im Vorfeld der Tat insgesamt genug getan, wir bei psychisch auffälligen, aber auch bei rechtsextre- um einen solchen Massenmord zu verhindern?“, dann mistisch auffälligen Personen nicht genug getan haben. muss die Antwort lauten: Nein. Wenn von künftigen Das wäre auch eine Entlastung der Waffenbehörden, de- Generationen gefragt wird: „Haben wir im unmittelbaren nen wir all diese Untersuchungen nicht aufbürden kön- Umfeld direkt nach der Tat insgesamt als Gesellschaft, nen. wir alle, genügend getan, um diese Tat aufzuarbeiten?“, dann lautet die Antwort Nein. Wir werden uns auch die Vizepräsidentin Claudia Roth: Frage gefallen lassen müssen, ob wir in Zukunft, in den Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit. nächsten Monaten und Jahren, bei einer kritischen Gesamtüberprüfung des Waffenrechts und vieler anderer Helge Lindh (SPD): Fragen genügend tun. Wenn wir das nicht tun, dann muss Ein Letztes noch – wenn Sie mir erlauben, das zu die Antwort auch Nein lauten. sagen –, weil wir mit unserer Gesetzgebung oft Forde- Ich erinnere an dieser Stelle daran, was der Kreistag rungen an die Waffenbehörden stellen: Wir müssen auch (B) des Main-Kinzig-Kreises getan hat; übrigens alle demo- dem Umstand Genüge tun, dass in der Realität oft nicht (D) kratischen Fraktionen: CDU, SPD, Grüne, FDP, Linke, ausreichend Personal vorhanden ist oder dass die Stellen Freie Wähler. Sie haben – man muss diese Einschätzung oft nur Teilzeitstellen sind. Wenn wir hier groß über die nicht teilen, aber man muss sich mit ihr auseinanderset- Möglichkeiten des Waffenrechts debattieren, ist es unsere zen – unter dem Eindruck des Geschehens uns aufge- Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Regeln auch tatsäch- fordert, das Waffenrecht genau zu prüfen – nicht aktio- lich vor Ort in der Kommune umgesetzt werden können, nistisch, aber es geht um eine genaue Prüfung –, und zwar sonst sind wir nämlich scheinheilig. hinsichtlich Bedürfnis, der Stellungnahme der Gesund- Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. heitsämter, der Organisation von Information, der Über- prüfung der Verfassungsmäßigkeit, hinsichtlich all dieser (Beifall bei der SPD) Dinge. Dazu müssen wir uns verhalten. Wir können nicht ausweichen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Die Grünen haben aus meiner Sicht einen gegenüber Vielen Dank, Helge Lindh. – Nächster Redner: für die der Regierungskoalition extrem fairen Antrag vorgelegt, FDP-Fraktion Konstantin Kuhle. fast schon staatstragend, regierungstragend, mit ganz vor- (Beifall bei der FDP) sichtigen Andeutungen in Richtung einer regelhaften psychologischen Überprüfung. Konstantin Kuhle (FDP): Die FDP hat eine Position formuliert, die ich in Bezug Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir spre- auf die Erfolgsgeschichte des deutschen Waffenrechtes chen heute Abend über das deutsche Waffenrecht, und nicht so euphorisch beurteilen würde. Sie fragt danach, wir tun das anlässlich des Anschlags in Hanau im vergan- ob wir illegale und legale Waffen hinreichend erfassen, genen Jahr. Ich glaube, es ist ganz wichtig, in diesem und beantwortet das zu Recht mit Nein. Zusammenhang noch einmal herauszustellen: Schuss- (Beifall des Abg. Konstantin Kuhle [FDP]) waffen haben in den Händen von Menschen mit psychi- scher Erkrankung nichts zu suchen, und Schusswaffen Neben dem Aspekt der Illegalität und der psychologi- haben in den Händen von Rechtsextremisten, die unsere schen Eignung spricht sie die Organisation von Informa- freiheitlich-demokratische Grundordnung überwinden tionen an. Das ist absolut richtig. Eine Antwort, die ich wollen, nichts zu suchen. darauf geben wollen würde – das wäre ein Vorschlag, damit umzugehen –, ist eine andere: Warum schaffen (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, wir es nicht für den Fall, dass diverse Behörden von der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE evident psychisch auffälligen Tätern, von Tätern, die ver- GRÜNEN) 27168 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Konstantin Kuhle (A) Und wir müssen besser darin werden, diese Grundsätze land weitgehend verbieten. So haben Sie es in Ihrem (C) durchzusetzen. Grundsatzprogramm beschlossen. Das hat nichts mit Jetzt ist aber die Frage: Ist der Antrag der Grünen ein einer Verbesserung der Sicherheitslage in Deutschland Beitrag dazu, diese Grundsätze durchzusetzen? Ich zu tun, sondern mit Ihrer ideologischen Ablehnung von befürchte, das ist nicht der Fall. Denn wenn wir heute Sportschützen und Jägern. Darüber können wir hier gerne ins Waffenrecht hineinschauen, dann stellen wir fest: Es diskutieren. Dann werden wir dagegenstimmen. Aber mit ist schon jetzt so, dass Menschen, die eine psychische dieser Haltung hier eine Debatte vom Zaun zu brechen, Erkrankung haben, nicht die persönliche Eignung mit- die mit der konkreten Situation nichts zu tun hat, das hat bringen, um Besitzer von Schusswaffen zu sein. – Wir mit einer evidenzbasierten Waffenpolitik nichts zu tun. müssen endlich beim Austausch der Informationen, die Dafür stehen die Freien Demokraten. die Behörden haben, besser werden, damit das Recht Vielen Dank. auch durchgesetzt werden kann. Ich fühle mich bei dieser Frage so ein bisschen daran erinnert, wie die Union, wie (Beifall bei der FDP) die Konservativen normalerweise nach Straftaten, nach Terroranschlägen vorgehen: Da wird zuerst eine Ver- Vizepräsidentin Claudia Roth: schärfung des Rechts gefordert, und erst dann kümmert Danke schön, Konstantin Kuhle. – Nächste Rednerin: man sich um die Durchsetzung des bestehenden Rechts. für die Fraktion Die Linke Martina Renner. Umgekehrt wäre es besser: erst das bestehende Recht durchsetzen und dann über eine Verschärfung diskutie- (Beifall bei der LINKEN) ren. Das ist der richtige Weg, den wir Ihnen heute in einem begleitenden Antrag vorschlagen wollen, meine Martina Renner (DIE LINKE): Damen und Herren. Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! (Beifall bei der FDP) Wir als Linke bleiben dabei: Öffentliche Sicherheit Übrigens ist das auch bei anderen Gruppen so. Das ist bedeutet weniger Waffen und strikte Regeln. Die vorge- auch bei Rechtsextremisten so, lieber Kollege legten Anträge fordern einen kritischen Blick auf das Henrichmann. Nachdem die Große Koalition die Regel- Waffenrecht und dessen Durchsetzung. Da gehen wir abfrage beim Verfassungsschutz eingeführt hat, ist die mit. Aber wir sagen auch: Wir sehen das Problem weni- Zahl gewaltbereiter Rechtsextremisten mit Waffen in ger in fehlenden Normen als vielmehr in einem inkonse- Deutschland sogar noch gestiegen. Der Informationsaus- quenten Vollzug des geltenden Waffenrechts. tausch zwischen den Behörden funktioniert nicht. Das ist Um es noch mal deutlicher zu sagen: Weder der am (B) eine Frage der Durchsetzung und der Umsetzung und Mord von Walter Lübcke beteiligte Neonazi Markus (D) keine Frage eines strengeren Waffenrechts. Hartmann noch der Attentäter von Hanau hätten jemals (Beifall bei der FDP) eine waffenrechtliche Erlaubnis haben dürfen. Deswegen sollten wir hier dringend daran arbeiten, (Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dass die Kommunikation zwischen den Behörden besser NEN]: So ist es!) wird. Der Vorschlag, dass der Verfassungsschutz proaktiv Denn § 5 – Zuverlässigkeit – und § 6 – Persönliche auf die Waffenbehörden zugeht, der ist in der Anhörung Eignung – des Waffengesetzes sagen deutlich: Personen, zur letzten Waffenrechtsnovelle im Deutschen Bundestag bei denen berechtigte Annahmen bestehen, dass sie Waf- gemacht worden. Das war ein hervorragender Vorschlag. fen und Munition missbräuchlich oder leichtfertig ver- Den Weg sollten wir gehen. wenden, bekommen keine Erlaubnis. Also, um wen Dieser Antrag der Grünen zeigt leider noch eine andere geht es in den beiden Fällen? Ein verurteilter Neonazi Tendenz. Das ist die Tendenz, das Problem bei den Besit- und ein von Rassismus und Antisemitismus Getriebener zerinnen und Besitzern von Legalwaffen zu sehen und mit Wahn- und Vernichtungsvorstellungen hätten niemals nicht beim illegalen Waffenbesitz. Wir können auf die legal Waffen besitzen dürfen. letzten Jahre zurückblicken: Ob das die Anschläge in Frankreich 2015 sind, ob das der Anschlag in Wien (Beifall bei der LINKEN) 2020 ist, ob das der rechtsextreme Waffenhändlerring Jetzt fragen vielleicht einige: Woher hätten das die mit Verbindung bis in die AfD ist, auch im Jahr 2020: Ämter wissen können? Ich sage: Das ist ganz einfach; Immer wieder sind es illegale Waffen vom Balkan, die beide Täter waren den Behörden bekannt und agierten den Weg zu uns finden. Deswegen muss die Bundesre- öffentlich. Deswegen bin ich überzeugt: Wir müssen gierung bei der Bekämpfung des illegalen Waffenhandels einen anderen Blick auf die Problematik werfen. Auffälli- besser werden. Und wir dürfen Sportschützen und Jäger ges Verhalten macht sich meiner Meinung nach auch im nicht weiter gängeln und hier eine Verschärfung vorneh- Vereinsleben deutlich. Wer ist eigentlich aus sportlichen men, die nichts, aber auch gar nichts mit der reellen Gründen dort und wer eben nicht? Wenn jemand zum Sicherheitssituation in Deutschland zu tun hat. Schießen mit Sturmgewehren nach Tschechien oder in (Beifall bei der FDP) die Slowakei fährt, wenn jemand dynamisches Schießen übt, wenn jemand einen Schalldämpfer beschafft, dann Es wäre ehrlicher gewesen, liebe Kolleginnen und Kol- müssen doch die Alarmglocken läuten. legen von den Grünen, Sie hätten Ihre Haltung aus dem Grundsatzprogramm hier zur Abstimmung gestellt. Die (Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Grünen wollen ja den privaten Waffenbesitz in Deutsch- Marc Henrichmann [CDU/CSU]) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27169

Martina Renner (A) Hier müssen die Ämter mit den Vereinen und umgekehrt sind, sind ein Problem. Selbstverständlich kann man nie- (C) die Vereine mit den Ämtern viel besser kooperieren. mandem in den Kopf gucken; aber wir müssen doch alles tun, um die persönliche Eignung von Waffenbesitzern (Beifall bei der LINKEN) umfassender und häufiger zu prüfen. Das beste Gesetz nützt nichts – damit will ich ein weiteres Problem ansprechen –, wenn Vereine oder Insti- Der Mörder von Rot am See hat seine Tat sehr, sehr tutionen wie zum Beispiel der Reservistenverband Perso- lange geplant. Er ist einem Schützenverein beigetreten, nen das Bedürfnis, eine Waffe zu besitzen, bescheinigen, um an eine Waffe zu kommen, nicht um Sport zu treiben. die offensiv gegen Minderheiten oder die Demokratie Bei ihm wurde später, nach der Tat, eine schizoide Per- hetzen. Auch hier, bei der Bedürfniserteilung, muss sich sönlichkeitsstörung festgestellt. Diese hätte man womög- etwas ändern. lich bei einer wiederholten Eignungsprüfung feststellen können. Dazu kommt noch ein weiteres Problem: Auch in den Waffenbehörden sitzen Mitarbeiter, die rechte Akteure Noch eklatanter ist es beim Attentäter von Hanau schützen. Ich nenne die Stichworte „Nordkreuz“ und gewesen. Obwohl polizeiliche Erkenntnisse vorlagen „Gruppe S.“ – der Mitarbeiter der Waffenbehörde in Lud- und obwohl er psychisch auffällig war, bekam er eine wigslust und der Mitarbeiter der Polizei in Hamm –; Sie waffenrechtliche Erlaubnis, und zwar auch – davon bin wissen, auf was ich abstelle. ich überzeugt –, weil er aufgrund seines Alters eben kein psychologisches Gutachten brauchte; denn aktuell müs- Nicht zuletzt hoffe ich, dass die Verbände mehr Ver- sen nach § 6 Absatz 3 Waffengesetz nur Personen, die das antwortung übernehmen. Ich will ein positives Beispiel 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, einmalig ein nennen: So eine Initiative wie die der Hotels und der fachpsychologisches Zeugnis vorlegen. Wir sagen: Das Gaststätten – sie haben die Nazis vor die Tür gesetzt –, ist eindeutig zu wenig. so eine Initiative brauchen wir auch von den Jagdverbän- den und den Schützenvereinen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (Beifall bei der LINKEN) Konstantin Kuhle [FDP]: Warum steht es dann im Antrag nicht drin?) Wir brauchen gute Gesetze, richtig. Aber wir brauchen noch viel mehr Menschen, die sich in ihrem Alltag dort Wir wollen, dass alle, die eine waffenrechtliche gerademachen, wo es nötig ist. Und diese Menschen müs- Erlaubnis anstreben, ihre psychische Eignung nachwei- sen sich darauf verlassen können, dass geltendes Recht sen müssen, egal ob sie 18 oder 75 Jahre alt sind. Das auch durchgesetzt wird. kann doch nicht vom Alter abhängen! Solche Eignungs- prüfungen müssen häufiger wiederholt werden, um Ver- (B) Vielen Dank. änderungen rechtzeitig feststellen zu können. Unser An- (D) (Beifall bei der LINKEN) spruch muss es doch sein, Personen, die eindeutig nicht geeignet sind, Waffen zu besitzen, besser zu erkennen. Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vielen Dank, Martina Renner. – Nächste Rednerin: für sowie des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE]) Bündnis 90/Die Grünen Dr. Irene Mihalic. Kurz nach dem Anschlag von Hanau hat der Bundes- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) innenminister sich übrigens auch für regelmäßige psy- chologische Überprüfungen ausgesprochen. So kennt Dr. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): man es aber leider von , und das ist schon Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und ein bisschen ein Stilmittel: gerade nach solchen Ereignis- liebe Kollegen! Vor knapp zwei Wochen haben wir der sen erst wortreich das Richtige fordern, um es danach Opfer des rassistischen Anschlags von Hanau gedacht. aktiv wieder zu vergessen. Gegen dieses aktive Vergessen Zehn Menschen wurden erschossen, und das mit Waffen, legen wir ihm heute unseren Antrag vor; denn wir haben die der Attentäter legal besaß. Oder denken wir noch mal seitdem nichts Konkretes mehr von ihm gehört. an den sechsfachen Mord von Rot am See, wenige Als wir unseren Antrag im Innenausschuss beraten Wochen vor dem Anschlag in Hanau. Und trotzdem war haben, war ich übrigens positiv überrascht, dass auch die Bundesregierung bei der letzten Waffenrechtsnovelle, die Bundesregierung in Aussicht gestellt bzw. angekün- kurz nach diesen Ereignissen, nicht bereit, das Waffen- digt hat, das Ganze vielleicht doch noch mal prüfen zu recht an entscheidender Stelle nachzuschärfen. wollen, und so etwas wie eine Bereitschaft signalisiert Der Hinweis auf den Vollzug ist richtig, Martina hat, bei der persönlichen Eignung vielleicht doch noch Renner. Auch im Vollzug des bestehenden Waffenrechts mal gesetzlich nachzuschärfen. muss sich noch eine ganze Menge verbessern; da sind wir uns völlig einig. Aber wir müssen doch auch die Sicher- Ich sage Ihnen ganz deutlich: Wenn es Ihnen damit heitslücken, die sich im Waffenrecht immer noch auftun, ernst ist und wenn Sie wirklich dazu bereit sind, dann endlich konsequent schließen, meine Damen und Herren. haben Sie jetzt die Gelegenheit, das hier auch zu zeigen. Deswegen bitte ich Sie herzlich, unserem Antrag zuzu- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) stimmen. Dabei ist völlig klar: Die allermeisten Legalwaffenbe- Vielen Dank. sitzer sind sehr verantwortungsbewusst. Das stellt hier auch niemand infrage. Aber die wenigen, die es nicht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 27170 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

(A) Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. (C) Vielen Dank, Dr. Irene Mihalic. – Nächster Redner: für Konstantin Kuhle [FDP]) die CDU/CSU-Fraktion Christoph Bernstiel. Dann geht es weiter: Was finde ich ärgerlich? Wobei (Beifall bei der CDU/CSU) „ärgerlich“ vielleicht nicht das richtige Wort ist. Es ist eher ein bisschen verantwortungslos; denn so erweckt man den Eindruck, wir könnten solche Straftaten mit Christoph Bernstiel (CDU/CSU): immer schärferen Gesetzen verhindern. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren hier zur späten Stunde einen (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die gerne GRÜNEN]: Wie wollen Sie das denn verhin- das Waffenrecht weiter verschärfen möchte. dern?) (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Es ist richtig, dass es Kommunikationsprobleme gab – GRÜNEN]: Ach, mal ganz was Neues!) das hat der Kollege Kuhle ja auch gesagt –, und an dieser Baustelle müssen wir arbeiten, da sind wir uns einig. Wir Anlass ist der dramatische Anschlag in Hanau. Wir alle können aber gegenüber der Bevölkerung – so dramatisch sind uns, glaube ich, darüber einig, dass niemand von uns das Ganze ist – nicht den Eindruck erwecken, dass wir Waffen in Händen von Extremisten oder psychisch Kran- unsere Gesetze so bombendicht machen könnten, dass nie ken wissen möchte. wieder mit legalen oder illegalen Waffen eine Straftat (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE begangen wird. GRÜNEN]: Aber was machen Sie dafür?) (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Da ist Konsens. Aber wir müssen aufpassen, dass wir GRÜNEN]: Aber bekannte Lücken muss man Maß und Mitte halten. schließen!) (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Wo fängt das an, und wo hört das auf? GRÜNEN]: Das ist ja was ganz was Neues!) Dann möchte ich Ihnen noch etwas sagen: Sie wissen, Die Polizeiliche Kriminalstatistik registriert jedes Jahr ich komme aus . Der Täter dort – dieser Anschlag ist ungefähr 5,4 Millionen Straftaten. Davon machen gerade uns noch gut in Erinnerung – hat illegale Waffen benutzt. mal 0,2 Prozent Straftaten mit Schusswaffen aus. Es ist Er hat sich die Waffen selber gebaut. Das ist die große nicht mal ein halbes Jahr her – das hat mein Kollege Herausforderung, vor der wir stehen. Da können wir mit Henrichmann schon erwähnt –, dass wir das Waffenrecht guten Gesetzen viel mehr bewegen, als wenn wir das im Rahmen der Umsetzung der EU-Feuerwaffenrichtli- bereits gute Waffengesetz noch weiter verschärfen woll- (B) nie in nationales Recht verschärft haben. Ich finde, ten. (D) Deutschland hat an manchen Stellen sogar zu stark ver- Wir haben 35 Millionen illegale Waffen in der Europä- schärft. ischen Union. Wir haben das Darknet, das wir nur sehr schwer kontrollieren können, unter anderem auch wegen (Konstantin Kuhle [FDP]: So ist es!) der Widerstände in den rot-grün regierten Ländern, wenn Tatsache ist, dass wir in Deutschland bereits das schärfste es darum geht, diese Plattform stillzulegen oder auch zu und restriktivste Waffenrecht der Welt haben. durchsuchen, um diesen Tätern auf die Schliche zu kom- men. Da könnten Sie uns wirklich unterstützen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Konstantin Kuhle [FDP] – Dr. Irene Mihalic (Beifall bei der CDU/CSU) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das restrik- Kollege Kuhle – da komme ich jetzt nicht drum tivste vielleicht, aber nicht das beste!) herum –, Sie haben gesagt, das sei ein bisschen reflexartig Es ist auch nicht so, dass die Bundesregierung und die bei den Konservativen, dass wir immer dann, wenn etwas einzelnen Landesbehörden untätig wären, wenn es darum Schlimmes passiert, die Gesetze verschärfen wollten. geht, Extremisten oder Reichsbürgern die waffenrecht- (Konstantin Kuhle [FDP]: Genau!) liche Erlaubnis zu entziehen. Seit 2016 wurden bereits 790 waffenrechtliche Erlaubnisse entzogen. Wir sind in Wissen Sie, dass wir verschärfen wollen, das ist kein diesem Bereich tätig. Auch die psychologische Überprü- Reflex. Es geht einfach nur um das Moment der Erkennt- fung war bereits Teil der neuen Waffenrechtsnovelle. Das nis bei unserem Koalitionspartner, das benötigt wird, um schreiben Sie selber in Ihrem Antrag. vorhandene Sicherheitslücken zu schließen. Und dann kommen wir natürlich als Union und sagen: Jetzt haben Dennoch möchten die Grünen heute das Waffenrecht wir eine Chance, unsere Gesetze zu verbessern. – Genau verschärfen. Ich finde das bemerkenswert, und ich finde deshalb machen wir das in diesem Zusammenhang. es auch ärgerlich. Bemerkenswert finde ich es deshalb, weil Sie 1,6 Millionen legalen Waffenbesitzern damit Zum Thema Waffenrecht muss ich Ihnen sagen: Ich eine neue Hürde auferlegen und sie – man muss es leider sehe aktuell keinen Handlungsbedarf und auch keine so sagen – wieder einmal unter Generalverdacht stellen, Notwendigkeit, dies noch weiter zu verschärfen. Deswe- weil Sie sagen: Jeder von denen muss regelmäßig über- gen werden wir Ihren Antrag ablehnen. Ich bitte Sie, beim prüft werden. Das heißt: 1,6 Millionen legale Waffen- nächsten Mal besser darüber nachzudenken, ob es viel- besitzer sind für Sie potenziell verdächtig. Das finde ich leicht einen anderen Weg gibt, als unsere Sportschützen einfach nicht in Ordnung, und das muss man an dieser und unsere Jäger weiter zu drangsalieren. Stelle auch mal so sagen. Herzlichen Dank. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27171

