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Alle wollen regieren – wir wollen verändern

Der Streit für eine

linke Mehrheit lohnt

von Stefan Liebich

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Foto: www.fotolia.de, © fux

Ein Wahlkampf geht zu Ende. Drei Parteien Abgrenzungsrituale auf allen Seiten sichern einer haben mit unterschiedlichen Programmen konservativ geführten Regierung derweil die für einen Regierungswechsel gekämpft. Mehrheit. »Die Sozialdemokraten gewinnen die Wahl, eine linke Mehrheit im Parlament wird möglich. Nach nur dreiwöchigen Verhandlungen ist ein Koalitions- Die SPD verliert in der babylonischen Ge- vertrag verabredet, der in großen Teilen links vom fangenschaft der Großen Koalition und Wahlprogramm der Sozialdemokraten liegt und ist von Umfrage zu Umfrage uneins da- unter anderem den Stopp der Deregulierung öffent- »rüber, wie sie mit der LINKEN künftig umgehen licher Dienste beinhaltet. Vor allem in der Wirt- will. Bündnis 90/ Die Grünen, bis vor wenigen schafts- und Sozialpolitik bewegt sich die Sozial- Monaten noch dem rot-grünen Bündnis hinterher demokratie, was viele Mitglieder der Linkspartei trauernd, verzichten inzwischen auf Aussagen Jahre zuvor noch für unmöglich hielten. Damit ist über potentielle Partnerschaften. Sie pendeln je eine Grundlage für ein gemeinsames Regierungs- nach Wetter lage zwischen Schwarz-Grün, Jamaika- handeln gegeben. Die Sozialdemokraten stellen Partnerschaft und zuweilen sogar Rot-Rot-Grün den Regierungschef und die Vorsitzende der Links- hin und her. Aber: „Wer nach allen Seiten offen partei wird Finanzministerin. ist, kann nicht ganz dicht sein.” Das wusste schon Kurt Tucholsky.

Dem Regierungswechsel voraus gegangen Und Die LINKE selbst bräuchte Partner, um war ein großer gesellschaftlicher Druck, den ihren Vorhaben im zur Durchsetzung vor allem Gewerkschaften und sozia le Ini- zu verhelfen. »tiativen erzeugt hatten. So geschehen 2005 in Nor- wegen, wo die Regierung bis heute stabil arbeitet. DIE LINKE ist spätestens seit den Landtags- Das, worum in Norwegen lange gerungen wur- wahlen in Bremen, Hamburg, Niedersach- de, könnte es auch in Deutschland geben. Seit den sen und Hessen eine ernst zu nehmende Bundestagswahlen 2005 haben SPD, DIE LINKE »gesellschaftliche Kraft geworden. „Dem muss sie, und Bündnis 90/ Die Grünen die Mehrheit der dem müssen sich die anderen stellen,“ so die Ein- Mandate. Unter der Glaskuppel des Reichstags- schätzung des Brandenburger Linkspartei-Politi- gebäudes ist das jedoch ein reines Zahlenspiel. kers Thomas Falkner.

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Mit ihrer bundesweiten Sichtbarkeit ist ins bei den Wählern der LINKEN (76 Prozent), der Bünd- deutsche Parteiensystem Bewegung ge- nisgrünen (64 Prozent) und der SPD (59 Prozent), kommen. Der Kampf um die „neue Mitte“ wie Infratest dimap nach den Landtagswahlen »scheint beendet zu sein. Die SPD besinnt sich in Hessen und Niedersachsen herausfand. wieder auf ältere Werte. „Wir sind die Partei des demokratischen Sozialismus!“ rief der Regierende Und es gibt Beispiele für gemeinsame Projek- Bürgermeister von , Klaus Wowereit, auf te, die dort bereits umgesetzt werden, wo SPD einem SPD-Landesparteitag. Und das schon zu und LINKE es können – in der Berliner Landes- einer Zeit, als sich die damalige PDS mit der WASG regierung. zur Partei DIE LINKE vereinigte und noch darum stritt, ob und wie der „demokratische Sozialismus“ in den programmatischen Eckpunkten der neuen Partei Platz fände. Der Berliner CDU-Fraktionschef Friedbert Pfl üger bescheinigt der Linken, dass die Fragen, die sie stelle, durchaus berechtigt seien und räumt Gerechtigkeitsdefizite ein. Die CSU denkt laut über die Pendlerpauschale nach.

