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Plenarprotokoll 19/87

Deutscher

Stenografischer Bericht

87. Sitzung

Berlin, Freitag, den 15. März 2019

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 21: Michael Roth, Staatsminister AA...... 10094 A Vereinbarte Debatte: Internationaler Frauen- Norbert Kleinwächter (AfD)...... 10095 C tag Dr. Franziska Giffey, Bundesministerin (CDU/CSU)...... 10097 B BMFSFJ ...... 10079 B (FDP)...... 10098 C (AfD)...... 10080 B (DIE LINKE) ...... 10099 C Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU). . . . 10081 B Dr. (BÜNDNIS 90/ (FDP) ...... 10082 C DIE GRÜNEN)...... 10100 D Sabine Zimmermann (Zwickau) Axel Schäfer (Bochum) (SPD)...... 10102 B (DIE LINKE) ...... 10083 A Dr. (AfD)...... 10103 B Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ (CDU/CSU) ...... 10104 A DIE GRÜNEN)...... 10083 D Alexander Graf Lambsdorff (FDP). . . . . 10106 A (SPD) ...... 10085 B Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU). . . . 10107 A Nicole Höchst (AfD)...... 10086 A Norbert Kleinwächter (AfD)...... 10108 B (CDU/CSU) ...... 10087 A Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU). . . . 10108 C (FDP)...... 10088 A (DIE LINKE)...... 10089 A (CDU/CSU) ...... 10089 D Zusatztagesordnungspunkt 13: (fraktionslos)...... 10091 A Erste Beratung des von den Fraktionen CDU/ CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Sönke Rix (SPD)...... 10091 D NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Dr. (CDU/CSU)...... 10092 D zur Errichtung der „Stiftung Forum Recht“ (Forum-Recht-Gesetz – ForumRG) Drucksache 19/8263...... 10109 A Zusatztagesordnungspunkt 12: Dr. (SPD)...... 10109 A Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für die Angelegenheiten der Europä- (AfD)...... 10110 A ischen Union zu dem Antrag der Abgeordne- (CDU/CSU)...... 10111 B ten Norbert Kleinwächter, Dr. , Dr. Harald Weyel, weiterer Abgeordneter und Dr. (FDP)...... 10112 B der Fraktion der AfD: Elysée als Vorbild – (DIE LINKE) ...... 10113 B Für ein Europa der Zusammenarbeit sou- veräner Nationen Renate Künast (BÜNDNIS 90/ Drucksachen 19/2534, 19/6560 ...... 10093 D DIE GRÜNEN)...... 10114 B II Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. , Freitag, den 15. März 2019

Michael Frieser (CDU/CSU) ...... 10115 D (AfD)...... 10136 D (SPD) ...... 10116 C Kirsten Lühmann (SPD)...... 10137 D Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU)...... 10117 B (DIE LINKE)...... 10138 C Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 10139 D Tagesordnungspunkt 23: (CDU/CSU) ...... 10140 D a) Antrag der Abgeordneten Matthias Höhn, , Dr. Gesine Lötzsch, weite- (SPD) ...... 10141 D rer Abgeordneter und der Fraktion DIE (CDU/CSU)...... 10142 D LINKE: Ost-Quote in Bundesbehörden durchsetzen – Grundgesetz achten Drucksache 19/8013...... 10118 A Tagesordnungspunkt 25: b) Antrag der Abgeordneten Dr. , Dr. , Dr. Gottfried – Zweite und dritte Beratung des von den Curio, weiterer Abgeordneter und der Abgeordneten , Matthias Seestern-­Pauly, , weiteren Fraktion der AfD: Bundesbehörden in die Abgeordneten und der Fraktion der FDP neuen Länder verlagern eingebrachten Entwurfs eines Drucksache 19/8279...... 10118 B Gesetzes für mehr Teilhabe im Wahlrecht Dr. (DIE LINKE)...... 10118 C Drucksachen 19/3171, 19/8177. . . . . 10143 D , Parl. Staatssekretär – Zweite und dritte Beratung des von den BMWi...... 10119 D Abgeor­dneten Corinna Rüffer, , Britta Haßelmann, weiteren Abge- Matthias Höhn (DIE LINKE)...... 10120 B ordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Dr. (DIE LINKE)...... 10121 C DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten Sören Pellmann, Dr. Anton Friesen (AfD)...... 10122 D , Gökay Akbulut, weite- (SPD)...... 10123 C ren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Ge- (FDP)...... 10124 D setzes zur Umsetzung der UN-Behinder- (DIE LINKE)...... 10125 C tenrechtskonvention im Wahlrecht Drucksachen 19/4568, 19/8177. . . . . 10143 D Claudia Müller (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 10126 C (CDU/CSU)...... 10127 D in Verbindung mit (AfD)...... 10128 D Zusatztagesordnungspunkt 14: (SPD)...... 10129 D Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und (CDU/CSU)...... 10130 D SPD: Für die Einführung eines inklusiven Matthias Höhn (DIE LINKE)...... 10131 A Wahlrechts Drucksache 19/8261...... 10143 D Dr. (SPD) ...... 10132 A (CDU/CSU)...... 10144 A (CDU/CSU) ...... 10132 D Dr. Christian Wirth (AfD)...... 10145 B (Aachen) (SPD) ...... 10146 B Tagesordnungspunkt 24: Jens Beeck (FDP)...... 10147 A Antrag der Abgeordneten Dr. , , , weiterer Abgeord- Sören Pellmann (DIE LINKE)...... 10148 B neter und der Fraktion der FDP: Mittelrhein- Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/ tal mit alternativer Gütertrasse und funkti- DIE GRÜNEN)...... 10149 A onierenden Ausweichstrecken entlasten Drucksache 19/7984...... 10133 D Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) ...... 10150 B Dr. , Staatsminister Dr. (SPD) ...... 10151 C (Rheinland-Pfalz)...... 10134 A , Parl. Staatssekretär Namentliche Abstimmungen ...... 10152 C, 10152 D BMVI ...... 10134 D Dr. Christian Jung (FDP) ...... 10135 C Ergebnisse ...... 10159 D, 10163 B, 10165 D Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 III

Zusatztagesordnungspunkt 15: Marja-Liisa Völlers (SPD)...... 10179 B Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion (CDU/CSU)...... 10180 D BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Haltung der Bundesregierung zu den Klimastreiks der Nächste Sitzung ...... 10182 C Fridays-for-Future-Bewegung und der Peti- tion Scientists for Future Dr. (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 10153 B Anlage 1 Entschuldigte Abgeordnete...... 10183 A , Bundesministerin BMBF. . 10154 C Dr. Götz Frömming (AfD) ...... 10155 D Anlage 2 Svenja Schulze, Bundesministerin BMU. . . 10157 A Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Lukas Köhler (FDP)...... 10158 C Gökay Akbulut (DIE LINKE) zu der nament- Lorenz Gösta Beutin (DIE LINKE). . . . . 10168 D lichen Abstimmung über den von den Abge- ordneten Corinna Rüffer, Anja Hajduk, Britta Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU)...... 10170 A Haßelmann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie Dr. (AfD)...... 10171 B der Abgeordneten Sören Pellmann, Susanne Dr. (SPD)...... 10172 D Ferschl, Gökay Akbulut, weiteren Abgeordne- ten und der Fraktion DIE LINKE eingebrach- (BÜNDNIS 90/ ten Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der DIE GRÜNEN)...... 10174 A UN-Behindertenrechtskonvention im Wahl- (fraktionslos)...... 10175 A recht (Tagesordnungspunkt 25) Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU). . . . 10176 A Dr. (SPD)...... 10177 A Anlage 3 (CDU/CSU)...... 10178 A Amtliche Mitteilungen...... 10184 A

Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 10079

(A) (C)

87. Sitzung

Berlin, Freitag, den 15. März 2019

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Das ist eine gute Initiative, und ich möchte Sie ausdrück- Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bitte lich dabei unterstützen. nehmen Sie Platz. Die Sitzung ist eröffnet. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: Es geht um viele Themen. Wir haben am nächsten Vereinbarte Debatte Montag den Equal Pay Day, den Tag, an dem, immer wie- Internationaler Frauentag der aufs Neue, seit mehreren Jahren daran erinnert wird, dass wir eben keine Lohngerechtigkeit von Männern und Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Frauen haben. Die Lohnlücke liegt bei 21 Prozent und die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- die daraus folgende Rentenlücke bei 53 Prozent. Das ist nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. nicht akzeptabel. Deshalb ist es gut, wenn für die glei- (B) che Bezahlung von Männern und Frauen gestritten wird (D) Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort für die und dafür, dass die sozialen Berufe aufgewertet werden. Bundesregierung der Bundesministerin Dr. Giffey. 80 Prozent derjenigen, die in sozialen Berufen arbeiten, sind Frauen. Wenn das Gehalt nicht stimmt, gibt es eben (Beifall bei der SPD) weniger Männer, die in diese Berufe gehen. Wenn wir wollen, dass sich das ändert, dann müssen wir die sozia- Dr. Franziska Giffey, Bundesministerin für Familie, len Berufe aufwerten. Senioren, Frauen und Jugend: (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten bei Abgeordneten der CDU/CSU) Damen und Herren! Vor 100 Jahren wurden 37 Frauen als Abgeordnete in die Nationalversammlung gewählt. Es geht aber genauso um die Frage von Frauen in Das war ein Anteil von 8,7 Prozent. Heute liegt der Frau- Führungspositionen. Nach wie vor gibt es da einen er- enanteil bei 30,7 Prozent. Wenn es in diesem Tempo heblichen Unterschied. Seit das Gesetz für die gleichbe- weitergeht, dann brauchen wir bei 22 Prozentpunkten in rechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungs- 100 Jahren weitere 100 Jahre bis zur Parität. Ich muss positionen gilt, finden Unternehmen qualifizierte Frauen Ihnen sagen: Mir dauert das, ehrlich gesagt, ein bisschen für die Aufsichtsräte; es sind immerhin 31 Prozent. Die zu lange. feste Quote wirkt. In den Vorständen sieht es ganz an- ders aus. Da sehen wir 94 Prozent Männer und 6 Pro- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zent Frauen. Es wäre schön, wenn dies anders wäre. Wir der CDU/CSU und der LINKEN) haben mehr Thomasse und Michaels in den Vorständen der deutschen Unternehmen als Frauen. Das ist schon be- Deshalb finde ich es richtig, dass jetzt ein bisschen Be- merkenswert. Die Frage ist: Wie kann man das ändern? wegung in die Sache kommt und Frauen aus den Frakti- Es geht darum, dass wir eben nicht nur unverbindliche onen der SPD, der CDU/CSU, der Grünen, der Linken Empfehlungen aussprechen, sondern auch sagen: Un- und der FDP sich zu einer Initiative zusammenschließen, ternehmen, die sich nicht auf den Weg machen und eine die für etwas eintritt, was eigentlich logisch ist, nämlich Zielgröße 0 für Frauen in Vorständen nicht einmal be- dass, wenn 50 Prozent der Bevölkerung aus Frauen be- gründen, müssen vielleicht auch mal damit rechnen, dass stehen, dann auch 50 Prozent der Volksvertretung aus es dafür eine Sanktion gibt. Da sind wir dran; das werden Frauen bestehen sollte. wir entsprechend auf den Weg bringen. (Beatrix von Storch [AfD]: Wo bleiben denn (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten die Diversen?) der CDU/CSU) 10080 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019

Bundesministerin Dr. Franziska Giffey (A) Wenn wir über die Chancen von Frauen, in Führungs- nen wir heute aus Anlass des Internationalen Frauentages (C) positionen zu kommen, sprechen, ist mir wichtig, auch etwas Positives sagen: Die Gleichberechtigung von Män- darüber zu reden, wie Familie und Beruf miteinander zu nern und Frauen ist in Deutschland tatsächlich erreicht, vereinbaren sind. Es geht hier um das Thema Vereinbar- und das schon seit Jahrzehnten. keit. Es geht um Rollenbilder und auch um die Frage, wie die Kinderbetreuung partnerschaftlich aufgeteilt werden (Beifall bei der AfD – Widerspruch und La- kann und wie die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf chen bei der SPD, der LINKEN und dem möglich ist. Da wollen wir etwas tun. Wir haben mit dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Gute-Kita-Gesetz, mit der Stärkung der Kinderbetreu- Es ist heute selbstverständlich, dass Frauen und Männer ung entscheidende Schritte gemacht, um überhaupt zu das gleiche Wahlrecht haben, dass sie die freie Berufs- ermöglichen, dass Frauen Familie und Beruf miteinan- wahl haben und dass Frauen und Männer vor dem Gesetz der vereinbaren können. Das ist die Voraussetzung dafür, gleich behandelt werden. dass sie einen gleichberechtigten Weg und gleichberech- tigte Bezahlung erreichen können. ( [SPD]: Was für ein Witz!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Und weil das so selbstverständlich ist, sollten wir darü- der CDU/CSU) ber überhaupt nicht mehr sprechen. Deswegen brauchen wir eigentlich auch keinen Internationalen Frauentag. Ein letztes Thema, das mir sehr wichtig ist: Wir dür- fen nicht nur über Frauen in Führungspositionen reden. (Beifall bei der AfD – Widerspruch bei der Wir müssen auch über die Frauen reden, die sich in ei- SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/ ner schwierigen Lage befinden. Dazu gehören vor al- DIE GRÜNEN – Niema Movassat [DIE len Dingen diejenigen, die von häuslicher Gewalt, von LINKE]: Sie können sich gleich wieder hin- Zwangsheirat, von Zwangsprostitution, vielleicht sogar setzen!) von Menschenhandel betroffen sind. Das sind genauso Dem Mainstream-Feminismus geht es aber nicht frauenpolitische Themen. Deshalb ist es richtig, dass um Gleichberechtigung, sondern um Gleichstellung. wir als Bundesregierung in diesem Jahr das Aktionspro- Gleichstellungspolitik zerstört Gleichberechtigung. Die gramm gegen Gewalt an Frauen starten. Denn Frauen, Geschlechterparität im Wahlrecht zerstört die freie und die sich in einer solchen Lage befinden, können eben geheime Wahl, vor allen Dingen die gleiche Wahl. Die nicht gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben und Quote behindert die freie Berufswahl und die Gleichheit auch nicht am Arbeitsleben teilhaben. Deswegen müssen der Bürger vor dem Gesetz. Wir müssen heute aktiv die wir uns dafür starkmachen. Gleichstellungspolitik bekämpfen, um die Gleichberech- (B) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten tigung zu bewahren. (D) der CDU/CSU) (Beifall bei der AfD – Lachen bei Abgeordne- ten der SPD) Unser Leitsatz im Frauenministerium ist: Frauen kön- nen alles, und da, wo sie es noch nicht können, müssen Gleichberechtigung heißt: Gleichheit aller Bürger vor wir dafür sorgen, dass sie es können. Wir müssen die dem Gesetz, unabhängig von ihrem Geschlecht. Auf der Rahmenbedingungen schaffen. Die Geschichte lehrt, Grundlage dieser Rechtsgleichheit können die Frauen dass Frauenrechte niemals vom Himmel fallen. Sie sind und Männer dann freie Entscheidungen treffen. Wenn nie von allein gekommen. Sie sind immer erkämpft wor- die Menschen sich frei entscheiden, dann können wir die den. Wenn wir heute 100 Prozent Gleichstellung wollen, Ergebnisse politisch nicht bestimmen. Genau das macht dann müssen wir auch etwas dafür tun. Unverbindliche eine freie Entscheidung aus. Schon Goethe hat gewusst: Empfehlungen reichen nicht. Ich finde es supergut, dass Gesetzgeber, die Gleichheit und Freiheit versprechen, so viele in diesem Parlament genau für diese Themen sind Fantasten oder Scharlatane. streiten, dass sie für bessere Löhne, für bessere Auf­ stiegschancen, für mehr Frauen in Parlamenten und für (Ulli Nissen [SPD]: Dass Sie hier Goethe die Vereinbarkeit von Familie und Beruf kämpfen. Dafür zitieren, ist eine Frechheit!) eine herzliche Ermutigung von meiner Seite! Gleichberechtigung bedeutet nicht, dass in allen Gre- Vielen Dank. mien, in allen Vorständen, in allen Parlamenten eine pari- tätische Besetzung vorhanden ist, und auch nicht, dass in (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so- allen Berufen und in allen Branchen gleich viele Männer wie bei Abgeordneten der LINKEN) und Frauen arbeiten müssen. Für die Politik muss gelten: Freie Bürger treffen freie Entscheidungen, und die Politik Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: respektiert das Ergebnis – das ist Gleichberechtigung –, Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Beatrix von (Beifall bei der AfD) Storch, AfD. nicht: Die Politik zwingt, manipuliert, fordert, bevor- (Beifall bei der AfD) mundet und indoktriniert so lange, bis das politisch ge- wünschte Ergebnis eintritt. Das ist Gleichstellung. Und Beatrix von Storch (AfD): das ist genau Ihr Ansatz, der Ansatz von Ihnen allen hier. Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- Ihr real existierender Staatsfeminismus will Vorgaben ren! Bei allem, was schlecht läuft in diesem Land, kön- machen, und die Bürger sollen sich danach richten. Diese Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 10081

Beatrix von Storch (A) Vorgaben sind: Beruf und Karriere – gut, Hausfrau und in denen Gleichberechtigung und Selbstbestimmung kei- (C) Mutter – schlecht; staatliche Kinderbetreuung – gut, Ei- neswegs selbstverständlich sind. genbetreuung – schlecht; Frauen weg von den sozialen (Zuruf des Abg. Jürgen Braun [AfD]) Berufen, rein in die MINT-Fächer und Männer weg von den MINT-Fächern, rein in die sozialen Berufe; Dass wir viel erreicht haben, ist vor allen Dingen ein Erfolg des Wirkens von Frauen für Frauen und ihre (Ulli Nissen [SPD]: Das ist doch Unfug, was Rechte. Ein Meilenstein war die Einführung des Frau- Sie da erzählen!) enwahlrechts vor 100 Jahren; denn seither können Frau- Frauen in die Produktion und Männer an den Wickel- en nicht nur wählen, sondern auch ihre Themen setzen. tisch. Das ist Ihre geschlechterpolitische staatsfeministi- Glaubt denn jemand ernsthaft, dass die Strafbarkeit der sche Planwirtschaft. Vergewaltigung in der Ehe ohne das Wahlrecht von Frau- en durchgesetzt worden wäre? (Beifall bei der AfD – Niema Movassat [DIE LINKE]: Und Sie wollen die Frauen wieder (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und am Herd haben!) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dennoch: Gesellschaftliche Strukturen und kulturelle Es steht dem Staat überhaupt nicht zu, irgendwelche Prägungen sind hartnäckig. Familien- und Hausarbeit ist Vorgaben zu machen. Die Bürger entscheiden ganz allei- nach wie vor überwiegend Frauensache. Soziale Arbeit ne, was sie wollen. Wir brauchen auch keine Supernan- wird geringer entlohnt als die Arbeit am Band. Das Prin- ny, die uns sagt, was wir mit unserem Leben anfangen zip der „homosozialen Reproduktion“, wie es in der Wis- sollen. Wenn bei gleichen Rechten und Pflichten Männer senschaft heißt, oder, einfacher gesagt, „Herr Schmidt und Frauen sich unterschiedlich entscheiden, dann hat sucht Herrn Schmidtchen“ bei der Nachfolge in Füh- der Staat das zu respektieren. Und wenn die Folge da- rungspositionen, ändert sich eben auch nicht von heute von ist, dass eben nicht in allen Lebensbereichen oder auf morgen. Und leider gibt es in diesem Haus noch eine Berufen eine 50-Prozent-Quote herrscht, dann ist das Partei, die Gleichberechtigung und Frauenrechte als lä- so. Wenn mehr Frauen Automechaniker werden wollen, cherlich abtut. dann ist das gut; wenn sie es nicht werden wollen, dann ist das auch gut. Wir sind für die Freiheit und gegen die (Beatrix von Storch [AfD]: Sie haben es ein- Bevormundung, für die Chancengleichheit und deswe- fach nicht verstanden! – Jürgen Braun [AfD]: gen gegen Paritäts- und Quotenwahn. Ob Sie es hören Dummes Zeug!) wollen oder nicht: Die einzige Partei in diesem Haus, die Als Staatsministerin für Integration geht es mir auch die Gleichberechtigung verteidigt, ist die AfD. um die Frauen, die aus Regionen der Welt zu uns kom- (B) (D) Vielen Dank. men, in denen Unterdrückung und Gewalt zum Alltag gehören. Ich sage ganz klar: Für Gewalt gegen Mädchen (Beifall bei der AfD – Lachen bei Abge- und Frauen gibt es null Toleranz! ordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Britta (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Es ist ziemlich egal, was Sie dazu sagen! – GRÜNEN) Niema Movassat [DIE LINKE]: Da müssen Deshalb haben wir in diesem Haus das Sexualstrafrecht Sie ja selber lachen!) reformiert, die Kinderehe verboten und die Genitalver- stümmelung auch im Ausland unter Strafe gestellt. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (Zuruf des Abg. Jürgen Braun [AfD]) Jetzt erteile ich das Wort der Abgeordneten Annette Widmann-Mauz, CDU/CSU. Lassen Sie mich an diesem Morgen, an dem wir so schreckliche Nachrichten aus Neuseeland gehört haben, (Beifall bei der CDU/CSU) noch einmal klar sagen: Auch jede Form von Gewalt und Terror gegenüber Andersgläubigen muss von uns aufs Schärfste verurteilt werden. Ich trauere am heutigen Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU): Morgen um die Menschen, die in Christchurch zum Frei- Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen tagsgebet gekommen sind und so bestialisch und grau- und Kollegen! Kanzlerin, Professorin, Unternehmerin – sam ermordet worden sind. ja, das kommt uns ohne Zögern über die Lippen. Wir ha- ben viel erreicht. Und Frau von Storch, das macht den (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, Unterschied: Wir sind ambitionierter als Sie; der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) Was wir jetzt brauchen, ist eine Integrationsoffensi- ve. Wussten Sie zum Beispiel, dass es unter den Frauen denn wir geben uns nicht damit zufrieden, wenn es noch mit Migrationshintergrund mehr Abiturientinnen gibt als Frauen gibt, die trotz Arbeit kein auskömmliches Ein- unter den Frauen ohne Migrationshintergrund? Wenn es kommen haben, wenn es noch Frauen gibt, die vor häus- uns jetzt gelingt, dass die Frauen, die zu uns kommen, licher Gewalt in Frauenhäuser fliehen müssen, und wenn frühzeitig an Integrationskursen teilnehmen, die Spra- es noch Frauen gibt, die aus Ländern zu uns kommen, che erlernen und den Berufseinstieg schaffen, dann wird 10082 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019

Annette Widmann-Mauz (A) auch die Integration ihrer Kinder gelingen. Und darin Nicole Bauer (FDP): (C) liegt eine große Chance für uns. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Sehr geehrte Damen und Herren auf der Besuchertribü- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE ne! So oft habe ich in letzter Zeit gehört, dass 2019 das GRÜNEN) Jahr der Frauen werden kann. Beflügelt vom Jubiläum des Frauenwahlrechts und befeuert von der Diskussion Wir haben in Deutschland Strukturen, um die uns an- zu § 219a, sind Frauenrechte endlich wieder ganz weit dere beneiden: Elterngeld Plus, Rechtsanspruch auf ei- oben auf der politischen Agenda, und das ist auch gut so. nen Krippen- und einen Kitaplatz, Brückenteilzeit, das Gute-Kita-Gesetz. Und mit der Mütterrente haben wir (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Annette die Rentenlücke von Frauen verringert. Dennoch gibt es Widmann-Mauz [CDU/CSU]) gerade bei der Rente nach wie vor deutliche Unterschie- Wir haben in Sachen Gleichberechtigung viel er- de. Auch deshalb diskutieren wir über die Grundrente. reicht – formal –, aber eben noch nicht genug. Ein Feier- Aber, liebe SPD, Sie wissen genauso gut wie ich, dass die tag als Symbolpolitik reicht nun wirklich nicht aus, mei- Hälfte der Rentnerinnen nicht auf die geforderten 35 Jah- ne Damen und Herren! re in der Rentenversicherung kommt. Darauf müssen wir eine Antwort geben. Eine Grundrente muss gezielt hel- (Beifall bei der FDP) fen; sie darf nicht neue Ungerechtigkeiten schaffen. Wir müssen stattdessen ran an die gelebte Wirklichkeit (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) und veraltete Rollenbilder aufbrechen. Für mich liegt die Lösung in zwei Dingen: Diversity und Digitalisierung. Politik hat eine Schlüsselfunktion. In 70 Jahren ist es Unsere Welt wird immer vielfältiger und digitaler. Diver- nicht annähernd gelungen, dass die Hälfte der Abgeord- sity und Digitalisierung begegnen uns überall. Sie beglei- neten im Bundestag Frauen sind. Vor 25 Jahren hat der ten uns im Alltag, und sie eröffnen neue Chancen, vor Bundestag mit Zweidrittelmehrheit die Ergänzung von allem und gerade wenn es um Gleichberechtigung geht. Artikel 3 des Grundgesetzes um den Auftrag zur tatsäch- (Beifall bei der FDP) lichen Durchsetzung der Gleichberechtigung beschlos- sen. Durch die Digitalisierung verändert sich unsere kom- plette Arbeitswelt. In der Pflege beispielsweise werden (Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD]) Roboter die beschwerlichen Aufgaben übernehmen. So Wie glaubwürdig sind wir denn, wenn wir Gleichberech- bleibt mehr Zeit für die Arbeit mit den Menschen. Pfle- tigung mit Fördermaßnahmen, mit Gleichstellungsplänen ge wird noch überwiegend von Frauen gemeistert. Ihre (B) und Quoten im öffentlichen Dienst und in der Wirtschaft Bedeutung wird aus meiner Sicht immer größer. Pflege (D) gesetzlich fordern, bei uns selbst hier im Parlament und muss damit einhergehend besser bezahlt werden. Für vie- in den Parteien aber nicht handeln? Eine Wahlrechtsre- le andere Berufe eröffnet die Digitalisierung viel mehr form jedenfalls, die ausschließlich die Begrenzung der Flexibilität, wenn es darum geht, wie man zeitlich arbei- Mandate zum Ziel hat, greift hier doch ganz klar zu kurz. tet und wo man arbeitet. So kann man die Vereinbarkeit von Familie und Beruf tatsächlich meistern. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so- wie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei der FDP) Es ist jetzt an der Zeit, uns als Parlament an unserem Außerdem wird bei der Digitalisierung auch die digi- eigenen Anspruch zu messen und uns selbst in die Pflicht tale Kompetenz immer wichtiger. Genau deshalb ist es zu nehmen. so wichtig, dass wir unsere Kinder fit für die Zukunft machen, völlig egal, ob Mädchen oder Junge. Beide glei- (Beifall des Abg. Niema Movassat [DIE chermaßen für das Programmieren oder die MINT-Fächer LINKE]) zu begeistern, das ist der Schlüssel, liebe Kolleginnen Und was anderes als halbe-halbe kann ein realistisches und Kollegen, darin liegt die Chance. Damit erreichen und angemessenes Ziel sein? Wir müssen jetzt die kon- wir tatsächliche Vielfalt. kreten Schritte festlegen, um neue Instrumente für die (Beifall bei der FDP) gleiche Teilhabe von Frauen im Bundestag zu entwi- ckeln. Das ist unsere Verantwortung. Aber vor allen Din- Das bringt mich unmittelbar zu Diversity. Wir wissen gen ist es eine Frage der Glaubwürdigkeit dieses Hauses. doch alle: Gemischte Teams sind erfolgreicher und inno- vativer. Deshalb können wir es uns gar nicht mehr leisten, Herzlichen Dank. auf Frauen zu verzichten, egal in welcher Branche, egal (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so- in welchem Beruf. Sie werden auf allen Ebenen wichtig wie bei Abgeordneten der LINKEN und des sein. Gleiches gilt für Männer in sozialen Berufen. Im BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Umkehrschluss heißt das aber auch, dass sich Familien anders organisieren werden. Die Aufteilung zwischen Sorge- und Erwerbsarbeit wird vielfältiger, ja partner- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: schaftlicher werden. Da brauchen wir nun wirklich keine Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Nicole Bauer, Angst zu haben, meine Damen und Herren. FDP. Es ist wichtig, Digitalisierung und Diversity als Chan- (Beifall bei der FDP) ce zu begreifen, als Chance für echte, gelebte Gleichbe- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 10083

Nicole Bauer (A) rechtigung. Frauen sind gleichberechtigt. Sie sind stark Ihre Sonntagsreden noch die Gesetze mit den schönen (C) und mit Männern auf Augenhöhe. Namen. Da ist Mut für grundlegende Veränderungen ge- fordert, und den haben Sie nicht. (Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD]) (Beifall bei der LINKEN) So wollen wir miteinander reden, arbeiten und uns ver- netzen. So wollen wir aber auch behandelt, gefördert und Die letzte Bundesregierung kümmerte sich lieber um bezahlt werden. Das sollten wir jeden Tag leben, Frauen 20 Aufsichtsrätinnen statt um 20 Millionen erwerbstäti- und Männer, und damit ein Vorbild sein. So stellen wir ge Frauen. Die neue Bundesregierung hat das Recht auf uns das vor. Rückkehr von Teilzeit in Vollzeit eingeführt, aber ein (Beifall bei der FDP) Großteil der Beschäftigten geht leer aus. Gleichstellung für einige wenige ist eine Alibiveranstaltung, aber keine Politik, meine Damen und Herren. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Sabine Zimmermann, Die Linke, ist die nächste Red- (Beifall bei der LINKEN) nerin. Ich will es mit den Worten von Clara Zetkin sagen: (Beifall bei der LINKEN) Der Kampf um die Gleichstellung der Frau ist kein Kampf zwischen den Geschlechtern, sondern ein Kampf zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten. – Es geht nicht Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE): um den steigenden Anteil von Frauen in Aufsichtsräten. Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- Es geht darum, die Interessen der Menschen durchzu- ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit fast 30 Jahren setzen, die in der Gesellschaft benachteiligt sind. Dafür bin ich in der Politik aktiv. Jedes Jahr höre ich am Inter- steht Die Linke. nationalen Frauentag warme Worte der Bundesregierung, aber geändert hat sich wenig. Wir sagen: zu wenig bei (Beifall bei der LINKEN) den Arbeits- und Lebensbedingungen. Um die geht es Die Linke fordert: Frauen gehört die Hälfte der Sitze nämlich, meine Damen und Herren, wenn wir am Inter- in den Parlamenten! Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, nationalen Frauentag eine Debatte führen. gute und selbstbestimmte Arbeitsbedingungen, starke (Beifall bei der LINKEN) Betriebsräte und Gewerkschaften und eine verlässliche soziale Sicherung, und das nicht nur am Internationalen Es geht um die Verkäuferin im Einzelhandel, die einfach Frauentag, nein, 365 Tage im Jahr! keine Vollzeitstelle bekommt. Aber in Teilzeit reicht der Lohn nicht. Also muss sie einen Zweitjob annehmen. Bei Danke schön. (B) der nächsten Änderung des Schichtplanes muss sie aber (D) (Beifall bei der LINKEN) zittern, ob die neuen Arbeitszeiten mit ihrem Zweitjob vereinbar sind. Es geht um die Pflegerinnen, die miserab- le Arbeitsbedingungen haben und mit niedrigen Löhnen Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: abgespeist werden. Schaffen Sie endlich den Niedrig- Jetzt erteile ich das Wort der Fraktionsvorsitzenden lohnsektor ab! Das ist Ausbeutung und nichts anderes, von Bündnis 90/Die Grünen, Katrin Göring-Eckardt. meine Damen und Herren! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN) Unfreiwillige Teilzeit, Minijobs, Niedriglohn, Arbei- Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ten ohne Sozialversicherung, davon sind Frauen doch NEN): besonders betroffen. Die Linke fordert klare Regeln für Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle- gute Arbeit, die für Frauen spürbar etwas bewirken. gen! Der Frauentag ist Feier- wie Kampftag. Wir feiern all die Frauen, die das Leben unserer Töchter, unserer (Beifall bei der LINKEN) Schwiegertöchter, unserer Enkelinnen und unser eigenes Und niedrige Löhne ziehen immer niedrige Renten nach besser gemacht haben: die Parlamentarierinnen, die vor sich. Altersarmut ist da vorprogrammiert. Sorgen Sie 100 Jahren da waren, die Mut und Stärke bewiesen ha- endlich dafür, dass Frauen im Alter eben nicht auf die ben, diejenigen, die später für das eigene Konto und den Tafeln angewiesen sind. eigenen Arbeitsvertrag für Frauen gekämpft haben, oder die Macherinnen der Quote in Aufsichtsräten; denn es (Beifall bei der LINKEN) macht wenig Sinn, die einen gegen die anderen auszu- Die Linke sagt: Rauf mit dem Rentenniveau auf 53 Pro- spielen, meine Damen und Herren. zent! Und eine solidarische Mindestrente von 1 050 Euro, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN damit ein Leben in Würde machbar ist! sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN) Wir feiern so mutige Ärztinnen wie Kristina ­Hänel. Ich Frauen wie auch Männer müssen ihre Arbeitskraft ver- weiß übrigens, dass Kompromisse manchmal schmerz- kaufen, oft zu miserablen Bedingungen. Aber die Arbeit haft sind. Schmerzhafter ist es aber, so zu tun, als würden von Frauen wird schlechter bezahlt, und Frauen leisten Kompromisse das Problem lösen. Nein, das Problem ist den größten Teil der Fürsorgearbeit in der Familie. Bei- nicht gelöst. Nach wie vor leben die Ärztinnen und die des hängt zusammen. Um das zu ändern, reichen weder betroffenen Frauen in Rechtsunsicherheit; das muss man 10084 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019

Katrin Göring-Eckardt (A) sagen. Deswegen bleibt die Streichung des § 219a StGB keit in Gefahr sehen, sondern darin eine Chance sehen (C) auf der Agenda, auf der Tagesordnung – bei uns jeden- oder gar Normalität. falls, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und sowie bei Abgeordneten der FDP und der LIN- der Abg. [SPD] und Nicole KEN) Bauer [FDP]) Ich bin froh: Frau Nahles, Frau Giffey und Frau Barley Ich feiere aber nicht Sie von der AfD. Warum? Bei- wollen die Parität. Auch Frau Kramp-Karrenbauer sagt, spielsweise weil Sie die Familienministerin, statt sie zu das könne man ja im Kontext der Wahlrechtsreform ihrer Politik zu befragen, lieber wegen eines Fotos in überlegen. Komisch, in der Kommission dazu waren wir einer Arbeitsuniform verspotten. Wird Ihnen Ihr gerin- dann mit diesem Thema allein. Das ist sehr bedauerlich. ger Frauenanteil im Parlament vorgerechnet, reden Sie Aber das schafft auch Klarheit: Dann lassen wir halt die hier in diesem Haus von „natürlicher Auslese“. Dann Verknüpfung. Dann machen wir das eben parallel. Dann meinen Sie noch, dass jemand, der keine männlichen werden wir gleichzeitig, von mir aus sogar früher, damit Geschlechtsteile habe – nein, ich zitiere nicht, was Sie fertig. Zeigen Sie jetzt bitte, dass Sie das wirklich wollen. wirklich gesagt haben –, nicht regieren dürfe. Dann geht es schnell mit den Eckpunkten. Dann geht es (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Was? Belegen schnell mit einem Zeitplan. Die nächsten Termine stehen Sie das mal! – Jürgen Braun [AfD]: Stimmt ja schon fest. Wenn wir uns ranhalten, haben wir bald ein doch gar nicht!) Ergebnis. Das Hohe Haus kann sich auf ein wirksames Gesetz freuen. Denn wie heißt es so schön im Grundge- Das ist nur eine kleine Auswahl Ihrer hier protokollier- setz? ten Ausfälle. Kein Respekt, kein Stil, kein Anstand! Sie von der AfD sind so etwas wie der parlamentarische Arm Frauen und Männer sind gleichberechtigt. der Hater im Netz, meine Damen und Herren. Deswegen: Der Frauentag bleibt ein Kampftag, gerade Ihretwegen, Aber eben auch: meine Damen und Herren. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gleichberechtigung von Frauen und Männern und und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Also, los mit der Parität! Zu kämpfen haben wir wahrlich genug. Der Lohnun- terschied zwischen Frauen und Männern beträgt noch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (B) immer 21 Prozent. Nein, wir können das nicht hinneh- (D) sowie der Abg. Annette Widmann-Mauz men. Was auch furchtbar ist – meine Vorrednerinnen ha- [CDU/CSU]) ben darauf hingewiesen –, ist die Gewalt gegen Frauen, Aber wir waren beim Feiern. Ich feiere auch die egal wo und in welcher Konstellation. Lassen Sie mich nächste Generation, , Luisa Neubauer, zwei Zahlen nennen: 147 Frauen sind 2017 von ihrem Partner ermordet worden, 114 000 erleben Gewalt von (Zurufe von der AfD: Ah!) ihrem Partner. die heute zusammen mit anderen in über 180 Städten bei (Jürgen Braun [AfD]: Wer sind denn die Part- „Fridays for Future“ demonstrieren. ner gewesen?) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Und nein, das sind keine Beziehungsdramen, wie man- sowie bei Abgeordneten der SPD und der che gerne bagatellisieren, das ist Mord, und das ist Ge- LINKEN – Jürgen Braun [AfD]: Mit dem walt, und so müssen wir das auch nennen, meine Damen Recht haben Sie es ja noch nie so gehabt als und Herren. Grüne! Sie mögen ja die Herrschaft des Un- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN rechts, Frau Göring-Eckardt!) und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Ich sage all den Kollegen und offenbar auch ein paar CDU/CSU, der FDP und der LINKEN) Kolleginnen hier und draußen, die über diese Frauen ge- Ein Wort, liebe Frau Giffey, muss sein: Fairness her- spottet haben und weiter spotten: Es ist immer ein großer stellen, ohne Väter gegen Mütter und umgekehrt auszu- Fehler, eine kluge Frau nicht ernst zu nehmen. Manchmal spielen, geht wirklich anders. Nach Ihrem Interview ma- ist das der letzte Fehler, den man macht, meine Damen chen sich Alleinerziehende in diesem Land viele Sorgen, und Herren. dass sie noch weniger haben werden, obwohl es eh schon (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, kaum zum Leben mit den Kindern reicht. Das können bei der SPD und der LINKEN sowie bei Ab- wir nicht akzeptieren, das können wir nicht wollen. Ja, es geordneten der CDU/CSU – Widerspruch des gibt Mittel, Fairness herzustellen: Nehmen wir die Kin- Abg. Jürgen Braun [AfD]) dergrundsicherung, nehmen wir die Möglichkeit, Mehr- bedarfe im Steuerrecht anzuerkennen, nehmen wir all die Wir feiern übrigens auch Männer, progressive Män- Punkte, die tatsächlich helfen, Kinderarmut zu bekämp- ner, die wegen Wörtern wie „Gleichberechtigung“, fen und Fairness herzustellen, ohne das eine oder andere „Equal Pay“ oder „Teilzeit“ nicht gleich ihre Männlich- dann doch zu lassen. Bitte verunsichern Sie gerade die Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 10085

Katrin Göring-Eckardt (A) Alleinerziehenden in unserem Land nicht weiter. Die ha- dazuzählen, sondern auch die Jahre der Kindererziehung (C) ben etwas anderes verdient: Unterstützung, Support, dass und die Jahre der Pflege. wir ihnen den Rücken stärken. (Beifall bei der SPD – Annette Widmann-Mauz (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- [CDU/CSU]: Nein, das wissen Sie besser! Das NEN sowie der Abg. Sabine Zimmermann stimmt nicht!) [Zwickau] [DIE LINKE]) Insofern lassen Sie uns gemeinsam für die Grundrente Zum Schluss. Auch international gibt es viel zu tun. ohne Bedürftigkeitsprüfung kämpfen. Wir brauchen – wir haben hier darüber diskutiert – eine Es ist so: Es geht immer mal ein Stück vorwärts, aber feministische Außenpolitik. Frieden halten länger mit wir müssen auch aufpassen, dass es nicht rückwärtsgeht. Frauen. Wenn sie am Verhandlungstisch sitzen, dann Wir haben zum Beispiel zurzeit eine Auseinandersetzung bedeutet das, dass die Konflikte tatsächlich dauerhafter in einer typischen Frauenbranche, im Einzelhandel, bei gelöst werden. Wie gut ist es doch, dass Frauen an die Kaufhof. Die Beschäftigten bei Kaufhof streiten um den Verhandlungstische kommen und gleichzeitig natürlich Erhalt ihrer Tarifbindung. Damit streiten sie auch um den auch in die Botschaften. Erhalt des Flächentarifvertrages, und sie fordern ganz zu Meine Damen und Herren, verschaffen wir Frauen Recht eine Allgemeinverbindlichkeit. Ich wünsche den eine stärkere Stimme, nicht nur am Frauentag, sondern Kaufhof-Beschäftigten hier viel Glück, weil es da um an allen Tagen im Jahr. Ja, natürlich, die Frauen bilden eine Auseinandersetzung in einer Frauenbranche geht. Banden. Das tun sie schon längst, das wird so bleiben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Es geht darum, gleich berechtigt zu sein und nicht später. der LINKEN) Danke schön. Es ist aber auch klar: Die eigentliche Auseinander- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN setzung, die wir zu führen haben, ist eine Auseinander- sowie bei Abgeordneten der SPD und der setzung, bei der nicht die Frauen auf dem Spielfeld und LINKEN) die Männer auf der Zuschauerbank sind. Wir haben hier eine Auseinandersetzung mit den Männern zu führen. Die Männer müssen von der bezahlten Arbeit abgeben.

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Die Männer müssen von ihrem Vermögen abgeben. Die Nächste Rednerin ist die Kollegin Leni Breymaier, Männer müssen Macht abgeben, SPD. (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (Beifall bei der SPD) (B) [FDP]: Man könnte vielleicht was zusammen (D) machen!) (SPD): Leni Breymaier und sie müssen Verantwortung abgeben. Sonst kommen Guten Morgen, Herr Präsident! Meine Herren und Da- wir nicht weiter, sonst werden wir jedes Jahr hier stehen men! Am Montag begehen wir zusammen den Equal Pay und salbungsvolle Worte sprechen und nicht nach vorne Day. Der Equal Pay Day ist der Tag, bis zu dem Frau- kommen. en arbeiten müssen, um dasselbe Gehalt zu haben wie die Männer im ganzen Vorjahr, bis zum 31. Dezember. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Das ist dieses Jahr der 18. März, es war letztes Jahr der der LINKEN) 18. März, es war vorletztes Jahr der 18. März. Nächstes Ich habe meine Rede mit der Anrede begonnen, die Jahr wird es wahrscheinlich der 17. März sein, weil dann Marie Juchacz bei der ersten Rede einer Frau in der Nati- Schaltjahr ist. onalversammlung verwendet hat, mit der Anrede „Meine (Sönke Rix [SPD]: Weil Schaltjahr ist!) Herren und Damen!“. Ich habe das sehr bewusst gemacht, weil es auch eine Verneigung vor den Frauen ist, die vor Erstmals hat sich das Datum nach vorne verschoben, als über 100 Jahren für das Frauenwahlrecht gekämpft ha- der Mindestlohn seine Wirkung entfaltet hat. Vorher war ben. Sie wurden dafür geächtet, sie wurden bespuckt, sie der Tag irgendwann nach dem 20. März erreicht. Das wurden geschmäht, und sie wurden belächelt. Ich finde, zeigt ganz konkret: Der Staat kann auch hier steuern. das, was diese Frauen auszuhalten hatten, ist etwas, was (Beifall bei der SPD) wir nicht im Ansatz aushalten müssen. Ich sage trotzdem: Nett sein, meine lieben Kolleginnen, liebe Frauen, bringt Der Staat steuert auch, er muss auch steuern. Wir steu- uns nicht weiter. Wir müssen auch den Willen zum Streit ern mit der Brückenteilzeit. Wir steuern mit der Unter- haben, zum Beispiel auch für ein Parité-Gesetz. stützung von Flächentarifverträgen für Altenpflegerin- nen. Wir steuern mit dem Gute-Kita-Gesetz. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE (Beatrix von Storch [AfD]: Sie steuern in den GRÜNEN) Abgrund!) Wir sind heute beieinander, weil wir über den Interna- Wir steuern auch zum Beispiel bei der Grundrente, aber tionalen Frauentag sprechen. Deshalb möchte ich einen da leider hinterher. Sehr geehrte Frau Widmann-Mauz, internationalen Aspekt in meine Ausführungen aufneh- natürlich erreichen auch die Frauen im Westen die men. Vor wenigen Tagen wurde im Iran Nasrin Sotude 35 Jahre, weil wir nicht allein die Jahre der Erwerbsarbeit zu 33 Jahren Haft verurteilt. Es kommen noch fünf Jahre 10086 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019

Leni Breymaier (A) Haft aus einer anderen Verurteilung dazu – 38 Jahre Haft Jahrzehnten Frauen, muslimische Frauen, in Deutschland (C) und 149 Peitschenhiebe, weil sie als Menschenrechtsan- und Deutschland durch Wegsehen und lautes Schweigen wältin Frauen verteidigt hat, die sich gegen die Zwangs- im Stich. verschleierung gewehrt haben. Meine Solidarität gilt (Sönke Rix [SPD]: Die würden Sie ja gar heute Nasrin Sotude. Ich fordere alle, die hier Verantwor- nicht ins Land lassen!) tung haben, auf, sich dafür einzusetzen, dass diese Frau freigelassen wird. Diese Frauen und Mädchen in Deutschland hatten Ver- trauen in unsere Gesetze und in unseren Staat. Nehmen (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, Sie endlich zur Kenntnis, dass Sie damit sexistisch, ras- der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE sistisch und diskriminierend gegenüber den betroffenen GRÜNEN) Frauen handeln In diesem Sinne bedanke ich mich für die Aufmerk- (Beifall bei der AfD) samkeit und wünsche allen Mitstreiterinnen und Mit- streitern einen tollen Equal Pay Day. und dass Sie Deutschland verraten. Sie alle hier schauen gerne – auch heute – in ferne Vielen Dank. Länder und wollen dort die Dinge verbessern. Schauen Sie sich lieber hier in Deutschland um. Recherchieren Sie (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeord- einmal im Internet „Die Leine des Grauens“. Stellen Sie neten der LINKEN und der Abg. Dr. Anja sich darüber hinaus die Frage, besonders die sogenannten Weisgerber [CDU/CSU]) frauenbewegten Politikerinnen unter Ihnen: Wollen Sie das so? Wollen Sie Frauenrechte zurück in die Steinzeit Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: katapultieren? Echt jetzt? Nicole Höchst, AfD, ist die nächste Rednerin. (Niema Movassat [DIE LINKE]: Das will doch die AfD schon!) (Beifall bei der AfD) Ja, Vergewaltigung und Mord gab es immer schon in Deutschland. Das galt und gilt es mit aller Härte zu be- Nicole Höchst (AfD): kämpfen. Das heißt aber auch, dass wir nicht ohne Not Werter Herr Präsident! Werte Kollegen! 2019 – nächs- zusätzliche Horden testosterongesteuerter junger Männer ter Weltfrauentag, nächste Runde Heuchelei, nächste aus islamisch geprägten Kulturkreisen en masse impor- Runde lauwarmes Anfassen, nächste Runde AfD-Ba­ tieren und uns mit Messern oder sonst wie abschlachten (B) shing! Heute stellt sich doch die Frage: Brauchen wir den lassen. (D) klassischen Feminismus noch? Weg damit! Sie alle – au- (Zuruf von der CDU/CSU: Rassismus!) ßer der AfD – sind in der Fläche nicht willens und in der Lage, den Elefanten anzusprechen, der im Raume steht. Diese Leute sagen uns zum Hohn vor deutschen Gerich- Sie sind nicht willens und in der Lage, die islamische ten aus, dass die vorangegangenen Konflikte in ihrer Unterwerfung der Frau deutlich anzuprangern. Kultur eben mit dem Messer gelöst werden. Das können Sie nachlesen. (Beifall bei der AfD – Zuruf von der SPD: Ach nee! – Sönke Rix [SPD]: Haben Sie gerade (Unruhe) nicht zugehört, oder was? Sie sollten mal die Dafür bekamen und bekommen sie leider noch allzu oft Ohropax rausnehmen!) einen strafmildernden Kulturbonus vor deutschen Gerich- ten. Sie, deutsche Volksvertreter, schützen Sie nicht mehr Ganz im Gegenteil dazu fällt diese islamische Besonder- durch Ihr lautes Schweigen, Ihr Relativieren, Beschöni- heit bei Ihnen unter eine Art Bestandsschutz einer fal- gen, Nicht-wahrhaben-Wollen und Ihr Schattenboxen im schen, liberalen Auslegung unseres Grundgesetzes. Sie Rahmen von – für Sie ungefährlichen – Me-too-Kampa- setzen unter dem Deckmäntelchen von totaler Toleranz gnen unsere Schlächter. Schützen Sie nicht mehr unsere Frauenrechteabschaffer in spe! Und: Schützen Sie unsere (Sönke Rix [SPD]: Haben Sie der Vorredne- Frauen und Mädchen! Schützen Sie Deutschland! rin gerade nicht zugehört?) Können Sie überhaupt noch in den Spiegel schauen? und Multikulti-Ekstase Artikel 4 Grundgesetz absolut Ich appelliere an Sie – noch lauter als im letzten Jahr –: und akzeptieren unter der Freiheit des Glaubens und un- Hören Sie endlich auf, Busen in Parlamenten zu zählen! gestörter Religionsausübung stillschweigend, dass Frau- Hören Sie endlich auf, zu feiern und sich dafür feiern zu en im Islam eben nicht gleichberechtigt sind. lassen, dass Sie es Gott sei Dank endlich geschafft haben, die Werbung für straffrei gestellte Tötung von Kindern Ihre Politik ist untauglich. Wir verzeichnen zum Teil im Mutterleib zu legalisieren! Schützen Sie endlich wirk- großen zahlenmäßigen Zuwachs im Bereich Kopftuch- sam Frauen und Mädchen und Deutschland! Setzen Sie zwang schon bei jungen Mädchen, Mehrehekinder, unsere grundgesetzlich verbrieften Rechte mit aller ge- Zwangsehen – Cousins und Cousinen heiraten –, religi- botenen Härte und aller gebotenen Konsequenz endlich ös und kulturell nicht sanktionierte Gewalt in der Ehe, durch, für alle! Genitalverstümmelung und sogenannte Ehrenmorde und Massenvergewaltigung. Sie lassen als Volksvertreter seit (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 10087

Nicole Höchst (A) Wahrheit kann in einer Demokratie niemals Hetze entfernt. Das müssen wir an einem Tag wie heute immer (C) sein. Gewalt und gesellschaftliche Spaltung kann nie wieder ansprechen. eine Lösung sein. Es wird allerhöchste Zeit für Frauenpo- litik, die den Namen auch verdient hat, Zeit für die AfD. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD, der FDP und des BÜND- Vielen Dank. NISSES 90/DIE GRÜNEN)

(Beifall bei der AfD – Britta Haßelmann Aber auch sonst können wir uns noch lange nicht zu- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und da wun- frieden zurücklehnen, obwohl wir in den letzten Jahren dert sich irgendjemand, dass die für nichts ge- vieles auf den Weg gebracht haben hinsichtlich der Ver- wählt wird?) einbarkeit von Familie und Beruf und auch in Sachen Chancengleichheit. Frauen verdienen eben immer noch 21 Prozent weniger, unter anderem, weil sie in anderen

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Branchen tätig sind und andere Berufe haben. Aber auch Nächste Rednerin ist die Kollegin Silvia Breher, in den MINT-Fächern haben wir bislang nur einen ganz CDU/CSU. kleinen Anteil Frauen. Auch in den Parteien und hier im Haus müssen wir uns nur umschauen: Wir sind einfach (Beifall bei der CDU/CSU) nur wenige.

Wenn dann die Familienphase ansteht, dann ist das Ar- Silvia Breher (CDU/CSU): gument: „Na ja, du verdienst ja auch weniger“ ziemlich Guten Morgen, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen stark. Dann sind es eben die Frauen, die in die Familien- und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich phase gehen, die Elternzeit nehmen und die Hausarbeit war Anfang der Woche in New York zur Eröffnung der übernehmen. Aber ist ja nicht so schlimm, dafür arbeiten 63. Sitzung der Frauenrechtskommission der Vereinten zwei Drittel der Frauen dann ja auch nur noch Teilzeit. Nationen. Das ist immerhin die zweitgrößte Veranstal- Von den Männern oder Vätern sind es nur 10 Prozent. tung nach der Generalversammlung der Vereinten Nati- Was dann mit den Renten passiert, das wissen wir alle. onen überhaupt: mit 10 000 Teilnehmerinnen über zwei Wochen. Bis Ende nächster Woche geht es dort noch Über all das wundern wir uns ernsthaft, während wir um die sozialen Sicherungssysteme, Zugang zu öffentli- zu unseren Töchtern sagen: „Sei mal brav“, und zu un- chen Dienstleistungen und nachhaltiger Infrastruktur, die seren Söhnen: „Setz dich mal durch“? Wir wundern uns (B) Gleichstellung der Geschlechter und die Stärkung von darüber, wo doch das Spielzeug und die Püppchen für die (D) Frauen und Mädchen. Mädchen rosa sind und die Techniksachen ausschließlich in blau verpackt werden? Wir wundern uns darüber, ob- Vieles von dem, was dort besprochen wird und was wohl die Vorbilder unserer Töchter Prinzessin Elsa und dort auf der Tagesordnung steht, ist für uns schon selbst- Co sind und die Vorbilder der Jungs Superhelden der verständlich; aber für die Frauen und Mädchen an vielen Welt? Orten auf der Welt noch in ganz weiter Ferne. Wenn ich mit Frauen ins Gespräch komme, zum Beispiel mit Frau- „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Dieser en aus Afrika, dann kommt in der Regel immer dieselbe Satz in unserem Grundgesetz ist eben keine Tatsache, Reaktion: Sie kommen aus Deutschland? In Deutschland sondern ein ständiger Auftrag an uns alle; denn alleine ist alles gut, Sie haben die Gleichberechtigung, bei Ihnen durch Gesetze, durch Verbote und am Ende auch durch sind Frauen und Männer gleichberechtigt. Wie habt Ihr Quote erreichen wir keine Gleichberechtigung. Gleich- das geschafft? – Sie schauen eben neidvoll nach Deutsch- berechtigung muss eine Grundüberzeugung sein. Sie land. Ja, wir haben viel erreicht, vielmehr unsere Mütter muss in Fleisch und Blut übergehen, bei Männern und und unsere Omas für uns. Wir haben gerade 100 Jahre bei Frauen. Frauenwahlrecht gefeiert, und in unserem Grundgesetz ist die Gleichberechtigung verankert. Trotzdem ist bei (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der uns noch lange nicht alles in Ordnung. SPD und der FDP)

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Und ja, die gesetzliche Quote in den Aufsichtsräten SPD und der FDP) hat am Ende bewirkt, dass dort jetzt 30 bis 31 Prozent Frauen sitzen. Aber funktioniert die Quote? Ich finde, Es macht mich immer wieder fassungslos – das sie funktioniert nicht; denn in den Vorständen wirkt sie ist schon angesprochen worden –, dass hier bei uns in nicht, und in den Führungsetagen wirkt sie auch nicht. Deutschland alle zwei bis drei Tage eine Frau von ihrem Was ist passiert? Die Unternehmer setzen sich hin und Partner oder ihrem Ex-Partner umgebracht wird. An je- sagen: Ich soll die 30-Prozent-Quote erfüllen, das mache dem Tag des Jahres gibt es den Versuch einer Tötung. ich. Darüber hinaus denke ich aber nicht nach. Was muss Jede vierte Frau in Deutschland hat im Laufe ihres Le- ich verändern? Was muss ich in meinem Unternehmen bens schon einmal partnerschaftliche Gewalt oder sexu- verändern? Wie muss ich Führungskultur verändern? elle Gewalt in der Partnerschaft erlebt. Solange das in Was wollen Frauen? Was brauchen Frauen in Führungs- Deutschland so ist, sind wir von Gleichberechtigung weit positionen? Brauchen Sie vielleicht eher ein Au-pair- 10088 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019

Silvia Breher (A) Mädchen, eine persönliche Assistentin und keinen gro- Frauen nicht selbstständig denken können, und eine kon- (C) ßen Dienstwagen? – Darüber müssen wir nachdenken. servative Große Koalition in Deutschland Politik nach Dieses Umdenken fehlt. Gefühl macht, ohne erkennbaren Willen, den Betroffenen wirklich zu helfen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP) (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Männer und Frauen sind nicht gleich, sie ticken nicht gleich – und genau das ist gut so. Darauf müssen wir Ich bin Feministin, weil eine Schwangerschaft bei ei- eingehen. Darauf muss die Gesellschaft eingehen. Wenn nigen Arbeitgebern leider immer noch als Nachteil gilt sich aber nichts ändert, dann ist es doch völlig klar, dass und ich in einer liberalen Gesellschaft leben möchte, in Frauen unzufrieden sind, dass sie unzufrieden bleiben der umfangreiche Betreuungsangebote zur Verfügung und dass der Schrei, der Ruf nach Quoten überall stärker stehen, wird. Wir alle sind aufgefordert, die Frauen genauso wie (Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Das die Männer, nicht nur hier im Plenum, sondern auch im hat die Große Koalition gemacht!) alltäglichen Leben die Gleichberechtigung in unserem Land und in unserem Leben zu erreichen. Nur dann kön- das Midlife-BAföG existiert, mehr Flexibilität bei der nen wir Vorbild für andere Länder sein. Arbeitszeitgestaltung vorhanden ist und dies dazu führt, dass Selbstbestimmung und Vereinbarkeit von Familie Vielen Dank. und Beruf keine Fremdwörter mehr sind. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall bei der FDP) ordneten der SPD und der FDP) Ich bin Feministin, weil eine knappe Mehrheit in den Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: EU-Mitgliedstaaten laut einer Studie immer noch Frau- en am liebsten in der Rolle der Hausfrau sehen möchte Gyde Jensen, FDP, ist die nächste Rednerin. und ich in einem Europa leben will, das ein Vorbild beim (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Melanie Thema Gleichberechtigung ist – ohne Rollenbilder und Bernstein [CDU/CSU]) mit Chancengerechtigkeit. (Beifall bei der FDP) Gyde Jensen (FDP): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen Ich bin Feministin, weil der Frauenanteil in europäi- und Kollegen! Ich bin Feministin, weil es immer noch schen Parlamenten leider immer noch bei nur 29 Prozent liegt und ich in einer Gesellschaft leben will, in der Po- (B) Menschen auf der Welt und auch in Deutschland gibt, (D) die Frauen kleinmachen wollen, und ich in einer Gesell- litik Vielfalt vorlebt und in der Flexibilität das politische schaft leben will, in der Emanzipation als eine Aufgabe Engagement, vor allen Dingen auch von jungen Frauen, begriffen wird, der sich Männer und Frauen gemeinsam sei es ehrenamtlich oder im Hauptberuf, belohnt. verschreiben. Ich bin Feministin, weil es weltweit leider nur 2 Pro- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordne- zent Frauen in der Position von Friedensmediatoren gibt, ten der CDU/CSU und der SPD und der Abg. Frauen aber nachweislich von bewaffneten Konflikten Claudia Müller [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ganz besonders betroffen sind und ich im Ausland ger- NEN]) ne sagen können möchte, dass Deutschland vor allen Dingen ab April dieses Jahres mit der Mitgliedschaft im Ich bin Feministin, weil Gleichberechtigung nicht nur UN-Sicherheitsrat die Aufgabe einnimmt, als Stimme ein ökonomischer Anreiz sein kann, sondern eine gesell- Europas für eine gleichberechtigte Welt zu streiten. schaftliche Notwendigkeit ist und es unsere Pflicht ist als Politiker mit Vorbildfunktion, genau diese einzufordern. (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Ich bin Feministin, weil ich nicht für andere nur nett SPD) lächeln will und als hysterisch bezeichnet werden will, nur weil ich als Frau meine Meinung sage, Ich bin Feministin, weil Frauenrechte Menschenrech- te und Menschenrechte Frauenrechte sind, es aber immer (Beifall der Abg. Britta Haßelmann [BÜND- noch Länder auf der Welt gibt, in denen Frauen ihre Klei- NIS 90/DIE GRÜNEN]) dung nicht frei wählen können, sie Männer als Vormün- der ertragen müssen und zum Teil nicht einmal von ihren und ich in der Politik für eine Gesellschaft kämpfe, in Menschenrechten wissen. der Frauen und Mädchen ermutigt werden, Chancen zu ergreifen. (Zuruf von der AfD: Ja, zum Beispiel in Deutschland!) Ich bin Feministin, weil es immer noch Menschen gibt, die Frauen bei gleicher Qualifikation und gleicher Es gibt leider viel zu viele Gründe, heute Feministin Leistung immer noch 6 Prozent weniger bezahlen, und zu sein. Aber es gibt für mich keinen wirklichen Grund, ich in einer Gesellschaft leben will, in der es faire und keine Feministin zu sein. gerechte Löhne gibt. (Beifall bei der FDP, der SPD, der LINKEN Ich bin Feministin, weil es in Deutschland den § 219a und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie StGB leider immer noch gibt, der davon ausgeht, dass bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 10089

Gyde Jensen (A) Politik sollte sich genau dieser Realität annehmen, und Ich mache das jetzt seit gut drei Jahren und habe, (C) zwar nicht für uns Frauen, die hier in den Parlamenten würde ich mal schätzen, 60 bis 70 Anzeigen erstat- sind, sondern genau für die Frauen, die es vielleicht noch tet. Das ist halt so mein Hobby. nicht sind und die weltweit für Gleichberechtigung strei- ten. ( [DIE LINKE]: Unfass- bar!) Vielen Dank. Dieser Hobbydenunziant ist seit 2015 aktiv und hinter- (Beifall bei der FDP, der SPD und dem lässt in der Statistik des Bundeskriminalamts deutliche BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- Spuren. geordneten der LINKEN) In den Jahren 2012 bis 2014, also vor seiner Zeit, gab es insgesamt 16 Strafanzeigen gegen Ärztinnen und Ärz- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: te in dieser Sache. In den Jahren 2015 bis 2017 waren es 83 Ermittlungen wegen § 219a; das sind fünfmal so Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Doris viele. Auf sein Konto gehen auch Anzeigen unter ande- Achelwilm, Die Linke. rem gegen Kristina Hänel. Neuerdings ist er außerdem (Beifall bei der LINKEN) im Abmahnwesen und mit Unterlassungsklagen unter- wegs. Das Nachrichtenportal BuzzFeed wurde von ihm verklagt, weil es aus seinem Namen – mit Recht – kein Doris Achelwilm (DIE LINKE): Geheimnis machte, der – ich zitiere – Yannic Hendricks Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, Kol- ist. legen und Gäste! Der Internationale Frauentag ist heute (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- so zeitgemäß wie vor 100 Jahren; wir haben es gehört. neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das ist aber nicht nur traurig: Wir haben am 8. März auch sehr viel gefeiert. Wir haben gefeiert, dass wir uns in vie- Die Redaktion von BuzzFeed hat den Prozess im Ja- len Städten neu verbinden, dass Frauen sich neu gegen nuar am Landgericht Düsseldorf gewonnen, weil es eben ihre Benachteiligung und gegen die Abwertung ihrer Ar- zur Pressefreiheit gehört, den Namen politischer Aktivis- beit organisieren, und wir feiern, dass wir uns gemein- ten von öffentlicher Bedeutung zu nennen. Für die Links- sam dafür einsetzen, Parität durchzusetzen, und das auch fraktion kann ich sagen, dass wir auch Kersten Artus ein hier im Bundestag. Das war auch ein Anlass, den 8. März erfolgreiches Verfahren wünschen und solidarische Grü- nicht nur negativ zu sehen. ße nach senden. (B) (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. (D) Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE Am meisten hat aber die Frauenstreikdemos dieses GRÜNEN] – Matthias W. Birkwald [DIE Jahr wohl bewegt – das muss man sagen –, dass der LINKE]: Von ganzem Herzen!) § 219a weiter im Strafgesetzbuch steht. Die beispiellos teure und unnötige Studie von Herrn Spahn legte noch Eine bessere Situation wäre natürlich – das ist längst eins obendrauf: Das ist eine Geldverschwendung sonder- überfällig –, es gäbe solche Verfahren und Strafbezüge gleichen und eine frauenfeindliche dazu. Wir sind sehr überhaupt nicht. Die Große Koalition hat an dieser Stel- dagegen! le schwer versagt, als es darum ging, hier Rechtssicher- heit zu schaffen. Ich hoffe, das ist Ihnen am Fall Yannic (Beifall bei der LINKEN) Hendricks noch mal klar geworden. § 219a stellt sich auch in seiner geänderten Fassung gegen die Selbstbe- Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute findet am stimmungsrechte von Frauen und die Berufsfreiheit von Amtsgericht Hamburg eine wichtige Verhandlung statt. Ärztinnen und Ärzten. Er gehört ersatzlos gestrichen. Meine Fraktionskollegin Cornelia Möhring ist als Pro- zessbeobachterin vor Ort. Ein bekannter Abtreibungs- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- gegner verklagt Kersten Artus, Journalistin und Vorsit- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) zende von pro familia Hamburg, weil sie seinen Namen öffentlich machte und damit seiner Meinung nach gegen Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Persönlichkeitsrechte verstößt. Dieser Abtreibungsgeg- Melanie Bernstein, CDU/CSU, ist die nächste Redne- ner, der gerne anonym sein will, hat seine Mission mehr- rin. fach in Interviews dargelegt. In einem „taz“-Interview vom 10. April 2018 berichtet er über sein Vorgehen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beatrix von Storch [AfD]: Er will halt keine (CDU/CSU): Mädchen töten! – Gegenrufe von Abgeordne- Melanie Bernstein ten der SPD, der LINKEN und des BÜND- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In NISSES 90/DIE GRÜNEN: Oh!) der vergangenen Woche ist in Gütersloh ein Mann mit dem Titel „Spitzenvater des Jahres“ ausgezeichnet wor- Er suchte im Internet nach Informationen zu Schwanger- den. Dieser Preis unter der Schirmherrschaft von Bun- schaftsabbrüchen. Wenn er bei Arztpraxen dann fündig desministerin Franziska Giffey wird vergeben, um – ich geworden ist, erstattet er gleich online die Strafanzeige zitiere – „die wichtige Rolle des Vaters für die Entwick- und sagt – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten –: lung von Kindern ins Bewusstsein zu rufen“. Der Vater 10090 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019

Melanie Bernstein (A) bekam ihn, weil seine Frau als erste deutsche Astronautin Buchhalterin in einem mittelständischen Unternehmen, (C) im kommenden Jahr für zehn Tage zur Internationalen als Landwirtin im Familienbetrieb oder Polizeimeisterin Raumstation ISS fliegen soll. Der Preis ist mit 5 000 Euro im Streifendienst. Das sind nämlich die wirklichen Leis- dotiert. tungsträgerinnen unserer Gesellschaft. (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. [FDP]: Mein Mann ist auch ein Spitzenmann, Jörn König [AfD]) auch wenn er nicht zum Mond fliegt!) Das ist die Ärztin, die nach zwei Kindern eine Karriere- 5 000 Euro für zehn Tage Kinderbetreuung. Wir sehen pause einlegt und es dann schwer hat, den Anschluss zu also: Über die Frage, wie normal es ist, dass Väter sich finden, die keine Oberärztin wird, weil der männliche um ihre Kinder kümmern, gibt es in Deutschland noch Kollege eben keine Auszeit genommen hat. Der hilft man einigen Gesprächsbedarf. auch nicht mit einer Quote. Sie braucht eine gute, verfüg- bare und hochwertige Kinderbetreuung, gern auch nach (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem 16 Uhr, Verständnis beim Arbeitgeber, wenn das Kind BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- mal krank ist, einen Partner, der sein Ego überwindet geordneten der LINKEN) und zugunsten seiner Familie vielleicht auf den nächsten Wo steht die öffentliche Debatte? Wir diskutieren lei- Karriereschritt verzichtet. Das ist ein gesellschaftlicher denschaftlich, wie man Frauen in Vorstände großer Un- Prozess des Umdenkens, der lange dauert – zu lange, ternehmen bekommt. Wir sprechen über Toiletten für das auch für mich. Schließlich stehe ich hier vor Ihnen als dritte Geschlecht, gendergerechte Sprache und darüber, berufstätige Mutter zweier schulpflichtiger Kinder, und ob ein weiblicher Hauptmann in der Bundeswehr künftig als solche erlebe ich noch etwas anderes, das ich anspre- vielleicht Hauptfrau heißen sollte. chen möchte. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Gute Frauen erleben einen erheblichen gesellschaftlichen Idee!) Druck, wenn sie ihre Karriere trotz Familie konsequent verfolgen. Da gibt es viele Menschen, oft auch Frauen, Was mir fehlt, ist die Lebenswirklichkeit der ganz nor- die ihnen genau das vorwerfen: malen Leute. (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (Beifall bei der CDU/CSU) [FDP]: Das ist in CDU-Kreisen vielleicht so!) Ich sage das ganz bewusst; denn ich habe den Eindruck, Sie seien Rabenmütter, hätten zu wenig Zeit für ihre Kin- wir bewegen uns oft irgendwo zwischen Elitendiskussi- der und würden ihr familiäres Glück dem Beruf opfern. (B) on und Irrelevanz. Das ist kein Problem der fehlenden Quote oder der Män- (D) (Beifall bei der CDU/CSU – Leni Breymaier nergesellschaft; das ist ein Punkt, bei dem wir Frauen uns [SPD]: Das eine tun und das andere lassen!) auch mal an die eigene Nase fassen müssen. Die übergroße Mehrheit der Frauen hat ganz andere Sor- (Beifall bei der CDU/CSU) gen als Gendersternchen und geschlechtergerechte Ver- Wir können in dieser Debatte auf Erreichtes verwei- kehrsschilder. sen; wir können noch nicht Erreichtes beklagen. Aber (Beifall bei der CDU/CSU) wir müssen Lösungen aufzeigen; denn dafür sind wir in dieses Parlament gewählt worden. Auf meiner persönli- Aber zunächst zum Positiven. Unternehmen und chen To-do-Liste als Mitglied im Familienausschuss und Headhunter suchen händeringend nach weiblichen Füh- als Mutter stehen hier zwei wichtige Punkte. Erstens. Wir rungskräften, und zwar nicht nur als Alibi. Männer ge- müssen weiter daran arbeiten, dass sich das Betreuungs- hen viel selbstverständlicher in Elternzeit als noch vor angebot für Kinder verbessert. Darauf sind, jenseits der einigen Jahren. Das ist ein großer Schritt in die richtige Debatte, wie Partner sich Erziehung besser teilen, vor al- Richtung. lem alleinerziehende Elternteile angewiesen; das betrifft Natürlich gibt es hier Luft nach oben. Derzeit nehmen übrigens Frauen und Männer gleichermaßen. Zweitens. rund 80 Prozent der Männer eine Elternzeit von zwei Wir müssen dafür sorgen, dass es auch der Regelfall Monaten und gehen anschließend wieder in Vollzeit ar- für Männer wird, nach der Geburt von Kindern mal in beiten. Frauen arbeiten, nachdem sie Kinder bekommen Teilzeit arbeiten zu gehen. Das größte Hindernis für die haben, mehrheitlich in Teilzeit. Das hat erhebliche Aus- Karriere von Frauen ist doch, dass Personalchefs bei der wirkungen: auf die weitere Karriere, auf Rentenansprü- Besetzung einer Führungsposition im Hinterkopf haben: che und soziale Sicherheit. Trotzdem ist die Einführung Die Frau macht irgendwann Teilzeit, der Mann arbeitet des Elterngeldes durch ein Mei- immer voll. – Das ist doch die eigentliche „gläserne De- lenstein gewesen. Gesellschaftliche Prozesse brauchen cke“. Aber das kann keine Quote ändern, sondern nur ein Anstöße, und das war einer. gesamtgesellschaftlicher Prozess des Umdenkens. Das braucht Zeit und Anreize. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Lassen Sie uns diese Anreize gemeinsam setzen! Las- Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]) sen Sie uns nicht vergessen, dass auch Väter ihre Kinder Heute reden wir über die „gläserne Decke“, über Quo- super versorgen können! Lassen Sie uns gemeinsam da- ten in Politik und Wirtschaft. Wir sollten aber auch über ran arbeiten, dass Alleinerziehenden das Leben leichter die Frau sprechen, die als Bankangestellte arbeitet, als gemacht wird, dass schon erkämpfte Frauenrechte nicht Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 10091

