Plenarprotokoll 19/56

Deutscher

Stenografischer Bericht

56. Sitzung

Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2018

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 22: (SPD) . 6158 B a) Erste Beratung des von der Bundesregie- (CDU/CSU). 6159 B rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- (SPD). 6160 C zes über Leistungsverbesserungen und Stabilisierung in der gesetzlichen Ren- (CDU/CSU). 6161 C tenversicherung (RV-Leistungsverbes- Matthias W. Birkwald (DIE LINKE). 6162 B serungs- und ‑Stabilisierungsgesetz) Drucksache 19/4668. 6147 B Dr. h. c. (CDU/CSU) . 6163 B b) Antrag der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Sabine Zimmermann (Zwickau), , weiterer Abgeordneter Tagesordnungspunkt 23: und der Fraktion die DIE LINKE: Voll- Erste Beratung des von den Abgeordneten ständige Gleichstellung und gerechte Fi- , , Johannes nanzierung der Kindererziehungszeiten Vogel (Olpe), weiteren Abgeordneten und der in der Rente umsetzen – Mütterrente Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs ei- verbessern nes Gesetzes zur Dynamisierung der Ver- Drucksache 19/29. 6147 B dienstgrenzen der geringfügigen Beschäfti- gung c) Antrag der Abgeordneten Ulrike Schielke-­ Drucksache 19/4764. 6164 B Ziesing, , , weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Pascal Kober (FDP) . 6164 B AfD: Anrechnungsfreistellung der Müt- Torbjörn Kartes (CDU/CSU) . 6165 B terrente beziehungsweise der Rente für Kindererziehungszeiten bei der Grund- (AfD) . 6165 D sicherung im Alter (AfD) . 6166 B Drucksache 19/4843. 6147 B Dr. Barbara Hendricks (SPD). 6168 A , Bundesminister BMAS. 6147 C Uwe Witt (AfD) . 6168 B Ulrike Schielke-Ziesing (AfD). 6149 A Gabriele Hiller-Ohm (SPD) . 6168 C Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU). 6150 D (DIE LINKE). 6170 A Johannes Vogel (Olpe) (FDP). 6152 A Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ Matthias W. Birkwald (DIE LINKE). 6154 A DIE GRÜNEN). 6171 B Norbert Kleinwächter (AfD). 6154 D Johannes Vogel (Olpe) (FDP). 6172 B Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 6156 A DIE GRÜNEN). 6172 C Matthias W. Birkwald (DIE LINKE). 6157 C (CDU/CSU). 6172 D II Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 56 Sitzung , Freitag, den 12 Oktober 2018

Dr. (FDP) . 6173 C (FDP). 6192 C Bernd Rützel (SPD) . 6174 B (CDU/CSU). 6193 B Pascal Kober (FDP) . 6174 D Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn Tagesordnungspunkt 25: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). 6176 A a) Antrag der Abgeordneten Christian Kühn (CDU/CSU). 6177 A (Tübingen), , Stefan Schmidt, weiterer Abgeordneter und der (SPD) . 6178 B Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Pascal Kober (FDP) . 6179 B Sofortprogramm Wohnoffensive – Mie- ten bremsen, nachhaltig bauen Daniela Kolbe (SPD) . 6179 C Drucksache 19/4549. 6194 B (CDU/CSU). 6180 A b) Erste Beratung des von den Abgeordne- ten Christian Kühn (Tübingen), Britta Haßelmann, , weiteren Ab- Tagesordnungspunkt 24: geordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs SPD: Friedensprozess zwischen Äthiopien eines Gesetzes zur Entlastung von Ver- und Eritrea unterstützen – Zusammenar- brauchern beim Kauf und Verkauf von beit ausbauen Wohnimmobilien (Makler-Besteller- Drucksache 19/4847. 6181 C prinzip- und Preisdeckelgesetz) Drucksache 19/4557. 6194 C c) Antrag der Abgeordneten , in Verbindung mit Dr. Gesine Lötzsch, , wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE Zusatztagesordnungspunkt 8: LINKE: Mieterhöhungsstopp jetzt Drucksache 19/4829. 6194 C Antrag der Abgeordneten , Alexander Graf Lambsdorff, Till Mansmann, Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/ weiterer Abgeordneter und der Fraktion der DIE GRÜNEN). 6194 D FDP: Zusammenarbeit nutzen, um dauer- (Kleinsaara) (CDU/CSU). 6195 C haften Frieden zwischen Äthiopien und Eri- trea zu sichern Udo Theodor Hemmelgarn (AfD)...... 6196 D Drucksache 19/4837. 6181 C (SPD). 6197 D , Bundesminister AA. 6181 D (FDP). 6199 A Armin-Paulus Hampel (AfD). 6183 A (DIE LINKE). 6199 D Dr. , Parl. Staatssekretärin (CDU/CSU) . 6200 C BMZ. 6184 A (AfD) . 6201 C (FDP). 6184 D Dr. (SPD). 6202 D (DIE LINKE). 6185 D (FDP). 6204 A Dr. (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 6186 D (DIE LINKE). 6205 A (SPD) . 6187 D Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 6206 A Ulrich Lechte (FDP). 6188 B (SPD). 6206 D (BÜNDNIS 90/ Hagen Reinhold (FDP). 6207 A DIE GRÜNEN). 6189 A Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/ Christoph Matschie (SPD) . 6189 A DIE GRÜNEN). 6207 B Jürgen Hardt (CDU/CSU). 6189 B (CDU/CSU). 6207 D Stefan Liebich (DIE LINKE). 6189 C (SPD). 6208 C Ulrich Lechte (FDP). 6190 C Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU). 6209 D Jürgen Hardt (CDU/CSU). 6190 D Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/ (AfD). 6191 A DIE GRÜNEN). 6211 A (CDU/CSU). 6191 D Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU). 6211 B Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 56 Sitzung Berlin, Freitag, den 12 Oktober 2018 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 56 Sitzung Berlin, Freitag, den 12 Oktober 2018 III

Tagesordnungspunkt 26: Dr. (FDP). 6222 C a) Erste Beratung des von der Bundesregie- Alexander Krauß (CDU/CSU). 6222 D rung eingebrachten Entwurfs eines Zwei- Christine Aschenberg-Dugnus (FDP). 6223 A ten Gesetzes zur Anpassung des Daten- schutzrechts an die Verordnung (EU) (SPD). 6224 A 2016/679 und zur Umsetzung der Richt- Dr. (AfD). 6226 B linie (EU) 2016/680 (Zweites Daten- schutz-Anpassungs- und Umsetzungsge- Sabine Dittmar (SPD). 6226 C setz EU – 2. DSAnpUG-EU) Dr. (DIE LINKE). 6226 D Drucksache 19/4674. 6211 D Dr. Kirsten Kappert-Gonther (BÜNDNIS 90/ b) Erste Beratung des von der Bundesregie- DIE GRÜNEN). 6228 C rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) Christine Aschenberg-Dugnus (FDP). 6229 C 2016/680 im Strafverfahren sowie zur (CDU/CSU). 6230 B Anpassung datenschutzrechtlicher Be- stimmungen an die Verordnung (EU) 2016/679 Tagesordnungspunkt 28: Drucksache 19/4671. 6211 D a) Erste Beratung des von der Bundesregie- , Parl. Staatssekretär rung eingebrachten Entwurfs eines Ersten BMI. 6212 A Gesetzes zur Änderung des Lebensmit- Roman Johannes Reusch (AfD). 6212 D tel- und Futtermittelgesetzbuches Drucksache 19/4726. 6231 C Rita Hagl-Kehl, Parl. Staatssekretärin BMJV. 6213 A b) Antrag der Abgeordneten , Dr. , Dr. Gesine Dr . Jürgen Martens (FDP). 6213 C Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der (DIE LINKE) . 6214 C Fraktion DIE LINKE: Informationsrech- te von Verbraucherinnen und Verbrau- Dr. (BÜNDNIS 90/ chern stärken – Behörden effektiv zur DIE GRÜNEN). 6215 B Auskunft verpflichten Drucksache 19/4830. 6231 C (CDU/CSU) . 6216 B Hans-Jürgen Thies (CDU/CSU). 6231 D (SPD) . 6217 A (AfD) . 6233 A Axel Müller (CDU/CSU). 6218 A (SPD). 6234 A (FDP) . 6235 C Tagesordnungspunkt 27: Amira Mohamed Ali (DIE LINKE). 6236 C a) Antrag der Abgeordneten Dr. ­Robby Schlund, Dr. , Detlev Renate Künast (BÜNDNIS 90/ Spangenberg, weiterer Abgeordneter und DIE GRÜNEN). 6237 B der Fraktion der AfD: Aussetzung der Alois Rainer (CDU/CSU). 6238 B Budgetierung für Ärzte Jürgen Braun (AfD) Drucksache 19/3393 6219 B (zur Geschäftsordnung). 6239 B b) Antrag der Abgeordneten Christine Aschenberg-Dugnus, Michael Theurer, Nächste Sitzung . 6240 D , weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der FDP: Ambulante ärztliche Versorgung verbessern, Büro- kratie abbauen, Budgetierung aufheben Anlage 1 Drucksache 19/4833. 6219 C Entschuldigte Abgeordnete. 6241 A Dr. Robby Schlund (AfD). 6219 C Alexander Krauß (CDU/CSU). 6220 C Anlage 2 Dr. Robby Schlund (AfD). 6220 D Amtliche Mitteilungen. 6242 A

Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 56 Sitzung Berlin, Freitag, den 12 Oktober 2018 6147

(A) (C)

56. Sitzung

Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2018

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Guten Morgen, verehrte Kolleginnen und Kollegen! die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich sehe kei- Bitte nehmen Sie Platz. Die Sitzung ist eröffnet. nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Dann eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a bis 22 c auf: dem Bundesarbeitsminister Hubertus Heil. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Leistungsverbesserungen und Stabilisie- Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Sozi- rung in der gesetzlichen Rentenversicherung ales: (RV-Leistungsverbesserungs- und ‑Stabilisie- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen rungsgesetz) und Kollegen! Wir leben ohne Zweifel in Zeiten rasan- ten Wandels: technologischen Wandels, demografischen (B) Drucksache 19/4668 (D) Wandels. Auch die Welt verändert sich und dreht sich Überweisungsvorschlag: für viele Menschen immer schneller. Die Frage, die uns Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) hier im Deutschen Bundestag beschäftigen muss, ist: Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO Wie halten wir in Zeiten beschleunigter Veränderungen eigentlich unsere Gesellschaft zusammen? Eine wesent- b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias liche Voraussetzung – eine wesentliche Voraussetzung – W . Birkwald, Sabine Zimmermann (Zwickau), ist, dass sich die Menschen auf den Sozialstaat verlas- Doris Achelwilm, weiterer Abgeordneter und der sen können. Dazu gehört, dass wir ein Kernversprechen Fraktion die DIE LINKE unseres Sozialstaates verlässlich erneuern, nämlich dass Vollständige Gleichstellung und gerechte Fi- man nach einem Leben voller Arbeit eine auskömmliche, nanzierung der Kindererziehungszeiten in der eine ordentliche Absicherung im Alter hat. Rente umsetzen – Mütterrente verbessern (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Drucksache 19/29 Diese Bundesregierung ist angetreten, dieses Kern- Überweisungsvorschlag: versprechen für die nächsten Jahrzehnte zu erneuern. Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Mit dem heute vorgelegten Rentenpakt gehen wir einen Haushaltsausschuss großen und wichtigen ersten Schritt. Dieser Rentenpakt c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike bedeutet Sicherheit für alle Generationen – für Großel- Schielke-Ziesing, Marc Bernhard, Stephan tern, für Eltern und für Enkel –: für die Älteren durch Brandner, weiterer Abgeordneter und der Frakti- das garantierte Rentenniveau von mindestens 48 Prozent, on der AfD erst einmal bis 2025 – davon, meine Damen und Herren, profitieren in Deutschland 20 Millionen Rentnerinnen Anrechnungsfreistellung der Mütterrente und Rentner –, damit die Löhne und auch die Renten im beziehungsweise der Rente für Kindererzie- Einklang steigen können; für die Jüngeren durch stabi- hungszeiten bei der Grundsicherung im Alter le Beiträge. Wir werden die Beitragsstabilität in diesem Land sichern. Die Beiträge werden bis 2025 nicht über Drucksache 19/4843 20 Prozent steigen, und das in einer älter werdenden Ge- Überweisungsvorschlag: sellschaft. Es sind diese beiden doppelten Sicherungsli- Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) nien, die mithelfen, dass wir im Gegensatz zu anderen Haushaltsausschuss politischen Kräften in Deutschland eben nicht die Gene- 6148 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 56 Sitzung Berlin, Freitag, den 12 Oktober 2018

Bundesminister Hubertus Heil (A) rationen beim Thema Rente gegeneinander ausspielen; Sozialstaats zu erneuern. Die Bundesregierung hat sich (C) das ist mir sehr wichtig. vorgenommen, dass wir im nächsten Jahr weitere Schrit- te gehen. Dazu gehört die Einführung der Grundrente für (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten diejenigen, die ihr Lebtag gearbeitet haben, aber durch der CDU/CSU) niedrige Löhne keine höheren Anwartschaften haben als Zu dem Rentenpakt für Deutschland gehört neben die- die Grundsicherung. Diese Menschen wollen wir besser- sen beiden Sicherungslinien auch, dass wir Kindererzie- stellen als die, die nicht gearbeitet haben. Wir werden hungszeiten stärker anrechnen, Stichwort „Mütterrente“. auch die Selbstständigen in das System und den Schutz Meine Damen und Herren, ich bin ein bisschen stolz und der Alterssicherung einbeziehen. dankbar, dass wir es in der Koalition gemeinsam hin- Der dritte Schritt wird Anfang 2020 zu leisten sein: bekommen haben, bei der Mütterrente dafür zu sorgen, Dann wird die Rentenkommission Vorschläge machen, dass alle – vor allen Dingen Mütter, aber auch Väter –, wie wir langfristig, auch über 2025 hinaus, das System die vor 1992 Kinder zur Welt gebracht und Kinder erzo- der Alterssicherung auf stabile Füße stellen. Mein Ziel ist gen haben, davon profitieren können. Davon profitieren es, dass wir in dieser Koalition diese drei Schritte auch in 10 Millionen Elternteile in Deutschland, die Kinder er- dieser Legislaturperiode umsetzen, um langfristig dafür zogen haben. Auch das ist kein Rentengeschenk, meine zu sorgen, dass sich die Menschen auf das System ver- Damen und Herren. Das ist eine Anerkennung von Kin- lassen können. dererziehungsleistung und ein Stück mehr Gerechtigkeit. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der CDU/CSU) LINKEN) Aber, meine Damen und Herren, wir reden vor dem Wenn wir uns das ansehen, stellen wir fest: Wir ha- Hintergrund einer veränderten demografischen Situation ben noch eine große Aufgabe zu schultern – weil in den über die Alterssicherung. Ab 2025 wird die Generation nächsten Jahren die Lebensarbeitszeit ja durchaus aus- der sogenannten Babyboomer, also die Jahrgänge der in geweitet wird –, nämlich dafür zu sorgen, dass es eine den späten 50er- und frühen 60er-Jahren Geborenen – anständige und solidarische Absicherung auch für Men- eine große Altersgruppe –, in Rente gehen. Wenn wir in schen gibt, die im Beruf einfach nicht mehr können. Wer den nächsten 20 Jahren, zwischen 2025 und 2040, die aus gesundheitlichen Gründen früher aus dem Erwerbs- Alterssicherung auf stabile Füße stellen wollen, dann leben ausscheidet, braucht den Schutz unserer Solidar- sind die Veränderungen im System der Rente und der gemeinschaft. Deshalb ist es sozialpolitisch geboten und Alterssicherung das eine, das Richtige und Notwendige. richtig, dass wir die Erwerbsminderungsrenten – zugege- Aber das andere ist das, was wir am Arbeitsmarkt zu- (B) benermaßen: für zukünftige Fälle; aber auch für die ist es stande bringen: Wir müssen durch eine bessere Verein- (D) wichtig – durch die Veränderung der Zurechnungszeiten barkeit von Beruf und Familie, durch mehr Anstrengung verbessern. Davon profitieren immerhin 170 000 Men- bei Ausbildung und Qualifizierung, auch durch Fachkräf- schen in Deutschland. Das ist für mich eine Frage des teeinwanderung und dadurch, dass Menschen arbeiten Anstands und der Fairness. Bei aller Diskussion über können, dafür sorgen, dass wir tatsächlich genug Leute Lebensarbeitszeit: Wir müssen Menschen absichern, die haben, die einzahlen, um das System auf stabile Füße zu beruflich nicht mehr können, weil sie nicht gesund sind, stellen. weil sie krank sind, und deshalb ist die Verbesserung der Erwerbsminderungsrente sozialpolitisch ein wichtiger Die Veränderungen am Arbeitsmarkt und die Verän- Schritt. derungen in der Alterssicherung sind kommunizierende Röhren. Sie werden mich fragen – das wird hier in der (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so- Debatte eine Rolle spielen –: Kann sich Deutschland das wie des Abg. Johannes Vogel [Olpe] [FDP]) leisten? Ich drehe das mal um, meine sehr geehrten Da- Das vierte Element dieses Rentenpakts für Deutsch- men und Herren: Es wird ein Kraftakt – ohne Zweifel. land ist, dafür zu sorgen, dass wir Geringverdiener in Aber ich finde, in Zeiten rasanter Veränderungen ist es Deutschland entlasten. Es wird ja dieser Tage viel über richtig, dass wir Menschen Sicherheit und Orientierung Steuerentlastungen diskutiert. Die Wahrheit ist aber geben und dafür sorgen, dass man sich nach einem Leben auch, dass Geringverdiener in Deutschland, Menschen voller Arbeit auf die Altersvorsorge verlassen kann. Das mit niedrigem Einkommen nicht so sehr von der Sen- ist ein wichtiger Beitrag zum Zusammenhalt unserer Ge- kung von Lohn- und Einkommensteuer oder von der sellschaft. All das Gerede vom Zusammenhalt ist nichts Senkung des Soli profitieren können, weil sie in der Re- wert, wenn man nicht dafür sorgt, dass der Sozialstaat gel kaum oder gar keinen Soli und keine Einkommen- verlässlich ist, und deshalb sorgen wir mit diesem Ren- steuer zahlen. Deshalb sorgen wir mit diesem Rentenpakt tenpakt für einen ersten wesentlichen Schritt. durch eine Entlastung von Sozialversicherungsbeiträgen Herzlichen Dank. dafür, dass Geringverdiener mehr Geld in der Tasche ha- ben, und zwar ohne den Schutz der Sozialversicherung (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) zu verschlechtern. Es bleibt auch in diesem Bereich bei guten Rentenanwartschaften. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Nächste Rednerin ist die Abgeordnete Ulrike Schiel- Ich will das in einen Zusammenhang bringen. Ich ke-Ziesing, AfD. habe vorhin gesagt, dass der Rentenpakt für Deutschland ein wichtiger Schritt ist, um dieses Kernversprechen des (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2018 6149

(A) Ulrike Schielke-Ziesing (AfD): von Beiträgen erworben. Aus diesem Grunde sind diese (C) Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Leistungen auch aus Steuermitteln zu bezahlen. Präsident! Liebe Bürger! Uns liegt nun ein Gesetzent- (Beifall bei der AfD – Michael Grosse-Brömer­ wurf der Bundesregierung zur Leistungsverbesserung [CDU/CSU]: Was schlagen Sie eigentlich und Stabilisierung in der gesetzlichen Rentenversiche- vor?) rung vor. Sehr schönes Wording, macht die Sache aber auch nicht besser; denn von einer Leistungsverbesse- Allein diese drei von Ihnen neu geplanten Vorhaben rung, geschweige denn von einer Stabilisierung, kann kosten die Versicherten in der gesetzlichen Rentenversi- keine Rede sein. cherung im Jahr 2019 4,1 Milliarden Euro. (Beifall bei der AfD – [SPD]: (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wie Hä?) viel ist das denn pro Durchschnittsverdiener?) Ihre Strategie ist Abwarten, bis die gesetzliche Renten- Herr Minister Heil, Sie belasten die heutigen Beitrags- versicherung Ihnen signalisiert, dass sie Bundesmittel zahler, indem der Beitragssatz nicht so gesenkt wird wie benötigt, um ihre Pflichten erfüllen zu können. Nur: Das eigentlich gesetzlich vorgesehen, und den Rentenbezie- ist der falsche Weg, den Sie, Herr Minister Heil, da be- hern werden ständig Verbesserungen versprochen, die je- schreiten. Die gesetzliche Rentenversicherung mag noch doch auch zum größten Teil durch die Rentenkasse selbst gute Beitragseinnahmen haben und kann Ihre Wahl- finanziert werden müssen. geschenke noch finanzieren – nur, zu welchem Preis? (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Haben Bei dieser Rechnung benötigen wir auch keine höheren Sie eigentlich ein Rentenkonzept?) mathematischen Kenntnisse, das ist wirklich recht ein- fach: Wenn versicherungsfremde Leistungen durch die Dies geht folglich zulasten aller Rentenbezieher, die auf gesetzliche Rentenversicherung getragen werden müs- die gesetzliche Rentenversicherung angewiesen sind, sen, dann wird die Summe, die an die Rentenempfänger und zulasten der Beitragszahler, die hoffen, irgendwann ausgeschüttet wird, logischerweise kleiner. Die heutigen noch eine auskömmliche Rente zu erhalten. Rentner sind es, die Ihre Wahlkampfgeschenke mit einer Sie haben sich auch vorgenommen, die gesetzliche geringeren Rente finanzieren müssen. Rentenversicherung zu stabilisieren. In welchem Zeit- An dieser Stelle hätte ich mir eine Zusammenstellung horizont denken Sie da? Bis zur nächsten Wahl? Anders der versicherungsfremden Leistungen gewünscht – das kann ich mir Ihren Gesetzentwurf nicht erklären. ist leider nicht erfolgt –, dann wäre Ihnen sehr schnell (Beifall bei der AfD – Matthias W. Birkwald klar geworden, wie lächerlich Ihre Jahreszahlung von (B) [DIE LINKE]: Bis zur übernächsten! – 500 Millionen Euro eigentlich ist. Als ein kleines Ge- (D) Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Was genbeispiel: Die jährliche Erleichterung, die den Ren- schlagen Sie denn vor?) tenbeitragszahlern aufgrund Ihrer doppelten Haltelinien verwehrt bleibt, beträgt rund 3,6 Milliarden Euro. Die Rentenkommission, hauptsächlich bestehend aus Die Bundesregierung predigt ständig, die Bürger sol- SPD und CDU, soll im März 2020 einen Bericht vor- len doch bitte privat vorsorgen und sich nicht nur auf die legen. Bis dahin ist diese Legislaturperiode fast verstri- gesetzliche Rentenversicherung verlassen. chen, und mit den Ergebnissen der Rentenkommission muss sich die neue Regierung befassen. Herr Heil, Sie (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das führen mit Ihrem Rentenpaket Maßnahmen ein, deren sagt Herr Meuthen doch, glaube ich, oder?) Folgen Ihr Nachfolger ausbaden muss. Gleichzeitig erschweren Sie den Bürgern die private Vor- (Beifall bei der AfD) sorge, wenn Sie Beitragssenkungen nicht so wie geplant durchführen. Mit Ausnahme des Jahres 2023 liegt der In Ihrem Gesetzentwurf schreiben Sie – Zitat –: Beitragssatz bis 2025 laut geltendem Recht immer unter Soweit für die Einhaltung der Haltelinie beim dem von Ihnen festgelegten Beitragssatz. Beitragssatz zusätzliche Mittel notwendig (Dr. [AfD]: Genau!) werden, werden diese aus dem Bundeshaus- halt geleistet. Irgendwie müssen die Wahlkampfgeschenke ja finanziert werden. Ich weiß nicht, ob es bei meinen letzten Reden nicht so (Beifall bei der AfD – Michael Grosse-Brö- deutlich wurde; ich wiederhole meine Forderung bei mer [CDU/CSU]: Was schlagen Sie eigentlich diesem Thema jedoch sehr gerne, weil es eine zentrale vor? Ich höre überhaupt keine Vorschläge!) Fehlentwicklung in der gesetzlichen Rentenversiche- rung ist: Die gesetzliche Rentenversicherung wird schon Verantwortungslos ist Ihr Handeln auch angesichts der seit Jahren mit versicherungsfremden Leistungen belas- Tatsache, dass die Beiträge in Zukunft noch steigen wer- tet. Das sind Leistungen, die eigentlich aus Steuern fi- den und das verfügbare Einkommen der sozialversiche- nanziert werden müssen. Alle neu von Ihnen geplanten rungspflichtig Beschäftigten damit noch weiter sinken Leistungen sind versicherungsfremd: die Erhöhung bei wird. Die Situation wird zusätzlich noch dadurch ver- der Mütterrente, die Entlastung der Geringverdiener, die schlimmert, dass parallel dazu natürlich auch ein Anstieg Erhöhung der Anrechnungszeiten bei der Erwerbsminde- der Beitragslast für die Arbeitgeber einsetzen wird. Ihrer rungsrente. Hier wurden keine Anwartschaften in Form Milchmädchenrechnung nach erhöht sich jedoch das ver- 6150 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 56 Sitzung Berlin, Freitag, den 12 Oktober 2018

Ulrike Schielke-Ziesing (A) fügbare Einkommen der Rentner im Gegenzug. Das ist Obergrenze beim Beitragssatz und ein konstantes (C) löblich. Aber warum muss bei jeder Erhöhung, die die Rentenniveau sind nicht unbedingt hilfreich, um die Fol- SPD einführt, die arbeitende Bevölkerung darunter lei- gen des demografischen Wandels abzumildern. Erwei- den? Damit gefährden Sie die Arbeitsplätze von morgen tern Sie die Bandbreite der Einzahler in die gesetzliche und sägen an dem Ast, der die Rente sichert. Rentenversicherung. Beispielsweise sollten Politiker kei- ne Sonderstellung mehr einnehmen. Es ist nicht vermit- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Was telbar, dass wir Politiker innerhalb kurzer Zeit so viele ist denn Ihr Konzept? Sagen Sie doch mal, wie Rentenanwartschaften erwerben, wie ein Durchschnitts- es besser geht!) verdiener in seinem Leben niemals schaffen wird. Das ist Von der Arbeiterpartei von damals ist entschieden nichts kein haltbarer Zustand. mehr übrig geblieben. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD – Michael Grosse-Brömer­ [CDU/CSU]: Keine Vorschläge! Nur kritisie- Mit dem von uns eingereichten Antrag zur Anrech- ren! Ganz schlecht!) nungsfreistellung der Mütterrente bei der Grundsiche- rung im Alter wollen wir Rentnerinnen entlasten, die In Ihrem Gesetzentwurf sehen wir besonders die Ent- zwar durch den halben Entgeltpunkt mehr für Kinderer- lastung von Geringverdienern kritisch. Geringverdiener ziehungszeiten eigentlich eine höhere Rente bekommen, sollen bei der Beitragszahlung fiktiv so gestellt werden, die aber eine so niedrige Rente erhalten, dass sie Grund- als hätten sie monatlich 1 300 Euro verdient. Da auch sicherung im Alter beantragen müssen. Diese Rentnerin- diese Maßnahme nicht durch den Haushalt des BMAS nen werden nichts von der Erhöhung ihrer Rente haben, bezuschusst wird, bedeutet dies, dass alle gesetzlich Ver- da diese vollständig auf die Grundsicherung im Alter sicherten, die mehr als 1 300 Euro im Monat verdienen, angerechnet wird. Wir als AfD-Fraktion halten dies für diese Beiträge mitzutragen haben. ungerecht. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nicht (Beifall bei der AfD – Kerstin Tack [SPD]: ein Vorschlag!) Was ist denn Ihr Ding?) Daraus ergibt sich dann bei der Rentenberechnung, dass Es erscheint als ein Gebot der Fairness den Müttern Versicherte, die beispielsweise 500 Euro im Monat ver- gegenüber, keine volle Einkommensanrechnung bei der dient haben, denselben Rentenanspruch erwerben wie Mütterrente vorzunehmen. Durch eine angemessene Versicherte, die in diesem Zeitraum 1 300 Euro verdient Freistellung der Renten bei der Einkommensanrech- haben. nung wird die Altersarmut gezielt bekämpft. Mit einer (B) Einkommensfreibetragslösung würde sich die Änderung (D) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Man bei der Mütterrente auch auf die armen Rentnerinnen nennt das Solidarsystem!) auswirken. Wir fordern daher die Bundesregierung auf, Hier wird das Prinzip der Beitragsäquivalenz komplett möglichst zeitnah einen Gesetzentwurf zur Änderung aufgegeben, also der Grundsatz der Gleichwertigkeit von des SGB XII vorzulegen, der eine angemessene Anrech- Leistung und Gegenleistung. Es erfolgt eine sozialisti- nungsfreistellung für die Mütterrente vorsieht. sche Umverteilung, die man keinem Versicherten mehr erklären kann. Vielen Dank. (Beifall bei der AfD – Matthias W. Birkwald (Beifall bei der AfD) [DIE LINKE]: Eine solidarische Umvertei- lung! Wir machen keinen Sozialismus! Man Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: kann uns Vorwürfe machen, aber den nicht!) Jetzt hat das Wort der Kollege Peter Weiß, CDU/CSU. Herr Heil, legen Sie ein zukunftsorientiertes Renten- konzept vor, in dem Sie nicht die Beitragszahler gegen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- die Rentenbezieher ausspielen! ordneten der SPD) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wie Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): sieht denn Ihr Vorschlag aus? Immer nur kriti- sieren ohne Vorschläge!) Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der heutige Tag ist nicht nur ein Tag, an dem draußen Rechnen Sie endlich die versicherungsfremden Leistun- die Sonne scheint, sondern ist auch ein guter Tag für die gen aus der gesetzlichen Rentenversicherung heraus, und gesetzliche Rentenversicherung in Deutschland. Mit dem hören Sie auf, ständig neue hinzuzufügen! Rentenpakt der Großen Koalition machen wir vor allen Dingen eines: Wir stabilisieren zusätzlich die erste Säu- (Beifall bei der AfD) le der Altersvorsorge in Deutschland, die umlagefinan- Strukturieren Sie darauf aufbauend ein zukunftssicheres zierte Rente, für alle Rentnerinnen und Rentner, für alle Rentenkonzept! Das, was wir heute diskutieren, ist nichts Betragszahlerinnen und Beitragszahler. Das ist heute ein weiter als ein Lindern der Symptome und nicht die Be- guter Tag für die Rente. kämpfung der Ursachen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall bei der AfD) ordneten der SPD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2018 6151

Peter Weiß (Emmendingen) (A) Für mich sind die beiden wichtigsten Punkte in diesem entstehen kann, handeln, und zwar zielgerichtet und nicht (C) Rentenpakt: Erstens. Nachdem wir in der letzten Legis- mit der Gießkanne. laturperiode bereits bei der Mütterrente für alle vor 1992 geborenen Kinder eine deutliche Verbesserung erreicht (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- haben, setzen wir rentenrechtlich ein halbes Erziehungs- ordneten der SPD) jahr zusätzlich obendrauf. Ja, die Rentenversicherung ist Zu Recht stellt sich die Frage: Wie finanzieren wir das eine umlagefinanzierte Versicherung, sie hängt davon alles? In der Tat profitieren wir derzeit von einer außer- ab, ob der Generationenzusammenhalt funktioniert. Des- gewöhnlich guten Einnahmesituation in der Rentenver- wegen ist für die Rente nicht nur wichtig, dass Beiträge sicherung. Der Rentenversicherungsbeitrag ist deswegen bezahlt worden sind, sondern dass Männer und Frauen auf einem historischen Tief von 18,6 Prozent. Aber mit bereit waren, Kinder großzuziehen, ihnen eine gute Aus- diesem Rentenpakt betreiben wir bereits Vorsorge für bildung zu geben. die Zukunft, indem wir ab dem Jahr 2022 den Bundes- (Beifall bei der CDU/CSU) zuschuss an die Rentenversicherung mit zusätzlichen Milliarden erhöhen. Bereits in diesem Jahr liegt der Bun- Mit der Mütterrente erkennen wir gerade diese besondere deszuschuss bei 94 Milliarden Euro, das ist der größte Leistung an. Ich bin froh, dass von der zusätzlichen Er- Einzelposten in unserem Bundeshaushalt. Die Bundes- höhung der Mütterrente 10 Millionen Rentnerinnen und mittel für die Rentenversicherung werden in den kom- Rentner in Deutschland unmittelbar profitieren werden. menden Jahren auf deutlich über 100 Milliarden Euro Das ist eine großartige Leistung, die wir heute hier ins ansteigen. Wir machen das bewusst, um das Renten- Parlament einbringen. versicherungssystem insgesamt zu stabilisieren und um alle Einkunftsarten an der Finanzierung der gesetzlichen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Rente zu beteiligen. Ich will aber dazu sagen: Selbstver- ordneten der SPD) ständlich wird und muss die gesetzliche Rentenversi- cherung auch in Zukunft überwiegend beitragsfinanziert Das Zweite ist: Jeder kann sich vorstellen, dass es sein. Nur aus einer beitragsfinanzierten Rente ergibt sich Menschen gibt – jeder hat vielleicht davon betroffene der Rechtsanspruch, dass sie genauso geschützt ist wie Bekannte oder Familienangehörige –, die eben nicht privates Eigentum. bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze durcharbei- ten können, sondern die durch einen Schicksalsschlag, (Beifall bei der CDU/CSU) Krankheit, Unfall, vorzeitig aus dem Erwerbsleben aus- scheiden mussten. Dann ist die sogenannte Erwerbsmin- Aber gerade weil wir zusätzliche Bundesmittel in die- ser Höhe zuschießen, stellt sich die Frage „Was ist ei- (B) derungsrente das einzige Einkommen, das man hat. Was (D) wir heute vorlegen, ist eine neue Berechnungsmethode gentlich versicherungsfremd und was nicht?“ in Zukunft bei der Erwerbsminderungsrente, indem wir nämlich als nicht mehr; denn das, was wir künftig mit Steuermitteln Bezugspunkt das gesetzliche Renteneintrittsalter neh- in der Rente finanzieren, ist weit mehr als das, was man men, was gegenüber allen früheren Berechnungsmetho- als versicherungsfremd bezeichnen kann. Wir haben ein den, die im Gesetz standen, eine deutliche und massive Rentensystem, das einen vernünftigen Mix aus Beiträgen Verbesserung darstellt. Ich finde, ein Sozialstaat kann und Steuern darstellt, das solide finanziert ist und damit sich gerade dann „Sozialstaat“ nennen, wenn er denen, zukunftssicher ist. die sich nicht selber helfen können, die Hilfe angedeihen Ich will noch hinzufügen: Mit dieser neuen Finanz- lässt, die notwendig ist, um ein Leben in Würde zu füh- architektur sorgen wir auch dafür, dass kleinkariertes ren. Das machen wir heute mit der neuen Erwerbsmin- Nachrechnen überflüssig wird. Im Übrigen stelle ich mir derungsrente. sowieso die Frage: Sind Erwerbsminderungsrenten versi- (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. cherungsfremd? Nein, das ist ein Teil des Versicherungs- Birkwald [DIE LINKE]: Und die kommen im- versprechens der Rentenversicherung. mer noch im Durchschnitt auf 500 Euro! Das (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab- machen Sie nicht!) geordneten der SPD und der LINKEN und des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn man [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Matthias W. schon darüber diskutiert: „Was ist zielgerichtet, um Al- Birkwald [DIE LINKE]: Da klatsche sogar ich tersarmut zu bekämpfen oder zu vermeiden?“, dann ist mal für Herrn Weiß!) die Antwort darauf eben nicht die Gießkanne, sondern die zielgerichtete Hilfe. Mit der Mütterrente helfen wir Auch wenn das manche anders sehen würden: Ist die Frauen, die eine niedrige Rente haben. Mit der neuen Er- Mütterrente versicherungsfremd? Nein, wir brauchen werbsminderungsrente verhindern wir, dass künftig eine Kinder, damit auch in Zukunft Arbeitnehmerinnen und immer größer werdende Zahl von Erwerbsminderungs- Arbeitnehmer da sind, die Beiträge zur Rentenversiche- rentnern in die Grundsicherung im Alter fällt; das ist die rung zahlen. Deswegen ist es richtig, den generativen zweitgrößte Gruppe. Wenn wir es auch noch schaffen, in Beitrag zu belohnen. dieser Legislaturperiode eine verpflichtende Altersvor- sorge gerade auch für die Solo-Selbstständigen, die ver- (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. nünftig ist, einzuführen, dann werden wir dafür sorgen, Birkwald [DIE LINKE]: Das geht aber auch dass wir in den drei wichtigsten Punkten, wo Altersarmut Beamte und Politiker was an!) 6152 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 56 Sitzung Berlin, Freitag, den 12 Oktober 2018

Peter Weiß (Emmendingen) (A) Kurzum, verehrte Kolleginnen und Kollegen: Ich hilft. 90 Prozent der Ausgaben dieses Rentenpakets bis (C) glaube, dass wir mit dem heutigen Rentenpakt einen 2025 gehen in Maßnahmen, die nicht zielgerichtet gegen wichtigen Schritt machen, die gesetzliche Rente zu stär- Altersarmut helfen. Ihr gebt das Geld – wenn du nicht ken. Mit der Rentenkommission haben wir zusätzlich willst, dass wir sagen: „mit der Gießkanne“, dann sage eine hochkarätige Expertenrunde einberufen, die für die ich es gerne treffender – mit dem Gartenschlauch aus. mittel- und langfristige Entwicklung der Rente ein soli- Das ist der falsche Weg. des Programm vorlegen wird. Ich freue mich, dass wir für die jetzigen Rentnerinnen und Rentner, aber auch für (Beifall bei der FDP) die zukünftigen Rentnerinnen und Rentner mit guten Be- Der zweite Punkt ist – das halte ich für fatal –, dass ratungsergebnissen der Rentenkommission für Klarheit Sie die Rentenformal zulasten der Jüngeren manipulie- sorgen. ren wollen. Hier muss man noch einmal erklären, was Vielen Dank. damals die SPD selber in die Rentenformel mit dem so- genannten Nachhaltigkeitsfaktor eingeführt hat. Dahinter (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- steht der Gedanke, dass wir die Herausforderungen durch ordneten der SPD) den demografischen Wandel fair auf alle Generationen verteilen wollen. Ausgerechnet diesen Faktor setzen Sie Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: hier effektiv aus. Das ist für die Jüngeren nicht zu tragen. Nächster Redner ist der Kollege Johannes Vogel, FDP. Deshalb ist es eine unverantwortliche Rentenpolitik. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie spielen die Alten gegen die Johannes Vogel (Olpe) (FDP): Jüngeren und die Mittelalten aus! Das ist un- verantwortlich!) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man die Arbeitsmarkt- und die Sozialpolitik die- – Nein, lieber Kollege , Generationen ser Koalition unter eine Überschrift stellen wollte, dann gegeneinander ausspielen, das tut nicht derjenige, der auf müsste man den Satz formulieren: Tatsachen hinweist, sondern das tut derjenige, der diese (Dr. [CDU/CSU]: Die ist Tatsachen schafft. Das ist die Große Koalition. gut!) (Beifall bei der FDP) Sie denken zu wenig voraus. Sie denken zu wenig voraus Auf die Frage, wie das langfristig finanziert werden bei einer der zentralen Herausforderungen unserer Zeit, soll, bleiben Sie bis heute jede Antwort schuldig. Wenn (B) nämlich bei der Veränderung der Arbeitswelt durch die Sie auf Ihre Rentenkommission verweisen – das haben (D) Digitalisierung. Was für faszinierende Chancen für mehr Sie auch heute wieder getan –, die klären soll, wie das Selbstbestimmung haben wir da! Was wäre das für eine nach 2025 finanziert werden soll, dann verhält es sich Überschrift für eine Agenda 2030! Aber davon ist hier damit so, als ob Sie sich in ein Restaurant setzten, teures nichts zu erkennen. Bei dieser ersten Herausforderung Essen bestellten und sich beim Dessert überlegten, wie tun Sie zu wenig. das Ganze bezahlt werden soll. Das ist aber nicht unser (Beifall bei der FDP) Anspruch an Politik. Sie denken auch zu wenig voraus bei der zweiten He- (Beifall bei der FDP – Kerstin Tack [SPD]: rausforderung, nämlich bei der Herausforderung durch Das ist doch Quatsch, was Sie sagen!) den demografischen Wandel. Da tun Sie auch noch das Falsche. Ausdruck dessen ist das, was Sie uns heute im Dann haben Sie über den Sommer hinweg bewiesen, Deutschen Bundestag vorlegen. dass Sie die Rentenkommission noch nicht einmal un- abhängig arbeiten lassen wollen. Die SPD will die Gieß- (Beifall bei der FDP) kannenpolitik bereits über 2025 dauerhaft festschreiben. Ausgerechnet in der Legislaturperiode, die das Jahrzehnt Die CSU will schon wieder neue versicherungsfremde einleitet, in dem die geburtenstarken Jahrgänge anfan- Leistungen. Die CDU will mal wieder nichts, muss aber gen, in Rente zu gehen, schaffen Sie ein Rentenpaket, das zusehen, wie ihr die Rentenpolitik entgleitet. effektiv die Stabilisierungspolitik, die wir im überpartei- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wir lichen Konsens in den 2000er-Jahren betrieben haben, zahlen unser Essen immer selber!) rückabwickelt. Das ist unverantwortlich, liebe Kollegin- nen und Kollegen von Union und SPD. Das ist nicht der richtige Weg in der Sozialpolitik. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Gerade in der Sozialpolitik müssen wir doch in Jahr- Die Kosten für das Ganze explodieren. zehnten denken und dürfen nicht in Legislaturperioden denken. Dieses Rentenpaket ist der Ausdruck dafür, dass (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist Sie das Gegenteil tun. Ich will drei Beispiele nennen und Unsinn!) erklären, warum das so ist. Reden wir mal konkret über die Zahlen! Eine dauerhafte Erstens. Lieber Peter Weiß, ihr legt hier ein Rentenpa- Festschreibung der Manipulation der Rentenformel, die ket vor, das gerade nicht zielgerichtet gegen Altersarmut Sie hier vornehmen, kostet bis 2030 69 Milliarden Euro Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2018 6153

Johannes Vogel (Olpe) (A) im Jahr. Das sagen nicht wir, sondern das sagt die Deut- Ich spreche ganz konkret die SPD an: Kehren Sie zurück (C) sche Rentenversicherung. zur Tradition der Rentenpolitik eines Franz Müntefering! (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Was (Beifall bei der FDP – Matthias W. Birkwald kostet denn euer Konzept? – Matthias W. [DIE LINKE]: Um Gottes willen! Das war Birkwald [DIE LINKE]: Absolute Zahlen! Rechnen aus dem Sauerland! Der weiß noch Das ist unseriös!) nicht mal, was Arbeitsproduktivität ist!) 2035 sind es schon 80 Milliarden Euro im Jahr. Das sa- Als Sie in der Partei angefangen haben, über die Renten- gen nicht wir, sondern das sagt ein Mitglied Ihrer Ren- politik zu diskutieren, hat er sehr zutreffend gesagt: tenkommission. Wie sollen die Jüngeren das bezahlen? Das kann überhaupt nicht funktionieren. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Was zahlen die denn mehr ein? Das ist unseriös!) Da muss man nicht Mathematik studiert haben, da reicht Grundschule Sauerland. Sollen die Beitragssätze explodieren, was gerade Ge- ringverdiener überfordern würde? Setzen Sie auf wun- Der Mann hat recht. dersame Brotvermehrung im Steuertopf? Wollen Sie die (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Eben Mehrwertsteuer um 6 Prozentpunkte erhöhen? Diese nicht!) Fragen müssen Sie beantworten. Wir werden Sie so lange fragen, wie Sie uns die Antworten schuldig bleiben, liebe Kehren Sie um! Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union – ich Trotz des Sommertheaters, bei dem man gesehen hat, spreche jetzt gerade die Jüngeren in der Union an –, den- dass das, was Sie vorhaben, gar nicht langfristig tragbar ken auch Sie noch mal darüber nach! Sie können jetzt ist, haben wir leider kein Umdenken erlebt. Von der ers- die Richtung Ihrer Rentenpolitik korrigieren. In einer der ten Fassung des Referentenentwurfs bis zur Fassung des künftigen Legislaturperioden, zumindest sofern Sie dann Gesetzentwurfs, den Sie heute in das Parlament einbrin- noch regieren werden oder wollen, gen, hat sich fast nichts verändert, bis auf eine Stelle; das finde ich bemerkenswert, weil das etwas über Ihr Denken (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das aussagt. Sie mussten feststellen, dass aktuell, kurzfristig, mit dem „regieren wollen“ unterscheidet uns!) durch die gute Lage auf dem Arbeitsmarkt das Geld in (B) müssten Sie es ohnehin tun, aber unter größeren Schmer- (D) der Rentenkasse so üppig ist, dass trotz Ihrer neuen ver- zen. Jetzt ist die Chance, diese Situation zu vermeiden. sicherungsfremden Leistungen, die Sie mit einem Griff Kehren Sie um, und machen Sie eine bessere Rentenpo- in die Beitragskasse finanzieren wollen, die Situation litik! entstehen könnte, dass im nächsten Jahr der Beitragssatz gesenkt werden muss. Das muss man sich mal auf der (Beifall bei der FDP) Zunge zergehen lassen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Lassen Sie uns doch gemeinsam erstens zielgerichtet (Kerstin Tack [SPD]: Ja, das ist für die FDP gegen die Altersarmut vorgehen, zweitens die kapitalge- ein Problem!) deckte Vorsorge endlich besser machen! Sie sorgen dafür, dass der Beitragssatz durch Ihre Ren- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist tenpolitik heute schon höher ist, als er ohne Ihre Ren- nun wirklich keine Lösung!) tenpolitik wäre. Sie sorgen dafür, dass er künftig stärker und schneller steigen wird, als es ohne Ihre Rentenpolitik Ich weiß, Sie wollen es nicht hören; aber Länder wie die der Fall wäre. Das Einzige, was aus Ihrer Sicht auf gar Niederlande, die Schweiz, Schweden, Australien, Kana- keinen Fall passieren darf, ist eine Entlastung der Bür- da gehen doch nicht ohne Grund diesen Weg. Lassen Sie gerinnen und Bürger; das schreiben Sie auch noch in das uns drittens die Rente endlich modernisieren! Die Skan- Gesetz. Das ist doch grotesk, liebe Kolleginnen und Kol- dinavier machen uns sehr erfolgreich vor, wie es mit ei- legen insbesondere von der Union. nem flexiblen Renteneintritt geht. Da kann jeder selber entscheiden, wann er in Rente gehen kann. Das wäre eine (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Rentenpolitik, die vorausdenkt. Nur Mut! der AfD) (Beifall bei der FDP – Matthias W. Birkwald Aber es ist ja nicht zu spät. Deshalb appelliere ich [DIE LINKE]: Keine Zahlen haben Sie in der ganz ernsthaft an Sie: Kehren Sie um! Denken Sie im Hinsicht genannt!) weiteren Verlauf der Beratungen sowie in der zweiten und dritten Lesung noch einmal über die ganze Richtung Ihrer Rentenpolitik nach! Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Nächster Redner ist der Kollege Matthias Birkwald, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nicht Fraktion Die Linke. umkehren! Wir müssen auf der Strecke grö- ßere Schritte machen! Aber nicht umkehren!) (Beifall bei der LINKEN) 6154 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 56 Sitzung Berlin, Freitag, den 12 Oktober 2018

(A) Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Daran sollten wir uns ein Beispiel nehmen. Herr Bundes- (C) Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- minister Heil, das kann Deutschland sich leisten. ren! Herr Vogel, nach dieser Rede bin ich wirklich froh, Nun zum Rentenniveau, von dem Sie immer sagen, dass die FDP sich entschieden hat, nicht zu regieren, und das sei alles unwichtig. Das Rentenniveau ist die wich- dass Sie im BMAS nichts zu sagen haben. tigste Stellschraube im gesamten Rentensystem. (Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie ( [DIE LINKE]: Sehr bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE richtig!) GRÜNEN – Heiterkeit bei der CDU/CSU) Ja, Herr Bundesminister Heil, Sie wollen endlich den Das ist nämlich alles unseriös. Sinkflug des Rentenniveaus für sieben Jahre stoppen. Wir müssen doch wissen, dass wir in Deutschland, Das ist übrigens ein Erfolg von Gewerkschaften, Sozial- also die Arbeiterinnen, die Arbeiter und die Angestell- verbänden und der Linken, ten, ein bisschen auch die Beamten und die Selbststän- (Lachen bei Abgeordneten der SPD) digen, im Jahr 2017 einen Kuchen gebacken haben, der 3,28 Billionen Euro umfasst, 3 280 Milliarden Euro. Das und ich finde es trotzdem gut. ist der viertgrößte Kuchen der Erde. Davon wurden ge- (Beifall bei der LINKEN) rade einmal 9,16 Prozent für die gesetzliche Rentenver- sicherung ausgegeben. Wie war das im Jahr 2000, bevor Aber, Herr Minister, dass Sie die Beitragssatzbremse Franz Müntefering, Walter Riester und Co die gesetzli- einführen wollen, ist überhaupt keine gute Idee. Hören che Rente in den Sinkflug geschickt haben? Da hatten Sie nicht auf Herrn Vogel! Fragen Sie lieber Menschen, wir noch einen Anteil der Renten von 10,35 Prozent, und die zum Beispiel 3 000 Euro brutto im Monat verdie- das Bruttoinlandsprodukt lag nur bei etwas über 2 Billio- nen, ob sie nicht bereit wären, für ein Rentenniveau von nen Euro. Also, von einem viel kleineren Kuchen haben 53 Prozent statt wie heute 48 Prozent 30 Euro mehr im die Rentnerinnen und Rentner vor 18 Jahren ein deutlich Monat zu bezahlen! Wer 2 000 Euro brutto im Monat hat, größeres Stück erhalten, und damals gab es auch noch müsste nur 20 Euro mehr zahlen. Ich sage Ihnen, meine 2,5 Millionen Rentner weniger als heute. Also, Herr Damen und Herren: Die meisten Menschen wären dazu Vogel: Wir haben zu wenig Geld für die Rentnerinnen bereit; denn die Renten ihrer Großeltern, ihrer Eltern und und Rentner und nicht zu viel. So ist die Lage. vor allen Dingen, Herr Vogel, ihre eigenen Renten wür- den deutlich steigen. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) (B) Meine Damen und Herren, wir müssen doch einmal (D) politisch entscheiden, wie viel uns das würdevolle Leben 53 Prozent Rentenniveau hieße zum Beispiel, dass die unserer älteren und alten Menschen wert ist. Ich sage Ih- männlichen Neurentner in Bayern, Herr Dobrindt, statt nen: Es gibt Länder, in denen die Rentnerinnen und Rent- 1 081 Euro nach dem Konzept der Linken fast 1 190 Euro ner nicht nur 9 oder 10 Prozent vom ganzen Kuchen, vom an Altersrente erhielten, 109 Euro mehr; das ist doch was. Bruttoinlandsprodukt, wert sind, sondern 14 Prozent, (Beifall bei der LINKEN) (Lachen des Abg. Dr. [FDP]) Und die bayerischen Frauen hätten statt 684 Euro eine eigenständige Nettoaltersrente von 752 Euro, auch im- in Österreich zum Beispiel. Dort erhalten männliche merhin 68 Euro mehr. Mit anderen Worten: Alle Rent- Arbeiter und Angestellte im Alter durchschnittlich – nerinnen und Rentner hätten gut 10 Prozent Nettorente festhalten an den blauen Sitzen! – eine Bruttorente mehr. Das wären doch erste notwendige Schritte hin zu von 2 288 Euro. Das sind 1 079 Euro brutto im Monat einer den Lebensstandard sichernden Rente. mehr, als deutsche Arbeiter und Angestellte im Ruhe- stand bekommen. Bei den Frauen sind es immerhin noch (Beifall bei der LINKEN) 341 Euro mehr. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Wie sieht denn die Lage in Bayern aus, Herr Dobrindt? In Bayern erhielten Männer, die 2017 neu in Rente gin- Herr Kollege Birkwald, der Kollege Kleinwächter gen, durchschnittlich 1 081 Euro Altersrente auf ihr Kon- möchte gerne eine Zwischenfrage stellen. to überwiesen. Die österreichischen Männer haben also deutlich höhere Renten. Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): ( [CDU/CSU]: Wie Bitte schön. schaut es denn in Nordkorea aus?) Norbert Kleinwächter (AfD): Das österreichische Rentensystem ist bis 2059 seriös und nachhaltig finanziert. Warum? Weil alle Menschen Vielen Dank. – Herr Kollege Birkwald, Sie haben ge- mit Erwerbseinkommen in die Rentenkasse einzahlen, rade ausgeführt, dass man, wenn man ein bisschen mehr auch Beamtinnen und Beamte, die Selbstständigen und einzahlen würde, am Ende ein deutlich besseres Renten- die Politiker. niveau hätte. Ihnen sind die Berechnungen, beispiels- weise von Martin Werding, zur Zukunft der Rente schon (Beifall bei der LINKEN) bekannt? Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2018 6155

(A) Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): nicht den von Finanzmarktinteressen getriebenen Kapi- (C) Ja. talmärkten überlassen, sondern dem guten Solidarsystem der gesetzlichen Rentenversicherung. Norbert Kleinwächter (AfD): (Beifall bei der LINKEN) 2060 sinken wir aktuell auf ein Rentenniveau von cir- Wir haben das alles durchgerechnet; Sie können es ca 41 Prozent, und Sie wollen uns jetzt mit einer Berech- haben. Rechnen Sie bei der Arbeitsproduktivität, und nung, ausgelegt auf einen Anteil vom Bruttoinlandspro- zwar konservativ, mit 1 Prozent. Rechnen Sie beim dukt, weismachen, dass die Leute, wenn sie jetzt mehr Wirtschaftswachstum, konservativ, mit 1 Prozent. Herr zahlen würden, im Alter eine deutlich höhere Rente hät- Professor Dr. Gerd Bosbach – nicht zu verwechseln mit ten – wohl wissend, dass der Altersquotient auf 65 Seni- ; nur damit das klar ist – oren pro 100 Erwerbstätige steigen wird, wohl wissend dass wir letztendlich nur einen Kuchen zu verteilen ha- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Scha- ben, der von den Erwerbstätigen finanziert werden muss de, sonst wüsste ich, das wäre richtig!) und natürlich unter den Rentnern aufgeteilt wird? Sie ist Professor für Statistik, Empirie und Mathematik an stellen sich tatsächlich hierhin und sagen: Wenn Sie 20 der Fachhochschule Koblenz, Standort Remagen. Er hat oder 30 Euro mehr Rentenbeiträge im Monat zahlen, ausgerechnet, dass bei 1 Prozent Produktivitätssteige- dann werden Sie am Ende eine deutlich bessere Rente rung die Renten für die Babyboomer so zu finanzieren haben. – Wollen Sie das den Leuten wirklich so vermit- sind, dass auch für sie Artikel 1 des Grundgesetzes „Die teln? Würde des Menschen ist unantastbar“ gilt. (Beifall bei der AfD – Dr. Gesine Lötzsch (Beifall bei der LINKEN) [DIE LINKE]: Das ist ja eine Steilvorlage!) Das dazu; jetzt mache ich aber weiter. – Ich sage, liebe Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Koalition, lieber Herr Minister Heil: Sie wollen das der- zeit viel zu niedrige Rentenniveau einfrieren. Der Sink- Ich glaube, das war eine Superfrage. Dann kann ich flug geht nicht weiter; okay. Aber Einfrieren reicht nicht. Ihnen nämlich erstens erklären, dass wir im Durchschnitt Wir Linken wollen eine gesetzliche Rente, die auch 2040 um die 1 Prozent Arbeitsproduktivitätssteigerung und und 2060 noch den Lebensstandard sichern wird, und Wirtschaftswachstum haben. deswegen wollen wir zügig zu einem Rentenniveau von (Dr. Alice Weidel [AfD]: 1 Prozent! – Michael 53 Prozent zurückkehren. Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Und Sie ga- (Beifall bei der LINKEN) (B) rantieren das für die nächsten 50 Jahre, oder (D) was?) Nun zur Mütterrente. Herr Heil, herzlichen Dank da- für, dass Sie den vermutlich verfassungswidrigen Plan Das wird in all diesen Debatten, bei denen immer nur der CSU, nur für Mütter oder Väter mit drei oder mehr über Köpfe gesprochen wird, nicht erwähnt. Der Kuchen Kindern die Mütterrente zu erhöhen, verhindert haben! wird größer; es ist also mehr zum Verteilen da. Danke dafür! Viele Eltern, auch bayerische Eltern, Herr (Beifall bei der LINKEN) Dobrindt, mit ein oder zwei Kindern werden erleichtert sein. Zweitens. Hier sitzt Andrea Nahles, heute Fraktions- vorsitzende. Sie war aber einmal Arbeitsministerin und Aber, Herr Minister, Sie bleiben auf halber Strecke hat ein Rentenpaket vorgelegt. Da hat sie – vielen Dank stehen. Warum? Ab Januar 2019 sollen Mütter oder dafür! – freundlicherweise auch mal unsere Vorschläge Väter für ein Kind, das vor 1992 geboren wurde, statt durchgerechnet. 62,06 Euro Mütterrente 80 Euro erhalten. Halbe Strecke! Warum? Die Mütter im Osten werden für dasselbe Kind (Kerstin Tack [SPD]: Durchgerechnet? – Ge- nur 76,73 Euro bekommen. genruf des Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Was habt ihr denn da gemacht?) (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das ist ja unglaublich!) Dabei kam heraus, dass es, wenn wir das Rentenniveau wieder auf 53 Prozent anhöben, keinen Cent teurer wäre Das sind bei zwei Kindern knapp 80 Euro weniger im als Ihr Dreisäulensystem. Ihr rechnet nämlich nie die Jahr, Herr Minister. 28 Jahre nach der Einheit darf das Kosten für Riester, 4 Prozent vom Bruttoeinkommen, nicht sein. und für eine Betriebsrente aus. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Gleichen Sie die Mütterrenten in Ost und West sofort an! Ich habe beim Ministerium angefragt, und die haben mir Und gleichen Sie die Rentenwerte in Ost und West an! gesagt: Man braucht im Jahr 2030 einen Beitragssatz Die Linke fordert 96 Euro Mütterrente für jedes Kind, von 29 Prozent – den haben wir aber auch 2030 im Drei- egal ob in Rostock oder in München geboren, egal ob es säulensystem –; dann würden Arbeitgeber 10,9 Prozent 1960 oder 2010 geboren wurde. zahlen, Arbeitnehmer 10,9 Prozent, die Arbeitnehmer (Beifall bei der LINKEN) aber noch 4 Prozent für Riester und 3,2 Prozent für eine kapitalgedeckte Betriebsrente. Das heißt, wenn man ehr- Natürlich muss die Mütterrente komplett aus Steuermit- lich ist, sind die Kosten immer gleich. Ich will das nur teln bezahlt werden. 6156 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 56 Sitzung Berlin, Freitag, den 12 Oktober 2018

Matthias W. Birkwald (A) Da der Präsident mir das Ende der Redezeit anzeigt, Finanzminister. Hallo? Wenn das eine Demografiereser- (C) sage ich: Herzlichen Dank. ve für die Rentenversicherung sein soll, warum geben Sie das Geld nicht der Rentenversicherung? Vielleicht will (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN) der nächste Finanzminister im Jahr 2022 gar nichts mehr von dem wissen, was Sie von hier aus groß versprochen Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: haben. Das ist doch hochgradig windig und durchsichtig Nächster Redner ist der Kollege Markus Kurth, Bünd- schwach finanziert. nis 90/Die Grünen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Johannes Vogel [Olpe] [FDP]) Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Für die Zeit nach 2025 haben Sie überhaupt nichts an- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie- zubieten, wie es weitergehen soll. Dann müssen Sie sich ber Matthias Birkwald, wenn es im „Guinnessbuch der nicht wundern – ich schaue gerade die Sozialdemokraten Rekorde“ eine Kategorie gäbe, in einer politischen Rede an, auch wenn ich in dieser schwierigen Situation nicht pro Satz möglichst viele Zahlen unterzubringen, dann auf sie einschlagen möchte –, wenn Sie angreifbar wer- wären Sie ganz vorne mit dabei, den, weil die Bürgerinnen und Bürger das begreifen. Es (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ reicht nicht aus, Hubertus Heil, von hier aus zu beschwö- DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie ren, man wolle nicht, dass die Generationen gegenei- bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Hei- nander ausgespielt werden. Wenn man keine tragfähigen terkeit bei der CDU/CSU) langfristigen Antworten hat, dann öffnet man Argumen- tationen Tür und Tor – wie von Johannes Vogel, wie von wobei Zahlen zwar nicht zu ersetzen, aber natürlich auch fragwürdigen Wissenschaftlern –, die da lauten: Das ist nicht alles sind. alles nicht finanzierbar. Das System bricht zusammen. – Die Regierung Hubertus Heil macht sich auf eine gro- Das ist das Problem. ße Reise zu durchaus großen Zielen: Stabilisierung des Wir wollen auch nicht die Generationen gegeneinan- Rentenniveaus, Beitragssatz im Zaum halten, Mütterren- der ausspielen. te, Schließen der Gerechtigkeitslücke und die auch von uns unterstützte Verbesserung der Erwerbsminderungs- (Andrea Nahles [SPD]: Ach, nee! Das ist mir rente. Aber wenn man sich auf große Fahrt macht, dann aber nicht aufgefallen!) sollte man auch ein geeignetes Fahrzeug haben und sich Darum haben wir uns einen Maßnahmenmix überlegt, (B) genügend Proviant mitnehmen, damit man nicht auf hal- wie man nach 2025 die Finanzierung sicherstellen kann, (D) ber Strecke verhungert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Schönes und zwar durch eine Erweiterung des Versichertenkrei- Bild!) ses – Stichwort „Bürgerversicherung“ –, Und Sie sind ungefähr so gut vorbereitet wie jemand, der (Angelika Glöckner [SPD]: Das ist unsere mit einem Schlauchboot den Atlantik überqueren will. Idee!) Wieder einmal greifen Sie auf die Rücklage der Bei- durch eine verbesserte Erwerbstätigkeit und einen höhe- tragszahlerinnen und Beitragszahler zurück, um Ihre Plä- ren Anteil von Frauen am Erwerbsleben, durch eine an- ne zu finanzieren, und kommen dann absehbar ins kurze dere Familienpolitik, Gras. In der letzten Legislatur haben Sie mit dieser Stra- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tegie dank der guten Beschäftigungslage und dank der hervorragenden Konjunktur noch einmal Glück gehabt; durch qualifizierte Zuwanderung, durch längeres, gesün- aber das wird nicht ewig funktionieren. Es funktioniert deres Arbeiten, bessere Prävention und Reha, ja schon ab 2021/2022 nicht mehr. Darum sind Sie auf (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) einen ganz windigen Trick gekommen: Ab 2022 wollen Sie eine Demografiereserve anlegen. durch einen Steuerzuschuss, der aber transparent und di- rekt als Stabilisierungsbeitrag an die Rentenversicherung (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE gegeben wird. Das ist der Finanzierungsmix, den man GRÜNEN]: Das geht ja gar nicht!) plausibel machen kann. Damit kann man dem Argument 2022, das ist in der nächsten Legislaturperiode! Warum des Generationenkrieges entgehen und echte Generatio- fangen Sie, wenn Sie das machen wollen, nicht schon nengerechtigkeit schaffen. jetzt damit an? Das wäre wenigstens halbwegs glaub- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – würdig. Andrea Nahles [SPD]: Was machen wir denn (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- anders? Das machen wir doch!) NEN sowie des Abg. Johannes Vogel [Olpe] Gerade meine Generation hat daran ein Interesse. Vor [FDP]) 20, 25 Jahren, als Norbert Blüm sagte: „Die Rente ist Der Ort, wo Sie diese Demografiereserve anlegen wol- sicher“, gehörte ich zur jüngeren Generation, die nicht len, muss auch mehr als stutzig machen, nämlich beim überlastet werden durfte. Jetzt bin ich 52 Jahre und kann Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2018 6157

Markus Kurth (A) für mich und meine Generation der Babyboomer, die die- Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): (C) ses Land im Moment ganz überwiegend am Laufen hält, Dazu enthalte ich mich eines Kommentars. – Herzli- nur sagen: Wir haben es satt, als Klotz am Bein für die chen Dank, Herr Präsident, dass Sie die Zwischenfrage Zukunft gesehen zu werden. zulassen. Kollege Markus Kurth, vielen Dank dafür! (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Jawoll! Richtig!) Erstens. Du hast eben gesagt, Markus, dass die Anhe- bung der Mütterrente im Kampf gegen Altersarmut nicht Wir haben es satt, nur als Belastungsfaktor dargestellt zu zielführend wäre. werden, wenn es um unsere Alterssicherung geht. Gene- rationengerechtigkeit bekommt man nur hin, wenn man (Johannes Vogel [Olpe] [FDP]: Das ist so, eine tragfähige langfristige Politik betreibt, die ich leider Matthias!) ein Stück weit vermisse. – Abwarten, Johannes, abwarten. – Bist du bereit, mir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zuzustimmen, dass es Untersuchungen gibt, dass Frau- sowie der Abg. [DIE LINKE]) en weniger Rente erhalten, desto mehr Kinder sie haben, Jetzt muss ich noch kurz was zum Thema Mütterrente wenn die Kinderzahl zwischen eins und vier liegt? Jetzt loswerden. Es ist ja gut, wenn wir diese Gerechtigkeits- können wir einmal überlegen, wie viele Menschen mehr lücke schließen, auch wenn dies nicht richtig finanziert als fünf Kinder haben. wird. Aber das ist nicht zielgerichtet für diejenigen, die (Kerstin Tack [SPD]: Nicht so viele Zahlen!) von Altersarmut betroffen sind; (Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Seit wann – Darum geht’s aber. – Die Mütterrente kommt gerade sind Sie denn dafür? – Matthias W. Birkwald bei den Frauen mit drei, vier oder mehr Kindern an, weil [DIE LINKE]: Das stimmt doch nicht! – sie häufig ganz geringe eigenständige Altersansprüche Johannes Vogel [Olpe] [FDP]: Natürlich!) haben. Das war ja auch der Grund, warum die CSU über- legt hatte, die Mütterrente erst ab dem dritten Kind ein- das ist das Problem. Die Mütterrente ist nicht zielgerich- zuführen. Dass ich das für verfassungswidrig halte, habe tet für diejenigen, die von Armut betroffen sind, insbe- ich schon gesagt. Dennoch wird es so sein, dass die Er- sondere nicht für diejenigen, die in der Grundsicherung höhung der Mütterrente, also der zusätzliche halbe Ent- sind. Deswegen brauchen wir eine Garantierente als Aus- geltpunkt, dazu beitragen wird, Altersarmutsprophylaxe gleich für diejenigen, die lange Kinder erzogen, gearbei- zu leisten. Zahlen und Studien dazu liegen vor. Ich bitte tet und Angehörige gepflegt haben. dich darum, das zur Kenntnis zu nehmen. (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (D) Zweitens. Wie hoch wird denn die Garantierente der Dazu haben wir Grüne ein Konzept vorgelegt. Grünen sein? Die Berechnungen, die ich kenne, laufen darauf hinaus, dass es ungefähr 80 Euro netto mehr wer- Wenn sich die CSU weniger mit der Mondfahrt be- den als die heutige Grundsicherung im Alter, also in etwa schäftigen würde, mit der Mission „Zukunft auf der so hoch, wie die Minigrundrente, die Minister Heil plant. Mondoberfläche“, Ist das so, oder kommt bei eurer Garantierente mehr raus? (Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Das ist Technologiefeindlichkeit!) Danke schön. und stattdessen mehr mit den irdischen Problemen, dann würden wir in diesem Land ein ganzes Stück weiterkom- Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): men. Zur letzten Frage zuerst. Wir schlagen vor, dass je- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- mand, der wenigstens 30 Jahre Kinder erzogen, gearbei- SES 90/DIE GRÜNEN – Alexander Dobrindt tet oder Angehörige gepflegt hat, also 30 Versicherungs- [CDU/CSU]: Sie waren doch nie für die Müt- jahre hat, 30 Rentenpunkte bekommt; das entspricht im terrente!) Moment knapp 1 000 Euro. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Brut- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: to?) Herr Kollege Kurth, der Kollege Birkwald würde Ih- nen gerne eine Zwischenfrage stellen. Das ist natürlich nicht die Welt, aber liegt immerhin über dem Grundsicherungssatz. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE Ja, bitte. GRÜNEN]: Natürlich!) (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das heißt, diese Personen müssen nicht an ihre Erspar- NEN]: Aber keine so detaillierten Zahlen!) nisse gehen. – Aber nicht so viele Zahlen, bitte. ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNIS- NEN]: Ohne Bedarfsprüfung! Das ist der Un- SES 90/DIE GRÜNEN) terschied!) 6158 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 56 Sitzung Berlin, Freitag, den 12 Oktober 2018

