Plenarprotokoll 19/3

Deutscher

Stenografscher Bericht

3. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 22. November 2017

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 11: Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung Beratung der Beschlussempfehlung des Aus- der Beteiligung bewafneter deutscher schusses für Wahlprüfung, Immunität und Ge- Streitkräfte an der Multidimensionalen In- schäftsordnung: Antrag auf Genehmigung tegrierten Stabilisierungsmission der Ver- zum Vollzug gerichtlicher Durchsuchungs- einten Nationen in (MINUSMA) auf und Beschlagnahmebeschlüsse Grundlage der Resolutionen 2100 (2013), Drucksache 19/91. 151 C 2164 (2014), 2227 (2015), 2295 (2016) und 2364 (2017) des Sicherheitsrates der Verein- ten Nationen vom 25. April 2013, 25. Juni Tagesordnungspunkt 12: 2014, 29. Juni 2015, 29. Juni 2016 und 29. Juni 2017 Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Drucksache 19/24 (neu) . 143 B Beteiligung bewafneter deutscher Streit- kräfte zur Ausbildungsunterstützung der Dr. , Bundesministerin Sicherheitskräfte der Regierung der Region BMVg. 143 B Kurdistan-Irak und der irakischen Streit- (SPD). 144 B kräfte Drucksache 19/25. 151 D Rüdiger Lucassen (AfD). 145 D (FDP) . 146 D , Bundesminister AA . 151 D (DIE LINKE) . 147 C Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin BMVg. 153 A Dr. Frithjof (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 148 C (AfD). 154 A Dr. (AfD). 149 C Alexander Graf Lambsdorf (FDP). 155 A Christine Buchholz (DIE LINKE) . 149 D (DIE LINKE). 155 D (CDU/CSU) . 150 A (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 156 D

Zusatztagesordnungspunkt 6: Jürgen Hardt (CDU/CSU). 157 C Beratung der Beschlussempfehlung des Aus- schusses für Wahlprüfung, Immunität und Ge- Zusatztagesordnungspunkt 5: schäftsordnung: Antrag auf Genehmigung zum Vollzug gerichtlicher Durchsuchungs- Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion und Beschlagnahmebeschlüsse CDU/CSU: Lage im Nahen und Mittleren Drucksache 19/90. 151 C Osten. 158 C II Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 3 Sitzung , Mittwoch, den 22 November 2017

Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU). 158 C Dr. Bernd Baumann (AfD). 180 D Dr. Rolf Mützenich (SPD) . 160 A Dr. (CDU/CSU). 181 D Dr. Eberhardt (AfD). 160 D (SPD). 183 A Alexander Graf Lambsdorf (FDP). 161 D (FDP). 184 C (DIE LINKE). 185 C Sevim Dağdelen (DIE LINKE). 162 D (BÜNDNIS 90/ Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 186 C DIE GRÜNEN). 163 D (Altötting) (CDU/CSU). 187 D (CDU/CSU). 164 C Norbert Kleinwächter (AfD). 188 B Niels Annen (SPD). 165 C (AfD) . 189 A Armin-Paulus Hampel (AfD). 166 C Dr. Johann David Wadephul (CDU/CSU) . 189 D (CDU/CSU). 168 A

Gabriela Heinrich (SPD). 169 A Tagesordnungspunkt 15: Dr. Johann David Wadephul (CDU/CSU) . 169 D Antrag der Abgeordneten Dr. , Birke Bull-Bischof, , weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ko- Tagesordnungspunkt 13: operationsverbot in der Bildung vollständig aufheben Erste Beratung des von der Fraktion der SPD Drucksache 19/13. 190 C eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Einwanderung qualif- Birke Bull-Bischof (DIE LINKE). 190 D zierter Fachkräfte (Einwanderungsgesetz Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU). 191 C – EinwG) Drucksache 19/44. 170 D Birke Bull-Bischof (DIE LINKE). 192 C (SPD). 171 A Dr. (SPD) . 193 D Dr. Götz Frömming (AfD) . 194 C Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU). 171 D (FDP). 195 D Dr. (AfD). 173 B (BÜNDNIS 90/ Stephan Thomae (FDP). 174 C DIE GRÜNEN). 196 D Zaklin Nastic (DIE LINKE). 175 D (CDU/CSU). 198 A (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). 176 C (SPD) . 199 C (CDU/CSU) . 177 D Tankred Schipanski (CDU/CSU). 199 D (SPD) . 179 A (SPD) . 200 A (AfD). 180 A Nächste Sitzung . 201 C

Tagesordnungspunkt 14: Anlage 1 Antrag der Abgeordneten Roman Johannes Liste der entschuldigten Abgeordneten. 203 A Reusch, , Norbert ­Kleinwächter und der Fraktion der AfD: Sechs-Punkte- Plan – Abkommen zur Förderung der Rückkehr syrischer Flüchtlinge Anlage 2 Drucksache 19/48. 180 C Amtliche Mitteilungen. 203 C Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 3 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 22 November 2017 143

(A) (C)

3. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 22. November 2017

Beginn: 12.30 Uhr

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Unsere vielfältige Präsenz in Mali und in der Region Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die des Sahel folgt genau dieser Strategie, und sie beinhaltet Sitzung ist eröfnet. auch unseren Beitrag an der Mission MINUSMA, den wir heute jetzt hier besprechen. Diese Mission MINUSMA Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: hat den Auftrag, das Friedensabkommen zu sichern. Beratung des Antrags der Bundesregierung Die Bundeswehr ist seit 2013 an MINUSMA betei- ligt – inzwischen mit hochwertigen Fähigkeiten, vor al- Fortsetzung der Beteiligung bewafneter lem der Aufklärung, und mit bis zu 1 000 Soldatinnen deutscher Streitkräfte an der Multidimensi- und Soldaten. Die Bundeswehr erfüllt ihre Aufgaben onalen Integrierten Stabilisierungsmission bravourös. Sie agiert in einem sehr fordernden Umfeld. der Vereinten Nationen in Mali (MINUSMA) Im Sommer haben wir zwei unserer besten Tiger-Pilo- auf Grundlage der Resolutionen 2100 (2013), ten bei einem tragischen Hubschrauberunglück verloren. (B) 2164 (2014), 2227 (2015), 2295 (2016) und Wir trauern um sie. (D) 2364 (2017) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 25. April 2013, 25. Juni 2014, Das zeigt eben auch: Dieser Einsatz ist enorm gefähr- 29. Juni 2015, 29. Juni 2016 und 29. Juni 2017 lich. Deshalb ist das Mindeste, was wir tun können, die bestmögliche Ausbildung für unsere Soldatinnen und Drucksache 19/24 (neu) Soldaten zur Verfügung zu stellen, die wir überhaupt zur Verfügung stellen können. Überweisungsvorschlag: Hauptausschuss (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- Seit einem Jahr bringt die Drohne Heron für die ganze nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Mission und für den Norden einen großen Sicher- heitsgewinn. Ich sage aber auch hier sehr deutlich: Es Ich eröfne die Aussprache. Das Wort hat die Bundes- wird allmählich Zeit, dass wir auch diese Aufklärungs- ministerin der Verteidigung, Frau Dr. von der Leyen. drohne modernisieren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Wir sollten uns nichts vormachen: Die Vereinten Na- ordneten der FDP) tionen und auch die Mission MINUSMA sind sicherlich nicht vollkommen, und es ist vieles verbesserungswür- Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin der dig, aber die gesamten Missionen der Vereinten Nationen Verteidigung: sind immer nur so stark, wie wir auch bereit sind, unsere Beiträge zu erbringen, und Deutschland ist bereit, einen Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine lieben Kolle- substanziellen Beitrag zu erbringen. ginnen und Kollegen! Eines der prägendsten Themen unserer Sicherheits- und Verteidigungspolitik in der ver- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gangenen Legislaturperiode war unser umfassendes En- Deshalb ist die Fortsetzung dieser Mission auch so gagement in Afrika, und dies wird absehbar auch so blei- wichtig. Es ist ein starkes Zeichen, das wir den Vereinten ben. Wir arbeiten gemeinsam daran, dass Afrika für uns Nationen damit geben. bald viel mehr, wie es Gerd Müller ausdrücken würde, ein Kontinent der Chancen und weniger ein Kontinent Wir haben in den Vereinten Nationen auch angekün- der Sorgen werden wird, ein Kontinent, in dem wir Part- digt, dass wir unsere Hochwertfähigkeiten, nämlich vor nerschaften aufbauen, damit die Menschen dort beides allen Dingen die Hubschrauber, nur für eine limitierte haben: Sicherheit und Prosperität. Zeit zur Verfügung stellen, weil wir auch die heimischen 144 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 3 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 22 November 2017

Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen (A) Ressourcen wieder aufbauen müssen. Wir wollen aber in verehrten Damen und Herren, engagiert sich Deutschland (C) eine verantwortungsvolle Rotation eintreten. Das heißt, im Rahmen der Vereinten Nationen überhaupt in Mali? unsere Hubschrauber werden voraussichtlich bis Som- Mali ist durch seine geografsche Lage und seine Ver- mer des nächsten Jahres fiegen. Wir werden dann durch bindung zu den Nachbarstaaten für die Frage der Sta- einen anderen Partner abgelöst werden, so wie wir im bilität in der gesamten Sahelzone von entscheidender vergangenen Jahr unsere niederländischen Freunde abge- Bedeutung. Grenzüberschreitender Terror, organisierte löst haben. So ergibt sich eine Rotation, die zum Muster Kriminalität: Das sind alles Themen, die uns bekannt vor- für mehrere Missionen der Vereinten Nationen werden kommen, weil sie auch Deutschland und Deutschlands könnte. Sicherheit bedrohen. Auch darüber ist in den vergange- Wir sind in Mali auch mit der Europäischen Union in nen Monaten viel diskutiert worden: Ja, Mali ist auch ein einer zivilen und einer militärischen Mission zur Aus- wichtiges Transitland in der Frage von Migration und bildung malischer Soldaten engagiert, was wiederum Flucht und hat auch deswegen eine große Bedeutung. MINUSMA sehr hilft, und wir sind in dem breiten poli- Aber, meine Damen und Herren, die Geschichte des tischen Prozess in diesem Land hoch engagiert. Es muss, Einsatzes in Mali zeigt auch, wie es um die europäische vorsichtig ausgedrückt, eine erhebliche Ermutigung der Verteidigungspolitik steht. Als 2012 islamistische Terro- Regierung erfolgen, damit sie sich auch in dem Friedens- risten nicht nur den Norden, sondern sozusagen das ge- prozess engagiert, damit sie Reformen macht und bereit samte Land in seiner Stabilität, ja möglicherweise sogar ist, auf die anderen politischen Parteien zuzugehen. in seiner Existenz bedrohten, entschloss sich Frankreich, Wir unterstützen auch eine Initiative der G-5-Sahel- kurzfristig und entschlossen zu handeln. Und ich würde staaten, selber ihre eigenen Sicherheitskräfte aufzubauen, auch heute noch sagen: Ohne die mutige Entscheidung um in der Lage zu sein, ihre Bevölkerung zu schützen und von Präsident Hollande wäre Mali heute möglicherweise den Terror zu bekämpfen. Wir haben deshalb begonnen, das, was wir gemeinhin einen Failed State nennen. den Einsatzverband der fünf Sahelländer – die „Force Meine sehr verehrten Damen und Herren, zur Wahr- Conjointe du G 5 Sahel“ – zu unterstützen. Wir haben heit gehören aber auch zwei etwas unangenehme Fest- zwei Konferenzen durchgeführt – eine deutsch-franzö- stellungen: Frankreich hat sich damals nicht wirklich sische in Paris und eine in Berlin –, und im Dezember europäisch abgestimmt, und Frankreich hat Deutsch- wird die Europäische Union zu dem Thema eine große land unter politischen Zugzwang gesetzt, sich an der Geberkonferenz in Brüssel veranstalten. Operation MINUSMA zu beteiligen. Aber es gibt noch Sie sehen also, meine Damen und Herren: Das ist eine zweite Wahrheit, über die wir reden müssen. Denn ein umfassendes Engagement, und es ist ein moderner, Deutschland wiederum und auch wir, meine sehr ver- (B) vernetzter Ansatz unserer Sicherheitspolitik. Ich habe in ehrten Damen und Herren, haben doch auch bis zur Es- (D) groben Pinselstrichen den militärischen Anteil skizziert. kalation des Krieges in Mali die Bedeutung des Landes Gerd Müller hat mit dem BMZ unzählige Projekte für und der gesamten Sahelzone für die regionale, aber auch den zivilen Wiederaufbau und den Entwicklungsteil auf für unsere Sicherheit nicht erkannt. Wir haben uns still- den Weg gebracht. Das Auswärtige Amt ist in hohem schweigend darauf verlassen, dass sich Frankreich schon Maße im politischen Dialog engagiert, und wir unterstüt- darum kümmert. Ich sage Ihnen hier: Beides, meine sehr zen gemeinsam eine spezielle Ertüchtigungsinitiative der verehrten Damen und Herren, muss sich ändern. Deswe- G 5 Sahel zivil und militärisch. gen ist unser Engagement in Mali wichtig. MINUSMA kommt dabei eine zentrale Rolle zu. Ich Die Ministerin hat darauf hingewiesen: Es ist ein ge- bitte heute um eine Verlängerung dieses ansonsten unver- fährliches Engagement. Ich bin für die Arbeit unserer änderten Mandates für die nächsten drei Monate, damit Soldatinnen und Soldaten sehr dankbar. Ich selber habe wir ausreichend Zeit haben, innerhalb des Bundestages mich vor Ort überzeugen können, in was für einem wirk- die Weiterentwicklung dieses Mandates zu diskutieren. lich schwierigen Umfeld sie dort hochprofessionell ar- beiten und ihr Leben riskieren. Dafür gebührt ihnen unser Vielen Dank. aller Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Ich glaube, gerade weil wir auf eine französische Ini- Nächster Redner ist der Kollege Niels Annen von der tiative, auf eine französische Anfrage reagiert haben, SPD. müssen wir über Mali und die Situation dort reden; dazu sage ich gleich noch etwas. Aber es geht in der Tat auch (Beifall bei der SPD) um die Frage, wie wir diese Kooperation jetzt nutzen, um endlich die Chance zu ergreifen, die sich aus der Rede Niels Annen (SPD): von Präsident Macron ergeben hat. Deswegen will ich Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- hier schon sagen: Bei allem Verständnis für langwierige ren! Mali – das kann man, glaube ich, sagen – ist ein und schwierige Verhandlungen – auch wir haben uns Zeit außenpolitischer Testfall für die Handlungsfähigkeit der genommen, um die letzte Koalition gut vorzubereiten, Europäischen Union. Mali ist aber auch ein Indikator für und das Ergebnis hat uns recht gegeben; wir haben gute den Zustand der deutsch-französischen Zusammenarbeit Arbeit abgeliefert –: Wir brauchen endlich – das will ich und für die Frage der Ernsthaftigkeit. Warum, meine sehr auch der Bundeskanzlerin sagen – eine Antwort auf die Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2017 145

Niels Annen (A) Rede von Präsident Macron. Wir brauchen eine Debatte, Erwartungen an die Politik der Bundesregierung. Ich will (C) meine Damen und Herren, die hier in diesem Parlament das zusammenfassen: Der Friedensprozess muss umge- stattfnden muss. Das ist wirklich überfällig. setzt werden. Wir brauchen mehr Druck auf Bamako. Wir brauchen endlich die zugesagte Verfassungsreform. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Die Zivilgesellschaft ist in diesen Prozess nicht ausrei- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) chend eingebunden. Auch dort können wir einen Beitrag Zurück zur Lage in Mali; auch darüber müssen wir leisten und ein Angebot machen, übrigens auch mit den heute sprechen. Wo steht das Land, auch nach dem gro- vor Ort aktiven politischen Stiftungen, denen ich meinen ßen Einsatz der Bundeswehr, aber auch der anderen Dank aussprechen möchte. Elemente unseres Engagements? Ein Teil der zurückge- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten drängten Terroristen hat wieder, wie man so schön sagt, der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNIS- Land gewonnen. Ein Teil des Nordens ist de facto weiter- SES 90/DIE GRÜNEN) hin nicht unter Kontrolle der Regierung in Bamako. Die Vermischung von organisierter Kriminalität und Terroris- Es geht zum Beispiel auch um das vereinbarte Wahl- mus bleibt ein Problem, vor allem aber die Perspektivlo- gesetz, das im Moment in Mali nicht gilt. Wir brauchen sigkeit für die Bevölkerung. Das Kernproblem, wo auch zudem eine malische Regierung, die bereit ist, entschlos- immer wir hinschauen, ob in den Norden oder auch in die sen die Korruption zu bekämpfen; denn ein Teil des Region um Bamako, die natürlich wesentlich stabiler ist, Legitimationsverlustes besteht darin, dass sich unsere ist: Es mangelt eigentlich überall in diesem Land an sta- Gesprächspartner mit Vorwürfen im eigenen Land ausei- bilen staatlichen Strukturen. Die Stabilisierung des Lan- nandersetzen müssen. Das heißt, wir haben es mit einer des und der gesamten Region ist und bleibt der Schlüssel ausgesprochen komplexen Situation zu tun. Deutschland zur Lösung der Probleme. hat einen wichtigen und konstruktiven Beitrag geleistet. 300 000 junge Menschen in Mali, so wird vermutet, Ich hofe, dass ich ein wenig deutlich machen konnte: können aufgrund des Versagens des Staates nicht zur Ja, das Engagement lohnt sich; aber die Arbeit ist lange Schule gehen. Das sind alles potenzielle Ziele der Ex- nicht beendet. Deswegen bitte ich Sie, diesen Antrag zu tremisten für die Rekrutierung. Wir müssen Mali in die- unterstützen. Unterstützen Sie diejenigen, die weiterhin ser schwierigen Situation unterstützen. Deswegen ist für und mit Mali arbeiten wollen! MINUSMA quasi der Rahmen, in dem wir die Chance Danke für die Aufmerksamkeit. haben, diesen politischen Prozess voranzutreiben. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie Mali hat im Gegensatz zu vielen anderen Konfikten, bei Abgeordneten der FDP und des BÜND- über die wir in den letzten Jahren reden mussten – ich (B) NISSES 90/DIE GRÜNEN) (D) weiß gar nicht, ob das zu lapidar klingt –, den Vorteil, dass es eine Vereinbarung gibt. Es gibt einen Friedens- prozess. Dieser Friedensprozess muss unser Anknüp- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: fungspunkt sein. Deswegen will ich an dieser Stelle Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Lucassen von schon sagen: Das, was wir beitragen können, politisch der AfD-Fraktion zu seiner ersten Rede im Deutschen von unseren Beratungsleistungen, aber auch militärisch, Bundestag. sind wir bereit weiter zu leisten; das will ich auch für meine Fraktion sagen. (Beifall bei der AfD)

Wir wissen aber auch, dass MINUSMA einen Anse- Rüdiger Lucassen (AfD): hensverlust erlitten hat, gerade im Kernland um Bamako. Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Ich werde Glücklicherweise – das ist übrigens auch ein Kompliment mich an die vorgegebene Redezeit halten. – Wir spre- für die Arbeit der Soldatinnen und Soldaten – ist das An- chen heute über jene Männer und Frauen, die mich über sehen in der Region um Gao, wo sie stationiert sind, eher drei Jahrzehnte als Kameraden begleiteten, Männer und gestiegen, weil sie dort einen konkreten Beitrag zur Ver- Frauen, die als Zeit- und Berufssoldaten einen Eid able- besserung der Sicherheitslage geleistet haben. gen, unserem Land treu zu dienen und das Recht und die Aber was wir brauchen, meine Damen und Herren, ist Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen. Aber ein stärkeres Engagement. Ja, wir brauchen auch mehr die Grünen und Herr Lindner wollen diesen Eid, wie wir Druck auf die Regierung in Bamako, die eigenen Zu- gestern hörten, auf den ganzen Planeten ausdehnen. sagen, die im Rahmen des Friedensprozesses gemacht (Beifall bei der AfD) worden sind, umzusetzen. Jeder, der sich in diesem Land eine Zeit lang aufgehalten, Gespräche geführt hat und die Die Gefahr für Leib und Leben ist integraler Bestand- Berichte verfolgt, weiß: Das steht nicht immer im Mit- teil des Soldatenberufs. Wir entsenden Soldaten in einen telpunkt der politischen Bemühungen. Wir brauchen also Einsatz, gerade weil es gefährlich ist und weil nur sie in beides: Wir brauchen das Angebot der Unterstützung. der Lage und willens sind, diesen Gefahren zu begegnen. Aber wir brauchen auch mehr Druck auf die Regierung Diese Gefahren für unsere Soldaten dürfen wir als Volks- in Bamako. vertreter nur akzeptieren, wenn sie in einem angemesse- nen Verhältnis zu den gesetzten und erreichbaren Zielen Mit meiner heutigen Empfehlung an meine Kolle- des Einsatzes stehen. ginnen und Kollegen in der SPD-Bundestagsfraktion, diesem Antrag zuzustimmen, formuliere ich auch klare (Beifall bei der AfD) 146 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 3 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 22 November 2017

Rüdiger Lucassen (A) Das ist in Mali nicht der Fall. den Luftbeweglichkeit nur in der Nähe des Lagers ope- (C) rieren. (Zuruf der Abg. [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]) Sie haben gerade eben dargestellt, Frau Ministerin, Die Bundesregierung sagt, dass MINUSMA dazu bei- dass ab Mitte des Jahres 2018 die Hubschrauber gemäß trägt, Mali zu stabilisieren. Sie wollen den Frieden dort einer Rotation mit anderen Staaten dieser Welt heraus- sichern. Sie wollen die Bevölkerung schützen. Sie wol- genommen werden. Aber was Sie nicht gesagt haben, len den Sicherheitssektor aufbauen. Sie wollen auch die ist, dass diese Herausnahme der Hubschrauber – wir re- Menschenrechte schützen und humanitäre Hilfe leisten. den hier nur über vier Transporthubschrauber und vier Sie wollen die Einheit Malis sichern. Kurzum: Sie wollen Kampfhubschrauber Tiger – zwingend erforderlich ist, das große Ganze. Wie die Verteidigungsministerin eben weil wir im Heimatland die Soldaten, die Flugzeugfüh- sagte, sieht sie Afrika auch als „Kontinent der Chancen“. rer, die fiegende Besatzung nicht mehr ausbilden kön- nen. Sorgen Sie bitte dafür, dass die Voraussetzungen für Was wollen Sie aber konkret bis wann erreicht haben, einen Einsatz unserer Truppe gegeben werden, damit wir Frau Ministerin? unsere Soldaten auch guten Gewissens in den Einsatz entsenden können. (Beifall bei der AfD) Und vor allem: Was ist das konkrete nationale Interesse (Beifall bei der AfD) Deutschlands in diesem Land: Stabilität, Malis Einheit? Aber selbst wenn der Kräfteansatz ein anderer wäre: Oder wollen Sie unseren französischen Freunden Schüt- Sie haben gar nicht den politischen Mut, gegen die erstar- zenhilfe gewähren? kenden Islamistengruppen im Norden Malis vorzugehen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Die Versorgungskonvois der UN auf den Routen nach Osten und Norden werden fast täglich angegrifen. Im Auf solche Fragen geben Sie keine Antwort. Hauptquartier in Bamako vergeht fast keine Woche ohne (Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Stimmt doch gar Trauerfeier für einen Gefallenen. Es handelt sich dabei nicht!) meist noch um Soldaten anderer Nationen – schlimm ge- nug. Wenn es allerdings so weitergeht, wird irgendwann Das kennen wir bereits von einem anderen Beispiel. auch unsere Nationalfagge auf Halbmast wehen. Und Vor einigen Jahren redete sich die Fraktion von CDU und wofür? CSU an diesem Ort mit den gleichen hohlen Floskeln einen anderen Einsatz schön. Auch damals wollten Sie (Beifall bei der AfD) Stabilität und Wiederaufbau, sprachen unentwegt über Seit die Bundeswehr in Mali stationiert ist, hat sich die (B) eine angeblich vernetzte Sicherheitspolitik, wollten Po- (D) Sicherheitslage dramatisch verschlechtert, und die Paral- lizei und Armee ausbilden, eine gute Regierungsführung lelen zu sind nicht zu übersehen. Wir kön- implementieren und natürlich die Achtung der Men- nen heute bedauerlicherweise, aber zu Recht, von einer schenrechte durchsetzen. Am 3. Dezember 2009 hier an Afghanisierung Malis sprechen. Wenn Sie unsere Män- diesem Pult die gleiche Verharmlosung und die gleiche ner und Frauen in Uniformen in einen Einsatz schicken, Strategielosigkeit, nur ein anderer Einsatz, nämlich Af- Frau Ministerin von der Leyen, dann ist es Ihre Pficht, ghanistan! Das Ergebnis kennen Sie alle. Es ist eine Ka- sie mit einer tragfähigen Strategie und den dafür erfor- tastrophe. derlichen Kräften und Mitteln auszustatten. Beides fehlt (Beifall bei der AfD – [CDU/ in der MINUSMA, und daher stimmt die Fraktion der CSU]: Sie scheren alles über einen Kamm! So AfD dem Antrag der Bundesregierung nicht zu. einfach ist die Welt nicht!) (Beifall bei der AfD – Henning Otte [CDU/ Heute in Mali wiederholen Sie dieselben Fehler. Aus CSU]: War auch nicht anders zu erwarten!) der Geschichte gelernt? Fehlanzeige bei dieser Bundes- regierung. Nur an einer einzigen Stelle wird die Ver- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: teidigungsministerin konkret: Es verläuft in Mali – ich zitiere – „die Route für Schleuser und Schlepper“. Dort Nächster Redner ist der Kollege Pascal Kober von der werden Menschen, Drogen und Wafen geschmuggelt, FDP-Fraktion. Frau Ministerin. Was tun Sie konkret dagegen? (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der AfD) Die Antwort lautet: nichts. Warum gibt es denn keinen Pascal Kober (FDP): Kampfauftrag gegen Schleuser? Warum wird deren Lo- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die gistik nicht zerstört und das kriminelle Netzwerk zer- FDP hat 2013 den Einsatz der Bundeswehr im Rahmen schlagen? von MINUSMA, der Multidimensionalen Integrierten Stabilisierungsmission in und für Mali unter Führung (Beifall bei der AfD) der Vereinten Nationen, mit auf den Weg gebracht. Des- Trotz der 1 000 entsendeten Soldaten ist die Wirkung halb möchte ich an dieser Stelle zunächst einmal allen in der Fläche dieses riesigen Landes verschwindend ge- Soldatinnen und Soldaten, aber auch allen zivilen Mit- ring. 80 Prozent der Truppe verlassen das Lager in Gao arbeiterinnen und Mitarbeitern herzlich danken für ihren nicht. Der Rest kann aufgrund einer völlig unzureichen- Einsatz bei MINUSMA und für ihren Einsatz bei der Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2017 147

Pascal Kober (A) ebenfalls 2013 mit auf den Weg gebrachten europäischen deutscher Streitkräfte im Rahmen von MINUSMA zuzu- (C) Ausbildungsmission EUTM Mali. stimmen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) der CDU/CSU und der SPD) Für manchen hier im Plenarsaal ist Mali, eines der In diesen Dank möchte ich ausdrücklich auch die Fa- ärmsten Länder der Welt, weit weg. Aber der Terroris- milien und Angehörigen unserer Soldatinnen und Sol- mus kennt keine Grenzen. Er kennt Rückzugsorte und daten und zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein- instabile Lebensräume, von denen aus er sich entwickeln schließen, die ebenfalls, und zwar nicht zu knapp, unter kann und von denen er ausgehen kann. Die Stabilität den Herausforderungen und Belastungen unserer Aus- Malis und damit der Sahelzone und der ans Mittelmeer landseinsätze leiden und diese mitzutragen haben. angrenzenden Maghreb-Staaten ist in unserem eigenen Sicherheitsinteresse, um Fluchtursachen und den inter- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten nationalen Terrorismus zu bekämpfen. der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Rolf Mützenich Aber nicht zu vergessen: Wir fühlen eine Verantwor- [SPD]) tung gegenüber den Menschen, auch wenn sie fern von uns leben. Wir wollen sie nicht alleinlassen. Wir haben 2013 die Beteiligung der Bundesrepublik Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. an MINUSMA auf den Weg gebracht. Geleitet waren wir seinerzeit von der Sorge, dass eine Destabilisierung Ma- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten lis durch separatistische und islamistisch-terroristische der CDU/CSU und der SPD) Kräfte zu einer Destabilisierung nicht nur Malis, sondern der gesamten Sahelregion und der Maghreb-Staaten füh- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: ren würde, was wiederum mittelbare Auswirkungen auf Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Christine die Sicherheit Europas und auf die Sicherheit der Bun- Buchholz von der Fraktion Die Linke. desrepublik Deutschland haben könnte. (Beifall bei der LINKEN) Aber nicht nur das. Es galt auch, Mali und die Nach- barstaaten vor einer humanitären Katastrophe zu bewah- Christine Buchholz (DIE LINKE): ren. Seinerzeit waren es etwa 500 000 Binnenvertriebene Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben und 175 000 Flüchtlinge in den Nachbarstaaten Malis, es gerade gehört: Die AfD ist nicht nur rassistisch und die dringend einer Soforthilfe bedurften und denen wir (B) nationalistisch, (D) eine Rückkehr in ihre Heimat ermöglichen wollten. (Zurufe von der AfD: Oh!) Von Anfang an war dieser Einsatz der Bundeswehr im Verbund mit anderen Armeen eingebettet in ein in- nein, sie ist auch militaristisch. einandergreifendes System der politischen Begleitung (Beifall bei der LINKEN – Dr. Eberhardt des Friedens- und des Versöhnungsprozesses, der zivilen Alexander Gauland [AfD]: Noch was? Habt Krisenintervention, der humanitären Hilfe und auch der ihr noch was?) langfristig angelegten Entwicklungszusammenarbeit. Die Bundesministerin hat es gesagt: MINUSMA folgt Der Bundeswehreinsatz in Mali ist mit rund 1 000 Sol- daher den Prinzipien des vernetzten Sicherheitsansatzes datinnen und Soldaten neben dem Afghanistan-Einsatz der Bundesrepublik Deutschland und kann damit auch der derzeit größte Auslandseinsatz überhaupt. Und: Es beispielgebend und auch Lernfeld sein für Kriseninter- geht bei dem Einsatz nicht darum, wie es den Menschen ventionen in der Zukunft. vor Ort geht; vielmehr reiht sich der Einsatz ein in eine Reihe von Maßnahmen zur Abwehr von Flüchtlingen. Nach wie vor ist allerdings der Friedens- und Stabili- Im Übrigen soll die Bundeswehr auch unter schwierigen sierungsprozess nicht abgeschlossen, auch wenn 90 Pro- klimatischen Bedingungen die weltweite Einsatz- und zent der Binnenvertriebenen in ihre Heimat zurück- Kampfbereitschaft erproben. Niels Annen, es ist schon kehren konnten und die humanitäre Lage grundsätzlich ein bisschen zum Piepen, wenn Sie sagen, dass die Bun- verbessert werden konnte. Die ersten gemeinsamen Pa­ desregierung von Frankreich gezwungen worden wäre, trouillen der Konfiktparteien in der Region um Gao, die in diesen Einsatz zu gehen. Durchführung der nationalen Versöhnungskonferenz, die (Niels Annen [SPD]: Habe ich nicht gesagt!) Einsetzung von Übergangsverwaltungen und die Beset- zung von Gouverneursposten im Norden, das alles sind Beides, sowohl die Flüchtlingsabwehr als auch diese konkrete und ermutigende Fortschritte auf dem Weg zu übergeordneten Ziele der Bundeswehr, lehnt Die Linke Sicherheit und Stabilität Malis und damit der ganzen Re- ab. gion. (Beifall bei der LINKEN) Doch nach wie vor sind die malischen Sicherheits- Laut Mandat sollen die Bundeswehrsoldaten im Rah- kräfte auf unsere Unterstützung angewiesen. Deshalb men der UN-Mission MINUSMA den Frieden sichern. werde ich der FDP empfehlen, dem Antrag der Bundes- Doch in Mali gibt es mitnichten Frieden: Erstens haben regierung auf Fortsetzung der Beteiligung bewafneter gar nicht alle Konfiktparteien das ausgehandelte Frie- 148 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 3 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 22 November 2017

Christine Buchholz (A) densabkommen unterzeichnet, und zweitens fankieren Vielen Dank. (C) die MINUSMA und damit auch die Bundeswehr eine Kampfoperation der französischen Armee, die im Dun- (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. keln agiert. Gelegentlich kommt ans Tageslicht, wie ­ [AfD] – Henning Otte diese Operation unter dem Namen Barkhane agiert. Im [CDU/CSU]: Sie waren doch da, Frau letzten Jahr kam es zu Protesten der Zivilbevölkerung in Buchholz!) Kidal, nachdem die französische Armee Menschen will- kürlich verhaftet hatte. MINUSMA-Soldaten schossen Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: auf sie. Vor sechs Wochen kam es zu erneuten Protesten Nächster Redner ist der Kollege von von ganzen Familien gegen die Operation Barkhane. Ich der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. sage Ihnen: Die Bundeswehr darf nicht Teil einer Militär- mission sein, die in Mali wie eine koloniale Fremdmacht agiert. Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): (Beifall bei der LINKEN) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, man muss noch einmal daran erin- Die Bundesregierung stellt mit der Heron-Drohne – nern, was in Mali eigentlich passiert ist; denn hier wurde das hat die Ministerin auch noch einmal erklärt – Aufklä- in dem Beitrag von rechts außen der Eindruck erweckt, rungsbilder zur Verfügung. Ich möchte wissen: Was wird als würden wir da eigentlich nur französische Interessen- mit diesen Bildern alles gemacht? politik machen. Ich gebe einmal ein Beispiel: Vor einem Monat sind (Beifall bei Abgeordneten der AfD) bei einem Bombardement durch die französische Armee elf malische Soldaten getötet worden. Das ist übrigens Ich muss sagen: Bedauerlicherweise hat die Kollegin nur bekannt geworden, weil es sich dabei um verbünde- Buchholz von den Linken in das gleiche Horn gestoßen. te Soldaten handelte. Doch wie viele Zivilisten sind bei vergleichbaren Bombardements umgekommen? Darüber (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- schweigen sich die Regierungen in Paris und Berlin aus. SES 90/DIE GRÜNEN) Ich muss daran erinnern: 2012 hat Präsident Hollande In Mali wie in Frankreich wird die Kritik an dem in Dakar eine große Rede gehalten, in der er mit der fran- internationalen Militäreinsatz immer lauter. Die fran- zösischen Afrika-Politik durchaus selbstkritisch ins Ge- zösische Tageszeitung „Le Monde“ schrieb dazu letzte richt gegangen ist und gesagt hat: Es muss Schluss sein (B) Woche: Mali ist unser Afghanistan. – Denn die Aktio- mit Françafrique. Wir wollen europäische Zusammen- (D) nen westlicher Militärs, die Armut und die Korruption arbeit, wir wollen diese Politik verändern. – In diesem der vom Westen gestützten Regierung in Bamako treiben Zusammenhang ist auch eine europäische Mission vor- den Aufständischen immer neue Unterstützer zu. Nun bereitet worden. Kollege Annen, ich würde Sie wirklich sind auch Regionen in den Nachbarländern Niger und bitten, sich den Prozess noch einmal anzugucken; denn Burkina Faso betrofen, und im Landesinneren von Mali das war ein koordinierter Prozess in der Europäischen ist ein völlig neuer bewafneter Konfikt entstanden. Die Union. Unsicherheit und der Krieg weiten sich aus. Ich richte meine Worte hier an die geschäftsführende Bundesregie- Mitten in diese Situation hinein gab es den Vormarsch rung: Nehmen Sie diese Realität zur Kenntnis! der Islamisten auf Bamako, um das ganze Land zu über- nehmen. Um es mal sehr deutlich zu sagen: Das hätte als (Beifall bei der LINKEN) Resultat gehabt, dass AQIM, al-Qaida im Maghreb, und Ansar al-Din dort eine Art Kalifat errichten, wie es im Der internationale Militäreinsatz bringt den Menschen Irak und in Syrien gemacht wurde. Das war die eigentli- vor Ort nichts. Deren größtes Problem ist die bittere Ar- che Bedrohungssituation. In dieser Lage hat Frankreich mut – trotz des Reichtums an Bodenschätzen. Die WHO unmittelbar militärisch eingegrifen, und das haben wir hat gerade gemeldet: In Mali stirbt jede Stunde ein Kind unterstützt. Ich glaube, das war in dieser Situation auch unter fünf Jahren an Lungenentzündung. Statt alle Mit- richtig. tel auf die Beseitigung der Armut und der Ursachen des Konfiktes zu setzen, steckt die Bundesregierung mal (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eben 6,5 Millionen in eine Webserie, die fächen- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) deckend in ganz Deutschland für den Militäreinsatz in Mali wirbt. Dann hat Frankreich den nächsten Schritt gemacht, der auch die Mär widerlegt, dass Frankreich dort die Ich sage Ihnen: Stecken Sie die Millionen nicht in eine französischen Interessen an die erste Stelle setzt. Es hat Reklame, die eine Realität vorgaukelt, die dieser Einsatz nämlich gesagt: Wir wollen, dass die Vereinten Nationen nicht hat. Hören Sie auf damit! Die Bundeswehr muss die Verantwortung übernehmen. – Deswegen gibt es das umgehend aus Mali abgezogen werden. UN-Mandat. Es ist richtig, dass die Vereinten Nationen in diesem Prozess die Verantwortung übernommen ha- (Beifall bei der LINKEN) ben. Es ist richtig, dass Deutschland das unterstützt – in enger Zusammenarbeit mit Frankreich. Es ist auch poli- Die Linke wird gegen dieses Mandat stimmen. tisch, fnde ich, eine ganz wichtige Errungenschaft, dass Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2017 149

Dr. Frithjof Schmidt (A) Frankreich die Führung durch die Vereinten Nationen in Danke schön. (C) diesem Zusammenhang politisch gewollt hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Henning Otte [CDU/CSU]: Sorgfalt geht vor Eile!) Deswegen können wir diesen Prozess auch gut unterstüt- zen. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Die Vereinten Nationen kämpfen um eine Friedens- Jetzt hat der Kollege Baumann von der AfD um eine lösung. Es ist richtig – da möchte ich dem Kollegen Kurzintervention gebeten. Annen vollkommen recht geben –: Man darf die Lage nicht schönreden. Der politische Prozess droht zu schei- tern. Es muss eine neue Initiative für den Friedensprozess Dr. Bernd Baumann (AfD): im Norden geben, und es muss Druck auf die malische Vielen Dank. – Die Abgeordnete von der Linken hat Regierung ausgeübt werden, dass endlich die inneren gerade die AfD als rassistisch bezeichnet. Reformen und der Kampf gegen Korruption an die erste Stelle gestellt werden, und es muss Druck gemacht wer- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- den, dass das dort auch innenpolitisch durchgesetzt wird. NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- Das sind die politischen Aufgaben. ten der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ich bitte genau hinzuschauen, wer jetzt klatscht, wer so- sowie bei Abgeordneten der SPD und des zusagen demokratisch gewählte Kollegen als rassistisch Abg. Florian Hahn [CDU/CSU]) in Deutschland verunglimpft, wo der Rassismus mit Mil- lionen Toten verbunden ist, mit den antidemokratischsten Diese können aber nur erledigt werden, wenn die UNO Sachverhalten, die man sich nur vorstellen kann. Damit weiter vor Ort ist und für ihren Einsatz Unterstützung be- gehen Sie so leichtfertig um und beklatschen das auch kommt. Zu den Kollegen von der Linken muss ich sagen: noch! Ich hofe nur, dass die Kameras jeden Einzelnen Das bleibt in Ihren Beiträgen immer ofen. Sind Sie nun aufgenommen haben, der da geklatscht hat. eigentlich dafür, dass die UNO vor Ort ist? Dann frage ich mich: Was ist Ihr Beitrag, um sie zu unterstützen? (Beifall bei der AfD – Zurufe von der SPD und der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie haben damit über sich selber einiges ausgesagt, (B) über Ihre parlamentarischen und demokratischen Grund- (D) Oder sind Sie dafür, dass die UNO das Land verlässt? gepfogenheiten. Wir weisen das jedenfalls aufs Schärfs- Dann ist aber die Frage: Was machen Sie dann? Was ist te zurück – in diesem Fall und jedem anderen. Ihr Vorschlag für diesen Fall? Das ist die Schwachstelle (Beifall bei der AfD) Ihrer Position, auch bei anderen Mandaten.

(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Setzen Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Sie sich mal mit der Bundesregierung ausei- nander!) Frau Kollegin Buchholz, Sie können erwidern.