Melanie Bernstein (A) durch eine falsch verstandene Toleranz gegenüber religi- folgloser Quotenvorgabe zumindest in der SPD mehr als (C) ösen Extremisten gefährdet werden! Lassen Sie uns ge- deutlich gescheitert. meinsam dafür arbeiten, dass unsere Töchter und Söhne (Leni Breymaier [SPD]: Das ist so viel dum- in keiner geschlechterbasierten Konkurrenz zueinander mes Zeug, was Sie hier reden! – Weiterer Zu- stehen! ruf von der SPD: Quatsch!) Danke sehr. Was Sie geschafft haben, ist, eine Parteiminderheit, (Beifall bei der CDU/CSU) nämlich knapp 30 Prozent, überproportional in Füh- rungsgremien zu hieven. Was Sie dabei übersehen oder nicht wahrhaben wollen, ist die Tatsache, dass die Quote Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: kein Garant für erstklassige Politik oder Arbeit ist. Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Uwe Kamann. ( [SPD]: Jetzt ist aber gut!) Kompetente und fähige Frauen setzen sich auch ohne Uwe Kamann (fraktionslos): Quoten durch – auch wenn Sie das nicht wahrhaben wol- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- len. Erzwungene Geschlechterquoten nutzen also nie- ren! Ich verneige mich vor allen Frauen, die einen langen mandem. Kampf unter großem persönlichem Einsatz geführt ha- ben. Mehrere Generationen haben nicht nur das Wahl- Erweisen wir deshalb den Frauen, rund hundert Jah- recht oder die Berufsfreiheit, sondern auch das Selbst- re nachdem sie zum ersten Mal in Deutschland wählen bestimmungsrecht der Frauen in allen gesellschaftlichen durften, den Respekt, echte, zielführende Instrumentari- Bereichen in Deutschland ermöglicht. en zu entwickeln, die dazu führen, dass es am Ende des Tages vollkommen irrelevant ist, welches Geschlecht je- Das heißt nicht, dass es hierzulande in allen Lebens- mand hat. bereichen paradiesische Zustände gibt. Wir müssen noch vieles dafür tun, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zu verbessern, wir müssen § 219a abschaffen, und wir NEN]: Sagen Sie mal! Was glauben Sie ei- müssen vor allem die Leistung von Frauen in allen Berei- gentlich?) chen angemessen anerkennen und honorieren. Ob weiblich, männlich oder sogar divers, das darf in Zu- kunft keine Rolle mehr spielen, weder in der Wirtschaft (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und noch in der Politik noch in unserem gesellschaftlichen der FDP) Zusammenleben. Haben Sie den Mut, diesen neuen Evo- (B) Gleichwohl leben wir in einem Land, in dem Gleich- lutionsschritt zu gehen, gemeinsam! (D) berechtigung von Frauen und Männern bereits Realität Vielen Dank. ist. Sie ist grundgesetzlich verbrieft, auch wenn die lin- ken Parteien SPD, Linke und Grüne mit Scheingefech- (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Das ist ja wohl ten und gendergerechter Sprache und Quotenzwang uns lächerlich!) etwas anderes weiszumachen versuchen. Wir brauchen keine zwanghaften Quoten, weder in der Privatwirtschaft Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: noch in den Parlamenten. Was wir ebenfalls nicht brau- Sönke Rix, SPD, ist der nächste Redner. chen, ist eine linksgrüne Bevormundung. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Unglaublich!) Sönke Rix (SPD): Erst recht brauchen wir kein sogenanntes Paritätsge- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! setz. Der Vorstoß Ihrer Kollegen in , sehr Meine Damen und Herren! Die Kollegin Bernstein hat geehrte Abgeordnete der SPD, Linken und Grünen, er- gerade eben angesprochen, wie Männer gefeiert werden, möglicht keine echte Parität. Wer echte Parität mit stati- wenn sie Selbstverständlichkeiten nachgehen. Dass der scher Gleichmacherei gleichsetzt, zementiert eine nicht Mann einer Astronautin, weil er, sage ich mal, zehn Tage nur verfassungsmäßige Ungleichheit. lang die Erziehung der Kinder übernimmt, einen Preis bekommt, ist eigentlich der Beweis, warum wir den In- Wenn Sie glauben, dass Sie zum Beispiel durch Quo- ternationalen Frauentag tatsächlich immer noch sehr ten mehr Frauen für die Politik begeistern können, werte dringend brauchen. Kollegen von der SPD, dann frage ich mich, warum zwei Drittel Ihrer Mitglieder immer noch Männer sind, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der (Leni Breymaier [SPD]: Das stimmt nicht! – CDU/CSU, der FDP und der LINKEN) Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Und bei Ihnen?) Die Tatsache, dass es immer noch zu Verwunderung oder Respekt oder Anerkennung kommt, wenn sich Männer in obwohl Sie doch bereits 1988 eine Quotenregelung in gleichstellungspolitische Debatten einmischen und dort Ihrer Partei eingeführt haben, gerade um Frauen in Ihre Positionen beziehen, die von Feministen auch bezogen Partei zu locken. Auch Sie kriegen das mit: Anscheinend werden, ist der zweite Grund, warum klar ist, dass wir ist das Instrument Frauenquote nach über 25 Jahren er- den Internationalen Frauentag auf jeden Fall brauchen. 10092 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019

Sönke Rix (A) Die Selbstverständlichkeit, mit der wir vieles feiern, Fraktion gesagt wird, die am liebsten diesen Frauen hier (C) wie Frau Göring-Eckardt das gesagt hat, diese Selbstver- gar keine Zuflucht bieten will, das ist eine große Frech- ständlichkeit gibt es nicht; denn es gibt immer noch von heit. mehreren Seiten, sowohl hier in diesem Hause als auch in der Gesellschaft insgesamt, sehr viel Druck, Gleichbe- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE rechtigung wieder zurückzudrehen, Gleichstellung wie- GRÜNEN und der LINKEN sowie bei Abge- der zurückzudrehen. ordneten der CDU/CSU) Frau Bernstein hat angesprochen, dass wir nicht im- Die Kollegin Zimmermann hat es gesagt: Hier sind mer nur über Gendersternchen und all diese Dinge spre- viele warme Worte gesprochen worden. – Aber es stimmt chen sollen. Ich will Ihnen sagen: Das eine tun und das nicht, dass keine Maßnahmen getroffen worden sind. Das andere nicht lassen. fängt an beim Mindestlohn und geht weiter über die Ren- tenpolitik und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LIN- all diese ganzen Themen. KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN) (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Es reicht nicht aus!) Ich glaube, wir sollten beides machen. Das tun wir auch. Ich glaube, man sollte nicht sagen, dass die Große Ko- Da ist über die Jahre sehr viel erreicht worden. Ich will alition nichts unternommen hat beim Thema Lohnge- damit auch würdigen: Es waren vor allen Dingen auch rechtigkeit, beim Thema „Vereinbarkeit von Familie und die Frauen, die an der Spitze dort gekämpft haben. Beruf“, beim Thema Rente. Wir haben genau für die ar- beitnehmenden Frauen etwas getan, und wir werden auch (Beifall bei Abgeordneten der SPD) weiterhin etwas tun. Man muss, glaube ich, beides tun: Man muss in der Sprache aufpassen, man muss die Quo- Deshalb ist es auch nicht einzusehen, wenn jemand sagt, ten auch haben. Man muss auch deutlich sagen, dass es dass nichts passiert; denn das ist nicht wahr. im Kopf anfängt. Wie heißt es so schön? Der Fisch fängt vom Kopf an zu stinken. – Man muss beides tun, und (Beifall bei Abgeordneten der SPD) das tun wir auch als Große Koalition, meine Damen und Salbungsvolle Worte habe ich insbesondere von Frau Herren. Bauer und Gyde Jensen gehört. Toll – das Bekenntnis, (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Feministin zu sein. Toll – das Bekenntnis: Wir brauchen CDU/CSU) auf allen Ebenen genauso viele Frauen wie Männer. „Wir (B) müssen da Vorbild sein“, haben Sie gesagt, Frau Bauer. Ich will noch einen letzten Satz sagen, weil ich diese (D) Das finde ich genau richtig. Ich konnte jedes Wort Ihrer Aktion ganz nett finde: Wir haben demnächst den Equal Rede mit unterstreichen. Pay Day; mehrere Rednerinnen haben schon darauf hin- gewiesen. Die BVG, die Berliner Verkehrsbetriebe – in (Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Sehr gut!) Berlin kennen die alle – werden am Equal Pay Day den Frauen anbieten, dass sie mit einem 21 Prozent günstige- Aber glauben Sie wirklich, dass das von alleine passiert? ren Ticket fahren können, um damit deutlich zu machen: Wir brauchen dafür gesetzliche Maßnahmen. Wir haben verstanden, dass die Frauen tatsächlich für ihre Leistung zu wenig bekommen. – Ich finde diese Ak- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ tion gut. Solange solche Aktionen leider noch notwendig DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der sind, brauchen wir den Internationalen Frauentag. Wir CDU/CSU und der LINKEN – Dr. Stefan haben noch viel zu tun – packen wir es an! Ruppert [FDP]: Verfassungsgemäße!) Danke schön. Dazu sollte sich auch die FDP durchringen, meine Da- men und Herren! Insbesondere dann, wenn es um Vor- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten bildfunktion in diesem Parlament geht, nützt es nichts, zu der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ sagen, dass man Feministin ist, und dann nützt es nichts, DIE GRÜNEN) zu sagen, dass man Vorbild ist. Der Markt, liebe FDP, regelt diese Frage nämlich nicht. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Dr. Anja Weisgerber, CDU/CSU, ist die voraussicht- der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE lich letzte Rednerin in dieser Debatte. GRÜNEN – Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Aber (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) die Gesellschaft!)

Dann haben wir gerade eben gehört, wie bedauerlich Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): und wie schrecklich es ist – das teile ich auch –, dass Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und es Frauen gibt, die außerhalb der Bundesrepublik und Kollegen! außerhalb Europas aufgrund auch von religiösem Druck Gewalt ausgesetzt sind und Unterdrückung erleben müs- Wir sind zwar in der Gegenwart angekommen, aber sen. Aber dass das ausgerechnet von einer Person einer noch nicht in einer zufriedenstellenden Gegenwart. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 10093

Dr. Anja Weisgerber (A) Diesen bemerkenswerten Satz hat unsere Bundestagsprä- bezeichnen. Jeder Weg ist gut. Das ist wahre Wahlfrei- (C) sidentin a. D. Rita Süssmuth bei der Feier zu 100 Jahren heit, und dafür stehen wir. Frauenwahlrecht hier gesagt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) In vielen Bereichen haben wir schon ganz viel ge- Meine Damen und Herren, wir brauchen nicht darü- schafft, und dafür bin ich allen Frauen und auch den ber zu diskutieren, dass ein Frauenanteil im Bundestag Männern, die dafür gekämpft haben, sehr dankbar. von rund 30 Prozent zu gering ist. Das ist kein Spiegel- Bis in die 70er-Jahre mussten Frauen ihre Männer bild des Volkes, und das muss besser werden. Hier sind noch um Erlaubnis fragen, ob sie arbeiten dürfen. Heu- wir uns fraktionsübergreifend – auf jeden Fall in dieser te ist es selbstverständlich, dass eine Bundeskanzlerin Grundaussage – einig. Deutschland regiert. Meine Kinder, sechs und acht Jahre (Zuruf von der AfD: Nein!) alt, haben mich kürzlich gefragt, ob es denn möglich ist, dass auch ein Mann Bundeskanzler wird. Frauen gehen Unser Ziel ist es, dass wir mehr Frauen in Direktmandate heutzutage ganz selbstverständlich ihren Weg. Sie stehen bringen. Dabei müssen wir die Frauen auf ihrem Weg in ihre Frau. Sie machen Karriere. Das ist die Realität in aller Form unterstützen. Deshalb setzen wir uns von der der heutigen Zeit, und das ist auch gut so, meine Damen Gruppe der Frauen dafür ein, dass dieses Thema auch bei und Herren. der Wahlrechtsreform aufgerufen wird, dass es überhaupt ein Thema ist und dass es auch ein Umdenken in unseren (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Parteien auslöst. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass wir den Ansporn (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und haben, noch mehr zu erreichen. Wir wollen mehr Frauen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) in Führungspositionen. Wir wollen eine bessere Verein- barkeit von Familie und Beruf – eine noch bessere Ver- Mir persönlich ist es ein großes Anliegen, dass wir einbarkeit. Wir wollen Teilzeitmodelle auch in Führungs- mehr Frauen in die politische Arbeit bringen und sie da- ebenen. Wir wollen einen besseren Schutz von Frauen für gewinnen. Dafür ist es notwendig, sie zu ermutigen. bei häuslicher Gewalt und die Aufwertung der sozialen Wir in der Frauen-Union Bayern haben eine Quote in Berufe – und vieles mehr. Bezirksvorständen und im Parteivorstand, und wir haben ein Mentoringprogramm, mit dem wir Frauen ermutigen, Zum Thema „bessere Alterssicherung von Frauen“. sich für Mandate in der Politik zu bewerben – mit gro- Ich bin wirklich stolz darauf, dass wir mit der Mütterren- ßem Erfolg: Viele sind Bürgermeisterin geworden. Viele te schon viel erreicht haben. Beim Thema „Altersarmut haben sich für Mandate beworben. Uns in Unterfranken (B) von Frauen“ geht es aber auch generell darum, Kinder- macht keiner etwas vor; denn drei von fünf Bundestags- (D) erziehungszeiten und auch die Zeiten für die Pflege von abgeordneten – drei von fünf! – sind Frauen. Angehörigen noch besser anzurechnen, und dafür kämp- fen wir auch, meine Damen und Herren. Meine Damen und Herren, der Weltfrauentag ist und bleibt ein wichtiger Tag. Für mich ist es aber wichtiger, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) dass wir, Männer und Frauen, uns nicht nur am Weltfrau- entag für die Gleichberechtigung einsetzen, sondern an Wenn man sich zum Beispiel die Häufigkeit von Vor- jedem Tag; denn ohne Frauen ist kein Staat zu machen. namen in Handelsregistern anschaut, stellt man fest, dass man auf die unterschiedlichsten Vornamen trifft: Danke schön. Michael, Hans, Thomas, Peter. Erst auf Platz 61 folgt der erste weibliche Vorname, nämlich Katja. Ähnlich ist es (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der bei Staatssekretären in der Politik oder bei börsennotier- SPD und der FDP) ten Unternehmen. Es gab in der Geschichte mehr Staats- sekretäre mit dem Namen Hans als Staatssekretärinnen Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: insgesamt. Es gibt also noch eine gläserne Decke, und Damit schließe ich die Aussprache. diese gläserne Decke wollen wir endgültig durchbrechen. Ich rufe den Zusatzpunkt 12 auf: Wir haben heute schon viel darüber gesprochen, wel- che Rechte die Generationen vor uns erkämpft haben. Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Lassen Sie uns auch einen Blick auf die Gegenwart und richts des Ausschusses für die Angelegenheiten die Zukunft werfen. Für mich ist es wichtig, dass mei- der Europäischen Union (21. Ausschuss) zu dem ne Tochter, aber auch mein Sohn in einer Gesellschaft Antrag der Abgeordneten Norbert Kleinwächter, aufwachsen, die ihnen die gleichen Rechte ohne Wider- Dr. Lothar Maier, Dr. Harald Weyel, weiterer Ab- spruch zuspricht. Wir müssen bestehende Rollenmuster geordneter und der Fraktion der AfD aufbrechen und Frauen in ihren jeweiligen Lebenswegen Elysée als Vorbild – Für ein Europa der Zu- immer unterstützen. Frauen entscheiden sich nämlich sammenarbeit souveräner Nationen für die unterschiedlichsten Lebensentwürfe, und das ist auch gut so. Wir als Gesellschaft sollten uns davon frei- Drucksachen 19/2534, 19/6560 machen, diese Entscheidungen zu bewerten oder zu be- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für urteilen. Auch aus eigener Erfahrung weiß ich, dass es die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. sich die Frauen manchmal gegenseitig schwer machen und sich als Rabenmutter oder als Heimchen am Herd (Unruhe) 10094 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) – Ich höre viel, aber keinen Widerspruch. Damit ist es so grund stellen. Wer so etwas behauptet, der zerstört die (C) beschlossen. Grundlage eines friedlichen und eines solidarischen Eu- ropas. Jetzt darf ich bitten, die Plätze wieder einzunehmen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Staats- bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und minister Michael Roth. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuru- fe von der AfD) Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Guten Morgen, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen Ich höre immer wieder, dass der Aachener Vertrag und Kollegen! Vielen Dank für die Möglichkeit, heute die deutsch-französische Zusammenarbeit in Europa zu mit Ihnen ein paar Gedanken über den Aachener Vertrag stark betont. Das Gegenteil ist der Fall: Deutschland und zu teilen. Frankreich wollen mit ihrer engen Zusammenarbeit auch den Skeptikern, auch den Verängstigten deutlich machen, Der Aachener Vertrag ist unsere Antwort auf Sie: auf dass es sich lohnt, enger zu kooperieren. Deshalb ist die- Nationalisten und Populisten in der Europäischen Uni- ses ganze Geschwafel, wir gäben irgendetwas – nationa- on. Wir wollen anhand des Aachener Vertrages deutlich le Souveränität, Zuständigkeiten – von Berlin, von den machen, dass der Abbau von Grenzen, dass mehr Zusam- Regionen, von den Ländern, von den Kommunen nach menarbeit, mehr Integration in Europa einen konkreten Brüssel ab, völliger Irrsinn. Mehrwert im Alltag der Bürgerinnen und Bürger erbrin- gen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Wir verlieren nichts. Wir gewinnen Handlungsfähig- keit zurück, über die in einer globalisierten Welt der Na- Es ist traurig, dass Sie das immer noch nicht verstanden tionalstaat alter Prägung schon längst nicht mehr verfügt. haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- (Zurufe von der AfD) ten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE Das zeigt mir auch, dass Sie Lichtjahre von den Inte- GRÜNEN) ressen der Bürgerinnen und Bürger entfernt sind. Wenn Es ist eine Gewinnerdebatte; es ist keine Verlustdebat- Sie an den Bürgerinnen und Bürgern nah dran wären, te. Deswegen: Reden Sie das den Menschen nicht ein! dann würden Sie mal mit Menschen in der sogenannten Wir können das Klima nicht schützen, wir können dieses (B) Grenzregion reden. Wenn Sie mal mit Kommunalpoliti- Europa nicht sozialer und gerechter machen, wir kön- (D) kerinnen und Kommunalpolitikern sprechen würden, mit nen uns nicht wehren gegen globale Bewährungsproben, Auszubildenden oder auch mit Mittelständlerinnen und wenn wir nicht enger zusammenstehen Mittelständlern, dann würden Sie klare Antworten erhal- ten, die deutlich machen, warum dieser Aachener Vertrag (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten so mutmachend ist für ganz Europa. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Zuruf von der AfD: Wirklich?) und wenn wir nicht auch immer wieder lernen, uns in den anderen, in den Partner hineinzuversetzen. Es geht um die gemeinsame Anerkennung von Berufsab- schlüssen und Schulabschlüssen. Es geht darum, dass wir Europa wird natürlich nicht alleine von Deutschland in der Grenzregion gemeinsame Gewerbezonen schaffen. und Frankreich getragen – mitnichten. Aber wir machen Es geht darum, dass wir Vereine, zivilgesellschaftliches immer wieder im Konkreten, auch in diesen Tagen und Engagement durch einen neuen Bürgerfonds stärken und Wochen, deutlich, warum es sich lohnt, an einem Strang dass wir Mut machen, dass es sich lohnt, Grenzen zu zu ziehen. Deutschland und Frankreich arbeiten derzeit überwinden, gemeinsam Bewährungsproben in Angriff sehr intensiv an einem Grundwerte-Check. Wir müssen zu nehmen. anerkennen, dass die bisherigen Regelungen nicht ausrei- chen, um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der EU Nun könnte man Ihren Antrag und Ihre Preisgabe des zu verteidigen. Wir wollen deshalb mit neuen Mechanis- vereinten Europas vielleicht als dumm und töricht be- men daran mitwirken, dass deutlich wird: Die Europäi- zeichnen. Aber es ist viel mehr als das. Es ist eine Infra- sche Union ist nicht in erster Linie nur ein Binnenmarkt, gestellung dessen, was wir aus der tragischen Geschichte sondern sie ist in erster Linie eine Wertegemeinschaft. Europas und aus der tragischen Geschichte Deutschlands und Frankreichs gelernt haben. Sie spielen wieder auf der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Klaviatur der Ressentiments. der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Minderheitenschutz, respektvoller Umgang – das ist es, was uns im Kern aus- Sie arbeiten mit Vorurteilen. Sie arbeiten mit Ängsten. macht. Wir brauchen hier mehr Verbindlichkeit und Ver- Sie wollen uns einreden, dass Französinnen und Fran- lässlichkeit. zosen nicht unsere engsten Freundinnen und Freunde in Europa sind, sondern dass es potenzielle Gegner sind, Ich würde mich freuen, wenn es auch hier im Deut- die nur ihre eigenen nationalen Interessen in den Vorder- schen Bundestag einen Konsens gäbe, dass eine Politik Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 10095

Staatsminister Michael Roth (A) der Abschottung, eine Politik, die neue Mauern zu zie- zen Schwierigkeiten: Es gibt inzwischen viele Menschen, (C) hen beabsichtigt, nicht die Unterstützung des Deutschen auch aus der Zivilgesellschaft, die uns Mut machen, Bundestags und der Bundesrepublik Deutschland hat. Hier brauchen wir ein klares Signal. ( [SPD]: Ja!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten die uns unterstützen, die uns kritisieren. Denn sie wissen: der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNIS- Europa war, ist und bleibt unsere Lebensversicherung in SES 90/DIE GRÜNEN) den Zeiten der Krise – aber nur dann, wenn Deutschland Ich würde mich freuen, wenn wir da einen Konsens er- und Frankreich freundschaftlich und solidarisch zusam- zielen könnten. menarbeiten. Wir arbeiten derzeit im Sicherheitsrat der Vereinten Vielen Dank. Nationen sehr eng zusammen. Wann hat es das schon mal gegeben, dass Deutschland und Frankreich – zwei Staa- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ten – gemeinsam den Vorsitz im Sicherheitsrat ausüben der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ und das klare Signal setzen: „Wir wollen die globalen Be- DIE GRÜNEN) währungsproben gemeinsam in Angriff nehmen“? Auch das ist ein weiteres Beispiel dafür, dass die deutsch-fran-

zösische Zusammenarbeit nicht auf Abwehr ausgerichtet Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: ist in einer immer heterogener gewordenen Europäischen Norbert Kleinwächter, AfD, ist der nächste Redner. Union. Nein, sie macht deutlich, dass es nur etwas bringt, wenn Deutschland und Frankreich zusammenarbeiten (Beifall bei der AfD) und wir auch mit anderen Partnern in der Europäischen Union Kompromisse schmieden können. Norbert Kleinwächter (AfD): Wir reden immer sehr gerne über „Europe United“. Werter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! „Europe United“ ist aber nicht nur dann gut, wenn es ge- Liebe Bürger der 28 Nationen in der Europäischen Uni- nau den Beschlüssen des CDU-Bundesparteitages oder on! Sehr geehrter Herr Roth, lassen Sie mich dazu beitra- des SPD-Bundesparteitages entspricht. „Europe Uni- gen, Ihre Vorurteile gegenüber der AfD zu überwinden, ted“ bedeutet immer auch, Kompromisse auf den Weg und darstellen, wie eine bessere Europäische Union aus- zu bringen. Und da können wir aus der deutsch-fran- sehen kann. zösischen Zusammenarbeit viel lernen; das ist wichtig. (B) Denn die deutsch-französische Zusammenarbeit ist ja Wir betrachten ja den Brexit. Der Brexit ist eine Schei- (D) nicht deshalb so stark und erfolgreich, weil wir immer dung, eine bewusste, eine schmerzhafte Lösung aus einer von Anfang an einer Meinung waren. Nein, wir waren toxischen Beziehung mit einem übergriffigen Partner. deshalb gut und überzeugend, weil es uns am Ende im- mer gelungen ist, aus ganz unterschiedlichen Richtungen (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Markus zusammenzukommen und einen Kompromiss zu schmie- Töns [SPD]: Toxisch? – den, der so attraktiv war, dass er Europa nicht gespalten, [SPD]: Was ist denn toxisch daran?) sondern Europa geeint hat. Das müssen wir fortsetzen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Aber wir sollten nicht nur den Scheidungsprozess selbst (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten beleuchten, sondern auch den Partner analysieren; denn der CDU/CSU) er ist auch unserer. Warum gehen die Briten? Warum pro- testieren und wählen die Menschen so? Nicht etwa, weil Es geht natürlich auch um das soziale Europa. Genau sie Angst haben, Herr Roth, oder weil ihnen das jemand das steht im Koalitionsvertrag, der diese Bundesregie- einredet – ganz im Gegenteil: sie sind ganz besonders rung bindet. Europa braucht überall Mindestlohnregelun- mutig –, sondern weil ihnen in der Europäischen Union gen. Europa braucht überall eine soziale Grundsicherung. ihr eigenes Leben, ihre eigene Kultur, ihre Heimat un- heimlich werden. (Dr. Harald Weyel [AfD]: Euro-Sozialismus!) Man darf sich den Prinzipien der sozialen Grundsiche- (Beifall bei der AfD – Christian Petry [SPD]: rung nicht verschließen. Das bedeutet natürlich nicht, Blödsinn!) dass wir alles harmonisieren; aber wir brauchen Mindest- standards, auch in der Steuerpolitik. Hier sind Deutsch- Sie wird ihnen unheimlich, weil die Europäische Uni- land und Frankreich sehr eng beieinander. on immer mehr Lebensbereiche bestimmt und sich in nationale Angelegenheiten einmischt: Wie stark unser Ich möchte mich zum Schluss bei den Kolleginnen Staubsauger sein soll, wie lang unser Führerschein gültig und Kollegen ganz herzlich bedanken, die auch mit sein soll, wie viele Schadstoffe in der Luft sein sollen, dem Parlamentsabkommen deutlich machen, dass die wie viele Kinder in die Kita gehen sollen, wer demnächst deutsch-französische Zusammenarbeit schon lange nicht bei uns leben und zu uns einwandern soll – all das will mehr alleine eine Aufgabe und Verpflichtung für Regie- sie regeln, kontrollieren, vergleichen und den Bürger un- rungen ist. Sie ist eine selbstverständliche Aufgabe von mündig machen. Abgeordneten, von Parlamentarierinnen und Parlamen- tariern. Was mich so hoffnungsvoll stimmt, trotz der gan- (Markus Töns [SPD]: Das ist Quatsch!) 10096 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019

Norbert Kleinwächter (A) Und bei alldem macht sie das Vertraute fremd. heit liegt in Ihrem Feld, und das ist ein wahres Desaster (C) in unserem Land. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine Lüge nach der anderen! – (Beifall bei der AfD – Marianne Schieder [CDU/CSU]: Haben Sie doch [SPD]: Ach Gott!) mal ein bisschen mehr Selbstbewusstsein!) Die Menschen rufen auch nach Freiheit, aber die EU Meine Damen und Herren, die Menschen rufen nach verbietet Glühlampen, Bleigießen, demnächst Strohhal- Freiheit, sie rufen nach Sicherheit, sie rufen nach einem me und, wenn es nach der EU-Kommission geht, dem- guten Leben, aber all das verwehrt die Europäische Uni- nächst auch den Diesel und Facebook-Posts, die der Re- on. gierung missfallen. (Marianne Schieder [SPD]: So viel Blöd- (Christian Petry [SPD]: Blödsinn! Wo kom- sinn!) men Sie denn her, Herr Kleinwächter? Wo le- ben Sie denn?) Macron plant ja schon eine europäische Agentur für den Schutz der Demokratie. Diese ist gefährlich nah dran an Die EU steht in Wirklichkeit für Armut statt Wohlstand. Orwells Version eines Ministeriums für Wahrheit. Man Sie steht – gerade Sie als Sozialisten sollten sich das an- muss jetzt offensichtlich die Wahrheit verbieten; denn die hören – für eine grenzenlose Finanzglobalisierung. ist wahrlich bitter. (Beifall bei der AfD – Christian Petry [SPD]: Der Euro und die Europäische Union bestehen nur, Meine Güte, was ist denn mit Ihnen passiert?) weil Deutschland haftet und zahlt. Über 870 Milliarden Euro Target2-Forderungen haben wir, die Deutschland Sie schickt die Menschen in die Arbeitslosigkeit, in eine von der EZB eigentlich erhalten müsste. Über 400 Mil- halsbrecherische Konkurrenz mit Asien und in mies be- liarden Euro beträgt die Haftung für die Fehler anderer zahlte Jobs, während sich die oberen 1 Prozent woanders Staaten. ihre Pfründe sichern. Nehmen Sie das doch zur Kenntnis. (Christian Petry [SPD]: Was für ein Blöd- (Christian Petry [SPD]: Meine Güte! Ist das sinn!) peinlich!) Sie opfern die Zukunft dieses Landes. Sie opfern die Der Euro fördert zudem auch noch die Armut. Er wer- Zukunft meiner Generation, die für ein ideologisches tet seit Jahren ab. In den letzten zehn Jahren hat der Euro Scheitern des Projekts in Armut und Aussichtslosigkeit (B) gegenüber jeder Leitwährung der Welt deutliche Einbu- geschickt werden wird. (D) ßen gehabt: Er verlor gegenüber dem Schweizer Franken circa 35 Prozent, gegenüber dem US-Dollar und dem chi- (Beifall bei der AfD – Marianne Schieder nesischen Yuan circa 15 Prozent – egal welche Währung [SPD]: Du lieber Himmel!) Sie nehmen. Und dabei hat die EU nicht mal einen wirtschaftlichen (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE Vorteil. Die EU-Mitgliedschaft bringt kein Wachstum GRÜNEN]: Stimmt doch gar nicht!) des Bruttoinlandsprodukts; das hat eine Studie der Uni- versität Süddänemark ergeben. Der Euro schafft durch Die Sparguthaben werden immer weniger wert. Gleich- Billiglöhne und Arbeitslosigkeit auch Altersarmut. zeitig druckt die EZB eine halbe Billion Euro pro Jahr (Florian Hahn [CDU/CSU]: Deutschland ist und pumpt sie in die Märkte. Dadurch wird natürlich al- eigentlich schon untergegangen, oder? – Ge- les teurer und immer unfinanzierbarer für den normalen genruf des Abg. Gunther Krichbaum [CDU/ Bürger. Aber das sagen Sie denen ja nicht. Dem Bürger in CSU]: Ja, wahrscheinlich!) der Europäischen Union wird ein Porsche versprochen, und er bekommt eine Ente. Und nicht trotz, sondern dank der ganzen Subventions- töpfe liegen wir bei Infrastruktur und moderner Techno- (Beifall bei der AfD) logie unaufholbar hinten. Meine Damen und Herren, die Menschen rufen auch (Florian Hahn [CDU/CSU]: Seit Jahren er- nach Sicherheit; aber die ständig offenen Grenzen brin- zählen Sie das!) gen illegale Einwanderer ins Land. Diese EU ist ein einziger Misserfolg. (Florian Hahn [CDU/CSU]: Die Leute rufen: (Zurufe von der SPD) Aufhören!) Lassen Sie mich deswegen hervorheben, was gut ist Und statt die Bundeswehr oder die Polizei mit unseren an der europäischen Zusammenarbeit, um wenigstens finanziellen Mitteln zu stärken, blickt man auf die EU, das zu retten. Wir wollen den Frieden erhalten. Wir wol- träumt von gemeinsamen wunderschönen Projekten, len den Binnenmarkt und den freien Handel; denn das schafft Doppelstrukturen, die die Verantwortung verne- schafft Wachstum und Wohlstand. beln. Das bringt nicht nur eine faktische, sondern auch eine politische Unsicherheit. Meine Damen und Herren (Niema Movassat [DIE LINKE]: Sie wider- von der Bundesregierung, die Verantwortung für Sicher- sprechen sich in Ihrer eigenen Rede!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 10097

Norbert Kleinwächter (A) Wir wollen die Möglichkeit, zu reisen und in ein anderes rativ. Aber glauben Sie mir: Das wird in der deutschen (C) Land zu gehen, natürlich erhalten, aber mit der nötigen Bevölkerung nicht verfangen – überhaupt gar nicht. Sicherheit für Land und Sozialsysteme versehen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Wir brauchen eine grundlegende Reform der heutigen der SPD und des Abg. Michael Georg Link Europäischen Union, einen Ausweg aus dieser selbstver- [FDP]) schuldeten Unmündigkeit. Wir müssen die Kompeten- Es geht Ihnen nicht um Deutschland, es geht Ihnen zen zurückfahren auf die der Binnenmarktkontrolle, die nicht um Frankreich, es geht Ihnen vielmehr darum, Eu- ganzen Töpfe abschaffen; denn sie halten den Fortschritt ropa zu schleifen. Es geht Ihnen darum, europäische In- auf und fördern ihn nicht. Wir brauchen ein klares Nein stitutionen abzuschaffen, zu entkernen – egal, ob das das zur europäischen Migrationspolitik. Wir müssen gezielt Europäisches Parlament ist, von dem Sie in Ihrem Wahl- und geplant den Euro auflösen und unseren Wohlstand programm sagen, dass es abgeschafft gehört, oder ob es sichern. die Europäische Kommission ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir reden über die Institutionen, die die Bürger (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- auf diesem Kontinent schützen. Es sind die Institutio- NEN]: Den Euro auflösen und dann den nen, die als Garant dafür standen, dass sich bis heute ein Wohlstand sichern! In welcher Welt leben Sie Kontinent entwickeln konnte, in dem Frieden, Freiheit, denn?) Rechtsstaatlichkeit und Demokratie selbstverständlich Wir brauchen eine europäische Gemeinschaft der echten geworden sind. Zusammenarbeit souveräner Nationen. Da gibt es dann Die Kommission, an der Sie sich gerade abgearbeitet Polen, und das ist großartig. Und dann gibt es Spanier, haben, ist nebenbei jene Kommission, die beispielsweise die sind Spanier – und das ist großartig. Und wir sind auf die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit in Europa ach- Deutsche, und das ist großartig. tet. Es ist jene Kommission, die Rechtsstaatsverfahren eingeleitet hat gegen Polen, Ungarn und hoffentlich bald Die Europäische Union raubt den Menschen Wohl- auch gegen Rumänien, stand, Sicherheit und Identität. Sie macht ihnen ihre Hei- mat unheimlich. (Norbert Kleinwächter [AfD]: Warum nicht gegen Sie? Warum nicht gegen Macron? Wo (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE ist da die Rechtsstaatlichkeit?) GRÜNEN]: So, jetzt reicht es! – Zuruf von der wo mit brennender Sorge zu beobachten ist, dass Ge- SPD: Sie sind unheimlich!) richtsurteile gegen jene annulliert werden sollen, die (B) Geben wir den Menschen die Freiheit und die Heimat gegen Korruptionstatbestände und dergleichen mehr ver- (D) zurück. stoßen haben. Sie sagen in Ihrem Antrag, es geht Ihnen darum, zu Vielen Dank. dem Europa der Römischen Verträge zurückzukehren. Die Römischen Verträge wurden vor knapp 62 Jahren (Beifall bei der AfD – Niema Movassat [DIE unterzeichnet. Damals gab es noch kein Farbfernsehen, LINKE]: Das war eine Schauspielerei! – Zu- die erste Mondlandung war noch Fiktion. Aber es hatte ruf von der SPD: Schlechtes Schauspiel!) auch sein Gutes: Es gab noch keine AfD. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Gunther NEN) Krichbaum, CDU/CSU. Ja, meine Damen und Herren, die Zeit ist nicht stehen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) geblieben, und die Welt ist nicht stehen geblieben. Sie übersehen einen fundamentalen Aspekt, warum wir Sou- veränität an die nächste Ebene, an die Europäische Union Gunther Krichbaum (CDU/CSU): abgegeben haben. Wir geben die Souveränität im eige- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! nen Interesse ab, weil wir der Überzeugung sind, dass Herr Kleinwächter, ich glaube, Sie haben gerade die 28 Mitgliedstaaten handlungsfähiger, kraftvoller, stärker wahre Intention Ihres Antrages gezeigt. Ihnen geht es sind, als wenn 28 Staaten für sich versuchen, ihre eigene nicht um Europa, Ihnen geht es auch überhaupt nicht um Suppe zu kochen. den Élysée-Vertrag als Vorbild für Europa. Für Sie wurde (Zuruf von der AfD: Warum klappt das heute der Wahlkampf eröffnet. Das ist es, und das zeigt nicht?) Ihre ganze Hetze und Rhetorik heute Morgen. Wenn es eines Beweises dafür bedurft hätte, dann wurde (Jürgen Braun [AfD]: Was anderes fällt Ih- er im letzten Jahr erbracht, als Donald Trump versuch- nen nicht ein, Herr Krichbaum? Das ist so te, mit Strafzöllen gegen die Europäische Union seine schwach!) eigene Wirtschaft zu privilegieren und unserer zu scha- den. Jean-Claude Juncker reiste im Juli letzten Jahres Ihnen geht es nur darum, Angst und Verunsicherung in nach Washington und hatte als Verhandlungsargument der deutschen Bevölkerung zu schüren. Das ist Ihr Nar- 500 Millionen Verbraucher im Rucksack. 500 Millionen 10098 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019

Gunther Krichbaum (A) Menschen, die eben auch für eine US-amerikanische Ad- die ein tiefes Verständnis für Seriosität und dafür haben, (C) ministration eine kritische Größe sind. Das zeigt, worauf wofür wir Europa brauchen. es ankommt: Wir müssen im Zeitalter der Globalisierung Herzlichen Dank. zusammen handeln, zusammenstehen; denn nur, wenn wir zusammenbleiben, sind wir stark. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Norbert Kleinwächter [AfD]) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Michael Link, FDP, ist der nächste Redner. Es geht um Herausforderungen, für die jeder Mitglied- staat alleine zu klein ist, und sei er auch noch so groß – das (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Christian gilt auch für die Bundesrepublik Deutschland –: wenn es Petry [SPD]) beispielsweise um die Bekämpfung des internationalen Terrorismus geht, wenn es um Fragen des Klimaschutzes Michael Georg Link (FDP): geht, was Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie Amt, gerade richtigerweise angesprochen hat, wenn es so oft lebt die AfD in ihrer ganz eigenen Welt. Der An- um die Herausforderungen der Zukunft geht, um künst- trag, den wir heute debattieren, spiegelt genau das wider. liche Intelligenz, um Forschung, um Entwicklung. Hier Der Titel könnte lauten: Sechs Wege, Frieden und Wohl- müssen wir deswegen zusammen agieren. Lassen Sie stand in Europa abzuschaffen. Insofern lohnt es sich, sich gesagt sein – ich zitiere ein afrikanisches Sprich- diesen Antrag zu lesen. Man könnte denken, das Datum wort –: Wenn du schnell gehen willst, dann gehe allein. ist falsch gewählt und liegt etwa 100 Jahre daneben. Wir Aber wenn du weit gehen willst, dann gehe zusammen haben 2019, nicht 1919. und bleibe zusammen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Dr. Harald Weyel [AfD]: Und nimm die der CDU/CSU und des Abg. Christian Petry Fußkranken mit!) [SPD]) Nein, mit diesem Antrag heute – ich hatte es schon aus- Es ist gut, dass wir die Lehren aus der Geschichte gezo- formuliert – wird nur Angst geschürt für Wahlkampfzwe- gen haben. cke. Wie so oft – das machen Sie gerne – wird der große Ich sage Ihnen aber auch: Nur die Herausforderungen Staatsmann Charles de Gaulle von Ihnen als vorgebliche anzupacken, wird nicht reichen. In der Präambel unseres Gallionsfigur einer rückwärtsdenkenden Anti-EU-Bewe- Grundgesetzes heißt es sehr richtig: (B) gung vereinnahmt, (D) Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und (Lachen des Abg. Norbert Kleinwächter den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleich- [AfD]) berechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, … obwohl de Gaulle genau das, wofür die Antragsteller stehen, überwinden wollte: das Verharren in altherge- haben wir uns – abgekürzt – brachten gegenseitigen Feindbildern, die Enthemmung zunächst des Denkens und Sprechens und später auch dieses Grundgesetz gegeben. des Handelns, einen sich über andere erhebenden aggres- Dem Frieden der Welt zu dienen als ein gleichberech- siven Nationalismus. tigtes Glied in einem vereinten Europa – genau darum Aber nutzen wir doch diese Debatte dafür, um de geht es. Wir werden zusammenbleiben und uns nicht auf Gaulle – nein, nicht ins rechte – ins richtige Licht zu rü- etwas reduzieren lassen. cken. Er wusste: Beim Zusammenwachsen Europas muss Schauen Sie mal in Ihren eigenen Antrag hinein: man einen langen Atem haben. Für de Gaulle war schon 30 Milliarden Euro ist die Summe, die Sie in Zukunft 1964 klar, dass man durchaus hoffen könnte – ich zitiere der Europäischen Union noch zur Verfügung stellen wol- mit Erlaubnis des Präsidenten –, len. 30 Milliarden Euro! Man muss nur nachrechnen. Das daß einmal der Tag kommt, an dem die Völker un- ist ungefähr der Haushalt des Landes Hessen. Wenn Sie seres Alten Kontinents ein einziges bilden werden glauben, mit Hessen alleine – bei aller Wertschätzung für unsere Kollegen aus diesem Bundesland – könnte man (Dr. Harald Weyel [AfD]: Inklusive Algeri- Europa retten, kann man Ihnen nur sagen: Darin besteht en!) der Trugschluss und der Fehlschluss Ihrer gesamten Ar- und es dann vielleicht eine Regierung Europas ge- gumentation. ben kann. (Norbert Kleinwächter [AfD]: Die multilate- Ein einziges europäisches Volk, eine Regierung Euro- ralen Projekte sind nicht im Haushalt drin!) pas – meine Damen und Herren, so und nicht anders dachte, sprach und handelte Charles de Gaulle. Sie gehen fehl; Sie gestehen es sich nicht ein. (Beifall bei der FDP) Herr Kleinwächter, wir sind hier eben nicht in der Wahlkampfarena. Ich sage Ihnen: Mit Ihrer Strategie Er war ein Vordenker der europäischen Zusammenarbeit, werden Sie scheitern. Es verfängt nicht bei den Bürgern, jemand, der wusste, dass Europa über die Zeit eng zu- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 10099

Michael Georg Link (A) sammenwachsen wird und dass es so etwas wie die hei- Gaulle bei diesem Prozess des Zusammenwachsens heu- (C) le Welt des Nationalstaats nie gegeben hat, jemand, der te in der allerersten Reihe mitarbeiten würde. gerade nicht in die Zeit der Nachbar- und Bruderkriege Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. zurückwollte, wo sich Nationalstaaten misstrauisch be- lauerten und Millionen Menschen dafür mit dem Leben (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten bezahlten. der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) Ihr Antrag ist leider voll von Verschwörungstheorien und Schreckensszenarien. Statt Charles de Gaulle schei- nen Sie sich einen anderen Franzosen zum Vorbild ge- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: nommen zu haben: Das hört sich alles nach Nostradamus Andrej Hunko, Die Linke, ist der nächste Redner. und Prophezeiungen vom Weltuntergang an. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Christian Petry [SPD]) der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) Andrej Hunko (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Wir diskutieren hier Ich will deshalb viel mehr über zukunftsgewandte über einen Antrag der AfD mit dem Titel „Élysée als Initiativen reden. Sprechen wir über Politik von Deut- Vorbild“. Ja, der historische Élysée-Vertrag war ein ganz schen und Franzosen von heute. Im Januar haben die wichtiger Beitrag zur deutsch-französischen Aussöh- deutsche und französische Regierung den Vertrag von nung, vielleicht eine der größten Leistungen in der zwei- Aachen unterzeichnet; Staatsminister Roth hat gerade ten Hälfte des 20. Jahrhunderts. dazu gesprochen. Nächste Woche verabschieden wir hier im Bundestag – ein ganz wichtiger Tag für uns – Ich kann das persönlich beschreiben. Als Junge im das deutsch-französische Parlamentsabkommen. Und in Alter von elf Jahren bin ich als Mitglied eines Aachener gut zehn Tagen wird in zum ersten Mal die neue Fußballvereins nach Paris gefahren, habe dort in einer Deutsch-Französische Parlamentarische Versammlung Gastfamilie übernachtet und weiß noch sehr genau, mit zusammentreten. In diesem einzigartigen Forum – ich welcher feierlichen Überwindung diese Gastfamilie mich jedenfalls kenne keinen anderen Fall, in dem zwei Par- damals aufgenommen hat. Erst später habe ich erfahren, lamente ein solches gemeinsames Forum geschaffen ha- dass dies mit dem Élysée-Vertrag und dem zivilgesell- ben – werden wir über konkrete Probleme und Sorgen schaftlichen Austausch, der damit verbunden war, zu- der Menschen in Deutschland, Frankreich und Europa sammenhing. Das war eine ganz große Leistung, und das sprechen, und wir werden echte Politiklösungen erarbei- sollte auch niemand infrage stellen. (B) ten. Das ist jedenfalls unser Anspruch. (D) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (Beifall der Abg. Dr. Franziska Brantner neten der SPD) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Was aber mit diesem Antrag der AfD ausgesagt wird, ist, Wenn wir aber wollen, dass die Bürgerinnen und Bürger dass wir die Geschichte 60 Jahre zurückdrehen sollten, wirklich von der deutsch-französischen Zusammenarbeit dass wir zu einem Europa Adenauers und de Gaulles zu- profitieren, dann müssen die Parlamente dabei eine grö- rückkehren sollten. Das kann nicht funktionieren. Das ist ßere Rolle spielen, als ihnen jetzt in diesen durchaus stief- im klassischen Sinne des Wortes reaktionär. mütterlichen Passagen im Aachener Vertrag zukommt, in (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- dem sie nämlich nur als Randnotiz erwähnt werden. Hier neten der SPD) sollten wir, Kolleginnen und Kollegen, als Bundestag, der den Aachener Vertrag schließlich im April ratifizieren Auch wir haben viele Kritikpunkte an der Europä- soll, unsere Mitwirkungsrechte nochmals nachjustieren. ischen Union – das ist auch bekannt –, aber eines un- terscheidet uns fundamental von Ihrem Ansatz: Wir (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten wollen die Widersprüche der Europäischen Union und der CDU/CSU und der Abg. Dr. Franziska die Kritikpunkte, die wir haben, nach vorne auflösen, zu- Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) kunftsgewandt auflösen, europäisch-internationalistisch Daher die klare Botschaft an die Bundesregierung: Die auflösen und nicht zurückkehren zu einem Europa der im Aachener Vertrag begründete Vorhabenliste muss 60er-Jahre. in den Parlamenten und insbesondere in der neuen (Beifall bei der LINKEN) Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung behandelt und weiterentwickelt werden – hier, nicht in Der eben schon angesprochene neue Aachener Ver- geheimen Kabinetten im Kanzleramt und im Élysée-Pa- trag – dieser hieß zuerst Élysée-Vertrag 2.0 – steht leider last. nicht in der Tradition des historischen Élysée-Vertrags. (Zuruf von der LINKEN: Wohl wahr!) Wenn Parlamente und Regierungen auf Augenhöhe zusammenarbeiten, dann können wir echte Verbesserun- Wenn man sich den Aachener Vertrag anschaut, Herr gen für Deutschland, Frankreich und die ganze Europä- Staatsminister Roth, stellt man fest, dass der Kern dieses ische Union erarbeiten. Das wird noch viel gegenseitige neuen Élysée-Vertrags, dieses neuen deutsch-französi- Lernbereitschaft erfordern, aber ich bin sicher, dass der schen Vertrags die Aufrüstung ist. Es sind Militärprojek- stets neugierig gebliebene, nie rückwärtsgewandte de te. Das ist der einzige Bereich im Aachener Vertrag, der 10100 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019

Andrej Hunko (A) im Unterschied zu vielen anderen schönen Worten sozu- Wir erleben in diesen Stunden eine phänomenale in- (C) sagen eine Konkretionstiefe hat, ternationale Bewegung, nämlich die Bewegung „Fridays for Future“. Gerade demonstrieren in 100 Staaten auf (Zuruf von der FDP: Sie müssen den mal 1 700 Kundgebungen – davon alleine 200 in Deutsch- lesen!) land – vor allen Dingen Schüler und Schülerinnen, aber und das kritisieren wir. Das lehnen wir ab. Wenn man auch Wissenschaftler und Eltern für eine zukunftsfähige dann noch lesen muss, dass es ein geheimes Zusatzproto- Klima- und Energiepolitik. Hier muss man sagen, dass koll zu diesem Aachener Vertrag gibt, die bestehenden Strukturen der Europäischen Union nicht darauf ausgerichtet sind, eine solche zukunftsfähi- (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Genau! – Zuruf ge Politik zu schaffen. Wir haben immer noch die Eura- von der AfD: So ist das!) tom-Verträge, wir haben keine Agentur für erneuerbare Energien. Hier würde es wirklich Sinn machen, Kompe- das sozusagen Rüstungsexporte bei gemeinsamen tenzen auch auf die europäische und internationale Ebene deutsch-französischen Rüstungsprojekten ermöglicht, zu übertagen. Das findet leider nicht statt. die nicht den nationalen Rüstungsexportrichtlinien unter- liegen, dann ist das nicht anders als skandalös zu nennen, Wir als Linke fordern in unserem Europawahlpro- (Christian Petry [SPD]: Aber Andrej, das ha- gramm den europaweiten Braunkohleausstieg bis 2030. ben wir doch schon geklärt! Das ist doch nicht Ich glaube, das ist ein Beispiel dafür, wo man wirklich so!) europäisch voranschreiten müsste, wo man tatsächlich mehr europäische Initiativen bräuchte. Dazu haben wir und ich finde, das schafft kein Vertrauen in eine von Ihnen, Herr Staatsminister, konkret leider nichts ge- deutsch-französische Zusammenarbeit. hört. Das wäre ein Beispiel für eine zukunftsweisende Politik. (Beifall bei der LINKEN) Der Antrag der AfD enthält unter anderem die Forde- Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. rung, den Euro aufzulösen. Es ist bekannt, dass wir als Linke – damals noch eine der Vorgängerparteien, die (Beifall bei der LINKEN) PDS – die Einführung des Euros abgelehnt haben, mit der Begründung, dass die Einführung einer gemeinsamen Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Währung das Ende eines europäischen Einigungsprozes- ses markieren könne, aber nicht am Beginn stehen könne. Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Dr. Franziska Unser damaliger Fraktionsvorsitzende Gysi sagte in sei- Brantner, Bündnis 90/Die Grünen. (B) ner damaligen Rede dazu: (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Da ist eine richtige, eine die Menschen mitnehmen- de, an ihre sozialen Interessen anknüpfende euro- päische Integrationspolitik entscheidend. Wenn man Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sie unter falschen Voraussetzungen betreibt, dann NEN): wird sie der Keim zu einem neuen Nationalismus Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und damit auch zu steigendem Rassismus sein. und Herren! Wohin es führt, wenn die Nationalisten und Spalter nicht nur etwas fordern, sondern dafür auch noch (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Genau!) Mehrheiten bekommen, erleben wir gerade auf der bri- Das ist ja genau das, was wir gegenwärtig erleben, und tischen Insel: Das Ergebnis ist Kontrollverlust pur. Das deswegen fordern wir eine europäische Integrationspoli- Ergebnis ist Chaos, weil die Brexit-Fans ihre Forderung tik, die wirklich an den sozialen Interessen der Menschen nicht zu Ende gedacht haben. Sie hatten keinen Plan. Sie in Europa ansetzt. haben keinen Plan. Und die Konsequenzen sind ihnen of- fensichtlich egal. (Beifall bei der LINKEN) (Norbert Kleinwächter [AfD]: Aber sie haben Was aber nicht funktionieren wird, ist, einfach alles Gründe!) rückabzuwickeln. Das ist ungefähr so, als ob man ver- suchen würde, ein Rührei zurück in die Eierschale zu Das Gleiche in Blau haben wir nun hier im Bundes- bekommen. Wenn Sie das vorhaben, dann wünsche ich tag – mit dem Antrag der AfD, einem billigen Versuch, Ihnen sehr viel Spaß dabei. Das wird nicht funktionieren. die EU schlechtzumachen. (Zurufe der Abg. Renate Künast [BÜND- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN NIS 90/DIE GRÜNEN]) sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und Man muss all das, was die Euro-Frage angeht, ganz kon- der FDP) kret nach vorne auflösen. Hier geht es aktuell darum, die Leistungsbilanzunterschiede abzubauen, um die negati- Und wie bei den Brexit-Fans wird Souveränität so ver- ven Auswirkungen in einigen südeuropäischen Ländern standen, als wären wir noch im 19. Jahrhundert. zu begrenzen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der LINKEN) NEN]: Manche sind das ja vielleicht!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 10101

Dr. Franziska Brantner (A) Das deckt sich dann zwar gut mit Ihrem Frauenbild, aber Sie haben kein Interesse an ernsthafter Politik. Sie (C) es ist ein intellektuelles Armutszeugnis. wollen einfach nur spalten und Europa kaputtmachen. Das werden wir aber nicht zulassen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der FDP und des Abg. Christian Petry [SPD]) sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN) In unserer vernetzten Welt bringt das Einigeln ins Nati- onale gar nichts. Ganz im Gegenteil: Mit einem Austritt Das von Ihnen hier geforderte Weniger an Europa ist aus der EU verlieren die Briten Kontrolle, und sie gefähr- doch in Wahrheit ein Weniger an Wohlstand, ein Weni- den ihren Wohlstand. ger an Sicherheit, ein Weniger an Mitsprache in der Welt, ein Weniger an Demokratie und auch ein Weniger an Le- Liebe AfD, Sie sind die deutsche Wohlstandsvernich- bensfreude. Anders als Sie lieben wir nämlich Europa. terpartei. Das ist Ihr Ziel, und das ist Ihr Inhalt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN SPD und der FDP – Lachen des Abg. Jürgen sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Braun [AfD]) SPD und der FDP – Zurufe von der AfD) Natürlich sehen wir auch, dass Sie und Ihre rechten Hier und heute können Sie uns das Blaue vom Himmel Freunde in anderen Ländern lieber im Team Putin und im erzählen. Sie brauchen keine Beweise, Sie ignorieren alle Team Bannon spielen als bei uns in der Demokratie. Das Fakten. Aber wissen Sie, was? Wenn es ernst wird, dann ist bekannt. Russland versucht schon länger, Europa zu sind die Spalter, dann sind die Hasser die Ersten, die sich spalten. Mit viel Geld und mit seinen Trollen unterstützt vom Acker machen und den anderen die Verantwortung Putin die nationalistischen Kräfte. Sie spielen dabei mit. überlassen. (Jörn König [AfD]: Reine Unterstellung!) (Jürgen Braun [AfD]: Nein, wir laufen nicht weg! – Norbert Kleinwächter [AfD]: Wir Was hat denn das mit Patriotismus zu tun? bleiben schon länger! Keine Sorge, Frau Ausgerechnet in dieser Situation nehmen Sie Hundert- Brantner!) tausende von Euro aus dem Ausland an und können noch nicht einmal sagen, woher das Geld kommt. Sie wollen nur zerstören. (B) (Niema Movassat [DIE LINKE]: Tja! Hört! (D) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Hört!) SES 90/DIE GRÜNEN) Das ist unerhört. Schämen Sie sich dafür, dass Sie immer Das zeigt Ihr Antrag auch sehr deutlich. Ich lese einmal noch nicht offenlegen können, woher aus dem Ausland daraus vor: Sie das Geld bekommen!

Ist eine Auflösung der Eurozone auf europäischer (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ebene nicht durchsetzbar, ist die Bundesregierung sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der aufgefordert, dem Deutschen Bundestag … ein ei- SPD, der FDP und der LINKEN – Renate genes, vollständiges Konzept zum Austritt Deutsch- Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht lands aus der Eurozone vorzulegen … wollen!) Wissen Sie: Europa ist die beste Idee, die wir jemals (Beifall bei der AfD – Matthias W. Birkwald hatten, und die werden wir uns von Ihnen nicht kaputt- [DIE LINKE]: Hört, hört!) machen lassen. Deutschland ist und bleibt ein Land im Das ist an sich schon absurd, aber jetzt kommt das Beste: Herzen Europas, und Europa bleibt im Herzen Deutsch- Bis wann soll die Bundesregierung das Konzept vorle- lands. gen? (Beifall der Abg. Ulle Schauws [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]) (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Gestern?) Wir wissen aber auch, dass die EU in einer schwierigen Situation ist. Da dürfen wir uns auch nichts vormachen. Bis zum 31. März 2019. Das zeigt, wie absurd Sie den- Einiges wird noch immer nicht in Angriff genommen. ken, wenn Sie glauben, dass man die Euro-Zone auf eu- ropäischer Ebene bis zum 31. März 2019 auflösen kann Stichwort „Klimakrise“. Während wir hier debattie- und man von der Bundesregierung für den Fall, dass das ren, streiken nicht weit von hier, im Invalidenpark, Schü- nicht durchsetzbar ist, ein eigenes vollständiges Konzept lerinnen und Schüler für ihre Zukunft. Auch wir wollen, vorgelegt bekommen kann. dass Europa beim Klimaschutz endlich stärker gemein- sam vorangeht, beispielsweise durch eine CO2-Steuer. (Norbert Kleinwächter [AfD]: Der Antrag war Hier müsste die Bundesregierung wesentlich vehementer im Juni zum ersten Mal gestellt! – Weitere Zu- endlich die Konzepte aufgreifen, die auf dem Tisch lie- rufe von der AfD) gen, und für einen konsequenten Klimaschutz eintreten. 10102 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019

Dr. Franziska Brantner (A) Stichwort „Digitalsteuer“. Wer Milliarden mit unse- Hause, heute so diskutieren, wie wir diskutieren. Allein (C) ren Daten verdient, muss auch seinen Beitrag zu unse- das ist an diesem Tag schon ein Gewinn. rem Gemeinwohl leisten. Jetzt geht Frankreich bei der Digitalsteuer mit anderen europäischen Staaten voran. (Beifall bei der SPD) Was werden Sie, liebe Bundesregierung, machen? Ma- Es ist auch ein Gewinn, dass wir in Deutschland im chen Sie doch mit! Da können Sie sich dann auch nicht Gegensatz zu manchen Schwarzrednern oder falschen mehr hinter Irland oder Schweden verstecken. Es ist Ihre Prognosen heute eine außergewöhnlich hohe Zustim- Regierung; das können Sie entscheiden. Gehen Sie zu- mung zum europäischen Integrationsprozess, das heißt sammen mit anderen Ländern voran, die jetzt endlich die auch zu dieser EU, haben. Das ist zum Teil ein Ergebnis richtigen Weichen stellen. deutscher Europapolitik. Auch daran sind dieser Bun- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) destag und diese Bundesregierung an wichtiger Stelle beteiligt. Das sollten wir gerade heute hier einmal ganz Klimaschutz, Digitalsteuer, Reformen für einen stabi- deutlich aussprechen. len Euro oder Schritte zur Stärkung eines sozialen Eu- ropas – alle diese Punkte haben eines gemeinsam: Die (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Bundesregierung bremst, wo sie nur kann. Mit einer Aber lassen Sie uns dabei auch über die konkreten Punk- handlungsunfähigen EU machen Sie es der AfD leichter, te reden. gegen die EU zu polemisieren. Deswegen muss die EU beweisen, dass sie die großen Probleme unserer Zeit an- Ad eins: der Euro, den die AfD abschaffen will. Wir gehen kann und sie auch angeht. Diese Probleme werden haben in der großen Bankenkrise seit 2008 gesehen, dass nicht kleiner, sondern sie werden drängender. Man kann ein Währungssystem, das überwiegend auf deutsche Mo- Europa, liebe Bundesregierung, auch durch Nichtstun delle zurückgreift und dessen Zentralbank in kaputtmachen. sitzt, funktioniert und Stabilität schafft, bzw., wie Mario (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Draghi zu Recht gesagt hat: „Whatever it takes.“ Die Al- SES 90/DIE GRÜNEN) ternative dazu, was passiert, wenn es nicht mehr funktio- niert, sehen wir jetzt beim Brexit und bei dem unverant- Daher: Nutzen Sie die Zeit, die noch bleibt! Handeln Sie! wortlichen Handeln der britischen Regierung. Hier sehen Machen Sie das nächste Jahr zum europäischen Jahr! wir den Unterschied zu einem funktionierenden Europa. Zum Schluss komme ich zum Aachener Vertrag, den (Beifall bei Abgeordneten der SPD) wir gemeinsam diskutieren wollen. Sie, Herr Staatsmi- nister Roth, haben die Parlamentarische Versammlung Der zweite Punkt betrifft die Agrar- und Struktur- (B) erwähnt und diese gelobt. Das ist absolut richtig. Wir fonds. (D) müssen sie dann aber auch im Aachener Vertrag veran- (Zuruf des Abg. [AfD]) kern und ihr wichtige Aufgaben übertragen. Die AfD hat noch nicht einmal realisiert, was die Ver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gemeinschaftungen in Europa, die wir haben, bedeuten. sowie bei Abgeordneten der FDP) Sie will nun die in der Agrarpolitik abschaffen. Fragen Herr Roth, ich nehme Ihre Rede heute mal als Zustim- Sie mal in anderen europäischen Staaten, fragen Sie auch mung dafür, dass es die Regierung begrüßen würde, mal in Deutschland, was wir – bei allen Schwierigkeiten, wenn die Parlamente diese parlamentarische Kontrolle bei allen Veränderungsnotwendigkeiten – machen wür- noch einführen würden. den, wenn es ebendiese gemeinsame Agrarpolitik nicht mehr gäbe! (Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Die haben nicht mal auf den Termin geachtet!) (Kay Gottschalk [AfD]: Da können sich die Ich freue mich darauf, die parlamentarische Kontrolle zu afrikanischen Staaten schon mal freuen!) stärken. Fragen Sie vor allen Dingen mal zu Strukturfonds auf Ich danke Ihnen. kommunaler und auf Landesebene! Da kennt man eben nicht nur den Preis, sondern weiß auch den Mehrwert zu (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schätzen, der eben auch zum Reichtum unseres Landes sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der beiträgt. SPD und der FDP) (Beifall bei der SPD – Kay Gottschalk [AfD]: Wissen Sie überhaupt, wovon Sie reden?