Christoph Bernstiel (A) (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (C) Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Vizepräsidentin Claudia Roth: GRÜNEN]: Wir auch!) Vielen Dank, Christoph Bernstiel. – Der letzte Redner Es ist schon mehrfach in der Debatte gesagt worden, in dieser Debatte: für die CDU/CSU-Fraktion Michael dass unser Waffenrecht eines der strengsten auf der Welt Kuffer. ist und sich über viele Jahre im Wesentlichen bewährt hat. Dabei zählt natürlich die Prüfung der persönlichen Eig- (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Konstantin nung nach § 6 zu einem der zentralen Instrumente. von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt darf nur noch was Neues gesagt werden!) Gemeinsam mit den Jagd- und Schießsportverbänden ist parallel zu den erfolgten Änderungen am Waffenge- setz viel dafür getan worden, um die Sensibilisierung zu Michael Kuffer (CDU/CSU): schärfen und das rechtzeitige Erkennen und Einschreiten Was neu ist, lieber Konstantin, hat die Präsidentin bei verhaltensauffälligen Personen sicherzustellen und zu schon gesagt, indem Sie von der CSU/CDU-Fraktion verbessern. Diese Anstrengungen werden fortgesetzt und gesprochen hat. natürlich von allen Verantwortlichen mit großer Sorgfalt betrieben. (Heiterkeit) Ungeachtet dessen handelt es sich bei den Gewalttaten Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle- und zuletzt bei dem abscheulichen Anschlag von Hanau – gen! Jetzt, wo ich am Pult angekommen bin, geht mir mehrfach ist diese Tat heute angesprochen worden –, der Ihre Bemerkung gegenüber dem Kollegen Henrichmann sich vor einigen Tagen zum ersten Mal jährte, um nichts bezüglich unserer Leuchtanzeige hier vorne nicht mehr anderes als widerwärtige und verabscheuungswürdige aus dem Kopf. Wir haben von Ihnen gelernt, dass die Verbrechen. Der Besitz von Waffen, das bleibt richtig, doch tatsächlich dazu da ist, um lehrreiche Ausführungen muss daher streng reglementiert bleiben. Schusswaffen der Kolleginnen und Kollegen hier vorne zu unterbrechen dürfen nicht frei verfügbar sein, weder auf dem Markt oder gar abzukürzen. Aber jetzt haben Sie auch noch vor- noch auf dem Schwarzmarkt, und sie dürfen nicht in die geschlagen, die zu gendern. Hände von Personen geraten, bei denen auch nur der geringste Zweifel besteht, dass sie damit Unheil anrichten (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE oder – sei es vorsätzlich oder fahrlässig – andere in die GRÜNEN]: Sie haben zu viel Redezeit! Das ist Lage versetzen, genau das zu tun. unglaublich!) Dazu, liebe Kolleginnen und Kollegen, gibt es auch (B) Ich wollte Sie nur ganz kurz fragen: Müsste jetzt dann da keine zwei Meinungen, weder in diesem Hause noch (D) stehen: Präsident*in oder Präsidierende? Können Sie mir bei den Jägern, Schützen und ihren Verbänden. das erklären? Die Frage ist, ob man dem, was Sie vorschlagen, eines Tages nähertreten kann oder nicht. Ich würde jetzt einfach Vizepräsidentin Claudia Roth: mal vorschlagen, dass wir das, was im Vollzug noch zu Das kann ich Ihnen, wenn es wieder Bier gibt, gerne tun bleibt – und das ist heute mehrfach angesprochen mal erklären. Das werden Sie dann nicht mehr vergessen, worden –, regeln: den schnellen Austausch von Informa- wenn ich Ihnen das erkläre. Das verspreche ich. tionen und vorhandenem Behördenwissens zwischen den beteiligten Akteuren. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE Ich würde die Frage des Vollzugs an die erste Stelle GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der setzen, und dann, würde ich sagen, können wir sehen, ob LINKEN) weitere gesetzliche Schritte notwendig sind. Sie wissen, dass Sie uns immer an Ihrer Seite haben, wenn es darum geht, dort nachzujustieren, wo es sinnvoll ist. Aber wir Michael Kuffer (CDU/CSU): sollten den zweiten Schritt nicht vor dem ersten gehen. Ich komme darauf zurück. Vielen Dank. Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. So, Sie können noch mal richtig anfangen. Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Michael Kuffer (CDU/CSU): Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Legale Schusswaffen, egal ob zur Ausübung von Sport, Vielen Dank, Michael Kuffer. – Damit schließe ich die Jagd oder Tradition, gehören ausschließlich in verantwor- Aussprache. tungsvolle Hände. Genau für diese Verantwortung steht Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus- der absolute Großteil der Jäger und Schützen in unserem ses für Inneres und Heimat zum Antrag der Fraktion Land, und wir als CDU/CSU-Fraktion stehen deshalb Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Persönliche Eig- hinter diesen legalen Waffenbesitzern und lehnen eine nung nach § 6 des Waffengesetzes wirksam gewährleis- pauschale Verurteilung dieser Bürgerinnen und Bürger ten“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp- ab. fehlung auf Drucksache 19/27022, den Antrag der 27172 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache Dieses Problem, meine Damen und Herren, wollen wir (C) 19/17520 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluss- mit dem vorliegenden Gesetzentwurf im Sinne der Kom- empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält munen lösen. Vorgesehen ist im Gesetzentwurf, die För- sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. derung auf die notwendigen straßenbaulichen Maßnah- Zugestimmt haben die Fraktionen der SPD, der CDU/ men zum Ausbau und zur Revitalisierung von Industrie- CSU, der FDP und der AfD. Dagegengestimmt hat die und Gewerbegebieten auszudehnen. Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen, und enthalten hat Konkret heißt das: Kommunen können die notwendige sich die Fraktion der Linken. Infrastruktur mitfördern lassen, beispielsweise Kreu- Zusatzpunkt 6. Interfraktionell wird Überweisung der zungserweiterungen, Brückenbauten oder Ampelanla- Vorlage auf Drucksache 19/27183 an den Ausschuss für gen. Damit können Projekte, deren Realisierung bisher Inneres und Heimat vorgeschlagen. Gibt es weitere Über- an der Finanzierung scheiterte, jetzt umgesetzt werden. weisungsvorschläge? – Uns liegen keine weiteren Vor- Mit der Änderung unterstützen wir künftig Kommunen in schläge vor. Dann wird genau so verfahren. strukturschwachen Regionen, oder noch besser: Wir sor- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: gen dafür, dass dort Investitionen in Gewerbegebietser- schließungen umgesetzt werden können, die bisher mög- Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- licherweise nicht umgesetzt werden konnten. Dieses regierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetz, meine Damen und Herren, ist eine sinnvolle Gesetzes zur Änderung des GRW-Gesetzes Erweiterung der staatlichen Strukturförderung, die man Drucksache 19/25632 nur begrüßen kann. Wir wollen auch in Zukunft durch die GRW wirtschaftliche Nachteile in schwächer entwickel- Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- ten Gebieten ausgleichen und so gleichwertige Lebens- ses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) verhältnisse in ganz Deutschland schaffen. Drucksache 19/27272 Meine Damen und Herren, die aktuelle GRW-Förder- Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten periode läuft am 31. Dezember 2021, also Ende dieses beschlossen. Jahres, aus. Ich bin dankbar, dass es im letzten Jahr gelun- Ich eröffne dann die Aussprache, wenn die Kollegen gen ist, die Förderung wenigstens um ein Jahr zu ver- und Kolleginnen, die teilnehmen wollen, Platz genom- längern. Sowohl die Länder als auch die Regionen haben men haben. – Ich begrüße die Kollegen, die ihre Reden diese Kontinuität gerade in der aktuellen Krise dringend zu Protokoll geben. Schön, dass Sie hier sind. gebraucht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Ab 2022, also ab nächstem Jahr, soll eine neue Förder- (B) SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- periode beginnen. Die Fördergebiete werden neu ausge- (D) NEN) wiesen. Bereits jetzt ist aber absehbar, dass aufgrund des Austrittes von Großbritannien und durch Entscheidungen Erster Redner in der Debatte ist der Kollege Karl der Europäischen Union das Fördergebiet in Deutschland Holmeier für die CDU/CSU-Fraktion. kleiner werden wird. Nach jetzigem Stand kann bis zu (Beifall bei der CDU/CSU) einem Drittel des bisherigen Gebietes aus der Förderung fallen. Das wäre ein starker Einschnitt für die regionale Karl Holmeier (CDU/CSU): Wirtschaftsförderung unseres Landes. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen Anfang Mai, also in ein paar Monaten, sollen die Ver- und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! handlungen mit den Bundesländern zur künftigen Förder- Mit dem Förderinstrument Gemeinschaftsaufgabe „Ver- kulisse abgeschlossen sein. Für die Auswahl der künfti- besserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“, kurz gen Fördergebiete werden vier Hauptkriterien gelten: GRW, unterstützt der Bund gemeinsam mit den Ländern erstens die Produktivität, zweitens die Unterbeschäfti- strukturschwache Regionen bei der Ansiedlung von gung, drittens die Zahl der Erwerbstätigen und viertens Unternehmen und bei der Schaffung von dauerhaften die vorhandene Infrastruktur in der Region. Arbeitsplätzen. Dies ist und war ein erfolgreiches Förder- programm für die strukturschwachen Gebiete unseres Eine Forderung, meine Damen und Herren, muss aber Landes. auch lauten: Das Fördergefälle in Grenzregionen zu Höchstfördergebieten muss bei der künftigen GRW-För- Bisher hat der Ausschluss der Förderung von Infra- derung eine Rolle spielen. Es geht hierbei um die Grenze strukturmaßnahmen des Bundes und der Länder im Be- zu Tschechien und zu Polen, wo sicherlich Landesteile reich des Straßenbaus oft zu unbefriedigenden Lösungen dieser beiden Länder als Höchstfördergebiete eingestuft bei der Erschließung von Gewerbegebieten geführt. Der werden. Im aktuellen Koalitionsvertrag heißt es dazu – Bau oder Ausbau von Straßen in Landes- oder Bundes- ich zitiere –: verwaltung, der für die Erschließung der Gewerbegebiete notwendig war, war grundsätzlich über die GRW nicht Wir werden ein gesamtdeutsches Fördersystem für förderfähig. Dies hat häufig zu Problemen geführt, weil strukturschwache Regionen entwickeln, das allen die zuständigen Gemeinden die teuren Ausbaumaßnah- Bundesländern gerecht wird und men an Bundes- und Landesstraßen nicht finanzieren – ich betone – konnten. So konnten sinnvolle Gewerbegebietserschlie- ßungen nicht umgesetzt werden, oder Gewerbegebiete das Fördergefälle zu Nachbarstaaten Deutschlands konnten nicht ausreichend erschlossen werden. berücksichtigt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27173

Karl Holmeier (A) In diesem Sinne hoffe ich auf eine ausgeglichene und denkt kaum jemand, an Geschäftsaufgabe und Entlassun- (C) gerechte Ausweitung der künftigen GRW-Fördergebiete. gen denken dafür umso mehr. Der Lockdown verun- Wichtig ist, dass wir weiterhin den wirtschaftlich sichert nicht nur die Menschen, sondern eben auch die schwächeren Regionen unseres Landes unter die Arme Unternehmen. Das Regierungschaos macht seriöses Pla- greifen, Potenziale nutzbar machen und so regionalöko- nen praktisch unmöglich. nomische Unterschiede reduzieren. Mit dem vorliegen- Wir von der AfD wollen gleichwertige Lebensverhält- den Gesetz zu Änderung des GRW-Gesetzes tragen wir nisse in Deutschland; denn Leben auf dem Land bedeutet dazu bei. Die GRW-Förderung hat einen großen Anteil an Freiheit, Freiheit von sozialistischen Blütenträumen wie der positiven Entwicklung von strukturschwachen Gebie- linkem Mietendeckel oder grünem Eigenheimverbot, ten unseres Landes. Setzen wir dieses starke Instrument Freiheit von Rundumüberwachung und Gängelung. auch künftig klug ein! (Beifall bei der AfD) Vielen Dank. Daher müssen wir gegensteuern – aktiv und nicht erst, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- wenn jemand danach fragt. Wir müssen strukturell und ordneten der SPD) grundsätzlich an unsere Förderkulisse ran, und das bedingt als Erstes eine strikte Anwendung des Subsidia- Vizepräsidentin Claudia Roth: ritätsgedankens. Über eine Förderung muss im Land ent- Vielen Dank, Karl Holmeier. – Nächster Redner: für schieden werden, und das erfordert eine weitgehende die AfD-Fraktion Enrico Komning. Renationalisierung von Strukturförderung und eine Tro- ckenlegung des Brüsseler Sumpfes. Unsere Steuergelder (Beifall bei der AfD) müssen zunächst einmal hier, in Deutschland, die Miss- stände beseitigen. Enrico Komning (AfD): (Beifall bei der AfD) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Her- ren Kollegen! Ich möchte noch einmal um Entschuldi- Außerdem muss die Förderung nachfrageunabhängi- gung bitten, dass ich jetzt hier ohne Maske gelaufen ger werden. Wir haben nicht nur bei der GRW das Pro- bin. – Das kommt nicht mehr vor, Frau Präsidentin. Ent- blem, dass häufig Mittel gar nicht abgerufen werden. schuldigung, bitte. Strukturförderung hat auch die Aufgabe, eine solche Nachfrage zu schaffen. Wir haben Vorschläge dazu Also, zur Sache: Viel versprochen, nichts gemacht. gemacht, und zwar mit einem Konzept, das anhand von Das soll er nun also sein, der große Wurf, das allum- intelligenten Algorithmen den Förderbedarf automatisch fassende, allseligmachende gesamtdeutsche Förder- (B) feststellt, den Fördererfolg prüft und Anpassungen vorn- (D) system, so wie Sie es in Ihrem Koalitionsvertrag verspro- immt. chen haben, eine Novelle des GRW-Gesetzes. Die einzige wirkliche Änderung ist nun die Förderfähigkeit von Ver- Natürlich braucht das mutige Entscheidungen. Kompe- kehrsanbindungen bereits geförderter Gewerbegebiete an tenzen müssen neu verteilt werden, liebgewonnene das überregionale Straßennetz. Eine wirklich tolle Leis- Besitzstände müssen aufgelöst werden. Genau dies hätte tung! Verstehen Sie mich jetzt nicht falsch: Diese An- eine Regierungskommission leisten können – nein, leis- passung ist richtig und im Übrigen auch überfällig. Des- ten müssen. Herausgekommen ist das vorliegende wegen werden wir der Beschlussempfehlung auch Miniänderungsgesetz. Und damit wollen Sie ländliche zustimmen. Räume retten? – Herzlichen Glückwunsch! Die Wähler werden es Ihnen nicht danken. (Karl Holmeier [CDU/CSU]: Jawohl!) Vielen Dank. Im Grunde ist dieses Änderungsgesetz aber ein Witz. Es ist das einzige in dieser Legislaturperiode zum GRW- (Beifall bei der AfD – Falko Mohrs [SPD]: Sie Gesetz und sogar das einzige seit 2015. Das hat mit Enga- haben nicht nur Ihre Maske, sondern auch Ihren gement für gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutsch- Verstand vergessen!) land nichts, aber auch gar nichts zu tun. (Beifall bei der AfD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke schön, Enrico Komning. – Nächster Redner für Ihre Regierungskommission „Gleichwertige Lebens- die SPD-Fraktion: Frank Junge. verhältnisse“, in dieser Legislaturperiode mit viel Tam- tam angekündigt und pressewirksam beendet, war reines (Beifall bei der SPD) Blendwerk; das war pure Wählertäuschung. Wir haben das vorher gesagt, und nun haben die Menschen da drau- Frank Junge (SPD): ßen es schwarz auf weiß. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Jan Metzler [CDU/CSU]: Quatsch!) Herr Komning, Ihre Rede hat mir zwei Dinge gezeigt: Meine Damen und Herren, den strukturschwachen Das Erste. Es scheint Ihnen entgangen zu sein, dass wir Gebieten, den Kleinstädten in den ländlichen Räumen seit dem 1. Januar 2020 das gesamtdeutsche Fördersys- steht nicht erst seit dem Lockdown – aber seitdem beson- tem haben und nicht mehr nur nach Himmelsrichtungen, ders – das Wasser bis zum Hals. Der Eigenkapital- sondern nach Bedürftigkeit fördern. schwund beim Mittelstand ist dramatisch, Umsätze bre- (Enrico Komning [AfD]: Hat nur nicht viel chen ein, an Investitionen und Beschäftigungsaufbau gebracht, Herr Junge!) 27174 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Frank Junge (A) Das Zweite. Sie scheinen auch keine Ahnung von der anbindungen für die Fördergebiete bzw. GRW-Gebiete (C) Situation vor Ort, in den Kommunen, zu haben. auf den Weg bringen können – wir können sie also an das Straßennetz anschließen –, sondern wir haben damit (Enrico Komning [AfD]: Ach, ich bin viel in auch die Möglichkeit, eine Effizienzsteigerung von meinem Wahlkreis unterwegs! Kommen Sie 20 Prozent herbeizuführen, nämlich genau in den Berei- mal zu mir!) chen, in denen in der Vergangenheit GRW-Förderungen Denn dort ist die GRW das wichtigste Instrument für die gar nicht wirklich umgesetzt werden konnten, weil die Wirtschaftsförderung – vor allen Dingen in struktur- zugehörige Straßeninfrastruktur am Ende einen Strich schwachen Regionen. durch die Rechnung gemacht hat. Diese Gesetzesände- rung gibt uns jetzt die Möglichkeit, genau das zu tun. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Der Bund gibt jährlich 600 Millionen Euro, dazu Vor dem Hintergrund kann ich Sie nur bitten, dieser kommt der Anteil der Länder. Das macht für die Jahre Gesetzesvorlage zuzustimmen. Die GRW war eine 2007 bis 2013 zusammen etwa 53 Milliarden Euro – ein- Erfolgsgeschichte, sie ist eine, und sie wird nach dieser fach deshalb, weil aus einem GRW-Euro am Ende das Änderung noch lange eine bleiben. Dreieinhalbfache geworden ist. Dieses Investitionskapi- Vielen Dank. tal fließt vor allen Dingen ins produzierende Gewerbe, in den Handel und in die Gastronomie. Dort wird es ganz (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dringend benötigt, und vor allen Dingen im Osten hat es der CDU/CSU) dort auch unglaublich viel bewirkt, gerade nach 1991, als es darum ging – und das wird bis heute fortgeführt –, die Vizepräsidentin Claudia Roth: Lebensverhältnisse anzugleichen. Vielen Dank, Frank Junge. – Nächste Rednerin: für die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten FDP-Fraktion Sandra Weeser. der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP) Auch während der Coronapandemie hat die GRW – neben dem großen Konjunkturpaket, das die Große Koa- Sandra Weeser (FDP): lition auf den Weg gebracht hat – erfolgreiche Dienste Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und geleistet, und ich begrüße ausdrücklich, dass die GRW Kollegen! „GRW“ ist das Kürzel für einen ziemlich sper- aus diesem Konjunkturpaket noch mal um einen Bundes- rigen Begriff. Sie ist aber eine der wichtigsten Aufgaben, anteil in Höhe von 500 Millionen Euro aufgestockt wor- die wir in unserem Flächenland haben. Aufgabe ist es, den ist; denn beide Maßnahmen haben am Ende mit dazu (B) Orte und Lebensräume attraktiver zu machen und sie so (D) beigetragen, dass der Wirtschaft geholfen werden konnte zu vernetzen und anzubinden, dass man sich wirtschaft- und verhindert wurde, dass Prognosen, die noch im lich weiterentwickeln kann. Insofern ist es gut und rich- Sommer 2020 gegolten haben – das BIP würde um über tig, dass wir hier heute die Novelle der GRW abschlie- 10 Prozent einbrechen –, Realität wurden. Am Ende sind ßend im Bundestag beraten. Wir Freien Demokraten wir dort bei minus 4,9 Prozent gelandet. Das sind für begrüßen sie und werden ihr deshalb auch zustimmen. – mich klare Indizien dafür, dass diese Wirtschaftsförder- Das schon mal vorab. instrumente funktionieren – vor allen Dingen auch in strukturschwachen Regionen. Es ist nur schade, liebe Bundesregierung, dass es erst einer Krise und des Wahlkampfes bedarf, um die Mittel (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dementsprechend aufzustocken. Das hätte viel früher und der CDU/CSU – Enrico Komning [AfD]: Es schneller kommen müssen. kommt nichts an, Herr Junge! Es kommt nichts an!) Aber starten wir mal beim Positiven: Gut ist, dass die GRW insbesondere kleine und mittlere Betriebe fördert; Wir stehen jetzt vor der großen Aufgabe, den Neustart denn heute kann auch ein E-Commerce-Unternehmen der Wirtschaft voranzubringen und die Wirtschaft nach sehr gut den europäischen Binnenmarkt beliefern – aus der Coronapandemie wieder auf Kurs zu bringen, sodass Kaiserslautern heraus, aus Birkenfeld heraus; es muss sie möglichst schnell wieder auf dem Vorcoronaniveau nicht immer Berlin oder München sein. ankommen wird. Auch dafür bietet die GRW hervorra- gende Möglichkeiten. Die Novelle behebt einen bisherigen Mangel; denn wer nicht angebunden ist, kann sich nicht entwickeln. So wer- Wir haben natürlich die Ziele, Wirtschaftskreisläufe zu den wir nun erstmals Verkehrsanbindungen von Gewer- stärken, Investitionen voranzubringen und den Transfor- begebieten ans überregionale Straßennetz ermöglichen – mationsprozess der Wirtschaft entsprechend anzukur- und das mit einer Förderung der Kosten in Höhe von beln. Dafür sind die investiven Mittel hervorragend ge- 90 Prozent. eignet. (Beifall bei der FDP) (Enrico Komning [AfD]: Offensichtlich nicht!) Diese Chance sollten sich die Länder, die Landkreise und Wenn ich hier noch mal vor Augen führe, was mein die Gemeinden auch nicht entgehen lassen, sondern jetzt Vorredner, Herr Holmeier, schon dargestellt hat, nämlich nutzen. Ruft diese Mittel ab! Eine funktionierende Infra- das, was wir mit Blick auf diese Gesetzesänderung, die struktur ist der Standortvorteil im ländlichen Raum. ich für sehr sinnvoll und sehr praxistauglich halte, vor- haben, dann wird klar, dass wir damit nicht nur Straßen- (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Sehr richtig!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27175