Da haben Sie, wie ich fnde, eine Bringschuld, Christine Buchholz (DIE LINKE): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vielen Dank. – Herr Baumann, mir kommen die Trä- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) nen. den Menschen hier, aber auch gerade in dem betrofenen (Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Land zu sagen, wie Sie es machen wollen. SES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Anders als wahrscheinlich Sie habe ich Ihr Programm sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) gelesen. Und das, was Sie zum Thema Afrika zu sagen haben, und das, was Sie zum Thema Islam zu sagen ha- Das ist die Situation, in der wir uns befnden. ben, ist nichts anderes als rassistisch. Ich möchte einen letzten Satz an die Adresse von Frau (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- von der Leyen sagen. Nach dem tragischen Absturz eines neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Hubschraubers mit Toten bei der Bundeswehr haben wir GRÜNEN – Widerspruch bei der AfD) uns der Aufassung angeschlossen: Sorgfalt bei der Auf- klärung ist absolut wichtig und geht vor Schnelligkeit. – Ich bleibe dabei: Die AfD ist eine rassistische, eine Wir hofen aber doch, dass Sie den Bericht darüber, der nationalistische und eine militaristische Partei. ja noch immer nicht vorliegt, bald vorlegen werden; denn (Lachen bei der AfD) man muss sich vergewissern, was die Ursachen waren, damit sich so etwas nicht wiederholen kann. Ich fnde, Das haben Sie selbst so beschlossen. Dazu müssen Sie nach drei/vier Monaten ist es dafür auch Zeit. auch stehen. Und das werde ich hier zu jeder Gelegen- 150 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 3 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 22 November 2017

Christine Buchholz (A) heit, innerhalb und außerhalb des Parlamentes, weiter Sie haben in Ihrer Rede die Ministerin aufgefordert, (C) sagen. mehr Mut für einen robusten Einsatz im Norden Malis zu haben. Sie haben einen Kampfauftrag gegen Schleu- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. ser gefordert, und Sie haben mehr Bundeswehr in der Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Fläche angemahnt. Dann sagen Sie aber, dass die AfD konsequent gegen einen Einsatz in Mali ist. All das passt Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: irgendwie nicht zusammen. Da sollten Sie sich die Dinge Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden im Äl- noch einmal genau anschauen. testenrat die Gelegenheit wahrnehmen, uns darüber zu verständigen, ob wir in dieser Form unsere parlamentari- Als diese Multidimensionale Integrierte Stabilisie- schen Auseinandersetzungen bereichern. rungsmission der Vereinten Nationen, MINUSMA, 2013 eingesetzt wurde, herrschte Chaos im Land. Die Franzo- (Beifall bei der CDU/CSU und der AfD so- sen haben zwar Gott sei Dank durch ihr beherztes Ein- wie bei Abgeordneten der FDP) greifen im Norden des Landes den Islamisten Einhalt geboten. Aber der Konfikt innerhalb Malis war noch Mein Rat an uns alle ist, an einen alten lateinischen längst nicht beigelegt. Er ist es auch heute noch nicht Satz zu denken: fortiter in re, suaviter in modo. Auf vollständig, sonst müssten wir nicht dort sein. Mit der in- Deutsch übersetzt – die Amtssprache im Bundestag ist ternationalen Gemeinschaft leisten wir aber im Rahmen Deutsch; das weiß ich – heißt das, dass ein Argument in von MINUSMA seitdem einen substanziellen Beitrag zur der Sache durch Mäßigung in der Form stärker und nicht Bewältigung dieses Konfikts. So hat sich beispielsweise schwächer wird. die humanitäre Lage in Mali seit Beginn dieser internati- (Beifall bei der AfD sowie bei Abgeordneten onalen Mission verbessert. der CDU/CSU und der FDP) Doch es ist längst nicht alles gut – gar keine Frage. Als letztem Redner in dieser Debatte erteile ich dem Die Situation in Mali bleibt fragil. Deshalb ist Mali auch Kollegen Florian Hahn von der CDU/CSU-Fraktion das weiterhin auf unsere Unterstützung angewiesen. Des- Wort. halb muss Deutschland Mali auch in Zukunft auf seinem langen und steinigen Weg zu Sicherheit, Stabilität und (Beifall bei der CDU/CSU) Frieden zuverlässig zur Seite stehen. Deshalb müssen wir entscheiden, ob wir unserer Verantwortung für die Florian Hahn (CDU/CSU): Stabilisierung Malis und der ganzen Region auch weiter- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die hin gerecht werden. Wir setzen im Rahmen der Mission (B) Diskussion gerade zwischen links und rechts ist von der weiter auf eine starke und abgestimmte Zusammenarbeit (D) Linken initiiert worden. Der Einstieg, den Frau Buchholz zwischen militärischen, polizeilichen und zivilen Kom- gewählt hat, legt sozusagen ein Handtuch über die Tatsa- ponenten. Dieser vernetzte Ansatz ist ein wichtiger Pfei- che, dass es eine große Übereinstimmung dieser beiden ler unserer Außenpolitik, den wir auch in Zukunft beibe- Fraktionen in der Frage MINUSMA gibt. halten müssen. (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Wider- Neben unserer Beteiligung an MINUSMA bildet spruch bei der LINKEN) die Bundeswehr im Rahmen der europäischen Ausbil- dungsmission EUTM Mali die Streitkräfte des Landes Ich möchte eines feststellen: Beide Fraktionen haben hier aus. Außerdem unterstützt Deutschland aktiv den Dia- an diesem Rednerpult nur gesagt, was alles nicht geht log und den Versöhnungsprozess innerhalb Malis. Denn und was falsch ist. Aber sie haben nicht gesagt, wie sie nur durch Wiederaufbau, Versöhnung und Festigung von eigentlich mit Mali umgehen wollen. Sicherheitsstrukturen im ganzen Land können Perspek- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP tiven auch für die vielen Binnenfüchtlinge geschafen und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) werden und die ganze Region stabilisiert werden. Wie wollen Sie denn mit Mali umgehen? Wie wol- Stabilisierung ist der Schlüsselbegrif. Die Stabilisie- len Sie dieses Land stabilisieren? Wie wollen Sie dafür rung Malis wird sich auch auf uns in Europa auswirken. sorgen, dass sich nicht Millionen Menschen auf den le- Denn Mali ist eine wichtige Transitregion für Flüchtlinge bensgefährlichen Weg, verbunden mit Strapazen, Elend in Afrika, und die Sahelzone ist ein neuralgischer Punkt und Vertreibung, machen müssen? Diese Antworten zu für die Migration nach Europa. Deshalb liegt diese Sta- geben, das ist Ihre Aufgabe hier im Hohen Haus. Und bilisierung ganz besonders im deutschen und im europä- aus dieser Verantwortung den Wählerinnen und Wählern ischen Interesse. gegenüber lassen wir Sie nicht raus. Die komplizierten Verhältnisse in Mali haben die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Mission der Vereinten Nationen von Anfang an zu einer ordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/ der gefährlichsten in ihrer Geschichte gemacht. Der Ein- DIE GRÜNEN) satz in Mali bleibt gefährlich. Wie gefährlich er auch für Herr Kollege Lucassen, ich bin einigermaßen verwirrt. unsere Soldatinnen und Soldaten sein kann, hat uns der tragische Absturz des Kampfhubschraubers Tiger im Juli ( [DIE LINKE]: Das ist wahr, ja! – dieses Jahres, bei dem zwei Hubschrauberpiloten ums Christine Buchholz [DIE LINKE]: Das ist Leben gekommen sind, gezeigt. Unglücke wie diese füh- nicht neu!) ren uns vor Augen, dass wir den Einsatz unserer Solda- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2017 151

Florian Hahn (A) tinnen und Soldaten nicht für selbstverständlich erachten Erhebt dagegen jemand Widerspruch? – Das ist nicht der (C) dürfen. Ich habe großen Respekt vor dem, was unsere Fall. Dann ist so beschlossen. Einsatzkräfte vor Ort leisten. Ihnen gebühren unser aller Damit kommen wir zu Zusatzpunkt 6: Dank und Anerkennung und – das ist mit das Wichtigs- te – unsere volle Unterstützung, und zwar nicht nur in Beratung der Beschlussempfehlung des Aus- den Einsätzen, sondern auch zu Hause, wenn die Solda- schusses für Wahlprüfung, Immunität und Ge- tinnen und Soldaten zurückgekehrt sind. schäftsordnung (1. Ausschuss) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Antrag auf Genehmigung zum Vollzug ge- ordneten der AfD und der FDP) richtlicher Durchsuchungs- und Beschlagnah- mebeschlüsse Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, MINUSMA ist und bleibt ein wichtiger Baustein für einen dauerhaf- Drucksache 19/90 ten Frieden in Mali. Mali hat sich auf den Weg hin zu Wir kommen sofort zur Abstimmung über die Be- einer besseren Lebenssituation für seine Bevölkerung schlussempfehlung. Wer stimmt für diese Beschlussemp- begeben. Wir sind bereit, diesen Weg weiter mitzugehen, fehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – damit das Land seiner Bevölkerung eine Perspektive in Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Sicherheit, in Frieden und Freiheit bieten kann. Wir kommen nun zu Zusatzpunkt 7: Ich bitte Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Arbeit an einem dauerhaften Frieden in der Region wei- Beratung der Beschlussempfehlung des Aus- ter zu unterstützen. schusses für Wahlprüfung, Immunität und Ge- schäftsordnung (1. Ausschuss) Herzlichen Dank. Antrag auf Genehmigung zum Vollzug ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP so- richtlicher Durchsuchungs- und Beschlagnah- wie bei Abgeordneten der SPD) mebeschlüsse

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Drucksache 19/91 Damit schließe ich die Aussprache. Auch da kommen wir sofort zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung. Wer stimmt dafür? – Gegenstim- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf men? – Enthaltungen? – Damit ist auch diese Beschluss- Drucksache 19/24 (neu) an den Hauptausschuss vorge- empfehlung einstimmig angenommen. schlagen. Sie sind damit einverstanden? Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: (B) (Zurufe von der AfD: Nein!) (D) Beratung des Antrags der Bundesregierung Dann müssen wir abstimmen. Fortsetzung der Beteiligung bewafneter deut- (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- scher Streitkräfte zur Ausbildungsunterstüt- NEN]: Das war Konsens unter den PGF! – zung der Sicherheitskräfte der Regierung der Dr. [BÜNDNIS 90/DIE Region Kurdistan-Irak und der irakischen GRÜNEN]: Nein, die sind einfach nicht ab- Streitkräfte sprachefest!) Drucksache 19/25 Wer für die Überweisung an den Hauptausschuss ist, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Bei Überweisungsvorschlag: Gegenstimmen der AfD-Fraktion mit den Stimmen der Hauptausschuss anderen Fraktionen des Hauses ist die Überweisung da- Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen, mit beschlossen. Sigmar Gabriel. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der SPD) NEN]: Die Parlamentarischen Geschäftsfüh- rer waren einverstanden!) Sigmar Gabriel, Bundesminister des Auswärtigen: Liebe Kolleginnen und Kollegen, die heutige Ta- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debat- gesordnung soll jetzt um die Beratung von zwei Be- te eben – aber auch gestern, fnde ich – ist eigentlich ganz schlussempfehlungen des Ausschusses für Wahlprüfung, gut, weil sie uns Klarheit über folgende Fragen verschaf- Immunität und Geschäftsordnung zur Genehmigung fen wird – ich glaube, sie werden uns die ganzen Jahre zum Vollzug von gerichtlichen Durchsuchungs- und dieser Legislaturperiode begleiten –: Wie weit sollen sich Beschlagnahmebeschlüssen erweitert werden. Dieses unser Land und Europa in die Welt hineinbewegen? Wie Verfahren entspricht langjähriger Praxis des Deutschen weit sollen wir uns raushalten? Unter welchen Bedingun- Bundestags, um von den Strafverfolgungsbehörden be- gen sollen wir uns in eine komplizierte und leider ziem- antragte und im Immunitätsausschuss des Deutschen lich gewalttätige Welt hineinbegeben? Unter welchen Bundestags behandelte Maßnahmen zu ermöglichen. Bedingungen sollen wir das nicht machen? Eigentlich geht es um diese Fragen. Der Immunitätsausschuss hat eben getagt, und seine Beschlussempfehlungen sind verteilt. Deswegen würde (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Und ich die Tagesordnung jetzt gerne entsprechend ergänzen. auch, in welcher Form!) 152 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 3 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 22 November 2017

Bundesminister Sigmar Gabriel (A) – Ja, und in welcher Form. Wie ist das Verhältnis Mili- mutlich zurückkehren. Der IS jedenfalls darf nie wieder (C) tär – Zivil? die Hoheit über den Nordirak gewinnen. Im Kern geht es um die Frage: Glauben wir, dass wir (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Deutsche und Europäer etwas mit der Welt zu tun ha- FDP) ben? Oder glauben wir, dass wir sie von uns fernhalten Ein Rückzug zum jetzigen Zeitpunkt wäre auch das können? falsche Signal an die Konfiktparteien vor Ort. Wir ha- Es gibt einen amerikanischen Exzeptionalismus, der ben von Anfang an mit Bagdad und mit Erbil kooperiert. besagt: Wir wissen, wie es in der Welt aussieht, und des- Den nach dem kurdischen Unabhängigkeitsreferendum wegen mischen wir uns überall ein. Es gibt in Deutsch- neu entfachten Konfikt zwischen der Zentralregierung land einen europäischen Exzeptionalismus, der besagt: in Bagdad und der Autonomen Region Kurdistan beob- Wir wissen auch, wie es ist, aber wir wollen uns raus- achten wir, glaube ich, alle miteinander mit großer Sorge. halten. – Ich glaube, beides ist falsch. Insofern ist es eine Wir versuchen mit unseren internationalen Partnern seit ganz interessante Debatte, die uns länger begleiten wird. Wochen, hier auf den unterschiedlichsten Kanälen zur Deeskalation beizutragen. Was jetzt benötigt wird, ist ein Es geht um die Fragen: Wie halten wir es mit der Fra- intensiver Dialog zwischen Erbil und Bagdad. Deshalb ge unserer Beteiligung an der Welt und an dem, was sich begrüßen wir die Bereitschaft der kurdischen Regional- dort an Schlimmem, an Unangenehmem, an Gewalttäti- regierung, strittige Fragen auf der Grundlage der iraki- gem abspielt? Glauben wir, dass wir das von uns fernhal- schen Verfassung zu verhandeln. Nun ist insbesondere ten können? Oder glauben wir, dass wir ein Teil dieser die Regierung in Bagdad aufgefordert, auf dieses Ange- Welt sein werden, auch wenn sie außerordentlich unan- bot einzugehen. genehm ist? Übrigens ist sie unangenehmer als in der Vergangenheit, wo wir in der Regel sagen konnten: Ach, Aber um es deutlich zu benennen: Die innerirakische das lass mal die Amerikaner machen. Wenn es schief- Auseinandersetzung sollte uns nicht davon abhalten, die geht, dann haben wir jedenfalls jemanden, den wir für Streitkräfte im Nordirak weiter auszubilden und dort zu schuldig erklären können. Ende zu bringen, was wir begonnen haben. Natürlich werden wir unsere Soldatinnen und Soldaten nicht in Der Rückzug der Amerikaner aus der liberalen Welt- Gefahr bringen. Natürlich würden wir die Ausbildung, ordnung ist eine große Herausforderung für uns Euro- wie das schon einmal passiert ist, erneut aussetzen, wenn päer. Ich glaube nicht, dass wir angesichts dieser He- das Risiko besteht, dass ernsthafte Kampfhandlungen die rausforderung ohne die Amerikaner bestehen können, Sicherheit unserer Bundeswehr gefährden. Ich betone aber ich glaube auch nicht, dass die Antwort sein kann, aber noch einmal ausdrücklich: Eine Fortsetzung unserer (B) dass sich Deutschland und Europa auch aus der liberalen Präsenz wird gerade nicht als Parteinahme verstanden, (D) Weltordnung zurückziehen, meine Damen und Herren. weder dort vor Ort noch international. Wir haben dafür die ausdrückliche Zustimmung beider Seiten. Im Gegen- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie teil: Eine Beendigung zum jetzigen Zeitpunkt würde das bei Abgeordneten der FDP – Stefan Liebich Signal senden, dass wir den Irak sich selbst überlassen. [DIE LINKE]: Aber das steht gar nicht zur Gerade jetzt – in dieser Einschätzung sind wir uns wirk- Debatte!) lich mit unseren Partnern einig – trägt die internationale Präsenz, zu der auch unsere gehört, zur Stabilisierung vor Ich sage nicht, dass wir dann nicht über die Fragen Ort bei. Richtig ist: Das Engagement darf nicht einseitig reden müssen – das ist ja Ihr Zwischenruf gewesen, Herr sein. Es muss zwischen Erbil und Bagdad ausgewogen Neu –: Wie geht das? Wo hat das Grenzen? Wie ist die sein. Wir konzentrieren uns zusammen mit anderen Part- Ausstattung? Aber ich glaube, diese Debatte ist für unser nern auf den Norden des Landes, dafür konzentrieren Land und sein Selbstverständnis mehr als wichtig. sich andere internationale Partner auf die zentraliraki- In diesem Zusammenhang haben wir uns 2014 dazu schen Streitkräfte. entschlossen, die Sicherheitskräfte der Region Kurdis- Die Unterstützung der Streitkräfte ist aber nur ein Ele- tan/Irak und die irakischen Streitkräfte in ihrem Kampf ment unseres Engagements im Irak. Sie ist jedoch eine gegen den IS zu unterstützen. Der beste Weg dahin war wesentliche Grundlage dafür, dass humanitäre und zivile damals – ich bin fest der Überzeugung, das ist auch heute Unterstützung möglich bleibt. Nur wenn wir beim The- noch so –, die Streitkräfte vor Ort besser auszurüsten und ma Sicherheit die erreichten Fortschritte bewahren kön- auszubilden. Wir haben die einheimischen Militärs in ih- nen, kann unser breiter Ansatz der Unterstützung auch rer Fähigkeit zur Gegenwehr gestärkt. Nur so konnten sie greifen. Ein wichtiger Teil dieses ausgewogenen En- den massiven Angrifen des IS standhalten. Aus heutiger gagements ist die im Aufbau befndliche zivile EU-Be- Sicht kann man sagen: Wir haben damit eine drohende ratungsmission zur Reform des Sicherheitssektors. Die Katastrophe abgewendet. Insgesamt haben wir in den Mission unter deutscher Leitung wird die Regierung in letzten drei Jahren mit unseren internationalen Partnern Bagdad auch dazu beraten, wie eine regional ausgewo- 16 000 Sicherheitskräfte ausgebildet, darunter viele An- gene gesamtirakische Reform des Sicherheitsapparates gehörige von Minderheiten. Aus meiner Sicht wäre es unter politischer Kontrolle gelingen kann. ein denkbar schlechtes Zeichen, jetzt damit aufzuhören. Wir sollten uns nicht nach ersten, kurzfristigen Erfolgen Unsere humanitäre Hilfe zielt darauf ab, Vertriebenen einfach zurückziehen und aus der Entfernung zuschauen, eine schnelle Rückkehr in befreite Gebiete zu ermögli- wie die Konfikte in dieser Gegend ausgehen oder ver- chen. Im Irak hat die Bundesregierung, besser gesagt: das Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2017 153

Bundesminister Sigmar Gabriel (A) deutsche Parlament und nicht wir als Regierung, als einer ber entschieden, die Ausbildung in Erbil zunächst ruhen (C) der größten internationalen Geber alleine seit 2014 über zu lassen, auch als klares politisches Zeichen für Dialog 1 Milliarde Euro bereitgestellt. Wir haben zum Wieder- und Deeskalation. Wir haben eine Woche später die Aus- aufbau in Mosul gerade noch einmal Mittel in Höhe von bildung wieder aufnehmen können. Ich habe sowohl mit 250 Millionen Euro bereitgestellt. dem irakischen Ministerpräsidenten Abadi als auch mit dem damaligen Präsidenten der kurdischen Autonomie- Meine Damen und Herren, ein Land wie Deutschland behörde Barzani telefoniert. Beide haben versichert, das kann sich angesichts der Konfikte und Unsicherheiten zukünftige Verhältnis Bagdads und Erbils im Dialog lö- in unserer unmittelbaren Nachbarschaft nicht raushalten sen zu wollen, so schwierig dieser Dialog auch immer und auf andere verweisen. Deutschland hat in den letz- sein mag. ten vier Jahren viel Verantwortung übernommen. Dabei wird es, glaube ich, bleiben müssen. Daher bitte ich Sie Ich will aber hier auch sehr deutlich sagen: Trotz all heute für die Bundesregierung um die Verlängerung des dieser schwierigen Entwicklungen ist für uns ganz klar: Mandats für zunächst drei Monate. Danach wird neu zu Die Peschmerga waren in dieser ganzen Zeit in ihrem bewerten sein, welchen Beitrag Deutschland mittelfristig tapferen Kampf gegen den IS und mit dem Schutz, den zur Stabilisierung des Irak leisten kann. sie Millionen von Flüchtlingen gegeben haben, für un- sere Bundeswehr ein guter und ein verlässlicher Partner. Vielen Dank. Das werden wir nicht vergessen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- wie bei Abgeordneten der FDP) ordneten der FDP)

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Wir haben aber auch von Anfang an gesagt, dass unser Engagement ein Beitrag zur staatlichen Einheit des Iraks Danke sehr. – Jetzt hat das Wort die Bundesministerin ist. Wir haben immer darauf geachtet, dass auch eine Ko- der Verteidigung. operation mit der Zentralregierung in Bagdad möglich (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- war. Wir haben Iraker teilweise in Deutschland ausgebil- ordneten der FDP) det. Wir haben Material geschickt, zum Beispiel Sanitäts- material, ABC- und Kampfmittelabwehr. Wir haben uns Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin der deshalb immer für einen funktionierenden Gesamtstaat Verteidigung: Irak eingesetzt. Deshalb sagen wir sowohl Bagdad als auch Erbil, dass sie ihre Konfikte mit der Richtschnur Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen der irakischen Verfassung lösen müssen. und Kollegen! Ich werde die Bilder des Sommers 2014 (B) nie vergessen. Die Terrorgruppe des IS hat brutal Terrain Meine Damen und Herren, auch wenn der IS im Irak, (D) gewonnen. Wir haben gesehen, wie sie die Kurden ver- wie ich es eben sagte, physisch geschlagen ist, so dürfen trieben haben. Sie haben sie förmlich überrannt. Sie stan- wir uns nichts vormachen. Endgültig besiegt ist der IS den 10 Kilometer vor Bagdad. Der IS hat versucht, einen noch keineswegs. Weder die Terrorgruppe, die in der Re- Genozid an den Jesiden zu vollziehen. Meine Damen und gion immer noch im Untergrund Nester hat und auch von Herren, in diesen Tagen haben wir uns schnell entschlos- dort aus – aus der Region heraus – bei uns operiert, noch sen, die kurdischen Peschmerga auszurüsten und auszu- die Ideologie, die genutzt wird, um jungen Menschen ein bilden – auszurüsten war das Entscheidende –, damit sie menschenverachtendes Weltbild zu vermitteln und sie den IS stoppen können, damit sie die Jesiden und andere zu radikalisieren, sind verschwunden. Entscheidend ist Flüchtlinge im Nordirak schützen können. Ich kann heu- jetzt, da der IS im Irak geschlagen ist, dass die Menschen te nur sagen: Diese Mission war damals bitter nötig, und im Irak sehen: Es macht einen Unterschied, wenn sie von sie ist richtig gewesen. der Terrorherrschaft befreit sind. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Insofern sind wir sofort mit Unterstützung der Verein- ordneten der FDP) ten Nationen in die befreiten Städte und Regionen ge- gangen und haben für Wiederaufbau gesorgt, dafür, dass Der Auftrag ist von der Bundeswehr bestens ausge- Elektrizität da ist, die Häuser gefickt werden, Wasser da führt worden, und er ist bei unseren Partnern hochaner- ist, Essen da ist, Erste Hilfe ankommt und die Wieder- kannt. Wir haben gut 16 000 Peschmerga ausgebildet, versöhnung beginnt. Wir haben auch angefangen, einen und zwar ganz elementar – darunter sind auch Jesiden, nachhaltigen Aufbau von Fähigkeiten bei den Streitkräf- Turkmenen, Kakai, Christen –, also von Anfang an inklu- ten und Polizeikräften im gesamten Irak vorzubereiten. siv und einigend gewirkt und ihnen eine hochqualifzierte Insofern führt die internationale Koalition – immerhin und fundierte Ausbildung gegeben. Das Ziel war, den IS 69 Staaten beteiligen sich daran – das Ausbildungskon- zu stoppen, zurückzudrängen, ihn zu schlagen. Wir haben zept fort. Ich fnde es gut, dass inzwischen auch die Eu- dieses Ziel erreicht. Der IS im Irak ist physisch geschla- ropäische Union und die NATO der Koalition gegen den gen, meine Damen und Herren. Ich sage das auch, ob- Terror beigetreten sind und sich stärker beim Capacity wohl ich zugleich bedaure, dass die kurdische Regional- Building im Irak engagieren wollen. regierung mit dem Referendum einen Weg eingeschlagen hat, vor dem wir sie dringend gewarnt haben und ihr ab- Wenn der Bundestag überlegen wird, in welcher Form geraten haben. Sie kennen die Geschehnisse der letzten die Koalition gegen den Terror in Zukunft im Bereich Wochen. Da die Lage unmittelbar nach dem Referendum Ausbildung unterstützt werden soll, dann kann er genau zunächst äußerst unklar wurde, haben wir am 13. Okto- hier an das bereits Erreichte anknüpfen. Um Stabilität zu 154 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 3 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 22 November 2017

Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen (A) erreichen, werden ein wirklicher Wille zur Versöhnung, lehnen auch die regionalen katholischen und orthodoxen (C) eine hochwertige Ausbildung und Beratung der Sicher- Bischöfe das Referendum ab. heitskräfte, eine kompetente Unterstützung bei der Secu- rity Sector Reform und umfassende humanitäre Aufbau- Drittens. Außenpolitisch sollten wir als Deutsche klug hilfe nötig sein. Für all das sind wir gerüstet; wir haben agieren. Was sollten wir bei der Unterstützung der Kon- Erfahrung. fiktparteien beachten? Kurden leben auch in der Türkei, im und in Syrien. Das gemeinsame Ziel der Kurden Heute geht es um Erbil, wo wir gemeinsam mit Itali- ist ein eigener Staat. Wir als AfD haben grundsätzlich – en, Finnland, den Niederlanden, Slowenien und Ungarn das wissen Sie, meine Damen und Herren – Sympathien arbeiten. Wir bitten darum, dass Sie das entsprechende für Völker, die nach Souveränität und Selbstbestimmung Mandat in unveränderter Form für drei Monate verlän- streben. gern. (Beifall bei der AfD) Vielen Dank. Durch unsere Ausbildung könnten auch die diplomati- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) schen Beziehungen Deutschlands zu den Ländern Iran, Türkei und Syrien über das ohnehin bereits bestehende Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Maß hinaus aus diesem Grund leiden. Jetzt erteile ich dem Kollegen Ulrich Oehme von der AfD das Wort zu seiner ersten Rede im Bundestag. Unsere Unterstützung der Peschmerga könnte auch nicht im Interesse der Türkei sein. Erdogan steht den Kur- (Beifall bei der AfD) den jedenfalls nicht freundlich gegenüber. Er kann ein derartiges Verhalten Deutschlands, das völkerrechtlich Ulrich Oehme (AfD): zudem nicht durch ein UN-Mandat legitimiert ist, zutref- fend als Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen Türkei verstehen. Was das Verhalten Deutschlands noch und Herren! Die Fraktion der AfD kann der beantragten verschlimmert: Wir handeln gegen die Interessen eines Verlängerung des Mandats für die Ausbildungsmission in Bündnispartners. Kurdistan-Irak aus folgenden Gründen nicht zustimmen: Erstens. Ursprünglich war das Mandat dem Kampf Außerdem ist schon lange die Kontrolle, von wem gegen den „Islamischen Staat“ im Norden des Iraks ge- deutsche Wafen tatsächlich verwendet wurden, unmög- widmet. Frau Ministerin, auch wir erinnern uns an die lich. Sie werden auf dem Schwarzmarkt gehandelt, sie Bilder der hilfosen Menschen, die bei Schnee und Kälte, werden an unterschiedliche Kämpfer weitergereicht, und (B) (D) meistens mit Kindern und ohne ausreichende Kleidung, sogar der „Islamische Staat“ hat zum Teil direkten Zu- vor den barbarischen Vernichtungsaktionen des IS in die grif darauf. Berge Kurdistans gefüchtet sind. Damals war es rich- Aber auch ohne Bürgerkrieg würden sich im Falle wei- tig, hilfose Menschen wehrfähig zu machen. Aber heu- terer militärischer Unterstützung unsere Beziehungen zu te stellt sich die Situation anders dar: Der „Islamische den betrofenen Ländern in der Region und damit natür- Staat“ ist militärisch weitgehend besiegt. lich auch unsere diplomatischen Einfussmöglichkeiten Gleichzeitig haben kürzlich überwältigende 92 Pro- verschlechtern. Diese Unterstützung wird ad absurdum zent der Kurden im anerkannten Autonomiegebiet für geführt, wenn wir dadurch die sich gegenüberstehenden ein unabhängiges Kurdistan gestimmt. Iraks Minister- Parteien militärisch ertüchtigen. präsident jedoch hat das Ergebnis des Referendums nicht anerkannt. Daraufhin haben die militärischen Auseinan- Zudem verringern sich unsere Chancen auf eine Ko- dersetzungen zwischen den Kurden und der Armee der operation, zumindest auf der Arbeitsebene mit der sy- irakischen Zentralregierung massiv zugenommen. Da die rischen Führung. Dabei wäre eine solche Kooperation weitere Entwicklung völlig ofen ist, droht damit ein neu- sowohl für die Rückführung der nach Deutschland ge- er Bürgerkrieg. füchteten Syrer Sehr geehrte Damen und Herren, es war einmal ein be- (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gründeter Pfeiler deutscher Außenpolitik, keine Wafen NEN]: Ah!) in Krisen- und Kriegsgebiete zu liefern. als auch für die verfolgten Christen in der Region sehr (Beifall bei der AfD) wichtig. Dorthin müssen wir zurückkehren. Bei aller notwendigen Kritik an Syrien: Für den chal- däisch-katholischen Bischof von Aleppo war und ist Zweitens. Die in die Berge Kurdistans gefüchteten Syrien unter Assad der einzige Garant für die Christen, Christen und Jesiden besiedelten vor ihrer Flucht den in relativer Sicherheit friedlich mit anderen Religionen Osten Syriens und die Ninive-Ebene. Die Ninive-Ebe- zusammenleben zu können. ne wird von kurdischen Militärs kontrolliert und als Teil eines neuen Kurdistans betrachtet. In einem mög- (Beifall bei der AfD) lichen Bürgerkrieg wäre diese Region absehbar mit am schlimmsten betrofen. Eine Rückkehr der Christen und Meine Damen und Herren, all diese Punkte sollten Jesiden in ihre Heimat würde dann unmöglich. Daher Sie bei Ihrer heutigen Entscheidung berücksichtigen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2017 155

Ulrich Oehme (A) Deutschland hat seit Zeiten Wilhelms II. beste Beziehun- Ich sage es hier in aller Deutlichkeit: Das kurdische (C) gen in die Region, Unabhängigkeitsreferendum vom 25. September war ein schwerer politischer Fehler der kurdischen Autonomiere- (Niels Annen [SPD]: Wilhelm II.!) gierung in Erbil. und es wird von örtlichen Volksgruppen geachtet. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Konzentrieren wir uns auf unseren diplomatischen der SPD) Einfuss. Wir schlagen daher Folgendes vor: Beenden wir heute dieses Mandat! Dafür treten wir ab sofort im Die anschließenden militärischen Auseinandersetzungen gesamten Konfiktgebiet des Mittleren Ostens als unpar- zwischen der Zentralregierung in Bagdad und Erbil ha- teiische und vermittelnde Macht auf. ben das überdeutlich sichtbar werden lassen. Die Region im Nordirak um die kurdischen Provinzen Erbil, Dahuk, Ich danke Ihnen. Sulaimaniyya und Halabdscha genießt ja schon große Autonomie. Es darf nicht den geringsten Zweifel daran (Beifall bei der AfD – Lachen des Abg. Niels geben, dass Deutschland die territoriale Integrität des Annen [SPD]) Irak achtet. Deshalb ist es richtig, dass wir gemeinsam mit unseren Partnern an einem Dialogprozess zwischen Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: der kurdischen Regionalregierung und der irakischen Nächster Redner in der Debatte ist der Kollege Graf Zentralregierung arbeiten. Lambsdorf, FDP. Meine Damen und Herren, unsere Ausbildungsmis- (Beifall bei der FDP) sion auch im Nordirak ist auf Einladung der irakischen Zentralregierung in Bagdad begonnen worden. Es muss deshalb klar sein, dass auch im Nordirak jede weitere Alexander Graf Lambsdorf (FDP): Tätigkeit nur mit Unterstützung und auf Einladung der Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Zentralregierung erfolgen kann. Nur wenn die territoriale Kollegen! Streng genommen hätte das Mandat für die Integrität des Irak gewahrt bleibt, besteht die Chance, die Fortsetzung der Ausbildungsunterstützung für Sicher- Region langfristig zu stabilisieren und die terroristische heitskräfte in der Region Kurdistan-Irak, das wir heute Bedrohung dauerhaft einzuhegen. beraten, eigentlich direkt im Anschluss an unsere gest- rige Plenardebatte stattfnden sollen, als wir über die Meine Damen und Herren, die Entwicklung sowohl deutsche Beteiligung an der Operation Counter Daesh in Syrien als auch im Irak hat eine neue Dynamik ge- geredet haben. wonnen. Nicht jedes Element dieser Dynamik ist positiv; (B) aber eines ist vollkommen klar: Nach der technischen (D) Die Ausbildungsmission in Nordirak ergänzt ja in lo- Verlängerung um drei Monate wird es eine Neubewer- gischer und sinnvoller Weise unsere Maßnahmen zur Be- tung der Gesamtlage geben müssen, wird es eine Neufor- kämpfung des „Islamischen Staates“, die wir gemeinsam mulierung dieser Mandate – vielleicht in einem Mandat mit unseren Partnern in der NATO über Syrien ergrif- verbunden – geben müssen. Wir Freien Demokraten wer- fen haben. Weil das alles miteinander zusammenhängt, den daran konstruktiv mitarbeiten. unterstützen die Freien Demokraten dieses Mandat mit Nachdruck. Herzlichen Dank. Es ist ein Erfolg der Ausbildungsunterstützung durch (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten die internationale Gemeinschaft, dass der Einfuss des IS der CDU/CSU und der SPD) im Irak deutlich zurückgedrängt wurde. Vor diesem Hin- tergrund können wir sowohl aus militärischer als auch aus humanitärer Sicht eine positive Bilanz ziehen, insbe- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: sondere mit Blick auf den Schutz der Jesiden und anderer Jetzt hat das Wort der Kollege Stefan Liebich von der Minderheiten in der Region. Fraktion Die Linke. Deutschland hat mit seinen internationalen Partnern (Beifall bei der LINKEN) gemeinsam fast 16 000 Sicherheitskräfte in der Region ausgebildet. Die Ausbildung von 5 000 Sicherheitskräf- ten geht alleine auf deutsches Engagement zurück. Das Stefan Liebich (DIE LINKE): begrüßen wir ausdrücklich. Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ehe ich mit meiner Rede beginne, möchte ich eine Vorbe- Was wir als Freie Demokraten bereits kritisch gesehen merkung machen: Es wird jetzt passieren – und wahr- haben, als das Mandat zum ersten Mal erteilt wurde – scheinlich auch künftig –, dass Argumentationen unserer das will ich hier deutlich sagen –, war die Lieferung von Fraktion, vielleicht auch anderer Fraktionen, der Argu- Kleinwafen an die Peschmerga, nicht die Lieferung von mentation der Fraktion der AfD ähneln. Aber es gibt ei- Panzerabwehrwafen. Der Endverbleib von Kleinwafen nen zentralen Unterschied: Jeder Mensch, der vor Krieg ist in der Region nicht zu kontrollieren. Das sehen wir und Terror hierher, zu uns fieht, der ist uns von der Frak- im Moment leider auch anhand des innerirakischen Kon- tion Die Linke herzlich willkommen. fikts, der sich dort aufgetan hat. Diesen innerirakischen Konfikt müssen wir bei unserem Engagement immer im (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Blick haben. [Heidelberg] [SPD]) 156 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 3 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 22 November 2017

Stefan Liebich (A) Frau von der Leyen hat von den schrecklichen Ent- So unterstützt die Bundesregierung beide Seiten, die (C) wicklungen im Irak und in Syrien im Jahr 2014 gespro- im Moment gegeneinander kämpfen. Sehr geehrte Da- chen, als die Terroristen des „Islamischen Staates“ auf men und Herren, spätestens jetzt, wo Deutschland in den dem Vormarsch waren. Es stimmt – das ging uns allen innerirakischen Konfikt hineingezogen wird, ist es an so –: Wir waren betrofen von diesen Bildern, insbeson- der Zeit, auszusteigen. dere von den schrecklichen Massakern an den Jesidin- nen und Jesiden. Wir alle haben darüber diskutiert, was (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. die richtige Antwort ist. Es ist kein Geheimnis: Auch in [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) unserer Fraktion gab es kontroverse Diskussionen darü- ber, ob Wafenlieferungen der richtige Weg sein können. Beenden Sie das Mandat! Beenden Sie die militärische Wir haben uns letztlich dagegen entschieden. Die Sorge, Ausbildung in so einer fragilen Region, und hören Sie dass, wenn wir weitere Wafen in diese Region liefern, vor allem endlich auf, Wafen und Rüstungsgüter dorthin ein brandgefährlicher Konfikt weiter angeheizt wird, hat zu liefern! bei uns überwogen. (Beifall bei der LINKEN) Frau von der Leyen, die Bundesregierung hat übrigens nicht schnell, sondern nach durchaus kontroversen De- Dafür trug Herr Gabriel in der Vergangenheit als Wirt- batten hier gesagt, dass sie diesen Weg gehen will. Ich schaftsminister Verantwortung. Damit machen wir uns kann mich noch gut daran erinnern, wie es war, als der bzw. machen Sie sich mitschuldig am Tod von Menschen Vorgänger von Herrn Gabriel im Amt des Außenminis- und Leuten, die hierher fiehen müssen. Norbert Röttgen ters, Frank-Walter Steinmeier, der heutige Bundesprä- von der CDU, der frühere Vorsitzende des Auswärtigen sident, hier vorne stand und gesagt hat, welche Risiken Ausschusses, hat kürzlich zu dem hier diskutierten The- er sieht, wenn Wafen geliefert und Soldaten dort aus- ma gesagt: Es darf hier kein Weiter-so geben. – Aber ge- gebildet werden. Er hat, obwohl er diese Risiken hier nau über ein Weiter-so werden wir jetzt abstimmen. Es beschrieben hat, dafür geworben. Heute muss man sa- ist ein ungeändertes Mandat; es ist ein Weiter-so. Dazu gen: Leider sind all seine Befürchtungen wahr geworden. kann man wirklich nur Nein sagen, und das werden wir Die Wafenlieferungen und die Ausbildung von Soldaten auch machen. durch Deutschland waren und sind falsch, und Sie wissen das eigentlich auch. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. neten der AfD) Armin-­Paulus Hampel [AfD] und Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (B) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (D) Wir haben das hier schon so häufg erlebt: Es ist ganz Nächster Redner ist der Kollege Omid Nouripour von einfach, in so ein Mandat hineinzurutschen, aber unheim- der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. lich schwer, wieder herauszukommen. (Beifall des Abg. Dr. Alexander S. Neu [DIE (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): LINKE]) Omid Nouripour Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Irak Wir wissen es doch inzwischen: Die Wafen, die Deutsch- sind die Tage des selbsternannten Kalifats so gut wie ge- land an die Peschmerga geliefert hat, werden nicht aus- schließlich von kurdischen Kämpferinnen und Kämpfern zählt. Dafür gebührt unser Dank auch den Kurdinnen und genutzt. Sie werden natürlich auch nicht ausschließlich Kurden. Sie haben große Opfer dabei gebracht, die Bar- im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ verwendet. baren zu stoppen und zurückzudrängen, und sie haben Drei Beispiele: zahllosen Vertriebenen Zufucht gewährt – das alles nach einer sehr langen Geschichte von Verfolgung und Be- „Die Zeit“ berichtete im Jahr 2016, dass Peschmer- nachteiligung. Auf die historische Ungerechtigkeit durch ga-Kämpfer auf Märkten ihre G3‑Gewehre angeboten den Plan von Sykes-Picot folgte mehr als ein Jahrhun- haben, um ihre Flucht zu fnanzieren. dert der Diskriminierung. Am 16. März des kommenden Da Herr Gabriel davon gesprochen hat, dass man in Jahres begehen wir den 30. Jahrestag der schrecklichen den Konfikten vor Ort nicht Partei ergreifen wolle, muss Giftgasangrife durch Saddam Hussein auf Kurdinnen man doch fragen: Wer sind eigentlich die Konfiktpartei- und Kurden. Wie wir heute wissen, waren daran auch en vor Ort? Im März dieses Jahres berichtete „Der Spie- deutsche Firmen mitbeteiligt. gel“ darüber, dass die Kurden, als sie erneut Jesidinnen (Christine Buchholz [DIE LINKE]: So ist es!) und Jesiden aus der Region Sindschar vertrieben haben, dafür G36‑Gewehre aus der Bundesrepublik Deutsch- Auf den Ruinen dieser Geschichte ist in den letzten land nutzten. Jahren im Nordirak so etwas wie die Oase eines stabi- Vor gut sechs Wochen – das spielte hier schon eine len Gemeinwesens mit demokratischen Elementen ent- Rolle – sind bei den Gefechten zwischen der Armee der standen. Zur Verteidigung dieses Gemeinwesens und des irakischen Regierung und den Soldaten der Region Kur- gesamten Iraks hat auch die Bundeswehr in den letzten distan im Nordirak mehrere Personen beim Beschuss Monaten einen großen Beitrag geleistet: zur Stabilität durch Panzerabwehrraketen, die aus Deutschland stam- der Region, zum Schutze der Peschmerga, zur besseren men, ums Leben gekommen. Verarztung der Verwundeten und zu besseren taktischen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2017 157