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Schauen Sie sich das einmal an!) Nächster Redner ist der Kollege Axel Schäfer, SPD. Der dritte wichtige Punkt, der hier angesprochen wor- (Beifall bei der SPD) den ist, betrifft die Frage unserer nationalen Souveränität. Wir haben in unsere Verfassung ausdrücklich aufgenom- Axel Schäfer (Bochum) (SPD): men, dass unser Land internationalen zwischenstaatli- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! chen Institutionen beitreten kann, mehr noch, dass es sich Auch schlechte Anträge wie der von der AfD können zum Beispiel auch in ein System kollektiver Sicherheit gute Debatten befördern. Deshalb ist es wichtig und einbinden lassen kann, um damit in der Gemeinschaft richtig, dass wir, die proeuropäischen Parteien in diesem stärker zu sein. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 10103

Axel Schäfer (Bochum) (A) Schauen wir mal genau darauf, was nationale Souve- Gute Nachbarschaft besteht eventuell auch aus ei- (C) ränität bedeutet. Die Väter und Mütter unseres Grundge- ner richtigen Mischung von Nähe und Distanz, die hier setzes haben den Begriff „souverän“ bewusst vermieden. gröblich und sträflich vernachlässigt wird. Im Autover- Sie wollten nie mehr, wie der konservative Staatsrecht- kehr steht ein zu nahes Auffahren unter Strafe. Insofern ler Carl Schmitt – er war in der Weimarer Republik, im möchte ich an Sloterdijk erinnern, der in „Theorie der Dritten Reich und in der Bundesrepublik Deutschland Nachkriegszeiten“ das deutsch-französische Verhältnis aktiv – formuliert hat, so souverän sein, dass man über beleuchtete und in dem Zusammenhang von der guten den Ausnahmezustand gebieten kann. Diese Souveräni- Nachbarschaft spricht, die darin besteht, dass man sich tät, unseren Nachbarn noch einmal den Krieg erklären auch mal in Ruhe lässt. Und er bringt einen weiteren zu können, haben wir freiwillig aus Erfahrung wie Über- Begriff ein, nämlich den der Metanoia. Eben wurde bei- zeugung abgegeben. Und das war gut und richtig so. Das spielsweise das Jahr 1919 erwähnt. „Metanoia“ heißt: die ist eine der wichtigsten historischen Entscheidungen in Abkehr, die Einsicht, die neue Welt, in die man tritt, die diesem Land. neue Gesinnung usw. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Florian Hahn [CDU/CSU]: Ist eher Paranoia der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des bei Ihnen!) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Da muss man doch feststellen, dass Deutschland ziem- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will an dieser lich alleine dasteht, weil die anderen sich in ihrer natio- Stelle noch einmal deutlich machen: Wir Europäerinnen nalen Interessenvertretung treu geblieben sind. und Europäer – (Beifall bei der AfD – Florian Hahn [CDU/ (Jürgen Braun [AfD]: Was ist mit den Diver- CSU]: Ein Männlein steht im Walde!) sen, den diversen Europäern?) Dass man jetzt neue Institutionen schafft, die den al- die Parteien FDP, CDU, CSU, Grüne, SPD und Linke – ten ähneln, kann darüber nicht hinwegtäuschen. Was ist lieben unser Land. Die Antieuropäer hassen die anderen eigentlich aus dem ersten Élysée-Vertrag geworden? Er Länder. Das ist der Unterschied. Es wird im Europawahl- ist doch in weiterer Hinsicht eine leere Hülle, die nicht kampf darauf ankommen – – mehr mit wirklichem Leben gefüllt ist. Wenn man da jetzt noch eins draufsetzen und ihn erneuern will, kann (Zurufe von der AfD) ich nur sagen: Der Grundgedanke von zwei Parlamenten und einer Parlamentarischen Versammlung – ob es mehr Es wird im Europawahlkampf darauf ankommen, dass oder weniger als 100 Vertreter sein müssen, kann man ja die europäischen Parteien, auch wenn sie über die rich- (B) dahingestellt sein lassen –, steht im Widerspruch zu dem, (D) tigen Konzepte, auch über die Unterschiede streiten, was wir in diesem sogenannten EU-Parlament veranstal- dafür werben und dafür eintreten, Europa, diese Errun- ten wollen. genschaft, gemeinsam gegen die zu verteidigen, die es zerstören wollen. Und die sitzen hier ganz rechts in die- (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE sem Hause. GRÜNEN]: Das wollen Sie doch abschaffen, das Europaparlament! Das will die AfD doch (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten abschaffen, Herr Weyel!) der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Das ist also eine Parallelveranstaltung, eine Dopplung. Michael Georg Link [FDP]) Man könnte das sinnvoll aufgreifen, indem man die Par- lamentarische Versammlung für ganz Europa einführt und somit das ganze Brüsseler bzw. Straßburger Schein- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: parlament zu dem Zustand von 1979 oder vor 1979 zu- Dr. Harald Weyel, AfD, ist der nächste Redner. rückführt, ansonsten bleibt es, was es ist, nämlich ein Einfallstor für internationalisierten Lobbyismus aller Art. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Dr. Harald Weyel (AfD): Das ist Ihr Parlament. Sehr geehrter Herr Präsident! Kollegen! Zuschauer Zwei Wochen nach Unterzeichnung des Aachener Ver- draußen im Lande! Der Staatsminister brachte das Bild trags am 22. Januar dieses Jahres inklusive Geheimver- vom engen Zusammenstehen. Zu engem Zusammenste- trag, wie er schon richtigerweise erwähnt wurde – so was hen fällt mir eines ein: Wenn im Wald die Bäume zu eng sollte man nicht unter den Tisch fallen lassen – grätscht zusammenstehen, dann ist der Windbruch vorprogram- Freund oder Freundin Frankreich bei Nord Stream 2 da- miert. Dann haben der Förster und die Waldarbeiter da- zwischen, erscheint nicht auf der Münchner Sicherheits- nach was zu spalten. konferenz usw. usf. und denkt gar nicht daran, irgendwel- (Beifall bei der AfD – Gunther Krichbaum che Atomschirme für andere Leute aufzuspannen. Das [CDU/CSU]: Manche sehen auch den Wald hat schon nicht geklappt im Gespann Schmidt-Giscard, vor lauter Bäumen nicht mehr!) Kohl-Mitterrand oder Schröder-Chirac und wird jetzt erst recht nicht gelingen. Vielleicht ist es sinnvoll, wenn wir Das enge Zusammenstehen ist also ein völlig schiefes uns im europäischen Zusammenhang mal ein Bonmot Bild. von Talleyrand vor Augen führen: 10104 Deutscher Bundestag – 19. 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Dr. Harald Weyel (A) Niemand vermag zu sagen, wie viele politische tizbücher zu zücken für einen kurzen Faktencheck in Sa- (C) Dummheiten aus Mangel an Geld schon verhindert chen EU. worden sind. Zur ersten These, die ich rausgegriffen habe. Ich zitie- Dies ist unser und der EU Schicksal. re aus dem Antrag: (Beifall bei der AfD) Das Vertrauen der Menschen … in die Institutionen Es ist offenbar viel zu viel Geld da für allen möglichen und die Regelwerke der EU schwand und ist teil- Blödsinn, der dann auch prompt gemacht wird. Lassen weise irreparabel zerstört. Sie uns da ansetzen und das verhindern. Schauen wir uns mal den Eurobarometer-Bericht vom November 2018, der noch gar nicht so alt ist, an. Dem- Vizepräsidentin : nach geben mehr als vier von zehn Europäern, 42 Prozent Herr Weyel, das können Sie jetzt nicht mehr. Kommen in Zahlen, an, dass sie der EU eher vertrauen, das höchs- Sie bitte zum Schluss. te Ergebnis seit Herbst 2010. Außerdem haben mehr als doppelt so viele Europäer, 43 Prozent, eher ein positives Dr. Harald Weyel (AfD): Bild von der EU als ein negatives. Das ist wiederum der Danke, ich bin fertig. – Ich bedanke mich bei den höchste Stand seit 2009. Die Zahlen zeigen uns doch ge- Steuerzahlern und Wählern, die diesen Spuk vielleicht radezu, dass alles andere als ein Vertrauensverlust in die beenden werden, mit uns zusammen. EU stattfindet. Sie zeigen, dass sich die Frage eines Für oder Gegen hinsichtlich der Europäischen Union für die Danke. meisten Bürgerinnen und Bürger in unserem Land eben nicht stellt. Die Frage ist doch nicht das Ob, sondern die (Beifall bei der AfD) Frage ist vielmehr das Wie. Unsere Antwort darauf ist ganz klar: Wir müssen die EU wieder näher zu den Bür- Vizepräsidentin Petra Pau: gerinnen und Bürgern bringen und sie für die Menschen Das Wort hat die Abgeordnete Katrin Staffler für die konkret erfahrbar machen. CDU/CSU-Fraktion. Ich komme zur zweiten These. Ich zitiere wieder: (Beifall bei der CDU/CSU) Eine demokratische Legitimation (CDU/CSU): Katrin Staffler – gemeint ist die der EU – (B) Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol- (D) legen! Es ist ja gerade Fastenzeit. Wie in jedem Jahr habe ist nicht in ausreichendem Maße gegeben. ich mir auch in diesem Jahr wieder vorgenommen, auf bestimmte Dinge zu verzichten. Dazu gehören bestimmte Denn die nationalen Parlamente, so kann man im Antrag Lebensmittel. lesen, werden im Gesetzgebungsprozess nicht in ausrei- chendem Maße angehört. (Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Oder auch andere!) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir haben Ich habe mir in diesem Jahr aber auch vorgenommen, Po- seit 1979 ein direkt gewähltes Europäisches Parlament, pulisten zu fasten, das seit dem Lissabonner Vertrag, also seit mittlerweile fast zehn Jahren, volle Gesetzgebungskompetenz hat. Es (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- wird in Brüssel heute kein Gesetz mehr beschlossen und ordneten der SPD) kein Pfennig Geld mehr ausgegeben ohne die Zustim- mung des Europäischen Parlaments. also populistische Aussagen zu ignorieren, statt sie zu kommentieren, weil ich der Meinung bin, dass Populis- (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE ten hier schon viel zu viel Stage haben. GRÜNEN]: Ja! So ist es! – Widerspruch bei Leider ist mir jetzt dieser Antrag der AfD dazwischen- der AfD) gekommen. Der Antrag trieft ja geradezu vor populisti- schen Aussagen und vor alternativen Fakten. Darüber hinaus werden im Ministerrat die Gesetze durch die Mitgliedstaaten beschlossen. (Marianne Schieder [SPD]: Die Hilflosigkeit zeigt er auch!) Außerdem haben die nationalen Parlamente der EU-Mitgliedstaaten, im Übrigen auch seit dem Lissabon- Deswegen werde ich an dieser Stelle eine kurze Pause ner Vertrag, weitreichende Mitwirkungs- und Kontroll- in meiner Fastenzeit einlegen und versuchen, den Aus- rechte erhalten. Ich nenne an der Stelle nur das Stichwort führungen aus dem Antrag mal ein paar korrekte Fakten „Subsidiaritätskontrolle“. entgegenzustellen. Leider wird meine Redezeit trotzdem nicht ausreichen, um all die irreführenden und falschen (Lachen bei der AfD) Thesen aus dem Antrag richtigzustellen. Aber ich habe jetzt mal drei rausgegriffen. Verehrte Kolleginnen und Damit sind sie direkt in das Gesetzgebungsverfahren ein- Kollegen von der AfD, vielleicht lohnt es sich, die No- gebunden. Wenn alles das, was ich aufgezählt habe, nicht Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 10105

Katrin Staffler (A) mehr als demokratische Legitimation gelten soll, dann mich an allererster Stelle das erfolgreichste Friedenspro- (C) weiß ich auch nicht mehr, was noch als solche gelten soll. jekt überhaupt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ neten der SPD und der Abg. Claudia Müller DIE GRÜNEN und des Abg. Michael Georg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Link [FDP]) Was wir in Europa brauchen, sind selbstbewusste Par- Sie ist auch eine Wertegemeinschaft mit gemeinsamen lamente, und zwar auf europäischer Ebene genauso wie demokratischen Grundwerten und dem Willen zu Kom- auf nationaler und regionaler Ebene. Deswegen müssen promiss und zu Partnerschaft. Sie ermöglicht mehr als wir die nationalen Parlamente in ihrer Kontrollfunktion 513 Millionen Bürgerinnen und Bürgern in der Europä- stärken, und genauso müssen wir dem Europäischen Par- ischen Union Frieden, Wohlstand und Sicherheit. Für lament ein legislatives Initiativrecht zukommen lassen. mich – ich glaube, das gilt auch für eine breite Mehrheit Dritte These. Ich zitiere wieder: in diesem Haus – ist die EU eine echte Erfolgsgeschichte. Der Euro ist gescheitert. Natürlich gehört zur Wahrheit auch, dass die EU Re- formen braucht. Das steht ja außer Frage. Und selbstver- (Stephan Brandner [AfD]: Das ist ein sehr gu- ständlich können wir wie auch schon vor 50 Jahren mit tes Zitat! – Marianne Schieder [SPD]: Keine Ahnung!) deutsch-französischen Initiativen wichtige Impulse für die Weiterentwicklung der EU geben. Aus unserer Sicht Und weiter: ist dabei wichtig, dass wir keine Rückschritte im Integra- Der Euro ist auch eine volkswirtschaftliche Kata- tionsprozess machen und dass wir die EU weiter stärken, strophe für Deutschland und alle anderen Eurolän- statt sie dadurch zu schwächen, dass wir nur – so wird es der. ja in dem Antrag vorgeschlagen – auf eine Zusammenar- beit souveräner Staaten auf dem europäischen Kontinent Der Euro bringt nach den Ausführungen im Antrag Ar- bauen. beitslosigkeit, hohe Verschuldung, niedriges Wirtschafts- wachstum usw. usf. Wir wollen eine bürgernahe Europäische Union der (Beifall des Abg. Norbert Kleinwächter Souveränität, die ihre Interessen geschlossen vertritt und [AfD]) mit anderen Regionen der Welt auf Augenhöhe agieren kann, eine Europäische Union, die mit ihren Unterneh- (B) Ich erspare Ihnen den Rest. men, mit ihren Innovationen, mit ihrer Forschung an der (D) Die Realität, liebe Kolleginnen und Kollegen, schaut Weltspitze stehen kann, eine Europäische Union der Sta- doch aber ganz anders aus: Seit der Einführung des Euro bilität, die ihre Bürgerinnen und Bürger beschützt und im Jahr 1999 sind in der Euro-Zone mehr als 8,7 Millio- ihre Vielfalt in Einheit bewahrt. Für genau dieses Euro- nen neue Arbeitsplätze geschaffen worden. pa müssen wir bei der Europawahl im Mai kämpfen. Ich sage als Unionspolitikerin und als CSUlerin im Beson- (Norbert Kleinwächter [AfD]: Was für wel- deren mit großer Überzeugung: Wir müssen gemeinsam che? Prekariat!) mit unserem Spitzenkandidaten für diese Auch der Handel innerhalb der Euro-Zone ist seit der Vision von Europa kämpfen. Einführung des Euro um 4 bis 10 Prozent gestiegen, und der Warenhandel mit den Ländern außerhalb der Eu- (Stephan Brandner [AfD]: Ist das eine Wahl- ro-Zone ist um 3 Prozent gestiegen. Dass Deutschland kampfveranstaltung hier? Wir sind im Bun- als Exportland von einer einheitlichen Währung profi- destag und nicht im Bierzelt in Bayern!) tiert, ist, glaube ich, gar kein Geheimnis, zumindest für uns Kollegen aus der Unionsfraktion nicht. Ich möchte zum Schluss, meine Damen und Herren, zum Ausdruck bringen: Deutscher Patriot und stolzer (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Europäer zu sein, sind für mich zwei Seiten ein und der- Außerdem hat der Euro den Bürgerinnen und Bürgern in selben Medaille. Wir brauchen kein einsam kämpfendes der Euro-Zone mehr Wohlstand und Stabilität gebracht. Deutschland innerhalb einer schwachen Europäischen Damit wir weiter von diesen Vorteilen aus dem Euro pro- Union, weil wir in einer immer unsicheren globalen Welt fitieren können, müssen wir die Wirtschafts- und Wäh- nur in einem starken Europa unseren European Way of rungsunion weiter stabilisieren. Wir müssen sie krisen- Life ausleben können. Dafür müssen wir uns auch all fester machen. denjenigen entgegenstellen, die die Europäische Union (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- immer wieder infrage stellen, so wie das heute leider ordneten der FDP und des Abg. Markus Töns wieder passiert ist. Wir brauchen ein starkes Deutschland [SPD]) in einer starken Europäischen Union. Sehr geehrte Damen und Herren, die Europäische Vielen Dank. Union ist mehr als nur ein Binnenmarkt. Sie ist auch mehr als nur, so wie es hier suggeriert wird, ein Zusam- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so- menschluss von Staaten. Die Europäische Union ist für wie bei Abgeordneten der FDP) 10106 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: völlig unmöglich. Auch hier, meine Damen und Herren: (C) Das Wort hat der Kollege Alexander Graf Lambsdorff Die AfD liegt sachlich einfach voll neben der Spur. für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD (Beifall bei der FDP) und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Drittens schreiben Sie: Alexander Graf Lambsdorff (FDP): Der Euro ist auch eine volkswirtschaftliche Kata- Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine Damen und strophe für Deutschland … Herren! In gewisser Weise ist diese Debatte eine Zeitrei- se in die Anfangszeit der AfD, die Zeit der Euro-Kritiker Das nicht gerade euromantische Centrum für Europäi- Lucke, Henkel und Starbatty, die Zeit, in der Volkswirte sche Politik in Freiburg, das CEP, hat vor kurzem eine der Meinung waren, man bräuchte eine politische Kraft, Studie veröffentlicht, in der es nachgewiesen hat, dass die den Euro ein bisschen kritisiert. Diese Leute haben zwischen 1999 und 2017 kein Land mehr vom Euro pro- diese Partei längst verlassen, weil Sie sich nicht mehr im fitierte als die Bundesrepublik Deutschland; ein Reinge- demokratischen Konsens befinden. winn für die deutsche Volkswirtschaft von 1,9 Billionen Euro. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Sie sind herausgedrängt worden! – (Jürgen Braun [AfD]: Was sagt Herr Schäffler Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE dazu?) GRÜNEN]: Sie sind nicht freiwillig gegan- gen!) Sie wollen den Euro abwickeln. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wo finden Sie einen einzigen Verband der Sie sind nach rechts abgedriftet. Was wir heute haben, deutschen Wirtschaft, der Ihnen da folgt? Es gibt keinen ist also die zweite Generation der AfD. Die Thesen der Verband und kein Unternehmen, die den Euro rückabwi- zweiten Generation sind Inhalt im vorliegenden Antrag. ckeln wollen. Das ist eine unsinnige Forderung, für die Sie überhaupt keinen Rückhalt mehr in der Bevölkerung Wir wollen uns aber sachlich mit diesen Thesen und oder in der Wirtschaft haben. mit diesem Antrag auseinandersetzen; denn es ist richtig und wichtig, über Europa zu debattieren. Ich zitiere aus (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der dem Antrag: SPD – Zuruf des Abg. Jürgen Braun [AfD]) Weder der deutsch-französische Freundschaftsver- Mein letzter Punkt. Sie schreiben weiterhin: trag (B) Eine demokratische Legitimation (D) – der Élysée-Vertrag, also der Anlass für diese Debatte – – der Europäischen Union – noch die EWG sahen Eingriffe in die Souveränität der Länder vor. ist nicht in ausreichendem Maße gegeben. Seit 1951 gab es die Europäische Gemeinschaft für Sie schlagen gleichzeitig vor, das Europäische Parlament Kohle und Stahl. Es gab eine Hohe Behörde, die ermäch- abzuschaffen, stellen aber dennoch Kandidaten für die tigt war, gemeinsame Entscheidungen für alle Mitglieds- Wahl zum Europäischen Parlament auf. länder zu treffen. Die Kommission von heute ist nichts (Dr. Harald Weyel [AfD]: Das ist Demokra- anderes als die Fortsetzung der Hohen Behörde. Meine tie!) Damen und Herren, es ist einfach sachlich falsch, was Sie hier aufschreiben. Meine Damen und Herren, das ist an Scheinheiligkeit nicht zu überbieten. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, bei Abgeordneten der LINKEN) der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zweiter Punkt. Ich zitiere noch einmal: Deswegen an alle, die uns jetzt von außen zuschau- Die Hauptaufgaben der neuen EU sollten in der en: Tun Sie das den armen Kandidaten von der AfD bitte gemeinsamen Zoll- und Handelspolitik … liegen, nicht an. Geben Sie ihnen keine Stimme, damit sie in ein wobei politische Beschlüsse stets nur auf nationaler Parlament einziehen müssen, das sie abschaffen wollen. Ebene erfolgen können. (Zurufe von der AfD: Oh!) Eine neue EU, so schreiben Sie, soll freien Verkehr von Gütern ermöglichen. Wie stellen Sie sich denn bitte schön Verschonen Sie die AfD vor dem harten Schicksal, in eine gemeinsame Zoll- und Handelspolitik vor, wenn wir Brüssel Entscheidungen für unseren Kontinent treffen zu keine gemeinsame Entscheidung treffen können, sondern müssen. das jeweils national gemacht wird? Wir haben dann also Herzlichen Dank. einen Zoll auf Textilien, auf Lebensmittel, Maschinen und Anlagen in Deutschland von 10 Prozent, in Frank- (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, reich von 20 Prozent, in Polen von 30 Prozent, gleichzei- der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE tig aber freien Güterverkehr. Das ist wirtschaftspolitisch GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 10107

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: ckensherrschaft der Nazis nichts wissen will, der hat die (C) Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun die Kollegin Bedeutung der EU für Europa auch nicht kapiert. Ursula Groden-Kranich das Wort. (Jürgen Braun [AfD]: Gucken Sie sich die Ge- (Beifall bei der CDU/CSU) schichte der Sowjetunion an, und dann gucken Sie nach Brüssel!) Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU): Herr Kleinwächter, fühlen Sie sich eigentlich gut bei Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! dieser Debatte? Liebe Gäste! Ich freue mich, dass bei dieser Debatte zu Europa so viele junge Menschen da sind. (Stephan Brandner [AfD]: Das macht den Anschein!) (Hansjörg Müller [AfD]: Danke!) Sie entblöden sich nicht, in Paris und in Aachen überall Wir reden heute über einen Antrag zu Europa der anti- dabei zu sein, mit zu debattieren. Dann tun Sie so, als hät- europäischen Partei dieses Hauses. Ich korrigiere: der ten Sie nirgendwo auch nur einen Hauch mitdiskutiert. Anti-EU-Partei; denn gegen den Kontinent haben Sie ja Sie tun so, als wären Sie nie Teil gewesen und sind doch nichts. immer dabei. Ich kann Graf Lambsdorff nur recht geben. (Beifall bei der AfD – Dr. Harald Weyel Wie schizophren muss man eigentlich sein? [AfD]: Schon besser!) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP Sie machen sich gerade schon wieder lächerlich; denn und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – für Sie besteht der Kontinent, so wie Sie es in Ihrem An- Dr. Harald Weyel [AfD]: Das nennt sich Op- trag formulieren, zusätzlich aus der Schweiz – da haben position! Es ist der Versuch, das Schlimmste Sie ganz persönliche finanzielle Interessen; es ist völlig zu verhindern! – Jürgen Braun [AfD]: Sie klar, dass die Schweiz genannt wird – können gar nicht debattieren!) (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU, der – Meine Mutter hat immer gesagt: Wer schreit, hat un- SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE recht. – Das merken wir gerade. GRÜNEN) Die EU schafft Frieden. 70 Jahre und länger hat sie und aus Norwegen. Dass vielleicht Länder wie die Türkei es bewiesen. Zu Ihrer Vorstellung von Europa: Auf dem und die Ukraine auch zum Kontinent gehören, entgeht europäischen Kontinent gab es in diesen 70 Jahren sehr Ihrer Wahrnehmung. wohl Kriege, bis heute. Wenn Sie weiter mit Ihren Halb- (B) wahrheiten arbeiten – halbe Wahrheiten sind bekanntlich (D) Ihr Antrag strotzt nur so vor Zumutungen und fal- ganze Lügen –, zeigt es uns, dass Sie überhaupt nicht an schen Behauptungen und scheint der Mottenkiste des einer echten Debatte interessiert sind. 19. Jahrhunderts entnommen zu sein. Es ist uns allen echt schwergefallen, den Antrag ernst zu nehmen. Ihre Aber was beschäftige ich mich eigentlich mit dieser Redner haben diesen Antrag auch nicht ernster machen rückgewandten Politik der AfD? Lassen Sie uns einmal können. Der eine liefert eine diffuse Performance, der nach vorne schauen. andere sieht vor lauter Bäumen den Wald nicht. Ich muss mich fragen: Was wollen Sie eigentlich? Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP Entschuldigung, Kollegin Groden-Kranich. Gestatten und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie eine Frage oder Bemerkung des Herrn Kleinwächter? Ihr Antrag ist total geschichtsvergessend. Zwar wei- sen Sie auf die EWG, Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU): (Jürgen Braun [AfD]: Das waren noch Zeiten! Nein. EWG war noch etwas Gutes! Das war noch (Martin Erwin Renner [AfD]: Sie reden einen was!) Blech ohne Ende und lassen die Frage nicht die Römischen Verträge und auf den Élysée-Vertrag von zu!) 1963 hin. Aber Sie haben anscheinend dem Vorredner Jetzt zu den wichtigen Dingen. Die EU und das, was nicht zugehört, wenn Sie sagen: „Das waren noch Zei- wir hier im Vorfeld diskutiert haben, empfinden die meis- ten!“ Sie sind mindestens 50 Jahre davor stehen geblie- ten Menschen in Deutschland und Europa als echte Er- ben. folgsgeschichte. Gerade die jungen Menschen – das ist (Jürgen Braun [AfD]: Besser! Ja!) für uns die Zukunft – empfinden Europa als positiv; und das ist für uns Ansporn, Politik zu machen. Die Geschichte der Europäischen Union ist älter. Sie beginnt nämlich nicht erst mit der Versöhnung, sondern Wir freuen uns, wenn junge Menschen mit agieren, mit der nationalistischen Politik, die zu zwei Weltkriegen wenn ihnen die Probleme unseres Kontinents und unse- führte. Das verschweigen Sie immer gerne, weil Sie die rer Zeit am Herzen liegen. Deswegen müssen wir unsere Gefahren von nationalistischer Propaganda und dieser Arbeit auch darauf ausrichten – sei es bei der Zusammen- Politik unter den Teppich kehren. Wer von der Schre- arbeit mit Afrika, sei es bei der Zusammenarbeit in der 10108 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019

Ursula Groden-Kranich (A) Klimapolitik. Denn das Klima kennt weder Innen- noch tionalstaaten warnen, an diesem europäischen Diskurs (C) Außengrenzen, und deswegen ist es ganz wichtig, dass und auch am deutsch-französischen Diskurs teilnehmen. wir diese Themen europäisch regeln. Denn das, was wir immer gesagt haben und was ich auch an dieser Stelle noch einmal betonen möchte, ist, dass (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- es natürlich ein wesentliches Ziel von Außenpolitik sein ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ muss, dass die bilaterale und multilaterale freiwillige Zu- DIE GRÜNEN) sammenarbeit vom Souverän, den wir als Abgeordnete Erasmus und Erasmus+, die Jugendwerke und Air- repräsentieren, dann auch gebilligt und kontrolliert wird. bus: Das sind europäische Erfolgsgeschichten. Hier liegt die Zukunft, in der Menschen miteinander ins Gespräch Insofern ist auch die deutsch-französische Freund- kommen, in der Menschen miteinander arbeiten und die schaft eine bedeutsame, eine wichtige und eine frie- wir stetig weiterentwickeln. denssichernde. Aber wenn diese deutsch-französische Freundschaft allein nur noch darauf abzielen soll, die EU (Stephan Brandner [AfD]: Airbus schwächelt zu stärken und die etwas kranken – verzeihen Sie diese aber ein bisschen, oder?) Einschätzung – Ideen von Emmanuel Macron umzuset- zen, dann müssen wir hier auch ein deutliches Gegensi- Wir stabilisieren Europa, das seine innere und äußere gnal setzen. Sicherheit in die eigenen Hände nehmen muss, gerade in einer Zeit, in der sich die Zusammenarbeit mit unse- Ich bitte Sie, das einfach zu respektieren und für die ren amerikanischen Partnern eintrübt. Wir wollen auch Zukunft mitzunehmen, und dann freue ich mich auf eine die Einmischung in unsere Angelegenheiten beispiels- weitere gute Zusammenarbeit. weise von der russischen Seite gemeinsam bekämpfen. Wo bleiben da Ihre Anträge zum Thema Hackerangriffe (Beifall bei der AfD – Axel Schäfer [Bo- oder zum Thema Souveränität – dieses Thema betonen chum] [SPD]: Vollkommen irre!) Sie doch immer –, wenn es um die Ukraine geht? Hierzu könnten Sie doch mal einen Antrag stellen. Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Das Wort zur Erwiderung hat die Kollegin Groden-­ ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ Kranich. DIE GRÜNEN)

Ich freue mich, wenn wir weiterhin die Zukunft un- Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU): seres gemeinsamen EU-Europas in die Hände nehmen. Danke schön, Frau Präsidentin. – Herr Kleinwächter, (B) Wir bauen an dem europäischen Haus weiter. Wir bitten (D) Sie herzlich, bei der Europawahl für Europa zu stimmen. ich glaube, Sie verwechseln Aktivität mit destruktivem Handeln. Ich danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜND- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeord- geordneten der FDP) neten der SPD und der FDP – Jürgen Braun [AfD]: Das war jetzt aber keine Wahlkampfre- Wenn ich Ihren Ausführungen folge, warte ich auf den de, oder?) Antrag, in dem Sie bitten, den Bundestag feststellen zu lassen, dass die Erde eine Scheibe ist. Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem Zu einer Kurzintervention hat der Abgeordnete BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- Norbert Kleinwächter das Wort. geordneten der FDP)

Norbert Kleinwächter (AfD): Vizepräsidentin Petra Pau: Danke, werte Frau Präsidentin. – Sehr geehrte Frau Groden-Kranich, ich danke Ihnen sehr herzlich, dass Sie Ich schließe die Aussprache. in dieser Plenardebatte richtiggestellt haben, was Philipp Amthor am 17. Januar 2019 fälschlicherweise über mich Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- behauptet hat. Sie haben jetzt bestätigt, dass ich in der empfehlung des Ausschusses für die Angelegenheiten Deutsch-Französischen Arbeitsgruppe sehr aktiv mitge- der Europäischen Union zu dem Antrag der Fraktion der arbeitet habe. Das hatte Ihr Kollege nämlich verleugnet, AfD mit dem Titel „Elysée als Vorbild – Für ein Europa der selbst gar nicht drin war. Insofern danke ich Ihnen für der Zusammenarbeit souveräner Nationen“. Der Aus- dieses Kompliment. schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/6560, den Antrag der Fraktion der AfD Ich möchte Ihnen gerne sagen: Ja, ich fühle mich gut auf Drucksache 19/2534 abzulehnen. Wer stimmt für in dieser Position. Ich glaube auch, dass es wichtig ist, diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – dass gerade diejenigen, die die Europäische Union kri- Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den tisieren und vor einem Zuviel der Europäischen Kom- Stimmen der Koalitionsfraktionen, der FDP-Fraktion, der mission und vor einem sozusagen wachsenden EU-Dach Fraktion Die Linke, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen über die Bedürfnisse der Bürger und der jeweiligen Na- gegen die Stimmen der AfD-Fraktion angenommen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 10109

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Ich rufe den Zusatzpunkt 13 auf: Deshalb ist es gut, dass wir mit dem Forum Recht in (C) Karlsruhe und in Leipzig zwei Einrichtungen schaffen, Erste Beratung des von den Fraktionen CDU/ deren Ziel es sein wird, für einen modernen Rechtsstaat CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zu werben, seine Vorteile anschaulich darzustellen und NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur ihn im Bewusstsein der Bevölkerung zu verankern. Errichtung der „Stiftung Forum Recht“ (Fo- rum-Recht-Gesetz – ForumRG) (Beifall bei der SPD sowie der Abg. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Drucksache 19/8263 Das Spannende und Bemerkenswerte an diesem Pro- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) jekt sowohl in Karlsruhe als auch in Leipzig ist die Ent- Ausschuss für Inneres und Heimat stehungsgeschichte: dass sich so viele Bürgerinnen und Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO Bürger aus den verschiedensten Einrichtungen und Verei- nigungen aus der Zivilgesellschaft engagiert haben, sich Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für für dieses Projekt begeistert und es weiter vorangetrieben die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- haben. Das war wirklich bemerkenswert. Ich glaube, es nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. kann nicht hoch genug eingeschätzt werden, wie viel eh- Ich bitte Sie, Ihre Plätze zügig einzunehmen. renamtliches Engagement sowohl in Karlsruhe als auch in Leipzig hinter dieser wichtigen Initiative steckt. Des- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege halb von hier aus ein ganz herzliches Dankeschön an alle, Dr. Johannes Fechner für die SPD-Fraktion. die sich in Leipzig und vor allem auch in Karlsruhe für dieses wichtige Projekt „Forum Recht“ eingesetzt haben. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. [CDU/CSU]) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- ten der CDU/CSU, der FDP, des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Friedrich (SPD): Dr. Johannes Fechner Straetmanns [DIE LINKE]) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! End- Weil es in den letzten Wochen Irritationen gab, was lich ist es so weit: Nach langen und intensiven Vorbe- den ostdeutschen Standort angeht, will ich ausdrücklich ratungen können wir heute das Stiftungsgesetz für das darauf verweisen, dass im Stiftungsgesetz explizit steht, Forum Recht erstmals beraten, nächste Woche dann in dass es einen zweiten Standort in Leipzig geben wird. Es zweiter und dritter Lesung beschließen und damit einen kann also überhaupt keine Rede davon sein, dass wir Ost- (B) ganz besonders wichtigen Schritt für diese wichtige Ein- deutschland vernachlässigen würden. Nein, Ost und West (D) richtung gehen. Ich freue mich sehr, dass wir heute mit sind uns gleich wichtig. Auch in Ostdeutschland werden dem Stiftungsgesetz einen entscheidenden Schritt voran- wir deshalb eine Einrichtung des Forums Recht schaffen. kommen für die Einrichtung dieses wichtigen Forums Das ist für uns in der SPD ein ganz wichtiger Punkt, mei- Recht in Karlsruhe und in Leipzig. Heute ist ein sehr gu- ne Damen und Herren. ter Tag für unseren Rechtsstaat, liebe Kolleginnen und (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Friedrich Kollegen. Straetmanns [DIE LINKE]) (Beifall bei der SPD) Was die Finanzierung angeht, so gibt es die ganz klare Besonders freue ich mich, dass wir diese Einrichtung Zusage – das ist gesetzlich geregelt –, dass die Stiftung überparteilich schaffen und dass es sich um einen inter- einen jährlichen Zuschuss des Bundes bekommt, sodass fraktionellen Antrag handelt. Ausdrücklich möchte ich die Finanzierung gesichert ist. Mit der Zusammensetzung mich deshalb bei den Kolleginnen und Kollegen von der sowohl des Kuratoriums als auch des Stiftungsbeirates Union, den Linken, den Grünen und auch der FDP für mit Vertretern der Zivilgesellschaft sichern wir, dass der die konstruktive und sehr gute Zusammenarbeit bedan- zivilgesellschaftliche Ansatz, den wir aus der Entwick- ken. Ich glaube, es ist ein ganz starkes Zeichen, dass wir lungsgeschichte des Forums Recht kennen, fortgesetzt diese wichtige Einrichtung mit diesem interfraktionellen werden kann. Es ist wichtig, dass die Vertreter der Zivil- Antrag überparteilich schaffen, liebe Kolleginnen und gesellschaft hier auch weiterhin Mitspracherechte haben. Kollegen. Wenn die Planungen weiterhin so gut laufen, dann (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten halte ich es durchaus für realistisch, dass das Projekt, der LINKEN und des Abg. wie wir es in der Gesetzesbegründung genannt haben, im [FDP]) Jahr 2026 eröffnet werden kann. Ich glaube, es wäre ein lohnenswertes Ziel, wenn wir uns alle dafür engagieren. Ich glaube, dass diese Einrichtung auch dringend not- wendig ist. Denn nicht nur in den USA, in der Türkei, in Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Rechtsstaat ist Polen oder in Ungarn gibt es antirechtsstaatliche Tenden- kein Selbstläufer. Gerade in Zeiten, in denen er nicht nur zen. Nein, auch bei uns in Deutschland gibt es Bürgerin- international infrage gestellt wird, ist es wichtig, sich nen und Bürger, deren Vertrauen in unseren Rechtsstaat ohne Wenn und Aber zu den unbestreitbaren Vorteilen durchaus gefährdet ist. eines liberalen und doch starken Rechtsstaates zu beken- nen und für ihn zu werben. Genau das machen wir mit (Stephan Brandner [AfD]: Warum wohl?) dem Forum Recht. 10110 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019

Dr. Johannes Fechner (A) Ich bedanke mich deshalb bei allen Kolleginnen und Auch von den Vertretern der Exekutive, also von der Re- (C) Kollegen, die hier zugearbeitet haben. Ein ganz besonde- gierung, wird rechtsstaatliches Handeln gefordert. Deren res Dankeschön geht an Justizministerin , Aufgabe ist es, das Recht nach den Prinzipien des Grund- die sich hier sehr gut eingesetzt hat. Herzlichen Dank für gesetzes und dem einfachgesetzlich geregelten Willen die gute Zusammenarbeit! des Gesetzgebers umzusetzen. Auch eine Bundeskanz- lerin gehört zu denjenigen, die dem Gesetz unterworfen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sind. Dass Sie das zu Ihrem Projekt gemacht haben, zeigt, wie (Beifall bei Abgeordneten der AfD – wichtig Ihnen ein moderner, ein starker Rechtsstaat ist. Michael Frieser [CDU/CSU]: Sie auch, Herr Deswegen ganz herzlichen Dank dafür. Brandner?) Ich freue mich, dass wir überparteilich diese Be- Schließlich verlangt der Rechtsstaat von der Judikative, schlussfassung heute so treffen können, und bitte um Ihre von den Gerichten, dass sie unabhängig von jeder Ideo- Zustimmung. logie und politischer Anschauung gleiches Recht für alle Vielen Dank. sprechen. Das, meine Damen und Herren, ist die berühm- te Augenbinde der Justitia. Sie kennen die Bilder alle. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ ( [CDU/CSU]: Sie auch, DIE GRÜNEN) Herr Brandner?) Ein gutes Gegenbeispiel ist die Verfassungsrichterin Vizepräsidentin Petra Pau: Baer, die sich selbst als Feministin – was immer das sein mag – definiert Das Wort hat der Abgeordnete Stephan Brandner für die AfD-Fraktion. (Niema Movassat [DIE LINKE]: Schlagen Sie einmal im Duden nach!) (Beifall bei der AfD) und sich vor ihrer Berufung bereits intensiv damit be- schäftigte, wie man ihre und andere krude Gender- und Stephan Brandner (AfD): Quotenideologien in die deutsche Rechtspraxis einflie- Meine Damen und Herren! Nachdem am 18. Okto- ßen lassen könnte. ber des letzten Jahres der Bundestag mit der ganz gro- ßen Merkel-Koalition, also unter Einschluss der Grünen (Marianne Schieder [SPD]: Oh!) und der FDP, die Gründung dieses sogenannten Forums Diese Frau Baer ist nun die Beauftragte des Bundesver- (B) Recht beschlossen hat, geht es heute und auch in der fassungsgerichts für dieses Museumsprojekt. (D) nächsten Woche – die Sache scheint also offenbar sehr eilig zu sein – um die dazugehörige Stiftung, die sehr (Jürgen Braun [AfD]: Ausgerechnet!) viele Pöstchen schafft, die von Ihnen besetzt werden kön- Dies lässt aus unserer Sicht Schlimmes erahnen. Man – nen. Herr Fechner, Sie haben angesprochen, das alles sei oder frau – macht damit doch den Bock zum Gärtner überparteilich. Da muss ich ein bisschen Wasser in Ihren oder – wie man gendert – das Mutterschaf zur Gärtnerin, Wein kippen. Die AfD ist auch in dieser Hinsicht nicht Bestandteil der nationalen Front. Ich muss Ihnen sagen: (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Wir scheren da aus und haben eine dezidiert andere Mei- wenn eine exponierte Vertreterin dieses ideologischen nung dazu. Rechtspositivismus – manche sagen auch einfach Zu dem geplanten Museum in Karlsruhe hatte Thomas schlicht: dieses Unsinns – an der Gestaltung eines sol- Seitz vor einiger Zeit hier Ausführungen gemacht. Herr chen Projekts, zumal an wichtiger Position, beteiligt Seitz ist heute leider krank; Thomas, von hier aus gute wird. Besserung. Ich wiederhole kurz, was Herr Seitz zu dem (Niema Movassat [DIE LINKE]: Deren juris- Museum gesagt hatte. Er sagte: Der Rechtsstaat gehört tische Fachkenntnisse gehen weit über Ihre in kein Museum. Der Rechtsstaat ist kein Ausstellungs- hinaus!) objekt. Der Rechtsstaat muss jeden Tag aufs Neue gelebt und mit Inhalt gefüllt werden. Meine Damen und Herren, aber auch einige Vereine, aus denen die Mitglieder des Stiftungsbeirates kommen (Beifall bei Abgeordneten der AfD) sollen – ich nenne da exemplarisch nur den Deutschen Dazu gehört nun einmal die unangreifbare Berufung Anwaltverein unter seinem mehr als seltsam agierenden von Verfassungsrichtern. Da geht es nun einmal nicht, Präsidenten –, dass der stellvertretende Fraktionsvorsitzende einer Re- (Niema Movassat [DIE LINKE]: Nur weil er gierungsfraktion, also Herr Harbarth, von heute auf mor- Sie kritisiert hat? Sie wollen Menschen den gen zum Richter am Verfassungsgericht und demnächst Mund verbieten!) zum Präsidenten mutiert. die da Pöstchen abgreifen sollen, sind nicht alle erste (Beifall bei der AfD – Patrick Schnieder Wahl, wenn es darum geht, den Rechtsstaat im Sinne [CDU/CSU]: Doch, das geht! Das geht sogar des Grundgesetzes, mit Ewigkeitsgarantie ausgestattet gut! – Zuruf des Abg. Axel Schäfer [Bochum] und Bestandteil unserer Grundordnung, zu präsentieren, [SPD]) nämlich als Rechtsstaat ohne Gender und überhaupt ir- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 10111

Stephan Brandner (A) gendwelche Quoten, ohne Diskriminierung politisch Ab- wieder eine Stufe näher an seine Realisierung. Es ist (C) weichender und ohne Einschränkung der Grundrechte auf auch ein wirklich schöner Tag, weil wir über eine so gro- Meinungs- und Versammlungsfreiheit durch ­Orwell’sche ße Einigkeit hier im Hause verfügen, dass es wichtig ist, Konstruktionen wie Hate-Speech-Projekte. Rechtsstaat nicht als eine Selbstverständlichkeit anzuse- hen, sondern letztlich auch als Grundlage dafür, dass wir Wie die Schwerpunktsetzung dieses Stiftungspro- in Sicherheit bei hoher Lebensqualität und wirtschaftli- jektes sein soll, wird auch daran sichtbar, dass im Stif- cher Prosperität in unserem Land leben können. tungsbeirat letztendlich ein Mehrfaches an Nichtjuristen wie an Juristen sitzen soll. Diese nichtjuristischen Bei- (Beifall bei der CDU/CSU) ratsmitglieder werden dann vom Kuratorium aus gesell- schaftlichen und kulturellen Initiativen und Institutionen Deswegen ist es richtig, auch an diejenigen zu denken, ausgewählt. „Aus gesellschaftlichen und kulturellen Ini- von denen die Initiative für dieses Projekt ausgegangen tiativen und Institutionen“ – wer denkt da nicht gleich an ist. Wie der Kollege Fechner gesagt hat: Es ist ein zutiefst im „Krampf“ gegen rechts gestählte, hyperaktive, Anti- zivilgesellschaftliches Projekt von Menschen, die sich fa-nahe, staatlich alimentierte Gruppen und Grüppchen? in Karlsruhe und dann auch in Leipzig mit dem Thema Diese werden da zum Tragen kommen. Rechtsstaatlichkeit auseinandergesetzt haben und denen klar war, dass man immer wieder deutlich machen muss, (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Großer Beifall was Rechtsstaatlichkeit eigentlich bedeutet, dass es kei- von der AfD-Fraktion!) ne Selbstverständlichkeit ist, in einem Rechtsstaat zu le- Das macht deutlich: Es geht Ihnen nicht darum, den ben – da muss man sich nur umschauen –, Rechtsstaat so mit Ewigkeitsgarantie darzustellen, wie (Stephan Brandner [AfD]: Genau!) ihn unsere Verfassung vorsieht, sondern es geht Ihnen darum, Interpretationen vom Stapel zu lassen und Uto- sondern dass man dafür auch jeden Tag etwas tun muss, pien zu leben, Utopien auszuleben, was der Rechtsstaat im Zweifel auch dafür streiten muss. nach Auffassung dieser seltsam berufenen Personen sein Deswegen finde ich es richtig, dass man Themen in soll. Wenn Sie da noch ein bisschen weiterdenken, dann den Mittelpunkt rückt, wo sich Rechtsstaatlichkeit eben würde es mich persönlich nicht wundern, wenn wir im auch im täglichen Leben der Menschen widerspiegelt, Stiftungsbeirat oder in irgendwelchen Gremien dann auf dass man einen Blick auf die Geschichte der Rechts- solche Gestalten wie den GEZ-Clown Böhmermann oder staatlichkeit wirft, auf die Entwicklung Deutschlands auf ehemalige - und heutige zivilgesellschaftliche zu einem modernen Rechtsstaat, dass man sich mit Spitzel wie Frau Kahane treffen werden. den Menschen und Institutionen auseinandersetzt, die (Beifall bei der AfD – Dr. Johannes Fechner Rechtsstaatlichkeit und den Rechtsstaat ausmachen, mit (B) (D) [SPD]: Was labern Sie? Quatsch!) den Symbolen, die das im täglichen Leben der Menschen zeigen, und vielem anderen mehr. Das Ganze passiert Meine Damen und Herren, es bleibt dabei: Wir als nicht in einem Museum, wie Sie sagen, das Ganze pas- AfD-Fraktion lehnen sowohl das Museum als auch die- siert in einem Diskursraum, in einem Austausch. Darin se komische Stiftung ab. Der Rechtsstaat gehört nicht soll Rechtsstaat erlebbar, greifbar, konkret für die Men- ins Museum, der Rechtsstaat muss gelebt werden. Und schen gemacht werden. Deswegen sind wir vom Konzept eine Stiftung, die dazu dienen wird, Versorgungsposten des Forums Recht auch zutiefst überzeugt, weil das eine zu schaffen, und missbraucht werden wird, um Multikul- gute Möglichkeit ist, genau das für die Menschen plas- ti- und Genderpropaganda zu machen, die braucht kein tisch darzustellen. Mensch. (Beifall des Abg. Dr. Jan-Marco Luczak Vielen Dank. [CDU/CSU]) (Beifall bei der AfD – Niema Movassat [DIE Ich würde das gerne in einen etwas größeren Zusam- LINKE]: Ihre Rede ist das beste Beispiel da- menhang einordnen. Es ist nicht nur das Forum Recht, für, warum man das Forum Recht braucht!) mit dem wir uns in dieser Legislaturperiode und diesen Monaten ganz intensiv auseinandersetzen, wir haben mit Vizepräsidentin Petra Pau: den Ländern Ende Januar auch den Pakt für den Rechts- Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Thorsten staat beschlossen. Dabei ging es um zusätzliches Perso- Frei das Wort. nal: 2 000 zusätzliche Stellen bei Richtern und Staats- anwälten, in dieser Legislaturperiode 15 000 zusätzliche (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Stellen bei der Polizei und den Sicherheitsbehörden. ordneten der FDP) Deutschland ist ein starker Rechtsstaat bei hoher Lebens- qualität und Sicherheit für die Menschen. Das zeigt sich Thorsten Frei (CDU/CSU): auch daran, dass im vergangenen Jahr die Zahl der Straf- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! taten in Deutschland unter das Niveau von 1992 zurück- Ich will das Ganze wieder vom Kopf auf die Füße stel- gegangen ist. Das ist ein Pfund, mit dem man wuchern len und deutlich machen, dass heute wirklich ein Tag der kann, und das sollten wir auch tun. Freude ist. Es ist ein schöner Tag für all diejenigen, die (Beifall bei der CDU/CSU) in der Vergangenheit dazu beigetragen haben, dass wir heute die erste Lesung dieses Stiftungsgesetzes hier im Als Außenpolitiker habe ich mich in der letzten Wahl- Bundestag haben. Damit bringen wir das Forum Recht periode sehr intensiv mit den Ländern des westlichen 10112 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019

Thorsten Frei (A) Balkans auseinandergesetzt. Wenn man das tut, dann zu stellen. Genau diesem Anliegen von Ihnen tritt ein Fo- (C) sieht man eben, warum Länder entweder nicht auf die rum Recht entschieden entgegen. Füße kommen oder sehr lange brauchen, um diesen Weg zu beschreiten, warum es keine Investitionen in dem (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Land gibt und warum Menschen ein Land verlassen. der SPD, der LINKEN und des BÜNDNIS- Weil es an Rechtssicherheit und Rechtsstaatlichkeit fehlt. SES 90/DIE GRÜNEN) Das ist letztlich die Grundlage von allem. Das müssen Ich kann Ihnen sagen: Es ist natürlich immer einfacher, wir, glaube ich, immer wieder deutlich machen. nicht an Symposien, an Veranstaltungen teilzunehmen, sich nicht damit auseinanderzusetzen, wie Ausstellungs- Dafür braucht es Menschen. Dafür braucht es Perso- macher, wie Zeithistoriker, wie aber auch Akteure der nal. Dafür braucht es Ausstattung. Dafür braucht es aber Zivilgesellschaft mit der Frage umgehen, wie man das auch die entsprechenden Verfahrensordnungen. Des- Recht darstellen kann. Sie arbeiten lieber gegen als im wegen ist es als weiterer Bestandteil wichtig, dass wir System. Deswegen haben Sie an all diesen Veranstaltun- die Strafprozessordnung so organisieren, dass es nicht gen nicht teilgenommen. Sie hätten Ihnen gezeigt, dass billiges Recht, sondern effizientes Recht gibt, dass die es nicht um ein Museum geht, sondern darum, das Recht Menschen zeitnah eine klare Antwort des Rechtsstaates erfahrbar zu machen, zu zeigen, dass es eine Grundkon­ bekommen. Dafür tun wir das. stante in der Gewaltenteilung ist, die unverzichtbar ist Neben Personal und neben Verfahren kommt es auf und die auch der Macht nicht weichen darf, die Bürger an, kommt es darauf an, dass der Rechtsstaat (Beifall der Abg. Daniela Kolbe [SPD]) auch als solcher gelebt wird, dass wir ihn als einen Wert an sich betrachten. Das kann man nicht allein staatlich insofern ein Eigenstand der Rechtsstaatlichkeit. verordnen, sondern dafür braucht man Menschen, die das (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten auch leben. der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) Deswegen bin ich davon überzeugt, dass wir hier den Ich danke an dieser Stelle all den Akteuren, die da- richtigen Weg einschlagen, bei dem es nicht um museale bei geholfen haben. Es waren bereichernde Termine. Ich Betrachtung geht, sondern bei dem es ähnlich wie etwa danke Katarina Barley, die dann, wenn es manchmal hak- beim Haus der Geschichte in nicht um ein Museum te, einen Anstoß gegeben hat, damit es vorangeht. als solches geht, sondern darum, zentrale Werte wie De- mokratie und Rechtsstaatlichkeit in den Mittelpunkt zu (Beifall des Abg. [SPD]) rücken. Dafür haben wir den richtigen Rahmen geschaf- Ich danke aber auch Frau Baer vom Verfassungsgericht (B) fen. Deswegen bin ich dankbar, dass wir heute darüber oder Frau Limperg vom Bundesgerichtshof, dem Ober- (D) sprechen können und der Bundestag nächste Woche ganz bürgermeister der Stadt und den vielen Menschen in sicher mit sehr großer Mehrheit zustimmen wird. Karlsruhe. Erfreulich ist auch, dass sich nun auch die Menschen in Leipzig dafür zu interessieren beginnen, Herzlichen Dank. dass sie ein solches Projekt von unten, also aus der Mitte (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- der Gesellschaft heraus, möglich gemacht haben. Inso- ordneten der SPD) fern, glaube ich, stärken wir den Rechtsstaat. Daran ha- ben Sie kein Interesse. Das verstehe ich aus Ihrer Per- spektive sogar; das ist politisch-taktisch. Aber wir wollen Vizepräsidentin Petra Pau: dem entgegentreten. Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Dr. Stefan (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordne- Ruppert das Wort. ten der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN (Beifall bei der FDP) und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Stephan Brandner [AfD]: Wir wollen ihn nicht im Museum haben! Wir wollen ihn täglich le- Dr. Stefan Ruppert (FDP): ben, nicht ins Museum stellen!) Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Anwälte und Richter schreiben uns an, sie wären ger- Herren! Wir haben ein Gespräch mit dem Vertreter der ne jenseits der Organe, die dort sozusagen hoheitlich ver- AfD im Haushaltsausschuss über die Frage geführt, ob treten sind, vertreten. Man muss ins Gespräch darüber es denkbar wäre, dass sich die AfD an einem Diskussi- kommen, wo dafür der richtige Ort ist. Jedenfalls ist mir onsprozess beteiligt. Es war interessant, zu sehen, wie persönlich wichtig, dass natürlich auch die Anwalt- und der Mann reagierte. Erst sagte er: Rechtsstaat? Dafür Richterschaft in den entsprechenden Gremien vertreten sind wir auch. – Aber jetzt merken wir anhand der gerade sind. Ich glaube aber, dass wir dafür eine gute Lösung gehaltenen Rede, dass Ihnen ja daran gelegen ist, dass finden können, vielleicht sogar schon gefunden haben. die Fiebrigkeit in unserem Land, der Vertrauensverlust in Institutionen, der sich zeigt, aber auch die Zweifel man- Lassen Sie mich nun zum Vollzug kommen. Ich glau- ches Bürgers und mancher Bürgerin, ob nicht mitunter be, es wird in den nächsten Wochen und Monaten wich- die Macht das Recht etwas zu sehr verdrängt hat, dass tig sein, etwas zügiger voranzukommen. Wir hatten doch dieser angstvolle und angstmachende Zustand verstärkt das eine oder andere Sandkorn im Getriebe. Da hatte man und nicht ausgeräumt wird, dass Ihr Interesse ist, die Ei- den Eindruck, da entsteht Misstrauen oder auf den ande- genständigkeit des Rechtsstaates gerade nicht nach vorne ren wird zu wenig zugegangen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 10113

Dr. Stefan Ruppert (A) Wir freuen uns über eine Finanzierungszusage. Ich Lassen Sie uns doch in der Sache gemeinsam für dieses (C) freue mich auch ausdrücklich darüber, dass es in Leipzig Projekt arbeiten. einen zweiten Standort geben wird. Ich freue mich da- (Stephan Brandner [AfD], an die übrigen rüber, dass sich auch dort Menschen Gedanken machen. Fraktionen gewandt: Lasst sie mitspielen!) Aber wir sollten deswegen das Vorgehen in Karlsruhe nicht in irgendeiner Weise bremsen oder gar aufschieben Ich sage aber auch in Richtung Grüne und SPD: Indem oder auf andere Dinge warten. Beides können wir voran- Sie sich immer wieder bei Themen, bei denen sich alle bringen: Leipzig auf der einen Seite und Karlsruhe auf demokratischen Fraktionen im Haus einig sind, dem Wil- der anderen Seite. len der Union beugen, Die Linke auszugrenzen, machen Sie es denen leicht, immer so weiterzumachen. Zeigen Ich muss schon sagen: Es ist immer wieder ein gutes Sie da vielleicht ein bisschen mehr Widerstand. Zeichen für ein Parlament, wenn es ihm gelingt, im Dis- sens, aber mit der gemeinsamen Wertebasis, ein solches (Beifall bei der LINKEN – Stephan Brandner Projekt auf den Weg zu bringen, auch für eine Große Ko- [AfD]: Mir kommen gleich die Tränen, Herr alition, die sich darum bemüht, die Oppositionsfraktio- Movassat!) nen im Gespräch einzubinden. Dass Sie daran kein In- Meine Damen und Herren, ich will Ihnen, aber vor al- teresse haben, wurde sehr schnell augenfällig. Aber ich lem auch der Öffentlichkeit, drei Gründe nennen, warum glaube, wir können als Parlament stolz sein. Wir sind wir als Linke das Forum Recht für eine gute Idee halten. uns nicht über jeden Spiegelstrich einig. Aber das Anlie- gen insgesamt, das tolle Fundament des Rechtsstaates in Erstens. Das Forum Recht soll dazu beitragen, sich Deutschland für diese Republik zu stärken, das eint eben ständig über den Zustand des Rechtsstaates Gedanken in diesem Hause alle Fraktionen – bis auf eine. zu machen. Man liest ja allerorten, Strafurteile seien zu lasch. Es gibt Politiker, die selbst für Bagatelldelikte Herzlichen Dank. drakonische Strafen fordern. Die Forderung nach einer Law-and-Order-Politik hat Konjunktur. Als Begründung (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten dient das subjektive Sicherheitsgefühl der Bevölkerung. der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und Aber dieses ungute Sicherheitsgefühl wird ja erst durch des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Populisten geschaffen. (Lachen des Abg. Stephan Brandner [AfD]) Vizepräsidentin Petra Pau: – Schön, dass Sie sich angesprochen fühlen, Herr Das Wort hat der Kollege Niema Movassat für die Brandner. – Menschen werden verunsichert und die Ge- (B) Fraktion Die Linke. sellschaft gespalten. (D) (Beifall bei der LINKEN) Die, die mehr Härte fordern, berufen sich auf den Rechtsstaat, aber genau das meint der Begriff des Rechts- staates nicht. Rechtsstaat bedeutet nicht, immer mehr Be- (DIE LINKE): Niema Movassat fugnisse für die Sicherheitsbehörden zu schaffen. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Ok- tober letzten Jahres haben wir hier über die Gründung (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- des Forums Recht, einem Informations- und Dokumen- NIS 90/DIE GRÜNEN) tationszentrum, einem „Erlebnispark des Rechts“, de- Der Rechtsstaat soll vielmehr vor rechtswidrigen Hand- battiert. Damals wie heute sind wir als Linke nicht Mit- lungen der Exekutive schützen. Der Rechtsstaat verbietet einbringer des Gesetzentwurfes. Das liegt nicht an den auch unverhältnismäßig hohe Strafen. Inhalten, das liegt auch nicht an uns. Wir als Linke sind für die Gründung des Forums Recht. Wir sind für die- (Zuruf der Abg. Marianne Schieder [SPD]) sen Gesetzentwurf. Wir waren sogar an seiner Erstellung Das Forum Recht kann einen Beitrag dazu leisten, mitbeteiligt. Wir waren nämlich bei den Berichterstat- deutlich zu machen, was Rechtsstaatlichkeit eigentlich tergesprächen mit dabei. Wir haben uns für den zweiten heißt. Es heißt nicht, immer mehr schärfere Gesetze zu Standort Leipzig starkgemacht, der jetzt im Gesetzent- schaffen, sondern es heißt „Schutz der Bürgerrechte“. wurf steht. Wir durften aber nicht Miteinbringer des Ge- setzentwurfes sein, (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) (Stephan Brandner [AfD]: Oh!) Zweitens. Das Forum Recht soll das Recht erfahrba- weil das die CDU/CSU nicht will. Dabei dachte ich, es rer machen. Es sind die vielen zivilgesellschaftlichen sollte hier um Inhalte gehen. Organisationen, die dafür sorgen, dass Recht erfahrbar wird, oder die auf Defizite im Rechtssystem aufmerksam (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- machen. Für uns als Linke ist es ein großes Anliegen, neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – dass auch die Zivilgesellschaft in die Arbeit des Forums Stephan Brandner [AfD]: Weil Sie keine einbezogen wird. Es sind Nichtregierungsorganisatio- Rechtsstaatspartei sind!) nen wie beispielsweise Amnesty International, Pro Asyl, Attac, der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband, Werte Kolleginnen und Kollegen von der Unionsfrak- der DGB, Sea-Watch, welche für die Menschenrechte tion, geben Sie doch endlich Ihre bornierte Haltung auf. und die Bewahrung von Freiheits- und sozialen Rechten 10114 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019

Niema Movassat (A) kämpfen. Ich finde, solche Organisationen gehören auch Ich bin froh, dass wir es geschafft haben, Karlsruhe als (C) in den Stiftungsbeirat. Sitz festzulegen und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass es auch einen Sitz in Leipzig geben wird, wobei ich darauf (Beifall bei der LINKEN – Lachen des Abg. hinweisen will: Es geht nicht darum, dass einer für den Stephan Brandner [AfD]) Osten und der andere für den Westen zuständig ist, son- Drittens. Das Forum Recht soll deutlich machen, dass dern alle sind für alle zuständig. demokratische und verfassungsrechtliche Errungen- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schaften leider keine Selbstverständlichkeit sind. Seit ei- sowie bei Abgeordneten der SPD) nigen Jahren wird der Rechtsstaat und werden die Grund- rechte von Rechtspopulisten und Rechtsextremisten in Ich will ein paar Worte zu diesem Projekt sagen. Was Deutschland und Europa wieder angegriffen. Wir müssen ist eigentlich unsere Erwartung? Ich meine, dies soll kein vor allem junge Menschen für die Werte des Grundgeset- Projekt von oben nach unten sein. Es soll kein Bundes- zes – Gleichheit, Freiheit und Demokratie – gewinnen. bildungsinstitut werden – so heißt es auch nicht –, es Wir müssen darüber aufklären, wohin der braune Sumpf soll auch nicht nur Beiträge zu weiteren Broschüren und am Ende führt Seminaren herausgeben, sondern es heißt ganz bewusst „Forum Recht“. Wenn Sie sich mal angucken, wofür das (Stephan Brandner [AfD]: Wohin der rote Wort „Forum“ steht – es kommt übrigens aus dem Latei- Sumpf führt, wissen wir ja: 100 Millionen nischen –, dann sehen Sie, dass es ursprünglich „längli- Tote! Nie wieder Sozialismus!) cher, viereckiger freier Raum“ bedeutete, also für einen und welche Gefahr er für den demokratischen und libera- freien Raum steht – das finde ich am schönsten; später len Verfassungsstaat darstellt. wurde daraus „Versammlungsort, Marktplatz“ –, in dem sowohl Gerichtsbarkeit als auch Volksversammlungen (Beifall bei der LINKEN) stattfanden. Das muss dieses Forum leisten. Deshalb heißt es nicht „Institut“ oder „Amt“. Es ist ein Forum, Ich möchte an dieser Stelle abschließend allen danken, ein freier Raum, in dem sich Menschen in diesem Land die sich für das Projekt „Forum Recht“ eingesetzt haben treffen, Fragen stellen, Meinungen austauschen und ver- und es vorangetrieben haben, gerade auch den Menschen suchen, Antworten zu finden – nicht mehr oder weniger aus der Zivilgesellschaft, die das Projekt vorangetrieben muss dieses Forum Recht leisten, meine Damen und Her- haben. Das Forum Recht wird einen wichtigen Beitrag ren. zur Stärkung von Menschenrechten, Rechtsstaat und De- mokratie leisten. Lassen Sie uns das Projekt gemeinsam (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (B) voranbringen. sowie bei Abgeordneten der SPD) (D) Danke schön. Es muss dann auch von den Fragen der Menschen ge- trieben sein. Auch wenn da viele Gerichtsvertreterinnen (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- und -vertreter sein werden, können sie – das ist für sie NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- auch eine Herausforderung – nicht nur sagen: „Wir erklä- ten der SPD) ren jetzt mal die rechtsstaatlichen Verfahrensprinzipien und unsere Beweisregeln“, sondern müssen sich auch der Vizepräsidentin Petra Pau: Herausforderung stellen, dass an dieser Stelle auf eine ganz andere und neue Art und Weise und in einer neuen Das Wort hat die Kollegin Renate Künast für die Frak- Zusammensetzung über die Frage diskutiert wird, was tion Bündnis 90/Die Grünen. Rechtsstaat und Demokratie bedeuten. Es geht also um (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) beides. Der berühmteste Satz zum Rechtsstaat ist der von Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bärbel Bohley, die mal gesagt hat: „Wir wollten Gerech- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist tigkeit und bekamen den Rechtsstaat.“ Sie hat damit ge- ein guter Tag, weil wir hier jetzt gemeinsam das Forum sagt: Gerechtigkeit ist nicht nur das individuelle Empfin- Recht diskutieren können, das seinen Sitz in Karlsruhe den, was gerecht und ungerecht ist, sondern es gibt einen haben wird. Ich danke insbesondere denen – sehen Sie es Rechtsstaat mit Verfahrens- und Beweisregeln, mit dem mir nach, liebe Stadt Leipzig –, die in Karlsruhe angefan- wir leben, damit es zu keinen Fehlurteilen kommt. gen haben, es von ganz unten aufzubauen. Der andere Begriff ist der Begriff der Demokratie, (Beifall der Abg. Dr. Kirsten Kappert-Gonther also der Herrschaft des Volkes. Ich finde, dass dieses [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Forum genau das zusammenbringen muss: Rechtsstaat und Demokratie. Dann wird daraus das Bild eines demo- Das ist zivilgesellschaftliches Engagement in einem de- kratischen Verfassungsstaates, den im Übrigen wir alle mokratischen Land. tragen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Da gerade Herr Böckenförde, der ehemalige Verfas- SES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Frank sungsrichter, gestorben ist, muss ich an dieser Stelle das Schwabe [SPD] und Dr. Stefan Ruppert sogenannte Böckenförde-Diktum zitieren. Er hat näm- [FDP]) lich gesagt: Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 10115

Renate Künast (A) Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Vo- Vizepräsidentin Petra Pau: (C) raussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Kollegin Künast, bitte! Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist. Als freiheitlicher Staat kann er einerseits nur bestehen, wenn sich die Freiheit, Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): die er seinen Bürgern gewährt, von innen her, aus Natürlich dürfen Sie eine Meinung haben, Herr der moralischen Substanz des einzelnen und der Brandner; aber das heißt nicht, dass Sie die dritte Gewalt Homogenität der Gesellschaft, reguliert. Anderseits derartig runtermachen dürfen. kann er diese inneren Regulierungskräfte nicht von (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, sich aus, das heißt mit den Mitteln des Rechtszwan- bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der ges und autoritativen Gebots zu garantieren suchen, LINKEN) ohne seine Freiheitlichkeit aufzugeben … Denn die Akzeptanz, die Sie verlangen, müssen Sie auch Nichts drückt besser aus, dass man andere Menschen anderen gegenüber zeigen. braucht, die den demokratischen Verfassungsstaat tra- gen. Es wird die Aufgabe des Forums Recht sein, hier

die Fragen der Menschen aufzunehmen, meine Damen Vizepräsidentin Petra Pau: und Herren. Kollegin Künast, bitte setzen Sie den Punkt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sowie des Abg. Axel Schäfer [Bochum] [SPD]) Allein deshalb schon weiß ich: Wir brauchen das Fo- rum Recht, und es wird eine gute Arbeit abliefern. Da geht es dann um Gerechtigkeit, um Würde für jeder- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mann und jede Frau, um die Gleichstellung von Frauen sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und und Männern, um die Frage von Kopftüchern, um die Si- der SPD – Zuruf des Abg. Stephan Brandner tuation von Kindern. Dieser längliche freie Raum muss [AfD]) entsprechend mit allen Fragen gefüllt werden, die zu stellen sind. Natürlich wird es dort auch feministische Fragen geben. Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Michael Frieser für die Eines kann ich sagen: Das wird ein wirklich parti- CDU/CSU-Fraktion. zipativer Ort, an dem viele Menschen mitmachen und (B) diskutieren, an dem sich alle möglichen Gruppen – von (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (D) Menschenrechtsgruppen über Frauengruppen bis hin zu ordneten der FDP) Kinderrechtsverteidigerinnen und Menschen, die sich mit Natur und Zukunft auseinandersetzen – finden und Michael Frieser (CDU/CSU): die Grundlage dieses Staates mit weiterentwickeln, mei- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kollegin- ne Damen und Herren. nen und Kollegen! Es war doch zu erwarten, dass Frau Künast am Ende ihrer Rede zu alter Hochform aufläuft.

Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall des Abg. [BÜND- Kollegin Künast, kommen Sie bitte zum Punkt. NIS 90/DIE GRÜNEN – Stephan Brandner [AfD]: Ich fand’s eher schwach!) Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es läge mir sehr fern, die Äußerungen der ehemaligen Dieses Forum Recht wird eines aushalten, Herr Vorsitzenden des Rechtsausschusses in irgendeiner Wei- Brandner: dass ein Vertreter der ersten Gewalt, der zu- se zu erweitern, zu verbessern oder zu ergänzen. dem – mir kommen fast die Tränen – auch noch Vorsit- (Stephan Brandner [AfD]: Des amtierenden zender des Rechtsausschusses ist, derartig perfide und auch nicht!) peinlich Aber wenn man unseren ehemaligen Verfassungsrichter (Stephan Brandner [AfD]: Ich fand’s gut!) Böckenförde schon zitiert, dann muss man auch darauf eine Vertreterin der dritten Gewalt diffamiert, weil sie eingehen, dass er mit seinem Diktum, dass der Rechts- nichts anderes tut, als eine Meinung zu haben. staat von etwas zehrt, wofür er selber die Grundlage nicht schaffen kann, auch im weitesten Sinne einen Gottesbe- (Stephan Brandner [AfD]: Ich habe auch eine zug herstellt. Er sieht den Staat auch in der Pflicht, seine Meinung!) moralisch-spirituelle Grundlage für die Bürger zu erhal- ten. Wir werden das aushalten und werden Ihnen nicht den Gefallen tun, auf gleicher, niveauloser Ebene darauf zu Das Interessante am Begriff „Forum“ ist, dass er nicht antworten. nur für einen freien Platz, einen Raum der Bürger steht, sondern auch ein Synonym für den Gerichtsstand in der (Stephan Brandner [AfD]: Das machen Sie Antike ist. Deshalb ist es so entscheidend, dass wir alle doch gerade!) im Forum Recht einen Ort erkennen, der etwas symbo- 10116 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019

Michael Frieser (A) lisiert, der greifbar macht, was so schwer zu greifen ist. Vizepräsidentin Petra Pau: (C) Kaum etwas auf der Welt ist so schwer darzustellen wie Das Wort hat die Kollegin Daniela Kolbe für die der Rechtsstaat. SPD-Fraktion. Es ist eine Binsenweisheit, dass man immer erst dann, (Beifall bei der SPD) wenn man etwas verloren hat, weiß, wie man es eigent- lich schätzen müsste. Wir sehen das im Augenblick beim (SPD): Brexit: Jetzt sehen die Leute, was ihnen verloren zu ge- Daniela Kolbe hen droht. – Wir sehen auch bei den Diskursen in diesem Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen Land, wie schwierig es ist, den Menschen die Errungen- und Kollegen! Ich freue mich über den heute vorliegen- schaften, die Sicherheit, die Grundlage, das Sein eines den Gesetzentwurf und über die breite parlamentarische Staates tatsächlich deutlich zu machen, und wie sehr man Mehrheit, die wir dafür erwarten können. auch dafür kämpfen muss. In Deutschland gibt es den sprichwörtlichen Gang Ich komme aus der schönen Stadt Nürnberg – eine nach Karlsruhe. Diesem Sprichwort wohnt ein großes Stadt, die, gerade was das Thema „Recht, Rechtspre- Vertrauen inne: dass man dort ein gerechtes und wegwei- sendes Urteil von Bestand erwarten kann. Deshalb freue chung und Gesetze“ anbetrifft, nicht nur eine positive ich mich sehr, dass Karlsruhe Hauptsitz der Stiftung Fo- Konnotation hat. Wir denken immer auch an die Nürn- rum Recht sein wird. Ich möchte ganz herzlich der kraft- berger Rassengesetze. Wir denken aber auch an die Nürn- vollen zivilgesellschaftlichen Initiative aus Karlsruhe berger Prinzipien. Wir denken auch daran – erlauben Sie danken und allen Menschen, die daran mitgewirkt haben; mir, dieses Beispiel zu nennen –, dass man sich in dieser denn ohne sie hätte es diesen Gesetzentwurf nicht gege- Stadt einem sehr sperrigen Thema widmet; denn die In- ben. ternationale Akademie Nürnberger Prinzipien ermöglicht jetzt den Zugang zum Thema eines modernen Völker- (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ strafrechts. Das Memorium Nürnberger Prozesse macht CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- deutlich und sichtbar, dass wir uns dem ganz schwierigen NEN) Thema widmen sollten, Recht auch als Grundlage eines Weltstrafrechtes greifbar zu machen und zu erklären. Als Leipzigerin freue ich mich natürlich besonders über den zweiten Standort in Leipzig. Leipzig ist nicht Insofern ist es entscheidend, dass wir das Forum Recht nur Sitz des Bundesverwaltungsgerichts, sondern auch nicht nur zu einer Instanz der lehrreichen Verkündigung ein authentischer Ort. Im Gebäude des Bundesverwal- tungsgerichts war das Reichsgericht untergebracht, auch (B) des Rechtsstaats machen, sondern einen aktiven Diskurs (D) mit allen in dieser Gesellschaft ermöglichen, die sich da- zur Zeit des Nationalsozialismus. Diese Zeit führt uns ran beteiligen wollen. vor Augen, unter welchen moralischen und auch realen Druck unsere rechtsstaatlichen Institutionen geraten, Ein Dank ist mehr als angebracht. Es gibt aber noch wenn sich Diktaturen anbahnen oder wenn man in einer Widerstände. An dieser Stelle muss man ehrlich sa- Diktatur lebt. gen: Manchmal versteht man die Welt nicht mehr. Der Auch das DDR-Recht bietet viele Anknüpfungspunk- Rechtsstaat ist zwar ein schwieriges Thema, das sich te für Auseinandersetzungen. Die DDR-Gesetze waren ganz schwer bebildern, das sich auch nur ganz schwer in manchen Punkten fortschrittlicher als die der BRD – diskursiv darstellen lässt; aber eigentlich entzieht er sich ich möchte die Rechte der Frauen ansprechen oder auch doch dem Populismus. Mit so einer dünnen Begründung den § 175 Strafgesetzbuch –, in manchen auch deutlich das Forum Recht dem Populismus zu opfern, ist wirk- zurück. Die Todesstrafe wurde in der DDR erst 1987 lich abstrus. Das entspricht nicht den Grundsätzen der abgeschafft. Wer mit wachem Auge durch die Leipziger Rechtsstaatlichkeit. Das ist an Flachheit nicht mehr zu Südvorstadt, ein durchaus hippes Wohngebiet, läuft, der überbieten. findet mitten in diesem Wohngebiet die zentrale Hin- richtungsstätte der DDR. Der letzte Mensch, der dort (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- hingerichtet worden ist, war ein MfS-Mitarbeiter, der ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ Republikflucht begehen wollte. Das war 1981. Er ist hin- DIE GRÜNEN) gerichtet worden, ohne dass seine Familie darüber infor- miert wurde. Sie wusste nicht, was passiert war. Das und Zu sagen: „Dieser Rechtsstaat existiert nur insoweit, viele andere Punkte machen deutlich: Jenseits der realen wie wir ihn selbst definieren“, ist ja genau das Gegenteil Gesetze, ohne Zweifel, die DDR war ein Unrechtsstaat. – von Rechtsstaatlichkeit. Das gemeinschaftliche Finden Auch diese Geschichte lädt zur Auseinandersetzung ein, von Regeln, an die sich alle halten sollen, um ein gedeih- ich finde, nicht nur in Leipzig, sondern auch in Karlsruhe liches Miteinander auf Dauer zu gewährleisten – das ist und in der gesamten Bundesrepublik. die Kunst, das ist der Auftrag. Ich freue mich, dass wir alle daran mitwirken können. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Vielen Dank. CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Wer durch die Leipziger Innenstadt läuft, der findet neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) natürlich überall Zeugnisse der friedlichen Revolution. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 10117

Daniela Kolbe (A) Zehntausende Menschen haben friedlich diesen Un- chen. Wir wollen etwas Ähnliches für den Rechtsstaat in (C) rechtsstaat DDR zum Einsturz gebracht. Karlsruhe und in Leipzig schaffen.