Markus Kurth (A) Diese Personen können in ihren Wohnungen wohnen Im Ernst: Wir garantieren für die nächsten Jahre ein (C) bleiben und sind im Rentenversicherungssystem und Rentenniveau von 48 Prozent. Das bedeutet, Renten und nicht in der Fürsorge, nicht im Sozialhilfesystem. Löhne entwickeln sich wieder im Gleichklang. Nun gibt es ja Schlaumeier bei der Initiative Neue Soziale Markt- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wirtschaft und anderswo, die behaupten, das sei gar nicht Das ist eine wichtige Anerkennung, ein Beitrag zur Wür- zu finanzieren. Es ist kein Naturgesetz, sondern eine po- de des Menschen. litische Entscheidung, wie viel uns eine solide Alterssi- cherung wert ist. Das Tolle an unserer Idee mit 30 Entgeltpunkten bei der Rente ist ja, dass die Garantierente mitwächst, wenn (Beifall bei der SPD) die allgemeine Rente steigt. Es unterliegt nicht der Will- kür eines Finanzministers. Den Eindruck zu erwecken, Nichtstun koste auch nichts, ist völlig daneben: Immer mehr Menschen würden in der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Grundsicherung landen – das kostet –, und es kostet poli- Es ist ein überlegenes Konzept. tisches Vertrauen, Vertrauen in Staat und Politik. Deshalb ist dieser Kurswechsel dringend nötig. Eine ordentliche Jetzt komme ich aber zu der Frage: Ist die Mütterrente Absicherung im Alter ist ein zentrales Versprechen des zielgerichtet – speziell gegen Altersarmut – oder nicht? Sozialstaats; Hubertus Heil hat schon darauf hingewie- Die Argumentation „je mehr Kinder“ – insbesondere in sen. Westdeutschland; in Ostdeutschland war das anders –, „desto geringere Rentenansprüche, weil die Frauen nicht Viele Menschen haben Angst, trotz langer Erwerbstä- am Erwerbsleben teilgenommen haben“, ist richtig. Aber tigkeit im Alter in Armut abzurutschen. Würde das Ren- mit zunehmender Kinderzahl sank die Erwerbsbeteili- tenniveau sinken, müssten Frauen und Männer immer gung von Frauen in Westdeutschland dermaßen stark ab, länger arbeiten, um einen Rentenanspruch zu erwerben, dass die Rente jetzt so niedrig ist, dass diese Frauen es der oberhalb der Grundsicherung liegt. selbst mit einem halben Entgeltpunkt Mütterrente nicht (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: So ist schaffen werden, über die Grundsicherungsschwelle zu es!) kommen. Das heißt, dieser zusätzliche halbe Entgelt- punkt wird eins zu eins mit der Sozialhilfe verrechnet. In Deshalb ziehen wir jetzt eine Haltelinie ein, nicht mit der diesem Sinne ist es leider nicht zielgerichtet. Gießkanne, auch nicht mit dem Gartenschlauch. Es geht um eine zielgenaue Pflege der zarten Pflanze Vertrauen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Carl-Julius Cronenberg [FDP]) (Beifall bei der SPD) (B) (D) An dieser Stelle würde unsere Garantierente in der Tat Gleichzeitig schaffen wir mit der Beitragsgarantie mehr mehr helfen. Darauf muss man durchaus aufmerksam Solidarität zwischen den Generationen. Es ist eben keine machen, auch wenn natürlich jeder Mutter und jedem Entscheidung zulasten künftiger Generationen. Im Ge- Vater der halbe Rentenpunkt gegönnt sein mag. genteil: Wir schaffen Sicherheit, gerade auch für junge Da die Uhr weitergelaufen ist, sage ich zum Schluss Menschen, dass sie im Alter eine auskömmliche Rente nur: Alle sollten sich gut überlegen, ob sie mit der CSU bekommen. auf Mondfahrt gehen oder ob sie mit Bündnis 90/Die Dann wird ja oft die demografische Entwicklung be- Grünen zuerst die irdischen Probleme lösen wollen. müht, um angeblich zu belegen, dass es Abstriche bei der Danke. Rente geben muss oder dass wir am besten alle bis 75 arbeiten sollten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Heiterkeit der Abg. Kerstin Tack [SPD] – (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Un- Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Der war glaublich!) gut!) Das zahlenmäßige Verhältnis von Alten und Jungen ist ein Indikator, nicht mehr und nicht weniger. Entschei- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: dend ist das Verhältnis von Beschäftigten zu Rentnern Nächster Redner ist der Kollege Ralf Kapschack, und deren Produktivität. Damit ist klar: Es gibt einen un- SPD. trennbaren Zusammenhang zwischen dem Arbeitsmarkt, ordentlichen Löhnen und einer auskömmlichen Rente. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ralf Kapschack (SPD): Ich würde mir wünschen, die eben schon genannten Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ver- Schlaumeier würden genauso massiv für Tarifverträge ehrte Zuschauer! Was wir heute diskutieren, ist ein echter und gute Löhne werben, wie sie unsere Rentenpläne kri- Kurswechsel in der Rente. Der FDP geht das zu weit, den tisieren. Linken nicht weit genug. Dann kann es so falsch nicht sein. (Beifall bei der SPD) (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Ja, wir wollen einen Kurswechsel bei der Rente; wir Abgeordneten der CDU/CSU) wollen mehr Solidarität und Sicherheit. Was die Koaliti- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2018 6159

Ralf Kapschack (A) on jetzt auf den Weg bringt, ist vor allem Verdienst der und dafür steht diese Koalition. Deshalb ist es gut, dass (C) SPD. diese Koalitionsbeschlüsse jetzt auch umgesetzt werden. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU) Die Sicherung des Rentenniveaus und stabile Beiträge Vieles ist dargelegt worden: die Verbesserungen bei sind ein wichtiger Schritt. Wir brauchen aber langfristige der Mütterrente, bei der Erwerbsminderungsrente und Lösungen. Deshalb war es richtig, dass ge- auch die Sicherung des Rentenniveaus, wobei ich der fordert hat, das Rentenniveau bis 2040 zu stabilisieren. Überzeugung bin, dass dies keinem hilft, der nur 15 Jahre Dafür braucht es allerdings politische und gesellschaft- lang eingezahlt hat. Was helfen dann irgendwelche Si- liche Mehrheiten. cherungen? Aber das ist Ausdruck dessen, den Menschen die Stabilität des Rentenversicherungssystems zu vermit- (Albrecht Glaser [AfD]: Und Geld!) teln. Es gilt aber auch, Verlässlichkeit in die Wirtschaft zu Hier und heute wollen wir mit diesem Gesetz erneut tragen. Wir haben stabile Beitragssätze, derzeit 18,6 Pro- die Leistungen für Menschen verbessern, die aus gesund- zent, und bis 2025 dürfen sie höchstens auf 20 Prozent heitlichen Gründen nicht mehr arbeiten können; denn steigen. Ich glaube, das ist ein verlässlicher Beitrag auch eines der größten Armutsrisiken – das ist schon ange- gegenüber unseren Betrieben, damit sie wegweisend und sprochen worden – ist die Erwerbsminderung. Deshalb in die Zukunft gerichtet kalkulieren können. Es ist auch werden wir die Zurechnungszeiten ein weiteres Mal an- ein Beitrag zur Entlastung der Geringverdiener durch die heben. Davon werden künftige Erwerbsminderungsrent- Ausweitung der sogenannten Gleitzone von 850 auf mitt- ner erheblich profitieren. Ich persönlich finde, wir sollten lerweile 1 300 Euro, wobei wir – ich sage es ganz offen – schauen, ob wir irgendwann auch etwas für den Bestand darüber noch einmal diskutieren müssen. Das soll letzt- tun können. lich ja für diejenigen gelten, die Vollzeit beschäftigt sind. Wir wollen damit nicht die Teilzeitbeschäftigung fördern (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Matthias oder Teilzeitbeschäftigungen mit guten Verdienstmög- W. Birkwald [DIE LINKE]) lichkeiten einen Attraktivitätsschub geben. Dieser Pakt ist der Auftakt. Im kommenden Jahr füh- In einem nachfolgenden Konzept – das ist schon dar- ren wir die Grundrente für Menschen ein, die jahrzehn- gelegt worden – werden wir die Absicherung der Selbst- telang gearbeitet, Kinder erzogen oder Angehörige ge- ständigen über eine Opt-out-Lösung – gesetzliche Ren- pflegt haben. Außerdem machen wir einen ersten großen tenversicherung oder private Vorsorge – angehen. Damit Schritt in Richtung Erwerbstätigenversicherung, indem wollen wir den Menschen für die Zukunft die Sicherheit wir die Selbstständigen in die gesetzliche Rentenversi- geben, auch im Alter vernünftig versorgt zu sein und ein (B) cherung einbeziehen. Wenn es nach mir geht, beziehen gutes Leben führen zu können. Das ist unser Anspruch, (D) wir die Abgeordneten gleich mit ein. und dafür hat in besonderer Weise die CSU gekämpft. (Beifall bei der SPD und der LINKEN – Ich bin völlig verwundert, wer sich heute mit ein- Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist schließt, Erfinder der Mütterrente zu sein. Das ist haar- eine sehr gute Idee! Und dann noch die Be- genau das Programm, das die CSU über Jahre hinweg amten!) verfolgt hat Das wäre nur logisch und würde sicherlich auch das Ver- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – trauen in Staat und Politik stärken. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist Herzlichen Dank. der einzige Punkt in Ihrem Rentenkonzept, der richtig gut ist!) (Beifall bei der SPD) und das mit der unionsgeführten Regierung eingeführt worden ist. Schon unter Norbert Blüm wurden bereits Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Kindererziehungszeiten in die Anrechnung einbezogen. Nächster Redner ist der Kollege Max Straubinger, Da heute wieder über versicherungsfremde Leistungen CDU/CSU. gestritten wurde, möchte ich dem Kollegen Weiß aus- drücklich beipflichten: Natürlich ist ein Umlagesystem (Beifall bei der CDU/CSU) immer auf Nachwuchs angewiesen. Darüber zu streiten, ob die Mütterrente und die Anerkennung von Kinderer- Max Straubinger (CDU/CSU): ziehungszeiten versicherungsfremde Leistungen darstel- Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die len, ist meines Erachtens müßig. Wir stehen dazu, dass Bundesregierung bringt heute den Entwurf eines Geset- auch Mütter eine gute Versorgung aus der Rentenversi- zes über Leistungsverbesserungen und Stabilisierung bei cherung erhalten sollen. der Rente ein. Wir sind uns ja alle einig hier in diesem (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Hohen Haus, dass wir ständig daran arbeiten müssen. ordneten der SPD und des Abg. Matthias W. Leistungsverbesserungen sind auch immer ein Ausdruck Birkwald [DIE LINKE]) dessen, dass der Staat gute Rahmenbedingungen für eine gute wirtschaftliche Entwicklung geschaffen hat. Das ist Ich bin sehr verwundert, dass von den Kollegen aus ja letztendlich die Grundlage dafür, dass wir den Men- den Oppositionsfraktionen eigentlich immer wieder nur schen im Alter ein gesichertes Auskommen mit einer sta- die alten Vorstellungen vorgetragen wurden. Die FDP hat bilen Rente geben können. Dafür steht die CDU/CSU, ihre eigenen Vorstellungen. Ich war schon verdutzt, lie- 6160 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 56 Sitzung Berlin, Freitag, den 12 Oktober 2018

Max Straubinger (A) ber Kollege Vogel, dass Sie auf der einen Seite kritisie- dass junge Familien Eigentum erwerben können und (C) ren, wir hätten keine langfristige Lösung in Bezug auf die dann mit einem eigenen Häuschen mietfrei in die Rente Finanzierung der Rente, uns gleichzeitig aber – da bitte gehen können. ich wirklich darum, das zu unterlassen – Manipulation bei der Rentenformel unterstellen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das will ich einmal sehen, Herr Straubinger! Mit (Johannes Vogel [Olpe] [FDP]: Das ist aber 12 000 Euro ein Haus in München kaufen!) so!) Auch das ist ein Beitrag für die Alterssicherung. – Nein, das ist keine Manipulation, lieber Johannes In diesem Sinne: Herzlichen Dank für die Aufmerk- Vogel. Wir werden bei der Rentenversicherung immer samkeit. auf irgendeine Art und Weise Anpassungen aufgrund der Herausforderungen vornehmen müssen. Da ist es nicht (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- statthaft, immer von Manipulation zu reden. ordneten der SPD)

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Dr . Barbara Hendricks [SPD] und Matthias W. Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Tack, SPD. Birkwald [DIE LINKE]) (Beifall bei der SPD) Wer langfristige Finanzierung einfordert, gleichzeitig aber sagt: „Es ist nicht statthaft, dass der Beitragssatz stabil gehalten wird“, und dafür plädiert, den Beitrags- Kerstin Tack (SPD): satz kurzfristig vielleicht um einen Zehntel Prozentpunkt Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- wieder abzusenken, dem sage ich: Das ist nicht statthaft; ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ja eine be- das kann man auch nicht durchgehen lassen. – Und mit eindruckende Stunde, die wir heute erleben, weil man Ihrer Vorstellung, dass jeder ins Rentenalter eintreten hier grundsätzliche Aussagen zur Rentenpolitik aller kann, wie er selbst will, bluten Sie letztendlich die Fi- Fraktionen sehr deutlich identifizieren kann. nanzierungsgrundlage der Rentenversicherung aus. Das Die AfD sagt wie selbstverständlich: Stabilisierung muss man auch mitsehen. des gesetzlichen Rentensystems – das ist alles ganz gro- (Widerspruch des Abg. Matthias W. Birkwald ßer Unfug. – Das ist folgerichtig, wenn man weiß, dass [DIE LINKE] – Johannes Vogel [Olpe] [FDP]: ihr Vorsitzender Meuthen ja die Abschaffung der gesetz- lichen Rentenversicherung möchte. (B) Quatsch! Gucken Sie die Schweden doch mal (D) an!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE] – – Natürlich. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ge- nau! – Zuruf von der SPD: Pfui!) Der Kollege Birkwald hat wieder die sozialistische Leier losgelassen, alles in die Zukunft zu verschieben. Wir sind sehr stolz darauf, dass wir ein deutlich anderes Konzept heute in den Bundestag einbringen. (Widerspruch des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE] – Kerstin Tack [SPD]: Hat er (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir nicht!) auch!)

Wir stehen für sichere Renten und sorgen auch für Be- So kann man auch auf den Rängen und zu Hause sehen, sitzstand, indem – auch das ist wichtig – wir es den wo der Unterschied in der Rentenpolitik liegt. Die AfD Menschen ermöglichen, auch einen Eigentumserwerb zu möchte die gesetzliche Rente inklusive aller Beiträge ab- tätigen. Höhere Beiträge, wie Sie sie letztendlich propa- schaffen. gieren, bedeuten, dass sich die Menschen keinen Eigen- (Widerspruch bei der AfD – Zuruf von der tumserwerb mehr leisten können. AfD: Nein! Lüge!) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Was?) Dann komme ich zu unseren Freunden der FDP. Die machen auch eine ganz interessante Nummer auf. Sie – Ja, natürlich. Man kann das Geld ja nur einmal ausge- sagen: Die gesetzliche Rente kann man machen; aber ei- ben. gentlich wollen wir, dass jeder privat vorsorgt. Das kann man mit Aktien und Fonds machen. Wenn man Glück (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ich hat, bleiben die stabil. Wenn man Pech hat, ist es Lebens- kann Ihnen das noch mal in Ruhe erklären!) risiko. – Auch das ist nicht unser Konzept. Wir als Union und als Koalition stehen dafür, dass das Dann kommen wir zu den Freunden der Linken. Eigentum gestärkt wird – mit dem Baukindergeld und dergleichen mehr –, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja!) Das ist ja auch beeindruckend. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ausge- rechnet Baukindergeld! Hallo!) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2018 6161

Kerstin Tack (A) Sie sagen: Ihr macht das alles gut, und wir haben es ja Vizepräsidentin : (C) erfunden. Vielen Dank, Kerstin Tack. – Schönen guten Morgen, (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der liebe Kolleginnen und Kollegen, von mir an Sie. SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Guten Nein! Das habe ich nicht gesagt!) Morgen, Frau Präsidentin!) Aber weil man das ja so auch nicht machen kann, es nicht – Guten Morgen! – Nächster Redner: Kai Whittaker für reicht, das so darzustellen, sagen Sie: Wir wollen das die CDU/CSU-Fraktion. Doppelte. – Die Nummer kennen wir; das ist ja gelebte Praxis in allen Politikfeldern. (Beifall bei der CDU/CSU) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das Kai Whittaker (CDU/CSU): Doppelte? Nee! Aber die 53 Prozent Renten- Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Zunächst einmal niveau gab es schon einmal!) möchte ich festhalten, dass die AfD offensichtlich dazu- Dann kommen unsere Freunde der Grünen. Sie sagen: gelernt hat und bei Rentendebatten nur noch einen Red- Es ist gut, was ihr macht; aber wir finden, da müsste man ner ans Rednerpult schickt und nicht mehr zwei. Sonst noch drüber hinausgehen. Wer eine gute Rente will, der würde man nämlich erkennen, dass Sie zwei Rentenkon- muss auch gute Arbeit organisieren. – Ja, richtig! zepte haben (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein! Sechs! Und keines ist stimmig!) Wir freuen uns, dass ihr nicht nur bei der Frage der Ren- te, sondern auch bei der Frage der Umsetzung der Brü- und nicht eins. ckenteilzeit, nämlich der Möglichkeit insbesondere für (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Frauen, mehr am Arbeitsleben teilzunehmen und damit Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die ha- ihre Altersvorsorge besser abzusichern, dabei seid. Wir ben keines, Herr Kollege!) freuen uns, dass ihr dabei seid, wenn wir den sozialen Arbeitsmarkt machen, um auch Langzeitarbeitslose stär- Werte Kollegen, mir geht in dieser Debatte auf den ker in die Erwerbsbeteiligung mit hineinzunehmen. Wir Zeiger, wie dieses Rentenpaket den Menschen in diesem freuen uns, wenn ihr sagt: Die Grundrente ist eine gute Land madig gemacht wird. Wir wollen die Erwerbsmin- Sache. derungsrente verbessern, weil wir ganz klar sagen: Wer einen Schicksalsschlag erleidet, wer krank wird, der darf (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Die nicht dadurch bestraft werden, dass er eine schlechte Grundrente ist überhaupt keine gute Idee!) (B) Rente bekommt. Wir wollen von daher diese Rente ver- (D) Wir merken, interessanterweise machen wir ja schein- bessern, und es ist gut, dass wir das machen. bar verdammt viel richtig und haben eine sehr breite Zu- Mit der doppelten Haltelinie geben wir den Menschen stimmung dieses Hauses. Wir freuen uns, dass wir hier Sicherheit – den Rentnern wie den Arbeitnehmern. Als eine so große Gemeinsamkeit haben. wir den damaligen Rentenkompromiss gemacht haben, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- haben wir das unter dem Eindruck einer schlechten Wirt- ten der CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer schaftslage gemacht. Wir hatten 5 Millionen Arbeitslose. [CDU/CSU]: Mit den Freunden der CDU/ Heute ist die Lage eine ganz andere; deshalb können wir CSU!) den Menschen eine bessere Sicherheit geben, als wir es damals versprochen haben. Einen kleinen Wermutstropfen will ich dann noch nennen: Im letzten Bundestagswahlkampf war ja eines Aber dass Sie hier insbesondere über die Mütterrente der großen Themen, was wir mit der Rente machen. Ich so schäbig reden, finde ich unfassbar. kann mich noch daran erinnern, dass wir bei der CDU/ ( [CDU/CSU]: Jawohl!) CSU ja die Situation hatten, Die Tatsache, dass alle Oppositionsfraktionen sagen, sie (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Also müsste steuerfinanziert sein, zeigt, dass Sie sich mit der bei den Freunden der CDU/CSU!) Herkunft des Umlagesystems überhaupt nicht beschäftigt dass man dort keinen Bedarf an Veränderungen bei der haben. Der Vater des Umlagesystems, Wilfrid Schreiber, Rente bis 2030 sah. Umso wichtiger und besser ist, dass hat 1956 ganz klar gesagt, dass es nicht nur ein umlagefi- wir jetzt miteinander weiter sind und dass wir gemeinsam nanziertes Rentensystem braucht, sondern auch eine um- miteinander Verantwortung dafür tragen wollen, dass wir lagefinanzierte Kinderrente. Genau das machen wir hier die Rente stabilisieren, dass wir Generationengerechtigkeit mit dieser Mütterrente. Er hat auch ganz klar gesagt – ich herstellen, dass wir für Solidarität in diesem Land sorgen, zitiere –: indem wir heute gemeinsam einen Rentenpakt einbringen, Es ist ersichtlich sinnlos, dem Staatsbürger zunächst der den Namen verdient. Im nächsten Jahr geht es mit den Einkommensanteile in Form von Steuern abzuneh- weiteren anstehenden Maßnahmen weiter. men und sie ihm dann mit der Geste des Wohltäters Herzlichen Dank. zurückzugeben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Im Gegenteil: Das, was Kollege Peter Weiß gesagt hat, der CDU/CSU) ist richtig: Ein Umlagesystem erfordert, dass es Kinder 6162 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 56 Sitzung Berlin, Freitag, den 12 Oktober 2018

Kai Whittaker (A) gibt. Wir müssen die Menschen, die Kinder bekommen kasse eingezahlt hatten, also sogenannte langjährig Ver- (C) und erzogen haben, unterstützen und dafür belohnen. Das sicherte, noch 1 021 Euro und im Jahr 2017 nur noch tun wir. 881 Euro auf das Konto überwiesen bekommen haben? Wenn man jetzt die Inflation, die es in diesen 17 Jahren (Beifall bei der CDU/CSU) gab, einrechnet, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass Was mich aber in der größeren Rentendebatte auch den Rentnerinnen und Rentnern, die 35 Jahre eingezahlt fassungslos macht, ist, wie sehr zum Beispiel auf das haben, im Durchschnitt ein Drittel ihrer Rente fehlt. Das Rentenniveau, lieber Kollege Birkwald, abgestellt wird sind fast 400 Euro. Das merken die Menschen, weil sie und dass gleichgesetzt wird: Sinkendes Rentenniveau sich im Alter eben nicht mehr so viel kaufen können wie heißt sinkende Renten. die Kolleginnen und Kollegen, die die Werte erwirtschaf- ten. Das ist stiekum, heimlich, leise geschehen und ist (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Im Ver- jetzt 17 Jahre her. Jetzt kommen Menschen zu mir, die hältnis zu den Löhnen stimmt das, Herr Kol- sagen: Ich habe 35, 45 Jahre gearbeitet und befinde mich lege!) jetzt in der Lage, dass ich eine Rente habe, deren Niveau Das Gegenteil ist der Fall. Da kann ich leider auch die sich nahe der Grundsicherung bewegt, also dem Rent- SPD nicht ganz ausnehmen, weil ihre Fraktions- und ner-Hartz IV. Parteivorsitzende im Sommerinterview gesagt hat – ich Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Ren- zitiere –: ten gesunken sind und dass Frau Nahles an dieser Stelle Der Wertverlust der Rente hat den Leuten zurecht in und nur mit diesem Satz im Sommerinterview leider sehr den letzten Jahren immer mehr Angst gemacht. wohl recht hatte, aber vergessen hat, zu erwähnen, dass die SPD das eingeführt hat? (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wo sie recht hat, hat sie recht!) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Das ist falsch. Kai Whittaker (CDU/CSU): (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein!) Herr Kollege Birkwald, ich bin gerne bereit, das zur – Doch, Herr Birkwald. – Die Rente ist seit 2008 bis zum Kenntnis zu nehmen, wenn Sie bereit sind, zur Kenntnis letzten Jahr nominal um 16 Prozent gestiegen. Wenn ich zu nehmen, dass die Union erst seit 2005 Regierungsver- die Inflation abziehe – das sind 11 Prozent –, bleiben real antwortung trägt noch 5 Prozent übrig. Im gleichen Zeitraum ist das Ren- (Zurufe von der AfD: Erst?) tenniveau aber um 5 Prozent gesunken. Das zeigt, dass (B) Rentenniveau und Rentenhöhe nicht zwingend etwas und die Höhe der Rente ja nicht nur mit der Rentenpolitik (D) miteinander zu tun haben, sondern so unterschiedlich wie zusammenhängt, sondern auch mit der wirtschaftlichen zwei Paar Schuhe sind. Lage. Die wirtschaftliche Lage zwischen 2000 und 2005 war nun einmal bescheiden, um es einmal sehr vorsichtig (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- auszudrücken. Dafür war nicht die Union verantwortlich, wie des Abg. Johannes Vogel [Olpe] [FDP]) sondern die damalige rot-grüne Bundesregierung. (Susanne Ferschl [DIE LINKE]: Das ist doch Vizepräsidentin Claudia Roth: keine Antwort!) Herr Kollege, erlauben Sie eine Frage oder Bemer- kung von Herrn Birkwald? Insofern haben Sie mit Ihrer Feststellung nicht recht; denn seitdem wir regieren, steigt die Rente auch real. Das zeigt, dass unsere Wirtschaftspolitik funktioniert. Kai Whittaker (CDU/CSU): Immer gerne. Er wird mich wahrscheinlich jetzt auch (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein! wieder mit Zahlen traktieren wie den Herrn Kollegen Das Rentenniveau ist eben nicht gestiegen, Kurth. seitdem Sie regieren!) Liebe Kollegen, was mich an der ganzen Debatte Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): auch stört, ist, wie mit dem Thema Renteneintrittsalter Selbstverständlich. – Vielen Dank, Frau Präsidentin, und Lebensarbeitszeit umgegangen wird. Ja, wir haben dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Auch an den Kolle- das Renteneintrittsalter von 65 auf 67 Jahre erhöht. Aber gen Whittaker vielen Dank dafür. wenn man sich einmal anschaut, wann die Menschen in diesem Land in Rente gehen, dann sieht man, dass sich Nominal steigen die Renten meistens am 1. Juli. Okay. in den letzten 25 Jahren das faktische Renteneintrittsalter Aber seit dem Jahr 2000 sinken die Renten im Verhältnis um exakt ein Jahr erhöht hat. Gleichzeitig hat sich die zu den Löhnen. Bezugsdauer, also die Zeit, wie lange Menschen Rente (Zuruf von der CDU/CSU: Sie steigen!) bekommen, um vier Jahre erhöht. Das zeigt einmal mehr: Nur weil die Menschen länger arbeiten, heißt das nicht, Genau das ist das Problem; das darf ich Ihnen mal sagen. dass sie weniger Rente oder kürzer Rente bekommen. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass im (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Doch! Jahr 2000, Menschen, die neu in Rente gegangen sind, Im Verhältnis zu den Löhnen heißt es das sogenannte Zugangsrentner, die 35 Jahre in die Renten- schon!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2018 6163

Kai Whittaker (A) Im Gegenteil: Sie können auch mehr Rente beziehen. Ich kann sie nicht mehr hören, die Koalition der (C) Deshalb ist diese Debatte, die Sie führen, hysterisch. Schwarzmaler von Grünen, Linken und AfD. Die ge- setzliche Rentenversicherung garantiert bereits seit Jahr- Ich wünsche mir, dass wir neben dem aktuellen Ren- zehnten, dass die Menschen in Deutschland im Alter gut tenpaket, das wir jetzt diskutieren, auch in die Zukunft abgesichert sind. Das ist jedoch kein Ruhekissen. Des- schauen. Lieber Herr Kollege Vogel, man kann ja kriti- halb wollen wir dieses bewährte System stärken und sieren, dass wir da mit dem Gartenschlauch rumgehen. In an verschiedenen Stellen auch weiter verbessern. Drei Baden-Württemberg gibt es eine tolle Gartenschlauchfir- Punkte sind überaus wichtig. ma namens Gardena. (Lachen des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE Der erste Punkt: Die doppelte Haltelinie, also die Ga- LINKE]) rantie, höchstens 20 Prozent an Beiträgen zu zahlen bei mindestens 48 Prozent Auszahlung, gewährleistet faire Die machen Gartenschläuche, mit denen man sehr ziel- Rahmenbedingungen für Rentner und Beitragszahler gerichtet wässern kann. Sie sind also herzlich gern einge- wie auch für die Steuerzahler. Das bewährte Prinzip der laden, so etwas einmal in Augenschein zu nehmen. Generationengerechtigkeit basiert auf dem Vertrauen der heutigen Beitragszahler, im Alter selbst gut abgesichert (Johannes Vogel [Olpe] [FDP]: Jetzt bin ich zu sein. Dieses Vertrauen werden wir weiter stärken. überzeugt!) Deshalb sichern wir mit diesem Gesetzentwurf die Ren- Wenn man schon über die Digitalisierung und die Zu- ten der heutigen Empfänger ab, berücksichtigen gleich- kunft spricht, dann hätte ich mir vorstellen können, dass zeitig die Interessen der jetzigen Beitragszahler und ge- wir einmal darüber reden, wie wir große Teile der Be- hen verantwortungsvoll mit Steuermitteln um. Auf diese völkerung am zukünftigen Kapitalgewinn dieses Landes Weise tragen wir zur Stabilisierung und Finanzierung beteiligen. der gesetzlichen Rentenversicherung bei und schaffen so gleichzeitig generationsübergreifend Vertrauen in unser (Johannes Vogel [Olpe] [FDP]: Gern!) bewährtes System der allgemeinen Rentenversicherung. Denn die Digitalisierung bedeutet, dass wahrscheinlich Der zweite Punkt, meine Damen und Herren: El- die Lohnquote in diesem Land eher sinken wird und die tern leisten durch die Kindererziehung einen wichtigen Kapitalrenditen eher steigen werden. Wenn wir die Men- Beitrag für die Gesellschaft. Sie sichern aber auch das schen daran beteiligen wollen und die Kluft zwischen generationsübergreifende Konzept unserer Altersversor- geringen und hohen Vermögen nicht weiter auseinander- gung ab. Aus persönlicher Erfahrung weiß ich, dass viele gehen soll, dann wird das ein wesentlicher Punkt sein. Mütter, gerade in Ostdeutschland, früher einer Doppelbe- Ich hoffe, dass wir zukünftig eine ergänzende kapitalge- (B) lastung ausgesetzt waren. Es wurde von ihnen erwartet, (D) deckte Rente in diesem Land bekommen. Kinder großzuziehen, aber gleichzeitig auch weiter arbei- Danke schön. ten zu gehen. Die Leistungen aller Mütter erkennen wir an und belohnen sie. Aus meiner Sicht ist es wichtig, dass (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. wir Eltern, die sich für die Kindererziehung entschieden Johannes Vogel [Olpe] [FDP]) haben, nachträglich in dieser Entscheidung unterstützen. Ich bin daher sehr froh, dass wir für die Erziehung von Vizepräsidentin Claudia Roth: vor 1992 geborenen Kindern ein weiteres halbes Kinder- Vielen Dank, Herr Kollege Whittaker. – Der letzte erziehungsjahr in der gesetzlichen Rentenversicherung Redner in dieser Debatte: Dr. Albert Weiler für die CDU/ festlegen. CSU-Fraktion. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Macht (Beifall bei der CDU/CSU) doch ein ganzes Jahr! Dann wäre es in Ord- nung!)

Dr. h. c. Albert Weiler (CDU/CSU): Punkt drei: Wir werden die Situation für Menschen Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen mit verminderter Erwerbsfähigkeit verbessern. Es ist und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebes eine persönliche Katastrophe, gesundheitsbedingt nicht Podium auf der Tribüne! Erlauben Sie mir ganz kurz mehr oder nur noch vermindert am Arbeitsleben teilneh- noch eine private Geste. Mein Vater war lange im Kran- men zu können. Diese Menschen sind in besonderem kenhaus, hatte eine schwere Herzoperation gehabt. Ich Maße auf unsere Solidarität, auf die Solidarität der Ver- möchte dir an der Stelle beste Genesungswünsche aus- sichertengemeinschaft angewiesen. Wir werden deshalb sprechen, lieber Papa. das Ende der Zurechnungszeit für Rentenzugänge weiter verlängern und ab dem Jahr 2020 schrittweise auf das (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) vollendete 67. Lebensjahr erhöhen. Meine Damen und Herren, lieber Markus Kurth, Sie fühlen sich mit 52 Jahren als Belastungsfaktor. Ich bin (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist 52 Jahre, ich fühle mich als Motor der Gesellschaft. Ich keine gute Idee!) glaube, so soll man herangehen und sich nicht als Belas- tungsfaktor sehen. Mit diesen Maßnahmen werden wir die Situation für die Menschen mit verminderter Erwerbsfähigkeit weiter (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) kontinuierlich verbessern. 6164 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 56 Sitzung Berlin, Freitag, den 12 Oktober 2018

Dr. h. c. Albert Weiler (A) Sehr geehrte Damen und Herren, Sicherheit ist eines abgekoppelt geblieben sind, weil Sie es in den letzten (C) der höchsten Güter, die ein Staat gewährleisten muss. Jahren versäumt haben, die starre Minijobgrenze von Unsere Rente muss sicher sein. Um dies zu gewährleis- 450 Euro anzuheben. ten, müssen wir heute und auch in Zukunft kontinuier- lich Verbesserungen im Rentensystem vornehmen. Die (Beifall bei der FDP – Bernd Rützel [SPD]: Union und die SPD haben eine Kommission eingesetzt, Haben wir nicht versäumt! Haben wir extra die geeignete Vorschläge für die Zukunft erarbeiten wird. nicht gemacht!) Ich selbst setze mich hier aktiv persönlich dafür ein, dass Das ist ungerecht, und das kann nicht richtig sein. unser generationsübergreifendes Rentensystem auch in Zukunft gerecht und sicher ist. Ich denke beispielsweise an den 18-jährigen Niklas, Meine Damen und Herren, zum Abschluss: Soziale der mir gestern Abend noch schrieb – er wohnt in Frei- Sicherheit zeichnet Deutschland seit Jahrzehnten aus. sing –, dass er mit dem 450-Euro-Job das Geld für seinen Wir sind die Besten in Europa, und das werden wir auch Führerschein verdient. Ich denke an die Schülerin, die bleiben. in der Bäckerei arbeitet, in der ich mir samstagvormit- tags meine Brötchen kaufe, und die die Eigentümerfa- Vielen Dank. milie in den Randzeiten entlastet. Und ich denke an den Oberstabsfeldwebel, der von seinem Einkommen natür- (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. lich seine Familie ernähren kann, der sich aber mit einem Birkwald [DIE LINKE]: Eigenlob stinkt!) 450-Euro-Job sein Hobby, das Motorradfahren, extra finanzieren kann. Ich denke an die vielen Studierenden Vizepräsidentin Claudia Roth: in Deutschland, die sich mit ihrem Minijob in Gastro- Vielen Dank, Dr. Weiler. Wir hier oben schließen uns nomie und im Handel ihr Studium erleichtern, um einen den Genesungswünschen an Ihren Vater selbstverständ- Lebensstandard zu haben, der angemessen ist. lich an. Überall, liebe Kolleginnen und Kollegen, steigen die Damit schließe ich die Aussprache. Löhne. Die Menschen verdienen in ihren Berufen mehr, Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf und die meisten Menschen bekommen tatsächlich auch den Drucksachen 19/4668, 19/29 und 19/4843 an die in mehr . Ausgerechnet aber die Minijobber bleiben zurück. der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- Für sie wirkt sich die allgemein gute Entwicklung bei gen. – Sie sind wie immer damit einverstanden. Dann den Löhnen nicht im Geldbeutel aus. Liebe Kolleginnen sind die Überweisungen so beschlossen. und Kollegen der Großen Koalition, Sie haben es in den letzten fünf Jahren versäumt, diese starre Einkommens- (B) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: grenze von 450 Euro anzuheben. Das ist ungerecht, und (D) das wollen wir ändern. Erste Beratung des von den Abgeordneten Pascal Kober, Michael Theurer, Johannes Vogel (Olpe), (Beifall bei der FDP) weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Dy- Ganz besonders bitter ist es natürlich für die namisierung der Verdienstgrenzen der gering- 700 000 Minijobber, die einen Arbeitslohn in Höhe des fügigen Beschäftigung Mindestlohns haben. Der Mindestlohn steigt jedes Jahr; das ist richtig und auch gut so. Aber das wirkt sich gerade Drucksache 19/4764 bei den Geringverdienern nicht im Geldbeutel aus. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) (Bernd Rützel [SPD]: Die müssen dann weni- Ausschuss für Wirtschaft und Energie ger arbeiten!) Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss Warum? Weil die Minijobgrenze starr bei 450 Euro bei- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für behalten wurde. Das kann nicht richtig sein. Das muss die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- geändert werden. nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. (Beifall bei der FDP) Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, Platz zu neh- Deshalb haben wir einen Gesetzentwurf vorgelegt, der men, damit ich die Aussprache eröffnen kann. zweierlei regelt: Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Pascal Kober für die FDP-Fraktion. Erstens wollen wir, dass alle Menschen von der guten wirtschaftlichen Lage, von den allgemeinen Lohnerhö- (Beifall bei der FDP) hungen wirklich profitieren können. (Bernd Rützel [SPD]: Wollen wir auch!) Pascal Kober (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deshalb wollen wir, dass in einem ersten Schritt die- 7,5 Millionen Menschen in Deutschland haben einen Mi- se starre Minijoblohngrenze von 450 Euro zum 1. Ja- nijob. Das sind 7,5 Millionen Menschen, die in den letz- nuar 2019 deutlich angehoben wird, nämlich auf rund ten fünf Jahren von der allgemein guten wirtschaftlichen 550 Euro. Das sind 100 Euro mehr. Das haben sich die Entwicklung und von der sehr guten Lohnentwicklung Menschen verdient. Das sind im Übrigen auch 100 Euro Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2018 6165

Pascal Kober (A) mehr, von denen die Arbeitgeber Sozialversicherungs- Fallgruppen ein gutes Instrument ist, am Ende des Tages (C) beiträge abführen werden. mehr Geld in der Geldbörse zu haben. (Beifall bei der FDP) Aus unserer Sicht ist für die zukünftige Entwicklung wichtig, dass der Minijob nicht attraktiver sein darf als Zweitens wollen wir weg von der starren Minijob- ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsver- grenze hin zu einer Dynamisierung. Künftig soll die Mi- hältnis. Um es noch deutlicher zu sagen: Unser gemein- nijobgrenze mit jeder Erhöhung des Mindestlohns auch sames Ziel ist und bleibt, dass möglichst viele Menschen automatisch steigen. So schlagen wir vor, dass ab dem einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung 1. Januar 2019 nicht mehr ein starrer fixer Betrag die nachgehen, Minijobgrenze bildet, sondern dass in Zukunft die Mini- jobgrenze das 60-Fache des Mindestlohns beträgt. Damit (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und steigt sie automatisch mit jeder Mindestlohnerhöhung. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das ist gut, das ist gerecht und koppelt niemanden mehr für die Rente ansparen, auf eigenen Füßen stehen, im Er- von der guten wirtschaftlichen Entwicklung ab. werbsleben Halt finden, ihren Kindern ein Vorbild sind. (Beifall bei der FDP) Das beste Mittel gegen Armut ist, die Menschen in Ar- Liebe Kolleginnen und Kollegen der Großen Koali- beit zu bringen, und zwar in sozialversicherungspflichti- tion, ich bitte Sie: Stimmen Sie diesem Gesetzentwurf ge Arbeit. Dafür muss die Politik die Rahmenbedingun- zu. Verweigern Sie den Menschen nicht ihren verdienten gen schaffen, und das haben wir in den letzten Jahren Lohn. Ja, liebe SPD, es ist in der Tat Zeit für mehr Ge- äußerst erfolgreich getan. Um das noch mal ganz deutlich rechtigkeit. zu betonen: Unsere Arbeitslosigkeit ist historisch nied- rig. 45 Millionen Menschen waren im August erwerbstä- Vielen Dank. tig. Das sind sogar noch einmal über eine halbe Million (Beifall bei der FDP) mehr als im letzten Jahr. Das sind im Übrigen alles sozi- alversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse. Vizepräsidentin Claudia Roth: (Albrecht Glaser [AfD]: Das ist nicht wahr!) Vielen Dank, Pascal Kober. – Nächster Redner: Tor- Wir wissen auch, dass immer noch viel zu viele Men- björn Kartes für die CDU/CSU-Fraktion. schen auf staatliche Unterstützung angewiesen sind. Ich (Beifall bei der CDU/CSU) habe das bereits erwähnt. Deswegen haben wir heute Morgen auch einen anderen Gesetzentwurf auf den Weg (B) gebracht, der die sogenannten Midijobs attraktiver ma- (D) Torbjörn Kartes (CDU/CSU): chen möchte. Über den Begriff kann man streiten, aber in Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten der Sache sind es gerade diese Jobs, die den Weg hin zu Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribü- sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung erleichtern nen! Der Minijob in Deutschland hat schon eine sehr sollen. lange Geschichte. Bereits in der Reichsversicherungs- ordnung 1911 wurde festgelegt, dass vorübergehende Um es noch einmal ganz kurz zu erläutern: Bisher war Dienstleistungen versicherungsfrei bleiben. 1977 wurde es so, dass derjenige, der zwischen 450 und 850 Euro zum ersten Mal überhaupt der Begriff der geringfügigen verdient, weniger Abgaben zahlt. Wir wollen diese so- Beschäftigung eingeführt. 2003, übrigens unter Rot- genannte Gleitzone, in der man weniger Abgaben zahlt, Grün, wurde die Geringfügigkeitsgrenze auf maximal je weniger man verdient, deutlich ausweiten und auf ins- 400 Euro festgesetzt und der allzeit bekannte 400‑Eu- gesamt 1 300 Euro erhöhen. Das Besondere hierbei ist, ro-Job entstand. Dieser Betrag wurde dann 2013 auf die dass die Midijobber in dieser Gleitzone zwar weniger heute noch gültigen 450 Euro erhöht. Jetzt möchte ich Abgaben zahlen, aber dennoch volle Rentenansprüche heute keine rechtshistorische Vorlesung halten, sondern erwerben. Das geschieht durch eine Umlagefinanzierung vielmehr auf folgende Punkte hinweisen. in der Rentenkasse. Das ist aus unserer Sicht ein richtiger Schritt für eine bessere Rente. Liebe Kollegen von der Der Minijob in unserem Land hat sich bewährt. Er FDP, das unterscheidet uns im Übrigen auch von Ihrem ist ein gutes Instrument auf unserem insgesamt sehr gu- Antrag; denn diese Regelung, die Aufstockung der Ren- ten Arbeitsmarkt, insbesondere in den letzten Jahren. Er tenbeiträge, sehen Sie in Ihrem Antrag gerade nicht vor. wird von vielen Menschen in unserem Land gewollt und auch genutzt. Das gilt für den Schüler, für den Rentner,

die Studentin, die sich etwas hinzuverdienen möchten. Vizepräsidentin Claudia Roth: Hunderttausende Menschen wie sie haben darum dieses Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder Modell gewählt und sind damit im Übrigen auch sehr zu- -bemerkung vom Kollegen der AfD? frieden. Da bin ich voll und ganz bei Ihnen. Torbjörn Kartes (CDU/CSU): Klar ist aber auch, dass viele andere einen Minijob Ja. zusätzlich ausüben, weil sie es müssen, weil ihr regulä- res Einkommen nicht ausreicht, weil sie gar kein anderes Einkommen haben, weil die Rente nicht ausreicht. Ich Albrecht Glaser (AfD): bin dennoch der Meinung, dass wir den Minijob insge- Herzlichen Dank, Herr Kollege Kartes, dass Sie die samt nicht verteufeln sollten, sondern dass er für beide Zwischenfrage zulassen. – Ich bin irritiert über die Be- 6166 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 56 Sitzung Berlin, Freitag, den 12 Oktober 2018

Albrecht Glaser (A) merkung, die Sie gerade gemacht haben, dass diese für die Arbeitnehmer steuer- und meist auch sozialver- (C) 45 Millionen Beschäftigten 45 Millionen sozialversi- sicherungsfrei. Es gilt brutto für netto. Das ist für viele cherungspflichtig Beschäftigte seien. Es ist doch statis- Arbeitnehmer attraktiv und rechnet sich auch für Arbeit- tisch jedermann bekannt, dass 12 Millionen von diesen geber, die bei einer sozialversicherungspflichtigen Be- 45 Millionen nicht sozialversicherungspflichtig beschäf- schäftigung und gleichbleibendem Bruttolohn deutlich tigt sind. Dieser, mit Verlaub, saloppe Umgang mit die- höher belastet würden. sen sehr einfachen Fakten irritiert mich. Können Sie die- Seit 2013 liegt die Verdienstgrenze bei Minijobs un- se Irritation teilen? verändert bei 450 Euro. CDU und FDP wollten das laut ihrem Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2017 ändern. Torbjörn Kartes (CDU/CSU): Die FDP setzt ihr Wahlprogramm mit diesem Antrag Nein, da haben Sie mich falsch verstanden. Ich habe konsequent um. Sie will die Verdienstgrenze künftig an gesagt, dass 45 Millionen Menschen erwerbstätig waren den Mindestlohn koppeln und schlägt vor, die Höhe solle sich am 60-Fachen des Mindestlohnes bemessen. (Albrecht Glaser [AfD]: Ja!) (Pascal Kober [FDP]: Korrekt!) und dass das über 500 000 Menschen mehr sind als im Vorjahr und dass die Jobs aus dieser Mehrung alles sozi- Für alle geringfügig Beschäftigten, die regelmäßig alversicherungspflichtige Jobs gewesen sind. bis an die Verdienstgrenze von derzeit 450 Euro arbei- ten, gilt, dass eine Lohnerhöhung zwangsläufig zu einer ( [CDU/CSU]: Ja, das war Reduzierung der Arbeitszeit oder in ein sozialversiche- klar!) rungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis in der Gleit- – Das war klar. Das habe ich gesagt. Wenn Sie es nicht zone führt, egal ob das nun durch eine Anhebung des verstanden haben, dann wiederhole ich es ganz gerne Mindestlohnes oder eine sonstige Lohnerhöhung, bei- noch mal. spielsweise des Tariflohnes, erfolgt. Ich möchte jetzt ganz kurz zum Vorschlag der FDP Der Wechsel in ein sozialversicherungspflichtiges Be- hinsichtlich der Anpassung des Rahmens kommen. Sie schäftigungsverhältnis ist in vielen Fällen weder für Ar- wollen hier den Rahmen eines Minijobs auf das 60‑Fa- beitnehmer noch für Arbeitgeber attraktiv. Wer Minijobs che des gesetzlichen Mindestlohns festlegen. Was würde nicht durch sozialversicherungspflichtige Jobs ersetzen das bedeuten? Sie haben es in Zahlen gesagt: Wir wä- will oder kann und wer auch nicht die Anzahl an Mini- ren heute schon bei 530 Euro im Monat, demnächst bei jobs erhöhen will, kommt um eine angemessene Erhö- 550 Euro und 2020 bei 561 Euro. Dazu, um zum Schluss hung der 450-Euro-Grenze nicht herum. Es ist auch eine zu kommen, kann ich nur sagen: Das überzeugt uns, ehr- gute Idee, das dynamisch zu tun. (B) lich gesagt, nicht. Das ist vor allen Dingen auch nicht (D) 2017 wurden nur 1 Million Minijobs mit dem Min- im Sinne des Erfinders des Minijobs. Minijobs sollen destlohn oder darunter vergütet – 1 Million von über ein Hinzuverdienst sein und nicht im Mittelpunkt einer 7 Millionen Minijobs. Das bedeutet, dass 6 Millionen Erwerbsbiografie stehen. Mit dem Vorschlag der FDP Minijobber oberhalb des Mindestlohnes verdienten. Der betreiben wir aber die Privilegierung der geringfügigen Mindestlohn ist durchaus als Bezugsgröße für eine dyna- Beschäftigung deutlich zu stark mische Anpassung der Verdienstgrenze geeignet, weil er (Zurufe von der FDP) an die Tariflohnentwicklung gebunden ist. und verringern damit die Anreize, reguläre Arbeit aufzu- Die AfD stimmt im Grundsatz einer angemessenen nehmen. Das wollen wir gerade nicht. Anhebung der Verdienstgrenze für Minijobs und der Ver- weisung in den Ausschuss zu. Wir glauben vielmehr, dass wir mit der Stärkung der Midijobs auf dem richtigeren Weg sind, gerade für die- Wir wissen natürlich, dass innerhalb der Regierungs- jenigen, die unsere Unterstützung brauchen. Deswegen koalition unter einem SPD-geführten Ministerium für lehnen wir Ihren Vorschlag ab und werden unser Vorha- Arbeit und Soziales eine Anhebung der Einkommens- ben weiterverfolgen. grenze bei Minijobs ein schwer durchzusetzendes Thema ist. Das Ministerium hat erst kürzlich darauf verwiesen, Vielen Dank. dass das nicht im Koalitionsvertrag steht. Tatsächlich (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. findet man auf den 175 Seiten die Worte „geringfügige Daniela Kolbe [SPD]) Beschäftigung“ gar nicht und das Wort „Minijob“ nur einmal, nämlich exklusiv auf Wunsch der SPD in Bezug auf Minijobs in der Zeitungsbranche, wo man den Ar- Vizepräsidentin Claudia Roth: beitgeberbeitrag zur Rentenversicherung um zwei Drittel Vielen Dank, Kollege Kartes. – Nächster Redner: senken möchte. Da stellte sich für mich die Frage, wa- Uwe Witt für die AfD-Fraktion. rum die SPD ausschließlich diesen Punkt behandelt ha- (Beifall bei der AfD) ben wollte. Liebe Bürger, werte Kollegen, vielleicht sind Sie jetzt Uwe Witt (AfD): genauso überrascht, wie ich es war, wenn Sie hören, dass Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! die DDVG, einer der größten deutschen Presse- und Me- Werte Gäste des Hohen Hauses! In Deutschland arbeiten dienkonzerne, im Besitz der Sozialdemokratischen Partei aktuell 7,5 Millionen Menschen in Minijobs. Diese sind Deutschlands ist. Die DDVG hat über ganz Deutschland Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2018 6167

Uwe Witt (A) verteilt eine Verflechtung von Unternehmensbeteiligun- Uwe Witt (AfD): (C) gen im Presse- und Medienbereich aufgebaut. Diese Liebe Kollegen, 7,5 Millionen Minijobber und Unternehmensbeteiligungen sind derart komplex, dass 2,2 Millionen Arbeitgeber, bei denen diese beschäftigt 452 DIN-A4-Seiten gerade ausreichen, um alle darzu- sind, werden genau hinschauen, was wir hier machen; stellen. darunter ganz besonders die 2,8 Millionen Minijobber im Nebenerwerb, die bereits im Hauptjob Sozialversiche- Hierüber verbreitet die SPD nicht nur ihre sozialisti- rungsbeiträge zahlen. sche Ideologie. Wenn es nach den Vorstellungen von Grünen oder (Lachen des Abg. [Erfurt] Linken geht, soll es nämlich bald vorbei sein mit brutto [SPD]) für netto. Ich will gar nicht sagen, dass Minijobs keine Nein, sie verdient damit auch nicht schlecht. Bilden Sie Probleme mit sich bringen. 4,7 Millionen Minijobber sich einfach selber ein Urteil, wenn ich Ihnen erkläre, sind ausschließlich geringfügig beschäftigt und haben worum es geht. keinen Hauptjob, in dem sie Sozialversicherungsbeiträge zahlen. Da muss man sich schon fragen, ob der Gesetz- Für das Austragen aller Zeitungen und Zeitschriften geber nicht bei den ausschließlich geringfügig Beschäf- in Deutschland werden circa 300 000 Zusteller benötigt. tigten die Rahmenbedingungen so setzen sollte, dass eine Davon sind fast alle über einen Minijob auf 450-Eu- Grundabsicherung in der Sozialversicherung erfolgt. ro-Basis tätig. Hierbei muss das jeweilige Unterneh- (Beifall bei der AfD – Beate Müller-Gemmeke men 15 Prozent Rentenversicherungsbeiträge und circa [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also doch!) 15 Prozent weitere Abgaben zahlen. Für diese Unterneh- men, also auch für die in SPD-Besitz befindliche DDVG, Man könnte zum Beispiel die Möglichkeit der Befreiung sollen diese 15 Prozent Rentenversicherungsbeiträge bis von der Rentenversicherungspflicht auf Minijobs im Ne- 2022 um zwei Drittel gesenkt werden. Diese Absenkung benerwerb begrenzen. bringt den betroffenen Unternehmen eine Einsparung bis 2022 in einer Gesamthöhe von 550 Millionen Euro. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn man keine Ahnung hat, ist (Beifall bei der AfD – Zuruf von der AfD: es wirklich schwer, acht Minuten zu reden!) Yippie!) Wir dürfen auch nicht vergessen, dass es sich bei Mini- Liebe Kollegen, das ist die Politik, die die Volkspartei jobs ebenso wie bei Teilzeitjobs und Leiharbeit um pre- SPD zulasten der Steuerzahler seit Jahrzehnten betreibt. käre Arbeitsverhältnisse handelt, von denen in der Regel niemand wirklich leben kann. Viele Minijobber im Ne- (B) (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE benerwerb müssen neben ihrer Haupttätigkeit zusätzlich (D) GRÜNEN]: Muss man eigentlich nicht zum arbeiten, um überhaupt ihren Lebensunterhalt bestreiten Thema reden?) zu können. Leider scheinen der SPD auch die Interessen der Arbeit- Zum wiederholten Male muss ich hier darauf hinwei- nehmer – jedenfalls wenn es um die eigene Gewinnmaxi- sen, dass eine beschäftigungspolitische Wende dringend mierung geht – nicht besonders wichtig zu sein; denn bis überfällig ist und eine Reform des Hartz-IV-Systems da- Ende 2017 gab es eine Ausnahmeregelung, nach der auch mit einhergehen muss. Doch wie will man das machen die bei der SPD befindliche DDVG den Zeitungszustel- mit einer Partei wie der SPD, deren ganzes Wirken die lern weniger als den Mindestlohn zahlen durfte. letzten Jahre mehr Ideologie als Vernunft, mehr Eigen- nutz als Bürgernähe und mehr Untergangssehnsucht als (Zurufe von der AfD: Buh!) Verantwortung erkennen lässt? Da macht die SPD Klientelpolitik für sich selbst und, wie (Beifall bei der AfD – Carsten Schneider bei Sozialisten üblich, natürlich auf Kosten anderer. [Erfurt] [SPD]: Ach! Bring mal was Neues, Junge!) (Abg. Dr. Barbara Hendricks [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Die SPD hat in einer durchaus selbstkritischen Analyse – aus Fehlern lernen – richtig erkannt, dass sie sich zu einer – Nein, Zwischenfragen lasse ich nicht zu. Volkspartei ohne Volk entwickelt. Kommen wir zu dem Antrag der FDP zurück. (Beifall bei der AfD) Aber wenn man sich das kopflose Handeln der SPD-Füh- Vizepräsidentin Claudia Roth: rung in den letzten Wochen anschaut, gewinnt man nicht Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage? den Eindruck, als lerne hier irgendjemand aus Fehlern. Ich habe deshalb wenig Hoffnung, dass sich unter die- Uwe Witt (AfD): ser Regierungskoalition noch etwas in die richtige Rich- Nein. tung bewegt. Umso wichtiger ist eine gute Oppositions- arbeit, zu der die AfD gerne zur Verfügung steht.

Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank. Gut. (Beifall bei der AfD) 6168 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 56 Sitzung Berlin, Freitag, den 12 Oktober 2018

(A) Vizepräsidentin Claudia Roth: Aber vielleicht ist der Bericht, der im Internet veröffent- (C) licht und jedermann zugänglich ist, auch einfach falsch. Danke schön, Uwe Witt. – Das Wort zu einer Kurzin- tervention hat Dr. Barbara Hendricks. Danke schön. (Beifall bei der AfD – Widerspruch bei der Dr. Barbara Hendricks (SPD): SPD – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben nicht zugehört!) Ihre Bewertungen des Handelns der SPD interessieren in der Tat in diesem Haus keinen Menschen. Das will ich einmal ganz allgemein sagen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen herzlichen Dank. – Nächste Rednerin: Gabriele (Lachen bei der AfD – Jürgen Braun [AfD]: Hiller-Ohm für die SPD-Fraktion. Das hätten Sie wohl gern!) (Beifall bei der SPD) Aber ich will zurückweisen, was Sie zur DDVG ge- sagt haben. Ich selbst bin sechs Jahre lang Schatzmeis- Gabriele Hiller-Ohm (SPD): terin der SPD gewesen, kann also tatsächlich von innen Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren auf den sagen, was die DDVG ist. Die DDVG ist die Deutsche Tribünen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich komme Druck- und Verlagsgesellschaft. Sie ist eine Beteiligungs- zum Gesetzentwurf der FDP zurück. gesellschaft. Dazu gehört zum Beispiel auch ein Reise- service, mit dem ich noch in diesem Jahr auf der Ostsee Liebe FDP, mit Ihrem Gesetzentwurf wollen Sie die unterwegs war. Da gibt es natürlich keine Zusteller von Mini- und Midijobs deutlich ausweiten, und Sie, Herr Zeitungen, um das nur einmal als Beispiel zu sagen. Kober, nennen das auch noch gerecht. (Pascal Kober [FDP]: So ist es ja auch!) Bei allen Tageszeitungen, an denen die DDVG betei- ligt ist, gibt es keinen bestimmenden Einfluss. Der höchs- Ich sage Ihnen: Mit Gerechtigkeit hat das überhaupt te Anteil, den die DDVG an einem Verlag hat, beträgt nichts zu tun. 23 Prozent. Alle anderen Beteiligungen sind niedriger. Das heißt also, es gibt keinen ökonomisch bestimmenden (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Einfluss und infolgedessen auch keinen Einfluss auf die DIE GRÜNEN) Geschäftspolitik. Die Geschäftsführer agieren selbstver- Und ich sage Ihnen ganz klar: Das ist mit der SPD nicht ständlich nach dem GmbH-Gesetz frei. Wie soll das denn zu machen. (B) auch anders sein? Wenn man einen kleineren Anteil als (D) 25 Prozent hat, kann man ja überhaupt gar niemanden in (Dr. Marcel Klinge [FDP]: Bringen Sie doch der Geschäftsführung bestimmen. Infolgedessen gibt es mal ein Argument!) auch keinerlei Anweisungen in die Richtung, wie denn Die Konjunktur boomt, die Arbeitslosenzahlen sin- etwa mit Zeitungszustellern umzugehen sei. ken. Warum, so frage ich Sie, wollen Sie gerade jetzt noch mehr Minijobs? Der Wirtschaft geht es blendend. Alles andere, was Sie hier behauptet haben, entbehrt Wäre es da nicht angebracht, endlich auch einmal an die wirklich jeder Grundlage. Es passt in das Bild, das wir Beschäftigten zu denken? von Ihnen kennen: Unwahrheiten behaupten und so tun, als hätten Sie immer recht. Nein, Sie haben nicht recht. (Dr. Marcel Klinge [FDP]: Was ist mit den Tourismusbetrieben? Sie sitzen doch im Tou- (Beifall bei der SPD – Jürgen Braun [AfD]: rismusausschuss! Machen Sie doch nicht nur Klare Schattenwirtschaft der SPD!) die Augen zu!) Wie wäre es mit guter Arbeit, unbefristeten sicheren Ar- Vizepräsidentin Claudia Roth: beitsverhältnissen, fairen Löhnen, die vor Armut schüt- zen, und gerechten Aufstiegschancen? Vielen Dank, Frau Hendricks. – Herr Witt, bitte, wenn Sie mögen. Eines ist sicher: Mit Minijobs und einer Ausweitung des Niedriglohnsektors – die Sie ja wollen – erreichen Sie das nicht. Minijobs führen glasklar in die Sackgasse. Uwe Witt (AfD): Sie sind eben kein Sprungbrett in eine reguläre, sozial Ich bin etwas enttäuscht, dass Sie Ihre eigenen Unter- abgesicherte Beschäftigung. Das ist durch zahlreiche nehmensverflechtungen nicht verstehen. Sie können ger- Studien belegt. ne in meinen Unterlagen nachschauen. Auf 452 Seiten sind die unterschiedlichen Beteiligungen der DDVG auf- Vizepräsidentin Claudia Roth: gelistet. Hier steht: Parteivorstand der Sozialdemokrati- Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder schen Partei Deutschlands – das sind Sie doch irgend- -bemerkung von Herrn Kober? wie –: 100 Prozent Beteiligung.