Die „Erfolge der Linkspartei haben Rückwirkun- gen auf die ... Volksparteien und besonders die SPD“ sagt Allensbach-Chefi n Renate Köcher. Das ist gut für DIE LINKE, aber nicht genug.

„Alle wollen regieren – Wir wollen verändern.“ Der Leitspruch der PDS der neunziger Jahre gilt jetzt mehr denn je. Das „Forum demokratischer Foto: Christian Kiel Sozialismus“, fds, ein Zusammenschluss in der Dazu zählen: LINKEN, setzt sich dafür ein. „Wir wollen die Ge- sellschaft verändern und dafür um stabile, dauer- ò Gute Arbeit durch öffentlich geförderte Beschäf- hafte Mehrheiten werben.“ heißt es im Gründungs- tigung und öffentliche Aufträge nur für die aufruf des fds. Dass diesem Anspruch DIE LINKE Unternehmen, die nach Tarif, mindestens aber nicht allein folgen kann, liegt auf der Hand. Rot- 7,50 Euro pro Stunde, zahlen. Gleiche Bildungs- Rot-Grün muss wieder beginnen, miteinander über chancen durch längeres gemeinsames Lernen Politik zu reden. Gemeinsame Projekte müssen bis zur zehnten Klasse und darüber hinaus bis erstritten werden, um aus parlamentarischen Mehr- zum Abitur statt eines dreigliedrigen Schul- heiten gesellschaftliche Veränderungen werden systems aus dem Kaiserreich. zu lassen. ò Kostenlose Bildung in der Kita und keine Stu- diengebühren zum Abschluss des Studiums. Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch einen Noch ist die SPD für eine linke Bundesre- bis zu siebenstündigen Kitaanspruch ohne gierung ebenso wenig bereit wie DIE LINKE Bedarfsprüfung. und Grüne. Ziel der drei Parteien sollte aber ò Mehr Teilhabe von sozial Benachteiligten am »sein, dies zu ändern und nicht, es zu manifestieren. gesellschaftlichen Leben durch vergünstigte Die Wählerinnen und Wähler in Deutschland sind Tickets zum halben Preis bei Busse und Bahnen da schon weiter: Mittlerweile zeigen sich 44 Pro- (Sozialticket), Tickets für drei Euro für Opern- zent der Deutschen insgesamt aufgeschlossen für häuser und Theater und kostenlosen Zugang rot-rot-grüne Bündnisse – darunter Mehrheiten zu öffentlichen Bibliotheken. ˘

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ò Mehr Demokratie statt Überwachungsstaat DIE LINKE will, dass es in Deutschland eine – Volksentscheide und Bürgerhaushalte statt ökologische Erneuerung gibt. Dazu bedarf Raster- und Schleierfahndung. es einer anderen Politik. „Ein System, das »nur auf Mehrverbrauch, Umsatz- und Gewinn- All das gibt es da, wo SPD und LINKE miteinan- steigerung orientiert ist, kann die ökologische der und nicht gegeneinander arbeiten. Und zwar Frage nicht lösen“, sagt , Partei- auf einer soliden Basis. Das Land Berlin investiert vorsitzender DIE LINKE. Das muss auch bei Einzel- in eine solidarische Stadtgesellschaft und fi nan- entscheidungen berücksichtigt werden. So wäre ziert dies nicht auf Pump, sondern baut erstmals der Börsengang der Bahn unökologisch, denn in seiner Geschichte seine Schulden ab. der Transport von Menschen und Gütern auf der Schiene ist der günstigste Weg. Und er wäre un- sozial, wie man an der bisherigen Geschichte der Auch auf der Bundesebene gibt es neben Vorbereitung des Börsengangs sieht. Fünftausend vielen tief greifenden Differenzen gemein- Kilometer Schiene wurden stillgelegt, vierhundert same Ziele und Schnittmengen, die es aus- Bahnhöfe geschlossen und einhunderttausend »zuloten gilt: Solidarität und Gerechtigkeit, Schutz Arbeitsplätze abgebaut. Bei einem börsenno- und Ausbau von Bürger- und Freiheitsrechten, die tierten Unternehmen in Privatbesitz würde sich Verbindung der ökologischen und der sozialen dieser Trend fortsetzen. Für die Verhinderung der Frage und eine friedliche Außenpolitik, die sich Privatisierung der Deutschen Bahn gäbe es je- am Völkerrecht orientiert – dafür lohnte es, bei al- doch bei Rot-Rot-Grün Mehrheiten. ler Unterschiedlichkeit gemeinsam zu arbeiten.