( [AfD]: Ich war dabei!) Wir machen das, weil wir wissen, dass der Rechts- Dass wir auch heute noch einen Standort in Ostdeutsch- staat, dass unser Grundgesetz eine tragende Säule unse- land brauchen, für die reale Auseinandersetzung, kommt rer Demokratie ist, und weil es ohne Rechtsstaat keine für mich kondensiert in einem Zitat der Bürgerrechtlerin Demokratie geben kann. Wenn wir das Forum Recht Bärbel Bohley zum Ausdruck – Frau Künast hat es schon errichten, setzen wir damit auch ein klares Zeichen für genannt –: Rechtsstaatlichkeit, für Demokratie und für einen wehr- Wir wollten Gerechtigkeit und bekamen den Rechts- haften Staat, der die Grundrechte schützt und damit auch staat. die Bürgerrechte garantiert. Ich höre diesen Satz oft, und zwar nicht in dem Zusam- Meine Damen und Herren, wir tun das in einem Um- menhang, den Bohley meinte, im Zusammenhang mit feld, in dem es Versuche gibt – das wissen wir –, das der Aufarbeitung der DDR-Geschichte, sondern im Zu- Vertrauen in den Rechtsstaat zu schwächen. Angriffe sammenhang mit sozialer Gerechtigkeit und sozialen auf das Vertrauen in den Rechtsstaat und Angriffe gegen Rechten. „Wir wollten Gerechtigkeit und bekamen den Recht und Gerechtigkeit passieren nicht immer mit lau- Rechtsstaat“ – das ist erst einmal eine sachlich richti- tem Knall, sondern sie geschehen manchmal auch schlei- ge Aussage. In einem Rechtsstaat, in einer Demokratie chend. Das sieht man bei vielen Vorkommnissen in an- kommt Gerechtigkeit nicht frei Haus. Man muss sie sich deren Staaten. Wir stellen die Kraft des Rechts dagegen. erkämpfen, sich dafür einsetzen, Mehrheiten suchen. Es Wir wollen, dass Menschen sich in diesem Forum treffen ist aber auch ein sehr, sehr bitterer Ton dabei, so als sei und über die verschiedenen Aspekte von Rechtsstaatlich- der Rechtsstaat gar nicht das gewesen, was man eigent- keit und Grundrechtsbindung diskutieren. Wir wollen lich wollte. den Rechtsstaat damit erfahrbar machen. Ich glaube, eine Da gibt es einiges zu tun: Man muss dafür sensibilisie- bessere Werbung für Rechtsstaat und Demokratie kann ren, was es für ein Glück ist, in einem Rechtsstaat leben es nicht geben, als wenn die Menschen, vor allem viele zu können. Schulklassen, ab 2026 zum Forum Recht fahren und sich dort wohlfühlen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ Karlsruhe ist ein idealer Ort. Karlsruhe ist die Stadt DIE GRÜNEN und des Abg. Stephan Thomae des Rechts mit einer langen rechtsstaatlichen Tradition. [FDP]) (B) Mit dem Bundesverfassungsgericht und dem Bundesge- (D) Man muss für seinen Wert sensibilisieren, aber ohne die richtshof beherbergt es zwei Gerichte, die weltweit einen Fehlbarkeiten auszublenden. Gleichzeitig ist um die Aus- guten Ruf haben in Bezug auf Rechtsstaatlichkeit und gestaltung zu streiten und zu ringen, und zwar auf Au- präzise Rechtsprechung. „Karlsruhe“ ist in der Tat ein genhöhe. – Das wünsche ich mir für das Forum Recht. geflügeltes Wort für Gerechtigkeit und einen guten und Ich freue mich sehr, dass wir das auf den Weg bringen. gütigen Richter. Die Menschen sagen: „Dann gehe ich Die beiden Orte, Karlsruhe als Hauptsitz und Leipzig als nach Karlsruhe“, und verbinden damit die Hoffnung auf zweiter Standort, hätten aus meiner Sicht nicht besser ge- einen guten Ausgang ihres Gerichtsverfahrens. wählt werden können. Aber Karlsruhe ist noch mehr. Es ist auch der Ort Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. der Badischen Verfassung von 1818 von Karl Friedrich (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ­Nebenius, eine Verfassung mit Grundrechtsbindung, mit DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der einem liberalen Einschlag. Ja, das ist eine Verfassung, die CDU/CSU) weit weg ist von unseren heutigen Mindeststandards, die aber aufgezeigt hat, in welche Richtung die Geschichte Vizepräsidentin Petra Pau: gehen musste, nämlich in Richtung Grundrechtsbindung, Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Gerechtigkeit, Legitimität, Gleichheit aller Staatsbürge- Dr. Volker Ullrich das Wort. rinnen und Staatsbürger. Auch das ging von Karlsruhe aus. Deswegen wollen wir auch daran erinnern. (Beifall bei der CDU/CSU) Das Forum Recht ist eine Einrichtung, die insgesamt Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): deutlich macht, dass der Rechtsstaat nichts Selbstver- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und ständliches ist, dass wir ihn jeden Tag stärken müssen. Herren! Mit dem Gesetz zur Errichtung der Stiftung „Fo- Wir machen das mit dem Pakt für den Rechtsstaat. Wir rum Recht“ wollen wir eine Begegnungs-, Kommunika- machen deutlich, dass das Vertrauen der Bürgerinnen und tions- und Erinnerungsstätte in Karlsruhe und Leipzig Bürger in diesen Rechtsstaat ein hohes Gut ist, das wir errichten, um den Rechtsstaat erfahrbar und plastisch jeden Tag verteidigen wollen. Die dafür notwendigen greifbar zu machen. Als Vorbild dient das Haus der Ge- Schritte müssen wir unternehmen. Ein wichtiger symbo- schichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn, wel- lischer Schritt ist die Errichtung dieses Forums Recht in ches seit vielen Jahrzehnten ein wichtiger Ort ist, um die Karlsruhe. Ich bin froh, dass wir das auf den Weg brin- jüngere Geschichte unseres Landes begreifbar zu ma- gen. Wir sind alle aufgerufen, die erforderlichen Haus- 10118 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019

Dr. Volker Ullrich (A) haltsmittel zur Verfügung zu stellen, damit wir daraus Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für (C) eine gute Sache machen, in Karlsruhe und in Leipzig. die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege ordneten der SPD) Dr. Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke. Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall bei der LINKEN) Ich schließe die Aussprache. Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das wurfs auf Drucksache 19/8263 an die in der Tagesord- Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle hat letz- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es te Woche den Zustand Deutschlands 30 Jahre nach dem dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Mauerfall analysiert. Über die Schlussfolgerungen, die Dann ist die Überweisung so beschlossen. sie ziehen, kann man streiten; aber an der Analyse kommt Ich rufe die Tagesordnungspunkte 23 a und 23 b auf: keiner vorbei – ich zitiere wörtlich –: 23. a) Beratung des Antrags der Abgeordne- ... die Unterschiede zwischen den einzelnen Regio- ten Matthias Höhn, Jan Korte, Dr. Gesine nen des Landes sind noch immer teils erheblich. Ob Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Wirtschaftsleistung, Löhne, Zuwanderung oder Bil- Fraktion DIE LINKE dung: In vielerlei Hinsicht zeichnen die regionalen Muster nach wie vor die einstige Teilung zwischen Ost-Quote in Bundesbehörden durchset- DDR und alter Bundesrepublik nach. zen – Grundgesetz achten So das Institut. Drucksache 19/8013 Überweisungsvorschlag: (Beifall des Abg. Dr. [DIE Ausschuss für Inneres und Heimat (f) LINKE]) Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Ge- schäftsordnung 16,8 Prozent unserer Bevölkerung stammen aus Ost- Petitionsausschuss deutschland, und in den Spitzenpositionen von Politik, Auswärtiger Ausschuss Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur sind Sportausschuss die Ostdeutschen mit 1,7 Prozent vertreten. Die früheren Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (B) Finanzausschuss Versprechen hat die Bundesregierung nie eingehalten. (D) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Erstens wurden blühende Landschaften versprochen – Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft das ist ausgefallen –, die gleichwertigen Lebensverhält- Ausschuss für Arbeit und Soziales nisse gibt es nicht, und die innere Einheit ist immer noch Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend nicht verwirklicht. Ausschuss für Gesundheit (Beifall bei der LINKEN) Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Manchmal hat man den Eindruck, als ob die Mauer noch Sicherheit Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe stünde. Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- abschätzung Ich werde Ihnen ein Beispiel sagen. Ein CDU-Mensch Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und hat zu mir gesagt: Aber, Herr Gysi, Sie vergessen, dass Entwicklung die Mieten und Restaurantpreise im Osten günstiger sind Ausschuss für Tourismus als im Westen. Deshalb ist es gerechtfertigt, geringere Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Renten und geringere Löhne zu zahlen. – Abgesehen da- Ausschuss für Kultur und Medien von, dass man nicht zwei Faktoren nehmen kann, son- Ausschuss Digitale Agenda dern wenn, dann alles, lautete meine Gegenfrage, ob er Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und bestätigen kann, dass in der bayerischen Stadt Hof im Kommunen Vergleich zur bayerischen Stadt München die Mieten und Haushaltsausschuss Gaststättenpreise wesentlich günstiger sind, und ob er je b) Beratung des Antrags der Abgeordneten gefordert hat, deshalb dort geringere Löhne und Renten Dr. Anton Friesen, Dr. Bernd Baumann, zu zahlen. Dr. , weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Claudia Müller [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Bundesbehörden in die neuen Länder NEN]) verlagern Da er das nie gemacht hat, sage ich Ihnen den Unter- Drucksache 19/8279 schied: In seinem Kopf herrscht noch die Spaltung, wäh- Überweisungsvorschlag: rend bei mir die Einheit vollzogen ist; deshalb käme ich Ausschuss für Inneres und Heimat (f) gar nicht auf eine solche Idee. Ausschuss für Wirtschaft und Energie Haushaltsausschuss (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 10119

Dr. Gregor Gysi (A) Das Grundgesetz verlangt in Artikel 36 Absatz 1 Unsere Bevölkerung besteht zu mehr als der Hälfte aus (C) Satz 1 Folgendes – ich zitiere unsere Verfassung –: Frauen; aber im Bundestag sind nur 30 Prozent weiblich. Das muss verändert werden. Bei den obersten Bundesbehörden sind Beamte aus allen Ländern in angemessenem Verhältnis zu ver- (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. wenden. [CDU/CSU]) Der Bundestag und die Bundesregierung lassen sich von Es gibt übrigens nur zwei Fraktionen, in denen es diesem Artikel nicht leiten. Sie verletzen das Grundge- mehr Frauen als Männer gibt: Das sind die Grünen, und setz. das ist Die Linke. Diesbezüglich können Sie alle von den (Beifall bei der LINKEN) beiden Fraktionen lernen; es tut mir leid. In 11 von 14 Bundesministerien gibt es keine einzige (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Abteilungsleiterin und keinen einzigen Abteilungsleiter Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- aus dem Osten. Es gibt bei 120 leitenden Beamtinnen NEN]) und Beamten drei Ostdeutsche. Es wird nicht besser, Mit den Verfassungsgrundsätzen ist es übrigens so: Die sondern schlechter; denn 2013 waren es noch fünf und Gleichstellung steht eben auch im Grundgesetz. Hier hat 2016 noch vier, jetzt sind es nur noch drei. Wann sind das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass es Vor- wir bei null? Dieses katastrophale Bild zeichnet sich als rang hat. Spiegelbild eben auch in den Führungspositionen von Wirtschaft, Hochschulen, Gerichten, Gewerkschaften (Hansjörg Müller [AfD]: Aber nicht die und Verbänden. Man muss sie mit der Lupe suchen. Und Gleichmacherei!) im Osten sieht es auch so aus. Auch dort sind in den Füh- Die AfD hat natürlich Schwierigkeiten, gleich viele Frau- rungen die wenigsten Ostdeutsche; auch das muss man en aufzustellen. Wissen Sie, woran das liegt? Das liegt mal erwähnen. daran, dass Frauen nur sehr schwer für Rassismus und (Beifall bei der LINKEN) Nationalismus zu gewinnen sind. Insofern sage ich dazu gar nichts. Der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, , hat sich vor einer Woche in der „Lausitzer (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Rundschau“ dafür ausgesprochen, die Biografien der NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- Menschen in Ostdeutschland mehr wertzuschätzen und ten der SPD und der Abg. Antje Lezius [CDU/ auch ihre Leistungen nach 1990 zu würdigen. Natürlich CSU]) sagt er das im Landtagswahlkampf um drei ostdeutsche (B) Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Christian (D) Länder. Trotzdem nehme ich seine Worte ernst und hoffe Hirte, der ja nach mir spricht, meint, dass eine solche deshalb, dass er unserem Antrag zustimmt – sonst nimmt Ostquote ins Elend führe. Ich bitte Sie! Sie sind doch der er es ja nicht ernst. Beauftragte der Bundesregierung für und nicht gegen die (Beifall bei der LINKEN) neuen Bundesländer; deshalb sollten Sie Ihre Einstellung verändern. Artikel 36 Absatz 1 des Grundgesetzes ist eine zwin- gende Norm, der umgehend Geltung verschafft werden (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. muss. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- diesbezüglich eine gesetzliche Regelung für gut befun- NEN]) den, und er hat darauf hingewiesen, dass die neuen Bun- Wer die innere Einheit will, muss endlich gleiche Chan- desländer dazu vor dem Bundesverfassungsgericht kla- cen und gleiche Lebensverhältnisse in Ost und West, in gen können. Die Frage an Sie lautet: Wollen Sie wirklich Nord und Süd, für Frauen und Männer und für alle Be- eine Entscheidung aus Karlsruhe haben, oder wollen Sie wohnerinnen und Bewohner, das heißt auch für die Men- nicht selbst aktiv werden und diese Situation verändern? schen in und aus den neuen Bundesländern, schaffen; (Beifall bei der LINKEN) sonst nimmt man die Einheit nicht ernst. Übrigens hat der Wissenschaftliche Dienst auch die Fra- Danke schön. ge beantwortet, wie man definieren kann, wer Ostdeut- (Beifall bei der LINKEN) scher ist. Also: Auch darum müssen wir nicht streiten. Wir brauchen eine neue Quote – eine Ostquote. Auf Zeit können Sie nicht mehr setzen; denn es sind schon 30 Jah- Vizepräsidentin Petra Pau: re vergangen. Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Christian Hirte. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU) Was glauben Sie, welche nicht nur tatsächliche, sondern symbolische Kraft dies im 30. Jahr nach dem Mauerfall und 2020, im 30. Jahr der deutschen Einheit, hätte. Des- Christian Hirte, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- halb meine Bitte: Kommen Sie mir jetzt nicht mit dem- nister für Wirtschaft und Energie: selben Gerede wie damals mit der Frauenquote – das Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! kenne ich alles noch –, bis dahin, dass dadurch das pas- Die zwei Anträge, die wir hier beraten, beschreiben Zu- sive Wahlrecht von Männern eingeschränkt würde etc. stände und Defizite, die wir auch nicht einfach ignorie- 10120 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019

Parl. Staatssekretär Christian Hirte (A) ren können. Denn: Ja, es gibt zu wenig Ostdeutsche in Christian Hirte, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- (C) Führungsverantwortung in diesem Land. Und: Ja, es gibt nister für Wirtschaft und Energie: auch zu wenig Bundesbehörden und Bundesbeschäftigte Herr Kollege Höhn, es hat ja Gründe, warum Ostdeut- in den neuen Bundesländern. Beides gehört zusammen; sche in Führungsverantwortung von Bundesbehörden denn es ist logisch, dass in den Behörden in der Regel niedriger vertreten sind. Menschen aus den jeweiligen Heimatregionen arbeiten. ( [DIE LINKE]: Welche?) Die Linke fordert in ihrem Antrag die Einführung einer Ostquote in Bundesbehörden und stützt sich da- Das sind nicht die fachlichen Gründe, sondern das liegt bei – wir haben es gerade gehört – auf Artikel 36 des vor allem daran, dass es in der Zeit nach der deutschen Grundgesetzes; das ist allerdings der falsche Weg. Der Wiedervereinigung den breiten Willen der Bevölkerung aus der Weimarer Zeit stammende Artikel will nämlich und auch der Politik gab, einen Elitenwechsel herbeizu- den fairen Einfluss der Länder auf die Bundesverwaltung führen, sichern, und das leistet heute – Gott sei Dank – der Bun- (Anke Domscheit-Berg [DIE LINKE]: 30 Jah- desrat. Das ist im Übrigen der wesentliche Unterschied re! 30 Jahre! – Weiterer Zuruf von der LIN- zu Artikel 33 Absatz 2 Grundgesetz, der umso wichtiger KEN: Das wird ja immer schlimmer!) ist, weil er dem Einzelnen einen individuellen Anspruch auf gleiche und faire Behandlung schafft, nämlich Zu- vor allem in Verwaltung und Justiz. Wenn Sie sich mit gang nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung den Zahlen genauer beschäftigen, werden Sie feststellen, zu den Beamtenstellen. Das ist auch gerichtlich durch- dass in den nächsten gut zehn Jahren setzbar; das sollte der Maßstab sein und auch bleiben. (Zuruf von der LINKEN: Dann sind es Meine Damen und Herren, stellen wir uns aber vor, es 45 Jahre!) wäre so, wie Sie fordern: Die Rechtslage gäbe eine Be- etwa 60 Prozent aller Richter und Staatsanwälte im Os- vorzugung aufgrund der Landsmannschaft her. Wie sähe ten – das Gleiche gilt für die Verwaltung – ersetzt werden die praktische Handhabung aus? müssen. Genau dort besteht doch in den nächsten Jahren die Möglichkeit für die Verantwortlichen in ihrer jeweili- Vizepräsidentin Petra Pau: gen Region, sich dieser Thematik zu stellen. Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Frage oder Be- (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Dann ist merkung des Abgeordneten Matthias Höhn? Ihr Job aber überflüssig! Wenn das so lange dauert!) (Christoph Bernstiel [CDU/CSU]: Das kann (B) ja gut werden! – Philipp Amthor [CDU/CSU]: Deswegen konzediere ich: Ja, wir brauchen eine Sensibi- (D) Ich will noch was lernen! – Zurufe von Abge- lität, wenn es künftig darum geht, Mitarbeiter in den je- ordneten der CDU/CSU: Oh!) weiligen Regionen auch aus den Regionen heraus anzu- stellen. Auch bei den Beförderungen ist darauf zu achten. Christian Hirte, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- (Zuruf von der LINKEN: Sind Sie ein An- nister für Wirtschaft und Energie: ti-Ost-Beauftragter?) Gerne. Schauen wir einmal nach Thüringen, wo der Minis- terpräsident ein Parteigenosse von Ihnen ist. Es ist so, Matthias Höhn (DIE LINKE): dass dort 8 von 13 Staatssekretären aus den alten Län- dern kommen. Herzlichen Dank, dass Sie die Frage zulassen. – Herr Hirte, zunächst einmal fordern wir nichts Neues, sondern (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) wir fordern die Einhaltung des Grundgesetzes. Ich weiß Wenn Sie zunächst einmal dort die Hausaufgaben ma- gar nicht, warum das hier im Saal so strittig ist. chen würden, wo Sie selbst regieren, wäre schon viel (Beifall bei der LINKEN) gelöst. Aber da Sie darauf abgehoben haben, dass wir offen- (Dr. [DIE LINKE]: Es war sichtlich den falschen Weg wählen würden, und wir jetzt Ihre Partei! Sie haben die ganze Verwaltung noch einmal darüber geredet haben, dass wir uns über aus dem Westen geholt!) „Eignung“ und „Befähigung“ dem Thema nähern, würde Ich will noch eines sagen: Wenn darüber gesprochen ich Sie gerne fragen. wird, dass hier Symbolpolitik betrieben werden soll – Der Kollege Gysi hat eben die aktuellen Zahlen zu den etwa 30 Jahre nach der friedlichen Revolution und der Abteilungsleitern der Bundesregierung angesprochen: deutschen Einheit –, dann will ich sagen: Es wäre doch 120 Abteilungsleiter, drei ostdeutsche. Meinen Sie, das sinnvoll, nicht Unterschiede auch in Gesetzlichkeiten zu ist das Ergebnis von Befähigung und Eignung? Und heißt zementieren, sondern im Gegenteil diese zu überwinden. das, dass Sie als Ostbeauftragter den Ostdeutschen sa- (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Machen Sie ja gen: „Tut uns leid, aber bei der Befähigung fallt ihr leider nicht!) hinten runter“? Ist das Ihre Meinung? Stellen wir uns einmal vor, was Sie sagen, ginge. (Beifall bei der LINKEN) Dann wäre es ja so, dass man fordern müsste, dass etwa Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 10121

Parl. Staatssekretär Christian Hirte (A) in unserer deutschen Fußballnationalmannschaft eine da bräuchten wir jetzt auch eine Thüringerquote. – Also, (C) Ostquote herrschen müsste. Ich glaube nicht, dass das ir- ich glaube, eine Quote führt, wie mich Herr Gysi richti- gendwie sinnvoll wäre. Und wenn sich dann noch ande- gerweise zitiert hat, ins Elend. re Gruppen finden würden, die sich selbst in besonderer Weise abgrenzen, dann müsste man auch für diese wieder Vizepräsidentin Petra Pau: nach einer Quote suchen und möglicherweise diese mit Herr Staatssekretär, ich habe die Uhr angehalten. Ge- gesetzlichen Zugriffsmöglichkeiten verankern. statten Sie eine weitere Frage oder Bemerkung der Kol- (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Es ist sogar legin Dr. Petra Sitte? Ihrer eigenen Fraktion peinlich, was Sie sa- (Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Nicht schon gen!) wieder!) Also, wenn wir überhaupt darüber reden: „Braucht es eine Ostdeutschenquote?“, dann muss man darüber re- Christian Hirte, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- den: Was heißt denn überhaupt „ostdeutsch“? Nach ei- nister für Wirtschaft und Energie: nem Definitionsversuch der Uni Leipzig, auf den sich die Ja. Linken in Mecklenburg-Vorpommern bezogen haben, soll Ostdeutscher sein, wer vor dem 31.12.1975 auf dem Gebiet der DDR geboren ist und dort bis 1989 gelebt hat, Vizepräsidentin Petra Pau: jedenfalls die überwiegende Zeit. Das trifft auf relativ Ich mache aber gleich darauf aufmerksam: Das ist die viele nicht zu – wenn ich etwa an unsere Kanzlerin den- letzte, die ich während Ihres Beitrages zulasse. ke, wenn ich an Wolf Biermann denke –, und es trifft im Übrigen auch nicht auf den aktuellen Beauftragten der Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Bundesregierung für die neuen Bundesländer zu. Das Danke, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Seit zeigt schon, dass es schwierig ist, überhaupt eine solche 15 Jahren besteht unser Technologie- und Gründerzen­ Abgrenzung vorzunehmen. trum Halle mit seinem Förderkreis. Der Förderkreis hat Der Antrag wird auch dem Anliegen überhaupt nicht diese 15 Jahre unlängst gefeiert. Da hat der ehemalige gerecht, weil wir darauf schauen müssen, was wirklich Ministerpräsident, seines Zeichens CDU ursprünglich, vor Ort den Menschen konkret hilft, im Übrigen nicht einen Vortrag gehalten. Insbesondere hat er darauf hin- ein paar wenige Abteilungsleiterposten möglicherweise gewiesen, dass im Osten nur 29 Prozent aller Beschäftig- hier in Berlin – wo wir besser werden müssen; das gebe ten nach der Wende in ihrem Beruf bleiben konnten. Das ich offen zu –, sondern wir müssen besser werden bei heißt, für alle anderen hat sich das Leben grundsätzlich (B) der Ansiedelung von Behörden, bei der Schaffung von geändert. Das ist eine prägende Erfahrung. (D) Beschäftigtenverhältnissen von Bundesbeschäftigten in Meinen Sie nicht, dass es angesichts der gegenwärti- den neuen Bundesländern. gen Diskussion schon der Erwähnung wert wäre, dass es (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ein Spezifikum des Ostens ist, so etwas erlebt zu haben, und dass Ostdeutsche sich in vielen politischen Entschei- Das ist aus meiner Sicht natürlich auch wichtig, um ge- dungen gedemütigt gefühlt haben? In vielen Entschei- sellschaftliche Akzeptanz zu schaffen. Gesellschaftliche dungen sind eben genau nicht in ostdeutschen Ländern Akzeptanz besteht nur dann, wenn es den Eindruck gibt, die Schwerpunkte gesetzt worden. Ich wollte nur einmal dass Repräsentanz vernünftig funktioniert. Ich gebe zu, darauf hinweisen – falls Ihnen als jüngerem Menschen da kann man noch besser werden. das noch nicht so zu Ohren gekommen ist. Bei allen Klagen sollte man, finde ich, aber nicht ver- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – hehlen, dass es mittlerweile, 30 Jahre nach der friedli- Marian Wendt [CDU/CSU]: „Als jüngerer chen Revolution, auch erhebliche Unterschiede gibt, Mensch“!) auch innerhalb der neuen Bundesländer. Wir dürfen doch nicht so tun, als wenn es den Osten und die Ossis als Christian Hirte, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- homogene Masse gäbe! Es gibt erhebliche Unterschiede. nister für Wirtschaft und Energie: Ich möchte in diesem Zusammenhang gerne auf den frü- Frau Kollegin Sitte, man muss ein bisschen weiter zu- heren Bundespräsidenten Gauck verweisen, der kürzlich, rückblicken, vielleicht bis vor 1990, und sich überlegen, zu einer Ossiquote gefragt, sagte: Geht’s noch? warum wir diesen erheblichen Bruch in den Erwerbsbio- Mindestens ebenso fraglich ist, ob und wie die ein- grafien und auch in der Wirtschaft in den neuen Bundes- heitliche Ostidentität durch spezifische Ostanliegen ländern hatten. Das lag doch daran, dass wir eine völlig charakterisiert wird. Sind nicht die neuen Bundesländer marode DDR-Kombinatswirtschaft hatten, die von Ihrer mittlerweile genauso heterogen, wie es auch die alten Vorgängerpartei, Frau Kollegin Sitte, der SED, zu ver- Bundesländer sind? Konsequent weitergedacht bräuch- antworten ist. ten wir dann also auch nicht nur eine Quote für den Os- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie ten, sondern sogar für einzelne Länder. Ich habe gerade bei Abgeordneten der AfD – Dr. Petra Sitte schon den Altbundespräsidenten Gauck zitiert. Wir ha- [DIE LINKE]: Was nützt das den Leuten?) ben aktuell eine Kanzlerin, die ebenso wie der Altbun- despräsident aus Mecklenburg-Vorpommern kommt. Da Und jetzt kommen Sie, diejenigen, die früher die Hüt- könnte ich als Thüringer sagen: Das ist alles ungerecht, te angezündet haben, und sagen: Die Feuerwehr ist zu 10122 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019

Parl. Staatssekretär Christian Hirte (A) langsam. – Also, das ist, glaube ich, der falsche Weg. Ich Entscheidung zur Ansiedelung der Agentur für Disrupti- (C) glaube, Frau Kollegin Sitte, Sie bewegen sich in der fal- ve Innovationen in der Cybersicherheit im Raum Hal- schen Richtung. le-Leipzig; ein Ausbildungszentrum für den Zoll. Und wie Bundesminister Heil es vor wenigen Tagen vorge- ( [DIE LINKE]: Sie bewegen sich stellt hat: Alle fünf Zukunftszentren zur Bewältigung der gar nicht! – Erhard Grundl [BÜNDNIS 90/ digitalen Transformation sind in den neuen Bundeslän- DIE GRÜNEN]: Sie bewegen sich überhaupt dern angesiedelt oder jedenfalls auf den Weg gebracht. nicht!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich habe es gerade schon einmal gesagt: Wir müssen doch dahin kommen, dass wir 30 Jahre nach der deut- Ich möchte ausdrücklich allen Ministern danken, die schen Einheit die tatsächlichen Probleme aufgreifen, daran mitgewirkt haben, und ich bin optimistisch, dass dass wir uns darum kümmern, wo es besondere Benach- wir genau diesen Weg in den nächsten drei Jahren dieser teiligungen gibt. Aber wenn es um konkrete Dinge geht, Regierung fortsetzen werden dann muss man das auch bis zum Ende durchdeklinie- ren. Schauen Sie sich die konkrete Situation an: Was (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Drei wäre, wenn Sie zum Beispiel in der Justiz das tatsächlich Jahre sind es nicht mehr!) durchführen würden, sagen: „Ich vertrete spezifische ost- und dass weitere Behörden im Osten angesiedelt werden. deutsche Interessen“? Damit eröffnet sich nämlich für die Bürger in den neuen (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das ist keine Bundesländern die Chance, durch die neugeschaffenen Antwort für mich!) Stellen einen Job bei einer Bundesbehörde in ihrer Hei- mat zu finden. Heißt das dann, dass ein ostdeutscher Richter im Streit zwischen einem Ostdeutschen und einem Westdeutschen Die möglichst vielfältige Präsenz des Staates mit Ein- sagen müsste: „Aufgrund meiner ostdeutschen Prägung richtungen ist natürlich auch eine Voraussetzung dafür, habe ich jetzt natürlich eine besondere Präferenz für den dass Bürger Vertrauen in den Staat haben, weil der Staat Ostdeutschen“? Das kann doch nicht sein. Ein Richter einfach wahrnehmbar ist. Wenn einige Bundesländer die muss natürlich nach Recht und Gesetz, unabhängig und Dezentralisierung selbst nicht so ernst nehmen, dann frei entscheiden. ist es, glaube ich, wohlfeil, immer nur auf den Bund zu schauen und zu meinen, er solle alles regeln und organi- ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sieren. Ich glaube, hier gibt es eine gemeinsame Verant- NEN]: Darum ging es nicht!) wortung von Bund und Ländern. (B) Um noch einmal den Altbundespräsidenten Gauck zu zi- Mag sich die Quote am Anfang noch als Balsam für (D) tieren: Geht’s noch? manche Ohren im Osten anhören, entpuppt sie sich doch Zur AfD. Wie so häufig bei der AfD, ist sie zu spät bei genauerem Hinsehen eher als ein Bärendienst. Der und auch ein kleines bisschen hinterher. Zur Faktenlage: Zweck beider hier zu debattierenden Anträge ist doch Seit den Beschlüssen – die vorhin schon angesprochen nichts anderes, als einen Budenzauber zu veranstalten, in wurden – von 1992 besteht in der Tat der Auftrag an uns der Hoffnung, dass der arme Ossi von seiner eigenen Op- in der Politik, Bundesbehörden und -einrichtungen fair ferrolle überzeugt wird, was am Ende natürlich nur Herr und vor allem vorrangig in den neuen Bundesländern an- Gysi, Frau Wagenknecht oder vielleicht Frau Weidel zusiedeln. können. Ich glaube, das ist der falsche Weg, insbesondere wenn wir über Symbolik reden. Nachdem man eine große Verwaltungs- und Behör- denreform Anfang der 90er-Jahre auf den Weg gebracht (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Interessenver- hatte, hat man genau diesen zweiten Passus, nämlich treter! Das merkt man bei jedem Satz!) auch künftig Verwaltungsbehörden und Bundesbeschäf- Meine sehr geehrten Damen und Herren, ganz herzli- tigte vorrangig in den neuen Bundesländern anzusiedeln, chen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. häufig vergessen – um es freundlich zu formulieren. Ich will deswegen ganz klar sagen: Es gab durchaus Fehler (Beifall bei der CDU/CSU – Stefan Liebich in diesem Bereich. Ich will auch sagen, dass wir Nach- [DIE LINKE]: Sie haben einfach nur den Job holbedarf haben in diesem Bereich. verfehlt!) Aber zur Wahrheit gehört doch, dass gerade diese Bundesregierung in dem einen Jahr, wo sie jetzt im Amt Vizepräsidentin Petra Pau: ist, mehr auf den Weg gebracht hat Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Anton Friesen für die AfD-Fraktion. (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei der AfD) als vielleicht in den letzten zwanzig Jahren. Schauen Sie sich einmal an, wie viele Neuansiedelungen im letzten Jahr von der Bundesregierung organisiert wurden – um Dr. Anton Friesen (AfD): es beispielhaft zu nennen –: das Fernstraßen-Bundes- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen amt in Leipzig; das Kompetenzzentrum Wald und Holz und Herren Abgeordnete! Liebe Zuhörer! Fast 30 Jah- in Mecklenburg-Vorpommern; die Bildung eines weite- re nach der deutschen Einheit, die maßgeblich von den ren Strafsenats des Bundesgerichtshofes in Leipzig; die Mutbürgern im Osten erkämpft wurde, ist Ostdeutsch- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 10123

Dr. Anton Friesen (A) land nach wie vor wirtschaftlich abgehängt und politisch zuletzt würden die Bürger vor Ort spüren, dass sie nicht (C) benachteiligt. alleingelassen werden. Kommen wir zu den Fakten, Herr Hirte, Herr Ostbe- Es wurde schon zu viel debattiert und zu wenig getan. auftragter. Mehr als symbolisch ist doch, dass 90 Prozent Deswegen fordern wir als AfD mit dem auf ewig in Wei- aller Bundesbehörden ihren Hauptsitz im Westen haben; mar wohnhaften Schriftsteller Goethe: das ist nach wie vor der Fall. Nur ganze 10 Prozent ver- Der Worte sind genug gewechselt, teilen sich auf die ostdeutschen Flächenländer. Durch- Laßt mich auch endlich Taten sehen. schnittlich kommen auf 1 000 Einwohner in Deutschland 2,3 Bundesbeschäftigte. In Sachsen sind es dagegen nur Vielen Dank. 0,9, und bei uns in Thüringen sind es nur 0,7. Damit ist (Beifall bei der AfD) Thüringen auf dem letzten und Sachsen auf dem vor- letzten Platz. Dabei beschloss dieses Haus bereits 1992, dass, erstens, bestehende Bundesbehörden in den Osten Vizepräsidentin Petra Pau: zu verlagern sind und dass, zweitens, neue Bundesbehör- Das Wort hat die Kollegin Elisabeth Kaiser für die den vorrangig im Osten anzusiedeln sind. Seitdem sind SPD-Fraktion. 27 Jahre und sieben Legislaturperioden vergangen. Pas- (Beifall bei der SPD) siert ist so gut wie nichts. Auch deswegen fordern wir als AfD mit diesem Antrag, endlich das umzusetzen, was die Föderalismuskommission schon damals, im Jahr 1992, Elisabeth Kaiser (SPD): gefordert hat. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste! „Ossis in die Behörden, (Beifall bei der AfD) und am besten in deren Spitze“ – ja, das könnte mir auch gefallen. Was Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Diese Bundesregierung, die von Herrn Hirte so ge- Linken in Ihrem Antrag beschreiben, ist auch zutreffend: lobt wurde, macht eben viel zu wenig. In dem aktuellen Ostdeutsche sind im vereinten Deutschland in Justiz, Koalitionsvertrag ist zum Beispiel gar keine Rede mehr Wirtschaft, Wissenschaft, Medien und Bundesbehörden davon, dass neue Bundesbehörden vorrangig im Osten leider eklatant unterrepräsentiert. Sie kennen die Zahlen: anzusiedeln sind, und es ist auch keine Verlagerung von 4 von 109 Abteilungsleitern in Bundesministerien sind Bundesbehörden in die neuen Bundesländer geplant, wie aus Ostdeutschland, und nur 4 von 190 DAX-Vorstän- aus einer Antwort auf unsere Anfrage hervorgegangen den sind Ostdeutsche. Nicht einer der 25 Präsidenten ist. Das sind die Fakten. Das heißt, die Bundesregierung der obersten Gerichte in Ostdeutschland kommt aus dem setzt den Beschluss von 1992 nach wie vor nicht um. Sie Osten, und auch kein einziger Unirektor. Was für eine (B) ignoriert auch das Grundgesetz, in dem die Rede von der (D) traurige Bilanz im 30. Jahr nach dem Mauerfall! Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse ist. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der ( [SPD]: Haben Sie schon mal LINKEN) was von der Minijob-Zentrale in Cottbus ge- hört?) An den Zahlen wird leider sehr deutlich: Ostdeut- sches Know-how spielt in den zentralen Schaltstellen Die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse spiegelt in Deutschland eine eher untergeordnete Rolle. Leider sich doch auch darin wider, dass Bundesbehörden ganz verschenken wir uns alle so wertvolle Erfahrungen, die konkret vor Ort Präsenz zeigen. Das würde das Vertrauen Ostdeutsche mit einbringen können. Das ist nicht nur der Bürger in unseren demokratischen Rechtsstaat stär- bedauerlich, sondern führt zu ganz konkreten Problemen ken und auch die Identifikation mit diesem Rechtsstaat unseres gesellschaftlichen Zusammenhalts; denn in Spit- ermöglichen. zenpositionen nicht vertreten zu sein und sich nicht ver- treten zu fühlen, führt bei einigen Ostdeutschen zu Ver- ( [Weil am Rhein] [CDU/ druss gegenüber der deutschen Einheit, zu Misstrauen bis CSU]: Welche sind das?) Wut gegenüber unserem demokratisch verfassten Staat. Ein Beispiel aus meinem Südthüringer Wahlkreis ist (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der die Stadt . Hier sind nach der Wende Tausende In- LINKEN) dustriearbeitsplätze weggebrochen. Heute hat die Stadt die älteste Einwohnerschaft Deutschlands. Die einzige Das untergräbt die Legitimität unseres Gemeinwesens, Bundesbehörde vor Ort ist die Stasiunterlagenbehörde, und das müssen wir ändern. die durch das geplante Bundesarchiv auch noch wegzu- Aber ist eine Quote die richtige Antwort? Daran habe brechen droht. Wie wäre es denn, wenn man zum Bei- ich meine Zweifel, insbesondere wenn ich in die Zukunft spiel in Suhl ganz konkret eine Hochschule des Bundes schaue. Da stelle ich mir schon die Fragen: Wer ist heu- ansiedeln würde? te noch Ossi? Wer ist Wessi? Wer wäre die Zielgruppe (Beifall bei der AfD) für solch eine Quote? Ich freue mich, derzeit eine Stu- dentin der Uni Erfurt als Praktikantin in und Ber- Warum sollen nicht auch Nachwuchskräfte für die Bun- lin zu betreuen. Geboren ist sie in Niedersachsen. Sie desbehörden im Osten ausgebildet werden? Das würde lebte jetzt einige Jahre als Studentin in Thüringen und für eine Verjüngung der Einwohnerschaft sorgen, für Ar- geht bald nach Mexiko. Dann kommt sie vielleicht zu- beitsplätze und für eine Belebung der Wirtschaft. Nicht rück nach Thüringen oder nach Berlin, wie viele in ihrer 10124 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019

Elisabeth Kaiser (A) Altersgruppe. Entscheidet dann der Stadtteil, in dem sie Zu den zentralen Punkten gehört für uns Sozialde- (C) lebt, ob sie West- oder Ostdeutsche ist oder eben doch mokraten natürlich auch die verstärkte Ansiedelung von ihr Geburtsort? Ost und West sind für sie Kategorien der Bundesbehörden und Forschungseinrichtungen in Ost- Vergangenheit. Eine Ostquote würde die Vergangenheit, deutschland, da, wo es Sinn macht. Aber auch bei der die Trennung in den Köpfen zwischen Ost und West, ze- Berufung in hohe öffentliche Ämter muss eine stärkere mentieren. Berücksichtigung Ostdeutscher zügig sichtbar werden. Die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse ist (Beifall bei Abgeordneten der SPD) eine Aufgabe für das Hier und Jetzt. Die zahlreichen Deshalb überzeugt mich die Ostquote eben nicht. Studien zeigen, dass der Osten in der wirtschaftlichen Entwicklung weiterhin besonderer Förderung bedarf; (Matthias Höhn [DIE LINKE]: Was ist denn denn nach der Wende verlor Ostdeutschland dauerhaft euer Vorschlag?) seine industrielle Entwicklungsbasis. Aber Digitalisie- rung und künstliche Intelligenz bieten ja auch Chancen. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich verstehe Warum nicht Ostdeutschland zur Modellregion für Di- durchaus die Debatte dahinter. Sie ist wichtig; denn sie gitalisierung machen? Warum nicht ein Drohnenzentrum beschäftigt sich mit den Entwicklungen nach der Wieder- am Flughafen Altenburg entwickeln? Das ist nur ein Bei- vereinigung. Ich selbst bin 1987 in Gera in Ostthüringen spiel. geboren. Ich wuchs als Wendekind quasi mitten in der Transformationsphase auf. Für mich war es leicht, mich (Beifall bei der SPD) den Gegebenheiten anzupassen, weil ich ja nichts ande- Lassen Sie mich noch eines sagen: Neben den nötigen res kannte. Allerdings ging es meinen Eltern und denen politischen und wirtschaftlichen Maßnahmen kann auch meiner Freunde und Schulkameradinnen anders, und das jeder und jede selbst etwas dazu beitragen, als Ostdeut- prägte auch meine Erziehung. Mit der Wende brachen so sche erfolgreich im geeinten Deutschland aufzutreten. manche Biografien und auch Karrieren. Wer zum Zeit- Dazu gehören Selbstbewusstsein in Bezug auf die eigene punkt des Mauerfalls als Ostdeutscher im Berufsleben Identität, Leistung und das Zutrauen zu den Aufgaben, war, wird durchaus gespürt haben, Ossi zu sein und viel- die vor uns liegen. Ich bin mir sicher: Wir können das. leicht einen Wessi vor die Nase gesetzt bekommen zu ha- ben. Nach Kompetenz wurde damals nicht gefragt. Diese Vielen Dank. Demütigungen wurden nicht vergessen. (Beifall bei der SPD) Die Erfahrung von 30 Jahren Wandel ist vielen West- deutschen fremd. Deshalb ist es endlich an der Zeit, die Vizepräsidentin Petra Pau: (B) Erfahrungen der Ostdeutschen nach der Wende gesamt- Für die FDP-Fraktion spricht nun Linda Teuteberg. (D) deutsch zu diskutieren und so auch endlich ein gemeinsa- mes Geschichtsbewusstsein zu entwickeln. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Linda Teuteberg (FDP): Dann würden Westdeutsche den Unmut ihrer ostdeut- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kollegin- schen Mitbürgerinnen und Mitbürger über fehlende nen und Kollegen! Das Grundgesetz zu achten, dafür Repräsentanz in Führungsetagen sicher besser nachvoll- sind wir Freien Demokraten immer zu haben. Und so ziehen und verstehen können. Mit besserem Verständnis suggeriert der Verweis auf unsere Verfassung im Titel füreinander wird es vielleicht endlich gelingen, die men- dieses Antrages, dass man gar nicht gegen diesen Antrag tale Trennung zwischen Ost und West zu überwinden; sein könne. Doch Vorsicht: Artikel 36 Absatz 1 Satz 1 un- denn sonst holt uns die Quotenfrage wieder ein. seres Grundgesetzes trägt das Anliegen dieses Antrages nicht. Vielleicht hat der Kollege Gysi auch deshalb so (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Man löst die wenig über diese Verfassungsnorm gesprochen. Lassen Probleme nicht in Gesprächen!) Sie mich das kurz anhand eines Stichworts erläutern. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die heutige Debatte Artikel 36 Absatz 1 Satz 1 fordert eine Verwendung in zeigt, dass es nicht zu spät ist für entschlossenes Han- „angemessenem Verhältnis“. Er verlangt gerade keine deln. Der anstehende Generationenwechsel in ostdeut- Quotierung, keine starre zahlenmäßige Bindung. Es ge- schen Führungsetagen muss unbedingt genutzt werden, nügt eine hinreichende Annäherung an das Verhältnis der um Ostdeutsche besser zu repräsentieren. Es ist eine be- Einwohner, und das gilt für alle Bundesländer unserer rechtigte Forderung der Menschen zwischen Warnemün- Republik. de und Hildburghausen, auch von Menschen vertreten zu (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordne- werden, die eine ähnliche Lebenserfahrung haben. Die ten der CDU/CSU – Matthias Höhn [DIE SPD-Bundestagsfraktion fordert deshalb, im „Jahres- LINKE]: Wo ist die denn?) bericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit“ detaillierter über die Fortschritte institutioneller Dass ich es bei diesem Teilaspekt belasse – man könn- Repräsentanz von Ostdeutschen zu berichten und Ver- te noch viel sagen –, hat einen einfachen Grund: Weder änderungen aufzuzeigen. Damit hier ein positiver Trend die Nennung eines Artikels unserer Verfassung, wie es sichtbar wird, bedarf es handfester Maßnahmen, um die Die Linke tut, noch die Beschreibung seiner Details und Beteiligung von Ostdeutschen in Spitzpositionen zu er- Grenzen ersetzen eine politische Debatte über eine poli- höhen. tische Frage. Über ein Thema, das Menschen umtreibt im Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 10125

Linda Teuteberg (A) 30. Jahr nach Beendigung der deutschen Teilung. Dabei Linda Teuteberg (FDP): (C) geht es um die Repräsentanz Ostdeutscher in Führungs- Die reale ostdeutsche Unterrepräsentanz in Führungs- funktionen dieser Republik. Das ist eine legitime, eine funktionen – übrigens auch im Osten unserer Republik – wichtige Fragestellung, und sie zu diskutieren, ist Teil ist eine Tatsache, die nicht dauerhaft aus historischen der Lösung und nicht des Problems. Besonderheiten erklärt werden kann. Die Art und Weise, wie diese Frage diskutiert wird und welche Vorschläge gemacht werden, kann allerdings Vizepräsidentin Petra Pau: Teil des Problems sein. An dieser Stelle darf ein Hinweis Kollegin Teuteberg, gestatten Sie eine Frage oder Be- nicht fehlen: Besonders unverfroren finde ich, dass aus- merkung des Kollegen Stefan Liebich? gerechnet Die Linke einen Zustand beklagt, ja politisch bewirtschaftet, den sie mit der Bildungs- und Personal- Linda Teuteberg (FDP): politik ihres Rechtsvorgängers SED selbst geschaffen Ja. hat. Das ist zynisch. (Zuruf von der SPD: Wir wollen nach (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der Hause!) AfD)

Sie hat damit übrigens auch die Notwendigkeit eines Eli- Stefan Liebich (DIE LINKE): tenwechsels geschaffen. Ich habe mir sagen lassen: Auch Ja, Sie wollen nach Hause, das kann ich mir denken; der Zugang zum Beruf des Rechtsanwalts war damals aber das ist eine Debatte, wo Sie einfach mal hierbleiben nicht ganz leicht, und nicht jeder, der ihn hatte, ist heute und zuhören müssen. Das ist doch absurd. der beste Anwalt aller Ostdeutschen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/ neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – CSU und der AfD) [CDU/CSU]: Zur Sache!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will jetzt gar Frau Teuteberg, vielen Dank, dass Sie die Frage zulas- nicht näher in eine Diskussion darüber einsteigen, wie sen. – Sie sind jetzt die Dritte in einer Reihe, die uns er- hilfreich der Begriff „Ostdeutscher“ überhaupt ist. Er ist klärt, dass die Analyse, die wir hier vorlegen, eigentlich so erst nach der Wiedervereinigung entstanden. Zuvor stimmt, dass Sie aber mit unserem Vorschlag nicht ein- haben sich nämlich die allermeisten Ostdeutschen als verstanden sind. Die einfache Frage lautet: Was wollen Deutsche im geteilten Deutschland verstanden und am Sie tun, um das Problem zu lösen? Zusammengehören festgehalten. (B) (Beifall bei der LINKEN) (D) (Anke Domscheit-Berg [DIE LINKE]: DDR-Bürger!) Linda Teuteberg (FDP): Aber die Frage, wie sinnvoll bestimmt werden soll, wer Dazu komme ich im weiteren Verlauf meiner Rede. Ostdeutscher im Sinne einer solchen Quote ist, muss er- Ich teile auch nicht alles an Ihrer Analyse, aber das wer- laubt sein, und sie ist nicht trivial. Wie soll damit umge- den Sie noch merken. Sie vernachlässigen die strukturel- gangen werden? Sind Westdeutsche dann, wenn sie den len langfristigen Ursachen, die Sie mit Ihrem Rechtsvor- größeren Teil ihrer Berufstätigkeit im Osten verbracht gänger gesetzt haben. haben, lebenslang Westdeutsche? Oder haben die mehr als 4 Millionen Ostdeutschen, die seit 1949 die DDR (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU so- verlassen haben, ihren Status als Ostdeutsche verloren? wie bei Abgeordneten der AfD) Wenn sie in den Osten zurückkehrten, dann waren sie Um dafür zu sorgen, dass die Unterrepräsentanz Ost- plötzlich Westdeutsche. Eine bestechende Logik. Vor al- deutscher kein Dauerzustand bleibt, hilft uns weder die lem aber für unsere aktuellen Debatten: Wie will eigent- Opfererzählung von einer strukturellen Benachteiligung lich jemand glaubwürdig für Vielfalt und Weltoffenheit noch eine zweifelhafte Quote. Gerade in laufbahnbezoge- eintreten, der schon unter den eigenen Landsleuten tat- nen Bereichen wie Verwaltung, Wissenschaft und Militär sächliche und vermeintliche Unterschiede betont? war die Unterrepräsentanz zunächst logisch. Übrigens (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten wurden während des Wiederaufbaus in Ostdeutschland der CDU/CSU und der AfD) diejenigen, die in der Verwaltung gut einsetzbar waren, in erster Linie in den Kommunal- und Landesbehörden Entscheidend soll nun die Sozialisation sein. Eine eingesetzt und sind auch deshalb unterdurchschnittlich ganz diffuse, rechtlich schwer fassbare Kategorie. Wie an Bundesbehörden abgeordnet worden. Das kann uns viel Schulbesuch oder Berufstätigkeit in einem anderen natürlich nicht dauerhaft zufriedenstellen. Das darf sich Teil des Landes soll denn dafür ausreichen? Vielfalt und nicht verstetigen. Durchlässigkeit, Aufstiegsmöglichkeiten nach Befähi- gung und Eignung sind wichtige Werte in unserer Demo- (Matthias Höhn [DIE LINKE]: Tut es aber!) kratie und sozialen Marktwirtschaft, für jeden Einzelnen Die Alternative zu einer gesetzlichen Quote lautet hier wie für unsere Gesellschaft. wie bei anderen Quotendiskussionen ja nicht, nichts zu tun. Statt Stimmungsmache und Aktionismus brauchen Vizepräsidentin Petra Pau: wir eine saubere Analyse des Problems; ich wünsche mir Frau Kollegin. hier auch genauere Zahlen von der Bundesregierung. Ich 10126 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019

Linda Teuteberg (A) erwarte aber auch von den Bundesländern, dass sie ihrer Vizepräsidentin Petra Pau: (C) Aufgabe nachkommen, geeignete Beamte an die obers- Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun ten Bundesbehörden abzuordnen. Wie sieht es bei den die Kollegin Claudia Müller. ostdeutschen Landesregierungen und -behörden eigent- lich mit Personalentwicklungs- und Rotationskonzepten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) aus? Nicht zufällig hat noch kein Bundesland von der Klagemöglichkeit vor dem Bundesverfassungsgericht Claudia Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gebrauch gemacht. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Dass zu wenige Menschen Ich finde, wir haben allen Anlass zu Selbstbewusst- aus den neuen Bundesländern in Führungspositionen in sein. Unter den Ostdeutschen sind einige der Besten; aber Verwaltung, Wirtschaft und Forschung sind, ist in den nicht jede Generation hatte die Chance, das zu zeigen vergangenen Wochen mehrfach thematisiert und in Stu- und Laufbahnvoraussetzungen zu erwerben. Doch mit dien belegt worden. Deswegen ist es gut, dass wir hier solchen Fragen setzen Sie sich natürlich nicht auseinan- heute darüber sprechen; denn es ist tatsächlich bitter nö- der, weil es Ihnen nicht um die Sache geht, sondern um tig. Stimmungsmache vor den ostdeutschen Landtagswah- len. Sie wollen die Ostdeutschen als Opfer darstellen und Nicht nur in der Zeit unmittelbar nach der Wieder- sich selbst als Retter des Ostens in schimmernder roter vereinigung, sondern auch in den Folgejahren sind die Rüstung. Das ist ebenso schäbig wie durchschaubar. meisten Führungspositionen mit Expertinnen sowie Fachleuten aus den alten Bundesländern besetzt worden, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) und zwar nicht nur in den Bundesbehörden, sondern eben Das gilt in anderer Form auch für Ihre Nachahmer in auch – das ist mehrfach angesprochen worden – in den der blauen Rüstung, für die Kollegen von der AfD. Ihr neuen Bundesländern selbst. Antrag, meine Damen und Herren, ist nicht viele Wor- Das hatte damals zum Teil gute Gründe. Bei der Über- te wert. Natürlich kann man darüber nachdenken, noch nahme des ordnungspolitischen Systems der alten Bun- mehr Einrichtungen und Dienststellen im Osten unseres desrepublik im Rahmen der Wiedervereinigung – das Landes anzusiedeln. Etwa im Zuge des Kohleausstieges passierte ja praktisch von heute auf morgen – brauchte in der Lausitz. Oder um regionale Kompetenzen zu stär- man die damit vertrauten Expertinnen, damit das Rechts- ken, etwa durch zusätzliche Forschungseinrichtungen und Verwaltungssystem auch wirklich über Nacht zur des DLR. Oder um Behörden besser zu organisieren. Anwendung kommen konnte. Das heißt, man brauchte die damit vertrauten Beamtinnen, Juristinnen sowie An- (Ulrich Freese [SPD]: Das haben wir schon (B) gestellten. Aber, meine Damen und Herren, das ist jetzt (D) gemacht!) 30 Jahre her. Denken Sie an den Bundesgerichtshof, dessen Senate Auch heute ist die Situation für gebürtige Ostdeut- trotz Nachrutschgebot immer noch nicht am Standort sche vergleichbar. Dazu zähle ich auch die sogenannte Leipzig zusammengeführt wurden. Über solche Fragen dritte Generation Ostdeutscher, wozu zum Beispiel Herr können und müssen wir reden. Aber man muss daraus Hirte und ich zählen, die ab Mitte der 70er- bis Mitte der kein Problem innerdeutscher Gerechtigkeit machen; viel- 80er-Jahre geboren wurden, aber eben auch die nach der mehr sollte man Sachfragen diskutieren. Wiedervereinigung Geborenen. (Widerspruch bei der LINKEN) Diese Definition entspricht übrigens nicht der Auffas- sung mancher Teile der Linkspartei. Ich kann Ihnen das Das so offen anzusprechen, statt dem Affen noch Zu- leider nicht ersparen: Ihre Kolleginnen haben sich einen cker zu geben, würde ich mir auch von anderen in diesem echten Fauxpas erlaubt, indem sie hier eine Stichtagsre- Haus wünschen. Zeigen wir ganz deutlich, welche An- gelung definieren. Herr Hirte ist kurz darauf eingegan- strengungen unsere Gesellschaft bereits unternommen gen, dass Sie sich hier auf eine Studie der Uni Leipzig hat, um das Leben im Osten unserer Republik besser zu beziehen würden. Die Uni Leipzig hat diese Definition so machen. Wirkliche Antworten auf Probleme anzubieten, tatsächlich nicht aufgestellt und sagt das auch. die nicht kleinzureden sind, ist die eigentliche Heraus- forderung. Das wird uns umso besser gelingen, je mehr (Matthias Höhn [DIE LINKE]: Das ist auch wir unsere Identität positiv und nicht in Abgrenzung zu nicht unsere Definition!) anderen definieren. – Das ist nicht Ihre Definition, aber leider die Definiti- ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- on Ihrer Kollegin Oldenburg aus Mecklenburg-Vorpom- NEN]: Wo sind jetzt Ihre eigenen Vorschläge? mern, die selbst auf Nachfrage diese noch einmal bejahte Sie wollten doch Vorschläge formulieren!) und sagte: Ja, ostdeutsch ist für sie nur, wer tatsächlich das gesamte Schulsystem der DDR durchlaufen hat. – Es Dazu braucht es keine neuen Verschwörungstheorien, tut mir leid, dass ich Ihnen das nicht ersparen kann. Da ist sondern ein großes gesamtdeutsches Gespräch auf Au- Ihnen an dieser Stelle eindeutig ein Fehler unterlaufen. genhöhe. Ich finde diese Definition übrigens aus mehreren Danke schön. Gründen sehr falsch. Einer davon ist, dass sie im Prinzip einen Grund dafür liefert, warum wir über diese Frage (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) überhaupt nicht mehr reden müssten: Wenn ich diese De- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 10127

Claudia Müller (A) finition anlege, dann heißt das, dass sich die Frage der einer wahren Akzeptanz und zu Vertrauen in Politik und (C) Unterrepräsentanz von Menschen aus den neuen Bun- Verwaltung in allen Teilen Deutschlands führen. desländern irgendwann demografisch von selbst erledigt, weil es dann offiziell keine Ostdeutschen mehr gibt. Das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) kann doch nicht in Ihrem Interesse sein. Auch über die Ansiedlung von Institutionen ist hier schon mehrfach etwas gesagt worden. Ich finde, hier (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN kann man wirklich gut nach Bayern gucken. Bayern hat sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) es sehr vorbildlich gemacht und hat Institutionen auch 17 Prozent der deutschen Bevölkerung lebt in den in der Fläche angesiedelt, nämlich außerhalb von Groß- neuen Bundesländern. Nur 1,6 Prozent der Spitzenpositi- städten. Was wir momentan bei der Ansiedlung von Insti- onen in der Wirtschaft sind mit Ostdeutschen besetzt. In tutionen und Verwaltungen nach Ostdeutschland sehen, Verwaltung und Justiz sind es ungefähr 5 Prozent, in den ist – es ist mehrfach genannt worden –, dass nur Leipzig neuen Ländern nur knapp 33 Prozent. Zwei Drittel der in diesem Zusammenhang genannt wird. Aber der Osten Führungspositionen sind mit Menschen mit, ja, man kann ist doch noch viel mehr als Leipzig. Wir sollten stärker sagen, westdeutschem Migrationshintergrund besetzt. darauf achten, auch in die strukturschwächeren Regio- Und das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist 30 Jah- nen, in andere Bundesländer zu gehen. Das ist eben nicht re nach dem Mauerfall eine wirklich verheerende Bot- mit einer einfachen, starren Quote zu machen. schaft. Deswegen ist es so wichtig, hier darüber zu reden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich will, weil mir nicht mehr viel Redezeit bleibt, noch zwei Worte zu dem vorliegenden Antrag der AfD sagen. Ob aber das in Ihrem Antrag geforderte Instrument Sie fordern – ich zitiere –, „bestehende Bundesbehörden einer Ostquote wirklich das geeignete Mittel ist, daran in die neuen Länder … zu verlagern“. Also, im Prinzip habe ich meinen Zweifel, zumal Ihr Antrag etwas in der fordern Sie eine Umsiedlung aller Institutionen. Ganz Überschrift suggeriert, was dann nicht kommt; denn Sie ehrlich: Das ist in jeder Hinsicht kompletter Unsinn; sprechen danach über die Bundesbehörden. Sie beziehen denn damit sorgen Sie sich auf den entsprechenden Artikel im Grundgesetz, der hier auch schon mehrfach zitiert wurde. (Dr. Anton Friesen [AfD]: Föderalismuskom- mission!) Es ist tatsächlich schwierig, „ostdeutsch“ abzugren- – Sie fordern das für bestehende Bundesbehörden – für zen. Ich muss ganz klar sagen: Ich gestehe jedem Men- zusätzliche Zwietracht zwischen den Regionen. Sie tra- (B) schen dort das Selbstdefinitionsrecht zu. Wenn sich ein (D) gen damit beim besten Willen nicht zur Einheit Deutsch- Mensch als ostdeutsch definiert, dann werde ich ihm lands bei. Das ist ein einseitiger, unausgegorener Schnell- nicht widersprechen. Auch dann, wenn jemand, wie Frau schuss ohne Sinn und Verstand, Dr. Merkel, in den alten Bundesländern geboren ist, aber die überwiegende Zeit seines Lebens im Osten verbracht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat oder wenn eine Person erst nach der Wende dorthin sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und gezogen ist oder wenn beide Elternteile aus den alten der SPD) Bundesländern kommen, das Kind aber im Osten gebo- ren ist, ist dieser Mensch für mich ostdeutsch, wenn er und das bei einem Thema, das Fingerspitzengefühl und sich selbst so definiert. Das müssen wir auch anerken- ehrliches Interesse an den Menschen vor Ort einfordert. nen. Sie sprechen Menschen ansonsten einen Teil ihrer Vielen Dank. Identität ab. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Frage also, wen man als ostdeutsch definiert, ist sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) formal extrem ausufernd und schwierig zu beantworten. Eine solche Definition ist deswegen an dieser Stelle nicht Vizepräsidentin Petra Pau: griffig. Die Frage nach der regionalen Ausgewogenheit Das Wort hat der Kollege Marian Wendt für die CDU/ ist tatsächlich handhabbarer und auch im Grundgesetz CSU-Fraktion. genannt. (Beifall bei der CDU/CSU) (Matthias Höhn [DIE LINKE]: Das ist ja auch unsere Forderung!) Marian Wendt (CDU/CSU): Dieser Grundsatz kommt – auch das ist angesprochen Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und worden – bereits aus der Weimarer Verfassung. Er ist da- Kollegen! Es ist schon erstaunlich, dass ausgerechnet die mals übrigens eingeführt worden, um die Dominanz ei- ehemalige PDS bzw. SED, Die Linke, einen Antrag zur ner Region zu verhindern. Dabei ging es um Preußen. Es Belebung ostdeutscher Regionen einbringt, geht aber heute darum, dass bei allen Entscheidungen das (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Aber bitte! Wissen um die Verschiedenheit der Regionen und die Er- Wirklich!) fahrungen aus den Regionen einfließen können und dass die Bedarfe aller Regionen wirklich bei allen Entschei- also die Partei, die 40 Jahre lang dafür sorgte, dass freie dungen in den Blick genommen werden. Nur das kann zu Unternehmer in der DDR enteignet wurden, und die mit 10128 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019

Marian Wendt (A) ihrer sozialistischen Planwirtschaft für das Herunterwirt- Noch ein Hinweis zu Ihrem Antrag. Sie verweisen da- (C) schaften der Betriebe und der Regionen verantwortlich rin auf Artikel 36 Absatz 1 Grundgesetz. Sie überlesen, ist. wie so oft, den zweiten Satz in diesem Artikel, der wie folgt lautet: (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der AfD und der FDP) Die bei den übrigen Bundesbehörden beschäftigten Personen sollen in der Regel aus dem Lande genom- Noch heute kämpfen wir mit den Auswirkungen dieser men werden, in dem sie tätig sind. Politik. Ohne 40 Jahre Sozialismus bräuchten wir diese Debatte gar nicht zu führen. Vielleicht sollten Sie das Das vergessen Sie, aber das entspricht bereits der Rea- einmal bedenken. lität. Die meisten Bewerbungen für eine Stelle kommen aus der jeweiligen Region. Deswegen ist es wichtiger, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Behörden nach Ostdeutschland zu verlegen. Wir haben ordneten der AfD) damit bereits begonnen. Die Agentur für Cybersicher- Die positiven Entwicklungen nach 1990 negieren Sie heit wird sich in der Region Leipzig/Halle ansiedeln. natürlich vollkommen. Aber gerade in Sachsen verdan- Das Fernstraßen-Bundesamt kommt nach Leipzig. Dem- ken wir die Entwicklung unseres Freistaates einer klugen zufolge kommen wir entsprechend der Logik des Arti- und fördernden Wirtschaftspolitik der CDU seit 1990. kels 36 Absatz 1 Satz 2 Grundgesetz zu mehr Bewerbun- Der Vergleich zeigt es. gen aus Ostdeutschland und somit zu mehr ostdeutschen Führungspersonen in Bundesbehörden. (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Na super! Guckt mal da nach rechts!) (Zuruf von der LINKEN) In Ihrem heutigen Antrag fordern Sie nun eine Ost- Einer Quote bedarf es dafür nicht. quote in Bundesbehörden. Widerspricht eine Quote nicht Ich möchte noch kurz auf den Antrag der AfD ein- dem eigenen Ehrgeiz und der Suche nach dem Besten? gehen. Wir brauchen mehr Behörden des Bundes in Ostdeutschland. Das erreichen wir aber nur durch eine (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- kluge und sachgerechte Politik, die die Beamtinnen und NEN]: Nein!) Beamten, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Ver- Soll man sich nachsagen lassen, dass man eine bestimmte waltung mitnimmt. Wir müssen uns überlegen, wie wir Position lediglich aufgrund der Herkunft bekommen hat? Bestandsbehörden im Rahmen von gleichwertigen Le- bensverhältnissen nicht nur in Ostdeutschland, sondern (Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Das war doch auch in Westdeutschland noch weiter in den ländlichen (B) die Frauenquote! – Steffi Lemke [BÜND- Räumen ansiedeln. (D) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das bedeutet Quote nicht, Herr Wendt!) (Beifall der Abg. [CDU/ CSU]) Überhaupt: Woran machen Sie das Merkmal „ost- deutsch“ überhaupt fest? Am Geburtsort? Unsere heutige Das kann man aber nicht mit einem Schnellschuss ma- Bundeskanzlerin Dr. ist gebürtige Ham- chen, schon gar nicht mit einem Satz oder einer halben burgerin, demnach vielleicht eine Westdeutsche. Ich fin- Seite. Das verunsichert nämlich die Beschäftigten in de sie unabhängig vom Geburtsort sehr geeignet, dieses unserem Land, die dafür sorgen, dass wir einen starken Land und viele Behörden zu führen. Staat bilden und unser Land funktioniert. Sie verdienen eine offene und ehrliche Debatte über die Zukunft der (Beifall bei der CDU/CSU) Standorte, aber nicht Hetze oder Populismus. Hingegen ist der Fraktionsvorsitzende der AfD in Chem- Vielen Dank nitz geboren, ein gebürtiger Ostdeutscher. Ihrem Verlan- gen nach einer Ostquote folgend, wäre er fähig, Behör- (Beifall bei der CDU/CSU) den zu führen. Ich sehe das ganz anders und bin froh, dass er keine Verantwortung für dieses Land trägt. Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall bei der CDU/CSU) Das Wort hat der Abgeordnete Enrico Komning für die AfD-Fraktion. Vor allen Dingen: Hat ein Ostdeutscher viel weniger oder viel mehr im Leben erreicht als ein Westdeutscher? (Beifall bei der AfD) Eine Quote geht doch an der Praxis des Arbeitsmark- Enrico Komning (AfD): tes vorbei. Auch in meinem Wahlkreis reden wir darüber, dass Fachkräftemangel zu beheben ist. Wir debattieren Frau Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! auch hier im Bundestag verstärkt dazu. Wir wollen den Wir reden hier über einen Missstand, der im Jahr 29 nach ohnehin bestehenden Kampf um die besten Köpfe nicht der Wiedervereinigung immer noch überproportional den Behörden aufdiktieren, indem wir Quoten festlegen, viele Westdeutsche in beamteten Spitzenpositionen sieht. sondern wir wollen die besten Kandidatinnen und Kandi- Zu Recht weist der Antrag der Linken auf Artikel 36 des daten für die Verwaltung haben. Grundgesetzes und den Grundsatz der proportionalen fö- deralen Parität hin. Was Sie von den Linken aber nicht (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) verstanden, ist, dass es bei diesem Grundsatz gerade Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 10129

