<<

Plenarprotokoll 19/224

Deutscher

Stenografischer Bericht

224. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 10: sierungsgesetz – Den Schutz von Ver- braucherinnen und Verbrauchern in a) – Zweite und dritte Beratung des von der den Mittelpunkt stellen Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Umsetzung – zu dem Antrag der Abgeordneten der Richtlinie (EU) 2018/1972 des Dr. , Tabea Rößner, Europäischen Parlaments und des , weiterer Abgeordneter Rates vom 11. Dezember 2018 über und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE den europäischen Kodex für die elekt- GRÜNEN: Telekommunikationsmo- ronische Kommunikation (Neufas- dernisierungsgesetz – Datenschutz, sung) und zur Modernisierung des IT-Sicherheit und Bürgerrechte Telekommunikationsrechts (Telekom- sichern munikationsmodernisierungsgesetz) Drucksachen 19/26117, 19/26531, Drucksachen 19/26108, 19/26964, 19/26532, 19/26533, 19/28865 ...... 28401 D 19/27035 Nr. 1.9, 19/28865 ...... 28401 B d) Beschlussempfehlung und Bericht des – Bericht des Haushaltsausschusses ge- Ausschusses für Inneres und Heimat zu mäß § 96 der Geschäftsordnung dem Antrag der Abgeordneten Jimmy Drucksache 19/28866 ...... 28401 B Schulz, , , wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der b) Beschlussempfehlung und Bericht des FDP: Recht auf Verschlüsselung – Pri- Ausschusses für Wirtschaft und Energie vatsphäre und Sicherheit im digitalen – zu dem Antrag der Abgeordneten Raum stärken , Manuel Höferlin, Drucksachen 19/5764, 19/27325 ...... 28401 D , weiterer Abgeordneter e) Beschlussempfehlung und Bericht des und der Fraktion der FDP: Gigabit-Aus- Ausschusses für Verkehr und digitale In- bau voranbringen – Upgrade für das frastruktur zu dem Antrag der Abgeordne- Nebenkostenprivileg ten , , – zu dem Antrag der Abgeordneten Margit , weiterer Abgeordne- Stumpp, Tabea Rößner, Dr. Konstantin ter und der Fraktion der FDP: Regeln für von Notz, weiterer Abgeordneter und den Schnellstart ins Gigabitzeitalter der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Drucksachen 19/26188, 19/28428 ...... 28402 A NEN: Telekommunikationsmoderni- f) Beschlussempfehlung und Bericht des sierungsgesetz – Grundversorgung Ausschusses für Verkehr und digitale In- garantieren und digitale Infrastruk- frastruktur zu dem Antrag der Abgeordne- tur ausbauen ten , Anke Domscheit-Berg, – zu dem Antrag der Abgeordneten Tabea Dr. , weiterer Abgeordneter und Rößner, Margit Stumpp, Dr. Konstantin der Fraktion DIE LINKE: Recht auf von Notz, weiterer Abgeordneter und schnelles Internet für alle der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Drucksachen 19/27192, 19/28867 ...... 28402 A NEN: Telekommunikationsmoderni- Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) ...... 28402 A II Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. , Donnerstag, den 22. April 2021

Jörn König (AfD) ...... 28402 D führen – Kinder- und Jugendstärkungs- (SPD) ...... 28403 C gesetz qualitativ hochwertig und praxis- erprobt umsetzen Reinhard Houben (FDP) ...... 28404 C Drucksache 19/28769 ...... 28409 D Anke Domscheit-Berg (DIE LINKE) ...... 28405 A e) Beschlussempfehlung und Bericht des Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 28405 C Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeord- Ulrich Lange (CDU/CSU) ...... 28406 B neten Dr. Birke Bull-Bischoff, Norbert (SPD) ...... 28407 A Müller (Potsdam), Dr. Petra Sitte, weiterer Hansjörg Durz (CDU/CSU) ...... 28407 D Abgeordneter und der Fraktion DIE LIN- KE: Schulsozialarbeit für alle Schülerin- nen und Schüler sichern Drucksachen 19/9053, 19/24726 ...... 28409 D Tagesordnungspunkt 11: a) – Zweite und dritte Beratung des von der f) Beschlussempfehlung und Bericht des Bundesregierung eingebrachten Ent- Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen wurfs eines Gesetzes zur Stärkung und Jugend zu dem Antrag der Abgeord- von Kindern und Jugendlichen (Kin- neten Norbert Müller (Potsdam), Dr. Petra der- und Jugendstärkungsgesetz – Sitte, , weiterer Abgeord- KJSG) neter und der Fraktion DIE LINKE: Kin- Drucksachen 19/26107, 19/27481, der- und Jugendhilfe-Reform vom Kopf 19/28005 Nr. 5, 19/28870 ...... 28409 B auf die Füße stellen Drucksachen 19/7909, 19/26553 ...... 28410 A – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung g) Beschlussempfehlung und Bericht des Drucksache 19/28871 ...... 28409 C Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend b) Beschlussempfehlung und Bericht des – zu dem Antrag der Abgeordneten Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen Norbert Müller (Potsdam), Dr. Petra und Jugend Sitte, , weiterer Abge- – zu dem Antrag der Abgeordneten Katja ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Suding, Matthias Seestern-Pauly, Zuerst ein Dach über dem Kopf – Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeord- Neue Perspektiven für Straßenkinder neter und der Fraktion der FDP: § 94 und wohnungslose junge Menschen Absatz 6 des Achten Buches Sozialge- eröffnen setzbuch abschaffen – Bessere Chan- cen auf ein selbstbestimmtes Leben – zu dem Antrag der Abgeordneten Beate auch für Pflegekinder Walter-Rosenheimer, Dr. Wolfgang – zu dem Antrag der Abgeordneten Strengmann-Kuhn, Christian Kühn Norbert Müller (Potsdam), Birke Bull- (Tübingen), weiterer Abgeordneter und Bischoff, Dr. Petra Sitte, weiterer Abge- der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: NEN: Sofa-Hopping ist keine Per- Mehr Fachkräfte für gute Kitas und spektive – Strategien gegen Woh- eine starke Kinder- und Jugendhilfe nungslosigkeit bei Jugendlichen und Drucksachen 19/26158, 19/6421, jungen Erwachsenen 19/28870 ...... 28409 C Drucksachen 19/24642, 19/20785 (neu), 19/26213 ...... 28410 B c) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Norbert Müller (Potsdam), , Parl. Staatssekretärin BMFSFJ . 28410 B Dr. Petra Sitte, Doris Achelwilm, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LIN- (AfD) ...... 28411 A KE eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung des Achten Buches () (CDU/CSU) . . . 28411 D Sozialgesetzbuch – Aufhebung des Kos- Daniel Föst (FDP) ...... 28413 A tenbeitrags junger Menschen in statio- nären Kinder- und Jugendhilfeeinrich- (SPD) ...... 28413 C tungen Drucksachen 19/17091, 19/20127 Buch- Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE) . . . . . 28414 B stabe a ...... 28409 D Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 28415 B d) Antrag der Abgeordneten Daniel Föst, , Grigorios Aggelidis, weite- (SPD) ...... 28416 A rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Modellregionen und -projekte ein- Nadine Schön (CDU/CSU) ...... 28417 A Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 III

Tagesordnungspunkt 12: Tagesordnungspunkt 14: a) Antrag der Abgeordneten Frank Sitta, a) – Zweite und dritte Beratung des von der Mario (Südpfalz), Manuel Bundesregierung eingebrachten Ent- Höferlin, weiterer Abgeordneter und der wurfs eines Gesetzes zur Stärkung Fraktion der FDP: Digitalen Impfpass der Teilhabe von Menschen mit vorantreiben – Unverzüglich individuel- Behinderungen sowie zur landes- le Freiheit wiederherstellen und Wirt- rechtlichen Bestimmung der Träger schaft stärken der Sozialhilfe (Teilhabestärkungsge- Drucksache 19/28768 ...... 28419 B setz) Drucksachen 19/27400, 19/28395, b) Beschlussempfehlung und Bericht des 19/28605 Nr. 1.13, 19/28834 ...... 28440 C Ausschusses für Gesundheit zu dem An- trag der Abgeordneten Dr. Michael – Bericht des Haushaltsausschusses ge- Espendiller, , , mäß § 96 der Geschäftsordnung weiterer Abgeordneter und der Fraktion Drucksache 19/28874 ...... 28440 D der AfD: Die Corona-Impfpflicht durch b) – Beschlussempfehlung und Bericht des die Hintertür verhindern – Die Einfüh- Ausschusses für Arbeit und Soziales rung des digitalen Corona-Impfpasses stoppen – zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Drucksachen 19/27197, 19/28045 ...... 28419 C Witt, René Springer, Ulrike Schielke- Ziesing, weiterer Abgeordneter und der Manuel Höferlin (FDP) ...... 28419 C Fraktion der AfD: Kein Ausschluss der (CDU/CSU) ...... 28420 C Teilhabe von Menschen mit geistiger oder mehrfacher Behinderung in Dr. (AfD) ...... 28422 A Krankenhäusern oder Reha-Einrich- (SPD) ...... 28424 A tungen – zu dem Antrag der Abgeordneten Sören Anke Domscheit-Berg (DIE LINKE) ...... 28424 D Pellmann, Susanne Ferschl, Doris Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ Achelwilm, weiterer Abgeordneter und DIE GRÜNEN) ...... 28426 A der Fraktion DIE LINKE: Gesellschaft- liche Teilhabe von Menschen mit Manuel Höferlin (FDP) ...... 28426 C Behinderungen deutlich verbessern Alexander Krauß (CDU/CSU) ...... 28428 A und Selbstbestimmungsrecht garan- tieren Dr. (FDP) ...... 28429 A – zu dem Antrag der Abgeordneten Sören Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ Pellmann, Susanne Ferschl, Doris DIE GRÜNEN) ...... 28429 D Achelwilm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Tierische Heike Baehrens (SPD) ...... 28430 C Assistenz ermöglichen – Assistenz- (SPD) ...... 28431 D hunde für Menschen mit Behinderun- gen gesetzlich garantieren – zu dem Antrag der Abgeordneten Corinna Rüffer, Maria Klein-Schmeink, Tagesordnungspunkt 13: , weiterer Abgeordneter Erste Beratung des von der Bundesregierung und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über GRÜNEN: Sozialstaat auf Augen- die unternehmerischen Sorgfaltspflichten höhe – Zugang zu Teilhabeleistungen in Lieferketten verbessern Drucksache 19/28649 ...... 28432 C Drucksachen 19/22929, 19/27299, 19/27316, 19/24437, 19/28834 ...... 28441 A Dr. (SPD) ...... 28432 D c) Unterrichtung durch die Bundesregierung: (AfD) ...... 28433 C Teilhabebericht der Bundesregierung über die Lebenslagen von Menschen Dr. Gerd Müller, Bundesminister BMZ ...... 28434 C mit Beeinträchtigungen 2021 Carl-Julius Cronenberg (FDP) ...... 28435 C Drucksache 19/27890 ...... 28441 A Eva-Maria Schreiber (DIE LINKE) ...... 28436 B d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem An- (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 28436 D trag der Abgeordneten Dr. , , Bundesminister BMAS ...... 28437 C , , weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der Hermann Gröhe (CDU/CSU) ...... 28439 B AfD: Beseitigung von Teilhabebeein- IV Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

trächtigungen aufgrund von Sehschwä- d) Beschlussempfehlung und Bericht des chen durch Erweiterung der Versor- Ausschusses für Wirtschaft und Energie gung gesetzlich Versicherter mit Sehhil- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Julia fen Verlinden, Dr. , , Drucksachen 19/4316, 19/28687 Buchsta- weiterer Abgeordneter und der Fraktion be a ...... 28441 B BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Jetzt auf erneuerbare Energien setzen – Energie e) Beschlussempfehlung und Bericht des sparen, erneuerbare Gase voranbringen Ausschusses für Arbeit und Soziales zu Drucksachen 19/23055, 19/24502 ...... 28450 C dem Antrag der Abgeordneten Sören Pellmann, Sabine Zimmermann (Zwi- e) Beschlussempfehlung und Bericht des ckau), Susanne Ferschl, weiterer Abgeord- Ausschusses für Umwelt, Naturschutz neter und der Fraktion DIE LINKE: Gute und nukleare Sicherheit zu dem Antrag Arbeit für Menschen mit Behinderun- der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, gen ermöglichen und sichern Lisa Badum, Dr. Bettina Hoffmann, weite- Drucksachen 19/24690, 19/27334 Buch- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- stabe a ...... 28441 B NIS 90/DIE GRÜNEN: 10 Jahre nach dem GAU von Fukushima – Atomkraft (SPD) ...... 28441 C hat keine Zukunft (AfD) ...... 28442 B Drucksachen 19/27193, 19/28833 ...... 28450 C (CDU/CSU) ...... 28442 D f) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/ zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Julia DIE GRÜNEN) ...... 28443 B Verlinden, Christian Kühn (Tübingen), Hubertus Heil (Peine) (SPD) ...... 28444 B Lisa Badum, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (FDP) ...... 28445 A NEN: Aktionsplan Faire Wärme – Auf- Sören Pellmann (DIE LINKE) ...... 28445 D bruch für klimaneutrale, bezahlbare und warme Wohnungen und ein starkes Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/ Handwerk DIE GRÜNEN) ...... 28446 C Drucksachen 19/26182, 19/27070 ...... 28450 D Angelika Glöckner (SPD) ...... 28447 B g) Beschlussempfehlung und Bericht des (CDU/CSU) ...... 28448 B Ausschusses für Bau, Wohnen, Stadtent- wicklung und Kommunen zu dem Antrag der Abgeordneten , Lisa Badum, Stefan Schmidt, weiterer Tagesordnungspunkt 15: Abgeordneter und der Fraktion BÜND- a) Antrag der Abgeordneten Lisa Badum, NIS 90/DIE GRÜNEN: Klimaschutz, Jürgen Trittin, Uwe Kekeritz, weiterer Ab- Klimaanpassung und nachhaltige Ent- geordneter und der Fraktion BÜND- wicklung als kommunale Konjunktur- NIS 90/DIE GRÜNEN: US-Präsident motoren nutzen Joe Bidens Klimagipfel als Chance Drucksachen 19/20799, 19/28647 ...... 28450 D ergreifen – Klimapartnerschaften als h) Beschlussempfehlung und Bericht des Kern einer strategischen Klimaaußen- Ausschusses für Bau, Wohnen, Stadtent- politik wicklung und Kommunen Drucksache 19/28785 ...... 28450 A – zu dem Antrag der Abgeordneten Daniel b) Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Föst, Frank Sitta, Grigorios Aggelidis, (Augsburg), Lisa Badum, weiterer Abgeordneter und der Fraktion weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Nachhaltig bauen – Techno- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Klimaziele logieoffenheit stärken – Bezahlbar und Entwicklungspolitik konsequent wohnen aufeinander ausrichten – Klimagerech- – zu dem Antrag der Abgeordneten tigkeit im Globalen Süden voranbringen Christian Kühn (Tübingen), Dr. Bettina Drucksache 19/28474 ...... 28450 B Hoffmann, , weiterer Ab- c) Antrag der Abgeordneten , geordneter und der Fraktion BÜND- Tabea Rößner, Margit Stumpp, weiterer NIS 90/DIE GRÜNEN: Bauwende ein- Abgeordneter und der Fraktion BÜND- leiten – Für eine ressourcenschonende NIS 90/DIE GRÜNEN: Green-Culture- Bau- und Immobilienwirtschaft Konzept umsetzen – Klimaschutz als – zu dem Antrag der Abgeordneten Pfeiler einer zukunftsfähigen Kulturpo- Christian Kühn (Tübingen), Dr. Julia litik verankern Verlinden, Lisa Badum, weiterer Abge- Drucksache 19/27877 ...... 28450 B ordneter und der Fraktion BÜND- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 V

NIS 90/DIE GRÜNEN: Das Drittelmo- Zusatzpunkt 2: dell – Energetische Modernisierungen Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und voranbringen – Gerecht und sozial SPD: Das Potential des regenerativen Baus- ausgewogen toffs Holz in der Entwicklungszusammen- Drucksachen 19/26178, 19/23152, arbeit für die Herausforderungen des Kli- 19/26183, 19/28829 ...... 28451 A mawandels nutzen i) Beschlussempfehlung und Bericht des Drucksache 19/28791 ...... 28451 D Ausschusses für Umwelt, Naturschutz Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 28451 D und nukleare Sicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten , Marc Dr. (CDU/CSU) . . 28452 D, 28453 D Bernhard, , weiterer Abge- Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ ordneter und der Fraktion der AfD: Wohl- DIE GRÜNEN) ...... 28454 A stand und Natur dauerhaft bewahren und ausbauen – Kostengünstige Energie Karsten Hilse (AfD) ...... 28454 D als Grundpfeiler für fortwährendes Dr. (SPD) ...... 28456 A Wachstum und nachhaltigen Umwelt- schutz Dr. Lukas Köhler (FDP) ...... 28457 A Drucksachen 19/22449, 19/23887 ...... 28451 B Lorenz Gösta Beutin (DIE LINKE) ...... 28458 A j) Antrag der Abgeordneten Dr. Lukas (SPD) ...... 28458 D Köhler, Frank Sitta, Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU) . 28459 C der FDP: Transatlantische Klimaschutz- Marc Bernhard (AfD) ...... 28460 B kooperation als Startschuss für ein glo- bales Emissionshandelssystem Klaus Mindrup (SPD) ...... 28461 A Drucksache 19/28686 ...... 28451 B (FDP) ...... 28462 C k) Antrag der Abgeordneten , Sabine Leidig (DIE LINKE) ...... 28463 A , Dr. Gesine Lötzsch, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE Lisa Badum (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . 28464 A LINKE: Kein weiter so mit dem Bundes- (CDU/CSU) ...... 28464 D verkehrswegeplan 2030 Drucksache 19/28778 ...... 28451 B Sabine Leidig (DIE LINKE) ...... 28465 A l) Beschlussempfehlung und Bericht des (SPD) ...... 28465 D Ausschusses für Verkehr und digitale In- (CDU/CSU) ...... 28467 A frastruktur zu dem Antrag der Abgeordne- Marco Bülow (fraktionslos) ...... 28467 C ten Sabine Leidig, Jörg Cezanne, Ingrid Remmers, weiterer Abgeordneter und der (Rostock) (CDU/CSU) ...... 28468 B Fraktion DIE LINKE: Weiterbau der (CDU/CSU) ...... 28469 A A 49 stoppen, ÖPP-Verträge kündigen, Alternativen prüfen und umsetzen Drucksachen 19/23114, 19/24683 ...... 28451 C Tagesordnungspunkt 44: m) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie a) Erste Beratung des von der Bundesre- zu dem Antrag der Abgeordneten Lorenz gierung eingebrachten Entwurfs eines Ge- Gösta Beutin, , Dr. Gesine setzes zu dem Übereinkommen Nr. 183 Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der der Internationalen Arbeitsorganisation Fraktion DIE LINKE: Kein öffentliches vom 15. Juni 2000 über den Mutter- Geld für klimaschädliche Energien und schutz Atomkraft Drucksache 19/28115 ...... 28470 D Drucksachen 19/22348, 19/28811 ...... 28451 C b) Erste Beratung des von der Bundesregie- n) Beschlussempfehlung und Bericht des rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Ausschusses für Wirtschaft und Energie zes zum Ausbau des elektronischen zu dem Antrag der Abgeordneten Lorenz Rechtsverkehrs mit den Gerichten und Gösta Beutin, Hubertus Zdebel, Dr. Gesine zur Änderung weiterer prozessrechtli- Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der cher Vorschriften Fraktion DIE LINKE: Keine Finanzhilfen Drucksache 19/28399 ...... 28470 D für Flüssiggas-Import-Infrastruktur in c) Erste Beratung des von der Bundesregie- Deutschland rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Drucksachen 19/8512, 19/28811 ...... 28451 C zes zur Neuordnung der Marktüberwa- chung in Verbindung mit Drucksache 19/28401 ...... 28471 A VI Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 d) Erste Beratung des von der Bundesre- m) Erste Beratung des von der Bundesregie- gierung eingebrachten Entwurfs eines rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Gesetzes zur Änderung des Bundesberg- zes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) gesetzes und zur Änderung der Verwal- 2019/882 des Europäischen Parlaments tungsgerichtsordnung und des Rates über die Barrierefrei- Drucksache 19/28402 ...... 28471 A heitsanforderungen für Produkte und e) Erste Beratung des von der Bundesre- Dienstleistungen und zur Änderung des gierung eingebrachten Entwurfs eines Jugendarbeitsschutzgesetzes Gesetzes zur Änderung des Öko-Land- Drucksache 19/28653 ...... 28471 D baugesetzes und des Öko-Kennzeichen- n) Erste Beratung des von der Bundesregie- gesetzes rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Drucksache 19/28404 ...... 28471 A zes zur Durchführung der Verordnung f) Erste Beratung des von der Bundesregie- (EU) 2019/1111 über die Zuständigkeit, rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- die Anerkennung und Vollstreckung von zes zur Pflanzengesundheit Entscheidungen in Ehesachen und in Drucksache 19/28405 ...... 28471 B Verfahren betreffend die elterliche Ver- antwortung und über internationale g) Erste Beratung des von der Bundesregie- Kindesentführungen sowie zur Ände- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- rung sonstiger Vorschriften zes zur Anpassung des Produktsicher- Drucksache 19/28681 ...... 28472 A heitsgesetzes und zur Neuordnung des Rechts der überwachungsbedürftigen o) Erste Beratung des von der Bundesregie- Anlagen rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Drucksache 19/28406 ...... 28471 B zes über weitere Aufgaben des Deut- h) Erste Beratung des von der Bundesregie- schen Patent- und Markenamts und rung eingebrachten Entwurfs eines Zwei- zur Änderung des Patentkostengesetzes ten Gesetzes zur Änderung des Mess- Drucksache 19/28680 ...... 28472 A und Eichgesetzes p) Erste Beratung des von den Fraktionen der Drucksache 19/28410 ...... 28471 B CDU/CSU und SPD eingebrachten Ent- i) Erste Beratung des von der Bundesre- wurfs eines Sechzehnten Gesetzes zur gierung eingebrachten Entwurfs eines Änderung des Luftverkehrsgesetzes Gesetzes über die Statistik des Waren- Drucksache 19/28788 ...... 28472 A verkehrs mit dem Ausland, zur Prüfung q) Erste Beratung des von der Bundesregie- von Daten multinationaler Unterneh- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- mensgruppen zur Sicherung der zes zur Änderung des Europäischen Qualität der Volkswirtschaftlichen Ge- Übereinkommens vom 30. September samtrechnungen und der Wirtschaftss- 1957 über die internationale Beförde- tatistiken und zur Änderung des Bun- rung gefährlicher Güter auf der Straße desstatistikgesetzes (ADR) Drucksache 19/28411 ...... 28471 C Drucksache 19/28683 ...... 28472 A j) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- r) Erste Beratung des von der Bundesre- zes zur Anpassung der Bundesbesol- gierung eingebrachten Entwurfs eines dung und -versorgung für 2021/2022 Vierten Gesetzes zur Änderung des und zur Änderung weiterer dienstrecht- Straßenverkehrsgesetzes und anderer licher Vorschriften (BBVAnpÄndG straßenverkehrsrechtlicher Vorschrif- 2021/2022) ten Drucksache 19/28677 ...... 28471 C Drucksache 19/28684 ...... 28472 B k) Erste Beratung des von der Bundesre- s) Erste Beratung des von der Bundesregie- gierung eingebrachten Entwurfs eines rung eingebrachten Entwurfs eines Acht- Gesetzes zum Erlass eines Tierarznei- zehnten Gesetzes zur Änderung des mittelgesetzes und zur Anpassung arz- Atomgesetzes (18. AtGÄndG) neimittelrechtlicher und anderer Vor- Drucksache 19/28682 ...... 28472 B schriften t) Erste Beratung des von der Bundesregie- Drucksache 19/28658 ...... 28471 C rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- l) Erste Beratung des von der Bundesregie- zes zu dem Protokoll vom 19. Februar rung eingebrachten Entwurfs eines Ersten 2021 zur Änderung des Abkommens Gesetzes zur Änderung des Entsor- vom 18. Februar 2011 zwischen der gungsfondsgesetzes (1. EntsorgFonds- Bundesrepublik Deutschland und der ÄndG) Republik Zypern zur Vermeidung der Drucksache 19/28685 ...... 28471 C Doppelbesteuerung und zur Verhinde- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 VII

rung der Steuerverkürzung auf dem dd) Antrag der Abgeordneten Dr. Kirsten Gebiet der Steuern vom Einkommen Kappert-Gonther, Dr. , und vom Vermögen Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeord- Drucksache 19/28657 ...... 28472 C neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gerechte Gesundheitsversor- u) Erste Beratung des von der Bundesregie- gung erfordert Gendersensibilität – rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Frauengesundheit stärken zes zur Modernisierung des Tabak- Drucksache 19/27882 ...... 28473 B steuerrechts (Tabaksteuermodernisie- rungsgesetz – TabStMoG) ee) Antrag der Abgeordneten Dr. Anna Drucksache 19/28655 ...... 28472 C Christmann, Britta Haßelmann, , weiterer Abgeordneter und der v) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: SPD: Gesundheitlichen Verbraucher- Für eine lebendige Demokratie – Betei- schutz bei Nahrungsergänzungsmitteln ligung und Engagement auf Bundesebe- und angereicherten Lebensmitteln ver- ne stärken bessern Drucksache 19/27879 ...... 28473 B Drucksache 19/28783 ...... 28472 C ff) Antrag der Abgeordneten Dr. Bettina w) Antrag der Abgeordneten Doris Hoffmann, Christian Kühn (Tübingen), Achelwilm, Dr. Petra Sitte, Simone , weiterer Abgeordneter und Barrientos, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der Fraktion DIE LINKE: Trans-Gesund- NEN: Rein in eine Zukunft ohne Müll – heitsversorgung in die Regelleistungen Mehrweg und innovative Pfandsysteme der gesetzlichen Krankenkassen auf- fördern nehmen Drucksache 19/28782 ...... 28473 C Drucksache 19/28779 ...... 28472 D x) Antrag der Abgeordneten , in Verbindung mit Katja Suding, Grigorios Aggelidis, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Strategische Neuausrichtung Stif- Zusatzpunkt 3: tung Preußischer Kulturbesitz a) Antrag der Abgeordneten Dr. Götz Drucksache 19/24534 ...... 28472 D Frömming, Dr. Michael Espendiller, y) Antrag der Abgeordneten Pia Nicole Höchst, weiterer Abgeordneter Zimmermann, Susanne Ferschl, Doris und der Fraktion der AfD: Untersuchung Achelwilm, weiterer Abgeordneter und zur Bedrohung der Meinungs- und Wis- der Fraktion DIE LINKE: Entlastungs- senschaftsfreiheit an deutschen Hoch- pflege bundesweit stärken und finan- schulen umgehend durchführen zieren Drucksache 19/28797 ...... 28473 C Drucksache 19/19639 ...... 28472 D b) Antrag der Abgeordneten Dr. Andrew z) Antrag der Abgeordneten Amira Ullmann, Jens Beeck, Michael Theurer, Mohamed Ali, Dr. , weiterer Abgeordneter und der Fraktion Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter der FDP: Aktionsplan globale Gesund- und der Fraktion DIE LINKE: Kükentö- heit – Ziele entschlossen erreichen ten wirklich beenden – Aufzucht männ- Drucksache 19/28765 ...... 28473 D licher Küken fördern c) Antrag der Abgeordneten Brigitte Drucksache 19/28773 ...... 28473 A Freihold, Dr. Birke Bull-Bischoff, Dr. Petra bb) Antrag der Abgeordneten Matthias W. Sitte, weiterer Abgeordneter und der Frak- Birkwald, , Susanne Ferschl, tion DIE LINKE: Programm „Kultur weiterer Abgeordneter und der Fraktion macht stark“ – Förderung anpassen, DIE LINKE: Freiwillige Zusatzbeiträge sichern und verstetigen in der gesetzlichen Rente ausbauen, Drucksache 19/28780 ...... 28473 D anstatt die gescheiterte Riester-Rente d) Antrag der Abgeordneten Niema weiter zu fördern Movassat, Dr. André Hahn, Gökay Drucksache 19/27317 ...... 28473 A Akbulut, weiterer Abgeordneter und der cc) Antrag der Abgeordneten Friedrich Fraktion DIE LINKE: Rechtssicherheit Ostendorff, Renate Künast, Harald Ebner, für Drug-Checking schaffen weiterer Abgeordneter und der Fraktion Drucksache 19/28774 ...... 28473 D BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Antibioti- e) Antrag der Abgeordneten Charlotte kaeinsatz in der Geflügelhaltung verrin- Schneidewind-Hartnagel, Kordula gern Schulz-Asche, Ulle Schauws, weiterer Ab- Drucksache 19/13549 ...... 28473 B geordneter und der Fraktion BÜND- VIII Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

NIS 90/DIE GRÜNEN: Bessere Verein- gogisch begleiteter KZ-Gedenkstätten- barkeit von Angehörigenpflege und besuche in der Sekundarstufe I erwei- Beruf durch eine PflegeZeit Plus tern und stärken Drucksache 19/28781 ...... 28474 A Drucksachen 19/26169, 19/28469 ...... 28475 C g) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien zu Tagesordnungspunkt 45: dem Antrag der Abgeordneten Brigitte a) Zweite und dritte Beratung des von der Freihold, , Helin , Bundesregierung eingebrachten Entwurfs weiterer Abgeordneter und der Fraktion eines Gesetzes zur Änderung des Außen- DIE LINKE: Restitution von NS-Raub- wirtschaftsgesetzes und des Gesetzes kunst gesetzlich regeln über die Kontrolle von Kriegswaffen Drucksachen 19/9339, 19/27730 ...... 28475 D Drucksachen 19/27451, 19/28129, h) Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting- 19/28605 Nr. 1.8, 19/28838 ...... 28474 B Uhl, Lisa Badum, Dr. Bettina Hoffmann, b) – Zweite und dritte Beratung des von der weiterer Abgeordneter und der Fraktion Bundesregierung eingebrachten Ent- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Fusions- wurfs eines Gesetzes zur Verlängerung reaktor ITER nicht als Klimaschutz- des erhöhten Lohnsteuereinbehalts in maßnahme ausweisen der Seeschifffahrt Drucksache 19/10221 ...... 28475 D Drucksachen 19/27719, 19/28504 ...... 28474 C i) Beschlussempfehlung und Bericht des – Bericht des Haushaltsausschusses ge- Ausschusses für Verkehr und digitale In- mäß § 96 der Geschäftsordnung frastruktur zu dem Antrag der Abgeordne- Drucksache 19/28505 ...... 28474 C ten , , Christian Kühn (Tübingen), weiterer Ab- c) Zweite Beratung und Schlussabstimmung geordneter und der Fraktion BÜND- des von der Bundesregierung eingebrach- NIS 90/DIE GRÜNEN: Die Zukunft von ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Berlin TXL – The Urban Tech Republic Protokoll vom 27. Oktober 2020 zur Än- Drucksachen 19/14826, 19/17450 Buch- derung des Abkommens vom 17. Novem- stabe b ...... 28476 A ber 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Fürstentum j) Beschlussempfehlung und Bericht des Liechtenstein zur Vermeidung der Dop- Ausschusses für Bildung, Forschung und pelbesteuerung und der Steuerverkür- Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag zung auf dem Gebiet der Steuern vom der Abgeordneten , Dr. Anna Einkommen und vom Vermögen Christmann, Margit Stumpp, weiterer Ab- Drucksachen 19/28116, 19/28823 ...... 28474 D geordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Partizipation in d) Zweite Beratung und Schlussabstimmung Wissenschaft und Forschung stärken des von der Bundesregierung eingebrach- Drucksachen 19/4857, 19/20474 ...... 28476 A ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 15. Dezember 2020 zur k) Beschlussempfehlung und Bericht des Änderung des Abkommens vom Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen 29. November 1996 zwischen der Bun- und Jugend zu dem Antrag der Abgeord- desrepublik Deutschland und der Repu- neten Dr. , Kai Gehring, blik Estland zur Vermeidung der Dop- Margit Stumpp, weiterer Abgeordneter pelbesteuerung auf dem Gebiet der und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Steuern vom Einkommen und vom Ver- NEN: Freiwilligendienste ausbauen und mögen stärken – Gemeinwohlorientiert und Drucksachen 19/28117, 19/28823 ...... 28475 A selbstbestimmt Drucksachen 19/4551, 19/28837 ...... 28476 B e) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs l) Beschlussempfehlung und Bericht des eines Gesetzes zur Regelung des Erschei- Ausschusses für Gesundheit nungsbilds von Beamtinnen und Beam- – zu dem Antrag der Abgeordneten ten sowie zur Änderung weiterer dienst- Dr. , Michael rechtlicher Vorschriften Theurer, Grigorios Aggelidis, weiterer Drucksachen 19/26839, 19/28836 ...... 28475 B Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Sehhilfen als Satzungsleistung – f) Beschlussempfehlung und Bericht des Wettbewerb in der gesetzlichen Kran- Ausschusses für Kultur und Medien zu kenversicherung stärken dem Antrag der Abgeordneten , Dr. Petra Sitte, Doris Achelwilm, – zu dem Antrag der Abgeordneten weiterer Abgeordneter und der Fraktion Dr. , Susanne Ferschl, DIE LINKE: Qualität und Dauer päda- Matthias W. Birkwald, weiterer Abge- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 IX

ordneter und der Fraktion DIE LINKE: r)–dd) Beratung der Beschlussempfehlun- Gesundheitsversorgung für alle gen des Petitionsausschusses: Sam- sichern melübersichten 848, 849, 850, 851, – zu dem Antrag der Abgeordneten Maria 852, 853, 854, 855, 856, 857, 858, Klein-Schmeink, Kordula Schulz- 859 und 860 zu Petitionen Asche, Dr. Kirsten Kappert-Gonther, Drucksachen 19/28484, 19/28485, weiterer Abgeordneter und der Fraktion 19/28486, 19/28487, 19/28488, 19/28489, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Verläss- 19/28490, 19/28491, 19/28492, 19/28493, liche und bedarfsgerechte Versorgung 19/28494, 19/28495, 19/28496 ...... 28479 D mit Sehhilfen in der gesetzlichen Krankenversicherung Drucksachen 19/18913, 19/6057, 19/8566, Zusatzpunkt 4: 19/28687 Buchstabe b, c und d ...... 28476 C Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktio- m) Beschlussempfehlung und Bericht des nen der CDU/CSU und SPD: Zu den russi- Ausschusses für Bildung, Forschung und schen Truppenbewegungen und der wach- Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag senden Gefahr einer Eskalation in der der Abgeordneten Kai Gehring, Ottmar Ostukraine von Holtz, , weiterer Ab- Michael Roth, Staatsminister AA ...... 28481 A geordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Ein Kompass in Dr. (AfD) ...... 28482 D unruhigen Zeiten – Friedensforschung Dr. Johann David Wadephul (CDU/CSU) . . . . 28483 D als Grundlage der Politik stärken Drucksachen 19/14111, 19/28704 ...... 28476 D Alexander Graf Lambsdorff (FDP) ...... 28484 D n) Beschlussempfehlung und Bericht des Heike Hänsel (DIE LINKE) ...... 28486 A Ausschusses für Bildung, Forschung und (BÜNDNIS 90/ Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag DIE GRÜNEN) ...... 28487 A der Abgeordneten (Südpfalz), Katja Suding, Grigorios (SPD) ...... 28488 B Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Dr. (AfD) ...... 28489 B Fraktion der FDP: Bildungsnachweise auf die Blockchain – Bürgerinnen und Bür- (CDU/CSU) ...... 28490 C ger entlasten, Verwaltungsprozesse be- Dr. (SPD) ...... 28491 C schleunigen Drucksachen 19/14784, 19/20284 ...... 28477 A (CDU/CSU) ...... 28492 B o) Beschlussempfehlung und Bericht des (SPD) ...... 28493 B Ausschusses für Arbeit und Soziales zu (CDU/CSU) ...... 28494 A dem Antrag der Abgeordneten Ralph Lenkert, Matthias W. Birkwald, , weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Auf das Wochen- Tagesordnungspunkt 16: ende fallende gesetzliche Feiertage an Erste Beratung des von den Fraktionen der Werktagen nachholen CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs Drucksachen 19/2133, 19/10825 ...... 28477 B eines Gesetzes über die Errichtung einer p) Beschlussempfehlung und Bericht des Bundeskanzler-Helmut-Kohl-Stiftung Ausschusses für Arbeit und Soziales zu Drucksache 19/28790 ...... 28495 A dem Antrag der Abgeordneten Pascal (CDU/CSU) ...... 28495 A Kober, Carl-Julius Cronenberg, Michael Martin Erwin Renner (AfD) ...... 28496 A Theurer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Kommunale Schlacht- (SPD) ...... 28496 D höfe erhalten – Verlässliche Rahmenbe- (FDP) ...... 28497 C dingungen schaffen Drucksachen 19/28356, 19/28831 ...... 28477 B (DIE LINKE) ...... 28498 B q) Beratung der Beschlussempfehlung des Erhard Grundl (BÜNDNIS 90/ Ältestenrates: Zeitplan des Deutschen DIE GRÜNEN) ...... 28498 D Bundestages für das Jahr 2022 Drucksache 19/28745 ...... 28477 C Stephan Brandner (AfD) (Erklärung nach § 31 Tagesordnungspunkt 17: GO) ...... 28477 C a) Antrag der Abgeordneten Dr. Marc Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE Jongen, Martin Erwin Renner, Dr. Götz GRÜNEN) (Erklärung nach § 31 GO) ...... 28478 D Frömming, weiterer Abgeordneter und X Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

der Fraktion der AfD: Einen Nationalen – Bericht des Haushaltsausschusses ge- Aktionsplan Kulturelle Identität auf mäß § 96 der Geschäftsordnung den Weg bringen Drucksache 19/28869 ...... 28514 C Drucksache 19/28794 ...... 28499 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des b) Antrag der Abgeordneten Dr. Marc Finanzausschusses zu dem Antrag der Ab- Jongen, Martin Erwin Renner, Dr. Götz geordneten Dr. , Anja Frömming, weiterer Abgeordneter und Hajduk, , weiterer Abgeordneter der Fraktion der AfD: Kulturelle Identität und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- bewahren – Eine Deutsche Akademie NEN: Mitarbeiterbeteiligung erleich- für Sprache und Kultur gründen tern – In Start-ups und etablierten Un- Drucksache 19/28764 ...... 28499 D ternehmen Dr. (AfD) ...... 28499 D Drucksachen 19/15118, 19/26294 Buch- stabe b ...... 28514 C Melanie Bernstein (CDU/CSU) ...... 28501 A Hartmut Ebbing (FDP) ...... 28502 A Dr. (SPD) ...... 28514 C (SPD) ...... 28502 C (AfD) ...... 28515 C Simone Barrientos (DIE LINKE) ...... 28503 C Fritz Güntzler (CDU/CSU) ...... 28516 A Erhard Grundl (BÜNDNIS 90/ Bettina Stark-Watzinger (FDP) ...... 28517 B DIE GRÜNEN) ...... 28504 B (CDU/CSU) ...... 28505 B Jörg Cezanne (DIE LINKE) ...... 28518 A Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . 28518 D Tagesordnungspunkt 18: () (SPD) ...... 28519 B Erste Beratung des von den Fraktionen der (CDU/CSU) ...... 28520 C CDU/CSU, SPD, DIE LINKE und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent- wurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes – Verbesserung der Transparenzregeln für die Mitglieder des Tagesordnungspunkt 20: Deutschen Bundestages a) Antrag der Abgeordneten , Drucksache 19/28784 ...... 28506 C Susanne Ferschl, Matthias W. Birkwald, Patrick Schnieder (CDU/CSU) ...... 28506 D weiterer Abgeordneter und der Fraktion (AfD) ...... 28507 D DIE LINKE: Tarifbindung stärken – All- gemeinverbindlicherklärung erleich- Dr. (SPD) ...... 28508 D tern Dr. (FDP) ...... 28509 C Drucksache 19/28772 ...... 28521 D (DIE LINKE) ...... 28510 B b) Antrag der Abgeordneten Pascal Meiser, Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ Susanne Ferschl, Matthias W. Birkwald, DIE GRÜNEN) ...... 28511 A weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Tarifbindung schützen – (CDU/CSU) ...... 28511 C Tarifflucht erschweren Dr. Marco Buschmann (FDP) ...... 28512 B Drucksache 19/28775 ...... 28521 D Marco Bülow (fraktionslos) ...... 28512 D (SPD) ...... 28513 B in Verbindung mit

Tagesordnungspunkt 19: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Zusatzpunkt 5: Bundesregierung eingebrachten Ent- Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- wurfs eines Gesetzes zur Stärkung schusses für Arbeit und Soziales zu dem An- des Fondsstandorts Deutschland und trag der Abgeordneten Pascal Meiser, Susanne zur Umsetzung der Richtlinie (EU) Ferschl, Matthias W. Birkwald, weiterer Ab- 2019/1160 zur Änderung der Richtli- geordneter und der Fraktion DIE LINKE: nien 2009/65/EG und 2011/61/EU im Tarifverträge bescheren Weihnachtsgeld – Hinblick auf den grenzüberschreiten- Allgemeinverbindlichkeit erleichtern den Vertrieb von Organismen für ge- Drucksachen 19/15776, 19/25410 ...... 28522 A meinsame Anlagen (Fondsstandortge- setz – FoStoG) Drucksachen 19/27631, 19/28868 ...... 28514 B in Verbindung mit Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 XI

Tagesordnungspunkt 8: Tagesordnungspunkt 23: Antrag der Abgeordneten Beate Müller- Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Gemmeke, Anja Hajduk, Markus Kurth, wei- desregierung eingebrachten Entwurfs eines terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Gesetzes zur Änderung von Vorschriften NIS 90/DIE GRÜNEN: Tarifvertragssystem im Eisenbahnbereich fördern – Tarifbindung stärken Drucksachen 19/27671, 19/28828 ...... 28537 D Drucksache 19/27444 ...... 28522 A , Parl. Staatssekretär BMVI . . 28538 A Pascal Meiser (DIE LINKE) ...... 28522 B (AfD) ...... 28539 B Torbjörn Kartes (CDU/CSU) ...... 28523 B Kirsten Lühmann (SPD) ...... 28540 A Jürgen Pohl (AfD) ...... 28524 B (FDP) ...... 28540 D Bernd Rützel (SPD) ...... 28525 B (BÜNDNIS 90/ Carl-Julius Cronenberg (FDP) ...... 28526 A DIE GRÜNEN) ...... 28541 C Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 28527 A Stephan Stracke (CDU/CSU) ...... 28527 C Tagesordnungspunkt 24: (SPD) ...... 28528 C Antrag der Abgeordneten , Manuel Höferlin, , weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Tagesordnungspunkt 21: Schutz der Bundestagswahl 2021 vor Des- Zweite und dritte Beratung des von der Bun- information und Cyberangriffen desregierung eingebrachten Entwurfs eines Drucksache 19/28743 ...... 28542 B Gesetzes zur Novellierung des Bundesper- Konstantin Kuhle (FDP) ...... 28542 B sonalvertretungsgesetzes Drucksachen 19/26820, 19/26917, 19/28839 . . 28529 B (CDU/CSU) ...... 28543 B (CDU/CSU) ...... 28529 C Dr. (AfD) ...... 28544 A Dr. Christian Wirth (AfD) ...... 28530 C (SPD) ...... 28545 A (SPD) ...... 28531 C Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ Bernd Rützel (SPD) ...... 28532 C DIE GRÜNEN) ...... 28545 D Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) ...... 28546 C Falko Mohrs (SPD) ...... 28547 A Tagesordnungspunkt 22: a) Antrag der Abgeordneten Markus Frohnmaier, Marcus Bühl, , weiterer Abgeordneter und der Zusatzpunkt 6: Fraktion der AfD: Aggressionen und Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Kaviar-Diplomatie in die Schranken desregierung eingebrachten Entwurfs eines weisen – Entwicklungszusammenarbeit Vierten Gesetzes zur Änderung des Seefi- mit Aserbaidschan und der Türkei be- schereigesetzes enden Drucksachen 19/26840, 19/28840 ...... 28547 C Drucksache 19/28796 ...... 28533 B b) Beratung der Antwort der Bundesregie- in Verbindung mit rung auf die Große Anfrage der Abgeord- neten , Jürgen Braun, , Dr. Anton Friesen und Zusatzpunkt 7: der Fraktion der AfD: Umsetzung der Bundestagsresolution zum Völkermord Zweite und dritte Beratung des von den Abge- an den Armeniern ordneten , , Drucksachen 19/8355, 19/11959 ...... 28533 C Michael Theurer, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs Markus Frohnmaier (AfD) ...... 28533 C eines Gesetzes zur befristeten Wiederein- (CDU/CSU) ...... 28534 C führung der 115-Tage-Regelung – Achtes (FDP) ...... 28535 B Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch Helin Evrim Sommer (DIE LINKE) ...... 28536 A Drucksachen 19/27181, 19/28040 ...... 28547 D Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 28536 C Jürgen Braun (AfD) ...... 28537 B in Verbindung mit XII Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Zusatzpunkt 8: Friedrich Straetmanns (DIE LINKE) ...... 28560 A Antrag der Abgeordneten Susanne Ferschl, Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ , Dr. Kirsten Tackmann, wei- DIE GRÜNEN) ...... 28560 D terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LIN- KE: Keine Ausbeutung von Saisonarbeits- kräften Tagesordnungspunkt 27: Drucksache 19/27961 ...... 28547 D Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und Dr. (CDU/CSU) ...... 28548 A SPD: Ein vitaler, klimastabiler Wald nutzt (AfD) ...... 28548 D allen – Ökosystemleistungen ausreichend honorieren (SPD) ...... 28549 C Drucksache 19/28789 ...... 28561 D Dr. (FDP) ...... 28550 D Susanne Ferschl (DIE LINKE) ...... 28551 C in Verbindung mit Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 28552 B Zusatzpunkt 10: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Tagesordnungspunkt 25: schusses für Ernährung und Landwirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Franziska – Zweite und dritte Beratung des von der Gminder, , Berengar Elsner Bundesregierung eingebrachten Entwurfs von Gronow, weiterer Abgeordneter und der eines Zweiten Gesetzes zur Änderung Fraktion der AfD: Neue forstliche Versuchs- des Seelotsgesetzes flächen und Saatgutplantagen anlegen Drucksachen 19/27528, 19/28841 ...... 28553 B Drucksachen 19/22533, 19/23264 ...... 28561 D – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung in Verbindung mit Drucksache 19/28842 ...... 28553 B Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär BMVI . . 28553 C Zusatzpunkt 11: (AfD) ...... 28554 B Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- (SPD) ...... 28555 A schusses für Ernährung und Landwirtschaft Claudia Müller (BÜNDNIS 90/ zu dem Antrag der Abgeordneten , DIE GRÜNEN) ...... 28555 D , Stephan Protschka, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der AfD: Verwendung von hochwertigem forstlichem Tagesordnungspunkt 26: Vermehrungsgut fördern Drucksachen 19/26231, 19/26687 ...... 28561 D Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Einsetzung einer Kommission zur Re- form des Bundeswahlrechts und zur in Verbindung mit Modernisierung der Parlamentsarbeit Drucksache 19/28787 ...... 28556 D Zusatzpunkt 12: in Verbindung mit Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Ernährung und Landwirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Felser, Zusatzpunkt 9: Franziska Gminder, Stephan Protschka, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der AfD: Erste Beratung des von den Abgeordneten Demografische Krise in der forstlichen Pra- Britta Haßelmann, , Canan xis und Forschung durch längerfristige Pro- Bayram, weiteren Abgeordneten und der Frak- jektstellen kompensieren tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- Drucksachen 19/26224, 19/26814 ...... 28562 A brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- rung des Bundeswahlgesetzes – Chancengleichheit kleiner Parteien in der in Verbindung mit Coronavirus-Pandemie Drucksache 19/28792 ...... 28556 D Zusatzpunkt 13: Mahmut Özdemir () (SPD) ...... 28557 A Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Albrecht Glaser (AfD) ...... 28558 A schusses für Ernährung und Landwirtschaft Konstantin Kuhle (FDP) ...... 28559 A zu dem Antrag der Abgeordneten Karlheinz Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 XIII

Busen, Frank Sitta, Dr. Gero Clemens Hocker, Zusatzpunkt 16: weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Erste Beratung des von den Abgeordneten FDP: Waldbonus schaffen – CO2 reduzieren Dr. Jürgen Martens, Stephan Thomae, Drucksachen 19/16484, 19/17301 ...... 28562 A Grigorios Aggelidis, weiteren Abgeordneten (CDU/CSU) ...... 28562 A und der Fraktion der FDP eingebrachten Ent- Peter Felser (AfD) ...... 28562 D wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Überführung des § 42 Isabel Mackensen (SPD) ...... 28563 C des Bundesdatenschutzgesetzes in das Strafgesetzbuch zum verbesserten straf- rechtlichen Schutz von persönlichen Daten Tagesordnungspunkt 28: Drucksache 19/28777 ...... 28570 B a) Erste Beratung des von der Bundesregie- Christian Lange, Parl. Staatssekretär BMJV . . 28570 C rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Umsetzung der Anti-Steuerver- (AfD) ...... 28571 B meidungsrichtlinie (ATAD- Umsetzungsgesetz – ATADUmsG) Drucksache 19/28652 ...... 28565 D Tagesordnungspunkt 30: b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Erste Beratung des von der Bundesregierung zes zur Modernisierung des Körper- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur schaftsteuerrechts Änderung des Strafgesetzbuches – effekti- Drucksache 19/28656 ...... 28565 D vere Bekämpfung von Nachstellungen und bessere Erfassung des Cyberstalkings Drucksache 19/28679 ...... 28572 A in Verbindung mit Christian Lange, Parl. Staatssekretär BMJV . . 28572 B Thomas Seitz (AfD) ...... 28572 D Zusatzpunkt 14: Antrag der Abgeordneten , Christian Dürr, Dr. , weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Ge- Tagesordnungspunkt 31: stärkt aus der Krise hervorgehen – Gewer- Erste Beratung des von der Bundesregierung besteuer reformieren eingebrachten Entwurfs eines Vierten Geset- Drucksache 19/28770 ...... 28566 A zes zur Änderung des Staatsangehörigkeits- gesetzes in Verbindung mit Drucksache 19/28674 ...... 28573 B Helge Lindh (SPD) ...... 28573 B Zusatzpunkt 15: Dr. (AfD) ...... 28574 C Antrag der Abgeordneten Katja Hessel, (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . 28575 D Christian Dürr, Frank Schäffler, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der FDP: Thesau- rierungsbegünstigung modernisieren Drucksache 19/28766 ...... 28566 A Tagesordnungspunkt 32: , Parl. Staatssekretärin BMF . 28566 A Erste Beratung des von der Bundesregierung Albrecht Glaser (AfD) ...... 28567 A eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fritz Güntzler (CDU/CSU) ...... 28567 D Änderung des Anti-Doping-Gesetzes Drucksache 19/28676 ...... 28576 B (CDU/CSU) ...... 28569 A Christian Lange, Parl. Staatssekretär BMJV . . 28576 C Jörn König (AfD) ...... 28577 A Tagesordnungspunkt 29: Erste Beratung des von der Bundesregierung Nächste Sitzung ...... 28578 C eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbes- Berichtigung ...... 28578 A serung des strafrechtlichen Schutzes gegen sogenannte Feindeslisten Drucksache 19/28678 ...... 28570 B Anlage 1 in Verbindung mit Entschuldigte Abgeordnete ...... 28579 A XIV Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Anlage 2 Anlage 6 Neudruck der Erklärung nach § 31 GO der Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Abgeordneten (CDU/CSU) zu des von den Fraktionen der CDU/CSU und der namentlichen Abstimmung über den von SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes den Fraktionen der CDU/CSU und SPD einge- über die Errichtung einer Bundeskanzler- brachten Entwurf eines Vierten Gesetzes zum Helmut-Kohl-Stiftung Schutz der Bevölkerung bei einer epidemi- (Tagesordnungspunkt 16) ...... 28583 A schen Lage von nationaler Tragweite Patrick Schnieder (CDU/CSU) ...... 28583 B (223. Sitzung, Anlage 4, Tagesordnungs- punkt 1 a) ...... 28579 D (SPD) ...... 28583 D

Anlage 7 Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung a) des Antrags der Abgeordneten Dr. Marc a) des Antrags der Abgeordneten Frank Sitta, Jongen, Martin Erwin Renner, Dr. Götz Mario Brandenburg (Südpfalz), Manuel Frömming, weiterer Abgeordneter und Höferlin, weiterer Abgeordneter und der der Fraktion der AfD: Einen Nationalen Fraktion der FDP: Digitalen Impfpass Aktionsplan Kulturelle Identität auf den vorantreiben – Unverzüglich individuelle Weg bringen Freiheit wiederherstellen und Wirtschaft b) des Antrags der Abgeordneten Dr. Marc stärken Jongen, Martin Erwin Renner, Dr. Götz b) der Beschlussempfehlung und des Berichts Frömming, weiterer Abgeordneter und des Ausschusses für Gesundheit zu dem der Fraktion der AfD: Kulturelle Identität Antrag der Abgeordneten Dr. Michael bewahren – Eine Deutsche Akademie für Espendiller, Joana Cotar, Uwe Schulz, Sprache und Kultur gründen weiterer Abgeordneter und der Fraktion (Tagesordnungspunkt 17 a und b) ...... 28584 B der AfD: Die Corona-Impfpflicht durch Martin Rabanus (SPD) ...... 28584 B die Hintertür verhindern – Die Einführung des digitalen Corona-Impfpasses stoppen (Tagesordnungspunkt 12 a und b) ...... 28581 B Anlage 8 (CDU/CSU) ...... 28581 B Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten (CDU/CSU) ...... 28582 A Entwurfs eines Gesetzes zur Novellierung des Bundespersonalvertretungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 21) ...... 28584 D Anlage 4 (CDU/CSU) ...... 28584 D Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Konstantin Kuhle (FDP) ...... 28585 D Dr. Bernd Baumann (AfD) zu der Abstim- (DIE LINKE) ...... 28586 B mung über Buchstabe h der Beschlussempfeh- lung des Ausschusses für Arbeit und Soziales Dr. (BÜNDNIS 90/ zur Entschließung zu dem von der Bundesre- DIE GRÜNEN) ...... 28586 C gierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen sowie zur landesrechtlichen Anlage 9 Bestimmung der Träger der Sozialhilfe (Teil- Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung habestärkungsgesetz) a) des Antrags der Abgeordneten Markus (Tagesordnungspunkt 14 a) ...... 28582 C Frohnmaier, Marcus Bühl, Dietmar Friedhoff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD: Aggressionen und Anlage 5 Kaviar-Diplomatie in die Schranken weisen – Entwicklungszusammenarbeit Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten mit Aserbaidschan und der Türkei beenden Pascal Meiser (DIE LINKE) zu der Abstim- b) der Antwort der Bundesregierung auf die mung über die Beschlussempfehlung des Peti- Große Anfrage der Abgeordneten Beatrix tionsausschusses: Sammelübersicht 860 zu von Storch, Jürgen Braun, Waldemar Petitionen, Beschlussempfehlung 1, lfd. Nr. 1 Herdt, Dr. Anton Friesen und der Fraktion (Wirtschaftsförderung und Wirtschaftssiche- der AfD: Umsetzung der Bundestagsreso- rung) lution zum Völkermord an den Armeniern (Tagesordnungspunkt 45 dd) ...... 28582 C (Tagesordnungspunkt 22 a und b) ...... 28587 B Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 XV

Volker Kauder (CDU/CSU) ...... 28587 B Anlage 13 (CDU/CSU) ...... 28588 A Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung (SPD) ...... 28588 C – des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Dr. Barbara Hendricks (SPD) ...... 28589 B Änderung des Seelotsgesetzes – des Berichts des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung (Tagesordnungspunkt 25) ...... 28593 C Anlage 10 Dr. Christoph Ploß (CDU/CSU) ...... 28593 C Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung (SPD) ...... 28594 B des von der Bundesregierung eingebrachten (FDP) ...... 28594 C Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften im Eisenbahnbereich Jörg Cezanne (DIE LINKE) ...... 28595 A (Tagesordnungspunkt 23) ...... 28589 C (CDU/CSU) ...... 28589 C Anlage 14 Detlef Müller (Chemnitz) (SPD) ...... 28590 B Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Sabine Leidig (DIE LINKE) ...... 28590 D 26) des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Einsetzung einer Kommission zur Reform des Bundeswahlrechts und zur Moderni- sierung der Parlamentsarbeit Anlage 11 ZP 9) des von den Abgeordneten Britta Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Haßelmann, Luise Amtsberg, Canan des Antrags der Abgeordneten Konstantin Bayram, weiteren Abgeordneten und Kuhle, Manuel Höferlin, Thomas Hacker, wei- der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: GRÜNEN eingebrachten Entwurfs Schutz der Bundestagswahl 2021 vor Desin- eines Gesetzes zur Änderung des formation und Cyberangriffen Bundeswahlgesetzes – Chancen- (Tagesordnungspunkt 24) ...... 28591 C gleichheit kleiner Parteien in der Coronavirus-Pandemie (CDU/CSU) ...... 28591 C (Tagesordnungspunkt 26 und Zusatzpunkt 9) . 28595 C Petra Pau (DIE LINKE) ...... 28592 B (CDU/CSU) ...... 28595 C Michael Frieser (CDU/CSU) ...... 28596 B (SPD) ...... 28596 D Anlage 12 Annette Widmann-Mauz, Staatsministerin BK . 28597 B Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung ZP 6) des von der Bundesregierung einge- Anlage 15 brachten Entwurfs eines Vierten Ge- Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung setzes zur Änderung des Seefischer- eigesetzes 27) des Antrags der Fraktionen der ZP 7) des von den Abgeordneten Carina CDU/CSU und SPD: Ein vitaler, kli- Konrad, Pascal Kober, Michael mastabiler Wald nutzt allen – Öko- Theurer, weiteren Abgeordneten und systemleistungen ausreichend hono- der Fraktion der FDP eingebrachten rieren Entwurfs eines Gesetzes zur befriste- ZP 10) der Beschlussempfehlung und des ten Wiedereinführung der 115-Tage- Berichts des Ausschusses für Ernäh- Regelung – Achtes Gesetz zur Ände- rung und Landwirtschaft zu dem An- rung des Vierten Buches Sozialge- trag der Abgeordneten Franziska setzbuch Gminder, Stephan Protschka, ZP 8) des Antrags der Abgeordneten Berengar Elsner von Gronow, weite- Susanne Ferschl, Jutta Krellmann, rer Abgeordneter und der Fraktion Dr. Kirsten Tackmann, weiterer Ab- der AfD: Neue forstliche Versuchs- geordneter und der Fraktion DIE flächen und Saatgutplantagen anle- LINKE: Keine Ausbeutung von Sai- gen sonarbeitskräften ZP 11) der Beschlussempfehlung und des (Zusatzpunkte 6 bis 8) ...... 28592 C Berichts des Ausschusses für Ernäh- rung und Landwirtschaft zu dem An- (CDU/CSU) ...... 28592 C trag der Abgeordneten Peter Felser, XVI Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Franziska Gminder, Stephan (DIE LINKE) ...... 28602 C Protschka, weiterer Abgeordneter Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . 28603 A und der Fraktion der AfD: Verwen- dung von hochwertigem forstlichem Vermehrungsgut fördern Anlage 17 ZP 12) der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernäh- Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung rung und Landwirtschaft zu dem An- 29) des von der Bundesregierung einge- trag der Abgeordneten Peter Felser, brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Franziska Gminder, Stephan Änderung des Strafgesetzbuches – Protschka, weiterer Abgeordneter Verbesserung des strafrechtlichen und der Fraktion der AfD: Demogra- Schutzes gegen sogenannte Feindes- fische Krise in der forstlichen Praxis listen und Forschung durch längerfristige ZP 16) des von den Abgeordneten Dr. Jürgen Projektstellen kompensieren Martens, Stephan Thomae, Grigorios ZP 13) der Beschlussempfehlung und des Aggelidis, weiteren Abgeordneten Berichts des Ausschusses für Ernäh- und der Fraktion der FDP einge- rung und Landwirtschaft zu dem An- brachten Entwurfs eines Gesetzes trag der Abgeordneten Karlheinz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Busen, Frank Sitta, Dr. Gero Clemens Überführung des § 42 des Bundesda- Hocker, weiterer Abgeordneter und tenschutzgesetzes in das Strafgesetz- der Fraktion der FDP: Waldbonus buch zum verbesserten strafrechtli- schaffen – CO2 reduzieren chen Schutz von persönlichen Daten (Tagesordnungspunkt 27 und Zusatzpunkte 10 (Tagesordnungspunkt 29 und Zusatzpunkt 16) 28603 D bis 13) ...... 28598 B (CDU/CSU) ...... 28603 D Artur Auernhammer (CDU/CSU) ...... 28598 B (CDU/CSU) ...... 28604 B (FDP) ...... 28599 A Dr. (SPD) ...... 28605 A Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) ...... 28599 C Dr. Jürgen Martens (FDP) ...... 28605 C (BÜNDNIS 90/ (DIE LINKE) ...... 28606 A DIE GRÜNEN) ...... 28600 A (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 28606 D

Anlage 16 Anlage 18 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung 28 a) des von der Bundesregierung einge- des von der Bundesregierung eingebrachten brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umsetzung der Anti-Steuervermei- Strafgesetzbuches – effektivere Bekämpfung dungsrichtlinie (ATAD-Umsetzungsge- von Nachstellungen und bessere Erfassung setz – ATADUmsG) des Cyberstalkings b) des von der Bundesregierung einge- (Tagesordnungspunkt 30) ...... 28607 B brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ingmar Jung (CDU/CSU) ...... 28607 B Modernisierung des Körperschaftsteuer- Alexander Hoffmann (CDU/CSU) ...... 28608 A rechts (SPD) ...... 28608 D ZP 14) des Antrags der Abgeordneten Katja Hessel, Christian Dürr, Dr. Florian Dr. Jürgen Martens (FDP) ...... 28609 C Toncar, weiterer Abgeordneter und Gökay Akbulut (DIE LINKE) ...... 28610 A der Fraktion der FDP: Gestärkt aus Canan Bayram (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 28610 C der Krise hervorgehen – Gewerbe- steuer reformieren ZP 15) des Antrags der Abgeordneten Katja Hessel, Christian Dürr, Frank Anlage 19 Schäffler, weiterer Abgeordneter Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung und der Fraktion der FDP: Thesaurie- des von der Bundesregierung eingebrachten rungsbegünstigung modernisieren Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung (Tagesordnungspunkt 28 a und b sowie des Staatsangehörigkeitsgesetzes Zusatzpunkte 14 und 15) ...... 28600 D (Tagesordnungspunkt 31) ...... 28611 A Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) ...... 28600 D (CDU/CSU) ...... 28611 B Katja Hessel (FDP) ...... 28601 C Stephan Thomae (FDP) ...... 28611 C Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 XVII

Ulla Jelpke (DIE LINKE) ...... 28612 B Artur Auernhammer (CDU/CSU) ...... 28614 A Dr. Günter Krings, Parl. Staatssekretär BMI . 28613 B (SPD) ...... 28614 D

Anlage 20 Britta Katharina Dassler (FDP) ...... 28615 B Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Dr. André Hahn (DIE LINKE) ...... 28616 A des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 28617 C Anti-Doping-Gesetzes (Tagesordnungspunkt 32) ...... 28614 A , Parl. Staatssekretär BMI . . . . . 28618 B

Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28401

(A) (C)

224. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Telekommunikationsmodernisierungs- Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bitte gesetz – Grundversorgung garantieren nehmen Sie Platz. Die Sitzung ist eröffnet. und digitale Infrastruktur ausbauen Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a und 10 b sowie – zu dem Antrag der Abgeordneten Tabea 10 d bis 10 f auf: Rößner, Margit Stumpp, Dr. Konstantin von Notz, weiterer Abgeordneter und der a) – Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Telekommunikationsmodernisierungs- Richtlinie (EU) 2018/1972 des Europä- gesetz – Den Schutz von Verbraucher- ischen Parlaments und des Rates vom innen und Verbrauchern in den Mittel- 11. Dezember 2018 über den europä- punkt stellen (B) (D) ischen Kodex für die elektronische – zu dem Antrag der Abgeordneten Kommunikation (Neufassung) und zur Dr. Konstantin von Notz, Tabea Rößner, Modernisierung des Telekommunika- Margit Stumpp, weiterer Abgeordneter tionsrechts (Telekommunikationsmo- und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE dernisierungsgesetz) GRÜNEN Drucksachen 19/26108, 19/26964, Telekommunikationsmodernisierungs- 19/27035 Nr. 1.9 gesetz – Datenschutz, IT-Sicherheit und Beschlussempfehlung und Bericht des Bürgerrechte sichern Ausschusses für Wirtschaft und Energie Drucksachen 19/26117, 19/26531, (9. Ausschuss) 19/26532, 19/26533, 19/28865 Drucksache 19/28865 d) Beratung der Beschlussempfehlung und des – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- Berichts des Ausschusses für Inneres und schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Heimat (4. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten , Stephan Drucksache 19/28866 Thomae, Renata Alt, weiterer Abgeordneter b) Beratung der Beschlussempfehlung und des und der Fraktion der FDP Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Recht auf Verschlüsselung – Privatsphäre Energie (9. Ausschuss) und Sicherheit im digitalen Raum stärken – zu dem Antrag der Abgeordneten Drucksachen 19/5764, 19/27325 Reinhard Houben, Manuel Höferlin, e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Michael Theurer, weiterer Abgeordneter Berichts des Ausschusses für Verkehr und und der Fraktion der FDP digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) zu Gigabit-Ausbau voranbringen – Up- dem Antrag der Abgeordneten Daniela grade für das Nebenkostenprivileg Kluckert, Frank Sitta, Grigorios Aggelidis, – zu dem Antrag der Abgeordneten Margit weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Stumpp, Tabea Rößner, Dr. Konstantin FDP von Notz, weiterer Abgeordneter und der Regeln für den Schnellstart ins Gigabit- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zeitalter 28402 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) Drucksachen 19/26188, 19/28428 Schaut man aber genauer auf die Penetration mit Glas- (C) f) Beratung der Beschlussempfehlung und des faseranschlüssen, dann wird das Defizit in Deutschland Berichts des Ausschusses für Verkehr und deutlich sichtbar; denn nur 10 Prozent der Haushalte in digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) zu Deutschland haben Zugriff auf einen Glasfaseranschluss. dem Antrag der Abgeordneten Ralph Meine Damen und Herren, genau darum geht es ja. Das Lenkert, Anke Domscheit-Berg, Dr. Petra ist eindeutig zu wenig, um die Gigabitgesellschaft zu Sitte, weiterer Abgeordneter und der Frak- erreichen. Deswegen war es notwendig, dass wir hier tion DIE LINKE im Telekommunikationsmodernisierungsgesetz klare Maßnahmen für einen beschleunigten Glasfaserausbau Recht auf schnelles Internet für alle treffen. Drucksachen 19/27192, 19/28867 Umso mehr hat mich erstaunt, dass einer der Großen Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten der Branche vor ungefähr zwei Wochen über die Presse beschlossen. mitteilen ließ, dass er im Bereich der privaten Haushalte nur diese Koaxkabelnetze ausbauen will und keine Glas- Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem faser verlegen will. Ich halte das für eine falsche Strate- Kollegen Andreas Lämmel, CDU/CSU. gie. Deswegen war es auch notwendig, dass wir zum Bei- (Beifall bei der CDU/CSU) spiel einen der Kernpunkte unseres Gesetzes – das Thema Umlagefähigkeit der Betriebskosten – deutlich verändert haben. Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Guten Morgen, Herr Präsident! Meine sehr geehrten (Beifall bei der CDU/CSU) Damen und Herren! Man könnte sagen: Es ist vollbracht. Wir wollen, meine Damen und Herren, den Ausbau mit Das TKG wird heute hier im Deutschen Bundestag ver- Glasfaser bis in jede Wohnung voranbringen. Wir schaf- abschiedet. Ich finde, das ist eine gute Sache: zum einen fen mit diesem Gesetzentwurf jetzt entsprechende Vor- für die Telekommunikationsbranche und zum anderen für aussetzungen. Ich hoffe, dass wir heute mit großer Mehr- die Verbraucher und Kunden in unserem Land. heit dieses TKG beschließen. Das ist ein guter Tag für die Am 16. Dezember 2020 hat uns die Bundesregierung Branche, und das ist auch ein guter Tag für unser Land. den Gesetzentwurf auf den Tisch gelegt. Eigentlich sollte Vielen Dank. in Brüssel schon am 21. Dezember die Frist ablaufen, den Kodex für die elektronische Kommunikation zu verab- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- schieden. Das war natürlich nicht zu schaffen; gar keine ordneten der SPD) (B) Frage. Aber schaut man einmal, was sich in Europa bisher (D) getan hat, dann muss man ja feststellen, dass bisher über- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: haupt nur drei Länder diesen Kodex umgesetzt haben. Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Jörn König, Das sind Finnland, Ungarn und Griechenland. Dass wir AfD. heute, am 22. April, unser TKG-Modernisierungsgesetz und damit auch diese Kodexumsetzung beschließen, (Beifall bei der AfD) zeigt, dass wir als Deutschland schon ganz gut im Zeit- plan liegen. Jörn König (AfD): Meine Damen und Herren, zu den Zielen dieser euro- Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen! päischen Richtlinien gehörte ja unter anderem, dass mehr Liebe Zuschauer auf den Tribünen und an den Bildschir- Wahlmöglichkeiten und Rechte für Verbraucher einge- men! Die Regierung hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, räumt werden sollten, dass wir in Europa effizientere der die Telekommunikation modernisieren soll. Wie ich Notrufverbindungen organisieren müssen und – das war vor zwölf Wochen in erster Lesung sagte: „Es geht voran, für uns auch sehr wichtig – dass wir mehr Anreize für aber in Trippelschritten.“ Zum ersten Mal werden Diens- Investitionen in Netze mit sehr hoher Kapazität bekom- te und Leistungsmerkmale mit einem funktionalen An- men. Das ist eigentlich auch der Kernpunkt unseres heu- satz beschrieben und nicht allein mit, so wörtlich, „einem tigen Gesetzes. Mit dieser Novellierung haben wir aus technischen Ansatz“. Damit hinkt die Bundesregierung unserer Sicht – ich glaube, da sind wir uns in der Koali- auch nur etwa zehn Jahre hinter dem Markt her; denn tion oder hier im Hohen Hause auch einig – diese Ziele die funktionale Beschreibung von Diensten und Leis- erreichen können. tungsmerkmalen hat sich am Markt schon lange durchge- setzt. Wie soll man auch sonst technologieoffen beschrei- Eine Studie des WIK zum deutschen Kommunika- ben, was man als Leistung haben möchte? tionsmarkt im internationalen Vergleich fördert hier schon einige interessante Punkte hervor, die auch für Dann noch etwas Positives. Meine Anregung, den unser Gesetzgebungsverfahren sehr relevant sind. Begriff „Netze mit sehr hoher Kapazität“ funktionaler Deutschland liegt bei der Durchsetzung mit Breitbandan- und technologieoffener zu beschreiben: Ja, diese Anre- schlüssen in der Fläche gar nicht so schlecht. Circa gung wurde umgesetzt. Es gibt nicht nur Glasfaser. Lei- 88 Prozent der versorgten Haushalte in Deutschland ha- der stehen aber wieder keine konkreten Angaben zu ben Zugriff auf einen Breitbandanschluss. Diese Penetra- Bandbreiten und Verfügbarkeit im Gesetzentwurf. Die tion wird zum einen durch die Fernsehkabelnetze und wirkliche Musik spielt also weiterhin in den Anhängen zum anderen durch die Vectoring- und Supervectoring- zum Gesetz und in den Allgemeinverfügungen und Fest- Maßnahmen der letzten Jahre erreicht. legungen der Bundesnetzagentur. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28403

Jörn König (A) Es gibt, wie schon erwähnt, bei einigen Kollegen hier Drittens. Es besteht die reale Gefahr, von China tech- (C) eine Vorliebe für Glasfaser. Fragen Sie doch einfach mal nologisch abhängig zu werden. bei verschiedenen größeren Sparkassen nach. Viele ha- Viertens. Von den USA sind wir bereits heute techno- ben nämlich Fiber-to-the-Desk wieder herausgerissen, logisch abhängig. weil kein Power-over-Ethernet möglich war. Das ist die praktische Erfahrung. Mit dieser Fixierung auf eine Tech- Sie können es einfach nicht. Man könnte meinen, Sie nologie erinnern Sie mich an Erich Honecker, der auch zerstören planvoll die Infrastruktur und die Leistungsfä- meinte, mit einer einzigen Technologie hätte er den fina- higkeit Deutschlands. len Durchbruch geschafft; er meinte den 1-Megabit-Chip Vielen Dank. damals. Das Finale sah aber völlig anders aus. Die Frei- heit kam, und Freiheit brauchen wir auch im Technolo- (Beifall bei der AfD) gie- und Telekommunikationsbereich. Die Bundeskanzlerin mag auch keine Freiheit und hat Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: daher die IT und den Breitbandausbau in den Jahren Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Falko Mohrs, 2010, 2012, 2017, also dreimal, zur Chefsache erklärt – SPD. wieder so ein versuchter staatlicher Technologiedurch- (Beifall bei der SPD) bruch. Was aber ist in dieser Zeit real passiert? Im Jahre 1999 hat Siemens Mobile einen Großauftrag aus China erhalten für den Aufbau eines Mobilfunknetzes. Heute Falko Mohrs (SPD): müssen wir uns hier in Deutschland überlegen, ob wir Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- uns einem chinesischen Staatskonzern Huawei ausliefern ren! Ach herrje, Herr König, also, was soll man da noch wollen, um moderne Mobilfunknetze zu erhalten. Wir sagen? Ich meine, wir wussten ja, dass die AfD es nicht so haben lange davor gewarnt. Von Siemens Mobile aber richtig mit Zukunft und Gegenwart hat, sondern irgend- ist schon lange keine Rede mehr. Im Breitbandausbau wie vor einigen Jahrzehnten stehen geblieben ist. Dass liegen wir in Europa auf Platz 25, Herr Lämmel, hinter Sie es mit Glasfasern nicht so haben, das haben wir jetzt Wirtschaftsmächten wie Slowenien und Lettland. Was für auch verstanden. Gestern hat Ihr Kollege im Wirtschafts- ein Armutszeugnis für die viertgrößte Volkswirtschaft der ausschuss noch gesagt, ein Gesetz von 450 Seiten sei zu Welt. kompliziert; da könne man gar nichts zu sagen. Das kön- ne man wohl als AfD nicht verarbeiten. Offensichtlich (Beifall bei der AfD) haben Sie es gestern gelesen und nicht verstanden. Gut, Sehr geehrte Bundesregierung, es tut mir leid, Ihnen so ist es. Wir widmen uns der Debatte. sagen zu müssen: Das lassen Sie mal lieber, Sie können (B) Meine Damen und Herren, moderne, leistungsfähige (D) das nämlich gar nicht. Kommunikationsinfrastruktur ist das Nervensystem un- Was wir unter anderem brauchen, ist eine definierte serer Gesellschaft. Es ist die Voraussetzung für Teilhabe, Ausfallsicherheit; denn seit der Umstellung auf die IP-Te- und es ist die Voraussetzung für einen wirtschaftlichen lefonie sind bei Stromausfall auch automatisch die Tele- Erfolg in unserem Land. Deswegen ist es wichtig und fone der Endkunden tot. Früher war das besser, und da notwendig, dass wir uns heute mit dem Telekommunika- müssen wir wieder hin, dass die Telefonie auch bei tionsmodernisierungsgesetz genau diesen Zielen – eine Stromausfall funktioniert. hochleistungsfähige, eine moderne und eine zukunftsge- (Gustav Herzog [SPD]: Die AfD ist für die richtete Infrastruktur in unserem Land – nähern. Deswe- Wählscheibe!) gen ist es ein gutes Gesetz, meine Damen und Herren. Nicht jeder hat ein Mobiltelefon. Glauben Sie mir, bei (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dieser Energiewende sind die Stromausfälle garantiert. der CDU/CSU) Im Abschnitt 2 des Gesetzentwurfes, wo es um Notfall- Wir verglasfasern das Land. Wir verglasfasern die In- vorsorge geht, hätte man also eine Ausfallsicherheit bzw. frastruktur bis in die Wohnung. Deswegen ist es gut, dass Verfügbarkeit festlegen müssen. Die Strafen, wenn ein wir die jahrzehntealte, auf Koaxialkabel ausgelegte öffentlicher Netzbetreiber die Pflichten der Notfallvor- Umlagefähigkeit in den Mietwohnungen jetzt in Rich- sorge aus den §§ 183 ff. verletzt, sind mit maximal 1 Mil- tung einer leistungsfähigen Glasfaserinfrastruktur moder- lion Euro auch viel zu gering. Das sind Peanuts für solche nisieren. Es wird eben in Zukunft so sein, dass dort, wo Unternehmen. neue Glasfaserinfrastruktur im Mietwohnungsbau einge- Dem Gesetzentwurf wurden insgesamt fünf Anträge baut wird, eine in der Dauer begrenzte und vor allem auch beigestellt. Wir werden sachbezogen abstimmen, zustim- in der Höhe auf 5 Euro im Monat begrenzte Umlage für men, ablehnen und enthalten. Lassen Sie sich überra- diese neue Glasfaserinfrastruktur geschaffen wird. Das schen. Den Gesetzentwurf aber in seiner heutigen Form heißt also, dass insbesondere dort, wo bisher der Glas- lehnen wir ab. Es ist zu wenig und viel zu spät. faserausbau nicht stattgefunden hat, nämlich bei den Mie- terinnen und Mietern in den Wohnungen, in den nächsten Und noch mal, liebe Bundesregierung: Ihre Bilanz Jahren ein Impuls zu erwarten ist, und das schaffen wir nach dreimal Chefsache: eben mit genau diesem Gesetz, meine Damen und Her- Erstens: Platz 25 im Breitbandausbau. ren. Zweitens. Es gibt keine einheimischen Telekommuni- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten kationshersteller mehr. der CDU/CSU) 28404 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Falko Mohrs (A) Das Ganze geschieht auch in Verbindung mit Open Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (C) Access, also mit mehr Wahlfreiheit, mehr Wettbewerb, Nächster Redner ist der Kollege Reinhard Houben, und das eben – ich habe es gesagt – in der Höhe der FDP. Umlage so, dass es auch sozial verträglich ist. (Beifall bei der FDP) Wir setzen – davon bin ich fest überzeugt – in Fragen des Verbraucherschutzes Maßstäbe. Wir haben es Reinhard Houben (FDP): geschafft, dass dann, wenn ein Vertrag endet, er sich nicht Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ende 2018 mehr automatisch um ein oder zwei Jahre verlängert, hat die Europäische Union der Bundesregierung zwei sondern nur noch eine monatliche Verlängerung möglich Jahre Zeit gegeben, die Richtlinie zum Kodex für die und damit für die Verbraucherinnen und Verbraucher elektronische Kommunikation umzusetzen. Ziel ist und auch monatlich kündbar ist. Die ärgerliche Endlosschlei- war es – wohlweislich marktgetrieben –, den Ausbau der fe von langen Vertragsverlängerungen gehört also mit digitalen Infrastruktur voranzubringen. Es geht also um dieser Gesetzesnovelle der Vergangenheit an, meine Da- nicht mehr oder weniger als um die Frage: Wie sieht es men und Herren. aus mit der Digitalisierung in Deutschland? (Beifall bei der SPD) Knapp vor Ablauf dieser zwei Jahre ging dann 2020 der Referentenentwurf ins Kabinett. Die erste Lesung Außerdem muss der Verbraucher in Zukunft rechtzei- hatten wir dann Ende Januar. Dann war Funkstille. tig und schriftlich darauf hingewiesen werden, dass seine Dann bekamen wir diesen Dienstag, keine 24 Stunden Kündigung stattfinden muss. Außerdem hat der Kunde vor der Ausschusssitzung, keine 48 Stunden vor dieser Rechte, beispielsweise wenn die versprochene, gebuchte Debatte hier im Plenum, einen Änderungsantrag über und bezahlte Bandbreite nicht geliefert wird, dass dann 450 Seiten. Der kam so um die Ecke. Meine Damen eben auch Minderungsrechte in den monatlichen Raten und Herren, das ist eine Missachtung der Opposition, dazugehören. Der Kunde hat das Recht, dass ab dem und es ist eine Missachtung des parlamentarischen Pro- zweiten Kalendertag entweder eine Entstörung seines zesses. Anschlusses stattfindet oder aber auch dort Minderungs- rechte für ihn bestehen. Also, meine Damen und Herren, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten wir setzen hier Maßstäbe beim Verbraucherschutz. der AfD und der LINKEN) Bevor gleich, Tabea Rößner, wieder die Sorge kommt: Besonders ärgerlich finde ich, dass die Koalition diese Vielleicht einfach noch mal reingucken ins Gesetz. Die Informationen offensichtlich erst der Presse und dann Zwölfmonatsverträge gehören zum Standard dazu. Da einigen privatwirtschaftlichen Unternehmen zugesteckt (B) steht nämlich, dass dem Kunden vor Vertragsabschluss und dann erst uns als parlamentarischen Vertretern zur (D) ein Zwölfmonatsvertrag angeboten werden muss. Dann Verfügung gestellt hat. Wenn Sie eineinhalb Stunden, ist es eben auch die Entscheidung des Kunden, ob er nachdem Sie 450 Seiten erhalten haben, schon die erste diesen Weg des Zwölfmonatsvertrages oder eines länge- Stellungnahme eines privatwirtschaftlichen Anbieters ren Vertrages geht. Das, meine Damen und Herren, ist aus diesem Bereich bekommen, der da sagt: „Das finden dann eben auch Verbraucherschutz, dass der Kunde sich wir gut daran, das finden wir schlecht daran“, muss ich hier entscheiden kann. sagen, fühle ich mich hier sehr gekränkt als Parlamenta- rier. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der FDP) Wir haben neben diesen zukunftsrichtenden Fragen Meine Damen und Herren, es geht um die digitale einer modernen, einer hochleistungsfähigen Infrastruktur Zukunft unseres Landes. In dem Prozess hatte ich das und den Maßstäben beim Kundenschutz uns auch mit Gefühl, dass die Regierung nur das Interesse hat, das Fragen der inneren Sicherheit beschäftigt, weil es hier hier möglichst schnell über die Bühne zu bringen. offensichtlich so manche „feuchte Träume“ – so nenne ich das immer – bei den Sicherheitsbehörden gegeben (Zuruf von der AfD: So ist es!) hat. Hier haben wir, glaube ich, Augenmaß gewahrt, näm- Der Kollege Lämmel hat gesagt: Es ist erreicht. – Nun lich dass das, was in der Vergangenheit möglich war, denn. auch unter Betrachtung der internationalen Standards Es gibt einige Punkte in diesem Gesetzentwurf, die wir im neuen Netz, im 5-G-Netz, möglich ist. Wir haben ent- auch begrüßen. Ich weiß, es gibt kein Patent und kein gegen den Aussagen, die gestern gefällt wurden, nichts Anrecht auf politische Ideen; aber die FDP-Bundestags- im Bereich der Vorratsdatenspeicherung geändert. Die ist fraktion war die erste Fraktion, die einen Antrag einge- weiter ausgesetzt, meine Damen und Herren. Was die bracht hat, in dem vorgeschlagen wird, eine Verbindung Bestandsdaten angeht, sei der Kompromiss des Bundes- herzustellen zwischen dem Nebenkostenprivileg und der rates erwähnt, dem auch die Grünen zugestimmt haben. Frage der Digitalisierung in den Immobilien. Deswegen Also, meine Damen und Herren, es ist ein gutes Gesetz. begrüßen wir den Gesetzentwurf an dieser Stelle. Es ist hochleistungsfähig. Es schafft die nötigen Voraus- setzungen. Ich bitte um Zustimmung. (Beifall bei der FDP) Herzlichen Dank. Aber wenn man es gesamt betrachtet, meine Damen und Herren: 20 Milliarden Euro Subventionen bis 2025, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten eine unklare Definition zwischen weißen und grauen Fle- der CDU/CSU) cken: Das ist eine Verschiebung – ich habe es am Anfang Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28405

Reinhard Houben (A) gesagt – weg von der Privatwirtschaft, hin zur Staatswirt- 100 Mbit/s für den Download, 50 Mbit/s für den Upload, (C) schaft. Deswegen können wir Ihrem Antrag und Ihrem und zwar egal, ob man in der Lausitz, im Havelland oder Gesetzentwurf insgesamt leider nicht folgen. auch in Oberhausen wohnt. Denn der Zugang zu digitaler Daseinsvorsorge, der darf nicht davon abhängen, ob ich Vielen Dank. auf dem Land oder in der Stadt wohne. Deshalb heißt das (Beifall bei der FDP) ja Universaldienst. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Nächste Rednerin ist die Kollegin Anke Domscheit- Weil sich Technologie aber weiterentwickelt, wollen Berg, Die Linke. wir auch einen Rechtsanspruch auf einen Gigabitan- schluss bis 2030 schaffen. Ich erinnere daran, die Bun- (Beifall bei der LINKEN) desregierung verspricht das ja bereits für 2025. Dann sollte das bis 2030 als Rechtsanspruch wohl kein Problem Anke Domscheit-Berg (DIE LINKE): sein. Sehr geehrter Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol- (Beifall bei der LINKEN) legen! Wir debattieren den Entwurf des Telekommunika- tionsmodernisierungsgesetzes, der mit seinen über Im Übrigen haben Informationen zu Schwanger- 450 Seiten dick ist wie ein Telefonbuch. Drei Minuten schaftsabbrüchen nichts im Strafrecht verloren. § 219a Redezeit reichen daher nicht aus für fundierte Kritik an StGB gehört abgeschafft. der immer noch verfassungswidrigen Vorratsdatenspei- cherung und an neuen Überwachungsbefugnissen (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Im Übrigen ist Ihre Redezeit zu Ende!) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das sehen viele anders!) Vielen Dank, meine Damen und Herren. oder an zu langen Telekom-Vertragslaufzeiten und an zu (Beifall bei der LINKEN) engen Vorgaben für regionales Roaming. Ich beschränke mich heute auf ein Thema, auf den Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Universaldienst als Recht auf schnelles Internet. Seit Tabea Rößner, Bündnis 90/Die Grünen, ist die nächste drei Jahren ist die Bundesregierung in der Pflicht, dieses Rednerin. Recht gesetzlich zu verankern und europäisches Recht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (B) damit in nationales umzusetzen. Unverbindlich verspro- (D) chen wurde der Bevölkerung ein schnelles Netz ja schon recht oft: 50 Mbit/s bis Ende 2018, 1 000 Mbit/s bis 2025. Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir alle wissen, die Realität sieht völlig anders aus: Der Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Ziemli- Fortschritt beim Breitbandausbau bleibt eine Schnecke. cher Witz“, „inakzeptabel“, „spektakulär unambitio- Das hatte und hat in der Pandemie dramatische Folgen niert“, so das Urteil der Sachverständigen in der Anhö- für viele. Wir konnten Anfang des Jahres zwar alle live rung. Auch der überarbeitete Gesetzentwurf enttäuscht die Landung einer Marssonde verfolgen, aber den Dis- alle Hoffnung auf eine moderne Umsetzung des TK- tanzunterricht von zu Hause konnten viele Kinder nicht Kodexes. Dabei geht es hier um eine Zukunftsaufgabe, nur bei mir, im Norden von Brandenburg, immer noch nämlich die digitale Infrastruktur schneller und verbrau- nicht machen. Viele Erwachsene verzweifeln beim Ver- cherfreundlich auszubauen. Stattdessen haben Sie zwei such, stabile Videokonferenzen im Homeoffice einzu- Jahre mit Streitereien zwischen den Ministerien verplem- richten. Verfehlte Förderstrategien und Andi Scheuers pert, Verbände wurden mit absurd kurzen Äußerungsfris- blinder Glaube daran, dass Großkonzerne digitale ten vor den Kopf gestoßen, und uns knallten Sie vorges- Daseinsvorsorge vernünftig leisten können, bremsten tern umfangreichste Änderungen vor die Füße. Eine den Ausbau. fruchtbare und sachorientierte Beratung geht anders! Leider bringt aber auch dieser Gesetzentwurf nur einen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Rechtsanspruch auf lahmes Internet. Denn aktuell genü- sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) gen 56 Kilobit pro Sekunde als funktionaler Internetan- Inhaltlich sind die neuen Vorschläge kein großer Wurf, spruch; die 90er-Jahre lassen freundlich grüßen. Daraus in Teilen sogar ein Rückschritt. 2019 kündigte die Bun- wollte die GroKo im ersten Gesetzentwurf lächerliche desjustizministerin das Ende von Zweijahresverträgen 10 Mbit/s machen. Erst im überarbeiteten Entwurf hat für Telefon, Handy oder Internet an. Das ist nun vom sie ihren geringen Anspruch auf 30 Mbit/s gesteigert. Tisch. Kollege Mohrs, es müssen nur irgendwelche Immerhin sollen jetzt die Homeofficefähigkeit und Zwölfmonatsverträge angeboten werden, ohne Preisde- Videostreaming in angemessenem Umfang nicht mehr ckelung. Diese werden also weiter nur als Alibi und unat- als Luxus gelten. – Ernsthaft, GroKo? traktiv angeboten werden. Das ist der Status quo, und Mit dem vorliegenden Antrag meiner Fraktion, der deshalb ist es keine Verbesserung des Verbraucherschut- Linken, wäre ein wirkliches Recht auf schnelles Internet zes. verankert: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der LINKEN) sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) 28406 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Tabea Rößner (A) Die neue Regelung für ein gedeckeltes Glasfaserbe- Bundestag gibt; denn die ein oder andere Änderung war (C) reitstellungsentgelt mag zwar besser sein als eine noch dringend erforderlich. Danke schön, liebe Kollegin- Modernisierungsumlage, die ja ewig auf die Miete umge- nen und Kollegen! legt werden kann, aber nur dann, wenn die Deckelung nicht mit begründeten Mehrkosten leicht ausgehebelt (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- werden kann, so wie es das Gesetz ermöglicht. Alle Nut- ordneten der SPD) zer/-innen sollten die vertraglich zugesicherte Daten- Ja, die Koalition hat gezeigt, dass sie handlungsfähig übertragungsrate auch tatsächlich bekommen. Das ist ak- ist. Das, was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, tuell nur bei 16 Prozent von ihnen der Fall. Da reicht Ihr setzen wir um. Neue Frequenzen nur gegen flächende- Minderungsrecht überhaupt nicht. Deshalb fordern wir ckende Versorgung, genau das steht jetzt konkret im Ge- einen pauschalierten Schadenersatzanspruch von 5 Euro setzentwurf als Mobilfunkausbauziel. 4 G an den Stra- pro Tag. ßen, an den Schienen ist keine Kür, 4 G ist Muss und ist die Basis für 5 G in der Zukunft, liebe Kolleginnen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und Kollegen. Genauso enttäuschend ist die Regelung zum Univer- saldienst. Das ist eine Minimalstumsetzung der europä- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und ischen Vorgaben. Die Coronapandemie zeigt doch, was der SPD) dringlich ist: Nur mit schnellem und verlässlichem Inter- Wir haben nochmals den Instrumentenkasten der Bun- net können die Menschen am Homeoffice und am Dis- desnetzagentur nachgeschärft, aber auch die Spielregeln tanzunterricht teilnehmen oder digitale Verwaltungsleis- gegenüber den Netzbetreibern verändert. Liebe Kollegen tungen nutzen. Deshalb brauchen wir einen echten der FDP, wer nach 20 Jahren missglücktem flächendeck- Rechtsanspruch auf schnelles Internet mit jährlich festge- enden Ausbau des Mobilfunks von Markt redet, der legten Mindestbandbreiten, die immer und überall zur träumt. Ich kann das nicht anders sagen als jemand aus Verfügung stehen. Dieser muss sich daran orientieren, dem ländlichen Raum: Hören Sie endlich auf mit der was die Mehrheit der Nutzer/-innen tatsächlich hat. Ihnen Leier von der Marktwirtschaft bei Telekommunikation reicht es dagegen, wenn eine Handvoll von Diensten ir- auf dem Lande. Ich kann es ehrlich nicht mehr hören! gendwie halbwegs funktionieren. Da platzt doch Ihr groß angekündigtes Recht auf schnelles Internet wie eine Sei- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und fenblase. Das sollten Sie auch doch wenigstens zugeben. der SPD – Dr. Marco Buschmann [FDP]: Dass das hier mit Marktwirtschaft nichts zu tun hat, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) haben wir ja gelernt!) (B) Der Gesetzentwurf birgt erhebliche verfassungsrecht- Es ist zwingend, dass die TK-Betreiber zusammenar- (D) liche Risiken und stiftet mit parallel laufenden Gesetzes- beiten. Es wird kein paralleles Netz geben; es rechnet sich vorhaben Verwirrung. Es drohen Rechtsunsicherheit für nicht. Deswegen ist es auch gut, dass wir mit einer ent- die Wirtschaft und Gefahr für das Recht auf informatio- sprechenden Mobilfunkstrategie der Bundesregierung in nelle Selbstbestimmung. Wenn Sie schon nicht auf uns dieser Periode eine klare Antwort gefunden haben. hören, dann wenigstens auf den Datenschutzbeauftrag- ten: Sie müssen sicherstellen, dass, wenn Sie Daten- Eines haben wir auch gelernt: Vertrauen ist gut, Kon- schutzfragen aus TKG und TMG herauslösen und in trolle ist besser. Deswegen haben wir die Rechte des einem eigenen Gesetz regeln, diese Gesetze auch gleich- Parlaments in der Kontrolle und die Möglichkeiten zum zeitig in Kraft treten. Eingriff geschärft; denn wir haben aus den letzten Ver- steigerungen gelernt, dass es keinen Sinn macht, wenn (Falko Mohrs [SPD]: Können sie doch! Das man sich nur darauf verlässt, dass angeblich unabhängige TKG tritt zum 01.12. in Kraft!) Behörden das schon regeln werden. Insgesamt erfolgt also an dieser Stelle eine klare Neujustierung des Instru- Vielen Dank. mentenkastens. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Noch ein Satz zum Universaldienst. Der Universal- dienst sichert eine Grundversorgung. Er gewährleistet Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: einen Grundversorgungsanspruch. Genau diese Gewähr- Ulrich Lange, CDU/CSU, ist der nächste Redner. leistung steht im Artikel 87f unseres Grundgesetzes. Ja, die Schere zwischen Stadt und Land darf nicht weiter (Beifall bei der CDU/CSU) aufgehen. Genau an dieser Stelle setzen wir an. Ja, wir setzen an beim Homeoffice. Ja, wir setzen an beim Homeschooling. Deswegen haben wir auch die Kriterien Ulrich Lange (CDU/CSU): von Latenz und Uploadrate ausdrücklich in dieses Gesetz Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein mit aufgenommen. umfangreiches Gesetzeswerk findet heute seinen guten Abschluss mit der zweiten und dritten Lesung hier. Ich Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kriterien sind fest- sage zunächst allen Kolleginnen und Kollegen und den gelegt; Kriterien sind zu erfüllen. Die Verfahrensfristen beteiligten Ministerien, Herr Bundesminister, ein herzli- sind verkürzt. Der Rahmen ist durchaus ambitioniert; ches Dankeschön für die intensive Zusammenarbeit, die aber wir wissen alle, dass es erst ein Gesetz ist. Jetzt wir an der ein oder anderen Stelle hatten. Es bewahrheitet geht es an die tatsächliche Umsetzung. Wir als Gesetzge- sich einmal mehr: Wie gut, dass es uns hier im Deutschen ber werden uns schärfer als in der Vergangenheit an- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28407

Ulrich Lange (A) schauen, was Bundesnetzagentur und Telekommunika- (Beifall bei der SPD) (C) tionsunternehmen an dieser Stelle leisten. Sie können Die vierte Dimension: Wir haben ambitionierte Fristen mehr, als sie bisher gezeigt haben. gesetzt, bei den Verbraucherverträgen verkürzt, bei den Danke schön. Berichten an das Parlament auch und haben Genehmi- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) gungsfiktionen eingeführt: Wenn die kommunale Ver- waltung versäumt, zu genehmigen, dann darf gebaut wer- den. – Also, wir haben da richtig Gas gegeben. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Gustav Ein Satz noch zum Universaldienst, liebe Kolleginnen Herzog, SPD. und Kollegen. Der nächste Deutsche Bundestag wird die große Freude haben, sich aufgrund eines Berichtes jedes (Beifall bei der SPD) Jahr mit diesem Thema befassen zu dürfen. Dann wird auch die Opposition – hier Grüne und Linke – feststellen, Gustav Herzog (SPD): dass es ein äußerst dynamisch angelegtes System ist, weil Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das wir im Universaldienst jedes Jahr höhere Anschlussraten ist heute ein historisches Datum; denn exakt vor 40 Jahren haben werden. und zwei Wochen, am 8. April 1981, hat sich das Kabinett (Beifall bei der SPD) Helmut Schmidt mit einem Konjunkturprogramm befasst. Bestandteil dieses Programms war der Aufbau Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist jetzt auch eine eines integrierten Breitbandglasfasernetzes – vor 40 Jah- gute Gelegenheit, allen, die mitgemacht haben, Danke zu ren! Dann hat es diese Seite des Hauses versaubeutelt, sagen: der Arbeitsebene der Ministerien, den Verbänden, Unternehmen, dem Bundesrat, den Mitarbeiterinnen und (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Mitarbeitern unserer Fraktion. Insbesondere danke ich an weil und die damalige schwarz-gelbe Koa- dieser Stelle meiner Mitarbeiterin Anna Rosenberg, die lition sich für das private Kabelfernsehen entschieden hervorragende Arbeit geleistet hat. Ohne sie wäre das für hatten und die Zukunftstechnologie Glasfaser auf uns mich nicht möglich gewesen. Vielen Dank. warten musste. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Mit Ihnen hätten wir jetzt noch Schwarz-Weiß- Ein gutes Gesetz – Sie können gigabitmäßig zustim- Fernsehen! Das wäre auch nicht schön! – Zuruf men. Danke schön. des Abg. Dr. Marco Buschmann [FDP]) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (B) (D) Deswegen ist heute ein historisches Datum. Mit diesem der CDU/CSU) Gesetz wird das Thema Glasfaser wieder an die Stelle gerückt, wo es hingehört, nämlich ganz nach vorn. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (Beifall bei der SPD) Voraussichtlich letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Hansjörg Durz, CDU/CSU. Und weil es ein historisches Datum ist, handeln wir auch in vier Dimensionen. (Beifall bei der CDU/CSU) Die erste Dimension: Wir vergraben Glasfaser. Vom Ackerpflug zum Kabelpflug! Das geht jetzt richtig los. Hansjörg Durz (CDU/CSU): Die zweite Dimension: Wir verglasfasern – ein wun- Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen derschönes Wort – auch die Häuser. Ich bin meinem Kol- und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Erde ist legen Falko Mohrs sehr dankbar, dass wir uns in diesem komplett vernetzt. Alle Völker haben Gigabitnetze Bereich wirklich durchgesetzt haben und die schlichte errichtet. Flächendeckender Mobilfunk und schnelles Abschaffung, die die Regierung vorgesehen hat, zu einem Glasfasernetz sind Standard auf der ganzen Welt. Auf echten Investitionsanreiz für das Glasfaser in der Woh- der ganzen Welt? Ein gar nicht ganz so kleines Volk im nung geschaffen haben. Herzen Europas kommuniziert noch immer über alte Kupfer- oder Koaxialkabel und betreibt eine Sportart, (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Reinhard die andernorts längst ausgestorben ist: Sie schmeißt Houben [FDP]) zwar nicht mit Hinkelsteinen, betreibt aber Funkloch- An dieser Stelle will ich auch den Sachverständigen dan- Hopping. ken, insbesondere Professor Thomas Fetzer, der hier Die Gallier um Asterix und Obelix waren nur dank wertvolle Hinweise geliefert hat. eines Zaubertranks fähig, auf Augenhöhe mit den fort- Die dritte Dimension: Wir füllen den Raum mit Mobil- schrittlicheren Römern zu sein. funk. Kollege Ulrich Lange, wir haben lange um den (Reinhard Houben [FDP]: Sind Sie jetzt Aste- neuen § 86 Absatz 2 TKG gestritten, aber das Ergebnis rix oder Obelix, Herr Durz?) kann sich sehen lassen. Wir gehen ambitionierte Schritte, wir werden den Mobilfunk leistungsfähig ausbreiten, Damit Deutschland nicht den Anschluss bei der digitalen überall in der Fläche und vor allen Dingen bei den Ver- Infrastruktur verliert, hat diese Koalition in dieser Legis- kehrswegen, sodass wir, auch wenn wir unterwegs sind, latur viel getan. Aber auch wir brauchen einen Zauber- den Kontakt zur großen weiten Welt nicht verlieren. trank für den Ausbau der digitalen Infrastruktur. Das 28408 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Hansjörg Durz (A) Rezept dafür legen wir mit diesem Gesetz vor. Deutsch- Ich bedanke mich ganz herzlich bei meinen Kollegin- (C) lands Weg in die Gigabitgesellschaft ist mit diesem Ge- nen und Kollegen, bei allen, die daran mitgearbeitet ha- setz abgedeckt. ben. Es ist ein wirklich gutes Gesetz. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Vielen Dank. ordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Das staubige Nebenkostenprivileg aus den 80ern des letzten Jahrhunderts haben wir zur bundesweiten Förde- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: rung von Inhouse-Glasfasernetzen umgestaltet. Das Damit schließe ich die Aussprache. schafft den Rahmen dafür, dass Millionen von Wohnun- gen verglasfasert werden können. Wer behauptet, Tagesordnungspunkt 10 a. Wir kommen jetzt zur Ab- Lobbyinteressen hätten sich hier zulasten der Mieter stimmung über den von der Bundesregierung eingebrach- durchgesetzt, hat das Gesetz entweder nicht genau ange- ten Gesetzentwurf zur Umsetzung der Richtlinie (EU) schaut oder es nicht genau verstanden. 2018/1972 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 über den europäischen Kodex (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- für die elektronische Kommunikation und zur Moderni- neten der SPD – Gustav Herzog [SPD]: Sehr sierung des Telekommunikationsrechts. Der Ausschuss richtig, Herr Kollege!) für Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschluss- empfehlung auf Drucksache 19/28865, den Gesetzent- Aufgrund von Open Access, Wahlfreiheit und Wettbe- wurf der Bundesregierung auf Drucksachen 19/26108 werb wird die Gesamtbelastung der Mieter nicht höher und 19/26964 in der Ausschussfassung anzunehmen. als beim alten Nebenkostenprivileg. Für 5 Euro im Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus- Monat – liebe Kollegin Rößner, diese sind gedeckelt – schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dage- neten der SPD – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/ gen? – Das ist die Opposition. Wer enthält sich? – Nie- DIE GRÜNEN]: Aber nicht bei den Jahresver- mand. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung trägen! Da gibt es keine Deckelung!) angenommen. kann der Mieter in den nächsten sechs Jahren einen Glas- Wir kommen zur faseranschluss in seiner Wohnung erhalten. Dieses För- dritten Beratung derinstrument zündet den Glasfaserturbo für Deutsch- land. Wer hingegen zum politischen Hauptziel erklärt, und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem (B) (D) Mieter vor jeglicher Beteiligung zu schützen, der ver- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – schweigt, dass der Preis bei einer fehlenden Umlage für Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- den Mieter deutlich höher liegen würde; denn die meisten entwurf ist damit mit den Stimmen der Koalition gegen würden dann auf absehbare Zeit ein Dasein im digitalen die Stimmen der Opposition angenommen. gallischen Dorf fristen. Tagesordnungspunkt 10 b. Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirt- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- schaft und Energie auf Drucksache 19/28865 fort. Der ordneten der SPD) Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschluss- Gleiches gilt im Übrigen für die Kritik am Universal- empfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der dienst, der Grundversorgung; Kollege Lange hat es dar- FDP auf der Drucksache 19/26117 mit dem Titel „Giga- gestellt. Ein zahnloser Tiger, so heißt es, doch wer so bit-Ausbau voranbringen – Upgrade für das Nebenkos- denkt, kann demokratische Strukturen nicht geringer tenprivileg“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- schätzen. Es ist niemand Geringeres als der Verkehrsaus- lung? – Die Koalition, AfD, Die Linke, Bündnis 90/Die schuss dieses Hauses, der die Mindestbandbreite künftig Grünen. Wer stimmt dagegen? – Die FDP. Die Beschluss- endgültig feststellen wird. empfehlung ist damit angenommen. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ableh- NEN]: Ja, aber auf welchem Niveau? Das nung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Niveau muss niedrig sein!) auf der Drucksache 19/26531 mit dem Titel „Telekom- munikationsmodernisierungsgesetz – Grundversorgung Ich jedenfalls glaube an die Fähigkeit unserer Demokra- garantieren und digitale Infrastruktur ausbauen“. Wer tie und unserer Parlamentarier. stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Koalition und die FDP. Wer stimmt dagegen? – Bündnis 90/Die Ich freue mich darüber, dass wir den Konflikt über die Grünen und die AfD. Wer enthält sich? – Die Linke. Vertragslaufzeiten beilegen konnten. Das ist ein Gewinn Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen. für den mündigen Verbraucher, der nun weiterhin selbst- bestimmt zwischen Ein- und Zweijahresverträgen wählen Der Ausschuss empfiehlt weiterhin unter Buchstabe d kann. Wir haben auch Weiteres beim Verbraucherschutz seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags getan. Dass zum Beispiel eine Störung innerhalb von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache zwei Kalendertagen behoben werden muss, rückt den 19/26532 mit dem Titel „Telekommunikationsmoderni- Zugang zum Netz in die Nähe einer Daseinsvorsorge, sierungsgesetz – Den Schutz von Verbraucherinnen und und da gehört er im 21. Jahrhundert auch hin. Verbrauchern in den Mittelpunkt stellen“. Wer stimmt für Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28409

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) diese Beschlussempfehlung? – Die Koalition, FDP und – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- (C) AfD. Wer stimmt dagegen? – Die Grünen und Die Linke. schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen. Drucksache 19/28871 Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe e b) Beratung der Beschlussempfehlung und des seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags Berichts des Ausschusses für Familie, Seni- der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache oren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) 19/26533 mit dem Titel „Telekommunikationsmoderni- sierungsgesetz – Datenschutz, IT-Sicherheit und Bürger- – zu dem Antrag der Abgeordneten Katja rechte sichern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- Suding, Matthias Seestern-Pauly, lung? – Die Koalition, AfD, FDP. Wer stimmt dagegen? – Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordne- Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke. Die Beschluss- ter und der Fraktion der FDP empfehlung ist angenommen. § 94 Absatz 6 des Achten Buches Sozial- Tagesordnungspunkt 10 d. Beschlussempfehlung des gesetzbuch abschaffen – Bessere Chan- Ausschusses für Inneres und Heimat zu dem Antrag der cen auf ein selbstbestimmtes Leben Fraktion der FDP mit dem Titel „Recht auf Verschlüsse- auch für Pflegekinder lung – Privatsphäre und Sicherheit im digitalen Raum – zu dem Antrag der Abgeordneten Norbert stärken“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- Müller (Potsdam), Birke Bull-Bischoff, empfehlung auf der Drucksache 19/27325, den Antrag Dr. Petra Sitte, weiterer Abgeordneter der Fraktion der FDP auf der Drucksache 19/5764 abzu- und der Fraktion DIE LINKE lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Koalition und die AfD. Wer stimmt dagegen? – Die Mehr Fachkräfte für gute Kitas und FDP und die übrigen Fraktionen. Die Beschlussempfeh- eine starke Kinder- und Jugendhilfe lung ist damit angenommen. Drucksachen 19/26158, 19/6421, 19/28870 Tagesordnungspunkt 10 e. Beschlussempfehlung des c) Zweite und dritte Beratung des von den Ab- Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur zum geordneten Norbert Müller (Potsdam), Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Regeln für Dr. Petra Sitte, Doris Achelwilm, weiteren den Schnellstart ins Gigabitzeitalter“. Der Ausschuss Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur 19/28428, den Antrag der Fraktion der FDP auf der Änderung des Achten Buches Sozialge- Drucksache 19/26188 abzulehnen. Wer stimmt für diese setzbuch – Aufhebung des Kostenbeitrags (B) Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer junger Menschen in stationären Kinder- (D) enthält sich? Die Beschlussempfehlung ist bei Enthaltung und Jugendhilfeeinrichtungen der AfD gegen die Stimmen der FDP mit den Stimmen Drucksache 19/17091 des übrigen Hauses angenommen. Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Tagesordnungspunkt 10 f. Beschlussempfehlung des schusses für Familie, Senioren, Frauen und Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur zum Jugend (13. Ausschuss) Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Recht auf schnelles Internet für alle“. Der Ausschuss empfiehlt in Drucksache 19/20127 Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache d) Beratung des Antrags der Abgeordneten 19/28867, den Antrag der Fraktion Die Linke auf der Daniel Föst, Katja Suding, Grigorios Drucksache 19/27192 abzulehnen. Wer stimmt für diese Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer Fraktion der FDP enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Modellregionen und -projekte einführen – Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen des übrigen Kinder- und Jugendstärkungsgesetz qua- Hauses angenommen. litativ hochwertig und praxiserprobt umsetzen Damit rufe ich die Tagesordnungspunkte 11 a bis 11 g auf: Drucksache 19/28769 Überweisungsvorschlag: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung von Kin- e) Beratung der Beschlussempfehlung und des dern und Jugendlichen (Kinder- und Berichts des Ausschusses für Familie, Seni- Jugendstärkungsgesetz – KJSG) oren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Birke Drucksachen 19/26107, 19/27481, Bull-Bischoff, Norbert Müller (Potsdam), 19/28005 Nr. 5 Dr. Petra Sitte, weiterer Abgeordneter und Beschlussempfehlung und Bericht des der Fraktion DIE LINKE Ausschusses für Familie, Senioren, Schulsozialarbeit für alle Schülerinnen Frauen und Jugend (13. Ausschuss) und Schüler sichern Drucksache 19/28870 Drucksachen 19/9053, 19/24726 28410 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) f) Beratung der Beschlussempfehlung und des rinnen und Mitarbeiter in der breit aufgestellten Kinder- (C) Berichts des Ausschusses für Familie, Seni- und Jugendhilfe, und wir verzahnen Akteure an zentralen oren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu Schnittstellen miteinander. So gelingt zum Beispiel ein dem Antrag der Abgeordneten Norbert noch besserer Kinderschutz. Im Bundesfamilienministe- Müller (Potsdam), Dr. Petra Sitte, Susanne rium haben wir gemeinsam mit den Koalitionsfraktionen Ferschl, weiterer Abgeordneter und der Frak- entschieden, uns ausreichend Zeit für diese umfangreich tion DIE LINKE angelegte Reform zu nehmen, und das Ergebnis gibt uns Kinder- und Jugendhilfe-Reform vom recht. Kopf auf die Füße stellen Die vielen Verbesserungen, die der Gesetzentwurf für die Kinder- und Jugendhilfe schafft, lassen sich in fünf Drucksachen 19/7909, 19/26553 zentrale Bereiche einteilen: ein besserer Kinder- und g) Beratung der Beschlussempfehlung und des Jugendschutz; die Stärkung von Kindern und Jugendli- Berichts des Ausschusses für Familie, Seni- chen in Pflegefamilien und Einrichtungen der Erzie- oren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) hungshilfe; Hilfen aus einer Hand für Kinder und Jugend- – zu dem Antrag der Abgeordneten Norbert liche mit und ohne Behinderungen; mehr Prävention vor Müller (Potsdam), Dr. Petra Sitte, Doris Ort und mehr Beteiligung von jungen Menschen, Eltern Achelwilm, weiterer Abgeordneter und und Familien. der Fraktion DIE LINKE (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Zuerst ein Dach über dem Kopf – Neue der CDU/CSU) Perspektiven für Straßenkinder und Die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen stehen wohnungslose junge Menschen eröff- dabei ganz besonders im Vordergrund, ganz im Sinne der nen UN-Kinderrechtskonvention. Der Gesetzentwurf hat – zu dem Antrag der Abgeordneten Beate ferner im Blick, dass Entscheidungen für Kinder, Jugend- Walter-Rosenheimer, Dr. Wolfgang liche und Eltern nachvollziehbar sein müssen. Es gibt Strengmann-Kuhn, Christian Kühn erstmals ein Beschwerdemanagement über die Ombuds- (Tübingen), weiterer Abgeordneter und stellen. der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der letzten Legis- NEN laturperiode wurde unsere Kinder- und Jugendhilfere- Sofa-Hopping ist keine Perspektive – form leider nicht abschließend im Bundesrat beraten. Strategien gegen Wohnungslosigkeit Für den zweiten Anlauf unseres Kinder- und Jugendstär- (B) kungsgesetzes haben wir uns entschieden, einen breiten (D) bei Jugendlichen und jungen Erwach- senen Beteiligungsprozess vorzuschalten. Der Dialogprozess „Mitreden – Mitgestalten: Die Zukunft der Kinder- und Drucksachen 19/24642, 19/20785 (neu), Jugendhilfe“ war über ein Jahr angelegt. Beteiligt waren 19/26213 Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis, Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen der Kinder- und Jugendhilfe, der Behindertenhilfe, der vier Entschließungsanträge der Fraktion der FDP sowie Gesundheitshilfe sowie Vertreter aus Bund, Ländern jeweils ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke und Kommunen. und Bündnis 90/Die Grünen vor. Über 70 Personen haben zu thematischen Schwerpunk- Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten ten miteinander diskutiert, sich eingebracht und gemein- beschlossen. Ich bitte, möglichst zügig die Plätze wieder sam mit uns im Ministerium um die wirklich besten einzunehmen. Vielleicht können Sie die Gespräche in den Reformansätze gerungen. Weitere Akteure konnten sich hinteren Bereichen nach draußen verlagern. schriftlich beteiligen, Ideen liefern und kritisch in Foren mitmischen. Unglaublich viel Expertise ist in unser Kin- Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der der- und Jugendstärkungsgesetz eingeflossen. Parlamentarischen Staatssekretärin Caren Marks. Ich durfte diesen Dialogprozess leiten, und ich möchte (Beifall bei der SPD) mich an dieser Stelle noch mal ausdrücklich bei allen Beteiligten ganz herzlich bedanken. Caren Marks, Parl. Staatssekretärin bei der Bundes- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und GRÜNEN) Kollegen! Heute beraten wir abschließend in zweiter und dritter Lesung eine große und wichtige Reform des ach- Und ich kann sagen: Dieser Prozess hat sich wirklich ten Sozialgesetzbuchs: das Kinder- und Jugendstärkungs- gelohnt. Er war von sehr fachlichen und auch konstrukti- gesetz. Darüber freue ich mich sehr; denn ich habe dieses ven Beratungen geprägt. Gesetz auf seinem langen Weg von Anfang an begleitet. Mein Dank gilt auch den Koalitionsfraktionen für die Mit dieser komplexen Reform stärken wir Kinder, Ju- guten und konstruktiven Gespräche im parlamentari- gendliche und Familien in unserem Land spürbar und schen Verfahren. Namentlich erwähnen möchte ich die langfristig. Wir eröffnen für sie neue Chancen und Per- Berichterstatterin Ulrike Bahr für die SPD-Fraktion spektiven. Wir stärken aber auch die vielen Mitarbeite- (Beifall der Abg. [CDU/CSU]) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28411

Parl. Staatssekretärin Caren Marks (A) sowie den Berichterstatter Marcus Weinberg für die einzuziehen; aber anstatt diesen Missstand endlich aus (C) CDU/CSU-Fraktion. der Welt zu schaffen, möchten Sie auch in Zukunft (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten noch 25 Prozent der Einnahmen heranziehen. Wie demo- der CDU/CSU) tivierend muss es für einen jungen Menschen sein, der unter schwierigsten Umständen aufwächst, wenn für sei- Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute schließen wir ne ersten Schritte in ein selbstbestimmtes Leben auch unsere gemeinsamen Beratungen ab. Das ist wirklich ein noch eine Gebühr erhoben wird – eine Gebühr für eine riesiger Erfolg, über den wir uns auch wirklich gemein- Maßnahme, die er sich nicht selber ausgesucht hat, son- sam freuen können. dern die vielmehr Ausdruck von dessen misslicher Lage Herzlichen Dank. ist. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Verabschieden Sie sich also von dieser Sondersteuer, und geben Sie diesen jungen Leuten die Luft zum Atmen; Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (Beifall bei der AfD) Nächster Redner ist der Kollege Johannes Huber, AfD. denn damit würden Sie ihnen vermitteln, dass sie im (Beifall bei der AfD) Leben etwas erreichen können, und bestrafen Sie sie bitte nicht für die Umstände, in denen sie leben müssen. Johannes Huber (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- Geben Sie auch jungen Menschen eine Chance, die ren! Die Bundesregierung legt uns einen Gesetzentwurf aufgrund einer schweren Behinderung einen besonders vor, der sich für uns wie ein Flickenteppich durch das holprigen Start in das Leben hatten. Ihr ewiges Märchen SGB VIII zieht. Sie springen von der Senkung der Kos- von der undifferenzierten Inklusion scheitert nämlich an tenbeteiligung von Kindern und Jugendlichen an ihrer der harten Realität. Sie erreichen nichts, wenn Sie nicht eigenen stationären Unterbringung über die Stärkung auf die Bedürfnisse der Einzelnen eingehen und diese in sogenannter Selbstvertretungen von Leistungsberechtig- den Mittelpunkt stellen, sondern diese Menschen in gene- ten und die Implementierung eines Verfahrenslotsen, der ralisierte Projekte stecken. das von Ihnen verursachte Chaos in der Übergangszeit für Sie erreichen auch nichts, wenn Sie jedem Betroffenen Betroffene erträglicher machen soll, bis hin zu Ihrem jetzt einen Betreuer zur Seite stellen; denn erstens wissen Lieblingsthema Inklusion. Sie selbst, dass Sie nicht ausreichend Personal haben, und Zwar sind in dem Gesetz Aspekte vorhanden, die auch zweitens sind diese Leute auch nicht in dem Umfang qualifiziert wie echte Spezialisten, die tagtäglich mit die- (B) wir begrüßen, wie etwa die verbesserten, weil unange- (D) kündigten Kontrollen von Einrichtungen der Kinder- sen Fällen zu tun haben. Sie rauben daher einer ganzen und Jugendhilfe; aber in der Summe kann man bilanzie- Generation junger Menschen mit schwerer Behinderung ren, dass Sie sich noch stärker auf den Inhalt statt auf die Chance auf ein wirklich selbstbestimmtes Leben und einen schönen Namen des Gesetzes hätten konzentrieren stellen Ihre Ideologie leider über deren Zukunft. sollen. Aus diesem Grund können wir Ihrem Gesetzentwurf Natürlich sind Selbstvertretungen ein ganz entschei- heute nicht zustimmen; denn dafür hätten Sie ein Kinder- dender Baustein, wenn es darum geht, Fehler und Mängel und Jugendstärkungsgesetz vorlegen müssen, dessen im System zu erkennen. So haben wir vor Kurzem in der Inhalt auch hält, was der Name verspricht. Kinderkommission durch den Vorsitzenden des Landes- Vielen Dank. heimrates Hessen erfahren müssen, dass fremdunterge- brachte Kinder und Jugendliche oftmals keinen ausreich- (Beifall bei der AfD) enden WLAN-Zugang haben, um in dem von Ihnen verhängten Distanzunterricht überhaupt bestehen zu kön- nen; von den Geräten selbst wollen wir gar nicht erst Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: sprechen. Jetzt erhält das Wort der Kollege Marcus Weinberg, CDU/CSU. Aber es sollten dann auch echte Selbstvertretungen sein. So empfinden wir es als wenig hilfreich, dass Sie (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) jenen ehrenamtlich Tätige in der Kinder- und Jugendhilfe beistellen. Hierbei entsteht für uns der schale Eindruck, Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): dass Sie letztlich eine gefilterte Meinung hören wollen, Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und die von diesen Aufpassern kontrolliert wird. Auch die Kollegen! Da sagt die sehr geschätzte Kollegin Ingrid von Ihnen eingeführten Vertrauenspersonen bergen die Pahlmann heute Morgen zu mir: „Was hast du für einen Gefahr, dass sie die Missstände eher decken als aufde- schicken Anzug an!“ – Da sage ich: „Ich habe immer cken, was ich in der ersten Lesung schon ausgeführt habe. schicke Anzüge an.“ Ähnlich inkonsequent verhalten Sie sich auch bei der Senkung der Kostenbeteiligung von Kindern und Jugend- (Heiterkeit) lichen in vollstationären Maßnahmen. Zwar haben Sie Aber heute habe ich einen besonders schicken Anzug an, endlich erkannt, dass es skandalös ist, das Vermögen oder das durch harte Arbeit in Minijobs aufgebesserte (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Min- Taschengeld für die Mitfinanzierung der Einrichtungen dermeinung!) 28412 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Marcus Weinberg (Hamburg) (A) weil es einen Anlass dafür gibt, weil es ein tolles Gesetz das Jugendamt informieren. – Darauf kommt es an; das (C) gibt, ein wichtiges Gesetz. Dazu haben wir, glaube ich, ist eine Erfahrung der letzten Jahre gewesen. Wir brau- alle beigetragen. Deswegen ein herzliches Dankeschön chen dringend Kinderärzte und -ärztinnen, um die Frage an alle, die dies bewegt haben! beantworten zu können, ob das Kindeswohl gefährdet ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Wir wollen dann auch – in der Entschließung können Sie der SPD) das nachlesen –, dass die Leitlinien weiterentwickelt bzw. konkretisiert werden. Nun mag die Kinder- und Jugendhilfe ja nicht immer das große Thema der Öffentlichkeit sein, in den Medien Zweiter Punkt, Stärkung von Kindern und Jugendli- oder auch bei Fraktionssitzungen. Aber richtig ist: Es chen in Pflegefamilien und Einrichtungen der Erzie- geht um Tausende, es geht um Zehntausende von Kin- hungshilfe. Ja, 25 Prozent des Einkommens „müssen“ dern, von Jugendlichen, von Familien, die benachteiligt dann abgegeben werden; das Einkommen wird um sind. Das sind diejenigen, die unter keinen positiven 25 Prozent reduziert. Wir tragen ja auch die Kosten einer Lebensbedingungen aufwachsen, und das sind diejeni- Unterbringung. Wir haben im Änderungsantrag noch mal gen, die Gefahr laufen, von der sozialen und kulturellen aufgenommen, dass 150 Euro für Einkommen aus Schü- Teilhabe abgehängt zu werden. Es ist unser Aufgabe, sich lerjobs, aus Praktika oder aus einer Ausbildungsvergü- um diese Kinder zu kümmern, ihnen Chancengerechtig- tung unberücksichtigt bleiben – als Freibetrag. keit, gesellschaftliche Teilhabe zu geben. Ich glaube, das ist auch ein deutlicher Hinweis, dass Nach 30 Jahren reformieren wir eines der wichtigsten wir Ferienjobs und übrigens auch ehrenamtliches Enga- Gesetze dieses Landes, ein ganzes Sozialgesetzbuch, gement unterstützen; denn auch das ist ausgenommen. Es nach einer intensiven Diskussion. Sie wurde breit ge- ist uns wichtig, dass genau diese Jugendlichen, gerade führt. Den Dank, Frau Marks, möchte ich Ihnen aus- diese Jugendlichen sich im Ehrenamt engagieren. drücklich zurückgeben, für dieses Engagement, für die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- breite Diskussion. Am Ende sehen Sie heute, was es ordneten der SPD) bringt, wenn man einen transparenten Prozess entwickelt und dies gemeinschaftlich mit allen zusammen gestaltet. Bei den Hilfen aus einer Hand wird der Schritt jetzt Das ist ein großer Erfolg. Deswegen noch mal: Danke verbindlich aufgenommen. Das ist ein Thema der nächs- schön, auch danke schön an Frau Bahr und Herrn Rix ten Jahre, und das wird noch viele Diskussionen und von der SPD für die gute Zusammenarbeit! Debatten hier im Deutschen Bundestag füllen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Wir haben im Änderungsantrag noch mal etwas klar- ordneten der SPD) gestellt – das war, glaube ich, auch ein gutes Einverneh- (B) men –, indem wir gesagt haben: Das sinnvolle Instrument (D) Denn es geht um die Kooperation im Kinderschutz, es der Verfahrenslotsen kann auch schon vor dem 1. Januar geht darum, leicht zugängliche Alltagshilfen bei Unter- 2024 eingesetzt werden, wenn die Voraussetzungen stim- stützungsbedarf bereitzustellen, um die Implementierung men. von Ombudsstellen; es geht um die stärkere Berücksich- tigung von Kindern und Pflegekindern. Wir stärken mehr Prävention vor Ort. Da habe ich einen wichtigen Punkt, weil ich Paul Lehrieder sehe, Ich darf das für uns im Wesentlichen zusammenfassen. der zusammen mit vielen anderen Kolleginnen und Kol- Wenn man fünf Sätze hat, um dieses Gesetz zusammen- legen aller Fraktionen für das Thema „Unterstützung von zufassen, dann lauten diese fünf Sätze relativ einfach: Kindern psychisch kranker Eltern“ gekämpft hat. Wir Wir schaffen einen bessern Kinder- und Jugendschutz. schaffen es jetzt, dass wir für diese Kinder – das sind Wir stärken Kinder und Jugendliche in Pflegefamilien nicht wenige; es sind Zehntausende von Kindern, es und in den Einrichtungen der Erziehungshilfe. Wir berei- sind Hunderttausende von Kindern, die sich im jungen ten die Hilfen aus einer Hand für Kinder und Jugendliche Alter um die Familie kümmern müssen, weil die Eltern mit und ohne Behinderung vor. Wir sorgen für mehr suchtkrank sind – auch Verbindliches regeln, nämlich Prävention vor Ort. Und wir sorgen für mehr Beteiligung dass sie einen Anspruch auf eine Regelleistung haben. von jungen Menschen und ihren Familien. Das ist ein Ergebnis nach Jahren der guten Diskussion. Das stärkt Kinder, Jugendliche und Familien in diesem Es ist uns besonders wichtig, dass diese Familien gestärkt Land, und deswegen bitten wir um Unterstützung für werden, dass diese Kinder gestärkt werden. dieses Gesetz, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dazu kommt auch das Thema § 19 SGB VIII, soge- für besseren Kinder- und Jugendschutz sowie eine ver- nannte gemeinsame Wohnformen. Damit wollen wir es besserte Kooperation im Kinderschutz durch die stärkere schaffen, dass die Bindungen zwischen beiden Elterntei- Einbeziehung des Gesundheitswesens in die Verantwor- len und den Kindern gestärkt werden. Dazu gehört auch tungsgemeinschaft für einen wirksamen Kinderschutz. die Fragestellung, wie man die Unterbringungen zusam- menführen kann. In dem im Ausschuss eingebrachten Änderungsan- trag – er liegt Ihnen vor; er hat viele Punkte aufgegriffen, Ein letzter Punkt – damit muss ich leider schon schlie- von denen ich nur zwei, drei exemplarisch nennen möch- ßen –: Auch wenn gewisse Dinge nicht im Normtext auf- te – haben wir noch mal gesagt: Auch Ärztinnen und tauchen, sind sie wichtig für uns, etwa das Thema Stra- Ärzte sowie Angehörige anderer Heilberufe sollen bei ßenkinder und Obdachlosigkeit. Dazu haben wir auch einer dringenden Gefahr für das Kindeswohl im Regelfall eine Anhörung gehabt. Es ist auch meiner Fraktion zu Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28413

Marcus Weinberg (Hamburg) (A) verdanken, dass sie diese Anhörung auf den Weg ge- Heike Baehrens (SPD): (C) bracht hat. Wir sagen ganz deutlich im Entschließungs- Sehr geehrter Herr Präsident, vielen Dank. Mein Name antrag: Das ist ein Thema für die nächsten Jahre, und wir ist Heike Baehrens. – Herr Kollege Föst, vielen Dank, wollen Modellprojekte stärken. dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Sie haben gerade die Koalitionsfraktionen dafür kritisiert, dass wir für ein Herr Präsident, ich komme zum Schluss und sage: so gewichtiges Thema nur eine 30-Minuten-Debatte ha- Bitte unterstützen Sie dieses Gesetz! Es ist wichtig für ben. Darum möchte ich Sie gerne fragen, was Sie davon die Kinder und Jugendlichen. Es ist ein gutes Gesetz. halten, dass die FDP-Fraktion für die heutige Kernzeit Die große Hoffnung ist auch, dass der Bundesrat bitte eine einstündige Debatte zum Thema „Digitaler Impf- dieses Gesetz in seiner Verantwortung unterstützt, sodass pass“ angesetzt hat. Wir fragen uns, warum man für ein wir am Ende dieser Legislaturperiode sagen können: ein solches Thema, wo doch bereits der europäische Impf- großer Erfolg für die Familien, für die Kinder und pass auf dem Weg ist, eine einstündige Debatte in der Jugendlichen. Das wünschen wir uns. Kernzeit ansetzt. Vielen Dank für die gute Zusammenarbeit. Wir bitten (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) um Zustimmung. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Daniel Föst (FDP): Sehr geehrte Frau Kollegin, jetzt bin ich konsterniert. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Ich habe gedacht, Sie erklären mir jetzt, dass Sie das alles super gemacht haben bei dem Kinder- und Jugendstär- Daniel Föst, FDP, ist der nächste Redner. kungsgesetz, (Beifall bei der FDP) (Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Ha- ben wir ja auch!) Daniel Föst (FDP): was de facto ja falsch ist. Aber Sie werfen uns jetzt vor, Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und dass wir eine Debatte aufsetzen, die die Menschen da Kollegen! Was ist das für ein Signal, das Sie von der draußen bewegt, genauso wie diese Debatte die Men- GroKo hier senden? Damit meine ich nicht, dass sich schen bewegt. Kollege Weinberg so sehr über seinen Anzug freut, son- dern dass Sie eine 30-minütige Debatte über die größte (Stephan Thomae [FDP]: Es ist zurzeit eines Reform des SGB VIII ansetzen. 30 Minuten Debatte über der wichtigsten Themen überhaupt!) die Reform des SGB VIII! Erst am Donnerstagabend Fällt Ihnen das nicht auf, sehr geehrte SPD und CDU/ (B) kamen 108 Seiten Änderungsanträge der GroKo. CSU, dass wir im Kampf gegen Corona anfangen, die (D) Menschen zu verlieren? Und wenn wir die Menschen (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: im Kampf gegen Corona verlieren, verlieren wir den Immerhin schon Donnerstag! Sonst kommen Kampf gegen Corona. die immer erst dienstags!) (Beifall bei der FDP) Jetzt wird das hier durchgepeitscht. Das wird dem Thema nicht gerecht, und es zeigt wieder mal, wie CDU/CSU Jetzt ich bin ich echt konsterniert: Uns vorzuwerfen, und SPD die Debatten im Deutschen Bundestag wert- dass wir das, was Millionen Geimpfter, übrigens auch schätzen. schon Millionen Genesener umtreibt, zur Debatte im Deutschen Bundestag machen! (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Darum der LINKEN – [Erfurt] geht es doch gar nicht!) [SPD]: Wie lang geht denn heute der Tag, Herr Föst? Bis 3 Uhr nachts! – Sönke Rix Da war ich jetzt konsterniert, überrascht, und ich teile [SPD]: Wann sind denn Ihre Änderungsanträge Ihre Meinung in keiner Weise. Genau solche Themen reingekommen?) müssen wir hier diskutieren. Werte Kolleginnen und Kollegen, verstehen Sie mich (Beifall bei der FDP) nicht falsch: Vieles an diesem Gesetzentwurf ist inhalt- Aber kommen wir zum Gesetzentwurf zurück. Inhalt- lich gut. Aber gut reicht manchmal einfach nicht aus. lich gut, aber gut reicht manchmal halt nicht aus. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Es Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: reicht doch, wenn Sie das feststellen, und Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage? dann ist es gut!) Wir können ja davon ausgehen, dass es nach dieser Re- Daniel Föst (FDP): form Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte dauern wird, bis Ja, gern. wir wieder darüber reden. Deswegen wäre es uns von der FDP lieber, dass wir es statt gut exzellent machen. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (Ulrike Bahr [SPD]: Sie wollten doch nicht! – Bitte, Frau Kollegin. Bei den Mund-Nasen-Bedeckun- Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Es fällt gen ist es so schwer, alle Kolleginnen und Kollegen zu Ihnen wirklich nicht viel ein, was Sie kritisie- erkennen. Sie haben das Wort zu einer Zwischenfrage. ren können! Dafür reicht Ihre Redezeit doch!) 28414 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Daniel Föst (A) Es geht hier um viele Menschen. Es geht um viele sende Reform der Kinder- und Jugendhilfe. Tatsächlich – (C) Menschen, die in diesem Bereich arbeiten. Es geht vor das sagen auch wir als Fraktion Die Linke – hätte es einen allen Dingen aber um Kinder, Jugendliche und Familien. umfassenden Reformbedarf in der Kinder- und Jugend- Da müssen wir insbesondere bei Änderungen beim Kin- hilfe gegeben. der- und Jugendschutz genau hinterfragen: Erreicht man Denken wir erstens an die völlig überlasteten Jugend- das, was man in der Theorie will, auch in der Praxis? ämter. Wir haben gerade hier in Berlin, aber auch in allen Einiges ist gut, aber es sind auch richtige Böcke drin – anderen Jugendämtern Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, denn gut gemeint ist nicht gleich gut gemacht. die bis an die Belastungsgrenze arbeiten, die häufig für Wir haben einige Änderungsanträge eingebracht. Wir 100, 150 oder mehr Familien zuständig sind, denen sie wollen, dass diese Reform nicht nur gut, sondern exzel- helfen sollen, aber wo sie nur noch nach Aktenlage ent- lent wird. Ich kann aufgrund dieser Turbodebatte nicht scheiden können. auf alle Änderungsanträge eingehen. Deswegen erwähne (Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: ich die Sachen, die uns am wichtigsten sind. Regieren Sie in Berlin oder nicht?) Erstens: der Hilfeplan des Jugendamtes. Bewährt und Wir haben erst vor zwei Jahren eine Studie vorgelegt geschätzt in der Praxis, basierend auf Vertrauen. Wenn bekommen, die besagt, dass allein im Allgemeinen So- dieser Hilfeplan jetzt an das Familiengericht weiter- zialen Dienst, also in den Jugendämtern, 16 000 Stellen gegeben werden kann, dann wird seine Wirkung in der fehlen; 16 000 Stellen, die wir in der Kinder- und Jugend- Praxis nachlassen, dann wird das Vertrauen in diesen hilfe gerade bräuchten. Deswegen haben wir als Linke Hilfeplan ausgehöhlt. heute einen Antrag vorgelegt, wie wir die Fachkräftesi- Zweitens: Ombudsstellen als Baustein im KJSG. Die tuation verbessern können. Dazu schweigt die Koalition Beteiligung von jungen Menschen, Eltern und Familien sich aus. zu verbessern, ist ein sehr, sehr gutes Ziel. Aber diese (Beifall bei der LINKEN – Marcus Weinberg Ombudsstellen müssen auch wirklich unabhängig und [Hamburg] [CDU/CSU]: Wer ist denn dafür dezentral organisiert sein. Unserer Meinung nach darf zuständig in der Berliner Regierung? – Michael eine Ombudsstelle niemals am Jugendamt angesiedelt Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Dann muss der sein, nicht mal im gleichen Gebäude sein. Berliner Senat mehr Leute einstellen!) Drittens: Modellregionen und -projekte. Die inklusive Zweitens. Wir müssen über Careleaver reden. Auch Umsetzung der Kinder- und Jugendhilfe ist absolut rich- das ist ein großes Thema der letzten Jahre, wo Sie nicht tig – großes Ziel der SGB-VIII-Reform, absolut richtig. vorankommen. Careleaver das sind junge Menschen, die Aber sie ist komplex, weil zwei unterschiedliche Syste- (B) aus den stationären Einrichtungen der Kinder- und Jun- (D) matiken zusammengeführt werden. Warum warten wir gendhilfe kommen, die im allerbesten Fall in die Eigen- bis 2024 bzw. bis 2028? Es gibt genügend Kommunen ständigkeit entlassen werden, aber nicht im Regelfall. Im und Träger, die jetzt schon Ideen und Pläne in der Schub- Regelfall werden sie in Hartz-IV-Systeme entlassen und lade haben, die jetzt schon gern starten würden. im schlechtesten Fall in die Obdachlosigkeit; der Kollege (Zurufe von der SPD) Weinberg hat es angedeutet. Aber dann tun Sie doch was! Dann stärken Sie die Rechtsstellung von Careleavern! Geben wir ihnen doch die Möglichkeit, mit Modellregio- Verbessern Sie die Rechtsansprüche für junge Volljähri- nen und Modellprojekten bei der flächendeckenden Ein- ge, damit sie nicht am 18. Geburtstag vor die Tür gesetzt führung voranzugehen! Diese Praxiserfahrung wird uns werden! dann sehr, sehr helfen. (Beifall bei der LINKEN) Liebe Kollegen, gut gemeint ist nicht immer gut ge- macht. Wir wollen aus gut exzellent werden lassen. Stim- Wir müssen über eine bessere Ausstattung der Jugend- men Sie unseren Änderungsanträgen zu! Die Kinder- und verbände reden. Seit 30 Jahren steht im Sozialgesetz- Jugendhilfe hat es verdient. buch VIII drin: Jugendverbände sind zu fördern. – Aber das ist am Ende völlig unverbindlich. Reden Sie doch mit Vielen Dank. den Kämmerern vor Ort in den Kreisen! Die sagen: Ja, (Beifall bei der FDP – Michael Grosse-Brömer das steht da drin, aber es gibt gar keinen richtigen Rechts- [CDU/CSU]: Wenn schon die Opposition anspruch. Machen wir nicht, fällt aus, gibt die Kassenlage meint, dass es gut ist, dann wird es schon rich- nicht her. – Im Zweifel kommt die Kommunalaufsicht tig sein!) und sagt: Ist eine freiwillige Leistung, fällt aus. – Genau das sind Punkte, da hätten wir für Stärkung sorgen müs- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: sen. Da legen Sie nichts vor. Nächster Redner ist der Kollege Norbert Müller, Die (Beifall bei der LINKEN) Linke. Stattdessen schlagen Sie im Wesentlichen einen Paradig- (Beifall bei der LINKEN) menwechsel in der Kinder- und Jugendhilfe vor. Das will ich anhand von zwei Beispielen kurz darstellen. Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE): Sie feiern sich für einen gestärkten Kinderschutz. Ich Guten Morgen, Herr Präsident. – Sehr geehrte Damen teile das ausdrücklich nicht. Kinderschutz in Deutschland und Herren! Die Koalition verspricht mit dem heute vor- basiert auf Vertrauen und Kooperation. Wir wollen Fami- gelegten Kinder- und Jugendstärkungsgesetz eine umfas- lien helfen. Ja, Kinder müssen aus Familien, in denen sie Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28415

Norbert Müller (Potsdam) (A) nicht bleiben können, rausgenommen werden. Aber der nen und Kollegen: Die Koalition weiß das selber. Denn (C) erste Ansatz ist, Familien zu helfen und die Kinder zu zum ersten Mal erlebe ich, dass die Koalition zum eige- stärken. Was Sie mit den Meldepflichten für Ärzte jetzt nen Gesetzentwurf selbst einen Entschließungsantrag tun, ist das komplette Gegenteil. Was passiert denn mit vorlegt, in dem die Defizite aufgezeigt werden. Das heißt, Kindern, die in einer Familie leben, in der es ihnen nicht Sie glauben ja selber nicht, dass das, was Sie heute hier gut geht? Gehen diese Eltern mit ihren Kindern jetzt vorlegen, der große Aufbruch ist. Das bedauere ich sehr; häufiger zum Arzt, wenn sie wissen, dass diese Daten denn das sollte es nämlich sein. möglicherweise beim Jugendamt landen? Gehen sie jetzt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) häufiger zum Arzt? Nein, sie werden vielleicht häufiger umziehen, damit sie sich den U-Untersuchungen besser Die Weichen haben Sie gestellt; aber die Arbeit, die entziehen können. Sie werden nicht häufiger zum Arzt wir zu erledigen haben, beginnt erst jetzt. Die Hausaufga- kommen. Was Sie hier vorschlagen, bringt nicht mehr ben werden hier festgestellt. Sie machen Politik mit ange- Kinderschutz, es bringt weniger Kinderschutz. Über zogener Handbremse an einer Stelle, wo wir eigentlich zehn Fachgesellschaften in der Kinder- und Jugendhilfe, ein Signal des gesellschaftlichen Aufbruchs brauchen im Prinzip die komplette Fachwelt, hat geschlossen vor würden. Ich will Ihnen das an ein paar Beispielen vor- diesem Weg gewarnt; und Sie gehen ihn trotzdem. Ich führen. finde das fahrlässig. Sie erschweren zum Beispiel die Arbeit im Inklusions- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. bereich, weil Sie von vornherein einen Leistungsdeckel Daniel Föst [FDP]) festschreiben. Es soll sich was verändern; es soll aber Ein Zweites. Sie sagen, Sie wollen Kinder im Sozial- nichts kosten. Das funktioniert so leider nicht; raum stärken. Dagegen ist ja nichts zu sagen. Klar brau- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) chen wir mehr Jugendklubs, mehr Sozialarbeit im Sozial- denn wenn wir Dinge verändern, müssen wir davon aus- raum. Das ist ja völlig richtig; aber das kann doch nicht gehen, dass wir manchmal auch Geld dafür ausgeben anstelle individueller Rechtsansprüche treten; das kann müssen. doch nicht anstelle individueller Hilfen für Familien tre- ten, die sie dringend brauchen. Wenn eine Familie einen Mir fehlt auch die Experimentierklausel. Der Vor- Familienhelfer braucht, kann man doch nicht sagen: Wir schlag kam ja von uns Grünen; wir werden es im Bundes- haben da einen Streetworker im Jugendklub. Damit ist rat noch mal bringen; denn gerade die Bundesländer, die die Sache erledigt. – Das kann nicht sein. Wir wollen Regionen, die vorausschreiten wollen, sollen es auch ma- die individuellen Rechtsansprüche stärken; chen können. (B) (Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (D) wir wollen mehr qualifiziertes Personal in der Kinder- Nur so gelingt uns doch der Wandel. und Jugendhilfe. Beim Kinderschutz verzichten Sie auf weitergehende Wir werden Ihren Gesetzentwurf ablehnen. Kooperationsregelungen. Warum eigentlich? Danach Vielen Dank. wird schon länger gerufen. Kinderschutzarbeit im Ge- sundheitsbereich muss auch adäquat entlohnt, finanziert (Beifall bei der LINKEN) werden, damit sie nicht ehrenamtlich oder für lau ist, sondern ein Teil des Schutzbereichs. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nächste Rednerin ist die Kollegin Ekin Deligöz, Bünd- nis 90/Die Grünen. Misslungen ist Ihnen komplett der Bereich Meldebe- fugnisnorm im KKG. Da haben die Expertinnen und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Experten alle gleichermaßen gerufen. Sie waren aber resistent gegenüber der Annahme jeglichen Rates, den Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): uns die Expertinnen und Experten mit auf den Weg gege- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die ben haben. Zielrichtung dieses Gesetzes ist meines Erachtens gut, Bei der Kostenheranziehung von Pflege- und Heimkin- vieles ist überfällig, und deshalb werden wir Grünen die- dern hätte ich mir schon gewünscht, dass Sie endlich mal sem Gesetzentwurf zustimmen. Damit möchte ich auch über Ihren Schatten springen und ganz auf sie verzichten. anfangen. Warum? Weil wir damit das Signal an junge Menschen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN senden würden: Eure Leistung wird anerkannt! sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der SPD) Eure Leistung zählt! Wir glauben an euch! Wir vertrauen Wir haben in unserem Entschließungsantrag noch mal auf euch! Und wenn ihr 300 Euro Ausbildungsgeld erhal- wesentliche Aspekte gewürdigt, die wirklich gut sind: tet, dann sollt ihr das auch behalten, weil ihr dafür gear- Beratung, Beteiligung, Kinderschutz, Prävention, Inklu- beitet habt! Leistung muss sich lohnen! Das fände ich an sion, die Situation der Pflegekinder. Das teilen wir, das der Stelle wichtig. unterstützen wir, dahinter stehen wir. Aber es gibt auch unzureichende Punkte, und die müssen hier auch mal (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN benannt werden. Das Erstaunliche ist ja, liebe Kollegin- sowie bei Abgeordneten der FDP) 28416 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Ekin Deligöz (A) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Gesetzentwurf Zweitens möchte ich das Paket für junge Volljährige (C) ist ein Schritt nach vorne; weitere müssen aber folgen. nennen. Der Careleaver e. V. hat mir eindrucksvoll auf- Er ist der Beginn eines Prozesses, und wir stimmen dem gezeigt, wie wirksam Selbstvertretung und Empower- zu. Aber wir werden auch im Bundesrat und in den kom- ment sind. Gut, dass Selbstvertretungsorganisationen menden Jahren sowieso darauf achten, dass es weitergeht. nun einen Anspruch auf Förderung und Einbeziehung haben. Vielen Dank, Herr Präsident – in der letzten Sekunde – für Ihre wunderbare Karte, die Sie mir gestern zu meinem (Beifall bei der SPD) Geburtstag geschrieben haben. Richtig ist es auch, dass junge Volljährige einen soliden (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Rechtsanspruch auf die Fortsetzung von Hilfen erhalten. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und Im Entschließungsantrag stellen wir klar, dass persönli- der SPD) che Lebensumstände wie schulische oder berufliche Aus- bildung bei der Gewährung von Hilfen berücksichtigt werden müssen. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: So viel Zeit muss sein. – Ulrike Bahr, SPD, ist die (Beifall bei der SPD) nächste Rednerin. Mit der Rückkehroption und der Nachbetreuung wollen (Beifall bei der SPD) wir verhindern, dass junge Menschen auf dem Weg in die Selbstständigkeit scheitern. Die stark reduzierte Kosten- heranziehung ermöglicht ihnen künftig den Aufbau eines Ulrike Bahr (SPD): kleinen finanziellen Polsters. Das wissenschaftliche Pro- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kol- jekt „Care Leaving Statistics“, für das wir Ende 2020 leginnen! „Was lange währt, wird endlich gut“ – so hat Mittel bereitgestellt haben, wird in den kommenden Jah- die AGJ im letzten Herbst ihre Stellungnahme zum neuen ren weitere Argumente für eine gute und nachhaltige Kinder- und Jugendstärkungsgesetz überschrieben. Und Ausgestaltung von Hilfen beisteuern; davon bin ich über- heute ist es endlich so weit: Wir beschließen eine Reform, zeugt. die über die gesamte Legislaturperiode hinweg vorberei- tet und beraten wurde. Staatssekretärin Caren Marks hat (Beifall bei Abgeordneten der SPD) diesen Prozess umsichtig gesteuert und hartnäckig voran- Und schließlich, drittens, möchte ich das größte Pro- getrieben. Auch ganz herzlichen Dank an Frau Ministerin jekt dieser Reform nennen. Mit „Hilfen aus einer Hand“ Giffey und natürlich auch an den Koalitionspartner: Herr haben wir endlich einen Fahrplan hin zur Zusammenfüh- Weinberg, ganz herzlichen Dank für die Verhandlungen rung von Eingliederungs- und Jugendhilfe geschaffen. (B) und dafür, wie sie gelaufen sind. Sie sind ein klarer Handlungsauftrag und ein Verspre- (D) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) chen. Nach der Reform ist vor der Reform, und wir wer- den sofort damit beginnen. Kommunen können Verfah- Auch die Opposition hat sich engagiert und eigene renslotsen freiwillig schon vor 2024 einsetzen. Für Anträge eingebracht, über die wir heute mitbeschließen, begleitende Modellprojekte sind im BMFSFJ ab sofort und aus denen auch einiges seinen Weg in das Gesetz Mittel bereitgestellt. gefunden hat. Danke auch an die Grünen, die hier schon Zustimmung signalisiert haben. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. [CDU/CSU]) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) In einem weiteren Beteiligungsprozess gibt es dann Aus der Fülle der Änderungen möchte ich drei Dinge viel zu regeln. Das Ziel ist klar: Alle Familien, in denen herausgreifen, die mir besonders am Herzen liegen: Kinder mit Behinderungen leben, dürfen nicht nur nicht Erstens sind da die Regelungen zu nennen, die Kindern schlechter gestellt werden, sondern müssen besser, mit psychisch kranken Eltern helfen. Ganz zum Ende der schneller und unbürokratischer zu ihren Hilfen kommen. letzten Wahlperiode hatte der Bundestag eine interdiszi- Die Träger wünschen, und das zu Recht, ein modernes plinäre AG aus Fachleuten beauftragt, Empfehlungen an Leistungserbringungsrecht für gute Arbeit, zur Bindung die Kinder- und Jugendhilfe und an das Gesundheits- von Fachkräften und mit Tarifschutz. wesen zu erarbeiten. Seit Ende 2019 liegt der Bericht Darum wird uns das achte Sozialgesetzbuch auch in vor. Und mit dem KJSG setzen wir die darin enthaltenen den kommenden Legislaturperioden weiterhin beschäfti- Vorschläge nun um. So erweitern wir den Anspruch auf gen. Hier sind wir alle in der Verantwortung. Ich freue Hilfen in Notsituationen, wenn zum Beispiel Eltern sich mich darauf und werbe heute um Ihre Zustimmung. zeitweilig aufgrund psychischer Erkrankungen oder Danke. wegen Suchtproblemen nicht ausreichend um ihre Kinder kümmern können. Auf diese Hilfen besteht nun ein (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Rechtsanspruch, sie sind aber dennoch niedrigschwellig der CDU/CSU) ausgestaltet. Eine mögliche Einbeziehung von Patinnen und Paten in solche Hilfen kommt dem Wunsch der Be- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: troffenen nach nichtstigmatisierender Alltagsunterstüt- Voraussichtlich letzte Rednerin in dieser Debatte ist die zung nach. Diese neue Hilfeform ist keine Konkurrenz, Kollegin Nadine Schön, CDU/CSU. sondern eine Ergänzung zu den Hilfen zur Erziehung und soll in ihre Wirkung sorgfältig evaluiert werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28417

(A) Nadine Schön (CDU/CSU): und Paul Lehrieder nennen, die an vorderster Front und (C) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und zusammen mit den anderen Familienpolitikern diesen Kollegen! Wie schade, dass dieses Gesetzesvorhaben in Prozess in der letzten Legislaturperiode gestartet haben, der Öffentlichkeit bisher nicht mehr Aufmerksamkeit auch aufgrund solcher Erfahrungen, wie ich sie bei mir erfahren hat. Denn mit dieser Reform heute verändern vor Ort gemacht habe. Heute haben wir die Lösung. Heu- wir das Leben von vielen, vielen Kindern und Jugend- te bieten wir gerade für diese Zielgruppe eine passgenaue lichen in unserem Land. Deshalb war es auch so wichtig, Lösung an mit Unterstützung, Beratung, ehrenamtlichen dass wir uns ganz intensiv mit diesem Gesetzentwurf Angeboten und Paten. Das wird gerade für diese Kinder beschäftigt haben. In meiner letzten Rede hatte ich mich ganz viel ändern. bereits beim Ministerium bedankt, das den von uns ein- geforderten ausführlichen Prozess wirklich gut umgesetzt (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- hat. Aber auch wir im Parlament haben uns wochenlang ordneten der SPD) in vielen Gesprächen, Anhörungen, Berichterstatterge- Ich denke an die vielen Gespräche mit den Pflegeel- sprächen und natürlich auch in Gesprächen vor Ort inten- tern, die, finde ich, eine wahnsinnig tolle Aufgabe erfül- siv mit der nicht ganz unkomplexen Materie auseinander- len, nämlich Kindern eine Heimat zu geben. Sie sagen: gesetzt. Ich finde, das Ergebnis kann sich wirklich sehen Wir machen das gerne. Wir machen das mit Herzblut und lassen. geben sehr viel Zeit und Liebe für diese Kinder in unseren Deshalb zwei Worte an die Vorredner. Kollege Müller, Familien. Wir haben aber auch Probleme. Wir leben in wenn der ASD in Berlin schlecht ausgestattet ist, einem permanenten Zustand der Unsicherheit. Wir haben oft zu wenig Unterstützung durchs Jugendamt. Wir hän- (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Das gen in der Luft, wenn Kinder erwachsen werden; dann ist in allen Ländern so!) gibt es einen harten Bruch, und das wollen wir eigentlich dann liegt die Verantwortung in Berlin und nicht bei uns nicht. Wir wollen sie ins Erwachsenenleben begleiten, bis im Bundestag. sie wirklich selbstständig sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Auch hier setzen wir mit diesem Gesetz an. Wir neh- Deshalb empfehle ich, dass Sie sich bei Ihren Kollegen in men die Careleaver in den Blick und ermöglichen Ange- Berlin dafür einsetzen, dass auch dort der ASD besser bote auch über die Volljährigkeit hinaus. Wir schaffen es, ausgestattet wird. Sie sagen jetzt, das sei in allen Ländern dass diese Familien besser unterstützt werden. Und die so. Kinder werden in Zukunft nicht mehr 75 Prozent ihres Einkommens abgeben müssen, sondern sie werden (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Ja!) 75 Prozent behalten können. Einkommen aus Ferienjobs (B) Dazu sage ich Ihnen: In Berlin ist es besonders schlecht. und ehrenamtlicher Arbeit können sie komplett behalten; (D) und das ist auch gut so. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mir gehen an diesem Morgen viele Bilder durch den (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Kopf, viele Begegnungen der letzten Jahre, wo ich immer Wir nehmen die Familien in den Blick, wo die Kinder wieder festgestellt habe: Da haben wir Probleme im Sys- in Heimen oder in der Pflegefamilie sind, es aber eigent- tem der Jugendhilfe, da passt was nicht zusammen, da lich eine gute emotionale Bindung der Eltern zu diesen gibt es Schnittschnellen, die besser aufeinander abge- Kindern gibt. Diese sagen oft: Wir werden zu wenig stimmt sein müssten. Ich bin wirklich stolz, dass wir unterstützt. – Künftig können diese Eltern auch Hilfen heute mit diesem Gesetz viele dieser Probleme lösen. zur Erziehung bekommen, wenn die Kinder fremdunter- Es gibt zum Beispiel das Projekt „OASE“ aus meiner gebracht sind. Das ist wichtig; denn viele Kinder wollen Heimat, aus St. Wendel; dies ist ein Projekt der Caritas. zurück zu ihren leiblichen Eltern, und viele leibliche El- Dieses Projekt kümmert sich seit Jahren um Kinder psy- tern wollen die Kinder wieder zurückholen und suchen chisch kranker Eltern. Bisher lief das alles ehrenamtlich. nach Unterstützung, nach Hilfe, um ihre Erziehungskom- Durch Spenden und durch sehr viel Aufwand wurde eine petenz zu stärken. Auch das ermöglichen wir mit diesem Struktur aufgebaut, mit der man gerade diese Kinder un- Gesetz. terstützen konnte. Denn die Eltern sind in psychologi- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) scher Behandlung oder auch in ärztlicher Behandlung, aber die Kinder fallen bisher durchs Raster. Sie stellen Die behinderten Kinder nehmen wir mit der inklusiven sich die Fragen: Warum steht der Papa morgens nicht Lösung in den Blick. Wir stärken die Beteiligung. auf? Warum ist die Mama so aggressiv? Wie ist das mit Und – mein Herzensthema – bei sexuellem Missbrauch dem Alkohol? Warum sind die manchmal so komisch? schaffen wir es, dass künftig der Austausch zwischen den Und: Was hat das mit mir zu tun? Bin ich vielleicht ganzen Fachkräften, zwischen Ärzten und dem Jugend- schuld? amt besser wird, damit Kinder ganzheitlich in den Blick Diesen Kindern zu helfen, ihnen Gesprächsangebote genommen werden und damit wir Missbrauch und Ge- zu machen, ihnen Gruppenangebote zu machen, wo sie walt vorbeugen können. Auch das ist ein Meilenstein. sich austauschen können, auch ein Setting zu haben, wo Deshalb: Herzlichen Dank für dieses gute Gesetz! sich die Ärzte miteinander unterhalten können, ist wich- tig. Das gab es bisher nicht; das alles musste ehrenamtlich (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie gestemmt werden. Wir als Unionsfraktion haben uns der Abg. Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE dafür eingesetzt. Ich will besonders Marcus Weinberg GRÜNEN]) 28418 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

(A) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Dann stimmen wir über den Entschließungsantrag der (C) Damit schließe ich die Aussprache. Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 19/28884 ab. Wer stimmt dafür? – Bündnis 90/Die Grü- Bei Tagesordnungspunkt 11 a kommen wir jetzt zur nen und die FDP. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält Abstimmung über den von der Bundesregierung einge- sich? – Bei Enthaltung der Fraktion Die Linke ist der brachten Gesetzentwurf zur Stärkung von Kindern und Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition Jugendlichen. und der AfD abgelehnt. Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss- Damit sind wir beim Tagesordnungspunkt 11 b. Wir empfehlung auf Drucksache 19/28870, den Gesetzent- setzen die Abstimmung über die Beschlussempfehlung wurf der Bundesregierung auf den Drucksachen des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und 19/26107 und 19/27481 in der Ausschussfassung anzu- Jugend auf der Drucksache 19/28870 fort. nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Be- der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand- schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak- zeichen. – Die Koalitionsfraktionen und Bündnis 90/Die tion der FDP auf der Drucksache 19/26158 mit dem Titel Grünen. Wer stimmt dagegen? – Die AfD und Die Linke. „§ 94 Absatz 6 des Achten Buches Sozialgesetzbuch ab- Wer enthält sich? – Die FDP. Dann ist der Gesetzentwurf schaffen – Bessere Chancen auf ein selbstbestimmtes mit den genannten Mehrheiten angenommen. Leben auch für Pflegekinder“. Wer stimmt für diese Be- Dritte Beratung schlussempfehlung? – Die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Bündnis 90/Die Grünen, AfD, FDP. und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Enthaltungen? – Die Linke enthält sich. Die Beschluss- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – empfehlung ist angenommen. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist der Gesetzentwurf mit den gleichen Mehrheiten wie in Unter Buchstabe d empfiehlt der Ausschuss die Ableh- der zweiten Lesung angenommen. nung des Antrags der Fraktion Die Linke auf der Druck- Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf sache 19/6421 mit dem Titel „Mehr Fachkräfte für gute Drucksache 19/28870 empfiehlt der Ausschuss, eine Ent- Kitas und eine starke Kinder- und Jugendhilfe“. Wer schließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschluss- stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Koali- empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält tionsfraktionen und die AfD. Wer stimmt dagegen? – sich? – Dann ist diese Beschlussempfehlung bei Enthal- Die Linke. Wer enthält sich? – Die FDP und Bündnis 90/ tung der FDP und Gegenstimmen der übrigen Opposi- Die Grünen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. (B) tionsfraktionen mit den Stimmen der Koalition angenom- Tagesordnungspunkt 11 c. Abstimmung über den Ge- (D) men. setzentwurf der Fraktion Die Linke zur Änderung des Damit kommen wir nun zu den Entschließungsanträ- Achten Buches Sozialgesetzbuch – Aufhebung des Kos- gen. Wir beginnen mit der Abstimmung über die vier tenbeitrags junger Menschen in stationären Kinder- und Entschließungsanträge der Fraktion der FDP. Jugendhilfeeinrichtungen. Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt unter Buchstabe a Entschließungsantrag auf Drucksache 19/28879. Wer seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/20127, stimmt dafür? – Die FDP, Bündnis 90/Die Grünen und den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke auf Druck- Die Linke. Wer stimmt dagegen? – Die Koalition und die sache 19/17091 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die AfD. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei- Entschließungsantrag auf Drucksache 19/28880. Wer chen. – Das sind Die Linke und die FDP. Wer stimmt stimmt dafür? – Die FDP, Bündnis 90/Die Grünen. Wer dagegen? – Die Koalitionsfraktionen. Wer enthält sich? – stimmt dagegen? – Die Koalition und die AfD. Wer ent- Die AfD und Bündnis 90/Die Grünen. Der Gesetzentwurf hält sich? – Die Linke. Gegen die Stimmen von FDP und ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach Bündnis 90/Die Grünen und bei Enthaltung der Linken ist unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. der Entschließungsantrag mit den Stimmen der übrigen Fraktionen abgelehnt. Tagesordnungspunkt 11 d. Interfraktionell wird Über- weisung der Vorlage auf der Drucksache 19/28769 an den Entschließungsantrag auf Drucksache 19/28881. Wer Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vor- stimmt dafür? – Die FDP, Bündnis 90/Die Grünen. Wer geschlagen. Gibt es weitere Überweisungsvorschläge? – stimmt dagegen? – Koalition und AfD. Wer enthält Das ist nicht der Fall. Dann verfahren wir wie vorgeschla- sich? – Die Linke. Der Entschließungsantrag ist abge- gen. lehnt. Tagesordnungspunkt 11 e. Beschlussempfehlung des Entschließungsantrag auf Drucksache 19/28882. Wer Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend stimmt dafür? – FDP, Bündnis 90/Die Grünen. Wer zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel stimmt dagegen? – Koalition und AfD. Die Linke enthält „Schulsozialarbeit für alle Schülerinnen und Schüler sich. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. sichern“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- Abstimmung über den Entschließungsantrag der Frak- empfehlung auf der Drucksache 19/24726, den Antrag tion Die Linke auf Drucksache 19/28883. Wer stimmt der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 19/9053 ab- dafür? – Die Linke. Wer stimmt dagegen? – Die übrigen zulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Fraktionen. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Die Koalitionsfraktionen und die AfD. Wer stimmt dage- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28419