(Daniela Kolbe [SPD]: Sie haben nicht zuge- Gabriele Hiller-Ohm (SPD): hört! – Dr. [SPD]: Antworten Nein. – Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen der Sie doch mal!) FDP, das wollen Sie ja auch gar nicht. Sie fühlen sich Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2018 6169

Gabriele Hiller-Ohm (A) ausschließlich den Unternehmen verpflichtet. Das doku- Gabriele Hiller-Ohm (SPD): (C) mentieren Sie ganz klar auch mit dem heute vorliegenden Wie aber sieht es mit den Millionen Menschen aus, Gesetzentwurf. die sich oft mit mehreren Minijobs durch ihr gesamtes (Michael Theurer [FDP]: Das ist doch Berufsleben hangeln? Keine Krankenversicherung, kei- Quatsch!) ne Absicherung bei Arbeitslosigkeit, jahrelang niedrige Löhne und in der Regel keine Chance, jemals wieder Die Arbeitgeber sind es, die von kleinen, schlecht be- aus den Minijobs herauszukommen. Dazu kommt: kei- zahlten Arbeitsverhältnissen profitieren; denn Minijobs ne Absicherung im Alter. Über 80 Prozent der geringfü- bieten für Unternehmen ein hohes Maß an Flexibilität gig Beschäftigten lassen sich vom Arbeitnehmeranteil im Niedriglohnsektor. Besonders in kleinen und mittle- der Rentenversicherung befreien und erwerben dadurch ren Betrieben haben Minijobs reguläre Beschäftigung überhaupt keine Rentenansprüche. Diese Menschen ha- oft schon verdrängt. Ganze Branchen leben inzwischen ben übrigens auch keinen Anspruch auf Erwerbsminde- überwiegend von Minijobberinnen und Minijobbern. rungsrente im Fall einer Berufsunfähigkeit. Altersarmut Im Dienstleistungssektor, vor allem in ländlichen Re- ist da fest vorprogrammiert. Millionen von hart arbei- gionen, gibt es oft überhaupt keine ordentlichen Beschäf- tenden Menschen werden somit von Aufstieg und Wohl- tigungsalternativen mehr. Darunter leiden vor allem die stand systematisch abgehängt. Die FDP befördert das mit Frauen; denn Minijobs sind nach wie vor eine Frauen- dem Gesetzentwurf, den Sie uns heute vorgelegt haben. domäne. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist eine (Zuruf von der FDP: Das glauben Sie doch schlechte Entwicklung. Die müssen wir stoppen. selber nicht!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Dazu sagen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemo- LINKEN) kraten Nein! Ich freue mich deshalb über jede Erhöhung des Min- (Beifall bei der SPD) destlohns; denn sie führt dazu, dass im Minijob immer weniger Stunden gearbeitet werden kann. Aber natürlich sehen wir auch, dass nicht alle Men- (Bernd Rützel [SPD]: Jawohl, genau so ist schen zu jeder Zeit ihres Berufslebens in Vollzeit arbeiten es!) können. Wenn Kinder da sind oder Angehörige gepflegt werden müssen, bleibt als Möglichkeit, Familie und Be- Auf diese Weise werden die Minijobs für Arbeitgeber ruf unter einen Hut zu bringen, oft nur der Minijob. Das, hoffentlich sehr bald so unattraktiv, dass sie endlich wie- meine Damen und Herren, werden wir jetzt ändern, zum der gute, sozial abgesicherte Arbeitsplätze anbieten. Das, Beispiel mit der Brückenteilzeit. (B) meine Damen und Herren, ist der richtige Weg. (D) (Bernd Rützel [SPD]: Jawohl!) (Beifall bei der SPD – Dr. Marcel Klinge [FDP]: Sind Sie schon mal auf die Idee ge- Die werden wir hoffentlich schon in der nächsten Wo- kommen, dass die da arbeiten wollen?) che durch das Parlament bringen. Mit der Brückenteilzeit ermöglichen wir es Millionen Beschäftigten in regulärer Geradezu zynisch ist es, dass Sie, liebe Kolleginnen Beschäftigung, ihre Arbeitszeit zu verkürzen, um dann, und Kollegen der FDP, in Ihrem Gesetzentwurf behaup- rechtlich abgesichert, wieder voll einsteigen zu können. ten, Sie würden durch eine Ausweitung der Minijobs das Wichtig ist dafür aber natürlich, dass wir Menschen aus Armutsrisiko in Deutschland verringern. Fakt ist, dass prekärer Beschäftigung, also aus Unsicherheit, schlech- gerade die vielen Minijobs das Armutsrisiko für die Be- ter sozialer Absicherung, mieser Bezahlung und schlech- troffenen immer weiter in die Höhe treiben. ten Arbeitsbedingungen, herausbekommen. Ja, richtig: Viele Minijobberinnen und Minijobber meinen, geringfügige Beschäftigung sei eine gute Sa- Vizepräsidentin Claudia Roth: che. Sie brauchen keine Steuern und Sozialabgaben zu Frau Kollegin, denken Sie an die Redezeit. Sie sind zahlen. Sie haben das Geld also cash auf der Hand. Für wieder mal drüber. Rentnerinnen und Rentner – da gebe ich Ihnen recht – und auch für Studierende sind Minijobs eine attraktive (Bernd Rützel [SPD]: Nicht dass mir das Zuverdienstmöglichkeit. abgezogen wird!) (Pascal Kober [FDP]: Hört! Hört!) Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Vizepräsidentin Claudia Roth: Das ist nur mit guter Arbeit und sozialversicherungs- Frau Kollegin, erlauben Sie – noch mal der Versuch – pflichtiger Beschäftigung zu erreichen, und dafür kämp- eine Zwischenfrage? fen wir. (Beifall bei der SPD) Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Nein! Überhaupt nicht. Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen herzlichen Dank. – Wenn Sie überziehen, dann Vizepräsidentin Claudia Roth: ziehe ich die Zeit bei den Kollegen ab. Das müssen Sie Ja, gut, ich frage Sie ja nur. dann in Ihrer eigenen Familie austragen. 6170 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 56 Sitzung Berlin, Freitag, den 12 Oktober 2018

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Nächste Rednerin: Susanne Ferschl für die Fraktion Für die Menschen bedeutet ein Minijob, dass sie sich (C) Die Linke. nicht eigenständig gegen die Standardrisiken des Lebens schützen können: keine Absicherung in der Krankenver- (Beifall bei der LINKEN) sicherung, keine Arbeitslosengeldansprüche und Renten- ansprüche, die nie und nimmer zum Leben reichen. Mini- Susanne Ferschl (DIE LINKE): jobber sind immer abhängig, entweder vom Ehepartner, Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle- von der Familie oder vom Amt. ginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besu- In vielen Fällen ist ein Minijob nicht gewollt, sondern cher auf den Tribünen! Wie immer, wenn die FDP vor- absolut notwendig, weil der reguläre Job oder die Ren- gibt, etwas im Sinne der Beschäftigten zu tun, ist das te eben nicht zum Leben reichen. Es gibt Frauen – zwei nicht mehr als schöner Schein; das haben wir auch beim Drittel aller Minijobber sind Frauen –, die haben nachts vorigen Tagesordnungspunkt gesehen. einen Putzdienst, arbeiten morgens an der Rezeption und (Beifall bei der LINKEN) betätigen sich abends noch als Näherin. Das ist kein pri- vates Vergnügen, sondern bittere Realität für immer mehr Sie behaupten, die Beschäftigten profitieren von einer Menschen in unserem Land. Dynamisierung und von einer Anhebung der Minijob- grenze. In Wahrheit wollen Sie aber nur den Niedrig- (Beifall bei der LINKEN – Sandra ­Weeser lohnbereich erhalten und damit Ihre Klientel, nämlich die [FDP]: Manche arbeiten gerne! – Pascal Arbeitgeber und Unternehmerverbände, bedienen. Kober [FDP]: Und die haben dann drei Mini- jobs, oder was? Drei Minijobs gibt’s nicht!) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten der SPD) In den letzten zehn Jahren ist die Zahl der Minijob- Auf den ersten Blick scheinen Minijobs auch aus Ar- ber im Nebenjob um 1 Million auf 2,8 Millionen ange- beitnehmersicht finanziell attraktiv zu sein. Man erhält stiegen, und wir sprechen hier nicht von hochdotierten Lohn scheinbar ohne Abzüge. Beschäftigte sind von Nebenjobs wie bei der nordrhein-westfälischen Landes- Steuer- und Versicherungsabgaben befreit, aber sie sind regierung, die jetzt einen ähnlichen Antrag in den Bun- auch frei von sozialem Schutz. desrat einbringen will. (Pascal Kober [FDP]: In der Regel haben sie Ich habe auch einen Nebenjob; er ist jedoch nicht hoch den von anderer Seite!) dotiert. Ich bin Betriebsrätin, und ich weiß, auf welcher Seite ich stehe: auf der Seite der Beschäftigten. Lieber Kollege Kober, es ist Unsinn, zu behaupten, (B) Sie wollen die Minijobgrenze anheben, weil die Min- (Beifall bei der LINKEN) (D) destlohnerhöhungen ins Leere laufen und die Menschen daran nicht partizipieren. Die Menschen profitieren von Als Betriebsrätin möchte ich Ihnen gern einmal die einer Arbeitszeitverkürzung, das heißt, sie arbeiten für Praxis Ihrer Politik vor Augen führen. Minijobber im den gleichen Betrag kürzer. Betrieb sind fast immer Beschäftigte zweiter Klasse, die meisten pauschal als Aushilfen eingruppiert, unabhängig Ihr Problem ist doch ein ganz anderes. Ihr Problem ist, davon, ob sie eine qualifizierte Tätigkeit ausüben oder dass den Unternehmen billige Arbeitskräfte kürzer zur nicht. Die Löhne liegen weit unter denen der regulär Be- Verfügung stehen, schäftigten. Viele Minijobber müssen aufstocken. 2017 wurden 4,2 Milliarden Euro an Aufstockerleistungen (Pascal Kober [FDP]: Das ist eine ungeheuer- gezahlt, 1 Milliarde Euro davon an Beschäftigte aus der liche und boshafte Unterstellung!) Hotel- und Gaststättenbranche – Nachtigall, ick hör dir und das schmälert die Attraktivität der Minijobs aus Sicht trapsen! der Unternehmen, insbesondere des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja!) (Beifall bei der LINKEN) Das sind Steuergelder, das heißt, der Staat subventioniert diese Lohndrückerei auch noch. Darum geht es: Am liebsten würden Sie den Mindestlohn doch lieber heute als morgen abschaffen. Aber die FDP ist In der Praxis werden den Minijobbern häufig Urlaubs- ja als verlässlicher Steigbügelhalter der Unternehmens­ ansprüche und Sonderzahlungen, wie zum Beispiel das interessen bekannt. Weihnachtsgeld, verwehrt; Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge finden überhaupt keine Anwendung, und (Widerspruch bei der FDP) es gibt meist nicht einmal Lohnfortzahlung im Krank- Die Mövenpick-Steuer liegt schon einige Zeit zurück, heitsfall. Das ist die bittere Realität von Minijobs, und deswegen ist es mal wieder Zeit für ein Geschenk an den das ist der Grund, warum Arbeitgeber trotz der höheren DEHOGA, den Deutschen Hotel- und Gaststättenver- pauschalen Sozialabgaben ein so großes Interesse an band. den Minijobs haben: weil letztendlich trotzdem noch ein größerer Profit aus den Beschäftigten herausgequetscht (Dr. Marcel Klinge [FDP]: Haben Sie denn werden kann. nichts anderes an Argumenten? Das kann doch nicht wahr sein!) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2018 6171

Susanne Ferschl (A) Wenn Sie für diese Menschen etwas tun wollen, dann FDP ist beim Minijob alles super – in der Realität sieht (C) stärken Sie Mitbestimmungsstrukturen sowie Tarifver- das aber anders aus. träge und erhöhen Sie den Mindestlohn. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (Beifall bei der LINKEN) Pascal Kober [FDP]: Nein, die Einkommens- grenze muss angehoben werden!) Aber Sie wollen ja beides nicht. Im Übrigen würde Ihr Minijobs sichern nicht die Existenz der Menschen, Antrag dazu führen, dass eine halbe Million Menschen aus der Sozialversicherung in prekäre Minijobs gedrängt (Pascal Kober [FDP]: Das ist gar nicht das würden. Das ist absolut unverantwortlich. Minijobs Ziel!) sind – das ist schon gesagt worden – keine Brücke in re- guläre Beschäftigung. Es gibt so gut wie keine Aufstiegs­ und sie sind auch keine Brücke in reguläre Beschäfti- chancen, Weiterbildung in diesen Jobs findet gar nicht gung. Mehr Geld im Minijob hilft auch nicht den Bezie- erst statt – gerade für Frauen eine biografische Sackgas- herinnen und Beziehern von Arbeitslosengeld II, se. Der Erste Gleichstellungsbericht der Bundesregie- (Pascal Kober [FDP]: Natürlich! Sie könnten rung bezeichnet Minijobs nicht umsonst als desaströs. jeden Monat 20 Euro mehr haben!) (Johannes Vogel [Olpe] [FDP]: Nein, nein!) auch wenn das in Ihrem Gesetzentwurf steht; (Abg. Johannes Vogel [Olpe] [FDP] meldet Wir sagen: Schluss damit! Es wird Zeit, dass man die- sich zu einer Zwischenfrage) sen Sumpf austrocknet. Die Subventionierung des Nied- riglohnsektors muss endlich unterbunden werden. denn der größte Teil – daher kann man sich die Frage ersparen – wird sofort wieder verrechnet. Die 550-Eu- (Beifall bei der LINKEN) ro-Jobs helfen diesen Menschen kein Stück weiter. Deswegen fordert Die Linke einen Mindestlohn von we- nigstens 12 Euro und die Einbeziehung aller Beschäftig- Vizepräsidentin Claudia Roth: ten in die Sozialversicherung, damit alle entsprechend Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage? – abgesichert sind. Ach, das war gar nicht so gemeint?

(Beifall bei der LINKEN) (Johannes Vogel [Olpe] [FDP]: Sie hat schon gesagt, dass sie sie nicht zulassen will!) Die Sozialversicherungspflicht muss ab dem ersten Euro (B) gelten. Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (D) NEN): Eine kleine Anmerkung noch zum Schluss: Auch die Ja, es wird verrechnet. Ich wusste ja, was gefragt CSU ist da ganz auf der Linie der Unternehmensverbän- wird. – Aber wenn wir jetzt gerade – – de. Mein Wahlkreiskollege Stephan Stracke ist jetzt lei- der nicht mehr da, aber er hat erst jüngst von mitwach- senden Minijobs gesprochen – die gleiche Wortwahl wie Vizepräsidentin Claudia Roth: die der DEHOGA-Geschäftsführerin Frau Hartges. Ich Moment, stopp! Er meldet sich deutlich, oder? – Gut. würde sagen: Wer gute, sozialversicherungspflichtige Darf er oder darf er nicht? Arbeit und einen solidarischen Sozialstaat möchte, der macht am Sonntag sein Kreuz an der richtigen Stelle. Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Vielen Dank. Ich würde jetzt einfach weitermachen – und zwar (Beifall bei der LINKEN) gleich mit Herrn Vogel, da er eben beim Thema Rente die Bundesregierung kritisiert und gemeint hat, sie würde zu wenig nach vorne schauen. Was heißt das jetzt eigent- Vizepräsidentin Claudia Roth: lich beim Minijob? Diese Jobs sind die Altersarmuts- Vielen Dank, Susanne Ferschl. – Nächste Rednerin für falle Nummer eins, und nun wollen Sie sie auch noch Bündnis 90/Die Grünen: Beate Müller-Gemmeke. auf 550 Euro ausweiten. Minijobs bedeuten Minirenten, daher droht vielen Frauen Altersarmut, und im Übrigen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sind Minijobs häufig auch noch eine berufliche Sackgas- se. Genau diese Realität sollten Sie, die FDP, endlich zur Kenntnis nehmen. Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin- nen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste auf den Tribünen! Von einer Ausweitung der Minijobs würde stattdessen Beim Minijob ist heute bei 450 Euro Schluss, und jetzt vor allem die Wirtschaft profitieren. Die 550 Euro be- will die FDP einen 550-Euro-Job. Die Begründung ist deuten mehr Arbeitsstunden und mehr Arbeitsleistung. ganz einfach: Sie sprechen von der Tarifentwicklung und Damit könnten die Beschäftigten wieder mehr Stunden der Teilhabe am Arbeitsleben. Das zeigt: Im Weltbild der eingesetzt werden, und zwar flexibel und kurzfristig. So 6172 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 56 Sitzung Berlin, Freitag, den 12 Oktober 2018

Beate Müller-Gemmeke (A) läuft das beispielsweise bei der Arbeit auf Abruf; denn Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) das sind vor allem Minijobs. Dies alles lohnt sich für die NEN): Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, und deshalb gibt es Lieber Kollege Vogel, ich habe es eben gesagt: Es mittlerweile im Gastgewerbe und auch im Wohnungs- wird deutlich, dass die Arbeitgeberinnen und Arbeitge- wesen genauso viele Minijobs wie sozialversicherungs- ber in vielen Branchen immer mehr auf Minijobs setzen, pflichtige Beschäftigung. Das geht gar nicht. Diese Ent- wicklung wollen wir stoppen. (Pascal Kober [FDP]: Das ist doch falsch, komplett falsch!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zum Beispiel bei der Arbeit auf Abruf im Gastronomie- Deshalb wollen wir die Minijobs nicht ausweiten, bereich und in den Hotels. Dort werden immer mehr Mi- sondern stattdessen die Hürden im Übergang zu regu- nijobber beschäftigt, die mal arbeiten können und mal lärer Beschäftigung abbauen. Unser Ziel ist sozialversi- nicht. Sie haben keine Planungssicherheit und wissen cherungspflichtige Beschäftigung. Der Mindestlohn hat nicht, welches Einkommen sie am Ende monatlich ha- dabei übrigens viel bewirkt. Wir könnten ja zusammen ben. Diese Entwicklung finden wir schlecht. dafür streiten, dass der Mindestlohn weiter erhöht wird. Was mich immer wundert, ist: Warum können die Es gibt jetzt weniger Minijobs und dafür mehr sozial- Menschen, die wenig arbeiten wollen – aufgrund von versicherungspflichtige Beschäftigung, besonders in Kindern, Pflege etc. –, nicht einfach sozialversicherungs- Ostdeutschland und im Handel. Davon profitieren die pflichtig wenig arbeiten? Beschäftigten tatsächlich: Sie können länger arbeiten, sie verdienen mehr, und sie haben einen höheren Lohn. Ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – nau so muss es sein. Johannes Vogel [Olpe] [FDP]: Das sollen sie ja!) Vielen Dank. Dann hätten sie trotzdem einen Rentenanspruch, und sie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wären abgesichert, sozialversichert etc. Das würde doch genauso funktionieren. Vizepräsidentin Claudia Roth: Also: Wir sollten dafür sorgen, dass es mehr sozialver- Vielen Dank, Frau Kollegin Müller-Gemmeke. – Das sicherungspflichtige Beschäftigung gibt, die gut abgesi- Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Johannes chert ist und durch die die Menschen einen Rentenan- Vogel von der FDP-Fraktion. spruch erwerben. In diese Richtung muss es gehen. Wir sollten nicht stattdessen den Fehlanreiz noch erhöhen, unabgesichert in kleinen Minijobs zu arbeiten. (B) Johannes Vogel (Olpe) (FDP): (D) Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Beate Müller-­ (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Gemmeke, es wurde gerade wieder gesagt, der Minijob sei für viele Menschen eine Falle. Ist Ihnen, ist dir be- Vizepräsidentin Claudia Roth: kannt, dass alle repräsentativen Umfragen, die es unter Vielen Dank. – Nächste Rednerin für die CDU/ Minijobbern gibt, ergeben haben, dass die weit, weit CSU-Fraktion: Antje Lezius. überwiegende Zahl der Minijobber in einer Lebenssitua- tion ist, in der sie gar nichts anderes haben wollen – weil (Beifall bei der CDU/CSU) sie zum Beispiel Studenten sind oder sich in bestimm- ten anderen Lebenssituationen befinden – als diese un- Antje Lezius (CDU/CSU): komplizierte Möglichkeit, sich etwas dazuzuverdienen? Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen Sollten wir dann nicht für die kleine Minderheit, die gern und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kaum etwas anderes hätte als einen Minijob, die wahren Ursa- eine arbeitsmarktpolitische Maßnahme wurde in den chen dieses Problems beseitigen: die ungerechte Steuer- letzten Jahren so kontrovers diskutiert wie die Regelun- klasse V, die unfairen Zuverdienstgrenzen bei Hartz IV gen zu den sogenannten Minijobs und den geringfügig und all die Ursachen, die in Wahrheit die Menschen „ein- Beschäftigten. Dabei ist die Versicherungsfreiheit von sperren“, Nebenbeschäftigungen so alt wie die Sozialversiche- (Beifall bei der FDP) rungsgesetze. Beginnen wir mit den Minijobs. Heute sind Minijobs aber nicht diejenigen leiden lassen, die sich im Minijob ein flexibles Instrument im deutschen Arbeitsmarkt. Ge- einfach unkompliziert etwas hinzuverdienen wollen und rade für Schüler und Studierende sowie Rentner erlauben seit Jahren in diesen Möglichkeiten reduziert werden, sie eine einfache Art des Hinzuverdienstes. Auch gibt es weil wir in der Sozialpolitik mit der Lohnentwicklung Personengruppen, die ihren Hauptjob um Tätigkeiten er- alles dynamisieren, nur die Minijobs nicht? Das macht gänzen wollen, die Spaß machen oder die Prestige brin- doch keinen Sinn. gen. Wenn der Universitätsprofessor noch eine Beratung (Beifall bei der FDP) durchführt oder der Fabrikarbeiter abends mit seiner Band auftritt, dann sind diese Tätigkeiten für die Alters- sicherung ohne wesentliche Bedeutung, dann muss hier Vizepräsidentin Claudia Roth: nicht der Teufel der prekären Beschäftigung an die Wand Vielen Dank, Herr Vogel. – Frau Müller-Gemmeke. gemalt werden. Für diejenigen, die längere Zeit ohne Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2018 6173

Antje Lezius (A) Beschäftigung sind, kann ein Minijob ein erster Schritt Damen und Herren, das ist verantwortungsvoll im Sinne (C) sein. Er kann einen Beitrag zur Aktivierung und Wie- der Bürgerinnen und Bürger. dereingliederung von Arbeitslosen in die Beschäftigung Danke schön. leisten. Auch für die Bekämpfung der Schwarzarbeit sind Minijobs von Bedeutung. Durch diese unbürokratische (Beifall bei der CDU/CSU) Beschäftigungsmöglichkeit sind vor allem mehr haus- haltsnahe Dienstleistungen aus dem Bereich der Schat- Vizepräsidentin Claudia Roth: tenwirtschaft herausgekommen. Vielen herzlichen Dank, Frau Lezius. – Nächster Red- Die Arbeitsbedingungen der Minijobber dürfen nicht ner für die FDP-Fraktion: Dr. Marcel Klinge. schlechter sein als bei vergleichbaren sozialversiche- (Beifall bei der FDP) rungspflichtig Beschäftigten. Der Minijobber hat den gleichen Kündigungsschutz und Anrecht auf Urlaub Dr. Marcel Klinge (FDP): und Entgeltfortzahlung. Es ist wichtig, dass dies im Berufsalltag auch umgesetzt wird, meine Damen und Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol- Herren. Für Minijobs zahlt der Arbeitgeber eine Sozi- legen! Frau Hiller-Ohm, wie sage ich es möglichst höf- alabgabe in Höhe von rund 30 Prozent des Bruttolohns. lich? Spätestens nach Ihrem Auftritt heute wird die SPD Er leistet also einen Beitrag zur Sozialversicherung, der in Bayern von keinem Minijobber mehr eine Stimme bekommen. Weiter weg von der Realität können Argu- höher ist als bei regulärer Beschäftigung. mente nicht sein. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) (Beifall bei der FDP) Ich sage es ganz offen: Einer moderaten Erhöhung der Meine Damen, meine Herren, die Studentenkneipe in Verdienstgrenzen könnte ich als ehemalige Unterneh- Regensburg, der Traditionsgasthof am Starnberger See merin etwas abgewinnen, nicht jedoch dem vorgeschla- und der Biergarten im Allgäu stehen vor dem Aus. genen Automatismus. Vor allem ist mir eines wichtig: die ( [SPD]: Ach Gott!) Umsetzung unseres Koalitionsvertrages; denn der bein- haltet eine ganze Reihe von bedeutenden Punkten. Hier- Der Arbeitskräfte- und Fachkräftemangel in vielen Be- zu gehören unter anderem die Einführung einer Brücken- trieben im Tourismus ist mittlerweile zur Existenzfrage teilzeit, mit der wir Frauen aus der Teilzeitfalle holen, das geworden. Teilhabechancengesetz, durch das wir Langzeitarbeitslo- (Beifall bei der FDP) (B) sen den Weg zurück zur Beschäftigung ebnen, das Qua- (D) lifizierungschancengesetz, mit dem wir Arbeitslosigkeit Vor allem Wirte und Gastronomen trifft dieses Problem durch rechtzeitige Beratung und passgenaue Förderung mit ganzer Wucht. Die Folgen sind weitreichend. Schau- gar nicht erst entstehen lassen und besonders kleine Un- en wir nach Bayern, unserem Branchenprimus in Sachen ternehmen unterstützen, das Fachkräftezuwanderungsge- Tourismus: Seit 2006 hat dort jede vierte Schankwirt- setz, um den Zuzug der benötigen Fachkräfte zu steuern schaft zugemacht. Nachfolger bleiben massenhaft aus. und an unseren Bedarf anzupassen, die bessere Gestal- Wer möchte schon dauerhaft sieben Tage die Woche tung der Arbeitszeit, wobei wir mit Maß flexibilisieren schuften, wenn ihm die Mitarbeiter fehlen? wollen und die Gesundheit im Blick behalten werden, Die FDP-Fraktion wird dieser Entwicklung nicht ta- eine nationale Weiterbildungsstrategie, damit wir die tenlos zusehen. Chancen der Digitalisierung besser nutzen können. All das sind Vorhaben, die die Union und die SPD zusammen (Beifall bei der FDP) umsetzen, um unser Land voranzubringen und Arbeit zu- Wir wollen dem Fachkräfte- und Arbeitskräftemangel im kunftsfähiger zu gestalten. Tourismus und darüber hinaus mit einem Maßnahmenpa- ket entgegenwirken. Unsere Vorschläge zur qualifizier- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ten Zuwanderung haben wir gestern vorgelegt. Wir reden ordneten der SPD) nicht nur, wie die GroKo, sondern wir legen Ideen vor. Ebenfalls im Koalitionsvertrag festgelegt ist, dass wir (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Marianne die geringfügigen Beschäftigungen in der Gleitzone stär- Schieder [SPD]: Ihr seid zu feige, zu regieren, ken, die sogenannten Midijobs. Midijobs sind die Brücke das steht auch fest!) in versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Wir brauchen mehr Wertschätzung und Unterstützung für Wir werden hier die Verdienstmöglichkeiten deutlich die Ausbildungsarbeit vor Ort. Wir wollen – darum geht anheben. Damit profitieren mehr Arbeitnehmer und Ar- es heute –, dass beispielsweise die 1,1 Millionen Mini- beitnehmerinnen von niedrigen Beiträgen, ohne dass sich jobber im Gastrogewerbe auch weiterhin ihre Stunden ihre Rentenanwartschaften verschlechtern. Beschäfti- arbeiten können. gungen zwischen 450 und 1 300 Euro werden attraktiver. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- Unsere Linie ist: Wir behalten das flexible Instrument NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das können die der Minijobs, aber vor allem entlasten wir die Beschäf- doch! Die müssen nur vernünftig bezahlt oder tigung in der versicherungspflichtigen Gleitzone. Meine sozialversichert werden!) 6174 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 56 Sitzung Berlin, Freitag, den 12 Oktober 2018

Dr. Marcel Klinge (A) Der Mindestlohn klaut Wirten und Mitarbeitern gleicher- Sie wollen zwar, aber sie können nicht. Dieses Können (C) maßen, wenn wir ihn nicht automatisch regelmäßig an- hätten Sie gekonnt, wenn Sie in die Regierung eingetre- passen, wertvolle Arbeitszeit. ten wären. (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten LINKE]: Sollen noch mehr arbeiten, ja?) der CDU/CSU) Das 60-Fache des allgemeinen gesetzlichen Mindest- Das haben Sie aber nicht gemacht. lohns als Verdienstgrenze für den Minijob heißt für den Wirt: 60 Stunden im Monat Planungssicherheit, die er (Dr. Marcel Klinge [FDP]: Das ist doch eine nutzt, um sein Saisongeschäft, den Service bei gutem alte Leier! Haben Sie nichts Besseres? – Wetter und das Weihnachtsgeschäft zu garantieren. Und Michael Theurer [FDP]: Ein Ablenkungsma- das heißt für die fleißigen Mitarbeiterinnen und Mitar- növer, was Sie machen!) beiter, dass sie regelmäßig am Ende des Monats mehr in der Tasche haben. Lieber Pascal Kober, wir haben es in der letzten Zeit nicht versäumt, die Regelungen für Minijobs auszuwei- (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Nein, heißt es ten, sondern wir wollen das nicht. Wir machen das nicht, nicht!) weil wir ein anderes Verhältnis, eine andere Denkweise Das ist doch eine vernünftige Politik, von der alle Betei- dazu haben; denn Minijobberinnen und Minijobber sind ligten profitieren. nicht krankenversichert, auch nicht pflegeversichert, (Beifall bei der FDP – Gabriele Hiller-Ohm (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Ja, so ist das!) [SPD]: Nein, tun sie nicht!) und die zahlen auch nicht in die Arbeitslosenversiche- Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, rung ein, Ihr Auftritt heute hat wieder einmal gezeigt, dass Sie in der Arbeitsmarkt- und Mittelstandspolitik die Interessen (Dr. Marcel Klinge [FDP]: Was ist mit Studen- von kleinen und mittleren Betrieben völlig aus dem Auge ten? Haben Sie sich darüber schon mal Gedan- verloren haben. ken gemacht?) (Beifall bei der FDP) und die meisten lassen sich auch von der Rentenversiche- Es reicht eben nicht aus, wenn Minister Altmaier sich re- rungspflicht befreien. gelmäßig als neuer Ludwig Erhard inszeniert. Es reicht (B) 7,5 Millionen Minijobber gibt es. Zwei Drittel davon – (D) eben nicht aus, dass die Handvoll Wirtschaftspolitiker, wir haben es gehört – sind ausschließlich geringfügig be- die Sie noch in Ihren Reihen haben, nach solchen Debat- schäftigt. Ihr Freund, Ihr Kollege, der Sie angerufen hat, ten wie heute kommen und sagen: Ihr von der FDP habt den Sie zitiert haben, der sich samstags ein paar Brötchen ja eigentlich recht; aber die SPD lässt uns nicht. – Noch hinzuverdienen will, kann das tun. Er kann jeden Sams- sind Sie in Bayern nicht unter 30 Prozent gefallen. tag zehn Stunden arbeiten; dann ist er immer noch im (Peter Aumer [CDU/CSU]: Das wird nicht Bereich von 450 Euro, in dem ein Minijob möglich ist. passieren!) Wenn er mehr machen will, dann empfehle ich ein sozial- versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis; denn Deswegen sage ich: Machen Sie endlich wieder Politik auch dann ist für ihn gesorgt. für die Leistungsträger in unserem Land, und honorieren Sie unternehmerischen Einsatz im Tourismus und darü- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ber hinaus! DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Rützel, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder Vielen Dank, Dr. Klinge. – Nächster Redner für die -bemerkung von Herrn Kober? SPD-Fraktion: Bernd Rützel. (Beifall bei der SPD) Bernd Rützel (SPD): Natürlich. Bernd Rützel (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen Vizepräsidentin Claudia Roth: und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Klinge, es gibt einen Unterschied zwischen Herr Kober, bitte. Wollen und Können. Beides muss sich bedingen. Wenn man will und wenn man kann, dann können wir Politik Pascal Kober (FDP): machen. Frau Präsidentin! Lieber Kollege Rützel, Sie haben (Dr. Marcel Klinge [FDP]: Sie wollen und gesagt, die Minijobber seien nicht krankenversichert und können nicht! Das ist doch das Problem!) nicht rentenversichert. Wollen Sie nicht vielleicht auch Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2018 6175

Pascal Kober (A) zur Kenntnis nehmen, dass beispielsweise Schülerinnen rungspflichtige Beschäftigung betrifft. In dieser Branche (C) und Schüler und Studierende krankenversichert sind? sind gute Arbeitsbedingungen ganz wichtig. Das sagt nicht nur die SPD, sondern auch der DEHOGA, der zu- (Kerstin Tack [SPD]: Darum geht es doch gar nicht! – Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Aber ständige Verband. Denn da braucht man Menschen, und nicht über den Minijob!) Menschen bekommt man heute nur noch, wenn es gute, ordentliche Arbeitsbedingungen gibt. Das ist das Funda- Wollen Sie nicht auch zur Kenntnis nehmen, dass eine ment, auf dem man aufbauen kann. Ehefrau, die einen Minijob macht, familienmitversichert ist? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und ( [DIE LINKE]: Und eine des Abg. Uwe Schummer [CDU/CSU]) eigenständige Versicherung?) Wollen Sie nicht vielleicht auch zur Kenntnis nehmen, Sie schreiben in Ihrem Gesetzentwurf, dass die Erhö- dass es, wie ich ausgeführt habe, Menschen gibt, die hung des Mindestlohns – wir freuen uns darüber, dass er voll sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind – und erhöht wird – bei den Menschen, die in einem Minijob zwar durchaus nicht prekär –, die auch renten- und sozi- sind, nicht ankommt. Das suggeriert dieser Gesetzent- alversicherungspflichtig beschäftigt und damit kranken- wurf zumindest. Meine Kollegin Gabi Hiller-Ohm hat versichert sind? Wollen Sie nicht auch das zur Kenntnis schön ausgeführt und, wie ich finde, blendend aufgezeigt nehmen? (Dr. Marcel Klinge [FDP]: Das müssen Sie Vizepräsidentin Claudia Roth: natürlich sagen!) Herr Rützel. – das muss ja nicht jedem gefallen, aber das sind unsere Positionen –, dass infolge der Erhöhung des Mindest- Bernd Rützel (SPD): lohns, wenn der Betrag von 450 Euro also gleich bleibt, Zum Glück ist in unserem Land fast jeder kranken- für dieses Geld natürlich weniger gearbeitet werden versichert, rentenversichert und arbeitslosenversichert. muss. Das ist nämlich unser Solidarsystem. Das ist unser Sozi- alstaat. Das ist die Solidarität, die wir haben. (Kerstin Tack [SPD]: Ja, genau! – Dr. Marcel Klinge [FDP]: Aber es gibt auch Leute, die (Beifall bei der SPD – Dr. Marcel Klinge gerne mehr arbeiten!) [FDP]: Sie widersprechen sich doch gerade (B) selber!) Also kommt der Mindestlohn natürlich auch bei diesen (D) Das Entscheidende sind einfach die Fragen: Wer zahlt Leuten an. Das Ziel ist doch, im Rahmen dessen, was ein? Wer bezahlt die Zeche? Wer steht für andere ein, die geboten wird, so viel wie möglich für meiner Hände Ar- von dieser Leistung profitieren? Das ist der springende beit zu bekommen. Ich bin froh, dass wir darüber hinaus Punkt. Tarifverträge haben, die die Menschen viel besser absi- chern. Im Übrigen gibt es davon noch viel zu wenige; (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: So ist das!) denn nur jeder Zweite fällt unter den Schutz eines Tarif- „Solidarsystem“ heißt sich gegenseitig unterhaken und vertrages. sich gegenseitig mitnehmen. Zusammenfassend möchte ich an dieser Stelle sagen, (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Ja, genau!) dass die Umwandlung in sozialversicherungspflichtige Es heißt nicht, dass nur die einen den Profit haben. Ich Beschäftigung vor allen Dingen Frauen, Älteren und gönne es jedem, einen Minijob zu machen – ob Rentner, Ostdeutschen sehr zugutegekommen ist. Diese Gruppen Schülerin oder Schüler –, und das mag, kurz gedacht, waren von diesen Beschäftigungsverhältnissen nämlich vielleicht auch ganz sinnvoll sein. Aber am Ende des Ta- am meisten betroffen. Diese Entwicklung finde ich äu- ges stehen diese Menschen oft alleine da, ohne Altersver- ßerst positiv und erfreulich. Wenn Sie diese Entwick- sorgung und ohne vorgesorgt zu haben. Ich weiß, dass lung umkehren wollen, dann sieht man daran, wo die auch Sie seit eh und je ein Kämpfer für den Mindestlohn verschiedenen politischen Linien verlaufen. Das ist auch waren. Ist meine Kenntnis da richtig? in Ordnung; das soll man ja auch sehen. Wir sind ganz (Pascal Kober [FDP]: Ja!) klar für sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Wir sind der Meinung, dass die 450‑Euro-Jobs vorüber- – Schön, darüber freue ich mich. – Es ist gut, dass der gehend ganz interessant sein können, dass sie aber auf Mindestlohn die Minijobs nicht aufgelöst hat, sondern lange Sicht nicht dazu beitragen, Altersarmut zu verhin- dass sie in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungs- dern und den Menschen eine Absicherung zu bieten. Ein verhältnisse umgewandelt wurden. sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhält- (Beifall der Abg. Daniela Kolbe [SPD]) nis – vorhin haben wir über die Rente gesprochen – ist das Fundament für ein gutes Miteinander. Da wir ja gerade etwas über den schönen Starnberger See gehört haben, wo es wunderbare Gaststätten gibt: Im Vielen Dank. Gaststättengewerbe hatten wir die höchste Zuwachsrate, was die Umwandlung von Minijobs in sozialversiche- (Beifall bei der SPD) 6176 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 56 Sitzung Berlin, Freitag, den 12 Oktober 2018

(A) Vizepräsidentin Claudia Roth: Das ist Ihr Frauenbild in der FDP. Unser Frauenbild ist (C) Vielen Dank, Bernd Rützel. – Nächster Redner: das nicht. Wir wollen gleichberechtigte Erwerbstätigkeit Wolfgang Strengmann-Kuhn für Bündnis 90/Die Grü- und auch für Frauen eine eigenständige Absicherung und nen. ein eigenständiges Einkommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Pascal Kober [FDP]: Das liegt aber doch auch an der Steuerklasse!) Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/ Dafür muss man bei den Anreizen ansetzen, zum Bei- DIE GRÜNEN): spiel das Ehegattensplitting abschaffen und es durch eine Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Kindergrundsicherung ersetzen. Wir wollen nicht die Deutschland gibt es 7,5 Millionen geringfügig Beschäf- Ehe, sondern die Kinder fördern. Auch das würde dazu tigte, davon fast 5 Millionen, die ausschließlich eine ge- beitragen, mehr Anreize für sozialversicherungspflichti- ringfügige Beschäftigung haben. Das sind definitiv viel ge Beschäftigung zu schaffen. zu viele. Wir wollen, dass es weniger werden, und wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wollen geringfügige Beschäftigung in sozialversiche- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) rungspflichtige Beschäftigung umwandeln. Das muss unser gemeinsames Ziel sein. Dritter Punkt – er ist mir besonders wichtig –: Vie- le Minijobber stocken mit Hartz-IV-Leistungen auf. Da (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nützt Ihre Regelung überhaupt nichts; denn dadurch wür- Es ist gut, dass durch den Mindestlohn – der Kolle- de sich bei den Leuten netto überhaupt nichts verändern. ge Rützel hat das eben beschrieben – genau das passiert (Pascal Kober [FDP]: 20 Euro mehr!) ist. Das ist sehr zu unterstützen. Diesen Weg müssen wir weitergehen. Wir müssen mehr Selbstbestimmung und Hier ist wichtig, zu sehen, dass bei den Anreizen, die es mehr Freiheit für die Menschen hinbekommen, indem derzeit gibt, die Belohnungen viel zu schwach sind. Die wir Grenzen und Hürden abbauen, und nicht, indem wir ersten 100 Euro darf man bei einem Minijob dazuver- Grenzen und Hürden zementieren, wie Sie es in Ihrem dienen, wenn man Hartz IV bezieht. Danach wird jeder Gesetzentwurf machen. zusätzliche Euro mit 80 Prozent besteuert. Ich werde in der kurzen Zeit drei Punkte ansprechen, (Pascal Kober [FDP]: Das sind 20 Euro die aus grüner Sicht wichtig sind, wie man diese Hürde mehr! – Dr. Marcel Klinge [FDP]: Besser als abschafft, um die Minijobfalle, die es real gibt – empi- nichts!) risch –, zu überwinden. (B) Eigentlich haben wir den Spitzensteuersatz, also bei den (D) Der erste Punkt ist der Einbezug in die gesetzliche unteren Einkommen. Auch das müssen wir ändern. Rentenversicherung. Derzeit gibt es das Opt-out-System, Wir müssen endlich dazu kommen, dass sich Erwerbs- mit dem Ergebnis, dass die meisten aus der gesetzlichen tätigkeit wieder lohnt und belohnt wird. Deswegen strei- Rentenversicherung aussteigen. Das wollen wir abschaf- ten wir Grüne für eine Garantiesicherung, bei der die fen, damit die Menschen in der gesetzlichen Rentenver- Transferentzugsrate – so heißt das ja technisch – deutlich sicherung abgesichert sind. Das ist ein Schutz vor Alters- gesenkt wird, damit es sich wieder mehr lohnt, wenn die armut und führt dazu, dass die Grenze zwischen Minijobs Menschen mehr arbeiten, auch wenn man einen Minijob und darüber hinausgehender Beschäftigung beseitigt hat. Wir Grüne wollen die Minijobfalle und die Armuts- wird und es einen Anreiz für sozialversicherungspflichti- falle beseitigen und die Menschen befreien. Die FDP will ge Beschäftigung gibt. die Fallen beibehalten und größer machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Dr. Marcel Klinge [FDP]: Stimmt nicht! – sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Michael Theurer [FDP]: Das glauben Sie doch Abg. Daniela Kolbe [SPD]) selber nicht!) Der zweite Punkt. Von einem Minijob kann man nicht Das ist der Unterschied zwischen uns: Uns geht es um leben, Freiheit, Selbstbestimmung und bessere soziale Absiche- (Pascal Kober [FDP]: Das ist ja auch gar rung, nicht gewollt!) (Michael Theurer [FDP]: Stimmt nicht!) sondern man lebt von irgendetwas anderem. Ihnen geht es darum, die Fallen beizubehalten. (Dr. Marcel Klinge [FDP]: Sie können doch Vielen Dank. etwas dazuverdienen!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Eine Möglichkeit ist, dass man vom Partner oder von sowie bei Abgeordneten der LINKEN) der Partnerin lebt. In Deutschland gibt es massive An- reize für eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung: ein Hauptverdiener und ein Minijobber. Sie haben eben ex- Vizepräsidentin Claudia Roth: plizit gesagt, dass Sie da an die Ehefrauen denken. Vielen Dank, Dr. Strengmann-Kuhn. – Nächster Red- ner: Peter Aumer für die CDU/CSU-Fraktion. (Pascal Kober [FDP]: Das liegt doch an der Steuerklasse!) (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2018 6177

(A) Peter Aumer (CDU/CSU): Durch die Minijobs, meine sehr geehrten Damen und (C) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen Herren, ist illegale Beschäftigung beispielsweise einge- und Kollegen! Minijobs sind ein wichtiges arbeitsmarkt- dämmt worden. Aber – das gehört auch dazu – man muss politisches Instrument für Beschäftigte und Betriebe in anerkennen, dass Mehrfachbeschäftigung zugenommen Deutschland geworden. Warum? Erstens: Sie ermögli- hat. chen vielen Menschen den Einstieg in die Arbeitswelt. (Dr. Marcel Klinge [FDP]: Sie haben nicht Zweitens: Sie ermöglichen ohne großen bürokratischen zugehört!) Aufwand Hinzuverdienst. Drittens: Sie bieten Unterneh- men Flexibilität. Das IAB hat sehr klar festgestellt, dass – – Lieber Herr Dr. Klinge von der FDP, ich glaube, Sie (Unruhe) brauchen uns, die Union, also diejenigen, die maßgeblich für die soziale Marktwirtschaft in unserem Land verant- Vizepräsidentin Claudia Roth: wortlich waren, Jetzt hören Sie doch wirklich mal auf! Sie sind echt (Dr. Marcel Klinge [FDP]: Sie leben von ein kleiner Schreihals. Nein, jetzt reicht es! Jetzt ist der Ihrer Geschichte! Machen Sie mal Zukunft!) Herr Aumer dran, und der redet jetzt und basta! nicht zu erklären, wie das funktionieren soll. Wir stehen (Zuruf von der FDP: Was heißt hier „basta“?) für die soziale Marktwirtschaft in Deutschland wie kein – Ich sage jetzt „basta“. – Ich sage: Ich möchte ger- anderer. Ich glaube, auch wir in Bayern können sehr gut ne, dass man den Kolleginnen und Kollegen zuhört. Sie Politik. Bayern steht hervorragend da. können draußen alle Ihre Gespräche führen. Aber ich ( [FDP]: Oh, oh, oh! Vor- finde, es ist in der Zwischenzeit eingerissen, dass, wäh- sicht!) rend Kolleginnen und Kollegen versuchen, ihre Gedan- ken auszuführen, es in den Paralleldebatten im Plenum Wir müssen uns von Ihnen nicht erklären lassen, wie das ausartet, und ich versuche, das zu regeln. „Basta“ ist ein zu funktionieren hat. Da, glaube ich, muss schon jemand falsches Wort; da gebe ich Ihnen recht. Das haben ande- anders kommen. re gesagt. Das ist nicht mein Wortgebrauch. Deswegen: Ich unterstreiche das, was Herr Rützel gesagt hat: Aufhören! – Gut. Es geht um das Wollen und Können. Wir haben gestern (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schon den Populismus der FDP im Hinblick auf den Soli und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der beobachtet. CDU/CSU und der LINKEN) (B) (Dr. Marcel Klinge [FDP]: Was ist daran bitte (D) populistisch?) Peter Aumer (CDU/CSU): Heute geht es bei Ihnen also in diese Richtung. Ich glau- Dann mache ich weiter. Frau Präsidentin, vielen herz- be, dass die Menschen in Bayern am Sonntag sehr wohl lichen Dank. anders entscheiden, als Sie es sich erhoffen. Die IAB hat festgestellt, welche Gründe es gibt, dass (Beifall bei der CDU/CSU – Michael Theurer man Mehrfachbeschäftigung annehmen muss. Der erste [FDP]: Der Einzige, der populistisch argu- Grund war die hohe Nachfrage am Arbeitsmarkt nach mentiert, sind Sie gerade! – Dr. Marcel Klinge Arbeitskräften, die durchaus erfordert, dass man eine ge- [FDP]: Da sind Sie aber der Einzige!) wisse Flexibilität und Dynamisierung auf dem Arbeits- markt mit einbringt. Die schwache Lohnentwicklung in – Nein, bin ich gar nicht. Jetzt passen Sie mal auf! Ich unserem Land ist auch ein Grund gewesen. Deswegen komme genau zu meinem Punkt. Ich bin nur auf Ihren wollen auch wir nicht den Rückgang des Mindestlohns. Kollegen eingegangen. Ich denke, es war sicherlich eine Ergänzung, aber das Minijobs, meine sehr geehrten Damen und Herren, muss sich auch bei den Minijobs widerspiegeln. Der drit- sind Bestandteil des wirtschaftlichen Aufschwungs in te Grund war, dass die Teilzeitbeschäftigungen zugenom- unserem Lande. men haben und dass der Minijob ein gewisser Ausgleich zu diesen Teilzeitbeschäftigungen ist. Da haben wir – das (Michael Theurer [FDP]: Das sagen wir ist vorher angesprochen worden – einen Entwurf für ein doch!) Gesetz zur Brückenteilzeit eingebracht, das sicherlich Deswegen ist es schade, dass Rot-Grün, die das einge- auch einen Beitrag dazu leistet, dass man nicht mehr so führt haben, sich heute nicht mehr dazu bekennen. viele Minijobs braucht. (Michael Theurer [FDP]: Sie sagen dasselbe Die Zahlen sprechen für sich – wir sind heute schon wie wir hier!) öfter darauf eingegangen –: 7,5 Millionen geringfügig Beschäftigte gibt es in Deutschland, davon 2,8 Millionen – Wir sagen es auch, ja. mit Minijobs, die vor allem als Teilzeit betrieben werden. Die Umfragen zeigen ganz klar, dass sich die 7,5 Milli- (Dr. Marcel Klinge [FDP]: Das haben wir onen im Rückgang befinden, gerade bei der ausschließ- doch gesagt!) lichen Beschäftigung. Auch das ist, glaube ich, wichtig. – Jetzt schreien Sie doch bitte nicht die ganze Zeit da- Peter Weiß hat mir vorhin mit auf den Weg gegeben, dass zwischen. die – da haben wir von der CDU/CSU etwas Gutes ge- 6178 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 56 Sitzung Berlin, Freitag, den 12 Oktober 2018

Peter Aumer (A) macht – Minijobs rentenversicherungspflichtig sind und Wir lehnen Ihren Gesetzentwurf rundweg und aus vollem (C) dass man optieren muss, um aus der Rentenversiche- Herzen ab. rung rauszufallen. Das war ursprünglich ja nicht für die 400-Euro-Jobs vorgesehen. Ich glaube, man kann auch (Beifall bei der SPD – Pascal Kober [FDP]: mit der FDP etwas Gutes auf den Weg bringen. Es ist gut, dass Sie das so deutlich sagen!) Man greift sich schon ein bisschen an den Kopf: Wir re- Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir als CSU den über Fachkräftebedarf und auch auf Ihre Initiative sagen – Frau Ferschl, Sie haben gerade den Stephan über Zuwanderung, und dann kommen Sie mit so einem Stracke angesprochen –, dass wir durchaus eine Anpas- Gesetzentwurf um die Ecke und sagen: Ja, unsere Idee sung der 450-Euro-Jobs brauchen. Wenn man als Richt- ist, wir weiten einfach die Minijobs aus. – Das Gegenteil wert den Mindestlohn nimmt, der sich von 7,50 Euro auf wäre doch sachlogisch. 9,19 Euro verändern soll, dann hätte man ab dem 1. Ja- nuar 2019 einen Betrag von 470 Euro. Ich glaube, dass (Beifall bei Abgeordneten der SPD) diese Anhebung der Minijobgrenze durchaus akzeptabel Was wir in diesem Land brauchen, ist gute Arbeit, gut wäre und dass man da durchaus etwas Gutes auf den Weg entlohnte sozialversicherungspflichtige Arbeit, von der bringen kann. die Menschen gut leben können und von der sie auch eine gute Rente haben. Dass das Spannungsfeld zwischen dem Zuwachs an Einkommen und Teilhabe und zwischen dem Einstieg in (Beifall bei der SPD – Zuruf von der FDP: normale Arbeitsverhältnisse immer bleibt, wenn man die Sie glauben auch, alles besser zu wissen!) Grenze immer erhöht, das ist sicherlich auch klar. Uns ist als Union ganz wichtig, dass wir Vollbeschäftigung in Vizepräsidentin Claudia Roth: unserem Land schaffen. Das erreichen wir nur mit einer Frau Kolbe? Erlauben Sie – – guten und einer verlässlichen Arbeitsmarktpolitik. Wir haben das in der Vergangenheit auch bewiesen. Dazu gehören vor allem gut bezahlte und sozialversicherungs- Daniela Kolbe (SPD): rechtlich abgesicherte Arbeitsverhältnisse. Dazu gehören Nein. – Ich kann für die SPD-Fraktion sagen: Wir sind aber auch flexible Instrumente im Arbeitsmarkt. Dazu stolz wie Bolle, dass mit der Einführung des einheitli- gehört auch der Minijob, und deswegen wollen wir, dass chen gesetzlichen Mindestlohnes nicht nur die sozialver- der Minijob erhalten bleibt. sicherungspflichtige Beschäftigung nach oben gegangen, sondern auch die Minijobanzahl nach unten gegangen ist. Es gibt nicht nur Menschen, die gezwungen sind, einen (B) Minijob anzunehmen. Die gibt es sicherlich auch, aber es (Beifall bei der SPD) (D) gibt auch viele, die das freiwillig machen, um sich etwas Wir haben mit der Einführung des gesetzlichen Mindest- hinzuzuverdienen. Ich glaube, man muss beide Seiten der lohns ein Geschäftsmodell erledigt, was insbesondere in Medaille sehen. Wir müssen uns Mühe geben, Menschen Ostdeutschland im Handel, im Gastgewerbe und bei den sozialversicherungspflichtig zu beschäftigen. Aber dieje- Friseuren vorkam. Menschen wurden dort auf die Mini- nigen, die etwas dazuverdienen wollen, müssen auch die jobs und auch auf das Amt verwiesen, nach dem Motto: Möglichkeit dazu haben. Deswegen werben wir in der Den Rest kannst du dir ja dort holen. – Zum Teil haben Koalition dafür, dass wir zumindest eine gemäßigte An- die fast Vollzeit gearbeitet. Dem haben wir einen Riegel passung hinbekommen. Die 470 Euro, wie von Stephan vorgeschoben, und darauf sind wir wirklich stolz. Davon Stracke vorgeschlagen, wären aus meiner Sicht ein gu- haben Frauen profitiert, und davon haben Ostdeutsche ter Kompromiss, und deswegen sollten wir in Gespräche profitiert. einsteigen, um da eine gute Lösung zu finden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. Wir werden einen Teufel tun, Menschen künstlich im (Beifall bei der CDU/CSU) Minijobbereich zu halten, und das ist genau der Effekt, den es im Moment leider gibt. Sie sind dort nämlich oft – da habe ich ein anderes Menschenbild als Sie, vielleicht Vizepräsidentin Claudia Roth: weil ich eine ostdeutsch sozialisierte Frau bin – Vielen Dank, Peter Aumer. – Nächste Rednerin (Dr. Marcel Klinge [FDP]: Das hat damit Daniela Kolbe für die SPD-Fraktion. nichts zu tun!)

(Beifall bei der SPD) nicht freiwillig, Sie zahlen zu einem erschreckend ho- hen Anteil nicht in die Rentenversicherung ein, arbeiten zumeist zu sehr niedrigen Löhnen, profitieren nicht von Daniela Kolbe (SPD): Weiterbildung und erfahren auch keine beruflichen Auf- stiege. Ich kann Ihnen als ostdeutsche Frau sagen – ich Liebe Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen will Sie nicht schocken –: Ich könnte gut mit sehr, sehr und Kollegen! Schönen Dank für den Gesetzentwurf! viel weniger Minijobs in diesem Land leben. Der kann uns helfen, deutlich zu machen, was für große Unterschiede in diesem Haus existieren, was die Inhal- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten te angeht. Ich kann Ihnen für die SPD-Fraktion sagen: des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2018 6179

Daniela Kolbe (A) Die gegenwärtige Gesetzeslage schafft durch den Arbeitgeber gehen und sagen: Ich möchte gerne ein paar (C) steigenden Mindestlohn Anreize, auch darüber nachzu- Euro dazuverdienen, erhöhe meine Arbeitszeit! – Jetzt denken, Minijobs in sozialversicherungspflichtige Be- hätte er aber die Chance, neben seinem sozialversiche- schäftigung umzuwandeln. Weil das hier so anklang: Das rungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis am Samstag ist nicht verboten. Man kann auch über diese 450 Euro in einem Handwerksbetrieb, der dringend auf Unterstüt- hinausgehen. Ja, dann wird das eine sozialversicherungs- zung angewiesen ist, mitzuhelfen. Der Handwerksbetrieb pflichtige Teilzeitbeschäftigung; das ist aber gar nicht kann aber auch nicht einfach die Arbeit seiner voll sozi- schlimm. Insofern profitieren womöglich auch die Men- alversicherungspflichtig beschäftigten Hauptangestellten schen im Minijobbereich vom Mindestlohn – durch neue berufliche Perspektiven oder einfach, weil sie durch ihre einfach ausweiten – das geht auch nicht. Die Wirtschaft Teilzeitbeschäftigung nicht mehr so lange für ihr Geld und die Arbeitgeber sitzen in einer Falle, und Sie behin- arbeiten müssen. Wie profitiert man davon denn nicht? dern diejenigen, die wirklich etwas leisten wollen, die etwas dazuverdienen wollen. Irgendwo muss die Lösung Sie argumentieren in Ihrem Gesetzentwurf außerdem liegen, Frau Kolbe. mit Bürokratieerleichterungen. Das zeigt auch, dass Sie ganz schön stark auf Minilöhne in diesem Bereich fokus- siert sind. Aber das gilt ja nur für Mindestlohnbezieher. Vizepräsidentin Claudia Roth: Wir haben aber viele Branchen, in denen es Branchen- mindestlöhne oberhalb des Mindestlohns gibt, und da ist Vielen Dank. – Frau Kolbe, bitte. überhaupt nichts mit Bürokratieerleichterungen. Da ha- ben wir dann ab 1. Januar 2019 mit Ihrem Gesetzentwurf Daniela Kolbe (SPD): einen 551,40‑Euro-Job. Herzlichen Glückwunsch! Damit stiften Sie doch nur mehr Verwirrung als Klarheit. Außer- Sehr geehrter Herr Kollege Kober, wir sind ja für dem zeigt die hohe Summe, dass Sie nicht nur dynami- lebensbegleitendes Lernen. Insofern ist es für Sie viel- sieren, sondern gravierend ausweiten wollen. 8,50 Euro leicht gut, zu hören, dass es überhaupt nicht verboten ist, hätten etwa 53 Stunden pro Monat bedeutet; Sie wollen in diesem Land eine Teilzeitbeschäftigung zu haben, die 60 Stunden pro Monat im Minijobbereich. Das ist eine sozialversicherungspflichtig ist. Man ist dort nicht auf gravierende Ausweitung des Minijobbereichs, und dann geringfügige Beschäftigung festgelegt. ist es logisch, dass Sie in Ihrem Gesetzentwurf über die Auswirkungen schweigen; das kann ich nachvollziehen. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der SPD) GRÜNEN]: Genau!) (B) Liebe FDP, es ist schon ein Problem, wenn man in der Genau das ist ja unser Punkt: Wir würden uns sehr freu- (D) Opposition ist: Man kann Vorschläge machen, die dann en, wenn Menschen mehr arbeiten würden und dabei zwar auch diskutiert, lebendig diskutiert, aber halt nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt wären, mit Ren- umgesetzt werden. Bei diesem Gesetzentwurf muss ich tenansprüchen, mit Arbeitslosenversicherung. allerdings sagen: Zum Glück sind Sie in der Oppositi- on, zum Glück für viele Millionen Menschen in diesem Was mir auffällt, ist, dass insbesondere von der FDP, Land. aber auch von der Union beispielsweise in Bezug auf das Vielen Dank. Gastgewerbe argumentiert wird, es gäbe einen Fachkräf- tebedarf. Das ist ja überhaupt nicht zu negieren – das (Beifall bei der SPD) stimmt. Dann werden Vorschläge gemacht; ich kenne das auch aus meinem Heimatland Sachsen. Da wird dann ge- Vizepräsidentin Claudia Roth: sagt, der Mindestlohn sei zu hoch oder die Arbeitszeit sei Vielen Dank, Daniela Kolbe. – Das Wort zu einer zu kurz, man müsse das Arbeitszeitgesetz irgendwie aus- Kurzintervention hat der Kollege Pascal Kober. weiten. Also auf Deutsch gesagt: Wir finden mehr Fach- kräfte, wenn wir die Arbeitsbedingungen verschlech- Pascal Kober (FDP): tern. – Auf welchem Planeten leben Sie denn? Frau Präsidentin! Liebe Kollegin Kolbe, ich meine, wir müssen uns irgendwo mal für einen Lösungsweg (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ entscheiden. Sie haben davon gesprochen, dass Sie ei- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der gentlich möchten, dass mehr Menschen sozialversiche- LINKEN) rungspflichtig beschäftigt sind. Es gibt viele Gegenden in Deutschland, in denen Fachkräfte fehlen, und zwar Wir leben in einer Republik, in der der Arbeitsmarkt branchenübergreifend. Wenn man das entsprechende Po- brummt. Das heißt, wenn Unternehmen eine Zukunft ha- tenzial steigern wollte, indem die Menschen mehr arbei- ben wollen, müssen sie gute Arbeit bieten. Gute Arbeit ist ten, dann müsste man am Arbeitszeitgesetz etwas ändern. gut entlohnt, und gute Arbeit ist nicht geringfügig – das Das wollen Sie ja auch nicht ändern. Oder gehe ich da ist unsere Position. falsch in meiner Annahme? Beispielsweise kann der Oberstabsfeldwebel, den (Beifall bei der SPD und dem BÜND- ich Ihnen vorhin in meinem Beispiel vor Augen geführt NIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Jutta habe – den gibt es wirklich –, nicht einfach zu seinem Krellmann [DIE LINKE]) 6180 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 56 Sitzung Berlin, Freitag, den 12 Oktober 2018

(A) Vizepräsidentin Claudia Roth: hat damals dieses Instrument in dieser Form eingeführt, (C) Vielen Dank, Frau Kolbe, und vielen Dank, Herr um Menschen wieder einen Weg in die Arbeit zu ebnen, Kober. – Dann kommen wir zur letzten Rednerin in die- natürlich auch, um Arbeitgebern eine Möglichkeit zu ge- ser Debatte: Jana Schimke für die CDU/CSU-Fraktion. ben, unkompliziert Menschen wieder in Beschäftigung zu bringen. (Beifall bei der CDU/CSU) Unser Ziel war es damals – auch das Ziel der damals regierenden Parteien –, wieder mehr Flexibilität am Ar- Jana Schimke (CDU/CSU): beitsmarkt zu schaffen und darüber hinaus natürlich auch Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dass die Arbeitslosigkeit abzusenken und Deutschland arbeits- die FDP sich irgendwann noch einmal auf einen arbeits- marktpolitisch auf einen besseren Weg zu bringen. Was marktpolitischen Vorschlag bezieht, der den Mindestlohn ist seitdem geschehen? Viele Jahre sind ins Land gegan- im Blick hat, hätte ich auch nicht für möglich gehalten. gen. Wir reden heute über die niedrigste Arbeitslosigkeit, Ich will gar nicht verheimlichen, dass ich selbst den Min- die wir jemals in Deutschland hatten. Wir reden über Re- destlohn damals sehr kritisch gesehen habe. kordbeschäftigung. Wir reden über Rekordeinnahmen in (Michael Theurer [FDP]: Ach!) unseren sozialen Sicherungssystemen. Aber Sie sind doch die Partei, die immer gegen den Min- Die Frage ist schon berechtigt: Wo wollen wir künftig destlohn war, hin? Leben wir noch in einer Zeit, in der wir Instrumente wie den Minijob brauchen? Leben wir in einer Zeit, in (Pascal Kober [FDP]: Das stimmt doch über- der wir alles dafür tun sollten, die Einkommensgrenzen haupt nicht! Wir waren die ersten, die ihn ver- auch bei Minijobs oder Midijobs exorbitant zu erhöhen? bindlich eingeführt haben!) Ist es das, was wir wollen? Ich halte das für bedenklich. sicherlich auch aus berechtigten Gründen. Und jetzt le- Ich würde da nicht unbedingt mitgehen wollen. gen Sie einen arbeitsmarktpolitischen Vorschlag vor, der Was wollen wir? Unser Ziel muss es sein, weiterhin sich auf den Mindestlohn bezieht. Das finde ich schon Flexibilität am Arbeitsmarkt sicherzustellen – da sollten bemerkenswert. wir uns mal Gedanken machen –: in Sachen Arbeitszeit, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Michael Theurer [FDP]: Haben wir doch!) der SPD – Michael Theurer [FDP]: Wir haben doch die Lohnuntergrenzen eingeführt!) in Sachen Kündigungsschutz. Darüber müssen wir reden, damit wir es schaffen, dem deutschen Arbeitsmarkt seine Meine Damen und Herren, ich halte diesen Vorschlag Starrheit zu nehmen. (B) für falsch, und zwar aus unterschiedlichsten Gründen: (D) (Dr. Marcel Klinge [FDP]: Legen Sie doch Erstens. Der Mindestlohn wird ja alle zwei Jahre auf mal was vor!) Grundlage der Empfehlung der Mindestlohnkommission erhöht. Durch die vielen Gespräche mit Vertretern unter- Selbstverständlich gehören auch die Minijobs dazu. schiedlichster Branchen kriegt man natürlich als Wahl- Wir wollen dieses Instrument ja behalten – darum geht es kreisabgeordnete auch mit, dass es hier und da schon hier gar nicht. Wir wollen, dass Studenten, dass Rentner knirscht. Den Mindestlohn zu zahlen, ist in der Tat nicht weiterhin eine Möglichkeit haben, etwas dazuzuverdie- in jeder Branche in Deutschland so leicht zu bewerkstel- nen. ligen, wie wir uns das politisch oftmals wünschen. Des- wegen halte ich einen Bezug auf den Mindestlohn bei der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Frage, wie wir möglicherweise eine Anpassung bei den Das wollen wir natürlich auch; das ist unser Ziel. Wir Minijobs vornehmen, für den falschen Weg. wollen Menschen, die Schwierigkeiten haben, in den Ar- Zweitens. Natürlich hat die Union auch im Wahlpro- beitsmarkt zu kommen, weiterhin ein Instrument an die gramm den sogenannten mitwachsenden Minijob gefor- Hand geben, das es ihnen möglicherweise erleichtert. dert; das war sicherlich Gegenstand unserer Forderun- Aber was ist denn die Realität? Was hat sich denn seit gen. Aber wir müssen uns bei arbeitsmarktpolitischen 2003 im Bereich der Minijobs ergeben? Wir haben da ei- Ideen in der Zukunft immer auch daran orientieren, wie nen Frauenanteil von zwei Dritteln – das muss man ganz wir Maß und Mitte einhalten. Jedes arbeitsmarktpoliti- klar festhalten. Die größte Gruppe von Menschen, die in sche Instrument – und die Minijobs sind natürlich seit Deutschland in einem Minijob tätig sind, ist die Gruppe der Agenda 2010 eine ganz bedeutende Sache – hat ir- der Personen im erwerbsfähigen Alter, nicht die Gruppe gendwo auch seine Zeit. Aber es gibt eben auch Zeiten, in der Rentner oder der Studenten. denen man vielleicht mal anders denken sollte, in denen (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Das muss man man vielleicht mal neu denken sollte. einmal sagen! Genau so ist es!) Die Minijobs in ihrer derzeitigen Form – so, wie Nein, das sind Menschen, die eigentlich in vollzeitnaher wir sie jetzt kennen – sind ja im Jahr 2003 entstanden. Beschäftigung tätig sein sollten. Darüber müssen wir Dann gab es später eine Erhöhung der Verdienstgrenze doch mal reden. auf 450 Euro. Was war das für eine Zeit, meine Damen und Herren? Das war eine Zeit, in der wir in Deutsch- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der land Rekordarbeitslosigkeit hatten, 5 Millionen Arbeits- SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- lose. Deutschland war der kranke Mann Europas. Man NEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2018 6181

Jana Schimke (A) Meine Damen und Herren, es gibt eine weitere Ent- ordnungspunkt langsam vor. Ich bitte Sie aber, zügig die (C) wicklung: Wir haben eine signifikante Zunahme von Plätze zu wechseln. Minijobs im Nebenerwerb. Das heißt, es geht hier nicht Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 sowie Zusatz- nur um Studenten oder so, bei denen wir sagen: Ja, ge- punkt 8 auf: nau für die ist das. – Nein, es gibt auch Menschen, die einen Hauptjob haben und nebenbei noch den Minijob 24. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ machen. Das tun sie nicht, weil der Hauptjob so schlecht CSU und SPD bezahlt ist. Nein, das sind Teilzeitkräfte, die einfach noch Friedensprozess zwischen Äthiopien und mal was mitnehmen wollen. Es ist ein Mitnahmeeffekt, ­Eritrea unterstützen – Zusammenarbeit aus- der entsteht: Man macht einen Teilzeitjob und nebenbei bauen einen sogenannten Minijob, um mehr Netto vom Brutto zu haben. Das ist menschlich nachvollziehbar. Aber die Drucksache 19/4847 Frage ist: Wollen wir das politisch? Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) (Pascal Kober [FDP]: Das ist die Frage!) Ausschuss für Inneres und Heimat Ich halte das nicht für richtig. Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- schätzung NEN) Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- lung Es gibt noch einen Punkt, den ich bei der Rente mit 63 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union sehr bedenklich finde. Was ist passiert? Die Menschen Haushaltsausschuss gehen mit 63 in Rente und arbeiten beim selben Arbeit- ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Olaf geber in Form eines Minijobs weiter. Auch darüber soll- in der Beek, Alexander Graf Lambsdorff, Till ten wir vielleicht mal reden. Mansmann, weiterer Abgeordneter und der Frak- (Pascal Kober [FDP]: Das haben Sie doch tion der FDP beschlossen! – Matthias W. Birkwald [DIE Zusammenarbeit nutzen, um dauerhaften LINKE]: Schon lange nicht mehr! Die Rente Frieden zwischen Äthiopien und Eritrea zu ab 63 gibt es gar nicht mehr!) sichern Drucksache 19/4837 (B) Vizepräsidentin Claudia Roth: (D) Das machen wir heute aber nicht mehr, Frau Schimke, Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) weil Ihre Redezeit vorüber ist. Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- wicklung Jana Schimke (CDU/CSU): Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Liebe Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. – die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Dazu höre ich Nein, die Richtung muss eine andere sein: Wir brauchen keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. mehr Netto vom Brutto. Ich eröffne die Debatte, indem ich dem Bundesminis- (Michael Theurer [FDP]: Mehr Netto vom ter Heiko Maas das Wort erteile. Brutto? Sie haben doch gestern dagegenge- stimmt!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir wollen den Soli abschaffen – dazu wird es künftig eine Initiative geben – und natürlich auch die Sozialver- Heiko Maas, Bundesminister des Auswärtigen: sicherungsbeiträge senken. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Vielen Dank. Kollegen! Meine Damen und Herren! Was wir zurzeit am Horn von Afrika beobachten, macht wirklich Hoff- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- nung. Einige sprechen sogar von einem afrikanischen ordneten der SPD) Märchen. Der Friedensschluss zwischen Äthiopien und seinen Nachbarn grenzt tatsächlich fast an ein Wunder, Vizepräsidentin Claudia Roth: vor allen Dingen, wenn man sich die Entwicklung in den Vielen Dank, Frau Schimke. – Damit schließe ich die letzten Jahren dort anschaut. Vor allem aber wird er das lebendige Aussprache. Leben und die Zukunft der Menschen in Ostafrika, aber auch weit darüber hinaus verbessern. Er liegt im funda- Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs mentalen Interesse Ostafrikas sowie der Golfstaaten an auf Drucksache 19/4764 an die in der Tagesordnung auf- der Ostküste des Roten Meeres. geführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Aber der Friedensschluss liegt auch in unserem Inte- resse. Er bedeutet, dass eine krisengeschüttelte Region Jetzt könnte ich mir vorstellen, dass es einen gewissen langsam zur Stabilität zurückfindet, mit all den Chan- Wechsel gibt. Deswegen lese ich den nächsten Tages- cen, die das für Handel, Wirtschaft, Migration und die 6182 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 56 Sitzung Berlin, Freitag, den 12 Oktober 2018