Sandra Weeser (A) Den Machern und Mutigen in diesem Land rufe ich zu: ziert werden können. Ja, das sollte man machen, und des- (C) Wenn Sie ein Unternehmen gründen wollen, dann kom- halb wird meine Fraktion dieser Gesetzesinitiative auch men Sie in mein Heimatland, nach Rheinland-Pfalz. zustimmen. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten der SPD) Wir liegen im Herzen von Europa und verstehen etwas von guter und ehrlicher Arbeit, und wir haben auch den Ich habe jetzt zwei meiner drei Minuten Redezeit noch Raum, um sich entsprechend weiterentwickeln zu kön- übrig, und deswegen müssen Sie sich noch zwei Punkte nen. anhören, die ich interessant finde. (Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Und den Stichwort ist, wie gesagt, die Infrastruktur. Sagt Ihnen Frankfurter Flughafen vor der Tür!) zum Beispiel der Begriff „MORA C“ noch etwas? Anfang der 90er-Jahre kam die Bahn auf die glorreiche BioNTech lässt grüßen, lieber Herr Willsch! Idee, ziemlich alle Güterverkehrsanschlüsse – genauer: An dieser Stelle müssen wir aber auch kritisch fragen, Ladestellen – zuzumachen. Für Bahnmitarbeiterinnen wo es noch hakt. Ein Unternehmen braucht nämlich mehr und Bahnmitarbeiter gab es sogar Prämien, wenn sie Vor- als nur Fläche und eine gute Straßenanbindung; es schläge einreichten, wo man Gleise und Weichen heraus- braucht – das ist genauso wichtig – auch eine digitale reißen konnte. Heute, in Zeiten von Klimaschutzdebat- Infrastruktur. Dass wir bei der Versorgung mit schnellem ten, fehlen uns diese Bahnanschlüsse, und viele Internet immer noch so weit hinten hängen, liegt an Ihrem Unternehmen würden ihre Lieferketten auch wegen des Versagen, liebe Bundesregierung. Dafür tragen Sie die dazugehörigen Öko-Images gerne wieder über die Bahn alleinige Verantwortung. abwickeln. Wenn wir heute also die gesetzlichen Grundlagen dafür Wir müssen der Realität ins Auge blicken: Digitale legen, Gewerbegebiete besser mit Straßen zu erschließen, Spitzenreiter sind andere Länder. Deutschland ist in dann sollten wir spätestens morgen dafür Sorge tragen, Europa und weltweit manchmal gerade noch Mittelmaß dass Gewerbegebiete und Industrieanlagen auch wieder und liegt meistens abgeschlagen am hinteren Ende. Bahnanschlüsse bekommen. In der Regel sind die auch Liebe Bundesregierung, Deutschland stand mal für nicht teurer. Effizienz und für funktionierende Strukturen. Mittlerwei- (Beifall bei der LINKEN) le haben wir die absurdesten Dinge bis ins Kleinste gere- gelt, und bei den großen Vorhaben scheitern wir. Auch bei den Straßen muss man sich für meine Begrif- fe gut anschauen, was tatsächlich mit öffentlichen Mitteln (B) (Beifall bei der FDP) gefördert wird. Der Trend, dass die Lkw just in time mit (D) Wir brauchen nicht nur Straßen, sondern wir brauchen ihrer Ladung am Werktor vorfahren, klingt ja erst mal auch mehr Glasfaser, flächendeckend mindestens 4 G ganz gut. Die Realität sieht aber so aus, dass die Brum- und eine Regierung, die Zukunftsfähigkeit versteht und mifahrerinnen und -fahrer diese Zufahrtsstraßen genau lebt. Die Menschen wollen nicht länger warten – und wir genommen nutzen, um dort herumzustehen, bis sie ihren auch nicht. Deswegen: Packen Sie es endlich an! Liefertermin hinter dem Werktor haben. Diese Lagerflä- chen sollten nicht im öffentlichen Verkehrsraum sein, Einen schönen guten Abend. sondern sich auf dem Betriebsgelände befinden und (Beifall bei der FDP) auch nicht steuerfinanziert werden. Vielen Dank. – Einen schönen Abend noch und ein Vizepräsidentin Claudia Roth: herzliches Glückauf! Vielen Dank, Sandra Weeser. – Nächster Redner: für (Beifall bei der LINKEN) die Fraktion Die Linke Thomas Lutze. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Thomas Lutze. – Markus Tressel gibt seine Rede zu Protokoll, Jan Metzler gibt seine Rede Thomas Lutze (DIE LINKE): zu Protokoll, und Falko Mohrs gibt seine Rede zu Proto- Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol- 1) legen! Ein spannendes Thema der Kommunalpolitik ist koll. jetzt mal wieder zur besten Fernsehsendezeit auf der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Tagesordnung. SPD, der FDP und der LINKEN) (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN) – Dafür bekommen sie einen Sonderapplaus. Nur, leider schauen nach 22 Uhr auch die wackersten Damit schließe ich die Aussprache. Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker unse- Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- rer Debatte nicht mehr zu. Wertschätzung für diese meist desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung ehrenamtliche Arbeit sieht anders aus. des GRW-Gesetzes. Der Ausschuss für Wirtschaft und Heute geht es unter anderem um die Frage, ob bei Energie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf neuen Gewerbegebieten die dazugehörigen Straßeninfra- strukturen schneller realisiert und durch den Bund finan- 1) Anlage 9 27176 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Drucksache 19/27272, den Gesetzentwurf der Bundesre- Wir haben noch andere Dinge, die wichtig waren, in (C) gierung auf Drucksache 19/25632 anzunehmen. Ich bitte diesen Gesetzentwurf mit reingenommen, um sie schnell diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, zu regeln. Zum Beispiel werden wir die Ehrenamtspau- um ihr Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- schale von 720 Euro auf 840 Euro erhöhen. Wir müssen hält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Bera- jetzt die §§ 31a und 31b BGB etwas anpassen. Die Haf- tung bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und tungsbeschränkungen für ehrenamtlich Tätige werden Zustimmung aller anderen Fraktionen des Hauses ange- auf die entsprechende Höhe der Vergütung angepasst, nommen. damit wir das auch für unsere Ehrenamtlichen regeln. Das war dringend notwendig. Dritte Beratung Ganz wichtig für uns und für die Bundesregierung: Wir und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem wollen effektive Geldwäschebekämpfung. Dafür gibt es Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – bei der FIU, die dafür zuständig ist, einen Stellenauf- Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- wuchs, aber sie hat als zentrale Meldestelle zur Bekämp- entwurf ist angenommen. Zugestimmt haben die Fraktio- fung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung auch nen der Linken, der SPD, der CDU/CSU, der FDP und insgesamt an Bedeutung gewonnen. Das führt dazu, dass der AfD, und enthalten hat sich die Fraktion von Bünd- sie zu einer eigenen Direktion umgewandelt wird. Ich nis 90/Die Grünen. glaube, es ist ein gutes Zeichen, dass wir dieses Thema Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: nicht nur ernst nehmen, sondern dass wir das in der Gene- ralzolldirektion durch diese Umwandlung auch zum Aus- Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- druck bringen. Die FIU ist eben jetzt eine eigenständige regierung eingebrachten Entwurfs eines Siebten Direktion, meine sehr geehrten Damen und Herren. Gesetzes zur Änderung von Verbrauchsteuer- gesetzen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Drucksache 19/25697 der CDU/CSU) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz- Vielleicht haben einige von Ihnen zu dieser Uhrzeit vor ausschusses (7. Ausschuss) der Debatte noch einen Kaffee getrunken, um frisch und munter zu sein. Um Kaffee ging es auch in unserem Drucksache 19/27274 Gesetzentwurf und in der Debatte darüber. Wir haben in der Anhörung gehört, dass Kaffee gesund ist; Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten beschlossen. (B) (Beifall des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE]) (D) Bitte nehmen Sie schleunigst Platz, dann kann ich die ich glaube, da waren wir alle einer Meinung. Man sieht Aussprache eröffnen. – Das tue ich und gebe das Wort das auch an unserem Sprecher Lothar Binding. Für ihn ist dem ersten Redner: für die SPD-Fraktion Michael der Kaffee ein Jungbrunnen. Man sieht ihm ja an, wie Schrodi. topfit er ist. So viel Kaffee, wie er trinkt: Da kommen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wir alle nicht mit. der CDU/CSU) Kaffee ist also gesund. Für die FDP ist der Kaffee heute aber auch ein kleiner Aufreger. Michael Schrodi (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Was?) Damen und Herren! Wenn in Verhandlungen und Anhö- Zu viel Aufregung ist aber nicht gesund, also diskutieren rungen zu einem Gesetzentwurf einer der größten Auf- wir das ganz souverän. Sie wollen, so steht es in Ihrem reger „unbestimmte Rechtsbegriffe“ sind, dann merkt Entschließungsantrag, die Zuwendung verkehrsfähigen, man: Dieser Gesetzentwurf ist einerseits gut gemacht aber nicht mehr absetzbaren Kaffees bzw. kaffeehaltiger und war andererseits auch nicht sehr umstritten. Vielmehr Waren an gemeinnützige Organisationen zukünftig von war es ein Gesetzentwurf, den wir, glaube ich, heute mit der Kaffeesteuer befreien, damit es da zur Entlastung breiter Mehrheit beschließen können. Letztlich machen kommt. wir Folgendes: Wir setzen EU-Richtlinien um. Ich er- wähne jetzt nur mal einige wenige; mein Kollege Herr (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Das ist ja Brehm wird wahrscheinlich noch andere Beispiele nen- auch richtig!) nen. Im Ausschuss habe ich ja schon gesagt: Die FDP ist Wir setzen die Systemrichtlinie um. Da werden wir bisher nicht damit aufgefallen, dass sie nun wirklich mit zum Beispiel die Digitalisierung des Beförderungs- und Nachdruck Gerechtigkeitsfragen durchsetzen will. Im Kontrollsystems verbrauchsteuerpflichtiger Waren re- Gegenteil: An Themen wie Mindestlohn oder Soli, den geln bzw. hier umsetzen. Wir werden hier auch die Alko- Sie auch für Besserverdienende abschaffen wollen, gehen holstrukturrichtlinie umsetzen. Das heißt, für Kleinpro- Sie oftmals mit der Blutgrätsche ran. duzenten alkoholischer Getränke in EU-Staaten gilt dann ein einheitliches Zertifizierungssystem. Diese können (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Haben Sie zu dann auch Steuerermäßigungen in anderen Ländern bean- viel Redezeit? Reden Sie doch mal zum The- tragen. ma!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27177

Michael Schrodi (A) Oder wenn wir sagen: „Wir wollen die oberen 5 Prozent Franziska Gminder (AfD): (C) der Einkommensbezieher stärker belasten“, dann sagen Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Her- Sie, das sei die Mitte der Gesellschaft. – Sie merken ren! Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Richt- schon: 5 Prozent ist nicht die Mitte der Gesellschaft. linie des Rates vom Dezember 2019 und zur Richtlinie Also, bei solchen Themen fallen Sie nicht auf. vom Juli 2020 liegt nunmehr für die Verbrauchsteuern vor. Deutschland ist verpflichtet, diese Struktur- und Hier sagen Sie, Sie wollen eine kleine Gerechtigkeits- Systemrichtlinien umzusetzen. Daraus erfolgen weitrei- frage angehen. – Wir haben uns in diesem Gesetzentwurf chende Änderungen und die Verkomplizierung des Ver- dazu entschlossen, dieses Thema nicht anzugehen; brauchsteuerrechts. Mit erheblichem finanziellen Mehr- (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Wie unso- aufwand für Wirtschaft und Verwaltung, besonders für zial!) den Zoll, ist zu rechnen. Herr Brehm wird dazu vielleicht auch noch mal was Leider ist wieder einmal kein Bürokratieabbau von sagen. dieser Bundesregierung zu erwarten. Gepriesen seien die Briten, die sich diesem ganzen Wust entzogen haben! (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Unsozial ist (Beifall bei der AfD – Timon Gremmels [SPD]: das, Herr Schrodi! Ungerecht!) Dann gehen Sie doch mal nach Groß- Ich könnte an dieser Stelle jetzt mit der Steuersystematik britannien! – Bettina Stark-Watzinger [FDP]: kommen; das tue ich gar nicht. Da werden gerade die Steuern erhöht in Groß- britannien!) Ich glaube, es sind schon noch ein paar Fragen offen. Die Digitalisierung der Zollerklärung ist positiv, weniger (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Ach!) Zettelwirtschaft für die Unternehmen. Auch die Verein- heitlichung der bisherigen IT-Systeme wie Stromboli, Diese können wir an anderer Stelle auch besprechen. Bei- Biber und Tiger bieten Vorteile. spielsweise schreiben Sie: Kaffee ist lange verkehrsfä- hig. – Ja, aber er wäre auch länger absetzbar, als das Allerdings ergibt sich eine Mehrarbeit für den Zoll bisher der Fall ist. Muss Kaffee wirklich vernichtet wer- ohne entsprechende digitale Ausstattung und Personal- den? aufwuchs im EP 08. Die Zollverwaltung besteht aus der Generalzolldirektion mit Hauptsitz in , 42 Hauptzol- (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Ach, Herr lämtern und 252 Zollämtern sowie 8 Zollfahndungsäm- Schrodi!) tern. Rund 39 000 Mitarbeiter sind beim Zoll beschäftigt. (B) Kann man da beim Mindesthaltbarkeitsdatum nicht etwas Wie viele zusätzliche Stellen müssen wohl geschaffen (D) machen? werden, um die neuen Aufgaben zu bewältigen? Welche Minderausgaben und Verbesserungen werden durch die (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Seien Sie geplante Digitalisierung der Verbrauchsteuererfassung doch mal unbürokratisch!) erzielt? Wie werden die digitalen Vorgänge gesichert? Welchen Schutz gibt es vor Hackerangriffen? Was ge- Gibt es zum Beispiel nicht die Möglichkeit einer verbil- schieht bei einem Blackout? ligten Abgabe? Die AfD möchte jedoch grundsätzlich den Steuerzah- All das müssen wir diskutieren, bevor wir weiter darü- ler entlasten. Ein neues Steuersystem analog den Vor- ber reden. Das können wir gerne tun, aber nicht in diesem schlägen Professor Kirchhofs von 2011 – lang, lang Gesetzentwurf. Da mag die FDP jetzt ein bisschen die ist’s her – wäre wünschenswert. Zähne zusammenbeißen, aber da müssen Sie durch und trotzdem zustimmen: Es ist ein guter Gesetzentwurf. (Beifall bei der AfD) Danke schön. Leider ist davon nur zu träumen. Wenn die Bundesregie- rung schon nicht gewillt ist, eine große Steuerreform (Beifall bei der SPD) durchzuführen und die 36 Steuerarten auf wenige zu reduzieren, wäre ein erster positiver Schritt die Abschaf- Vizepräsidentin Claudia Roth: fung der Bagatellsteuern. Vielen Dank, Michael Schrodi. Jetzt haben Sie uns echt (Beifall bei der AfD) Lust gemacht: Wir hier oben hätten gerne Kaffee. Zu diesen gehören die Schaumweinsteuer mit einem Auf- (Zuruf von der SPD: Der Binding hat noch kommen von 377 Millionen Euro, eingeführt zu Kaiser- einen Kaffee dabei! – Michael Schrodi [SPD]: zeiten zur Finanzierung der Flotte, die Alkopopsteuer mit Wäre schön! Damit kann ich nicht aushelfen! 1 Million Euro, die Zwischenerzeugnissteuer mit 17 Mil- Vielleicht hat Herr Binding wieder was dabei! lionen Euro, die Luftverkehrsabgabe als Lenkungssteuer, Herr Binding ohne Kaffee geht eigentlich 2018 eingeführt, mit 1,2 Milliarden Euro und besonders nicht!) die Kaffeesteuer, eingeführt im Juli 1953, mit einem Auf- kommen von 1 Milliarde Euro. Nächste Rednerin: für die AfD-Fraktion Franziska Gminder. Kaffee ist schon lange kein Luxusprodukt mehr wie im 18. Jahrhundert, sondern zählt heute als gängiges Nah- (Beifall bei der AfD) rungsmittel; das haben Sie selber auch gesagt. Die Kaf- 27178 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Franziska Gminder (A) feesteuer kennt sogar zwei Steuersätze, für Röstkaffee Tabaksteuer – darüber reden wir ja noch mal an anderer (C) und löslichen Kaffee, und wird zusätzlich der Umsatz- Stelle – gibt es auch unterschiedliche Produkte, die unter- steuer unterworfen, eine unzulässige Steuer auf Steuer. schiedlich besteuert werden. (Beifall bei der AfD) Die EU-Harmonisierung macht es auch immer wieder notwendig, dass EU-weit abgestimmte Änderungen vor- In Europa erheben nur noch Deutschland, Belgien, genommen werden, die dann in nationales Recht umge- Dänemark, Litauen, Norwegen und die Schweiz diese setzt werden müssen. Das tun wir heute: Wir setzen die Steuer. Es wird höchste Zeit, dass diese Steuer, deren EU-Verbrauchsteuersystemrichtlinie, die Richtlinie zur Erhebung teurer ist als das, was sie bringt, abgeschafft Änderung der Mehrwertsteuersystemrichtlinie, und die wird. Es gab in der Vergangenheit die Abschaffung ver- Richtlinie zur Änderung der Alkoholstrukturrichtlinie in schiedenster Verbrauchsteuern: die Speiseeissteuer – wer nationales Recht um. erinnert sich noch? –: 1972, Essigsäuresteuer: 1980, Zündwaren- und Spielkartensteuer: 1981, Leuchtmittel- Wider Erwarten – Frau Gminder, ich weiß nicht, ob Sie steuer: 1993, Teesteuer: 1993, Salzsteuer: 1993 - es gelesen haben – ist es diesmal, obwohl es von der EU kommt, eine Bürokratieerleichterung; denn wir schaffen (Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Abgeschafft!) den ganzen Papierkram ab. Wir schaffen nämlich ein neu- es EDV-gestütztes Beförderungs- und Kontrollsystem für – eben –, auch abgeschafft. Bei Steuern und Abgaben ist die verbrauchsteuerpflichtigen Waren, was eine enorme Deutschland Spitzenreiter und hat laut OECD selbst Bel- Erleichterung im täglichen Warenverkehr ist und übri- gien vom Spitzenplatz verdrängt. gens auch Missbrauch verhindern wird. Ich komme zum Schluss. Also, liebe Bundesregierung: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Tun Sie endlich einmal etwas für den Steuerzahler. Auch der SPD) wenn es nur ein kleiner Schritt ist: Es entlastet den Bürger. Er wird immer noch viel zu sehr geschröpft. Ein wichtiger Punkt ist ein verbindliches Zertifizie- Mit Mut voran! Wir enthalten uns bei diesem Gesetz. rungssystem, über das man EU-harmonisiert den ermä- ßigten Steuersatz in Anspruch nehmen kann. Zudem wird (Beifall bei der AfD – Lachen bei der SPD, der auch der Steuerbefreiungstatbestand auf wissenschaftli- LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- che Versuche und Untersuchungen erweitert. Das gilt NEN – Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Mit aber nicht, wenn man für einen Selbstversuch eine Tasse Mut voran! – Timon Gremmels [SPD]: Haben Kaffee trinkt. So etwas ist nicht steuerbefreit, sondern Sie die Ironie gar nicht gemerkt? Lesen Sie es wirklich nur die echten wissenschaftlichen Versuche noch mal nach!) und Untersuchungen. (B) (D) Jetzt komme ich noch mal auf die Kaffeesteuer. Im Vizepräsidentin Claudia Roth: Rahmen der Anhörungen kam die Frage auf: Was ist Vielen Dank, Franziska Gminder. – Nächster Redner: denn, wenn Kaffee, gerade in der Pandemie, gespendet für die CDU/CSU-Fraktion Sebastian Brehm. wird? Es geht um Kaffee, dessen Haltbarkeitsdatum abläuft, der im normalen Handel dann nicht mehr ver- (Beifall bei der CDU/CSU) kaufbar ist, aber selbstverständlich noch trinkbar ist. Da ist es doch sinnvoll, diesen zu spenden, zum Beispiel an Sebastian Brehm (CDU/CSU): die Tafel. Da immer der Verbrauch besteuert wird, ist Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kaffee als Sachspende erstens derzeit noch umsatzsteuer- Kollegen! Wenn man mit Mut vorangeht, dann müsste pflichtig und zweitens verbrauchsteuerpflichtig durch die man den Gesetzentwurf ablehnen. Also, mit Mut voran Kaffeesteuer. Wenn ein Unternehmer den Kaffee also und dann Enthaltung: Das verstehe ich jetzt nicht ganz. wegschmeißt, dann muss er keine Umsatzsteuer und auch keine Kaffeesteuer zahlen. Insofern ist es doch (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und eigentlich richtig, dass man darüber nachdenkt, solche der SPD) Spenden zu ermöglichen. Heute beschließen wir – wir kommen mal wieder zu- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie rück zum Thema – ein umfangreiches Gesetzespaket, bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE nämlich das Siebte Gesetz zur Änderung von Verbrauch- GRÜNEN) steuergesetzen. Nahezu alle Verbrauchsteuern sind in Deutschland EU-harmonisiert: Energiesteuer, Strom- Im Bereich der Umsatzsteuer sind wir auf einem guten steuer, Tabaksteuer, Biersteuer, Alkoholsteuer und Weg. Da wird es eine Lösung geben, um Sachspenden Schaumweinsteuer. Gegenstand der Besteuerung ist umsatzsteuerfrei zu machen. Hierzu sind wir in Gesprä- immer der Verbrauch; das ist dann nachher beim Kaffee chen. Beim Kaffee meine ich ehrlicherweise auch: Wenn wichtig. Es ist so, wie es der Name sagt, zum Beispiel man zum Beispiel 1 Kilo Filterkaffee verschenken will beim Bier. Wenn man einen Kasten Bier mit einem nor- und auch noch 4,78 Euro dafür bezahlen müsste, dass malen Stammwürzegehalt kauft, dann sind im Preis unge- man ihn spendet, dann, glaube ich, wäre das falsch. fähr 94 Cent Biersteuer enthalten. (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Das stimmt!) Beim Kaffee ist es anders: Bei 1 Kilogramm Kaffee Deswegen: Lassen Sie uns da noch mal miteinander ins macht die Steuer 2,19 Euro für Röstkaffee und 4,78 Euro Gespräch kommen, allerdings nicht im Rahmen dieses bei löslichem Kaffee aus. Im Zusammenhang mit der umfangreichen Gesetzentwurfs. Den muss man jetzt ein- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27179

Sebastian Brehm (A) fach verabschieden, weil es um wichtige Dinge geht; aber Der nächste Redner: Stefan Schmidt für Bündnis 90/ (C) ich glaube, gerade bei Spenden von solch wichtigen Die Grünen. Lebensmitteln wie Kaffee – jetzt habe ich auch langsam (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Durst auf einen Kaffee – wäre es wichtig, dass wir noch mal miteinander ins Gespräch kommen. Also: Vielleicht kriegen wir da noch eine Lösung hin. Stefan Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Kollegen! 50 Milliarden Euro: In dieser Größenordnung der FDP) subventioniert Deutschland umweltschädliches Verhal- Wir haben noch zwei andere wichtige Themen adres- ten – jedes Jahr. Was wir bei den Verbrauchsteuern also siert. Erstens – der Kollege Schrodi hat es ange- vor allem brauchen, ist eine große Reform. Wir müssen sprochen –: Mit dem Jahressteuergesetz 2020 haben wir endlich damit aufhören, Verhalten zu belohnen, das die Ehrenamtspauschale in § 3 Nummer 26a EStG auf Umwelt und Klima schadet. Aber die Bundesregierung 840 Euro angehoben. Normalerweise müsste man dann beschränkt sich hier wieder mal auf technisches Klein- auch die entsprechenden Regelungen zur Haftung von Klein. Da widerspreche ich Herrn Brehm: Ich finde, das Vereinsvorständen – das sind die §§ 31a und 31b des ist zu wenig. Bürgerlichen Gesetzbuchs – anpassen. Das war damals (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) aufgrund der Schnelligkeit der Erhöhung der Ehrenamts- pauschale im Rahmen des Jahressteuergesetzes nicht Aber erst mal zum konkreten Gesetzentwurf. Ja, es möglich. Deswegen holen wir das jetzt mit dem vorlie- ist wichtig, die Struktur der Verbrauchsteuern zu verein- genden Gesetz nach und heben die Haftungsgrenze für heitlichen. Und ja, es ist notwendig, den Handel mit Vergütungen bis 840 Euro an, schaffen also eine gleich- Tabak, Alkohol oder Strom innerhalb der EU zu verein- lautende Regelung zur Ehrenamtspauschale. fachen. Deswegen finden wir den Gesetzentwurf grund- sätzlich richtig. Aber Union und SPD haben nicht zu Das zweite Thema – das ist auch ein wichtiges Thema – Ende gedacht; denn die Änderungen bedeuten auch deut- ist die Aufwertung der FIU, unserer Zentralstelle für lich mehr und neuen Arbeitsaufwand in den Zollämtern, Finanztransaktionsuntersuchungen, also für Geldwäsche. beispielsweise um kleineren Alkoholproduzenten Zertifi- Die Arbeit in diesem Bereich ist ja leider nicht weniger kate für Steuerermäßigungen im EU-Ausland auszustel- geworden. Deswegen brauchen wir auch mehr Personal, len. um Geldwäsche in Deutschland zu verhindern. Wenn wir Mehr Arbeitsaufwand erfordert aber auch mehr Perso- die FIU aufwerten wollen, dann brauchen wir eine eigene nal, und das hat die Bundesregierung in diesem Gesetz- Direktion innerhalb der Generalzolldirektion mit den entwurf nicht genügend berücksichtigt. Die Arbeitsbelas- (B) zugehörigen Maßnahmen und Personalaufwuchs durch (D) tung wird beim Zollpersonal deutlich zunehmen. Das die Schaffung entsprechender Stellen. befürchten nicht nur wir Grüne, sondern auch die Exper- Insofern kann man sagen: Das ist ein wichtiger Schritt. ten in der Sachverständigenanhörung. Wie soll Betrug, Lassen Sie uns deswegen heute gemeinsam dieses Geset- wie soll Steuergestaltung verhindert werden, wenn es zespaket verabschieden. Und über den Kaffee sprechen nicht ausreichend Personal für vernünftige Kontrollen wir noch mal an anderer Stelle, vielleicht zu später Stun- gibt? Der Zoll braucht endlich eine vernünftige Personal- de hier im Parlament. ausstattung, und das schon sehr lange. (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Wenn Sie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einen ausgeben, Herr Brehm! – Ralph Lenkert sowie bei Abgeordneten der LINKEN) [DIE LINKE]: Ist es noch nicht spät genug?) Und ja, es ist auch ein richtiger Schritt, die Financial Wenn wir einen Kaffee spendiert bekommen, dann kön- Intelligence Unit als eigene Direktion innerhalb der nen wir vielleicht noch mal darüber reden. Generalzolldirektion aufzuwerten. Aber auch hier haben Union und SPD nicht zu Ende gedacht. Denn die FIU Herzlichen Dank. wird nur organisatorisch aufgewertet; neue Aufgaben (Beifall bei der CDU/CSU) und neue Befugnisse bekommt sie nicht. Nein, sie kostet die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler künftig einfach nur mehr Geld. Das Chaos bei der Antigeldwäschebe- Vizepräsidentin Claudia Roth: hörde wird aber nicht allein mit mehr Geld und neuen Gut, das ist jetzt ausgemacht; da freue ich mich. Vielen Visitenkarten gelöst. Es braucht vor allem die richtigen herzlichen Dank, Sebastian Brehm. – Till Mansmann gibt 1) Leute mit Fachexpertise und kriminalistischer Ausbil- seine Rede zu Protokoll. dung, es braucht eine moderne IT-Ausstattung. Das (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten wird langfristig nur funktionieren, wenn die FIU unab- der CDU/CSU) hängiger vom Zoll und endlich eine eigenständige Behör- de wird. Jörg Cezanne gibt seine Rede zu Protokoll.2) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und der SPD) Zustimmen können wir dem Gesetzentwurf also nicht. Zum Schluss möchte ich noch mal auf die dringenden 1) Anlage 10 Probleme hinweisen und damit auf den Anfang meiner 2) Ablage 10 Rede zurückkommen. Wenn es um die Verbrauchsteuern 27180 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