Omid Nouripour (A) Fähigkeiten. Dafür gebührt den Soldatinnen und Solda- Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (C) ten unser Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU, der Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: SPD und der FDP) Letzter Redner in dieser Aussprache ist der Kollege Das Problem bei dem Mandat war, dass die Bundesre- Jürgen Hardt von der CDU/CSU-Fraktion. gierung eine absolut notwendige Bedingung des Verfas- (Beifall bei der CDU/CSU) sungsrechts, nämlich das System kollektiver Sicherheit, wie es Karlsruhe uns ins Stammbuch geschrieben hat, nicht geliefert hat, sondern auf eine Koalition der Willi- Jürgen Hardt (CDU/CSU): gen gesetzt hat. Deshalb haben wir diesem Mandat nicht Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es zustimmen können, und wir werden dies, so wie es vor- war natürlich eine schwerwiegende Entscheidung, die liegt, auch heute nicht tun. wir uns nicht leicht gemacht haben, als wir vor drei Jah- ren beschlossen haben, entgegen dem bisherigen Grund- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- satz tatsächlich Wafen in ein Krisengebiet zu liefern und SES 90/DIE GRÜNEN) dort Ausbildungsunterstützung zu leisten. Es war aber eine richtige Entscheidung, und wir hätten die falsche Aber wir müssen sehen, dass sich die Lage verändert Lehre aus der deutschen Geschichte gezogen, wenn wir hat. Die Demokratie in diesem nordirakischen Gemein- uns aufgrund des gerade angesprochenen Prinzips von wesen ist von innen ausgehöhlt worden. Der mittlerwei- der Verantwortung zurückgezogen und das hingenom- le zurückgetretene Präsident Barzani hat seine Amtszeit men hätten, was der IS speziell gegen die Jesiden, aber nach 2015 über zwei Jahre überzogen. Sunnitische Dör- auch gegen die kurdische Bevölkerung dort unternom- fer sind von Peschmerga zerstört worden. Barzani hat men hat. Koalitionspartner ausgesperrt und den Parlamentarismus komplett ausgehebelt. Journalistinnen und Journalisten Der Einsatz ist erfolgreich. Mittlerweile sind von uns sind unter Druck gesetzt worden. Die Gehälter im öf- und unseren Partnern rund 16 000 Peschmerga-Kämpfer fentlichen Dienst sind monatelang nicht bezahlt worden. ausgebildet worden. Der Einsatz ist aber in eine Phase Korruption grassiert. geraten, in der tatsächlich für die Zukunft überlegt wer- den muss, wie es weitergeht. Wir haben die Auslieferung Das Referendum am 25. September dieses Jahres war unserer Ausrüstungspakete, die Materiallieferungen, nicht nur der Ausdruck eines völlig berechtigten Wun- planmäßig abgeschlossen. Das, was vorgesehen war, ist, (B) sches der Kurdinnen und Kurden nach Selbstbestimmung glaube ich, im September dieses Jahres zum Abschluss (D) und Freiheit, sondern gerade die Auswahl des Zeitpunk- gekommen. tes war auch ein Ausdruck der Verzweifung einer Re- gierung, die sich in eine große Krise geritten hatte. Dies Mit der Ausbildung von 16 000 Kämpfern haben hat zu massiven Rückschritten geführt, auch und gerade wir einen wesentlichen und wichtigen Beitrag geleistet, in Kurdistan. Das Verhältnis zu Bagdad ist so schlecht der auch erfolgreich war; denn der IS ist in der Region wie seit Ewigkeiten nicht mehr. Innerkurdische Konfik- schwer in die Enge getrieben worden, und das Blatt hat te – teilweise sehr alt und sehr tradiert – sind mittlerwei- sich zum Glück gewendet. le wieder aufgebrochen. Der Status von Kirkuk ist ganz Der derzeitige Stand ist auch dadurch gekennzeichnet, weit davon entfernt, geklärt zu werden. Iran und die Tür- dass – das müssen wir zur Kenntnis nehmen – das Ver- kei haben jetzt freie Hand für massive militärische und hältnis zwischen der kurdischen Autonomiebehörde und politische Störmanöver. Das ist der Grund, warum dieses der irakischen Zentralregierung durch die Entscheidung Mandat so nicht fortgesetzt werden kann. Wir werden der Regierung der autonomen Region Kurdistan-Irak weiter darüber reden müssen. unter Führung von Massud Barzani, das Referendum Es ist für uns absolut klar, dass sich Deutschland durchzuführen, eingetrübt worden ist. Wir haben immer im gesamten Irak politisch mehr engagieren muss und davon abgeraten und davor gewarnt. Wir haben uns in dass wir einen Beitrag leisten können: zur Versöhnung, dieser Frage klar positioniert und gesagt: Die Einheit des dazu, dass die Spirale der Rache im Irak endlich durch- Staates steht nicht zur Disposition. Autonomierechte sind brochen wird, dass ein Ansatz entwickelt wird, der allen wichtig, aber das bedeutet nicht, dass wir eine Zukunft in Volksgruppen im Land ihre Rechte einräumt, dass die der Abspaltung des kurdischen Teils des Iraks vom üb- Sicherheitskräfte im Rahmen eines inklusiven Ansatzes rigen Staatsgebiet sehen. Deswegen ist es ganz wichtig, reformiert werden und dass es kein Wiedererstarken der dass wir sowohl mit den Kurden als auch mit der Zen­ Dschihadisten gibt. tralregierung des Iraks laufend im Dialog darüber sind. (Beifall der Abg. Agnieszka Brugger [BÜND- Es war fraglich, ob die Einladung, den Kurden zu hel- NIS 90/DIE GRÜNEN]) fen, die Bagdad seinerzeit ausgesprochen hat – was ja neben der UN-Resolution, die ebenfalls aufordert, Hilfe Wir haben darüber in den Sondierungen gesprochen. zu leisten, die völkerrechtliche Grundlage für unseren Es ist Zeit dafür, die Weichen endlich zu stellen, und es Einsatz dort ist –, formal bestehen bleibt und auch wei- ist Zeit, den Wunsch der Kurdinnen und Kurden nach terhin inhaltlich von der Regierung so gewünscht und Selbstbestimmung und Freiheit nach über 100 Jahren getragen wird. Deswegen war es gut, dass wir nach dem endlich ernst zu nehmen. Referendum und nachdem es dort entsprechende Ausein- 158 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 3 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 22 November 2017

Jürgen Hardt (A) andersetzungen gegeben hat, unsere Aktivitäten für eini- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (C) ge Tage unterbrochen haben. Damit schließe ich die Aussprache. Ich glaube, insgesamt zeigen die letzten Wochen, dass Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf unser Agieren und unsere aktive Rolle dort eher stabili- Drucksache 19/25 an den Hauptausschuss vorgeschla- sierend und beruhigend auf die Situation zwischen Bag- gen. Gibt es dagegen Widerspruch? dad und Erbil wirken, weil wir als Partner ernst genom- men werden und weil man auf beiden Seiten weiß, wo (Zurufe von der AfD: Ja!) wir stehen. Deswegen wäre es schlecht, wenn wir uns – Dann müssen wir abstimmen. Wer dafür ist, den bitte zurückziehen würden; denn dann würden wir auf diese ich um das Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Enthaltun- Möglichkeit des Einfusses, der auf die Situation im Irak gen? – Keine. Dann ist bei den Gegenstimmen der AfD gegenwärtig, wie ich fnde, befriedend wirkt, verzichten. mit den Stimmen der übrigen Fraktionen die Überwei- Deshalb fnde ich es mindestens wichtig, dass wir das sung beschlossen. Mandat jetzt um drei Monate verlängern. Jetzt rufe ich den Zusatzpunkt 5 auf: Ich fnde es auch wichtig, dass wir bei einem neuen Mandat über das jetzt gültige Mandat in dieser Form hi- Aktuelle Stunde naus zwar über Veränderungen nachdenken – vielleicht auf Verlangen der Fraktion CDU/CSU auch über weitere zivile Komponenten –, aber nicht grundsätzlich die Verpfichtung infrage stellen, die wir Lage im Nahen und Mittleren Osten mit dem, was wir vor drei Jahren begonnen haben, ein- Ich eröfne die Aussprache und erteile das Wort gegangen sind. dem Abgeordneten Dr. Norbert Röttgen von der CDU/ CSU-Fraktion. Ich würde mir wünschen, dass wir im Rahmen der Be- ratungen des neuen Mandats im nächsten Frühjahr auch (Beifall bei der CDU/CSU) die Frage bedenken, auf welchem Grundgesetzartikel wir dieses Mandat abstützen. Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): (Tobias Pfüger [DIE LINKE]: Das fällt Ihnen Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle- aber früh ein!) gen! Es ist nicht so leicht, nur fünf Minuten zur Lage im Nahen und Mittleren Osten zu sprechen. Ich bemühe Die Bundesregierung stützt sich auf Artikel 24 Absatz 2 mich, acht kurze Anmerkungen dazu zu machen. Mal se- des Grundgesetzes. Das halte ich für eine tragfähige hen, wie weit ich komme. Grundlage für dieses Mandat. Ich bin aber der Meinung, (B) dass auch der Artikel 87a des Grundgesetzes tragfähig Meine erste Anmerkung ist: Der „Islamische Staat“ (D) wäre, in Verbindung mit Artikel 51 der UN-Charta, wo- ist militärisch-territorial besiegt. Der politische, soziale nach jeder Staat das Recht hat, sich zu verteidigen, eine und ideologische Nährboden für den „Islamischen Staat“ solche Hilfeleistung auch die Verteidigung im Sinne des ist noch vorhanden. Dem militärischen Kampf gegen den Grundgesetzes sein kann. „Islamischen Staat“ muss jetzt der politische Kampf um die Menschen folgen: um die Sunniten, die sich margina- Ich würde mir wünschen, dass wir bei der Verlänge- lisiert, an den Rand gedrängt und von allen im Stich ge- rung des Mandats nicht nur über die Struktur und die lassen fühlen. Diesen Kampf um die Menschen müssen Inhalte des Mandats reden, sondern auch grundsätzlich wir führen. Sonst wird der militärische Sieg bedeutungs- über die Frage, was denn unsere deutsche, nationale ver- los bleiben, meine Damen und Herren. fassungsrechtliche Grundlage ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ Es gibt einfach keine!) DIE GRÜNEN) Ich sage ausdrücklich, dass ich Artikel 24 Absatz 2 Zweitens. Es gibt eine weitere militärische Lösung: Es Grundgesetz für eine ausreichende Basis halte. gibt eine militärische Lösung in Syrien. Es ist bitter, das (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: hier auszusprechen, aber Russland und die Hisbollah – Abwegig!) das heißt Iran – haben das verabscheuungswürdige Re- gime von Assad gestützt und dazu beigetragen, dass es Deswegen kann ich die Gründe der Grünen an diesem einen militärischen Sieg dieser Staaten und Kräfte über Punkt nicht nachvollziehen. Wie bisher glauben wir, dass die syrische Bevölkerung gibt, meine Damen und Her- das Mandat verfassungsrechtlich einwandfrei abgesi- ren. chert ist. Das ist ein trauriges Ergebnis, das wir dort verzeich- In diesem Sinne wünsche ich unseren rund 150 Sol- nen müssen. Trotzdem ist meine Einschätzung, dass datinnen und Soldaten weiterhin jegliches Soldatenglück Russland trotz der auch völkerrechtswidrigen Maßnah- und eine gute Rückkehr aus dem Einsatz. Möge dieser men, die Russland zu verantworten hat, kein Interesse Einsatz weiterhin unter einem guten Stern stehen. hat, dauerhaft an der Seite von Assad und Hisbollah in Danke schön. einen endlosen und nicht zu gewinnenden Bürgerkrieg in Syrien verstrickt zu werden. Wir, die Europäer bzw. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- der Westen, sollten ausloten, ob mit Russland politisch ordneten der FDP) ein Prozess in Syrien zu starten ist. So paradox es auf Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2017 159

Dr. Norbert Röttgen (A) den ersten Blick scheint: Ich glaube, die Interessenlage nämlich Saudi-Arabien, vielleicht auch zu anderen wich- (C) Russlands spricht dafür, es zu versuchen. Wir müssen es tigen Akteuren zu verlieren. Wir brauchen die Erhaltung versuchen. der Gesprächsfähigkeit als Bedingung von Diplomatie in Deutschland. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Drittens. Im Irak sind die alten Konfikte wieder auf- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- gebrochen: die Machtverteilung, die Verteilung wirt- ordneten der FDP) schaftlicher Ressourcen zwischen Schiiten, Sunniten Ich mache zwei kurze abschließende Bemerkungen. und Kurden, die innerkurdischen Konfikte. Deutschland Das Neue an dieser Lage für uns ist – das haben wir hat – wir haben gerade darüber diskutiert – an die Kurden durch die Flüchtlingskrise gelernt –: Wir können unser Wafen geliefert, und wir leisten weiter militärische Aus- Schicksal in Europa, die Stabilität unserer Gesellschaften bildung. Wir haben damit eine Verantwortung für den nicht mehr losgelöst von den Konfikten, den Krisen und Irak übernommen. In einem halben Jahr fnden dort Par- dem Hass in dieser Region betrachten. Wenn in Syrien lamentswahlen statt. Das Unabhängigkeitsreferendum, Krieg ist, dann merken wir das in unseren Dörfern und das der frühere kurdische Präsident Barzani durchgeführt in unseren Städten. Unsere Schicksale sind miteinander hat, hat der langen Leidensgeschichte der Kurden im Irak verbunden. Die dortige Disruption hat zu dieser neuen ein weiteres trauriges Kapitel hinzugefügt. Wir haben Lage geführt. jetzt Verantwortung, auch weil wir uns dafür engagiert haben, dass es wieder ein friedliches Miteinander im Irak Abschließend meine letzte Bemerkung. gibt. Auch das ist jetzt eine deutsche Verantwortung, der wir uns stellen müssen. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Viertens. Der israelisch-palästinensische Konfikt war Aber bitte kurz, Herr Kollege Röttgen. früher der Nahostkonfikt. Er ist an den Rand der Wahr- nehmung geraten, aber er hält weiter an, und er zeichnet sich durch eine Verhärtung aus, wie es sie lange nicht Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): gegeben hat. Man ist in diesem Konfikt weiter von der Diese neue Lage von Krieg und Konfikt zwingt uns Zweistaatenlösung entfernt, als es bereits der Fall war. Europäer dazu – übrigens auch die neue Anti-Iranpoli- Sie war schon sehr nahe; jetzt ist sie wieder weit entfernt. tik der amerikanischen Administration, die falsch ist, Auch dieser Dauerkonfikt ist da, in einer großen Ver- weil man ohne und gegen den Iran keine Lösung fnden härtung und gewissermaßen fast in einer Perspektivlo- kann –, in dieser Region zu einer europäischen Politik sigkeit. Auch diesen Konfikt dürfen wir nicht vergessen; zu kommen. Es ist unsere Nachbarregion. Wir sind am (B) denn er hält weiter an. meisten betrofen. Wir sind am einfusslosesten. Es muss (D) Fünftens. Im Zentrum der Lage in dieser Region steht eine gemeinsame Politik der europäischen Staaten geben, die Rivalität zwischen Saudi-Arabien und Iran, die ge- die von diesen Konfikten betrofen sind. rade wieder eskaliert ist. Wir haben auf der einen Seite Das ist die Schlussfolgerung. Es ist das politische Ge- eine aggressive Machtexpansion des Iran von Iran über bot an uns Europäer, an uns Deutsche, einen politischen den Irak in den Libanon – über die Hisbollah – und nach Prozess zu organisieren, zu initiieren. Wir müssen uns in Syrien hinein – erneut über die Hisbollah –, die wir mit dieser Region engagieren, weil es vor allem um unsere größter Sorge sehen, die wir kritisieren und die kein Bei- Sicherheit und Stabilität in Deutschland und in Europa trag zum Frieden in dieser Region ist. Auf der anderen geht. Seite haben wir eine neue Demonstration von Machtan- spruch in der Person des saudischen Kronprinzen, einen Machtanspruch nach außen und nach innen, verbun- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: den mit einem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Vielen Dank. Reform ­ehrgeiz im Inneren.

Wozu hat dieser neue Machtkonfikt der beiden, die Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Rivalität um die Vorherrschaft in der Region geführt? Zu einem fürchterlichen Krieg im Jemen, der der Zivilbevöl- Das ist die Schlussfolgerung. kerung unvorstellbares Leid zufügt, Ich danke Ihnen sehr. (Zuruf des Abg. Tobias Pfüger [DIE (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- LINKE]) ordneten der SPD) zu einem Konfikt zwischen Saudi-Arabien und Katar und zu einer neuen Krise im krisengeschüttelten Liba- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: non. Das ist die extrem verzwickte machtpolitische Kon- stellation, die im Zentrum steht und die nicht leicht auf- Liebe Kolleginnen und Kollegen, in den Aktuellen lösbar ist, sondern für längere Zeit bestehen bleiben wird. Stunden müssen wir die Redezeit relativ streng einhal- ten. Deswegen bitte ich alle, sich an die fünf Minuten Was wir in dieser Region brauchen, ist die Erhaltung Redezeit zu halten. – Jetzt hat das Wort der Kollege von Gesprächsfähigkeit. Ich sage es hier ganz deutlich: Mützenich. Es macht keinen Sinn, polternd durch diese Region zu laufen, um am Ende die Gesprächsfähigkeit zu einem, (Beifall bei der SPD) 160 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 3 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 22 November 2017

(A) Dr. Rolf Mützenich (SPD): land eine wichtige Chance verpasst, als sie der deutschen (C) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Tat, Bundesregierung kein Mandat für die Vernichtung der in fünf Minuten kann man nur wenige Bemerkungen ma- syrischen Chemiewafen gegeben hat. Sie hat sich hinter chen. Ich will versuchen, mich auf vier zu konzentrieren. einer militärischen Frage versteckt. Aber ich will mich anders als der Kollege Röttgen der (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem Situation im Nahen und Mittleren Osten nähern. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- Ich möchte gerne damit beginnen – ich fnde, es ist geordneten der FDP) notwendig, diese Frage hier in Deutschland und mit den europäischen Partnern anzugehen –: Ja, es ist richtig, dass Ein vierter Punkt, den der Kollege Röttgen bereits er- die Proteste 2010 und 2011 auch der Beginn gewaltsamer wähnt hat: Ja, wir sehen mit großer Sorge auf die Situa- Auseinandersetzungen waren, aber sie sind nicht die Ur- tion, die sich aus der Auseinandersetzung zwischen dem sache dafür. Die jungen Menschen, die mutigen Frauen, Iran und Saudi-Arabien ergibt. Ich bin dankbar, dass der die damals für gutes Regieren, gegen Korruption und für deutsche Außenminister – auch auf seinen Reisen – alles mehr Respekt gegenüber der Bevölkerung demonstriert für eine Deeskalation getan hat. Ich hätte mir aber auch haben, sind auch heute im Recht. Solange diese Konfikte gewünscht, dass die Bundeskanzlerin bei ihrem Besuch, im Inneren der arabischen Welt nicht gelöst sind, so lange den sie nur Saudi-Arabien abgestattet hat, deutliche Wor- wird es auch nicht gelingen, Frieden in diese Region zu te gegen das saudische Königshaus und gegen das, was bringen. Das heißt, die deutsche Außenpolitik muss sich Saudi-Arabien in der Region zu verantworten hat, gefun- genau mit den Gesellschaften solidarisieren, die um gu- den hätte. Das wäre aller Ehren wert gewesen. Sie hätte tes Regieren streiten. nicht nur über Wafenlieferungen sprechen sollen. Deswegen sage ich sehr deutlich: Ja, die Köpfe sind (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- ausgewechselt worden, aber die Machtzentren im Inne- ten der LINKEN und des Abg. ren haben sich nicht verändert. Deswegen stehen gerade [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) an der europäischen Außengrenze weiterhin diese Kon- Die Bundesregierung tut gut daran, alles zu unterneh- fikte im Mittelpunkt. Ich will daran erinnern: Viele Men- men, dass die amerikanische Regierung nicht weiter ei- schen unter Militärgerichtsbarkeit sind heute immer noch nen Vertrag schwächt, der einen weiteren Krieg in der in Gefängnissen, etwa in Ägypten, aber auch in anderen Region verhindert hat. Der Vertrag ist Ausdruck unseres Ländern der Region. Versuchs der Einhegung des Iran auf diplomatischem (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Weg. Es war richtig, nicht nur diesen Vertrag zu vertei- digen, sondern nun auch alles zu unternehmen, um dort (B) Zum Zweiten. Der politische Islam, der sich ein Par- zusammen mit anderen ein regionales Sicherheitssystem (D) teiengefüge gegeben hat, ist in dieser Situation gewach- zu schafen. Frankreich, aber auch Großbritannien sind sen. Er ist nicht verschwunden, sondern nur unterdrückt. gut beraten, zusammen mit Deutschland diesen Weg zu Er bleibt sozusagen weiterhin unter der Oberfäche. Das gehen. wird uns vor viele Herausforderungen stellen, gerade wenn wir als Parlamentarierinnen und Parlamentarier das Zum Schluss möchte ich etwas deutlich machen, was Gespräch mit den dortigen Gesellschaften suchen. gerade die Kolleginnen und Kollegen von der AfD be- Dritter Aspekt. Zum heutigen Zeitpunkt, wo Mladic rücksichtigen sollten, die Deutschland plötzlich in einer vor dem Internationalen Gerichtshof verurteilt wurde, Rolle im Nahen und Mittleren Osten sehen, die es ermög- sagen wir Sozialdemokraten: Alle diejenigen, die Verbre- licht, nicht nur zu vermitteln, sondern auch neue Grenzen chen gegen die Menschlichkeit verübt haben – in Syrien, zu ziehen. Astana und Sotschi sowie der gestrige Besuch im Irak, im Jemen oder anderswo –, müssen weiterhin des syrischen Machthabers und der heutige Besuch des verfolgt werden. Das Schwert der internationalen Straf- iranischen Revolutionsführers machen deutlich: Nicht gerichtsbarkeit muss gerade von Deutschland weiterhin mehr in Berlin werden neue Grenzen gezogen, sondern unterstützt werden. leider woanders. Wir Demokraten sind aufgefordert, in dieser Hinsicht eine andere Politik zu betreiben. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Das muss für alle gelten! Für alle!) Vielen Dank. Deswegen war es richtig, dass die Bundesregierung, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten als sie den Vorsitz beim Menschenrechtsrat in Genf in- der FDP) nehatte, alles unternommen hat, um die Dokumente zu sammeln, die es ermöglichen, gegen schwerste Men- Vizepräsident : schenrechtsverletzungen in Syrien vorzugehen, und dass deutsche Staatsanwaltschaften gegen die Betrefenden Vielen Dank. – Als Nächstes hat das Wort für die ermitteln und letztlich Völkerstrafrecht anwenden, um Fraktion der AfD Herr Dr. Alexander Gauland. entsprechende Verfahren zu ermöglichen. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dr. Eberhardt Alexander Gauland (AfD): Da von linker Seite die eine oder andere Bemerkung Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Manchmal kommt: Die Linksfraktion hat damals hier in Deutsch- staunt man, dass einer Rede schon etwas vorweggenom- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2017 161

Dr. Eberhardt Alexander Gauland (A) men wird, wie es der sozialdemokratische Kollege gera- Palästina durch die UN im Jahre 1948. Es geht weiter (C) de getan hat. mit der anglo-französischen Suez-Intervention 1956 und dem grundlosen zweiten Irakkrieg, mit dem nicht vor- (Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Ich kenne Sie!) handene Massenvernichtungswafen aufgespürt und zer- Die Union hat eine Aktuelle Stunde zum Nahen Os- stört werden sollten. ten beantragt. Die Anmeldung dieser Aktuellen Stunde (Beifall bei der AfD) erfolgte kurzfristig, um die von der AfD gewünschte De- batte über das Scheitern der Jamaika-Sondierungen zu Fast immer waren fehlgeleitete imperiale Eigeninteres- verhindern. sen und eine westlich verblendete Fehleinschätzung ara- bisch-islamischer Gesellschaften Grund für das Schei- (Beifall bei der AfD) tern der Interventionen. Dass die nicht zu bestreitenden Probleme des Nahen Os- (Beifall bei der AfD) tens als parlamentarischer Schutzschild gegen eine die Menschen bewegende aktuelle Debatte herhalten müs- Wir Deutschen hatten kaum die Möglichkeit, die Feh- sen, ist ein trauriger Beleg für den Fehlgebrauch parla- ler der anderen mit- oder nachzumachen – zu unserem mentarischer Möglichkeiten genauso wie für den Stellen- Glück. Der Nahe und der Mittlere Osten waren immer wert deutscher Nahostpolitik. die Einfusssphäre der anderen – mit einer Ausnahme: Unsere historische Schuld hat uns bewogen, die Existenz (Beifall bei der AfD) Israels zu einem Teil unserer Staatsräson zu erklären. Denn eine solche Debatte wie heute, lieber Herr Das ist moralisch richtig, enthält aber eine über das blo- Röttgen, hätte man aus den gleichen Gründen 2007, 1997, ße Bekenntnis hinausgehende Verpfichtung: im Ernstfall 1987, 1977 und sogar vor 100 Jahren, im Jahre 1917 im einer existenziellen Bedrohung Israels an dessen Seite zu Reichstag, führen können. kämpfen und unter Umständen auch zu sterben. Ich bin mir nicht sicher, ob alle in Deutschland wissen, was diese Immer wären die Aktualität gegeben und die Probleme Verpfichtung wirklich bedeutet. gleich dringend gewesen – nur dass 1917 statt des Bun- destages der Reichstag in diesem Haus debattiert hätte. Ich bedanke mich. Und obwohl zwischen dem Kaiserreich und der Bundes- republik einige gravierende Unterschiede bestehen, hatte Vizepräsident Wolfgang Kubicki: das Deutsche Reich 1917 genauso viel Einfuss auf die Vielen Dank. – Als Nächster für die Fraktion der Frei- Konfikte des Nahen Ostens wie heute die Bundesregie- en Demokraten: Alexander Graf Lambsdorf. rung. (B) (Beifall bei der FDP) (D) (Beifall bei der AfD)

Die wirklich machtpolitischen Spieler in dieser Regi- Alexander Graf Lambsdorf (FDP): on sind Amerika, Russland – das wurde schon erwähnt –, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In mei- Saudi-Arabien und der Iran sowie die immer stärker in ner letzten Intervention habe ich darauf verzichtet, die osmanische Fahrwasser steuernde Türkei, am Rande geschichtliche Kontinuität, die die AfD seit Wilhelm II. auch noch Großbritannien und Frankreich und, nicht zu hier für unsere Außenpolitik zu entwerfen versucht, auf- vergessen, das immer einfussreicher werdende China. zugreifen, Deutschland spielt dabei keine Rolle. Und unsere Debat- te hier hat nicht den geringsten Einfuss auf die Entschei- (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD sowie dungen in dieser konfiktbeladenen Region. des Abg. Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei der AfD) tue das aber gerne, lieber Herr Gauland, angesichts Ihrer Darüber bin ich nicht einmal traurig. Denn die Krisen sehr selektiven Lesart der Geschichte. Die Behauptung, von heute – sei es der Konfikt zwischen Israel und sei- dass Deutschland überhaupt keine Rolle, überhaupt kei- nen arabischen Nachbarn, sei es der zwischen Sunniten nen Einfuss in der Region gehabt hat, ist spätestens seit und Schiiten, also zwischen Saudi-Arabien und dem Iran, den Debatten um den Genozid an den Armeniern wohl sei es die Heimatlosigkeit der Kurden oder der Zerfall ein für alle Mal widerlegt. des Irak, Syriens und des Libanon – haben Gründe in den fehlgeleiteten Interventionen westlicher Mächte. (Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- (Beifall bei der AfD) geordneten der CDU/CSU) Diese haben immer nur dazu geführt, die Stabilität Es muss nicht immer ein guter Einfuss gewesen sein; der Region weiter zu schwächen. Das reicht von der aber dass wir hier keine Rolle spielen, ist, glaube ich, Aufteilung des Nahen Ostens in Einfusssphären – der eine wirklich sehr selektive Lesart. Das war mein erster Name wurde schon erwähnt – zwischen Großbritannien Punkt. und Frankreich während des Ersten Weltkrieges durch das Sykes-Picot-Abkommen über die Unvereinbarkeit Ich komme zu meinem zweiten Punkt. Wir debattieren der britischen Zusicherung an die Araber auf ein großes hier – das ist mir wichtig – über die Situation im Nahen Reich und die Balfour-Deklaration zu einer jüdischen Osten. Ich sage das mit einer gewissen Betonung auf dem Heimstatt bis hin zu dem friedlosen Teilungsplan für Wort „nah“. Das ist keine entlegene Weltregion. Das ist 162 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 3 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 22 November 2017

Alexander Graf Lambsdorf (A) unsere Nachbarschaft. Die Betrofenheit Deutschlands, Hier will ich auf das zurückkommen, was Herr (C) unser Interesse an einer Stabilität der Region, an einer Röttgen gesagt hat: Früher wurde im Zusammenhang Stabilisierung dort, wo es erforderlich ist, sind evident. mit Nahost sozusagen in der Byline immer Camp David Spätestens seit der massenhaften Flucht von Menschen erwähnt. Heute wird Sotschi erwähnt. Die Zeiten haben vor dem syrischen Bürgerkrieg in unser Land muss das sich geändert. Die Interessen, die wir in der Region ge- jedem klar geworden sein. meinsam mit den USA und Russland haben, müssen wir ausloten, um dort zu einer Stabilisierung beizutragen und Dass die Situation vor Ort des Engagements – des um dafür zu sorgen, dass es nicht zu weiteren gewalttä- diplomatischen Engagements, des politischen Engage- tigen Konfikten kommt, um dafür zu sorgen, dass nicht ments – bedarf, das weiß jeder, der sich anschaut, was noch mehr Menschen unsägliches Leid erfahren müssen dort passiert. Die Stellvertreterkriege der Regionalmäch- und die Notwendigkeit sehen, die Region fuchtartig zu te Saudi-Arabien, Iran und Türkei in Syrien, im Irak und verlassen und ihren Weg nach Europa anzutreten. im Jemen, die Blockade von Katar haben ein unglaubli- ches Leid geschafen, das den Fluchtdruck noch erhöht. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Die Situation im Jemen ist menschlich unbeschreiblich. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Die Auswirkungen der Situation in Syrien haben wir in der CDU/CSU) unseren Kommunen erleben und bewältigen müssen.

In dieser Situation ergibt sich ein zweiter Bogen, den Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Herr Gauland ganz zum Schluss angesprochen hat. Es Herzlichen Dank, Herr Graf Lambsdorf. – Bevor ich wird Sie überraschen, da stimme ich Ihnen sogar zu: der nächsten Rednerin das Wort erteile, darf ich eine kur- Das Ganze ergibt eine dramatische Gefährdung Israels. ze Vorbemerkung machen. Ich bin neu in diesem Parla- Es gibt einen Staat, für den Deutschland aufgrund histo- ment, wie Sie wissen. Sollte ich einen Namen falsch aus- rischer Schuld eine besondere Verantwortung übernom- sprechen, dann ist das der Tatsache geschuldet, dass ich men hat. Dieser Staat, Israel, sieht sich einer völlig neu- en Dimension von Gefahr ausgesetzt durch das, was die (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Experten den „schiitischen Bogen“ nennen, der jetzt vom NEN]: Norddeutscher bin! – Heiterkeit) Iran über Syrien bis in den südlichen Libanon hineingeht. – nein, nicht dass ich Norddeutscher bin – trotz meiner Eine Militärkommission, an der der ehemalige deutsche Bemühungen es nicht geschaft habe, sämtliche Mitglie- Generalinspekteur Klaus Naumann beteiligt ist, hat gera- der dieses Hohen Hauses in mein Bewusstsein aufzuneh- de festgestellt, es sei keine Frage mehr, ob es einen neuen men. Es kann aber auch an der Schrift des Schriftführers bewafneten Konfikt zwischen der Hisbollah und Israel liegen. (B) geben wird, sondern nur, wann der beginnen wird. Weg- (D) schauen ist in dieser Situation eben keine Option. (Heiterkeit) Es ist auch keine Option, sich durch diplomatische Bitte weisen Sie mich darauf hin, wenn ich einen Namen Ungeschicklichkeit aus dem Spiel zu nehmen. Herr Mi- falsch ausspreche. nister Gabriel, Sie haben ganz tolle Zustimmungswerte – Als Nächstes spricht Frau Sevim Dağdelen. ich vermute, manche Ihrer Kabinettskollegen schauen neidisch darauf –, aber Sie haben sie nicht wegen Ihrer (Beifall bei der LINKEN) Nahostpolitik. Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Ihr erster Fehltritt – das sage ich als jemand, der Bet- Verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Da- selem geholfen hat in seiner Aktivität gegen das israe- men und Herren! An meinen Vorredner kann ich nur eins lische NGO-Gesetz, der sich mit Breaking the Silence richten: Man kann wirklich froh sein, dass dieses Trau- getrofen hat – war Ihr verpatzter Antrittsbesuch in Israel. erspiel um Jamaika und damit auch Ihre Ambitionen auf Ihr zweiter Fehltritt war der Eklat, den Sie kürzlich das Außenministerium gescheitert sind. Wenn ich beden- produziert haben, der dazu geführt hat, dass Saudi-Ara- ke, wie Sie hier argumentieren, um eine Zusammenar- bien, die sunnitische Führungsmacht, ihren Botschafter beit, eine fast schon bedingungslose Zusammenarbeit mit aus Berlin abgezogen hat. Das macht Deutschlands Rolle einer islamistischen Kopf-ab-Diktatur wie Saudi-Arabi- schwächer. en zu rechtfertigen, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- der CDU/CSU) neten der AfD) lässt das schon tief blicken, und es zeigt, in welche Rich- Es wäre meiner Fraktion und mir lieber, wir würden in tung das gegangen wäre. einer Zeit, in der wir ohnehin nur eine geschäftsführende Regierung haben, anstatt derartige Verwerfungen diplo- Meine Damen und Herren, aufgrund der Brisanz matischer Art zu produzieren, einen europäischen Ansatz möchte ich beim Thema „Die Situation im Nahen und mit geduldigem Engagement, mit nachhaltiger Arbeit in Mittleren Osten“ auf einen Punkt fokussieren. Ich fnde, der Region gemeinsam mit unseren Partnern verfolgen. diese Debatte ist überfällig; sie ist auch richtig. Sie hätte Diese Partner in der Europäischen Union werden allein bereits vor Jahren stattfnden müssen. Es ist die Debatte nicht ausreichen – das wissen wir –; wir brauchen auch um unser Verhältnis zum Land Saudi-Arabien, die De- Partner außerhalb der EU. batte über das islamistische Regime Saudi-Arabien, das Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2017 163

Sevim Dağdelen (A) den gesamten Nahen und Mittleren Osten destabilisiert, Umso schwerwiegender ist jedoch, dass die deutsche (C) und die Debatte über die engen Beziehungen, die diese Bundesregierung weiter Wafen an Saudi-Arabien liefern Bundesregierung zu Riad pfegt. lässt und deutsche Rüstungsschmieden wie Rheinmetall auch noch im Land selbst produzieren. Wer so handelt Die Radikalisierung Riads ist von der Bundesregie- wie das saudische Königshaus, der darf doch wirklich rung nicht wahrgenommen worden. Im Gegenteil: Jede kein Partner der Bundesrepublik Deutschland sein, mei- kritische Analyse wurde unterdrückt. So geschah es ne Damen und Herren. auch vor fast zwei Jahren, im Dezember 2015, als eine Einschätzung des Bundesnachrichtendienstes über Sau- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- di-Arabien das Licht der Welt erblickte. Ich zitiere aus neten der AfD und des BÜNDNISSES 90/DIE dieser Einschätzung: GRÜNEN) Die bisherige vorsichtige diplomatische Haltung der Das ist unserer Demokratie schlichtweg nicht würdig. älteren Führungsmitglieder der Königsfamilie wird Deshalb frage ich Bundeskanzlerin Merkel und Außen- durch eine impulsive Interventionspolitik ersetzt. minister Gabriel: Warum stoppen Sie die Wafenlieferun- Vor allem die Rolle des neuen Verteidigungsministers gen an die Fürsten der Finsternis in Riad nicht? Warum und Sohns von König Salman, Mohammed bin Salman, lassen Sie es zu, dass weiter deutsche Wafen geliefert sah der BND kritisch. Die Saudis seien bereit, beispiello- werden, um im Jemen einen Massenmord zu begehen? se „militärische, fnanzielle und politische Risiken einzu- Warum fallen Sie der deutschen Rüstungsschmiede gehen“, so das hellsichtige Papier. Rheinmetall nicht in den Arm, die an der Auslöschung so vieler Tausend Menschen im Jemen auch noch verdient? Weiter heißt es: Die wirtschafts- und außenpolitische Machtkonzentration auf den Vizekronprinzen „birgt la- Ich denke, Die Linke denkt: Wir brauchen dringend tent die Gefahr, dass er bei dem Versuch, sich zu Lebzei- eine Neuausrichtung der Arabien-Politik. Es darf einfach ten seines Vaters in der Thronfolge zu etablieren, über- nicht mehr so weitergehen wie bisher. Wir müssen end- reizt“. lich klare Kante zeigen, bevor man in Riad auf die Idee kommt, noch mehr Feuer in der Region zu legen. Ich hof- Und in der Tat zieht sich eine gewaltige Blutspur fe, dass wir jetzt damit anfangen, Debatten über Saudi durch die Region, für die Riad und damit Saudi-Arabien Arabien zu führen, die letztendlich auch Konsequenzen verantwortlich ist: mit sich bringen. In Syrien unterstützte man den „Islamischen Staat“, Vielen Dank. die al-Qaida und andere islamistische Terrorgruppierun- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (B) gen und ‑banden mit Wafen. Jedes Mittel war recht, um (D) das Land zu destabilisieren. Nach schickte man neten der AfD) eine Interventionstruppe, um die Proteste gegen die Kö- nigsdiktatur dort niederzuschlagen. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: 2015 überfel man den Jemen und richtete eine wah- Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich dem re Katastrophe an. 7 Millionen Menschen sind dort jetzt nächsten Redner das Wort erteile, möchte ich darauf hin- unmittelbar vom Hungertod bedroht. Die saudische To- weisen, dass einige Mitglieder dieses Hohen Hauses das talblockade des Landes zielt auf den Hungertod von Mil- Gefühl haben, dass hier fotografert wird. Ich weise aus- lionen Jemeniten. drücklich darauf hin, dass im Plenum Fotograferen nicht erlaubt ist. Das letzte Beispiel in der Kette der Interventionen Riads ist der Versuch, im Nachbarland Libanon einen Nun bitte ich Herrn Nouripour für Bündnis 90/Die Bürgerkrieg zu entfesseln. Jetzt scheint diese Strate- Grünen ans Rednerpult. gie der Kriegsfürsten aus Riad gescheitert zu sein, weil ­Hariri zurückgekehrt und vom Rücktritt zurückgetreten Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ist. Aber man muss sich einmal vorstellen, was gewesen wäre, wenn die Terrorherrscher in Riad damit erfolgreich Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schia ge- gewesen wären. gen Sunni, Stellvertreterkrieg zwischen Iran und Sau- di-Arabien – es gibt so viele einfache Erklärungsmuster, Herr Gabriel, ich sehe das anders als die FDP. Gestern die das, was im Nahen Osten zurzeit geschieht, beschrei- hatten wir hier eine Diskussion, und Sie stellten fest, dass ben sollen. Diese Muster sind nicht alle falsch, aber sie wir beide mutig sind. Dazu muss ich, auch im Namen sind auch nicht immer ganz richtig. Es wird bei diesen meiner ganzen Fraktion, sagen: Ich rechne es Ihnen hoch Pauschalurteilen immer wieder verkannt, dass es auch an, Herr Außenminister Gabriel, dass Sie vor wenigen lokale Ursachen gibt, die dann von auswärtigen Fakto- Tagen den Mut zur Kritik an dieser saudischen Kriegspo- ren noch verstärkt werden. Der Anlass für den Beginn litik gefunden haben. der Auseinandersetzungen in Syrien war, dass auf Eltern (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- geschossen wurde, die friedlich dagegen demonstriert neten der SPD und des Abg. Jürgen Trittin haben, dass ihre Kinder mit Folterspuren nach Hause [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) gekommen sind. Der Konfikt im Jemen hat eine lange Geschichte, die zurückgeht auf Auseinandersetzungen Da gilt Ihnen unser Dank; denn diese Worte von Ihnen zwischen den Huthi in der Peripherie und dem Zentrum, waren wichtig, und sie waren auch überfällig. bei denen es auch um Ressourcen und um Wasser geht. 164 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 3 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 22 November 2017