Enrico Komning (A) nicht um festgeschriebene Zahlen geht – Frau Teuteberg Wenn der Staat Legitimation beanspruchen will, dann (C) hat schon darauf hingewiesen –, muss er auch in der Fläche sichtbar sein und, Herr Hirte, nicht nur in großen Städten wie Halle und Leipzig. Mei- (Matthias Höhn [DIE LINKE]: Die stehen ne Kollegin Müller hat es eben gesagt: Strukturpolitik auch im Antrag!) heißt doch, dass Bundesbehörden auch in Mittelstädten sondern um den der deutschen Seele innewohnenden angesiedelt werden können. – In mittelgroße Städte mit Föderalismus und der Gleichwertigkeit der deutschen 50 000 bis 60 000 Einwohnern, da gehören Bundesbe- Landsmannschaften; hörden hin; denn dort können Ankerzentren entstehen, (Beifall bei der AfD) (Zuruf von der CDU/CSU: Ankerzentren sind super!) denn diese prägen seit Jahrhunderten unser Land und un- sere Kultur. die nachhaltig zur Wiederbelebung oder mindestens zur Stabilisierung der ländlichen Räume beitragen können. Es geht um Gerechtigkeit und nicht um Quoten. Quo- Die dem Heimatministerium unterstehende neue Zentra- ten schaffen keine Gerechtigkeit. Quoten binden Ent- le Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich scheidungen jenseits von wichtigen Kriterien wie Eig- wurde kürzlich in München angesiedelt. Ich denke, ge- nung und Befähigung. Wohin das führt, kann man sehr nau das ist das falsche Zeichen. gut an den Fraktionen auf der linken Seite dieses Hauses sehen. Unser Antrag ist ein Beitrag zu mehr föderaler Parität, zu mehr Gerechtigkeit. Der Antrag der Linken ist dies (Beifall bei der AfD – Stefan Liebich [DIE mit Sicherheit nicht. LINKE]: Gucken Sie mal in Ihre Fraktion! Wie viele Frauen sind denn da?) Vielen Dank. Quoten sind undemokratisch. Quoten führen zu Abgren- (Beifall bei der AfD) zung, zu Streit, zu Neid und schließlich zu Hass. Quoten sind das Mittel, mit dem, wie heute, ein unsäglicher Klas-

senkampf in Form eines Geschlechterkampfes geführt Vizepräsident : wird. Quoten sind kein Heilmittel, sondern eine selbst- Vielen Dank, Herr Kollege Komning. – Als nächster verschuldete Krankheit, an der unser Land akut leidet. Redner hat der Kollege Frank Junge, SPD-Fraktion, das Wort. Nein, meine Damen und Herren, was wir von der AfD mit unserem Antrag erreichen wollen, ist die Stärkung (Beifall bei der SPD) (B) des föderalen Grundgedankens, ist eine gleichwertige (D) Verteilung der Teilhabe in der Gestaltung und Verwal- Frank Junge (SPD): tung Deutschlands. Genau das meint nämlich Artikel 36 Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Grundgesetz. Föderale Parität erreichen wir aber nicht Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich begrüße durch Quotenossis. Wir erreichen sie durch eine sinnvol- diesen Tagesordnungspunkt ausdrücklich, weil er wieder le Ansiedlung und Verlagerung von Bundesbehörden in einmal Themen, die den Osten betreffen, aufs Tableau die nicht mehr ganz so neuen Bundesländer. bringt und wir die Gelegenheit haben, über die Dinge zu (Beifall bei der AfD) reden, die den Osten wirklich voranbringen. Herr Wendt, da ist es mir völlig egal, wer den Antrag stellt; denn am Herr Hirte, Sie haben auf die Föderalismuskommissi- Ende geht es darum, für den Osten zu streiten. on von 1992 hingewiesen. Ich finde es sehr beschämend, dass – mein Kollege hat es vorhin ausgeführt – immer (Beifall bei der LINKEN) noch 90 Prozent der Bundesbehörden im Westen ange- siedelt sind. Seit 1992 – ich habe mal nachgesehen – wa- Dennoch halte ich eine Ostquote in den Bundesbehör- ren Sie in sechs Legislaturen beteiligt. Nun protzen Sie den, wie sie die Linken fordert, für nicht realisierbar und und sagen: Jetzt machen wir es. Im letzten Jahr haben auch für nicht gut. Ich finde Ihren Antrag oberflächlich wir mehr geschafft als die anderen Legislaturen vorher. – und viel zu unkonkret; denn obwohl Sie, Herr Dr. Gysi, Wer soll Ihnen denn das noch abnehmen? Ich werde Ih- sich auf den Wissenschaftlichen Dienst bezogen haben, nen das beim nächsten Wahlkampf aufs Brot schmieren. ist bei weitem völlig unklar, wie eine solcher Ossi defi- Wenn es wieder um die Förderung der ländlichen Räume niert werden soll, der zu dieser Quote passt. geht, werden wir Sie daran messen, wie viele Bundesbe- (Abg. Matthias Höhn [DIE LINKE] meldet hörden tatsächlich in den neuen Bundesländern angesie- sich zu einer Zwischenfrage) delt worden sind. Ist es ein Ossi, der im Osten geboren ist? Ist es ein Ossi, (Beifall bei der AfD) der im Osten lebt? Muss der Ossi eine bestimmte Stich- Meine Damen und Herren, Staatsverwaltung vor Ort tagsregelung erfüllen, wie lange er im Osten gelebt hat? schafft Identifikation mit dem eigenen Staatswesen. Das (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Da sind wir ist gerade im Osten unseres Landes wichtig; denn – ich ganz offen!) glaube, darin sind wir uns alle einig; Herr Gysi hat vorhin darauf hingewiesen – es sind noch einige Schritte zu neh- Wie bewerten Sie Berlin? Ist Berlin wieder nach Ost und men, um die innere Einheit unseres Landes zu vollenden. West eingeteilt? Ist Berlin also eine geteilte Stadt? – Vor 10130 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019

Frank Junge (A) dem Hintergrund ist es völlig unklar, wie Sie rechtlich dern, die bestehenden Bundesbehörden förmlich abzuwi- (C) sicher eine solche Regelung umsetzen wollen. ckeln und in den Osten zu schieben. (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Wie ist das (Enrico Komning [AfD]: Das ist Quatsch! denn mit der Rente?) Das stimmt nicht!) Das ist aber nicht mein Hauptargument. Mein Haupt- – Das steht wörtlich so in Ihrem Antrag. – Sie vernach- argument, weswegen ich gegen diese Quote bin, ist, dass lässigen dabei völlig, dass durch Bundesbehörden auch niemand, der wirklich ein Interesse daran hat, dass Ost in strukturschwachen Regionen im Westen Arbeitsplätze und West weiter zusammenwachsen, will, dass sich dort gesichert werden, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeit- Unterschiede manifestieren. Eine Quote manifestiert al- nehmer dort für sich und ihre Familien den Lebensun- lerdings Unterschiede und schafft bei den Bürgern im terhalt verdienen. So erreichen Sie eines: Sie spielen den Osten und im Westen keine Offenheit dafür, sich dieser Ossi gegen den Wessi aus. Das zeigt, dass Sie für po- Herausforderung, nämlich die Angleichung der Lebens- litische Lösungsinkompetenz stehen und erneut nur das verhältnisse in Ost und West voranzubringen, zu stellen. tun, was Sie am besten können: die Spaltung in unserer Gesellschaft vorantreiben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus Vielen Dank, Herr Kollege Junge. – Ein Hinweis an der Fraktion Die Linke? Sie, Herr Kollege Junge, und alle anderen Kolleginnen und Kollegen: Wenn Sie eine Zwischenfrage zulassen, Frank Junge (SPD): dann wird die Zeit für die Frage und Ihre Antwort nicht angerechnet. Ich bringe meine Rede zu Ende. Vielen Dank. (Frank Junge [SPD]: Hätte ich das gewusst!) (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) – Jetzt wissen Sie es. Beim nächsten Mal können Sie die – Ich habe nur vier Minuten. Zwischenfrage zulassen. Dann haben Sie mehr Redezeit. Liebe Kolleginnen und Kollegen, stattdessen sollten Als Nächster redet zu uns der Kollege Philipp Amthor, wir uns noch einmal vor Augen führen, was die neuen CDU/CSU-Fraktion. Bundesländer wirklich voranbringt. Wir bringen die neu- (B) en Bundesländer voran – ich meine jetzt insbesondere (Beifall bei der CDU/CSU) (D) die Anpassung der Lebensverhältnisse –, wenn wir mit unverminderter Kraftanstrengung dafür sorgen, dass wir Philipp Amthor (CDU/CSU): die strukturschwachen Bereiche entwickeln und keine Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, neuen Unterschiede zulassen. Wir müssen uns darauf man merkt es: Im Herbst sind Wahlen in Ostdeutschland. konzentrieren, bei der wirtschaftlichen Infrastrukturför- Jetzt bemüht man sich wieder von ganz links bis ganz derung nicht nachzulassen. Hier sind die GRW-Mittel zu rechts im Parlament, als bester Anwalt für den Osten auf- nennen. Seitdem diese im Osten wirken, investieren wir zutreten. Sie auf der linken Seite versuchen es mit einer 80 Prozent der jetzt jährlich 600 Millionen Euro in die Ostquote für Bundesbehörden. Sie auf der rechten Seite neuen Bundesländer. Außerdem muss auf das Auslaufen sagen: Wir müssen mehr Behörden in den Osten verla- des Solidarpakts II ein gesamtdeutsches Fördersystem gern. – Ich kann Ihnen sagen – die Debatte hat es schon folgen. Dabei müssen die ostspezifischen Bedarfe ab- gezeigt, aber am Ende der Debatte wird das noch klarer gebildet und auch umgesetzt werden. Des Weiteren re- sein –: Sie bringen für Ostdeutschland gar nichts voran. den wir darüber, dass wir bei der Breitbandversorgung endlich 100 Prozent Flächendeckung absichern und da- (Beifall bei der CDU/CSU) für sorgen müssen, dass wir bei der 5G-Mobilfunkab- Bei den Linken fängt es ja schon wirklich perfide an. deckung den Osten nicht vergessen. – Das sind Dinge, Die Kollegin Teuteberg hat richtigerweise darauf hin- die am Ende dazu führen, dass sich Investoren auch im gewiesen: Schon der Titel Ihres Antrags ist eine echte Osten ansiedeln, weil sie dort die gleichen Produktions- Frechheit. „Ost-Quote in Bundesbehörden durchsetzen – und Arbeitsbedingungen vorfinden wie im Westen. Diese Grundgesetz achten“, Maßnahmen schaffen Arbeitsplätze vor Ort, die gut be- zahlt werden und die kommunale Steuerkraft erhöhen. (Beifall des Abg. Stefan Liebich [DIE Dadurch wird wiederum die Handlungsfähigkeit der LINKE]) Kommunen im Osten verbessert, was letztlich die Le- das insinuiert ja, als ergäbe sich aus dem Grundgesetz bensqualität vor Ort steigert. eine Ostquote. Ich weiß ja nicht, welches Grundgesetz (Beifall bei der SPD) Sie in der Linksfraktion haben; in unserem steht das nicht. Aus Artikel 36 ergibt sich freilich keine Quote und Vor dem Hintergrund lassen Sie mich zum Schluss nur vor allen Dingen auch keine Quote für Ostdeutschland. noch wenige Worte zu Ihrem Antrag verlieren, liebe AfD. Sie müssen sich schon die Frage gefallen lassen: Was Sie unterschlagen in Ihrem Antrag etwas; einer meiner soll Ostdeutschland eigentlich sein, und wer ist Ostdeut- Vorredner hat das schon zur Sprache gebracht. Sie for- scher? Ich finde, die Linken setzen dem Unsinn damit Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 10131

Philipp Amthor (A) wirklich die Krone auf. Die Linke in Mecklenburg-Vor- immer so zurecht, wie Sie das für Ihren Populismus brau- (C) pommern vertritt ja auch die tolle Definition der Uni chen. Das ist eine falsche Grundlage. Leipzig; wir haben das heute schon gehört. Demnach gibt es zwei Voraussetzungen: Ostdeutscher kann man nicht (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- mehr sein, wenn man nach dem 1. Januar 1976 geboren ordneten der FDP) wurde. Ostdeutscher kann man auch nicht sein, wenn Ich will Ihnen noch etwas sagen: Wenn Sie zu Arti- man nicht durchgehend im Osten gelebt hat. – Wenn Sie kel 36 etwas lesen wollen – es ist ja ein Fortschritt, dass das anhand dieser Kriterien messen, kann ich Ihnen nur Sie die Rundschreiben des Innenministeriums lesen –, sagen: Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer westdeutschen dann nehmen Sie sich doch einen Kommentar zum Parteivorsitzenden , die in Leipzig geboren Grundgesetz zur Hand. Dort lesen Sie dann nämlich, dass wurde! aus Artikel 36 keine Quote folgt und die Ansprüche, die (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) sich aus daraus ergeben, allenfalls den Bundesländern zustehen und nicht einer wie auch immer konstruierten Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Kohorte Ostdeutscher. Da geht es um landsmannschaftli- che Fragen und nicht um die Definition, wie Sie sie sich Herr Kollege Amthor, erlauben Sie eine Zwischenfra- backen wollen. Deswegen kann man nur sagen: Ihre Zah- ge aus der Fraktion Die Linke? len sind falsch und werden auch dadurch nicht besser, dass Sie sie hier verteidigen wollen. Philipp Amthor (CDU/CSU): Ja, das mache ich gerne. – Herr Höhn, jetzt schauen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- wir mal, wessen Zahlen stimmen. ordneten der FDP) (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Unabhängig von den Zahlen frage ich mich, wozu eine solche Ostquote führen soll. Braucht man jetzt den Jam- Matthias Höhn (DIE LINKE): merossi, dem man nichts zutrauen kann? Ich kann Ihnen Herr Kollege Amthor, Sie sind nicht der erste Redner, sagen: Ich bin selbst in Ostdeutschland groß geworden. der auf die Definitionsfrage eingeht, aber nicht alle Red- Meine Generation hat es gar nicht nötig, darauf zu schau- ner sind so freundlich, eine Nachfrage zuzulassen. – Ich en, dass sie besonderes Mitleid bekommt. Die Angehöri- will zunächst darauf hinweisen, dass Sie in anderen Be- gen der Generationen in Ostdeutschland, meiner und vie- reichen, bei der Rente und den Löhnen, sofort in der Lage ler anderer davor, sind schlau genug, um in diesem Land sind, zu definieren, wer Ostdeutscher ist. etwas zu erreichen. Dafür brauchen wir nicht Ihr Mitleid. (B) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. (D) Linda Teuteberg [FDP]) Nur bezogen auf die Spitzenfunktionen führen Sie hier die Debatte an, dass das nicht möglich wäre. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will auch zu dem Antrag der AfD einiges sagen. Bundesbehörden in Ich möchte Sie fragen, ob Sie den letzten, zumindest den Osten verlagern – ja, das ist eine richtige Zielstel- mir bekannten, Runderlass des Bundesinnenministeri- lung. Wir nehmen es aber doch ein bisschen genauer mit ums zur Untersetzung des Artikels 36 kennen, in dem dem Geld des deutschen Steuerzahlers. Angesichts der die Bundesregierung selbst eine Definition vornimmt, Haushaltsdisziplin sollte man Behörden nicht nur nach wer, um Artikel 36 gerecht zu werden, ein Ostdeutscher regionalen Aspekten verlagern; es sollte auch darum ist. Zeigt der Runderlass des Bundesinnenministeriums gehen, was Sinn macht. Deswegen ist das Innenminis- das gleiche grundgesetzwidrige Agieren, das Sie uns un- terium gerade dabei, die Raumplanung auf einen guten terstellen? Die Definition seitens der Bundesregierung Stand zu bringen. Mit dem Deutschlandatlas wird Horst gründet sich auf den Wohnort. Wenn es der Wohnort Seehofer eine evidenzbasierte Grundlage dafür erarbei- nicht klärt – das ist der Vorschlag von vorhin –, dann sol- ten, wie Behördenverlagerungen möglich sind. Das ist len die Personen das selbst definieren. – Ist das nicht ein der richtige Weg. praktikabler Vorschlag? Warum setzen Sie den nicht um? (Beifall bei der LINKEN) Herr Komning, Sie haben gesagt, im Wahlkampf wer- de abgerechnet und danach gefragt, wie viele Behörden denn in den Osten verlagert worden sind. Solch einem Philipp Amthor (CDU/CSU): Leistungsvergleich mit der AfD stellt sich die CDU-Lan- Herr Höhn, ich finde das sehr schön. Als so prakti- desgruppe Mecklenburg-Vorpommern gerne; denn Sie kabel, wie Sie es jetzt vorgetragen haben, können Sie werden am Ende der Legislaturperiode nichts, aber auch das ja mal Ihren Referenten vortragen. Dann würden die gar nichts auf der Pfanne haben – außer flotten Sprü- Zahlen der Linken vielleicht mal stimmen. Viele der De- chen. Wir haben bereits nach einem Jahr folgende Bilanz finitionen, die Sie vorbringen, sind nämlich willkürlich vorzuweisen: Das DLR-Institut ist in Neustrelitz, zwei und stellen auf solche ostdeutschen Begriffe ab, die Sie Fraunhofer-Institute sind in Rostock, und das Holzkom- unseriöserweise an ein Aufwachsen in der DDR und an- petenzzentrum ist in Güstrow. – So macht man konkre- deres knüpfen. Objektiv wird es natürlich, wenn man am te Politik, nicht durch schlaue Reden hier im Deutschen Wohnort anknüpft. Sie müssen sich aber auch mal ehrlich Bundestag. machen und mit Ihren Zahlen daran anknüpfen. Das tun Sie nämlich nicht. Vielmehr rechnen Sie sich die Realität (Beifall bei der CDU/CSU) 10132 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019

Philipp Amthor (A) Ich kann Ihnen nur sagen: Wir brauchen Ihre Quoten aufnahme unseres Uniklinikums Mroawan Amoury, der (C) nicht, wir brauchen Ihre einfachen Pläne nicht. Vielmehr in Israel geboren wurde und seit fast vier Jahrzehnten in brauchen wir eine Politik, die den Osten nicht schlechtre- Halle lebt, gezählt? Was ist mit dem 80-jährigen Ingeni- det, sondern dem Osten etwas zutraut. Genau das machen eur Dr. Mohamed Yousif, langjähriger Stadtrat in Halle, wir. Deswegen ist in diesem Jahr der Landtagswahlen in der in Ägypten geboren wurde und seit über fünf Jahr- Ostdeutschland wichtig: Die umbenannte SED gehört zehnten in Halle verwurzelt ist? Es gibt keine Zweifel: abgewählt, und die AfD verdient kein Vertrauen. Wir Sie alle sind ein Teil Deutschlands. sind die Anwälte Ostdeutschlands, und das werden wir (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ auch bleiben. DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Herzlichen Dank. CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Liebe Damen und Herren, meiner Meinung nach soll- ten wir, bevor wir über Quoten sprechen, eine Diskus- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: sion darüber anregen, wen wir eigentlich meinen, wenn Vielen Dank, Herr Kollege Amthor. – Als nächster wir von Ostdeutschen sprechen. Dann bin ich sehr ger- Redner erhält das Wort der Kollege Dr. Karamba Diaby, ne bereit, über konkrete Maßnahmen zu sprechen, wie SPD-Fraktion. der Anteil von „Ostdeutschen“ in den Bundesbehörden gesteigert werden kann. Der Verweis auf Artikel 36 des (Beifall bei der SPD) Grundgesetzes reicht dabei nicht. Da steht – von dem Kollegen Gregor Gysi schon wunderschön genannt –: Dr. Karamba Diaby (SPD): Bei den obersten Bundesbehörden sind Beamte aus Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- allen Ländern in angemessenem Verhältnis zu ver- ren! Vor einigen Jahren erzählte mir eine Lehrerin, dass wenden. sie in der Straßenbahn in Halle ein Gespräch zwischen zwei Jugendlichen gehört hat. Der eine sagte zum ande- Daraus lassen sich aber laut Gutachten des Wissenschaft- ren, als er mein Wahlplakat sah: Was ist das für einer? lichen Dienstes keine fixen Ostquoten ableiten. Wo kommt er denn her? – Der andere antwortete: Wa- (Matthias Höhn [DIE LINKE]: Das stimmt rum fragst du so doof? Das ist der Karamba, ein richtiger doch gar nicht!) Ossi, einer von uns. Meine Damen und Herren, vielleicht wird eines Tages (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten die Lehrerin wieder zu mir kommen und von einem neu- der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ en Gespräch berichten, das sie in der Straßenbahn mitge- (B) (D) DIE GRÜNEN) hört hat. Vielleicht werden dann die beiden Jugendlichen Liebe Damen und Herren, Sie sehen, es kann unter- zustimmen und ohne Unterscheidung zwischen Ost- und schiedliche Meinungen dazu geben – das haben wir ge- Westdeutscher, Einwanderer oder nicht Einwanderer sa- rade gehört –, wer als Ostdeutscher gilt und wer nicht. gen: Guck mal, das ist Karamba, ein richtiger Hallenser, Vielleicht werden nicht alle Kolleginnen und Kollegen einer von hier. mit mir übereinstimmen, wenn ich jetzt sage: Ich bin ein Danke schön. waschechter Ossi. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD und der LINKEN) der CDU/CSU) Doch wer entscheidet eigentlich, wer Ostdeutscher ist? In der Öffentlichkeit wird unter anderem folgendes Kri- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: terium diskutiert: Ostdeutscher ist, wer mindestens ein Vielen Dank, Herr Kollege. – Als letzter Redner er- Elternteil hat, das vor dem 9. November 1989 in Ost- hält das Wort der Kollege Christoph Bernstiel, CDU/ deutschland gewohnt hat. CSU-Fraktion. Es wird Sie nicht überraschen, wenn ich Ihnen sage, (Beifall bei der CDU/CSU) dass ich dieses Kriterium als höchst unvollständig emp- finde, im Übrigen nicht nur, weil dann nicht nur ich nicht Christoph Bernstiel (CDU/CSU): als Ostdeutscher gezählt würde, obwohl ich seit über Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und 30 Jahren in Halle lebe, sondern auch Zehntausende Kollegen! Liebe Gäste! Als letzter Redner in dieser teil- von Menschen, die als Vertragsarbeitnehmerinnen und weise sehr erfrischenden Debatte hat man die Möglich- Vertragsarbeitnehmer oder als Studierende in die DDR keit, das eine oder andere klarzustellen und zusammen- gekommen sind und bis heute mit Kindern und Enkel- zufassen. Ich möchte gerne die Punkte herausgreifen, auf kindern dort leben. die noch nicht eingegangen wurde. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Monika Das Erste ist: Wir merken wieder einmal wunderbar Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) den Unterschied zwischen Regierung und Opposition. Ich frage mich: Was ist mit der ehemaligen Textilarbei- Unsere Bundesregierung hat allein in den letzten zwei terin Frau Ha aus Magdeburg, die in Vietnam geboren Jahren über zehn Bundeseinrichtungen in Ostdeutsch- wurde und seit über 30 Jahren in Sachsen-Anhalt lebt? land angesiedelt. Ich nenne das Fernstraßen-Bundesamt, Wozu wird der Hallesche Oberarzt und Chef der Not- das Hauptzollamt – mein Kollege Amthor hat mehrere Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 10133

Christoph Bernstiel (A) Einrichtungen genannt, die in Mecklenburg-Vorpom- Liebe Kolleginnen und Kollegen von Linken und AfD, (C) mern angesiedelt werden – und die Cyberagentur, die, ich lasse mich von Ihnen nicht als Jammerossi stigma- wie erst im Januar dieses Jahres bekannt gegeben wurde, tisieren. nach Halle kommt. Dann passiert etwas Wundersames: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Die Opposition bemerkt, dass Landtagswahlen sind und Zuruf des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE dass sie ja auch mal wieder etwas für die Ostdeutschen LINKE]) tun müsste. Das merken Sie daran, dass die Linkspartei sogar Gregor Gysi aus der Mottenkiste holt, nachdem wir Und wenn wir schon über Leistungen reden und darü- ihn Monate nicht im Parlament gesehen haben. ber, wie wir Ostdeutschland voranbringen – das hat kei- ner meiner Vorredner getan –, dann müssen wir auch über (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Christian die Unternehmen sprechen; denn es sind die Unterneh- Jung [FDP]: Herr Gysi ist ja nie da!) men mit innovativen Konzepten und mit guten Wachs- So weit ist das ja auch noch okay und das gute Recht der tumsprognosen, die Jobs schaffen und die dafür sorgen, Oppositionsparteien. Aber man muss schon sagen, liebe dass der Steuertopf größer wird. Wenn wir darüber reden, AfD: Wenn Sie einen Antrag stellen, der nur aus einem dann möchte ich keine Quote, die privatwirtschaftliche einzigen Satz besteht, dann ist das schon etwas dünn. Bei Unternehmen in den Osten zwingt. Vielmehr müssen wir der Linkspartei ist es auch nicht viel besser. Sie kommen über Leistungen reden, über gute Standortfaktoren und 30 Jahre nach dem Mauerfall auf die innovative Idee, darüber, wie wir Unternehmen von einer freiwilligen An- eine Ostquote zu fordern. Das finde ich wirklich etwas siedlung überzeugen. spät. Meine Kollegen haben es bereits angesprochen: Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist es, 40 Jahre haben Sie unser Land heruntergewirtschaftet. wofür die Union steht, wenn wir vom Aufbau Ost spre- (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Sie wollten chen: mit klugen Ideen, mit Fleiß und mit einem selbstbe- doch etwas Neues sagen!) wussten Auftreten unser Land voranzubringen und nicht mit bittstellerischen Quoten aus dem letzten Jahrhundert, Jetzt kommen Sie an und kritisieren die Bundesregie- so wie es AfD und Linke fordern. rung, die dieses Land wieder aufgebaut hat, dafür, dass sie zu wenig tut. Das ist scheinheilig. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Apropos Quote. Wenn wir schon über eine Quote re- den – das wurde hier bereits angesprochen –, dann muss Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank, Herr Kollege Bernstiel. – Herr Kollege (B) man fragen: Wen meinen Sie überhaupt mit „ostdeutsch“? (D) Dehm, schön, dass Sie wieder bei uns sind. Der Kolle- (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Zum fünften ge Bernstiel hat niemanden mit einer Motte verglichen. Mal!) Er hat unzutreffenderweise darauf hingewiesen, dass der Sie wissen genauso gut wie ich, dass es Kritik am Gut- Kollege Gregor Gysi aus der Mottenkiste gekommen sei. achten des Wissenschaftlichen Dienstes gibt und dass (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Damit es nicht eindeutig ist. Was Sie verschwiegen haben, ist: macht er ihn zu einer Motte!) Zählen zu den Ostdeutschen für Sie auch die, die nach der Wende nach Ostdeutschland gekommen sind und mittler- – Quatsch! – Ich kann sicher sagen, dass selbst Gregor weile den größten Teil ihres Lebens in Ostdeutschland Gysi in keine Mottenkiste passt. verbracht haben? Oder was ist mit meiner Generation? (Heiterkeit und Beifall im ganzen Hause) Nach dem Gutachten, auf das Sie sich beziehen, wäre ich kein Ostdeutscher. Ich bin in Ostdeutschland gebo- Insofern möchte ich als Norddeutscher jetzt die Aus- ren, aber leider nach dem Stichtag. Philipp Amthor hat sprache beenden. es gesagt: Ich fühle mich als Deutscher eines gesamten Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Deutschlands, den Drucksachen 19/8013 und 19/8279 an die in der (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Das ist schön Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. für Sie!) Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. und ich möchte diese Stigmatisierung als Ostdeutscher von Ihnen von links und auch von Ihnen von rechts defi- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf: nitiv nicht mehr hören. Antrag der Abgeordneten Dr. Christian Jung, (Beifall bei der CDU/CSU) Frank Sitta, Torsten Herbst, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der FDP Wissen Sie, mit Ihrer Quote stigmatisieren Sie eine ganze Generation von Ostdeutschen – warum? –, weil Mittelrheintal mit alternativer Gütertrasse Sie sagen: Die Ostdeutschen schaffen es nicht aus eige- und funktionierenden Ausweichstrecken ent- ner Kraft, die zweifelsfrei noch bestehenden Rückstände lasten aufzuholen. Wir können das nur mit einer Quote schaf- Drucksache 19/7984 fen. – Das ist eine Beleidigung für alle Ostdeutschen. Überweisungsvorschlag: (Beifall bei der CDU/CSU) Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur 10134 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für beeindruckenden Burgen, Schlössern. Dort wächst auch (C) die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- ein hervorragender Wein. nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. (Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Genau! Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst – nun Der beste Riesling der Welt!) muss ich ablesen – dem Minister für Wirtschaft, Verkehr, Das sind eigentlich die Zutaten, mit denen man im Tou- Landwirtschaft und Weinbau und stellvertretenden Mi- rismus richtig gut vorankommen könnte. Aber es fällt nisterpräsidenten des Landes Rheinland-Pfalz, Dr. Volker den Menschen schwer, Touristen anzuziehen und sie da- Wissing, das Wort. von zu überzeugen, ihren Urlaub dort zu verbringen, wo (Beifall bei der FDP) man nahezu rund um die Uhr dem Lärm eines Pressluft- hammers ausgesetzt ist. Meine Damen und Herren, das muss sich ändern. Dr. Volker Wissing, Staatsminister (Rhein- land-Pfalz): (Beifall bei der FDP) Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Ich freue mich über den Antrag, der hier seitens der Damen und Herren! Rund alle fünf Minuten fährt ein FDP-Fraktion zur Debatte gestellt worden ist, und ich bin Personen- oder Güterzug durch das Mittelrheintal. Egal zu Ihnen gekommen, um Ihnen die Sorgen der Menschen ob 22 Uhr abends, egal ob Mitternacht oder 4 Uhr mor- im Mittelrheintal vorzutragen. Gegenwärtig stehen die gens, egal ob werktags oder am Wochenende: Der Bahn- wirtschaftlichen Interessen der Gesellschaft im Vorder- lärm im Mittelrheintal kennt keine Wochenenden, keinen grund, unter Inkaufnahme der gesundheitlichen Schäden Urlaub. Er ist das ganze Jahr für die Menschen präsent. der Menschen in diesem Tal und unter der Inkaufnahme, Diese Züge erreichen einen Lärmpegel von 100 Dezibel. sie ihrer wirtschaftlichen Perspektiven zu berauben. Das Wer damit nichts anfangen kann: Das entspricht dem ist unfair. Ich sage es noch einmal: Das ist keine Abwä- Lärm eines Presslufthammers. gung, die sich im Rahmen des Konsenses unserer gesell- schaftlichen Wertvorstellungen bewegt. Deswegen muss Diese Mittelrheinstrecke ist eine der wichtigsten das so schnell wie möglich geändert werden. Süd-Nord-Verbindungen. Sie ist für unsere gesamte Ich bin gekommen, um Sie zu bitten, diesen Antrag Volkswirtschaft von überragender Bedeutung, und es ist zu unterstützen, für die Menschen im Mittelrheintal üblich, dass wir bei so großen Verkehrsinfrastrukturpro- neue Perspektiven zu eröffnen und auch einen Beitrag jekten Abwägungen vornehmen zwischen den Gesamtin- zu leisten, damit wir als Verkehrsministerinnen und Ver- teressen der Gesellschaft einerseits und den Belastungen kehrsminister wieder das tun können, worum uns alle in für die Betroffenen andererseits. Aber, meine Damen und (B) Deutschland bitten, nämlich den Güterverkehr stärker (D) Herren, wer unter Verweis auf das Gemeinwohl von sei- von der Straße auf die Schiene zu verlagern. Wer das nen Mitmenschen erwartet, dass sie mit dem Lärm eines fordert, gleichzeitig aber nicht dafür sorgt, dass wir eine Presslufthammers zu Bett gehen, dass sie mit dem Lärm für die Menschen zumutbare Nord-Süd-Achse haben, be- eines Presslufthammers Tag und Nacht verbringen, der treibt unehrliche Politik. Das ist in heutigen Zeiten kein bewegt sich außerhalb der gesellschaftlichen Wertevor- Beitrag, um die Menschen für unsere lebendige Demo- stellungen. kratie zu begeistern. (Beifall bei der FDP) Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. Insofern darf es keine Abwägung zwischen den wirt- (Beifall bei der FDP) schaftlichen Interessen und den gesundheitlichen Inte- ressen unzähliger Bürgerinnen und Bürger geben. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Die einzige sinnvolle Alternative zur bisherigen Tras- Vielen Dank, Herr Minister. – Als nächster Redner hat senführung ist eine neue Schienenverkehrstrasse. Flüs- für die Bundesregierung der Parlamentarische Staatsse- terbremsen reduzieren den Lärm um 10 Dezibel, aber das kretär Enak Ferlemann das Wort. reicht nicht. Meine Damen und Herren, wenn diskutiert (Beifall bei der CDU/CSU) wird, dass der wirtschaftliche Nutzen sich verstärken müsse, wenn in die Debatte eingeworfen wird, dass es eine Verzehnfachung des Nutzens geben müsse, viel- Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim Bundes- leicht eine Verzehnfachung des Lärms, aber mindestens minister für Verkehr und digitale Infrastruktur: eine Verdoppelung, dann mag das nicht kaltherzig ge- Geschätzter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und meint sein, aber die Menschen, deren Gesundheit auf der Kollegen! Für einen Landesverkehrsminister war das ein Grundlage der bisherigen Lärmemissionen heute schon äußerst schwacher Vortrag, gefährdet ist, können berechtigterweise kein Verständnis (Lachen bei der FDP) haben, dass solche Dinge thematisiert werden. weil ein Landesverkehrsminister die Regularien der Auf- (Beifall bei der FDP) stellung eines Bundesverkehrswegeplanes und der Be- reitstellung von Investitionen in Infrastruktur eigentlich Wir haben im Mittelrheintal eine einzigartige Kultur- kennen müsste. landschaft. Es ist eine wunderbare Region, die UNESCO-­ Weltkulturerbe ist. Es ist eine einmalige Landschaft mit (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 10135

Parl. Staatssekretär Enak Ferlemann (A) Seine Rede zeigte, dass er entweder die Situation nicht zwischen Genua und Rotterdam, die durch diese Region (C) kennt, die Auflagen nicht kennt, die Bundeshaushalts- führt. Die Menschen leiden darunter. Uns ist das bekannt. ordnung nicht kennt, obwohl er einmal hier im Finanz- Das ist ein großes Problem. Aus diesem Grunde haben ausschuss war, oder er wider besseres Wissen den Leu- wir kurzfristig Maßnahmen für 65 Millionen Euro ergrif- ten Sand in die Augen streuen will, was er wohl machen fen, um den Lärm zu senken. Wir haben lärmbezogene könnte. Trassenpreise. Wir haben ein Umrüstprogramm für das Radbremssystem auf den Schienen; K-Sohle, LL-Sohle Ich habe in den letzten Wochen viel über das Obere genannt. Wir werden zum Fahrplanwechsel 2020 nur Mittelrheintal gelesen und darüber, was für ein schlim- noch lärmgedämmte Güterzüge in Deutschland haben. mes Bundesverkehrsministerium es gibt. (Dr. Christian Jung [FDP]: Nicht nur lesen, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: sondern mal hinfahren! – Weitere Zurufe von der FDP) Herr Kollege Ferlemann, erlauben Sie eine Zwischen- frage des Kollegen Dr. Jung? – Ich kenne das, lieber Kollege Jung. Ich kenne Deutsch- land besser, als Sie glauben. Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim Bundes- (Dr. Christian Jung [FDP]: Ja, noch!) minister für Verkehr und digitale Infrastruktur: – Sie müssen noch viel lernen, auch bei diesem Antrag. Ja, immer gerne. Der Kollege kann nur lernen. ( [FDP]: So wie Karl May (Heiterkeit bei der CDU/CSU – Benjamin es gut kannte!) Strasser [FDP]: Das ist die Arroganz der Ich kann nur sagen: So viel Unfug, wie da geschrie- Macht! – Stephan Thomae [FDP]: Da spuckt ben wurde, so viel Klamauk, wie auf dem Rücken der einer große Töne!) Bürgerinnen und Bürger gemacht wurde, spottet jeder Beschreibung. Ich hätte mir einmal gewünscht, dass der Dr. Christian Jung (FDP): Verkehrsminister Wissing, wenn er eine Frage zu einem Lieber Herr Staatssekretär Ferlemann, wenn ich so alt Schreiben, das ich einem verkehrspolitischen Kollegen wäre wie Sie und diese Arroganz hätte: Man konnte heu- geschrieben habe, gehabt hätte, nur einfach durchgerufen te wirklich viel von Ihnen lernen. hätte und gefragt hätte: Wie ist das gemeint? (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP und der AfD – Stephan Thomae [FDP]: Hochmut kommt vor dem (B) Das wäre innerhalb von fünf Minuten erklärt worden. So Fall! – Dr. [AfD]: Das (D) macht man Politik, Herr Kollege Dr. Jung, stimmt!) (Dr. Christian Jung [FDP]: Vielleicht ruft er Aber es geht um eine wichtige Frage. Die konnten Sie nicht an, weil Sie so arrogant sind! Wenn Sie und auch die Deutsche Bahn in den letzten Monaten man so arrogant ist, kriegt man auch keine An- nicht beantworten. rufe!) (Stephan Thomae [FDP]: Wird er jetzt auch aber nicht damit, ein ganzes Land mit Klamauk zu über- nicht können!) ziehen und eine parteipolitische Arie zu fahren, die jeder Beschreibung spottet. Wir brauchen funktionierende Ausweichstrecken. Wir (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Christian haben, rein theoretisch, auch aus Zeiten vor dem Ersten Jung [FDP]: Arroganz wird nicht mit Anrufen Weltkrieg, auf der Mittelrheintalbahn solche funktionie- belohnt!) renden Ausweichstrecken. Denken Sie beispielsweise an den Frankfurter Norden. Warum tun Sie nicht alles – auch Herr Jung, ich will Ihnen einen Kollegen nennen, der hier im Bundestag, auch im Ausschuss –, dass Sie auch das genau richtig gemacht hat. Das war Kollege Peter temporäre Ausweichstrecken haben? Wir hatten zum Bleser. Er hat den Brief gesehen, gelesen und einfach ge- Beispiel linksrheinisch und rechtsrheinisch das Problem, fragt. Er hat eine Auskunft bekommen und hat sie auch dass durch Unfälle diese Strecken gesperrt wurden. Das veröffentlicht. So macht man seriöse Politik mit den Bür- ist temporär für die Menschen toll, aber dies führt dazu, gern und nicht so wie Sie mit Ihrem Klamauk. dass Güterzüge zum Beispiel in die Schweiz, nach Nord- rhein-Westfalen oder nach Baden-Württemberg mehrere (Beifall bei der CDU/CSU) Tage zu spät kommen. So bekommen wir keine moderne Zu der Tatsache selber. Richtig ist: Das Obere Mit- Verkehrswende hin. telrheintal ist eine der schönsten Regionen, die wir in Deutschland haben. Deswegen ist es nicht zu Unrecht (Beifall bei der FDP) unter den Schutz des Weltkulturerbes gestellt worden. Was machen Sie jetzt genau? Ich möchte keine arro- ( [FDP]: Doch etwas gelernt!) ganten Bemerkungen haben, sondern ich möchte Lösun- gen haben, dafür sind Sie noch gewählt. Das ist überhaupt keine Frage. Wir haben eine der am meisten befahrenen Güterzugstrecken in Europa, wahr- (Heiterkeit und Beifall bei der FDP – Stephan scheinlich die meistbefahrene Güterzugstrecke in Europa Thomae [FDP]: Die Frage verstanden?) 10136 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019

(A) Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Er hat 12 Milliarden Franken gekostet. Das heißt, wenn (C) minister für Verkehr und digitale Infrastruktur: wir bei dem Tunnel von geschätzten 15 Milliarden Euro Sehr geehrter Herr Kollege Jung, ich gehe davon aus, ausgehen, werden Sie die Wirtschaftlichkeit so nicht dass das so bleiben wird. Ich kann Ihnen dazu nur sagen: erreichen können. Trotzdem brauchen wir eine Neu- Wir haben ein Programm, und das kennen Sie. Sie sind baustrecke. Deswegen prüfen wir eine kombinierte Neu- Mitglied des Verkehrsausschusses. Deswegen wissen baustrecke, die auch – ja – aus einer erheblichen Tunnel- Sie, dass wir das gesamte Netz nach diesen Ausweich- lage besteht, aber nicht aus einem durchgängigen Tunnel. strecken abscreenen. Diese Strecke kalkulieren wir mit 8 Milliarden Euro. Wir sind auch bereit, dieses Projekt anzugehen. Es wird das (Benjamin Strasser [FDP]: „Stets bemüht“!) größte Eisenbahnprojekt in Deutschland sein, was wir je Dazu zählen auch die Ausweichstrecken für die Strecke gemacht haben, weil wir die Not im Mittelrheintal sehen. Rotterdam–Genua, unter anderem die Rhein-Sieg-Stre- Dafür wollen wir eine Machbarkeitsstudie in Auftrag ge- cke, eine Strecke, die wir ertüchtigen müssen, um die- ben, und zwar in nächster Zeit. sen Verkehr aufnehmen zu können, die im Übrigen auch (Zuruf der Abg. Carina Konrad [FDP]) dazu führen wird, dass die Belastung des Mittelrheintales zurückgeht. Wenn diese Strecke ertüchtigt ist – sie ist – Ja, so einfach ist das nur nicht, liebe Kollegin, weil derzeit nicht in der Lage, die Verkehre aufzunehmen –, diese Strecke wirtschaftlich, eisenbahntechnisch, ökolo- werden wir deutlich weniger Verkehr im Mittelrheintal gisch und in Gänze realisierbar sein muss. haben; denn diese Strecke ist kürzer. Damit spart die Wirtschaft Trassenpreise, und deswegen wird sie diese (Dr. Christian Jung [FDP]: Deshalb haben wir Strecke auch nutzen. Insofern sind wir schon dabei. Sie den Antrag gestellt!) werden von uns zu dem Elektrifizierungsprogramm eine Wenn wir für diese Machbarkeitsstudie – damit Sie Liste bekommen, wo noch zusätzliche Strecken unter wissen, worüber wir reden – Fahrdraht genommen werden müssen, um diese Aus- weichstrecken ausreichend auszustatten. Wir sind also (Dr. Christian Jung [FDP]: Ja, wir wissen es! prima dabei, weil wir zu Recht sagen: Wir brauchen für Wir kennen uns besser aus als Sie selbst!) diese Hauptmagistralen Ausweichstrecken bei steigen- einen Zeitraum von drei Jahren brauchen, dann müssen dem Verkehr und einen größeren Baubedarf, unter ande- wir den Menschen ehrlicherweise sagen: So lange dau- rem zum Erhalt und Ausbau. ert es, dann können wir die Analyse machen. – Aber in Zum Thema zurück. dem Zeitraum bis dahin müssen die anderen Maßnahmen greifen. Ich würde mich freuen, wenn Sie uns dabei wei- (B) (Lachen bei der FDP) ter unterstützen. (D) Beim Mittelrheintal ist die Frage, wie wir die Themen Wir werden die Menschen im Mittelrheintal nicht al- beantworten. Dafür muss man kurzfristige, mittelfristige leinlassen. und langfristige Lösungen in Kauf nehmen. Man muss den Menschen ehrlicherweise sagen, wie es geht, und ih- ( [FDP]: Das machen Sie nen nicht mit irgendwelchen theoretischen Diskussionen schon!) etwas vorgaukeln. Wir kennen die Problematik. Aber eine kurzfristige Lö- (Dr. Christian Jung [FDP]: Wir haben nichts sung, wie sie hier vorgegaukelt wird, gibt es in dieser vorgegaukelt, in keinster Weise! Der Antrag Frage nicht. ist dafür da, dass eine Lösung kommt!) (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Christian Man muss korrekt bleiben. Nach der Bundeshaushalts- Jung [FDP]: Wir haben gar nichts vorgegau- ordnung ist es so, dass Investitionen dem Wirtschaft- kelt! So ein Unsinn!) lichkeitsgebot unterliegen müssen. Das heißt, 1 Euro eingesetztes öffentliches Geld muss 1 Euro volkswirt- schaftlichen Nutzen nach sich ziehen. Wir haben beim Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Bundesverkehrswegeplan diese Lösungen diskutiert. Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Als nächster Red- Deswegen haben wir die Ausweichstrecke, die Rhein- ner hat der Kollege Wolfgang Wiehle für die AfD-Frak- Sieg-Strecke, in Augenschein genommen und gesagt: Die tion das Wort. wollen wir ertüchtigen, um den Verkehr zu reduzieren. (Beifall bei der AfD) (Dr. Christian Jung [FDP]: Die ist teilweise nur einspurig! Wie wollen Sie da eine Aus- Wolfgang Wiehle (AfD): weichstrecke machen?) Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kolle- Weitere Lärmschutzmaßnahmen im Mittelrheintal für gen! Es ist eine der schönsten Bahnstrecken, die man mit über 100 Millionen Euro stehen an. Gleichwohl wird man dem Fernverkehr in Deutschland befahren kann: durch eine langfristige Lösung nur über eine Neubaustrecke ha- das Mittelrheintal, vorbei an der Loreley. Diese Land- ben können. Für diese Neubaustrecke ist ein Tunnel mit schaft gilt heute als Weltkulturerbe und ist zu Recht in über 100 Kilometer Länge vorgeschlagen worden. Dazu die UNESCO-Liste aufgenommen. Die Fernzüge fahren muss man wissen, dass der derzeit größte Eisenbahntun- in aller Regel auf der linksrheinischen Seite. Der auf- nel in Europa, der Gotthardtunnel, 57 Kilometer lang ist. merksame Fahrgast erkennt, dass auch auf der rechten Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 10137

Wolfgang Wiehle (A) Flussseite eine Bahnstrecke verläuft. Dort fahren Regio- dessen Schutz dann viel wichtiger ist als die Entlastung (C) nalzüge und – insbesondere nachts – Güterzüge. des Mittelrheintals. Durch den Bahnlärm ist die vermeintliche Idylle längst (Beifall bei der AfD – Tabea Rößner [BÜND- zu einer Problemzone geworden; wir haben es schon ge- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt fängt das Ba- hört. Der Lärm ist die größte Last, aber nicht die einzi- shing wieder an! Das ist ja typisch!) ge. Immer wieder einmal blockiert beispielsweise Geröll Damit wir uns richtig verstehen: Die AfD fordert von den steilen Hängen rechts und links des Rheins die die schnellstmögliche Erstellung von Machbarkeits- Gleise, und es wären Umleitungsstrecken nötig – wenn studien für eine Alternativtrasse zwischen Troisdorf es denn welche gäbe. Ich brauche in diesem Hause nur und Mainz-Bischofsheim und auch für einen Wester- Rastatt zu erwähnen, damit sich alle daran erinnern, was wald-Taunus-Tunnel. Wir wollen das eine tun und das für ein Drama durch fehlende leistungsfähige Ausweich- andere nicht lassen. Der Spatz in der Hand ist uns ge- strecken ausgelöst werden kann. nauso wichtig wie die berühmte Taube auf dem Dach. (Beifall bei der AfD) Bestehende Trassen nicht nur als Ausweichstrecken bei Störungen, sondern als Entlastung auf europäischer Ebe- Diese Probleme beschäftigen die Leute vor Ort schon ne zu aktivieren, das kann schon recht schnell helfen, und lange. Dass die Bundesregierung jetzt eine schroffe Ab- das müssen wir deshalb auch versuchen. sage an Alternativprojekte formuliert hat – so wurde es wahrgenommen –, sorgte deshalb für große Empörung. (Beifall bei der AfD) Jetzt findet das Thema aber wenigstens bundesweit Ge- Kurzfristig Lärmschutz und leisere Güterzüge, mit- hör. Kein Schaden ohne Nutzen, möchte man an dieser telfristig eine Entlastung durch andere Routen im Korri- Stelle sagen. dor und langfristig, aber so rasch wie möglich eine neue Alternativtrasse in unserem eigenen Land – das ist der Eine Neubaualternativtrasse ist eine Lösung für die Vorschlag, den die AfD in die Beratungen in den Aus- lange Frist, die eigentlich schon seit Jahren in der Pla- schüssen einbringen wird. nung sein müsste, damit man sie in absehbarer Zeit be- kommt. Hier wurde schon viel Zeit verloren. Wir müssen, (Beifall bei der AfD) um bald Besserung zu bekommen, aber zusätzlich weite- Das malerisch schöne Mittelrheintal muss ein attrakti- re Alternativen betrachten, und auch für diese wird sich ver Siedlungsraum sein oder an vielen Stellen erst wieder die AfD-Fraktion einsetzen. Ich meine damit gar nicht werden und bleiben. Das ist unser Ziel. einmal die örtlichen Lärmschutzmaßnahmen, die natür- lich auch sehr wichtig sind, aber das Problem nicht auf (Beifall bei der AfD) (B) Dauer lösen. Wir wissen: Der Güterverkehr auf der Bahn (D) wird zunehmen. Das ist politisch auch gewollt, und das Vizepräsident Wolfgang Kubicki: mindert natürlich die Wirkung des Lärmschutzes wieder. Vielen Dank. – Als nächste Rednerin erhält das Wort Die Strecke durch das Mittelrheintal ist Teil des eu- die Kollegin Kirsten Lühmann, SPD-Fraktion. ropäischen Güterverkehrskorridors zwischen Rotterdam (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten und Genua. Es stellt sich jetzt die Frage: Ist es ein Na- der CDU/CSU) turgesetz, dass dieser Korridor ausgerechnet und aus- schließlich durch das Rheintal führt? Ich meine, nein. Es ist entscheidend, dass wir schon auf europäischer Ebene Kirsten Lühmann (SPD): in Alternativen denken Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Sehr verehrte Zuhörende! Wir sprechen hier heute über (Beifall bei der AfD) ein Thema, das wir im Verkehrsausschuss schon oft und diesen Korridor so verstehen, dass er aus mehreren beraten haben, und zwar das Thema Mobilitätswende. Bahnstrecken besteht, und nicht nur aus einer. Der Kor- Wir wissen: Die Mobilitätswende ist erforderlich. Wir ridor zwischen Rotterdam und Genua könnte und sollte wissen: Wir sind quasi mittendrin. Und wir wissen: Ein einen zweiten Schenkel bekommen. wesentlicher Punkt dieser Mobilitätswende ist, dass wir mehr Verkehre sowohl von Gütern als auch von Men- (Beifall bei der AfD) schen auf die Schiene bringen. Darum hat sich – über un- sere Grenzen hinaus – auch Europa damit beschäftigt und Dieser könnte über Belgien, Luxemburg und den Nord­ für den europäischen Raum wichtige Eisenbahnstrecken osten Frankreichs führen, über Namur und Bettembourg, definiert, die vorrangig auszubauen sind, weil auf diesen um zwei wichtige Bahnknotenpunkte zu nennen. Eisenbahnstrecken, den sogenannten transeuropäischen Netzen, die Hauptlast des Verkehres liegen wird. Natürlich geht so etwas nicht von heute auf morgen, und es schafft an anderer Stelle Belastungen, die abge- Wir reden hier heute über eine solche Strecke, die jetzt mildert werden müssen. Aber eine solche Lösung wird schon erheblich belastet ist, und zwar durch den Verkehr viel schneller helfen als eine Bahnstrecke mit langen und damit auch durch Lärm. Wir haben auch schon ge- Tunneln, die nach deutschem Planungsrecht gebaut wer- hört: Das Obere Mittelrheintal ist Weltkulturerbe. Weil den muss. Und es werden gerade die Grünen sein, die vor wir aber natürlich die Menschen nicht alleine lassen, ha- Ort das Vorhaben bekämpfen und vielleicht einen „Wes- ben wir – das wurde schon gesagt – kurzfristig 65 Millio- terwäldischen Taunuskäfer“ oder was weiß ich finden, nen Euro in den Lärmschutz investiert. Es sind außerdem 10138 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019

Kirsten Lühmann (A) weitere 112 Millionen Euro für Lärmschutzmaßnahmen men reden, die die Deutsche Bahn plant, für die wir aber (C) zugesagt worden, und das ist auch gut so. noch kein Geld haben. Es ist auch ganz wichtig – an das Ministerium gerichtet –, dass diese Machbarkeitsstudie (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten jetzt schnell kommt, und es ist auch wichtig, dass wir der CDU/CSU) den Menschen diese Wirtschaftlichkeitsberechnung zu- Über diese Maßnahmen und wie sie eingesetzt werden, gänglich machen. Die müssen uns ernst nehmen. Dazu wird vor Ort mit dem Beirat „Leiseres Mittelrheintal“ ge- müssen Sie wissen, wie wir auf die 0,1 kommen. sprochen. Dieser Beirat ist aus Sicht der SPD-Fraktion unheimlich wichtig, und er ist auch beispielgebend für Vizepräsident Wolfgang Kubicki: andere Beiräte, die sich in unserer Republik gründen, Kommen Sie bitte zum Schluss. weil sie nämlich alle an diesem Prozess Beteiligten ver- einen: die Menschen, die von dem Lärm betroffen sind, die Politik, das Ministerium, das für das Geld zuständig Kirsten Lühmann (SPD): ist, und auch die Bahn, die das Ganze planen und bau- Dann können wir sie mitnehmen. Ich freue mich, dass en muss. Wenn wir aber die Menschen vor Ort einbin- wir im Ausschuss darüber reden können. Erstens. Infor- den, dann müssen wir sie auch in die Lage versetzen, auf mieren wir die Menschen richtig! Zweitens. Ziehen wir Augenhöhe mit den anderen Beteiligten diskutieren zu diese Machbarkeitsstudie vor! Dann tun wir was für die können; denn es nützt ja nichts, wenn sie da nur sitzen Menschen und die Mobilität in unserem Land. und nur das entgegennehmen, was die anderen ihnen mit- teilen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wir begrüßen sehr, dass das Bundesverkehrsministe- der CDU/CSU) rium schon im November angekündigt hat, eine Mach- barkeitsstudie für den „Korridor Mittelrhein: Zielnetz II“ durchzuführen; denn das Ergebnis wird auch die Bürger Vizepräsident Wolfgang Kubicki: und Bürgerinnen in die Lage versetzen, vernünftig mit- Als nächste Rednerin erhält das Wort die Kollegin zudiskutieren. Wir haben uns – auch das wurde schon Sabine Leidig, Fraktion Die Linke. erwähnt – auch beim Bundesverkehrswegeplan Gedan- ken dazu gemacht. Darum wurde ja der Ausbau der Ruhr- (Beifall bei der LINKEN) Sieg-Strecke in den Vordringlichen Bedarf angehoben. Aber wir wissen auch: Um dieses Projekt zu verwirkli- Sabine Leidig (DIE LINKE): chen, wird es Jahre dauern. Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Lie- (B) (D) Wir haben das Projekt des Ausbaus der Neubaustre- be Besucherinnen und Besucher! Für alle, die das Mittel- cke – denn darum handelt es sich – im Rahmen des Bun- rheintal nicht kennen: Das ist dort, wo die Loreley ist und desverkehrswegeplans diskutiert. Ich rufe uns in Erinne- die Berge links und rechts des Rheins aufsteigen. rung: Wir reden über ein Invest von 8 Milliarden Euro an (Dr. Christian Jung [FDP]: Sie kennen an- Steuergeldern. Bei diesen Diskussionen sind wir darauf scheinend keine Berge!) gekommen, dass die Wirtschaftlichkeit nach den Zahlen, die uns damals vorlagen, nicht gegeben ist. Das Nut- Es sieht wunderschön aus. Aber es ist auch ein Schall- zen-Kosten-Verhältnis lag bei 0,1. Damit es wirtschaft- trichter. Die Menschen, die dort leben, sind nicht nur lich ist und gebaut werden kann, muss das Nutzen-Kos- durch den Verkehrslärm der Straßen, die dort durch- ten-Verhältnis mindestens 1,0 betragen, also zehnmal führen, belastet, sondern auch durch den Schienenlärm. mehr. Besonders schlimm sind die Güterzüge. Viele Menschen empfinden es inzwischen als ein schlimmes Schicksal, Herr Ferlemann, ich fand es auch nicht glücklich, dass dort leben zu müssen. Viele können dort nicht wegzie- die Aussage, der Verkehr müsse sich dazu verzehnfa- hen, weil sie ein Häuschen haben. Es ist völlig richtig, chen, getätigt wurde. Sie haben eben richtiggestellt, dass dass der Schutz der Menschen, die dort leben, einen sehr Sie die Wirtschaftlichkeit und nicht den Verkehr mein- hohen Stellenwert hat. ten. Aber bei den Menschen da draußen ist angekommen: zehnmal mehr Verkehr. Und alle wissen, dass diese Stre- (Beifall bei der LINKEN) cke schon jetzt überlastet ist und zehnmal mehr Verkehr Ich bin ganz überrascht von Ihrer Aussage, Herr Mi- gar nicht aufnehmen kann. Die fühlten sich doch von nister Wissing, dass die Lebensqualität der Menschen uns, von der Politik, in irgendeiner Art und Weise nicht bei der Abwägung gegen wirtschaftliche Interessen nicht ernst genommen. Das ist das Letzte, was wir gebrauchen unter die Räder kommen darf. Das teilen wir hundertpro- können. Darum war es ganz wichtig, dass Sie das heute zentig. Ich bin eine solche Rangfolge bei der FDP sonst richtiggestellt haben. nicht gewohnt. Für uns ist das selbstverständlich. (Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei (Dr. Christian Jung [FDP]: Sie loben doch Abgeordneten der CDU/CSU und der LIN- unsere Arbeit permanent im Ausschuss!) KEN) Ich bin der Meinung, dass das als Grundlage für die Po- Wir müssen zur Wahrheit dazusagen, dass wir hier litik gelten muss. über Naturschutz und über andere Menschen, die betrof- fen sind, reden. Wir müssen über kurzfristige Maßnah- (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 10139

Sabine Leidig (A) Ich möchte zu dem vorgelegten Antrag sagen, dass Wenn wir das nicht aufbrechen, dann werden wir Milliar- (C) wir ihn völlig okay finden. Man muss solche Machbar- den in die Straße stecken. keitsstudien durchführen. Man muss untersuchen, was möglich ist. Aber es gibt zwei Punkte, die für uns noch (Dr. Christian Jung [FDP]: Aber damit haben wichtiger sind. wir nichts zu tun!) Erstens. Man muss viel mehr Lärmschutzmaßnahmen Die Milliarden, die wir für die Schiene brauchen, müssen gleich verwirklichen und darf nicht darauf setzen, dass in dann jedes Jahr während der Haushaltsberatungen er- 10, 20 oder vielleicht in 30 Jahren Ausweichstrecken und kämpft werden. Damit wird die Schiene hinten runterfal- Alternativen gebaut sind. Dabei geht es um viel mehr als len, also der Ausbau der Schiene, die Ausweichstrecken um leise Bremsen bei den Güterzügen. Wenn man ein- und die Ausweichgleise, die wir dringend brauchen. Des- mal in der Schweiz unterwegs ist und sich dort an ei- halb fordere ich Sie alle, insbesondere Sie von der Union, nen kleinen Bahnhof stellt, durch den Güterzüge häufig auf: Machen Sie mit diesem Unsinn Schluss! durchfahren – das tun sie dort bei kleinen Bahnhöfen viel häufiger als bei uns –, dann stellt man fest: Ups, die sind

ja ganz leise! – Warum? Weil in der Schweiz in die Bahn Vizepräsident Wolfgang Kubicki: viel mehr investiert wird, weil nicht nur in die Bremsen, Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. sondern auch in das Gleisbett investiert wird, weil an den Schwellen und an den Fahrzeugkästen viel gemacht Sabine Leidig (DIE LINKE): wird. Professor Hecht in Berlin kann Ihnen das hervor- ragend darlegen. Aber für solche Maßnahmen brauchen Wir brauchen das Geld aus der Lkw-Maut, um die wir Geld. Wir müssen mehr Geld in die Schiene stecken, Bahn vernünftig auszubauen. Wir brauchen eine Umver- mehr Geld in den Lärmschutz. Dann bekommt man viel teilung im Verkehr, um zu einer Verkehrswende zu kom- schneller einen Schutz der Menschen – auch im Mittel- men. rheintal – hin. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Zweiter Punkt. Wir müssen nicht nur im Mittelrhein- tal, sondern überall eine Art Ortsumgehung für Güterzü- ge in Betracht ziehen. Nicht nur im Mittelrheintal – dort Vizepräsident Wolfgang Kubicki: ist es am schärfsten –, sondern auch in vielen anderen Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als nächste Rednerin Ortschaften in der Republik stellen durchfahrende Güter- hat die Kollegin Tabea Rößner, Bündnis 90/Die Grünen, (B) züge ein Problem dar. Diese werden zunehmend größer, das Wort. (D) schwerer und lauter. Für Umgehungsstrecken brauchen wir natürlich Geld. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Dr. Christian Jung [FDP]: Aber so einfach sind Ortsumgehungen im Mittelrheintal Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): nicht!) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe – Es gibt noch immer Ortsumgehungen. Das Verrückte Lärmgeplagte, die Loreley – sie wurde schon oft er- ist, dass sie gerade zugebaut werden. – Es gibt Umge- wähnt – hat der Legende nach die Schiffer auf dem Rhein hungsstrecken für den Güterverkehr rund um Berlin und bezirzt, sodass viele Kähne an den Felsen zerschellten. viele andere Städte. Es gab und gibt sie. Das Gute nun: Die Schiffer waren nie so sicher wie heu- te; denn den Gesang der Loreley könnte man vor lauter (Dr. Christian Jung [FDP]: Aber im Mittel- Bahnlärm nicht mehr hören. rheintal ist es nicht so einfach!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir müssen sie bewahren bzw. wiederherstellen. Dazu muss etwas aufgebrochen werden – das ist mein Die Bahnstrecke durch das Mittelrheintal – das wurde letzter Punkt –, was uns die FDP eingebrockt hat. Viel- ebenfalls erwähnt – ist die schönste und meistbefahrene leicht erinnern Sie sich daran: Europas. Was das für die Menschen in dem Tal bedeutet, können Sie jeden Tag und jede Nacht spüren. Stellen Sie (Dr. Christian Jung [FDP]: Ich war damals sich vor: Sie liegen im Bett, und plötzlich steht jemand noch nicht dabei! Ich kann mich nicht daran mit einem Presslufthammer neben Ihnen. Das Haus bebt. erinnern!) Das Geschirr in den Schränken klirrt – Sie würden panik­ Sie haben damals für den Finanzierungskreislauf „Stra- artig das Haus verlassen –, und das alle drei Minuten für ße“ gekämpft. Das heißt, dass die Milliarden, die mit der circa 30 bis 40 Sekunden. So fühlt sich das für viele Lkw-Maut und in Zukunft auch mit der Pkw-Maut einge- Menschen im Mittelrheintal tagtäglich an. Spitzenwerte nommen werden – wir reden hier über künftig 11 Milliar- von über 100 Dezibel sind dabei keine Seltenheit. Das den Euro im Jahr –, ausschließlich in die Straße gesteckt ist schon heute nicht zumutbar. Lärm macht krank; das werden. zeigen zahlreiche Studien. Selbst wenn man den Lärm- pegel mittelt, stellt man fest, dass es nachts noch immer (Dr. Christian Jung [FDP]: Damit haben wir 70 Dezibel sind, also deutlich mehr als die 44 Dezibel, auch nichts zu tun!) die die Weltgesundheitsorganisation in ihren Leitlinien 10140 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019

Tabea Rößner (A) als Obergrenze empfiehlt. Alles darüber ist gesundheits- Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C) schädlich. Hier steht die Politik in der Verantwortung, die Wir brauchen eine Alternativtrasse; auch das ist Kon- Menschen zu schützen. sens in der Parlamentsgruppe „Bahnlärm“. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich bin in den nächsten Tagen – Wenn es nach der Bundesregierung geht, soll sich aber nichts ändern, und das, obwohl der Schienenverkehr im- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: mer weiter zunimmt. Die Menschen dort verlieren – völ- Frau Kollegin! lig berechtigt – die Geduld. Denn wer will oder – richti- gerweise – wer kann unter diesen Bedingungen noch dort (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): wohnen, und wer dort Urlaub machen? Denn auch der Tabea Rößner Tourismus, von dem das Weltkulturerbe „Oberes Mittel- – ich komme zum Schluss – rheintal“ lebt, leidet massiv unter dem Lärm. Wenn aber das Bundesverkehrsministerium zu dem Schluss kommt, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: es gebe für eine Alternativtrasse keinen Handlungsbe- Letzter Satz! darf – dafür müsse sich das Verkehrsaufkommen erst noch verdoppeln –, ist das ein Schlag in das Gesicht der (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Menschen im Mittelrheintal. Tabea Rößner – wieder im Mittelrheintal unterwegs. Welche Bot- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schaft soll ich den Menschen mitbringen: dass wir unsere Ich frage Sie, Herr Kollege Ferlemann – das erschließt Verantwortung ernst nehmen und sie entlasten oder ob sich mir nämlich nicht –, warum dann die Strecke Dres- wir – – den–Prag beispielsweise bei einer deutlich geringeren (Das Mikrofon wird abgeschaltet) Auslastung wirtschaftlicher sein soll als eine Alterna- tivtrasse im Mittelrheintal. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Zudem pfeift die Mittelrheinstrecke schon jetzt auf Frau Kollegin, ich habe Ihnen das Wort entzogen. dem allerletzten Loch. Regelmäßig kommt es zu Ausfäl- len auf der Strecke durch Erdrutsche oder durch Unfälle, (Beifall des Abg. Hansjörg Müller [AfD]) und das bei Transporten mit Gefahrgut. Erst Anfang Fe- bruar brannten drei Waggons. Spraydosen, die geladen Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): waren, flogen durch die Gegend. Ich bin damit am Ende meiner Rede. (B) (D) (Dr. Christian Jung [FDP]: In Unkel!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vor einigen Jahren entgleisten mehrere Waggons. Man konnte von Glück sagen, dass niemand zu Schaden kam. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Jedes Mal führen solche Ereignisse zu tagelangen Sper- Als nächster Redner spricht zu uns der Kollege Peter rungen. Wir haben also schon jetzt ein Kapazitätspro- Bleser, CDU/CSU-Fraktion. blem. Es ist deshalb absolut kurzsichtig, dieser Strecke noch mehr zuzumuten, und zwar sowohl in wirtschaftli- (Beifall bei der CDU/CSU) cher als auch vor allen Dingen in menschlicher Hinsicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Peter Bleser (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist mir Der Klimaschutz erfordert natürlich, mehr Güterver- eine große Freude, dass mein Wahlkreis heute im Mittel- kehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern. Dafür punkt der Debatte steht. brauchen wir aber die Akzeptanz der Menschen. Diese erreicht man nur, wenn man ihre Belange ernst nimmt (Beifall bei der CDU/CSU) und den Lärmschutz vorantreibt. Wir haben lange auf die Mit den Städten St. Goar, Oberwesel und Boppard sowie Umrüstung lauter Güterwagen auf leisere Bremssohlen den Bürgerinitiativen und den kommunalen Vertretern gewartet. Ich bin froh, dass wir in der Parlamentsgruppe kämpfe ich seit vielen Jahren gegen die Lärmbelästigung interfraktionell Druck gemacht haben und dass das Ge- durch laute Güterwaggons. Es ist richtig: Fast 400 Züge setz über Betriebsbeschränkungen für laute Güterwagen fahren täglich durch das Mittelrheintal. Insbesondere die dann durchgesetzt werden konnte. Es braucht nämlich nachts vermehrt verkehrenden Güterzüge nehmen den gemeinsame Kraftanstrengungen, kurzfristig mehr Lärm- Menschen den Schlaf und sind damit gesundheitsschä- schutzmaßnahmen auf den Weg zu bringen, und das viel digend. schneller. Wir haben im Beirat „Leiseres Mittelrheintal“ darüber diskutiert, dass das alles viel zu langsam ge- Meine Damen und Herren, auch der Tourismus leidet kommen ist. Wir brauchen mittelfristig den Ausbau der unter dieser Lärmbelastung. Auch die Bedrohung des Rhein-Sieg-Strecke, wie im Bundesverkehrswegeplan Weltkulturerbes Oberes Mittelrheintal ist real. Deshalb, vorgesehen. um das gleich zu sagen, unterstützen wir mit allem, was wir können, den Neubau einer Strecke über den Wester- wald von nahe Köln bis nahe Mainz. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 10141

Peter Bleser (A) Meine Damen und Herren, das, was die FDP in ihrem auch in einem Gesetz 2016 die Umrüstungspflicht für (C) Antrag vorschlägt, nämlich jetzt die Machbarkeitsstudie Waggons festzulegen. 2020, also Ende nächsten Jahres, zu erstellen, ist schon im Herbst letzten Jahres verkündet werden alle in Deutschland verkehrenden Güterwagen worden. Also, das ist keine neue Forderung. leise sein; das werden die Menschen hören. (Dr. Christian Jung [FDP]: In der Politik Ich sehe, die Uhr blinkt schon. – Meine Damen und muss man alles so lange wiederholen, bis es Herren, wir werden dem Antrag auch deswegen nicht zu- kommt!) stimmen können, weil er die Gelegenheit nicht nutzt, die Berücksichtigung der Gesundheitsbeeinträchtigungen in Was Sie mit der Zuspitzung auf diese eine Forderung der Machbarkeitsstudie zu fordern und die Verkehrspro- machen, ist, dass Sie eine ganze Generation von einer gnosen ab 2030 mit zu berücksichtigen. Reduzierung des Bahnlärms ausschließen. Das machen wir so nicht mit. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Herr Kollege, auch Sie müssen zum Schluss kommen. Meine Damen und Herren, diese Neubaustrecke – da müssen wir mit den Menschen ehrlich sein – wird nicht Peter Bleser (CDU/CSU): über Nacht gebaut werden können. Die Kosten: 8 Milli- Das gilt auch für die Gefährdung des Weltkulturerbe- arden Euro. Ich bin kein Pessimist, wenn ich sage: Am status. Schluss wird eine zweistellige Zahl stehen. – Bauzeiten von 30 Jahren werden mit den Planungsvorläufen sicher nicht unrealistisch sein. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Hallo! Meine Damen und Herren, ich will nicht wissen, wie die Situation ist, wenn der erste Strich auf der Landkarte gezogen wird, Peter Bleser (CDU/CSU): Wenn wir weiter zusammenarbeiten und dann die Fi- (Andreas Mrosek [AfD]: Richtig!) nanzierung in einigen Jahren ansteht – – ob da nicht Bürgerinitiativen kommen, wenn Tunnel und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Brücken an der ganzen Strecke gebaut werden.