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) gen? – Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Wer ent- Die Corona-Impfpflicht durch die Hinter- (C) hält sich? – Die FDP. Damit ist die Beschlussempfehlung tür verhindern – Die Einführung des digi- angenommen. talen Corona-Impfpasses stoppen Tagesordnungspunkt 11 f. Beschlussempfehlung des Drucksachen 19/27197, 19/28045 Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel Für die Aussprache wurde eine Dauer von 60 Minuten „Kinder- und Jugendhilfe-Reform vom Kopf auf die vereinbart. Füße stellen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be- Wieder bitte ich Sie, den für notwendig gehaltenen schlussempfehlung auf der Drucksache 19/26553, den Platzwechsel schnell vorzunehmen. Wenn wir schon Antrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 30-Minuten-Debatten in der Kernzeit vereinbaren, sollten 19/7909 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluss- wir die Zwischenzeit nicht länger machen als die Rede- empfehlung? – Die Koalitionsfraktionen und die AfD. zeiten. Wer stimmt dagegen? – Die Linke. Wer enthält sich? – Bündnis 90/Die Grünen und die FDP. Die Beschlussemp- Damit eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort fehlung ist angenommen. dem Kollegen Manuel Höferlin, FDP. Tagesordnungspunkt 11 g. Beschlussempfehlung des (Beifall bei der FDP) Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf der Drucksache 19/26213. Der Ausschuss empfiehlt Manuel Höferlin (FDP): unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf der ren! Wir reden heute über unseren Antrag zur Einführung Drucksache 19/24642 mit dem Titel „Zuerst ein Dach des digitalen Impfpasses. Ich muss auf Ihre Bemerkung über dem Kopf – Neue Perspektiven für Straßenkinder eingehen, Frau Kollegin Baehrens von der SPD. Sie ha- und wohnungslose junge Menschen eröffnen“. Wer ben vorhin so passend gefragt, warum wir darüber über- stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Koali- haupt sprechen. tionsfraktionen, die AfD und die FDP. Wer stimmt dage- gen? – Die Linke. Wer enthält sich? – Bündnis 90/Die (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Hat sie Grünen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. nicht!) Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ableh- Ich finde, diese Äußerung ist ehrlich gesagt bemerkens- nung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wert. Wenn sich Menschen seit über einem Jahr in ihrer auf der Drucksache 19/20785 (neu) mit dem Titel „Sofa- persönlichen Freiheit zurücknehmen, um andere Men- (B) Hopping ist keine Perspektive – Strategien gegen Woh- schen in dieser Lage zu helfen und um die Gesundheit (D) nungslosigkeit bei Jugendlichen und jungen Erwachse- anderer zu schützen, und wenn sie sich jetzt, wo sie nen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – geimpft sind, darüber Gedanken machen, unter welchen Die Koalitionsfraktionen, AfD und FDP. Wer stimmt Voraussetzungen denn eigentlich ihre Freiheitsrechte dagegen? – Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke. Die überhaupt noch eingeschränkt werden können und ob Beschlussempfehlung ist angenommen. sie ihre Rechte vielleicht auch wieder ausüben können, dann ist das genau der richtige Zeitpunkt. Es ist bemer- Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 12 a und 12 b kenswert, dass Teile der Regierungsfraktionen solch auf: einen Kommentar hier im Plenum loslassen. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frank Sitta, Mario Brandenburg (Südpfalz), (Beifall bei der FDP – Michael Grosse-Brömer Manuel Höferlin, weiterer Abgeordneter und [CDU/CSU]: Zeitpunkt ist richtig! Dauert nur der Fraktion der FDP zu lange!) Digitalen Impfpass vorantreiben – Unver- Ich möchte das Credo eines FDP-Kollegen aus dem züglich individuelle Freiheit wiederher- Bayerischen Landtag aufgreifen: Fakten, Fakten, Fakten! stellen und Wirtschaft stärken Fakt eins. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Drucksache 19/28768 Bundesregierung, hätten Sie in der letzten Zeit öfter auf die Vorschläge der Freien Demokraten gehört, wären wir Überweisungsvorschlag: in dieser Pandemiesituation an vielen Punkten ein Stück Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss Digitale Agenda (f) weiter. Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Inneres und Heimat Fakt zwei. Bereits am 16. Oktober 2019 Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Bei den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Federführung strittig Inzidenzwerten wären wir dann höher!) b) Beratung der Beschlussempfehlung und des – hören Sie zu! –, also vor 555 Tagen und vor dem ersten Berichts des Ausschusses für Gesundheit Covid-Fall, hat die Bundestagsfraktion der FDP hier im (14. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord- Plenum den Antrag „Impfquoten wirksam erhöhen – neten Dr. Michael Espendiller, Joana Cotar, Infektionskrankheiten ausrotten“ eingebracht. Da ging Uwe Schulz, weiterer Abgeordneter und der es um die Einführung eines digitalen Impfpasses. 80 Wo- Fraktion der AfD chen hätten wir Zeit gehabt. 28420 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Manuel Höferlin (A) Aber jetzt – Fakt drei – eineinhalb Jahre später unter jekte steuern, auch im Gesundheitssystem offensichtlich (C) massivem Druck der pandemischen Entwicklung ist diese nicht. Damit kommt auch ein schlechtes Krisenmanage- Regierung auf dem Weg und macht sich doch einmal ment zutage, meine Damen und Herren. Gedanken über einen digitalen Impfpass. Ich rede übri- (Beifall bei der FDP) gens nicht über den Impfnachweis, sondern über den Impfpass; vielleicht hat das noch nicht jeder so ganz Als Abschluss, Herr Präsident: Die Leidtragenden sind mitbekommen. die Menschen in diesem Land – Schüler und Schülerin- nen, Eltern, Pfleger, Ärzte und Ärztinnen, Gastronomen Das alles zeigt: Wirksame Maßnahmen kommen bei sowie Künstler und Künstlerinnen –, die darauf warten – dieser Regierung immer viel zu spät. Es gibt ein Muster dann geimpft, genesen oder negativ getestet –, wieder ein von Schlafmützigkeit im letzten Jahr: Das Land wird ver- normales Leben zu führen. Aber es gibt einen Silberstreif pflichtet, Masken zu tragen, und danach macht sich die am Horizont: Bald sind Bundestagswahlen. Regierung Gedanken über die Beschaffung der Masken. Herzlichen Dank. (Zuruf der Abg. Maria Klein-Schmeink (Beifall bei der FDP) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das Land soll mehr testen, und die Regierung fängt Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: danach an, sich über die Beschaffung von Tests Gedan- Tino Sorge, CDU/CSU, ist der nächste Redner. ken zu machen. Das Land fiebert einem Impfstoff ent- gegen, und danach macht man sich Gedanken über das (Beifall bei der CDU/CSU) Organisatorische, wie dieser Impfstoff denn verimpft werden soll. Tino Sorge (CDU/CSU): Und jetzt beim digitalen Impfpass ein ähnliches Mus- Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle- ter, meine Damen und Herren. gen! Ich wollte heute Morgen die Rede eigentlich ein bisschen versöhnlicher beginnen, Herr Kollege Höferlin. (Beifall bei der FDP) Wir haben vorhin drüber gesprochen. Vielleicht haben Sie den einen oder anderen Kaffee heute Morgen zu Nachdem die Impfungen angelaufen sind, fällt plötzlich viel getrunken und deshalb ein bisschen zu viel Koffein auf, oh, man könne ja vielleicht auch etwas in Richtung intus. digitalem Impfpass machen. Es ist ja geplant, und zwar schon seit langer Zeit, das in die ePA zu integrieren – (Manuel Höferlin [FDP]: Das ist ganz schön frech!) (B) 2022 oder vielleicht auch später. Wir wissen ja, wann (D) Digitalprojekte, wenn sie geplant sind, bei der Bundesre- Aber: Der Antrag der FDP ist in einzelnen Punkten gierung auch wirklich Realität werden. Ich will in diesem grundsätzlich gar nicht so schlecht. Also, wenn wir darü- Zusammenhang auch gar nicht auf das Beschaffungsde- ber reden, wie wir beispielsweise Geimpften ihre Frei- bakel näher eingehen. heitsrechte möglichst schnell wieder zurückgeben kön- Nach Monaten des Weiterentwicklungsstillstands bei nen, der Corona-Warn-App wird der Nachweis jetzt dort viel- (Manuel Höferlin [FDP]: Die haben sie nicht leicht seinen Platz finden. Ich hoffe, das wird auch gelin- verloren!) gen. In den letzten Wochen und Monaten – das muss man wenn wir darüber reden, wie wir auch bei Digitalisierung ja zugeben – hat die Corona-Warn-App etwas an schneller werden können, bin ich bei Ihnen; das können Schwung gewonnen. Ich bin sehr dankbar und sehr froh wir sehr gern diskutieren. drüber, aber es gab auch wirklich eine lange Phase des Stillstands und vor allen Dingen einer unterschiedlichen Wenn wir dann aber hier die alte Litanei der FDP Informationspolitik der Bundesregierung in diesem hören: „Wir haben es schon immer besser gewusst! Wir Punkt. wären schneller gewesen! Mit uns wäre es toller gewe- sen! Wenn wir mitgestaltet hätten, wären wir jetzt schon (Zuruf der Abg. Kordula Schulz-Asche viel, viel weiter!“, [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Manuel Höferlin [FDP]: Wir haben es doku- Der Impfnachweis soll irgendwann durch den Impf- mentiert! Sie haben vor 80 Wochen nicht auf pass abgelöst werden. Wir haben im Digitalausschuss uns gehört!) erklärt bekommen, dass der Impfnachweis dezentral ge- dann – es tut mir leid, Herr Kollege Höferlin – kann ich führt wird, der Impfpass nachher in die ePA integriert nur noch gähnen. werden soll. Auf die Frage, wie denn das überführt wer- den soll, konnten wir noch keine zureichende Information Denn – das ist in der Vordebatte schon angeklungen –: bekommen; denn die Systeme sind gar nicht so einfach Wir führen hier jetzt eine Stunde eine Debatte zum digita- miteinander kompatibel. Das spricht auch wieder Bände, len Impfpass. Ist in Ordnung; kann man machen. Ich und die Menschen fragen sich: Kann diese Bundesregie- diskutiere immer sehr, sehr gern über Digitalisierung. rung eigentlich Projektmanagement im IT-Bereich? Sie Wenn Sie sich aber hierhinstellen und wieder so tun, als wissen das – ich habe das schon öfter gesagt –: Nein, es sei beim digitalen Impfpass überhaupt nichts passiert, als bleibt das ernüchternde Bild übrig, wie so oft bei IT- sei beim digitalen Impfpass überhaupt noch keine Rege- Projekten der Bundesregierung: Sie können keine IT-Pro- lung da, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28421

Tino Sorge (A) (Manuel Höferlin [FDP]: Für den Impfnach- Warn-App können? Wie wird diese App ausgestaltet – (C) weis, nicht für den Impfpass!) Tracing versus Tracking? Insofern, glaube ich, sind wir da mittlerweile auf einem sehr guten Weg. dann darf ich Sie nur daran erinnern: Bereits im März haben wir uns europaweit darauf geeinigt, wie dieser Wir haben jetzt die Integration des Kontakttagebuchs Impfpass aussehen soll. sowie die Clustererkennung und das Check-in-Verfahren auf den Weg gebracht. Das sind alles Möglichkeiten, die Und weil Sie gerade Bundesgesundheitsminister Jens über einen quelloffenen Code in die Corona-Warn-App Spahn und dem BMG hier wieder mal vorwerfen, es integriert werden. Insofern kann ich uns allen nur raten, würde nichts passieren: Bereits im März, also nahezu dies nicht alles schlechtzureden. parallel, hat das BMG im Rahmen einer dringlichen Ver- gabe diesen Impfpass in Auftrag gegeben. Das heißt, das, (Manuel Höferlin [FDP]: Das habe ich auch was Sie hier fordern – Beschleunigung; es solle auf Hoch- nicht gemacht!) touren laufen –, ist bereits der Fall. Es läuft auf Hoch- Denn dann haben wir keine Akzeptanz in der Bevölke- touren. Deswegen könnten wir den Antrag da schon für rung. erledigt erklären. Aber, wo ich beim Thema Schlechtreden bin, liebe (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Kolleginnen und Kollegen: Wir haben auch noch einen Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Und Antrag der AfD. Ich will da jetzt nicht pauschal drauf- dafür sollen wir jetzt noch eine Stunde reden!) hauen. Ich finde es nur wirklich bemerkenswert, dass, wenn die ganze Welt darüber diskutiert, wie wir diese Wie gesagt: Wir debattieren eine Stunde. Ich freue Pandemie möglichst schnell überwinden können, wenn mich; wir haben ein bisschen mehr Redezeit. Das gibt die ganze Welt, wenn Israel, Schweden, Frankreich, mir die Möglichkeit, auf den einen oder anderen Punkt Dänemark, wenn alle sich Gedanken machen, wie man ein bisschen näher einzugehen, und zwar auch auf das diese Pandemie begleitend mit digitalen Möglichkeiten Thema „Geimpfte – Nichtgeimpfte“. möglichst schnell überwinden kann, wie man Grund- Natürlich ist es völlig richtig, dass wir so schnell wie rechten möglichst schnell wieder volle Geltung verschaf- möglich alle unser normales Leben wiederhaben wollen. fen kann, dann Ihnen nichts weiter einfällt, als hier zu Natürlich ist es richtig, dass gerade Geimpfte, dass Gene- sagen: Wir müssen das Projekt digitaler Impfpass und sene ihre Grundrechte wieder in vollem Umfang genie- die Corona-Warn-App sofort stoppen. – Also – es tut ßen sollen dürfen. Grundrechte sind Freiheitsrechte; da mir leid –, das ist nicht nur ignorant; ich hätte beinahe sind wir uns doch völlig einig. gesagt, das ist zutiefst asozial. (B) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem (D) (Manuel Höferlin [FDP]: Das ist verfassungs- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- rechtlich gar nicht anders möglich, Herr Kolle- ordneten der FDP – Maria Klein-Schmeink ge! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Das ist das Grundrecht in Artikel 2!) dumm!) Aber, Herr Kollege Höferlin: Die Frage, wie wir dafür Ich rate Ihnen auch, nicht immer nur an allen Experti- sorgen, dass Geimpfte möglichst schnell ihre Grund- sen vorbeizuargumentieren und nicht immer nur dagegen rechte wieder in vollem Umfang genießen können, näm- zu sein. Der Sachverständigenrat Gesundheit – Sie sollten lich mit dem digitalen Impfpass und der Klarstellung, mal das letzte Gutachten lesen – hat beim Thema Daten- dass keine Gefahr von dem Geimpften mehr ausgeht, nutzung es uns allen in der Politik ins Stammbuch ge- dass er nicht mehr infektiös ist, schrieben. Wie können wir Daten besser vernetzen? (Manuel Höferlin [FDP]: Das ist ja schon Wie können wir Daten besser nutzbar machen, um nicht belegt!) nur Versorgung zu optimieren, um Forschung zu optimie- ren, sondern gerade in Pandemiezeiten mit digitalen das ist keine rein politische Frage. Wir reden hier über Möglichkeiten schneller diese Pandemie zu überwinden? eine wissenschaftliche Frage. Da geht es um Evidenz, Er hat es ganz konkret gesagt, und das war nicht das, und da müssen wir uns gegebenenfalls, auch wenn die was Sie wollen, nämlich: zurück ins analoge Zeitalter, Signale wissenschaftlich sehr gut sind, die Zeit nehmen Zettelwirtschaft. Nein, er hat genau das Gegenteil gesagt, und nicht vorschnell irgendwelche Dinge beschließen, nämlich: bessere Nutzung, bessere Vernetzung und gera- Herr Kollege. de auch eine bessere Datennutzung im Sinne der Patien- Darüber hinaus – das will ich auch noch sagen –: Wenn ten. Denn Daten retten Leben, und die retten sie nicht, Sie in die Corona-Warn-App gucken würden, dann wür- indem sie analog auf einen Zettel aufgeschrieben werden, den Sie feststellen: Es geht ja voran. sondern indem sie digital genutzt werden, liebe Kollegin- nen und Kollegen. (Manuel Höferlin [FDP]: Das habe ich ja gelobt – jetzt endlich!) Das gibt mir die Möglichkeit, zum Schluss doch noch etwas versöhnlicher zu werden. Lieber Herr Kollege Sicherlich kann man sich jetzt darüber streiten, ob das Höferlin, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, nicht hätte schneller gehen können, ob man das nicht ich glaube, man kann den Antrag zumindest so ein Stück hätte besser machen können. Aber wir kennen doch alle weit in die Abteilung Serviceopposition einsortieren. die Debatten, die wir hier geführt haben, auch in der Also: Wir sind uns im Ziel einig, dass wir auch mit dem Öffentlichkeit, bei den Fragen: Was soll die Corona- digitalen Impfpass möglichst schnell unser Leben wieder 28422 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Tino Sorge (A) normalisieren wollen, dass wir möglichst schnell unseren Außerdem interessiert uns in diesem Zusammenhang (C) Grundrechten in allen Bereichen wieder zu voller Gel- auch die Höhe des Honorars, das Uschi Glas für ihren tung verhelfen wollen. Insofern, glaube ich, sind wir Beitrag zur Impfkampagne erhalten hat. Aber solche Fra- uns im Ziel einig. Wir werden uns sicherlich auch über gen hören Sie nicht gerne. Sie spielen hier lieber den den Weg einigen. guten Samariter, der den Bürgern etwas Gutes tun will, Ich freue mich auf die Beratung. während Sie eigentlich was ganz anderes im Sinn haben. Vielen Dank. Die Impfkampagne und der digitale Coronaimpfpass werden den Leuten schmackhaft gemacht und hübsch (Beifall bei der CDU/CSU) verpackt. Man wolle den Bürgern auf diesem Weg so schnell wie möglich ihre Freiheit zurückgeben – haben Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: wir gerade auch von Herrn Sorge gehört. Aber unter Nächster Redner ist der Kollege Dr. Michael diesem nobel erscheinenden Vorwand wurde geplant, Espendiller, AfD. für den Coronaimpfpass nationale Datenbanken zu erstel- len, in denen Impf- und Testdaten gespeichert werden (Beifall bei der AfD) sollten; die „Süddeutsche Zeitung“ berichtete im März. Es ging also um eine bundesweite Datenbank mit den Dr. Michael Espendiller (AfD): persönlichen Gesundheitsdaten von Millionen von Bun- Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen! desbürgern, die einer Vielzahl von Behörden dann zur Liebe Zuschauer im Saal und bei Youtube! Verfügung gestanden hätten. Das hätte ganz erhebliche (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Grundrechtseinschränkungen bedeutet und entsprach Aha!) wohl dem feuchten Traum eines jeden Überwachungs- Im Grunde, Herr Sorge, ist es ganz einfach: fanatikers. Punkt eins. Niemand sollte direkt oder indirekt zu einer (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Was ist Impfung gegen das Coronavirus gezwungen werden. denn Ihre Alternative zum Impfen? – Gegenruf der Abg. Maria Klein-Schmeink [BÜND- Punkt zwei. Niemand sollte dazu gezwungen werden, NIS 90/DIE GRÜNEN]: So was wie Gesund- als Bedingung für die Ausübung seiner Grundrechte heitsschutz kennt der nicht!) künftig einen Coronaimpfpass vorzeigen zu müssen. Aber, liebe Regierung: Wir als Opposition machen ja Wenn wir heute über den digitalen Impfpass debattie- hier unsere Arbeit und passen schon auf. Ich würde sagen, ren, stehen aber genau diese beiden Prämissen infrage. auch unser Antrag im März und unser Aufschrei zu die- (B) Denn wir haben seit Beginn des Jahres erlebt, wie der sem Thema in diesem Haus waren gut genug, um aus dem (D) digitale Coronaimpfpass, der mittlerweile das „grüne „hätte“ kein „ist“ werden zu lassen und Ihre Pläne zu Zertifikat“ genannt wird, im Hauruckverfahren auf EU- ändern. Ebene und unter tatkräftiger deutscher Regierungsbetei- ligung durchgedrückt wurde und wird – außen vor mal (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Alles wieder das deutsche Parlament. nur eine Grippe, oder?) Am Anfang ging es angeblich nur um die Wiederher- Denn die Einrichtung nationaler Impfdatenbanken stellung der Reisefreiheit. Es dauerte nicht lange, und es kommt jetzt doch nicht. Das hat man sich in der Regie- wurden Pläne geschmiedet, wonach man den Impfpass rung wohl doch nicht getraut. Ich bin froh, dass wir hier demnächst auch beim Einkauf oder beim Kinobesuch waren. Es ist gut, dass die AfD im Parlament sitzt. vorzeigen müsse. Und bei jeder Wortmeldung schwang (Beifall bei der AfD) mit, dass Konzert- und Kinobesuche künftig doch nur noch für Geimpfte möglich sein sollten. Passend dazu Ich möchte nicht wissen, was Sie sonst alles hier wieder erleben wir derzeit auch eine der aufwendigsten Impf- so durchwinken. kampagnen, die die Impfrisiken negiert und statt Aufklä- (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE rung wohliges Werbefeeling verbreitet. GRÜNEN]: Der Werbeblock ist jetzt zu Ende, In diesem Zusammenhang will ich die Bundesregie- oder?) rung heute auch mal fragen: Halten Sie es nicht auch Nichtsdestotrotz gilt: Der digitale Coronaimpfpass für einen ausgesprochenen Betrug, wenn das Impfkam- wirft weiterhin Fragen auf. Wir als AfD-Bundestagsfrak- pagnengesicht Günther Jauch medienwirksam auf allen tion wünschen uns genauso wie alle anderen Menschen in Kanälen für die Coronaimpfung wirbt, kurze Zeit später diesem Land, dass wir, so schnell es geht, wieder zur an Corona erkrankt und dann sogar zugeben muss, gar Normalität zurückkehren können. nicht geimpft worden zu sein? (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wie ( [CDU/CSU]: Haben Sie sich mal geht das aus Ihrer Sicht? Wie ist denn Ihr überlegt, wie alt Herr Jauch ist?) Lösungsweg?) Das ist schon ein starkes Stück und für die Impfbereit- Die Menschen wollen wieder reisen, sie wollen wieder schaft der Bevölkerung sicherlich nicht förderlich, wenn nachmittags Kaffee trinken mit Freunden, sie wollen wie- die Regierung auf solche Taschenspielertricks zurück- der gemeinsam grillen. greift. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sagen (Beifall bei der AfD) Sie doch mal, was Sie wollen! Machen Sie Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28423

Dr. Michael Espendiller (A) doch mal einen Vorschlag! Mann, Mann, Wir alle hier im Parlament haben kein Recht, über eine so (C) Mann!) höchstpersönliche Entscheidung zu urteilen oder sie gar zu diffamieren. Und es ist perfide von dieser Bundesregierung, diese Sehnsucht nach Normalität und Freiheit wahlweise als (Beifall bei der AfD – Michael Grosse-Brömer „verantwortungslos“ zu verurteilen und Rodler oder Spa- [CDU/CSU]: Macht doch keiner!) ziergänger zu beschimpfen oder gar zu kriminalisieren oder aber diese Situation für persönliche Machtinteressen Und auch wenn das hier so mancher nicht hören mag: auszunutzen. Es ist völlig legitim, sich über Impfrisiken zu sorgen und einen Impftermin auch abzulehnen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Keine Lösung, nur meckern!) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wer bestreitet das denn?) Wenn mir eine Sache in den letzten dreieinhalb Jahren in diesem Parlament klar geworden ist, Herr Grosse- Nun werden Sie gleich wieder sagen, dass das ja auch gar Brömer, dann die, dass es dieser Regierung nicht um nicht infrage gestellt wird; das haben wir gerade schon die Menschen geht, nicht um die Wirtschaft, nicht um mehrfach gehört. Das sind aber nichts anderes als schöne das Klima oder was auch immer gerade en vogue ist. Worte, ihre Taten sprechen nämlich eine ganz andere Sprache. (Maik Beermann [CDU/CSU]: Artikel 2!) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ach so! Es geht einzig und allein um Macht und Kontrolle. Ist schon jemand zum Impfen abgeführt wor- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sagen den? Habe ich nicht mitbekommen!) Sie doch mal, was Sie manchen würden!) „Privilegien“ für Geimpfte sind immer wieder im Der mündige Bürger ist Ihnen nur im Weg. Man spürt Gespräch. Wir fragen uns: Was ist denn jetzt eigentlich förmlich Ihre Lust am Durchregieren. Das sieht man mit den Nichtgeimpften? Sind die jetzt vogelfrei? auch daran, wie die Regierungsfraktionen hier das neue Wir als AfD-Bundestagsfraktion haben diese Bundes- Infektionsschutzgesetz durchgepeitscht haben. regierung bei verschiedenen Gelegenheiten sowohl im Plenum als auch in den Ausschüssen gefragt, wie sie (Maik Beermann [CDU/CSU]: Jetzt zu Ihrem eine Diskriminierung aufgrund des Impfstatus unterbin- Antrag!) den will. Wir haben keine Antwort erhalten. Das ist aber nicht die Aufgabe der Bundesregierung, hier Wir fordern daher von der Bundesregierung, dass sie durchzuregieren; es ist Ihre Aufgabe, zuzuhören, abzu- die Diskriminierung von Nichtgeimpften mittels eines (B) wägen und Entscheidungen zu treffen, die zum Wohle (D) Gesetzes unterbindet. Kurz gesagt: Wenn Sie vor Corona dieses Volkes sind. ohne Impfpass ins Kino gehen konnten, sollten Sie auch (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Welche jetzt und in Zukunft ohne Impfpass ins Kino gehen kön- zum Beispiel?) nen. Es kann nicht sein, dass die Regierung hier lapidar erklärt, dass man Grundrechtseinschränkungen für Ich denke, wir alle hier sind uns einig, dass Impfungen Geimpfte nicht mehr aufrechterhalten könne und damit ein wichtiger Bestandteil der Bekämpfung der Pandemie gleichzeitig postuliert, dass Ungeimpfte derlei Einschrän- sind kungen weiterhin hinnehmen müssen. Geben Sie den (Zurufe von der CDU/CSU, der SPD und dem Menschen ihre Freiheit zurück. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ah!) (Karin Maag [CDU/CSU]: Artikel 2 gilt auch und dass es deswegen die Pflicht dieser Bundesregierung für sie!) ist, genügend Impfstoffe bereitzustellen. Es liegt in der individuellen Verantwortung eines jeden (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ach! – Einzelnen, ob er sich impfen lässt oder nicht und ob er Tino Sorge [CDU/CSU]: Hört! Hört! Das sind dieses Risiko eingeht oder nicht. Man nennt das allge- ja ganz neue Töne, Herr Kollege!) meine Handlungsfreiheit. Aber es ist auch Aufgabe dieser Regierung, die Rechte (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Lesen von jenen Bürgern zu achten, die ein Impfangebot ableh- Sie mal Artikel 2! Ist auch nicht schlecht!) nen, Das ist ein Grundrecht, und diese Bundesregierung hat (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Es wird die Pflicht, diese Rechte zu achten und zu schützen. Und keiner gezwungen!) nach wie vor tut sie das nicht. Deshalb lehnen wir es ab, den digitalen Coronaimpfpass zum Maß aller Dinge zu und zwar aus welchen Gründen auch immer. Denn es geht machen. uns als Parlamentarier einfach nichts an, was die Bürger da draußen möchten: Ob sie sich impfen lassen möchten Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. oder das etwa aus gesundheitlichen Gründen ablehnen oder es schlicht und ergreifend nicht wollen. (Beifall bei der AfD – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein perfi- (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE der Unsinn! – Michael Grosse-Brömer [CDU/ GRÜNEN]: Es wird ja immer perfider, was CSU]: Noch nicht mal logisch zusammenhän- Sie hier machen!) gend die Rede! – Jan Korte [DIE LINKE]: 28424 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Dr. Michael Espendiller (A) Merkel impft euch alle! – Weiterer Zuruf von wird diese zeitliche Limitierung dokumentiert? Was ist (C) der LINKEN: Bill Gates impft euch alle!) mit den Impfdurchbrüchen, die wir immer wieder erle- ben? Wie wirken sich die Mutanten auf das Infektionsge- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: schehen und die Immunität aus? – Sie sehen: Es gibt noch einige Fragen zu beantworten. Aber entscheidend ist, Sabine Dittmar, SPD, ist die nächste Rednerin. dass wir mit dem Impfen zügig vorankommen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) der CDU/CSU) Die Impfquoten haben sich in den letzten 14 Tagen Sabine Dittmar (SPD): wirklich sehr erfreulich entwickelt. Mehr als 23 Millionen Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Impfstoffdosen wurden bislang verimpft. Über 20 Prozent Kollegen! Wir beraten heute Anträge zum digitalen Impf- der Bevölkerung haben eine Erstimpfung erhalten. Das pass. Die AfD ignoriert in ihrer Polemik nach wie vor, gibt uns Hoffnung und eine Perspektive für den Sommer. dass Geimpfte einen rechtlichen Anspruch darauf haben, dass der Impfstatus dokumentiert wird; ob das digital (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) oder analog erfolgt, ist erstmal nachrangig. Natürlich wird jede einzelne Impfung auch entspre- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) chend dokumentiert – das ist gesetzlich geregelt –: bis- lang analog in dem bekannten gelben Impfbuch und ab Die FDP wiederum fordert die Einführung eines digitalen 2022 dann auch digital im elektronischen Impfbuch als Impfpasses in Deutschland, ein digitales Einreisema- Teil der elektronischen Patientenakte. nagement und die Rücknahme von pandemiebedingten Grundrechtseinschränkungen. Alle diese Themen werden Und weil die FDP immer wieder darauf zurückkommt: bereits intensiv diskutiert oder befinden sich längst in der Die digitale Impfdokumentation in der ePA hätte nicht Umsetzung. vorgezogen werden können, auch wenn wir alle uns das grundsätzlich natürlich gewünscht hätten. Aber selbst (Manuel Höferlin [FDP]: Ja, das reicht aber wenn es so wäre, würde das gar keinen Sinn machen nicht!) für den von der FDP verfolgten Zweck. Oder wollen Es hätte daher keines Antrags der FDP bedurft. Sie künftig Grenzübergänge, Restaurants und Einkaufs- zentren mit Konnektoren ausstatten, damit man dort auf Meine Damen und Herren, auch für die SPD-Fraktion die ePA zugreifen und die Impfdaten auslesen kann? ist die Rücknahme der Grundrechtseinschränkungen für vollständig geimpfte Bürgerinnen und Bürger von (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Andrew (B) immenser Bedeutung. Deshalb haben wir im Vierten Ullmann [FDP]: Digitaler Impfpass!) (D) Bevölkerungsschutzgesetz die Bundesregierung auch Was in Ihrem Antrag so einfach klingt, ist in der Rea- ermächtigt – durch eine Rechtsverordnung, die der Zu- lität dann doch etwas komplexer als in Ihrer Vorstellungs- stimmung des Bundestages bedarf –, Erleichterungen und kraft. Deshalb war es notwendig, dass auf EU-Ebene die Ausnahmen von Geboten und Verboten für Immunisierte Weichen für ein digitales EU-Corona-lmpfzertifikat ge- oder negativ Getestete vorzulegen. stellt worden sind. Der technologische Rahmen ist ver- Das Robert-Koch-Institut stellt zur Infektiosität fest, einbart. Das BMG hat einen Zusammenschluss von Fir- dass das Risiko einer Virusübertragung 15 Tage nach men mit der Entwicklung einer App für Deutschland vollständiger Impfung geringer ist als bei Vorliegen eines beauftragt. Testversionen liegen vor, in einigen Regionen negativen Antigenschnelltests von symptomlos infizier- werden sie schon angewendet. Die Entwickler haben ten Personen. Aus diesem Grund haben bereits einige einen neuen Prototyp der App vorgestellt. Sie sehen, liebe Bundesländer – spontan fallen mir Berlin, Brandenburg Kolleginnen und Kollegen, das Projekt läuft, es fällt aber oder Rheinland-Pfalz ein – ihre Verordnungen bezüglich nicht vom Himmel. Der Antrag der FDP ist also über- der Quarantänepflicht für vollständig Geimpfte ange- flüssig wie ein Kropf. passt. Und das ist auch gut so. Aber was wir brauchen, (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) sind bundeseinheitliche Regeln. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Nächste Rednerin ist die Kollegin Anke Domscheit- Deshalb erwarten wir nun eine zügige Vorlage einer Bun- Berg, Die Linke. desverordnung. Das Instrument der Verordnung hat den (Beifall bei der LINKEN) Vorteil, schnell auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse reagieren zu können. Diese sind bei der Coronaimpfung Anke Domscheit-Berg (DIE LINKE): bekanntermaßen im Fluss. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Es gibt auch noch eine Menge offener Fragen. Die Kollegen! Ein Jahr nachdem wir die Corona-Warn-App bisherigen Erkenntnisse zur Infektiosität basieren auf bekommen haben, liegt nun ein Antrag der FDP zum den Daten der Impfstoffe, die bislang in der EU zuge- digitalen Impfpass vor. Für Ende Juni hat die Bundesre- lassen sind. Sind diese Annahmen und Erkenntnisse gierung ein digitales Impfzertifikat angekündigt. Die aber auch auf neue Impfstoffe übertragbar? Wie lange Auftragsvergabe im März machte doch einige kann man bei einer durchgemachten Erkrankung von Schlagzeilen. Die Umsetzung war mit fünf Blockchains einer ausreichenden Immunantwort ausgehen, und wie geplant, was keiner recht verstand. Aber schon im April Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28425

Anke Domscheit-Berg (A) wurde die Blockchain-Bazooka wieder eingepackt, und auch so etwas Ähnliches wie bei der Corona-Warn-App (C) die Umsetzung erfolgt nun auf Basis einer Public-Key- herauskommen kann, nämlich eine sichere und daten- Infrastruktur, die ich ein bisschen erklären muss; und da sparsame App. wird es etwas technisch. (Beifall bei der LINKEN) Das ist ein System, mit dem man digitale Zertifikate wie so ein Impfzertifikat erstellen, verteilen, aber auch Aber auch das Ökosystem muss stimmen. Darauf weist seine Echtheit dezentral überprüfen kann. Das alles soll der FDP-Antrag zu Recht hin. Bei der Corona-Warn-App sicher und verschlüsselt mit einer bekannten Technologie gibt es nach wie vor Defizite. Noch immer erhalten zu erfolgen, die zwar weniger hip ist als Blockchain, aber viele Getestete ihre Testergebnisse nicht über die Corona- passender und günstiger. Warn-App, und das führt natürlich zu Kritik und zu einem Plateau bei den Installationszahlen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Aber das ist keine hinreichende Garantie für Sicher- Entscheidend ist aber auch die Pflege. So hat die Coro- heit; denn die steht und fällt in einem solchen System na-Warn-App zwar seit einigen Tagen eine Check-in- mit dem Schlüsselmanagement. Ärzte, Krankenhäuser Funktion; die hätte aber auch schon im alten Jahr kom- und Impfzentren brauchen vertrauenswürdige Schlüssel, men können. Diese Verspätung macht Erfolge von sonst funktioniert das ganze Konzept nicht. Kein einziger Lückenfüller-Apps wie der Luca-App erst möglich. Schlüssel darf gestohlen werden. Weder in Krankenhäu- (Manuel Höferlin [FDP]: Das ist was anderes! sern, Arztpraxen noch Impfzentren darf ein IT-System Frau Kollegin, das wissen Sie doch besser, dass gehackt werden. Kein Mitarbeiter und keine Mitarbeite- die unterschiedliche Funktionen haben!) rin in einer dieser Einrichtungen darf zur Herausgabe gezwungen oder korrumpiert werden; denn wenn das Übrigens antwortet die Bundesregierung seit Wochen passiert, ist Betrug in großem Maßstab möglich und das nicht auf meine Nachfrage, wann sie eigentlich konkret Vertrauen in das Gesamtsystem „digitaler Impfnachweis“ davon erfahren und SAP damit beauftragt hat. Diesen erschüttert. Fehler jedenfalls sollte die Bundesregierung nicht wie- Es ist vor allem aber auch gesundheitsgefährdend, derholen. wenn diese Informationen nicht stimmen. Da mir der (Beifall bei der LINKEN) Stand der IT-Sicherheit im deutschen Gesundheitswesen halbwegs gut bekannt ist, die Risiken aber auch durch alle Wichtig bleiben allerdings die Wahlfreiheit und das anderen EU-Länder ins Gesamtsystem gebracht werden, Diskriminierungsverbot. Niemand darf zur Nutzung des beunruhigt mich die Umsetzung in der Praxis sehr. Ich digitalen Impfnachweises gezwungen werden. Die (B) kann versprechen: Die Linksfraktion wird da sehr genau geplante Alternative eines Papierausdrucks mit QR- (D) hinschauen. Code – scannbar an einer Prüfstelle – statt einer App (Beifall bei der LINKEN) reicht uns nicht. Auch andere Alternativen müssen mög- lich sein, nicht nur am Grenzübergang, auch in der Privat- Gut für die Sicherheit ist jedoch die Umsetzung in wirtschaft, zum Beispiel der traditionelle gelbe Papier- einer dezentralen Architektur, also Daten nur auf den ausweis. Smartphones zu speichern und nirgendwo auf zentralen Servern. Nach dem peinlichen Desaster um die hochge- Das Diskriminierungsverbot muss aber auch sicher- hypte Luca-App ist das eine erfreuliche Nachricht. Denn stellen, dass Ausnahmen von Einschränkungen auch mit viele sensible Daten von potenziell Millionen Bürgerin- anderen Alternativen möglich sind, zum Beispiel mit ak- nen und Bürgern auf zentralen Servern zu speichern, war tuell negativen Tests. Sonst gibt es ja möglicherweise noch nie eine gute Idee. völlig absurde Folgen wie ein indirektes Reiseverbot für Eltern mit ihren Kindern; denn bekanntlich gibt es ja noch (Beifall bei der LINKEN) gar keine Impfungen für Kinder. Dabei müssen allerdings Oder wie man bei uns in Brandenburg auf dem Land sagt: aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse berücksichtigt Man legt einfach nicht alle Eier in einen Korb. werden, um Gesundheitsgefährdungen Dritter auszu- schließen. Eine kontinuierliche Anpassung an die epide- (Heiterkeit bei der LINKEN – Jan Korte [DIE miologische Lage ist nötig; es gibt ja auch Mutanten, vor LINKE]: Genau! – Michael Grosse-Brömer denen Impfungen eventuell nicht mehr schützen. Daher [CDU/CSU]: Das müssen Sie mal den Hühnern fordert die Linksfraktion Forschung zur Immunität nach erklären!) Impfung oder Erkrankung. Weiterhin verspricht die Bundesregierung Umsetzung mit Open Source. Das fordert der Antrag der FDP zwar Gerade als linke Politikerin möchte ich aber unbedingt nicht, aber er spricht von stetiger und transparenter Infor- darauf hinweisen: Es gibt keine Erlösung von dieser Pan- mation über den Entwicklungsstand. Weil auch wir das demie durch egal welche digitalen Tools und Apps. sinnvoll finden, schlägt die Linksfraktion vor, die Lektio- (Jan Korte [DIE LINKE]: Genau!) nen aus der Entwicklung der Corona-Warn-App zu ler- nen, das heißt, angefangen beim Architekturdesign und Sie können nützlich sein. Entscheidend ist aber unser den Prozessen, alles auf einer Plattform wie zum Beispiel aller Verhalten. Wenn sie Sicherheit vorgaukeln, die nicht GitHub zu veröffentlichen, einen regen Austausch mit da ist, oder wenn sie korrumpiert worden sind, wenn sich der Community zu suchen und viele Fehler und Verbes- dadurch Menschen riskanter verhalten, erreichen sie serungspotenziale frühzeitig zu erkennen, damit am Ende exakt das Gegenteil. Die Linksfraktion wird daher ein 28426 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Anke Domscheit-Berg (A) wachsames Auge auf den praktischen Einsatz des digita- (Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche (C) len Impfnachweises haben und auch darauf, dass er zum [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ende der Pandemie in der Versenkung verschwindet. Das vorweg. (Beifall bei der LINKEN) Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Informationen Vizepräsident : zu Schwangerschaftsabbrüchen nichts im Strafrecht ver- Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des loren haben. § 219a gehört abgeschafft! Kollegen Höferlin? Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Ja. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank, Frau Kollegin Domscheit-Berg. – Nächs- te Rednerin ist die Kollegin Maria Klein-Schmeink, Frak- Manuel Höferlin (FDP): tion Bündnis 90/Die Grünen. Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage erlauben. – Sie haben uns jetzt vorgeworfen, Frau Kollegin, wir wür- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) den in unserem Antrag viel über Individualrechte und über die Wirtschaft sprechen, aber den Zusammenhalt Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- vernachlässigen. NEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Kollegen! Bevor ich in die Debatte um den digitalen NEN): Impfausweis einsteige, möchte ich noch mal ganz deut- Genau. lich sagen, anknüpfend an die Diskussion von gestern: Stand heute haben wir beinahe 30 000 Neuinfizierte. Wir haben insgesamt eine Situation, in der wir darüber Manuel Höferlin (FDP): sprechen müssen, wie wir eine wirksame Notbremse hin- Sind Sie der Meinung, dass das einem Ehepaar von bekommen, 70 Jahren zu vermitteln ist, das ein Jahr lang auf sein persönliches Umfeld Rücksicht genommen hat, die Enkel (Uwe Schulz [AfD]: Einfach mehr testen! nicht besucht hat, vielleicht über eine längere Zeit im Dann haben wir auch 300 000 neue! So einfach Alten- oder Pflegeheim regelrecht eingesperrt war und (B) ist das!) (D) jetzt endlich einen Impftermin hat? Wie wollen Sie diesen wie wir eine Trendumkehr hin zu Niedriginzidenzen hin- Menschen erklären, dass sie, obwohl sie geimpft sind und bekommen. Daran müssen wir uns alle beteiligen. Da mit extrem hoher Wahrscheinlichkeit nicht ansteckend geht es nicht nur um Individualrechte, sondern es geht sind, aus den Gründen, die Sie genannt haben – Solida- um Zusammenhalt, es geht um Solidarität. rität und Gemeinschaft –, weiterhin nicht am Wirtschafts- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN leben teilnehmen dürfen, ihre Enkel nicht besuchen dür- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und fen und aus falsch verstandener Rücksicht auf andere ihre der SPD) übrigens verfassungsrechtlich garantierten Freiheiten – das hat nichts mit politischen Entscheidungen zu tun – Es geht beispielsweise auch um die Solidarität von nicht wieder ausüben dürfen? Wie erklären Sie das mit Geimpften mit Nichtgeimpften. Solidarität? Hat das für Sie nichts mit individueller, ver- (Manuel Höferlin [FDP]: Es gibt Verfassungs- fassungsrechtlich garantierter Freiheit zu tun? rechte für Geimpfte! Das können Sie nicht mit (Beifall bei der FDP) „Solidarität“ wegwischen! Das ist doch Unsinn!) Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das will ich an dieser Stelle noch einmal klarstellen. NEN): Damit komme ich auch schon zu einem ganz wichtigen Sehr geehrter Herr Höferlin, es ist insgesamt ja Punkt, der mich an Ihrem Antrag von der FDP so stört. In bezeichnend, dass Sie genau diese Argumente in Ihrem diesem Antrag ist viel von Individualrechten, sehr viel Antrag überhaupt nicht angeführt haben; denn dann von der Stärkung der Wirtschaft die Rede. Aber was fehlt, müssten Sie ja darüber sprechen, wie wir insgesamt vor- sind genau die genannten Schlüsselwörter, um daran zu gehen. erinnern, dass wir den gesellschaftlichen Zusammenhalt brauchen; denn nur so werden wir diese Pandemie (Manuel Höferlin [FDP]: Es geht um den bekämpfen können. Impfnachweis!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Dittmar hat zu Recht angemerkt, dass im gestern sowie bei Abgeordneten der SPD) verabschiedeten Gesetz vorgesehen ist, dass eine entspre- chende Rechtsverordnung kommen soll, Gleichzeitig ist ganz wichtig: Wir können digitale Tools einsetzen, wie wir wollen – damit alleine werden wir (Manuel Höferlin [FDP]: Das ist aber verfas- diese Pandemie nicht bekämpfen. sungsrechtlich geboten!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28427

Maria Klein-Schmeink (A) und zwar auf der Grundlage der wissenschaftlichen heit; es gibt kein abschließendes Vorgehen. Das muss bei (C) Erkenntnisse, die wir brauchen. Danach ist es natürlich der Diskussion über den Impfausweis und über den Nach- so, dass diejenigen, die geimpft sind, wieder zusätzliche weis von Immunität berücksichtigt werden. Rechte erhalten müssen, Wir müssen gestuft, sorgfältig und umsichtig damit (Manuel Höferlin [FDP]: Nein, das sind ihre umgehen. Und dann ist das natürlich sinnvoll. Jeder Stu- Grundrechte, Frau Kollegin! – Daniel Föst fenplan innerhalb der Pandemie lebt davon, dass wir auch [FDP]: Grundgesetz!) den Nachweis darüber, ob jemand getestet ist, geimpft ist bzw. dann Einschränkungen zurückzunehmen sind. oder bereits erkrankt war und voraussichtlich deshalb für Darum geht es. einen bestimmten Zeitraum auch nicht ansteckend ist, einbeziehen. Davon habe ich aber gar nicht gesprochen, sondern ich habe davon gesprochen, dass, auch wenn wir die Indivi- Immer wieder werden wir gefordert sein, die wissen- dualrechte ernst nehmen, schaftlichen Grundlagen zu hinterfragen und zu gucken, (Manuel Höferlin [FDP]: Aha!) wie der Forschungsstand ist. Das ist in einer Pandemie nun einmal so. für uns natürlich trotzdem Zusammenhalt und Solidarität im Vordergrund stehen müssen; (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- (Manuel Höferlin [FDP]: Aber nicht für SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) Geimpfte!) Das alles kommt viel zu wenig vor in Ihrem Antrag. denn ansonsten wird es uns nicht gelingen, diese Pande- mie zu bewältigen. Was Sie im Kern gemacht haben, ist, das aufzuschrei- ben, was der Stand für jedermann von uns ist. Wir sind Kommen wir zurück zum Thema. Der aktuelle Stand froh, dass es europaweit Vorgaben für ein quelloffenes der medizinischen Wissenschaft ist: 5 bis 20 Prozent der Zertifikat gibt, in denen auch klargestellt ist, dass die geimpften Personen können sich weiterhin anstecken. Sie Europäische Datenschutz-Grundverordnung gelten haben dann aber wahrscheinlich sehr viel weniger Virus- muss, dass es interoperabel und auf Dauer anschlussfähig last, sind damit auch weniger ansteckend. Aber insgesamt sein muss zum Internationalen Impfausweis; denn dieser haben wir – Stand heute – einfach keine so klare Sach- ist ja eigentlich die maßgebliche Referenz. Das sind die lage, um sagen zu können: Wir können jeder geimpften Punkte, die wir brauchen. Da sind wir auf einem ganz Person sämtliche Freiheiten einfach so zurückgeben. – guten Weg, so wie ich es bisher beurteilen kann. Darüber Vielmehr werden wir weiterhin Acht geben müssen und bin ich ganz froh. (B) nur den Teil der Freiheitsbeschränkungen, der tatsächlich (D) massiv einschränkend ist, zurückfahren können. Gleich- Ich bin auch froh, dass es in die Corona-Warn-App zeitig brauchen wir aber die Akzeptanz von AHA-Re- integriert werden soll. Was wir jetzt schauen müssen, geln. Wir brauchen die Akzeptanz von Abstandsregeln ist, dass wir tatsächlich schnell genug sind, dass wir im- und der Maskentragepflicht in geschlossenen Räumen, mer wieder auch genug Forschungsgelder, beispielsweise im ÖPNV und in ähnlichen Situationen. Das muss wei- jetzt zur wissenschaftlichen Begleitung der Entwicklun- terhin Grundlage sein. gen der Virusvarianten und der Situation insgesamt, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bereitstellen, damit wir handlungsfähig bleiben. sowie bei Abgeordneten der SPD und der Ich sage Ihnen zum Schluss: Es wird dauerhaft nötig Abg. Karin Maag [CDU/CSU]) sein, solidarisch zu sein. Es wird noch sehr lange dauern, Und dann ist ein solcher Impfausweis natürlich sinnvoll. bis Kinder und Jugendliche geimpft sind. Welche Situa- Natürlich ist auch ein Nachweis darüber, dass man getes- tionen entstehen denn für Familien, wenn alle Welt meint: tet ist, sinnvoll. Aber wir müssen eine wissenschaftlich „Ich bin freigetestet, ich bin geimpft“, Familien aber hergeleitete Grundlage weiterhin Einschränkungen in Kauf nehmen müssen? Das alles müssen wir im Blick haben. Also: Freiheits- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN rechte, da, wo möglich, wieder zurückgeben, und gleich- sowie der Abg. Karin Maag [CDU/CSU], zeitig solidarisch bleiben. Sabine Dittmar [SPD] und [DIE LINKE]) Danke schön. und die ausreichende Sicherheit dafür haben, dass das, was da zugrunde gelegt wird, auch tatsächlich stimmt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Wir wissen, dass mit dem Neuauftreten der indischen Abg. Daniel Föst [FDP]) Variante neue Unsicherheit entsteht. Ich erinnere an die Entwicklung, die wir im Zusammenhang mit der Virus- variante B.1.1.7 seit Anfang Januar erlebt haben. Am Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Anfang wurde die Variante nur in ganz wenigen Fällen Vielen Dank, Frau Kollegin Klein-Schmeink. – Näch- nachgewiesen. Aber innerhalb von drei Monaten wurde ster Redner ist der Kollege Alexander Krauß, CDU/CSU- dieser Virustyp vorherrschend und macht nun einen Fraktion. Anteil von fast 90 Prozent der Infektionen in Deutschland aus. Wir wissen also: Es gibt keine abschließende Sicher- (Beifall bei der CDU/CSU) 28428 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

(A) Alexander Krauß (CDU/CSU): (Zuruf der Abg. Christine Aschenberg-Dugnus (C) Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- [FDP]) ren! Auch ich möchte mit einem kleinen Lob an die FDP anfangen: Schön, dass sie es geschafft hat, ausnahms- Das bringt uns besser und weiter voran weise mal einen konkreten Vorschlag zu machen. Wir (Manuel Höferlin [FDP]: Sind Sie zu viel im können ja mal an das zurückdenken, was wir in den letz- Wahlkreis? Kriegen Sie nicht mit, was hier pas- ten Tagen und Wochen vonseiten der FDP hier erlebt siert?) haben. als Ihr ständiges Herumnörgeln und Ihre ständig vorgeb- (Manuel Höferlin [FDP]: Wir machen perma- rachten Bedenken. nent konstruktive Vorschläge!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Bis gestern Abend haben Sie eigentlich bloß von früh bis ordneten der SPD) abends Ihre Bedenken vorgetragen. Sie haben gestern erst wieder Ihre Bedenken verfassungsrechtlicher Natur vor- Lassen Sie mich jetzt zum Inhalt des Antrags kommen. getragen, aber keine Vorschläge gemacht, Wenn jemand geimpft ist, dann kann er das Virus kaum (Manuel Höferlin [FDP]: Das stimmt über- noch übertragen. Ein vollständiger Impfschutz tritt haupt nicht! Wir haben lauter Änderungsanträ- 14 Tage nach der zweiten Impfung ein. Aber es ist eben ge gestellt!) kein hundertprozentiger Schutz, den man damit erwirbt. Deswegen bleibt es dabei, dass man Abstand halten muss, wie wir das Volllaufen der Intensivstationen verhindern dass man Hände waschen soll, dass das Lüften wichtig können; denn das ist notwendig, das brauchen wir. ist. All diese Hygieneregeln, die wir in den letzten Mona- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – ten eingeübt haben, bleiben weiterhin notwendig. Daniel Föst [FDP]: Zu welchen Aspekten ha- Ein digitaler Impfnachweis ist sinnvoll. Natürlich ist es ben wir denn Änderungsanträge gestellt?) am Sinnvollsten, diesen auf dem Handy zu haben; denn Sie haben im Wahlkampf mal plakatiert: „Bedenken vier von fünf Erwachsenen nutzen ein Mobilfunkgerät. second“. Was Sie derzeit machen, ist „Bedenken first“. Die Papierversion wird deshalb eher die Ausnahme, den- Das ist Ihre Strategie, die Sie derzeit fahren – getreu dem noch auch noch notwendig sein. Spruch von Kurt Tucholsky: „Wenn einer nichts hat: Wir hatten an dieser Stelle schon darüber gesprochen, Bedenken hat er.“ dass es einen europäischen Impfnachweis geben soll – die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Europäische Union arbeitet daran; wir haben hier auch schon darüber diskutiert –, wo eingetragen wird, wenn (B) neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE (D) GRÜNEN – Manuel Höferlin [FDP]: Was ha- jemand geimpft wird, wenn jemand negativ getestet wor- ben Sie denn gemacht? Wir haben lauter Ände- den ist, wenn jemand einen Antikörpernachweis vorlegen rungsanträge gestellt!) kann, also in letzter Zeit erkrankt war und wieder gesund ist. Das ist natürlich insbesondere für die Urlaubsländer – denken wir an Griechenland, denken wir an Italien – Vizepräsident Wolfgang Kubicki: wichtig, weil diese Länder nicht wollen, dass ihre Ge- Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des sundheitssysteme überfordert werden. Kollegen Professor Andrew Ullmann? Neu an dem, was wir jetzt diskutieren, ist, dass wir diesen Impfnachweis auch in die Corona-Warn-App in- Alexander Krauß (CDU/CSU): tegrieren. Das ist ein großer Vorteil, weil wir mit der Ich würde gern erst mal weitersprechen. Corona-Warn-App die erfolgreichste Tracing-App in Eu- (Manuel Höferlin [FDP]: Das glaube ich! Das ropa mit 27 Millionen Nutzern haben. Da lohnt es sich kann ich mir vorstellen! Haben Sie Bedenken natürlich, in diese Anwendung ein digitales Impfzertifi- gegen die Zwischenfrage?) kat zu implementieren. Ich würde mich freuen, wenn wir Er spricht ohnehin nach mir. es schon in den nächsten Monaten hinbekommen könn- ten, wenn man die App herunterlädt und auch die ent- Von früh bis abends haben Sie Ihre Bedenken aus sprechende Möglichkeit besteht, den Impfnachweis zu einem juristischen Elfenbeinturm vorgetragen. Erst vor integrieren. einem Monat haben Sie uns damit traktiert, als es um die Impfreihenfolge ging, die Sie unbedingt per Gesetz (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) festlegen wollten, das ginge gar nicht per Verordnung. Das ist eine sehr sinnvolle Lösung; denn wer geimpft ist, Jetzt sehen wir nach derzeitigem Stand: Es war richtig, kann und darf nicht eingeschränkt werden, sei es bei es so zu machen. Die Lösung funktioniert, und die Lö- Urlaubsreisen oder beim Friseurbesuch und Einkauf, wo sung ist auch rechtssicher. man jetzt zum Teil einen Nachweis über einen Negativat- (Beifall bei der CDU/CSU) test vorlegen muss. Deswegen: Lassen Sie uns in unserem Land anpacken! Der elektronische Impfnachweis ist ein großes Puzzle- Lassen Sie uns handeln! Liebe Oberbedenkenträger der teil, um zu einem halbwegs normalen Leben zurück- FDP, orientieren Sie sich einfach mal neu und machen Sie kehren zu können. Deswegen ermuntere ich uns alle, es so, wie Sie es jetzt mit Ihrem Antrag gemacht haben: insbesondere aber auch die Bundesregierung, daran wei- Machen Sie mal konstruktive Vorschläge! terzuarbeiten, nicht davon abzulassen und da weiter Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28429

Alexander Krauß (A) voranzukommen. Ich bin sicher, dass dies eine gute Mög- brauchen mehr Zeit für die Patienten. Wir brauchen (C) lichkeit sein wird, um zu einem halbwegs normalen mehr Zuwendungsmedizin. Wir brauchen auch mehr Leben zurückkehren zu können. Sicherheit und Effektivität im Gesundheitswesen. So Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. geht Digitalisierung, meine Damen und Herren! (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD – Jan Korte [DIE LINKE]: Biss- Für mich als Infektiologe ist der digitale Impfausweis chen viel Redezeit!) oder Impfpass etwas Essentielles, ein gutes Beispiel, wie Digitalisierung im Gesundheitswesen vorangehen kann. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Ich weiß nicht, ob Sie alle wissen, wo Ihr Impfausweis ist. Ich habe meinen Impfausweis rausgeholt. Zwölf Jahre alt Vielen Dank, Herr Kollege Krauß. – Nächster Redner ist diese Version, völlig zerfleddert. Es passiert immer ist der Kollege Professor Andrew Ullmann, FDP-Frak- wieder, dass Impftermine für die Auffrischung gar nicht tion. eingetragen sind. Sogar ich als Fachmann vergesse diese (Beifall bei der FDP – Tino Sorge [CDU/CSU]: Termine. Da ist natürlich eine digitale Form des Impfaus- Jetzt komm mal aus deinem Elfenbeinturm, weises mit Erinnerungsfunktion etwas ganz Tolles. Auch Herr Professor!) Versorgungsforschung kann das einbeziehen. Natürlich muss es EU-einheitlich, idealerweise auch international Dr. Andrew Ullmann (FDP): einheitlich sein. Es ist auch bequem, einen Impfausweis Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- im Computer immer griffbereit zu haben. Das kennen wir ren! Ich stehe hier mit einem Redekonzept in der Hand, alle. das ich nach den vorherigen Redebeiträgen über den Hau- Aber wie sieht es jetzt für die Pandemie aus? Auch da fen werfen kann. Was hier gesagt worden ist, geht auf haben wir die Chance, einen digitalen Nachweis einzu- keine Kuhhaut mehr. Bezogen auf die Rede von Herrn führen, dass man gegen SARS-CoV-2 geimpft ist. Auch Krauß frage ich mich ernsthaft: Wo waren Sie eigentlich das ist möglich. gestern in der Debatte über das Infektionsschutzgesetz? (Beifall bei der FDP) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Wir haben sechs Änderungsanträge eingebracht. Viel- Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage der leicht haben Sie sie gar nicht gelesen, sondern nur Ihre Kollegin aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen? Abstimmungskarten in die Urne geschmissen und nicht nachgedacht, über was Sie abgestimmt haben. Dr. Andrew Ullmann (FDP): (B) (D) (Beifall bei der FDP) Ja, sie darf. Kollege Tino Sorge, ich schätze Sie sehr, (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Wir können es auch gern bilateral machen!) (Tino Sorge [CDU/CSU]: Ich Sie auch!) aber Sie haben in der Debatte die Begriffe „Impfpass“ Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und „Impfnachweis“ verwechselt. Das sind zweierlei NEN): Dinge. Ich hätte erwartet, dass Sie mehr differenzieren Herr Ullmann, Danke schön, dass ich fragen darf. – Ich können. habe Ihnen zugehört. Sie haben sehr breit über den Impf- pass – tatsächlich – und die Chancen eines digitalen (Zuruf der Abg. Sabine Dittmar [SPD]) Impfpasses gesprochen. Aber Ihr gesamter Antrag Eines ist uns allen klar: Im Gesundheitswesen sind wir bezieht sich in sämtlichen Forderungspunkten auf den seit Jahren unterdigitalisiert. Mein Eindruck ist: Die Bun- digitalen Impfnachweis. Schauen Sie sich das einmal desregierung agiert, als wäre sie auf einem Sonntagsaus- sehr genau an und dann sehen Sie, dass genau das ver- flug: Wir tuckern mit der Regionalbahn durch die Lande, loren gegangen ist. gucken nach draußen und stellen fest, wie schön alles ist, Wenn wir uns jetzt schon darüber unterhalten: „Wie und wir reden ja miteinander. – Da läuft gar nichts. kommen wir im Gesundheitswesen mit der Digitalisie- (Beifall bei der FDP) rung voran?“, dann kann ich nur an die Wahlperiode Die Digitalisierung ist eine Herausforderung für die mit FDP-Gesundheitsministern erinnern. Ich kann mich Politik seit 2002 bzw. 2004. Bisher ist nichts passiert, auch noch sehr lebhaft an die Wahlkämpfe erinnern, weil außer Redebeiträge zu halten. in meinem Wahlkreis war. (Zurufe der Abg. Sabine Dittmar [SPD] und (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: War der Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE nicht mal Gesundheitsminister?) GRÜNEN]) Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Es ist hoch und heilig Sogar innerhalb der Europäischen Union sind wir bei der versprochen worden, dass diese elektronische Patienten- Digitalisierung auf den letzten Plätzen. Dabei geht es akte nicht kommt, und in genau dieser Wahlperiode, in nicht darum, Infrastruktur im Gesundheitswesen zu der die FDP maßgeblich beteiligt war, ist in Sachen Digi- schaffen. Diese muss selbstverständlich bürgerrechtskon- talisierung nichts passiert. form und datenschutzkonform sein. Es geht darum, dass (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wir Prozesse im Gesundheitswesen digitalisieren. Wir sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) 28430 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Maria Klein-Schmeink (A) Das ist die entscheidende Wahlperiode gewesen, in der Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) der Anschluss in der Digitalisierung verpasst worden ist. Kommen Sie zum Schluss, bitte. Das muss man an dieser Stelle deutlich sagen. Wenn Sie sich hier in Sachen Digitalisierung so aufplustern, sollten Sie sich doch daran erinnern. Dr. Andrew Ullmann (FDP): Die Digitalisierung im Gesundheitswesen muss Fahrt Deshalb will ich Sie als Fachmann, gerade auch für aufnehmen. Deklarieren Sie bitte nicht in diesem Jahr, Infektionskrankheiten, fragen: Wie können wir diesen dass die PDF-Datei der ePA ein Erfolg ist. Wir müssen Immunitätsausweis sachgerecht immer wieder so auf endlich unseren Turbo anschmeißen. den aktuellen Stand bringen, dass wir damit auch die Gefahren, die mit der Infektionslage verbunden sind, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: berücksichtigen? Herr Kollege, bitte.

Dr. Andrew Ullmann (FDP): Dr. Andrew Ullmann (FDP): Herzlichen Dank für diese Frage. – Das zeigt wieder Die Menschen unseres Landes haben es verdient. Ich einmal – Frau Klein-Schmeink, nichts für ungut –, dass freue mich auf die weitere Debatte. grüne Politik immer rückwärtsgewandt ist und darauf schaut, was in der Vergangenheit passiert ist. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP – Lachen beim BÜND- (Beifall bei der FDP – Michael Grosse-Brömer NIS 90/DIE GRÜNEN) [CDU/CSU]: Jetzt im ICE zurück zum Platz!) Ich denke, wir Freie Demokraten haben klar gezeigt, dass wir vorwärts gewandt sind und Zukunftsweisendes Vizepräsident Wolfgang Kubicki: für die Menschen in unserem Land erreichen wollen. Die Vielen Dank, Herr Kollege Ullmann. – Nächste Red- Menschen in diesem Land haben auch explizit verdient, nerin ist die Kollegin Heike Baehrens, SPD-Fraktion. dass wir uns hier weiterentwickeln. Es wäre schön, wenn (Beifall bei der SPD) auch die Grünen bei dieser Weiterentwicklung mitma- chen würden und nicht immer kritisieren, was damals vor 10, vor 20 oder vor 30 Jahren passiert ist. Es gibt Heike Baehrens (SPD): auch bei der grünen Politik genug Beispiele für Dinge, Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und die schiefgelaufen sind und wo heute andere Positionie- Kollegen! Wenn uns die Covid-Krise eines gelehrt hat, (B) rungen eingenommen werden. Ich denke, diese Art der dann: Wir brauchen ein europäisch abgestimmtes Han- (D) Diskussion ist wirklich nicht zielführend. Viel wichtiger deln. Nationale Alleingänge tragen nicht weit, sie führen ist, dass wir in der Politik vorwärtsgewandt sind und immer nur zu einer Verschiebung des Pandemiegesche- immer nach vorne schauen, wie es weitergeht. hens. Darum ist es ein wichtiger Schritt, dass es ab Juni einen digitalen europäischen Impfpass geben wird. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Kordula Natürlich müssen wir sehen, wie wir diese Gefahren Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) meistern können. Da kann die Digitalisierung natürlich viel helfen. Sie wird natürlich nicht bei allem helfen, das Wir brauchen eine übergreifende Steuerung der ge- ist für uns auch sehr klar. Aber von der SPD und auch von meinsamen Vorsorge- und Fürsorgepolitik. Hier will ich der Union wird immer nur diskutiert und nichts gemacht. einmal eine Lanze für die EU brechen. Sie steht vielfach Sie diskutieren darüber: Wir haben ja bald eine ePA, viel- in der Kritik, weil die Prozesse langsam und kompliziert leicht ab 1. Januar 2022. – Oder die EU diskutiert darü- sind. Aber ich frage Sie: Wo liegt eigentlich die Alter- ber, was sie mit einem Impfnachweis macht. Aber das native? sind immer nur Versprechungen. Wie häufig sind wir gerade in dieser Pandemie von Lockdown zu Lockdown (Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche vertröstet worden? Ich denke, diese Art der Politik brau- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) chen wir nicht. Ich kann Ihnen nur empfehlen, nach vorne Nein, wir müssen noch viel intensiver für eine europä- zu schauen und zukunftsgewandt auch hier auf moderne ische Gesundheitsunion eintreten. und gute innovative Medizin zu setzen. Mit vereinten Kräften können wir die Vorsorge- und So, ich komme zum Schluss meiner Rede. Reaktionsfähigkeit der EU stärken. Es ist wichtig, das ECDC, also das Europäische Zentrum für die Prävention (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr und Kontrolle von Krankheiten, zu stärken und natürlich gut!) auch die Europäische Arzneimittel-Agentur weiter auf- In dieser Pandemie ist es wichtig, meine Damen und zustocken. Herren, dass Geschwindigkeit und Gründlichkeit keine (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Kordula Gegensätze sind, sondern machbar. Wir sollten nicht Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) reden, wir sollten machen. Es wird Zeit, dass die Bundes- regierung aus der Regionalbahn aussteigt, umsteigt auf Schließlich – ich werde nicht müde, es zu wiederho- die Schnellstrecke der ICE; denn wir können uns das len –: Wir müssen diese Gesundheitskrise in ihrer globa- Vertrödeln der Zeit nicht mehr leisten. len Dimension erkennen und global handeln. Es ist ein Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28431

Heike Baehrens (A) gutes Signal, dass die Europäische Union den sechs nicht (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: So ist (C) zur EU gehörenden Balkanstaaten mit Impfdosen helfen es!) wird. Ich möchte daran erinnern, dass wir gestern eine Aus- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Kordula gangssperre ab 22 Uhr, spätestens ab 24 Uhr, beschlossen Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) haben. Ich denke jetzt weniger an die Abgeordneten, Aber auch das kann nur ein erster Schritt sein, dem sondern eher an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter rasch noch weitere folgen müssen, und zwar am besten des Deutschen Bundestages, die ja im Zweifel irgendwie über Covax, dem Verteilmechanismus für Impfstoffe der auch noch nach Hause kommen müssen. Weltgesundheitsorganisation. (Manuel Höferlin [FDP]: Nicht dass die gleich (Beifall der Abg. [SPD] hierbleiben müssen!) und Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]) Ich bitte die Parlamentarischen Geschäftsführer darum, sich bereits am Nachmittag Gedanken darüber Denn auch dies kann man nicht oft genug wiederholen: zu machen, was man vielleicht nicht notwendigerweise Es reicht nicht, wenn wir in Deutschland oder in Europa nach 23 oder 24 Uhr noch debattieren muss. Ich bitte auch das Impfen beschleunigen. Es ist zwingend notwendig, in die Kolleginnen und Kollegen, die nicht unbedingt reden absehbarer Zeit eine Grundimmunität in allen Ländern müssen, weil sie bereits aufgestellt worden sind, herzustellen. In dieser fortgeschrittenen Phase der Pande- mie kommt es darauf an, sich auf das Wesentliche zu (Heiterkeit – Beifall bei Abgeordneten der konzentrieren, CDU/CSU, der SPD und der FDP) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) mit sich selbst zurate zu gehen, nämlich mit aller Kraft die Impfstoffproduktion und Medikamentenentwicklung anzukurbeln und weltweit (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Es gibt gleichberechtigten Zugang sicherzustellen, Gesundheits- noch andere Gründe, warum man nicht redet!) systeme dort zu stärken, wo sie heute schwach sind, kon- ob der Debattenbeitrag unbedingt sein. Ich meine das sequent weiter zu testen und einfachere Testverfahren jetzt wirklich ernst. voranzutreiben und, ja, dabei natürlich auch die innova- tive Kompetenz der Digitalwirtschaft zu nutzen, wie wir Ich danke noch einmal der CDU/CSU -Fraktion. Ich es gerade diskutiert haben. habe selten Gelegenheit, jemanden aus der CDU/CSU -Fraktion zu loben; aber in diesem Fall mache ich das (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (B) besonders gerne. (D) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es muss doch klar sein, dass ein digitaler Impfpass (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – anschlussfähig sein muss, sowohl innerhalb der EU als Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Zu auch innerhalb der Vereinten Nationen. Denn kein Land Recht!) kann in dieser Situation dauerhaft mit nationalen Maß- Der Kollege Dirk Heidenblut, SPD-Fraktion, ist der nahmen allein erfolgreich sein. Für uns als SPD geht es letzte Redner in dieser Debatte. Er erhält jetzt das Wort. nicht ohne europäische und internationale Solidarität. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Dirk Heidenblut (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kol- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: leginnen und Kollegen! Herr Kollege Höferlin, alle Ach- Vielen Dank, Frau Kollegin Baehrens. – Der Kollege tung – wenn ich einen Hut hätte, würde ich ihn ziehen –: Stephan Pilsinger, CDU/CSU-Fraktion, und der Kollege Erst rüffeln Sie meine Kollegin Heike Baehrens für einen Maik Beermann, CDU/CSU-Fraktion, haben ihre Reden 1) Zwischenruf, den Sie bewusst missverstehen – Frau zu Protokoll gegeben. Baehrens gehört zu denen, die hier seit Monaten dafür (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und kämpfen, dass wir die Pandemie in den Griff bekom- der Abg. Dr. [BÜND- men –, und danach schaffen Sie es allen Ernstes, komplett NIS 90/DIE GRÜNEN]) an Ihrem Antrag vorbeizureden, Ich möchte, bevor ich dem nächsten Redner das Wort (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der erteile, dem Parlamentarischen Geschäftsführer der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/ CDU-Fraktion Grosse-Brömer ausdrücklich danken und DIE GRÜNEN]) darauf hinweisen, dass wir nach der bisherigen Planung bis morgen früh 4.10 Uhr hier sitzen würden. wobei Sie das gar nicht geschafft haben, wie ich festge- stellt habe. Denn der Kollege Ullmann hat ja deutlich Ich will daran erinnern, dass wir uns darauf verständigt gemacht, dass Sie beide offensichtlich gar nicht verstan- hatten, mittwochs länger zu tagen, damit donnerstags den haben, was Sie von der FDP für einen Antrag gestellt nicht nach 22 Uhr getagt werden muss. haben.

1) Anlage 3 (Beifall bei der SPD) 28432 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Dirk Heidenblut (A) Da Sie ihn nicht verstanden haben – das hat Ihnen die tion der AfD auf Drucksache 19/27197 abzulehnen. Wer (C) Kollegin Klein-Schmeink auch schon erklärt, und da den- stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt ke ich gerne an Ihre mahnenden Worte, Herr Präsident –, dagegen? – Wer enthält sich? – Keiner. Dann ist diese lohnt es sich gar nicht, hier groß über Ihren Antrag zu Beschlussempfehlung gegen die Stimmen der AfD-Frak- diskutieren. tion mit den Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses (Manuel Höferlin [FDP]: Dann setzen Sie sich angenommen. doch wieder hin, Herr Kollege!) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf: Das können wir dann im Ausschuss machen. Viel Sinn Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- macht er nicht. Für die Bekämpfung der Coronapandemie gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die macht er auf jeden Fall keinen Sinn. Da hätte es mehr unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lie- Sinn gemacht, über die Sorgen und Nöte von Kindern aus ferketten Familien mit Suchtproblemen und aus psychisch belaste- ten Familien zu reden. Drucksache 19/28649 (Manuel Höferlin [FDP]: Wenn Sie den Antrag Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) nicht verstehen, hören Sie doch auf, zu reden!) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Den AfD-Antrag lehnen wir eh ab. Denn Bremsklötze Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft zu schmeißen und Nebelkerzen zu werfen, um aus der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Sache herauszukommen, macht keinen Sinn. Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ich bedanke mich bei den Kollegen der CDU/CSU und Haushaltsausschuss höre jetzt auch auf. Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten Vielen Dank. beschlossen. – Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – zügig den Platzwechsel vorzunehmen. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Gute Ich eröffne die Aussprache. Wir haben uns hier im Rede! – Manuel Höferlin [FDP]: Das war die Präsidium gerade darauf verständigt, dass ich als ersten beste Mitteilung des Tages, Herr Heidenblut!) Redner den Kollegen Dr. Sascha Raabe, SPD-Fraktion, aufrufe. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall bei der SPD) Herzlichen Dank, Herr Kollege Heidenblut. – Damit (B) ist die Aussprache beendet. (D) Wir kommen zur Abstimmung. Tagesordnungspunkt Dr. Sascha Raabe (SPD): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle- 12 a. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf gen! Am Samstag jährt sich zum achten Mal das furcht- Drucksache 19/28768 an die in der Tagesordnung aufge- bare Unglück von Rana Plaza, als in Bangladesch eine führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist Textilfabrik zusammenbrach und über 1 200 Menschen jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD das Leben verloren, vor allem junge Frauen. wünschen Federführung beim Ausschuss für Gesundheit. Die Fraktion der FDP wünscht Federführung beim Aus- Ich war ein Jahr später, im Jahr 2014, mit zwei Kol- schuss Digitale Agenda. legen vor Ort und habe natürlich auch mit den Überleb- Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungsvor- enden gesprochen. Aber ich sage Ihnen: Vielleicht das schlag der Fraktion der FDP. Wer stimmt für diesen Über- bitterste und eindringlichste Erlebnis, das ich auf Dienst- weisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun- reisen in den ganzen 19 Jahren bisher hatte, war, als wir gen? – Keine. Dann ist der Überweisungsvorschlag gegen zu dem Unglücksort gegangen sind. Da war immer noch, die Stimmen der FDP-Fraktion mit den Stimmen der über ein Jahr später, ein Trümmerfeld, aus dem die Toten übrigen Fraktionen des Hauses abgelehnt. noch nicht geborgen waren. Das heißt, Sie stehen dort auf Erde, auf Stein, auf Trümmern, untendrunter liegen noch Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor- die toten Menschen, und dann sehen Sie zwischen den schlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Feder- Steinen, aus der Erde rausragend, Markenetiketten und führung beim Ausschuss für Gesundheit. Wer stimmt Preisschilder von in Deutschland und Europa bekannten für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dage- Textilfirmen, und Sie wissen, Sie sind jetzt nicht in einem gen? – Enthaltungen? – Keine. Dann ist der Überwei- Textilgeschäft, wenn Sie diese Markenetiketten sehen, sungsvorschlag gegen die Stimmen der FDP-Fraktion sondern Sie stehen auf einem Friedhof. mit den Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses angenommen. Ich sage Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wenn man so etwas hautnah spürt und erlebt, lässt einen das Tagesordnungspunkt 12 b. Wir kommen zur Be- nicht los, und dann weiß man auch, dass wir eine Verant- schlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit zu wortung haben, dass so etwas niemals wieder passiert, dem Antrag der Fraktion der AfD mit dem Titel „Die meine sehr verehrten Damen und Herren. Corona-Impfpflicht durch die Hintertür verhindern – Die Einführung des digitalen Corona-Impfpasses stop- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ pen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der fehlung auf Drucksache 19/28045, den Antrag der Frak- CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28433

Dr. Sascha Raabe (A) Deswegen bin ich dankbar, dass Entwicklungsminister Dr. Sascha Raabe (SPD): (C) Gerd Müller gemeinsam mit unserem Arbeitsminister – dass Menschen keine Hungerlöhne mehr gezahlt be- Hubertus Heil gekämpft hat, dass wir jetzt gegen viele kommen, dass Ausbeutung kein Wettbewerbsvorteil Widerstände – auch von Wirtschaftsseite und leider auch mehr sein darf. Dafür werden wir kämpfen und diesen vom Wirtschaftsminister – einen Gesetzentwurf vorle- Gesetzentwurf durchbringen. gen, der Unternehmen in die Verantwortung nimmt, da- Vielen Dank. mit sie ihre menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten künf- tig einhalten müssen und damit Verantwortung nicht (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie weiter nur freiwillig ausgeübt werden darf. Noch einmal bei Abgeordneten der CDU/CSU) meinen herzlichen Dank dafür! Ich weiß, dass du, Gerd, in deiner Fraktion da viel geleistet hast, aber auch Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Hubertus mit seinen vielen Vorhaben bis tief in die Nacht dafür gekämpft hat. Ganz herzlichen Dank dafür! Nächster Redner ist der Kollege Markus Frohnmaier, AfD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD) (Beifall bei der AfD)

Das ist heute ein historischer Tag, weil wir wirklich Markus Frohnmaier (AfD): von der Freiwilligkeit zu einer gesetzlichen Regelung Vielen Dank, Herr Präsident. – Man kann es eigentlich kommen. Denn Menschenrechte dürfen nicht freiwillige fast gar nicht mehr hören, wie über so ernste Themen Angelegenheit sein, sondern es muss eine Pflicht, eine immer wieder gesprochen wird. Was soll denn an der Selbstverständlichkeit sein, dass Menschenrechte einge- Stelle immer das Moralisieren, Kollege Raabe? Sie müs- halten werden. sen doch den Leuten da draußen mal erklären, was dieses Lieferkettengesetz eigentlich bedeutet und ist. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem (Bernd Rützel [SPD]: Ja, was bedeutet es BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- denn?) ordneten der CDU/CSU) Ausschließlich deutsche Unternehmen sollen dazu All diejenigen, die jetzt sagen: „Ja, die Regierungen verpflichtet werden, überall auf der Welt soziale und sollen doch dafür sorgen, dass Menschen- und Arbeit- ökologische Standards durchzusetzen. Das ist eine Ver- nehmerrechte eingehalten werden“, sind die gleichen schiebung, weg von den Regierungen der Entwicklungs- länder hin zu ausschließlich deutschen Unternehmen. Die (B) Kräfte, die sich immer dagegen sperren, wenn es darum (D) geht, EU-Handelsverträge gerecht zu gestalten, nämlich sollen wie so eine Art globale Lieferkettenpolizei fungie- mit Sanktionsmechanismen bei Verstößen. Auch Minister ren. Das muss man sich mal überlegen! Wie soll denn das Altmaier vertritt leider diese Position. Nein, ich sage: Wir funktionieren? Das ist doch völlig absurd, was Sie hier brauchen faire Handelsabkommen, in denen Verstöße ge- heute umzusetzen versuchen, meine Damen und Herren. gen Menschen- und Arbeitsrechte sanktioniert werden. (Beifall bei der AfD – Zuruf des Abg. Die Regierungen müssen die Verantwortung überneh- Dr. Sascha Raabe [SPD]) men. Aber die Unternehmen dürfen sich da nicht ihrer Verantwortung entziehen nach dem Motto: Wenn mich Das ist auch ein Angriff auf alle deutschen Unterneh- keiner kontrolliert, kann ich machen, was ich will. mer da draußen, die sich trauen, im Ausland zu investie- ren, die schon lange die höchsten Standards im Bereich Vizepräsident Wolfgang Kubicki: der Ökologie und der sozialen Fragen an den Tag legen. Ich kann nicht nachvollziehen, warum man hier so etwas Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte. auf diese Art und Weise kodifizieren will. (Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Dr. Sascha Raabe (SPD): SES 90/DIE GRÜNEN) Deswegen ist es heute eine historische Stunde, wenn Man muss sich doch mal die Frage stellen, wie so was wir diesen Gesetzentwurf einbringen. in der Praxis aussieht. Wie soll so was in der Praxis funk- tionieren? Nehmen wir doch mal einen Unternehmer, der Vizepräsident Wolfgang Kubicki: meinetwegen Halbleiterteile herstellt. Der hat 15 oder Herr Kollege! 20 Mitarbeiter, und als Kunden hat er jetzt ein Unterneh- men, das unter Ihr Lieferkettengesetz fällt. Ich hatte die Gelegenheit, mit jemandem darüber zu sprechen, den es betreffen wird. Das Unternehmen, das das Lieferketten- Dr. Sascha Raabe (SPD): gesetz jetzt zu beachten hat, wird natürlich darauf drän- Das wird dazu führen, dass Millionen Kinder nicht gen, dass auch die kleinen Zulieferer mit 15, 20, 30 Mit- mehr auf Kakaoplantagen und in Bergwerksminen arbeitern in der Lage sind, dieses Lieferkettengesetz mit schuften müssen, – zu beachten; denn es geht ja nur so, dass das große Un- ternehmen, das darunter fällt, darauf besteht, dass der Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Zulieferer in der Lage ist, die Lieferkette transparent zu Herr Kollege, kommen Sie jetzt bitte zum Schluss. gestalten. 28434 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

(A) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall bei der AfD – Marianne Schieder (C) Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der [SPD]: Selten so viel Unkenntnis und Ignoranz CDU/CSU-Fraktion? gehört!)

Markus Frohnmaier (AfD): Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Nein, ich möchte weitermachen. – Was sagt denn die Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner ist Bun- CDU dazu? Das muss man sich doch einfach mal an- desminister Dr. Gerd Müller für die Bundesregierung. schauen. Es ist keine zwei Monate her, dass wir hier saßen und ein Kollege mit dem Namen Lämmel gesagt (Beifall bei der CDU/CSU) hat – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten –: Man muss für unsere Fraktion ganz klar sagen: Ein Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche Lieferkettengesetz auf nationaler Ebene ist nicht der Zusammenarbeit und Entwicklung: Weg, den wir einschlagen wollen. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist die soziale Frage des 21. Jahrhunderts, ob wir vom freien Meine Damen und Herren von der CDU, nur 15 Tage hat zum fairen Handel in globalen Lieferketten kommen. es gedauert, bis Sie umgefallen sind. Herzlichen Glück- Sascha Raabe und ich, wir haben die Trümmer von wunsch, Sie haben der FDP als Umfallerpartei wirklich Rana Plaza gesehen. Am Samstag vor acht Jahren – du den Rang abgelaufen! hast es gesagt – haben 1 138 Frauen ihr Leben unter den (Beifall bei der AfD) Trümmern verloren. Der Skandal war: Die Frauen haben Noch eines muss man an der Stelle vielleicht sagen: zwei Tage davor darauf hingewiesen, dass sie Risse in Was bedeutet das denn entwicklungspolitisch? Wir hatten den Mauern entdeckt haben, und das Management hat so was ja schon mal. Die Amerikaner haben das im Rah- angewiesen: Ihr habt keine Rechte, ihr habt weiter- men des Dodd-Frank Act geregelt. Es haben sich darauf- zuarbeiten; für 14 Cent in der Stunde arbeitet ihr hier hin amerikanische Unternehmen beispielsweise aus dem 14 Stunden am Tag, 6 Tage die Woche. Und sie gingen Kongo zurückgezogen. Dann wurde Platz frei, und den ins Verderben. – Wir gedenken heute der toten Frauen haben die Chinesen eingenommen. von Rana Plaza. (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der NEN]: Sie sollten sich mal damit auseinander- LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- setzen! Erst informieren und dann babbeln!) NEN sowie bei Abgeordneten der FDP) Arbeitsplätze sind verloren gegangen, und die Arbeits- Ich sage Ihnen, Sie werden ein anderer Mensch und ein (B) bedingungen der Menschen vor Ort haben sich ver- anderer Politiker, wenn Sie mit den Überlebenden spre- (D) schlechtert. Das ist doch die Realität, die man beachten chen. Mein Blick auf Profitmaximierung durch die Glo- muss. balisierung des Handels in internationalen Lieferketten hat sich geändert. Externalisierung und Auslagerung der Also in Summe: Sie plündern und zersetzen die deut- Produktion in Entwicklungsländer, das kann nicht unser sche Wirtschaft mit diesem Gesetz. globales Wirtschaftsmodell sein. (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Oh!) Meine Damen und Herren, wir können und dürfen nicht die Augen verschließen vor der Ausbeutung von Sie sorgen dafür, dass es den Menschen in den Entwick- Kindern, Mensch und Natur. Dabei geht es nicht nur um lungsländern schlechter geht. Das ist Gutmenschentum in die Textilfabrik Rana Plaza, sondern es geht weit darüber Reinkultur, meine Damen und Herren, und das werden hinaus. Ich sage hier sehr deutlich: Es geht auch um die wir in der Form nicht mittragen. Verseuchung des Meeres, der Mangrovenwälder, der (Beifall bei der AfD – Kerstin Tack [SPD]: Wer Umwelt im Nigerdelta durch Ölmultis und um die Aus- von Menschen nichts hält, der braucht auch beutung von Kindern auf Kaffee-, Kakao-, Baumwoll- keine Menschenrechte!) plantagen oder für unsere Grabsteine in Steinbrüchen. – Ich habe Kinder in Indien getroffen, die aus diesem Joch Ich komme dann zum Ende befreit wurden; und ich habe ihnen versprochen: Wir (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des helfen euch, und wir ändern das; wir tun, was notwendig BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ist. und bitte Sie, dass Sie wirklich noch mal darüber nach- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) denken, ob Sie solche Gesetzentwürfe hier diskutieren wollen. Es kann nicht sein, dass deutsche Unternehmen 80 Millionen Kinder arbeiten als Arbeitssklaven für plötzlich weltweit die Lieferkettenpolizei sein sollen. uns, die Reichen auf der Sonnenseite des Planeten, für unsere Produkte. Meine Damen und Herren, Hubertus (Kerstin Tack [SPD]: Peinlich! Ganz peinlich! Heil und ich haben zusammen mit den Koalitionsfraktio- Schämen sollten Sie sich!) nen das deutsche Textilbündnis umgesetzt. Auf der Basis Es ist Aufgabe von Regierungen, dafür zu sorgen, dass von Freiwilligkeit sind 50 Prozent dabei. Mich freut ganz auf dem eigenen Staatsgebiet Arbeitnehmerrechte, öko- besonders – das können Sie heute in der Zeitschrift „Tex- logische und soziale Standards durchgesetzt werden, und tilWirtschaft“ nachlesen –, dass auch die Verbände im nicht ausschließliche Aufgabe deutscher Unternehmen, Bereich Textilwirtschaft Zeichen setzen, Maßstäbe set- meine Damen und Herren. zen. Es geht! Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28435

Bundesminister Dr. Gerd Müller (A) (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Die UN-Menschenrechtscharta und die SDG-Agenda (C) NEN]: Genau!) sind der Weg in eine bessere, gerechtere Globalisierung und Zukunft. Deshalb: Machen wir unsere Politik enkel- Große und kleine Firmen können im Zeitalter der Digita- tauglich und schöpfungstauglich. Heute, am World Earth lisierung Lieferketten verfolgen. Eine Pionierin ist Antje Day, ist das Lieferkettengesetz unser Beitrag dazu. von Dewitz. Schauen Sie sich ihren Betrieb an, der beim „Grünen Knopf“ mitmacht. Antje von Dewitz geht Herzlichen Dank. 30 Jahre voraus. Ein kleines Unternehmen zeigt, es (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) geht, Gerechtigkeit in den Lieferketten umzusetzen. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vielen Dank, Herr Minister Müller. – Als nächster Deshalb danke ich diesen Pionieren, ich danke den Redner erhält das Wort Carl-Julius Cronenberg, FDP- Kirchen, der Welthungerhilfe, dem DGB, allen, die mit- Fraktion. geholfen haben. Wir haben diesen ersten wichtigen (Beifall bei der FDP) Schritt gemeinsam geschafft, gemeinsam mit vielen NGOs und vielen, die uns unterstützen. Gemeinsam ha- ben wir, sein und mein Team, dieses Projekt auf den Weg Carl-Julius Cronenberg (FDP): gebracht. Wir beide, Hubertus Heil und ich, wir sind Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heu- Freunde geworden, te geht es um Menschenrechte und den Kampf gegen Kinderarbeit. Dazu will die Bundesregierung deutschen (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Unternehmen ein Risikomanagement und Dokumenta- Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN tionspflichten auferlegen. Mein Gefühl sagt mir: Millio- und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – nen Kinder in den Minen und auf den Feldern erwarten Beifall des Bundesministers Hubertus Heil – vielleicht etwas anderes als Risikomanagement und Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Über Dokumentationspflichten. Sie wollen zur Schule gehen, dieses Projekt, ja?) eine Ausbildung machen und wünschen sich berufliche Perspektiven. Die Kinder der Welt erwarten, dass ihre – Ja. – Auch er hat sich verändert, als er mit den Frauen in Eltern unter menschenwürdigen Bedingungen arbeiten Äthiopien gesprochen hat, also die realen Zustände gese- und dass sich ihr Heimatland an die UN-Leitprinzipien hen hat. für Menschenrechte hält. Wir Freien Demokraten stehen dabei an ihrer Seite, liebe Kolleginnen und Kollegen. Meine Damen und Herren, das Lieferkettengesetz (B) kommt. Das war ein langes Ringen; das ist ein guter (Beifall bei der FDP) (D) Kompromiss. Hermann Gröhe und meine Freunde in Wir diskutieren auch über Verantwortung deutscher der Unionsfraktion werden auf die Details eingehen. Unternehmen in der Welt. Wichtig sind die Umsetzung des Verbots von Kinderar- (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) beit und die Stärkung der Menschenrechte, und dies, ohne die Wirtschaft zu überfordern. Dieses Gesetz gilt ab Ich stelle mit Bedauern fest: Das Gesetz atmet den Geist 2023; darauf wird der Arbeitsminister eingehen. Wir ha- des Misstrauens. Es wird bewusst der Eindruck erweckt, ben eine Übergangsfrist; wir haben das Ganze mittel- Kinderarbeit und Ausbeutung würden billigend in Kauf standsfreundlich gestaltet. Es ist umsetzbar; es gibt eine genommen. abgestufte Verantwortung. ( [DIE LINKE]: Haben Sie den Das ist die deutsche Initiative für eine Vorlage für die Aktionsplan gelesen oder nicht?) EU-Kommission. Diese Initiative muss die Basis einer Liebe Kolleginnen und Kollegen, die ganze Welt sieht europäischen Regelung werden. das anders. Wohin wir reisen, fragen unsere Gastgeber: Wann kommen die Deutschen und investieren? Denn die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Welt weiß: Deutsche Investitionen bringen faire Löhne der SPD und des Abg. Dr. Wolfgang und Arbeitsbedingungen, oft auch Aus- und Weiterbil- Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dung. NEN]) (Beifall bei der FDP) Die sozialen und ökologischen Standards müssen welt- Handel und Investitionen unserer Unternehmen in Ent- weit Standard werden. Meine Damen und Herren, ich wicklungsländern schaffen nicht nur Arbeitsplätze hier, betone: weltweit, nicht nur in der Produktion und in der sie führen auch viele Menschen aus der Armut und Per- Industrie, sondern auch bei Dienstleistungen, auch bei spektivlosigkeit dort. Deutsche Unternehmen sind Teil Finanzdienstleistungen. Die WTO wird und muss folgen. der Lösung und nicht des Problems. Es ist an der Zeit, Ich habe Dr. Ngozi Okonjo-Iweala, die neue Vorsitzende, dass Sie das endlich anerkennen. vor 14 Tagen besucht. Sie steht als Nigerianerin an der Spitze für einen neuen Kurs der WTO, für eine gerechte (Beifall bei der FDP) Globalisierung. Wir stehen an ihrer Seite. Der freie Welt- Herr Minister Müller, auf die Frage des Kollegen handel muss ein fairer Welthandel werden. Dr. Hoffmann in der Regierungsbefragung gestern, ob das Gesetz eventuell deutsche Auslandsinvestitionen in (Beifall bei der CDU/CSU) Entwicklungsländern behindere, lautete Ihre Antwort 28436 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Carl-Julius Cronenberg (A) weder ja noch nein. Sie antworteten lapidar: Das Gesetz Dort, zum Beispiel in der Kobaltmine oder auf den Bana- (C) ist ein Meilenstein. Mit Verlaub: Wer die Einführung nenplantagen, müssen Unternehmen ihre Risiken nur einer Verpflichtung zur Dokumentation über die Einhal- anlassbezogen ermitteln und ausschließlich dann etwas tung von Sorgfaltspflichten als Meilenstein feiert, dem unternehmen, wenn sie substantiierte Kenntnis über geht es nicht um Menschenrechte, sondern der lenkt eine mögliche Menschenrechtsverletzung erlangen. Das vom Scheitern seiner eigenen Entwicklungspolitik ab. ist eine Aufforderung zum Wegschauen; denn je weniger Er kapituliert in Wahrheit vor den Autokraten dieser die Unternehmen wissen, desto weniger müssen sie han- Welt. Es ist allenfalls ein Meilenstein im Bürokratieauf- deln. Dies widerspricht dem präventiven Grundgedanken bau. der UN-Leitprinzipien fundamental und muss dringend verändert werden. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD) (Beifall bei der LINKEN) Die Regierung gibt vor, nur große Unternehmen seien Zweitens. Menschen, die im Ausland von Schäden betroffen. Das ist entweder Augenwischerei oder Igno- durch Sorgfaltspflichtverletzungen betroffen sind, müs- ranz. Selbstverständlich werden große Unternehmen ihre sen vor deutschen Gerichten klagen können. Nur eine mittelständischen Zulieferer in Deutschland ebenfalls in zivilrechtliche Haftungsregel gewährleistet dieses Recht. die Pflicht nehmen. Nicht in der Pflicht ist dagegen Ama- Die geplante Ausweitung der Vertretung von Betroffenen zon, genau wie alle anderen Plattformen oder ausländi- durch NGOs oder Gewerkschaften ist ein Ansatz, löst sche Unternehmen mit Zweigstellen nur in Deutschland. dieses Problem aber nicht. Ohne die Haftung fehlt dem Gesetz sein schärfstes Schwert. Dieses Gesetz führt zum Rückzug der Anständigen und verdrängt den Mittelstand. Da müssen Sie nachbes- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- sern, aber dringend. Und das geht auch: Schaffen Sie neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Safe-Harbor-Lösungen, beugen Sie Doppeldokumenta- Drittens. Das UN-Leitprinzip Nummer 14 macht tionen vor, helfen Sie mit bei Positiv- und Negativlisten. unmissverständlich klar: Alle Unternehmen tragen die Wenn Sie dann ein attraktives Paket geschnürt haben, das Verantwortung für die Achtung der Menschenrechte. die Unternehmen motiviert, mitzumachen, dann fahren Bleibt es bei der derzeitigen Regelung von Unternehmen Sie nach Brüssel und werben dafür. Dann haben Sie uns ab 1 000 Mitarbeitenden, wäre von dem Gesetz jedoch an Ihrer Seite. Die Kinder in den Minen und auf den nur circa 0,1 Prozent der deutschen Wirtschaft betroffen. Feldern werden es Ihnen danken. Das darf so nicht sein. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (B) neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (D) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Auch Unternehmen ab 250 Mitarbeitenden haben die Vielen Dank, Herr Kollege Cronenberg. – Nächste Mittel, Sorgfaltspflichten in ihren Lieferketten zu erfül- Rednerin ist die Kollegin Eva-Maria Schreiber, Fraktion len. Kleine und mittlere Unternehmen in Risikosektoren Die Linke. wie der Automobil- oder Textilindustrie müssen ebenfalls dazu verpflichtet werden, im Rahmen ihrer Möglichkei- (Beifall bei der LINKEN) ten aktiv zu werden. (Beifall bei der LINKEN) Eva-Maria Schreiber (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Minister Müller Mit diesen gravierenden Lücken dürfen wir dieses Ge- und Heil! Kolleginnen und Kollegen! Auf den ersten setz nicht verabschieden; sonst besteht die Gefahr, dass es Blick scheint die Einigung auf ein Gesetz für menschen- kaum Wirkung hat und im schlimmsten Falle den Prozess rechtliche Sorgfaltspflichten von Unternehmen erfreu- auf europäischer Ebene ebenfalls aufweicht. Bessern Sie lich. Endlich gäbe es die Chance, Menschenrechte und nach! Gerechtigkeit in der deutschen Wirtschaft stärker zu ver- Danke schön. ankern. Das ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. (Beifall bei der LINKEN) Trotzdem: Auf Druck der Wirtschaftsverbände sowie unter freundlicher Mithilfe des Bundeswirtschaftsminis- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: ters – der ist jetzt gerade nicht da; warum? – wurde der Vielen Dank, Frau Kollegin Schreiber. – Als nächster anfangs so gute Gesetzentwurf massiv verwässert. Wie- Redner hat das Wort der Kollege Uwe Kekeritz, Fraktion der einmal haben sich die Lobbyisten durchgesetzt. Die Bündnis 90/Die Grünen. Linke will den Entwurf in mehreren Punkten nachbes- sern. Drei möchte ich erwähnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Erstens. In vollem Umfang beziehen sich Sorgfalts- pflichten derzeit nur noch auf direkte Vertragspartner. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist absurd; denn die meisten Menschenrechtsverlet- Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir zungen passieren am Anfang der Lieferketten und treffen streiten schon lange gemeinsam mit Kirchen, Gewerk- damit häufig die Ärmsten der Armen. Gerade sie gilt es, schaften, NGOs, Wissenschaft, national und international zu schützen. für ein wirksames Lieferkettengesetz, das die UN-Vorga- ben umsetzt, zu denen wir eigentlich schon lange durch (Beifall bei der LINKEN) internationale Verträge verpflichtet sind. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28437

Uwe Kekeritz (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) Ich möchte den Ministern Heil und Müller dafür danken, Vielen Dank, Herr Kollege Kekeritz. – Und nun, liebe dass wir heute darüber sprechen können. Aber Minister, Kolleginnen und Kollegen, lauschen wir den Worten des die eine solche Fraktion zum Gegner haben, können Bundesministers Hubertus Heil für die Bundesregierung. natürlich nicht wirklich erfolgreich sein. Deshalb bleibt (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Hermann Ihr Entwurf auch klar hinter seinen Möglichkeiten zu- Gröhe [CDU/CSU]) rück. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Sozia- les: So ist es völlig inakzeptabel, dass die Umweltverant- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und wortung nur halbherzig berücksichtigt wird, und die von Kollegen! Kaum ein anderes Land in der Welt profitiert Ihnen gewählte Unternehmensgröße sorgt letztlich dafür, so stark von der arbeitsteiligen Wirtschaft wie unsere dass die meisten Unternehmen nicht für etwaige Men- Bundesrepublik Deutschland. Das sichert Wohlstand schenrechtsverstöße zur Verantwortung gezogen werden und Arbeitsplätze in unserem Land. Aber, Herr Kollege, können. Das Gesetz könnte hier sogar als Freibrief ver- daraus ergibt sich auch eine besondere Verantwortung: standen werden. Besonders schwer wiegt aber die Tat- für Menschenrechte, für anständige Arbeitsbedingungen sache, dass Sie die zivilrechtliche Haftung schlicht igno- weltweit, für die Globalisierung, die wir fair und mensch- rieren. Sie warten auf Europa. Das funktioniert nicht; das lich gestalten wollen. muss hier umgesetzt werden. Ja, es gibt eine staatliche Verantwortung, bei Handels- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN verträgen beispielsweise, oder auch bei Investitions- und bei der LINKEN) schutzabkommen, um ein aktuelles europäisches Beispiel zu nennen. Zugleich gibt es aber auch Unternehmensver- Ihr Entwurf verstößt auch klar gegen die UN-Leitprin- antwortung für Menschenrechte und faire Arbeit, und zipien, indem Sie die Lieferkette im Prinzip nur auf die genau deshalb ist das Lieferkettengesetz heute ein Mei- direkten Vertragspartner beschränken. Damit stellen Sie lenstein. gezielt und bewusst besondere Problembereiche wie die Landwirtschaft, den Bergbau, die Fischerei und andere (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Hermann außerhalb des Gesetzes. Diese Regierung hat offensicht- Gröhe [CDU/CSU]) lich noch nicht verstanden, dass es ihre Aufgabe ist, für Wer global wirtschaftet, wer global Gewinne macht, alle Unternehmen die gleichen Rahmenbedingungen zu muss auch global Verantwortung übernehmen. Diesen (B) setzen, die nachhaltig und menschenrechtskonform sein Grundsatz schreiben wir mit unserem Lieferkettengesetz (D) müssen. zukünftig rechtsverbindlich fest. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Weltweit werden fast 25 Millionen Menschen in Zwangsarbeit ausgebeutet. 152 Millionen Kinder sind Ein solches Gesetz muss auch dafür sorgen, dass deut- Opfer von Kinderarbeit. Und die Schädigung der Umwelt sche Konsumartikel nicht mehr durch die Länder des ist in internationalen Lieferketten allzu oft leider immer Globalen Südens subventioniert werden, in denen übelste noch Teil des Geschäftsmodells. Das sind bedrückende, Arbeitsbedingungen bei inakzeptabler Bezahlung vor- das sind erschütternde Fakten, die wir nicht einfach ach- herrschen und in denen zulasten der Umwelt ein Wettlauf selzuckend akzeptieren können. Und Gerd Müller, mein um die niedrigsten Kosten stattfindet. Diese Länder zah- Freund, hat es erwähnt. len unsere Zeche. (Heiterkeit – Beifall bei der SPD sowie bei Hinzu kommt, dass eine vorausschauende Politik auf Abgeordneten der CDU/CSU) faire Beziehungen zu anderen Nationen setzt. Die Bezie- hungen, die auf Ausbeutung von billigen Arbeitskräften – Es ist ja nicht so, dass das eine Schande ist, dass so und Ignoranz gegenüber der Umwelt basieren, sind nicht etwas in der Politik auch parteiübergreifend, sogar in nachhaltig, sondern schlicht neokolonial. Eine wirksame dieser Koalition, möglich ist. Sorgfaltspflicht im Gesetz ist also eine Investition in die (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Zukunft. Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was uns vor allen Dingen geprägt hat, ist, dass wir Außerdem: Ein starkes Gesetz schützt vorbildliche Un- 2019 gemeinsam nach Äthiopien gereist sind und uns ternehmen gegen Umwelt- und Menschenrechtshasar- vor Ort ein Bild gemacht haben: ein bitterarmes Land, deure, und genau darauf hat eine wachsende Anzahl mit dem wir intensive Handelsbeziehungen haben. Wir ambitionierter Unternehmen, die es gibt, auch einen An- haben gute Beispiele gesehen, und wir haben erschüttern- spruch. Diesem müssen wir gerecht werden. Ihr Gesetz de Beispiele gesehen. Wir haben erlebt, was passiert, tut das nicht. wenn deutsche Unternehmen sich in den Lieferbeziehun- Danke schön. gen kümmern, zum Beispiel in einer Textilfabrik: mit vorbildlichen Arbeitsbedingungen, mit Arbeitsschutz, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit einigermaßen anständigen Löhnen, mit Mitarbeiter- sowie des Abg. Lorenz Gösta Beutin [DIE vertretung. Und wir haben ein furchtbares Beispiel in LINKE]) einer Gerberei gesehen, wo Frauen bis zu den Knien in 28438 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Bundesminister Hubertus Heil (A) Chemikalien standen, wo es keinen Arbeitsschutz gab, Das sollten Sie nicht kleinreden, zumal wir ein Zweites (C) wo es Hungerlöhne gab. Das war – und ich sage es durchgesetzt haben, was mir persönlich sehr, sehr wichtig bewusst – das, was wir vor 150 Jahren in unserem Land war. Es geht auch darum, die Rechte der Menschen, die eine frühkapitalistische Hölle genannt haben. Wer das von Menschenrechtsverletzungen betroffen sind, unmit- gesehen hat, der weiß: Es gibt unternehmerische Verant- telbar zu stärken. Es gibt – theoretisch – schon jetzt eine wortung, und die Unternehmen, die das aus Deutschland zivilrechtliche Möglichkeit für diese Menschen, vor deut- heraus auch machen, ändern die Arbeitsbedingungen schen Gerichten zu klagen. In der Realität des Lebens auch in ihren Lieferbeziehungen. Das hat Äthiopien haben aber die meisten, die von solchen Menschenrechts- gezeigt. verletzungen in Lieferketten in anderen Ländern betrof- fen sind, weder die Kraft noch das Geld, ihre Rechte vor (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ deutschen Gerichten geltend zu machen. Und deshalb ist DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der es ein Riesenfortschritt, dass zukünftig deutsche Gewerk- CDU/CSU) schaften, deutsche NGOs und Hilfsorganisationen im Mit dem Gesetz machen wir den Schutz von Men- Namen und im Einverständnis der menschenrechtlich Be- schenrechten und den Schutz von Umwelt zum verbind- troffenen diese Rechte durchsetzen können. lichen unternehmerischen Standard. Im Gegensatz zu (Beifall bei der SPD) dem, was vorhin erzählt wurde: Das umfasst die gesamte Lieferkette, was umweltrechtliche, umweltbezogene und Das, meine Damen und Herren, ist konkrete Politik. menschenrechtliche Risiken betrifft. Diese sind zu über- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Jürgen prüfen, und treten dabei Hinweise auf Kinderarbeit, Skla- Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) venarbeit, Zwangsarbeit oder die Vergiftung lokaler Trinkwasserressourcen zutage, dann muss ein Unterneh- Wir sorgen auch für fairen Wettbewerb; denn es gibt men zukünftig im Rahmen seiner Möglichkeiten reagie- viele Unternehmen, die sich kümmern. Anstand darf in ren. der Globalisierung kein Wettbewerbsnachteil sein; auch das ist wichtig. Wir verlangen nicht mehr und nicht weniger. Die unternehmerische Sorgfaltspflicht endet eben zukünftig (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nicht mehr am eigenen Werktor, sondern erstreckt sich der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE auf die gesamte internationale Lieferkette und im eigenen GRÜNEN) Geschäftsbereich auf die direkten Zulieferer, aber auch Zum Schluss, Herr Präsident, meine Damen und Her- auf die mittelbaren Zulieferer. ren: Unsere soziale Marktwirtschaft fußt auf dem Prinzip von – – (B) (Beifall bei der SPD) (D) (Wortmeldung aus der FDP-Fraktion) Meine Damen und Herren, wer Regeln erlässt, muss auch dafür sorgen, dass sie eingehalten werden. Hier ist – Haben Sie eine Frage? über die Wirksamkeit des Gesetzes gesprochen worden. Es ist eben kein Papiertiger, sondern ein Gesetz mit Biss; (Heiterkeit) denn es enthält klare Pflichten und klare Regeln, und es Herr Präsident, Entschuldigung, das ist Ihre Aufgabe. sieht Kontrollen und substanzielle Sanktionen für den Fall vor, dass das zuständige Bundesamt für Wirtschaft Vizepräsident Wolfgang Kubicki: und Ausfuhrkontrolle Verstöße feststellt. Herr Bundesminister, ich weiß nicht, wie das in der Und wenn es so weit kommt, dann drohen empfind- Bundesregierung ist, aber im Deutschen Bundestag ist liche Zwangs- und Bußgelder und ab einer bestimmten im Zweifel der Präsident derjenige, der Fragen zulässt. Schwelle zukünftig auch der Ausschluss von Unterneh- Sie müssen sie natürlich auch zulassen. Aber da Ihre men von der öffentlichen Auftragsvergabe. Wir haben Redezeit bereits deutlich abgelaufen ist, macht es keinen das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle mit Sinn, sie unbedingt dadurch zu verlängern, dass jetzt eine einem robusten Mandat zur Durchsetzung versehen, übri- Zwischenfrage aus der FDP-Fraktion gestellt wird. gens mit Beweissicherungsmöglichkeiten und mit Zutrittserlaubnissen, um den Dingen auch nachgehen zu Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Sozia- können. les: Deshalb sage ich: Bei allem, was man sich so wün- Schade. schen mag – und dieses Gesetz kann man sicherlich zu- künftig weiterentwickeln, vor allen Dingen, wenn es zu Vizepräsident Wolfgang Kubicki: einer europäischen Regelung kommt –: Kommen Sie bitte zum Ende. (Zuruf des Abg. Lorenz Gösta Beutin [DIE (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- LINKE]) NEN]: Das lässt ja tief blicken, was die FDP betrifft!) Das ist ein wesentlicher Schritt. Wir haben zwar keinen zivilrechtlichen Haftungsweg im deutschen Gesetz, aber – Herr Trittin, dass Sie mit Regeln wenig zu tun haben, ein robustes Mandat mit einer behördlichen Durchset- leuchtet mir ein, aber ich bin gehalten, die Einhaltung der zung. Geschäftsordnung zu überwachen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28439

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) (Heiterkeit – Beifall bei der FDP sowie bei allermeisten in der Wirtschaft. Deswegen ist es albern, (C) Abgeordneten der CDU/CSU) uns zu unterstellen, wir hätten einen Generalverdacht gegen die Wirtschaft. Herr Minister, kommen Sie bitte zum Schluss. (Beifall der Abg. Marianne Schieder [SPD]) Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Sozia- Ich kenne viele eindrucksvolle Beispiele unternehmer- les: ischer Verantwortung gerade in Entwicklungsländern. Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Ich respektiere Aber wir hören gerade auch von diesen Unternehmerin- natürlich Ihre Rechte und auch das Recht auf Kurzinter- nen und Unternehmern, dass wir mehr Konsequenz, mehr ventionen. systematisches Hinschauen brauchen. Sie rufen nach einem klaren, verbindlichen Rahmen für alle. Weg- (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schauen darf kein Wettbewerbsvorteil sein, meine Da- NEN]: Der will noch reden!) men, meine Herren. Zum Schluss. Die soziale Marktwirtschaft in Deutsch- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- land fußt auf dem Prinzip von wirtschaftlichem Handeln ordneten der SPD) und gesellschaftlicher Verantwortung. In diesem Sinne Deutschland ist drittgrößter Importeur in der Welt. bitte ich Sie, diesem Gesetzentwurf in der parlamentari- Diese Marktmacht gibt uns die Möglichkeit, Standards schen Beratung zum Durchbruch zu verhelfen. Wir haben zu setzen, und aus dieser Möglichkeit wird angesichts nur noch vier Sitzungswochen Zeit, aber dieses Gesetz schrecklicher Menschenrechtsverletzungen eine gemein- gibt auch einer europäischen Lösung Rückenwind, und same Verpflichtung von Staat und Wirtschaft und übri- damit leisten wir einen Beitrag zur gerechteren Globali- gens auch von uns allen als Verbraucherinnen und Ver- sierung. braucher, die sich für die Herkunft ihrer Produkte Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. interessieren sollten, meine Damen, meine Herren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei Abgeordneten der SPD) der CDU/CSU) Für mich war immer klar: Ein Lieferkettengesetz muss erstens für die Menschenrechte wirksam sein. Es muss Vizepräsident Wolfgang Kubicki: zweitens für die Wirtschaft umsetzbar sein. Es muss Vielen Dank, Herr Minister. – Ich kann jetzt bekennen, wirksam sein, es muss einen echten Fortschritt für die dass auch wir freundschaftliche Verbindungen haben. Ich Menschenrechte bringen. Und ja, das bedeutet Aufwand. weise Sie aber darauf hin, dass auch Kurzinterventionen Aber das so in der Attitüde als Schnickschnack, als büro- (B) vom Präsidenten zugelassen werden müssen. kratisches Monster zu diffamieren, wird der Ernsthaftig- (D) keit millionenfacher Menschenrechtsverletzungen nicht Bevor gleich der letzte Redner zu Wort kommt, möchte gerecht, meine Damen und Herren. ich bei Bündnis 90/Die Grünen und der FDP-Fraktion, wo Nachfragebedarf bestanden hat, darauf hinweisen, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dass Herr Minister Heil bei dieser Debatte nicht als Mit- der CDU/CSU und der LINKEN) glied der Bundesregierung das Wort ergriffen hat, son- Im Übrigen, wenn es um unseren Schutz geht – Quali- dern er im Rahmen des Kontingents der SPD-Fraktion tätssicherung entlang der ganzen Lieferkette –, dann gesprochen hat, sodass keine weiteren Redezeiten nach erscheint uns der Aufwand selbstverständlich angemes- § 44 der Geschäftsordnung zur Verfügung stehen. sen. Da geht es ja auch um unseren Schutz. Deswegen ist Und nun – nach der Devise „Drei Freunde sollt ihr es falsch, das hier in Bausch und Bogen abzulehnen. sein“ – hat das Wort der Minister a. D. Hermann Gröhe Natürlich, Kollege Cronenberg: Nicht die Dokumenta- als letzter Redner der Debatte. tion schützt das Kind; aber das, was dokumentiert wird, nämlich die Verpflichtung, auf den Zulieferer zuzugehen (Heiterkeit – Beifall bei der CDU/CSU sowie und sich für die Arbeitsverhältnisse dort zu interessieren – bei Abgeordneten der SPD) dies ist ein wichtiger Schritt, diesen Kindern zu helfen, den Sie nicht schlechtreden sollen. Hermann Gröhe (CDU/CSU): (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Herr Präsident, das ist ja eine freundschaftliche Begrü- der SPD) ßung. Ich füge jetzt nicht an, dass auch ich mich an die Reise nach Äthiopien erinnern kann, aber ich betone Ich will Umsetzbarkeit, ja; denn wir wollen mehr In- gerne, dass uns eint: Wir finden uns nicht damit ab, vestitionen zum Beispiel in Afrika, mehr fairen Handel dass millionenfach Menschenrechte in ausbeuterischen mit Afrika. Deswegen ist es wichtig, auch zu wissen, dass Arbeitsverhältnissen mit Füßen getreten werden. Damit Jobs und Ausbildung durch Handel, durch Wirtschafts- finden wir uns nicht ab! beziehungen entstehen, nur zu einem geringeren Teil durch Entwicklungszusammenarbeit. Wahr ist aber (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- auch: Staatliche Entwicklungshilfe kann nicht die Wun- ordneten der SPD und der LINKEN) den heilen, die ausbeuterische Wirtschaftsbeziehungen Kinder gehören in die Schule, nicht ins Bergwerk, erst schlagen. Insofern gibt es eben eine gemeinsame Ver- nicht auf die Plantage und nicht auf den Schrottplatz. antwortung. Das eint doch die allermeisten und in Wahrheit auch die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) 28440 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Hermann Gröhe (A) Wir haben viel Zustimmung, wir haben auch Kritik Sie sehen: Die Regierung hat einen guten Gesetzent- (C) von NGOs, von Gewerkschaften, von Wirtschaftsverbän- wurf vorgelegt – dafür danke ich den beiden Freunden den gehört. Wir nehmen das ernst und prüfen das im und Ministern –, und wir werden ihn gemeinsam im Par- Verfahren. Aber ich sage sehr deutlich: Schlechte Kari- lament zu einem erfolgreichen Gesetz machen. katuren und verzerrende Darstellungen, die es gegen das Herzlichen Dank. Gesetz insgesamt gibt, weisen wir entschieden zurück, meine Damen und Herren; (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: denn selbstverständlich gilt auch in diesem Gesetz der Vielen Dank, Herr Kollege Gröhe. – Damit schließe rechtsstaatliche Grundsatz: Unmögliches darf nicht ver- ich die Aussprache. langt werden. Deswegen steht eindeutig in der Gesetzes- begründung, dass die Sorgfaltspflichten eine Bemühens- Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs pflicht konstituieren. Es wird ausdrücklich das konkret auf Drucksache 19/28649 an die in der Tagesordnung Machbare und Angemessene als Maßstab benannt. Das aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es weitere ist richtig. Überweisungsvorschläge? – Das sehe ich nicht. Dann verfahren wir wie vorgeschlagen. Man mag vielleicht, wenn es etwa um Abhilfemaßnah- men da geht, wo die Menschenrechtsverletzung nicht Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a bis 14 e auf: durch das Verhalten des Zulieferers beeinflusst werden a) – Zweite und dritte Beratung des von der kann, sondern in der Rechtsordnung eines Staates liegt, Bundesregierung eingebrachten Entwurfs noch weiter präzisieren, wann ein Abbruch von eines Gesetzes zur Stärkung der Teilha- Geschäftsbeziehungen verlangt werden kann und wann be von Menschen mit Behinderungen sinnvollerweise nicht. Aber der Grundsatz, dass verlangt sowie zur landesrechtlichen Bestim- wird, was angemessen und konkret machbar ist, steht mung der Träger der Sozialhilfe (Teil- eindeutig im Gesetz. habestärkungsgesetz) Meine Damen, meine Herren, ja, wir haben uns ent- Drucksachen 19/27400, 19/28395, schieden – und ich glaube, das ist gut vertretbar –, eine 19/28605 Nr. 1.13 zusätzliche zivilrechtliche Haftung nicht vorzusehen, Beschlussempfehlung und Bericht des sondern ein effektives Bußgeld- und Sanktionssystem. Ausschusses für Arbeit und Soziales Ich glaube sogar, dass das in mancherlei Hinsicht wirksa- (11. Ausschuss) (B) mer sein kann. Deswegen sollten wir diesen Weg hier (D) gehen. Drucksache 19/28834 – Bericht des Haushaltsausschusses Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Ge- Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des schäftsordnung Kollegen Frohnmaier aus der AfD-Fraktion? Drucksache 19/28874 b) – Beratung der Beschlussempfehlung und Hermann Gröhe (CDU/CSU): des Berichts des Ausschusses für Arbeit Nein, die erlaube ich nicht, weil ich da bisher keine und Soziales (11. Ausschuss) ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema erlebt – zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe habe. Witt, René Springer, Ulrike Schielke- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Ziesing, weiterer Abgeordneter und der neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Fraktion der AfD GRÜNEN) Kein Ausschluss der Teilhabe von Men- Lassen Sie mich noch zum Thema Unternehmensgröße schen mit geistiger oder mehrfacher etwas sagen. Ja, auch das war ein Kompromiss. Wir wol- Behinderung in Krankenhäusern oder len den Mittelstand gerade in dieser Zeit nicht zusätzlich Reha-Einrichtungen belasten. Aber ich will hier sehr offen sagen: Ich bin – zu dem Antrag der Abgeordneten Sören durchaus bereit, über die Frage, ob wir nicht unselbst- Pellmann, Susanne Ferschl, Doris ständige Töchter, also hiesige Niederlassungen und Achelwilm, weiterer Abgeordneter und Betriebsstätten ausländischer Konzerne, einbeziehen der Fraktion DIE LINKE sollten, im Gesetzgebungsverfahren reden. Gesellschaftliche Teilhabe von Men- (Beifall der Abg. Dr. Sascha Raabe [SPD] und schen mit Behinderungen deutlich ver- Kerstin Tack [SPD]) bessern und Selbstbestimmungsrecht Es sollte nicht von der Rechtsform abhängen, dass garantieren jemand, der in Deutschland über diesen Schwellenwerten – zu dem Antrag der Abgeordneten Sören liegt, sich auch diesen Rahmenbedingungen stellen muss. Pellmann, Susanne Ferschl, Doris Das lässt weniger Gestaltungsräume, das eröffnet mehr Achelwilm, weiterer Abgeordneter und fairen Wettbewerb. der Fraktion DIE LINKE Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28441

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) Tierische Assistenz ermöglichen – Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red- (C) Assistenzhunde für Menschen mit nerin der Kollegin Kerstin Tack, SPD-Fraktion, das Wort. Behinderungen gesetzlich garantieren (Beifall bei der SPD) – zu dem Antrag der Abgeordneten Corinna Rüffer, Maria Klein-Schmeink, Anja Kerstin Tack (SPD): Hajduk, weiterer Abgeordneter und der Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Hubertus Sozialstaat auf Augenhöhe – Zugang zu Heil! Mit der heutigen Verabschiedung des Teilhabestär- Teilhabeleistungen verbessern kungsgesetzes machen wir uns erneut auf den Weg, die Belange von Menschen mit Behinderungen umzusetzen, Drucksachen 19/22929, 19/27299, ihre Teilhabe und ihre Zugänge in Gesellschaft zu ver- 19/27316, 19/24437, 19/28834 bessern. Ich glaube, mit diesem Gesetz kommen wir c) Beratung der Unterrichtung durch die Bun- einen ganzen Schritt weiter. Ich möchte mich beim desregierung BMAS für die intensive Zusammenarbeit dabei ganz herzlich bedanken. Teilhabebericht der Bundesregierung über die Lebenslagen von Menschen mit (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Beeinträchtigungen 2021 der CDU/CSU) Drucksache 19/27890 Ich möchte in meiner Redezeit besonders auf die Zugänge in den Arbeitsmarkt eingehen. Wir haben mit Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) diesem Gesetz das Budget für Ausbildung ausgebaut Sportausschuss und verstärkt, damit noch mehr Menschen mit Behinde- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend rungen, die in den Werkstätten arbeiten, die Möglichkeit Ausschuss für Gesundheit haben, eine duale Ausbildung zu absolvieren – neben Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur dem Budget für Arbeit gibt es das Budget für Ausbil- Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- dung; das ist noch mal erweitert worden – und einen schätzung guten Zugang in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu finden. Ausschuss für Tourismus Ausschuss Digitale Agenda Wir werden die Rolle der Jobcenter noch einmal in den Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen Blick nehmen und werden insbesondere die Schwierig- d) Beratung der Beschlussempfehlung und des keiten thematisieren, die es immer noch gibt, wenn es (B) Berichts des Ausschusses für Gesundheit darum geht, auch die Rehabedarfe in den Blick zu neh- (D) (14. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord- men, das Personal zu schulen, passgenaue Hilfen zu ma- neten Dr. Axel Gehrke, Marc Bernhard, chen, aber vor allen Dingen in der Kommunikation mit Stephan Brandner, weiterer Abgeordneter anderen vernünftige Teilhabevoraussetzungen und Betei- und der Fraktion der AfD ligung im Teilhabeplanverfahren zu ermöglichen. Das ist Beseitigung von Teilhabebeeinträchtigun- richtig und wichtig. gen aufgrund von Sehschwächen durch (Beifall bei der SPD) Erweiterung der Versorgung gesetzlich Versicherter mit Sehhilfen Ferner schauen wir uns den allgemeinen Arbeitsmarkt an. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir haben in Drucksachen 19/4316, 19/28687 Buchsta- Deutschland eine Beschäftigungspflicht gegenüber Men- be a schen mit Schwerbehinderung: Ab 20 Beschäftigte sind e) Beratung der Beschlussempfehlung und des es 5 Prozent. Diese Beschäftigungspflicht ist gut und Berichts des Ausschusses für Arbeit und So- richtig. Daher können und wollen wir nicht hinnehmen, ziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der dass mehr als 40 000 Betriebe ihrer Beschäftigungs- Abgeordneten Sören Pellmann, Sabine pflicht nicht nachkommen und keinen einzigen Men- Zimmermann (Zwickau), Susanne Ferschl, schen mit Schwerbehinderung einstellen. weiterer Abgeordneter und der Fraktion (Beifall bei der SPD und der LINKEN) DIE LINKE Das können und wollen wir nicht hinnehmen. Gute Arbeit für Menschen mit Behinde- rungen ermöglichen und sichern Viele Maßnahmen und viele Versuche, hierzu Lücken in der Information zu schließen, sind in den letzten Jahren Drucksachen 19/24690, 19/27334 Buch- initiiert worden. Einiges hat es gebracht, aber glücklich stabe a sind wir noch nicht. Deshalb hätten wir uns sehr ge- wünscht, dass wir die Ausgleichsabgabe mit einer weite- Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen ren, deutlich gestärkten vierten Stufe versehen könnten, zwei Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die damit wir hier ein deutliches Zeichen setzen, dass die Grünen vor. Beschäftigungspflicht nicht eine nette Geste ist, sondern Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten der Umsetzung bedarf. Und wir finden es schade, dass beschlossen. – Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, wir dieses Thema in der Koalition nicht verhandeln konn- den Platzwechsel zügig vorzunehmen. ten. Ich würde mir sehr, sehr wünschen, dass das Thema 28442 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Kerstin Tack (A) Ausgleichsabgabe – deren Erhöhung und die Einführung Bei dieser Gelegenheit fand ich auch interessant, dass (C) einer weiteren Stufe – noch diskutiert wird und spätestens sich die Kollegen von den Grünen offenbar durch meinen in einer nächsten Koalition stark gemacht werden kann. Sachvortrag im Ausschuss dazu animiert fühlten, (Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Sören (Lachen bei der LINKEN und beim BÜND- Pellmann [DIE LINKE]) NIS 90/DIE GRÜNEN) Was wir aber geschafft haben – auch das ist gut und zu diesem Thema in letzter Minute noch einen Antrag richtig –: Wir werden flächendeckend in Deutschland einzureichen. Danke, liebe Kollegen! eine einheitliche Ansprechstelle für alle Unternehmen Leider hat unser Antrag zur Beseitigung von Teilhabe- und Arbeitgeber schaffen, die nicht nur berät und den beeinträchtigungen aufgrund von Sehschwächen durch Unternehmen sagt: „Hier und da gibt es Möglichkeiten, Erweiterung der Versorgung gesetzlich Versicherter mit Anträge zu stellen“, sondern die auch ganz gezielt unter- Sehhilfen keine Berücksichtigung durch Sie gefunden. stützend Anträge mit stellt, passgenaue Hilfen eruiert und sich für jeden einzelnen Arbeitsplatz im Unternehmen Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie ich bereits mit starkmacht. Das ist eine Forderung, die uns nicht anfänglich sagte, ist Behindertenpolitik ein sensibler Be- nur in der Koalition eint, sondern bei der wir uns auch reich, der Fingerspitzengefühl benötigt. Was hier absolut mit den Arbeitgeberverbänden, mit den Gewerkschaften fehl am Platze ist, ist parteipolitisches Taktieren. Hier und mit den Verbänden der Behindertenhilfe einig wis- geht es um sachbezogene Lösungsentwicklungen für un- sen. Deshalb freuen wir uns sehr, dass wir das heute sere Bürger mit Behinderung, nicht um ideologische Aus- umsetzen können. grenzung. Das scheint diesmal auch tatsächlich teilweise gut geklappt zu haben. Für die guten Beratungen möchte ich mich bedanken. Ich freue mich, dass wir heute dieses Gesetz auf den Weg (Beifall bei der AfD) bringen können. Bemerkenswert finde ich auch, dass Sie einen Grund- Herzlichen Dank. satzantrag der AfD, nämlich Opfer von Terroranschlägen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten mit Kraftfahrzeugen wie hier in Berlin auf dem Breit- der CDU/CSU) scheidplatz endlich mit in den Katalog der Geschädigten aufzunehmen, umsetzen.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall bei der AfD) Vielen Dank, Frau Kollegin Tack. – Als nächster Red- Verwunderlich finde ich hier nur, dass er nicht im Opfer- ner hat das Wort der Kollege Uwe Witt, AfD-Fraktion. entschädigungsgesetz angegliedert ist, sondern im Teil- habestärkungsgesetz. (B) (Beifall bei der AfD) (D) Auch das Thema Assistenzhunde wurde weitestgehend Uwe Witt (AfD): zufriedenstellend berücksichtigt. Obwohl es noch einige Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen Klippen im Gesetz und deutliche Verbesserungsmöglich- und Kollegen! Liebe Zuschauer! Politik für Menschen keiten gibt, sehen wir viele positive Ansätze sowie die mit Behinderung ist ein Thema, zu dem wir alle hier im Aufnahme unserer Gedanken und Anregungen. Deutschen Bundestag bestrebt sind, gute Lösungen für Aus diesem Grund werden wir Alternativen dem Ge- die Betroffenen zu erzielen. Leider war es bislang so, setz in der aktuellen Form zustimmen. Ebenso werden dass die Regierungskoalition zwar gute Absichten hatte, wir dem Antrag der FDP zu dem Thema Assistenzhunde- aber eher nach dem Motto „Gut Ding will Weile haben“ gesetz zustimmen. agierte. Vielen Dank, liebe Kollegen. Mit dem Teilhabestärkungsgesetz verhält es sich aller- dings anders. Hier haben Sie endlich einmal den Fuß von (Beifall bei der AfD) der Bremse genommen, was wahrscheinlich am baldigen Ende der Amtszeit von Arbeitsminister Hubertus Heil Vizepräsident Wolfgang Kubicki: liegt. Obwohl erst am Montag die öffentliche Anhörung Vielen Dank, Herr Kollege Witt. – Nächster Redner ist zum Gesetzentwurf stattgefunden hatte, in der die Sach- der Kollege Wilfried Oellers, CDU/CSU-Fraktion. verständigen eine Fülle von Kritikpunkten äußerten, ist es (Beifall bei der CDU/CSU) Ihnen bzw. den Mitarbeitern gelungen, einen weitestge- hend guten Änderungsantrag beizustellen. Wilfried Oellers (CDU/CSU): Besonders gefreut hat uns, dass Sie sich der Thematik Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und des Antrags der AfD angenommen haben. Die Große Herren! Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Koalition hat die Bundesregierung aufgefordert, einen Damen und Herren! Als ich hier zur ersten Beratung des Lösungsvorschlag für die Regelung der Assistenz von Teilhabestärkungsgesetzes am Rednerpult stand, habe ich Menschen mit Behinderung in Krankenhäusern vorzule- das Ziel formuliert, einen guten Gesetzentwurf noch bes- gen. Das würde ich jetzt einmal als eine erfolgreiche ser zu machen. Ich denke, heute unter dem Strich sagen Oppositionsarbeit unsererseits bezeichnen. zu können, dass dies auch gelungen ist. Daher danke ich (Beifall bei der AfD – Sören Pellmann [DIE ganz herzlich zum einen unserem Koalitionspartner, zum LINKE]: Träumen Sie weiter! – Lachen der anderen aber auch dem BMAS für die konstruktive Zu- Abg. Kerstin Tack [SPD]) sammenarbeit. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28443

Wilfried Oellers (A) Lassen Sie mich aus der Fülle der Themen, die wir in würden. Auch wir sind der Meinung, dass Arbeitgeber/ (C) dem Gesetzgebungsverfahren zu beraten hatten und bera- -innen eine Beratung innerhalb dieses Systems brauchen, ten haben, drei wesentliche Punkte herausheben, die uns das man nicht so ganz einfach durchschauen kann. als Unionsfraktion wichtig waren: Aber ich glaube jetzt – auch Herr Heil kommt ja zu Erstens. Wir präzisieren die mit dem Regierungsent- dem Ergebnis –, dass nach all den vielen Jahren, in denen wurf neu geschaffenen Regelungen für Menschen mit wir darauf gewartet haben, dass die Unternehmen der Behinderungen, die sich in Begleitung durch einen Assis- Beschäftigungspflicht nachkommen, wir doch nicht wei- tenzhund oder Blindenführhund befinden. Wir stellen ter sagen können: „Wir lassen diese vielen Menschen auf eine einheitliche Verwendung der Bezeichnung „Assis- dem Trockenen sitzen“, bis Sie irgendwann mal so weit tenzhund“ auch für Blindenführhunde sicher. Weiterhin sind, einzusehen, dass immer nur Bereitschaft einzufor- stellen wir klar, dass nur solche Tiere von der neuen dern – und wir müssen beraten –, nicht ausreicht. Viel- Zertifizierungspflicht ausgenommen werden, die inner- mehr haben die Leute ein Recht darauf, inklusiv beschäf- halb der im Gesetz genannten Frist voll ausgebildet wor- tigt zu werden, und wir müssen jetzt endlich hier tätig den sind. Damit haben wir zwei wichtige Anliegen der werden. Assistenzhundeverbände aufgenommen. Herr Oellers, sagen Sie doch mal: Was hindert Sie denn Zweitens. Eine besondere Freude ist es mir, dass sich eigentlich daran, hierfür eine Lösung zu finden, die Aus- ein weiteres Anliegen, das wir als Unionsfraktion schon gleichsabgabe tatsächlich zu einem effizienten Instru- längere Zeit formuliert haben, nun im Gesetz wiederfin- ment zu machen? Das ist ja geltendes Recht. Die Betriebe det: Es handelt sich um die Ansprechstellen für Arbeit- müssten das tun, sie tun es aber nicht. Sie verhalten sich geber. Sie sind für Betriebe, die Menschen mit einer nicht rechtskonform. Das können wir doch als Staat nicht Behinderung beschäftigen wollen, ganz, ganz wichtig weiterhin einfach so durchgehen lassen. und haben das Ziel, diese Unternehmen zu begleiten, zu (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beraten und über die komplexen Fördermöglichkeiten sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des und die rechtlichen Rahmenbedingungen zu informieren, Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD]) die bestehen, wenn ein Mensch mit Behinderung beschäf- tigt werden möchte. Sie sollen aber auch auf Unterneh- Wilfried Oellers (CDU/CSU): men zugehen, und zwar insbesondere auf die Unterneh- Zum einen: Wenn Sie eine grundsätzliche Erhöhung men, die noch keine Menschen mit Behinderungen der Ausgleichsabgabe ansprechen, dann will ich Ihnen beschäftigen – Frau Kollegin Tack sagte es eben schon: sagen, dass eine solche sowieso automatisch aus gesetz- es sind viel zu viele –, um Unternehmen gewinnen zu geberischen Gründen jetzt wieder erfolgt. Das heißt, sie können, Menschen mit einer Behinderung zu beschäfti- (B) wird sowieso stetig erhöht. Das ist der erste Punkt. (D) gen. Diesen Weg halten wir für den integrativeren Weg, als mit dem Instrument der Erhöhung der Ausgleichsab- Der zweite Punkt ist: Wenn Sie sagen, wir hätten doch gabe zu arbeiten. Es geht hier darum, Anreize zu schaf- immer schon beraten und getan und gemacht, dann möch- fen, statt Sanktionen auszusprechen. Denn gerade kleine- te ich Ihnen an dieser Stelle widersprechen, weil es Be- re Betriebe sind oftmals überfordert, diese komplexen ratungsangebote und Unterstützungsangebote in dieser Vorgänge zu kennen, zu erkennen und zu erledigen. Form, wie wir sie jetzt mit den Ansprechstellen einfüh- Dies hat die Anhörung auch gezeigt. ren, eben gerade noch nicht gibt. Zu den Unternehmen, die keine Menschen mit Behin- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: derung beschäftigen – es sind 25 Prozent; das sind zu Herr Kollege Oellers, erlauben Sie eine Zwischenfrage viele, da gebe ich Ihnen vollkommen recht –, möchte aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen? ich Ihnen sagen: Das sind in den allermeisten Fällen Be- triebe, die zwischen 20 und 60 Mitarbeiter beschäftigen. Das sind kleine Unternehmen, die keine eigene Personal- Wilfried Oellers (CDU/CSU): abteilung, kein personelles Know-how haben, um diese Gerne. komplexen Dinge zu begleiten. Deswegen halte ich und halten wir als Unionsfraktion es für wichtig, dass wir die (Sören Pellmann [DIE LINKE], an die Abg. Unternehmen an dieser Stelle begleiten und nicht sagen: Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir führen eine weitere Stufe ein. – Ich möchte auf das NEN] gewandt: Ob du auch eine Antwort Projekt Unternehmens-Netzwerk Inklusion verweisen. kriegst?) Dieses Projekt hat gezeigt, dass es wichtig und richtig ist, auf Unternehmen zuzugehen, und dass man damit auch Erfolg hat. Diesen Weg, denke ich, sollten wir wei- Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ter beschreiten. Er ist mühsam – zugegeben –; aber um Ich hoffe darauf, Herr Pellmann. – Ich will wirklich auf Akzeptanz zu erreichen, und zwar auch auf der Seite der diesen Punkt noch mal eingehen, weil ich finde, dass Frau Unternehmer, halte ich das für den besseren Weg, als mit Tack das richtig ausgeführt hat. Das sind ja nicht ein paar der Sanktionskeule zu schwingen. Unternehmen, die ihrer Beschäftigungspflicht nicht nach- kommen, sondern es sind 25 Prozent. 25 Prozent aller Ich möchte einen dritten Punkt ansprechen, und zwar beschäftigungspflichtigen Unternehmen stellen nieman- die Betreuung von Rehabilitanden in Jobcentern. Hier den mit Schwerbehinderung ein. Wir haben komplexe wollen wir die bereits bestehenden Leistungen insoweit Anträge vorgelegt, die wirklich zu einer Lösung führen weiterentwickeln, als wir es den Rehabilitationsträgern 28444 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Wilfried Oellers (A) erschweren, aus einer Teilhabeplankonferenz auszustei- Könnten Sie mithelfen, dass wir hier aus den Schüt- (C) gen, und wir stärken die Entwicklung von Qualifizie- zengräben rauskommen und diesen Kompromiss durch- rungs- und Schulungsangeboten für die Mitarbeiterinnen setzen? Das würde Menschen nämlich wirklich helfen und Mitarbeiter in Jobcentern. und nicht die uneindeutige Position an dieser Stelle. Es gibt aber auch einige Punkte – das muss man ganz (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie klar ansprechen –, die wir gerne umgesetzt gesehen hät- der Abg. [BÜNDNIS 90/DIE ten, die aber leider keinen Eingang in den Gesetzentwurf GRÜNEN]) gefunden haben. Ich nenne als Stichwort „Assistenz im Krankenhaus“, ein ganz wichtiges Thema. Es ist drin- gend eine Regelung zu finden, wie die Begleitung für Wilfried Oellers (CDU/CSU): Menschen mit Behinderung in Krankenhäusern finanziert Herr Minister, vielen Dank für diese Zwischenfrage. wird. Wir sind uns alle einig, dass das geregelt werden Ich habe meine Position dazu gerade schon geäußert. muss. Die streitige Frage ist allerdings, wie das finanziert Das Problem der Kostenübernahme stellt sich im Bereich werden soll. Wir sprechen uns dafür aus, dass diese Kos- der behindertenpolitischen Themen ja leider Gottes nicht ten über die Träger der Eingliederungshilfe abgerechnet nur an dieser Stelle. Aber wir müssen uns schon die Frage werden müssen, die als Kostenträger für Menschen mit stellen: Wer zahlt es zuständigkeitshalber? Ich vertrete Behinderungen hauptsächlich für Rehaleistungen zu- die Auffassung, dass es die Träger der Eingliederungs- ständig sind. Dafür plädierte auch der Sachverständige hilfe sein müssen, weil es dann die Gemeinschaft der Grosch in der Anhörung. Das ist eine gesamtgesellschaft- Steuerzahler zahlt und nicht allein die Beitragszahler in liche Aufgabe und damit auch von allen zu zahlen und der gesetzlichen Krankenversicherung. Von Länderseite nicht nur von den Beitragszahlern der gesetzlichen Kran- ist es natürlich leicht, zu sagen – das kann ich von deren kenversicherung. Seite auch verstehen; als Träger der Eingliederungshilfe wäre das über die Länder zu finanzieren –: „Das mögen bitte die gesetzlichen Krankenkassen finanzieren“; denn Vizepräsident Wolfgang Kubicki: dann liegt der Spielball beim Bund. Ich würde allerdings Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heil, darum bitten, dass sich die Ländervertreter bzw. die SPD-Fraktion? Träger der Eingliederungshilfe auch ihrer Verantwortung bewusst werden. Sie können gerne dazu beitragen, dass Wilfried Oellers (CDU/CSU): vielleicht auch von deren Seite mehr Verständnis dafür Gerne. aufgebracht wird, diese Kosten zu tragen. Ich finde, das muss man dann schon in dieser Deutlichkeit auch mal (B) sagen. (D) Hubertus Heil (Peine) (SPD): Herr Kollege Oellers, da uns das Thema der Kranken- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) hausassistenz gemeinsam am Herzen liegt und im Aus- Ich möchte einen letzten Punkt ansprechen. Bei der schuss auch verschiedentlich darüber gesprochen wurde Assistenz im Ehrenamt hätten wir auch gerne eine Lö- und wir hier wirklich ein handfestes Problem haben, wür- sung gefunden. Hier gibt es den Vorschlag, dass zunächst de ich Sie bitten, Folgendes zur Kenntnis zu nehmen, und die Unterstützung im Familienkreis und Freundeskreis Sie fragen, ob Sie diesen Weg mitgehen können: Wir angefordert werden sollte. Das konnten wir politisch lei- können das Spiel, die Zuständigkeit zwischen Eingliede- der nicht durchsetzen; das wäre unser Wunsch gewesen. rungshilfe und gesetzlicher Krankenversicherung hin- und herzuschmeißen wie eine heiße Kartoffel, ewig wei- Es bleibt weiterhin einiges zu tun; die Debatte heute terspielen. Das geht allerdings zulasten der betroffenen hat das gezeigt. Insgesamt freue ich mich aber, dass wir Menschen. einen weiteren Schritt Richtung Teilhabe gehen. (Beifall der Abg. Corinna Rüffer [BÜND- (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NIS 90/DIE GRÜNEN]) NEN]: Das ist doch traurig!) Da geht es übrigens nicht nur um Menschen mit Behin- Ich denke, dass dies ein würdiges nachträgliches derung; es geht auch um Seniorinnen und Senioren, wenn Geschenk zum zwölften Geburtstag der UN-Behinder- wir die Frage aufwerfen, ob das ordnungspolitisch zur tenrechtskonvention in Deutschland ist. Eingliederungshilfe gehört. Sind Sie bereit, festzustellen, dass wir einen Kompromissvorschlag gemacht haben und (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die CSU-Landtagsfraktion in Bayern eindeutig gesagt NEN]: Das Geschenk können Sie behalten!) hat, dass das Aufgabe der gesetzlichen Krankenversiche- Herzlichen Dank. rung ist? Wenn wir hier markig zugunsten der Eingliede- rungshilfe antreten – unabhängig davon, dass das ord- (Beifall bei der CDU/CSU) nungspolitisch nicht stimmt – und dann im Bundesrat keine Mehrheit bekommen, einfach weil die Länder das Vizepräsident Wolfgang Kubicki: zu zahlen hätten, wäre es doch besser, dieses Problem Vielen Dank, Herr Kollege Oellers. – Als nächster zügig zwischen Gesundheits- und Arbeitsmarktpolitik Redner erhält das Wort der Kollege Jens Beeck, FDP- und Behindertenpolitik zu lösen, indem wir einen Kom- Fraktion. promiss finden zwischen Eingliederungshilfe und gesetz- licher Krankenversicherung. (Beifall bei der FDP) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28445

(A) Jens Beeck (FDP): Positiv ist, dass Sie die vielen Anträge zu Assistenz- (C) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und hunden im Gesetzentwurf aufgreifen, aber leider in ver- Kollegen! Es war für uns alle kein einfaches Jahr, das kürzter Form. Ihr Gesetzentwurf basiert immer noch auf hinter uns liegt; aber für Menschen mit Behinderung der Fehlvorstellung, dass Menschen, die es im Leben war es in vielen Fällen ein besonders schwieriges Jahr. nicht leicht haben, ein niedliches Tier an ihre Seite krie- Menschen in den Einrichtungen der Eingliederungshilfe gen. Darum geht es nicht. In Berlin lebt Bobby, ein Assis- waren nicht selten isoliert von ihren Lieben; Eltern konn- tenztier, das es einer sehr vornehmen Dame ermöglicht, ten ihre Kinder in der Anfangszeit nicht besuchen. Das ein selbstbestimmtes Leben zu führen, das wir ihr alle waren sehr schwierige Situationen, auch in den Alten- wünschen. Es geht darum, dass diese Tiere anders als und Pflegeeinrichtungen. technische Hilfsmittel und besser als menschliche Assis- tenten in der Lage sind, Sturzereignisse bei anfallgefähr- Dann kam noch dazu, dass die Betroffenen einmal deten, epilepsiegefährdeten Menschen zu verhindern. mehr nicht inklusiv und selbstverständlich mitgedacht Das erspart nicht nur diese fürchterlichen Unfallereignis- worden sind: Beim SodEG I, als es um die Leistungser- se, die man damit verhindern kann, sondern das spart bringer ging, war Versagen. Erst im SodEG II wurde auch ganz viel Geld im deutschen Sozialsystem. nachgebessert: Beschaffung von Schutzausrüstungen, zuerst für andere, später für Menschen mit Behinderun- Sie springen hier viel zu kurz. Nehmen Sie bitte zu- gen. Es gab keine Prämie für die Beschäftigten in der mindest den Hinweis der Opposition auf: Evaluieren Sie Eingliederungshilfe. Das haben Sie abgelehnt, Frau Kol- bei der ohnehin vorgesehenen Kostenevaluation auch legin Tack; wir haben das beantragt. Sie sind also anders diese Einspareffekte, damit wir in der nächsten Wahlpe- behandelt worden als andere. Umso größer war dann die riode hier einen Schritt weiterkommen – nicht für die Erwartungshaltung beim Teilhabestärkungsgesetz. Assistenzhunde, sondern für die Menschen, für die Ge- rechtigkeit in unserem Land und für den Sozialstaat. Herr Minister, ich hätte mir sehr gewünscht, dass Sie mit der gleichen Verve wie bei der Debatte zum Liefer- Herzlichen Dank. kettengesetz in diese Diskussion gegangen wären und nicht den Platz auf der Regierungsbank verlassen hätten, (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Corinna um sich in die Abgeordnetenreihen zu setzen. Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Uwe Witt Vizepräsident Wolfgang Kubicki: [AfD]) Vielen Dank, Herr Kollege Beeck. – Nächster Redner Mit dem, was Sie hier vorlegen – 185 Seiten Gesetzent- ist der Kollege Sören Pellmann, Fraktion Die Linke. (B) (D) wurf und Änderungsanträge –, bleiben Sie trotzdem im (Beifall bei der LINKEN) Klein-Klein. Nehmen wir den Teilhabebericht noch hin- zu, sind wir bei knapp 1 000 Seiten. Wenn man die Ankündigungen berücksichtigt, wird im Grunde relativ Sören Pellmann (DIE LINKE): wenig erreicht. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute das Teilhabestärkungsgesetz. Nach Auffas- Es ist richtig, dass Sie den Gewaltschutz in Einrichtun- sung der Linken handelt es sich eher um ein Gesetzchen. gen der Eingliederungshilfe adressieren; aber Sie tun es Die Anhörung am Montag im Fachausschuss hat ergeben: nicht mit Herzblut. Es fehlen die Ansprechstellen, die Von fast allen Sachverständigen wurde deutlicher Ände- Ombudsleute, es fehlt die Abstimmung mit den Ländern rungsbedarf artikuliert. Selbst die Sachverständigen der darüber, wer das eigentlich am Ende kontrolliert. Unionsfraktion haben das bestätigt. Ihre Änderungsan- träge, die wir heute vorliegen haben, reichen bei Weitem (Beifall der Abg. Christian Dürr [FDP] und nicht aus. Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]) (Beifall bei der LINKEN) Sie nehmen leichte Verbesserungen beim Budget für Immerhin werden nun Blindenführhunde wie Assis- Ausbildung vor; aber ich sage Ihnen: Auch das wird nicht tenzhunde behandelt, und der Gewaltschutz wird leicht sicherstellen, dass es besser läuft als beim Budget für verbessert. Das war es dann aber auch schon an Positi- Arbeit, und das läuft bekanntlich auch schon nicht. Sie vem. Wir kritisieren weiterhin: Erstens. Die Praxis des adressieren digitale Gesundheitsanwendung, ohne den Zwangspoolings, also die gemeinsame Erbringung von klaren Maßstab, dass diese maximal barrierefrei ausge- Assistenzleistungen gegen den ausdrücklichen Willen, richtet werden müssen. Und bei der Frage des Zugangs wurde nicht gestoppt. Zweitens. Es gibt keine bedarfs- zur Eingliederungshilfe – das betrifft 1 Million Menschen deckende Finanzierung von Assistenzhunden. Drittens. in Deutschland, potenziell die 8,2 Millionen Menschen Viele Probleme von Menschen mit Behinderungen auf mit anerkannter Schwerbehinderung – wollen Sie eine dem Arbeitsmarkt sind ungelöst. Verordnungsermächtigung für Ihr Haus und damit am Bundestag vorbei entscheiden. Auch das geht überhaupt Wie kann Teilhabe gestärkt werden? Teilhabe stärkt nicht. man, indem man gute Arbeit für Menschen mit Behinde- rungen ermöglicht und sicherstellt. Menschen mit Behin- (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Corinna derungen müssen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt an- Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) kommen. Noch immer sind diese häufiger und deutlich 28446 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Sören Pellmann (A) länger von Arbeitslosigkeit betroffen als Menschen ohne In diesem Sinne: Vielen Dank. (C) Behinderungen, oder sie sind in Sonderarbeitswelten untergebracht. (Beifall bei der LINKEN) Auf der von uns, also der Fraktion Die Linke, durch- geführten Konferenz „Gute Arbeit für Menschen mit Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Behinderungen“ diskutierten wir über genau diese Frage Vielen Dank, Herr Kollege Pellmann. – Als Nächstes mit den Betroffenen, und wir haben Lösungsvorschläge erhält das Wort die Kollegin Corinna Rüffer, Fraktion erarbeitet. Konsens auf dieser Konferenz war: Die Förde- Bündnis 90/Die Grünen. rungen von Menschen mit Behinderungen und chroni- schen Erkrankungen müssen langfristig und bedarfsde- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ckend ausgestaltet werden. (Beifall bei der LINKEN) Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Demokratinnen Inklusionsunternehmen müssen stärker gefördert werden. und Demokraten! Ich will an dieser Stelle noch mal be- Herr Heil, Sie haben es ja schon angesprochen: Das Hin tonen, was die letzten 13 Monate für Menschen mit und Her zwischen SPD und Koalitionspartner CDU/CSU Behinderungen bedeutet haben: Ja, sie waren isoliert, nervt die Betroffenen nur noch. Wo bleibt endlich die weil sie Angst haben mussten vor einem schweren Ver- Erhöhung der Ausgleichsabgabe? lauf einer Covid-19-Erkrankung. Ihnen sind die Löhne (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. gekürzt worden. Menschen, die in stationären Einrichtun- Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gen untergebracht sind – sie sind nicht dort, weil sie das NEN]) so gerne möchten –, durften ihre Verwandten nicht emp- Die Werkstätten müssen zu tatsächlichen Inklusionsbe- fangen, durften ihre Liebsten nicht besuchen. Sie waren trieben weiterentwickelt werden. Ein Wechsel von einer im Grunde genommen über viele Wochen und Monate Werkstatt auf den allgemeinen Arbeitsmarkt und auch weggesperrt, so wie auch die Menschen in Alten- und wieder zurück muss verlustfrei möglich sein. Pflegeheimen. Kinder hatten keine Schulbegleitung, The- rapien sind ausgefallen, Förderschulen waren länger ge- (Beifall bei der LINKEN) schlossen als andere Schulen. Das ist ein einziges Desas- Teilhabe stärkt man, indem man Teilhabeleistungen ter. Die Liste ließe sich fortsetzen. Das Schlimme ist – das verbessert und das Selbstbestimmungsrecht garantiert. kommt noch dazu –, dass all die Entscheidungen über die Das Wunsch- und Wahlrecht der Betroffenen bei der Köpfe dieser Menschen hinweg gefällt worden sind. Das Wahl der Wohnform muss garantiert und der Kostenvor- ist eine einzige Katastrophe. Man muss sagen, dass die (B) (D) behalt in § 104 SGB IX muss gestrichen werden. letzten Monate für die Inklusion in diesem Land richtig schlecht gewesen sind. (Beifall bei der LINKEN) Jetzt sind wir hier zur abschließenden Beratung dieses Teilhabeleistungen für Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen müssen menschenrechtskon- Entwurfs eines Gesetzes mit dem Titel „Teilhabestär- form ausgestaltet werden, kungsgesetz“. Ich will Ihnen sagen: Mit Stärkung hat das herzlich wenig zu tun. (Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) und zwar bedarfsdeckend und einkommens- und vermö- gensunabhängig. Es mangelt schon wieder an Beteiligung. Wir, Linke und (Beifall bei der LINKEN) Grüne, haben Sachverständige eingeladen. Sie haben die- se Woche kompetent und nachvollziehbar erklärt, was Teilhabe stärkt man, indem man Assistenzhunde für man tun müsste. Aber wenn man in einer Woche die Menschen mit Behinderungen gesetzlich garantiert. Anhörung macht, die Beratung im Ausschuss und die (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. abschließende Beratung, dann erklären Sie mir doch Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- mal, wie man dann das, was in der Anhörung gesagt NEN]) worden ist, einbauen will, wie man das abwägen will. Wie kann man das Gesetz so zu einem guten Gesetz Und Barrierefreiheit – über dieses Thema haben wir oft machen? Das funktioniert doch nicht, und das wissen diskutiert – muss in allen Lebensbereichen ermöglicht auch Sie. Solche Anhörungen sind echt für die Füße. werden, sowohl im öffentlichen als auch im privaten Raum. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Es gibt einen Rattenschwanz an Änderungsanträgen, NEN]) an Initiativen; das sehen Sie, wenn Sie sich damit All diese Forderungen zur Schaffung einer echten Teil- beschäftigen. Das zeigt doch, wie groß der Handlungs- habe sind in den Anträgen der Linken, die heute zur bedarf in diesem Bereich ist. Das zeigt doch, wie viel Abstimmung stehen, enthalten. Wenn Sie diesen Anträ- Beratungsbedarf es gibt. Aber wir können über diese gen zustimmen, dann wird es noch was mit einem echten ganzen Initiativen hier gar nicht diskutieren. So bleiben Teilhabestärkungsgesetz. selbst die Vorschläge, die Sie auf den Tisch legen, zum Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28447

Corinna Rüffer (A) Beispiel zu den Assistenzhunden – das hat echt viel Raum Ich will gerne noch auf einige Punkte eingehen. Vieles (C) eingenommen; es gibt Initiativen dazu –, am Ende unaus- wurde ja schon gesagt, dennoch will auch ich noch mal gereift. sagen: Es gibt immer wieder Situationen, wo Menschen mit Behinderungen in ihrem Alltag Widerstände erleben, Genauso ist es beim Schutz vor Gewalt; Jens Beeck hat beispielsweise wenn sie mit einem Assistenzhund ein- es ja gerade angesprochen. Wir wissen um die Problema- kaufen wollen. Der Hund muss draußen bleiben. Wir tik. Wir wissen, wie häufig Frauen von Gewalt in Ein- haben das geregelt. Wir regeln ein Zugangsrecht für Men- richtungen betroffen sind. Trotzdem springen wir so kurz. schen mit Behinderungen und ihrem Assistenzhund im Zu den notwendigen Nachbesserungen beim Bundesteil- öffentlichen Raum, aber eben erstmals auch in privaten habegesetz haben sich Constantin Grosch und Nancy Bereichen. Das ist ein Fortschritt. Poser in der Anhörung den Mund fusselig geredet. Sie haben erklärt, wie man die Gängelung in diesem Land (Beifall bei Abgeordneten der SPD) endlich überwinden kann, wie man wirklich was für Wir verbessern den Gewaltschutz von Menschen, ins- Menschen mit Behinderungen tun kann, aber es passiert besondere von Frauen und Mädchen in Einrichtungen. schlicht und ergreifend nichts. Natürlich sorgen wir auch dafür, dass in Zeiten der Pan- Aber am allerschändlichsten finde ich – das will ich an demie in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen dieser Stelle sagen –, dass wir hier heute debattieren und Wahlen für ihre Interessensvertretungen, für die Schwer- Sie als Koalition einen Entschließungsantrag vorgelegt behindertenvertretungen und die Werkstatträte, stattfin- haben und sagen: Wir wollen die Assistenz im Kranken- den können, indem wir digitale Formate anbieten. haus regeln. – Das kommt, nachdem wir über ein Jahr- Wir verbessern Ausbildungsmöglichkeiten durch das zehnt über diese Frage reden. Wir sind in einer Pandemie. erweiterte Budget für Ausbildung und sorgen dafür, Diese Leute sind existenziell darauf angewiesen, dass wir dass den Menschen wichtige Alternativen zu den Werk- eine Lösung finden, und ihnen ist es total egal, – stätten am Arbeitsmarkt angeboten werden. Wer arbeiten will, ist oftmals auf das Auto angewiesen. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Das gilt auch für Menschen mit Behinderungen. Deswe- Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. gen bin ich sehr froh, dass es uns gelungen ist, für die Ausstattung oder die Anschaffung eines Autos die Kfz- Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Hilfe von 9 500 Euro auf 22 000 Euro anzuheben. Liebe – ob das Ding hier wie eine heiße Kartoffel hin- und Kolleginnen und Kollegen, das ist ein Schritt! herfliegt. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Kai (B) Ich will Ihnen am Ende meiner Rede etwas von einem Whittaker [CDU/CSU] und Matthias W. (D) Vater einer 29-jährigen Tochter ausrichten. Birkwald [DIE LINKE]) Es wurde schon mehrfach angesprochen, aber auch ich Vizepräsident Wolfgang Kubicki: will das noch sagen: Wir haben Ansprechstellen für Be- triebe geschaffen für mehr Beratung und Unterstützung Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen. bei Beschäftigung und Einstellung von Menschen mit Behinderungen; denn noch immer ist es so, dass Betriebe Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Scheu haben, Menschen mit Behinderungen einzustel- Es ist unverantwortlich und menschenverachtend, was len – zu viele Betriebe. Deswegen bin ich absolut bei die Politik da zulässt und ignoriert. – Ich möchte das unserem Arbeitsminister Hubertus Heil. Wir alle in der bestätigen. Wir haben einen Änderungsantrag vorgelegt. SPD-Fraktion haben befürwortet, dass wir hier über die Stimmen Sie dem zu, wenn Sie dieses Problem heute Ausgleichsabgabe mehr Druck machen müssen. Wir ha- wirklich lösen wollen; ansonsten sind Sie nicht glaub- ben so vieles getan, um Unternehmen zu unterstützen, würdig. aber es gibt nun einmal Unternehmen, die sich partout ihrer Beschäftigungspflicht verweigern. Dieser Realität Vielen Dank. muss man sich stellen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Abg. Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Leider konnten wir das mit unserem Koalitionspartner Vielen Dank, Frau Kollegin Rüffer. – Nächste Redne- nicht verwirklichen. Das will ich an dieser Stelle noch rin ist die Kollegin Angelika Glöckner, SPD-Fraktion. einmal betonen; das wurde ja schon mehrfach angespro- chen. Für die SPD-Fraktion sage ich deshalb: Wir werden das als hohe Priorität ganz oben auf unserer Agenda hal- Angelika Glöckner (SPD): ten. Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ja, es besteht Handlungsbedarf, und wir han- Ich will auch noch auf das Thema Krankenhausassis- deln, und zwar heute ganz konkret mit dem Teilhabestär- tenz zu sprechen kommen. Es ist bekannt, dass es viele kungsgesetz, das zu umfassenden Verbesserungen für Menschen mit Behinderungen gibt, die sich einer statio- Menschen mit Behinderungen in diesem Land führen nären Behandlung in einem Krankenhaus verweigern, wird. weil in einigen Fällen nicht geklärt ist, ob Begleitperso- 28448 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Angelika Glöckner (A) nen, die mitgehen können, für diese Zeit ihre Lohnkos- wegen weiten wir das Budget für Ausbildung auf dieje- (C) tenausfälle erstattet bekommen. In diesem Zusammen- nigen aus, die im sogenannten Arbeitsbereich einer hang möchte ich deutlich hervorheben, dass das BMAS Werkstatt tätig sind. Damit unterstützen wir auch eine vielfältige Angebote gemacht hat, kluge Ideen beschrie- Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt. ben hat und diese an das Haus des Bundesgesundheits- ministers geschickt hat. Aber leider waren die Ja, natürlich gibt es Bedenken, gibt es Vorbehalte bei Reaktionen verhalten und waren alles andere als positiv. Unternehmen, gerade bei kleineren Unternehmen. Sie Ich will betonen: Ich mache an dieser Stelle aus der Ent- fragen, ob das Sinn macht und welchen Risiken sie aus- täuschung für die SPD-Fraktion keinen Hehl. gesetzt sind, wenn sie Menschen mit Behinderungen bei sich ausbilden oder beschäftigen. Deshalb war die zent- (Beifall bei der SPD) rale Forderung der Union, einheitliche Ansprechstellen Ehrlicherweise muss man aber sagen: Es ist wenigs- einzurichten und das Beratungs- und Unterstützungsan- tens gelungen, dass wir aus den Reihen des Parlaments gebot deutlich zu verbessern. Genau das tun wir, indem einen Entschließungsantrag auf den Weg bringen, in dem wir für eine flächendeckende Struktur sorgen, indem wir wir eine Lösung einfordern. Das ist ein Schritt. Es ist für eine trägerunabhängige Lotsenfunktion sorgen, für nicht der Schritt, den wir wollen, aber es ist ein Schritt. qualifiziertes Personal, für Wirtschaftsnähe. Wir müssen ganz klar auf die Wirtschaft zugehen und sie ermutigen: Abschließend will ich sagen: Wir haben geliefert. Wir Bitte macht das möglich! Wir ebnen euch auch den Weg. haben auch in turbulenten Zeiten als verlässlicher Koali- Wir schlagen eine Bresche durch den Dschungel an Büro- tionspartner in dieser Regierung etwas geboten. kratie, an unterschiedlichen Zuständigkeiten, der sich in diesem Bereich, in dem es um Menschen mit Behinde- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: rungen geht, notwendigerweise ergibt. – Dafür dient die- Frau Kollegin, wenn Sie bitte zum Schluss kommen. se einheitliche Ansprechstelle. Es ist von Vorteil, dass wir das jetzt auf den Weg bringen. Ich danke der Koalition dafür, dass wir dies gemeinsam tun. Angelika Glöckner (SPD): Wir haben das Leben von vielen Menschen mit Behin- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- derungen dadurch verbessert. Ich bitte Sie alle ganz herz- ordneten der SPD) lich, unserem Entwurf zuzustimmen. Vielen Dank. Menschen, die arbeitslos sind und gleichzeitig Rehabi- litationsbedarf haben, haben größere Schwierigkeiten, (Beifall bei der SPD) wieder in den Arbeitsmarkt zurückzufinden. Der Wieder- (B) einstieg in den Arbeitsmarkt ist tatsächlich sehr schwer. (D) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Deswegen verbessern wir die Betreuungssituation für Vielen Dank, Frau Kollegin Glöckner. – Letzter Red- Rehabilitanden. Wir sorgen jetzt für Möglichkeiten einer ner in dieser Debatte ist der Kollege Stephan Stracke, aktiven Arbeitsförderung. Außerdem stärken wir die Rol- CDU/CSU-Fraktion. le der Jobcenter, um eine bessere verbindliche Abstim- mung zwischen den Leistungsträgern zu organisieren, um (Beifall bei der CDU/CSU) frühzeitig Bedarfe zu erkennen, um mit geschulten Beschäftigten, um mit Personal das tatsächlich anzuge- Stephan Stracke (CDU/CSU): hen. Ja, es gehört auch dazu, die Jobcenter perspektivisch Grüß Gott, Herr Präsident! Meine sehr verehrten Da- noch besser mit Mitteln auszustatten, gerade was das men und Herren! Uns alle eint hier das Ziel, eine inklu- Personal in diesem Bereich angeht. Aber das ist ein we- sive Gesellschaft zu schaffen, in der alle Menschen ein sentlicher Schritt, den wir in diesem Bereich tun. selbstbestimmtes Leben führen können. Dafür müssen Wir sorgen auch für ganz praktische Verbesserungen, wir Barrieren abbauen, dafür müssen wir die Bedingun- etwa bei der Anschaffung eines Wagens. Frau Kollegin, gen schaffen. Genau dazu trägt das Teilhabestärkungsge- Sie haben gerade darauf hingewiesen: Bislang beträgt der setz bei. Ich finde, es verdient sehr wohl diesen Titel: Es Zuschuss dafür 9 500 Euro. Das ist viel zu wenig, wenn stärkt die Teilhabe von Menschen. Es wird angesichts der man an die derzeitigen Anschaffungskosten für einen einzelnen Themen, die wir auf den Weg bringen, eben Wagen der unteren Mittelklasse denkt. Deswegen heben einen Unterschied im Alltag der Menschen ausmachen. wir diesen Zuschuss auf 22 000 Euro an. Man sieht: Die- (Sören Pellmann [DIE LINKE]: Das hat der ses Teilhabestärkungsgesetz macht einen Unterschied im Sachverständige anders gesehen!) Alltag aus, und das tut den Menschen gut.