Bundesminister Heiko Maas (A) Bekämpfung von Terrorismus und organisierter Krimi- Die gesamte Region um das Rote Meer steht heute (C) nalität haben kann. Das ist für Europa und damit auch für unter Spannung. Gleichzeitig gibt es keine organisierten uns in Deutschland von großer Bedeutung. Deshalb freue Dialogforen – geschweige denn Mechanismen koopera- ich mich sehr darüber, dass der Deutsche Bundestag das tiver Sicherheit –, wie wir sie aus Europa kennen. Das heute zum Thema macht. darf so nicht bleiben. Auf unsere Initiative haben sich (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) die Außenminister der EU-Länder schon im Juni mit der Lage am Roten Meer befasst. Ein Ergebnis war, dass sich Der äthiopische Premierminister Abiy hat erreicht, die EU für ein regionales Forum für Dialog und Zusam- was bisher kaum denkbar erschien. Er brach mit innen- menarbeit – das wird dort dringend gebraucht – einsetzen politischen Tabus. Er hat das ganze Land in eine Art Re- will. Das ist aber kein Selbstläufer. Die Interessenlagen formeuphorie versetzt und einen Versöhnungsprozess vor Ort sind so komplex. Das Misstrauen unter den Be- mit dem Erzfeind Eritrea angestoßen. Dabei ist nach all teiligten sitzt nach wie vor extrem tief. Gemeinsam mit dem, was wir sehen und hören, ein großer Veränderungs- dem EU-Sonderbeauftragten für das Horn von Afrika wille im Land spürbar, vor allen Dingen bei der jungen sind wir jedoch mit den Staaten der Region im Gespräch, Generation, die weiß, was das für sie und ihre Perspek- um die Chancen für ein solches Forum auszuloten. Ein tiven bedeutet. Dieser Prozess und die Verantwortlichen dort sollen auf unsere Unterstützung zählen können. Wir solches Forum wäre ein vehementer Fortschritt, wenn es bauen dabei auf jahrzehntelanges Engagement in Äthio- darum geht, Länder zusammenzuführen und dabei zu un- pien und die langjährige, besondere Beziehung zwischen terstützen, die Probleme vor Ort selbst zu lösen. unseren Ländern. Ende des Monats wird Premierminister Abiy in Berlin am G-20-Afrika-Gipfel teilnehmen, bei Eine Entspannung am Horn von Afrika wäre vor al- dem es vor allem um den wirtschaftlichen Austausch lem ein Segen für die Frauen, Männer und Jugendlichen, zwischen unseren Ländern geht. die aus Furcht vor Krieg und Unterdrückung sowie ange- sichts erdrückender Perspektivlosigkeit längst ihre Hei- Alles in allem muss man aber realistisch bleiben. Poli- mat verlassen haben. Das akute Leid der Menschen zu tische und gesellschaftliche Transformation schafft man lindern und die aufnehmenden Gemeinden zu entlasten, nicht über Nacht, erst recht nicht dort. Das wissen wir genau dazu tragen wir bereits mit unserer humanitären aus eigener Erfahrung. Abiy steht vor gewaltigen He- Hilfe bei. Allein 2018 werden unsere Hilfeleistungen für rausforderungen. Armut, Bevölkerungswachstum, rapide Urbanisierung und ethnische Konflikte, in deren Folge es die Region etwa 200 Millionen Euro umfassen. Aber das 4 Millionen Vertriebene gibt, halten das Land trotz der soll kein Dauerzustand sein. Den Menschen die Rück- (B) positiven Entwicklung nach wie vor unter permanenter kehr in ihre Heimat zu ermöglichen, muss auch das Ziel (D) Spannung. einer Außenpolitik sein, die bereit ist, dort Verantwor- tung zu übernehmen. Auch in Eritrea werden die mutigen Reformen in Äthiopien bislang nicht gespiegelt, ganz im Gegenteil: (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Es gibt nach wie vor keine Strategie, aus der hervorgeht, wie eine geordnete Öffnung in diesem Land aussehen Deshalb – das ist wichtig – unterstützen wir die Frie- könnte. Ich halte deshalb auch nicht viel davon, nun ma- densvermittlung nicht nur im Südsudan, im Sudan oder ximalen öffentlichen Druck zu entfalten. Es geht darum, in Somalia, sondern wir verfolgen auch die Annäherung die Reformkräfte zu ermutigen und auf geeignetem Weg zwischen Äthiopien und Eritrea mit großem Interesse. innenpolitische Öffnung anzumahnen. Dazu loten wir Allerdings hat der Friedensschluss mit Äthiopien zum gerade konkrete Anhaltspunkte aus. Vor allem im euro- jetzigen Zeitpunkt – auch das muss man attestieren – zu päischen Rahmen verfügen wir über geeignete Mittel und Maßnahmen, die uns dabei helfen können. Aber auch bei keiner Verbesserung der Menschenrechtslage in Eritrea den Vereinten Nationen werden wir als Sicherheitsrats- geführt. Auch am verpflichtenden Nationalen Dienst als mitglied ab dem kommenden Jahr die Entwicklung vor zentralem gesellschaftlichem Kontrollelement hält das Ort weiter beeinflussen können; das haben wir uns fest Regime dort nach wie vor fest. Deshalb werden wir uns vorgenommen. gemeinsam mit unseren europäischen Partnern Gedan- ken über Anreize gegenüber Asmara machen, die helfen Die Bundesregierung engagiert sich bereits auf viel- sollen, um diese Logik, die in ganz erheblichen Men- fältige Weise bei Krisenmanagement und präventiver schenrechtsverletzungen endet, endlich zu durchbrechen. Diplomatie am Horn von Afrika. Wir unterstützen zum Beispiel regionale Mechanismen, um eine Regelung für Weil die Lage so ist, weil es Hoffnung gibt und weil es die sogenannte Nilwasserproblematik zu finden. Wir viele Verantwortliche dort gibt, die sich die gleichen Zie- engagieren uns bei der Vermittlung im Darfur-Konflikt le gesetzt haben wie wir, bin ich dankbar, dass wir heute und im bürgerkriegsgeplagten Südsudan. In Somalia un- terstützen wir den Aufbau föderaler staatlicher Institutio- darüber reden. Die Herausforderungen für uns und für nen und funktionierender Polizeistrukturen. Wir wollen Europa sind groß in dieser Region. Aber auch die Chan- so die afrikanische Friedens- und Sicherheitsarchitektur cen sind es. Im Moment ist ein guter Zeitpunkt. Lassen nachhaltig stärken, damit sie der Krisen und Konflikte Sie uns die historische Wende am Horn von Afrika ge- auf dem Kontinent Herr werden kann, und dies, wenn es meinsam nach allen Kräften unterstützen. Die Bundesre- geht, aus eigener Kraft. gierung wird das tun. Dass sich der Deutsche Bundestag Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2018 6183

Bundesminister Heiko Maas (A) heute damit befasst, ist ein gutes Zeichen, das sicherlich Mich hat schon gestern in der Kamerun-Debatte etwas (C) auch dort wahrgenommen wird. gewundert, Schönen Dank. (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Darum geht es jetzt gar nicht!) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE als wir über die Kolonialmächte Frankreich und Großbri- GRÜNEN) tannien gesprochen haben. Die haben nach dem Ersten Weltkrieg die Kolonie dort übernommen. Gleiches gilt hier am Horn von Afrika, in Ostafrika. Warum haben Vizepräsidentin Claudia Roth: Sie nicht schon mal mit den Italienern gesprochen, der Vielen Dank, Heiko Maas. – Nächster Redner für die ehemaligen Kolonialmacht dort? Die sind doch zualler- AfD-Fraktion: Armin-Paulus Hampel. erst für die Folgen der Kolonialpolitik in Afrika verant- (Beifall bei der AfD) wortlich. Das gilt genauso für Franzosen und Engländer, die – da hat Herr Nooke unrecht – in den letzten beiden Jahrhunderten eine furchtbare Herrschaft in Afrika aus- Armin-Paulus Hampel (AfD): geübt haben. Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Gäste des Deutschen Bundestages, insbesondere (Beifall bei Abgeordneten der AfD) die Damengruppe aus Niedersachsen! Ja, es tut sich et- Die sind zuerst aufgefordert, bevor man Berlin fragt, was in Ostafrika. Herr Minister, das ist eine gute Bot- meine Damen und Herren. schaft; dem stimmen wir zu. Interessanterweise ohne jegliche Einmischung des Westens – auch ohne deutsche (Beifall bei der AfD) Einmischung – hat die äthiopische Regierung ihre Hand Die Regierung in Eritrea hat noch ein anderes Pro- zum Frieden ausgestreckt. Man hat mit Eritrea Freund- blem. Sie wissen, dass die Auslandseritreer fleißig 2 Pro- schaft geschlossen. zent ihres Jahreseinkommens als sogenannte Aufbausteu- Jetzt haben die alten Revolutionsführer ein Problem, er bezahlen. Wenn die Flüchtlinge zurückkehren, entfällt ihre Notstandsgesetze in der Diktatur mit welcher Be- diese; also braucht man andere Einnahmen. Da kann man gründung auch immer aufrechtzuerhalten. Deutschland etwas tun und sie unterstützen; denn das Land – das wis- sollte also in der Tat darauf drängen, dass schleunigst sen wir – ist wohlhabend. Es ist reich an Bodenschätzen. Reformen zu einem besseren Prozess für das Land ini- Das Land ist fruchtbar. Dann frage ich, meine Damen tiiert werden. und Herren: Könnten sich vielleicht diesmal ausnahms- (B) weise deutsche Unternehmen in der Region engagieren, (D) Die Frage ist nur: Was sind denn unsere deutschen bevor die Chinesen wieder alles unter Kontrolle haben Interessen? Ich höre mit Begeisterung einen SPD-Au- und dann bestimmt nicht auf einen demokratischen Frie- ßenminister das Wort „Rückführung“ in diese Debatte densprozess in dieser Region hinwirken? Wir wissen, das einbringen. interessiert die Chinesen überhaupt nicht. (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Das ging ja (Beifall bei Abgeordneten der AfD) schnell! – [CDU/CSU]: Da seid ihr besonders aufmerksam, bei dem Wort!) Also, wir könnten Bodenschätze abbauen. Wir kön- nen die eritreische Wirtschaft stützen durch ein wirkli- Kompliment! Das ging ja schnell – genau! –; das ist ein ches Fair-Trade-Abkommen, ein wirkliches, ernsthaftes Lernprozess bei den Sozialdemokraten, bei den anderen Fair-Trade-Abkommen. Wir können helfen, die Land- vielleicht auch. Ja, wir müssen die Flüchtlinge aus Eri- wirtschaft zu modernisieren, und wir können beim Auf- trea in ihr Land zurückführen, sobald dort friedliche Zu- bau von Handwerk und Mittelstand helfen. stände herrschen. Das ist doch selbstverständlich. Allerdings, meine Damen und Herren, eine Bitte. So (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Legen Sie ein Vorhaben muss zuerst zentral geplant und geführt doch einmal eine andere Platte auf!) werden. Wir sollten aus den Misserfolgen von Haiti ler- So sagen es unsere Gesetze, und so will es zumindest nen. Es muss einen Masterplan geben. Die in Haiti ge- meine Fraktion ebenfalls, meine Damen und Herren. scheiterten NGOs – das ist meine Bitte an Sie, Herr Mi- nister – sollen bei diesem Unterfangen bitte, bitte nicht (Beifall bei der AfD – Niema Movassat [DIE dabei sein; sonst scheitert es in Eritrea erneut. LINKE]: Der Friedensvertrag heißt doch nicht, dass es in Eritrea keine politische Ver- Danke schön, meine Damen und Herren. folgung mehr gibt! – Michael Theurer [FDP]: (Beifall bei der AfD) Dazu hätte es aber der AfD nicht bedurft!) – Daran wollen wir arbeiten. Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke schön, Armin-Paulus Hampel. – Nächste Red- Eritrea ist reif für einen Politikwechsel, und dieser er- nerin für die Bundesregierung: Maria Flachsbarth, die öffnet gestalterische Möglichkeiten. Es liegt also in un- Parlamentarische Staatssekretärin. serem Interesse, in Eritrea bei den Rahmenbedingungen mitzuwirken. Allerdings sollten auch andere Nationen (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. eingebunden werden. [SPD]) 6184 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 56 Sitzung Berlin, Freitag, den 12 Oktober 2018

(A) Dr. Maria Flachsbarth, Parl. Staatssekretärin beim Ernährungssicherung, Gesundheit, Wasser- und sanitäre (C) Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Versorgung. Entwicklung: Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol- Dazu knüpfen wir aber auch Erwartungen an unsere legen! Sehr geehrte Damen und Herren! Partner in Äthiopien, zum Beispiel die Erwartung, die jüngsten Auseinandersetzungen friedlich zu deeskalie- Frieden ist ein Prozess: ren. Täglich, wöchentlich, monatlich geht es darum, Ein- stellungen langsam zu verändern, darum, alte Barri- Auch an Eritrea haben wir Erwartungen, vor allen eren einzureißen und neue Strukturen aufzubauen. Dingen in puncto grundlegender innenpolitischer Refor- men. Die Feindschaft mit dem Nachbarn diente bislang John F. Kennedy, 1963. als Begründung für den Nationalen Dienst von praktisch Hier in Deutschland wissen wir ganz genau, was damit unbeschränkter Dauer. Dieser raubte der vornehmlich gemeint ist. Heute vor sechs Jahren wurde die Verleihung jungen Bevölkerung bisher jegliche Perspektive. Das ist des Friedensnobelpreises an Europa für sechs Dekaden einer der Hauptfluchtgründe, wie wir alle wissen. Wir er- kontinuierlicher Arbeit an Frieden und Versöhnung, für warten deshalb von der eritreischen Regierung, dass sie die Umwandlung Europas von einem Kontinent der Krie- diesen Dienst grundlegend reformiert und seine Dauer ge zu einem Kontinent des Friedens verkündet. Frieden auf ein angemessenes Maß beschränkt. und Zusammenarbeit machten Europa zu einer der wirt- schaftlich und politisch stabilsten Regionen der Welt. Wir erwarten außerdem, dass Eritrea dem guten Bei- Man kann gar nicht häufig genug genau daran erinnern. spiel Äthiopiens folgt und nun ebenfalls politische Ge- fangene freilässt sowie demokratische und wirtschaft- Nun steht die Region am Horn von Afrika mit der liche Reformen einleitet. Wir stehen bereit, das zu Gemeinsamen Erklärung von Frieden und Freundschaft unterstützen. zwischen Äthiopien und Eritrea an einer historischen Weggabelung. Das muss nun täglich, wöchentlich, mo- Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kol- natlich umgesetzt werden. Wir, die Bundesrepublik leginnen und Kollegen, es gilt jetzt, diesen uns hier in Deutschland, wollen diesen Friedensprozess gern un- Deutschland und Europa so vertrauten, aber eben langen terstützen. Deshalb hat Minister Dr. Gerd Müller Eritrea Prozess der regionalen Aussöhnung zu unterstützen – und Äthiopien vor sieben Wochen besucht. Er hat beide täglich, wöchentlich, monatlich. Es geht darum, die Um- Staats- und Regierungschefs ermutigt, ihren eingeschla- wandlung einer Region der Kriege zu einer Region des genen Kurs fortzuführen. Das BMZ möchte beide Länder Friedens zu fördern; denn die mögliche Friedensdividen- (B) darin unterstützen, vor allen Dingen jungen Menschen de aus politischer Öffnung und wirtschaftlichem Erfolg (D) gute Perspektiven in ihrer Heimat zu geben. Wir denken, ist für das Wohlergehen der Menschen vor Ort selbstver- dass Äthiopien sich da wirklich auf einem guten Weg be- ständlich von unermesslichem Wert. Das BMZ steht be- findet. reit, genau diesen Weg zu unterstützen. Der neue Premierminister legt ein beachtliches Re- Herzlichen Dank. formtempo vor: in der Innen-, in der Wirtschafts- und in der Außenpolitik. Das möchten wir zum Wohl der Bevöl- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- kerung fördern. Deshalb und zur Umsetzung des Mar- ordneten der SPD) shallplans mit Afrika hat Dr. Müller dem äthiopischen Premierminister im August den Aufbau einer Reform- partnerschaft angeboten. In dem Zusammenhang, Herr Vizepräsidentin Claudia Roth: Kollege Hampel, gehört das Werben um Investitionen Vielen Dank, Maria Flachsbarth. – Nächster Redner aus Deutschland dazu. für die FDP-Fraktion: Ulrich Lechte. (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Schön!) (Beifall bei der FDP) Bereits jetzt arbeitet das Bundesministerium für wirt- schaftliche Zusammenarbeit daran, Berufsbildung in Äthiopien aufzubauen und Jobs zu schaffen. Durch unse- Ulrich Lechte (FDP): re Arbeit haben wir bereits 350 000 Berufsschülerinnen Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! und Berufsschüler erreicht und 58 Berufsschulen ausge- Werte Gäste! Zunächst einmal freue ich mich, dass wir stattet. Das wollen wir weiter intensivieren. schon mal eine Verwendung für den Kollegen Hampel (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Schön!) gefunden haben. Wir helfen bei der Sicherung der Ernährung, bei der (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Ja?) Ertüchtigung der Landwirtschaft, zum Beispiel durch Rekultivierung von über 530 000 Hektar landwirtschaft- Den könnten wir als Sonderbeauftragten nach Eritrea licher Nutzfläche, durch Schulung von 90 000 Bauern in schicken; er könnte dort Präsidentenberater werden – ein moderner Anbaumethodik, in Mechanisierung. Zu nen- wunderbarer Moment. nen sind aber auch die Unterstützung von Flüchtlingspro- grammen zur Verbesserung der Lebensbedingungen für (Heiterkeit – Armin-Paulus Hampel [AfD]: Flüchtlinge und aufnehmende Gemeinden. Es geht um Die machen auch ohne mich Frieden!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2018 6185

Ulrich Lechte (A) – Ja, genau; die haben es dort schon geschafft, Frieden nen Finanzbedarf von 328 Millionen Dollar; davon sind (C) zu erreichen. Wenn Sie da sind, läuft da alles wie ge- aber derzeit nur 21 Prozent gedeckt – große Freude. schmiert. Im Nachbarland Somalia gibt es circa 3,5 Millionen (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Flüchtlinge. Der UNHCR meldet einen Finanzbedarf von der SPD – Armin-Paulus Hampel [AfD]: Die 522 Millionen Dollar; davon sind 37 Prozent gedeckt. gehen dann nach Kamerun! – Das bedeutet also, dass über 60 Prozent des Finanzbe- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollen darfs fehlen. Auch für die Besucher hier zur Erklärung: dem Friedensprozess doch nicht schaden!) Diese Mittel sind dazu da, dass man in den Flüchtlings- lagern Nahrung, Wasser, Zelte und vielleicht zusätzlich Als Nächstes. Für uns als Außenpolitiker ist es eine etwas für die Bildung zur Verfügung stellen kann. große Freude. Wir Außenpolitiker haben unseren Minis- ter da, wenn wichtige Dinge hier im Parlament bespro- Im Nachbarland Südsudan gibt es 4 Millionen Flücht- chen werden. Das ist nicht bei jedem Ministerium der linge und Binnenflüchtlinge. Der UNHCR meldet einen Fall. Finanzbedarf von 783 Millionen Dollar; davon sind nur 33 Prozent gedeckt. (Beifall bei der FDP) In den Haushaltsberatungen 2018 hatten wir mit einem Deswegen: Herzlichen Dank, Herr Minister, dass Sie Antrag versucht, die Bereitstellung von mehr Mitteln zu heute unserer Debatte folgen! regeln. Der Antrag wurde von der Regierungskoalition Man kann gar nicht genug betonen, was für ein his- abgelehnt. Sie haben in den nächsten zwei Wochen in den torisches Ereignis am 9. Juli dieses Jahres stattgefunden Haushaltsberatungen für 2019 wieder die Möglichkeit, hat. Der Friedensvertrag zwischen Äthiopien und Eritrea für den UNHCR mehr Mittel zur Verfügung zu stellen. beendet über 20 Jahre Kriegszustand – und das ohne Ein- Die Opposition haben Sie mit Sicherheit auf Ihrer Seite. wirkung von außen. Die haben das tatsächlich von selber Wenn man mal realpolitisch denkt, müsste eigentlich das geschafft. ganze Haus diesem Antrag zustimmen, weil das der beste Weg ist, den Flüchtlingen, die von Bürgerkriegen betrof- Verheerend war dieser Zustand für die gesamte Regi- fen sind, vor Ort zu helfen. on – das haben wir hier gehört –, negativ für alle Nach- barländer, nicht so schön. (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Jetzt denken wir mal an den Stellvertreterkrieg, den AfD und der LINKEN) sich Kräfte aus Äthiopien und Eritrea auf dem Boden von Somalia geliefert hatten. Auch hier zeigt der Friedens- Meine vier Minuten Redezeit sind um; ich hätte noch (B) schluss bereits positive Impulse zur Annäherung von Eri- viel mehr zu erzählen gehabt. Ein letzter Satz – das wird (D) trea und Somalia. Vor einem Jahr noch undenkbar, haben mein neuer „Karthago“-Satz –: Europas Zukunft ist Afri- die Außenminister von Äthiopien und Somalia vor zwei ka – so oder so. Wochen in der Generalversammlung der Vereinten Nati- (Beifall bei der FDP) onen in New York dazu aufgerufen, die Sanktionen des UNO-Sicherheitsrates gegen Eritrea aufzuheben. Was für ein Signal der Annäherung! Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Das Wort hat der Kollege Stefan Liebich für die Frak- Leider waren die bisherigen Reaktionen der Bundes- tion Die Linke. regierung auf diese historischen Entwicklungen eher überschaubar. Aus diesem Grund ist es gut, dass wir uns (Beifall bei der LINKEN) als Bundestag mit diesem Thema heute beschäftigen und konkrete Forderungen an die Bundesregierung richten Stefan Liebich (DIE LINKE): wollen. Wir als FDP haben dazu einen Antrag vorgelegt, Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! aber wir erkennen natürlich auch an, dass im Antrag der „Lasst die Ära der Liebe und Versöhnung beginnen.“ – Regierungskoalition viele richtige Sachen stehen. Nur Das sind Worte, die man in den letzten Monaten und Jah- leider klafft hier mal wieder eine große Lücke zwischen ren nur noch selten hört in einer Welt, in der es vor allen den Worten und den Taten. Dingen schlechte Nachrichten gibt. Deswegen will ich (Beifall bei der FDP) hier auch einmal der Koalition danken – das mache ich ja nicht so oft –: Ich finde es gut, dass wir als Außenpoli- Jetzt kommt ein bisschen Wasser in den Wein; leider tiker hier stehen und über Außenpolitik reden, ohne dass kennt man das auch von unserem Herrn Minister. Denn es um ein Bundeswehrmandat geht. Das kommt nämlich der vorliegende Antrag vermerkt, dass in Ostafrika sie- sehr selten vor. ben der weltweit acht größten Flüchtlingslager sind. Es ist gut, dass Sie das wissen. Nur: Was folgt für Sie da- (Beifall bei der LINKEN – Jürgen Hardt raus? Sie kürzen die Mittel für das UN-Flüchtlingshilfs- [CDU/CSU]: Haben wir gestern auch schon werk UNHCR – herzlich willkommen bei meinem Lieb- gemacht!) lingsthema! –, und das, obwohl der Bedarf gerade hier so groß ist. Der Außenminister hat gesagt, dass Sätze wie dieser wie aus einem Märchen klingen; da gebe ich ihm recht. In Äthiopien gibt es zurzeit 2 Millionen Flüchtlinge Als Äthiopiens Premierminister Abiy diesen Satz im Juni und Binnenflüchtlinge. Der UNHCR meldet für 2018 ei- gesagt hat, waren wir alle überrascht und erfreut. Ehrlich 6186 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 56 Sitzung Berlin, Freitag, den 12 Oktober 2018

Stefan Liebich (A) gesagt, war ich noch überraschter über die Reaktion des Diese Form fragwürdiger Unterstützung für den afrikani- (C) Präsidenten von Eritrea. Er sagte: schen Kontinent sollte schleunigst beendet werden. Nun sind wir, die Äthiopier und die Eritreer, eins. (Beifall bei der LINKEN) Wir sind nicht mehr zwei verschiedene Völker und wir werden daran arbeiten, das nachzuholen, was Allerdings gehen die Signale, die wir erhalten, eher in die wir in den letzten Jahren verpasst haben. andere Richtung. Ich finde es ein von Grund auf falsches Signal, dass die Bundeskanzlerin bei ihrem Besuch in Afewerki, der in seinem Land keine Pressefreiheit Angola Waffenlieferungen dorthin angekündigt hat. Was zulässt, in dessen Land es einen schrecklichen Zwangs- soll denn dadurch besser werden? dienst gibt, wo gefoltert und gemordet wird, hat sich trotzdem auf diesen Friedensprozess eingelassen. Damit Bei allem Optimismus gibt es natürlich auch He- wird ein jahrzehntelanger, ebenso sinnloser wie blutiger rausforderungen, zum Beispiel die Gewaltherrschaft in Krieg, der 80 000 Tote gekostet hat, beendet. Wer von Eritrea; – das ist hier angesprochen worden. Auch die uns hätte das in diesen Zeiten gedacht – in Zeiten, in Neuordnung des Landes und der Gesellschaft in Äthio- denen Hass, Lügen und Propaganda weltweit, auch hier pien wird schwer. Ja, es gibt immer noch Gewalt. Ja, es in Deutschland, auf dem Vormarsch sind, in einer Zeit, gibt 2 Millionen Menschen, die im eigenen Land auf der wo Diplomatie mehr und mehr durch das Megaphon auf Flucht sind. Trotzdem finde ich, dass heute mal der Zeit- Twitter ersetzt wird? punkt ist, eine positive und optimistische Rede zu halten; denn das Tempo, in dem sich beide Länder aufeinander Aber wir sehen: Es kann funktionieren, und das macht zubewegt haben, ist wirklich historisch. Das muss hier Mut. Eritrea und Äthiopien haben es mit diesem Frie- angemessen gewürdigt werden. densschluss der Welt gezeigt. Sie haben gezeigt, wie Frieden gemacht werden kann, wenn er wirklich gewollt (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- wird. Es ist ein Sieg, den wir vor allen Dingen dem Mut NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- des äthiopischen Premierministers Abiy zu verdanken ten der SPD) haben. Er hat gezeigt, dass selbst solche langjährigen, Das ist ein Moment, der Mut macht. Ich möchte des- eingefahrenen Konflikte gelöst werden können. Das ist halb mit einem Zitat von Äthiopiens Präsident Abiy nicht nur ein Sieg für die Menschen in Eritrea und Äthi- schließen: Liebe wird immer siegen. Andere zu töten, ist opien, das ist ein Sieg für die Diplomatie und für alle eine Niederlage. All denjenigen, die versucht haben, uns Menschen auf der Welt, die weiter daran glauben, dass zu entzweien, will ich sagen: Ihr habt es nicht geschafft! sich Konflikte auch ohne Waffen und ohne militärische Gewalt lösen lassen. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. (B) Dr. [SPD]) (D) (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. [CDU/CSU]) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Und es ist ein Signal an all jene Staatsführer weltweit, Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort die auf Basis von Hass gegenüber anderen ihre Macht der Kollege Dr. Frithjof Schmidt. sichern. Das Signal lautet: Hört auf damit! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN)

Eine Lehre, die wir aus diesem Konflikt ziehen kön- Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nen, ist, dass die Gewalt, die Eritrea und Äthiopien so NEN): lange gefangen gehalten hat, zu nichts geführt hat außer zu mehr Gewalt. Frieden kann man eben nur durch Ver- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und nunft erreichen. Kollegen! Um es gleich klar zu sagen: Es ist gut, dass die Koalitionsfraktionen die Unterstützung des Friedens- Das sage ich auch im Hinblick auf die Aufrüstungs- prozesses zwischen Äthiopien und Eritrea zum Thema in bestrebungen der Bundesregierung. Wir haben im der Kernzeit machen. Es ist sehr gut, dass Außenminister Haushalt 2019 – der Kollege Lechte kam ja schon auf Maas hier gesprochen hat. Das ist eine wichtige Initiati- den Haushalt zu sprechen – die Situation, dass von der ve, die der Gemeinsamen Erklärung des Friedens und der Bundesregierung der höchste Verteidigungsetat seit dem Freundschaft zwischen Äthiopien und Eritrea nach Jahr- Ende des Kalten Krieges vorgelegt wurde, während der zehnten eines brutalen heißen und kalten Krieges gerecht Etat des Außenministers effektiv gesunken ist. Was ist wird; das begrüßen wir sehr. denn das für ein Signal? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Ulrich Lechte [FDP]: Das ist ein Skandal!) sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Außerdem sind die Waffenexporte der Bundesrepu- Seitdem wurden in Äthiopien Telefon- und Flugver- blik Deutschland in alle Welt weiterhin nicht gestoppt bindungen wieder etabliert, beide Länder haben diploma- worden – übrigens sind auch nach Äthiopien Waffen tische Beziehungen aufgenommen, und am 11. Septem- exportiert worden. Gerade in den letzten Wochen gab es ber wurden die Grenzen das erste Mal seit über 20 Jahren ethnische Konflikte und Tote auf den Straßen von Äthio- geöffnet. Das bedeutet eine enorme Verbesserung für die pien. Ich kann nur hoffen, dass die Menschen dort nicht Lage der Menschen vor Ort in beiden Ländern. Es ist durch deutsche Munition ums Leben gekommen sind. wichtig, das festzustellen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2018 6187

Dr. Frithjof Schmidt (A) Es ist richtig, dass Deutschland dort politisch und pekt vor demokratischen Werten und demokratischen (C) wirtschaftlich in enger Zusammenarbeit mit internatio- Reformen von unseren afrikanischen Partnern glaubhaft nalen Partnern hilft. Gerade bei der Demarkierung der einfordern wollen, dann darf nicht der Anschein einer In- Grenzen, die für einen dauerhaften Frieden unerlässlich strumentalisierung der Zusammenarbeit für die Abwehr ist, sollte unser Land Unterstützung anbieten. und Unterdrückung von Flucht erweckt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Aber auf keinen Fall darf dabei der große politische Unterschied zwischen beiden Staaten aus dem Blick ge- Man muss klar sagen: Die Europäische Union ist ge- raten. In Äthiopien gibt es einen Aufbruch zu demokrati- genwärtig überhaupt nicht über diesen Verdacht erhaben. schen Reformen, die Hoffnung geben, obwohl politische Der sogenannte Khartoum-Prozess ist in dieser Hinsicht Repression nach wie vor zum Alltag gehört; auch das schwer belastet, hat eine massive Schieflage und bedarf muss man sagen. Präsident Abiy Ahmed hat Hunderte einer politischen Neuausrichtung, gerade wenn wir euro- politische Gefangene entlassen und politische Gruppen päische Initiativen ergreifen wollen, was ja grundsätzlich eingeladen, aus dem Exil nach Äthiopien zurückzukeh- richtig ist. Ich denke, auch dafür bietet sich durch den ren, um sich am politischen Prozess des Landes zu betei- Friedensprozess zwischen Äthiopien und Eritrea ein An- ligen. Das ist ein vielversprechender Anfang. Jetzt muss satzpunkt und eine Chance, diese Politik zu verändern, sich zeigen, ob die Zivilgesellschaft auch politischen die wir politisch nutzen sollten. Raum zur Entfaltung bekommt, ob die Rechte von Min- derheiten und auch der Opposition respektiert werden. Danke für die Aufmerksamkeit. Eine solche Entwicklung voranzutreiben und zu unter- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stützen, verdient unser Engagement. sowie bei Abgeordneten der FDP und der LIN- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) KEN) Präsident Isayas Afewerki und sein Regime in Eritrea sind dagegen ein ganz anders politisches Kaliber, Außen- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: minister Maas hat das ja auch angesprochen. Von Re- Der nächste Redner ist der Kollege Christoph formaufbruch fehlt bisher jede Spur. Eritreas politisches ­Matschie, SPD-Fraktion. System ist in der Figur des allmächtigen Präsidenten (Beifall bei der SPD) zentralisiert. Es gibt keine Legislative, keine Verfassung, keine unabhängige Justiz; Pressefreiheit und Religions- Christoph Matschie (SPD): (B) freiheit sind massiv eingeschränkt. Es gibt einen unbe- (D) fristeten staatlichen Zwangsdienst für jede und jeden Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! über 18 Jahre bis mindestens zum 50. Lebensjahr; Herr Werte Zuschauer auf der Besuchertribüne! Oft reden wir Maas hat das zu Recht angesprochen. hier im Bundestag über Kriseneinsätze in Afrika. Mit der heutigen Debatte können wir eine äußerst positive Ent- Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition: wicklung in Afrika ins Zentrum der Aufmerksamkeit rü- Es ist richtig, dass Sie in Ihrem Antrag von Eritrea um- cken. Ich finde, das ist ein guter Tag. fassende demokratische Reformen fordern, aber es ist auch klar, dass dieser Präsident dort überhaupt keine Werte Kolleginnen und Kollegen, wir reden in diesem Absicht hat, dem nachzukommen. Deswegen gibt es hier Zusammenhang nicht nur über den Friedensprozess mit bisher keinen Anlass, die UN-Sanktionen und das Waf- Eritrea, den der äthiopische Regierungschef angestoßen fenembargo gegen Eritrea aufzuheben. Diese Politik der hat, sondern wir reden auch über einen enormen Auf- UNO bleibt notwendig und richtig. bruch innerhalb der äthiopischen Gesellschaft, über das Öffnen von verschlossenen Türen, das Zugehen auf die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Opposition, über einen Prozess, der enorme Hoffnungen sowie bei Abgeordneten der LINKEN) in Äthiopien geweckt hat. Ich finde es gut, dass die Bun- Der positive Friedensprozess, der von Äthiopien aus- desregierung heute hier nicht nur vertreten ist, sondern gegangen ist, darf nicht dazu führen, das Regime des der Bundesaußenminister auch deutlich gemacht hat, Diktators Afewerki zu verharmlosen. Der Verdacht, dass dass die Bundesregierung diesen Prozess unterstützen die Europäische Union bereit sein könnte – zum Beispiel will. Ich finde es gut, dass die Kollegin Flachsbarth für als Preis für das Entgegenkommen in Migrationsfra- das BMZ deutlich gemacht hat, was die Bundesregierung gen –, einen solchen Diktator quasi als Türsteher Europas in diesem Zusammenhang tut. in Afrika zu tolerieren, darf auf keinen Fall aufkommen. (Beifall bei der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich will aber auch ganz deutlich sagen: Ich erwarte noch weitere Schritte. Wir dürfen nicht bei dem stehen Deswegen ist hier große politische Klarheit geboten. bleiben, was wir bisher tun. Eine solche Entwicklung, Das gilt – unter dem anderen Vorzeichen einer intensiven wie sie dort im Gang ist, kann man beobachten, man Kooperation – natürlich auch im Verhältnis zu Äthiopien. kann business as usual machen. Aber Geschichte, deren Die wichtige und notwendige Entwicklungszusammen- Ausgang offen ist, hängt immer auch vom eigenen Tun arbeit darf nicht mit einer Politik der Flüchtlingsabwehr ab; deshalb möchte ich, dass die Bundesregierung hier konditioniert und belastet werden. Wenn wir den Res- noch stärker als bisher tätig wird und diesen politischen 6188 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 56 Sitzung Berlin, Freitag, den 12 Oktober 2018

Christoph Matschie (A) Prozess und wirtschaftlichen Aufbruch mit allen zur Ver- mich eine der Schlüsseleinrichtungen im UN-System ist, (C) fügung stehenden Mitteln unterstützt. auch im Bereich der humanitären Hilfe – gezahlt haben. Wenn die USA sich zurückziehen, ist es dringend not- (Beifall bei der SPD) wendig, dass Deutschland den Beitrag erhöht und nicht Eins ist ganz klar: Ein solcher Reformprozess ist kein mindert. Gleichzeitig verkündet unser Außenminister in Selbstläufer. New York, wir hätten den Ansatz nach oben gefahren. Dabei planen wir einfach mal 217 Millionen Euro we- (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Bis jetzt ist er niger ein als im vergangenen Jahr. Das sind reale Fakten von selbst gelaufen!) und Zahlen. Er braucht politische und wirtschaftliche Unterstützung. Ich bin selbst Ende August in Äthiopien unterwegs ge- Christoph Matschie (SPD): wesen. Man kann die Hoffnung der Menschen mit Hän- Herr Kollege Lechte, ich kann Ihnen bei den Zahlen den greifen. Man kann aber auch die Erwartung spüren, durchaus recht geben; aber Sie wissen auch, dass wir die in diesem Prozess steckt, die Erwartung auf Erfol- noch in Verhandlungen über den Haushalt sind. Der ge dieses politischen Prozesses, die Hoffnung auf wirt- Haushalt ist noch längst nicht entschieden, und genau schaftliche Verbesserungen im Land. Und wenn diese Er- über diesen Punkt wird im Moment intensiv verhandelt. wartung enttäuscht wird, wenn der Prozess nicht schnell Ich bin sicher, dass es uns gelingt, am Ende noch mehr genug vorankommt, kann es auch leicht wieder zu Rück- Mittel auch für die humanitäre Hilfe zur Verfügung zu schlägen kommen. Und wir dürfen auch nicht übersehen, stellen. dass dieser politische Aufbruch eine Kehrseite hat, dass (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – es auch Anarchie im Land gibt, dass es Gewalt gibt, dass Armin-­Paulus Hampel [AfD]: Na! Dann es ethnische Auseinandersetzungen gibt – all das dürfen schauen wir mal! – Ulrich Lechte [FDP]: Das wir nicht aus dem Blick verlieren. Deshalb ist es drin- wäre sehr erfreulich!) gend notwendig, dass wir diesen Prozess mit allen Kräf- ten unterstützen. Zurück zur Situation in Eritrea: Ich glaube, es bedarf intensiver Gespräche. Auch dort muss ein Reformpro- (Beifall bei der SPD) zess vorangebracht werden. Dass es außenpolitisch ers- Herr Kollege Lechte, Sie wissen auch, dass Deutsch- te Schritte gibt, zeigt nicht nur der Friedensschluss mit land einerseits zu den größten Gebern in der internatio- Äthiopien, sondern eben auch das Zugehen auf Somalia. nalen Flüchtlingshilfe gehört und dass wir zum anderen Ich hoffe, dass diesen außenpolitischen Bewegungen, die auch in den Haushaltsberatungen über weitere Schritte wir dort sehen, der Dynamik, die dadurch entsteht, auch (B) diskutieren. Ich finde Ihre Forderung richtig, dass sich innenpolitische Reformen folgen werden. (D) Deutschland hier mehr engagieren soll; aber das Bild, Ich finde, was wir in Äthiopien erleben, ist eine äußerst Deutschland hätte bisher zu wenig getan, ist, glaube ich, mutige Politik, die der Regierungschef dort vorantreibt. nicht richtig. Das Gegenteil ist der Fall: Die Bundesrepu- In einem Land mit über 100 Millionen Einwohnern und blik ist hier Vorbild in der Flüchtlingshilfe. 80 verschiedenen Völkern einen solchen Reformprozess (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) auf den Weg zu bringen, ist eine Mammutaufgabe. Und es ist eine Aufgabe, die einen langen Atem braucht. Wer Mit Blick auf Eritrea will ich Ihnen recht geben, Herr Reformprozesse kennt – wir als Politiker können nach- Kollege Schmidt: Man darf die Situation dort nicht ver- vollziehen: es entstehen Widerstände und enttäuschte harmlosen; das tut, glaube ich, auch niemand. Wir alle Hoffnungen auf dem Weg –, weiß, dass dieser Prozess sehen, dass das Regime in Eritrea nach wie vor keine sehr, sehr viel Mut, Energie und Kraft und Ausdauer Veränderung im Land zugelassen hat; auch deshalb be- braucht. darf es dort neuer Gespräche. Es ist ein gewisser Auf- bruch da, es gibt den Friedensschluss mit Äthiopien. Es Ich wünsche mir, dass die Bundesrepublik Deutsch- gibt eine Annäherung. land diesen Prozess nach allen Kräften mit den Möglich- keiten, die sie hat, unterstützt: politisch, wirtschaftlich und finanziell. Wir wollen deutlich machen: Wir sehen Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: das nicht nur technisch. Wir sehen nicht nur neue Märk- Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus te. Wir gucken nicht nur auf Flüchtlingsströme. Vielmehr der FDP-Fraktion? berührt das, was dort passiert, auch unsere Überzeugun- gen, unser Herz, unseren Verstand und fordert unser de- Christoph Matschie (SPD): mokratisches Engagement, diesen Aufbruch zu unterstüt- Ja, aber gern. zen. Herzlichen Dank. Ulrich Lechte (FDP): (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Frank Lieber Kollege Matschie, wenn Sie mich schon di- Steffel [CDU/CSU] und Ulrich Lechte [FDP]) rekt ansprechen: Sie wissen hoffentlich und können mir vielleicht bestätigen, dass in dem jetzigen Haushaltsan- satz für den UNHCR gerade mal 260 Millionen Euro Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: eingestellt worden sind, wir aber im vergangenen Jahr Vielen Dank. – Das Wort zu einer Kurzintervention 477 Millionen Euro an diese Einrichtung der UN – die für hat die Kollegin Margarete Bause. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2018 6189

(A) Margarete Bause (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Deutschland zu wenig Mittel einsetzt. Ich glaube, die Er- (C) Herr Kollege Matschie, Sie haben gerade angekündigt, fahrung der letzten Jahre zeigt, dass wir dieses Wort auch dass es wohl noch eine Erhöhung des Ansatzes für huma- halten können. nitäre Hilfe geben könnte. Wir hatten in dieser Woche im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: dafür 2 Milliarden Euro gefordert. Jetzt liegt der Ansatz Herr Kollege Hardt, ist eine Zwischenfrage des Kolle- bei 1,5 Milliarden Euro. Ich glaube, das ist nicht zu hoch. gen Liebich gestattet? Leider hat die Große Koalition dagegengestimmt. Könnten Sie sozusagen etwas Mutmachendes in diese Jürgen Hardt (CDU/CSU): Richtung heute äußern? Ja, bitte, Herr Liebich.

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Herr Kollege Matschie, wollen Sie Mut machen? – Bitte schön, Herr Liebich. Bitte. Stefan Liebich (DIE LINKE): (SPD): Christoph Matschie Herr Hardt, da muss ich an die Frage der Kollegin Frau Kollegin, ich bin ja im Ausschuss dabei gewe- Bause noch einmal anknüpfen. sen, und Ihre Beschreibung ist zutreffend. Ich habe aber eben schon deutlich gemacht: Wir sind gerade noch in Wir haben das gleiche Spiel im Auswärtigen Aus- den Verhandlungen dazu. Deshalb gab es auch im Aus- schuss erlebt. Sie sagen jetzt, Sie hätten aus der Vergan- schuss noch keine Zustimmung. Die Verhandlungen lau- genheit gelernt. Effektiv aber werden uns von der Re- fen noch; sie sind nicht abgeschlossen. Aber ich bin sehr gierung weniger Mittel vorgelegt, als in der letzten Zeit zuversichtlich, dass es uns gemeinsam in der Koalition ausgegeben wurden. Daher stellen wir, die Grünen und gelingen wird, die Mittel für humanitäre Hilfe noch wei- die FDP den Antrag, dass Sie diese Mittel erhöhen mö- ter aufzustocken. gen, aber Sie lehnen das ab. Wie passt das denn zusam- men? (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Jürgen Hardt (CDU/CSU): Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Das passt insofern zusammen, als wir einerseits von Vielen Dank. – Wir machen weiter in der Rednerliste. den tatsächlich verausgabten Mitteln am Ende einer (B) Der nächste Redner: Der Kollege Jürgen Hardt, CDU/ Haushaltsperiode sprechen. Andererseits sprechen wir (D) CSU-Fraktion. jetzt über die Zahlen, die wir im Haushalt 2019 ansetzen. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich habe, glaube ich, gerade eben deutlich ausgeführt, dass ich es schon klug finde, dass wir im Haushalt die Jürgen Hardt (CDU/CSU): Zahl berücksichtigen, zu der wir uns aufgrund internati- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! onaler Vereinbarungen verpflichtet fühlen, und dass wir Ich möchte zu dem Thema „Ausstattung der humanitä- der Regierung dann den Spielraum geben, darüber hi- ren Hilfe“ anmerken, dass wir in den letzten Jahren aus nausgehend zu verhandeln und sicherzustellen, dass die der bitteren Erfahrung der Jahre 2015 und davor gelernt Aufgabe gelöst wird. Ich halte nichts davon, eine Zahl ins haben. Damals hatten wir tatsächlich eine Situation, in Schaufenster zu stellen; denn am Ende halten sich andere der Flüchtlinge in Flüchtlingslagern das Gefühl gewin- mit ihren Zuschüssen, mit ihren Einzahlungen entspre- nen mussten, es wird ihnen in den Flüchtlingslagern zu- chend zurück. Das wäre für den deutschen Steuerzahler künftig schlechter gehen als zum damaligen Zeitpunkt. und für die Betroffenen sicherlich keine gute Lösung. Der damalige Zustand war schon unbefriedigend genug; (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – aber sie hatten sich damit arrangiert. Dass das ein ganz Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Das ist wesentlicher Antrieb für Überlegungen dieser Menschen doch absurd! Wie können denn die Vereinten war, sich auf den Weg nach Europa zu machen, das wis- Nationen so planen! – Abg. Ulrich Lechte sen wir. [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage) (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Es geht – Ich würde jetzt gerne zum eigentlichen Gegenstand der ihnen ganz real schlechter!) Debatte kommen und deswegen vielleicht die Zwischen- Deswegen darf das nie wieder passieren. frage des Kollegen Lechte nicht zulassen wollen. Wir haben in den letzten Jahren regelmäßig die Mittel Ich möchte noch einige Aspekte des Themas „Äthio- zur Verfügung gestellt, die notwendig waren, um diesen pien und Eritrea“ ansprechen, die vielleicht noch nicht Fehler zu vermeiden. Ich finde nur, die Bundesregie- entsprechend gewürdigt worden sind. Wir sprechen im- rung ist klug beraten, wenn sie mit der Völkergemein- mer darüber, was wir Deutschen, was wir Europäer tun schaft so verhandelt, dass nicht der Eindruck entsteht: können. Beim Compact with Africa haben wir einen Die Deutschen zahlen eh am Ende alles. – Vorsicht und starken Ansatz, der von Clustern ausgeht. Bestimmte af- Fairness müssen sein, damit auch andere ihren Beitrag rikanische Länder werden dabei von bestimmten europä- leisten. Aber am Ende wird es nicht daran scheitern, dass ischen Ländern in einem nachhaltigen, langfristigen und 6190 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 56 Sitzung Berlin, Freitag, den 12 Oktober 2018

Jürgen Hardt (A) umfassenden Prozess begleitet, damit die Entwicklung Ulrich Lechte (FDP): (C) vorangeht. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Ich finde, wir sollten ganz besonders ein Augenmerk Kollegen! Kollege Hardt, ich weiß, dass Sie als Sprecher darauf richten, dass wir innerhalb Afrikas zunehmend für diesen Themenbereich die außenpolitische Waffe der wachsende und funktionierende Strukturen haben und CDU/CSU-Fraktion sind. Deshalb werden Sie verstehen, Afrika auf multilateraler Ebene selbst in der Lage ist, dass wir als Opposition deutlich machen – was Sie leider solche Prozesse sinnvoll zu begleiten. Das gelingt viel- nicht so tun können –, dass der Haushaltsposten für das leicht nicht ohne Unterstützung von außen, aber eben im Auswärtige Amt derzeit völlig unterfinanziert ist. Sinne des Ownership, wie man das neudeutsch nennt, Wir wissen des Weiteren: Wenn wir im Bereich von durch Afrika selbst. Das gelingt gemeinsam mit der Af- Peacekeeping, Peace Missions und Flüchtlingshilfe, wie rikanischen Union, die sich in den letzten Jahren deut- im Fall des UNHCR, vorzeitig sagen, wie viel Geld wir lich fortentwickelt hat. Das gelingt auch gemeinsam mit geben können, ermöglichen wir den Leuten bei der UNO, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit – vor Ort zu planen. Geld, das frühzeitig und nicht erst un- Stichwort COMESA – im östlichen und südlichen Afrika. ter dem Eindruck einer Krise bewilligt wird, kann besser Ich glaube, dass wir als Deutsche und als Europäer gut eingesetzt werden. Darüber haben wir schon oft disku- beraten wären, gerade diese Institutionen zu stärken, weil tiert. Deswegen fand ich es sehr schade, dass Sie meine wir aus unserer europäischen Erfahrung heraus wissen, Zwischenfrage nicht zugelassen haben. Dann hätten Sie dass dieser multilaterale Ansatz für die Lösung von sol- einfach bestätigen können, was ich sage; denn das ent- chen Konflikten ganz entscheidend ist. Deswegen würde spricht der Wahrheit. ich mir wünschen, dass die regionalen und kontinentalen Wir müssen dringend den Haushaltsansatz erhöhen. Strukturen Afrikas zur multilateralen Konfliktbewälti- Der UNHCR hat allein für dieses Jahr, weil die Flücht- gung genutzt werden. lingszahlen weltweit steigen, einen weiteren Finanzbe- Ich habe den Außenminister so verstanden, dass die darf von 600 Millionen Dollar angemeldet. Er lag ins- Idee, dass die Europäische Union ein Forum bieten könn- gesamt für dieses Jahr bei 7,5 Milliarden Dollar; für te, in dem die Staaten der Region begleitet werden bei nächstes Jahr liegen die Prognosen bei 8,1 Milliarden ihrem Prozess, eine Aussöhnung in Äthiopien und Eritrea Dollar. Das Geld muss irgendwo herkommen. Wenn wir zu erreichen, funktionieren könnte. Dabei müssen aber es nicht schaffen, die Chinesen, die Russen, die G 20 und die Interessen der Nachbarstaaten Somalia, Sudan und wie sie alle heißen einzubinden, dann wird Deutschland Südsudan, die alle große Probleme haben, berücksichtigt das am Ende übernehmen müssen. Allein am Horn von werden. Afrika, über das wir gerade reden, gibt es 10 Millionen (B) Flüchtlinge, die versorgt werden müssen. Darauf habe (D) Ich möchte zum Schluss noch das, was der Kollege ich in meiner Rede auch hingewiesen. Schmidt gesagt hat, ganz deutlich unterstreichen. Die Menschenrechtslage in Äthiopien und Eritrea ist sehr (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ unterschiedlich. Sie ist in beiden Staaten unbefriedigend, DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der aber in Eritrea sehen wir eindeutig die größeren Defizite. SPD und der LINKEN) Es darf natürlich jetzt keine umgekehrte Entwicklung ein- treten, dass nämlich durch eritreischen Einfluss der Men- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: schenrechtsstandard insgesamt weiter abgesenkt wird. Im Gegenteil: Die Bereitschaft der eritreischen Führung, Herr Kollege Hardt, Sie hätten Gelegenheit, zu ant- an diesem Prozess teilzuhaben, muss einhergehen mit ei- worten. nem grundsätzlichen Wandel in der Menschrechtspolitik und auch mit einem grundsätzlichen Wandel im Bereich Jürgen Hardt (CDU/CSU): der Wehrdienst- bzw. Dienstpflichtenpolitik. Wir wissen, Lieber Kollege Lechte, ich möchte dazu nur sagen, dass eine vierstellige Zahl von Asylanträgen in Deutsch- dass wir vor dem Hintergrund des jetzt zu verhandeln- land allein deshalb bewilligt wird, weil die Praxis in Eri- den Haushaltes genau wie in den Jahren zuvor sicher- trea so ist, wie sie ist. Ich glaube, dass wir da hohe Maß- lich sagen können, dass es an der notwendigen deutschen stäbe ansetzen müssen. Unterstützung im Bereich humanitäre Hilfe und Krisen- Ich glaube aber auch, dass der Außenminister mit sehr bewältigung nicht gelegen hat. Der Außenminister hat viel Wohlwollen dem Wunsch von Äthiopien und Eritrea hierfür unsere Rückendeckung. Er weiß das aus den Aus- nach Aufhebung der Sanktionen gegenüber Eritrea in der schussberatungen, aus den Plenarberatungen. Insofern UN begleiten sollte. Das wäre ein angemessener Schritt sehe ich das Problem, das Sie auf sich zukommen sehen, und ein guter Startschuss für eine Integration dieser Staa- nicht. ten in die Weltwirtschaft. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Herzlichen Dank. ordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Der nächste Redner ist der Kollege Dietmar Friedhoff, Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: AfD-Fraktion. Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Ulrich Lechte, FDP-Fraktion. (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2018 6191

(A) Dietmar Friedhoff (AfD): wir uns auch einmal ganz ehrlich fragen: Ist das unsere (C) Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin- Stärke, und haben wir dazu die nötige Kraft, die nötige nen und Kollegen! Werte Besucher! Frieden in einer der Ausdauer und das nötige Geld? Wir sagen eher: Nein. fragilsten Regionen Afrikas, Frieden zwischen Äthiopien Deswegen muss und sollte Deutschland das tun, was es und Eritrea als Zukunftsanker für Teilhabe, Nachhaltig- am besten kann: Verwaltungen aufbauen, bilden und aus- keit und Selbstentwicklung: ein Schritt mit Strahlkraft für bilden, um damit demokratische Strukturen zu integrie- eine ganze Region, für einen ganzen Kontinent. Deutsch- ren und zu festigen, land und auch die Fraktion der AfD sind sich über die (Beifall bei der AfD) Bedeutung im Klaren. Wir werden gemeinsam sinnvoll, planvoll und zukunftsorientiert diesen Weg gestalten, al- Universitäten, Fachhochschulen, Verwaltungsschulen, lerdings in den Bereichen, wo wir meinen: Darin versteht Landwirtschaftsschulen und Meisterschulen aufbauen, Deutschland sein Handwerk. Arbeitsplätze und Perspek- für Ausbildung auch und gerade in handwerklichen Be- tiven zu schaffen für die Menschen in Afrika, das muss reichen sorgen, und das in Verbindung mit der deutschen das Ziel sein. Damit aber gerade dies eben auch passieren Industrie. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ge- kann, müssen wir einmal ganz genau hinschauen, warum nau das wäre Nachhaltigkeit in Reinform. was wie passiert. Denn nur eine richtige Analyse am An- Eine weitere wichtige Funktion Deutschlands ist die fang kann letztendlich zu einer richtigen Antwort auf die Vermittlung zwischen Ägypten und Äthiopien bezüglich Gestaltungsfrage führen. des großen Staudamms am Nil, damit der Große Damm Wie kam es zu diesem doch sehr schnellen Frie- der äthiopischen Wiedergeburt zu einem Kanal des Fort- dens- und Schulterschluss zwischen Eritrea und Äthio- schritts und des Friedens wird. Lassen wir die anderen pien nach nunmehr fast 20 Jahren? Nun, die Chinesen die Straßen bauen. Machen wir unseren Job, und zei- schaffen Fakten in einer Zeit, in der Europa noch pfad- gen wir den Menschen, was sie tun können, damit die findermäßig eigene Wege sucht gemäß dem Grundsatz Menschen in die Lage versetzt werden, Selbstverantwor- von Herrn Raabe und der SPD: Wir sind es schließlich tung zu übernehmen. Gerade das ist unser Ziel von der den Menschen in Afrika schuldig. Die einen verfolgen AfD-Fraktion für und in Afrika: Selbstverantwortung für wirtschaftliche Interessen, die anderen immer noch den eine zukunftsorientierte Selbstentwicklung. karitativen Ansatz. Das Horn von Afrika, Äthiopien, soll Danke schön. Teil der neuen chinesischen Seidenstraße werden. (Beifall bei der AfD) Was wird also benötigt? Infrastruktur, Eisenbahnli- nien, Flughäfen, Straßen. Beispiel ist die Eisenbahn- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (B) verbindung von Addis Abeba nach Dschibuti. Länge: Der nächste Redner ist der Kollege Thomas Erndl, (D) 750 Kilometer. Investitionen: 3 Milliarden Euro. Geld- CDU/CSU-Fraktion. geber, Umsetzer, Nutzer: China. Das bedeutet, dass die Chinesen nur in Äthiopien für den Bau einer Eisenbahn (Beifall bei der CDU/CSU) ein Drittel des gesamten weltweiten deutschen Entwick- lungshilfeetats ausgeben. Schon vorhanden ist das in- Thomas Erndl (CDU/CSU): ternationale Flugdrehkreuz Addis Abeba. Hier werden Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! schon jetzt annähernd 10 Millionen Fluggäste im Jahr Liebe Besucher! Liebe Zuschauer! Wir haben letzte in weit über 95 Länder der Welt transportiert. Aber was Woche den Tag der Deutschen Einheit gefeiert. Für alle fehlt für dieses logistische Drehkreuz? Es fehlt Äthiopi- Menschen in unserem Land, die vielleicht Ende 30 sind en, das keinen eigenen Zugang zum Meer hat, eines: ein und älter, ist dieser Tag mit emotionalen Momenten Hafen. Zwei Häfen liegen in unmittelbarer Nähe. Ha- und persönlichen Erfahrungen verbunden. Auch für alle fen 1: Dschibuti. Dieser befindet sich bereits im Besitz Jüngeren ist das natürlich ein schöner Feiertag, aber am der Chinesen; denn die haben dort eine Militärbasis zur Schluss ein Tag ohne persönliche Erfahrung, letztendlich Abwehr islamistischer Terroristen. Bleibt Hafen 2: Eri- ein Verweis auf einen Eintrag im Geschichtsbuch. trea. Die Eritreer wiederum wurden in der letzten Zeit auch von Amerika umgarnt. Um ein stärkeres Festsetzen Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich möchte, dass der Amerikaner zu unterbinden, schaffen die Chinesen irgendwann die Schlagzeilen von humanitären Katastro- eben Fakten. Investition ist auch hier das Zauberwort. phen, Kriegen, Terror, politischer Instabilität in Afrika auch nur Einträge in Geschichtsbüchern sind und dass Äthiopien und Eritrea schließen Freundschaft und wir junge Menschen in Europa haben, die in Afrika ei- damit Frieden. Äthiopien bekommt Zugang zum Hafen, nen Kontinent der Chancen sehen, mit dem es gilt auf und grenzüberschreitender Verkehr wird ermöglicht. Augenhöhe Handel zu treiben, Austausch, Wissenschaft, Deswegen sind sowohl Eritrea wie auch Äthiopien ge- Bildung und vieles andere. Das mag natürlich weit weg nau wie die gesamte Region Gewinner. Denn hier wurde klingen, aber wir diskutieren in dieser Stunde eben eine nicht, wie von Ihnen in Ihren Anträgen immer so gern ganz besondere positive Entwicklung in Äthiopien, Eri- gefordert, Mediation betrieben, sondern Konfliktlösung trea. durch eine gemeinsame strategische Zielsetzung und de- ren Finanzierung und Umsetzung. In der Region scheint sich etwas zum Guten zu wen- den. Wir haben in den letzten Jahren bereits eine inte- Nun steht in beiden Anträgen explizit, wir sollen beim ressante wirtschaftliche Entwicklung in Äthiopien fest- Aufbau und Ausbau von Infrastruktur helfen. Da müssen gestellt. Aber mit dem Ministerpräsidenten Abiy scheint 6192 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 56 Sitzung Berlin, Freitag, den 12 Oktober 2018

Thomas Erndl (A) eine neue Zeit angebrochen zu sein. Neben vielen in- begleiten und unterstützen, nicht von oben herab, son- (C) nenpolitischen Verbesserungen in Äthiopien gab es am dern als Partner auf Augenhöhe. Der Antrag zeigt hier 8. Juli 2018 – es ist bereits angesprochen worden – mit Handlungsfelder auf. dem Friedensvertrag ein absolut vielversprechendes Zei- chen zur friedlichen Überwindung der Feindseligkeiten. Afrika als Kontinent der Chancen schließt natürlich Ein bedeutender Fortschritt, der noch vor wenigen Mo- unsere Wirtschaft, unsere Unternehmen mit ein. Wir naten undenkbar schien. Der Ministerpräsident hat die sollten natürlich auch diese Chancen nutzen. Afrika als politische Instabilität in seinem Land eindämmen können Kontinent der Chancen – das muss unser Bild sein. So und von Beginn an betont, die Mauer zwischen Äthio- werden Berichte über humanitäre Not, Kriege und Ter- pien und Eritrea niederzureißen und Brücken zu bauen. ror irgendwann nur Einträge in den Geschichtsbüchern sein. In diesem Sinne bitte ich Sie um Unterstützung für Dass das Ganze aber nach wie vor ein fragiler Zustand unseren Antrag. ist, zeigen die Unruhen, wie zuletzt auch in der Hauptstadt Herzlichen Dank. Addis Abeba. Deshalb ist es richtig, dass wir Parlamenta- rier mit unserem Antrag die Bundesregierung auffordern, (Beifall bei der CDU/CSU) die positive Entwicklung in Äthiopien und in der Regi- on zu unterstützen. Wir machen hier bereits eine ganze Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Menge. Außenminister Maas hat vorgestellt, wie wir uns in der Region in Sicherheitsfragen engagieren. Staatsse- Der nächste Redner ist der Kollege Till Mansmann, kretärin Flachsbarth hat das umfassende Engagement im FDP-Fraktion. Bereich der Entwicklungszusammenarbeit dargestellt. (Beifall bei der FDP) Gerd Müller hat bei seinem Besuch im August dieses Jahres betont und letztendlich zugesagt, dass wir unsere Zusammenarbeit zu einer Reformpartnerschaft vertiefen. Till Mansmann (FDP): Gerade Ausbildung, Meisterausbildung, die Bildungsein- Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen richtungen wollen wir zu einem Schwerpunkt machen, und Kollegen! Sehr geehrter Herr Bundesminister Maas! besonders die Berufsausbildung nach dem Konzept, wie Wenn große und schwere Konflikte wie der zwischen wir es hier bei uns kennen. Eritrea und Äthiopien beigelegt werden, dann ist das eine großartige Sache. Aber dann darf man sich nicht zurück- Auch mit weiteren Instrumenten in der Auswärtigen lehnen, sondern man muss handeln. Das ist der Anlass Kultur- und Bildungspolitik unterstützen wir. Das Goethe-­ für die beiden Anträge, die heute hier vorliegen. Wichtig Institut hat in der Hauptstadt eine neue Bibliothek eröff- ist aber auch, in welchem Geiste dieses Handeln steht. (B) net, die Modell für weitere Einrichtungen in Afrika sein Deswegen möchte ich die Gelegenheit nutzen und etwas (D) soll. Schon seit ganz langer Zeit unterstützt zum Beispiel Grundlegendes zur Migrationsdebatte sagen. das Deutsche Archäologische Institut bei Erhalt und Er- forschung von Kulturgütern. Das mag hier unwichtig er- Wir sprechen auch am Beispiel von Äthiopien und scheinen, aber gleichzeitig stabilisieren wir damit auch bei Eritrea wie in vielen anderen Zusammenhängen immer Arbeitsplätzen und handwerklicher Ausbildung. wieder von der Bekämpfung von Fluchtursachen. Das ist eine Art Generalerklärung für den Sinn von Entwick- (Beifall des Abg. Till Mansmann [FDP]) lungszusammenarbeit geworden. Ich halte dies für eine ungute, vielleicht sogar etwas gefährliche Entwicklung. Bildung – es ist angesprochen worden – ist die Lösung In diesem Zusammenhang, Kollege Schmidt von den vieler Probleme. Deswegen ist es mir ein besonderes An- Grünen, teile ich Ihre Bedenken. liegen, mit Nachdruck für die Erhöhung der finanziellen Unterstützung und den Ausbau des Bildungssystems zu Wir werden mit Entwicklungszusammenarbeit Migra- werben, zum Beispiel für die Deutsche Botschaftsschule tionsbewegungen nur sehr langsam beeinflussen können. sowie für das Informationszentrum des DAAD, das auch Es gibt gute Gründe für die Annahme, dass erfolgreiche im Antrag der Regierungskoalition so vorgesehen ist. Entwicklungszusammenarbeit, die den Lebensstandard in anderen Ländern erhöht, sogar zu einer Zunahme Mit unseren Einrichtungen waren wir im Übrigen von Migration führt. Wenn das so kommt, dann fällt uns auch in schwierigen Zeiten, in kriegerischen Zeiten vor dieser Ansatz irgendwann einmal schwer auf die Füße. Ort. Deswegen sind wir jetzt auch ein wichtiger und an- Jetzt muss es darum gehen, die internationale Zusam- gesehener Partner in der weiteren Entwicklung. Die Um- menarbeit zu verbessern, Menschen aus bitterer Armut setzung der Ideen von Ministerpräsident Abiy sowie eine zu holen, den Lebensstandard aller Menschen weltweit nachhaltige Partnerschaft zwischen Äthiopien und Eri- anzuheben, Umweltschäden zu verringern, Frieden und trea mit stabilen Strukturen in beiden Ländern haben po- Menschenrechte zu fördern. Es muss unser Ziel sein, sitive Auswirkungen auf die ganze Region. Deswegen ist Migration zu gestalten und zu managen, damit sie zum es so wichtig, dass wir diesen Prozess unterstützen. Als Vorteil der Migranten, zum Vorteil der Zielländer und Parlamentarier machen wir das mit diesem Antrag deut- nicht zum Nachteil der Herkunftsländer wird. Nicht zu lich. Letztlich sehen wir, dass gutes Regierungshandeln verhindern, sondern zu gestalten ist unsere Aufgabe. immer die Menschen in den Mittelpunkt stellen muss. Das scheint nun in Äthiopien in einem gewissen Umfang Äthiopien und Eritrea sind sehr gute Beispiele dafür. der Fall zu sein. Bei vielen Regierungen in Afrika ist das Der Krieg zwischen diesen Ländern steht symbolisch für nicht der Fall. Deswegen ist es so wichtig, dass wir diese die Probleme des Nachbarkontinents. Der geschlossene Region, dass wir Äthiopien auf diesem so positiven Weg Friede kann zum guten Beispiel für viele weitere Ver- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2018 6193