Omid Nouripour (A) Im Jemen ist dieser Konfikt aber massiv verstärkt tionen im Libanon mit sich – auch das muss sehr klar an- (C) worden von einer Auseinandersetzung, die zu einer un- gesprochen werden –, und zwar zu einer Zeit, zu der der glaublichen humanitären Katastrophe geführt hat. Zwei- Libanon mehr als 1 Million Flüchtlinge aufgenommen einhalb Jahre läuft nun dieser Krieg, der den Jemen, hat. Genau deswegen kommt ja gerade niemand auf die das traditionell ärmste Land der Arabischen Liga, in die Idee, an den Iran Wafen zu verkaufen. Genau aus densel- Steinzeit gebombt hat. Nun haben wir seit über zwei Wo- ben Gründen sollte auch niemand auf die Idee kommen, chen eine Totalblockade des Nordens des Landes, die, Saudi-Arabien Wafen zu verkaufen und auch nicht den wie es aussieht, zum Ziel hat, ganze Landteile regelrecht Staaten, die an dem Konfikt beteiligt sind und die die auszuhungern. 940 000 Fälle von Cholera gibt es aktuell; humanitäre Katastrophe im Jemen angezettelt haben. die Hälfte davon betrift Kinder. Zweieinhalb Millionen Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Wasser. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Täglich sterben 130 Kinder an den Folgen des Krieges sowie bei Abgeordneten der LINKEN) und der Blockade; die Hälfte aller Kinder im gesamten Wir müssen Distanz zu den Staaten bewahren, die Land ist mittlerweile durch Hunger in ihrer Entwicklung die Feuer in Syrien, im Libanon, im Irak, im Jemen, in gestört. Bahrain und in vielen anderen Staaten der Region weiter Saudi-Arabien und die Allianz um Saudi-Arabien ha- entfachen. Am Ende des Tages wird es auch darum ge- ben diesen Krieg nicht begonnen, und sie haben ihn auch hen, ein waches Auge zu haben für die lokalen Ursachen nicht verschuldet. Auslöser war die illegitime Macht­ der Konfikte, die es dort gibt. übernahme durch die Huthi. Aber die Art und Weise der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kriegsführung führt zu einer humanitären Katastrophe sowie des Abg. Roderich Kiesewetter [CDU/ ohnegleichen, und, ehrlich gesagt, ich empfnde es als CSU]) unglaublich schändlich, dass dieser Konfikt nicht die Aufmerksamkeit bekommt, die ihm aufgrund der kata- strophalen Lage zukommt – und das nur, weil aus geo- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: grafschen Gründen aus dem Land keine Menschen fie- Herzlichen Dank. – Als Nächster: Alexander Radwan hen und als Flüchtlinge zu uns kommen. für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der CDU/CSU) sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ja, der Iran facht den Konfikt weiter an durch Un- Alexander Radwan (CDU/CSU): terstützung für die Huthi, durch Unterstützung für den Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben (B) Ex-Präsidenten Saleh, durch eine verantwortungslose (D) Rhetorik. Wir dürfen aber nicht verkennen – das ent- jetzt eine Aktuelle Stunde zur Lage im Nahen und Mittle- gegne ich Ihnen, Herr Kollege Dr. Gauland, auf Ihre ren Osten. Wenn man sich heute die Tageszeitungen und Aussage, wir hätten da sowieso keinen Einfuss –, dass andere Medien anschaut, dann sieht man, dass das The- Deutschland an diesem Krieg auch nicht ganz unbetei- ma wirklich aktuell ist. ligt ist durch die Wafen, die wir dorthin geliefert haben, Zwei Berichte begleiten uns heute durch den Tag. Das die auch eingesetzt worden sind und auch weiterhin ein- sind einerseits die Rückkehr von Hariri in den Libanon gesetzt werden. Ich habe mir, Herr Kollege Lambsdorf, und andererseits die Umarmung von Assad und Putin. tatsächlich mehrfach angeschaut, was Außenminister Meine Damen und Herren, einen aktuelleren Anlass gibt Gabriel so gesagt hat. Ich fnde nicht, dass er einen fal- es nicht, um sich mit dieser Thematik zu beschäftigen. schen Ton angeschlagen hat. Er hat in erster Linie Sorgen Auch der Deutsche Bundestag muss sich damit auseinan- vor einer massiven Eskalation geäußert, die aus meiner dersetzen und sich mit den Fragen beschäftigen, wie die Sicht völlig berechtigt waren. Diese Rhetorik, die richtig Interessen Deutschlands in der Welt am besten zu vertre- ist, muss aber durch einen Stopp der Wafenlieferungen ten sind und was unsere gemeinsamen Ziele sind. unterfüttert werden. Die USA sind seit längerer Zeit schon auf dem Rück- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zug aus dieser Region. Und in dieses Vakuum ist der sowie bei Abgeordneten der LINKEN) bereits von mir genannte Putin, ist Russland, zu dem ja Es ist keine Frage, dass wir mit dem Iran und mit Sau- manche Gruppierungen auch in diesem Hause durchaus di-Arabien sprechen müssen. Beide Staaten sind aber als Kontakt suchen, gestoßen: in den Iran, nach Syrien, nach strategische Partner nicht geeignet. Wir brauchen Äqui- Ägypten und in den Libanon. Putin hat seine Einfuss- distanz, wobei die Betonung auf Distanz liegt. Die Rolle sphäre dorthin ausgedehnt. Vielleicht ist ja das die Alter- des Irans im Nahen Osten ist auch weiterhin hochaggres- native für Deutschland, dass Russland dort nämlich mehr siv. In Syrien sieht man das dramatisch. Er unterstützt Einfuss bekommt. gemeinsam mit Russland einen Präsidenten, der Giftgas Die Regionalmächte sind in den letzten Jahren unkal- einsetzt, der Fassbomben wirft und der auch ganze Land- kulierbarer geworden. Sie ziehen sich zurück von den striche aushungern lässt. Leuten, mit denen sie bisher in Kontakt waren. Sie in- Oder nehmen wir den Libanon: Die Unterstützung der strumentalisieren bestimmte Gruppierungen in den be- Hisbollah im Libanon stellt nicht nur eine Bedrohung für trefenden Ländern für ihre Interessen. Wir haben es im den Staat Israel dar, sondern bringt auch eine massive Jemen erlebt, und der Libanon, der bereits erwähnt wur- Schwächung der innenpolitischen Lage und der Institu- de, ist dafür ein aktuelles Beispiel. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2017 165

Alexander Radwan (A) Der Libanon war bisher ein Staat, der sich im Hin- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) blick auf den Konfikt in Syrien einigermaßen neutral Herzlichen Dank. – Als Nächstes: Niels Annen von verhalten hat. Er hat es geschaft, zwischen den ver- der SPD. schiedenen Konfessionen – also Sunniten, Schiiten und (Beifall bei der SPD) Christen – ein ausgewogenes System herzustellen. Aber der Libanon wird zurzeit für Machtspiele instrumenta- lisiert. Wenn dieses Land kippt, wenn dieses Gleichge- Niels Annen (SPD): wicht nicht mehr besteht, dann entsteht dort ein neues Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten und zusätzliches Pulverfass. Davon können wir uns in Damen und Herren! Ich denke, es ist in der Tat ein guter Deutschland und in Europa nicht distanzieren, indem wir Zeitpunkt, um über die Lage im Nahen und Mittleren Os- sagen: Das geht uns nichts an. – Natürlich werden wir die ten zu reden. Ich will versuchen, in der Kürze der Zeit ne- Auswirkungen dieses Konfiktes auch hier spüren. ben ein paar Bemerkungen auch etwas zu den Vorredner- innen und Vorrednern zu sagen. Das, was wir im Moment Darum ist es dringend notwendig, dass wir uns ein- beobachten, ist die Zuspitzung eines schon fast hegemo- bringen. Zu suggerieren, wie es in einem der Redebei- nialen Konfiktes zwischen dem Iran und Saudi-Arabien. träge der Fall war, dass wir in der Welt nichts richten Frau Dağdelen, ich freue mich, dass Sie – zu Recht – könnten und dass uns das, was in der Welt passiert, nicht den amtierenden Bundesaußenminister loben, tangiert nach dem Motto „Wenn es in der Nachbarschaft von Europa brennt, werden wir das schon hinkriegen; es (Beifall bei Abgeordneten der SPD) wird sich auf uns nicht auswirken“, ist falsch. Das ist ein aber mir fällt immer auf, dass Sie hier Ihre Redezeit nut- Ansatz, der den Interessen Deutschlands in der Welt und zen, um ausschließlich über Saudi-Arabien zu reden. in Europa nicht gerecht wird. Zur Eskalation dieses Konfiktes tragen aber im Moment zwei Seiten bei. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ordneten der FDP) NEN]: Das ist richtig!) Darum ist es dringend notwendig, im Libanon Das muss auch ausgesprochen werden. schnellstmöglich für Stabilität zu sorgen, damit dieses (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Land nicht kippt. Man muss alle diplomatischen Mög- lichkeiten ausnutzen. Es wurden schon der Iran und Sau- Es ist im Übrigen der von Ihnen zu Recht gelobte di-Arabien genannt. Da möchte ich dem ersten Redner amtierende Bundesaußenminister, der in Saudi-Arabien (B) in dieser Debatte, Norbert Röttgen, ausdrücklich zustim- diese Themen angesprochen hat. Es ist keineswegs so, (D) men, dass wir mit allen im kritischen Dialog bleiben soll- dass wir uns in den letzten vier Jahren um die Frage von ten. Aufgrund der einen oder anderen Formulierung in Rüstungsexport und -kontrolle herumgedrückt hätten. den verschiedenen Abkommen kann der Eindruck auf- (Zuruf der Abg. Sevim Dağdelen [DIE kommen, dass – ich spitze es einmal zu – die eine Sei- LINKE]) te die „bad guys“ und die andere Seite die „good guys“ sind. Nein, so ist es nicht. Diese beiden Gruppierungen Es ist doch Sigmar Gabriel gewesen, der in den letzten im Nahen Osten – über die Türkei wurde noch gar nicht Jahren – übrigens unter Inkaufnahme von Regressan- geredet – tragen eine große Verantwortung für das Chaos, drohungen – dafür gesorgt hat, dass die Produktion von das dort entstanden ist. G36-Sturmgewehren in Saudi-Arabien heute nicht statt- fnden kann – aus guten Gründen. Wir müssen schauen, dass wir in dieser Region Bünd- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) nispartner fnden. Historisch gesehen kann ein Staat wie Ägypten ein Bündnispartner sein. Dieses Land kann uns Wir, meine Damen und Herren, unterstützen diese Ent- helfen, zwischen den verschiedenen Gruppierungen zu scheidung. Sie wissen, dass es noch ganz andere Planun- vermitteln. Die Initiative von Macron und von Deutsch- gen für Rüstungsexporte gegeben hat. Eines kann man, glaube ich, dieser Regierung also nicht vorwerfen: dass land sollte dazu führen, dass wir Europäer in dieser Re- sie sich um das Thema nicht gekümmert hat. gion mit einer Stimme sprechen und unsere Interessen gemeinsam vertreten. Wir sprechen gleichzeitig die amerikanischen Freunde an, wenn dort eine gefährliche Politik konzipiert wird, Das ist mein letzter Appell: In der Diskussion um die- die am Ende darauf hinauslaufen würde, das sogenann- se Region nur zu sagen: „Da ist etwas schiefgelaufen. te Iran-Nuklearabkommen in seiner Substanz zu unter- Wir können es nicht beeinfussen. Die Welt wird es dann höhlen, möglicherweise sogar zu zerstören. Ich weiß, im schon von selber richten“, das ist das Fatale. Wir müs- Kern geht es in diesem Abkommen um die Frage der nu- sen diese Region mit ihren Menschen, die dort sind und klearen Bewafnung, aber es stellt auch eine Grundlage, die hierherkommen, verstehen, um mit ihnen gemeinsam eine Chance dar, mit dem Iran über regionale Fragen ins nach Lösungen zu suchen und sie zu fnden. Gespräch zu kommen. Meine Damen und Herren, genau das müssen wir machen. Darum geht es doch: um die Besten Dank für die Aufmerksamkeit. Möglichkeit, die vorhandenen Dialogkorridore zu nut- zen. Das ist die Politik, die wir vonseiten unserer Frak- (Beifall bei der CDU/CSU) tion in diesen letzten vier Jahren stets unterstützt haben. 166 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 3 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 22 November 2017

Niels Annen (A) Es ist der richtige Weg. Es gibt keine kurzfristige Lösung Beitrag dazu leisten, dass es nicht wieder zu einer ofe- (C) für diese Situation. nen Kampfhandlung kommt. Diese Soldatinnen und Sol- daten, meine Damen und Herren, lieber Herr Gauland, Ich will auch – wie einige Vorredner – das Beispiel riskieren dort auch ihr Leben. Das hätten Sie vielleicht Libanon herausgreifen. Was ist in diesem kleinen Land auch einmal erwähnen können. Aber Sie sind ja mehr mit in den letzten Jahren geschehen? Häufg haben wir hier Kaiser Wilhelm beschäftigt als mit der aktuellen Situa- darüber geredet, welche enorme Leistung dieses fragilen tion. Staates es gewesen ist, so viele Flüchtlinge aufzuneh- men. Trotz dieser massiven innenpolitischen Spannung, Ich danke für die Aufmerksamkeit. der ökonomischen Belastung, eines Krieges an der Gren- ze dieses Landes mit Auswirkungen und einer Verwick- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten lung eigener Staatsbürger – Stichwort „Hisbollah“ – ist der LINKEN) es in den letzten Monaten doch gelungen, Fortschritte zu machen. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Wenn man das, was die Libanesen hinter sich haben, Herzlichen Dank. – Als Nächster: Herr Armin-Paul als Sondierungsgespräche bezeichnen kann, dann ist das Hampel für die AfD, und es ist seine erste Rede im Deut- hier eine kurze Theatervorstellung gewesen. schen Bundestag. (Heiterkeit des Bundesministers Sigmar (Beifall bei der AfD) Gabriel [SPD]) Aber am Ende haben die einen Präsidenten gewählt, ha- Armin-Paulus Hampel (AfD): ben einen Ministerpräsidenten gewählt, haben sich auf Herr Präsident! Verehrte Kollegen! In den Zeiten mei- einen Parlamentspräsidenten verständigt. ner Jugend zählte Deutschland unangefochten zu den Freunden der arabischen Völker des Nahen Ostens. (Zuruf von der FDP: Können wir ja auch machen!) (Niels Annen [SPD]: War das auch im Kai- serreich?) Die, die die Diversität dieses Landes widerspiegeln, ha- ben eine fragile, aber doch erstaunlich belastbare Stabili- Als junger Mann trug ich den verehrten Professor Georg tät hinbekommen. Garbotz von der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen zu Grabe, der im Ersten Weltkrieg Ich will eines noch einmal sagen – ich bin dem Außen- für die Philipp Holzmann AG am Ausbau der Bagdad- minister dankbar, dass er das auch öfentlich in Richtung bahn beteiligt war. Später, in meinem journalistischen (B) Riad formuliert hat –: Wer glaubt, durch Druck und äu- Beruf, begleitete ich oft genug den damaligen Außen- (D) ßere Einmischung eine Schwächung der Hisbollah errei- minister Hans-Dietrich Genscher auch auf Reisen in chen zu können, wenn dieses libanesische Arrangement den Nahen Osten. Hans-Dietrich Genscher, meine Da- kollabiert, der irrt sich, meine Damen und Herren. men und Herren, war ein Meister des diplomatischen (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Omid Geschicks und der Konversation. Manchmal reichte bei Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) ihm ein Hochziehen der Augenbraue aus – da brauchte er nichts zu sagen –, um auszudrücken, in welche Richtung Das Gegenteil wird der Fall sein. Deswegen unterstützen er tendierte. Wenn wir dieses Geschick heute refektie- wir diese Politik. ren, dann kann man nur feststellen – mein Respekt an Ich will auch auf Folgendes hinweisen: Wer hat sich die FDP; zumindest an ihre Geschichte –: Diese Kunst denn in den letzten Wochen, als diese Eskalation drohte gibt es heute in der Form leider nicht mehr. Sie ist uns tatsächlich zu einem ofenen Krieg zu werden, der Sache verloren gegangen. angenommen? Eigentlich war das der französische Präsi- Herr Gabriel, mit Ihrer Brüskierung Saudi-Arabiens – dent mit seiner spontanen Reise und der nicht unschlauen übrigens ein Land, dem auch die AfD äußerst kritisch Idee, Herrn Hariri nach Paris einzuladen, um dort eine gegenübersteht – haben Sie nicht nur für erhebliche Irri- Brücke zu bauen, die ihn im wahrsten Sinne des Wortes tationen gesorgt, nein, Sie haben auch die Bemühungen jetzt wieder nach Beirut geführt hat. Und während Frau unseres Nachbarn Frankreich torpediert. Im Gegensatz Merkel hier anderweitig beschäftigt war, war es der deut- zur Bundesregierung hat der französische Staatspräsi- sche Außenminister, der etwas gemacht hat. dent auf jede rabulistische Rhetorik verzichtet, ist nach (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Saudi-Arabien gereist, hat mit den Saudis geredet, sich aufklären lassen und danach genauso konsequent den li- Das zeigt uns ja auch noch einmal: Die Welt wartet banesischen Ministerpräsidenten inklusive Familie nach nicht darauf, dass wir hier zu Potte kommen. Ich will Paris eingeladen, um ein Zeichen zu setzen, dass der auch einmal ganz vorsichtig darauf hinweisen: Wenn hier Mann sicher ist und alle anderen Behauptungen falsch der Eindruck erweckt wird, wir hätten mit dem gar nichts sind. Das ist kluge Politik. Sie haben letztendlich die zu tun, ist das falsch. Herr Gauland, das betrift übrigens französische Politik und damit das, was wir wollen, näm- auch die Frage Israel: Es war der heutige Bundespräsi- lich dass Europa gemeinsam agiert, konterkariert. Sie dent in seiner damaligen Funktion als Bundesaußenmi- sind dem französischen Präsidenten quasi in den Rücken nister, der auch auf Bitten der israelischen Regierung mit gefallen. dafür gesorgt hat, dass heute deutsche Soldatinnen und Soldaten unter dem UNIFIL-Mandat im Libanon einen (Lachen bei Abgeordneten der SPD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2017 167

Armin-Paulus Hampel (A) – Da lachen Sie. Es stimmt aber. Politik im deutschen Interesse sein muss. Wir halten (C) das für selbstverständlich. Der frühere Außenminister Frau von der Leyen hat heute ein Bild gezeichnet – Steinmeier hat einmal gesagt: Es gibt keine deutsche Po- da gebe ich meinem Freund Alexander Gauland völlig litik mehr, es gibt nur noch eine europäische Außenpo- recht –, als würde an unserem deutschen militärischen litik. – Das Gelächter in den europäischen Städten hätte Wesen die Welt genesen. Was wir alles im Irak erreicht ich gerne gehört; denn sie alle machen erst einmal auch haben! Meine Damen und Herren, da darf ich Sie auf den in Brüssel Politik im nationalen Interesse. Da es keine Teppich holen. Es stimmt, was Herr Gauland gesagt hat. andere deutsche Regierung mehr gibt, bin ich der Über- Auch der Blick in die Geschichte belegt es, und zwar zeugung, dass wir erst einmal in unserem eigenen Inte- sind es die Jahre 1917 f. Vielleicht sollten Sie sich das resse Außenpolitik gestalten müssen, weil es sonst kein einmal durchlesen. Das, was wir heute an Konfikten ha- anderer für uns tut. ben, ist mit Sicherheit nicht durch deutsche Aktivitäten in den letzten 100 Jahren entstanden, sondern es ist durch (Beifall bei der AfD) eine französische und vor allem eine britische Kolonial- politik entstanden, und wir räumen heute den kolonialen Schrott der Geschichte auf. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Herr Kollege, erlauben Sie mir eine kurze Bemerkung: (Beifall bei der AfD) Das Blinken vor Ihnen ist keine elektrische Störung, son- Später folgten Interventionen der Vereinigten Staaten dern verdeutlicht den stillen Wunsch des Präsidenten, von Amerika, die in einem Ausmaß die arabische Welt dass Sie mit Ihrer Rede zum Ende kommen. verändert haben, wie wir uns das vor zehn Jahren nicht (Beifall bei Abgeordneten der SPD) hätten vorstellen können, meine Damen und Herren. Vor diesem Hintergrund müsste doch eine deutsche Bundes- regierung sagen: Ja, auch wir wollen uns mit unseren Armin-Paulus Hampel (AfD): guten Kontakten zu den arabischen Nachbarn engagie- Ich plädiere also dafür, dass wir von dem hohen Sockel ren, aber in der Reihenfolge, dass erst der postkoloniale herunterkommen. Sehen wir die Welt, wie sie ist, und Schrott von Briten und Franzosen aufgeräumt wird und nehmen wir sie nicht als ein Gutmenschentum an, wie vor allen Dingen die Verantwortung der Vereinigten Staa- Sie sie gestalten wollen. Wir allein als kleines Deutsch- ten von Amerika zur Geltung kommt. Sie haben das Un- land werden es nicht schafen. Stellen wir uns den Reali- heil im Nahen Osten als Erste angerichtet, im Irak, jetzt täten! Machen wir das, was Hans-Dietrich Genscher klug in Syrien und anderswo. Frau Merkel hätte schon Herrn gemacht hat: Machen wir Realpolitik! Obama die Leviten lesen müssen und sagen müssen, dass (B) wir die arabische Welt auf den Kopf stellen. Jetzt haben Im Übrigen, mit Blick auf Assad, meine Damen und (D) wir die Situation so, wie sie heute ist. Der Nahe Osten ist Herren – das ist mein letzter Satz, Herr Präsident –: Mit ein Pulverfass, das wissen Sie – heute noch viel mehr als dem gleichen Maßstab hätten wir seit den 1950er-Jahren, vor wenigen Jahren. von Konrad Adenauer bis zu Gorbatschow, keine Sow- jetpolitik machen können, nicht mit den Sowjets reden (Beifall bei der AfD) können, weil diese keine demokratischen Staaten waren, Wir haben leichtfertig eine kurdische Peschmerga un- genauso wenig wie Herr Assad demokratisch ist. Es hätte terstützt, mit Wafen, Ausbildung. Die Bundesregierung also keine deutsche Ostpolitik gegeben. muss sich fragen lassen: Wissen Sie heute, wo diese Waf- fen sind? Wissen Sie, wo sie eingesetzt werden? Diese Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Antwort bleiben Sie uns schuldig, weil man es nicht ge- nau sagen kann; einige Andeutungen wurden heute hier Herr Kollege, das war Ihr letzter Satz. Kommen Sie schon gemacht. Das heißt, die Bundesregierung trägt bitte zum Ende. durch diesen – wie wir fnden – falschen Schritt zu dem Konfikt, wie wir ihn jetzt haben, bei. Die irakische Na- Armin-Paulus Hampel (AfD): tionalregierung und die kurdische Unabhängigkeitsbe- Das wäre ein Fehler gewesen. Heute ist es wieder ein wegung haben schon die Wafen miteinander gekreuzt. Fehler. Lassen Sie uns Realpolitik machen! Das funkti- Wie die Entwicklung weitergeht, wissen wir nicht. Auf oniert. jeden Fall ist es gefährlich. Wir alle wissen, dass sich die Türken eine Entwicklung in diesem Raum ohne ihren Danke schön. Machteinfuss nicht gefallen lassen werden. Wir spielen also mit dem Feuer, und wir haben das wissentlich die (Beifall bei der AfD) gesamten Monate und Jahre unterstützt und haben eine Situation geschafen, für die wir in diesem Falle aller- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: dings mitverantwortlich sind. Es war nämlich die Politik der schwarz-roten Bundesregierung, die an dieser Eska- Das Präsidium war langmütig, weil es Ihre erste Rede lation beteiligt war. Sie wollen es nur nicht hören. war, aber es wird sich so nicht wiederholen. (Beifall bei der AfD) Als Nächster: Herr Roderich Kiesewetter von der CDU/CSU-Fraktion. Meine Damen und Herren, seit ihrem Bestehen hat die AfD eine Außenpolitik gefordert, die als Erstes eine (Beifall bei der CDU/CSU) 168 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 3 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 22 November 2017

(A) Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): indem wir zeigen, dass Europa die Region nicht im Stich (C) Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- lässt. Deswegen müssen der Bundesaußenminister und ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind soeben die Verteidigungsministerin in dieser Übergangszeit wieder Zeugen einer kaiserlichen Pulverfassrhetorik und intensiv zusammenarbeiten, damit wir in Europa hand- nationaler Verklärung geworden. Ich warne davor; denn lungsfähig bleiben; denn es geht hier um etwas. der heutige Tag bietet Anlass genug, nach vorne zu bli- Im Libanon sind rund 100 000 Raketen, hochmodern cken und auch ein paar innovative Ansätze vorzubringen. ausgerüstet vom Iran, auf Israel gerichtet. Viele von uns hier im Hause bauen auf das Nuklearabkommen mit Heute ist der 74. Jahrestag der Unabhängigkeit des Li- dem Iran und denken: Das führt zur Entspannung und zu banon. Einige von uns werden sich heute Abend sicher- wirtschaftlicher Zusammenarbeit und Prosperität. Leider lich in der libanesischen Botschaft wiedersehen. Einige wurde heute auch eine Äquidistanz zwischen Iran und Kollegen haben heute den Blick nach vorne gerichtet. Saudi-Arabien gefordert. Meine Damen und Herren, es Ich möchte ausdrücklich Norbert Röttgen, Alexander gibt einen Riesenunterschied zwischen Iran und Sau- Radwan und Omid Nouripour ansprechen. Der Blick di-Arabien: Saudi-Arabien beteiligt sich am Friedenspro- nach vorne heißt doch: Libanon und Irak sind Spielball zess mit Israel – nach zähem Ringen und harten Jahren –, schiitischer und auch sunnitischer Interessenpolitik ge- worden. Der Libanon ist kurz davor, zusammenzubre- (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- chen. Wir müssen alles tun, dass der Libanon nicht nur NEN]: Und fnanziert Salafsten in unseren erhalten bleibt, sondern dass dieses fragile Gebilde auch Fußgängerzonen!) im nächsten Jahr, im Mai, die vorgesehenen Parlaments- wahlen durchführt. Das ist die Politik, die wir brauchen. es verhindert ihn nicht. Aber der Iran ist nicht mal in der Da ist es ein ganz großer Fehler, wenn von der rechten Lage, das Existenzrecht Israels anzuerkennen. Seite dieses Hauses gesagt wird – gestern vom Fraktions- (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf des Abg. vorsitzenden und heute von einigen anderen wieder –, Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dass deutsche Außenpolitik auf die Grenzen Deutsch- NEN]) lands, bestenfalls vielleicht der Europäischen Union be- grenzt sein soll. Ich will ganz deutlich machen: Wer von Das sollten wir sehr deutlich unterscheiden. uns in den Flüchtlingslagern in Saatari, Jordanien, war oder in Zahlé in der Bekaa-Ebene oder in Gaziantep in Es wäre wirklich einen Versuch wert, uns zusammen- der Türkei oder in Dohuk und Sharia im Irak war, so wie zusetzen – die Europäische Union und diejenigen, die in ich und andere, weiß, was die Menschen dort bewegt: der Kontaktgruppe zum Thema Libanon auch das Sagen politische Verfolgung, ethnische Verfolgung, religiöse haben, wie Russland und China – und eine Abrüstungs- (B) Verfolgung. Unsere Aufgabe ist es, dort zu helfen. Das initiative in der Region auf den Weg zu bringen, also (D) geht nur mit einer europäisch abgestimmten Initiative. von europäischer Seite eine Initiative zu starten, damit der Iran einsieht, dass die ballistische Bedrohung Israels (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- durch die Hisbollah einzustellen ist. Das wäre die größ- ordneten der SPD und der FDP) te Abrüstungsinitiative, die der Nahe und Mittlere Osten je gesehen hat. Lasst uns dafür kämpfen. Das wäre eine Was haben wir in der Hand? Wir beraten die Mission deutsche Außenpolitik und eine Politik der Europäischen Counter Daesh. Wir haben unsere Ausbildungsmission Union, bei der wir nicht immer nur reagieren und in beraten. Demnächst werden wir UNIFIL beraten. Das hohem Maße Hilfsgelder zur Verfügung stellen müss- sind drei Missionen, die sich um den Libanon, Irak und ten – 10 Milliarden Euro für Syrien, 3,6 Milliarden Euro teilweise Syrien kümmern. Wir müssen diese Einsätze von Deutschland –, sondern in der Region prägend wir- zusammenfügen und strategischer betrachten. ken könnten. Es wäre ein Zeichen, dass wir nach vorne schauen und keine kaiserliche Abschottungspolitik be- Unsere Verteidigungsministerin hat in dieser und in treiben und auch kein Tor in Jerusalem zerstören, damit der letzten Woche europäische Instrumente vorange- der Kaiser durchreiten kann. bracht. Wir stärken die europäische Ständige Struktu- rierte Zusammenarbeit in den Bereichen Ausbildung, (Zuruf des Abg. Armin-Paulus Hampel Logistik, medizinische Versorgung. Wir tun dies bewusst [AfD]) zunächst bei weichen Themen. Entscheidend ist, dass wir verlässlicher Partner Israels Wir müssen alles tun, damit Eltern die Aussicht haben, bleiben und alle Partner in der Region, auch Saudi-Arabi- dass ihre Kinder in den Flüchtlingslagern die Schule be- en, ermutigen, den Friedensprozess mit Israel fortzuset- suchen und schreiben und lesen lernen; zen. Deshalb müssen wir auf der einen Seite Saudi-Ara- bien massiv kritisieren (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Aha! Hört! wir müssen eine gesunde Ernährung gewährleisten und Hört!) eine Bleibeperspektive schafen. Das tun wir nicht, in- dem wir unsere Grenzen schließen, sondern, indem wir und auch viele Rüstungsexporte überdenken. Wir dürfen herausgehen und uns dort mit unseren Missionen enga- aber auf der anderen Seite Saudi-Arabien nicht China und gieren; überlassen, sondern müssen die Rechtsstaatlich- keit und den Aufbau einer vernünftigen Zivilgesellschaft (Beifall bei der CDU/CSU) in Saudi-Arabien stärken. Wenn uns das gelänge, dann Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2017 169

Roderich Kiesewetter (A) wäre der heutige Tag nicht umsonst. Wir sollten in die- Krankenhäuser sind zerstört. Lebenswichtige Medika- (C) sem Parlament konstruktiv in die Zukunft denken. mente und Impfstofe bleiben an den Grenzübergängen hängen. Dadurch können nicht nur Kranke und Verwun- Herzlichen Dank. dete nicht behandelt werden, vielmehr drohen auch Mil- (Beifall bei der CDU/CSU) lionen von Kindern schwere Schäden durch Diphterie, also durch eine vermeidbare Krankheit, oder sie sterben Vizepräsident Wolfgang Kubicki: gar daran. Vielen Dank. – Als Nächstes für die SPD-Fraktion Deutschland beteiligt sich 2017 mit 125 Millionen Frau . Euro an der humanitären Hilfe für den Jemen, 2016 wa- ren es 33,3 Millionen Euro. Und wir wissen, dass wir (Beifall bei der SPD) uns 2018 wieder auf enorme Hilfsleistungen einstellen müssen. Das ist eine humanitäre Verpfichtung, und ich Gabriela Heinrich (SPD): hofe sehr, dass das alle hier im Deutschen Bundestag Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- auch weiter so sehen. ren! Kollegen und Kolleginnen! Wenn wir heute in der (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Aktuellen Stunde über den Nahen und Mittleren Osten DIE GRÜNEN) sprechen, dann müssen wir uns natürlich die Situation der Menschen ganz konkret bewusst machen. Wir hören, Der Konfikt kann natürlich nur politisch gelöst wer- dass der „Islamische Staat“ 95 Prozent seines Gebiets den. Die Forderung nach einer sofortigen Wafenruhe ge- verloren hat. Das ist erst mal eine gute Nachricht; aber hört ebenso dazu wie die Forderung an alle Konfiktpar- Frieden bedeutet es nicht, nicht in Syrien und auch nicht teien, das humanitäre Völkerrecht einzuhalten. Die im Irak. Es wird weiter gemordet, es wird weiter zerstört, humanitäre Hilfe muss auch ins Land kommen können. die medizinische Versorgung ist ausgesprochen schwie- Die Hilfsorganisationen im Jemen fordern, alle Häfen für rig, und die Kinder haben wenig Chancen auf Bildung humanitäre Hilfe, aber auch für kommerzielle Fracht zu und Ausbildung. Zukunft sieht anders aus. öfnen. Eine andere humanitäre Katastrophe und eine viel zu Aus Deutschland fordern unter anderem CARE, Ox- lange vergessene Krise fnden wir im Jemen; der Kollege fam, ADRA, Aktion gegen den Hunger, Ärzte ohne Gren- Nouripour hat völlig zu Recht einen Teil seiner Redezeit zen, Handicap International und World Relief dringend darauf verwendet. Auch ich fnde, dass es unfassbar ist, die sofortige Aufhebung der Blockade. Dem müssen wir dass wir uns mit diesem Thema so wenig beschäftigen, uns anschließen. Deutschland und die internationale Ge- dass es so wenig bekannt ist. Wenn man heute „Jemen“ meinschaft sind gefordert, auf Saudi-Arabien genauso (B) (D) googelt, dann erscheint als Erstes der Spendenaufruf wie auf den Iran einzuwirken. Sie müssen aufhören, Hä- von UNICEF und nicht Informationen zu diesem Land. fen zu blockieren und Konfiktparteien zu unterstützen. Schon vor der Krise – Sie haben es gesagt – war der Je- men das ärmste Land der Arabischen Halbinsel, betrof- Meine Damen und Herren, wir haben im letzten Jahr fen von Wasserknappheit und Dürre. Nun ist er Opfer viel darüber gesprochen, dass wir in der Welt Verantwor- eines Stellvertreterkriegs zwischen Iran und Saudi-Ara- tung übernehmen müssen. Die humanitäre Hilfe, auch bien und mittlerweile in einer völlig unübersichtlichen vom Deutschen Bundestag beschlossen, gehört dazu. Ich Lage, weil viele bewafnete Gruppen ihre ganz eigenen gehe davon aus, dass das weiter so bleiben wird und dass Ziele verfolgen. Die Bevölkerung muss das ausbaden: wir diese Verantwortung übernehmen werden. 10 000 Tote, davon 5 000 Zivilisten, 2 Millionen Men- Vielen Dank. schen als Binnenvertriebene, über 200 000 Menschen mussten bereits füchten. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Das Auswärtige Amt spricht völlig zu Recht von der größten humanitären Krise weltweit. Der Jemen zählt zu Vizepräsident Wolfgang Kubicki: den aktuellen vier Hungerkrisen – zusammen mit dem Südsudan, und Nordost-Nigeria. 7 Millionen Herzlichen Dank. – Als Nächstes: Dr. Johann Menschen – es wurde bereits gesagt – sind akut von Wadephul, Schleswig-Holstein, CDU/CSU-Fraktion. Hungersnot bedroht, 20 Millionen Menschen benötigen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Hilfsgüter, um zu überleben, 15 Millionen Menschen haben keinen ausreichenden Zugang zu Gesundheitsleis- Dr. Johann David Wadephul (CDU/CSU): tungen, und 16 Millionen Menschen haben kaum ausrei- Herr schleswig-holsteinischer Präsident! Liebe Kolle- chend Zugang zu sauberem Wasser. Und in dieser Situa- ginnen und Kollegen! Es ist betont worden, dass wir ak- tion blockiert Saudi-Arabien jetzt, seit fast zwei Wochen, tuell über eine Region diskutieren, die aus hiesiger Sicht fast alle Häfen, Flughäfen und Grenzübergänge. zu Recht als „nah“ bezeichnet wird. Es ist daher nicht Zahlen sind das eine, aber noch einmal: Was bedeu- nur ein Gebot der Humanität und der Mitmenschlichkeit, tet das konkret für die Menschen? Das bedeutet: Die dass wir uns um die geschundenen Menschen in dieser Cholera ist ausgebrochen. Das ist laut WHO die größte Region kümmern, sondern es ist ganz ofenkundig auch Choleraepidemie weltweit. Viele Menschen sind bereits in unserem ureigenen Interesse, Beiträge zur Befriedung qualvoll daran gestorben. Schwangere Frauen verlieren dieser Region zu leisten und nicht zu einer weiteren Es- ihre Babys, weil sie unterernährt und dehydriert sind. kalation beizutragen. 170 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 3 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 22 November 2017

Dr. Johann David Wadephul (A) Wenn von der AfD-Fraktion heute Nachmittag in die- Imperialismus in Syrien und im Libanon und erst recht (C) ser Debatte irgendetwas Richtiges gesagt wurde, dann keinen Angrif gegen Israel. – Das muss der Iran von uns war das dieser einzige Satz: Das wird Deutschland nicht deutlich zu hören bekommen. alleine können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Zuruf von der AfD: Danke!) ordneten der SPD und der FDP) – Bitte. – Vielmehr werden wir das nur in einem europä- In dieser Situation muss man sich auch als geschäfts- ischen Rahmen erreichen, liebe Kolleginnen und Kolle- führender Bundesaußenminister bewusst sein, mit wel- gen. Deswegen ist dies die Stunde, in der wir uns bewusst cher Wortwahl und welchem Setting man Anmerkungen sein müssen – auch in dieser Debatte über den Nahen und macht. Neben dem Außenminister des Libanon stehend, Mittleren Osten –: Wollen wir Europa stärken, oder wol- der der Hisbollah nahesteht, eine derartige Bemerkung len wir Europa nicht stärken? Wir werden in dieser Regi- zu machen, war nicht die hohe diplomatische Schule. Ich on als Deutsche – den Einfuss von 1917 und 2017 kann gehe davon aus, dass das vom Bundesaußenminister nicht man sowieso nicht miteinander vergleichen – überhaupt beabsichtigt gewesen ist und er Gelegenheit zur Korrek- nichts erreichen. Wir haben entweder als Europäer in die- tur fnden wird; denn es ist natürlich unser vornehmes ser Region Einfuss, oder wir haben keinen Einfuss, und Interesse, vernünftige Beziehungen zu Saudi-Arabien wir müssen Einfuss haben wollen, liebe Kolleginnen aufrechtzuerhalten. Das möchte ich abschließend sagen. und Kollegen. (Zuruf des Abg. Dr. [DIE (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- LINKE]) ordneten der FDP) Wir haben manches bereits zum Guten gewendet. Da kann man vieles kritisieren; aber es gibt immerhin Denken Sie nur an das Nuklearabkommen. Das Nuklear- auch in Saudi-Arabien erste Ansätze dafür, dass die Rech- abkommen mit dem Iran wäre ohne deutsche Beteiligung, te von Frauen besser gewahrt werden. Es gibt erste De- ohne europäische Beteiligung nicht zustande gekommen. mokratisierungsansätze und Anzeichen dafür, dass man Wenn nicht alles täuscht, dann wird dieses Abkommen sich vom Öl unabhängig machen will. Das sind wenige nur Bestand haben, wenn Europa sich für den Erhalt die- und zaghafte Ansätze. Aber mit einem reinen Verurteilen ses Abkommens einsetzt. Wir können nicht davon ausge- der Situation kommen wir nicht weiter. Wir müssen eine hen, dass die entscheidenden politischen Kräfte in Ame- Politik des Ausgleichs betreiben, und das gemeinsam mit rika dieses Abkommen verteidigen werden. Es liegt in den Europäern. dieser Situation in unserem Interesse – bei aller berech- (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Wo ist der tigten Kritik am Iran; dazu werde ich gleich noch zwei Ausgleich mit Russland?) (B) Sätze sagen –, dass dieses Abkommen erhalten bleibt; (D) denn es ist eine Voraussetzung dafür, dass man in dieser Der französische Präsident ist vorangegangen, hat Region zu einem Ausgleich kommt, es ist eine Vorausset- deeskalierend gewirkt. Es ist doch ein hofnungsfrohes zung dafür, dass dem Iran der Weg in die Völkergemein- Zeichen, dass Frankreich sich zurückgemeldet hat. Die- schaft geebnet wird. Es ist ein multilaterales Abkommen, ses Engagement verdient von deutscher Seite alle Unter- kein bilaterales Abkommen zwischen Washington und stützung. Wenn das das Ergebnis dieser Debatte ist, dann Teheran. Es ist auch ein europäisches Abkommen, und hat sie sich, fnde ich, in jeder Hinsicht gelohnt. deswegen stehen wir, solange dieses Abkommen einge- halten wird, zu diesem Abkommen. Das sollten wir so- Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. wohl in Teheran als auch in Washington deutlich artiku- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- lieren, liebe Kolleginnen und Kollegen. ordneten der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD und der FDP) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Aber man darf und muss dem Iran in dieser Situati- Vielen Dank. – Mit dem letzten Wort des Kollegen on auch sagen, dass der Iran, wenn wir dafür einstehen Dr . Wadepuhl ist die Aktuelle Stunde beendet. sollen, seiner Verantwortung für Frieden und Stabilität in der Region gerecht werden muss. Wir müssen sehen: Ich rufe Tagesordnungspunkt 13 auf: 13 Militärstandorte in Syrien, die der Iran dauerhaft auf- rechterhalten will, sind kein Beitrag zum Frieden in der Erste Beratung des von der Fraktion der SPD Region. Das Gleiche gilt für die ständige Unterstützung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur der Hisbollah mit einem Arsenal von Raketen, die bis Neuordnung der Einwanderung qualifzierter weit in die Negev-Wüste reichen – das ist von verschie- Fachkräfte (Einwanderungsgesetz – EinwG) denen Rednern angesprochen worden – und Israel akut Drucksache 19/44 bedrohen. Es gibt Einschätzungen – ob sie nun stimmen oder nicht; man muss sie aber zur Kenntnis nehmen –, Überweisungsvorschlag: nach denen ein Krieg zwischen Libanon und Israel kei- Hauptausschuss ne Frage des Ob, sondern eine Frage des Wann ist. In Erster Redner in der Aussprache ist Sebastian dieser Situation müssen wir dem Iran eindeutig sagen: Hartmann von der SPD. Stopp, an der Stelle erwarten wir von Teheran eine ver- antwortliche Politik, Abrüstung, einen Rückzug, keinen (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2017 171