Wir machen das Teilhabestärkungsgesetz, weil es den (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Menschen im Alltag ganz konkret mehr nutzen wird. der SPD) Das ist der Vorteil dieses Gesetzes. (Beifall bei der CDU/CSU) Abschließend: Wir verbessern den Alltag ganz konkret und haben da noch etwas vor uns, und zwar die Umset- Gute Arbeit und guter Lohn sind Grundlage für ein zung der EU-Richtlinie zur Barrierefreiheit. gutes Leben. Aus diesem Grund setzen wir alles daran, die Beschäftigungschancen von Menschen mit Behinde- (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- rungen zu verbessern. Wir wollen mehr Menschen mit NEN]: Das ist doch wieder so ein Bett- Behinderungen in Ausbildung und Arbeit bringen. Des- vorleger!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28449

Stephan Stracke (A) Das zeigt: Wir leisten einen aktiven Beitrag dazu, dass und die FDP. Die Beschlussempfehlung ist damit ange- (C) Inklusion in dieser Gesellschaft gelingt, mit dem Teil- nommen.1) habestärkungsgesetz und dann auch mit dem Barrierefrei- Tagesordnungspunkt 14 b. Wir setzen die Abstimmung heitsstärkungsgesetz. In diesem Sinne: Es ist ein gutes zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit Gesetz. Ich bitte um Zustimmung. und Soziales auf Drucksache 19/28834 fort. Der Aus- schuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussemp- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- fehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der AfD ordneten der SPD) auf Drucksache 19/22929 mit dem Titel „Kein Aus- schluss der Teilhabe von Menschen mit geistiger oder Vizepräsidentin : mehrfacher Behinderung in Krankenhäusern oder Reha- Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache. Einrichtungen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- lung? – Fraktionen Die Linke, SPD, Bündnis 90/Die Grü- Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- nen, CDU/CSU und FDP. Wer stimmt dagegen? – Die desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Stärkung Fraktion der AfD. Enthaltungen? – Sehe ich keine. Die der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen sowie zur Beschlussempfehlung ist angenommen. landesrechtlichen Bestimmung der Träger der Sozialhil- fe. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt unter Unter Buchstabe e seiner Beschlussempfehlung emp- Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Frak- 19/28834, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf tion Die Linke auf Drucksache 19/27299 mit dem Titel Drucksachen 19/27400 und 19/28395 in der Ausschuss- „Gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinde- fassung anzunehmen. Hierzu liegen zwei Änderungsan- rungen deutlich verbessern und Selbstbestimmungsrecht träge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über die garantieren“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- wir zuerst abstimmen. lung? – Fraktionen von SPD, CDU/CSU, FDP und AfD. Wer stimmt dagegen? – Fraktion Die Linke und Änderungsantrag auf Drucksache 19/28846. Wer Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Gibt es Enthaltungen? – stimmt dafür? – Das sind die Fraktionen Die Linke und Sehe ich keine. Die Beschlussempfehlung ist damit ange- Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Das sind nommen. die Fraktionen der SPD und der CDU/CSU. Wer enthält Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe f sich? – Das sind die Fraktionen der FDP und der AfD. seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt. der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/27316 mit dem Titel „Tierische Assistenz ermöglichen – Assistenz- Änderungsantrag auf Drucksache 19/28847. Wer (B) hunde für Menschen mit Behinderungen gesetzlich (D) stimmt dafür? – Das sind die Fraktionen Die Linke und garantieren“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Das sind lung? – Fraktionen der SPD, CDU/CSU und AfD. Wer die Fraktionen der SPD, der CDU/CSU und der AfD. Wer stimmt dagegen? – Fraktionen Die Linke, Bündnis 90/ enthält sich? – Das ist die Fraktion der FDP. Auch dieser Die Grünen und FDP. Gibt es Enthaltungen? – Sehe ich Änderungsantrag ist damit abgelehnt. nicht. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf der Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe g Bundesregierung auf Drucksachen 19/27400 und seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags 19/28395 in der Ausschussfassung zustimmen wollen, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen der 19/24437 mit dem Titel „Sozialstaat auf Augenhöhe – SPD, der CDU/CSU und der AfD. Wer stimmt dagegen? – Zugang zu Teilhabeleistungen verbessern“. Wer stimmt Da sehe ich niemanden. Enthaltungen? – Das sind die für diese Beschlussempfehlung? – Fraktionen von SPD, Fraktionen Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen und CDU/CSU, FDP und AfD. Wer stimmt dagegen? – Frak- FDP. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung tionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Sehe ich angenommen. Enthaltungen? – Nein. Die Beschlussempfehlung ist da- mit angenommen. Dritte Beratung Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Drucksache 19/27890 an die in der Tagesordnung aufge- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – führten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es weitere Über- Das sind die Fraktionen der SPD, der CDU/CSU und weisungsvorschläge? – Sehe ich nicht. Dann verfahren der AfD. Wer stimmt dagegen? – Da sehe ich niemanden. wir wie vorgeschlagen. Enthaltungen? – Das sind die Fraktionen der Linken, von Tagesordnungspunkt 14 d. Beschlussempfehlung des Bündnis 90/Die Grünen und der FDP. Der Gesetzentwurf Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Fraktion ist damit angenommen. der AfD mit dem Titel „Beseitigung von Teilhabebeein- Unter Buchstabe h seiner Beschlussempfehlung auf trächtigungen aufgrund von Sehschwächen durch Erwei- Drucksache 19/28834 empfiehlt der Ausschuss, eine Ent- terung der Versorgung gesetzlich Versicherter mit Seh- schließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschluss- hilfen“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a empfehlung? – Fraktionen der SPD und der CDU/CSU. seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/28687, Wer stimmt dagegen? – Fraktion der AfD. Wer enthält sich? – Fraktionen Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen 1) Anlage 4 28450 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Vizepräsidentin Dagmar Ziegler (A) den Antrag der Fraktion der AfD auf Drucksache 19/4316 d) Beratung der Beschlussempfehlung und des (C) abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und lung? – Fraktionen Die Linke, SPD, Bündnis 90/Die Grü- Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der nen, CDU/CSU und FDP. Gegenprobe! – Die Fraktion Abgeordneten Dr. , Dr. Ingrid der AfD. Enthaltungen? – Sehe ich nicht. Die Beschluss- Nestle, Lisa Badum, weiterer Abgeordneter empfehlung ist damit angenommen. und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Tagesordnungspunkt 14 e. Beschlussempfehlung des NEN Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Jetzt auf erneuerbare Energien setzen – Fraktion Die Linke mit dem Titel „Gute Arbeit für Men- Energie sparen, erneuerbare Gase voran- schen mit Behinderungen ermöglichen und sichern“. Der bringen Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss- empfehlung auf Drucksache 19/27334, den Antrag der Drucksachen 19/23055, 19/24502 Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/24690 abzuleh- nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das e) Beratung der Beschlussempfehlung und des sind die Fraktionen der SPD, der CDU/CSU und der FDP. Berichts des Ausschusses für Umwelt, Natur- Wer stimmt dagegen? – Fraktion Die Linke. Wer enthält schutz und nukleare Sicherheit (16. Aus- sich? – Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Die Beschluss- schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten empfehlung ist damit angenommen. Sylvia Kotting-Uhl, Lisa Badum, Dr. Bettina Hoffmann, weiterer Abgeordneter und der Ich rufe die Tagesordnungspunkte 15 a bis 15 n sowie Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zusatzpunkt 2 auf: 15 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Lisa 10 Jahre nach dem GAU von Fukushima – Badum, Jürgen Trittin, Uwe Kekeritz, weite- Atomkraft hat keine Zukunft rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Drucksachen 19/27193, 19/28833 NIS 90/DIE GRÜNEN US-Präsident Joe Bidens Klimagipfel als f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Chance ergreifen – Klimapartnerschaften Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und als Kern einer strategischen Klimaaußen- Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der politik Abgeordneten Dr. Julia Verlinden, Christian Kühn (Tübingen), Lisa Badum, weiterer Ab- Drucksache 19/28785 geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ (B) Überweisungsvorschlag: DIE GRÜNEN (D) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (f) Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- Aktionsplan Faire Wärme – Aufbruch für lung klimaneutrale, bezahlbare und warme b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wohnungen und ein starkes Handwerk Uwe Kekeritz, Claudia Roth (Augsburg), Lisa Badum, weiterer Abgeordneter und der Drucksachen 19/26182, 19/27070 Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN g) Beratung der Beschlussempfehlung und des Klimaziele und Entwicklungspolitik kon- Berichts des Ausschusses für Bau, Wohnen, sequent aufeinander ausrichten – Klima- Stadtentwicklung und Kommunen (24. Aus- gerechtigkeit im Globalen Süden voran- schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten bringen Gerhard Zickenheiner, Lisa Badum, Stefan Drucksache 19/28474 Schmidt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- Klimaschutz, Klimaanpassung und nach- lung (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit haltige Entwicklung als kommunale Kon- Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe junkturmotoren nutzen Haushaltsausschuss c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Drucksachen 19/20799, 19/28647 Erhard Grundl, Tabea Rößner, Margit Stumpp, weiterer Abgeordneter und der h) Beratung der Beschlussempfehlung und des Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Berichts des Ausschusses für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen (24. Aus- Green-Culture-Konzept umsetzen – Kli- schuss) maschutz als Pfeiler einer zukunftsfähigen Kulturpolitik verankern – zu dem Antrag der Abgeordneten Daniel Föst, Frank Sitta, Grigorios Aggelidis, Drucksache 19/27877 weiterer Abgeordneter und der Fraktion Überweisungsvorschlag: der FDP Ausschuss für Kultur und Medien (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen Nachhaltig bauen – Technologieoffen- Haushaltsausschuss heit stärken – Bezahlbar wohnen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28451

Vizepräsidentin Dagmar Ziegler (A) – zu dem Antrag der Abgeordneten dem Antrag der Abgeordneten Sabine (C) Christian Kühn (Tübingen), Dr. Bettina Leidig, Jörg Cezanne, Ingrid Remmers, wei- Hoffmann, Harald Ebner, weiterer Abge- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ LINKE DIE GRÜNEN Weiterbau der A 49 stoppen, ÖPP-Verträ- Bauwende einleiten – Für eine ressour- ge kündigen, Alternativen prüfen und censchonende Bau- und Immobilien- umsetzen wirtschaft Drucksachen 19/23114, 19/24683 – zu dem Antrag der Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Dr. Julia m) Beratung der Beschlussempfehlung und des Verlinden, Lisa Badum, weiterer Abge- Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der DIE GRÜNEN Abgeordneten Lorenz Gösta Beutin, Hubertus Zdebel, Dr. Gesine Lötzsch, wei- Das Drittelmodell – Energetische terer Abgeordneter und der Fraktion DIE Modernisierungen voranbringen – Ge- LINKE recht und sozial ausgewogen Kein öffentliches Geld für klimaschädli- Drucksachen 19/26178, 19/23152, che Energien und Atomkraft 19/26183, 19/28829 Drucksachen 19/22348, 19/28811 i) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Natur- n) Beratung der Beschlussempfehlung und des schutz und nukleare Sicherheit (16. Aus- Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Karsten Hilse, Marc Bernhard, Andreas Abgeordneten Lorenz Gösta Beutin, Bleck, weiterer Abgeordneter und der Frak- Hubertus Zdebel, Dr. Gesine Lötzsch, wei- tion der AfD terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Wohlstand und Natur dauerhaft bewah- ren und ausbauen – Kostengünstige Ener- Keine Finanzhilfen für Flüssiggas-Import- gie als Grundpfeiler für fortwährendes Infrastruktur in Deutschland Wachstum und nachhaltigen Umwelt- Drucksachen 19/8512, 19/28811 (B) schutz (D) Drucksachen 19/22449, 19/23887 ZP 2 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und SPD j) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Lukas Köhler, Frank Sitta, Grigorios Das Potential des regenerativen Baustoffs Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Holz in der Entwicklungszusammenarbeit Fraktion der FDP für die Herausforderungen des Klimawandels nutzen Transatlantische Klimaschutzkooperation als Startschuss für ein globales Emissions- Drucksache 19/28791 handelssystem Für die Aussprache wurde die Dauer von 60 Minuten Drucksache 19/28686 beschlossen.

Überweisungsvorschlag: Ich eröffne die Aussprache. – Es wird heute eine lange Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (f) Nacht. Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- lung (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union GRÜNEN]: Ja! 4.20 Uhr!) k) Beratung des Antrags der Abgeordneten Deswegen versuche ich jetzt schon, etwas Zug reinzu- Sabine Leidig, Ingrid Remmers, Dr. Gesine bringen. – Ich bitte, Platz zu nehmen. Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Das Wort hat Jürgen Trittin von der Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen. Kein weiter so mit dem Bundesverkehrs- wegeplan 2030 (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Drucksache 19/28778 Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit lädt Joe Biden 40 Staats- und Regierungschefs zu einem Haushaltsausschuss Leaders Summit on Climate. Da geht es auch um die l) Beratung der Beschlussempfehlung und des ökonomischen Vorteile beschleunigter Klimaschutzmaß- Berichts des Ausschusses für Verkehr und nahmen. Damit stellen sich die USA an die Spitze einer digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) zu Bewegung, die versucht, das 1,5-Grad-Ziel von 28452 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Jürgen Trittin (A) doch noch zu erreichen. Außenminister Blinken erklärte (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (C) gestern in einer Rede: Wir werden die Klimakrise in das Zentrum unserer Außen- und Sicherheitspolitik stellen. Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Und es stimmt: Die USA haben ja mehr als vier Jahre Kommen Sie bitte zum Ende. im Kampf gegen die Klimakrise verloren. Aber sie mei- (Die Beleuchtung fällt aus) nen es offensichtlich ernst. Ihr Sonderbotschafter John Kerry hat gemeinsam mit China – und das trotz der scharfen Kritik der Administration an den Zuständen in Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Xinjiang und in Hongkong – für die Klimakonferenz in Deswegen sage ich Ihnen – auch wenn hier jemand Glasgow eine Vereinbarung getroffen, in der die USA vorsätzlich das Licht ausmacht –: und China sich verpflichten, ihre Anstrengungen zur (Zuruf von der AfD: Mit Ihnen geht das Licht Minderung, Anpassung und Finanzierung signifikant zu aus!) erhöhen. Meine Damen und Herren, Deutschland muss raus aus Und was macht die deutsche Bundesregierung? Sie der Bräsigkeit. Der Klimaschutz muss ins Kanzleramt. macht das, was sie immer macht, wenn es um Klima- Wer eine zukunftsfähige Industriepolitik will, wer eine schutz geht: bessere transatlantische Freundschaft will, – (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Blockieren!) Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Sie sitzt bräsig auf der Bremse. Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Das stimmt Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): doch gar nicht! – Timon Gremmels [SPD]: – der muss dafür sorgen, dass Bun- Stimmt doch gar nicht!) deskanzlerin wird. Das Angebot der Amerikaner, eine deutsch-amerikani- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – sche Energie- und Klimapartnerschaft zu begründen, Lachen bei der AfD – Dr. Rainer Kraft [AfD]: wurde wochenlang wie eine heiße Kartoffel zwischen Die wollen nur Fracking-Gas von ihren ameri- dem Umwelt-, dem Außen- und dem Wirtschaftsministe- kanischen Freunden kaufen!) rium hin- und hergeschoben. Unter tätiger deutscher Mithilfe wurde der Vorschlag Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: (B) des Europaparlaments, bis 2030 den Ausstoß von Treib- Vielen Dank. – Dr. Anja Weisgerber von der CDU/ (D) hausgasen um 60 Prozent zu reduzieren – das wäre die CSU-Fraktion hat als Nächste das Wort. Voraussetzung gewesen, um überhaupt auf den 1,5-Grad- (Beifall bei der CDU/CSU) Pfad kommen zu können –, (Karsten Hilse [AfD]: Wer sagt denn das?) Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): ausgebremst. Das ist ein Stück aus dem Tollhaus, wenn Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und als Kompromiss zwischen dem Vorschlag des Europä- Kollegen! Es ist eine große Freude für mich, nach Jürgen ischen Parlaments – 60 Prozent – und dem Vorschlag Trittin sprechen zu können. Dann kann ich nämlich mal des Rates – 55 Prozent – am Ende 52,8 Prozent, also ausdrücklich widersprechen und einiges klarstellen. weniger als 55 Prozent, herauskommen. Die Grünen behaupten immer wieder, dass beim Kli- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) maschutz in den letzten Jahren in Deutschland nichts passiert ist. Das stimmt objektiv betrachtet einfach nicht. Es war auch die deutsche Bundesregierung, die darauf Wir erreichen jetzt in Deutschland unser Klimaziel. Wir gedrängt hat, die Wiederaufforstung von Flächen mit sind Vorreiter. Klimaschäden, also die von der Klimakrise zerstörten Fichtenmonokulturen unserer Mittelgebirge, auf die (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Emissionsminderung anzurechnen. Meine Damen und GRÜNEN]: Wo denn?) Herren, das ist eher Bolsonaro als Biden. Aber wir sollten Wir sind Taktgeber, auch auf der europäischen Ebene. Ich mehr Biden wagen. sage nur: Emissionshandel, den wir jetzt bei uns in (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutschland einführen. Allen Unkenrufen zum Trotz ha- ben wir unser Klimaziel 2020 erreicht. Wir müssen runter von der Bremse beim Klimaschutz. Wir müssen aktiv das Angebot einer solchen Klimapart- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) nerschaft aufnehmen. Wenn wir Klimaneutralität errei- Nicht die Opposition und nicht die Grünen haben das chen wollen, dann muss künftig zum Beispiel Stahl mit erreicht, sondern wir als Koalitionsfraktionen. Das ist Wasserstoff statt Kohlenstoff produziert werden. Dafür doch die Wahrheit, Herr Trittin. braucht es Standards, dafür braucht es eine industrielle Revolution, und die muss vor Dumpingkonkurrenz von (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und anderswo geschützt werden. Dafür brauchen wir ein Car- der SPD) bon Border Adjustment. Genau all dieses liegt jetzt in den Ich weiß, was jetzt kommt – daher lassen Sie es mich Vereinbarungen mit den USA auf dem Tisch. vorwegnehmen –: Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28453

Dr. Anja Weisgerber (A) (Die Lüftungsanlage springt an und erzeugt ein Vielen Dank. (C) anhaltendes Rauschen – Marianne Schieder (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- [SPD]: Man versteht überhaupt nichts!) ordneten der SPD) die Behauptung, das Klimaziel 2020 in Deutschland hät- ten wir nur wegen Corona erreicht. Auch das stimmt ein- Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: fach nicht. Dafür hatten Sie jetzt auch ausreichend Zeit. (Zuruf: Es wird kalt!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe mit den Das Klimaschutzpaket Deutschlands wirkt. Der Drei- Geschäftsführerinnen und Geschäftsführern vereinbart, klang aus Anreizen durch Förderprogramme für den dass wir die Sitzung unterbrechen, bis geklärt ist, warum Umstieg auf Umwelttechnologien und für Zukunftsinno- es hier so kalt und so dunkel ist. Bis dahin bitte ich um vationen, aus mehr Verbindlichkeit und mehr Kontrolle Geduld. – Vielen Dank. durch das Klimaschutzgesetz und aus der CO2-Beprei- sung wirkt. Das belegen die Zahlen. Auch der Emissions- (Dr. [AfD]: Das ist ganz handel der EU funktioniert. Gerade in den Bereichen einfach: grüne Energiewende!) Industrie und Energie gibt es eine kontinuierliche Redu- Damit Sie sich darauf einstellen können: Ich unterbre- zierung der CO2-Emissionen. CO2 ist die neue Währung. che die Sitzung jetzt für 15 Minuten. Auch durch unsere Einführung des Emissionshandels für (Unterbrechung von 13.14 bis 13.45 Uhr) die Bereiche Wärme und Verkehr werden wir die Wärme- wende, die Verkehrswende voranbringen. Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Frau Präsidentin, ich frage mich, ob wir das Rauschen ignorieren sollen; aber ich spreche einfach weiter. Viel- Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Anbetracht des leicht bekomme ich noch eine halbe Minute mehr. Zeitablaufs bis heute Nacht erkläre ich jetzt die unter- brochene Sitzung für wieder eröffnet. Zur Wahrheit gehört aber auch: Alleine können wir das Klima nicht retten. Wir brauchen auch die anderen Staa- Die Mitteilung, dass die Sitzung wieder eröffnet wer- ten der Welt. den soll, ist zuvor durch Durchsage in die Büros gegan- gen. Es wird noch eine Weile dauern, bis es hier wieder (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und etwas wärmer wird; aber wenigstens ist der Geräusch- der SPD) pegel nach unten gegangen. Nach Jahren des Fast-Stillstands hat die Wahl des US- Nach einer Vereinbarung mit den Parlamentarischen (B) Präsidenten Schwung in die internationale Debatte ge- Geschäftsführern beginnen wir jetzt mit der Wiederho- (D) bracht. Dieses Momentum müssen wir jetzt nutzen, lung des Redebeitrags von Dr. Anja Weisgerber von der wenn die USA, wenn China jetzt sich endlich auch auf CDU/CSU-Fraktion. diesen Weg begeben. Denn die Wahrheit ist doch: Trump war der Bremser. Jetzt haben wir die Möglichkeit, auch (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- international richtig Schwung hineinzubekommen. ordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): Ein unterschätztes Potenzial sind die Entwicklungs- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und und Schwellenländer. Sie wollen auch am Wohlstand Kollegen! Es ist mir eine wahre Freude, direkt nach partizipieren. Entscheidend dafür, ob wir unser interna- Jürgen Trittin sprechen zu können, tionales Klimaziel erreichen, ist, dass wir die Wirtschaft (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU so- in den Entwicklungs- und Schwellenländer von Anfang wie bei Abgeordneten der SPD, der AfD, der an klimafreundlich aufbauen. Deswegen brauchen wir FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/ auf internationaler Ebene einen Anreizmechanismus. DIE GRÜNEN) Wir müssen selbst unsere Hausaufgaben machen – das kommt noch on top –; aber wenn wir auch international weil es mir die Gelegenheit gibt, ihm wirklich zu wider- Klimaschutzprojekte fördern, wenn wir dort investieren, sprechen und einiges klarzustellen: dann muss dies auch auf unser nationales Klimaziel anre- Die Grünen behaupten immer wieder, es sei im Klima- chenbar sein. Dann bekommen wir eine Win-win-Situa- schutz in Deutschland nichts passiert. Aber das stimmt tion hin. einfach nicht, auch objektiv betrachtet. Deutschland wird (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) seiner Vorreiterrolle gerecht. Wir sind Taktgeber. Wir haben uns ein ambitioniertes Klimaschutzziel gegeben, Wir gehen mit unserem Klimaschutzpaket wirklich einen und das haben wir auch erreicht. Allen Unkenrufen zum großen Schritt voran; aber wir müssen die anderen Staa- Trotz haben wir dieses Klimaziel erreicht. Und wir, die ten, die Entwicklungs- und Schwellenländer, dabei mit- Koalitionsfraktionen, haben das erreicht, nicht die Grü- reißen. Nur so können wir im internationalen Klima- nen, die sich immer als Anwälte für den Klimaschutz schutz vorankommen. darstellen. Dafür brauchen wir auch keine Annalena Es ist sehr schade, dass jetzt alle durch das erloschene Baerbock als Kanzlerin. Licht und durch die Klimaanlage, die verrücktspielt, abgelenkt waren. Aber es hat mir trotzdem Spaß gemacht, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Jürgen Trittin zu widersprechen. Das habe ich vorhin noch nicht gesagt. 28454 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

(A) Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Das belegen auch die Zahlen. Der Emissionshandel ist (C) Würden Sie eine Zwischenfrage zulassen? das Herzstück der Klimapolitik. Gerade in den Bereichen Industrie und Energie sinken die CO2-Emissionen signi- fikant und konsequent. Deswegen ist es genau die richti- Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): ge Antwort, dass wir als Deutsche jetzt Vorreiter sind und Ja, gerne. den Emissionshandel auch für die Bereiche Wärme und Verkehr einführen. CO2 ist die neue Währung in diesen Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Bereichen und befördert die Wärmewende und die Ver- Bitte, Herr Trittin. kehrswende. Deswegen gehen wir genau den richtigen Weg, und zwar den Weg nach vorne – als Einzige in Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ganz Europa –, und wollen jetzt auch Europa dazu brin- Frau Präsidentin! Liebe Frau Weisgerber, ich freue gen, den Emissionshandel auszuweiten, meine Damen mich ja, dass Sie sich freuen. und Herren. Ich habe Ihnen vorhin zugehört. Sie haben sich gegen (Beifall bei der CDU/CSU) die Aussage verwahrt, dass Deutschland seine Klima- Aber eines ist auch klar: Alleine in Deutschland, allei- schutzziele nur wegen der Coronapandemie erreicht hat. ne in Europa werden wir die Klimaziele nicht erreichen. Ich würde jetzt gerne folgende Äußerung zitieren: Wir brauchen auch die anderen Länder dieser Welt. Es ist Doch ohne die Corona-Lockdowns mit den Ein- ein Schub für den internationalen Prozess, dass sich jetzt schränkungen bei Produktion und Mobilität hätte auch Biden hinter die Klimaziele stellt, dass es Gipfel Deutschland sein Klimaziel für 2020 verfehlt. Das gibt, dass die Chinesen sich auf diesen Weg begeben. bedeutet, dass die Emissionen wieder steigen wer- Wir müssen aber auch an die Entwicklungs- und den, wenn die Wirtschaft anspringt. Das gilt beson- Schwellenländer denken. ders für den Verkehrssektor, der sich nicht auf den vergleichsweise guten Zahlen ausruhen kann. Des- (Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Genau!) halb ist klar, dass nur ambitionierter Klimaschutz Deswegen ist es genau der richtige Weg, dass wir jetzt auf und auf beschleunigte Dekarbonisierung orientierter der Klimakonferenz in Glasgow einen Marktmechanis- Strukturwandel in den zentralen Wirtschaftssekto- mus verabschieden, der es den Industrienationen ermög- ren dazu führen kann, die Klimaziele der Bundesre- licht, wenn sie in Klimaprojekte in Entwicklungs- und gierung zu erreichen. Schwellenländern investieren, dass dies auch auf das Wissen Sie, von wem das stammt? eigene Klimaschutzziel angerechnet werden kann. Nur (B) so bekommen wir es wirklich hin, dass wir die interna- (D) (Zuruf von der LINKEN: Jürgen Trittin!) tionalen Klimaschutzziele erreichen. – Nein. – Von Dirk Messner, dem Präsidenten des (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Umweltbundesamtes. Ich entnehme das einer Pressemit- teilung des Bundesumweltministeriums. Das ist unsere Politik: nicht nur mit der nationalen Brille Klimapolitik machen, sondern auch auf internationaler Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): Ebene. Sehr geehrter Herr Trittin, im Gegensatz zu Ihnen habe Vielen Dank. ich die Pressekonferenz von vorne bis hinten angeschaut. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Zuruf von der LINKEN: Oh!) ordneten der SPD) Deshalb weiß ich auch ganz genau – das wird auch in mehreren Artikeln, unter anderem von klimareporter.de, Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: zitiert –, dass er auch gesagt hat: Ohne die Coronapande- Vielen Dank, liebe Kollegin Weisgerber. – Das Wort mie hätten wir nach den Modellierungen des UBA 39 Pro- geht an Karsten Hilse von der AfD-Fraktion. zent erreicht. Wir hätten also nur ganz knapp darunter gelegen. Es wurde nach außen ganz anders transportiert. (Beifall bei der AfD) Es wurde gesagt: Nur wegen Corona haben wir das er- reicht. UBA-Präsident Messner hat auch gesagt, dass Karsten Hilse (AfD): unser Klimaschutzpaket wirkt, und das wäre jetzt auch Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Her- die Fortsetzung meiner Rede. ren! Erst mal danke ich dem lieben Herrgott, dass er bei (Beifall bei der CDU/CSU) der Rede eines Kommunisten das Licht hat ausgehen lassen. Unser Klimaschutzpaket wirkt. Das Zusammenspiel aus Anreizen durch Förderprogramme und Umstieg in (Beifall bei der AfD – Timon Gremmels [SPD]: Umwelttechnologien wird gefördert. Zum Zweiten. Das Um Gottes willen!) Zusammenspiel aus mehr Verbindlichkeit durch mehr Heute beraten wir viele Anträge, insbesondere der Kontrolle durch das Klimaschutzgesetz und der CO2- grünbemäntelten Kommunisten, Bepreisung greift. Auch das haben der UBA-Präsident und Umweltministerin Schulze in dieser Pressekonferenz (Widerspruch bei Abgeordneten des BÜND- gesagt. NISSES 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28455

Karsten Hilse (A) die alle vorgeben, auf irgendeine tolle Weise das soge- Der Umwelt und dem Klima nützt es überhaupt nichts, (C) nannte Weltklima, einen rein statistischen Wert, schützen aber den Ideologen, den Raffkes – – zu wollen, und das, nur einen Tag nachdem die Koalition in besonders dreister Weise das sogenannte Infektions- Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: schutzgesetz derart verschärft hat, dass es nicht nur mit Herr Kollege Hilse, ich muss Sie leider noch einmal Fug und Recht Freiheitlich-demokratische-Grundord- unterbrechen. nung-Außerkraftsetzungsgesetz genannt werden kann, sondern es auch erlaubt, die Macht in diesem Staat ganz gezielt und sehr direkt dauerhaft zu ergreifen, Karsten Hilse (AfD): Ich rede zu Herrn Joe Biden. (Beifall bei Abgeordneten der AfD)

weg vom Parlament, also vom Volk, weg von den Län- Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: dern, direkt zur Kanzlerin. Ja, aber Sie tragen einen Button, der nach der Ge- Dazu muss nur ein willkürlich gesetzter Inzidenzwert schäftsordnung nicht erlaubt ist. Bitte nehmen Sie ihn von 100 überschritten werden mit Tests, die selbst laut sofort ab. Ihr Geschäftsführer kennt doch die Spielregeln. WHO keinesfalls zur Feststellung einer Infektion ge- Bitte halten auch Sie sich daran. Sie dürfen gerne Ihre eignet sind. Dann ist die Regierung ermächtigt, die Rede fortsetzen, und von Ihrer Redezeit wird nichts abge- grundgesetzlich garantierten Freiheitsrechte nach ihrem zogen. Belieben einzuschränken, Bürger wegzusperren, bei Zuwiderhandlung bis zu fünf Jahre ins Gefängnis zu wer- fen. Die im Gesetz vorgesehene Begrenzung auf die Karsten Hilse (AfD): Dauer der Pandemie lässt sich leicht durch Auswertung Vielen Dank. – Der Umwelt und dem Klima nützt es der Massentests verewigen. überhaupt nichts, aber den Ideologen, den Raffkes und den Spekulanten. Den Oligarchen des Weltwirtschafts- forums geht es nicht um den Planeten, sondern um ungla- Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: ubliche Gewinne, um Umverteilung mittels einer neuen Herr Kollege Hilse, darf ich Sie ganz kurz unterbre- weltweiten Ordnung, wie es ja auch ganz offen verkündet chen? wird. Sie, Frau Merkel – im Moment nicht da –, und Ihre Karsten Hilse (AfD): Entourage haben in den letzten 16 Jahren nicht nur den Ja, aber natürlich. (B) Weg dafür geebnet und dazu alle rechtlichen und morali- (D) schen Hürden gerissen, sondern proaktiv alle Gesetze, Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: alle Verordnungen auf Bundes- und EU-Ebene organi- Sie sprechen nicht zur Sache. Nach der Geschäftsord- siert, um dieses Ziel zu erreichen. Sie haben den Euro nung müssen Sie jetzt sofort zum Thema kommen; sonst mit dem Geld der Deutschen gerettet. Sie haben der müsste ich Ihnen das Wort entziehen. Das wäre schade. Umvolkung Deutschlands Tür und Tor geöffnet, als Sie untersagten, die Grenzen zu schließen, was heute zur (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Pandemiebekämpfung gang und gäbe ist – sogar inner- SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- deutsch –, und Sie haben Millionen hochwertschöpfender NEN) Arbeitsplätze dauerhaft aus diesem Land vertrieben. Dafür zahlen wir die höchsten Strompreise der Welt.

Karsten Hilse (AfD): (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Aber natürlich. – Dieses Gesetz ist die Blaupause für ein Klimaschutzgesetz gleicher Prägung. Es muss nur Unterstützt, nein, getrieben wurden Sie dabei von den statt dem Inzidenzwert das undefinierte Pariser Klimaziel grünen Kommunisten, deren wahre und willige Vollstre- von 2 Grad eingesetzt werden, und schon können sämt- ckerin Sie immer waren und noch immer sind. Sie voll- liche Grundrechte weiter eingeschränkt bleiben, kann strecken damit eine verheerende Politik, die auf einer eine Ökodiktatur dauerhaft errichtet werden. infantilen, jedoch höchst schädlichen Ideologie beruht, deren beste Vertreterin die gerade gekürte Kanzlerkandi- Die Zeichen der Zeit, die Signale stehen leider genau datin Baerbock ist, die nicht einmal die Grundrechenarten dafür. Hatte Präsident Trump noch den Mut, gegen diesen sicher beherrscht und eine Zweidrittelmehrheit für größer Wahnsinn vorzugehen und nach gründlicher Prüfung aus hält als eine 75-prozentige. dem sozialistischen Verarmungsprogramm namens Pari- ser Klimaabkommen auszusteigen, gleichzeitig aber die (Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- CO2-Emissionen der USA weiter zu senken, entschied ein NEN]: Reden Sie zum Thema!) neosozialistischer Nachfolger mit einer waschechten Kommunistin im Schlepptau am Tage seiner Amtsüber- Ihnen, Frau Merkel, ist das Schicksal der ehemals kon- nahme, diesen Austritt rückgängig zu machen, und wird servativen CDU vollkommen egal. Sie haben sie entkernt dafür überschwänglich von den vergrünten Medien und und ihrer Werte beraubt. den neosozialistischen Altparteien gelobt, gelobt für ein in der Welt beispielloses sozialistisches Verarmungs-, ja (Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Selbstmordprogramm. NEN]: Sie sollen zum Thema sprechen!) 28456 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Karsten Hilse (A) Und mit dem gestern verabschiedeten Freiheitlich-demo- Natürlich wären 60 Prozent toll gewesen. Aber mindes- (C) kratische-Grundordnung-Außerkraftsetzungsgesetz ha- tens 57 Prozent erreicht zu haben, ist ein richtiger und ben Sie, liebe CDU-Genossen, die CDU dem Untergang wichtiger Schritt. preisgegeben, und das geschieht Ihnen recht. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Dass Sie sich dafür nicht zu schade Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: sind!) Kommen Sie bitte zum Ende, Herr Kollege. – Ja, so ist nun mal zu interpretieren. Wer das leugnet und die erreichte Zahl mit 52 Prozent beziffert, der macht die Karsten Hilse (AfD): EU schlechter, als sie ist, und das ist einfach nicht richtig. Wer von einer verkappten Kommunistin buckelt, hat in (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der einer freiheitlichen Demokratie nichts zu suchen. CDU/CSU) Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Als nächsten Punkt möchte ich ansprechen, dass wir (Beifall bei der AfD – Timon Gremmels [SPD]: nicht immer nur auf die Ziele schauen sollten. Wir haben Mein Gott! Das ist ja sogar für Ihre Verhältnis- jetzt einen weiteren Meilenstein gesetzt. Jetzt muss man se unter Ihrem Niveau! – Zuruf von der CDU/ aber schleunigst auf die Ebene zurückkommen, dass auch CSU: Sagt der Volkspolizist!) tatsächlich umgesetzt wird. Wir erleben es aber leider landauf, landab, dass wir immer mit der Umsetzung hinterherhängen. Wir dürfen uns nicht länger was vor- Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: machen. Auch solche Fantastereien wie ein neuer Emis- Das Wort geht an Dr. Nina Scheer von der SPD-Frak- sionshandel – noch mal hier was und noch mal da was – tion. bringen nichts, wenn wir nicht zu einem beschleunigten (Beifall bei der SPD) Ausbau der erneuerbaren Energien kommen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Dr. Nina Scheer (SPD): BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Das muss endlich geschehen, das muss nach oben gesetzt Kollegen! Zurück zur Sache: Es geht hier um viele Anträ- werden. Mehr Ausbau ist dringend erforderlich. ge, die heute gleichzeitig auf der Tagesordnung stehen. Ich möchte mich aber aus aktuellem Anlass auf die hier Ehrlicherweise muss natürlich dazugesagt werden, im Fokus stehenden internationalen Politikfelder konzen- dass bei all diesen Dingen, die jetzt im Zusammenhang (B) trieren, die gerade auch weltweit diskutiert werden. Ich mit der internationalen Energiewende bzw. Klimaschutz- (D) möchte, so schwer es mir nach dieser Rede fällt, lieber partnerschaft in Rede stehen, auch die Atomenergie drin Jürgen, auf einen Punkt eingehen, den du genannt hattest, ist. und zwar die Frage, wie ambitioniert das nun vereinbarte (Timon Gremmels [SPD]: Ja!) Ziel von mindestens 55 Prozent ist. Das muss uns bewusst sein. Das heißt, dass wir verstärkt (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- auf die Investitionspolitik achten müssen. Investitions- NEN]: 52 Prozent!) politik darf eben nicht heißen, dass in Atomenergie inves- tiert wird, sondern es muss in erneuerbare Energien – Nein, eben gerade nicht 52 Prozent. Damit muss auf- investiert werden, weil es eine Sackgasse ist, in Atom- geräumt werden. Für die Senken, die da eingerechnet energie zu investieren. sind, gilt quasi ein Stichtag. Man analysiert, wie viel Bindung an CO2 in den Wäldern stattfindet. (Beifall bei der SPD) (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das muss ganz deutlich auch mit deutscher Stimme in NEN]: Das ist ein Taschenspielertrick!) Europa klargezogen werden; sonst rennen wir sehenden Auges in Probleme mit dieser Technologie. Denn zum – Lassen Sie mich doch mal ausführen. – Wie viel Senke Beispiel bei zunehmenden Dürren müssen die Atomkraft- ist da mit drin? werke abgeschaltet werden. Was ist denn dann mit der Wir wissen, dass in den nächsten Jahren durch den Atomenergie? Wir werden ein Sicherheitsproblem krie- Klimawandel ziemlich viel kaputtgehen wird von dieser gen, noch obendrauf, zusätzlich zu den bereits bestehen- den Risiken der Atomenergie. CO2-Bindung. Das muss man natürlich kompensieren. Zusätzlich muss man die derzeitige und die in den nächs- (Beifall bei der SPD) ten Jahren stattfindende Bindung in den Wäldern dazu- rechnen. Das wird jetzt wahrscheinlich nicht auf Gefallen Es ist auch eine Mär, dass mit kleinen Atomkraftwer- stoßen, aber de facto sind es 57 Prozent, und zwar genau ken eine neue Generation geschaffen würde; das ist ein- mit der Rechnung, die hier auch von Ihnen angestellt fach gelogen. Die sind zusätzlich zu den Risiken auch wird; es sind de facto 57 Prozent – mindestens. Wir noch unwirtschaftlich. Überall, wo sie zum Einsatz kom- sind vom Ziel 60 Prozent also nicht mehr ganz so weit men sollen, sieht man an der Konzeption, dass da zusam- entfernt. mengefasste Projekte entstehen, dass das also doch wie- der große Kraftwerke sind. Sie sind ein Sicherheitsrisiko. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Sie sind keine Option. Sie führen uns nicht zu Klima- der CDU/CSU) schutz. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28457

Dr. Nina Scheer (A) Es hat sich immer bewährt, in die Dezentralität zu ver- lichsten Maßnahmen zu verfallen und alles in die Klima- (C) trauen und zu investieren. Genau da muss angesetzt wer- politik reinstopfen zu wollen, um dann am Ende gar den. Jeder muss dort ansetzen. Für die Internationalität, nichts zu erreichen. um einen letzten Punkt zu setzen, bedeutet das – das ist eine Bitte an die Grünen –, dass es uns nicht nur um die (Zuruf der Abg. Lisa Badum [BÜNDNIS 90/ Partnerschaft zwischen den USA und Europa gehen darf, DIE GRÜNEN]) sondern es muss natürlich Russland dazukommen; Das ist doch das große Problem: Wir müssen Klima- politik effizient machen, und Klimapolitik können wir (Beifall bei der SPD) nur dann effizient machen, wenn sich Klimapolitik um es müssen all die Staaten hinzukommen, die einen Nach- Klimapolitik kümmert. Das heißt nicht, dass andere The- holbedarf haben, weil durch ein Verharren in fossilen und men nicht wichtig sind. Aber in Ihrem Antrag geht es atomaren Energiegemengelagen ein massives Sicher- darum – wenn ich das mal zitieren darf –, „einen Paris- heitsproblem entsteht. Das müssen wir aufgreifen. Das kompatiblen, sozial nachhaltigen, menschenrechtsbasier- muss in die Umsetzung hinein. – Ich bin lange über die ten, genderpositiven und inklusiven Klimaschutzplan Zeit. umzusetzen“. Vielen Dank. (Klaus Mindrup [SPD]: Gut vorgelesen!) (Beifall bei der SPD) Einzelne Punkte davon können Sie sicherlich umsetzen, aber all das in einer Politik vorzusehen, die Sie mit Saudi- Arabien umsetzen wollen, die Sie mit China umsetzen Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: müssen, die Sie mit allen Ländern der Erde umsetzen Vielen Dank, Kollegin Scheer. – Das Wort geht an müssen, um wirklichen Klimaschutz zu erreichen, das Dr. Lukas Köhler für die FDP-Fraktion. überfrachtet die Klimapolitik so sehr, dass Sie am Ende gar nichts erreichen. Und gar nichts ist das Schlechteste, (Beifall bei Abgeordneten der FDP) was uns in der Klimapolitik passieren kann. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Dr. Lukas Köhler (FDP): der CDU/CSU) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, in einer Debatte, in der Das, meine Damen und Herren, steht leider in diesem es darum geht, wie wir Klimapolitik und Außenpolitik Antrag drin. sinnvoll zusammenbringen müssen, sollten wir uns darü- Es ginge aber anders. Wir könnten die Chance nutzen, (B) ber Gedanken machen: Was ist eigentlich das Ziel inter- die China, die USA und die Europäische Union im (D) nationaler Klimapolitik? Das Ziel ist relativ klar. Das Ziel Moment gemeinsam haben. Wir könnten die internatio- wird durch das Pariser Abkommen vorgegeben. Ziel ist nale Klimapolitik so ausgestalten, dass wir ein CO2-Limit aber auch, dass wir es möglichst effizient umsetzen, und setzen, das wir gemeinsam erreichen wollen, und dann zwar weltweit. gerne als Vorreiternation voranschreiten und dieses Diese Effizienzfrage ist, glaube ich, das, worüber wir CO2-Limit über einen internationalen Emissionshandel uns insbesondere hier Gedanken machen müssen, weil umsetzen. Damit würden Sie nämlich absichern, dass wir auf europäischer Ebene, aber vor allen Dingen auch Sie die Klimapolitik hinbekommen. Wir haben das in auf internationaler Ebene in eine ganz neue Situation ein- unserem Antrag vorgeschlagen. Es ist relativ klar, dass getreten sind. Meine Damen und Herren, CO2 kennt kei- Sie damit das Pariser Abkommen umsetzen können. Das ne Grenzen. Das zu erkennen, ist extrem wichtig, weil das bringt mich zum Anfang meiner Rede: Wir müssen eine dazu führt, dass wir wirklich sinnvolle Klimapolitik auf effiziente Klimaschutzpolitik machen. Das geht aber nur internationaler Ebene nur gemeinsam ausgestalten kön- dann, wenn wir uns mit allem, was wir haben, darauf nen. konzentrieren. (Beifall bei der FDP) Internationale Klimapolitik hat aber noch einen zwei- ten Aspekt, der mindestens genauso wichtig ist. Wir Herr Trittin, Sie haben eben gesagt, dass die USA in bauen gerade die gesamte Wirtschaft auf der Welt um. den letzten vier Jahren nichts getan hätten. Das ist richtig. Das machen wir nicht politisch gesteuert, sondern das Allerdings heißt das nicht, dass weltweit nichts passiert macht die Wirtschaft von sich aus; das macht die Indus- ist. In der letzten Zeit haben sich insbesondere China und trie. Aber wir müssen aufpassen, dass wir in der Zukunft die Europäische Union darangemacht, gemeinsam neue daran noch teilhaben. Deswegen ist eine solch reaktionä- Ideen, neue Vorreiterschaften auszugestalten. Der Ver- re, vulgär anmutende Rabulistik, wie wir sie gerade aus such Bidens heute, diese Vorreiterschaft wieder zurück- der AfD gehört haben, der falsche Weg, um wirklich sinn- zugewinnen, sollte uns eigentlich froh stimmen, weil es volle Klimapolitik zu machen. Natürlich sehen wir den heißt, dass wir höhere Effizienzniveaus auf internationa- Fortschritt. Natürlich gibt es jetzt schon Diskussionen ler Ebene bekommen können, dass wir schneller voran- über Partnerschaften zwischen Saudi-Arabien und Län- kommen können, dass wir vor allen Dingen gemeinsam dern Asiens über Wasserstoff, über synthetische Kraft- vorangehen können. Aber dabei hilft es nicht, in das stoffe, über die Zukunftsgrundlagen. Und wenn wir da Klein-Klein internationaler Politik abzudriften. Vor allen nicht mitspielen, dann machen wir in Zukunft gar keine Dingen hilft es aber nicht – das erschreckt mich am An- Klimapolitik mehr. Und das wäre der schlechteste An- trag der Grünen so sehr –, in ein Bukett an unterschied- satz, den wir wählen könnten. 28458 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Dr. Lukas Köhler (A) (Beifall bei der FDP) Wir Linke sagen: Deutschland muss endlich Verantwor- (C) tung übernehmen in der Klimakrise, Deutschland muss Deswegen, meine Damen und Herren, lassen Sie uns die Klimakrise entschieden bekämpfen und muss das so- eine gemeinsame, eine funktionierende, eine effiziente, zial gerecht machen. Das ist die andere Republik, wie wir vor allen Dingen eine zielgerichtete Klimapolitik ma- sie uns als Linke wünschen. chen. Ich glaube, damit wäre uns am meisten geholfen. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der FDP – Michael Theurer [FDP]: Sehr gut! Nach deiner Rede wird es auch wie- Die USA sind dem Pariser Klimaabkommen wieder der wärmer!) beigetreten. Biden führt am Donnerstag und Freitag einen zweitägigen digitalen Klimagipfel durch. Gleichzeitig er- reicht uns die Nachricht, dass 2020 das heißeste Jahr in Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Europa gewesen ist. Und was erleben wir hier? Wir erle- Vielen Dank, Kollege Köhler. – Das Wort geht an ben in vielen Dingen in der Klimapolitik, bei der Ver- Lorenz Gösta Beutin von der Fraktion Die Linke. kehrswende, der Wärmewende, der Energiewende und (Beifall bei der LINKEN) im Agrarbereich weiter Stillstand. Die Klimapolitik scheint wie auf Eis gelegt. Das braucht einen grund- legenden Politikwechsel; sonst wird das nichts. Lorenz Gösta Beutin (DIE LINKE): (Beifall bei der LINKEN) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kanzlerkandidat der Union, Armin Laschet, hat ge- In der Corona- und in der Klimakrise erleben wir leider sagt: Wenn Rot-Rot-Grün regiert, dann bedeutet das eine genau das Gleiche. In der Corona- und in der Klimakrise andere Republik. – Ich frage mich: Wo ist das Problem? schützt diese Bundesregierung die Reichsten und die Konzerne, während die Ärmsten und die Schwächsten (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- leiden müssen. Doch wir werden nur erfolgreich sein, neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE wenn wir die soziale Spaltung in diesem Land, wenn GRÜNEN – Lachen bei Abgeordneten der wir die Coronakrise und die Klimakrise gemeinsam CDU/CSU – Zuruf des Abg. Karsten Hilse bekämpfen. [AfD]) (Beifall bei der LINKEN) Wofür steht denn diese Union? Diese Union hat der Demokratie durch Korruption schweren Schaden zuge- Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: fügt. Die Union bremst in der Coronakrise. Die Union weigert sich weiterhin, gegen die wachsende Kluft zwi- Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage vom (B) schen Arm und Reich vorzugehen. Die Union genehmigt Kollegen Mindrup von der SPD-Fraktion? (D) mit ihrem Partner, der SPD, Waffenexporte, auch in Kri- senregionen. Lorenz Gösta Beutin (DIE LINKE): Ja, gerne. ( [CDU/CSU]: Und jetzt zum Thema!) Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Die Union bremst die Energiewende aus. Bitte. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Zum Thema!) Klaus Mindrup (SPD): Lieber Kollege Lorenz Gösta Beutin, wir sind ja in Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: vielen Fragen einer Meinung; Herr Kollege, ich muss Sie auch darauf aufmerksam (Grigorios Aggelidis [FDP]: Schlimm genug!) machen, dass zur Sache zu reden ist. aber Sie sprechen immer von „den Konzernen“. Würden Sie sich mit mir zusammen vor das Werkstor des Stahl- Lorenz Gösta Beutin (DIE LINKE): werks in Duisburg stellen? Sie verteilen dann das Flug- Ich komme jetzt direkt dazu. blatt, auf dem steht: Die EEG-Umlagebefreiung muss aufgehoben werden, die CO2-Preisbefreiung für das Stahlwerk muss aufgehoben werden, und das Stahlwerk Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: muss diese ganzen Beiträge zahlen. – Das verteilen wir Direkt bitte. Direkt! dann an die Belegschaft. Die Belegschaft wird sofort ver- stehen, dass sie sofort pleitegehen würden. Das Werk Lorenz Gösta Beutin (DIE LINKE): wäre weg. Das ist genau zur Sache. – Die Union bremst die Ener- (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Eine giewende aus und will, dass Verbraucher/-innen die Kos- interessante Frage auch!) ten tragen, nicht die Konzerne. Jeder vernünftige Mensch sagt in so einer Situation: Wir brauchen eine andere Re- Deswegen ist meine Frage: Ist es nicht ein bisschen zu publik, die solidarischer ist, die sozialer ist und die demo- vereinfachend, wenn Sie immer von „den Konzernen“ kratischer ist. sprechen? Muss man nicht das machen, was der Kollege Trittin eben gesagt hat und was wir auch wollen: dass (Grigorios Aggelidis [FDP]: Die DDR!) man den Wettbewerb fair macht, dass hier kein Dumping- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28459

Klaus Mindrup

(A) import reinkommt, wenn wir den CO2-Grenzausgleich Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU): (C) haben, dass bezahlt werden muss, weil wir ansonsten Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und unsere Arbeitsplätze verlieren? Stellen Sie sich mit Ihrer Herren! Die heutige Debatte zu 13 unterschiedlichen Forderung mit mir vors Werkstor, oder stellen Sie sich Anträgen von Grünen und Linken gibt eine ganz gute nicht mit mir vors Werkstor? Gelegenheit, den Auftaktredner der heutigen Debatte und auch Zwischenfrager wie den Kollegen Mindrup mit der rot-grünen Klimarealität zu konfrontieren. Lorenz Gösta Beutin (DIE LINKE): Lieber Kollege, selbstverständlich würde ich mit Ihnen Das letzte von Rot-Grün in dieser Republik verab- vors Werkstor gehen. Ich würde gemeinsam mit den Kol- schiedete Klimagesetz war das Klimagesetz in Nord- leginnen und Kollegen für bessere Arbeitsbedingungen, rhein-Westfalen aus dem Jahr 2013. Dort haben Rot- für gute Löhne streiten, und ich würde mit Ihnen für eine Grün folgendes Ziel für das Jahr 2020 festgelegt: 25 Pro- sozialökologische Transformation streiten, zent CO2-Minderung. Mehr hat sich Rot-Grün nicht zugetraut. Gemessen daran haben wir, wenn wir den (Dr. Lukas Köhler [FDP]: Gute Arbeitsbedin- Streit darüber, ob 39 oder 40 Prozent – fast das Gleiche –, gungen gibt es nur in Arbeit! Was ist das denn beiseitelassen, die rot-grünen Ziele, die seinerzeit festge- für ein Nonsens!) legt worden sind und die weit davon entfernt sind, die Paris-Ziele jemals zu erreichen, um mehr als 50 Prozent durch die wir nämlich gute, klimagerechte Arbeitsplätze übertroffen. schaffen; denn das ist die zentrale Frage. Wir brauchen verbindliche Regelungen, die für alle gelten. Es geht (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) nicht, dass hier in der Coronakrise Wirtschaftshilfen mit dem Füllhorn ausgeschüttet werden und gleichzeitig den Meine Damen und Herren, und die Wahrheit ist eben Aktionärinnen und Aktionären die Dividenden erhöht auch: Wir haben das CO2-Ziel für 2020 deutlich über- werden. troffen. (Dr. Lukas Köhler [FDP]: Antworten Sie doch Ich will in aller Kürze auf die Vielzahl der Anträge mal auf die Frage! – Weitere Zurufe der Abg. eingehen. Was wird gefordert? Klimapartnerschaft mit Christian Hirte [CDU/CSU] und Andreas den USA. Eine super Sache! In diesen Stunden schafft Bleck [AfD]) die Bundeskanzlerin auf dem Leaders Summit on Clima- te zusammen mit US-Präsident Biden die Grundlage für Wir brauchen Wirtschaftshilfen, die sozial und ökolo- eine erfolgreiche Weltklimakonferenz. Ihr Antrag dazu gisch sind, die an Tariflöhne gekoppelt sind, die an Trans- ist im Übrigen im doppelten Sinne von vorgestern: Er (B) formation im Wirtschaftsbereich und an gute Arbeit ist tatsächlich von vorgestern; er liegt damit erst Wochen (D) gekoppelt sind. nach dem bereits festgelegten Termin des Leaders Sum- mit vor. Meine Damen und Herren, die Grünen hinken der (Beifall bei der LINKEN) Klimapolitik vollständig hinterher. Deswegen müssen wir gemeinsam mit der Klimabewe- (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: gung und mit den Gewerkschaften für einen sozialökolo- Spaßvogel! – Weiterer Zuruf des Abg. Oliver gischen Umbau kämpfen. Genau das ist die zentrale Fra- Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) ge. Klimaziele und Entwicklungspolitik, heißt es, sollen (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE aufeinander ausgerichtet werden. Genau das macht die LINKE] – Zuruf des Abg. Andreas Bleck Bundesregierung. Meine Damen und Herren, interessant [AfD]) wird es aber, wenn man in die Details guckt. Die Grünen Deswegen sagen wir als Linke: Statt Milliardenhilfen fordern einen Schuldenerlass für Entwicklungsländer im für Konzerne brauchen wir einen sozialökologischen Gegenzug zu Klimaschutzmaßnahmen. Das ist, finde ich, Umbau. Wir brauchen keinen Arbeitsplatzabbau, wir arg imperialistisch. Das traut man den Grünen nicht zu; brauchen Tariflöhne, gute Arbeit, mehr Klimaschutz. das schreiben sie aber auf und wollen es beschließen. Und als Linke sagen wir: Wir wollen den Kapitalismus Auf erneuerbare Energien setzen. So ist es. Wir haben nicht grün anmalen; wir wollen mit den Gewerkschaften einen unerreicht hohen Anteil von erneuerbaren Ener- und mit der Klimabewegung den sozialökologischen gien, wir haben stark steigende Anteile von Erneuerbaren Umbau und unsere Demokratie stärken. im Strom, und wir haben – das ist mir wichtig – stark Vielen Dank. steigende Anteile von erneuerbarer Wärme in Deutsch- land. (Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der FDP und der AfD) (Zuruf der Abg. Dr. Julia Verlinden [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Klimaneutrale, bezahlbare und warme Wohnungen. Vielen Dank. – Das Wort geht an Carsten Müller von Noch nie in der Geschichte der Republik sind CO2-Min- der CDU/CSU-Fraktion. derungsprogramme, Wohnungssanierungsprogramme so gelaufen wie in den letzten 18 Monaten. Meine Damen (Beifall bei der CDU/CSU) und Herren, die Mittelabfrage hat sich vervierfacht. 28460 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Carsten Müller (Braunschweig)

(A) (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- se der Welt, für eine Steuer auf das Leben – auch „CO2- (C) NEN]: Der Gebäudesektor verfehlt seine Zie- Steuer“ genannt –, um nur ein paar ganz wenige zu nen- le!) nen. Wir tragen mit unserer Haushaltspolitik und der ent- Nun wollen Sie von den Grünen Ihren Klimairrsinn sprechenden Untermauerung genau dafür Sorge, dass auch noch als kommunalen Konjunkturmotor verkaufen, das passieren kann. also Feuer mit Benzin löschen. Kommunale Unterneh- Die Linkspartei fordert einen Stopp des Weiterbaus der men, also bereits mit Steuergeldern subventionierte A 49. Da empfehle ich Ihnen sehr: Setzen Sie sich mal Staatsbetriebe, sollen finanziell noch weiter unterstützt kollegial mit den Kollegen der Grünen auseinander; die werden. Der Staat soll also noch mehr Geld der Bürger tragen dafür unter anderem auch mit Verantwortung. verkonsumieren. Was soll denn das bitte für ein Konjunk- turprogramm sein? Nicht die Staatswirtschaft, sondern (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Unter anderem! die hart arbeitenden Menschen sind der Motor der Wert- Und die anderen? – Zuruf der Abg. Steffi schöpfung in Deutschland. Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Meine Damen und Herren, zum Klimaziel für 2020 – (Beifall bei der AfD) Senkung der CO2-Emissionen um 40 Prozent – hatte ich Da können Sie noch so oft von Nachhaltigkeit sprechen. bereits ausgeführt. Ich will noch einige andere Punkte Von den Grundprinzipien der Ökonomie versteht jeden- festhalten. Wir haben im Bereich der Erneuerbaren falls jedes Kleinkind mehr als Sie. Daher erwähnen Sie 300 000 Arbeitsplätze, wir haben im Bereich der Energie- auch in Ihrem Antrag mit keinem einzigen Wort, was das effizienz 600 000 Beschäftigte oder etwas mehr, und es alles kosten soll, und schon gar nicht, wer das Ganze ist uns gelungen, die Primärenergieproduktivität zwi- bezahlen soll. schen 2008 und 2018 um 23 Prozent zu steigern. Das sind Fakten, und das spricht für die Leistung der unio- Der Antrag ist nichts anderes als ein grüner Wünsch- nsgeführten Bundesregierung. dir-was-Katalog, um die Bürger weiter abzuzocken. Was wollen wir darüber hinaus machen? Wir wollen (Beifall bei der AfD) Stromkosten wettbewerbsfähig gestalten – das gelingt uns mit den stark sinkenden Stromgestehungskosten im Wo soll das Geld denn herkommen, wenn nicht durch Erneuerbaren-Bereich –, und wir verhindern wirkungs- weitere Steuererhöhungen? voll Carbon Leakage. Wir steigern die Ressourceneffi- Anders als Sie in Ihrem Antrag behaupten, handelt es zienz, und wir verbessern Finanzierungsmöglichkeiten sich jedenfalls bei den meisten Maßnahmen eben nicht (B) für Gamechanger-Technologien. um Investitionen, sondern einfach nur um ideologiege- (D) Meine Damen und Herren, das ist die Energiepolitik triebenen Konsum. Sie wollen zum Beispiel den Kauf der Union, die sich dadurch auszeichnet, dass es nicht ein von E-Lastenrädern über eine Kaufprämie fördern. Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch und damit Ansonsten besteht Ihr Antrag aus inhaltsloser Wortakro- Technologieoffenheit gibt. Wir wollen nicht nur Batte- batik, indem Sie von Dingen wie bürgerwissenschaftli- rien, wir wollen auch CO2-neutrale Kraftstoffe, um nur chen Vorhaben und Experimentierräumen schwurbeln. ein Beispiel zu nennen. Das soll also die Art von Konjunkturmotor sein, mit Für uns als Union gilt folgender Grundsatz in der Kli- dem Sie unser Land aus der Krise führen wollen? Wie mapolitik: Technologie statt Ideologie. Machen Sie die- immer! Und vor allem wie immer wollen Sie Ihre Fant- sen Weg mit! Er sichert Wohlstand und positive Entwick- asien mit dem Geld anderer Leute finanzieren, nämlich lung im Bereich des Klimas. Meine Damen und Herren, dem hart erarbeiteten Geld der Bürger. das ist unser Weg, den wir Ihnen anbieten. (Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Vielen Dank. SES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Sabine (Beifall bei der CDU/CSU) Leidig [DIE LINKE]) Aber Gott sei Dank sind wir laut Kanzlerkandidatin Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Baerbock sowieso die größte Volkswirtschaft der Welt Vielen Dank, Kollege Müller. – Das Wort geht an Marc und können uns das deshalb sicher auch leisten. Und Bernhard von der AfD-Fraktion. wenn nicht, retten uns ganz bestimmt Baerbocks Kobol- (Beifall bei der AfD) de. Herzlichen Dank. Marc Bernhard (AfD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Schon (Beifall bei der AfD – [DIE vor der Coronakrise hat die grüne Klimahysterie zu mas- LINKE]: Muss man ja nicht verstehen!) sivem Stellenabbau, Wohlstandsverlust und der Abwan- derung von Unternehmen geführt. Vor allem hat diese Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Hysterie die Bürger und die Wirtschaft Unmengen an Danke. – Das Wort hat Klaus Mindrup von der SPD- Geld gekostet – genau das Geld, das den Menschen jetzt Fraktion. in der Krise fehlt –, nämlich 500 Milliarden Euro für nutzlose Dämmmaßnahmen, für die höchsten Stromprei- (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28461

(A) Klaus Mindrup (SPD): Da haben wir einen super Mechanismus aufgebaut, aber (C) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und wer das aus ideologischer Verblendung nicht sehen will – Kollegen! Manchmal kommen einem die Worte in den Entschuldigung, da kann ich nicht weiterhelfen. Sinn, die Albert Einstein gesagt haben soll: Es ist nicht klar, ob das Universum unendlich ist, aber die mensch- Deutschland ist in der EU der Impulsgeber, und die EU liche Dummheit ist unendlich. redet logischerweise mit den USA, weil es ein Wirt- schaftsraum ist. Nicht nur Deutschland ist Partner in (Zuruf von der AfD: Vor allem bei der SPD!) Paris, sondern auch die EU ist Partner in Paris. Ich finde Wenn das Thema Erderhitzung hier so dermaßen ver- es wirklich nicht in Ordnung, wie hier im Grunde genom- harmlost wird, muss man sagen: Dieses Zitat stimmt. men die Arbeit in unserem eigenen Land schlechtge- macht wird. Das ist wirklich nicht gut, liebe Kolleginnen Liebe Kolleginnen und Kollegen, Vorsorge ist immer und Kollegen. Wir können uns ein Scheitern nicht leisten. besser als Nachsorge. Für die SPD kann ich das ganz klar sagen: Wir haben keinen Planeten B; wir wissen das. Für (Zuruf des Abg. Oliver Krischer [BÜND- uns gilt: Klimaschutz ist nicht alles, aber ohne Klima- NIS 90/DIE GRÜNEN]) schutz ist alles andere nichts. Jetzt komme ich zu dem, was ich positiv finde. Wir (Beifall bei Abgeordneten der SPD) haben einen Konsens dahin gehend gefunden, dass wir im Bereich des Bauens einen ganzheitlichen Ansatz ha- Wir haben das bewiesen. Wir haben das Klimaschutzge- ben müssen, wonach wir nicht nur den Energieverbrauch setz auf den Weg gebracht, das Herzstück unserer Klima- der Gebäude betrachten, der entsteht, wenn die Gebäude politik. beheizt oder gekühlt werden, sondern auch den ökologi- Ich möchte daran erinnern, dass hier, von diesem Pult, schen Rucksack betrachten. Wir hatten, so glaube ich, der UN-Generalsekretär Guterres dieses Klimaschutzge- zudem einen Konsens darüber, dass wir das Konzept setz als „besonders“ gelobt hat, als vorbildlich für die „Bauhaus der Erde“, das eine Möglichkeit darin sieht, Welt. Ich habe da die Reaktion der Kolleginnen und Kol- zukünftig mit biologischen Materialien zu bauen und legen von den Grünen gesehen: Ihr seid alle so ein biss- CO2 aus der Atmosphäre zu binden, als eine Chance für chen runtergesackt, weil das eine ganz andere Wahrneh- unser Land betrachten. mung ist, wenn man von außen draufschaut, als wenn man aus einer grünen Blase kommt, liebe Kolleginnen Jetzt komme ich aber zu meiner Kernkritik an den und Kollegen. Anträgen der Grünen, die sich auf den deutschen Energie- standard beziehen. Sie fordern einen Gebäudestandard (Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Jürgen KfW 55 auch für den Altbau. (B) Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (D) (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE Das Klimaschutzgesetz – und das muss ich klar sagen – GRÜNEN]: Ja!) wirkt. Die Ziele werden überprüft. Es kommt nicht darauf an, ob wir in diesem Jahr bei 39 oder 40 Prozent oder Dies zu übersetzen, wäre mehr als das, was im Augen- sonst wo sind. Der Mechanismus ist das Entscheidende. blick im Neubau Standard ist. Für den Prenzlauer Berg bedeutete das: Entweder wir reißen 30 Prozent bis 40 Pro- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der zent der Gebäude in Prenzlauer Berg ab, oder wir packen CDU/CSU) sie in Styropor ein. – Das ist doch nicht wahr, liebe Wir sehen das im Augenblick im Bereich des Bausektors, Kolleginnen und Kollegen! wo der Bundesinnenminister, der auch Bauminister ist, ein Sofortprogramm vorlegen muss. Darauf bin ich (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ gespannt. CSU und der FDP) (Zuruf des Abg. Oliver Krischer [BÜND- Und es ist auch nicht notwendig. Das steht im Wider- NIS 90/DIE GRÜNEN]) spruch zu dem, was ich vorher gesagt habe. Wenn man den ökologischen Fußabdruck der Gebäude mit berück- Wir als Parlament werden das Ganze kontrollieren. sichtigt, dann muss man intelligenter vorgehen. Ich bin Vollkommen klar ist – und das steht auch im Klima- der Auffassung, Sie trauen der Kraft der erneuerbaren schutzgesetz –, dass man wissenschaftliche Erkenntnisse Energien nicht. – Die müssen stärker unterstützt werden! berücksichtigen muss. Um das 2-Grad- bzw. das 1,5- Wenn ich per Satellitenbild auf die Oderberger Straße Grad-Ziel zu erreichen, müssen wir schneller und besser schaue, wo ich wohne, sehe ich: Es gibt gerade mal ein werden. Das ist doch Konsens! Deswegen hat sich Haus mit einer Photovoltaikanlage, und das ist unser Deutschland auf EU-Ebene dafür eingesetzt, dass man Genossenschaftshaus. 50 Prozent Grünenwähler – ein das Ziel „Treibhausgasneutralität“ europaweit verankert Haus mit einer Solaranlage. und dass wir jetzt scharfe Klimaschutzziele erhalten, die auch in Deutschland deutlich schärfer werden. Klar ist, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dass wir dann auch unser Klimaschutzgesetz hinsichtlich NEN]: Wer verhindert das denn?) der Ziele anschärfen müssen. Da steht nämlich, dass Kli- maschutzziele nur verschärft werden können, und nicht Das wollen wir besser machen. andersherum. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) NEN]: Wer regiert denn seit Jahren?) 28462 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Klaus Mindrup (A) Deswegen haben wir das EEG so geändert, und deswegen Olaf in der Beek (FDP): (C) haben wir jetzt die Gewerbesteuerfragen jetzt so geregelt, Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol- dass auch Hauseigentümer Photovoltaik aufs Dach setzen legen! Klima-, Umwelt- und Entwicklungspolitik wider- können. sprechen sich nicht; sie gehören zusammen. Das Ganze ist eine Frage der Akzeptanz, eine Frage der (Beifall bei der FDP) Beteiligung. Und da muss ich die Grünen fragen: Was ist Schon heute sind insbesondere die Menschen in Entwick- Ihr Ziel? Orientieren Sie sich an Hans-Josef Fell und lungsländern am stärksten vom Klimawandel betroffen. : Beteiligung EEG? Oder sind Sie auf Mit den Auswirkungen des Klimawandels werden leider dem Weg von Rainer Baake: grüner Zentralismus? Das auch Fluchtbewegungen zunehmen. ist die Frage, die sich hier stellt. Das ist aus Sicht der SPD auch die Frage Ihrer Koalitionsfähigkeit. Wir müssen die Ziele des Pariser Klimaabkommens und die globalen Nachhaltigkeitsziele gemeinsam errei- (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ chen; wir unterhalten uns hier aber nur über das Wie. Wir CSU und der FDP – Oliver Krischer [BÜND- brauchen Fortschritt, Technologieoffenheit und einen NIS 90/DIE GRÜNEN]: Unglaublich! Ihr europäischen Willen, die Klima- und Entwicklungspoli- regiert hier! Ihr macht das alles nicht!) tik global zu gestalten. Wir sind hier, wie in allen anderen Als ich den Entwurf Ihres Grundsatzprogramms gese- außenpolitischen Fragestellungen, viel zu behäbig und hen habe, waren Sie da noch anders unterwegs. Sie haben überlassen das Feld auch anderen Akteuren. es Gott sei Dank korrigiert. (Beifall bei der FDP) (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Kann es in unserem Interesse sein, dass Staaten wie NEN]: Ihr macht das alles doch nicht! China in Afrika massiv in die Energieversorgung inves- Unglaublich!) tieren, auf Umweltstandards pfeifen und Entwicklungs- Es geht um intelligente Lösungen, es geht um techni- länder finanziell in Abhängigkeiten treiben? Ganz sicher schen Fortschritt, es geht um soziale Akzeptanz. Da müs- nicht! sen Sie sich auch mal kritische Fragen stellen lassen; (Beifall bei der FDP) denn Klimaschutz wird nur funktionieren, wenn wir die Menschen mitnehmen. Der Minimumfaktor ist nicht die Wenn in Afrika alleine jeder Haushalt auch nur mit einer erneuerbare Energie. Der Minimumfaktor ist die Akzep- einzigen Steckdose versorgt werden würde, bräuchte man tanz. schlimmstenfalls etwa 1 000 neue Kohlekraftwerke. Das ist kein Zitat von mir; das hat unser Entwicklungsminister Wir wollen die Industrieunternehmen mitnehmen. Wir Müller einmal erwähnt. Ich konnte mir das bildlich sehr (B) wollen die Arbeitnehmer mitnehmen. Deswegen muss gut vorstellen. Das kann nun wirklich nicht gewollt sein. (D) Klimaschutz sozial sein und wirtschaftlich vernünftig. Unsere Aufgabe muss es sein, Alternativen dazu anzubie- Ich kann Ihnen nur sagen: Das geht nur mit der SPD. ten. (Beifall bei der SPD – Oliver Krischer [BÜND- (Beifall bei der FDP) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Darum regiert ihr ja Wir müssen vor allem weniger entwickelten Staaten und macht das alles nicht!) die Möglichkeiten geben, mithilfe von innovativen Tech- Wir singen schon lange: „Zur Sonne, zur Freiheit“, und nologien nachhaltiger zu wirtschaften. Heute importieren das tun wir weiter. wir Kohle aus Russland und Öl aus Saudi-Arabien; mor- Noch ein kleiner Nachtrag, weil der Kollege sich ge- gen könnten es aber Wasserstoff und Solarenergie aus rade nicht beruhigt: Wir hatten intern einen harten Afrika sein. Kampf, aber die Klimapolitiker haben den in der SPD (Beifall bei der FDP) gewonnen, und wir stehen jetzt geschlossen. Das ist viel- Auch deutsche und europäische Unternehmen können leicht der Unterschied zu dem Kampf, den Sie mit den profitieren. Anreize für den Technologie- und Wissens- Baakianern noch intern zu führen haben. Ich bitte darum, export in Entwicklungsländer müssen daher verstärkt und dass Sie diesen Kampf austragen. Hemmnisse abgebaut werden. Dasselbe gilt für staatliche (Lachen des Abg. Oliver Krischer [BÜND- und private Investitionen aus Deutschland und Europa. NIS 90/DIE GRÜNEN]) Auch aus diesem Grund fordern wir eine Europäische Danke schön. Bank für nachhaltige Entwicklung und internationalen Klimaschutz. Lassen Sie uns die Stärke der Marktwirt- (Beifall bei der SPD – Steffi Lemke [BÜND- schaft nutzen! NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das scheint aber nicht gut zu laufen mit der SPD! So eine Rede, wenn (Beifall bei der FDP) es doch so toll ist, hätte ich nicht gehalten! – Liebe Kolleginnen und Kollegen, Außen- und Ent- Zuruf von der FDP: Heiliger Strohsack!) wicklungspolitik müssen immer auch Klimapolitik sein. Während die Auswirkungen des Klimawandels ganz Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: selbstverständlich Teil der US-Sicherheitsstrategie sind, verstricken wir uns noch immer im Klein-Klein, wie ge- Vielen Dank. – Das Wort geht an den Kollegen Olaf in rade von Kollegen Köhler ausgeführt. Ohne gemeinsam der Beek von der FDP-Fraktion. gedachte Außen-, Entwicklungs- und Klimapolitik wer- (Beifall bei der FDP) den wir den Klimawandel nicht in den Griff bekommen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28463

Olaf in der Beek (A) Lassen Sie uns unsere deutsche und europäische Kom- geopfert, Ökosysteme zerstört. Aber wir können uns die- (C) fortzone in diesem Fall endlich verlassen und global den- sen Umgang mit den natürlichen Lebensgrundlagen nicht ken! mehr leisten, auch aus Gründen der internationalen Soli- Es ist an uns, den Wandel mitzugestalten. Es geht nicht darität. darum, Fortschritt gegen Klima oder Wohlstand gegen (Beifall bei der LINKEN) Umweltschutz auszuspielen. Wir müssen die Chance nut- zen, all das in Einklang zu bringen. Wenn wir nicht han- Die Linke will den Bundesverkehrswegeplan 2030 deln, handeln andere, und zwar mit großen Gefahren für umbauen. Wir wollen einen Verkehrswendefonds für unseren Planeten und auf allen anderen politischen Ebe- die Kommunen, der vom Bund gefüllt wird, damit die nen. Menschen, die unter der Last des Verkehrs leiden, nicht nur eine Umgehungsstraße als Ausweg bekommen; Vielen Dank. (Dr. Lukas Köhler [FDP]: Es geht um Effi- (Beifall bei der FDP) zienz!) denn neue Straßen ziehen neuen Straßenverkehr an. Des- Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: halb gibt es auch nicht weniger Staus, obwohl Zehntau- Vielen Dank, lieber Kollege. – Das Wort geht an die sende Kilometer neue Straßen in den letzten zehn Jahren Fraktion Die Linke mit Sabine Leidig. gebaut worden sind. (Beifall bei der LINKEN) (Dr. Lukas Köhler [FDP]: Weil die Effizienz höher geworden ist!) Sabine Leidig (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir Nahverkehrszüge oder Straßenbahnen Wer vom Klimaschutz redet, darf vom Verkehr nicht anbieten, dann orientieren sich die Leute dorthin. schweigen. 2020 gibt es zwar die Coronadelle; aber (Andreas Bleck [AfD]: Baut Hintertüren in die ohne die Pandemie sinkt der CO2-Ausstoß im Verkehrs- Straßenbahnen!) sektor nicht. Und warum? Weil es immer mehr Verkehr auf unseren Straßen gibt. Er ist ja nicht nur klimaschäd- Und wenn wir gute Fußwege bauen und sichere Fahrrad- lich, sondern auch laut und gefährlich. Deshalb wollen wege, dann werden die benutzt. Es schlummern über 100 zwei Drittel der Bevölkerung, dass es weniger wird; und stillgelegte Eisenbahnstrecken im Land und warten dar- wir wollen das auch. auf, wieder Kleinstädte und ländliche Regionen zu ver- sorgen, damit die Berufspendler/-innen in die Züge stei- (Beifall bei der LINKEN) (B) gen können. (D) Diese Regierungskoalition aber macht mit dem 15-Jah- (Beifall bei der LINKEN) res-Plan für Bundesverkehrswege genau das Gegenteil. Mitten in Europa wollen Sie bis 2030 Tausende Kilome- 4 000 Kilometer könnten sofort reaktiviert werden, und ter neue Fernstraßen bauen und Tausende Kilometer von genau dafür müssen wir die Milliarden Euro, die Pla- ihnen verbreitern, für noch mehr Autoverkehr und noch nungs- und Baukapazitäten einsetzen und dürfen sie nicht mehr Lkw auf den Straßen. Ich finde, das ist wirklich für noch mehr Fernstraßen verballern. Wahnsinn. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Zum Schluss möchte ich Annalena Baerbock gratulie- Frau Lühmann, die Verkehrspolitikerin der SPD-Frak- ren; sie ist nicht hier, aber sie wird es erfahren. Ich wün- tion, hat gesagt, dass man jetzt die nächsten zehn Jahre sche ihr alles Gute für die Kanzlerschaft. diese Autobahnneubauprojekte noch abarbeiten muss; (Lachen bei Abgeordneten der FDP) danach müsste man anders planen. – Ich sage: Nein! Sie haben schon viel zu lange das Falsche gefördert, Allerdings muss ich warnen; denn die Union bremst zu- und diese zehn Jahre, die jetzt noch vor uns stehen, sind mindest die Verkehrswende aus. entscheidend dafür, ob wir die Erhitzung der Atmosphäre noch bremsen können. (Timon Gremmels [SPD]: Es gibt ja noch andere Alternativen als mit der Union!) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Selbst ein grüner Verkehrsminister in Hessen lässt sich neue Autobahnen aufdrücken. Und ich finde, es ist höchs- Sie wollen vor der Steilkurve noch mal richtig Gas ge- te Zeit für eine Regierung ohne diese Verkehrswende- ben – da werden Sie rausfliegen. bremser. Wir wollen jetzt sofort den Autobahnneubau stoppen. Danke. Es gibt schon längst genug davon. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Der Weiterbau der A 100 zum Beispiel mitten in Berlin Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: würde elende Wohnquartiere produzieren, die A 49 in Vielen Dank. – Das Wort geht an die Fraktion Bünd- Hessen würde wichtige Trinkwasserreserven gefährden. nis 90/Die Grünen mit Lisa Badum. Mit A 14, A 20, A 26, A 39 und wie sie alle heißen werden Wälder zerschnitten, Flächen versiegelt, Moore (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 28464 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

(A) Lisa Badum (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Unterstützen Sie stattdessen Länder des Globalen Südens (C) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten mit Klimapartnerschaften, mit echten 1,5-Grad-Klima- Damen und Herren! Wir haben es gehört: Wie kein Präsi- partnerschaften! Stärken Sie das Pariser Abkommen mit dent vor ihm hat Joe Biden die Klimapolitik ins Zentrum den Ländern, die schon ambitioniert sind: Südafrika, seiner Strategie gestellt, und die USA haben verstanden, Marokko, Indien, Äthiopien! dass Klimapolitik auch in der Außen- und Sicherheits- (Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Genau das politik eine wichtige Rolle spielt. Und sie haben verstan- machen wir!) den, dass das Pariser Abkommen nur mit breiten Bünd- nissen zum Erfolg führen wird. Es fallen uns viele weitere ein. Dort überall gibt es Wis- sen um erneuerbare Energien, um klimagerechtes Wirt- Und was macht die Bundesregierung in Sachen Klima, schaften, was Sie nicht nutzen. innen wie außen? Ich möchte uns allen jetzt eine weitere Echte Klimapolitik und echte Veränderung brauchen ernüchternde Bilanz zur Klimainnenpolitik der letzten breite Bündnisse, national wie international, und sie brau- zehn Jahre Merkel-Ära ersparen. chen eine klare Strategie. Wenn ich noch kurz Al Gore zitieren darf, den alten Klimakämpfer aus den USA: Poli- (Zuruf von der AfD: Ersparen Sie uns Ihre tischer Wille selbst ist eine erneuerbare Ressource. Geh Rede!) raus und erneuere ihn! – Politik ist erneuerbar. Es geht Wenn wir aber auf die Klimaaußenpolitik schauen, dann anders; es geht besser. Und deswegen brauchen wir eine ist die Aussicht leider auch sehr trist. Und das haben Sie Regierungschefin, die Klimapolitik außen wie innen – uns bestätigt in Ihrer Antwort auf unsere schriftliche Anfrage; die war wirklich glasklar. Es gibt vor allem Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: zwei Gründe, warum wir hier keine einheitliche Klima- Kommen Sie bitte zum Ende, liebe Kollegin. strategie im Sinne Bidens hinbekommen, keine Klima- außenpolitik. Lisa Badum (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Punkt eins: Es fehlt Kohärenz. So wurde das Klima- – zur Chefinnensache macht. paket 2030 im BMZ, das Programm 2030, genauso wie Vielen Dank. die Strategie zur Klimaaußenpolitik im Auswärtigen Amt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – nicht ressortabgestimmt. Jedes Ressort hat hier sein eige- Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Nee, die nes Süppchen gekocht. brauchen wir nicht!) Zweiter Punkt: Personal. Es fehlt Personal für das The- (B) (D) ma, und das haben Sie mir schwarz auf weiß bestätigt. Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Aber Sie ziehen keine Konsequenz daraus. Das Wort hat Kollege Patrick Schnieder von der CDU/ CSU-Fraktion. Und damit wird klar, warum Sie unsere Frage nach einer einheitlichen Strategie in der Klimaaußenpolitik (Beifall bei der CDU/CSU) nicht beantworten können: Sie haben schlicht keine res- sortabgestimmte und kohärente Gesamtstrategie für die Patrick Schnieder (CDU/CSU): Umsetzung des Pariser Klimaschutzabkommens, meine Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! sehr geehrten Damen und Herren. Unter der Vielzahl von Anträgen sind ja auch zwei dabei, die sich mit Verkehr beschäftigen. Wir haben von Kolle- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gin Leidig eben eine Ausführung dazu gehört. Die Forde- rungen lauten: Ausbaustopp für Autobahnen, allgemein Natürlich hat dieses Fehlen einer einheitlichen Strate- neue Überschrift für das, was wir unter Bundesverkehrs- gie auch Vorteile, nicht wahr? Ich meine, so können Sie wegeplan subsumieren, Weiterbau der A 49 stoppen. Lie- ungestört weiter Kohle, Öl und Gas fördern. Über 100 be Kolleginnen, liebe Kollegen, daran sieht man: Hier dreckige Deals mit schmutzigen Energien, mit Kohle, wird Ideologie der Vorrang vor den Bedürfnissen der Öl und Gas, unterstützen Sie mit Exportkreditgarantien Menschen vor Ort eingeräumt. in Höhe von 2,83 Milliarden Euro. Ist das die Unterstüt- zung für Schwellenländer, Frau Weisgerber, die Sie ange- (Widerspruch bei der LINKEN) sprochen haben? Ist das die Investition in saubere Ener- Das ist unberechtigte Pauschalkritik am Straßenverkehr. gien, Frau Scheer, die Sie angesprochen haben? Nein, Und so, wie Sie das vorschlagen und hier vortragen, jede Garantie, die Sie unterschreiben, ist eine Wette ge- bringt es für den Klimaschutz überhaupt nichts. gen die Pariser Klimaziele. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: So ein Unsinn!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deshalb lehnen wir das natürlich auch ab. Stoppen Sie diesen Freifahrtschein für Klimaver- (Beifall bei der CDU/CSU) schmutzung in anderen Ländern, wenn Sie nur einen Der Bundesverkehrswegeplan ist und bleibt ein sinn- Hauch Glaubwürdigkeit hier behalten wollen! volles, nein, das sinnvolle Planungsinstrument für den Verkehr in Deutschland. Wir haben den Bundesverkehrs- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- wegeplan schon unter anderen Rahmenbedingungen auf- SES 90/DIE GRÜNEN) gestellt. Er trägt Klimaschutz und Umwelt Rechnung. Er Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28465

Patrick Schnieder (A) betrachtet genau diese Problematik. Deshalb bringt es Die Quintessenz ist doch: Der Verkehr löst sich doch (C) überhaupt nichts, den anders zu überschreiben, mit nicht deshalb auf, weil ich die Lücke nicht schließe; er „Mobilplan“ oder wie auch immer, sondern es geht wird nur anders geleitet. – Ich fahre lieber gleichmäßig darum, was wir dort festlegen und wie wir es umsetzen über ein Stück Autobahn, als dass ich durch viele kleine können. Dörfer und Städte geleitet werde. Das ist der Fehlschluss, den Sie hier immer ziehen. Es gibt Bedarf dafür, der Ver- Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: kehr ist da. Die Frage ist doch nicht, ob ich ihn anderswo substituieren kann – das kann ich nämlich in ländlichen Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage von der Räumen überhaupt nicht –, sondern wie ich den Verkehr Kollegin Leidig von der Fraktion Die Linke? vernünftig leite. (Zurufe der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE]) Patrick Schnieder (CDU/CSU): Aber bitte. Ich nenne Ihnen noch ein Beispiel – daran sind die Grünen nicht unbeteiligt –: der Lückenschluss der A 1 zwischen Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Sabine Leidig (DIE LINKE): Die A 1 geht quasi von den Häfen an der Ostsee bis Vielen Dank, Kollege Schnieder, dass Sie die Zwi- nach Südspanien durch. 25 Kilometer Lücke klaffen in schenfrage erlauben. – Ich weiß nicht, wie gründlich der Eifel. Warum wird der Lückenschluss verhindert? Sie den Bundesverkehrswegeplan gelesen haben, weil Angeblich wegen Klimaschutz. Die Lkws, die Pkws fah- darin erst ganz am Schluss die Umweltverträglichkeits- ren durch die Dörfer und durch die Städte, sie belasten die prüfung kommt. Dort steht, dass die Umsetzung der im Menschen dort vor Ort. Wenn die Menschen und der Bundesverkehrswegeplan geplanten Maßnahmen, insbe- Menschenschutz bei Ihnen nicht zum Umweltschutz sondere beim Straßenbau, zu einer Zunahme der CO2- dazugehören, dann sagt das viel aus. Emissionen von einer halben Milliarde Tonnen CO2 pro Jahr führen wird. Das steht in diesem Plan drin. Es kann (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- mir wirklich niemand erklären – ich glaube, Sie können ordneten der AfD und der FDP) es auch nicht –, wie ein solcher Plan, der zu so viel mehr Deshalb bin ich dankbar, dass hier klar wird, welche CO2-Ausstoß führt, ein Klimaschutzplan sein kann. Politik Sie im Straßenverkehr machen wollen, welche Sie unter dem Deckmäntelchen des Klimaschutzes einfor- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und dern. Das ist Politik gegen die Menschen, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Lachen der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE]) (B) Patrick Schnieder (CDU/CSU): das ist Politik gegen die Menschen im ländlichen Raum. (D) Es wäre vielleicht ganz hilfreich, den Bundesverkehrs- Deshalb werden wir so etwas nicht mitmachen. wegeplan nicht von hinten nach vorne zu lesen, (Beifall bei der CDU/CSU) (Lachen der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: sondern vorne zu beginnen und sich vor allen Dingen die Vielen Dank. – Falls wir uns nicht alle gemeinsam neue Gewichtung in diesem Bundesverkehrswegeplan morgen zum Frühstück treffen wollen, würde ich vor- anzuschauen. Wir haben ein deutliches Schwergewicht schlagen, dass wir jetzt etwas strenger mit den Redezeiten zum Beispiel auf den schienengebundenen Verkehr umgehen, sonst wird es doch zu lang. gelegt. Über 40 Prozent der Maßnahmen gehen in den schienengebundenen Verkehr. Das war im alten Bundes- Timon Gremmels von der SPD hat als Nächster das verkehrswegeplan viel, viel weniger. Die Straße be- Wort. kommt weniger, als sie vorher bekommen hat. Die (Beifall bei der SPD) Weichen sind neu und anders gestellt, Frau Leidig; das müssen Sie einfach zur Kenntnis nehmen. Das kann man Timon Gremmels (SPD): nicht überspielen, indem man sich die Dinge aus dem Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Plan herausgreift, die einem gerade gefallen. Damen und Herren! Es ist gut, dass wir am Internationa- (Widerspruch der Abg. Sabine Leidig [DIE len Tag der Erde eine solch wichtige klima- und energie- LINKE]) politische Debatte führen. Es ist auch gut, dass Joe Biden, dass die neue US-Administration zurück nach Paris Ich will Ihnen das exemplifizieren anhand des Antrags, gegangen ist, das Pariser Klimaabkommen unterschreibt den Sie auch gestellt haben: Verbot des Weiterbaus der und auch umsetzt. Das sind gute Signale, meine sehr ver- A 49. Man muss sich doch zuerst mal die Frage stellen: ehrten Damen und Herren. Warum soll denn da die Lücke geschlossen werden? Ganz einfach: weil es Bedarf dafür gibt. Die Strecke ist (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Christian Bestandteil des transeuropäischen Verkehrsnetzes, der Hirte [CDU/CSU]) Lückenschluss führt zu einer besseren Erschließung der Ich sage Ihnen aber auch, lieber Jürgen Trittin: Wenn Region, Kapazitäten werden erweitert, Verkehre, die Sie sich hierhinstellen und sagen: „Mehr Biden wagen“, durch kleine Gemeinden und durch Städte gehen, sollen dann bedeutet das auch mehr Atomkraft, dann bedeutet verhindert werden, es geht um Entlastung von lärmge- das auch mehr Fracking-Gas, und dann bedeutet das auch plagten Anwohnern. mehr Öl, weil die Amerikaner seit 2014 den Ölimport aus 28466 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Timon Gremmels (A) Russland um insgesamt 63 Prozent erhöht haben. Auch Wir haben gestern noch etwas beschlossen, nämlich, (C) das gehört zur Wahrheit, wenn wir hier miteinander dis- dass wir auch die EEG-Umlage sozusagen besser verein- kutieren. Dass die Grünen jetzt sozusagen in blinder bar machen werden und dass wir sie weiter absenken Gefolgschaft mit Joe Biden laufen, ist, glaube ich, nicht wollen, auf 5 Cent in den Jahren 2023 und 2024. Eine angemessen. Auch ihn muss man differenziert betrach- echte Entlastung für die Wirtschaft und für die Verbrau- ten, meine sehr verehrten Damen und Herren. cherinnen und Verbraucher, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das zeigt: Diese Koalition ist handlungsfä- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf der hig. Abg. Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]) (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]) Wir Sozialdemokraten stehen auch in der internationa- len Klimapolitik wie eine Eins. Wir waren es, die mit drei Ich mache aber keinen Hehl daraus, dass wir Sozial- Ministern – Barbara Hendricks war es meines Wissens demokraten uns nicht nur eine Regelung für 2022 damals, Steinmeier als Außenminister und Gabriel als gewünscht hätten, sondern wir hätten gerne den Ausbau- Wirtschaftsminister – den sogenannten Berlin Energy pfad für erneuerbare Energien auch deutlich langfristiger Transition Dialogue auf den Weg gebracht haben, einen festgeschrieben. Die Ausbaumengen müssen erhöht wer- der zentralen Orte, wo über Energiepolitik und auch den. Da ist mein Appell an die CDU und an die CSU: Transformation gesprochen wird. Wir waren es, die IRE- Nicht nur KlimaUnion gründen, nicht nur grün reden, NA mitgegründet haben, die Internationale Agentur für sondern auch handeln! Sie stehen noch immer energie- erneuerbare Energien. Ich nenne nur Hermann Scheer, politisch auf der Bremse. einen der Vorkämpfer. Wir müssen uns da von den Grü- Wir wollen da deutlich mehr. Wir wollen da stärker nen nichts vorhalten lassen, meine sehr verehrten Damen voran. Deswegen kämpfen wir Sozialdemokraten dafür, und Herren. dass wir eine Mehrheit jenseits der Großen Koalition und (Beifall bei der SPD) auch jenseits von CDU/CSU haben werden, eine Mehr- heit, die progressiv, die dynamisch und die fortschritts- Lassen Sie mich aber an dieser Stelle noch etwas ganz und zukunftsgewandt ist, für erneuerbare Energien, für Aktuelles sagen, weil wir hier ja auch ein paar andere den Klimaschutz. Dinge diskutieren, was Klima- und Umweltpolitik an- geht. Auch da liefert diese Große Koalition. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: muss Klimaschutz erst noch buch- Wir werden nachher beschließen, dass Einnahmen aus stabieren lernen!) (B) der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen (D) künftig die Gewerbesteuerbefreiung der Mieteinnahmen Das geht nur mit Olaf Scholz als neuem Kanzler und nicht gefährden und Mieterinnen und Mieter so eine grö- gerne auch mit den Grünen als Koalitionspartner. Wer ßere Chance bekommen, dass sie vom preiswerten PV- sich dazugesellen will, ist herzlich eingeladen. Wir stehen Strom profitieren. Das bringen wir heute auf den Weg. für die Zukunft, für Klimaschutz und für den Ausbau erneuerbarer Energien. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Anja Ich danke Ihnen. Glück auf! Weisgerber [CDU/CSU]) (Beifall bei der SPD – Dr. Anja Weisgerber Wir werden dafür sorgen, dass die Standorte von [CDU/CSU]: Das war doch jetzt der reinste Windkraftanlagen stärker von Gewerbesteuereinnahmen Wahlkampf! – Gegenruf der Abg. Steffi Lemke profitieren, als das bisher der Fall ist. Das führt zu Akzep- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, klar war tanz. Auch das werden wir heute noch beschließen, meine das Wahlkampf!) sehr verehrten Damen und Herren.

Dann kann ich Ihnen auch ganz druckfrisch mitteilen, Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: dass sich gestern Abend die Koalition darauf verständigt Wenn wir jetzt unsere Kanzlerkandidaten allesamt in hat, dass wir noch einmal mit zusätzlichen Ausschrei- unsere Reden einbauen, bungsvolumina für Photovoltaik und für Windkraft voranschreiten werden: (Lisa Badum [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die SPD hat angefangen! Vor Monaten!) (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]) dann müssen wir für die nächsten Sitzungswochen damit rechnen, dass wir durchmachen werden. Ich wollte nur im Jahre 2022, also im nächsten Jahr, 4,1 Gigawatt Photo- einmal darauf hinweisen. voltaik zusätzlich. Das ist eine Verdreifachung der Aus- schreibungsmengen im Vergleich mit den bisherigen Es kommt Christian Hirte von der CDU/CSU-Frak- Volumina. tion. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Beifall bei der CDU/CSU – Jürgen Trittin Warum das erst jetzt, kurz vor der Wahl?) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kommt Laschet! – Timon Gremmels [SPD]: Wenn Dazu kommen 1,1 Gigawatt zusätzlich für die Windkraft. Sie für Laschet sind, gebe ich einen aus! – Wei- Auch das ist ein wichtiges Signal, meine sehr verehrten terer Zuruf der Abg. Steffi Lemke [BÜND- Damen und Herren. NIS 90/DIE GRÜNEN]) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28467

(A) Christian Hirte (CDU/CSU): Baustoffe im Stoffkreislauf besser genutzt werden kön- (C) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! nen. Es ist kontraproduktiv, einfach eine Abgabe auf Am Anfang möchte ich eine Gemeinsamkeit feststellen: Primärrohstoffe zu erheben, um Recyclingstoffe attrakti- dass nämlich in einer zunächst ziemlich frostigen Debatte ver zu machen. Wir müssen vielmehr dazu kommen, bei allen Konsens darüber besteht, dass wir die Pariser diese entsprechend zu fördern. Ich glaube, allein das führt Klimaschutzziele erreichen wollen – abgesehen vielleicht dazu, dass wir eben nicht klimaschädliche Baustoffe aus von der AfD. In der öffentlichen Wahrnehmung richtet anderen Ländern zu uns einführen. sich der Blick – das ist auch heute zum Teil wieder deut- lich geworden – häufig auf den Verkehr, auf die Industrie. Der Grundsatz, die Baustoffe wiederzuverwerten, ist Wir verkennen dabei – dazu möchte ich sprechen – häufig richtig. Es ist auch richtig, nachhaltig und technologieof- die große Bedeutung des Bauens, Wohnens und der fen vorzugehen; das hat zum Beispiel die FDP vorge- Gebäude für den internationalen Klimaschutz. schlagen. Aber unser Ansatz als Union ist, beides in den Blick zu nehmen, nämlich auf der einen Seite die Von einigen Vorrednern – zum Beispiel gerade von Bezahlbarkeit des Bauens und des Wohnens und auf der meinem Kollegen Mindrup – ist deutlich gemacht wor- anderen Seite den Klimaschutz. den, wie wir unsere nationale Klimaschutzpolitik verste- hen, eingebettet in das, was in Europa passiert, aber eben Frau Präsidentin, ich komme zum Ende, indem ich auch weltweit. Ich will es ganz deutlich sagen: Wenn wir sage: Genau diesen Spagat zwischen der Bezahlbarkeit uns zum Beispiel international anschauen, wie viel Ener- auf der einen Seite und dem Klimaschutz auf der anderen gie, wie viele Ressourcen für das Bauen, Heizen und vor Seite zu erreichen, ist das, was die Koalition von Union allem auch für das Kühlen von Gebäuden benötigt wer- und SPD auf den Weg bringt. den, dann müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass Vielen Dank. das eines der ganz, ganz zentralen Politikfelder der Zu- kunft ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Wir in Deutschland reden im Gebäudebereich meist neten der SPD – Timon Gremmels [SPD]: Kein über Wärme. Um das vielleicht mal deutlich zu machen: Bekenntnis zu Laschet!) Die USA und China verbrauchen allein für das Kühlen zweieinhalbmal mehr Energie als ganz Afrika. Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Dabei ist es wichtig, dass wir uns nicht nur internatio- Vielen Dank. – Das Wort geht an den fraktionslosen nal, sondern auch im eigenen Land unserer Hausaufgaben Kollegen Marco Bülow. besinnen und uns auch entsprechend einsetzen. Da nützen (B) pauschale Verbote etwa für Einfamilienhäuser im länd- Marco Bülow (fraktionslos): (D) lichen Raum nichts; da nützt es auch nichts, die Men- Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! schen dazu zu drängen, im verdichteten städtischen Wir diskutieren ja heute über mehr als 25 Vorlagen, Raum zu wohnen; denn am Ende wollen wir beides schaf- Anträge usw., die alle irgendwie mit Umwelt und Klima fen, nämlich Klimaschutz, aber auch Bezahlbarkeit, ins- zu tun haben. Alleine das zeigt, wie unangemessen dieses besondere dort, wo wir Wohnungsbedarf haben. Thema behandelt wird: all das wird in eine Stunde Realismus ist also vonnöten; den brauchen wir zum gepresst, in der man darüber diskutiert, und dann hofft Beispiel auch bei der Erschließung von Baustoffen: Da man, das Thema wieder wegzuhaben. Das zeigt den Stel- geht es um Sand, um Kiese, aber zum Beispiel auch um lenwert, und genau da müssen wir anfangen. Gips. Diesen Fragen muss man sich stellen: Wie sieht es Seit 18 Jahren bin ich im Bundestag und höre mir mit Gips ganz praktisch nach dem Kohleausstieg aus? immer mehr Märchen an, was denn schon alles für den Wollen wir uns diese Ressource künftig etwa internatio- Klimaschutz getan wurde und wie weit wir doch schon nal organisieren mit zweifelhaften klimatischen Konse- gekommen sind. Bis auf kleine Phasen, in denen es mal quenzen? wirklich richtig voran ging, passierte genau das eben ( [CDU/CSU]: Ganz wichtig!) nicht, und das passierte vor allen Dingen nicht in den Phasen der Großen Koalition. Märchen wie „Corona hat Solche Fragen müssen auch stärker profiliert werden. nicht dazu beigetragen, dass der CO2-Ausstoß reduziert Deswegen hat sich der Bauausschuss vor Kurzem, im wurde“ oder „In der SPD haben sich die Klimapolitiker März, in einer öffentlichen Anhörung genau damit be- durchgesetzt“ haben wir auch heute wieder gehört. schäftigt. Wir haben zum Beispiel festgestellt, dass die Quote von Recyclingmaterial erhöht werden soll. Dazu (Zurufe von der SPD) brauchen wir unabhängig zertifizierte Güteklassen. Wir brauchen auch die Sicherheit, dass Rezyklat-Baustoffe Genau das ist der falsche Weg. Wenn wir heute hier nur problemlos verwendet werden können. Wahlkampf betreiben und irgendwelche Kanzlerkandida- tinnen und -kandidaten nach vorne stellen und so tun, als Derzeit stellt sich die Situation so dar, dass das Recy- wenn wir tollen Klimaschutz machen, zeigen wir doch, celn dieser Baustoffe sehr, sehr teuer ist, um die hohen dass wir es eigentlich nicht verdient haben, in dieser Auflagen, die die Grünen fordern, überhaupt einzuhalten. Debatte ernst genommen zu werden; denn bis jetzt haben Deswegen ist es aus meiner Sicht und aus Sicht der Union wir eben nicht den richtigen Weg eingeschlagen. ganz wichtig und notwendig, dass wir jetzt endlich das Ende der Abfalleigenschaft in der Mantelverordnung ver- (Marianne Schieder [SPD]: Du brauchst nicht ankern, um sicherzustellen, dass künftig aufbereitete vom „Wir“ reden! Wir sind nicht mehr „wir“!) 28468 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Marco Bülow (A) Gucken wir uns doch die Fakten gerade auch in Vor dem Hintergrund, dass beispielsweise China in (C) Deutschland beim Klima- und Umweltschutz mal an – acht Jahren so viel Beton verbaut hat wie die USA in beides gehört ja in vielen Bereichen zusammen; dabei 250 Jahren, vor dem Hintergrund, dass beispielsweise wird jedoch meist das Thema Biodiversität und Arten- in Südamerika inzwischen 80 Prozent der Bevölkerung vielfalt nicht behandelt –: Es sterben jeden Tag 150 Arten in urbanen Gebieten lebt, und auch vor dem Hintergrund aus. Seitdem ich geboren bin, haben die Tierbestände um der Bevölkerungsentwicklung auf dem afrikanischen 70 Prozent abgenommen, am meisten in den letzten acht Kontinent – da steht uns eine Verdoppelung bevor – ist Jahren. – Wer war denn in den letzten acht Jahren an der es, glaube ich, sehr wichtig – das ist Gegenstand unseres Regierung? Das sind die Fakten. Wir versiegeln, gerade Antrages zum Thema, nämlich Holz als regenerativen auch in Deutschland, täglich Böden, wir machen sie Baustoff in der Entwicklungszusammenarbeit einzuset- kaputt, immer noch sind bestimmte Pestizide, Glyphosate zen –, das Augenmerk darauf zu legen, dass an dieser und andere Stoffe, eben nicht verboten. Gerade die Böden Stelle eine Lösung zu suchen ist. sind besonders wichtig; über die diskutieren wir ganz selten. Dabei gibt es gerade da doch riesige Chancen: Gerade auf dem afrikanischen Kontinent gibt es noch 1 Prozent mehr Humus in Deutschland würde bedeuten, Regionen mit sehr traditionellen Baumustern, aber auf das CO2, das wir in einem Jahr verbrauchen, einzusparen. der anderen Seite auch eine sehr stark fortschreitende Wo sind da die Fortschritte? Wo sind da die Entwicklun- Urbanisierungstendenz. Ich glaube, es ist höchste Eisen- gen? Die spüren wir nicht, weil es sie eben nicht gibt. bahn, dass wir mit unseren Forschungs- und Entwick- lungspotenzialen, mit unserem Wissen und unserem Zur internationalen Verantwortung – auch der werden Know-how in die Staaten, in die Regionen auf dem afri- wir eben nicht gerecht –: 10 Prozent der Welt produzieren kanischen Kontinent mit diesem Bevölkerungswachstum 52 Prozent des CO2-Ausstoßes. Das alleine zeigt doch, gehen und ihnen Unterstützung und Beratung, aber auch welche Verantwortung wir gerade in Deutschland haben, wirtschaftliche Hilfen geben. Wir müssen die Regionen und, dass wir da gerade auch eine soziale Verantwortung dort ertüchtigen und motivieren, mehr auf Klein- und haben, die wir wahrnehmen müssen. Mittelstädte statt auf Megacitys zu setzen und in diesen Klein- und Mittelstädten traditionelle Bauformen, nach- Woran sehen wir noch, dass dieses Thema nicht ernst wachsende Rohstoffe, nachwachsende Baustoffe zu ver- genommen wird? Schauen wir uns alleine die Haushalts- wenden. politik an. Immer noch fließen in Deutschland über 50 Milliarden Euro in umwelt- und klimaschädliche Sub- ventionen. Trotz Coronazeit und trotz schwieriger Haus- (Beifall des Abg. Johannes Selle [CDU/CSU]) haltslage geht kein Minister, geht keine Regierung daran, Ich glaube, Deutschland kann eine ganze Menge dazu (B) das zu ändern. Genau da müssen wir anfangen. Dann beitragen. Ich möchte in dem Zusammenhang auf die (D) haben wir genug Geld, dann haben wir genug Möglich- Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe in Gülzow-Prü- keiten, wirklich ein Klimaprogramm aufzusetzen und zen in der Nähe von Rostock hinweisen, die von der wirklich unserer Verantwortung gerecht zu werden. Wir deutschen Bundesregierung seit Jahren sehr stark unter- dürfen nicht auf Biden und andere schauen, sondern müs- stützt wird und ausgebaut worden ist. Dort arbeiten her- sen auf uns schauen und als Vorreiter vorangehen. vorragende Wissenschaftler, die sehr viel Gutes zu die- Vielen Dank. sem Thema beitragen könnten.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Wir wollen das weiter unterstützen. Deshalb führt unser Antrag, den ich hier eingebracht habe, vor allen Dingen eines im Schilde, nämlich das, was wir an Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Know-how anzubieten haben, mit in den Ansatz zu brin- Danke, Kollege Bülow. – Das Wort geht an die CDU/ gen und in der Entwicklungszusammenarbeit den CSU-Fraktion mit Peter Stein. Schwerpunkt auf nachwachsende Baustoffe, auf nach- wachsende Rohstoffe zu legen. Das ist beileibe nicht (Beifall bei der CDU/CSU) nur das Holz; da fällt mir beispielsweise das eine oder andere Material aus unseren Weltmeeren ein, ebenso Grä- ser, Bambus und ähnliche Dinge. All das in den Ansatz zu Peter Stein (Rostock) (CDU/CSU): bringen, ist Gegenstand unseres Antrags. Ich werbe hier- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im mit um Unterstützung für diesen Antrag. Schatten der Klimakonferenz und im Schatten der SDG- Verhandlungen fand im Oktober 2016 in Quito, in Ecua- Herzlichen Dank. dor, die UN-Habitat-Konferenz statt. Die deutsche Bun- desregierung hatte im Vorfeld dem WBGU, dem ent- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- sprechenden Wissenschaftlichen Beirat, den Auftrag zu ordneten der SPD) einer Studie erteilt. Ein bemerkenswertes Ergebnis dieser Studie ist die Feststellung, dass, wenn wir vor dem Hin- tergrund der Entwicklung der Weltbevölkerung und der Vizepräsidentin Petra Pau: aktuellen Situation im Baugeschehen so weitermachen Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun die Kollegin wie bisher, alleine für die Herstellung des Betons, der Melanie Bernstein das Wort. dafür benötigt wird, das CO2-Klimaziel gerissen werden wird. (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28469

(A) Melanie Bernstein (CDU/CSU): Vizepräsidentin Petra Pau: (C) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich schließe die Aussprache. Last, but not least reden wir über Kulturpolitik. Mit Ihrem Antrag „Green-Culture-Konzept umsetzen“ fordern Sie, Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die den Drucksachen 19/28785, 19/28474, 19/27877, Grünen, Klimaschutz als zentralen Pfeiler in der Kultur- 19/28686 und 19/28778 an die in der Tagesordnung auf- politik zu verankern. geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es weitere Überweisungsvorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann Es sollen Maßnahmen zum Klimaschutz in allen kul- verfahren wir wie vorgeschlagen. turpolitischen Handlungen mitgedacht werden, und Sie wollen einen sogenannten Green Culture Desk mit einer Tagesordnungspunkt 15 d. Wir kommen zur Abstim- eigenen Geschäftsstelle einrichten. Zudem – und hier mung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für wird es für meine Fraktion problematisch – sollen Mittel Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Fraktion des Programms „Neustart Kultur“ verpflichtend an Nach- Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Jetzt auf erneuer- haltigkeitskriterien gekoppelt werden. Es ist auch so, dass bare Energien setzen – Energie sparen, erneuerbare Gase bei der Beauftragten für Kultur und Medien bereits voranbringen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be- Lösungen für den im Mai 2021 stattfindenden runden schlussempfehlung auf Drucksache 19/24502, den An- Tisch „Museen und Klimaschutz“ erarbeitet worden sind. trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/23055 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluss- Im Nachhaltigkeitsbericht der BKM wird deutlich, empfehlung? – Die Koalitionsfraktionen, die AfD-Frak- dass wir mit vielfältigen Maßnahmen zum Klimaschutz tion und die FDP-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – Die vorangehen. Als Beispiele nenne ich hier das Aktions- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich? – Die netzwerk Nachhaltigkeit oder die Entwicklung ökologi- Fraktion Die Linke. Die Beschlussempfehlung ist ange- scher Mindeststandards beim Film. Sie schreiben ja nommen. selbst, dass es positiv ist, dass seitens der Kulturstiftung des Bundes nun erste größere Modellprojekte gestartet Tagesordnungspunkt 15 e. Abstimmung über die Be- wurden, um an valide Daten zu Verbrauchen und Einspa- schlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Natur- rungen im Bereich der Betriebsökologie zu gelangen. schutz und nukleare Sicherheit zu dem Antrag der Frak- Und auch eine erste finanzielle Unterstützung des tion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „10 Jahre nach Aktionsnetzwerks Nachhaltigkeit ist ein richtiger Schritt. dem GAU von Fukushima – Atomkraft hat keine Zu- kunft“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp- Nach unserer Ansicht überschneiden sich aber die Auf- fehlung auf Drucksache 19/28833, den Antrag der Frak- gabenbereiche des von der BKM geschaffenen Aktions- tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/27193 (B) netzwerkes mit Ihren Vorschlägen zum Green Culture abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- (D) Desk. So sind im Nachhaltigkeitsbericht eine zentrale lung? – Die Koalitionsfraktionen, die AfD-Fraktion und Anlaufstelle, der Aufbau von Expertenwissen und Bera- die FDP-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – Die Fraktion tungsangebote schon enthalten. Die Linke und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer Meine Damen und Herren, wir befinden uns zurzeit in enthält sich? – Niemand. Die Beschlussempfehlung ist einer nicht nur für die Kunst und Kultur dramatischen angenommen. Krise, der größten seit dem Zweiten Weltkrieg. Es muss Tagesordnungspunkt 15 f. Abstimmung über die Be- uns doch jetzt vor allem um das Überleben der Kunst- schlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und und Kulturszene gehen, was angesichts der andauernden, Energie zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- notwendigen Pandemiemaßnahmen schwer genug ist. nen mit dem Titel „Aktionsplan Faire Wärme – Aufbruch Ein Programm wie „Neustart Kultur“ soll in erster Linie für klimaneutrale, bezahlbare und warme Wohnungen Kulturschaffenden aus der existenziellen Not helfen. Da und ein starkes Handwerk“. Der Ausschuss empfiehlt in fände ich es ziemlich schwierig, das an neue Bedingun- seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/27070, gen zu knüpfen. Möglichst niederschwellig sollen die den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Hilfen ganz schnell dort ankommen, wo sie so dringend Drucksache 19/26182 abzulehnen. Wer stimmt für diese gebraucht werden. Beschlussempfehlung? – Die Koalitionsfraktionen, die (Beifall bei der CDU/CSU) AfD-Fraktion und die FDP-Fraktion. Wer stimmt dage- gen? – Die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Ein letzter Punkt. Die Initiierung einer umfassenden Grünen. Wer enthält sich? – Niemand. Die Beschluss- künstlerischen Auseinandersetzung zum Thema Klima- empfehlung ist angenommen. wandel durch die Beauftragte für Kultur und Medien, also quasi von oben, widerspricht nach Auffassung mei- Tagesordnungspunkt 15 g. Abstimmung über die Be- ner Fraktion dem Grundsatz der Freiheit der Kunst. schlussempfehlung des Ausschusses für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen zu dem Antrag der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Klima- des Abg. Michael Theurer [FDP]) schutz, Klimaanpassung und nachhaltige Entwicklung als Es lässt sich eben nicht alles, auch bei einem wirklich kommunale Konjunkturmotoren nutzen“. Der Ausschuss wichtigen Anliegen wie dem Klimaschutz, staatlich ver- empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache ordnen. 19/28647, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen auf Drucksache 19/20799 abzulehnen. Wer stimmt Herzlichen Dank. für diese Beschlussempfehlung? – Die Koalitionsfraktio- (Beifall bei der CDU/CSU) nen, die AfD-Fraktion und die FDP-Fraktion. Wer stimmt 28470 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Vizepräsidentin Petra Pau (A) dagegen? – Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Wer (C) enthält sich? – Die Fraktion Die Linke. Die Beschluss- enthält sich? – Niemand. Die Beschlussempfehlung ist empfehlung ist angenommen. angenommen. Tagesordnungspunkt 15 h. Abstimmung über die Be- Tagesordnungspunkt 15 m. Beschlussempfehlung des schlussempfehlung des Ausschusses für Bau, Wohnen, Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag Stadtentwicklung und Kommunen auf Drucksache der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Kein öffentliches 19/28829. Unter Buchstabe a empfiehlt der Ausschuss Geld für klimaschädliche Energien und Atomkraft“. Der die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss- Drucksache 19/26178 mit dem Titel „Nachhaltig bauen – empfehlung auf Drucksache 19/28811, den Antrag der Technologieoffenheit stärken – Bezahlbar wohnen“. Wer Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/22348 abzuleh- stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Koali- nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die tionsfraktionen, die AfD-Fraktion, die Fraktion Die Lin- Koalitionsfraktionen, die AfD-Fraktion und die FDP- ke und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt Fraktion. Wer stimmt dagegen? – Die Fraktionen Die dagegen? – Die FDP-Fraktion. Wer enthält sich? – Nie- Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich? – mand. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Niemand. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Wir sind noch bei Tagesordnungspunkt 15 h. Unter Tagesordnungspunkt 15 n. Beschlussempfehlung des Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Keine Finanzhilfen Drucksache 19/23152 mit dem Titel „Bauwende einlei- für Flüssiggas-Import-Infrastruktur in Deutschland“. Der ten – Für eine ressourcenschonende Bau- und Immobi- Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschluss- lienwirtschaft“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- empfehlung auf Drucksache 19/28811, den Antrag der lung? – Die Koalitionsfraktionen, die AfD-Fraktion und Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/8512 abzulehnen. die FDP-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – Die Fraktion Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Koa- Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich? – Die Fraktion litionsfraktionen und die FDP-Fraktion. Wer stimmt Die Linke. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. dagegen? – Die Fraktion Die Linke und die Fraktion Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich? – Die AfD- seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags Fraktion. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache Zusatzpunkt 2. Abstimmung über den Antrag der Frak- 19/26183 mit dem Titel „Das Drittelmodell – Energeti- tionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache sche Modernisierungen voranbringen – Gerecht und so- 19/28791 mit dem Titel „Das Potenzial des regenerativen (B) zial ausgewogen“. Wer stimmt für diese Beschlussemp- Baustoffs Holz in der Entwicklungszusammenarbeit für (D) fehlung? – Die Koalitionsfraktionen, die AfD-Fraktion die Herausforderungen des Klimawandels nutzen“. Wer und die FDP-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – Die Frak- stimmt für diesen Antrag? – Die Koalitionsfraktionen tion Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich? – Die und die FDP-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – Die Frak- Fraktion Die Linke. Die Beschlussempfehlung ist ange- tionen Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen und AfD. Wer nommen. enthält sich? – Niemand. Der Antrag ist angenommen. Tagesordnungspunkt 15 i. Beschlussempfehlung des Ich rufe die Tagesordnungspunkte 44 a bis 44 z und Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und nukleare 44 bb bis 44 ff sowie die Zusatzpunkte 3 a bis 3 e auf: Sicherheit zu dem Antrag der Fraktion der AfD mit dem Titel „Wohlstand und Natur dauerhaft bewahren 44 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung und ausbauen – Kostengünstige Energie als Grundpfeiler eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu für fortwährendes Wachstum und nachhaltigen Umwelt- dem Übereinkommen Nr. 183 der Interna- schutz“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- tionalen Arbeitsorganisation vom 15. Juni empfehlung auf Drucksache 19/23887, den Antrag der 2000 über den Mutterschutz Fraktion der AfD auf Drucksache 19/22449 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer Drucksache 19/28115 stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Niemand. Die Überweisungsvorschlag: Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koali- Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz tionsfraktionen, der FDP-Fraktion, der Fraktion Die Lin- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Stimmen der AfD-Fraktion angenommen. b) Erste Beratung des von der Bundesregierung Tagesordnungspunkt 15 l. Beschlussempfehlung des eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur zu Ausbau des elektronischen Rechtsver- dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Wei- kehrs mit den Gerichten und zur Ände- terbau der A 49 stoppen, ÖPP-Verträge kündigen, Alter- rung weiterer prozessrechtlicher Vor- nativen prüfen und umsetzen“. Der Ausschuss empfiehlt schriften in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/24683 Drucksache 19/28399 , den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/23114 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluss- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) empfehlung? – Die Koalitionsfraktionen, die AfD-Frak- Finanzausschuss tion und die FDP-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – Die Ausschuss Digitale Agenda Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28471

Vizepräsidentin Petra Pau (A) c) Erste Beratung des von der Bundesregierung Drucksache 19/28411 (C) eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Überweisungsvorschlag: Neuordnung der Marktüberwachung Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Drucksache 19/28401 j) Erste Beratung des von der Bundesregierung Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Anpassung der Bundesbesoldung und Ausschuss Digitale Agenda -versorgung für 2021/2022 und zur Ände- d) Erste Beratung des von der Bundesregierung rung weiterer dienstrechtlicher Vorschrif- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur ten (BBVAnpÄndG 2021/2022) Änderung des Bundesberggesetzes und Drucksache 19/28677 zur Änderung der Verwaltungsgerichts- ordnung Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Inneres und Heimat (f) Drucksache 19/28402 Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz k) Erste Beratung des von der Bundesregierung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum e) Erste Beratung des von der Bundesregierung Erlass eines Tierarzneimittelgesetzes und eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur zur Anpassung arzneimittelrechtlicher Änderung des Öko-Landbaugesetzes und und anderer Vorschriften des Öko-Kennzeichengesetzes Drucksache 19/28658 Drucksache 19/28404 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit l) Erste Beratung des von der Bundesregierung Haushaltsausschuss eingebrachten Entwurfs eines Ersten Geset- f) Erste Beratung des von der Bundesregierung zes zur Änderung des Entsorgungsfonds- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur gesetzes (1. EntsorgFondsÄndG) Pflanzengesundheit Drucksache 19/28685 (B) (D) Drucksache 19/28405 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Haushaltsausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit m) Erste Beratung des von der Bundesregierung g) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/882 Anpassung des Produktsicherheitsgeset- des Europäischen Parlaments und des zes und zur Neuordnung des Rechts der Rates über die Barrierefreiheitsanforde- überwachungsbedürftigen Anlagen rungen für Produkte und Dienstleistungen und zur Änderung des Jugendarbeits- Drucksache 19/28406 schutzgesetzes Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Drucksache 19/28653 Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Überweisungsvorschlag: h) Erste Beratung des von der Bundesregierung Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Ge- Finanzausschuss setzes zur Änderung des Mess- und Eich- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gesetzes Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 19/28410 Ausschuss für Kultur und Medien Überweisungsvorschlag: Ausschuss Digitale Agenda Ausschuss für Wirtschaft und Energie n) Erste Beratung des von der Bundesregierung i) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Durchführung der Verordnung (EU) die Statistik des Warenverkehrs mit dem 2019/1111 über die Zuständigkeit, die Ausland, zur Prüfung von Daten multi- Anerkennung und Vollstreckung von nationaler Unternehmensgruppen zur Entscheidungen in Ehesachen und in Ver- Sicherung der Qualität der Volkswirt- fahren betreffend die elterliche Ver- schaftlichen Gesamtrechnungen und der antwortung und über internationale Kin- Wirtschaftsstatistiken und zur Änderung desentführungen sowie zur Änderung des Bundesstatistikgesetzes sonstiger Vorschriften 28472 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Drucksache 19/28681 und zur Verhinderung der Steuerverkür- (C) zung auf dem Gebiet der Steuern vom Ein- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) kommen und vom Vermögen Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Drucksache 19/28657 o) Erste Beratung des von der Bundesregierung Überweisungsvorschlag: eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Finanzausschuss weitere Aufgaben des Deutschen Patent- und Markenamts und zur Änderung des u) Erste Beratung des von der Bundesregierung Patentkostengesetzes eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des Tabaksteuerrechts Drucksache 19/28680 (Tabaksteuermodernisierungsgesetz – TabStMoG) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Drucksache 19/28655

p) Erste Beratung des von den Fraktionen der Überweisungsvorschlag: CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs Finanzausschuss (f) Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft eines Sechzehnten Gesetzes zur Änderung Haushaltsausschuss des Luftverkehrsgesetzes v) Beratung des Antrags der Fraktionen der Drucksache 19/28788 CDU/CSU und SPD

Überweisungsvorschlag: Gesundheitlichen Verbraucherschutz bei Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Nahrungsergänzungsmitteln und angerei- Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit cherten Lebensmitteln verbessern Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO Drucksache 19/28783 q) Erste Beratung des von der Bundesregierung Überweisungsvorschlag: eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Änderung des Europäischen Übereinkom- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie mens vom 30. September 1957 über die Ausschuss für Gesundheit internationale Beförderung gefährlicher Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- schätzung Güter auf der Straße (ADR) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 19/28683 w) Beratung des Antrags der Abgeordneten (B) (D) Überweisungsvorschlag: Doris Achelwilm, Dr. Petra Sitte, Simone Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Barrientos, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE r) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Ge- Trans-Gesundheitsversorgung in die Re- setzes zur Änderung des Straßenverkehrs- gelleistungen der gesetzlichen Kranken- gesetzes und anderer straßenverkehrs- kassen aufnehmen rechtlicher Vorschriften Drucksache 19/28779

Drucksache 19/28684 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit x) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ausschuss Digitale Agenda Hartmut Ebbing, Katja Suding, Grigorios s) Erste Beratung des von der Bundesregierung Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der eingebrachten Entwurfs eines Achtzehnten Fraktion der FDP Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes Strategische Neuausrichtung Stiftung (18. AtGÄndG) Preußischer Kulturbesitz Drucksache 19/28682 Drucksache 19/24534

Überweisungsvorschlag: Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (f) Ausschuss für Kultur und Medien (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen Ausschuss für Wirtschaft und Energie Haushaltsausschuss Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO y) Beratung des Antrags der Abgeordneten Pia t) Erste Beratung des von der Bundesregierung Zimmermann, Susanne Ferschl, Doris eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu Achelwilm, weiterer Abgeordneter und der dem Protokoll vom 19. Februar 2021 zur Fraktion DIE LINKE Änderung des Abkommens vom 18. Fe- bruar 2011 zwischen der Bundesrepublik Entlastungspflege bundesweit stärken und finanzieren Deutschland und der Republik Zypern zur Vermeidung der Doppelbesteuerung Drucksache 19/19639 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28473

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Überweisungsvorschlag: Überweisungsvorschlag: (C) Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Inneres und Heimat Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Ausschuss Digitale Agenda z) Beratung des Antrags der Abgeordneten , Dr. Kirsten Tackmann, ff) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter Dr. Bettina Hoffmann, Christian Kühn und der Fraktion DIE LINKE (Tübingen), Steffi Lemke, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Kükentöten wirklich beenden – Aufzucht GRÜNEN männlicher Küken fördern Rein in eine Zukunft ohne Müll – Mehr- Drucksache 19/28773 weg und innovative Pfandsysteme fördern Überweisungsvorschlag: Drucksache 19/28782 Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (f) bb) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ausschuss für Wirtschaft und Energie Matthias W. Birkwald, Katja Kipping, ZP 3 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Susanne Ferschl, weiterer Abgeordneter und Dr. Götz Frömming, Dr. Michael Espendiller, der Fraktion DIE LINKE Nicole Höchst, weiterer Abgeordneter und Freiwillige Zusatzbeiträge in der gesetzli- der Fraktion der AfD chen Rente ausbauen, anstatt die geschei- Untersuchung zur Bedrohung der Mei- terte Riester-Rente weiter zu fördern nungs- und Wissenschaftsfreiheit an deut- Drucksache 19/27317 schen Hochschulen umgehend durchfüh- ren Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Drucksache 19/28797 Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschuss Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- Haushaltsausschuss schätzung (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz cc) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ausschuss für Kultur und Medien , Renate Künast, Harald b) Beratung des Antrags der Abgeordneten (B) Ebner, weiterer Abgeordneter und der Frak- (D) Dr. Andrew Ullmann, Jens Beeck, Michael tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Theurer, weiterer Abgeordneter und der Antibiotikaeinsatz in der Geflügelhaltung Fraktion der FDP verringern Aktionsplan globale Gesundheit – Ziele Drucksache 19/13549 entschlossen erreichen

Überweisungsvorschlag: Drucksache 19/28765 Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) dd) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- Dr. Kirsten Kappert-Gonther, Dr. Janosch lung Dahmen, Maria Klein-Schmeink, weiterer c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Brigitte Freihold, Dr. Birke Bull-Bischoff, NIS 90/DIE GRÜNEN Dr. Petra Sitte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Gerechte Gesundheitsversorgung erfor- dert Gendersensibilität – Frauengesund- Programm „Kultur macht stark“ – Förde- heit stärken rung anpassen, sichern und verstetigen Drucksache 19/27882 Drucksache 19/28780

Überweisungsvorschlag: Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend schätzung (f) Ausschuss für Kultur und Medien ee) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ausschuss Digitale Agenda Dr. Anna Christmann, Britta Haßelmann, d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulle Schauws, weiterer Abgeordneter und Niema Movassat, Dr. André Hahn, Gökay der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Akbulut, weiterer Abgeordneter und der Für eine lebendige Demokratie – Beteili- Fraktion DIE LINKE gung und Engagement auf Bundesebene Rechtssicherheit für Drug-Checking stärken schaffen Drucksache 19/27879 Drucksache 19/28774 28474 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Überweisungsvorschlag: – Zweite und dritte Beratung des von der Bun- (C) Ausschuss für Gesundheit (f) desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Gesetzes zur Verlängerung des erhöhten e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Lohnsteuereinbehalts in der Seeschiff- Charlotte Schneidewind-Hartnagel, Kordula fahrt Schulz-Asche, Ulle Schauws, weiterer Abge- Drucksache 19/27719 ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) Bessere Vereinbarkeit von Angehörigen- pflege und Beruf durch eine PflegeZeit Drucksache 19/28504 Plus – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 19/28781 Drucksache 19/28505 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfehlung auf Drucksache 19/28504, den Gesetzent- Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten wurf der Bundesregierung auf Drucksache 19/27719 Verfahren ohne Debatte. anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das sind die Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Die Frak- die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu tionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Wer ent- überweisen. Gibt es weitere Überweisungsvorschläge? – hält sich? – Die AfD-Fraktion und die FDP-Fraktion. Der Das ist nicht der Fall. Dann verfahren wir wie vorgeschla- Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenom- gen. men. Ich rufe auf die Tagesordnungspunkte 45 a bis 45 dd. Dritte Beratung Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem denen keine Aussprache vorgesehen ist. Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Tagesordnungspunkt 45 a: Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dage- gen? – Die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- Grünen. Wer enthält sich? – Die AfD-Fraktion und die regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes (B) FDP-Fraktion. Der Gesetzentwurf ist damit angenom- (D) zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes men. und des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen Tagesordnungspunkt 45 c: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des Drucksachen 19/27451, 19/28129, 19/28605 von der Bundesregierung eingebrachten Ent- Nr. 1.8 wurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- 27. Oktober 2020 zur Änderung des Abkom- ses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) mens vom 17. November 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Fürs- Drucksache 19/28838 tentum Liechtenstein zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und der Steuerverkür- Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in zung auf dem Gebiet der Steuern vom Ein- seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/28838, kommen und vom Vermögen den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Druck- sachen 19/27451 und 19/28129 in der Ausschussfassung Drucksache 19/28116 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz- in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das ausschusses (7. Ausschuss) Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dage- Drucksache 19/28823 gen? – Die AfD-Fraktion und die FDP-Fraktion. Wer ent- Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a sei- hält sich? – Die Fraktion Die Linke. Der Gesetzentwurf ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/28823, den ist damit in zweiter Beratung angenommen. Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 19/28116 anzunehmen. Dritte Beratung Zweite Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion Bünd- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – nis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Die AfD- Das sind die Koalitionsfraktionen, die AfD-Fraktion, Fraktion und die FDP-Fraktion. Wer enthält sich? – Die die FDP-Fraktion und die Fraktion Bündnis 90/Die Grü- Fraktion Die Linke. Der Gesetzentwurf ist angenommen. nen. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Wer enthält sich? – Das ist die Fraktion Die Linke. Der Gesetzentwurf ist Tagesordnungspunkt 45 b: angenommen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28475

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Tagesordnungspunkt 45 d: Tagesordnungspunkt 45 f: (C) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- von der Bundesregierung eingebrachten Ent- richts des Ausschusses für Kultur und Medien wurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom (22. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne- 15. Dezember 2020 zur Änderung des Abkom- ten Brigitte Freihold, Dr. Petra Sitte, Doris mens vom 29. November 1996 zwischen der Achelwilm, weiterer Abgeordneter und der Frak- Bundesrepublik Deutschland und der Repu- tion DIE LINKE blik Estland zur Vermeidung der Doppelbe- Qualität und Dauer pädagogisch begleiteter steuerung auf dem Gebiet der Steuern vom KZ-Gedenkstättenbesuche in der Sekundar- Einkommen und vom Vermögen stufe I erweitern und stärken Drucksache 19/28117 Drucksachen 19/26169, 19/28469 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz- Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- ausschusses (7. Ausschuss) lung auf Drucksache 19/28469, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/26169 abzulehnen. Wer Drucksache 19/28823 stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Koali- tionsfraktionen und die AfD-Fraktion. Wer stimmt dage- Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe b sei- gen? – Die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/28823, den Grünen. Wer enthält sich? – Die FDP-Fraktion. Die Be- Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache schlussempfehlung ist angenommen. 19/28117 anzunehmen. Tagesordnungspunkt 45 g: Zweite Beratung Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem richts des Ausschusses für Kultur und Medien Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – (22. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne- Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- ten Brigitte Freihold, Jan Korte, Helin Evrim entwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, Sommer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD-Fraktion, der FDP-Fraktion, der Fraktion Bünd- DIE LINKE nis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke Restitution von NS-Raubkunst gesetzlich re- angenommen. geln Tagesordnungspunkt 45 e: (B) Drucksachen 19/9339, 19/27730 (D) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes lung auf Drucksache 19/27730, den Antrag der Fraktion zur Regelung des Erscheinungsbilds von Die Linke auf Drucksache 19/9339 abzulehnen. Wer Beamtinnen und Beamten sowie zur Ände- stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Koali- rung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften tionsfraktionen und die AfD-Fraktion. Wer stimmt dage- gen? – Die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Drucksache 19/26839 Grünen. Wer enthält sich? – Die FDP-Fraktion. Die Be- Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- schlussempfehlung ist angenommen. ses für Inneres und Heimat (4. Ausschuss) Tagesordnungspunkt 45 h: Drucksache 19/28836 Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Lisa Badum, Dr. Bettina Hoffmann, Der Ausschuss für Inneres und Heimat empfiehlt in weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/28836, NIS 90/DIE GRÜNEN den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 19/26839 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte Fusionsreaktor ITER nicht als Klimaschutz- diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas- maßnahme ausweisen sung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das sind Drucksache 19/10221 die Koalitionsfraktionen und die AfD-Fraktion. Wer Wer stimmt für diesen Antrag? – Die Fraktionen Bünd- stimmt dagegen? – Die Fraktion Die Linke. Wer enthält nis 90/Die Grünen und Die Linke. Wer stimmt dagegen? – sich? – Die FDP-Fraktion und die Fraktion Bündnis 90/ Die übrigen Fraktionen des Hauses. Wer enthält sich? – Die Grünen. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Bera- Niemand. Der Antrag ist abgelehnt. tung angenommen. Tagesordnungspunkt 45 i: Dritte Beratung Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem richts des Ausschusses für Verkehr und digitale Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Infrastruktur (15. Ausschuss) zu dem Antrag der Das sind die Koalitionsfraktionen und die AfD-Fraktion. Abgeordneten Stefan Gelbhaar, Daniela Wagner, Wer stimmt dagegen? – Die Fraktion Die Linke. Wer Christian Kühn (Tübingen), weiterer Abgeordne- enthält sich? – Die FDP-Fraktion und die Fraktion Bünd- ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nis 90/Die Grünen. Der Gesetzentwurf ist angenommen. NEN 28476 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Die Zukunft von Berlin TXL – The Urban Sehhilfen als Satzungsleistung – Wettbewerb (C) Tech Republic in der gesetzlichen Krankenversicherung stär- Drucksachen 19/14826, 19/17450 Buchstabe b ken Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Be- – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Achim schlussempfehlung auf Drucksache 19/17450, den An- Kessler, Susanne Ferschl, Matthias W. trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache Birkwald, weiterer Abgeordneter und der 19/14826 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluss- Fraktion DIE LINKE empfehlung? – Die Koalitionsfraktionen, die AfD-Frak- Gesundheitsversorgung für alle sichern tion und die FDP-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – Die – zu dem Antrag der Abgeordneten Maria Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Wer Klein-Schmeink, Kordula Schulz-Asche, enthält sich? – Niemand. Die Beschlussempfehlung ist Dr. Kirsten Kappert-Gonther, weiterer Abge- angenommen. ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Tagesordnungspunkt 45 j: GRÜNEN Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Verlässliche und bedarfsgerechte Versor- richts des Ausschusses für Bildung, Forschung gung mit Sehhilfen in der gesetzlichen und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) Krankenversicherung zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Drucksachen 19/18913, 19/6057, 19/8566, Dr. Anna Christmann, Margit Stumpp, weiterer 19/28687 Buchstabe b, c und d Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Be- schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak- Partizipation in Wissenschaft und Forschung tion der FDP auf Drucksache 19/18913 mit dem Titel stärken „Sehhilfen als Satzungsleistung – Wettbewerb in der ge- Drucksachen 19/4857, 19/20474 setzlichen Krankenversicherung stärken“. Wer stimmt für Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- diese Beschlussempfehlung? – Die Koalitionsfraktionen, lung auf Drucksache 19/20474, den Antrag der Fraktion die AfD-Fraktion und die Fraktion Die Linke. Wer Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/4857 abzu- stimmt dagegen? – Die FDP-Fraktion. Wer enthält sich? – lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Die Beschluss- Die Koalitionsfraktionen und die AfD-Fraktion. Wer empfehlung ist angenommen. stimmt dagegen? – Die Fraktionen Die Linke und Bünd- (B) Wir sind noch beim Tagesordnungspunkt 45 l. Unter (D) nis 90/Die Grünen. Wer enthält sich? – Die FDP-Frak- Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des tion. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/6057 Tagesordnungspunkt 45 k: mit dem Titel „Gesundheitsversorgung für alle sichern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Koa- Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- litionsfraktionen, die AfD-Fraktion und die FDP-Frak- richts des Ausschusses für Familie, Senioren, tion. Wer stimmt dagegen? – Die Fraktion Die Linke. Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu dem An- Wer enthält sich? – Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. trag der Abgeordneten Dr. Anna Christmann, Kai Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Gehring, Margit Stumpp, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags Freiwilligendienste ausbauen und stärken – der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache Gemeinwohlorientiert und selbstbestimmt 19/8566 mit dem Titel „Verlässliche und bedarfsgerechte Drucksachen 19/4551, 19/28837 Versorgung mit Sehhilfen in der gesetzlichen Kranken- versicherung“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- lung? – Die Koalitionsfraktionen, die AfD-Fraktion und lung auf Drucksache 19/28837, den Antrag der Fraktion die FDP-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/4551 abzu- Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich? – Die Fraktion lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Linke. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Die Koalitionsfraktionen und die AfD-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Tagesordnungspunkt 45 m: Wer enthält sich? – Die Fraktion Die Linke und die FDP- Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Fraktion. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. richts des Ausschusses für Bildung, Forschung Tagesordnungspunkt 45 l: und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- , Omid Nouripour, weiterer Ab- richts des Ausschusses für Gesundheit (14. Aus- geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE schuss) GRÜNEN – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Wieland Schinnenburg, Michael Theurer, Ein Kompass in unruhigen Zeiten – Friedens- Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter forschung als Grundlage der Politik stärken und der Fraktion der FDP Drucksachen 19/14111, 19/28704 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28477

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- (C) lung auf Drucksache 19/28704, den Antrag der Fraktion lung auf Drucksache 19/28831, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/14111 abzu- der FDP auf Drucksache 19/28356 abzulehnen. Wer lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt Die Koalitionsfraktionen und die AfD-Fraktion. Wer dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung stimmt dagegen? – Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der AfD- Wer enthält sich? – Die FDP-Fraktion und die Fraktion Fraktion, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bünd- Die Linke. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. nis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der FDP-Fraktion angenommen. Tagesordnungspunkt 45 n: Tagesordnungspunkt 45 q: Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für Bildung, Forschung Beratung der Beschlussempfehlung des Ältesten- und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) rates zu dem Antrag der Abgeordneten Mario Zeitplan des Deutschen Bundestages für das Brandenburg (Südpfalz), Katja Suding, Grigorios Jahr 2022 Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der FDP Drucksache 19/28745 Bildungsnachweise auf die Blockchain – Bür- Mit ist mitgeteilt worden, dass das Wort für eine Erklä- gerinnen und Bürger entlasten, Verwaltungs- rung zur Abstimmung gewünscht wird. Das Wort hat der prozesse beschleunigen Abgeordnete Stephan Brandner. (Beifall bei der AfD – Jürgen Hardt [CDU/ Drucksachen 19/14784, 19/20284 CSU]: Was interessiert die AfD eigentlich der Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- Kalender 2022?) lung auf Drucksache 19/20284, den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 19/14784 abzulehnen. Wer Stephan Brandner (AfD): stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Koali- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eine per- tionsfraktionen, die AfD-Fraktion und die Fraktion Die sönliche Erklärung zu Tagesordnungspunkt 45 q: Linke. Wer stimmt dagegen? – Die FDP-Fraktion. Wer Warum? Um für Bürger Transparenz zu schaffen, was enthält sich? – Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Die die Terminplanung für das Jahr 2022 des Deutschen Bun- Beschlussempfehlung ist angenommen. destages und die Sitzungswochen in diesem Jahr angeht. Tagesordnungspunkt 45 o: Das ist ein Thema, das die Altfraktionen in diesem Hause (B) im Ältestenrat am liebsten abschließend behandelt und (D) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- beerdigt hätten. Offenbar ist ihnen das peinlich. richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten (Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ralph Lenkert, Matthias W. Birkwald, Martina NEN]: Da sind Sie doch gar nicht mehr dabei!) Renner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Die Zwischenrufe gerade am Anfang meines Redebei- DIE LINKE trags sprechen dafür. Es ist ein Thema mit Brisanz. Auf das Wochenende fallende gesetzliche Die Fakten: Das Jahr 2022 wird 52 Kalenderwochen Feiertage an Werktagen nachholen haben. Wie viele davon sind Sitzungswochen? 21! Also: Lediglich 40 Prozent der Kalenderwochen sind Sitzungs- Drucksachen 19/2133, 19/10825 wochen, wobei eine Sitzungswoche – das muss man auch Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- wissen – nicht von Montag bis Freitag geht, sondern von lung auf Drucksache 19/10825, den Antrag der Fraktion Mittwoch bis Freitag, Die Linke auf Drucksache 19/2133 abzulehnen. Wer (Zuruf von der FDP: Nur bei der AfD! – Zuruf stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Koali- von der SPD: Faulenzer!) tionsfraktionen, die AfD-Fraktion und die FDP-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – Die Fraktion Die Linke. Wer also nur drei Fünftel, nur 60 Prozent der Woche umfasst. enthält sich? – Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Bei uns fängt das Montagfrüh an!) Tagesordnungspunkt 45 p: Das heißt: Wenn nur 40 Prozent der Wochen Sitzungs- Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- wochen sind und in den Wochen nur an 60 Prozent der richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales Tage Sitzungen stattfinden, (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten (Zuruf der Abg. Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/ Pascal Kober, Carl-Julius Cronenberg, Michael DIE GRÜNEN]) Theurer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP dann möchten die Parlamentarier der Altparteien ledig- lich etwa 25 Prozent ihrer Zeit in Berlin verbringen. Das Kommunale Schlachthöfe erhalten – Verläss- scheint Sie alle sehr aufzuregen. liche Rahmenbedingungen schaffen (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Drucksachen 19/28356, 19/28831 Ihre Faulheit regt uns auf!) 28478 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Stephan Brandner (A) Das ist genau der Punkt, warum ich hier dazu rede. So merpause sind Ihnen wichtig. Uns von der AfD ist das (C) weit, so schlecht. völlig unverständlich angesichts der Herausforderungen, vor denen dieses Land steht. Übrigens: Im Januar und im Februar – acht Kalender- wochen – sind nur drei Sitzungswochen vorgesehen. ( [DIE LINKE]: Ihr macht ja Warum? Sie ziehen es vor, drei Wochen Karnevalsferien auch im Wahlkreis nichts!) zu machen. Fasching ist Ihnen offenbar lieber als der Deshalb lehnen wir – ich rede ja hier für mich; aber ich Parlamentarismus. Wir von der AfD arbeiten da anders. denke mal, meine Fraktion wird das genauso sehen – (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: diese Schmalspurterminplanung ab. Im Übrigen hat das Offensichtlich arbeiten Sie in sitzungsfreien auch nachteilige Auswirkungen auf die Mitarbeiter dieses Wochen nicht!) Hauses. Heute bzw. morgen sitzen wir hier wieder bis 5 Uhr. Sie müssen sich mal daran gewöhnen, dass die Bonner Republik passé ist. Die Berliner Republik ist angesagt, (Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und da sollte auch über die Faschingszeit hinweg gear- NEN]: Können wir uns sparen!) beitet werden. Eine maßvolle Erhöhung der Sitzungswochen würde (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: dazu dienen, auch die nächtlichen Sitzungszeiten einzu- Das ist schlecht, wenn Sie da nicht arbeiten in schränken. Deshalb lehnen wir Ihre Schmalspurtermin- sitzungsfreien Wochen! – Pascal Meiser [DIE planung ab und bitten Sie, noch mal in sich zu gehen, LINKE]: Sie haben das ganze Jahr über Karne- ob es nicht auch 23 statt 21 Wochen sein können. val!) Vielen Dank. So lange, so gut, so schlecht. (Beifall bei der AfD – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: AfD-TV! Nur deswegen findet Übrigens: Acht Wochen lang finden gar keine Sitzun- das hier statt! – Gegenruf von der SPD: Das gen statt, im Zeitraum vom 9. Juli bis 4. September. Man war Youtube, mehr nicht!) gönnt sich acht Wochen Sommerpause. Argument: Die Wahlkreisarbeit! 31 Wochen im Jahr sollten für die Wahl- kreisarbeit zur Verfügung stehen. Vizepräsidentin Petra Pau: Zu einer weiteren Erklärung zur Abstimmung hat die (Kersten Steinke [DIE LINKE]: Die AfD sieht Kollegin Britta Haßelmann das Wort. man auch nicht im Wahlkreis! – Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (B) Sie ja nicht! Das ist das Problem!) sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und (D) der SPD) Das ist ja per se nichts Schlechtes, das gestehe ich Ihnen zu. Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Zuruf des Abg. Stefan Schmidt [BÜND- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Her- NIS 90/DIE GRÜNEN]) ren! Ich spreche sicherlich auch im Namen vieler Kolle- Aber schauen Sie sich mal viele Abgeordnete unserer ginnen und Kollegen der anderen Fraktionen, der Fraktio- Freunde in der CDU/CSU an: Die kommen in 31 Wochen nen der Linken, der SPD, der Grünen, der CDU/CSU und Abwesenheit aus Berlin auf ganz dumme Ideen und wer- der FDP, wenn ich sage: den plötzlich korrupt. Offenbar hatten sie zu viel Freizeit, (Stephan Brandner [AfD]: Pressesprecherin!) was auch dafür spricht, dass mehr Zeit in Berlin verbracht Wir haben diese Verächtlichmachung demokratischer werden sollte. Institutionen und des Parlamentes einfach satt. (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Zurufe (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der GRÜNEN) LINKEN) Meine Damen und Herren, wir als AfD stehen für Dem stellen wir uns klar entgegen. Parlament statt Fasching. Wir stehen für Präsenz in Berlin statt Korruption. Wir haben in den letzten dreieinhalb Jahren gemerkt: Das hat Methode, und das ist grenzenlos. Es gibt da Was haben wir gefordert? Was erzeugt diese Aufre- keinen Anstand. Es gibt auch keinen Respekt vor dem gung hier? Was bringt diese Wallung hier in diesem Parlament, vor der Arbeit der vielen Abgeordneten hier Saal? Wir wollten maßvolle zwei Sitzungswochen mehr. im Haus, die mit großer Leidenschaft, mit großer Über- (Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zeugung und persönlichem Einsatz NEN]: Und wir Sie nicht mehr in diesem Parla- (Zuruf des Abg. Karsten Hilse [AfD]) ment sehen!) ihre Aufgaben erledigen und ihrer Arbeit als Abgeordne- Sie wollen 21 Sitzungswochen, wir wollten 23. Wir ha- te, als gewählte Vertreter/-innen von Bürgerinnen und ben mit unserem Vorschlag im Ältestenrat auf Granit Bürgern hier in Berlin und in ihrem Wahlkreis zu Hause, gebissen. Sie wollen lieber Winterurlaub und Skiurlaub vor Ort in ihrer Region, nachgehen. Dass Sie das mit machen wie seit 30 oder 40 Jahren. Sie wollen eine Verachtung strafen, das sieht man jeden Tag in jeder Faschingspause von drei Wochen. Acht Wochen Som- Sitzungswoche aufs Neue. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28479

Britta Haßelmann (A) (Zuruf von der CDU/CSU: Leider wahr!) All das gehört zu unserer Arbeit, genauso wie die Präsenz (C) Meine Damen und Herren, wir müssen uns da nicht in Ausschüssen und in Untersuchungsausschüssen. Wenn verstecken. Sie uns hier im Plenum nicht sehen, dann sitzen wir viel- leicht in einem Ausschuss oder in einem Untersuchungs- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ausschuss oder in einer Sachverständigenanhörung. bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich kenne viele von Ihnen, und ich bin in vielen inhalt- Kollegin. lichen und sachlichen Fragen anderer Auffassung als Sie. Aber ich weiß, dass so viele von uns sich für diese Demo- kratie, für diese parlamentarische Demokratie, einsetzen, Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): All das gehört zur Parlamentsarbeit dazu, und die leis- (Stephan Brandner [AfD]: Ja, zeigen Sie das ten wir hier mit ganz großer Intensität und Überzeugung doch mal!) in den 21 Sitzungswochen. Die andere Arbeit findet dann sich dafür starkmachen und ihre Arbeit hier in Berlin tun. vor Ort im Wahlkreis statt. Das ist richtig und vertretbar. Und deshalb werden wir heute zustimmen – ich auch. (Stephan Brandner [AfD]: Da merkt man aber Dieser Vorschlag für den Sitzungsplan – nichts von!) – Hören Sie doch einfach auf mit dieser Methode! Wer Vizepräsidentin Petra Pau: eine solche Arbeitshaltung hat wie Sie, Brandner, der braucht sich hier vor niemandem, wirklich vor nieman- Kollegin! dem zu zeigen! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der – wird von allen anderen demokratischen Fraktionen LINKEN – Zurufe von der AfD) getragen. Meine Damen und Herren, dies ist ein Arbeitsparla- Vielen Dank. ment. „Arbeitsparlament“ bedeutet: Heute tagen wir im (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Plenum des Deutschen Bundestages, so wie immer am bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der Mittwoch, am Donnerstag und am Freitag. Und selbst- LINKEN) verständlich – anders als die AfD es hier weismachen will – sind die Abgeordneten auch montags und dienstags (B) hier aktiv bei der Arbeit, Vizepräsidentin Petra Pau: (D) Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für die (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Beschlussempfehlung des Ältestenrates auf Drucksache Abg. Karsten Hilse [AfD]) 19/28745? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – ob in Videokonferenzen von zu Hause aus oder hier in Niemand. Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen ihrem Büro. Ich weiß nicht, was für eine Arbeitshaltung der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion, der FDP- bei der AfD dahintersteckt, meine Damen und Herren. Fraktion, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bünd- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, nis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der AfD-Fraktion bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie angenommen. bei Abgeordneten der LINKEN – Zuruf von Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Peti- der SPD: Keine!) tionsausschusses, Tagesordnungspunkte 45 r bis 45 dd. Anscheinend eine ganz schlechte, wenn man glaubt, die Zum Tagesordnungspunkt 45 dd liegt mir eine schrift- Arbeit einer oder eines Abgeordneten beschränkt sich nur liche Erklärung zur Abstimmung vor.1) auf die Präsenz an Plenartagen. Das ist nämlich nicht der Fall. Kein Wunder, dass wir nur mit schlechten Vorlagen Tagesordnungspunkt 45 r: aus Ihrer Fraktion konfrontiert sind – wenn überhaupt Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- eine Haltung erkennbar ist. Wer die Auffassung hat, Ple- tionsausschusses (2. Ausschuss) narsitzungswoche bedeutet Mittwoch, Donnerstag und Sammelübersicht 848 zu Petitionen Freitag, hat etwas nicht verstanden (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drucksache 19/28484 bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der Es handelt sich um 62 Petitionen. Wer stimmt dafür? – LINKEN) Wer stimmt dagegen? – Die Sammelübersicht 848 ist ein- und glaubt, die Abgeordnetentätigkeit sei ein Halbtags- stimmig angenommen. job, meine Damen und Herren. Tagesordnungspunkt 45 s: Und warum 21 Sitzungswochen? Weil klar ist, dass die Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- andere Zeit natürlich auch im Wahlkreis gearbeitet wird. tionsausschusses (2. Ausschuss) Vor Ort im Wahlkreis Unternehmen, Initiativen, Verbän- de zu besuchen und Bürgergespräche zu führen, hier zu Sammelübersicht 849 zu Petitionen Fachgesprächen zusammenzukommen, Sachverständige- nanhörungen des Deutschen Bundestages durchzuführen: 1) Anlage 5 28480 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Drucksache 19/28485 Tagesordnungspunkt 45 y: (C) Es geht um 88 Petitionen. Wer stimmt dafür? – Wer Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelüber- tionsausschusses (2. Ausschuss) sicht 849 ist einstimmig angenommen. Sammelübersicht 855 zu Petitionen Tagesordnungspunkt 45 t: Drucksache 19/28491 Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuss) Es geht um vier Petitionen. Wer stimmt dafür? – Wer Sammelübersicht 850 zu Petitionen stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelüber- sicht 855 ist gegen die Stimmen der AfD-Fraktion mit Drucksache 19/28486 den Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses ange- Das sind 97 Petitionen. Wer stimmt dafür? – Wer nommen. stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelüber- Tagesordnungspunkt 45 z: sicht 850 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 45 u: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuss) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 856 zu Petitionen Sammelübersicht 851 zu Petitionen Drucksache 19/28492 Drucksache 19/28487 Es geht um eine Petition. Wer stimmt dafür? – Die Es handelt sich um 28 Petitionen. Wer stimmt dafür? – Koalitionsfraktionen, die AfD-Fraktion und die FDP- Die Koalitionsfraktionen, die AfD-Fraktion und die FDP- Fraktion. Wer stimmt dagegen? – Die Fraktionen Die Fraktion. Wer stimmt dagegen? – Die Fraktion Die Linke. Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich? – Wer enthält sich? – Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Niemand. Die Sammelübersicht 856 ist angenommen. Die Sammelübersicht 851 ist angenommen. Tagesordnungspunkt 45 aa: Tagesordnungspunkt 45 v: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuss) tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 857 zu Petitionen Sammelübersicht 852 zu Petitionen Drucksache 19/28493 (B) Drucksache 19/28488 (D) Es handelt sich um sieben Petitionen. Wer stimmt Es geht um sieben Petitionen. Wer stimmt dafür? – Wer dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelüber- Die Sammelübersicht 857 ist gegen die Stimmen der sicht 852 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, AfD-Fraktion und der Fraktion Die Linke bei Zustim- der FDP-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der Frak- mung der anderen Fraktionen angenommen. tion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der AfD- Fraktion angenommen. Tagesordnungspunkt 45 bb: Tagesordnungspunkt 45 w: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuss) tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 858 zu Petitionen Sammelübersicht 853 zu Petitionen Drucksache 19/28494 Drucksache 19/28489 Es geht um eine Petition. Wer stimmt dafür? – Die Es geht um eine Petition. Wer stimmt dafür? – Die Koalitionsfraktionen und die AfD-Fraktion. Wer stimmt Koalitionsfraktionen, die AfD-Fraktion, die FDP-Frak- dagegen? – Die FDP-Fraktion und die Fraktionen Die tion und die Fraktion Die Linke. Wer stimmt dagegen? – Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich? – Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich? – Niemand. Die Sammelübersicht 858 ist angenommen. Niemand. Die Sammelübersicht 853 ist angenommen. Tagesordnungspunkt 45 cc: Tagesordnungspunkt 45 x: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuss) tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 854 zu Petitionen Sammelübersicht 859 zu Petitionen Drucksache 19/28490 Drucksache 19/28495 Es handelt sich um zwei Petitionen. Wer stimmt Es handelt sich um sieben Petitionen. Wer stimmt dafür? – Die Koalitionsfraktionen, Die Linke, Bünd- dafür? – Die Koalitionsfraktionen und die FDP-Fraktion. nis 90/Die Grünen und die AfD-Fraktion. Wer stimmt Wer stimmt dagegen? – Die Fraktion der AfD, Die Linke dagegen? – Die FDP-Fraktion. Wer enthält sich? – Die und Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich? – Nie- Sammelübersicht 854 ist angenommen. mand. Die Sammelübersicht 859 ist angenommen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28481