Meine Damen und Herren, deswegen ist es richtig – Vizepräsident Wolfgang Kubicki: das habe ich immer verfolgt –, dass wir kurzfristige, Herr Kollege, auch Ihnen habe ich jetzt das Wort ent- mittelfristige und langfristige Lösungen suchen. Für (B) zogen. Sie dürfen sich setzen. – Vielen Dank. (D) eine kurzfristige Lösung habe ich schon 2012, und zwar parteiübergreifend, einen Projektbeirat initiiert. Peter Als Nächster redet zu uns der Kollege Detlev Pilger, Ramsauer und Bahnchef Grube haben das damals zu- SPD-Fraktion. gestanden. Die Chefs der Bürgerinitiativen, Frank Groß (Beifall bei der SPD) und Willi Pusch, sind stellvertretende Vorsitzende. Die Bahn führt diesen Projektbeirat. Das Verkehrsministeri- um und auch die Bundestagsabgeordneten der Region, Detlev Pilger (SPD): Klaus-Peter Willsch, Frau Rößner und – damals noch Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und – jetzt Detlev Pilger, sind Mitglieder in Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher auf den dem Beirat. Wir haben dort parteiübergreifend versucht, Tribünen! Herr Präsident, ich werde mich beeilen und mit den Bundesländern Nordrhein-Westfalen, Hessen schneller reden. Das wird eng bei Ihnen; ich merke das. und Rheinland-Pfalz Lösungen zu finden. Mein Wahlkreis liegt mitten im Weltkulturerbe, einem Zu der Machbarkeitsstudie, die erstellt worden ist, wunderschönen Rheintal – das muss man an dieser Stelle wurde für jedes Dorf und für jede Stadt zusammen mit sagen – mit vielen tollen Gegebenheiten, mit tollen Wein- den Bürgern genau definiert, wo welche Lärmschutzmaß- bergen in Steillagen, mit Burgen und Schlössern. All das nahmen installiert werden können. Die Bundesregierung ist bei einer Fahrt auf dem Rhein schön zu besichtigen. hat dankenswerterweise 112 Millionen Euro zusätzlich Es ist eine wunderschöne Landschaft – ich lade Sie herz- bereitgestellt, um diese Maßnahmen auch zu finanzie- lich dorthin ein – und ist nicht umsonst Weltkulturerbe. ren. Die ersten Maßnahmen sind etabliert: 100 Kilometer (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Schienenstegdämpfer, 32 Kilometer Schallschutzwände, 2,6 Kilometer Geländerausfachungen und auch Schie- Die Landschaft bietet ganz viel. Es ist eigentlich, liebe nenschmiereinrichtungen. Das alles ist im Zulauf und Kolleginnen und Kollegen, ein Paradies – aber für die wird erst jetzt umgesetzt. Deswegen bin ich so dankbar, Anwohner die Hölle. Alle – da darf ich Sie etwas ver- dass das erreicht werden konnte. In ein, zwei oder drei bessern – drei Minuten – man muss im Rheintal beide Jahren wird man die Wirkung dieser Maßnahmen auch Seiten einrechnen – fährt ein Zug durchs Rheintal. Alle hören können. Darauf sollten wir setzen. drei Minuten! Das Rheintal ist sehr eng, sodass alles hin und her schallt. Das ist extrem. Von daher ist der Begriff Mittelfristig – ich bin sehr dankbar, dass auch die „Hölle“ gar nicht so verfehlt. „Bahnlärm“-Gruppe mit Erwin Rüddel und Frau Rößner sich daran beteiligt haben – haben wir es geschafft, 2013 Ganze Ortschaften zerfallen – fahren Sie mal durch hier auf Bundesebene im Koalitionsvertrag und später das Rheintal –, Dörfer werden ausgehöhlt. Die Men- 10142 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019

Detlev Pilger (A) schen vor Ort in den Dörfern und Städten engagieren sich Wir haben viel gemacht; auch das ist wahr, das darf (C) enorm. Aber das hilft nichts; denn wer wegziehen kann, man auch nicht verschweigen – nicht zuletzt dank der zieht weg. Die Immobilienpreise verfallen zusehends. Initiative der Parlamentariergruppe „Bahnlärm“, die Die Touristenzahlen sind gut, aber nur die der Tagestou- mittlerweile – auch daran sieht man, dass dies ein bun- risten, weil dort keiner schlafen kann. desweites Problem ist – die größte im Deutschen Bun- destag ist. Auch die Bürgerinitiativen – Peter Bleser hat Sehr geehrter Herr Staatssekretär Ferlemann, wir sind sie erwähnt – sind ein ganz wichtiger Bestandteil. Die ja alle lernende Menschen. Ich nehme an, Sie auch. Ich Bahn AG und das Verkehrsministerium haben Mittel für lade Sie herzlich ein – ich habe zweimal im Rheintal Sofortmaßnahmen in Höhe von noch mal 100 Millionen übernachtet –, im „Nassauer Hof“, einem kleinen netten Euro nachgelegt. Hotel, zu übernachten. Ich würde Ihnen sogar empfehlen, mit mir abends ein paar Schoppen Wein zu trinken, da- Trotz allem – ich komme zum Schluss – wollen wir mit Sie besser schlafen. Aber ich sage Ihnen: Man schläft ja mehr Güter auf die Bahn bringen. Wir wollen ja um- nicht. Man wird wachgerüttelt, weil eben alle drei Minu- weltfreundlicher sein. Aber wir müssen das menschen- ten der Zug durch das Rheintal rasselt. Es ist nicht nur der verträglich machen. Wir können das nicht nur güterver- Lärm, sondern es sind auch die Rütteleffekte im wahrsten träglich machen, lieber Herr Kollege Ferlemann, sondern Sinne des Wortes, wobei ich in diesem Zusammenhang wir müssen es auch menschenverträglich machen. Dazu nicht auf Erwin Rüddel – ich grüße dich! – anspielen will. brauchen wir zunächst eine Machbarkeitsstudie. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss. Ich darf an dieser Stelle auch die Kollegin Weeser vom Bahnbeirat kurz erwähnen. Detlev Pilger (SPD): Es wurde schon angesprochen: Die gesundheitlichen Bevor Sie mir das Mikrofon abschalten, komme ich Schäden – auch die muss man, sehr geehrter Herr Staats- zum Ende. sekretär, volkswirtschaftlich bemessen – sind enorm. Die Menschen haben Bluthochdruck, Herzleiden bis hin (Heiterkeit) zu Schlafstörungen existenzieller Art. Das muss unter- bunden werden. Die Beeinträchtigungen sind hoch, die Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Übernachtungszahlen gehen kontinuierlich zurück. Ich kann das verstehen. Wie gesagt, ich habe zweimal im Orientieren Sie sich an der Uhr. (B) Rheintal übernachtet und wirklich kein Auge zugemacht. (D) Die Erschütterungen sind extrem. Man hält es nicht aus. Detlev Pilger (SPD): Eben wurde es gesagt: Es rüttelt am Bett und in den Re- Also erst die Machbarkeitsstudie und dann eine mög- galen. lichst schnelle Umsetzung der Alternativtrasse! Die Menschen im Rheintal, liebe Kolleginnen und Vielen Dank, Herr Präsident. Kollegen, brauchen dringend eine Perspektive. Das kann an dieser Stelle nur die Alternativtrasse sein, auch wenn (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten das lange dauert. der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Aber das wird den Menschen die Möglichkeit bieten, Vielen Dank, Herr Kollege. – Ich schalte das Mikro- dort über Generationen zu leben. fon erst ab, wenn die Redezeit um mehr als 10 Prozent (Beifall des Abg. Klaus-Peter Willsch [CDU/ überschritten wurde. Nicht dass Sie glauben, das sei hier CSU]) willkürlich. Man hat genug Zeit, zum Ende zu kommen, wenn die Lampe blinkt. Wir haben noch nicht oder nur kurz die Gefahr- guttransporte im Rheintal erwähnt. Unlängst konnte bei Als letzter Redner hat der Kollege Michael Donth, Unkel – Gott sei Dank – eine extreme Situation vermie- CDU/CSU-Fraktion, das Wort. den werden. Aber es gab ein großes Feuer. Ich möchte (Beifall bei der CDU/CSU) mir nicht ausmalen, wie das ausgegangen wäre, wenn so etwas mit hochexplosiven Gütern im engen Rheintal passieren würde, nahe bei Ortschaften. Dieses Szenario Michael Donth (CDU/CSU): möchte ich mir gar nicht vorstellen. Ich möchte dann Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr auch nicht die Frage stellen: Wer ist denn dafür verant- Minister, wir sprechen – das wiederhole ich gerne – beim wortlich? Wir kennen die Situation. Wir können nicht sa- Oberen Mittelrheintal über eine der schönsten Regionen gen: Wir haben das nicht gewusst. – Jedes Jahre fahren und auch eine der schönsten Bahnstrecken der Republik. Tausende Tonnen Gefahrgüter durch das enge Rheintal. Man fährt an wunderschönen alten Städten und Dörfern vorbei, die sich an diese steilen Weinberge schmiegen, Im Rheintal – ich muss auf die Uhr gucken – fühlen rechts und links des majestätischen Rheins. sich 45 Prozent der Bevölkerung durch Lärm belästigt. Im Bundesdurchschnitt liegt dieser Wert bei 3,2 Prozent. ( [CDU/CSU]: Genau!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 10143

Michael Donth (A) Es ist deshalb auch nicht verwunderlich, dass diese Regi- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) on zum Weltkulturerbe der UNESCO zählt und eine der Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss. beliebtesten Tourismusdestinationen in Deutschland ist. Aber ohne Zweifel ist es natürlich weitaus angeneh- Michael Donth (CDU/CSU): mer, in einem dieser bis zu 400 Züge, die am Tag durch Denn dann haben wir eine Basis – wir, die Region, der das Rheintal fahren, zu sitzen, als eben als Tourist oder Beirat – und wissen, worüber wir reden. Dann können gar als Anwohner hauptsächlich den Lärm und die zer- wir auch Entscheidungen treffen. Ich denke, das ist ge- schneidende Wirkung dieser Züge zu erleben. nau der richtige Weg. Der Güter- und Personenverkehr auf der Schiene wird Vielen Dank. weiter zunehmen, was wir ja mit Blick auf den Klima- schutz auch alle wollen; da gibt es einen großen Konsens (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- in Politik und Gesellschaft. Allerdings wird dadurch die ordneten der SPD) Lärmbelastung für Anwohner an vielbefahrenen Schie- nentrassen wahrscheinlich größer, was diese dann – ver- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: ständlicherweise – nicht hinnehmen werden. Vielen Dank, Herr Kollege Donth. – Damit schließe Eines ist deshalb klar: Wenn wir mehr Verkehr von ich die Aussprache. der Straße auf die Schiene bringen möchten, muss ein Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf guter Interessenausgleich her. Wir haben als Verkehrs- Drucksache 19/7984 an den Ausschuss für Verkehr und politiker ein großes Interesse daran, dass die betroffenen digitale Infrastruktur vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- Regionen in Deutschland die Ausweitung des Verkehrs verstanden? – Ich sehe und höre, das ist der Fall. Dann ist auf der Schiene mittragen. Deshalb haben wir 2017 das die Überweisung so beschlossen. Schienenlärmschutzgesetz beschlossen. Dadurch sind ab Dezember nächsten Jahres laute Güterwagen in ganz Ich rufe – trotz der Selfies, die jetzt gemacht werden – Deutschland verboten. Damit halbieren wir den Bahn- den Tagesordnungspunkt 25 sowie Zusatzpunkt 14 auf: lärm im Verhältnis zu 2015. Das ist eine merkliche Ver- 25. – Zweite und dritte Beratung des von den besserung. Abgeordneten Jens Beeck, Matthias (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Seestern-­Pauly, Michael Theurer, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP Um der besonders herausfordernden Situation im Mit- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes für telrheintal zu begegnen, ist im Dezember 2012 – es wurde mehr Teilhabe im Wahlrecht (B) schon angesprochen – der Beirat „Leiseres Mittelrhein- (D) tal“ als Dialogforum von Bahn, Politik und Bürgerini- Drucksache 19/3171 tiativen eingerichtet worden. Mit den rund 80 Maßnah- – Zweite und dritte Beratung des von den Abge- men, die dieser Beirat ganz konkret erarbeitet hat – von ordneten Corinna Rüffer, Anja Hajduk, Britta Schallschutzwänden, Geländerausfachungen an Brücken Haßelmann, weiteren Abgeordneten und und Schienenstegdämpfern bis hin zu Schienenschmier- der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einrichtungen; Kollege Bleser hat es schon ausführlich sowie der Abgeordneten Sören Pellmann, dargestellt –, ist im Mittelrheintal heute schon ein Lärm- Susanne Ferschl, Gökay Akbulut, weiteren schutz über das gesetzlich übliche Maß hinaus vorgese- Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE hen. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ein Großteil der Kosten von 112 Millionen Euro – Umsetzung der UN-Behindertenrechts- es wurde auch schon erwähnt – trägt der Bund. Da sind konvention im Wahlrecht die Fördergelder für die Umrüstung der Güterwaggons Drucksache 19/4568 in Deutschland zur Halbierung des Bahnlärms noch gar nicht eingerechnet, ebenso wenig wie die Mittel, die die Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Bahnunternehmen selbst zusätzlich investieren. Ich den- ses für Inneres und Heimat (4. Ausschuss) ke, diese Bemühungen und die Zahlen zeigen, dass uns Drucksache 19/8177 Politikern und dem Ministerium die Menschen im Mittel- rheintal nicht egal sind – ganz im Gegenteil! ZP 14 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und SPD (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Für die Einführung eines inklusiven Wahl- Nun diskutieren wir heute in erster Lesung über den rechts Antrag der FDP zu der auch von der Region gewünschten alternativen Güterzugtrasse, die auch hier – anders als es Drucksache 19/8261 vielfach dargestellt wird – nicht auf taube Ohren trifft. Über die beiden Gesetzentwürfe sowie über den An- Aber wir müssen eben auch die gesamtwirtschaftliche trag werden wir später namentlich abstimmen. Wir wer- Betrachtung berücksichtigen. Wir sprechen hier über Be- den also drei namentliche Abstimmungen durchführen. träge von 8 Milliarden Euro und mehr – je nachdem, was herauskommt. Ich glaube, es ist richtig und wichtig – Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Herr Ferlemann hat es heute ausführlich dargelegt –, dass die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- die Vorplanungsprozesse bereits begonnen werden. nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. 10144 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem und -klarheit darüber besteht, was wirklich erlaubt ist (C) Kollegen Wilfried Oellers, CDU/CSU-Fraktion, das und was nicht. Wort. – Herr Kollege Oellers, bitte. Warum ist das so wichtig? Es ist so wichtig, weil wir (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) beim Thema der Assistenzleistungen im Zusammenhang mit der Ausübung des Wahlrechts auch darauf achten Wilfried Oellers (CDU/CSU): müssen, dass wir die Belange und Interessen der Men- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und schen berücksichtigen, die gewährleisten, dass Men- Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir schen mit einer Beeinträchtigung ihr Wahlrecht ausüben beraten heute unterschiedliche Vorlagen aus unterschied- können. Auch die Betreuer brauchen Rechtssicherheit. lichen Fraktionen zum Thema Wahlrechtsausschlüsse. Ich betone ausdrücklich, dass ich grundsätzlich erst mal Im Kern ist man sich in allen Vorlagen darüber einig, dass von der Redlichkeit eines jeden Betreuers ausgehe; das die Wahlrechtsausschlüsse nach § 13 Nummern 2 und 3 muss erst mal der Maßstab sein. Weil das der Maßstab des Bundeswahlgesetzes aufgehoben werden sollen. Es ist, müssen wir den Betreuern einen entsprechenden geht hier um den Ausschluss von Menschen, die unter rechtssicheren Rahmen bieten. Ansonsten drohen den Vollbetreuung stehen, und Menschen, die wegen einer Betreuern strafrechtliche und auch berufsrechtliche Kon- im Zustand der Schuldunfähigkeit begangenen Straftat in sequenzen. einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht sind, von Bundestagswahlen und Europawahlen. – An dieser (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Stelle hören allerdings die Gemeinsamkeiten auf. NEN]: Sie stehen ja voll dahinter, Herr Oellers! Das hört man richtig raus!) Übrigens befassen sich der Gesetzentwurf der FDP und der Gesetzentwurf der Grünen und Linken nicht mit Deswegen haben wir von unserer Seite aus vorge- Themen wie „Selbstbestimmung der Wahl“, „Vermei- schlagen, einen Zwischenschritt einzubauen dung von Missbrauch im Rahmen des Wahlvorgangs“ und auch nicht mit verfahrensrechtlichen Maßnahmen (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zur Sicherung der freien, demokratischen Wahl. NEN]: Ich dachte, die Wahlfähigkeitsprüfung ist vom Tisch!) (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Wollen Sie jetzt eine Wahlfähigkeits- – das wäre vielleicht ganz gut, aber es kommt jetzt nicht prüfung, oder was? Da bin ich ja gespannt!) zur Umsetzung –, nämlich vorzusehen, dass ein Betreu- ungsgericht im konkreten Fall anlassbezogen und nur auf (B) Das sind aber genau die Punkte, die das Bundesverfas- (D) sungsgericht in seinem Beschluss vom 29. Januar 2019 Antrag prüfen kann, ob ein Wahlrecht ausgeübt werden angesprochen hat und dem Gesetzgeber ins Aufgaben- kann. Das war die Idee, die wir hatten. buch geschrieben hat. ( [SPD]: Hatten! Betonung Das Bundesverfassungsgericht hat im Rahmen dieses auf „hatten“ – Unruhe beim BÜNDNIS 90/ Beschlusses gesagt: § 13 Nummer 2 des Bundeswahlge- DIE GRÜNEN) setzes ist verfassungswidrig, § 13 Nummer 3 ist sogar nichtig. Aber das Bundesverfassungsgericht hat auch – Man sollte vielleicht erst mal zuhören. – Gerade vor festgestellt, dass es durchaus Wahlausschlüsse geben dem Hintergrund, dass die strafrechtliche Keule nun kann, nämlich dann, wenn der betroffenen Person die wirklich eine sehr harte Keule ist, die insbesondere be- erforderliche Einsichts- und Handlungsfähigkeit fehle rufsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann, und dem selbst durch Assistenzleistungen nicht abgehol- wäre es sinnvoll gewesen, diesen Zwischenschritt ein- fen werden könne. In diesem Fall läge also kein Verstoß zuführen. Es kommt nun nicht dazu. Ich hoffe, dass die gegen Artikel 3 Absatz 3 Satz 2 des Grundgesetzes vor. Maßnahmen, die wir im Rahmen des Wahlrechts und des So kann man es im Beschluss des Bundesverfassungsge- Strafrechts konkretisieren werden, entsprechend ausrei- richts lesen. chen, um für alle Seiten – ich betone: für alle Seiten – Das Bundesverfassungsgericht hat nun dem Gesetzge- Rechtssicherheit zu schaffen. ber den Auftrag gegeben, zum einen die Nummern 2 und (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- 3 des § 13 zu streichen und zum anderen die Integrität der NEN]: Was ist der Ansatz der Koalition?) Wahl, die Selbstbestimmung der Wahl und vor allen Din- gen auch den Schutz vor Missbrauch zu gewährleisten. Warum ist eine solche Rechtssicherheit notwendig? Hierauf finden die Gesetzentwürfe der Oppositionsfrak- Sie ist deswegen notwendig, weil man auch die Entschei- tionen keine Antwort. dung des Bundesverwaltungsgerichts zur letzten Land- Um diese Fragen aufzugreifen, sehen wir im gemein- tagswahl in Niedersachsen heranziehen muss. Die Wahl samen Antrag von CDU/CSU und SPD vor, Konkretisie- wurde angefochten. Jemand sagte: Ich beanstande, dass rungen im Wahlrecht vorzunehmen, insbesondere was ein 16-Jähriger wählen kann. – Die Frage, ob er wählen die Assistenzleistungen betrifft: was die Voraussetzun- kann oder nicht, lasse ich mal außen vor. Entscheidend gen dafür sind, dass Assistenzen erfolgen können, müs- ist für mich der Sachverhalt. Es war nicht so, dass je- sen oder dürfen. Darüber hinaus werden wir Konkretisie- mand, der kein Wahlrecht hatte, gesagt hat: „Ich möchte rungen im Strafrecht vornehmen, damit Rechtssicherheit das Wahlrecht haben“; nein, ein Dritter sagte in diesem Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 10145

Wilfried Oellers (A) Verfahren: Ich bezweifle, dass ein anderer ein Wahlrecht meine ich nicht die spontane Liebe am Wahltag von SPD, (C) hat; das lasse ich gerichtlich überprüfen. CDU und CSU, wenn sie unsere Senioren kaffeefahrt­ ähnlich zu den Wahlurnen transportieren, sondern ich (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- meine die tatsächlichen Umstände. NEN]: Ich dachte, gestern hätten Sie das noch abgeräumt! – Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/ ( [SPD]: Habe ich noch nie DIE GRÜNEN]: Wovor haben Sie eigentlich gemacht! – Dr. Matthias Bartke [SPD]: Nicht so Angst, Herr Oellers? Ich verstehe das ein- von sich auf andere schließen! – Michael fach nicht!) Donth [CDU/CSU]: Was wollen Sie damit sa- gen?) Das heißt, diese Fälle gibt es auch, und weil das so ist, müssen alle Betroffenen und Beteiligten in diesem Ver- Der in jedem Fall – nach bisherigem Recht – notwen- fahren geschützt werden. dige Richterspruch und die relativ niedrigen Fallzahlen in Deutschland zeigen darüber hinaus, dass mit diesem Ich will noch ein Wort zur anstehenden Europawahl scharfen Schwert der Einschränkungen in Deutschland sagen. Es wird natürlich bedauert – das wird sicherlich offenbar nicht fahrlässig umgegangen wird. Aber ein so gleich mehrfach erwähnt werden –, dass diese Entschei- weitreichender Eingriff in die Grundrechte muss durch dungen nicht zur Europawahl umgesetzt werden können. mehr gerechtfertigt sein als die Sorge um gefälschte Ich hätte mir, ehrlich gesagt, auch gewünscht, dass wir Wahlergebnisse. Fälle, in denen zum Beispiel in anderen das Thema schon längst abgeräumt hätten; aber wir ha- EU-Ländern unter Ausnutzung von Menschen mit Be- ben das im Verfahren nicht schneller hinbekommen. hinderung eine nachvollziehbare Verzerrung des Wähler- (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- willens stattgefunden hat, sind nicht bekannt. NEN]: Sie haben es ja bis jetzt nicht hinbe- Der geltende grundsätzliche und pauschale Ausschluss kommen! Ein Gesetzentwurf von Ihnen liegt von Menschen aufgrund ihrer Betreuungssituation geht, jedenfalls nicht vor!) abgewogen gegen das Gleichheitsgebot, einen Schritt zu Man muss allerdings auch berücksichtigen, dass die Ve- weit, wie auch das Bundesverfassungsgericht nunmehr nedig-Kommission, die vom Europarat eingesetzt wurde, entschieden hat. Wir stellen mit diesem grundsätzlichen rät, das Wahlrecht ein Jahr vor einer Wahl nicht mehr zu Misstrauen nämlich auch die Betreuer und Helfer, die ändern. Ich denke, dem muss man im Sinne der Rechtssi- teils beruflich, teils ehrenamtlich den schwierigen und cherheit Rechnung tragen. nicht oft genug gewürdigten Dienst an ihren Mitmen- schen leisten, unter einen Generalverdacht. Sie können uns glauben, auch wenn Ihnen das viel- (Beifall bei der AfD) (B) leicht etwas schwerfällt: Auch wir freuen uns sehr, dass (D) das inklusive Wahlrecht umgesetzt wird und wir eine Lö- Es gibt keinen Grund, von ihnen weniger Ehrlichkeit sung gefunden haben, sodass wir hier weiterkommen. zu erwarten als von all den Helfern, die bereits jetzt in Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. der Bundeswahlordnung vorgesehen sind, um zum Bei- spiel Blinde oder anderweitig körperlich eingeschränkte (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Wähler beim eigentlichen Wahlvorgang zu unterstützen. der SPD) Natürlich wird es schwarze Schafe immer geben, doch sollten diese bestraft werden, nicht die Opfer. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Auch der Ausschluss der Schuldunfähigen in einem Vielen Dank, Herr Kollege Oellers. – Als nächster psychiatrischen Krankenhaus steht, so hat das Bundes- Redner hat das Wort der Kollege Dr. Christian Wirth, verfassungsgericht deutlich entschieden, auf sehr unsi- AfD-Fraktion. cherem Boden. Schließlich werden all jene nicht vom Wahlrecht ausgeschlossen, die zwar ebenso schuldunfä- (Beifall bei der AfD) hig sind, aber zum Beispiel in eine Entziehungsanstalt statt in ein psychiatrisches Krankenhaus kommen. Dr. Christian Wirth (AfD): Nein, rund 80 000 zusätzliche Wahlberechtigte, ver- Herr Präsident! Werte Kollegen! Die Ausdehnung des teilt über die deutschen Wahlkreise, werden nicht unse- Wahlrechts oder, besser gesagt, die Abschaffung der Ein- re Demokratie gefährden oder zu einer erdrutschartigen schränkung des Wahlrechts im Sinne der vorliegenden Verschiebung der Stimmverhältnisse führen. Aber nur Gesetzentwürfe ist keine Selbstverständlichkeit. Es gibt ein einziger unrechtmäßiger Ausschluss vom Wahlrecht berechtigte Sorgen, welche den bisherigen gesetzlichen ist mehr, als eine Demokratie, die ihren Auftrag und Sinn Regelungen zugrunde lagen. Auch das Bundesverfas- ernst nimmt, akzeptieren sollte. Die abgegebene Stimme sungsgericht hat in seinem Beschluss vom Januar klar- eines jeden Wählers in Deutschland wird durch die Stim- gestellt, dass es durchaus gerechtfertigt sein kann, das men dieser endlich Wahlberechtigten nicht verdünnt; sie Wahlrecht einzuschränken, wenn die Möglichkeit der machen sie legitimer in der gemeinsamen Entscheidung, Teilnahme am Kommunikationsprozess zwischen Volk die das souveräne Volk in unserer Demokratie trifft. und Staatsorganen nicht in hinreichendem Maße besteht. Darüber hinaus besteht die Gefahr der Einflussnahme Die Tatsache, dass die Vereinten Nationen diesen oder der Verfälschung des eigentlichen Wählerwillens Schritt fordern, ist dabei fast nebensächlich; denn, für natürlich immer dann, wenn die Wahlhandlung nicht un- unser Land deutlich wichtiger, das Bundesverfassungs- mittelbar und ohne fremde Hilfe ausgeführt wird. Damit gericht hat dem Gesetzgeber einen deutlichen Auftrag er- 10146 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019

Dr. Christian Wirth (A) teilt. Wichtig ist die Vorgabe der UN-Behindertenrechts- Wahl und das Verbot der Benachteiligung von Menschen (C) konvention in der Hinsicht, dass die Bundesregierung mit Behinderung, sind daher nichtig und unanwendbar. sich hier außerordentlich viel Zeit gelassen hat. Wo sie sonst ja – vom Migrationspakt bis zum Flugzeugträger – (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie keiner internationalen Idee schnell genug folgen kann, bei Abgeordneten der FDP) scheint sie hier keine besondere Eile an den Tag zu legen, Deshalb setzt der Antrag der Regierungsfraktionen an obwohl sie es sogar schon zweimal in ihren Koalitions- dieser Stelle an und fordert die Streichung des § 13 Num- vertrag geschrieben hat. mern 2 und 3 des Bundeswahlgesetzes und des § 6a Ab- (Beifall bei der AfD) satz 1 Nummern 2 und 3 des Europawahlgesetzes. Auf den letzten Drücker kam dann eine halbherzige Ab- Ich will an dieser Stelle sagen, was für uns als Sozial- sichtserklärung, die man zwar inhaltlich gutheißen kann. demokratinnen und Sozialdemokraten bei diesem Antrag Aber bitte, liebe GroKo: Sie können doch niemandem er- und auch dem kommenden Gesetz sehr wichtig ist. Für zählen, dass dieser Antrag mehr als panisches Flickwerk uns ist wichtig, dass es die Möglichkeit einer individuel- oder sogar alibimäßiges Übersprungshandeln ist. len Wahlfähigkeitsprüfung als Ersatz für die Streichung nicht geben darf, Der Wiederherstellung des Wahlrechts für die betrof- fenen Menschen werden wir als AfD nicht im Wege ste- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ hen. Die Bedenken bezüglich der laufenden oder bereits DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der abgeschlossenen Listenaufstellungen zur Europawahl FDP und der LINKEN) sind allerdings nicht von der Hand zu weisen. Es scheint und zwar nicht nur, weil niemand sagen kann, wer nach weder im Sinne der Betroffenen noch im Interesse der welchen Kriterien überprüfen soll, ob jemand wahlfähig Vorlagenverfasser zu sein, dass wir durch die Änderung ist oder nicht, sondern auch, weil wir als Parlament gut die Europawahl auf diese Art und Weise torpedieren. Aus daran tun, aus historischen Gründen und angesichts der diesem Grunde werden wir uns in diesem Falle heute ent- Entwicklung in vielen Ländern um uns herum, wo sich halten, werden aber die Bundesregierung nach der Eu- Demokratien schrittweise zu Autokratien entwickeln, ropawahl an ihr Versprechen erinnern, das Wahlrecht zu nirgendwo gesetzlich etwas zu verankern, das miss- ändern. braucht werden könnte, um Rechte von Bürgerinnen und Vielen Dank. Bürgern einzuschränken. (Beifall bei der AfD – Wilfried Oellers [CDU/ (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem CSU]: Die Bundesregierung ist dafür gar nicht BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (B) (D) zuständig!) Deshalb ist die Streichung die einzige Konsequenz. Aber gut ist auch – Herr Oellers hat darauf hingewie- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: sen –, dass nach dem Willen der Koalition Menschen, Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Wirth. – Als nächs- die unter Vollbetreuung stehen, Assistenz an die Seite te Rednerin erhält das Wort die Kollegin Ulla Schmidt, gestellt bekommen, und zwar Assistenz, die sie dabei un- SPD-Fraktion. terstützt, dass sie frei und selbstbestimmt wählen können. (Beifall bei der SPD) Denn die Frage der freien und selbstbestimmten Wahl ist für uns eine ganz wichtige Voraussetzung bei der Strei- chung der Wahlausschlüsse. Ulla Schmidt (Aachen) (SPD): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie Kollegen! Der heutige Tag ist nicht nur für mich, son- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE dern, ich glaube, für viele ein guter Tag. Vor zehn Jah- GRÜNEN) ren haben wir hier die UN-Behindertenrechtskonvention Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesländer ratifiziert. Fast genauso lange läuft die Debatte über die sind aktiv – ich habe das in dieser Woche aus vielen Wahlrechtsausschlüsse, die im Grunde immer noch aus gehört –: Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, dem alten Entmündigungsrecht erwachsen und nach un- Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Niedersach- serer Auffassung, nach Auffassung der SPD, dem Men- sen sind derzeit dabei, ihre Wahlgesetze ganz schnell schenrecht auf Teilhabe, das mit der UN-Behinderten- zu ändern, damit – das ist deren Ziel – bei den Kommu- rechtskonvention als unveräußerliches Menschenrecht nalwahlen und bei den Landtagswahlen in diesem Jahr klassifiziert wurde, widersprechen. Deshalb waren wir alle Menschen ihr Wahlrecht wahrnehmen können. Ich sehr froh, dass auch das Bundesverfassungsgericht mit gehe davon aus, dass die anderen folgen. Ich hätte mich seinem Beschluss ganz klar entschieden hat und damit gefreut, wir hätten das auch schon für die Europawahl die Auffassung bestätigt hat, dass die Wahlrechtsaus- geschafft. schlüsse von Menschen mit Behinderung, für die in al- len Angelegenheiten eine Betreuung eingerichtet wurde, (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der FDP, oder von Straftätern, die wegen Schuldunfähigkeit in der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/ einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht sind, DIE GRÜNEN – Britta Haßelmann [BÜND- verfassungswidrig sind und abgeschafft gehören; denn NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir können das noch sie verstoßen gegen den Grundsatz der Allgemeinheit der schaffen!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 10147

Ulla Schmidt (Aachen) (A) Die Juristen sagen: Es ist nicht möglich, weil wir mit Entwurf vorgelegt, den Sie so lange verschleppt haben, (C) dem Gesetz eben nicht nur das aktive, sondern auch das dass wir Gott sei Dank heute die Möglichkeit haben, die passive Wahlrecht ändern. Wahlrechtsausschlüsse sofort und endgültig ad acta zu legen. Insofern, glaube ich, können wir ganz gut in die Zu- kunft schauen. Ich würde mir wünschen, dass wir in die- (Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie sem Land durch diese Entscheidung mit dazu beitragen, bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- dass wir vom Defizitdenken wegkommen und wirklich NISSES 90/DIE GRÜNEN) dahin kommen, zu sehen, welche Fähigkeiten die Men- Beide Anträge sind von der Großen Koalition in den schen in diesem Land haben, und dass wir alles tun, um Ausschüssen noch in diesem Jahr abgelehnt worden: deren Fähigkeiten zu heben. Am 30. Januar und 13. Februar dieses Jahres im Innen- Vielen Dank. ausschuss vertagt; man wolle sich noch mal beraten. Am 20. Februar mit einer flapsigen Bemerkung eines (Beifall bei der SPD) Kollegen der Union im Innenausschuss endgültig abge- lehnt – begründet mit rechtlichen Bedenken. Einen Tag Vizepräsident Wolfgang Kubicki: später, nach der Ablehnung in diesem Ausschuss, hat das Vielen Dank, Frau Kollegin Schmidt. – Als nächster Bundesverfassungsgericht seinen Beschluss vom Januar Redner spricht für die FDP-Fraktion der Kollege Jens dieses Jahres veröffentlicht und völlig klargestellt: § 13 Beeck. Absatz 2 – Menschen unter Vollbetreuung – ist nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, nicht anzuwenden und – (Beifall bei der FDP) Sie, Herr Kollege Oellers, haben es gesagt – Absatz 3 – Menschen mit Schuldunfähigkeit – sogar nichtig. Jens Beeck (FDP): Hochverehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin- Im Ergebnis habe ich dann gedacht: Da werden doch nen und Kollegen im Hause, insbesondere in der Großen jetzt die Politiker der Großen Koalition, nachdem ihnen Koalition! Zum zehnten Jahrestag des Inkrafttretens der das Bundesverfassungsgericht klarstellende Hilfe gege- UN-Behindertenrechtskonvention bäumen Sie sich heute ben hat, heute unseren Anträgen zustimmen; anders kann ein letztes Mal auf, um nicht weniger zu tun, als Men- man es ja gar nicht machen. Aber nein – das ist der ein- schenrechte auszubremsen, als Grundwerte der Demo- zige Kern des Antrags der Großen Koalition heute –, Sie kratie nicht umzusetzen. Das ist eigentlich unerträglich, wollen die Menschen bei der nächsten Europawahl im liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koali- Mai dieses Jahres wieder ausschließen. tion. (Zuruf von der LINKEN: Eine Frechheit!) (B) (D) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Und das ist eine Frechheit; das sagt ein Kollege, ich zi- der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE tiere das nur. GRÜNEN – Wilfried Oellers [CDU/CSU]: Nein, das ist falsch! Da widerspreche ich aus- (Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie drücklich! Erzählen Sie doch nicht so einen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Mist!) GRÜNEN – Matthias Seestern-Pauly [FDP]: Richtig!) – Doch, Herr Oellers, das ist so. – Seit der ersten Fassung des Bundeswahlgesetzes im Jahre 1956 stehen die Wahl- Das kann doch nicht Ihr Ernst sein, obwohl das klar rechtsausschlüsse in diesem Bundeswahlgesetz, damals grundgesetzwidrig ist, obwohl bei einem Ausschluss noch begründet mit – ich zitiere – Entmündigung und auch klar ist, dass wir aus der Menge der Betroffenen von Pflegschaft „wegen geistigen Gebrechens“. Da laufen 85 000 Menschen berechtigte Wahlprüfungsbeschwer- einem heute Schauer über den Rücken, wenn man diese den erwarten dürfen. Formulierungen hört. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Sehenden Auges!) Spätestens seit 1989/1990, seit der Implementierung des neuen Betreuungsrechts – die Kollegin Schmidt hat Für wie dumm halten Sie eigentlich die Menschen, wenn das angesprochen –, steht die Abschaffung dieser Wahl- Sie den Antrag, der dieses Ziel verfolgt, überschreiben rechtsausschlüsse in Rede – seit 30 Jahren! 1994 Ergän- mit „Für die Einführung eines inklusiven Wahlrechts“? zung des Artikels 3 Absatz 3 Satz 2 Grundgesetz um: Die anderen Anträge, die heute vorliegen, wären für die Menschen mit Behinderung dürfen nicht benachteiligt schnelle Einführung eines inklusiven Wahlrechts sehr ge- werden. eignet; Ihrer ist das nicht. (Dr. Matthias Bartke [SPD]: Besser spät als Wie verschwurbelt ist eigentlich die Argumentation, gar nicht! – Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Da zu sagen: „Die Wahlrechtsausschlüsse betreffen passives gab es leider einen FDP-Justizminister!) und aktives Wahlrecht. Im Normalfall ist vielleicht jeder Tausendste vom passiven Wahlrecht betroffen; das aktive 2006 UN-Behindertenrechtskonvention, seit 2009 in betrifft alle. Weil wir es beim passiven Wahlrecht nicht Deutschland in Rechtskraft. Und trotzdem bestehen die mehr umsetzen können, nehmen wir gleich auch das ak- Wahlrechtsausschlüsse bis heute. tive Wahlrecht nicht mit in den Blick und lassen auch das In dieser Wahlperiode haben zunächst die Freien De- weg“? Und dann versuchen Sie in den letzten Tagen auch mokraten, danach auch die Grünen und die Linken einen noch, sich mit Pressemitteilungen, die gar nichts mit dem 10148 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019

Jens Beeck (A) zu tun haben, was Sie noch vor zwei, drei Wochen ge- genau in diesem Sinne, wie es in den Gesetzentwürfen (C) sagt haben, als Macher beim Wegfall der Wahlrechtsaus- der drei Fraktionen drinsteht, auch mit Nachdruck gefor- schlüsse zu inszenieren. Das ist, liebe Kolleginnen und dert hat. Kollegen insbesondere von der Union, nur noch peinlich. Wir haben tatsächlich das Problem – Frau Schmidt, (Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie Sie haben es angesprochen –: Wir haben das Bundes- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE land Brandenburg; da sind am 26. Mai Kommunal- und GRÜNEN) Europawahlen. Für die Kommunalwahlen dürfen die Betroffenen natürlich das Wahlrecht ausführen, für die Bewahren Sie heute den Rechtsstaat! Verhindern Sie, Europawahl nicht. Liebe Union, das müssen Sie den dass zur Europawahl in diesem Jahr wiederum Menschen Wählerinnen und Wählern bitte selbst erklären. beleidigend durch pauschale Wahlrechtsausschlüsse aus- geschlossen werden! Verhindern Sie Tausende von Wahl- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- prüfungsbeschwerden! neten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE Ich komme zum Ende mit einem letzten Appell: Kol- GRÜNEN) leginnen und Kollegen von der SPD und von der Union, Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Wählerinnen denken Sie an das Motto des Behindertenbeauftragten und Wähler draußen an den Bildschirmen und liebe Be- Ihrer Bundesregierung: Inklusion ist zunächst eine Frage troffene, ich kann jedem nur empfehlen: Schauen Sie ab der Haltung. – Ihre Haltung werden Sie heute in der na- dem 30. März 2019 in die Wählerinnen- und Wähler- mentlichen Abstimmung zeigen müssen. verzeichnisse hinein, und prüfen Sie, ob Ihr Name dort Vielen Dank. drinsteht. Sollte das nicht der Fall sein, drängen Sie da- rauf, dass genau diese Eintragung vollzogen wird; denn (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten mit dem Verfassungsgerichtsbeschluss im Rücken ist das des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) durchaus möglich. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank, Herr Kollege Beeck. – Als nächster Red- Zu den zwei Gesetzentwürfen legt die Koalition einen ner spricht zu uns der Kollege Sören Pellmann, Fraktion Antrag vor, der keine Gesetzeskraft entfaltet. Im letzten Die Linke. Satz schreiben Sie dann noch: Die Europawahl können wir leider nicht mehr erreichen. – Das ist zynisch, liebe (Beifall bei der LINKEN) Kolleginnen und Kollegen. (B) (D) Sören Pellmann (DIE LINKE): (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jens Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Beeck [FDP] – Britta Haßelmann [BÜND- heutige Tag könnte tatsächlich ein historischer Tag wer- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Natürlich kann man den. Am Dienstag beim Parlamentarischen Abend der das schaffen, wenn man will!) Lebenshilfe – Frau Schmidt, Sie haben dort einführende Worte gesprochen – war Frau Günther anwesend, eine Ich will noch einen historischen Bogen spannen: Wir Betroffene, die ausführte: Ich will nur Teilhabe am Leben feiern dieses Jahr 100 Jahre Wahlrecht für Frauen – ein genießen. – Das ist insbesondere für das, was heute hier großer Erfolg. Ich glaube, es ist an der Zeit, 100 Jahre gleich passieren wird, handlungsleitend. später die noch verbliebenen Wahlrechtsausschlüsse, nämlich die von Menschen mit Beeinträchtigungen – das Ein bisschen zur Historie, liebe Unionskolleginnen sind immerhin fast 90 000 Bürgerinnen und Bürger der und -kollegen – das kann ich Ihnen an dieser Stelle nicht Bundesrepublik –, endgültig und abschließend aufzuhe- ersparen –: Seit November reden wir miteinander da- ben. rüber, dass die nach unserer Auffassung damals schon festgestellt rechtswidrigen Wahlrechtsausschlüsse ab- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- geschafft gehören. Es gab dann in Ihrer Fraktion einen neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wechsel an der Fraktionsspitze. Das führte dazu, dass der Kollege Brinkhaus sagte – wir waren uns in allen Frau Günther hat beim Parlamentarischen Abend der Punkten schon einig –: Nein, wir ziehen das jetzt noch Lebenshilfe am Dienstag noch etwas gesagt. Sie sagte: mal zurück und schauen es uns noch mal an. – Auch das Ich habe gar nicht viele Forderungen, ich habe gar nicht gehört zur Wahrheit dazu. Herr Brinkhaus, insbesonde- viele Wünsche. Ich will nur Mensch sein. – Daran an- re Ihre Fraktion, die CDU/CSU, hat verhindert, dass zur knüpfend, liebe Kolleginnen und Kollegen – es liegen Europawahl ein inklusives Wahlrecht möglich ist. heute zwei Gesetzentwürfe vor, die ähnlich lauten –, bitte ich um Ihre Zustimmung. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Skan- dalös! – Weiterer Zuruf von der LINKEN: (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Hört! Hört!) neten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ohne dass die drei Oppositionsfraktionen heute diesen Punkt auf die Tagesordnung gesetzt hätten, wäre, glaube Denn nach unserer Auffassung – nach Auffassung der ich, von Ihnen gar nichts gekommen. Verstärkend kam Fraktionen der Linken, der Grünen und auch der FDP – dann noch hinzu, dass das Bundesverfassungsgericht es ist das inklusive Wahlrecht ein Menschenrecht. Tun Sie Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 10149

Sören Pellmann (A) heute etwas dafür, und stimmen Sie für genau diese Ge- jedenfalls Schwung reingegeben. Ich hätte mir das von (C) setzentwürfe! der SPD früher gewünscht, auch sichtbar gewünscht in dieser Debatte. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Haben wir Abschließend, liebe Kolleginnen und Kollegen: Ge- genug gemacht!) rüchteweise ist an uns herangetragen worden, dass die Aber die Union hat heute hier wieder mit Ihnen, Herr Koalitionsfraktionen nächste Sitzungswoche einen ent- Oellers, echt ein Geschwurbel veranstaltet, sprechenden Gesetzentwurf präsentieren wollen. In der vorläufigen Tagesordnung, zumindest nach der, die mir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vorliegt, ist dazu leider nichts enthalten. und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der FDP) NEN]: Nein, da steht nichts auf der Tagesord- das mich kaum glauben lässt, dass wir Ihren Antrag da nung!) irgendwie umgesetzt bekommen. Diese abstrusen Ideen, Ich würde dringend an Sie appellieren: Liefern Sie end- das Wahlrecht im Einzelfall zu prüfen, das ist an Absur- lich nach! Ansonsten sehen wir uns in der nächsten Wo- dität und an Ängstlichkeit wirklich nicht zu überbieten. che vor dem Bundesverfassungsgericht wieder. Vor wem haben Sie eigentlich Angst? Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- und bei der LINKEN) neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vor Wählerinnen und Wählern? Vor Menschen mit Be- hinderungen? Das wirft ein ganz schlechtes Licht auf Sie Vizepräsident Wolfgang Kubicki: und zeigt, dass Sie den Ansatz der vollständigen Teilhabe Vielen Dank, Herr Kollege. – Die nächste Rednerin von Menschen mit Behinderung in diesem Land im Kern ist die Kollegin Corinna Rüffer, Bündnis 90/Die Grünen. nicht verstanden haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es geht um 85 000 Menschen, um Menschen, die bis- her keinerlei Rechtssicherheit hatten. Ob sie vom Wahl- Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): recht ausgeschlossen wurden, das hing davon ab, ob sie Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Abgeordnete, ins- in Bremen wohnen oder in Bayern oder sonst wo; das (B) besondere von Union und SPD! Ich will es auch noch Recht ist völlig unterschiedlich angewendet worden. Die (D) einmal probieren: Menschen mit Behinderung – das Wahlrechtsausschlüsse betrafen viel mehr Menschen, wissen wir alle – haben selten irgendetwas geschenkt als wir ursprünglich mal gedacht haben. Es ist seit vie- bekommen. Sie wissen, dass sie in diesem Land für al- len Jahren völlig klar, dass wir endlich konsequent diese les kämpfen müssen, was sie bekommen wollen. Diese Wahlrechtsausschlüsse streichen müssen. Menschen haben ganz lange darum gerungen, endlich wahlberechtigt zu sein. Ihre Erwartungen uns gegenüber (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sind leider denkbar gering. Das ist so traurig. und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP) In wenigen Tagen feiern wir den zehnten Jahrestag der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention, die Wir legen entsprechende Anträge, wie die Linke auch, damit geltendes Recht in Deutschland wurde. Zum Punkt zum x-ten Mal vor. Ich bitte Sie, dass wir heute endlich des Wahlrechtes ist diese Konvention ganz eindeutig und konsequent sind. explizit. Was wir hier aber erleben – im Deutschen Bun- destag, in den Ausschüssen, seit Monaten, eigentlich seit Stattdessen kommen Sie hier mit so einem Gurkenan- Jahren –, ist ein erbärmliches Trauerspiel; das will ich trag, der uns überhaupt nicht weiterbringt. Die Menschen Ihnen einmal sagen. mit Behinderung werden bei der Europawahl, wenn das so weitergeht, wieder in die Röhre schauen. Jens Beeck (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat es gerade ganz treffend formuliert: Das ist eine einzi- und bei der LINKEN sowie des Abg. Jens ge Unverfrorenheit. Beeck [FDP]) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Sie wissen ganz genau, dass ohne die Gesetzentwürfe, SES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LIN- die von der Opposition vorgelegt worden sind, und na- KEN) türlich vor allem ohne den Beschluss des Bundesverfas- sungsgerichtes hier heute überhaupt gar nichts passieren Und angesichts dessen, was Sie an Öffentlichkeitsarbeit würde. betrieben haben, weiß ich nicht, ob Sie noch in den Spie- gel schauen können. Das ist – man muss es einfach sa- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gen – nicht ehrlich und nicht redlich. Wenn Sie das, was sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sie hier vorgeben, auch tun wollen, nämlich diesen Men- Das liegt in erster Linie natürlich nicht an der SPD, ob- schen die Möglichkeit geben, an der Wahlurne für ihre wohl Ulla Schmidt heute so geredet hat, als käme sie eigenen Rechte einzutreten – sie sind von der Gesetzge- von der Lebenshilfe und nicht von der SPD. Sie hat da bung dieses Hauses besonders betroffen –, dann stimmen 10150 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019

Corinna Rüffer (A) Sie bitte heute diesen Gesetzentwürfen zu, entweder dem werden, wenn es dazu wirklich einen ganz eng gefassten (C) der FDP oder dem gemeinsam von uns und der Linken Anlass gibt. Die bisherige Handhabung, dass Menschen, eingebrachten. die unter Vollbetreuung stehen, von ihrem Wahlrecht kei- nen Gebrauch machen konnten, war nicht in Ordnung. (Jens Beeck [FDP]: Beiden!) Das werden wir beseitigen. Wir schaffen ein inklusives Die sind beide vollkommen in Ordnung. Damit hätten Wahlrecht und sorgen dafür, dass diese Menschen zu- wir eine saubere Lösung. Dann könnten wir gemeinsam künftig an der Wahl teilnehmen können. glaubwürdig aus diesem Parlament rausgehen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Abg. Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]) und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Ich möchte einmal deutlich machen, was das ganz der FDP) praktisch bedeutet. Ich bin in meinem Wahlkreis in Augs- Wenn Sie das nicht tun, wenn Sie sich heute nicht auf burg bei einem Fest der Lebenshilfe einem jungen Mann die Hinterbeine stellen, dann haben Sie nicht nur Ihre begegnet; ich nenne ihn Stefan. Er ist seit über zwanzig Glaubwürdigkeit in dieser Frage gänzlich verloren, Jahren durch seine Mutter vollbetreut, und er arbeitet tag- täglich für die Caritas. Er hat sich im Vorfeld der letzten (Burkhard Lischka [SPD]: Jetzt kommen Sie Bundes- und Landtagswahlen mit Politik beschäftigt. Ich mal von Ihrem hohen Ross herunter!) habe mit ihm gesprochen. Sie hatten sogar in ihrer Wohn- sondern dann muss man auch sagen: Das Bundesverfas- gruppe eine Art Arbeitsgemeinschaft, die sich mit Politik sungsgericht hat klar entschieden, bezogen auf die Bun- beschäftigt. Er hat mich gefragt: Warum kann ich nicht destagswahl. Die Formulierung im Europawahlgesetz ist wählen? – Mit dem Antrag, den wir heute auf den Weg aber wortgleich. Das heißt, wir wissen, dass das Bundes- bringen, werden wir ihm zurufen: Sie, Stefan, Sie kön- verfassungsgericht die Regelungen im Europawahlgesetz nen zukünftig wählen, Ihre Teilnahme als Staatsbürger genauso streichen wird wie die im Bundeswahlgesetz. an diesem Land steht zukünftig nicht mehr unter Vorbe- Wenn Sie nicht wieder das Bundesverfassungsgericht halt. – Ich glaube, das ist eine gute Botschaft, zwingen wollen, hier in einem Schnellverfahren eine (Beifall der Abg. Ulla Schmidt [Aachen] Entscheidung zu treffen, wenn wir das Primat der Politik [SPD] – Zuruf von der LINKEN: Aber nur noch in den eigenen Händen behalten wollen, dann müs- eine Botschaft!) sen wir heute endlich eine konsequente Entscheidung fäl- len. Ich bin gespannt, was Sie tun. welche wir den vielen Menschen, den 80 000, mitgeben, die bislang vom Wahlrecht ausgeschlossen waren. Herzlichen Dank. (B) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der SPD – [DIE LINKE]: Wann sowie bei Abgeordneten der FDP und der LIN- legen Sie denn etwas vor?) KEN) Wie sieht das inklusive Wahlrecht zukünftig aus? Die- se Koalition wird die Wahlrechtsausschlüsse streichen, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: im Bundestagswahlrecht und im Europawahlrecht. Ja, Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als vorletzter Red- wir haben lange gerungen – auch mit uns selbst –, ob ner zu diesem Tagesordnungspunkt erhält der Kollege wir eine Prüfung der Wählbarkeit einführen sollten oder Dr. Volker Ullrich, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. nicht. Ich persönlich sage, dass es richtig ist, auf eine sol- (Beifall bei der CDU/CSU) che Prüfung zu verzichten, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): weil das Wahlrecht als Recht eines jeden Staatsbürgers, Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- an dieser Willensbildung per Wahl teilzunehmen, letzten ren! Wir werden künftig die Wahlrechtsausschlüsse für Endes nicht von einer Überprüfung durch Dritte abhän- Menschen, die unter Betreuung stehen, beseitigen. Wir gen kann. tun das nicht nur, weil wir Respekt haben vor dem Be- schluss des Bundesverfassungsgerichts, sondern weil es (Beifall des Abg. Burkhard Lischka [SPD]) auch unserer eigenen inneren Haltung entspricht. Wir Deswegen müssen wir auf diese Prüfung verzichten, auch stehen hinter Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes, dass wenn es im Rahmen des Beschlusses des Bundesverfas- niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt wer- sungsgerichts hier vielleicht einen gewissen Spielraum den darf. gegeben hätte. Aber die Frage wäre immer gewesen: Wie Wir tun das auch, weil wir den Wahlrechtsgrundsatz organisieren wir eine solche Prüfung? der Allgemeinheit der Wahl ernst nehmen. Die Allge- (Beifall der Abg. Ulla Schmidt [Aachen] meinheit der Wahl garantiert nämlich allen Staatsbürgern [SPD]) das Recht, zu wählen und gewählt zu werden. Einschrän- kungen dafür dürfen nur unter ganz bestimmten, engen Und: Ja, wir wissen auch, dass Assistenz für Men- Grenzen formuliert werden. Die Grenzen, die wir bislang schen mit Behinderung auch beim Wahlakt möglicher- hatten, waren viel zu weit gefasst. Der Integrationsvor- weise noch notwendig sein wird. Aber durch die zu- gang und die Kommunikation zwischen den Staatsbür- künftige Verankerung im Strafrecht machen wir klar und gern und den Staatsorganen darf nur dann eingeschränkt deutlich, dass es hier nicht um irgendetwas geht, sondern Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 10151

Dr. Volker Ullrich (A) dass es auch strafbewehrt sein wird, wenn ein Betreuer Dr. Matthias Bartke (SPD): (C) oder jemand anderes seine Macht über den Betreuten so Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frage: missbraucht, dass der Betreute so wählt wie der Betreuer Was haben die Länder Hamburg, Berlin, Brandenburg, und nicht, wie er wollte. Ich glaube, da müssen wir auch Bremen, Schleswig-Holstein und NRW jetzt schon ge- durch das Strafrecht die Ehrlichkeit und die Lauterkeit meinsam? Antwort: All diese Länder haben das inklusive der Wahl klar und deutlich schützen, und da machen wir Wahlrecht bereits eingeführt. Und jetzt macht es auch der uns auch auf den Weg. Bund. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Jens Sören Pellmann [DIE LINKE]: Die Frage ist, Beeck [FDP]: Jetzt eben nicht!) wann Sie ans Ziel kommen!) Der Ihnen vorliegende Koalitionsantrag zur Abschaf- Die letzte offene Frage ist die nach der Europawahl. fung der Wahlrechtsausschlüsse ist das glückliche Ende Wenn es nach mir und nach vielen Kolleginnen und Kol- einer sehr, sehr langen positiven Entwicklung, einer legen ginge, würden wir natürlich bereits zur Europa- Bewusstseinsentwicklung. Diese allmähliche Bewusst- wahl diesen Wahlrechtsausschluss beseitigen. Wir haben seinsveränderung für die berechtigten Anliegen von hier aber ein verfassungsrechtliches Problem, und das Menschen mit Behinderung betrifft uns alle. Auch die dürfen wir nicht von vornherein auf die leichte Schulter SPD wurde gefragt: Wollt ihr wirklich Menschen wäh- nehmen. Wahlrecht im Sinne der Allgemeinheit der Wahl len lassen, die eine Betreuung in allen Angelegenheiten setzt aktives und passives Wahlrecht voraus. haben? Antwort: Ja, das wollen wir. – Denn wir wissen, (Dr. Matthias Bartke [SPD]: So ist es!) dass eine Behinderung nicht das politische Bewusstsein beeinträchtigt. Menschen mit Behinderung haben häufig Wenn wir jetzt aber zu einem Zeitpunkt, zu dem die ein ganz klares Gespür dafür, was sie politisch richtig Wahllisten bereits eingereicht sind – heute hat der Bun- und was sie politisch falsch finden. Und sie haben häufig deswahlleiter getagt –, auf einmal das aktive Wahlrecht auch eine ganz klare Meinung darüber, welche Partei sie öffnen, aber das passive Wahlrecht nicht geöffnet haben, gut finden. dann fallen hier aktives und passives Wahlrecht ausei- nander. Ich glaube, das wäre keine gute Entscheidung. Meine Damen und Herren, man darf Menschen das Wahlrecht nicht vorenthalten, nur weil sie unter Voll- Auch sollten wir sehr stark darauf achten, was die betreuung stehen. – Dieser Satz ist die Quintessenz der Venedig-Kommission, die Kommission für Demokratie Bundesverfassungsgerichtsentscheidung vom 29. Januar durch Recht des Europarats, gesagt hat. Hier gibt es eine dieses Jahres. Rein rechtlich wäre es dem Gesetzgeber klare Empfehlung an die Mitgliedstaaten, dass das Wahl- (B) nach der Entscheidung des Gerichts nicht verwehrt ge- (D) recht ein Jahr vor einer Wahl nicht geändert werden soll. wesen, Individualprüfungen zur Wahlrechtsfähigkeit ein- In vielen Punkten und in vielen Teilen der politischen zuführen; Herr Ullrich hat eben noch mal darauf hinge- Debatte ist uns die Ansicht der Venedig-Kommission wiesen. Ich weiß, dass unser Koalitionspartner lange mit sehr wichtig, gerade wenn es um Rechtsstaatlichkeit in diesem Weg geliebäugelt hat. Deswegen, liebe Kollegin- Mittel- und Osteuropa geht: in Rumänien, Ungarn, Polen nen und Kollegen von der Union, möchte ich mich aus- und anderen Staaten. In einer solchen Situation können drücklich bei Ihnen dafür bedanken, dass Sie diesen Weg wir uns doch nicht von einer Empfehlung der Vene- am Ende nicht gegangen sind. Ich sage Ihnen: Es wäre dig-Kommission absetzen. Ich glaube, auch wenn es für der grundfalsche Weg gewesen. Keine Person und keine diese Europawahl wehtut: Aus verfassungsrechtlichen Institution auf der ganzen Welt haben das Recht, Men- Gründen können wir es diesmal nicht schaffen. schen wegen irgendwelcher Eigenschaften das Wahlrecht Wir werden aber sicherstellen, dass zu allen künftigen abzusprechen. Wahlen auf Bundesebene, Bundestagswahl und Europa- Der richtige Weg ist der, den wir jetzt gehen. Es ist wahl, im Interesse der Menschen und Staatsbürger, die der Weg, Menschen mit Behinderung von der Wahl nicht vom Wahlrecht bislang ausgeschlossen waren, dieses auszuschließen, sondern ihnen durch Unterstützung und Wahlrecht für sie gilt. Das ist eine Frage der Haltung und Wahlassistenz die Ausübung ihres Wahlrechts zu ermög- des inklusiven Wahlrechts. Das bringen wir auf den Weg. lichen. Deswegen bitte ich Sie um Zustimmung zu unserem An- trag. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Liebe behindertenpolitischen Sprecherinnen und ordneten der SPD) Sprecher der Opposition, auch bei Ihnen möchte ich mich bedanken. Wir haben das Thema Wahlrechtsausschlüsse Vizepräsident Wolfgang Kubicki: in vielen Sitzungen diskutiert, und die Diskussionen wa- ren immer solidarisch und im Interesse der Betroffenen. Herzlichen Dank. – Als letzter Redner zu diesem Ta- Umso mehr tut es mir leid, dass wir Ihren Anträgen nicht gesordnungspunkt spricht jetzt der Kollege Dr. Matthias zustimmen können. Frau Rüffer, ich weiß, dass sie wirk- Bartke, SPD-Fraktion. lich gut gemeint sind; aber wie der Volksmund sagt: Gut (Beifall bei der SPD) gemeint ist häufig das Gegenteil von gut gemacht. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen im Saal um (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ruhe und Aufmerksamkeit. Oah!) 10152 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019

Dr. Matthias Bartke (A) So ist es leider auch hier. bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorge- (C) sehenen Plätze einzunehmen. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Unmöglich so etwas!) An den Urnen fehlen sowohl Oppositionsschriftfüh- Sie möchten, dass die Vollbetreuten bereits bei der Eu- rer als auch Koalitionsschriftführer. Wir stimmen erst ropawahl in zwei Monaten wählen können. ab, wenn alle Urnen besetzt sind. – Sind jetzt alle Ur- nen besetzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich die erste (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) namentliche Abstimmung, und zwar über den Gesetzent- Ich finde, das ist ein sehr verständliches Anliegen. Mit wurf der Fraktion der FDP. Ihrer vorgeschlagenen Rechtsänderung verändern Sie Ich frage: Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das aber nicht nur den potenziellen Kreis der Wählerinnen seine Stimme noch nicht abgegeben hat? – Ich sehe, das und Wähler, sondern auch den der Kandidaten. Alle Par- ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und teien haben ihre Kandidaten für die Europawahl aber bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der längst aufgestellt. Sie wollen also nach Aufstellung der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung Kandidaten, aber noch vor der Wahl die Regularien für wird Ihnen später bekannt gegeben.1) das passive Wahlrecht verändern. Das ist ein absolut un- zulässiger Eingriff in die Kandidatenaufstellung der Eu- Wir setzen die Abstimmung fort und kommen zu dem ropawahl. Ich sage Ihnen: Das geht gar nicht. Gesetzentwurf der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf und Die Linke zur Umsetzung der UN-Behinderten- vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Herr rechtskonvention im Wahlrecht. Der Ausschuss für In- Bartke, Sie wissen, dass das nicht stimmt!) neres und Heimat empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/8177, den Die Europäische Kommission für Demokratie durch Gesetzentwurf der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen Recht, die sogenannte Venedig-Kommission, hat aus gu- und Die Linke auf Drucksache 19/4568 abzulehnen. Wir tem Grunde festgestellt, dass Wahlrechtsänderungen nur stimmen über den Gesetzentwurf auf Verlangen der Frak- bis ein Jahr vor der Wahl stattfinden dürfen. Herr Beeck, tion Bündnis 90/Die Grünen namentlich ab. Ich frage: wenn wir Ihren Änderungen des Europawahlgesetzes zu- Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist offen- stimmen würden, so hätte das mit Sicherheit eines zur sichtlich der Fall. Dann eröffne ich die zweite namentli- Folge, nämlich die nächste Klage vor dem Bundesver- che Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktionen fassungsgericht. Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke. (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stim- (B) NEN – Matthias Seestern-Pauly [FDP]: Die me noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. (D) kriegen Sie so auch! – Sören Pellmann [DIE Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schrift- LINKE]: Quatsch!) führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu Die Koalition wird daher in den nächsten Wochen ein beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung Gesetz vorlegen, das erst nach der Europawahl, nämlich wird Ihnen später bekannt gegeben.2) am 1. Juli 2019, in Kraft tritt. Zusatzpunkt 14. Wir kommen jetzt zur dritten nament- Meine Damen und Herren, abgesehen von diesem Dis- lichen Abstimmung, und zwar über den Antrag der Frak- sens möchte ich am Ende doch eines betonen: Wir haben tionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 19/8261 es gemeinsam geschafft, einen großen überparteilichen mit dem Titel „Für die Einführung eines inklusiven Wahl- Konsens für die Abschaffung der Wahlrechtsausschlüsse rechts“. Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Liebe herzustellen. Daher sage ich mit großer Freude: Heute ist Kolleginnen und Kollegen, alle Urnen sind besetzt. Dann ein guter Tag für die Inklusion. eröffne ich die Abstimmung über den Antrag der Fraktio- Ich danke Ihnen. nen der CDU/CSU und der SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich stelle die ent- der CDU/CSU) scheidende Frage: Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? – Das ist erkennbar nicht der Fall. Dann schließe ich die nament-

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: liche Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Bartke. – Damit schlie- Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Er- ße ich die Aussprache. gebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen später Wir kommen jetzt zu drei namentlichen Abstimmun- bekannt gegeben.3) gen. Ich bitte jetzt diejenigen Mitglieder des Hauses, die Als Erstes stimmen wir über den von der FDP einge- der Aktuellen Stunde nicht folgen wollen, den Saal zu brachten Entwurf eines Gesetzes für mehr Teilhabe im räumen. Wir werden die Gelegenheit nutzen, das Präsidi- Wahlrecht ab. Der Ausschuss für Inneres und Heimat um vollständig auszutauschen. empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/8177, den Gesetzentwurf der Frakti- 1) Ergebnis Seite 10159 D on der FDP auf Drucksache 19/3171 abzulehnen. Die 2) Ergebnis Seite 10163 B Fraktion der FDP wünscht namentliche Abstimmung. Ich 3) Ergebnis Seite 10165 D Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 10153

(A) Vizepräsident : in über 100 Ländern. Es ist ein unglaublich starkes, ein (C) Meine Damen und Herren, die Ergebnisse der nament- unglaublich positives Signal. lichen Abstimmungen werden später bekannt gegeben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 15 auf: der SPD – [AfD]: Das kann Aktuelle Stunde so nicht sein! – Jürgen Braun [AfD]: Und er sitzt da und lässt sich alles gefallen!) auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das ist ein Appell, der sich an die demokratischen Par- teien hier in diesem Hohen Hause richtet. Haltung der Bundesregierung zu den Kli- (Jürgen Braun [AfD]: Herrschaft des Un- mastreiks der Fridays-for-Future-Bewegung rechts!) und der Petition Scientists for Future Das ist ein Appell, der sich an uns Politikerinnen und Das ist in der Tat ein höchst aktuelles Thema. Wer Politiker richtet, damit wir unserer Aufgabe gerecht wer- Gelegenheit hatte, die über 10 000 Schülerinnen und den, dafür zu sorgen, diesen Planeten bewohnbar zu hal- Schüler mit großer Ernsthaftigkeit, aber auch mit einer ten, dafür zu sorgen, dass die jungen Menschen, die so fröhlichen Grundhaltung am Gebäude des Bundestages strebsam für ihre Zukunft kämpfen, eine gute Zukunft vorbeiziehen zu sehen, der muss sich beeindruckt gezeigt haben, dafür zu sorgen, dass ihre Lebensgrundlagen er- haben. Ich darf den Schülerinnen und Schülern von hier halten werden. Dieser Appell ist Auftrag an uns alle, end- einen herzlichen Glückwunsch zu ihrer Demonstration lich Maßnahmen zu ergreifen, damit diese Schülerinnen aussprechen. Wenn so demonstriert wird, ist das ein Bei- und Schüler nicht mehr für ihre Zukunft streiken müssen. trag zur demokratischen Willensbildung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. der SPD) Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU] – Jürgen Braun [AfD] begibt sich zum Präsidium – Aber was macht die Große Koalition? Was macht die- Peter Boehringer [AfD]: Unglaublich! Sofort se Bundesregierung? Anstatt diesen Protest als Anlass zu absetzen die Debatte!) nehmen, endlich echte Maßnahmen beim Klimaschutz zu ergreifen, fängt sie eine äußerst seltsame Debatte darüber – Herr Braun, setzen Sie sich bitte auf Ihren Platz. an, ob diese jungen Menschen nicht besser zur Schule gehen sollten. (B) (Peter Boehringer [AfD]: Das ist nicht neutral, (D) in keiner Weise! – Jürgen Braun [AfD]: Das ist ( [CDU/CSU]: Das wäre sinn- keine neutrale Führung hier!) voll!) Ich rufe nunmehr den ersten Redner, Dr. Anton Man kann nur eines feststellen: Wer als junger Mensch Hofreiter, Bündnis 90/Die Grünen, auf. – Herr Hofreiter, so strebsam, so ehrgeizig für seine Zukunft kämpft, der Sie haben das Wort. wird auf alle Fälle auch seine Ziele in der Schule errei- chen. Um diese jungen Menschen mache ich mir, ehrlich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gesagt, keine Sorgen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sowie bei Abgeordneten der LINKEN und Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und der Abg. Dr. [SPD] – Bernhard Kollegen! Wir werden so lange streiken, bis ihr etwas än- Loos [CDU/CSU]: Samstagvormittag ist bes- dert. – Das sind die Worte der Schülerin Greta Thunberg, ser!) die seit Monaten für mehr Klimaschutz streikt. Ich würde von dieser Bundesregierung erwarten, dass (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sie endlich echte Maßnahmen ergreift; denn sie befindet und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten sich nicht auf dem Pfad, die Pariser Klimaschutzzie- der SPD) le einzuhalten. Die Bundesregierung hat dafür gesorgt, dass der Windkraftausbau im letzten Jahr um mehr als Heute sind Hunderttausende junger Menschen welt- die Hälfte eingebrochen ist. Die Bundesregierung be- weit auf die Straße gegangen, ginnt auch nach dem Bericht der Kohlekommission nicht damit, endlich den Kohleausstieg umzusetzen. Im (Jürgen Braun [AfD]: Gegen den parlamenta- Verkehrsbereich hat Frau Merkel mal versprochen, dass rischen Brauch! Das ist unglaublich! Und das 1 Million Elektrofahrzeuge, emissionsfreie Fahrzeuge, auch noch bei einer Aktuellen Stunde!) bis zum Jahr 2020 auf unseren Straßen sind. Bis zum um für ihre Zukunft zu kämpfen – in über 1 600 Städten Jahr 2018 waren es 53 000 Fahrzeuge. weltweit, ( [AfD]: Gott sei Dank!) (Peter Boehringer [AfD]: Was ist daran neu- Von einer funktionsfähigen Bahn, von wirksamen Maß- tral? Nichts! – Jürgen Braun [AfD]: Eine un- nahmen zur Energieeinsparung im Gebäudebereich oder glaubliche Haltung hier!) in der Landwirtschaft wollen wir gar nicht reden. 10154 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019