(A) Sebastian Hartmann (SPD): Arbeitsmigration geregelt oder nicht geregelt. Das steht (C) Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten einem modernen Land wie Deutschland nicht gut zu Ge- Damen und Herren! „Neuordnung der Einwanderung sicht. Das müssen wir jetzt endlich anpacken. qualifzierter Fachkräfte“, so lautet der Titel der Debatte (Beifall bei der SPD) und des Gesetzentwurfes, den wir einbringen. Nun mag der geneigte Beobachter oder die geneigte Beobachterin Wir sind der Aufassung, dass wir neben dem huma- überrascht sein; denn man hätte ja durchaus schon we- nitären Recht im Rahmen der internationalen Verantwor- sentlich weiter sein können. Aber so ist das hier im Parla- tung und Völkerverständigung, dem Recht auf Asyl und ment, wenn man vier Jahre mit der Union regiert hat, als dem humanitären Fluchtrecht, eine weitere Säule brau- SPD-Bundestagsfraktion einen solchen Gesetzentwurf chen, die davon klar zu trennen ist. Wir müssen die Ar- im November 2016 – vor immerhin einem Jahr – ein- beitsmigration in diesem Land anders regeln, indem wir gebracht hat und die Union sich nicht dazu durchringen jedem Bewerber und jeder Bewerberin sagen: Du kannst konnte, endlich Verantwortung für das Land und eine anhand eines ordentlichen Punktesystems erkennen, ob moderne Einwanderungsgesellschaft zu übernehmen. du auf dem deutschen Arbeitsmarkt eine Chance hast, (Beifall bei der SPD) allerdings nur dann, wenn dies dem deutschen Arbeits- markt dient und die entsprechende Stelle unbesetzt ist. – Das beantwortet auch wesentliche Fragen, wenn es Das ist überfällig und trägt dazu bei, dass wir in unseren darum geht, warum man nicht einfach auf einen Knopf Rentenkassen zukünftig ein vernünftiges Umlagesystem drücken und sagen kann, die eine Große Koalition möge haben. doch die andere Große Koalition ablösen. Wenn man am Ende der Punkte angekommen ist und dies beim Thema Nach den statistischen Zahlen, die wir haben, geht Einwanderung, einem der zentralsten Bereiche, schon die Bevölkerung in Deutschland in den nächsten Jahr- vor einem Jahr deutlich gemacht hat, dann sieht man, zehnten dramatisch zurück. Uns werden 5 Millionen gut wo das Problem in diesem Haus ist, meine Damen und qualifzierte Arbeitskräfte fehlen, die einen Beitrag dazu Herren. leisten könnten, dass es in Deutschland auch zukünftig ein vernünftiges Wirtschaftswachstum gibt. In diesem (Beifall bei der SPD) Bereich setzen wir an. Wir hätten das bereits vor einem Wir haben diesen Gesetzentwurf erneut eingebracht, Jahr beschließen können, meine Damen und Herren. Vor weil es ein taktisches Umfallen der Unionsfraktion gab, einem Jahr lag dieser Gesetzentwurf nämlich schon vor. als es darum ging, Jamaika zu ermöglichen. Plötzlich hieß Die Debatte ist im Juni dieses Jahres noch einmal aufge- es: Ja, auch wir sind, was die Fachkräftezuwanderung an- nommen worden. Wir hätten schon am Ende der Evaluie- rung sein können, um dieses Gesetz weiterzuentwickeln. (B) geht, ofen. Wenn Jamaika daran scheitern sollte, dann (D) sind wir bereit, einen entsprechenden Gesetzentwurf Lassen Sie uns die Bremsklötze beiseiteschieben! Stim- zu erarbeiten. – Wir haben uns nun gedacht: Das kann men Sie endlich zu! Die Union ist ja schon bei Jamaika man auch einfacher haben; denn der Gesetzentwurf der umgefallen. Auf ans Werk! Beschließen wir diesen Ge- SPD-Bundestagsfraktion liegt dem Hohen Hause schon setzentwurf! Auf geht’s! Wir schafen das! seit einem Jahr vor, und er ist an der Union gescheitert. Danke. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Es hätte vielleicht auch für die FDP manches einfa- cher gemacht, den Fehler aus dem Jahr 2003 zu korri- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: gieren, als die CDU/CSU und die FDP das wegweisende Zuwanderungsgesetz, das Rot-Grün damals vorgelegt Herzlichen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, hat, verhindert haben. Es ist damals an Ihren Stimmen es gab eine Nachlässigkeit, und ich muss etwas nachho- gescheitert. Jetzt könnte das gemacht werden. len. Ich habe versäumt, darauf hinzuweisen, dass nach einer interfraktionellen Vereinbarung für diese Ausspra- Aber es ist niemand daran gehindert, klüger zu wer- che 38 Minuten vorgesehen sind, von denen der Kollege den. Wenn die Wortmeldungen in den vergangenen Ta- gerade einige verbraucht hat. – Ich höre keinen Wider- gen stimmen und nicht nachträglich der Einordnung spruch zu dieser Vereinbarung. Dann ist das so beschlos- des eigenen Scheiterns dienen sollen, dann müsste es in sen. diesem Parlament eine sehr breite Mehrheit für die Neu- ordnung der Zuwanderung im Hinblick auf die Arbeits- Als Nächstes für die CDU/CSU der Kollege Stephan migration geben. Mayer. (Beifall bei der SPD – [SPD]: (Beifall bei der CDU/CSU) Ganz recht!) Wir von der SPD wollen diesen Schritt nun gehen. Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Wir laden Sie herzlich dazu ein, diesen Gesetzentwurf Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kollegin- zu beraten und ihn dann mit uns zu beschließen. Wir nen und Kollegen! Zu diesem Gesetzentwurf kann man haben uns darauf verständigt, einen schlanken Entwurf nur sagen: alter Wein in neuen Schläuchen. einzubringen. Nukleus soll sein, dass das getan wird, was überfällig ist: In über 50 Aufenthaltstiteln, verteilt ( [SPD]: Guter Wein! – auf Gesetze und Verordnungen, ist die Zuwanderung der Weitere Zurufe von der SPD) 172 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 3 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 22 November 2017

Stephan Mayer (Altötting) (A) Die Debatte über ein Punktesystem ist nun wirklich haben den Gesetzentwurf entsprechend ange- (C) nichts Neues. Ganz im Gegenteil: Schon bei der Debatte passt!) über das Zuwanderungsgesetz vor 15 Jahren hat sich der Deutsche Bundestag über die Sinnhaftigkeit eines Punk- Wir tun das sehr wohl. Wir von der CDU/CSU wollen, tesystems unterhalten. Er hat es damals zu Recht verwor- dass eine Zuwanderung in den Arbeitsmarkt erfolgt und fen und abgelehnt. nicht ins Arbeitsamt. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, auch (Beifall bei der CDU/CSU) im Juni dieses Jahres haben wir uns auf einen Vorschlag der Grünen hin mit einem Punktesystem beschäftigt. Da- Wir wollen, dass die Arbeitgeber, die Unternehmer, ent- bei schwingt immer der Vorwurf mit, Deutschland sei scheiden, wer für sie der richtige Mitarbeiter oder die ein unattraktives Zuwanderungsland für Fachkräfte. Das richtige Mitarbeiterin ist, und nicht, dass mittels eines Gegenteil ist der Fall. Die OECD bescheinigt uns, heute hochkomplexen Punktesystems entschieden wird, wer eines der modernsten und fortschrittlichsten Zuwande- nach Deutschland kommen darf, ohne dass er einen kon- rungsgesetze zu haben. Wir haben insbesondere in den kreten Arbeitsvertrag in der Tasche hat. Jahren 2012 und 2013 unser System der Ausbildungs- und Arbeitsmigration grundlegend neu strukturiert. Ich ( [SPD]: Hallo! Sie haben noch glaube, man kann wirklich mit Fug und Recht behaupten: den alten Antrag! – Andrea Nahles [SPD]: Das Deutschland ist ein hochattraktives Zuwanderungsland ist ein alter Antrag! Lesen Sie mal! – Burkhard für Fachkräfte. Lischka [SPD]: Super einfach! Das verstehe ich sogar!) Allein im letzten Jahr sind 204 000 Aufenthaltserlaub- nisse zum Zwecke der Ausbildung und der Erwerbstätig- Apropos „komplex“, meine sehr verehrten Kollegin- keit an Drittstaatsangehörige erteilt worden, und dieser nen und Kollegen von der SPD. Sie haben ein Punktesys- Trend setzt sich fort. In den ersten drei Monaten dieses tem entwickelt, das mindestens sechs Parameter umfasst. Jahres waren es alleine 65 000 Arbeitserlaubnisse für Nach dem in Deutschland geltenden Zuwanderungsrecht Drittstaatsangehörige, also für Nicht-EU-Ausländer. Zu ist es im Grunde wesentlich einfacher. Es gibt für hoch- dieser schon sehr starken Zuwanderung aus dem nichteu- qualifzierte Fachkräfte aus dem nichteuropäischen Aus- ropäischen Ausland kommt die Binnenmigration inner- land nämlich nur zwei Voraussetzungen, die zu erfüllen halb der Europäischen Union, auf die wir keinen Einfuss sind. Die erste Voraussetzung ist ein abgeschlossenes haben. Allein im letzten Jahr kamen 634 000 Menschen Hochschulstudium, das einem deutschen Hochschulstu- aus den anderen 27 EU-Ländern nach Deutschland, und dium entspricht. Die zweite Voraussetzung ist ein Min- desteinkommen von normalerweise etwa 50 000 Euro, (B) allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres waren es (D) 153 000 EU-Bürger. Man sieht also sehr wohl, dass unser bei Mangelberufen sogar nur von ungefähr 39 000 Euro. Zuwanderungsrecht funktioniert und in der Lage ist, dem Ich sage dazu mit sehr viel Ernsthaftigkeit: Das ist aus Bedarf Rechnung zu tragen. meiner Sicht nur recht und billig. Wir wollen nämlich nicht, dass sich die Wirtschaft oder die Industrie im Schauen wir nur einmal auf die EU-Bluecard-Richt- Wege der Zuwanderung aus nichteuropäischen Ländern linie. Es ist doch hochinteressant, dass 80 Prozent der in billige Arbeitskräfte holt, um die hier ohnehin teilweise der Europäischen Union erteilten EU-Bluecard-Aufent- sehr angespannte Situation auf dem Arbeitsmarkt noch haltstitel in Deutschland erteilt wurden. Wir haben hier zu verschärfen. in den letzten Jahren einen deutlichen Anstieg der Zahl der Bluecard-Inhaber zu verzeichnen. Zum 31. März (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und 2015 waren knapp 22 000 Bluecard-Inhaber in unse- der AfD – Burkhard Lischka [SPD]: Dafür ha- rem Land, Ende Oktober dieses Jahres waren es bereits ben wir auch Vorsorge getrofen!) 58 000 hochqualifzierte Drittstaatsangehörige, die mit- tels einer Bluecard nach Deutschland gekommen sind. Wir haben im Grunde genommen ein Zweipunktesystem, und Sie wollen es in ein Sechspunktesystem deutlich ver- Wenn Sie, meine Kolleginnen und Kollegen von der schärfen. Deshalb ist Ihr Modell eine Mogelpackung. Es SPD, hier wieder stereotyp auf das kanadische Modell ist überhaupt nicht dazu geeignet, unser Zuwanderungs- abheben, dann muss man Ihnen ganz deutlich entgegnen: recht, unser Migrationsrecht einfacher zu machen. Die Kanadier haben ihr Punktesystem grundlegend über- arbeitet, Wir haben ein sehr modernes Zuwanderungsrecht, das (Zurufe von der SPD) an der einen oder anderen Stelle vielleicht noch trans- parenter und auch besser verständlich gemacht werden und zwar dahin gehend, dass die erforderliche Punk- muss. Ich bin der festen Überzeugung, dass es richtig ist, teanzahl de facto nur erreicht werden kann, wenn ein dass wir als Union uns sowohl in unserem Regierungs- konkreter Arbeitsplatz nachgewiesen wird. Hier fndet programm als auch in unseren jetzigen Überlegungen für sich in Ihrem Gesetzentwurf schon einmal ein ganz kon- eine Modernisierung der Fachkräftezuwanderung stark- kreter Fehler; denn Sie knüpfen die Zuwanderung nach machen; Deutschland nicht an den Nachweis eines konkreten Ar- beitsplatzes. (Dagmar Ziegler [SPD]: Also doch!) (Andrea Nahles [SPD]: Doch! Lesen Sie mal denn nach dem deutschen Aufenthaltsrecht gibt es derzeit den Text! – Sebastian Hartmann [SPD]: Wir über 50 verschiedene Möglichkeiten, aus dem nichteuro- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2017 173

Stephan Mayer (Altötting) (A) päischen Ausland legal nach Deutschland zu kommen. bräuchte Deutschland in der ersten Jahrhunderthälfte (C) Das ist zugegebenermaßen nicht ganz einfach. für eine konstante Menge Erwerbsfähiger 25 Millionen Migranten, also 500 000 pro Jahr. So viele Qualifzierte (Dagmar Ziegler [SPD]: Sie widersprechen wird es aber schlicht nicht geben. Migration löst hier das sich innerhalb von drei Sätzen!) demografsche Problem nicht. Nebenbei bemerkt ist es generell so, dass deutsches (Beifall bei der AfD) Recht nicht immer ganz einfach ist. Die Flutung mit Geringqualifzierten plus geplantem Fa- (Andrea Nahles [SPD]: Richtig! Das kann miliennachzug stabilisiert nicht Arbeitsmarkt und Ren- man aber ändern!) tensystem, Aber ich glaube, dass es durchaus überlegenswert ist, un- ( [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ ser Aufenthalts- und Zuwanderungsrecht leichter lesbar DIE GRÜNEN]: Flutung?) und leichter verständlich zu machen, vor allem auch für kleinere und mittlere Unternehmen. sondern erhöht Arbeitslosigkeit und Sozialleistungsbe- zug, noch dazu in einer zunehmend digitalisierten Ar- (Dagmar Ziegler [SPD]: Und für die CDU!) beitswelt. Zielführend wäre die Erhöhung der Geburten- Es ist in der heutigen Zeit relativ schwer für einen rate. Handwerker, ein kleines Dienstleistungsunternehmen (Widerspruch bei der SPD, der LINKEN und oder ein kleines mittelständisches Unternehmen, in Süd- dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lisa ostasien den Fachmann oder die Fachfrau zu suchen, Badum [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mut- die im Unternehmen benötigt wird. Deswegen sind aus terkreuz! – Stef Lemke [BÜNDNIS 90/DIE meiner Sicht auch die Verbände sehr stark gefordert; ich GRÜNEN]: Machen Sie doch mal ein Gesetz denke dabei vor allem an die Außenhandelskammern. Ich dazu! Erhöhung der Geburtenrate! Fünf Kin- sehe aber durchaus auch den Staat bzw. unsere Botschaf- der pro Frau!) ten und unsere Generalkonsulate gefordert, noch mehr Werbung für unser Zuwanderungsrecht zu machen und Eine aktivierende Familienpolitik, wie von uns gefordert, unser Zuwanderungsrecht insgesamt leichter lesbar und wäre vorrangig, statt das eigene Volk auszutauschen. Das leichter verständlich zu machen. heißt: Milliarden für unsere Familien statt für Alimentati- on und Integration erst nicht bleibeberechtigter oder jetzt Es gibt hier aber schon sehr gute Ansätze. Ich möchte nicht vermittelbarer Migranten. nur das Internetportal „Make it in “ erwähnen. Aber man kann hier zugegebenermaßen noch mehr ma- Die SPD räumt ein, dass in Deutschland kein allge- (B) chen. Das Punktesystem, so wie Sie, meine sehr verehr- meiner Arbeitskräftemangel herrscht, wohl aber im Be- (D) ten Kolleginnen und Kollegen von der SPD, es vorschla- reich „Technik und IT“. Wer dächte da nicht zuerst an gen, ist anachronistisch. minderqualifzierte Bewerber ohne Sprachkenntnisse aus Innerafrika und der muslimischen Welt? Es soll nämlich (Andrea Nahles [SPD]: Anachronistisch ist, die bisherige illegale Migration jetzt per Umdeklaration was Sie da erzählen! – Dagmar Ziegler [SPD]: legalisiert werden. Sie widersprechen sich alle zwei Minuten!) (Beifall bei der AfD) Das ist ein Punktesystem von gestern. Wir brauchen ein modernes, zukunftsweisendes Zuwanderungsrecht. Wir Denn für wen wird das Ganze veranstaltet? Laut SPD-Pa- haben ein sehr gutes Aufenthaltsgesetz und werden die- pier soll Einwanderung die Interessen beider Seiten ge- ses in der laufenden Legislaturperiode weiterentwickeln. stalten. Gemeint sind wohl einerseits die Interessen der Darauf freue ich mich. bisherigen Wirtschaftsscheinasylanten, die jetzt mit ei- nem neuen Etikett versehen werden sollen, Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Widerspruch der Abg. Claudia Roth [Augs- (Beifall bei der CDU/CSU) burg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) und andererseits die der UN-Ideologen, die mittels welt- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: weiter Massenmigration gewachsene Nationalstaaten Vielen Dank. – Als Nächstes hat Dr. Gottfried Curio aufösen wollen. von der AfD das Wort zu seiner ersten Rede. Dafür soll es jetzt ein jährliches Einwanderungskon- (Beifall bei der AfD) tingent geben. Qualifzierte Arbeitnehmer, (Andrea Nahles [SPD]: Qualifziert sind auch Dr. Gottfried Curio (AfD): Leute, die keine akademischen Abschlüsse ha- Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeord- ben!) nete! Die SPD will mit ihrem Vorschlag zum Einwan- die über das Bluecard-System einwandern, können na- derungsgesetz die demografsche Lücke an qualifzierten türlich gern ihren Beitrag leisten, wo er dem deutschen Arbeitskräften schließen und ungeordnete Zuwanderung steuern. Beide Ziele werden verfehlt. Interesse dient. Aber die Aufenthaltserlaubnis nach Punktesystem, wie im SPD-Entwurf gestaltet, ist nichts Ein hoher Einwanderungssaldo kann die demogra- anderes als die Pervertierung dieser Idee. Dabei geht es fsche Schrumpfung kaum kompensieren. Laut UN etwa um Integrationsaspekte. Positiv zählt, wenn jemand 174 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 3 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 22 November 2017

Dr. Gottfried Curio (A) eine Beziehung zu Deutschland hat. Etwa: Die Ver- Soll das deutsche Volk durch Masseneinbürgerung von (C) wandtschaft ist schon hier. – Mit anderen Worten: Das nichtqualifzierten Fremdstaatlern aller Kulturen dem- wird ein Familiennachzugsprogramm für unsere hiesigen nächst mittels Wahlrecht entmündigt werden? Parallelgesellschaften, (Beifall bei der AfD) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. ein Aufbauprogramm für Clanbildung, komplett antiin- tegrativ. Dr. Gottfried Curio (AfD): Was wollen die Genossen noch? Leichtere Anerken- Die AfD wird als Sachwalter der Interessen der deut- nung von ausländischen Abschlüssen, Feststellung der schen Bürger hier entschlossen parlamentarischen Wi- Vergleichbarkeit von Qualifkationen erst nach Einreise. derstand leisten. Und vorher? Verschenken wir die Punkte nach Treu und Glauben? Ich danke Ihnen. (Zuruf von der SPD: Nein!) (Beifall bei der AfD – Abgeordnete der AfD erheben sich) Zum Thema Migrationssteuerung: Was wäre denn der Unterschied zur jetzigen unkontrollierten Massenzuwan- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: derung? Jetzt sagt der Migrant: Syrien, Asyl. – Der neue Eingeladene sagt: Fachabschluss, Ausbildung. – Beide Liebe Kolleginnen und Kollegen, manchmal ist das so werden ohne Nachweis reingelassen und erst im Inne- eine Sache mit der Meinungsfreiheit. ren überprüft. Der eine, nach langen Widerspruchsver- Ich rufe jetzt den Kollegen Stephan Thomae von den fahren, berechtigt oder nicht: Er bleibt. Der andere, nach Freien Demokraten auf. einjähriger Jobsuche, erfolgreich oder nicht: Er bleibt, die Aufenthaltsgenehmigung wird verlängert. Wenn er (Beifall bei der FDP) Arbeit aufnimmt, erfolgt sofort der Familiennachzug – ohne Sprachkenntnisse – und nach drei Jahren schon die Stephan Thomae (FDP): Niederlassungserlaubnis. Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen! Verehrte Kolle- gen! Ich will versuchen, das, was wir soeben gehört ha- Und beide Migrationsströme sollen nebeneinander ben, in den großen historischen Kontext unseres Landes bestehen bleiben. Das ist eine Ausweitung unserer Pro- zu stellen, bleme: (B) (Zurufe von der AfD: Oh!) (D) (Beifall bei der AfD) und in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass neben weiterhin ungesteuerter Asylmissbrauchsmigrati- Deutschland schon immer ein Einwanderungsland gewe- on jetzt auch noch Arbeitnehmerimport auf Verdachts- sen ist. qualifkation ohne entsprechendes Arbeitsplatzangebot, (Beifall bei der FDP, der SPD, der LINKEN (Beifall bei der AfD – Zurufe von der LIN- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie KEN) bei Abgeordneten der CDU/CSU) ohne Sicherung des Lebensunterhalts bei Qualifkation Wenn wir in der Geschichte zurückgehen, stellen wir „nur informell erworben“. Immer erst einmal alle rein, fest, dass Einwanderer dieses Land schon immer mit ge- der ganze Import als sogenanntes Potenzial! Der Steuer- prägt haben, seien es die Hugenotten im 17. Jahrhundert, zahler wird sich freuen über so ein Potenzial – an Versor- gungsfällen. (Dietmar Friedhof [AfD]: Und die DDR-Bürger!) (Beifall bei der AfD) Menschen aus Polen im 19. Jahrhundert, Menschen aus Und wenn es ein Arbeitsplatzangebot gibt, soll es keine Südeuropa im 20. Jahrhundert, die von dem Wirtschafts- Vorrangprüfung mehr geben, aus Efzienzgründen. Ob wunder dieses Landes angelockt wurden. Auch ohne hier Deutsche oder EU-Bürger das machen könnten, egal. geboren zu sein, haben viele Menschen dieses Land mit Eine unfassbare Unsolidarität gegenüber den eigenen geprägt, mit entwickelt, für Wohlstand und Stabilität in Leuten! Hauptsache, die UN-Replacement-Migration diesem Land gesorgt. kommt voran, efzient voran! (Beifall bei der FDP, der SPD, der LINKEN (Beifall bei Abgeordneten der AfD) und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das letzte Ziel sei, laut SPD-Entwurf, ein rechtlicher Deswegen muss man gar keine Angst vor Einwanderung Rahmen für eine deutsche Einwanderungsgesellschaft haben. Unsere Gesellschaft schrumpft und altert ohne und – man höre – eine Reform des Staatsbürgerschafts- Zuwanderung. Angesichts unseres Fachkräftebedarfs ist rechts, die letzte Säule deutscher Selbstbestimmung. es sinnvoll, unser Land für Zuwanderer und Einwanderer zu öfnen, wenn sie einen Beitrag zu Wohlstand und Sta- (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Lachen bilität leisten können. bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2017 175

Stephan Thomae (A) Natürlich muss es dafür Regeln geben. Die Regeln, serer Sicht reicht es auch nicht, dass es „einen legalen (C) die im Gesetzentwurf der SPD zu fnden sind, Herr Kol- Einwanderungsweg für Drittstaatsangehörige unterhalb lege Hartmann, gehen aus unserer Sicht durchaus in die der Voraussetzungen der Blauen Karte EU“, wie es im richtige Richtung. Erlauben Sie mir als Rechtspolitiker Gesetzentwurf heißt, geben soll. Wir meinen, dass die den Hinweis, dass das Urheberrecht dieser Gedanken bei Regelungen betrefend die Blaue Karte EU grundlegend der FDP anzusiedeln ist. reformiert und in einem Einwanderungsgesetz zusam- mengeführt werden müssen. Dabei sollten Asylbewerber (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Lachen und Asylberechtigte, Flüchtlinge aus Bürgerkriegs- und bei der SPD) Kriegsgebieten sowie Fachkräfte, die zu uns kommen Peter Caesar hat bereits in den 90er-Jahren als Justizmi- wollen, gleichermaßen berücksichtigt werden. nister in Rheinland-Pfalz einen Entwurf vorgelegt, der in (Beifall bei der FDP) diese Richtung geht. Aus unserer Sicht wäre es sinnvoll, eine Reform der (Dr. [FDP]: 1997!) Blue-Card-Regelungen für Einwanderer mit Arbeitsplatz­ Sie haben ihn weiterentwickelt. Aber ich will darauf hin- angebot durchzuführen und parallel dazu ein Punktesys- weisen, dass von unserer Seite schon immer eine Ofen- tem für Einwanderer ohne Arbeitsplatzangebot einzufüh- heit für diese Themen bestanden hat. ren. Das entspräche unseren Vorstellungen. Aber ohne Zweifel ist es Ihr Vorschlag wert, im Hauptausschuss be- (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Aus Rhein- handelt zu werden. Deswegen stimmen wir für die Über- land-Pfalz!) weisung und eine eingehende Beratung. Vielen Dank. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Herr Kollege, erlauben Sie mir eine kurze Unterbre- (Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei chung Ihrer Rede, weil meiner Bitte, im Plenarsaal nicht Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE zu fotograferen, ausgerechnet von zwei Mitgliedern GRÜNEN) meiner Fraktion nicht entsprochen wurde. Ich weise noch einmal darauf hin, dass das Fotograferen im Plenarsaal Vizepräsident Wolfgang Kubicki: nach Beschluss des Präsidiums untersagt ist. Der Nächs- te, den ich erwische, bekommt einen Ordnungsruf. Herzlichen Dank, Herr Kollege Thomae. – Als Nächs- tes – ich hofe, dass ich den Namen richtig ausspreche – (Beifall des Abg. [AfD]) hat Zaklin Nastic das Wort für die Fraktion Die Linke. (B) (Beifall bei der LINKEN) (D) Stephan Thomae (FDP): Lassen Sie mich einen Blick auf Ihren Gesetzentwurf Zaklin Nastic (DIE LINKE): werfen, in dem Sie ein Punktesystem entwickeln. Grund- lage sind verschiedene Kriterien wie Berufsqualifkation, Vielen Dank, Herr Präsident. Sie sehen, so kann Inte- Sprachkenntnisse, Alter, Integrationsaspekte, Berufser- gration funktionieren. fahrung und Vorliegen eines Arbeitsplatzangebotes. Das (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN, der sind gute Ansätze. Ich will nur beim Thema Integrations­ SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) aspekte auf Folgendes hinweisen: Es ist sicherlich rich- tig, dass Menschen, die unter anderen Aspekten ins Land Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Brain be- gekommen sind – zum Beispiel weil sie Schutz vor Ver- deutet auf Deutsch Hirn, Wissen. Drain bedeutet „aus- folgung oder vor Krieg und Bürgerkrieg gesucht haben –, saugen“ und „auszehren“. Braindrain bedeutet also einen Integrationsvorsprung vorweisen können. Das soll nichts anderes, als den armen Staaten dieser Welt ihr aus- aber nicht zum Nachteil solcher Menschen gereichen, die gebildetes Potenzial auszusaugen, Ingenieure dort abzu- sich von ihrer Heimat aus bewerben und einen solchen ziehen, wo Brücken über reißende Flüsse gebaut werden Integrationsvorsprung nicht besitzen können. Hier gibt es müssen, Ärzte dort wegzuholen, wo Babys von Stechmü- ein paar Punkte, über die wir gerne noch einmal disku- cken übersäht sind und Hunderttausende HIV-infziert tieren möchten. Dazu zählt auch die Kontingentierung. sind. Welcher von deutschen Konzernen ausgeplünder- Sie schlagen vor, dass der Bundestag auf Vorschlag der te Staat möchte noch sein weniges Geld in Bildung ste- Bundesregierung und mit Zustimmung des Bundesrates cken, wenn deutsche Konzerne ihm dann die Ausgebil- jährlich die Zahl der Menschen festlegen soll, die in un- deten abziehen wollen? Hätten Sie doch bloß in Ihrem ser Land einwandern können. Das erscheint uns etwas unwürdigen Jamaika-Gezocke über die Bekämpfung von planwirtschaftlich. Das Problem in der Vergangenheit Braindrain und der ungerechten Weltwirtschaftsordnung bestand ja nicht darin, dass zu viele hochqualifzierte Zu- genau so viel diskutiert wie über die angesprochenen wanderer zu uns gekommen sind. Obergrenzen für Schutzsuchende! Der Gesetzentwurf geht in die richtige Richtung. (Beifall bei der LINKEN) Er fndet bei uns Zuspruch und Sympathie. Er springt Ich zitiere diesmal aus dem Gesetzentwurf der SPD, aber in ein paar Punkten vielleicht etwas zu kurz. Sinn um deutlich zu machen, was Braindrain ist: eines Punktesystems ist, eine Zuwanderung von Fach- kräften auch ohne Arbeitsvertrag zu ermöglichen. An- Ziel des Einwanderungsgesetzes ist es, die Einwan- sonsten brauchten wir gar kein Punktesystem. Aus un- derung von qualifzierten Arbeitskräften nach den 176 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 3 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 22 November 2017

Zaklin Nastic (A) Bedürfnissen des deutschen Arbeitsmarktes zu steu- Liebe SPD, Sie haben eines gemeinsam mit der CDU/ (C) ern und zu gestalten. CSU: Sie haben das individuelle Recht auf Asyl inhu- maner gemacht, ja bis zur Unkenntlichkeit entstellt und Sarkastischer geht es kaum. So werden immer mehr Ar- den Sozialstaat entkernt – damals unter Beifall vieler, die mut und neue Fluchtursachen produziert. Das erfreut jetzt in den Reihen der AfD sitzen. vielleicht die AfD oder den Daimler-Vorstand. Aber die vielen Menschen, die sich in Flüchtlingsinitiativen aktiv (Widerspruch bei der AfD) betätigen, fühlen sich schon längst von der Bundesregie- rung im Stich gelassen. Wer Herz und Verstand für arme Wer sich jetzt von der AfD abgrenzen will, muss für Menschen hat, fordert eine gerechte Weltwirtschaftsord- die Würde des Menschen in einem wiedererstarkten nung und formuliert nicht die Interessen des sogenannten Sozialstaat kämpfen. Das wäre eine gemeinsame rote deutschen Arbeitsmarktes als Ziel. Kraftanstrengung wert. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Deutsche und ausländische Arbeitnehmer sollen in Konkurrenz um Billiglöhne und prekäre Berufsperspek- tiven gegeneinander ausgespielt werden. Das ist entwür- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: digend, und das machen wir als Linke nicht mit. Frau Kollegin Nastic, ohne Ihre Rede bewerten zu wollen, möchte ich darauf hinweisen, dass es Ihre erste (Beifall bei der LINKEN) in diesem Hohen Hause war. Der vorliegende Gesetzentwurf der SPD erklärt (Beifall bei der LINKEN) die Bluecard-Regelung der EU zu Recht für geschei- tert – aber nicht etwa, weil im Rahmen dieser Regelung Als Nächstes spricht der Kollege Filiz Polat migrantische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schon jetzt bis zu 47 Prozent weniger verdienen dürfen (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ als ihre Kolleginnen und Kollegen. Nein, der SPD geht DIE GRÜNEN]: Die!) die Bluecard-Regelung nicht weit genug. Sie will so- – ich bitte vielmals um Entschuldigung –, die Kollegin gar die Mindestgehälter abschafen. Das lehnen wir als Filiz Polat von Bündnis 90/Die Grünen. Lohndumping-Gesetz entschieden ab. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN) Wer sich von Frau Merkels marktkonformer Demo- Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (B) (D) kratie oder vom rechten Marktglauben der AfD lösen Herr Präsident! Da müssen wir noch ein bisschen will, der sollte auch kein Einwanderungsgesetz vorlegen, nachhelfen mit den Integrationskursen. das sich vor allen Dingen den Märkten und Konzerninte- ressen unterwirft. (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) Wenn es nach SPD-Vorstellungen geht – das gilt auch für die Grünen und die FDP bis hin zu Pegida –, Meine Damen und Herren! Frau Nastic, ich bin doch etwas irritiert von Ihrer Rede. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Jetzt reicht es aber da vorne!) (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Damit sind Sie nicht allein!) soll künftig ein sogenanntes Punktesystem darüber ent- scheiden, wer zwecks Berufserwerb in dieses Land ein- Um das vielleicht einmal vorweg zu sagen: Die Linke hat wandern darf. Das nenne ich Nützlichkeitsrassismus. es bis heute noch nicht einmal geschaft, überhaupt ein Einwanderungskonzept vorzulegen. Kein Wunder, denn (Beifall bei der LINKEN – Widerspruch beim in dieser Frage sind Sie sehr zerstritten. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Meine Damen und Herren in der Mitte und auf der und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der linken Seite dieses Hohen Hauses, wenn Sie sich von der FDP) AfD abgrenzen möchten, ziehen Sie eine Grenze, und zwar mithilfe unseres Grundgesetzes. Da steht nicht: Ich freue mich – das sage ich auch als migrationspoli- „Die Billigkeit des Menschen ist unantastbar“, sondern tische Sprecherin, die ich fast zehn Jahre im Niedersäch- „Die Würde …“, und diese kennt keine Herkunft. sischen Landtag gewesen bin –, die SPD-Fraktion bringt endlich ein Einwanderungsgesetz über ein Punktesystem (Beifall bei der LINKEN) in den Deutschen Bundestag ein. Das ist historisch. Wer Fachkräfte braucht, muss sie hierzulande ausbil- Herr Stephan Mayer, es liegt aber nicht erst seit einem den und vor allen Dingen gut bezahlen, und zwar egal Jahr als Gesetzentwurf seitens der letzten Bundesregie- woher sie kommen. Das Kapital dafür ist allemal vor- rung vor; Sie haben sich 17 Jahre Zeit damit gelassen. handen. Beginnen Sie endlich damit, enorme Vermögen Wir hatten 2003 gemeinsam als rot-grüne Bundesregie- gerecht zu besteuern. Wir brauchen tarifich abgesicherte rung einen entsprechenden Paragrafen vorgelegt – das und gutbezahlte Arbeitsplätze, einen angemessenen ge- war der § 20 im damaligen Aufenthaltsgesetzentwurf –, setzlichen Mindestlohn und ein Verbot der Leiharbeit. der an den Fraktionen – einige erinnern sich noch – bzw. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2017 177

Filiz Polat (A) an den FDP- und unionsgeführten Bundesländern ge- Sie kritisieren, eingearbeitet. In der Bundesratsinitiative (C) scheitert ist. war er noch enthalten. Um das insgesamt vorwegzunehmen: Trotz dieses his- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) torischen Ereignisses, liebe Kolleginnen und Kollegen Um es noch einmal zu betonen: Interessant ist hier die von der SPD, auch lieber Kollege , fachliche Stellungnahme des Bundes Deutscher Verwal- der das seinerzeit mit entwickelt hat, über Ihnen sehen tungsrichter und Verwaltungsrichterinnen. Ich zitiere: wir keinen Heiligenschein. Im Gegenteil: Wir wollen Sie heute an den Buß- und Bettag erinnern. Dieses dauerhafte Nebeneinander (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und – beider Gesetze, mit Blick auf Ihr Gesetz – des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) wirft eine Vielzahl difziler Abgrenzungsfragen auf. Warum wollen wir das tun? Frau Dr. Högl, Herr Es wird von der Sorge gesprochen, dass „zwischen den Lischka, Herr Dr. Diaby und Herr Bartke, Sie haben Ihr dem Einwanderungsgesetz unterfallenden Ausländern Konzept letztes Jahr der Fraktion vorgestellt. Sie hatten ,erster Klasse‘ und den sonstigen nicht privilegierten ein Jahr Zeit, diesen Entwurf, der von der Fachöfentlich- Ausländern, die dem Aufenthaltsgesetz als Rest- oder keit kritisiert wurde, zu überarbeiten, um eine Reihe gra- Aufanggesetz unterworfen“ seien, nicht unterschieden vierender Unzulänglichkeiten zu beseitigen. Das haben werden würde. Sie nicht getan. Ja, Bündnis 90/Die Grünen hat bereits ein Einwan- (Daniela Kolbe [SPD]: Das ist nicht wahr!) derungsgesetz erarbeitet, das die Motivlagen der Men- Ja, wir brauchen ein Einwanderungsgesetz. Die altern- schen in den Mittelpunkt stellt und dabei die Interessen de Gesellschaft und der Fachkräftemangel lassen keinen Deutschlands im Blick hat. In diesem Entwurf nehmen Zweifel mehr daran: Deutschland ist auf Einwanderung wir im Gegensatz zum Vorschlag der SPD-Fraktion einen angewiesen. Wir leben zudem in Zeiten der Globalisie- Paradigmenwechsel vor – vom bisherigen nachfrageori- rung. Es ist notwendig, die zunehmende internationale entierten zu einem angebotsorientierten System. Mobilität so auszugestalten, damit die darin liegenden Meine Damen und Herren, ein transparentes Einwan- Chancen zum Tragen kommen, und zwar für alle Betei- derungsgesetz wird kommen – da bin ich mir sicher –; ligten: denn – darin sollten wir uns wirklich alle einig sein – an- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gesichts der Tatsache auf der rechten Seite unseres Ple- nums brauchen wir ein klares Bekenntnis zu Deutschland für die Herkunftsstaaten, die Aufnahmestaaten und die als Einwanderungsland. (B) (D) Zuwandernden selbst. Auch die Wirtschaft verlangt das Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. von uns. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Zuruf von der LINKEN: Oh!) sowie bei Abgeordneten der SPD) Ihr Anspruch, meine Damen und Herren von der SPD, ist ein Einwanderungsgesetz, das – Herr Hartmann hat Vizepräsident Wolfgang Kubicki: das gesagt – sprichwörtlich auf einen Bierdeckel passt; Liebe Frau Kollegin Filiz Polat, das war Ihre erste denn das geltende deutsche Einwanderungsrecht ist kom- Rede im Hohen Haus. Ich beglückwünsche Sie dazu. pliziert, aufwändig und unattraktiv. Diese Beschreibung ist korrekt. Das teilen wir. Aber anstatt das Recht zu ver- (Beifall) einfachen, verkomplizieren Sie es mit Ihrem Entwurf. Sie Ich habe Ihnen wegen meiner sprachlichen Verirrung kritisieren die 50 verschiedenen Aufenthaltstitel, nehmen eine Minute dazugegeben. – Als Nächstes hat der Kolle- aber keine umfassende Novellierung der bestehenden ge Ansgar Heveling von der CDU/CSU das Wort. Bestimmungen zur Arbeitsmigration vor. Sie stellen das System der Einwanderung nach Punktesystem, das wir (Beifall bei der CDU/CSU) durchaus unterstützen – wir selber haben im April dieses Jahres, also noch in der letzten Legislatur, einen Gesetz- Ansgar Heveling (CDU/CSU): entwurf eingebracht –, neben das bisher geltende Recht, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Den das die Regelungen zur Arbeitsmigration eben nicht ver- Regierungen der Aufnahmeländer sei eine große Ver- einfacht, sondern unübersichtlicher macht antwortung übertragen – so formuliert es der bekannte (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Migrationsforscher Paul Collier in seinem Buch „Exo- dus“ – ich darf zitieren –, und vor allem inkonsistent gestaltet. … denn die Migrationsrate hängt von zwei Dingen Mit Ihrem Entwurf bleiben Sie hinter den Erwartun- ab: von der individuellen Entscheidung potenzieller gen des 2016 zeitgleich in den Bundesrat eingebrachten Migranten und von der Politik der Regierungen. Al- Antrags der Landesregierungen Rheinland-Pfalz, Nie- lein der Entscheidung der Migranten überlassen, ... dersachsen, Schleswig-Holstein, Thüringen und Bre- würde sie weiter anwachsen und schließlich den men – einige dieser Regierungen waren SPD-geführt, Punkt überschreiten, bis zu dem die Aufnahmege- und wir waren an ihnen beteiligt – zurück. Sie haben in sellschaften einen Nutzen davon haben. Daher kann Ihren Gesetzentwurf nicht einmal den Spurwechsel, den man die Migration nicht der individuellen Entschei- 178 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 3 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 22 November 2017