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Tagesordnungspunkt 45 dd: Wir werden uns ebenso dafür einsetzen, dass Russland (C) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- den schweren Giftanschlag auf Nawalny auf russischem tionsausschusses (2. Ausschuss) Boden vollumfänglich aufklärt und die Täter endlich zur Rechenschaft zieht. Der Einsatz chemischer Waffen ist Sammelübersicht 860 zu Petitionen ein weiterer fundamentaler Verstoß gegen internationales Drucksache 19/28496 Recht. Es geht um 70 Petitionen. Wer stimmt dafür? – Die Liebe Kolleginnen und Kollegen, Russland verhält Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Die Oppo- sich gegenüber der zunehmend aggressiv. Die sitionsfraktionen. – Enthaltungen sehe ich nicht. Die russische Führung gefährdet damit Frieden, Stabilität Sammelübersicht 860 ist angenommen. und Souveränität nicht nur der Ukraine, sondern der gesamten Region. Seit Ende März gibt es massive russi- Ich danke Ihnen herzlich für diese gute Dreiviertel- sche Truppenbewegungen in der Nähe der russisch-ukrai- stunde konzentrierte Abstimmungsarbeit. nischen Grenze sowie auf der illegal annektierten Krim. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Anders als die russische Seite behauptet, sind diese LINKEN) Bewegungen in ihrer Art und Anzahl eben nicht routine- mäßig. Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf: Besonders beunruhigend ist die damit verbundene rhe- Aktuelle Stunde torische Zuspitzung seitens ranghoher Vertreter der russi- auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und schen Regierung. So wird etwa vor einer geplanten Eska- SPD lation seitens der Ukraine gewarnt. Hierauf müsse Russland zwangsläufig reagieren, um die russischspra- Zu den russischen Truppenbewegungen und chige Bevölkerung im Donbass auch militärisch zu schüt- der wachsenden Gefahr einer Eskalation in zen. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, für diese fakten- der Ostukraine freie Behauptung gibt es keinerlei Grundlage. Es gibt Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr keine Hinweise auf ukrainische Planungen für eine Staatsminister Michael Roth. Offensive gegenüber den abtrünnigen Gebieten im Don- (Beifall bei der SPD) bass. Ukrainische Regierungsvertreter, aber auch der Generalstabschef haben wiederholt klargestellt: Die Ukraine plant keine militärischen Aktionen, sondern sie Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt: arbeitet weiter an einer diplomatischen Lösung des Kon- Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol- flikts. (B) legen! Das Thema Russland lässt uns nicht los, und das (D) aus sehr ernstem Grund. Die russische Führung tritt (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP zunehmend aggressiv auf, betreibt insbesondere gegen und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutschland üble Desinformationskampagnen, setzt den Der ukrainische Präsident Selenskyj hat Russlands Präsi- kritischen Teil der russischen Zivilgesellschaft massiv dent Putin zu einem bilateralen Treffen eingeladen. Für unter Druck und destabilisiert eine gesamte Region. diese konstruktive und verantwortungsvolle Haltung in Erst vor wenigen Wochen haben wir an dieser Stelle, dramatischen Zeiten bin ich sehr dankbar. hier im Parlament, über Russland gesprochen, damals aus Russland muss nun seinen eigenen substanziellen Bei- Anlass des inakzeptablen Umgangs der russischen Regie- trag für einen Abbau der Spannungen leisten. Daran rung mit Alexej Nawalny und weiteren Andersdenken- arbeitet die Bundesregierung gemeinsam mit ihren euro- den. Herr Nawalny wurde am Montag zwar in ein Kran- päischen und internationalen Partnerinnen und Partnern. kenhaus verlegt, aber unsere ernste Sorge um seine Die Bundeskanzlerin hat Präsident Putin zu einem Rück- Gesundheit bleibt, zumal wir hören, dass ihn bislang zug der Truppen von den Grenzen der Ukraine aufge- kein Arzt seines Vertrauens besuchen oder behandeln fordert, und es scheint inzwischen auch Bewegung auf darf. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist inhuman der russischen Seite zu geben. Ich hoffe, dass den heuti- und gefährdet Gesundheit und Leben von Alexej gen Ankündigungen auch konkrete Taten folgen werden. Nawalny. Eine weitere wichtige Rolle bei der Deeskalation sollte (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie auch die OSZE spielen. Das setzt aber eine konstruktive bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNIS- Haltung Russlands voraus. SES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Nawalnys Inhaftierung widerspricht zudem Russlands Wir begrüßen, dass die Ukraine den entsprechenden völkerrechtlichen Verpflichtungen aus der Europäischen Mechanismus des Wiener Dokuments aktiviert hat, und Menschenrechtskonvention und ist unzulässig. Alexej ich bedaure es sehr, dass Russland die Chance bislang Nawalny muss unverzüglich freigelassen werden genau- wiederholt vertan hat, Transparenz über seine Truppen- so wie die weit über 1 000 Menschen, die gestern in Russ- bewegungen zu schaffen und somit ein notwendiges Min- land bei Demonstrationen für seine Freilassung bzw. für destmaß an Vertrauen aufzubauen. Wir werden uns weiter bessere Haftbedingungen festgenommen wurden. Dafür dafür einsetzen, dass Russland seine Verpflichtungen im werden wir uns weiter einsetzen. OSZE-Rahmen einhält und für Klarheit sorgt. Wir erwar- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP ten, liebe Kolleginnen und Kollegen, von Russland keine und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) generöse Geste, wir erwarten auch nicht etwas Unzumut- 28482 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Staatsminister Michael Roth im Auswärtigen Amt (A) bares. Wir erwarten schlicht die Einhaltung dessen, wozu Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Differenzen zwi- (C) sich Russland als Mitgliedsland der OSZE verpflichtet schen uns und Russland sind fundamental. Aber das darf hat. uns im direkten Umgang mit Moskau nicht sprachlos werden lassen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der (Beifall bei Abgeordneten der SPD) CDU/CSU und der FDP) Natürlich haben wir ein großes Interesse an einem besse- ren Verhältnis zu Russland. Das haben wir der russischen Seit 2014 setzt sich Deutschland gemeinsam mit Seite bilateral und auch im Rahmen der EU immer wieder Frankreich im Normandie-Format für eine Beilegung deutlich gemacht. Zahlreiche Kooperationsangebote lie- des Konflikts in der Ostukraine ein. Auch wenn die Ver- gen längst auf dem Tisch, aber zum Tango gehören eben handlungen oft mühsam und nicht frei von Rückschlägen immer auch zwei. An Gesprächskanälen und -foren mit sind, sehen wir durchaus Erfolge. So hat der Waffenstill- Russland mangelt es nun wahrlich nicht. stand vom Juli 2020 zu einem deutlichen Rückgang der Zahl der an der Kontaktlinie getöteten Soldaten, Zivilis- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des tinnen und Zivilisten geführt. In den vergangenen Wo- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) chen ist der Waffenstillstand jedoch immer wieder gebro- chen worden. Seit Anfang Januar wurden 37 ukrainische Es gibt in Moskau derzeit leider kaum Bereitschaft, diese Soldaten und 9 Zivilisten und Zivilistinnen getötet – ein für einen offenen, ehrlichen, faktenbasierten Dialog zu trauriger Höchststand! Mit unseren französischen Part- nutzen. Moskau muss sich nun erklären und uns sagen, nern sind wir uns einig: Im Zentrum der Bemühungen wie es zu unseren Angeboten steht. Wir schlagen keine müssen nun die Deeskalation und eine Stabilisierung Türen zu. des Waffenstillstands stehen. Wir haben uns gemeinsam mit unseren Partnern in der EU, in der NATO, im Europarat und in der OSZE für den (Beifall bei Abgeordneten der SPD) zugegebenermaßen schwierigeren Weg entschieden: möglichst belastbare Kanäle für die gemeinsame Lösung Mit diesem Einsatz stehen wir nicht allein. Erst am der Probleme offenhalten und im direkten Umgang mit Montag haben sich die EU-Außenministerinnen und Moskau Klartext reden. Dabei dürfen wir uns jedoch -Außenminister mit ihrem ukrainischen Amtskollegen nicht spalten lassen. Nur aus Zusammenhalt und Team- Kuleba ausgetauscht. Die territoriale Integrität der Ukrai- geist wachsen Stärke und die Chance auf Veränderung ne muss von Russland anerkannt werden. Sie ist für uns zum Besseren. nicht verhandelbar. (B) Vielen Dank. (D) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten CDU/CSU) der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE Wir unterstützen den besonnenen Kurs der ukrainischen GRÜNEN – Dr. Alexander S. Neu [DIE LIN- Regierung und nicht zuletzt auch die wichtigen Reform- KE]: Das war die halbe Wahrheit! – Petr schritte der vergangenen Monate. Gerade Fortschritte im Bystron [AfD]: Das ist schon sehr generös Bereich der Justiz und der Rechtsstaatlichkeit sind wei- umschrieben!) tere Meilensteine auf dem europäischen Weg des Landes. Aber weitere müssen folgen, und dabei unterstützen wir Vizepräsidentin Petra Pau: das Land so gut es irgend geht. Auf der Ehrentribüne hat Seine Exzellenz, Herr Dr. Melnyk, der Botschafter der Ukraine, Platz genom- Die Notwendigkeit genau dieses Dreiklangs, liebe men. – Ich begrüße Sie herzlich. Kolleginnen und Kollegen – Deeskalation, Solidarität mit der Ukraine und Reformen –, haben wir im Kreis (Beifall) der G 7 und der NATO bekräftigt. Dabei ziehen wir alle Instrumente unseres diplomatischen Instrumentenkastens Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Anton Friesen für in Erwägung. Diskussionen über weitere Sanktionen ge- die AfD-Fraktion. gen Russland, wie sie teilweise gefordert werden, sind (Beifall bei der AfD) nachvollziehbar, leisten aber unseres Erachtens aktuell keinen Beitrag zur Lösung der Krise. Aus Sicht der Bun- desregierung ist klar: Wir werden gemeinsam mit unseren Dr. Anton Friesen (AfD): Partnerinnen und Partnern keine Möglichkeit für eine Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bot- diplomatische Lösung ungenutzt lassen. schafter! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Liebe Bürger! Operation Sturm, Bergkarabach, Ostuk- Aber lassen Sie mich hier auch über die Grenzen un- raine. Das ukrainische Vorgehen im Donbass erinnert an seres Bemühens offen sprechen. Der Schlüssel für einen einige historische Vorläufer. Russland verhindert, dass es Abbau der Spannungen liegt in Moskau. Moskau muss genau so endet. Bereits im Februar hat der ukrainische seinen aggressiven Kurs beenden. Wir fordern eine rhe- Präsident Selenskyj Truppen und schwere Waffen an der torische Deeskalation von der russischen Seite und end- Konfliktlinie zusammengezogen. Der ukrainische Präsi- lich vollumfängliche Transparenz über die militärischen dent hat mit fallenden Beliebtheitswerten zu kämpfen Bewegungen im Umfeld der Ukraine. und macht einen auf starken Mann. Er schließt verfas- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28483

Dr. Anton Friesen (A) sungswidrig oppositionelle Fernsehsender, er blockt bei (Zuruf von der CDU/CSU: Aber AfD und (C) der Umsetzung der Minsker Vereinbarung und provoziert Pazifismus!]) Moskau, wo es nur geht. Die AfD ist die neue Friedenspartei Deutschlands. ( [CDU/CSU]: Ach was!) (Lachen bei der CDU/CSU und dem BÜND- Die Russen antworten mit einer Demonstration der NIS 90/DIE GRÜNEN) Stärke auf der Krim und an der russisch-ukrainischen Deutschland muss eine Vermittlerrolle zwischen Moskau Grenze. und Washington, Moskau und Kiew einnehmen und sich für einen direkten ständigen Austausch von Militärs im (Zuruf der Abg. Margarete Bause [BÜND- NATO-Russland-Rat und zwischen Russland und den NIS 90/DIE GRÜNEN]) Vereinigten Staaten starkmachen. Ganz klar und unmiss- Bis hierher und nicht weiter, so die klare Ansage Rich- verständlich muss auch der Ukraine gesagt werden: tung Kiew. (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Doch nicht nur die Ukraine ist gemeint. Das russische NEN]: Ihr wollt nur in die „heute-show“!) Signal, symbolisiert durch die Militärübungen an der Der Donbass ist ein integraler Teil der Ukraine – ja –, Grenze, gilt natürlich auch Washington und London. aber wenn ihr ihn wieder zurückgewinnen wollt, hilft Während Washington Kriegsschiffe ins russisch domi- keine Militäraktion, sondern die Umsetzung der Minsker nierte Schwarze Meer schickt, um sie dann wieder Vereinbarungen und das Gewinnen von Hearts und zurückzubeordern und allgemein nach der Devise Minds der Bewohner des Donbass. „Zuckerbrot und Peitsche“ verfährt, ist London fest ent- schlossen, Stärke zu zeigen und ebenfalls maritimes (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Kriegsgerät ins Schwarze Meer zu entsenden. NEN]: Falsches Parlament, Herr Kollege! – Zuruf von der CDU/CSU: Sendeschluss bei ( [CDU/CSU]: Redezeit!) Radio Moskau!) Zugleich läuft ab dem 1. Mai das US-Manöver Operation Vielen Dank. Defender unter Beteiligung von 430 deutschen Soldaten. (Beifall bei der AfD – Frank Steffel [CDU/ Zielländer sind der Schwarzmeeranrainer Rumänien und CSU]: Herr Gauland hat nicht geklatscht! sein Nachbar Ungarn. Fürs Protokoll, bitte! – Manuel Sarrazin Das alles braut sich zusammen zu einem gefährlichen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der hat auch Gemisch aus Ignoranz, ungewollter Eskalation und rhe- nicht gelacht! – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/ (B) torischen Gebärden auf beiden Seiten. Die entscheidende DIE GRÜNEN]: Der hat sich geschämt!) (D) Frage wird sein, ob Washington die von ihm völlig abhängige Ukraine im Zügel halten will oder Selenskyj Vizepräsidentin Petra Pau: die Pferde durchgehen. Deshalb muss man das russische Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Dr. Johann Signal der Truppenverstärkung und auch das angekün- Wadephul das Wort. digte Ende der Übungen morgen richtig verstehen: nicht als Kriegsandrohung oder -erklärung, sondern als einen (Beifall bei der CDU/CSU) Schritt zur Deeskalation, (Frank Steffel [CDU/CSU]: Schwer erträglich Dr. Johann David Wadephul (CDU/CSU): diese Rede! Schwer erträglich!) Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei dieser Rede wird einem deutlich, dass Russ- der auch heiße Köpfe am Potomac und am Dnepr abküh- land selber gar keine Desinformationskampagne mehr zu len sollte, initiieren braucht, sie hat ja die AfD-Fraktion im Deut- schen Bundestag, (Manfred Grund [CDU/CSU], an die AfD gewandt: Redet der wirklich für euch?) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zumal es im Falle einer Eskalation gerade die Kiewer Führung ist, die alles verlieren könnte. Säbelrasseln und um die Sachen wirklich auf den Kopf zu stellen. Kriegsgeschrei sollte man daher lieber lassen. (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Das ist eine Ein verantwortlicher Politiker, zumal ein Kanzlerkan- Unverschämtheit, Herr Wadephul!) didat, sollte sich schon gar nicht als Kriegstreiber gebär- – Bitte, Herr Gauland? den. Genau das tut jedoch die grüne Möchtegernkanzlerin Baerbock, die schon wieder einen Bock abschießt. Kaum (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Wir können sind die Kobolde recycelt, ist die Transatlantikerin eine politische Meinung haben, und Sie müssen Baerbock ganz vorne dabei, wenn es um Hetze gegen uns nicht beleidigen! Wir vertreten gute Bezie- Russland geht. Deutschland brauche dringend eine klare hungen zu Russland! Ja, das haben wir immer außenpolitische Haltung gegenüber dem russischen gemacht! – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE Regime und natürlich schärfere Sanktionen gegen das GRÜNEN]: Ball flach halten!) böse System Putin. Mehr Auslandseinsätze der Bundes- – Herr Gauland, Lautstärke ist kein Argument. Ich will wehr weltweit fordert die frisch gekürte grüne Spitzen- Ihnen nur sagen: Ich vertrete auch öffentlich – das haben frau auch noch. Grüne und Pazifismus? Lange vorbei. Sie in der Vergangenheit lesen können – absolut die 28484 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Dr. Johann David Wadephul (A) Linie, die in unserer Großen Koalition breit getragen treten da sogar noch auf. Es sind Kolleginnen und Kol- (C) wird – im Übrigen auch von anderen Fraktionen getragen legen Ihrer Fraktion, die bei dem Machthaber Assad noch wird und von der Bundesregierung realisiert wird –, dass auftreten. Als es um die Friedenspartei ging, war es Ihnen wir gute Beziehungen zu Russland wollen. Aber Sie ha- wahrscheinlich schon unangenehm. Es sind Vertreter der ben auch schon an anderer Stelle den Versuch unternom- Linkspartei, die nichts Besseres zu tun haben, als über men, deutsche Geschichte – das erleben wir hier wieder, Russland auf die Krim zu reisen und das durch ihre diesmal die Ukraine betreffend – einfach umzuschreiben, Anwesenheit zu legalisieren. wie es Ihnen passt. Herr Gauland, das lassen wir nicht zu. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Können (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP Sie das beweisen? Das ist eine Unterstellung! – und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Heike Hänsel [DIE LINKE]: Von uns war noch Russland hat völkerrechtswidrig, auch mit militär- keiner da! – Kersten Steinke [DIE LINKE]: ischen Mitteln, mit hybriden Mitteln, mit Mitteln der Beweise!) Desinformation Völkerrecht gebrochen und hat die Sou- Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, in diesen Punk- veränität der Ukraine gebrochen. Das ist unverzeihlich. ten müssen wir schon klar sein. Wir können die europä- (Zuruf des Abg. Dr. Alexander S. Neu [DIE ische Friedensordnung und Verständigung mit Russland, LINKE]) was wir wollen, nur verteidigen, wenn wir prinzipienfest sind. Wenn Präsident Putin in den vergangenen Tagen ge- sagt hat, er würde rote Linien setzen, dann kann ich nur (Heike Hänsel [DIE LINKE]: So ein Quatsch!) sagen: Rote Linien setzen die internationale Gemein- Deswegen: Es gibt keinen Anlass für diese Truppen- schaft und das internationale Recht und nicht ein autoritär massierung. Es ist keine Übung. Es gibt keine Aggres- regierender Präsident. sion: weder von einem NATO-Manöver noch von der (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP Ukraine. Deswegen die klare Aufforderung des Deut- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schen Bundestages an Russland: Ziehen Sie diese Trup- pen ab, deeskalieren Sie, kehren Sie zurück ins Norman- Das machen wir gemeinsam. Und Sie sind gut beraten, die-Format. Deutschland ist gemeinsam mit Frankreich sich daran zu beteiligen und das zu unterstützen. Es war bereit, hier zu vermitteln. Russland selbst, das noch als UdSSR diese Nachkriegs- ordnung, die Ordnung des Friedens und der Rechtssicher- Herzlichen Dank. heit, des Interessenausgleiches mit konstruiert hat. Die (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der OSZE, von der der Staatsminister gerade vollkommen FDP) (B) zu Recht gesprochen hat, ist in den 70er-Jahren des ver- (D) gangenen Jahrhunderts entstanden aus einer Politik der Vizepräsidentin Petra Pau: Verständigung, die auch Sozialdemokraten in Regie- Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Alexander rungsverantwortung hier in Deutschland mit begonnen Graf Lambsdorff das Wort. haben. Das war doch gut. Es wurde auch auf russischer, früher sowjetischer, Seite geschätzt, dass wir eine neue (Beifall bei der FDP) Rechtsordnung geschaffen haben und dass es dann nach dem Zerfall der Sowjetunion für die Ukraine Rechtssi- Alexander Graf Lambsdorff (FDP): cherheit zu geben schien, indem niedergelegt wurde, die Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Sep- Ukraine verzichtet. tember wird gewählt, und zwar nicht nur hier bei uns in (Zuruf des Abg. Dr. Alexander S. Neu [DIE Deutschland, sondern auch in Russland. Die Duma-Wah- LINKE]) len stehen vor der Tür, und die Nervosität im Kreml steigt mit jedem Tag. Die Opposition wird drangsaliert, NGOs Es war doch ein zivilisatorischer Sprung nach vorne, dass diskriminiert, Nawalny inhaftiert. Man könnte glatt glau- ein Staat auf Atomwaffen verzichtet und dafür Sicherheit ben, im Kreml denkt man, demokratische Kräfte stünden und Souveränität garantiert bekommt. Dieses zu brechen, kurz vor einem großen Wahlsieg. Die Umfragen legen ist ein so dermaßen großer katastrophaler Fehler in Euro- das nahe. Vor einem Jahr noch stand Jedinaja Rossija, pa. Das darf man nicht hinnehmen. Das müssen wir ver- die Partei des Kreml, bei 45 Prozent. Heute sind es teidigen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen. An der noch 27 Prozent. Stelle dürfen wir wirklich nicht wackeln und nicht weichen. Gleichzeitig steigt die Zustimmung zu rechten und linken Kräften, zur Partei von Schirinowski, zu den Kom- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP munisten. Die Opposition hat kaum Bewegungsfreiheit. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Anhänger liberaler Parteien werden an der Wahl ge- Nein, wenn Präsident Putin sagt, der Westen ritte auf hindert, ihre Registrierung wird unterbunden. Der demo- Russland herum, dann ist das falsch. Der Staatsminister kratische Wettbewerb findet praktisch nicht statt. Trotz- hat die Beispiele genannt. Russland bricht immer wieder dem sehen wir eine Repression im Inneren, die individuell – bei Nawalny, bei Skripal – Recht, interna- ihresgleichen sucht. Warum? Weil der Lebensstandard tionales Recht. Den Tiergarten-Mord müsste man noch sinkt, die Korruption unverändert ist, aber das Rentenein- ansprechen. Russland hat Krankenhäuser und Zivilisten trittsalter steigt. Und, meine Damen und Herren, im in Syrien bombardiert und unterhält Söldnertruppen in Kreml hat man die Proteste vom Bolotnaja-Platz noch Libyen. Russland bricht internationales Recht, und Sie nicht vergessen, als eine Wahl schiefgegangen ist. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28485

Alexander Graf Lambsdorff (A) Jede legitime Opposition in Russland wird zur Agentin Meine Damen und Herren, das Ziel ist klar: Es geht (C) einer Farbrevolution gestempelt, zur Vollstreckerin des hier darum, Unberechenbarkeit zu schaffen, Willkürpoli- Willens der CIA, zu einer Feindin des russischen Volkes. tik zu betreiben, Regellosigkeit zu etablieren, das Recht Meine Damen und Herren, das ist falsch. Die Russinnen des Stärkeren an die Stärke des Rechts zu setzen. Das und Russen haben Demokratie verdient. Es ist ein großes werden wir nicht akzeptieren. Volk, das sich demokratisch auch selbst regieren kann, und dabei sollten wir es unterstützen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNIS- (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SES 90/DIE GRÜNEN) SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) Wir halten uns an das Völkerrecht, an die Charta der Vereinten Nationen, an die Schlussakte von Helsinki, an Aber zur Verteidigung gegen diese imaginären Feinde die Europäische Menschenrechtskonvention. Das sind im Inneren kommt eben dann auch noch die Verteidigung alles Dokumente – es ist hier gesagt worden –, die Russ- gegen imaginäre Feinde von außen. In diesem Zusam- land unterschrieben hat. Wir verlangen von Russland menhang müssen wir den Aufmarsch der russischen nichts, was Russland nicht selber unterschrieben hat, Streitkräfte an der ukrainischen Grenze zwischen Woro- und wir werden Moskau immer wieder daran erinnern, nesch und Rostow sehen. Circa 120 000 Soldaten, gepan- meine Damen und Herren. zerte Verbände, Infanterie, Artillerie, sogar Landungs- boote aus dem Kaspischen Meer wurden verlegt, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie Lazarette gleich mit. Die Straße von Kertsch wurde bei Abgeordneten der SPD) gesperrt, das Asowsche Meer gleich mit. Die Häfen der Gewaltverzicht zwischen Staaten, Grenzverschiebun- Ukraine sind nicht länger zugänglich. gen – wenn überhaupt, dann nur im Konsens – und die Angeblich beruht all das auf feindlichen Aktivitäten Grund- und Menschenrechte gelten. Dazu gehört auch der NATO. Meine Damen und Herren, nein, es gibt dort der Respekt vor Urteilen des Europäischen Gerichtshofs keine feindlichen Aktivitäten der NATO. Punkt! Das sind für Menschenrechte, Fake News, das ist Desinformation. Das ist das, was wir, lieber Herr Gauland, von Ihnen als Tatsache hören. Es (Beifall bei Abgeordneten der FDP) sind keine Tatsachen. Es sind Falschbehauptungen. der die Freilassung von Alexej Nawalny verlangt hat. Schluss. Ende der Durchsage. Das ist russische Desinfor- Unsere roten Linien sind die blaue Tinte, mit denen all mation. diese Dokumente unterschrieben wurden. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (B) Wie sollen wir jetzt reagieren, meine Damen und Her- (D) der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNIS- ren? Erstens. Unsere Solidarität gilt der Ukraine. Zwei- SES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Alexander tens. Das Normandie-Format muss wiederbelebt werden. Gauland [AfD]: Nein, Graf Lambsdorff, da lie- Drittens. Außenminister Maas hat verlangt, dass wir in gen Sie völlig falsch! Sie haben die NATO aus- der NATO eine geschlossene Position einnehmen, und gedehnt nach Osten! Sie haben das gemacht! gleichzeitig den Weiterbau von Nord Stream 2 verkündet. Fragen Sie mal Herrn Teltschik, was der Ihnen Ja, was denn nun? Skandinavier, Balten, Polen, Franzo- sagt! Sie haben angefangen!) sen, der amerikanische Kongress, das Europaparlament, Das Ziel ist doch ein ganz anderes: Russland will alle sind der Meinung, es handele sich hierbei um ein die souveräne Ukraine einschüchtern. Es will bekräf- geopolitisches Projekt zum Nachteil der Ukraine. tigen, dass im nahen Ausland die Staaten nur eine ein- Meine Damen und Herren, ich fordere die Bundesre- geschränkte Souveränität haben. Wir können nicht gierung auf: Entwickeln Sie eine geschlossene Position ausschließen – wir können es bis heute trotz der Ankün- innerhalb der Bundesregierung, bevor Sie die NATO- digung von Verteidigungsminister Schojgu nicht aus- Verbündeten zu einer geschlossenen Position selber auf- schließen –, dass es unter Umständen sogar die Vorbe- rufen. Wir brauchen ein Moratorium für Nord Stream 2. reitung einer militärischen Invasion ist. Die Fähigkeiten Wir wollen, dass Russland seine Politik ändert. Wenn es jedenfalls sind da. das tut, ist es uns als Mitglied der europäischen Völker- Nun hat gestern Präsident Putin in seiner Poslanije, der familie wieder herzlich willkommen. Rede zur Lage der Nation, rote Linien gezogen. Ich will (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten mit Genehmigung der Präsidentin mal zitieren, was er der CDU/CSU – Dr. Alexander Gauland hier gesagt hat: [AfD]: Anmaßend, Graf Lambsdorff! Anma- Organisatoren jedweder Provokationen, die die ßend! Die Russen werden sich bedanken bei Kerninteressen unserer Ihnen! – Gegenruf des Abg. Michael Theurer [FDP]: Die Ukraine ist auch Rechtsnachfolger – also der russischen – der UdSSR! Das haben Sie ja wohl vergessen, Sicherheit bedrohen, werden ihre Taten so bereuen, dass Russland nicht Rechtsnachfolger der wie sie lange nichts bereut haben. … Aber ich hoffe, UdSSR ist! – [SPD]: Er dass niemandem in den Sinn kommt, Russland ge- trägt ja sein eigenes Geschichtsbuch bei sich! – genüber die sogenannte rote Linie zu überschreiten. Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Völker- Wo sie verläuft, werden wir in jedem konkreten Fall rechtskenntnisse sollte man haben, Kollege! selbst entscheiden. Sonst wird es peinlich!) 28486 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: Entspannungspolitik kann nur gelingen, wenn Sicher- (C) Das Wort hat die Kollegin Heike Hänsel für die Frak- heitsinteressen, die auf beiden Seiten bestehen, auch tion Die Linke. gegenseitig anerkannt werden. Angesichts der globalen Herausforderung der Pandemie, aber auch des Klima- (Beifall bei der LINKEN) schutzes – und da ist der heutige Gipfel ja ein positives Beispiel – können wir uns keinen neuen kalten Krieg Heike Hänsel (DIE LINKE): leisten. Der Feind heißt doch nicht Russland, sondern Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen und Kollegin- Corona. nen! Die Kriegsgefahr in der Ukraine wächst tatsächlich, (Beifall bei der LINKEN – Alexander Graf und die Linke setzt sich dafür ein, dass sich sowohl ukrai- Lambsdorff [FDP]: Da fallen einem schon kei- nische als auch russische Truppen zurückziehen und wir ne Zwischenrufe mehr ein, so absurd ist das!) zur Deeskalation zurückkommen. Wir müssen doch jetzt alles darauf konzentrieren, dass (Beifall bei der LINKEN) es eine Truppenentflechtung gibt und eine Rückkehr so- Wer sich aber die Äußerungen der Bundesregierung wohl der russischen als auch ukrainischen Truppen in die anhört und auch – das muss ich sagen – Ihre Rede, Herr Kaserne. Da ist es ein Hoffnungsschimmer, dass an die- Roth, der fühlt sich doch eigentlich unwillkürlich an das sem Montag der Waffenstillstand in der Ukraine vom Bibelwort erinnert: Warum siehst du den Splitter im Auge Normandie-Format bekräftigt wurde. Wir begrüßen aus- deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge drücklich den Vorschlag des ukrainischen Präsidenten bemerkst du nicht? Selenskyj für ein bilaterales Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Warum unterstützen und (Frank Steffel [CDU/CSU]: Die Bibel lassen befördern wir diese Angebote nicht stärker? Sie bitte weg in diesem Zusammenhang!) (Beifall bei der LINKEN) Wenn man so einseitig, Herr Roth, den russischen Auf- marsch kritisiert, dann muss man sich doch auch mal Reden statt drohen, das muss doch unser gemeinsames einige andere Fragen stellen, zum Beispiel wie das größte Interesse sein. US-Manöver seit Jahrzehnten in Osteuropa, Defender Hier sehen wir leider viel zu wenig bilaterale Initiati- Europe 21, das jetzt aktuell mit NATO-Unterstützung ven der Bundesregierung. Stattdessen wird wieder neuen stattfindet, mit 30 000 Soldaten, an dem auch die Bun- Sanktionen das Wort geredet; ganz vorne dabei neben der deswehr und ukrainische Soldaten sich beteiligen, in Union leider auch die Grünen. Und es gibt dann für im- Russland wahrgenommen wird. Wie wird es wahrgenom- mer neue Sanktionen immer neue Begründungen. Das ist (B) men, wenn Deutschland durch das Trainieren schneller doch keine Kunst der Konfliktlösung; das ist immer nur (D) US-Truppenverlegung von der West- an die Ostflanke der Eskalation. Man stelle sich nur einmal vor, wir würden so NATO Krieg übt gegen Russland? Wie wird die NATO- gegenüber den USA Politik machen. Dann müssten wir Reforminitiative 2030 aufgenommen, die Russland als sofort Sanktionen wegen des Weiterbetriebs des US-Fol- die größte militärische Bedrohung für die NATO terlagers in Guantánamo verhängen. beschreibt? Und wie wird der NATO-Aufmarsch im Schwarzen Meer wahrgenommen, der jetzt durch briti- (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Richtig sche Kriegsschiffe noch verstärkt werden soll? Wie so!) wird die Aufrüstung der Ukraine durch die USA und Und wir müssten mit Blick auf den strukturellen Rassis- durch Erdogan mit Kampfdrohnen wahrgenommen und mus staatlicher Institutionen in den USA umgehend wie das Dekret des ukrainischen Präsidenten Selenskyj Strafmaßnahmen gegen einzelne Personen dort verhän- vom 24. März, die Krim und die Ostukraine militärisch gen. zurückerobern zu wollen, wie seine Forderung nach einem schnellen NATO-Beitritt als direkter Nachbar (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Das will Russlands? Wie wird all das aufgenommen? Wie werden der Roth nicht hören!) die Äußerungen des ukrainischen Botschafters in Warum können wir uns gegenüber Russland nicht einmal Deutschland aufgenommen, sich unter Bruch des Atom- von der Logik der Konfrontation verabschieden? waffensperrvertrags Atomwaffen besorgen zu wollen? Und wie wird das Dekret der Ukraine von Anfang des Meine Fraktion hat vorgeschlagen, anlässlich des Jahres aufgenommen, das den Gebrauch der russischen 80. Jahrestags des Überfalls der deutschen Wehrmacht Sprache im öffentlichen Raum, zum Beispiel auch in auf die Sowjetunion am 22. Juni endlich, wie mit Frank- Geschäften, zurückdrängen soll, und wie die Maßgabe reich, einen Freundschaftsvertrag mit Russland zur histo- der ukrainischen Regierung, sich nicht mehr an das Mins- rischen Aussöhnung abzuschließen, zum Beispiel, um ker Abkommen zu halten und die Rechte der Minderhei- den Jugendaustausch, Städtepartnerschaften und wirt- ten in der Ukraine weiter beschneiden zu wollen? schaftliche Kooperationen zu verstärken und für ein Sys- tem beidseitiger Sicherheit in Europa den vertraglichen Wer über all diese Fragen nicht reden will, der kann Boden neu zu bereiten. Die historische Aufgabe der Aus- auch nicht glaubwürdig die russische Seite auffordern, zu söhnung mit der russischen Föderation und mit anderen deeskalieren. ehemaligen Sowjetrepubliken steht noch aus. Es wäre ein gravierendes Versagen in der Geschichte, wenn die Bun- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- desregierung sich dieser Aufgabe verweigert. neten der AfD – Frank Steffel [CDU/CSU]: Wer ist denn wo einmarschiert?) Danke. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28487

Heike Hänsel (A) (Beifall bei der LINKEN – Frank Steffel der SPD und der FDP – Dr. Alexander Gauland (C) [CDU/CSU]: Ich würde gern ihre Nebenein- [AfD]: Ja, ja!) künfte sehen! – Dr. Alexander S. Neu [DIE mit der Sie exklusive Kaffeetermine machen – das ist die LINKE]: Das ist die andere Seite der Wahr- Realität –, anstatt sich hier um unser Land zu kümmern. heit!) Gucken Sie doch nur, was Ihnen Herr Lawrow auf- schreibt bzw. sein Team. Wahrscheinlich macht das nicht Vizepräsidentin Petra Pau: Herr Lawrow persönlich; der nimmt Sie, so wie Sie arbei- Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der ten, glaube ich, auch nicht ernst. Kollege Manuel Sarrazin das Wort. (Peter Beyer [CDU/CSU]: Das sind ja nur (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nützliche Idioten!) Ich möchte Staatsminister Roth danken für die Rede, Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): die er hier gehalten hat. Ich möchte auch sagen: Es war Frau Präsidentin! Als ich die Rede vom Kollegen wichtig, klarzustellen, dass von ukrainischer Seite in den Friesen gehört habe, letzten Wochen und Monaten keine Truppenverlegungen (Dr. Anton Friesen [AfD]: Waren Sie begeis- in den Osten stattgefunden haben. tert!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN habe ich gedacht: Anscheinend waren diese Truppenver- und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der legungen des russischen Oberkommandos in den letzten CDU/CSU) Wochen für Sie auch nur eine Art „Vogelschiss“. So kam Diese Klarheit ist wichtig. Ich möchte dann aber auch es mir zumindest vor. sagen: Es ist bedauerlich, dass die Bundesregierung in (Stephan Brandner [AfD]: Der war schon mal der ersten Pressemitteilung zu diesem Vorgang nicht in gut! – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Der war der Lage war, das gleich wiederzugeben, sondern einfach ziemlich billig! Also, so ein Mist! – Gegenruf plump beiden Seiten eine Deeskalation angeraten hat. Die des Abg. Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Realität an der Kontaktlinie ist richtig beschrieben. Beide Getroffene Hunde bellen!) Seiten sind angehalten, nicht zu eskalieren. Die Einhal- tung des Waffenstillstands von beiden Seiten verhindert – Sehen Sie, ich habe hart getroffen. – Man muss das Tote und Verletzte. Aber der Krieg, dieser Krieg kann schon mal sagen: nicht dadurch beendet werden, liebe Heike Hänsel, dass (Stephan Brandner [AfD]: Mehr davon!) die ukrainischen Kräfte aus den Schützengräben in die (B) Kasernen zurückgehen, leider nicht. Sonst wäre da kein (D) Da wird eine Truppe mit Hunderttausend Mann, Artille- einziger Ukrainer mehr. Niemand in der Ukraine will rie, Landungstruppen, Panzern direkt an die Grenze ver- Krieg. Dieser Krieg kann nur beendet werden, indem legt – dabei geht es auch um das Kräftegleichgewicht im Herr Putin den von ihm geführten sogenannten Volks- Schwarzen Meer, faktisch die Sperrung der Straße von republiken den Stecker zieht. Kertsch –, und Sie halten hier eine Rede, als würde das nicht stattfinden. Wenn man das dann zu kritisieren wagt, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herr Gauland, dann spielen Sie hier den beleidigten, sowie bei Abgeordneten der FDP und des armen, braven Bürger. Was Sie in echt sind, ist eine Abg. Josip Juratovic [SPD]) Partei, die die Augen davor verschließt, was in der Welt Das ist der einzige Weg dafür. Das wünschen wir uns alle. passiert, und das korrumpiert offensichtlich Ihre politi- sche Meinung zu Opfern gegenüber deutschen Interes- Ich möchte es ganz persönlich sagen: Meine Kinder sen. sind vier und sechs Jahre alt, und sie wünschen sich ein Haustier. Wenn man Geschichten von Kindern, die an der (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Nein! Wir ver- Kontaktlinie leben, liest, erfährt man, dass sie sich keine treten gerade deutsche Interessen! – Stephan Haustiere mehr wünschen: Wenn die aus dem Haus über Brandner [AfD]: Die Korruption ist ja wohl den Zaun in den Wald gehen, kommen die nicht zurück. ein bisschen weiter da drüben!) Dann macht es bumm, weil die Gegend vermint ist. – Das Sie vertreten nicht deutsche und europäische Interessen. ist die Konsequenz eines Interventionskrieges, den Herr Putin wollte, den wir nur gemeinsam lösen können, den (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wir auch nicht ohne die ukrainische Seite lösen können; und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten aber die Verantwortung dafür hat Herr Putin. Diese Wahr- der SPD und der FDP) heit auszusprechen, das wünsche ich mir einfach von Ihr Redner hat sich hier für die Interessen des Kremls euch. starkgemacht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Wenn ich Ihnen das auch noch aus ganzem Herzen bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP) sagen darf: Sie vertreten noch nicht einmal russische Und bevor ich hier unfair werde, möchte ich Folgendes Interessen. Sie vertreten die Interessen der korrupten sagen: Kollege Wadephul, wenn ich mir angucke, was Machtclique im Kreml, mit der Sie so gerne konferieren, mit Nawalny passiert – Herr Lambsdorff hat es gesagt –, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erwartet der alte Marxist in mir: Jetzt kommt die goldene und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten Stunde der Union, jetzt kann man mal richtig draufhauen. 28488 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Manuel Sarrazin (A) (Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Sie Diese Situation, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist (C) sind Marxist? Das ist ja neu für mich!) gefährlich. Sie birgt das Risiko, dass auch durch unbe- Und was sehe ich dann? Herr Kretschmer sitzt bei Herrn absichtigte Eskalation, durch Missverständnisse die mili- Putin auf der Couch und spielt den Fiffi. tärische Eskalationsspirale in Gang gerät. Klar ist daher das Gebot der Stunde. Es heißt Zurückhaltung, Deeska- (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Die ehemaligen lation, vertrauensbildende Maßnahmen, da, wo das mög- Marxisten sind die Schlimmsten!) lich ist; oder auf Ostfriesisch: Ik raa Di, bedahr Di. Um das mal ganz klar zu sagen: Die russische Seite testet Die Ukraine hat in dieser Hinsicht sehr früh wichtige uns doch in dieser Übergangsphase. In dieser ausklingen- Signale der Deeskalation gesetzt. Die Regierung in Kiew den Ära Merkel testet sie uns: Wie weit kann man gehen? wie auch die militärische Führung bekennen sich weiter- Wie reaktionsfähig ist diese Bundesregierung eigentlich hin klar dazu, dass der Donbass-Konflikt allein auf dip- noch? In der Situation, in der Herr Nawalny um sein lomatischem und politischem Weg gelöst wird; Staats- Leben kämpft, in der Situation, in der Zehntausende in minister Roth hat darauf eindrucksvoll verwiesen. Moskau auf der Straße sind, in der Situation fährt ein Russland hat gesagt, es handle sich dabei um eine Übung. CDU-Ministerpräsident nach Moskau und spielt dort Es ist grundsätzlich aber gut, dass ein baldiges Ende den Fiffi. – Das schwächt uns, das schwächt Europa. dieser Übung angekündigt wurde. Daran, dass diese Das erwarte ich nicht von der Union! Ankündigung auch tatsächlich umgesetzt wird, daran (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wird sich Russland messen lassen müssen. und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der In dieser Situation ist es wichtig, Solidarität mit der CDU/CSU und der Abg. Dr. Barbara Hendricks Ukraine zu zeigen und sie zu unterstützen und zugleich [SPD]) in allseitigem Interesse Deeskalation und Transparenz zu Und bevor jetzt alle denken, der letzte mögliche Koa- erreichen. Es ist daher richtig, dass Deutschland die litionspartner für die Grünen wäre die FDP, möchte ich Unabhängigkeit, die Souveränität und die territoriale etwas ganz anderes sagen: Das Festhalten an Nord Integrität der Ukraine fest unterstützt und sich darin mit Stream 2 schwächt uns genauso. seinen Partnern in der EU, in der NATO und der G 7 einig (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – weiß. Dr. Alexander Gauland [AfD]: Wollen Sie Fra- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) cking-Gas aus Amerika?) Es ist ebenso richtig und wichtig, Russland auch dazu Ganz egal, was man darüber denkt, auch mit Blick auf das aufzurufen, in Wort und Tat zu deeskalieren. Ein Schritt Klima, wir sehen doch, dass wir in dieser Situation ein- (B) dazu muss sein, Transparenz über die Truppenbewegun- (D) fach geschwächt werden durch diese Uneinigkeit. gen herzustellen. Das ist eine internationale Verpflich- Deswegen stehen wir zu einer klaren europäischen tung, die Moskau im Rahmen der OSZE eingegangen Position, stehen wir zu einer klaren und offenen Zusam- ist. Eben in diesem Rahmen der OSZE hat die Ukraine menarbeit mit der Ukraine. Sagen wir, was ist in der Russland auf der Grundlage des Wiener Dokuments dazu Zusammenarbeit mit dem Kreml und mit Russland, mit aufgefordert, die unangekündigten umfangreichen Trup- Respekt, aber auch mit einer klaren Sprache. penbewegungen in Grenznähe sowie auf der ukrainischen Krim zu erklären. Genau dies – Deeskalation, Vertrauens- Vielen Dank. bildung, Sicherheit für alle – ist ja Sinn und Zweck und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Geist dieses Wiener Dokuments, zu dem sich auch Russ- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und land bekannt hat. der SPD – Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Manuel, Marxisten können Dia- Bislang sind Russlands Reaktionen leider nicht sehr lektik!) konstruktiv. Moskau bleibt aufgerufen, zur Kooperation zu finden. Es muss auch der russischen Führung klar sein, dass eine Eskalation nicht im russischen Interesse sein Vizepräsidentin Petra Pau: kann. Im Jahr 2014 waren es nicht zuletzt die Bemühun- Das Wort hat der Abgeordnete Johann Saathoff für die gen der Bundesregierung, die eine weitere Eskalation SPD-Fraktion. verhindert und einen Weg zu einer diplomatischen Lö- (Beifall bei der SPD) sung aufgezeigt haben. Es muss auch heute allen Akteuren klar sein: Der Kon- Johann Saathoff (SPD): flikt im Donbass kann nur politisch und diplomatisch Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und gelöst werden, und zwar durch die vollständige Umset- Kollegen! Die Situation entlang der Ostgrenze der Ukrai- zung der Minsker Vereinbarung. Das Angebot Deutsch- ne sowie auch der Krim macht uns alle, ja, macht auch lands und Frankreichs steht: das Normandie-Format zu mir Sorgen. Zehntausende russische Soldaten befinden nutzen, um Deeskalation und Fortschritt in der Sache zu sich in Grenznähe zur Ukraine sowie auf der ukrainischen erreichen. Schließlich hielt seit Juli 2020 ein Waffenstill- Krim, wofür es lange Zeit überhaupt keine plausible stand im Donbass, auch dank einer mutigen Initiative von Erklärung von russischer Seite gab. In den vergangenen Präsident Selenskyj. Seit Wochen wird dieser Waffen- Tagen erreichten uns Berichte über Manöver russischer stillstand immer brüchiger. Immer wieder behindern ins- Kriegsschiffe und Kampfflugzeuge im Schwarzen Meer, besondere die Separatisten die Arbeit der so wichtigen verbunden mit Sperrungen von See- und Luftgebieten. OSZE-Beobachtermission. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28489

Johann Saathoff (A) Ich möchte hier betonen: Dieser Konflikt schwelt nicht Der Zweite Weltkrieg brachte den endgültigen Abstieg (C) an den Grenzen Europas, sondern mitten auf unserem Europas. Kontinent. Die Ukraine hat eine begeisternde Zivilgesell- (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schaft, die ihr Land nach europäischem Vorbild gestalten NEN]: Und dann kamen Sie!) will. Auch in Russland gibt es das Bedürfnis, weiterhin ein Teil dieses Europas zu sein, der für seine kulturellen Lag der Anteil der Europäer an der Weltbevölkerung im und wissenschaftlichen Errungenschaften respektiert Jahr 1900 noch bei 25 Prozent, so beträgt er heute weni- wird. Russland gehörte seit eh und je zu diesem Europa. ger als 10 Prozent, und er sinkt kontinuierlich weiter. Das findet seinen Ausdruck auch darin, dass Russland In Wirtschaft und Forschung sind wir inzwischen weit Mitglied des Europarats und der Europäischen Men- hinter die Vereinigten Staaten und Asien zurückgefallen. schenrechtskonvention ist und sich so zu Verpflichtungen Auch politisch haben wir an Einfluss verloren. Im Europa zu bekennen hat, die sich aus diesen beiden Mitglied- westlich des ehemaligen Eisernen Vorhanges ist zudem schaften ergeben. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kol- ein rasanter Verfall der europäischen Kultur zu beklagen. legen, erwarten wir zu Recht, dass die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in (Dr. [SPD]: Was?) Straßburg in Moskau auch beachtet und umgesetzt wer- Die heutige Aktuelle Stunde ist Symptom dieses Nieder- den. ganges. Mit Blick auf die Situation entlang der russischen (Lachen und Zurufe von der SPD und dem Grenze zur Ukraine, auf der ukrainischen Krim und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dem Schwarzen Meer lautet unser Appell an Russland und das russische Volk: Pflegt keine Feindbilder und Seit acht Jahren haben wir einen bewaffneten Konflikt sucht Respekt nicht durch militärische Macht! Respekt mitten in Europa, der für viele zur Normalität geworden und Vertrauen gewinnt man durch Zusammenarbeit, ist und mit dem wir uns heute nur deshalb wieder und es gibt so viele Felder der Zusammenarbeit: Medizin, beschäftigen, weil er zu eskalieren droht. Die Bundesre- Klima, Umweltschutz, Energietechnik usw. usf. Der gierung hat fast immer eine unausgewogene, ideologisch Konflikt mit der Ukraine ist bereits eine europäische eingefärbte Sicht auf diese Welt; Herr Staatsminister Tragödie. Diese darf nicht noch größer werden. Roth hat uns heute dafür wieder ein sehr eindrucksvolles Beispiel geliefert. Der einseitige Fingerzeig auf russische (Beifall bei der SPD) Truppenbewegungen im Titel der von den Koalitions- Deshalb finde ich es richtig, dass wir nicht sagen: „Ihr fraktionen aufgesetzten Aktuellen Stunde ist hierfür ein müsst das machen, oder ihr müsst das machen“, sondern Beispiel. Zu den gegenwärtigen Truppenbewegungen der (B) dass wir uns fragen: Was müssen wir eigentlich machen? NATO von rund 30 000 Soldaten hört man von der Regie- (D) Wir in Deutschland müssen vermitteln, wo immer dies rung und von den Medien so gut wie nichts. möglich ist, trotz aller Ratschläge; denn wir tragen Ver- Wir leben heute in einem Klima der politischen Kor- antwortung, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir tragen rektheit und der repressiven Toleranz. Ihre Toleranz, mei- Verantwortung für den Frieden in Europa. ne Damen und Herren, endet doch sofort, wenn andere – Herzlichen Dank. wie wir – Ihrer Meinung nicht folgen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der AfD – Zuruf des Abg. Alexander Graf Lambsdorff [FDP] – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Roland Hartwig für Das belegt auch wieder die heutige Debatte, und vor allen die AfD-Fraktion. Dingen belegen das Ihre polemischen Zwischenrufe. Was nicht dem verordneten Zeitgeist in Deutschland ent- (Beifall bei der AfD) spricht, wird ausgegrenzt, unterdrückt und bekämpft. (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Sie klin- Dr. Roland Hartwig (AfD): gen wie Heike Hänsel!) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Gäste auf der Tribüne! Liebe Zuschauer! Manchmal zeigt Das gilt für den Umgang mit den eigenen Bürgern genau- uns ein Blick in die Vergangenheit den Weg in die Zu- so wie mit denen unserer europäischen Nachbarn: den kunft. Bis in das 20. Jahrhundert hinein existierte eine Polen, den Ungarn und den Russen. kulturelle Einheit des europäischen Kontinents. Wir (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Genau!) waren das wissenschaftliche, kulturelle, politische und wirtschaftliche Zentrum der Welt. Hier werden ganz gezielt Zerrbilder geschaffen, aus de- nen dann Feindbilder entstehen. (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Zuruf des Abg. Manuel Sarrazin [BÜND- NEN]: Wer ist „wir“?) NIS 90/DIE GRÜNEN]) Die Einheit der europäischen Kultur zerbrach mit dem Sie lassen es dann als legitim erscheinen, dem anderen Ersten Weltkrieg und der Oktoberrevolution in Russland. mit Sanktionen den eigenen Willen aufzuzwingen. Und (Zurufe der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE] wenn das nicht hilft, dann glaubt man in Deutschland, und Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE verbieten und nach außen militärische Stärke zeigen zu GRÜNEN]) müssen. 28490 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Dr. Roland Hartwig (A) (Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Nee, und zu den Wikingern auch nichts! – (C) Jetzt sprechen Sie von Russland!) Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das war einmal anders, und wir als AfD-Fraktion arbei- NEN]: Hermann der Cherusker, das war doch ten daran, dass es auch wieder anders werden wird. ein guter Typ!) (Beifall bei der AfD) Vizepräsidentin Petra Pau: Europa war in seiner nationalen Vielfalt einmal geeint Das Wort hat der Kollege Roderich Kiesewetter für die und nicht in seinen Unterschieden getrennt. Es gab eine CDU/CSU-Fraktion. positive Neugier für diese Unterschiede, machen sie doch gerade den Reichtum unseres Kontinents aus. Europa war (Beifall bei der CDU/CSU) einmal mehr als ein gemeinsamer Markt und ein mili- tärischer Brückenkopf der USA. Es war ein geistiger Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): Entwurf, der die europäischen Völker auf Basis ihrer Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! gemeinsamen Herkunft und Entwicklung verband, ge- Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie gründet auf den zuerst in Griechenland entwickelten mich eines gleich vorwegsagen, lieber Herr Kollege Grundsätzen der Demokratie, dem römischen Recht, der Sarrazin: Die Eröffnung der Caspar-David-Friedrich- Renaissance und der Aufklärung, die leider wieder ver- Ausstellung in Moskau darf nicht verbunden sein mit loren zu gehen droht, und der Freiheitsliebe der Germa- einer romantischen Russlandvorstellung. Wir gehen fest nen. davon aus, dass ein Ministerpräsident aus dem föderalen (Lachen bei der SPD, der LINKEN und dem Deutschland Themen anspricht, die die unmittelbaren BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nachbarn von Sachsen – wie Tschechien, Polen oder die Slowakei – bewegen: die permanente Luftraumver- Diese Freiheitsliebe verbindet uns mit den Ländern Ost- letzung durch russische Flugzeuge oder auch der Druck europas, die ihre Eigenständigkeit gegen viele Heraus- auf russische Minderheiten im Baltikum. forderungen und nun auch gegen eine zentralistische Europäische Union verteidigen. Und ich möchte an dieser Stelle sehr deutlich machen, dass wir gegenwärtig erleben, wie in dieser Aktuellen (Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Gut Stunde Geschichtsklitterung versucht wird durch die zuhören!) Nationalisten von rechts und die sogenannten Internatio- Wir wollen ein Europa der Vaterländer und den Rück- nalisten von links. bau der zentralistischen Union in eine Europäische Wirt- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) schaftsgemeinschaft, wie sie jahrzehntelang erfolgreich (B) bestand. Aber was wir gerade gehört haben, ist sehr bedenklich, (D) weil hier ein Geschichtsbild propagiert wird, das zwi- (Zurufe von der CDU/CSU, der SPD und dem schen 1931 – Rapallo – und 1941 eine Rolle gespielt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) hat. Das wollen wir nicht. Das Problem: Neben dem Verlust der Staatsidee ist (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Alexander zunehmend auch der Verlust der europäischen Idee zu Gauland [AfD]: Rapallo war 1922!) beklagen. Als Konsequenz bleibt der europäische Raum auch 30 Jahre nach dem Fall der Mauer in zwei einander – Es wurde vorbereitet früh in den 30er-Jahren. gegenüberstehende Lager geteilt. Worauf es uns doch ankommt – und der Botschafter (Peter Beyer [CDU/CSU]: Mein Gott!) der Ukraine beweist das ja mit seiner Anwesenheit –, ist Solidarität mit der Ukraine. Kein Wort von dieser Seite Dass diese Trennlinie nun durch die Ukraine verläuft, ist des Hauses, dass 2 Millionen Menschen in der Ukraine besonders dramatisch. Die Ursprünge Russlands liegen in seit 2014 binnenvertrieben sind, Polen über 1 Million Kiew. Die Bevölkerungen beider Länder sind durch Ukrainer aufgenommen hat, dass über 12 000 Menschen unzählige familiäre Bande eng miteinander verbunden. diesem Krieg zum Opfer gefallen sind und über (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Ja!) 40 000 Menschen verletzt wurden. Das sind die Folgen Hier wird gewaltsam getrennt, was zusammengehört. Wir der russischen Okkupation der Ostukraine, der russischen dürfen auf gar keinen Fall den Stimmen derjenigen fol- Besetzung der Krim. Das ist das, was gerade unsere Ver- gen, die nun die letzten Brücken einreißen und weiter an unsicherung und die Gefährdung des Friedens ausmacht: der Spirale militärischer Eskalation drehen möchten. Menschenrechtsverletzungen, Tötungen und die gesamte Frage von völkerrechtswidrigem Verhalten. Aus den Trümmern eines dritten großen Krieges wird Europa nicht wiederauferstehen. Wir brauchen daher Liebe Kolleginnen und Kollegen, Russland hat dringend einen Neustart in Europa unter Einbeziehung bewusst die Selbstverpflichtung und die Werte der Charta Russlands. Auf Dauer wird es Sicherheit in Europa nur von Paris, der OSZE, des Europarates und des Budapester mit und nicht gegen Russland geben. Memorandums aufgehoben, ausgehebelt und verletzt. Sie könnten durch Anzeige gemäß Artikel 16 des Wiener Vielen Dank. Dokuments sehr deutlich machen, dass sie Übungen (Beifall bei der AfD – Manuel Sarrazin abhalten, um die Streitkräfte in Form zu halten. Aber all [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zur Super das machen sie nicht; denn sie verfolgen drei Optionen League haben Sie auch nichts gesagt, Herr der Verunsicherung: erstens das Zeichen, dass sie die Hartwig! – Gegenruf von der CDU/CSU: Ukraine gefährden; zweitens dass sie in die Ostukraine Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28491

Roderich Kiesewetter (A) einmarschieren könnten, und drittens – das haben vorhin von der CDU/CSU: Sie beleidigen die deutsche (C) Herr Kollege Wadephul, Herr Kollege Sarrazin und auch Geschichte! – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Herr Staatsminister Roth angesprochen – dass die Gefahr Spaßvogel! – Gegenruf von der CDU/CSU: eines Abschneidens der Ukraine von ihren Seewegen im Spaßvogel und Vogelschiss passen auch zu- Schwarzen Meer droht. sammen!) Dieses Verhalten Russlands ist bewusst gewählt, und es hat sicherlich innenpolitische Gründe; denn zurzeit Vizepräsidentin Petra Pau: gehen in über hundert Städten Russlands Zehntausende Das Wort hat Dr. Daniela De Ridder für die SPD-Frak- auf die Straße und kämpfen nicht nur für Meinungsfrei- tion. heit, sondern sie kämpfen auch für die Freiheit eines Tod- (Beifall bei der SPD) kranken: für Nawalny. Die russische Zivilgesellschaft weiß sehr wohl, was der russische Staat in den vergange- nen 20 Jahren mit gezielten Tötungen im Ausland Dr. Daniela De Ridder (SPD): bewirkt hat, was der Tiergartenmord bedeutet und was Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bot- die Anschläge auf Skripal bedeuten. All das berührt schafter! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zwischen auch die russische Zivilbevölkerung. Paris und Berlin liegen etwas mehr als 1 000 Kilometer, zwischen Berlin und Kiew nur circa 1 350 Kilometer. Für uns ist es deswegen schon ein klarer Punkt, dass Schon geostrategisch muss uns also interessieren, was wir unsere Sanktionen und die Art und Weise, wie wir aktuell in den Gebieten Donezk und Luhansk passiert. vorgehen, überdenken müssen. Ist es sinnvoll, Nord Das hart verhandelte Minsker Abkommen darf nicht wei- Stream 2 zu Ende zu bauen? Wäre ein Moratorium nicht ter ad absurdum geführt werden. ein Zeitgewinn, auch der russischen Seite zu zeigen, dass dies ein hochbrisantes politisches Projekt ist, das wir Bilder aus dem Jahr 2014 werden wach: Neben dem mittelfristig durch kluge Energiepolitik vielleicht nicht völkerrechtswidrigen russischen Einmarsch auf der mehr brauchen? Krimhalbinsel erinnern wir uns, dass beim Abschuss des Malaysia-Airlines-Flugs 17 rund 300 Passagiere star- Wäre es nicht ein klares Zeichen an Russland, im Rah- ben. Der Krieg hat inzwischen rund 13 000 Todesopfer men der Bewältigung des Klimawandels deutlich zu ma- gefordert, darunter viele in der Zivilbevölkerung durch chen, dass Russland Hilfe braucht, technische Unterstüt- explodierende Minen. zung und dass Russland nicht die Alternative wählen (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Und die sollte, Juniorpartner der Chinesen zu werden? NATO? Butter bei die Fische!) (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Genau das (B) Das, was zunächst nur wie ein russisches Übungs- (D) werden sie aber, wenn Sie so weitermachen! – manöver an der Grenze zur Ukraine aussah, ist inzwi- Weiterer Zuruf von der AfD: Sie drängen sie schen zu einer dramatischen Truppenstärke von rund genau in diese Richtung! – Gegenruf des Abg. 100 000 Soldatinnen und Soldaten mit schwerem Gerät Dr. Alexander Gauland [AfD]: Genau!) angewachsen. Dies stellt eine massive Bedrohung für die Aber alles in allem bleibt für uns eine Lösung, die ich Sicherheit der Ukraine, aber auch Europas dar; ich denke gerne aufzeigen will: erstens Festigkeit, Solidarität an der hier an Polen und die baltischen Länder. Seite der Ukraine, bis hin zu einer stärkeren Einbindung Als Sonderbeauftragte der Parlamentarierversamm- in Übungen, in Beratungen, in technologische Begleitung lung der OSZE für Osteuropa will ich einen deutlichen und generell eine Aufwertung der ukrainischen Zivilge- Appell von diesem Podium aus an die russische Seite sellschaft, im Übrigen auch im Kampf gegen Korruption; richten, alle Handlungen und verbalen Äußerungen zu (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) unterlassen, die die Situation noch weiter eskalieren las- sen. Zweitens gegenüber Russland klarzumachen, dass dieses Regime mit seinen oligarchischen Methoden keinen (Beifall des Abg. Dr. Johann David Wadephul Rückhalt mehr hat in der Bevölkerung und wir parat [CDU/CSU]) stehen, die russische Bevölkerung menschenrechtlich zu – Vielen Dank. unterstützen. Dies sollten wir immer wieder vor dem Ist diese offensive Eskalation nur Säbelgerassel? Will Europäischen Gerichtshof und im Europarat deutlich ma- Putin mehr Aufmerksamkeit? Will er Revanche, Ranküne chen. In diesem Sinne ist diese – – oder Rachepläne pflegen? Will er unter Beweis stellen, (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Das ist eine dass Russland eben doch nicht lediglich eine Regional- glatte Einmischung, Herr Kiesewetter!) macht ist, wie US-Präsident Obama es nannte? Ange- – Und der Mann, der den „Vogelschiss“ der deutschen sichts seiner prominenten Gesprächspartner/-innen Geschichte angesprochen hat, hat jedes Recht auf Zwi- Merkel, Macron und Biden hat Putin sich große Auf- schenrufe hier verwirkt. merksamkeit gesichert. Russlands neuerliche Offensive ist aber auch ein Herzlichen Dank. Stresstest für den Westen, bei dem der russische Präsident (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Alexander ausloten will, wie weit er gehen kann. Eine klare Haltung, Gauland [AfD]: Was ist das denn für eine Den- Dialog und Friedensinitiativen in diesem Konfliktfeld ke? Wir dürfen keine Zwischenrufe machen, sind wichtig, Grenzen der Macht und das Unterlassen aber Sie dürfen uns beleidigen! – Gegenruf von Kriegshandlungen aber auch. Das haben die OSZE- 28492 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Dr. Daniela De Ridder (A) Sonderbeauftragte für die Ukraine, Heidi Grau, die Nun kann man natürlich sagen: Das liegt daran, dass (C) OSZE-Generalsekretärin Helga Schmid sowie die im September Wahlen sind. – Ein Kollege hat darauf hin- OSZE-Botschafterin für die EU in der Digitalschalte gewiesen. Wir können davon ausgehen, dass es natürlich des Ständigen Rates, an der ich heute teilnehmen durfte, innenpolitisch zumindest mal von den Schwierigkeiten noch einmal deutlich betont. ablenken würde, die es zweifelsfrei in Russland gibt: Die OSZE hat deutlich gemacht, dass der durch das wirtschaftliche Probleme, die Coronasituation, die in Wiener Dokument ausgelöste Prozess, bei dem es um Russland schlimmer ist, als die offiziellen Statistiken militärische Transparenz und um Vertrauensbildung, besagen, Verifikation der Truppenbewegungen sowie Inspektion (Zuruf von der AfD) an den Grenzen geht, von Russland unbedingt eingehal- und viele andere Dinge. Ich bemühe mich aber in dieser ten werden muss. Schließlich hat sich Russland als Debatte bewusst, mal die Position derer einzunehmen, OSZE-Mitglied auch zur Einhaltung unserer gemeinsa- deren Auffassung ich nicht teile, also der AfD und der men Werte verpflichtet. Linken. Die OSZE hat ebenfalls die massive Russifizierung der Sie haben den Eindruck erweckt, dass Russland hier, lokalen Bevölkerung durch eine Passpolitik im Donbass wie der russische Außenminister gesagt hat, lediglich kritisiert. Über 400 000 russische Pässe sollen bereits eine Übung durchführt. Jetzt unterstellen wir mal: Das ausgegeben worden sein. Sie müssen sich das so vorstel- ist eine Übung. – Sie entspricht nicht den üblichen Re- len, dass dies dann als Erklärung für weitere Annexions- geln. Man müsste diese Übung dann anmelden, man pläne herhalten muss, nämlich in Form des Minderheiten- müsste sie auch anders und transparenter kommunizie- schutzes der dort wohnhaften russischen Bevölkerung. ren. Aber packen wir das alles mal beiseite und sagen: Diese Zersetzungsstrategie muss neben den Waffenliefe- Es ist eine Übung. rungen an die Separatisten augenblicklich eingestellt werden. Wenn es eine Übung ist, dann ist ja klar, dass es am (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ende der Übung keine militärische Eskalation geben kann. Das beinhaltet dann natürlich, dass jede Provoka- Der Separatismus zwingt Präsident Selenskyj nämlich zu tion, und sei sie von den Separatisten auch bewusst ge- seinem Appell an den Westen: Angesichts der drohenden wählt, niemals dazu führen kann und darf, dass aus dieser Gefahren fordert der ukrainische Präsident eine rasche Übung Ernst wird. Wenn aus dieser Übung also nach Aufnahmen in die NATO, was wiederum Putin als Provo- russischer Auffassung, die ja hier im Parlament von kation empfindet. zwei Fraktionen weitestgehend geteilt wird, niemals Putin sollte all dies in seine innen-, außen- und wirt- Ernst werden kann, ist die Frage: Was ist denn die Konse- (B) (D) schaftspolitischen Überlegungen vor dem nächsten eska- quenz, wenn aus dieser Übung Ernst wird, wenn also die latorischen Schritt einbeziehen, ganz gleich, welche Plä- russischen Soldaten dort nicht nur zum Üben stehen, ne er für Donezk, Luhansk, die Straße von Kertsch, das sondern am Ende auf dem Gebiet der Ukraine Tote zu Asowsche oder das Schwarze Meer hegt. beklagen sind? Es dürfte für ihn weise sein, dabei über weitere Konse- Da komme ich – Herr Staatsminister, Sie entschuldi- quenzen, etwa Wirtschaftssanktionen oder gar den gen das – schon zu einer etwas anderen Auffassung, als Abbruch von wirtschaftlichen Beziehungen, nachzuden- ich sie Ihren Zwischentönen entnommen habe, obwohl ken. Sicher wird dies dann seine Bereitschaft steigern, im Ihre Rede ansonsten gut war und auch inhaltlich, glaube Normandie-Format, bei dem ihm neben Deutschland ich, große Unterstützung des Hauses findet. auch Frankreich und die Ukraine als Gesprächspartner Ich glaube, wir sollten schon sehr klar auf die Konse- zur Verfügung stehen, nach eindeutig besseren als nach quenzen hinweisen, wenn aus dieser Übung Ernst wird. militärischen Konfliktlösungen Ausschau zu halten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vielen Dank. Ich glaube, wir sollten dort sehr klar darauf hinweisen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Dann weisen Sie ihn mal darauf hin!) Vizepräsidentin Petra Pau: Der amerikanische Präsident hat das sehr klar gesagt Das Wort hat der Kollege Frank Steffel für die CDU/ und hat aber auch gesagt: Natürlich mache ich ein CSU-Fraktion. Gesprächsangebot. (Beifall bei der CDU/CSU) (Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) Und er hat dem russischen Präsidenten ein Gespräch an Frank Steffel (CDU/CSU): einem neutralen Ort vorgeschlagen. Russland bzw. sein Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen Präsident hat das bis heute nicht beantwortet. Die deut- und Kollegen! Die Lage an der ukrainisch-russischen sche Bundeskanzlerin hat auch ein Gespräch angeboten, Grenze, in den Gewässern der Ostukraine macht uns Sor- hat gesagt: Wir wollen im Normandie-Format weiter- gen, und wir alle spüren, glaube ich, was eine Eskalation machen. – Ich glaube, wir sind jetzt gefordert, auch zu dort nicht nur für diese Grenze, sondern für die Welt, für sagen, was die Konsequenz ist, wenn aus einer Übung Europa, wahrscheinlich auch für Deutschland neben den Ernst wird und wenn Gesprächsangebote nicht angenom- innenpolitischen Auseinandersetzungen bedeuten würde. men werden. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28493

Frank Steffel (A) Aus meiner Sicht, liebe Kolleginnen und Kollegen – was Ziel und Zweck dieser Operation sein soll. Beab- (C) wir können ja nur für Deutschland sprechen –, ist eines sichtigt Wladimir Putin tatsächlich einen erneuten Über- doch völlig klar: Nord Stream 2 kann es bei einer erneu- fall auf die Ukraine? Oder erleben wir hier nur Drohge- ten Eskalation in der Ukraine nicht mehr geben. Es muss bärden, um die Grenzen der westlichen Welt auszutesten? abgebrochen werden, Kolleginnen und Kollegen, so oder so müssen wir die- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ses Säbelrasseln ernst nehmen. Es erinnert uns daran, und zwar unabhängig davon, mit welcher Begründung dass im Weltbild des Kremls die Gewaltbereitschaft und aus der Übung Ernst wird; denn dass man sich da viele das Recht des Stärkeren regieren und nicht die Diploma- Begründungen ausdenken kann, das wissen wir hier, tie und das internationale Recht. glaube ich, alle. (Zuruf des Abg. Dr. Alexander S. Neu [DIE Deswegen sage ich sehr klar: Ich erwarte von diesem LINKE]) Deutschen Bundestag – zwei Fraktionen werden da mit Das stellt nicht nur eine Gefahr für die Stabilität der Sicherheit nicht mitmachen; ich erwarte es auch von un- Region dar, sondern für uns alle, die wir nach friedlicher, serem Koalitionspartner, dass der Einfluss von Altkanzler multilateraler Ordnung streben. Schröder nicht dominiert –, dass wir heute Verantwortung übernehmen, um Tote in der Ukraine zu verhindern, und Kolleginnen und Kollegen, diese außenpolitische klar sagen: Wenn Russland hier eskaliert, wird Nord Aggression kann man ohne Berücksichtigung der derzei- Stream 2 abgebrochen. – Das ist unsere Pflicht, um Scha- tigen massiven Verschärfungen auch des innenpoliti- den von Europa und von den Menschen in der Ukraine schen russischen Unterdrückungsregimes nicht verste- abzuwenden. hen. Mit dem missglückten Giftanschlag auf Alexej Nawalny hat das Regime einen lebenden Märtyrer (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. geschaffen. Er hätte das Potenzial, der Opposition bei Heike Hänsel [DIE LINKE]) den anstehenden Duma-Wahlen eine neue Dynamik und Ich möchte abschließend eines sagen, was meiner auch ein klein bisschen Hoffnung auf demokratischen Generation, uns allen wahrscheinlich, ja fast ins Leben Wandel zu geben. Das will das Putin-Regime nicht zulas- geschrieben ist: Ich saß 1994 als junger Abgeordneter im sen. Berliner Abgeordnetenhaus hinter Boris Jelzin und Nachdem man Nawalny in einem geradezu stalinisti- Helmut Kohl, als die russischen Truppen unter Beifall schen Schauprozess zum Straflager verurteilt hat, lässt der Berliner Deutschland verließen. Und ich hätte mir man ihn nun vor den Augen der Welt und der eigenen damals nicht vorstellen können, dass das, worüber wir Bevölkerung sterben: eine zynische Demonstration der (B) heute hier reden, in Europa noch einmal passieren kann. totalitären staatlichen Macht über Leben und Tod. (D) Deswegen sage ich sehr klar: Wir müssen alles tun für (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ ein gutes Verhältnis mit Russland, wir müssen alles tun CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- für ein gutes Verhältnis mit der russischen Bevölkerung. NEN) Aber wir müssen auch sehr deutlich sagen: Der Schlüssel für Frieden in Europa liegt im Kreml. Tausende Menschen sind in den vergangenen Monaten bei friedlichen Demonstrationen von der Polizei verprü- (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Der Schlüssel gelt und festgenommen worden. Kritische Medien wer- liegt bei allen!) den durch Drohungen und fingierte strafrechtliche Wir können dazu einen Beitrag leisten; das werden wir Ermittlungen massiv eingeschüchtert. So reagiert das tun. Unabhängig davon ist Putin gefordert, jetzt endlich Regime Putin auf die einzige Art und Weise, die es ver- zu beweisen, dass er es ernst meint mit Frieden, womit er steht: mit einer neuen Welle erbarmungsloser Repression. übrigens auch seinem eigenen Volk eine Perspektive gibt: An deren Ende steht die vollkommene Auslöschung jeder für Wohlstand, für Frieden und für bessere Verhältnisse noch verbliebenen kritischen Zivilgesellschaft und Oppo- als heute. sition im Land. Vielen Dank. Kolleginnen und Kollegen, das Ziehen der Daumen- (Beifall bei der CDU/CSU) schrauben in der Innenpolitik Russlands und das Säbel- rasseln an der ukrainischen Grenze sind zwei Seiten derselben Medaille. Innenpolitische Gegner werden gna- Vizepräsidentin Petra Pau: denlos eingeschüchtert, der Rest der Bevölkerung durch Das Wort hat der Kollege Josip Juratovic für die SPD- die ständige Inszenierung einer auswärtigen Bedrohung Fraktion. zur Einheit um das Regime herum beschworen, und dies (Beifall bei der SPD) alles unter der Annahme, dass der Westen zu uneinig und zögerlich ist, um zu reagieren, oder in Zeiten der Pande- mie schlicht abgelenkt ist. Josip Juratovic (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Liebe Kolleginnen und Kollegen, hierbei wollen wir Kollegen! Sieben Jahre nach der völkerrechtswidrigen nicht tatenlos zuschauen. Unsere Position ist unmissver- Besatzung der Krim und dem Ausbruch des sogenannten ständlich klar: Das Minsker Abkommen stellt die ge- Bürgerkriegs in der Ostukraine beobachten wir derzeit meinsam vereinbarte Grundlage für eine friedliche Lö- zutiefst besorgt den massiven Aufbau russischer Truppen sung des Ostukraine-Konflikts dar. Wir erwarten, dass an der ostukrainischen Grenze. Wir wissen nicht genau, sich hieran alle beteiligten Parteien orientieren. Als Bun- 28494 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Josip Juratovic (A) desrepublik wirken wir selbstverständlich auf unsere dürfen wir nicht zulassen. Die Einheit der Ukraine muss (C) ukrainischen Partner ein, realistische Perspektiven für gewahrt bleiben. Unser Ziel bleiben die Vereinbarungen die Reintegration der Ostukraine zu entwerfen und umzu- aus dem Minsker Abkommen. Ich fände es außerordent- setzen. Vor allem aber erwarten wir von Russland klare lich wichtig, wenn sich die Staats- und Regierungschefs Schritte zum Abbau der derzeitigen Spannungen. möglichst bald im Normandie-Format treffen und endlich Im Einklang mit OSZE-Grundsätzen und dem Wiener neuer Schwung in den Minsker Prozess kommt. Dokument muss Russland Transparenz über seine Mili- Eines muss uns allen hier endlich klar sein: Putin ist tärverbände schaffen und diese von der Grenze zurück- niemand, den Solidaritätsbekundungen stark beeindru- ziehen. Russland muss seiner Verantwortung im Norman- cken. Wir Europäer müssen Moskau geschlossen deutlich die-Prozess endlich nachkommen, die militärische machen, welchen Preis es zu zahlen hat, wenn das aggres- Unterstützung für ostukrainische Separatisten einstellen sive Verhalten kein Ende nimmt. Moskau eskaliert an und auf die Umsetzung des Minsker Abkommens hinwir- allen möglichen Orten, auch mitten in Europa, auch bei ken. Sollte das nicht passieren, dann sehe ich es als unum- uns. Wir haben das hier gesehen, wir haben das zuletzt gänglich an, mit den G-7-Staaten und der EU neue Sank- auch in Tschechien wahrgenommen. Den tschechischen tionen zu erlassen. Dabei muss es Putin klar sein, dass Nachbarn gilt meine volle Solidarität. dazu auch eine Neujustierung der deutschen und europä- ischen energiepolitischen Beziehungen zu Russland ge- (Beifall der Abg. Dr. Daniela De Ridder [SPD]) hört. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Wirksame europäische Sanktionen müssen jetzt eine noch stärkere Rolle spielen. Nur geschlossen und ent- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten schieden können wir unsere ukrainischen Partner ernst- der CDU/CSU) haft unterstützen. Worte allein werden hier nicht weiter- helfen. Wir müssen endlich Schritte in die Wege leiten, Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: die dem Kreml wehtun und hier auch bei unserer Abhän- Der letzte Redner in der Aktuellen Stunde ist der Kol- gigkeit von Öl und Gas ansetzen. Wir sollten neben der lege Thomas Erndl, CDU/CSU. Reduktion des Bedarfs durch gute Klimapolitik für den Übergang verstärkt auch andere Gasbezugsquellen in den (Beifall bei der CDU/CSU) Blick nehmen.

Thomas Erndl (CDU/CSU): Meine Damen und Herren, Putin bricht aber nicht nur Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und an der russisch-ukrainischen Grenze internationales (B) Kollegen! Wir debattieren hier im Haus regelmäßig über Recht, sondern erneut auch im Fall Nawalny. Es ist (D) Russland. Leider geht es dabei zumeist um eine weitere ganz klar: Alexej Nawalny muss in dieser dringenden Abkühlung unserer Beziehungen. Mittlerweile herrscht medizinischen Notlage einen Vertrauensarzt sehen kön- Eiszeit. Anders als die Weltverklärer und Russland- nen. Da fordere ich auch die Bundesregierung auf, dass Romantiker links und rechts hier fantasieren, liegt das der Druck hier deutlich erhöht wird. Wir dürfen uns weder an Berlin, Brüssel oder Kiew noch an der NATO, nichts vormachen: Wer Nawalny vergiftet, ist auch bereit, sondern einzig und allein am Mann im Kreml. ihn verhungern oder krank sterben zu lassen. Es braucht unsere entschiedene Hilfe, und zwar jetzt, bevor es zu (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Natürlich! Es spät ist. Ich möchte an dieser Stelle auch den Tausenden ist immer nur einer schuld!) Demonstranten, die gegen diese Ungerechtigkeiten auf Wer hier die gestrige Märchenstunde von Putin fortsetzt die Straße gehen, meinen großen Respekt und meine und Sprechpunkte vom Kreml übernimmt, trägt nicht zur Solidarität ausdrücken. Deeskalation bei. Der große Teil dieses Hauses steht solidarisch zur (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ukraine. Der massive Truppenaufmarsch an der rus- Meine Damen und Herren, Russland und Europa, das sisch-ukrainischen Grenze ist nichts anderes als eine ist eine jahrhundertealte Beziehungsgeschichte zwischen absolut inakzeptable und gefährliche Provokation. Konflikten und Kooperation, zwischen Faszination und (Beifall bei der CDU/CSU) leider auch Konfrontation. Eines muss klar sein: Bei Kli- Gefährlich ist sie, weil auch nur ein einziger Schuss eine maschutz und Zukunftstechnologien wird Russland in Spirale der Gewalt auslösen kann. Diese Eskalation muss Zukunft auch unsere Innovationskraft und Technik benö- um jeden Preis verhindert werden. Deshalb muss Russ- tigen, denn das Zeitalter von Öl und Gas wird zu Ende land seine Truppen an der ukrainischen Grenze abziehen. gehen. Es ist Zeit, dass diese Erkenntnis auch in Moskau Die Meldungen von heute glauben wir natürlich erst, einsetzt. Es ist Zeit, dass die destruktive und aggressive wenn das tatsächlich geschieht; denn Desinformation Politik endlich beendet wird und wir gemeinsam an einer aus Moskau kennen wir zur Genüge. Zukunftsagenda arbeiten können. Unsere Tür steht dazu offen. Dieser Aufmarsch offenbart die perverse Logik des Systems Putins. Er legt das Messer an die Brust Kiews Herzlichen Dank. und rechnet damit, durch militärischen Druck die Gren- zen und die politischen Realitäten in der Ukraine verän- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- dern zu können. Aber das, meine Damen und Herren, ordneten der SPD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28495

(A) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Damit stehen wir in der Tradition der Gedenkstiftungen (C) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Aktuelle Stunde für Theodor Heuss, Konrad Adenauer, Willy Brandt, ist beendet. Helmut Schmidt. Nun kommt die Bundeskanzler- Helmut-Kohl-Stiftung nach Berlin, der Stadt, in der er Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: so viele Spuren hinterlassen hat, die ohne ihn vielleicht Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ nie Hauptstadt geworden wäre. Die Stiftung soll forschen CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge- und erinnern, gerade junge Menschen, an sein Leben, an setzes über die Errichtung einer Bundeskanz- sein Wirken für Freiheit, Einheit, Versöhnung, Frieden. ler-Helmut-Kohl-Stiftung Denn schon der promovierte Historiker Dr. Helmut Kohl mahnte – ich zitiere –: Drucksache 19/28790 Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegen- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien (f) wart nicht verstehen und die Zukunft nicht gestalten. Ausschuss für Inneres und Heimat Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Der Blick auf Kanzler Kohl ist heute vor allem durch Haushaltsausschuss die deutsche Einheit geprägt, von Bildern wie in Dresden Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten vor der Frauenkirche 1989, auf den Stufen des Reichstags beschlossen. am 3. Oktober 1990, gemeinsam mit seiner Frau Hannelore, der Kanzler der Einheit. Sein enger Wegge- (Otto Fricke [FDP]: Da gehen gerade aber ganz fährte bringt es auf den Punkt – ich zitie- viele Christdemokraten!) re –: Ohne seinen Mut, seine Weitsicht und seine ver- Liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte nehmen Sie trauensbildende Politik in Europa, ja in der ganzen Platz. – Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt als erste Welt, wäre die Einheit Deutschlands damals nicht zustan- Rednerin die Kollegin Gitta Connemann für die CDU/ de gekommen. Die deutsche Einheit einzubinden in die CSU-Fraktion. Einigung Europas, war ein historischer Baustein bei der Überwindung des Ost-West-Konflikts. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Diese historische Leistung war nur möglich, weil ihm Vertrauen geschenkt wurde. Wir alle hier wissen, wie kostbar dieses Gut, wie kostbar Vertrauen ist, gerade in Gitta Connemann (CDU/CSU): der Politik. Helmut Kohl gelang es, zu allen Staatsmän- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! nern der Welt ein wirkliches Vertrauensverhältnis aufzu- Revoluzzer – Helmut Kohl war dies für die CDU in bauen. Als die Mauer fällt, schreibt der deutsche Kanzler Ludwigshafen, ein Revoluzzer, ein junger Wilder im (B) so Weltgeschichte. Unvergessen bleibt die Versöhnungs- (D) Stadtrat Anfang der 60er-Jahre. Helmut Kohl, ein Revo- geste über den Soldatengräbern in Verdun: der Kanzler luzzer? Das passt so gar nicht ins Bild, und jeder von uns Hand in Hand mit Staatspräsident François Mitterrand. hat eines von ihm; denn Helmut Kohl hat Generationen Und natürlich haben wir die Fotos mit Michail geprägt. Aber was ist Legende, was Zerrbild, was Tat- Gorbatschow im Kaukasus vor Augen. Über diese sache? „Strickjacken-Diplomatie“ machte man sich vorher lustig Tatsache ist: Helmut Kohl schneidet als junger Minis- wie auch über die tiefe Verbundenheit zu seiner Heimat, terpräsident in Rheinland-Pfalz alte Zöpfe ab – Aus für der Pfalz. Vom „Provinzkanzler“ war die Rede. Kaum ein staatliche Konfessionsschulen, Verwaltungsreform –, Politiker wurde so unterschätzt wie Dr. Helmut Kohl. alles gegen heftige Proteste auch von der Kanzel. Mit Dabei machten ihn seine Wurzeln zu einem überzeug- dem ersten Kindergartengesetz setzt er bundesweit ten Europäer. Helmut Kohl erlebte, was Krieg zwischen sozialpolitische Maßstäbe. den Völkern an Leid bringt. Sein Bruder fiel. Als Zwölf- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) jähriger musste er mit anderen Schülern Leichen nach Luftangriffen bergen. Deshalb kämpfte er zeitlebens für Aber wer kennt noch seine politischen Anfänge? Wer Frieden, für Völkerverständigung. Und es gelang ihm. So weiß um sein Gespür für politische Talente, wie Richard wurde übrigens auch die Pfalz zur Bühne der Weltpolitik, von Weizsäcker, Roman Herzog, Kurt Biedenkopf, Norbert Blüm oder ? (Otto Fricke [FDP]: Und deswegen kommt die Stiftung nach Berlin!) (Lachen bei der AfD) vom Dom zu Speyer bis zum Saumagen, für Ronald Wer weiß, dass Helmut Kohl das Bundesumweltministe- Reagan bis Mutter Teresa. rium geschaffen hat, Es gäbe noch so vieles. Helmut Kohl hat als Parteivor- (Beifall bei der CDU/CSU) sitzender 25 Jahre die CDU Deutschlands geprägt und auch das erste Frauenministerium, mit Rita Süssmuth an 16 Jahre lang als Bundeskanzler unser Land und Europa. der Spitze, der Christdemokrat Helmut Kohl? In seinen Ämtern war Helmut Kohl immer der Jüngste, als Landtagsabgeordneter, als Ministerpräsident, als Bun- Es gab auch Brüche, wie wir alle wissen. Helmut Kohl deskanzler. Ohne Unterstützung wäre aber selbst ihm dies hatte viele Facetten, als Mensch, als Politiker. Sie sollen nicht möglich gewesen. Ihm halfen sein herausragendes in Erinnerung bleiben, und deshalb stellen wir heute die Netzwerk, seine Weggefährten, seine Familie. So wurde Weichen für die Bundeskanzler-Helmut-Kohl-Stiftung. aus dem Revoluzzer der Kanzler der Einheit und Ehren- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) bürger Europas, einer Stiftung würdig. 28496 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Gitta Connemann (A) Vielen Dank. Wirken in Politik, Wirtschaft, Institutionen und NGOs (C) fortsetzen und unsere bürgerliche Gesellschaft agitieren (Beifall bei der CDU/CSU) und diese zersetzen. Viertens: eine CDU, die endlich das C aus ihrem Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Namen streichen sollte – Schluss mit dieser Irreführung Vielen Dank, Gitta Connemann. – Der nächste Redner der Bürger, – für die AfD-Fraktion ist der Abgeordnete . (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) eine CDU, die sich stattdessen der neuen Zeitgeistreli- gion der Linken, Grünen, linkischen Moralibans verbun- Martin Erwin Renner (AfD): den fühlt und sich mit den hier vertretenen ökosozialisti- Sehr geehrter Herr Präsident! Den Namen Helmut schen Parteien zur Neuen Einheitspartei Deutschlands, Kohl verbinden wohl die meisten Bürger mit der deut- der NED, zusammengefunden hat – NED, nicht SED. schen Wiedervereinigung, vielleicht auch mit seinem Einsatz für die sogenannte europäische Integration. Er Wenn die geplante Stiftung all dies aufarbeiten würde, und François Mitterrand verhandelten 1992 den Vertrag dann könnten wir als AfD-Fraktion sogar zustimmen. von Maastricht, womit der Grundstein zur heutigen EU Aber den Antragstellern geht es ja um etwas ganz ande- und auch dem dysfunktionalen Euro gelegt wurde. res. Sie wollen jetzt, wo es gerade noch geht, eine Reihe Sicherlich, das alles sind politische Projekte, die Helmut weiterer Versorgungspöstchen auf Staatskosten einrich- Kohl zu Recht zu einer Person der Zeitgeschichte ge- ten. Kann ich ja auch verstehen; denn bereits in nächster macht haben. Zukunft werden sehr viele staatsalimentierte Mandate in unserem wildwuchernden Verwaltungsstaat abhandenge- Ich selbst denke bei dem Namen Helmut Kohl zuerst kommen sein. an seinen Aufruf zur geistig-moralischen Wende 1981 und 1982. Er erkannte schon damals in verdienstvoller (Gabriele Katzmarek [SPD]: Staatsalimentierte Weise die verheerende Entwicklung für unsere Gesell- Mandate?) schaft, ausgelöst durch die neo- und kulturmarxistisch ideologisierten 68er, die Apologeten der Frankfurter Die Democracia-Christianisierung lässt grüßen! Schule, ihren Marsch durch die Institutionen, die Behör- Ich schließe mit einem Zitat von Gottfried Benn: den, Schulen, Hochschulen, Kirchen, Gerichtssäle, „Denn vor jeder Selbstzerstörung steht die große Selbst- Medien, Sozialinstitutionen usw. Er hat all dies richtig betörung.“ – Friede seiner und eurer Asche. erkannt. Nur leider hat er in der politischen Realität gar (B) nichts gemacht. Er hat diese unheilvolle Entwicklung (Beifall bei der AfD) (D) nicht bekämpft, sondern alles einfach weiterlaufen las- sen. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Beifall bei der AfD) Die nächste Rednerin ist die Kollegin Katrin Budde von der SPD-Fraktion. Ich würde mir wünschen, dass eine solche zu errich- tende Stiftung sich mit einem historischen, kulturellen (Beifall bei der SPD) und politischen Dimensionsabgleich beschäftigt, der die Unterlassung des Kampfes gegen den linken Zeitgeist, Katrin Budde (SPD): gegen die linke Ideologie untersucht. Was ist es denn, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich was uns heute vom politischen Lebenswerk Helmut 1983 mit 18 Jahren zum ersten Mal wählen durfte, war Kohls bleibt? Ich zähle auf: Helmut Kohl Bundeskanzler. Und nein, ich hätte ihn Erstens: eine zentralistische EU mit dem zunehmenden nicht wählen können; denn ich bin ja Ostdeutsche. Charakter einer Kooperokratie, also einer funktionalen (Heiterkeit der Abg. Gitta Connemann [CDU/ Beutegemeinschaft, bestehend aus Politik, Big Data, CSU]) Big Tech, Big Money, Big Business, die unseren nationa- len unternehmerischen Mittelstand und unsere gesell- Zur Ehrlichkeit gehört natürlich: Ich hätte ihn auch nicht schaftliche Mittelschicht zunehmend zerstört. gewählt, wenn ich hätte wählen können. (Beifall bei der AfD) (Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh!) Zweitens: eine EU, in der Verträge ignoriert und gebro- Ich bin ja nicht ohne Grund 1989 in die SPD eingetreten. chen werden, eine EU, die Schulden machen will und (Beifall bei der SPD) diese Schulden dann vergemeinschaften wird, eine Bun- desrepublik Deutschland, die den sozialistischen Un- Aber egal, ob man Helmut Kohl nun mag oder nicht rechtsstaat DDR nicht gründlich aufgearbeitet hat. und ob man alles an ihm mag oder nur Teile seines politi- schen Wirkens, es dürfte völlig unstrittig sein: Helmut Drittens: die maßgeblichen Akteure nicht benannt und Kohl war ein Kanzler, der die Bundesrepublik geprägt nicht abgestraft hat, sondern diesen sogar Zugang und hat. Einlass in unsere bestehenden Organisationsstrukturen gestattet hat. So konnten und können diese – heute auch (Beifall der Abg. Gitta Connemann [CDU/ mit Frau Merkels Segen – ihr toxisches marxistisches CSU] und Otto Fricke [FDP]) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28497

Katrin Budde (A) Er war ein überzeugter Europäer. Er hat viel zur deutsch- dieser Stiftungen werden die Füße der politischen Bil- (C) französischen Aussöhnung und Freundschaft beigetra- dungsarbeit verbreitert. Das ist wichtig, und das brauchen gen. Selbst wir kannten die Bilder – wir konnten ja West- wir für jede Zeit. fernsehen gucken –, wie er 1984 mit François Mitterrand Alle demokratisch gewählten Kanzler und nun auch Verdun besuchte und beide dort Hand in Hand standen. eine Kanzlerin haben diese Bundesrepublik geprägt; das Das sind Bilder, die um die Welt gingen, wie auch der ist unwidersprochen. Sie waren und sind Menschen mit Kniefall von Willy Brandt in Warschau, die etwas ganz ganz besonderen Lebenswegen. Wir unterstützen den besonderes ausdrücken. Auch aus meiner Wahrnehmung vorliegenden Gesetzentwurf und finden es richtig, dass war das eine ganz neue Qualität. So wurde ein neues er heute eingebracht wird. Wir freuen uns, dass damit der Kapitel in der deutsch-französischen Zusammenarbeit politische Diskurs und auch der kultivierte politische und Freundschaft aufgeschlagen. Das ist eine große und Streit über die eine oder andere Sichtweise dieser Zeit herausragende Leistung. weitergeführt werden kann und auf breitere Füße gestellt (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) wird. Helmut Kohl hat auch nie Zweifel daran gelassen, dass Ich bitte um Überweisung an den Ausschuss. er zunächst die Bundesrepublik und später dann auch das wiedervereinte Deutschland in ein geeintes Europa füh- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) ren will. Sowohl die Stärkung der transatlantischen Part- nerschaft als auch das Vorantreiben der Osterweiterung Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: der Europäischen Union sind seine Verdienste. Vielen Dank, Frau Kollegin Budde. – Der nächste Red- Und, ja, Frau Connemann, natürlich war er der Kanz- ner: der Abgeordnete Otto Fricke, FDP-Fraktion. ler, der im Amt war, als die Chance bestand, Deutschland (Beifall bei der FDP) wieder zu vereinen, und er hat diese Chance auch genutzt – unbenommen. Aber sehen Sie es mir nach, wenn ich diesen Teil der Geschichte etwas differenzierter Otto Fricke (FDP): sehe. Ich glaube, dass auch aufseiten der Bundesrepublik Sehr geschätzter Herr Präsident! Meine Kolleginnen die Gespräche auf dem Weg in die deutsche Einheit ein und Kollegen! Meine erste Begegnung mit Helmut Gemeinschaftswerk waren und dass viele Politikerinnen Kohl hatte ich 1997 als junger Rechtsanwalt im Kanzler- und Politiker dieser Zeit ihren Anteil daran hatten. amt. Damals hatte ich schon das Gefühl, dass ihn immer ein Teil von „Gechichte“, wie er es so schön ausgespro- (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Dr. Martin chen hat, umwehte. Das ist es, was eine Nation am Ende Rosemann [SPD] und Gitta Connemann [CDU/ auch ausmacht: ihre Geschichte, ihre Historie. (B) CSU]) (D) Ich glaube im Übrigen, dass das ein sehr langer Weg Warum machen wir heute den ersten Schritt zur Gründ- war und dass auch die Entspannungspolitik und die Ost- ung einer weiteren Stiftung, eines Erinnerungswerkes? politik zu anderen Zeiten Bausteine auf dem Weg zur Ob das etwas mit Parteipolitik zu tun hat, weiß ich nicht. deutschen Einheit waren. Es war ein großer Prozess, es Ich sage fürs Protokoll: Mich enttäuscht schon sehr, dass war ein nationaler, ein europäischer, ein osteuropäischer bei einem so wichtigen Punkt für die CDU/CSU hier und internationaler Prozess. Und Helmut Kohl hat in weniger CDU/CSU-Abgeordnete als FDP-Abgeordnete diesem Prozess sehr stark gewirkt – unwidersprochen. anwesend sind. Da hätte ich von der Christlich Demo- Trotzdem gestatten Sie mir den Satz: Zuallererst waren kratischen Union eigentlich etwas mehr erwartet. es die Ostdeutschen mit ihrer Friedlichen Revolution, Demokratie mag so viel, wie sie will, von ihren Insti- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie tutionen leben, die sie stabilisieren. Aber die Identifika- bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNIS- tion für Demokratie, das Vertrauen in Demokratie geht SES 90/DIE GRÜNEN) am Ende nur über Menschen. Und da war Helmut Kohl auch nach Meinung meiner Fraktion unbestritten ein die überhaupt die Möglichkeit geschaffen haben, dass es großer Mensch. Man sagt auch, dass er ein Mensch war, eine deutsche Wiedervereinigung gab. Deshalb habe ich der große Fehler gemacht hat. Aber das gehört mit dazu. mit der markanten Bezeichnung „Kanzler der Einheit“ Wenn wir glauben, dass wir in einer Demokratie Men- ganz persönlich ein Problem, ohne die Verdienste schen auf ein Podest stellen müssten und das sei es dann, schmälern zu wollen. dann würden wir als Demokraten einen großen Fehler Es geht aber nicht nur um die Person Helmut Kohl. Sie machen. Deswegen ist es wichtig, dass sich eine Stiftung haben es gesagt: Es geht bei einer solchen Stiftung auch mit dem Wirken dieses großen Europäers, dem Wirken um das Wirken und die Zeit, in der man politisch tätig auch eines starken Ministerpräsidenten, der sein Land war, in der man gelebt und gestaltet hat, und aus jeder modernisiert hat, beschäftigt. Aber ich will kritisch für dieser Zeiten kann man etwas lernen. Die Helmut-Kohl- meine Fraktion anmerken, dass man nicht immer alles Stiftung ist wie die anderen Bundeskanzlerstiftungen nach Berlin bringen muss. nach dem Namen des Kanzlers benannt. Aber die Stiftun- (Beifall bei der FDP) gen machen ja weit mehr: Sie machen politische Bil- dungsarbeit, vergeben wissenschaftliche Aufträge. Die Warum muss das wieder in Berlin sein? Es ist so schön Zeit wird aufgearbeitet: Was ist warum in welcher Zeit von der Kollegin Connemann gesagt worden – und ich entstanden, und was kann man daraus für heute und für würde mich freuen, wenn sie mir zuhören würde –, wie die Zukunft lernen? – Das ist das Wichtige. Mit jeder viel dieser Mann auch in Rheinland-Pfalz getan hat. 28498 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Otto Fricke (A) (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Aber auch in Diese Stiftung könnte es längst geben. Doch Maike (C) Berlin!) Kohl-Richter, Alleinerbin des Kohl-Vermögens, verstand sich nicht nur als private Erbin. Sie pochte auf eine Wichtig ist doch, zu erkennen, dass Demokratie an der herausgehobene Stellung in der Stiftung, und zwar mit Basis entsteht und hier in Berlin kein Ufo ist. Da ist Vetorecht. Selbst der angebotene Kuratoriumsplatz auf jemand aus Rheinland-Pfalz, aus Oggersheim, gekom- Lebenszeit genügte ihr nicht. Ein absurdes Theater! Bei- men und hat gesagt: Ich verändere Deutschland, ich ver- des ist vom Tisch, und das ist gut und richtig. Wir leben ja ändere Europa. – Uns als Fraktion wäre es wichtiger schließlich nicht in einer Erbmonarchie. gewesen, wenn wir eine solche Stiftung, wie es sie zum Beispiel in Hamburg für Helmut Schmidt gibt, vor Ort (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ute eingerichtet hätten. Erinnert werden wir an Helmut Kohl Vogt [SPD]) immer wieder hier in Berlin. Wir brauchen nur auf das Kanzleramt zu gucken. Das ist nämlich „sein“ Kanzler- Als Vermächtnis von Helmut Kohl gilt die deutsche amt; Einheit. Insofern ist bei der Besetzung des Kuratoriums unbedingt darauf zu achten, dass auch Wissenschaftler/ (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Ja! Das ist die -innen mit DDR-Biografie berufen werden. Antwort!) (Beifall bei der LINKEN) er hat es geplant, aber nie bezogen. Das ist die Ironie der Für den Internationalen Beirat, der sich mit der geo- Kanzlergeschichte; das war bei Helmut Schmidt im Übri- politischen Rolle Deutschlands, mit außen-, sicherheits- gen auch so. und wirtschaftspolitischen Fragen befassen wird, fordern Meine Damen und Herren, ich möchte noch einen wir, dass dieser Beirat auch international besetzt wird. zweiten Punkt anbringen, der mir sehr wichtig ist, den (Beifall bei der LINKEN) Stiftungszweck. Ich habe mit dem Kollegen Schnieder schon darüber gesprochen. Es ist ja okay, wenn man Wir setzen voraus, dass sowohl Kuratorium als auch Bei- den Stiftungszweck in gewisser Weise von der Helmut rat keine reinen Herrenklubs sein werden. Das wäre näm- Schmidt Stiftung kopiert. Aber ich möchte, weil ich das lich mehr als peinlich. am Anfang zum Thema Demokratie hervorgehoben habe, doch klar sagen: Es ist richtig, wenn wir uns mit Fragen (Beifall bei der LINKEN) der zukünftigen Entwicklung in Europa beschäftigen, Dass die Helmut-Kohl-Stiftung insbesondere mit dem Stichwort „deutsch-französische Zusammenarbeit“. Bundesarchiv, der Stiftung Haus der Geschichte und der Aber ich glaube – und da bitte ich die Koalition, noch Stiftung Deutsches Historisches Museum kooperieren (B) mal in sich zu gehen; ich weiß, dass das ein sensibles soll, begrüßen wir ausdrücklich. Denn gemeinsam wird (D) Thema ist –, dass das Werben für Demokratie auch Teil es diesen Häusern hoffentlich endlich gelingen, die dieser Stiftungsarbeit sein muss; denn das hat eine solche Akten, die noch immer im Keller des Eigenheims von Stiftung nötig. Ich würde mir wünschen – das ist mein Helmut Kohl in Oggersheim lagern, weil Maike Kohl- letzter Satz –, dass in dieser Stiftung die Geschichts- und Richter die Herausgabe verweigert, zu befreien und sie Politikstunde stattfindet, die wir in der Schule gerne ge- da hinzubringen, wo sie hingehören, nämlich ins Bundes- habt hätten. archiv. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Selbst die Adenauer-Stiftung ist in Sachen Aktenher- der CDU/CSU) ausgabe an der Witwe gescheitert. Diese Akten gehören aber zum kulturellen Erbe der Bundesrepublik und müs- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: sen für Wissenschaft und Forschung zugänglich sein. Wir werden solche Bemühungen unterstützen. Vielen Dank, Otto Fricke. – Für die Fraktion Die Linke hat das Wort die Abgeordnete Simone Barrientos. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN)

Simone Barrientos (DIE LINKE): Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Sehr geehrter Präsident! Werte Kolleginnen und Kol- Vielen Dank, Frau Kollegin Barrientos. – Der nächste legen! Es war ein steiniger Weg, aber nun endlich liegt Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist der ein Entwurf zur Errichtung einer Kanzler-Helmut-Kohl- Kollege Erhard Grundl. Stiftung auf dem Tisch, analog zu den bereits bestehen- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) den Stiftungen für Konrad Adenauer, Willy Brandt und Helmut Schmidt. Wir werden uns nicht dagegenstem- men. Wir haben – das ist ja kein Geheimnis – einen Erhard Grundl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): kritischen Blick auf das Wirken von Helmut Kohl. Das Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten ändert aber nichts an der Tatsache, dass Helmut Kohl Damen und Herren! Es ist ein Vermächtnis: das Foto dieses Land geprägt hat, gerade im Hinblick auf die Ein- von Helmut Kohl, Hand in Hand mit Präsident Mitterrand heit, und das meine ich – das muss ich betonen – ganz in Verdun, aufgenommen 1984 anlässlich des Gedenkens wertfrei. an die gefallenen Soldaten beider Länder in zwei Welt- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28499

Erhard Grundl (A) kriegen. Das Bild hat nichts Triumphales. Kriege sind (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C) Niederlagen, politisch, moralisch, menschlich: Das und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten drückt das Bild aus. der SPD und der LINKEN) Es ist ein Eingeständnis deutscher Schuld. Es steht auch für den Willen nach Frieden zwischen den Nach- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: barn. Fünf Jahre später suchte Helmut Kohl Unterstüt- Vielen Dank, Erhard Grundl. – Die Kollegen Patrick zung für die deutsche Wiedervereinigung und fand sie: Schnieder und Martin Rabanus geben ihre Reden zu Er fand sie bei Mitterrand, und er fand sie auch bei Präsi- Protokoll.1) Das spart acht Minuten. Trotzdem liegt das dent Gorbatschow. Hinter den Kulissen gab es harte Kon- Ende der heutigen Sitzung derzeit bei 5.02 Uhr. Also, ich flikte. Und ja, am Ende führte Kohls Strickjackendiplo- bitte die Geschäftsführer, die Kollegen zu ermutigen, matie zum Erfolg und zur deutschen Einheit. Ohne die noch die eine oder andere Rede zu Protokoll zu geben. – Ostpolitik von Willy Brandt 20 Jahre vorher hätte freilich Ich schließe die Aussprache zu diesem Tagesordnungs- kein friedlicher Weg da hingeführt. punkt. Doch Kohls Vermächtnis ist höchst ambivalent. Die Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs sogenannte geistig-moralische Wende, die Helmut Kohl auf Drucksache 19/28790 an die in der Tagesordnung mit Pathos zu Beginn seiner Amtszeit als Bundeskanzler aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es weitere ankündigte, mündete dann doch in seine CDU der Überweisungsvorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann schwarzen Koffer, der illegalen Spenden und dubiosen verfahren wir so. Machenschaften – nicht für sich, wohlgemerkt, aber alles Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b auf: außerhalb der Bücher. Das eigene Handeln als höchster Maßstab, höher als das Gesetz, vor dem wir doch eigent- a) Beratung des Antrags der Abgeordneten lich alle gleich sein sollten. Wenn ich heute von „Ehren- Dr. Marc Jongen, Martin Erwin Renner, wort“ oder „Ehrenerklärungen“ reden höre, dann erinnert Dr. Götz Frömming, weiterer Abgeordneter mich das immer fatal an diese Zeit. und der Fraktion der AfD Zwischen diesen Polen bewegte sich das historische Einen Nationalen Aktionsplan Kulturelle Erbe Helmut Kohls: Kohl, der Transatlantiker, der große Identität auf den Weg bringen Europäer, der Kanzler der Einheit, der um Vertrauen für Drucksache 19/28794 ein von vielen als bedrohlich empfundenes größeres Überweisungsvorschlag: Deutschland warb, ein Deutschland, das er fest in Europa Ausschuss für Kultur und Medien (f) verankert wissen wollte. So weitsichtig Helmut Kohl hier Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (B) war, so sehr haftete den 16 Jahren seiner Kanzlerschaft Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen (D) etwas Biedermeierhaftes an – ich gebe zu: biedermeier- b) Beratung des Antrags der Abgeordneten haft bis auf seine Reaktion auf die Eierwerfer in ; Dr. Marc Jongen, Martin Erwin Renner, nie war er mir sympathischer als damals –, Dr. Götz Frömming, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und Kulturelle Identität bewahren – Eine der LINKEN) Deutsche Akademie für Sprache und Kul- tur gründen ein Konservativismus, der aber nichts Rechtslastiges hat. Drucksache 19/28764 Als die Grünen 1983 erstmals in den Bundestag ein- Überweisungsvorschlag: zogen, wollte er uns gerne wieder loswerden – durch Ausschuss für Kultur und Medien (f) „Aussitzen“, wie er es nannte. Da stellt sich heute die Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- Frage: Meinte er Aussitzen im Sinne der Reitersprache, schätzung also entspannt im Sattel sitzen und sich den Trabbewe- Ausschuss Digitale Agenda gungen des Reittieres anpassen, oder meinte er nicht doch Für die Aussprache sind 30 Minuten beschlossen. die gewöhnliche Sesselvariante? In beiden Fällen war er, wie Sie hier sehen können, nicht erfolgreich. Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt der Abgeord- nete Dr. Marc Jongen für die AfD-Fraktion. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der AfD) Brauchen wir also eine Helmut-Kohl-Stiftung? Natür- lich. Denn die Ära Kohl war geprägt durch tiefgreifende Dr. Marc Jongen (AfD): Umbrüche und Weichenstellungen für unser Land und für Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Europa. Unkritisch darf die Arbeit der Stiftung aber nicht sein. Es geht nicht um Persönlichkeitskult. Es geht um Patriotismus, Vaterlandsliebe also, fand ich stets eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem zum Kotzen. Ich wusste mit Deutschland nichts Staatsmann, dem Kanzler, dem Menschen Helmut Kohl. anzufangen und weiß es bis heute nicht. Es geht um die Anerkennung von großen Verdiensten , die Grünen, eine Partei, die in Deutsch- ebenso wie um das Erkennen von großen Fehlern. Diese land allen Ernstes den Kanzler stellen will. Forschungsarbeit hat er auf jeden Fall verdient.

Ich danke Ihnen. 1) Anlage 6 28500 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Dr. Marc Jongen (A) Nächstes Zitat: „... eine spezifisch deutsche Kultur ist, den Ländern auf den Weg bringen. Neben dem Wieder- (C) jenseits der Sprache, schlicht nicht identifizierbar.“ aufbau von zerstörten Gebäuden von kultureller Bedeu- Aydan Özoğuz, SPD, ehemalige Integrationsbeauftragte tung nach dem Vorbild des Berliner Stadtschlosses oder des Bundes. der Dresdner Frauenkirche sollte ein Schwerpunkt auf Und drittens. Wir haben alle die Bilder vor Augen, wie der Erinnerungskultur liegen. Kanzlerin Merkel auf der Wahlparty der CDU nach der Weil ich Sie hier bei diesem Thema schon wieder Bundestagswahl 2013 eine Deutschlandfahne indigniert schreien höre, sage ich es noch einmal: Wir wollen die in einer Ecke entsorgte. Erinnerung an die dunklen Zeiten unserer Geschichte Drei Szenen, ein Befund: Ein Land, in dem höchste nicht abschaffen. Sie gehören auch dazu. Aber wie der politische Vertreter eine derartige Mentalität an den Tag Schweizer Schriftsteller Adolf Muschg schon vor 40 Jah- legen, leidet unter einer schweren Identitätsstörung, mei- ren mit Blick auf die Identität der Deutschen sagte: ne Damen und Herren. Es ist eines ... die Quittung der Geschichte zu unter- (Beifall bei der AfD – Matthias W. Birkwald schreiben als ehrlicher Schuldner. Es ist ein anderes, [DIE LINKE]: Sie kennen schon die Geschich- zugleich aus der eigenen Geschichte auszutreten. te des 20. Jahrhunderts, oder?) Wer eben nur bis 1933 zurückdenken kann oder neu- Während die herrschende Klasse und die Meinungs- erdings bis in die deutsche Kolonialgeschichte, der macher sich für die Identität anderer Völker und Kultu- schneidet den tiefen Geschichtsraum ab, aus dem wir ren, für die Identität von Minderheiten im eigenen Land kommen und den der Brite Neil MacGregor in seiner bei jeder Gelegenheit vehement ins Zeug werfen, klafft fantastischen Ausstellung „Deutschland – Erinnerungen dort, wo das Eigene sein sollte, zumeist nur ein schwarzes einer Nation“ so eindrucksvoll aufgearbeitet hat. Das, Loch. Und jeder, der die Begriffe „Volk“, „Nation“, „kul- meine Damen und Herren, sollte eigentlich auch als deut- turelle Identität“ positiv versteht, läuft Gefahr, als „Nazi“ sche Eigenleistung möglich sein, und es sollte zum diffamiert zu werden. selbstverständlichen Bildungsgut aller Deutschen wer- 2017 schrieben die Grünen an den Deutschen Kultur- den. rat. Ich zitiere: Um insbesondere dem Sprachverfall durch Gender- Wir unterstützen, dass in den Thesen sprache, Leichte Sprache und andere Entstellungen, wie – des Kulturrats – sie heute an der Tagesordnung sind, entgegenzuwirken, fordern wir außerdem die Gründung einer Deutschen der Begriff der „Leitkultur“ vermieden wird. Denn Akademie für Sprache und Kultur. Mit Sitz in Berlin (B) in der Kultur darf es keine Grenzen geben, die im sollte sie aus unabhängigen Persönlichkeiten bestehen, (D) Namen einer angeblichen „kulturellen Identität“ die sich um die deutsche Sprache und Kultur verdient darüber bestimmen, wer dazugehört und wer nicht. gemacht haben und die nach dem Vorbild der Académie Werte Grüne, sind Sie nicht imstande, zu begreifen, dass française auf Lebenszeit gewählt werden. Sie sehen: Wir kulturelle Identität doch nicht heißt, nur noch mit sich sind auch für gute Ideen aus dem Ausland offen, wenn sie selbst identisch zu sein, keine kritische Selbstreflexion, sich mit Gewinn auch bei uns implementieren lassen. keine kulturellen Importe mehr zuzulassen? Ganz im Gegenteil: Die Neugier auf das Fremde, die Fähigkeit, (Beifall bei der AfD) es zu assimilieren, und die Eigenschaft, sich selbst der Ich komme zum Schluss. Meine Damen und Herren, härteste Kritiker zu sein: Das hat schon immer zur kultu- wir reagieren mit diesen Anträgen auf eine linke Kultur- rellen Identität der Deutschen gehört. revolution – Kollege Renner hat vorhin auch schon davon (Beifall bei der AfD) gesprochen –, die mit Cancel Culture, Denkmalstürzen und immer offenerer Verachtung von Kulturleistungen Aber weltoffen und tolerant, wie Sie es immer gerne der Vergangenheit derzeit in eine heiße Phase eintritt. haben wollen, kann doch nur derjenige sein, der weiß, wo Von Grünen, Linken und SPD erwarten wir nichts ande- er selbst steht, was seine Herkunft, seine Werte und Tra- res als heftigste Ablehnung; denn sie sind der politische ditionen sind. Für alle anderen gilt der Kalauer: Wer für Arm dieses Kurses der kulturellen Deutschland-Abschaf- alles offen ist, ist nicht ganz dicht. fung. Wenn wir genau diese aufgeklärte, aber auch tradi- tionsbewusste Leitkultur nicht selbstbewusst vertreten Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: und auch einfordern, dann wird Deutschland zum eigen- schaftslosen Behälter, den andere mit ihren kulturellen Herr Kollege, kommen Sie zum Ende. Identitäten und Gebräuchen auffüllen werden. Sie werden dabei diejenigen Werte, die Ihnen angeblich so wichtig Dr. Marc Jongen (AfD): sind, am allerwenigsten beachten. So viel ist sicher. CDU und FDP hingegen hätten heute wieder eine (Beifall bei der AfD) Gelegenheit, zu beweisen, dass sie noch nicht völlig auf die linke Seite gekippt sind. Wir brauchen also dringend einen Prozess kultureller Selbstvergewisserung in Deutschland. Daher fordert die Glück auf! AfD-Fraktion einen Nationalen Aktionsplan Kulturelle Identität. Der Bund sollte diesen in Abstimmung mit (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28501

(A) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: und somit als Opfer der etablierten Parteien. Und das (C) Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort die Abge- verkaufen Sie dann auf Ihren Kanälen in den sozialen ordnete Melanie Bernstein. Netzwerken als vermeintlich heldenhaften Widerstand gegen das System. Dieses Spiel spielen Sie seit Beginn (Beifall bei der CDU/CSU) der Wahlperiode, und diesem Geist sind auch die vor- liegenden Anträge entsprungen. Melanie Bernstein (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- weiß gar nicht, zum wievielten Male die Geduld der Mit- NEN]: So ist es!) glieder des Hauses nun schon mit solchen Anträgen der Denn diese resultieren ja aus einer Rede Ihres eigenen AfD-Fraktion beansprucht wird. Das letzte Mal durfte ich Björn Hocke, der auf Ihrem jüngsten Parteitag vor einer, mich hier im Januar mit einem Antrag zur deutschen wie er es nannte, „kulturellen Kernschmelze“ gewarnt Sprache auseinandersetzen, in dem es um die Smartpho- hat. ne-Nutzungsgewohnheiten von Deutschtürken und den Wortschatz von Hipstern ging, der zu viele englische (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ausdrücke enthielte. NEN]: Ja! – Dr. Marc Jongen [AfD]: Wer zitiert daraus?) Heute sollen wir nun also die kulturelle Identität be- wahren. Sie nutzen solche Sitzungen wie diese hier, um (Beatrix von Storch [AfD]: Das wäre schön!) Gesprächsstoff bei Ihrer Klientel zu generieren und um zu eskalieren. Sie fotografieren leere Sitzreihen vor Sit- Und was steht in Ihren Anträgen? Eine angebliche zungsbeginn, um den sogenannten Etablierten Faulheit „Reduktion kultureller Identität auf eine Schuld- und zu unterstellen. Schamkultur“, die Zerstörung der „uralten Solidarge- meinschaft zwischen Mann und Frau“, die „zerbröselt (Dr. Marc Jongen [AfD]: Zur Sache!) unter schrillen feministischen Attacken“. Sie sehen eine Dabei haben Sie die zweitschlechteste Präsenz aller Frak- „Erosion unserer kulturellen Grundlagen“, der „entschie- tionen bei namentlichen Abstimmungen. dener Widerstand“ entgegenzusetzen sei. Ich kann mich dem nicht anschließen. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Simone Barrientos [DIE LINKE]: Ich auch NEN]: Ja! – Dr. Götz Frömming [AfD]: Sie nicht!) kommen nur zur Abstimmung, um Geld zu sparen!) Sie fordern Akademien, wo Sie doch sonst immer Stif- (B) tungen zur politischen Bildung abschaffen wollen. Ich Sie schleusen Provokateure in den Deutschen Bundestag, (D) sehe in unserem Land zahlreiche Institutionen, Museen, die dann Abgeordnete bedrängen und beleidigen. Ihre Theater, Ausstellungen, das Goethe-Institut, die alle un- Devise heißt immer wieder: Protest und Provokation. sere Sprache und Kultur bewahren und dafür auch ganz Umso schlimmer ist das, als sich alle anderen Fraktio- viel Wertschätzung und Engagement vom Bund erhalten. nen – und da schließe ich die Kolleginnen und Kollegen Wenn ich mich in meinem Wahlkreis umschaue, sehe von FDP, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke aus- ich unsere kulturelle Identität bewahrt und den nächsten drücklich ein – seit mehr als einem Jahr gemeinsam Generationen nahegebracht, übrigens meist ehrenamt- darum bemühen, unser Land durch die schwerste Krise lich. seit dem Zweiten Weltkrieg zu führen, was wahrlich kei- ne einfache Aufgabe ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der Da gibt es Heimatmuseen, alte Schulen, kleine Bibliothe- LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜND- ken, Mühlen mit Kulturangeboten und etwa auch sprach- NISSES 90/DIE GRÜNEN) liches Erbe, wie Plattdeutsch. Sie verbringen Ihre Zeit derweil damit, gegen eine Mas- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) kenpflicht in den Räumen des Bundestages zu klagen. Das, meine Damen und Herren, ist eine recht traurige Sie sehen dies alles nicht – oder Sie wollen es schlicht Bilanz von fast vier Jahren parlamentarischer Arbeit. nicht sehen. (Dr. Götz Frömming [AfD]: Sehen wir!) (Zuruf: Das ist wahr!) Aber was bezwecken Sie denn damit? Worum geht es Zum Abschluss möchte ich gerne unseren Bundestags- Ihnen mit derartigen Provokationen? Es geht Ihnen doch präsidenten Wolfgang Schäuble zitieren, der 2018 an die- um nichts anderes als um Ihre eigene Öffentlichkeitsar- ser Stelle sagte: „Wer vom Volk spricht, aber nur be- beit. stimmte Teile der Bevölkerung meint, legt Hand an unsere Ordnung.“ Das ist ungefähr alles, was ich zu Ihren (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Anträgen heute zu sagen habe. Genau!) Herzlichen Dank. Indem Sie behaupten, die sogenannten Altparteien wür- den die kulturellen Grundlagen unseres Landes entweder (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der vernachlässigen oder gar gezielt zerstören wollen, stellen LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Sie sich als Hort der Bewahrung nationaler Tradition dar NEN) 28502 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

(A) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Volker Münz [AfD]: Ist der Genderstern fort- (C) Für die Fraktion der FDP hat das Wort der Abgeord- schrittlich?) nete Hartmut Ebbing. Insofern schlage ich mit der FDP vor, diesen Antrag (Beifall bei der FDP) rigoros – Entschuldigung, „rigoros“ ist ja mittellatei- nisch –, mit Bestimmtheit, abzulehnen Hartmut Ebbing (FDP): (Heiterkeit und Beifall bei der FDP sowie bei Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen Abgeordneten der SPD und der LINKEN) und Kollegen! Wieder einmal – wie schon meine Vor- und die Pflege der deutschen Sprache denen zu überlas- rednerin gesagt hat – beschäftigen wir uns heute auf sen, die etwas davon verstehen, wie zum Beispiel der Wunsch der AfD mit einem Antrag zur Bewahrung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darm- deutschen Sprache. Dieses Thema scheint eine der stadt. Hauptängste der AfD zu berühren. Mitte Januar sprachen wir hier schon einmal über die Bewahrung der deutschen Ich glaube, ich habe zwei Minuten geredet. Das ist Sprache. Damals unterstellten Sie noch unseren tür- auch genug für diesen Antrag der AfD. kischstämmigen Mitbürgerinnen und -bürgern, weder Vielen Dank. ortsanzeigende Präpositionen zu beherrschen noch eines hochdeutschen Akzents mächtig zu sein. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des (Lachen der Abg. Gitta Connemann [CDU/ BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) CSU]) Heute wird es noch wirrer: Nun soll „der wachsende Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Einfluss des Islam“ und die „Radikalisierung des hege- Für die SPD-Fraktion hat das Wort der Abgeordnete monialen postmarxistischen Gedankenguts zu einer Helge Lindh. Dekonstruktion der deutschen kulturellen Identität“ füh- ren. (Beifall bei der SPD) (Dr. Marc Jongen [AfD]: Noch nicht mitbe- kommen?) Helge Lindh (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Hauptinstrument dieser Dekonstruktion wird behaup- Dank Empathie konnte ich mich hineinversetzen, wie tet, dass die deutsche Sprache geschlechtergerecht umge- AfD-Funktionäre im Traum den Nationalen Aktionsplan formt wird. gebaren, im Geiste deutscher Leitkultur ein deutsches (B) (Volker Münz [AfD]: Ja, wird sie doch!) Drama, in das ich Sie jetzt entführe: (D) Welch perfide Idee der von Ihnen so verachteten Mehr- Faust: Habe nun, ach, Deutsch, Geschichte und Kultur heitsgesellschaft! und Politik gar durchaus studiert, mit heißem Bemühn. Da steh’ ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie (Beifall der Abg. Gabriele Katzmarek [SPD] zuvor. und Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Mephisto – zu ihm –: Gedenke, du bist AfDler; Klug- heit und Vernunft sind nicht deine Kernkompetenz. Diese wagt es doch, Frauenrechte zu stärken und jahr- hundertealtes Machotum endlich zu bekämpfen. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Beifall bei Abgeordneten der FDP) (Helge Lindh [SPD]: Das ist ja furchtbar!) Faust: Wer bin ich? Ich soll deutsch sein. Was ist deut- Diese längst überfällige Entwicklung soll das deutsche Volk seiner kulturellen Identität berauben? Das ist doch sche Kultur? Ich versuche es zu checken. Heidegger? wirklich nicht Ihr Ernst. Okay. Wagner? Auch. Aber, o Gott, Heine, der war jüdisch und deutschlandkritisch. Und der Brecht, der (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten war Kommunist. Und der Mann: irgendwie schwul und der SPD, der LINKEN und des BÜNDNIS- antinational. Und der Zaimoglu da, krass türkisch. SES 90/DIE GRÜNEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Doch! – Britta Darauf Mephisto: Und Heidegger hatte was mit Han- Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: nah Arendt. Im Übrigen: Man sagt „Zaimolu“; aber mach Leider ja!) dir keinen Kopf, hör ruhig Musik, Frei.Wild, Böhse Onkelz, Andreas Gabalier. Was soll das denn für eine Identität sein, die Sie, die AfD, sich herbeiwünschen? Die des strukturellen Chauvinis- Faust darauf: Vielleicht auch Heino? Der macht so mus? schöne Volksmusik, „Schwarzbraun ist die Haselnuss“. (Beifall bei der FDP, der SPD, der LINKEN (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der LINKEN) Die AfD möchte, wie so oft, in tradierten, ausgrenz- Und auch das ganze Deutschlandlied. Und manchmal enden und spalterischen Denkschemata verharren. Die auch SS-Liedkulturgut aus dem Buch. angebliche Angst um die deutsche Sprache soll hier miss- Darauf Mephisto: Ja, aber im „Kölner Treff“ hat er zur braucht werden, um fortschrittliche Entwicklungen wie AfD gesagt, also Heino: „Wenn ich drüber nachdenke, Emanzipation und Gleichberechtigung zu untergraben. wird es mir übel … So eine Partei muss man verbieten …“ Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28503

Helge Lindh (A) Faust darauf: Mist! Du, aber die Frauen mit ihrer Vielen Dank. (C) Emanzipation und so, die machen mir Angst, (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie (Zuruf von der LINKEN: Ja!) bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und und die Fremden und der Islam und all die Veränderung des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) und all das und wie komisch die alle reden. Mephisto darauf: Da haben wir den Ansatz: Wir nen- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: nen das Ganze „kulturelle Identität“. Die AfD steht für Für die Fraktion Die Linke hat das Wort die Abge- Leitkultur. – Habt ihr zwar keine Ahnung von, aber ordnete Simone Barrientos. wurscht. – Die Sprache setzen wir ins Zentrum, als Tro- (Beifall bei der LINKEN) janisches Pferd gegen all die Frauen, Fremden, Flücht- linge und all die, die was haben gegen Verhunzung der Sprache, gegen Anglizismen, gegen Political Correct- Simone Barrientos (DIE LINKE): ness, gegen Gendern; die haben wir dann gleich mit im Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sack. Wenn Strolche von rechts die deutsche Kultur schützen wollen und die deutsche Identität, dann kann man sicher Faust darauf: Du, in den 50ern, da waren doch die sein: Gleich goebbelt es aus allen Löchern. Männer noch Männer und die Frauen noch Frauen. (Widerspruch bei Abgeordneten der AfD) Mephisto: Ja, und die Richter waren noch Nazis; das waren die guten, alten Zeiten damals. So auch hier: Die blaubraune Truppe möchte – so ist das – die Reichskulturkammer wiederbeleben. (Beifall bei der SPD und der LINKEN – Hei- terkeit der Abg. Dr. Kirsten Kappert-Gonther (Dr. Marc Jongen [AfD]: Projektion, Frau [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Barrientos!) Aber machen wir aus der Not eine Tugend, feiern wir die Gleichschaltung Ihres eindimensionalen Denkens ist Ihr 50er unter dem Motto „Unter den Talaren der Muff von Ziel. Die erste Behörde zur Reinheit der deutschen Spra- Tausend Jahren“. che gründeten übrigens die Nazis 1935 in Form des soge- nannten Sprachpflegeamtes. Faust – begeistert –: Tausendjähriges Reich und Muff? Finde ich gut. Wenn Sie davon sprechen, dass die deutsche Sprache in ihrer Tradition erhalten werden soll, dann ignorieren (Heiterkeit der Abg. Dr. Kirsten Kappert- Sie natürlich, dass Sprachen Einflüssen unterliegen. Sie Gonther [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (B) ignorieren zum Beispiel den Einfluss der Hugenotten auf (D) Und dies ganze Dekolonisieren, das nervt mich tierisch. unsere Sprache. Sie ignorieren die Tatsache, dass Jiddisch Und überhaupt: Diese Verteufelung des weißen Mannes einst nicht nur von ganz vielen Deutschen gesprochen und diese Rückgabe von Objekten, das macht doch unse- wurde, Sie ignorieren auch den Einfluss des Jiddischen re positive Identität kaputt. auf unsere Sprache. „Mischpoke“, „Maloche“, „Schla- massel“, „schmusen“: alles Jiddisch. (Heiterkeit der Abg. Dr. Kirsten Kappert- Gonther [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) ( [AfD]: Da hat keiner was Mephisto – schreitet ein –: Moment, Achtung! Auf dagegen! Mein Gott!) Verteufelung bestehe ich. Die Menschen – Frauen, Männer, Kinder –, die hat man (Heiterkeit des Abg. Matthias W. Birkwald ermordet; aber in unserer Sprache lebt ihre Kultur weiter. [DIE LINKE]) Das ist ein Erbe, das wir gar nicht oft genug hervorheben können und pflegen müssen. Aber habe ich dich richtig verstanden? Raubgut als posi- tive deutsche kulturelle Identität? Bin ich nun der Teufel (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- oder du? neten der CDU/CSU, der SPD und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN) Faust: Wie realisieren wir denn nun das Ganze? Sie verengen nicht nur die Sprache, Sie wollen auch Mephisto: Ihr fordert einfach einen Nationalen Akti- ans Gesprochene. So soll der Blick auf die deutsche Kul- onsplan Kulturelle Identität und eine Deutsche Akademie turgeschichte ein positiver sein und bloß nicht gestört für Sprache und Kultur, fertig. Nichts Konkretes, nichts werden durch Debatten um Kolonialismus oder Naziter- Praktisches, keine Arbeit; darauf versteht ihr euch sowie- ror. Nicht Wiedergutmachung der von Deutschland im so nicht gut. Kolonialismus begangenen Untaten will die AfD, nein, (Lachen des Abg. Dr. Marc Jongen [AfD]) sie will – hört, hört! – einen positiven Blick auf die Kolo- nialzeit; denn das sei Teil der deutschen Identität, auf die Darauf abschließend Faust: Ja, jetzt bin ich beruhigt, man auch stolz sein könne. jetzt kann ich ruhig schlafen. All meine Dämonen und mein schlechtes Gewissen sind tot. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Abschließend Mephisto: Gut, leg dich hin, lausche Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des zum Einschlafen noch ein bisschen Gabalier oder Frei. Kollegen Münz von der AfD? Wild. Und vergiss eines nicht: Der Tod ist ein Meister aus Deutschland. (Zurufe: Nein!) 28504 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

(A) Simone Barrientos (DIE LINKE): In den vorliegenden Anträgen geht es um eine angeb- (C) Nein, das ist wirklich nicht wertsteigernd; danke. liche kulturelle Revolution, herbeigeschrieben von Egon Flaig, Autor der neurechten Vierteljahresschrift (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- „Tumult“. Dass Sie Flaigs Schriften zum Antrag erhe- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE ben – der zum Nationalen Aktionsplan; es ist fast iden- GRÜNEN) tisch, was Sie hier vorbringen –, das zeigt zwei Sachen: Das will die AfD: stolz sein auf unseren deutschen Erstens. Als Abgeordnete sind Sie inhaltlich fernge- Kolonialismus. Wie widerlich ist das denn eigentlich? steuerte Trabanten von Kubitschek, Flaig und Konsorten. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (Lachen des Abg. Dr. Marc Jongen [AfD]) neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Und zweitens: Das Übernehmen historischer Verantwor- GRÜNEN) tung ist nicht Ihre Sache. Ich habe es irgendwann schon mal gesagt in diesem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Plenum: Die AfD steht auf des Kaisers alten Bart, aber eben auch auf das andere kleine Bärtchen. So ist das. Das Irgendwie soll zwar doch kulturelle Identität durch die belegen die hier vorliegenden Anträge eindrücklich. eigene Geschichte entstehen, aber man möge sich doch Wenn ihr euch den Tag versauen wollt, liebe Kolleginnen bitte die guten Brocken herauspicken und den Rest ver- und Kollegen, dann mal reinschauen. Es ist wirklich nicht gessen. schön. (Martin Hohmann [AfD]: Das hat er gerade Die Anträge stammen übrigens aus der Feder der bei- nicht gesagt!) den Herren, Weil wir das in Deutschland bisher nicht machen, beklagt (Beifall des Abg. Dr. Marc Jongen [AfD]) Ihr Antrag – ich zitiere –, es würden bisher historische Persönlichkeiten geächtet. Wohlgemerkt, es geht Ihnen die zu Beginn der Legislatur dafür kämpften, dass die um geächtete Persönlichkeiten, die historisches Unrecht AfD die Leitung des Ausschusses für Kultur und Medien begangen haben. übernimmt. Das konnte verhindert werden. Die Enttäu- schung war groß. Jongen und Renner erklärten sich Es folgt ein weiterer, bemerkenswerter Kurzschluss in daraufhin zur – Zitat – „Abteilung Attacke“; nun sei den rechten Gehirnen: Diese Ächtung sei ein Faktor für man keiner „Neutralitätspflicht“ mehr „unterworfen“ Vandalismus gegenüber einzigartigen Kulturgütern. Sie und würde mit Freude die „Entsiffung des Kulturbe- beziehen sich da auf die versuchte Zerstörung von triebs“ in Angriff nehmen. So sind Sie drauf, die Jungs 60 Objekten im Neuen Museum, in der Alten National- (B) von Rechts. Pfui Deibel! galerie und im Pergamon-Panorama am Kupfergraben im (D) Oktober letzten Jahres. Hier versuchen Sie, eine Legende (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- zu stricken, die nur zur eigenen Reinwaschung dienen neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE soll. Das erinnert auf fatale Weise an übelste Geschehnis- GRÜNEN) se in unserer Geschichte. Eine Frage bleibt mir. Ich bringe ja im Plenum gern ein (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zitat aus der Richard-Wagner-Oper „Walküre“; da gibt es sowie bei Abgeordneten der SPD) dann immer ganz große Aufregung. Aber ich finde, „Ruhig, Brauner!“ kann in diesem Hause ein geflügeltes Sie versuchen nur noch ganz oberflächlich, Ihren braunen Wort sein. Neoprenanzug mit einem Deckmäntelchen zu übertün- chen. Vielen Dank. Schließlich soll das Rettungswerk im zweiten Antrag (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- in einer Deutschen Akademie für Sprache und Kultur neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE vollendet werden. Ihr Antrag richtet sich gegen eine GRÜNEN – Dr. Marc Jongen [AfD]: Lassen diverse, geschlechtergerechte Sprache, gegen leichte Sie sich was Neues einfallen! Es wird langwei- Sprache und damit ausdrücklich gegen Menschen mit lig!) Behinderung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Erhard der AfD: Nein!) Grundl, Bündnis 90/Die Grünen. Stellenbesetzungen sollen ausdrücklich fern von Quoten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) erfolgen. Übersetzt ins Deutsche heißt das: Es soll ein finanzielles Vollversorgungswerk für die AfD und ihre Erhard Grundl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Spießgesellen geschaffen werden. Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Herren! Es gibt Rettungsangebote, auf die kann man dan- SES 90/DIE GRÜNEN – Beatrix von Storch kend verzichten, etwa auf die Rettung des Abendlandes [AfD]: So viel dummes Zeug!) durch die AfD. Ausufernd widmen Sie sich der steilen Leerdenkerthe- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der se, wir Deutschen wären kulturell alle gleich. Ich sage es FDP und der LINKEN) Ihnen: Es gibt innerhalb einer Nation eine Vielzahl von Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28505

Erhard Grundl (A) kulturellen Identitäten. Wie Jan Assmann schreibt, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der (C) gründet sich das „Bewusstsein sozialer Zugehörigkeit … SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜND- auf der Teilhabe an einem gemeinsamen Wissen und NISSES 90/DIE GRÜNEN) einem gemeinsamen Gedächtnis, die durch das Sprechen einer gemeinsamen Sprache oder … die Verwendung Davon haben wir im Laufe des Tages einige Kostproben eines gemeinsamen Symbolsystems vermittelt wird“. bekommen. Ich möchte einige Punkte nennen: Dazu gehören Trachten, Tänze, Speisen und Getränke. Erstens. Sie beklagen eine „Kulturrevolution“, die ihre Vielleicht wissen Sie es nicht, aber durch Bayern zieht Wurzeln in den 1960er-Jahren mit der Studentenbewe- sich der Weißwurstäquator. Ich sage Ihnen: Das ist eine gung und der Frauen- und Homosexuellenbewegung echte kulturelle Hürde innerhalb einer Nation, hat. Diese Bewegungen haben – das will ich hier so deut- lich sagen – unserem Land aber einen Erneuerungsschub (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Außer- gegeben, den wir dringend brauchten. dem trinkt ihr Bier aus Eimern!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Marc und wir müssen praktisch täglich an seiner Überwindung Jongen [AfD]: Wo ist die geistig-moralische arbeiten – aber ohne Sie. Wende geblieben? – Weiterer Zuruf von der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN AfD: Helmut Kohl würde sich im Grabe sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der umdrehen!) Abg. Gitta Connemann [CDU/CSU]) Der Muff von 1 000 Jahren unter den Talaren musste raus. Sie haben keine Ahnung von kultureller Identität und (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des davon, was sie wirklich ausmacht. Diese Anträge bestä- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) tigen das in trauriger Weise einmal mehr. Manches war sicher auch kritikwürdig und übertrieben; Vielen Dank. das würde ich gar nicht bestreiten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Zuruf von der AfD: Aha!) sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Gitta Connemann [CDU/CSU]) Aber insgesamt waren diese Bewegungen positiv. (Beifall der Abg. Dr. Kirsten Kappert-Gonther Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich erteile das Wort der Abgeordneten Elisabeth (B) Motschmann, CDU/CSU-Fraktion. Zweitens. Sie behaupten, dass die massenhafte Zuwan- (D) derung aus kulturfremden Regionen unsere eigene kultu- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) relle Prägung „verflüssigt“ habe. Diese Aussage ist unfassbar und dumm. Elisabeth Motschmann (CDU/CSU): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der AfD möchte einen kulturellen Aktionsplan auf den Weg SPD und der LINKEN und des Abg. Hartmut bringen. Hätten Sie es lieber nicht getan! Ihren Plan Ebbing [FDP]) braucht wirklich niemand. Ihr Plan ist dürftig. Diese Migranten, die zugewandert sind, die Schon die Eingangsthese ist falsch. Sie behaupten, als „alimentierte Messermänner“ oder als „Kopftuch- dass eine Identitätsbildung zunehmend verunmöglicht mädchen“ bezeichnet, kommen aus Ländern und Regio- sei wegen der Denunzierung des eigenen Herkommens nen mit Hochkulturen, und der eigenen Geschichte. Das Herkommen und die eigene Geschichte werden von niemandem in diesem (Beifall der Abg. Simone Barrientos [DIE LIN- Land denunziert oder geleugnet. Vielleicht machen Sie KE] und Dr. Kirsten Kappert-Gonther [BÜND- einmal einen Spaziergang durch Berlin. Hier gibt es so NIS 90/DIE GRÜNEN]) viele Erinnerungsorte unserer Geschichte wie in keiner anderen Stadt. mit Kulturen, die älter sind als unsere und die heute unser Land bereichern. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie Wir planen und bauen sogar neue Denkmäler im Hinblick bei Abgeordneten der CDU/CSU und des auf unsere Geschichte, wie das Freiheits- und Einheits- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) denkmal, das Denkmal für die Opfer der SED-Diktatur, das Polen-Denkmal oder das Dokumentationszentrum für „Kulturfremde Regionen“: Vielleicht reisen Sie mal die Opfer der Nazidiktatur. durch Asien oder Afrika; dann werden Sie viele beein- druckende kulturelle Orte finden. (Beifall der Abg. Gitta Connemann [CDU/ CSU]) (Simone Barrientos [DIE LINKE]: Die besu- chen nur Despoten!) Nein, wir stellen uns unserer Geschichte; wir arbeiten sie auf. Ihr Blick auf unsere Geschichte ist hingegen Wir stellen ihre Exponate übrigens sogar aus. Ein Gang selektiv, falsch und eindimensional. zur Büste der Nofretete würde sich lohnen. 28506 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Elisabeth Motschmann (A) Drittens. Sie werfen uns Gedächtnisverlust im Hin- Elisabeth Motschmann (CDU/CSU): (C) blick auf die eigene Identität und Mangel an Bildung Ihre Anträge lehnen wir natürlich ab. vor. Was für eine Arroganz! Wer selbst so viel Nach- holbedarf hat, sollte nicht mit dem Finger auf andere Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: zeigen. Vielen Dank. – Der Kollege Martin Rabanus gibt seine (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Rede zu Protokoll.1) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- ordneten der CDU/CSU und des Abg. Hartmut (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Ebbing [FDP]) Abg. Hartmut Ebbing [FDP] und Erhard Grundl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) „Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen schmeißen“, ist ein altes Sprichwort. – Der Beifall ist berechtigt. – Ich schließe die Ausspra- che. (Uwe Schulz [AfD]: Dann lassen Sie es doch sein!) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 19/28794 und 19/28764 an die in der Viertens. Ihr Kulturbegriff ist völlig verengt. Ein Akti- Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. onsplan Kultur kann sich eben nicht nur auf die Erinne- Gibt es weitere Überweisungsvorschläge? – Das ist nicht rungsgeschichte, die Architektur und die Museen bezie- der Fall. Dann verfahren wir so. hen, so wichtig diese Themen auch sind; ich würde das nicht bestreiten. Es fehlen aber Literatur, Theater, Musik, Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf: Film, Tanz, die Klubkultur; da gibt es so vieles, was Teil Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ der lebendigen Kulturszene in Deutschland ist. Das alles CSU, SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE ist in Ihrem Plan gar nicht enthalten. All das gehört auch GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines … Ge- zu unserer reichen, lebendigen Kulturlandschaft, um die setzes zur Änderung des Abgeordnetengeset- uns viele, viele beneiden und die übrigens ein Anzie- zes – Verbesserung der Transparenzregeln hungspunkt für Millionen von Touristen ist. für die Mitglieder des Deutschen Bundestages Ich komme zum Schluss zur Sprache. Sie wünschen Drucksache 19/28784 sich eine Deutsche Akademie für Sprache und Kultur Überweisungsvorschlag: als Pendant zur Académie française in Paris. Sie erhoffen Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung sich eine ähnliche Pflege der Sprache. Ich empfehle Ihnen, selbst erst mal Ihre Sprache zu pflegen. Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten (B) beschlossen. (D) (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- Die Aussprache ist damit eröffnet. Es beginnt als erster ordneten der CDU/CSU und der FDP – Simone Redner der Kollege Patrick Schnieder. Barrientos [DIE LINKE]: Jawoll!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vielleicht befleißigen Sie sich selbst einmal einer gepflegten Sprache. Die Verrohung der Sprache ist ein Patrick Schnieder (CDU/CSU): Merkmal Ihrer Partei. Wenn Sie von „Drecksack“, „Anti- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- fa-Kindern“, „bekifften Eltern“, von „Merkel-Nutte“ ren! Der Gesetzentwurf, den wir heute vorlegen, wurde oder „auf Leichen pissen“ sprechen, nicht nur ganz maßgeblich von meiner Fraktion mitge- (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Wir reden nicht schrieben; Mitglieder meiner Fraktion waren leider auch von „Merkel-Nutte“! – Gegenruf der Abg. der Grund, warum wir diesen Gesetzentwurf überhaupt Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- brauchen. Dieses Fehlverhalten hat nicht nur unserer NEN]: Sind alles Zitate von Ihnen!) Fraktion geschadet, sondern es hat dem ganzen Haus, allen Kolleginnen und Kollegen, geschadet. Es tut mir ist es kaum zu glauben, – leid. Das beschämt uns. Darum bitte ich um Entschuldi- gung für das Fehlverhalten dieser unserer ehemaligen Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Mitglieder meiner Fraktion. Frau Kollegin, die Zeit ist abgelaufen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜND- Elisabeth Motschmann (CDU/CSU): NISSES 90/DIE GRÜNEN) – dass uns diese Fraktion ernsthaft zur Pflege und Bewahrung der Sprache auffordert, meine Damen und Ich will aber auch sagen: Wir haben verstanden, und Herren. wir handeln. Der Gesetzentwurf, den wir hier vorlegen, ist die größte Reform des Abgeordnetengesetzes, die es (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, bisher gegeben hat. Wir geben den Abgeordneten des der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Bundestages strengste Verhaltensregeln vor und ziehen GRÜNEN) damit klare Konsequenzen aus den bitteren Erfahrungen, die wir im März machen mussten. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. 1) Anlage 7 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28507

Patrick Schnieder (A) Wir erweitern die Anzeige- und Veröffentlichungs- Wir wollen den Missbrauch der Mitgliedschaft im (C) pflichten, und wir verbieten Nebentätigkeiten, bei denen Deutschen Bundestag zu geschäftlichen Zwecken unter- ein Interessenkonflikt per se oder immer gegeben ist. Mit sagen und mit einem Ordnungsgeld sanktionieren und diesem Eingriff in die Berufsfreiheit sichern wir nicht nur auch dort in Zukunft bei Gewinnen Vermögensabschöp- die Integrität der Abgeordneten, sondern wir sichern auch fungen vorsehen. die Unabhängigkeit des Mandates. Schließlich wollen wir auch die Entgegennahme von Wir sorgen mit diesem Gesetzentwurf aber auch für Geldspenden durch Abgeordnete verbieten. mehr Klarheit und bessere Lesbarkeit der Regeln für Abgeordnete, die sich bisher in das Abgeordnetengesetz, Also: Klare, weitgehende Regeln, harte Sanktionen, die Verhaltensregeln in der Geschäftsordnung und dann die dort vorgesehen sind. auch noch in die Ausführungsbestimmungen zu diesen Verhaltensregeln aufgliedern. Das alles führen wir rechts- Ich bin mir sicher, dass diese Regeln erforderlich sind, sicher und übersichtlich im Abgeordnetengesetz zusam- dass sie aber auch machbar sind, dass sie das Parlament in men. der Zusammensetzung nicht grundsätzlich verändern, also auch in Zukunft Selbstständigen und Freiberuflern Zu den Regeln im Einzelnen. „… Einkünfte aus beispielsweise die Mitgliedschaft faktisch ermöglichen. Nebentätigkeiten und Unternehmensbeteiligungen wer- den betragsgenau (auf Euro und Cent) veröffentlicht.“ Haltung, Anstand und Integrität sind unverzichtbare Das heißt aber auch: Nebentätigkeiten bleiben grund- Voraussetzungen für die Tätigkeit als Abgeordneter, sätzlich erlaubt. Ich halte das für wichtig und will das eine Tätigkeit im Übrigen – auch das will ich hier noch auch betonen. Wir wollen, dass auch in Zukunft Freibe- einmal betonen –, die angemessen und vor allem ausrei- rufler, Selbstständige und Unternehmer Mitglied des chend bezahlt ist. Deutschen Bundestages sein können, ohne dass sie ihre berufliche Existenz, die sie sich aufgebaut haben, aufge- Zusammenfassend will ich sagen: Wir haben verstan- ben müssen. Wir brauchen ihre Expertise, auch ihre den, wir haben gelernt, und wir reagieren heute. Ich bin Lebenserfahrung. Wir müssen einfach anerkennen, dass dankbar – das sage ich ausdrücklich –, dass wir das nicht mehr Unabhängigkeit im Mandat damit verbunden ist, nur in der Koalition machen, sondern dass wir darüber wenn man auch nach dem Ausscheiden, das in der Regel hinaus auch weitere Unterstützung in diesem Hause für im Durchschnitt nach acht bis zehn Jahren, also nach diesen Gesetzentwurf bekommen. zwei Wahlperioden, stattfindet, seine berufliche Existenz Vielen Dank. weiterführen kann. (B) Die Einkünfte aus Nebentätigkeiten werden anzeige- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie (D) pflichtig – wie gesagt, centgenau –, „wenn sie im Monat bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE den Betrag von 1 000 Euro oder bei ganzjährigen Tätig- GRÜNEN) keiten … in der Summe den Betrag von 3 000 Euro über- steigen.“ Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: „Beteiligungen … an Kapitalgesellschaften … auch an Vielen Dank, Patrick Schnieder. – Für die Fraktion der Personengesellschaften werden“ in Zukunft bereits „ab AfD erteile ich das Wort dem Abgeordneten Thomas fünf Prozent … der Gesellschaftsanteile angezeigt und Seitz. veröffentlicht …“ Und „auch Einkünfte aus anzeige- pflichtigen … Unternehmensbeteiligungen (zum Beispiel (Beifall bei der AfD) Dividenden, Gewinnausschüttungen) werden anzeige- und veröffentlichungspflichtig.“ Thomas Seitz (AfD): Wir regeln auch die Frage der Einräumung von Aktien- Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und optionen und vergleichbarer Finanzinstrumente, „die als Herren! Wir befassen uns mit einem interfraktionellen Gegenleistung für eine Tätigkeit gewährt werden …“ Gesetzentwurf zur Neuregelung der Transparenzregeln. Auch sie müssen angezeigt und veröffentlicht werden. Warum wurde die AfD nicht beteiligt? Die Union hat wohl geahnt, dass wir diesen Gesetzentwurf nicht unter- Ein Kern der nunmehr erfolgten Änderungen ist sicher- stützt hätten; denn die AfD ist eben keine Serviceopposi- lich, dass wir die bezahlte Lobbytätigkeit von Abgeord- tion und nicht in Lauerstellung auf eine Regierungsbetei- neten gegenüber Bundesregierung und Bundestag gesetz- ligung wie die Grünen, die sich gestern bei der Änderung lich verbieten und dort künftig eine Sanktion in Form des IfSG enthalten haben, um sich bei der Union anzubie- eines Ordnungsgeldes bis zur Höhe der Hälfte einer Jah- dern. Peinlich! resdiät und auch eine Vermögensabschöpfung bei den Gewinnen aus solchen Geschäften vorsehen. (Beifall bei der AfD – Britta Haßelmann Abgrenzend dazu wollen wir natürlich, dass auch in [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Peinlich war Zukunft ehrenamtliche Tätigkeiten, die mit einer über- Ihr Müller!) schaubaren Aufwandsentschädigung versehen sind, wei- ter möglich sein sollen. Angesichts der vielen Korruptionsskandale von CDU und CSU um Maskendeals und dubiose Geschäfte Wir verbieten Honorare für Vorträge im Zusammen- hang mit der parlamentarischen Tätigkeit. (Zuruf des Abg. Timon Gremmels [SPD]) 28508 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Thomas Seitz (A) mit Ländern wie Aserbaidschan ist Ihr Gesetzentwurf Viertens: Es muss also veröffentlicht werden, wenn (C) nicht mehr als ein Feigenblatt, um beim Wähler mit nur Optionen als Gegenleistung gewährt werden. – Nein, einem blauen Auge davonzukommen. Die Union kämpft Optionen als Gegenleistungen müssen als solche verbo- nicht für Transparenz, sondern um ihr politisches Über- ten sein; denn das schafft einen Anreiz zu rechtswidrigem leben als Partei jenseits der 20-Prozent-Marke. Verhalten und verführt zu übermäßigem Gewinnstreben. (Beifall bei der AfD – Weiterer Zuruf des Abg. Fünftens: Geldspenden werden verboten, Sachspenden Timon Gremmels [SPD]) bleiben erlaubt. – Mit Verlaub, wollen Sie den Bürger für dumm verkaufen? Ein Geldkoffer für Herrn Schäuble, – Wenn Sie was wollen, stellen Sie doch eine Zwischen- das wäre unzulässig. Eine Goldmünze wie der Krüger- frage. rand als offizielles Zählungsmittel wäre verboten, Gold- (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- barren oder Diamanten nicht. An die Behandlung von NEN]: Auf keinen Fall!) Forderungen haben Sie gar nicht gedacht. Mein Urteil: Setzen, sechs! Vielleicht genehmigt sie der Herr Präsident. (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Zuruf des Vergleichen wir es doch einmal mit der Wahlrechtsre- Abg. Timon Gremmels [SPD]) form. Jahrelang blockieren Sie die Neuregelung, dann verabschieden Sie eine Scheinreform, und jetzt soll eine Zum Abschluss danke ich den Kollegen von CDU und Kommission kommen, um den Bürger über Ihre in Wahr- CSU aus Bund und Land, die dazu beigetragen haben, heit gegebene Unwilligkeit zu täuschen. Die Wahrheit ist: dass sich die Union immerhin ein Stück bewegen musste. Sie nehmen in Kauf, dass im nächsten Bundestag sogar Ich sage den Herren Amthor, Nüßlein, Hauptmann, über 900 Abgeordnete sitzen. Löbel, Fischer, Zech, Gutting, Sauter, Pfeiffer und Straub: Vielen Dank. (Friedrich Straetmanns [DIE LINKE]: Das ist die falsche Rede! Sie haben die falsche Rede (Beifall bei der AfD – Zurufe von der SPD: eingepackt! – Zuruf von der FDP: Themaver- Maske! – Gegenruf der Abg. Gabriele fehlung!) Katzmarek [SPD]: Der trägt doch nie eine Mas- ke!) Ihr Gesetzentwurf hier und heute ist genauso eine Ent- täuschung. Die bisher als Anlage zur Geschäftsordnung geregelten Verhaltensregeln werden in das Abgeordne- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: tengesetz verschoben. Viel Text, aber eher wenig wirklich Herr Kollege Seitz, wenn Sie sich bitte ankleiden. Neues und vor allem nicht gut geregelt! Ihre Begründung (Zurufe von der SPD) (B) ist abenteuerlich: Bisher seien die Regelungen auch für (D) Abgeordnete so schwer verständlich gewesen. – Ich sage: Für die SPD-Fraktion hat das Wort der Abgeordnete Wer 10 000 Euro monatlich kassieren will, aber die Re- Dr. Matthias Bartke. geln nicht versteht, der ist unwürdig. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der AfD) Dr. Matthias Bartke (SPD): Und wer Mitarbeiter für fast 23 000 Euro anstellen kann, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es es aber nicht schafft, die notwendige Expertise einzukau- hätte Anfang des Jahres wohl kaum jemand für möglich fen, der ist auch noch unfähig. Wissen Sie, nach dem Fall gehalten, dass wir in kurzem Abstand nacheinander das Amthor hätte ich gesagt: Na endlich! Die Union gibt ihre Lobbyregister einführen und an die Transparenzregeln Totalverweigerung auf. – Aber nach den ganzen anderen für Abgeordnete herangehen. Skandalen so ein Entwurf, nur das absolute Minimum? (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Was also ist drin, und was fehlt? Erstens: „Nebenein- künfte … werden betragsgenau … veröffentlicht.“ – Gut, Ich glaube, für unser Hohes Haus kann man sagen: Es ist aber nicht zwingend. Eine Ausweitung der Betragsstufen der Frühling der Transparenz. hätte gereicht. Aber selbst das hätte es ohne die Skandale (Beifall bei der SPD – Heiterkeit bei der nie gegeben. LINKEN) Zweitens: Verbot von Lobbyarbeit durch Abgeordne- Liebe Kolleginnen und Kollegen, schlimme Dinge ha- te. – Gut und richtig, wenn auch hier nicht der Einsicht ben manchmal auch ihre guten Seiten. Die allermeisten der Union geschuldet, sondern dem Druck der Öffentlich- von uns hätten sich wohl niemals vorstellen können, dass keit; aber immerhin. Abgeordnete des Deutschen Bundestages Profit aus der Drittens: Absenkung des Schwellenwertes für die schlimmsten Krise unseres Landes seit dem Zweiten Pflicht zur Veröffentlichung von Unternehmensbeteili- Weltkrieg ziehen gungen auf 5 Prozent. – Ein richtiger Schritt, aber mit (Beifall bei Abgeordneten der SPD) einer großen Lücke; denn bei einem DAX-Konzern hat oder dass sie sich von einem Drittland bestechen lassen. auch eine Beteiligung von 3 Prozent eine immense Man muss es sagen: Der Anlass für die anstehende Re- Bedeutung und sollte transparent sein. form ist wahrlich besorgniserregend. Ich freue mich aber, (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Wer hat dass die Ereignisse nun dazu führen, dass wir endlich denn eine Beteiligung an einem DAX-Konzern mehr Transparenz schaffen können. Wir müssen sicher- hier im Bundestag?) stellen, dass solche Ereignisse nie wieder vorkommen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28509

Dr. Matthias Bartke (A) (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (C) An die Adresse unseres Koalitionspartners möchte ich Das Wort für die Fraktion der FDP hat der Kollege ausdrücklich sagen: Sie haben richtig reagiert, und dafür Dr. Marco Buschmann. haben Sie meine Hochachtung. (Beifall bei der FDP) Dieser Gesetzentwurf ist aber nicht bloß eine Mahnung an die Abgeordneten. Er ist ein echter Paradigmenwech- sel bei den parlamentarischen Transparenzregeln. Unser Dr. Marco Buschmann (FDP): Gesetzentwurf sieht erhebliche Verschärfungen vor. Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle- Nebeneinkünfte von Abgeordneten werden künftig auf gen! Der Deutsche Bundestag ist durch eine ganze Reihe Euro und Cent veröffentlicht. Unternehmensbeteiligun- von Korruptionsskandalen erschüttert worden. Das hat gen und die daraus entstehenden Einkünfte werden ab nicht nur das Ansehen der betroffenen Fraktionen ver- 5 Prozent der Gesellschaftsanteile veröffentlicht. Aktien- letzt, sondern das Ansehen der Politik insgesamt und optionen werden veröffentlicht. Entgeltliche Lobbytätig- des ganzen Hauses. Deshalb war klar, dass etwas passie- keiten von Abgeordneten werden verboten. Die Annah- ren musste. Ich möchte ausdrücklich anerkennen: Dass me von Geldspenden wird verboten. Honorare für hier schnell etwas passiert ist, dass hier schnell ein Ge- Vorträge werden verboten. Und: Der Missbrauch der Mit- setzentwurf auf den Tisch gelegt wird, ist ein gutes Sig- gliedschaft im Bundestag für private Zwecke wird eben- nal, und das muss man anerkennen, meine Damen und falls verboten. Verstöße gegen die Regeln können mit Herren. einem Ordnungsgeld bis zur Hälfte einer Jahresdiät (Beifall bei der FDP) geahndet werden. Verbotene Einnahmen werden an den Bundestag abgeführt. Es ist auch ein gutes Signal, dass Sie in dem Entwurf eine ganze Reihe von Vorschlägen der Opposition aufge- Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese neuen Regeln griffen haben, auch eine ganze Reihe von Vorschlägen, sind nicht mehr und nicht weniger als eine Revolution im die wir gemacht haben, insbesondere dass weisungsge- Parlamentsrecht, und sie gehen natürlich maßgeblich von bundene Lobbytätigkeit verboten wird, dass nicht nur einer Initiative der SPD-Fraktion aus. Optionen, sondern auch andere Finanzderivate erfasst (Beifall bei der SPD -Carsten Schneider werden und dass wir insbesondere klare Schutzvorschrif- [Erfurt] [SPD]: Jawohl!) ten für das Ehrenamt und für die Parteitätigkeit haben. Die bisherigen Transparenzregeln sind außerdem alles Denn es wäre ja ein Treppenwitz der Geschichte, wenn andere als transparent. Man findet sie im Abgeordne- ein Gesetz, das mit der Absicht von Transparenz be- schlossen werden soll, am Ende dazu führt, dass sich (B) tengesetz, in den Verhaltensregeln und in den Ausfüh- (D) rungsbestimmungen zu den Verhaltensregeln. Am Ende das Parlament abkapselt. Das möchte ich ausdrücklich blickt keiner mehr durch, was gilt und wo geregelt ist. anerkennen: Das sind die Vorteile an diesem Entwurf. Deswegen werden wir sämtliche Transparenzregeln ein- Der Entwurf hat aber auch Dinge, über die wir in der heitlich im Abgeordnetengesetz regeln. zweiten und dritten Lesung nochmal sehr genau sprechen Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn es um Trans- müssen und die auch meine Fraktion dazu bewogen hat, parenz geht, passiert immer nur etwas, wenn etwas pas- hier nicht Antragsteller zu sein. Das ist zum Beispiel siert ist. Das war hier so, und das war beim Lobbyregister eine – meiner Meinung nach – dringend notwendige Ver- so. Das tut aber der Qualität des Gesetzes keinen schärfung bei der Vorteilsannahme. Ich habe Ihnen das Abbruch. Besonders erfreulich finde ich es, dass Linke mitgeteilt. Es ist viel zu schwammig, dass der Tatbestand und Bündnisgrüne Miteinbringer sind. Das Parlaments- dort so quer drinsteht. Das eröffnet Schlupflöcher für recht sollte möglichst immer aus der Mitte des Parlamen- diejenigen Leute, die man erfassen will. Meiner Meinung tes in einem möglichst breiten Konsens gestaltet werden, nach muss die Vorteilsannahme für Abgeordnete, die und genau das tun wir hier. Denn bei den Regeln unseres Regelung in § 44a Absatz 2, verschärft werden, meine gemeinsamen Zusammenarbeitens sollte die Demarka- Damen und Herren. Das ist noch nicht scharf genug. tionslinie zwischen Regierung und Opposition aufgeho- (Beifall bei der FDP) ben sein. Deswegen auch mein Dank an die demokrati- schen Oppositionsparteien für die konstruktive Mitarbeit. Auf der anderen Seite führt dieses Gesetz mit seinem Noch besser hätte ich es allerdings gefunden, wenn auch guten Anliegen aber auch zu echten Kollateralschäden. die FDP dabei gewesen wäre. Hier wurde vorhin die Vortragstätigkeit benannt. Ich (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Britta weiß, was Sie erreichen wollen: Sie wollen verhindern, Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) dass jemand für – sagen wir mal – einen Vortrag, den er sowieso gehalten hätte, extra Taler bekommt. Das ver- Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei diesem Gesetz- stehe ich. Aber die Norm, wie sie formuliert ist, erfasst entwurf betreten wir mit manchen Regeln Neuland. Man- jede Vortragstätigkeit. Auch wenn SPD-Abgeordnete che Regeln können vielleicht auch noch besser werden. demnächst Betriebsräte schulen, rate ich Ihnen, kein Daher – manchmal ist es eine Floskel, aber diesmal gilt Honorar dafür anzunehmen, sonst verstoßen Sie gegen der Satz wirklich –: Ich freue mich auf die konstruktiven dieses Gesetz; Beratungen im Ausschuss zu diesem Gesetzeswerk. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Entschuldi- Ich danke Ihnen. gen Sie sich für diese Behauptung! Das ist eine (Beifall bei der SPD) Frechheit!) 28510 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Dr. Marco Buschmann (A) denn der Versuch, das über die Begründung zu reparieren, Völlig richtig ist es selbstverständlich auch, dass wir (C) wird nicht gelingen, weil der Wortlaut des Gesetzes klar nun festschreiben, dass Abgeordnete nicht länger bei der ist: Vortragstätigkeit gegen Honorar ist verboten. Wenn Bundesregierung für Unternehmen lobbyieren, von de- man das will, dann kann man das so machen. Aber das ist nen sie irgendeine Form von Gegenleistung erhalten ha- ein Mangel des Gesetzes. ben.