Dr. Anton Hofreiter (A) Frau Merkel hat stattdessen die Streiks der Schüle- Dann müssen sie nicht mehr für ihre Zukunft kämpfen. (C) rinnen und Schüler als „sehr gute Initiative“ bezeichnet. Aber ich frage mich: Wo ist denn die sehr gute Initiative (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Bundesregierung? sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das wäre eine sinnvolle Maßnahme. Das ist der Auftrag Ich hätte eine große Bitte an die nachfolgenden Redne­ an die Große Koalition. Fangen Sie endlich an! rinnen und Redner der Großen Koalition: Bitte kommen Sie nicht mit dem Argument daher, dass das Klimakabi- Vielen Dank. nett die sehr gute Initiative ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- sowie bei Abgeordneten der SPD und der SES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) LINKEN) Man hat nämlich den Eindruck, diese Bundesregierung agiert nach dem Motto: Wenn ich nicht mehr weiterweiß, Vizepräsident Thomas Oppermann: gründe ich einen Arbeitskreis. Aber ich benenne es noch mit dem schönen, hochtrabenden Namen „Klimakabi- Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist für die Bundesre- nett“. gierung Bundesministerin Anja Karliczek. (Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Das ist (Beifall bei der CDU/CSU) genau der richtige Weg!) Handeln Sie endlich! Das erwarten diese jungen Men- Anja Karliczek, Bundesministerin für Bildung und schen von uns. Forschung: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sehr geehrter Herr Bundestagspräsident! Liebe Kol- leginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen Die Schülerinnen und Schüler streiken jetzt seit eini- und Herren! Oft höre ich: Die Schüler sitzen ja heute nur gen Wochen in Deutschland, regelmäßig am Freitag. Das noch vor dem Computer. – Ja, sie sind digital unterwegs. Problematische ist aber – darüber sollte sich insbesonde- Aber viele von ihnen tun im Netz etwas sehr Vernünfti- re die Unionsfraktion mal Gedanken machen –, dass sich ges und sehr Wertvolles: Sie informieren sich. Die jun- die Bundeskanzlerin und die unionsgeführte Regierung gen Menschen heute haben ein Ohr für die Argumente (B) jetzt seit 14 Jahren im Bummelstreik befinden im Hin- der Wissenschaft. Deswegen gehen sie auf die Straße und (D) blick auf die Umsetzung von echten Klimaschutzmaß- demonstrieren in vielen Ländern Europas für mehr Kli- nahmen. maschutz. (Petr Bystron [AfD]: Das ist kein Streik!) (Jürgen Braun [AfD]: Wissenschaftsspezialis- tin Frau Karliczek! Sie kennen sich ja in der Das ist das Problem, über das Sie sich unterhalten sollten. Wissenschaft aus!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Ich muss sagen: Ich freue mich darüber; denn es zeigt, Bernhard Loos [CDU/CSU]: Alles bla, bla, dass es um unsere Jugend sehr gut bestellt ist. Ihr En- bla! Nichts Konkretes!) gagement für Klimaschutz ist bemerkenswert und nicht selbstverständlich. Die jungen Menschen zeigen damit Über 20 000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft- Weitsicht und Verständnis für globale Zusammenhänge, ler unterstützen die Forderungen der Schülerinnen und und sie wissen: Es geht um ihre Zukunft. Schüler. (Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD]) (Dr. Lukas Köhler [FDP]: Was wären denn die Forderungen? Sagen Sie doch mal!) Und mal ehrlich: Sich für etwas zu engagieren, davon lebt unsere Demokratie. Das sind die Profis, auf die Sie hören sollten, liebe Kol- leginnen und Kollegen von der FDP. (Beifall bei der CDU/CSU – Jürgen Braun [AfD]: Das kennzeichnet Diktaturen, Minder- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN jährige einzusetzen! Das ist für Diktaturen ein sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Kennzeichen, dass Kinder und Minderjährige Für all diejenigen, die sich Sorgen machen, weil die vorgeschoben werden! Das ist traditionell so!) Schülerinnen und Schüler freitags im Moment nicht zur Schule gehen, habe ich einen ganz einfachen Tipp: Fan- Trotzdem, liebe Kolleginnen und Kollegen, gilt die gen Sie endlich mit wirksamem Klimaschutz an! Dann Schulpflicht; denn in der Schule wird die Grundlage für können die Schülerinnen und Schüler auch wieder guten ein selbstbestimmtes und verantwortungsbewusstes Le- Gewissens freitags zur Schule gehen. ben gelegt. Die Schule trägt im Übrigen auch dazu bei, etwas zu erwerben, das für den Schutz unseres Klimas (Lachen bei der AfD sowie des Abg. wichtig ist: Wissen um Zusammenhänge, Erkenntnisse Bernhard Loos [CDU/CSU]) und Handlungsoptionen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 10155

Bundesministerin Anja Karliczek (A) In der Schule lernen die Kinder, warum das Klima ge- Dass die Bundesregierung es ernst mit dem Klimaschutz (C) fährdet ist, meint, zeigt sich auch an der Entscheidung, ein Klimaka- binett einzurichten, (Peter Boehringer [AfD]: Sie sind aber nicht in der Schule!) (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Nein, das ist falsch! – Renate Künast durch welche Faktoren es beeinflusst wird, wie Forscher [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vor 20 Jah- verschiedene Klimamodelle berechnen und dass man da- ren vielleicht!) für Mathematik, Physik und Informatik braucht. In der Schule wird die Grundlage dafür gelegt, dass sie selbst und ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir den Wan- Lösungen für die gewaltigen Herausforderungen entwi- del positiv gestalten können. ckeln können, vor denen die Menschheit steht. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Darin zeigt sich tiefe Ratlosigkeit!) NEN]: Am Thema vorbei!) Klimaschutz, Wohlstand und eine starke Wirtschaft Eine solch gewaltige Herausforderung ist auch der sind keine Gegensätze. Sie gehören zusammen. Klimawandel. Wir werden den Klimawandel nur bewäl- tigen, wenn wir uns zusammentun, wenn wir uns auf un- (Beifall bei der CDU/CSU) sere Stärken besinnen, auf unsere Innovationskraft Grüne Technologien schaffen neue Exportchancen für (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- unser Land, und das hilft Umwelt und Wirtschaft. NEN]: Sie sind die Bundesregierung!) Ich freue mich sehr darüber, dass die jungen Menschen und auf die Stärke unserer Forschung. Wir setzen auf für ihre Zukunft, für unsere Zukunft demonstrieren. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die die For- schung vorantreiben. Nur so lernen wir, unser Klima zu (Jürgen Braun [AfD]: Und die Schule schwän- schützen. Welche Innovationen, welche Vernetzungen zen! Illegal nicht zur Schule gehen, das ist in und welche veränderten Lebens- und Arbeitsweisen Ordnung!) brauchen wir? Deshalb ist es auch richtig und wichtig, Lassen Sie uns gemeinsam mit ihnen unsere Schöpfung dass sich Wissenschaftler wie die Scientists for Future bewahren – nicht nur freitags, sondern an allen Tagen der öffentlich einbringen. Wir brauchen ihr Engagement. Woche. Wir brauchen und fördern ihre Lösungsoptionen für eine nachhaltige Zukunft. (Beifall bei der CDU/CSU – Jürgen Braun (B) [AfD]: Ja, noch mehr Schule schwänzen! (D) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Noch mehr Illegalität! Das ist unsere Regie- Forschung und Innovation sind nach wie vor die In- rung!) strumente, die uns helfen können, den Wandel zu gestal- ten. Seitdem unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel im Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Amt ist, haben wir 5 Milliarden Euro in die Forschung Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion für mehr Nachhaltigkeit investiert. der AfD Dr. Götz Frömming. (Dr. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Wie wäre es mal, wenn Sie handeln?) (Beifall bei der AfD) Forscherinnen und Forscher arbeiten mit Hochdruck am Dr. Götz Frömming (AfD): Klimaschutz, Sehr geehrter Präsident! Sehr verehrte Damen und (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Herren! „Wofür lernen, wenn es keine Zukunft gibt?“ NEN]: Ein Klimaschutzprogramm sollen Sie Das stand auf den Plakaten der Demonstranten. No Fu- auflegen, effektive Maßnahmen einleiten!) ture – das kommt mir irgendwie bekannt vor. an einer sauberen, sicheren und bezahlbaren Energiever- Ich denke zurück. Anfang der 80er-Jahre, am 22. Ok- sorgung, an einer Kreislaufwirtschaft, die unsere Res- tober 1983, sind Hunderttausende nach Bonn gefahren, sourcen schont, an Lösungen für CO2-intensive Indus­ um gegen den drohenden Atomtod zu demonstrieren. trien und an den Lösungen für den wachsenden Verkehr. Damals war ich 15 Jahre alt und stand mit vielen ande- (Zuruf von der AfD: Das ist eine Geldver- ren Demonstranten auf der Wiese im Bonner Hofgarten. brennung!) Viele Menschen hatten Angst vor einem Atomtod, und diese Angst übertrug sich vor allem auf junge Menschen, Vieles ist schon auf dem Weg, und zwar schon lan- genauso wie heute die Angst vor dem Klimawandel und ge und nicht erst seit den Protesten. Der Klimaschutz- seinen möglichen Folgen. plan 2050 der Bundesregierung steht. In 30 Jahren wol- len wir klimaneutral wirtschaften. Das ist das Ziel. Doch es gibt einen Unterschied, meine Damen und Herren: Damals haben sich die mit der Regierungsverant- (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE wortung betrauten Männer, namentlich Helmut Schmidt GRÜNEN]: Aber wie? – Jürgen Braun [AfD]: und dann Helmut Kohl, nicht von dieser kollektiven Ist dann noch einer von Ihnen da?) Hysterie anstecken lassen. Sie haben das für Recht und 10156 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019

Dr. Götz Frömming (A) richtig Erkannte durchgesetzt, nämlich den NATO-Dop- Kanzlerin und Justizministerin plötzlich kein Problem (C) pelbeschluss, und das war rückblickend betrachtet auch mehr. gut so. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Das geht so nicht. Das Recht muss immer über der Ideo- Heute, meine Damen und Herren, ist es leider umge- logie und die Verantwortung immer über der Gesinnung kehrt. Höchste Regierungsvertreter handeln mehr nach stehen. Das wusste schon Max Weber. So wie sich unsere Gefühl und öffentlicher Stimmung und weniger nach Regierung – zumindest ein Teil – verhalten hat, ist sie ein Verstand und Gesetz. Was schert uns der Maastricht-Ver- schlechtes Vorbild für unsere Jugend. trag, sagen sie, wenn wir Banken oder Staaten retten? Was schert uns das Dublin-Abkommen, wenn wir Flücht- (Beifall bei der AfD) linge retten? Was schert uns die Schulpflicht, wenn wir das Klima retten? Mal abgesehen davon: Wo gibt es denn eigentlich so etwas, dass man mit dem Segen der Regierung demons- (Zuruf von der LINKEN: Der Rassismus triert oder streikt? Das ist bei Schülern sowieso sehr ab- kommt bei Ihnen immer, nicht?) surd. Gegen wen, wenn nicht gegen sich selbst, sollen Schüler eigentlich streiken? In Demokratien demons­ Kurz gesagt: Sie scheren sich einen Kehricht um Recht triert man gegen die Regierung. Demonstrationen mit und Gesetz, wenn nur die Gesinnung stimmt. und nicht gegen die Regierung kennen wir nur aus Dikta- (Beifall bei der AfD) turen: aus der DDR, aus Nordkorea oder Kuba. Oder wie soll man es verstehen, wenn die Bundes- (Beifall bei der AfD – Lorenz Gösta Beutin kanzlerin in ihrer Videobotschaft über die Fridays-for-Fu- [DIE LINKE]: Sie haben nichts verstanden, ture-Demonstrationen sagt – Zitat –: „Ich glaube, das ist oder?) eine sehr gute Initiative“? Wenn Schüler jeden Freitag Da ich nicht annehmen möchte, dass sich – vielleicht mit dem Unterricht fernbleiben, nennt das die Bundeskanz- Ausnahme der SED-Nachfolgepartei – irgendjemand in lerin eine sehr gute Initiative, und Kollege Pronold von diese Tradition stellen will, muss ich fragen, wie sich die- der SPD – als Parlamentarischer Staatssekretär immerhin ses schizophrene Verhalten der Regierung erklären lässt. auch ein Vertreter der Regierung – lobt nicht nur den zi- vilen Ungehorsam der Schüler, sondern er geht da auch (Lorenz Gösta Beutin [DIE LINKE]: Schizo- noch hin. phren ist Ihre Politik!) (B) (D) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Das ist, wie schon in der Vergangenheit, wieder mal das SES 90/DIE GRÜNEN – Jürgen Braun [AfD]: „Prinzip Merkel“: Man stellt sich an die Spitze einer Be- Pfui!) wegung, um ihr letztlich die Spitze zu nehmen und sie Und die Justizministerin will den Schülern zur Beloh- ins Leere laufen zu lassen. Folgeschäden für unser Land nung für ihr letztlich staatskonformes Verhalten sogar werden kaltschnäuzig in Kauf genommen. das Wahlrecht ab 16 schenken. (Beifall bei der AfD) Meine Damen und Herren, was würden Sie eigentlich sagen, wenn die Schüler während des Unterrichts zu ei- Meine Damen und Herren, zu Recht haben wir als ner Pegida-Demonstration gingen? AfD die neutrale Schule angemahnt, und wir mahnen sie auch heute wieder an. Wir fordern die Regierung (Beifall bei der AfD – Zurufe von der SPD, und alle nachgeordneten Behörden auf, die Schulpflicht der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE konsequent durchzusetzen und sich ansonsten aus den GRÜNEN) Demons­trationen herauszuhalten. Das frage nicht ich, das fragt der Präsident des Deutschen (Beifall bei der AfD) Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger. Wenn Sie das nicht wollen, sind wir gerne bereit, darü- Meine Damen und Herren, Schüler und Eltern, die die ber zu diskutieren, ob wir in Deutschland eine Bildungs- Schulpflicht in der Vergangenheit versäumten, weil sie pflicht statt einer Schulpflicht brauchen. Ich wette aller- es beispielsweise abgelehnt haben, an einem Moschee- dings, dass Sie gar nicht darüber reden wollen, weil Sie besuch teilzunehmen, weil sie es beispielsweise abge- fürchten, dass die Einflussmöglichkeiten für den Staat lehnt haben, dass ihre Kinder schon in der Grundschule auf die jungen Menschen geringer werden könnten. mit Frühsexualisierung traktiert werden, sind mit allen Mitteln des Rechtsstaats verfolgt worden. Es wurden Lassen Sie mich schließen mit einer alten Volksweis- Zwangsgelder verhängt und die Kinder sogar zeitweise heit – sie stammt nicht von Luther –: Wenn ich wüsste, den Eltern entzogen. dass morgen die Welt untergeht, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen – oder zur Schule gehen. (Jürgen Braun [AfD]: Genau! So ist das!) Vielen Dank. Meine Damen und Herren, wenn die Gesinnung stimmt, dann ist die Missachtung der Schulpflicht für (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 10157

(A) Vizepräsident Thomas Oppermann: leben, die dann ungleich teurere Anpassungsmaßnahmen (C) Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist für die Bundesre- ergreifen müssen oder womöglich gar nichts mehr retten gierung die Bundesministerin Svenja Schulze. können. (Beifall bei der SPD) (Zuruf des Abg. Dr. Rainer Kraft [AfD]) Im Gegenteil: Wir brauchen einen neuen Generationen- Svenja Schulze, Bundesministerin für Umwelt, Na- vertrag, der den Klimaschutz über die nächsten Jahrzehn- turschutz und nukleare Sicherheit: te auch wirklich garantiert. Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeord- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nete! Als ich Schülerin war, habe ich gegen Atomkraft der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- demonstriert. Ich habe damals miterlebt, wie viele, auch NISSES 90/DIE GRÜNEN) wie viele junge engagierte Menschen von Teilen der Po- litik an den Rand gedrängt wurden. Damals hat man uns Noch haben wir die Möglichkeit, den Schalter umzu- vorgeworfen, wir wären Fortschrittsfeinde. Dabei ging es legen. Mit dem Kohleausstieg und dem Klimaschutzge- uns darum, eine Alternative zu finden zu diesem zerstö- setz gibt es auch schon zwei ganz wichtige Bausteine. rerischen Fortschrittsmodell. Damit will ich darauf hinweisen: Es stimmt nicht, dass gar nichts passiert. Wir haben das Abkommen von Paris. Deshalb finde ich es gut, wenn heute wieder angeblich Dieses hatte natürlich einen langen Vorlauf. Weltweit ha- so unpolitische junge Leute den Mund aufmachen, wenn ben sich die Staaten aber auf einen Weg für eine bessere sie auf die Straße gehen, wenn sie demonstrieren. Das ist Zukunft gemacht. Und das ist gut, auch wenn vieles na- Demokratie. türlich noch schneller gehen müsste. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. (Lorenz Gösta Beutin [DIE LINKE]: Und Dr. Klaus-Peter Schulze [CDU/CSU] – wie ist der Stand der Umsetzung? – Oliver Dr. Bernd Baumann [AfD]: Nein, das ist Auf- Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Al- hetzung durch die Lehrer! – Jürgen Braun les!) [AfD]: Das ist Missbrauch Minderjähriger! Nichts anderes ist das!) Hier in Deutschland haben wir gerade einen sehr er- folgreichen Prozess mit der Kohlekommission beschlos- Wir erleben eine Jugendbewegung, die sich mit hohem sen. Wir haben beschlossen, in weniger als 20 Jahren aus Tempo dynamisiert, die sich mobilisiert, die international der Kohleverstromung auszusteigen und das parallel zum vernetzt ist. Das ist gut für unsere Demokratie. Ausstieg aus der Atomkraft zu tun. (B) (D) (Beifall bei der SPD) (Dr. Harald Weyel [AfD]: Aus der Erdum- laufbahn aussteigen müssen wir!) Ja, die jüngere Generation unternimmt hier einen Weckruf. Das ist für manchen vielleicht zu spät. Aber das ist genau der richtige Weg. Wenn es uns gelingt, die Nutzung der (Lachen bei der AfD) erneuerbaren Energien und die Netze schneller auszu- bauen, dann können wir auch früher aus der Kohle aus- Er richtet sich hauptsächlich an uns Ältere, an uns Ent- steigen. Deswegen müssen wir alles daransetzen, dass scheiderinnen und Entscheider der älteren Generation. es uns gelingt, die Erneuerbaren schneller nach vorne zu (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Sie läuft mit dem bringen. Zeitgeist mit! – Jürgen Braun [AfD]: Sie de- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Anja monstriert gegen die Bundesregierung!) Weisgerber [CDU/CSU] – Zuruf des Abg. Ich bin dankbar dafür; denn ihr Anliegen ist der Klima- [AfD]) schutz, und das ist ein wichtiges Anliegen. Es ist eine Der Kohleausstieg ist Teil der Klimaschutzgesetzge- Generationenfrage. Es geht vor allen Dingen um die Zu- bung, wie wir sie derzeit diskutieren. Mit meinem Ent- kunft, gerade der jüngeren Generation. wurf für ein Klimaschutzgesetz will ich, dass es klare (Beifall bei der SPD) Verantwortlichkeiten gibt. Alle Bereiche brauchen klare Einsparziele, damit wir das gemeinsame Ziel bis 2030 Meine Damen und Herren, die Schülerinnen und auch wirklich erreichen können. Jahresemissionsmengen Schüler reihen sich damit genauso wie die Petition der soll es auch deshalb geben, weil die europäische Klima- Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in eine sehr schutzverordnung jährliche Emissionsbudgets für die breite gesellschaftliche Bewegung ein, die von der Po- Mitgliedstaaten vorsieht. Deshalb macht es Sinn, das auf litik, vom Deutschen Bundestag einfordert, mehr für Deutschland herunterzubrechen. den Klimaschutz zu unternehmen. Die Profis haben sich längst an die Seite von Fridays for Future gestellt. Es dürfte doch wirklich jedem einleuchten, dass es sinnvoller ist, aktiv in die ökologische Modernisierung (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Es gibt ganz unserer Wirtschaft zu investieren, statt abzuwarten oder andere Profis, die das anders sehen!) anderen Ländern Emissionsrechte abkaufen zu müssen oder das Geld für die Folgen aufzuwenden. Und sie haben recht: Wir können nicht auf Kosten ande- rer oder auf Kosten der nachkommenden Generationen (Beifall bei der SPD) 10158 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019

Bundesministerin Svenja Schulze (A) Meine Damen und Herren, kein Klimaschutz – das wird Vizepräsident Thomas Oppermann: (C) auf Dauer sehr, sehr teuer, und das können und sollten Vielen Dank. – Als Nächster spricht der Kollege wir uns nicht leisten. Dr. Lukas Köhler für die Fraktion der FDP. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der FDP)

Ich bin deshalb sehr froh, dass der Koalitionsaus- Dr. Lukas Köhler (FDP): schuss gestern beschlossen hat, ein Klimakabinett einzu- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Schülerinnen und setzen. Das zeigt: Die ganze Bundesregierung nimmt die Schüler! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Klimaschutzziele sehr ernst. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- GRÜNEN]: Liebe Profis!) NEN]: Dann bräuchten Sie ja kein Klimakabi- Zu Recht wird in der gesamten Diskussion über Fridays nett, wenn das so wäre!) for Future gefordert, dass wir die Schülerinnen und Schü- ler ernst nehmen sollten. Doch statt sich tatsächlich mal Das ist das, was ich immer wieder eingefordert habe: Für mit ihnen und ihren Forderungen auseinanderzusetzen, den Klimaschutz ist nicht alleine die Umweltministerin wird entweder vom Thema abgelenkt, oder die Jugendli- zuständig. Klimaschutz ist eine gemeinsame Aufgabe für chen werden instrumentalisiert. uns alle. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Anja Natürlich kann man darüber diskutieren, ob es in Ord- Weisgerber [CDU/CSU]) nung ist, die Schule zu schwänzen. Das finde ich – das Der Beschluss von gestern Abend unterstreicht doch muss ich allerdings zugeben – relativ langweilig. Sicher- noch einmal, dass wir in diesem Jahr die gesetzlichen lich nutzt ein Teil der Schüler die Demos dazu, nicht Maßnahmen zur verbindlichen Erreichung unserer Kli- zur Schule zu gehen. Aber das ist doch nicht der Punkt. maschutzziele beschließen werden. hat Natürlich müssen sie mit den Konsequenzen leben und gesagt: Die Bundesregierung wird 2019 zum Klimajahr diese akzeptieren. Ich denke aber auch, dass sich hier das große Engagement der Schülerinnen und Schüler zeigt. machen. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der SPD – [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Davon merkt Ich glaube, das ist der zentrale und wichtige Teil, den wir hier aufgreifen müssen. (B) man aber nichts!) (D) Während die einen aber mit dieser Schulzschwän- Ich finde, besser kann man es nicht ausdrücken. zerdebatte vom eigentlichen Thema ablenken wollen, versuchen die anderen, auf der populistischen Welle mit- Meine Damen und Herren, lassen Sie uns den Pro- zuschwimmen und die Schülerinnen und Schüler zu in- test der Schülerinnen und Schüler als einen weiteren strumentalisieren. Und das ist nicht weniger falsch. Wie Ansporn nehmen, hier eine gute Gesetzgebung mit am- oft habe ich in den letzten Wochen gehört: Mensch, super, bitionierten Maßnahmen auf den Weg zu bringen. Dass dass ihr auf die Straße geht! Endlich gibt es wieder eine wir diese Aufgabe erfolgreich anpacken können, hat die politische Generation! Toll macht ihr das! Zeigt uns Poli- Kohlekommission schon gezeigt. Es ist gelungen, Kli- tikern doch mal so richtig, wie es geht! Mensch, ihr habt maschutz, Arbeit und Strukturwandel zusammenzuden- so recht, es ist so schrecklich; die Welt ist so schlimm! – ken. Es ist uns gelungen, zu zeigen, dass das eine nur in Ich halte das für verwerflich; denn es instrumentalisiert der Kombination mit dem anderen nach vorne gebracht die Schülerinnen und Schüler. Vor allen Dingen aber ist werden kann. Ich finde, die Kohlekommission ist ein gu- es paternalistisch, weil es sie nicht ernst nimmt. Das ist tes Beispiel für einen gesellschaftlichen Kompromiss. das Problem. Solch einen Kompromiss brauchen wir eben auch in den anderen Bereichen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Steffi Lemke Meine Überzeugung ist: Wir sollten uns gemeinsam [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Mut machen, uns nicht auf zu vielen Nebenkriegsschau- – Ich weiß, es tut weh. – Das, meine Damen und Herren, plätzen verkämpfen. Wir müssen viel stärker als bisher hat mit Ernstnehmen überhaupt nichts zu tun. Das ist pu- auch über die Chancen diskutieren, viel mehr über die rer Paternalismus. Davon sollten wir wegkommen. Möglichkeiten sprechen, die mit dieser Transformation verbunden sind – und zwar mit den Schülerinnen und (Zurufe von der SPD, der LINKEN und dem Schülern, mit den Wissenschaftlerinnen und Wissen- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schaftlern und natürlich auch hier im Deutschen Bundes- Ich will diese Schülerinnen und Schüler ernst nehmen, tag. und das bedeutet, dass wir einerseits über ihre Ängste und Sorgen sprechen müssen, dass wir aber auf der ande- Ganz herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ren Seite – Stichwort „ernst nehmen“ – auch ihre Forde- rungen anschauen müssen. Darüber sollten wir sprechen, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 10159

Dr. Lukas Köhler (A) und zwar nicht unter dem Motto: Oh, die armen Kinder Meine Damen und Herren, wir haben oft genug ge- (C) sollten wir nicht kritisieren. – Das hört man nämlich sehr hört: Die Uhr steht auf fünf vor zwölf. Wenn ich mal so schnell von denjenigen, die exakt deren Meinung sind. zurückdenke, muss ich sagen: Meine besten Nächte ha- Und das ist tatsächlich ein Problem. Es ist der Abgesang ben um fünf vor zwölf angefangen. auf die Demokratie, wenn wir Kritik an bestimmten Po- sitionen nicht akzeptieren können. Hier sollte jeder seine (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten Argumente mal hinterfragen. der FDP – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist megazynisch!) (Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE Meine Damen und Herren, Mut, Gestaltungswil- GRÜNEN]) le, Optimismus, das sind die Positionen, mit denen wir die Zukunft retten können, das sind die Positionen, mit Zum Glück gab es gestern im Umweltausschuss ein denen wir Klimaschutz betreiben können; denn ich bin Berichterstattergespräch mit einigen Vertreterinnen und überzeugt, dass wir die Probleme noch lösen können, und Vertretern der Demonstranten von Fridays for Future. Es das, bevor es zu spät ist. Da müssen wir hin. wurde ganz konkret über Forderungen gesprochen. Die erste Forderung war die Forderung nach mehr, schnelle- (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Lisa rem und radikalerem Klimaschutz. Bei mehr und schnel- Badum [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann lerem Klimaschutz sind die meisten Fraktionen in diesem müssen Sie anfangen!) Haus einer Meinung. Ich habe aber mal nachgefragt, was radikalerer Klimaschutz denn bedeuten soll und ob da- Aber einer der Teilnehmer hat gestern was sehr Rich- mit gemeint ist, dass zum Beispiel auf die Atomenergie tiges gefordert: Er hat uns aufgefordert, mal zu überprü- fen, ob unsere Europawahlprogramme denn auch wirk- zu setzen ist. Damit wäre zumindest eine CO2-neutrale Energiequelle gegeben. lich mit dem 1,5-Grad-Ziel konform gehen können. Zum Glück kann ich für die FDP sagen, dass das der Fall ist. (Benjamin Strasser [FDP]: Hört! Hört! – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Was?) ist nicht CO2-neutral!) – Ja, schauen Sie mal rein. – Wir können klar sagen, dass Nein, so radikal waren die Schülerinnen und Schüler dieses Ziel mit unserer Forderung nach einer Ausweitung doch nicht. Das finde ich übrigens auch gut. des Emissionszertifikatehandels und der Koppelung an (Beifall bei der FDP) das Net-Zero-Ziel erreicht wird, und zwar eindeutig. Das (B) sagt übrigens auch die Bundesregierung. (D) Dann habe ich mal gefragt, ob wir nicht die Speiche- (Beifall bei der FDP – Oliver Krischer rung von CO2 vorantreiben sollen. Das war dann aber auch irgendwie nicht recht. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)

(Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP – Nur darüber zu diskutieren, welche Panik es gibt, das Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ist zu wenig. Meine Damen und Herren, wer die Apo- NEN]: Natürlich nicht!) kalypse herbeireden will, der kann das von mir aus sehr gerne tun. Ich bin dafür, dass wir sie hier gemeinsam ver- Wenn ich mir den IPCC-Bericht zum 1,5-Grad-Ziel an- hindern. Lassen Sie uns daran arbeiten. schaue, dann muss ich sagen: Es gibt nur diese beiden Optionen, wie wir dahin kommen können. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der CDU/CSU) NEN]: Falsch! – Benjamin Strasser [FDP]: Hört! Hört!) Vizepräsident Thomas Oppermann: Das bedeutet doch, dass wir uns damit auseinanderset- zen müssen. Wenn ich das ernst nehme, muss ich in die Vielen Dank. – Bevor wir mit der Debatte fortfahren, Diskussion einsteigen und erklären, warum „Wünsch dir möchte ich das von den Schriftführerinnen und Schrift- was“ im Klimaschutz nicht funktioniert. führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim- mungen bekannt geben. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Abstimmung über den von den Abgeordneten Jens Beeck, Matthias Seestern-Pauly, Michael Theurer, weite- Und das tue ich gerade, weil ich die Schülerinnen und ren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrach- Schüler ernst nehme. Das tue ich, weil ich sie für klug ten Entwurf eines Gesetzes für mehr Teilhabe im Wahl- genug halte, die Zusammenhänge zu verstehen. Das tue recht – das sind die Drucksachen 19/3171 und 19/8177 –: ich aber auch, weil ich herausfinden will, welche Forde- abgegebene Stimmen 583. Mit Ja haben gestimmt 170, rungen sie wirklich an die Politik stellen. mit Nein haben gestimmt 345, 68 Enthaltungen. Damit ist der Gesetzentwurf abgelehnt, und es entfällt nach un- (Zuruf des Abg. Sönke Rix [SPD]) serer Geschäftsordnung auch die weitere Beratung. 10160 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019

(A) Endgültiges Ergebnis Petra Pau Dr. (C) Abgegebene Stimmen: 583; Dr. Stefan Ruppert Sören Pellmann Dr. davon Dr. h. c. Claudia Müller ja: 170 Christian Sauter Tobias Pflüger Beate Müller-Gemmeke nein: 345 Dr. enthalten: 68 Matthias Seestern-Pauly Eva-Maria Schreiber Dr. Frank Sitta Dr. Petra Sitte Ja Bettina Stark-Watzinger Dr. Marie-Agnes Strack- Cem Özdemir FDP Zimmermann Benjamin Strasser Grigorios Aggelidis Alexander Ulrich Tabea Rößner Dr. Linda Teuteberg (Augsburg) Christine Aschenberg- Katrin Werner Dugnus Michael Theurer Dr. Jens Beeck Stephan Thomae Corinna Rüffer Dr. Sabine Zimmermann Dr. Dr. (Zwickau) Ulle Schauws (Rhein-Neckar) Stefan Schmidt BÜNDNIS 90/ Kordula Schulz-Asche (Südpfalz) DIE GRÜNEN Dr. Wolfgang Strengmann- Kuhn Dr. Carl-Julius Cronenberg Lisa Badum Bijan Djir-Sarai DIE LINKE Christian Dürr Jürgen Trittin Doris Achelwilm Dr. Julia Verlinden Simone Barrientos Dr. Dr. Dr. Dietmar Bartsch Lorenz Gösta Beutin Dr. Franziska Brantner Matthias W. Birkwald (B) Katrin Helling-Plahr Nein (D) Birke Bull-Bischoff Dr. Jörg Cezanne Katja Dörner CDU/CSU Torsten Herbst Katharina Dröge Dr. Dr. Dr. Diether Dehm Dr. Christoph Hoffmann Anke Domscheit-Berg Norbert Maria Altenkamp Susanne Ferschl Philipp Amthor Stefan Gelbhaar Gyde Jensen Dr. André Hahn Katrin Göring-Eckardt Dr. Christian Jung Heike Hänsel Erhard Grundl Dr. Dorothee Bär Matthias Höhn Anja Hajduk Thomas Bareiß Andrej Hunko Britta Haßelmann Ulla Jelpke Dr. Bettina Hoffmann Dr. Lukas Köhler Dr. Dr. Anton Hofreiter Wolfgang Kubicki (Börde) Katja Kipping Jan Korte Dr. Kirsten Kappert-Gonther Sybille Benning Alexander Graf Lambsdorff Dr. André Berghegger Katja Keul Melanie Bernstein Sabine Leidig Sven-Christian Kindler Christoph Bernstiel Michael Georg Link Maria Klein-Schmeink (Heilbronn) Stefan Liebich Oliver Krischer Dr. Gesine Lötzsch Stephan Kühn (Dresden) Dr. Jürgen Martens Christian Kühn (Tübingen) Peter Bleser Renate Künast Dr. Alexander Müller Niema Movassat Markus Kurth Michael Brand (Fulda) Frank Müller-Rosentritt Norbert Müller (Potsdam) Silvia Breher Dr. Zaklin Nastic Sven Lehmann (Lausitz) Steffi Lemke Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 10161

(A) Ralph Brinkhaus Dr. Volker Ullrich (C) Dr. Dr. Christoph Ploß Gitta Connemann Jens Koeppen Michael Donth Alexander Krauß (Kleinsaara) Marie-Luise Dött Gunther Krichbaum Hansjörg Durz Rüdiger Kruse Alois Rainer Dr. Dr. Johann David Wadephul Hermann Färber Dr. Roy Kühne Andreas G. Lämmel Enak Ferlemann Dr. Ulrich Lange Johannes Röring Albert H. Weiler Thorsten Frei Dr. Dr. Norbert Röttgen (Hamburg) Dr. Hans-Peter Friedrich Dr. Anja Weisgerber (Hof) Erwin Rüddel Peter Weiß (Emmendingen) Michael Frieser Dr. Sabine Weiss (Wesel I) Hans-Joachim Fuchtel Dr. Marian Wendt Ingo Gädechens Dr. Ursula von der Leyen Anita Schäfer (Saalstadt) Antje Lezius Dr. Wolfgang Schäuble Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Dr. Elisabeth Winkelmeier- Ursula Groden-Kranich Dr. Becker Hermann Gröhe Nikolas Löbel Christian Schmidt (Fürth) Klaus-Dieter Gröhler Bernhard Loos Patrick Schnieder Astrid Grotelüschen Dr. Jan-Marco Luczak Nadine Schön Markus Grübel Dr. Dr. Klaus-Peter Schulze SPD Fritz Güntzler Dr. Thomas de Maizière Armin Schuster (Weil am (B) Ingrid Arndt-Brauer (D) Rhein) Christian Haase Dr. Florian Hahn Jürgen Hardt Hans-Georg von der Marwitz Dr. Katarina Barley Dr. (Altötting) Dr. Matthias Bartke Dr. Dr. Björn Simon Sören Bartol () (Chemnitz) Dr. h. c. Leni Breymaier Dr. Katrin Staffler Dr. Karl-Heinz Brunner Katrin Budde Karsten Möring Dr. Dr. Dr. Christian Hirte Axel Müller Dr. Karamba Diaby Alexander Hoffmann Sepp Müller Carsten Müller (Rostock) (Braunschweig) Christian Frhr. von Stetten Dr. Wiebke Esdar Hans-Jürgen Irmer Stefan Müller (Erlangen) Dr. Dr. Johannes Fechner Dr. Georg Nüßlein Michael Stübgen Dr. Anja Karliczek Wilfried Oellers Dr. Dr. Torbjörn Kartes Florian Oßner Dr. Hermann-Josef Tebroke Ulrich Freese Dr. Stefan Kaufmann Josef Oster Hans-Jürgen Thies Dr. Michael Kießling Angelika Glöckner Dr. Dr. Timon Gremmels 10162 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019

(A) Mahmut Özdemir (Duisburg) Dirk Vöpel Fabian Jacobi (C) Michael Groß Aydan Özoğuz Dr. Marc Jongen Detlev Pilger Rita Hagl-Kehl Gülistan Yüksel (Minden) Dagmar Ziegler Norbert Kleinwächter Enrico Komning (Peine) Dr. Jens Zimmermann Jörn König Dr. Barbara Hendricks Dr. Rainer Kraft Gustav Herzog Sönke Rix AfD Rüdiger Lucassen Gabriele Hiller-Ohm Dr. Frank Junge René Röspel Dr. Enthalten Dr. Birgit Malsack- Johannes Kahrs Michael Roth (Heringen) Winkemann AfD Elisabeth Kaiser Susann Rüthrich Bernd Rützel Dr. Bernd Baumann Andreas Mrosek Hansjörg Müller Axel Schäfer (Bochum) Peter Boehringer Volker Münz Dr. Bärbel Kofler Dr. Nina Scheer Stephan Brandner Jan Ralf Nolte Daniela Kolbe Marianne Schieder Jürgen Braun Marcus Bühl Dr. Matthias Büttner Tobias Matthias Peterka Petr Bystron Paul Viktor Podolay Christian Lange (Backnang) Ulla Schmidt (Aachen) Jürgen Pohl Dr. (Wetzlar) Dr. Gottfried Curio (Erfurt) Berengar Elsner von Gronow Martin Erwin Renner Burkhard Lischka Johannes Schraps Dr. Roman Johannes Reusch Kirsten Lühmann Ulrike Schielke-Ziesing (B) Dr. Manja Schüle (D) Jörg Schneider Dr. Anton Friesen (Spandau) Dr. Götz Frömming René Springer Dr. Alexander Gauland Dr. Matthias Miersch Beatrix von Storch Dr. Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Dr. Harald Weyel Mariana Iris Harder-Kühnel Wolfgang Wiehle Dr. Siemtje Möller Martina Stamm-Fibich Dr. Bettina Müller Sonja Amalie Steffen Dr. Christian Wirth Detlef Müller (Chemnitz) Michelle Müntefering Fraktionslos Dr. Rolf Mützenich Markus Töns Nicole Höchst Ulli Nissen Carsten Träger Marco Bülow Thomas Oppermann Dr. Uwe Kamann Marja-Liisa Völlers Mario Mieruch

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt.

Die zweite Abstimmung betrifft den von den Abgeord- haben gestimmt 347, Enthaltungen 64.1) Damit ist der neten Corinna Rüffer, Anja Hajduk, Britta Haßelmann, Gesetzentwurf abgelehnt, und es entfällt auch hier nach weiteren Abgeordneten und der Fraktion Die Linke ein- unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. gebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Behindertenrechtskonvention im Wahlrecht – das Sehr bedauerlich!) sind die Drucksachen 19/4568 und 19/8177 –: abgege- bene Stimmen 581. Mit Ja haben gestimmt 170, mit Nein 1) Anlage 2 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 10163

(A) Endgültiges Ergebnis Dr. Stefan Ruppert Tobias Pflüger Dr. Konstantin von Notz (C) Abgegebene Stimmen: 581; Dr. h. c. Thomas Sattelberger Bernd Riexinger Omid Nouripour davon Christian Sauter Eva-Maria Schreiber Friedrich Ostendorff ja: 170 Dr. Wieland Schinnenburg Dr. Petra Sitte Cem Özdemir Matthias Seestern-Pauly nein: 347 Kersten Steinke Lisa Paus Frank Sitta Friedrich Straetmanns enthalten: 64 Filiz Polat Bettina Stark-Watzinger Jessica Tatti Tabea Rößner Dr. Marie-Agnes Strack- Alexander Ulrich Claudia Roth (Augsburg) Ja Zimmermann Dr. Sahra Wagenknecht Dr. Manuela Rottmann Benjamin Strasser FDP Katrin Werner Corinna Rüffer Katja Suding Hubertus Zdebel Manuel Sarrazin Grigorios Aggelidis Linda Teuteberg Pia Zimmermann Ulle Schauws Renata Alt Michael Theurer Sabine Zimmermann Stefan Schmidt Christine Aschenberg- Stephan Thomae (Zwickau) Kordula Schulz-Asche Dugnus Dr. Florian Toncar Dr. Wolfgang Strengmann- Jens Beeck Dr. Andrew Ullmann BÜNDNIS 90/ Kuhn Nicola Beer Gerald Ullrich DIE GRÜNEN Margit Stumpp Dr. Jens Brandenburg Sandra Weeser (Rhein-Neckar) Luise Amtsberg Markus Tressel Nicole Westig Mario Brandenburg Lisa Badum Jürgen Trittin Katharina Willkomm (Südpfalz) Annalena Baerbock Dr. Julia Verlinden Dr. Marco Buschmann Margarete Bause Gerhard Zickenheiner DIE LINKE Carl-Julius Cronenberg Dr. Danyal Bayaz Bijan Djir-Sarai Doris Achelwilm Canan Bayram Fraktionslos Christian Dürr Simone Barrientos Dr. Franziska Brantner Marco Bülow Hartmut Ebbing Dr. Dietmar Bartsch Agnieszka Brugger Dr. Marcus Faber Lorenz Gösta Beutin Dr. Anna Christmann Nein Otto Fricke Matthias W. Birkwald Katja Dörner Thomas Hacker Birke Bull-Bischoff Katharina Dröge CDU/CSU Katrin Helling-Plahr Jörg Cezanne Harald Ebner (B) Dr. Michael von Abercron (D) Markus Herbrand Fabio De Masi Matthias Gastel Stephan Albani Torsten Herbst Dr. Diether Dehm Kai Gehring Norbert Maria Altenkamp Dr. Gero Clemens Hocker Anke Domscheit-Berg Stefan Gelbhaar Philipp Amthor Dr. Christoph Hoffmann Susanne Ferschl Katrin Göring-Eckardt Artur Auernhammer Reinhard Houben Sylvia Gabelmann Erhard Grundl Peter Aumer Olaf In der Beek Dr. André Hahn Anja Hajduk Dorothee Bär Gyde Jensen Heike Hänsel Britta Haßelmann Thomas Bareiß Dr. Christian Jung Matthias Höhn Dr. Bettina Hoffmann Norbert Barthle Dr. Marcel Klinge Andrej Hunko Dr. Anton Hofreiter Maik Beermann Daniela Kluckert Ulla Jelpke Ottmar von Holtz Manfred Behrens (Börde) Pascal Kober Dr. Achim Kessler Dr. Kirsten Kappert-Gonther Veronika Bellmann Dr. Lukas Köhler Katja Kipping Uwe Kekeritz Sybille Benning Wolfgang Kubicki Jan Korte Katja Keul Konstantin Kuhle Jutta Krellmann Sven-Christian Kindler Dr. André Berghegger Alexander Kulitz Caren Lay Maria Klein-Schmeink Melanie Bernstein Alexander Graf Lambsdorff Sabine Leidig Oliver Krischer Christoph Bernstiel Ulrich Lechte Ralph Lenkert Stephan Kühn (Dresden) Peter Beyer Christian Lindner Stefan Liebich Christian Kühn (Tübingen) Marc Biadacz Michael Georg Link Dr. Gesine Lötzsch Renate Künast Steffen Bilger (Heilbronn) Thomas Lutze Markus Kurth Peter Bleser Till Mansmann Amira Mohamed Ali Monika Lazar Dr. Reinhard Brandl Dr. Jürgen Martens Niema Movassat Sven Lehmann Michael Brand (Fulda) Christoph Meyer Norbert Müller (Potsdam) Steffi Lemke Silvia Breher Alexander Müller Zaklin Nastic Dr. Tobias Lindner Sebastian Brehm Frank Müller-Rosentritt Thomas Nord Dr. Irene Mihalic Heike Brehmer Dr. Martin Neumann Petra Pau Claudia Müller Ralph Brinkhaus (Lausitz) Sören Pellmann Beate Müller-Gemmeke Dr. Carsten Brodesser Hagen Reinhold Victor Perli Ingrid Nestle Gitta Connemann 10164 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019

(A) Alexander Dobrindt Markus Koob Thomas Rachel Kerstin Vieregge (C) Michael Donth Alexander Krauß Kerstin Radomski Volkmar Vogel (Kleinsaara) Marie-Luise Dött Gunther Krichbaum Alexander Radwan Christoph de Vries Hansjörg Durz Rüdiger Kruse Alois Rainer Kees de Vries Thomas Erndl Michael Kuffer Dr. Peter Ramsauer Dr. Johann David Wadephul Hermann Färber Dr. Roy Kühne Eckhardt Rehberg Marco Wanderwitz Uwe Feiler Andreas G. Lämmel Lothar Riebsamen Nina Warken Enak Ferlemann Katharina Landgraf Josef Rief Kai Wegner Dr. Maria Flachsbarth Ulrich Lange Johannes Röring Albert H. Weiler Thorsten Frei Dr. Silke Launert Dr. Norbert Röttgen Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Hans-Peter Friedrich Jens Lehmann Stefan Rouenhoff Dr. Anja Weisgerber (Hof) Paul Lehrieder Erwin Rüddel Peter Weiß (Emmendingen) Michael Frieser Dr. Katja Leikert Albert Rupprecht Sabine Weiss (Wesel I) Hans-Joachim Fuchtel Dr. Andreas Lenz Stefan Sauer Marian Wendt Ingo Gädechens Dr. Ursula von der Leyen Anita Schäfer (Saalstadt) Kai Whittaker Alois Gerig Antje Lezius Dr. Wolfgang Schäuble Annette Widmann-Mauz Eberhard Gienger Andrea Lindholz Jana Schimke Klaus-Peter Willsch Eckhard Gnodtke Dr. Carsten Linnemann Tankred Schipanski Elisabeth Winkelmeier- Ursula Groden-Kranich Patricia Lips Dr. Claudia Schmidtke Becker Hermann Gröhe Nikolas Löbel Christian Schmidt (Fürth) Oliver Wittke Klaus-Dieter Gröhler Bernhard Loos Patrick Schnieder Emmi Zeulner Astrid Grotelüschen Dr. Jan-Marco Luczak Nadine Schön Paul Ziemiak Markus Grübel Daniela Ludwig Felix Schreiner Dr. Matthias Zimmer Manfred Grund Karin Maag Dr. Klaus-Peter Schulze Oliver Grundmann Yvonne Magwas Uwe Schummer SPD Fritz Güntzler Dr. Thomas de Maizière Armin Schuster (Weil am Ingrid Arndt-Brauer Olav Gutting Gisela Manderla Rhein) Heike Baehrens Christian Haase Dr. Astrid Mannes Torsten Schweiger Ulrike Bahr Florian Hahn Matern von Marschall Detlef Seif (B) Nezahat Baradari (D) Jürgen Hardt Hans-Georg von der Marwitz Johannes Selle Dr. Katarina Barley Matthias Hauer Andreas Mattfeldt Dr. Patrick Sensburg Doris Barnett Mark Hauptmann Stephan Mayer (Altötting) Thomas Silberhorn Dr. Matthias Bartke Dr. Matthias Heider Dr. Michael Meister Björn Simon Sören Bartol Mechthild Heil Jan Metzler Tino Sorge Lothar Binding (Heidelberg) Frank Heinrich (Chemnitz) Dr. h. c. Hans Michelbach Jens Spahn Leni Breymaier Rudolf Henke Dr. Mathias Middelberg Katrin Staffler Dr. Karl-Heinz Brunner Michael Hennrich Dietrich Monstadt Frank Steffel Katrin Budde Marc Henrichmann Karsten Möring Dr. Wolfgang Stefinger Bernhard Daldrup Dr. Heribert Hirte Elisabeth Motschmann Albert Stegemann Dr. Daniela De Ridder Christian Hirte Axel Müller Sebastian Steineke Dr. Karamba Diaby Alexander Hoffmann Sepp Müller Johannes Steiniger Esther Dilcher Karl Holmeier Carsten Müller Peter Stein (Rostock) Sabine Dittmar Erich Irlstorfer (Braunschweig) Christian Frhr. von Stetten Dr. Wiebke Esdar Hans-Jürgen Irmer Stefan Müller (Erlangen) Dieter Stier Saskia Esken Thomas Jarzombek Dr. Andreas Nick Gero Storjohann Yasmin Fahimi Ingmar Jung Petra Nicolaisen Max Straubinger Dr. Johannes Fechner Alois Karl Dr. Georg Nüßlein Michael Stübgen Dr. Fritz Felgentreu Anja Karliczek Wilfried Oellers Dr. Peter Tauber Dr. Edgar Franke Torbjörn Kartes Florian Oßner Dr. Hermann-Josef Tebroke Ulrich Freese Dr. Stefan Kaufmann Josef Oster Hans-Jürgen Thies Dagmar Freitag Ronja Kemmer Henning Otte Alexander Throm Sigmar Gabriel Roderich Kiesewetter Sylvia Pantel Dr. Dietlind Tiemann Michael Gerdes Michael Kießling Martin Patzelt Antje Tillmann Angelika Glöckner Dr. Georg Kippels Dr. Joachim Pfeiffer Markus Uhl Timon Gremmels Volkmar Klein Stephan Pilsinger Dr. Volker Ullrich Kerstin Griese Axel Knoerig Dr. Christoph Ploß Arnold Vaatz Michael Groß Jens Koeppen Eckhard Pols Oswin Veith Bettina Hagedorn Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 10165

(A) Rita Hagl-Kehl Aydan Özoğuz Marja-Liisa Völlers Nicole Höchst (C) Metin Hakverdi Detlev Pilger Dirk Vöpel Martin Hohmann Dirk Heidenblut Florian Post Gabi Weber Dr. Bruno Hollnagel Hubertus Heil (Peine) Achim Post (Minden) Bernd Westphal Johannes Huber Dr. Barbara Hendricks Florian Pronold Gülistan Yüksel Fabian Jacobi Gustav Herzog Martin Rabanus Dagmar Ziegler Dr. Marc Jongen Gabriele Hiller-Ohm Andreas Rimkus Stefan Zierke Jens Kestner Thomas Hitschler Sönke Rix Dr. Jens Zimmermann Stefan Keuter Frank Junge Dennis Rohde Norbert Kleinwächter Thomas Jurk Dr. Martin Rosemann AfD Enrico Komning Johannes Kahrs René Röspel Franziska Gminder Jörn König Elisabeth Kaiser Dr. Ernst Dieter Rossmann Dr. Rainer Kraft Rüdiger Lucassen Gabriele Katzmarek Michael Roth (Heringen) Frank Magnitz Cansel Kiziltepe Susann Rüthrich DIE LINKE Jens Maier Arno Klare Bernd Rützel Dr. Birgit Malsack- Gökay Akbulut Dr. Bärbel Kofler Sarah Ryglewski Winkemann Daniela Kolbe Axel Schäfer (Bochum) Andreas Mrosek Enthalten Elvan Korkmaz Dr. Nina Scheer Hansjörg Müller Anette Kramme Marianne Schieder AfD Volker Münz Christine Lambrecht Udo Schiefner Jan Ralf Nolte Dr. Bernd Baumann Christian Lange (Backnang) Dr. Nils Schmid Gerold Otten Andreas Bleck Frank Pasemann Dr. Karl Lauterbach Uwe Schmidt Peter Boehringer Tobias Matthias Peterka Helge Lindh Ulla Schmidt (Aachen) Stephan Brandner Paul Viktor Podolay Burkhard Lischka Dagmar Schmidt (Wetzlar) Jürgen Braun Jürgen Pohl Kirsten Lühmann Carsten Schneider (Erfurt) Marcus Bühl Martin Reichardt Heiko Maas Johannes Schraps Matthias Büttner Martin Erwin Renner Caren Marks Michael Schrodi Petr Bystron (B) Roman Johannes Reusch (D) Katja Mast Dr. Manja Schüle Joana Cotar Ulrike Schielke-Ziesing Christoph Matschie Ursula Schulte Dr. Gottfried Curio Jörg Schneider Hilde Mattheis Swen Schulz (Spandau) Berengar Elsner von Gronow Uwe Schulz Dr. Matthias Miersch Frank Schwabe Dr. Michael Espendiller Martin Sichert Klaus Mindrup Stefan Schwartze Peter Felser René Springer Falko Mohrs Andreas Schwarz Dietmar Friedhoff Beatrix von Storch Claudia Moll Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Anton Friesen Dr. Alice Weidel Siemtje Möller Rainer Spiering Markus Frohnmaier Dr. Harald Weyel Bettina Müller Svenja Stadler Dr. Götz Frömming Wolfgang Wiehle Detlef Müller (Chemnitz) Martina Stamm-Fibich Dr. Alexander Gauland Dr. Heiko Wildberg Michelle Müntefering Sonja Amalie Steffen Dr. Axel Gehrke Dr. Christian Wirth Dr. Rolf Mützenich Mathias Stein Mariana Iris Harder-Kühnel Ulli Nissen Claudia Tausend Dr. Roland Hartwig Thomas Oppermann Markus Töns Jochen Haug Fraktionslos Josephine Ortleb Carsten Träger Martin Hebner Uwe Kamann Mahmut Özdemir (Duisburg) Ute Vogt Martin Hess Mario Mieruch

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt.

Die dritte Abstimmung betrifft den Antrag der Frak- Endgültiges Ergebnis tionen der CDU/CSU und der SPD mit dem Titel „Für Abgegebene Stimmen: 585; die Einführung eines inklusiven Wahlrechts“. Das ist die Drucksache 19/8261. Hier haben 585 Kollegen und davon Kolleginnen ihre Stimme abgegeben. Mit Ja haben 345 ja: 345 gestimmt, mit Nein niemand, 240 Enthaltungen. Damit nein: 0 ist der Antrag angenommen. enthalten: 240 10166 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019

Vizepräsident Thomas Oppermann (A) Ja Oliver Grundmann Daniela Ludwig Patrick Schnieder (C) Fritz Güntzler Karin Maag Nadine Schön CDU/CSU Olav Gutting Yvonne Magwas Felix Schreiner Dr. Michael von Abercron Christian Haase Dr. Thomas de Maizière Dr. Klaus-Peter Schulze Stephan Albani Florian Hahn Gisela Manderla Uwe Schummer Norbert Maria Altenkamp Jürgen Hardt Dr. Astrid Mannes Armin Schuster (Weil am Philipp Amthor Matthias Hauer Matern von Marschall Rhein) Artur Auernhammer Mark Hauptmann Hans-Georg von der Marwitz Torsten Schweiger Peter Aumer Dr. Matthias Heider Andreas Mattfeldt Detlef Seif Dorothee Bär Mechthild Heil Stephan Mayer (Altötting) Johannes Selle Thomas Bareiß Frank Heinrich (Chemnitz) Dr. Michael Meister Dr. Patrick Sensburg Norbert Barthle Rudolf Henke Jan Metzler Thomas Silberhorn Maik Beermann Michael Hennrich Dr. h. c. Hans Michelbach Björn Simon Manfred Behrens (Börde) Marc Henrichmann Dr. Mathias Middelberg Tino Sorge Veronika Bellmann Dr. Heribert Hirte Dietrich Monstadt Jens Spahn Sybille Benning Christian Hirte Karsten Möring Katrin Staffler Dr. André Berghegger Alexander Hoffmann Elisabeth Motschmann Frank Steffel Melanie Bernstein Karl Holmeier Axel Müller Dr. Wolfgang Stefinger Christoph Bernstiel Erich Irlstorfer Sepp Müller Albert Stegemann Peter Beyer Hans-Jürgen Irmer Carsten Müller Sebastian Steineke Marc Biadacz Thomas Jarzombek (Braunschweig) Johannes Steiniger Stefan Müller (Erlangen) Steffen Bilger Ingmar Jung Peter Stein (Rostock) Dr. Andreas Nick Peter Bleser Alois Karl Christian Frhr. von Stetten Petra Nicolaisen Dr. Reinhard Brandl Anja Karliczek Dieter Stier Dr. Georg Nüßlein Michael Brand (Fulda) Torbjörn Kartes Gero Storjohann Dr. Stefan Kaufmann Wilfried Oellers Silvia Breher Max Straubinger Ronja Kemmer Florian Oßner Sebastian Brehm Michael Stübgen Heike Brehmer Roderich Kiesewetter Josef Oster (B) Dr. Peter Tauber (D) Michael Kießling Henning Otte Ralph Brinkhaus Dr. Hermann-Josef Tebroke Dr. Carsten Brodesser Dr. Georg Kippels Sylvia Pantel Hans-Jürgen Thies Gitta Connemann Volkmar Klein Martin Patzelt Alexander Throm Alexander Dobrindt Axel Knoerig Dr. Joachim Pfeiffer Dr. Dietlind Tiemann Michael Donth Jens Koeppen Stephan Pilsinger Antje Tillmann Marie-Luise Dött Markus Koob Dr. Christoph Ploß Markus Uhl Hansjörg Durz Alexander Krauß Eckhard Pols Dr. Volker Ullrich Thomas Erndl Gunther Krichbaum Thomas Rachel Arnold Vaatz Hermann Färber Rüdiger Kruse Kerstin Radomski Oswin Veith Uwe Feiler Michael Kuffer Alexander Radwan Kerstin Vieregge Enak Ferlemann Dr. Roy Kühne Alois Rainer Volkmar Vogel (Kleinsaara) Dr. Maria Flachsbarth Andreas G. Lämmel Dr. Peter Ramsauer Christoph de Vries Thorsten Frei Katharina Landgraf Eckhardt Rehberg Kees de Vries Dr. Hans-Peter Friedrich Ulrich Lange Lothar Riebsamen (Hof) Dr. Silke Launert Josef Rief Dr. Johann David Wadephul Michael Frieser Jens Lehmann Johannes Röring Marco Wanderwitz Hans-Joachim Fuchtel Paul Lehrieder Dr. Norbert Röttgen Nina Warken Ingo Gädechens Dr. Katja Leikert Stefan Rouenhoff Kai Wegner Alois Gerig Dr. Andreas Lenz Erwin Rüddel Albert H. Weiler Eberhard Gienger Dr. Ursula von der Leyen Albert Rupprecht Marcus Weinberg (Hamburg) Eckhard Gnodtke Antje Lezius Stefan Sauer Dr. Anja Weisgerber Ursula Groden-Kranich Andrea Lindholz Anita Schäfer (Saalstadt) Peter Weiß (Emmendingen) Hermann Gröhe Dr. Carsten Linnemann Dr. Wolfgang Schäuble Sabine Weiss (Wesel I) Klaus-Dieter Gröhler Patricia Lips Jana Schimke Marian Wendt Astrid Grotelüschen Nikolas Löbel Tankred Schipanski Kai Whittaker Markus Grübel Bernhard Loos Dr. Claudia Schmidtke Annette Widmann-Mauz Manfred Grund Dr. Jan-Marco Luczak Christian Schmidt (Fürth) Klaus-Peter Willsch Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 10167

(A) Elisabeth Winkelmeier- Dr. Bärbel Kofler Ursula Schulte Martin Hebner (C) Becker Daniela Kolbe Swen Schulz (Spandau) Martin Hess Oliver Wittke Elvan Korkmaz Frank Schwabe Nicole Höchst Emmi Zeulner Anette Kramme Stefan Schwartze Martin Hohmann Paul Ziemiak Christine Lambrecht Andreas Schwarz Dr. Bruno Hollnagel Dr. Matthias Zimmer Christian Lange (Backnang) Rita Schwarzelühr-Sutter Johannes Huber Dr. Karl Lauterbach Rainer Spiering Fabian Jacobi SPD Helge Lindh Svenja Stadler Dr. Marc Jongen Burkhard Lischka Ingrid Arndt-Brauer Martina Stamm-Fibich Jens Kestner Kirsten Lühmann Heike Baehrens Sonja Amalie Steffen Stefan Keuter Heiko Maas Ulrike Bahr Mathias Stein Norbert Kleinwächter Caren Marks Nezahat Baradari Claudia Tausend Enrico Komning Katja Mast Dr. Katarina Barley Markus Töns Jörn König Christoph Matschie Dr. Rainer Kraft Doris Barnett Carsten Träger Hilde Mattheis Rüdiger Lucassen Dr. Matthias Bartke Ute Vogt Dr. Matthias Miersch Frank Magnitz Sören Bartol Marja-Liisa Völlers Klaus Mindrup Jens Maier Lothar Binding (Heidelberg) Dirk Vöpel Falko Mohrs Dr. Birgit Malsack- Leni Breymaier Gabi Weber Claudia Moll Winkemann Dr. Karl-Heinz Brunner Bernd Westphal Siemtje Möller Corinna Miazga Katrin Budde Gülistan Yüksel Bettina Müller Andreas Mrosek Bernhard Daldrup Dagmar Ziegler Detlef Müller (Chemnitz) Hansjörg Müller Dr. Daniela De Ridder Stefan Zierke Michelle Müntefering Volker Münz Dr. Karamba Diaby Dr. Jens Zimmermann Dr. Rolf Mützenich Jan Ralf Nolte Esther Dilcher Ulli Nissen Gerold Otten Sabine Dittmar Fraktionslos Thomas Oppermann Frank Pasemann Dr. Wiebke Esdar Uwe Kamann Josephine Ortleb Tobias Matthias Peterka Saskia Esken Mahmut Özdemir (Duisburg) Paul Viktor Podolay Yasmin Fahimi (B) Aydan Özoğuz Enthalten Jürgen Pohl (D) Dr. Johannes Fechner Detlev Pilger Martin Reichardt Dr. Fritz Felgentreu AfD Florian Post Martin Erwin Renner Dr. Edgar Franke Achim Post (Minden) Dr. Bernd Baumann Roman Johannes Reusch Ulrich Freese Florian Pronold Andreas Bleck Ulrike Schielke-Ziesing Dagmar Freitag Martin Rabanus Peter Boehringer Jörg Schneider Sigmar Gabriel Andreas Rimkus Stephan Brandner Uwe Schulz Michael Gerdes Sönke Rix Jürgen Braun Martin Sichert Angelika Glöckner Dennis Rohde Marcus Bühl René Springer Timon Gremmels Dr. Martin Rosemann Matthias Büttner Beatrix von Storch Kerstin Griese René Röspel Petr Bystron Dr. Alice Weidel Michael Groß Dr. Ernst Dieter Rossmann Joana Cotar Dr. Harald Weyel Bettina Hagedorn Michael Roth (Heringen) Dr. Gottfried Curio Wolfgang Wiehle Rita Hagl-Kehl Susann Rüthrich Thomas Ehrhorn Dr. Heiko Wildberg Metin Hakverdi Bernd Rützel Berengar Elsner von Gronow Dr. Christian Wirth Dirk Heidenblut Sarah Ryglewski Dr. Michael Espendiller Hubertus Heil (Peine) Axel Schäfer (Bochum) Peter Felser FDP Dr. Barbara Hendricks Dr. Nina Scheer Dietmar Friedhoff Renata Alt Gustav Herzog Marianne Schieder Dr. Anton Friesen Christine Aschenberg- Gabriele Hiller-Ohm Markus Frohnmaier Udo Schiefner Dugnus Thomas Hitschler Dr. Götz Frömming Dr. Nils Schmid Jens Beeck Frank Junge Uwe Schmidt Dr. Alexander Gauland Nicola Beer Thomas Jurk Ulla Schmidt (Aachen) Dr. Axel Gehrke Dr. Jens Brandenburg Johannes Kahrs Dagmar Schmidt (Wetzlar) (Rhein-Neckar) Elisabeth Kaiser Carsten Schneider (Erfurt) Franziska Gminder Mario Brandenburg Gabriele Katzmarek Johannes Schraps Mariana Iris Harder-Kühnel (Südpfalz) Cansel Kiziltepe Michael Schrodi Dr. Roland Hartwig Dr. Marco Buschmann Arno Klare Dr. Manja Schüle Jochen Haug 10168 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019

(A) Carl-Julius Cronenberg Benjamin Strasser Zaklin Nastic Dr. Kirsten Kappert-Gonther (C) Bijan Djir-Sarai Katja Suding Thomas Nord Uwe Kekeritz Christian Dürr Linda Teuteberg Petra Pau Katja Keul Hartmut Ebbing Michael Theurer Sören Pellmann Sven-Christian Kindler Dr. Marcus Faber Stephan Thomae Victor Perli Maria Klein-Schmeink Otto Fricke Dr. Florian Toncar Tobias Pflüger Oliver Krischer Thomas Hacker Dr. Andrew Ullmann Bernd Riexinger Stephan Kühn (Dresden) Katrin Helling-Plahr Gerald Ullrich Eva-Maria Schreiber Christian Kühn (Tübingen) Markus Herbrand Sandra Weeser Dr. Petra Sitte Renate Künast Torsten Herbst Nicole Westig Kersten Steinke Markus Kurth Dr. Gero Clemens Hocker Katharina Willkomm Friedrich Straetmanns Monika Lazar Dr. Christoph Hoffmann Jessica Tatti Sven Lehmann Reinhard Houben DIE LINKE Alexander Ulrich Steffi Lemke Olaf In der Beek Doris Achelwilm Dr. Sahra Wagenknecht Dr. Tobias Lindner Gyde Jensen Gökay Akbulut Katrin Werner Dr. Irene Mihalic Dr. Christian Jung Simone Barrientos Hubertus Zdebel Claudia Müller Dr. Marcel Klinge Dr. Dietmar Bartsch Pia Zimmermann Beate Müller-Gemmeke Daniela Kluckert Lorenz Gösta Beutin Sabine Zimmermann Ingrid Nestle Pascal Kober Matthias W. Birkwald (Zwickau) Dr. Konstantin von Notz Dr. Lukas Köhler Birke Bull-Bischoff Omid Nouripour Wolfgang Kubicki Jörg Cezanne BÜNDNIS 90/ Friedrich Ostendorff Konstantin Kuhle DIE GRÜNEN Fabio De Masi Cem Özdemir Alexander Kulitz Dr. Diether Dehm Luise Amtsberg Lisa Paus Alexander Graf Lambsdorff Anke Domscheit-Berg Lisa Badum Filiz Polat Ulrich Lechte Susanne Ferschl Annalena Baerbock Tabea Rößner Christian Lindner Sylvia Gabelmann Margarete Bause Claudia Roth (Augsburg) Michael Georg Link Dr. André Hahn Dr. Danyal Bayaz Dr. Manuela Rottmann (Heilbronn) Canan Bayram Corinna Rüffer (B) Till Mansmann Heike Hänsel (D) Dr. Franziska Brantner Manuel Sarrazin Dr. Jürgen Martens Matthias Höhn Agnieszka Brugger Ulle Schauws Christoph Meyer Andrej Hunko Dr. Anna Christmann Stefan Schmidt Alexander Müller Ulla Jelpke Katja Dörner Kordula Schulz-Asche Frank Müller-Rosentritt Dr. Achim Kessler Katja Kipping Katharina Dröge Dr. Wolfgang Strengmann- Dr. Martin Neumann Kuhn (Lausitz) Jan Korte Harald Ebner Margit Stumpp Hagen Reinhold Jutta Krellmann Matthias Gastel Markus Tressel Dr. Stefan Ruppert Caren Lay Kai Gehring Jürgen Trittin Dr. h. c. Thomas Sattelberger Sabine Leidig Stefan Gelbhaar Dr. Julia Verlinden Christian Sauter Ralph Lenkert Katrin Göring-Eckardt Daniela Wagner Dr. Wieland Schinnenburg Stefan Liebich Erhard Grundl Gerhard Zickenheiner Matthias Seestern-Pauly Dr. Gesine Lötzsch Anja Hajduk Frank Sitta Thomas Lutze Britta Haßelmann Fraktionslos Bettina Stark-Watzinger Amira Mohamed Ali Dr. Bettina Hoffmann Dr. Marie-Agnes Strack- Niema Movassat Dr. Anton Hofreiter Marco Bülow Zimmermann Norbert Müller (Potsdam) Ottmar von Holtz Mario Mieruch

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt.