Stefan Schmidt (A) geht, müssen wir endlich an die großen Baustellen ran. Und natürlich braucht es in Zeiten, wo Kriminelle vor (C) Wann beginnt die Bundesregierung endlich damit, eine allem digital unterwegs sind, auch Ermittler/-innen, die Kerosinsteuer einzuführen, die Mehrwertsteuerbefreiung digital schlagkräftig antworten können. Deswegen unter- für internationale Flüge zu streichen oder das Dienstwa- stützen wir die FIU beim Einsatz von künstlicher Intelli- genprivileg abzuschaffen? genz und auch bei der Einstellung von KI-Spezialistinnen und -Spezialisten, meine Damen und Herren. Die Pariser Klimaschutzziele können wir nur einhal- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ten, wenn wir unseren CO2-Ausstoß drastisch reduzieren, und das sofort. Hören wir also auf, umweltschädliches der CDU/CSU) Verhalten weiter zu belohnen! Fangen wir endlich damit Zweitens. Wir stärken – das ist uns wirklich wichtig – an, umweltschädliche Subventionen abzubauen! den so vielen engagierten Bürgerinnen und Bürgern, die Vorstände in ehrenamtlichen Vereinen sind, den Rücken, Vielen Dank. indem wir den schon angesprochenen Haftungsrahmen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) des BGB an die erhöhte Ehrenamtspauschale anpassen. Ein Wort dazu von mir als Hamburgerin: Wir haben Vizepräsidentin Claudia Roth: damals als Hamburgische Bürgerschaft, der ich bis Mai Vielen Dank, Stefan Schmidt. – Nächste Rednerin: für letzten Jahres angehörte, die Initiative zur Erhöhung der die SPD-Fraktion Dorothee Martin. Ehrenamts- und der Übungsleiterpauschale vorangetrie- ben. Dass wir das geschafft haben, hat mich besonders (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gefreut; denn ich glaube, uns allen ist klar, dass gerade der CDU/CSU) jetzt auch die Ehrenamtlichen einen ganz wichtigen Bei- trag leisten, um die sozialen Folgen der Pandemie abzufe- dern, indem sie mit enormen Kraftanstrengungen das Dorothee Martin (SPD): Vereinsleben digital aufrechterhalten. Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Deswegen ist es so gut, dass wir diesen Haftungsrah- Herren! Wir entscheiden heute über das Siebte Gesetz zur men jetzt anpassen, dass wir damit Rechtssicherheit Änderung von Verbrauchsteuergesetzen. Was das konkret schaffen und dass wir uns noch mal ganz klar hinter die ist und was es bedeutet, erschließt sich vielen Bürger- Ehrenamtlichen stellen; denn das haben sie wirklich ver- innen und Bürgern – vielleicht schauen zu Hause ja sogar dient, meine Damen und Herren. noch einige zu – sicher nicht sofort. Mir ist es aber wich- tig, dass immer deutlich wird, warum wir Gesetze und (Beifall bei der SPD) (B) deren Inhalte verabschieden und wie die Bürgerinnen Also, noch mal: Aus unserer Sicht gibt es zwei ganz (D) und Bürger davon profitieren können. Daher möchte ich zentrale Regelungen in diesem Gesetz: die Verstärkung hier noch mal zwei ganz unterschiedliche Ziele her- des Kampfes gegen Geldwäsche und die weitere Unter- vorheben, die meiner Fraktion und mir besonders wich- stützung von Ehrenamtlichen. Das sind zwei ganz wich- tig sind und die wir mit diesem Gesetz ebenfalls auf tige Ziele. Da machen wir mit diesem Gesetz einen ganz den Weg bringen: Das ist erstens, wie eben schon großen Schritt nach vorn. Und jetzt können wir alle einen erwähnt, die Stärkung von Strafermittlungsbehörden im Kaffee trinken gehen. Kampf gegen Geldwäsche. Damit stärken wir vor allem auch das Vertrauen in den Rechtsstaat; auch das ist ein Vielen Dank. Ziel. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Bei Geldwäsche denkt man vielleicht gemeinhin an Vielen Dank, Dorothee Martin. – Nein, das können wir diesen kleinen Ganoven, der aus krummen Geschäften leider noch nicht, obwohl Herr Sepp Müller viel dazu tut, erhaltenes Geld über kreative Kanäle in reguläres Ein- da er seine Rede nämlich auch zu Protokoll gibt.1) kommen überführt, damit den Behörden seine illegalen Verdienste nicht auffallen. Aber dieses ja fast schon (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- romantische Bild vom kleinen Gauner aus alten Holly- ordneten der SPD und der FDP) woodfilmen ist längst hinfällig. Denn wir wissen: Geld- Damit schließe ich die Aussprache. wäsche hat eine große, eine internationale Dimension, in Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- die alle möglichen kriminellen Vereinigungen verstrickt desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung sind, die zugleich Täter und Profiteure sind. von Verbrauchsteuergesetzen. Der Finanzausschuss emp- Um ebendiesen Machenschaften und vor allem auch fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache Terrorismusfinanzierung noch besser und noch stärker 19/27274, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf entgegenzutreten, wandeln wir die FIU mit diesem Ge- Drucksache 19/25697 in der Ausschussfassung anzuneh- setz in eine eigene Direktion beim Zoll um und werten sie men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der damit ganz klar auf. Aufgrund weiterer Aufgaben ist Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- übrigens auch eine personelle Verstärkung der FIU im chen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Haushalt geplant. Stand heute sind circa 360 Planstellen Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenom- dauerhaft besetzt, und für die nächsten beiden Jahre sind bereits 300 weitere Stellen in Planung. 1) Anlage 10 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27181

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) men. Zugestimmt haben die Fraktionen von SPD, CDU/ Gerichtshof hat nun entschieden, dass aus der Widerrufs- (C) CSU und FDP, und enthalten haben sich die Fraktionen belehrung selbst erkennbar sein muss, welche Informa- der Linken, von Bündnis 90/Die Grünen und der AfD. tionen für den Fristbeginn des Widerrufsrechts notwen- Dritte Beratung dig sind. Vor diesem Hintergrund ist die gesetzliche Musterwiderrufsinformation in Anlage 7 EGBGB erheb- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem lich auszuweiten. Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Niemand. Wer enthält sich? – Der (Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Gesetzentwurf ist angenommen. Zugestimmt haben die NEN]: Mehr als drei Seiten!) Fraktionen von SPD, CDU/CSU und FDP. Es gab keine Mit dem neuen Muster erhalten Verbraucherinnen und Gegenstimmen. Enthaltungen kamen von der AfD, von Verbraucher künftig eine Widerrufsbelehrung, die alle Bündnis 90/Die Grünen und der Linken. für den Fristbeginn maßgeblichen Informationen im Ein- Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 23 auf: zelnen auflistet. Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- (Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- NEN]: Das liest doch niemand!) rung des Verbraucherdarlehensrechts zur Umsetzung der Urteile des Gerichtshofs der Ein zusätzlicher Blick ins Gesetz ist dann nicht mehr Europäischen Union vom 11. September 2019 notwendig. in der Rechtssache C-383/18 und vom 26. März 2020 in der Rechtssache C-66/19 Mit der Umgestaltung wird die Widerrufsbelehrung zwar umfangreicher; dies entspricht allerdings den Vor- Drucksache 19/26928 gaben des Europäischen Gerichtshofes. Der vorgelegte Überweisungsvorschlag: Entwurf fasst die Widerrufsbelehrung gleichwohl klar Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) und verständlich für Verbraucherinnen und Verbraucher Finanzausschuss zusammen. Zugleich werden die Darlehensgeber mit Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten Gestaltungshinweisen bei der Abfassung der Belehrung beschlossen. unterstützt. Damit soll für beide Seiten Rechtssicherheit Ich eröffne die Aussprache, und das Wort hat für die geschaffen werden. Bundesregierung die Parlamentarische Staatssekretärin Zudem betrifft der Gesetzentwurf die vorzeitige Rück- Rita Hagl-Kehl. zahlung von Darlehen. Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass im Fall der vorzeitigen Rückzahlung (B) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (D) der CDU/CSU) dem Darlehensnehmer auch laufzeitunabhängige Kosten zu erstatten sind. Rita Hagl-Kehl, Parl. Staatssekretärin bei der Bundes- Die Auswirkungen dieses Urteils sind hierzulande ministerin der Justiz und für Verbraucherschutz: zwar begrenzt. Gleichwohl passen wir das deutsche Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Recht selbstverständlich an die Vorgaben des Europä- Der eingebrachte Entwurf ändert seinem Namen nach ischen Gerichtshofes an. Wir stellen klar, welche Kosten nicht nur den Verbraucherschutz im Verbraucherdarle- Verbraucherinnen und Verbrauchern bei der vorzeitigen hensrecht, er stärkt ihn auch. Zum einen gestaltet er die Rückzahlung des Darlehens vom Darlehensgeber zu Musterwiderrufsinformation ausführlicher. Damit wird erstatten sind. sie für Darlehensnehmerinnen und Darlehensnehmer ver- braucherfreundlicher. Zum anderen weitet er den Umfang Sehr geehrte Damen und Herren, das Verbraucher- der Kosten, die Verbraucherinnen und Verbrauchern von schutzrecht in Europa entwickelt sich dank der Recht- ihrer Bank im Falle einer vorzeitigen Rückzahlung zu sprechung des Europäischen Gerichtshofes weiter. erstatten sind, aus. Beide Änderungen gehen auf Ent- scheidungen des Europäischen Gerichtshofs zurück. Die- (Beifall der Abg. Ute Vogt [SPD]) se setzen wir mit dem Entwurf um. Der vorliegende Gesetzentwurf zur Änderung des Ver- Schon bisher besteht in Deutschland ein hoher braucherdarlehensrechts setzt diese Weiterentwicklung Verbraucherschutzstandard beim Abschluss von Ver- in nationales Recht um. Damit bringt er Verbraucherin- braucherdarlehen, auch dank der europäischen Verbrau- nen und Verbrauchern greifbare und spürbare Verbesse- cherkreditrichtlinie. Verbraucherinnen und Verbraucher rungen. haben, wenn sie einen Darlehensvertrag abschließen, Ich danke Ihnen. ein Widerrufsrecht. Damit die 14-tägige Widerrufsfrist zu laufen beginnt, muss der Darlehensgeber seinem Kun- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten den Informationen erteilen, die für das Vertragsverhältnis der CDU/CSU) relevant sind. Damit soll sichergestellt werden, dass Ver- braucherinnen und Verbraucher den Vertrag wohlinfor- Vizepräsidentin Claudia Roth: miert abschließen. Vielen Dank, Rita Hagl-Kehl. – Nächster Redner: für Bisher haben viele Darlehensgeber ihrer Informations- die AfD-Fraktion Tobias Matthias Peterka. pflicht Genüge getan, indem sie lediglich auf die gesetz- lichen Regelungen hingewiesen haben. Der Europäische (Beifall bei der AfD) 27182 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

(A) Tobias Matthias Peterka (AfD): ßen wäre dies fragwürdig. Der Versicherungsschutz ist ja (C) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Richt- eine ganz andere Leistungsebene und hat für den Darle- linien aus Brüssel stehen wir allgemein erst einmal skep- hensnehmer einen objektiven Nutzen bereits erbracht. tisch gegenüber. Eine anderweitige Formulierung von § 501 BGB wäre (Zuruf von der SPD: Na dann!) meiner Meinung nach klarer gewesen; die Bundesregie- rung hat sich bei dem Sachverhalt zur Widerrufsbeleh- Das ist inzwischen einfach ein Erfahrungswert. rung gerade auf Klarheit zurückgezogen. Aber Konse- quenz ist vielleicht zu viel verlangt bei der Umsetzung (Zuruf von der SPD: Oh!) von gleich zwei Urteilen auf einmal. Dass diese als Vorgabe weniger einschneidend sind als Immerhin kann man sich auf eine differenzierte Verordnungen der EU, bringt uns in Deutschland in der Rechtsfortbildung beim Umgang mit einem neuen Regel herzlich wenig; denn durch das sogenannte Gold- § 501 BGB dann wohl verlassen. Das können deutsche Plating, also das Übererfüllen von Vorgaben, schränken Gerichte nämlich deutlich besser als der EuGH. Absolut wir uns in der Regel gerne selber über Gebühr ein. unlogische Kosten, die Quasiverträge, also verbundene Bei der bisherigen Umsetzung der hier im Fokus ste- Verträge, fingieren würden – wie vorgenanntes Beispiel –, henden Verbraucherkreditrichtlinie jedoch wollte sich der dürften dann durch die Rechtsprechung zurückgewiesen Gesetzgeber wohl ausnahmsweise einmal ein wenig werden. Klarheit als Serviceleistung: Das tut anscheinend Arbeit sparen, vielleicht auch dem Verbraucher. Informa- not. tionen können nämlich gerade bei Verbraucherdarlehen Vielen Dank. in der Tat einen Umfang annehmen, der von den Darle- hensnehmern bestenfalls abgeheftet wird, aber kaum (Beifall bei der AfD) durchgelesen. Der sogenannte Kaskadenverweis in Ge- setzen sollte da wohl Papier bzw. Text sparen. Er ist Vizepräsidentin Claudia Roth: laut EuGH-Entscheid aus dem März vergangenen Jahres Danke schön. – Nächster Redner: für die CDU/CSU- unzulässig. Fraktion Alexander Hoffmann. Die Informationsklarheit spricht meiner Meinung nach (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) auch dafür. Nicht jeder Bürger liest abends bei einem Glas Wein oder einer Tasse Kaffee gerne Schachtelver- Alexander Hoffmann (CDU/CSU): weise von EU-durchsetzter Rechtsgestaltung. Daher ist Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und der ersten Urteilsumsetzung, so lange der EuGH für uns Kollegen! Der hier eingebrachte Gesetzentwurf besteht (B) (D) maßgeblich ist, freilich zuzustimmen. im Wesentlichen aus zwei großen Bausteinen, möchte Die Tradition der mustergültigen Informationen rund ich einmal sagen. um das Verbraucherrecht, also diese Anhänge mit Mus- Baustein Nummer eins beschäftigt sich vor allem mit tern, ist hingegen ausdrücklich zu begrüßen, eine europa- der Umsetzung der sogenannten Lexitor-Entscheidung rechtlich mögliche Streichung daher abzulehnen. des EuGH vom 11. September 2019, einer Entscheidung, die bei uns im Verbraucherdarlehensrecht durchaus für (Beifall bei der AfD) Beachtung gesorgt hat. Es ist schon angeklungen: Bereits Die Fragen der Staatshaftung bzw. eines neuen Restitu- heute ist es so, dass ein Darlehensnehmer die Möglichkeit tionsgrundes nach ZPO werden zwar von der Bundesre- hat, vorzeitig die gesamte Verbindlichkeit zurückzuzah- gierung hier nicht aufgegriffen. Dies ist aber allemal ver- len. Der Verbraucher hat dabei – auch das gibt schon eine tretbar: Jeder Kotau vor dem EuGH, der nicht gemacht EU-Richtlinie vor – ein Recht auf die Ermäßigung der wird, ist eine gute Übung zur Stärkung des Rückgrats. Gesamtkosten, nämlich – so steht es schon jetzt in § 501 BGB – auf Ermäßigung der Zinsen und auch auf (Beifall bei der AfD – Stefan Schmidt Ermäßigung der sonstigen laufzeitgebundenen Kosten. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hui!) Die Lexitor-Entscheidung macht jetzt deutlich, dass Weiter soll, wie bekannt, noch ein Urteil aus 2019 nach der Verbraucherkreditrichtlinie der Verbraucher umgesetzt werden, mithin § 501 BGB explizit auf sons- ein Recht auf Ermäßigung der Gesamtkosten hat, und tige laufzeitunabhängige Kosten ausgedehnt werden – im Rahmen dieser Gesamtkosten sind neben den Zinsen zugunsten des Verbrauchers, bei vorheriger Tilgung und den sonstigen laufzeitgebundenen Kosten auch die zumindest. Freilich schießen Banken und deren Verbände laufzeitunabhängigen Kosten mit zu erfassen. Dieser gegen diese Regelung; sie wollen eine Beschränkung auf Anforderung wird § 501 BGB in seiner aktuellen Fassung sogenannte direkt mit der Erteilung des Darlehens nicht gerecht. Bei den laufzeitunabhängigen Kosten – um zusammenhängende Kosten haben. ein Gefühl dafür zu bekommen – geht es tatsächlich um Zumindest interessant finde ich auch, dass das Ministe- Maklerprovisionen oder Bearbeitungsgebühren oder rium gar nicht alle Stellungnahmen dazu auf seine Home- eben auch, in bestimmten Konstellationen, um Versiche- page gepackt hat. Da nämlich führen Banken und Spar- rungsprämien. kassen das Beispiel an, dass eine Gebäudeversicherung Beim zweiten Baustein – auch das ist schon dargestellt des Darlehensnehmers bei einem Dritten dann als ver- worden – geht es vor allem um die Widerrufsbelehrung, tragliche Pflicht von der Bank erstattet werden müsste, ein Instrument, durch das der Verbraucher vor allem über also ums Eck, gegebenenfalls anteilig. Zugegebenerma- seine Rechte informiert wird. Die EuGH-Entscheidung Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27183

Alexander Hoffmann (A) vom 26. März 2020 in diesem Kontext kann eigentlich Die Anpassung ist nötig, weil wieder einmal komplexe (C) keine Überraschung sein; sie beinhaltet nämlich vor europäische Vorgaben in ebenso komplexe deutsche Nor- allem die Vorgabe, dass Verbraucher in – so wird es men umgesetzt wurden und der EuGH diese Normen formuliert – „klarer, prägnanter Form“ die Informationen später kippte. über die Modalitäten der Berechnung der Widerrufsfrist Die Verbraucherkreditrichtlinie gibt vor: Die Banken erhalten müssen. Deswegen soll ganz konkret der soge- müssen über das Widerrufsrecht „in klarer, prägnanter nannte Kaskadenverweis ausgeschlossen sein, der, wenn Form“ belehren. Die Richtlinie wird dann aber selbst er gut gemacht ist, am Ende des Tages so funktioniert, etwas unprägnant; denn sie fordert, die Verbraucher im dass nicht einmal mehr ein Jurist sich auskennt. Was ist Vertrag über – ich zitiere – „das Bestehen oder Nichtbe- ein Kaskadenverweis? Zum Beispiel: Die Widerrufsin- stehen eines Widerrufsrechts sowie die Frist und die formation verweist auf Vorschriften des nationalen anderen Modalitäten für die Ausübung des Widerrufs- Rechts, und wenn man dort dann nachschlägt, stößt rechts, einschließlich der Angaben zu der Verpflichtung man auf den nächsten Verweis auf andere Vorschriften des Verbrauchers, das in Anspruch genommene Kapital des nationalen Rechts. zurückzuzahlen, den Zinsen gemäß Artikel 14 Absatz 3 Letztendlich, um es herunterzubrechen: Am Schluss ist Buchstabe b und der Höhe der Zinsen pro Tag“ zu infor- es so, dass die Fristberechnung auch einem Verbraucher mieren, und das neben 19 weiteren Punkten, über die möglich sein muss, nur durch Lektüre der Widerrufsbe- ebenso prägnant informiert werden muss – ein Wust an lehrung, ohne Hinzunahme und ohne Nachschlagen von Informationen, ähnlich einprägsam wie das Telefonbuch. anderen Gesetzeswerken, also aus sich heraus verständ- lich und nachvollziehbar. Auch das soll an der Stelle (Beifall bei der FDP) angegangen werden. Ich glaube, das ist eine Zielrichtung, Vier Seiten Text für eine eigentlich ganz simple Bot- die uns im Sinne des optimierten Verbraucherschutzes schaft: Nach Erhalt aller Unterlagen kann der Vertrag hier alle einen muss. durch Widerruf binnen 14 Tagen rückabgewickelt wer- Ich will vielleicht noch einen Punkt ansprechen, mit den, auch angelaufene Zinsen sind zurückzuzahlen. – dem wir uns etwas breiter beschäftigen sollten: Das ist Punkt. natürlich die Frage der Rechtssicherheit. In den Stellung- nahmen ist bisweilen zu lesen, dass auch viele Bankinsti- (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Manfred tute sich Sorgen machen und dort eine praxisgerechte Grund [CDU/CSU]) Übergangsfrist fordern, die am Ende des Tages, wenn Die Musterwiderrufsbelehrung ist dabei nur ein Symp- sie gut gemacht ist, ja auch dem Verbraucher Rechtssi- tom eines tiefsitzenden Problems: Die Regulierung der cherheit geben muss und erkennbar machen muss: Wel- EU ist zu detailverliebt. Hier muss sich die Bundesregie- (B) (D) che Regelung gilt ab wann? rung, am besten im Schulterschluss mit Frankreich, stär- Wir haben mit Sicherheit im parlamentarischen Ver- ker frühzeitig einbringen fahren die Möglichkeit, darüber zu reden. Darauf freue (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Genau!) ich mich. In Anbetracht der Uhrzeit schenke ich Ihnen die letzte Minute der Redezeit. und auf klare und verständliche EU-Rechtsakte hinwir- Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ken. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall bei der FDP) ordneten der SPD und der FDP) Wenn diese nämlich einfach sind, kann man sich später die ellenlangen Erklärungen sparen. Information Over- Vizepräsidentin Claudia Roth: load hilft niemandem, am wenigsten den Verbrauchern, Dafür danken wir Ihnen ganz besonders. Vielen Dank, die im Alltag schon genug um die Ohren haben. Wo lange Alexander Hoffmann. Ausführungen unumgänglich sind, sollten die wichtigs- ten Punkte als Onepager komprimiert werden oder als (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Da wäre mehr Just-in-time-Information genau dann auftauchen, wenn drin gewesen! – Gegenruf des Abg. Alexander der Verbraucher etwas tun soll. Hoffmann [CDU/CSU]: Ja, Sie hätten noch was lernen können!) (Beifall bei der FDP) – Der Herr Brehm war großzügiger, der hat uns Kaffee Als FDP-Fraktion haben wir daher bereits letzte versprochen. Woche einen Antrag eingebracht, mit dem ein kurzer Nächste Rednerin: Katharina Willkomm für die FDP- Hinweis auf das Widerrufsrecht neben dem Bestellbutton Fraktion. und gleich zu Beginn eines Vertrages aufgeführt werden sollen. Nur kurze Informationen bleiben den Menschen (Beifall bei der FDP) im Alltagsgedächtnis hängen. Katharina Willkomm (FDP): Helfen Sie uns dabei, EU-Vorgaben zu verschlanken, Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und damit Verbraucher es im Rechtsverkehr wieder einfacher Kollegen! Letzte Woche wurde ich noch gefragt, warum haben. wir über dieses Thema debattieren müssen. Auch wenn Vielen Dank. die Anpassung der Musterwiderrufsbelehrung wenig streitig ist, ist es wichtig und richtig, darüber zu sprechen. (Beifall bei der FDP) 27184-27192 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