(Beifall bei der FDP) (Beifall bei der LINKEN) Der schlimmste Mangel des Gesetzes ist wirklich ge- All diese richtigen Schritte unternehmen wir aber eignet, die Unternehmer, die wir hier im Parlament haben reichlich spät; denn vor allem Sie von der Union haben wollen, aus dem Parlament rauszujagen. Das ist, dass jegliche Vorschläge zuvor abgeblockt. Und nicht nur das: man den Gewinn vor Steuern transparent machen muss. Sie haben den von meiner Fraktion noch vor der Affäre (Gabriele Katzmarek [SPD]: So kann man Nüßlein eingebrachten Gesetzentwurf im Ausschuss ver- Lindner-Gelder auch vertuschen wollen!) schleppt. Jetzt wurde der Druck zu groß, und Sie ver- wehren sich nicht mehr adäquaten Regelungen. Sie soll- Das bedeutet nämlich, dass nicht nur der Gewinn der ten sich aber darüber hinaus einmal Gedanken machen, Abgeordneten als Träger einer Personengesellschaft warum es immer wieder Abgeordnete aus Ihren Reihen bekannt wird, sondern auch der ihrer Gesellschafter. sind, die mit solchem Verhalten auffallen. Interessant Das lässt Rückschlüsse auf die Gewinnmargen zu. Da finde ich auch, dass Sie uns bezüglich Aktienoptionen werden die Lieferanten kommen und sagen: Die Preise usw. nun folgen. Denn das sind die Dinge, die bei dem müssen steigen. – Da werden die Kunden kommen, wenn Kollegen Amthor im vergangenen Jahr herauskamen. Sie die Gewinnmarge gut ist, und sagen: Die Preise müssen haben damals völlig recht gehabt: Er hat sich damit nicht sinken. – Dann steigt der Rationalisierungsdruck auf die strafbar gemacht. – Diese Lücke schließen wir heute erst. betroffenen Mitarbeiter. Es ist offenbar moralisch so inakzeptabel, dass wir es einhellig unter Strafe stellen. Ich frage mich deshalb (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Mir kom- wirklich, ob ein solcher moralischer Kompass für die men die Tränen, Herr Buschmann! Die Tränen Spitzenkandidatur auf einer Landesliste prädestiniert. kommen mir!) Aber womöglich ist es ja tatsächlich genau das. Ob wir das wirklich wollen, das sollten wir noch mal ernsthaft besprechen. Dieses Gesetz ist geeignet, die (Beifall bei der LINKEN) Selbstständigen und Unternehmer, die wir hier haben Mir erschließt sich auch nach dem Vortrag des Kol- wollen, aus dem Parlament zu vertreiben. (B) legen Buschmann nicht wirklich, warum die FDP den (D) Herzlichen Dank, meine Damen und Herren. Entwurf nicht mitträgt. Aber das, Herr Buschmann, wer- den wir sicherlich im Ausschuss klären können. (Beifall bei der FDP – Gabriele Katzmarek [SPD]: Das war aber schlecht! – Carsten Meine Bewertung insgesamt: Dieser Entwurf ist im Schneider [Erfurt] [SPD]: So schwach!) Großen betrachtet ein guter Schritt in die richtige Rich- tung, und genau deswegen trägt meine Fraktion, Die Lin- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: ke, ihn auch ausdrücklich mit. Es bleiben bei diesem weiten und wichtigen Feld noch einige Baustellen. Bei Für die Fraktion Die Linke ist der nächste Redner der der Strafbarkeit der Abgeordnetenbestechung muss der Abgeordnete Friedrich Straetmanns. Tatbestand sicherlich noch angepasst werden, damit Fälle (Beifall bei der LINKEN) von Korruption auch erfasst sind und er überhaupt zur Anwendung kommen kann.

Friedrich Straetmanns (DIE LINKE): (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE nen und Kollegen! Ich freue mich sehr, dass wir heute GRÜNEN) gemeinsam die Transparenzregeln für Abgeordnete ver- schärfen und auf diesem Wege Einflussnahmen und mög- Auch beim Lobbyregister muss noch nachgeschärft wer- liche Interessenkonflikte in Zukunft besser erkennen kön- den, am besten noch in dieser Wahlperiode. Ich verspre- nen. che Ihnen: Bei diesem Thema wird Die Linke nachsetzen. Wir werden uns nicht zufriedengeben. In dem Entwurf stehen sehr viele sehr wichtige Dinge, die meine Fraktion und ich ja auch schon längere Zeit Vielen Dank. fordern, etwa die Pflicht zur Veröffentlichung von Nebeneinkünften ab einem deutlich niedrigeren Wert. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten der SPD) (Beifall bei der LINKEN und der SPD) Hier hätten wir für meine Begriffe auch noch ein wenig Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: weiter absenken können. Aber: „Lieber den Spatz in der Ich erteile das Wort der Kollegin Britta Haßelmann, Hand ...“ Sie wissen schon. Oder: die Anzeigepflicht bei Bündnis 90/Die Grüne. Unternehmensbeteiligungen, die zukünftig bei 5 Prozent Anteilen und nicht, wie zuvor, bei 25 Prozent liegt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28511

(A) Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Im Weiteren werden wir uns noch kümmern müssen (C) Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und um die Frage der Abgeordnetenbestechung, um die Frage Herren! Erst einmal als Vorbemerkung: Eine Partei, die „Wo ist der Tatbestand, und muss dieser nicht anders so tief im Parteispendensumpf steckt, gegen Recht und gefasst werden?“, genauso wie um die grundlegenden Gesetz verstößt und bereits Strafzahlungen von über Fragen der Parteienfinanzierung. Die Debatte ist eröffnet. 500 000 Euro leisten musste – weitere Verfahren stehen Wir müssen mehr tun in Sachen Transparenz, Nachvoll- aus –, ist kein Ratgeber in Sachen Transparenz und Darle- ziehbarkeit und Offenlegung politischer Interessenvertre- gungspflichten hier im Parlament. tung. Es braucht eine Klarheit darüber, dass das Abgeord- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, netenmandat im Mittelpunkt unserer Tätigkeit steht und bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abge- das Parlament keine Beratungsgesellschaft ist, für die ordneten der CDU/CSU und der FDP) man nebenbei noch Honorare kassiert. Wer nicht verstanden hat, wen ich meine – es ist klar –: Vielen Dank. die AfD. Die Strafzahlungen stehen. 500 000 Euro muss- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ten schon gezahlt werden. Andere Verfahren sind noch sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und anhängig. Klare Verstöße gegen Recht und Gesetz! der SPD und des Abg. Friedrich Straetmanns (Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD]) [DIE LINKE]) Ich würde ganz leise sein bei diesen Themen, meine Da- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: men und Herren. Das Wort für die CDU/CSU-Fraktion hat der Abge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ordnete Michael Frieser. bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abge- ordneten der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU) Nun zu dem vorliegenden Gesetzentwurf. Ich muss Michael Frieser (CDU/CSU): sagen: Es ist gut und richtig, dass heute und so schnell Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich Konsequenzen aus diesem Schock der dreisten Masken- schließe mich ausdrücklich den Worten von Patrick affäre von Korruption und Bestechung in der CDU/CSU- Schnieder an. Dass wir heute dieses Thema in dieser Fraktion gezogen worden sind. Herr Schnieder, ich sage Intensität, Direktheit und, wie wir hoffen, auch Effizienz Ihnen ausdrücklich: Ich finde es wirklich richtig wichtig – bearbeiten und besprechen, hat etwas mit Fehlverhalten auch für die Öffentlichkeit –, dass Sie hier heute gesagt von Einzelnen aus unserer Fraktion zu tun, wofür wir die haben: Wir haben verstanden, und deshalb wird schnell werten Kollegen nicht um Verständnis, aber eben um Ent- (B) gehandelt. – In der Sache hat das deshalb unsere Unter- (D) schuldigung bitten können und müssen. stützung, meine Damen und Herren. Ich will trotzdem bei der Frage der Schuld verharren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Es hat sich gezeigt, dass Anstand und Moral als Grad- sowie bei Abgeordneten der SPD und der messer – was tue ich, was tue ich nicht, was unterlasse LINKEN) ich? – nicht ausreichen. Daran hat doch nahezu keiner Es ist richtig und notwendig, jetzt zu handeln. Ich finde gedacht in diesem Haus. Wir müssen heute die Regeln gut, dass wir heute in erster Lesung den Gesetzentwurf nachschärfen, um genau diese Fälle zu adressieren und zur Änderung des Abgeordnetengesetzes beraten. Es ist den Bürgern deutlich zu machen: Wir haben es verstan- nach den Ereignissen der letzten Wochen zwingend not- den. – Wenn auch nur an irgendeiner Stelle ein Missver- wendig, dass das Vertrauen in unsere Demokratie wirk- ständnis gewesen ist, etwas falsch auszulegen gewesen lich wieder zurückgewonnen wird. Das Bild hat unheim- ist, dann begegnen wir dem mit diesem vorgelegten Kata- lichen Schaden genommen. Das Vertrauen in Politik ist log an Transparenzregeln. Wir adressieren also genau die nachhaltig gestört. Fälle, die uns – richtig zitiert! – geschockt haben, weil Wir werden mit diesem Gesetzentwurf Dinge, für die anscheinend auch bei Anstand und Moral gegen krimi- wir Grüne, für die viele Verbände und NGOs im Bereich nelle Energie manchmal kein Kraut gewachsen ist. der Transparenz über Jahre gestritten und gekämpft ha- Es geht mit diesen Änderungen des Abgeordnetenge- ben und immer vor eine Blockade gelaufen sind, endlich setzes genau darum, nachzuforschen, wo Interessenkolli- regeln. Deshalb sind wir auch selbstverständlich bei die- sionen überhaupt entstehen können. Wir haben zum Bei- sem Gesetzentwurf mitgegangen. Nebentätigkeiten auf spiel jetzt schon Anzeigepflichten, woher jemand kommt, Euro und Cent zu veröffentlichen, entgeltliche Lobbytä- bevor er dem Plenum angehört. Man kann durchaus darü- tigkeit zu verbieten, die Frage von Aktienoptionen end- ber nachdenken: Gibt es denn auch theoretisch Rückkehr- lich klar zu regeln, die Tatsache, dass Vortragstätigkeiten rechte nach der Tätigkeit als Abgeordneter? Wo entstehen in dem Umfang, wie es bei manchen bisher möglich war, diese Formen von möglichen Abhängigkeiten, möglichen demnächst nicht mehr möglich sind, Abgeordneten die Interessenkollisionen? Genau das ist die Zielrichtung die- Annahme von Spenden zu verbieten, damit Klarheit zu ser Transparenzregeln. schaffen: Das sind alles richtige Anknüpfungspunkte, Wir werden nachschärfen müssen. Ich halte es für und deshalb wird der Gesetzentwurf von uns unterstützt, absolut richtig und notwendig, dass wir nicht mehr nur meine Damen und Herren. den Bruttozufluss eines Unternehmers ansetzen. Was ha- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ben wir Landwirte, Selbstständige, Metzgermeister, was sowie bei Abgeordneten der SPD) haben wir Bäcker in diesem Haus, die, weil nahezu nichts 28512 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Michael Frieser (A) mehr übrig bleibt, kaum was haben von ihrem Umsatz? lässig ist ferner die Annahme von Geld oder von geld- (C) Das müssen wir deutlich regeln, damit dadurch auch Ver- werten Zuwendungen, wenn diese Leistung für eine Vor- gleichbarkeit entsteht für die Menschen draußen. Das tragstätigkeit oder ohne angemessene Gegenleistung des wird der Akzeptanz meines Erachtens wirklich helfen. Mitglieds des Bundestages gewährt wird“? Und sind Sie weiterhin mit mir der Meinung, dass das, was Sie hier (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- vorgetragen haben, eben nicht im Gesetz steht, sondern ordneten der SPD) hinten in der Begründung? Und sind Sie weiterhin mit Es ist auch wichtig, dass wir zur Bereinigung und mir der Meinung, dass, wenn der Wortlaut des Gesetzes Begradigung nicht nur die Vorkommnisse, die zu Fehl- eindeutig ist, die Begründung den Inhalt nicht mehr än- verhalten geführt haben, verständlich adressieren, son- dern kann, weil der Richter im Zweifelsfall nur dann in dern auch eindeutig untermauern. Akzeptanz bei den die Begründung schaut, wenn der Wortlaut Zweifel Menschen hat etwas mit Verständnis zu tun, mit Nach- offenlässt? vollziehbarkeit, aber eben auch mit klaren Regeln. Und diese klaren Regeln wollen wir an dieser Stelle auch vor- geben. Es ist schon sehr bezeichnend, dass nur kritisiert Michael Frieser (CDU/CSU): wird und kein einziger praktikabler Vorschlag zusätzlich Herr Kollege Buschmann, ich habe sehr viel Verständ- auf dem Tisch liegt. Insofern brauchen wir uns nicht zu nis dafür, dass Sie einem Ihrer liebsten Themen, nämlich besorgen. Ich glaube, wir sind an dieser Stelle richtig der Wesentlichkeitstheorie, verhaftet bleiben. Es bleibt unterwegs. aber dabei: Unsere Zielrichtung auch im Gesetzestext ist eindeutig. Das Wort „Parlamentarier“ kommt nicht Nur eines: Wir werden noch sehr viel nacharbeiten von „parlare“ und „mentire“, reden und lügen, sondern müssen, auch bei den Verhaltensregeln. Wir müssen von „parlare“, reden. Wenn man also in diesem Zusam- das, was wir jetzt im Abgeordnetengesetz beschließen, menhang Vorträge hält – und da ist der Text nun wirklich natürlich in die Geschäftsordnung des Deutschen Bun- eindeutig –, wenn man Positionen, die man hier als Ab- destages übersetzen, damit eine Bundestagsverwaltung geordneter vertritt, auch draußen vertritt, dann soll es auch genau weiß, an welcher Stelle sie was anzuwenden dafür keine Extrahonorare geben, weil das der Idee hat. Dann kann sich aber auch wirklich niemand mehr widerstrebt. Das hat nichts damit zu tun, dass jemand herausreden. Dann kann niemand mehr so tun, als ob er als Professor unterwegs ist, dass jemand einen Vortrag es nicht gewusst hat. hält, sondern das hat etwas damit zu tun, dass man sich Das Ende meiner Rede widme ich einer Einladung an nicht doppelt bezahlen lässt. Genau das regelt dieser die FDP. Herr Kollege Buschmann, der Text ist schon Gesetzestext. eindeutig. Dort steht: „Honorare für Vorträge in Zusam- Vielen Dank. (B) menhang mit der parlamentarischen Tätigkeit“. (D) (Abg. Dr. Marco Buschmann [FDP] meldet (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und sich zu einer Zwischenfrage) der SPD – Dr. Marco Buschmann [FDP]: Wir freuen uns auf die Anhörung!) Das bedeutet – den Satz will ich noch zu Ende führen –: Ihr Beispiel mit den SPD-Kollegen – es gibt kaum noch welche –, die bei der Gewerkschaft Vorträge halten, Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Prima. Den Rest klären wir im Ausschuss. – Der nächs- (Dr. Matthias Bartke [SPD]: Was soll das denn te Redner ist der Kollege Marco Bülow. heißen?) ist damit eben nicht gemeint. Das, glaube ich, ist der Punkt, den wir miteinander gerne besprechen können. Marco Bülow (fraktionslos): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Nicht nur durch die Korruptionsfälle, sondern auch durch einen Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: einseitigen Profitlobbyismus verliert die Politik seit Län- Gestatten Sie eine Zwischenfrage von dem Kollegen gerem an Vertrauen in der Bevölkerung. Wir vergessen zu Buschmann? häufig, dass die Chefin die Bevölkerung ist und kein (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Nein!) Parteivorsitzender, keine Kanzlerin und erst recht kein Konzernchef. Michael Frieser (CDU/CSU): Seit 15 Jahren kämpfe ich für Transparenz, für klare Bitte schön, wenn es der Rechtsfindung dient. Regeln und saubere Politik, wie viele andere das auch tun. Meistens gab es dafür Hohn, Spott, Ignoranz und Bekämpfung. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Aber sehr kurz, bitte. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Stimmt (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ganz kurz!) nicht!) Als erfolgreich gilt eigentlich der Abgeordnete, der Poli- Dr. Marco Buschmann (FDP): tiker, der Nebeneinkünfte hat, der Vorträge für Geld hält Herr Kollege Frieser, sind Sie mit mir der Meinung, und der verflochten ist mit dem Profitlobbyismus. Das ist dass der Wortlaut des Gesetzes, das Sie vorschlagen, der erfolgreiche Vorzeigepolitiker. Fälle wie Amthor und lautet – ich zitiere aus Drucksache 19/28784 –: „Unzu- andere zeigen, dass sie dafür auch belohnt werden. Des- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28513

Marco Bülow (A) wegen ist das, was wir hier erleben, gerade eben nicht der Handwerksmeister oder auch der Unternehmer –, (C) glaubwürdig, bei allem Fortschritt, den dieses Gesetz dann muss das offen sein für den Wahlkreis, für die Bür- zeigt. gerinnen und Bürger, dann muss transparent und einseh- Ich glaube, dass nicht nur die Korruption stark be- bar sein, welche Nebeneinkünfte letztendlich da sind. kämpft werden muss, sondern auch der Profitlobbyismus (Beifall bei der SPD) und die herrschende Waffenungleichheit insgesamt: Die Das ist, glaube ich, heute ein wichtiger Punkt und ein einen haben kaum Mittel und Möglichkeiten, mit uns zu Schritt wirklich in die richtige Richtung. sprechen, ihre Anliegen vorzubringen, und die anderen haben alle möglichen Mittel, gehen bei Regierungen, in Man muss sich das immer noch mal vergegenwärtigen: Ministerien und auch bei uns ein und aus. Wir repräsentieren hier unsere Wahlkreise, die Bürger- innen und Bürger. Mein Selbstverständnis als Abgeord- Das hier ist nicht glaubwürdig. Jetzt passiert zum ers- neter des Deutschen Bundestages ist, dass jeder die Mög- ten Mal Folgendes: Es gibt nicht nur Korruptionsfälle, lichkeit hat, sich bei uns zu melden, dass wir ein offenes sondern Parteien drohen dafür abgestraft zu werden. Jetzt Ohr haben, dass wir Gespräche führen, dass wir Anrufe herrscht eine große Angst, bei den nächsten Wahlen deut- führen. Gerade in dieser Woche, in der wir sehr hitzige lich zu verlieren. Deswegen haben wir diese Vorlage. Debatten auch hier im Plenum gehabt haben, haben wir Und trotzdem müssen wir sie nutzen. Es ist richtig, dass viele Mails rund um das Infektionsschutzgesetz bekom- die Fraktionen das jetzt tun, dass diese Chance genutzt men, auch zustimmende Mails. In manchen Mails wurde wird – trotz aller Mängel, die dieses Gesetz noch hat. gesagt: Das, was ihr macht, ist nicht hart genug. – Andere Was wir zum Beispiel immer noch nicht haben, ist eine haben gesagt: Ich verstehe es an dem einen oder anderen Transparenzregelung bei den Parteien. Das muss der Punkt nicht mehr. – Jeder Bürger und jede Bürgerin hat nächste Schritt sein. die Möglichkeit, mit uns in Kontakt zu treten, und das (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Genau! darf nicht vom Geldbeutel abhängen. Das ist jedenfalls Keine Unternehmensbeteiligung! Insbesondere mein Selbstverständnis als Abgeordneter. nicht an Presseunternehmen!) (Beifall bei der SPD) Wir müssen neben dem Bundestag vor allen Dingen auch Ich muss auch klar sagen, dass die Verhandlungen, die Regierung und die Ministerien mit in die Pflicht neh- dass die Gespräche, die wir im Vorfeld geführt haben, men; auch das ist wichtig. bis wir hierhingekommen sind, einen langen Zeitraum Noch mal: Wir verhindern damit nicht den Profitlobby- umfasst haben. Das muss man ehrlicherweise gestehen. ismus. Das sieht man zum Beispiel beim Lieferkettenge- Wir hätten das schon viel früher haben können. Liebe (B) setz. Es wird weiterhin verwässert werden, egal welche Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion, ich (D) Regeln wir haben und was sonst vorherrscht. Wir brau- kann Ihnen das nicht vorenthalten: Es waren letztendlich chen Waffengleichheit zwischen den Interessenvertretun- erst die Fälle Amthor, Nüßlein, Hauptmann und weitere, gen. Das ist das erste Gebot. Deswegen bin ich weiter der die dazu geführt haben, dass Sie überhaupt gesprächs- Meinung: Profitlobbyismus muss zerschlagen werden. bereit waren und über einige Punkte reden mochten. Das ist tatsächlich etwas, was ich nicht verstehe, dass es Danke. erst dieses Druckes bedurfte, dieser Fälle bedurfte, die (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) schäbig gewesen sind – das war teilweise Korruption –, um hier Bewegung reinzukriegen. Da sind Jahre verloren gegangen für mehr Transparenz hier im Deutschen Bun- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: destag. So, der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Abgeordnete Dirk Wiese, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE (Beifall bei der SPD – Dr. Matthias Bartke GRÜNEN) [SPD]: Guter Mann! – Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Guter Mann!) Ich sage auch ganz deutlich: Dieses Mehr an Transpa- renz wird letztendlich dazu beitragen, dass Bürgerinnen und Bürger zu Recht auch einmal die Frage stellen, ob bei Dirk Wiese (SPD): dem einen oder anderen überhaupt noch das Mandat im Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Mittelpunkt steht. Wenn ich manchmal sehe, was alles für Kollegen! Ich bin erst mal dankbar, dass wir diese wich- Nebentätigkeiten gemacht werden, wenn ich sehe, dass tige Gesetzesinitiative heute hier in einer breiten Mehr- der eine oder andere noch Agenturen neben dem Mandat heit einbringen können. Uns alle eint, jedenfalls die, die gegründet hat – einer war noch Honorarkonsul, und dann ein Interesse an diesem Gesetz haben und die Wichtigkeit wurden auch noch Redehonorare genommen –, dann dieses Gesetzes in dieser wirklich guten Debatte – mit muss ich sagen: Das, was wir hier als Abgeordnete ver- Ausnahmen – betont haben: mehr Transparenz. Die Bür- dienen, ist sehr, sehr viel Geld. gerinnen und Bürger müssen letztendlich wissen, was Abgeordnete tun, was Abgeordnete machen. Und wenn (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sie Nebentätigkeiten haben – es ist ja per se nichts Ver- Aber manch einer meint, daneben für Reden, was die werfliches, wenn der Bäckermeister hier im Plenum ist, originäre Aufgabe eigentlich eines Abgeordneten ist, (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: So ist auch noch Honorare nehmen zu können. Lieber Kollege das!) Buschmann, ich kann ja verstehen, dass Ihr Fraktionsvor- 28514 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Dirk Wiese (A) sitzender Sie hier vorschickt, um das zu kritisieren, weil – Bericht des Haushaltsausschusses (C) das System Lindner dadurch etwas infrage gestellt wird. (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Ge- Aber ich muss schon sagen: Das war relativ dürftig, wie schäftsordnung Sie versucht haben, sich so ein bisschen aus der Debatte Drucksache 19/28869 herauszuziehen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Marco b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Buschmann [FDP]: Wir sehen uns in der Anhö- Berichts des Finanzausschusses (7. Aus- rung wieder!) schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Danyal Bayaz, Anja Hajduk, Lisa Paus, Ich kann Sie nur einladen: Überlegen Sie sich das noch weiterer Abgeordneter und der Fraktion mal. Die Abgeordnetendiät ist ausreichend. Da wird auch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ihr Fraktionsvorsitzender noch eine warme Mahlzeit am Tag kriegen. Von daher: Denken Sie über den Punkt noch Mitarbeiterbeteiligung erleichtern – In mal nach. Start-ups und etablierten Unternehmen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Drucksachen 19/15118, 19/26294 Buch- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des stabe b Abg. Friedrich Straetmanns [DIE LINKE]) Außerdem liegt zu diesem Gesetzentwurf der Bundes- Ich glaube, wir haben einen Dreiklang von Maßnah- regierung ein Entschließungsantrag der FDP-Fraktion men. Wir haben auf der einen Seite das Lobbyregister vor. verabschiedet, was ein richtiger Schritt in die richtige Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten Richtung gewesen ist. Wir haben jetzt die Transparenz- beschlossen. – Bitte nehmen Sie Platz. verschärfungen gemeinsam heute hier auf den Weg gebracht. Ich glaube, ein weiterer Punkt, der noch dazu- Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat das kommt, ist, dass wir uns gemeinsam, jedenfalls diejeni- Wort die Kollegin Dr. Wiebke Esdar. gen, die ein Interesse daran haben, das Parteiengesetz (Beifall bei der SPD) noch mal anschauen. Dabei wird es gerade um die Frage der jährlichen Höchstgrenze für Einzelspender gehen, aber auch um die Frage, ab wann Spenden veröffentlicht Dr. Wiebke Esdar (SPD): werden sollten, sicherlich nicht erst ab 9 999 Euro; das Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und sollte nicht geheim bleiben. Ich wünsche mir da mehr Herren! Als Regierungskoalition wollen wir das moderne Transparenz. Darum können wir als SPD uns vorstellen, Start-up-Märchen, wie es kürzlich das „t3n“-Magazin (B) auch hier weiter voranzugehen. bezeichnete, durch eine bessere steuerliche Förderung (D) Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. von Mitarbeiterkapitalbeteiligungen wahr werden lassen. Zum einen wollen wir damit Start-ups und junge KMUs (Beifall bei der SPD) für den internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe und um hochqualifiziertes Fachpersonal stärken. Wir Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: wollen aber vor allem auch den Beschäftigten die Mög- Vielen Dank, Herr Kollege. – Ich schließe die Aus- lichkeit geben, am wirtschaftlichen Erfolg des Unterneh- sprache. mens teilzuhaben. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwur- (Beifall bei der SPD) fes auf Drucksache 19/28784 an den Ausschuss für Wahl- Wir sind überzeugt, dass wir mit dem jetzt vorliegen- prüfung, Immunität und Geschäftsordnung vorgeschla- den Fondsstandortgesetz wichtige Schritte zur Errei- gen. Gibt es weitere Überweisungsvorschläge? – Das ist chung dieser Ziele gehen. Wir haben zwei Wochen sehr nicht der Fall. Dann verfahren wir so. konstruktive Diskussionen im parlamentarischen Verfah- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a und 19 b auf: ren und eine sehr gute Anhörung hinter uns. Wir haben da a) – Zweite und dritte Beratung des von der Wege aufgezeigt bekommen, wie wir den Gesetzentwurf Bundesregierung eingebrachten Entwurfs noch praxisrelevanter machen können. Darum freue ich eines Gesetzes zur Stärkung des mich, dass wir für die Praxis an fünf entscheidenden Fondsstandorts Deutschland und zur Stellen nachschärfen konnten. Umsetzung der Richtlinie (EU) Erstens wollen wir die Höchstgrenze von 360 Euro für 2019/1160 zur Änderung der Richtli- die steuerfreie Mitarbeiterkapitalbeteiligung nicht nur nien 2009/65/EG und 2011/61/EU im verdoppeln, sondern noch einmal verdoppeln. Das heißt, Hinblick auf den grenzüberschreiten- wir vervierfachen auf 1 440 Euro. den Vertrieb von Organismen für ge- meinsame Anlagen (Fondsstandortge- Zweitens. Durch die rechtssichere Ausgestaltung des setz – FoStoG) § 19a (neu) des Einkommensteuergesetzes stellen wir jetzt sicher, dass Vermögensbeteiligungen, die mittelbar Drucksache 19/27631 über Personengesellschaften gehalten werden, auch Beschlussempfehlung und Bericht des rechtssicher vom Gesetz erfasst werden. Finanzausschusses (7. Ausschuss) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Drucksache 19/28868 der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28515

Dr. Wiebke Esdar (A) Drittens lösen wir das Problem der in der Praxis Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (C) befürchteten Unsicherheiten bei der Bewertung der Ver- Vielen Dank, Frau Kollegin. – Ich erteile das Wort dem mögensbeteiligung zum Zeitpunkt der Überlassung. Wir Abgeordneten Albrecht Glaser von der AfD-Fraktion. werden eine gebührenfreie Anrufungsauskunft beim Betriebsstättenfinanzamt vorsehen. Das bedeutet, dass Beschäftigte und Arbeitgebende Rechtssicherheit erhal- Albrecht Glaser (AfD): ten, wie hoch der Wertansatz zum Zeitpunkt der Über- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- tragung ist. ren! Wir beraten heute erneut das Fondsstandortgesetz und neue Rechtsregeln für Mitarbeiterbeteiligungen. Viertens. Nach dem ursprünglichen Gesetzentwurf Der Entwurf versucht zum einen, die Wettbewerbsnach- sollten eigentlich nur KMUs gefördert werden, deren teile, die sich für den Fondsstandort Deutschland auf- Gründung mehr als zehn Jahre zurückliegt. Wir haben grund der jahrelangen gesetzgeberischen Untätigkeit da noch mal verlängert, auf die Stimmen gehört, die ge- herausgebildet haben, zu beseitigen – eine Materie vor- sagt haben: „Die Wachstumsphase muss länger sein“, und wiegend des Kapitalanlagegesetzbuches, des Wertpapier- werden den Förderzeitraum jetzt auf zwölf Jahre verlän- handelsgesetzes und anderer Gesetze über Kapitalvermö- gern. gen. Zum anderen steht eine Verbesserung bei der (Beifall bei der SPD – Fritz Güntzler [CDU/ Mitarbeiterbeteiligung im Vordergrund – eine Materie CSU]: Auf die Union gehört!) des Einkommensteuerrechtes. Eine gewisse Verschlan- kung organisatorischer Abläufe, die Erweiterung zulässi- Schließlich, fünftens, haben wir uns die Interessen der ger Fonds und die Digitalisierung von Verwaltungsproz- Arbeitgebenden, aber vor allem der Beschäftigten, bezo- werden gesetzgeberisch neu geordnet. Ob es sich gen auf die Problematik des Dry Income, also des trocke- um eine substanzielle Verbesserung handelt, wird sich nen Einkommens, noch mal angesehen. Wir wurden in erst noch zeigen müssen. der Anhörung insbesondere auch hier auf die zu kurze Zehnjahresfrist für die nachgelagerte Besteuerung sowie Beim großen Thema der Mitarbeiterbeteiligung am auf die Regelung bei einem Arbeitgeberwechsel kritisch Unternehmensvermögen – ein Thema, das der AfD sehr aufmerksam gemacht. am Herzen liegt –, hätte man mehr erwarten können, mehr erwarten müssen. Es geht um die steuerlich begüns- (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Ja, da ist aber tigte Überlassung von Unternehmensanteilen durch den nicht viel passiert!) Arbeitgeber an Mitarbeiter. Solche Unternehmensbeteili- In der Koalition sind wir uns zum Glück darüber einig, gungen sollen außerhalb der Regelvergütung den Arbeit- nehmern unentgeltlich überlassen werden. Der bisher (B) dass wir die Frist für die nachgeholte Besteuerung auch (D) von zehn auf zwölf Jahre verlängern und dass wir die steuerfreie Übertragungsvorgang ist bis zu einem Betrag Problematik beim Arbeitgeberwechsel so abmildern kön- in Höhe von 360 Euro pro Jahr möglich. Diese Grenze nen, dass der Arbeitgeber/die Arbeitgeberin die Lohn- sollte im Gesetzentwurf auf 720 Euro verdoppelt werden; steuerzahlung auf den nachzuversteuernden Wert der dass dies weiter unter dem Niveau vergleichbarer Staaten Mitarbeiterkapitalbeteiligung übernehmen kann. Das liegt, hatten wir in der ersten Lesung bereits kritisiert. bedeutet: Wenn Beschäftigte das Unternehmen verlassen, Dem ist nun abgeholfen worden durch eine Betragser- fällt beim Ausscheiden für ihn oder für sie keine weitere höhung auf 1 440 Euro – immer noch weit unterhalb Steuerzahlung an. der Betragsgrenzen in Österreich, 4 500 Euro, UK, 4 000 Euro, Ungarn, 3 200 Euro, oder Spanien, (Beifall bei der SPD) 12 000 Euro. Meine Damen und Herren, mit diesen fünf Verbesse- Das Problem dabei ist, dass diese Form der Mitarbei- rungen haben wir ein sehr starkes Gesetzespaket zur terbeteiligung allen Arbeitnehmern gleichmäßig angebo- Erhöhung der Attraktivität von Mitarbeiterkapitalbeteili- ten werden muss. Im Falle von jungen Unternehmen, bei gungen und damit für den Start-up-Standort Deutschland denen sich die Frage der Mitarbeiterbeteiligung mit grö- geschnürt. ßerer Bedeutung stellt, um eine spezielle Unternehmens- (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Tja, das sehen bindung zu erreichen, taucht ein einkommensteuerliches die Start-ups aber anders!) Problem auf, sofern die Steuer bei höheren Anteilswerten nicht ohne Weiteres sofort aufgebracht werden kann. Hier In diesem Sinne steht der Verwirklichung des eingangs wird im neuen § 19a Einkommensteuergesetz eine Lö- erwähnten modernen Start-up-Märchens nichts mehr im sung versucht, die derzeit noch nicht praxistauglich ist. Wege. Das geben auch die Gesetzesentwerfer zu; es soll nicht weiter kritisiert werden, aber es besteht Nachbesserungs- Abschließend möchte ich mich bei den Sachverständi- bedarf. gen für den guten und den praxisnahen Austausch, aber auch beim Koalitionspartner für die konstruktiven Ge- Zudem stellt sich die Frage, wieso Erleichterung bei spräche bedanken und kann alle nur bitten: Stimmen Unternehmensbeteiligung von Mitarbeitern nicht auch Sie dem Gesetzentwurf zu. für etablierte Unternehmen in gleicher Weise möglich Herzlichen Dank. gemacht werden soll. Warum an dieser Stelle der Kult um die Unternehmensgründung? Wir wollen beim The- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. ma Unternehmensbeteiligung die Förderung von Unter- Dr. Thomas de Maizière [CDU/CSU]) nehmen jeden Alters, jeder Größe und jeder Branche, um 28516 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Albrecht Glaser (A) die Verzahnung von Mitarbeitern mit ihren Unternehmen Von daher schaffen wir, so glaube ich, vieles für den (C) und die Einkunftsstreuung bei dieser breiten Masse der Fondsstandort Deutschland, und das ist gut für den Wirt- Bevölkerung zu erhöhen. schaftsstandort Deutschland. Zum gesetzgeberischen Handwerk bleibt festzuhalten: (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) im Ausschuss 15 Änderungsanträge der Koalition zum Der zweite Punkt ist die Mitarbeiterbeteiligung, die eigenen Gesetzentwurf und dabei Steueränderungen auf einen besonderen Rahmen eingenommen hat in der De- völlig anderen Themengebieten. Was hat beispielsweise batte, auch in der Anhörung. Das ist ein wichtiges Thema; die Änderung des Zerlegungsmaßstabs beim Gewerbe- denn es geht um die Förderung innovativer Beteiligungs- steuermessbetrag zugunsten der erneuerbaren Energien formen. Wir alle wollen eine stärkere Beteiligung von mit dem Fondsstandort Deutschland zu tun? Woher Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern am Produktivka- kommt plötzlich die Großzügigkeit bei den Ausnahmere- pital; und diese wollen wir steuerlich flankieren. gelungen zur gewerbesteuerlichen Freistellung von Gewinnen derjenigen Immobilienunternehmen, die auch Dabei stehen im Mittelpunkt die sogenannten Start-up- Erträge aus Stromerzeugung erzielen? Unternehmen, die sich auszeichnen durch große Risiko- bereitschaft, viel Engagement, Tätigkeiten in zukünftigen Der Gesetzentwurf der Koalition hätte handwerklich Geschäftsfeldern, die positive Impulse für die Gesamt- und inhaltlich besser sein können. Deshalb werden wir wirtschaft setzen und ein Motor für Innovationen sind. uns enthalten. Das Gesetzemachen war und ist nicht die Von daher wollen wir unser Augenmerk auf deren Förde- Stärke dieser Koalition; das beobachten wir jetzt schon rung legen; das war der Anspruch dieses Gesetzes. Der fast vier Jahre. Gesetzentwurf war schon gut, und wir haben ihn jetzt Herzlichen Dank. noch ein Stück besser gemacht, meine Damen und Her- ren. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Es geht um die Steuerfreiheit der Gewährung von Der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion ist der Mitarbeiterbeteiligungen. Da ist eine Vervierfachung Kollege Fritz Güntzler. des Freibetrages von 360 Euro auf 1 440 Euro vorgese- (Beifall bei der CDU/CSU) hen. Da kann man sich mehr vorstellen; Vergleiche sind hier schon angestellt worden. Die Union hätte sich auch ein bisschen mehr vorstellen können. Wir haben jeden- Fritz Güntzler (CDU/CSU): (B) falls auf dem Weg dahin schon die richtige Richtung ein- (D) Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen geschlagen. Ich sage aber auch immer deutlich: Hier geht und Kollegen! Wir beraten heute das Fondsstandortge- es um eine Privilegierung von besonderen Einkommen- setz, das zwei wichtige Punkte regelt: Zum einen geht statbeständen, und es braucht immer eine besondere Be- es um die Verbesserung der gesetzlichen Rahmenbedin- gründung, dass wir es bei diesem Punkt machen. Von gungen für den Fondsstandort Deutschland und zum an- daher ist das, glaube ich, ein guter Kompromiss, den deren um die Verbesserung der steuerlichen Rahmenbe- wir hier gemeinsam mit der SPD erzielen konnten. dingungen bei der Mitarbeiterbeteiligung. Der wesentliche Punkt ist der § 19a EStG, der sehr Der Fondsstandort Deutschland hat sich in den letzten bürokratisch daherkommt. Da geht es um das sogenannte Jahren positiv entwickelt. Aber wir müssen feststellen, „dry income“, das trockene Einkommen. Das funktioniert dass wir im europäischen Vergleich noch Nachholbedarf so: Ich erhalte eine Mitarbeiterbeteiligung; ich habe da- haben. Wir haben Potenziale, die wir heben möchten. mit eine Beteiligung, einen Sachwert. Ich habe keinerlei Fonds bieten neben professionellen und semiprofessio- Liquiditätszufluss dadurch und muss unter Umständen nellen Anlegern gute Anlagemöglichkeiten gerade auch Steuern zahlen auf Geld, das ich ja noch gar nicht habe, für Privatanleger. Sie machen es möglich, dass privates sondern erst dann realisieren kann, wenn ich diese Betei- Kapital für Investitionen mobilisiert wird, ligung veräußere. Da haben wir jetzt eine Regelung (Beifall des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] gefunden, dass das gestundet wird. Das hat uns sehr be- [SPD]) schäftigt. Wir haben auch hier Verbesserungen erzielen können. Die Personengesellschaften, die die Mitarbeiter- und wir schaffen es, Wagniskapital in Deutschland wei- beteiligungen poolen, sind ausdrücklich in das Gesetz terzuentwickeln, weil wir auch da einen Nachholbedarf aufgenommen worden. Das war vorher unklar. haben. Von daher ist es gut, dass wir uns mit diesem Wir haben uns die sogenannten Realisationstatbestän- Gesetz an den Fondsstandort Deutschland heranmachen. de – also wenn von der Stundung in die Besteuerung Wir regeln, dass die Verwaltungsleistungen für ein gegangen wird – genauer angesehen. Dort waren als Frist Wagniskapital von der Umsatzsteuer befreit werden. zunächst 10 Jahre vorgesehen, bis die Besteuerung ein- Wir regeln, dass es neue Fondsklassen gibt, wie den Inf- setzt. Wir müssen irgendwann besteuern; wir können das rastrukturfonds oder den Entwicklungsförderungsfonds. nicht ewig stunden. Wir hätten uns als Union auch eine So machen wir es möglich, dass der private Sektor wich- Verlängerung auf 15 Jahre vorstellen können. Zwischen tige öffentliche Aufgaben mitfördern kann. Wir schaffen 15 Jahren und 10 Jahren haben wir uns dann mit der SPD mit dem Gesetz Entbürokratisierung für die Fondsver- in der Mitte bei 12 Jahren getroffen. Auch das geht mei- walter. Die Digitalisierung hält Einzug in die Aufsicht. nes Erachtens in die richtige Richtung. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28517

Fritz Güntzler (A) Dass der Realisationstatbestand der Veräußerung im- der Zugewinn realisiert wird und alle daran beteiligt wer- (C) mer zur Besteuerung führen muss, ist klar. Wir haben den, dann ist das nicht gefährlich, sondern dann ist das dann aber lange beim Thema Arbeitgeberwechsel gerun- sozial, meine Damen und Herren. gen. Das Gesetz sieht vor, dass es zur Besteuerung der Mitarbeiterbeteiligung führt, wenn der Mitarbeiter den (Beifall bei der FDP) Arbeitgeber wechselt. Das ist ein Problem, weil der Mit- Da wir mittlerweile eine selbstbewusste Gründerszene arbeiter natürlich dann in einer schlechteren Situation in unserem Land haben, ist dieses Thema auch bei der gegenüber seinem Arbeitgeber ist. Der kann jederzeit Bundesregierung angekommen; aber den großen Ankün- sagen: Wenn du jetzt gehen willst, dann tu dies, aber digungen folgte leider ein kleines Gesetz. dann musst du auch die Steuern zahlen. – Dieses Geld hat er vielleicht nicht, sodass er dann gezwungenermaßen (Beifall bei Abgeordneten der FDP) die Beteiligung veräußern muss, um an das Geld zu kom- Ja, im Hinblick auf den Fondsstandort ist einiges passiert, men. aber eben nicht im Hinblick auf die Mitarbeiterkapitalbe- Wir haben versucht, dafür Lösungen zu finden. Wir teiligung. Wovor haben Sie Angst? Dass Menschen in haben die Möglichkeit geschaffen, dass per Vereinbarung unserem Land etwas leisten? Dass Menschen in unserem die Lohnsteuer durch den Arbeitgeber übernommen wer- Land Vermögen aufbauen? Wir sollten doch jeden Ein- den kann. Das führt schon in die richtige Richtung, aber zelnen nicht bremsen, sondern wir sollten ihn fördern, ich sage offen und ehrlich: So richtig glücklich sind wir meine Damen und Herren. mit dieser Lösung noch nicht. Das ist aber dem Verfahren (Beifall bei der FDP) geschuldet, da wir alles im Lohnsteuerabzugsverfahren machen und nicht im Rahmen der Einkommensteuerver- Ihr Gesetz geht an der Realität vorbei. Es wird kaum anlagung. Ich sage ehrlich: Das müssen wir evaluieren Anwendung finden. Warum? und wahrscheinlich noch mal aufgreifen, wenn es wirk- Erstens. Die wichtigste Aufgabe wäre gewesen, das lich zu einem Dealbreaker wird. Dry-Income-Problem zu lösen. Arbeitnehmer sollten Ansonsten aber machen wir ein gutes Gesetz. Wenn in erst dann Steuern zahlen, wenn die Gewinne wirklich der Öffentlichkeit gesagt wird, das sei ein Placebo, finde auf dem Konto ankommen. Die eben schon erwähnten ich, dass das nicht zutrifft. Verbesserungen werden derart eingeschränkt, dass sie den meisten Unternehmen und deren Mitarbeitern nicht Herzlichen Dank. helfen bzw. gar nicht erst zum Tragen kommen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Zweitens. Für virtuelle Beteiligung, die häufigste ordneten der SPD) (B) Beteiligungsform, haben Sie gar keine Verbesserungsvor- (D) schläge gemacht. Im Gegensatz zum Unternehmer trifft Vizepräsidentin Claudia Roth: nämlich den Mitarbeiter bei Veräußerung am Ende der Vielen Dank, Fritz Güntzler. – Schönen guten Abend, volle Einkommensteuersatz auf den Erlös. Das ist unso- liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich werde ziemlich zial, meine Damen und Herren. streng auf die Redezeiten achten. Sie wissen, wir sind (Beifall bei der FDP) im Moment bei 4.05 Uhr, morgen früh, was die Tages- ordnung angeht. Wir fordern eine eigene Klasse von Anlageformen, wie es in anderen Ländern auch üblich ist. Damit könnten wir Nächste Rednerin: für die FDP-Fraktion Bettina Stark- viele Probleme im Steuerrecht, die Sie angesprochen ha- Watzinger. ben, lösen. Dann hätten wir Rechtssicherheit, und das (Beifall bei der FDP) Gesetz würde auch wirken. Drittens. Lassen Sie mich noch ein Wort zur Umsatz- Bettina Stark-Watzinger (FDP): steuerbefreiung von Managementleistungen bei Invest- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und mentfonds sagen. Die Anhörung hat gezeigt, dass die Kollegen! Wir sind sehr stolz auf unsere heute starke von Ihnen getroffene Regelung beihilferechtlich höchst Wirtschaft. Aber viel mehr als das Heute sollte uns die problematisch ist. Wir haben den Vorschlag gemacht, Zukunft interessieren. Wir haben kluge, mutige Köpfe, dass man, wie in anderen Ländern üblich, diese Befreiung und wir haben Kapital. Deswegen müssen wir das för- auf alle Investmentfonds ausweitet. Dem sind Sie nicht dern; denn heute schon kommen bis zu 80 Prozent der gefolgt. Damit werden die Fonds weiter in Luxemburg, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Tech-Start-ups aus Irland und anderswo aufgelegt. dem Ausland. Für das neue BioNTech, für das neue Goo- gle müssen wir also attraktiv werden für Toptalente aus (Beifall bei Abgeordneten der FDP) dem Ausland. Ich komme zum Schluss. Stimmen Sie unserem Ent- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten schließungsantrag zu! Wir fördern damit, dass Menschen der CDU/CSU und des Abg. Lothar Binding Vermögen aufbauen, dass nachrückende Wachstumsster- [Heidelberg] [SPD]) ne sich bei uns etablieren. Und wenn Sie es nicht tun, dann wird uns nichts anderes übrig bleiben, als das The- – Danke, Herr Binding. – Die Idee der Mitarbeiterbetei- ma in der nächsten Legislaturperiode noch mal anzufas- ligung ist weltweit erprobt. Unternehmerinnen, Investo- sen. Denn die Zukunft gehört denen, die etwas tun, ren, Mitarbeiter – sie alle tragen zum Unternehmenser- folg bei; sie alle gehen Risiko ein. Wenn der Erlös, wenn (Zurufe von der SPD) 28518 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Bettina Stark-Watzinger (A) und um etwas für die Zukunft zu tun, müssen wir mehr (Friedrich Straetmanns [DIE LINKE]: Ganz (C) tun als dieses Gesetz. genau!) (Beifall bei der FDP) und für die Beschäftigten führen sie auch noch zu gerin- geren Ansprüchen an die Renten- und Arbeitslosenver- Vizepräsidentin Claudia Roth: sicherung: Vielen Dank, Bettina Stark-Watzinger. – Nächster (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Redner: für die Fraktion Die Linke Jörg Cezanne. Unglaublich!) (Beifall bei der LINKEN) Keine gute Idee! (Beifall bei der LINKEN – Matthias W. Jörg Cezanne (DIE LINKE): Birkwald [DIE LINKE]: Ganz sicher nicht!) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der im Gesetz gewählte Ansatz einer Standort- und Wettbe- Die Steuer- und Sozialabgabenfreiheit wird auch nicht werbsförderung für die Fondsindustrie, indem man ein- an die Voraussetzung gebunden, dass diese Mitarbeiter- seitig die Möglichkeiten für die Anbieter verbessert, zum kapitalbeteiligung zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Beispiel von Wagniskapitalfonds, ist aus unserer Sicht Arbeitslohn zu gewähren ist. Das wäre in Branchen, wo falsch. es keine Tarifverträge gibt, ohnehin auch schwer zu kon- trollieren. (Beifall bei der LINKEN) Insgesamt führen die Regelungen, so die Einschätzung Der Versuch, mit Steueroasen oder Luxemburg oder eines weiteren Sachverständigen, „zu einem Sonderrecht Irland in einen Wettbewerb zu treten, indem man „steu- für einen kleinen Kreis von Begünstigten“. Das ist nicht erliche Zuckerl“ verteilt, wie das einer der Sachverständi- sozial, wie Frau Stark-Watzinger meint, das ist einfach gen bezeichnete, verstärkt bestehende Risiken an den nicht zustimmungsfähig. Finanzmärkten. Deshalb lehnen wir den Gesetzentwurf ab. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Unter Risikogesichtspunkten ist beispielsweise die Anhebung der zulässigen Kreditaufnahmegrenze für Vizepräsidentin Claudia Roth: Immobilien-Spezialfonds von 50 auf 60 Prozent proble- Vielen Dank, Jörg Cezanne. – Nächste Rednerin: für matisch. Der erhöhte Einsatz von geliehenem Kapital die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Lisa Paus. (B) (D) ermöglicht zwar eine bessere Rendite auf das eingesetzte (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Eigenkapital, kann aber auch zum Zocken verleiten, und das in einem ohnehin schon überhitzten Immobilienmarkt mit enormen Preissteigerungen: Keine gute Idee! Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In Berlin (Beifall bei der LINKEN) gründet sich alle 14 Stunden ein Start-up. Sie schaffen Auch die Einführung sogenannter geschlossener Mas- damit einen längst nicht mehr wegzudenkenden Anteil an ter-Feeder-Konstruktionen – allein zu erläutern, wie das Arbeitsplätzen – in der Hauptstadt, aber eben auch funktioniert, würde meine Redezeit aufbrauchen – lehnen deutschlandweit –, und das inzwischen zu einem großen wir ab: Eine weitere Produktebene, sehr komplex, meist Teil, nämlich zu 43 Prozent, in dem zukunftsträchtigen über mehrere Staaten verteilt, verkompliziert und ver- und nachhaltigen Bereich der Green Economy. Die größ- teuert die Produkte. Die Transparenz leidet massiv, und ten Einhörner sitzen aber trotzdem nach wie vor nicht bei das Neuverpacken von bereits verpackten Verpackungen uns, sondern vor allem in den USA und in Asien. in neue Angebote erinnert an die Finanzkrise 2008. Auch Talente sind es, die Start-ups zum Fliegen bringen, und hier geht es in die falsche Richtung. eine gute Mitarbeiterbeteiligung stärkt Demokratie, kann (Beifall bei der LINKEN) aber eben auch im weltweiten Wettbewerb um diese den Ausschlag geben. Diese grundsätzlichen Einwände werden auch nicht durch die im Gesetz vorgesehene Mitarbeiterbeteiligung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wettgemacht. In der vorliegenden Form entspricht sie in Wir wissen alle miteinander: Deutschland landet derzeit keinem Punkt den vom Sachverständigen des Deutschen bekanntermaßen im internationalen Vergleich auf den Gewerkschaftsbundes genannten Kriterien. hinteren Plätzen. Das vorliegende Gesetz, vor allem mit Erstens ist nicht sicher geregelt, dass die Beteiligungen den in letzter Minute beschlossenen Änderungen in für alle Beschäftigten im Unternehmen zugänglich sein Sachen Mitarbeiterbeteiligung, ändert das jetzt ein wenig. werden. Ja, Sie gehen kleine Schritte in die richtige Richtung, meine Damen und Herren. Die Vervierfachung des Betrages, der dafür von Steuern und Sozialversicherungsabgaben befreit wird, Positiv ist zum Beispiel die neu geschaffene Regelung geht deutlich über das hinaus, was der DGB als vertret- zum Arbeitgeberwechsel. Sie schafft Klarheit, wann und bare Obergrenze genannt hat. Die so nicht gezahlten wie besteuert werden soll. Die Verlängerung der Frist für Sozialversicherungsbeiträge gehen zulasten der Gesamt- die nachgeholte Besteuerung auf zwölf Jahre begrüßen heit der übrigen Beitragszahlerinnen und Beitragszahler, wir ebenfalls, auch wenn wir uns eine Regelung erst Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28519

Lisa Paus (A) beim Zeitpunkt der Veräußerung der Anteile selber hätten Erlös treffen wir die Mitarbeiter mit der Steuer. – Ehrlich (C) vorstellen können, wie Sie es auch in unserem Antrag gesagt, das wollen wir auch. Wenn jemand einen Erlös finden. hat, soll er die Steuer bezahlen; das ist doch nicht mehr Aber an einer entscheidenden Stelle hapert es nach wie als fair. Das verlangen wir von allen anderen Bürgern vor: Die Erleichterungen gelten eben nur für echte Antei- auch, und das ist gerecht, le an Unternehmen. Aber drei von vier der vergebenen (Beifall bei der SPD) Mitarbeiterbeteiligungen sind laut Umfrage unter Start- und zuvor stellen wir sie zwölf Jahre steuerfrei. Eine sehr ups inzwischen sogenannte virtuelle Beteiligungen. Ihre gute Sache und eine schöne Belohnung für die, die sich Regelung geht damit eben an der großen Mehrheit der dort beteiligen. Start-ups vorbei. Jörg Cezanne hat gesagt, der Betrag von 1 440 Euro ist (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Genau!) relativ hoch. Das kann man sagen. Und ohne mit Malta zu Deswegen ist dies eben kein Grund zum Jubeln für die konkurrieren, kann man sagen: Es gibt in Europa Freibe- deutsche Start-up-Szene. Das liefert das Gesetz nicht. träge von über 10 000 Euro, und dann sind 1 440 Euro Und das ist schade, meine Damen und Herren. wieder relativ wenig. – Also, das ist Relativitätstheorie, und deshalb haben wir alle drei recht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Heiterkeit Mit diesen gesetzlichen Regelungen zur Mitarbeiter- bei Abgeordneten der CDU/CSU und der beteiligung werden wir europaweit bestenfalls ins Mittel- LINKEN) feld aufsteigen. Das allein wäre allerdings für uns schon noch ein Grund gewesen, dem Gesetz zuzustimmen. Lei- Ich will zwei Bemerkungen machen. Die eine zu den der finden sich aber in diesem Gesetz auch weitere, ande- Kommunen wird den sehr freuen, und re Aspekte zum Stichwort „Fondsstandort Deutschland“. die andere zum Stichwort „ökologische Energieversor- gung“ wird den sehr freuen; denn wir Ja, Sie wollen den Fondsstandort attraktiver machen. haben zwei gesetzliche Regelungen huckepack genom- Das wollen wir auch. Die große Frage ist aber, mit wel- men: chen Attributen man einen Fondsstandort attraktiver macht. Und Sie fallen zurück in die alte Logik: Mehr Erstens die Gewerbesteuerzerlegung im EEG zwecks Deregulierung, stärker rein in den Steuerwettbewerb mit Stärkung der Kommunen, die zum Beispiel ein Windrad kleinen Mitgliedstaaten – das müssen wir machen. Wir betreiben. sagen: Nein, damit kann man nur verlieren. Integrität, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Krisenfestigkeit und ein hohes Schutzniveau für Anleger, der CDU/CSU) (B) das sind aus unserer Sicht vielmehr die Markenzeichen, (D) Das ist eine sehr gute Sache, weil damit die Kommune ein die wir für den Fondsstandort Deutschland etablieren Interesse hat, Windräder aufzustellen, und die Bürger in müssen, um vorne mitzuspielen, meine Damen und Her- der Kommune davon etwas haben. Das ist sehr gut. Ge- ren. nauer will ich es jetzt nicht unbedingt machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die zweite ist, dass wir es geschafft haben, dass die sowie bei Abgeordneten der LINKEN) gewerbesteuerliche Privilegierung nicht gestört wird, Und da gehen Sie eben mit diesem Gesetz wieder in die wenn jetzt ein Unternehmen, das Wohnungen gibt, auch falsche Richtung, zum Beispiel, wenn Sie bestimmten ein bisschen Energie erzeugt. Wenn es weniger als 10 Pro- Immobilienfonds erlauben, sich noch mehr zu verschul- zent Energie erzeugt, dann bleibt die Gewerbesteuerpri- den, oder wenn Sie mit der Darlehensvergabe an 100- vilegierung erhalten. Und das wird die dezentrale Ener- prozentige Töchter im Ausland der steuerlich begrün- gieversorgung, den Mieterstrom sehr befördern. deten Gewinnverschiebung wieder neu Vorschub leisten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Deswegen müssen wir uns leider in der Summe bei der CDU/CSU) diesem Gesetz enthalten. Ich glaube, das verdient eine extra Erwähnung, auch Danke schön. wenn wir eigentlich beim Fondsstandortgesetz sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Da sind einerseits Start-ups ein großes Thema, wie wir Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist gehört haben, und andererseits ist der Finanzmarkt ein aber schade!) großes Thema. Es ist klar: Von Anfang an dabei sein, hohe Renditen erwarten, schnell reich werden, das ist auch Start-up; das gönnen wir allen, und das wollen wir Vizepräsidentin Claudia Roth: auch. Aber die Banken sind anfangs vorsichtig. Die Börse Vielen Dank, Lisa Paus. – Nächster Redner: für die ist weit weg und kompliziert. Also bleiben private Inves- SPD-Fraktion Lothar Binding. toren, auf deren Geld wir für die Start-ups hoffen. Fritz (Beifall bei der SPD) Güntzler hat sehr gut erklärt, wie wir das organisieren. Vielleicht eine interessante Nebenbemerkung: Wir ha- Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): ben über Mitarbeiterbindung gesprochen. Da machen wir Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! sehr viele gute Sachen. In den Debatten ging es dann Sehr verehrte Damen und Herren! Ich möchte kurz etwas interessanterweise immer um Arbeitgeberwechsel. Wir zu Frau Stark-Watzinger sagen. Du hast gesagt: Beim reden sozusagen über die Bindung der Arbeitnehmer, 28520 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Lothar Binding (Heidelberg) (A) und die Leute selber sagen: Aber was ist denn, wenn ich – Ja, es geht weiter, keine Sorge. – Letzter Redner in (C) wechsle? – Also sozusagen das ganz tiefe Vertrauen in dieser Debatte: Marc Biadacz für die CDU/CSU-Frak- eine längere Bindung der Arbeitnehmer existiert noch tion. nicht. Aber es ist jedenfalls eine gute Sache, wenn wir privates Kapital dort aktivieren. (Beifall bei der CDU/CSU) Übrigens waren es im Jahr 2020 über 5 Milliarden Euro, in 2019 über 6 Milliarden Euro. Das ist also eine Marc Biadacz (CDU/CSU): nennenswerte Größe, und über 700 Start-ups wurden Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und durch diese ganzen Instrumente gefördert. Das ist natür- Kollegen! Ich versuche jetzt auch, liebe Frau Präsidentin, lich sehr gut. Und diese Milliarden haben die Start-ups es einfach zu erklären. Meine Vorredner, vor allem mein auf ziemlich direktem Wege erreicht. Der klassische Weg Kollege Fritz Güntzler, haben schon viel darüber gesagt, sind Venturecapital-Fonds; das ist klar: Über private Be- warum wir heute hier stehen. Wir stehen heute hier, weil teiligung reden wir. Der zweite Weg sind Business wir mit einem Gesetz im Bereich Fonds vieles neu regeln Angels, wobei immer eine kleine Bemerkung nötig ist: wollen. Business Angels sind nicht nur Angels. Und das Dritte Aber ich stehe heute hier als Arbeitsmarkt- und vor sind Crowdinvesting-Verfahren, bei denen auch Geld ein- allem als Digitalpolitiker; denn in diesem Gesetzentwurf gesammelt wird. Also, wir haben drei große Zugänge, um ist auch für mich was ganz Wichtiges drin, nämlich das Start-ups zu fördern. Das haben wir ja gemerkt: Geld ist Thema Mitarbeiterkapitalbeteiligung. Warum, liebe Kol- prima, aber Mitarbeiter sind mindestens genauso wichtig. leginnen und Kollegen, ist das so wichtig? Frau Stark- Geld ohne Mitarbeiter ist schlecht, Mitarbeiter ohne Geld Watzinger und Frau Paus haben es bereits gesagt: Es geht ist genauso schlecht. um die Zukunft. Es geht um die Zukunft der Arbeitsplätze (Beifall bei der SPD) bei Start-ups. Deshalb wird auch so viel über Geld geredet. (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Sehr richtig!) Die Umsatzsteuerbefreiung wurde schon angespro- chen: Für Verwaltungsleistungen von Wagniskapital- Sie treiben mit einer außergewöhnlichen Risikobereit- fonds ist Umsatzsteuerfreiheit vorgesehen. Offen gestan- schaft und Leidenschaft Innovation voran. Start-ups den: Wir hätten es auch gern einheitlich für alle Fonds sind die Innovationstreiber in diesem Land. Wo sehen gemacht; das muss man zugestehen. Aber wir wissen wir das gerade, liebe Kolleginnen und Kollegen? Wir auch, dass dann entsprechende Vertragsverletzungsver- sehen es bei BioNTech in Mainz, fahren in Europa sozusagen zu erwarten gewesen wären. (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Genau!) (B) Also ist es klug, weniger zu machen, dafür sicher, als (D) alles zu machen und dafür total unsicher. Das wäre aus und wir sehen es bei CureVac in Tübingen. Die haben den meiner Sicht in Europa explodiert. Deshalb ist der vor- neuen Impfstoff an den Start gebracht. Genau das waren sichtige Weg, den wir gehen, aus meiner Sicht der richti- die Firmen, die bei Corona den Ausstieg aus der Pande- ge und auch der sichere für die Start-ups. Eine sichere mie entwickelt haben. Unterstützung ist besser als eine große Unterstützung, die unsicher ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) In diesem Sinne: Ein prima Gesetz, es können alle Das zeigt, meine Damen und Herren: Die Innovations- zustimmen. kraft von Start-ups ist wichtig für unsere Wirtschaft. Sie schaffen Arbeitsplätze, aber sie schaffen eben auch den Ich bedanke mich vielmals. Technologiestandort Deutschland. Das wichtigste Kapi- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten tal für solche Start-ups sind ihre Mitarbeiter. Doch es ist der CDU/CSU) eine große Herausforderung für Start-ups, motivierte und qualifizierte Mitarbeiter zu gewinnen und vor allem an Vizepräsidentin Claudia Roth: sich zu binden. Ein Unternehmen wie Bosch oder wie Jetzt erlaube ich mir eine Bemerkung: Bei Ihnen ver- Daimler kann mit einem guten Gehalt versuchen, Mit- stehe ich immer komplizierte Sachen; das muss ich wirk- arbeiter in die Firma zu holen und an die Firma zu binden. lich sagen. Das können Start-ups aber eben nicht, gerade wenn sie in der Aufbauphase sind. Dort können sie noch nicht die (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Gehälter zahlen wie die traditionellen Firmen. Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Deswegen ist es wichtig, dass wir Beteiligungen an Start-ups möglich machen. Damit zeigen wir, dass das Ich muss die Meinung ja nicht immer teilen. Aber er hat ein Faktor ist, warum Menschen in ein Unternehmen eine Fähigkeit. gehen. In den USA, liebe Kolleginnen und Kollegen, (Zuruf: Auch ohne Zollstock!) wird, wenn ich bei einem Start-up neu anfange, nicht – Ohne Zollstock, genau. Aber die Rede mit dem Zoll- darüber verhandelt, wie hoch das Gehalt ist, sondern stock oder die mit den Smarties, die sind beide auch darüber, wie hoch meine Beteiligung am Start-up ist. unvergessen. Genau da müssen wir in Deutschland mit unseren Start- ups auch hinkommen; (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: So, weiter geht’s!) (Beifall des Abg. [CDU/CSU]) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28521

Marc Biadacz (A) denn immerhin 79 Prozent der Mitarbeiter in Start-ups Drucksache 19/28868, den Gesetzentwurf der Bundesre- (C) sagen, dass für sie die Annahme eines Jobangebots letzt- gierung auf Drucksache 19/27631 in der Ausschussfas- endlich von der Mitarbeiterkapitalbeteiligung abhängt. sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz- Genau hier müssen wir jetzt rangehen. entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Thema der das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält Mitarbeiterkapitalbeteiligung ist gerade für mich Digital- sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung ange- politiker nicht ein neues Thema; denn schon Ludwig nommen. Zugestimmt haben die Fraktionen der SPD und Erhard hat von einer „Gesellschaft von Teilhabern“ ge- der CDU/CSU. Dagegengestimmt hat die Fraktion der sprochen. Linken. Enthalten haben sich die Fraktionen der AfD, der FDP und der Bündnisgrünen. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Er hat es Dritte Beratung aber anders gemeint!) und Schlussabstimmung. Ich bitte jetzt diejenigen, die – Ja, aber er hat es auch so gemeint; denn wir haben das dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – auch schon vor 200 Jahren in Schlesien, in Breslau gese- Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- hen: Das Personal in landwirtschaftlichen Betrieben entwurf ist angenommen. Zugestimmt haben die Fraktio- erhielt dort Anteile am Gewinn des Landguts. – Genau nen von SPD und CDU/CSU. Dagegengestimmt hat Die das müssen wir jetzt auch versuchen, in den nächsten Linke. Enthalten haben sich die Fraktionen von Bünd- Jahren zu ermöglichen. Warum spreche ich von Jahren, nis 90/Die Grünen, der FDP und der AfD. liebe Kolleginnen und Kollegen? Fritz Güntzler hat es richtig gesagt: Wir haben einen richtig großen Schritt Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- gemacht, aber der nächste Schritt muss kommen. Wir ßungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache brauchen eine Zukunft GmbH in diesem Land. Wir müs- 19/28878. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – sen versuchen, Start-ups die Möglichkeit zu geben, Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ent- Mitarbeiterkapitalbeteiligung realistisch hinzubekom- schließungsantrag ist abgelehnt. Zugestimmt hat die men, das heißt so gründlich hinzubekommen, damit es FDP. Dagegengestimmt haben die Fraktionen der Linken, nachher auch wirkt. Von daher, glaube ich, ist dieses der SPD, von Bündnis 90/Die Grünen und der CDU/ Gesetz ein richtig guter Anfang. CSU. Enthalten hat sich die Fraktion der AfD. Ich hätte mir gerade von den Kolleginnen und Kolle- Tagesordnungspunkt 19 b. Beschlussempfehlung des gen der SPD gewünscht, dass wir noch einen Schritt Finanzausschusses zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/ weitergegangen wären. Es sind gute Dinge drin, aber Die Grünen mit dem Titel „Mitarbeiterbeteiligung das ist leider erst der Anfang. Ich hoffe, dass wir in der erleichtern – In Start-ups und etablierten Unternehmen“. (B) neuen Legislaturperiode, vielleicht auch mit einem neuen Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Be- (D) Partner, weitergehen. schlussempfehlung auf Drucksache 19/26294, den An- trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache (Zurufe von der SPD) 19/15118 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluss- Die Grünen und die FDP haben hier gute Vorschläge empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält gemacht. Wir sind bereit, da auch mitzugehen; sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ich Zugestimmt haben die Fraktionen der Linken, der SPD, hoffe, die gehen auch mit uns!) der CDU/CSU und der FDP, dagegengestimmt hat die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen, und enthalten hat denn es geht um die Zukunft unserer Start-ups, es geht um sich die Fraktion der AfD. die Zukunft der Arbeitsplätze, und es geht um die Zu- kunft von Deutschland, meine Damen und Herren. Las- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a, 20 b und 8 sen Sie es uns anpacken, spätestens in der nächsten Legis- sowie Zusatzpunkt 5 auf: laturperiode! 20 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Herzlichen Dank und Dankeschön! Pascal Meiser, Susanne Ferschl, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und (Beifall bei der CDU/CSU – Lothar Binding der Fraktion DIE LINKE [Heidelberg] [SPD]: Jetzt ist er zu weit gegan- gen!) Tarifbindung stärken – Allgemeinver- bindlicherklärung erleichtern

Vizepräsidentin Claudia Roth: Drucksache 19/28772 Vielen Dank, Marc Biadacz. – Damit schließe ich die Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) lehrreiche Aussprache. Ausschuss für Wirtschaft und Energie Tagesordnungspunkt 19 a. Wir kommen zur Abstim- b) Beratung des Antrags der Abgeordneten mung über den von der Bundesregierung eingebrachten Pascal Meiser, Susanne Ferschl, Matthias Gesetzentwurf zur Stärkung des Fondsstandorts Deutsch- W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und land und zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/1160 der Fraktion DIE LINKE zur Änderung der Richtlinien 2009/65/EG und 2011/61 /EU im Hinblick auf den grenzüberschreitenden Vertrieb Tarifbindung schützen – Tarifflucht er- von Organismen für gemeinsame Anlagen. Der Finanz- schweren ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/28775 28522 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Überweisungsvorschlag: die Beschäftigten im Einzelhandel anständig bezahlt wer- (C) Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) den, und zwar ohne Ausnahmen, meine Damen und Her- Ausschuss für Wirtschaft und Energie ren. ZP 5 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten neten der SPD) Pascal Meiser, Susanne Ferschl, Matthias W. Deshalb frage ich die Bundesregierung: Wie lange Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Frak- wollen Sie dieser Entwicklung eigentlich noch zusehen? tion DIE LINKE Was tun Sie, um die anhaltende Tarifflucht zu stoppen? Sie schreiben doch selbst in Ihrem Koalitionsvertrag: Tarifverträge bescheren Weihnachtsgeld – Tarifverträge sind ein öffentliches Gut. – Richtig so. Allgemeinverbindlichkeit erleichtern Aber handeln Sie dann auch so! Drucksachen 19/15776, 19/25410 (Beifall bei der LINKEN) 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Beate Es wäre ja schon ein kleiner Schritt, wenn Sie die gröb- Müller-Gemmeke, Anja Hajduk, Markus Kurth, sten Schlupflöcher schließen und bei Unternehmensausg- weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- liederungen oder dem Übergang eines Betriebes auf einen NIS 90/DIE GRÜNEN neuen Inhaber für die kollektive Fortgeltung des bis dahin Tarifvertragssystem fördern – Tarifbindung geltenden Tarifvertrages sorgen. Wir haben dazu konkre- stärken te Vorschläge vorgelegt. Verhalten Sie sich dazu! (Beifall bei der LINKEN) Drucksache 19/27444 Und warum erleichtern Sie nicht endlich die Möglich- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) keit, Tarifverträge für alle Unternehmen der jeweiligen Ausschuss für Wirtschaft und Energie Branche für allgemeinverbindlich zu erklären? Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. beschlossen. – Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, Michael Gerdes [SPD]) zügig die Plätze zu tauschen, Platz zu nehmen, Gespräche Nur so können doch auch diejenigen Unternehmen ge- woanders zu führen. schützt werden, die einen anständigen Tariflohn zahlen. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat für die Und spätestens da sollten doch auch Sie, meine Damen Fraktion Die Linke Pascal Meiser. und Herren von der Union, aufwachen bei diesem Thema. (B) Als Sie von der Großen Koalition 2014 mit dem Tarif- (D) (Beifall bei der LINKEN) autonomiestärkungsgesetz (Bernd Rützel [SPD]: Haben wir den Min- Pascal Meiser (DIE LINKE): destlohn eingeführt!) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Egal ob ja auch den Mindestlohn eingeführt haben – gute Sache, bei den Löhnen, bei der Arbeitszeit oder bei den Urlaubs- viel zu niedrig bis heute; wird Zeit, dass er erhöht wird –, tagen: Beschäftigte, die unter den Schutz eines Tarifver- trages fallen, stehen in der Regel deutlich besser da als (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Beschäftigte, deren Betrieb nicht tarifgebunden ist. neten der SPD) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: So ist haben Sie auch versprochen, dass sich mit diesem Gesetz das!) die Zahl der allgemeinverbindlichen Tarifverträge erhöht. Ich sage Ihnen, was seitdem passiert ist: Die Zahl der Doch aktuell erleben wir, wie sich immer mehr Unterneh- allgemeinverbindlichen Tarifverträge ist weiter in den men durch Tarifflucht ihrer sozialen Verantwortung ent- Keller gerauscht. Waren es 2000 noch über 100 allge- ziehen und versuchen, sich mit Dumpinglöhnen schmut- meinverbindliche Tarifverträge und 2014 immerhin zige Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Das alles birgt noch 39, sind es nach Auskunft der Bundesregierung enormen sozialen Sprengstoff in sich, und es ist höchste aktuell nur noch 18. Das ist ein Rückgang um sage und Zeit, dass die Bundesregierung hier endlich handelt. schreibe 80 Prozent im genannten Zeitraum. (Beifall bei der LINKEN) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ein Beispiel: Nach Auskunft der Bundesregierung hat Unglaublich!) sich allein im Einzelhandel die Zahl derjenigen, die unter Ihr Tarifautonomiestärkungsgesetz hat daran nichts, aber den Schutz eines Tarifvertrages fallen, innerhalb von auch gar nichts geändert; deshalb muss auch hier jetzt zehn Jahren halbiert. War es 2010 noch jeder Zweite, so dringend nachgebessert werden. war es 2019 nur noch jeder Vierte. Das hat handfeste Folgen: Gut 4 Euro die Stunde verdient die Verkäuferin (Beifall bei der LINKEN) oder die Verräumerin im Supermarkt im Schnitt weniger, Als Linke haben wir heute auch dazu konkrete Vor- wenn für sie kein Tarifvertrag gilt. Ich wiederhole es schläge vorgelegt. Wir wollen, dass es wieder ausreicht, gerne: Wer es mit dem in der Coronakrise immer so wie bis 2015 üblich, dass alleine eine Tarifvertragspartei gern bekundeten Respekt für die Verkäuferinnen und Ver- einen Antrag auf Allgemeinverbindlichkeit stellt. Wir käufer ernst meint, muss sich auch dafür einsetzen, dass wollen durch eine veränderte Zusammensetzung des Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28523

Pascal Meiser (A) Tarifausschusses, aber vor allem durch eine andere Form Deshalb – das sage ich auch ganz klar – finden Sie uns (C) der Beschlussfassung erleichtern, dass Tarifverträge für auch an Ihrer Seite, wenn es darum geht, Tarifbindung zu allgemeinverbindlich erklärt werden können. stärken. (Beifall bei der LINKEN) (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann machen Sie doch einfach Es kann nicht sein, dass die Hälfte der Arbeitgeber dort mal was!) alle Tarifverträge ablehnt, die neu beantragt werden. Da- mit muss endlich Schluss sein! Wir müssen dafür sorgen, Das muss unser gemeinsames Ziel sein. Ich glaube aber, dass, wenn Branchentarifverträge als allgemeinverbind- dass wir uns in der Frage, wie man das am besten macht, lich beantragt werden, die entsprechenden Anträge auch unterscheiden, und über diese Unterschiede sprechen wir genehmigt werden, meine Damen und Herren. heute ja auch. (Beifall bei der LINKEN) Ich möchte das sehr gerne anhand der Allgemeinver- bindlichkeitserklärung von Tarifverträgen erläutern, die Schließlich müssen auch die Kriterien für die Vorausset- heute auch schon angesprochen worden ist. Das Bundes- zungen für den Erlass einer Allgemeinverbindlichkeit ministerium für Arbeit und Soziales kann nach dem Tarif- klarer gefasst werden, damit keine rechtliche Unklarheit vertragsgesetz einen Tarifvertrag im Einvernehmen mit entsteht. dem Tarifausschuss auf gemeinsamen Antrag der Tarif- parteien für allgemeinverbindlich erklären. Das bewirkt Sie alle werden jetzt sagen: „Das ist Teufelszeug“, aber dann, dass auch für nicht tarifgebundene Arbeitgeber und es wurde auch von der Arbeits- und Sozialministerkonfe- Arbeitnehmer die Regelungen eines Tarifvertrags – zu- renz im letzten Jahr so gefordert. Die Bundesregierung mindest innerhalb des sachlichen und räumlichen Gel- hat bis heute hier nicht gehandelt. Es wird Zeit, dass Sie tungsbereichs – verbindlich werden. auf die Arbeits- und Sozialminister der Länder hören und unseren Anträgen folgen. Diese Regelung wollen Sie jetzt ändern. Davon soll nun abgewichen werden, in dem die Allgemeinver- Vielen Dank. bindlichkeit erleichtert wird; auch darüber kann man (Beifall bei der LINKEN) sprechen. Aber nach Ihren Vorstellungen soll ein ent- sprechender Antrag zukünftig alleine von einer Tarifvert- ragspartei gestellt und im Tarifausschuss dann nur noch Vizepräsidentin Claudia Roth: mit einer Mehrheit abgelehnt werden können. Das würde Vielen Dank, Pascal Meiser. – Nächster Redner: für die bedeuten, dass am Ende eine Tarifpartei allein die Allge- CDU/CSU-Fraktion Torbjörn Kartes. (B) meinverbindlichkeit eines Tarifvertrags durchsetzen (D) könnte. Das ist, glaube ich, nicht der richtige Weg, und (Beifall bei der CDU/CSU) das ist insbesondere mit der Koalitionsfreiheit in Artikel 9 Absatz 3 unseres Grundgesetzes auch nicht vereinbar. Torbjörn Kartes (CDU/CSU): Das ist immer noch in erster Linie ein Freiheitsrecht, Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten und wir wollen, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! selbst und eigenverantwortlich über ihre Arbeits- und Wir debattieren heute in dieser durchaus besonderen Wirtschaftsbedingungen bestimmen können, immer Woche, in der wir das Infektionsschutzgesetz geändert basierend auf einem Konsens. Das ist oft auch ein Kom- haben und in der wir auch weiter mit aller Kraft an der promiss, um den hart gestritten wird. Das ist alles richtig. Bekämpfung dieser Pandemie arbeiten, auch zur Stär- Aber es kann nicht sein, dass das Ganze einseitig erfolgen kung der Tarifbindung in Deutschland. Ich möchte eines kann. vorwegschicken: Unser Ziel in dieser Krise ist auch wei- (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE terhin: Wir wollen möglichst viele Arbeitsplätze erhalten, GRÜNEN]: Dann machen Sie doch ein Bun- tarifgebundene und auch nicht tarifgebundene. Dem gilt destariftreuegesetz!) unsere volle Aufmerksamkeit; das unterstützen wir ins- besondere mit umfassenden Regelungen zur Kurzarbeit. Deswegen glaube ich, dass das hier nicht der richtige Daran, meine Damen und Herren, werden wir jetzt fokus- Weg sein kann. siert und mit aller Kraft weiter arbeiten. Es gibt eine ganze Reihe anderer Vorschläge, die heute (Beifall bei der CDU/CSU) auf dem Tisch liegen, die aufzeigen, wie wir mit Vor- schriften und immer komplexer werdenden Regelwerken Dennoch ist es wichtig, glaube ich, dass wir auch ande- Unternehmen dazu zwingen wollen, dass sie keine Tarif- re Themen in den Blick nehmen. Ich möchte es auch flucht mehr begehen. Ich sage Ihnen: Unser Ansatz dazu heute ganz deutlich sagen: Ich habe über 15 Jahre in muss ein anderer sein. Ich glaube, dass man das, was Sie einem tarifgebundenen Unternehmen gearbeitet, und ich vorhaben, zwar versuchen kann, dass man das am Ende weiß sehr wohl um die Vorteile von Tarifverträgen. Dort, aber nicht erzwingen kann. wo Tariflöhne gelten, sind Löhne und Arbeitsbedingun- gen in aller Regel besser, die Sozialpartnerschaft zwi- Wir müssen solche Debatten in Deutschland anders schen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ist eine der zent- führen. Wir müssen unseren Unternehmerinnen und ralen Errungenschaften in der sozialen Marktwirtschaft. Unternehmern auch mal etwas zutrauen. Wir müssen ihnen vertrauen und daran glauben, dass sie das Beste (Beifall bei der CDU/CSU) für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wollen. 28524 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Torbjörn Kartes (A) (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE selben reden. Dies ist leider aus vielen Gründen notwen- (C) GRÜNEN]: Also einfach nur zuschauen! dig; bekanntlich bröckelt die Tarifbindung seit Jahren, Mehr ist es nicht!) insbesondere in Ostdeutschland. In diesem Geist sollte man Politik machen. Der analytische Teil des Antrages taugt als Problembe- Deswegen – ich sage das ganz deutlich – muss man schreibung. Vieles, was danach kommt, geht wieder an einfach darüber nachdenken, wie man Tarifverträge at- der Sache vorbei und ist Beweis dafür, dass die Grünen traktiver macht. Dazu lese ich heute übrigens nichts. mit der heutigen Arbeitswelt doch recht wenig zu tun Der richtige Weg, glaube ich, um Sozialpartnerschaft zu haben. stärken, wäre, (Beifall bei der AfD) (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- Es wird deutlich, dass das Thema Tarifbindung wahrlich NIS 90/DIE GRÜNEN]: Was sind denn Ihre nicht zu den programmatischen Stärken der Grünen ge- Vorschläge?) hört. Aber schließlich naht eine Bundestagswahl, und Kobolde wohnen eventuell ja auch im Tarifvertrag. tarifgebundenen Unternehmen zusätzliche Kompetenzen und Möglichkeiten einzuräumen. Ich möchte nur ein Bei- Wer sich zu solch einem wichtigen Politikfeld äußert, spiel nennen: das Arbeitszeitgesetz. Es ist immer noch sollte zumindest die Situation der Beschäftigten vor Ort ein sehr gutes Gesetz, aber durchaus in die Jahre gekom- sowie die Urheber der Tarifmisere kennen und auch klar men. benennen. Aber Sie machen den Bock zum Gärtner. Sie verschweigen lauthals, wer eigentlich verantwortlich für (Zuruf der Abg. Beate Müller-Gemmeke die Erosion der Tarifvertragssysteme hierzulande ist. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ganz wesentlich tragen doch die Gewerkschaften selbst Es ist dringend erforderlich, dass wir das behutsam zu diesem Desaster bei. anfassen. Natürlich kann man in dem Rahmen zu der (Zurufe von der SPD: Oh! – Beate Müller-Ge- Auffassung kommen, dass gewisse Flexibilisierungen zu- mmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich nächst nur für tarifgebundene Unternehmen gelten sollen. habe darauf gewartet!) (Zuruf der Abg. Beate Müller-Gemmeke Es ist unbestreitbar, dass sich ein Großteil der Arbeitneh- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) merschaft längst von den organisierten Verbänden des Das wäre etwas, was Tarifverträge für beide Seiten, für DGB verabschiedet hat. Arbeitgeber und Arbeitnehmer, wirklich attraktiver (Beifall bei der AfD) macht, sodass sie sagen: Das ist der richtige Weg. Das (B) wollen wir auch für unser Unternehmen. Viele DGB-Hauptamtliche sehen sich zuvorderst als (D) politische Vertreter, haben eine Reihe politischer Funk- Wir sollten also Unternehmern viel mehr vertrauen und tionen und öffentlicher Mandate inne Tarifverträge attraktiver machen, weil beide Seiten davon Vorteile haben, statt immer zu meinen, dass man das (Zuruf der Abg. Leni Breymaier [SPD]) Ganze durch neue Regelwerke erzwingen kann. und kümmern sich kaum noch um die Gewerkschaftsmit- Vielen Dank. glieder, die mit ihren Beiträgen ihre Gehälter bezahlen. Anstatt mit ganzer Kraft für gute Arbeitsbedingungen (Beifall bei der CDU/CSU) und faire Löhne zu streiten, wird viel Energie in ideo- logische Kampfmaßnahmen, unter anderem gegen die Vizepräsidentin Claudia Roth: AfD, gesteckt. Vielen Dank, Torbjörn Kartes. (Beifall bei der AfD – Zurufe von der SPD (Abg. [DIE LINKE] meldet sich zu sowie der Abg. Beate Müller-Gemmeke einer Kurzintervention) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Nein, tut mir leid. Ich will einfach noch mal sagen: Wir Mit der Ausgrenzung der AfD und den neuen konservati- sind heute sehr stark in Zeitverzug. ven Gewerkschaften wie ALARM!, AfA oder Zentrum Automobil (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das ist aber eine wichtige Debatte!) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: „Gelbe Gewerkschaften“ nennt man das!) – Ja, das kann schon sein, dass das wichtig ist. Das bestreite ich ja nicht. droht den Altgewerkschaften, wenigstens im Osten, Ver- einsamung. Diese Vereinsamung hat die Gewerkschaft Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Jürgen Pohl. selbst provoziert. (Beifall bei der AfD) Kurzum: Die Akteure des DGB sind inzwischen Teil des Problems und nicht Teil der Lösung. Jürgen Pohl (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kollegen! (Beifall bei der AfD) Werte Arbeitnehmer im Land! Zum Antrag der Grünen. Das erkennen natürlich auch die Arbeitnehmer in unse- Tarifautonomie und Tarifbindung sind bekanntlich we- rem Land. Selbst organisierte Arbeitnehmer haben bei sentliche Säulen der sozialen Marktwirtschaft. Deshalb den zurückliegenden Wahlen prozentual häufiger die ist es gut, dass wir heute über Wege der Stärkung der- AfD gewählt als der Durchschnitt der Bevölkerung. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28525

Jürgen Pohl (A) Zugleich kommt vonseiten gewerkschaftlicher Funk- Pascal Meiser hat das Thema schön erläutert; Klaus (C) tionseliten viel Unsinn, wie zum Beispiel die Forderung Ernst hätte gerne auch noch mal etwas dazu gesagt. Es nach mehr Lohn bei weniger Arbeitszeit und der Ruf nach ist ja nicht so, dass wir auf diese Ansätze nicht selbst immer mehr geringqualifizierter Arbeitsmigration. gekommen wären; ich glaube, das passt fast komplett. Aber es ist wirklich schwierig, das umzusetzen; denn (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der Unterschied zwischen Wollen und Machen oder Kön- Das steht im Widerspruch zur wohlstandsbedrohten nen ist groß. Man braucht immer Mehrheiten, und für Arbeitsgesellschaft hier in Deutschland. diese Mehrheiten sollten wir kämpfen und streiten. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Was aber ist zu tun, um die Arbeitsbedingungen und Die Tarifbindung ist gesunken. 20 Prozent der die Rechtssicherheit der Beschäftigten wirksam zu stär- Beschäftigten im Einzelhandel sind organisiert, 20 Pro- ken? Ich verweise mit Freude auf meine sozialpolitischen zent in der Pflege. Das sind nicht nur Zahlen, sondern Vorschläge, die ich unlängst zur Diskussion gestellt habe. daran zeigt sich, dass die Beschäftigten in Bezug auf Dazu zählt neben weiteren Vorschläge die Forderung, den ihren Aufstieg aus prekärer Beschäftigung sozusagen ze- durch die Belegschaft gewählten betrieblichen Interes- mentiert sind; das funktioniert nicht mehr. Der Abstand senvertretern der Arbeitnehmer, nämlich den Betriebsrä- zur wirtschaftlichen Mitte wird größer. Diejenigen, auf ten, endlich auch Möglichkeiten zur Regelung der die es am meisten ankommt – nicht nur in der Pandemie, Arbeitsbedingungen zu geben. sondern auch sonst –, sind oft diejenigen, bei denen am wenigsten ankommt. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist eigentlich der Antrag Wir müssen immer wieder dafür kämpfen, dass nicht dazu? Kriegen Sie in Ihrer Fraktion gar nicht nur der Mindestlohn auf deutlich über 12 Euro steigt – durch!) das haben wir letzte Woche debattiert –, Das heißt, Betriebsräte müssen künftig befugt und in der (Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE Lage sein, sich um Vereinbarungen bis hin zum Ab- LINKE]) schluss eines Firmen- oder Haustarifvertrages zu küm- mern. sondern wir müssen in dem Zusammenhang auch immer wieder über den Tariflohn diskutieren. Denn: Mindest- Folglich muss dann der sogenannte Tarifvorbehalt der lohn ist gut, aber Tariflohn ist einfach besser. Gewerkschaften im Tarifvertragsgesetz überdacht wer- den. Dies sollte aber angesichts des beschleunigten (B) (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie (D) Akzeptanzverlustes der Gewerkschaften unter den bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Arbeitnehmern und den Beschäftigten kein Problem dar- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) stellen. Wir haben uns ja angestrengt und mit dem Tarifauto- Danke schön. nomiestärkungsgesetz 2014 nicht nur den Mindestlohn (Beifall bei der AfD) durchgesetzt, sondern auch versucht, mit der Abschaf- fung des 50-Prozent-Quorums und stattdessen mit dem neuen Merkmal des öffentlichen Interesses die Bildung Vizepräsidentin Claudia Roth: von allgemeinverbindlichen Tarifverträgen auf den Weg Vielen Dank, Jürgen Pohl. zu bringen. Aber das ist nicht gelungen; das ist geschil- (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Was für ein dert worden, das ist erklärt worden. Glück, dass Sie nichts zu sagen haben!) (Zuruf der Abg. Beate Müller-Gemmeke Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Bernd Rützel. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei der SPD) – Ja, das ist so. Noch einmal wäre uns die Allgemeinverbindlicherklä- Bernd Rützel (SPD): rung fast gelungen, nämlich in der Pflege. In der Pflege – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und das ist ein wunderbares Beispiel – haben der Arbeitge- Kollegen! Ich glaube, man kann es gar nicht oft genug berverband und die Gewerkschaften die Erstreckung des sagen, und man kann es auch gar nicht oft genug hören: Tarifvertrages auf die gesamte Branche beantragt. Dieser Beschäftigte haben es ohne Tarifvertrag wesentlich wäre für allgemeinverbindlich erklärt worden. Das Ganze schwerer – wenn überhaupt –, ihre eigenen Interessen ist aber gescheitert, weil einer der größten Player in dieser durchzusetzen. Branche, nämlich die Caritas, dazu seinen Segen nicht Lieber Kollege Kartes, nichts kommt doch von selbst. gegeben hat. Eine vertane Chance! Das, was wir haben, ist nicht vom Himmel gefallen; das Lasst mich abschließend bitte sagen, liebe Kolleginnen wurde über lange Zeit erstritten, erkämpft und erarbeitet. und Kollegen: Die Mitgliedschaften in Arbeitgeberver- Deswegen bin ich froh, dass wir heute über diese Anträge bänden ohne Tarifbindung ist eine unanständige Praxis. hier an dieser Stelle sprechen können. Denn dadurch wird sehr deutlich, wo die Schnittmengen liegen und wo die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Differenzen sind. der LINKEN) 28526 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Bernd Rützel (A) Wir vergeben sehr viele öffentliche Aufträge mit viel wirtschaftliche Logik erschließt sich einfach nicht, die (C) Geld. Gerade in den öffentlichen Aufträgen liegen die politische dagegen schon: Die Lust von Politik, sich in Lohnkosten oftmals bei 70 bis 80 Prozent. Deswegen alles und jedes einzumischen, ist kaum zu zügeln und in sollten diese Aufträge nur noch an diejenigen vergeben Wahlkampfzeiten geradezu grenzenlos. werden, in denen nach Tarif bezahlt wird. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der FDP – Beate Müller-Gemmeke GRÜNEN]: Dann können wir ja ein Bundes- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!) tariftreuegesetz machen!) Die Hürden für die Allgemeinverbindlichkeit von Wir brauchen ein Bundestariftreuegesetz; ein Gesetz, das Tarifverträgen sind hoch, und das aus gutem Grund. Die man aber auch nicht wie die Grünen in Schleswig-Hol- grundgesetzlich geschützte negative Koalitionsfreiheit stein aufweichen darf. steht ihr entgegen; Torbjörn Kartes hat dazu ausgeführt. Nun sollen, so der Antrag der Grünen, diese Hürden Vielen Dank. abgebaut werden. Das ist riskant. Sie ersetzen Wettbe- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten werb durch staatliches Tarifmonopol. Das kostet Wett- der LINKEN) bewerbsfähigkeit und Arbeitsplätze, und da machen wir nicht mit. Vizepräsidentin Claudia Roth: Nicht nur die Grünen und Linken mischen sich gern Vielen Dank, Bernd Rützel. – Nächster Redner: für die ein. Auch die Bundesregierung tut dies immer wieder. Es FDP-Fraktion Carl-Julius Cronenberg. ist schon erstaunlich: einerseits das Jammern über sin- (Beifall bei der FDP – Dr. kende Tarifbindung und Mitbestimmung, andererseits [CDU/CSU]: Die sozialpolitische Allzweck- die Ausweitung von Regulierungen, die originär in die waffe!) Zuständigkeit der Tarifpartner fallen, zum Beispiel die Brückenteilzeit. Normsetzung durch den Gesetzgeber Carl-Julius Cronenberg (FDP): verdrängt so Normsetzung durch die Tarifpartner; das Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und können nicht einmal die Gewerkschaften leugnen. Das Kollegen! Wir reden heute Abend über Tarifbindung. Sie schwächt Tarifbindung, und das ist schlecht. soll, so die Antragsteller, gefördert und geschützt werden. Die antragstellenden Fraktionen setzen dabei auf mehr (Beifall bei der FDP) staatliche Intervention. Wir Freie Demokraten hingegen Tarifbindung muss einen Unterschied machen, insbe- glauben nicht, dass der Staat besser als die Wirtschaft sondere bei der Fachkräftegewinnung. Wer die Tarifbin- (B) weiß, was für Betriebe und Beschäftigte gut ist. (D) dung stärken will, der nimmt die Herausforderung der (Beifall bei der FDP) Arbeit von morgen in den Blick, der vertraut auf Sozial- Wir glauben vielmehr an Subsidiarität und Tarifautono- partner, der verzichtet auf Einmischung. Mehr Flexibili- mie. Das sind die Grundlagen, mit denen gleichermaßen tät beim Arbeitszeitgesetz – Torbjörn Kartes, vielen für den Schutz von Beschäftigten, für die Wettbewerbs- Dank, dass Sie sich der Position von Johannes Vogel fähigkeit der Unternehmen und für hohen Beschäfti- annähern –, mehr Mitarbeiter, Kapitalbeteiligung – gungsstand Sorge getragen wird. Bettina Stark-Watzinger hat darauf hingewiesen –, eine moderne soziale Sicherung für Selbstständige: Das (Beifall bei der FDP) schützt die Zukunftschancen der Beschäftigten und die Die Tarifbindung ist hoch, wenn Tarifverträge attraktiv Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. sind, wenn also Dabeisein mehr Vorteile als Nachteile Vielen Dank. bringt. (Zurufe von der LINKEN) (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Torbjörn Überfordert der Tarifvertrag den Arbeitgeber, dann muss Kartes [CDU/CSU]) er entscheiden und manchmal auch schmerzhafte Ent- scheidungen treffen, lieber Kollege Meiser: Wenn die Vizepräsidentin Claudia Roth: Existenz des Betriebs bedroht ist, sind manchmal Vielen Dank, Carl-Julius Cronenberg. schmerzhafte Einschnitte unvermeidlich. Das ist dann keine Flucht, sondern geradezu gelebte Verantwortung (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Wenn das Streik- für Beschäftigte. recht eingeschränkt wird, das passt aber schon Die Fraktion Die Linke fordert eine deutliche Ver- als staatlicher Eingriff, gell?) schärfung der Nachbindung. Dabei sollte sie bedenken, dass das gerade in schwierigen Zeiten, etwa in Zeiten von – Das war jetzt die Kurzintervention vom Kollegen Ernst. Transformation oder von Corona, zu einer Austrittswelle führen kann, also exakt zu dem Gegenteil dessen, was Sie (Heiterkeit) als Antragsteller beabsichtigen. Nächste Rednerin: für Bündnis 90/Die Grünen Beate Immer wieder – das ist schon interessant – höre ich: Müller-Gemmeke. Die Tarifbindung muss gestärkt werden. – Dann kommen Forderungen, die Tarifverträge unattraktiver machen. Die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28527

(A) Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- duell erkämpfen. Von den Tarifverträgen, von diesen kol- (C) NEN): lektiven Regeln, profitieren alle: die Beschäftigten, die Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kol- Unternehmen und somit auch der gesellschaftliche legen! Nur noch die Hälfte der Beschäftigten profitiert Zusammenhalt. von einem Tarifvertrag; Tendenz sinkend. Diesen Trend Vielen Dank. dürfen Sie, die Regierungsfraktionen, nicht länger igno- rieren. Schöne Sonntagsreden helfen hier auch nicht wei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ter. Sie müssen endlich die Tarifbindung stärken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vizepräsidentin Claudia Roth: sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vielen Dank, Beate Müller-Gemmeke. – Nächster Tarifverträge schützen kollektiv die Beschäftigten. Sie Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Stephan Stracke. stärken die Sozialversicherungssysteme. Tarifverträge (Beifall bei der CDU/CSU) garantieren auch gleiche Bedingungen für die Unterneh- men und sorgen damit für einen fairen Wettbewerb. Wenn das mit den Tarifverträgen aber nicht mehr richtig funk- Stephan Stracke (CDU/CSU): tioniert, dann muss eben das Tarifvertragssystem gestützt Grüß Gott, Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten werden. Politik kann Tarifflucht erschweren, und Politik Damen und Herren! Die Sozialpartnerschaft in Deutsch- kann auch Tarifverträge fördern. Es geht um Anreize und land ist ein Kernbestandteil unserer sozialen Marktwirt- Rahmenbedingungen. Genau das fordern wir heute mit schaft. Nicht der Staat handelt in irgendeiner Weise die unserem Antrag. Löhne oder die Arbeitsbedingungen aus. Er setzt sie nicht einseitig fest, sondern das ist vorrangig Aufgabe der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Tarifvertragsparteien. Das ist Aufgabe von Arbeitgebern sowie bei Abgeordneten der LINKEN) und Arbeitnehmern, diese individuell oder kollektiv aus- Eine hohe Tarifbindung gibt es vor allem dann, wenn zuhandeln. die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände genügend Bei diesem Aushandlungsprozess soll es im Grundsatz Mitglieder haben. Das ist natürlich Aufgabe der Tarif- bleiben; denn das verantwortungsvolle Zusammenwirken partner. Aber wir können das auch fördern, und zwar der Tarifpartner ist ein starkes Fundament für den wirt- steuerlich. Bei den Unternehmen wird das schon ge- schaftlichen Erfolg unseres Landes und hat über Jahr- macht: Sie können sämtliche Kosten im Zusammenhang zehnte auch Wohlstand und sozialen Frieden in unserem mit einer Mitgliedschaft in Arbeitgeberverbänden steuer- Land gesichert. Daran halten wir fest. lich absetzen. Bei den Gewerkschaftsmitgliedern aber (B) geht der Steuervorteil im Arbeitnehmerpauschbetrag Wenn wir jetzt die Vorschläge von den Grünen hören, (D) häufig einfach unter. Genau das wollen wir verändern: dann merken wir, dass diese feine Balance, die sich mit Beide Seiten müssen gleich behandelt werden. Das ist den Begriffen „Koalitionsfreiheit“ und „Tarifautonomie“ ein Anreiz, in eine Gewerkschaft einzutreten. Das wäre verbindet, letztendlich einseitig verschoben werden soll. vor allem auch gerecht. Diese Einseitigkeit ist nicht der richtige Weg. Deshalb lehnen wir als Union diese Vorschläge ab. Nur eine funk- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tionsfähige Tarifautonomie sichert Lohngerechtigkeit, Es gibt weitere Stichworte: Wir wollen die Spielregeln (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE im Tarifausschuss verändern, damit es leichter ist, einen GRÜNEN]: Was heißt das: „funktionsfähig“? Tarifvertrag allgemeinverbindlich zu erklären. Betriebs- Dass sie nicht eingehalten wird, oder was?) übergänge dürfen nicht zur Tarifflucht genutzt werden. Wir wollen ein digitales Zugangsrecht für die Gewerk- hat letztlich eine Schutz-, Befriedungs- und Ordnungs- schaften. Und was wir schon lange fordern, ist ein Ver- funktion. bandsklagerecht. Die Mehrheit der Arbeitsverhältnisse in Deutschland, Ganz wichtig – das wurde heute schon angesprochen –: Frau Müller-Gemmeke, wird immer noch durch Tarifver- Wir wollen auch ein Bundestariftreuegesetz. Denn heute träge gestaltet. Ja, es ist richtig: Die direkte Tarifbindung profitieren von öffentlichen Aufträgen in der Regel die ist rückläufig, liegt derzeit bei 52 Prozent; vor zehn Jah- Billigsten. So werden dann faktisch niedrige Löhne und ren lag sie noch bei 59 Prozent. Manche beschreiben das Tarifflucht auch noch mit öffentlichem Geld belohnt, und jetzt tatsächlich auch als Krise des Tarifvertragssystems. das geht gar nicht. Öffentliche Aufträge dürfen nur an Ich würde sagen: Das sind Alarmsignale, auf die zu rea- Unternehmen gehen, die entweder in der Tarifbindung gieren ist, vor allem vonseiten der Gewerkschaften und sind oder zumindest tariflich bezahlen. der Arbeitgeber. Da geht es vor allem darum, dass man dann auch die Tarifverträge verändern muss: Sie müssen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mehr Freiheit, mehr Flexibilität sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Zuruf: Ah!) Die Tarifbindung muss gestärkt werden; denn Tarifver- träge garantieren gute Arbeit. Dabei geht es um faire für die Betriebe vor Ort eröffnen. Die Öffnung von Flä- Löhne, um Urlaubs- und Weihnachtsgeld, Arbeitszeiten, chentarifverträgen für die Betriebsparteien zu erhalten Urlaubstage und auch die betriebliche Altersvorsorge. und fortzuentwickeln, ist beispielsweise genau der rich- Wichtig ist auch: Diese guten Arbeitsbedingungen müs- tige Weg; er sollte weiter beschritten werden. Ich kann sen die Beschäftigten eben nicht alleine für sich indivi- die Sozialpartner in diesem Sinne nur ermutigen. 28528 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Stephan Stracke (A) Wenn wir auf die Tarifbindung blicken, so ist vielleicht Michael Gerdes (SPD): (C) auch interessant, zu sehen, dass wir in Bayern beispiels- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen, weise für 28 Prozent der Beschäftigten Arbeitsbedingun- vor allem der Linken und der Grünen! Es stimmt: Wir gen haben, die sich am Flächentarifvertrag orientieren. müssen etwas tun, um die Tarifbindung zu stärken. Als Das heißt, für 80 Prozent der Beschäftigten in Bayern letzter Redner hat man dann eben hier das Vergnügen, gelten direkt oder indirekt tarifvertraglich geregelte dass schon alles gesagt worden ist. Deswegen will ich Arbeitsbedingungen. Das zeigt sehr eindrücklich: Die mich ein bisschen kurz halten. Es ist richtig, einen Antrag Betriebe sind nach wie vor bereit, die Arbeitsverhältnisse einzubringen, um die Tarifbindung zu stärken. Der Kolle- durch tarifvertragliche Regelungen ganz oder zum Teil zu ge Meiser, die Kollegin Müller-Gemmeke und natürlich gestalten, und das ist auch gut so. auch mein Kollege Bernd Rützel haben ja mit dem, was sie gesagt haben, recht – leider ist es so –: Fakt ist, dass In der vergangenen Legislaturperiode hatten wir eine die Tarifbindung seit dem Jahr 2000 stetig gesunken ist. Reform der Allgemeinverbindlichkeitserklärungen. An- stelle eines starren 50-Prozent-Quorums hinsichtlich der Die Folgen sind bekannt: vor allem Niedriglöhne, län- Tarifbindung genügt nun das Vorliegen eines konkreti- gere Arbeitszeiten für Arbeitnehmerinnen und Arbeit- sierten öffentlichen Interesses. Das liegt ja bekanntlich nehmer, auch mangelnde Kaufkraft für die Wirtschaft, dann vor, wenn der Tarifvertrag in seinem Geltungsbe- reich für die Gestaltung der Arbeitsbedingungen eine (Zuruf von der LINKEN: Aha!) überwiegende Bedeutung hat. Genau dieses Instrument fehlende Attraktivität der Unternehmen bei der Suche wollten wir jetzt beispielsweise auch im Bereich der Pfle- nach Fachkräften und weniger Geld in den Sozialkassen. ge ziehen. Das ist leider nicht gelungen; Kollege Rützel Deutlich wird dies zum Beispiel an Zahlen aus Branden- hat darauf hingewiesen. Das ist sehr schade; denn beson- burg und Sachsen-Anhalt, den Bundesländern mit den ders dort, wo die Tarifbindung gering ist, im Bereich der stärksten Gehaltsunterschieden. Dort erhalten die Be- Pflege, wäre mit der Allgemeinverbindlichkeitserklärung schäftigten in tariflosen Betrieben monatlich 17,7 bzw. für mehr Verbindlichkeit gesorgt, gerade in diesem Be- 18,3 Prozent weniger Lohn und Gehalt im Vergleich zu reich, wo Löhne so unterschiedlich gestaltet sind. Wenn ihren Kollegen mit tariflich bezahlten Arbeitsplätzen. man beispielsweise nach Ostdeutschland oder in den Nor- den dieser Republik blickt, dann erkennt man im Ver- (Zuruf von der SPD: Hört! Hört!) gleich zum Süden ein erhebliches Gefälle, was die Lohn- Noch deutlicher – das ist heute hier auch schon mehr- struktur im Bereich der Pflege angeht. Das wollen wir fach gesagt worden – wird dies ganz aktuell bei den von verändern. Deswegen müssen wir darüber reden, wie uns viel beklatschten Pflegekräften: In Skandinavien sind wir das tatsächlich hinbekommen. 90 Prozent der Pflegekräfte gewerkschaftlich organisiert, (B) (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE in Deutschland deutlich weniger, zwischen 10 und 20 Pro- (D) GRÜNEN]: Da müssen Sie erst mal mit Jens zent. Wir sehen und lesen nahezu täglich, wie wertvoll Spahn reden!) deren Arbeit ist, und erfahren gleichzeitig, wie schwer es ist, für diese Arbeit einen angemessenen Lohn und gute Handlungsbedarf, der über die Reform der Allgemein- Arbeitsbedingungen auszuhandeln, ganz zu schweigen verbindlichkeitserklärung hinausgeht, sehe ich tatsäch- vom Mangel an Pflegekräften, dessen Ursache natürlich lich nicht; sie ist ein scharfes Schwert. auch in den harten Arbeitsbedingungen und mangelnder (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Stumpfes Anerkennung liegt. Deswegen auch hier, von dieser Stel- Schwert!) le, noch mal herzlichen Dank für Ihre Arbeit! Wir müssen immer auch die Sonderrolle der Allgemein- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten verbindlichkeitserklärung sehen. Bei dieser Sonderrolle der CDU/CSU und der LINKEN) soll es auch bleiben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Tarifflucht ist kein Der Tarifausschuss hat eine wichtige Kontroll- und gesellschaftliches Zukunftsmodell; es ist soziale Verant- Gestaltungsfunktion. Es wäre falsch, diese Kontroll- wortungslosigkeit. Das muss man mal deutlich sagen. und Gestaltungsfunktion auszuhöhlen, indem man bei- Nur, was hilft gegen Tarifflucht am besten? Ohne Zweifel spielsweise die Mehrheiten so verschieben würde, wie eine Stärkung der Gewerkschaften. man sie für eine Abschaffung des Vetorechts bräuchte. Das wollen wir in diesem Bereich nicht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Deswegen: Die Hauptaufgabe der Sozialpartner liegt darin, für attraktive Strukturen zu sorgen. Das ist ihre Und was Herr Pohl von der AfD jetzt hier gerade wieder vornehmste Aufgabe; darin wollen wir sie bestärken. abgezogen hat, dient eindeutig wieder dazu, einen Keil in Deswegen lehnen wir die Vorschläge aus dem Bereich die Gewerkschaftsbewegung zu treiben. Ich hoffe, dass der Opposition ab. viele Gewerkschafter heute zugehört haben und erfahren, wie Sie über Gewerkschaften und ihre Durchsetzungs- (Beifall bei der CDU/CSU) kraft denken.

Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Vielen Dank, Stephan Stracke. – Letzter Redner in CDU/CSU und der LINKEN – Zuruf: Die dieser Debatte: für die SPD-Fraktion Michael Gerdes. sind doch gegen die Gewerkschaften! – Zuruf (Beifall bei der SPD) des Abg. Jürgen Pohl [AfD]) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28529

Michael Gerdes (A) Ohne Zweifel ist eine Erleichterung der Allgemeinver- Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten (C) bindlichkeit von Tarifverträgen für ganze Branchen das beschlossen. – Es muss nicht viel an Plätzen getauscht Richtige, ohne Zweifel auch die Vergabe öffentlicher werden. Dann kann die Aussprache gleich beginnen. Aufträge nur noch an tarifgebundene Unternehmen und Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die CDU/ eine Stärkung der Tarifbindung, CSU-Fraktion Petra Nicolaisen. (Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Thomas Hitschler [SPD]) und ohne Zweifel, meine Damen und Herren, gehören noch viele andere Punkte dazu. Petra Nicolaisen (CDU/CSU): Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken und der Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol- Grünen, in den Forderungen des aktuellen Entwurfs des legen! Wir schließen heute in zweiter und dritter Lesung Zukunftsprogramms der SPD taucht der Begriff „Tarif“ die Novelle des Bundespersonalvertretungsgesetzes und insgesamt 18-mal in unterschiedlichen Zusammenhängen damit zugleich einen im Koalitionsvertrag enthaltenen auf. Arbeitsauftrag ab. (Beifall der Abg. Dr. Daniela De Ridder Seit 1974 – ja, es ist lange her – wurde das Bundes- [SPD] – Zuruf von der SPD: Sehr gut! – Beate personalvertretungsgesetz nicht wesentlich verändert. Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Heute, ziemlich genau 47 Jahre später, setzen wir – man NEN]: Im Koalitionsvertrag hat der Begriff könnte jetzt sagen: endlich – einen entscheidenden Mei- „Tarifbindung“ lediglich einmal gestanden!) lenstein. Seien Sie gewiss: Wir bleiben dran. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Herzlichen Dank und Glück auf! ordneten der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Dieser Gesetzentwurf ist ein großer Schritt, weil er der CDU/CSU) umfangreiche und notwendige Verbesserungen enthält. Diese legen den Grundstein für ein modernes, ein anwen- Vizepräsidentin Claudia Roth: derfreundliches Personalvertretungsrecht, zusammen mit Vielen Dank, Michael Gerdes. – Damit schließe ich die dem Änderungsantrag, den wir als Koalitionsfraktionen Aussprache. eingebracht haben. Da gilt mein besonderer Dank dem Kollegen Hitschler und der Kollegin Vogt für das wirk- Tagesordnungspunkte 20 a, 20 b und 8. Interfraktionell lich konstruktive Miteinander; vielen Dank. (B) wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen (D) 19/28772, 19/28775 und 19/27444 an die in der Tages- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Wei- tere Vorschläge gibt es nicht. Dann verfahren wir genau Im Ergebnis ist es uns gelungen, konsequent ein solides so. Gesetzgebungsvorhaben auf den Weg zu bringen, wel- ches – als große Novelle angelegt – jetzt hoffentlich Zusatzpunkt 5. Wir kommen zur Beschlussempfehlung Bestand haben wird. Aber es müssen keine 47 Jahre sein. des Ausschusses für Arbeit und Soziales zum Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Tarifverträge besche- Lassen Sie mich zunächst kurz über die vielen Ver- ren Weihnachtsgeld – Allgemeinverbindlichkeit erleich- besserungen des Gesetzentwurfes sprechen. Ganz grund- tern“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp- legend wurde die Struktur überarbeitet. So ist der Geset- fehlung auf Drucksache 19/25410, den Antrag der zestext nun besser angeordnet und gegliedert, leichter Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/15776 abzuleh- lesbar und nicht zuletzt dadurch eingängiger und auch nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – verständlicher. Ich bin mir sicher: Nach einer kurzen Ein- gewöhnungsphase bringt bereits dies einen Mehrwert für ( [DIE LINKE]: Skandal!) alle Beteiligten. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Be- Die neue Struktur wird ergänzt durch präzisierte und schlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben teils neu geschaffene Mitbestimmungstatbestände des die Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, der FDP und der AfD. Dagegengestimmt haben die Fraktionen der Linken Personalrats. Ob im Bereich der Homeoffice-Regelung, und Bündnis 90/Die Grünen. des betrieblichen Gesundheitsmanagements oder des Dienstortwechsels – in diesen und vielen weiteren Berei- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: chen wird die Mitbestimmung der Beschäftigten gestärkt. Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- Damit der Personalrat die Interessen der Beschäftigten regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes stets – das heißt, auch im Falle eines Falles – vertreten zur Novellierung des Bundespersonalvertre- kann, enthält der Gesetzentwurf zusätzliche Regelungen tungsgesetzes zur Vermeidung personalvertretungsloser Zeiten, unter Drucksachen 19/26820, 19/26917 anderem Übergangsmandate bestehender Personalvertre- tungen bei verspäteten Wahlen und Umstrukturierungs- Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- maßnahmen, zudem Regelungen zur Beschleunigung von ses für Inneres und Heimat (4. Ausschuss) Neuwahlen bei Wahlanfechtungen und Auflösung von Drucksache 19/28839 Personalvertretungen. 28530 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Petra Nicolaisen (A) Ein weiterer Erfolg des Gesetzentwurfes ist auch die Zu guter Letzt möchte ich mich an dieser Stelle, lieber (C) Institutionalisierung der Arbeitsgemeinschaft der Haupt- Stephan Mayer, auch ganz herzlich beim Bundesministe- personalräte. Außerdem freut es mich, dass der Gesetz- rium des Innern, für Bau und Heimat für die gute Zuarbeit entwurf eine Lösung für die sogenannten arbeitnehme- und einen akribisch durchdachten Gesetzentwurf herzlich rähnlichen Freien für die Deutsche Welle beinhaltet, die bedanken, unter Umständen auch Ausstrahlungskraft für die Belan- ge vieler weiterer fester Freier haben kann. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stärken mit dem vorliegenden Gesetzentwurf Personalräte und machen Und auch dafür, dass wir hier im parlamentarischen Ver- gute Personalratsarbeit einfacher. fahren intensiv – wir haben auch gestritten – und kon- struktiv miteinander arbeiten konnten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) (Thomas Hitschler [SPD]: So gehört sich das!) – So gehört sich das. – Ich bin zuversichtlich, dass die Nach vielen Beratungen im parlamentarischen Verfah- ren bin ich heute mehr als zuversichtlich, dass wir das, Änderungen die Personalratsarbeit als Ganzes bereichern was bereits ein großer Schritt war, mit dem vorliegenden werden. Danke für die Aufmerksamkeit. Ich bitte um Ihre Zustimmung. gemeinsamen Änderungsantrag unserer Koalition jetzt noch einmal sinnvoll ergänzen. Mir war es von vornhe- Herzlichen Dank. rein wichtig, dass wir diese Gelegenheit nutzen, um im Rahmen der Novelle die Digitalisierungsaspekte noch (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) einmal ambitioniert anzugehen, und ich bin der Überzeu- gung, dass uns das auch gelungen ist. Es freut mich sehr, Vizepräsidentin Claudia Roth: dass wir mit dem Änderungsantrag zeigen, dass wir viele Vielen Dank, Petra Nicolaisen. – Nächster Redner: für der Digitalisierungsmaßnahmen nicht nur als Schlagwor- die AfD-Fraktion Dr. Christian Wirth. te begreifen, sondern diese eine echte Erleichterung und Bereicherung der Personalratsarbeit darstellen. (Beifall bei der AfD) Es war unser Ziel, nachhaltige Formen der Kommuni- kation und der Personalratsarbeit zu ermöglichen. So Dr. Christian Wirth (AfD): schaffen wir Zeit und Platz für die wirklich wichtigen Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Frau Nicolaisen, Belange der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Frau Kollegin, so ganz kann ich Ihren Optimismus nicht teilen. (B) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (D) (Petra Nicolaisen [CDU/CSU]: Schade! – Gerne möchte ich an dieser Stelle einige Punkte, auf die Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE wir uns im parlamentarischen Verfahren einigen konnten, GRÜNEN]: Das ist uns egal!) noch benennen: Es hat doch den Anschein, dass in den letzten Wochen die Erstens. Wir entfristen die Möglichkeit von Personal- Bundesregierung sowie die Koalitionspartner eine Reihe ratssitzungen als Video- oder Telefonkonferenz. Wir stel- mit der heißen Nadel gestrickter, eigentlich sehr wichti- len – das ist wichtig – zugleich sicher, dass diese Mög- ger Gesetze durch den Bundestag peitschen möchten. lichkeit optional bleibt. Das Bundespersonalvertretungsgesetz stammt aus dem Zweitens. Wir machen klar: Sitzungen des Personalrats März 1974; seitdem wurde nur Flickschusterei betrieben. finden in der Regel als Präsenzsitzung vor Ort statt. Da- Seitdem ist Deutschland dreimal Weltmeister geworden, ran wird sich mit der optionalen Möglichkeit nichts än- einmal wiedervereinigt worden, seitdem haben drei SPD- dern; das Recht eines Personalratsmitglieds auf Teilnah- Kanzler ihre Amtszeit nicht zu Ende bringen können und me vor Ort bleibt erhalten. zwei CDU-Kanzler an ihren Stühlen geklebt; ich verzich- te aufs Gendern. (Beifall bei der CDU/CSU) Und dies alles vor dem Hintergrund, dass die Bundes- Drittens. Wir ermöglichen Video- und Telefonsprech- regierung in diesem Fall als Dienstherr einer besonderen stunden des Personalrats. Fürsorgepflicht verpflichtet ist. Dies wirft ein Licht dar- Viertens. Wir haben erreicht, dass auch die Einigungs- auf, welche Wertschätzung den Mitarbeitern im öffent- stelle Verhandlungen und Beschlussfassungen digital lichen Dienst von der Koalition und der Bundesregierung durchführen kann, sofern kein Mitglied widerspricht. entgegengebracht wird. Was im Koalitionsvertrag vom ersten Tag an vereinbart war, scheint Ihnen erst jetzt Und fünftens. Wir ermöglichen im Einvernehmen mit wirklich wichtig zu sein, wo Sie genau wissen, dass Sie der Dienststelle die Übertragung von Personalversamm- Ihre Regierung – und im Falle der Union auch die Kanz- lungen als Videokonferenz auch an Nebenstellen und lerschaft – verlieren werden; der Wähler lässt grüßen. Teile der Dienststellen. Dabei hatten Sie genug Zeit. Dass Ihnen das Gesetz nicht Ich möchte sagen: Dies ist ein starkes Digitalisierungs- wirklich wichtig ist, sondern wohl nur jemand zufällig paket. noch einmal den Koalitionsvertrag quergelesen hat, zeigt ja Ihr erster Entwurf. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) (Zuruf der Abg. Leni Breymaier [SPD]) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28531

Dr. Christian Wirth (A) Handwerklich ist der Entwurf so weit in Ordnung. Das Thomas Hitschler (SPD): (C) Gesetz ist leserlich und besser strukturiert, da gebe ich Hochgeschätzte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen Ihnen recht, aber ohne jede Perspektive für die Zukunft und Kollegen! Ja, es ist schon bemerkenswert – meine und ohne Fantasie, eine Renovierung, aber keine Sanie- Vorrednerin, Frau Nicolaisen, hat es auch erwähnt –: Wir rung eines morschen Hauses. novellieren hier vollumfänglich ein Gesetz, das seit 47 Jahren Bestand hatte und aus der Feder einer sozial- Aus Ihrem ersten Entwurf sprach ein tiefes Misstrauen liberalen Koalition kam. gegen jede Form digitaler Arbeit. Ihre Inkompetenz in digitalen Fragen und der seit Jahren spürbare Unwille, (Konstantin Kuhle [FDP]: Sehr gut!) dieses Land in Fragen der Digitalisierung endlich auf Folglich muss man sagen: Das, was Willy Brandt und die ein der Wirtschaft entsprechendes Niveau zu führen, ist damals Regierenden gemacht haben, war anscheinend ein auch in diesem Gesetzesvorhaben spürbar gewesen. echt gutes Gesetz. Also: Das haben wir gut gemacht (Beifall bei Abgeordneten der AfD) damals! Aus Fristen und Bestimmungen war klar abzulesen, (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Konstantin dass Sie die Digitalisierung bestenfalls als Übergangslö- Kuhle [FDP]) sung in Zeiten der Coronakrise haben wollen. Wenn die Aber, Kolleginnen und Kollegen, selbst das beste Ge- nächste Bundesregierung dann, spätestens nach der Wahl, setz muss eines Tages novelliert und überarbeitet werden, die Pandemie für beendet erklärt, weil es an die Anforderungen einer neuen Zeit angepasst (Lachen der Abg. Dr. Daniela De Ridder werden muss. Wir haben technische Neuerungen. Ich [SPD]) glaube, 1974 gab es noch nicht mal den Videorekorder; heute gibt es die Cloud. Es hat in der Arbeitswelt sehr sollte es dann schnell wieder zurück zu Notizzettel und viele Veränderungen gegeben. Deshalb, Kolleginnen und Fax gehen. Was von der Schule bis zum Großkonzern seit Kollegen, ist es gut und richtig, dass wir uns in dieser nun einem Jahr geübt wird, was überraschend gut funk- Koalition die Mühe gemacht und viel Arbeit in dieses tioniert, aber natürlich nie perfekt sein kann, konnten Sie Gesetz gesteckt haben. Dafür schon mal ein großes Dan- sich anscheinend nicht für Ihre eigenen Beamten und keschön an alle, die mitgewirkt haben! Angestellten vorstellen. Das habe auch ich in meiner Rede in der ersten Lesung kritisiert. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Petra Nicolaisen [CDU/CSU] und Konstantin Kuhle Es spricht für Sie, dass Sie wenigstens zum Teil die [FDP]) Kritik ernst genommen und gelernt haben. Ihr Ände- rungsantrag ist nicht perfekt. Die Konkretisierung für Es war, Frau Nicolaisen und Herr Staatssekretär (B) die digitalen Sitzungen, Onlinesprechstunden usw. zeigt, Mayer, tatsächlich ein guter Prozess, den wir hatten. (D) dass, wenn Sie von selbst nicht drauf kommen, Sie Und es ist gut, dass sich das BMI die Zeit gelassen immerhin diesmal bereit waren, zuzuhören. Die zusätzli- hat – was die AfD gerade bemängelt hat –, weil so viele chen Möglichkeiten zu digitaler Beschlussfassung sind Akteure eingebunden wurden. Wir haben gemeinsam mit ebenfalls lobenswert. Deswegen werden wir dieser über- Verbänden, mit Gewerkschaften, mit Expertinnen und fälligen Novelle zustimmen, mit den angesprochenen Experten darum gerungen, was die beste Lösung für Änderungen natürlich. eine Novellierung des Bundespersonalvertretungsgeset- zes ist. Und, Kolleginnen und Kollegen, es ist gelungen. Klopfen Sie sich dafür aber nicht zu sehr auf die Schul- Es ist ein gutes Gesetz, und es ist ein richtig guter Prozess ter! Das alte Gesetz ist ein zu überlastetes, kaputtes gewesen. Stückwerk, um es stehen zu lassen. Der Entwurf ist nicht schlecht genug, um unter diesen Umständen ein Nein (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Petra wert zu sein. Die Mitarbeiter im öffentlichen Dienst Nicolaisen [CDU/CSU]) sind zu wichtig und zu verdienstvoll, um sie im Regen Lassen Sie mich drei Beispiele herausgreifen: stehen zu lassen. Zum Ersten. Wir haben es tatsächlich geschafft, einen Wenn man sich anschaut, dass die noch ein paar Wo- Teil der neuen Arbeitswelt aufzunehmen, die mir, offen chen regierende Koalition heute gemeinsam auf 34 Pro- gestanden, nicht so gut gefällt. Es gibt viele Mitarbeiten- zent kommt, ist das der verdiente Lohn für Ihre Fantasie- de gerade im Bereich des Journalismus, die keine festen losigkeit, Ihre Trägheit und Ihre Zukunftsängste. Wenn Arbeitsverträge haben und vorher auch nicht in der Mit- nicht absehbar wäre, welche Katastrophe Ihnen folgen bestimmung waren. Es ist uns mit der Novellierung des wird, würde Ihr absehbarer Abgang nicht nur die AfD, Bundespersonalvertretungsgesetzes gelungen, Tausende sondern wahrscheinlich auch die Mitarbeiter im öffent- von diesen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Bereich lichen Dienst hoffnungsvoll stimmen. des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und Fernsehens in Vielen Dank. die Mitbestimmung zu holen. Das ist ein großer Erfolg, auf den man stolz sein kann, Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der SPD)

Vizepräsidentin Claudia Roth: Zum Zweiten. Bei den digitalen Beteiligungsrechten ging es nicht ausschließlich darum, zu entfristen, sondern Danke schön, Dr. Wirth. – Nächster Redner: für die wir haben in diesem Gesetz einen neuen Standard gesetzt, SPD-Fraktion Thomas Hitschler. der tatsächlich zwei Sachen schafft: einerseits digitale (Beifall bei der SPD) Beteiligungsmöglichkeiten – das ist gut und richtig im 28532 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Thomas Hitschler (A) Jahr 2021 –, aber andererseits auch die Möglichkeit für Die nächste Rednerin, für die Fraktion Die Linke Petra (C) Betriebs- und Personalräte, zu sagen: „Nein, Moment, Pau, gibt ihre Rede zu Protokoll.2) das wollen wir nicht“, also zu widersprechen. Wir haben klare Quoren eingeführt, wir gewähren Minderheiten- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD und der Abg. Bettina Stark-Watzinger schutz. Das, Kolleginnen und Kollegen, ist der Standard, [FDP] – Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Auch der jetzt, im Jahr 2021, für den Bereich des öffentlichen Dienstes bei der Mitbestimmung gilt. Das ist auch gut ein Applaus!) und richtig so. Die nächste Rednerin, für Bündnis 90/Die Grünen 3) (Beifall bei der SPD) Dr. Irene Mihalic, gibt ihre Rede zu Protokoll. Der dritte Punkt. Wir haben ein digitales Zugangsrecht (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der für die Gewerkschaften im Bereich des öffentlichen SPD und der FDP und der Abg. Katharina Dienstes geschaffen. Künftig ist es so, dass Gewerkschaf- Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) ten im Intranet der Dienststellen vertreten sind. Wir ha- Der nächste Redner, Marc Henrichmann für die CDU/ ben bei der vorherigen Debatte gerade gehört, dass die CSU-Fraktion, gibt seine Rede zu Protokoll.4) AfD wenig von Gewerkschaften hält. Ich kann Ihnen sagen: Ich finde, Gewerkschaften sind einer der zentralen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Akteure – wenn nicht sogar die wichtigsten, die es gibt – ordneten der SPD und der FDP) bei all diesen Beratungen über Arbeitsprozesse und Und der letzte Redner in dieser Debatte, den wir jetzt arbeitsrechtliche und arbeitspolitische Gegenstände. Des- hören werden: Bernd Rützel für die SPD-Fraktion. halb ist es gut, dass die Gewerkschaften künftig ein digi- tales Zugangsrecht zum Intranet des öffentlichen Diens- (Beifall bei der SPD) tes haben. (Beifall bei der SPD) Bernd Rützel (SPD): Frau Präsidentin, jetzt habe ich schon fast ein schlech- Abschließend: Wir hatten einen guten Prozess, wir ha- tes Gewissen, dass ich hier rede und nicht zu Protokoll ben ein gutes Ergebnis, aber wir dürfen dabei nicht stehen gebe. bleiben. Auch wenn wir vielleicht nur fast ein so gutes Gesetz gemacht haben wie damals die sozialliberale Koa- (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe: Ja! – lition, Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Ja, das sollten Sie auch haben!) (Konstantin Kuhle [FDP]: Fast!) (B) Aber ich will zumindest versprechen, dass ich versuche, (D) sollten wir nicht 50 Jahre warten, bis wir die nächste die Redezeit von drei Minuten nicht ganz auszuschöpfen. Novellierung bzw. Überarbeitung des Bundespersonal- vertretungsgesetzes machen. Ich will mich erst mal für den gesamten Prozess, der über viele Wochen und Monate lief, ganz, ganz herzlich (Beifall der Abg. Dr. Daniela De Ridder [SPD]) bei unserem Berichterstatter, Herrn Thomas Hitschler, Wir müssen immer wieder und regelmäßig darauf und bei bedanken. Das war wirklich eine her- schauen: „Welche Anforderungen bringt die neue Zeit vorragende Kommunikation. Es war ein Kampf, ein mit sich?“, und uns dann tatsächlich gemeinsam die Fight, und wir haben gesehen: Zum Schluss kommt etwas Mühe machen, daranzugehen, das Gesetz zu überarbei- Besseres dabei heraus. Das ist wunderbar. ten. Ich bin sehr froh, dass wir das Bundespersonalvertre- Heute bitte ich Sie darum, Kolleginnen und Kollegen: tungsgesetz nach wirklich fast 50 Jahren heute novellie- Stimmen Sie dem zu, was wir Ihnen vorgelegt haben! Es ren. Es ist ein ganz neues Gesetz, das das alte ersetzt. Die ist ein gutes Gesetz. Es stärkt die Mitbestimmung in Personalrätinnen und Personalräte bekommen durch die- Deutschland. ses Gesetz mehr Möglichkeiten, mehr Mitbestimmung, was mobiles Arbeiten betrifft, was flexible Arbeitszeiten Vielen herzlichen Dank. betrifft, was die Vereinbarkeit von Familie und Beruf (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sowie das betriebliche Gesundheits- und Eingliederungs- der CDU/CSU) management betrifft. Das ist wirklich wichtig. Ich war selber im Personalrat, bevor die Deutsche Vizepräsidentin Claudia Roth: Bahn AG 1994 gegründet wurde, und danach im Be- Vielen Dank, Thomas Hitschler. – Der nächste Redner, triebsrat. Das Betriebsverfassungsgesetz gehen wir auch für die FDP-Fraktion Konstantin Kuhle, bald an. Aber das Personalvertretungsgesetz ist so wich- tig; denn die Kolleginnen und Kollegen, die gewählten (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Nein, nein!) Personalrätinnen und Personalräte, wissen doch, was gibt seine Rede zu Protokoll.1) – Das habe ich doch nur gebraucht wird. Die haben Fachwissen, die haben Ideen, gesagt, damit er mal einen Applaus kriegt. die setzen im Betrieb, in der Verwaltung, in der Behörde (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und oft die entscheidenden Impulse. Sie wissen, was man der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) 2) Anlage 8 3) Anlage 8 1) Anlage 8 4) Anlage 8 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28533

Bernd Rützel (A) braucht, damit der Laden läuft. Sie wissen, wo Investitio- Überweisungsvorschlag: (C) nen getätigt werden müssen, und sehen auch immer die Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- lung (f) langfristige Perspektive. Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Die Digitalisierung, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist natürlich ein Segen, aber gleichzeitig auch ein Fluch. b) Beratung der Antwort der Bundesregierung Deswegen muss man immer aufpassen, dass die Präsenz- auf die Große Anfrage der Abgeordneten sitzungen der Normalfall bleiben und dass nur ausnahms- Beatrix von Storch, Jürgen Braun, Waldemar weise davon abgewichen werden kann. Wir haben auch Herdt, Dr. Anton Friesen und der Fraktion wirklich sehr niedrigschwellige Widerspruchslösungen der AfD eingebaut. Bei der Einigungsstelle reicht es, wenn im Umsetzung der Bundestagsresolution zum Umlaufverfahren eine oder einer widerspricht, damit die Völkermord an den Armeniern Verhandlung nicht digital stattfindet; bei Personalratssit- zungen sind es 25 Prozent. Drucksachen 19/8355, 19/11959 Damit ich mein Versprechen einhalte, will ich zum Ich bitte die Kollegen, Platz zu nehmen, bevor ich den Schluss kommen und sagen: Ein ganz toller Erfolg ist, ersten Redner aufrufe. dass die Gewerkschaften ein digitales Zugangsrecht ha- Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten ben. Es ist nicht so, dass es noch überall das Schwarze beschlossen. Brett gibt. Von daher ist das der Zug der Zeit. Ich bin sehr froh, dass wir das heute machen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die Frak- tion der AfD Markus Frohnmaier. Vielen Dank. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der SPD) Markus Frohnmaier (AfD): Vizepräsidentin Claudia Roth: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Deutsche Unternehmen Vielen Dank, Bernd Rützel. – Damit schließe ich die stehen vor der Pleite. Arbeitnehmer können ihre Rech- Aussprache. nungen nicht bezahlen, und die vielen Zwangsschließun- Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- gen, die wir erleben, kommen einem Berufsverbot gleich. desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Novellie- Und wer macht in dieser Krise trotzdem richtig Business? rung des Bundespersonalvertretungsgesetzes. Der Aus- Amazon, Aserbaidschan und die CDU. schuss für Inneres und Heimat empfiehlt in seiner Die Regierung Aserbaidschans ist in den letzten Jahren (B) Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/28839, den Ge- auf große Einkaufstournee durch Deutschland und die (D) setzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen deutsche Politik gegangen. „Kaviardiplomatie“ nennt 19/26820 und 19/26917 in der Ausschussfassung anzu- man das, wenn Politiker von CDU und CSU sich mit nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in aserbaidschanischem Schmiergeld kaufen lassen. der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand- zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – (Matern von Marschall [CDU/CSU]: Wie Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen. schmeckt der Kaviar in Moskau?) Zugestimmt haben die Fraktionen von SPD, CDU/CSU, Da soll zum Beispiel ein Herr von der FDP und AfD, dagegengestimmt hat die Fraktion der CSU 4 Millionen Euro über Briefkastenfirmen aus Aser- Linken, und enthalten hat sich die Fraktion von Bünd- baidschan erhalten haben. nis 90/Die Grünen. (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Sei mal ganz Dritte Beratung ruhig!) und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Zum Vergleich: Bei Borussia zahlt man einem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben. – Bundesligaspieler im Schnitt 2,5 Millionen Euro. Da hat Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- Herr Lintner richtig abgesahnt. entwurf ist angenommen. Zugestimmt haben die Fraktio- nen von SPD, CDU/CSU, FDP und AfD, dagegenge- (Beifall bei der AfD) stimmt hat die Fraktion der Linken, und enthalten hat Und wofür? Damit er das Abstimmungsverhalten von sich die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Abgeordneten im Europarat im Sinne Aserbaidschans Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a und 22 b auf: manipuliert. Wir reden hier übrigens über das gleiche Aserbaidschan, das noch vor wenigen Monaten einen a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Angriffskrieg gegen das christliche Armenien geführt Markus Frohnmaier, Marcus Bühl, Dietmar hat. Und Lintner war nicht der Einzige. Friedhoff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD , bis vor Kurzem CDU, ließ sich mutmaßlich Werbeanzeigen in seinem CDU-Lokalblätt- Aggressionen und Kaviar-Diplomatie in chen von Aserbaidschan finanzieren. Gegen ihn wurde die Schranken weisen – Entwicklungszu- ein Vermögensarrest in Höhe von fast 1 Million Euro sammenarbeit mit Aserbaidschan und verhängt. und , beide im- der Türkei beenden mer noch CDU, haben sich wahrscheinlich ebenfalls aus Drucksache 19/28796 Aserbaidschan finanzieren lassen. 28534 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Markus Frohnmaier (A) Und wenn die Freunde von der CDU/CSU nicht bei Volkmar Klein (CDU/CSU): (C) Aserbaidschan die Hand aufhalten, dann kassieren sie Meine sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen mit dubiosen Maskendeals: und Herren! Also, der Antrag der AfD leidet ja schon deutlich unter falschen Behauptungen und falschen Fak- (Zuruf des Abg. Stefan Müller [Erlangen] ten und Zahlen. Wenn man diesen Vortrag gerade gehört [CDU/CSU]) hat, dann wird klar: Das war kein Versehen. Offensicht- Alfred Sauter, CSU, 1,2 Millionen Euro, Georg Nüßlein, lich ist der Blick dauerhaft benebelt; denn auch in Mos- 660 000 Euro, Nikolas Löbel, CDU, 250 000 Euro. Ich kau gibt es offenbar nicht nur Kaviar, sondern auch viel könnte weitermachen, aber die Korruption in der Union zu viel Wodka. Anders kann ich mir diesen getrübten sprengt meine Redezeit. Blick nicht erklären. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und Meine Damen und Herren, seit 1991 erhielt Aserbaid- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – schan vom deutschen Steuerzahler 230 Millionen Euro Markus Frohnmaier [AfD]: Wo sind denn die bilaterale Entwicklungsleistungen. Auch der beste Millionen?) Freund von Diktator Alijew, Erdogan, profitiert von deut- scher Entwicklungshilfe. Ich weiß, das dementieren Sie Der Kaukasus-Konflikt ist ganz sicherlich zu kompli- immer. Sie behaupten, dass die Türkei keine Entwick- ziert, um ihn hier in zwei Minuten zu analysieren. lungsleistungen mehr erhält. Aber Sie müssen sich schon (Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD]) mal entscheiden: Entweder sprechen wir von ODA-Leis- tungen – Official Development Assistance – oder eben Aber zu unterstellen, dass hier in Berlin oder bei CDU/ nicht. CSU alle dem azerischen Narrativ verfallen würden, das ist doch absurd. Natürlich ist Aserbaidschan ein korrupter (Zuruf der Abg. Helin Evrim Sommer [DIE Staat – da kennt sich die AfD aus; das ist in Russland LINKE]) nämlich ganz genauso –, Bis heute erhält die Türkei immer noch knapp 650 Millio- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der nen Euro. SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- (Zuruf des Abg. Dr. Christoph Hoffmann NEN) [FDP]) und ich bin mir auch ganz sicher, dass die jüngsten 650 Millionen Euro, meine Damen und Herren, für einen Kampfhandlungen genau dort begonnen wurden. Sicher- Staat, dessen Präsident hier in Deutschland Straßen lich würde man sich ein bisschen mehr Friedensbereit- (B) sperren lässt, wenn er in Köln-Ehrenfeld die Großmo- schaft auch auf armenischer Seite wünschen. Aber das (D) schee besucht! Meine Damen und Herren, so etwas alles zu bewerten vor dem Hintergrund jahrhundertelan- kann er meinetwegen in Ankara, Izmir und Istanbul ma- ger Konflikte, ist sicherlich kompliziert. chen, aber nicht hier in Deutschland. Wir haben für Aserbaidschan seit 2012 keinerlei Zusa- (Beifall bei der AfD) gen mehr für Entwicklungszusammenarbeit gemacht. Richtig ist: Bestehende Verträge werden abgearbeitet. Wir fordern als AfD-Bundestagsfraktion die vollum- Richtig ist: Wir haben ein paar Regionalprogramme für fängliche Aufklärung sowie die sofortige Einstellung den Südkaukasus. Das ist auch sinnvoll, wenn das dem der Entwicklungshilfe für Aserbaidschan und die Türkei. Frieden in dieser Region hilft. Gerade den Unionspolitikern hier im Hause sollte das ein Anliegen sein. Sie können heute unter Beweis stellen, Ganz abgesehen davon – das erklärt einen Teil der dass Sie nicht Bakus Puppen sind, meine Damen und Türkei-Zahlen –: ODA ist doch nicht das Gleiche wie Herren. deutsche bilaterale staatliche Entwicklungszusammenar- beit. (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sollten mal was zu Putin sagen! – Dr. Nils NEN]: Woher soll er denn das wissen?) Schmid [SPD]: Putins Puppe hat gesprochen! – Wenn eine private Organisation oder eine Kirche oder Gegenruf des Abg. Markus Frohnmaier [AfD]: wer auch immer mit Geld der Bundesregierung dort tätig Das ist unangenehm, ich weiß! – Gegenruf der ist, dann zählt das natürlich auch als ODA. Wenn ein Abg. Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Wie Student aus Aserbaidschan in Deutschland studiert, oft waren Sie denn in Russland? Wer hat die dann zählt das als von einem deutschen Bundesland Reisen bezahlt? – Dr. Nils Schmid [SPD]: erbrachte ODA. Das müsste eigentlich nach einigen Jah- Rauschender Beifall bei AfD! – Katharina ren im Parlament auch bei der AfD angekommen sein. Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist Man will es aber nicht. peinlich, den reden zu lassen!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD – Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/ Vizepräsidentin Claudia Roth: DIE GRÜNEN]: Das ist übertrieben!) Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Volkmar Krasser aber ist das, was hier in Sachen Türkei behaup- Klein. tet wird. Wir haben seit 2008 keine Entwicklungszusam- (Beifall bei der CDU/CSU) menarbeit mehr mit der Türkei. Gemeint sind hier sicher- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28535

Volkmar Klein (A) lich die Zahlungen, mit denen wir die Versorgung von (Beifall bei der FDP) (C) syrischen Flüchtlingen in der Türkei finanzieren. Ich fin- Aber der Konflikt ist nicht beigelegt, es herrscht ledig- de es auch richtig, dass wir den Menschen dort Perspekti- lich eine mittelfristig fragile Waffenruhe. Gerade den ven geben, damit sie Perspektiven in ihrer angestammten Menschen in Bergkarabach, die immer noch existenziell Nachbarschaft haben und sie sich nicht woanders suchen. bedroht werden, müssen wir jetzt in vieler Hinsicht zur Sie in der AfD wollen aber nicht, dass die Menschen dort Seite stehen. Ich warne hier ausdrücklich davor, das zu Perspektiven haben. Sie wollen, dass die Menschen die einer Frage der Parteipolitik zu machen, wie Sie das hier Perspektiven woanders suchen, nämlich in Europa und versuchen. am besten noch in Deutschland, damit Sie wegen dieser Flüchtlinge hier bei uns in Deutschland Ihre Hetze weiter Leider gab es ganz persönliche gravierende Verfehlun- anfeuern können. gen einzelner Abgeordneter, die wir auch als solche behandeln sollten. Jeder Einzelne von uns sollte übrigens (Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD]) ganz persönlich auch Lehren daraus ziehen, und wir soll- Und das wollen wir nicht. ten uns auf die Aufgabe und unsere Rolle hier besinnen, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der egal in welcher Fraktion wir tätig sind. SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der FDP) NEN) Vielleicht müssen wir uns auch an dieser Stelle wieder klarmachen: Dieser Skandal an sich ist nicht das Pro- Vizepräsidentin Claudia Roth: blem. Ein Skandal, jeder Skandal ist ein Teil der Lösung Kommen Sie bitte zum Ende. – Das war es jetzt? des Problems. Ein freiheitlich-demokratischer Rechts- staat zeichnet sich nicht dadurch aus, dass alles überall Volkmar Klein (CDU/CSU): und bei jedem perfekt läuft, sondern dadurch, dass das, Frau Präsidentin, das war mein Schlusswort. Das sollte was schlecht läuft, öffentlich thematisiert und aufgearbei- richtig deutlich rüberkommen. tet wird. Das wird hier im Hause gemacht. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem (Beifall bei der FDP) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Götz Das ist gut so. Dieser Prozess läuft auch. Frömming [AfD]: Wird nicht besser!) Wir diskutieren jetzt über mehr Transparenz, unser Selbstverständnis als Abgeordnete und über die Sanktio- Vizepräsidentin Claudia Roth: nierung von Verfehlungen. Richtig so; auch wir Freien Ja, vielen Dank, Volkmar Klein. (B) Demokraten fordern schon seit vielen Jahren ein Lobby- (D) (Jürgen Braun [AfD]: Wir waren eigentlich register, das diesen Namen auch verdient. Und wir unter- Angela Merkel! Wir haben die Grenzen geöff- stützen alle Kollegen, die ohne Ansehen ihrer jeweiligen net! – Gegenrufe von der SPD und dem Fraktionsmitgliedschaft ernsthaft daran arbeiten. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!) (Beifall bei der FDP) Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Till Mansmann. Sie, die AfD-Fraktion, wollen das aber anders ange- hen. Sind Sie denn bereit, die gleichen Maßstäbe, die Sie (Beifall bei der FDP) bei anderen anlegen wollen, auch für Ihre Fraktion gelten zu lassen? Machen wir doch den Doppelmoraltest bei Till Mansmann (FDP): Ihnen. Sie kritisieren zu Recht die Kaviardiplomatie. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen Nehmen wir einmal ein anderes Land, das auch für her- und Kollegen! Wir sprechen heute über die Konflikte in vorragenden Kaviar bekannt ist: Russland. Sie fordern der Region, die wir Südkaukasus nennen. Da gibt es eine Transparenz von anderen. Ich schlage Ihnen vor: Stellen Menge aufzuarbeiten: von den historischen Dimensionen Sie sie bei sich selbst her. Ich freue mich über eine Auf- des ersten großen Völkermords im 20. Jahrhundert an den stellung Ihrer Fraktion, welches Ihrer über 80 Mitglieder Armeniern bis hin zum immer noch ungelösten blutigen im Laufe dieser Legislaturperiode zu welchem Zweck Konflikt um Bergkarabach. Sie fordern nun eine Einstel- und zu welchen Gesprächspartnern nach Russland gereist lung der Entwicklungszusammenarbeit mit Aserbaid- ist. Machen Sie uns transparent, schan, weil das Land einen Angriffskrieg vom Zaun (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, gebrochen hat. – Der Vorwurf ist leider richtig. Die Kon- der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE sequenz ist falsch. GRÜNEN) Für richtig würden wir es jetzt halten, stattdessen die wer die Rechnungen bezahlt hat: für die Fahrten, für die Entwicklungszusammenarbeit mit Armenien und Geor- Flüge, für den Aufenthalt, für die Versorgung vor Ort. gien zu intensivieren, uns also verstärkt den demokrati- Dann reden wir hier gern in einer weiteren Debatte über schen Ländern in dieser Region zuzuwenden. die Krimsektdiplomatie. Konsequenzen im Sinne von Sanktionen sollten sich Vielen Dank. auf die Personen in den Ländern beschränken, die diesen Krieg angezettelt haben, einen Angriffskrieg auf europä- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ischem Boden, der leider in Deutschland in der Öffent- der CDU/CSU und der SPD – lichkeit viel zu wenig Beachtung gefunden hat. [AfD]: Können Sie alles nachlesen!) 28536 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

(A) Vizepräsidentin Claudia Roth: Nach dem verlorenen Krieg hat Deutschland den Draht- (C) Vielen Dank, Till Mansmann. – Nächster Redner für ziehern des Massenmordes politisches Asyl gewährt. Wir die SPD-Fraktion: Dietmar Nietan. Er gibt seine Rede zu als Linke sagen klar: Das ist Beihilfe zum Völkermord. Protokoll.1) (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der SPD) Deshalb sind die Verbrechen an den Armenierinnen und Nächste Rednerin: für die Fraktion Die Linke, Helin Armeniern auch ein Teil unserer eigenen deutschen Ge- Evrim Sommer. schichte, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN)

Helin Evrim Sommer (DIE LINKE): Der Deutsche Bundestag hat den Völkermord reichlich Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! spät anerkannt: vor fünf Jahren. Allerdings wurde von Und wieder einmal die CDU. Die Affäre um die dem Antrag bis heute nichts umgesetzt. Wir als Linke Schmiergeldzahlungen aus Aserbaidschan hat das Ver- fordern, dass das Thema in den Schulunterricht jedes trauen in die demokratischen Institutionen tief erschüt- Bundeslandes integriert wird. Politische Verantwortung tert. Die Schaffung eines Lobbyregisters beim Bundestag heißt, Konsequenzen aus den historischen Verbrechen kann nur ein erster Schritt sein. Wir als Linke fordern zu ziehen. Das sind wir den Armenierinnen und Armen- volle Transparenz über die Nebeneinkünfte von Abge- iern schuldig, aber auch uns selbst, meine Damen und ordneten vom ersten Cent an. Herren. (Beifall bei der LINKEN – Peter Beyer [CDU/ (Beifall bei der LINKEN) CSU]: Was ist mit dem SED-Parteivermögen?) Die AfD will stattdessen lieber die Entwicklungszu- Vizepräsidentin Claudia Roth: sammenarbeit mit Aserbaidschan und der Türkei abwi- Vielen Dank, Helin Evrim Sommer. – Nächster Red- ckeln. Dabei sind diese beiden Länder längst keine bila- ner: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Cem teralen Entwicklungspartner Deutschlands mehr. Allein Özdemir. schon deswegen ist der AfD-Antrag vorsätzlich fehler- haft. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN) Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber das scheint ja Ihr Geschäft zu sein. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (B) Wo wir schon beim Geschäft der AfD sind: Wer hat Weil heute auch die Antwort auf die Große Anfrage der (D) denn eigentlich die vielen Reisen der rechten Saubermän- AfD zur Armenien-Resolution auf der Tagesordnung ner auf die russisch besetzte Krim und nach Syrien steht, will ich damit anfangen. bezahlt? Am 2. Juni 2016 hat der Deutsche Bundestag den Völ- (Beifall bei der LINKEN) kermord im ehemaligen Osmanischen Reich an den Als glaubwürdige Vorkämpferin für saubere Politik christlichen Armeniern und Suryoye endlich anerkannt. scheidet die Rechtsaußenfraktion aus. Unser Hohes Haus ging dabei sogar noch einen Schritt weiter und tat den notwendigen Schritt, den die AfD nicht (Beifall bei der LINKEN – Markus Frohnmaier verstehen wird. Das wäre mit Ihnen damals nicht möglich [AfD]: Das ist alles dokumentiert! Das können gewesen. Der Bundestag hat sich als Rechtsnachfolger Sie nachlesen!) des Deutschen Kaiserreichs zu seiner eigenen Mitschuld Nun zum Völkermord an den Armeniern. Der jährt an dem Völkermord bekannt. Zu dieser Resolution und sich am 24. April zum 106. Mal. Die Türkei leugnet den Verpflichtungen, die sich daraus ergeben, steht die diesen Genozid bis heute. Aber die Rechten in diesem demokratische Mehrheit dieses Deutschen Bundestages Haus wollen sich zum Verteidiger der armenischen Chris- nach wie vor. ten machen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (Zuruf von der AfD: Haben wir ja auch!) bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abge- und unterschlagen prompt die deutsche Mitverantwor- ordneten der CDU/CSU) tung. Für uns als Linke ist klar: Ohne die damalige Mit- Jetzt versucht sich die AfD zum Hüter dieser Resolu- wirkung des Deutschen Kaiserreichs hätte der Völker- tion aufzuschwingen und verbindet es mit dem Krieg in mord so nicht stattgefunden. Karabach und der sogenannten Kaviardiplomatie. Ilyas (Beifall bei der LINKEN) Kevork Uyar, ehemaliger Vorsitzender der armenischen Kirche in Deutschland, sagt zu den Bemühungen der Die Reichsregierung war im Ersten Weltkrieg mit dem AfD – ich darf zitieren –: Das, was Euer Ober-Gauland Osmanischen Reich verbündet. Das mörderische Vorge- verharmlosend als Fliegenschiss kleinreden wollte, die hen hat sie aus zynischem Machtkalkül gedeckt. Mehr Nazi-Barbarei, hat auch viele Armenierinnen und Arme- noch: Deutsches Militär hat mitgeholfen, als die armen- nier ermordet, so wie meinen eigenen Verwandten Misak ischen Christinnen und Christen abgeschlachtet wurden. Manouchian, ebenfalls Anti-Faschist! Und Ihr versucht, auf dem Rücken der Armenier eine schmierige Polit- 1) Anlage 9 Show abzuziehen? Nicht mit uns! Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28537

Cem Özdemir (A) Als einer der Autoren der Resolution sage ich: Der In wenigen Wochen ist es fünf Jahre her, dass der (C) Geist der Resolution ist Versöhnung, kein Hass auf Mus- Bundestag endlich – endlich! – den türkischen Völker- liminnen und Muslime, kein Hass auf die Türkei. Tür- mord an den Armeniern anerkannt hat, fünf Jahre, in keistämmige Menschen tragen heute weder in der Bun- denen es die Bundesregierung vermieden hat, auch nur desrepublik Deutschland noch in der Türkei Schuld an ein einziges Mal das Wort „Völkermord“ oder „Genozid“ den Verbrechen des damaligen Osmanischen Reiches, in den Mund zu nehmen. Der 24. April ist der Gedenktag so wie wir keine Schuld tragen an den Verbrechen des der Armenier. Am 24. April 1915 begann der Völkermord Nationalsozialismus. Aber gemeinsam verbindet uns Ver- an den Armeniern und weitete sich aus: auf die Assyrer, antwortung, dass so etwas nie wieder passiert. die Aramäer, die Chaldäer – gezielte Christenverfolgung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, unvorstellbaren Ausmaßes in der islamischen Türkei, bei der SPD, der FDP und der LINKEN sowie dem damaligen Osmanischen Reich. bei Abgeordneten der CDU/CSU) Über 100 Jahre hat es gedauert, bis ein deutsches Parla- Es ist schlimm – ich will das in aller Deutlichkeit ment offiziell den Völkermord an den Armeniern im sagen –, und es gehört aufgearbeitet, dass sich christde- Osmanischen Reich anerkannt hat. Die AfD-Fraktion mokratische Abgeordnete für die Propagandashow des hat nachgefragt. Wir haben eine Große Anfrage zum Völ- Regimes in Aserbaidschan hergegeben haben und sich kermord an den Armeniern an die Bundesregierung dafür haben bezahlen lassen. Ich hätte mir auch – auch gerichtet. Wir wollten wissen, wie es um die Umsetzung das will ich sehr deutlich sagen – eine deutlich aktivere dieser verspäteten Resolution steht. Die Antworten der Rolle der Bundesregierung in Bezug auf den Krieg in Bundesregierung auf unsere Große Anfrage sind dürftig; Bergkarabach gewünscht. Doch auch hier sind Sie von im normalen Leben würde man sagen: dumm-frech. Die der AfD die letzten, die mit dem Finger auf andere zeigen Bundesregierung tut so, als hätte es nie einen Völkermord können. an den Armeniern gegeben. Die Bundesregierung hat so gut wie nichts in den letzten fünf Jahren unternommen. Während die OSZE-Beobachter deutliche Kritik an Diese Haltung kommt einer Leugnung des Völkermords den Fake Wahlen in Aserbaidschan geübt haben, ließen an den Armeniern nahe. sich zwei AfD-Abgeordnete aus Bayern für die Regime- propaganda einspannen. Die AfD-Abgeordneten waren (Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Was?) in den örtlichen und russischen Medien voll des Lobes Hysterische und heuchlerische Hypermoral in Berlin, über die Gastfreundschaft usw. Aber Fake Wahlbeobach- und in Bergkarabach sterben die Armenier. tung scheint auch zum Kerngeschäft der AfD zu gehören: ob in Russland, im besetzten Teil der Ukraine oder in Vielen Dank. (B) Aserbaidschan. Ihre Motive sind durchschaubar. Sie wol- (Beifall bei der AfD) (D) len eine antitürkische, antimuslimische Stimmung schü- ren. Wir dagegen wollen Frieden und Gerechtigkeit zwi- schen Armenien, Aserbaidschan und der Türkei. Vizepräsidentin Claudia Roth: Die nächste Rednerin, Dr. Barbara Hendricks, gibt ihre (Tino Chrupalla [AfD]: Das sagen die Grünen, Rede zu Protokoll, und auch der nächste Redner, Matern die größten Kriegstreiber!) von Marschall, CDU/CSU-Fraktion, gibt seine Rede zu Mit dem haben Sie nicht das Geringste zu tun. Protokoll.2) Herzlichen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der FDP) Damit schließe ich die Aussprache zu Tagesordnungs- Vizepräsidentin Claudia Roth: punkt 22. Vielen Dank, Cem Özdemir. – Der nächste Redner für Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf die CDU/CSU, , gibt seine Rede zu Proto- 1) Drucksache 19/28796 an die in der Tagesordnung aufge- koll. Dann ist jetzt der nächste Redner für die AfD- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Weitere Vorschläge Fraktion Jürgen Braun. gibt es nicht. – Wir verfahren genau so. (Beifall bei der AfD – Helin Evrim Sommer Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: [DIE LINKE]: Es wird immer schlechter!) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Jürgen Braun (AfD): Wertes Präsidium! Liebe Kollegen! Gezielte militär- zur Änderung von Vorschriften im Eisenbahn- ische Angriffe auf armenische Kirchen in Bergkarabach, bereich Bomben auf christliche Traditionen, auf die Kathedrale Drucksache 19/27671 von Schuschi, anderthalb Jahrtausende Christentum in Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Gefahr, christliche Dörfer entvölkert: Aserbaidschan ses für Verkehr und digitale Infrastruktur unterstützt von der Türkei. Wieder werden Armenier (15. Ausschuss) von Türken umgebracht – das alles kurz vor Weihnachten im Kaukasus. Drucksache 19/28828

1) Anlage 9 2) Anlage 9 28538 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten Ein weiterer Punkt ist die Gleisanschlussförderung. (C) beschlossen. Ich bitte die Kollegen und Kolleginnen – Wir haben es uns in Deutschland in den vergangenen aber es sind vornehmlich Kollegen –, zügig Platz zu neh- Jahrzehnten angewöhnt, Gewerbegebiete zu entwickeln, men. die vor allem durch Bundesstraßen und Autobahnen gut erschlossen sind, aber nicht durch Eisenbahnen. Wenn Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die Bun- man sie in Zukunft gut erschließen will, dann muss man desregierung der Parlamentarische Staatsekretär Enak neue Eisenbahnlinien in die Gewerbegebiete legen. Das Ferlemann. ist aber aufwendig. Da ist die Frage: Wer trägt die Kos- ten? Auch diese Frage regelt dieser Gesetzentwurf, und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) zwar so, dass in Zukunft bei der Anschlussweiche die Kosten geteilt werden und letztlich die laufenden Betriebskosten beim Betreiber der Schienenwege ver- Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim Bundes- bleiben. Wir haben hier, wie ich finde, eine sehr ausge- minister für Verkehr und digitale Infrastruktur: wogene, sehr gute Regelung gefunden, die dazu führen Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und wird, dass wir mehr Gleisanschlüsse von Gewerbegebie- Kollegen! Wir haben heute das Eisenbahnrechtsbereini- ten bekommen. Das ist etwas, was wir ja auch wollen, um gungsgesetz zu beschließen. Das ist ein sehr technokrati- mehr Güter von der Straße auf die Schiene bringen zu scher Begriff. Was versteckt sich eigentlich dahinter? Wir können. regeln mit diesem Gesetz einige Vorgaben des EU- Rechts, die wir in das deutsche Eisenbahnrecht überneh- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und men. der SPD) Das Besondere an diesem Gesetzentwurf – das muss Das Besondere an diesem Gesetz ist, dass wir die ich sagen – ist die großartige Leistung der Koalitions- Vegetationskontrolle neu regeln. Was heißt das? Wir stel- fraktionen. Ich möchte ausdrücklich die Beratungen mit len die Schiene der Straße gleich. Wenn es zu Baum- den Fraktionen von CDU/CSU und SPD positiv erwäh- wuchs kommt, der in die Schiene zu fallen droht, werden nen. Herr Rainer und Frau Lühmann haben mit den Kol- wir in Zukunft in Deutschland diese Bäume rechtzeitig leginnen und Kollegen ganze Arbeit geleistet. Es ging fällen können, bevor ein Unglück passiert. Gerade in den nämlich um die Frage: Können wir auch eine bessere Sturmlagen, die wir in den letzten Jahren häufiger hatten, Regelung für die Privatbahngleise in Deutschland hinbe- kam es immer wieder zu schweren Unfällen aufgrund des kommen? Umfallens von Bäumen in die Gleise. Das eine ist das Risiko für die Bahnreisenden und natürlich für das Mate- Die Koalitionsfraktionen haben es geschafft, einen (B) rial. Das andere ist die verheerende Auswirkung, wenn Änderungsantrag dergestalt zu machen, dass die Neben- (D) diese Bäume in die Oberleitungen fallen und die ganzen strecken der sogenannten Privatbahnen, also die, die Oberleitungen herunterreißen; denn es ist sehr kompli- nicht zur bundeseigenen Eisenbahn gehören – so lautet ziert, diese Reparaturen vorzunehmen. Wenn dies auf der korrekte Terminus technicus, ein bisschen arrogant: den vielen Hauptstrecken passiert, dann werden diese die, die nicht DB sind –, in Zukunft nicht nur beim Ersatz- gemacht. Bei den Nebenstrecken dauert es dann aber bau gefördert werden können, sondern auch beim Aus- eine ganze Zeit – so auch in meinem Wahlkreis –, bis und Neubau. Wenn man also die Strecken einer Eisen- diese Strecken repariert sind und wieder der volle Betrieb bahnen und Verkehrsbetriebe Elbe-Weser GmbH in Zu- aufgenommen werden kann. kunft elektrifiziert, kann dort der Eigentümer einen An- trag stellen und bis zu 50 Prozent der Förderung durch Es war deswegen angezeigt, hier eine neue Regelung den Bund erhalten. Das ist eine großartige Leistung. zu finden. Wir haben uns an der Straße orientiert und Ich gehe davon aus, dass heute Abend mit der geschaut: Wie ist es dort? Dort kann eben derjenige, der Beschlussfassung zum Beispiel bei der Bentheimer die Verkehrssicherungspflicht auf der Straße hat, eingrei- Eisenbahn AG durchaus ein schönes Bier mit einem fen und den Baumwuchs rechtzeitig so beseitigen, dass er ordentlichen Glas Korn dazu getrunken wird, weil die gar nicht der Gefahr unterliegt, auf die Straße zu fallen. lange auf eine Regelung gewartet haben, mit der sie Das machen wir jetzt auch bei der Schiene. Das heißt: sich endlich Investitionen – sehr schlank, sehr gut geför- Wir können nicht nur auf den Grundstücken der DB AG dert, ähnlich wie die DB-Strecken – werden leisten kön- selbst oder der öffentlichen Gebietskörperschaften wie nen. Das ist eine großartige Leistung der Fraktionen. zum Beispiel den Kommunen, wo das in der Zusammen- Herzlichen Dank dafür. arbeit schon in der Vergangenheit relativ gut klappte, sondern wir können jetzt auch auf Privatgrundstücken (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) eingreifen, sowohl vorsorgend als auch im aktiven Fall. Insofern ist es, glaube ich, ein sehr gutes Gesetz. Insofern regelt das Eisenbahnrechtsbereinigungsge- ( [DIE LINKE]: Korn ist aber setz, dass wir praktisch auch in diesem Fall die Schiene nicht gut!) der Straße gleichstellen. Das dient dem Ziel, mehr Ver- – Das ist ein sehr gutes Gesetz, Herr Kollege. kehr von der Straße auf die Schiene zu bringen. Ein we- sentlicher Bestandteil ist, dass auch der Schienenverkehr (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Ich sagte: Korn verlässlich, pünktlich und korrekt läuft. Auch das muss ist nicht gut!) neu geregelt werden. Das tun wir mit diesem Gesetz vor- Auch wenn Sie davon nichts verstehen: Es ist wirklich ein bildhaft. sehr gutes Gesetz; Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28539