Till Mansmann (A) besserungen werden. So wie die Europäische Union mit Insgesamt habe ich den Eindruck, dass wir alle die (C) ihrem Binnenmarkt und den offenen Grenzen den Wohl- Bedeutung dieser Entwicklung in zwei sehr wichtigen stand und den Frieden in Europa gesichert und ausgebaut Ländern Afrikas einschätzen können. Auch die Tatsache, hat, müssen wir auch in Afrika alle Entwicklungen unter- dass die Debatte in der Kernzeit stattfindet, zeigt, dass stützen, die die Sperrwirkung von Grenzen reduzieren. die Bundesregierung und der Bundestag sehr gut daran Bisweilen stellen wir uns dabei etwas unbeholfen an. tun, diesen Friedensprozess nicht nur zu unterstützen, Deswegen fordern wir in unserem Antrag, die vielen im sondern ihn auch in der deutschen Öffentlichkeit wer- Augenblick unübersichtlichen Maßnahmen und Projekte bend darzustellen und darüber zu diskutieren. auf nationaler und europäischer Ebene zu überprüfen und global zu bündeln. Wir müssen bei jedem Engagement (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) sehr sorgfältig darauf achten, dass die Achtung von Men- Er hat natürlich strategische Bedeutung – das hat die schenrechten, Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsver- Debatte auch deutlich gemacht – weit über das Horn von meidung immer unsere zentralen Forderungen sind und Afrika hinaus. Wir freuen uns, dass die beiden Länder – dass Verstöße dagegen mit jeder Härte geahndet werden. vieles ist dazu gesagt worden – sich dadurch hoffentlich (Marianne Schieder [SPD]: Das ist doch so!) in einem Friedensprozess befinden, der am Ende un- umkehrbar wird. Wir freuen uns, dass die Menschen in Um es klar zu sagen: Eritrea erfüllt die Maßstäbe, die wir Äthiopien hoffentlich von diesem Präsidenten ein Stück an die Entwicklungszusammenarbeit legen, nicht. Demokratie, Menschenrechte und vieles mehr erlangen, Die GIZ hat ein Projekt, das unter anderem der Schu- als es in der Vergangenheit der Fall war. Äthiopien ist lung von Ermittlern und Justizbeamten zur Grenzsiche- in seiner Entwicklung unzweifelhaft deutlich weiter als rung in Eritrea dient. Zur gleichen Zeit hat das Militär Eritrea. Es gibt berechtigte Zweifel, ob in Eritrea die Ent- von Eritrea den Auftrag, Menschen mit Gewalt davon wicklung auch so eintritt, wie wir uns das wünschen. Ich abzuhalten, das Land zu verlassen. Gerade mit Blick auf persönlich sage, ich habe den Eindruck, mit diesem Dik- die jüngere deutsche Geschichte müssen wir überlegen, tator wird das sehr, sehr schwierig. Die Hoffnung stirbt ob das richtig ist. zuletzt. Der Antrag der FDP-Fraktion weist in die richti- Wir alle kennen die Bedeutung der Entwicklung in ge Richtung. Die Achtung von Menschenrechten und diesen beiden Ländern letztendlich für Europa und für Rechtsstaatlichkeit dürfen wir nicht preisgeben. Wir soll- uns. Natürlich muss das Ziel sein – von einer Partei wird ten dabei auch multilaterale Programme im Rahmen der immer der Eindruck erweckt, es gäbe hier einen Dis- Vereinten Nationen – der Kollege Lechte hat das schon sens –, dass Menschen, die aus Eritrea zu uns gekommen sind, zurück in ihre Heimat gehen und mithelfen, ihr ei- (B) für den Haushalt ausgeführt – in den Geist stellen, in dem (D) die Zusammenarbeit stattfinden muss, und das vonseiten genes Land wieder aufzubauen, wenn dort Demokratie, der Entwicklungszusammenarbeit unterstützen. Menschenrechte und eine wirtschaftlich vernünftige Ent- wicklung für Familien, Kinder und alle Menschen mög- Da Ihr Antrag, liebe Kollegen von der Großen Koa- lich sind. Das ist doch unter allen vernünftigen Demo- lition, im Grunde eine ähnliche Stoßrichtung hat, bitten kraten völlig unstreitig. Wir dürfen auch nicht zulassen, wir Sie, gerade in diesem Zusammenhang noch einmal dass hier der Eindruck erweckt wird, es gebe eine Partei, zu überdenken, ob man nicht vielleicht etwas verändern die diese Interessen vertritt, und alle anderen sind anderer könnte. Wir werden hoffentlich die Gelegenheit haben, in Auffassung. den Ausschüssen darüber zu diskutieren. Ziel muss am Ende, nach meiner Überzeugung – das Vielen Dank. ist in der Debatte etwas zu kurz gekommen –, ganz we- (Beifall bei der FDP) sentlich die Förderung privatwirtschaftlichen, markt- wirtschaftlichen Engagements sein. Am Ende wissen die Menschen in Äthiopien und Eritrea sehr wohl, dass sie Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: nicht morgen schon den europäischen Lebensstandard Der letzte Redner in der Debatte zu diesem Punkt: haben. Aber sie wollen das Gefühl haben – hier sind die Frank Steffel, CDU/CSU-Fraktion. 10 Prozent Wirtschaftswachstum in Äthiopien ein wich- tiger Baustein –, dass es aufwärtsgeht, dass es ein Pro- (Beifall bei der CDU/CSU) zess ist, der kontinuierlich vorangeht, und dass es nicht irgendwann wieder Rückschläge gibt, die dazu führen, Frank Steffel (CDU/CSU): dass die Menschen darüber nachdenken, mit ihren Kin- Herr Präsident! Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen dern die Region und das eigene Land zu verlassen. und Kollegen! Als letzter Redner in der Debatte kann ich, glaube ich‚ Einvernehmen feststellen. Das war eine Nur wenn wir das hinkriegen, werden wir die Flucht- wohltuend sachliche und in vielen Bereichen sehr kennt- ursachen erfolgreich bekämpfen und damit natürlich nisreiche Debatte. Danke ausdrücklich für das Lob der auch die Probleme, über die wir in Europa hinreichend Opposition. Ich finde, das tut in einer solchen Frage dem diskutieren, reduzieren können. Dafür sind Investitions- Hause einmal ganz gut. Ich fand alle Reden sehr wert- voraussetzungen zu schaffen. Das müssen wir auch bei voll, die von uns noch ein bisschen besser. den Regierungen dort immer wieder anmahnen. Ich will jetzt keine außenpolitisch-wirtschaftspolitische Rede (Marianne Schieder [SPD]: Noch besser wa- halten, wir wissen alle, was deutsche Unternehmen, was ren die von der SPD!) europäische Unternehmen zu Recht erwarten, wenn sie 6194 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 56 Sitzung Berlin, Freitag, den 12 Oktober 2018

Dr. Frank Steffel (A) in solchen Ländern investieren. Das sollten wir im Inte- Überweisungsvorschlag: (C) resse der Länder anmahnen; denn nur mit ausländischen Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kom- munen (f) Investitionen und natürlich den Rahmenbedingungen in Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz den Ländern wird es dort kontinuierlich eine dynamische Finanzausschuss Entwicklung geben. Ausschuss für Wirtschaft und Energie Deutschland engagiert sich zu Recht in beiden Län- b) Erste Beratung des von den Abgeordneten dern. Ich will das noch einmal ganz bewusst festhalten. Christian Kühn (Tübingen), Britta Haßelmann, Wir unterstützen auch den Premierminister in seiner Canan Bayram, weiteren Abgeordneten und Demokratisierung ausdrücklich. Es ist schon ein ermuti- der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gendes Signal, dass in einer der ersten Amtshandlungen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur 1 000 Oppositionelle freigelassen wurden. Das gab es Entlastung von Verbrauchern beim Kauf nicht in allzu vielen Ländern in Afrika in den vergange- und Verkauf von Wohnimmobilien (Makler- nen Jahrzehnten. Bestellerprinzip-­ und Preisdeckelgesetz) Ich möchte einen Punkt ansprechen, der mir persön- Drucksache 19/4557 lich wichtig ist. Wir sollten gemeinsam nicht nur auf Überweisungsvorschlag: humanitäre Hilfe achten, sondern insbesondere auf Bil- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) dung. Wir sollten alles dafür tun, dass die heranwach- Ausschuss für Wirtschaft und Energie sende Generation, Kinder und Jugendliche, in beiden Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kom- Ländern ein deutlich verbessertes Bildungssystem und munen damit mehr Chancen hat, damit sie einen wichtigen Bei- c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Caren trag beim Aufbau ihres Landes leisten kann. Lay, Dr. Gesine Lötzsch, Pascal Meiser, weiterer Vom Kollegen Matschie ist zu Recht gesagt worden: Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Wir brauchen einen langen Atem. Ja, auch das wissen Mieterhöhungsstopp jetzt alle, die sich mit diesem Thema beschäftigen. Das wird keine Entwicklung von 5, 10 oder 20 Jahren sein, son- Drucksache 19/4829 dern das wird ein Prozess sein, der ein oder zwei Gene- Überweisungsvorschlag: rationen bedarf. Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kom- Die Menschen erwarten von uns ein wesentliches Si- munen gnal: Unsere Unterstützung ist keine kurzfristige, sie ist (B) keine mittelfristige, sondern sie ist eine langfristige. Die Hierzu ist interfraktionell eine Debattenzeit von (D) Menschen in beiden Ländern können sich darauf verlas- 60 Minuten vereinbart. – Dazu gibt es keinen Wider- sen, dass der Deutsche Bundestag – unabhängig davon, spruch. Dann ist das so beschlossen. wer regiert – alles dafür tun wird, dass die Entwicklung in beiden Ländern weiterhin erfolgreich ist; denn nur Ich eröffne die Aussprache. Sie beginnt mit dem Kol- mit dieser Perspektive bleiben die Menschen in ihren legen Christian Kühn, Bündnis 90/Die Grünen. Bitte Ländern und werden beim Aufbau von Demokratie und schön. Marktwirtschaft mitwirken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vielen Dank. Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der CDU/CSU) GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Herren! Im Mai waren in Berlin 15 000 Menschen für be- Vielen Dank, Herr Kollege Steffel. – Ich schließe die zahlbaren Wohnraum auf der Straße, am 15. September Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt. 11 000 Menschen in München. Am 20. Oktober werden Tausende Menschen in auf der Straße sein und Wir kommen zur Überweisung. Interfraktionell ist einfordern, dass diese Bundesregierung endlich handelt beschlossen, die Vorlagen auf Drucksachen 19/4847 und und etwas für bezahlbaren Wohnraum in Deutschland tut. 19/4837 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus- schüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. und bei der LINKEN) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 25 a bis 25 c auf: Ignorieren Sie als Große Koalition nicht länger diese a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Proteste und die Menschen, die für das Grundrecht auf Christian Kühn (Tübingen), Daniela Wagner, Wohnen auf die Straße gehen! Diese Menschen leiden Stefan Schmidt, weiterer Abgeordneter und der unter horrenden Mietsteigerungen. Sie leiden unter den Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN explodierenden Immobilienpreisen, unter Verdrängung, Gentrifizierung und der Polarisierung in unseren Städten. Sofortprogramm Wohnoffensive – Mieten Diese dürfen wir nicht länger zulassen. bremsen, nachhaltig bauen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 19/4549 und bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2018 6195

Christian Kühn (Tübingen) (A) Wenn Sie als Union schon diese Proteste ignorieren Bei der SPD bin ich gespannt, ob sie heute sagt, ob (C) und uns als Opposition auch nicht erst nehmen, sie eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit will oder nicht. Auch dazu müssen Sie heute Stellung beziehen. Ich glau- (Emmi Zeulner [CDU/CSU]: Das machen wir be, das sind Sie den Menschen, die in Deutschland zu nicht! Das stimmt nicht!) Tausenden auf die Straße gehen, wirklich schuldig. dann rate ich Ihnen: Hören Sie Ihrem Parteikollegen Liebe Kolleginnen und Kollegen der Großen Koaliti- Markus Lewe zu, dem Präsidenten des Deutschen Städte- on, ignorieren Sie diese Proteste nicht! tages! Er sagt: Die soziale Marktwirtschaft beim Wohnen muss neu justiert werden. – Deswegen bringen wir eine (Emmi Zeulner [CDU/CSU]: Das machen wir grüne Wohnoffensive und das Bestellerprinzip bei den nicht!) Maklerkosten ein; denn wir sind davon überzeugt, dass Sonst werden Ihre Umfrageergebnisse nicht nur an die- die soziale Marktwirtschaft in eine Schieflage geraten ist sem Sonntag bittere Realität für Sie. und sie deswegen neu ausgerichtet werden muss. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Ma- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN chen Sie sich keine Sorgen um unsere Umfra- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) geergebnisse!) Wir brauchen eine funktionierende Mietpreisbremse. Danke schön. Ich werde nicht müde, das hier zu betonen. Anders wer- den wir die Steigerungen bei den Mieten nicht bremsen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) können. Wir brauchen eine neue Wohnungsgemeinnüt- zigkeit, weil sonst die Spirale beim sozialen Wohnungs- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: bau weiter nach unten gehen wird. Wir brauchen eine Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort der Kollege soziale und nachhaltige Bodenpolitik, um Spekulation in Volkmar Vogel. unseren Städten im wahrsten Sinne den Boden zu ent- ziehen. (Beifall bei der CDU/CSU)

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Volkmar Vogel (Kleinsaara) (CDU/CSU): Ich weiß nicht, was Ihnen von der Union die Men- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ei- schen auf der Straße entgegnen, wenn Sie sagen: Bei der nes ist erst einmal Fakt – das muss man auch betonen –: Maklerprovision müssen wir uns noch unterhalten. – Wir In Deutschland wird viel gebaut, und das ist gut so. Ich haben in Deutschland die höchste Maklerprovision in glaube, es ist die Verantwortung von uns allen, dafür zu (B) ganz Europa. Hierzu sagen nicht nur wir Grünen, son- sorgen, dass dieser Bauboom auch in allen Bereichen des (D) dern auch das Deutsche Institut für Wirtschaft und das Wohnungsbaus ankommt, insbesondere in dem Bereich, Bundeskartellamt, dass wir sozusagen neue Leitplanken in dem es um soziale Belange geht. Denn Wohnen ist bei der sozialen Marktwirtschaft brauchen. eine soziale Frage; das ist uns klar. Daran müssen wir arbeiten. Deswegen sagen wir Grünen heute mit einem Gesetz- entwurf ganz klar: Das Bestellerprinzip muss in Deutsch- Es ist wichtig, dass möglichst viel Wohnraum zur land eingeführt werden. 7,14 Prozent Maklerprovision Verfügung steht. Das ist eine Aufgabe, die nicht nur uns sind bei einem Immobilienerwerb von 350 000 Euro hier im Deutschen Bundestag obliegt, sondern es ist im schlappe 25 000 Euro, also viel mehr als die Entlastung wahrsten Sinne des Wortes eine Gemeinschaftsaufgabe. durch das Baukindergeld. Das ist zu viel. Deswegen sa- Bund, vor allen Dingen die Länder und die Kommunen gen wir ganz klar: Hier muss endlich die Leitplanke des müssen gemeinsam handeln. Dazu brauchen wir alle Ak- Bestellerprinzips eingeführt werden, damit der Markt teure. Es hilft nichts, wenn wir vielfältige Aktivitäten, für wieder funktioniert. die ich mich ausdrücklich bedanken will, nur im kommu- nalen Bereich haben. Nein, wir brauchen genauso Inves- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) toren. Wir brauchen auch die vielen Privaten, die vielen Kleinvermieter, die das Gros der Vermietung in unserem Das ist übrigens viel billiger, als 12 Milliarden Euro in Land ausmachen und die maßgeblich zum sozialen Frie- das Baukindergeld zu schieben, das am Ende zu Bau­ den und guten Miteinander beitragen können. Ich glaube, preissteigerungen führt. Dieses Geld wäre besser im so- dagegen kann wohl keiner etwas sagen. zialen Wohnungsbau angelegt. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die Anträge erfassen meiner Meinung nach immer nur einen Teil dessen, was eigentlich die Gesamtproblemlage Ich bin gespannt auf die Debatte und Ihre Redebeiträ- ausmacht. Es hilft nicht, nur im Mietrecht etwas zu tun. ge aus der Großen Koalition; denn ich will, dass Sie als Es hilft auch nicht, nur in Teilen des Baurechts etwas zu Union heute beim Bestellerprinzip endlich Farbe beken- tun. Vielmehr ist das eine Sache, die umfänglich betrach- nen. Wollen Sie es einführen oder nicht? Diese Antwort tet werden muss. müssen Sie heute geben. Einige von Ihnen waren dabei: Der Wohngipfel hat (Emmi Zeulner [CDU/CSU]: Wir müssen gar den maßgeblichen Impuls dazu gegeben. Er ist gespeist nichts!) vom Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen, das 6196 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 56 Sitzung Berlin, Freitag, den 12 Oktober 2018

Volkmar Vogel (Kleinsaara) (A) wir schon in der vergangenen Legislaturperiode mit- hat es eben beschrieben, und wir teilen diese Auffas- (C) einander auf den Weg gebracht haben und an dem alle sung – zu mildern. Wir müssen dafür sorgen, dass die Akteure beteiligt sind. Dies zeigt genau den Weg auf. An Mietpreisbremse örtlich begrenzt ist, dass sie zeitlich be- diesem Weg arbeiten wir. Ich bitte auch die anderen Kol- grenzt ist und dass sie mit Maßnahmen einhergeht, mit legen hier im Hohen Haus, daran mitzuarbeiten. denen man die Wohnungssituation insgesamt verbessert. Und das geht nur – da bin ich wieder bei meinen drei Die Lage ist differenziert zu sehen. Wir haben auf der Akteuren: Bund, Länder und Kommunen – gemeinsam. einen Seite einen angespannten Markt, insbesondere in einzelnen Metropolen. Wir haben auf der anderen Seite Wir müssen auch ans Baurecht ran. Wir haben in der aber durchaus auch entspannte Märkte – ich sage es ein- letzten Legislatur dafür gesorgt, dass die Baunutzungs- mal salopp – auf dem flachen Land. Beides müssen wir verordnung geändert worden ist. Wir haben Sie um die einer Betrachtung unterziehen. Für beides müssen wir Kategorie „urbanes Gebiet“ erweitert. Ähnliches brau- die richtigen Maßnahmen finden. chen wir auch in ländlichen Regionen mit dörflichem Kerngebiet, damit es leichter wird, zu bauen, damit es Wenn ich an den Wohngipfel vor wenigen Wochen leichter wird, Gebäude umzunutzen und zu Wohnzwe- denke, dann muss ich sagen, dass er die richtigen Aus- cken zu nutzen. Dafür haben wir die Baulandkommission gangspunkte festgehalten hat. Wir sorgen dafür, dass ins Leben gerufen. Ich bin sicher: Sie wird diesbezüglich Wohneigentum gefördert wird. Denn machen wir uns gute Ergebnisse liefern. nichts vor: Die sozialste Form des Wohnens ist das Woh- nen im eigenen Wohneigentum. Aber das kann sich in Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Wir arbeiten unserem Land natürlich nicht jeder leisten, und das will bereits an einer Umsetzung, andere denken noch darü- sich auch der eine oder andere nicht leisten. Also müssen ber nach. Helfen Sie uns bei dem, was noch kommen wir auch für den Mietwohnungsbau etwas tun. Wir haben wird – Wohneigentumsgesetz, Gebäudeenergiegesetz, damit begonnen. Musterbauordnung –, und bei allem, was in diesem Zu- sammenhang eine Rolle spielt. Gerade die Antragsteller Ein wesentlicher Punkt, um gerade die Förderung des heute, die Linken und die Grünen, sind selber in den Län- Wohneigentums voranzubringen, ist das Baukindergeld. dern mit in der Verantwortung. Wir brauchen die Länder, Hier denken wir vor allen Dingen an die jungen Familien, wenn wir all das durchsetzen wollen. Lassen Sie uns das an die Familien mit Kindern, die sich eine neue Existenz gemeinsam machen! aufbauen wollen. Wir werden die Wohnungsbauprämie anpassen und verbessern, damit sie wieder attraktiv wird. Danke schön. Aber wir haben auch schon Maßnahmen im Miet- (Beifall bei der CDU/CSU) (B) wohnungsbau eingeleitet. Ich nenne nur den sozialen (D) Wohnungsbau. 1,5 Milliarden Euro auch für das nächste Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Jahr ist eine stolze Zahl. Wenn es uns im Rahmen der Änderung des Grundgesetzes gelingt, auch hier Verände- Das Wort hat der Kollege , rungen herbeizuführen und den Bund wieder mehr in die AfD-Fraktion. Verantwortung zu nehmen, dann ist unser Ziel, das auf (Beifall bei der AfD) 2 Milliarden Euro aufzustocken.

Wir hatten erst letztens die Diskussion zum Haushalt. Udo Theodor Hemmelgarn (AfD): Wir haben die Städtebauförderung. Sie wird auf hohem Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolle- Niveau weitergeführt. Ich bitte darum – dieser Appell ginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuschauer auf den richtet sich auch an die Bundesregierung –, dafür Sorge Tribünen! Die Wohnfrage ist die wohl wichtigste sozial- zu tragen, dass bei den Verwaltungsvereinbarungen zwi- politische Herausforderung der nächsten Jahre. Wohnen schen Bund und Ländern dafür gesorgt wird, dass auch und ein sicheres Dach über dem Kopf gehören zu den die vielen Privaten in den innerstädtischen Quartieren Grundbedürfnissen jedes Menschen. hier mit einbezogen sind und ihren Beitrag leisten kön- nen. Sowohl Grüne als auch Linke haben mit ihren Anträ- gen richtigerweise dargelegt, dass wir in vielen deutschen Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich Städten und Gemeinden einen extrem angespannten sage auch: Vorsicht! Viel hilft nicht immer viel. Wir Miet- und Wohnungsmarkt haben. Die richtigen Schlüsse müssen vorsichtig mit den Förderprogrammen umgehen, daraus haben sie nicht gezogen. Die Miet- und Immobili- damit wir den Markt nicht verzerren. Die Bauwirtschaft enpreise sind seit 2013, insbesondere in den Metropolen, ist derzeit schon an der Kapazitätsgrenze, und vieles von geradezu explodiert, und ein Ende dieser Entwicklung ist dem, was auf den Weg gebracht wird, wird unter Um- nicht abzusehen. ständen, wenn wir nicht aufpassen, eingepreist. Die Bundesregierung hat versprochen, bis 2021 Die preiswertere Möglichkeit, etwas für den Woh- 1,5 Millionen neue Wohnungen zu bauen. Davon werden nungsmarkt zu tun – und daran arbeiten wir; auf dem im Jahr 2018 gerade einmal 300 000 Wohnungen reali- Wohngipfel haben wir die entsprechenden Maßnahmen siert. Wie dann in den kommenden drei Jahren jeweils festgelegt –, ist, dass wir am Ordnungsrecht arbeiten. 400 000 Wohnungen pro Jahr erstellt werden sollen, wird Dazu gehört das Mietrecht. Aber ich sage auch: Eine Än- wohl ein Geheimnis dieser Regierung bleiben. derung des Mietrechts ist auf Dauer keine Lösung. Das hilft nur, die derzeit schwierige Situation – Chris Kühn (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2018 6197

Udo Theodor Hemmelgarn (A) Das deutsche Bauhauptgewerbe ist aus Kapazitätsgrün- Zwei Punkte wurden von den Grünen gar nicht be- (C) den dazu jedenfalls nicht in der Lage. leuchtet, obwohl diese für eine wesentliche Entspannung auf dem Wohnungsmarkt sorgen würden. Erstens. Es Aber wie ist es zu dieser Wohnraummisere gekom- befinden sich noch immer mehr als 500 000 geduldete, men? Die wichtigsten Ursachen sind: Erstens. Die ak- abgelehnte Asylbewerber in unserem Land. tiven Bürger werden durch die Vernachlässigung der Infrastruktur vom Land und aus den kleinen Städten ver- (Zurufe von der SPD, der LINKEN und dem trieben. Zweitens: die gewollte Freizügigkeit für Arbeit- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nehmer und Selbstständige innerhalb der EU. Drittens: Es ist unsere verdammte Pflicht, dem Recht Geltung zu die enorme Einwanderung von mehr als 1,8 Millionen verschaffen meist illegaler sogenannter Flüchtlinge in unser Land. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD – Ulli Nissen [SPD]: Das musste ja wieder kommen!) und diese Menschen in ihre Heimatländer zurückzu- führen. Mehr als 1,8 Millionen Menschen sind darüber Die daraus folgenden Entwicklungen waren für die hinaus in unser Land geflüchtet, allein 700 000 aus Sy- Merkel-­Regierung immer klar erkennbar. Passiert ist rien. Ich frage mich daher, Herr Minister Seehofer: Hat nichts, absolut gar nichts. Diese Wohnraummisere war Ihr Ministerium jemals genau überprüfen lassen, ob eine vermeidbar. Rückführung in die Heimatländer möglich und zumutbar (Niema Movassat [DIE LINKE]: Das muss ist? ein schönes Leben sein, wenn man für jedes (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Problem einen Schuldigen hat!) NEN]: Nach Syrien? – Niema Movassat [DIE Der von den Grünen eingebrachte Antrag soll nun die LINKE]: Es geht hier um Wohnen und nicht bestehenden Wohnprobleme lösen, wird er aber nicht, um Flüchtlingspolitik!) weil vielfach die Kapazitäten dafür nicht vorhanden sind – Moment. Ich entscheide selber, was ich sage. Dass Sie und Sie recht unverhohlen die Investoren, die Sie für die das nicht ertragen, weiß ich. – Denn es ist grundsätzlich Realisierung brauchen, vor den Kopf stoßen. Das Motto zu beachten: Asyl ist Schutz und Hilfe auf Zeit. müsste an sich lauten: Gemeinsam mit den Investoren diese Wohnraummisere bekämpfen. Sie jedoch wollen Kollegen und ich haben Syrien im März dieses Jahres die Mietpreisbremse verstärken, Modernisierungen er- bereist, um festzustellen, ob eine Rückkehr der bei uns schweren, die Umlagefähigkeit der Grundsteuer abschaf- lebenden Syrier möglich ist. fen, den Kündigungsschutz ohne Augenmaß ausweiten, (Niema Movassat [DIE LINKE]: Falscher (B) (D) Neu- und Ausbauten um eine weitere teure Klimakompo- Tagesordnungspunkt! Es ist nicht das Thema nente erweitern. Das alles sind Mittel aus der sozialisti- Syrien!) schen Mottenkiste. Sie werden den Wohnungsbau weiter verteuern und erschweren. Das syrische Territorium ist zu mehr als 90 Prozent be- friedet. Allein in diesem Jahr sind laut „Zeit Online“ (Beifall bei der AfD – Christian Kühn [Tübin- mehr als 1 Million Syrer aus dem Ausland in ihre Heimat gen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Pein- zurückgekehrt. lich! Ihre Wohnungspolitik ist peinlich!) (Niema Movassat [DIE LINKE]: Ziehen Sie In dieser Wohnraummisere braucht dieses Land Lö- doch nach Syrien! – Katharina Willkomm sungen, die das Wohnen dauerhaft günstiger machen und [FDP]: Reden Sie doch mal zur Sache!) die schnell Wohnraum schaffen. Das sind: nachhaltige Unterstützung der Städte und Gemeinden bei der Bereit- Wenn das von dort aus möglich ist, warum ist das nicht stellung von Bauland, Abschaffung der Grundsteuer und aus Deutschland möglich? der Grunderwerbsteuer bei voller Kompensation durch (Beifall bei der AfD) den Bund, Syrien braucht diese Menschen für den Wiederaufbau (Beifall des Abg. Albrecht Glaser [AfD]) des Landes, und die hier lebenden Syrer brauchen ihre Verstärkung der Subjektförderung im sozialen Woh- Heimat. nungsbau, Vielen Dank. (Lachen des Abg. Bernhard Daldrup [SPD]) (Beifall bei der AfD – Niema Movassat [DIE zeitnahe Wohngelderhöhungen, zeitlich befristete Mehr- LINKE]: Das sind wieder die Assad-Freunde!) wertsteuerbefreiung für Leistungen bei der Erstellung von Sozialwohnungen, ideologiefreie Dämmvorschriften Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: und natürlich Außerkraftsetzung der jetzigen Energieein- Die Kollegin Ulli Nissen spricht für die SPD-Fraktion. sparverordnung. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der AfD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns doch ge- Ulli Nissen (SPD): meinsam ein Moratorium über die EnEV vereinbaren, bis Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und wieder ausreichend Wohnraum vorhanden ist. Kollegen! Bezahlbares Wohnen ist ein gewaltiges Pro- 6198 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 56 Sitzung Berlin, Freitag, den 12 Oktober 2018

Ulli Nissen (A) blem. Gerade hat die Pestel-Studie festgestellt, dass in der Stadtregierung. Nun dürfen bei der ABG die Mieten (C) keinem Flächenland das Defizit an bezahlbarem Wohn- nicht mehr als 1 Prozent pro Jahr erhöht werden. raum so groß ist wie in Hessen. Hier regiert seit 19 Jah- ren die CDU, die letzten fünf Jahre zusammen mit den (Beifall bei der SPD) Grünen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Thorsten (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ Schäfer-Gümbel neuer hessischer Ministerpräsident DIE GRÜNEN]: Wir reden über den Bund, wird, dürfen bei allen hessischen Wohnungsbauunterneh- nicht über Hessen!) men mit Landesbeteiligung die Mieten auch nur noch um 1 Prozent pro Jahr erhöht werden. Spekulanten wurde Tür und Tor geöffnet. Letzte Wo- (Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- che war ich in zwei frisch verkauften Wohnhäusern im NEN]: Wahlkampf hier für Hessen!) Frankfurter Nordend. Leider gibt es viele ähnliche Fälle. Ich lerne immer mehr Betroffene kennen. Am 21. Okto- Das finde ich großartig. ber, 15 Uhr, mache ich im Frankfurter Nordend einen „Rundgang des Grauens – Den Miethaien auf der Spur“. (Beifall bei der SPD) Die neuen Eigentümer versuchen, die Häuser zu ent- Als rot-schwarze Bundesregierung haben wir wich- mieten. In der Schwarzburgstraße 54 sind jetzt schon tige Beschlüsse auf den Weg gebracht. Ich nenne nur sieben von neun Wohnparteien vertrieben worden. Die einige Punkte: Wir deckeln künftig die Möglichkeit der Modernisierungsankündigungen mit angedrohten Miet- Mieterhöhung nach Modernisierung auf maximal 3 Euro erhöhungen von über 220 Prozent – 11 Euro Erhöhung pro Quadratmeter – und dies für einen Zeitraum von pro Quadratmeter – haben das geschafft. Zum Glück sind sechs Jahren. Auf diese Umsetzung warten die Men- die verbliebenen Mieterinnen und Mieter widerspenstig. schen dringend, liebe Kolleginnen und Kollegen. Auch Sie haben meine große Unterstützung, unter anderem wichtig: Das gezielte Herausmodernisieren soll künftig Frau Schult. Sie ist 72 Jahre alt, schwerbehindert – eine mit 100 000 Euro Bußgeld belegt werden. Dies muss pro beeindruckende Frau, die seit Jahrzehnten in dem Haus Wohnung gelten. wohnt und dort selbstverständlich nicht weg will. In der Neuhofstraße versucht der neue Eigentümer die „Vertrei- (Beifall bei der SPD) bung“ auf ähnliche Art und Weise. Von der Wingertstra- Das wären dann in der Schwarzburgstraße immerhin ße 21 und deren unerträglichem Miethai habe ich schon 700 000 Euro. Ich persönlich könnte mir aber durchaus öfter erzählt. noch höhere Bußgelder vorstellen. Das Herausmoderni- (B) sieren darf sich nicht mehr lohnen. (D) Der Bund gibt den Ländern einige Möglichkeiten, um den Menschen zu helfen. In Hessen wurden diese lei- Die Mietpreisbremse wird verschärft. Wichtig dabei: der bisher nicht genutzt. Liebe Grüne, allein Anträge zu Wir müssen sie dringend entfristen. schreiben, genügt nicht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des (Beifall bei der SPD – Christian Kühn [Tübin- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) gen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wahl- kampfpapiere schreiben, Frau Nissen, auch Der Beobachtungszeitraum für die ortsübliche Ver- nicht!) gleichsmiete soll von vier auf sechs Jahre erhöht werden. Dies würde zu einer unmittelbaren Absenkung der orts- Die Betroffenen sind empört, dass die hessischen Grünen üblichen Vergleichsmiete führen. Die Mietbelastung der in ihrer Regierungsbeteiligung mit der CDU nicht alles Menschen ist im Augenblick viel zu hoch. getan haben, um die Situation der Mieterinnen und Mie- ter zu verbessern. Warum wurden die Möglichkeiten des (Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt!) Baugesetzbuches nicht genutzt, Die SPD will, dass niemand mehr als ein Drittel seines (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Einkommens für die Miete ausgeben muss. das einen Genehmigungsvorbehalt bei der Umwandlung Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf dem Wohngip- von Miet- in Eigentumswohnungen ermöglicht? Warum fel haben wir gute Beschlüsse gefasst. Diese müssen wir nicht, Herr Kühn? Warum gilt in Hessen unter Grün- jetzt schnellstens umsetzen, das erwarten die Menschen Schwarz eine Kündigungssperrfrist von nur fünf Jahren, von uns. obwohl Mieterinnen und Mieter auch zehn Jahre vor Ei- Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. genbedarfsklagen geschützt werden könnten? Warum, Herr Kühn? (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Warum haben sich die Grünen in Frankfurt gegen die Die nächste Rednerin ist die Kollegin Katharina Mietenbremse bei der ABG Frankfurt Holding, die mehr ­Willkomm, FDP-Fraktion. als 50 000 Wohnungen hat, gewehrt, als sie in Alleinre- gierung mit der CDU waren? Jetzt ist die SPD Mitglied (Beifall bei der FDP) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2018 6199

(A) Katharina Willkomm (FDP): Aber nur, weil man mit einem Thema anders umgeht als (C) Horst Seehofer, macht man es nicht automatisch richtig. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für den Antrag der Grünen spricht, dass er (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zum Teil Reparaturbedarf und -möglichkeiten zutreffend NEN]: Nein, man kann es auch falsch ma- beschreibt, um den Tanker Wohnungsmarkt wieder flott- chen! – Christian Kühn [Tübingen] [BÜND- zumachen. Ihre Ansätze zur Schaffung von Neubau und NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist schon mal Ausbau gehen vielfach in die richtige Richtung. gut, nicht wie Horst Seehofer zu sein!)

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zum Inhalt nur einen Punkt. Was ist das für ein Ver- ständnis von sozialer Marktwirtschaft, die Maklerprovi- Gegen Ihren Antrag spricht das zugrundeliegende sion gesetzlich zu deckeln? Und das in einem Entwurf, Weltbild vom Verhältnis zwischen Mieter und Vermieter. in dem Sie selbst schreiben, in den Niederlanden liege Es ist aus der Zeit gefallen. Durch Ihren Antrag weht ein die Provision zwischen 1 und 2,5 Prozent – als Ergebnis Hauch Charles Dickens, wenn Sie auf der einen Seite nur freien Aushandelns zwischen den Parteien. Liebe Grüne, schutz- und wehrlose Mieter sehen und auf der anderen Sie haben ein Problem damit, Wünsche, Wirkung und Seite geldgierige, geradezu scroogehaft böse Vermieter. Wirklichkeit zu unterscheiden. (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Das ist aber NEN]: Selbst das Kartellamt sagt, der Markt eine Spirale!) funktioniert so nicht!) Sie fordern eine quasi ausnahmslose, zeitlich verlänger- Deswegen lehnen wir Freien Demokraten Ihren Vor- te Mietpreisbremse, auf dass der Vermieter den Mieter schlag ab. nicht bis aufs letzte Hemd ausnehme. Dabei sind es doch Vielen Dank. zu zwei Drittel private Vermieter, die den Wohnraum in Deutschland überhaupt zur Verfügung stellen, (Beifall bei der FDP) (Zuruf der Abg. Nicole Gohlke [DIE LINKE]) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Für die Fraktion Die Linke hat das Wort die Kollegin die vor allem ein gedeihliches, langfristiges Mietverhält- Nicole Gohlke. nis wollen und die ihre Mietwohnung nicht als Invest- (Beifall bei der LINKEN) (B) ment sehen, aus dem die maximale Rendite rausgeholt (D) werden soll. Sie sollten erkennen, dass eine den Woh- nungsmarkt hermetisch abdichtende Mietpreisbremse Nicole Gohlke (DIE LINKE): dazu führt, dass das Wohnungsangebot kleiner statt grö- Danke schön. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen ßer wird; und Kollegen! Ja, die Wohnungsfrage ist wieder zu der sozialen Frage geworden, und sie treibt Familien, älte- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – re Menschen, aber auch Singles oder junge Menschen in Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ausbildung oft in ganz existenzielle Nöte. NEN]: Das ist doch Quatsch!) Die explodierenden Mieten – sie spalten diese Ge- denn Deckelung ist Gängelung, und das lässt nicht je- sellschaft und führen zu massenhafter Verdrängung. Die der Vermieter bis zum Exitus mit sich machen. Und wer sogenannte Mietpreisbremse der Großen Koalition hat kommt dann in die weniger werdenden freien Wohnun- daran nichts geändert. In meiner Heimatstadt München gen – bei gleichem Bedarf? Das ist am Ende noch eher liegt der durchschnittliche Mietpreis mittlerweile bei als bisher das kinderlose Doppelverdienerpaar und nicht 18 Euro pro Quadratmeter – 18 Euro! die junge Familie mit den drei Kindern, für die Sie zu ( [DIE LINKE]: Wahn- kämpfen vorgeben. Es hilft nur eines: Die Mietpreis- sinn!) bremse muss weg, und dann: Bauen, bauen, bauen! Die Kaufpreise sind innerhalb von zehn Jahren um (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zu- 150 Prozent gestiegen, die Mieten um über 60 Prozent. ruf von der SPD: Unfug! – Niema Movassat Studierende müssen in München derzeit 600 Euro im [DIE LINKE]: Das ist wirklich unfassbar! Die Monat oder mehr für ein Zimmer auf den Tisch legen. Rede verbreiten wir mal in München!) Das ist einfach irre, diese Zahlen sind wahnsinnig!

Auch Ihr Gesetzentwurf zum Bestellerprinzip ist Licht (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) und Schatten. Was die Grünen mit der Bundesjustizminis- terin eint, ist die Begeisterung für die Einführung des Be- Ich will es auch einmal deutlich sagen: Was wir der- stellerprinzips – anders als Frau Dr. Barley, die hier Horst zeit am Wohnungsmarkt erleben, das ist Erpressung und Seehofer als Ankündigungs- und Dann-doch-nicht-Voll- Enteignung von Mieterinnen und Mietern, und dass diese zugsminister nacheifert, trauen sich die Grünen wenigs- Regierung nach fünf Jahren Amtszeit immer noch keine tens, schwarz auf weiß hinzuschreiben, was sie wollen. Antwort darauf hat – außer ein paar warmen Worten und 6200 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 56 Sitzung Berlin, Freitag, den 12 Oktober 2018

Nicole Gohlke (A) einer Showveranstaltung vor zwei Wochen –, das ist ein- Emmi Zeulner (CDU/CSU): (C) fach nur bodenlos. Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- nen und Kollegen! Wir beraten heute einen Gesetzent- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – wurf und mehrere Anträge von Bündnis 90/Die Grünen Emmi Zeulner [CDU/CSU]: Das stimmt doch und von den Kollegen von den Linken. Das Thema ist – nicht!) viele haben es angesprochen; wie unser Bundesinnenmi- nister Seehofer ebenfalls immer sagt – eine der sozialen Wohnimmobilien sind zum Spekulationsobjekt ge- Fragen unserer Zeit. Ich sage nicht „die soziale Frage worden, und dass dies so möglich ist, hat viele Ursachen. unserer Zeit“; denn wir haben noch andere Themen: Es liegt aber auch daran, dass die Eigentümer fast freie Pflege und viele, viele weitere. Es ist das Wohnen, und Hand bei der Festlegung der Mieten haben und die Mie- hier muss es der Politik gelingen – erstens –, Menschen terinnen und Mieter oft überhaupt keine andere Wahl zu Wohneigentum zu verhelfen. Deshalb freue ich mich, haben als zu bezahlen; denn Umziehen ist bei den der- dass das Baukindergeld so gut nachgefragt wird und für zeitigen Neumieten natürlich keine Alternative. Das kann alle Familien 12 000 Euro pro Kind auf zehn Jahre zur sich kein Mensch leisten. Verfügung stehen. (Beifall bei der LINKEN) (Niema Movassat [DIE LINKE]: Das hilft in Eigentum verpflichtet aber – und Wohneigentum in München auch niemandem!) besonderem Maße; denn Wohnen ist eben ein Grundbe- dürfnis. Wer Menschen das Dach über dem Kopf nehmen Wir als CDU/CSU hätten uns aber noch mehr vorstellen will, der muss in die Schranken gewiesen werden. Das können und haben dies in Bayern auch so getan. Des- ist geradezu ein Auftrag des Grundgesetzes, und es liegt halb erhält eine Familie in Bayern mit zwei Kindern zu- im Interesse von Millionen von Menschen, die heute mit sätzlich 38 000 Euro, also eine Gesamtunterstützung für ihrem hart verdienten Einkommen irgendwelchen Immo- Wohneigentum von 50 000 Euro. Denn so sieht ernstge- bilienspekulanten die Taschen vollmachen müssen. meinte Unterstützung von Familien für uns aus. (Beifall bei der LINKEN) Neben dem Wohneigentum geht es uns aber – zwei- tens – darum, die Interessen von Mietern und Vermietern Kolleginnen und Kollegen, es ist höchste Zeit, Mieter- auszugleichen. Wie Sie wissen, werden im Mietbereich höhungen einen Riegel vorzuschieben und sie auf einen rund 60 Prozent aller Wohnungen von ungefähr 3,9 Mil- Inflationsausgleich zu beschränken. lionen privaten Kleinvermietern angeboten, und ich wür- (Zuruf der Abg. Ulli Nissen [SPD]) de mir wünschen, dass Sie in Ihren Anträgen den Einsatz (B) unserer Kleinvermieter einmal anerkennen, (D) Das wäre ein einfacher Weg und für alle Beteiligten nach- vollziehbar: keine Schlupflöcher, keine Ausnahmen – die (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Ihre Mietpreisbremse hat –, keine Geheimniskrämerei Udo Theodor Hemmelgarn [AfD]) mehr. Mieterinnen und Mieter brauchen im Übrigen dann auch keinen Anwalt mehr, um Klarheit über ihre eigenen anstatt dass Sie Ihre einseitige Klientelpolitik betreiben, Rechte zu bekommen. Das wäre doch wirklich das Min- um pauschal zu suggerieren, dass alle Vermieter etwas deste. Schlechtes im Sinne haben; denn zwischen Mietern und Vermietern kann auch ein wertschätzendes Klima beste- (Beifall bei der LINKEN) hen. Ich persönlich habe kein Interesse daran, die eine In vielen Städten treiben die steigenden Mieten Men- Seite gegen die andere Seite auszuspielen. schen mittlerweile auf die Straße. In München hatten (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU wir gerade die größte Mieten-Demo jemals unter dem sowie des Abg. Udo Theodor Hemmelgarn Motto „#ausspekuliert“. Die Menschen organisieren sich [AfD]) und wehren sich dagegen, dass ihnen ihre Städte und ihr Wohnraum weggenommen wird – und damit haben sie Wir als Deutschland sind eine historisch gewachsene verdammt recht! Mieternation. Deswegen setze ich mich selbstverständ- (Beifall bei der LINKEN) lich auch für einen starken Mieterschutz ein, den wir im Vergleich zu anderen Ländern auch haben. Mit dem Es ist höchste Zeit für den Schutz von Mieterinnen und Mietrechtsanpassungsgesetz stärken wir diesen noch Mietern. Es ist höchste Zeit, für ihre Interessen zu kämp- weiter; denn ja, wir haben ein Problem mit steigenden fen. Stimmen Sie dem Antrag der Linken zu! Wohnraum Mieten, und wir nehmen das ernst. Und ja, na klar, auch ist zum Wohnen da und nicht zum Spekulieren. wir sind gegen das Herausmodernisieren aus Wohnun- Vielen Dank. gen. Den Regierungsentwurf dazu diskutieren wir in der nächsten Woche hier im Plenum. (Beifall bei der LINKEN) Was die Linken, die Grünen und Teile der SPD mit Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: ihrem Mietenstopp fordern, würde dazu führen, dass wir jeglichen Preismechanismus aushebeln; aber damit lösen Die Kollegin Emmi Zeulner ist die nächste Rednerin wir noch lange nicht das Problem. Was würde passieren? für die CDU/CSU-Fraktion. Wir würden die Mieten in den überhitzten Gebieten ein- (Beifall bei der CDU/CSU) frieren, und aufgrund dieser Tatsache würde die Nachfra- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2018 6201

Emmi Zeulner (A) ge, wie das jetzt schon der Fall ist, weiter steigen, sich Ja, Sie haben recht: Es ist Oberfranken. (C) wahrscheinlich sogar noch potenzieren. Danke schön. (Zuruf der Abg. Nicole Gohlke [DIE LINKE]) (Beifall bei der CDU/CSU – Niema Movassat [DIE LINKE]: Die Rede zeigt, warum die Außerdem bestünde keinerlei Anreiz mehr, private In- CSU ihr Waterloo erleben wird am Sonntag!) vestitionen im Wohnungsbereich zu tätigen. Das haben inzwischen alle erkannt. Auch der Deutsche Mieterbund sagt, dass wir das Problem ohne privaten Wohnungsbau Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: nicht lösen werden; Der Kollege Frank Magnitz ist der nächste Redner für die AfD-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der AfD und der FDP) (Beifall bei der AfD) denn wir müssen vor allem mehr bauen, um die Nach- frage zu decken. Das werden wir zum Beispiel durch die Frank Magnitz (AfD): degressive Sonderabschreibung anreizen sowie durch Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Werte Maßnahmen für günstigeres Bauen und durch Bauland- Zuschauer! Die Bundesregierung hat festgestellt: Die mobilisierung. Mieten steigen, und das Volk wird langsam unruhig. Oh Ich möchte aber ganz klar formulieren: Auch das wird Wunder! Und was tut die Bundesregierung? Nachdem nicht ausreichen; denn das Wachstum in den Ballungs- alle Regierungen der letzten 20 Jahre stehend geschla- gebieten hat Grenzen, was zum Beispiel das Bauland fen haben, verfällt man jetzt in Panik, und zwar Panik angeht. Auch die soziale Infrastruktur muss mitwachsen. vor dem drohenden Machtverlust. In wildem Aktionis- Davon können Sie in Berlin ein Lied singen. Gerade des- mus rudert man herum und will mit einem Bündel völ- wegen ist der Preis in Form der Miete ein geeignetes In- lig ungeeigneter Maßnahmen die Lage in den Griff be- strument, weil dadurch günstigere Standorte eine Chance kommen. Der jüngst veranstaltete Wohngipfel war so ein bekommen. Auswuchs. Das Ergebnis ist ein bunter Strauß von Maß- nahmen, die alle am eigentlichen Problem vorbeigehen. Es geht also auch in diesem Bereich um Chancen- gleichheit. Es macht doch keinen Sinn, vorhandene In- (Bernd Riexinger [DIE LINKE]: Nämlich an frastrukturen im ländlichen Raum leer stehen zu lassen der Flüchtlingsfrage!) und auf der anderen Seite in Ballungsgebieten nicht hin- (B) terherzukommen. Deswegen liegt eine Antwort auf die Das ist eine Gemeinsamkeit mit den heute vorliegenden (D) soziale Frage unserer Zeit in der Stärkung des ländlichen Anträgen von Grünen und Linken: Keiner kommt einer Raums. Der Bund muss, wie in Bayern praktiziert, ein Problemlösung auch nur ansatzweise nahe. Programm für ganz Deutschland auflegen, das es den (Beifall bei der AfD – Ulli Nissen [SPD]: Kommunen ermöglicht, mit einem sehr hohen Förder- Haben Sie die Lösung?) satz – bei uns sind es 90 Prozent – den Erwerb und Abriss von alten Gebäuden zu tätigen, um Wohnraum entstehen – Die AfD hat Antworten, jawohl. Hören Sie gut zu, dann zu lassen. Zum Paket gehört, wie erwähnt, dann auch können Sie eine Menge erfahren. eine gute Infrastruktur. Zwingende Voraussetzung für einen Lösungsansatz ist Wir als CSU bauen keine Straßen aus Prinzip, wie uns das Erkennen der eigentlichen Ursache des Problems. manchmal vorgeworfen wird, sondern damit Menschen schnell von A nach B kommen und auch Unternehmer (Ulli Nissen [SPD]: Jetzt kommt es höchst- im Wettbewerb ihre Arbeitsplätze im ländlichen Raum wahrscheinlich!) erhalten können. Das führt dazu, dass Familienverbünde über alle Generationen zusammenbleiben können. Des- Neben der sträflichen Untätigkeit aller Regierungen der wegen muss es weiter gelingen, eine funktionierende letzten 20 Jahre hinsichtlich vorausschauender und be- Infrastruktur von wohnortnaher Kinderbetreuung, ärzt- darfsgerechter Planung haben ebendiese Regierungen licher Versorgung, Krankenhäusern, Pflegeeinrichtun- unisono die heutige Situation aktiv herbeigeführt. gen, Bildungseinrichtungen, einem guten öffentlichen (Beifall bei der AfD – Daniela Wagner Personennahverkehr, Kultur- und Freizeitangeboten zu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben stärken oder zu etablieren. Und kommt dann noch der noch nicht von Flüchtlingen geredet!) Glasfaseranschluss im Haus dazu, sind das fast unschlag- bare Argumente für den ländlichen Raum. Wir werden Zählen wir einmal auf – ohne Anspruch auf Vollständig- junge Familien anreizen, dorthin zu ziehen. Jetzt fragen keit und ohne Berücksichtigung der schon weit früher Sie sich wahrscheinlich: Gibt es vielleicht schon einen gemachten gravierenden Fehler –: solchen Ort in Deutschland? 2002: Euro-Einführung. Konsequenz: Alles teurer, das (Zuruf von der LINKEN: In Bayern? – Nicole Realeinkommen sinkt. Gohlke [DIE LINKE]: Ich komme aus Mün- chen! Ich weiß das ganz genau! Da ist er näm- (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: lich nicht!) Quatsch!) 6202 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 56 Sitzung Berlin, Freitag, den 12 Oktober 2018

Frank Magnitz (A) 2011: Einführung der Niederlassungsfreiheit. Konse- Der Antrag der Linken verfällt mal wieder in altbe- (C) quenz: Einwanderung in die Sozialsysteme und in den kannte sozialistische Muster: Regulierung, Deckelung, Wohnungsmarkt. Beschneidung der Freiheit. Merke: Marktgesetze hebelt man nicht aus. Das funktioniert nicht. Oder ist das die (Ulli Nissen [SPD]: Da haben wir drauf ge- Sehnsucht nach alten DDR-Verhältnissen? Ruinen schaf- wartet!) fen ohne Waffen? Oder wie war das noch? Größenordnung: mehr als eine halbe Million Menschen (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Niema netto Zuwachs. Movassat [DIE LINKE]: Das zeigt mal wie- 2015: Willkürliche und rechtswidrige Öffnung der der, dass Sie eine Partei der Bonzen sind! – Grenzen. Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die AfD will nichts anderes (Niema Movassat [DIE LINKE]: Können Sie als einen eiskalten, brutalen Markt! Sie sind mal eine neue Schallplatte auflegen? Die ist neoliberal!) schon ausgeleiert!) Im Prinzip blasen unsere Grünen mit ihrem Antrag in Konsequenz: Einwanderung in die Sozialsysteme und das gleiche Horn: Es soll mal wieder mehr im sozialen den Mietmarkt in ungeahntem Ausmaß. Bereich gebaut werden. Die Frage ist allerdings: Durch (Beifall des Abg. [AfD]) wen? Per Beschluss entsteht kein Bauland, kein Planer, kein Bagger und schon gar kein Baufacharbeiter. 1,5 Millionen, 1,8 Millionen, 2 Millionen oder wohl doch etwas mehr? Keiner weiß Genaues; denn man hat sich (Beifall bei der AfD) nicht einmal die Mühe gemacht, zu zählen, geschweige Oder glauben Sie, die massenhaft eingewanderten Ärzte, denn, Identitäten zu klären. Ingenieure und Facharbeiter werden es richten? (Niema Movassat [DIE LINKE]: Können Sie (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zum Thema reden?) NEN]: Was für ein Quatsch!) Mit all diesen Menschen konkurrieren heute unsere Zum wiederholten Male: Entlasten Sie die Nachfra- Landsleute, und das auch noch zu asymmetrischen Be- geseite, dann entspannt sich auch der Mietmarkt. Wir dingungen. haben schon jetzt alle Anzeichen einer Immobilienblase. (Beifall bei der AfD – Niema Movassat [DIE Morgen, auf den Tag genau, jährt sich zum zehnten Mal LINKE]: Welche „asymmetrischen Bedingun- der Lehman-Brothers-Crash. Mit den heutigen Anträgen (B) gen“?) kommen wir einer Wiederholung in unserem Lande nä- (D) her. Der durchschnittliche Mehrer des Bruttosozialprodukts muss seine Miete nämlich selbst erarbeiten, während der Danke für die Aufmerksamkeit. Wirtschaftsmigrant die Miete aus den Steuergeldern er- (Beifall bei der AfD – Niema Movassat [DIE hält, die die Erstgenannten erwirtschaften. LINKE]: Mit solchen Reden läuft die AfD auf (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Christian ihren Crash zu!) Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das ist eine Lüge! Das wissen Sie!) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: – Woher kommt das denn? Träumen Sie bitte weiter. – Der nächste Redner ist für die Fraktion der SPD der Das führt neben der grundsätzlichen Problematik auf Kollege Dr. Johannes Fechner. dem Mietmarkt auch noch zu Mietpreissteigerungen, (Beifall bei der SPD) nicht nur durch die erhöhte Nachfrage, was ein reines Marktgesetz wäre, sondern auch einfach dadurch, dass (SPD): dem Wirtschaftsmigranten die Höhe der Miete völlig Dr. Johannes Fechner gleichgültig ist. Er bekommt sie ja ohne eigene Leistung Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie- bezahlt. be Zuschauerinnen und Zuschauer! Es ist bezeichnend: Der Vorredner hatte vier Minuten, und außer billiger (Beifall bei der AfD – Niema Movassat [DIE Flüchtlingshetze hatte er nichts zu bieten. Kein einziger LINKE]: Das stimmt doch gar nicht! Das ist Satz, wie Sie mehr sozialen Wohnraum schaffen wollen Hetze! Das ist falsch!) und was Sie gegen steigende Mieten tun wollen. Es ist – Nein, natürlich nicht. Träumen Sie weiter! einfach nur peinlich, was Sie auch bei diesem Thema ab- liefern. Kommen wir zu pragmatischen Erwägungen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der DIE GRÜNEN]: Reden Sie doch mal zu den CDU/CSU, der FDP und der LINKEN) Anträgen!) Meine Damen und Herren, nicht nur in den Großstäd- Wir bevorzugen als schnellen Lösungsansatz die Sub- ten steigen die Immobilienpreise und die Mietpreise zum jekt- statt der Objektförderung, also die Ausweitung und Teil sehr stark. Wenn Familien die Hälfte ihres Einkom- Erhöhung des Wohngeldes. Das wirkt nämlich sofort. mens für die Miete ausgeben müssen und wenn selbst Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2018 6203

Dr. Johannes Fechner (A) Normalverdiener sich in zentralen Wohnlagen keine um sie vor überzogenen Mieten zu schützen, liebe Kolle- (C) Wohnung mehr leisten können, ginnen und Kollegen. (Martin Hebner [AfD]: Dann sind Sie schuld (Beifall bei der SPD) daran!) Auf dem Wohnungsgipfel wurde noch mehr verein- dann zeigt uns das, wie groß der Handlungsbedarf ist und bart. Da wurde vereinbart, dass wir den Betrachtungs- dass wir zwei Sachen tun müssen: Wir müssen mehr bau- zeitraum für den Mietspiegel von vier auf sechs Jahre en, wir müssen mehr bezahlbaren Wohnraum schaffen, ausweiten; das ist ein guter Schritt. Die SPD hat die und wir müssen Mieter vor explodierenden Mieten schüt- wichtige Maßnahme durchgesetzt, dass das Besteller- zen, liebe Kolleginnen und Kollegen. prinzip im Hinblick auf die Maklergebühren nicht nur bei der Miete, sondern auch beim Immobilienkauf gilt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Auch das wird gerade junge Familien entlasten, die sich eine Immobilie kaufen wollen. Mehr bezahlbaren Wohnraum schaffen wir, indem wir den sozialen Wohnraum massiv ausbauen. 5 Milliarden Ich möchte hier ganz deutlich sagen: Man kann sich Euro stellen wir in dieser Legislaturperiode für den so- darüber streiten, ob beim Wohnungsgipfel noch mehr zialen Wohnungsbau zur Verfügung. Mit dem Baukin- hätte herauskommen müssen; aber es sind wichtige dergeld unterstützten wir gerade junge Familien beim Schritte beschlossen worden. Es geht mir gewaltig auf Immobilienkauf. Auch eine vernünftige Regelung zur die Nerven, wenn der Kollege Luczak sagt, dass sich die steuerlichen Abschreibung kann für mehr bezahlbaren Unionsfraktion nicht an diese Ergebnisse gebunden sieht, Wohnraum sorgen. Sie sehen: Wir tun sehr viel, um be- weil man nicht eingebunden war. Das nervt. Das kann zahlbaren Wohnraum in Deutschland zu schaffen. nicht sein. Wir haben uns hier geeinigt. All diese wich- tigen Maßnahmen, die im Rahmen des Wohnungsgipfels (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des vereinbart wurden, werden wir umsetzen. Darauf werden Abg. Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]) wir bestehen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Aber bis dieser Wohnraum geschaffen ist – das ist der (Beifall bei der SPD) entscheidende Punkt –, müssen wir Mieter und Miete- Aber wir brauchen noch weitere Schritte. Zu Recht rinnen vor explodierenden Mieten schützen, liebe Kol- wird in Ihrem Antrag – das will ich ausdrücklich un- leginnen und Kollegen. Deshalb ist es gut, dass Minis- terstützen – eine Verschärfung bzw. Verbesserung der terin Barley den Gesetzentwurf nach der Sommerpause Mietpreisbremse gefordert. Wir haben deutschlandweit vorgelegt hat, sodass wir nun viele wichtige Maßnahmen Urteile, die zeigen, dass sich Mieterinnen und Mieter (B) gegen Herausmodernisierungen und dagegen, dass Mie- mit unserem Gesetz gegen explodierende Mieten weh- (D) ten wegen zu hoher Modernisierungsumlagen steigen, ren könnten; aber der Mieter muss wissen, wie hoch die treffen können. Vormiete war. Wenn die Miete überhöht war, muss er jeden Cent zurückbekommen, der überzahlt wurde. Vor Zukünftig wird die Umlage von Modernisierungskos- allem muss dieses Gesetz deutschlandweit gelten. Die ten nicht mehr zu 11 Prozent, sondern nur noch zu 8 Pro- unionsgeführte Regierung in Nordrhein-Westfalen lässt zent möglich sein. Besser wären, wenn es nach uns ginge, die Mietpreisbremse einfach auslaufen. Ich finde, das ist 6 Prozent. Außerdem führen wir erstmals einen Deckel ein Schlag ins Gesicht für alle Mieterinnen und Mieter, ein. Die Umlagekosten werden nicht mehr dazu führen liebe Kolleginnen und Kollegen. können, dass die Mieten deutlich explodieren. Hier füh- ren wir, wie gesagt, einen Deckel ein: Aufgrund von Mo- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dernisierungskosten können die Mieten nur um 3 Euro der LINKEN und der Abg. Katharina Dröge innerhalb von sechs Jahren pro Quadratmeter steigen. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Auch da ist noch nicht das letzte Wort gesprochen, Weil wir die Mieterinnen und Mieter nicht im Regen wenn ich höre, wie sich einige Unionsabgeordnete stehen lassen können, wenn sie mit Mietwucher kon- aus Baden-Württemberg und aus Bayern äußern. Frau frontiert sind, also bei den ganz extrem hohen Mieten, Zeulner, auch Sie haben ja Herrn Seehofer geschrieben. müssen wir hier eingreifen. Da muss der Staat als Ord- Heute hat sich das ganz anders angehört; Sie sind da ein nungsmacht eingreifen können. Wir müssen § 5 des Wirt- Stück weit umgefallen. schaftsstrafgesetzes entsprechend handhabbar ausgestal- ten, damit der Staat gegen Mietwucher vorgehen kann. (Emmi Zeulner [CDU/CSU]: Stimmt über- haupt nicht!) (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Aber wir werden Sie, was Ihren Brief angeht, beim Wort NEN]) nehmen. Wir wollen, dass Mieter, die in Zahlungsverzug ge- (Emmi Zeulner [CDU/CSU]: Habe ich doch raten, durch die Nachzahlung nicht nur eine fristlose, gesagt!) sondern auch eine ordentliche Kündigung aus der Welt schaffen können. Wir wollen für soziale Einrichtungen Sie haben Maßnahmen gefordert, wie sie auch Frau oder Vereine regeln, dass diese nicht dem Gewerbe- Barley vorschlägt. Lassen Sie uns diese wichtigen Schrit- mietrecht unterfallen, sondern auch in den Genuss des te für die Mieterinnen und Mieter doch zusammen gehen, sozialen Wohnungsrechts kommen, verbunden mit den 6204 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 56 Sitzung Berlin, Freitag, den 12 Oktober 2018

Dr. Johannes Fechner (A) entsprechenden Verbesserungen. All das werden wir im Es geht noch weiter: Es ist nicht nur so, dass Sie ihn (C) Rahmen der anstehenden Verhandlungen zum Mieter- bei der Auswahl der Wohnung bevorzugen. Sie bevor- schutzgesetz ausführlich beraten. Dann werden wir ent- zugen ihn auch noch, indem Sie ihn, wenn er die Woh- scheiden, welche dieser weiteren Maßnahmen für Miete- nung bekommen hat, durch eine Mietpreisdeckelung vor rinnen und Mieter wir noch aufnehmen. zu hohen Mieten schützen. Das ist keine Politik, die ich teilen kann, weil bei alledem offenbar wird: Sie knallen Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Situation auf hier mit Nebelkerzen durch den Reichstag. Das tun Sie dem Wohnungsmarkt ist dramatisch. Wir müssen mehr auch draußen auf der Straße, bei den Demos. Die Leute bezahlbaren Wohnraum schaffen, und wir müssen im In- bekommen das mittlerweile ja mit. All Ihre Reden deuten teresse der Mieterinnen und Mieter mehr dafür tun, dass darauf hin, dass Sie hier eigentlich soziale Komponenten die Mieten nicht weiter derart explodieren. einfließen lassen wollen. Aber Ihre Gesetze sagen nichts Vielen Dank. dazu. Legen Sie doch einmal einen Gesetzentwurf vor, in dem Sie konsequenterweise sagen: 30 Prozent der Mie- (Beifall bei der SPD) ten, die unter der Mietpreisdeckelung liegen, werden an Leute gegeben, die sich die Miete wirklich gerade so leis- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: ten können. – Das wäre wenigstens konsequent. Das hät- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie hier gere- te eine soziale Komponente. Das tun Sie aber überhaupt det haben und wieder auf Ihrem Platz sitzen, wäre es nett, nicht! So sieht es nämlich aus. wenn Sie dann auch den anderen Rednern zuhören und ihnen nicht den Rücken zudrehen und sich unterhalten (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Sören würden. Bartol [SPD]: So ein Quatsch!) Der nächste Redner ist der Kollege Hagen Reinhold, Dieses Spiel geht bei der Modernisierungsumlage FDP-Fraktion. weiter: Jetzt senken Sie sie von 11 Prozent auf 8 Prozent ab. Ich habe schon gedacht: Huch, wird der Arzt wieder (Beifall bei der FDP) geschützt? Jetzt muss er nicht mehr 11 Prozent, sondern nur noch 8 Prozent zahlen. Das ist ja genial! – Wenn man Hagen Reinhold (FDP): sich ansieht, wie es in Deutschland bisher war, stellt man Sehr geehrter Herr Präsident! Ich habe den Kollegen, fest: Die laufende Rechtsprechung hat dafür gesorgt, dass die vor mir gesprochen haben, ganz genau zugehört und die Leute, die sich die Modernisierungsumlage nicht leis- habe dazu – wen wundert es? – ein paar Anmerkungen zu ten konnten, davon ausgenommen wurden und dass die- machen. Zuerst einmal an die Kollegen der Linken. Ich jenigen, die sie sich leisten konnten, 11 Prozent gezahlt (B) muss sagen: Ihr Verständnis davon, was für Mieter eine haben. So haben die Starken die Schwachen gestützt. Das (D) Wohnung ist und welche Eigentumsrechte damit verbun- ist scheinbar keine Politik mehr für die SPD. Schauen Sie den sind, ist zumindest die konsequente Weiterführung mal, wo Sie damit hinkommen! Ihrer Politik. Das finde ich in Ordnung. Volkseigentum ist die Konsequenz dessen. (Beifall bei der FDP – Sören Bartol [SPD]: Quatsch, was Sie da erzählen!) (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich sage Ihnen: Ihre Absenkung auf 8 Prozent wird ausschließlich darauf hinauslaufen, dass versucht wird, Die Ergebnisse können Sie auf jedem Bild aus der DDR diese 8 Prozent nun von jedem einzutreiben und nicht von 1989 ablesen. Das ist nichts, was ich möchte. mehr nur von denen, die es sich, wie es vorher der Fall (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten war, leisten können. Man sieht: Die Union macht da auch der CDU/CSU) noch mit. Ich zitiere einmal – das ist ganz hübsch – aus einem Expertengespräch zum sozialen Wohnungsbau, Ich halte mich zu Anfang gar nicht so lange mit den das Anfang der Woche in diesem Haus stattgefunden Vorlagen der Grünen auf; denn wir haben von den Red- hat: Jeglicher Eingriff in den freien Wohnungsmarkt, der nern der Regierungsfraktionen ja schon gehört, was sie ohne eine Sozialkomponente erfolgt, führt zu weiteren so vorhaben. Ich frage mich: Hat die SPD eigentlich eine Verwerfungen, Kappungsobergrenzen, Mietpreisbrem- neue Zielgruppe? Die Umfragen deuten das ja schon ein sen, Kappung der Mietpreishöhe nach Modernisierung. – bisschen an. Denn die Mietpreisbremse hat, so wie sie Solche Eingriffe sind das. Das schreibt der Experte der ausgestaltet und weiter fortgeführt worden ist, überhaupt Union. Auch Sie sollten sich an das halten, was uns die keine Konsequenz für diejenigen, die wirklich dringend Experten, die Sie selber eingeladen haben, ins Stamm- Wohnraum brauchen. Sie schützen nicht die Kranken- buch geschrieben haben. schwester, sondern den Arzt, der unter den 200 Interes- senten ist, die vor der Wohnung stehen, und der als derje- (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ nige ausgewählt wird, der die Wohnung bekommt. DIE GRÜNEN]: Das war ein Experte von ei- nem Lobbyverband! Das muss man auch wis- (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Völliger sen!) Quatsch!) Ich stelle fest – meine Zeit geht langsam, aber sicher Die 199 anderen Interessenten gehen nach wie vor ohne zu Ende –: Die Möglichkeiten, die Sie haben, nutzen Wohnung nach Hause. Genau so ist es. Sie überhaupt nicht. Sie streuen den Leuten Sand in die (Beifall bei der FDP) Augen und sorgen nicht dafür, dass mehr Menschen den Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2018 6205