(A) Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der (C) Vielen Dank, Katharina Willkomm. SPD und der LINKEN) Amira Mohamed Ali, Die Linke, gibt ihre Rede zu Damit schließe ich die Aussprache. Protokoll,1) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 19/26928 an die in der Tagesordnung Stefan Schmidt vom Bündnis 90/Die Grünen gibt seine 2) aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Weitere Vor- Rede zu Protokoll, schläge gibt es nicht. Dann machen wir das so. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord- nung. Esther Dilcher von der SPD gibt ihre Rede zu Proto- 3) koll, Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der tages auf morgen, Freitag, den 5. März 2021, 9 Uhr, ein. LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Hoffentlich hatten Sie vorher einen gescheiten Kaffee! Die Sitzung ist geschlossen. Bleiben Sie gesund! und Sebastian Steineke, CDU/CSU, gibt seine Rede zu Protokoll.4) (Schluss: 23.00 Uhr)

(B) (D)

1) Anlage 11 2) Anlage 11 3) Anlage 11 4) Anlage 11 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27193

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Entschuldigte Abgeordnete Abgeordnete(r) Abgeordnete(r)

Albani, Stephan CDU/CSU Rüffer, Corinna BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Braun, Dr. Helge CDU/CSU Rüthrich, Susann SPD Brunner, Dr. Karl-Heinz SPD Schäfer (Saalstadt), Anita CDU/CSU Buchholz, Christine DIE LINKE Seif, Detlef CDU/CSU Büttner, Matthias AfD Seitz, Thomas AfD Domscheit-Berg, Anke DIE LINKE Siebert, Bernd CDU/CSU Felser, Peter AfD Steineke, Sebastian CDU/CSU Freihold, Brigitte DIE LINKE Strenz, Karin CDU/CSU Gabelmann, Sylvia DIE LINKE Tiemann, Dr. Dietlind CDU/CSU Hampel, Armin-Paulus AfD Weber, Gabi SPD Hanke, Reginald FDP Weidel, Dr. Alice AfD Hartwig, Dr. Roland AfD Weiler, Albert H. CDU/CSU Herzog, Gustav SPD Zdebel, Hubertus DIE LINKE Irlstorfer, Erich CDU/CSU (B) (D) Zimmermann, Pia DIE LINKE Kaiser, Elisabeth* SPD Kamann, Uwe fraktionslos * aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes Kartes, Torbjörn CDU/CSU Anlage 2 Kemmer, Ronja CDU/CSU Erklärung nach § 31 GO Kluckert, Daniela FDP der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜND- Koeppen, Jens CDU/CSU NIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Miazga, Corinna AfD Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bun- Müller, Hansjörg AfD desregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaff- neter deutscher Streitkräfte an der NATO-geführ- Noll, Michaela CDU/CSU ten Maritimen Sicherheitsoperation SEA GUARDIAN im Mittelmeer Nord, Thomas DIE LINKE (214. Sitzung, 03.03.2021, Tagesordnungspunkt 5) Nüßlein, Dr. Georg CDU/CSU Ich habe versehentlich mit Ja gestimmt. Mein Votum lautet Nein. Ostendorff, Friedrich BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Pilger, Detlev SPD Anlage 3 Remmers, Ingrid DIE LINKE Erklärung nach § 31 GO Rößner, Tabea BÜNDNIS 90/ der Abgeordneten Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE DIE GRÜNEN GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher 27194 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

(A) Streitkräfte an der NATO-geführten Maritimen laufend zu unterrichten. Stattdessen werden die Entschei- (C) Sicherheitsoperation SEA GUARDIAN im Mittel- dungen auf intransparente Weise hinter verschlossenen meer Türen in der Ministerpräsidentenkonferenz getroffen. Eine gesteigerte Transparenz und Nachvollziehbarkeit (214. Sitzung, 03.03.2021, Tagesordnungspunkt 5) der Entscheidungsfindung würde nach meiner Überzeu- Ich habe versehentlich mit Ja gestimmt. Mein Votum gung auch die Akzeptanz der Maßnahmen erhöhen. lautet Nein. d) Auch ein kontrollierter Ausstieg aus den grund- rechtseinschränkenden Maßnahmen ist nicht absehbar. Zwar werden einzelne Maßnahmen nach und nach aufge- Anlage 4 hoben, ein transparenter Stufenplan, aus dem klare Richt- werte hervorgehen, ist jedoch noch immer nicht erlassen Erklärungen nach § 31 GO worden. Dabei kann sich die Bundesregierung auch nicht zu der namentlichen Abstimmung über den von mehr nur an Inzidenzwert und Reproduktionszahl orien- den Fraktionen der CDU/CSU und SPD einge- tieren, sondern muss nunmehr auch Impffortschritt und brachten Entwurf eines Gesetzes zur Fortgeltung Auslastung der Intensivkapazitäten berücksichtigen. der die epidemische Lage von nationaler Tragweite Auch die Möglichkeit der Testung zur Ermöglichung betreffenden Regelungen von einzelnen derzeit verbotenen Tätigkeiten muss lang- fristig von der Bundesregierung in Erwägung gezogen (Tagesordnungspunkt 8 a) werden. e) Der zwingenden Begründungspflicht für den Erlass Canan Bayram (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dem der Coronaverordnungen kommen die Bundesländer nur Koalitionsentwurf eines Gesetzes zur Fortgeltung der die unzureichend nach. Je länger die Freiheitseinschränkun- epidemische Lage von nationaler Tragweite betreffenden gen andauern, desto ausführlicher und überzeugender Regelungen kann ich nicht zustimmen. müssen sie begründet werden. Stattdessen sind diese in Meine Entscheidung beruht auf den folgenden Gründ- der Praxis häufig formelhaft. en: f) Die willkürliche politische Festlegung der Inzidenz- Erstens. Ich erkenne an, dass weiterhin eine pandemi- werte wurde erst kürzlich vom OVG Lüneburg beanstan- sche Lage gegeben ist und beklage die derzeit durch die det. Zutreffend stellt es fest, dass Inzidenzwerte, an die Mutationen wieder steigenden Infektionszahlen sowie Maßnahmen geknüpft werden, zur „politischen Zahl“ die dadurch manifeste Bedrohung von Leben und werden, „die im Wege eines Kompromisses bei Verhand- (B) Gesundheit aller Bürger/-innen. lungen zwischen der Exekutive des Bundes und der (D) Länder vereinbart werden.“ Vielmehr müssten die Zweitens. Der Regelungsversuch ist jedoch nicht Inzidenzwerte an die tatsächliche Fähigkeit der Gesund- zustimmungsfähig. Daher lehne ich das Gesetz ab. heitsverwaltung zur Kontaktnachverfolgung geknüpft a) Während am Anfang der Pandemie noch angezeigt werden. Nur eine Anknüpfung an tatsächliche Gege- war, möglichst schnell zu handeln, um die unkontrollierte benheiten sei geeignet, die erheblichen Grund- Ausbreitung der Pandemie zu stoppen, so kann dies nach rechtseinschränkungen zu rechtfertigen. nunmehr einem Jahr nicht mehr der Maßstab sein. Regie- g) Auch beanstandet das OVG Lüneburg (ebenda) in rung und Parlament hatten ein Jahr Zeit, sich auf einen zutreffender Weise, dass mildere Mittel im Hinblick auf nachhaltigen Umgang mit der epidemischen Lage einzu- die Betriebsverbote und -beschränkungen im Hinblick stellen. Der Bundesregierung ist es jedoch innerhalb der auf die Länge der bereits andauernden epidemischen letzten Monate weder gelungen, die epidemische Lage Lage zu prüfen wären. derart zu kontrollieren, dass ein baldiges Ende derselben absehbar ist, noch gelang eine Anpassung der Rechtslage Drittens. Hinzu kommen die Verfehlungen des Bun- hin zu einem verfassungsmäßigen Zustand. desgesundheitsministers Spahn, die Zweifel daran auf- kommen lassen, ob er der Aufgabe der Pandemiebewäl- b) Wie wir aus Gutachten des Wissenschaftlichen tigung gewachsen ist. Da Jens Spahn durch § 5 Absatz 2 Dienstes und Ausarbeitungen von Verfassungsrechtspro- IfSG weitreichende Befugnisse eingeräumt werden, ist fessor/-innen wissen, ist der § 5 Absatz 2 IfSG verfas- eine kritische Auseinandersetzung mit seiner Person im sungsrechtlich wohl zumindest erheblich problematisch, Zusammenhang dieses Gesetzes unerlässlich. da er der Exekutive, namentlich dem Bundesgesundheits- minister Jens Spahn, erlaubt, von Parlamentsgesetzen a) In der ersten Jahreshälfte 2020 waren vom Bundes- abzuweichen. Der neue Gesetzentwurf der Koalition ver- gesundheitsministerium zu wenige Schutzmasken hält sich hierzu nicht und bietet keine mit dem Demokra- bestellt worden, später zu viele. Das Ergebnis: Die tie- und Rechtsstaatsgebot vereinbare Lösung. bestellten Masken wurden nicht abgenommen. Mehrere Dutzend Verfahren liefen vor dem Landgericht Bonn c) Ein volles Jahr nach Beginn der Pandemie mangelt gegen das Ministerium, weil dieses den mittelständischen es noch immer an klaren Unterrichtungspflichten der Lieferanten die Zahlung in Höhe von insgesamt mehreren Bundesregierung an den Bundestag als Gesetzgeber und Millionen Euro verweigerte. Verfassungsorgan. Die Bundesregierung wird nicht ver- pflichtet, über alle ihre Erkenntnisse zur Pandemie und b) Es folgte das Impfdesaster, das wir noch heute ihre Pläne und Vorschläge zur weiteren Pandemiebe- beobachten können. Nachdem angekündigt worden war, kämpfung zum frühestm ö glichen Zeitpunkt und fort- es könne schon im Dezember mit dem Impfen begonnen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27195

(A) werden, hat sich noch immer zu wenig getan. Zunächst spruchnahme von Kurzarbeit mehr als 1 Milliarde Euro (C) war zu wenig Impfstoff bestellt und geliefert worden. an Dividenden ausgezahlt. Auch zwei deutsche Chemie- Doch nicht einmal diese Dosen sind verimpft worden: konzerne würden jeweils etwa 3 Milliarden Euro aus- Mehrere Wochen später beträgt die Impfquote der Erst- schütten, obwohl sie aus dem britischen Nothilfefonds impfungen noch immer unter 3 Prozent (Stand: RKI, kassiert haben. 3. März 2021, 10 Uhr). Damit hinken wir anderen Indust- c) Dass Obdach- und Wohnungslosen selbst im Winter rienationen weit hinterher. kein Wohnraum zur Verfügung gestellt wird, ist ebenfalls Statt Maßnahmen zu ergreifen, um mehr Menschen inakzeptabel. Die staatliche Anweisung lautet: Zu Hause den Zugang zu Impfstoffen zu ermöglichen, werden bleiben und Hygieneregeln beachten. Doch wer kein lediglich einzelne Personengruppen in andere Prioritäts- Zuhause hat, kann sich an diese Regeln nicht halten. gruppen verschoben. Dieses willkürliche Vorgehen kostet Wer auf der Straße lebt, ist neben den Gesundheitsrisiken nicht nur Menschenleben, sondern schwächt auch das durch die Kälte auch einem erhöhten Coronainfektions- Vertrauen der Bevölkerung in die Impfstrategie der risiko ausgesetzt und stellt damit wiederum ein höheres Regierung. Infektionsrisiko für alle anderen Menschen im öffentli- chen Raum dar. Warum die Bundesregierung sich nicht c) Auch die kostenlosen Schnelltests, die laut Spahn ab dafür einsetzt und die Kommunen finanziell dabei unter- dem 1. März 2021 jedermann zur Verfügung stehen soll- stützt, Unterbringungen für diese besonders schutzbedür- ten, stellen bis heute ein uneingelöstes Versprechen dar. ftigen Menschen zu gewährleisten, ist nicht nachvollzieh- Dabei können Schnelltests dazu führen, dass freiheitsbe- bar. schränkende Maßnahmen aufgehoben werden, ohne in erheblichem Maß an Infektionsschutz einzubüßen. e) Dass die von der Bundesregierung angepriesenen Hilfen für die Unternehmen entgegen den Ankündigun- d) Schließlich ist das Vertrauen in den Bundesgesund- gen nicht kurzfristig ausgeschüttet wurden, sondern im heitsminister auch dadurch erschüttert, dass er von der Gegenteil im März noch immer Unternehmer auf die Bevölkerung einen Verzicht fordert, den er selbst nicht sogenannten „Novemberhilfen“ warten (Stand 1. März zu erbringen bereit ist. Denn während er am Morgen des 2021: 70 Prozent der Novemberhilfen in Berlin ausge- 20. Oktober 2020 noch im ZDF die Menschen aufrief, auf zahlt), ist skandalös. Das Geld ist da – es wird nur nicht private Feiern zu verzichten, nahm er selbst noch am ausgezahlt. Hierbei handelt es sich um vollständiges poli- selben Abend an einem Abendessen mit einem Dutzend tisches Versagen der Bundesregierung. Dies führt auch Unternehmern in Leipzig teil, die im Vorfeld des Abends dazu, dass die Akzeptanz der Maßnahmen in der Bevöl- gebeten worden seien, Spenden für Spahns Bundestags- kerung immer weiter sinkt. Hinzu kommt, dass viele wahlkampf in Höhe von 9 999 Euro zu überweisen. Die- Selbstständige sich von diesem Ausfall nicht erholen (B) ser Vorgang führt zu einem erheblichen Verlust nicht nur werden, sondern vor den Ruinen ihrer beruflichen Exis- (D) des Vertrauens der Bevölkerung, sondern auch der Bereit- tenz stehen. schaft, sich an die von Spahn verordneten Maßnahmen weiterhin zu halten. Fünftens. Fazit: Ich kann diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen, weil er gemessen an der Länge der bereits Viertens. Nicht zuletzt haben sich auch meine Beden- bestehenden epidemischen Lage noch immer zu viele ken hinsichtlich der unzureichenden Abmilderung der rechtliche und tatsächliche Defizite hinsichtlich der Pan- Pandemiefolgen für die Bevölkerung verwirklicht: demiebekämpfung sowie der Abmilderung der Pande- miefolgen für die Bevölkerung aufweist. a) Schon im Frühjahr 2020 habe ich darauf hingewie- sen, dass zum Schutz der Wohnraum- und Gewerbemie- ter/-innen Kündigungen nicht nur wie vorgesehen für drei Veronika Bellmann (CDU/CSU): Den zur Abstim- Monate bis 30. Juni 2020 auszuschließen wären, sondern mung stehenden Vorlagen zum Gesetz zur Fortgeltung für einen längeren Zeitraum. Eine Verlängerung des Kün- der epidemischen Lage von nationaler Tragweite betreff- digungsmoratoriums ist durch die Bundesregierung enden Regelungen (Bundestagsdrucksache 19/26545) jedoch ausgeblieben. Auch ein Sonderfonds für von der und unter anderem dem Antrag der Koalitionsfraktionen Krise betroffene Mieter/-innen wurde nicht eingerichtet. zur Feststellung des Fortbestehens der epidemischen Lage von nationaler Tragweite werde ich nicht zustim- b) Auch hat sich meine Befürchtung hinsichtlich der men. Ausschüttung von Boni und Dividenden durch staatlich unterstützte Konzerne bewahrheitet. Schon letztes Jahr Die Verabschiedung des Gesetzes zur Verlängerung kritisierte ich heftig, dass im Wirtschaftsstabilisierungs- des pandemiebedingten Ausnahmezustandes würde fondsgesetz die Gehälter und Boni von Managern und bedeuten, dass der Deutsche Bundestag für weitere min- Angestellten von coronabedingt gef ö rderten Unterneh- destens drei Monate der Runde aus Bundeskanzlerin und men nicht niedrig gedeckelt sind. Die befürchteten Miss- Ministerpräsidenten ermöglicht, ohne Mitsprache des bräuche und Mitnahmeeffekte sind eingetreten. Einige Bundestages und der Länderparlamente Entscheidungen Unternehmen konnten während der Krise erhebliche zu treffen, die tiefe Einschnitte in alle persönlichen, Gewinne erzielen und erhöhte Dividenden ausschütten, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereiche bedeu- obwohl sie zeitgleich staatliche Hilfen wie Kurzarbeiter- ten. geld erhielten. Laut Oxfam zeichneten sich die deutschen Wir durchleben eine Zeit atemberaubender, Unternehmen im internationalen Vergleich besonders besorgniserregender Veränderungen. Covid-19, seine „durch Dreistigkeit und Maßlosigkeit aus“. Ein deutsches Mutationen und die Maßnahmen der Bundes- und Lan- Automobilunternehmen habe demnach trotz der Inan- desregierungen haben unser Land in einem Maß verän- 27196 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

(A) dert, das noch vor einem Jahr unser aller Vorstellungs- nur für das verantwortlich gemacht werden, was ich (C) kraft gesprengt hätte. Der Schaden, den die epidemische auch selbst mit beraten und beschlossen habe und nicht Lage unserem Gemeinwesen bisher beigefügt hat, ist für das, auf das ich im Grunde keinerlei Einfluss habe. immens. Während fast 83 Millionen Bürger erheblich in ihren Grundrechten beeinträchtigt sind, wachsen die Darüber hinaus brauchen wir eine tragfähige und Zweifel an der Effektivität der angeordneten Maßnah- schlüssige Gesamtstrategie, die neben den medizinischen men. Notwendigkeiten auch die gesellschaftlichen, sozialen und wirtschaftlichen Konsequenzen des Vorgehens unse- rer Regierung umfasst. Ein solches umfassendes Gesamt- Neben der Frage nach der Sinnhaftigkeit dieser Politik konzept wird seit Monaten zwar von unterschiedlicher beunruhigt viele Bürger, dass demokratische Verfahrens- Seite immer wieder gefordert – die Regierung ist es weisen außer Kraft gesetzt werden und die deutsche Poli- aber bis heute schuldig geblieben. tik in der Krise schon seit Monaten ohne hinreichende Dabei gibt es sehr wohl alternative Ansätze, fundierte Beratung und Beschlussfassung der Parlamente festge- Ideen und wissenschaftliche Konzepte für die Pandemie- legt wird – durch eine kleine Runde im Kanzleramt, die bewältigung. Selbst im RKI wurden entsprechende in der Verfassung so nicht vorgesehen ist. Während vor- Handreichungen und Stufenkonzepte entwickelt. Als wiegend exekutives Handeln im Frühjahr 2020 nach deren Grundlage weist das RKI in seiner „ControlCO- Übergreifen der Pandemie auf Deutschland nachvollzieh- VID“-Strategie die Orte niedriger und moderater Infek- bar war, ist es das nach einem Jahr nicht mehr. Dass zu tionsgefahr aus (die mit entsprechenden Hygienekonzep- Beginn der Pandemie – wie in anderen akuten Notsitua- ten noch weiter heruntergedrückt werden kann), zu denen tionen, in denen ein rasches Handeln vonnöten ist – auf alle Bereiche gehören, die jetzt seit Monaten vom Lock- der Grundlage der Entscheidungen im kleinen Kreis down betroffen sind. Es gibt keine schlüssigen Argumen- gehandelt worden ist, mag sinnvoll und nötig gewesen te mehr, diese Bereiche ab sofort nicht wenigstens schritt- sein. Mittlerweile aber führt diese Vorgehensweise, bei weise zu öffnen und den Lockdown auslaufen zu lassen. der demokratische Abstimmungsprozesse schon zu lange Leider finden diese statistisch belegten Nachweise in den außer Kraft gesetzt sind und weder Bundestag noch Län- speziellen Runden von Kanzlerin und Ministerpräsiden- derparlamente die Möglichkeit haben, zumindest mit- ten wenig Gehör. Deshalb lehne ich die Verlängerung der zuentscheiden, zu immer größerem Unmut in der Bevöl- Exekutivermächtigung ab. Die Verlängerung des derzei- kerung. Es kann nicht angehen, dass demokratische tigen rechtlichen Ausnahmezustandes über den 31. März Verfahren dauerhaft umgangen werden. Deutschland ist 2021 ist nach Vorlage einer schlüssigen Teststrategie und keine Präsidialdemokratie, kein Land, das auf Dauer mit- einer überarbeiteten Impfkonzeption nicht mehr erforder- tels exekutiver Verordnungen regiert werden kann und lich. Ich erwarte die Wiederherstellung des verfassungs- (B) darf. Ein Jahr nach Beginn der Pandemie ist es nicht (D) rechtlich gebotenen Parlamentsvorbehalts. mehr zu rechtfertigen, dass das Land primär per exekuti- ver Verordnungen aus dem Kanzleramt und den Staats- Die Bundesregierung muss umgehend eine tragfähige kanzleien der Länder geführt wird. Im Frühjahr 2020 gab Gesamtstrategie zur Pandemie- und Pandemiefolgenbe- es noch keine hinreichenden Erfahrungen im Umgang wältigung vorlegen, die wiederkehrende Lockdowns wei- mit dem Virus, da war sofortiges Eingreifen begründbar testgehend vermeidet und darüber hinaus Perspektiven (was im Übrigen im Gegensatz zu den derzeitigen des Neustarts bietet. Dazu muss das gesamte breite November-, Dezember- und Überbrückungshilfen auch Spektrum der wissenschaftlichen Expertise in der Pande- tatsächlich auf die Unterstützungsleistungen zutraf, die miebekämpfung und deren Nebenwirkungen stärker ein- zu Recht die Bezeichnung „Soforthilfen“ trugen). Inzwi- bezogen werden als bisher. Sie muss ergebnisoffen den schen ist das Virus und besonders seine Mutationen nicht breit gefächerten Expertenrat, unter Berücksichtigung ungefährlicher geworden, aber die Prozesse und Entwick- sämtlicher wirtschaftlicher und sozialer Folgen von zu lungen durchaus berechenbarer. Die Parlamente in Bund treffenden Maßnahmen, einholen. Deutschland erlebt in und Ländern können also auch alle Regelungskompeten- dieser Zeit eine wachsende Verengung des demokrati- zen wieder übernehmen. Zumal gerade der Bundestag in schen Diskurses, die Relativierung von Meinungsfreiheit anderen Krisensituationen, wie beispielsweise der Euro- und die fortschreitende Stigmatisierung Andersdenken- Staatsschulden- und Bankenkrise, bereits mehrfach der, unter anderem leider auch von namhaften Wissen- schnelles und effektives Handeln bewiesen hat. schaftlern. Die Balance zwischen Exekutive, Legislative und Judikative ist wiederherzustellen. Beschlüsse mit wesentlicher Tragweite sind in unserer Demokratie durch Wir müssen zurück in die Normalität eines demokra- die Parlamente zu fassen. Deren Beteiligung und recht- tisch geführten Rechtsstaats, da sonst die Gewaltentei- zeitige umfassende Information ist jederzeit sicherzustel- lung und somit letztlich die Souveränität des deutschen len. Volkes relativiert werden. Die Entscheidungen über die gravierenden Einschnitte bei Grundrechten und die we- Die gravierenden Folgen der Coronamaßnahmen, wie sentlichen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung müs- die massive Schädigung einer gesunden Volkswirtschaft sen dorthin zurückverlagert werden, wo sie der Verfas- und Zerstörung ganzer Branchen, aber auch die Vernach- sung nach auch hingehören: in den Deutschen Bundestag lässigung der Bildung unserer Kinder, führen zu einem und in die Länderparlamente. Der Ausnahmezustand darf erheblichen Vertrauensverlust und zunehmender Staats- nicht weiter zementiert, die Gewaltenteilung muss aus verdrossenheit. Viele Bürger wenden sich von ihren poli- ihrer bedenklichen Schieflage befreit werden. Und tischen Führungskräften ab. Manche handeln leichtsinnig schließlich möchte ich als Wahlkreisabgeordnete auch und zum Nachteil der ganzen Gesellschaft, indem sie Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27197