Parl. Staatssekretär Enak Ferlemann (A) (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Aber Korn Ja, wir reden damit vom Wetter. Bäume, die bei Sturm (C) nicht!) auf die Gleise oder in die Oberleitung fallen, sind eben ich kann es Ihnen sagen. eine problematische Art von Vegetation. Bürger schrei- ben dazu bereits Petitionen an den Bundestag. Wie wir Derjenige, der etwas davon versteht, müsste eigentlich vor zwei Monaten erlebt haben, gibt es großflächige Stre- der Kollege Gastel sein. Das ist nämlich einer – ich will ckensperrungen aber nicht nur bei starkem Wind. Kräfti- mal die Gelegenheit nutzen, das zu sagen –, der immer ger Schneefall kann das auch bewirken. von Eisenbahnen redet und in der ganzen Republik rum- twittert, was man so alles anders machen kann. Jetzt soll also das Allgemeine Eisenbahngesetz geän- dert werden, um die Vegetationskontrolle besser durch- (Zuruf des Abg. Matthias Gastel [BÜND- zusetzen. Das Bundesfernstraßengesetz – das wurde NIS 90/DIE GRÜNEN) schon genannt – ist dafür das Vorbild. Die AfD-Fraktion Sie werden heute meiner Ansicht nach wieder das Schau- begrüßt das ausdrücklich. Die Schieneninfrastruktur ist spiel erleben, dass wir hier ein sehr gutes Gesetz beschlie- ein Teil der Daseinsvorsorge, und sie muss, so gut es ßen und der Kollege Gastel wieder dagegenstimmen geht, vor Witterungseinflüssen geschützt werden. wird. Denn über alles, was gut ist in der Eisenbahn, redet (Beifall bei der AfD) er, aber er stimmt immer dagegen. Genauso deutlich kritisieren wir aber, dass es so lange (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Wer gedauert hat, bis jetzt endlich beherzter gegen die Gefah- soll das noch verstehen!) renbäume vorgegangen werden kann. In die Jahrzehnte Das ist ein ganz großes Problem, und ich wollte diese seit der berühmten Werbekampagne fiel nicht zuletzt der pharisäerhafte Art einmal hier ansprechen. Versuch, die Unternehmenszahlen der Bahn für einen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Börsengang schönzurechnen. Dafür wurde dann auch ordneten der SPD) bei der Vegetationskontrolle gespart, und die Probleme konnten rechts und links der Bahnstrecken im wahrsten So kann das nicht gehen. Also, Herr Gastel, wenn Sie Sinne des Wortes immer höher wachsen. Kommunale heute sich noch einen Ruck geben und einem guten Ge- Baumschutzverordnungen helfen auch mit, zu verhin- setz zustimmen wollen, können Sie es gleich machen. Sie dern, dass Anrainer der Bahnstrecken ihren Verkehrssi- haben die Chance dazu. Aber ich nehme an, dass wir cherungspflichten ordentlich nachkommen. Auf Anfrage heute dieses Schauspiel mit Ihnen wieder erleben. der AfD-Fraktion im April 2018 teilte das Verkehrsmi- Ich darf mich bei den Koalitionsfraktionen für eine nisterium mit, dass drei Viertel aller Nachbargrundstücke exzellente Zusammenarbeit bedanken, auch bei den Mit- der Bahnstrecken nicht der Bahn gehören. Wenn die Bahn (B) arbeiterinnen und Mitarbeitern in meinem Hause, die ihre Nachbarn wegen gefährlicher Bäume anschreibt, be- (D) wirklich gut gearbeitet haben und auch gut zugearbeitet kommt sie meistens gar keine Antwort. Und wenn doch haben. Insofern freue ich mich, wenn Sie dem Gesetz eine Antwort kommt, dann meistens eine ablehnende. heute zustimmen. Jetzt sind wir also endlich an dem Punkt, dass die Bahn Herzlichen Dank. notfalls auch auf Kosten dieser Grundstückseigentümer Maßnahmen durchführen darf. Ob das ausreicht, wird (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- man sehen müssen. Bei eigenen Grundstücken neben ordneten der SPD) den Gleisen schneidet die Bahn Bäume nach einem V-för- migen Profil zurück. Im Gesetzentwurf steht nun aber, ein Vizepräsidentin Claudia Roth: solcher vorsorglicher Rückschnitt könne aus rechtlichen Vielen Dank, Enak Ferlemann. – Nächster Redner: für Gründen auf fremden Grundstücken nicht durchgesetzt die AfD-Fraktion Wolfgang Wiehle. werden. Andere Länder sind da weniger zimperlich, wie (Beifall bei der AfD) zum Beispiel Schweden und Italien. Die Zukunft wird zeigen, wie bald wir die nächste Gesetzesänderung brau- chen. Die AfD-Fraktion wird es nicht akzeptieren, wenn Wolfgang Wiehle (AfD): das wieder Jahrzehnte dauert. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kol- legen! Lange ist es her, mehr als fünf Jahrzehnte, da warb Insgesamt halten wir den heutigen Gesetzentwurf für die Bahn mit diesem Plakat: „Alle reden vom Wetter. Wir akzeptabel, und wir werden ihm zustimmen. Immerhin ist nicht.“ er ein Schritt in die richtige Richtung. Wir werden aber nicht lockerlassen, auch nicht in Sachen Schneestrategie; (Der Redner hält ein Plakat hoch – Detlef das verspreche ich Ihnen an dieser Stelle. Gerade jetzt, Müller [Chemnitz] [SPD]: Und jetzt zum The- wo alle die Bahn fördern wollen, muss dafür gesorgt ma!) werden, dass man von einem nicht mehr reden muss, Ja, lange ist es her. In den Jahrzehnten seither ist viel nämlich vom Wetter. geschehen, was auch für unsere heutige Debatte wichtig (Beifall bei der AfD) ist. Jetzt steht ein ganzes Gesetzespaket zur Abstimmung. Es enthält viele wichtige Gesichtspunkte, zum Beispiel die Förderung von Gleisanschlüssen; Herr Staatssekretär Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Ferlemann hat es erwähnt. Die Neuregelung der soge- Herzlichen Dank, Herr Kollege Wiehle. – Liebe Kolle- nannten Vegetationskontrolle ist aber mit Abstand die ginnen und Kollegen, Sie sehen, die Sitzungsleitung hat bedeutendste Änderung. gewechselt. Es geht jetzt wieder, wie immer, gesittet zu. 28540 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) (Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP) haben wir geregelt, ähnlich wie im Straßenbereich. Das (C) führt dazu, dass die Motorsäge zu Hause bleiben kann, Ich werde keine Kurzinterventionen zulassen und auch zumindest was den Lokführerstand angeht. Zwischenfragen nur im äußersten Notfall. Wir sind mo- mentan bei einem Sitzungsende um 3.15 Uhr, was ich (Beifall bei der SPD) nach wie vor für unangemessen halte. Also, alle diejeni- Aber wir sagen in diesem Gesetz auch: Wir möchten gen, die in ihren Wahlkreisen bereits aufgestellt sind und mehr Güter auf die Schiene bringen. Das eine wurde daher nicht mehr reden müssen, sollten ihre Reden zu erwähnt, die Förderung von nichtbundeseigenen Eisen- Protokoll geben. bahnen. Das andere ist, dass wir Gleisanschlüsse für Un- (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der ternehmen fördern. Das Risiko für ein Unternehmen, sich SPD und der LINKEN) einen Gleisanschluss zu legen, ist sehr hoch. Da ist näm- lich nicht nur die Investition, sondern da sind auch die Nächste Rednerin ist die Kollegin Kirsten Lühmann, Kosten für den Unterhalt. Wir haben geregelt: Bei der SPD-Fraktion. Investition werden die Weichenkosten geteilt, die Unter- haltskosten sind ganz vom Netzbetreibenden zu tragen. (Beifall bei der SPD) Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist gut für die Bahnfahrenden, für die Mobilitätswende und für das Kli- Kirsten Lühmann (SPD): ma. „Xavier“, „Mortimer“, „Sabine“, „Kirsten“ – Herr Prä- Herzlichen Dank. sident, liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, das sind vier wunderschöne Namen, insbesondere der letzte. Aller- (Beifall bei der SPD) dings nenne ich sie nicht deshalb, sondern, weil sie uns in der Vergangenheit unangenehm aufgefallen sind. So Vizepräsident Wolfgang Kubicki: hießen die großen Sturmtiefs, die auch dafür gesorgt ha- Vielen Dank, Frau Kollegin. – Ich hatte vergessen, zu ben, dass der Bahnverkehr über Tage eingestellt werden erwähnen, dass ich auch sehr sorgfältig auf die Zeit ach- musste, und die dafür gesorgt haben, dass Lokführende ten werde. Motorsägen mitgeführt haben, um zum Beispiel in mei- nem Wahlkreis, einer sehr waldreichen Gegend, die (Kirsten Lühmann [SPD]: Das habe ich auch Befahrbarkeit der Gleise wiederherzustellen. gemacht!) Wir haben in diesem Zusammenhang hier sehr viel – Ja, ich wollte nur die Pause jetzt nutzen. – Das bedeutet, über den sogenannten V-Schnitt gehört. Wie soll ich die ich werde einmal mahnen und danach von der Regelung (B) Gleise freihalten? Mit dem V-Schnitt oder mit dem des § 35 Absatz 3 der Geschäftsordnung Gebrauch ma- (D) L-Schnitt? Aber die eigentliche Frage, die sich uns stellte, chen und das Wort entziehen. Nur dass das klar ist. ist: „Wie kann man das Ganze organisieren?“; denn der Nächster Redner ist der Kollege Torsten Herbst, FDP- DB Netz AG gehört nur ein Teil der Trasse, und die Fraktion. Bäume rechts und links sind durchaus gefahrenträchtig bei solchen Stürmen. (Beifall bei der FDP)

Ja, ich kenne auch die Fälle, wo Waldbesitzende gesagt Torsten Herbst (FDP): haben: Das geht aber ganz schön bürokratisch zu bei der Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- Bahn, wenn es um Sicherheit geht, wenn wir da aus- ren! Mit der vorliegenden Novelle werden verschiedene schneiden wollen. – Der überwiegende Teil der Fälle rechtliche Details neu geregelt. Das sind zum Teil redak- belegt aber genau das Gegenteil. Die Bahn möchte ihrer tionelle Änderungen, zum Teil Klarstellungen, zum Teil Verkehrssicherungspflicht nachkommen, aber sie kann auch Verbesserungen wie die Gleisanschlussförderung; entweder die zuständigen Waldbesitzenden nicht errei- alles Punkte, die wir als FDP-Fraktion unterstützen. chen, oder die verweigern den Mitarbeitenden den Zutritt zu ihren Grundstücken. Das, liebe Kolleginnen und Kol- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten legen, ist nicht tragbar, wenn es um die Sicherheit des der CDU/CSU) Bahnverkehrs geht. Das haben wir hier geändert. Eines der Hauptthemen – das haben die Vorredner auch (Beifall bei der SPD) schon angesprochen – ist das Thema Vegetationsmanage- ment. Wir haben in den letzten Jahren sehr oft erlebt, dass Dabei haben wir den Entwurf des Verkehrsministe- selbst bei, ich sage mal, mäßigen Stürmen Bäume auf riums noch mal optimiert. Herr Ferlemann, Sie wollten Gleise gefallen sind, Oberleitungen zerstört haben. Das da sehr weit gehen, indem Sie gesagt haben, dass die ist ein Problem, weil das die Sicherheit der Reisenden Bahn quasi die Eigentumsrechte übernimmt und auf gefährdet, im Übrigen auch die der Triebfahrzeugführer, fremden Grundstücken eine Sicherungspflicht hat. Da und weil das zu hohen materiellen Schäden führt. Des- haben wir gesagt, das könnte zu zivilrechtlichen Ansprü- wegen ist eine bessere Vegetationskontrolle dringend not- chen führen, wenn zum Beispiel die Mitarbeitenden der wendig. Bahn einen Baum fällen und der Waldbesitzende sagt: Nein, der war gar nicht gefährlich, den hätte ich noch (Beifall bei der FDP) wirtschaftlich verwerten wollen. – Da haben wir gesagt: Sie haben sich für eine Regelung entschieden, die Das muss auch gar nicht sein. Es reicht völlig ein Zutritts- etwas abgeschwächt ist im Vergleich zum ursprünglichen recht, wenn ein Baum auf die Gleise zu fallen droht. Das Regierungsentwurf, der sehr weitgehende Pflichten für Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28541

Torsten Herbst (A) die Infrastrukturbetreiber vorgesehen hat, nämlich auf Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C) fremde Grundstücke zu gehen und dort zu kontrollieren Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Lie- und zu dokumentieren. Wir sind froh, dass das abge- be Kollegen! Das Positive vorweg: Bei der Vegetations- schwächt wurde. Warum Sie allerdings in Ihrer jetzigen kontrolle entlang der Bahnstrecken sollen die Zuständig- Regelung immer noch einen Abstand von 50 Metern vom keiten, die Verantwortlichkeiten klar sein. Sie sollen bei Gleis bis in das Grundstück vorsehen, bleibt Ihr Geheim- den Eisenbahninfrastrukturunternehmen liegen, aber nis. Ich glaube, eine Tanne in Deutschland kann schon gegebenenfalls auch bei Privaten, wenn deren Grund- mal 25 Meter hoch werden. Mammutbäume haben wir stücke an den Bahnstrecken angrenzen. Das ist ein guter aber nicht in Deutschland, und ich glaube, trotz und wichtiger Beitrag zur Verkehrssicherheit, aber auch Klimaveränderung werden wir die hier auch nicht erle- zur Zuverlässigkeit des Bahnverkehrs in Deutschland. ben. Bahn muss möglichst unabhängig von Jahreszeiten und Witterung sein. In dem Zusammenhang ist auch zu (Beifall bei der FDP) erwähnen: Die sogenannte neue Schneestrategie der Deutschen Bahn ist zu Recht fraktionsübergreifend auf Das Interessante ist ja immer: Sie machen eine Menge deutliche Kritik gestoßen. Es geht schlicht und ergreifend zum Teil auch sinnvolle Regelungen im Detail, aber um nicht, was im Februar der Fall war: dass wesentliche Teile die großen Fragen im Eisenbahnrecht machen Sie einen des Schienennetzes fast eine Woche lang gesperrt gewe- ganz, ganz großen Bogen. Die großen Fragen sind: Wie sen sind und man sie einfach hat zuschneien lassen. Es gehen wir generell mit dem Thema Infrastruktur um? Das geht darum, dass die Infrastruktur möglichst zu jeder Zeit ist ja im Eisenbahnbereich im weitesten Sinne ein Mono- verfügbar sein muss. Dafür sorgt dieses Gesetz ein Stück pol. Und: Wie regeln wir die Eisenbahnbetriebsunterneh- weit. men im Verhältnis zur Eisenbahninfrastruktur? Wie schaffen wir es, faire Wettbewerbsbedingungen zu kreie- Negativ ist aber – lieber Herr Ferlemann, das haben Sie ren, damit mehr Auswahl für die Kunden entsteht, sowohl leider nicht gesagt, obwohl Sie doppelt so viel Redezeit was den Schienengüterverkehr als auch was den Nahver- hatten wie ich jetzt –: Straßenbaulastträger sollen künftig kehr betrifft, wo Wettbewerb schon funktioniert. Aber Entwidmungen von Eisenbahninfrastruktur beantragen dort, wo der Wettbewerb bisher überhaupt nicht funktio- können. Damit machen Sie den Bock zum Gärtner. Zu- niert, im Schienenpersonenfernverkehr, mogeln Sie sich kunftsperspektiven von Bahnstrecken dürfen doch nicht herum, Antworten zu geben, wie wir dort bessere Wett- von den Interessen des Straßenbaus abhängig gemacht bewerbsbedingungen, mehr Auswahl, mehr Service für oder gar zerstört werden. die Kunden schaffen müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (B) (D) Das wird in der nächsten Legislaturperiode angegan- Es wurde schon viel zu viel Infrastruktur der Bahn gen werden müssen. Wir freuen uns auf diese Diskussion, zerstört. Seit 1994, dem Jahr der Bahnreform, wurden und wir werden auch Mahner dafür sein, dass wir einen 14 Prozent der Strecken in Deutschland stillgelegt oder insgesamt attraktiveren Schienenverkehr nur hinbekom- auch entwidmet. Gleichzeitig ist aber die Verkehrsleis- men, damit es mehr Auswahl für Kunden gibt, ähnlich tung auf der Schiene im Personenverkehr um 50 Prozent wie wir das auch im Telekommunikationsbereich oder im und im Güterverkehr sogar um 90 Prozent gewachsen. Bereich der Airlines kennen. Das ist die Aufgabe, die Das heißt, auf geschrumpfter Infrastruktur gibt es deut- Baustelle, die Sie hinterlassen haben. Wir wollen uns lich mehr Verkehr. Das kann auf Dauer nicht gut gehen. darum in der nächsten Legislaturperiode kümmern. Dann kann man nicht gleichzeitig auch noch die Entwid- mung von Eisenbahninfrastruktur einfacher machen, als (Beifall bei der FDP) sie heute ist; das ist doch absurd. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Zuruf der Abg. Kirsten Lühmann [SPD]) Vielen Dank, Herr Kollege Herbst. – Die Kollegin Was wir brauchen, ist ein bundesweites Reaktivie- Sabine Leidig, Fraktion Die Linke, und die Kollegen rungsprogramm von Infrastruktur, wie es beispielsweise Karl Holmeier, CDU/CSU-Fraktion, und Detlef Müller, in Baden-Württemberg gemacht wird. 42 stillgelegte, SPD-Fraktion, haben ihre Reden zu Protokoll1) gegeben teilweise auch entwidmete Bahnstrecken wurden dort auf ihr Fahrgastpotenzial hin untersucht, 22 davon haben (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten jetzt gute Chancen, wieder in Betrieb genommen zu wer- der LINKEN) den. Das sollte der Bund zusammen mit den Ländern auch anderswo machen, damit wir wieder mehr Infra- – ich finde, das ist einen Beifall wert –, sodass der letzte struktur haben und die Bahn in die Fläche bringen. Redner in dieser Debatte der Kollege Matthias Gastel, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Also, noch mal und zusammenfassend: Es ist gut, dass (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – die Infrastruktur unabhängig von Witterung und Jahres- Detlef Müller [Chemnitz] [SPD]: Sagen Sie: zeit verlässlich zur Verfügung gestellt werden soll. Wo Wir stimmen zu! Wir stimmen zu!) wir aber als Grüne nicht zustimmen können, ist, dass Straßenbauer über die Zukunft von Infrastruktur der 1) Anlage 10 Schiene mitentscheiden können, indem sie einen Antrag 28542 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Matthias Gastel (A) auf Entwidmung stellen. Das ist schlicht und ergreifend an der Wahlvorbereitung beteiligten Akteure diese (C) absurd, da machen wir nicht mit. Deswegen stimmen wir Gefahren besser auf dem Schirm haben, dann hat sich diesen Gesetzesänderungen auch nicht zu. der heutige Abend schon gelohnt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für die FDP!) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Was passiert denn konkret? Autoritäre Regierungen Vielen Dank, Kollege Gastel. Das war eine punktge- nutzen das Internet als Kommunikationsplattform, aber naue Landung. – Damit schließe ich die Aussprache. auch als Plattform für Cyberangriffe. Sie nutzen die so- Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- zialen Medien, sie nutzen verdeckte Finanzierungen, sie desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur nutzen andere Wege, um die Willensbildung in demo- Änderung von Vorschriften im Eisenbahnbereich. Der kratischen Staaten Europas auf ganz unterschiedlichen Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur emp- Kanälen zu beeinflussen. fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/28828, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Warum tun sie das, meine Damen und Herren? Sie tun Drucksache 19/27671 in der Ausschussfassung anzuneh- das aus folgendem Grund: Je mehr Menschen an der men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Handlungsfähigkeit staatlicher Organisationen und Insti- Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- tutionen zweifeln, umso leichter können sich Putin und chen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann Erdogan als starke Führungspersönlichkeiten inszenie- ist dieser Gesetzentwurf gegen die Stimmen der Grünen ren. Je mehr Menschen Angst vor Zuwanderung und bei Enthaltung der Fraktionen von FDP und Linken mit sexueller Selbstbestimmung haben, umso eher können den Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses ange- sich autoritäre Typen als Retter des Abendlandes und nommen. der Familie gerieren. Je mehr Menschen in Deutschland glauben, wir lebten in einer Coronadiktatur oder in einer Dritte Beratung Meinungsdiktatur, umso einfacher ist es für die wahren und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Diktatoren, ihre Menschenrechtsverletzungen und ihre Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wahlmanipulationen unter den Teppich zu kehren. Und Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann stelle je stärker radikale Parteien bei Wahlen werden, umso ich fest, dass der Gesetzentwurf in der dritten Beratung schwieriger ist es für eine Regierungsbildung aus der und Schlussabstimmung gegen die Stimmen der Fraktion Mitte des demokratischen Parteienspektrums. Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktionen Genau das ist von autoritären Regimen gewollt. Genau (B) von FDP und Linken mit den Stimmen der übrigen Frak- diese Instabilität, genau diese Krisen sind von autoritären (D) tionen des Hauses angenommen ist. Regimen gewollt. Wir erleben deswegen, dass die Wehr- (Beifall bei der SPD) haftigkeit unserer freiheitlich-demokratischen Grundord- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf: nung, dass die Offenheit unserer Gesellschaft in Gefahr ist – von außen und von innen –, und es ist gut, dass wir Beratung des Antrags der Abgeordneten heute darüber sprechen, meine Damen und Herren. Konstantin Kuhle, Manuel Höferlin, Thomas Hacker, weiterer Abgeordneter und der Fraktion (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Sebastian der FDP Hartmann [SPD]) Schutz der Bundestagswahl 2021 vor Des- Was passiert konkret, und was muss geschehen? information und Cyberangriffen Erstens. Wir erfahren in diesen Tagen, dass in den Drucksache 19/28743 letzten Wochen und Monaten mindestens sieben Bundes- Überweisungsvorschlag: tagsabgeordnete zum Ziel, zu Opfern von Phishing- Ausschuss für Inneres und Heimat (f) Angriffen geworden sind. Da wird versucht, Passwörter Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss Digitale Agenda auszuforschen, mit denen man sich in die Social-Media- Präsenzen von Abgeordneten einloggen kann, um dort Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten Desinformation zu verbreiten. Was lernen wir daraus? beschlossen. – Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, Wir müssen nicht nur an der IT-Sicherheit der Exekutive auch der FDP-Fraktion, um zügige Herstellung der Ruhe arbeiten, sondern auch an der IT-Sicherheit der Legisla- im Saal. tive, auch bei den Kandidatinnen und Kandidaten, bei den Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- Parteien, bei den Landespolitikern, bei den Kommunal- ner dem Kollegen Konstantin Kuhle, FDP-Fraktion, das politikern. Wir brauchen Schulungen, Seminare, konkre- Wort. te Hilfsangebote, übrigens auch für Erstwähler, die sich (Beifall bei der FDP) zum ersten Mal ein Bild machen sollen, um eine infor- mierte Wahlentscheidung treffen zu können. Konstantin Kuhle (FDP): Zweitens. Es gibt Untersuchungen des Europäischen Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- Auswärtigen Dienstes, die ganz klar benennen, dass es ren! Wir sprechen heute über den Schutz der Bundestags- kein Land in der Europäischen Union gibt, das so stark im wahl 2021 vor Desinformation und Cyberangriffen. Fokus von Desinformation steht wie die Bundesrepublik Wenn die heutige Debatte nur den Effekt hat, dass die Deutschland. Russia Today bemüht sich um eine Rund- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28543

Konstantin Kuhle (A) funklizenz in Deutschland. TRT aus der Türkei baut sein Es gibt dort nämlich eine AG Hybrid, die bereits seit (C) Angebot aus. Das sind Sprachrohre autoritärer Regime, 2018 tätig ist, und Menschen müssen das in Deutschland erkennen. (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der Was bedeutet das ganz konkret? Das ist nicht nur eine FDP) Sache des Innenministeriums. Es braucht eine gemeinsa- me Plattform mit den Nachrichtendiensten, mit dem und bereits seit 2020, also seit dem letzten Jahr, arbeitet BMVg, mit dem Auswärtigen Amt, mit den Wahlleitern diese AG genau im Bereich der hybriden Bedrohung auf allen Ebenen, mit dem BSI, die daran arbeiten, wie ressortübergreifend über alle Ministerien. Das ist ja man die Resilienz demokratischer Willensbildungspro- genau das, was Sie in Ihrem Antrag fordern. Sie grenzen zesse in Deutschland und der EU erhöhen kann. das noch ein bisschen ein; das BMI geht dort ein wenig weiter. Die drei Schlagworte dabei sind: Prävention, Wir sollten auch als Demokratien voneinander lernen. Detektion und Reaktion. Wir brauchen so etwas wie eine digitale Wahlbeobach- tung in der Europäischen Union, beim Europarat, bei der Ich möchte, weil die Redezeit aufgrund der angespann- OSZE, damit wir voneinander lernen können. ten Debattenlage hier doch etwas verkürzt ist, ein Bei- spiel herausgreifen, das Sie nicht in Ihrem Antrag aus- (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Sebastian führen; das ist etwas, was mich wirklich sehr beunruhigt Hartmann [SPD]) und auch alle anderen in diesem Haus beunruhigen sollte: Drittes und letztes Thema. Wir haben bei den Land- Das ist das Szenario der sogenannten Deepfakes. tagswahlen in Baden-Württemberg und in Rheinland- Ich lade Sie alle mal ein zu einem Gedankenexperi- Pfalz gesehen, wie stark die Briefwahl nach oben geht: ment. Stellen Sie sich vor, da gibt es ein schönes, lau- über 60 Prozent. Es hat nur wenige Stunden, wenige Tage schiges Treffen. Ein Mann und eine Frau treffen sich in gedauert, bis genau dieselben Lügengeschichten im Inter- einem schönen Hotel, meinetwegen im Harz, Panorama- net aufgetaucht sind, wie sie auch über die Präsident- blick, an einem Abend. Die Kamera läuft, versteckt natür- schaftswahl in den USA erzählt worden sind: alles lich. Es wird sich unterhalten über die Bundestagswahl. Fake, alles gefälscht. – Das sind Erzählungen aus autori- Einer der Gesprächspartner ist Elon Musk, und die andere tären Regimen mit rechtsextremen Claqueuren in Gesprächspartnerin ist Annalena Baerbock. Deutschland. Im Laufe des Gesprächs werden viele Themen ausge- Was lernen wir daraus? Wir müssen über Briefwahl tauscht, und auf einmal schlägt Elon Musk vor: Na ja, informieren. Wir müssen die Social-Media-Plattformen Frau Baerbock, wie wäre es denn, wenn ich der grünen an einen Tisch bekommen, und wir dürfen es uns mit Partei jetzt eine enorme Wahlkampfspende zukommen unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung und (B) lassen würde? Meine einzige Bedingung wäre, dass Sie (D) als offene Gesellschaft nicht gefallen lassen, dass wir an Ihrem Verbot der Verbrennungsmotoren ab 2030 auch unterwandert werden, mit dem Ziel, diese Errungenschaf- festhalten und das konsequent durchsetzen. – Annalena ten abzuschaffen. Schützen wir gemeinsam die Bundes- Baerbock sagt dann: Ja, das machen wir selbstverständ- tagswahlen 2021! Ich freue mich auf die Debatte. lich. Ich freue mich über die Spende, und der Verbren- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten nungsmotor ist Geschichte. der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE NEN) GRÜNEN]: Was erzählen Sie da eigentlich?)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Diese ganze Geschichte ist natürlich ausgedacht; aber so, wie ich sie erzählt habe, könnte sie passieren. Und Vielen Dank, Herr Kollege Kuhle. – Nächster Redner genau das ist die Methode von Deepfakes. Und jetzt stel- ist der Kollege Christoph Bernstiel, CDU/CSU-Fraktion. len Sie sich vor, dieses Video wird zwei oder drei Tage (Beifall bei der CDU/CSU) vor der Bundestagswahl veröffentlicht. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Christoph Bernstiel (CDU/CSU): GRÜNEN]: Mach die Geschichte mal mit Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Armin Laschet! – Dr. Franziska Brantner Kollegen! Wir sprechen hier zu später Stunde zu einem [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mach die Ge- sehr wichtigen Thema, und zwar zur Absicherung der schichte mal mit Joachim Pfeiffer!) Bundestagswahl 2021. Lieber Kollege Kuhle, liebe FDP, ich sage etwas, was ich selten sage: Eigentlich ist Das wird sehr schwer für Sie, lieber Kollege von Notz, alles, was Sie in Ihrem Antrag anführen, vollkommen diesen Deepfake auch nur aufzuklären. Und in dem richtig, und ich kann das nur unterstreichen. Moment, wo es Ihnen gelingt, ist die Bundestagswahl bereits gelaufen und der Schaden entstanden. (Beifall bei der FDP) (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Sie haben gleich zum Anfang Ihrer Rede gesagt, dass, GRÜNEN]: Das erklärt, was Söder gemacht wenn Ihr Antrag nur den Effekt hätte, dass die Maßnah- hat! Das war ein Deepfake! – Heiterkeit) men, die Sie vorschlagen, umgesetzt würden, dann wäre das schon ein Erfolg. Ich kann noch eines hinzufügen: Es Und auf dieses Phänomen müssen wir uns vorbereiten. gibt diesen Erfolg. Es hätte dieser Rede gar nicht bedurft; Das wird uns treffen bei der Bundestagswahl. Da gibt es denn das BMI ist bereits dabei, genau diese Maßnahmen noch einiges zu tun. Moderne Technologie hilft hier wei- umzusetzen. ter. Aber das Wichtigste überhaupt ist Sensibilisierung, 28544 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Christoph Bernstiel (A) und das ist eine Aufgabe, die das ganze Haus betrifft. Ich (Zuruf von der AfD: Nein!) (C) möchte alle Kolleginnen und Kollegen einladen, darauf hinzuweisen, dass es solche Methoden mittlerweile gibt Nehmen wir nur mal die Hauptnachrichten von ARD und und dass sie gnadenlos eingesetzt werden von Feinden ZDF. In der Woche vor den jüngsten Landtagswahlen unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. kam die AfD als größte Oppositionspartei ein einziges Mal vor, die FDP gleich achtmal, Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) (Zuruf von der FDP: Viel zu wenig!) und die Grünen – Lieblingskinder der Öffentlich-Recht- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: lichen – gleich 14-mal. Bei Talkshows sieht die Schief- Vielen Dank, Herr Bernstiel. Sie dürfen Ihre Redezeit lage seit Jahren ähnlich dramatisch aus. Chancengleich- ausnutzen, nur nicht überschreiten. heit ist das nicht; denn Medienpräsenz ist im Wahlkampf überlebenswichtig. (Christoph Bernstiel [CDU/CSU]: Das waren neun Sekunden!) (Beifall bei der AfD) – Ich wollte es nur sagen. Sie haben gesagt, die Redezeit Doch die AfD mit 6 Millionen Wählern wird praktisch sei eingekürzt. Das ist nicht wahr. Ihre Fraktion hat gar unterschlagen. Und das ist die schlimmste Form von Des- nicht mehr angemeldet. – Also, das sind jetzt keine Fake information in diesem Land! News, die ich gerade mitteile, sondern das ist die Realität. Nächster Redner ist der Kollege Dr. Bernd Baumann, (Beifall bei der AfD) AfD-Fraktion. Aber zum Glück können die Menschen ja ausweichen. (Beifall bei der AfD) 90 Prozent sind mittlerweile im Internet, und da liegt die AfD vorn. Das zeigt schon die Hauptplattform für Parla- mentsreden: Youtube. Vergangenen Monat erreichte die Dr. Bernd Baumann (AfD): SPD-Fraktion dort rund 250 Videoaufrufe, die CDU/CSU Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Herbst sind Bundestagswahlen, und die FDP sieht freie und faire immerhin 2 100. Und die AfD? 6,4 Millionen. Wahlen in Gefahr. Die Chancengleichheit zwischen den (Konstantin Kuhle [FDP]: Milliarden!) Parteien sei bedroht wegen Fake News, Hackern, Des- information, besonders durch ausländische Mächte, Macht und Reichweite der AfD sind damit fast Russland oder die Türkei. 3 000-mal stärker als die aller Regierungsfraktionen zu- sammen. Uns wollen die Leute sehen in den neuen (B) Sorgen um faire Wahlen sind ja berechtigt, aber sind (D) Medien, und nicht Sie, meine Damen und Herren! ausländische Mächte da unser größtes Problem? (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD – Zurufe) Haben wir nicht viel größere hausgemachte Probleme, Auch deshalb gehen Politiker jetzt gegen die Internet- etwa mit der Meinungsfreiheit, Grundvoraussetzung plattformen vor: Sie zwingen Google, Facebook und jeder offenen Debatte? Kann man in Deutschland wirk- Twitter, regierungskritische Inhalte zu löschen. Schon lich frei seine Meinung sagen? 2015 war Merkel zu Facebook-Chef Mark Zuckerberg (Zuruf von der CDU/CSU: Probieren Sie es nach New York geflogen und hatte auf ihn eingewirkt. doch mal aus!) Und die Internetkonzerne liefern. Fünf Monate vor der Offensichtlich nicht. Das Meinungsforschungsinstitut Bundestagswahl zensiert jetzt auch Youtube regierungs- Allensbach hat in einer breiten Studie ermittelt: Zwei kritische Berichte, selbst von Journalisten wie Boris Drittel aller Deutschen haben Angst, sich offen zu Reitschuster, offiziell Mitglied der Bundespressekonfe- äußern, besonders wenn es um kritische Themen geht renz: sein Kanal mit einer Viertelmillion Abonnenten – wie Flüchtlinge, Islam oder Patriotismus oder um die einfach abgeschaltet. Auch die Kanäle kritischer CDU- AfD. Mitglieder – einfach gelöscht. Natürlich trifft es auch die AfD: Selbst Bundestagsreden werden entfernt, und dem (Zurufe) Kanal der Fraktion wurde die komplette Löschung ange- Die Leute wissen: Sagen darf man alles – aber nur einmal, droht. und dann ist der Beruf weg. Davor haben die Menschen Angst. Das gefährdet unsere Demokratie. (Zuruf von der CDU: Man sollte Sie auch löschen!) (Beifall bei der AfD – [FDP]: Dazu tragen Sie doch Ihren Teil bei!) Der Wahlkampf hat längst begonnen. Fair und frei ist Das ist die brutale Ausgrenzung des links-grünen Main- er nicht, und das liegt nicht an Putin und Erdogan. Das streams. liegt an der Bundesregierung und am Machtmissbrauch des links-grünen Medienmainstreams. Zwar schließen In ihrem Antrag sorgt sich die FDP auch um Desinfor- die Wahllokale erst am 26. September, doch Desinforma- mationen durch russische und türkische TV-Sender in tion, Manipulation und insofern auch Wahlbetrug haben Deutschland. Aber was ist denn mit den weit mächtigeren längst begonnen! Öffentlich-Rechtlichen hierzulande? Haben hier alle Par- teien die gleichen Chancen? (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28545

(A) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: machen. Dazu werden wir den FDP-Antrag – das sage ich (C) Jetzt haben wir das Problem. Herr Baumann, wir hätten für meine Fraktion ausdrücklich zu – als eine der wesent- Ihnen die Maske doch gebracht. Jetzt sind Sie zweimal lichen Grundlagen dieser Debatte gebrauchen. Wir haben ohne Maske durch den Plenarsaal gelaufen. Aber Sie uns auch heute schon in einer Sondersitzung des Innen- haben es ja zumindest gemerkt. ausschusses damit auseinandergesetzt, als es darum ging, Muster zu erkennen und zu fragen: Was müssen wir dafür (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE tun, dass diese Wahlen frei, geheim, gleich und vor allen GRÜNEN]: Ein einziger Deepfake, die ganze Dingen geschützt sind? Das sollte das sein, was wir aus Veranstaltung!) dieser Debatte mitnehmen. Nächster Redner ist der Kollege Sebastian Hartmann, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP) (Beifall bei der SPD) Was gerade passiert ist, ist allerdings, dass die Saat des Sebastian Hartmann (SPD): Zweifels gesät wurde, indem irgendwelche Zahlen in den Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Da- Raum gestellt worden sind, Youtube-Kanäle gegen den men und Herren! Die Debatte aufgrund des Antrags der öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Wir sollten schon an- FDP ist ein willkommener Anlass, gerade nach dem vor- nehmen, dass in einem demokratischen Rechtsstaat der herigen Redebeitrag an den hochverehrten Karl Popper mündige Bürger in der Lage ist, selbst zu erkennen, was zu erinnern, der uns in seinem grundlegenden Werk „Die richtig und falsch ist; das muss man ihm nicht abnehmen. offene Gesellschaft und ihre Feinde“ darauf hinwies, dass Aber wir sollten zumindest dafür sorgen, dass gleiche die Demokratie als entscheidendes Merkmal tatsächlich Wahlchancen existieren, und damit will ich auf einen den Wahlakt hat, der es uns erlaubt, in freier, gleicher und anderen Komplex eingehen, der in dem FDP-Antrag geheimer Wahl darüber zu entscheiden, wer uns zu regie- auch deutlich benannt worden ist: Die Wahlkampffinan- ren hat, und das bei gleichen, fairen Chancen, und dass, zierung und die ungleichen Chancen, die damit geschaf- wenn dieser Wahlakt als solcher in Zweifel gezogen wird, fen werden, sind ein genauso großes Problem, wenn es natürlich die Legitimation der Regierung insgesamt infra- um Desinformation und Fake News geht. ge steht. All das ist Aufgabe dieses Parlamentes. Wir wollen die (Dr. Götz Frömming [AfD]: Ein sehr richtiger demokratischen Wahlen schützen, wir werden die demo- Satz!) kratischen Wahlen schützen. Damit ist die Bundestags- wahl eine der wesentlichen Herausforderungen. Die kon- Das ist gerade versucht worden, indem die Wahlchancen struktive Opposition und die Regierungsfraktionen (B) infrage gestellt worden sind. werden das gemeinsam tun. Das ist Aufgabe des gesam- (D) Die FDP hat hier – da gebe ich den Kollegen von der ten Deutschen Bundestages. Ich freue mich auf die wei- Union recht – einen wirklich sehr guten Antrag vorgelegt, tere Aussprache im Innenausschuss. in dem einerseits auf die Problematik der Desinformation und der besonderen Herausforderung heutiger Zeit, die Herzlichen Dank und uns eine gute Debatte. digitale Souveränität, hingewiesen wird, aber anderer- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Volker seits auch auf die der IT-Sicherheit. Wir müssen dies als Ullrich [CDU/CSU]) die demokratischen Fraktionen hier im Haus gemeinsam zum Anlass nehmen, alles dafür zu tun, entsprechende Ressourcen zur Verfügung zu stellen und auch darauf Vizepräsident Wolfgang Kubicki: aufmerksam zu machen, wenn durch Fake News und Vielen Dank, Herr Kollege Hartmann. – Die Kollegin 1) Desinformationskampagnen dieser Wahlakt als solches Vizepräsidentin Petra Pau hat ihre Rede zu Protokoll in Zweifel gezogen wird. Das ist nicht abstrakt; das hat gegeben, sodass uns als nächster Redner der Kollege bei Wahlen stattgefunden. Auch in einer der größten Dr. Konstantin von Notz, Bündnis 90/Die Grünen, beglü- Demokratien der Welt, in Amerika, ist die Wahl insge- cken wird. samt infrage gestellt worden: Obwohl ein neuer Präsident ins Amt gekommen ist, ist die Wahlniederlage nicht ak- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zeptiert worden. Meine Damen und Herren, darum müssen wir uns Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- kümmern, wenn es darum geht, die Bundestagswahlen NEN): am 26. September vorzubereiten. Und es ist richtig, Moin, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kolle- dass diese Debatte hierhin gehört, ins Parlament, und gen! Über gezielte IT-Angriffe selbst auf unsere Verfas- wir als Parlament dafür sorgen, dass einerseits das demo- sungsorgane, über intransparente Einflussnahme auf und kratische Mandat der Abgeordneten ausgeübt werden Manipulation von demokratischen Willensbildungspro- kann und dass andererseits jede Partei und jede Fraktion zessen bis hin zu Wahlen selbst und über den Einsatz auch die Möglichkeit hat, auf sich aufmerksam zu ma- von Hackergruppen und ganzen Trollarmeen durch Fein- chen. Aber wir sollten auch an diejenigen erinnern, die de von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, über all das Kandidatinnen und Kandidaten sind. Auch sie brauchen diskutieren wir hier seit Jahren, und passiert ist nichts. Sie eine faire, gleiche Chance darauf, gewählt zu werden. haben die Probleme ignoriert und die vielen guten Initia- Deswegen werden wir dies im Innenausschuss in den nächsten Wochen zum Schwerpunktthema der Beratung 1) Anlage 11 28546 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Dr. Konstantin von Notz (A) tiven aus der Opposition blockiert. Das ist ein massives (Beifall bei der CDU/CSU) (C) Versagen dieser Großen Koalition, meine Damen und Herren. Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- sowie bei Abgeordneten der FDP) ren! Der Antrag der FDP zum Schutz der Bundestagwahl 2021 ist wichtig und wertvoll. Ich meine, die Thematik Längst tobt ein neuer Informationskrieg im Digitalen. geht aber über die Bundestagswahl hinaus. Dem zugrun Wir haben schon vor Jahren Veranstaltungen mit dem - de liegt eine ganz wesentliche Frage: Wie schützen sich Chef des Bundeskanzleramts dazu gemacht, mit Experten aus den USA. Wir haben mit EU-Kommissaren über Demokratien vor Desinformation, vor falschen Äußerun- gen und letztlich auch vor Destabilisierung? Dahinter Aktionspläne diskutiert. Es gab Anhörungen und Diskus- steht der Gedanke, dass in dieser Welt autoritäre Staaten sionen im Innenausschuss und anderen Gremien dieses mit freiheitlichen Demokratien im Wettbewerb stehen Hauses. Ich selbst habe hier die Bundeskanzlerin dazu und es darum geht, das Lebensmodell der westlichen befragt. Während die EU und zahlreiche Länder die Demokratien zu diskreditieren. Dafür sind viele Mittel Dimension der Gefahr erkannt haben, sich kümmern, hin- recht. Ein Mittel ist die Destabilisierung. Das passiert schauen, aufklären, drastische diplomatische Sanktionen manchmal nicht mit einem lauten Knall oder Getöse, aussprechen, ihre Sicherheitsbehörden neu aufstellen, sondern schleichend, durch Nadelstiche, durch Lügen, bleiben hierzulande leider jedwede Maßnahmen aus, durch Falschinformationen in den sozialen Netzwerken. und das ist zu wenig, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ein Blick auf die Präsidentschaftswahl 2016 in den Vereinigten Staaten und auch auf die Brexit-Abstimmung Wir brauchen vor allem Antworten auf eine komplett zeigt, dass Demokratien im Hinblick auf die Frage, wer außer Rand und Band geratene Onlinewerbelandschaft sich einmischt, verwundbar sein können. Es muss für auf den großen Plattformen. Dafür darf man aber die liberale Demokratien zu unserer Grundüberzeugung CEOs großer Tech-Giganten nicht hofieren, sondern gehören, dass wir den Kern demokratischer Mitbestim- man muss ihre Unternehmen scharf regulieren. mung, nämlich freie und geheime Wahlen, schützen, und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zwar um jeden Preis. Das ist es, was diesen Antrag wert- voll macht. Und so verdienstvoll es ist, lieber Kollege Konstantin Kuhle, dieses wichtige Thema hier aufzurufen, so wenig Klar ist aber, dass die Behauptung, es wäre nichts ge- hilft die Antwort der Selbstverpflichtung. schehen, eine ist, die einer Überprüfung nicht standhält. (B) Die Bundesregierung ignoriert, wie sehr diese Themen (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE (D) miteinander verzahnt sind und dass die Regulierung von GRÜNEN]: Na, denn mal los!) Plattformen knallharte Sicherheitspolitik ist. Genau des- Gerade bei der Frage, wie wir Hetze und Hass im Internet wegen führen wir heute die gleichen Debatten wie vor bekämpfen können, war diese Koalition tätig, und zwar vier Jahren. auch durch die Fortschreibung des NetzDG. Tech-Konzerne, die sich Hetzern und Autokraten als Megafon andienen, die unsere persönlichsten Daten zu (Konstantin Kuhle [FDP]: Aber in die falsche Geld machen, die Hass und Desinformation in sprudelnde Richtung!) Werbeeinnahmen verwandeln und es jedwedem ermögli- Zudem hat das Bundesinnenministerium bereits eine chen, ob ausländischer Regierung oder rechtsextremer Arbeitsgruppe eingerichtet, um diesen Bedrohungen zu Pseudo-NGO, Herr Braun, verdeckte Wahlkampffinan- kontern, um Abgeordnete und Kandidaten zu schützen, zierung zu betreiben – eine wehrhafte Demokratie muss um deutlich zu machen, dass wir faire Wahlen haben und auf diese Geschäftsmodelle glasklare Antworten haben, nicht Lügen oder Fake News gewinnen. zum Schutz unserer demokratischen Diskurse, zum Schutz unserer Institutionen und zum Schutz unserer Ich meine, wir sollten über diese Frage insgesamt dis- Wahlen. kutieren, und zwar unter der Überschrift: Wie können wir unsere Demokratien schützen, damit die freie Überzeu- Ganz herzlichen Dank, meine Damen und Herren. gung der Bürgerinnen und Bürger zum Ausdruck kommt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und nicht die Manipulation oder die Lüge? Das steckt hinter dieser Überlegung. Ich bitte Sie, dass wir auf dem Weg konstruktiv diskutieren, den wir bereits einge- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: schlagen haben. Vielen Dank, Herr Kollege von Notz. – Für die Nicht- Schleswig-Holsteiner: „Moin“ sagt man bei uns zu allen Herzlichen Dank. Tages- und Nachtzeiten. (Beifall bei der CDU/CSU) (Thomas Bareiß [CDU/CSU]: „Moin, moin“ ist geschwätzig!) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: – „Moin, moin“ sagen die Hamburger – insofern Schwät- Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Ullrich. – Letzter Red- zer. ner in der Debatte ist der Kollege Falko Mohrs, SPD- Fraktion. Nächster Redner ist der Kollege Dr. Volker Ullrich, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28547

(A) Falko Mohrs (SPD): Ich glaube, das ist wirklich ein wichtiges Thema. Herz- (C) Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- lichen Dank, dass wir das heute Abend hier diskutieren ren! Es ist in der Debatte deutlich geworden: Die Demo- dürfen. Wir werden es in den nächsten Monaten noch kratie und der demokratische Akt der Wahlen werden diskutieren müssen. Dafür brauchen wir aber keinen angegriffen. Es liegt an uns allen hier im Haus, aber Quatsch von rechts, sondern den demokratischen Teil auch in der Gesellschaft, unsere Demokratie zu vertei- dieses Hauses. Ich freue mich auf die Debatte. digen. Herzlichen Dank. Dieser Angriff kommt aus unterschiedlichsten Rich- tungen; er kommt von außen, er kommt von innen. Er (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Volker kommt aus unterschiedlichsten Motivationen. Aber er Ullrich [CDU/CSU]) hat am Ende vor allem ein Ziel, nämlich die Demokratie zu unterminieren und damit genau das System, an dem Vizepräsident Wolfgang Kubicki: wir zu Recht so leidenschaftlich hängen, dass Menschen Vielen Dank, Herr Kollege Mohrs. – Der Kollege die gleichen Rechte haben, kaputtzumachen. Thorsten Frei, CDU/CSU-Fraktion, hat seine Rede zu 1) Wir haben auch hier wieder erlebt, wie von der AfD die Protokoll gegeben. Saat des Zweifels, wie mein Kollege Sebastian Hartmann (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) das richtig genannt hat, gesät wird, indem immer wieder beispielsweise gegen hochanständige und wichtige Insti- – Ich hätte ihn gern gehört, aber das können wir auch tutionen unseres Landes wie den öffentlich-rechtlichen bilateral machen. – Damit schließe ich die Aussprache. Rundfunk, Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 19/28743 an die in der Tagesordnung aufge- (Lachen bei der AfD) führten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es weitere Über- der eben ein Garant für eine objektive, umfassende Infor- weisungsvorschläge? – Das sehe ich nicht. Dann verfah- mation ist, zu diffamieren. ren wir so. (Zuruf von der AfD: Wenn er objektiv wäre!) Ich rufe die Zusatzpunkte 6 bis 8 auf: Das ist doch genau Ihr Prinzip: Sie sorgen dafür, dass ZP 6 Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- diese hochanständigen Medien in Misskredit gezogen regierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten werden, um mit Ihren eigenen Fake News, mit dem, Gesetzes zur Änderung des Seefischereigeset- was Sie selber an Manipulation, Hass, Hetze und Lügen zes (B) im Netz verbreiten, den Boden für sich zu bereiten. Das, Drucksache 19/26840 (D) meine Damen und Herren, werden wir Ihnen nicht durch- gehen lassen. Ich bin mir sicher: Die Gesellschaft wird Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Ihnen das auch nicht durchgehen lassen. ses für Ernährung und Landwirtschaft (10. Aus- schuss) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der AfD: Sie ver- Drucksache 19/28840 schließen die Augen vor Desinformation!) ZP 7 Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord- Was das angeht, ist die Lage in diesem Land in der Tat neten Carina Konrad, Pascal Kober, Michael kritisch. Wir haben ja gerade wieder erlebt, wie wahr- Theurer, weiteren Abgeordneten und der Fraktion scheinlich die Gruppe „Ghostwriter“ einen Angriff auf der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Kolleginnen und Kollegen dieses Hauses, dieses Verfas- zur befristeten Wiedereinführung der 115- sungsorgans ausgeführt hat. Es war die gleiche Gruppe Tage-Regelung – Achtes Gesetz zur Änderung „Ghostwriter“ – deswegen sind das Vorboten von Din- des Vierten Buches Sozialgesetzbuch gen, die in den nächsten Monaten auf uns zukommen Drucksache 19/27181 können –, die beispielsweise in Polen und Litauen mit wirklich massiven Kampagnen der Desinformation und Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- auch der Diskreditierung von Kolleginnen und Kollegen ses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) in dem Abgeordnetenhaus oder der Regierung dort unter- Drucksache 19/28040 wegs sind, indem über Hacks, über Phishing, über unter- schiedliche Methoden Informationen erschlichen wer- ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Susanne den, am Ende immer mit dem Ziel, den Glauben in die Ferschl, Jutta Krellmann, Dr. Kirsten Tackmann, Demokratie, den Glauben in Wahlen zu diskreditieren. weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Meine Damen und Herren, ich sage hier ganz deutlich: Es liegt auch an uns Abgeordneten, wie wir uns schützen, Keine Ausbeutung von Saisonarbeitskräften wie wir mit uns selber und mit den Kandidierenden für Drucksache 19/27961 den nächsten Bundestag umgehen und ein Bewusstsein dafür schaffen, welche Gefahr in dieser Desinformation Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten lauert, und wie wir selber in dieser hochkritischen Phase beschlossen. sehr bewusst und verantwortungsvoll mit Informationen umgehen. 1) Anlage 11 28548 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) Es gibt einen schnellen Platzwechsel. – Ich eröffne die (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE (C) Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen GRÜNEN]: Die kann man ja trotzdem anstel- Dr. Michael von Abercron, CDU/CSU-Fraktion, das len! Nur richtig entlohnt und mit Sozialversi- Wort. cherung! Wo ist eigentlich das Problem?) (Beifall bei der CDU/CSU) Unserer Landwirtschaftsministerin ist es gelungen, mit dem Bundesarbeitsministerium einen Kompromiss zur Ausweitung der kurzfristigen sozialversicherungsfreien Dr. Michael von Abercron (CDU/CSU): Beschäftigung von 70 auf 102 Tage bis Oktober 2021 Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten zu erzielen. Das ist ein sehr gutes Signal. Dafür meinen Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ganz herzlichen Dank, liebe Julia Klöckner. Was hat Seefischerei mit Saisonarbeit zu tun? (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (Rainer Spiering [SPD]: Das ist eine gute Fra- Susanne Ferschl [DIE LINKE]: Ja super, toll!) ge!) Gerade diese Branche steht unter einem enormen Wett- Auf den ersten Blick eigentlich relativ wenig. Beides bewerbsdruck. Man kann sich vorstellen, wenn wir allein allerdings sind zentrale Themen in meinem Bundesland bei Obst und Gemüse eine Selbstversorgung von weniger Schleswig-Holstein; denn als Land zwischen den Meeren als 50, manchmal weniger als 40 Prozent haben, wie not- sind wir der Fischerei nicht nur verbunden, sondern sie ist wendig diese Maßnahme ist. ein Teil unserer kulturellen Identität. Gleichzeitig sind wir ein Agrarland mit einem vielfältigen Obst- und Ge- Insbesondere in Zeiten der Pandemie müssen wir müsebau, und in meinem Wahlkreis Pinneberg haben wir Mobilität und Personalwechsel so weit wie möglich redu- das größte zusammenhängende Baumschulgebiet Euro- zieren und gleichzeitig die heimische Obst- und Ge- pas. müseproduktion sicherstellen. Jeder vernünftige Arbeit- geber wird doch gerade alles tun, um die Bedingungen Zunächst zur Fischereipolitik. Sie sieht ein geregeltes seiner Arbeitnehmer so attraktiv zu halten, dass die stark Bewirtschaftungssystem vor, das die Reproduktionsfä- nachgefragten Kräfte bleiben und auch wiederkommen. higkeit der Bestände langfristig schützt und unseren Wenn ich selbstkritisch etwas hinzufüge, werden Sie sa- Fischern damit auch langfristig einen wirtschaftlichen gen: „Es gibt auch schwarze Schafe“; das meine ich aber Ertrag ermöglicht. Dazu ist nun eine EU-konforme An- gar nicht. Ich meine, dass alle neuen Regelungen für die passung notwendig. Mit der letzten Änderung 2016 wur- Fischerei und Saisonarbeit nicht dazu beitragen, die Gei- de die Fischereiaufsicht seewärts der äußeren Begren- ßel der Bürokratie abzubauen. Möge wenigstens die Digi- (B) zung des deutschen Küstenmeers ganz oder teilweise talisierung den Fischern wie den Landwirten helfen, da- (D) der Bundespolizei und der Zollverwaltung übertragen. mit besser fertigzuwerden. Durch den anstehenden Einsatz neuer Techniken wie Damit Fische weiterhin europarechtskonform gefan- zum Beispiel der Videoüberwachung der Fänge auf den gen werden können, neue Wälder entstehen und wir wei- Kuttern über 12 Metern oder der Nutzung elektronischer ter heimisches Obst und Gemüse verzehren und genießen Logbücher ist eine weitere Anpassung erforderlich. Da- können, bitte ich um Zustimmung. Ich bitte Sie auch, dass mit ist auch notwendig, dass personenbezogene Daten wir in diesem Fall nicht weiter im Trüben fischen. verarbeitet werden können. Das muss sowohl mit einer datenschutzrechtlichen Ermächtigung im Seefischereige- Herzlichen Dank. setz als auch durch die Datenschutz-Grundverordnung geregelt werden. Zudem ist es nun wegen der Bedeutung (Beifall bei der CDU/CSU) und der großen Beliebtheit der Freizeitfischerei notwen- dig geworden, sie auch in das Seefischereigesetz aufzu- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: nehmen. Außerdem machen wir eine neue Bußgeldver- Vielen Dank, lieber Kollege von Abercron. Daran kann ordnung. Wir werden allerdings strikt darauf achten, dass sich der Kollege Spiering gleich ein Beispiel nehmen. – diese Regelungen nur eins zu eins umgesetzt werden, Nächster Redner ist der Kollege Jens Kestner, AfD-Frak- damit Dinge wie zum Beispiel die Beschränkung der zeit- tion. lichen Datenspeicherung und -verwendung, die Imple- mentierung zusätzlicher Überwachungsmaßnahmen (Beifall bei der AfD) oder die Registrierung der Freizeitfischer nicht überhand- nehmen. Jens Kestner (AfD): Nun zu dem anderen Thema, den Saisonarbeitern. Un- Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Das sere allein rund 300 Baumschulen im Kreis Pinneberg Seefischereigesetz bildet im deutschen Recht die Basis sind nicht nur die Wiege des Waldes, sondern liefern für den gewerbsmäßigen, aber natürlich auch den auch die Grundlagen für das Begleitgrün in Stadt und erwerbsmäßigen Fischfang unserer Flotten auf See. Der Land. Für die hochspezialisierten Arbeiten in diesen Kerngedanke des Seefischereigesetzes ist, die Fischbe- Betrieben sind Saisonarbeitskräfte unverzichtbar. Auch stände zu schützen, weshalb die übergeordnete Gemein- zahlreiche Spargel-, Obst- und Gemüsebauer im gesam- same Fischereipolitik der EU ein geregeltes Manage- ten Bundesgebiet brauchen für Aussaat, Pflege und Ernte mentsystem vorsieht, um die Reproduktionsfähigkeit ihre zum Teil seit Jahren in den Betrieben arbeitenden der Bestände – wir haben es eben schon gehört – lang- Fachkräfte. fristig zu sichern, die Fangmöglichkeiten unter den Mit- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28549

Jens Kestner (A) gliedstaaten aufzuteilen und somit unseren Fischern auch Änderungen einen Aufschwung in der diesjährigen Sai- (C) zukünftig ein wirtschaftlich ausreichendes Einkommen sonarbeit bedeuten könnten, stimmen wir sowohl dem zu gewährleisten. So viel zur Theorie. Gesetzentwurf als auch dem Änderungsantrag zu. Die Praxis spiegelt jedoch eine andere Sicht der Dinge Vielen Dank. im europäischen Kontext wider, betrachtet man einmal (Beifall bei der AfD) die Hilferufe von vor allem kleineren Fischereibetrieben in unseren Küstenregionen. Hier führen die jährlichen Quotenkürzungen bei den sogenannten Brotfischen wie Vizepräsident Wolfgang Kubicki: dem Hering oder dem Dorsch unweigerlich dazu, dass die Vielen Dank, Herr Kollege. – Nun erhält das Wort zu letzten Ostseefischer ums blanke Überleben kämpfen. einem Kurzbeitrag der Kollege Rainer Spiering, SPD- Fraktion. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der SPD) Dies zeigt letzten Endes, in welche Richtung wir uns bei der strikten Anwendung des Fischereirechts der EU bewegen. Vor den existenzbedrohenden Folgen innerhalb Rainer Spiering (SPD): der Fischereiwirtschaft werden sich vermutlich in Zu- Herr Präsident, herzlichen Dank für die lakonische kunft nur noch die großen Reedereien retten können. Ankündigung! Man kann gut räsonieren über das Das kann niemand in diesem Haus wirklich wollen oder schlechte Verhalten von Abgeordneten beim Tragen einer wünschen. Hier ist politisches Handeln gefragt, die deut- Maske, weil man selbst nie eine tragen muss. Aber gut, sche traditionsreiche Fischereiflotte auch in den kom- das muss ich jetzt demütig zur Kenntnis nehmen. menden Jahren aktiv zu unterstützen und zu fördern. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, von hier aus zu grüßen, der diese Rede eigentlich hätte halten Doch kommen wir zur aktuellen Novelle. Mit der Än- sollen. Er liegt in krank darnieder. Von hier aus derung des Seefischereigesetzes, über die wir hier heute herzliche Genesungsgrüße: Uwe, möge es dir bald besser diskutieren, werden einzelne Vorschriften im deutschen gehen! Recht an das geltende Fischereirecht der EU angepasst. Bereits mit der Änderung des Seefischereigesetzes im (Beifall) Jahr 2016 wurde das Bundesministerium ermächtigt, die Fischereiaufsicht seewärts der äußeren Begrenzung des Es geht hier um die Kopplung von zwei Gesetzesvor- Küstenmeeres der Bundesrepublik ganz oder teilweise haben; das hat der Kollege Abercron schon dargestellt. Ob ich darüber so glücklich bin wie er, lasse ich mal (B) der Bundespolizei und der Zollverwaltung zu übergeben. (D) Auch der Datenschutz musste jetzt verankert werden; wir dahingestellt sein. Vielleicht werde ich das gleich noch haben es eben in der Rede des Vorgängers gehört. Das ist deutlich machen können. auch gut und richtig so. Ich bin überzeugt davon, dass wir Das Seefischereigesetz muss aktualisiert werden. Eu- alle ein großes Interesse daran haben, unsere Fangmög- roparechtliche Vorgaben sind von uns umzusetzen; das lichkeiten auch langfristig zu erhalten und, wenn mög- unterstützen wir nachdrücklich. Insbesondere soll die lich, im Sinne der Fischereibetriebe sogar zu steigern. Fischereiaufsicht seewärts der Bundespolizei und dem Auch den vorliegenden Änderungsantrag der Großen Zoll übertragen werden. Meiner Ansicht nach, unserer Koalition sehen wir positiv; denn wir unterstützen einen Ansicht nach ist das der absolut richtige Weg. Außerdem verbesserten Krankenversicherungsschutz für Saisonar- ist eine Anpassung der Datenschutzvorschriften in die- beitskräfte, und wir begrüßen die zeitlich begrenzte Aus- sem Bereich notwendig; auch das halten wir für richtig weitung der Beschäftigungsdauer von Saisonarbeitskräf- und notwendig. Wir bitten alle, diesem Gesetz zuzustim- ten von 70 auf 102 Tage. Insgesamt sehen wir die men. Verlängerung der Saisonarbeitszeit als ein wichtiges Sig- Wie von meinen Vorrednern hervorgehoben worden nal für die Betriebe in der Landwirtschaft, um auch wäh- ist, beschäftigt sich der Änderungsantrag der Koalitions- rend der sogenannten Coronapandemie die Versorgung fraktionen zudem mit den Regelungen für Saisonarbeits- der Bevölkerung mit frischen und hochwertigen Lebens- kräfte. Lassen Sie mich dazu in Abwandlung eines Wor- mitteln gewährleisten zu können. tes von Leonidas sagen: Wanderer, kommst du nach Spa, berichte, du hättest uns hier stehen sehen, dem Gesetz Über die angesprochene Verlängerung hinaus hätten folgend. – Ich bin mit diesem Gesetzentwurf nicht glück- wir es jedoch begrüßt, weitere Anreize für inländische lich, und ich möchte Ihnen auch sagen, warum. Klar ist, Saisonarbeitskräfte zu schaffen. Dazu zählt zum Beispiel, dass wir zustimmen werden; aber ich möchte zumindest dass der Hinzuverdienst, befristet bis zum 31. Oktober ein paar Gedanken hierzu vorbringen. dieses Jahres, nicht auf das Kurzarbeitergeld und das Arbeitslosengeld I und II angerechnet wird. Zudem be- Der Kollege hat in der letzten Aus- darf es befristeter steuerlicher Anreize für Betriebe, die schusssitzung Saisonarbeitskräfte mit Ferienarbeitern Saisonarbeiter beschäftigen, um dadurch dann auch verglichen. Nun bin ich selbst ein solcher gewesen; aber höhere Löhne zahlen zu können. ich war selbstverständlich über meine Eltern sozial- und krankenversichert. Weil die vorliegenden Initiativen nicht über eine Eins- zu-eins-Umsetzung von europarechtlichen Vorschriften (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: So ist in innerstaatliches Recht hinausgehen und die letzten es!) 28550 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Rainer Spiering (A) Wenn ich an meine Jugendzeit zurückdenke, an die groß- GRÜNEN – Beate Müller-Gemmeke [BÜND- (C) en Fabriken, in denen ich gearbeitet habe, und an die NIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann muss man dage- Kolleginnen und Kollegen aus Portugal, Spanien, Italien, genstimmen!) die dort gearbeitet haben, dann erinnere ich mich, dass sie – Natürlich werde ich als Sozialdemokrat, der dieses Ge- einen ordentlichen Lohn bekommen haben und selbstver- setz mit zu verantworten hat, nicht dagegenstimmen. Ich ständlich auch sozialversichert waren. Aufgrund deren möchte nur aufzeigen, was es mit uns macht. Beiträge zur Sozialversicherung ist ein erheblicher Teil unseres sozialen Wohlstandes überhaupt erst entstanden. (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann- Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Ich glaube, dass es absolut Zeit wird, alle Menschen, die in dieses Land kommen, ordnungsgemäß sozialver- Jetzt geht es um die zentrale Frage: Was machen wir sicherungspflichtig zu entlohnen, mit allem Schutz, den hier? Die letzte Zählung des Statistischen Bundesamtes dieses Land bietet. hat ergeben, dass wir 286 000 Saisonarbeitskräfte haben. Vor Einführung des Mindestlohns hat man übrigens auch (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ behauptet, er sei nicht gangbar. Interessanterweise war er DIE GRÜNEN) gangbar. Denn ich kann nicht glauben, dass ein Kollege aus Rumä- (Beifall der Abg. [SPD]) nien oder Bulgarien oder die 5 000 Kollegen, die jetzt kommen, beim Schutz von Leib und Leben weniger Jetzt macht man Folgendes: Man nimmt einen Bestand- wert sind als unsere Kolleginnen und Kollegen. Ich mag teil des Mindestlohns, nämlich den Sozialversicherungs- das nicht glauben. anteil, aus dieser Regelung heraus. Das kann man ma- chen; das ist auch beschlossen. Aber ich wage doch, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) darauf hinzuweisen, welche Folgen das hat: Der deut- Um es noch mal klarzumachen: Selbstverständlich schen Sozialversicherungskasse, die im Moment sowieso werden wir zustimmen. Aber dieses Haus wird es ertra- angeschlagen ist, fehlt ein erheblicher Beitrag. Das Geld gen müssen, dass ein Altmoraliker seine Meinung dazu wird uns bitter fehlen. Ich kann nur dringend davor war- hat. Die habe ich hier vertreten, die ist in meiner Bundes- nen, so etwas gesetzgeberisch festzuschreiben bzw. als tagsfraktion auch bekannt. allgemeinverbindlich zu erklären. Ich stelle mir gerade Ich glaube, es wird allerhöchste Zeit, dass wir die vor, alle Handwerksmeisterinnen und Handwerksmeister Spirale umdrehen: Unsere Landwirtinnen und Landwirte in diesem Land würden diesem Beispiel folgen. Das wür- müssen für ihre Produkte ordnungsgemäß Geld bekom- de bedeuten, dass die Sozialversicherungskasse massiv men – ordnungsgemäß! –, (B) an Ertrag verlieren würde. Wer von uns wollte das ver- (D) antworten? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zum nächsten Punkt. Woran liegt das eigentlich? Wir beugen uns einem Preisdiktat. Wie lange wollen wir uns damit die Leute, die auf unseren Feldern arbeiten, eine diesem Preisdiktat noch beugen? Wie lange wollen wir es ordentliche soziale Absicherung haben, damit sie ordent- zulassen, dass der Preis für wertvolle Lebensmittel, die lichen Lohn haben und damit sie stolz und aufrecht durch wir dringend brauchen – Obst und Gemüse gehören zu dieses Land gehen können. unserem Alltag –, so gestaltet wird, dass er nicht aus- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- reicht, um von den Erträgen Sozialversicherungsbeiträge SES 90/DIE GRÜNEN) für die Beschäftigten zu entrichten? Ich halte das für unser System für hochgradig gefährlich. Die Ministerin macht meiner Ansicht nach hier einen Fehler. Denn durch den Vorschlag, den sie gemacht hat, (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem diskreditiert sie eine komplette, ausgesprochen ehrenwer- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Alexander te Branche, um die ich mir sehr Sorgen mache und für die Ulrich [DIE LINKE]: Warum macht ihr das ich hoffe, dass die Menschen in dieser Branche in Zu- dann?) kunft endlich Geld verdienen. Es ist darauf hingewiesen worden, das sei der Pande- Danke schön fürs Zuhören. mie geschuldet. Gut. Ich habe für uns gesagt: Wir werden zustimmen. – Dann wird die nächste Saison zeigen, ob es (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wirklich der Pandemie geschuldet war oder ob es System des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ist. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat heute dazu eine sehr klare Stellungnahme veröffentlicht, die das sehr Vizepräsident Wolfgang Kubicki: genau beschreibt. Vielen Dank, Herr Kollege Spiering. – Nächster Red- Im Gesetzentwurf steht übrigens auch, dass die Rege- ner ist der Kollege Dr. Gero Hocker, FDP-Fraktion. lung erst ab dem 1. Januar 2022 gilt. Das heißt im Klar- (Beifall bei der FDP) text: Der Versicherungsschutz, den die Ministerin hier angezeigt hat, kommt dieses Jahr noch nicht zum Tragen. Dr. Gero Clemens Hocker (FDP): Ich finde das bedauerlich; ich finde das schade. Verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolle- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ginnen und Kollegen! Es ist nicht nur der einseitig zulas- der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE ten der Fischerei ausgehandelte Brexit-Deal, der den Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28551

Dr. Gero Clemens Hocker (A) Fischern gegenwärtig das Leben besonders schwer Fisch einen relevanten Beitrag für die nachhaltige Ernäh- (C) macht, weil sie auf Fangrechte verzichten müssen, die rung der explodierenden Weltbevölkerung leisten kann, sie seit vielen Jahrzehnten genutzt haben, sondern auch weil er eine wichtige Proteinquelle darstellt, – ein fast tagtäglich zum Ausdruck gebrachtes Misstrauen dieser Bundesregierung gegenüber der Urproduktion in Vizepräsident Wolfgang Kubicki: unserem Land: gegenüber der Landwirtschaft, gegenüber Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. der Forstwirtschaft und auch gegenüber der Fischerei.

Meine Damen und Herren, dass künftig Kameras auf Dr. Gero Clemens Hocker (FDP): den Schiffen installiert werden sollen, die etwaige Ver- – der überzieht eine Branche nicht pauschal mit zusätz- stöße gegen Auflagen belegen sollen, ist Ausdruck genau lichen Auflagen, sondern entlastet sie von Bürokratie und dieses Misstrauens gegenüber der Urproduktion in unse- Administration. Ihr Gesetzentwurf und der Antrag sehen rem Lande. Schwarze Schafe gibt es überall; aber diesen beides nicht vorher. Deswegen werden wir beides ableh- Umgang haben unsere Fischer nicht verdient, verehrte nen. Kolleginnen und Kollegen. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Ich sage es Ihnen ganz ausdrücklich: Fischer nutzen die Ressource Wasser in dritter, fünfter, siebter und teil- weise zwölfter Generation. Sie tun das mit Verantwor- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: tungsgefühl, sie tun das mit Augenmaß, und sie tun es Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Hocker. Ich wollte ge- vor allem nachhaltig, und zwar mit Fachkunde und mit rade die Taste drücken, aber Sie sind mir zuvorgekom- Sachkunde. Sie tun das sehr viel nachhaltiger als selbst- men. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Susanne ernannte Naturschutzorganisationen, die ein perfides Ge- Ferschl, Fraktion Die Linke. schäftsmodell daraus gemacht haben, mit der Unwissen- (Beifall bei der LINKEN) heit vieler Verbraucher Spenden einzusammeln. Ich gebe nur ein ganz prominentes Beispiel: Vor weni- Susanne Ferschl (DIE LINKE): gen Monaten hat die Umweltorganisation Greenpeace Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kollegin- Granitblöcke in Fischereigründen versenkt und es billi- nen und Kollegen! Das Seefischereigesetz ist ein Trojani- gend in Kauf genommen, dass sich die Netze darin ver- sches Pferd der Bundesregierung. Sie versteckt nämlich fangen und Menschen an Leib und Leben zu Schaden in einem eigentlich unauffälligen Gesetz eine höchst kommen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das umstrittene Regelung, nämlich die erneute Verlängerung (B) (D) ist nicht hinnehmbar. Die machen das, weil sie Fischerei der Beschäftigungsdauer bei der kurzfristigen Beschäfti- unter Generalverdacht stellen wollen und Misstrauen gung für Saisonarbeitskräfte. Klammheimlich und ohne empfinden. Mit diesem Verhalten sollte sich die Bundes- öffentliche Debatte hier im Parlament wollten Sie das regierung nicht gemeinmachen. über die Bühne bringen. Aber da haben Sie die Rechnung (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ohne Die Linke gemacht! der CDU/CSU und der AfD) (Beifall bei der LINKEN) – Vielen Dank für den Applaus, auch aus Reihen der Die SPD hat sich wieder auf einen Kuhhandel mit der Union. Union eingelassen und wieder die sozialversicherungs- Der Gesetzentwurf, verehrte Kolleginnen und Kolle- freie Beschäftigungsdauer für Saisonarbeitskräfte verlän- gen, sieht außerdem eine Vielzahl von bürokratischen gert, in diesem Jahr auf vier Monate. Auflagen vor. Dazu gehört auch die Neuregelung der Sozialversicherungsfreiheit bedeutet: frei von sozia- kurzfristigen Beschäftigung, die Sie auf 102 Tage befris- lem Schutz, also auch nicht renten- und nicht kranken- ten wollen. Wir haben hier in diesem Hohen Hause vor versichert. Das wiederum bedeutet für die überwiegend einem Tag die Diskussion darüber geführt, ob eine Inzi- osteuropäischen Kolleginnen und Kollegen mitten in denz von 165 eine wissenschaftlich evidente Grenze einer Pandemie: ohne Krankenversicherung Spargel ste- dafür ist, ob Schulen geöffnet oder geschlossen werden chen und Erdbeeren pflücken und in Massenunterkünften müssen. Ich sage Ihnen: Das war damals – das haben Sie untergebracht sein. Im Falle einer Coronaerkrankung teilweise auch zugegeben – nichts anderes als ein Kuh- müssen diese Beschäftigten mitunter ihre Behandlungs- handel zwischen den Koalitionären. – Diese 102 Tage kosten selber bezahlen. Und das, obwohl der Großteil eh sind genauso ein Kuhhandel zwischen Koalitionären. nur zum Mindestlohn beschäftigt ist und um diesen häu- Man müsste Ihnen in solchen Runden öfter mal den Wür- fig auch noch geprellt wird. fel wegnehmen, damit Sie zu richtigen und guten Ergeb- (Simone Barrientos [DIE LINKE]: Unfassbar!) nissen kommen. Wir haben 115 Tage gefordert, und das wäre auch angemessen. Ministerin Klöckner hat sogar noch versucht, die Öffentlichkeit in die Irre zu führen. Die sogenannte Mel- (Beifall bei der FDP – Dr. Kirsten Tackmann depflicht, die künftig einen Krankenversicherungsschutz [DIE LINKE]: Auch eine politische Zahl!) sicherstellen soll, gilt nämlich nicht ab sofort, sondern Letzter Satz, verehrter Herr Präsident. – Wer tatsäch- erst ab 2022. Das ist wirklich absurd, meine Damen und lich Interesse an der nachhaltigen Befischung unserer Herren, und dafür sollten Sie von der Bundesregierung Gewässer hat und sich dessen bewusst ist, dass gerade sich wirklich schämen. 28552 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Susanne Ferschl (A) (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- schaft gearbeitet haben. Trotzdem wird diese prekäre (C) NIS 90/DIE GRÜNEN) Beschäftigung ohne Sozialversicherung auf alle Bran- chen ausgeweitet, und das ist nicht akzeptabel. Das Ganze – wir haben es heute wieder gehört – wird uns dann auch noch als Pandemieschutz verkauft, um (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN während der Ernte einen weniger häufigen Wechsel von und bei der LINKEN) Personal zu haben. Dabei ist es doch überhaupt kein Pro- Zweitens. Es wird auch immer so getan, als ginge es blem, die Beschäftigten für den kompletten Zeitraum bei den kurzfristig Beschäftigten mehrheitlich um Aus- befristet und sozialversichert anzustellen. länder/-innen, die ja irgendwie im Herkunftsland kran- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- kenversichert sind. Auch das ist nachweislich falsch. Tat- NIS 90/DIE GRÜNEN) sächlich kam 2020 weniger als ein Drittel aus dem Ausland; mehr als zwei Drittel der kurzfristig Beschäftig- Aber darum geht es Ihnen nicht, Frau Ministerin ten sind Deutsche, die den Sozialversicherungsschutz Klöckner. Ihnen von der Lobbyunion geht es doch darum, brauchen. Das aber verschweigt die Ministerin, und den Wunsch der Landwirtschaftsverbände nach billigen auch das kritisieren wir. Arbeitskräften zu erfüllen. Ich habe überhaupt kein Ver- ständnis dafür, dass das SPD-geführte Arbeitsministe- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN rium sich da zum Erfüllungsgehilfen macht. und bei der LINKEN) Die Linke wird diesen schmutzigen Deal jedenfalls Drittens. Ministerin Klöckner hat ja den Eindruck ver- nicht mitmachen. Deswegen haben wir auch einen eige- mittelt – es wurde schon gesagt –, dass das Fehlen der nen Antrag eingebracht. Denn egal ob in der Pflege, in gesetzlichen Krankenversicherungspflicht gar nicht so der Fleischindustrie oder in der Landwirtschaft: Wenn schlimm sei, weil jetzt die Nachweispflicht kommen man Kolleginnen und Kollegen aus dem Ausland holt, wird. Das ist einfach falsch; denn diese Nachweispflicht sind geltende Standards und eine soziale Absicherung kommt erst nächstes Jahr. Es werden also jetzt wieder doch wohl das Mindeste. Alles andere ist Ausbeutung, Menschen Spargel stechen und Erdbeeren ernten, die und das ist mit uns nicht zu machen. nicht krankenversichert sind – und das in Zeiten von Corona. Das ist wirklich zynisch. Diese Nachweispflicht (Beifall bei der LINKEN – Dr. Gero Clemens müsste, wenn überhaupt, dann jetzt beschlossen werden. Hocker [FDP]: Ihnen ist schon bewusst, dass alle krankenversichert sind?) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wir haben in der Saisonarbeit schon viel zu viel pre- (B) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (D) Vielen Dank, Frau Kollegin Ferschl. – Letzte Red- käre Beschäftigung. Hier trifft körperlich schwere Arbeit nerin in dieser Debatte wird Frau Kollegin Beate auf karge Löhne und schlechte Unterkünfte. Immer wie- Müller-Gemmeke, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der fehlt der Krankenversicherungsschutz. Die Menschen sein. bleiben dann auf ihren Behandlungskosten sitzen. Ver- lierer/-innen der kurzfristigen Beschäftigung sind die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Beschäftigten selbst, es sind die Menschen. Mit dieser Ausbeutung hier in Deutschland, hier auf den Feldern vor unserer Haustür, muss endlich Schluss sein. Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Vielen Dank. Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kolle- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gen! Auch ich rede weder über die See noch über See- und bei der LINKEN) fischerei, sondern wieder einmal über die fehlenden Rechte der Saisonarbeitskräfte. Denn die Union und die SPD wollen ja per Gesetzesänderung die Dauer der kurz- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: fristigen sozialversicherungslosen Beschäftigung aus- Vielen Dank, Frau Kollegin Müller-Gemmeke. – Der weiten, und das ist nichts anderes als Klientelpolitik für Kollege Artur Auernhammer, CDU/CSU-Fraktion, hat die Agrarwirtschaft. Die eh schon billigen Saisonarbeits- seine Rede zu Protokoll gegeben1). – Mit dieser Fest- kräfte sollen nochmals billiger gemacht werden, und das stellung schließe ich die Aussprache. lehnen wir strikt ab. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung und bei der LINKEN) des Seefischereigesetzes. Der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt in seiner Beschlussemp- Drei Aspekte möchte ich kurz ansprechen. Immer geht fehlung auf Drucksache 19/28840, den Gesetzentwurf es darum, dass die Argumentation für die Ausweitung der Bundesregierung auf Drucksache 19/26840 in der irreführend ist und nichts mit der Realität zu tun hat. Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die Erstens. Es wird immer so getan, als ginge es bei der dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen kurzfristigen Beschäftigung nur um die Saisonarbeits- wollen, um das Handzeichen. – Zustimmung von CDU/ kräfte in der Landwirtschaft. Ich habe vor Kurzem Zahlen CSU, SPD und AfD. Wer stimmt dagegen? - abgefragt, die ganz deutlich zeigen, dass im Jahr 2020 nur 23 Prozent der kurzfristig Beschäftigten in der Landwirt- 1) Anlage 12 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28553

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Aus Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim Bundes- (C) vollem Herzen!) minister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Moin! Sehr geschätzter Herr Präsident! Meine sehr Gegenstimmen von den restlichen Oppositionsfraktio- verehrten Damen und Herren! Diejenigen, die von der nen. Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung Küste stammen, so wie der Präsident und auch ich, wis- angenommen. sen den Beruf des Seelotsen sehr zu schätzen. Die See- Dritte Beratung lotsen haben einen sehr ehrbaren Beruf. Sie gelten an der Küste als ein Markenzeichen für Verlässlichkeit, für Kor- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem rektheit, für ewige Einsatzbereitschaft und für den Dienst Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – an der Gemeinschaft, Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Keine. Dann ist der Gesetzentwurf in dritter Lesung gegen die Stimmen von (Beifall des Abg. Andreas Mrosek [AfD]) FDP, Linke, Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen vergleichbar – vielleicht für die Kollegen im Süden – mit der übrigen Fraktionen des Hauses angenommen. Mineuren in der Schweiz und ähnlichen, also besondere Zusatzpunkt 7. Abstimmung über den Gesetzentwurf Berufsgruppen, die eine sehr große Verantwortung tra- der Fraktion der FDP zur befristeten Wiedereinführung gen. der 115-Tage-Regelung – Achtes Gesetz zur Änderung Wir in Deutschland haben die meistbefahrenen Seege- des Vierten Buches Sozialgesetzbuch. Der Ausschuss biete der Welt: in der Nordsee und in der Ostsee. Dass für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschluss- dort so wenig passiert, haben wir im Wesentlichen auch empfehlung auf Drucksache 19/28040, den Gesetzent- den Seelotsen zu verdanken. Deswegen müssen wir als wurf der Fraktion der FDP auf Drucksache 19/27181 Staat diese Berufsgruppe besonders im Auge haben. So abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf wollen wir heute das Seelotsgesetz – Herr Präsident, es zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenpro- heißt „Seelotsgesetz“ – ändern. be! – Enthaltungen? – Bei Enthaltung der AfD-Fraktion gegen die Stimmen der FDP-Fraktion ist mit den Stim- Warum? Wir haben das Problem, dass wir nicht mehr men der übrigen Fraktionen des Hauses der Gesetzent- so viele Schiffe unter deutscher Flagge in Fahrt haben, wurf abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäfts- wie wir uns das vielleicht gerne wünschen würden. Daher ordnung die weitere Beratung. fehlt der Nachwuchs für die klassische Ausbildung zu einem Seelotsen. Also haben wir uns vor Jahren Gedan- Zusatzpunkt 8. Abstimmung über den Antrag der Frak- ken darüber gemacht: Wie können wir das mögliche Fehl tion Die Linke auf Drucksache 19/27961 mit dem Titel beim Nachwuchs an deutschen Seelotsen und übrigens „Keine Ausbeutung von Saisonarbeitskräften“. Wer auch Seelotsinnen ausgleichen? (B) stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Ent- (D) haltungen? – Keine. Dann ist dieser Antrag gegen die Dabei sind wir, unterstützt vor allem durch die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Bundeslotsenkammer, für deren gute Ratschläge ich Grünen mit den Stimmen der übrigen Fraktionen des außerordentlich dankbar bin, auf die Idee gekommen: Hauses abgelehnt. Wir orientieren uns an anderen Berufen und schaffen andere Ausbildungswege, um zu dem Beruf des Seelot- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf: sen zu kommen. So haben wir drei Module entwickelt, – Zweite und dritte Beratung des von der Bun- um auf verschiedene Arten zu diesem Beruf zu kommen. desregierung eingebrachten Entwurfs eines Es war bisher so, dass man nur über den Kapitän auf Zweiten Gesetzes zur Änderung des Seel- großer Fahrt zu diesem Beruf kommen konnte. Eine otsgesetzes lange Tour, die diejenigen aber abhält, die vielleicht sa- Drucksache 19/27528 gen: Ich möchte von vornherein nur Seelotse werden. Ich will gar kein Kapitän auf großer Fahrt werden. Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Verkehr und digitale Infrastruk- Vor allem für Frauen, von denen wir mehr in diesem tur (15. Ausschuss) Beruf haben wollen – es ist derzeit noch eine reine Män- nerdomäne –, brauchen wir eine bessere Zugangsmög- Drucksache 19/28841 lichkeit. Dieser lange Ausbildungsweg, dieser lange – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- Zugangsweg hat doch viele davon abgeschreckt, diesen schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Beruf, den sie an der Küste vielleicht gerne ergriffen hätten, letztlich zu ergreifen. Drucksache 19/28842 Deswegen haben wir drei Wege geschaffen: den klassi- Ich denke, es muss „Seelotsengesetz“ heißen. schen Weg, eine etwas verkürzte Ausbildung und auch Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten eine Ausbildung über ein nautisches Studium – mit der beschlossen. – Ich bitte, den Platzwechsel zügig vorzu- Möglichkeit, am Ende sogar einen Master zu erwerben. nehmen. Das ist sehr attraktiv für diejenigen, die von vornherein sagen: Ich möchte eigentlich nur Seelotse oder Seelotsin Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- werden. ner dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Enak Ferlemann für die Bundesregierung das Wort. Ich glaube, das ist sehr klug, was wir Ihnen hier vor- schlagen. Es gibt in den Brüderschaften sicherlich auch (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Kritik, 28554 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Parl. Staatssekretär Enak Ferlemann (A) (Beifall des Abg. Andreas Mrosek [AfD]) (Beifall bei der AfD) (C) weil sich viele natürlich erst mal auf diese Umstellung Man lernt als Beifahrer auch kein Autofahren. Mit Aus- einstellen müssen. Wir haben das schon an einer Brüder- nahme Japans gibt es weltweit keinerlei Erfahrungen mit schaft gelernt, geübt, aber wir werden das jetzt überall Lotsen, die nie zuvor zur See gefahren sind. Japan stoppte einführen. Ich wage die Prognose, dass nachher alle das auch im Jahr 2007: Durch Lotsfehler häuften sich dort sehr froh sind. die Kollisionen. Warum? Wir brauchen jedes Jahr etwa 30 bis 60 See- Weiter wird in dem Änderungsentwurf ein bereits be- lotsen, um die ausreichende Personalausstattung auf den stehender Ausbildungsweg, LA 2, in allen deutschen Schiffen sicherstellen zu können. Es wäre verheerend, Revieren eingeführt. Dieser LA-2-Weg wird in der Brü- wenn wir nicht rechtzeitig dafür sorgen würden, dass derschaft NOK I seit 2009 im Nord-Ostsee-Kanal mit dieser Nachwuchs da ist. Man stelle sich mal den Stau Erfolg praktiziert. Warum passierte das seinerzeit nicht von Schiffen vor, wenn wir nicht genug Seelotsen hätten. bei allen sieben Brüderschaften gleichzeitig? Sie wollten Das darf uns nicht passieren. Deswegen ist es höchste das doch alle! Diese Fragen muss sich das BMVI stellen Zeit, dass es zu diesem Gesetz kommt. lassen. Ich bin sehr froh, dass der Ausschuss darüber sehr LA 2 steht Nautikern offen, die mindestens zwei Jahre intensiv beraten hat, dass die Kollegen auch manche kri- Fahrzeit nachweisen und damit ein Kapitänspatent besit- tische Frage gestellt haben, dass auch mancher Verband zen. Der vorliegende Änderungsentwurf wird damit be- kritisch gefragt hat: Was macht ihr da? Habt ihr euch das gründet, dass der neue Zugang zum Lotsenberuf durch gut überlegt? – Ja, wir haben uns sehr, sehr gut überlegt, den Rückgang von Schiffen unter deutscher Flagge und warum wir Ihnen das so vorschlagen. Es dient dem Erhalt der damit verbundenen rückläufigen Entwicklung bei der dieses hochangesehenen Berufes an der Küste. Es dient Ausbildung deutscher Seeleute erforderlich ist. Das war der Sicherheit von Mensch und Material, von der Umwelt in der Tat vor Jahren auch so. an der Küste. Es dient letztlich auch der Welthandels- nation Deutschland und dem Tourismusstandort. Momentan besteht sogar ein Überangebot von Bewer- Besser kann man es eigentlich gar nicht haben. Inso- bern. Insgesamt wurden 838 Kapitänspatente in den Jah- fern bitte ich herzlich darum, diesem Gesetz zuzustim- ren 2013 bis 2017 vom Bundesamt für Seeschifffahrt und men. Ich danke für eine gute Beratung und Unterstüt- Hydrographie erteilt. Ein paar Beispiele, die mir gestern zung. und heute noch mitgeteilt worden sind. Elbe: 70 Bewerber, Bedarf durch Abgänge: unter 10; Kiel: Vielen Dank. 60 Bewerber, Bedarf: bei 10; Rostock: Bedarf 0. (B) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Und es gibt unnötige Hürden. Wer drei Jahre mit Patent (D) ordneten der SPD) auf See pausiert hat, hat Pech für den LA-2-Weg. Was ist mit Kapitäninnen, die in Kinderbetreuung waren? Der Vizepräsident Wolfgang Kubicki: neubestallte Lotse soll 60 000 Euro Ausbildungskosten Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Normalerweise zurückzahlen. Bisher zahlte das der Bund. Die Lotsen- nehme ich ja Belehrungen der Bundesregierung äußerst ausbildung bereits gestandener Kapitäne soll von acht auf ungern entgegen, aber diesmal war sie zutreffend: Es zwölf Monate erhöht werden. Welcher Quatsch! heißt wirklich „Seelotsgesetz“. Ich habe mich davon (Beifall bei der AfD) überzeugt, dass ich mich nicht verlesen habe: Seelotsge- setz. – Gut. Die Kapitäne sollen in der praktischen Einstiegsprüfung zeigen, dass sie ein Schiff manövrieren können. Das war (Florian Oßner [CDU/CSU]: Sie kommen doch ja jahrelang ihre Arbeit. von der Küste! – Heiterkeit) – Ja, aber an der Küste würden wir auch immer „Lotsen“ Von Seelotsen in den deutschen Revieren kommt oder „Lotsinnen“ sagen. Bei „Lot“ denke ich an was scharfe Kritik. Die Auffassung der Kollegen, wie sie in anderes. § 35 des geltenden Gesetzes geregelt ist, wurde durch die Bundeslotsenkammer nicht ordnungsgemäß ermittelt. Nächster Redner ist der Kollege Andreas Mrosek, AfD-Fraktion. (Beifall des Abg. Dr. [AfD]) (Beifall bei der AfD) Fazit: Die Varianten LA 2 und LA 3 der Ausbildung müssen gefördert werden, LA 1 ist strikt abzulehnen. Nur Andreas Mrosek (AfD): so kann die Augenhöhe zwischen Lotsen und Kapitän Sehr geehrter Herr Präsident! Hohes Haus! Mit dem gewahrt bleiben. Das hatte Helmut Schmidt bereits heutigen Entwurf des Zweiten Gesetzes zur Änderung 1954 bei der Einführung des Lotsengesetzes im damali- des Seelotsgesetzes soll ein neuer Zugang zum Lotsenbe- gen Verkehrsausschuss als unabdingbar formuliert. ruf geschaffen werden. Dieser Zugang wird Lotsenaus- (Beifall bei der AfD) bildung 1, kurz LA 1, genannt. Er soll die bisher erforder- liche Seefahrtzeit als Kapitän oder Nautiker durch mehr Lotsen sind Seeleute, und Seeleute werden auf See Theorie, Mitfahren mit Seelotsen auf Schiffen und durch geformt. Bloße Einübung und Prüfung von Fertigkeiten praktische Übungen auf Modellschiffen ersetzen. – Das ersetzt keine Persönlichkeitsentwicklung, keine Persön- geht nicht. lichkeitsbildung und auch keine Lebenserfahrung. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28555

(A) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: darauf aufmerksam gemacht: Wir müssen an der Ausbil- (C) Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. dung für Seelotsen etwas verändern. Ich danke ausdrück- lich meinem Kollegen Uwe Schmidt, der normalerweise hier als Berichterstatter geredet hätte und seinen Sachver- Andreas Mrosek (AfD): stand deutlich in die Waagschale geworfen hätte. Der Seelotsenberuf ist ein Erfahrungsberuf, und Erfah- rung kommt von „fahren“. Deswegen haben wir auch so Wir reformieren die Ausbildungswege mit einem eige- wenig Seeunfälle. Aber das kann sich ändern. nen Hochschulstudium an den Standorten Wismar und Flensburg mit einem sehr hohen Praxisbezug und auf Vizepräsident Wolfgang Kubicki: einem hohen wissenschaftlichen Niveau. Denn wir wis- Herr Kollege Mrosek, vielen Dank. sen, dass ab dem Jahr 2025 jährlich etwa 40 Seelotsen in den Ruhestand gehen; diese müssen ersetzt werden. Andreas Mrosek (AfD): Wir müssen attraktiver werden für junge Menschen, Wir lehnen diesen Gesetzentwurf aus besagten Grün- die nicht monatelang zur See fahren wollen, die einen den ab. – Danke, Herr Präsident. Beruf ergreifen wollen, mit dem Familie und Beruf etwas besser vereinbart werden können. Wir müssen auch daran (Beifall bei der AfD) denken, dass dieses Berufsbild von Männern dominiert wird. Nur 2 der 900 sind Seelotsinnen. Da müssen wir, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: glaube ich, noch mal deutlich zulegen. Nächster Redner ist der Kollege Mathias Stein, SPD- Fraktion. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Insgesamt vereinigt dieses Gesetz, ähnlich wie das bei der Sozialdemokratie ist, Tradition und Moderne. Wir haben weiterhin den alten Zugang über das Kapitäns- Mathias Stein (SPD): patent, und wir haben einen neuen Weg mit einem Hoch- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und schulstudium mit hoher Qualität. Da bauen wir auf die Kollegen! Lieber Herr Ferlemann! Große Staatsmänner Zukunft und auf gute Arbeitsbedingungen. wie zum Beispiel der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt wurden nach ihrer Amtszeit oft als „Lotse“ Vielen Dank. bezeichnet, die ein Volk sicher durch Krisen und Unwäg- barkeiten gelenkt haben. (Beifall bei der SPD) (B) Die deutschen Lotsen tun das heute an der Ostsee, an (D) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: der Nordsee, den deutschen Meeren. Über 900 See- und Hafenlotsen geleiten die Schiffe auf deutscher See durch Vielen Dank, Herr Kollege Stein. sichere Fahrt, durch flache, enge Gewässer. Sie arbeiten Da die Kollegen Bernd Reuther, FDP-Fraktion, Jörg Tag und Nacht, bei jedem Wetter, bei Sturm und Eis. Sie Cezanne, Fraktion Die Linke, der Kollege Dr. Christoph haben keine leichte Tätigkeit; denn sie müssen mit den Ploß, CDU/CSU-Fraktion, und die Kollegin Dorothee Schiffsbesatzungen aus allen Herren Ländern auf immer Martin, SPD-Fraktion, ihre Reden zu Protokoll gegeben größeren Schiffen zusammenarbeiten und dabei auf un- haben1), hat das letzte Wort die Kollegin Claudia Müller, sere Infrastruktur zurückgreifen. Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Lotsen haben im Gepäck ein Großes Patent. Sie haben (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Revierkenntnisse und eine sehr, sehr nachhaltige Seelots- ausbildung. Sie sichern den internationalen Seeverkehr. Sie sichern den Verkehr an der Unterelbe, am Nord-Ost- Claudia Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): see-Kanal. Sie sorgen dafür, dass der Welthandel funk- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten tioniert, dass unsere Bevölkerung und Industrie mit Kolleginnen und Kollegen! Herr Mrosek, die schlechtes- Waren versorgt werden. Dafür sagen wir als Sozialdemo- te Antwort auf die Herausforderung der Zukunft ist ein kratinnen und Sozialdemokraten Herzlichen Dank. „Das haben wir aber immer schon so gemacht“. (Beifall bei der SPD) Ich freue mich sehr, dass wir heute zukunftsweisend Aber die Entwicklung in der deutschen Seefahrt ist eine neue Ausbildung für Seelotsinnen beschließen. Der schwierig. Es gibt immer weniger deutsche Seeleute, im- Prozess dazu war ein sehr langer. Bereits 2012 gab es mer weniger europäische Seeleute. Und es ist auch immer dazu einen Ministererlass. 2016 legte eine extra dafür schwieriger, für den Seeberuf Nachwuchs zu finden. Das eingerichtete Arbeitsgruppe der WSV einen Vorschlag liegt zum Teil an uns, weil wir die Schiffsbesetzungsord- dazu vor. Und jetzt, also fünf Jahre später, reformieren nung nach unten gesetzt haben. Wir als Sozialdemokraten wir endlich die Seelotsausbildung. kritisieren das. Der Schritt war überfällig; das ist mehrfach angespro- Wir sehen aber auch, dass der Weg über das höchste chen worden. Wir brauchen neue, zusätzliche Ausbil- nautische Patent für die Qualifikation des Lotsen nicht dungswege. Wir müssen mit unterschiedlichen Zugangs- immer das Zielführende ist. Daher haben uns schon vor voraussetzungen in den Lotsberuf hineinkommen. Der zehn Jahren die Männer und zum Teil auch Frauen der Selbstorganisation der Lotsen, der Bundeslotsenkammer, 1) Anlage 13 28556 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Claudia Müller (A) Lotsberuf muss attraktiver werden, insbesondere für Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) Menschen, denen die Vereinbarkeit von Familie und Vielen Dank, Frau Kollegin Müller. – Damit ist die Beruf besonders wichtig ist. Aussprache beendet.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung Dieser Gesetzentwurf kann damit einen wichtigen Bei- des Seelotsgesetzes. Der Ausschuss für Verkehr und digi- trag zur Lösung des Nachwuchsproblems vieler Seelots- tale Infrastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- reviere geben. Denn auch wenn sie jetzt noch nicht beste- lung auf Drucksache 19/28841, den Gesetzentwurf der hen, so werden wir in den nächsten Jahren extreme Bundesregierung auf Drucksache 19/27528 in der Aus- Abgänge erleben: Ab dem Jahr 2025 gehen pro Jahr schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem 40 Seelotsen in Rente. Das betrifft übrigens insbesondere Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wol- die Reviere im Nordseebereich und im Elbebereich. Hier len, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Ent- haben wir also einen besonderen Bedarf. haltungen? – Keine. Dann ist dieser Gesetzentwurf in der zweiten Lesung gegen die Stimmen von AfD und Linke Die Seelotsinnen sind ein wichtiger Teil der maritimen mit den Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses Wirtschaft; denn sie tragen erheblich zur Sicherheit un- angenommen. serer Schifffahrtswege bei. Sie sind es, die dafür sorgen, dass Handelsschiffe wohlbehalten durch Nord- und Ost- Dritte Beratung see kommen und beispielsweise bei der Revierfahrt auf und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem der Elbe unterstützt werden. Damit sorgen sie dafür, dass Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – wir weniger Schiffsunfälle haben; Herr Ferlemann hat es Das ist immer wieder ein schönes Bild, auch so spät ausgeführt. noch. Wer stimmt dagegen? – Dann stelle ich fest, dass der Gesetzentwurf in dritter Lesung gegen die Stimmen Stellen wir uns doch nur mal vor, ein solcher Unfall der Fraktion der AfD und der Linken mit den Stimmen wie mit der „Ever Given“ im Sueskanal würde auf der der übrigen Fraktionen des Hauses angenommen ist. Elbe passieren: Die Auswirkungen für Umwelt, Natur, aber auch Wirtschaft und die Lieferketten wären von Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 sowie Zusatz- enormem Ausmaß. Dafür ist es wichtig, dass wir das punkt 9 auf: Seelotswesen für die Zukunft gut aufstellen, und deswe- 26 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ gen ist es wichtig, dass wir diese Reform jetzt auf den CSU und SPD Weg bringen. (B) Einsetzung einer Kommission zur Reform des (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bundeswahlrechts und zur Modernisierung der Parlamentsarbeit Aber wir dürfen uns darauf nicht ausruhen – das ist ein Schritt. Wir brauchen generelle Reformen im Bereich der Drucksache 19/28787 maritimen Ausbildungsberufe, auch bei den Nautikerin- ZP 9 Erste Beratung des von den Abgeordneten Britta nen und den Schiffstechnikerinnen. Und hier ist ein ge- Haßelmann, Luise Amtsberg, Canan Bayram, meinsames Handeln von Bund und Ländern, die übrigens weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜND- beide dafür zuständig sind, gefordert; denn in den letzten NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs zehn Jahren ist die Zahl der Beschäftigten in den mariti- eines Gesetzes zur Änderung des Bundeswahl- men Berufen, insbesondere an Bord von Schiffen unter gesetzes – Chancengleichheit kleiner Parteien deutscher Flagge, zurückgegangen. in der Coronavirus-Pandemie Diesen Trend müssen wir nicht nur bremsen. Es wäre Drucksache 19/28792 wünschenswert, ihn umzudrehen; denn es ist unglaublich Überweisungsvorschlag: wichtig für unsere gesamte Volkswirtschaft, dass wir das Ausschuss für Inneres und Heimat (f) maritime Know-how in Deutschland halten. Wir haben in Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung den letzten Jahren hier viel verloren. Wichtige Bausteine, Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz wie zum Beispiel die Schiffsfinanzierung, sind bereits ins Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten Ausland verlagert worden, übrigens zum Großteil auch beschlossen. nach China. Das ist nicht nur ein kleines Thema, sondern das ist ein großes Thema von strategischer Bedeutung in Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- der Zukunft. ner das Wort dem Kollegen Ansgar Heveling, CDU/ CSU-Fraktion. Deswegen ist es so wichtig, dass wir das Thema der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) maritimen Ausbildungsberufe grundsätzlich angehen. Wir haben hier einen ersten Schritt getan, aber es ist nur Oh, Entschuldigung, ich sehe schon: Er gibt die Rede zu ein erster. Jetzt geht es daran, weitere maritime Berufe Protokoll.1) zukunftsfähig aufzustellen und zu reformieren. Deshalb fangen wir an mit dem Kollegen Mahmut Vielen Dank. Özdemir, SPD-Fraktion.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 1) Anlage 14 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28557

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) (Beifall bei der SPD – Konstantin Kuhle GRÜNEN: Die SPD hat auch nichts gemacht (C) [FDP]: Mahmut, das musst du jetzt einbringen, bei dem Thema!) die Chose! Dafür würde ich mich aber bedan- Wer vor anderthalb Jahren gedacht hätte, dass die ken!) wichtigsten Themen sein würden, die Größe des Deut- schen Bundestages anzupassen, das Wahlalter auf 16 Mahmut Özdemir (Duisburg) (SPD): abzusenken, die Dauer der Wahlperiode und der Amtszeit Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und des Kanzlers/der Kanzlerin zu verändern und die Parla- Kollegen! Damit habe ich jetzt auch nicht gerechnet, dass mentsarbeit zu modernisieren, ist in den letzten 13 Mona- die CDU/CSU-Kollegen sich bei diesem Thema davon- ten eines Besseren belehrt worden. Insofern ist ein wei- stehlen und nicht reden. teres Thema, das sich an das Gesetzesvorhaben bzw. an (Konstantin Kuhle [FDP]: Hätte ich auch ge- die Einsetzung der Reformkommission anknüpft, das macht an deren Stelle! – Britta Haßelmann Thema der Herabsetzung der erforderlichen Unterschrif- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich würde tenquoren für die Teilnahme an der Bundestagswahl. auch gehen! Einfach wieder gehen!) Die Zahl der erforderlichen Unterschriften beträgt bei Ich glaube, Seneca hätte den Ausspruch „Es ist nicht Wahlkreislisten 200 Unterschriften und bei Landeslisten wenig Zeit, die wir haben, sondern es ist viel Zeit, die wir bis zu 2 000 Unterschriften, bzw. dort sind sie bei Landes- nicht nutzen“ genau auf die Unionsfraktion gemünzt. Das listen auch gekappt. Die SPD setzt sich für die Vielfalt der Zeitelement ist auch in dem Gesetzentwurf berücksich- Parteienlandschaft und die Chancengleichheit ein. Wir tigt. Dort steht drin: „unverzüglich“. Aber die Union hat haben uns bei diesem Thema großzügig dahin gehend das ganze Thema mit einer stoischen Ruhe seit Oktober in beraten lassen, dass wir gemeinsam mit allen Parteien die Verhandlungen mit uns gebracht. die Quoren herabsenken. Ich möchte hier zunächst mein Bedauern und teilweise Ich gebe allerdings zu bedenken, dass es hier auch um auch mein Befremden darüber äußern, dass wir alle die Gleichbehandlung und die Chancengleichheit von Bevollmächtigten von unseren Fraktionen im Rahmen Parteien geht. Diejenigen, die es bisher nicht geschafft unserer Fraktionsbeschlüsse in die Verhandlungen haben, genügend Unterschriften zu sammeln, werfen geschickt haben und – es ist traurig – dass ein moderner, uns in diesem Punkt Nichthandeln vor. Diejenigen Par- ein guter, ein überparteilicher, geeinter Beschluss, der teien, die allerdings schon die Unterschriften beisammen- gefasst worden ist und den wir seit Mitte Dezember auf haben und das Quorum erreicht haben, werfen uns hin- dem Tisch liegen hatten, nun nicht umgesetzt wird. Er sah gegen – zu Recht, wie ich finde – Ungleichbehandlung einen sehr guten Einsetzungsbeschluss vor und hatte vor. Ich finde, wer Zeit hat, zum Anwalt zu gehen und (B) unsere Parlamentsarbeit gut repräsentiert und hatte alle über Monate Klagen vorzubereiten, der hätte auch genau- (D) aufgegriffenen Themen, von der Größe des Deutschen so viel Zeit gehabt, Unterschriften zu sammeln. Bundestages über Parität, also gleichberechtigte Reprä- sentanz von Frauen und Männern, und das Wahlalter 16, In meinem Wahlkreis gibt es eine Parteivertreterin, gut abgebildet. eine Parteikollegin von mir, die im Kommunalparlament tätig ist. Sie hat es trotz der Pandemie geschafft, für eine (Jörn König [AfD]: Und Diversen!) Weihnachtsbeleuchtung Tausende Türen abzuklappern; Ich finde das sehr schade. sie hat es mit ihren Kolleginnen und Kollegen geschafft, für ein Freibad Hunderte und Tausende Unterschriften zu Ich möchte mich bei den beiden Kollegen Heveling – sammeln. ich weiß nicht, wo er jetzt ist – und Frieser ausdrücklich für die sehr gute, für die sehr konstruktive inhaltliche (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Arbeit bedanken, noch viel mehr für den sehr guten Ein- NEN]: Das ist ja eine tolle Kollegin!) setzungsbeschluss. Umso größer ist das Befremden darü- Deshalb haben wir hier unser Bedenken und unser ber, dass ein solcher überparteilicher Beschluss in der Befremden angemeldet; aber wir sind für eine Vielfältig- Unionsfraktion keine Mehrheit gefunden hat. keit der Parteienlandschaft und wollen keiner Partei die (Leni Breymaier [SPD]: Hört! Hört!) Chance nehmen, bei der Bundestagswahl mit uns in den „Ratschläge sind immer auch Schläge“, hat Johannes Wettbewerb zu treten. Rau mal gesagt. Herr Brinkhaus ist heute nicht da, was Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, liebe Kol- ich ihm nicht verüble; ein Fraktionsvorsitzender – das leginnen und Kollegen. meine ich ehrlich – hat auch andere Dinge zu tun. Aber ich gebe ihm einen Ratschlag zu Protokoll: Hören Sie mal (Beifall bei der SPD) auf den Kollegen Heveling und den Kollegen Frieser. – Ich weiß jetzt nicht, ob ihnen das zum Nachteil gereicht. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Aber der Einsetzungsbeschluss, den wir über Parteigren- Vielen Dank, Herr Kollege Özdemir. zen hinweg verhandelt haben, war exzellent. Dem hätte man heute hier im Deutschen Bundestag zustimmen kön- ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: nen, wenn die Unionsfraktion die Chuzpe und den Mut So, das haben wir schon mal geschafft! – gehabt hätte, in ihrer Fraktion das auch durchzusetzen. Gegenruf des Abg. Friedrich Straetmanns [DIE LINKE]: Ich hab’s gehört!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE – Ja, ich auch. 28558 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Die Antragsteller berufen sich auf die im September (C) NEN]: Ja, ich meine, wo sie recht hat, hat sie eingebrachte, kuriose Vorschrift des § 55 Bundeswahl- recht! Sie hat doch nur gesagt: „Das haben wir gesetz, nach der „unverzüglich“ beim Bundestag eine schon mal geschafft!“) „Reformkommission“ gebildet werden soll, die sich „mit Fragen des Wahlrechts befasst und Empfehlungen – Entschuldigung, Frau Kollegin Haßelmann, ich kann erarbeitet“. Als Einzelthemen werden der Reihenfolge Sie bedauerlicherweise nicht verstehen. Nein, falsch, nach im Gesetz genannt: das Wahlalter von 16 Jahren, andersrum: Ich kann Sie verstehen, aber nicht hören. die „Dauer der Legislaturperiode“ und die „Modernisie- (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- rung der Parlamentsarbeit“. Die Größe des Bundestages, NEN]: Alles gut!) die alle Fachleute für das herausragende Problem halten, Nächster Redner ist der Kollege Albrecht Glaser, AfD- kommt als Untersuchungsgegenstand überhaupt nicht Fraktion. vor. (Beifall bei der AfD) (Zuruf von der AfD: Unglaublich!) Das ist pure Arroganz der Macht und Mandatsschinderei, Albrecht Glaser (AfD): meine sehr verehrten Damen und Herren. Herr Präsident! Ich kann Sie hören und verstehen. – (Beifall bei der AfD) Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit Überra- schung haben wir den Antrag der Koalition von vor Im Nachgang kommt noch die Idee vor, zu prüfen, ob der zwei Tagen zur Kenntnis genommen, wonach kurz vor Staat den Parteien vorschreiben solle, wie sie unter Ende der 19. Legislaturperiode eine Wahlrechtsreform Geschlechtergesichtspunkten ihre Kandidatenlisten auf- konstituiert werden soll. Für die kommende Bundestags- zustellen hätten, wahl kann sie keine Schadensminderung mehr bewirken. Nach neuesten, nicht unkomplizierten Berechnungen, de- (Beifall der Abg. Leni Breymaier [SPD]) nen unter anderem auch Wahlprognosen zugrunde liegen, also ein Quotenparlament statt gleicher Chancen für laufen wir auf einen Mammutbundestag zu, der zwischen jeden Bürger und jede Bürgerin, Abgeordnete zu werden. 750 und über 900 Abgeordnete haben wird. Das ist das Ansinnen auf einen Verfassungsbruch, meine Dies ist allerdings keine Überraschung. Denn im Rah- sehr verehrten Damen und Herren. men der über die vergangenen drei Jahre sich hinzieh- (Beifall bei der AfD) enden Scheindebatten in diesem Haus zu einer überfälli- gen Wahlrechtsreform wurde von Sachverständigen für Bis zum Einsetzungsbeschluss mit seiner Unverzüg- (B) den Fall der ausbleibenden Reform genau dieses Szenario lichkeit hat es sieben Monate gedauert. Die vorgegebene (D) vorausgesagt. Der Ansehensverlust für die Demokratie Zeit für einen Zwischenbericht der Kommission soll etwa und diesen Bundestag, auf den der Bundestagspräsident drei bis vier Monate betragen, sich über den Vorwahlsom- mehrfach hingewiesen hatte und den wir nun angesichts mer erstrecken und wenige Tage nach der Bundestags- solcher Zahlen kurz vor der Bundestagswahl zu spüren wahl enden. Wenigstens kommt im Untersuchungsauf- bekommen werden, wurde bewusst von der Koalition trag die – ich zitiere – „wirksame Begrenzung der herbeigeführt. Vergrößerung des Bundestages“ vor, jedoch keineswegs eine Zurückführung auf die bisher gesetzlich vorges- Gut 100 Staatsrechtslehrer haben im Herbst vergange- ehene Größe. Da der Vorgang auch noch unter dem Ge- nen Jahres öffentlich gemahnt, man werde im Hinblick setz der Diskontinuität steht, ist das beabsichtigte Vor- auf die zentrale Frage der Größe des Bundestages sehen, gehen eine Farce. ob den Abgeordneten das eigene Hemd oder der Rock des Gemeinwohls wichtiger sei. Das Ergebnis, meine Damen (Zuruf der Abg. Leni Breymaier [SPD]) und Herren, ist eindeutig. Es wird geradezu illustriert – ich komme gleich zum (Beifall bei der AfD) Schluss, Herr Präsident –, warum der jetzige Bundestag Vor diesem Hintergrund muss man wohl die Initiative keine Reform zustande gebracht hat, und dies, obwohl der Koalition verstehen. Wenn jetzt öffentlich bekannt der paraphierte Entwurf der AfD zur Abstimmung ge- wird, dass viele Hundert Büros für Abgeordnete und stellt war, der das Größenproblem perfekt löst. deren Mitarbeiter organisiert werden, dass viele neue (Beifall bei der AfD) Fahrer eingestellt werden und dass jeder zusätzliche Ab- geordnete über die gesetzgeberisch vorgesehenen 598 hinaus etwa 500 000 Euro im Jahr an direkten Kosten Vizepräsident Wolfgang Kubicki: für den Bundeshaushalt verursacht, dann wird der Volks- Herr Kollege, jetzt müssen Sie bitte zum Schluss kom- zorn sich Luft machen. Es geht – ganz nebenbei – bei nur men. 200 überzähligen Abgeordneten um einen Betrag von 100 Millionen Euro jährlich Albrecht Glaser (AfD): (Zuruf des Abg. Friedrich Straetmanns [DIE Einer Farce, meine sehr verehrten Damen und Herren, LINKE]) leihen wir unsere Stimme nicht. Wir lehnen daher dieses Gesetz ab. und 400 Millionen Euro über die Legislaturperiode, und das in den Zeiten des Staatsnotstandes. (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28559

(A) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ (C) Vielen Dank, Herr Kollege Glaser. DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der AfD) (Abg. Konstantin Kuhle [FDP] erhebt sich und wartet auf die Worterteilung) Deswegen ist es auch richtig, dass wir uns noch mal ver- gegenwärtigen, wie sehr die Große Koalition das vergeigt – Herr Kollege Kuhle, in der Geschäftsordnung steht, hat, wie sehr das vor die Wand gefahren worden ist. dass der Präsident aufruft. (Konstantin Kuhle [FDP]: Ich bin ja noch Drei Jahre lang ist überhaupt nichts passiert – keine hier! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE Bewegung beim Wahlrecht, außer bei FDP, Grünen und GRÜNEN] an den Abg. Konstantin Kuhle Linken, die einen eigenen Vorschlag gemacht haben, wie [FDP] gewandt: Geh doch noch mal zurück, das Ganze gehen kann. Letztes Jahr gab es dann endlich Konstantin!) einen Vorschlag, für den sich die SPD unter Biegen und Brechen bereit erklärt hat, bei der Union mitzumachen: – Alles gut. Wunderbar. Verringerung der Zahl der Wahlkreise ab 2024, Verände- Nächster Redner ist der Kollege Konstantin Kuhle, rung des Verrechnungsmodus und drei Extramandate für FDP-Fraktion. die Union. – Das hat die SPD nur unter einer Bedingung mitgemacht: Wir schaffen sofort eine Kommission, die (Beifall bei der FDP) sich über die Reform des Wahlrechts und über das Thema Parität unterhält.

Konstantin Kuhle (FDP): Dann passierte sieben Monate wieder nichts. Das ist Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben genau das, was passiert, wenn man sich von der Union ja heute einen langen Debattendonnerstag, und da ist es verschaukeln lässt. Das haben die von Anfang an geplant; üblich, dass Abgeordnete ihre Rede zu Protokoll geben, es war deren Plan von Anfang der Legislaturperiode an, um die Länge der Debatten nicht allzu sehr auszudehnen. sich beim Wahlrecht nicht zu bewegen. Ich glaube aber, dass die beiden Redner der Union in diesem Fall ihre Reden zu Protokoll gegeben haben, weil sie sich so für das schämen, was uns heute vorliegt, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten meine Damen und Herren. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Friedrich Straetmanns [DIE LINKE]) (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Jetzt haben wir – das sage ich für die FDP auch ganz (B) (D) SPD und der LINKEN) deutlich – einen Einsetzungsbeschluss, dem ich total ger- ne zustimmen würde. Der war auch schon im Januar Das hängt damit zusammen, dass wir heute wirklich fertig; das hätten wir machen können. Da ist alles drin, zum x-ten Mal über das Problem sprechen, dass wir den was wir wollten: Wahlalter von 16 Jahren, Digitalisierung größten Bundestag aller Zeiten haben und dass es einen und Modernisierung der Parlamentsarbeit, Amtszeitbe- dringenden Reformbedarf bei der Zahl der Mandate für grenzung für die Bundeskanzlerin bzw. den Bundeskanz- den Deutschen Bundestag gibt. Und das liegt nicht daran, ler. – Super! Ich würde gerne zustimmen. Das Problem dass es irgendwie Spaß machen würde, den Deutschen ist: Wir haben nur noch vier Sitzungswochen und insge- Bundestag zu verkleinern. Es liegt daran, dass die Redu- samt nur noch fünf Monate Zeit. Eine absolute Farce! zierung der Mandate im Deutschen Bundestag ein Zei- chen für die Reformierbarkeit unserer staatlichen Struk- Ich bedanke mich wirklich bei den Kollegen Berich- turen insgesamt ist. terstattern – vorneweg Ansgar Heveling. Das macht im- mer viel Freude; das ist im Persönlichen wirklich ange- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten nehm, und ich hätte mir gewünscht, dass ihr hier, lieber des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Ansgar, mehr Rückendeckung auch von der Fraktions- Abg. Albrecht Glaser [AfD]) führung habt, die uns in Sonntagsreden was von „Revolu- redet von „Revolution“, und wir kriegen tion“ erzählt; aber wenn es um die eigenen Mandate geht, es nicht mal hin, die Zahl der Abgeordneten im Deut- dann geht es um Sondermandate für die Union. Eine Ver- schen Bundestag zu reduzieren. Das ist das Problem. kleinerung des Bundestages gibt es aber nicht. Und es kommt noch etwas anderes dazu: Wir haben eine Pandemie, in der wir einen Korruptionsskandal in Vizepräsident Wolfgang Kubicki: der größten Regierungsfraktion in Deutschland haben, Herr Kollege. in einer Zeit, in der viele Menschen den Gürtel enger schnallen müssen. Angesichts dieses Korruptionsskan- dals und angesichts der Coronapandemie, in der es den Konstantin Kuhle (FDP): Menschen in diesem Land schlecht geht, wäre es ein Das machen wir nicht mit. Wir stimmen dagegen. Armutszeugnis, wenn wir nach der nächsten Bundestags- wahl wieder einen größeren Bundestag hätten, und des- Herzlichen Dank. wegen wäre es richtig gewesen, schon in dieser Legisla- turperiode zu einer Verkleinerung des Parlaments zu (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten kommen. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 28560 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

(A) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: operieren bei den Listen mit einem Reißverschlusssys- (C) Vielen Dank, Herr Kollege Kuhle. – Als nächster Red- tem. Auf freiwillige Selbstverpflichtung zu setzen, ist ner erhält das Wort der Kollege Friedrich Straetmanns, kein geeignetes Mittel, um dieses Ziel zu durchzusetzen. Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- (Beifall bei der LINKEN) NIS 90/DIE GRÜNEN – Albrecht Glaser [AfD]: Doch!) Friedrich Straetmanns (DIE LINKE): Es ist darüber hinaus auch interessant, das gerade Sie Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und eine Fraktion sind, die nur einen Frauenanteil von 20 Pro- Kollegen! Vor einigen Monaten stellte uns die CDU/ zent aufweist. Auch das sollten sich die Wählerinnen und CSU-Fraktion ihr Wahlrechtsreförmchen vor und kündig- Wähler bitte einmal merken. te geradezu schuldbewusst an, in der nächsten Reform- kommission über Grundlegenderes diskutieren zu wol- Zuletzt gab es einen langen Absatz über die Einsetzung len. Heute offenbart sich: Das war reine Hinhaltetaktik. eines Bürgerrats Demokratie. Dieses vollkommen unver- Sie haben nach wie vor gar kein Interesse an einem bindliche Mittel ist Ihnen ja auch schon zu viel. Dabei modernen Wahlrecht. wäre es schon interessant, die Vorschläge der Bürgerin- nen und Bürger in eine solche Kommission zu integrie- Der Kollege hat es gerade angesprochen: Die Verklei- ren. Ihr Problem ist aber doch: Wenn solche Vorschläge nerung des Bundestages – ein Thema, das hier wirklich auf dem Tisch liegen, dann kann man sie nicht einfach auf der Tagesordnung steht – haben Sie auch nicht wirk- vom selbigen fegen. – Deshalb ist es besonders wichtig, lich im Programm. – Das ist im Grunde die Täuschung dass wir hier einen Wert auf die Stimmen der Wähle- des Publikums und der Wählerinnen und Wähler, und ich rinnen und Wähler legen. hoffe, dass ihnen das am Wahltag auch bewusst ist. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir waren zu einigen Kompromissen bereit, um ein gemeinsames Vorgehen zu erreichen. Mit den letzten Die Verhandlungen über den Einsetzungsbeschluss Streichungen des entwickelten Entwurfes haben Sie den lassen sich schon wieder genau so an wie die Beratungen Bogen vollkommen überspannt. Wir werden deshalb ab- der vergangenen Wahlrechtskommission: Die Union lehnen müssen. lehnt jegliche Diskussion über alles ab, was nicht hun- dertprozentig ihrer Ideologie entspricht, und die SPD fügt Vielen Dank. sich wie immer ihrem Schicksal und lässt der Union alles (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- durchgehen. (B) neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (D) (Mechthild Rawert [SPD]: Nein, nein, nein! – Konstantin Kuhle [FDP]: Stimmt! Ist leider Vizepräsident Wolfgang Kubicki: so!) Vielen Dank, Herr Kollege Straetmanns. – Und wieder Besonders spannend ist es, wenn man sich anschaut, haben das letzte Wort Bündnis 90/Die Grünen – in der was hier im letzten Schritt noch aus dem Einsetzungsbe- Person von Britta Haßelmann. schluss herausgestrichen wurde. Wohlgemerkt: Es ging hier nicht darum, einen Beschluss oder eine konkrete (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gesetzliche Regelung zu treffen; es ging nur darum, was wir in dieser Kommission bereden werden. – Dass hier Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Einzelne eine Befassung mit Themen verhindern, ist, ehr- Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Kolleginnen und lich gesagt, ein starkes Stück. Kollegen! Wir verhandeln heute das letzte Kapitel dieses (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Trauerspiels, das sich „Wahlrechtsreform“ nennt. Wir neten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE sind mit dieser Wahlrechtsreform, die von CDU/CSU GRÜNEN) und SPD beschlossen wurde, keinem Ziel, das sich gesteckt wurde, auch nur ansatzweise näher gekommen. Sie fallen selbstverständlich hinter die ursprüngliche Idee zurück, dass die Sitzungen dieser Kommission (Albrecht Glaser [AfD]: Das ist richtig!) öffentlich stattfinden und nur auf Antrag in geschlossener Die Wahlrechtsreform ist weder fair noch verfassungs- Sitzung verhandelt wird. Anderenfalls wäre es ja auch gemäß, noch tritt sie dem Ziel, der Absicht, den Bundes- schwierig, nach außen das Bild aufrechtzuerhalten, dass tag zu verkleinern, in irgendeiner Art und Weise nahe. man konstruktiv an einer Lösung interessiert wäre, wäh- Das ist ein Trauerspiel, ein Armutszeugnis, und Sie tun rend intern sogar die Erstellung einer gemeinsamen Zah- das wider besseres Wissen. lengrundlage verhindert wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ein weiterer Punkt, den Sie in letzter Minute heraus- und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der formuliert haben, ist die paritätische Besetzung von LINKEN und des Abg. Albrecht Glaser [AfD]) Wahllisten. Übrig bleibt dann die Formulierung eines Wunsches: Der Bundestag solle gleichermaßen aus Män- Denn Sie wussten das von Anfang an. Aber Sie wollten nern und Frauen bestehen. – Wenn Sie sich hier im Hause einfach um den Preis Ihres Machterhaltes, keines Man- umschauen, dann sehen Sie, dass es nur drei Fraktionen datsverzichtes, keiner Reduzierung nur diesen Vorschlag gibt, die annähernd gleichmäßig besetzt sind, und diese weiterverfolgen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28561

Britta Haßelmann (A) Wir haben Ihnen in der Vergangenheit so viele Vor- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C) schläge gemacht; Sie sind darauf nicht eingegangen und sowie bei Abgeordneten der FDP und der haben dann auch noch als Geschenk von der SPD die drei LINKEN) unausgeglichenen Überhangmandate bekommen. Ich fra- ge mich bis heute, was die SPD umgetrieben hat, Ihnen Vizepräsident Wolfgang Kubicki: das auch noch zuzugestehen. Vielen Dank, Frau Kollegin Haßelmann. – Die Frau (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Staatministerin Annette Widmann-Mauz, die Kollegin bei der FDP und der LINKEN) Leni Breymaier, SPD-Fraktion, und der Kollege Michael Frieser, CDU/CSU-Fraktion, haben ihre Reden zu Pro- Denn das bedeutet keinen Vollausgleich mehr und eine tokoll gegeben1), sodass ich die Aussprache schließen Verzerrung des Wahlergebnisses. Das galt hier vor der kann. jetzt beschlossenen Reform, mit der wir – FDP, Linke und Grüne – nach Karlsruhe gegangen sind, ganz klar (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der als abgeschafft, und ich halte das Gesetz nach wie vor LINKEN) für nicht verfassungsgemäß. Wir werden sehen, was da- – Was war das jetzt für ein Beifall? Dass sie zu Protokoll bei herauskommt. gegeben haben? – Dass sie nicht reden, gut. (Beifall des Abg. Friedrich Straetmanns [DIE Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der LINKE]) Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 19/28787 zur Einsetzung einer Kommission zur Reform Dem Ziel der Verkleinerung kommen Sie sowieso des Bundeswahlrechts und zur Modernisierung der Parla- nicht näher. Rechnen Sie mal die aktuellen Umfragen mentsarbeit. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt hoch! Dann wissen Sie, dass wir uns bei 800 Abgeordne- dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Dann ist dieser An- ten einpendeln, und das ist wirklich unmöglich und nicht trag ausschließlich mit den Stimmen der Koalitionsfrak- tragbar. tionen gegen die Stimmen der anderen Fraktionen des Hauses angenommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN) Zusatzpunkt 9. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 19/28792 an die in der Das wird der Akzeptanz in der Bevölkerung schaden, und Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. dafür tragen Sie – CDU/CSU und SPD – die Verantwor- Gibt es weitere Überweisungsvorschläge? – Das sehe tung. ich nicht. Dann verfahren wir wie vorgeschlagen. (B) Während der Diskussionen über die Wahlrechtsreform Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 sowie die Zusatz- (D) haben Sie von der SPD sich mit der Einsetzung einer punkte 10 bis 13 auf: Reformkommission abspeisen lassen. Vor sieben Mona- ten wurde beschlossen, dass die „unverzüglich“ einzu- 27 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ setzen ist. Liebe Frauen aus der SPD, ich verstehe nicht, CSU und SPD dass Sie sich damit haben abspeisen lassen. Wir hatten Ein vitaler, klimastabiler Wald nutzt allen – eine interfraktionelle Initiative für eine Paritätskommis- Ökosystemleistungen ausreichend honorieren sion auf den Weg gebracht. Da haben Sie ganz groß ver- kündet: Wir machen hier eine große Reformkommission Drucksache 19/28789 gemeinsam mit allen. ZP 10 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für Ernährung und Land- (Widerspruch der Abg. Leni Breymaier [SPD]) wirtschaft (10. Ausschuss) zu dem Antrag der Heute wird sie eingesetzt. Das ist ein absolutes Place- Abgeordneten Franziska Gminder, Stephan bo, eine Beruhigungspille für Sie, damit Sie überall sagen Protschka, Berengar Elsner von Gronow, weiterer können: Die Reform gibt es. – Was wollen Sie denn in Abgeordneter und der Fraktion der AfD den nächsten vier Wochen machen? Die Kommission ein- Neue forstliche Versuchsflächen und Saatgut- setzen! Und danach gehen wir alle in die Wahlkreise. plantagen anlegen Glauben Sie, dass irgendjemand in der parlamentarischen Sommerpause, in besten Wahlkampfzeiten, hierhin- Drucksachen 19/22533, 19/23264 kommt und mit Ihnen die Frage berät, ob wir vielleicht ZP 11 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- in der nächsten Legislaturperiode darüber diskutieren richts des Ausschusses für Ernährung und Land- können? Das ist doch wirklich absurd, meine Damen wirtschaft (10. Ausschuss) zu dem Antrag der und Herren! Abgeordneten Peter Felser, Franziska Gminder, Stephan Protschka, weiterer Abgeordneter und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der Fraktion der AfD bei der FDP und der LINKEN sowie bei Abge- ordneten der AfD) Verwendung von hochwertigem forstlichem Vermehrungsgut fördern Nächste Woche setzen wir sie ein, und dann feiern wir uns noch dafür, dass wir das Reformkommissiönchen Drucksachen 19/26231, 19/26687 eingesetzt haben. Tut mir wirklich leid; dem kann man nicht aufsitzen! Wir werden heute ablehnen. 1) Anlage 14 28562 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) ZP 12 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- terhin aktiv zu bewirtschaften. Es geht um Wiederauf- (C) richts des Ausschusses für Ernährung und Land- forsten, um Hegen und um Pflegen. In der Regel ist das wirtschaft (10. Ausschuss) zu dem Antrag der eine Arbeit für die Enkel, weil man beim Wald in Gene- Abgeordneten Peter Felser, Franziska Gminder, rationen denken muss. Es ist eine Arbeit, für die viel Stephan Protschka, weiterer Abgeordneter und Herzblut notwendig ist, eine Arbeit aus Tradition und der Fraktion der AfD insbesondere mit extrem wenig Entlohnung. Demografische Krise in der forstlichen Praxis Fest steht: Ökologisch gesehen sind junge bewirtschaf- und Forschung durch längerfristige Projekt- tete Mischwälder der beste CO2-Speicher, den wir haben. stellen kompensieren Das heißt, Stilllegung ist ökologischer Unsinn, Drucksachen 19/26224, 19/26814 (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ZP 13 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- NEN]: Ist doch Quatsch! Blödsinn!) richts des Ausschusses für Ernährung und Land- und es ist maximal klimaneutral, wenn man die Wälder wirtschaft (10. Ausschuss) zu dem Antrag der aus der Bewirtschaftung nimmt. Deswegen sehen wir Abgeordneten Karlheinz Busen, Frank Sitta, eine Chance, weil seit Beginn des Jahres 2021 die CO2- Dr. Gero Clemens Hocker, weiterer Abgeordne- Bepreisung eingeführt worden ist. Es ist doch nur richtig ter und der Fraktion der FDP und fair, wenn dem Wald von diesen Geldern etwas zugu- Waldbonus schaffen – CO2 reduzieren tekommt. Drucksachen 19/16484, 19/17301 (Beifall der Abg. Isabel Mackensen [SPD]) Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten Wir wollen keine Gießkannenverteilung: Wir wollen beschlossen. – Es gibt nur wenige Platzwechsel. Leistung für Gegenleistung und nachhaltig bewirtschaf- Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- tete Wälder. Die Kontrolle und Begleitung durch ein Zer- ner dem Kollegen Alois Gerig, CDU/CSU-Fraktion, das tifizierungssystem wird dafür Sorge tragen, dass man die Wort. entsprechenden Mittel richtig einsetzt. Unser Bundesmi- nisterium für Ernährung und Landwirtschaft – es freut (Beifall bei der CDU/CSU) mich, dass die Bundesministerin zu der späten Stunde noch bei uns ist – bekommt nach der Zustimmung zum Alois Gerig (CDU/CSU): Antrag den Auftrag, ein Honorierungssystem zu erarbei- Jetzt wird es wieder friedvoller; wir gehen in den deut- ten, das pragmatisch ist. schen Wald. – Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr (B) verehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Ich freue mich, dass nicht nur wir in Deutschland die (D) Herren! Viele Reden werden um diese Uhrzeit verständ- Situation erkannt haben. Nein, auch die Europäische licherweise zu Protokoll gegeben. Ich möchte zu einem Union hat vor zwei Tagen mit einem Klimagesetz be- guten, zu einem positiven Antrag – auch stellvertretend schlossen, dass sie solch eine Klimaprämie einführen für meinen Kollegen Artur Auernhammer – hier doch ein will, um zum Beispiel die Senkenleistung unserer Wälder paar Takte sagen. zu honorieren. Das ist ein starkes Signal. Hand in Hand müssen wir diesen Weg im Sinne unserer Wälder, im Die Ökosystemleistung unserer Wälder wollen wir Sinne unserer Waldbesitzenden gehen. Das heißt, eine honorieren. Das Potenzial ist immens. Ein Drittel der nachhaltige Forstwirtschaft wird europaweit unterstützt Fläche Deutschlands ist mit Wald bewachsen, und die werden. Leistungen der Wälder – Sie kennen sie vermutlich alle – sind multifunktional. Sie sind Wasserspeicher, Luftfilter, (Beifall des Abg. Artur Auernhammer [CDU/ Lebensraum für Tiere und Pflanzen, Rohstofflieferant, CSU]) Arbeitgeber in einem hohen Maße. Sie sind Erholungs- Ich bitte Sie alle um die Zustimmung zu unserem An- raum für die Menschen – das wissen wir in Pandemiezei- trag und wünsche Ihnen noch einen schönen Restabend. ten ganz besonders wertzuschätzen – und, ganz wichtig, der wichtigste CO2-Speicher, den wir in Deutschland ha- Vielen Dank. ben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Das ist ein guter Grund für die Koalition, einen Antrag Isabel Mackensen [SPD]) auf den Weg zu bringen. Der Dank gilt unserem Koali- tionspartner, insbesondere Isabel Mackensen, für die wie- der mal sehr gute Zusammenarbeit bei der Erstellung Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: dieses Antrags. Vielen Dank, Kollege Gerig. – Das Wort geht an Peter Felser von der AfD-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der AfD) Ja, der Wald und die Waldbesitzenden brauchen unsere Hilfe. Drei katastrophale Jahre liegen hinter uns: Tro- ckenheit, Käferbefall, Sturm, katastrophal zusammenge- Peter Felser (AfD): brochene Holzmärkte mit schlechten Holzpreisen. – Der Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Wir volkswirtschaftliche Schaden wird mittlerweile auf sprechen heute über Ökosystemleistungen für den Wald. 13 Milliarden Euro geschätzt. Es geht jetzt darum, dass Wir sprechen darüber, dass wir die Leistungen im Umfeld die Waldbesitzenden motiviert werden, ihre Wälder wei- Wald unterstützen wollen. Und in der Tat: Es ist ja schon Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28563

Peter Felser (A) einmal wertvoll, dass wir diese Leistungen öffentlich Wir haben drei konkrete Vorschläge in unseren drei (C) machen, dass wir sie identifizieren und, ja, dass wir den Anträgen heute vorgelegt; so könnte Waldbau, wie in Waldbesitzern Wertschätzung entgegenbringen. den letzten 300 Jahren, gut und nachhaltig funktionieren: Ich denke – und das haben wir ja auch vom Kollegen Erstens. Forschung vorantreiben und hochwertiges Gerig gehört –, dass die Funktionen des Waldes wichtig Saatgut nach vorne bringen. In der Saatgutforschung sind. Wald ist für unsere Bevölkerung der Erholungsort. waren wir übrigens weltweit führend. Wald ist ein hervorragender, Wald ist der wichtigste Was- serspeicher bei uns in Deutschland. Wald gibt uns Bau- Zweitens. Mehr Personal für die Wälder. Sie haben die holz, Wald gibt uns Wärme am heimischen Holzfeuer. Förstereien personell ausgedünnt. Wir brauchen aber das Und nicht zuletzt: Wald ist Heimat, Wald hat sich tief in Personal in den Förstereien. unsere Volksseele eingepflanzt – in Liedern, in Märchen, Drittens. Verdoppelung der Flächen für die Züchtung in Sprichwörtern, im alltäglichen Sprachgebrauch. von stabilen Baumarten in unserer Heimat, in Deutsch- All diejenigen, die den Wald betreuen, die dort Nutz- land. holz entnehmen, die für uns diese Wälder aufforsten, die Ich fordere Sie auf: Stellen Sie sich hinter die Eigen- eingreifen, wenn der Borkenkäfer zugeschlagen hat, wol- tümer, und lassen Sie die Finger weg von CO2-Zertifizie- len wir unterstützen. All diejenigen werden auch jetzt rungen! schon unterstützt, liebe Kollegen von der CDU; das darf man nicht vergessen. Ich denke an die Waldhilfen nach Danke schön. den katastrophalen Dürrejahren, ich denke an die Gelder, (Beifall bei der AfD) die aus der GAK verteilt werden. Aber, liebe Kollegen von der CDU, lassen Sie sich Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: durch die aktuelle Klimadiskussion doch bitte nicht Vielen Dank, Herr Felser. – Das Wort geht an die SPD- vom Weg abbringen! Lassen Sie sich doch um Gottes Fraktion mit Isabel Mackensen. willen nicht vom Green Deal einer in Brüssel blenden! (Beifall bei der SPD) Mir ist schon klar: Da liegen jetzt 1 Billion Euro, und auch Sie wollen für sich und für die Waldbesitzer, für Ihre Isabel Mackensen (SPD): Mitglieder, etwas davon abhaben. Das ist verlockend; das Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! ist mir schon klar. Aber machen Sie doch jetzt bitte nicht Liebe Kollegen! Die Lage im Wald ist dramatisch und den gleichen Fehler, den Sie jahrzehntelang in der Land- gibt Anlass zu großer Sorge. Stürme, Dürre, Schädlinge (B) wirtschaft gemacht haben. Wir sehen doch, wohin uns die und Waldbrände haben unseren Wäldern stark zugesetzt. (D) Subventionen in der Landwirtschaft gebracht haben. Die- Die Fachleute gehen derzeit von einer Schadholzmenge se Abhängigkeiten wollen wir doch nicht. Es kann doch von 171 Millionen Kubikmetern aus. Wir stehen aktuell auch keiner in diesem Hause wollen, dass auch die Wald- vor der Herausforderung, mehr als die Flächengröße des besitzer abhängig von diesen Subventionen werden. Saarlandes, nämlich circa 285 000 Hektar, wieder zu bewalden. (Beifall bei der AfD) Ich komme aus Rheinland-Pfalz – ich bin Rheinland- Sie machen die Waldbesitzer – ob die großen mit Pfälzerin, wie die Ministerin –, aus dem waldreichsten 2 000 Hektar oder die kleinen mit 2 Hektar – und die Bundesland Deutschlands. Forstwirtschaft jetzt abhängig von diesem Subventions- tropf, und das lehnen wir ab. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des (Beifall bei der AfD) Abg. Mario Brandenburg [Südpfalz] [FDP]) Herr von der Marwitz, Herr Gerig, wollen Sie wirklich, 42 Prozent der Landesfläche sind bewaldet. Zudem ist der dass die Waldbauern zukünftig nicht mehr allein über Pfälzer Wald das größte zusammenhängende Waldgebiet Grund und Boden entscheiden dürfen? Wollen Sie, dass Deutschlands. Allein bei uns beträgt das Schadholzauf- sie jeden Baum, den sie neu anpflanzen wollen, bürokra- kommen über 5 Millionen Kubikmeter, und es müssen tisch vorgegeben bekommen? über 14 300 Hektar aufgeforstet werden. (Hans-Georg von der Marwitz [CDU/CSU]: Wir stehen hier vor einer Jahrhundertaufgabe. Es wird Das ist doch was ganz anderes!) sich nämlich frühestens in 50 Jahren zeigen, ob beim Waldumbau zu klimastabilen Mischwäldern die richtigen Wollen Sie, dass sie für jedes Nutzholz, das sie entneh- Entscheidungen getroffen wurden. Die dafür notwendi- men wollen, ein Formular ausfüllen müssen? Nein, wir gen Investitionen sind nicht nur Aufgabe der privaten machen das nicht mit. Waldbesitzer, sondern im Wesentlichen auch der kommu- (Beifall bei der AfD) nalen Waldbesitzer und des Staates. Es gibt nämlich tat- sächlich auch kommunale Waldbesitzer; darauf komme Wir haben die Bundesregierung gefragt, wie das laufen ich gleich noch zu sprechen. könnte. Es gibt nicht mal ansatzweise ein Konzept dafür, wie man das umsetzen und diese CO2-Senken vergüten Durch die Holzerlöse konnte die Aufforstung bisher könnte. Da gibt es gar nichts. Trotzdem fordern Sie heute ohne Probleme finanziert werden. Der Holzpreisverfall eine Sofortabstimmung. Nein, liebe Kollegen, das ma- und der notwendige Wandel vom gewinnbringenden chen wir nicht mit. Nadelholz zu aktuell noch weniger nachgefragtem Laub- 28564 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Isabel Mackensen (A) holz lassen viele Waldbesitzende aber finanziell mit dem – Es wurde gerade „Kerosin“ reingerufen; das kann ja (C) Rücken zur Wand stehen. Viele tragen sich mit dem Ge- nicht jeder hören. Das ist ein anderes Thema; darüber danken, ihren Wald zu veräußern. können wir gerne noch mal sprechen. Ich kann das gut nachvollziehen. Ich bin Ge- Wald ist aber vor allem auch ein wichtiger Arbeitgeber. meinderätin in meinem Heimatort Niederkirchen. Wir Im Bereich „Wald und Holz“ arbeiten rund 1,1 Millionen haben 800 Hektar Wald, und wir haben die Abgabe an Menschen. Das ist vor allem deshalb wichtig, weil es den Forstzweckverband im aktuellen Haushalt vervierfa- Arbeitsplätze im ländlichen Raum sind. chen müssen. Früher haben wir 10 000 Euro gezahlt, jetzt Diese Leistungen des Waldes stehen uns allen zur haben wir eine Abgabe von 40 000 Euro. Das ist für so freien Verfügung. Das ist der entscheidende Punkt, einen kleinen Ort schon eine Menge Holz – im wahrsten warum Alois Gerig und ich uns auf den Weg gemacht Sinne des Wortes. Deshalb kann ich sehr gut nachvoll- haben, diesen Antrag zu formulieren und heute hier zur ziehen, was das für die anderen Waldbesitzenden bedeu- Abstimmung zu bringen. Ich bin sehr dankbar, dass wir tet. das in dieser Legislatur noch geschafft haben. Deshalb Es stellt sich nun also die Frage, wie wir aus diesem reden wir auch beide; bitte sehen Sie es uns nach. Dilemma herauskommen können. Mit etwa 1,5 Milliar- Mit unserem heutigen Antrag wollen wir ein dauerhaf- den Euro haben Bund und Länder über die Gemein- tes Honorierungssystem etablieren. Wir wollen den Öko- schaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des systemleistungen einen Wert geben und eine langfristige Küstenschutzes“ und die Konjunkturhilfen schnelle und Perspektive – das ist das Entscheidende – für die nach- direkte Unterstützung für den Wald zur Verfügung ge- haltige Waldbewirtschaftung schaffen. Dabei sollte sich stellt. In Anbetracht der zeitlichen Dimension dieser Jahr- die Honorierung an der Klimaschutzleistung des Waldes hundertaufgabe sind wir davon überzeugt, dass wir eine orientieren. Eine mögliche Bezugsgröße wäre der aktuel- langfristige Lösung für diese Herausforderung brauchen le Preis der gehandelten CO2-Zertifikate. und die Honorierung der Ökosystemleistungen des Wal- des hierauf die richtige Antwort ist. Definierte Standards sollen der Verbesserung von Öko- systemleistungen und der Anpassung der Waldökosyste- Was sind Ökosystemleistungen? Wir haben gerade me an den Klimawandel dienen. Uns ist wichtig, dass die schon von der Klimaschutzleistung gehört, nämlich der notwendigen Standards, die aktuell noch nicht vorliegen, langfristigen Speicherung von CO2 im Wald, in den wei- sowohl vom Landwirtschaftsministerium als auch vom terverarbeiteten Holzprodukten und in dem gesamten Umweltministerium erarbeitet werden. Wir haben beide Holzkreislauf. Gesunde Wälder – und das ist das ent- mit ins Boot genommen. Ich glaube, das ist eine sehr scheidende Stichwort – können 8 Tonnen CO2 pro Hektar sinnvolle Sache. (B) binden. (D) (Beifall bei der SPD) Vielen Dank an die Vertreter der AGDW, der Arbeits- gemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände, mit de- Es geht hier nicht um eine Beihilfe, wie das vielleicht nen ich mich gestern zusammen mit meinem Kollegen bei manchen Beiträgen angeklungen sein könnte, sondern Dirk Wiese bei ihrer Aktion am Brandenburger Tor fach- um die Honorierung tatsächlich erbrachter Leistungen. lich austauschen konnte und die auch noch mal deutlich Das ist uns ganz wichtig, und das unterscheidet uns gemacht haben, vor welcher Herausforderung wir hier auch von dem Antrag der FDP, der heute auch vorliegt. stehen. Die FDP fokussiert in ihrem Antrag nämlich nur die CO -Bindeleistung unserer Wälder. Natürlich kommt der (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der 2 Speicherung von CO eine wichtige Bedeutung zu. Wir CDU/CSU) 2 sind jedoch davon überzeugt, dass bei der Inwertsetzung Der Präsident der AGDW sitzt ja auch hier. der CO2-Speicherung im Wald die Gesamtschau der Öko- systemleistungen des Waldes betrachtet werden muss. Die biologische Vielfalt von Tier- und Pflanzenarten beeinflusst ökologische Funktionen, die wiederum Vo- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) raussetzung aller Ökosystemleistungen des Waldes sind. Es gibt keine Forderungen für Mindeststandards bei Der Trend der Biodiversität im Wald ist stabil, wenn nicht der Bewirtschaftung als Voraussetzung für die Honorie- sogar positiv. Das gilt es zu erhalten. Zusätzlich leisten rung. Damit verpasst es die FDP leider, die Lenkungswir- unsere Wälder einen wichtigen Beitrag für den Boden- kung zu nutzen, die der Bund und die Länder mit solch und Wasserschutz. einem Honorierungssystem beeinflussen können. Es wurde angesprochen: Gerade in der aktuellen Zeit, (Zurufe von der FDP) in der Coronapandemie, suchen viele Menschen Erho- lung in den Wäldern. Ich selbst komme aus der Nähe Der Antrag wird der Komplexität des Themas leider nicht des Pfälzer Waldes, vom Haardtrand, und sehe immer gerecht, und deshalb lehnen wir den Antrag ab. wieder Menschen in Autos aus Heidelberg und Mann- Für die SPD-Bundestagsfraktion steht ganz klar fest: heim, die am Wochenende zu uns kommen, um mal Eine nachhaltige Bewirtschaftung und der Waldumbau zu durchzuatmen und im Wald spazieren zu gehen. Auch naturnahen und klimastabilen Mischwäldern müssen die das ist eine wichtige, nicht zu unterschätzende Ökosys- Voraussetzungen sein, um eine Honorierungsleistung zu temleistung. erhalten, ganz nach dem Motto „Öffentliches Geld für (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Kerosin im öffentliche Leistungen“. Pfälzer Wald!) (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28565

Isabel Mackensen (A) Deshalb sprechen wir uns auch ganz klar gegen eine reine auf Drucksache 19/22533 abzulehnen. Wer stimmt für (C) Flächenprämie aus. Ich bin dankbar, dass ich das hier, an diese Beschlussempfehlung? – Die Fraktionen der dieser Stelle, jetzt auch noch mal deutlich sagen konnte. Linken, der SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU- Wichtig ist aber natürlich auch, dass wir als Regierung Fraktion und FDP. Wer stimmt dagegen? – Das ist die weiterhin die Waldstrategie 2050 in den Blick nehmen. Fraktion der AfD. Wer enthält sich? – Da sehe ich nie- Die Honorierung der Ökosystemleistungen ist ein wich- manden. Die Beschlussempfehlung ist damit angenom- tiger Bestandteil der Zukunftsfragen in der Forstwirt- men. schaft, und deshalb brauchen wir auch eine Zukunftsstra- Zusatzpunkt 11. Beschlussempfehlung des Ausschus- tegie. ses für Ernährung und Landwirtschaft zu dem Antrag der Seit Monaten warten wir leider auf die Waldstrategie Fraktion der AfD mit dem Titel „Verwendung von hoch- 2050 aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium. Vor wertigem forstlichem Vermehrungsgut fördern“. Der über einem Jahr hat der Wissenschaftliche Beirat für Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Waldpolitik die Stellungnahme „Eckpunkte der Waldstra- Drucksache 19/26687, den Antrag der Fraktion der AfD tegie 2050“ vorgelegt. Die Länder und Verbände wurde auf Drucksache 19/26231 abzulehnen. Wer stimmt für bereits angehört. Jetzt wäre es langsam an der Zeit; denn diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Fraktionen ein weiteres Aufschieben ist gerade in Anbetracht der der Linken, der SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/ dramatischen Lage nicht akzeptabel. CSU-Fraktion und FDP. Wer stimmt dagegen? – Das ist die Fraktion der AfD. Sehe ich Enthaltungen? – Ich sehe (Beifall bei Abgeordneten der SPD) keine. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen. Es braucht ein kohärentes Bild der zukünftigen Forst- Zusatzpunkt 12. Beschlussempfehlung des Ausschus- wirtschaft und eine klare Zielvorstellung. Es gilt, die ses für Ernährung und Landwirtschaft zu dem Antrag unterschiedlichen Interessen unter einen Hut zu bringen. der Fraktion der AfD mit dem Titel „Demografische Kri- Wir müssen unseren Wald für zukünftige Generationen se in der forstlichen Praxis und Forschung durch länger- erhalten. fristige Projektstellen kompensieren“. Der Ausschuss (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Karlheinz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache Busen [FDP]: Da nützen eure Umfragewerte 19/26814, den Antrag der Fraktion der AfD auf Druck- auch nichts mehr!) sache 19/26224 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be- schlussempfehlung? – Das sind die Fraktionen Die Linke, Wir brauchen anpassungsfähige und klimaresiliente SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU-Fraktion und Mischwälder, und wir müssen auf naturnahe und stand- FDP. Wer stimmt dagegen? – Die AfD. Sehe ich Ent- ortangepasste Baumarten setzen. haltungen? – Ich sehe keine. Die Beschlussempfehlung (B) Es ist Zeit, zu handeln. Wir als SPD-Bundestagsfrak- ist angenommen. (D) tion werden alle Waldbesitzenden aktiv dabei unterstüt- Zusatzpunkt 13. Beschlussempfehlung des Ausschus- zen. ses für Ernährung und Landwirtschaft zu dem Antrag der Vielen Dank. Fraktion der FDP mit dem Titel „Waldbonus schaffen – (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten CO2 reduzieren“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be- der CDU/CSU) schlussempfehlung auf Drucksache 19/17301, den An- trag der Fraktion der FDP auf Drucksache 19/16484 ab- zulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Das sind die Fraktionen Die Linke, SPD, Bündnis 90/ Vielen Dank, Kollegin Mackensen. – Die Kollegin Grüne und die CDU/CSU-Fraktion. Wer stimmt dage- Dr. Tackmann und die Kollegen Busen, Krischer und gen? – Die Fraktionen der FDP und der AfD. Gibt es Auernhammer sind so freundlich, ihre Reden zu Proto- Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Die Beschluss- 1) koll zu geben . – Damit beende ich die Aussprache. empfehlung ist angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a und 28 b sowie Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache die Zusatzpunkte 14 und 15 auf: 19/28789 mit dem Titel „Ein vitaler, klimastabiler Wald nutzt allen – Ökosystemleistungen ausreichend honorie- 28 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ren“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Das sind die Frak- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur tionen von SPD und CDU/CSU. Wer stimmt dagegen? – Umsetzung der Anti-Steuervermeidungs- Die Fraktionen der FDP, der AfD und die Grünen. Wer richtlinie (ATAD-Umsetzungsgesetz – enthält sich? – Das ist die Fraktion der Linken. Der An- ATADUmsG) trag ist damit angenommen. Drucksache 19/28652

Zusatzpunkt 10. Beschlussempfehlung des Ausschus- Überweisungsvorschlag: ses für Ernährung und Landwirtschaft zu dem Antrag der Finanzausschuss (f) Fraktion der AfD mit dem Titel „Neue forstliche Ver- Haushaltsausschuss suchsflächen und Saatgutplantagen anlegen“. Der Aus- b) Erste Beratung des von der Bundesregierung schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Drucksache 19/23264, den Antrag der Fraktion der AfD Modernisierung des Körperschaftsteuer- rechts 1) Anlage 15 Drucksache 19/28656 28566 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Vizepräsidentin Dagmar Ziegler (A) Überweisungsvorschlag: erfolgreich tätige mittelständische Personengesellschaf- (C) Finanzausschuss (f) ten und Familienunternehmen. Wir stärken also das Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO Rückgrat der deutschen Wirtschaft. ZP 14 Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja Hessel, Christian Dürr, Dr. Florian Toncar, wei- Kern des Gesetzentwurfs ist die Einführung einer terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Option zur Körperschaftsteuer, die es Personengesell- schaften und Partnerschaftsgesellschaften ermöglicht, Gestärkt aus der Krise hervorgehen – Gewer- wie eine Kapitalgesellschaft besteuert zu werden. Dieses besteuer reformieren Optionsmodell trägt dazu bei, sowohl systematische als Drucksache 19/28770 auch verfahrensrechtliche Unterschiede gegenüber Kapi- talgesellschaften abzubauen und die Besteuerung von Überweisungsvorschlag: Personenhandelsgesellschaften und Kapitalgesellschaf- Finanzausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie ten noch weiter anzugleichen. ZP 15 Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja Darüber hinaus wird mit dem Gesetzentwurf das Hessel, Christian Dürr, Frank Schäffler, weiterer Umwandlungssteuerrecht weiter globalisiert. Neben Ver- Abgeordneter und der Fraktion der FDP schmelzungen sollen zukünftig auch Spaltungen und Formwechsel von Körperschaften mit Bezug zu Dritt- Thesaurierungsbegünstigung modernisieren staaten steuerneutral möglich werden. Dadurch werden Drucksache 19/28766 die Möglichkeiten für deutsche Unternehmen und ihre ausländischen Tochtergesellschaften, betrieblich sinnvol- Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) le Umstrukturierungsmaßnahmen steuerneutral durchzu- Ausschuss für Wirtschaft und Energie führen, maßgeblich erweitert und weiter gestärkt. Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten Ein weiterer Punkt im Bereich der körperschaftsteuer- beschlossen. lichen Organschaft ist der Ersatz der Ausgleichsposten- Ich eröffne die Aussprache, und wir hören zuerst die methode bei organschaftlichen Mehr- und Minderabfüh- Bundesregierung mit der Parlamentarischen Staatssekre- rungen durch ein einfacheres System, die sogenannte tärin Sarah Ryglewski. Bitte schön. Einlagenlösung. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Wichtig ist – ich habe das bereits vorhin erwähnt –, CDU/CSU) dass wir sicherstellen müssen, Steuersubstrat zu erhalten, also aggressiven Steuergestaltungen und Methoden der (B) Steuervermeidung entgegenzutreten. Dafür ist das zweite (D) Sarah Ryglewski, Parl. Staatssekretärin beim Bun- Gesetz vorgesehen, das sogenannte ATAD-Umsetzungs- desminister der Finanzen: gesetz. Mit dem Gesetzentwurf werden Gestaltungs- Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen instrumente von multinationalen Unternehmen zur und Kollegen! Deutschland – das zeigt sich gerade auch Steueroptimierung spürbar eingedämmt, sodass faire in der Krise – hat ein faires, leistungsgerechtes und steuerliche Wettbewerbsbedingungen auch im internatio- wachstumsfreundliches Steuerrecht. Genau dieses nalen Rahmen sichergestellt werden. Steuerrecht hat uns die Grundlage dafür geschaffen, dass wir jetzt in der Krise kraftvoll agieren und uns gegen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) die wirtschaftlichen Folgen so stemmen können, wie wir Das ATAD-Umsetzungsgesetz sieht insoweit ein Paket das auch tun. einheitlicher Regelungen zur Bekämpfung von aggressi- Das müssen und wollen wir auch in Zukunft sicher- ven Steuergestaltungen und Gewinnverlagerungen von stellen, und zwar mit guten, international wettbewerbsfä- multinationalen Unternehmen vor. higen steuerlichen Rahmenbedingungen für Unterneh- Deutschland erfüllt zwar bereits heute viele der von der men – ja, das wollen wir – und indem wir sicherstellen, ATAD vorgegebenen Mindeststandards, gleichwohl dass Steuereinkünfte auch in Zukunft zufließen, und ver- besteht aber in einigen Bereichen noch Anpassungsbe- hindern, dass aus einem gesunden Wettbewerb Steuer- darf. Das betrifft insbesondere die Vorgaben zur Verhin- dumping wird und Steuersubstrat verringert wird. Des- derung von Besteuerungsinkongruenzen durch sogenann- wegen wollen wir aggressiven Steuergestaltungen und te hybride Gestaltungen sowie zur Entstrickungs- und Steuervermeidungsstrategien den Boden entziehen. Wegzugsbesteuerung. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die ATAD schreibt die Anwendung entsprechender Mit den jetzt vorgelegten Gesetzentwürfen schaffen wir Regelungen ab dem 1. Januar 2020 vor, sodass der Ge- genau diese Grundlage. setzentwurf insoweit eine rückwirkende Anwendung vor- sieht. Das ist EU-rechtlich zwingend geboten, und wir Mit dem Gesetzentwurf zur Modernisierung des Kör- halten das auch für sinnvoll. perschaftsteuerrechts – ich kürze es mal ab: KöMoG – setzen wir auf zielgerichtete Maßnahmen zur strukturel- Darüber hinaus – auch das will ich nicht verhehlen – len Verbesserung und eine weitere Internationalisierung haben wir noch ein paar andere Punkte im Gesetz, deren des Unternehmensteuerrechts. Die vorgesehenen Rege- Diskussion auch, glaube ich, sinnvoll und wichtig ist, wie lungen verbessern insbesondere die steuerlichen Rah- die im Koalitionsvertrag vereinbarte Reform der Hinzu- menbedingungen für viele auf internationalen Märkten rechnungsbesteuerung und die Bekämpfung der niedri- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28567

Parl. Staatssekretärin Sarah Ryglewski (A) gen Besteuerung von Einkünften grenzüberschreitend verhalte nirgendwo berücksichtigt wurden oder bestimm- (C) agierender Unternehmen. Das wollen wir zeitgemäß te Ausgaben gleich mehrfach zum Steuerabzug genutzt und rechtssicher ausgestalten. werden konnten. Sie sehen, es handelt sich um zwei umfangreiche Die Steuerverwaltung hatte bisher kein besonders Gesetzentwürfe, aber ich glaube, wir sind alle sehr opti- scharfes Schwert zur Bekämpfung dieser Gestaltungen. mistisch, dass wir hier zu guten Ergebnissen kommen, Oftmals stand nur § 42 der Abgabenordnung zur Verfü- und ich freue mich auf die weiteren Verhandlungen. gung, eine Missbrauchsvorschrift, die eine unangemesse- Vielen Dank. ne Gestaltung zu rein steuerlichen Zwecken untersagt. Durch den vorliegenden Entwurf soll dieses Instrumen- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten tarium nachgeschärft werden. der CDU/CSU) Ein weiterer Gesetzentwurf steht zur Debatte – es ist angesprochen worden –: der Entwurf eines Gesetzes Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: zur Modernisierung des Körperschaftsteuerrechts. Es Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. – Das Wort geht an sieht vor, Personenhandelsgesellschaften und Partnerge- die AfD-Fraktion mit Albrecht Glaser. sellschaften die Möglichkeit einzuräumen, dieselbe (Beifall bei der AfD) ertragsteuerliche Behandlung zu erfahren wie Kapitalge- sellschaften. Das soll die Wettbewerbsfähigkeit vieler Unternehmen fördern, besonders der Familiengesell- Albrecht Glaser (AfD): schaften, die in der Rechtsform von Personengesellschaf- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und ten agieren. Sie sollen den Kapitalgesellschaften gleich- Herren! In vier Minuten sind nur ein paar wenige Anmer- gestellt werden und dadurch steuerlich in der Tat ein paar kungen zu dem komplexen Thema möglich. Wir beraten Vorteile generieren können. heute über den Entwurf des ATAD-Umsetzungsgesetzes, einen Gesetzentwurf zur Bekämpfung von Steuervermei- Die rechtsformneutrale Besteuerung von Unternehmen dung, insbesondere auf internationaler Ebene, und über ist im Grundsatzprogramm der AfD bereits seit fünf Jah- eine Änderung des Körperschaftsteuergesetzes. ren verankert. Auch deshalb begrüßen wir ausdrücklich die Zielsetzung der vorgeschlagenen Maßnahmen. Beide Das englische Akronym „ATAD“ steht für Anti- Gesetzesvorlagen werden jeweils in einer öffentlichen Steuervermeidungsrichtlinie; gemeint sind zwei Richtli- Anhörung beraten. Wir sind gespannt und neugierig dar- nien der EU aus den Jahren 2016 und 2017. Grundlage auf, was die Sachverständigen sagen, und werden den dieser Richtlinien waren seinerzeit Handlungsemp- Prozess konstruktiv begleiten. (B) fehlungen der OECD. Die verbindliche Umsetzung in (D) nationales Recht war für 2018 vorgesehen. Einen ersten Herzlichen Dank. Referentenentwurf gab es dann 2019. Drei weitere Refe- rentenentwürfe sollten noch folgen. Erst heute liegt aller- (Beifall bei der AfD) dings ein Regierungsentwurf vor. Man kann unschwer erkennen, dass sich die Bundesregierung in dieser Frage Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: sehr viel Zeit gelassen hat, obwohl es doch um dieses Vielen Dank, Kollege Glaser. – Das Wort geht an den sensible Thema „Vermeidung von Steuerverkürzung“ Kollegen Fritz Güntzler von der CDU/CSU-Fraktion. geht. Die Materie ist in der Tat komplex. Es geht zum Bei- (Beifall bei der CDU/CSU) spiel um die Wegzugsbesteuerung. Wenn ein Steuer- pflichtiger seinen Wohnsitz oder ein Unternehmen seinen Fritz Güntzler (CDU/CSU): Geschäftssitz ins Ausland verlagert, taucht die Frage auf, Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und ob, wie und wo die Vermögenswerte und die stillen Kollegen! Spät am Abend noch zwei Steuergesetze, die, Reserven besteuert werden sollen. Die gegenwärtigen wie die Staatssekretärin sagte, es in sich haben. Es ist aber Regeln sehen eine Steuerstundung vor. nicht nur spät am Abend, sondern – das muss man ehr- Oder die Hinzurechnungsbesteuerung: Diese Steuer licherweise auch sagen – das Bundesfinanzministerium wird dann erhoben, wenn zum Beispiel die ausländische bringt diese beiden wichtigen Gesetzentwürfe auch spät Tochtergesellschaft eines deutschen Unternehmens Ge- ein. Als Fußballer würde ich, gerade was das KöMoG, winne in einem Land mit einem niedrigen Steuersatz das Gesetz zur Modernisierung des Körperschaftsteuer- erzielt. Der deutsche Fiskus kann in solchen Fällen vom rechts, angeht, sagen: Es wird dem Gesetzgeber in der niedrigen Steuersatz im Ausland ausgehend zusätzlich 88. Spielminute auf dem Spielfeld präsentiert, und wir die deutsche Steuergesellschaft belasten, was täglich haben jetzt zwei Minuten Zeit, mit diesem Unterfangen geschieht. Niedrige Steuersätze im Sinne dieser Rege- vernünftig umzugehen. Das wird nicht ganz einfach, weil lung sind Steuersätze unter 25 Prozent. es eine größere Operation am Steuerrecht ist. Oder hybride Strukturen: Bisher konnten gewiefte Un- Dass wir dahinterstehen, haben wir mehrfach gezeigt, ternehmen ihre rechtliche Struktur so ausgestalten, dass und ich weise gerne darauf hin, dass wir bereits im März unterschiedliche steuerliche oder rechtliche Regelungen und im Juni 2020 im Koalitionsausschuss diese Verein- in verschiedenen Staaten gegeneinander ausgespielt wer- barungen getroffen haben. Das ist fast ein Jahr her, und den konnten, oftmals mit der Folge, dass bestimmte Sach- erst jetzt kommt der Entwurf des Bundesfinanzministers 28568 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Fritz Güntzler (A) hier im Bundestag an. Von daher habe ich das Gefühl, das Also werden wir uns um die Punkte kümmern müssen, (C) ist nicht so richtig gewollt. Ich bin froh, dass wir durch- die Sie uns jetzt netterweise über den Finanzminister vor- gesetzt haben, dass wir darüber jetzt so diskutieren. gelegt haben.