Es stimmt: DIE LINKE lehnt Gerhard Schröders DIE LINKE lehnt völkerrechtswidrige Mili- Agenda 2010 ab. Die SPD hat sie erst kürzlich täreinsätze,wie die Nato-Luftangriffe in anlässlich ihres Geburtstags gefeiert. Aber: Die Jugoslawien, ab. Sie fanden „trotz der Ent- gemeinsame Betreuung von Arbeitslosen und »scheidung des Deutschen Bundestages ... ohne Sozialhilfeempfängern auszubauen, den Hartz- ausreichendes völkerrechtliches Mandat statt“, IV-Regelsatz zu erhöhen, mehr zu fördern als zu konstatierten , Detlev von Larcher fordern und einen neuen öffentlichen Beschäfti- und weitere SPD-Politiker schon damals. „Die gungssektor zwischen Markt und Staat anstelle NATO hat entgegen dem NATO-Vertrag einen von Ein-Euro-Jobs aufzubauen, das könnte schon souveränen Staat angegriffen.“ Seit Jahren ist das heute in allen drei Parteien Mehrheiten fi nden. Völkerrecht in der deutschen Außenpolitik immer weniger Grundlage für Entscheidungen. Dies zu ändern, könnten DIE LINKE, SPD und Bündnis 90/ DIE LINKE lehnt die bürgerrechtseinschrän- Die Grünen zu ihrem Ziel für eine neue Außen- kenden Sicherheitspakete von Innenminis- politik erklären. „... denn, wie im Inneren der Staa- ter Otto Schily ebenso ab wie die Fortset- ten nur das Recht den Frieden herstellt, so kann »zung dieser Politik durch Wolfgang Schäuble. Um zwischen den Staaten nur das Völkerrecht den das zu stoppen, müsste eine neue Mehrheit aber Frieden herstellen,“ so Oskar Lafontaine. nicht mehr nur auf das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hoffen, sondern könnte selbstbewusst einen Politikwechsel einleiten. Mehr Demokratie, Volksabstimmungen auch auf Bundesebene statt Vorratsdatenspeicherung und Bundestrojaner – dafür könnten Bündnis 90/ Die Grünen, SPD und DIE LINKE gemeinsam stehen.

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Wenn der Streit nicht um Personen, son- SPD-Generalsekretär hat dern in der Sache geführt würde, wenn Recht, wenn er meint: „Die solidarische es um Argumente statt um Beleidigungen Mehrheit in diesem Land ist sozialer als »ginge, dann würde Rot-Rot-Grün feststellen, dass »Friedrich Merz, ökologischer als und es eine große Summe Gemeinsamkeiten gibt. liberaler als Wolfgang Schäuble.“ Und die Bundesbürger könnten sehen, was geht. Sicher wäre das nicht leicht. Aber wer verändern Die Konsequenz daraus liegt auf der Hand: will, der muss auch zur Veränderung bereit sein DIE LINKE, SPD und Bündnis 90/ Die Grünen haben – und die wird auch von Politikerinnen und Politi- die Verantwortung dafür, dass eine linke Mehr- kern mehr denn je erwartet. Parteien existieren heit auch in Parlament und Regierung unseres schließlich nicht zuerst um ihrer selbst willen. Landes vertreten wird.

Der Vorsitzende der Linksfraktion im Deut- Der Streit dafür lohnt. ó schen Bundestag, , ist sich sicher, dass es zu Rot-Rot-Grün kommen wird. Er meint, dass „wachsender gesellschaftlicher Druck auf die Parteien ... zu anderen politischen Konstella- û Stefan Liebich, MdA ist Koordinator des Forums Demokratischer Sozialismus in der Partei DIE LINKE (www.forum-ds.de) und lebt in tionen führen wird.“ Berlin.

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