Hagen Reinhold (A) bezahlbaren Wohnraum, den sie brauchen, finden. Dafür Häuser aus Spekulationsgründen leerstehen. Es ist ein (C) müssten wir nämlich bauen, bauen, bauen. Akt der Notwehr, wenn sie diese Häuser besetzen. (Emmi Zeulner [CDU/CSU]: Nein, müssen (Beifall bei der LINKEN – Emmi Zeulner wir nicht!) [CDU/CSU]: Es ist ja wohl eine Sauerei! Also, es ist wirklich unerträglich!) Wir müssen dafür sorgen, dass die Leute den Wohnraum bekommen, die ihn wirklich verdient haben. All das tun – Ja, ich weiß, dass Sie sich mehr darüber empören, dass Sie nicht, und das fällt den Leuten auf. Sie werden die Menschen auf diesen Missstand aufmerksam machen, als Quittung dafür spätestens bei der Landtagswahl in Bay- über diejenigen, die mit der Not der Leute Geld machen ern bekommen. Noch haben Sie die Aussicht auf einen und spekulieren. Scherbenhaufen. Montagfrüh bzw. Sonntagabend wer- den Sie vor dem Scherbenhaufen stehen, weil die Leute (Beifall bei der LINKEN – Emmi Zeulner erkannt haben, dass Sie nur mit Nebelkerzen werfen und [CDU/CSU]: Das ist nicht okay, was sie ma- mehr nicht. chen!) Auf Wiedersehen! Natürlich wird das nicht die Probleme am Wohnungs- markt lösen. Die Mieten steigen, weil zu wenig bezahlba- (Beifall bei der FDP – Helin rer Wohnraum gebaut wird. [DIE LINKE]: Auf Wiedersehen! – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Jawohl!) NEN]: Kein Wort zum Grünenantrag!) Es fehlen 4 Millionen Sozialwohnungen. Die Bundesre- gierung hofft auf gerade einmal 100 000 Sozialwohnun- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: gen in den nächsten drei Jahren. Das ist nicht mehr als Der nächste Redner ist für die Fraktion Die Linke der ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir brauchen jährlich Kollege Bernd Riexinger. 250 000 zusätzliche Wohnungen mit langfristiger Sozi- (Beifall bei der LINKEN) albindung. (Beifall bei der LINKEN – Emmi Zeulner Bernd Riexinger (DIE LINKE): [CDU/CSU]: Dann machen Sie das jetzt in Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Berlin! Sie haben doch die Möglichkeit in Berlin!) Da sind die alten Ehepaare, die sich vor dem Tod (B) des Partners auch deshalb fürchten, weil sie die Wir fordern 10 Milliarden Euro jährlich für Bau und (D) Wohnung dann nicht mehr halten und eine neue Ankauf von Sozialwohnungen – öffentlich, genossen- nicht bezahlen können. Da sind die alleinerziehen- schaftlich und gemeinnützig. den Mütter, die sich das Leben kaum mehr leisten (Beifall bei der LINKEN – Alexander Graf können, weil mehr als die Hälfte ihres Einkommens Lambsdorff [FDP]: Volkseigentum!) für die Miete draufgeht. Und da sind die Frauen, die vom Frauenhaus zurück zu ihren sie prügelnden Die Maßnahmen, die Sie beim Wohngipfel abgefeiert Männern ziehen, weil sie keine bezahlbare Woh- haben, sind völlig ungenügend. Hier liegt Totalversagen nung finden. der Regierung vor. Sie verfolgt weiter die Ideologie des freien Marktes, wie wir es gerade auch von der FDP ge- (Torsten Schweiger [CDU/CSU]: Oh, oh!) hört haben. Das ist doch schiefgegangen. Schauen Sie So fassen die Autoren des Projektes „#MeineMiete“ die sich dagegen Wien an. Dort sind zwei Drittel in genos- katastrophale Lage auf dem deutschen Wohnungsmarkt senschaftlichem und gemeinnützigem Eigentum, und in zusammen. Das ist für ein reiches Land eine soziale Ka- dieser Weltstadt betragen die durchschnittlichen Mieten tastrophe. 4 Euro pro Quadratmeter. Das sollten wir uns zum Vor- bild nehmen. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- DIE GRÜNEN] – Simone Barrientos [DIE NIS 90/DIE GRÜNEN) LINKE]: So ist es!) Das hat funktioniert. Aber bei Ihnen hat nichts funktio- So kann es nicht weitergehen. Der Mietenwahnsinn niert. ist längst ein Problem der gesamten Gesellschaft. Rund 40 Prozent der Haushalte in den Großstädten zahlen Wir brauchen eine gesetzliche Begrenzung von Miet- mehr Miete, als sie sich leisten können. Etwa 1,3 Millio- erhöhungen bzw. einen echten Mietpreisdeckel. Das nen Haushalten bleibt nach der Mietzahlung weniger als kann nur ein erster und längst nicht ausreichender Schritt der Hartz-IV-Regelsatz. sein; aber das ist doch das Mindeste, was man von die- sem Hause erwarten können muss. (Simone Barrientos [DIE LINKE]: Das muss man sich mal vorstellen!) Danke schön. Menschen, die verzweifelt auf der Suche nach bezahlba- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- rem Wohnraum sind, müssen mit ansehen, wie nebenan neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 6206 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 56 Sitzung Berlin, Freitag, den 12 Oktober 2018

(A) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (C) Die Kollegin Daniela Wagner hat das Wort für Bünd- Frau Kollegin, es gibt zwei Wünsche nach Zwischen- nis 90/Die Grünen. fragen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nein, ich mache jetzt weiter. Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch der Städtetag zum Beispiel formuliert mittler- Gestern haben wir hier über Steuerentlastungen und Kin- weile einen Bedarf an deutlich längeren Bindungsfris- dergelderhöhung gesprochen. Alles, was Sie gestern hier ten. Das heißt, das Problem ist erkannt. Die Bindungs- diskutiert haben, ist heute schon aufgefressen von den fristen sind ja in den zurückliegenden 30 Jahren immer Mieterhöhungen von morgen. Das ist die Realität. kürzer geworden. Wir brauchen also nicht nur deutlich mehr Bundesmittel für Wohnraumförderung, sondern (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wir brauchen auch deutlich längere Bindungsfristen und Sie gehen zwar Schritte in die richtige Richtung, und ich letzten Endes am besten eine neue Gemeinnützigkeit, um merke, dass unser Druck, den wir seit Jahren machen, mindestens 100 000 Wohnungen dauerhaft preiswert zu auch hier im Haus Wirkung entfaltet, aber leider ist der halten. Markt viel zu sehr entfesselt, als dass diese Maßnahmen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ausreichen würden. Verehrte Damen und Herren, natürlich ist auch uns (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) klar, dass wir die Probleme auf dem Wohnungsmarkt nur lösen werden, wenn wir die Probleme im ländlichen Ein paar Worte an die liebenswerten Wahlkämpferin- Raum lösen, nen und Wahlkämpfer in Hessen: Euch ist sicher nicht entgangen, dass laut Staatssekretär gestern im Bauaus- (Emmi Zeulner [CDU/CSU]: Aber ohne Flä- schuss Hessen eines der drei Bundesländer ist, wo die chenverbrauch!) Wohnungsbaumittel am meisten erhöht wurden, gemeinsam mit den Wohnungsbauproblemen in den (Bernhard Daldrup [SPD]: In einem Jahr!) Großstädten. Wir müssen die Themen „Leerstand“ und „Attraktivität im ländlichen Raum“ angehen. Wir brau- wo es einen immensen Investitionsaufwuchs gibt, wo chen dort bessere Infrastruktur. Wohnungen gebaut werden und sogar so viel Geld zur Verfügung steht, dass die Kommunen mit der Bereitstel- (Emmi Zeulner [CDU/CSU]: Das wollen Sie (B) lung von Grundstücken nicht nachkommen. Wir tun da doch nicht! Keine Infrastruktur!) (D) wirklich etwas. Noch ein letzter Punkt: Was wir unbedingt in Angriff (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nehmen müssen, ist die bodenlose Bodenspekulation in unserem Land, Ich will auch Ihnen, liebe Kollegin Willkomm von der FDP, sagen: Ihre eigenwilligen Einlassungen zu unserem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vermeintlichen Weltbild – hier der böse Vermieter und sowie bei Abgeordneten der LINKEN) dort der bedauernswerte Mieter – die dazu geführt hat, dass man heutzutage überhaupt nicht (Katharina Willkomm [FDP]: Das ist doch mehr preiswert bauen kann, selbst wenn man preisbe- wahr! Sie stellen sie doch immer an den Pran- wusst baut, weil der Bodenpreis schon vorher eine Miete ger!) erzeugt hat, die keiner mehr bezahlen kann. Deswegen müssen wir uns dringend um das Thema Bodenpreise laufen völlig ins Leere. Wir wissen ganz genau, dass es kümmern und dieses Spiel, das zahlreiche Spekulanten Millionen ordentliche Kleinvermieter gibt, die ganz faire in unseren Städten treiben, dringend beenden. Mietpreise anbieten und selten die Mieten erhöhen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Von denen reden wir hier aber nicht, Kollegin. sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Katharina Willkomm [FDP]: Aber Sie tun so!) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Vielen Dank. – Ich lasse jetzt zwei Kurzinterventionen Wir reden von denjenigen, die uns Paläste aus Glas und zu. Der Erste ist der Kollege Timon Gremmels. Lieber Stahl in die Gegend klotzen, wo anschließend Nettokalt- Herr Kollege, Sie haben das Wort. mieten von 25 Euro verlangt werden und die die Grund- stücke lange vorher gekauft haben, spekulativ liegen Timon Gremmels (SPD): gelassen haben, den Planungsgewinn abgeschöpft und mit Gewinn weiterverkauft haben, damit das überhaupt Frau Kollegin Wagner, weil Sie gerade Hessen ange- gelingt. Das ist der Punkt. sprochen haben und auch aus Hessen kommen, möch- te ich fragen, ob es grüne Wohnungsbaupolitik ist – Sie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stellen ja dort die Wohnungsbauministerin –, wenn das sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Polizeipräsidium in Frankfurt für 220 Millionen Euro Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2018 6207

Timon Gremmels (A) höchstbietend verkauft wird und die Einnahmen daraus Deswegen habe ich viel Verständnis für das Anliegen, (C) nicht in die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum flie- den Koalitionsfrieden zu erhalten bzw. zu schaffen. ßen, sondern der Großteil der Einnahmen dazu verwen- det wird, den Landeshaushalt zu entlasten, indem man Zum Thema Frankfurt will ich nur sagen: Ich glaube, eine neue Universitätsbibliothek baut. Bibliotheken sind das ist nicht das Entscheidende. Entscheidend ist, dass wichtig; sie müssen aber aus dem Landeshaushalt bezahlt unsere Ministerin die Wohnungsbaumittel in Hessen ver- werden. Ist es richtig, dass es grüne Wohnungsbaupolitik vierfacht hat und dass damit in Hessen in nicht gekann- ist, das Geld nicht in das zu investieren, was im Rhein- tem Ausmaß und in nicht gekanntem Tempo die Woh- Main-Gebiet dringend gebraucht wird, nämlich Wohnun- nungsbauförderung voranschreiten konnte. Deswegen gen, sondern dafür genutzt wird, den Koalitionsfrieden finde ich den Fall Polizeipräsidium weniger aufregend, in Wiesbaden herzustellen und den Landeshaushalt zu als Sie es als Opposition vielleicht empfinden. Aber ich entlasten? Ist das grüne Wohnungsbaupolitik, so wie Sie verstehe diese Haltung durchaus. sie sich vorstellen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Danke. Zu Ihnen, Herr Reinhold, will ich nur so viel sagen: Der private Kleinvermieter, der Amateurvermieter, also das klassische Haus-und-Grund-Mitglied, ist von der Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Mietpreisbremse überhaupt nicht betroffen, Frau Kollegin Wagner, können wir noch die zweite Kurzintervention dazunehmen? Dann können Sie beide (Lachen bei der CDU/CSU) beantworten. weil er nämlich die Mieten in dem Ausmaß wie diejeni- (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gen, die die Mietpreisbremse trifft und treffen muss, in NEN]: Dann hat sie aber auch doppelte Ant- aller Regel gar nicht erhöht. wortzeit!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der Kollege Hagen Reinhold. Das ist jedenfalls meine Erfahrung auf dem Wohnungs- markt der Kleinvermieter. Hagen Reinhold (FDP): (Hagen Reinhold [FDP]: Dann fehlt Ihnen Frau Wagner, Sie haben eben so schön gesagt, dass Erfahrung!) Ihnen sehr wohl bewusst ist, dass die privaten Vermie- ter teilweise sehr moderate Mieten nehmen. Dazu eine Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: kurze Frage meinerseits. Wir wissen, dass 80 Prozent der (B) Wir fahren in der Rednerliste fort. Der Kollege ­Torsten (D) Vermieter in Deutschland Privatpersonen sind, entweder Schweiger hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. als Einzelbesitzer oder in WEGs. Private Vermieter ha- ben früher tatsächlich lange Mietverhältnisse ohne eine (Beifall bei der CDU/CSU) Erhöhung der Miete laufen gelassen, weil sie wussten, dass sie am Ende dieses Mietverhältnisses – das sind Torsten Schweiger (CDU/CSU): im Schnitt sieben bis zehn Jahre – auf einen Schlag die Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Mieterhöhungen, die über die Jahre nicht erfolgt sind, Kollegen! Meine Vorredner Herr Vogel und Frau Zeulner aufholen konnten. Hat nicht die Mietpreisbremse in den haben hier ja schon mit einigen Irrungen und Wirrun- angespannten Wohnungsmärkten, wo sie jetzt gilt, das gen – so will ich das mal nennen – bei der Mietpreis- verhindert, weil private Vermieter jetzt nur noch einen bremse, beim Kauf und Verkauf von Wohnungen, mit kurzen Schritt machen können, und sie dazu gezwungen, und ohne Makler, aufgeräumt. Deswegen gestatten Sie jetzt jedes Jahr die Miete zu erhöhen, was sie früher nicht mir, dass ich mich auf die vermeintliche „Wohnoffensi- gemacht haben, weil sie das nicht mehr am Ende der ve“, wie sie in den Anträgen genannt wird, konzentriere. Mietzeit auf einen Schlag machen können? Das ist doch ein Riesenproblem. Die Mietpreisbremse sorgt für eine Ich muss Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, mit Mieterhöhung, und zwar in riesengroßem Umfang. Da- Blick aus der Praxis und mit 20 Jahren Erfahrung aus der rüber spricht hier keiner, und das ärgert mich. Leitung eines kommunalen Bauamtes sagen: Ihr Antrag ist ziemlich inhaltsleer. – Das will ich ganz deutlich sa- (Beifall bei der FDP) gen. Fakten werden da schlicht ignoriert oder sind gar falsch dargestellt. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Frau Kollegin, jetzt können Sie umfangreich antwor- Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ ten. DIE GRÜNEN]: Wie stehen Sie denn zu § 34 und den Maßnahmen zur Innenentwicklung? Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Konkreter können wir ja gar nicht fragen! ) So umfangreich wird es nicht. – Herr Kollege, dass Ich will dafür ein paar Belege anführen. der Koalitionsfrieden an sich schon einen Wert darstellt, müsste Ihnen ja bestens vertraut sein. Erster Punkt. Wenn Sie eine Investitionszulage für die Innenentwicklung im Bestand fordern, kann ich nur sa- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gen: Die gibt es schon. – Wir nennen es Baukindergeld, 6208 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 56 Sitzung Berlin, Freitag, den 12 Oktober 2018

Torsten Schweiger (A) und wir haben obendrauf die schönste Sozialbindung besser oder neuer, dass man sie in unregelmäßigen Ab- (C) festgelegt, die es überhaupt gibt, nämlich die Kinder. ständen erneut präsentiert.

Zweiter Punkt. Sie wollen den Kommunen die Mög- (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ lichkeit geben, ein Innenentwicklungskonzept festzule- DIE GRÜNEN]: Das sind Vorschläge vom gen. Deutschen Städtetag, vom Institut für Urba- nistik, vom Münchener Ratschlag zur Boden- (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ politik!) DIE GRÜNEN]: Ja!) Wir können diesen Antrag daher leider nur ablehnen. Es hat keinen Spaß gemacht, sich damit auseinanderzu- Ein Blick in das Baugesetzbuch macht da oftmals schlau- setzen. Wenn es wenigstens neue Fakten gegeben hätte, er: §§ 12 und 13 regeln das, worauf Sie abzielen, die Be- könnten wir darüber reden, wie es weitergeht. So kann bauungspläne der Innenentwicklung. Wir geben uns im man diesen Antrag nur ablehnen. Moment Mühe, für § 13b, der ja eine Beschränkung bis 2021 beinhaltet, eine Verlängerung zu erreichen, und das Vielen Dank. werden wir in dieser Legislatur auch hinbekommen. Da (Beifall bei der CDU/CSU) freue ich mich schon auf Ihre Mithilfe; denn das kommt Ihrem Ziel ja sehr nahe. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Dritter Punkt, auf den ich eingehen will: Wohngeld Der Kollege Bernhard Daldrup ist der nächste Redner verdoppeln. Natürlich fordern Sie das, wie immer, ohne für die SPD-Fraktion. Gegenfinanzierungsvorschlag, sagen nicht, woher die (Beifall bei der SPD) zusätzlichen Mittel kommen sollen. Dafür wären zusätz- liche Mittel von über 1 Milliarde Euro notwendig. Ich kann nur sagen: Viel Spaß bei der Diskussion mit den Bernhard Daldrup (SPD): Ländern! Denn sie steuern immerhin die Hälfte dazu bei. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Insofern kann man den Antrag auch unter diesem Ge- Mich freut es eigentlich, dass wir aufgrund der Anträge sichtspunkt meiner Meinung nach nur als populistisch, der Linken und der Grünen heute diese Debatte führen, bestenfalls als unredlich bezeichnen. weil es das Thema in der gesellschaftlichen Diskussion hält. Das ist wichtig und auch angemessen. Zu ein paar (Beifall bei der CDU/CSU) Punkten kann man in der Tat Stellung nehmen. Zur Frage der neuen Gemeinnützigkeit, Chris Kühn, Ein vierter Punkt ist, was Sie als Stärkung der Vor- (B) steht in dem Papier von Andrea Nahles und Thorsten (D) kaufsrechte bezeichnen. Auch dazu sind bereits Rege- Schäfer-Gümbel genau das drin, was Sie erwarten. Es ist lungen im Baugesetzbuch vorhanden und werden ange- eine andere Formulierung; aber beispielsweise die Kopp- wandt: §§ 24 und 25 zum allgemeinen und besonderen lung der Förderung an die Dauer der Bindung und der Vorkaufsrecht. Ich sage Ihnen: Eine weitere Verschär- Sozialpakt sind vernünftige Geschichten. Die SPD – das fung, die nur in Richtung Enteignung zu machen wäre, ist in der Tat so – geht manchmal über Kompromisse, wird es mit unserer Fraktion nicht geben. die man in einer Großen Koalition eingeht, programma- (Beifall bei der CDU/CSU) tisch hinaus. Das ist nichts Schlimmes, sondern, ganz im Gegenteil, etwas sehr Vernünftiges. Das tun manche an- Aus Zeitgründen will ich auf die anderen Punkte nur dere ja auch. Ich sage es mal so: Wenn man sagt, dass stichwortartig eingehen: Zersiedelung verhindern, auch die Mietpreisbremse in München nicht funktioniert, dieses Schlagwort findet sich im Baugesetzbuch. Schau- dann sollte man dafür sorgen, dass es in Bayern bald eine en Sie mal in § 35 Absatz 3 BauGB; da ist die Splitter- Mietpreisbremse gibt. siedlung genannt – haben wir also schon. Technische (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Infrastruktur soll bereitgestellt werden. Das machen wir, zuletzt mit der Milliardenförderung des Breitbandaus- In Bayern gibt es das notwendige Landesrecht nicht. Von baus. daher ist eine Kritik an der Mietpreisbremse in München irgendwie ungünstig. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ Wenn Bernd Riexinger sagt, man solle Sozialwohnun- DIE GRÜNEN]: Wie viel ist denn von den gen wieder kaufen, dann muss man sich daran erinnern, Breitbandmilliarden abgeflossen? Im Promil- dass Die Linke in Dresden selbst dabei gewesen ist, als lebereich!) der Wohnungsbestand zu billig verkauft wurde. Wenn man jetzt sagt, man solle ihn teuer zurückkaufen, ist man Die Nahversorgung insbesondere im ländlichen Raum von neuen Erkenntnissen nicht so ganz weit entfernt. soll gesichert werden. Das machen wir. Die Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ ist eingesetzt und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wird dafür die entsprechenden Impulse liefern. der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN) Das nehmen andere auch für sich in Anspruch. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, nun das kurze, schmerzhafte Fazit, bevor mei- Aber trotzdem: Ich finde es ja in Ordnung, dass wir ne Redezeit vorüber ist: Alte Hüte werden nicht dadurch diese Debatte führen. Das führt dazu, dass wir hier die Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2018 6209

Bernhard Daldrup (A) konzertierte Aktion Wohngipfel mit ihren positiven Wir- Verbilligungsrichtlinie. Das heißt mit anderen Worten: (C) kungen darstellen können. In dem entsprechenden Paket Wenn Kommunen sozialen Wohnraum schaffen wollen – sind 30 ganz unterschiedliche, konkrete Maßnahmen ent- übrigens sogar mit privaten Partnern, wenn die Bindung halten, dauerhaft ist; Stichwort „neue Gemeinnützigkeit“ –, kann es sogar gelingen, dass man den Kommunen den (Katharina Willkomm [FDP]: Papier ist ge- Baugrund nicht zu einem Niedrigpreis, sondern ohne duldig!) Preis zur Verfügung stellt. Das wäre doch in früheren auch solche, die im Antrag der Grünen stehen. Im Antrag Jahren ein sozialistisches Reformwerk gewesen. Es ist der Grünen heißt es aber: „das Nichtstun der Bundesre- eine kopernikanische Wende in der Liegenschaftspolitik gierung“. Ich will das nicht qualifizieren, Chris; das qua- der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben. lifiziert sich selber. Das heißt, wir spielen hier Hase und (Beifall bei der SPD) Igel, nach dem Motto: Was du auch machst, Große Koa- lition, wir wollen mehr. Aber denk dran: Das Märchen ist Herzlichen Dank, Olaf Scholz, sage ich an dieser Stelle. nicht gut ausgegangen. Das ist eine gute Entscheidung. So kommt man konkret vorwärts. In dem Paket sind ganz ambitionierte Ziele in Bezug auf den Wohnungsbau enthalten. So ist von 1,5 Millionen Wir versuchen, eine Lösung am Wohnungsmarkt hin- neuen Wohnungen die Rede. Alle sagen: Damit habt ihr zubekommen, während andere vielleicht noch in der euch übernommen. – Jetzt werden von Ihnen aber wiede- Zeitschrift „Schöner Wohnen“ blättern. Wir müssen das rum mehr Wohnungen gefordert. konkret machen, und das tun wir auch. Ich kann hier eine Erfahrung von der Expo Real vor- Herzlichen Dank. tragen: Die Immobilienwirtschaft war außerordentlich (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Emmi elektrisiert; denn sie hält die Verlängerung des Referenz- Zeulner [CDU/CSU]) zeitraums beim Mietspiegel – sie sprechen von „Mani- pulation“; so viel zum Rechtsstaatsverständnis dieser Leute – für die wirkliche Bedrohung, weil damit die Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Bestandsmieten gedeckelt werden. Das ist ihre größte Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt der Sorge, zugegebenermaßen neben anderen Punkten – das Kollege Dr. Jan-Marco Luczak, CDU/CSU-Fraktion. weiß ich auch – wie dem Mietenstopp. Aber diese Maß- (Beifall bei der CDU/CSU) nahme wird in den Hotspots eine entsprechende Wirkung haben. (CDU/CSU): (B) Dr. Jan-Marco Luczak (D) Ich konnte hier eine ganze Reihe von Punkten darstel- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen len, die auch im Rahmen des Wohngipfels formuliert und und Kollegen! Ich möchte ganz gerne – wir sind ja am dargestellt worden sind. Ich glaube, ehrlich gesagt – das Ende der Debatte – noch mal auf den Anfang der Debatte ist eben schon gesagt worden –: Wenn man weiter gehen- zurückkommen, auf Chris Kühn, der ja ein flammendes de Vorstellungen hat und hier die Backen aufbläst, dann Plädoyer für die Mieter gehalten hat. Zugleich war er un- ist man auch in der Pflicht, dort, wo man selber Verant- glaublich anklagend und hat uns als Union vorgeworfen, wortung trägt, durchzugreifen. Ich wüsste nicht, dass der wir ignorierten die Proteste der Mieterinnen und Mieter Geltungsbereich der Mietpreisbremse in Baden-Würt- in unserem Land und täten als Bundesregierung über- temberg irgendwie ausgeweitet worden wäre. In Schles- haupt nichts; so schreiben Sie es auch in Ihrem Antrag. wig-Holstein steht das Auslaufen des Landesrechtes zur Das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Sie kennen Verschärfung einer entsprechenden Mietpreisbegrenzung doch all die Maßnahmen, die wir ergriffen haben. Wir immer noch im Koalitionsvertrag. Über Hessen ist ge- sind uns doch einig im Ziel, dass Menschen aus ihren rade schon Hinreichendes gesagt worden. Liebe Kolle- Wohnungen nicht verdrängt werden dürfen, weil sie sich gin Wagner, schauen Sie sich mal die geförderten Woh- die Miete nicht mehr leisten können. nungen in der Zeitreihe an. Dann werden Sie sehen: In den meisten Jahren, in denen Sie mit in der Verantwor- (Beifall bei der CDU/CSU) tung waren, ist die Zahl dieser Wohnungen gerade mal Wir brauchen an dieser Stelle keine Nachhilfe von Ihnen. dreistellig. Wir sind die Partei der sozialen Marktwirtschaft. Wir le- (Beifall bei der SPD) gen auch Wert auf das Soziale in diesem Bereich. Deswe- gen handeln wir als Bundesregierung. Wir haben beim Wohngipfel nicht alles erreicht, aber wir haben ganz wichtige Sachen durchgesetzt; einiges (Beifall bei der CDU/CSU) ist hier angesprochen worden. In manchen Punkten ge- Wir haben jetzt ein Mieterschutzgesetz durch das Ka- hen wir weit über das hinaus, was Sie sich vorstellen. binett gebracht, das sich selbstverständlich mit all diesen Ich will Ihnen ein Beispiel nennen: die Bundesanstalt für Themen auseinandersetzt und gute und ausgewogene Immobilienaufgaben. Wie oft war das hier ein Thema, Vorschläge enthält. Wir gehen an die Mietpreisbremse zum Beispiel beim Dragoner-Areal? Was haben wir uns ran. über die Frage der Höchstpreise gekebbelt? Gucken Sie sich mal die neue Verbilligungsrichtlinie an! Die „Süd- (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ deutsche Zeitung“ schreibt: „Bund darf seinen Baugrund DIE GRÜNEN]: Wird die Mietpreisbremse quasi verschenken“. Das ist der Sachverhalt der neuen auch entfristet?) 6210 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 56 Sitzung Berlin, Freitag, den 12 Oktober 2018

Dr. Jan-Marco Luczak (A) Und wir verbessern die Transparenz auf dem Wohnungs- Sie hätten doch auch ein wenig dazu sagen können, was (C) markt, indem wir eine Auskunftspflicht einführen wer- Sie unter einer Wohnraumoffensive verstehen. Vielleicht den, aufgrund derer Vermieter sagen müssen, wenn sie sollen ja nicht nur ein paar Baumhäuser im Hambacher von einer Ausnahme Gebrauch machen. Wir erleichtern Forst gebaut werden, sondern auch ein paar Wohnungen den Mietern, ihre Rechte geltend zu machen; denn sie in unserem Land. müssen den Vermieter zukünftig nicht mehr qualifiziert rügen, eine einfache Rüge reicht. Wir gehen auch das (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Problem der Modernisierungsmieterhöhung an. Wir re- Wir haben auf dem Wohngipfel doch die entscheiden- duzieren die Absetzbarkeit der Modernisierungskosten den Maßnahmen getroffen. Wir sagen: Wir investieren in von 11 auf 8 Prozent. Wir führen eine Kappungsgrenze den sozialen Wohnungsbau. Der Bund nimmt in dieser bei der Modernisierungsumlage ein. Was uns als Union Legislaturperiode 5 Milliarden Euro in die Hand, um besonders wichtig ist – das ist unser Vorschlag gewe- Menschen das Wohnen in bezahlbaren Wohnungen zu er- sen –: Wir gehen gegen die schwarzen Schafe unter den möglichen. Wir gehen noch weiter. Wir sagen eben: Auch Vermietern vor, die ganz zielgerichtet Modernisierungen die Mitte der Gesellschaft – der Handwerker, die Kran- ausnutzen, um Mieter aus ihren Wohnungen herauszu- kenschwester, der Polizeibeamte – soll sich Wohnungen modernisieren. Dazu sagen wir ganz klar: Das geht nicht. leisten können. Deswegen schaffen wir steuerliche An- Das wird zukünftig sanktioniert. Das wird ordnungswid- reize, damit Mietwohnungen auch in diesem Segment rig sein, meine Damen und Herren. gebaut werden können. (Beifall bei der CDU/CSU – (Sören Bartol [SPD]: Wir wollen selber bau- [SPD]: Aber da mussten Sie auch ein bisschen en!) schielen, oder? – Dr. Johannes Fechner [SPD]: Das war schon unsere Idee!) Für uns ist das Entscheidende: Wir müssen mehr, schnel- ler und kostengünstiger bauen. Nur so bekommen wir Für uns ist aber auch ganz wichtig, dass wir die Po- das Problem steigender Mieten nachhaltig in den Griff, litik, die wir an dieser Stelle machen, nicht nur von den meine Damen und Herren. Extremen her ableiten. Wir müssen natürlich auch se- hen – das ist in der Diskussion schon angeklungen –, dass (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) die überwiegende Anzahl der Vermieter und Vermieterin- Ich möchte einen letzten Punkt Ihres Antrags anspre- nen in unserem Land ein wunderbares, ein ordentliches, chen, der an so vielen Stellen widersprüchlich ist. Sie sa- ein gutes Verhältnis zu ihren Mieterinnen und Mietern gen, man müsse Anreize schaffen, um „Wohnungen bar- hat und dass ihnen das auch wichtig ist, rierefrei neu- und umzubauen“. Gleichzeitig wollen Sie (B) (D) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- aber das Instrument, mit dem das heutzutage in der Pra- ordneten der FDP und des Abg. Sören Bartol xis umgesetzt wird – nur so kann es ja überhaupt funk- [SPD]) tionieren –, nämlich die Modernisierungsmieterhöhung, deutlich begrenzen. Das passt doch nicht zusammen. dass sie eben nicht hingehen und Leute herausmoderni- Man kann doch nicht auf der einen Seite sagen: „Liebe sieren, sondern sehr genau auch auf die sozialen Aspekte Vermieter, liebe private Kleinvermieter, bitte investiert achten. Sie berücksichtigen das, wenn ältere Menschen in euren Wohnungsbestand“, und auf der anderen Seite bzw. Senioren schon viele Jahre oder gar Jahrzehnte in sich nicht dafür interessieren, wie das Ganze finanziert ihren Wohnungen leben, und erhöhen die Miete eben werden soll und sich wirtschaftlich tragen soll. Das funk- nicht, sondern verhalten sich sozial verantwortlich. Das tioniert nicht und passt nicht zusammen. Wir müssen auf müssen wir bei allem, was wir machen, immer im Blick den demografischen Wandel reagieren. Deshalb brauchen behalten. Wir dürfen nicht nur in Extremen denken und wir das Instrument der Modernisierungsmieterhöhungen. die Interessen gegeneinander ausspielen, sondern müssen Daran müssen sich alle beteiligen: der Staat mit Förder- das sozial ausgewogene Mietrecht, das wir heute haben, programmen und natürlich die Vermieter; aber auch die auch für die Zukunft erhalten. Wir als Union arbeiten da- Mieter müssen ein Stück weit dazu beitragen. ran, dass das so bleibt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Vizepräsident : Bernhard Daldrup [SPD]) Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. Ich möchte gerne noch ein Wort zu unseren anderen (Abg. Christian Kühn [Tübingen] [BÜND- Maßnahmen sagen. Der Antrag der Grünen trägt im NIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Titel das Wort „Wohnoffensive“. Sie tun so, als ob wir Zwischenfrage) dort nichts täten. Ich war ein bisschen verwundert, Herr Kühn, dass Sie sich in Ihrer Rede – zugegeben, Sie hatten Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): nur drei Minuten Redezeit und konnten daher nicht alle Die Zwischenfrage des Kollegen Kühn lasse ich nicht Punkte ansprechen – ausschließlich auf das Mietrecht fo- mehr zu. Er kann gerne eine Kurzintervention machen. kussiert haben. Vielen Dank, meine Damen und Herren, für Ihre Auf- (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ merksamkeit. DIE GRÜNEN]: Sie hätten ja eine Zwischen- frage stellen können!) (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2018 6211

(A) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Wenn Sie nun behaupten, es gebe überhaupt keine (C) Ihre Redezeit war auch schon beendet. – Herr Kollege inhaltlichen Begrenzungen, dann muss ich Ihnen aus Kühn, Sie möchten das Wort zu einer Kurzintervention. juristischer Sicht sagen: Das ist einfach falsch. – Sie Dann erteile ich Ihnen das Wort. sprechen ständig von Luxusmodernisierungen. Schauen Sie sich die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs an. Solche übertriebenen Modernisierungsmaßnahmen sind Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE überhaupt nicht umlagefähig. Solche Kosten lassen sich GRÜNEN): gar nicht auf die Mieter umlegen. Überdies gibt es eine Danke, Herr Präsident, dass Sie diese Kurzinterven- Härtefallregelung, die den Mietern sozialen Schutz an- tion zulassen. – Herr Luczak, wenn Sie unseren Antrag gedeihen lässt. Wenn es Mieter wirtschaftlich überfor- genau gelesen haben, dann wissen Sie, dass wir im Zu- dert, können sie sich dagegen wehren, durch Kosten der sammenhang mit der Modernisierungsumlage den al- Modernisierung belastet zu werden. Das ist ein guter, ein tersgerechten Umbau weiterhin als umlagefähig sehen. richtiger Ansatz. Das, was in unserem Antrag steht, passt sehr genau zu- sammen. Wir richten nämlich die Modernisierung auf Wir wollen – dabei bleiben wir – ein sozial ausgewo- die Zukunftsaufgaben aus: energetische Sanierung und genes Mietrecht. Aber wir brauchen auch die notwendi- altersgerechter Umbau, aber auch – vielleicht erfreut Sie gen Investitionen in altersgerechten Umbau und wollen als Union das – Sicherheit der Wohnungen; also auch die energetische Modernisierung, die wir für den Klima- Einbruchschutz ist bei uns vorgesehen. Wenn Sie sich die schutz brauchen, vornehmen. Es geht darum, das ent- Modernisierungsumlage genau anschauen, wie Sie sie sprechend zu gestalten. Unter diesen Aspekten ist unser umgestalten wollen, dann stellen Sie fest, dass Luxusmo- Entwurf gut und ausgewogen. dernisierungen weiterhin umlagefähig sind, weil Sie sie Danke schön. inhaltlich nicht begrenzen. Ich glaube, an dieser Stelle müssen Sie nacharbeiten. (Beifall bei der CDU/CSU) Leider sind Sie in Ihrer Rede auf die Frage des Bestel- lerprinzips, die wir in dem weiteren Gesetzentwurf, den Vizepräsident Wolfgang Kubicki: wir eingebracht haben, angesprochen haben, gar nicht Vielen Dank. – Mit dieser intelligenten Form der Re- eingegangen. Meine Frage, die ich eigentlich stellen dezeitverlängerung beende ich die Aussprache. wollte, lautet daher: Wie steht die Union zum Besteller- prinzip bei den Maklergebühren? Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 19/4549, 19/4557 und 19/4829 an die (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- (D) schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe und Vizepräsident Wolfgang Kubicki: höre, dass das der Fall ist. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Herr Kollege Luczak, wie ich sehe, wollen Sie ant- worten. Dann haben Sie jetzt das Wort. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a und 26 b auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Geset- Lieber Herr Kollege Kühn, ich antworte sehr gern. Ich zes zur Anpassung des Datenschutzrechts an möchte auf Ihren Antrag zu sprechen kommen, da Sie die Verordnung (EU) 2016/679 und zur Um- gesagt haben, was ich sage, stimme nicht. Sie schreiben setzung der Richtlinie (EU) 2016/680 (Zweites in Ihrem Antrag, dass die Bundesregierung „Mieterhö- Datenschutz-Anpassungs- und Umsetzungs- hungen im Bestand nach Modernisierungen … deutlicher gesetz EU – 2. DSAnpUG-EU) begrenzen“ solle. Gleichzeitig schreiben Sie: Es sollen Anreize geschaffen werden, um „Wohnungen barriere- Drucksache 19/4674 frei neu- und umzubauen“. Genau darauf habe ich hin- Überweisungsvorschlag: gewiesen. Natürlich teilen wir das Ziel. Schließlich leben Ausschuss für Inneres und Heimat (f) wir in einer Gesellschaft, in der die Menschen erfreuli- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz cherweise immer älter werden. Im Jahre 2030 werden Ausschuss Digitale Agenda 6 Millionen Menschen über 80 Jahre alt sein. Die brau- b) Erste Beratung des von der Bundesregierung chen natürlich altersgerecht umgebauten Wohnraum, die eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Um- brauchen ein seniorengerecht gestaltetes Bad, die brau- setzung der Richtlinie (EU) 2016/680 im Straf- chen vielleicht auch einen Fahrstuhl in ihrer Wohnung. verfahren sowie zur Anpassung datenschutz- Die entscheidende politische Frage lautet, wie wir dafür rechtlicher Bestimmungen an die Verordnung sorgen können, dass ein altersgerechter Umbau passiert. (EU) 2016/679 Dafür sind Instrumente vorhanden. Dabei belassen wir es aber nicht. Wir reduzieren die umlagefähigen Mo- Drucksache 19/4671 dernisierungskosten auf 8 Prozent; das ist auch richtig. Überweisungsvorschlag: Wir führen zudem eine Kappungsgrenze ein; auch das ist Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) richtig. Wir gehen gegen die schwarzen Schafe vor, die Ausschuss für Inneres und Heimat übertreiben; auch das ist richtig. Ausschuss Digitale Agenda 6212 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 56 Sitzung Berlin, Freitag, den 12 Oktober 2018

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für ich nicht verhehlen – eine unbekannte Dunkelziffer von (C) die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- Abgemahnten geben, Vereine beispielsweise, die nicht nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. nach außen tragen möchten, dass ihnen ein vermeintli- cher Datenschutzverstoß vorgeworfen wird. Wir sollten Ich eröffne die Aussprache und erteile als Erstem dem also das parlamentarische Verfahren zu diesem Gesetz- Parlamentarischen Staatssekretär Marco Wanderwitz für entwurf nutzen, um zu prüfen, wie wir der Rechtsunsi- die Bundesregierung das Wort. cherheit gegenüber Abmahnungen begegnen können. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auch wollen wir prüfen, ob wir Entlastungen für die Wirtschaft regeln können. Dabei weise ich allerdings Marco Wanderwitz, Parl. Staatssekretär beim Bun- darauf hin, dass der nationale gesetzgeberische Gestal- desminister des Innern, für Bau und Heimat: tungsraum dafür äußerst eng ist – anders als mancher zu Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und denken scheint. Kollegen! Vor etwas mehr als einem Jahr haben wir uns schon einmal mit einem Gesetz beschäftigt, das den (Saskia Esken [SPD]: Ja, so ist es! Da ist gar sperrigen Titel „Datenschutz-Anpassungs- und Umset- nichts!) zungsgesetz EU“ trug. Im Lichte der unionsrechtlichen In dem engen Spielraum, den uns die EU-Daten- Vorgaben der Datenschutz-Grundverordnung und der schutz-Grundverordnung hier lässt, besteht eine der Datenschutzrichtlinie Polizei und Justiz wurde mit die- wenigen Möglichkeiten, die es für Erleichterungen gibt, sem Gesetz seinerzeit insbesondere das allgemeine natio- darin, Änderungen an der Bestellpflicht für betriebliche nale Datenschutzrecht, nämlich das Bundesdatenschutz- Datenschutzbeauftragte vorzunehmen. gesetz, neu gefasst. Sehr geehrte Damen und Herren, die Frist für die An- Das nun vorliegende Zweite Datenschutz-Anpas- passung an das EU-Datenschutzrecht ist im Mai ausge- sungs- und Umsetzungsgesetz EU will die bereichsspe- laufen. Auch wenn Deutschland den Gesetzgebern der zifischen Datenschutzregelungen an den neuen Rechts- meisten anderen Mitgliedstaaten bei der Anpassung wie- rahmen anpassen, den das Unionsrecht und nun auch das der einmal zeitlich voraus ist Bundesdatenschutzgesetz 2018 vorgeben. Durch enge Zusammenarbeit nahezu aller Ressorts der Bundesregie- (Lachen bei Abgeordneten der FDP sowie des rung können wir mit diesem einen Gesetz 154 Fachgeset- Abg. [AfD]) ze anpassen. Die Spannbreite dieses sehr umfangreichen Artikelgesetzes umfasst so ziemlich alle Lebensbereiche: – ich finde, es ist an sich eine positive Sache, wenn man der Erste ist – und der Umfang des Artikelgesetzes (B) das Meldewesen, das Sozialrecht, Finanzen, Transplanta- (D) tionsrecht, Tierschutz und Verkehrsrecht, um nur einige beträchtlich ist, bitte ich um zügige Beratung und Ver- zu nennen. abschiedung des Gesetzentwurfs, möglichst bis zum Jahresende. Ich habe anfänglich gesagt: Es ist eher ein Das Gesetz ist allerdings überwiegend rein rechtstech- rechtstechnisches Gesetz. – Insofern halte ich das für gut nischer Natur. Es werden vorrangig Begriffsbestimmun- machbar und würde mir wünschen, dass wir bis zum Jah- gen angepasst oder Verweise auf das Bundesdatenschutz- resende durchkommen. gesetz alter Fassung korrigiert. Auch Rechtsgrundlagen für die Datenverarbeitung werden angepasst, insbeson- Herzlichen Dank. dere an den weiten unionsrechtlichen Begriff der Verar- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- beitung. Vereinzelt werden auch Rechtsgrundlagen ge- ordneten der SPD) schaffen und Betroffenenrechte geregelt.

Gegenstand des Gesetzes ist auch das gerade erst in Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Kraft getretene neue Bundesdatenschutzgesetz. Hier Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Als Nächstes für werden einige redaktionelle Fehler korrigiert, zum Teil die AfD-Fraktion der Kollege Roman Johannes Reusch. bisher nicht existente Regelungen geschaffen, beispiels- weise für die Datenverarbeitung im Rahmen von staatli- (Beifall bei der AfD) chen Auszeichnungen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen alle, dass Roman Johannes Reusch (AfD): es im Hinblick auf das Bundesdatenschutzgesetz und ins- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die beiden besondere die EU-Datenschutz-Grundverordnung große Gesetzentwürfe bringen zusammen über 600 Seiten auf Verunsicherung gibt. Das betrifft insbesondere kleine die Waage. Es sollen geändert werden – über den Dau- und mittlere Unternehmen, aber auch Vereine und ehren- men gepeilt; ich habe nicht genau nachgezählt – so um amtlich Tätige. Zwei besonders häufig angesprochene die 170 Gesetze und Verordnungen. Von daher finde ich Themen betreffen Abmahnungen und die Pflicht zur Be- es sehr schade, dass man aus der ersten Lesung einen stellung eines Datenschutzbeauftragten. Nach allem, was Debattenpunkt gemacht hat. Das wäre gestern im verein- ich höre, was wir hören, ist es bisher nicht zu der befürch- fachten Verfahren besser aufgehoben gewesen. teten großen Abmahnwelle gekommen. Es besteht aber gleichwohl vielerorts in Unternehmen und Vereinen die Um hier die knappe Zeit nicht noch weiter zu vergeu- Rechtsunsicherheit, dass es zu gewerbsmäßigen Abmah- den, teile ich mit, dass ich wenig Sinn darin sehe, vier nungen kommen könnte. Zudem kann es auch – das will oder fünf Punkte aus 170 herauszugreifen und hier in der Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2018 6213

Roman Johannes Reusch (A) Kürze der Zeit zu erörtern. Ich teile also lediglich mit, oder Onlinedurchsuchungen, hat der Gesetzentwurf die (C) dass wir uns dem Überweisungsvorschlag anschließen. vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Kriterien aufgegriffen. In diesem Zusammenhang ist auch zu er- (Beifall bei der AfD – Niema Movassat [DIE wähnen, dass der Entwurf außerdem der Stärkung des so- LINKE]: Das kann die AfD öfter so machen! genannten Kernbereichsschutzes im Rahmen heimlicher Finde ich gut!) Ermittlungsmaßnahmen dient.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Abschließend möchte ich noch betonen, dass der Ent- wurf auch klärt, dass Strafverfolgungsbehörden auch Das wollte ich gerade sagen. Das Präsidium bedankt Daten des Behördenfunks erheben können. Das Gleiche sich bei der AfD-Fraktion ausdrücklich für die Zeit, die gilt für die Erhebung von retrograden Standortdaten, also jetzt aufgeholt werden kann. solchen, die aus betrieblichen Gründen wie zum Beispiel Als Nächstes spricht für die Bundesregierung die Par- beim Auslandsroaming bereits gespeichert worden sind. lamentarische Staatssekretärin Frau Rita Hagl-Kehl. Hier bestand in der Vergangenheit Unsicherheit. (Beifall bei der SPD) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, der Gesetz- entwurf ist ein weiterer Schritt in Richtung eines umfas- senden europäischen Datenschutzes. Ich bitte Sie daher Parl. Staatssekretärin bei der Bun- Rita Hagl-Kehl, um Ihre Zustimmung zu diesem Vorhaben. desministerin der Justiz und für Verbraucherschutz: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Herzlichen Dank. Kollegen! Die Richtlinie der EU 2016/680 betrifft den (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung per- der CDU/CSU) sonenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden im Strafverfahren. Diese Richtlinie sowie die Daten- schutz-Grundverordnung haben das europäische Daten- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: schutzrecht grundlegend geändert. Der uns heute vorlie- Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. – Als Nächstes gende Entwurf dient der Umsetzung dieser Richtlinie in spricht für die FDP-Fraktion der Kollege Dr. Jürgen nationales Recht sowie der Anpassung weiterer daten- Martens. schutzrechtlicher Regelungen an die Datenschutz-Grund- (Beifall bei der FDP) verordnung. Neben redaktionellen Anpassungen sieht der Gesetz- Dr. Jürgen Martens (FDP): (B) entwurf darüber hinaus mit Blick auf die Entscheidung Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- (D) des Bundesverfassungsgerichts vom 20. April 2016 Än- ren! Ich habe heute Morgen, ganz früh am Morgen – es derungen vor. Diese betreffen die Anforderungen an die war 0.10 Uhr –, schon mal eine Rede gehalten zu einem sogenannte zweckändernde Verwendung von in Ermitt- Umsetzungsgesetz im Bereich des Strafprozessrechts, lungsverfahren gewonnenen personenbezogenen Daten. mit dem wir europäisches Recht in nationales Recht um- Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, Daten sind setzen wollen, und habe bereits da zu monieren gehabt, heute elementare Grundlage polizeilicher und staatsan- dass die Bundesregierung die Frist für die Umsetzung waltlicher Arbeit. Hierzu bedarf es verbindlicher Rege- der Richtlinie hat verstreichen lassen. Es war eine Frist lungen über deren Erhebung, den Umgang mit ihnen und bis zum 1. April, die da nicht eingehalten wurde. Beim deren weitere Verwendung. Diese wollen wir schaffen. Anpassungsgesetz an die Datenschutz-Grundverord- Nach dem Gesetzentwurf erhalten nunmehr die Betrof- nung hat man nicht ganz so viel Zeit verstreichen lassen. fenen ein Informationsrecht über die über sie gespeicher- Gleichwohl muss ich auch hier wieder bemerken: Die ten personenbezogenen Daten. Die für Strafverfahren zu- Bundesregierung hat mal wieder eine Umsetzungsfrist ständigen Behörden werden ferner verpflichtet, künftig nicht eingehalten. Das ist bedauerlich. jeden einzelnen und nicht nur jeden zehnten Datenverar- Mit dem vorliegenden Gesetz zur Anpassung von beitungsvorgang zu protokollieren. Damit werden auch zahlreichen Normen an die Datenschutz-Grundverord- die Überprüfungsmöglichkeiten der Datenschutzbehör- nung haben wir ein wahres Monster. Wenn man Gesetz- den erweitert. gebungsverfahren kennt, dann macht einen das als sol- (Beifall der Abg. Kirsten Lühmann [SPD]) ches schon mal misstrauisch, insbesondere dann, wenn es heißt, hier werde nur eine reine Anpassung vorgenom- Diese bleiben somit zukünftig nicht nur auf Stichproben men. Man weiß: Solche Gesetze bringen die fast unwi- beschränkt. derstehliche Verlockung mit sich, politisch zumindest schwierige Vorhaben, sagen wir mal, in einem nicht ganz Eine weitere Neuerung ist, dass das Bundesdaten- so übersichtlichen Umfeld mit durch das Gesetzgebungs- schutzgesetz künftig auch für die Strafverfolgungsbehör- verfahren zu bringen. den der Länder gelten soll. Damit werden deren Verarbei- tungsvorgänge erheblich vereinfacht. (Niema Movassat [DIE LINKE]: Richtig!) Und einen weiteren wichtigen Punkt möchte ich he­ Wenn man sich diesen Gesetzentwurf anschaut, stößt rausgreifen: In Bezug auf die sogenannte zweckändernde man im Bereich des Bundesdatenschutzgesetzes auf Verwendung von Daten aus eingriffsintensiven Maß- einmal in § 22 Absatz 1 Nummer 1d des Bundesdaten- nahmen, etwa von Telekommunikationsüberwachungen schutzgesetzes auf eine zusätzliche Regelung. Da heißt 6214 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 56 Sitzung Berlin, Freitag, den 12 Oktober 2018

Dr. Jürgen Martens (A) es, dass besonders sensible Daten – solche im Sinne des Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) Artikels 9 der DSGVO – nun auch von nichtöffentlichen Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Martens. – Als Nächstes Stellen bearbeitet werden können sollen. für die Fraktion Die Linke der Kollege Niema Movassat. (Niema Movassat [DIE LINKE]: Genau! (Beifall bei der LINKEN) Richtig!) Das klingt als solches nicht besonders schlimm, aber es Niema Movassat (DIE LINKE): stellt sich die Frage: Wer befindet darüber, ob eine ent- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin sprechende Datenverarbeitung im öffentlichen Interesse froh, dass wir heute über die Änderungen im Daten- ist oder nicht? Nach Ihrem Gesetz tut das wohl der priva- schutzrecht reden. Die Bundesregierung wollte zunächst te Datenverarbeiter. diesen Packen Gesetzesänderungen ohne Debatte durch den Bundestag jagen; das betrifft etwa 200 Einzelgeset- (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Na ze. Ich finde, das geht nicht. So etwas muss hier disku- super!) tiert werden. Das dürfte allerdings unzulässig sein, denn: Was im öf- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- fentlichen Interesse ist, hat der Gesetzgeber oder zumin- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN dest eine öffentliche Stelle zu definieren. Also so einfach, und des Abg. Dr. Jürgen Martens [FDP]) dass es sich hier nur um Anpassungen handelt, ist das Ganze nicht. Zum einen wollen Sie 154 Änderungen unter anderem aufgrund der Datenschutz-Grundverordnung vornehmen. Im Gegenzug ist zu bemängeln, dass an mancher Stel- Vieles, was Sie beantragen, ist unproblematisch, aber es le nichts geregelt wird, obwohl dies nach allgemeiner gibt eben auch äußerst bedenkliche Änderungen. Auffassung eigentlich erforderlich wäre, zum Beispiel im Bereich des Datenschutzes bei der Nutzung von Tele- Erstens: Die Änderungen im Staatsangehörigkeits- mediendiensten. Zur Erklärung: Das sind die Provider, gesetz. Bisher sind Behörden, die mit Staatsangehörig- die Ihnen den Zugang zum Internet verschaffen und die keitsfragen zu tun haben, die einzigen, die auf die perso- natürlich Daten speichern, erheben, verarbeiten, unter nenbezogenen Daten zugreifen dürfen. Die Übermittlung Umständen auch weitergeben, ohne dass der Kunde, der der Daten an andere Stellen ist per Gesetz nicht erlaubt. Nutzer davon etwas erfährt. Die Regelungen im Teleme- Die Bundesregierung will das ändern. Die Daten sollen diengesetz zum Datenschutz sind nach allgemeiner Auf- danach auch an Verfassungsschutzbehörden weiterge- fassung unzureichend. § 13 Telemediengesetz verweist leitet werden können, ohne dass ein konkreter Verdacht beim Datenschutz auf die altehrwürdige Datenschutz- vorliegt. Das ist kein Datenschutz, sondern eine Daten- (B) verordnung aus dem Jahre 1995. Für die Jüngeren unter schutzverletzung. (D) Ihnen: Das war noch sieben Jahre vor dem Auslaufen des Eurocheques. (Beifall bei der LINKEN) Zweitens. Sie möchten gravierende Änderungen beim (Heiterkeit bei der FDP sowie der Abg. Asylgesetz im Bereich des Datenschutzes vornehmen. Dr. Eva Högl [SPD]) Nach der neuen Regelung können das Bundesamt für Sagen wir mal so: Das damalige Datenschutzniveau Migration und Flüchtlinge sowie Ausländerbehörden Ge- kann man nicht als solches bezeichnen. Aber das Ge- sundheitsinformationen, Berichte über das Sexualleben setz schweigt. Dieser Gesetzentwurf widmet sich diesem und andere intime Daten von Geflüchteten an andere Be- Thema nicht, obwohl es wirklich ein Massenphänomen hörden wie die Verfassungsschutzbehörden weiterleiten. betreffen würde. Hier wird klar: Datenschutz, selbst der Schutz intimster Daten, soll für Geflüchtete nicht gelten. Das ist abzuleh- Auch im Melderecht werden erforderliche Anpassun- nen; Datenschutz muss für alle gelten. gen nicht erledigt. Der Bürger kann kaum überblicken, welche Stellen Meldedaten von ihm von den Meldebe- (Beifall bei der LINKEN) hörden erhalten. Und wenn er es wissen will, bekommt Drittens. Die Änderungen im Bundesdatenschutzge- er im Regelfall keine Auskunft; denn die Gründe für die setz sehen vor, dass auch nichtöffentliche Stellen Daten Auskunftsverweigerung in § 11 des Bundesmeldegeset- für die Sicherheitsbehörden bereithalten müssen. In der zes sind extrem umfangreich und nach allgemeiner Auf- Gesetzesbegründung steht: fassung rechtswidrig. Auch hier schweigt das Gesetz, meine Damen und Herren. Das ist nach unserer Auffas- Ein solches zwingendes Erfordernis sung mit der Datenschutz-Grundverordnung nicht ver- einbar, aber nach Auffassung der Bundesregierung soll – gemeint ist das Erfordernis zur Datenweitergabe – das wohl so bleiben. kann etwa bei der Verarbeitung von personenbezo- Das heißt für uns: Wir haben mit dem Gesetzentwurf genen Daten mit Religionsbezug durch zivilgesell- viel zu tun. Eine ganze Menge Arbeit haben Sie uns auf schaftliche Träger im Rahmen von Präventions- und den Tisch gelegt. Wir werden uns bemühen, das alles ab- Deradikalisierungsprogrammen im Bereich religiös zuarbeiten. motiviertem, insbesondere islamistischem, Extre- mismus bestehen. Vielen Dank. Hiermit werden also zivilgesellschaftliche Organisa- (Beifall bei der FDP) tionen, die wichtige Präventionsarbeit gegen religiöse Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2018 6215

Niema Movassat (A) Radikalisierung leisten, gezwungen, ihre Daten an die ordnung ist ein Meilenstein für den Schutz von Privatheit (C) Sicherheitsbehörden herauszugeben. Jemand, der Sorge und Grundrechten in unserer digitalisierten Gesellschaft. haben muss, dass er durch die Beteiligung an einem Prä- ventionsprogramm bei den Behörden aktenkundig wird, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wird an so einem Programm nicht mehr teilnehmen und sowie bei Abgeordneten der SPD) sich dann erst recht radikalisieren. Was Sie als Bundes- Sie ist ein Erfolg für den europäischen Binnenmarkt regierung wollen, ist kontraproduktiv im Kampf gegen und wird aus gutem Grund derzeit von vielen Ländern Dschihadismus. wie Israel, aber beispielsweise auch Kalifornien ko- piert – beides Regionen, die nicht gerade für ihre digitale (Beifall bei der LINKEN) Rückständigkeit bekannt sind. Wir haben mit der Daten- schutz-Grundverordnung endlich ein europaweit gelten- Dann haben Sie noch einen weiteren Gesetzentwurf des Instrumentarium gegen multinationale Firmen, die zum Datenschutz im Strafverfahren vorgelegt. Bisher sich bisher nicht an nationalstaatliches Recht gebunden wurden Daten, die von der Polizei aufgrund von Gefah- fühlten. Leider haben Sie von der Union dieses Instru- renabwehrmaßnahmen gesammelt wurden, rechtswidrig mentarium den Menschen in den letzten zwölf Regie- im Strafverfahren verwendet. Dazu muss man wissen: rungsjahren verweigert, meine Damen und Herren. Im Gefahrenabwehrrecht, also im Polizeirecht, darf die Polizei schon aktiv werden, wenn nur eine Gefahr be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) steht. Im Strafprozessrecht hingegen muss zumindest der Aber auch bei der notwendigen Anpassung hat die Verdacht einer Straftat bestehen. Die Anforderungen sind Bundesregierung kaum eine Chance verstreichen lassen, also höher. Die Polizei kann also theoretisch über das Po- den Datenschutz zu schleifen, wo es geht. Sie haben die lizeirecht Maßnahmen wie eine Wohnraumüberwachung Aufsichtsarbeit erschwert, Rechte der Betroffenen ver- gegen eine Person durchführen, die sie nach Strafpro- kürzt und zusätzliche Unsicherheiten geschürt. Die be- zessrecht nicht hätte machen dürfen. Dadurch kann sie stehenden Spielräume und Öffnungsklauseln wie im Be- an Beweise kommen, die sie eigentlich gar nicht für das reich des Beschäftigtendatenschutzes – da gucke ich mal Strafverfahren hätte haben dürfen, weil ja gar kein Ver- Richtung SPD – sind immer noch nicht angegangen und dacht einer Straftat bestand. genutzt worden. Das wird den gegenwärtigen Problemen Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt: Das und Herausforderungen schlicht nicht gerecht, meine Da- geht so nicht. Es braucht eine klare gesetzliche Rege- men und Herren. lung. – Die haben Sie nun vorgelegt; das ist richtig und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gut. Aber für den Datenschutz der Betroffenen im Straf- (B) verfahren – darum ging es dem Bundesverfassungsge- Auch mit der zweiten Vorlage schleifen Sie wieder (D) richt eigentlich – haben Sie nicht gesorgt. Vielmehr kön- Betroffenenrechte und Aufsichtsmöglichkeiten. An meh- nen nach der neuen Regelung die Geheimdienste Daten reren Stellen werden Abwägungserfordernisse zulasten mit den Strafverfolgungsbehörden austauschen. Der Be- der Bürgerinnen und Bürger zurückgeschraubt. Den troffene hat kaum die Möglichkeit, dagegen vorzugehen. zweiten Gesetzentwurf wollten Sie heute – das hat der Das ist kein Grundrechtsschutz, das ist mehr Macht für Kollege angesprochen – ganz ohne Debatte hier durch- die Sicherheitsbehörden. Nehmen Sie endlich mal den bringen. Zur Erinnerung: Die sogenannte JI-Richtlinie Datenschutz im Strafverfahren ernst! stammt aus dem April 2016. Die lange bekannte Um- setzungsfrist – das wurde eben auch vom Staatssekretär (Beifall bei der LINKEN) genannt – war der 6. Mai 2018. Hier hätte man längst die notwendigen Anpassungen vorbereiten können und auch Halten wir also fest: Unter dem Label „Datenschutz“ müssen. Leider wurde das verschlafen. Ob die Richtlinie geben Sie den Sicherheitsbehörden mehr Befugnisse. korrekt umgesetzt wurde, insbesondere bei der Strafpro- Stattdessen brauchen wir aber endlich mal einen vernünf- zessordnung, wird bei einer Anhörung zu den beiden Ge- tigen Datenschutz. setzentwürfen zu klären sein. Danke schön. Eine Anmerkung zum Kollegen Reusch: Die Seiten- anzahl von Vorlagen ist immer ein Argument. Aber am Ende geht es um die Lebensbezogenheit des Themas, mit Vizepräsident Wolfgang Kubicki: dem wir es hier zu tun haben, Vielen Dank, Herr Kollege. – Als Nächstes erwarten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wir den Kollegen Dr. von Notz für die Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen. und das betrifft die Menschen. Natürlich kann man hier nicht 600 Seiten referieren; aber man muss die wesent- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) lichen Punkte ansprechen. Es ist ein wichtiger Prozess, den wir hier parlamentarisch begleiten. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN NEN): sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Trotz aller ernstzunehmenden Diskussionen und Verunsicherungen Die Koalition aber hat den Gesetzentwurf genutzt, bleibt zu sagen: Die Europäische Datenschutz-Grundver- gleich mal etwas mit zu regeln, was dem Datenschutz 6216 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 56 Sitzung Berlin, Freitag, den 12 Oktober 2018

Dr. Konstantin von Notz (A) der Menschen diametral entgegenläuft, nämlich die Er- die sich alle zu halten haben. Auch Kalifornien – als ak- (C) hebung retrograder, aus betrieblichen Gründen von Pro- tuellstes Beispiel; das wurde angesprochen – hat unser vidern gespeicherter Standortdaten. Das verstecken Sie Datenschutzrecht kopiert; auch das sollte uns vielleicht unter Artikel 1 Ziffer 6 Buchstabe a Unterpunkt bb des ein Stück weit stolz machen. Gesetzentwurfs. So geht es einfach nicht, meine Damen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der und Herren. SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN NEN) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir dürfen allerdings sicher nicht den Fehler machen, All das zeigt: Diese Große Koalition ist leider nicht immer nur auf die Großen, die sogenannten Datenkraken, in der Lage, den gesetzgeberischen Herausforderungen zu schauen. Vielmehr müssen wir auch die vielen kleinen durch die digitale Revolution gerecht zu werden. Sie und mittelständischen Betriebe, Vereine, Organisationen doktern hinterher, werfen gerne mit Buzzwords um sich, in den Blick nehmen. Auch hier muss Umsetzung mit gründen Kommissionen ohne Ende, statt endlich klare Augenmaß der Leitgedanke sein. Standards und Regeln zu setzen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein liberaler Mut macht die Rückmeldung aus den Datenschutz- Rechtsstaat und ein erfolgreicher Wirtschaftsstandort, behörden, dass es eben nicht die Vielzahl von Verstößen nicht weil wir so wenig regulieren oder Bürgerrechte re- gegeben hat, dass es keine großen Straforgien gegeben lativieren, sondern weil unser Verfassungsstaat klare Re- hat. Dennoch, glaube ich, gibt es noch einiges an Ver- geln setzt, Grundrechte achtet und so für Rechtssicher- besserungspotenzial. Es gibt viel Unruhe und teilweise heit sorgt. Fangen Sie endlich damit an! Sorge, und da sind wir auch gefordert, Beratung, Hilfe Ganz herzlichen Dank. und Service für Mittelständler, Vereine und Bürger zu leisten. Das ist mein Verständnis eines modernen Staates. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Da dürfen wir die Menschen auch nicht im Regen stehen lassen. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall bei der CDU/CSU) Vielen Dank, Herr Kollege Dr. von Notz. – Als Nächs- tes spricht für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Marc In den anstehenden Beratungen werden wir noch ei- Henrichmann. nige Änderungswünsche besprechen müssen. Da geht es um die Bestellung des betrieblichen Datenschutzbeauf- (Beifall bei der CDU/CSU) tragten, die sogenannte Zehner-Schwelle. Wir müssen (B) zumindest über Erleichterungen dahin gehend reden, ob (D) Marc Henrichmann (CDU/CSU): es nicht Sinn macht, diejenigen rauszunehmen, die sich Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie- nicht schwerpunktmäßig und betrieblich mit Datenver- be Besucher! 154 bereichsspezifische Datenschutzregeln arbeitung befassen. Dabei müssen wir immer das Signal sind in diesem Gesetzentwurf enthalten, die wir an die aussenden, dass wir das hohe Datenschutzniveau nicht Vorgaben der Datenschutz-Grundverordnung anpassen. gefährden wollen, aber auch Praktikabilität nicht völlig Der Entwurf ist mit seinen technischen und redaktionel- außer Acht lassen wollen. len Anforderungen eigentlich eher etwas für datenschutz- Die Abmahnwelle – ich sagte es – ist ausgeblieben; rechtliche Feinschmecker. Ich glaube aber schon – und aber es ist uns weiterhin wichtig, ein Auge darauf zu die Rückläufe aus den Wahlkreisen zeigen uns das; es haben. Es liegt ein erster Vorschlag vor, wie wir es un- gibt viele Vereine und kleine Unternehmer, die sich Ge- terbinden, dass Abmahnanwälte Geschäftsmodelle ent- danken und Sorgen machen –, dass Datenschutz ein lau- wickeln. Wir dürfen auch hier Vereine, Verbände und fender Prozess ist und dass wir Respekt zeigen, indem Unternehmen nicht im Regen stehen lassen. wir uns mit dem Thema auseinandersetzen. Deswegen macht die Debatte meines Erachtens auch Sinn. (Dr . Jürgen Martens [FDP]: Die stehen doch gar nicht im Regen!) Mein Dank gilt insbesondere den Mitarbeitern im BMI – das möchte ich auch mal sagen –, die anderthalb Wir werden auch die Debatte führen müssen, ob die Jahre viel zu leisten hatten und uns immer mit Rat und Datenschutz-Grundverordnung auch marktverhaltensre- Tat zur Seite standen. Da darf man auch mal Danke sa- gelnde Normen enthält, die nach dem UWG abmahnfä- gen. hig sind. Auch hier brauchen wir Klarstellung; das wer- den wir in der Debatte ansprechen. (Beifall bei der CDU/CSU) Zum Abschluss möchte ich noch kurz darauf zu spre- Datenschutz – oder besser: Datenpolitik – ist ein The- chen kommen, was uns in der Zukunft erwartet. Wir ma, das Zukunftspotenzial hat. Ich glaube, ganz wichtig haben die Evaluierung der Datenschutz-Grundverord- ist neben dem Schutzgedanken immer auch Augenmaß. nung vor der Brust. Auch da gilt es, besser zu werden Ich werde nicht müde, auch die Errungenschaften der und Vorschläge aus der Praxis aufzunehmen. Auch die Datenschutz-Grundverordnung in den Vordergrund zu E-Privacy-Verordnung steht an. Das sind beides Meilen- stellen. Sie wurde oft verschrien, aber ich glaube, es ist steine, die wir in die richtige Richtung entwickeln und ein Fortschritt, dass wir in Europa einheitliche Standards nutzen müssen. Autonomes Fahren, Telemedizin – all das haben, von denen alle gleichermaßen profitieren und an sind Themen, denen wir uns stellen müssen, und denen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2018 6217