(A) individuell die Schutzmaßnahmen für besonders gefähr- sche Entwicklung des Infektionsgeschehens macht eine (C) dete Menschen unterlaufen. Alles zusammen gefährdet ständige Überprüfung der Grundrechtseingriffe notwen- die Stabilität unseres Landes insgesamt. Gesellschaft, dig. Ich hätte es begrüßt, wenn das IfSG deshalb explizit Wirtschaft und Demokratie erleiden Schaden. Die Men- anordnet, dass Maßnahmen beim Wegfall ihrer Angemes- schen brauchen Zuversicht und Hoffnung, nicht Panik- senheit umgehend zurückzunehmen sind. mache und Verbote. Der Deutsche Bundestag ist aufgrund des Infektions- Alexander Müller (FDP): Der Gesetzentwurf der schutzgesetzes (IfSG) nach § 5 Absatz 1 IfSG für eine Regierungskoalition hat mehrere Punkte, denen ich nicht Gesamtbeurteilung der Lage in Deutschland zuständig. zustimmen kann. In meiner Gesamtbeurteilung der Lage kann ich aus Die Impfreihenfolge wird bei mangelndem Impfstoff den angeführten Gründen, insbesondere wegen des feh- noch immer per Rechtsverordnung und nicht per Gesetz lenden Parlamentsvorbehalts, dem Gesetzentwurf nicht geregelt, was aus meiner Sicht sowie nach Auffassung zustimmen. vieler Verfassungsrechtsexperten nicht grundgesetz- Mein Votum zum Gesetz zur Fortgeltung der die epi- konform ist. Die Regelung per Rechtsverordnung sorgt demische Lage von nationaler Tragweite betreffenden für große Unsicherheiten aufseiten der Impfzentren, der Regelungen lautet daher Nein. zuständigen Gebietskörperschaften und auch des impf- enden Personals. Wir brauchen jetzt schnelle Impffort- schritte und können uns Verzögerungen durch Unsicher- Dr. Saskia Ludwig (CDU/CSU): heit und Unklarheit nicht leisten. In dem vorliegenden aktuellen Gesetzesentwurf ist wieder nicht vorgesehen, den Bundestag und die Länder- Die Regierungskoalition manifestiert mit diesem Ge- parlamente angemessen an den anstehenden Entschei- setzentwurf die monatelang geübte Praxis, dass der Deut- dungen zur Eindämmung der Coronapandemie zu betei- sche Bundestag dauerhaft nur noch die pandemische ligen, und zwar bevor es zu den Beschlüssen der Lage feststellen soll, er ansonsten aber auf die konkrete Bundeskanzlerin und der Ministerpräsidenten kommt. Bekämpfung der Pandemie und die Eingriffe in Freiheits- Dieser Zustand dauert bereits ein Jahr an. Die damit ein- rechte keinen Einfluss mehr hat. hergehenden Grundrechtseinschränkungen sind erheb- Die Bundesregierung hält es weder für notwendig, die lich und können nicht über einen solchen langen Zeit- mit den Ländern beschlossenen Maßnahmen im Bundes- raum in dieser Weise eingeschränkt werden. tag zu debattieren oder zu erklären, noch, das Parlament Dieses Vorgehen entspricht nicht meinem Parlaments- in die Beratungen zu den Maßnahmen einzubinden. (B) verständnis. Zudem vermisse ich bei diesem Gesetzesent- Wir alle wissen, dass zur Bekämpfung der Pandemie (D) wurf zur Fortdauer der pandemischen Lage Aussagen Maßnahmen ergriffen werden müssen. Diese müssen zum Umgang mit durch die Erklärung der pandemischen aber verhältnismäßig sein, und es muss alles Mögliche Lage entstandenen Kollateralfolgen in Wirtschaft, Bil- getan werden, um Freiheitseinschränkungen so schnell dung und Gesellschaft. Die daraus resultierenden Lang- wie verantwortbar wieder aufzuheben. Beides ist derzeit zeitschäden werden weder diskutiert noch berücksichtigt. überwiegend nicht der Fall. Die pandemische Lage erkenne ich an. Angesichts nie dagewesener Einschränkungen der ver- Trotzdem muss ich den Gesetzentwurf wegen oben fassungsrechtlich verbrieften Grundfreiheiten der Bür- gemachter Ausführungen ablehnen. gerinnen und Bürger in Deutschland ist diese Art des Umgangs mit dem Parlament nicht akzeptabel. Der Ge- Matern von Marschall (CDU/CSU): Ich befürworte setzentwurf verschiebt die Machtbalance, die unsere Ver- eine zügige Durchführung des vorgesehenen Gesetzge- fassung vorsieht, und höhlt die Befugnisse des Deutschen bungsprozesses, um der Coronapandemie angemessen Bundestages zugunsten der Exekutive unverhältnismäßig begegnen zu können. Im Kern unterstütze ich das Gesetz stark aus. zur Fortgeltung der die epidemische Lage von nationaler Die FDP-Fraktion hat dazu heute einen Änderungsan- Tragweite betreffenden Regelungen und habe dem Ent- trag eingereicht. Weil dieser keine Mehrheit gefunden wurf deshalb heute zugestimmt. Jedoch möchte ich einige hat, kann ich dem Gesetzentwurf der Regierungsfraktio- Anmerkungen zu Protokoll geben, denen ich im bisheri- nen nicht zustimmen. gen Verfahren keinen Ausdruck verleihen konnte.

Die Regelungen des IfSG dienen als Ermächtigungs- Christian Sauter (FDP): Die Coronapandemie ist die grundlage für Maßnahmen zur Eindämmung der Corona- größte Pandemie seit der Spanischen Grippe und deren pandemie und fixieren als solche ausdrücklich Kriterien, Folgen die größte ökonomische Herausforderung seit die bei der jeweiligen Verhältnismäßigkeitsabwägung zu dem Zweiten Weltkrieg. Die bisherigen Maßnahmen zur berücksichtigen sind. Insbesondere benennt § 28a Bekämpfung der Pandemie offenbaren ein Organisations- Absatz 3 IfSG Schwellenwerte, ab denen bestimmte versagen auf allen staatlichen Ebenen. Die Impfstoffbe- Maßnahmen insbesondere erlassen werden können. stellung erfolgte zu spät, die Verteilung funktioniert Mit Blick auf die außerordentliche Belastung der nicht, die Testkapazitäten wurden zu spät aufgebaut, die Bevölkerung halte ich es für angezeigt, gesetzlich nicht Nachverfolgung von Infizierten klappt nicht und die nur die Einsetzung der Maßnahmen, sondern auch deren Wirtschaftshilfen fließen zu schleppend. Gleichzeitig Rücknahme ausdrücklich vorzuzeichnen. Die dynami- werden auf der Basis des Infektionsschutzgesetztes 27198 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

(A) Grundrechte massiv eingeschränkt (Freiheit der Person, Immer mehr Ärzte, Wissenschaftler, Verfassungsrecht- (C) Gewerbefreiheit, Versammlungsfreiheit, Freizügigkeit, ler sowie zahlreiche namenhafte Vertreter verschieden- Unverletzlichkeit der Wohnung). ster Interessengruppen schlagen inzwischen Alarm. Unser Land verändert sich, und gerade auch als Politike- Der Gesetzentwurf ändert daran nicht grundsätzlich rin stelle ich fest, dass die Entscheidungen der Bundesre- etwas. Es ist zwar zu begrüßen, dass der Deutsche Bun- gierung in der Pandemiebekämpfung immer weniger destag mindestens alle drei Monate der Feststellung der nachvollzogen, verstanden und akzeptiert werden. Die epidemischen Lage zustimmen muss, jedoch ist die mit Menschen haben genug davon, Woche für Woche in dem 1. Bevölkerungsschutzgesetz eingeführte „Sunset- Hoffnung auf ein Ende des Lockdown vertröstet zu wer- Klausel“ zu den Regelungen und Verordnungsermächti- den, sinnfreie Maßnahmen zur Kontaktbeschränkung und gungen bei einer „epidemischen Lage von nationaler den Verzicht auf persönliche Grund- und Freiheitsrechte Tragweite“ im Gesetzentwurf gestrichen worden. Die hinnehmen zu müssen. Sie erwarten, dass die Bundesre- Regelung gilt daher auf unbestimmte Zeit. gierung durch beherztes Handeln keinen Zweifel daran lässt, alles dafür zu tun, dass wir wieder frei leben und Der Gesetzentwurf stärkt die Parlamentsrechte nicht, arbeiten können. sondern schwächt sie weiter. Der Gesundheitsminister kann weiter auf dem Verordnungswege wesentliche Maß- Der jüngste Beschluss von Bundeskanzlerin und nahmen beschließen, ohne dass dabei das Parlament Ministerpräsidenten zum weiteren Vorgehen in der Pan- beteiligt wird. Das ist verfassungswidrig und daher abzu- demie ist unter diesen Gesichtspunkten unzureichend. Er lehnen. orientiert sich weiterhin an Inzidenzwerten und legt den Grundrechtseinschränkungen damit einen Maßstab zugrunde, der keine Aussage über die tatsächliche Bedeu- Frank Schäffler (FDP): Die Coronapandemie ist die tung des Virus trifft. Die im Beschluss vorgesehenen größte Seuche seit der Spanischen Grippe und deren Fol- Regelungen – beispielsweise für Hotels und Gaststätten – gen die größte ökonomische Herausforderung seit dem sind völlig lebensfremd. Das Sterben der Branche wird Zweiten Weltkrieg. Die bisherigen Maßnahmen zur weitergehen. Bekämpfung der Pandemie offenbaren ein Organisations- Es ist meine tief empfundene Überzeugung, dass die versagen auf allen staatlichen Ebenen. Die Impfstoffbe- Entscheidung über die Art und das Ausmaß solch ein- stellung erfolgte zu spät, die Verteilung funktioniert schneidender Maßnahmen nicht allein durch die Regie- nicht, die Testkapazitäten wurden zu spät aufgebaut, die rungen getroffen werden darf, sondern vornehmlich beim Nachverfolgung von Infizierten klappt nicht, und die Parlament liegen muss. Das Parlament als Volksvertre- Wirtschaftshilfen fließen zu schleppend. Gleichzeitig tung ist besser in der Lage, die Situation der Menschen (B) werden auf der Basis des Infektionsschutzgesetztes zu erfassen und die Bedürfnisse der Bevölkerung ange- (D) Grundrechte massiv eingeschränkt (Freiheit der Person, messen abzubilden. Doch mit dem vorliegenden Gesetz- Gewerbefreiheit, Versammlungsfreiheit, Freizügigkeit, entwurf belässt der Bundestag die Entscheidung über die Unverletzlichkeit der Wohnung). Pandemiebekämpfung unverändert bei der Exekutive. Der Gesetzentwurf ändert daran nicht grundsätzlich Aus diesem Grund sehe ich keine andere Möglichkeit, etwas. Es ist zwar zu begrüßen, dass der Deutsche Bun- Einfluss auf die Krisenpolitik in der Pandemie zu neh- destag mindestens alle drei Monate der Feststellung der men, als gegen den vorliegenden Gesetzentwurf zu stim- epidemischen Lage zustimmen muss, jedoch ist die mit men. dem 1. Bevölkerungsschutzgesetz eingeführte „Sunset- Klausel“ zu den Regelungen und Verordnungsermächti- gungen bei einer „epidemischen Lage von nationaler Anlage 5 Tragweite“ im Gesetzentwurf gestrichen worden. Die Regelung gilt daher auf unbestimmte Zeit. Erklärung nach § 31 GO Der Gesetzentwurf stärkt die Parlamentsrechte nicht, der Abgeordneten Petra Pau (DIE LINKE) zu der sondern schwächt sie weiter. Der Gesundheitsminister Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der kann weiter auf dem Verordnungswege wesentliche Maß- CDU/CSU und SPD: Feststellung des Fortbeste- nahmen beschließen, ohne dass dabei das Parlament hens der epidemischen Lage von nationaler Trag- beteiligt wird. Das ist verfassungswidrig und daher abzu- weite lehnen. (Tagesordnungspunkt 8 b) Ich habe dem Antrag auf Feststellung des Fortbeste- hens der epidemischen Lage von nationaler Tragweite Jana Schimke (CDU/CSU): Seit nahezu drei Mona- ten befindet sich unser Land im Lockdown. Die weitrei- nach § 5 Absatz 1 IfSG zugestimmt, weil wir uns derzeit chenden Einschränkungen bergen eine Vielzahl an Kolla- völlig unbestreitbar immer noch in einer epidemischen teralschäden. Die Situation in der Wirtschaft ist Lage befinden, die die Voraussetzungen des § 5 Absatz 1 dramatisch. Existenzen sind durch angeordnete Schlie- des Infektionsschutzgesetzes im Ergebnis erfüllt. ßungen, unzureichende Wirtschaftshilfen und ein fakti- Was indes seit inzwischen fast genau einem Jahr fehlt, sches Berufsverbot bedroht. Mir war deshalb immer ist zum einen eine substanzielle, unverzügliche und trans- klar, dass wir Wege finden müssen, mit dem Virus zu parente Informationspraxis der Bundesregierung und der leben. Länder zu ihrer Erkenntnislage über das Infektionsge- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27199

(A) schehen, ihren daraus für dessen Bekämpfung gezogenen sicht 818 zu Petitionen, Beschlussempfehlung 1, (C) Schlussfolgerungen und die darauf gestützten Maßnah- lfd. Nr. 2 (Wirtschaftsförderung und Wirtschafts- men als Voraussetzung einer sachgerechten Befassung sicherung) des Bundestages. (Tagesordnungspunkt 34 o) Zum anderen benötigt der Bundestag überdies drin- Der Petent – Petition 1-19-09-77-032644 – verweist zu gend ein beratendes Gremium, das ihn erst in die Lage Recht darauf, dass Kunst- und Kulturschaffende wie versetzen würde, die Zweckmäßigkeit der von Bund und Musiker/-innen und Kleinkünstler/-innen im besonderen Ländern zur Bekämpfung dieser epidemischen Lage Maße von den wirtschaftlichen Folgen der Coronapande- ergriffenen und künftig noch zu ergreifenden, vor allem mie betroffen sind. Laut einer aktuellen Studie im Auf- aber auch der aufzuhebenden Beschränkungsmaßnamen trag des Kompetenzzentrums Kultur- und Kreativwirt- der Bundesregierung und der Länder im Hinblick auf schaft des Bundes belaufen sich die Umsatzverluste einen erweiterten, nicht allein von epidemiologischen 2020 auf 22,4 Milliarden Euro – ein Minus von 13 Prozent Erwägungen dominierten Zielhorizont zu analysieren, im Vergleich zu 2019. Am stärksten wirkt sich die Coro- zu bewerten und daraus Schlussfolgerungen zu ziehen. nakrise auf den Markt für die darstellenden Künste aus, Dies betrifft insbesondere die Frage, welcher Zeithori- mit einem Umsatzverlust von 85 Prozent. Bei der Musik- zont für die Verlängerung der Feststellung der epidemi- branche schlägt das Virus mit 54 Prozent Minus zu schen Lage sachgerecht ist. Ausschlaggebend für die im Buche, bei der bildenden Kunst mit 51 Prozent. Hinblick darauf gebotene zeitliche Begrenzung der Fest- Schätzungen zufolge könnten bis zu 70 Prozent der Kul- stellung des Fortbestehens der epidemischen Lage muss tureinrichtungen in Deutschland die Coronakrise nicht sein, welcher Zeitraum zwingend erforderlich ist, um das überstehen. Zwei von drei Kinos, Clubs, Kindertheatern gesamtgesellschaftliche Gleichgewicht zu wahren. Die und Konzertbühnen würden demnach ihre Türen nicht Feststellung darf nicht über das absolut gebotene Maß mehr öffnen. hinaus verlängert werden, sollen die ökonomischen, sozialen, kulturellen und emotionalen Bedürfnisse der Die Wirtschafts- und Neustarthilfen des Bundes schaf- Einzelnen und der Allgemeinheit nicht in einem Maße fen hierbei insbesondere für Soloselbstständige und Frei- beeinträchtigt werden, dass den gesellschaftlichen schaffende keine Abhilfe. Die Zugangsvoraussetzungen Zusammenhalt bedroht. der Wirtschaftshilfen des Bundes gehen an vielen Stellen an den Arbeits- und Lebensrealitäten in der Kunst- und Um beide zwingenden Erfordernisse zu gewährleis- Kulturbranche vorbei. Die einmalige Betriebskostenpau- ten – eine unverzügliche sachgerechte Informationspra- schale bzw. „Neustarthilfe” trägt zwar erstmals im Ansatz xis der Bundesregierung und der Länder sowie das eines den Arbeits- und Lebensrealitäten Soloselbstständiger (B) multidisziplinär ausgerichteten wissenschaftlichen Bera- und Freischaffender Rechnung, denn viele Kunst- und (D) tungsgremiums des Bundestages, das zugleich dem legi- Kulturschaffende verfügen über keine nennenswerten timen Beachtungsanspruch der Erfahrungen der Bürger- Fixkosten. Allerdings belaufen sich diese Hilfen lediglich innen und Bürger mit der Pandemie den gebotenen Raum auf einmalig 25 Prozent des siebenmonatigen Referen- eröffnet –, hat die Fraktion Die Linke bereits im Dezem- zumsatzes im Jahr 2019 bis maximal 7 500 Euro. In der ber letzten Jahres den „Entwurf eines Gesetzes für einen Künstlersozialkasse versicherte Frauen verdienten im Pandemierat des Bundestages (Pandemieratgesetz – Pan- Jahr 2019 beispielsweise im Durchschnitt lediglich demieratG)“ (Drucksache 19/25254) eingebracht. Der 1 326 Euro im Monat. Sie würden also nur circa Pandemierat soll den Bundestag bei der Feststellung des 2 321 Euro erhalten. Das ist zu wenig. Außerdem sind Vorliegens bzw. Fortbestehens einer epidemischen Lage die Kriterien für die Hilfen des Bundes unklar, und die im Sinne des § 5 Infektionsschutzgesetz unterstützen und Rechtsgrundlagen und FAQ zu den Coronahilfen werden beraten, indem er die von der Bundesregierung vorge- immer wieder geändert – zum Teil mit gravierenden Fol- legten Erkenntnisse und Informationen zu den ergriffe- gen für die Akteur/-innen. Laut der Kleinen Anfrage nen Maßnahmen fortlaufend analysiert und bewertet. In „Betrugsverdachtsfälle bei der Corona-Soforthilfe“ ihm sollen neben Wissenschaftlerinnen und Wissen- (Bundestagsdrucksache 19/25966) der Fraktion Die Lin- schaftlern auch Bürgerinnen und Bürger vertreten sein. ke liegen den Finanzbehörden ungefähr 9 500 Meldungen Dadurch könnte die Qualität der Beschränkungsmaßnah- in Bezug auf Betrugsverdacht bei der Coronasoforthilfe men, aber auch der künftigen Maßnahmen zu ihrer Auf- vor. In vielen Fällen haben Bezugsempfänger/-innen hebung verbessert werden und infolgedessen die gesell- lediglich wenige Tausende Euro erhalten. Hier braucht schaftliche Akzeptanz der Eindämmungsmaßnahmen es endlich Verlässlichkeit, Rechtssicherheit und eine radi- und damit der gesamtgesellschaftliche Zusammenhalt kale Vereinfachung der Zugangsvoraussetzungen. wieder gestärkt werden. Darüber hinaus werden Kunst- und Kulturschaffende weiterhin auf den sogenannten vereinfachten Zugang zur Grundsicherung (ALG II) verwiesen. Jedoch ist die Anlage 6 Grundsicherung für Kunst- und Kulturschaffende in der Coronakrise nur bedingt eine Lösung. Die Überprüfung Erklärung nach § 31 GO der Bedarfsgemeinschaft, die Vermögensprüfung ab 60 000 Euro sowie minimale Zuverdienstgrenzen machen der Abgeordneten Simone Barrientos (DIE LIN- eine Lebenshaltung auf dieser Basis fast unmöglich, KE) zu der Abstimmung über die Beschlussemp- zumal Selbstständige und Freischaffende auf die Bildung fehlung des Petitionsausschusses: Sammelüber- von Rücklagen etwa für die private Altersvorsorge ange- 27200 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

(A) wiesen sind. Seit Juli 2020 haben die Jobcenter die Sank- Bildungseinrichtungen und Werkstätten, die speziell für (C) tionierung von Hartz-IV-Beziehenden wieder aufgenom- Menschen mit teilweise schweren Behinderungen ausge- men. Ich möchte an dieser Stelle auch ausdrücklich fest- richtet sind. Diese leisten eine hervorragende und liebe- halten, dass die Fraktion Die Linke ALG II für volle Arbeit und geben vielen Menschen Heimat, Stolz niemanden als zumutbar empfindet. und Anerkennung. Ich besuche unsere Einrichtungen regelmäßig, und ich bin immer wieder begeistert von Die Verbesserung der Hilfen für Soloselbstständige der großartigen Arbeit, die hier geleistet wird. und Freischaffende in Kunst und Kultur, etwa durch die Einführung eines unkomplizierten Unternehmer/-innen- Denken wir zum Beispiel an eine Schule für Menschen lohns, ist eine der zentralen Forderung der Fraktion Die mit starken Sehbehinderungen oder eine Werkstatt für Linke und von mir selbst. Ich teile daher das Anliegen des Menschen mit schweren körperlichen Behinderungen. Petenten und stimme gegen den Abschluss des Petitions- Gerade die Förderschulen und Fachwerkstätten ermögli- verfahrens. chen es, mit ihrer speziellen Fachkenntnis und Ausstat- tung hier enorm zu helfen. Deshalb muss man aus meiner Sicht aufpassen, dieses starke System nicht schlecht- Anlage 7 zureden oder gar menschenrechtsfeindlich zu titulieren. Nach meinem christlichen Menschenbild ist jeder Zu Protokoll gegebene Rede Mensch vor Gott und dem Gesetz gleich – ob mit oder zur Beratung ohne Einschränkungen. Aber jeder Mensch ist auch indi- viduell und braucht individuelle Hilfe und Unterstützung, – der Unterrichtung durch das Deutsche Institut auf den unterschiedlichsten Stationen seines Lebens- für Menschenrechte: Jahresbericht 2019 wegs. Deshalb kann es hier nicht heißen „entweder – – der Unterrichtung durch das Deutsche Institut oder“, sondern es muss heißen „sowohl – als auch“. für Menschenrechte: Bericht über die Entwick- Dort, wo eine Integration möglich ist, ist das gut und lung der Menschenrechtssituation in Deutsch- richtig. Dort, wo spezieller Förderbedarf besteht, sollten land im Zeitraum Juli 2019 bis Juni 2020 wir diesen auch unbedingt ermöglichen. Alles andere wäre aus meiner Sicht ein Rückschritt im Gedanken der (Tagesordnungspunkte 30 a und b) Inklusion. Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang immer an Sebastian Brehm (CDU/CSU): Heute diskutieren eine Rede anlässlich einer Jubiläumsveranstaltung einer wir den Jahresbericht 2019 des Deutschen Instituts für Werkstatt in Nürnberg. Dort hieß es: Jeder von uns hat Menschenrechte und den Bericht über die Entwicklung Einschränkungen, beim einen sieht man es mehr, beim (B) der Menschenrechtssituation in Deutschland im Zeitraum (D) anderen weniger. Unser menschenrechtliches Leitbild Juli 2019 bis Juni 2020. muss es sein, jeden Einzelnen zu sehen und jeden Einzel- Wie in jedem Jahr hat das Deutsche Institut für Men- nen auf seinem individuellen Weg bestmöglich zu unter- schenrechte sich zwei Schwerpunktthemen für diesen stützen und zu fördern. Berichtszeitraum vorgenommen: Das erste Thema ist das Thema „Abschiebung bei Krankheit“ – das wurde ja heute schon vielfach diskutiert –, und der zweite The- Anlage 8 menbereich wird überschrieben mit „Junge Menschen mit Behinderung: anerkannte Berufsausbildung statt Son- Zu Protokoll gegebene Rede derwege“. Auf diesen Bereich möchte ich mich konzen- trieren. zur Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Lisa Badum, Dr. Bettina Hoffmann, Im Bericht wird beschrieben und gefordert, dass wir weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- noch mehr Anstrengungen unternehmen müssen, gerade NIS 90/DIE GRÜNEN: 10 Jahre nach dem GAU jungen Menschen mit Behinderung eine anerkannte von Fukushima – Atomkraft hat keine Zukunft Berufsausbildung und damit einen Weg in den ersten Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Gleichzeitig müssen wir (Tagesordnungspunkt 16) in den Unternehmen die Inklusionskompetenz erhöhen – durch Barrierefreiheit, durch Sensibilisierung und durch Michael Kießling (CDU/CSU): Die Katastrophe von Schulung. Das ist richtig, und das unterstütze ich nach- Fukushima war ein Einschnitt für uns alle. Deutschland drücklich. hat daraus seine Lehren gezogen. 2011 wurde der Aus- Kritisiert werden in diesem Bericht die sogenannten stieg aus der Kernenergie eingeleitet. Nächstes Jahr wird Parallelsysteme für Schule und Ausbildung für Menschen dieser abgeschlossen sein. Das letzte Kernkraftwerk geht mit Behinderung. Ich zitiere: „Werden dauerhaft zwei 2022 vom Netz. Und damit wird die Energieerzeugung parallele Systeme – ein Regel-Ausbildungssystem und aus Kernkraft in Deutschland der Vergangenheit angehö- eine spezielles System für Menschen mit Behinderun- ren. Dazu muss man sagen: Das war unsere nationale gen – aufrechterhalten, ist das mit den menschenrecht- Entscheidung – weil es eben auch in die Zuständigkeit lichen Verpflichtungen Deutschlands nicht vereinbar“. der Nationalstaaten fällt. So steht es im Bericht. Diese pauschale Kritik kann ich Umso schlimmer ist es, dass die Grünen immer den aber leider nicht so stehen lassen. In Deutschland und Eindruck erwecken wollen, als könnten wir den Betrieb auch in meinem Wahlkreis in Nürnberg gibt es zahlreiche der Kernkraftwerke in Nachbarländern beeinflussen oder Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27201