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: (Zuruf der Abg. Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE Hört! Hört!) GRÜNEN]) Gar nicht mehr in der regulären Spielzeit sind wir beim ATAD-Umsetzungsgesetz; da sind wir schon, wenn man Da geht es um die rechtsformneutrale Besteuerung, ein es wohlwollend sieht, in der Nachspielzeit. Diese Richt- wichtiges Instrument, weil ein Großteil der Unternehmen linie – Herr Kollege Glaser hat darauf aufmerksam ge- in Deutschland als Personengesellschaften organisiert macht – hätte bis zum 31. Dezember 2019 umgesetzt sind. Aber der Gesetzentwurf schafft nur Regelungen werden müssen, für Personenhandelsgesellschaften, also Einzelunterneh- men; Gesellschaften bürgerlichen Rechts sind derzeit (Albrecht Glaser [AfD]: Ja!) außen vor. Darüber werden wir uns unterhalten müssen.

was uns jetzt in zweierlei Hinsicht Probleme bringt: Wir Das Thema des sogenannten Sonderbetriebsvermö- haben zwei Vertragsverletzungsverfahren am Laufen, gens – das ist nicht das, was im Gesamtvermögen ist, und wir müssen überlegen, ob Gestaltungsverhinderun- also was nicht im zivilrechtlichen Eigentum der Perso- gen, die wir ins Gesetz bringen wollen, im Hinblick auf nenhandelsgesellschaft ist – ist ein Problem, weil es mit die Verfassung rückwirkend überhaupt möglich sind. – eingebracht werden müsste oder stille Reserven aufge- Von daher wird auch das eine nicht ganz einfache Opera- deckt werden müssen. Wir haben da also noch einige tion. Umso mehr bedauere ich, dass die Zeit, in der wir Punkte. das hier im Bundestag beraten können, sehr kurz ist. Aber, wie gesagt, das Optionsmodell ist eine Möglich- Eigentlich wäre es so einfach gewesen, wenn man eine keit. Bei der letzten großen Unternehmensteuerreform, Unternehmensteuerreform oder eine Modernisierung des die übrigens auch schon zwölf Jahre zurückliegt, haben Unternehmensteuerrechts gewollt hätte. Die CDU/CSU- wir die sogenannte Thesaurierungsbegünstigung einge- Fraktion hat bereits im November 2019 eine Blaupause führt: dass eine Personengesellschaft nicht entnommene vorgelegt, die man hätte übernehmen können, in der wir Gewinne begünstigt besteuern kann. Immerhin 0,09 Pro- genau die wichtigen Punkte benannt haben, die notwen- zent der Personengesellschaften nehmen diese Regelung dig sind, damit wir im internationalen Steuerwettbewerb in Anspruch. Das sollte doch für uns als Gesetzgeber ein mithalten können. Da geht es um Wettbewerbsfähigkeit, (B) Indiz dafür sein, dass es hier Reformbedarf gibt. Wir (D) da geht es um Bürokratieabbau, da geht es um verbesserte glauben, dass es richtig ist, beides zu tun: ein vernünftiges Strukturen. Optionsmodell für die Personengesellschaften zu gestal- Wir sind uns, glaube ich, einig – die Staatssekretärin ten, aber auch die Thesaurierungsbegünstigung zu ver- hat es ja eben auch angesprochen –, dass das Steuerrecht – bessern. Ich wäre froh, wenn wir hier eine gewisse Bereit- die Steuerbelastung, die Steuerstruktur – ein wichtiger schaft, die ich bei den Bundesländern in Teilen sehe, auch Standortfaktor ist. Und gerade in dieser Situation, in der bei der SPD-Fraktion noch hervorrufen könnten. wir ja darüber nachdenken, wie nach der Pandemie auch in der Wirtschaft der Neustart gelingen kann, ist es umso Wir werden dann noch das ATAD-Umsetzungsgesetz – wichtiger, die richtigen steuerlichen Rahmenbedingun- wie gesagt: in der Nachspielzeit – besprechen, diskutie- gen zu setzen. Von daher gibt es mit dem KöMoG einen ren. Das ist keine reine Eins-zu-eins-Umsetzung der richtigen Ansatz, aber, liebe Frau Staatssekretärin, das Richtlinie, wie wir sie uns vorgestellt haben; da sind geht uns nicht weit genug. Ich glaube, wir sollten in den einige Dinge noch mit reingekommen. Das ist in einem Beratungen die Zeit dafür nutzen, zu überlegen, ob es Kompromiss in der Koalition so vereinbart worden; dazu nicht noch weitere Verbesserungen in diesem Gesetzent- stehen wir auch. Aber ich möchte nur den Hinweis geben: wurf geben kann. Mit der Niedrigbesteuerungsgrenze von 25 Prozent tun wir uns wirklich keinen Gefallen; darüber muss dringend (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und geredet werden. Die ganze Fachwelt, also alle politischen der FDP – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE Parteien – außer der SPD und Bundesfinanzminister GRÜNEN: Hört! Hört!) Scholz –, sind sich da einig: Wir brauchen hier – gerade vor dem Hintergrund der Vorschläge der OECD zu Ich will gar nicht abheben auf die Frage der Steuerbe- Steuerkonzepten der zweiten Säule, also der Mindestbe- lastung. Wir sind der Auffassung – Sie kennen unseren steuerung – eine Herabsetzung. Vorschlag –, dass nicht entnommene Gewinne, also Gewinne, die im Unternehmen verbleiben, höchstens Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: mit 25 Prozent besteuert werden sollen, damit die not- wendige Liquidität in den Unternehmen bleibt, um Inno- Lieber Kollege, Sie befinden sich auch in der Nach- vationen zu ermöglichen und Investitionen durchzufüh- spielzeit. ren. Darüber werden wir gerne mit Ihnen diskutieren. Aber die Diskussionsbereitschaft, lieber Herr Kollege (Bernhard Daldrup [SPD]: Schon lange! – Daldrup, in diesem Punkt ist bei Ihnen ja nicht sehr aus- Zuruf von der CDU/CSU: Aber er schießt geprägt. noch ein Tor!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28569

(A) Fritz Güntzler (CDU/CSU): Gebrauch zu machen, aus unterschiedlichen Gründen. (C) Frau Präsidentin, Sie haben recht. Aber Sie wissen ja, Diesen bleibt dann nur die begünstigte Thesaurierungs- dass es mittlerweile eine Nachspielzeit gibt; der vierte besteuerung, die ja, wie ausgeführt, nur ganz wenige in Offizielle kann Nachspielzeit anordnen. – Das will ich Anspruch nehmen, weil sie viel zu kompliziert ist, weil aber nicht nutzen. die Regelungen viel zu starr sind. Aber wir haben viel Beratungsbedarf. Ich freue mich Deswegen müssen wir in der Diskussion zu diesem auf die Beratung; ein bisschen mehr wäre gut. Gesetz auch den § 34a EStG, also die begünstigte The- Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. saurierung für Personengesellschaften, mit regeln, weil es eigentlich keinen Sinn macht, nur einen Punkt herauszu- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. nehmen. Wenn, dann muss man in den Gesetzgebungs- Albrecht Glaser [AfD]) verfahren beide Paragrafen berücksichtigen. (Beifall des Abg. Fritz Güntzler [CDU/CSU]) Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Vielen Dank, Kollege Güntzler. – Die Kolleginnen und Zudem gibt es noch Probleme, zum Beispiel mit Kollegen Hessel, De Masi, Paus und Binding geben ihre Behaltensfristen. Es wird ja eine Umwandlung fingiert Reden zu Protokoll1). mit Behaltensfristen; da haben wir einen fiktiven Form- wechsel. In diesem Zusammenhang gibt es besondere Wir hören zum Abschluss der Debatte Sebastian Regelungen – der Kollege Güntzler hat es angesprochen – Brehm von der CDU/CSU-Fraktion. mit dem sogenannten steuerlichen Sonderbetriebsvermö- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) gen. Hier brauchen wir bessere Regelungen als bisher, weil da nämlich die Gefahr einer ungerechtfertigten Be- Sebastian Brehm (CDU/CSU): steuerung stiller Reserven besteht, zum Beispiel, wenn Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol- ein Gesellschafter verstirbt und es wieder zwangsrü- legen! Was gibt es Schöneres, als zu dieser späten Nacht- ckentnommen werden muss. Also, diese Fragen müssen zeit über die stille Erotik des deutschen Steuerrechts zu wir klären. sprechen? In dem zweiten Gesetz, Anti-Steuervermeidungsricht- (Marianne Schieder [SPD]: Nicht sprechen! linie, ATAD-Umsetzungsgesetz, setzen wir zahlreiche Nicht sprechen ist besser!) Änderungen um. Das gemeinsame Ziel – die Frau Staats- sekretärin hat es gesagt – ist, die länderübergreifenden Wir bringen heute zwei wichtige Gesetze in das parla- Steuervermeidungspraktiken zu verhindern und zu mentarische Verfahren; mein Kollege Fritz Güntzler hat bekämpfen. Wir haben in Deutschland schon sehr viele das ja auch ausgeführt. Wir haben diese beiden Themen (B) Standards umgesetzt; aber es besteht eben noch ein (D) in dem Positionspapier der CDU/CSU-Fraktion, das wir Anpassungsbedarf. im November 2019 einstimmig beschlossen haben, auf den Weg gebracht, nämlich erstens Schaffung einer Aus unserer Sicht aber, liebe Kolleginnen und Kolle- rechtsformneutralen Besteuerung mit Einführung eines gen, ist dieses Gesetz so noch nicht zustimmungsfähig. Optionsmodells und zweitens Reform des Außensteuer- Wir haben zwei wesentliche Fragestellungen, die wir rechts. noch diskutieren müssen: Beides geben wir heute in Auftrag, wobei wir in beiden Erstens: der Mindeststeuersatz. Mit der Einführung des Gesetzen noch einiges nachbessern müssen. Wir gehen Außensteuerrechts 1972 hat man gesagt: Man nimmt die beim Gesetz zur Modernisierung des Körperschaftsteuer- Hälfte des damaligen Körperschaftsteuersatzes in rechts einen Schritt zur international wettbewerbsfähigen Deutschland als Mindeststeuersatz, also 25 Prozent; wir Besteuerung. hatten damals einen Körperschaftsteuersatz von 52 Pro- Während Kapitalgesellschaften für thesaurierte zent. Gewinne – die sind ja bei Kapitalgesellschaften immer Seit 1972 ist dieser Satz nicht angepasst worden. In der thesauriert, wenn sie nicht entnommen werden – 32 Pro- Zwischenzeit haben aber alle Länder um uns herum die zent Ertragsteuer zahlen, also Körperschaftsteuer, Solida- Steuern gesenkt. Wir haben 15 Prozent Körperschafts- ritätszuschlag und Gewerbesteuer –, werden Gewinne bei teuersatz: Also wäre es eigentlich folgerichtig, die Nied- Personengesellschaften mit bis zu 47 Prozent besteuert. rigbesteuerungsgrenze bei 7,5 Prozent bis, sage ich mal, Mit dem neuen Optionsmodell schaffen wir die Mög- maximal 15 Prozent zu ziehen. Ansonsten kommt es lichkeit, dass Personenhandelsgesellschaften künftig nämlich, lieber Herr Kollege Daldrup, zu Doppelbesteue- wählen, ob sie lieber nach körperschaftsteuerlichem rungen von deutschen Unternehmen Recht besteuert werden. Leider gilt das nicht für Einzel- (Zuruf des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] unternehmer, es gilt auch nicht für Personengesellschaf- [SPD]) ten. und zu einem klaren Wettbewerbsnachteil deutscher Un- Ich glaube, da müssen wir noch mal nachdiskutieren, ternehmen im internationalen Vergleich. ob wir hier Möglichkeiten schaffen. Es macht nämlich nicht für alle Personengesellschaften oder Personen- (Zuruf des Abg. Bernhard Daldrup [SPD]) handelsgesellschaften überhaupt Sinn, von der Option Der zweite Knackpunkt ist die Wegzugsbesteuerung. Bei der Wegzugsbesteuerung – es zieht also ein Gesell- 1) Anlage 16 schafter in ein anderes Land, und damit werden Steuer- 28570 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Sebastian Brehm (A) folgen ausgelöst – führen auch kurzfristige Wegzüge, Ich eröffne die Aussprache. Wir hören zunächst die (C) also für zwei oder drei Jahre, zum Beispiel zum Studium – Bundesregierung mit dem Parlamentarischen Staatssek- es können ja auch Gesellschafterkinder schon beteiligt retär Christian Lange. sein –, zu einer ungerechtfertigten Besteuerung. Deswe- (Beifall bei der SPD) gen muss man die Wegzugsbesteuerung noch mal ange- hen. Christian Lange, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ministerin der Justiz und für Verbraucherschutz: Diese beiden Punkte wollen wir noch mal miteinander Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen besprechen. und Kollegen! Wir haben mit unserem Gesetz gegen Wir haben also viel zu tun. Ich freue mich auf eine gute Rechtsextremismus und Hasskriminalität, das Anfang Diskussion im Finanzausschuss. Vielleicht schaffen wir dieses Monats in Kraft getreten ist, bereits ein starkes es ja, um in der Fußballersprache des Kollegen Güntzler Zeichen gegen Hass und Hetze im Netz gesetzt. Men- zu bleiben, im Elfmeterschießen sozusagen die Punkte, schen, die sich gesellschaftlich und politisch engagieren, die wir noch miteinander zu besprechen haben, durchzu- werden durch dieses Gesetz besser vor öffentlicher Belei- setzen. Ich denke, die Punkte werden auch in der Anhö- digung und Bedrohung geschützt. rung noch einmal maßgeblich diskutiert werden. Damit ist es aber nicht getan. Der Schutz unserer Ich danke herzlich für die Aufmerksamkeit. Demokratie ist eine fortwährende Aufgabe und Heraus- forderung, der wir uns stellen müssen. Deshalb müssen (Beifall bei der CDU/CSU) wir auch subtile Botschaften in den Blick nehmen, die den Eindruck vermitteln wollen, dass Personen, die sich Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: politisch oder gesellschaftlich engagieren, schutzlos Wir danken auch; wir haben etwas Aphrodisierendes seien und Opfer von Straftaten werden können, Botschaf- gespürt hier oben im Präsidium. ten, die darin bestehen, dass in einer feindseligen Aus- einandersetzung personenbezogene Daten vermeintlicher (Christian Dürr [FDP]: Oh! Jetzt geht’s hier Gegner verbreitet werden, wie etwa Wohnadressen, los!) Namen der Kinder und ihrer Kindergärten oder Schulen, Damit schließe ich die Aussprache. Botschaften, die gewaltbereite Täter als Aufforderung zu Straftaten auffassen können, Botschaften, die ein Klima Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf der Angst und der Einschüchterung schüren, nicht nur bei den Drucksachen 19/28652, 19/28656, 19/28770 und den Betroffenen, sondern allgemein in der Bevölkerung, 19/28766 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus- (B) Botschaften also, die letztlich dazu führen, dass sich (D) schüsse vorgeschlagen. Gibt es weitere Überweisungs- engagierte Personen aus dem politischen und gesell- vorschläge? – Das sehe ich nicht. Dann verfahren wir so. schaftlichen Diskurs zurückziehen – und das dürfen wir Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 sowie Zusatz- nicht zulassen, meine Damen und Herren. punkt 16 auf: (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Ingmar 29 Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Jung [CDU/CSU]) gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- rung des Strafgesetzbuches – Verbesserung Mit dem Gesetzentwurf gegen sogenannte Feindeslisten, des strafrechtlichen Schutzes gegen sogenann- den wir heute beraten, gehen wir klar und entschieden te Feindeslisten gegen solche Handlungsweisen vor. Wir schließen damit nicht hinnehmbare Strafbarkeitslücken. Die bestehenden Drucksache 19/28678 Strafvorschriften erfassen das Phänomen sogenannter Überweisungsvorschlag: Feindeslisten nicht oder nur teilweise. Meist fehlt es an Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) einer konkreten Bedrohung, einem Inaussichtstellen oder Ausschuss für Inneres und Heimat Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe der Billigung einer konkreten Straftat, an einer Aufforde- Ausschuss Digitale Agenda rung an Dritte zu einem bestimmten Verhalten. Auch die ZP 16 Erste Beratung des von den Abgeordneten datenschutzrechtlichen Regelungen greifen nicht, wenn Dr. Jürgen Martens, Stephan Thomae, Grigorios frei recherchierbare Daten verbreitet werden. Aggelidis, weiteren Abgeordneten und der Frak- Mit einem neuen Straftatbestand, meine Damen und tion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Ge- Herren, stellen wir also das Verbreiten personenbezoge- setzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – ner Daten unter Strafe, das nach den Umständen geeignet Überführung des § 42 des Bundesdatenschutz- ist, die betroffenen Personen der Gefahr bestimmter gesetzes in das Strafgesetzbuch zum verbes- Straftaten gegen sie oder ihnen nahestehende Personen serten strafrechtlichen Schutz von persönli- auszusetzen. Wir schützen damit den öffentlichen Frie- chen Daten den in unserem Land und leisten einen wichtigen Beitrag Drucksache 19/28777 für das Sicherheitsgefühl unserer Bevölkerung.

Überweisungsvorschlag: Letztlich, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) und Kollegen, schützen wir aber auch unsere Demokra- Ausschuss für Inneres und Heimat tie; denn sie lebt von einem offenen und freien Diskurs. Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten Hierzu gehört auch, dass journalistische Berichterstat- beschlossen. tung, die Personen namentlich nennt, sowie Recherche- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28571

Parl. Staatssekretär Christian Lange (A) arbeiten von Vereinen, die der Aufdeckung extremisti- Absatz 1 gilt nicht, wenn die Handlung der staats- (C) scher Strukturen dienen, weiter uneingeschränkt möglich bürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungs- sein müssen. Es darf uns nicht ruhen lassen, dass im widriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissen- aktuellen Bericht von „Reporter ohne Grenzen“ zur schaft, der Forschung oder der Lehre, der Lage der Pressefreiheit Deutschland von „gut“ auf nur Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens noch „zufriedenstellend“ abgerutscht ist, meine Damen oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient. und Herren. Das muss uns anspornen, hier entsprechende Auf diesen Ausnahmetatbestand werden sich alle mit Maßnahmen zu ergreifen. Genau das tun wir mit diesem öffentlichen Geldern gemästeten Vereine, die die Schnitt- Gesetz. stelle zu gewalttätigen Antifa-Gruppen bilden, berufen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Dies ist deshalb möglich, weil der Linksextremismus hof- CDU/CSU) fähig gemacht und verharmlost wird und weil pausenlos über die linke Propaganda das Narrativ verbreitet wird, Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns ge- der Rechtsextremismus sei die wirkliche, quasi die ein- meinsam gegen diejenigen vorgehen, die sich die Ein- zige Gefahr. schüchterung und Verängstigung einer vielfältigen und engagierten Gesellschaft zum Ziel gesetzt haben. Mit (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dem heute vorgelegten Gesetzentwurf der Bundesregie- NEN]: Ist er auch! Es ist eine richtige Gefahr, rung stellen wir uns zugleich an die Seite derjenigen, die der Rechtsextremismus!) sich für unser offenes, freiheitliches und demokratisches Wie sieht aber die Wirklichkeit aus? Hier mal das Bild Gemeinwesen einsetzen. Ich bitte Sie herzlich um Unter- eines Outings: „!VORSICHT NEONAZI!“ stützung. (Der Redner hält ein Bild hoch) Vielen Dank. Dieser Mann wurde praktisch zum Abschuss freigege- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Ingmar ben. Jung [CDU/CSU]) Das rheinland-pfälzische Ministerium des Innern und für Sport hat zu diesem Problembereich eine Stellung- Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: nahme veröffentlicht – ich zitiere mit Erlaubnis der Vielen Dank, sehr geehrter Herr Staatssekretär. – Das Frau Präsidentin –: Wort geht an die AfD-Fraktion, mit dem Kollegen Jens Eine bedeutsame Rolle … hat für Linksextremisten Maier. die „Antifaschistische Recherchearbeit“. In soge- (B) (Beifall bei der AfD) nannten Outing-Aktionen werden systematisch (D) Informationen über vermeintliche und tatsächliche Rechtsextremisten sowie deren Strukturen gesam- Jens Maier (AfD): melt und öffentlich gemacht, um die als Feinde Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Her- betrachteten Personen zu denunzieren. Dabei wer- ren! Der hier vorliegende Gesetzentwurf gleicht einem den zum Teil persönliche Daten wie die Wohnadres- Kniefall vor der Antifa. Er ist an ideologisch motivierter se und der Arbeitgeber im Internet publiziert, um die Einseitigkeit kaum noch zu überbieten und lässt die wirk- betroffenen Personen sozial auszugrenzen und zu lich und hauptsächlich Betroffenen von sogenannten ächten. Feindeslisten und politisch motivierten Straftaten im Obwohl die AfD-Fraktion in einer Kleinen Anfrage Regen stehen. unmittelbar aufgezeigt hat, in welcher massenhaften Art Er kann von gewaltaffinen Antifa-Gruppen sogar als und Weise AfD-Mitglieder auf einschlägigen Antifa- Ermutigung aufgefasst werden, gerade so weiterzu- Webseiten öffentlich de facto zum Freiwild gemacht wer- machen; denn sie haben strafrechtlich ja nichts zu den, behauptet die Bundesregierung auf Nachfrage: befürchten; es trifft ja nur die anderen, sie selbst aber Der polizeilich bekannte Umfang der in Rede ste- nicht. Vor allem aber bleibt durch den Gesetzentwurf henden Aktivitäten lässt eine Einordnung als Mas- die gesamte, mit öffentlichen Geldern geförderte Spitzel- senphänomen nicht zu. und Denunziationsinfrastruktur der Antifa unangetastet. Dass so was ungeniert behauptet werden kann, ist eigent- (Beifall bei der AfD) lich ein Skandal und zeigt, wie sehr die linke Denke alle Bereiche des öffentlichen Lebens in Deutschland durch- Gleichwohl erscheint der Entwurf des neuen § 126a drungen hat. StGB auf den ersten Blick als völlig eindeutig und klar. Der Pferdefuß springt nicht gleich ins Auge. Denn wer (Beifall bei der AfD) würde schon in Abrede stellen wollen, dass es richtig und Wir sind mittlerweile zum Linksstaat heruntergekom- leider auch dringend geboten ist, Personen davor zu men. schützen, durch Diffamierungskampagnen in die Gefahr gebracht zu werden, Opfer von politisch motivierten Im Ergebnis bleibt festzuhalten: Ja, das Anliegen des Straftaten zu werden? Wenn da nicht in Absatz 3 des Gesetzentwurfes ist richtig und zu begrüßen. Aber die Entwurfs ganz unauffällig eine Verweisung eingefügt Privilegierung der Antifa muss unbedingt gestrichen wer- wäre: Sie lautet: „§ 86 Absatz 3 gilt entsprechend“. den. Das wird im Rechtsausschuss noch zu diskutieren § 86 Absatz 3 lautet: sein. 28572 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Jens Maier (A) Vielen Dank. Fälle dürfen sich nicht wiederholen. Stalkerinnen und (C) (Beifall bei der AfD) Stalkern muss früh und engagiert die Rote Karte gezeigt werden, um noch schlimmere Taten zu verhindern.

Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Danke sehr. – Die Kolleginnen und Kollegen Martens, Wir haben, meine Damen und Herren, den Nachstel- Movassat, Bayram, Fechner und Lehrieder geben ihre 1) lungsparagrafen erst vor vier Jahren geändert. Die von Reden zu Protokoll. uns durchgeführte Evaluierung der damaligen Reform (Beifall bei Abgeordneten der SPD) hat aber gezeigt, dass nach wie vor Probleme bei der Damit schließe ich die Aussprache. Anwendung der Vorschrift bestehen. Tatsächlich gibt es Verhaltensweisen, die einerseits strafwürdiges Unrecht Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwürfe beinhalten und die Lebensführung der Betroffenen unzu- auf Drucksachen 19/28678 und 19/28777 an die in der mutbar beeinträchtigen, andererseits aber nicht vom Ge- Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. setz erfasst sind. Deswegen sind erneut Anpassungen Gibt es weitere Überweisungsvorschläge? – Das ist nicht erforderlich. der Fall. Dann verfahren wir wie vorgeschlagen. Wir wollen sachlich nicht berechtigte Strafbarkeitshür- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf: den absenken und damit die Betroffenen besser schützen. Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Neben den allgemeinen Verschärfungen wollen wir den gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- Fokus aber auch stärker auf das Cyberstalking richten. rung des Strafgesetzbuches – effektivere Be- Stalking-Täterinnen und -Täter nutzen geschickt den kämpfung von Nachstellungen und bessere technischen Wandel, um ihren Opfern auf perfide Weise Erfassung des Cyberstalkings nachzustellen. So ermöglichen Stalking-Apps und Drucksache 19/28679 Hacking-Tools, die Betroffenen digital auszuspähen. Täterinnen und Täter legen Fake-Profile unter dem Überweisungsvorschlag: Namen der Betroffenen an, um ihnen zu schaden. Nicht Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend selten werden dabei auch intime Bilder der Betroffenen Ausschuss Digitale Agenda veröffentlicht. Das sind drastische Eingriffe mit oft ver- Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten heerenden Folgen. Dem gilt es einen Riegel vorzuschie- beschlossen. ben. Ich eröffne die Aussprache, wiederum mit dem Parla- Anpassungsbedarf sehen wir auch bei einem weiteren (B) mentarischen Staatssekretär Christian Lange. Aspekt: Bislang sind die Möglichkeiten, besonders (D) (Beifall bei der SPD) schwere Fälle von Stalking angemessen zu ahnden, sehr begrenzt. Jemand, der etwa besonders lange und beson- ders intensiv nachstellt, muss aber auch besonders hart Christian Lange, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- bestraft werden können. Und wenn eine Stalkerin oder ministerin der Justiz und für Verbraucherschutz: ein Stalker Daten des Opfers nicht nur illegal erlangt, Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen sondern sie auch noch veröffentlicht, dann muss auch und Kollegen! Der größte Teil der Straftatbestände des das besonders hart bestraft werden. Deswegen halten Strafgesetzbuches stammt noch aus dem 19. Jahrhundert; wir eine Regelung für nötig, die es erlaubt, schwerwie- Tötungsdelikte, Diebstähle und Körperverletzungen gab gende Nachstellungsfälle künftig besonders zu ahnden. es irgendwie schon immer. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns ge- Der Wandel der Gesellschaft, liebe Kolleginnen und meinsam den Kampf gegen Stalking weiterführen. Las- Kollegen, und der Lebensumstände bringt aber neue sen Sie uns ein deutliches Signal senden, dass wir Opfer strafwürdige Verhaltensformen hervor. Hierzu zählen von Nachstellungen nicht alleinlassen. Mit dem heute ohne Zweifel auch Nachstellungen, die seit 2007 als sol- vorgelegten Gesetzentwurf der Bundesregierung können che unter Strafe gestellt sind. Nachstellungen – wir nen- wir genau das angehen. nen es auch Stalking – sind für Betroffene oft schreckli- cher Psychoterror. Stalkerinnen und Stalker verfolgen, Herzlichen Dank. belästigen und bedrohen Menschen oft Tag und Nacht und das über lange Zeit; die Übergriffe reichen bis hin (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) zu körperlicher und sexueller Gewalt. Betroffen sind hiervon in der Regel Frauen. Aber auch geschlechter- Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: übergreifend liegt das Risiko, einmal Opfer eines Stalkers Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Das Wort geht an zu werden, bei über 10 Prozent. die AfD-Fraktion, mit dem Kollegen Thomas Seitz. Vor Kurzem wurde vor dem Landgericht Hannover ein entsetzlicher Fall verhandelt: Nach jahrelangem Stalking (Beifall bei der AfD) drang der Täter in die Wohnung seines Opfers ein und ermordete es. Das Opfer war eine junge Frau, gerade Thomas Seitz (AfD): einmal 23 Jahre alt. – Meine Damen und Herren, solche Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Netzpolitik der Regierung lehnen wir 1) Anlage 17 grundsätzlich ab; das wissen Sie. Digitalisierung ver- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28573

Thomas Seitz (A) schlafen, Meinungen verbieten, Kritiker verfolgen, Frei- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (C) heit und Grundrechte entziehen – das ist die Netzpolitik der FDP – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/ der Regierung und dagegen kämpft die AfD. DIE GRÜNEN]: Das werden wir mal sehen!) (Zuruf der Abg. Marianne Schieder [SPD]) – Ich werde trotzdem nicht Mitglied der FDP-Fraktion, trotz großer Sympathie für einzelne Mitglieder derselbi- Aber wenn selbst Sie das Stalking im Netz endlich als gen. Gefahr und Problem erkennen, ist das ein Zeichen der Besserung und lässt hoffen, für die Opfer. Wir sind Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Gesetzgebung zwar Ihr politischer Gegner, aber wir stimmen im Inte- sollten wir, denke ich, insbesondere bestimmten Men- resse der Opfer von Nachstellungen und Stalking aller schen widmen: Das sind die Opfer des NS, Art, auch im Netz, und auch im Interesse aller Bürger ab. Wir lehnen keine sinnvolle Regelung ab, nur weil (Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) sie von der „falschen“ Seite kommt; deshalb werden die ihre Staatsangehörigkeit aus unterschiedlichen wir diesem Gesetzentwurf zustimmen. Gründen verloren haben; das sind deren Nachkommen, Vielen Dank. um die es geht; und das sind ganz besonders diejenigen, die – zum Beispiel in der Initiative „Article 116 Exclu- (Beifall bei der AfD) sions Group“, aber auch Nick Courtman und andere – mit großer Sorgfalt, Sachlichkeit, aber auch Intensität dafür Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: gesorgt haben, dass es zu dieser Gesetzgebung kommen Vielen Dank. – Die Kolleginnen und Kollegen wird. Das ist nicht primär unsere Leistung, sondern das ist Martens, Akbulut, Bayram, Dilcher, Alexander ihre Leistung, und dafür verdienen sie höchsten Respekt. Hoffmann und Ingmar Jung geben ihre Reden zu Proto- koll1). (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Ich schließe mit einem großen Dankeschön diese Aus- Abg. Simone Barrientos [DIE LINKE]) sprache. Sie haben das auch damals, vor gut anderthalb Jahren, in (Beifall der Abg. Simone Barrientos [DIE einer Anhörung sehr beeindruckend demonstriert, nicht LINKE]) mit Schaum vorm Mund, sondern mit einer erstaunlichen Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs Weise von Demut. auf Drucksache 19/28679 an die in der Tagesordnung Das ist auch eines der Stichworte, auf die ich mich (B) aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es weitere konzentrieren möchte. Die Stichworte lauten Scham, (D) Überweisungsvorschläge? – Das sehe ich nicht. Dann Stolz – aber nicht auf uns, sondern auf diese Personen –, verfahren wir so. Demut und Konsequenz. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf: Scham ist deswegen angebracht, weil es so lange Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebraucht hat, bis wir diesen Weg jetzt einschlagen wer- gebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur den. Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes (Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Drucksache 19/28674 Hört! Hört!) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Inneres und Heimat (f) Es ist nicht nachvollziehbar, dass es über viele Jahrzehnte Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz aufgrund administrativer Beschränkungen, aber auch auf- Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe grund fehlender gesetzlicher Möglichkeiten so vielen Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten vor- nicht möglich war, die Staatsangehörigkeit, die sie gesehen. wünschten, wiederzuerlangen. Es geht, wie man es so gerne bezeichnet, um einen Akt der Wiedergutmachung. Ich eröffne die Aussprache. Der Parlamentarische Aber auch dieses Wort ist schönfärberisch; denn nichts Staatssekretär Professor Dr. Günter Krings gibt seine 2) kann das, was diesen Personen, ihren Eltern, ihren Groß- Rede zu Protokoll . Es beginnt damit in der mündlichen eltern widerfahren ist, wiedergutmachen – es ist höchs- Aussprache Helge Lindh von der SPD-Fraktion. tens die Annäherung an so etwas wie Versöhnung. (Beifall bei der SPD – Zuruf: Einer der Bes- Es gibt den Artikel 116 Absatz 2 Grundgesetz, der ten!) insbesondere diejenigen erfasst, die die Nachkommen sind von denjenigen, denen die Staatsangehörigkeit ent- Helge Lindh (SPD): zogen wurde. Aber ganz viele waren über Jahrzehnte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! nicht erfasst: diejenigen, die die Staatsangehörigkeit ver- Ich werde die Redezeit, die ich hier gerade angezeigt loren haben, zum Beispiel durch Zwangsmigration, durch bekomme, nicht ausschöpfen, zum ersten Mal in meinem Heirat; diejenigen, die sie durch den Unrechtsstaat gar Leben. nicht erlangen konnten; diejenigen, die als jüdische Bür- gerinnen und Bürger in den annektierten Gebieten lebten; 1) Anlage 18 und zum Beispiel diejenigen, die Benachteiligte einer 2) Anlage 19 jahrzehntelang anhaltenden geschlechterdiskriminieren- 28574 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Helge Lindh (A) den Staatsangehörigkeitspraxis hier in Deutschland (Zuruf von der FDP: Hat jemand die Zeit (C) waren. All diejenigen haben auf diesen Moment jetzt gestoppt?) gewartet. - 1 Minute und 40 Sekunden hat er uns geschenkt. Seit einiger Zeit haben zwei Erlasse für Besserung gesorgt – auch für diese Personengruppe –, aber sie haben (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und immer noch nicht alle erfasst, und sie haben auch nicht der FDP) Rechtssicherheit geschaffen. Deshalb ist jetzt tatsächlich Das Wort geht an die AfD-Fraktion, mit Dr. Gottfried der Moment, Scham auszudrücken, für die Taten, auch Curio. dafür, dass wir so lange gebraucht haben. (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Wir wollen aber auch unseren Stolz ausdrücken, mit welcher Haltung die Nachkommen sich jetzt zeigen und Dr. Gottfried Curio (AfD): auftreten. Es ist ein Moment, stolz zu sein auf diese Men- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Her- schen, die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes werden ren! Jetzt, in tiefer Nacht, weitet der vorliegende Gesetz- wollen. Das muss man sich einmal vorstellen: Nach dem, entwurf der Bundesregierung die Wege zur deutschen was ihren Eltern und Großeltern und Urgroßeltern ange- Staatsbürgerschaft erheblich aus. In eine gut gemeinte tan wurde, wollen sie sich für die deutsche Staatsange- Wiedergutmachungsregelung wurden nebenbei etliche hörigkeit entscheiden. – Ich glaube, wir haben alles zu Kuckuckseier allgemeinster Gesetzesaufweichung abge- tun, um das zu ermöglichen. legt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Generell muss, wer nach acht Jahren eingebürgert wer- CDU/CSU) den will, unter anderem eine Sprachprüfung und einen – Ja, das verdient Applaus. Einbürgerungstest bestehen. Schon dieser Test ist übri- gens ein Witz. Eine Frage lautet: „Wie heißt die deutsche Wir strengen uns oft an, restriktiv zu sein und zu be- Verfassung?“ „Volksgesetz“, „Bundesgesetz“, „Deut- schränken, allzu sehr, finde ich. In diesem Moment ist es sches Gesetz“ oder „Grundgesetz“? Die nächste Frage aber geboten, das Gegenteil zu praktizieren und wirklich aber lautet: „Was steht nicht im Grundgesetz von alle Wege zu suchen, um all denjenigen, allen möglichen Deutschland?“ – Oder: „Wie viele Besatzungszonen gab Einzelfällen in diesem Zusammenhang, die deutsche es in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg?“ Staatsangehörigkeit zu ermöglichen. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Daher ist es auch ein Moment der Demut; denn wir NEN]: Das kann wahrscheinlich bei Ihnen können zutiefst dankbar sein, dass diese Geste der Ver- (B) nicht jeder beantworten!) (D) söhnung von Nick Courtman und anderen ausgeht. Das ist nicht etwas, was wir uns verdient haben, sondern das In einer anderen Frage liest man: Wie waren die vier ist ein Entgegenkommen derer, die gelitten haben unter Besatzungszonen Deutschlands verteilt? – Oder: „In wel- dem NS-Staat, unter dem, was in deutschem Namen chem Jahr wurde Hitler Reichskanzler?“ Aber dann: Was getan wurde, sowie ihrer Nachkommen. errichteten die Nazis mit Hitler 1933 in Deutschland? – Oder: „Wer baute die Mauer in Berlin?“ Und dann: Als Letztes das Stichwort „Konsequenz“. Konsequent „Wann baute die DDR die Mauer …?“ – Und so geht wäre es gewesen, nach dem Dritten Reich direkt im das laufend weiter. Zum Vergleich: Bei der theoretischen Staatsangehörigkeitsrecht dafür zu sorgen, dass all diese Führerscheinprüfung ist man dann schon mit zwei falsch Verletzungen zumindest annähernd geheilt werden. Das gesetzten Kreuzen durchgefallen. Beim Einbürgerungs- ist uns nicht gelungen. Viele, über die wir jetzt sprechen, test kann man 16 von 33 Fragen falsch beantworten. mussten erleben, wie sie dann wieder, in Behörden, den- jenigen begegneten, die ihre Eltern oder Großeltern miss- (Heiterkeit bei Abgeordneten der AfD) handelt, gequält und verfolgt hatten; auch das ist ein Teil Die acht Jahre auf sieben abkürzen konnte man bislang der Geschichte. Konsequenz bedeutet jetzt, dass wir end- durch Teilnahme an einem 100-stündigen Integrations- lich konsequent sind und die Schlussfolgerungen aus den kurs zu deutscher Rechtsordnung, Geschichte, Kultur. Erlassen ziehen und das, was wir damals ankündigten, zur Wirklichkeit machen, dass wir dieses Gesetzgebungs- (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- verfahren im Sinne der Betroffenen umfassend und NEN]: Den bräuchten bei Ihnen manche! Ich erfolgreich beenden. glaube, 200 Stunden!) Wir verneigen uns vor all denjenigen, die um die deut- Bei Vorliegen besonderer Integrationsleistungen, etwa sche Staatsangehörigkeit so lange gekämpft haben und höhere Sprachkenntnisse, konnten es sechs Jahre sein. uns auf diesen Weg brachten. Vielen Dank, Nick Court- Nun winken die sieben oder gar sechs Jahre auch schon man, vielen Dank für euer Engagement! bei „besonders guten schulischen Leistungen“ oder „zivilgesellschaftlichem Engagement“. Nichts mehr mit (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ 100 Stunden Kurs – darauf hatten wohl zu wenige Lust. CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE „Zivilgesellschaftliches Engagement“, was ist denn das? GRÜNEN) Mit NGOs Fluchthilfe geleistet, gegen eine Abschiebung demonstriert, vielleicht gegen die eigene? Geht es noch Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: schwammiger? – Und „besondere schulische Leistun- Vielen Dank, Kollege Lindh. gen“, was wird das werden? Erfolgreich in der Trampo- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28575

Dr. Gottfried Curio (A) lin-AG? Nicht sitzen bleiben? – Man spricht vergebens Im Kampf um den Wähler, bietet da jemand weniger? (C) viel, um zu gewähren; der Bewerber hört aus allem nur Staatsbürgerschaft für Durchreisende? Deutsches Wahl- das Ja. recht für alle Europäer? Beim Deutschtest soll statt schriftlicher Sprachbeherr- (Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: schung auf B1-Niveau auch schon B1 beim Hören und Das ist jetzige Gesetzeslage!) Lesen reichen. Schreiben? Unnötig! Nachrichten hören Vielleicht noch Quoten für Klimaflüchtlinge? reicht voll und ganz fürs spätere Ankreuzen in der Wahl- kabine. (Christian Dürr [FDP]: Mein Gott!) (Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehen wir bald, wie Kanzlerin Baerbock ihren Innenmi- Tun Sie sich so schwer mit dem Kernbestand- nister Laschet am Nasenring durch die Manege zieht? Die teil des Gesetzes, Wiedergutmachung im Geister, die man rief, wird man dann nicht mehr los. So ist Staatsangehörigkeitsrecht? Da tun Sie sich das. schwer, weil sonst würden Sie hier nicht so (Marianne Schieder [SPD]: Frau Präsidentin, eine Ablenkungsrede halten! Da fangen Sie womit haben wir das verdient?) schon an zu zittern, Herr Curio! – Gegenruf Halten wir fest: Einwanderung ist kein Menschenrecht. der Abg. Marianne Schieder [SPD]: Er tut Einbürgerung ist kein Menschenrecht. Bedingungen für sich halt auch schwer, was Menschliches zu Einwanderung und Einbürgerung tun!) (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Ich glaube, Womöglich will man vom Neubürger ja auch gar nicht es reicht jetzt wirklich! Es reicht!) mehr. – Generalziel also: Einbürgerung so leicht wie möglich machen. sind keine Diskriminierung oder gar Angriffe auf die Menschenwürde. – Klingt selbstverständlich? Warten Geht’s nicht noch leichter? Ja. Zitat: Sie mal die grün-schwarze Liebesheirat ab. Da werden Ein Ausländer, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt Ihre kühnsten Albträume übertroffen. im Ausland hat, kann … eingebürgert werden, wenn Ich danke Ihnen. Bindungen an Deutschland bestehen, die eine Ein- bürgerung rechtfertigen. (Beifall bei der AfD – Christian Dürr [FDP]: Ich denke, wenn wir dabei sind! Ich denke, wir Früher galt das nur für Lebenspartnerschaften, unter sind hier die Feinde, oder was? Die schlimms- Vermeidung von Doppelstaatlichkeit, bei ausreichenden ten waren doch eigentlich wir! Das habe ich (B) Sprachkenntnissen. All diese Voraussetzungen wurden nicht verstanden! Das ist ja nicht mal logisch, (D) abgeräumt, was der erzählt! Was für ein absurder Redner! – (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ich glaube, man nennt das gruppenbe- NEN]: Das war auch genug an gruppenbezoge- zogene Menschenfeindlichkeit!) ner Menschenfeindlichkeit!)

vom streng konditionierten Spezialfall zur schwammigen Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Generalöffnung. Das Wort geht an die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Im deutschen Einbürgerungsamt ist Black-Friday- mit Filiz Polat. Schlussverkauf, aber ganzjährig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wem das noch nicht reicht, der liest im Wahlprogramm der Grünen, dass man Einbürgerung Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und NEN]: Nee, Sie brauchen das nicht zu lesen!) Kollegen! Nach Jahrzehnten der Unsicherheit sollen nun alle Nachkommen von Verfolgten des Nationalsozialis- schon nach fünf Jahren Aufenthalt – rechtmäßig oder mus endlich die ihnen zustehenden Rechte erhalten. Ver- nicht – beanspruchen kann, übrigens selbst bei ungeklär- folgte, wie Jüdinnen, Juden, Sinti*zze und Rom*nja und ter Identität. viele andere, wurden mit dem Entzug ihrer Staatsange- hörigkeit rechtlich zu anderen gemacht, zu Fremden, zu (Konstantin Kuhle [FDP]: Jetzt kommt’s!) Staatenlosen. Dass selbst das noch getoppt werden könnte – kaum vor- Die Kehrtwende der Bundesregierung zum Ende dieser stellbar. Legislaturperiode war dringend nötig und überfällig. Die (Konstantin Kuhle [FDP]: Jetzt!) grüne Bundestagsfraktion hat sich wiederholt – nicht nur in dieser Legislaturperiode – für einen gesetzlichen An- Aber die FDP spruch eingesetzt und konkrete Vorschläge vorgelegt. Die Erfahrungen aus der bisherigen Einbürgerungspraxis (Zurufe von der FDP: Ja! – Lachen und Beifall nach Ermessen haben gezeigt, Herr Lindh, dass sich bei Abgeordneten der FDP) durch Verwaltungsvorschriften allein dieses Unrecht belehrt uns eines Schlechteren: Laut Wahlprogramm soll nicht beseitigen, die bestehende Gesetzeslücke nicht Einbürgerung nach drei Jahren Aufenthalt möglich sein. schließen lässt. 28576 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Filiz Polat (A) (Helge Lindh [SPD]: Warum sprechen Sie Überweisungsvorschlag: (C) mich immer an? Selbstgerecht!) Sportausschuss (f) Ausschuss für Inneres und Heimat Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Dieses Gesetz ist weder ein Gnadenakt noch ein Ausschuss für Gesundheit Geschenk, sondern die Chance unserer Staatsorgane – und hier möchte ich aus einer erfolgreichen Verfassungs- Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten beschwerde einer Klägerin aus dem letzten Jahr zur Wie- beschlossen. dergutmachung im Staatsangehörigkeitsrecht zitieren –, (Marianne Schieder [SPD]: Die man aber nicht „das Unrecht, das den ausgebürgerten Verfolgten angetan nutzen muss!) worden ist, im Rahmen des Möglichen“ auszugleichen. Und dem kommt die Bundesregierung jetzt nach, meine Ich eröffne die Aussprache, und es beginnt der Parla- Damen und Herren. mentarische Staatssekretär Christian Lange mit seinen Ausführungen. Bitte schön. Umso größer ist die Entschuldigung voller Demut an all diejenigen, die über Jahrzehnte vergebens um ihre (Beifall bei der SPD) Rechte gekämpft haben. Und ich möchte meinen Dank, stellvertretend für meine Fraktion, ebenfalls an jede Ein- Christian Lange, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- zelne und jeden Einzelnen aussprechen, die nicht aufge- ministerin der Justiz und für Verbraucherschutz: geben haben, wie beispielsweise die Tochter eines jüdi- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und schen Emigranten, die aus eigener Kraft nach sieben Kollegen! Doping schadet. Es schadet den Sportlerinnen Jahren das eben erwähnte Bundesverfassungsgerichtsur- und Sportlern, die sauber bleiben und es gegen unfaire teil erstritten hat, oder die schon genannte Article 116 Konkurrenz nicht auf das Treppchen schaffen. Es schadet Exclusions Group, die sich mit unermüdlichem Einsatz – den Dopenden selbst, die sich vielleicht gedrängt fühlen, Sie wissen das, Herr Krings – für diese Gesetzesänderung leistungssteigernde Mittel zu nehmen, und dadurch ihre eingesetzt hat. Gesundheit gefährden. Und es schadet dem Sport als (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ganzes, der durch Dopingskandale für Zuschauerinnen sowie bei Abgeordneten der FDP und der und Zuschauer an Reiz verliert – und wir schauen einfach LINKEN) nicht mehr hin. Meine Damen und Herren, die Nachkommen von Das Anti-Doping-Gesetz war bereits ein deutliches Zwangsausgebürgerten im Nationalsozialismus sollen Zeichen des Rechtsstaats für einen sauberen und fairen ein starkes und klares Signal aus der Mitte des Deutschen Sport. Aber wir müssen auch kontinuierlich prüfen, was (B) Bundestages – so wie sie es sich bei der Anhörung ge- noch verbessert werden kann. Deshalb haben wir die (D) wünscht haben –, dieses Bekenntnis zur Wiedergutma- Auswirkungen der im Anti-Doping-Gesetz enthaltenen chung erhalten. Deshalb freuen wir uns auf die Beratun- straf- und strafverfahrensrechtlichen Regelungen im ver- gen im Ausschuss. gangenen Jahr evaluiert. Die Evaluierung bestätigte, dass es richtig war, die Regelungen zur Dopingbekämpfung Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. im Anti-Doping-Gesetz zusammenzuführen und zu erweitern. Es zeigte sich aber auch, wie schwierig es ist, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die Dopingstrukturen im Bereich des Leistungssports aufzudecken. Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Insgesamt gibt es zu wenige Verfahren im Bereich des Vielen Dank. – Die Kollegin und die Kollegen Profisports. Das könnte daran liegen, dass zu wenige Thomae, Jelpke und Kuffer geben ihre Reden zu Proto- Informationen aus der Szene den Ermittlungsbehörden 1) koll. bekannt werden. Zu diesem Ergebnis kam auch die Eva- luierung: Die Sachverständigen stellten fest, dass die (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ermittlungsbehörden die nötigen Hinweise auf Doping- Damit schließe ich die Aussprache. verstöße zu etwa 65 Prozent von der Nationalen Anti Doping Agentur und zu 25 Prozent aus anderen Strafver- Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs fahren erhielten. Aus dem Spitzensport selbst, also insbe- auf Drucksache 19/28674 an die in der Tagesordnung sondere von den Sportlerinnen und Sportlern oder ihrem aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es weitere Umfeld, gab es praktisch kaum Hinweise. Überweisungsvorschläge? – Das sehe ich nicht. Dann verfahren wir so. ( [FDP]: Das wundert mich nicht!) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf: Das geltende Recht bietet zwar über die allgemeine Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Kronzeugenregelung und die Regelungen zur Strafzu- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- messung und Verfahrenseinstellung bereits Anreize, rung des Anti-Doping-Gesetzes Informationen an die Ermittlungsbehörden weiter- zugeben; diese allgemeinen Regelungen scheinen aber Drucksache 19/28676 nicht auszureichen. Der Grund hierfür wird vor allem darin gesehen, dass das bestehende Anreizsystem von 1) Anlage 19 den Betroffenen nicht hinreichend wahrgenommen wird. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28577

Parl. Staatssekretär Christian Lange (A) Deshalb empfahl der Evaluierungsbericht, in Anleh- ausdrücklich zu. Aber dies ist nach der Gesetzesvorlage (C) nung an das Betäubungsmittelgesetz eine zusätzliche leider der einzige Punkt, um den das Anti-Doping-Gesetz bereichsspezifische Kronzeugenregelung im Anti-Do- ergänzt werden soll. Und das reicht nicht. ping-Gesetz einzuführen. Für Täterinnen und Täter soll- ten deutlichere Anreize geschaffen werden, ihr Wissen (Beifall bei Abgeordneten der AfD) mit den Ermittlungsbehörden zu teilen, damit diese die Die Wissenschaftler, die die Evaluierung vorgenom- bestehenden kriminellen Strukturen aufbrechen können. men haben, warnen ausdrücklich davor, die Einführung Wir haben daher die Empfehlungen aus dem Evaluie- einer Kronzeugenregelung als einen Gamechanger oder rungsbericht aufgegriffen und den entsprechenden Ge- gar als ein allein maßgebliches Instrument zu betrachten. setzentwurf vorgelegt, den wir heute beraten. Insider sol- Der wesentlichste Grund für die Kritik an den zu engen len dadurch ermutigt werden, mit ihrem Wissen Doping tatbestandlichen Voraussetzungen ist der § 4 Absatz 7 des im Sport offenzulegen. Anti-Doping-Gesetzes. Eine positive Dopingprobe reicht danach für die Strafbarkeit nicht aus. Zum einen fordert Meine Damen und Herren, ich bitte Sie um Unterstüt- das aktuelle Gesetz, dass der beschuldigte Sportler „Ein- zung – für einen fairen Sport. nahmen von erheblichem Umfang“ – ein unbestimmter Herzlichen Dank. Rechtsbegriff – aus dem Sport erzielt haben muss. Die (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Eberhard zweite Einschränkung ist, dass das Gesetz nur für Sport- Gienger [CDU/CSU]) ler gilt, die bereits einem Testpool angehören, also einen bestimmten Kaderstatus haben. Das führt in der Folge dazu, dass in ein und demselben Wettkampf Sportler star- Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: ten können, für die dieses Gesetz dann gilt, während es Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Das Wort geht an für andere – in demselben Wettkampf – aber nicht gilt. die AfD-Fraktion, mit dem Kollegen Jörn König. Das ist völlig sinnfrei. Diese Regelung muss weg. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD)

Jörn König (AfD): Ein weiterer Punkt ist eine klarere Regelung zum Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen! Begriff „Fahrlässigkeit“. Die Wissenschaftler plädieren Liebe Zuschauer auf den Tribünen – es sind keine mehr für eine Eliminierung der Fahrlässigkeitsstraftatbestände. da – In der Sportgerichtsbarkeit ist jeder Sportler zu 100 Pro- zent für das verantwortlich, was sich in seinem Körper (Marianne Schieder [SPD]: Kleiner Scherz am befindet. In Bezug auf den strafrechtlichen Bereich, um (B) Rande!) den es hier geht, sagten viele Richter, dass das Gegenteil (D) und an den Bildschirmen! Um diese Uhrzeit bräuchte von Fahrlässigkeit, also Vorsatz, oft nicht nachzuweisen man vielleicht leistungssteigernde Mittel, aber die wollen sei. wir nicht. Ich fasse zusammen: Der Gesetzentwurf ist gut, aber Wie Herr Lange schon sagte: Nach fünf Jahren – so nicht gut genug. Uns fehlen drei Punkte: erstens § 4 war es Beschlusslage – sollte das Anti-Doping-Gesetz Absatz 7 des Anti-Doping-Gesetzes ersatzlos streichen, überprüft werden. – Das ist geschehen. Vielen Dank an zweitens den Begriff der Fahrlässigkeit in diesem Fall alle Sachverständigen und an alle Kollegen im Sportaus- besser definieren; drittens plädieren wir neben der Kron- schuss. Das Ergebnis war, dass das vorhandene Anti- zeugenregelung auch für einen besseren Schutz von Doping-Gesetz ein wichtiger Schritt war, dem jetzt aber Whistleblowern. Noch ein weiterer Punkt – aber hier Nachbesserungen aus den Erkenntnissen der Evaluierung sind die Bundesländer gefragt –: Es gibt bereits Anti- folgen müssen. doping-Schwerpunktstaatsanwaltschaften in Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz; solche Staats- Zu den positiven Seiten: anwaltschaften sollte es in allen Bundesländern geben. Erstens. Mit dem Gesetz wurde Doping ein Straftatbe- stand. Wir freuen uns auf die Beratungen im Ausschuss. Aus unserer Sicht gibt es eine einmalige Chance für ein Zweitens. Die Staatsanwaltschaften erhielten Ermitt- Alleinstellungsmerkmal des deutschen Sports im Anti- lungsmöglichkeiten, die Sportverbände halt nicht haben. dopingkampf. Nutzen wir diese Chance gemeinsam. Zu den Seiten, wo noch Potenzial ist: Der Großteil der Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Verfahren wurde eingestellt. Hauptgründe dafür waren unter anderem, dass die Strafverfolgungsbehörden, ers- (Beifall bei der AfD) tens, nur selten belastbare Informationen erhielten, zwei- tens die zu engen tatbestandlichen Voraussetzungen, Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: sprich: Einschränkungen und Ausnahmeregeln. Vielen Dank. – Die Kolleginnen und Kollegen Dassler, Was kann man tun? Schon beim ersten Anti-Doping- André Hahn, Lazar, Auernhammer und Florian Post ge- Gesetz wurde die Aufnahme einer Kronzeugenregelung ben ihre Reden zu Protokoll.1) diskutiert. Diese soll jetzt mit der Gesetzesänderung kommen, da klar geworden ist, dass die allgemeine Rege- Ich schließe damit die Aussprache. lung aus dem Strafgesetzbuch für den Bereich der Dopingstrafbarkeit nicht ausreicht. Wir stimmen dem 1) Anlage 20 28578 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

Vizepräsidentin Dagmar Ziegler (A) Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs Herzlichen Dank! (C) auf Drucksache 19/28676 an die in der Tagesordnung Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es weitere tages auf morgen, Überweisungsvorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann verfahren wir wie vorgeschlagen. (Martin Hohmann [AfD]: Heute! Heute!) Das Präsidium bedankt sich bei den Geschäftsführerin- Freitag, den 23. April 2021, 9 Uhr, ein. nen und Geschäftsführern sowie bei den Abgeordneten für die Kollegialität. Die Sitzung ist geschlossen. (Marianne Schieder [SPD]: Gerne!) (Schluss: 0.15 Uhr)

Berichtigung 223. Sitzung, Seite 28244 D, vierte Spalte: Bei den Neinstimmen der SPD-Fraktion ist der Name „“ zu ergänzen.

(B) (D) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28579

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Entschuldigte Abgeordnete Abgeordnete(r) Abgeordnete(r)

Brehmer, Heike CDU/CSU Paschke, Markus SPD Ebner, Harald BÜNDNIS 90/ Pilger, Detlev SPD DIE GRÜNEN Remmers, Ingrid DIE LINKE Ehrhorn, Thomas AfD Rottmann, Dr. Manuela BÜNDNIS 90/ Gabelmann, Sylvia DIE LINKE DIE GRÜNEN Hampel, Armin-Paulus AfD Schäfer (Saalstadt), Anita CDU/CSU Hartmann, Verena fraktionslos Schmidt, Uwe SPD Hebner, Martin AfD Schummer, Uwe CDU/CSU Heinrich (Chemnitz), Frank CDU/CSU Schwabe, Frank SPD Heinrich, Gabriela SPD Schwarzelühr-Sutter, Rita SPD Henke, Rudolf CDU/CSU Tauber, Dr. Peter CDU/CSU Holm, Leif-Erik AfD Tiemann, Dr. Dietlind CDU/CSU Hunko, Andrej DIE LINKE Wagenknecht, Dr. Sahra DIE LINKE Jung, Andreas CDU/CSU Walter-Rosenheimer, Beate BÜNDNIS 90/ (B) DIE GRÜNEN (D) Kaiser, Elisabeth SPD Warken, Nina CDU/CSU Komning, Enrico AfD Weber, Gabi SPD Konrad, Carina FDP Weeser, Sandra FDP Kühn (Tübingen), Christian BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Wetzel, Wolfgang BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Launert, Dr. Silke CDU/CSU Ziemiak, Paul CDU/CSU Lauterbach, Dr. Karl SPD Zimmermann, Pia DIE LINKE Lehmann, Sven BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Lenz, Dr. Andreas CDU/CSU

Lezius, Antje CDU/CSU Anlage 2 Maas, Heiko SPD Neudruck der Erklärung nach § 31 GO Miazga, Corinna AfD der Abgeordneten Emmi Zeulner (CDU/CSU) zu Möller, Siemtje SPD der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Neumann, Christoph AfD Entwurf eines Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von Nick, Dr. Andreas CDU/CSU nationaler Tragweite Nüßlein, Dr. Georg fraktionslos (223. Sitzung, Anlage 4, Tagesordnungspunkt 1 a) Ostendorff, Friedrich BÜNDNIS 90/ Ich werde heute dem Vierten Gesetz zum Schutz der DIE GRÜNEN Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite, Drucksache 19/28444, zustimmen. 28580 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

(A) Dies jedoch mit Bedenken, die ich in dieser persön- einem durchdachten Test- und Schutzkonzept sind zu- (C) lichen Erklärung gemäß § 31 GO-BT darlegen möchte. sätzliche Überlegungen, die einen klaren Fokus auf mehr Aktivität im Außenbereich legen und gerade auch Ich sehe mich als Teil des Parlaments in der Verant- Erleichterungen für Familien schaffen werden. wortung, gerade in dieser unruhigen und schwierigen Zeit, eine klare Entscheidung für bundeseinheitliche Die Einigung bei den Schulen bezüglich der Öffnung Mindestregelungen zum Umgang mit der Pandemie zu auf den Inzidenzwert von 165 zeigt den klaren Willen, treffen. Wir als Parlamentarier haben schon seit Länge- dass Schulen im Sinne unserer Kinder so lange wie mög- rem gefordert, dass die Entscheidungsmacht im Parla- lich geöffnet bleiben sollen. ment selbst liegen muss und nicht von der Bundesregie- rung und der Ministerpräsidentenkonferenz alleine Diese Überlegungen lassen mich dem Gesetz zustim- getroffen werden darf. Zu dieser Verantwortung stehe men. ich und befürworte ausdrücklich, dass zu jeder weiteren Verordnung der Bundesregierung nach § 28b Infektions- Dennoch bleiben bei mir Bedenken, die leider keinen schutzgesetz (neu), die aktive Zustimmung des Deut- Einzug mehr in die Gesetzesänderung genommen haben. schen Bundestages erforderlich ist. So schaffen wir die Allem voran bleiben für mich die Regelungen zum parlamentarische Legitimation für die notwendigen Maß- Einzelhandel und den Selbstständigen hinter den zu nahmen. Recht gesetzten Hoffnungen zurück. Die Menschen in Ich verstehe, dass sich viele Menschen Erleichterun- diesen Bereichen haben in den letzten Monaten bewiesen, gen wünschen und nach Normalität sehnen. Auch ich dass sie gute Schutz- und Hygienekonzepte auf die Beine würde lieber über weitere Öffnungen abstimmen als stellen können. Gerade auch die Kosmetikerinnen, bei über einheitliche Schutzmaßnahmen. Doch die Zahl der denen hohe Hygienemaßnahmen der Standard sind und Neuinfektionen steigt weiter täglich an, und am heutigen die mit viel Organisation und persönlichem Einsatz alle Tag befinden sich fast 5 000 Menschen coronabedingt in Vorgaben erfüllt haben, hätten meiner Ansicht nach, im intensivmedizinischer Behandlung. Das zeigt, dass wir in Rahmen des Ermessens, mit in die Öffnungsausnahmen der Pandemiebekämpfung noch nicht nachlassen dürfen. einbezogen werden müssen. Auch unsere Einzelhändler, sei es das Schuh- oder auch das Sportfachgeschäft, haben Ich, als gelernte Krankenschwester, höre auf der einen mit viel Einsatz gezeigt, dass sie ein durchdachtes Seite die klaren Unterstützungsforderungen vonseiten der Schutzkonzept liefern können. Intensivmediziner und Pflegekräfte, die für ein Durch- halten der Gesellschaft und strengere Maßnahmen in Auch wenn wir hier in den Verhandlungen erreichen der Pandemie werben. Und auf der anderen Seite erkenne konnten, dass bis zu einer Inzidenz von 150 die Möglich- (B) ich die Nöte der Menschen und Familien an, die nach so keit von Click and Meet bestehen bleibt und die Option (D) vielen Monaten „pandemiemüde“ sind und teilweise um von Click and Collect auch darüber hinaus erhalten ihre Existenz bangen. bleibt, hätte ich mir hier noch weitere Erleichterungen gewünscht und vorstellen können. Verantwortung als direkt gewählte Bundestagsabge- ordnete zu übernehmen, heißt für mich auch, unangeneh- Ein weiterer Punkt, den ich sehr kritisch sehe, ist das me Entscheidungen zu treffen, wenn sie zum Wohle des Heranziehen der Sieben-Tage-Inzidenz von 100 als Landes sind. Ich bin überzeugt, dass die Novellierung des alleiniges Kriterium für weitere Verschärfungen. Wir ha- Infektionsschutzgesetzes nötig ist. ben uns in den letzten Wochen und Monaten in den Dis- kussionen um das Dritte Bevölkerungsschutzgesetz im Die größte Veränderung ist mit Sicherheit, dass der Bereich des § 28a Absatz 3 Infektionsschutzgesetz so Bund sein Recht im Rahmen der konkurrierenden für die Aufnahme weiterer Kriterien wie die Funktions- Gesetzgebung nach Artikel 72, 74 Absatz 1 Nummer 19 fähigkeit des Gesundheitssystems oder auch die Ausbrei- Grundgesetz wahrnimmt und die Entscheidung an sich tung der Virusvarianten eingesetzt, um zu zeigen, dass zieht, um klare Mindestregelungen ab einer Sieben- wir eine umfassende Beurteilung der Gesamtlage als Tage-Inzidenz von über 100 an drei aufeinanderfolgen- Grundlage heranziehen. Diesen Schritt habe ich sehr den Tagen festzulegen. Ich bin ein großer Befürworter begrüßt. Denn neben den verfassungsrechtlichen Beden- des Föderalismus, aber wir müssen hier auch ehrlich blei- ken, die ein solcher Bezug mit sich bringt, hat die breitere ben: In den letzten Wochen haben sich einige Länder Entscheidungsbasis für deutlich mehr Akzeptanz, Ver- nicht an die Umsetzung ihrer klaren Vereinbarungen zur ständnis und Vertrauen in die politischen Entscheidungen Notbremse gehalten. Das hat zu Recht für viel Unmut in innerhalb der Bevölkerung gesorgt. Dieses Vertrauen ist der Bevölkerung geführt. Die Menschen müssen sich meiner Ansicht nach eines unserer höchsten Güter – ge- sicher sein, dass beschlossene Regelungen auch umge- rade in dieser Zeit. Es nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzt werden. Das zwingt uns auf Bundesebene zum Han- setzen, und es zu erhalten oder es im besten Fall zu deln. Auch gerade, um die Akzeptanz für Maßnahmen in bestärken, sehe ich als tägliche Aufgabe als Parlamenta- der Pandemiebekämpfung zu erhalten. Mit dem neuen rierin an. Meines Erachtens fallen wir nun leider mit der Gesetz schaffen wir die Grundlage für ein Mindestmaß Regelung ein Stück weit zurück. Dennoch sehe ich die an Sicherheit im Sinne des Gesundheitsschutzes. Anknüpfung an den Inzidenzwert weiterhin als einen Auch die neu geschaffenen Erweiterungen im Außen- geeigneten Mechanismus an, um die getroffenen Maß- bereich, wie zum Beispiel bei der Sportausübung von nahmen rechtzeitig und zielgenau wirken lassen zu kön- Kindern unter 14 Jahren in kleinen Gruppen, aber auch nen. Darüber hinaus haben die vergangenen Monate das Öffnen von zoologischen und botanischen Gärten mit gezeigt, dass zwischen der Sieben-Tage-Inzidenz und an- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28581

(A) deren für die Beurteilung des Pandemiegeschehens rele- haben können. Das heißt auch: Durch die fortschreiten- (C) vanten Faktoren ein Zusammenhang besteht, sodass der den Impfungen in den Risikogruppen kann mit weiter Inzidenzwert auch andere Faktoren umfasst. sinkenden Hospitalisierungs- und Sterberaten gerechnet werden. Zudem weisen immer mehr Studienergebnisse Auch die Regelungen zu den Ausgangsbeschränkun- darauf hin, dass Geimpfte auch deutlich weniger anste- gen konnten wir im parlamentarischen Verfahren nach- ckend sind und damit keine unmittelbare Gefahr mehr für bessern. Die vorherige strikte Ausgangsbeschränkung ab andere darstellen. Auch das RKI konnte jüngst bestäti- 21.00 Uhr konnte in das Hamburger Modell abgeändert gen, dass Geimpfte bei der Epidemiologie der Erkran- werden, sodass die Ausgangsbeschränkung allgemein ab kung wahrscheinlich keine wesentliche Rolle mehr spie- 22.00 Uhr gilt und für Einzelpersonen ab 24.00 Uhr. Das len. sind auch die normalen Ruhezeiten. Wobei ich mir des massiven Eingriffs in die Grundrechte bewusst bin und Mit dem Vierten Bevölkerungsschutzgesetz haben wir das Ziel weiter sein muss, solche gravierenden Eingriffe deshalb festgelegt, dass künftig durch eine entsprechende schnellstmöglich wieder aufzuheben. Verordnung auch besondere Regelungen für Geimpfte, Wie bei allen Eingriffsmaßnahmen muss auch hier der Getestete und vergleichbare Personen geschaffen werden Fokus darauf liegen, mildere Mittel in die Diskussion können. Ohne solche Erleichterungen – da bin ich ehr- miteinzubeziehen und wenn möglich umzusetzen. lich – wird es immer schwerer werden, die geltenden Freiheitseinschränkungen für diese Gruppen zu rechtfer- Bezüglich der veränderten Situation für geimpfte Men- tigen. schen – besonders auch im Bereich von Ge- meinschaftseinrichtungen, wie Pflegeheimen und Ein- Aus meiner Sicht müssen wir deshalb so früh wie mög- richtungen der Eingliederungshilfe – muss sofort lich alle notwendigen rechtlichen und technischen Vor- begonnen werden, über Erleichterungen in den Einrich- aussetzungen dafür schaffen, dass der digitale europä- tungen zu sprechen, weil mit dem vollen Impfschutz der ische Impfausweis sofort nach seinem Start im Juni Bewohner die einschlägigen Argumente für die Grund- deutschlandweit zum Einsatz kommen kann. Und Vor- rechtseinschränkungen größtenteils entfallen sind. aussetzungen schaffen heißt: Wir brauchen eine leis- tungsfähige, digitalisierte Impf- und Testinfrastruktur. Auch alle betroffenen Wirtschaftsbereiche müssen Anlage 3 Klarheit über die bevorstehenden Regelungen haben, um entsprechende Vorbereitungen zur Nutzung des digi- Zu Protokoll gegebene Reden talen Impfausweises treffen zu können. Denn mit dem zur Beratung digitalen Zertifikat wird man nicht nur eine erfolgte Imp- (B) fung nachweisen können, sondern auch eine mögliche (D) a) des Antrags der Abgeordneten Frank Sitta, Immunität oder ein negatives Testergebnis. So ist auch Mario Brandenburg (Südpfalz), Manuel sichergestellt, dass niemand benachteiligt wird. Wer Höferlin, weiterer Abgeordneter und der Frak- negativ getestet ist oder die Erkrankung bereits durchge- tion der FDP: Digitalen Impfpass vorantrei- macht hat, muss dieselben Möglichkeiten haben wie ben – Unverzüglich individuelle Freiheit wie- Geimpfte. Der einzige Unterschied: Ein negatives Test- derherstellen und Wirtschaft stärken ergebnis wäre immer nur für einen bestimmten Zeitraum b) der Beschlussempfehlung und des Berichts des gültig. Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Durch die Nutzung des digitalen europäischen Impf- Abgeordneten Dr. Michael Espendiller, Joana ausweises könnte den Bürgerinnen und Bürgern und den Cotar, Uwe Schulz, weiterer Abgeordneter und aktuell unter besonderer Belastung stehenden Wirt- der Fraktion der AfD: Die Corona-Impfpflicht schaftsbereichen endlich eine klare und nachvollziehbare durch die Hintertür verhindern – Die Einfüh- Öffnungsperspektive für den Sommer aufgezeigt werden. rung des digitalen Corona-Impfpasses stoppen Insbesondere in den Bereichen der Gastronomie, der Kul- (Tagesordnungspunkt 12 a und b) turbranche, der Hotellerie und der Veranstaltungswirt- schaft leiden die Unternehmen unter den einschneiden- den, aber notwendigen Pandemiemaßnahmen. Stephan Pilsinger (CDU/CSU): Heute, verehrte Kol- leginnen und Kollegen von der FDP, sind wir uns aus- Aber auch in der warmen Jahreszeit werden wir noch nahmsweise mal in der Sache einig: Wir brauchen drin- mit Einschränkungen leben müssen. Das Virus wird gend eine Perspektive für die Menschen in unserem durch die Impfungen nicht verschwinden; aber wir wer- Land. Aus meiner Sicht müssen wir genau deshalb umge- den besser, freier damit leben können. Wenn wir diese hend die Weichen für die Nutzung des digitalen europä- Chance jetzt nutzen, können wir den Menschen und un- ischen Impfausweises in Deutschland stellen. Denn nach seren Betrieben endlich wieder Hoffnung geben. Auch in jetzigem Stand werden wir das sogenannte Digitale Grü- Israel, wo bereits ein Großteil der Bevölkerung geimpft ne Zertifikat der Europäischen Kommission, also den worden ist, hat man mit einem ähnlichen Modell sehr europäischen Impfausweis, schon am 1. Juni dieses Jah- gute Erfahrungen gesammelt. res europaweit einführen. Wir haben nun mit der Debatte über dieses Thema Sofern die Hersteller ihre Lieferzusagen einhalten, begonnen. Mit dem Vierten Bevölkerungsschutzgesetz werden wir zu diesem Zeitpunkt bereits allen über haben wir gestern zudem bereits die Voraussetzungen 60-Jährigen in Deutschland ein Impfangebot gemacht für entsprechende Regelungen geschaffen. Lassen Sie 28582 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

(A) uns daher die kommenden Wochen gemeinsam dazu nut- Anlage 4 (C) zen, den Menschen vorausschauende, klare und vor allem sichere Lösungen für ein Leben mit der Pandemie aufzu- Erklärung nach § 31 GO zeigen! des Abgeordneten Dr. Bernd Baumann (AfD) zu der Abstimmung über Buchstabe h der Beschluss- empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozia- les zur Entschließung zu dem von der Bundesregie- Maik Beermann (CDU/CSU): Man kann es nicht oft rung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur genug wiederholen: Impfungen sind wichtig, Impfungen Stärkung der Teilhabe von Menschen mit Behinde- retten Leben. Wir haben im Übrigen in den letzten drei rungen sowie zur landesrechtlichen Bestimmung Wochen so viel geimpft wie in den ersten drei Monaten der Träger der Sozialhilfe (Teilhabestärkungsge- des Jahres. Dieses Tempo behalten wir bei, und dann setz) haben wir in wenigen Monaten eine ganz andere Situa- tion für die Menschen in unserem Land. (Tagesordnungspunkt 14 a) Ich erkläre im Namen der Fraktion der AfD, dass unser Kurz zum Antrag der AfD; dazu habe ich vor ein paar Votum Zustimmung lautet. Wochen hinreichend Stellung bezogen. Ihr Antrag ist wieder mal das Papier nicht wert. Er ist voller Wider- sprüche, hält mit aktuellen technischen Entwicklungen Anlage 5 nicht Schritt und will mal wieder bei dünner Informa- tionslage spalten. Weder führen wir eine Impfpflicht Erklärung nach § 31 GO ein, noch können wir Einfluss auf andere Länder oder des Abgeordneten Pascal Meiser (DIE LINKE) zu gar Unternehmen – Stichwort „Vertragsfreiheit“ – neh- der Abstimmung über die Beschlussempfehlung men, wie sie konkret mit Zugang und Einreise umgehen. des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 860 zu Petitionen, Beschlussempfehlung 1, lfd. Nr. 1 (Wirt- Zum Antrag der FDP. Den Tenor – gerade im Vergleich schaftsförderung und Wirtschaftssicherung) zu dem der AfD – teile ich. Wir brauchen gerade auch im Gesundheitsbereich nicht weniger, sondern mehr digitale (Tagesordnungspunkt 45 dd) Anwendungen. Und es wäre absurd, wenn wir beim Ich gebe hiermit folgende Erklärung zu meinem Impfpass auf die klaren Vorteile und Chancen digitaler Stimmverhalten bezüglich der Petition 1-19-09-77- Anwendungen verzichten würden. Das will im Übrigen 033633 ab: (B) (D) auch fast kein Bundesbürger mehr. Das zeigen uns zahl- Der Petent greift mit der Forderung, die Coronasofort- reiche Umfragen mit Zustimmung von 90 Prozent. hilfen für Selbstständige zu verlängern, auszuweiten so- wie unbürokratisch und rechtssicher auszugestalten, ein Der deutsche Impfpass ist schon weit entwickelt. Erste existenzielles Anliegen von vielen Hunderttausenden Versionen werden seit Monaten in einigen Landkreisen Selbstständigen, die in der Pandemie unverschuldet in eingesetzt. Noch vor den Sommerferien soll es eine tiefe finanzielle Probleme geraten sind, auf. dezentrale Lösung geben, um in der Corona-Warn-App Auch wenn die Bundesregierung die Forderungen der eine erfolgte Coronaimpfung zu hinterlegen. Dafür be- bereits im Juni 2020 eingereichten Petition mittlerweile kommen Impfzentren und Arztpraxen eine entsprechende in einzelnen Teilen entsprochen hat, reichen die Maßnah- Software. Wer übrigens kein Smartphone hat, bekommt men noch lange nicht aus, um das wirtschaftliche Über- einen QR-Code auf Papier. Und auch auf EU-Ebene geht leben wie auch den Lebensunterhalt von kleinen Selbst- es voran. Die EU-Mitgliedstaaten haben ja bereits einem ständigen und hier insbesondere von Soloselbstständigen einheitlichen Impfausweis – er heißt Grünes Zertifikat – und ihren Familien sicherzustellen. zugestimmt. Die technischen Abstimmungen laufen der- zeit. Wir sind da gut unterwegs, und es ist natürlich abso- Diejenigen, die überhaupt für eines der Hilfsprogram- lut richtig, dass wir das europäisch lösen und nicht me antragsberechtigt waren; haben oft Monate auf die 27 Insellösungen kreieren. Auszahlung gewartet oder warten jetzt, im April 2021, immer noch auf die – häufig unzureichende – Hilfeleis- Zu Ihrer Aussage im Antrag, Impfungen würden so- tung. Für die Deckung der Kosten des Lebensunterhalts wohl das Risiko einer Infektion für Geimpfte deutlich werden Selbstständige weiter weitestgehend auf die reduzieren als auch das Risiko, dass diese das Virus an Grundsicherung verwiesen, obwohl diese für viele Be- Dritte weitergeben: Ja, das muss man aber sorgfältig prü- troffene keine Hilfe bietet. Auch die über die inzwischen fen. Wir dürfen hier nicht leichtfertig sein und sollten initiierte „Neustarthilfe“ bereitgestellten pauschalen Hil- gerade auch die Mutationen im Blick behalten und deren feleistungen lösen dieses Problem nicht. Eine verlässli- Gefährlichkeit und Ausbreitungsgeschwindigkeit genau che, unbürokratische und existenzsichernde Absicherung prüfen; ich denke da gerade an die indische Mutation, für Soloselbstständige und andere kleine Selbstständige die sich rasant ausbreitet. Hier sind wir auf Forschungs- bieten die bisherigen Hilfsprogramme in jedem Fall ergebnisse angewiesen. Wenn es sich aber bestätigt, dass nicht. Vollgeimpfte nicht mehr ansteckend sind, wäre das ein Es bleibt dringend notwendig, kleinen und mittleren Meilenstein und damit die Basis für das Reisen im Som- Unternehmen (KMU) sowie Soloselbstständigen, bei Be- mer. darf auch rückwirkend, Betriebskosten, die coronabe- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28583

(A) dingt durch keinen Umsatz gedeckt sind, weitestgehend die diese Dynamik bedeuten konnte – und er nutzte sie. (C) auszugleichen. Zudem dürfen die Hilfsprogramme nicht Nach dem Fall der Mauer waren es neben seiner zutiefst länger auf die Kompensation von Betriebskosten be- europäischen Überzeugung seine Persönlichkeit, seine schränkt bleiben, sondern müssen auch Kosten des Verlässlichkeit und seine Integrität, mit denen er Beden- Lebensunterhalts zumindest in existenzsichernder Höhe ken hinsichtlich eines wiedervereinigten Deutschlands umfassen. Auch dies muss bei Bedarf rückwirkend ab entkräften konnte. Als Kanzler der Einheit bleibt er in dem 1. März 2020 beantragt werden können, um gege- bleibender Erinnerung und hat er Weltgeschichte ge- benenfalls unverschuldet akkumulierte Schulden abbau- schrieben. en zu können. Vieles, was wir heute in Europa als selbstverständlich Die Sicherung der wirtschaftlichen Existenz und des empfinden und erleben, geht auch auf das Engagement persönlichen Lebensunterhalts von kleinen Selbstständi- von Helmut Kohl zurück: der gemeinsame europäische gen und Soloselbstständigen in der aktuellen Pandemie Markt, die gemeinsame Währung und letztlich die Tat- bleibt für meine Fraktion Die Linke und mich weiterhin sache, dass es die Europäische Union in ihrer jetzigen dringend geboten. Die bisherigen Maßnahmen der Bun- Form gibt. – Für diesen Einsatz für Europa und die euro- desregierung sind an dieser Stelle unzureichend. Mit päische Integration wurde Helmut Kohl im Jahr 1998 jedem Monat, da die Pandemie und die Maßnahmen zu zum „Ehrenbürger Europas“ ernannt – eine besondere deren Bekämpfung andauern, werden die zum Teil dra- Auszeichnung. Helmut Kohl war neben Robert Schuman matischen Folgen für die Betroffenen sichtbarer . Inso- und Jacques Delors erst der dritte Europäer und der erste fern halte ich das Anliegen des Petenten weiterhin für Deutsche, dem dieser Titel von den europäischen Staats- höchstaktuell und stimme gegen den Abschluss des Peti- und Regierungschefs verliehen wurde. tionsverfahrens. Man kann die Persönlichkeit Helmut Kohls aber nicht verstehen ohne die Betrachtung seines Werdegangs und seiner Herkunft. Geboren und aufgewachsen in Rhein- Anlage 6 land-Pfalz und Zeit seines Lebens in der Pfalz verwurzelt, erlebte er noch die Schrecken des Krieges und vor allem Zu Protokoll gegebene Reden dessen Auswirkungen. Seine politische Karriere begann zur Beratung des von den Fraktionen der CDU/ er als jüngster Landtagsabgeordneter. Später führte er die CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Geset- CDU-Landtagsfraktion als Vorsitzender, dann auch die zes über die Errichtung einer Bundeskanzler- CDU Rheinland-Pfalz als Landesvorsitzender. Helmut-Kohl-Stiftung Und lassen Sie uns nicht vergessen, dass Helmut Kohl (B) (Tagesordnungspunkt 16) in dieser Zeit, den 60er-Jahren, als sogenannter junger (D) Wilder galt. Als Landesvorsitzender etablierte er neue Formen der Wählermobilisierung, die bis heute Bestand Patrick Schnieder (CDU/CSU): Es ist schon Tradi- haben. Auch als Ministerpräsident scheute er sich nicht, tion in Deutschland, dass bedeutende Staatsmänner durch neue und nicht unumstrittene Wege zu gehen. Die Beru- eine Stiftung öffentlichen Rechts gewürdigt werden. Die fung eines Bürgerbeauftragten und die Einrichtung regel- bisher sechs Stiftungen befassen sich mit ihrem Leben mäßiger Sprechstunden sollten die Distanz zu den Bür- und Werk. gerinnen und Bürgern abbauen – ein Konzept, das für uns Heute bringen wir die Bundeskanzler-Helmut-Kohl- heute selbstverständlich ist. Stiftung auf den Weg. Sie ist nicht nur eine besondere Seiner Heimat Rheinland-Pfalz fühlte sich Helmut Würdigung des Namensgebers; sie möchte vor allem Kohl auch nach seinem Sprung in die Bundespolitik im- auch an die Persönlichkeit erinnern, das Leben, Handeln mer stark verbunden. Weggefährten wie politische Geg- und Werk wissenschaftlich erschließen und im Zusam- ner schätzten Helmut Kohl für seine Fähigkeit, das Poli- menhang der Zeitgeschichte betrachten. So umreißt § 2 tische mit dem Menschlichen in Einklang bringen zu des Errichtungsgesetzes den Zweck der Stiftung. Ebenso können. Er verband seine Weitsicht mit einem pragmati- wie die bereits bestehenden Stiftungen wird auch die schen Sinn für das Machbare. Bundeskanzler-Helmut-Kohl-Stiftung in bereichernder Art und Weise aufzeigen, in welcher Tradition unser Mit der Errichtung der Bundeskanzler-Helmut-Kohl- demokratisches Gemeinwesen steht. Stiftung wird die Erinnerung an einen großen Staatsmann lebendig gehalten. Sie bietet die Möglichkeit zum Aus- Helmut Kohl ist ohne Zweifel ein Politiker, der die tausch und zum Dialog – ein Anliegen, das Helmut Kohl besondere Würdigung, die mit der Errichtung einer sol- wichtig war und das er stets unterstützt hat. chen Stiftung verbunden ist, verdient. Helmut Kohl hat die Geschicke der Bundesrepublik Deutschland nachhal- Martin Rabanus (SPD): Als Koalitionspartner der tig mitgestaltet und darüber hinaus eine ganze Generation Union und auch aus demokratischer Gepflogenheit tragen geprägt. Er war zutiefst davon überzeugt, dass die Einheit wir den Gesetzesentwurf zur Errichtung einer Bundes- Deutschlands nicht verhandelbar ist, und festigte wäh- kanzler-Helmut-Kohl-Stiftung natürlich mit. Helmut rend seiner Kanzlerschaft die Beziehungen zu den west- Kohl ist sicher keine unumstrittene Person, aber er hat lichen Nachbarn – allen voran zu Frankreich. ganz ohne Zweifel in 16 Jahren Kanzlerschaft das Land Als die Menschen in der DDR mit friedlichen Protes- maßgeblich mitgeprägt. Ich gehöre zu der Generation, die ten begannen, für mehr Freiheit und Demokratie einzu- in der Grundschule war, als er Kanzler wurde, und bei treten, erkannte er sehr schnell die historische Chance, Abschluss meines Studiums war er es immer noch. 28584 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

(A) Nun soll also vier Jahre nach dem Tod Helmut Kohls zeugung so aufgeschrieben – ich denke, das gilt auch für (C) neben der Stiftung auch ein öffentliches Helmut-Kohl- die Kolleginnen und Kollegen der Union –, weil wir Zentrum in Berlin entstehen. Zweck der Stiftung ist es, anders als die AfD kein gebrochenes Verhältnis zu unse- das Andenken an sein politisches Wirken für Freiheit und rer kulturellen Identität haben. Wir sind gleichermaßen Einheit des deutschen Volkes, für den Frieden in der Welt stolz auf den reichen Schatz unserer Geschichte, wir sind sowie für die Versöhnung mit den europäischen Nachbar- das Land der Dichter und Denker, wir stellen quer durch staaten und die europäische Integration – darin sehe ich die Disziplinen viele Nobelpreisträger – Naturwissen- übrigens in besonderer Weise sein Verdienst und sein schaften, Geisteswissenschaften; Willy Brandt wurde Vermächtnis – zu wahren. Damit soll ein Beitrag zum der Friedensnobelpreis verliehen. Darauf sind wir stolz, Verständnis der Zeitgeschichte und der weiteren Ent- das macht unsere kulturelle Identität aus – ebenso wie die wicklung der Bundesrepublik Deutschland geleistet wer- Weltoffenheit, die Pluralität und die Diversität unseres den. Landes. Unser Land ist geprägt vom Zusammenleben Gefördert werden darüber hinaus die Erforschung, verschiedener Kulturen, von unterschiedlichen Lebens- Stärkung und Weiterentwicklung des europäischen Integ- welten und Werten, und das ist gut so. Das macht unsere rationsprozesses im globalen Umfeld. Zudem sollen die kulturelle Identität aus. Wir arbeiten für ein gleichberech- Kenntnisse zu den heutigen und zukünftigen politischen, tigtes Zusammenleben für alle Menschen, die hier leben. wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderun- Dieser Prozess findet durch Gemeinschaft und Wert- gen in Deutschland, Europa und der Welt vertieft und schätzung im Alltag statt. ausgebaut werden. Die Stiftung dient der Erinnerung an Und die Wahrheit ist: Genau davor hat die AfD Angst. Helmut Kohl, und sie ist damit die siebte vom Bund Sie sind so jämmerlich verunsichert, dass Sie nur in errichtete Stiftung für herausragende Politiker Deutsch- Ihrem ganz kleinen Karo verharren. Alles, was Ihnen da lands. unheimlich vorkommt, lehnen Sie ab, diffamieren Sie, bekämpfen Sie. Es sei eine „Kulturrevolution“ seit den Für die SPD-Bundestagsfraktion kann ich ankündigen, 1960er-Jahren im Gange. Sie sagen in Ihrem Antrag, dass dass in der nächsten Sitzungswoche auch eine Weiterent- die „kulturell geprägten Verhaltens- und Lebensweisen wicklung der seit 1994 bestehenden Willy-Brandt-Stif- … durch eine Reihe von aktuellen Entwicklungen infrage tung auf den Weg gebracht wird. Eine entsprechende Vor- gestellt“ würden. Dann kommen Sie zum „Einfluss des lage erarbeiten wir gerade; denn auch der Lebensweg des Islam in Europa“ und anderen „ Herausforderungen“ wie Friedensnobelpreisträgers Willy Brandt war geprägt von etwa der „Transformation und Radikalisierung des hege- der Idee zur Freiheit und zum Frieden, und er war in dem monialen postmarxistischen Gedankenguts“, die „zu großen Ziel der deutschen Einheit dem damaligen Kanz- einer Dekonstruktion der deutschen kulturellen Identität“ ler Helmut Kohl trotz aller politischen Unterschiede ver- (B) führen. Sie fürchten – Zitat – den „Zerfall des Staatsvol- (D) bunden. Beide Bundeskanzler haben Großes geleistet für kes“ und damit auch des Staates. Den Zerfall der deut- unsere demokratische Kultur, für die deutsche Einheit schen Sprache machen Sie daran fest, dass etwa Verwal- und für die Aufklärung der Gesellschaft. tungsvorschriften „geschlechtergerecht“ oder „divers“ formuliert werden sollen. Hierin zeigt sich Ihre rechtspopulistische und rechts- Anlage 7 extremistische Haltung. Sie sind Brandstifter und Demo- kratiefeinde – Sie sind nicht und Sie dürfen auch nicht Zu Protokoll gegebene Rede Teil der kulturellen Identität unseres Landes sein. zur Beratung Nein, was Sie hier verteufeln, ist Fortschritt. Ich bin a) des Antrags der Abgeordneten Dr. Marc stolz, dass unser demokratischer Staat funktioniert und Jongen, Martin Erwin Renner, Dr. Götz dass wir eine zeitgemäße und moderne Sprache finden. Frömming, weiterer Abgeordneter und der Von einem Zerfall des Staatsvolks kann keine Rede sein, Fraktion der AfD: Einen Nationalen Aktions- von einem Verlust der kulturellen Identität ebenso wenig. plan Kulturelle Identität auf den Weg bringen Die beiden Anträge lehnt die SPD-Fraktion natürlich ab. b) des Antrags der Abgeordneten Dr. Marc Jongen, Martin Erwin Renner, Dr. Götz Herzlichen Dank. Frömming, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD: Kulturelle Identität bewah- ren – Eine Deutsche Akademie für Sprache und Anlage 8 Kultur gründen Zu Protokoll gegebene Reden (Tagesordnungspunkt 17 a und b) zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Novellierung Martin Rabanus (SPD): Für die SPD-Fraktion ist des Bundespersonalvertretungsgesetzes klar: „In ihrer Freiheit und Vielfalt bereichern“ Kunst und Kultur „unser Leben, prägen unsere kulturelle Iden- (Tagesordnungspunkt 21) tität, leisten einen Beitrag zu gesellschaftlichem Zusam- menhalt und zur Integration und schaffen Freiräume für Marc Henrichmann (CDU/CSU): Die repräsentative kritischen Diskurs.“ So steht es im Koalitionsvertrag parlamentarische Demokratie wird in diesen Tagen mal Union/SPD, Seite 163. Das haben wir aus voller Über- wieder von einigen Menschen schlechtgeredet. Wir wür- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28585

(A) den zu langsam, zu schwerfällig, zu behäbig entscheiden tions- und Kommunikationsmedium der Dienststelle mit (C) und seien zu weit weg. Auf den ersten Blick scheint den Beschäftigten durch Hyperlinks auf ihre Informa- dieses Bild – schauen wir uns den Prozess des Gesetzge- tionsangebote zu verweisen. Das Recht steht auch den bungsverfahrens zum Bundespersonalvertretungsgesetz Arbeitgebervereinigungen zu. Diese Regelung gibt den an – zu stimmen. Das Gesetz stammt aus dem Jahr Gewerkschaften bessere Möglichkeiten, die Beschäftig- 1974; nötige Reformen scheiterten in der Vergangenheit ten einer Dienststelle zeit- und ortsungebunden über immer wieder. aktuelle Informationen und ihre Anliegen zu unterrich- Aber auch hier lohnt ein zweiter Blick: Unter Führung ten. Die Möglichkeit von Onlinesprechstunden des Per- der Union haben wir uns zu Beginn dieser Wahlperiode sonalrats verbessert die Erreichbarkeit des Personalrats auf den Weg gemacht, diesen gordischen Knoten durch- durch Beschäftigte in räumlich weit entfernten Dienst- zuhauen. Wir haben den konstruktiven Dialogprozess mit stellen. den Gewerkschaften und mit den Personalvertretungen aufgenommen, Argumente abgewogen und für unsere Im parlamentarischen Verfahren haben wir uns ge- Positionen geworben. Wir haben mit unserem Koalitions- meinsam mit den Kollegen der SPD ferner darauf ver- partner gerungen, uns auf Eckpunkte zu einem Gesetz ständigt, dass auch die Einigungsstelle Verhandlungen geeinigt, Experten gehört, die Rechtsprechung zur Perso- und Beschlussfassungen digital durchführen kann, sofern nalvertretung in das Gesetz eingearbeitet und uns im kein Mitglied dem widerspricht. Als Bundesgesetzgeber parlamentarischen Verfahren auf weiterreichende Verbes- ermöglichen wir es dem Personalrat – im Einvernehmen serungen verständigt. mit der Dienststelle –, Personalversammlungen als Videokonferenz auch an Nebenstellen und Teile der All dies ist in den Entwurf, den wir heute verab- Dienststellen zu übertragen. schieden, eingeflossen. So funktioniert unsere hand- lungsfähige repräsentative parlamentarische Demokratie. Ich gebe zu, vieles klingt nach Klein-Klein und nach Mit diesem Gesetzentwurf werden die Mitsprachemög- gesetzgeberischem Schwarzbrot. In der Praxis wird das lichkeiten, die Einwirkungsmöglichkeiten der Beschäf- Gesetz aber seine Wirkung entfalten; da bin ich mir tigten und auch die Arbeitsbedingungen der Beschäftig- sicher. Vor allem das Digitalisierungspaket begrüße ich ten im öffentlichen Dienst verbessert. ausdrücklich. Die Digitalisierung der Arbeits- und Mein Dank gilt unserer Berichterstatterin und dem Lebenswelt wird nur gelingen – ich hatte es eingangs Innenministerium für ihre gute Arbeit. betont –, wenn die großen und die kleinen Rädchen per- fekt ineinandergreifen. Mit dem Gesetz haben wir wieder Die Inhalte des Gesetzes haben meine Vorredner aus- einige Stellschrauben neu justiert. Ich bitte daher um Ihre führlich dargestellt. Ich möchte dies an dieser Stelle nicht Zustimmung. (B) wiederholen. Stattdessen möchte ich auf einen anderen (D) Aspekt hinweisen. Das Gesetz zeigt nämlich nicht nur exemplarisch, wie gut unsere parlamentarische Demokra- tie funktionieren kann, sondern auch, dass die Digitali- Konstantin Kuhle (FDP): Dass die abschließende sierung – ich sage, endlich und vielleicht etwas zu spät – Lesung für eine Reform des Bundespersonalvertretungs- Einzug in die Gesetze des Bundes erhält. Das ist die gesetzes zu so später Stunde im Plenum stattfindet, zeigt, zweite gute Botschaft, die von diesem Gesetz ausgeht. mit welchen weitreichenden und wichtigen Themen sich der Deutsche Bundestag in diesen Tagen befassen muss. Die Coronapandemie wirkt wie ein Digitalisierungsbe- Wie im ganzen letzten Jahr, so verlangte auch in dieser schleuniger. Als Große Koalition setzen wir den Rahmen Sitzungswoche die weltweite Coronakrise unsere Auf- für die Digitalisierung. Dafür drehen wir die großen merksamkeit. Die Neufassung des Personalvertretungs- Räder – Onlinezugangsgesetz, Registermodernisierung, rechts muss da leider hinten anstehen. Dabei ist eine Digitalisierungsstrategie des Bundes – und die kleinen solche Reform dringend nötig, um den Personalvertretun- Rädchen, wie bei diesem Gesetz. gen in den Bundesbehörden ein aktuelles, rechtssicheres Video- oder Telefonkonferenzen gehören neuerdings und gut lesbares Regelwerk an die Hand zu geben. zu unserem Alltag dazu. Das wird sich auch in Zukunft nicht ändern. Daher entfristen wir mit dem Gesetz die Seit der letzten umfassenden Überarbeitung des Geset- Möglichkeit von Personalratssitzungen als Video- oder zes sind über 40 Jahre ins Land gegangen. Damals waren Telefonkonferenz. Gleichzeitig stellen wir sicher, dass Fotokopierer Hightech. Heute befinden wir uns in einer diese Möglichkeit optional bleibt; Sitzungen des Perso- gänzlich anderen technischen Revolution, nämlich der nalrats finden in der Regel als Präsenssitzung vor Ort Digitalisierung. Es ist deshalb dringend an der Zeit, statt. Daran wird sich mit der optionalen Möglichkeit auch die Personalräte im Land auf moderne Arbeitsab- nichts ändern. läufe auszurichten. Den Ansatz hierzu liefert das neue Gesetz. Die Rechtsgrundlage für digitale Personalrats- Die Digitalisierung verändert unsere Lebens- und Ar- sitzungen, die wir erst zu Beginn der Coronapandemie beitswelt. Diese Wirklichkeit wird auch in diesem Gesetz eingeführt haben, wird damit entfristet. Regelungen für abgebildet. Ortsungebundene und flexible Arbeitszeit- den Umgang mit personenbezogenen Daten durch den modelle erfordern neue Kommunikationswege zwischen Personalrat werden getroffen, und das Gesetz ermöglicht den Gewerkschaften und den Beschäftigten. endlich rechtssichere elektronische Kommunikation zwi- Vom elektronischen Zugangsrecht gehen wichtige schen Dienststelle und Personalvertretung im Beteili- Änderungen aus. Die Gewerkschaften erhalten das Recht, gungsverfahren. Deshalb wird die Fraktion der Freien im Intranet der Dienststelle als dem zentralen Informa- Demokraten dem Entwurf heute auch zustimmen. 28586 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

(A) Im Bundesinnenministerium wie auch in den Koali- Trifft der vorliegende Entwurf als Gesetz in Kraft, so (C) tionsfraktionen scheint man aber von der Digitalisierung wird es mehr Mitbestimmung bei und für Personalver- nicht vollständig überzeugt zu sein. Schon der Gesetzent- tretungen geben, auch für Auszubildende. Die Regeln wurf aus dem BMI zeigte eine gehörige Skepsis bei digi- für Beschäftigte der Bundespolizei indes bleiben weiter talen Personalratssitzungen, die ursprünglich nur befristet unterirdisch. Dafür hat Die Linke kein Verständnis. möglich sein sollten. Es ist erfreulich, dass mit einem Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen dieser Passus Zunehmend prägend für die Mitbestimmung ist und gestrichen wurde. wird die Digitalisierung, zum Beispiel der Zugriff von Personalvertretungen auf Videokonferenzen. Die nun- Aber auch der Änderungsantrag von Union und SPD mehr vorgeschlagenen Regeln bleiben hinter dem Mög- atmet in Teilen den staubigen Aktengeruch der 70er-Jah- lichen zurück. Überhaupt gebührt Personalvertretungen re. Sie wollen es noch leichter machen, digitale Sitzungen beim Mega-Thema Digitalisierung mehr Mitsprache. zukünftig zu verhindern, und pochen darauf, dass Prä- senzsitzungen weiterhin die Regel sein müssen. Man be- Die Linke findet: Beschäftigte in Behörden gebühren kommt daher den Eindruck, Sie wollen digitales Arbeiten gleiche Rechte wie Beschäftigte in Betrieben. Der vor- durch Ihren Änderungsantrag zusätzlich erschweren. Das liegende Gesetzentwurf fällt auch unter dieser Prämisse darf nicht die Richtung sein, die wir den Personalräten in hinter demokratische Ansprüche und Möglichkeiten zu- die nächsten Jahrzehnte mitgeben. Vielmehr müssen wir rück. ein Gesetz schreiben, das die Veränderung der Arbeits- welt, die die Coronapandemie ausgelöst hat, bereits anti- Deshalb wird Die Linke sich bei der Abstimmung ent- zipiert und dadurch auch im Jahr 2030 noch als zeitge- halten. mäßes Regelwerk betrachtet wird. Es ist schade, dass heute nicht mehr drin ist. Dr. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vor Schließlich möchte ich noch darauf hinweisen, dass 47 Jahren wurde das Bundespersonalvertretungsgesetz der Gesetzentwurf auch eine Einbeziehung freier Mitar- zum letzten Mal umfassend reformiert. Damals war das beiterinnen und Mitarbeiter der Deutschen Welle – soweit alles noch unter dem relativ frischen Eindruck von „mehr diese nicht maßgeblich an der Programmgestaltung betei- Demokratie wagen“. Heute sollten wir noch einen Schritt ligt sind – in die Personalvertretung vorsieht. Was genau weiter sein und sagen: Mehr Demokratie umsetzen. – in diesem Zusammenhang ein „maßgeblicher“ Einfluss Genau das ist jedoch leider nicht der konsequente Leit- auf die Programmgestaltung sein soll, ist nicht genau gedanke dieses Gesetzentwurfes. Und das ist im Jahr genug geklärt. Es steht deshalb zu befürchten, dass sich 2021 sehr bedauerlich. mit diesem Wortlaut zeitnah Gerichte werden auseinan- Selbstverständlich erkennen wir an, dass wichtige (B) dersetzen müssen. (D) Modernisierungsimpulse aufgenommen wurden. Zwei- Wir begrüßen, dass freie Mitarbeiterinnen und Mitar- fellos gibt es eine übersichtlichere Systematik, und es beiter durch die Beteiligung an der Personalvertretung sind wichtige sprachliche Klärungen vorgenommen wor- zukünftig ein höheres Maß an sozialer Absicherung den. Die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre war erfahren. Gleichzeitig darf ein solcher Schritt aber die längst überfällig. Aber ein Modernisierungsschub bedeu- Rundfunkfreiheit und die Freiheit der Programmgestal- tet per se noch lange keinen echten Demokratisierungs- tung nicht beeinflussen. Im Rahmen der Anhörung im schub. Innenausschuss des Deutschen Bundestages kam an die- ser Stelle der Eindruck auf, die Befürworter dieser Rege- So haben Sie versäumt, die Mitbestimmungsrechte von lung wollten eher die freie Mitarbeit an sich in Frage Personalräten denen von Betriebsräten anzugleichen. stellen. Das jedoch wäre ein Schritt in die falsche Rich- Generell hat man zwar bei der Mitbestimmung hier und tung und würde die Flexibilität bei den Programmen des da ein wenig ergänzt und geklärt. In der Substanz ist öffentlich-rechtlichen Rundfunks erheblich beschneiden. jedoch viel zu wenig passiert, und so klafft weiterhin eine viel zu große Lücke zwischen Bundespersonalvert- Der deutsche öffentliche Dienst hat noch immer einen retungsgesetz und Betriebsverfassungsgesetz. guten Ruf. Er gilt als effizient, sorgfältig und verlässlich. Dies liegt nicht zuletzt an gut ausgebildeten und motivier- Auch bei den sogenannten „arbeitnehmerähnlichen ten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Sorgen wir dafür, Freien“ im öffentlich-rechtlichen Rundfunk hat man bes- dass sich dies auch in einem zeitgemäßen Personalvertre- tenfalls halbherzig reformiert. Ja, es ist ein Fortschritt, tungsrecht niederschlägt! dass sie endlich in den Beschäftigtenbegriff mit einbezo- gen werden. Es ist höchste Zeit, dass sie den Personalrat Petra Pau (DIE LINKE): Zur Abstimmung liegt uns wählen, selbst gewählt werden dürfen und von ihm ver- der Entwurf zur Novellierung des Bundespersonalvertre- treten werden. tungsgesetzes vor. Was hölzern klingt, meint die Frage: Aber ist es die Angst vor der eigenen Courage, die Sie Wie viel Mitbestimmung steht Beschäftigten, zum Bei- dann zurückschrecken lässt, wirklich allen arbeitnehme- spiel in Behörden, zu? Es geht also um Demokratie. rähnlichen Freien beim Rundfunk die Möglichkeit zu Alle demokratischen Parteien im Bundestag waren geben, in den Personalrat zu gehen? Was soll denn der sich einig: Es gibt Handlungsbedarf, eine Überarbeitung Ausschluss der „maßgeblich Programmgestaltenden“ bislang geltender Regeln ist überfällig. Im Detail gehen laut § 116 Absatz 4 Satz 3 Nr. 2 Bundespersonalvertre- die Auffassungen allerdings zum Teil erheblich auseinan- tungsgesetz? Auch hier begegnen Sie wichtigen Mitbe- der. stimmungs- und Demokratiedefiziten nicht konsequent. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28587

(A) Es ist ja begrüßenswert, dass Sie im Vorlauf des rischen Aufarbeitung der Geschehnisse gewidmet war (C) Gesetzgebungsverfahrens Gewerkschaften und Verbände und das Ziel verfolgte, zur Versöhnung zwischen Türken schon sehr frühzeitig einbezogen haben. Noch schöner und Armeniern beizutragen. wäre natürlich, wenn Sie mehr von dem, was Ihnen da Damit wurde deutlich gemacht, dass es nicht in erster geraten wurde, umgesetzt hätten. Am Ende haben Sie nur Linie um eine Verurteilung des Osmanischen Reiches einen kleinen Änderungsantrag nach der Sachver- ging, sondern Türken und Armenier dabei zu unterstüt- ständigenanhörung vorgenommen, der die Vorgaben für zen – über die Gräben der Vergangenheit hinweg –, nach Online-Sitzungen statt Präsenzsitzungen noch einmal Wegen der Versöhnung und Verständigung zu suchen. schärft. Wir begrüßen das und stimmen den Vorschlägen Dieser Versöhnungsprozess ist in den vergangenen Jah- weitgehend zu, auch wenn sie uns nicht weitgehend ren leider ins Stocken geraten und muss deswegen neu genug sind. belebt werden. Aber insgesamt bleibt die Suppe doch sehr dünn. Und Gerade wir Deutschen wissen um die Bedeutung von wir werden in der nächsten Legislaturperiode noch ein- Aufarbeitung als Voraussetzung für Verständigung und mal grundsätzlich an das Bundespersonalvertretungsge- Zusammenarbeit. Die türkische Regierung hat die Reso- setz ranmüssen, um eine Reform auf den Weg zu bringen, lution des Deutschen Bundestages entschieden zurückge- die ein wirkliches Plus für Beteiligung und Demokratie wiesen und einen Völkermord an den Armeniern auf das bringt. Heftigste bestritten. Unbestreitbar bleibt dabei allerdings die Tatsache, unabhängig von ihrer Qualifizierung, der brutalen Ermordung von Armeniern und auch Angehöri- Anlage 9 ger anderer christlicher Religionsgruppen. In der Resolution hat der Deutsche Bundestag die Zu Protokoll gegebene Reden Bundesregierung aufgefordert, die türkische Seite zu ermutigen, sich mit den damaligen Vertreibungen und zur Beratung Massakern offen auseinanderzusetzen, um damit den not- wendigen Grundstein zu einer Versöhnung mit dem a) des Antrags der Abgeordneten Markus armenischen Volk zu legen. Zugleich wurde die Bundes- Frohnmaier, Marcus Bühl, Dietmar Friedhoff, regierung aufgefordert, auch innerhalb Deutschlands Ini- weiterer Abgeordneter und der Fraktion der tiativen und Projekte zu fördern, die eine Auseinander- AfD: Aggressionen und Kaviar-Diplomatie in setzung mit den Geschehnissen von 1915/1916 zum die Schranken weisen – Entwicklungszusam- Thema haben. Die Bundesregierung hat in ihren Antwor- menarbeit mit Aserbaidschan und der Türkei ten auf Anfragen aus dem Deutschen Bundestag mitge- (B) beenden (D) teilt, dass die deutschen Auslandsvertretungen in der Tür- b) der Antwort der Bundesregierung auf die Gro- kei im engen Austausch mit der Hrant-Dink-Stiftung ße Anfrage der Abgeordneten Beatrix von sind, die sich genau mit diesem Themenkomplex befasst. Storch, Jürgen Braun, Waldemar Herdt, Aus der Antwort der Bundesregierung wird deutlich, dass Dr. Anton Friesen und der Fraktion der AfD: es sich hier um keine einfache Aufgabe handelt. Entgegen Umsetzung der Bundestagsresolution zum Völ- mancher kritischen Einlassungen wird aber auch deut- kermord an den Armeniern lich, dass die Bundesregierung dieses Thema in den poli- tischen Gesprächen mit der Türkei verfolgt. Das begrüße (Tagesordnungspunkt 22 a und b) ich, erwarte aber auch, dass noch etwas mehr getan wird. Der Deutsche Bundestag hat die Bundesregierung nicht aufgefordert, die Massaker an den Armeniern als Völker- Volker Kauder (CDU/CSU): In der Sitzung des Deut- mord zu bezeichnen. Die Bundesregierung ist aber auf- schen Bundestages vom 2. Juni 2016 wurde der Antrag gefordert, den Versöhnungsprozess zwischen Armeniern der Fraktionen CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die und der Türkei zu beleben und voranzutreiben. Grünen angenommen, mit dem die planmäßige Vertrei- bung und Vernichtung von über 1 Million ethnischer Darüber hinaus muss sich aber auch der Deutsche Bun- Armenier als Völkermord anerkannt wurde. Das Erinnern destag mit der Frage befassen, was er konkret tun kann. im Deutschen Bundestag an diese Gräueltat hat auch mit Allein mit der Verabschiedung der Resolution und der der unrühmlichen Rolle des Deutschen Reiches zu tun. Beauftragung der Regierung sollte es nicht getan sein. Der militärische Hauptverbündete des Osmanischen Rei- Es dürfte zwar sehr schwer werden, mit dem türkischen ches hatte trotz eindeutiger Informationen auch vonseiten Parlament in dieser Frage weiterzukommen. Dennoch deutscher Diplomaten und Missionare über dieses graus- sollte in den zuständigen Ausschüssen darüber einmal ame Verbrechen hinweggesehen, um die militärische Zu- nachgedacht werden. sammenarbeit mit dem Osmanischen Reich nicht zu Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass es nicht nur belasten. Wenn wir an diesen Völkermord an den Armen- darum geht, aus der Geschichte heraus für die Versöh- iern erinnern, betonen wir aber auch die Einzigartigkeit nungschancen in der Gegenwart zu lernen, sondern des Holocaust, für den Deutschland Schuld und Verant- auch, die aktuelle Situation zu den Menschenrechten in wortung trägt. In ihrem Antrag haben CDU/CSU, SPD der Türkei nicht unwidersprochen hinzunehmen. Die und Bündnis 90/Die Grünen auch an einen Beschluss aus Einhaltung von Menschenrechten, die Gewährleistung dem Jahr 2005 erinnert, der dem Gedenken an die Opfer von Religionsfreiheit, das gehört zum unabdingbaren des Völkermordes an den Armeniern wie auch der histo- Wertekanon der Europäischen Union. Die EU ist nicht 28588 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

(A) nur eine Gemeinschaft von Euro und Cent, sondern eine ßen in Eriwan zu sehen. Die OSZE ist von den Vereinten (C) Wertegemeinschaft. Der Türkei muss klar sein, dass der Nationen mit der Mediation in diesem Konflikt beauf- Weg in dieses Europa nur dann möglich ist, wenn sie tragt. Sie muss hier eine viel stärkere, wirksamere Rolle diese Werte akzeptiert. einnehmen! Ein Satz zur Türkei. Die Türkei ist Mitglied des Euro- Matern von Marschall (CDU/CSU): Eine Bemer- parates. Dieser fordert ausdrücklich die Rückkehr des kung vorab: Bestechung und Bestechlichkeit sind Straf- Landes zur sogenannten Istanbul-Konvention. Das ist taten. Bei der Aufklärung der Vorfälle rund um Aserbaid- wichtig, darauf bestehen wir als Mitglieder der Parlamen- schan vertraue ich auf unseren starken Rechtsstaat. Es tarischen Versammlung! Gleichzeitig gewährt die Türkei gibt aber auch unterhalb des strafrechtlich Relevanten über 3,6 Millionen Flüchtlingen aus Syrien Schutz. Das inakzeptables Verhalten von Abgeordneten. Um dieses ist eine unglaubliche humanitäre Leistung. Die EU und Verhalten zu sanktionieren, werden wir deshalb die ge- auch Deutschland haben die Türkei bei dieser gewaltigen setzlichen Grundlagen für Abgeordnete verschärfen und Aufgabe unterstützt, und ich bin überzeugt, dass wir diese als Unionsfraktion darüber hinaus einen strengen Verhal- Verpflichtung auch in Zukunft sehr ernst nehmen müssen. tenskodex etablieren. Ich bin sicher, andere Fraktionen werden sich daran orientieren können. Die AfD will in Ihrem Antrag dem üblichen Muster folgend multilaterale Zusammenarbeit aufgeben, Ent- Darum geht es aber in Ihrem Antrag nicht. Ihr Antrag wicklungszusammenarbeit aufgeben, humanitäre Hilfe ist wie üblich durchsichtig und nichts anderes als ein aufgeben. Lange dachte ich, diese Haltung nähre sich Ablenkungsmanöver. Schon deshalb lehnen wir ihn ab. aus dem ebenso egoistischen wie kurzsichtigen Motiv Sie geben wieder einmal heuchlerisch vor, Hüterin der eines „Deutschland zuerst“ in Trump’scher Manier, aber Menschenrechte zu sein und verlangen angeblich aus da habe ich mich getäuscht. Für nicht wenige unter Ihnen diesem Grunde die Beendigung unserer Zusammenarbeit gilt in Wahrheit das Motto: Zuerst Russland! Das ist das mit der Türkei und mit Aserbaidschan. wirklich Besorgniserregende. Sie sind keine Alternative, In Wahrheit verdecken Sie dabei, dass Ihre Partei be- sondern ein Sicherheitsrisiko für unser Land. sonders eng mit denen zusammenarbeitet, die täglich Menschenrechte und Völkerrecht mit Füßen treten: den Dietmar Nietan (SPD): Die damaligen Debatten und Vertretern des Kreml. Die „Welt“, keine besonders linke der anschließende Beschluss des Bundestages von 2016, Zeitung, hat am 24. Oktober 2020 eine Recherche mit welcher den Genozid an den Armeniern und anderen dem Titel „Mehr als 100 AfD-Reisen zum Gefallen Russ- christlichen Minderheiten im Osmanischen Reich endlich lands“ veröffentlicht. Dabei ist die dubiose Finanzierung beim Namen nannte, war für mich eine Sternstunde un- (B) vieler dieser Reisen ein weiter ungeklärtes Thema. seres Parlaments. Als jemand, der sich damals sehr für (D) Nicht nur Russland, auch Aserbaidschan ist ein Land, eine deutliche Formulierung eingesetzt hat, hätte ich es in dem die Lage der Menschenrechte sehr schlecht ist. natürlich begrüßt, wenn es dagegen weniger Widerstände Gleiches trifft auf die Türkei zu. Deshalb geben wir gegeben hätte. Ich weiß aber auch sehr wohl, dass Parla- aber die Beziehung zu diesen Ländern nicht auf. Alle mentarier anders agieren können als die Bundesregie- drei Länder sind Mitglieder des Europarates. Das ist rung. Deshalb hatte ich damals auch für die zurückhal- genau der richtige Ort, um Menschenrechtsverletzungen tende Position der Bundesregierung in dieser Frage anzuprangern, anzuklagen und die Umsetzung der Urteile durchaus Verständnis. des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ein- Nun sorgt sich die Fraktion der AfD offenbar auch zufordern! darum, ob denn die Türkei unsere Resolution umgesetzt Zur bilateralen Zusammenarbeit mit Aserbaidschan. und die Bundesregierung auch genug getan hat, um einen Deutschland wird die Entwicklungszusammenarbeit mit entsprechenden Druck auf die Türkei aufzubauen. Die Aserbaidschan beenden. Aserbaidschan ist aber Teil der Motivation der AfD und die daraus erwachsene Stoßrich- sogenannten Östlichen Partnerschaft der EU. Hier sehe tung der Kleinen Anfrage sind allzu offensichtlich: Die ich einen wichtigen Hebel zur Verbesserung der Rechts- Bundesregierung mache zu wenig Druck gegenüber der staatlichkeit. Ich fordere die EU-Kommission auf, die Türkei und allen, die den Völkermord am armenischen Nachbarschaftspolitik auch gegenüber Aserbaidschan Volk und anderen christlichen Minderheiten im Osmani- noch deutlich stärker als bisher an der überprüfbaren Ver- schen Reich bis heute relativieren oder gar leugnen. Und besserung von Menschenrechtsstandards auszurichten. wie schon bei der Debatte zu den NS-Verbrechen am Der Europarat hat Aserbaidschan im Blick. Der Schutz griechischen Volk vor Kurzem hier an dieser Stelle bietet von Zivilgesellschaft und NGOs, Rechtsstaatlichkeit und uns die AfD ihr übliches, so zynisches wie berechenba- die Umsetzung der Urteile des Europäischen Gerichts- res, von rechter Ideologie getriebenes Spiel: Die Opfer hofs für Menschenrechte werden kritisch beobachtet. eines Menschheitsverbrechens werden zur Kulisse für die Wir schauen jetzt umso genauer hin. übliche AfD-Propaganda gegen Muslime im Allgemei- nen und die Türkei im Speziellen. Die EU und die OSZE sollten auch mehr Ehrgeiz bei der Vermittlung im Konflikt zwischen Armenien und Die Stoßrichtung des Bundestagsbeschlusses von 2016 Aserbaidschan entwickeln. Der Krieg in Bergkarabach war keinesfalls, die Türkei auf die Anklagebank zu set- letzten November war schrecklich und hat Tausende zen, sondern diese aufzurufen, sich ihrer Geschichte zu von Toten gefordert. Zigtausende Armenier in den von stellen, damit die Versöhnung mit Armeniern und ande- Aserbaidschan eroberten Gebieten mussten ihre Heimat ren christlichen Minderheiten aus dem damaligen Osma- verlassen und sind bis heute als Flüchtlinge auf den Stra- nischen Reich möglich wird. Und anstatt nur mit den Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28589

(A) Fingern auf andere zu zeigen, hat der Deutsche Bundes- Die dritte Forderung, auf die ich in meiner Rede ein- (C) tag damals vor allem die deutsche Beteiligung und Mit- gehen möchte, ist die Forderung, „die politische Aufklä- verantwortung am Völkermord von 1916/1917 deutlich rung der Korruptionsvorwürfe gegen deutsche Bundes- ausgesprochen. tagsabgeordnete zu gewährleisten und Lobbytätigkeiten aserbaidschanischer Akteure offenzulegen“. Ich will hier ganz sicher nicht die offizielle Haltung der Türkei zu diesem dunklen Kapitel ihrer eigenen Ge- Es stimmt schon: Irgendwie hat die Union Glück. Die schichte verteidigen. Es ist schmerzlich zu sehen, dass Korruption von Abgeordneten der Union wurde durch die türkische Regierung und auch weite Teile der türki- den tagelangen Kandidatenstreit der beiden Parteivorsit- schen Gesellschaft die entsetzlichen Ereignisse von zenden überlagert. Und klar: Demokratische Parteien ha- damals immer noch totschweigen, verharmlosen oder ben das Recht, auf Aufklärung zu dringen – aber nicht die gar leugnen. Die historische Wahrheit eines entsetzlichen scheinheilige AfD. Völkermordes darf niemals vergessen oder verschwiegen Haben Sie eigentlich geklärt, wer die Reisen von Ab- werden. Die Wahrheit gehört ins Licht und nicht ins Dun- geordneten aus der AfD-Fraktion auf die Krim finanziert kel. Das sind wir den Opfern schuldig. hat und was diese dort unternommen haben? Und was ist Doch darum geht es der AfD, einer Partei, die sich mit den liebedienerischen und servilen Stellungnahmen immer wieder als treibende Kraft hervortut, wenn es um von AfD-Abgeordneten gegenüber Russia Today? Vor die Relativierung und Umdeutung der unermesslichen diesem Hintergrund hat die AfD keinerlei Recht, das deutschen Verbrechen während unserer NS-Vergangen- Fehlverhalten von Abgeordneten aus einer demokrati- heit geht, natürlich nicht. So wundert es mich auch nicht, schen Fraktion anzusprechen. dass Sie von der AfD schamlos den Völkermord an den Armeniern und anderen christlichen Minderheiten im damaligen Osmanischen Reich als Vorwand für Ihre Anlage 10 üble Demagogie gegen Muslime und Ausländer nutzen. Zu Protokoll gegebene Reden Ich zitiere hier nur die letzte Ihrer 27 Fragen: „Sollte die Leugnung des Völkermordes an den Armeniern nach zur Beratung des von der Bundesregierung einge- Auffassung der Bundesregierung für Ausländer auch auf- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung enthaltsrechtliche Konsequenzen haben?“ – Schämen Sie von Vorschriften im Eisenbahnbereich sich denn gar nicht? Sie stellen solche demagogischen (Tagesordnungspunkt 23) Fragen und feiern gleichzeitig in Ihren Reihen diejenigen, die vom „Fliegenschiss“ schwadronieren und das Denk- (B) mal für die von den Deutschen ermordeten Juden Europas Karl Holmeier (CDU/CSU): Mit diesem Gesetz än- (D) als „Denkmal der Schande“ bezeichnen. dern wir Vorschriften im Eisenbahnbereich. Es werden dabei Verweisungen angepasst, Regelungen konkretisiert Auch in diesem Jahr gedenken am 24. April überall auf und redaktionelle Bereinigungen vorgenommen. Diese der ganzen Welt die Armenier und die anderen christ- Rechtsänderungen dienen überwiegend der Rechtsberei- lichen Minderheiten im damaligen Osmanischen Reich nigung in eisenbahnrechtlichen Gesetzen. Es wird außer- des Völkermords an ihren Vorfahren. Halten wir mit dem eine Grundlage für die Vegetationskontrolle an ihnen inne, und gedenken wir der Opfer! Und tun wir Betriebsanlagen der Eisenbahnen geschaffen. alles, damit Hass und Gewalt zwischen Menschen sich Die heutigen Änderungen betreffen das Allgemeine nicht wieder und wieder Bahn brechen! Deshalb müssen Eisenbahngesetz, AEG, Bundesnichtraucherschutzge- wir überall den Predigern von Verachtung und Hass un- setz, das Schienenlärmschutzgesetz sowie das Bundes- seren entschiedenen Widerstand entgegensetzen – mitt- waldgesetz. lerweile auch in diesem Hohen Haus. Die vermehrten Extremwetterlagen in den vergange- nen Jahren haben gezeigt, dass in Zukunft häufiger Vege- Dr. Barbara Hendricks (SPD): Ich möchte in meiner tationskontrollen an Schienenwegen notwendig sind. In Rede auf drei Forderungen besonders eingehen, die von der Vergangenheit waren hierzu Defizite feststellbar, weil der AfD in ihrem Antrag formuliert werden. sich durch Extremwetterlagen Baumstürze gehäuft ha- Erstens. Die AfD fordert in ihrem Antrag, „die bilate- ben, die oft zur Einstellung des Eisenbahnverkehrs ge- rale Entwicklungszusammenarbeit mit der Türkei zu be- führt haben. Dies behindert den Eisenbahnverkehr und enden“. Diese haben wir bereits 2008 mit einer letzten stellt zugleich auch eine Gefahr dar. Durch dieses Gesetz Zusage abgeschlossen. soll der Schutz von Eisenbahninfrastrukturanlagen ver- Des Weiteren fordert die AfD die Bundesregierung bessert werden, und das erreichen wir damit. auf, „auf eine Beendigung der multilateralen Entwick- Mit den neuen Regelungen sollen insbesondere Stö- lungszusammenarbeit zwischen den multilateralen und rungen, die von Privatgrundstücken ausgehen, vermin- internationalen Organisationen, insbesondere der Euro- dert werden. Mit der Änderung des § 23 AEG wird zudem päischen Union, der Vereinten Nationen, der Weltbank den Trägern der Straßenbaulast einer öffentlichen Straße und den regionalen Entwicklungsbanken, mit der Repu- ein Antragsrecht auf Freistellung von Bahnbetriebszwe- blik Türkei hinzuwirken“. Wir können daraus ableiten: cken eingeräumt. Der Vorrang der eisenbahnrechtlichen Alle internationalen Institutionen gehen fehl, aber die Fachplanung soll dort zurücktreten, wo er entbehrlich ist AfD hat recht! Das ist die übliche Mischung aus und konkurrierende Straßenplanungen verhindert wer- Unkenntnis und Hybris, die wir von der AfD kennen. den. 28590 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

(A) Mit dieser Änderung von Vorschriften im Eisenbahn- Die Instandhaltung des Netzzugangs erfolgt komplett (C) bereich erleichtern wir die Möglichkeit, an die Eisen- über die Eisenbahninfrastrukturunternehmen. Dadurch bahninfrastruktur des Bundes anzuschließen. Damit un- schaffen wir einen Wettbewerbsnachteil der Schiene ge- terstützen und fördern wir den Gleisanschluss von genüber der Straße ab! Denn oftmals hapert es nicht (nur) privaten Eisenbahninfrastrukturunternehmen an die am Willen zur Verlagerung des Güterverkehrs auf die Eisenbahninfrastruktur eines anderen Betreibers. Ein Schiene, sondern bereits an der bloßen Möglichkeit, die guter Schritt, um wieder mehr Güter auf die Schiene zu Güter auf die Schiene zu bringen. bringen! Hier müssen wir mehr leisten. Denn wir brauchen mehr Zugänge zur Schiene und mehr Kapazitäten, um Die vielfältigen Stilllegungen von Gleisanschlüssen in Güter mit der Bahn zu transportieren. Nur so lassen den letzten Jahrzehnten gehören damit hoffentlich der sich unsere Ziele für den Marktanteil des Schienengüter- Vergangenheit an und es werden vielleicht wieder Gleis- verkehrs für 2025 erreichen. anschlüsse aktiviert. Mit diesem Gesetz setzen wir ein klares Zeichen unserer Politik zur Verlagerung von Gleiche Zielrichtung hat die zweite Änderung, die wir mehr Gütern auf die Schiene. vorgenommen haben: Hier öffnen wir das eingangs erwähnte Schienengüterfernverkehrsnetzförderungsge- Wir regeln eine klare Kostenteilung zwischen setz auch für nichtbundeseigene Eisenbahnunternehmen, anschlussgewährenden und anschlussnehmenden Eisen- Hafenbahnen und Umschlagsstellen des Kombinierten bahnunternehmen. Wir unterscheiden zwischen einmali- Verkehrs. Damit schaffen wir eine Möglichkeit, dass die- gen Kosten des Baus und der Erneuerung sowie den lau- se wichtigen Unternehmen Unterstützung beim Erhalt fenden Kosten des Betriebs einer Anschlusseinrichtung – und beim Ausbau ihrer Infrastruktur erhalten. Anschlussweiche. Warum ist das so wichtig? Weil genau diese sogenann- Das Gesetz, das wir heute beschließen, wird sicherlich ten NE-Bahnen immens wichtige Arbeit für den Güter- positive Auswirkungen auf den Ausbau und die Ver- verkehr leisten und bedeutende Kapazitäten bereithalten – kehrsverlagerung auf die Schiene haben. Wir verbessern gerade in der Fläche. Gleichzeitig sind sie an den Über- die Sicherheit des Schienenverkehrs durch Verminderung gängen in den Schienenverkehr, beispielsweise an Häfen von Gefahren durch umsturzgefährdete Bäume oder oder Terminals, für den Kombinierten Verkehr tätig. herabstürzende Äste. Der Parlamentarische Beirat für Und genau dort brauchen wir eben auch eine leistungs- nachhaltige Entwicklung des Deutschen Bundestages fähige – eine fitte – Infrastruktur, um den Schienengüter- begrüßt den Gesetzentwurf, weil dadurch die Mobilität verkehr schnell, sicher und verlässlich abfertigen zu kön- verbessert und gefördert wird. nen. Denn das ist die Voraussetzung, um mehr Güter auf (B) die Schiene zu bringen und die ökologischen und ökono- (D) Vielen Dank allen, die mitgeholfen haben, dieses Ge- mischen Vorteile des Schienengüterverkehrs zu heben. setz auf den Weg zu bringen. Das vorliegende Gesetz trägt mit dazu bei, dass diese Voraussetzungen geschaffen werden können. Zum Abschluss aber noch ein kurzer Exkurs zur Detlef Müller (Chemnitz) (SPD): Nachdem wir in der aktuellen Lage des Schienenverkehrs im Allgemeinen letzten Woche das Eisenbahnkreuzungsgesetz behandelt und des Güterverkehrs im Besonderen: Die Auswirkun- haben, folgt in dieser Woche die Beschlussfassung zum gen der Coronapandemie auf den Schienenverkehr sind Gesetz zur Änderung von Vorschriften im Eisenbahnbe- enorm. Nicht nur die DB AG, sondern auch die Wett- reich. Kurz gesagt: zum Eisenbahnrechtsbereinigungsge- bewerbsbahnen leiden und haben massive wirtschaftliche setz. Damit ändern wir unter anderem das Allgemeine Einschnitte in den letzten zwölf Monaten hinnehmen Eisenbahngesetz (AEG) und das Schienengüterfernver- müssen. Deswegen freut es mich sehr, dass die Bundes- kehrsnetzförderungsgesetz – kurz SGFFG. Man merkt: regierung bei den Verhandlungen mit der EU nun endlich Bei der Namensfindung kann sich das Verkehrsministe- einen Weg gefunden hat, die Branche zu unterstützen. rium noch Nachhilfe bei Franziska Giffey geben lassen. Die am Dienstag bekannt gegebene Trassenpreissenkung Aber es kommt ja auch auf den Inhalt an, und der kann unter anderem im Güterverkehr bis 2022 ist richtig. Rich- sich sehen lassen! Mit dem vorliegenden Gesetz stärken tig ist vor allem auch, dass sie rückwirkend zum März wir den Schienengüterverkehr an zwei sehr wichtigen 2020 erfolgt und damit die betroffenen Unternehmen ent- Stellen: Zum einen regeln wir die Finanzierung von lastet. Und insbesondere freue ich mich, dass damit nun Gleisanschlüssen neu und entlasten dabei Gleisan- auch die Wettbewerbsbahnen die lange geforderte Unter- schlussnehmer. Zum anderen beziehen wir private Eisen- stützung erhalten. bahninfrastrukturbetreiber in die Förderkulisse des Bun- des zur Unterstützung des Schienengüterverkehrs ein. Sabine Leidig (DIE LINKE): Das Gesetz dient der Rechtsbereinigung und schafft in erster Linie eine recht- Aber zunächst zur Förderung von Gleisanschlüssen. liche Grundlage für die Vegetationskontrolle an Bahn- Hiermit schaffen wir Anreize für Unternehmen, ihre Pro- strecken. Hier ist aus unserer Sicht die punktuelle Ein- duktionsstandorte an das übergeordnete Schienennetz schränkung von Eigentumsrechten angemessen, um die anzuschließen und Güter auf die Schiene zu verlagern. durchgehende Verfügbarkeit der Eisenbahnstrecken auch Bisher mussten die Unternehmen die Kosten dafür selbst bei Extremwetter zu ermöglichen. Auch aus unserer Sicht tragen, nun werden die Kosten mit den Eisenbahninfra- muss es möglich sein, dass Bäume auch auf Privatgrund- strukturunternehmen geteilt. stücken zurückgeschnitten werden, um dem übergeord- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28591

(A) neten Interesse eines stabilen Bahnverkehrs zu dienen – Anlage 11 (C) mit dem entsprechenden Augenmaß. Für die Grund- stücksbesitzer hat diese Regelung wiederum den Vorteil, Zu Protokoll gegebene Reden dass die DB Netz AG dann auch die Verantwortung trägt zur Beratung des Antrags der Abgeordneten und man sie nicht gegebenenfalls wegen auf Gleis gefal- Konstantin Kuhle, Manuel Höferlin, Thomas lener Bäume und für Zugausfälle haftbar machen kann. Hacker, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Schutz der Bundestagswahl 2021 vor Des- information und Cyberangriffen Ein zweiter Punkt betrifft die Gleisanschlussförderung. Wir sind grundsätzlich sehr für den Bau neuer und die (Tagesordnungspunkt 24) Reaktivierung früherer Gleisanschlüsse, da dies aus un- serer Sicht ein entscheidendes Element für eine stärkere Thorsten Frei (CDU/CSU): Wahlen sind der Eckpfei- Verlagerung von Transporten auf die Schiene ist. Wir ler einer Demokratie. Die Verhinderung ihrer Beeinflus- halten es für einen großen Fehler, dass in den letzten sung durch in- und ausländische Akteure ist eine zentrale 25 Jahren ein Großteil der bestehenden Gleisanschlüsse Aufgabe unserer Sicherheitsbehörden. Wir begreifen und stillgelegt wurde und dass der Bund die DB AG lange behandeln sie als Teil unserer nationalen Sicherheit. Zeit einfach hat gewähren lassen, ohne dies einzuschrän- ken. Nun ist es sehr teuer, diese Gleisanschlüsse zumin- Mit der umfassenden Digitalisierung aller Lebensbe- dest zum Teil wiederherzustellen oder neu zu bauen; aber reiche hat im vergangenen Jahrzehnt naturgemäß auch es ist zu begrüßen, dass dies mit der vom Bundesrat vor- die Verwundbarkeit von Wahlen enorm zugenommen. geschlagenen Regelung für die Kostenteilung zumindest Mit der direkten Manipulation der Stimmabgabe bereitet wahrscheinlicher wird. mir eine der wirkmächtigsten Einflussnahmen auf Wah- len noch die geringsten Sorgen, da Deutschland seit der Wahlgeräte-Entscheidung des Bundesverfassungsge- In Ergänzung dazu sollten jedoch noch weitergehende richts vom 3. März 2009 keine Wahlautomaten mehr ein- Regelungen getroffen werden, um eine noch stärkere Ver- setzt. lagerung des Güterverkehrs auf die Bahn zu ermöglichen. Doch darüber hinaus sind die Möglichkeiten zur Logistikzentren sollten ab einer bestimmten Größe einen Beeinflussung von Wahlen zahlreich und gefährlich: Sie verpflichtenden Gleisanschluss erhalten, was dann auch reichen von der Diskreditierung einzelner Personen oder indirekt einen Einfluss auf die Standortauswahl hätte. Parteien durch Verbreitung von aus Cyberangriffen Leider wurden in den letzten Jahrzehnten viele Logistik- beschaffte kompromittierende Informationen, die Mani- (B) zentren an Autobahnauffahrten gebaut, die nur schwer an pulation von Dokumenten und Bildmaterial, die Abschal- (D) die Bahn anzuschließen sind. Dies sollte zukünftig ver- tung oder direkte Übernahme von Webseiten und Konten hindert werden. in sozialen Medien bis zum Einsatz ganzer Armeen von Internetseiten, Trollen, Fakeaccounts und Bots, die das Netz mit Falschinformationen oder Provokationen fluten Den dritten Punkt sehen wir sehr skeptisch, und wir oder in sozialen Netzwerken menschliche Kommunika- werden uns deshalb bei der Abstimmung enthalten. Sie tion simulieren. schaffen die Möglichkeit, dass die Träger der Straßen- baulast ein Verfahren zum Rückbau von Bahnanlagen Die betroffenen Ressorts und unsere Sicherheitsbehör- anstoßen können. Das lehnen wir ab. Oft sind die Kom- den beschäftigen sich fortlaufend und seit Jahren intensiv munen leider eher gegen eine alte Bahnstrecke; sie bauen mit dem Thema „Desinformation“ als Mittel der ausländ- lieber eine Straße, gerne auch mal direkt auf einer alten ischen Einflussnahme, insbesondere auch im Vorfeld von Bahntrasse. Unser Alternative wäre, dass man eine Straße Wahlen. Wesentliche Teile der Forderungen der FDP sind vorerst ohne Bahnübergang bauen kann, wenn die Stre- deshalb eher die Beschreibung der alltäglichen Arbeit der cke stillgelegt ist. Die Kommune müsste sich dann aber Sicherheitsbehörden als ein politischer Forderungskata- verpflichten, diesen nachzurüsten, wenn die Strecke wie- log. der befahren wird; denn wir können das Anliegen der Mit Blick auf die anstehenden Bundestagswahlen wur- Kommunen schon verstehen, keine Bahnübergänge über de die bereits bestehende Arbeitsstruktur zu hybriden faktisch nicht genutzte Strecken für viel Geld bauen zu Bedrohungen eigens um eine entsprechende Schwer- müssen. punktbearbeitung „Bundestagswahl“ erweitert. Zur Gewährleistung der IT-Sicherheit der Bundestagswahl besteht zwischen dem Bundeswahlleiter, den Landes- Grundsätzlich aber gilt, dass wir uns mit dem Rückbau wahlleitern und dem BSI eine enge Kooperation. Bereits von Bahnanlagen eigentlich gar nicht mehr beschäftigen zur Bundestagswahl 2017 und der Wahl zum Europä- wollen und sollten. Wie kann man ernsthaft in dieser Zeit ischen Parlament hatte eine Arbeitsgruppe mit diesen noch über den Rückbau von Bahnanlagen sprechen? Wir Akteuren einen Maßnahmenkatalog erarbeitet, der nun brauchen erheblich mehr Schienenwege und können es noch einmal überarbeitet wurde. Darüber hinaus berät uns schlicht nicht leisten, auf das, was da ist, zu verzich- das BSI die Parteien, ihre Kandidaten und die politischen ten. Deswegen haben wir erst vor zwei Jahren in einem Stiftungen zu Fragen der IT-Sicherheit intensiv und fort- Antrag ein Moratorium für die Stilllegung von Bahnstre- laufend. Wie bereits vor der Bundestagswahl 2017 und cken gefordert. Worum es doch geht, ist, endlich ein der Europawahl 2019 stimmen sich die Ressorts und richtiges Reaktivierungsprogramm aufzulegen. Nachrichtendienste eng in der Lageanalyse ab. Seit 28592 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

(A) Ende des letzten Jahres gibt es eine Arbeitsgruppe zur Kurzum: Die Linke hält das gesetzte Thema für wich- (C) Bundestagswahl im Bonner Cyber-Abwehrzentrum, in tig zur Stärkung der Demokratie und von Bürgerrechten. dem mehrere Behörden kooperieren. Dort wird unter Wir werden aber sofort warnend den Finger heben, sollte anderem an technischen Lösungen für ein Livemonito- es zu anderweitig Begehr missbraucht werden. ring der sozialen Netzwerke gearbeitet, um bei Kampag- nen frühzeitig reagieren zu können. Zentraler Akteur ist in diesen Fragen das BSI, das wir in dieser Legislatur Anlage 12 massiv gestärkt haben, unter anderem durch einen mas- siven Stellenaufwuchs. Es wurde im Zeitraum 2016 bis Zu Protokoll gegebene Rede 2020 von 611 auf 1 533 Stellen aufgestockt; das ist ein Aufwuchs von 131 Prozent! Erst in dieser Woche haben zur Beratung wir mit dem IT-Sicherheitsgesetz 2.0 auch die gesetzli- ZP 6) des von der Bundesregierung eingebrachten chen Grundlagen gestärkt und dem BSI neue Handlungs- Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Ände- möglichkeiten gegeben. rung des Seefischereigesetzes Ich möchte den Schutz vor Einflussnahme auf unsere ZP 7) des von den Abgeordneten Carina Konrad, Wahlen aber nicht auf Fragen der Cybersicherheit einen- Pascal Kober, Michael Theurer, weiteren Ab- gen. Wer ihr erfolgreich entgegentreten will, muss die geordneten und der Fraktion der FDP einge- Resilienz der Gesellschaft gegen Wahlbeeinflussung ins- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur befris- gesamt stärken. Dazu gehört die Ausbildung von Medien- teten Wiedereinführung der 115-Tage- kompetenz an den Schulen. Dazu gehört eine neue Regelung – Achtes Gesetz zur Änderung des Rechtssetzung wie das von der Koalition 2017 beschlos- Vierten Buches Sozialgesetzbuch sene Netzwerkdurchsetzungsgesetz oder aktuell das Ge- ZP 8) des Antrags der Abgeordneten Susanne setz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Ferschl, Jutta Krellmann, Dr. Kirsten Hasskriminalität. Dazu gehört die Stärkung eines unab- Tackmann, weiterer Abgeordneter und der hängigen und professionellen Journalismus sowie der Fraktion DIE LINKE: Keine Ausbeutung Erhalt einer vielfältigen Medienlandschaft. Dazu gehört, von Saisonarbeitskräften dass wir Unternehmen wie Google, Facebook oder Twit- (Zusatzpunkte 6 bis 8) ter anhalten müssen, Desinformationskampagnen früh- zeitig zu detektieren und dagegen vorzugehen. All das ist von enormer Bedeutung. An allen diesen Punkten Artur Auernhammer (CDU/CSU): Als Ende 2019 arbeiten wir und diese Bundesregierung. Denn durch das Coronavirus in China ausgebrochen ist, hat noch kei- (B) mehr Cybersicherheit allein werden wir unsere Wahlen ner von uns gedacht, dass aus einer Epidemie eine Pande- (D) nicht umfassend schützen können. mie werden könnte. Wir erinnern uns an die ersten Fälle in Europa und die stark steigenden Zahlen an Coronaer- krankten. Es dauerte nicht lange, bis das Virus auf dem Petra Pau (DIE LINKE): Mit dem vorliegenden An- gesamten Kontinent verbreitet war. trag wird mehr Cybersicherheit unter anderen bei Wahlen begehrt – grundsätzlich zu Recht; denn es mehren sich die Vor über einem Jahr, am 25. März 2020, als das Coro- Fälle, bei denen versucht wird, digital Einfluss auf demo- navirus Europa bereits erreicht hatte, hat die Bundesre- kratische Entscheidungen zu nehmen, solche zu manipu- gierung zur Eindämmung des Infektionsgeschehens Ein- lieren. Das geschieht international, nicht nur in den USA. reisebeschränkungen nach Deutschland verhängt – auch Das geschieht auch hierzulande. Auch der Bundestag und für ausländische Saisonarbeitskräfte in der Landwirt- damit Sie alle sind im Visier. Deshalb stimmt die Fraktion schaft. Das hieß konkret: fehlende Arbeitskräfte für die Die Linke dem Ansinnen zu. Aussaat, fehlende Arbeitskräfte für Pflanzarbeiten und Pflege sowie fehlende Arbeitskräfte für die Ernte. Die Cyberangriffe sind vielfältig. Zumeist wird ver- sucht, Zugriff auf persönliche Anschlüsse ans Internet Ich kann mich noch sehr gut an die zahlreichen Ge- zu knacken, Daten zu hacken, Inhalte zu manipulieren. spräche mit den Bäuerinnen und Bauern erinnern. Es Das führt zu Falschmeldungen, auf gut Deutsch zu Fake herrschte Unsicherheit, wie die Felder bestellt und geern- News. tet werden sollen, es herrschte Existenznot; denn es ist überall bekannt, dass unsere Obst- und Gemüsebetriebe Aber allein schon der Zugriff auf persönliche und Kon- in der Hochsaison jede helfende Hand brauchen. In dieser taktdaten ist demokratiegefährdend. Ich erinnere an ein Zeit wurde aber auch eines deutlich: Unsere Bäuerinnen Urteil des Bundesverfassungsgerichtes anno 1983. Ganz und Bauern waren, sind und bleiben immer Teil der kriti- verkürzt sagt es: Ohne den Schutz persönlicher Daten schen Infrastruktur dieses Landes. Landwirtschaft ist sys- kann es grundsätzlich keine Demokratie geben. Darauf temrelevant. Das sieht auch die Bevölkerung. verweise ich auch deshalb, weil es zwischen Demokratie und Sicherheit durchaus ein Spannungsverhältnis gibt. Besonders freut mich dabei, dass die Bürgerinnen und Wir erleben es immer wieder, wenn hier über innere Bürger in dieser schweren Zeit gezeigt haben, dass wir Sicherheit debattiert wird. Schnell sind CDU/CSU, zusammenstehen, uns solidarisch zeigen und Außerge- zumeist auch die SPD dabei, mehr Zugriffsbefugnisse wöhnliches leisten können. An der Stelle möchte ich an für Sicherheitsbehörden zu fordern, Zugriffsbefugnisse die erfolgreiche Plattform des Maschinenrings mit dem auch auf persönliche, grundrechtlich geschützte Daten. Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28593

(A) „Das Land hilft“ erinnern. Der Maschinenring hat es Anlage 13 (C) geschafft, eine Vermittlungsplattform zu initiieren, auf der Landwirte und Bürgerinnen und Bürger in einen Dia- Zu Protokoll gegebene Reden log treten können und die Bürgerinnen und Bürger ihre Arbeitskraft den Landwirten zur Verfügung stellen. Ge- zur Beratung meinsam haben sie dafür gesorgt, dass die Regale im – des von der Bundesregierung eingebrachten Supermarkt voll bleiben und nicht tonnenweise regiona- Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung les Obst und Gemüse nicht geerntet werden konnten, weil des Seelotsgesetzes die Erntehelfer fehlten. Wer nicht pflanzt, der kann nicht ernten, und ohne Arbeitskräfte funktioniert das Ernten – des Berichts des Haushaltsausschusses gemäß nicht. § 96 der Geschäftsordnung (Tagesordnungspunkt 25) Aber auch die Bundesregierung hat vor einem Jahr alles Mögliche unternommen, um auf die Krise zu rea- gieren: indem sie eine zeitlich befristete Regelung getrof- Dr. Christoph Ploß (CDU/CSU): Das Lotsenwesen fen und einen höheren Zuverdienst sowie ein Erweitern ist schon seit Jahrhunderten ein unverzichtbarer Bestand- der Zeitgrenzen bei kurzfristiger Beschäftigung ermög- teil der Sicherheitsarchitektur in den Häfen und an den licht hat. Küsten Deutschlands. Die Arbeit der Seelotsen dient seit- her als Anker für die deutsche Seeschifffahrt. Auch heute sind sie zu jeder Tages- und Nachtzeit 365 Tage im Jahr Heute, ein Jahr später, hat uns die Pandemie weiter fest und bei Wind und Wetter im Einsatz. Ohne ihre Hilfe im Griff, und die ursprüngliche Regelung der Erweite- kann kein Schiff durch den Nord-Ostsee-Kanal oder rung der Zeitgrenzen bei kurzfristiger Beschäftigung ist über die Elbe in den Hamburger Hafen kommen. Ham- ausgelaufen. Deswegen beraten wir neben dem Fischerei- burg ist der drittgrößte Hafen Europas – und die Elbe eine gesetz einen Änderungsantrag von CDU/CSU und SPD der meistbefahrenen Wasserstraßen der Welt. Nur durch zur kurzzeitigen Beschäftigung. die Unterstützung der Seelotsen und ihr Fachwissen kön- nen die Schiffe ihren Zielhafen sicher erreichen. Grundsätzlich ist eine kurzzeitige Beschäftigung auch eine kurzzeitige Angelegenheit. Aber die Pandemie lehrt Jeder Kapitän ist auf die Zusammenarbeit mit den uns, dass wir im Interesse der Menschen und der Betriebe Seelotsen an Bord angewiesen, da nur der Lotse sein neu denken müssen – vor allem, um unnötigen Reisever- Revier mit all seinen Tücken kennt. Die Kapitäne können kehr für ausländische Saisonarbeitskräfte in Risikogebie- nicht alle Häfen auf der Welt kennen. Die Lotsen tragen (B) te zu vermeiden. Gleichzeitig haben wir den sozialen viel Verantwortung und müssen in kürzester Zeit wichti- (D) Schutz der Betroffenen gestärkt, indem nun ein Kranken- ge Entscheidungen treffen. Ihr bedeutsamer Beitrag für versicherungsschutz nachgewiesen werden muss und die maritime Wirtschaft ist auch für uns als CDU/CSU- eine Meldepflicht des Arbeitgebers zur Art der kranken- Bundestagsfraktion klar. versicherungsrechtlichen Absicherung des Arbeitneh- Im Deutschen Bundestag sollten wir alles dafür tun, mers besteht. dass der Betrieb rund um die Uhr garantiert ist und die deutschen Häfen auch in Zukunft funktionieren. Die Im Vergleich zum letzten Jahr hat sich einiges geän- Blockade des Suezkanals sollte uns eine Lehre sein; sie dert: Unsere Bäuerinnen und Bauern haben fertige zeigt, was passiert, wenn Containerschiffe zu groß für Hygienekonzepte, wir haben genug Testkapazitäten, eine Wasserstraße sind, und welche Schäden ein einziger und die rechtliche Grundlage für Saisonarbeitskräfte Fehler eines Kapitäns haben kann. All dies macht deut- schaffen wir heute. Diese Regelung finde ich auch beson- lich, wie wichtig die Seelotsen für einen reibungslosen ders wichtig; denn ich sage Nein zu Erdbeeren aus Spa- Ablauf sind . nien, Spargel aus Frankreich und Tomaten aus China. Ich möchte weiterhin einen starken und wettbewerbsfähigen Umso tragischer ist es, dass sich immer weniger junge Gemüse- und Obstanbau in Deutschland haben, wo Menschen dafür entscheiden, Seelotse zu werden. Wie Tomaten und Salat aus dem Knoblauchland kommen, andere Berufe leidet auch das deutsche Lotsenwesen Spargel aus Abensberg, Beelitz oder Schrobenhausen unter fehlendem Nachwuchs. Weder die moderne Tech- und Erdbeeren aus der Pfalz sind, um nur wenige Bei- nik noch ein Navigationssystem oder elektronische See- spiele zu nennen. Denn wenn wir sie nicht bei uns produ- karten schaffen es, die Kenntnisse und die Erfahrungen zieren, wird das anderswo auf dieser Welt gemacht, und eines Seelotsen zu ersetzen. Der Bedarf an Fachkräften das kann nicht unser Ziel sein. besteht heute genauso wie vor Hunderten von Jahren. Immer mehr erfahrene Lotsen scheiden altersbedingt aus. Wir brauchen jedes Jahr rund 50 neue Lotsen, um Deswegen bitte ich Sie, heute dem Seefischereigesetz diese Lücke füllen zu können. und unserem Änderungsantrag zur Saisonarbeit zuzu- stimmen, damit die kurzfristige Beschäftigung pandemie- Unser Ziel muss es sein, dass es genügend und gut bedingt rückwirkend ab 1. März 2021 bis zum 31. Okto- ausgebildete Lotsen gibt, die für mehr Sicherheit sorgen. ber 2021 von 70 auf 102 Tage wieder ausgeweitet werden Das Berufsbild der Lotsen steht, wie die Wellen des Was- kann. Die neuen Regelungen sind für unsere Bäuerinnen sers, nicht still, was eine Neuordnung der Ausbildung und Bauern eine deutliche Erleichterung und bieten ihnen unter den aktuellen Herausforderungen notwendig macht. Planungssicherheit. Mit dem Gesetz wollen wir als CDU/CSU-Bundestags- 28594 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

(A) fraktion die Ausbildung der Seelotsen reformieren, um Um es deutlich zu sagen: ohne Seelotsen könnten wir (C) den dringend erforderlichen Nachwuchs gewinnen zu unsere Häfen dicht machen! Ich bin Hamburgerin. Auch können. im Hamburger Hafen erleben wir jeden Tag, wie elemen- tar wichtig gut ausgebildete und erfahrene Seelotsen für Das neue Konzept sieht unter anderem vor, den Praxis- die Sicherheit im Schiffsverkehr sind, gerade auch vor anteil der Ausbildung zu erhöhen. Bisher mussten die dem Hintergrund der Elbvertiefung. Bereits als Hambur- Auszubildenden einen Nachweis erbringen, dass sie ger Bürgerschaftsabgeordnete habe ich mich für die Re- eine bestimmte Zeit zur See gefahren sind. Statt der acht- form der Seelotsenausbildung eingesetzt und freue mich monatigen Ausbildungsdauer wird ein maximal zweijäh- daher sehr, dass wir das Gesetz heute verabschieden kön- riger Masterstudiengang neu eingerichtet. Hierdurch soll nen und damit auch den drittgrößten Hafen Europas stär- die Zulassung zur Seelotsenausbildung vereinfacht und ken. flexibler gestaltet werden. Ein weiterer Aspekt freut mich sehr: Durch die Neu- Zusätzlich entspricht der heutige Ausbildungsrahmen gestaltung wird der Beruf auch für Frauen attraktiver. nicht mehr den aktuellen gesellschaftlichen Ansprüchen, Nach derzeitigem Stand sind gerade einmal 2 von 900 den Jugendliche haben. Dieses Phänomen ist nicht neu. aller Seelotsen Frauen. Die bislang zwingend erforder- Viele Schulabsolventen weisen entweder keine ausreich- lichen Seefahrtzeiten und die Dauer des Qualifikations- enden Kenntnisse vor oder haben sehr hohe Ansprüche weges waren gerade für Frauen eine Hürde mit Blick auf an eine Berufsausbildung. Geregelte Arbeitszeiten, Ver- die Vereinbarkeit von Familie und Beruf – gleichwohl das einbarkeit von Familie und Beruf sowie eine geringe kör- natürlich auch für Männer gilt. Das wird jetzt geändert, perliche Belastung stehen bei der Berufswahl häufig im sodass der Zugang zum Beruf weitestgehend ohne See- Vordergrund. Das macht es für einige Berufe schwer, fahrtzeiten und in kürzerer Zeit bewältigt werden kann geeignete Kandidaten zu finden. Darüber hinaus fahren und damit auch für Frauen deutlich attraktiver ausgestal- immer weniger Schiffe unter deutscher Flagge, was dazu tet wird. führt, dass weniger Ausbildungsplätze verfügbar sind. Ich danke allen Beteiligten, insbesondere den Lotsen- Um die Attraktivität der Lotsentätigkeit zu verbessern, brüderschaften und der Bundeslotsenkammer für die gute herrscht hier klarer Handlungsbedarf. Wir dürfen nicht Mitarbeit an dem Gesetz. Wir schaffen damit die Voraus- zulassen, dass die Tradition des deutschen Lotsenwesens setzung für die weitere Sicherheit des Schiffsverkehrs in ausstirbt; denn ohne eine ausreichende Zahl von Lotsen der gesamten Deutschen Bucht. können die Schiffe nicht ihr Ziel erreichen. Dies hätte gravierende Konsequenzen für uns alle. Bernd Reuther (FDP): Seit knapp zehn Jahren sehen (B) Sowohl der Im- als auch der Export von Gütern sind wir die drohende Ausbildungslücke bei den Lotsen. Seit (D) wichtig für Deutschland. Heute ist der Export von Waren knapp zehn Jahren diskutieren wir hier über eine attrakti- einer unserer größten Wirtschaftszweige. So ist es der vere Ausbildung. Trotzdem ist in dieser Zeit wenig pas- Hansestadt Hamburg nur durch den Warenhandel mög- siert. Das ist kein Zeichen einer erfolgreichen maritimen lich geworden, zum Drehkreuz Europas zu werden. Politik. Es zeigt sich einmal mehr: Eine gut funktionierende Dennoch begrüßen wir Freien Demokraten diesen Ge- Schifffahrt beeinflusst unser gesamtes Leben, unseren setzentwurf. Lotsen bilden das Rückgrat der maritimen Wohlstand und Arbeitsplätze. Wir müssen jetzt handeln, Sicherheit. Eine Ausbildungslücke können wir uns nicht damit wir auch in den nächsten hundert Jahren noch Seel- leisten. Nachwuchsförderung und eine höhere Attraktivi- otsen haben, die die Schiffe sicher in unsere Häfen navi- tät des Berufs müssen deshalb eine wichtigere Rolle spie- gieren. len. Das gilt insbesondere für Frauen. In den letzten zehn Jahren hat nämlich nur eine Frau die Ausbildung zur Lotsin abgeschlossen. Das darf niemanden zufriedenstel- Dorothee Martin (SPD): Mit der Novellierung des len. Seelotsgesetzes stellen wir die Seelotsenausbildung auf Gerade deshalb muss der Beruf des Lotsen für Frauen neue Füße, machen sie zukunftsfest und passen sie der attraktiver werden. Hier liegt enormes Potenzial, welches Realität an. Die bisherigen Regelungen für die Ausbil- wir unbedingt heben sollten. Nur so können wir langfris- dung entsprechen teilweise nicht mehr der Realität des tig unser maritimes Know-how sichern. Einen wichtigen Berufsalltags. Darüber hinaus stammen viele Inhalte der Beitrag hierzu liefert die bessere Finanzierung der Aus- Ausbildung aus einer Zeit, in der die Digitalisierung der bildung. In der Luftfahrt hat sich das Modell der Lotsen- Häfen und der Schifffahrt noch Zukunftsmusik waren. ausbildung bereits bewährt. Deshalb haben wir Freien Aufgrund vieler Ruheständler braucht das Seelotswe- Demokraten Vertrauen in den neuen Ansatz. sen dringend Nachwuchs. Allerdings gehen die Bewer- Aber auch die inhaltliche Anpassung der Ausbildung bungen für den Beruf stetig zurück, leider auch durch den ist nötig. Wir werden damit den sich ändernden Heraus- Rückgang der Anzahl der Schiffe unter deutscher Flagge. forderungen der Lotsentätigkeit gerecht. Gleichzeitig gewähren wir eine weiterhin hochqualifizierte Ausbil- Daher ist es gut, dass wir die Berufsausbildung der dung. Seelotsen nun deutlich attraktiver machen, neue Zu- gangsmöglichkeiten eröffnen und praxisgerechter gestal- Wir müssen uns allerdings auch über den maritimen ten durch die Kompensation der klassischen Seefahrtzeit Standort grundsätzlich kümmern. Die Ausflaggung durch eine bedarfsgerechte Ausbildung in den Revieren. schreitet ungehindert fort. Die Förderprogramme der Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28595