Marc Henrichmann (A) können wir nicht mit einem datenpolitischen Stoppschild chen. Da geht es zunächst darum, verbliebene Lücken in (C) begegnen. Auch hier gilt es, ausgewogene Lösungen zu unterschiedlichen Rechtsbereichen zu schließen. Und es finden und den Schutz der Verbraucher, aber auch die Po- ist schon erstaunlich, in wie vielen Bereichen der Schutz tenziale der Wirtschaft nicht aus dem Blick zu verlieren. personenbezogener Daten eine Rolle spielt. Manch einer Denn jeder Verbraucher und Bürger ist auch gleichzeitig hofft jetzt natürlich darauf, dass wir die für Mai 2020 Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Vorstand oder Mitglied eines vorgesehene Evaluation schon mal vorziehen, dass wir Vereines. Wir als Union, als Partei der Mitte, stehen für schon jetzt Ausnahmen – vor allem für Vereine und klei- eine Lösung mit Augenmaß. Ich freue mich auf die Aus- ne selbstständige Unternehmen – bei den Pflichten oder schussberatungen. wenigstens bei den Bußgeldern ermöglichen, wie sich das ein europäischer Mitgliedstaat ausgedacht hat. Da Herzlichen Dank. muss ich um Verständnis bitten: Für diese Evaluation, (Beifall bei der CDU/CSU) finde ich, müssen wir uns schon die nötige und auch die vereinbarte Zeit nehmen. Wir wollen die Verordnung ja nicht schon reformieren, bevor sie sich in gesprochenes Vizepräsident Wolfgang Kubicki: und vor allem in gelebtes Recht entwickelt hat und wir Vielen Dank, Herr Kollege. – Als nächste Rednerin wirklich verstehen können, wo der Schuh drückt. die Kollegin Saskia Esken, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Was auf europäischer Ebene noch zur Modernisierung Saskia Esken (SPD): und Harmonisierung aussteht – das ist auch schon an- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! gesprochen worden –, ist die E-Privacy-Verordnung, der Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor einigen besondere Schutz der Privatheit von Kommunikation und Tagen hat mein Kollege Staatssekretär Fuchtel – ich habe Surfverhalten. Wir hoffen und wünschen uns natürlich, gar nicht damit gerechnet, dass er jetzt hier sitzt – in un- dass die Bundesregierung ihren Teil dazu beitragen kann, serem Wahlkreis ein Bierzelt zum Kochen gebracht mit dass die Verordnung im Trilog noch vor der Europawahl der Ankündigung, er wolle die Datenschutz-Grundver- abgeschlossen werden kann. Ansonsten droht womöglich ordnung ändern. eine nationale Reform des Telemediengesetzes; das kann auch nicht im Sinne des Binnenmarktes sein. (Michael Theurer [FDP]: Ui!) Ich hatte dann die unschöne Aufgabe, das wieder einzu- Die DSGVO – das habe ich hier schon mal gesagt – ist sammeln; denn alleine können wir ja nun eine europäi- kein Grund zur Panik, aber ein guter Anlass zum Auf- (B) sche Verordnung nicht ändern; das dauert vielleicht noch räumen. Deshalb finde ich es auch nicht überfordernd, (D) ein bisschen. sondern im Gegenteil sogar ratsam, auch in Vereinen und kleinen Unternehmen einen Datenschutzbeauftragten zu (Michael Theurer [FDP]: Aber der Kollege benennen. Denn wenn einer dafür zuständig ist, dann Fuchtel kann viel!) hilft das doch bei der Umsetzung. Eine gute Umsetzung – Ja, das ist wohl wahr. bietet die Chance, Gewinne einzufahren durch bessere Daten, bessere Prozesse und sichere Kommunikation. Die ganz große Aufregung, die um den 25. Mai dieses Unter uns gesagt: Die Pflichten gelten ohnehin unabhän- Jahres herum entstanden ist, hat sich ein bisschen gelegt. gig davon, ob jetzt ein Datenschutzbeauftragter bestellt Aber an diesem Abend wurde mir doch klar, welche Wel- werden muss oder nicht. Die Pflichten ändern sich da- le diese europäische Verordnung tatsächlich verursacht durch gar nicht; sie müssen trotzdem umgesetzt werden. hat. Ich wiederhole mich, wenn ich hier offen eingestehe: Wir haben das unterschätzt. Und wir haben es versäumt, Wirklich wichtig ist – da sind wir dran, und da sind die zweijährige Übergangsfrist als Umsetzungsfrist zu wir uns auch einig –, dass überzogene und ungerechtfer- nutzen und die Menschen dabei zu unterstützen, den tigte Datenabmahnungen unterbleiben, und zwar ganz Datenschutz als das zu erleben, was er ist: ein wichtiges egal, ob es um den Datenschutz oder um andere Berei- Bürger- und Verbraucherrecht. che wie zum Beispiel das Urheberrecht geht. Wir machen Schluss mit der unlauteren Abmahnindustrie. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD) Datenschutz schützt keine Daten, er schützt Men- schen, auch wenn sich viele derzeit nur genervt und nicht Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind geschützt fühlen. Ziel der europäischen Verordnung war spät dran mit dieser gründlichen Umsetzung – das ist es natürlich, das Recht durch Harmonisierung zu stärken, auch schon gesagt worden –, und doch sind wir damit nicht nur für Bürgerinnen und Bürger und für Verbrau- schneller als die meisten anderen europäischen Mitglied- cherinnen und Verbraucher, sondern vor allem auch für staaten. Es bleiben Rechtsbereiche offen, wie zum Bei- Unternehmen in Deutschland und Europa, die ein Level spiel der Beschäftigtendatenschutz. Auch Arbeitnehmer Playing Field vorfinden sollen. wollen sich nicht auf Schritt und Tritt beobachtet fühlen. Das ist aber keine Sache, die man mal eben am Freitag- Wir beraten heute ein 500-Seiten-Werk voller nachmittag durchzieht. Wir sind dran, im BMAS etwas rechtstechnischer Anpassungen an die DSGVO; die Kol- zu entwickeln, und auch guten Mutes, dass da etwas vo­ leginnen und Kollegen haben einiges schon angespro- rankommt. 6218 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 56 Sitzung Berlin, Freitag, den 12 Oktober 2018

(A) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Wir müssen demzufolge bei der genannten E‑Privacy-­ (C) Kommen Sie jetzt freundlicherweise zum Schluss, Verordnung in diesem Hause sehr, sehr wachsam sein; Frau Kollegin. denn diese soll die DSGVO noch spezifisch ergänzen. Was auch immer da auf uns zukommt! Saskia Esken (SPD): Ich komme nun zu den von mir angesprochenen Punk- Freundlicherweise. – Insgesamt, denke ich, sind wir ten in der Strafprozessordnung. Erstens. Die Auffang­ auf einem guten Weg, mit unserer Arbeit zu Vertrauen norm des § 500 Strafprozessordnung, Frau Staatssekre- und Sicherheit in der digitalen Welt beizutragen. tärin, bedarf durchaus der Erwähnung hier. Sie haben ja gesagt, dort wird klargestellt, dass nunmehr auch bei den Vielen Dank. Länderbehörden – sprich: bei den Staatsanwaltschaften; (Beifall bei der SPD) Justiz ist ja bekanntlich Ländersache – das Bundesda- tenschutzgesetz zur Anwendung kommen soll. Warum eigentlich? Warum kommt nicht das Landesdatenschutz- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: gesetz zur Anwendung? Warum geht das Bundesdaten- Vielen Dank, Frau Kollegin. Sie haben mit der In- schutzgesetz dem Landesdatenschutzgesetz vor, wenn formation, dass im bayerisch-baden-württembergischen Landesbehörden mit Daten umgehen? Grenzgebiet auch Bierzelte zum Kochen gebracht wer- den können, sehr zu meiner Weiterbildung beigetragen. – Wie widersprüchlich die Formulierung ist, zeigt sich Als nächster und letzter Redner zu diesem Tagesord- in der weiteren Fassung des § 500 StPO. Dort steht näm- nungspunkt der Kollege Axel Müller. lich explizit drin, dass für die Einhaltung und Kontrol- (Beifall bei der CDU/CSU) le der datenschutzrechtlichen Bestimmungen nicht der Bundesdatenschutzbeauftragte, sondern der Landesda- tenschutzbeauftragte zuständig ist. Hier ist der Gesetz- Axel Müller (CDU/CSU): entwurf widersprüchlich oder unvollständig; es bedarf Sehr geehrter Herr Präsident! Ich will jetzt keine zumindest einer Korrektur. Nachhilfe in Geografie geben, aber der Kollege Fuchtel kommt nicht unbedingt aus dem bayerisch-baden-würt- Der zweite erwähnenswerte Punkt ist der § 491 StPO. tembergischen Grenzgebiet. Dahinter verbirgt sich eine Auskunftsverpflichtung der Staatsanwaltschaften gegenüber Betroffenen, insbeson- Hinter dem sperrigen Titel, der hier an der Anzeige- dere auch Beschuldigten, zu Verfahren, die gegen sie tafel steht, verbergen sich vorzunehmende Änderungen geführt werden. Nun ist es in der bisherigen Gesetzesfas- nationaler Gesetzesbestimmungen aufgrund der europäi- sung so formuliert, dass aus ermittlungstaktischen Grün- (B) schen Datenschutz-Grundverordnung, kurz: DSGVO. den in den ersten sechs Monaten überhaupt keine Aus- (D) Meine sehr geehrten Damen und Herren, Kolleginnen kunft erteilt werden muss und darüber hinaus in weiteren und Kollegen, etwas despektierlich gesagt: Diese Ver- 24 Monaten sogar im Einzelfall geprüft werden darf, ob ordnung auf europäischer Ebene zieht geradezu einen es mit Blick auf einen etwaigen Ermittlungserfolg oppor- ganzen Rattenschwanz an mehr oder weniger sinnvollen tun ist oder nicht. oder nachvollziehbaren Änderungen anderer gesetzlicher Hier verweist die Neufassung des § 491 StPO auf Vorschriften nach sich. Sie verlangt nicht nur die Ände- die allgemeinen datenschutzrechtlichen Bestimmungen rung des Bundesdatenschutzgesetzes, sondern sie ver- des Bundesdatenschutzgesetzes. Die gehen aber nicht langt auch zahlreiche spezialgesetzliche Regelungen, die so weit, und sie schränken diese ermittlungstaktischen neu gefasst werden müssen. Möglichkeiten ein. Das kann so weit gehen, dass der Er- Ich beschränke mich hier mit Blick auf den Pakt für mittlungserfolg gefährdet wird. Das entspricht dann doch den Rechtsstaat und den Umfang dieser Verordnungen nicht ganz dem, was wir mit dem Pakt für den Rechts- auf die Regelungen der Strafprozessordnung. Die waren, staat erreichen wollten. Herr Kollege Reusch, durchaus lesenswert und auch in- Darüber hinaus erwähnenswert erscheint mir, dass formativ. Da hätte sich für die Praxis das eine oder andere wir eine Änderung im Einführungsgesetz zur Strafpro- schon herauslesen lassen können. zessordnung vornehmen. Da sind Übergangsfristen for- Eine kritische Anmerkung zur DSGVO sei erlaubt. muliert, während der die Staatsanwaltschaften die Verar- Ich beziehe mich auf den Kollegen Henrichmann. In der beitungsvorgänge entsprechend behandeln dürfen – mit Realität, Herr von Notz, sieht es halt anders aus. weniger oder mehr Aufwand. Diese Fristen sind für den 5. Mai 2023 und den 5. Mai 2026 normiert – aber nur (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/ für die Staatsanwaltschaften, nicht für die Gerichte. Das DIE GRÜNEN]: Sie haben zugestimmt, Herr läuft nicht synchron. Hier ist mit einem ganz erheblichen Müller!) Mehraufwand für die Justizbehörden auf gerichtlicher Die Rückmeldungen aus den Wahlkreisen sind doch ein Seite zu rechnen. Es bedarf deshalb der Synchronisie- bisschen anders als die Äußerungen in diesem geschütz- rung. ten Rahmen hier. Da kommt nicht viel Gutes zum Daten- Ein letzter Punkt: In § 21 des Einführungsgesetzes schutz zurück. zum Gerichtsverfassungsgesetz wird jetzt formuliert, (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE es müsse so verstanden werden, dass die Behörde Aus- GRÜNEN]: Die CDU hat zugestimmt!) künfte über den Verfahrensausgang, die einer Einstellung Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2018 6219

Axel Müller (A) zugrunde liegen, in jedem Fall von Amts wegen den Be- Ambulante ärztliche Versorgung verbessern, (C) troffenen erteilen muss. Bürokratie abbauen, Budgetierung aufheben Drucksache 19/4833

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Überweisungsvorschlag: Herr Kollege, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen. Ausschuss für Gesundheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Axel Müller (CDU/CSU): Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre und sehe Ja. – Warum denn? hierzu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: ner dem Kollegen Dr. Robby Schlund von der AfD-Frak- Weil die Zeit abgelaufen ist. tion das Wort. (Heiterkeit) (Beifall bei der AfD)

Axel Müller (CDU/CSU): Dr. Robby Schlund (AfD): Das geht über die DSGVO hinaus. Ich kündige daher Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen! Werte Gäste an, dass wir diesen gesamten Gesetzesvorgang im Aus- auf den Rängen! „Die Budgetierung ist die Mutter aller schuss sehr kritisch begleiten werden; denn wir müssen Probleme.“ über die von mir angeführten und auch von den Kollegen (Michael Theurer [FDP]: Jetzt haben wir es!) benannten Punkte noch ausführlich diskutieren. So brachte es der Präsident des Berufsverbandes der Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. Deutschen Urologen, Dr. Axel Schroeder, in Dresden vor (Beifall bei der CDU/CSU) einigen Tagen auf den Punkt. Im Rahmen des Gesund- heitsstrukturgesetzes von 1993 führte der damalige Ge- sundheitsminister Horst Seehofer eine Budgetierung der Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Ausgaben ein. Vielen Dank, Herr Kollege Müller, auch für die einlei- Ausgabenbegrenzung, sprich: Budgetierung, wurde tenden Worte. – Ich will darauf hinweisen, dass jedenfalls für Kliniken, Arzthonorare und Arzneimittel ein zentra- das Präsidium alle Redebeiträge der Redner hier sehr les Steuerungsinstrument, meine Damen und Herren. aufmerksam verfolgt. Und da die Kollegin Esken davon Ziel war vor allem eins: Wettbewerb. Die Gesundheits- gesprochen hat, dass das Bierzelt in ihrem Wahlkreis (B) versorgung sollte durch diese Budgetierung mit mehr (D) stand und der bekanntlich in Baden-Württemberg liegt, Wahlfreiheit, höherer Beitragsgerechtigkeit und mehr war ich davon überrascht, dass – erstens – ein Bierzelt Wirtschaftlichkeit gesund verbessert werden. in Baden-Württemberg stand und dass man – zweitens – Baden-Württemberger zum Kochen bringen kann, was ja Dem allen unterlag der Grundgedanke der totalen eine sehr intensive emotionale Regung voraussetzt. Budgetierung aller Leistungsbereiche und Verwaltungs- aufgaben. Ein Budget also, das die Abrechnungsfähigkeit (Heiterkeit) der ärztlichen Leistungen aushebelt und logischerweise – Mit diesen Worten beende ich die Aussprache. wie wir alle wissen – dazu geführt hat, dass der Arzt die letzten Tage und Wochen im Quartal die Praxis praktisch Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwür- dichtmacht, meine Damen und Herren. fe auf den Drucksachen 19/4674 und 19/4671 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- (Beifall bei der AfD) gen. Gibt es hierzu anderweitige Vorschläge? – Das sehe Das kennen Sie hoffentlich alle, da Sie ja, denke ich, alle ich nicht. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. gesetzlich krankenversichert sind, meine Damen und Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a und 27 b auf: Herren. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Robby (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Nein! Schlund, Dr. Axel Gehrke, , Ich nicht!) weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD 2016 sahen 61 Prozent der Ärzte ihre Therapiefreiheit aufgrund des zunehmenden Kostendrucks und der büro- Aussetzung der Budgetierung für Ärzte kratischen Verreglementierung in der Therapie infrage Drucksache 19/3393 gestellt. Deshalb, meine Damen und Herren, arbeiten zurzeit auch circa 10 000 deutsche Ärzte im Ausland, Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) rund 80 Prozent davon im deutschsprachigen Ausland. Finanzausschuss Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundes- Haushaltsausschuss vereinigung, Dr. Andreas Gassen, forderte deshalb – zu Recht – im Auftrag der Selbstverwaltung und der Ärzte b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christine und Patienten dieses Landes, dass diese unselige Budge- Aschenberg-Dugnus, Michael Theurer, Grigorios tierung abgeschafft werden muss. Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Frakti- on der FDP (Beifall bei der AfD) 6220 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 56 Sitzung Berlin, Freitag, den 12 Oktober 2018

Dr. Robby Schlund (A) Es muss eine klare Regelung zur Finanzierung der Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) Arzt-Patienten-Kontakte geben, es muss das zugewiese- Vielen Dank, Herr Kollege. – Als Nächstes für die ne Honorar den real erbrachten Leistungen entsprechen, CDU/CSU-Fraktion der Kollege Alexander Krauß. und es muss vor allem aufgehört werden, dem Patienten permanent in die Tasche zu lügen, indem man ihm sagt, (Beifall bei der CDU/CSU) es würden ihm quasi uneingeschränkte Leistungen zur Verfügung stehen. Alexander Krauß (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- (Beifall bei der AfD) ren! Ich möchte am Anfang einige Punkte zurechtrücken. Es muss den Menschen ehrlich gesagt werden, dass Vielleicht kann mein Vorredner dabei ein bisschen zuhö- es bei vielen niedergelassenen Ärzten genau aus diesen ren. Er ist ja auch als Arzt tätig, leider nur in einer Pri- Gründen bis zu vier Jahre später zu Wirtschaftlichkeits- vatpraxis, behandelt also leider keine Kassenpatienten. prüfungen mit Regressverfahren kommt. Dann darf der Auch das muss man einmal sagen. Mich wundert es, dass Arzt mehrere 10 000 Euro zurückbezahlen. Auch Rück- gerade Sie dann der Experte sind, wenn es um die gesetz- forderungen über 100 000 Euro sind keine Seltenheit, liche Krankenversicherung geht. Das ist unredlich. meine Damen und Herren. Der Arzt bezahlt damit Be- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so- ratungs- und Untersuchungskosten sowie Kosten aus wie bei Abgeordneten der LINKEN und des Heilmittelverordnungen zurück, die der Patient dringend BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) medizinisch benötigte. Im Klartext: Der Arzt finanziert einen Teil der Therapie seiner Patienten aus der eige- nen Tasche. Im hausärztlichen Bereich werden 6 Pro- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: zent der ärztlichen Leistungen umsonst erbracht und im Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage? fachärztlichen Bereich 15 Prozent. Spitzenreiter ist hier ( [CDU/CSU]: Nach einem Satz Hamburg, wo der Anteil im hausärztlichen Bereich bei ist das relativ schwierig!) 22 Prozent und im fachärztlichen Bereich bei 21 Prozent des Gesamthonorars liegt. – Sie wird erlaubt.

Glauben Sie – das frage ich Sie jetzt ganz ehrlich und Alexander Krauß (CDU/CSU): aus tiefstem Herzen –, dass Sie mit diesem System die am Anfang erwähnten 10 000 Ärzte nach Deutschland Herr Schlund kann gerne eine Zwischenfrage stellen. zurückholen können? Glauben Sie, dass Sie damit die (B) Probleme der Hausarztversorgung im ländlichen Raum Dr. Robby Schlund (AfD): (D) lösen können? Ich und unsere AfD-Fraktion glauben das Sie haben erwähnt, dass ich eine Privatpraxis habe jedenfalls nicht. und die kassenärztliche Praxis nicht kenne. (Beifall bei der AfD) ( [CDU/CSU]: Nicht dass Sie sie nicht kennen, sondern dass Sie sie nicht prak- Schauen Sie: Vordringliche Aufgaben sind doch in tizieren!) erster Linie die Abschaffung der unsinnigen Budgetie- rung, eine Anpassung des EBM und des GOÄ-Leistungs- Das ist leider nicht der Fall. Ich hatte lange Zeit eine Kas- kataloges sowie die Neugestaltung der Bedarfsplanung. senpraxis und musste sie aus wirtschaftlichen Gründen Dabei kostet die Abschaffung der Budgetierung nur wegen ebendiesen Regressen verkaufen. 2 Milliarden Euro. Bei Reserven der Krankenkassen von (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Dr. Bernd 20 Milliarden Euro ist das tatsächlich ein Schnäppchen. Baumann [AfD]: Das ist Ihr System!) Es geht bei der Abschaffung der Budgetierung nicht da- rum, die Ärzte reicher zu machen, sondern darum, die realen Kosten, die durch die Behandlung eines Patienten Alexander Krauß (CDU/CSU): entstehen, auch eins zu eins zu vergüten. Darauf komme ich noch zu sprechen, Herr Kollege. Ich glaube, da war anderes im Spiel. (Beifall bei der AfD) Lassen Sie mich ein paar Punkte klarstellen. Punkt Zusammenfassend lässt sich also feststellen: Die Bud- eins: Wir haben in Deutschland eine Therapiefreiheit, getierung ist eine Mengenbegrenzung und Einsparung am das heißt, was medizinisch notwendig ist, kann ein Arzt Patienten. Deshalb fordern nicht nur die Kassenärztliche auch verordnen. Bundesvereinigung, die Kassenzahnärztliche Bundesver- (Dr . Wieland Schinnenburg [FDP]: Ach! Ver- einigung, verschiedene Hausarzt- und Facharztverbände, gessen Sie es doch!) sondern auch wir, die Alternative für Deutschland, die sofortige Abschaffung der Budgetierung. Einer Überwei- Punkt zwei – auch das gilt –: Das Geld für das Gesund- sung in den Gesundheitsausschuss stimmen wir zu. heitswesen fällt bei uns nicht vom Himmel, sondern das bringen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinschaftlich Vielen Dank. auf. Deswegen finde ich es auch in Ordnung, wenn die Kosten im Rahmen bleiben müssen, wenn also keine un- (Beifall bei der AfD) nützen Leistungen verschrieben werden, sondern man Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2018 6221

Alexander Krauß (A) genau hinschaut und fragt: Hat diese Leistung wirklich Wenn jemand dabei deutlich über dem Durchschnitt (C) einen Nutzen für den Patienten? liegt, dann fragt die Kassenärztliche Vereinigung, wie das zustande kommt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Ich habe bei mir im Erzgebirge einen Hausarzt, der deutlich mehr Augentropfen verschrieben hat, als das Wie funktioniert unser System nun genau? Wir haben im Durchschnitt üblich ist. Da hat dann die Kassenärzt- also Krankenkassen und Leistungserbringer auf zwei liche Vereinigung nachgefragt: Wie kommt das? Da hat Seiten, die sich dann über Mengen und Preise verstän- er es ihr erklärt und gesagt: Bei uns hat der Augenarzt digen. Das ist so ähnlich – jetzt werden Sie mitkriegen, geschlossen. Ich habe hier ein Altenheim, ich muss die dass wir Sachsen auch Bier trinken und das mit einflech- Leute trotzdem versorgen. Deswegen habe ich wesent- ten können – wie bei einer Familienfeier, wenn man den lich mehr Augentropfen verschrieben, als das üblich 50. Geburtstag feiert. Auch dort ist es gut, wenn man vor- ist. – Natürlich hat die Kassenärztliche Vereinigung das her mal in die Kneipe geht und mit dem Gastwirt über akzeptiert. das Thema Preise spricht: Was wird ausgegeben für Bier und für das Essen? (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Das (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Wie klappt aber nicht immer!) können Sie das mit Krankheiten vergleichen! Die Rückzahlungsforderungen sind die absolute Aus- Unglaublich!) nahme. Der Linken gebührt ja das Verdienst, eine Kleine Die allermeisten Kellner – das wissen wir – bringen nur Anfrage gestellt zu haben, wie viele es denn gibt. Nur das Bier, das jemand wirklich haben möchte. Aber es mal ein Beispiel aus Hessen vom vorigen Jahr: Bei ei- gibt halt auch den einen oder anderen Kellner, der viel- nem von 200 Ärzten gab es Regressforderungen. Ob die leicht sagt: „Jetzt stelle ich mal fünf Bier auf den Tisch, dann eingezogen wurden bzw. ob die gerechtfertigt wa- die dann vielleicht gar nicht getrunken werden“, weil er ren, ist wieder die nächste Frage. Das heißt, bei 199 von weiß: Der Gastgeber bezahlt. 200 Hausärzten gibt es gar keine Regressforderungen. Jetzt sage ich auch mal was in die Richtung der AfD: (Karsten Hilse [AfD]: Er hat fünf Bier ge- Da gibt es sicherlich den einen, der bei der Abrechnung trunken! Darauf können Sie sich verlassen!) vielleicht einen Fehler gemacht hat, und dann gibt es die Genau das wollen wir im Gesundheitswesen vermei- anderen, Herr Kollege Schlund. Wenn eine medizinische den. Wir wollen keine Vergeudung im Gesundheitswesen Leistung eine halbe Stunde dauert und Sie davon 50 am haben, sondern wir wollen, dass die Mittel wirtschaftlich Tag abrechnen, dann finde ich es berechtigt, wenn die eingesetzt werden, die die Arbeitnehmer und Arbeitgeber Kassenärztliche Vereinigung sagt: Der Tag hat nun ein- (B) (D) aufbringen. mal nur 24 Stunden; das geht nicht. – Ich finde, das ist vollkommen berechtigt. Betrug werden wir nicht zulas- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- sen. wie der Abg. Dr. Kirsten Kappert-Gonther [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Christine (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Aschenberg-Dugnus [FDP]: Was ist denn Ver- bei Abgeordneten der LINKEN – Christine geudung?) Aschenberg-Dugnus [FDP]: Das ist doch was ganz anderes!)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Liebe Freunde, meine sehr geehrten Damen und Her- Herr Kollege Krauß, erlauben Sie eine Zwischenfrage ren, das Budget hat natürlich auch Nachteile. Darüber des Kollegen Dr. Schinnenburg? kann man auch sprechen. (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Ja! Alexander Krauß (CDU/CSU): Dann macht das erst mal!) Nein, ich würde gern weiterreden. – Wir wollen also Insofern finde ich: Wer mehr macht, muss auch mehr da- ein qualitativ gutes, aber eben auch ein wirtschaftliches von haben. Wer als Arzt fleißig ist, soll, finde ich, auch Gesundheitssystem haben. Deswegen muss man vorher am Monatsende mehr abrechnen können. auch darüber sprechen, was wie viel kostet. Budget heißt im Übrigen nicht, die Ärzte bekommen jedes Jahr das (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Na gleiche Geld. Die Ausgaben für die ärztliche Versorgung wunderbar! Dann schafft doch das Budget ab!) steigen von Jahr zu Jahr im Durchschnitt um 1,4 Milliar- Deswegen müssen wir auch darüber sprechen, wie wir den Euro. Diese gute Bezahlung ist richtig, weil gerade die extrabudgetären Leistungen erhöhen können. Wir niedergelassene Ärzte eine sehr gute und wichtige Arbeit haben ja extrabudgetäre Leistungen. Jeder dritte Euro in leisten. diesem System ist extrabudgetär, der hat mit dem Budget Jetzt zum Thema Regress. Es wird ja sehr häufig so nichts zu tun. Das betrifft zum Beispiel Impfungen, Vor- getan – auch von meinem Vorredner –, als ob die Ärzte in sorgeuntersuchungen usw. Diese extrabudgetären Leis- Regress genommen würden. Richtig ist: Was abgerech- tungen wollen wir ausweiten. Wir wollen eine behutsame net wird, das wird kontrolliert, und zwar von der Kas- Weiterentwicklung. Wir wollen nicht das System auf den senärztlichen Vereinigung. Also Ärzte kontrollieren, was Kopf stellen, so wie Sie das wollen. Deswegen haben wir Ärzte abrechnen. Das ist die Systematik, die wir haben; in unserem Terminservice- und Versorgungsgesetz An- denn der Patient weiß leider nicht, was abgerechnet wird. reize zur Mehrarbeit geschaffen. Wer also neue Patien- 6222 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 56 Sitzung Berlin, Freitag, den 12 Oktober 2018

Alexander Krauß (A) ten aufnimmt und sagt: „Ich schicke keinen weg“, kriegt Insofern, liebe Freunde, lassen Sie uns behutsam und (C) zusätzlich Geld. Wenn eine Hausarztpraxis einen Termin mit Augenmaß an der Verbesserung unseres Gesund- beim Facharzt vermittelt oder bei der Terminvermittlung heitswesens arbeiten, das insgesamt sehr gut ist. mithilft oder eine Facharztpraxis den Termin des Haus- arztes aufnimmt oder wenn sie offene Sprechstunden an- Vielen Dank. bietet, dann kriegt sie zusätzliches Geld. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Und die anderen fallen hinten runter!) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Herr Abgeordneter Krauß, herzlichen Dank. – Das Das ist unser Weg, zusätzliches Geld zu geben für zusätz- Wort zu einer Kurzintervention bekommt der Kollege liche Leistungen. Dr . Wieland Schinnenburg. Lassen Sie mich aber im Detail auch kurz noch auf ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die beiden Anträge eingehen. Die AfD sagt: Wir möchten NEN]: Vor der eigenen Rede!) keine Begrenzung für Ausgaben haben, aber es soll auch niemand mehr bezahlen. – Das ist das Prinzip „Wasch (FDP): mich, aber mach mich nicht nass“. Das wird nicht funk- Dr. Wieland Schinnenburg tionieren. Die FDP hat versucht, es ein bisschen klüger Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Krauß, bei aller anzustellen. Freundschaft, Ihr Beitrag hat gezeigt, dass Sie nicht die geringste Ahnung vom System der gesetzlichen Kran- (Michael Theurer [FDP]: Wir sind klug!) kenversicherung haben. Sie hat erst gar nichts dazu gesagt, wie sie es finanzieren (Beifall bei der FDP und der AfD) will. Das kann man so machen. Da entgehen Sie dann bei Sie haben die sachlich-rechnerische Überprüfung, die mir aber leider nicht dem Vorwurf, dass Sie nicht sagen, Budgetierung und die Wirtschaftlichkeitsprüfung munter wo das Geld herkommen soll; durcheinandergewirbelt. Das sind völlig unterschiedliche (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Aus Dinge. Alle drei sind grausam und oft nicht passend. Das den Rücklagen!) haben Sie munter durcheinandergewirbelt. Ich will die Einzelheiten gar nicht erläutern. Nur ein Punkt stieß mir denn das müssen Sie den Arbeitgebern erklären. Die Ar- auf. beitnehmer sind Ihnen ja herzlich egal. Insofern müssen Sie es denen nicht erklären. Sie sagen: Ja, es ist wie beim Gastwirt. Zu ihm geht (B) man vor einer Feier und bespricht die Preise. – Das mag (D) (Michael Theurer [FDP]: Das ist eine Unter- ja sein. Der entscheidende Unterschied – das macht ge- stellung, und zwar eine böse!) rade deutlich, wie notwendig der Antrag von der FDP ist – ist, dass der Gastwirt sicher sein kann, das Geld, das Aber Sie müssen dann schon sagen, wo das Geld her- er vereinbart hat, nachher zu bekommen. Hier kann sich kommen soll. Das müssen Sie erklären, und das haben kein Arzt sicher sein. Das ist der entscheidende Unter- Sie in Ihrem Antrag nicht gemacht. schied. Dafür sollten Sie und Ihre ganz Regierung sich schämen. Ich will auch auf die Kritik an den Terminservicestel- len eingehen. Ich kann überhaupt nicht verstehen, was die (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten FDP dazu schreibt. Die Kassenärztliche Vereinigung hat der AfD) die Aufgabe übernommen, die medizinische Versorgung sicherzustellen. Wenn jemand in diesem Land einen Au- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: genarzttermin braucht, dann muss er diesen Augenarzt- termin auch bekommen. Das ist doch selbstverständlich. Kollege Krauß, wollen Sie antworten? – Ich sehe, das ist der Fall. Sie haben das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Das Alexander Krauß (CDU/CSU): kann er ja, wenn Sie das Budget abschaffen!) Herr Kollege, die Budgetierung gibt es nicht erst seit Die FDP wird uns nicht davon abhalten, dafür zu kämp- heute. Es ist geschildert worden, dass es sie seit 25 Jah- fen, dass jeder einen Facharzttermin bekommt, der ihn ren gibt. braucht. Das werden wir uns von Ihnen nicht bieten las- (Zuruf von der FDP: Ja, von Herrn Seehofer!) sen. Sie haben in der letzten Zeit zweimal den Minister ge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – stellt. Dort haben Sie immer nur die Lippen gespitzt und Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Das nie gepfiffen. Hätten Sie es gewollt, dann hätten Sie die wollen wir ja auch!) Budgetierung doch angehen können und sie abschaffen können. Das haben Sie nicht gemacht, ich glaube, aus Es ist auch falsch, liebe Freie Liberale, wenn behauptet gewissen Gründen: wird, der Arzt hat dadurch weniger Zeit zur Behandlung. Quatsch. Termine vereinbaren die Arzthelferinnen und (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- nicht der Arzt. Das ist Unsinn. ordneten der SPD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2018 6223

Alexander Krauß (A) weil Sie wissen, das System kann man nicht so einfach in Es ist doch so: Die Krankheit der Menschen richtet sich (C) die Tonne drücken. nicht nach irgendwelchen statistischen Mittelwerten oder irgendwelchen mathematischen Formeln. Das ist doch (Tino Sorge [CDU/CSU]: Mövenpick-Steuer! völliger Quatsch. Die Situation ist seit langem bekannt Mövenpick war zu teuer!) und ist sowohl für Patienten als auch für Ärzte nicht mehr – Das kann sein. – Insofern kann man auch gern über tragbar. Argumente streiten. Ich habe immer ein Problem damit, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten wenn man im Deutschen Bundestag den Eindruck er- der AfD) weckt, als ob man selber die Intelligenz mit Löffeln ge- fressen hat. Meine Damen und Herren, wer erbrachte Leistungen nicht hundertprozentig vergütet, darf sich auch nicht ( [CDU/CSU]: Ja, genau!) wundern, dass dann verschiebbare Routineuntersuchun- Ich finde, ein bisschen Demut tut diesem Haus ganz gut. gen in das nächste Quartal verschoben werden. Die von uns geforderte Entbudgetierung bei grundversorgenden (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Haus- und Fachärzten ist ein erster richtiger und wichti- ordneten der SPD) ger Schritt, um diese Missstände endlich zum Wohle der Patienten zu beseitigen. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall bei der FDP) Nach diesen weitreichenden Worten erhält die Kolle- Eine willkürliche Kappung der Vergütungshöhe ohne gin Christine Aschenberg-Dugnus für die FDP-Fraktion medizinische Begründung ist doch einfach nur Quatsch das Wort. und nicht sachgerecht. (Beifall bei der FDP) Meine Damen und Herren, wissen Sie eigentlich, wo- her die Budgetierung stammt? Diese ist schon ziemlich Christine Aschenberg-Dugnus (FDP): früh, vor über 20 Jahren, mit den Lahnsteiner Beschlüs- Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und sen eingeführt worden. Die Jüngeren unter Ihnen wer- Kollegen! Meine Damen und Herren! Bezüglich unseres den sich gar nicht daran erinnern: Wir hatten einmal eine Antrages „Ambulante ärztliche Versorgung verbessern, Ärzteschwemme. Ich glaube, der Begriff ist überhaupt Bürokratie abbauen, Budgetierung aufheben“ lassen Sie nicht mehr bekannt. Davon kann heute gar keine Rede mich mit zwei ganz einfachen Wahrheiten beginnen, die mehr sein. Wir alle versuchen doch krampfhaft, Ärztin- eigentlich auch Sie verstehen müssten. nen und Ärzte dazu zu motivieren, sich niederzulassen (B) und vor allen Dingen aufs Land zu gehen und sich dort (D) Die erste Wahrheit ist: Die Budgetierung, meine Da- niederzulassen. men und Herren, ist leistungsfeindlich, weil durch die festgeschriebenen Obergrenzen, die bestehen, ein Teil (Beifall bei der FDP und der AfD) der geleisteten ärztlichen Vergütung überhaupt nicht aus- Aber nicht mit so einer Politik. Die Entbudgetierung gezahlt wird. Das nenne ich leistungsfeindlich. wäre ein einfacher und zugleich effektiver Weg zur Fach- (Beifall bei der FDP) kräftesicherung im Bereich der Medizin, (Beifall bei der FDP) Die zweite ganz einfache Wahrheit ist doch: Mit begrenz- ten Mitteln kann ich doch keine unbegrenzte Patienten- damit Ärzte, wie übrigens alle anderen Berufsgruppen versorgung erreichen. Auch das müssen Sie einmal ganz auch, wieder für das vergütet werden, was sie tatsächlich laut aussprechen, meine Damen und Herren. erbringen. (Beifall bei der FDP) Zum zweiten Teil unseres Antrages. Natürlich müssen wir auch die Rahmenbedingungen verbessern. Dazu ge- Deswegen wird eine Budgetierung weder den Patienten hört, dass wir die Bürokratie abbauen. Unterhalten Sie gerecht noch den Ärzten, die diese Leistungen jeden Tag sich doch einmal mit jungen Ärzten. Sie sagen: Wir ha- tausendfach erbringen. – Wo ist eigentlich der Herr Mi- ben das Budget, wir haben eine überbordende Bürokratie, nister? Ich hätte gedacht, dass ihn die Debatte interes- und deswegen lassen wir uns nicht nieder. – Daran müs- siert. sen Sie doch einmal arbeiten, meine Damen und Herren. Die Terminprobleme, die Sie mit Ihrem Gesetz und (Beifall bei Abgeordneten der FDP) mit sehr viel Bürokratie bekämpfen wollen, sind doch eine Folge der Budgetierung. Wer das infrage stellt, lügt Sie wissen doch, was die Bürokratie für die Ärzte in sich doch in die eigene Tasche. Das sollten Sie auch ein- Deutschland bedeutet. 54 Millionen Bürokratiestunden mal aufnehmen, meine Damen und Herren. jedes Jahr. Das hätte ich gerne für die Patientenversor- gung. Da würde vieles bei der Patientenbehandlung bes- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ser sein. der AfD) (Beifall bei der FDP) Die Budgetierung ist und bleibt ein planwirtschaftli- ches Instrument. Deswegen gehört es auch abgeschafft. Das Ministerium und die GroKo machen es wie im- mer. Sie arbeiten nicht an Lösungen, sondern machen (Beifall bei der FDP und der AfD) symbolische Symptombekämpfung: hier einmal etwas 6224 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 56 Sitzung Berlin, Freitag, den 12 Oktober 2018

Christine Aschenberg-Dugnus (A) ausbessern, da etwas ausstopfen. Aber das wird alles Damit unterstellen Sie den Ärzten in Deutschland flä- (C) nichts bringen. chendeckend (Karsten Hilse [AfD]: Nein, sie werden ge- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: zwungen!) Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. Verstöße gegen vertragsärztliche Pflichten, gegen Sozial- recht, gegen Berufsrecht und auch gegen das Strafrecht. Christine Aschenberg-Dugnus (FDP): Ja, gerne. – Mit der Entbürokratisierung und der Ent- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zu- budgetierung würden endlich nicht mehr diejenigen Ärz- ruf von der AfD: Das ist doch Unsinn!) te bestraft, die sich auf ihre Patienten konzentrieren und Ich bin selber Ärztin, und ich verwahre mich auch im ausschließlich nach medizinischen Kriterien behandeln. Namen meiner Kolleginnen und Kollegen gegen solche Meine Damen und Herren, am meisten profitieren wür- ungeheuerliche Unterstellungen. den davon die Patienten. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem Vielen Dank. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP und der AfD) Um Ihrem Antrag etwas Substanz zu verleihen, bezie- hen Sie sich auf eine Studie der Hamburger Uni, in der die Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Gesundheitsökonomen nachgewiesen haben, dass in den Frau Kollegin, die Jüngeren unter uns, so wie ich, letzten Wochen des Quartals eine reduzierte Sprechstun- beherrschen noch die Uhr, um es einmal freundlich zu de angeboten wird. Aber wenn Sie schon aus der Studie formulieren. zitieren, dann lesen Sie sie bitte vollständig. Die Kollegin hat es getan; denn Sie hat es richtig wiedergegeben. Da (Tino Sorge [CDU/CSU]: Das ist mir aber ist nämlich zu lesen, dass es sich um eine Verschiebung neu, Herr Präsident!) von Routineuntersuchungen in das nächste Quartal han- Als Nächstes spricht zu uns die Kollegin Sabine delt und nicht um die Verschiebung oder Abweisung von Dittmar von der SPD-Fraktion. Patienten mit dringlichem Behandlungs- und Therapie- bedarf. Das ist natürlich zu kritisieren. Das geht auch mit (Beifall bei der SPD) meinem Verständnis der Berufsethik nicht einher. Aber das gefährdet den Patienten nicht. Das hätten im Übrigen Sabine Dittmar (SPD): auch Sie erfahren, wenn Sie am Mittwoch bei dem Fach- gespräch mit Professor Montgomery im Gesundheitsaus- (B) Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen (D) und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der dünne schuss anwesend gewesen wären. Antrag der AfD und auch die Rede des Kollegen Schlund (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – lassen mich als Gesundheitspolitikerin und als Medizine- Karsten Hilse [AfD]: Haha!) rin etwas ratlos zurück. So viele Fehler und Ungereimt- heiten in einem so kurzen Text sind wirklich bemerkens- Aber Sie machen das, was Sie immer machen, und das, wert. was Sie am besten können: Sie schüren Ängste beim Pa- tienten. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Abg. Dr. Robby Schlund [AfD] meldet sich zu Es geht schon in der Überschrift los. „Aussetzung der einer Zwischenfrage) Budgetierung für Ärzte“ heißt es dort. Am Ende fordern Sie die Bundesregierung aber auf, die Budgetierung ab- Ihr Antrag wird auch dadurch nicht besser, dass Sie zuschaffen. Also was jetzt: aussetzen oder abschaffen? versuchen, eine in regelmäßigen Abständen von der Kas- Weiter schreiben Sie von einer Einschränkung der freien senärztlichen Bundesvereinigung vorgebrachte Forde- Berufsausübung zulasten der Patienten. Eine solche gibt rung zu instrumentalisieren. es natürlich nicht; denn sie wäre im Übrigen auch verfas- sungswidrig. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Frau Kollegin, erlauben Sie eine – – der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN) Sabine Dittmar (SPD): Ich lasse keine Zwischenfrage zu. – Aber nicht ein- Was mich wirklich richtig ärgert, ist die unsinnige mal das gelingt Ihnen. Ich bin mir auch sicher, dass un- Behauptung, dass es eine „ausschließlich ökonomisch sere Ärzteschaft Unterstützer mit mehr Sachverstand und begründete Einschränkung der Therapiefreiheit des Arz- Kenntnis verdient hätte. tes“ gebe. Wollen Sie damit wirklich ernsthaft behaup- ten, dass Ärztinnen und Ärzte den Patienten medizinisch (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) notwendige Leistungen und Therapien vorenthalten, weil Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Ergebnisse der sie zu teuer sind? Hamburger Studie sind natürlich nicht hinnehmbar. Viele (Paul Viktor Podolay [AfD]: Sie werden ge- von uns haben es selbst schon erlebt, dass es teilweise zwungen!) schwierig ist und am Ende des Quartals noch schwieriger Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2018 6225

Sabine Dittmar (A) wird, einen Termin beim Facharzt zu bekommen. Deswe- dass wir einen langsamen Ausstieg aus dem Budget ha- (C) gen handeln wir auch in der Koalition. Ende September ben, weil immer mehr Leistungen herausgenommen wer- ging das Terminservice- und Versorgungsgesetz durch den, aber eben nur da, wo es nötig ist. das Kabinett. Im Dezember werden wir uns hier im Ple- num damit beschäftigen. Mit diesem Gesetz wird unter (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – anderem dafür gesorgt, dass das Mindestsprechstunden- Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Aha! angebot eines niedergelassenen Arztes mit voller Kas- Andere haben es wohl nicht nötig? Das ist ja senzulassung von 20 auf 25 Stunden erhöht wird. interessant!) Aber, Kolleginnen und Kollegen: Die Herausforde- (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Das rungen, vor denen wir in der ambulanten Versorgung machen doch schon die meisten!) stehen und die Sie auch zu Recht angesprochen haben, – Genau, Frau Kollegin. – Ich weiß, dass viele Ärzte das Frau Kollegin Dugnus-Aschenberger, werden wir mit der schon leisten, aber eben nicht alle. Frage „Budget, ja oder nein?“ nicht lösen. In Bayern zum Beispiel bekommen die Hausärzte schon seit Jahren das (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: 2 Pro- volle Honorar ausgezahlt. zent nicht!) (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Ja, Wer einen vollen Kassenarztsitz hat, muss seine Zeit aber in anderen Ländern eben nicht!) auch überwiegend den gesetzlich versicherten Patienten zur Verfügung stellen Die Budgetierung spielt hier überhaupt keine Rolle. (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Das (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Natür- passiert doch bei 98 Prozent!) lich spielt das eine Rolle!) und darf sie nicht etwa hauptsächlich mit Privatpatienten Trotzdem haben wir in strukturschwachen ländlichen oder IGeL-Leistungen verbringen. Gebieten Probleme mit der hausärztlichen Versorgung und mit der Nachbesetzung freiwerdender Arztsitze. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Deshalb ist es wichtig, dass wir die Maßnahmen zur Si- Deswegen halte ich diese Regelung auch für zumutbar. cherstellung der flächenärztlichen Versorgung, die wir schon in der letzten Legislaturperiode begonnen haben, Die grundversorgenden Fachärzte – das sind zum Bei- weiterentwickeln und dass wir auch zusätzliche Instru- spiel Augenärzte, die nicht operieren, Frauenärzte, Or- mente dazufügen. thopäden oder auch Hals-Nasen-Ohren-Ärzte – müssen künftig fünf Stunden offene Sprechstunden anbieten. Der Im Versorgungsstärkungsgesetz haben wir zum Bei- (B) (D) Patient braucht hier keinen Termin mehr und kann direkt spiel die Förderung der Weiterbildung in der Allgemein- in die Praxis kommen. Der behandelnde Arzt bekommt medizin und bei den grundversorgenden Fachärzten diese Leistungen mit einem Zuschlag – hören Sie gut zu, gestärkt. Wir haben Arztgruppen und gleiche MVZ zuge- liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD und von der lassen und einen Strukturfonds bei den Kassenärztlichen FDP! – außerhalb des Budgets vergütet. Vereinigungen ermöglicht. (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Ja, (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Das aber nur für diese Fälle!) wird keinen jungen Arzt dazu bewegen, sich niederzulassen!) – Viel mehr Fälle, Frau Kollegin. Der „Masterplan Medizinstudium 2020“ wird den Rah- Im Übrigen werden dem Facharzt zukünftig alle Pati- men für die Ausbildung der künftigen Medizinerinnen enten, die vom Hausarzt direkt vermittelt werden, voll- und Mediziner an die Herausforderungen anpassen. ständig außerhalb des Budgets vergütet, und zwar für den kompletten Behandlungsfall. Liebe Kolleginnen und Kollegen, unstrittig ist, dass uns die Arbeit im Gesundheitsbereich ganz sicher nicht (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Dann ausgehen wird. Aber ich möchte hier noch einmal expli- seien Sie doch mal mutig und machen es zit feststellen, dass wir in Deutschland trotz mancher Är- gleich für alle!) gernisse ein hervorragendes, gutes, qualitätsgesichertes Gesundheitssystem haben. Für neue Patienten gibt es ebenfalls die Grundpauscha- le mit einem Aufschlag von 25 Prozent außerhalb des (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Budgets. Der Kollege Krauß hat es schon gesagt: Über Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Das ist 40 Prozent der heute abgerechneten Leistungen sind ex- richtig!) trabudgetär. Mit den im Gesetz anvisierten Maßnahmen wird sich das noch einmal deutlich erhöhen. Dies wird getragen von Ärzten, Ärztinnen, Apothekern, Apothekerinnen, den Menschen, die in der Pflege und in Deshalb: Wenn man genau hinschaut, dann sieht man, den verschiedenen Gesundheitsberufen arbeiten, die täg- dass das, was Sie mit Ihrem Antrag fordern, liebe FDP, lich gute Arbeit im Sinne der Patienten leisten. eigentlich schon passiert, Unsere Versorgung orientiert sich an medizinischer (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Nein! Indikation und ist evidenzbasiert; denn nicht alles, was Das ist nur Flickschusterei, was Sie da betrei- medizinisch machbar ist, ist für den Patienten dann auch ben!) notwendig oder ratsam. Es geht also nicht darum, durch 6226 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 56 Sitzung Berlin, Freitag, den 12 Oktober 2018

Sabine Dittmar (A) Entbudgetierung eine nicht mehr zu kontrollierende Dritter Punkt: Was ich am allerschlimmsten finde, ist, (C) Mengenausweitung hervorzurufen, was Sie hier zur Ethik der Ärzte abgelassen haben. Sie gehören nämlich genau zu denen, die die Ethik der Ärzte (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Ach! benutzen, dass sie schamlos ausgebeutet werden. Aha!) (Beifall bei der AfD) sondern es geht darum, durch gezielte Maßnahmen dafür zu sorgen, dass sich die Patientinnen und Patienten unab- Dann zur Semantik: Letztendlich ziehen Sie sich an hängig von ihrem Wohnort und ihrem Versichertenstatus Dingen hoch, reden selbst aber überhaupt nicht über die darauf verlassen können, medizinisch und pflegerisch Budgetierung. Sie reden über die Ausbildung der Ärzte gut versorgt zu werden. und über dies und das. Reden wir doch einfach einmal über die Budgetierung! Fragen Sie die Ärzte draußen ein- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: mal! Wie lange sitzen Sie denn schon im Bundestag, dass Genau. – Frau Kollegin, jetzt kommen Sie bitte zum Sie gar nicht mehr wissen, was denen draußen auf den Schluss. Nägeln brennt? (Beifall bei der AfD) Sabine Dittmar (SPD): Ich freue mich auf die Debatte im Gesundheitsaus- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: schuss. Dann können wir auch intensiver diskutieren. Herr Kollege Dr. Schlund, Sie sollten stehen blei- (Beifall bei der SPD) ben. – Frau Kollegin Dittmar, Sie wollen antworten.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Sabine Dittmar (SPD): Vielen Dank. – Nur für das Protokoll: Die Kolle- Sehr geehrter Herr Kollege Schlund, ich habe am gin Dugnus-Aschenberger heißt in Wahrheit Aschen- Mittwoch natürlich genau aufgepasst. Sie kamen erst in berg-Dugnus. den Ausschuss, nachdem die Debatte mit Herrn Professor Dr. Montgomery schon zu Ende war. Ich führe nämlich (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Ich Buch. bin da ganz locker!) (Tino Sorge [CDU/CSU]: Frau Kollegin Als Nächster spricht zu uns der Kollege Dr. Achim Dittmar entgeht nämlich nichts!) Kessler, Fraktion Die Linke. Ich muss Ihnen weiter sagen: Wir diskutieren heute ja (B) (Beifall bei der LINKEN – Karsten Hilse nicht nur über Ihren Antrag, sondern auch über den An- (D) [AfD]: Hallo!) trag der FDP. Da geht es sehr wohl um Versorgungsfra- – Oh, Herr Kollege. Ich bitte vielmals um Entschuldi- gen. Daher müssen Sie es schon mir überlassen, welchem gung. Ich hatte ja zugesagt, dass ich eine Kurzinterventi- Antrag ich mich schwerpunktmäßig in meinem Debat- on zulasse. Der Kollege Dr. Schlund hat das Wort. tenbeitrag widme. (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) GRÜNEN]: Das ist doch keine Alleinunter- haltung hier! – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/ Vizepräsident Wolfgang Kubicki: DIE GRÜNEN]: Ihr dritter Beitrag in der De- Nachdem das geklärt ist, hat der Kollege Dr. Achim batte! Es wird nicht besser!) Kessler, Fraktion Die Linke, das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Robby Schlund (AfD): Ich möchte die Gelegenheit nutzen, einmal etwas klar- zustellen. Ich habe hier niemanden persönlich angegrif- Dr. Achim Kessler (DIE LINKE): fen. Ich finde, das ist bei solchen Sachthemen besonders Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Lie- wichtig. Sie können das natürlich machen, aber dann be Besucherinnen und Besucher auf den Tribünen! Ge- müssen Sie schon bei der Wahrheit bleiben. Wenn Sie im sundheitspolitisch ist nicht viel von der AfD zu hören, Gesundheitsausschuss schlafen, dann sehen Sie mich na- außer dass sie Geflüchtete für alles Schlechte auf der türlich dort nicht sitzen. Welt verantwortlich macht, zum Beispiel – völlig unsin- nig – für steigende Kosten im Gesundheitswesen oder für (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die Ausbreitung multiresistenter Keime. NEN]: Fangen Sie doch einmal mit der Wahr- heit an!) (Karsten Hilse [AfD]: Hat er davon irgendet- was erwähnt?) Sie können gerne in die Protokolle schauen. Dann wer- den Sie sehen, dass ich dort war. Zu den großen Herausforderungen der Gesundheitspo- litik findet sich dagegen im Programm der AfD nichts, Zweite Sache: Natürlich muss man zuerst eine Ausset- weder zur Zunahme chronischer Erkrankungen zung machen, bevor man es abschafft. Man muss ja erst einmal an dem System arbeiten. Deswegen ist das auch (Zuruf von der AfD: Gibt es nur in Ihrer Fan- folgerichtig. tasie!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2018 6227

Dr. Achim Kessler (A) – Sie können krakeelen, so viel Sie wollen, das macht es Dr. Achim Kessler (DIE LINKE): (C) nicht besser – Ich bin solches Krakeelen nur nicht gewöhnt. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: noch zu den Auswirkungen des demografischen Wandels Ich unterbreche einmal Ihre Redezeit, damit das kein noch zu Patientenrechten oder einer gerechten Finanzie- Problem wird. Ich kann Ihnen versichern, dass sich die rung. Auch gesundheitspolitisch ist die AfD ein schwar- Anzahl der Zwischenrufe aus den verschiedenen Frakti- zes Loch. onen in etwa die Waage hält, auch was die Emotionalität betrifft. Gestern bei der Debatte über den Diesel war das (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- beispielsweise sehr klar erkennbar. Aber wenn Sie sagen, neten der CDU/CSU und der SPD) Sie fühlen sich durch die Zwischenrufe belästigt, dann Jetzt, kurz vor den Wahlen in Bayern und Hessen, ent- bitte ich darum, dem Redner zuzuhören. Ich hoffe, Herr deckt die AfD plötzlich ihr soziales Gewissen. Angeblich Braun, dass Sie wirklich rücksichtsvoll sind. Darauf set- zum Wohl der Patientinnen und Patienten fordert sie die ze ich jetzt. Aufhebung der Budgetierung. Das ist vollkommen un- (Jürgen Braun [AfD]: Ich bin ein rücksichts- glaubwürdig. voller Mensch!) (Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der AfD) Dr. Achim Kessler (DIE LINKE): – Sie können krakeelen, so viel sie wollen. Das macht es Ja, ich bin einfach andere Umgangsformen gewöhnt. nicht besser. Stellen Sie mir doch eine Zwischenfrage. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Noch vor zwei Wochen hat der Abgeordnete Schneider neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE von der AfD an dieser Stelle die private Krankenversi- GRÜNEN – Lachen bei der AfD) cherung gepriesen. Also, ich zitiere aus Ihrem Programm: (Sabine Dittmar [SPD]: Ja, richtig!) Das Kostenbewusstsein und die Eigenverantwort- Er hat uns mitgeteilt, dass er jährlich 2 000 Euro zusätz- lichkeit des Bürgers sollen gestärkt werden. lich für die private Krankenversicherung bezahlt, das sei ja nicht viel. Mit dem Einkommen eines Abgeordneten (B) Von den Bürgerinnen und Bürgern verlangen Sie Ein- (D) mag das hinkommen, aber von der Realität der Menschen schränkungen, gleichzeitig wollen Sie mit der Abschaf- ist das völlig abgehoben. Das ist eine klare Absage an das fung der Budgetierung die Ausgaben unkontrolliert stei- Prinzip der Solidarität in der gesetzlichen Krankenversi- gern. Es drängt sich die Frage auf: Wem nützt das? cherung. (Beifall bei der LINKEN – Jürgen Braun (Beifall bei der LINKEN, der CDU/CSU, der [AfD]: Den Patienten!) SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jürgen Braun [AfD]: Sprechen Sie doch mal Die Abschaffung der Budgetierung verbessert nicht zur Gesundheit und zu unserem Antrag!) zwangsläufig die Versorgung der Patientinnen und Pa- – Krakeelen Sie doch nicht ständig rum. tienten, wie Sie behaupten. Ärztinnen und Ärzte dür- fen beliebig viel untersuchen, beliebig viel verordnen, Folgerichtig ist in Ihrem Programm zu lesen – ich zi- beliebig viel behandeln, und sie bekommen jede Leis- tiere –: tung vergütet. Ärztinnen und Ärzte entscheiden, welche Behandlungen nötig sind, und als Leistungserbringer (Zurufe von der AfD) profitieren sie gleichzeitig davon. Die ersatzlose Auf- Das Kostenbewusstsein und die Eigenverantwort- hebung der Budgetierung führt zu unnötigen Behand- lichkeit des Bürgers – – lungen, und die können nicht nur nutzlos, sondern sogar schädlich sein. Herr Präsident, könnten Sie für Ruhe sorgen? Ich höre mein eigenes Wort nicht mehr. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Sie führt zu steigenden Ärzteeinkommen und als Folge Zwischenrufe sieht die Geschäftsordnung ausdrück- zu steigenden Beiträgen. Das, meine Damen und Herren, lich vor. Es ist noch nicht so laut, dass das Präsidium Sie ist nicht im Interesse der Versicherten. nicht hören kann; (Beifall bei der LINKEN – Christine Aschen- (Beifall bei der AfD) berg-Dugnus [FDP]: Unglaublich!) das gilt auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Es verwundert nicht, dass die FDP aufgeschreckt ei- und die Kolleginnen und Kollegen. Ich greife schon ein, nen Antrag mit derselben Forderung nachgeschoben hat. Herr Kollege Dr. Kessler, wenn es so weit ist. Was hier stattfindet, das ist ein neoliberaler Überbie- 6228 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 56 Sitzung Berlin, Freitag, den 12 Oktober 2018

Dr. Achim Kessler (A) tungswettbewerb um einen Teil der Ärzteschaft auf Kos- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) ten der Patientinnen und Patienten. Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Kessler. – Als Nächstes (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht zu uns des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Abg. die Kollegin Dr. Kirsten Kappert-Gonther. Christine Aschenberg-Dugnus [FDP] meldet (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sich zu einer Zwischenfrage) (BÜNDNIS 90/DIE Dr. Kirsten Kappert-Gonther Vizepräsident Wolfgang Kubicki: GRÜNEN): Herr Kollege Dr. Kessler, erlauben Sie eine Zwischen- frage, – Herr Präsident! Meine lieben Damen und Herren! Kein Wort bei der Einführung des Antrags durch die AfD zu Versorgungsstrukturen, kein Wort über die Patientin- Dr. Achim Kessler (DIE LINKE): nen und Patienten – das lässt tief blicken, was für ein Nein. Verständnis von Gesundheitspolitik Sie haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: bei der SPD, der FDP und der LINKEN sowie – was dazu beitragen würde, dass sich Ihre Redezeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) weiter verlängert? Die FDP hat über Versorgung gesprochen. Aber was Dr. Achim Kessler (DIE LINKE): Sie sagen, stimmt nicht. Das ist eine Mogelpackung. Die Nein, danke. – Meine Damen und Herren, wenn ge- Entbudgetierung der Ärztehonorare bringt für die Versor- setzlich Versicherte am Ende des Quartals keinen Termin gung rein gar nichts. mehr bekommen oder wenn ihnen Medikamente oder (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Heilmittel nicht verordnet werden, dann läuft was falsch. Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Das se- Wir brauchen mehr Transparenz, damit Ärztinnen und hen wir anders!) Ärzte Leistungen nicht in den nächsten Monat verschie- ben aus Angst, das Budget zu überschreiten. Sie wissen, dass mir die ärztliche Sicht aus über 12 Jahren kassenärztlicher Tätigkeit durchaus bekannt (Grigorios Aggelidis [FDP]: Sie widerspre- ist. Unsere Aufgabe hier im politischen Raum ist es aber chen sich schon selber!) doch, aus Sicht der Patientinnen und Patienten für eine gute Versorgung zu streiten. (B) Bürokratische Hürden müssen abgebaut werden, damit (D) Patientinnen und Patienten bedarfsgerecht behandelt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – werden können. Wir brauchen unabhängige Beschwer- Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Ich destellen, an die sich Versicherte wenden können, wenn glaube, das haben wir gemacht!) ihnen Leistungen vorenthalten werden. Wir müssen auch darüber diskutieren, wofür Geld – Das haben Sie nicht gemacht, Kollegin. – Wo liegen ausgegeben wird. Nach einer Studie der Techniker Kran- denn die Versorgungsprobleme? Schauen wir uns an, ob kenkasse sind acht von zehn Rückenoperationen unnötig. die Entbudgetierung irgendetwas bringen würde. Pharmakonzerne werfen teure Scheininnovationen auf den (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Las- Markt und machen Werbung bei den Ärzten, damit diese sen Sie es uns doch versuchen!) teureren Medikamente verordnet werden. Das alles zahlen am Ende die Versicherten. Damit muss Schluss sein. Erstes Beispiel. Im ländlichen Raum gibt es ganze Landstriche, in denen Hausärzte keine Nachfolge mehr (Beifall bei der LINKEN – Tino Sorge [CDU/ finden CSU]: Mit der Pauschalisierung aber auch!) (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Wa- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: rum denn wohl nicht?) Kommen Sie jetzt bitte auch zum Schluss, Herr Kol- und bis über 70 arbeiten, weil sie ihre Patientinnen und lege? Patienten nicht im Stich lassen wollen. Dort gilt die Bud- getierung ja schon nicht mehr. Im ländlichen Raum wür- Dr. Achim Kessler (DIE LINKE): de das also gar nichts bringen. Ich komme zum Ende. – Patientinnen und Patienten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) haben das Recht auf die bestmögliche Versorgung, Zweites Beispiel. In den Städten – das kenne nicht (Karsten Hilse [AfD]: Das stellen wir gar nur ich aus , sondern wahrscheinlich viele von nicht infrage!) Ihnen aus Ihren Städten – ist die Praxisversorgung sehr und zwar alle, egal wie viel sie verdienen, und auch egal, ungleich verteilt. In reicheren Stadtteilen bekommt man welche Herkunft sie haben. Dafür steht Die Linke. leichter einen Termin beim Arzt, bei der Ärztin, in ärme- ren Stadtteilen weniger leicht. Aber gerade eine Hausärz- Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. tin oder ein Hausarzt müssen doch für alle, überall und (Beifall bei der LINKEN) schnell erreichbar sein. Die Entbudgetierung würde im Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2018 6229

Dr. Kirsten Kappert-Gonther (A) Zweifel dieses Problem sogar noch verstärken. Das kann Dr. Kirsten Kappert-Gonther (BÜNDNIS 90/DIE (C) doch nicht ehrlich Ihr Ziel sein. GRÜNEN): Ja, gerne. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Im Ge- (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], genteil!) an die Abg. Christine Aschenberg-Dugnus [FDP] gewandt: Das muss wehgetan haben!) Drittes Beispiel. Wird eine Patientin aus dem Kran- kenhaus entlassen, ist es viel zu häufig schwierig, einen Anschlusstermin zu bekommen. Diese Sektorbrüche Christine Aschenberg-Dugnus (FDP): zwischen stationär und ambulant müssen wir in der Ver- Vielen Dank, Frau Kollegin, für die Zulassung der sorgung angehen. Frage.

(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Das Dr. Kirsten Kappert-Gonther (BÜNDNIS 90/DIE wollen wir auch! Aber das hat mit Budgetie- GRÜNEN): rung nichts zu tun!) Gerne. Auch hier bietet die Entbudgetierung keinerlei Antwort, meine sehr geehrten Damen und Herren. Christine Aschenberg-Dugnus (FDP): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wissen Sie, ich ärgere mich immer sehr, wenn von und bei der LINKEN) „Geldgeschenken“ an die Ärzte gesprochen wird. Ein Geschenk ist vom Wortsinn her eine Übertragung ohne Im Gegenteil: Die gesetzliche Krankenversicherung Gegenleistung. Das, was wir mit der Entbudgetierung muss in der Lage sein, eine gute medizinische Versor- erreichen wollen, ist genau das Gegenteil, nämlich dass gung zu sichern und zu steuern. erbrachte Leistungen vergütet werden. Deswegen finde ich es eigentlich schon fast eine Unverschämtheit, wenn Ihre Vorschläge würden jährlich 2,5 Milliarden Euro Sie von „Geldgeschenken“ reden; denn es geht darum, kosten, Tendenz steigend. dass die erbrachten Leistungen zu 100 Prozent vergütet werden. Ich bitte Sie, darüber noch einmal nachzuden- (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Also, ken oder allen niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten zu unseren Antrag haben Sie anscheinend nicht erklären, warum Sie eine Vergütung zu 100 Prozent als (B) gelesen!) „Geschenk“ bezeichnen. (D)

Bezahlen würden das alle gesetzlich Versicherten der So- Vielen Dank. lidargemeinschaft, ohne etwas davon zu haben. Das ist (Beifall bei der FDP und der AfD) sozial ungerecht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dr. Kirsten Kappert-Gonther (BÜNDNIS 90/DIE und bei der LINKEN – Christine Aschenberg-­ GRÜNEN): Dugnus [FDP]: Das ist doch Quatsch!) Kollegin Aschenberg-Dugnus, es geht um die Frage: Wie funktioniert Steuerung im Gesundheitswesen? Und: Die Überversorgung würde tendenziell zunehmen. Der Will man Steuerung, oder will man keine? Sie möchten Kollege Kessler hat zu Recht darauf hingewiesen: Über- keine Steuerung. Wir sagen, wir möchten Steuerung, versorgung ist nicht nur teuer, sie schadet auch den Pati- und zwar eine angemessene, damit wir Überversorgung entinnen und Patienten. Für unterversorgte Gebiete – das abbauen, Fehlversorgung reduzieren und Unterversor- sagte ich bereits – ist die Budgetierung ja schon aufge- gung beheben. Das tut man nicht, wenn man ganz gezielt hoben. Facharztgruppen zusätzliche Gelder durch die Entbudge- tierung übertragen würde. Insbesondere bei der Primär- Die Vorschläge von AfD und FDP wären ein Geldge- versorgung würde fast gar nichts ankommen, und das schenk für ganz bestimmte Facharztgruppen. Die Haus­ macht gesundheitspolitisch keinen Sinn. ärztinnen und Hausärzte würden davon fast gar nicht profitieren. Die meisten Ärztinnen und Ärzte, die ich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – kenne, sind übrigens sehr viel mehr an guten Versor- Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Das gungsstrukturen für ihre Patienten und Patientinnen in- wollen Sie nicht beantworten? – Grigorios teressiert. Aggelidis [FDP]: Die Frage haben Sie nicht beantwortet!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Glauben Sie denn tatsächlich, dass eine gute Gesund- heitsversorgung allein von Ärztinnen und Ärzten ab- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: hängt? – Dem ist nicht so. Das ist Retromedizin. Frau Kollegin Dr. Kappert-Gonther, erlauben Sie eine (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Sie Zwischenfrage der Kollegin Aschenberg-Dugnus? haben unseren Antrag nicht gelesen!) 6230 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 56 Sitzung Berlin, Freitag, den 12 Oktober 2018

Dr. Kirsten Kappert-Gonther (A) Dass die AfD eine tiefe Neigung zu rückwärtsgewandten Freiberuflich tätige niedergelassene Ärzte erhalten im (C) Gesellschaftsbildern hat, nun, das ist bei Ihnen ja einge- Gegensatz zu Krankenhausärzten gerade keine Gehälter, webt, da sie nicht angestellt sind. Vielmehr ist die vertragsärzt- liche Versorgung im Rahmen der gesetzlichen Vorschrif- (Karsten Hilse [AfD]: Was ist denn an Ver- ten und der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesaus- sorgungssicherheit rückwärtsgewandt?) schusses unter anderem so geregelt, dass die ärztlichen aber Sie, Kolleginnen und Kollegen von der FDP, sind Leistungen angemessen vergütet werden. doch eigentlich zum Fortschritt begabt. Für die vertragsärztliche Versorgung der Versicherten (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- werden Gesamtvergütungen vereinbart, die sich aus einer NEN – Beifall bei der FDP) Preis- und einer Mengenkomponente zusammensetzen. Sie könnten da doch weiterkommen und nicht einzig und Mit diesem System kommt es nicht zu einer Nichtfinan- allein Klientelpolitik machen. zierung von Leistungen, wie dies gern fälschlicherweise behauptet wird. Zudem werden neue oder förderungs- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) würdige Leistungen neben der morbiditätsbedingten Ge- In einem modernen, an den Bedürfnissen der Men- samtvergütung extrabudgetär vergütet. schen orientierten Gesundheitswesen arbeiten doch alle (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Aber Berufsgruppen teamübergreifend Hand in Hand auf Au- nicht alle!) genhöhe zum Wohl der Patientinnen und Patienten: Ärz- tinnen und Pflegekräfte, Physio- und Ergotherapeuten, Diese sogenannten extrabudgetären Leistungen machen Logopädinnen, Psychologen, Hebammen. Dafür brau- mittlerweile 33 Prozent der Leistungen bzw. der Vergü- chen wir Geld. tungen für Ärzte aus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mit dem aktuell geplanten Terminservice- und Ver- sorgungsgesetz sind auch zahlreiche Maßnahmen vor- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: gesehen, mit deren Hilfe die Ärzte für Zusatzangebote Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende. noch besser vergütet werden sollen. Dieses zusätzliche Honorarvolumen liegt bei schätzungsweise 600 Millio- Dr. Kirsten Kappert-Gonther (BÜNDNIS 90/DIE nen Euro. GRÜNEN): Darin zusätzlich zu investieren, macht Sinn. Dort (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Da- rum geht es doch gar nicht!) (B) braucht es Butter bei die Fische. (D) Ich danke Ihnen. So soll zum Beispiel eine erfolgreiche Vermittlung ei- nes dringend notwendigen Facharzttermins durch einen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hausarzt zusätzlich mit mindestens 5 Euro vergütet wer- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) den. Außerdem ist die extrabudgetäre Vergütung von Akutleistungen für Patienten geplant, die von den Ter- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: minservicestellen vermittelt werden. Vielen Dank. – Als letzter Redner zu diesem Tagesord- nungspunkt spricht zu uns der Kollege Stephan Pilsinger, (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Und CDU/CSU-Fraktion. die Regelversorgung fällt hinten runter! – Gegenruf der Abg. Sabine Dittmar [SPD]: (Beifall bei der CDU/CSU) Quatsch!)