(A) gar verhindern. Wir müssen uns klarmachen: Wir haben Anlage 9 (C) keine rechtliche Handhabe. Auch die Einflussmöglich- keiten über die EU und andere internationale Gremien Zu Protokoll gegebene Reden sind begrenzt. Ja, wir können uns bemühen. Ja, wir kön- nen und sollten konstruktiv werben und appellieren. Aber zur Beratung des von der Bundesregierung einge- wir können keinen direkten Einfluss nehmen. Wir haben brachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Ände- keine echte Handhabe. Mit dem Antrag der Grünen wird rung des GRW-Gesetzes aber genau diese Hoffnung geweckt, eine Hoffnung, die wir nicht erfüllen können. Auch wenn es nicht in das (Tagesordnungspunkt 19) Weltbild der Antragsteller passt: Wir müssen die aktuel- len Planungen anderer Staaten pragmatisch zur Kenntnis Jan Metzler (CDU/CSU): Wir debattieren heute über nehmen. einen ganz pragmatischen Gesetzesvorschlag zur Ände- Meine Damen und Herren, lassen Sie uns stattdessen rung des GRW-Gesetzes. Der Sachverhalt ist simpel und den Blick auf Deutschland lenken und uns vor Augen geradeheraus: Wir wollen einen Förderausschluss im führen, was wir in den zehn Jahren seit dem Ausstiegsbe- Rahmen der GRW-Förderung für Landesmaßnahmen im schluss aus der Kernenergie geleistet haben: Zum Zeit- Bereich Straßenbau in begrenztem Umfang aufheben. punkt der Entscheidung zum Ausstieg aus der Kernkraft Oder andersherum: Es geht um die Förderfähigkeit von lag der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromver- Straßenbaumaßnahmen als Ergänzung sonstiger förder- sorgung bei 20 Prozent. Aktuell stehen wir im Strombe- fähiger GRW-Maßnahmen. reich bei einem Anteil von 46 Prozent. Ich darf hier auch Was heißt das? Nehmen wir als praktisches Beispiel in aller Bescheidenheit anmerken, dass wir in Bayern den Bau eines Gewerbegebiets. Bisher war die Straßener- noch besser sind. In Deutschland haben wir den Anteil schließung von Gewerbegebieten über die GRW nur för- also mehr als verdoppelt. Das ist immens. Das ist eine derfähig bei einer Anbindung an kommunale Straßen. große Leistung. Daran wollen wir anknüpfen. Wenn aber ein Gewerbegebiet aufgrund der örtlichen Gegebenheiten direkt an eine Landes- oder Bundesstraße Hierfür haben wir in dieser Legislaturperiode einiges angeschlossen werden muss, ist eine Förderung dieses auf den Weg gebracht: Wir haben den Kohleausstieg be- Anschlussbaus nicht vorgesehen. Diese Begrenzung der schlossen. Das letzte Kohlekraftwerk soll 2038 vom Netz Förderung stellt die Gemeinden vor finanzielle Heraus- gehen. Im Übrigen ist Deutschland damit das einzige forderungen; teilweise konnten sinnvolle Gewerbegebiet- Industrieland weltweit, das gleichzeitig aus der Kernkraft sentwicklungen nicht umgesetzt werden. und der Kohleverstromung aussteigt. Darüber hinaus (B) haben wir: das EEG novelliert. Wir arbeiten konzentriert Das ändern wir nun. Besonders wichtig ist dies bei (D) weiter an der zukünftigen Ausgestaltung des nicht aus der hohem Verkehrsaufkommen in zentral gelegenen großen EEG geförderten Ausbaus der Erneuerbaren. Wir haben Industrie- und Gewerbegebieten. Die Gesamtkosten der mit dem Gebäudeenergiegesetz die energetischen Anfor- ergänzenden Anbindung müssen natürlich im Verhältnis derungen von Gebäuden sowie den Einsatz erneuerbarer zu den Gesamtkosten der Infrastrukturmaßnahme stehen: Energien angepasst. Wir haben einen nationalen Handel maximal ein Viertel der förderfähigen Kosten. Die Erwei- mit Verschmutzungsrechten für CO2 eingeführt. Wir set- terung hat dabei keine unmittelbaren Auswirkungen auf zen gezielt Anreize zur energetischen Sanierung von die öffentlichen Haushalte, da keine GRW-Mittelerhö- Gebäuden. Ich beende hier meine Auflistung. Die ganzen hung insgesamt vorgesehen ist. Die Fördererweiterung Maßnahmen, die wir auf den Weg gebracht haben, ver- ist im Übrigen im Einklang mit dem EU-Beihilferecht. deutlichen eines: Wir folgen dem Pfad der Nachhaltig- keit. Die Neuregelung ist eine sogenannte Kann-Option, das heißt, sie betrifft nur einen kleinen Teil der förderfähigen Jetzt eine kurze Erläuterung für meine Kolleginnen Maßnahmen. Die Bundesregierung schätzt, dass dies bei und Kollegen der Grünen: Nachhaltigkeit ist mehr als 3 bis 5 von 30 Fördervorhaben pro Jahr zum Tragen Umwelt- und Klimaschutz. Nachhaltigkeit vereint unsere kommt. Wie gesagt: Das ist eine sinnvolle Ergänzung. wirtschaftliche Leistungsfähigkeit mit dem Schutz unse- rer natürlichen Lebensgrundlage und unserer sozialen Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit, wenn wir hier Verantwortung. Das heißt auch: Die Erreichung der Kli- schon über dieses Thema debattieren, zur Erinnerung maziele darf nicht rein unter ökologischer Ideologie vielleicht nochmal ein paar kurze Worte zum Erfolgsmo- betrachtet werden, sondern es braucht den Ausgleich zwi- dell GRW generell sagen, auch aufgrund der Änderung schen den drei Polen und die Akzeptanz der Menschen. zum 1. Januar 2020 im Hinblick auf die Einbindung der GRW in das gesamtdeutsche Fördersystem: Die GRW als Dass die Grünen das noch nicht verstehen, wurde im eines der wichtigsten Förderinstrumente des Staates wird Übrigen gestern bei der Anhörung zur Bauwende deut- in der breiten Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Da- lich. Während die Grünen einseitig fordern und getrieben bei ist die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der von ihrer Klimaideologie glauben, man kann alles mit regionalen Wirtschaftsstruktur“ kein kleines Thema, son- Bevormundung, Verboten und Quoten regeln, handeln dern das Steuerungsinstrument des Staates schlechthin, wir. Wir handeln und vereinen Ökonomie, soziale Absi- um gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland zu cherung und Ökologie. Das ist unser Selbstverständnis, fördern. Wie wir unser Land gestalten wollen, wird ganz und daran werden wir uns auch weiterhin messen lassen. maßgeblich über dieses Instrument gefördert. Unser Nur so können wir Zukunft gestalten. erklärtes Ziel ist es, gute Lebensbedingungen zu haben, 27202 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

(A) egal wo man in Deutschland lebt. Dieses Ziel ist im inter- gebundene Mittel werden überjährig in einem Wettbe- (C) nationalen Vergleich nicht selbstverständlich und nicht werb für neue Ideen zur Unterstützung in strukturschwa- trivial. chen Regionen ausgeschrieben und eingesetzt. Wir schreiben also eine sinnvolle Erfolgsgeschichte weiter. Seit 1969 ist die GRW das zentrale Instrument der Insofern bitte ich um Ihre Zustimmung. regionalen Wirtschaftspolitik in Deutschland. Wir wol- len, dass unsere Bürger in München genauso gut leben können wie in der Uckermark, in Magdeburg genauso gut Falko Mohrs (SPD): Das GRW-Gesetz, also das Ge- wie in Freiburg. setz zur Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regio- Mit der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der nalen Wirtschaftsstruktur“, spielt in der Realität vieler regionalen Wirtschaftsstruktur“, GRW, sollen strukturelle Regionen und der dort lebenden Menschen eine entschei- Unterschiede und strukturelle Defizite ausgeglichen wer- dende Rolle. den. Dabei gilt: Förderung ist Hilfe zur Selbsthilfe und Es geht insbesondere darum, strukturschwachen Re- keine Dauersubvention. – Die Regionen sollen mit dieser gionen Perspektiven der Entwicklung zu ermöglichen Anschubhilfe in die Lage versetzt werden, aus eigener und wichtige Projekte zu unterstützen. Es geht dabei Kraft die Bedingungen vor Ort langfristig zu verbessern. darum, Investitionen in die Infrastruktur oder von Unter- Und das tun sie! Allein im letzten Förderzeitraum von nehmen zu unterstützen, um so Arbeitsplätze zu sichern 2015 bis 2019 wurden Förderungen für die gewerbliche und neue zu schaffen. Es geht darum, die Lebensperspek- Wirtschaft in Höhe von insgesamt 3,1 Milliarden Euro tive für die Menschen zu verbessern und auch Gewerbe- bewilligt. steuereinnahmen für die Kommunen zu schaffen. Denn Viel wichtiger aber noch: Mit dieser Förderung wurden gerade die finanzielle Schwäche der Städte, Gemeinden Investitionen mit einem Gesamtvolumen von gut 18 Mil- und Landkreise nimmt vielen Regionen weitere Entwick- liarden Euro angestoßen, also um den Faktor 6 erhöhte lungsperspektiven und verstärkt negative Spiralen. Folgeinvestitionen. Außerdem wurden fast 50 000 Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nehmen wir eine zusätzliche Dauerarbeitsplätze geschaffen und gleichzei- kleine, aber wichtige Verbesserung am GRW-Gesetz vor; tig 180 000 Arbeitsplätze gesichert. Daneben wurde im eine Verbesserung, die von der Praxis gewünscht wurde. gleichen Zeitraum wirtschaftsnahe Infrastruktur im Bisher ist die Förderung von Infrastrukturmaßnahmen Gesamtvolumen von fast 3 Milliarden Euro gefördert. des Bundes und der Länder im Bereich des Straßenbaus Strukturelle Defizite beseitigen, um gleichwertige ausgeschlossen; dies hat in der Praxis zu komplizierten Lebensverhältnisse zu schaffen, ist das Ziel. „Gleichwer- Lösungen – ich möchte sagen: zu „Krücken“ – geführt. tig“ heißt aber nicht „einheitlich“. Natürlich lebt es sich Denn häufig sind beispielsweise zur adäquaten verkehr- (B) auf dem Land anders als in der Stadt, und das ist auch gut lichen Erschließung von Gewerbegebieten auch Investi- (D) so. Es gibt aber Kriterien für ein gutes Leben, die überall tionen in Straßen des Landes oder des Bundes nötig. gelten: Die Möglichkeit, einen Arbeitsplatz und eine gute Allerdings ordnen Länder und Bund die Notwendig- Infrastruktur zu finden, und öffentliche Daseinsvorsorge. keit in solche Investitionen den Kommunen als Verursa- Hier greift die GRW, indem sie gezielt fördert. Seit gut cher zu und übernehmen diese Kosten nicht. Die Folgen einem Jahr fördert sie im Übrigen noch gezielter; denn sind häufig, dass die Kommunen die Kosten nicht tragen seit dem 1. Januar 2020 ist sie Teil des gesamtdeutschen können, der notwendige Ausbau nicht erfolgt und die Fördersystems in der Nachfolge des Solidarpakts II. Das Gewerbegebiete nicht, wie notwendig, erschlossen wer- heißt, eine Förderung gibt es nun dort, wo sie gebraucht den oder aber dass die Baulast kompliziert übertragen wird, egal ob in Nord, Süd, Ost oder West. Wir haben wird und die Kosten durch die Kommunen zu tragen 22 Förderprogramme aus sechs Bundesressorts gebündelt sind. Dieser Wertungswiderspruch wird mit dieser Ände- und auf die Bedarfe in den strukturschwachen Regionen rung beseitigt. So wird der Förderausschluss für Landes- im gesamten Bundesgebiet ausgerichtet: zur Stärkung maßnahmen im Straßenbau teilweise aufgehoben, um von Wirtschaft, Forschung, Innovation, Breitband, Digi- zweckdienlichen Landesmaßnahmen die Förderung zu talisierung, Infrastruktur und Daseinsvorsorge sowie zur ermöglichen. Fachkräftesicherung. Der Landkreis Helmstedt in meinem Wahlkreis ist bis- Die Bundesregierung bündelt und koordiniert alle Pro- lang ein Fördergebiet der Kategorie C im Rahmen der gramme unter einem gemeinsamen konzeptionellen GRW-Förderung. Dies ermöglicht beispielsweise auch Dach. Dieses gesamtdeutsche Fördersystem ist eine der die direkte Förderung einzelbetrieblicher Maßnahmen, zwölf prioritären Maßnahmen aus den Ergebnissen der also die Erweiterungen und den Neuaufbau von Unter- Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ und nehmen und somit zusätzliche Arbeitsplätze und Steuer- ein Meilenstein für die Gleichwertigkeit der Lebensver- einnahmen. hältnisse in Deutschland. Dabei bleiben sowohl die fach- Alle sieben Jahre bzw. ausnahmsweise nun nach acht liche und die finanzielle Autonomie aller Programme als Jahren steht eine Überplanung der unterschiedlichen För- auch die originäre Zuständigkeit der Länder für regionale dergebiete in Europa und somit in Deutschland an. Ich Strukturpolitik gewahrt. möchte hier in aller Deutlichkeit sagen, dass diese Ver- Mit der heute debattierten Gesetzesänderung haben wir änderung nicht ohne Beteiligung der betroffenen Gebiete übrigens die zweite sinnvolle Anpassung. Seit Spätherbst erfolgen darf. Auch dürfen neue Betrachtungen in soge- 2020 gibt es innerhalb der GRW bereits den Ideenwett- nannten Arbeitsmarktregionen aus meiner Sicht nicht bewerb „Zukunft Region“. Nicht abgerufene und nicht dazu führen, dass Kommunen, die dringend auf die Hilfe Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27203

(A) angewiesen sind, durch die grobmaschigere Betrachtung Zur heute vorliegenden Änderung des GRW-Gesetzes: (C) durchfallen. Dies müssen das Bundesministerium und die Grundsätzlich befürworten wir, dass Projekte gerade für Landwirtschaftsministerien dringend berücksichtigen. strukturschwache Regionen so gefördert werden, dass nicht einzelne Teilbereiche in der Finanzierung ein Pro- Wenn wir – das sage ich auch mit dem Blick auf den jekt unmöglich machen. Gerade strukturschwache Kom- Landkreis Helmstedt und die vielen anderen Regionen in munen können die Finanzierung ihres Eigenanteils nicht Deutschland, die dringend diese finanzielle Unterstüt- immer ausreichend gewährleisten. Wir wollen auch eine zung benötigen – diese Kommunen durch das Raster fal- bessere Infrastruktur und nachhaltige und innovative len lassen, dann hat das schwerwiegende Auswirkungen Wirtschaft fördern. für die Perspektiven der dort lebenden Menschen. Das gilt es unbedingt zu verhindern! Mit dieser Gesetzesänderung werden Mittel zur Förde- rung strukturschwacher Regionen in die Straßenertüchti- gung, in den Straßenbau umgeleitet, der Etat wird aber Markus Tressel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die insgesamt nicht erhöht. Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in unseren Regionen ist ein wichtiges Thema in dieser Wahlperiode, Ja, man muss Gewerbe- und Industriegebiete gut das sich die Bundesregierung auch selbst besonders auf anbinden, das ist völlig unstrittig. Ich habe aber Zweifel, die Fahnen geschrieben hat. Und die GRW, über die wir dass die GRW da am Ende das richtige Instrument ist, heute sprechen, ist eines der zentralen Förderinstrumente zumindest ohne zusätzliche Mittel, zumal wir – das ist für unsere strukturschwachen Räume und damit ein absehbar – über hohe Summen sprechen. Instrument, das zur Herstellung gleichwertiger Lebens- Ob diese Erweiterung der Fördermöglichkeiten im verhältnisse beitragen soll. Straßenbau einen Beitrag zur Erreichung gleichwertiger Lebensverhältnisse leisten wird, wie Sie das formulieren, Lassen Sie mich an dieser Stelle auch darauf hinwei- habe ich Zweifel. Da mache ich drei große Fragezeichen! sen, dass es sich hier um die erste Gesetzesänderung am Aus diesem Grund werden wir uns bei der Abstimmung GRW-Gesetz seit 2015 handelt. Seit über 5 Jahren stand über diesem Gesetzentwurf auch enthalten. trotz großer und auch sich ändernder Herausforderungen in dieser Zeit keine Änderung auf der Tagesordnung. Nun geht die Wahlperiode bald zu Ende, und wir wer- den sehr genau prüfen müssen, was die Koalition in der Was haben wir in dieser Wahlperiode von der Bundes- Umsetzung ihrer Versprechungen zur Schaffung gleich- regierung zum Thema gleichwertige Lebensverhältnisse wertiger Lebensverhältnisse erreicht hat. Ich fürchte, der gesehen? Das Einsetzen der gleichnamigen Kommission große Wurf war da nicht dabei. Dazu bedarf es noch viel und eine schleppende Umsetzung der Ergebnisse. Zu den mehr Energie und auch tatsächlicher Innovation, auch in (B) Ergebnissen der Kommission zählt die Einführung eines der Förderpolitik. (D) gesamtdeutschen Fördersystems. Auch wenn hier zumin- dest Anzeichen erkennbar sind, dass die Notwendigkeit einer besser strukturierten Förderpolitik erkannt wurde, Anlage 10 reichen diese Schritte unserer Ansicht nach nicht aus. Ein Hauptinstrument dieses neuen gesamtdeutschen Zu Protokoll gegebene Reden Fördersystems ist es, nicht abgerufene Mittel durch einen zur Beratung des von der Bundesregierung einge- Wettbewerb zwischen strukturschwachen Regionen zu brachten Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur vergeben. Nun wissen wir aus Erfahrung, dass oft gerade Änderung von Verbrauchsteuergesetzen die, die das Geld am nötigsten brauchen, nicht immer (Tagesordnungspunkt 22) auch die sind, die die Möglichkeiten haben, solche Wett- bewerbe am Ende auch zu gewinnen. Hier besteht die Gefahr, dass es weiter heißt: Wer hat, dem wird gege- Sepp Müller (CDU/CSU): Mit dem heutigen Gesetz ben. – Und das, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann werden wir die Geldwäschebekämpfung in Deutschland am Ende ja nicht zielführend sein, wenn wir in die Re- weiter stärken. Die FIU, die Geldwäschebekämpfungs- gionen schauen, die da riesigen Bedarf haben. einheit Nummer eins, wird eine eigene Direktion im Zoll bekommen und damit auf Augenhöhe mit anderen Die Gemeinschaftsaufgaben sind ein zentrales Ele- Stellen gemeinsam gegen Geldwäscher vorgehen. Der ment zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse. höhere Stellenwert der FIU durch die Umwandlung in Aber sie sind insgesamt nicht mehr ausreichend auf die eine eigene Direktion innerhalb der Generalzolldirektion heutigen Herausforderungen ausgerichtet. Da gibt es ein- honoriert die Arbeit der FIU und ist richtig. fach vieles, was hinten runterfällt. Wir sollten deshalb vor einer grundsätzlichen Überarbeitung dieser Instrumente Um es mal ein bisschen bildlich zu machen: Als wir nicht zurückschrecken. uns 2017 in der großen Koalition darauf verständigt haben, Geldwäsche intensiver zu bekämpfen, ist die Wir haben in dieser Wahlperiode auch ein Konzept für Geldwäscheeinheit vom Bundeskriminalamt mit die Einführung einer neuen Gemeinschaftsaufgabe 26 Beschäftigten zur FIU beim Zoll gewechselt: Regionale Daseinsvorsorge vorgelegt, die bestehende 165 Beschäftigte am Anfang, dann 400, 475 und mittler- Lücken in der Förderung schließen könnte. Wir brauchen weile über 780 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich hier insgesamt einen größeren Wurf, wenn wir den riesi- der Aufgabe widmen sollen, Geldwäsche in Deutschland gen Herausforderungen, vor denen die strukturschwa- zu bekämpfen. Dieser enorme Anstieg zeigt, mit welcher chen Räume stehen, etwas entgegenstellen wollen. Entschlossenheit wir als Große Koalition gegen Geldwä- 27204 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