Ansgar Heveling (A) dung der Migranten überlassen; sie muss von den gestattet wird, wenn tatsächlich ein konkretes Arbeitsan- (C) Staaten gesteuert werden. gebot vorliegt; (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- der AfD) ordneten der AfD) Aber die Migrationspolitik ist unweigerlich kompli- denn der Staat kann zwar Mangelberufe identifzieren – ziert. Um ihren Zweck zu erfüllen, muss sie diese das macht er auch jetzt schon –, aber es ist nur eine Pro- Komplexität bewältigen. gnose. Welche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Unternehmen dann konkret einstellen wollen und wofür, So weit Collier. das können Behörden vorab nicht wissen – das ist eine Entscheidung der Unternehmen –, und das würde auch Ihr Gesetzentwurf, liebe Kolleginnen und Kollegen bei einem noch so guten Punktesystem nicht funktionie- von der SPD, bewältigt unserer Ansicht nach die Kom- ren. plexität nicht in ausreichendem Maße, jedenfalls nicht so, dass es unserer Verantwortung als potenzielles Auf- Auch hierzu darf ich noch einmal den Migrationsfor- nahmeland sowohl für die, die zu uns kommen wollen, scher Paul Collier zitieren, der ausdrücklich diese Kom- als auch für unsere Gesellschaft gerecht wird. ponente des deutschen Rechts lobt – ebenso wie die ähn- lichen neuseeländischen Regelungen –: Bevor ich zu den einzelnen Regelungen komme, Nachdem der potenzielle Migrant die staatlichen möchte ich zunächst einer der Grundannahmen Ihres Ge- Kriterien erfüllt hat, müsste er noch ein Unterneh- setzentwurfs widersprechen. Ihn durchzieht die Klage, men dazu bringen, ihn einzustellen. Sowohl Neu- wie ach so kompliziert das deutsche Einwanderungsrecht seeland als auch Deutschland haben ein solches doch sei. Es gebe so viele verschiedene Regelungen, mit System eingeführt. Arbeitgeber haben einen Anreiz, denen man nach Deutschland kommen könne. Bewerber zu durchleuchten und dabei einen ausge- (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ wogenen Katalog von Merkmalen zu berücksich- DIE GRÜNEN]: Das stimmt!) tigen. Länder, die Einwanderer nur mithilfe eines mechanisch angewandten Punktesystems auswäh- Dazu muss man sagen: Das ist doch gut so. Menschen len, sind Ländern gegenüber, die darüber hinaus die möchten und sollen aus ganz unterschiedlichen Gründen Migranten genauer unter die Lupe nehmen, in der nach Deutschland kommen. Ihre Situationen sind unter- Regel im Nachteil, weil sie Menschen anziehen, die schiedlich. Da ist es doch nur richtig, dass man unter- zwar die Anforderungen formal erfüllen, aber an- (B) schiedliche Regelungen dafür hat. sonsten ungeeignet sind. (D) Es mag keine schlechte Idee sein, die bestehenden Re- Sicherlich ist auch das der Grund, warum Kanada sein gelungen übersichtlicher zusammenzufassen. Dass man Einwanderungssystem dahin gehend angepasst hat, dass aber alles viel, viel einfacher machen könne, das halte der konkrete Arbeitsplatz bei der Beurteilung der Ein- ich, ofen gestanden, für Augenwischerei. Sie wollen es wanderungsmöglichkeit mittlerweile eine herausragende sogar noch komplizierter machen. Ein neues, bürokrati- Rolle spielt. sches Punktesystem soll die jetzigen Regelungen nicht Für das Jahr der Arbeitssuche wollen Sie zudem da- ersetzen, sondern soll neben sie gestellt werden. rauf verzichten, dass die Menschen nachweisen, dass ihr Lebensunterhalt gesichert ist. Sie halten diese Prü- (Andrea Nahles [SPD]: Übergangsweise!) fung insgesamt für überfüssig. Ich halte es für fatal, es Es wird also noch unübersichtlicher. Das ist für mich ein nicht zu prüfen. Arbeitsuchende könnten sich nach Ihrem widersprüchlicher Ansatz. Entwurf während der Suche mit einem Nebenjob über Wasser halten. Das wollen Sie ebenfalls regeln. Das soll (Beifall bei der CDU/CSU) die Versorgung sicherstellen. Aber was, wenn das nicht klappt oder nicht mehr klappt oder derjenige, der hier- Ich sehe eher die Notwendigkeit, dass wir die beste- herkommt, zwischendurch krank wird? Den Bezug von henden Regeln aktiv bewerben. Kollege Mayer hat schon Hartz IV wollen Sie ausschließen. Das ist sicherlich rich- auf die Internetseite make-it-in-germany.com hingewie- tig. Aber dann ist es doch wichtig, dass wir vorher sicher sen. Wir müssen dafür sorgen, dass Menschen zusam- wissen, dass sich der Mensch bei der Arbeitssuche fnan- menkommen, dass wir Tools haben, die Menschen zu- zieren kann. sammenbringen, nämlich die, die hier arbeiten wollen, und die, die ihnen tatsächlich Arbeitsplätze anbieten Die Vielzahl von Ermessensentscheidungen halten können. Sie laut Gesetzesbegründung für abschreckend; sie biete Rechtsunsicherheit. Ein Punktesystem ist für Sie über- Große Schwierigkeiten sehe ich bei Ihrem Vorschlag, sichtlicher. Ich sehe, ofen gestanden, nicht wirklich ei- dass für ein Jahr eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden nen qualitativen Vorteil eines Punktesystems; denn eine soll, wenn jemand einen guten Punktestand hat und nach Ermessensentscheidung wird nicht einfach so getrofen, Deutschland kommen möchte, um Arbeit überhaupt erst sondern sie wird in der Regel die gleichen Faktoren be- zu suchen. Es ist sehr richtig, zu überlegen, wie man die rücksichtigen wie ein Punktesystem. Nur hat man beim Arbeitsplatzsuche aus dem Ausland weiter unterstützen Ermessen etwas mehr Spielraum, auch zugunsten des kann. Ich halte es aber für wichtig, dass die Einreise erst Antragstellers. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2017 179

(A) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: zeitigen Aufenthaltsrecht erklären sollten. Jetzt versetzen (C) Herr Kollege Heveling, kommen Sie bitte zum Sie sich einmal in potenzielle qualifzierte Zuwanderer. Schluss. (Beifall bei der SPD)

Ansgar Heveling (CDU/CSU): Wir machen hier einen sehr guten Vorschlag. Ich lade Starre Punktesysteme sind nicht per se gerechter. Herrn Mayer und andere Rednerinnen und Redner herz- lich ein, ihn wirklich noch einmal zu lesen; Fazit: Die bestehenden Regelungen zur Einwanderung nach Deutschland zu Arbeitszwecken sind gut. Wir haben (Beifall bei der SPD – Stephan Mayer [Altöt- es schon gehört: Die OECD sieht Deutschland hier weit ting] [CDU/CSU]: Wird nicht besser!) vorne. Für solche bestehenden Möglichkeiten müssen denn er ist ein für ein Punktesystem äußerst nachfrage- wir mehr Werbung machen. Lassen Sie mich versichern, orientierter Vorschlag. Das heißt, wer ein Arbeitsplatz­ dass als Ergänzung zu den bestehenden Möglichkeiten angebot in Deutschland hat, bekommt sehr viele Punkte für die CDU/CSU ein Fachkräftezuwanderungsgesetz und hat es damit schon fast geschaft, nach Deutschland ganz oben auf der Agenda steht. Aber es muss ein Gesetz zuwandern zu können. Natürlich prüft nach unserem Vor- sein, das die sinnvolle Steuerung der Arbeitsmigration schlag die BA, die Bundesagentur für Arbeit, ob die Ar- ermöglicht. beitsbedingungen stimmen, die hier ein Arbeitsverhältnis Vielen herzlichen Dank. begründen sollen. (Beifall bei der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, machen wir doch aus der Not eine Tugend. Das ist doch die Stunde des Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Parlaments. Wir legen hier einen Vorschlag vor. Fast alle Herr Kollege Heveling, herzlichen Dank. – Als Nächs- Fraktionen dieses Hauses haben schon einmal entspre- tes für die SPD-Fraktion Frau Daniela Kolbe. chende Anträge gestellt, haben das Thema „qualifzierte Zuwanderung“ in den Partei- oder Regierungsprogram- (Beifall bei der SPD) men drin. Es ging sogar in den Jamaika-Sondierungs- gesprächen darum, liebe CDU. Keine Angst, es ist nicht Daniela Kolbe (SPD): schlimm, über qualifzierte Zuwanderung zu sprechen. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Kollegen! Ich komme ja aus Sachsen, und Sachsen ist ein der FDP) ganz besonderes Bundesland. Lieber Redner der AfD, vielleicht reden Sie auch noch (B) (Zuruf von der SPD: Das stimmt!) (D) einmal mit Ihrem Fraktionsvorsitzenden. Der hat uns vor – Nein, ganz im Ernst, ich lebe wirklich gerne da. – Man einem Jahr noch vorgeworfen, ein Plagiat zu machen, sieht in Sachsen ja manche Entwicklung sehr stark unter und hat behauptet, wir hätten das Einwanderungsgesetz einem Brennglas, auch die demografsche. In den nächs- bei der AfD abgeschrieben. ten zehn Jahren werden in Sachsen 600 000 Menschen in den wohlverdienten Ruhestand gehen. In den gleichen (Dr. Gottfried Curio [AfD]: Aber nicht die- zehn Jahren werden nur 300 000 Kinder die Schule ver- ses!) lassen; die sind dann natürlich schon älter als zehn Jahre. So lustig war das damals. Vielleicht reden Sie einmal Da muss man doch kein Mathe-Genie sein, um herauszu- miteinander. fnden, dass das ein Riesenproblem für das schöne Sach- sen werden könnte. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD) Ich will an dieser Stelle aber auch mit einem Missver- ständnis aufräumen. Für uns jedenfalls ist klar, dass wir Das ist auch einer der Gründe, warum wir sagen: Wir qualifzierte Zuwanderung brauchen. Wir wollen, dass brauchen dringend ein besser verständliches Einwande- Menschen zu uns kommen und hier arbeiten – aus wohl- rungsrecht. – Wir wollen nämlich qualifzierte Zuwande- verstandenem Eigeninteresse. Für uns ist aber genauso rung, und wir wollen sie auch steuern. Deshalb brauchen klar, dass es daneben immer auch das Recht auf Asyl wir in Deutschland ein Einwanderungsgesetz. gibt. Wer verfolgt ist, wer um seine Haut bzw. sein Leben (Andrea Nahles [SPD]: Richtig!) fürchten muss, der bekommt in Deutschland Schutz. Da gibt es für uns kein Vertun. Darüber reden wir heute, und dazu haben wir einen klu- gen und übrigens auch moderaten Vorschlag gemacht, (Beifall bei der SPD) der sich am aktuellen kanadischen Modell orientiert. Wir schlagen ein Punktesystem für gutqualifzierte Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Drittstaatsangehörige vor. Das macht es ihnen einfacher, Frau Kollegin Kolbe, erlauben Sie eine Zwischenfra- sich für Deutschland zu interessieren, einfacher als jetzt ge aus der AfD-Fraktion? bei unserem detailverliebten und nicht immer ganz leicht verständlichen – das ist sehr beschönigend ausgedrückt – Aufenthaltsrecht. Ich habe schon etliche Volljuristen Daniela Kolbe (SPD): schwitzen sehen, wenn sie mir ein Detail aus dem der- Ja. 180 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 3 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 22 November 2017

(A) Kay Gottschalk (AfD): Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) Meine Frage geht dahin: Haben Sie sich überhaupt Vielen Dank, Frau Kollegin Kolbe. – Ich schließe da- mit dem kanadischen Einwanderungsgesetz auseinander- mit die Aussprache. gesetzt? Es ist ein humankapitalorientiertes Gesetz, das ganz genau defniert, dass die Einwanderung tatsächlich Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- der Wirtschaft nützen muss, das aber auch abstrakt darauf wurfs auf Drucksache 19/44 an den Hauptausschuss vor- abstellt, dass die Einwanderer, die kommen – das begrün- geschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? det den Erfolg des kanadischen Modells –, ganz klar auch mit anderen Formen im Einklang stehen müssen. Seit der (Zurufe von der AfD: Abstimmen!) Reformierung, die hier angesprochen wurde, müssen – Mitglieder der AfD-Fraktion erbitten Abstimmung. Einwanderer hinsichtlich Sprache, Alter, Berufsqualif- Wer für die Überweisung dieses Gesetzentwurfs ist, den kation passen. Zum Erfolg trägt bei, dass es einen ob- bitte ich um das Handzeichen. – Wer gegen die Überwei- jektiven Katalog an Kriterien gibt, dass es eine Kommis- sung des Gesetzentwurfs ist, den bitte ich um das Hand- sion gibt, die jedes Jahr Einwanderung auf den Bedarf zeichen. – Dann stelle ich fest, dass mit den Stimmen von der kanadischen Wirtschaft abstellt, dass es weiterhin ein Linken, Bündnis 90/Die Grünen, SPD, CDU/CSU und Caregiver-Programm gibt, das auch kurzfristige, auf fünf Freie Demokraten gegen die Stimmen der AfD und des Jahre orientierte Migration ermöglicht. Haben Sie das fraktionslosen Abgeordneten, den ich von hier aus sehe, Programm überhaupt gelesen? die Überweisung beschlossen ist.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: Herr Kollege, darf ich Sie bitten, Ihre Frage abzu- Beratung des Antrags der Abgeordneten Roman schließen? Es soll kein Redebeitrag werden. Johannes Reusch, Waldemar Herdt, Norbert Kleinwächter und der Fraktion der AfD Kay Gottschalk (AfD): Ja. Dann frage ich Sie: Haben Sie überhaupt das Pro- Sechs-Punkte-Plan – Abkommen zur Förde- gramm gelesen und verstanden? Was Sie dort betreiben, rung der Rückkehr syrischer Flüchtlinge ist Etikettenschwindel. Drucksache 19/48

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Überweisungsvorschlag: Hauptausschuss Herr Kollege, das war die Frage, ob sie es verstanden (B) hat. Frau Kollegin Kolbe, bitte antworten Sie auf diese Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für (D) Frage. Den Rest ignorieren Sie einfach. die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- (Heiterkeit bei der SPD) nen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Der erste Redner ist Dr. Bernd Baumann von der Frak- Daniela Kolbe (SPD): tion der AfD. Sehr gerne. – Ich bin durchaus der Aufassung, dass wir uns inhaltlich und fachlich damit auseinandersetzen (Beifall bei der AfD) sollten. Deswegen meine herzliche Einladung: Das Pa- pier dort draußen ist zum Lesen da, lieber Herr Kollege Dr. Bernd Baumann (AfD): der AfD. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Si- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten cherheitslage in großen Teilen Syriens hat sich in den der FDP) vergangenen Monaten substanziell verbessert. Der „Isla- mische Staat“ ist praktisch besiegt. Das haben Sie heute Wenn Sie es gelesen hätten, dann wüssten Sie, dass wir Morgen von Herrn Röttgen von der CDU/CSU gehört. uns sehr intensiv mit dem Konzept Kanadas und den Russland und die USA haben sich darauf geeinigt, keine Weiterentwicklungen in Kanada beschäftigt haben. Un- militärische Lösung gegen Assad zu suchen. Auch Bür- ser damaliger Fraktionsvorsitzender Thomas Oppermann gerkriegskämpfe gibt es nur noch an einigen Orten. hat sich in Kanada sogar vor Ort ein Bild davon gemacht. Haben Sie also keine Angst. Nach UN-Angaben kehrten dieses Jahr bereits viele Schlusssatz. Wir haben hier einen Vorschlag gemacht. Hunderttausend Syrer in ihre Heimat zurück. In weite Wir sind das Parlament und können uns darüber unterhal- Teile des Landes kann man also wieder zurückkehren. ten. Das kann eine spannende Diskussion werden. Lassen Auch viele, die in Deutschland Schutz suchten, dürften Sie uns also in die Auseinandersetzung gehen. Ich habe prinzipiell den Wunsch hegen, zu ihren Familien zurück- große Lust dazu, mit Ihnen darüber zu streiten, wie wir zukehren. Meine Damen und Herren, wir könnten diesen dieses Minus in Sachsen – 600 000 Rentnerinnen und Menschen helfen. Unterstützen wir sie bei ihrer Rück- Rentner, 300 000 Schulabgängerinnen und Schulabgän- kehr; ger – in den nächsten zehn Jahren bewältigen können. (Beifall bei der AfD) Vielen Dank fürs Zuhören. denn auch der Wiederaufbau nimmt rasant Fahrt auf. (Beifall bei der SPD) Die syrische Regierung bittet gefohene Bürger, zurück- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2017 181

Dr. Bernd Baumann (A) zukehren, stellt Amnestie und sichere Unterbringung in – Sie können sich anschließend melden, Herr (C) Aussicht. ­Schinnenburg. Sie können anschließend hier reden. (Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNIS- (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ SES 90/DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN]: Das entscheiden nicht Sie! – Dr. Marco Buschmann [FDP]: So einfach ist Wir fordern die Bundesregierung deshalb auf, mit der das nicht!) syrischen Regierung in Verhandlungen über ein Rück- kehrabkommen einzutreten, meine Damen und Herren. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall bei der AfD) Das kann er nicht. Das entscheidet das Präsidium. Dieses Abkommen soll sicherstellen, dass Rückkehr- (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU, willige unbeschadet in befriedete Gebiete zurückkehren der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE können, dass Amnestie gewährt und sie nicht verfolgt GRÜNEN) werden, dass hierzu ein international wirksamer Überprü- fungsmechanismus vereinbart wird und dass Rückkehrer verstärkt mit Start- und Aufbauhilfen unterstützt werden. Dr. Bernd Baumann (AfD): Zum Vergleich dazu: Ins Bürgerkriegsland Afghanistan Ich glaube, Sie haben die Zeit nicht angehalten. schieben wir Menschen im Moment sogar zwangsweise ab. Mit unserem Antrag wollen wir zunächst freiwilligen Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Rückkehrwilligen nach Syrien sichere Wege in sichere Ich gebe Ihnen 20 Sekunden mehr Zeit. Gebiete ebnen, die es in Syrien wie in Afghanistan gibt. (Beifall bei der AfD) Dr. Bernd Baumann (AfD): Wir wollen erreichen, dass durch ein Abkommen Ich fordere Sie deshalb auf: Machen Sie endlich ver- die Gefahren politischer Verfolgung in Syrien reduziert nünftige Programme für die Menschen hierzulande wie werden. Dadurch entfallen Fluchtgründe für subsidiär auch für die Migranten. Schutzsuchende auch bei uns, wodurch noch mehr Syrer Meine Damen und Herren, natürlich ist Diktator in ihre Heimat zurückkehren könnten. Das ist vernünfti- Assad kein Demokrat. Ja, er hat – wie seine Gegner ge Politik im Interesse der Menschen, meine Damen und auch – schlimme Wafen im Bürgerkrieg eingesetzt. Er Herren. wird aber auf absehbare Zeit Präsident Syriens bleiben. (Beifall bei der AfD) Die Rückkehr vieler Gefüchteter zeigt, dass Syrer (B) (D) Es ist auch eine Chance, die – man muss es so sa- wieder Vertrauen in die Zukunft ihres Landes gewinnen. gen – katastrophale Grenzöfnungspolitik der Regierung Wir wollen ja kein Abkommen um jeden Preis. Wir wol- Merkel zumindest ein Stück weit zu korrigieren. Dass es len auch keine sofortige Rückkehr der Menschen. Aber ein schlimmer Fehler war, gab die Frau Bundeskanzle- wir wollen, dass Sie vorausschauend handeln und über- rin – sie ist gerade nicht da – selbst zu, als sie im Wahl- haupt erst einmal Verhandlungen aufnehmen, dass Sie kampf sagte, so etwas dürfe sich nie wiederholen. Wenn Wege ebnen und endlich auch aktiv Flüchtlingsströme es also ein Fehler war, beginnen Sie endlich, ihn zu kor- umkehren, meine Damen und Herren. rigieren. Korrigieren Sie ihn jetzt so weit und so schnell, (Beifall bei der AfD) wie es nur möglich ist. Das würde helfen, die massiven Probleme der Inte- (Beifall bei der AfD) gration hierzulande zu entschärfen – von der Frage des Es war ein als historisch zu bezeichnender Kardinal- gewaltigen Familiennachzugs bis hin zu der Unmöglich- fehler, der Deutschland in seinen Grundfesten erschüt- keit, Riesenzahlen an nicht ausreichend Qualifzierten in tert hat – wir alle konnten das erleben –, Millionen von den Arbeitsmarkt zu integrieren. Meine Damen und Her- Migranten aus dem Inneren von Orient und Afrika über ren, ergreifen Sie die Chancen der Politik! Beginnen Sie Tausende Kilometer hinweg zu holen, durch unzählige mit Verhandlungen! Tun Sie das jetzt! sichere Länder hindurch, anstatt rechtzeitig für die Men- (Beifall bei der AfD) schen vor Ort für sichere Schutz- und Entwicklungszen- tren sowie für funktionierende Grenzen hier bei uns zu Vizepräsident Wolfgang Kubicki: sorgen. Herzlichen Dank. – Als Nächstes: Herr Dr. Stephan (Beifall bei der AfD) Harbarth, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Herr Kollege Dr. Baumann, erlauben Sie eine Zwi- Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU): schenfrage des Kollegen Schinnenburg aus ? Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Flüchtlings- Dr. Bernd Baumann (AfD): schutz ist Schutz auf Zeit. Das gilt für alle Länder, das Ich würde gern zu Ende sprechen. Vielen Dank. gilt auch für Syrien. (Zurufe von der SPD: Oh!) (Beifall bei der AfD) 182 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 3 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 22 November 2017

Dr. Stephan Harbarth (A) Aber der Antrag der AfD ist ein Taschenspielertrick. groben Vereinfachung. Sie erwähnen mit keinem Wort, (C) Die AfD versucht, den Krieg in Syrien verschwinden zu dass Deutschland nicht nur syrische Bürgerkriegsfücht- lassen, indem sie ihn im Wesentlichen auf eine militä- linge aufgenommen hat, sondern dass neben diesen rische Auseinandersetzung mit dem „Islamischen Staat“ subsidiär Schutzberechtigten 2016 und 2017 auch rund reduziert und anschließend diese Auseinandersetzung für 100 000 Syrer in geordneten Verfahren gemäß den Be- beendet erklärt. stimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention aner- kannt worden sind. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich möchte Ihnen zunächst entgegnen, dass der „Is- (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lamische Staat“ auch nach dem Fall seiner Hochburgen NEN]: So ist es!) wohl noch über Tausende von Kämpfern verfügt. Das heißt, sie haben Schutz zuerkannt bekommen, weil (Widerspruch bei der AfD – Zuruf der Abg. sie etwa wegen ihrer Religion, ihrer politischen Über- Dr. [AfD]) zeugung oder ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe verfolgt wurden, weil in Damaskus ein Regime Aber entscheidender ist ein anderer Gesichtspunkt: Wer herrscht, das mit Folter, Mord und an Sicherheit gren- den Krieg in Syrien auf eine Auseinandersetzung mit zender Wahrscheinlichkeit schwersten Kriegsverbrechen dem „Islamischen Staat“ reduziert, hat diesen Krieg nicht gegen die Opposition vorgeht. begrifen. Erst Ende Oktober ist der gemeinsame Untersu- (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem chungsbericht der Organisation für das Verbot chemi- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- scher Wafen und der Vereinten Nationen zu dem Schluss geordneten der SPD) gekommen, dass das Assad-Regime in Chan Schaichun Die militärische Auseinandersetzung mit dieser Terroror- am 4. April 2017, also vor etwas mehr als einem halben ganisation ist nur ein Teil eines sehr viel umfassenderen Jahr, Sarin, ein fürchterliches Giftgas, eingesetzt hat. Krieges, der sich durch unterschiedliche Parteien, durch (Stephan Thomae [FDP]: Richtig!) unterschiedliche Motive und durch eine ganz besondere Grausamkeit auszeichnet. Nur wenige Monate später fordern Sie, dass Deutschland ein Rückführungsabkommen mit einem Regime aushan- Im letzten Bericht, den der UN-Generalsekretär erst deln soll, das nicht nur seine Gegner, sondern zugleich Ende Oktober über die Lage in Syrien vorgelegt hat, ist wehrlose Kinder mit Giftgas erstickt, und dabei setzen festgestellt worden, dass es in zahlreichen Regionen zu Sie noch ein fürsorgliches Gesicht auf. militärischen Auseinandersetzungen kommt und dass (B) noch immer knapp eine halbe Million Menschen in be- (Beifall des Abg. [SPD]) (D) lagerten Städten eingeschlossen sind – Menschen, deren Sie fordern ein Abkommen, mit dem Deutschland das humanitäre Lage desaströs ist, Menschen, die schlicht international weitgehend geächtete Assad-Regime an- verhungern. erkennen und es zu einem respektierten Partner unseres Die AfD stützt ihren Antrag auf eine Pressemitteilung Landes machen würde. der Internationalen Organisation für Migration, die davon spricht, dass im Zeitraum von Januar bis Juli 2017 knapp (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ 600 000 syrische Binnenfüchtlinge in ihre angestammte DIE GRÜNEN]: Putin lässt grüßen!) Heimat zurückgekehrt seien. Ich habe mir diese Mittei- Assad werden die Freudentränen in die Augen schießen, lung angeschaut und muss feststellen: Entweder haben wenn er Ihren Antrag liest. Sie nur die Überschrift gelesen oder Sie verschweigen bewusst, dass dort nur wenige Zeilen später steht, dass in (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem genau demselben Zeitraum mehr als 800 000 Menschen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- vertrieben wurden, und zwar viele bereits zum zweiten ordneten der SPD – Luise Amtsberg [BÜND- oder zum dritten Mal. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Schämt euch!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, wer wenige Monate, nach- dem auf Geheiß eines Diktators Kinder vergast wurden, Am Abend der Bundestagswahl hat der Fraktionsvor- einen solchen Diktator hoferen möchte, der wird in Zu- sitzende der AfD verkündet, er wolle die Bundeskanzle- kunft nicht weniger Flüchtlingswellen, sondern mehr rin jagen. Flüchtlingswellen auslösen, und genau das wollen wir (Beifall bei Abgeordneten der AfD) nicht. Mit solchen Leseleistungen jagen Sie nicht uns, sondern (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Sie ballern wild auf die eigene Jagdgesellschaft, meine SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Damen und Herren. NEN) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP Für uns ist klar: Flüchtlingsschutz ist auch im Falle Syri- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie ens ein Schutz auf Zeit. Wenn die Fluchtgründe wegfal- bei Abgeordneten der LINKEN) len und kein Integrationserfolg erkennbar ist, muss die Rückkehr im Vordergrund stehen. Der Antrag der AfD ist eine Mischung aus Auslas- sungen und Halbwahrheiten, und er gründet auf einer (Zurufe von der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2017 183

Dr. Stephan Harbarth (A) Aber dafür muss sich die Situation in Syrien nachhaltig ne Glauben schenkt, wundert mich nicht. Sie ist aus dem (C) und dauerhaft wandeln. gleichem Holz geschnitzt. Herzlichen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD, der FDP und des BÜND- Aber wir von der SPD haben Ansprüche an demokra- NISSES 90/DIE GRÜNEN) tische Werte und schützen die Menschen vor gewalttäti- gen Regimen. Und das Assad-Regime ist ein gewalttäti- ges Regime. Dass der „Islamische Staat“ zurückgedrängt Vizepräsidentin : wurde, ist ein Fortschritt, aber überhaupt nicht ausschlag- Das Wort hat Josip Juratovic für die SPD-Fraktion. gebend; denn in Syrien tobt immer noch ein Bürgerkrieg. Das heißt, ein Regime geht mit aller Brutalität gegen sei- (Beifall bei der SPD) ne Bürger vor. Hier ein paar traurige Beispiele dafür, was sich im Alltag in Syrien abspielt: Vor neun Tagen sind bei Luftangrifen auf einen Markt im syrischen Atareb min- Josip Juratovic (SPD): destens 61 Menschen getötet worden, darunter auch Kin- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und der. Der Ort gilt eigentlich als Deeskalationszone. Nicht Kollegen! Das ist schon ein bemerkenswerter Antrag, der einmal dort sind die Menschen mehr sicher. Bis heute ist uns da von der AfD vorliegt, bemerkenswert vor allem, nicht klar, ob es Kampfjets der syrischen Regierung wa- weil die AfD als einzige Partei Deutschlands feststellt, ren oder die ihres größten Unterstützers Russland. dass in Syrien quasi Frieden herrscht. Im Oktober, also vor einem Monat, starben in einem (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Vorort von Damaskus zehn Menschen, darunter fünf Kinder, bei einem Granatenangrif syrischer Regierungs- „Sicherheitsrelevante Störungen“, wie sie es nennt, truppen. Ebenfalls im Oktober hat die Weltgesundheits- seien „nur noch in Teilen des Landes festzustellen“. Das organisation Angrife auf Krankenhäuser und Nothelfer Fazit: Daher könne man mit Staatschef Assad über ein in Idlib und Hama verurteilt; ganz abgesehen von Orten Rückkehrabkommen für Gefüchtete verhandeln und de- in Syrien, in denen die humanitäre Lage so katastrophal ren Rückkehr sicher gestalten und fnanziell unterstützen. ist, dass es dort wieder Hungertote gibt. Das ist also das Es wundert mich, dass Sie nicht gleich von blühenden friedliche Syrien, in das Sie Männer, Frauen und Kinder Landschaften sprechen. zurückschicken möchten?

(B) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des (Zuruf von der AfD: Fast nur Männer! – Ge- (D) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) genruf der Abg. Luise Amtsberg [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind auch Men- Entweder haben Sie keine Ahnung in der Sache oder Sie schen!) sind bereit, über Leichen zu gehen. Ich könnte diese Aufzählung fortsetzen. Doch lassen (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Sie uns speziell bei der Sicherheit bleiben, die die AfD SES 90/DIE GRÜNEN) den Rückkehrern gewährleisten will. Seien Sie gewiss: Die Rachegelüste des Regimes gegen seine Gegner sind Sie wollen allen Ernstes ein Abkommen mit dem syri- ungestillt. In einem Interview mit dem syrischen Staats- schen Diktator Assad abschließen und ihm Menschen, fernsehen drohte der mittlerweile getötete General der sogar Regimekritiker, anvertrauen? syrischen Regierungstruppen, Issam Zahreddine, den (Helin [DIE LINKE]: Ja!) Millionen aus Syrien gefüchteten Menschen: Auch wenn der Staat ihnen vergebe, wir – gemeint sind die Repu- Lassen Sie sich, meine Damen und Herren, von mir blikanischen Garden, die Speerspitze der syrischen Ar- als Ex-Bürgerkriegsbetrofenem, als Ex-Jugoslawe ge- mee – tun es nicht. sagt sein: Sie können versichert sein, ich wäre der Al- lererste, der Sektkorken knallen lassen würde, wenn Und jetzt stellt die AfD sich hin und behauptet, die Sy- diese Menschen nach Hause könnten. Der Großteil der rerinnen und Syrer könnten ja zurückkehren. Als Beleg Syrerinnen und Syrer würde mit wehenden Fahnen nach dafür führt sie die Zahl der Internationalen Organisation Syrien zurückkehren, um ihre Heimat wiederaufzubauen. für Migration an: 600 000 Syrerinnen und Syrer seien ja bereits zurückgekehrt. Immerhin: Das ist tatsächlich eine (Lachen bei der AfD) Zahl, die von der IOM stammt. Doch was steckt wirklich dahinter? 600 000 sind nur 5 Prozent der 12 Millionen Und wir würden hier stehen und ernsthaft über Unterstüt- gefüchteten Syrerinnen und Syrer, die sich weltweit auf zung bei der Rückkehr debattieren. der Suche nach Sicherheit befnden. Die wenigen Rück- kehrer sind zum allergrößten Teil Flüchtlinge innerhalb Aber noch ist es ganz und gar nicht so weit. Und selbst Syriens. Ein kleiner Rest kommt aus den Nachbarstaaten, wenn sich Russlands Präsident Putin und der syrische die bereits unter den Millionen Flüchtlingen ächzen, die Machthaber gestern hingestellt und verkündet haben, sie aufgenommen haben. eine politische Lösung in Syrien sei nahe, dann hören wir eine solche Nachricht mit sehr viel Skepsis. Denn sie Im Bericht der IOM heißt es weiter – und das ist zen- wird von Autokraten verbreitet. Dass die AfD denen ger- tral –: Die Rückkehr der Syrerinnen und Syrer ist oft 184 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 3 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 22 November 2017

Josip Juratovic (A) spontan, nicht unbedingt freiwillig, nicht sicher und nicht kehrabkommen zu. Natürlich werden das Parlament und (C) nachhaltig. Viele der Rückkehrer mussten danach erneut die Bundesregierung so schnell wie möglich handeln, so- fiehen. bald es die Voraussetzungen glaubwürdig zulassen. Um das festzustellen, brauchen wir nicht die AfD. Deshalb Was sagen uns also diese Zahlen? Dass Syrien sicher lehnen wir diesen Antrag ab. ist? Im Gegenteil. Sie hätten den Bericht vollständig le- sen und sich nicht nur die Fakten heraussuchen sollen, Danke für Ihre Aufmerksamkeit. die Ihnen in Ihre Ideologie passen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- der CDU/CSU und der FDP) geordneten der CDU/CSU und der FDP) Dann hätten Sie gelesen, dass sich im gleichen Zeitraum erneut 810 000 Menschen auf die Flucht vor Krieg und Vizepräsidentin Petra Pau: Terror begeben haben, viele zum zweiten oder dritten Für die FDP-Fraktion hat Stephan Thomae das Wort. Mal. Die Menschen, die zurückkehren – erschöpft und (Beifall bei der FDP sowie des Abg. entwürdigt –, wollen schlicht nach Hause. Sie haben den Dr. Stephan Harbarth [CDU/CSU]) Wunsch, heimzukehren und ihre Häuser wieder aufzu- bauen, auch wenn sie unter Umständen ihr Leben dabei riskieren. Aus diesem persönlichen Leidensdruck leiten Stephan Thomae (FDP): Sie, Damen und Herren von der AfD, ab, Syrien sei si- Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! cher. Man könne nun mit dem syrischen Machthaber Beim vorhergehenden Tagesordnungspunkt haben wir Assad, der Tausende in Folterkellern untergebracht hat, uns mit der Frage befasst, wie wir qualifzierte Zuwan- menschenfreundliche Schutzabkommen schließen. – Das derer ins Land holen wollen. Ich wiederhole – sozusagen ist an Zynismus schwer zu überbieten. vor der Klammer –, dass es ein wichtiger Punkt ist, Re- geln dafür zu schafen, wie Menschen zuwandern kön- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem nen, wie sie ins Land kommen können: Asyl für persön- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- lich Verfolgte, humanitärer Schutz für Kriegsfüchtlinge geordneten der CDU/CSU) und Einwanderung qualifzierter Fachkräfte. Worum es Ihnen bei dem Antrag eigentlich geht, ist Mich stört nicht, dass wir uns – neben diesen drei Tü- doch dies: Sie wollen diese Menschen schlicht loswer- ren, die ins Land führen – auch mal mit der Frage befas- den, egal ob sie ihre Rückkehr überleben oder nicht. sen, welche Tür für Menschen, die vielleicht nicht auf (B) (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LIN- Dauer im Land bleiben können, wieder hinausführen (D) KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- muss. NEN) (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der Sie kleiden dieses menschenverachtende Ziel in ein hu- AfD) manitäres Gewand, nach dem Motto „Wir fordern eine Grundsätzlich ist auch das eine Frage, mit der wir uns sichere und kostenfreie Rückkehr“. befassen müssen. Was mich an Ihrem Antrag stört, sind (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Einfach mal drei Dinge, die ihn rettungslos vergiften, nämlich selekti- zuhören!) ve Wahrnehmung der Realität, Zynismus und Heuchelei. Sie wissen ganz genau, dass dies nicht möglich ist. Sie (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten sollten sich eigentlich schämen. der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zu- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem rufe von der AfD) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- geordneten der CDU/CSU) Von all dem fndet sich in diesem vergifteten Antrag reichlich. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind eine Ge- sellschaft, die als Wertegemeinschaft angelegt ist. Und Erstens: selektive Wahrnehmung der Realität. Sie ja, manchmal ist es schwer, dem gerecht zu werden. Aber schreiben, dass sich die Sicherheitslage in Syrien sub- wir dürfen als Gesellschaft unsere ethischen und morali- stanziell verbessert habe – was immer das genau heißen schen Ansprüche nicht aufgeben und auf ein reines Köp- möge –, dass Kampfhandlungen und sicherheitsrelevante fezählen zurückfallen. – Was Sie von der AfD verkennen: Störungen nur noch in einigen Teilen des Landes statt- Hier geht es nicht nur um Gefüchtete und darum, wie wir fänden. mit ihnen umgehen. Es geht auch um die Glaubwürdig- (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Wie in Afgha- keit unserer Gesellschaft. nistan!) (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- Meine Damen und Herren, Guido Steinberg hat heute geordneten der CDU/CSU und der FDP) im „Morgenmagazin“ deutlich gemacht, dass der Krieg in Syrien alles andere als längst beendet ist, dass die Al- Meine Damen und Herren, die Sicherheitslage in Sy- Nusra-Front, die Kurden und der IS jederzeit wieder den rien lässt derzeit keine Verhandlungen der Bundesregie- Krieg und die Gewalt in alle Teile des Landes zurücktra- rung mit dem syrischen Assad-Regime über ein Rück- gen können. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2017 185

Stephan Thomae (A) Ich werfe nur mal einen Blick auf die letzte Woche in ist. Sie hingegen wollen die Menschen in den Kugelhagel (C) Syrien: am Freitag, dem 17. November, ein Anschlag des zurückschicken IS in Deir al-Sor, im Osten Syriens, mit mindestens 20 Toten und 30 Verletzten, am 14. November ein Luftan- (Lachen bei der AfD – Dr. Bernd Baumann grif auf einen Markt in Atareb, im Nordwesten Syriens – [AfD]: Ich glaube es nicht!) eigentlich eine Deeskalationszone des Landes –, mit 53 und packen ihnen in geheuchelter Fürsorge einen war- getöteten Zivilisten. So können wir den November weiter men Schal mit ein. durchgehen, was ich jetzt aber nicht tun will. Selektive Wahrnehmung der Realität ist eines der Gifte Ihres An- (Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei trags. Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN – Jürgen Braun (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten [AfD]: Blanker Populismus!) der SPD) Das zweite Gift ist blanker Zynismus. Sie schreiben: Vizepräsidentin Petra Pau: Der Wiederaufbau nimmt Fahrt auf. Das Wort hat Ulla Jelpke für die Fraktion Die Linke. Der syrische Präsident forderte seine ins Ausland (Beifall bei der LINKEN) gefohenen Bürger … öfentlich auf, in die Heimat zurückzukehren und am Wiederaufbau teilzuneh- Ulla Jelpke (DIE LINKE): men. Eine Amnestieregelung und sichere Unter- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir ha- bringung wurden von der syrischen Regierung in ben es hier in der Tat mit einem Schaufensterantrag der Aussicht gestellt. AfD zu tun. In Syrien wird nach wie vor gekämpft, Sy- Meine Damen und Herren, der Nothilfekoordinator rien liegt in Trümmern. Deswegen ist es peinlich, wenn der Vereinten Nationen, Mark Lowcock, hat am 31. Ok- Sie die Regierung aufordern, ein Rückreiseabkommen tober festgestellt, dass die Auswirkungen der Syrien-Kri- abzuschließen. Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass Sie se weiterhin tiefgreifend sind. 13 Millionen Menschen vom derzeitigen Machthaber eine Garantie bekommen, sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. 6,1 Millionen dass Menschen dort, egal wo, unbeschadet leben können. Binnenfüchtlinge sind in Syrien zu verzeichnen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Eine Rückführung der bei uns befndlichen Flüchtlin- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ge nach Syrien würde nicht etwa den Wiederaufbau eines und der Abg. [CDU/CSU]) befriedenden Landes erleichtern, sondern die humanitäre (B) Entschuldigen Sie bitte, aber Die Linke nimmt Ih- (D) Binnenkrise des zerfurchten Landes verstärken. nen Ihre Sorge um freiwillig zurückgeführte Flüchtlinge (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten nicht ab. Eines ist ganz klar: Ihr eigentliches Ziel ist es, der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNIS- Flüchtlinge in Deutschland zu verunsichern, und vor al- SES 90/DIE GRÜNEN) len Dingen, sie schnellstmöglich loszuwerden. Die Linke wird bei solchen Vorführanträgen nicht mitmachen. Sie Deswegen können wir mit einem Regime, das selbst Men- können uns nicht täuschen. schenrechtsverletzungen begeht – Kollege Dr. Harbarth hat es eben erläutert, 4. April Giftgasangrif auf Chan (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Schaichun mit 87 Toten –, kein Rückführungsabkom- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) men, keine völkerrechtlichen Verträge auf rechtsstaatli- Meine Damen und Herren, Sie haben aus dem Bericht cher Basis abschließen. der Internationalen Organisation für Migration, IOM, (Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD einfach die Zahl 600 000 herausgegrifen und behaup- und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ten, 600 000 Flüchtlinge seien zurückgekehrt. Damit wird suggeriert, die Flüchtlinge seien aus dem Ausland Das dritte Gift ist Heuchelei. Sie schreiben, dass si- zurückgekehrt, aber tatsächlich sind es Binnenfüchtlinge chergestellt werden solle, dass die gewesen. … Rückkehrer unbeschadet wieder nach Syrien (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Beides!) einreisen können und in die Gebiete aufgenommen werden, die befriedet sind; … Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass in Syrien weitere 6 Millionen Menschen innerhalb des Landes Sie wollen, dass die „humanitäre Versorgung sicherge- gefüchtet sind. 41 Prozent der Flüchtlinge, die zurück- stellt ist“. Natürlich müssen Kriegsfüchtlinge irgend- gekehrt sind, haben weder Trinkwasser noch Wohnraum wann in ihre Heimat zurück – wenn der Krieg vorbei ist. noch Energie. Die Lage im Land ist katastrophal. Auch So steht es auch in der Genfer Flüchtlingskonvention. der UNHCR sagt ganz klar: Die Voraussetzungen für Die FDP war immer auch eine Partei der Humanität eine Rückkehr sind überhaupt noch nicht gegeben. und der Menschenrechte. Die AfD hätte die IOM-Studie weiterlesen sollen; (Beifall bei der FDP) denn aus ihr geht hervor, dass allein im ersten Halbjahr 2017 800 000 Menschen innerhalb des Landes durch Deswegen sind wir der Meinung, dass eine genaue Ab- den Krieg vertrieben worden sind. Dort herrscht lei- wägung erforderlich ist, wann eine Rückführung möglich der immer noch kein Frieden. Im Gegenteil: Nach dem 186 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 3 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 22 November 2017