Stephan Pilsinger (CDU/CSU): Auch sind Zuschläge von mindestens 25 Prozent auf Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der die Versicherten- und Grundpauschalen bei Leistungen ambulanten haus- und fachärztlichen Versorgung von für neue Patienten in der Praxis vorgesehen. Ebenso sol- gesetzlich Versicherten und dem Zugang zu diesen Leis- len Leistungen beim Patientenstamm vergütet werden, tungen gibt es derzeit Defizite. Das Terminservice- und wenn eine neue Krankheit diagnostiziert wird. Für Leis- Versorgungsgesetz, das Bundesminister Spahn derzeit tungen, die in der offenen Sprechstunde erbracht werden, auf den Weg bringt, verspricht aber grundlegende Ver- soll es einen Zuschlag von mindestens 15 Prozent auf die besserungen bei den Leistungen für die versicherten Pa- Grundpauschale geben. tientinnen und Patienten. Was die Terminprobleme bei allen Facharztrichtungen (Beifall bei der CDU/CSU – Christine betrifft, so bin ich mir mit der Fraktion der FDP insoweit Aschenberg-­Dugnus [FDP]: „Versprechen“ einig, als hier etwas getan werden muss. ist auch das richtige Wort! Es wird aber nicht erfüllt! Ein Versprechen ist noch keine Umset- (Beifall bei der FDP – Karsten Hilse [AfD]: zung!) Warum tun Sie es dann nicht?) Bei der Durchsicht der beiden Oppositionsanträge ist Bei einer Umfrage im Auftrag der Kassenärztlichen Bun- mir aufgefallen, dass vor allem die Fraktion der AfD das desvereinigung gaben 34 Prozent der gesetzlich Versi- Vergütungssystem ärztlicher Leistungen total verkennt. cherten an, im vergangenen Jahr mehr als drei Wochen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2018 6231

Stephan Pilsinger (A) auf einen Facharzttermin gewartet zu haben. Das kann Vizepräsidentin : (C) so nicht bleiben. Ich schließe die Aussprache. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf bei Abgeordneten der SPD – Karsten Hilse den Drucksachen 19/3393 und 19/4833 an die in der [AfD]: Ja! Aber ändern wollen Sie es trotzdem Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. nicht!) Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Das Terminservice- und Versorgungsgesetz sieht auch hier eine Reihe von Maßnahmen vor, um Kassenpatien- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a und 28 b auf: ten schneller zu einer Behandlung zu verhelfen. Unter a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- anderem sollen die Terminservicestellen ausgebaut wer- gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur den. Die Terminservicestellen sollen künftig unter der Änderung des Lebensmittel- und Futtermit- einheitlichen Rufnummer 116 117 an sieben Tagen in der telgesetzbuches Woche rund um die Uhr telefonisch und digital erreich- bar sein. Drucksache 19/4726 (Karsten Hilse [AfD]: Was bringt das, wenn es Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft keine Termine gibt? Dann rufen alle dieselbe Nummer an und kriegen keinen Termin! Was b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Amira ist das für eine Logik?) Mohamed Ali, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Dies ist zudem der erste Baustein einer grundlegenden DIE LINKE Reform der Notfallversorgung. Außerdem werden die Aufgaben der Terminservicestellen erweitert, und zwar Informationsrechte von Verbraucherinnen um die Vermittlung von Haus- und Kinderärzten zur dau- und Verbrauchern stärken – Behörden effek- erhaften Versorgung sowie um die Vermittlung von Pati- tiv zur Auskunft verpflichten enten in Akutfällen an Praxen und Notfallambulanzen – Drucksache 19/4830 auch während der Sprechstundenzeiten. Des Weiteren sollen die Mindestsprechstundenzeiten der Ärzte von 20 Überweisungsvorschlag: auf 25 Stunden pro Woche angehoben werden. Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Ja, Ausschuss für Tourismus (B) 2 Prozent!) (D) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Meiner Ansicht nach sollte man hierbei aber noch ei- die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- nen Schritt weitergehen und über die Etablierung eines nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Primärarztsystems in Deutschland nachdenken. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abge- (Sabine Dittmar [SPD]: Sehr gut!) ordnete Hans-Jürgen Thies für die CDU/CSU-Fraktion. Bisher ist die Versorgungssituation in Deutschland von (Beifall bei der CDU/CSU) einer direkten und parallelen Inanspruchnahme von hausärztlichen Praxen und Spezialisten gekennzeichnet. Hans-Jürgen Thies (CDU/CSU): Oft gehen Patienten sogar zum falschen Arzt oder suchen Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und mehrere Ärzte der gleichen Fachrichtung auf. Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Verbrau- In einem optimal gegliederten System ist der Haus- cherschutz insgesamt und der gesundheitliche Verbrau- arzt eigentlich der erste Ansprechpartner. Nur bei 10 bis cherschutz im Besonderen haben in den letzten Jahren in 20 Prozent der Patienten ist überhaupt eine Überweisung Deutschland einen extrem wichtigen Stellenwert erlangt. oder Mitbehandlung durch einen Spezialisten erforder- (Beifall der Abg. [CDU/ lich. Der überwiegende Teil der Anliegen von Patienten CSU]) kann auch durch einen Hausarzt zeitnah, abschließend, in guter Qualität und mit hoher Kosteneffektivität behandelt Wir, die CDU/CSU, bekennen uns ganz ausdrücklich werden. Ein weiterer positiver Effekt wäre die Vermei- zu einem wirksamen Verbraucherschutz. In Deutschland dung unnötig langer Wartezeiten auf einen Facharztter- leben schließlich 82 Millionen Menschen. Sie alle sind min. Auch eine Fehlversorgung würde dadurch vermie- Verbraucher. Die Menschen in unserem Land erwarten den werden. vom Staat, dass er sie im Lebensmittelbereich wirksam vor Gesundheitsgefahren, aber auch vor Täuschungen Grundsätzlich aber sind wir mit dem Terminservice- schützt. und Versorgungsgesetz schon auf einem guten Weg. Genau diesem Ziel dient das im Jahr 2005 verabschie- Vielen Dank. dete Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch. Wirksa- mer Verbraucherschutz ist aber nur dann gewährleistet, (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. wenn Markttransparenz und umfassende Verbraucherin- Sabine Dittmar [SPD]) formationen vorhanden sind. Dies erfordert staatliches 6232 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 56 Sitzung Berlin, Freitag, den 12 Oktober 2018

Hans-Jürgen Thies (A) Informationshandeln in Form effektiver Öffentlichkeits­ hat betont, dass die gesetzliche Veröffentlichungspflicht (C) information. dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im weiteren Sinne durchaus genügt. Insbesondere sei die Informationsver- (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Sehr rich- breitung, wenn sie denn verfassungskonform angewendet tig!) werde, geeignet und erforderlich, die legitimen Ziele des Ein ahnungsloser Verbraucher ist im Marktgesche- Gesetzes zu erreichen. Hervorgehoben hat das Bundes- hen strukturell unterlegen. Erst durch zeitnahe, leicht verfassungsgericht in dem Zusammenhang ausdrücklich, verfügbare Informationen wird er überhaupt in die Lage dass es im Grundsatz auch angemessen sei, die Interes- versetzt, in Kenntnis veröffentlichter Missstände eine au- sen der Unternehmen im Falle eines im Raum stehenden tonome Konsumentscheidung zu treffen und gegebenen- Verstoßes hinter die Schutz- und Informationsinteressen falls von einem Vertragsabschluss mit einem genannten der Verbraucher zurücktreten zu lassen. Unternehmen abzusehen. Dies stärkt letztlich die Ver- tragsfreiheit der Verbraucher, und diese ist bekanntlich Lediglich in einem einzigen Punkt hat das Bundesver- in Artikel 2 Absatz 1 Grundgesetz besonders geschützt. fassungsgericht die Regelung dennoch für verfassungs- widrig erachtet. Beanstandet hat das Bundesverfassungs- Um diesem Anliegen Rechnung zu tragen, wurde im gericht allein, dass es an einer zeitlichen Begrenzung der Jahr 2012 der Absatz 1a in § 40 Lebensmittel- und Fut- Informationsverbreitung mangelt. Von diesem Befris- termittelgesetzbuch eingefügt. Die Vorschrift ermächtigt tungserfordernis abgesehen, ist nach Auffassung des Ver- und verpflichtet nunmehr die Behörden, die Öffentlich- fassungsgerichts eine verfassungskonforme Anwendung keit über Verstöße gegen lebensmittelrechtliche Vor- der angegriffenen Regelung durch die zuständigen Be- schriften zu informieren. Das bedeutet, liebe Kollegin- hörden durchaus möglich, ohne dass es einer Nachbesse- nen und Kollegen, dass eine Behörde dazu verpflichtet rung durch den Gesetzgeber bedarf. ist, egal ob gesundheitsgefährdend oder nicht, Verstöße öffentlich zu machen. Dazu zählen Kennzeichnungsver- Der jetzt von der Bundesregierung eingebrachte Ge- stöße, Grenzwertüberschreitungen oder auch Verletzun- setzentwurf sieht eine zeitliche Begrenzung der Veröf- gen hygienischer Anforderungen. Die Liste möglicher fentlichung vor. Nach sechs Monaten müssen Veröffent- Verstöße ist sehr lang. lichungen wieder gelöscht werden. Auch diese Dauer der Wenn bei einem Unternehmen ein Verstoß nicht uner- Löschungsfrist entspricht den Vorgaben des Bundesver- heblichen Ausmaßes festgestellt wurde, landet das Un- fassungsgerichts; denn mit einer zunehmenden Dauer der ternehmen auf der Internetseite der Behörde. Diese Ver- Veröffentlichung nimmt deren Informationswert für den öffentlichung im Netz ist für die Allgemeinheit jederzeit Verbraucher deutlich ab. (B) einsehbar. Es handelt sich hierbei um den sogenannten (D) Internetpranger. Im Sinne des Verbraucherschutzes und Wir unterstützen daher den Gesetzentwurf der Bun- der Transparenz ist dieses Instrument des § 40 Absatz 1a desregierung, weil er sozusagen minimalinvasiv die vor- LFGB ein deutlicher Fortschritt. Dabei hat schon die handene gesetzliche Schwachstelle kurzfristig repariert. drohende Veröffentlichung einen erheblichen generalprä- Dies muss nach den Vorgaben des Bundesverfassungsge- ventiven Effekt. Dass sogar behobene Verstöße publiziert richts bis spätestens April 2019 geschehen. Mit der zügi- werden, erhöht die abschreckende Wirkung noch. gen Verabschiedung dieser Gesetzesänderung stellen wir also wieder Rechtssicherheit im Lebensmittelrecht her. Allerdings bedeutet dieses staatliche Informations- handeln, durch das sich die Markt- und Wettbewerbssi- Nun noch ganz kurz zum Antrag der Fraktion Die tuation bestimmter Unternehmen durchaus zum Nachteil Linke. Liebe Kolleginnen und Kollegen, hier wird uns verändern kann, einen sehr, sehr schwerwiegenden Ein- ein ganz bunter Blumenstrauß an weiteren Forderungen griff in die durch Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes präsentiert, die weit über die Entscheidung des Bundes- geschützte Berufsfreiheit. Eine öffentliche Namensnen- verfassungsgerichts hinausgehen. Ja, auch wir von der nung von Unternehmen oder Marken kann diese durch- CDU/CSU erkennen weiteren Änderungsbedarf beim aus irreparabel beschädigen, unter Umständen sogar fi- LFGB. Es gibt einige Punkte, über die diskutiert werden nanziell ruinieren. muss, zum Beispiel darüber, wie ein bundeseinheitlicher Bußgeldkatalog aussehen könnte oder in welchen Fällen Wegen dieser Eingriffsschwere sind an die Verfas- möglicherweise auf eine Doppelbeprobung verzichtet sungskonformität des § 40 Absatz 1a Lebensmittel- und werden kann. Futtermittelgesetzbuch hohe Anforderungen zu stellen. Die Veröffentlichungsvorschrift war deshalb von An- Lassen Sie uns diese Fragen gründlich und in einem fang an, seit 2012, sowohl juristisch als auch politisch gesonderten, nicht fristgebundenen Gesetzgebungsver- durchaus umstritten. Zahlreiche Landesbehörden hatten fahren klären. Heute müssen wir uns meines Erachtens aufgrund mehrerer oberverwaltungsgerichtlicher Ent- auf das wirklich Wesentliche konzentrieren. Der Antrag scheidungen die Veröffentlichungsvorschrift sogar ganz der Bundesregierung ist konstruktiv und schafft schnelle außer Vollzug gesetzt. In der Rechtsanwendung herrschte Handlungsmöglichkeiten. Die Vorgaben des Bundesver- also große Unsicherheit über die Verfassungsgemäßheit fassungsgerichts werden eins zu eins umgesetzt. dieser Bestimmung. Hier hat jetzt zum Glück, sage ich mal, das Bundes- Vizepräsidentin Petra Pau: verfassungsgericht durch seinen Beschluss vom 21. März 2018 Klarheit geschaffen. Das Bundesverfassungsgericht Kollege Thies, kommen Sie bitte zum Schluss. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2018 6233

(A) Hans-Jürgen Thies (CDU/CSU): richt sieht es auch als legitim an, dass Verbraucher in ihre (C) Ich bin beim letzten Satz, Frau Präsidentin. – Die in- Kaufentscheidung einfließen lassen, ob sich ein Unter- haltliche und fachliche Beratung des Gesetzentwurfs der nehmen in der Vergangenheit an Gesetze gehalten hat. Bundesregierung sollte nunmehr zügig in den zuständi- Natürlich stimmen wir dem Bundesverfassungsge- gen Ausschüssen erfolgen, damit wir Anfang 2019 wie- richt hier zu, wenn es eine zeitliche Begrenzung der der eine in jeder Hinsicht verfassungskonforme Geset- behördlichen Warnung verlangt, um den Eingriff in die zesgrundlage haben. Berufsfreiheit des Unternehmens und des Unternehmers Vielen herzlichen Dank. nicht ausufern zu lassen. Wir schließen uns auch dem Vorschlag der Bundesregierung einer Löschung nach (Beifall bei der CDU/CSU) sechs Monaten an. Ich möchte an dieser Stelle die Aufmerksamkeit des Vizepräsidentin Petra Pau: Gesetzgebers aber auch auf einen anderen Aspekt len- Das Wort hat der Abgeordnete Stephan Protschka für ken, der nicht Teil der Fragestellung bezüglich dieser die AfD-Fraktion. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts war, aber (Beifall bei der AfD) von den Ausführungen des Gerichts quasi gestreift wird und an dem Sie alle beteiligt sind: Gerade gegenüber AfD-Mitgliedern oder -Wählern, die sich öffentlich dazu Stephan Protschka (AfD): bekennen, ist es in der jüngeren Vergangenheit zu Boy- Gott zum Gruße, Frau Präsidentin! Verehrte Kolle- kottaufrufen gegen deren Unternehmen bzw. Denunzia- gen! Liebe Besucher und Gäste im Besucherbereich! Das tion bei den Arbeitgebern gekommen. Allein in meinem Stuttgarter Regierungspräsidium mit seinem politisch Kreisverband haben zwei Mitglieder ihren Arbeitsplatz sehr aktiven Präsidenten Manfred Bulling – Gott hab ihn verloren. Ich selbst war betroffen von diesen Boykottauf- selig – war seit Ende der 70er-Jahre nicht nur ein Vor- rufen. Meine Produktgeber wurden aufgefordert, mit mir denker unseres heutigen Themas. Bulling warnte zum keine Geschäfte mehr zu machen. Herzlich willkommen Schutz der Verbraucher vor Glykol in hochpreisigen Wei- in Ihrer Demokratie, wie Sie es immer so schön sagen. nen, vor Fadenwürmern in Speisefischen, vor Östrogen in Babynahrung und Nitrit in Mineralwasser. So handelte (Beifall bei der AfD – [SPD]: sein Haus auch, als er im August 1985 im Urlaub war. Was reden Sie hier eigentlich für einen Un- Es gab eine Warnung heraus: Birkel-Nudeln aus dem sinn?) nahegelegenen Remstal seien mit mikrobiell belastetem Nach unserem Demokratieverständnis darf jeder seine Flüssigei hergestellt worden. Der Skandal war nicht nur (B) Meinung frei äußern, solange er damit keinen anderen (D) das verschmutzte Flüssigei, der Skandal war auch, dass beleidigt. Birkel in einem Vergleich nach dieser berechtigten War- nung 12,8 Millionen D-Mark Schadensersatz vom Land (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Das ist aber bekam, obwohl das Land schon wusste, dass das im Pro- ganz neu! Das ist wirklich ganz neu!) zess maßgebliche Gutachten vermutlich gefälscht ge- Wenn schon eine begründete Warnung der Behörden wesen war. Das war einer der bekanntesten frühen Fälle vor Gesundheitsgefahren in den Augen des Gerichts ei- einer öffentlichen Warnung vor einem belasteten Lebens- nen Eingriff in die Berufsfreiheit darstellt und zeitlich bzw. Futtermittel. Nitrofen, Fipronil, Ehec – seither gab begrenzt werden muss, um wie viel mehr stellt dann eine es sehr viele Fälle, in denen die Behörden vor belasteten rein politisch begründete Diffamierung eines Unterneh- Lebens- oder Futtermitteln warnen mussten. mens oder Unternehmers einen solchen Eingriff dar? Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom Wir werden uns dieses Themas annehmen und danken 21. März 2018 den Behörden insoweit den Rücken ge- dem Bundesverfassungsgericht für den Hinweis auf die stärkt, als es im Grundsatz bestätigt hat, dass die Interes- vom Grundgesetz her schützenswerte Berufsfreiheit. Die sen des Unternehmens – Berufsfreiheit gemäß Artikel 12 Bayern werden am Sonntag ihr Kreuz an der richtigen Grundgesetz – in so einem Fall hinter dem Informations- Stelle machen: bei uns. interesse der Öffentlichkeit zurückstehen. (Ursula Schulte [SPD]: Mein Gott!) Seit 2012 – das hat der Kollege schon angesprochen – waren die Behörden von Amts wegen verpflichtet, die „Gott mit dir, du Land der Bayern, deutsche Erde, Va- Öffentlichkeit zu informieren, wenn Gesundheitsgefähr- terland!“ dungen und/oder hygienische Mängel und Täuschun- Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. gen – auch ohne Gesundheitsgefährdung – vorlagen. Das Bundesverfassungsgericht zieht die Grenze für Behörden (Beifall bei der AfD – [SPD]: und Öffentlichkeit dort, wo die Verstöße schon behoben Laber-Rhabarber!) oder noch nicht endgültig festgestellt sind. Die Bekannt- machung einer Warnung durch die Behörden wird zu Vizepräsidentin Petra Pau: Umsatzeinbußen und kann zur Existenzvernichtung des Für die SPD-Fraktion spricht nun die Abgeordnete Unternehmens führen. Trotzdem sieht das Gericht die Ursula Schulte. Veröffentlichung auch schon behobener Verstöße als le- gitim an, da die abschreckende Wirkung die Firmen zur (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Gitta Einhaltung der Vorschriften verstärkt motiviert. Das Ge- Connemann [CDU/CSU]) 6234 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 56 Sitzung Berlin, Freitag, den 12 Oktober 2018

(A) Ursula Schulte (SPD): wenn nur ein hinreichend begründeter Verdacht eines (C) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Verstoßes besteht. Das, finde ich, ist ein toller Erfolg Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! für die Verbraucherinnen und Verbraucher, und darüber Wenn ich Zuschauerin bei Phoenix wäre und hören wür- freue ich mich wirklich sehr. Damit ist auch klar – das de, dass der Deutsche Bundestag jetzt über das Lebens- sehe ich anders als Sie, Herr Thies –, dass § 40 Absatz 1a mittel- und Futtermittelgesetzbuch diskutieren würde, des LFGB nicht gegen die Berufsfreiheit der Betriebe würde ich wahrscheinlich einen Kaffee trinken gehen; verstößt. Allerdings mahnte das Gericht eine fehlende Befristung der Veröffentlichungen an. Diese Frist soll (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Renate mit dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf beschlossen Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das werden. Veröffentlichungen sollen nach sechs Monaten wäre der Fehler!) gelöscht werden können. denn dieser Tagesordnungspunkt verspricht keine son- Wir als SPD-Fraktion hätten uns zwar eine längere derlich spannende Diskussion. Aber dieses Gesetz ist für Frist vorstellen können, die Verbraucherinnen und Verbraucher durchaus interes- sant; warten Sie es einfach mal ab, Frau Künast. Ich hof- (Alois Rainer [CDU/CSU]: Leute, Leute!) fe, ich kann das ein wenig verdeutlichen. aber mit den sechs Monaten können wir leben. Aller- dings muss dann auch sichergestellt sein, dass die Bean- Das Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch ist seit standungen in dieser Frist behoben werden. Dies setzt na- 2005 in Kraft. Das Gesetz gilt für Lebensmittel und Fut- türlich zwingend voraus, dass die Betriebe entsprechend termittel, ebenso für Bedarfsgegenstände und Kosme- kontrolliert werden. Im Übrigen haben die Betriebe, tika. Oberstes Gebot ist die Lebensmittelsicherheit und wenn ich das richtig verstehe, sogar ein Recht auf zügige damit der Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher. und zeitnahe Nachkontrollen, wenn Verstöße festgestellt 2012 wurde der § 40 des LFGB durch Absatz 1a ergänzt. worden sind. Dieser Absatz besagt, dass die Ergebnisse amtlicher Kontrollen bzw. Verstöße gegen das LFGB zwingend zu Wir wollen mit diesem Gesetz einen Ausgleich zwi- veröffentlichen sind. Voraussetzung dafür ist, dass ein schen den wohlverstandenen Informationsbedürfnissen hinreichend begründeter Verdacht besteht, dass zulässi- der Verbraucherinnen und Verbraucher und den Interes- ge Grenzwerte überschritten werden, dass gegen andere sen insbesondere kleiner Betriebe herstellen. Weil wir Bestimmungen in nicht unerheblichem Maße verstoßen auch die Interessen der Betriebe und der Arbeitnehmerin- oder wiederholt verstoßen wurde. Das zu erwartende nen und Arbeitnehmer im Blick haben, ist die Forderung Bußgeld muss mindestens 350 Euro betragen. Die Norm, einer Löschfrist von zwei Jahren, wie von den Linken liebe Kolleginnen und Kollegen, schreibt also vor, wann gefordert, für uns eindeutig überzogen. Aber ich sage (B) und unter welchen Bedingungen die Öffentlichkeit vor auch deutlich: Das LFGB ist notwendig. Es ist nicht der (D) Produkten gewarnt werden soll, bei denen lebensmittel- mittelalterliche Pranger, als den es manche berufsständi- rechtliche Vorschriften nicht eingehalten wurden. sche Verbände bezeichnen. Auch wenn es bei den meisten Beanstandungen nicht (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Gitta unbedingt um Gesundheitsgefährdungen geht, sondern Connemann [CDU/CSU] und Renate Künast „nur“ um Hygieneverstöße oder Täuschungen, haben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) nach unserer Ansicht Verbraucherinnen und Verbrau- Liebe Kolleginnen und Kollegen, während wir uns mit cher ein Recht darauf, über Ekelküchen und Pferde- statt der sechsmonatigen Löschfrist arrangieren können, ha- Rindfleisch in der Lasagne informiert zu werden. dern wir damit, dass es noch immer keinen einheitlichen (Beifall bei der SPD – Alois Rainer [CDU/ Bußgeldkatalog gibt. CSU]: Da kriegt man nur eine Strafe von (Beifall der Abg. [SPD] und Gitta 350 Euro!) Connemann [CDU/CSU]) Allerdings stoppten einige Verwaltungs- und Ober- Den haben wir im Sommer 2017 beschlossen. Eine Ar- verwaltungsgerichte die Veröffentlichung von Verstö- beitsgruppe der Länder unter dem Vorsitz von Sachsen ßen und äußerten Bedenken, unter anderem mit Blick sollte den Bußgeldkatalog erarbeiten und auf den Weg auf das EU-Recht. Seit 2013 dürfen Verstöße gegen das bringen. Leider hat diese Arbeitsgruppe nach meinem LFGB bundesweit nicht mehr veröffentlicht werden. Der Wissen noch nie getagt. Absatz 1 des LFGB ist aber weiterhin uneingeschränkt gültig. Verstöße müssen von den Behörden dokumen- ( [CDU/CSU]: Schlecht!) tiert und verfolgt werden. Nur die Öffentlichkeit erfährt Das ist nicht nur schade. Ich finde, das ist auch ein Grund, nichts davon. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist bei den Ländern ein bisschen mehr Tempo anzumahnen. doch im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher nicht hinnehmbar; denn mit Transparenz hat das über- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten haupt gar nichts zu tun. der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD) Sachsen im Übrigen hat einen landeseinheitlichen Bußgeldkatalog. Dieser könnte doch ohne Probleme als Nun hat das Bundesverfassungsgericht Anfang März Grundlage dienen. Das würde die Sache auch ein biss- dieses Jahres entschieden, dass Verstöße gegen das chen vereinfachen. Nach unserer Ansicht muss der bun- LFGB doch veröffentlicht werden dürfen, sogar dann, deseinheitliche Bußgeldkatalog kommen. Er darf nicht in Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2018 6235

Ursula Schulte (A) weite Ferne rücken. Er ist Teil des Koalitionsvertrages. Ich bin immer noch voller Optimismus, dass die Koa- (C) Wenn ich den Applaus richtig deute, halten wir daran lition in dieser Frage zu einer Einigung kommt. fest, dass wir diesen auf den Weg bringen wollen. (Beifall der Abg. [SPD]) (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Gitta Connemann [CDU/CSU]) Das wäre sowohl im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher als auch im Interesse der produzierenden Liebe Kolleginnen und Kollegen, CDU/CSU und SPD Betriebe. Wir alle wollen sichere Lebensmittel und den arbeiten zwar in einer Koalition zusammen; deswegen Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher vor Täu- sind unsere Ziele aber noch lange nicht immer identisch. schung und Irreführung. Dieses Ziel eint uns, liebe Kol- Das kann und soll man auch ruhig nach außen kommu- leginnen und Kollegen, und hilft vielleicht dabei, über nizieren. Denn eigenständiges Denken ist den Fraktionen Parteigrenzen hinweg gemeinsam an der Realisierung zu ja nicht per Koalitionsvertrag verboten worden, arbeiten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Herzlichen Dank. und es hindert auch nicht daran, trotzdem gut zusammen- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zuarbeiten. der CDU/CSU) (Beifall der Abg. Dr. Eva Högl [SPD]) So kann sich die SPD-Fraktion nämlich gut vorstellen, Vizepräsidentin Petra Pau: alle Ergebnisse der Kontrollen im Rahmen des LFGB Das Wort hat die Kollegin Nicole Bauer für die zu veröffentlichen. Verbraucher sollen sich bewusst ent- FDP-Fraktion. scheiden können, und dafür brauchen sie einfach Trans- parenz. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Nicole Bauer (FDP): Wir haben ja überwiegend gute Ergebnisse. Das zeigt, Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen dass die meisten Betriebe sauber und hygienisch arbei- und Herren! Liebe Gäste! Wir, die FDP, unterstützen je- ten; das darf man dann auch ruhig öffentlich machen. derzeit ein eigenverantwortliches Denken und Handeln Und: Das wäre doch eine tolle Werbung für diejenigen, der Bürger. Wir setzen uns für ein offenes und transpa- die sich an die Bestimmungen halten, und für diejenigen, rentes System im Rahmen eines wirksamen Verbraucher- die Mängel haben, vielleicht ein Anreiz, diese schnell zu schutzes ein. Daher begrüßen wir auch die Pflicht zur (B) beheben. Veröffentlichung und zur Information der Allgemeinheit (D) Außerdem haben wir uns vorgenommen, das Portal bei Verstößen gegen das Lebens- und Futtermittelgesetz. „lebensmittelwarnung.de“ übersichtlicher und für den (Beifall bei der FDP) Verbraucher zugänglicher zu gestalten. Meldungen über Verstöße sollten zum Beispiel frühzeitiger eingestellt Die Bundesregierung ist angehalten, bis zum werden. Hilfreich für die Menschen wäre es auch, wenn April 2019 die Änderung des § 40 LFGB vorzunehmen. sie auf diesem Portal Tipps und Ratschläge für den Fall Meine Damen und Herren, dass wir über dieses Thema bekommen würden, dass sie schon belastete Produkte heute und so frühzeitig hier diskutieren, gleicht einem verzehrt haben. Wunder . Wie oft hatten wir es in den vergangenen Wo- chen, dass Themen ignoriert, ja verschlafen wurden? Wir, die SPD-Fraktion – Sie haben das angesprochen, Die Ferkelkastration ist ein Beispiel. Rechtzeitig einen Herr Thies –, würden auch gerne mit der Doppelbepro- gangbaren Weg für Landwirte, Behörden und Tierschüt- bung aufhören. Damit kämen wir einer Forderung des zer zu finden, wäre möglich gewesen. Stattdessen haben Bundesrates nach. Auch er vertritt die Auffassung, dass Sie nur die Übergangsfristen verlängert. Lassen wir es eine Untersuchung in einem amtlichen Labor ausreicht. jetzt gar nicht erst so weit kommen! Lassen Sie uns die Vielleicht bekommen wir es – auch wenn Sie sich hier Änderungen des Lebens- und Futtermittelgesetzes zügig für etwas anderes ausgesprochen haben – wenigstens hin, verabschieden, allerdings nicht im Sinne des Antrags der festzulegen, dass die zweite Untersuchung im gleichen Linksfraktion, meine Damen und Herren! amtlichen Labor stattfinden kann. Das wäre auch ganz praktisch; denn die meisten Länder haben nur ein amtli- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ches Labor. der CDU/CSU) (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie der Sie schlagen darin eine 12-monatige Löschfrist für die Abg. Amira Mohamed Ali [DIE LINKE]) veröffentlichten Informationen vor. Ebenso möchten wir, dass nicht nur überschrittene (Amira Mohamed Ali [DIE LINKE]: 24!) Grenzwerte, sondern auch – erst recht – der Nachweis von verbotenen Stoffen veröffentlicht wird. Werte Kolleginnen und Kollegen, haben Sie sich schon einmal Gedanken darüber gemacht, was es für die betrof- Zum Thema Doppelbeprobung bekommen wir übri- fenen Unternehmen bedeutet, ein ganzes Jahr lang an den gens Unterstützung vom Bundesverband der Lebens- Pranger gestellt zu werden? mittelkontrolleure, der hier ebenfalls eine Klarstellung fordert. (Amira Mohamed Ali [DIE LINKE]: Oh ja!) 6236 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 56 Sitzung Berlin, Freitag, den 12 Oktober 2018

Nicole Bauer (A) Hygienische Missstände werden in der Regel schnellst- Amira Mohamed Ali (DIE LINKE): (C) möglich abgestellt. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kol- (Amira Mohamed Ali [DIE LINKE]: 24! legen! Liebe Gäste! Es geht um die Frage, nach welchem Zwei Jahre wollen wir!) Zeitraum Meldungen über Verstöße von Unternehmen gegen die Vorschriften zur Lebensmittel- oder Futter- Ihre Forderung ist deshalb unverhältnismäßig. mittelsicherheit in behördlichen Informationsportalen (Beifall bei der FDP) gelöscht werden, Meldungen, wie zum Beispiel die über das berühmte Pferdefleisch in der Lasagne. Die Linke Eine Veröffentlichung bis zum Abstellen der Missstände sagt ganz klar: Die Verbraucherinnen und Verbraucher muss ausreichen. Bei wiederholtem Verfehlen schlagen haben bei solchen Ereignissen ein Recht darauf, vollstän- wir eine gestaffelte Löschfrist von bis zu drei Monaten dig aufgeklärt und voll informiert zu werden. vor. (Beifall bei der LINKEN) Unverhältnismäßig ist es auch, aus einer Ordnungs- widrigkeit eine Straftat zu machen. Ebenfalls unverhält- Die jüngste Rechtsprechung des Bundesverfassungs- nismäßig ist es, eine Auskunftspflicht für alle Lebensmit- gerichts steht hier an unserer Seite; das ist mehrfach telkontrollen zu erwirken. genannt worden. Das Gericht hat entschieden, dass der Die Öffentlichkeit soll also jederzeit Auskunft über je- Informationsanspruch der Verbraucherinnen und Ver- des Unternehmen erhalten können. Haben Sie schon ein- braucher schwerer wiegt als die durch die Berufsfreiheit mal etwas von Datenschutz oder Betriebsgeheimnissen geschützten Rechte der Unternehmen. Das ist ein großer gehört? Sie stellen unsere Lebensmittelhersteller unter Sieg für die Verbraucher. Generalverdacht. Das Gericht hat auch entschieden, dass die aktuelle (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten gesetzliche Regelung nicht verfassungsgemäß ist; denn der CDU/CSU und der AfD) es fehlt die Löschfrist. Nach einer bestimmten Frist sol- len die Meldungen über die Rechtsverstöße der Unter- Wir unterstellen niemandem Straftaten, und wir vorver- nehmen wieder gelöscht werden, ähnlich wie die Punkte urteilen auch keinen. in Flensburg für die Autofahrer. Sie sprechen von einem Informationsgleichgewicht zwischen Verbraucher und Wirtschaft. Dieser Zustand – Die Regierung schlägt nur eine Frist von sechs Mona- da gebe ich Ihnen recht – ist tatsächlich anzustreben, aber ten vor. In der aktuellen Praxis in vielen Bundesländern eben anders. waren es bisher aber zwölf Monate. Was heißt das? Die (B) Regierung nimmt dieses Urteil zum Anlass, die Verbrau- (D) Wir wollen unabhängige Doppelkontrollen, um ob- cherrechte faktisch zu schwächen; denn in der Praxis jektiv die Ergebnisse beurteilen zu können. Außerdem waren es bisher zwölf Monate, und jetzt sollen es sechs ist es Sache des Gesetzgebers, bundesweit einheitliche werden. Das geht nicht. Sie kehren das Urteil ins Gegen- Qualitäts- und Kontrollstandards zu definieren und einen teil um. einheitlichen Bußgeldkatalog auf den Weg zu bringen. (Beifall bei der LINKEN) Was wir aber nicht brauchen, sind Hygiene-Smileys. Mit welchen Labels, Kennzeichen und Ampeln wollen Ich möchte hier noch mal an die Punkte in Flensburg Sie die Verpackung von Lebensmitteln eigentlich noch erinnern. Rechtsverstöße von Autofahrerinnen und Au- zusätzlich zukleistern? tofahrern werden frühestens nach zweieinhalb Jahren (Beifall bei der FDP) gelöscht – und das aus gutem Grund. Es braucht eine vernünftige Wohlverhaltensphase, um Vertrauen wie- Wir brauchen sicherlich nicht noch mehr Bürokratie. derherzustellen. Unternehmen nach nur sechs Monaten Ganz im Gegenteil: Wir brauchen ein vereinfachtes Le- schon wieder reinzuwaschen, ist Verbrauchertäuschung. bensmittel- und Futtermittelgesetzbuch. Deshalb spre- chen wir uns klar für eine behördliche Transparenz und (Beifall bei der LINKEN) eine umfassende Aufklärung der Bürgerinnen und Bürger aus. Die Linke lehnt diesen Vorschlag daher ab. Wir ha- ben einen eigenen Antrag zu dem Thema eingebracht, Halten Sie bitte die Balance zwischen wirksamem der Verbraucherrechte wirklich stärkt. Wir fordern eine Verbraucherschutz und übertriebenem Kontrollwahn. Löschfrist von 24 Monaten. Außerdem fordern wir insge- Herzlichen Dank. samt eine deutliche Verbesserung des Verbraucherinfor- mationsrechts, und wir machen dafür in unserem Antrag (Beifall bei der FDP – Rainer Spiering [SPD]: konkrete Vorschläge. Das hat sie gut gemacht!) Es muss für alle leicht sein, an relevante Informati- Vizepräsidentin Petra Pau: onen über Unternehmen zu kommen. Die heutigen In- Das Wort hat die Abgeordnete Amira Mohamed Ali formationsdienste sind teilweise gebührenpflichtig, und für die Fraktion Die Linke. wesentliche Informationen sind oftmals nicht enthalten. Wir fordern daher ein umfassendes, kostenloses Informa- (Beifall bei der LINKEN) tionsportal mit Blick auf unlautere Geschäftspraktiken – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2018 6237

Amira Mohamed Ali (A) und das nicht nur in Bezug auf Lebensmittel, sondern Wer von uns will denn in einem Restaurant essen, das (C) auch auf Finanz- und Gesundheitsdienstleistungen –; gerade eben oder gestern noch Schimmel, Rattenkot oder Ähnliches in der Küche hatte? Hier brauche ich mei- (Beifall bei der LINKEN) nes Erachtens gar nicht viel zu erklären. Wir sind Wirt- denn so ein Portal warnt nicht nur die Verbraucherinnen schaftsteilnehmer – Wirtschaft ohne Kunden funktioniert und Verbraucher, sondern verbessert auch die Rechtstreue ja wohl nicht – und haben ein Recht auf Transparenz wie der Unternehmen. jede und jeder andere auch. Das müssen wir meines Er- achtens gar nicht begründen. Es ist immer viel von Wettbewerb die Rede; der soll gestärkt werden. Leider meinen Sie, Kolleginnen und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kollegen von der Regierung, damit in der Regel nur den sowie der Abg. Amira Mohamed Ali [DIE Wettbewerb um den größten Profit der Unternehmen. LINKE]) Wie wäre es denn mal mit einem Wettbewerb um die Frau Bauer, Sie haben hier von „Pranger“ geredet. saubersten Geschäftsmethoden? Das wäre ein wichtiger Ich muss Ihnen mal sagen: Da haben Sie sich irgendwie Fortschritt, und dafür braucht man Transparenz. vergaloppiert. Kann man von „Pranger“ sprechen, wenn man die Wettbewerbsbedingungen für die verbessert, die (Beifall bei der LINKEN) sauber und ordentlich arbeiten, die eine saubere Küche Stichwort „Sauberkeit“: Wir fordern in unserem An- haben und Personal dafür einsetzen, das Restaurant re- trag auch die Einführung des sogenannten Hygiene-Smi- gelmäßig, jeden Abend, wieder ordentlich zu reinigen? leys. Dabei geht es nicht um immer mehr Label, Frau Es soll jemand an den Pranger gestellt werden, wenn Kollegin von der FDP. Es geht darum, dass Behörden alle man öffentlich macht, dass er Rattenkot im Laden hat? Betriebe, die Lebensmittel verarbeiten oder verkaufen, Ich frage mich: Was haben Sie eigentlich für eine Vorstel- mit einem Aufkleber versehen, der farblich kennzeich- lung von Wettbewerb? net – damit ist das für alle leicht erkennbar –, wie die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hygiene in dem Betrieb ist. sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Seien wir ehrlich: Jeder von uns, der in ein Restau- Ich muss Ihnen eines sagen: Frau Klöckner tut so, als rant geht, möchte wissen, wie es um die Sauberkeit in der würde sie mit diesem Gesetzentwurf das Urteil umset- Küche bestellt ist. zen. Das Urteil hat aber insgesamt von Informationen geredet. Die Frist von sechs oder zwölf Monaten war da- (Friedrich Straetmanns [DIE LINKE]: Sehr rin nur ein Punkt. Sie haben nicht mehr umgesetzt als richtig! – Gökay Akbulut [DIE LINKE]: Rich- in Bezug auf diese Frist und dann noch die schlechteste tig!) (B) Variante genommen. Das schützt nicht die Verbraucher, (D) In Dänemark gibt es bereits so ein System. Seit seiner sondern in mehreren Bundesländern wird der Standard – Einführung hat sich die Zahl der Hygieneverstöße dort diese zwölf Monate, wie Sie von den Linken schon ge- halbiert. Das ist offensichtlich ein Erfolgskonzept, und sagt haben – gesenkt. das sehen auch die Betriebe so. 88 Prozent halten das Wenn ich auf die Verbraucherrechte und deren Situati- Smiley-System für gut oder sehr gut. on gucke, dann fällt mir ein Satz ein – Sie kennen ihn –: Mit diesen Forderungen sind wir an der Seite von vie- Die dümmsten Bauern ernten die dicksten Kartoffeln. len NGOs, wie Foodwatch, und der Verbraucherzentra- (Katharina Landgraf [CDU/CSU]: So ist es! – len. Wie Sie mit unserem Antrag heute umgehen, wird Zuruf von der CDU/CSU: Die größten!) den Bürgerinnen und Bürgern zeigen, wie ernst Sie es mit den Verbraucherinteressen wirklich meinen. Wenn ich das Ganze auf Frau Klöckner beziehe, dann würde ich sagen: Die Anzahl der umgesetzten Verbrau- Vielen Dank. cherschutzprojekte ist reziprok proportional zur Anzahl der YouTube-Videos, wenn Sie verstehen, was ich meine. (Beifall bei der LINKEN) (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun – Bei uns ist es ein bisschen schneller verstanden wor- die Kollegin Renate Künast. den. Ich habe bewusst „reziprok proportional“ gesagt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, auch der Koalitionsvertrag wird faktisch missachtet. Gut, den muss ich nicht einfor- dern, aber darin steht der Ausdruck „übersichtliche und Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): eindeutige Verbraucherinformation“. Wir als Kunden ha- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Bun- ben doch ein Recht auf einfache Transparenz und gute desverfassungsgericht hat sich mit seinem Urteil ganz Hygienekontrollen. Es geht um das Wissen der Kunden klar auf die Seite der Verbraucherinnen und Verbraucher und übrigens auch um fairen Wettbewerb, also nicht nur gestellt und klar ausgedrückt: Die Menschen sollen es er- um die Frage der Verbrauchertäuschung. Es geht auch um fahren, wenn ein Betrieb gegen Lebensmittelvorschriften fairen Wettbewerb: Was tun Sie eigentlich? Wie gewähr- verstößt – und nicht erst, wenn es eine wirkliche Gefahr leisten Sie eigentlich die Information der Verbraucher um für Leib oder Leben gibt. deren Recht willen? Die Animation, die Bewegung, der 6238 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 56 Sitzung Berlin, Freitag, den 12 Oktober 2018

Renate Künast (A) Druck dahin gehend, dass wirklich ein fairer Wettbewerb legt. Man kann darüber diskutieren, ob das zu kurz oder (C) stattfindet – was tun Sie dafür eigentlich? Sie lassen doch zu lang ist. Für mich persönlich ist es zu lang; denn wer an dieser Stelle die Restaurants, die gut arbeiten, im Re- einmal im Internet steht, steht immer im Netz. Also, so gen stehen. leicht geht das nicht raus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Lassen Sie mich eines mal erklären: Ich stehe als Le- bensmittelunternehmer Rainer – ich nehme jetzt exem- In Nachbarländern, zum Beispiel in Dänemark, gibt plarisch für viele andere meinen Namen, damit ich es glückliche Smileys und traurige Smileys; da weiß keinen anderen verwenden muss – im Netz, nicht weil man Bescheid. In Frankreich und Großbritannien gibt ich einen gesundheitsrelevanten Fehler gemacht habe, es Karten, auf denen man sieht, wo die wirklich guten sondern einen Bürokratiefehler. In Sachsen gibt es ei- Restaurants sind. Ich will, dass wir zu einer wirklich nen Bußgeldkatalog für so etwas. Da steht zum Beispiel, transparenten und leichtverständlichen Veröffentlichung dass man bei der Nichtmeldung einer Schlachtung, was der Kontrollergebnisse kommen. Ich will, dass man die- in der Hektik vor Weihnachten durchaus passieren kann, se Ergebnisse vor Ort und im Internet sehen kann. Ich 500 Euro Bußgeld zahlen muss. Das steht dann auch im will, dass wir das Portal Lebensmittelwarnung.de so Netz mit dem jeweiligen Namen. weiterentwickeln, dass wir jederzeit online und per App sehen können, was los ist, wie die Kontrollen sind. Wir Ein Großunternehmer, der ebenfalls einen Schaden brauchen dazu nicht auf die Flugtaxis zu warten; denn im in der Bürokratie verursacht hat, der aber ein No-Name-­ Zuge der Digitalisierung wäre das schon heute per App Produkt einer großen Handelskette herstellt, steht eben- leicht möglich. falls im Netz. Wer, glauben Sie, hat am Ende der Tage einen Schaden? Der kleine Lebensmittelunternehmer, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der mit seinem Namen wirbt, hat den Schaden, obwohl Fazit zu diesem Gesetz: Sie haben mit diesem Gesetz er eigentlich „nur“ einen bürokratischen Fehler gemacht eigentlich nichts für die Verbraucher getan, sondern in hat. Deshalb bitte ich darum, dass wir in der Zeit, in der vielen Bundesländern den Standard nach unten getrie- über dieses Gesetz noch verhandelt wird, miteinander ben. Sie haben keine Smileys eingeführt. Dafür zeige ich reden, damit wir eventuell gesundheitsrelevante Aspek- Ihnen einen Smiley, Frau Klöckner, nämlich einen roten te in diese 350 Euro einbeziehen. Dann wäre ich damit mit nach unten gezogenen Mundwinkeln. einverstanden. (Die Rednerin hält ein Papier hoch) Wenn es dann noch bürokratische Hemmnisse gäbe, dann müsste man diese Schwelle erheblich erhöhen; Danke. denn es soll zu nicht unerheblichen Verstößen gekommen (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sein. Jetzt stelle ich die Frage in den Raum: Bei einem (D) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Bußgeldrahmen bis 50 000 Euro, sind da 350 Euro Buß- geld nicht unerheblich? Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin absolut dafür – dazu stehe ich auch mit Vizepräsidentin Petra Pau: meiner Ehre als Lebensmittelunternehmer –, dass dieje- Der letzte Redner in dieser Debatte ist der Kollege nigen, die nicht ordentlich wirtschaften, die die Gesund- Alois Rainer für die CDU/CSU-Fraktion. heit der Menschen aufs Spiel setzen, bestraft werden und (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. dass deren Name auch genannt wird; aber es muss noch Nicole Bauer [FDP]) verhältnismäßig bleiben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Alois Rainer (CDU/CSU): Man muss den Großen, der einen Lebensmittelskandal Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen verursacht hat, schon wesentlich stärker – ich sage es mal und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Las- auf Bayerisch – „auf die Schultern klopfen“ – nicht auf sen Sie mich zu Beginn einmal klarstellen, dass wir in den Kopf hauen; das will ich nicht – als einen, der einmal Deutschland im weltweiten Vergleich die sichersten, die ein kleines bürokratisches Missverständnis erzeugt hat. am besten kontrollierten und auch die besten Lebensmit- Deshalb bitte ich darum, dass die Koalition noch mal in tel haben. sich geht, sich Gedanken darüber macht. (Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt NEN]: Aber das hat sie doch gemacht! Das nicht!) war in der Ressortabstimmung! Das ist durch die Regierung gegangen! Frau Klöckner hat Darüber hinaus haben wir die besten Kontrolleure sowie zugestimmt!) die besten und mitunter strengsten Vorschriften. – Das ist durch die Regierung gegangen. Aber Sie wissen Ich bin überzeugter Lebensmittelhandwerker und Le- genau, liebe Kollegin, dass in der Regel kein Gesetz aus bensmittelunternehmer. Ich habe vier Jahre die Änderung diesem Haus so rausgeht, wie es hineingegangen ist. des LFGB begleitet; deshalb freue ich mich, dass ich heute darüber sprechen darf. Ich habe hier einige Din- (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: ge gehört: Ja, es ist richtig: Das Bundesverfassungsge- Ja, ja! Frau Klöckner hat zugestimmt! – Gitta richt hat geurteilt, man solle die Löschfrist festlegen. Das Connemann [CDU/CSU]: Gesetzgeber sind steht jetzt im Raum. Sie wird auf sechs Monate festge- wir!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2018 6239

Alois Rainer (A) Mit dieser Hoffnung lebe ich, und deshalb mein ein- die Beschlussfähigkeit dieser Sitzung gemäß der Ge- (C) dringlicher Appell heute – ich wollte das nur klarstel- schäftsordnung, und ich bitte um Überprüfung. len –, (Abgeordnete der AfD verlassen den Saal – (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Sönke Rix [SPD], an den Abg. Jürgen Braun NEN]: Dann müssen Sie an Frau Klöckner [AfD] gewandt: Gehen jetzt Kollegen von Ih- appellieren!) nen raus?) dass man sich darüber Gedanken macht, was das alles bedeutet. Man kann über den Datenschutz reflektieren, Vizepräsidentin Petra Pau: wenn etwas über einen im Netz steht. Man kann darüber Jetzt ist es natürlich spannend, dass Vertreter dieser reflektieren, was es bedeutet, wenn persönliche Daten im Fraktion gerade beim Vortrag dieses Antrages den Raum Netz stehen. Ich habe es eingangs gesagt: Mit der Lö- verlassen – aber gut. schung schaut es auch nicht so gut aus. Wenn man einmal im Netz ist, dann wird man im Netz bleiben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LIN- KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Lassen Sie mich abschließend noch eine Statistik des NEN) Bundesamts für Risikobewertung von Februar 2018 zi- tieren. Daraus geht hervor, dass 81 Prozent der Verbrau- Auch damit gehen wir um. cher die Sicherheit von Lebensmitteln im Allgemeinen Wir haben Regeln dazu. Zuallererst wird sich jetzt das als „sicher“ oder „eher sicher“ einstufen würden. Das ist Präsidium beraten, wie wir damit umgehen, und dann eine gute Zahl; die muss man verbessern. Da bin ich da- gibt es ja die Abstimmung, die gleich ansteht. Sie wissen, bei. dass man die Abstimmung in der Sache, also über die Sehr geschätzte Kollegin Künast, ich finde es nicht Ausschussüberweisung, gegebenenfalls mit der Feststel- gut und nicht schön, wenn Sie pauschal vom Rattenkot in lung der Beschlussfähigkeit, wenn wir sie von hier vorn Läden und in Küchen sprechen. Ich finde das unredlich. nicht feststellen können, verbindet. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Das Präsidium berät sich – Rainer Spiering NEN]: Das hat sie nicht getan!) [SPD]: Schickt jemanden mit dem Lasso raus! – Karsten Hilse [AfD], an die CDU/CSU – Doch, natürlich. Schauen Sie im Protokoll nach. und SPD gewandt: Ihr seid oft viel weniger! – (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Gegenruf des Abg. [CDU/ NEN]: Quatsch! Sie hat ein Beispiel ge- CSU]: Die Statistik sagt etwas anderes!) (B) bracht!) (D) Ich bitte um Aufmerksamkeit. Sie, Frau Künast, haben das in Ihrer Rede heute so ge- sagt. (Karsten Hilse [AfD]: Die Linken wollen ein ganz bestimmtes Thema auf der Tagesordnung (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- haben! Aber wir wollen das nicht! – Gegen- NEN]: Das ist der Unterschied zwischen den ruf der Abg. Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/ Worten „pauschal“ und „zum Beispiel“! – DIE GRÜNEN]: Es geht gar nicht um die Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Beschlussfähigkeit? Das ist interessant! Das So ein Quatsch!) merken wir uns!) Ich nehme diese Lebensmittelunternehmer in Schutz. – Die Spielregeln sind in der Geschäftsordnung festge- Eine pauschale Verurteilung finde ich einfach nicht gut; halten, und nach dieser verfahren wir hier. ich habe es bereits gesagt. Da das Präsidium von vorn nicht zweifelsfrei die Be- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP so- schlussfähigkeit feststellen kann, schließe ich jetzt erst wie bei Abgeordneten der AfD) einmal ordnungsgemäß die Aussprache. Ordnung muss Abschließend sage ich Ihnen: Wir brauchen eine gute sein, auch im Protokoll. Balance zwischen Verbraucher und Wirtschaft und Han- Wir werden jetzt über die Überweisung der Vorlagen del und keine weiteren Einschränkungen, die den Büro- auf den Drucksachen 19/4726 und 19/4830 an die in kratie- und Kontrollwahn nur weiter verstärken. Ich freue der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse abstimmen. mich auf die weiteren Verhandlungen. Gleichzeitig werden wir damit die Beschlussfähigkeit Danke schön. des Deutschen Bundestages überprüfen. Dazu haben wir wiederum Regeln. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich bitte Sie alle, den Saal zu verlassen und dann die Türen zu schließen. Sollten sich Schriftführerinnen und Vizepräsidentin Petra Pau: Schriftführer im Raum befinden, bitte ich gleich darum, Zur Geschäftsordnung der Abgeordnete Braun. dass sie sich an den Abstimmungstüren zur Verfügung stellen. Zuallererst bitte ich Sie, den Raum zu verlassen. Jürgen Braun (AfD): Im Übrigen entscheiden wir, erst wenn wir das Abstim- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und mungsergebnis festgestellt haben, wie es dann weitergeht Herren! Liebe Kollegen! Die AfD-Fraktion bezweifelt mit dem Antrag „Freiheitsrechte bewahren – Kein Mus- 6240 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 56 Sitzung Berlin, Freitag, den 12 Oktober 2018

Vizepräsidentin Petra Pau (A) terpolizeigesetz nach bayerischem Vorbild“. Das wird – Ja, liebe Kollegen. (C) dann nachher verhandelt. Zweitens. Das Präsidium kann gar nicht erkennen, ob Ich bitte auch diejenigen, die schon auf dem Weg Kolleginnen und Kollegen daran gehindert werden, den nach draußen sind, um Aufmerksamkeit, damit wir dann, Saal zu betreten. wenn alle draußen sind, zügig und sachgerecht die Ab- stimmung eröffnen können. Wer für die Überweisung der ( [CDU/CSU]: Dann muss beiden Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführ- das Präsidium aufstehen!) ten Ausschüsse ist, muss nachher durch die „Ja“-Tür den Daraus folgt, dass Sie bitte die Türen und auch den Gang Raum wieder betreten, wenn ich die Abstimmung eröff- frei machen müssen. Jeder Kollege und jede Kollegin, net habe. Wer dagegen ist, kommt durch die mit „Nein“ der oder die an dieser Abstimmung teilnimmt, muss die gekennzeichnete Tür. Wer es nicht weiß, kommt Möglichkeit haben, durch die Tür seiner oder ihrer Wahl (Dagmar Ziegler [SPD]: Gar nicht!) zu kommen. durch die Tür „Enthaltung“. – Ich bitte die Kolleginnen Ich erläutere noch einmal: Wer der Ausschussüber- und Kollegen, den Saal zu verlassen. weisung der Drucksachen vom vergangenen Tagesord- nungspunkt zustimmt, kommt durch die mit „Ja“ gekenn- (Alois Rainer [CDU/CSU]: Wir gehen!) zeichnete Tür. Wer diese Ausschussüberweisung ablehnt, Ich bitte um ein Zeichen, ob an allen drei Abstim- kommt durch die „Nein“-Tür. Wer sich enthalten will, mungstüren die notwendigen Schriftführerinnen und kommt durch die „Enthaltung“-Tür. Schriftführer da sind. Die Abstimmung ist geschlossen. Als kleiner Service für Sie auf den Besuchertribünen: Hier findet im Moment die Feststellung der Beschlussfä- Ich gebe das Ergebnis der Abstimmung bekannt. Ab- higkeit des Deutschen Bundestages statt. Die Beschluss- gegebene Stimmen: 154. Mit Ja haben 154 Abgeordnete fähigkeit hat eine Fraktion im Haus angezweifelt. Nach gestimmt, mit Nein kein Abgeordneter. Es hat sich auch unseren Regeln verbinden wir das mit der Abstimmung kein Abgeordneter enthalten. Zur Beschlussfähigkeit über die Ausschussüberweisung der beiden Vorlagen, sind jedoch 355 Stimmen erforderlich. Das Haus ist so- über die unter dem letzten Tagesordnungspunkt verhan- mit nicht beschlussfähig. delt wurde. Was die Schriftführer betrifft: Wir brauchen Auch dafür haben wir Regeln in unserer Geschäfts- an jeder Tür eine Schriftführerin oder einen Schriftführer ordnung. Infolge der Beschlussunfähigkeit hebe ich die aus einer Oppositionsfraktion und eine Schriftführerin Sitzung gemäß § 45 Absatz 3 der Geschäftsordnung des oder einen Schriftführer aus einer die Koalition tragen- Deutschen Bundestages auf. (B) den Fraktion. (D) Nach unserer Geschäftsordnung – § 20 Absatz 5 – ist Ich bitte nochmals um ein Zeichen, ob inzwischen es möglich, dass der Präsident des Deutschen Bundesta- alle Schriftführerplätze besetzt sind. – Das ist offensicht- ges noch am gleichen Tag nach Aufhebung einer Bun- lich nicht der Fall. Wenn ich das alles richtig deute, fehlt destagssitzung wiederum eine Sitzung einberuft. Der noch ein Oppositionsschriftführer oder eine Oppositions- Präsident des Bundestages, Dr. Wolfgang Schäuble, hat schriftführerin. mir mitteilen lassen, dass er nicht beabsichtigt, für den Ich bitte, jetzt die Türen zu schließen. – Die Abstim- heutigen Tag noch eine Sitzung einzuberufen. mung ist eröffnet. Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tages- Das Präsidium hat einige Bitten: ordnung. Erstens. Wir möchten uns bitte bis zum Schluss der Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- Sitzung an unsere eigenen Regeln halten. tages auf Mittwoch, den 17. Oktober 2018, 13 Uhr, ein. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Die Sitzung ist geschlossen. [CDU/CSU]: Ja, machen wir!) (Schluss: 16.41 Uhr) Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 56 Sitzung Berlin, Freitag, den 12 Oktober 2018 6241

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Entschuldigte Abgeordnete

Abgeordnete(r) Abgeordnete(r)

Amtsberg, Luise BÜNDNIS 90/ Kaiser, Elisabeth SPD DIE GRÜNEN Kassner, Kerstin DIE LINKE Bär, Dorothee CDU/CSU Keuter, Stefan AfD Bareiß, Thomas CDU/CSU Kipping, Katja DIE LINKE Barthle, Norbert CDU/CSU Korte, Jan DIE LINKE Bernhard, Marc AfD Krischer, Oliver BÜNDNIS 90/ Brandt, Michel DIE LINKE DIE GRÜNEN

Brugger, Agnieszka BÜNDNIS 90/ Leyen, Dr. Ursula von der CDU/CSU DIE GRÜNEN Mihalic, Dr. Irene BÜNDNIS 90/ Bülow, Marco SPD DIE GRÜNEN

Deligöz, Ekin BÜNDNIS 90/ Moll, Claudia SPD DIE GRÜNEN (B) Müller, Alexander FDP (D) Elsner von Gronow, Berengar AfD Müller, Dr. Gerd CDU/CSU Föst, Daniel FDP Müller, Hansjörg AfD Frohnmaier, Markus AfD Müller, Sepp CDU/CSU Gabelmann, Sylvia DIE LINKE Neumann, Christoph AfD Gabriel, Sigmar SPD Nord, Thomas DIE LINKE Gauland, Dr. Alexander AfD Peterka, Tobias Matthias AfD Grötsch, Uli SPD Pflüger, Tobias DIE LINKE Heinrich (Chemnitz), Frank CDU/CSU Poschmann, Sabine SPD Held, Marcus SPD Röspel, René SPD Heßenkemper, Dr. Heiko AfD Sauter, Christian FDP Höchst, Nicole AfD Schäfer (Bochum), Axel SPD Huber, Johannes AfD Schreiber, Eva-Maria DIE LINKE in der Beek, Olaf FDP Schulz, Jimmy FDP Janecek, Dieter BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Schulz, Martin SPD

Jung, Andreas CDU/CSU Selle, Johannes CDU/CSU 6242 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 56 Sitzung Berlin, Freitag, den 12 Oktober 2018

(A) (C) Abgeordnete(r) Abgeordnete(r)

Sichert, Martin AfD Tauber, Dr. Peter CDU/CSU

Simon, Björn CDU/CSU Toncar, Dr. Florian FDP

Solms, Dr. Hermann Otto FDP Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Stamm-Fibich, Martina SPD Vaatz, Arnold CDU/CSU Stein (Rostock), Peter CDU/CSU Vieregge, Kerstin CDU/CSU

Steinke, Kersten DIE LINKE Wagenknecht, Dr. Sahra DIE LINKE

Strack-Zimmermann, Dr. Marie-Agnes FDP Wiese, Dirk SPD

Strasser, Benjamin FDP Zdebel, Hubertus DIE LINKE

Tackmann, Dr. Kirsten DIE LINKE Zimmermann, Pia DIE LINKE

Anlage 2 Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2018 Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung Drucksache 19/4560 Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von – Unterrichtung durch die Bundesregierung einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen Bericht der Bundesregierung über die Arbeit der absehen: Nationalen Kontaktstelle für die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen im Jahr 2017 (B) Finanzausschuss (D) – Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksachen 19/2628, 19/3072 Nr. 1 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Si- Fünfter Bericht des Ausschusses für Finanzstabili- cherheit tät zur Finanzstabilität in Deutschland Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Drucksachen 19/3080, 19/3287 Nr. 1.6 Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) gemäß Haushaltsausschuss § 56a der Geschäftsordnung – Unterrichtung durch die Bundesregierung Technikfolgenabschätzung (TA) Vorläufige Haushaltsführung 2018 Inwertsetzung von Biodiversität Mitteilung gemäß § 37 Absatz 4 der Bundeshaus- Drucksache 18/3764 haltsordnung über eine Einwilligung in eine au- – Unterrichtung durch die Bundesregierung ßerplanmäßige Ausgabe und § 38 der Bundeshaus- haltsordnung in Verbindung mit § 4 Absatz 2 Satz 6 Klimaschutzplan 2050 – Klimaschutzpolitische und § 22 des Haushaltsgesetzes 2017 über die Er- Grundsätze und Ziele der Bundesregierung teilung einer außerplanmäßigen Verpflichtungser- Drucksachen 18/10370, 19/1709 Nr. 56 mächtigung bei Kapitel 0903 Titel 697 01 – Ausga- ben im Zusammenhang mit dem Zwischenerwerb – Unterrichtung durch die Bundesregierung und Verkauf von 50Hertz-Anteilen durch die KfW Rechenschaftsbericht 2017 der Bundesregierung zur Umsetzung der Nationalen Strategie zur biolo- Drucksachen 19/4014, 19/4325 Nr. 1.17 gischen Vielfalt Ausschuss für Wirtschaft und Energie Drucksache 18/13280 – Unterrichtung durch die Bundesregierung – Unterrichtung durch die Bundesregierung Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Klimaschutzbericht 2017 Deutschen Einheit 2017 Drucksachen 19/2780, 19/3072 Nr. 3 Drucksachen 18/13520, 19/3072 Nr. 5 Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und – Unterrichtung durch die Bundesregierung Kommunen Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 56 Sitzung Berlin, Freitag, den 12 Oktober 2018 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 56 Sitzung Berlin, Freitag, den 12 Oktober 2018 6243

(A) – Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 19/3112 Nr. A.16 (C) Ratsdokument 9559/18 Bericht der Bundesregierung über die Verwendung Drucksache 19/3112 Nr. A.17 der Kompensationsmittel für den Bereich der sozi- Ratsdokument 9564/18 alen Wohnraumförderung 2016 Drucksache 19/3112 Nr. A.18 Ratsdokument 9569/18 Drucksache 18/13054 Drucksache 19/3112 Nr. A.21 Ratsdokument 9746/18 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 19/3318 Nr. A.5 Bericht der Bundesregierung über die Verwendung Ratsdokument 9147/18 Drucksache 19/3318 Nr. A.6 der Kompensationsmittel für den Bereich der sozi- Ratsdokument 9150/18 alen Wohnraumförderung 2017 Drucksachen 19/3500, 19/4325 Nr. 1.9 Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben Drucksache 19/2623 Nr. A.22 mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Uni- EP P8_TA-PROV(2018)0202 onsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Drucksache 19/3318 Nr. A.8 Beratung abgesehen hat. Ratsdokument 10109/18 Drucksache 19/3318 Nr. A.9 Ratsdokument 10116/18

Haushaltsausschuss Drucksache 19/1780 Nr. A.21 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicher- Ratsdokument 7055/18 heit Drucksache 19/3112 Nr. A.14 Drucksache 19/3112 Nr. A.47 Ratsdokument 9521/18 Ratsdokument 9048/18 Drucksache 19/3112 Nr. A.15 Drucksache 19/3112 Nr. A.52 Ratsdokument 9538/18 Ratsdokument 9744/18

(B) (D)

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