(A) Bundesregierung können diesen Prozess nicht stoppen. Die im Seeverkehr Beschäftigten funken seit Jahren (C) Der maritime Standort Deutschland verliert damit stetig SOS, und die Bundesregierung lässt sie schlicht unter- an Attraktivität, und maritimes Know-how geht verloren. gehen. Dieser Gesetzentwurf ist nicht mal ein kleiner Hier werden wir als Exportnation ansetzen müssen, wenn Rettungsring, der zudem in die falsche Richtung gewor- wir im internationalen Vergleich bestehen wollen. fen wird. Die Schifffahrtspolitik der Bundesregierung ist Auf der anstehenden Nationalen Maritimen Konferenz sicherlich ein Segen für Anleger und Reeder, für die werden wir uns daher einen Plan für die kommenden Beschäftigten ist und bleibt sie jedoch ein Totalausfall. Jahre überlegen müssen. Die neue Bundesregierung darf dann nicht mehr so zaghaft reagieren wie die jetzige. Wir haben nicht noch mal zehn Jahre Zeit, um das Richtige zu Anlage 14 tun. Zu Protokoll gegebene Reden Jörg Cezanne (DIE LINKE): Die maritime Wirt- zur Beratung schaft ist in schwierigem Fahrwasser, und das gilt vor 26) des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU allem für die Beschäftigten. Es ist der Bundesregierung und SPD: Einsetzung einer Kommission zur ja zugutezuhalten, dass sie diesen Umstand anerkennt Reform des Bundeswahlrechts und zur und auch die Gründe ohne Umschweife benennt. Aber Modernisierung der Parlamentsarbeit warum packt sie das Problem nicht bei der Wurzel und doktert mal wieder halbherzig an einem der Symptome ZP 9) des von den Abgeordneten Britta herum? Haßelmann, Luise Amtsberg, Canan Bayram, weiteren Abgeordneten und der Bereits in der 16. Wahlperiode wurden die Kriterien für Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein- die Aufnahme einer Ausbildung zur Seelotsin oder zum gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Seelotsen gesenkt. Und was hat es gebracht? – Rein gar Änderung des Bundeswahlgesetzes – Chan- nichts! Eines ist doch klar: Ein unwirksames Medikament cengleichheit kleiner Parteien in der Corona- wird nicht dadurch zum Heilsbringer, dass man dessen virus-Pandemie Dosis erhöht. (Tagesordnungspunkt 26 und Zusatzpunkt 9) Dass in Zukunft bereits ein Bachelorabschluss zur Aufnahme der Lotsenausbildung genügen soll, könnte zudem erhebliche Nebenwirkungen haben. Ich wage, es Ansgar Heveling (CDU/CSU): Wir debattieren am zu bezweifeln, dass sechs Semester an einer Hochschule heutigen Abend in einer verbundenen Debatte zwei unter- (B) oder Fachhochschule jahrelange Erfahrung auf See erset- schiedliche Initiativen, die nur durch das lose Band des (D) zen können. Um in schwierigen Situationen den sicheren Wahlrechts miteinander verbunden sind: Zum einen auf Einlauf eines Schiffes gewährleisten zu können, braucht Antrag der Koalitionsfraktionen den Einsetzungsbe- man in der Praxis erworbene Routine, und diese wird mit schluss für eine Reformkommission und zum anderen der geplanten Neuregelung eher zur Ausnahme werden. auf Antrag der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen Allein schon aus diesem Grund wird die Linke diesen einen Gesetzentwurf zur Herabsetzung von Unterschrif- Gesetzentwurf ablehnen. tenerfordernissen als kurzfristige Reaktion auf die Aus- wirkungen der Covid-19-Pandemie. Herr Verkehrsminister, an allen Ecken und Enden fehlt es in der Branche an qualifiziertem Nachwuchs. Das Der Antrag auf Einsetzung einer Kommission zur Re- Seelotswesen ist nur die Spitze des Eisbergs. Um dieses form des Bundeswahlrechts und zur Modernisierung der Problem zu beheben, müssen junge Menschen endlich Parlamentsarbeit beruht auf einer Verpflichtung aus § 55 wieder die Möglichkeit bekommen, ihre Offizierspatente des Bundeswahlgesetzes. Vor der erst für 2025 beschlos- auszufahren oder nach dem Studium oder einer Ausbil- senen Reduzierung der Anzahl der Wahlkreise wird die dung einen sicheren Arbeitsplatz im Maschinenraum zu Kommission die Effizienz der Reformbemühungen hin- haben. Das wird nur gelingen, wenn die Reeder sich an sichtlich der Größe des Bundestages kaum valide beur- ihre Zusage halten, im Gegenzug zu ihren millionen- teilen können. Für die verfassungsrechtliche Bewertung schweren Subventionen auch mindestens 500 Schiffe wird die Kommission darüber hinaus das Ergebnis der unter deutscher Flagge fahren zu lassen. Ohne diese Entscheidung der von den Kollegen der Oppositions- Gegenleistung müssen die Subventionen ohne Wenn fraktionen angestrebten Normenkontrollklage abwarten und Aber gestrichen werden. Dass derzeit kein einziges müssen. Der vonseiten der Opposition zu erwartende Containerschiff von deutschen Eignern auch unter deut- Vorwurf, dass wir uns mit der Einsetzung dieser Reform- scher Flagge fährt, ist ein unhaltbarer Zustand. kommission reichlich Zeit gelassen hätten, läuft daher ins Zu den Gegenleistungen muss auch gehören, dass wie- Leere. der mehr Seeleute aus Deutschland und der EU auf den Über Maßnahmen zur wirksamen Begrenzung der Ver- Schiffen eingesetzt werden. Wir unterstützen den Vor- größerung des Bundestages hinaus soll die Kommission schlag der Gewerkschaft Verdi, die Schiffsbesetzungs- insbesondere Empfehlungen erarbeiten, um eine gleich- verordnung so zu verändern, dass künftig mindestens berechtigte Repräsentanz von Frauen und Männern im vier statt derzeit nur zwei Seeleute aus der Europäischen Deutschen Bundestag zu erreichen. Ferner soll es darum Union auf den Schiffen Dienst tun. Die unsäglichen Ket- gehen, wie die Arbeit des Deutschen Bundestages trans- tenbefristungen bei Ausflaggungen müssen ein Ende ha- parenter und unter Nutzung der Möglichkeiten der Digi- ben. talisierung effizienter gestaltet werden kann, wie Anre- 28596 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

(A) gungen der Bürgerinnen und Bürger besser einfließen auch weitere Fragen sind zu klären: Ist die Dauer der (C) können und wie die Wahrnehmung parlamentarischer Legislaturperioden angesichts länger dauernder Koali- Rechte, auch mit Blick auf supranationale Entschei- tionsverhandlungen und komplexerer Entscheidungsfin- dungsprozesse, gestärkt werden kann. Schließlich soll dungen noch praxistauglich? Wie wirkt sich die Forde- die Kommission auch aktuelle gesellschaftliche Reform- rung der Absenkung des Wahlrechts auf die debatten aufgreifen und sich insbesondere auch mit der Volljährigkeit und die Strafmündigkeit aus? Wie kann Frage einer Absenkung des aktiven Wahlalters auf 16 Jah- die Parlamentsarbeit insgesamt den Zukunftserfordernis- re sowie mit der Dauer der Legislaturperiode, der Be- sen gerecht werden? grenzung der Amtszeiten des Bundeskanzlers oder der Bundeskanzlerin und der Bündelung von Wahlterminen Ein wichtiges Thema sind Maßnahmen, um eine befassen. gleichberechtigte Repräsentanz von Frauen und Männern im Bundestag zu erreichen. Frauen sind im Deutschen Während diese Fragen alle sehr streitig sind, besteht Bundestag nach wie vor deutlich unterrepräsentiert, und hinsichtlich der Notwendigkeit, die in den §§ 20 und 27 ihr Anteil ist in der letzten Wahlperiode sogar gesunken. des Bundeswahlgesetzes festgeschriebenen Unterschrif- tenquoren, wie von den nicht im Bundestag vertretenen Es geht um entscheidende Weichenstellungen. Es ist Parteien gefordert, abzusenken, mittlerweile im Grund- deshalb von enormer Bedeutung, dass diese Kommission satz Einigkeit. Mehrere Landesverfassungsgerichte hat- die besten Voraussetzungen erhält, um Empfehlungen ten entschieden, dass die betreffenden Parteien in ihren auszuarbeiten. Das beginnt bereits bei der Besetzung Rechten auf Chancengleichheit als Parteien und auf der Kommission. Der Kommission sollen neun Mitglie- Gleichheit der Wahl aus Artikel 21 des Grundgesetzes der des Deutschen Bundestages und in gleicher Anzahl dadurch verletzt sind, dass bestehende Unterschriften- Sachverständige angehören. Eine angemessene Beteili- quoren nicht ausreichend an die tatsächlichen Verhält- gung von Bürgerinnen und Bürgern an der Kommissions- nisse infolge der Covid-19-Pandemie angepasst wurden. arbeit ist sicherzustellen; denn schließlich sind die Wäh- Zuletzt hat der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin lerinnen und Wähler von allen Änderungen unmittelbar am 17. März 2021 im Hinblick auf die zeitgleich mit der in einem ihrer elementaren Grundrechte betroffen. Wahl des Deutschen Bundestages stattfindende Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus eine Herabsetzung auf Unter Berücksichtigung aktueller Urteile müssen 20 bis 30 Prozent der gesetzlichen Quoren gefordert. verfassungsgemäße Maßnahmenvorschläge erarbeitet werden, die das Wahlrecht und damit unsere Parlaments- Dem Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen wer- arbeit zukunftsfähig machen, ohne die verfassungsgemä- den wir aber dennoch nicht zustimmen: zum einen, weil ßen Grundsätze, auf denen unsere Demokratie fußt, zu die dort nicht weiter begründete Herabsetzung auf 30 Pro- (B) beschädigen. (D) zent nicht ausreichend sein dürfte, um eine verfassungs- rechtliche Beeinträchtigung sicher auszuschließen. Zum Auch wenn es den Grünen gut gefallen würde, ist das anderen ist die vorgeschlagene gesetzliche Änderung von keine Aufgabe für 160 zufällig ausgeloste Bürger und Vorschriften der als Rechtsverordnung erlassenen Bun- auch keine Gelegenheit, um an der freien Mandatsaus- deswahlordnung kein zulässiger Weg. Da die Frist zur übung zu sägen. Wir haben gesehen, wie herausfordernd Einreichung der Wahlvorschläge erst am 19. Juli 2021 es war, das Wahlrecht zu reformieren. Ich glaube, dass abläuft, werden wir als Koalition alsbald einen eigenen eine kleinere Kommission mit politischen Praktikern aus Gesetzentwurf vorlegen, mit dem wir eine verfassungs- unseren Reihen und genauso viel externem Sachverstand gerichtsfeste Herabsetzung der Quoren vorschlagen wer- mit einem objektiven Blick von außen besser und schnel- den. ler zu umsetzbaren und verfassungsgemäßen Empfehlun- gen kommen kann als eine künstlich aufgeblähte Kom- Michael Frieser (CDU/CSU): Mit dem 25. Gesetz zur mission. Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 14. November 2020 haben wir nach Jahren der Beratung in der Wahl- reformkommission beim Präsidenten und auch darüber Leni Breymaier (SPD): Hurra, die Wahlrechtskom- hinaus einen sehr guten Abschluss gefunden. Dabei war mission kommt. Auch dazu musste jetzt fast ein halbes es uns ein zentrales Anliegen, bei einer Verkleinerung des Jahr verhandelt werden. Die Aufträge sind nicht arg Bundestags die Ausgewogenheit unseres Wahlrechts zu ambitioniert, aber immerhin formuliert. Die 18 Mitglieder bewahren, das Zusammenspiel der föderalen Elemente der Kommission, davon neun Abgeordnete, werden sich und der nationalen Elemente des Wahlrechts und das mit folgenden Punkten befassen: grundsätzliche Prinzip der personalisierten Verhältnis- wahl aus gleichrangigen Direkt- und Listenmandaten in Es geht um eine wirksame Begrenzung der Vergröße- ein angemessenes Verhältnis zu setzen. rung des Bundestages. Damit ist die Arbeit aber noch nicht abgeschlossen; Die Parlamentsarbeit soll modernisiert werden. Nicht denn es wurde dem Deutschen Bundestag gleichzeitig nur die Digitalisierung, die im vergangenen Jahr deutlich aufgegeben, einen Beschluss zur Einsetzung einer Fahrt aufgenommen hat, soll für die Arbeit genutzt wer- Reformkommission zu fassen, die sich mit der Weiterent- den. Auch Punkte von Bürgerinnen und Bürgern sollen wicklung des Wahlrechts beschäftigen und Empfehlun- besser aufgenommen werden. Dass deren Meinung schon gen für die Zukunft erarbeiten soll; denn nicht nur die in die Kommissionsarbeit aufgenommen werden soll, ist Begrenzung der Vergrößerung des Bundestages, sondern ein wichtiger Punkt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28597

(A) Das Wahlalter wie auch die Dauer der Legislaturperio- Wenn wir vorankommen wollen, brauchen wir nicht (C) de sollen auf den Prüfstand. nur den Willen, etwas zu verändern, sondern vor allem auch verfassungskonforme tragfähige Lösungen. Des- Beim Thema Repräsentanz von Frauen wäre mir mehr halb begrüße ich nachdrücklich die Einsetzung dieser Klarheit, mehr Mut lieber gewesen. Nun denn, ich bin Kommission und auch den Arbeitsschwerpunkt für die gespannt auf die Empfehlungen der Kommission, wie gleichberechtigte Repräsentanz im Bundestag. Diese der Frauenanteil nicht nur gesteigert, sondern wie tat- Kommission gibt uns die Chance, gemeinsam mit Sach- sächlich Parität erreicht werden kann. Ich habe es hier verständigen und sachkundigen Bürgerinnen und Bür- schon einmal gesagt: Das Bundesverfassungsgericht ist gern tatsächliche und strukturelle Hürden im Satzungs-, hier nicht das Problem. In Karlsruhe wird Artikel 3 Parteien- und Wahlrecht zu identifizieren. Sie ermöglicht Absatz 2 Satz 2 GG durchaus als Auftrag an den Gesetz- uns, offene Fragen gewissenhaft und ergebnisorientiert geber gesehen. Den Gesetzgeber ersetzen will das Ge- zu klären, ob es sich um Listen- oder Wahlkreismandate richt nicht. Und das ist auch gut so. Also liegt es an uns handelt. Ich bin überzeugt, dass wir Lösungen finden und vor allem eben an Mehrheiten. Wer setzt sich für werden, die die Wahlrechtsgrundsätze und die Parteien- Parität ein, wer nicht? Auch darüber wird am 26. Septem- autonomie garantieren. Und vielleicht gibt es ja auch ber entschieden. noch ganz andere Instrumente, zum Beispiel im Parteien- Vorher wird es richtig ehrgeizig. Schon in sechs Wo- finanzierungsgesetz. chen soll es losgehen und am 30. September soll schon Wir müssen handeln. Das steht außer Frage. Die letzte ein Zwischenbericht vorgelegt werden. Das ist mal ambi- Bundestagswahl hat uns in Bezug auf den Frauenanteil tioniert. um 23 Jahre zurückgeworfen. Der Frauenanteil im Bun- Ich hoffe, die 18 Leute in der Kommission sind mutig destag sank um 5,5 Prozentpunkte auf 31 Prozent und und trauen sich was, insbesondere bei den Wahlkreisen, damit auf das Niveau von 1998. Für die nächste Legisla- vor allem aber bei der Modernität der Abläufe des Parla- turperiode ist ein deutlich höherer Frauenanteil noch kei- ments, und meine ganze Hoffnung setze ich auf die Frage neswegs gesichert. Deshalb: Rück- und Tippelschritte der paritätischen Zusammensetzung. Wenn uns als Auf- bringen uns nicht weiter. Im Gegenteil: Eine anhaltend traggeber der Mut fehlt: Möge die Kommission mutiger schlechte Repräsentanz schwächt die Akzeptanz unseres sein. Wahlsystems und führt am Ende nur zu Demokratiever- drossenheit. Ich bin froh, dass wir das in dieser Legislatur auf den Weg bringen. Stolz darauf bin ich nicht. Das wäre früher Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es gibt nicht nur gegangen. Die Richtung stimmt. Das Tempo nicht. formale Hürden, die Frauen überwinden müssen, wenn (B) sie sich öffentlich engagieren. Leider müssen wir auch (D) feststellen, dass zunehmend frauenfeindliche Weltbilder Annette Widmann-Mauz, Staatsministerin bei der Anhänger finden, sei es in rechtsextremistischen Grup- Bundeskanzlerin: „Der Einfluss, den Frauen heute auf pen oder der sogenannten Incel-Bewegung. Hass, Hetze unser öffentliches Leben haben, steht in krassem Gegen- und Gewalt treffen Frauen oft nur deshalb, weil sie satz zu ihren Kompetenzen“ und „Unsere heutige Praxis Frauen sind. Zuerst wird ihnen ihre Würde genommen bleibt weit hinter unserer Verfassungsnorm zurück. Es und dann ihre geschützten Rechte. Diesen Entwicklungen fehlt die politische Umsetzung des Artikels 3, Absatz 2 müssen wir entschieden entgegentreten. Die tatsächliche GG: ‚Frauen und Männer sind gleichberechtigt.ʼ“ – Zitat Durchsetzung von Gleichberechtigung und Teilhabe in Rita Süßmuth im „Tagesspiegel“, 28. Februar 2021; und allen Bereichen und auf allen Ebenen ist dafür eine ich ergänze: „Der Staat fördert die tatsächliche Durch- Grundvoraussetzung. Frauen müssen in unserer repräsen- setzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern tativen Demokratie sichtbar sein und Gestaltungsmacht und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile haben. Denn nur wer am Tisch sitzt, kann auch mitbe- hin“, Artikel 3, Absatz 2, Satz 2 GG. Mit diesen Worten stimmen, was auf den Tisch des Hauses kommt. bringt unsere ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth auf den Punkt, warum wir Frauen in der Union Das ist der Auftrag, den das Grundgesetz uns gegeben uns mit Nachdruck für diese Kommission zur Reform des hat. Das ist eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft. Bundeswahlrechts und zur Modernisierung der Parla- Lassen Sie uns dieses dicke Brett gemeinsam Bohren! mentsarbeit eingesetzt haben. Der paritätisch besetzte Vorsitz der Kommission ist schon einmal das erste und richtige Signal. Ich gebe offen zu, dass wir uns die Entscheidung zur Einsetzung dieser Kommission schneller gewünscht hätten. Über 100 Jahre nach Einführung des aktiven und Anlage 15 passiven Frauenwahlrechts sind weiterführende Vor- schläge mehr als überfällig. Wir wissen: Die schwierigen Zu Protokoll gegebene Reden Debatten um eine Mandatsbegrenzung im Deutschen Bundestag standen dem leider entgegen. Tatsächlich zur Beratung sind die zu lösenden rechtlichen Fragen einer Änderung des Wahlrechts schwierig. Die in Ländern beschlossenen 27) des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU Paritätsgesetze taugen nicht als Blaupause. Sie schei- und SPD: Ein vitaler, klimastabiler Wald terten bisher allesamt an Entscheidungen der Verfas- nutzt allen – Ökosystemleistungen ausrei- sungsgerichte. chend honorieren 28598 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

(A) ZP 10) der Beschlussempfehlung und des Be- Insgesamt sind auf einer Fläche, die größer ist als das (C) richts des Ausschusses für Ernährung , 171 Millionen Kubikmeter Schadholz angefal- und Landwirtschaft zu dem Antrag der len. Durch die hohe Menge an Schadholz wurde Holz auf Abgeordneten Franziska Gminder, den Markt geschwemmt, was zu sehr niedrigen Preisen Stephan Protschka, Berengar Elsner führte. Oftmals waren dann die Kosten für die Holzernte von Gronow, weiterer Abgeordneter für den Waldbauern teurer, als er an Verkaufserlös bekam. und der Fraktion der AfD: Neue forstli- Waldbesitz war vermutlich nie so unrentabel wie in den che Versuchsflächen und Saatgutplanta- vergangenen Jahren. Bedenkt man zudem die Zeitdauer, gen anlegen die von Etablierung eines Bestandes bis hin zu seiner ZP 11) der Beschlussempfehlung und des Be- Hiebreife vergeht, ist der Schaden umso größer. Innerhalb richts des Ausschusses für Ernährung weniger Jahre wurde die Arbeit von mehreren Generatio- und Landwirtschaft zu dem Antrag der nen zerstört. Deswegen hat die Bundesregierung auch Abgeordneten Peter Felser, Franziska Rettungspakete in Milliardenhöhe für die Waldwirtschaft Gminder, Stephan Protschka, weiterer zur Verfügung gestellt. Insgesamt waren es mehr als Abgeordneter und der Fraktion der 1,5 Milliarden Euro. AfD: Verwendung von hochwertigem Doch dieses Jahr stellt sich eine Änderung dar: Laut forstlichem Vermehrungsgut fördern Presseberichten übersteigt 2021 die Nachfrage nach ZP 12) der Beschlussempfehlung und des Be- Schnittholz das Angebot. Als Folge steigen die Holzprei- richts des Ausschusses für Ernährung se extrem an. Vor allem die Nachfrage aus Asien oder den und Landwirtschaft zu dem Antrag der USA lassen die Preise für Schnittholz fast schon rekord- Abgeordneten Peter Felser, Franziska verdächtig ansteigen. Das ist für den Waldbesitzer erst- Gminder, Stephan Protschka, weiterer mal eine gute Entwicklung. Aber es ist nur eine Frage der Abgeordneter und der Fraktion der Zeit, bis wieder ein negativer Trend einsetzt. Deswegen AfD: Demografische Krise in der forst- ist der vorliegende Antrag von CDU/CSU und SPD so lichen Praxis und Forschung durch län- wichtig und richtig. Denn damit wird endlich den vielen gerfristige Projektstellen kompensieren Leistungen, die der Wald erbringt, die durch eine nach- haltige Bewirtschaftung der Wälder erst möglich ge- ZP 13) der Beschlussempfehlung und des Be- macht wird, honoriert. richts des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft zu dem Antrag der Der Wald leistet mehr, als man denkt. Das kann man Abgeordneten Karlheinz Busen, Frank schon in § 1 Bundeswaldgesetz nachlesen. In diesem (B) Sitta, Dr. Gero Clemens Hocker, weiterer steht geschrieben, dass – ich zitiere – „Wald wegen seines (D) Abgeordneter und der Fraktion der wirtschaftlichen Nutzens (Nutzfunktion) und wegen sei- FDP: Waldbonus schaffen – CO2 redu- ner Bedeutung für die Umwelt, insbesondere für die dau- zieren ernde Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes, das Klima, den Wasserhaushalt, die Reinhaltung der Luft, die Boden- (Tagesordnungspunkt 27 und Zusatzpunkte 10 bis fruchtbarkeit, das Landschaftsbild, die Agrar- und Infra- 13) struktur und die Erholung der Bevölkerung (Schutz- und Erholungsfunktion) zu erhalten, erforderlichenfalls zu Artur Auernhammer (CDU/CSU): Gestern Mittag mehren und seine ordnungsgemäße Bewirtschaftung traf sich ein Teil der Kolleginnen und Kollegen auf dem nachhaltig zu sichern“ ist. Zusammengefasst hat der Pariser Platz, um auf unser Allroundgenie vor den Haus- Wald also eine Nutz-, Schutz- und Erholungsfunktion. türen, den deutschen Wald, hinzuweisen. 8 Tonnen CO2 je Hektar kompensiert der deutsche Wald jährlich. Für Auf die Nutzfunktion bin ich bereits kurz eingegangen. alle, die sich darunter nichts vorstellen können: Ein Hek- „Schützen durch Nützen“ ist hier die Devise. Flächen- tar entspricht ungefähr einer Fläche, die so groß ist wie stilllegungen sind der falsche Weg, da Holz als CO2- ein Fußballfeld oder 10 000 Quadratmeter. Speicher genutzt werden muss, damit der Kohlenstoff dauerhaft der Atmosphäre entzogen wird. Allein ein Aber Wald ist noch viel mehr. Unsere Wälder sind Kubikmeter Fichte besteht zu 250 Kilo aus reinem Koh- Lebensräume für eine großartige Flora und Fauna. Unse- lenstoff. Damit dieser der Atmosphäre dauerhaft entzo- re Wälder sind ein starker Wirtschaftsraum und Jobmotor gen ist, muss das Holz natürlich als langlebiges Produkt für die ländlichen Regionen. Und unsere Wälder bieten wie Bauholz verwendet werden. Aber auch die energe- den Bürgerinnen und Bürgern Erholungsraum. Insgesamt tische Verwendung von Rest- und Abfallholz als nach- ist ein Drittel der Fläche Deutschlands bewaldet, und ich wachsender Rohstoff ist sehr gut. empfehle jedem Städter seine Wohnung zu verlassen, rauszufahren aufs Land und in den Wald zu gehen. Die Erholungsfunktion wurde vor allem beim Aus- Denn dann sieht er auch, warum wir heute diesen Antrag bruch der Coronapandemie für die Mitbürgerinnen und vorgelegt haben: einerseits die Schönheit der Natur, die Mitbürger relevant. Der Wald entwickelte sich zu einem durch unsere Waldarbeiterinnen und Waldarbeiter gestal- Zufluchtsort, in dem die Menschen Ruhe und Entspan- tet wurde. Andererseits sieht er auch, dass der Wald in nung fanden. Das ergab auch eine Studie der Forstlichen Gefahr ist. Die letzten Jahre haben Kalamitäten wie Dür- Versuchsanstalt in Freiburg. Bei der Untersuchung kam re, Trockenheit, Stürme und ein starker Käferbefall ihre heraus, dass insgesamt Zweidrittel mehr Besucher in den Spuren im Wald hinterlassen. Ganze Flächen sind kahl Wald gegangen sind, wovon 83 Prozent der Befragten und müssen wieder aufgeforstet werden. angaben, dass sie den Wald zur Erholung aufsuchen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28599

(A) Daneben sind es aber auch Läufer, Mountainbiker oder Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): In dieser De- (C) andere Erholungsuchende, die im Wald Erholung suchen batte geht es vor allem um einen Antrag der Koalition, der und an der frischen Luft Sport machen. eine finanzielle Honorierung von Ökosystemdienstleis- tungen im Wald fordert. Die Diskussion hat nach drei Was man aber nie vergessen darf: Wald ist auch Dürrejahren in Folge, nach Sturmschäden und Forst- Lebensraum für eine Vielzahl an Tieren. Deswegen schädlingen an Dynamik gewonnen, erst recht, weil die muss man natürlich auch Rücksicht auf das Wild im Holzpreise die Kosten für den naturnahen Waldumbau Wald nehmen. nicht decken bzw. das Geld in anderen Teilen der Wert- Abschließend möchte ich nochmal betonen, dass ein schöpfungskette, zum Beispiel bei den Sägewerken, hän- finanzieller Ausgleich für die Leistungen im Wald not- gen bleibt. Das bringt Waldbesitzende, aber auch Forst- wendig ist. Deswegen fordern wir die Bundesregierung leute in eine schwierige Situation. Vor allem Klein- und auf, dass sie Ökosystemleistungen auf wissenschaftlicher Kleinstwaldbesitzende. Grundlage darstellen muss. Darauf aufbauend muss sie Modelle entwickeln, die diese Leistungen in einen mone- Weil die Situation lange absehbar war, hatte meine tären Wert setzen, wobei auch die wirtschaftliche Nut- Fraktion Die Linke bereits im Mai 2019 ein Soforthilfe- zung des Waldes und seiner Produkte berücksichtigt wer- programm beantragt, was leider abgelehnt wurde. Später den sollen. kamen dann doch Hilfen auf den Weg – leider ging unnö- tig Zeit verloren. Bitte stimmen Sie unserem Antrag zu. Doch nach oder neben den Soforthilfen muss es auch Karlheinz Busen (FDP): Vor über einem Jahr darum gehen, wie wir langfristig und strategisch den beschäftigte sich der Ausschuss für Ernährung und Land- Zukunftswald mit all seinen wichtigen Funktionen für wirtschaft mit dem Antrag der Freien Demokraten zur Mensch und Natur auf solide Füße stellen und dabei die Schaffung eines Waldbonus. Die Union kritisierte seiner- Waldbesitzenden, aber auch die Wertschöpfungskette zeit unseren Antrag – ich zitiere –: Hierbei dürfen keine einbeziehen und in Verantwortung nehmen. Ein einfaches Schnellschüsse geleistet werden. Es wird eine breitgefä- Weiter-so ist nicht möglich, und die Liste neu zu cherte Diskussion gebraucht. – Heute wird zur Nachtzeit beantwortender Fragen ist lang. ein kurzfristig eingereichter und oberflächlicher Antrag eingebracht. Und statt eine breitgefächerte Diskussion im Eine Honorierung der Ökosystemdienstleistungen ge- Ausschuss zuzulassen, soll auch noch sofort darüber hört in diese Diskussion, nicht als Rundumsorglospaket abgestimmt werden. für Waldbesitzende; denn auch für sie gilt Artikel 14 Grundgesetz, dass Eigentum verpflichtet und zum Allge- (B) Eine Diskussion zur Nachtzeit wird dem Stellenwert meinwohl verwendet werden soll. Gleichzeitig sollten sie (D) des Waldes nicht gerecht, und vor allem stimmen Reden dort faire Unterstützung bekommen, wo dieses Allge- und Handeln bei Ihnen nicht überein. In meiner Heimat meinwohl gefährdet ist bzw. wo sie über die Eigentums- im Münsterland gibt es dafür nur ein Wort: Heuchelei! verpflichtung hinaus Gemeinwohlleistungen erbringen. Seit langer Zeit warten wir darauf, dass Sie einen guten Zu diesen Gemeinwohlleistungen gehören übrigens nicht Vorschlag für die Honorierung von Klimaschutzleistun- nur Ökosystemdienstleistungen, sondern auch soziale gen des Waldes vorlegen. Nun kommen Sie mit einem Leistungen. Hier verkürzt der Antrag der Koalition lei- Antrag um die Ecke, der oberflächlicher nicht sein könn- der; denn gut ausgebildetes und gut bezahltes Forstper- te. Die Vorgaben, die Sie machen, sagen nur eines aus: sonal gehört auf die Fläche, wenn der Zukunftswald Waldeigentümer sollen nach dem Gießkannenprinzip gelingen soll. Geld erhalten. Die Vergütung für die CO2-Speicherleis- tung des Waldes muss man dagegen mit der Lupe suchen. Leider gibt es keine klare Definition von Ökosystem- Damit schaffen Sie ein System wie in der Landwirtschaft. dienstleistungen, weder im Wald noch sonst wo. Das wäre aber Voraussetzung für die Gesetzgebung. Ein gut Kleinbetriebe haben, wie so oft, das Nachsehen, weil funktionierendes Waldökosystem ist ein Dienstleister in sie mit der Bürokratie völlig überfordert sind. Wir wollen vierfacher Hinsicht. Es erhält den Boden und biologische, sicher sein, dass die große Anzahl der Kleinwaldbesitzer auch genetische Vielfalt, es produziert Nahrungsmittel ebenso in den Genuss von Förderung kommt. Was wir und Holz, es reguliert Klima, trägt zur Grund- wirklich brauchen, ist eine echte Einbindung in den CO2- wasserbildung bei und ist Erholungsraum. Damit ist der Zertifikatehandel. Hier machen wir ganz konkrete Vor- Wald ein Multitalent – und das ist in unser aller Interesse. schläge, statt oberflächlich zu bleiben. Ihren Antrag heute können wir deshalb nur ablehnen. Eine Reduzierung des Waldes auf eine CO2-Speicher- funktion mit Zertifikatehandel sieht meine Fraktion kri- Man könnte meinen, dass mit diesem Schnellschuss tisch; zumal die Frage nach den Folgen im Raum steht. zum Wald heute vom Bundesjagdgesetz abgelenkt wer- Wenn zum Beispiel der Wald abbrennt wie 2018 in Treu- den soll. Das lassen wir Ihnen aber nicht durchgehen. enbrietzen, Brandenburg, und die Fläche damit von einer Jägerschaft und Waldeigentümer brauchen klare Rege- CO -Senke zu einer CO -Quelle wird: Muss dann der lungen statt Unsicherheit. 2 2 Privatwaldbesitzer oder die Kommune für den Verlust Einigen Sie sich endlich, und schaffen Sie verlässliche der Ökosystemdienstleistungen zahlen? Das scheint nicht Regeln für einen Wald mit Wild! Das andauernde Ver- zu Ende gedacht. Gerade Klein- und Kleinstwaldbesitzer tagen der Novelle des Bundesjagdgesetzes wird dem sowie Kommunen macht doch schon der bereits begin- Wald ebenso nicht gerecht. nende Klimawandel im Wald finanziell zu schaffen. 28600 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

(A) Die offenen Fragen müssen in einem breiten gesell- Diese Flächenprämie ist nicht an konkrete Leistungen (C) schaftlichen Dialog geklärt werden. Vermutlich bleibt geknüpft. Sie nützt weder dem Waldumbau noch der der Koalitionsantrag deshalb eher vage. Finanzielle Un- Biodiversität, sondern ist nichts anderes als eine heim- terstützungen müssen eine klare Lenkungswirkung haben liche Beihilfe für ein zweifelhaftes Siegel und produziert hin zu naturnahen, altersdurchmischten, vielfältigen und nur Mitnahmeeffekte. Sie führen genau die unfairen Flä- klimatoleranten Wäldern. Das Ziel unterstützen wir aus- chenprämien im Wald ein, die wir bei der Landwirtschaft drücklich. Bei einer mehr oder weniger pauschalen Flä- gerade aus guten Gründen abbauen. Wie absurd ist das chenprämie bleiben wir aber skeptisch. Schade, dass die denn! Koalition eine Debatte im Ausschuss durch die Sofortab- Ihr Antrag ist eine Nebelkerze. Sie fordern scheinheilig stimmung verhindert. So können wir uns nur enthalten. neue Modelle, während gleichzeitig die Bundesregierung im Wesentlichen die Bundeswaldprämie als Dauer- Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die subvention verewigen will, wie das Eckpunktepapier Klimakrise vernichtet durch Dürre und Hitze unsere Wäl- der Bundesregierung zur letzten Agrarministerkonferenz der. Drei Dürresommer haben überall in Deutschland zeigt. katastropale Schäden verursacht. Wir kennen alle die Wir fordern Sie daher auf: Verabschieden Sie sich Bilder, und das sollte dem Letzten klargemacht haben, glaubhaft vom verkorksten Modell der Bundeswaldprä- wie dringend ambitionierter Klimaschutz ist. mie! Arbeiten Sie endlich an Förderkonzepten, die ziel- gerichtet Waldumbau und Naturnähe voranbringen! Nur Es hat vor allem die Fichten-Monokulturen getroffen. so bekommen wir klimaresiliente Waldökosysteme. Das offenbart neben dem Versagen beim Kampf gegen die Klimakrise aber auch, wie falsch es war, in der Ver- gangenheit nur auf Holzplantagen statt Wald und rein auf den Holzertrag statt auf Natur zu setzen. Deshalb müssen Anlage 16 wir jetzt aus diesen Fehlern lernen und die Waldbesitzer/- Zu Protokoll gegebene Reden innen dabei unterstützen, naturnahe Wälder zu schaffen, die am ehesten die Gewähr bieten, den durch die Klima- zur Beratung krise verursachten extremen Bedingungen zu trotzen. 28 a) des von der Bundesregierung einge- Davon spricht der Antrag der Koalitionsfraktionen brachten Entwurfs eines Gesetzes zur zwar wolkig, aber Ihre Forderungen kann man nur so Umsetzung der Anti-Steuervermei- verstehen, dass Sie ein dauerhaftes Fördersystem für dungsrichtlinie (ATAD-Umsetzungsge- setz – ATADUmsG) (B) den Waldbesitz planen. Dafür soll die Bundesregierung (D) nun Modelle entwickeln. Kurz: Sie wollen eine teure b) des von der Bundesregierung einge- Dauersubvention auf den Weg bringen und verbrämen brachten Entwurfs eines Gesetzes zur das hinter grün und ökologisch klingenden Worthülsen. Modernisierung des Körperschaftsteuer- rechts Das kennen wir von Frau Klöckner, die bei dem Thema schon einfachste Fragen nach Basis, Ziel und Art der ZP 14) des Antrags der Abgeordneten Katja Förderung nicht beantworten kann: von der Erfassung Hessel, Christian Dürr, Dr. Florian der Kohlenstoffspeicherung über die Finanzierung und Toncar, weiterer Abgeordneter und der Vereinbarkeit mit EU-Beihilferecht bis hin zu Folgen Fraktion der FDP: Gestärkt aus der Kri- für den Holzmarkt. se hervorgehen – Gewerbesteuer refor- mieren Da wären eine intensive Beratung des Antrages im ZP 15) des Antrags der Abgeordneten Katja Bundestag und eine Anhörung das Mindeste, um diese Hessel, Christian Dürr, Frank Schäffler, offenen Fragen wenigstens mal anzudiskutieren. Doch weiterer Abgeordneter und der Fraktion Sie verhindern diese Debatte und peitschen das Ding der FDP: Thesaurierungsbegünstigung hier im Hauruckverfahren durch. Offenbar geht es Ihnen modernisieren anstelle von zielgerichtetem und nachhaltigem Handeln mal wieder nur darum, Geld im Land zu verteilen – egal (Tagesordnungspunkt 28 a und b sowie Zusatz- wofür. Das kennen wir von dieser Koalition: Offene Fra- punkte 14 und 15) gen werden ignoriert, und Probleme werden mit viel Geld wegkaschiert. Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): TOP 28 ATAD- Sie formulieren zwar allgemeine Anforderungen an Umsetzungsgesetz, europäische Anti-Steuervermei- das Modell: Das Geld soll gezielt in die Entwicklung dungsrichtlinie, Hinzurechnungsbesteuerung, Wegzugs- von naturnahen Waldökosystemen fließen. Die Zahlun- besteuerung: In dem Gesetzentwurf, den wir heute disku- gen sollen auf konkret erbrachten Leistungen basieren. tieren, stecken schon wieder viele Begriffe, die vielleicht Vorgaben für das Waldmanagement sollen gemacht und nicht jedem direkt einleuchten. Anreize für die Stärkung von vielfältigen Ökosystem- Zunächst also eine Begriffserklärung: Was ist eigent- leistungen sollen gesetzt werden. Alles gut und richtig! lich ATAD? – Die Anti-Tax-Avoidance-Directive ist – die Aber warum haben Sie dann der Bundeswaldprämie von Frau Staatssekretärin hat es ausgeführt – eine EU-Richt- Ministerin Klöckner zugestimmt, die nichts davon er- linie, mit der Steuervermeidung bekämpft werden soll füllt? und die wir in deutsches Recht umsetzen. „Endlich“, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28601

(A) muss man sagen; denn eigentlich hätte das Gesetzge- und diese sogar noch erschweren. Weil internationale (C) bungsverfahren bis Ende 2019 abgeschlossen sein müs- Vereinbarungen eine viel stärkere Wirkkraft haben, ist sen. Deswegen gelten Teile des Gesetzes rückwirkend es deshalb – auch im Hinblick auf die ganz aktuelle auch schon ab Anfang 2020. Initiative der USA – klug, hier nicht auf nationale Lösun- gen zu setzen. Viel besser ist es – und Olaf Scholz arbeitet Im Großen gesehen ist das Gesetz also eine von euro- seit Langem intensiv daran –, möglichst viele Länder bei päischer Integration getragene Maßnahme, um die der Einführung einer globalen Mindestbesteuerung auf Steuergestaltung und Steuervermeidung zu verringern OECD-Ebene mit einzubeziehen. und zu erschweren. Das ist eine weitere Scheibe im Anti-BEPS-Projekt der OECD. Wir merken also, das Gesetz enthält einige Schritte zur Bekämpfung von Steuergestaltung und Steuervermei- Im Kleinen sind es vier wesentliche Regelungsberei- dung, und es gilt jetzt, diesen Weg in den parlamentari- che, die mit diesem Gesetz beschlossen werden sollen: schen Beratungen weiterzugehen. Erstens. Hybride Gestaltungen wollen wir bekämpfen, Zu dem ebenfalls zur ersten Beratung vorliegenden indem wir den Betriebsausgabenabzug beschränken oder, Gesetz zur Modernisierung des Körperschaftsteuerrechts wo nötig, versagen. Wenn ein Unternehmen also Steuern hat Frau Ryglewski bereits ausgeführt. Die Verbesserun- vermeidet, weil es im einen Land eine Kapitalgesellschaft gen der steuerlichen Rahmenbedingungen für Körper- ist, im anderen aber lieber eine Personengesellschaft, schaften sind genauso zu begrüßen wie die Einführung dann ist es klug, diese Gestaltung einzuschränken; denn einer Option für Personenhandelsgesellschaften zur Kör- anständigen Unternehmen entsteht ein Wettbewerbsnach- perschaftsteuer. teil durch diese Gestaltung. Das kann natürlich nur dann zur Anwendung kommen, wenn eine strukturierte, also willentlich, bewusste, Gestaltung anzunehmen ist. Katja Hessel (FDP): Wir beraten heute über zwei Gesetzentwürfe der Bundesregierung in einem Tagesord- Zweiter Teil der aus der ATAD-Richtlinie abgeleiteten nungspunkt, die nicht wirklich im inhaltlichen Zusam- Maßnahmen ist die Entstrickungsbesteuerung. Das heißt, menhang stehen. Dies ist auch ein wenig symptomatisch wenn Unternehmen Wirtschaftsgüter überführen oder für diese beiden Gesetzesvorhaben und den Umgang der Betriebe verlagern und dabei Grenzen überschreiten, Bundesregierung damit: jetzt im Eilverfahren kurz vor müssen stille Reserven aufgedeckt und besteuert werden. Toresschluss und dann auch noch unausgegoren. Im umgekehrten Fall, also der Überführung von Wirt- schaftsgütern ins Inland, ist die ausländische Entstri- Im Einzelnen: Es hat zwei Vertragsverletzungsverfah- ckungsbesteuerung anzurechnen. ren seitens der EU-Kommission gebraucht, damit diese Bundesregierung in die Puschen kommt und diesem Haus (B) Dritter Teil des ATAD-Umsetzungsgesetzes ist die endlich einen Gesetzentwurf zur Umsetzung der Anti- (D) Anpassung der Wegzugsbesteuerung. Die geht auf die Steuerver-meidungsrichtlinie vorlegt. Und dann kommt fortentwickelte Rechtsprechung des Europäischen Ge- ein Entwurf, mit dem die Bundesregierung sehenden richtshofs zurück. Nach Urteil des EuGH sind die Ver- Auges in das nächste Vertragsverletzungsverfahren läuft. bindungen Deutschlands zur Schweiz so eng, dass die Denn obwohl der EuGH schon in seiner Wächtler-Ent- Schweiz häufig wie ein EU-Land zu behandeln ist. Das scheidung die Grenzen der Wegzugsbesteuerung im heißt, wenn Menschen aus Deutschland in die Schweiz Lichte der Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit ziehen, sollen die gleichen Regelungen zur Aufdeckung definiert hat, enthält dieser Gesetzentwurf eine drastische und Besteuerung stiller Reserven und zur unbefristeten Verschärfung der Wegzugsbesteuerung, die den Grund- Stundung der darauf zu zahlenden Steuern gelten, als sätzen des EuGH klar zuwiderläuft. würden sie in ein EU-Land ziehen. Das vereinfacht es Ebenso unerklärlich ist, warum die Bundesregierung Vermögenden, vor der Steuer in die Schweiz zu fliehen nicht die Niedrigsteuergrenze im Außensteuergesetz und sich einer fairen Beteiligung an Gemeinschafts- anpasst, was dringend überfällig wäre. Denn inzwischen aufgaben zu entziehen. Da der EuGH eine unterschied- ist Deutschland Steuerhochland und der Niedrigbesteue- liche Behandlung der Schweiz und der EU-Mitgliedstaa- rungssatz ist schon seit Jahren nicht mehr zeitgemäß. ten in dieser Frage nicht zulässt, soll bei Wegzügen in Alles was unter 25 Prozent im Ausland besteuert wird, EU-Mitgliedstaaten und in Drittstaaten eine einheitliche muss in Deutschland nachbesteuert werden, und das bei Besteuerung mit einer befristeten Stundung eingeführt einem durchschnittlichen Unternehmenssteuersatz von werden – selbstverständlich unter Beachtung des Doppel- 23,5 Prozent in der OECD und 20,7 Prozent in der EU. besteuerungsabkommens mit der Schweiz. So macht die Bundesregierung quasi alle Länder jenseits Letzter Teil des ATAD-Umsetzungsgesetzes ist die der deutschen Grenzen zur Steueroase. Darum bringen Ausgestaltung der Hinzurechnungsbesteuerung. Mit der wir einen entsprechenden Antrag zur Absenkung der Hinzurechnungsbesteuerung soll verhindert werden, dass Niedrigbesteuerungsgrenze auf ein zeitgemäßes und Unternehmen eine Tochtergesellschaft im Niedrigsteuer- wettbewerbsfähiges Niveau ein, um den Wirtschafts- ausland gründen und Einkünfte dorthin verlagern, um die standort Deutschland nicht komplett abzuhängen. höheren Steuern hierzulande zu umgehen. Die Niedrig- Wir haben hier zwei Gesetzentwürfe für Vorhaben, die steuergrenze, ab der die Hinzurechnungsbesteuerung lange bekannt bzw. beschlossen waren, jetzt auf quasi den wirksam wird, liegt seit Langem bei 25 Prozent. letzten Drücker in das Gesetzgebungsverfahren kommen Jetzt könnte man das Ganze natürlich national angehen und dann auch immer noch schlecht gemacht sind. Was und die Niedrigsteuergrenze einseitig absenken. Dann hat die Bundesregierung denn so lange gemacht, dass würden wir aber einer multilateralen Lösung vorgreifen dann doch Gesetzentwürfe vorgelegt werden, die den 28602 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

(A) Anforderungen nicht einmal halbwegs gerecht werden? die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Und (C) Denn ebenso wie das ATAD-Umsetzungsgesetz offenbart Wettbewerbsfähigkeit haben unsere Unternehmen drin- auch der Entwurf zur Modernisierung des Körperschaft- gend nötig. steuerrechts den fehlenden Gestaltungswillen dieser Bun- desregierung. Fabio De Masi (DIE LINKE): Die Umsetzung der Nachdem die Personengesellschaften immer wieder Anti-Steuervermeidungsrichtlinie, an der ich als Europa- darauf hingewiesen haben, dass eine verbesserte Thesau- abgeordneter noch mitwirken durfte, und eine Moderni- rierungsbegünstigung wichtiger wäre als die Einführung sierung des Körperschaftsteuerrechts, sind überfällig. eines Optionsmodells, legt die Bundesregierung einen Unternehmen nutzen Kredite innerhalb eines Konzerns, Gesetzentwurf vor, der dies völlig ignoriert. Ein Options- um Gewinne wie Amazon-Pakete in Niedrigsteuerländer modell wird eingeführt, die Thesaurierungsbegünstigung zu verschieben. Ein Unternehmen in einem Niedrigsteu- hingegen nicht angepasst. Wir als Serviceopposition ha- erland – zum Beispiel Luxemburg – vergibt einen Kredit ben die Notwendigkeit, bei der Thesaurierung endlich zu einem sehr hohen Zinssatz an ein weiteres Unterneh- etwas auf die Beine zu stellen, erkannt und legen dazu men innerhalb des Konzerns, das in Deutschland seinen einen Antrag vor. Denn vielen Personengesellschaften, Sitz hat. Die deutsche Dependance überweist dann also dem deutschen Mittelstand mit vielen Arbeitsplät- Gewinne aus Deutschland als Zins nach Luxemburg. So zen, wird ihr Optionsmodell nichts bringen, aber eine werden der Gewinn und die bezahlte Unternehmensteuer Modernisierung der Thesaurierung einen entscheidenden in Deutschland verringert. Der nach Luxemburg verscho- Beitrag zur rechtsformneutralen Besteuerung leisten. bene Gewinn wird mit einem niedrigeren Steuersatz Diese Modernisierung ist dringend notwendig. Denn besteuert. schon vor der Krise hat sich gezeigt, dass der § 34a Konzerninterne internationale Kredite sind für etwa EStG nur von circa 0,1 Prozent der Personengesellschaf- ein Drittel der globalen Gewinnverschiebung verantwort- ten angewendet wird, die ihn anwenden könnten. Und lich. Etwa 80 Prozent des Welthandels sind Transaktio- während Körperschaften mit einem Steuersatz von rund nen innerhalb international tätiger Konzerne. Steuerbe- 31,3 Prozent belastet werden, erfolgt die Besteuerung bei hörden müssen etliche Transaktionen danach bewerten, Personengesellschaften aufgrund des Transparenzprin- ob diese marktüblichen Preisen entsprechen. Dazu müs- zips auf Ebene der Mitunternehmer mit einem individuel- sen sie den Zinssatz ermitteln, den das Unternehmen etwa len Steuersatz von bis zu 42 Prozent. Eine rechtsform- gegenüber einem Dritten marktüblich hätte bezahlen neutrale Besteuerung sieht anders aus. müssen. In der Praxis sind solche korrekten Transferprei- se schwer zu bestimmen – etwa bei Lizenzgebühren für (B) Auch hinsichtlich ihrer unternehmerischen Planungs- Patente. Insbesondere in der Digitalwirtschaft, wo es (D) und Entscheidungsfreiheit sind Personengesellschaften kaum vergleichbare Preise bei marktbeherrschenden mit der aktuellen Thesaurierungsbegünstigung stark ein- Big-Techs wie Apple oder Google gibt, fällt dies schwer. geschränkt, weil das Gesetz ihnen die Reihenfolge der Die Linksfraktion sagt: Es muss endlich Schluss damit Verwendung ihrer Rücklagen vorschreibt und faktisch sein! sogar den Abbau von Eigenkapital fördert; ein Umstand, der sich in diesen besonderen Krisenzeiten als fatal er- Frankreich hat schon eine Lösung dafür gefunden, um weist. Darum haben wir in unserem Antrag zur Verbes- zumindest einen Korridor für den marktüblichen Zinssatz serung der Thesaurierungsbegünstigung einen Vorschlag festlegen zu können. Der Bundesrat hat ebenfalls einen für mehr Steuergerechtigkeit durch rechtsformneutrale Vorschlag eingebracht. Daran sollten wir uns orientieren. Besteuerung gemacht. Der Gesetzentwurf zur Modernisierung des Körper- schaftsteuerrechts soll zudem eine Option eröffnen, die Der dritte zentrale Punkt, der für eine wirkliche Re- es Personengesellschaften ermöglicht, künftig wie eine form der Unternehmensbesteuerung fehlt, ist die Ab- Kapitalgesellschaft besteuert zu werden. Es soll künftig schaffung der Gewerbesteuer. Auch hierzu bringen wir also Personengesellschaften ermöglicht werden, einen einen Antrag ein. Denn die Gewerbesteuer ist mit ihren Antrag auf Besteuerung als Kapitalgesellschaft zu systemwidrigen Hinzurechnungen nicht nur eine außer- stellen, um die steuerliche Belastung auf Körperschaft- ordentliche Belastung für die Unternehmen. Sie ist auch steuerniveau zu senken. Grundsätzlich ist das ein Schritt als Besteuerung des Gewerbebetriebs erheblichen pro- in die richtige Richtung, da in der Praxis die Unterschei- zyklischen Schwankungen unterworfen und damit gerade dung zwischen Personengesellschaften und Kapitalge- kein tragfähiges Finanzierungskonzept für Kommunen. sellschaften weitgehend ihre Bedeutung verloren hat; Gerade in Krisen steigen die Ausgaben der Gemeinden sie dient hauptsächlich nur noch der Steuergestaltung. an, während ihre Einnahmen sinken; eine nachhaltige Finanzierungsquelle sieht anders aus. Darum fordern Die neue Regelung sollte aus Sicht unserer Fraktion wir in unserem Antrag auch die Einführung eines kom- nicht als Optionsmodell ausgestaltet sein. Sonst könnten munalen Hebesatzrechts der Gemeinden auf die Körper- aufgrund der Komplexität der Vergleichsrechnung nur schaft- und Einkommensteuer sowie auf einen Anteil an große Personenunternehmen diese Option wahrnehmen. der Umsatzsteuer. Zudem würde ein Optionsmodell Steuergestaltungen befeuern. Stattdessen brauchen wir eine verpflichtende Damit haben wir drei ganz wesentliche Verbesserungs- Anwendung – mit Ausnahmen für Kleinstunternehmerin- vorschläge zur wirklich effizienten Modernisierung des nen und Kleinstunternehmer – und ein einheitliches Un- Unternehmensteuerrechts gemacht, die essenziell sind für ternehmensteuerrecht, inklusive einer gerechten Rege- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28603

(A) lung der Besteuerung ausgeschütteter Gewinne bei den rechtlicher und steuerrechtlicher Qualifikation entstehen. (C) Eigentümerinnen und Eigentümern, die unter anderem Das betrifft beispielsweise die umsatzsteuerliche Be- auch die Abschaffung der Abgeltungsteuer vorsieht. handlung der Optionsgesellschaften. Stattdessen hätte es eine Reform der völlig ineffizien- Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Bun- ten Thesaurierungsbegünstigung gebraucht, indem die desregierung legt uns nun nach eineinhalb Jahren der „last in, last out“-Regel beseitigt und den Unternehmen Beratung und drei Referentenentwürfen ihren Vorschlag so die dringend benötigte Flexibilität und Liquidität zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungs-Richtlinie gewährt wird. ATAD vor. Mit in das Paket geschnürt hat sie noch eine Reform der Körperschaftsteuer. Dahinter verbirgt sich, Was hier zur Debatte steht, wird die Unternehmensbe- wie wir wissen, das Optionsmodell für Personengesell- steuerung weiter verkomplizieren. Das Körperschaft- schaften. steuer-Modernisierungsgesetz verdient seinen Namen so Leider haben die eineinhalb Jahre scheinbar nicht aus- nicht. gereicht, um eine Regelung zu treffen, die der Steuerver- meidung durch Gewinnverschiebungen und ähnliche Tricks tatsächlich etwas entgegensetzt. Das beginnt Anlage 17 schon mit dem vorgesehenen Substanznachweis im Außensteuerrecht. Kleine und mittlere Unternehmen Zu Protokoll gegebene Reden werden hier strukturell benachteiligt, für große Konzerne zur Beratung aber sind die Anforderungen ein Witz. Damit schafft man eine Regelung die dort, wo es wirklich brennt, keinerlei 29) des von der Bundesregierung einge- Auswirkung haben wird. brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Zudem hat man sich – entgegen der vorangegangenen Änderung des Strafgesetzbuches – Ver- Entwürfe – von einer Regelung der konzerninternen besserung des strafrechtlichen Schutzes Finanzbeziehungen verabschiedet. Mit solchen Krediten, gegen sogenannte Feindeslisten bei denen Konzernschwestern ihre Gewinne mithilfe ZP 16) des von den Abgeordneten Dr. Jürgen überteuerter Zinsen beliebig hin- und herschieben, wird Martens, Stephan Thomae, Grigorios heute ein Drittel der globalen Gewinnverschiebungen Aggelidis, weiteren Abgeordneten und abgewickelt. Die Steuerbehörden bleiben damit hilflose der Fraktion der FDP eingebrachten Zuschauer, während diese seit Jahren bekannte Praxis Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung (B) munter weitergeht. des Strafgesetzbuches – Überführung (D) Die Regelung räumt auch weiterhin nicht mit der des § 42 des Bundesdatenschutzgesetzes paradoxen Ausnahme der Investmentfonds aus der Hin- in das Strafgesetzbuch zum verbesserten zurechnungsbesteuerung auf. Seit der Reform des In- strafrechtlichen Schutz von persönlichen vestmentsteuerrechts und der Abkehr vom Transparenz- Daten prinzip ist nämlich nicht mehr zu rechtfertigen, dass (Tagesordnungspunkt 29 und Zusatzpunkt 16) Investmentfonds von der Besteuerung ausgenommen werden. Die geplante Umsetzung bleibt zu unserem Bedauern Ingmar Jung (CDU/CSU): „Wir kriegen Euch alle“, auch mit Blick auf die Niedrigsteuergrenze reichlich „Dem müsste man mal einen Besuch abstatten“ – solche vage. Mit der Öffnungsklausel wird die jetzige Festset- Feindes-, Todes- oder schwarzen Listen kursieren in letz- zung bei 25 Prozent zum Wackelkandidaten, und das ter Zeit immer häufiger im Internet in extremen und ter- schwächt die Position Deutschlands in den gerade Fahrt roristischen Kreisen. Unter diesen Überschriften werden aufnehmenden Verhandlungen um eine internationale persönliche Daten wie Name, Adressangabe, Fotos oder Mindestbesteuerung. Hier hätte es mehr Mut gebraucht, Informationen über persönliche Umstände veröffentlicht. mehr Entschlusswillen und einen klaren Blick nach vor- Die auf diesen Listen Genannten sollen „zur Verantwor- ne. tung gezogen werden“. Zielscheibe ist der vermeintliche politische Gegner, Zielscheibe sind auch „unliebsame“ Viel Besseres gibt es leider auch nicht über das Gesetz Journalisten oder Aktivisten, Zielscheibe sind außerdem zur Modernisierung der Körperschaftsteuer zu sagen. engagierte Bürgerinnen und Bürger. Lange wurde darüber geredet, jetzt kommt es tatsächlich: Ein Optionsmodell für Personenhandelsgesellschaften. Auch der Name „Walter Lübcke“ stand auf einer sol- Doch was Sie hier vorschlagen, macht die Unter- chen Liste. Aus Worten werden Taten. Und deshalb ist es nehmensbesteuerung weder einfacher noch gerechter. ein wichtiger Schritt im Kampf gegen Extremismus und Schlimmer noch: Sie verschärfen so weiter den unfairen Hasskriminalität, dass wir heute den Gesetzentwurf zur Wettbewerb zwischen kleinen und mittelständischen Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes gegen Fein- Betrieben und internationalen Großkonzernen. Denn für deslisten beraten. Was regeln wir mit dem Gesetz? Wir die meisten kleineren Betriebe wird die Ziehung der sagen: Wehret den Anfängen! Hass und Hetze haben in Option wegen des damit verbundenen erheblichen unserer freien demokratischen Gesellschaft keinen Platz. Umstellungsaufwandes kaum eine ebensolche sein. Ver- Das Kursieren und Verbreiten solcher Listen trägt zur bunden ist die Reform dabei mit massiven Rechtsun- massiven Einschüchterung der auf diesen Listen Genann- sicherheiten, die durch das Auseinanderfallen von zivil- ten bei. 28604 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

(A) Die Botschaft dieser Listen: Wer sich engagiert, analog sonen des öffentlichen Lebens, Amtspersonen und (C) oder digital, wer sich für freiheitliche demokratische engagierte Bürgerinnen und Bürger. So sind unseren Grundwerte ausspricht, der setzt sich einer Gefahr Sicherheitsbehörden in den letzten Jahren immer mehr aus. – Dies schüchtert nicht nur die Betroffenen selbst Informationssammlungen unterschiedlichster Art über massiv ein. Auch das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung politische Gegner von extremistischen Gruppierungen wird nachhaltig beeinträchtigt. Diese Listen tragen dazu bekannt geworden, die in der medialen Berichterstattung bei, dass sich engagierte Menschen aus dem politischen als sogenannte Feindes- oder gar Todeslisten bezeichnet Diskurs zurückziehen, weil sie sich solchen Angriffen werden. Das ist, weiß Gott, leider keine Übertreibung. nicht aussetzen wollen. Und das ist doch eine gefährliche Auch der 2019 ermordete Kasseler Regierungspräsident Entwicklung. Dieser Entwicklung müssen wir doch als Walter Lübcke stand beispielsweise auf einer solchen Demokratinnen und Demokraten entschlossen gegen- Liste. steuern. Und deshalb ist es richtig, dass der neue Straf- Der Gesetzentwurf, den wir in erster Lesung ein- tatbestand § 126a StGB das Verbreiten solcher Listen, die bringen, sieht die Einführung eines neuen Straftatbe- teilweise mit ausdrücklichen oder subtilen Drohungen stands des „gefährdenden Verbreitens personenbezogener oder Hinweisen verbunden werden und die die Gefahr Daten“, also die Strafbarkeit von sogenannten Feindes- begründen, dass aus Worten Taten werden, unter Strafe listen, vor. Damit soll das Verbreiten personenbezogener stellen. Daten unter Strafe gestellt werden, wenn dies in einer Art Das bisherige Strafrecht bietet den Betroffenen bisher und Weise geschieht, die geeignet ist, die Person oder keinen ausreichenden Schutz: Eine Strafbarkeit wegen eine ihr nahestehende Person der Gefahr einer gegen sie des öffentlichen Aufforderns zu einer Straftat, § 111 gerichteten Straftat auszusetzen. Für Fälle, bei denen per- StGB, scheitert in der Regel daran, dass von Dritten sonenbezogene Daten verbreitet werden, die nicht allge- kein bestimmtes Tun verlangt wird. Eine Strafbarkeit mein zugänglich sind, sieht der Entwurf eine erhöhte wegen der Störung des öffentlichen Friedens durch die Strafandrohung vor. Androhung von Straftaten, § 126 StGB, oder eine Straf- barkeit wegen Bedrohung, § 241 StGB, scheitert an dem Diese perfiden Listen sollen im persönlichen Umfeld Inaussichtstellen einer konkreten Straftat. Und genau das ihrer Opfer Unsicherheit und Angst um das eigene oder ist aber auch der Kerngehalt und das Ziel des Verbreitens das Leben naher Familienangehörigen oder um deren solcher Listen: Sie sollen ein Klima der Angst und des Gesundheit auslösen. Sie bedrohen damit Meinungsfrei- Schreckens verbreiten. Der politische Gegner hat eine heit und alle uns wichtigen Bürgerrechte. Hier müssen falsche Meinung und deshalb kein Recht darauf. Er soll wir handeln. Dazu gibt es gar keine Alternative. Darüber sich beobachtet fühlen. Er soll damit rechnen, dass er „zur hinaus stören sie unser gesellschaftliches Klima. Daher (B) Verantwortung gezogen wird“. werden wir ihnen mit den Mitteln des Strafrechts entge- (D) gentreten. Diese unerträgliche Strafbarkeitslücke schließen wir jetzt. Das Bundesdatenschutzgesetz stellt bisher nur das Ich möchte ausdrücklich auch darauf hinweisen, dass Verbreiten von nicht frei zugänglichen Daten mit Schädi- das hier skizzierte Problem keines der digitalen Welt ist. gungsabsicht unter Strafe. Für den Effekt, den das Ver- Solche Listen haben auch schon früher eine verheerende breiten solcher Listen auf die Betroffenen hat – nament- Wirkung entfaltet. So konnten schon die Nationalsozia- lich die massive Einschüchterung und ein starkes listen unmittelbar nach dem 30. Januar 1933 ihr schreck- Bedrohungsgefühl – ist es gleichgültig, ob ihre personen- liches Treiben entfalten, weil sie ihre Gegner bereits bezogenen Daten, die auf der Liste kursieren, frei erfasst hatten. zugänglich sind oder nicht. Und deshalb, liebe Kollegin- Doch ganz gleich, in welcher Form solche Listen exis- nen und Kollegen von der Fraktion der FDP ist es wich- tieren, mit den geltenden Strafvorschriften lässt sich tig, auch das Kursieren frei zugänglicher Daten unter dagegen bislang zu wenig machen, und deshalb werden Strafe zu stellen, weil eben der Einschüchterungseffekt wir unseren Instrumentenkasten erweitern und damit un- auch dann schon besteht. Ich möchte mich mit meinem sere freiheitliche Grundordnung und die Menschen, die Namen auf einer solchen Liste nicht wiederfinden, ob- sich für sie engagieren, besser schützen. wohl mein Name frei zugänglich ist. Anfang des Jahres hat in diesem Zusammenhang auch Allerdings bestrafen wir mit Blick auf das gesteigerte die französische Nationalversammlung einen Gesetzent- Tatunrecht das Verbreiten nicht allgemein zugänglicher wurf „zur Stärkung der republikanischen Prinzipien“ Daten härter. Und das ist deshalb richtig, weil es ein gebilligt. Demnach muss bei unseren französischen qualitativer Unterschied für das Sicherheitsgefühl des Freunden jeder mit hohen Strafen rechnen, der mit dem Betroffenen ist, dass Daten von ihm kursieren, die so Ziel, einer Person zu schaden, Informationen wie deren nicht frei zugänglich sind und deshalb „Rückschlüsse Namen, Adresse oder Arbeitsplatz publik macht. Ursache auf besondere persönliche Eigenschaften“ zulassen. dafür war ein Internetposting mit privaten Informationen, In diesem Sinne: ein gutes Gesetz. Ich freue mich auf die zur öffentlichen Ermordung – Enthauptung! – des intensive Beratungen im Rechtsausschuss. Lehrers Samuel Paty führten. Ich bin froh, dass wir dieses insgesamt gute und wich- Paul Lehrieder (CDU/CSU): „Wir kriegen euch alle!“ tige Vorhaben heute in erster Lesung beraten und noch in „D er muss mal Besuch bekommen!“ „Gegen so eine dieser Wahlperiode beschließen wollen. Wir müssen bei muss man was unternehmen!“. – Solche und viele andere der weiteren parlamentarischen Beratung darauf achten, Formulierungen – ob digital oder analog – treffen Per- dass wir bei diesem wichtigen und notwendigen Vorha- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28605

(A) ben, das insgesamt ein schwieriges Regelungsfeld dar- Alles in allem ein wichtiges Gesetz. Wir setzen das (C) stellt, eine passgenaue Lösung finden. So bringt eine ganz klare Signal: Wir schauen nicht zu, wie Bürger ein- gute Strafvorschrift wenig, wenn sich keine wirksame geschüchtert oder der Gewalt ausgesetzt werden. Ein Strafverfolgung anschließt. Können die angestrebten Re- ganz klares Signal, ein weiteres Signal: Wir gehen gegen gelungen Opfer tatsächlich schützen? Gewalt, egal ob von rechts oder von links, vor, und zwar konsequent. Ein kurzes Wort zum ebenfalls vorliegenden Antrag von der FDP. Ihr Entwurf, der auf die Überleitung des § 42 Bundesdatenschutzgesetz ins Strafrecht abzielt, Dr. Jürgen Martens (FDP): In einer scheinbar unend- greift schon jetzt nicht weit genug. Allein die Verbreitung lichen Reihe neuer Straftatbestände wenden wir uns nun nicht öffentlich zugänglicher Daten zu verbieten, ist dem Gesetzentwurf zu, in dem es um die Einführung schlichtweg nicht ausreichend. eines weiteren Straftatbestandes, der sogenannten Fein- deslisten geht, § 126a StGB. Eines steht für mich auf jeden Fall fest: Ob Extremist oder ein feiger Wirrkopf, der sich hinter einer mehrdeu- Die Verbreitung von Listen mit persönlichen Daten tigen Aussage versteckt, wir werden etwas gegen Verun- von Personen, die deren Verfasser als Gegner betrachten sicherung und Angst bei Betroffenen tun, und deswegen und die sie durch die Benennung mit der oft beigefügten freue ich mich auf die weiteren parlamentarischen Bera- Aufforderung zu Straftaten einschüchtern und bedrohen tungen dieses wichtigen Vorhabens. wollen, ist nicht akzeptabel. Ein solches Vorgehen ist besonders perfide, weil technisch einfach und anonym möglich, aber es kann zu schwerwiegenden Schäden, in Dr. Johannes Fechner (SPD): Innenminister der weiteren Folge sogar bis hin zu Schäden an Leib und Seehofer hat vor Kurzem explizit ausgeführt, dass die Leben der Tatopfer führen. Bedrohung durch Rechtsextreme deutlich zugenommen hat und eine der größten Herausforderungen unseres Hiergegen sollte der Gesetzgeber auch mit Mitteln des Rechtsstaates und unserer demokratischen Gesellschaft Strafrechts vorgehen. Allerdings greifen die traditionel- ist. Und wir werden nicht zuschauen: Mit einer ganzen len Tatbestände der analogen Welt – etwa die der Belei- Reihe von Gesetzen gehen wir gegen Rechtsradikalismus digung, Verleumdung oder Bedrohung oder der Auffor- und Rassismus vor. Ich bin Ministerin Lambrecht dank- derung zu Straftaten – hier in vielen Fällen nicht. Ein bar, dass sie hier erneut einen guten Vorschlag gemacht strafrechtliches Vorgehen sollte allerdings auch hier hat, wie wir rechtsradikale, aber auch linksradikale Atta- sehr sorgfältig vorbereitet werden, um einen effektiven cken gegen Bürgerinnen und Bürger verhindern können. Strafschutz zu erreichen. Es ist überfällig, dass wir die Erstellung und Verbreitung Geschütztes Rechtsgut ist hier laut Gesetzesbegrün- (B) von Feindeslisten unter Strafe stellen. dung der öffentliche Frieden – das überzeugt jedoch nicht (D) Wenn Täter solche Feindeslisten erstellen, dann wollen ganz –, während als Taterfolg die Einschüchterung der sie massiven Druck ausüben auf ihre Opfer. Feige wie sie Betroffenen, also eine sehr individuelle Wirkung der Tat- sind, wollen sie sich nicht selber die Hände schmutzig handlung beschrieben wird. Der als mögliche weitere machen, sondern sie wollen durch die Veröffentlichung Folge befürchtete Rückzug aus gesellschaftlichem Enga- von Listen mit Wohnorten und Namen Bürger nicht nur gement wäre dann eher als mittelbare Tatfolge einzustu- einschüchtern, sondern sie wollen, dass diesen Bürgern fen. Gewalt angetan wird. Wir sehen das geschützte Rechtsgut eher dem Bereich Da sagen wir ganz klar: Wir lassen nicht zu, wir des Individualrechtsschutzes zugeordnet, nämlich in dem schauen nicht zu, wie Bürgerinnen und Bürger zum unbefugten Verbreiten bzw. Offenbaren solcher persön- Abschuss freigegeben werden. Deshalb wird zukünftig lichen Daten, die nicht allgemein zugänglich sind, oder derjenige strafbar sein, der eine Feindesliste erstellt. Des- das in einer Weise geschieht, welche den Genannten der halb ist es gut, dass wir ins Gesetzgebungsverfahren star- Gefahr von Straftaten gegen ihn bzw. ihm nahestehende ten, damit wir noch in dieser Wahlperiode diese Straf- Personen aussetzt. Es geht nach unserer Ansicht also rechtslücke schließen können. primär um ein Delikt, dessen Unwert aus der unbefugten Verwendung von persönlichen Daten folgt. Ein Tatbe- Jetzt gab es in der schon laufenden Debatte den Hin- stand, der diesem Ausgangsgedanken folgt, ist wohl weis, dass wir dafür Sorge tragen müssen, dass der Straf- auch näher an dem tatsächlichen Geschehen in den meis- tatbestand nicht zu weit gefasst ist. Deshalb ganz klar: ten derartigen Fällen, in denen Daten über elektronische Wenn etwa Journalisten berichten wollen über bestimmte Medien, soziale Netzwerke oder andere Verbreitungs- Personengruppen, dann müssen sie das natürlich mit der plattformen unbefugt verbreitet werden. Nennung von Namen weiterhin tun können. Auch in der Es gibt bereits Strafnormen, die den genannten Aus- politischen Arbeit ist es natürlich zulässig, etwa zu sagen, gangspunkt aufgreifen und insbesondere die gewerbsmä- welche Abgeordneten wie abgestimmt haben. ßige Verwendung unbefugt erlangter Daten oder beson- Aber genau deshalb setzt die Strafbarkeit nach diesem ders schutzwürdiger Personaldaten bestrafen. Die FDP Vorschlag ja voraus, dass der Täter billigend in Kauf macht daher einen Alternativvorschlag: den bisherigen nimmt, dass der Person, deren Namen er ins Spiel bringt, § 42 Bundesdatenschutzgesetz in geänderter Form ins Gewalt angetan wird. Das ist eine wichtige Präzisierung, Kernstrafrecht, also das Strafgesetzbuch, zu übernehmen. aber selbstverständlich schauen wir uns die Hinweise aus Dies bietet sich aus verschiedenen Gründen an. So ist die der Rechtspraxis natürlich an, damit diese Vorschrift auch Aufspaltung von Strafnormen in Kern- und Nebenstraf- dann tatsächlich zur Anwendung kommen wird. recht der Einheitlichkeit und der Übersichtlichkeit der 28606 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

(A) Rechtsordnung gerade im sensiblen Bereich des Straf- Es ist eine unhaltbare Gleichsetzung von völlig unter- (C) rechts prinzipiell abträglich. Die Eingliederung von Tat- schiedlichen Sachverhalten und Motivationen der Han- beständen aus dem Datenschutzrecht in das StGB ist auch delnden, aber sie alle werden zu Tätern nach diesem vor dem Hintergrund der zunehmenden Digitalisierung Gesetz. Es muss entscheidend auf den subjektiven Wil- aller Lebensbereiche und dem damit verbundenen Bedeu- len, also die Absicht der Personen ankommen, die Fein- tungszuwachs digitalen Handelns zeit- und sachgerecht. deslisten erstellen bzw. personenbezogene Daten verbrei- ten. Im Strafrecht ist das bekanntlich in aller Regel auch In der Sache lassen sich die Handlungsformen der ein Tatbestandselement: der subjektive Vorsatz, also dass Erstellung und Verbreitung sogenannter Feindeslisten es nicht nur im Ergebnis zu einer Straftat kommen kann auch ohne erheblichen Aufwand in den Regelbestand oder gekommen ist, sondern die handelnde Person muss des § 42 BDSG eingliedern. Zudem vermeiden wir so das auch so beabsichtigt haben. Auf den muss es auch bei das Entstehen einer Mehrzahl von Tatbeständen, die diesem Tatbestand ankommen. Bisher wird nur auf die möglicherweise dieselben oder sehr ähnliche Tatbestände Geeignetheit einer Handlung abgestellt. Dadurch wird zum Gegenstand haben. dieser Gesetzentwurf zu einem ausufernden Tatbestand. Wir bitten deshalb um eine ergebnisorientierte und Weil der Straftatbestand ausschließlich auf die Geeig- fachpolitisch geleitete Diskussion des Gesetzgebungs- netheit der Verbreitung von personenbezogenen Daten vorhabens und unseres Änderungsantrages hierzu. abstellt, ist der Entwurf abzulehnen. Die in vielen Fein- deslisten auftretende Antifaschistin Katharina König- Niema Movassat (DIE LINKE): In rechtsterroristi- Preuss etwa merkt deshalb völlig zutreffend an, dass es schen Kreisen werden sogenannte Feindeslisten erstellt sich bei diesem Gesetz „konsequent durchgedacht … so- und kursieren in entsprechenden Verbrecherkreisen, die gar um ein neues Verfassungsschutz-Schutzgesetz“ han- zu Mord und Totschlag bereit sind. Viele Menschen füh- dele. Es verhindere nicht nur unabhängige Recherche und len sich zu Recht bedroht, wenn ihr Name auf einer sol- öffentliche Aufklärung, „sondern der Staat – qua Gesetz chen Liste auftaucht. Auch Walter Lübcke stand auf einer der Verfassungsschutz – verbleibt als einzige Instanz, die solchen Liste und wurde dann von einem rechtsextremen ohne das Damoklesschwert der Strafverfolgung im Terroristen ermordet. Diese Feindeslisten sind brandge- Rücken künftig Informationen über Neonazis veröffent- fährlich und vergiften das Klima. Doch der vorliegende lichen dürfte.“ Recht hat sie. Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Bekämpfung Diese Strafrechtsverschärfung hilft den Betroffenen dieser Feindeslisten ist blinder Aktionismus und hilft nicht, die überhaupt nicht zwingend informiert werden den Betroffenen leider nicht. Vielmehr gefährdet er jour- sollen. Sie bewirkt am Ende das Gegenteil des Bezweck- nalistische Arbeit und antifaschistische Recherche. Da- (B) ten, fördert Nazis potenziell in ihrem Handeln und bringt (D) durch hilft dieser neue Straftatbestand sogar eher rechten die investigative Recherche von Journalistinnen und Terroristen und Nazis, als dass er sie bekämpft. Journalisten in Gefahr. Das darf nicht verabschiedet wer- den. Denn ihr Gesetzentwurf wirft auf Tatbestandsseite die Frage auf, ob Recherchen von Journalistinnen und Jour- nalisten zu kontroversen Personen der Öffentlichkeit dar- Canan Bayram (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jour- unterfallen. Der Straftatbestand schreibt nur fest, dass die nalistinnen und Journalisten, Künstlerinnen und Künstler, Verbreitung von personenbezogenen Daten, die dazu ge- Aktivistinnen und Aktivisten, Politikerinnen und Politi- eignet sind, dass die betroffene Person in die Gefahr eines ker: Immer mehr Daten von Menschen landen auf soge- Verbrechens gebracht wird, strafbar wird. Der Strafrecht- nannten Feindeslisten von Rechtextremisten, das heißt ler Sebastian Golla stellt deshalb völlig zu Recht fest, Telefonnummern, Adressen, Fotos. Damit werden diese dass beispielsweise auch die Berichterstattung über das Personen als „Feinde“ markiert, und es wird direkt oder Auto einer Person des öffentlichen Lebens dazu führen indirekt dazu aufgefordert, Gewalt gegen diese Personen kann, dass später eine Sachbeschädigung an dem Auto auszuüben. Über 25 000 Namen stehen auf einer Feindes- ausgeübt wird und die Berichterstattung somit den Straf- liste der rechtsextremen „Nordkreuz“-Gruppe; in einer tatbestand erfüllt. Auch investigative Recherchen führen Sammlung mit dem Namen „Wir kriegen euch alle“ wer- im Ergebnis zur Verbreitung personenbezogener Daten den Namen und Anschriften von Menschen veröffent- von Menschen, die immer auch Verbrechern bei der Aus- licht, die gegen Rassismus kämpfen. Auch Walter Lübcke übung möglicher Straftaten in die Hände spielen können. stand auf einer solchen Liste, bevor er ermordet wurde. Die Bedrohung durch Feindeslisten ist real. Allein die Der Entwurf richtet sich zudem gegen Antifaschisten. Existenz dieser Listen ist dazu geeignet, Bedrohung, In antifaschistischen Kreisen passiert oft das, was die Angst und Schrecken zu verbreiten. Polizei leider nicht immer leistet: Recherchen zu gesuch- ten rechtsextremen Straftätern. Es ist auch nicht selten Auch mir wurde wiederholt mitgeteilt, dass ich auf vorgekommen, dass derartige Recherchen dazu geführt solchen Listen von Neuköllner Neonazis stehe. Die von haben, dass gesuchte Tatverdächtige später dingfest ge- der Bundesregierung vorgeschlagene Regelung ist aber macht werden konnten. Auch in diesen Fällen findet nicht geeignet, mich davor zu schützen. Denn die Neu- natürlich eine Verbreitung von personenbezogenen Daten köllner Feindesliste war ebenso wie die Liste des NSU statt. Das wird nun absurderweise gleichgestellt mit der nicht öffentlich. Das heißt: Was ist mit den Feindeslisten, Erstellung von Feindeslisten durch Nazis. Man kann doch die nicht öffentlich, sondern konspirativ geteilt werden, bitte derartige verbrecherische Nazi-Feindeslisten nicht zum Beispiel in rechtsextremen Chatgruppen oder in gleichstellen mit antifaschistischer Recherche. Papierform bei Treffen? Ist das dann nicht strafbar? Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28607

(A) All diese Fragen beantwortet dieser Regelungsversuch Die Belastung für Opfer ist dauerhaft und hoch, wäh- (C) nicht. rend die Dunkelziffer der Fälle hoch bleibt. Und warum ist diese Dunkelziffer so viel größer? Diese Dunkelziffer Klar ist, dass wir den Schutz vor solchen Feindeslisten ist nicht nur deshalb so viel größer, weil viele der Fälle verbessern wollen. Aber die entscheidende Frage ist, was möglicherweise erst gar nicht zur Anzeige gebracht wer- wir tun müssen, um gegen die Personen vorzugehen, von den, sondern auch deshalb, weil der bisherige „Stalking- denen tatsächlich diese Gefahr ausgeht. paragraf“ viel zu hohe Hürden hat, um am Ende zu einer Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist eine von Verurteilung zu gelangen. 89 Maßnahmen und soll eigentlich zur Bekämpfung von Insbesondere hat der Evaluierungsbericht bestätigt, Rechtsextremismus und Rassismus beitragen, könnte dass der Straftatbestand des Stalkings in der Praxis wei- aber genau das Gegenteil bewirken. Denn er ist so unbe- testgehend leerläuft, weil der Anwendungsbereich viel zu stimmt gefasst, dass selbst Recherche und Aufklärungs- eng ist, um alle Formen des strafbaren Stalkings zu erfas- arbeit über rechtsextreme Aktivitäten durch zivilgesell- sen. Und damit meine ich nicht, dass sich künftig strafbar schaftliche Initiativen oder Journalisten unter die jetzige macht, wer seinen Schwarm umwirbt. Denn diese Debat- Fassung des Tatbestandes fallen könnten. Viele lokale te ist angesichts ihrer Tragweite, der physischen und psy- Gruppen – wie das zum Beispiel das Antifaschistische chischen Belastung für die Opfer, viel zu ernst, um sie Pressearchiv und Bildungszentrum e. V. (apabiz) in mei- halbherzig zu führen oder ins Lächerliche zu ziehen. nem Wahlkreis in Berlin – tragen seit Jahren Wissen über die rechtsextreme Szene zusammen und könnten für den Stalker verfolgen ihre Opfer, sie stellen ihnen nach und Fall, dass dieser Gesetzentwurf Geltung erlangt, mit bedrohen sie. Diese Nachstellungen bedeuten für die Strafverfahren überzogen werden. Das darf keinesfalls Opfer, dass sie nirgendwo einen Rückzugsort haben, eintreten. dass sie sich permanent beobachtet fühlen, dass sie sich weder im Freien noch in ihrer Wohnung sicher fühlen, Die Unklarheit des Gesetzentwurfs könnte auch zu dass sie sich von ihrer Familie isolieren, um diese nicht absurder Kriminalisierung von Meinungsäußerungen auch noch dem perfiden Agieren des Täters auszusetzen. führen, die kein Mensch wollen sollte: Im Bundestags- wahlkampf 1980 gab es gegen das Vorbild von Herrn Damit der Straftatbestand des Stalking also künftig Söder, dem bayerischen Ministerpräsidenten und CSU- schneller greift, tauschen wir das Merkmal „schwerwie- Übervater Franz Josef Strauß 1980 als Unionskanzler- gend“ durch das Merkmal „nicht unerheblich“ und den kandidaten, viele Demonstrationen unter dem Motto Begriff „beharrlich“ durch den Begriff „wiederholt“. Und „Stoppt Strauß“. Eine bayerische Schülerin, die einen das ist auch richtig so: Strafrechtlicher Schutz ist nicht erst dann geboten, wenn eine schwerwiegende Beein- (B) „Stoppt Strauß“-Button trug, flog damals sogar von der (D) Schule. Nach dem Gesetzentwurf wäre zum Beispiel ein trächtigung der Lebensgestaltung droht, sondern er ist „Stoppt Söder“-Plakat oder -Button jetzt strafbar. Das auch schon davor notwendig. Künftig ist nicht nur ein kann nun wirklich nicht das Ziel dieses Gesetzentwurfes Umzug in ein anderes Bundesland oder gar ins Ausland sein. nötig, damit die Stalkingstrafbarkeit greift. Sondern die Strafbarkeit greift auch schon dann, wenn das Opfer seine Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Telefonnummer wechselt, um dauerhaften und uner- CDU, so können Sie es nicht aus dem Parlament heraus- wünschten Telefonanrufen des Täters zu entgehen, lassen, dieses Gesetz, wie es nun hier reingekommen ist. wenn das Opfer aus einem Verein austritt, der davor Bitte lassen Sie uns im Rechtsausschuss aus diesem eine zentrale Rolle bei seiner Freizeitgestaltung gespielt unklaren Entwurf ein Gesetz machen. hat, um dem Täter und dessen übergriffigen Kontaktauf- nahmen aus dem Weg zu gehen. Denn solche Maßnah- men sind doch eine ernstzunehmende Beeinträchtigung Anlage 18 der Lebensgestaltung des Opfers, meine Damen und Her- ren. Verhaltensweisen des Täters, die geeignet sind, sol- Zu Protokoll gegebene Reden che Reaktionen des Opfers hervorzurufen, stellen wir endlich unter Strafe. zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung Die Täter, denen es darauf ankommt, Macht und Kon- des Strafgesetzbuches – effektivere Bekämpfung trolle über ihre Opfer auszuüben, wissen im Übrigen ganz von Nachstellungen und bessere Erfassung des genau, was sie tun. Mit dem Austauschen der Begrifflich- Cyberstalkings keiten ermöglichen wir es der Praxis, schneller unter den Tatbestand zu subsumieren, um die Täter dingfest zu (Tagesordnungspunkt 30) machen, und gewähren den Opfern einen schnelleren Schutz. Auf die Polizeiliche Kriminalstatistik im nächs- ten Jahr bin ich dann sehr gespannt. Ingmar Jung (CDU/CSU): Telefonterror, unerwarte- tes Auflauern am Arbeitsplatz oder vor dem Zuhause, Aber die Dunkelziffer ist auch deshalb größer, weil wir übertriebenes Zusenden von Geschenken, Abfangen und die täglich stattfindenden Fälle des sogenannten Cyber- Ansprechen von nahen Angehörigen, andauernde und stalkings strafrechtlich noch gar nicht erfassen und daher unvorhersehbare Kontaktaufnahme – dieser Zustand ist der digitalen Entwicklung schon wieder einen Schritt leider für viele Menschen in unserer Gesellschaft, meist hinterherhinken. Das holen wir jetzt nach. Und lassen Frauen, bittere Realität und tägliches Brot. Sie mich in dem Zusammenhang anmerken, dass das 28608 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

(A) Cyberstalking zu den klassischen Stalkinghandlungen haben können. Ich erachte es daher als begrüßenswerten (C) hinzutritt und nicht etwa das Auflauern, das Bedrohen, Ansatz, dass der vorliegende Gesetzentwurf nun die das Nachstellen ablöst. „wiederholte“ Nachstellung genügen lässt, wenn diese Deswegen ist es richtig und wichtig, dass wir typische auch nur dazu geeignet ist, die Lebensgestaltung „nicht Cyberstalking-Fälle unter Strafe stellen. Täter bedienen unerheblich“ zu beeinträchtigen. sich immer häufiger sogenannter Stalkerware, die offen Ich halte diesen Ansatz für richtig. Auch niederschwel- im Internet vertickt wird, und installieren diese geschickt lige Nachstellungen machen etwas mit dem Opfer. Daher auf den Mobiltelefonen des Opfers, um den Aufenthalts- müssen sie potenziell auch vom Strafrecht erfasst sein. ort der Opfer zu jeder Tages- und Nachtzeit ausspähen Im Weiteren ergab die Evaluierung, dass die bisherige und ermitteln zu können und damit die Möglichkeit zu Rechtslage, gemessen am Unrechtsgehalt begangener haben, grenzenlose Kontrolle auszuüben. Taten, bis heute nicht immer eine angemessene Reaktion Wenn der Täter also Nachrichten verschickt mit: „Ich des Rechtsstaats ermöglicht. Gerade in Konstellationen, weiß, wo du bist“, „Mir kannst du nicht entkommen“ oder in denen der Unrechtsgehalt der Tathandlung zum Bei- „Ich komme dich besuchen“, dann wird dieser Horror spiel durch eine verursachte einfache Gesundheits- durchaus Realität, wenn der Täter anhand der sogenann- schädigung beim Opfer oder durch die Verbreitungshand- ten Stalkerware den Aufenthaltsort des Opfers tatsächlich lung in Bezug auf Daten oder Abbildungen besonders technisch ermitteln kann. Was das für eine massive Ein- hoch ist, war bisher kein erhöhtes Strafmaß zum Beispiel schüchterung für die Betroffenen bedeutet, kann sich als besonders schwerer Fall möglich. Auch das wollen hier, glaube ich, jeder vorstellen. wir ändern. Das Unrecht einer Tat muss sich in der Straf- zumessung abbilden lassen. Viele Fälle zeigen mittler- Die Situation der Opfer perpetuiert sich auch dann, weile, dass es leider auch die Reaktion auf besonders wenn die Täter sich auf ihren sozialen Netzwerken ein- schwere Fälle braucht, damit wird auch klar: Stalking loggen und in ihrem Namen Fotos veröffentlichen oder in ist kein Kavaliersdelikt. ihrem Namen Lügen verbreiten. Deshalb stellt der neue Grundtatbestand diese Verhaltensweisen ausdrücklich Das dritte Handlungsfeld der Evaluierung betrifft vor unter Strafe. Mit „Modern-Stalking“ ist jetzt Schluss. allem Erkenntnisse über die rasant steigenden Möglich- keiten, welche die digitale Welt Stalkern zur Verfügung Insgesamt also ein gutes Gesetz, ein guter Tag für die stellt. Wenn Täter nicht einmal mehr davor zurückschre- Opfer, ein schlechter für die Täter. In diesem Sinne freue cken, spezielle Software einzusetzen, um ihren Opfern ich mich auf die Beratungen im Ausschuss. nachzustellen, wie beispielsweise eine Spy-App, dann muss der Rechtsstaat auch darauf verschärft und explizit Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Das Stalking (B) reagieren können. Wenn Täter private Daten nutzen, um (D) oder – im Deutschen – die Nachstellung ist Anfang der zum Beispiel unter dem Namen des Opfers ein Profil auf 2000-erJahre in den Fokus des Strafrechts gerückt. einer Internetplattform anzulegen, um dann auf der Platt- Damals war es ein noch eher neues Phänomen, das sich form das Opfer verächtlich zu machen, dann geht das vor allem mit neuartigen Entwicklungen im Mobilfunk- nochmals weit über das Maß an Vorwerfbarkeit hinaus, bereich und in der digitalen Welt rasant ausbreitete. als wir das Anfang der 2000er-Jahre in diesem Bereich Seit 2007 ist Stalking strafbar und bereits damals war kannten. Perfide Handlungen dieser Art dokumentieren klar, dass es Weiterentwicklungsbedarf geben wird, da eine besondere kriminelle Energie, weshalb auch das in mit der neuartigen Materie weiter Erfahrungen gesam- den Straftatbeständen seine Berücksichtigung finden melt werden müssen, und da auch absehbar war, dass muss. gerade die zunehmende Digitalisierung weitere Modifi- Alles in allem glaube ich, dass dieser Entwurf eine sehr kationen des Tatbestandes erforderlich machen wird. gute Arbeitsgrundlage für die nun anstehenden Beratun- Zu einer weiteren Gesetzesänderung kam es dann gen darstellt. Da wir hier für die Opfer von Stalking 2017, als der § 238 StGB, wie wir ihn heute kennen, erhebliche Verbesserungen erzielen können, freue ich neu gefasst wurde. Aber auch damals war bereits abseh- mich besonders auf diese parlamentarischen Beratungen. bar, dass damit die Dynamik des Problemkreises Stalking noch lange nicht eingefangen ist. Daher wurde richtig- Esther Dilcher (SPD): Am 10. März 2017 trat das erwiese damals eine Evaluierung vereinbart. Die Gesetz zur Verbesserung des Schutzes gegen Nachstel- Erkenntnisse dieser Evaluierung wollen wir nun in eine lungen in Kraft. Ziel war es, den strafrechtlichen Schutz Neufassung des Stalking-Paragrafen einfließen lassen, der Opfer vor Nachstellungen, dem Stalking, zu verbes- und diese Neufassung – das will ich vorwegnehmen – sern. Bis zu diesem Zeitpunkt musste für die Opfer ein wird auch eine erhebliche Verschärfung darstellen. tatsächlicher Erfolg eingetreten sein, nämlich eine Im Rahmen der Evaluierung wurden drei Handlungs- schwerwiegende Beeinträchtigung ihrer Lebensgestal- felder ausgemacht: Zum einen ist bisher erforderlich, tung. dass es sich um „beharrliche“ Nachstellungen handeln Daraus wurde 2017 ein sogenanntes Gefährdungsde- muss, welche geeignet sind, die Lebensgestaltung des likt, und Voraussetzung für eine Strafbarkeit sollte sein, Opfers „schwerwiegend“ zu beeinträchtigen. Das stellt dass das Verhalten eines Täters lediglich geeignet war, bereits im Tatbestand eine sehr hohe Hürde dar, die sich die Lebensgestaltung des Opfers schwerwiegend zu in der Praxis nur selten nachweisen ließ. Vielmehr ergab beeinträchtigen. Dadurch sollten auch solche Opfer ge- die Evaluierung, dass bereits sehr viel niederschwelligere schützt werden, die sich zunächst von solchen Übergrif- Nachstellungen erhebliche Auswirkungen auf das Opfer fen nicht zu Verhaltensänderungen drängen ließen, sei es, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28609

(A) weil sie sich aus finanziellen Gründen beispielsweise Dr. Jürgen Martens (FDP): Nach dem Gesetzentwurf (C) einen Ortswechsel nicht leisten konnten oder weil starke zu den sogenannten Feindeslisten beschäftigen wir uns Opferpersönlichkeiten sich bewusst gegen eine Verände- nun mit einer Reform des Stalkingtatbestandes in § 238 rung ihrer Lebensführung entschieden haben. StGB. Die Gründe hierfür sind nach der Begründung die Schwierigkeiten im Umgang mit der Norm in ihrer bishe- Durch diese Änderung wird jetzt die Strafbarkeit an ein rigen Form und die Anpassung an Tatformen mithilfe von Verhalten des Täters und nicht an ein Unterlassen eines elektronischen Kommunikationsmitteln und/oder mit Opfers geknüpft. Es kommt also für die Strafbarkeit da- Daten des Tatopfers. rauf an, was der Täter macht, und nicht, welcher Schaden dadurch beim Opfer eingetreten ist. Dabei wird der jetzigen Strafnorm auch vom Justiz- ministerium attestiert, dass sie in der Rechtswirklichkeit Gleichwohl war eine Evaluierung dieses Gesetzes ver- kaum eine nennenswerte Rolle spielt, was von Fachleuten einbart und hat zu dem Ergebnis geführt, dass von vor allem auch auf eine ganz erstaunliche normative Gerichten und Staatsanwaltschaften eine Verbesserung Weite – manche sagen auch, auf eine bedenkliche Unbe- des Opferschutzes gerade im Hinblick auf Beweiserleich- stimmtheit – zurückzuführen ist. In der Tat ist kaum ein- terungen gesehen wurde. Allerdings wurde auch weiterer zugrenzen, welche Auswirkungen ein Verhalten haben Nachbesserungsbedarf festgestellt, da unter anderem soll, das – Zitat – „beharrlich“ und „geeignet“ ist, die unbestimmte Rechtsbegriffe konkreter gefasst werden Lebensgestaltung zu beeinträchtigen“. sollten und eine Regelung eines besonders schweren Fal- les erfolgen sollte. Dass diese hoch normativen Formulierungen die Aus diesem Grund finden sich jetzt in dem vorgelegten Anwendbarkjeit der Norm erschweren ist zwar denkbar, Gesetzentwurf zur weiteren Nachbesserung unter ande- empirisch nachgewiesen ist dies allerdings nicht. Auch rem folgende erweiterten Regelungen: eine Umfrage bei Gerichten und Staatsanwälten ersetzt nicht die wissenschaftliche Evaluierung einer Norm. Aus einem beharrlichen Täterverhalten wird ein wie- derholtes Täterverhalten. Strafbar macht sich dann auch, Wenn es also darum ginge, die bedenkliche Unbe- wer einer anderen Person in der Weise unbefugt nach- stimmtheit des Tatbestandes einzugrenzen, wäre dies stellt, die geeignet ist, deren Lebensgestaltung nicht uner- eigentlich zu begrüßen. Und so beugen sich die interes- heblich zu beinträchtigen, indem jemand sierten Kreise in freudvoller Erwartung über den hier angekündigten Gesetzentwurf, dessen erste Bewertung – zulasten dieser Person oder einer ihr nahestehenden jedoch wenig erfreulich ausfällt. Zwar wird nun die Viel- Person eine Tat nach § 202a (Ausspähen von Daten) falt möglicher Tathandlungen um Formen der Tatbege- (B) begeht, hung mithilfe elektronischer Tatwerkzeuge erweitert, (D) was der technischen Entwicklung und einem mutmaßlich – eine Abbildung dieser Person, eines ihrer Angehöri- anderen Vorgehen der Täter geschuldet ist. Leider wird gen oder einer anderen ihr nahestehenden Person ver- das Problem der normativen Weite des Tatbestandes aber breitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht, nicht zu Leibe gerückt. In Bezug auf das Nachstellen soll sich dort zukünftig anstelle des Begriffs „beharrlich“ der – einen Inhalt, der geeignet ist, diese Person verächtlich Begriff „wiederholt“ finden. Dass diese Formulierung zu machen oder in der öffentlichen Meinung herab- nun präziser wäre als die alte, wird man ernsthafterweise zuwürdigen, unter Vortäuschung der Urheberschaft nicht behaupten können. der Person verbreitet oder der Öffentlichkeit zugäng- lich macht. Das Gleiche gilt für den Austausch des Wortes Der besonders schwere Fall wird jetzt durch acht „schwerwiegend“ durch die Formulierung „nicht uner- Regelbeispiele aufgezählt: zum Beispiel, wenn ein Täter heblich“. Beide Begriffe erklären sich nicht selbst, son- über einundzwanzig Jahre und das Opfer unter sechzehn dern bedürfen stets der Auslegung. Erst recht gilt dies für Jahre alt ist. Dadurch wird die Regelung des Nachstellens die Auffangvariante in § 238 Absatz 1 Nr. 8 StGB: „eine für die Ermittlungsbehörden klarer und eindeutiger for- mit den Nummern 1 bis 7 vergleichbare Handlung vor- muliert, der Sachverhalt lässt sich so exakter feststellen. nimmt“. Ob damit die grundlegenden Probleme beseitigt wer- Eine Präzisierung bringen die Änderungen nicht. Sie den, die bisher zu zahlreichen Einstellungen der Ermitt- bringen aber eine deutlich frühere Anwendbarkeit von lungsverfahren wegen der Geringe der Schuld des Täters strafrechtlichen Sanktionen. Gemeinhin wird dies als oder zu Einstellungen gegen Auflagen oder Weisungen Strafverschärfung bezeichnet. führten, bleibt abzuwarten. Die genannte Begründung trägt eine solche Verschär- Ein Schritt zur effektiveren Verfolgung von Cyberstal- fung mit keinem Wort. Lediglich die beklagte seltene king wird durch den vorgelegten Gesetzentwurf vorge- Anwendung der Strafnorm könnte der wirkliche Grund nommen. Insbesondere im Bereich des Cyberstalkings für diese Verschärfung sein. Dies würde aber bedeuten, werden zur Ermittlung auch die technische Ausrüstung dass die Änderungen des Gesetzentwurfes nicht aus der und das Personal mit dem entsprechenden Know-how Notwendigkeit einer schärferen Bestrafung von Stalking benötigt. Hier muss daher auch bei Bedarf entsprechend entspringen, sondern einem ideologisch motivierten nachgebessert werden. Das müssen wir im Blick behal- Wunsch, die Strafnorm gegen Stalking häufiger anzu- ten. wenden. 28610 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

(A) Wir sehen deshalb der folgenden Beratung im Rechts- nen –, zeigen im Kern das Problem der Gewalt- und (C) ausschuss mit Interessse entgegen und werden genau Machtstrukturen in unserer Gesellschaft auf – wobei der darauf achten, ob und gegebenenfalls welche strafrechts- Begriff „Cyber“ in die Irre führt und verschleiert, worum politischen Zielvorstellungen mit dem vorliegenden Ge- es inhaltlich geht. Wenn wir von Cybercrime sprechen, setzentwurf verfolgt werden oder ob hier nicht eine wei- dann umfasst dies Straftaten, die sich gegen das Internet, tere Regelung vorliegt, die zwar Symbolcharakter, aber Datennetze, informationstechnische Systeme oder deren kaum praktischen Nutzen hat. Daten richten. Hier steht aber immer eine einzelne betrof- fene Person im Mittelpunkt. Gökay Akbulut (DIE LINKE): Im Gesetzentwurf der Wir fordern, dass explizit die Tatbestände der Verwen- Koalition heißt es, dass mehr Stalkingfälle vor Gericht dung von Stalkerware oder anderer Formen der Manipu- gebracht und Täter konsequenter zur Verantwortung lation an Geräten anderer Personen nach § 202a StGB, gezogen werden sollen. Das Ziel der Koalition begrüßen dem Hackerparagrafen, eingefügt werden. Die heimliche wir als Linksfraktion ausdrücklich, allerdings sind wir Nutzung dieser Software ist ja bereits verboten. Wie in skeptisch, dass dieses Ziel durch mehr Strafrechtsver- unserem Antrag „Digitale Gewalt gegen Frauen“ er- schärfungen realisiert werden kann. Wir fordern mehr wähnt, fordern wir insbesondere die Hersteller dazu auf, präventive Maßnahmen und qualifizierende Angebote die Software auf dem Gerät erkennbar zu machen, auf für Ermittlungsbehörden. dem sie installiert ist; denn viele Personen wissen nicht Wir stehen einer geplanten Strafverschärfung kritisch einmal, dass Sie über eine App oder bestimmte Funktio- gegenüber; denn mehr bzw. höhere Strafen führen nicht nen ausgehorcht oder verfolgt werden könnten. Das wäre automatisch zu weniger Straftaten. Aber genau darum ein konkreter Schritt in die richtige Richtung. geht es uns: diese Taten verhindern und Gewalt an Frauen wirksam bekämpfen. Im Ausschuss werden wir diesen Gesetzentwurf und das Thema ausführlicher besprechen. In der kriminologischen Forschung ist anerkannt, dass die Höhe des Strafmaßes weder besondere spezial- noch generalpräventive Effekte hat. Es wirkt allenfalls ab- Canan Bayram (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Liebe schreckend, weil das Entdeckungsrisiko höher wird. Frau Lambrecht, hier haben Sie endlich einmal das ge- Das reicht aber nicht, wenn es in der Ermittlung dann macht, was wir von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen am ausgebildeten Personal fehlt, das die Opfer angemes- schon seit Jahren fordern: evidenzbasierte Kriminalpoli- sen beraten kann, oder qualifizierte Juristinnen fehlen, tik. Herzlichen Glückwunsch dazu! Und warum nicht die den Tathergang auch zur Verurteilung bringen kön- immer so? Sie haben das Gesetz zur Verbesserung des (B) nen. Es braucht an vielen Stellen umfangreiche techni- Schutzes vor Nachstellungen aus dem Jahr 2017 nach (D) sche Kompetenzen, darum muss auch die Einführung von seinem Inkrafttreten wissenschaftlich auf seine Wirksam- Sonderdezernaten geprüft werden. keit evaluieren lassen und aufgrund dieser Evaluierung Belästigungen, Bedrohungen bis hin zur Einschüchte- Nachbesserungen vorgelegt. rung von Frauen – denn in knapp 80 Prozent der Fälle Im Gesetzentwurf erkennen Sie selbst an, dass Betrof- sind die Betroffenen Frauen – stellen ein riesiges gesell- fene von Cyberstalking regelmäßig über sogenannte Stal- schaftliches Problem dar, das heute zusätzlich unter Ein- kerware ausgespäht werden. Das hören wir auch immer beziehung technischer Hilfsmittel, digitaler Medien und wieder von Beratungsstellen und Strafverfolgungsbehör- vor allem im digitalen Raum stattfindet. Dafür braucht es den. Diese Programme erlauben es den Tätern, auf die auch neue Umgangs- und Ahndungsformen. Das Pro- Geräte der Betroffenen zuzugreifen. Sie können deren blem bleibt im Kern das Gleiche: In den meisten Fällen Chatverläufe und ihre E-Mails mitlesen, ihre Social- wird psychische Gewalt, ob analog oder digital, von Media-Konten, ihre Fotos und ihre Videos einsehen und Männern genutzt, um Macht zu sichern und Kontrolle sogar in Echtzeit ihren Standort abrufen. auszuüben. Wenn es zum Prozess kommt, bleibt die ent- scheidende Frage nach der Beweisbarkeit einzelner Für die Betroffenen sind diese Programme nicht sicht- Handlungen ein großes Problem. Hier sehen wir im Ge- bar; sie operieren im sogenannten „Stealth-Modus“, kön- setzentwurf keine konstruktiven Vorschläge. nen also ohne Zustimmung der Benutzer/-innen aufge- Erforderlich wären der Ausbau des Gewaltschutzge- spielt werden und laufen ohne Benachrichtigung oder setzes, die Einführung präventiver Maßnahmen und der äußerliche Sichtbarkeit auf dem Gerät im Hintergrund. Ausbau von Beratungsstrukturen für Betroffene sowie Das heißt, dass die Betroffenen nicht wissen, dass sie Weiterbildungen und Qualifizierungsmöglichkeiten von teilweise monate- oder jahrelang dauerhaft ausgespäht Justizbehörden. Es muss dafür gesorgt werden, dass psy- werden: jede Kommunikation, jede Transaktion, jede chosoziale Prozessbegleitung angeordnet werden kann. Bewegung. Von den Expertinnen aus der Beratung für Betroffene Das Problem ist immens. Stalkerware ist auf etwa von Cyberstalking haben wir in den Stellungnahmen zu 1 547 mobilen Geräten in Deutschland installiert – ohne unserem Antrag „Digitale Gewalt gegen Frauen“ vor Kenntnis der Nutzer/-innen. Damit ist Deutschland euro- allem eins gehört: Stalking, Belästigung und Nachstellen paweit am stärksten betroffen und liegt weltweit sogar von Betroffenen, welches heutzutage eben auch mit digi- auf Platz 6. Dieses Ausmaß ist besorgniserregend. Des- talen Hilfsmitteln möglich ist – über Handys, versteckte wegen ist natürlich zu begrüßen, dass die Bundesregie- Kameras, die Überwachung jeglicher Social-Media-Akti- rung das Ausspähen des Opfers mit technischen Mitteln vität oder das Sammeln privater und intimer Informatio- unter Strafe stellen will. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28611

(A) Das Problem bleibt jedoch der Nachweis. Selbst wenn In der Vergangenheit hatte sich jedoch gezeigt, dass es (C) Betroffene einen Verdacht hegen, ist es ihnen in der Regel Fälle gab, in denen nicht alle Betroffenen von der in nicht möglich, die Stalkerware auf dem Gerät selbst zu Artikel 116 Absatz 2 GG vorgesehenen Regelung um- finden oder nachzuweisen, und damit bleibt auch eine fasst wurden, wonach frühere deutsche Staatsangehörige, Anzeige des Täters wegen Stalkings unmöglich. Aus die- denen zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai sem Grund wäre es angezeigt, schon den Vertrieb dieser 1945 durch NS-Unrecht die Staatsangehörigkeit entzo- Programme zu verbieten, um die Betroffenen zu schüt- gen wurde, auf Antrag wieder einzubürgern sind. Aus zen; denn dies ist derzeit noch nicht der Fall. Stalkerware diesem Grund hat das Bundesinnenministerium bereits darf in Deutschland legal gekauft und verkauft werden. im August 2019 mittels Erlassregelung eine Regelung Das müssen wir ändern. geschaffen, um den Betroffenen schnell, unmittelbar gel- tend und unbürokratisch zu helfen. Dieser Bedarf war Aber daran wollen Sie von der CDU und der SPD unstrittig, er wurde erkannt und behoben. Diese Regelun- nichts ändern, und das ist der Fehler. Auf meine münd- gen wurden vonseiten der Betroffen sehr positiv auf- liche Frage antworteten Sie, Herr Lange, „über das Straf- genommen und sollen nun in einem zweiten Schritt in recht hinausgehende Regelungen zum Vertrieb und Ein- gesetzliche Anspruchsgrundlagen übergeleitet werden. satz entsprechender Software sind derzeit nicht Damit schaffen wir insgesamt einen neuen gesetzlichen geplant.“ – Wie bitte? Das kann doch nicht Ihr ernst Rahmen für das Wiedergutmachungsrecht im Staatsange- sein! So wird das nichts mit dem Schutz vor Cyberstal- hörigkeitsgesetz und verleihen diesem wichtigen Anlie- king. Darüber müssen wir dringend in der öffentlichen gen und der Wiedergutmachung für erlittenes Unrecht, Anhörung im Rechtsausschuss reden; denn klar ist, dass auch symbolisch, stärkeres Gewicht. wir den Schutz vor Cyberstalking effektiv gewährleisten müssen. Dies ist ein wichtiger Beitrag zur Aussöhnung der Völker und ein Bekenntnis zu unserer historischen Ver- antwortung. Anlage 19

Zu Protokoll gegebene Reden Stephan Thomae (FDP): Artikel 116 Absatz 2 Grundgesetz, der die Wiedereinbürgerung deutscher zur Beratung des von der Bundesregierung einge- Staatsangehöriger, denen durch das NS-Regime aus poli- brachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Än- tischen, rassistischen oder religiösen Gründen die Staats- derung des Staatsangehörigkeitsgesetzes angehörigkeit entzogen wurde, regelt, deckt nicht alle (Tagesordnungspunkt 31) denkbaren Fallkonstellationen ab. (B) (D) Es ist gut, dass wir heute einen Gesetzentwurf zur Michael Kuffer (CDU/CSU): Die Jahre 1933 bis 1945 (Wieder-)Einbürgerung von im Nationalsozialismus Ver- stellen auf ewig die dunkelste Episode deutscher Ge- folgten und deren Nachfahren diskutieren. Es ist nur schichte dar. Das vom NS-Regime verübte Mensch- schade, dass wir ihn erst heute diskutieren. Denn bereits heitsverbrechen, das begangene Unrecht an Völkern vor mehr als einem Jahr haben Initiativen von FDP, und Religionen und das unaussprechliche Leid, das die Linken und Grünen das parlamentarische Verfahren Nationalsozialisten über Millionen von Menschen ge- durchlaufen. bracht haben, mahnt uns alle beständig, dass sich so etwas nie wieder ereignen darf. Dieser Verantwortung sind wir Damals haben sich Bundesregierung und Große Koali- uns bewusst, und es ist unsere Pflicht, die Erinnerung an tion noch auf den Standpunkt gestellt, dass die beiden das Geschehene wachzuhalten und der Opfer zu erinnern. Erlasse des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat vom 30. August 2019 völlig ausreichen. Ob Wir können begangenes Unrecht nicht mehr ungesche- man dies durch Erlass oder in einem Gesetz regele, hen machen. Was wir aber können, ist, heute die Voraus- mache keinen inhaltlichen Unterschied. Durch die Erlas- setzungen dafür zu schaffen, die juristischen Folgen die- se konnte zwar für einige Fälle eine schnelle Regelung ses Unrechts auszugleichen und für die Opfer und ihre herbeigeführt werden; sie waren aber weder eine voll- Kinder, Enkel und Urenkel zumindest formal die nach- ständige noch eine politisch angemessene Lösung, um teiligen Rechtsfolgen des Geschehenen zu beseitigen. die bisherige Ungleichbehandlung zu beenden. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung Meine Fraktion und ich begrüßen ausdrücklich, dass des Staatsangehörigkeitsrechts tun wir dies. Das zentrale die Bundesregierung spät, aber dennoch zur Einsicht ge- Anliegen der Initiative ist es, für die vom Nationalsozia- kommen ist und nahezu alle unsere damaligen Forderun- lismus entrechteten Frauen und Männer und ihre Nach- gen aufgegriffen hat. Dennoch möchte ich auf zwei Punk- kommen ein verbrieftes Recht auf Wiedereinbürgerung in te hinweisen, die wir im weiteren parlamentarischen Deutschland festzuschreiben. So schaffen wir gesetzliche Verfahren noch klären sollten: Ansprüche zur staatsangehörigkeitsrechtlichen Wieder- gutmachung für Menschen, die heute die deutsche Staats- Erstens. Es besteht noch die Unsicherheit, ob nach dem angehörigkeit erlangen möchten, und dies obwohl ihren vorliegenden Gesetzentwurf auch Personen erfasst wer- Vorfahren hier einst alles genommen wurde. Das damit den, die aufgrund der Verfolgung ihrer Ehegatten die zum Ausdruck gebrachte Vertrauen dieser Menschen ge- deutsche Staatsangehörigkeit nicht erwerben konnten. genüber dem heutigen Deutschland erfüllt uns aufrichtig Diese werden vom Gesetzentwurf jedenfalls nicht aus- mit tiefer Dankbarkeit. drücklich benannt und könnten daher durchs Raster fal- 28612 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

(A) len. Aus unserer Sicht wäre hier eine klarstellende Ände- lückenhaft, um eine dauerhafte Lösung sein zu können. (C) rung sinnvoll, und wir gehen davon aus, dass hierüber Das hat jetzt auch die Bundesregierung eingesehen und auch kein großer Dissens besteht. ein entsprechendes Gesetz vorgelegt. Zweitens. Bei der Lektüre Ihres Entwurfs bin ich über Ich will kurz zusammenfassen, worin die Gerechtig- einen Punkt gestolpert. So soll nach § 15 Absatz 1 keitslücke lag. Nach damaliger Rechtslage – ich spreche StAG-E die deutsche Staatsangehörigkeit nicht erworben von den 30er- und 40er-Jahren – verloren Frauen, die im werden, wenn der Antragsteller bereits strafrechtlich ver- Exil einen ausländischen Mann heirateten, automatisch urteilt wurde. die deutsche Staatsbürgerschaft, noch bevor die Nazis sie ihnen später sowieso entzogen hätten. Ihre Kinder Diese im Gesetzentwurf vorgesehene Ausschlussrege- konnten ebenfalls nicht Deutsche werden. Das Gleiche lung nimmt eine Ex-post-Betrachtung vor und führt zu galt für Kinder, die aus einer unehelichen Beziehung einem Auseinanderklaffen mit dem für die eigentliche zwischen einem deutschen Vater und einer ausländischen Frage maßgeblichen Zeitpunkt, nämlich dort, wo jeman- Mutter stammten. Die damaligen Regelungen waren dem die deutsche Staatsangehörigkeit hätte erteilt werden geschlechterdiskriminierend. Sie wurden später in der müssen bzw. nicht hätte entzogen werden dürfen. Wir Bundesrepublik abgeschafft. Aber für etliche Jahrgänge dürfen dabei auch nicht vergessen, dass nach unserer bedeutete das: Sie hatten keinen Rechtsanspruch auf Wie- Rechtsordnung primäres Ziel des Strafvollzugs nicht die dereinbürgerung, weil die deutsche Staatsbürgerschaft Wiedergutmachung, sondern die Resozialisierung des nicht förmlich von den Nazis entzogen worden war. Da- Täters ist und damit auch die Wiedereingliederung in mit wurde allerdings ignoriert, dass diese Menschen zur das gesellschaftliche Leben außerhalb des Gefängnisses Flucht gezwungen worden waren und dass der Verlust der und die Befähigung zu einem Leben ohne Straftaten. deutschen bzw. die Annahme einer ausländischen Staats- angehörigkeit daher eine direkte Folge der bereits erlitte- Viel wichtiger ist aber noch, dass andere Staaten, man nen oder jedenfalls zu befürchtenden NS-Verfolgung war. denke etwa an autokratische Staaten wie China, Russland oder die Türkei, teils politisch motivierte Urteile fällen Um die deutsche Staatsbürgerschaft zu bekommen, oder solch ausufernde Straftatenkataloge haben, die mit hatten die Betroffenen nur die Chance, Anträge auf soge- unserem demokratischen Rechtsstand nicht in Einklang nannte Ermessenseinbürgerungen zu stellen. Hunderte, zu bringen sind. wenn nicht Tausende solcher Anträge auf Wiedereinbür- gerung wurden abgelehnt. Mitunter bekamen die Antrag- Man stelle sich etwa vor, Alexej Nawalnys Großeltern steller zu hören, ihre Einbürgerung liege nicht im deut- wären zu NS-Zeiten deutsche Staatsangehörige gewesen schen Interesse. Man braucht nicht viel Fantasie, um sich und hätten aufgrund von Flucht und Heirat im Ausland vorzustellen, wie das auf die Kinder und Enkel der Nazi- (B) (D) die deutsche Staatsangehörigkeit verloren. Die Bundes- Opfer gewirkt haben muss. Es ist wirklich beschämend, regierung fordert aktuell vollkommen zu Recht die Frei- dass es Jahrzehnte gedauert hat, um diese offenkundigen lassung Nawalnys. Gleichzeitig wäre sie aufgrund dieses Ungerechtigkeiten abzustellen. Gesetzes gezwungen, ihm die beantragte deutsche Staats- Eine andere Gerechtigkeitslücke betrifft Personen, die angehörigkeit zu versagen. Daran zeigt sich, dass es nie damals schon lange in Deutschland wohnhaft waren, die gut ist, Staatsangehörigkeits- und Strafrecht miteinander aber wegen der rassistischen Diskriminierung keine zu vermischen, weder bei ausgereisten deutschen IS- Chance auf einen deutschen Pass hatten. Das betrifft Kämpfern noch an dieser Stelle. Ich bin zuversichtlich, auch jene Bewohner der besetzten Gebiete, die von den dass wir im weiteren Verfahren zu dieser Fragestellung Sammeleinbürgerungen der deutschstämmigen Bevölke- eine Einigung finden können. rung ausgeschlossen blieben. Juden oder Sinti durften ja Gerade weil es bei diesem Thema inzwischen eine so nicht deutsche Staatsbürger werden. Das war eindeutig große Übereinstimmung gibt, hätten wir uns gewünscht, Nazi-Unrecht, und das muss endlich ausgeglichen wer- einen interfraktionellen Gesetzentwurf aus der Mitte des den, soweit wie das heute noch möglich ist. Parlaments heraus einzubringen. Dies wäre auch das rich- Der Gesetzentwurf erfüllt diese Aufgabe, zum Teil tige Mittel der Wahl gewesen, um die breite Unterstüt- geht er sogar darüber hinaus, etwa wenn er regelt, dass zung der Wiedergutmachung von nationalsozialistischem alle, die aufgrund von Geschlechterdiskriminierung vom Unrecht deutlich zu machen. Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit ausgeschlos- sen waren, diese nun binnen einer zehnjährigen Frist per Erklärung erhalten können. Das betrifft vor 1993 (DIE LINKE): Nachkommen von NS- geborene Kinder deutscher Mütter und ausländischer Opfern, die aufgrund von Nazi-Unrecht die deutsche Väter oder Fälle, in denen die Mutter vor der Geburt Staatsbürgerschaft verloren haben, muss eine unkompli- durch die Heirat mit einem Ausländer die deutsche zierte Wiedereinbürgerung ermöglicht werden. Staatsangehörigkeit verlor, und umschließt sämtliche Die Linke hatte bereits vor knapp zwei Jahren, ebenso Nachfahren. wie Grüne und FDP, einen Gesetzentwurf dazu einge- Es gibt aber auch einige kritische Punkte, die hoffent- bracht. Union und SPD lehnten diese Initiativen damals lich in den anstehenden Ausschussverhandlungen berei- ab und begnügten sich mit Erlassregelungen des Innen- nigt werden können. Ich will hier nur zwei ansprechen. ministeriums. Damit wurde den Nachfahren von NS- Der neue § 15 sieht in Ziffer 3 vor, jene Personen einzu- Opfern der Rechtsanspruch auf ihre Einbürgerung wei- bürgern, deren Vorfahren während der Nazizeit „nach terhin verweigert. Die Erlasse waren zudem viel zu Antragstellung nicht eingebürgert worden sind oder Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28613

(A) allgemein von einer Einbürgerung, die bei einer Antrag- reicheren Regelung signalisiert haben. Die Erlassregelun- (C) stellung sonst möglich gewesen wäre, ausgeschlossen gen sind von den Betroffenen sehr positiv angenommen waren ...“. Was bedeutet „sonst möglich“? Gefordert ist worden. Seit dem Inkrafttreten der Erlasse, also nach gut hier offenbar, dass die Beamten, die heute über solche eineinhalb Jahren, sind knapp 1 000 Anträge auf eine Anträge entscheiden, das im Dritten Reich herrschende Wiedergutmachungseinbürgerung gestellt worden. Die Gesetz zugrunde legen, zugleich aber die NS-typischen meisten Anträge kamen aus Israel, Großbritannien und Unrechtsanteile davon abziehen. Nun war aber auch das den Vereinigten Staaten. Hinzu kommen etwas mehr Reichs- und Staatsangehörigkeitsrecht mit Stand 1932 als 700 Einbürgerungsanträge von Personen, die in ge- nicht frei von diskriminierenden Ausschlussgründen. Da schlechterdiskriminierender Weise vom Abstammungs- wurde zum Beispiel ein „unbescholtener Lebensstil“ erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit ausgeschlos- gefordert. Ich erinnere daran: Sinti und Roma unterlagen sen waren. schon damals dem, was wir heute als Racial Profiling Zur Schaffung einer gesetzlichen Anspruchsregelung. bezeichnen, und wurden sehr schnell zu Unrecht krimi- Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf sollen diese Erlass- nalisiert. Anderes Beispiel: Wenn einer Frau ein „laster- regelungen nun in gesetzliche Anspruchsregelungen hafter Lebenswandel“ vorgeworfen wurde, war ihre Ein- übergeleitet werden. Die Bundesregierung möchte den bürgerung nach damaligen Vorstellungen kaum möglich. berechtigten Anliegen der Betroffenen damit auch das Der zweite Kritikpunkt: Nach Ziffer 4 des neuen § 15 ihnen zustehende symbolische Gewicht verleihen. sind Ausländer, die Deutschland verfolgungsbedingt ver- Wir haben zu Beginn des letzten Jahres Gesetzentwür- lassen haben, und ihre Nachfahren, auf Antrag einzubür- fe der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der Fraktion Die gern, ganz unabhängig davon, ob sie schon damals ihre Linke und einen Antrag der FDP-Fraktion diskutiert. Einbürgerung beantragt hatten oder nicht. Das geht sehr Hierzu möchte ich betonen: Es war richtig, zunächst weit und findet meine volle Zustimmung. Aber es bedeu- den Weg über Verwaltungserlasse zu gehen. Dadurch tet auch, dass Ausländer, die damals im Reichsgebiet aus- konnte schneller mit der Bearbeitung von Anträgen harrten, staatsbürgerrechtlich schlechter gestellt werden begonnen werden. Zudem war es möglich, Erfahrun- als Ausländer, die geflohen sind – oder deportiert wurden. gen in der praktischen Umsetzung zu sammeln und die Das sollte nicht so sein. bestehenden Fallkonstellationen auszuwerten, um ge- Insofern sehe ich durchaus noch Potenzial für Nach- setzgeberischen Handlungsbedarf auszuloten. Die von besserungen. Ich will aber betonen: Im Großen und Gan- den Oppositionsfraktionen vorgelegten Gesetzentwürfe zen findet der Gesetzentwurf unsere Zustimmung. Er sahen auch – anders als die BMI-Erlasse – keine Rege- umschließt all jene Fälle, die Die Linke schon vor zwei lung zu den erwähnten geschlechterdiskriminierenden Jahren in ihrem Antrag angesprochen hatte. Fragen vor. Diesbezüglich hat sich durch den Beschluss (B) des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Mai 2020 nun (D) ein noch weitergehender Handlungsbedarf ergeben. Wir Dr. Günter Krings, Parl. Staatssekretär beim Bundes- haben die Erkenntnisse aus der Sachverständigenanhö- minister des Innern, für Bau und Heimat: Deutschland rung vom 21. Oktober 2019 weitreichend einbezogen. hat eine historische Verantwortung gegenüber den Ver- Als Anspruchsberechtigte sind in den Gesetzentwurf folgten des NS-Regimes und deren Nachkommen. Das nun auch ausdrücklich aufgenommen worden: von einer gilt bis heute unverändert, auch über 75 Jahre nach Sammeleinbürgerung Ausgeschlossene, in Deutschland Ende der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft. langjährig Aufhältige oder Geborene ohne deutsche Viele der Verfolgten, die deutsche Staatsangehörige Staatsangehörigkeit, die ebenso den Verfolgungsmaßnah- waren, vor allem Juden, haben die Nationalsozialisten men des NS-Regimes ausgesetzt waren und Deutschland ihrer staatsbürgerlichen Rechte beraubt. Sie wurden aus- verlassen mussten sowie vor 1977 adoptierte Kinder. gebürgert. Zur Verantwortung für dieses Unrecht bekennt sich das Grundgesetz in Artikel 116 Absatz 2: Menschen, Zur Schaffung einer Wiedergutmachungseinbürge- denen die deutsche Staatsangehörigkeit in der NS-Zeit rung. Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf wird in Bezug aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen ent- auf Fälle mit NS-Verfolgungshintergrund ein gesetzlicher zogen wurde, haben einen Anspruch darauf wieder ein- Rechtsanspruch auf Wiedergutmachungseinbürgerung gebürgert zu werden. Dies gilt auch für Abkömmlinge, geschaffen, für den der Generationenschnitt ausgeschlos- also Nachkommen. Heute geht es vor allem um sie: die sen wird. Und dies wird auch für den Anspruch aus Arti- Kinder, Enkel und Urenkel der Verfolgten. kel 116 Absatz 2 Grundgesetz ausdrücklich geregelt, sodass diese Ansprüche künftig keiner Befristung unter- Zum BMI-Erlass für Einbürgerungserleichterungen. liegen werden. Für alle, die von den früheren geschlech- Auch die Bundesregierung hat sich immer klar zur deut- terdiskriminierenden Abstammungsregelungen betroffen schen Verantwortung für das NS-Unrecht im Zusammen- sind, wird ein zehnjähriges Erklärungsrecht geschaffen, hang mit der Staatsangehörigkeit bekannt. Das Bundes- mit dem die deutsche Staatsangehörigkeit durch einfache ministerium des Innern, für Bau und Heimat hatte bereits Erklärung in Anspruch genommen werden kann. durch einen Erlass im Jahr 2012 erleichterte Einbürge- rungsmöglichkeiten für damals aufgetretene Einzelfälle Ich bin mir sicher, dass die hier unterbreitete umfas- geschaffen. Diese Erlasslage ist zum 30. August 2019 sende und weitreichende Regelung für die Nachfahren unter deutlicher Absenkung der Voraussetzungen und NS-Verfolgter dem Willen der Mütter und Väter des Erweiterung zu einer anspruchsgleichen Regelung aus- Grundgesetzes entspricht, nämlich NS-Unrecht so weit gedehnt worden, nachdem durch den Brexit zahlreiche wie nur irgend möglich wiedergutzumachen. Wiedergutmachungsbegehren Bedarf an einer umfang- Ich hoffe daher auf Ihre Unterstützung. 28614 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

(A) Anlage 20 Staatsanwaltschaften wurde dort ein konkreter Tatvor- (C) wurf formuliert, die Kommunikation mit der Nationalen Zu Protokoll gegebene Reden Anti Doping Agentur verlief besser, und weniger Verfah- zur Beratung des von der Bundesregierung einge- ren wurden mit verweisen auf geringe Schuld oder man- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung gelnden Anlass zur Klage eingestellt. Neben Bayern ha- des Anti-Doping-Gesetzes ben Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz bei der Einrichtung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften die (Tagesordnungspunkt 32) Vorreiterrolle übernommen.

Artur Auernhammer (CDU/CSU): Dem Anti- Der von der Bundesregierung in Auftrag gegebene Doping-Gesetz haben wir erst vor Kurzem einen deut- Evaluierungsbericht hat aber auch Punkte zur Verbesse- lichen Erfolg zu verdanken: Mit der Operation Aderlass rung vorgeschlagen, die wir mit dem Gesetz zur Ände- bei der Ski-WM in Seefeld im Jahr 2019 konnte seit der rung des Anti-Doping-Gesetzes jetzt umsetzen werden: Einführung im Jahr 2015 der größte Erfolg gegen Doping im Profisport verzeichnet werden. Es geht hier aber nicht Nur wenige Informationen, die zur Aufnahme von nur darum, dopende Sportlerinnen und Sportler zu erwi- Ermittlungen führten, stammten aus dem Spitzensport schen, sondern es geht auch darum – und das zeigt der selbst. Die Strukturen liegen oft im Verborgenen, und Münchener Prozess deutlich –, die Strukturen hinter den auch eine unmittelbare Schädigung Dritter abseits der Athleten aufzudecken. Mit der Verurteilung des Arztes unfairen Vorteilserlangung liegt nicht vor. Ohne die Aus- und den Mithelfern, die die Leistung von Spitzensportler sage des Sportlers wäre das Verfahren der Operation per gefährlichem Blutdoping steigern wollten, haben wir Aderlass nicht möglich gewesen. Problematisch stellt einen Meilenstein im Anti-Doping-Kampf erreicht. Das sich dann auch die geringe Zahl der Verfahren und Ver- sagte auch die Staatsanwaltschaft. urteilungen dar. Es fehlt eine sichtbare, starke Rechts- durchsetzung, um eine Hemmschwelle zu schaffen. Mit dem Gesetz zur Bekämpfung von Doping im Sport haben wir seit dem Jahr 2015 einen wichtigen Grundstein Mit der bereichsspezifischen Kronzeugenregelung für die Strafverfolgung gelegt. Es wurden die bereits schaffen wir ein Anreizsystem, was für die Sportlerinnen bestehenden Verbote aus dem Arzneimittelgesetz erwei- und Sportler sichtbar und verständlich ist. Zwar haben tert, und erstmals wurden auch Dopingmethoden und wir bereits eine allgemeine Kronzeugenregelung im nicht nur die bekannten Dopingmittel erfasst. Zudem ha- Strafgesetzbuch verfasst, aber das Betäubungsmittelge- ben wir damit ein strafbewehrtes Verbot des Selbst- setz zeigt, dass der Signalcharakter der besonders dopings im Leistungssport, von dem gezielt die dopenden sichtbaren und etablierten Kronzeugenregelung oft zur (B) Leistungssportlerinnen und Leistungssportler erfasst Aufdeckung von kriminellen Strukturen im Hintergrund (D) werden, die beabsichtigen, sich damit Vorteile in den führt. Die deutlichen Parallelen zwischen Drogen- und Sportwettkämpfen zu schaffen. Wir müssen uns hier Dopingkriminalität – geschlossene Strukturen, die nur auch die Wirkung für unsere vielen ehrlichen Spitzen- schwer ohne Informationen von Hinweisgebern aufge- sportler bewusst machen, wenn Sie nur knapp die Sie- deckt werden können – begründen eine ähnliche Kron- gerehrung verpassen, wenn ihnen nicht feierlich ihre zeugenregelung im Anti-Doping-Gesetz. Es ist daher Medaille überreicht wird, wenn sie später aber aufgrund sinnvoll, wie im Betäubungsmittelgesetz eine separate von dopenden Mitstreitern, denen nachträglich das Regelung zu formulieren. Podium entzogen worden ist, ihre wohlverdiente Medail- le formlos per Post bekommen. Das ist traurig und wird Zu guter Letzt möchte ich noch einen Appell an unsere ihren Leistungen nicht gerecht. Bundesländer richten. Die Einrichtung von Schwerpunkt- staatsanwaltschaften erweist sich als besonders erfolg- Einer der wichtigen Hintergründe des Anti-Doping- reich bei der Verfolgung von Dopingdelikten. Es liegt Gesetzes war und ist der Gesundheitsschutz. Es geht jedoch nicht in der Kompetenz des Bundes, sondern in darum, die Strukturen, die hinter den Athleten stehen, der der Länder, spezialisierte Staatsanwaltschaften ein- aufzudecken. Das betrifft die Hintermänner, die Doping- zurichten. Weitere Länder sollten dem guten Beispiel mittel herstellen und mit ihnen handeln, sie verschreiben der Länder Bayern, Baden-Württemberg und Rhein- und in Verkehr bringen. Die hohe Zahl an Verfahren, die land-Pfalz folgen und damit eine tiefgründige Verfolgung den Bereich des Freizeitsportes betreffen, ist deshalb von Doping im Sport ermöglichen. Wir alle wollen einen umso erschreckender: Ohne eine ärztliche Aufsicht neh- sauberen und fairen Wettkampf, besonders die Athleten men Freizeitsportlerinnen und -sportler Mittel ein, die und Athletinnen, die ihr Leben lang auf höchstem Niveau gefährliche Wirkungen und Nebenwirkungen haben kön- trainieren, um mit ehrlichen Leistungen Spitzenergebnis- nen – von den Gefahren, die bereits mit der Dosierung se zu erkämpfen. beginnen, mal abgesehen. Um eine effektive Anwendung des Anti-Doping-Ge- setzes und eine bessere Strafverfolgung zu ermöglichen, Florian Post (SPD): Um Wettbewerbsgleichheit und haben die Länder Schwerpunktstaatsanwaltschaften ein- Fairness im Sport zu gewährleisten, ist eine konsequente gerichtet und damit klare Erfolge erzielt. Mit etablierten Bekämpfung von Doping unbedingt erforderlich. Daher Strukturen und größeren Erfahrungen im Umgang mit haben wir 2015 mit dem Anti-Doping-Gesetz strafrecht- Delikten nach dem Anti-Doping-Gesetz wurden die Fälle liche und strafverfahrensrechtliche Regelungen festge- dort erfolgreicher bearbeitet; das zeigt auch der Evaluie- legt, um eine wirksame Bekämpfung von Doping sicher- rungsbericht zum Gesetz. Entgegen nichtspezialisierten zustellen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28615

(A) Wir als SPD-Bundestagsfraktion setzen uns seit eini- ren aus Sportlern, Trainern, Hintermännern und invol- (C) ger Zeit dafür ein, eine sogenannte Kronzeugenregelung vierten Ärzten. Es sind kriminelle Netzwerke, die nur in dieses Gesetz aufzunehmen. Mit dieser Forderung sind mithilfe von Insiderinformationen flächendeckend aufge- wir nicht allein. Das hat auch eine Sachverständigenan- deckt und nachverfolgt werden können. Denn nur die hörung, die im Deutschen Bundestag 2019 durchgeführt flächendeckende Aufklärung hat nachhaltige Wirkung, wurde, ergeben, in der sich alle Sachverständigen für eine nicht die Verfolgung von einzelnen Tätern, die nur ein solche Regelung ausgesprochen haben. Auch aus den Glied in einer großen Kette aus kriminellen Akteuren Kreisen der Ermittlungsbehörden wird dies unterstützt. sind. Ebenso gab es 2020 eine Evaluierung des Gesetzes, in Deshalb müssen verstärkt Anreize für Täter gesetzt der ebenfalls eine Kronzeugenregelung vorgeschlagen werden, Aufklärungs- und Präventionshilfe zu betreiben. wurde. Denn die Evaluierung hat auch ergeben, dass Die bestehenden Möglichkeiten zur Einstellung von Ver- nur wenige Strafverfahren wegen Selbstdopings durchge- fahren oder der Strafmilderung sind zwar grundlegend führt wurden. Das liegt daran, dass Sportlerinnen nur geeignet, um solche Hilfe zu honorieren, setzen jedoch selten Auskünfte geben, eben weil Befürchtungen vor keine genügenden Anreize, damit beteiligte Täter rele- Strafe bestehen. Bei den Ermittlungen sind die Behörden vante Informationen über Personen oder Sachverhalte aber in besonderem Maße auf Informationen durch Sport- an die Strafverfolgungsbehörden weitergeben. Hier lerinnen und aus deren Umfeld angewiesen. begrüße ich grundsätzlich die vorgeschlagene Änderung der Bundesregierung. Die bereits bestehenden Regelungen im Strafrecht zur Milderung einer Strafe bei Aufklärungs- und Präven- Die angestrebte Einführung einer Kronzeugenregelung tionshilfe greifen lediglich bei Straftaten, die mindestens hat schon im Anwendungsbereich des Betäubungsmittel- mit einer erhöhten Freiheitsstrafe bewehrt sind, was bei gesetzes gezeigt, dass sie überaus geeignet ist, solche Verstößen gegen das AntiDopG nur sehr selten der Fall kriminellen Strukturen aufzudecken. Auch beim Drogen- ist. handel sprechen wir von komplexen kriminellen Netz- werken, die ohne Informationen von Tatbeteiligten nur Diese Lücke versucht der nun vorliegende Entwurf aus schwer bis gar nicht nachzuvollziehen sind. Deswegen dem BMJV zu schließen, indem eine bereichsspezifische ist eine Ergänzung des Anti-Doping-Gesetzes wichtig Kronzeugenregelung eingeführt werden soll. und richtig. Die Ausgestaltung ist dabei angelehnt an die Regelung Jedoch kann mehr getan werden, um gegen den inter- im Betäubungsmittelgesetz, die sich als hilfreiches nationalen Sportbetrug durch Doping energisch vorzuge- Ermittlungsinstrument erwiesen hat. Das ist aus unserer hen. Denn es reicht nicht, Gesetze zu erlassen, wenn nicht Sicht zu begrüßen. Wir brauchen aber noch mehr Infor- (B) die notwendigen Ressourcen zur Umsetzung bereitge- (D) mationsaustausch zwischen den Anti-Doping-Agenturen. stellt werden. Die Einführung einer Regelung hat nur Das werden wir im parlamentarischen Verfahren disku- dann Wirkung, wenn auch genügend Finanzmittel und tieren. Außerdem sollten die Länder zusätzliche Schwer- Arbeitskräfte für die Durchsetzung da sind, und hier fehlt punktstaatsanwaltschaften schaffen – bislang gibt es nur es noch an vielen Stellen. drei –, um diesen speziellen Strukturen gerecht zu wer- den. Außerdem fehlt es weiterhin an Anreizen für Sportver- eine und -verbände, sich verstärkt an der Aufklärung und Die konsequente Bekämpfung und Prävention von Prävention von Dopingfällen zu beteiligen, auch wenn sie Doping hat aber nicht nur die Fairness und Wettbewerbs- nicht direkt Tatbeteiligte sind. Hier sehe ich zu wenig gleichheit im Sport zum Ziel. An erster Stelle steht immer Aufklärungswillen und würde es begrüßen, wenn sich der Schutz der Gesundheit von Sportlerinnen und Sport- auch die großen Akteure unserer Sportwelt klarer posi- lern, insbesondere bei Minderjährigen. Mit der Änderung tionieren und durch systematisches Handeln dem Sport- des Anti-Doping-Gesetzes stellen wir genau diese Ziele betrug vorbeugen würden. Ich sehe es als ihre Pflicht nach vorn. gegenüber den Sportlern, dem Nachwuchs und den Fans an, um jeden Preis für faire Wettkämpfe einzustehen. Britta Katharina Dassler (FDP): Das Anti-Doping- Denn wer dopt, ist kein ehrlicher Sportler, und das fällt Gesetz ist ein wichtiger Bestandteil zur Herstellung von am Ende auf uns alle zurück: auf das Team, den Verein Fairness bei sportlichen Wettkämpfen und der Integrität und letztendlich auf die ganze Nation. des Sports. Deutschland nimmt hiermit eine Vorbildfunk- Deshalb müssen alle Beteiligten in dieser Sache tion im internationalen Sport ein und sendet das starke zusammenwirken, um unserer Vorbildfunktion gerecht Signal an sporttreibende Kinder und Jugendliche, dass zu werden. Hierzu gehört vor allem Aufklärung und Sen- unfaires und unehrliches Verhalten im Profi- sowie Ama- sibilisierung auf jeder Vereinsebene. Um vor allem regio- teursport nicht geduldet wird. Denn Fairness und Ehr- nale Dopingstrukturen aufzudecken, müssen Schwer- lichkeit sind Grundwerte im Sport, die wir nach außen punktstaatsanwaltschaften errichtet werden, die gezielt energisch und mit Entschlossenheit vertreten müssen. Täternetzwerke aufdecken können. Denn bisher fehlte Deutschland muss Mängel klar benennen und andere es bei Athleten und anderen Tatbeteiligten an Mut und Nationen an ihre Verpflichtungen erinnern. Genau dieses Bereitschaft, sich am Aufklärungsgeschehen zu beteili- Signal sendet das Anti-Doping-Gesetz. Jedoch ist die gen. Eine Strafbefreiung ist zwar attraktiv, jedoch müssen erhoffte Wirkung des Gesetzes nicht in vollem Maße ein- wir durch gezielte Ressourcen einen rechtlichen Druck getreten. Wir sprechen hier nicht von Einzeltätern und erzeugen, um die generelle Entdeckungsgefahr bei Do- schwarzen Schafen, sondern von geschlossenen Struktu- pingstraftaten grundlegend zu erhöhen. 28616 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

(A) „Wir nehmen Doping ernst!“ – das muss die Nachricht Fakt ist: Ohne die „Operation Aderlass“ mit Blutdo- (C) sein, die wir flächendeckend vermitteln. Genauso müssen ping bei Winter- und Radsportlern ist die Bilanz des Anti- gezielte Fortbildungsangebote und Hinweissysteme ein- Doping-Gesetzes äußerst dürftig. Die wenigen Verfahren geführt werden, um die Athleten stärker als bislang über liegen fast vollständig außerhalb des Spitzensports und die Hinweisgebersysteme zu informieren. Und glauben betreffen sogenannte Bodybuilder, die nicht die Zielgrup- Sie mir, die Beteiligten in einem Dopingnetzwerk werden pe dieses Gesetzes sind; denn diese Personen schädigen ihre Athleten niemals informieren, wie sich diese an einer zwar ihre Gesundheit, betrügen aber nicht andere Sportler solchen Aufklärung beteiligen könnten. Deshalb ist es und die Öffentlichkeit in einem sportlichen Wettbewerb. immer und zu jeder Zeit stetig unsere Aufgabe, bereits Kinder und Jugendliche im Sport zu sensibilisieren, um Ist der Spitzensport in Deutschland also angesichts der Medikamentenmissbrauch vorzubeugen. Nur dadurch minimalen Verfahren gegen selbstdopende Spitzensport- werden wir unserer Verantwortung als Rechtsstaat ge- ler und deren Umfeld inzwischen sauber bzw. dopingfrei, recht. oder wird fleißig weiter gedopt, nur dass weder die NADA mit ihren Kontrollen noch Mitwisser und Mittäter dazu beitragen, Dopende bzw. deren Helferinnen und Dr. André Hahn (DIE LINKE): Als besonders eilbe- Helfer zu enttarnen? dürftig hat die Bundesregierung diesen Gesetzentwurf an den Bundestag überwiesen, und nun wird er weit nach Nun soll auf Vorschlag der Koalition das Anti-Doping- Mitternacht in erster Lesung debattiert, bzw. werden die Gesetz in einem Punkt – durch Hinzufügung einer soge- vorgesehenen Reden zu Protokoll gegeben. nannten Kronzeugenregelung – verändert werden. Das Anti-Doping-Gesetz trat vor fünfeinhalb Jahren in Darüber kann man mit uns durchaus reden, aber ich Kraft. Als sportpolitischer Sprecher der Linken sprach würde schon gern wissen, warum sich von den vielen ich zu diesem Gesetzentwurf in erster Lesung am im Evaluationsbericht und in der Ausschussberatung dis- 22. Mai 2015 und in der zweiten Lesung am 13. Novem- kutierten Punkten einzig die Kronzeugenregelung im Ge- ber 2015. Es lohnt sich, die damalige Diskussion zum setzentwurf wiederfindet? Nichts zum Thema der Gesetz sowie zu dem Antrag mit dem Titel „Anti- Schwerpunkstaatsanwaltschaften oder zu den Strafbar- Doping-Gesetz für den Sport vorlegen“, den Die Linke keitseinschränkungen in § 4 Absatz 7 des Anti-Doping- auf Drucksache 18/2308 bereits am 7. August 2014 ein- Gesetzes. Haben Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen brachte, noch mal nachzulesen. der Koalition, am 16. Dezember nicht zur Kenntnis ge- nommen, dass die Kronzeugenregelung eher eine Frage Bereits damals verwies ich ebenso wie viele Sachver- der Symbolik und Kommunikation und eben nicht ein ständige in den Anhörungen auf die Schwächen des (B) maßgebliches Instrument sein wird? (D) Gesetzentwurfes. Im Ergebnis der Debatte enthielt sich Die Linke beim Anti-Doping-Gesetz der Stimme, der Der Gesetzentwurf liefert auf viele bekannte Fragen Antrag der Linken wurde von CDU/CSU, SPD und den keine Antworten. Wie kann man Whistleblower besser Grünen abgelehnt. schützen? Inwieweit müssen auch Sportgerichte bei der Festlegung ihres Strafmaßes sogenannten Kronzeugen Zu den Vorschlägen der Linken gehörte eine umfassen- entgegenkommen? Auch wird die im Gesetzentwurf auf de Aufklärungs- und Präventionsarbeit, vor allem bei Seite 2 unter Punkt c genannte Alternative, „durch Auf- Kindern und Jugendlichen, die Einführung eines neuen klärungskampagnen Sportlerinnen und Sportler gezielt Straftatbestandes „Sportbetrug“ in das Strafgesetzbuch, über die allgemeinen Regelungen zur Honorierung von die Erweiterung bestehender Strafvorschriften für den Aufklärungs- und Präventionshilfen zu informieren“ Handel mit Dopingmitteln sowie der zwingende Entzug nicht weiter von der Bundesregierung verfolgt. Warum der Approbation für Ärztinnen und Ärzte, die nachweis- eigentlich nicht? lich an Dopinganwendungen beteiligt waren. Pharmazeu- tische Unternehmen sollten verpflichtet werden, bei Pro- Die Koalition hat sich wie schon beim Anti-Doping- dukten, welche zum Doping geeignet sind, entsprechende Gesetz aus dem Jahr 2015 lediglich auf den kleinsten Warnhinweise auf den Verpackungen anzubringen. Und gemeinsamen Nenner geeinigt. Das wird den Herausfor- es ging um einen wirksamen Schutz von Whistleblowern, derungen in diesem schwierigen Themenbereich nicht also wichtigen Hinweisgebern. All das haben die Koali- ansatzweise gerecht. Vielleicht sollten sich die drei betei- tionsfraktionen abgelehnt. ligten Bundesministerien auch mal einig werden, wer hier wirklich die Federführung bzw. Verantwortung trägt! Für Im Anti-Doping-Gesetz war bereits der Auftrag veran- uns ist der Gesetzentwurf jedenfalls nicht ausreichend, kert, das Gesetz nach fünf Jahren zu evaluieren, aller- und ich prophezeie, dass sich der Kampf gegen Doping dings leider nicht im umfänglichen Sinne, sondern nur im Sport damit nicht wirksamer gestalten lässt – wenn hinsichtlich der Auswirkungen des Gesetzes auf die straf- nicht in den Ausschussberatungen noch deutlich nachge- rechtlichen und strafprozessualen Aspekte. Hierzu legte bessert wird. die Bundesregierung am 10. Dezember 2020 einen Eva- luationsbericht auf Drucksache 19/25090 vor, der im Für Die Linke steht fest: Der Kampf gegen Doping im Sportausschuss am 16. Dezember 2020 beraten wurde. Sport bleibt eine dauerhafte Aufgabe im Spitzen- wie Mein Dank an dieser Stelle noch einmal an Professor auch im organisierten und nichtorganisierten Breiten- Dr. Elisa Hoven sowie Professor Dr. Michael Kubiciel, sport. Wir brauchen deutlich mehr Prävention und Auf- die diese Evaluation in hervorragender Weise durchge- klärung, vor allem bei Kindern und Jugendlichen. Und führt haben. wir müssen viel genauer die Umstände und Ursachen bei Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28617

(A) den einzelnen Dopingfällen hinterfragen, um die Sport- ergänzungsmitteln und sporttypischen Aufbaupräparaten (C) verbände im Kampf gegen Doping aus der Politik heraus ebenso aufgeklärt werden wie über den Ge- bzw. Miss- noch zielgerichteter unterstützen zu können. brauch von Alkohol, Nikotin, Medikamenten oder ande- Dazu gehört auch, die Geschichte des Dopings im ren legalen Drogen. Die Bundeszentrale für gesundheit- Sport in der DDR wie in der alten Bundesrepublik liche Aufklärung darf sich hier nicht länger einen Deutschland wissenschaftlich und nicht weiter mit ideo- schlanken Fuß machen. logisch gefärbten Brettern vor dem Kopf aufzuarbeiten; Und wir brauchen eine wirklich unabhängige Ombuds- denn wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegen- stelle, an die sich Athleten, Trainer, Ärzte oder auch El- wart nicht verstehen und die Zukunft nicht gestalten, um tern von Sportlern vertrauensvoll wenden können. Die hier mal ein geflügeltes Wort zu verwenden. Der Versuch bei der NADA geschaffene Stelle, auf die immer wieder von so manchen Politikern in diesem Haus, mit dem verwiesen wird, wird von Betroffenen offenkundig unzu- Dopingthema den Sport der DDR, die Leistungen ihrer reichend angenommen. Das betrifft im Übrigen auch Sportlerinnen und Sportler sowie Trainerinnen und Trai- Sportlerinnen und Sportler, die wie der Ringer Peter O. ner in Gänze zu delegitimieren oder gar zu kriminalisie- zu Unrecht des Dopings bezichtigt werden und die bis zur ren, war und ist der falsche Weg und mit Blick auf die erwiesenen Unschuld massive persönliche Einschränkun- Erkenntnisse zum organisierten Doping im Sport der gen und finanzielle Benachteiligungen erleiden und dann alten BRD auch nicht gerechtfertigt. lange kämpfen müssen, um wenigstens teilweise dafür Der Sport ist keine Insel im Ozean, sondern steht mit- entschädigt zu werden. tendrin in der Gesellschaft mit all ihren Problemen. Es geht also um deutlich mehr als nur die Einführung Doping und Medikamentenmissbrauch unter Inkaufnah- einer Kronzeugenregelung! me gesundheitlicher Schäden finden nicht nur im Sport, sondern in vielen Bereichen der Gesellschaft statt, in der Schule, im Studium oder im Beruf. Wir dürfen nicht nur Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir mit neuen Strafen drohen, sondern müssen auch offen brauchen eine Gesamtstrategie gegen Doping. Das Straf- über die Ursachen von Doping im Sport reden, über recht kann höchstens ein kleiner Baustein einer umfas- Strukturen und Rahmenbedingungen, über den bestehen- senden Anti-Doping-Strategie sein. Wirksame Anti- den Erfolgs- und Leistungsdruck, über die Motive, Doping-Politik fängt schon viel früher an. Die Recherche Ängste und Zwänge. Nur dann wird der Sport weiterhin von ARD und Correctiv hat uns gezeigt, dass wir schon positive Werte wie die Erhaltung von Gesundheit, Leis- auf Amateurniveau ein großes Problem mit Schmerzmit- tungsbereitschaft, Fairness und Teamgeist verkörpern, telmissbrauch im Sport haben. Bereits hier sind Politik nur dann werden sich Breiten- und Spitzensport gegen- und Sport gefordert. Schmerzmittelmissbrauch kann (B) seitig befördern, und nur dann wird der Sport jene gesell- schwerwiegende gesundheitliche Folgen nach sich zie- (D) schaftliche Bedeutung erlangen, von der wir hier im Bun- hen und ein erster Schritt in Richtung anderer Doping- destag immer wieder reden. praktiken sein. Im Spitzensport dreht sich fast alles um den Erfolg, Deswegen müssen wir bereits hier die Verbände in die damit verbunden auch um Geld und Ehre. Ohne Erfolg Pflicht nehmen. Wir brauchen breit angelegte Präven- ist man ganz schnell draußen, auch in Deutschland ist das tionskampagnen gegen Schmerzmittelmissbrauch ebenso Fördersystem ziemlich brutal und gnadenlos. Es geht um wie gegen Doping. Millimeter und Zehntelsekunden. Bei gleichen natürli- chen Voraussetzungen und selbem Trainingsfleiß ist heu- Die Sportverbände müssen dafür sorgen, dass die Exis- te, um ganz vorn zu landen, ein ganzes Team von Trai- tenz und Funktionsweise der Hinweisgebersysteme von nern, Technikern und Medizinern erforderlich. Und der NADA und WADA bei den Athletinnen und Athleten kleine Unterschied wird dann eben zum Teil durch die bekannter gemacht werden. Dies ist eine Empfehlung besseren Sportgeräte, legale oder auch unerlaubte Medi- der Sachverständigen, die das Anti-Doping-Gesetz eva- kamente bzw. Dopingmethoden erreicht. luiert haben. Denn es nützt nichts, wenn es Hinweisge- berportale gibt, aber niemand sie kennt. Hier sind die Immer wieder begegnen mir Stimmen, den Kampf ge- Verbände gefordert. Denn besonders im Anti-Doping- gen Doping im Sport könne man letztlich nicht gewinnen, Kampf brauchen wir Informationen von Hinweisgeberin- deshalb sollte man allen das Dopen gestatten. Dem will nen und Hinweisgebern, auch um Netzwerke aufdecken ich ganz energisch widersprechen, auch wenn es durch zu können und um an die Hintermänner heranzukommen. die Erfindung immer neuer Substanzen manchmal wie der berühmte Wettkampf zwischen Hase und Igel aus- Stichwort „Whistleblower“: Ich finde, die Sportförde- sieht. Gegen Doping, Korruption und Manipulation im rung des Bundes muss endlich an die Bedingung Sport müssen wir, die Sportverbände, die Politik und geknüpft werden, dass alle Verbände Ombudsstellen ein- die Gesellschaft, gemeinsam vorgehen, mit null Toleranz, richten, an die sich Whistleblower vertraulich wenden national wie international. können. 2019 hat das Innenministerium auf eine Kleine Anfrage von uns geantwortet, dass man in diesem Sinne Ich halte nach wie vor für wichtig, auch auf Bundes- tätig werden will. Getan hat sich seitdem leider nichts. ebene Prävention zu betreiben; denn Doping gefährdet die Gesundheit. Aus meiner Sicht muss im Jugend- und Auch beim allgemeinen Hinweisgeberschutz ist die Nachwuchssport, im Fitnessbereich sowie in der Aus- Bundesregierung bisher untätig. Wo bleibt der Regie- und Weiterbildung der in diesem Umfeld tätigen Perso- rungsvorschlag für die Umsetzung der EU-Whistle- nen über die Wirkung von anabolen Steroiden, Nahrungs- blower-Richtlinie in nationales Recht? Die Umsetzungs- 28618 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021

(A) frist läuft, die Wahlperiode neigt sich dem Ende und man und Sponsoren, die einen fairen sportlichen Wettbewerb (C) hört nix – außer Ankündigungen von Ministerin erwarten. Vor allem aber die um ihren Sieg gebrachten Lambrecht über die Presse. ehrlichen Athletinnen und Athleten. Der Sport lebt von ehrlichem Wettbewerb und darf nicht durch unfaire Ein- Wir fordern von der Bundesregierung, die EU-Whist- flussnahme sabotiert werden. leblower-Richtlinie endlich umfassend umzusetzen und Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber wirksam zu schüt- Der mittlerweile rechtskräftig abgeschlossene Prozess zen, im Sport und in allen anderen gesellschaftlichen gegen den angeklagten Erfurter Arzt vor dem Landge- Bereichen. richt München I – bekannt unter dem Schlagwort „Opera- Der Kampf gegen Doping muss nicht nur bei uns in tion Aderlass“ – belegt, dass auf der Grundlage des Anti- Deutschland gestärkt werden. Insbesondere auf interna- Doping-Gesetzes schon heute ein wirksames Vorgehen tionaler Ebene liegt einiges im Argen. Die Strukturen der gegen Dopingnetzwerke gelingen kann. Aber natürlich WADA müssen grundlegend reformiert werden. Wir müssen wir immer am Ball bleiben und Weiterentwick- brauchen hier endlich eine echte Gewaltenteilung. Athle- lungen im Blick haben. Wir müssen prüfen, wie wir die tinnen und Athleten müssen außerdem viel stärker als Dopingbekämpfung noch schlagkräftiger gestalten und bisher in Entscheidungen, die sie betreffen, einbezogen eine noch effektivere Strafverfolgung gewährleisten kön- werden. nen. Gerade auch weil der Prozess „Operation Aderlass“ bisher der einzige Prozess auf der Grundlage des Anti- Ein weiterer Punkt, der mir am Herzen liegt: Wenn wir Doping-Gesetzes ist. heute gegen Doping kämpfen wollen, müssen wir auch die deutsche Dopingvergangenheit weiter aufarbeiten. Die 2020 abgeschlossene Evaluierung des Anti- Ich kann nicht nachvollziehen, wieso Bundesregierung Doping-Gesetzes hat gezeigt, dass weiterer Handlungs- und Koalitionsfraktionen das Zweite Dopingopfer-Hilfe- bedarf besteht, um den integren Sport zu schützen. Den gesetz haben auslaufen lassen, während die anderen Ermittlungsbehörden lagen in den vergangenen Jahren Rehabilitierungsgesetze sogar entfristet wurden. Die nur selten Informationen vor, die einen Anfangsverdacht jüngsten Recherchen der ARD-Dopingredaktion über für eine entsprechende Straftat begründeten. Aus dem Versuche an Freizeitsportlerinnen und -sportlern zeigen, Spitzensport selbst, also beispielsweise von anderen dass hier weitere Aufarbeitung dringend geboten ist. Sportlerinnen und Sportlern und ihrem Umfeld, gab es keine nennenswerte Anzahl an Hinweisen an die Ermitt- Um auf den Gesetzentwurf der Bundesregierung lungsbehörden. Dies ist problematisch und zeigt, wie zurückzukommen: Lassen Sie uns im Sportausschuss dis- schwierig es ist, gegen die abgeschotteten Dopingstruktu- kutieren, ob eine bereichsspezifische Kronzeugenrege- ren im Leistungssportbereich vorzugehen. Die Ermitt- lung das Gesetz verbessert. Dabei dürfen wir aber nicht (B) lungsbehörden sind gerade im Leistungssport in beson- (D) vergessen: Im Kampf gegen Doping brauchen wir deut- derer Weise auf Informationen von Sportlerinnen und lich mehr als das Strafrecht. Sportlern und ihrem Umfeld angewiesen, um Straftaten aufdecken zu können. Um diese wichtigen Informationen Stephan Mayer, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- zukünftig häufiger und schneller gewinnen zu können, nister des Innern, für Bau und Heimat: Wir alle wollen soll das Anti-Doping-Gesetz nun um eine bereichsspezi- Sorge tragen für einen sauberen und fairen Sport. Zum fische Kronzeugenregelung erweitert werden. Darauf hat Schutz der Gesundheit der Sportlerinnen und Sportler das Bundesinnenministerium großen Wert gelegt, und es und des fairen Wettkampfs wurde das Anti-Doping-Ge- entspricht auch einem Wunsch vieler anderer Akteure setz beschlossen, das Ende 2015 in Kraft getreten ist. innerhalb und außerhalb des organisierten Sportes. Die Einführung des Anti-Doping-Gesetzes und insbe- Lassen Sie mich noch einige Worte zur genauen Aus- sondere die Einführung der Strafbarkeit des Selbstdo- gestaltung der Kronzeugenregelung sagen: Im Hinblick pings waren seinerzeit äußerst umstritten. Insbesondere auf die geschlossenen, nach außen abgeschotteten Struk- vor diesem Hintergrund freut es mich, dass sich das Anti- turen in der Dopingwelt bestehen deutliche Parallelen Doping-Gesetz bewährt hat. Die Evaluierung hat gezeigt, zum Betäubungsmittelmilieu. Der Entwurf der Kronzeu- dass es uns gelungen ist, den Zweck des Gesetzes zu genregelung im Anti-Doping-Gesetz ist daher in Anleh- erreichen, nämlich die Gesundheit der Sportlerinnen nung an die bewährte Kronzeugenregelung im Betäu- und Sportler zu schützen und die Fairness und Chancen- bungsmittelgesetz ausgestaltet worden. Die Regelung gleichheit bei Sportwettbewerben zu sichern. Das Gesetz soll für potenzielle Hinweisgeberinnen und Hinweisge- konnte eine große Lücke im Kampf gegen Doping schlie- ber einen sichtbaren Anreiz schaffen, Informationen über ßen und stellt einen wichtigen Schritt für die Anti- dopende Leistungssportlerinnen und Leistungssportler, Doping-Arbeit in Deutschland und insgesamt für die Hintermänner und kriminelle Netzwerke preiszugeben. Integrität des Sportes dar. Außerdem macht die Kronzeugenregelung deutlich, dass Aufklärungs- und Präventionshilfe bei der Bekämp- Durch die Anwendung von Dopingmitteln und fung von Doping honoriert wird. Dopingmethoden gefährden oder schädigen die dopen- den Sportlerinnen und Sportler nicht nur ihre Gesundheit, Mit der Kronzeugenregelung werden wir die Schatten- sie verschaffen sich vor allem auch unzulässige Wettbe- welt des Sports genauer ausleuchten. Ich freue mich über werbsvorteile. Doping greift die fundamentalen sportli- diesen weiteren großen Schritt, um den Dopingsumpf chen Werte wie Fairness, Leistungsbereitschaft, Integrität auszutrocknen. Damit schützen wir auch alle „sauberen“ und Chancengleichheit an. Doping enttäuscht alle: Zu- Sportlerinnen und Sportler, die Teil eines fairen Wettbe- schauerinnen und Zuschauer, Veranstalter, Sportvereine werbs sein wollen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. April 2021 28619-28642

(A) Der Gesetzentwurf konnte Anfang dieses Jahres sehr gung insgesamt auf große Zustimmung. Ich bin zuver- (C) schnell und effektiv auf den Weg gebracht werden. sichtlich, dass die Kronzeugenregelung ein Meilenstein Erfreulicherweise stieß der Entwurf im Rahmen der Res- im Kampf gegen Doping und für den sauberen und fairen sortabstimmung und der Länder- und Verbändebeteili- Sport in Deutschland sein wird.

(B) (D) Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co. KG, Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333