Ulla Jelpke (A) weitgehenden Sieg über den sogenannten „Islamischen Vizepräsidentin Petra Pau: (C) Staat“ zeichnen sich mit Blick auf die zukünftige Macht- Das Wort hat Luise Amtsberg für die Fraktion Bünd- verteilung zwischen den Bürgerkriegsparteien bereits nis 90/Die Grünen. neue Konfikte ab. Dazu gehören natürlich auch die aus- ländischen Unterstützer. Die Türkei steht kurz vor dem (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Einmarsch in den kurdischen Kanton Afrin. Zudem droht Luise Amtsberg im Nachbarland Krieg, im Libanon; wir haben das in der Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich muss Debatte vorhin gehört. Im Libanon sind 1,5 Millionen sy- schon sagen: Mit dem Wissen um das Leid der Zivilisten rische Flüchtlinge. Wo sollen die hin? in Syrien tut es wirklich weh, sich mit so einem Antrag heute hier befassen zu müssen. Programme zur Rückkehr in dieses Pulverfass sind (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN aus Sicht der Linken völlig indiskutabel. So etwas lehnen und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten wir vollständig ab. der SPD und der FDP) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Der AfD geht es einzig und allein um einen Punkt: neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) weniger Gefüchtete in Deutschland, egal zu welchem Preis. – Das können Sie natürlich fordern, aber dann hö- Jeder, der sich zumindest noch einen Funken Humani- ren Sie auf, so zu tun, als würde Ihr Antrag in irgendeiner tät und Verstand bewahrt hat, muss doch sagen, dass es Form einen Beitrag zur Friedens- und Außenpolitik der in dieser Situation um ganz andere Fragen geht, dass es Bundesrepublik leisten; denn das glaubt Ihnen hier im nicht um Fragen der Rückführung geht, sondern vor al- Haus niemand. len Dingen um Fragen der Integration in diesem Land, in Deutschland. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- der CDU/CSU, der SPD und der FDP) neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie sprechen von der Zurückdrängung des IS, verlie- Dazu gehört für uns auch der Familiennachzug. Denn ren in Ihrem Antrag aber kein Wort über die Verantwor- wie sollen sich Gefüchtete hier integrieren, wenn sie tung des syrischen Machthabers Assad. Dabei mussten ständig daran denken müssen, dass ihre Angehörigen im die meisten Menschen doch vor seinen Fassbomben, dem Krieg sind? Giftgas, den Belagerungen und den massenhaften Tötun- gen fiehen. Und was schlagen Sie vor? Ein Abkommen (Dr. Eberhardt Alexander Gauland [AfD]: Ja, mit genau diesem Regime, das sich wegen zahlreicher (B) natürlich!) Verbrechen gegen die Menschlichkeit international ver- (D) antworten müsste. Der christlichen Union, die die Familienzusammenfüh- rung immer wieder verhindert und sich damit bei der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN rechten Seite dieses Hauses anbiedert, und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich glaube, man kann das kurz und knackig zusammen- fassen: Mit diesem Antrag, meine Damen und Herren, sage ich: Kommen Sie dieser grundlegenden Forderung geriert die AfD zum Pressesprecher von Assad hier in des Grundgesetzes nach. diesem Hause und ignoriert völlig bewusst die Verant- wortung Russlands in diesem Krieg. Statt bloßer Lippenbekenntnisse brauchen wir endlich die Bekämpfung von Fluchtursachen. Mit Blick auf den (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mittleren/Nahen Osten muss man einfach sehen, dass und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten die Regierung nach wie vor den Despoten Erdogan un- der SPD und der FDP – Zuruf von der AfD) terstützt, aber auch – darüber wurde heute auch schon – Ja, das können Sie sich gerne anhören. diskutiert – Saudi-Arabien weiterhin mit Wafen belie- fert und somit verantwortlich ist für die Fluchtursachen Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte in dieser Region. In Syrien gibt es viele Gebiete, unter sagt, dass der September dieses Jahres einer der blutigs- anderem in Nordsyrien, Rojava, wo Millionen Menschen ten Monate seit Beginn der Konfikte war. Das UN-Kin- humanitäre Hilfe benötigen. Ich denke, jetzt geht es da- derhilfswerk appelliert an uns, an die internationale Ge- rum, vor Ort Hilfe zu leisten. meinschaft, warnt vor einer humanitären Katastrophe für Hunderttausende schutzsuchende Kinder, die durch (Beifall bei der AfD – Zuruf von der AfD: Ja, Belagerungen, wie derzeit zum Beispiel in Ost-Ghouta, eben!) ausgehungert, durch Bombardierungen verletzt, ohne hu- manitäre und ärztliche Hilfe in zertrümmerten Dörfern Wir brauchen nicht so abscheuliche, zynische Program- und Städten dem nächsten kalten Winter entgegengehen. me wie das, welches die AfD hier einbringt und zur Dis- Kein Wort fndet sich dazu in Ihrem Antrag. Kein Wort! kussion stellt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) KEN – [AfD]: Hilfe vor Ort!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2017 187

Luise Amtsberg (A) Sie berufen sich auf Zahlen der IOM und sprechen von Das betrift auch den Familiennachzug. (C) über 600 000 freiwillig zurückgekehrten Menschen. Sie sparen bewusst aus, dass es sich dabei zu über 90 Prozent (Abg. Norbert Kleinwächter [AfD] meldet um Menschen handelt, die innerhalb Syriens vertrieben sich zu einer Zwischenfrage) wurden. Ihnen ist nicht einmal in den Sinn gekommen, Das hören Sie von mir und meiner Fraktion nicht zum dass sie vielleicht auch deshalb zurückkehren, weil in ersten Mal. Aber das ist genau das, was Schutzsuchende dem Gebiet, in das sie gefohen sind, ebenfalls Kampf- in diesem Land und ihre Unterstützerinnen und Unter- handlungen ausgebrochen sind, weil sie kein Obdach ha- stützer gerade wirklich bewegt. ben oder keine Versorgung vorfnden. Die Verzweifung dieser Menschen als Argument für eine großangelegte Kurzum: Dieser undurchsichtige Antrag der AfD ist deutsche Rückführungspolitik zu nehmen, ist schäbig. an vielen Stellen schlecht recherchiert – im Übrigen gibt es bereits ein Rücknahmeabkommen, das derzeit auf Eis (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, liegt; aber das können Sie vielleicht noch nicht wissen –, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Ab- geordneten der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Helin Evrim Sommer [DIE Was Sie auch nicht erwähnen, sind die Zahlen der Ver- LINKE]) einten Nationen, die allein in diesem Jahr schon von über 1,8 Millionen neu vertriebenen Menschen sprechen. Ich und es fehlt ihm schlichtweg an Verantwortung und Herz. kann nur sagen: Sprechen Sie auch einmal mit den Orga- Deswegen – nicht nur, aber auch deswegen – lehnen wir nisationen, die Sie in Ihrem Antrag so freimütig zitieren. ihn mit jeder Silbe ab. Die IOM beteiligt sich nämlich nicht an Rückführungen Herzlichen Dank. nach Syrien, weil die Sicherheitslage dies nicht hergibt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei der SPD und der LINKEN) sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Fraktion fordert von allen Akteuren in Syri- Vizepräsidentin Petra Pau: en, dass sie den humanitären Zugang zu allen, die ihn Ich habe Ihre Meldung gesehen, kann die Frage aber brauchen, gewähren. Wir fordern die massive Unterstüt- nicht mehr zulassen. Das hat schlichtweg damit zu tun, zung der Nachbarstaaten. Uns ist völlig klar: Für Syrien dass die Kollegin Amtsberg ihre Redezeit ausgeschöpft braucht es eine politische Lösung, und für einen dauer- hat. haften Frieden braucht es einen Prozess der nationalen (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (B) Aussöhnung; denn Gräueltaten wurden auf allen Seiten (D) NEN]: Das ist aber bedauerlich!) begangen. Es tut mir leid. Melden Sie sich beim nächsten Mal ein- Bis dahin kann ich für meine Fraktion nur sagen: fach etwas früher. Wir wissen ja, wie viel Redezeit die Wir hören mit Blick auf die Lebensrealitäten der syri- einzelnen Fraktionen haben. schen Gefüchteten hier in Deutschland genau hin. Es ist doch so: Kinder wurden hier geboren und eingeschult, (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ Deutschkurse wurden besucht, Arbeit wurde aufgenom- DIE GRÜNEN]: Wenn die nicht so laut la- men, und Freundschaften wurden geschlossen. chen würden, dann würden sie das auch mit- kriegen! – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/ (Lachen bei Abgeordneten der AfD – Claudia DIE GRÜNEN]: Ich lasse die Frage nächstes Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Mal gerne zu!) NEN]: Worüber lachen Sie denn? – Weiterer Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: – Ja, es war aber zu spät, Kollegin Amtsberg. Was ist denn daran lustig?) (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- – Ja, das ist spannend. – Was wir nicht gebrauchen kön- NEN]: Kein Problem, wir fnden noch Gele- nen, ist eine Politik der Verunsicherung. Was wir brau- genheit!) chen, sind aktive Maßnahmen zur Unterstützung der Das Wort hat Stephan Mayer für die CDU/CSU-Frak- syrischen Gefüchteten in diesem Land, wenn immer tion. noch Defzite bestehen. Dafür steht meine Fraktion be- dingungslos. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): der SPD – Zurufe von der AfD) Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle- ginnen! Sehr geehrte Kollegen! Wir debattieren heute – Das hören Sie nicht gerne, aber daran werden Sie sich den ersten innenpolitischen Antrag der FDP-Fraktion. gewöhnen müssen. (Heiterkeit bei der AfD – Dr. Marco Busch- (Dr. Eberhardt Alexander Gauland [AfD]: mann [FDP]: Nein, von uns ist der nicht! – „Bedingungslos“? Gott sei Dank, dass die Dr. Eberhardt Alexander Gauland [AfD]: Der Grünen da sind!) Antrag ist von uns!) 188 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 3 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 22 November 2017

Stephan Mayer (Altötting) (A) – Der AfD-Fraktion, Entschuldigung. Flüchtlingen, die hierhergekommen sind. Ich glaube, das (C) ändert Ihre Argumentation schon erheblich. (Beifall bei Abgeordneten der AfD) In einer derartigen Premiere steckt eine große Chance. Haben Sie den Unterschied zwischen diesem Rück- Die Aufmerksamkeit ist groß, und Sie könnten unter Be- kehrabkommen und einer Rückführung, mit der Sie ar- weis stellen, dass Ihnen tatsächlich an einer ernsthaften gumentieren, tatsächlich inhaltlich erfasst? alternativen Lösung politischer Problemstellungen gele- (Beifall bei der AfD – Luise Amtsberg gen ist. Ich kann Ihnen nur zurufen: Mit diesem Antrag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) haben Sie diese Chance kläglich vertan. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): ordneten der SPD, der FDP und des BÜND- Herr Kollege, ich habe Ihren Antrag sehr intensiv gele- NISSES 90/DIE GRÜNEN) sen und mit großem Schaudern zur Kenntnis genommen. Der Antrag ist populistisch, weltfremd, abwegig und – Wie ich argumentiere, müssen Sie schon mir überlassen. das sage ich ganz deutlich – auch zynisch. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall der Abg. Helin Evrim Sommer [DIE ordneten der SPD, der FDP und des BÜND- LINKE]) NISSES 90/DIE GRÜNEN) Mit welchem Vertragspartner in Syrien wollen Sie tat- Ich kann Ihnen nur deutlich sagen: Seien es zwangs- sächlich ein Rückführungsabkommen abschließen? Mit weise Abschiebungen, sei es die Förderung der freiwilli- Baschar al-Assad? Herr Dr. Baumann, Sie selbst haben gen Rückkehr nach Syrien: Dies ist derzeit völlig abwe- ihn als Diktator bezeichnet. An den Händen von Baschar gig und weltfremd. al-Assad klebt das Blut Hunderttausender von Menschen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP (Beatrix von Storch [AfD]: Saudi-Arabien!) und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Bea- Nach wie vor tobt in Syrien die aus meiner Sicht größte trix von Storch [AfD]: Auch freiwillige?) humanitäre Katastrophe auf unserem Globus. Über die Im gleichen Zeitraum, nämlich in den ersten sieben Hälfte der Syrer ist auf der Flucht oder vertrieben. Viele Monaten dieses Jahres, in dem – das haben Sie gefis- von ihnen sind aus dem Land gefohen. Nach wie vor sentlich übergangen – mehr als 600 000 Syrer freiwil- kämpfen täglich Milizen, Terrormilizen, Rebellen, Op- lig zurückgekehrt sind, sind 800 000 Syrer wiederum positionelle und die Freie Syrische Armee mit dem As- vertrieben worden. Von diesen über 600 000 Personen, (B) sad-Regime. Ich sage hier ganz deutlich: Es ist vollkom- die freiwillig in ihr Land oder innerhalb des Landes in (D) men abwegig, zum jetzigen Zeitpunkt Rückführungen ihr Heimatdorf zurückgekehrt sind, sind im Anschluss nach Syrien durchzuführen. 10 Prozent sofort wieder vertrieben worden. 40 Prozent (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der davon haben keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- und zur Wasserversorgung. NEN) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, die Wenn man in Ihrem Antrag liest, dass Sie davon aus- CDU/CSU-Fraktion benötigt hier keine Nachhilfe. Wir gehen, ein Vertragspartner auf syrischer Seite könne haben natürlich eine klare Aufassung dahin gehend, dass glaubhaft versichern, dass die zurückgeführten Personen der Flüchtlingsstatus nur so lange anerkannt wird, solan- in sichere Gebiete gebracht, mit dem Nötigsten versorgt, ge der Fluchtgrund tatsächlich auch gegeben ist. nicht gefoltert und nicht verfolgt werden, dann kann man Natürlich ist es richtig, dass in regelmäßigen Abstän- nur sagen: Das ist Sarkasmus pur. den überprüft wird, ob der Fluchtgrund tatsächlich noch vorherrscht, und ich bin dem Bundesamt für Migration Vizepräsidentin Petra Pau: und Flüchtlinge dankbar, dass es diese Überprüfung so- Kollege Mayer, Entschuldigung. Ich habe die Uhr an- gar vor Ablauf der gesetzlichen Fristen regelmäßig vor- gehalten. Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung von nimmt. Die Widerrufsprüfungen werden deutlich inten- Herrn Kleinwächter? siviert. Ich bitte aber auch, zur Kenntnis zu nehmen, dass das Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): europäische Recht klare Vorgaben macht, wenn es um Selbstverständlich, sehr gerne. die Feststellung geht, ob sich die tatsächlichen Umstände geändert haben. Norbert Kleinwächter (AfD): Ich habe eine Frage an Sie, Herr Mayer, und das wäre Vizepräsidentin Petra Pau: auch meine Frage an Frau Amtsberg gewesen. – Sie ha- Es gibt einen weiteren Frage- oder Bemerkungs- ben jetzt den Begrif „Rückführung“ verwendet. „Rück- wunsch aus der AfD-Fraktion. Lassen Sie das zu? führung“ entspricht ja „Abschiebung“. Ich weiß nicht, ob Sie die Formulierungen in dem AfD-Antrag richtig gelesen oder verstanden haben. Darin geht es um ein Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Abkommen zur Förderung der Rückkehr von syrischen Gerne, ja. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2017 189

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: lerweile gefahrlos möglich ist. Das halte ich für völlig (C) Bitte. abwegig. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Jens Maier (AfD): neten der SPD, der FDP und des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Bernd Baumann Herr Mayer, befürworten Sie Integrationsmaßnahmen [AfD]: Sichere Gebiete!) für Flüchtlinge, die nach Ihrer Aussage ja nur temporär aufgenommen werden sollen? Bevor die Frage gestellt wurde, habe ich noch einmal auf das europäische Recht abgehoben. Bei dieser Über- (Dr. Eva Högl [SPD]: Ja, alle hier! – Weitere prüfung, ob der Fluchtgrund tatsächlich noch vorhanden Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ist, ist zu evaluieren, ob sich die Umstände dauerhaft DIE GRÜNEN: Ja!) und erheblich geändert haben. Eine vorübergehende Änderung der Tatsachen rechtfertigt noch nicht den Wi- Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): derruf des Flüchtlingsstatus. Deshalb ist es sehr wohl Herr Kollege Maier, ich danke Ihnen ganz herzlich für notwendig, dass wir noch eine gehörige Zeit abwarten, die Frage, da sie mir die Möglichkeit gibt, auch noch sehr um feststellen zu können, ob sich die Sicherheitslage ausführlich auf das Thema Integration einzugehen. in Syrien tatsächlich nachhaltig, dauerhaft, verlässlich geändert hat. Heute ist mir das bei weitem noch viel zu (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- unsicher und viel zu fragil. Deswegen kann ich für die ordneten der SPD, der FDP und des BÜND- CDU/CSU-Fraktion nur sagen: Diesem populistischen NISSES 90/DIE GRÜNEN) und völlig weltfremden Antrag der AfD-Fraktion ist eine klare und eindeutige Ablehnung zu erteilen. Mir kommt es hier nämlich wirklich auch in entschei- dender Weise darauf an, dass wir deutlich diferenzieren. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Der Teil der syrischen Migranten, die nach der Genfer Dr. Eberhardt Alexander Gauland [AfD]: Ob Flüchtlingskonvention als Flüchtlinge anerkannt sind, das Ihre Wähler auch so sehen?) sind in unser Land zu integrieren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Vizepräsidentin Petra Pau: SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE Das Wort hat Dr. für die CDU/ GRÜNEN) CSU-Fraktion. (B) (D) Hierfür wird auch sehr viel unternommen; das sage ich (Beifall bei der CDU/CSU) ganz deutlich. Allein der Bund gibt in diesem Jahr über 600 Millionen Euro aus, um Integration vor Ort durch- Dr. Johann David Wadephul (CDU/CSU): zuführen. Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Herren! Der erste innenpolitische Antrag der AfD-Frak- NEN]: Rechtslage!) tion, wie der Kollege Mayer gesagt hat, mit aber nicht unerheblichen außenpolitischen Implikationen ist ein Wir sind darauf angewiesen, dass wir den Menschen, die Antrag, in dem uns Verhandlungen mit einem Massen- ein Recht auf dauerhaftes Bleiben haben, auch die not- mörder vorgeschlagen werden. wendigen Integrationsmaßnahmen zur Seite stellen. Der syrische Bürgerkrieg dauert an, und ich weiß gar (Abg. Jens Maier [AfD] nimmt Platz) nicht, warum Sie eigentlich ständig über den Umstand, – Ich bitte Sie, sich die Antwort bis zum Ende anzuhören dass jeden Tag in diesem geschundenen Land unschul- und noch stehen zu bleiben, weil ich jetzt nämlich zur dige Menschen hungern, gefoltert werden und sterben, Diferenzierung komme. ständig höhnisch lachen. Das ist schlicht und ergreifend unverständlich. Bei den Personen, die keinen Flüchtlingsstatus haben (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, und nur kurzfristig als subsidiär Schutzberechtigte aner- der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE kannt sind, muss man mit Sicherheit diferenziert an die GRÜNEN) Frage herangehen, ob Integrationsmaßnahmen durchge- führt werden sollen und, wenn ja, welche Integrations- Es gibt insgesamt 400 000 Tote. 212 000 und damit maßnahmen angebracht sind. mehr als die Hälfte davon sind Zivilisten. 190 000 Men- schen in etwa – die Summe ist schwer zu begreifen – (Beifall bei Abgeordneten der AfD) sind durch Angrife von Assads Truppen und seinen Ver- Ich fordere also zu einer starken Diferenzierung auf – bündeten ums Leben gekommen. 13 000 Syrer sind in gerade auch bei der Frage, für welchen Personenkreis Gefängnissen zu Tode gefoltert worden. Es gibt ernstzu- welche Integrationsmaßnahmen der richtige Ansatz sind. nehmende Berichte – das muss man auch im Deutschen Bundestag sagen –, dass es, um das zu verwischen, um Sie gehen hier aber so vor, dass Sie pauschal popu- Spuren zu vernichten, dort Krematorien gibt. Ich will mir listisch insinuieren, dass die Rückkehr nach Syrien mitt- darüber jetzt kein weiteres Urteil erlauben, aber an dieser 190 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 3 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 22 November 2017

Dr. Johann David Wadephul (A) Stelle zwischen Rückführungen und Rückkehr zu unter- kommen. Das ist das Einzige, was verantwortbar ist. Wir (C) scheiden, ist mehr als ein semantisches Wortspiel. brauchen eine inklusive, demokratisch gewählte syrische Übergangsregierung. Mit ihr dann Abkommen zu schlie- (Jürgen Braun [AfD]: Es ist juristisch, recht- ßen, wird im vornehmsten deutschen Interesse sein. Alles lich ein klarer Unterschied, Herr Wadephul!) andere vorher ist schlicht unverantwortlich. Es ist schlicht mit den Grundsätzen der Humanität nicht Vielen Dank. verantwortbar, einen einzigen Menschen in dieses Land zurückkehren zu lassen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD, der FDP, der LINKEN und (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Abg. [AfD] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Vizepräsidentin Petra Pau: Interfraktionell wurde die Überweisung der Vorlage Kollege Wadephul, Entschuldigung. auf Drucksache 19/48 an den Hauptausschuss vorge- schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Dr. Johann David Wadephul (CDU/CSU): Ich würde das gern zu Ende führen, weil die Debatte Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: aus meiner Sicht durch die Fragen aus der AfD-Fraktion Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Petra nicht an Qualität gewonnen hat. Aber das ist meine Be- Sitte, Birke Bull-Bischof, Brigitte Freihold, wei- urteilung. terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Kooperationsverbot in der Bildung vollstän- SPD, der FDP und der LINKEN) dig aufheben An dieser Stelle in dem Antrag den Eindruck zu er- Drucksache 19/13 wecken, man könnte in irgendeiner Form die Sicherheit Überweisungsvorschlag: später gewährleisten, irgendein deutscher Legationsrat Hauptausschuss würde dann schon aufpassen, dass Assads Geheimpoli- zei nicht wieder zuschlägt – es gibt in Syrien einen mul- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für tiethischen Konfikt, der in der Tat von ethnischen Säube- die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- (B) rungen durch das Assad-Regime begleitet wird; es geht ja nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. – Ich bitte, (D) nicht um eine Front; der Kollege Dr. Harbarth hat darauf die ofensichtlich erforderlichen Umgruppierungen in hingewiesen –, und wir könnten das auch nur im Ansatz den Fraktionen zügig vorzunehmen. in einem Abkommen fxieren und auch überprüfen, ist Ich eröfne die Aussprache und gebe der Kollegin Bir- entweder grenzenlos naiv oder bodenlos menschenver- ke Bull-Bischof für die Fraktion Die Linke zu ihrer ers- achtend. ten Rede im Hohen Hause das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP (Beifall bei der LINKEN) und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Birke Bull-Bischof (DIE LINKE): Im Übrigen ist Assad der Hauptverantwortliche für Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen den Bürgerkrieg. Die Haltung der Bundesregierung ist und Kollegen! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Unser Bil- eindeutig, und sie steht auch im Einklang mit allen euro- dungssystem ist chronisch unterfnanziert. Genau das, päischen Partnern und den Vereinten Nationen. Wir wol- liebe Kolleginnen und Kollegen, gehört zu den Alltags- len einen politischen Übergang gemäß der UN-Sicher- erfahrungen vieler Menschen. Das sorgt – wie ich fnde, heitsresolution 2254 und des Genfer Kommuniqués von zu Recht – überall für Empörung. 2012 erreichen. Eine stabile Lösung wird es in Syrien nur dann geben, wenn es einen Aussöhnungsprozess bzw. ei- Ich bin seit vielen Jahren Bildungspolitikerin in nen demokratischen Prozess gibt. Dieser kann selbstver- Sachsen-Anhalt und habe erlebt, wie Jahr für Jahr eine ständlich nicht mit diesem Massenmörder an der Spitze wunderbare Idee, nämlich die einer inklusiven Schule, eines freien und unabhängigen, hofentlich geeinten und schrittweise ruiniert worden ist, weil eben engagierten irgendwann wieder friedlichen Syriens gelingen. Pädagoginnen und Pädagogen das Geld und das notwen- dige Personal entzogen wurden. Wir erlebten in der Tat (Dr. Eberhardt Alexander Gauland [AfD]: mitunter Kitas, Schulen und Hochschulen in einem Zu- Völlig illusorisch!) stand, dass es den Hund jammert. In Halle beispielswei- se müssen angehende Grundschullehrkräfte ihr Fach in Deswegen setzt sich die deutsche Bundesregierung – einem Haus studieren, von dem ich Ihnen mit Sicherheit das war bisher auch bei allen außenpolitischen Unter- sagen kann, dass es im nächsten Jahr aus bautechnischen schieden, die wir natürlich hatten und auch haben wer- Gründen gesperrt wird. den, Konsens in diesem Hause – dafür ein, dass wir in den internationalen Gremien, das heißt im Rahmen der Digitale Bildung scheitert allein am Mangel an Soft- Vereinten Nationen, zu einer Friedenslösung in Syrien ware und Hardware. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2017 191

Birke Bull-Bischof (A) hat in der vorvergangenen Woche von einem Sanierungs- Ich möchte auf ein Argument etwas genauer eingehen. (C) bedarf von 34 Milliarden Euro gesprochen. Ich vermute, Es wird immer gesagt, die Länder und die Kommunen wenn wir gute Schule sehr viel weiter verstehen als nur seien zuständig und hätten eigenes Geld. Abgesehen da- die Hülle drumherum, landen wir mit Sicherheit bei ei- von, dass ich es für eine Legende halte, dass die Kommu- nem notwendigen Finanzierungsbedarf von etwa 40 bis nen vernünftig ausfnanziert sind, haben die Länder kein 50 Milliarden Euro: für eine gute und moderne Bildung Geld und vor allem nicht die Möglichkeit, Steuergerech- in Kita, in Schule und in Hochschule. tigkeit herzustellen. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. (Beifall der Abg. Helin Evrim Sommer [DIE Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) LINKE]) Was gehört zu den großen Barrieren? Vieles, meine Uns geht es darum, gemeinsam die notwendigen Res- Damen und Herren. Aber zu den großen Barrieren für sourcen bereitzustellen und Bildung als Gemeinschafts- eine vernünftige gemeinsame Finanzierung gehört das aufgabe im Grundgesetz zu verankern. Kooperationsverbot. Kein Mensch kann nachvollziehen, weshalb es dem Bund nicht möglich sein soll, sich an Im Moment bestehen kein Koalitionszwang und kein guter Bildung fnanziell zu beteiligen, Sondierungszwang. Es gibt nur eine Mehrheit, die sich im Grunde einig ist. Ich freue mich sehr auf die Zustim- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- mung zu unserem Antrag. neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Herzlichen Dank. und weshalb wir in diesem Hause ständig Schleich- und Umwege suchen müssen, anstatt den direkten Weg zu (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. gehen. Gerade wir in den neuen Ländern haben positive Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Erfahrungen mit dem Ganztagsschulprogramm damals von Rot-Grün gemacht; da war ja nicht alles schlecht, Vizepräsidentin Petra Pau: keine Frage. Das Wort hat Dr. Stefan Kaufmann für die CDU/ (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – CSU-Fraktion. Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU) Diese Erfahrungen möchten wir gerne weiterhin machen. Ich vermute, allein dieser ganzen Debatte um den Zu- Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU): stand unseres Bildungssystems verdanken wir es, dass Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (B) wahrscheinlich mindestens die Hälfte der Bevölkerung Meine Damen und Herren! Gleich zu Beginn der neu- (D) weiß, was das Kooperationsverbot ist. Alle fragen sich, en Legislaturperiode beglücken uns die Kolleginnen und warum wir im Bund zwar die Leistungsfähigkeit feststel- Kollegen der Linken mit dem bildungspolitischen Dauer- len dürfen, aber uns an einer Verbesserung dieser Leis- brenner der letzten acht Jahre: der Forderung nach einer tungsfähigkeit nicht beteiligen können. Ehrlich gesagt, Aufhebung des sogenannten Kooperationsverbots. das kann man nicht nur niemandem erklären. Ich mag es (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) auch niemandem mehr erklären. Mein Dank dafür – das wird Sie sicherlich nicht über- (Beifall bei der LINKEN) raschen – hält sich allerdings in Grenzen, nicht nur Ihnen liegt unser Antrag vor, weil wir fnden: Wir deshalb, weil ich nach wie vor ein überzeugter Gegner brauchen gute Bildung und gute Schulen, und zwar für eines solchen Schrittes bin, sondern weil ich auch nach alle Kinder, gleich welcher kulturellen und sozialen Her- Studium Ihres Antrags beim besten Willen nicht erken- kunft, gleich welchen Geschlechts. nen kann, warum wir das Grundgesetz an dieser Stelle ändern sollten. Sie führen einzig und allein an, dass die (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Länder nicht ausreichend in die Bildung investieren und neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) der Bund noch mehr mitfnanzieren soll. Wir brauchen inklusive Lernlandschaften statt einstür- Für mich bleiben dabei zwei wesentliche Fragen of- zender Schulbauten. Digitale Bildung geht nun einmal fen: Erstens. An welcher Stelle sind die Länder durch die weder ohne Ressourcen noch ohne gut ausgebildete geltende Grundgesetzregelung daran gehindert, mehr in Pä­dagogen. Deshalb muss das Kooperationsverbot in Bildung zu investieren? Zweitens. Wie soll eine wie auch diesem Bereich fallen. Wir brauchen eine Gemein- immer geartete Grundgesetzänderung dafür sorgen kön- schaftsaufgabe „Bildung“, an der sich alle drei Ebenen nen, dass uns insgesamt mehr für Bildung zur Verfügung beteiligen können. steht? (Beifall bei der LINKEN) Zur ersten Frage. Wo bitte hindert denn das Grund- Gemessen daran, mit welcher Vehemenz diese For- gesetz die Länder daran, Schulen zu sanieren, die Ganz- derung auch von anderen Parteien zumindest im Wahl- tagsbetreuung auszubauen, Kitaplätze zu schafen, die kampf vertreten wurde – von FDP, Grünen und SPD –, Hochschulen besser auszufnanzieren, mehr in die beruf- müsste unser Anliegen eine Zustimmung von mindestens liche Bildung zu investieren oder die Digitalisierung vo- 369 Stimmen fnden. ranzutreiben? An keiner Stelle! (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU) 192 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 3 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 22 November 2017

Dr. Stefan Kaufmann (A) Das, was angeblich verboten ist, nämlich die Koope- in der Lage, ausreichend Geld für Bildungsausgaben (C) ration, gibt es bereits heute. Sie alle wissen dies, und Sie aufzubringen. Die Realität ist jedoch eine andere – Sie kennen die verschiedenen milliardenschweren Program- haben es gerade selber angedeutet –: Zwar stimmt es, me – ich nenne sie nur beispielhaft – wie die Qualitäts- dass der Bund allein im letzten Jahr 5 Milliarden Euro an ofensive Lehrerausbildung – 500 Millionen Euro –, die Haushaltsüberschüssen erwirtschaftet hat, doch auch die Bildungsketten – 550 Millionen Euro alleine vom BMBF, Länder stehen glänzend da – da widerspreche ich Ihnen ohne BMAS –, „Kultur macht stark“ – 230 Millionen nun –: Sie konnten sich zeitgleich über Mehreinnahmen Euro –, das kommunale Bildungsmanagement – 170 Mil- in Höhe von 9 Milliarden Euro freuen. Selbst die Kom- lionen Euro – und vor allem die zweimal 3,5 Milliarden munen erzielten im vergangenen Jahr 5,4 Milliarden Euro für die Bildungsinfrastruktur in fnanzschwachen Euro an Haushaltsüberschüssen. Kommunen. Hören Sie also bitte endlich auf mit dem (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Hört! Gerede vom Kooperationsverbot! Hört!) (Beifall bei der CDU/CSU) Zur zweiten Frage. Bringt eine Grundgesetzänderung Vizepräsidentin Petra Pau: mehr Geld für Bildung? Die klare Antwort lautet: Nein. Kollege Kaufmann, gestatten Sie eine Frage oder Be- Eine Änderung des Artikels 104b Grundgesetz bringt per merkung der Kollegin Bull-Bischof? se keinen zusätzlichen Euro. (Birke Bull-Bischof [DIE LINKE]: Aber an Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU): Möglichkeiten, auszugeben!) Ja. Die von Ihnen beklagte Unterfnanzierung der deutschen (DIE LINKE): Bildungssysteme beenden Sie mit einer Grundgesetzän- Birke Bull-Bischof derung nicht. Frau Kollegin Beer von der FDP wird mir Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, dass im Land Berlin da sicherlich zustimmen. Denn als hessische Kultusmi- in den kommenden Jahren 60 Grundschulen saniert wer- nisterin sagte sie damals zu diesem Thema: „Die Argu- den? Punkt eins. mente für eine Grundgesetzänderung bleiben aber auch (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Dann bei der hundertsten Wiederholung falsch.“ Dem ist nichts brauchen sie ja kein Geld mehr vom Bund!) hinzuzufügen. Punkt zwei. Stimmen Sie der einfachen Logik zu, dass (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – die von der KfW-Bankengruppe beziferten fehlenden Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Wo 34 Milliarden Euro für Schulgebäudesanierungen nicht (B) sie recht hat, hat sie recht!) allein auf die rot-rot-grün regierten oder die rot-grün re- (D) Lassen Sie uns bitte die Fakten betrachten. Fakt ist: gierten Länder zu beziehen sind? Die Antragsteller wollen nicht etwa, wie es die Über- schrift des Antrags vermuten lässt, mehr Bildungsausga- Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU): ben seitens des Bundes, sondern sie wollen einzig und Im letzten Punkt stimme ich mit Ihnen natürlich über- allein pauschal mehr Geld vom Bund für die Länder. ein. Das betrift nicht nur rot-rot-grün oder rot-grün re- (Birke Bull-Bischof [DIE LINKE]: Auch gierte Länder; aber der Antrag stammt nun einmal von Quatsch!) Ihnen, und deshalb nehme ich Sie nun als Vertreterin der Länder für die Länder, in denen Ihre Partei mitregiert, in Sie nennen auch gleich den Betrag, den Sie sich vorstel- die Pficht. len, Frau Kollegin: 34 Milliarden Euro. Wozu? Um den (Beifall des Abg. [CDU/ Sanierungsstau an Deutschlands Schulen zu beenden. Ja, CSU] – Birke Bull-Bischof [DIE LINKE]: es ist eine Schande, wenn, wie jüngst in Berlin gesche- Deswegen sind wir die Bösen?) hen, Schulgebäude einstürzen, weil die Landesregierung nichts für den Erhalt der Gebäude tut. Schön, dass Berlin 60 Schulen sanieren will; aber of- fensichtlich geschieht das viel zu spät. Daran geht wohl Ja, es ist eine Schande, wenn, wie in vielen Berliner kein Weg vorbei. Schulen traurige Realität, Schultoiletten seit 30 Jah- ren nicht saniert wurden. Dafür muss aber niemand das (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Grundgesetz ändern. Es ist die unbedingte Pficht ei- ner verantwortungsbewussten Landesregierung, solche Angesichts dieser Zahlen dürfte jedem klar werden: Missstände frühzeitig zu erkennen und gegenzusteuern. Es braucht eigentlich gar nicht die zusätzlichen Mittel Anstatt hier also von Kooperationsverboten zu lamentie- des Bundes für die Schulen im Land. Die Länder verfü- ren, sollten die Damen und Herren Abgeordneten von der gen mittlerweile über ausreichende Mittel und jede Mög- Linken ihren Genossen in Berlin, die hier die Verantwor- lichkeit, dieses Geld auch in die Zukunft zu investieren. tung tragen, einmal ins Gewissen reden und endlich eine Das ist besser, als nach immer mehr Bundesmitteln zu vernünftige Schulpolitik einfordern. rufen. (Beifall bei der CDU/CSU) Mein Eindruck ist, dass die Antragsteller ofenbar jeg- liches Maß verloren haben. 1,2 Milliarden Euro jährlich Fakt ist weiter: Die Antragsteller behaupten – ich un- aus der BAföG-Finanzierung und die besagten zweimal terstelle: wider besseres Wissen –, die Länder seien nicht 3,5 Milliarden Euro mehr im Kommunalinvestitionsför- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2017 193

Dr. Stefan Kaufmann (A) derungsfonds bezeichnen Sie in Ihrem Antrag als „Trop- Schule auf den Weg bringen, wir werden qualitativ hoch- (C) fen auf den heißen Stein“. Gar nicht erst erwähnt werden wertige Ganztagesangebote schafen, und wir werden – von Ihnen die 20,2 Milliarden Euro Hochschulpaktmittel das liegt mir persönlich sehr am Herzen – endlich dafür im Zeitraum 2007 bis 2023 und die vielen anderen Pro- sorgen, dass die Bildungsabschlüsse in ganz Deutschland gramme, die ich vorher genannt habe. aufgrund einheitlicher Bildungsstandards vergleichbar und gegenseitig anerkannt werden und so Schulwechsel Fakt ist also: Der Bund engagiert sich bereits heute in zwischen zwei Bundesländern erleichtert werden. Das Sachen Bildung fnanziell so umfassend wie nie zuvor, erwarten die Eltern und die Schülerinnen und Schüler zu übrigens auch umfassender als vor 2006. Recht von uns. Das müssen und das werden wir gemein- Noch einen Fakt erspare ich Ihnen ebenfalls nicht, sam mit den Ländern angehen. Frau Kollegin: Der Deutsche Bundestag allein wird am Grundgesetz gar nichts ändern können; denn für eine Än- Vizepräsidentin Petra Pau: derung des Grundgesetzes ist bekanntermaßen auch eine Kollege Kaufmann, ich muss Sie darauf aufmerk- Zweidrittelmehrheit im Bundesrat erforderlich. Zwar be- sam machen, dass ich jetzt die Rechte des Kollegen richten Sie hier stolz, dass eine Reihe von Bundesländern Schipanski wahrnehme. die vollständige Aufhebung des Kooperationsverbotes fordert, Sie verschweigen jedoch den wesentlichen As- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) pekt, dass nur ganze sieben Länder, also nicht einmal die Hälfte der Länder – dazu kommt, dass es eher die klei- neren Länder sind –, diesen Vorstoß unterstützen wollen. Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU): Um die Sanierung ihrer Schultoiletten aber müssen Da ich nun weiß, dass auch unsere Freunde von den und sollen sich die Länder bitte weiterhin selbst küm- Grünen – Kollege Gehring wird ja wahrscheinlich gleich mern. sprechen – mit einer Grundgesetzänderung liebäugeln, zitiere ich zu diesem Thema gerne auch stellvertretend Herzlichen Dank. den Regierungschef von Baden-Württemberg, Winfried (Beifall bei der CDU/CSU) Kretschmann: „Zu dieser Revolution wird es nicht kom- men.“ Vizepräsidentin Petra Pau: (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Wer will schon Revolution?) Das Wort hat Dr. Ernst Dieter Rossmann für die SPD-Fraktion. Zumindest zu Zeiten, als Frau Beer – wieder an die (B) Adresse der FDP gerichtet – als Ministerin in Hessen Bil- (Beifall bei der SPD) (D) dungspolitik zu verantworten hatte, sah das im Übrigen auch die FDP so. Ich zitiere noch einmal, diesmal Frau Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Beer: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Niemand ist dagegen, dass in irgendeiner Weise ko- Frau Bull-Bischof, Sie haben so schön gesagt: Es war operiert wird, nur eines ist klar: Nach dem Grund- nicht alles schlecht, was Rot-Grün mit dem Ganztags- gesetz haben die Länder die Hoheit im Bereich der schulprogramm damals gemacht hat. – Ich sage Ihnen Schulpolitik, und dementsprechend wollen wir uns ganz direkt: Sie haben eine tolle Rede gehalten, weil Sie weder von anderen Ländern noch vom Bund hier hi- hier in die Debatte etwas eingeführt haben, was viele neinregieren lassen. Menschen in Deutschland bewegt, nicht nur die Bundes- kanzlerin, die 2008 einen hohen Ton angeschlagen hat, Lassen Sie uns also lieber nach vorne blicken und als sie den nationalen Bildungsgipfel ausgerufen hat und wahren, richtigen bildungspolitischen Gestaltungswillen dort geradezu eingefordert hat, dass alle politischen Ebe- zeigen. Führen wir nicht länger Scheindebatten über an- nen für die Bildungsrepublik zusammenwirken, damit gebliche Kooperationsverbote, sondern schnüren wir ein wir es für die Kinder, die Jugendlichen, die Eltern und Zukunftspaket für beste Bildung. Die Unionsparteien ha- diejenigen, die die Bildung mit ganzem Herzblut organi- ben genau das vor. sieren, gut einrichten. Unser Grundgesetz gibt uns bereits heute ausreichend Das kann man auch konkreter machen. Man kann es Spielraum, um in gemeinsamer Verantwortung von konkret machen, wenn wir uns jetzt fragen: Wie schafen Bund, Ländern und Kommunen für gleichwertige Le- wir, alle Beteiligten, die Jahrzehntsaufgabe „Gute Ganz- bensverhältnisse im Bildungsbereich zu sorgen, ohne die tagsschule in Deutschland“? Da reden wir nicht über Kultushoheit und damit auch die Eigenstaatlichkeit der 100 Millionen Euro; da reden wir über 5 bis 6 Milliarden Länder auszuhöhlen. Ja, wir haben eine gesamtstaatliche Euro. Wie schafen wir es, die digitale Modernisierung in Verantwortung; aber – auch das möchte ich an dieser den Schulen zu ermöglichen? Da ist Frau Wanka schon Stelle sagen – das Bundesverfassungsgericht setzt uns mit 5 Milliarden Euro – so das Versprechen – in Vorlage angesichts der Ewigkeitsgarantie in Artikel 79 Absatz 3 gegangen, Grundgesetz hier sehr enge Grenzen. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sehr gut!) Bessere Rahmenbedingungen für optimale Lehr- und Lernbedingungen wollen wir ohne eine erneute Grund- hat aber bisher nichts geliefert. Vielleicht hat sie nichts gesetzänderung schafen. Wir werden einen DigitalPakt geliefert, weil Innenpolitiker der CDU sagen: Der Arti- 194 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 3 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 22 November 2017