(A) sche vorgehen. Hierbei möchte ich mich auch ausdrück- Zeit hier für ganz grundsätzliche Anmerkungen zum (C) lich bei der Mehrheit der Oppositionsparteien bedanken, Steuersystem nutzen. Es geht darum, in welchem Geist die mit konstruktiven Vorschlägen und auch kritischen wir das Steuerrecht weiterentwickeln wollen. Fragen den Prozess begleitet haben. Der Kern jeglicher Steuersystematik muss doch sein, Mit dem heutigen Tag legen wir die Grundlage, dass die Praxis der Menschen und der Wirtschaft – also gesell- die FIU noch schlagkräftiger wird. Wir dürfen aber im schaftliche und ökonomische Lebenswirklichkeiten – im gleichen Zusammenhang nicht die Kritik aus der Anhö- Steuerrecht fair abzubilden. Heute leiten wir die Syste- rung vergessen: Der deutlich zunehmende Aufwand bei matik von Verbrauchsteuern doch eher aus der Umsatz- der Geldwäschebekämpfung ist bisher nur zu bewältigen, steuer ab, die verschiedene Steuersätze hat, womit indem man Zöllner aus anderen Geschäftsbereichen wiederum der Gedanke der Progression aus dem Einkom- abzieht. Somit wird wiederum ein personelles Loch bei mensteuerrecht abgebildet wird. Und in diesem Sinne anderen Aufgabengebieten des Zolls gerissen. Beispiels- sollten wir unser ganzes Steuersystem konsistent weiter- weise fehlen bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit Hun- entwickeln – nicht stur an Verbrauchsteuersystematiken derte von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Darauf darf aus dem vorletzten Jahrhundert festhalten. sich also nicht ausgeruht werden, und der alleinige Ver- Heute geht es um die Fragen: Wie können wir Büro- weis auf neue Zollausbildungsstandorte, beispielsweise kratie vermeiden, Belastungen fair verteilen und das in Leipzig und Erfurt, liebe Frau Staatssekretärin, ist Steuersystem ins 21. Jahrhundert, ins digitale Zeitalter nicht ausreichend. bringen? Bereits vor zwei Jahren stand ich hier vorne am Red- Deswegen haben wir Ihnen zwei Anpassungen vorge- nerpult und habe eine Dezentralisierung der FIU ange- schlagen, die für diese zukunftsorientierte, bürgerfreund- mahnt. Wenn mir junge Frauen und Männer erklären, liche Steuersystematik der Zukunft stehen: Kaffeespen- dass sie gerne beim Zoll und der FIU arbeiten würden, den von der Kaffeesteuer zu befreien und die leider aber die Zentrale in Köln liegt, dann ist das neben den immer wieder notwendige Vernichtung von Kaffeepro- Verdienstmöglichkeiten ein weiteres Problem, weil junge dukten mit Blick auf die steuerliche Verwaltung und Menschen für Ihr Berufsleben mittlerweile vermehrt auch betriebliche Praxis zu vereinfachen – mit dem zusam- in ihrer Heimat bleiben wollen. Dieser Trend sollte im menfassenden Ziel, weniger Kaffee zu vernichten und Sinne der Dezentralisierungsstrategie unterstützt werden. Kaffee als Traditionsgetränk zu betrachten, das von Auch der Bundesfinanzminister hat sich der Dezentrali- allen – wirklich allen – Bürgern gerne konsumiert wird, sierungsstrategie verpflichtet. Hoffentlich ist mit der auch von denen, die auf Spenden angewiesen sind. Neuorganisation der FIU innerhalb des Zolls daher auch Systematisch hat sich die Kaffeesteuer als Einfuhrab- (B) die Grundlage für eine beginnende Dezentralisierung gabe für ein Luxusprodukt oft aus Kolonien aus dem Zoll (D) geschaffen. Dies ist mein ausdrücklicher Appell an den entwickelt. Verkauft wurde der Kaffee als Kolonialware. Minister. Aus den Kolonialwarenläden sind heute normale Lebens- mittelhändler, Spezialgeschäfte und Eine-Welt-Läden Neben dezentralen Strukturen und der Gewinnung der geworden. Vom Kolonialwarenhändler zum Eine-Welt- klügsten Köpfe spielt die Fortentwicklung der künstli- Laden – schöner kann man den Wandel der gesellschaft- chen Intelligenz eine Schlüsselrolle zur Stärkung der lichen und wirtschaftlichen Lebenswirklichkeiten doch FIU-Analysen. Daher müssen vermehrt KI-Spezialisten gar nicht beschreiben. Eine Lenkungswirkung der Steuer in der FIU eingestellt und die KI-Anwendungen ausge- können Sie bei Ihrer Kritik nicht gemeint haben – deren reift werden. Sinn kann ich mir nur schwer vorstellen. Da müsste ich Ich bitte um Zustimmung für dieses Gesetz. mir ausmalen, wie sich eine Behörde ausmalt, dass ein deutscher Kaffeetrinker seinen Kaffee richtig konsu- miert, dabei also nichts falsch macht. Till Mansmann (FDP): Die Verbrauchsteuern europa- Die Steuersystematik, die wir verfolgen, ist besser an weit zu harmonisieren, ist eine wichtige Aufgabe in unsere gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zielvor- einem Binnenmarkt. Mit dem von Ihnen vorgelegten Ge- stellungen angepasst, nämlich zum Beispiel: weniger setzentwurf werden notwendige Anpassungen des natio- Verschwendung von Lebensmitteln oder die Vermeidung nalen Rechts an europaweite Vorgaben vorgenommen. sinnloser Transporte aus bürokratischen oder rein steuer- Das wurde ordentlich gemacht, das ist notwendig, und rechtlichen Gründen. Ich freue mich ausdrücklich, dass dem stellen wir uns gerade als Europa- und Wirtschafts- wir davon auch aus anderen Fraktionen, aus der Regie- partei nicht entgegen. Wir werden also dem Gesetzent- rungskoalition wie auch aus der Opposition, positive Sig- wurf zustimmen. nale erhalten haben. Auf die entsprechenden Diskussio- Wie das dann in der Praxis im Einzelnen ausgestaltet nen im Ausschuss freue ich mich – gerne noch in dieser wird, wie sich daraus die steuerrechtliche und betrieb- Legislaturperiode. liche Praxis entwickelt, werden wir beobachten und als Serviceopposition dabei helfen, nachzujustieren. Damit Jörg Cezanne (DIE LINKE): Mit dem Gesetz werden haben wir sogar bereits begonnen und Ihnen zwei Vor- drei EU-Richtlinien in deutsches Recht umgesetzt, die schläge unterbreitet, wie man die Kaffeesteuer verbessern den Handel mit verbrauchsteuerpflichtigen Produkten könnte. Weil aus dem Ministerium und von den Sozial- wie Tabak, Alkoholgetränken, aber auch Strom und ande- demokraten dazu der Hinweis kam, unsere Vorschläge ren Energieerzeugnissen vereinheitlichen und erleichtern seien steuersystematisch ein Problem, möchte ich meine sollen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27205

(A) Positiv bewerten wir zum Beispiel die Umstellung von von Ihnen als „Lexitor“-Entscheidung ein Begriff sein (C) den bisherigen papiergebundenen Verfahren auf elektro- dürfte, betreffen die Auslegung der EU-Verbraucherkre- nische Verfahren. Ebenfalls sind Steuerbefreiungen für ditrichtlinie. verbrauchsteuerpflichtige Produkte richtig, wenn diese wirklich ausschließlich zu Forschungszwecken verwen- Beim ersten Punkt geht es um das Recht von Verbrau- det werden. cherinnen und Verbrauchern auf Kostenermäßigung bei der vorzeitigen Rückzahlung von Verbraucherdarlehen. Bei den Regeln für die Zulassung zu einem vereinfach- Der EuGH hat entschieden, dass das Recht von Verbrau- ten Verfahren für die Verbrauchsteuerabrechnung sehen cherinnen und Verbrauchern auf Ermäßigung der wir allerdings ein Einfallstor für Steuerbetrug. Das Krite- Gesamtkosten des Kredits bei vorzeitiger Kreditrückzah- rium für die Zulassung – Unternehmen, „gegen deren lung auch laufzeitunabhängige Kosten umfasst. Der steuerliche Zuverlässigkeit keine Bedenken bestehen“ – § 501 BGB sieht aktuell nur die Reduzierung der Zinsen erscheint uns zu unbestimmt und zu lasch. Die geforder- und laufzeitabhängigen Kosten vor und muss deshalb an ten Nachweise zu Geschäftsführungs- und Zahlungsfä- das Europarecht angepasst werden. Das Urteil ist weg- higkeit sind rein formaler Natur und bedeuten kein großes weisend für die zahlreichen Kreditnehmerinnen und Kre- Hindernis für Verbrauchsteuerbetrug. Kleine Unterneh- ditnehmer in unserem Land. Die Gesetzesänderung wird men könnten allerdings durch den geforderten Aufwand damit zu deutlichen Verbesserungen für die Verbraucher benachteiligt werden. beitragen. Die Umsetzung der neuen Regeln erfordert mehr und besser qualifiziertes Personal beim Zoll. Der im Gesetz- Der zweite Punkt betrifft die Gestaltung des gesetz- entwurf dargestellte Personalaufwand spiegelt jedoch lichen Musters für eine Widerrufsinformation für Allge- nicht den tatsächlichen Mehrbedarf wider, wie auch die mein-Verbraucherdarlehensverträge in Anlage 7 des Deutsche Zoll- und Finanzgewerkschaft bestätigt. Ich EGBGB. Auch dieses Muster muss entsprechend ange- stimme der stellvertretenden Verdi-Vorsitzenden passt werden, um der zweiten Entscheidung des EuGH Christine Behle voll und ganz zu, wenn sie feststellt: gerecht zu werden. „Die in der Zollverwaltung jahrelang geübte Praxis des Der EuGH hat hier entschieden, dass Verbraucherin- Löcherstopfens durch anderweitiges Aufreißen von nen und Verbraucher in klarer und prägnanter Form Infor- Löchern löst nicht das Problem; es verschlimmert eher mationen über die Modalitäten der Berechnung der die Gesamtlage.“ Widerrufsfrist erhalten müssen. Es reicht dabei nicht, Das gilt umso mehr im Hinblick auf Eingliederung der auf nationale Vorschriften zu verweisen, die wiederum Financial Intelligence Unit, die für die Aufklärung von auf andere Vorschriften verweisen, ein sogenannter „Kas- (B) Geldwäsche- und Finanzkriminalität zuständig ist, in die kadenverweis“. Daher muss die für Allgemein-Verbrau- (D) Generalzolldirektion. Das hat ohnehin mit Verbrauch- cherdarlehensverträge geltende gesetzliche Musterwider- steuern überhaupt nichts zu tun und deshalb in diesem rufsinformation in Anlage 7 des EGBGB überarbeitet Gesetz eigentlich nichts zu suchen. Es bringt aber auch werden. Mit dem vorliegenden Entwurf schaffen wir keine neue Qualität hinsichtlich der Arbeitsweise der auch hier europarechtliche Klarheit und Rechtssicherheit FIU. Diese bleibt – angesichts eingeschränkter Zugriffs- für alle Beteiligten. rechte auf relevante polizeiliche Datenbanken – weiter von wesentlichen Informationskanälen abgeschnitten. Verbraucherinnen und Verbraucher profitieren von die- Von einer schlagkräftigen Bundesfinanzpolizei bleibt sen Neuregelungen zum einen bei einer vorzeitigen die FIU sehr weit entfernt. Rückzahlung des Verbraucherdarlehens, wenn laufzei- tunabhängige Kosten erhoben wurden, und zum anderen werden sie durch die neue gesetzliche Musterwiderrufs- Anlage 11 information in die Lage versetzt, auf der Grundlage des Vertrags selbst überprüfen zu können, ob der abgeschlos- Zu Protokoll gegebene Reden sene Vertrag alle nach der Richtlinie erforderlichen Angaben enthält und ob die Widerrufsfrist zu laufen zur Beratung des von der Bundesregierung einge- begonnen hat. Verbraucherinnen und Verbraucher können brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung damit den Umfang der für ihren Vertrag einschlägigen des Verbraucherdarlehensrechts zur Umsetzung Pflichtangaben und den Beginn der Widerrufsfrist der Urteile des Gerichtshofs der Europäischen anhand ihres Vertragsdokuments selbst ermitteln, was Union vom 11. September 2019 in der Rechtssache absolut positiv zu bewerten ist. C-383/18 und vom 26. März 2020 in der Rechts- sache C-66/19 Das BMJV hat bezüglich des EuGH-Urteils zum Kas- kadenverweis im Verbraucherdarlehensrecht zudem (Tagesordnungspunkt 23) bemerkt, dass ein ähnliches Problem bei einer zu ver- mutenden notwendigen Anpassung der Musterwiderrufs- Sebastian Steineke (CDU/CSU): Aufgrund zweier belehrung zu Finanzdienstleistungen bei Fernabsatzver- Urteile des Europäischen Gerichthofes müssen wir als trägen in Anlage 3 EGBGB bestehen könnte, auch wenn Gesetzgeber Änderungen im Verbraucherdarlehensrecht es dazu explizit kein Urteil gibt. Hier besteht demnach vornehmen. Mit dem vorliegenden Entwurf passen wir eine Parallelproblematik. Auch hier werden die für den die Regelungen in zwei Punkten an die Rechtsprechung Beginn der Widerrufsfrist maßgeblichen Informationen des EuGH an. Beide Urteile, von denen eines auch vielen für Verbraucherinnen und Verbraucher nicht im Einzel- 27206 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021

(A) nen benannt, sondern das passiert nur mittels eines Ver- nung einer Widerrufsfrist erhalten müssen. Deshalb sieht (C) weises auf gesetzliche Vorschriften, die ihrerseits weiter der EuGH die Vorgaben der europäischen Richtlinie nicht verweisen. erfüllt, wenn eine Verbraucherinformation lediglich auf Auch wenn sich diese beiden Richtlinien voneinander Vorschriften des nationalen Rechts verweist, die ihrer- unterscheiden, kann man davon ausgehen, dass der seits auf weitere Vorschriften verweisen. EuGH die in dem Kaskadenverweis-Urteil getroffenen Ausgangsfälle waren ein Rechtsstreit vor einem polni- Maßstäbe auch auf Finanzdienstleistungen bei Fernab- schen Gericht, unter anderem der eines polnischen Ver- satzverträgen übertragen würde. Beides sind Verbrau- brauchers und seines Kreditinstituts auf Erstattung der cherschutztatbestände, bei denen sich die Vorgaben für Provision, sowie ein weiterer Rechtsstreit eines deut- die jeweilige Widerrufsbelehrung sehr ähneln. schen Verbrauchers vor einem deutschen Gericht wegen Das BMJV hat vor diesem Hintergrund für den Finanz- der Formulierung der Widerrufsbelehrung bei Abschluss bereich einen weiteren Gesetzentwurf erarbeitet, in dem von Verbraucherkreditverträgen. hinsichtlich der für den Beginn der Widerrufsfrist zu Sollten in nationalen Gerichtsprozessen in Rechtsstrei- erteilenden Informationen nicht mehr auf gesetzliche Re- tigkeiten Zweifel bestehen, ob europäische Richtlinien gelungen Bezug genommen wird, sondern diese in der korrekt in nationales Recht umgesetzt wurden, kann das Widerrufsbelehrung selbst aufgelistet werden. nationale Verfahren ausgesetzt und der Europäische Gerichtshof um Vorabentscheidung ersucht werden. Dabei war es wegen der unterschiedlichen Vertrags- typen erforderlich, die Anlage 3 des EGBGB künftig in Das ist sinnvoll, weil allen Verbraucher/-innen in der drei verschiedene Muster zu trennen: Erstens die Wider- Gemeinschaft ein hohes und vergleichbares Maß an rufsbelehrung bei im Fernabsatz und außerhalb von Schutz ihrer Interessen gewährleistet werden und ein ech- Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen über Finanz- ter und reibungslos funktionierender Binnenmarkt dienstleistungen außer Verträgen über die Erbringung geschaffen werden soll. Nur so kann eine vollständige von Zahlungsdiensten; zweitens die Widerrufsbelehrung Harmonisierung erfolgen und eine Einheitlichkeit der bei im Fernabsatz und außerhalb von Geschäftsräumen Rechtsprechung der Gerichte der Mitgliedstaaten im Hin- abgeschlossenen Zahlungsdiensterahmenverträgen und blick auf das EU-Recht gewährleistet werden. Das ist Ziel drittens die Widerrufsbelehrung bei im Fernabsatz und und Anspruch unserer sozialdemokratischen Politik. Wir außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen sind bekennende Europäer. über die Erbringung von Zahlungsdiensten in Form von Soweit der EuGH daher vorab in einem Einzelfall ent- Einzelzahlungsverträgen. Es macht durchaus Sinn, den scheidet, wie Richtlinien auszulegen sind, sind alle natio- weiteren Gesetzentwurf des BMJV aufgrund der Sach- nalen Gerichte, aber auch die jeweiligen Gesetzgeber (B) nähe an dieses Verfahren hier anzuhängen. daran gebunden und zur Überprüfung verpflichtet, ob (D) Wir gehen nun in die weiteren Beratungen. Insbeson- ihre nationalen Regelungen klarer und prägnanter im Sin- dere zur Umsetzung der „Lexitor“-Entscheidung haben ne der Entscheidungen des EuGH verfeinert werden müs- uns noch einige Hinweise und Änderungswünsche sen. erreicht, unter anderem von den Bausparkassen. Diese Für die Widerrufsinformationen bei Verbraucherdarle- werden wir uns im weiteren Verlauf genauer ansehen. hensverträgen, für die wir ein gesetzliches Muster in der Anlage 7 des EGBGB geschaffen haben (allerdings mit Esther Dilcher (SPD): Wir beraten einen Gesetzent- Verweisungen), und die Entschädigung von laufzeitunab- wurf, der unter anderem eine gesetzliche Regelung in hängigen Kosten wie Provisionen muss daher nachgebes- unserem Bürgerlichen Gesetzbuch, also nationalem sert werden, was wir mit dem vorliegenden Gesetzent- Recht, dem BGB, vorsieht. Das ist unsere Aufgabe, wir wurf erledigen. Das ist verlässliche Verbraucherpolitik sind Gesetzgeber! ohne Grenzen für die gesamte EU! Aber wir tun das wegen einer Entscheidung des Euro- päischen Gerichtshofs mit Sitz in Luxemburg. Wieso Amira Mohamed Ali (DIE LINKE): Wir sprechen erwähne ich das? Nicht weil ich unsere Zuständigkeit heute über Regelungen zu Verbraucherkrediten. Verbrau- infrage stellen will, sondern weil ich einmal aufzeigen cherkredite sind im Wesentlichen Kredite für Wohnim- möchte, warum und auf welcher Grundlage der Europä- mobilien und sogenannte Ratenkredite für Geschäfte des ische Gerichtshof Entscheidungen trifft, die dann unser täglichen Lebens, also ein Kredit beim Auto- oder nationales Recht beeinflussen und auch verändern. Möbelkauf, bei der Anschaffung von Elektrogeräten. Laut Schufa gab es Ende 2019 18,2 Millionen Verbrau- Was sich im Einzelnen ändert, haben meine Vorred- cher-Ratenkreditverträge; die Kreditsumme betrug dabei ner/-innen bereits erwähnt. Der EuGH hat Folgendes ent- insgesamt ganze 55,3 Milliarden Euro. Gerade der Raten- schieden: Die Richtlinie 87/102/EWG des Rates ist dahin kreditvertrag, also ein Darlehen über eine vergleichswei- auszulegen, dass bei vorzeitiger Rückzahlung von Ver- se kleine Summe, ist in der Praxis oft der Einstieg in die braucherdarlehen den Verbraucher/-innen sämtliche (!) Schuldenspirale. Denn Verbraucher werden durch Lock- vom Kreditgeber auferlegte Kosten zu erstatten sind, angebote zum Teil in die Irre geführt. So versprechen also auch die laufzeitunabhängigen, wie zum Beispiel einige Autohändler zum Beispiel eine sogenannte Ballon- Provisionen. finanzierung. Sie verspricht günstigere Raten als ein her- In einer weiteren Entscheidung hat der EuGH festge- kömmlicher Kredit, aber am Ende der Laufzeit kommt stellt, dass Verbraucher/-innen in klarer und prägnanter die große Überraschung: eine hohe Restschuld, die der Form Informationen über die Modalitäten der Berech- Kunde auf einen Schlag tilgen muss. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2021 27207-27216

(A) Dazu kommt, dass Verbraucherinnen und Verbraucher Stefan Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In (C) oft durch aggressive Werbung zum leichtfertigen Artikel 16 Absatz 1 der Verbraucherkreditrichtlinie steht Abschluss von Krediten animiert werden. Alles, was ganz klar: Wenn Verbraucherinnen und Verbraucher das Herz begehrt, scheint unkompliziert und für schmales einen Kredit vorzeitig zurückzahlen, dann haben sie – Geld sofort erschwinglich. Schuldnerberater schlagen ich zitiere – „das Recht auf Ermäßigung der Gesamtkos- hier schon lange Alarm und berichten davon, dass Men- ten des Kredits“. Wenn man damals 2009 die Verbrau- schen teilweise Dutzende von Ratenkreditverträgen cherkreditrichtlinie ordentlich gelesen hätte, ja, dann hät- abgeschlossen haben und dann von der Summe der te man sich diesen Gesetzentwurf heute sparen können. monatlichen Raten erschlagen werden. Wenn dann, wie Auf diese Mehrarbeit sollten wir künftig verzichten und jetzt in der Coronakrise, auch noch Einkommen weg- die EU-Richtlinien von Anfang an richtig umsetzen. bricht, zum Beispiel durch niedriges Kurzarbeitergeld, Grundsätzlich unterstützen wir den Gesetzentwurf. Er ist die Katastrophe komplett. stärkt die Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher Beim Ratenkreditvertrag ist dringend entschlossenes an zwei Stellen – einmal beim Abschluss von Verbrau- Handeln notwendig. Wir fordern: cherverträgen und einmal bei der vorzeitigen Rückzah- Erstens: klare und für alle verständliche Informatio- lung. Der Gesetzentwurf verbessert also den Verbrau- nen, die über alle Kosten und Risiken für die Verbrau- cherschutz, und das finden wir Grüne richtig und gut! cherinnen und Verbraucher aufklären. Es geht nicht, dass Trotzdem muss er mindestens an zwei Punkten nach- Kostenfallen in AGB versteckt werden können. Hier gebessert werden. müssen die Unternehmen klar in die Pflicht genommen werden. Dazu gehört auch ein empfindliches Bußgeld bei Erstens: das gesetzliche Widerrufsmuster. Das Gericht Verstößen. sagt: Die Informationen müssen einfach und prägnant sein. Bei der Bundesregierung werden daraus mehr als Zweitens: Schluss damit, dass Kreditverträge in Ver- drei Seiten Erläuterungen. Das ist nicht einfach. Das ist bindung gebracht werden mit teuren Versicherungen. nicht prägnant. Das ist nicht verständlich. Das ist nicht Häufig werden den Menschen beim Ratenkredit teure kurz. Und das liest auch niemand. Das ist auch nicht Restschuldversicherungen aufgeschwatzt, die nur den notwendig, um es rechtssicher zu machen. Das können Versicherungsunternehmen und Banken satte Gewinne wir noch viel verbraucherfreundlicher gestalten! bescheren und für die Verbraucherinnen und Verbraucher keinen Mehrwert haben. Kritikpunkt zwei: die Kostenberücksichtigung bei Kreditkündigungen: Wir finden: Auch hier müssen die Diese wesentlichen Probleme geht der Entwurf der Gesamtkosten den Verbraucherinnen und Verbrauchern Bundesregierung aber nicht an. Sie handelt wie immer erstattet werden. Warum auch sollte man bei Kündigun- (B) (D) beim Verbraucherschutz zögerlich und auch nur so weit, gen nur die laufzeitabhängigen Kosten berücksichtigen? wie sie unbedingt muss. Konkret wird hier zwei Urteilen Meines Erachtens ist das nicht logisch. Kündigt das Kre- des Europäischen Gerichtshofs Rechnung getragen, die ditinstitut, dann muss es nun mal die wirtschaftlichen intransparente und unklare Formulare für den Widerruf Kosten für die eigene Entscheidung tragen. Kündigen von Verbraucherkreditverträgen kritisierten. Ja, hier die Kreditnehmenden, dann nehmen sie ihr gesetzlich kommt jetzt eine Verbesserung, aber das reicht nicht aus. zugestandenes Recht in Anspruch – und damit müssen Welches Thema außerdem durch den Entwurf der Bun- die Kreditinstitute rechnen. Für eine Entschädigung desregierung überhaupt nicht angegangen wird, ist das sehen wir keine Grundlage. Thema Immobilienkredit. Hier lauern oft Kostenfallen, Der Bundesrat ist sogar skeptisch, ob Kündigung und die Menschen in größter Not treffen können. Ich möchte vorzeitige Rückzahlung überhaupt trennscharf voneinan- nur ein Beispiel nennen: Wenn zum Beispiel die Raten für der abgegrenzt werden können. Denn häufig enthält die das Haus nicht mehr gezahlt werden können, weil der vorzeitige Rückzahlung ja eine Kündigungserklärung. Arbeitsplatz verloren gegangen ist, müssen beim Verkauf Lassen Sie uns also auch im Falle von Kündigungen die des Hauses oft hohe Vorfälligkeitszinsen und Entschädi- Gesamtkosten bei der Kostenermäßigung berücksichti- gungen an die Bank für die vorzeitige Rückzahlung des gen. Die EU-Richtlinie lässt das zu. Den Verbrauchschutz Kredites geleistet werden. Hier geht es ausschließlich könnten wir damit noch weiter stärken! darum, die geplanten Gewinne der Bank abzusichern. Aber es ist doch nicht einzusehen, dass man für die Rück- Das ist ein notwendiger Gesetzentwurf, den man im zahlung eines Kredites „Strafe“ zahlen muss. Hier sagen Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher verbessern wir: Schluss damit! Diese Kosten müssen auf maximal kann. Dafür werden wir Grüne uns in den Beratungen 1 Prozent der Restschuld begrenzt werden. starkmachen. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co. KG, Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333