Dr. Ernst Dieter Rossmann (A) kel 91c Grundgesetz gibt gar keine Grundlage dafür, dies durch den Bund förderfähig gemacht. Wir haben 2017 (C) für eine schulische Verbesserung zu verwenden. die fnanzschwachen Kommunen als förderfähig erkannt. Wir sagen: In dieser langen Geschichte braucht es jetzt (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Stefan einen Befreiungsschlag. Da, wo es um große Aufgaben Kaufmann [CDU/CSU]: Doch! – Tankred geht, muss es auch große Kooperationen – um nicht zu Schipanski [CDU/CSU]: Böse Unterstellung!) sagen: große Koalitionen – geben. Unsere Schlussbitte Sie von der CDU/CSU sagen: Wir wollen in Deutsch- lautet: Lassen Sie Vernunft wachsen! land die berufiche Bildung ertüchtigen, weil das sehr Danke schön. notwendig ist, (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Jawohl!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) und dafür wollen wir die berufichen Schulen fördern. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Da haben Vizepräsidentin Petra Pau: wir die Kompetenz!) Dr. Götz Frömming aus der AfD-Fraktion hat das Gleichzeitig sagen Sie: Wir haben keine Kompetenz für Wort zu seiner ersten Rede. die berufichen Schulen; (Beifall bei der AfD) (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das ist falsch!) Dr. Götz Frömming (AfD): das ist Landesgesetzgebung. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin Bull-Bischof, in Ihrer (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Rede war viel von Geld die Rede. der LINKEN) (Birke Bull-Bischof [DIE LINKE]: Nee!) Herr Kollege, wenn Sie sich mal ein bisschen auf die Fakten einlassen würden! Wir haben hier über das Be- – Doch, Sie haben ziemlich hohe Milliardenbeträge hier rufsbildungsgesetz die Kompetenz in Bezug auf die be- genannt, Geld, das auch erst einmal verdient und erar- triebliche Ausbildung, aber nicht in Bezug auf die be- beitet werden muss und das hier nun ausgegeben werden rufichen Schulen. Wir fnden es gut, wenn Sie begrifen soll. haben, dass man dort zusammen etwas schafen muss. Ich glaube aber, meine Damen und Herren, es geht bei (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten diesem Thema auch noch um etwas anderes. Die föderale (B) der LINKEN) Struktur unseres Staates genießt seit 1949 einen besonde- (D) ren verfassungsrechtlichen Schutz. Sie manifestiert sich Aber dann stehen doch die Inhalte vorn und nicht der Ge- nicht zuletzt auch im Bildungswesen. Dass Bildung im setzesparagraf. Wesentlichen Ländersache ist, galt darüber hinaus übri- Wir waren froh und haben gedacht: Alle nähern sich gens schon in der Weimarer Republik und selbst im Kai- dem, was die Menschen bewegt: gute Schule mit glei- serreich. chen Chancen für alle, mit Langfristigkeit und mit Fair- (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN – Bir- ness in der Finanzierung – und das bei erwarteten 1 Mil- ke Bull-Bischof [DIE LINKE]: Na klar!) lion zusätzlichen Schülerinnen und Schülern. – Dazu, dass dort Fairness in der Finanzierung herzustellen ist, Lediglich in der Zeit der beiden deutschen Diktaturen, darf man vielleicht noch in Erinnerung bringen, dass ak- zur Zeit der Nazidiktatur und zur Zeit der Diktatur der tuell die Länder über 80 Prozent von dem investieren und SED, haben wir ein zentralistisches Bildungswesen in bezahlen, was an Schulen geleistet wird. Die Kommunen Deutschland gehabt. kommen dann schon als Nächstes, und dann kommt der (Beifall bei der AfD – René Röspel [SPD]: Bund. Der Bund leistet dabei nicht nur einen Ausgleich, Zusammenhang!) nicht nur eine Unterstützung bei großen Projekten; er ist manchmal auch stimulierend tätig. Das, was wir zum Die Linke, meine Damen und Herren, plädiert mit Beispiel mit dem Bund-Länder-Programm für die För- dem vorliegenden Antrag für mehr Zentralismus. Dieses derung der Hochbegabten angestoßen haben, ist nicht Ziel soll uns mit allerlei populistischem Wortgeklingel falsch gewesen, aber es geschah eigentlich im luftleeren schmackhaft gemacht werden. Bei jedem, dem unsere Raum. Verfassung nicht gleichgültig und die Zukunft unserer Kinder wichtig ist, sollten aber dennoch oder gerade des- Das, was wir jetzt mit Ihrem Anstoß zusammen schaf- wegen die Alarmglocken klingen. fen müssen, ist, dass der Impuls aus dem Bundesrat, der Impuls von immer mehr Ländern, die dies auch koopera- Zur Vorgeschichte: Um die teilweise verworrenen tiv einbringen wollen, aufgenommen wird. Dafür werben Abhängigkeiten zwischen Bund und Ländern im Be- wir. Wir werben so dafür, wie wir es schon in anderer reich von Bildung und Forschung zu entfechten, hat der Situation getan haben. Wir haben nach 2006 die Hoch- Bundestag 2006 – übrigens mit großer Mehrheit, auch schulpakte ermöglicht. Wir haben 2008, in der Kata­ die SPD hat dem zugestimmt – eine Föderalismusreform strophensituation mit Lehman Brothers, Konjunkturpro- beschlossen. Dabei wurde die grundsätzliche Zuständig- gramme für Schulen möglich gemacht. Wir haben 2014 keit der Länder für Bildung und Forschung sogar noch erstmals in der Geschichte des Grundgesetzes die Lehre bekräftigt. Für den Bereich der Hochschulen und der Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2017 195

Dr. Götz Frömming (A) Forschung wurde einige Jahre später mit der Änderung ziale Experimente oder für die Durchsetzung von Gesell- (C) des Artikel 91 Grundgesetz, die 2015 in Kraft trat, eine schaftsutopien sein. Kooperation von Bund und Ländern erleichtert. Die Zu- ständigkeit für die Schulen blieb aber in der Hand der (Beifall bei der AfD) Länder; und das war auch gut so. Diesen Zustand, der In ihnen, füge ich hinzu, sollten allein die Vermittlung in Wahrheit eben nicht erst seit 2006 so oder ähnlich von Bildung und Wissen im Mittelpunkt stehen. Nicht besteht, mit dem politischen Kampfbegrif „Kooperati- Marx oder Honecker – Margot meine ich hier – dürfen onsverbot“ zu betiteln, ist geschickt, wird aber der Sache in Bildungsfragen der heimliche Fixstern sein, sondern nicht gerecht. Humboldt und Goethe. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD – Birke Bull-Bischof Der Begrif taucht übrigens im Gesetz gar nicht auf. [DIE LINKE]: Gähn! – Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Andere Argumente haben Sie In der Sache geht es Ihnen, sehr geehrte Kolleginnen wohl nicht!) und Kollegen zur Linken, ja darum, auch für den Bereich der Schulen dem Bund zu mehr Einfuss und Geltungs- Wenn es dem Bund tatsächlich nur darum geht, die möglichkeiten zu verhelfen. Als ob allein dadurch die Länder allgemein bei der Erfüllung ihrer Aufgaben im Bildung schon besser würde. Bereich der Bildung zu unterstützen, sollten wir auf die ideologische Selektion bestimmter Projekte verzichten (Sören Pellmann [DIE LINKE]: Allein nicht!) und über eine allgemeine Förderung bzw. Entlastung f- Gerade im Bereich der Bildung brauchen wir Freiheit nanzschwacher Länder nachdenken – ich komme gleich und Wettbewerb statt Leistungsabsenkung und Gleich- zum Ende –, sodass über die konkrete Verwendung der macherei. Mittel in den Ländern selbst entschieden wird. Eine sol- che Vorgehensweise entspräche eher dem Subsidiaritäts- (Beifall bei der AfD – René Röspel [SPD]: prinzip und ist auch demokratischer, da die Bürger eines Was sind das für Gegensätze?) Landes dann auch die Bildungspolitik bekommen, die sie selbst gewählt haben. Die AfD-Fraktion lehnt den Antrag Auch wenn es zunächst sinnvoll erscheinen mag, dass der Linken ab. der vermeintlich reichere Bund mehr Mittel für die Schu- len zur Verfügung stellen sollte, ist der Antrag in dieser Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Form ein vergiftetes Geschenk; denn die Linke will den Ländern ja nicht einfach nur mehr Geld geben, nein, sie (Beifall bei der AfD) (B) will sie an den schwarz-rot-goldenen Zügel legen. Dem, (D) meine Damen und Herren, können wir nicht zustimmen. Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall bei der AfD) Das Wort zu ihrer ersten Rede hat die Kollegin Katja Suding für die FDP-Fraktion. Der ideologische Charakter des Antrags wird deutlich, wenn man sich anschaut, welche Vorhaben mit Bundes- (Beifall bei der FDP) mitteln fnanziert werden sollen, zum Beispiel die viel- gelobte Ganztagsschule. Nachweislich lassen sich durch Ganztagsschulen keine besseren Bildungsergebnisse er- Katja Suding (FDP): zielen. Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Bildung ist die soziale Frage in unserer Zeit. Für uns ist (Beifall bei der AfD – Kai Gehring [BÜND- klar: Nicht ein Aufblähen unseres Sozialstaates, sondern NIS 90/DIE GRÜNEN]: Antifaktisch! Allein gute Schulen und Hochschulen sind die beste Sozialpo- das Sozialverhalten wird besser! – Weitere litik für unser Land. Zukunftschancen für unsere Kinder Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und für unser Land entstehen im Klassenzimmer. Dies können Sie gerne in der großen, vom Bildungsmi- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten nisterium selbst geförderten Studie zu den bestehenden der AfD) Ganztagsschulen nachlesen. Dort steht das alles schwarz auf weiß. Doch leider wird in Deutschland der Bildungserfolg immer noch sehr stark von der Herkunft bestimmt. Es (René Röspel [SPD]: Das haben Sie nicht darf aber keinen Unterschied machen, ob ein Kind aus richtig gelesen!) einem Elternhaus mit oder ohne Migrationshintergrund Es waren renommierte Institute daran beteiligt. Interes- kommt, ob seine Eltern Arbeit haben oder nicht, ob sie santerweise hat übrigens das Bundesland mit den we- gebildet sind oder nicht. nigsten Ganztagsschulen die besten Bildungsergebnisse, nämlich Bayern. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNIS- (Beifall bei der AfD) SES 90/DIE GRÜNEN) Schulen, meine Damen und Herren, dürfen nach Auf- Und es darf keinen Unterschied machen, in welchem fassung der Alternative für Deutschland kein Ort für so- Bundesland ein Kind zur Schule geht. Deshalb muss 196 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 3 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 22 November 2017

Katja Suding (A) das sogenannte Kooperationsverbot abgeschaft werden, standards gelten und dass Abschlussprüfungen einheit- (C) meine Damen und Herren. lich gestellt werden. (Beifall bei der FDP, der SPD, der LINKEN (Beifall bei der FDP) und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dieser zentrale Aspekt fehlt im Antrag der Linken. Für Ich sage: Ja, der Bund soll sich weiter aus den päda- Familien mit schulpfichtigen Kindern darf es nicht län- gogischen Konzepten heraushalten. Aber nein – und da ger eine Zumutung sein, von einem Bundesland ins an- haben wir uns nach intensiven Debatten in den letzten dere umzuziehen. Jahren in unserer Haltung durchaus weiterentwickelt, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Herr Kaufmann –, dem Bund darf die Finanzierung einer der SPD) umfassenden Modernisierung unseres Bildungssystems nicht untersagt sein. Er muss sich beteiligen können. Al- Gleichzeitig wollen wir das Konzept der selbstver- les andere ist im 21. Jahrhundert angesichts der Globali- antworteten Schule weiter stärken. Der Bund setzt Stan- sierung doch völlig grotesk, meine Damen und Herren. dards, die überprüfbar und transparent sind. Über den Weg zu dieser Zielerreichung – über Organisation, Bud- (Beifall bei der FDP, der SPD, der LINKEN get und Personal – entscheiden die Schulen selbst; und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Zuruf von der FDP: Wahrer Wettbewerb!) Unser Bildungssystem steht vor immens großen Auf- denn die kennen die Bedingungen vor Ort, kennen ihre gaben. Marode Schulen und Hochschulen müssen saniert Schüler- und Elternschaft. Unter solchen Bedingungen werden, die digitale Infrastruktur muss ausgebaut wer- erzielen auch Schulen in sogenannten Brennpunkten den. Wir brauchen mehr Ganztagsangebote und mehr Ex- oft hervorragende Ergebnisse, wie die Verleihung von zellenz in der berufichen Bildung. Vor allem brauchen Schulpreisen regelmäßig zeigt. Das muss der Weg sein, wir Lehrer, die bestens aus- und weitergebildet sind im meine Damen und Herren. Umgang mit digitalen Lehrmethoden. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dr. Ernst (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Dieter Rossmann [SPD]) Die Chancen des digitalen Lernens lassen sich nicht Für die Abschafung des Kooperationsverbotes sind nutzen, wenn einfach nur die gute alte Fibel durch das verschiedene Wege denkbar. Der Antrag der Linken will iPad ersetzt wird. Bildung als Gemeinschaftsaufgabe in Artikel 91b Grund- (Beifall der Abg. Birke Bull-Bischof [DIE gesetz verankern. Er fordert außerdem, das Kooperati- onsverbot in Artikel 104b Grundgesetz aufzuheben. Das (B) LINKE]) (D) würde aber nicht nur den Bildungsbereich betrefen. Investitionen sind vor allem in Hardware, aber auch in Wir wollen dagegen die Abschafung des Kooperati- die Köpfe notwendig. Und hier brauchen wir schnell und onsverbotes auf den Bildungsbereich beschränken und ganz gezielt Verbesserungen. den Bund in diesem Zuge verpfichten, Qualitätsanforde- (Beifall bei der FDP) rungen auszusprechen und ihre Einhaltung überprüfbar und transparent zu machen. Entsprechende Vorschläge Durch ein starres Festhalten am Kooperationsverbot, werden wir ins Parlament einbringen. wie es die Union und auch Teile der Grünen zumindest in den Ländern wollen, lassen sich unsere Probleme Dem Linkenantrag werden wir daher heute nicht zu- nicht lösen. Ganz im Gegenteil: So wird ihre Lösung er- stimmen. Wir freuen uns aber auf die Beratung im Aus- schwert, wenn nicht sogar verhindert. schuss. Vielen Dank. Was bisher vonseiten des Bundes unternommen wur- de, ist zu wenig. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sie können wahrscheinlich nicht rechnen, Frau Kollegin!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Kai Gehring für die Fraktion Vom Digitalpakt können die Länder noch immer nicht Bündnis 90/Die Grünen. proftieren, weil Bildungsministerin Wanka die Verwal- tungsvereinbarung, die über Monate mit den Ländern Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): mühsam ausgehandelt wurde, auf der Sitzung der Kul- tusminister im Juni nicht unterzeichnet hat. Auch die Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Grundgesetzänderungen aus diesem Jahr lassen eine Erst einmal vielen Dank an die Linksfraktion, das Thema Bundesunterstützung bei der Bildung auf sehr wackligen Kooperationsverbot so frühzeitig in der neuen Wahlperi- Füßen stehen. ode aufzusetzen. (Sören Pellmann [DIE LINKE]: Bitte schön!) Mehr Geld vom Bund alleine wird es aber auch nicht richten. Der Bund darf sich nicht von seiner Verant- Seit 2006 ist es dem Bund untersagt, Schulen direkt wortung freikaufen. Er muss sicherstellen, dass in ganz zu unterstützen. Unser Grundgesetz verunmöglicht lei- Deutschland gemeinsame und ambitionierte Qualitäts- der, dass Bildungseinrichtungen vor Ort vom Bund fä- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2017 197

Kai Gehring (A) chendeckend mitfnanziert werden können. Dieses Ko- Ganztagsschulprogramm aufgelegt haben; und das war (C) operationsverbot haben uns CDU, CSU und SPD im gut so. Rahmen der Föderalismusreform I eingebrockt. Das war ein Rückschritt für ein kreatives Land der Dichter und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Denker. Es war ein Fehler der damaligen Großen Koa- sowie bei Abgeordneten der SPD und der lition. Wir Grüne kämpfen seit elf Jahren dafür, ihn zu LINKEN) korrigieren. Wir wollen diese Kooperation zwischen Bund und Ländern im Idealfall mit einer Reform des Artikel 91b (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) neu entfachen; denn es braucht gemeinsame Antworten auf bundesweite Herausforderungen wie Bildungsge- Unser Ziel ist eine Ermöglichungsverfassung, die rechtigkeit, Inklusion, Integration und Digitalisierung. mehr Kooperationskultur zwischen Bund und Ländern im Bereich Bildung bringt. Das wäre ein Weg zu mehr Das Kooperationsverbot von 2006 hat sich als pra- Chancengerechtigkeit für alle Schülerinnen und Schüler, xisfern erwiesen. 2009, 2014 und 2017 wurde es jeweils egal woher jemand kommt und wo jemand wohnt. halbherzig gelockert, erst für die Hilfe bei Naturkatastro- phen und Konjunkturpakete, dann für die Wissenschafts- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zusammenarbeit, zuletzt für die Förderung der Bil- dungsinfrastruktur nur in fnanzschwachen Kommunen. Das Kooperationsverbot hat ganz konfuse Regeln Dass für Schulen nach wie vor keine fächendeckende für die Bund-Länder-Zusammenarbeit bei Bildung ge- Unterstützung des Bundes möglich ist, steht der Chan- bracht. Die Nachmittagsbetreuung von Kindergartenkin- cengleichheit und der Gleichwertigkeit der Lebensver- dern darf der Bund mitfnanzieren, die von Schulkindern hältnisse entgegen. Der nächste Schritt muss daher die nicht. Für die energetische Sanierung von Schultoiletten restlose Abschafung dieser Kooperationshürde sein, um sind Bundesgelder möglich, nicht aber, wenn eine Kom- den Weg für kluge Bund-Länder-Vereinbarungen freizu- mune dabei die Klodeckel austauscht. Das ist absurd, das machen. ärgert Eltern, und das schreit nach einer Erneuerung un- seres Bildungsföderalismus. Die Menschen wollen beste (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bedingungen für gute Bildung – bundesweit. sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Für eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und im der SPD) Bundesrat muss man weiter trommeln, weil das schlicht- weg vernünftig ist. In den Jamaika-Sondierungsgesprä- (B) (D) Einige hier im Saal waren so wie ich schon 2006 chen waren die FDP und wir Grüne im Übrigen sehr nahe bei den Debatten zur Föderalismusreform I dabei. Wir daran, diese Hürde zu kippen. Grüne im Bundestag haben uns dem Kooperationsver- (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Mit Ausnah- bot damals widersetzt. Heute sieht man leider, dass die me von Herrn Kretschmann!) damaligen Befürchtungen eingetreten sind. Das Funda- ment einer Bildungsrepublik bröckelt, wenn es in Schu- Denn CDU und CSU mussten erkennen, dass es alles an- len reinregnet, wenn Lehrkräfte fehlen und die Qualität dere als trivial ist, einen guten Weg zu fnden, den im Ok- auseinanderklaft. tober 2016 verkündeten DigitalPakt Schule in der Fläche umzusetzen. Enorme Steuerüberschüsse im Bund, zugleich unter- fnanzierte Bildungseinrichtungen vor Ort – das ist für (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Hört! eine der stärksten Volkswirtschaften weltweit ein absur- Hört!) der Befund und zukunftsvergessen. Gute Bildung für alle Das Platzenlassen der Sondierungen durch die FDP hat ist so wichtig, dass sie gesamtstaatliche Verantwortung uns einer Riesenchance beraubt, die Union bei dieser braucht. Frage zu bewegen, und das bedauern wir. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Dr. Stefan Kaufmann sowie bei Abgeordneten der SPD und der [CDU/CSU]: Das machen die Länder, Herr LINKEN) Kollege!) Wir werden nun leider nicht erfahren, ob SPD und Einzelne Ministerpräsidenten favorisieren, dass der Linke der Vorlage einer Jamaika-Koalition zur Änderung Bund mehr Umsatzsteuerpunkte an die Länder abgibt. der Verfassung zugestimmt hätten. Das überzeugt mich nicht; denn so wäre nicht garantiert, (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Herr dass die Mittel in den Schulen vor Ort ankommen. Geld Kretschmann hätte das immer verhindert! Die allein schaft auch keine Kooperationskultur, sondern es CSU war dagegen! Was erzählen Sie?) sind vor allem gemeinsame Vorhaben und Vereinbarun- gen. Ich halte das jedoch für denkbar, weil es vielen hier um die Sache geht. Daher sage ich für uns Grüne im Bun- Der bundesweite Schub für Ganztagsschulen kam erst destag: Wir waren und wir bleiben gesprächsbereit, wenn in Gang, als SPD und Grüne mit den Ländern 2003 das es um das restlose Kippen der Kooperationshürde geht. 198 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 3 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 22 November 2017

Kai Gehring (A) Nicht nur wir wollen eine Ermöglichungsverfassung für zent der Mittel des dritten Investitionsprogramms von den (C) bessere Bildung. Ländern abgerufen. So viel nur dazu, Frau Suding, weil Sie sagten, es sei zu wenig Geld da. Es scheint zu viel Vizepräsidentin Petra Pau: Geld da zu sein. Man kann gar nicht alles verbauen. Die Qualitätsofensive Lehrerbildung hat Stefan Kaufmann Kollege Gehring, diese Gespräche müssen Sie jetzt genannt. Bund-Länder-Vereinbarungen: 500 Millionen bitte in anderen Gremien fortsetzen und einen Punkt set- Euro. Kommunales Bildungsmanagement: 170 Millio- zen. nen Euro. In jedem Landkreis wird ein Bildungsmanager vom Bund fnanziert. Ich denke, das macht deutlich, wie Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): gut hier die Zusammenarbeit funktioniert. Der Digital- Deshalb sage ich im letzten Satz: Im ganzen Land pakt wurde angesprochen. Er gilt auch für Berufsschulen. wäre der Beifall groß, wenn das Kooperationsverbot endlich in Gänze fele. Lassen Sie uns daran beharrlich Wir haben verschiedene Rechtsgrundlagen, wie wir weiterackern, meinetwegen gerne überfraktionell. diese mehr als 5 Milliarden Euro in die Länder bringen können. Sie sehen: Bildung ist bereits eine gesamtstaat- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, liche Aufgabe. Sie wird gesamtstaatlich fnanziert. Der bei der SPD und der LINKEN sowie bei Ab- Bund sorgt mit Milliardenzahlungen dafür, dass gleich- geordneten der FDP) wertige Lebensverhältnisse in Deutschland entstehen und vorhanden sind. Dennoch wird hier behauptet, die Vizepräsidentin Petra Pau: Bundesländer wären mit ihrer Verantwortung überfor- Das Wort hat der Kollege Tankred Schipanski für die dert. Auch das ist falsch, liebe Kolleginnen und Kolle- CDU/CSU-Fraktion. gen. Es ist ein hausgemachtes Problem; denn es liegt an den Bundesländern, ihre Mittel entsprechend einzuset- (Beifall bei der CDU/CSU) zen. Sie müssen sie da einsetzen, wo sie Verantwortung tragen. Tankred Schipanski (CDU/CSU): Stefan Kaufmann hat die massiven Steuermehrein- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! nahmen der Länder angesprochen. Brechen wir diese Bereits die Wortwahl in dieser Debatte ist verwirrend Milliardenbeträge einmal auf ein relativ – in Anfüh- und erweckt einen völlig falschen Eindruck. Das Grund- rungszeichen – armes Bundesland wie Thüringen he- gesetz legt klare Zuständigkeiten und somit Verantwort- runter: Steuermehreinnahmen 2014: 9 Millionen Euro, lichkeiten fest. Das Grundgesetz ist dabei geprägt von ei- 2015: 48 Millionen Euro, 2016: 237 Millionen Euro, ner Kooperationskultur zwischen Bund und Ländern, die 2017: 348 Millionen Euro. Meine Damen und Herren, (B) (D) bereits Ausfuss des sogenannten Bundesstaatsprinzips das sind Mehreinnahmen on top für den laufenden Haus- ist. Es wird hier der Eindruck erweckt, der Bund wür- halt. Bei solchen Zahlen können Sie uns nicht erzählen, de die Bundesländer im Bereich der Bildung nicht oder Thüringen könne seiner Bildungsverantwortung nicht nur unzureichend unterstützen, und das ist schlichtweg gerecht werden. falsch. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Ich will Ihnen sagen, was in Thüringen los ist. Der Ge- Bund und Länder kooperieren beispielsweise im Wis- nosse nimmt lieber 39 Millionen Euro senschaftsbereich mit diversen Bund-Länder-Vereinba- und saniert damit ein Fußballstadion in Erfurt, um sei- rungen, gemeinsamen Initiativen, Forschungseinrichtun- nem Genossen Oberbürgermeister einen Gefallen zu tun, gen, Forschungsverbünden, wobei der Verfassungsgeber anstatt dieses Geld verantwortungsvoll in Schulen und bei der Reform von Artikel 91b des Grundgesetzes im Hochschulen zu investieren. Jahr 2014 ganz klar gesagt hat, dass es sich hierbei nicht um ein Instrument des Finanzausgleichs handelt. Vizepräsidentin Petra Pau: Auch im Bildungsbereich fndet umfangreiche Bun- Kollege Schipanski, gestatten Sie eine Zwischenfra- desunterstützung statt. Der Kollege Kaufmann hat Ihnen ge? das vorhin schon nähergebracht. Das Erfolgsprogramm des BMBF „Kultur macht stark. Bündnisse für Bildung“, Tankred Schipanski (CDU/CSU): das gerade frisch verlängert wurde, umfasst 230 Mil- lionen Euro. In meinem Wahlkreis werden darüber alle Nein, wir machen das am Ende mit einer Kurzinter- außerschulischen Bildungsangebote bereitgestellt. Ins- vention. gesamt stellt der Bund 5,7 Milliarden Euro an Finanz- hilfen für die Bildungsinfrastruktur zur Verfügung. Das Vizepräsidentin Petra Pau: bedeutet für mein Heimatland Thüringen 70 Millionen Das muss Kollegin Esken dann selbst entscheiden, ob Euro Bundesgelder für Schulbauten. Dazu kommen Mil- sie eine Kurzintervention machen möchte. liardenbeträge, die der Bund für den Kitaausbau leistet. Von 2008 bis 2020 sind das 12 Milliarden Euro. Tankred Schipanski (CDU/CSU): Meine Damen und Herren, die Gelder werden von den Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Bund ist keine Ländern sogar nur unzureichend abgerufen, weil es so zu melkende Kuh. Am 1. Juni 2017 haben wir in diesem viel ist. Bis zum 31. Juli 2017 wurden lediglich 40 Pro- Hause einen neuen Bund-Länder-Finanzausgleich be- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2017 199

Tankred Schipanski (A) schlossen, und zwar bei massiver Belastung des Bundes, die Union fest: Wir geben keine unkonditionierten Mit- (C) der ab 2020 jährlich rund 10 Milliarden Euro mehr an die tel mehr in die Bundesländer. Zusätzliches fnanzielles Länder transferiert. Die Sektkorken haben nach diesem Engagement muss für den Bund mit inhaltlicher Gestal- Beschluss in allen deutschen Staatskanzleien geknallt. tungskompetenz einhergehen. Dieser Erfahrung und die- Der damalige Bundesfnanzminister Wolfgang Schäuble ser Forderung sollten sich auch die anderen Fraktionen verteidigte die Reform, räumte aber ein, es sei kein un- nicht verwehren. Lassen Sie Ihre Vernunft wachsen! problematischer Schritt – Zitat –: (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Ernst Dieter Wir ändern ein Stück weit die Architektur unserer Rossmann [SPD]: Das ist ein Angebot!) föderalen Finanzordnung. Wir sind ein Bundesstaat. Vizepräsidentin Petra Pau: Die Kollegin Saskia Esken hat das Wort zu einer Hamburgs regierender Bürgermeister Kurzintervention. sprach von einem guten Ergebnis für den deutschen Fö- deralismus – Zitat –: Saskia Esken (SPD): Die 16 Länder werden ihre Aufgaben wahrnehmen Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Schade, dass der können, und sie werden es in enger Kooperation mit Kollege Schipanski nicht den Mut hatte, mir zu antwor- dem Bund tun. ten. Kollege Rossmann, ich frage mich, warum sich die In Ihren Reden wird immer wieder vom Digitalpakt SPD beschwert, wenn Herr Scholz so spricht. Bund-Län- gesprochen. Ich hätte gerne von Ihnen gewusst: Wo exis- der-Finanzbeziehungen heißt nämlich Fairness in der Fi- tiert dieser Digitalpakt? Es gibt keine Haushaltsmittel, es nanzierung. gibt keine mittelfristige Finanzplanung. Es gibt allenfalls ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Verhandlungen mit den Ländern, die ohne Not abgebro- NEN]: Na ja! Da fragen Sie mal Herrn chen worden sind. Rehberg!) (Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin: Im Übrigen sehen Sie das große Interesse der Länder an Nein!) der vorgeschlagenen Grundgesetzänderung heute hier Es wurde in Aussicht gestellt, dass sie im Dezember ab- auf der Bundesratsbank. geschlossen werden mit einem Vertrag. Aber ich kann Liebe Kolleginnen und Kollegen, des Pudels Kern bei weitem nicht sehen, wann dazu ein Termin vereinbart im deutschen Schulsystem ist nicht die Frage, ob Bund, wird. Ich habe davon noch nichts gehört. Dazu hätte ich (B) Land oder Kommune eine Schultoilette repariert. Des gerne eine Antwort gehabt. (D) Pudels Kern ist die Frage, warum der Schüler in Bremen (Beifall bei der SPD) hinsichtlich seines Wissens fast zwei Jahre hinter den Schülern in Bayern hinterherhinkt. Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Sie haben das Wort zur Erwiderung. Das ist das Hauptproblem. Das ist die eigentliche Frage bezüglich der Chancengerechtigkeit, welche wir mit ver- Tankred Schipanski (CDU/CSU): meintlichen Bundesgeldern, wie Sie sie hier vorschlagen, Ich beantworte das sehr gerne, Frau Kollegin Esken. nicht beantworten werden. Sie waren ja in der letzten Legislatur dabei; ich war Wir brauchen endlich eine Vergleichbarkeit bei den Haushaltsberichterstatter. Die 5 Milliarden Euro können Schulabschlüssen der Bundesländer. Diese erreichen wir wir natürlich erst in einen Haushalt einstellen, wenn es durch diese Grundgesetzänderung nicht. Wir brauchen etatreif ist. einheitliche Bildungsstandards in ganz Deutschland, und (Birke Bull-Bischof [DIE LINKE]: Das ist ja zwar verbindliche Bildungsstandards für alle 16 Bundes- sehr überzeugend!) länder. Daran probiert sich die Kultusministerkonferenz schon seit Jahren, aber es gelingt ihr nicht. Daher wirbt Die Sache hat die Etatreife, wie Sie wissen, noch nicht die CDU/CSU-Fraktion für einen Staatsvertrag, der von erreicht. Daher war es auch noch nicht möglich, diese den Ministerpräsidenten geschlossen wird und der ver- 5 Milliarden Euro einzustellen. – Das zu Ihrer ersten Fra- bindliche Standards festlegt und sich dabei natürlich ge, wo sich die 5 Milliarden Euro befnden. am leistungsstärksten Bundesland orientiert. Das Ganze Die zweite Frage war: Wie weit sind die Bund-Län- funktioniert schon gut. Wir sehen das im Rundfunkrecht der-Verhandlungen? Sie schreiten sehr gut voran. Sie beim Rundfunkstaatsvertrag. Auch hier haben wir ein fö- wissen, es gibt eine Arbeitsgruppe unter Federführung derales System. Hier tragen die Länder Verantwortung. des BMBF und der KMK. Es gibt verschiedene Textvor- Es gelingt ihnen hier, bundeseinheitlich tätig zu werden. lagen, Im Übrigen eint uns das Ziel bezüglich der Bildungsstan- dards über Parteigrenzen hinweg. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Es gibt eine Vorlage!) Lassen Sie mich abschließend festhalten: Nach den Erfahrungen, die wir im Bund mit den Ländern insbe- und daran wird gearbeitet. Wir haben natürlich noch kei- sondere im Bildungsbereich gemacht haben, steht für ne abschließende Bund-Länder-Vereinbarung. Ich fnde 200 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 3 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 22 November 2017

Tankred Schipanski (A) aber, das ist gar kein Problem. Wir haben ja nur eine ge- Zweitens. Es ist schon einiges zum Stichwort „Digi- (C) schäftsführende Regierung. Wir müssen schauen, wie wir tale Bildung“ gesagt worden. Die Schulen wollen sich das Ganze ausgestalten. Denn ich habe am Ende meiner da auf den Weg machen. Es war eine gute Initiative, zu Rede sehr deutlich gesagt: Wenn der Bund 5 Milliarden sagen: Wir nehmen für eine Bund-Länder-Vereinbarung, Euro gibt, dann wollen wir Mitsprache bei der inhaltli- genannt Digitalpakt, Geld in die Hand, um sie umzuset- chen Frage haben, wie dieses Geld ausgegeben wird. zen. – In meinem Wahlkreis wird jetzt in den Schulen die Frage gestellt – das steht oft in der Zeitung –: Wann (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Haben kommt denn das Geld vom Bund? Meine Kollegin Frau Sie dann ja!) Esken hat vorhin schon darauf hingewiesen, dass es über- Ohne eine solche Mitsprache kann es diese Mittel nicht haupt keine haushalterische Vorsorge dafür gibt. Herr geben. Kaufmann, Sie haben gerade in Ihrer Rede gesagt: Wir werden den Digitalpakt aufegen. – Ich frage Sie mal: (Beifall bei der CDU/CSU) Wie denn eigentlich ohne Mehrheit hier im Parlament? Es wird Ihnen schwerfallen. Deswegen sind Sie da auf Vizepräsidentin Petra Pau: die Kooperation der Fraktionen angewiesen. Das Wort hat Oliver Kaczmarek für die SPD-Fraktion. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sind Sie jetzt dagegen, Herr Kaczmarek? Wollen Sie (Beifall bei der SPD) keine 5 Milliarden an die Länder geben?)

Oliver Kaczmarek (SPD): – Sie müssen eine Mehrheit für haushalterische Entschei- dungen fnden. Das ist doch richtig, oder? Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich fnde es gut, dass wir in (Beifall bei der SPD) einer so frühen Phase der Wahlperiode die Gelegenheit haben, über dieses wichtige Thema zu sprechen. Viel- Es ist keine haushalterische, keine fnanzielle Vorsorge leicht sollten wir an der Stelle versuchen, die Alltagser- getrofen worden. fahrungen der Menschen im Bildungssystem mit einfie- Ich fnde, was FDP und Grüne im Sondierungspapier ßen zu lassen; denn sie sprechen eindeutig dafür, dass wir festgehalten haben, ist richtig: Man muss, wenn man das mehr Zusammenarbeit von Bund und Ländern brauchen. machen will, die verfassungsrechtlichen Grundlagen da- Ich will zwei Beispiele nennen. Ein Fall, in dem es für schafen. gelungen ist, mit mehr Kooperation die Situation zu ver- (Beifall bei der SPD, der FDP, der LINKEN bessern, ist der Ausbau der Ganztagsschulen. Heute be- (B) und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (D) suchen 40 Prozent aller Schülerinnen und Schüler Ganz- tagsschulen. Auf die Ausbaudynamik im Zusammenhang Wir wissen nicht, ob es jemals zu so einer Jamaika-Vor- mit dem Investitionsprogramm „Zukunft Bildung und lage für eine Grundgesetzänderung gekommen wäre, ob Betreuung“ – 4 Milliarden Euro, damals von Gerhard dieser Konfikt aufgelöst worden wäre oder nicht. Aber Schröder und Rot-Grün auf den Weg gebracht – wir wissen: Wenn wir die besten digitalen Schulen in (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deutschland haben wollen, dann müssen wir die Zusam- Tolles Programm! – Gegenruf der Abg. Ute menarbeit von Bund, Ländern und Kommunen ermögli- Vogt [SPD]: Tolle Regierung!) chen, damit das auch gelingt und damit das Geld dahin- kommt, wo es benötigt wird. ist ja schon hingewiesen worden. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Sören Ich will aber sagen: Wir haben zwar schon viel ge- Pellmann [DIE LINKE]) schaft, aber der Bedarf ist viel höher. Mehr als drei Viertel der Eltern wünschen einen Ganztagsplatz für ihre Zum Schluss. Die Debatte hat eins gezeigt: Es gibt im Kinder, und zwar einen, der vielleicht sogar besser ist als Haus nach den Jamaika-Verhandlungen im Vergleich zu der, den wir jetzt anbieten können. Insofern gibt es hier den letzten vier Jahren eine neue Situation. Es gibt keine einen Bedarf. Die Bertelsmann-Stiftung rechnet uns vor, Koalition; jede Fraktion ist frei. Vielleicht leitet uns der dass bei einer Verdoppelung der Plätze bauliche Inves- Spruch aus dem Buch Jeremia: „Suchet der Stadt Bes- titionen in Höhe von etwa 15 Milliarden Euro notwen- tes“, wenn wir ihn etwas umändern in: Suchet das Beste dig sind und jährlich 2,8 Milliarden Euro Personalkosten für die Bildungspolitik in diesem Land. – Vielleicht führt zusätzlich anfallen. Selbst wenn es etwas weniger sein die neue Situation dazu, dass wir uns etwas freier bewe- sollte, muss man doch nach einem Blick in die Länder- gen können. Die Klammerbemerkungen im Sondierungs- haushalte zur Kenntnis nehmen, dass die Länder es nicht papier, die Anträge der Linken und die Debattenbeiträge ohne die Unterstützung des Bundes schafen können. Wir der SPD haben deutlich gemacht: Es gibt hier im Haus müssen an der Stelle ofen sagen: Wir wollen, dass alle in eine Mehrheit dafür, die Bundesregierung aufzufordern, Deutschland, die einen Ganztagsschulplatz wollen, auch eine Gesetzesvorlage zu erarbeiten und mit den Ländern einen bekommen. Dafür müssen wir die Zusammenarbeit in Verhandlungen einzutreten. Wir werden das im Haupt- von Bund und Ländern verbessern. Wer das nicht will, ausschuss diskutieren. Die SPD wird dazu sicherlich ei- muss auch das ehrlich sagen. nen geeigneten Vorschlag machen. Lassen Sie uns dann gemeinsam ausloten, ob wir dafür nicht eine Mehrheit (Beifall bei der SPD) zustande bekommen. Dann könnte die Bundesregierung Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2017 201

Oliver Kaczmarek (A) aufgefordert werden, im Sinne dieser Mehrheit des Hau- – Dann stimmen wir darüber ab. Wer stimmt für die (C) ses zu handeln. Überweisung an den Hauptausschuss? – Wer stimmt da- (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Kümmern gegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisung Sie sich lieber einmal um den Bundesrat!) mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Frak- Wenn wir tatsächlich etwas verändern wollen und tion, der FDP-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der auch den Mut dazu haben, dann können wir das in dieser Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Situation tun. AfD-Fraktion beschlossen. Vielen Dank. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Schluss unserer heutigen Tagesordnung. DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- destages auf Dienstag, den 12. Dezember 2017, ein. Der Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Beginn der Sitzung wird noch bestimmt und Ihnen recht- zeitig bekannt gegeben. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 19/13 an den Hauptausschuss vorgeschla- Die Sitzung ist geschlossen. gen. Sind Sie damit einverstanden? – (Zurufe von der AfD: Nein!) (Schluss: 17.31 Uhr)

(B) (D)

Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 3 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 22 November 2017 203

(A) Anlagen zum Stenografschen Bericht (C)

Anlage 1 Anlage 2

Liste der entschuldigten Abgeordneten Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung Der Bundesrat hat in seiner 961. Sitzung am 3. No- entschuldigt bis vember 2017 der vom Deutschen Bundestag am 24. Ok- Abgeordnete(r) einschließlich tober 2017 beschlossenen

Behrens (Börde), CDU/CSU 22.11.2017 Weitergeltung Manfred 1. der Gemeinsamen Geschäftsordnung des Deut- Brand (Fulda), Michael CDU/CSU 22.11.2017 schen Bundestages und des Bundesrates für den Ausschuss nach Artikel 77 des Grundgeset- Cronenberg, Carl-Julius FDP 22.11.2017 zes (Vermittlungsausschuss) vom 5. Mai 1951 (BGBl. II S. 103), zuletzt geändert laut Bekannt- Hagl-Kehl, Rita SPD 22.11.2017 machung vom 30. April 2003 (BGBl. I S. 677),

Hendricks, Dr. Barbara SPD 22.11.2017 gemäß Artikel 77 Absatz 2 Satz 2 des Grundge- Hirte, Dr. Heribert CDU/CSU 22.11.2017 setzes, Hofmann, Alexander CDU/CSU 22.11.2017 2. der Geschäftsordnung für den Gemeinsamen Ausschuss vom 23. Juli 1969 (BGBl. I S. 1102), Jung, Ingmar CDU/CSU 22.11.2017 zuletzt geändert laut Bekanntmachung vom 20. Juli 1993 (BGBl. I S. 1500), Kassner, Kerstin DIE LINKE 22.11.2017 gemäß Artikel 53a Absatz 1 Satz 4 des Grund- Müntefering, Michelle SPD 22.11.2017 gesetzes

Pronold, Florian SPD 22.11.2017 und

(B) Schulz, Jimmy FDP 22.11.2017 3 . der Geschäftsordnung für das Verfahren nach Ar- (D) tikel 115d des Grundgesetzes vom 23. Juli 1969 Schulz, Martin SPD 22.11.2017 (BGBl. I S. 1100) Seif, Detlef CDU/CSU 22.11.2017 gemäß Artikel 115d Absatz 2 Satz 4 des Grund- Stefel, Dr. Frank CDU/CSU 22.11.2017 gesetzes Strenz, Karin CDU/CSU 22.11.2017 zugestimmt. Toncar, Dr. Florian FDP 22.11.2017 Vogel, Johannes FDP 22.11.2017 Die Fraktion der AfD hat mitgeteilt, dass sie den An- trag „Rückführung syrischer Flüchtlinge einleiten“ auf Vries, Kees de CDU/CSU 22.11.2017 Drucksache 19/32 zurückzieht. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrift-gesetze.de ISSN 0722-8333