Wir fahren nun fort in der Debatte. Nächster Redner Lorenz Gösta Beutin (DIE LINKE): ist für die Fraktion Die Linke der Kollege Lorenz Gösta Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie- Beutin. be Zuschauerinnen und Zuschauer! Liebe Schülerinnen und Schüler! Die Klimaänderungen sind eine der größten (Beifall bei der LINKEN – Dr. Gesine Lötzsch Gefahren für die Menschheit. Der erforderliche Struktur- [DIE LINKE]: Jetzt kommt mal eine seriöse wandel muss jetzt beginnen. – Sie meinen, diese Aussage Rede!) stammt von den heutigen Demos von Fridays for Future? Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 10169

Lorenz Gösta Beutin (A) Oder meinen Sie, das stammt von dem, was wir als Linke leausstieg, für den Erhalt des Hambacher Forstes auf die (C) und als Grüne selbstverständlich auch hier im Bundes- Straße gehen. tag Woche für Woche erzählen? Nein, weit gefehlt! Das stammt aus dem Jahr 1987, aus einem Appell deutscher (Dr. Rainer Kraft [AfD]: Holzhütten und Meteorologinnen und deutscher Physikerinnen. Man Bäume besetzen!) konnte es schon damals tun, aber man hat bis heute nicht ausreichend gehandelt; das ist das Problem. Und bei der „Seebrücke“ erleben wir, wie junge Men- schen gegen Rassisten, gegen den Tod im Mittelmeer (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- und für sichere Häfen auf die Straße gehen. Das ist die neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zukunft. In fast allen Staaten weltweit haben wir heute Demos (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- von Fridays for Future erlebt. Wir haben heute Hundert- NIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Rainer Kraft tausende, vielleicht Millionen von jungen Menschen er- [AfD]: Für Messermörder!) lebt, die voll Mut, voll Entschiedenheit auf die Straßen gegangen sind. Und sie haben genau das gesagt, was die Worum es hier geht, ist nicht die Schulpflicht oder et- Wissenschaftlerinnen schon 1987 eingefordert haben: Es was Ähnliches. Es geht hier um lebendige, gelebte De- muss jetzt gehandelt werden. mokratie. Ein Lehrer, Egon Goldschmidt aus Bingen, hat mir zum Thema „Lebensnahes und nachhaltiges Lernen“ (Beifall bei der LINKEN) geschrieben. Was lernen denn die streikenden Schülerin- nen? Sie lernen organisieren, mobilisieren, diskutieren, Zusammen mit vielen Kolleginnen und Kollegen war sich vernetzen, sinnvolle Verknüpfung untereinander, in- ich heute in Berlin beim Klimastreik dabei. Ich muss ternationalen Austausch, Pressearbeit, Umgang mit Me- Ihnen sagen: Ich hatte tatsächlich Gänsehaut und sicher dien, kreatives Gestalten, Reden schreiben, Ansprachen viele, die mit mir dort an der Stelle standen, auch, halten. Was wir hier erleben, ist Demokratie. (Stefan Keuter [AfD]: Sie sollen hier sitzen!) (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) Gänsehaut wegen der Kreativität und der Entschieden- heit, mit der dort eingefordert wird, unsere Lebensgrund- Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union und lagen und die der kommenden Generationen zu erhalten. von der FDP, nehmen Sie sich ein Beispiel an den Schü- Das ist es, worum es hier geht. Herr Köhler und Frau lerinnen und Schülern. Nehmen Sie sich ein Beispiel an Karliczek, ich hätte mich sehr gefreut, Sie vielleicht auch den Profis, an den Wissenschaftlerinnen, und machen Sie (B) dort zu sehen. endlich Ihre Hausaufgaben. (D) (Dr. Lukas Köhler [FDP]: Oder hier!) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Vielleicht kommen wir ja in eine Situation, wo der Druck Dr. Lukas Köhler [FDP]: Machen wir doch!) so groß ist, dass selbst Sie gezwungen sind, sich dorthin zu bewegen und dort das Gespräch zu suchen. Das wäre Und an die Rechtsradikalen, an die Rassistinnen und doch mal eine spannende Sache. Rassisten hier im Hohen Hause richte ich mal die Frage: (Beifall bei der LINKEN – Dr. Anja (Zurufe von der AfD) Weisgerber [CDU/CSU]: Wir haben das Ge- spräch geführt!) Was könnten wir denn tatsächlich verlieren, wenn wir wirksam Klimaschutz betreiben? Wir würden in einer Ich stelle den Kolleginnen und Kollegen von Union gesünderen Umwelt leben. Wir würden eine Verkehrs- und FDP einfach mal die Frage: Woran hapert es denn? wende bekommen, die die Städte sauberer macht, die den Das fehlende Wissen kann es nicht sein. Wir wissen spä- Strom sauberer macht. Wir würden regionale und nach- testens seit 30 Jahren, wie schlimm es steht und was wir haltige Lebensmittel bekommen. Wir würden bewusst tun müssten. Das ist nicht das Problem. Wo liegt also das leben, produzieren, wirtschaften und konsumieren. Aber Problem? Statt die Schülerinnen und Schüler aus vollem das wollen Sie ja gar nicht. Sie wollen den Hass und die Herzen zu unterstützen, erleben wir hier gleich zu Beginn Angst; denn davon leben Sie. dieser Aktuellen Stunde ein Gepöbel aus den Reihen von Union, FDP und AfD. Das ist erbärmlich, und ich hoffe, (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- das erleben wir hier an dieser Stelle nicht noch einmal. NIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Den Hass streuen Sie gerade!) (Beifall bei der LINKEN) Wir, die wir hier stehen bzw. sitzen, sind aufgefordert, Es wurde ja immer wieder gesagt, die Jugend sei so uns zu entscheiden: Stehen wir an der Seite der Ewig- unpolitisch und sie würde nur bei Netflix hängen oder gestrigen, oder stehen wir an der Seite der Zukunft, ste- an ihren Smartphones. Seit letztem Jahr erleben wir das hen wir an der Seite von Fridays for Future? Gegenteil. Seit letztem Jahr erleben wir bei „Wir sind mehr“, wie junge Menschen gegen Nazis auf die Straße (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- gehen. Seit letztem Jahr erleben wir bei „Hambi bleibt!“, neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – bei „Ende Gelände“, wie junge Menschen für den Koh- Lachen bei der AfD) 10170 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019

Lorenz Gösta Beutin (A) Viele hier im Hause haben sich entschieden. Wir wer- Ich sage es Ihnen auch ganz klar: Meiner Meinung nach (C) den gemeinsam diesen Weg gehen für einen raschen ist die Einsetzung eines Klimakabinetts genau der richti- Kohleausstieg, ge Weg, weil sich die Fachminister an einen Tisch setzen, weil sie Teamgeist beweisen und zusammen die richtigen (Petr Bystron [AfD]: Immer rückwärts!) Maßnahmen – es geht ja auch um Sektorkopplung – auf für eine Verkehrswende, für eine faire Handelspolitik, für den Weg bringen werden. Deswegen ist dies gestern eine Gerechtigkeit für den globalen Süden. Wir gemeinsam gute Nachricht gewesen. mit den Schülerinnen und Schülern können die Politik (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- verändern. Fangen wir endlich damit an. neten der SPD – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Vielen Dank. Macht doch einfach! Nicht noch ein Gremi- um! Einfach arbeiten! Einfach machen!) (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Alexander Auch wir wollen ein Klimaschutzgesetz, aber eines, Gauland [AfD]: Hassrede!) das wirkt. Dazu stehen wir, und deswegen machen wir unsere Hausaufgaben und erarbeiten die konkreten Maß- nahmen. Das läuft schon in den einzelnen Häusern, aber Vizepräsident Thomas Oppermann: es ist besser, wenn sich die Ministerien noch intensiver Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Dr. Anja vernetzen, Weisgerber für die Fraktion der CDU/CSU. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der CDU/CSU) GRÜNEN]: Zeit!) auch über Sektorkopplung, über die besten Technologien Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): sprechen und sie letztendlich zusammen entwickeln. Nur Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und mit konkreten Maßnahmen schaffen wir echten Klima- Kollegen! Ja, Klimaschutz ist eine der zentralen Heraus- schutz, mit Maßnahmen, mit denen wir mit jedem ein- forderungen des 21. Jahrhunderts, weil es darum geht, gesetzten Euro am Ende möglichst viel Klimaschutz be- den nachfolgenden Generationen eine intakte Lebens- kommen, mit Maßnahmen, bei denen wir die Menschen welt zu hinterlassen. Deshalb ist es richtig und wichtig, mitnehmen und sie nicht bevormunden. Wir wollen fi- dass sich junge Menschen mit dem Thema befassen, dass nanzielle Anreize für die Menschen und die Industrie, sie auf die Straße gehen, dass sie für eine verantwor- damit sie in Klimaschutz investieren, damit sie sich für tungsvolle Klimapolitik demonstrieren; denn es ist auch mehr Klimaschutz positiv entscheiden. Das, meine Da- (B) ihre Zukunft. Wenn sie dies nach Schulschluss machen men und Herren, ist der richtige Weg. Gebote, Verbote (D) würden, dann hätte das aber noch viel mehr Gewicht, und und Strafen sind die Sackgasse. Das hilft uns nicht weiter es würde noch mehr wirken, meine Damen und Herren. bei der großen Aufgabe des Klimaschutzes. (Beifall bei der CDU/CSU – Steffi Lemke (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das glauben Dr. Lukas Köhler [FDP]) Sie doch selber nicht! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir brauchen Anreize, auch im Verkehr. Autos brau- chen neue Antriebe: elektrisch, mit Wasserstoff oder mit Das zeigt auch eine Demonstration bei mir im Wahl- synthetischen Kraftstoffen; technologieoffen. kreis. Bei mir, in Unterfranken, haben Ende Februar De- monstrationen am Nachmittag stattgefunden. Es waren (Dr. Rainer Kraft [AfD]: Das gibt es seit mehrere Hundert Jugendliche da. Das hat einen großen 100 Jahren!) Widerhall gefunden, auch bei uns in den Medien, und hat Der Umstieg muss für die Bürger finanziell attraktiv sein. am Ende noch mehr Beachtung gefunden. Nur so gelingt der Einstieg in die Mobilität der Zukunft. (Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir müssen der großen Herausforderung Klimaschutz NEN]: Woher wollen Sie das wissen?) auch im Verkehrsbereich mit den besten Technologien begegnen. Deshalb der positiv formulierte Appell: Macht es! Setzt euch ein! Wenn ihr es aber am Nachmittag macht, dann (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) hat es mehr Gewicht! Auch da hat die Automobilindustrie eine Verantwortung. (Beifall bei der CDU/CSU – Steffi Lemke Sie muss sich an die Spitze der Bewegung setzen, was [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Woher wol- diese Technologieentwicklung angeht. Sie muss Techno- len Sie das wissen, Frau Weisgerber?) logieführer sein; denn es ist wirklich höchste Zeit. Das ist an dieser Stelle auch meine Botschaft an die Automo- Was ist unsere Antwort auf die Schülerinnen und bilindustrie. Schüler? Wir haben ein Aktionsprogramm Klimaschutz, mit dem wir schon hundert Maßnahmen auf den Weg ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – bracht haben. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Wie wäre es mit einer Botschaft an den (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE Minister? – Ingrid Nestle [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ohne Erfolg!) GRÜNEN]: Und was tun Sie?) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 10171

Dr. Anja Weisgerber (A) Im Gebäudebereich ist und bleibt die wichtigste Maß- gestellt werden. Es wird Druck auf die Lehrer und die (C) nahme, dass wir ein Gesetz machen, damit Menschen Schulleitung ausgeübt, das Schulschwänzen zum guten Steuern sparen können, wenn sie ihr Haus energetisch sa- Zweck der Klimarettung zu legitimieren. Lehrer, Eltern nieren und so einen Anreiz setzen. Dieses Instrument ist und Schüler, die sich widersetzen, die niedrighängende Frucht, nach der wir endlich greifen müssen. Deswegen werde ich nicht müde, zu sagen: Fi- (Sönke Rix [SPD]: Das kennen Sie ja gar nanzminister , legen Sie jetzt endlich dieses nicht: Druck auf Lehrer!) Gesetz vor. – Die Bundesländer müssen zustimmen. Sie werden isoliert und an den moralischen Pranger gestellt, werden, denke ich, auch zustimmen. Bayern und Nord- obwohl sie nichts anderes tun wollen, als Regeln und Ge- rhein-Westfalen haben gemeinsam am Dienstag getagt setze einzuhalten. und haben die Bundesebene aufgefordert, dieses Gesetz endlich auf den Weg zu bringen. Ich fordere erneut Mi- (Beifall bei der AfD) nister Scholz auf, dieses Gesetz auf den Weg zu bringen, Aber das ist ja kein Wunder in einem Land, wo sich damit wir hier vorankommen, meine Damen und Herren. die Kanzlerin höchstselbst hinstellt, diesen Menschen in (Beifall bei der CDU/CSU) den Rücken fällt und sagt: Ein letzter wichtiger Baustein, den ich erwähnen Ich unterstütze sehr, dass Schülerinnen und Schüler möchte, ist die Reduzierung der Kohleverstromung. Wir für den Klimaschutz auf die Straße gehen und dafür müssen eines feststellen: Deutschland wird als Industrie- kämpfen. nation aus der Kernenergie aussteigen, die CO -neutral 2 So erklärte sie es in ihrer opportunistischen Art in einer ist. Wir gehen außerdem jetzt den Weg des Ausstiegs aus Videobotschaft. Meine Damen und Herren, so wird die der Kohleverstromung. Es gibt kein Industrieland der Herrschaft es Unrechts im Namen einer gefühligen Hy- Welt, das diesen Weg geht. permoral schon den Schulkindern eingeimpft. (Lachen bei der AfD – Zuruf von der AfD: Warum?) (Beifall bei der AfD – Zurufe von der SPD und der LINKEN) Wir sollten auch einmal positiv über diese Themen spre- chen, weil wir mehr Klimaschutz wollen. Wir werden an Katarina Barley, SPD, setzt noch einen drauf. Sie den Maßnahmen arbeiten. Input aus der Opposition ist meint, das allwöchentliche Schulschwänzen verdie- erwünscht. Diese Aufgabe ist zu groß, um sich darüber ne „hohen Respekt“. Wer so eine Justizministerin hat, zu zerstreiten. braucht keine Rechtsbrecher mehr, meine Damen und Herren. (B) Danke schön. (D) (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der CDU/CSU – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das müssen Schauen wir uns einmal die Gallionsfigur der Fri- Sie Herrn Scheuer auch mal sagen!) days-for-Future-Proteste, die 16-jährige Schwedin Greta Thunberg, näher an. Noch vor kurzem haben wir ja aus einer Broschüre der Amadeu-Antonio-Stiftung gelernt, Vizepräsident Thomas Oppermann: vor Mädchen mit blonden Zöpfen müsse man sich in Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dr. Marc Jongen Acht nehmen, dahinter stecke meistens ein extremisti- für die AfD-Fraktion. sches Elternhaus. (Beifall bei der AfD) (Heiterkeit und Beifall bei der AfD – Zuruf von der AfD: Sehr gut!) (AfD): Dr. Marc Jongen Im Fall von Klima-Greta ist diese Warnung natürlich ver- Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Wenn gessen; denn es geht ja um die allerbeste Sache. Dabei Zehntausende Schüler auf die Straße gehen, um sich mit wäre es gerade hier wichtig, genauer auf Hintermänner all ihrem jugendlichen Idealismus für eine gute Sache und ‑frauen zu schauen; denn es glaubt wohl kein Mensch einzusetzen, dann muss einem eigentlich das Herz auf- hier im Saal, dass dieser unglaubliche Medienhype ohne gehen – und ich meine das ganz ironiefrei –, besonders geschäftstüchtige Eltern – Vater Svante ist nicht zufäl- dann, wenn es um nicht weniger geht als die Rettung der lig ein Drehbuchschreiber und Manager –, ohne findige Welt vor den Folgen der Profitgier und Verstocktheit der NGOs und die mächtige Klimalobby möglich wäre. Das Erwachsenen. Im Fall der Fridays-for-Future-Proteste, Mädchen mit dem Habitus einer 12-Jährigen wurde in die heute wieder hier in Berlin und andernorts stattge- Schweden schon zur „Frau des Jahres“ gewählt, jetzt funden haben, hat das allerdings ein arges Geschmäckle, wurde sie auch noch für den Friedensnobelpreis vorge- wie man im Schwäbischen sagt, und nicht nur, weil auf schlagen. einigen Transparenten stand: Ich wäre nicht hier, wenn Samstag wäre. (Beifall der Abg. Lisa Badum [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN] – Heiterkeit des Abg. (Beifall bei der AfD) Dr. Bernd Baumann [AfD]) Von Bekannten weiß ich, wie das an Schulen abläuft: Das Ganze nimmt wahnhafte hysterische Züge an. Der Vater eines Schülers ruft im Elternchat dazu auf, die Klasse seines Sohnes soll doch für die Proteste frei- (Beifall bei der AfD) 10172 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019

Dr. Marc Jongen (A) Im Grunde wird hier ein Kind in einer professionell da hat sich Greta auch nur das angelesen, was der Welt- (C) inszenierten Kampagne missbraucht, in der es um Macht klimarat auf der Grundlage sehr fehleranfälliger Com- und sehr viel Geld geht – das ist die Wahrheit, meine Da- putermodelle verkündet –, sondern die Wahrheit über men und Herren –, die Schuld- und Angstreligion, die die Grünen etablie- ren wollen, um ihre irrationale, für Deutschland zutiefst (Beifall bei der AfD – Dr. Petra Sitte [DIE schädliche Klimapolitik durchzusetzen, meine Damen LINKE]: Und das wissen Sie? Das sagt ein und Herren. alter Mann!) (Beifall bei der AfD – Steffi Lemke [BÜND- und zwar auch noch ein krankes Kind; denn es ist be- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine irrationale Rede kannt, dass Greta Thunberg am Asperger-Syndrom, ist das, was Sie hier halten!) (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ja und? Ist Im Licht der Vernunft wäre zu sagen: Die Atmosphäre das deshalb falsch? – Steffi Lemke [BÜND- besteht zu 0,038 Prozent aus CO . NIS 90/DIE GRÜNEN]: So eine widerliche 2 Hetze!) (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Offensichtlich wissen Sie gar einer Form des Autismus, leidet. Was eigentlich privat nicht, was das Wort „Vernunft“ bedeutet!) wäre, ist hier tatsächlich politisch. Davon produziert die Natur 96 Prozent, der Mensch (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- 4 Prozent. Der Anteil Deutschlands daran ist 3,1 Prozent. NEN]: Einfach widerlich!) Das macht 0,0004712 Prozent des CO2 in der Luft, was Der Fall Greta ist von höchster Symbolkraft für die wir in Deutschland produzieren. Und dafür leisten wir wahnhafte Klimarettungspolitik im Ganzen, die immer uns eine Energiewende, die mit 50 Milliarden Euro jähr- mehr einer Zivilreligion gleicht mit Greta Thunberg als lich zu Buche schlägt, kindlicher Prophetin an der Spitze. (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Wahnsinn!) (Beifall bei der AfD – Steffi Lemke [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Widerliche Hetze- riskieren die Deindustrialisierung und den großen rei! – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das ist Blackout in Deutschland und spielen uns als Klimaretter geradezu ekelhaft, was Sie hier betreiben!) auf. Das ist natürlich ganz nach dem Geschmack der Grünen, Meine Damen und Herren, da müssen wir uns die Fra- die uns ja permanent bekehren, belehren und erlösen ge gar nicht mehr stellen, ob das CO2 mitverantwortlich wollen. ist für die Erderwärmung. Das ist eine wahnhafte und – (B) auch dafür steht der Fall Greta Thunberg zeichenhaft – (D) (Zurufe von der SPD, der LINKEN und dem eine infantile Politik. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der AfD) Asperger-Patienten pflegen ein extremes Schwarz-Weiß- Denken. Die ökologische Frage – ich komme zum Schluss –, die die jungen Menschen umtreibt, ist in der Tat zu wich- (Jörg Cezanne [DIE LINKE]: Was ist das für tig, als dass wir sie auf diese irrationale Weise angehen ein widerlicher Auftritt! Was für ein erbärmli- dürfen. Lassen wir hier Vernunft und Augenmaß walten, cher Auftritt! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/ nehmen wir auch die jungen Leute mit und treiben wir sie DIE GRÜNEN]: Immer noch besser, als braun nicht in Angst und Hysterie hinein! zu denken! – Lisa Badum [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schämen Sie sich!) Vielen Dank. Das Abwägen und Differenzieren ist nicht ihre Sache. (Beifall bei der AfD – Steffi Lemke [BÜND- Aber gerade das wäre in der Klimapolitik das Entschei- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird Ihnen nicht dende. Greta Thunberg steht auch ganz bewusst dazu. gelingen! Das kann ich Ihnen versprechen! – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: So was sitzt im (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Bildungsausschuss! Das ist peinlich!) NEN]: Hören Sie mal auf, über das arme Mäd- chen herzuziehen, verdammt noch mal! Reden Vizepräsident Thomas Oppermann: Sie mal über Ihren Laden!) Nächster Redner in der Debatte ist Dr. Matthias Sie sagte auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos – Zi- Miersch für die Fraktion der SPD. tat –: (Beifall bei der SPD) Ich will, dass ihr in Panik geratet, dass ihr die Angst spürt, die ich jeden Tag spüre. Dr. Matthias Miersch (SPD): Kindermund tut Wahrheit kund, – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Jongen, ich will Ihre Rede nicht dadurch weiter auf- (Beifall bei der AfD) werten, dass ich lange darauf eingehe. aber nicht die Wahrheit über die Erderwärmung – (Lachen bei der AfD – Zurufe von der AfD: (Zuruf von der AfD: Hysterie!) Lassen Sie es! – Das ist gar nicht möglich!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 10173

Dr. Matthias Miersch (A) Aber das, was Sie eben, nach einer Abstimmung, wo wir es konkret wird. Wir alle begegnen den Argumenten: Wir (C) das Wahlrecht gerade erweitert haben, um die Diskrimi- sind gegen Atomkraft. Wir sind gegen die Kohle. Wir nierung von Menschen mit Handicaps zu beenden, an sind gegen diskriminierenden Worten verloren haben, (Petr Bystron [AfD]: Alles!) (Dr. Bernd Baumann [AfD]: So ein Blödsinn! So eine Heuchelei!) die Windenergie. Wir sind gegen die Stromtrassen. Aber ist niederträchtig und gehört nicht in dieses Haus. wir wollen so weiterleben wie bisher, und bitte, Politiker, macht, dass das so geht! – So einfach wird es nicht sein. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Bernd (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Baumann [AfD]: Das ist wirklich niederträch- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) tig! Sie führen in Hass und in Spaltung!) Deswegen ist genau die Artikulation von jungen Leu- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe mich ten so wichtig; denn wir müssen uns im Miteinander jetzt im Namen der SPD-Bundestagsfraktion der Wertung des über den besten Weg verständigen. Das ist, finde ich, die Präsidenten an: Die Proteste, die wir hier erlebt haben, Hauptaufgabe auch von Zivilgesellschaft. Denn wenn sind nicht nur beeindruckend, sie sind auch richtig und eine Zivilgesellschaft stumm ist, dann bleibt letztlich notwendig. auch ein Parlament stumm, liebe Kolleginnen und Kol- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem legen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Bernd (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Baumann [AfD]: Hysterisch! – Dr. Rainer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Kraft [AfD]: Was Sie alles beeindruckt!) Denn wir sehen natürlich, dass die große Menschheits- Ich glaube, Toni Hofreiter, dass wir eine Riesenchan- frage, ob wir tatsächlich eine sozialökologische Transfor- ce haben. Denn wir haben mit der Kohlekommission das mation schaffen, offen ist. Sie ist nicht entschieden, weil erste Mal etwas geschafft, was ich nicht für möglich ge- natürlich auch in einer Demokratie die Meinungen über halten hätte: dass die unterschiedlichsten Interessengrup- die Wege sehr weit auseinandergehen. pen aufeinander zugehen und einen Pfad aufzeigen, den sie selbst alleine sicherlich nie gegangen wären, der aber (Jan Ralf Nolte [AfD]: Sie sind doch alle belastbar ist, um in den kommenden Jahrzehnten tatsäch- einer Meinung!) lich einen Weg zu gehen. Das ist das Spannende – wenn ich das in die Schülerdiskussionen mit hineinnehme –: (B) Wir sehen, welch verklärtes Denken teilweise sogar (D) hier in diesem Parlament vertreten ist. Deswegen ist es dass wir auch Empathie für die Beschäftigten zum Bei- wichtig, dass es gerade die Generation ist, um die es spiel in der Kohle und in der Automobilindustrie brau- hauptsächlich geht, die sich jetzt artikuliert, sich jetzt zu chen. Wort meldet und damit Unterstützung für all diejenigen Aber das Entscheidende ist, dass wir begreifen – und gibt, die tatsächlich diese Transformation auf den Weg da, finde ich, ist die Unnachgiebigkeit und auch die bringen wollen. 100-Prozent-Forderung von Schülerinnen und Schülern (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem wichtig und richtig –, dass wir mit diesem Planeten nicht BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) verhandeln können. Die planetaren Grenzen haben wir Menschen zu akzeptieren. Lieber Lukas Köhler, ja, ich nehme diese jungen Men- schen sehr, sehr ernst. Letzten Freitag hat sich beispiels- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des weise bei mir im Wahlkreis eine Schule in Hemmingen, BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen die auch noch Carl-Friedrich-Gauß-Schule heißt, einen bei der AfD) Tag mit physikalischen Gesetzmäßigkeiten bzw. mit die- sen Aspekten beschäftigt und danach auch die politischen Der Weg ist offen, aber die Grenzen – bzw. wie wir Verantwortlichen zum Diskurs geladen. sie einhalten – stehen fest. Deswegen, liebe Kolleginnen Wenn man junge Menschen ernst nimmt, dann hätte und Kollegen: Es wird diese Bundesregierung sein, die in ich auch von Ihnen erwartet, dass Sie dieses unsägliche diesem Jahr mit uns als Parlamentariern beweisen muss, Zitat Ihres Parteivorsitzenden korrigieren. Denn es ist dass wir in der Bundesrepublik Deutschland tatsächlich eben jeder Profi in dieser Sache, und jeder muss sich in erstmalig Klimaschutz gesetzlich verbindlich regeln. dieser entscheidenden Frage artikulieren. Ich begreife die Proteste als enorme Aufforderung, (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem aber auch als Unterstützung für all die, die tatsächlich ein BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Fabian Jacobi Klimaschutzgesetz mit Zähnen im Jahr 2019 hier verab- [AfD]: Das ist reine Demokratie!) schieden wollen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, das ist In diesem Sinne danke ich für Ihre Aufmerksamkeit. deswegen so wichtig für den Weg, wie wir tatsächlich die Ziele erreichen, weil wir alle vor Ort tagtäglich erleben, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dass es auf der Metaebene sehr einfach ist, Klimaschutz des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des zu formulieren. Es wird aber dann problematisch, wenn Abg. Dr. Klaus-Peter Schulze [CDU/CSU]) 10174 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019

(A) Vizepräsident Thomas Oppermann: Aber das wird der Größenordnung dieser Bewegung und (C) Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Lisa der Größenordnung unserer Versäumnisse in den letzten Badum für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Jahrzehnten nicht gerecht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ein Lob – zumindest wenn es ein selbstzufriedenes Lisa Badum (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Lob ist – ist keine Grundlage für einen Austausch auf Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Augenhöhe und für gegenseitiges Lernen. Wenn wir von Kollegen! gegenseitigem Lernen sprechen, dann möchte ich auch auf Greta Thunberg zu sprechen kommen, und zwar in Ich erwarte von euch im Bundestag, dass ihr die ganz anderer Weise, als es hier unverschämterweise pas- Verantwortung wahrnehmt, die ihr für unsere Gene- siert ist. ration habt. Unsere Zukunft liegt in euren Händen. Greta Thunberg ist die Initiatorin und Herz und Ich zitiere einen der Sprecher der Fridays-for-Future-Be- Kopf von Fridays for Future. Ja, sie redet offen über ihr wegung nicht, weil sie eine Fürsprecherin brauchen – sie Asperger-­Syndrom. Sie sagt, dass ihr Asperger-Syndrom haben heute laut, klar und deutlich gesprochen, mit über einer der Treiber für ihr politisches Engagement war, 300 000 Menschen in ganz Deutschland –, weil sie die Welt anders sieht als andere, weil sie sich weigert, soziale Spiele mitzuspielen, weil sie ihre Zeit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, für Machtspiele nicht verschwenden will. Es schmerzt bei der SPD und der LINKEN – Dr. Bernd sie, wenn es einen Widerspruch gibt zwischen dem, was Baumann [AfD]: Kinder! Kinderkreuzzug! – Menschen sagen, und dem, was Menschen tun, dem, was Dr. Rainer Kraft [AfD]: Sie haben schulfrei!) geboten wäre, und dem, was getan wird. Wenn sie einmal sondern ich zitiere diesen Satz, weil er zeigt, worum es ein Ziel hat, dann ist sie von diesem Ziel nicht mehr ab- hier geht. Es geht nicht um Parteipolitik, sondern es geht zubringen. Dann bleibt sie hartnäckig dran. darum, ob wir Abgeordnete eine Antwort auf diese glo- Was können wir Politikerinnen und Politiker von ­Greta bale Bewegung „Fridays for Future“ finden, ob wir lern- Thunberg wohl lernen? Was können wir von Fridays for fähig sind, ob wir bereit sind, eine Politik für die Zukunft Future lernen? Es war vielleicht noch nie so klar wie in zu machen. Darum geht es. den letzten Tagen mit Fridays for Future und Scientists (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN for Future, was Politik im 21. Jahrhundert bedeutet. Es sowie bei Abgeordneten der SPD) bedeutet, dass wir eine globale Herausforderung haben. (B) Aber es bedeutet auch, dass wir globales Engagement, (D) Angesichts mancher Reaktionen auf die Fridays-for-Fu- Idealismus, Expertentum und Menschen haben, die in ture-Bewegung frage ich mich das umso mehr. über 2 000 Städten der Welt auf die Straße gegangen sind, Wir reden hier von der globalen Jugendbewegung, die eine globale Generation, inspiriert von einem 16-jährigen mit Digitalisierung und Globalisierung aufgewachsen schwedischen Mädchen, in Los Angeles, Mumbai, Syd- ist. Das ist kein Neuland für sie. Sie sind darin aufge- ney usw. und in fast allen unseren Wahlkreisen. Diese wachsen, und sie wollen dieses Land gestalten. Es ist ihr Menschen zeigen uns: Politik kann gelingen, wenn wir Land, es ist ihre Welt, und sie werden weitaus länger in den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts auch die dieser Welt sein als viele von uns hier in diesem Raum. Lösungen des 21. Jahrhunderts entgegensetzen. Und da stellen wir Politikerinnen und Politiker uns hin Ich frage mich: Worauf warten wir noch? Wir haben und sagen: Denkt doch über Bezahlbarkeit, Arbeitsplätze die Mittel. Wir haben das politische Wissen. und Versorgungssicherheit nach! Oder: Das Thema ist zu komplex; fragt doch mal einen Experten! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Wissen Sie eigentlich, wie daneben diese Haltung ist? der SPD) Als würden Wissen und Macht immer noch anhand von Alters- und Geschlechtergrenzen verteilt. Diese Reaktio- Aber uns fehlen der Mut und der Wille für die großen nen zeigen das Gegenteil von Expertentum. Veränderungen. Ich weiß nicht, wie oft ich in den letzten Wochen das Stichwort „Gelbwesten“ gehört habe, wenn (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN es um Veränderungen ging. Wir haben Angst vor den po- und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten tenziellen Widerständen auf der Straße, anstatt uns dem der SPD) realen Mut auf der Straße anzuschließen. Aber auch Lob, wie wir es jetzt auch von der Regie- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN rungsbank wieder gehört haben, kann vergiftet sein: Wie und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten toll, dass ihr euch politisch engagiert! – So können wir der SPD) uns gegenseitig auf die Schultern klopfen, für unsere put- zige politische Nachwuchsgeneration. Es stimmt: Demokratische Prozesse sind langsam, und die Art, wie wir Kompromisse suchen, ist zermürbend. (Dr. Lukas Köhler [FDP]: Das macht ihr doch Trotzdem ist es das bestmögliche System, das wir ken- genauso! Das macht ihr doch ganz genauso! nen. Aber der Verweis auf die Langsamkeit und die Not- Ihr macht genau das Gleiche, die ganze Zeit, wendigkeit von Konsens ist oft genug eine Ausrede für und nichts anderes!) fehlenden Mut, für Verzagtheit, für Verantwortungslosig- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 10175

Lisa Badum (A) keit, für bloßen Lobbyismus, für das Verspielen unserer hinweggesetzt wird. Ja, auch die Kulturrevolution wollte (C) gemeinsamen Zukunft, für ein schüchternes Politikmika- einst 1 000 Blumen zum Blühen bringen. do, bei dem der verliert, der sich als Erster bewegt. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: So arm!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Erziehung zur sozialistischen Persönlichkeit ist der und bei der LINKEN) Erziehung zur ökologischen Persönlichkeit gewichen, Auch hier können wir von Fridays for Future lernen, genauso wie im Sozialismus gepredigt, aber zum Woh- deren Unterstützer uns entgegenrufen: Es gibt unsere Be- le aller. Dabei bestreiten diejenigen, die skeptisch sind, wegung nur, weil ihr euch nicht bewegt. – Wir wissen, mitnichten die Wichtigkeit des Umwelt- und des Klima- was unsere Aufgabe ist. Wir müssen unsere Art des Wirt- schutzes. Aber eine wirklich offene Diskussion gibt es schaftens vom CO2-Ausstoß entkoppeln. Das ist unsere längst nicht mehr. Entweder ist man dafür, oder man ist Aufgabe. als Kritiker maximal zu ächten. (Dr. Lukas Köhler [FDP]: Wie denn? Sagen Würde man stattdessen zur Schule gehen, könnte man Sie doch etwas dazu!) im Fach Geschichte etwas über Bärbel Bohley lernen, eine DDR-Bürgerrechtlerin, die 1989 eine sehr wichtige Packen wir es an, und machen wir eine Politik für diese Rolle beim Erlangen von Demokratie und Freiheit spiel- Zukunft. te. Vielen Dank. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Entschuldigen Sie sich bei Frau Bohley!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Dr. Lukas Köhler Sie sagte damals vor 30 Jahren zum gerade eben über- [FDP]: Nur Paternalismus gegenüber den wundenen System: Man wird Strukturen und Methoden, Schülern!) wie gearbeitet wurde, „genauestens untersuchen – um sie dann zu übernehmen“. Sie fuhr fort: Vizepräsident Thomas Oppermann: Man wird sie ein wenig adaptieren, damit sie zu ei- Vielen Dank. – Als Nächster hat das Wort der frakti- ner freien westlichen Gesellschaft passen. ... Aber onslose Kollege Mario Mieruch. die geheimen Verbote, das Beobachten, der Arg- wohn, die Angst, das Isolieren und Ausgrenzen, das Brandmarken und Mundtotmachen derer, die sich Mario Mieruch (fraktionslos): nicht anpassen – das wird wiederkommen ... Man (B) Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen wird Einrichtungen schaffen, die viel effektiver ar- (D) und Herren! Natürlich ist es toll, wenn sich Jugendliche beiten … schon früh mit politischen Themen befassen, Ideen ent- wickeln und später zu Gestaltern werden. Aber das, was (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das macht ihr uns hier mit riesigem Medienspektakel als große Jugend- doch gerade!) bewegung verkauft wird, bildet zum einen nicht einmal Auch das ständige Lügen wird wiederkommen, die 2 Prozent der Schulpflichtigen ab und ist zum anderen Desinformation, der Nebel, in dem alles seine Kon- mit sehr großer Wahrscheinlichkeit kein Selbstläufer, der tur verliert. bei den Jugendlichen geboren wurde. Es gilt vielmehr, die Frage zu klären, inwiefern Ideologen und Organisati- Nehmen Sie diese Worte mit ins Wochenende. onen unsere Kinder und Jugendlichen dazu instrumenta- (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ihr seid mit- lisieren, ihre Agenda voranzutreiben. Das bestätigt unter verantwortlich!) anderem – das wurde mir gestern erst wieder zugetra- gen –, dass eine 10. Klasse nicht gefragt wird, ob sie teil- Denken Sie einmal genau darüber nach, und hinterfra- nehmen möchte, sondern dass die Teilnahme angeordnet gen Sie, was Sie hier gerade mit unseren Kindern und wird. Jugendlichen veranstalten und ob das deren Zukunft sein soll. Wie leicht sich Jugendliche bei entsprechender Indok­ trinierung beeinflussen lassen, kennen einige noch aus der Zu den Zurufern von links: Sie haben genau die- deutschen Geschichte. Geschichte ist heute oft nur noch ses System damals mitgetragen, gegen das sich Bärbel ein Wahlfach, wenn es denn überhaupt angeboten wird, ­Bohley eingesetzt hat. und findet unter Umständen wahrscheinlich freitags statt. Schönes Wochenende. Genauso wie damals zu Zeiten der verdienten Aktivisten und Volkskontrolleure präsentiert man uns heute neue (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Dr. Petra Ikonen wie Langstrecken-Luisa, die mit 21 schon einen Sitte [DIE LINKE]: Sie haben gar keine Ah- größeren ökologischen Fußabdruck hat als eine mittle- nung! Null!) re deutsche Kleinstadt, oder jetzt Nobelpreis-Greta. Was dem Mädchen noch fehlt, ist ein FDJ-Hemd. Und dann Vizepräsident Thomas Oppermann: haut man kräftig drauf. Ein Superlativ jagt den nächs- Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dr. Klaus-Peter ten. Wir erleben gerade wieder, wie die Schüler – im- Schulze für die Fraktion der CDU/CSU. mer bereit – für eine gute Sache demonstrieren, wie sich mit Rückendeckung der Regierung über geltendes Recht (Beifall bei der CDU/CSU) 10176 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019

(A) Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU): Daran sieht man, welche große Rolle die durch diese Mo- (C) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! bilität verursachten Emissionen spielen. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ganz beson- ders begrüße ich auch Besucher aus meinem Wahlkreis. Als zweites Beispiel nenne ich Textilien. Die Zahl der Auf jeden Fall ist es zu begrüßen, dass sich junge Men- verkauften Textilien hat sich in den letzten vier Jahren schen stärker für Politik interessieren. Ich erinnere an verdoppelt, während sich die Tragezeit halbiert hat. Ich den Bundestagswahlkampf 2017 oder an Landtags- und habe mir sagen lassen, dass viele gerade aus der Genera- Kommunalwahlen, als wir oft gesagt haben: Wo sind tion Z ein gekauftes T-Shirt ein, zwei Tage anziehen, um denn die Jugendlichen? Wo sind denn die, die später ein- es dann, wenn es ein bisschen riecht, zur Seite zu legen mal die Gesellschaft mitgestalten sollen und wollen? Sie und nicht zu waschen, wie es zum Beispiel in meiner Ge- kommen nicht. neration noch üblich war. (Dr. Lukas Köhler [FDP]: Das war in der (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das ist mir jetzt Union so!) neu! – Benjamin Strasser [FDP]: Was ist denn das für ein Bild von der Jugend?) Jetzt sind sie unterwegs. Sofort kommt große Kritik. Auch ich sehe das nicht ganz kritiklos. Denn wenn Sie – Ja, das ist aber zum Teil so. sich meinen Lebenslauf anschauen, werden Sie feststel- len, dass ich drei Jahre als Lehrer tätig war. Da stelle ich (Dr. Lukas Köhler [FDP]: Kein Wunder, dass mir natürlich die Frage: Müssen solche Demonstrationen Sie keine jungen Menschen kennen!) während der Schulzeit sein? Bei den Umfragen, die am letzten Wochenende veröf- (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- fentlicht wurden und in der man die einzelnen Altersgrup- NEN]: Ja!) pen miteinander verglichen hat, müssen wir feststellen, dass beim Thema Einweg nur 11 Prozent der Z-Genera- Ich habe noch einmal nachgeschaut: Von den 220 De- tion bereit sind, den Anteil an Einwegverpackungen zu monstrationen, die heute in Deutschland stattfinden, fin- reduzieren, während es bei den Babyboomern immerhin den 17 nach 13 Uhr statt. 41 Prozent sind. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Und für die nächste Revolution lösen wir eine Bahnsteig- (Dr. Lukas Köhler [FDP]: Dann ist ja alles karte!) gut!) In Mönchengladbach findet die Demonstration um Ich denke, hier muss insgesamt noch mehr gearbeitet (B) 17.30 Uhr statt, in Hamburg um 14.30 Uhr. werden. Jeder kann selbst etwas tun. (D) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP so- Dass in dieser Debatte heute wieder das Thema Kohle wie bei Abgeordneten der AfD) angesprochen wurde, damit habe ich fast gerechnet. Wir Ich denke, dass man auch am Nachmittag dafür demons- haben dazu eine Kommission. Herr Dr. Miersch hat deut- trieren kann. Der letzte Freitag in Berlin war ein Feiertag. lich gemacht, dass das Ergebnis, das jetzt vorliegt, einen Da waren die Klimaprobleme offensichtlich nicht ganz hohen gesellschaftlichen Konsens darstellt. Deshalb ver- so groß; denn die Zahl der Teilnehmer war deutlich ge- stehe ich nicht, dass man an diesen Ergebnissen wenige ringer. Wochen danach schon wieder rüttelt (Heiterkeit und Beifall bei der AfD sowie bei (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Abgeordneten der CDU/CSU) NEN]: Das müssen Sie den Kollegen in Ihrer Fraktion sagen!) Die Kollegen von der FDP sind ja auf ihren Frakti- onsvorsitzenden nicht eingegangen. Aber ich möchte das und sagt: Das geht alles zu langsam. an dieser Stelle machen. Ich bin nicht der Auffassung, dass Klimaschutz etwas für Profis ist. Klimaschutz geht (Beifall der Abg. Dr. Anja Weisgerber [CDU/ sicherlich jeden von uns etwas an. Wir alle hinterlassen CSU]) einen CO2-Abdruck. Wir können durch unser eigenes Verhalten einen Beitrag leisten, auch wenn dieser klein Versetzen Sie sich einmal in die Situation der in den drei ist, aber immerhin. Revieren arbeitenden Menschen, der Familien, der Kin- der. Wir haben jetzt einen Punkt erreicht, der ausgestaltet (Beifall bei der CDU/CSU) werden muss. Ich will Ihnen einige Beispiele nennen. Man sollte Ganz zum Schluss möchte ich noch sagen: Wir brau- nicht nur demonstrieren, sondern auch handeln. Fangen chen zukünftig sehr viele gut ausgebildete Menschen. wir mit den Onlinejunkies an. Man bestellt zuerst 20 verschiedene Artikel, bekommt 20 Päckchen, und da- (Dr. Lukas Köhler [FDP]: Doch Profis, oder von gehen 19 zurück. Von diesen wird ein großer Teil was?) nachher beim Händler vernichtet. Man darf den enormen Material- und Energieaufwand dabei nicht vergessen. Im Digitalisierung, Klimawandel, Energiewende stellen eine Jahr 2000 haben wir 1,7 Millionen Pakete in Deutschland große Herausforderung dar. Deshalb schlage ich vor, dass versendet. In diesem Jahr werden es 3,7 Millionen sein. es außer dieser Bewegung noch eine andere weltweite Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 10177

Dr. Klaus-Peter Schulze (A) Bewegung unter den Jugendlichen geben sollte. Sie lau- Nein, die erneuerbaren Energien sind, was die Gesund- (C) tet: Learning for Future. heit, was die ökologischen Folgeschäden, was also den gesamten ökologischen Rucksack angeht, billiger – auch Danke. jetzt schon. Sie sind durch die Bank weg billiger. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Lukas (Beifall bei der SPD) Köhler [FDP]: Also doch Profis!) Dennoch werden sie auch hier immer wieder als ein Vizepräsident Thomas Oppermann: Bremsklotz empfunden. Wir haben auch in der Koalition wieder erleben müssen, dass die Sonderausschreibungen Vielen Dank. – Als Nächstes spricht für die Fraktion für erneuerbare Energien viel später kamen, als sie ei- der SPD die Kollegin Dr. Nina Scheer. gentlich hätten kommen müssen. Das ist die direkte Aus- (Beifall bei der SPD) wirkung dieser Missverständnisse, die wir immer wieder antreffen. Dr. Nina Scheer (SPD): Ein weiteres Argument, das immer wieder vorkommt, Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und ist, dass man die Erneuerbaren erst dann ausbauen kön- Kollegen! Fridays for Future steht für viel Entrüstung, ne, wenn die entsprechende Netzinfrastruktur vorhanden viel Enttäuschung und auch Unverständnis für ausgeblie- wäre. Es ist jedoch seit langem bekannt, dass es beim benes und viel zu spätes Handeln. Genau in diesem Lich- Ausbau der erneuerbaren Energien nicht an der Netzin- te, denke ich, muss man das sehen und sich unbedingt frastruktur fehlt, sondern dass es mit der jetzigen Infra- auch direkt angesprochen fühlen. struktur, mit intelligenten Netzen und der Einbeziehung von Speichern sehr wohl möglich ist, den Ausbau der (Frank Sitta [FDP]: Regierung müsste man erneuerbaren Energien voranzutreiben. Trotzdem haben sein!) wir immer wieder das verbreitete Argument in der Dis- Es ist so – das zeigen alle Zahlen und Analysen –, dass kussion, dass die erneuerbaren Energien ohne weitere wir hinterherhinken. Die Klimaschutzziele von Paris gibt Netze angeblich nicht ausgebaut werden könnten. Genau es deswegen, weil wir hinterherhinken. Inzwischen ist es an solchen Fragen hängt es, nicht an der Überschrift, hin- eine breite Erkenntnis weltweit, dass wir tatsächlich et- ter der sich alle versammeln. was aufzuholen haben. Ich möchte das insofern betonen, Deswegen meine ich auch, dass wir uns verstärkt da- weil es, um aufs Politische zurückzukommen, in der Tat mit auseinandersetzen müssen, woher diese fehlgeleite- eine Diskrepanz zwischen Erkenntnis und Handeln gibt ten Argumente kommen, und wir uns neben dem, was und wir uns natürlich damit auseinandersetzen müssen, Matthias Miersch gesagt hat, stärker darauf konzentrie- wie es zu dieser Diskrepanz kommt, obwohl wir uns hier (B) ren müssen, die planetaren Grenzen ganz deutlich vor (D) in diesem Haus in vielen Dingen einig sind. Augen zu haben. Wir müssen uns auch immer wieder be- Es fehlt eben nicht an der breiten Unterstützung für sinnen, welche immensen Chancen in dem Umstieg auf deutliche Klimaschutzziele oder für eine klar benannte die erneuerbaren Energien und alle anderen klimaschüt- Energiewende, die wir dringend brauchen. Es ist aber so, zenden Maßnahmen stecken. dass anders als noch vor 10 oder 15 Jahren, als man ganz (Beifall bei der SPD sowie des Abg. klar von den Atomenergiebefürwortern und den Atom­ Dr. Lukas Köhler [FDP]) energiegegnern reden konnte und auch andere widerstrei- tende Interessen in der Energiewirtschaft ganz einfach zu Sie bedeuten Arbeitsplatzgewinne. Sie bedeuten Ge- benennen waren, heute fast alle von der Energiewende winne an Umweltschutz, Gewinne an dem Erhalt von sprechen, aber alle damit etwas anderes meinen. Lebensgrundlagen und von Gesundheit, auch Gewinne durch die Vermeidung weiterer Einbußen, die sich als Wir müssen uns also auch mit folgenden Fragen Folgewirkungen darstellen würden. Wir haben nur ein auseinandersetzen: Was heißt etwa in Frankreich eine Gewinnerkonto, wenn wir möglichst schnell auf die er- CO -neutrale Energieversorgung? Da ist dann auch die 2 neuerbaren Energien umsteigen und weitere klimaschüt- Atomenergie mit dabei. Was heißt bei uns eine CO -neu- 2 zende Maßnahmen einleiten. trale Energieversorgung? Was heißt das dann, wenn wir daraus ein europäisches Projekt machen? Das kann mit Wir sind in Deutschland auf einem sehr wichtigen unserer Lesart auf keinen Fall einen Widereinstieg in die Pfad. Mit dem Abschlussbericht der Kohlekommission Atomenergie heißen. Diese Fragen müssen geklärt wer- und dem von Svenja Schulze vorgelegten Gesetzentwurf den, führen aber auch dazu, dass wir uns bei der Wahl der sind wir auf dem richtigen Weg. Wir müssen erkennen, Instrumente schwertun, auf einen gemeinsamen Nenner dass sich diese Zielgerade in breiter Übereinstimmung zu kommen. mit den Zielen der Bewegung „Fridays for Future“ be- findet. Wir müssen aufpassen, dass die Ziele, die dort So führen wir auch hier im Bundestag immer wieder verankert sind, jetzt nicht verwässert werden. Von den die Auseinandersetzung, wenn es zum Beispiel um die Ersten wird das schon hinter vorgehaltener Hand getan. erneuerbaren Energien geht. Einerseits heißt es von vie- Wir müssen dafür eintreten, dass diese Ziele eben nicht len Seiten ganz klar: Wir wollen den weiteren Ausbau der verwässert werden. erneuerbaren Energien. Andererseits höre ich auch hier im Haus immer wieder, dass die Erneuerbaren immer Als allerletzten Punkt möchte ich sagen, dass dies noch zu teuer sind. Dabei wissen wir doch heutzutage, auch eine friedenspolitische Herausforderung ist. Wenn dass das Quatsch ist. Analysen über Analysen zeigen: immer mehr Menschen auf der Welt auf immer weniger 10178 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019

Dr. Nina Scheer (A) werdende Ressourcen zurückgreifen, dann werden wir Ich wundere mich, wie gereizt und ablehnend man- (C) irgendwann einen Kampf um Ressourcen haben, den wir che darauf reagieren, dass sich Kinder und Jugendliche in einer militärisch hochgerüsteten Welt nicht gewinnen so politisch äußern. Eine Schülerin der 7a der Ma­thilde- können und der zur Vernichtung der Menschheit führen Anneke-Gesamtschule in Münster drückt es so aus: wird. Ich möchte etwas verändern und den Menschen zu (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- verstehen geben, dass wir jetzt handeln müssen. ten der LINKEN und der Abg. Lisa Badum Denn wenn nicht jetzt, dann können wir vielleicht [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) nie wieder irgendetwas machen. In diesem Sinne sollten wir uns darauf einigen, „every Mit den Scientists for Future stellen sich auch Wissen- day for future and for peace“ als Bewegung zu verfolgen: schaftlerinnen und Wissenschaftler hinter den Prozess, in den Schulen, vor den Schulen, auf der Straße und in und inzwischen gibt es auch schon Parents for Future. den Parlamenten. Heute wird gemeinsam protestiert – so weit, so gut. Vielen Dank. Doch Ihnen, liebe Grüne, muss ich doch schon ein gewisses terminologisches Unvermögen bescheinigen; (Beifall bei der SPD und der LINKEN) denn die Schüler zogen während der Unterrichtszeit vor die Rathäuser. Es geht hier schon um einen Schulstreik, Vizepräsident Thomas Oppermann: nicht um einen Klimastreik. So viel Ehrlichkeit muss Vielen Dank. – Für die Fraktion der CDU/CSU spricht sein. jetzt die Kollegin Sybille Benning. (Beifall bei der CDU/CSU – Lisa Badum [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was än- (Beifall bei der CDU/CSU) dert das? – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den Vorwurf habe ich nicht ver- Sybille Benning (CDU/CSU): standen!) Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Ich finde es gut, wenn sich junge Menschen engagie- Herren! Liebe Schülerinnen und Schüler! Als Schwarze ren und ihren Mund aufmachen. Allerdings frage ich mich mit einem grünen Daumen, gelernte Landschaftsgärtne- auch: Warum nicht außerhalb der Schulzeit, oder warum rin und Landschaftsökologin, treibt mich der Schutz der nicht Projektarbeit zu diesen Themen in der Schule? Umwelt seit jeher um. Aufgerüttelt und aktiv geworden bin ich durch die Berichte des Club of Rome. Eine kirch- (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- liche Jugendarbeit und eine ordentliche Schule haben NEN]: Die machen doch beides! Machen die (B) (D) dann ihr Übriges dazugetan. Also, ein Monopol auf Um- doch auch!) weltschutz haben die Grünen ganz bestimmt nicht. Der französische Bildungsminister hat jetzt verfügt, dass (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- in der gymnasialen Oberstufe in Frankreich über den Kli- ordneten der SPD und der FDP) maschutz diskutiert wird. So soll wertvolle Unterrichts- zeit genutzt werden. Chapeau! Meine Damen und Herren, wahrscheinlich ist vie- len Herbert Gruhl kein Begriff mehr. Schon Mitte der Die Schulpflicht gilt für uns ohne Wenn und Aber. Es 70er-Jahre hatte der CDU-Bundestagsabgeordnete mit sollte nicht nur Fridays for Future geben – jeder Tag soll- seinem Buch „Ein Planet wird geplündert“ einen Best- te ein Future Day sein. seller gelandet und die Umweltbewegung maßgeblich (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Petra Sitte mitgeprägt. Klimapolitik im Sinne der Bewahrung der [DIE LINKE]: Sie sollten schon ein bisschen Schöpfung ist ein genuin christliches und im wahrsten in die Schule gehen!) Sinne des Wortes konservatives Anliegen. Es ist unser Anliegen. Darum arbeiten wir auch hier im Parlament trotz aller Schwierigkeiten jeden Tag daran, unser sehr anspruchs- Ich zitiere jetzt aus dem Grundsatzprogramm der volles nationales Klimaziel 2020 möglichst schnell zu er- CDU von 1994: reichen. Parallel dazu entwickelt die Bundesregierung – Wir müssen erkennen, daß wir durch die Art unse- jetzt auch mit dem Klimakabinett – derzeit konkrete res wirtschaftlichen Handelns, unseren Lebensstil Maßnahmen, mit denen das Erreichen der europäisch sowie das weltweite Bevölkerungswachstum die vereinbarten Klimaziele 2030 sichergestellt wird. Wir Lebensbedingungen im Ökosystem Erde so verän- werden, wie im Koalitionsvertrag festgelegt, entspre- dert haben und weiter verändern, daß menschliches chende gesetzliche Regelungen treffen. Leben und Überleben gefährdet sind. Meine Damen und Herren, wir müssen den Umwelt- schutz im Gesamtkontext betrachten. Klima, Kreislauf- Es ist doch ein Fakt, dass das Klima sich wandelt, was wirtschaft und Biodiversität sind doch Teilaspekte des nicht nur für uns Menschen gravierende Folgen nach sich Ganzen. Nachhaltigkeit und Forschung dafür sind doch zieht. Darum müssen wir handeln und umsteuern. Das das Gebot der Stunde. passiert ja auch. Menschen, Industrien, Staaten denken um und ändern ihr Verhalten. Aber eben nicht alle halten (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ein, wozu sie sich verpflichtet haben. Darum protestieren NEN]: Sie stellen die Bundesregierung! Wenn jeden Freitag Tausende Schülerinnen und Schüler. ich Sie daran noch mal erinnern darf!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 10179

Sybille Benning (A) Viele Wissenschaftler und Ingenieure sind schon längst Ich finde, wir sollten das alle zusammen sein. (C) dabei, gute Ideen zu entwickeln, und haben schon erstaun- liche Ergebnisse erzielt. Wenn die Schule besucht wird Heute finden über 1 700 Demonstrationen in über und gut ist, dann motiviert sie doch junge Menschen, bei 100 Ländern weltweit statt. Allein in Deutschland sind es der Forschung für die Zukunft weiterzumachen und mit- über 220 Klimastreiks. Natürlich blicke ich dabei auch in zutun. Ich denke, das ist ein guter Weg – „Learning for meinen heimischen Wahlkreis. Dort haben sich Schüle- Future“ hat es der Kollege eben genannt. Das Forschen rinnen und Schüler seit Wochen darauf vorbereitet, heute wird vom BMBF mit dem Rahmenprogramm FONA3 das erste Mal in Nienburg eine Fridays-for-Future-Kund- immens gefördert. gebung zu starten. Es waren wohl über 1 000 Teilnehmer. Wichtig sind die Nachhaltigkeitsstrategien vor Ort, (Beifall bei der SPD und der LINKEN) lokal in den Kommunen. Meine Heimatstadt Münster ist Mit der Petition Scientists for Future formieren sich hierbei Pionier. Münster erhielt den Titel „Deutschlands mehr als 19 000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft- nachhaltigste Großstadt“. Einen Eindruck gewinnt man ler aus Deutschland, Österreich und der Schweiz hinter schon, wenn man am Bahnhof aussteigt und einen Teil den Forderungen der jungen Menschen, Tendenz stei- der 500 000 Fahrräder sieht, die auf 312 000 Einwohner gend. Das ist ein starkes Signal und vor allem ein Weck- kommen. Sie sind ein offensichtlicher Hinweis auf unse- ruf, aber zu diesem Weckruf später mehr. ren 42-prozentigen Fahrradanteil an der Mobilität – ein Schritt für die Zukunft. Besonders wichtig ist uns auch Anfang der Woche habe ich mich mit einem Schüler in unserer Stadt: Hier werden kommunale Entscheidun- aus meinem Heimatort über die Demonstrationen aus- gen auf ihre Enkeltauglichkeit hin geprüft, also mit Blick getauscht. Eine Sache hat mich dabei sehr betroffen ge- darauf, ob Gestaltungsspielräume für morgen erhalten macht. Er meinte nämlich – Zitat –: Was mich persönlich bleiben. Das ist Politik für die Zukunft. Wir zeigen, dass extrem stört und was ich unbedingt ändern möchte, ist, Klimaschutz mit einer starken Wirtschaft und sozialem dass die Jugend gern als politikverdrossen dargestellt Ausgleich vereinbar ist. Wir wollen für unsere Kinder wird, jetzt aber, sobald man politisch aktiv wird, ins Lä- und Enkel die besten Chancen. cherliche gezogen wird. – Hand aufs Herz: Der junge Mann hat recht. Das dauert halt sehr lange, aber wir machen uns wirk- lich intensiv daran. Jeder muss sich einbringen. Meine (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Aufgabe als Parlamentarierin sehe ich darin, Forschungs- projekte und -programme zu unterstützen, die zum Woh- Wir müssen uns nur die Äußerungen von Bundesbil- le dieses Planeten beitragen, und Menschen dafür zu be- dungsministerin Anja Karliczek oder dem Fraktionsvor- geistern, sich im Sinne der Nachhaltigkeit zu verhalten. sitzenden der FDP, Christian Lindner, vor Augen halten. (B) Da gehen junge Menschen auf die Straße, die für eine Sa- (D) (Beifall bei der CDU/CSU) che brennen, die etwas für unser Klima bewegen wollen, und Ihnen, Frau Ministerin, fällt nichts Besseres ein, als Konsequenter Umweltschutz hat nämlich uns allen be- direkt den Zeigefinger zu erheben und nur auf die Schul- reits mehr Lebensqualität gebracht, und daran sollten wir pflicht zu pochen. anknüpfen. Ich beende meine Rede mit einem Zitat von Theodore (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Ja, genau! Roosevelt: Das ist auch richtig!) Tu, was du kannst, Das Anliegen ist so wichtig, und es hat wirklich nichts mit dem, was du hast, mit Schwänzen im großen Stil zu tun. wo immer du bist. (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Doch!) Vielen Dank. Das wurde doch in München und Berlin in der vergan- (Beifall bei der CDU/CSU) genen Woche eindrucksvoll bewiesen. Dort fanden die Demos trotz Faschingsferien und Feiertag statt. Vizepräsident Thomas Oppermann: (Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Ja, warum Vielen Dank. – Als Nächstes spricht für die Fraktion machen sie es nicht häufiger so?) der SPD die Kollegin Marja-Liisa Völlers. Mit solchen fahrlässigen Äußerungen werfen Sie alle (Beifall bei der SPD) jungen Leute in einen Topf. Gerade Sie als Bundesbil- dungsministerin sollten unsere Jugend zu gesellschaftli- chem Engagement anregen, statt es ihnen zu vermiesen. Marja-Liisa Völlers (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und (Beifall bei der SPD und der LINKEN – Kollegen! Ich bin stolz – stolz auf all die jungen Men- Sybille Benning [CDU/CSU]: Sie ist auch schen, die seit Wochen und Monaten ihr Herz in die Hand Forschungsministerin! Sie möchte junge Inge- nehmen, um auf unseren Straßen, den Straßen Europas nieure haben!) und der Welt, für mehr Klimaschutz zu protestieren. Frau Kollegin, als Lehrerin weiß ich, wie wichtig es (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Petra ist, Jugendliche in ihrem Engagement für demokratische Sitte [DIE LINKE]) Anliegen zu bestärken. Ich würde es wirklich sehr begrü- 10180 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019

Marja-Liisa Völlers (A) ßen, wenn Sie an Ihrer Einstellung dazu noch ein biss- Fridays-for-Future-Demo stattfand. Was für ein Engage- (C) chen arbeiten würden. ment – sachlich, freundlich, aber bestimmt in der Forde- rung nach mehr Einsatz für unser aller Klima. (Erich Irlstorfer [CDU/CSU]: Hören Sie doch mit den Belehrungen auf!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, hier bewegt sich Wenn Herr Lindner da wäre, würde er sicherlich von gerade eine ganze Menge. Es wird Zeit, dass auch wir mir jetzt auch noch einen kleinen Spruch bekommen. uns bewegen. In keinem anderen Land der Welt waren für heute mehr Proteste angekündigt als hier bei uns in (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Deutschland. NEN]: Wo ist er eigentlich?) (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Gegen den gan- – Wo ist der Herr eigentlich? Ist er gerade irgendwie als zen Wahnsinn hier!) Profi unterwegs, um das Klima zu retten? Das sollte für uns alle ein Weckruf sein, und zwar ein (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Weckruf, dem wir auch Taten folgen lassen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Lukas Köhler [FDP]: Er diskutiert über Klimaschutz! (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Wo ist denn die Frau Nahles gerade? Nicht da! Unsere Bundesumweltministerin Svenja Schulze hat Genau!) zum Beispiel mit ihrem Klimaschutzgesetz einen richtig – Frau Nahles hat die Schülerinnen und Schüler nicht guten Vorschlag gemacht. diskreditiert, anders als Ihr Fraktionsvorsitzender. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass wir Meiner Meinung nach müssen junge Menschen oder den Schalter beim Klimaschutz noch rechtzeitig umle- Menschen generell nicht Experten von A bis Z sein, um gen. Das sind wir den Schülerinnen und Schülern der sich irgendwo demokratisch einzubringen. Ich glaube, da Fridays-for-Future-Bewegung schuldig. ist sich der Großteil von uns einig. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sehr geehrte Damen und Herren, was passiert denn da gerade auf den Straßen? Das ist Politikunterricht, wie wir ihn uns anschaulicher und lehrreicher nicht wünschen Vizepräsident Thomas Oppermann: könnten. Ich will Ihnen auch verraten, warum: Im Früh- Vielen Dank. – Letzter Redner in der Debatte ist der (B) jahr 2003 habe ich als Zwölftklässlerin bei einer großen Kollege Jens Koeppen für die Fraktion der CDU/CSU. (D) Demonstration gegen den Einmarsch der Amerikaner in (Beifall bei der CDU/CSU) den Irak und eine potenzielle deutsche Beteiligung mit- gemacht. Jens Koeppen (CDU/CSU): (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer GRÜNEN]) sich diese Debatte angeschaut hat, konnte feststellen: Es herrscht Einigkeit in diesem Plenum, und zwar in zwei Noch heute weiß ich, wie wir zu Hunderten auf dem Punkten: Sportplatz unserer Schule waren und ein großes Peace-­ Zeichen geformt haben. Und ja, das war auch in der Un- Erster Punkt. Einigkeit besteht darüber, dass die größ- terrichtszeit. Hat uns das Verpassen des Unterrichts ge- te oder eine der größten Herausforderungen in dieser Zeit schadet? Ich bin mal so frei: Nein. die massive globale Ressourcenverschwendung ist, der massive Eingriff in die Umwelt, in die Natur. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE Zweiter Punkt. Wir sind uns einig darüber, dass es GRÜNEN]) gut ist, wenn sich junge Menschen engagieren, wenn sie voller Empathie, voller Begeisterung und voller Hilfs- Bei dieser Aktion habe ich, haben wir aber etwas ganz bereitschaft für eine lebenswerte Zukunft kämpfen und Wertvolles gelernt: Wir haben die Tragweite unserer ei- streiten. Das ist unbestritten. genen Stimmen erkannt, die Tragweite unseres eigenen Engagements, die Tragweite des eigenen Bewusstseins (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) für eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung. Das hat Aber dafür brauchen wir nicht Greta; denn das haben mich geprägt, und so wird es sicherlich auch allen gehen, die jungen Leute schon immer gemacht, jedenfalls die, die jetzt überall auf unserer Welt auf die Straße gehen. die ich kenne, in den Wahlkreisen, in den Vereinen, in (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie den Schulen, beim THW, bei der Feuerwehr, bei den Ju- der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE gendorganisationen. Darauf können wir stolz sein; denn GRÜNEN]) das ist der Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält. Heute Mittag war ich mit Katarina Barley und vie- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – len weiteren Kolleginnen und Kollegen der SPD-Bun- Lisa Badum [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: destagsfraktion kurz am Kanzleramt dabei, als die Es geht nicht um das Ehrenamt!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 10181

Jens Koeppen (A) Nicht einig sind wir uns in der Tat bei der Herange- sollten nicht sagen: Jetzt muss alles geändert werden, (C) hensweise, bei den Maßnahmen, wie wir zu den ent- wegen einer Freitagsdemonstration. sprechenden Zielen kommen. Ich glaube nicht, dass wir Kronzeugen brauchen. Die Frage muss erlaubt sein: Ist (Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast es gerechtfertigt, Kinder für seine ganz speziellen poli- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist das der tischen Ziele zu Zettel von der Aschermittwochsrede, oder was?) (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Missbrauchen!) Wie kann Politik, wie kann Gesellschaft zur Aufklä- instrumentalisieren? rung beitragen? Man kann Gesetze oder Verbote erlas- sen, man kann mit Gängelung arbeiten, man kann aber (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – auch mit Aufklärung arbeiten und Technologiesprünge Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nutzen. Aber wer lässt sich schon gern aufklären, zum NEN]: Das machen die doch selber! Soll man Beispiel in Sachen Verzicht? sie festbinden, oder was?) Kinder als Kronzeugen, um Argumenten Nachdruck Natürlich ist es so, dass Umweltschutz und Naturschutz zu verleihen, um einseitige politische Ziele zu verfolgen, gerade bei der Jugend ganz besonders im Fokus stehen. Das ist aber schon immer so gewesen. Das war auch in (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- meiner Jugend so. Auch in meiner Jugend haben wir, zu NEN]: Schon mal eine Demo gesehen, die DDR-Zeiten, nicht einseitig ist?) (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ja, ja!) das ist, glaube ich, ein bisschen übertrieben. Ich glaube, die Fridays-for-Future-Bewegung hätte auch eine Sa- in den Jugendorganisationen gekämpft. turdays-for-Future-Bewegung werden können oder eben eine Fridays-Afternoon-Bewegung. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN], an Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE] (Dr. Lukas Köhler [FDP]: Saturday Night for gewandt: Petra, sag mal was dazu! – Gegenruf Future!) der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das ist doch Mumienschieben!) – Zum Beispiel. – Aber nein, alle müssen das jetzt gut finden; aber nicht alle finden das gut. Es gibt ein De- Das war völlig klar; denn es ging um unsere Zukunft. monstrationsrecht, und es gibt die Schulpflicht; darauf Und jetzt geht es um die Zukunft der heutigen Kinder wurde schon hingewiesen. Ich finde es nicht gut, das und Jugendlichen. Es geht um Überbevölkerung, es geht Demonstrationsrecht und die Schulpflicht gegeneinan- (B) um den Umgang mit der Schöpfung, es geht um Res- der auszuspielen. Ich finde es auch nicht gut, den Kli- (D) sourcenverschwendung. Die jungen Leute wollen nicht maschutz und die Bildung gegeneinander auszuspielen. sehen, wie vor ihren Augen der Planet quasi aufgefressen Ich glaube, damit tun wir niemandem, aber auch wirklich wird. Aber er wird auch von den jungen Menschen selbst niemandem einen Gefallen, weder dem Thema noch den aufgefressen; denn – das habe ich schon gesehen – auch jungen Leuten. junge Leute und nicht nur Erwachsene gehen zu McDo- nald’s, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Lukas Köhler [FDP]) (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Echt? – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine Frage muss geklärt, muss beantwortet werden: Ist Nein!) eine solche Bewegung auch dann noch vertretbar, wenn es um ein anderes Thema geht? Dann wird am Montag zu Starbucks, vielleicht für die Menschenrechte demonstriert, (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Lisa Badum [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: NEN]: Ist nicht wahr!) So ist es ja auch!) wollen das beste Handy haben, am Dienstag für Brot für die Welt, am Mittwoch für kos- tenloses Schulessen, (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Nein!) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) trinken Cola aus Plastikflaschen, am Donnerstag für den Veggieday, am Freitag für den Erhalt der Arbeitsplätze, vielleicht auch für den Erhalt (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der Arbeitsplätze in der Automobilindustrie oder in einer NEN]: Um Gottes willen!) Kohleregion. essen Fleisch – Frau Künast, stellen Sie sich das mal (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- vor – NEN]: Was wollen Sie uns damit sagen?) (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Meine Damen und Herren, wäre das auch legitim? NEN]: Ja, ich kenne auch einen!) (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und wollen mit ihren Eltern in den Urlaub fliegen. Daher NEN]: Ist das vergleichbar? Sie müssen erst muss sich die Gesellschaft den Spiegel vorhalten. Wir mal Ihr Koordinatenkreuz zurechtrücken!) 10182 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019

Jens Koeppen (A) Würden Sie auch dann noch sagen: „Da gehen wir hin; Meine Damen und Herren, das ist alles komplex. Dazu (C) das unterstützen wir“, wenn die ganze Woche demons­ gehört auch Bildung. Diese Bildung sollten wir unseren triert und gestreikt wird? Diese Frage muss und darf man Kindern nicht verwehren. einfach einmal stellen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – der FDP) Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ich habe „Gurken“ behalten!) Darf man Kinder animieren, für ein spezielles Thema die Schule zu schwänzen? Diese Frage muss die Politik be- antworten, Vizepräsident Thomas Oppermann: (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Hat die Bundes- Vielen Dank, Herr Kollege. – Weitere Wortmeldungen kanzlerin schon beantwortet!) sind nicht vorgesehen. diese Frage müssen die Lehrer beantworten, und diese Frage müssen die Eltern beantworten. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages- ordnung. Eltern sollten die Kinder unterstützen. Beim Klima- schutz geht das natürlich auch. Sie wollen mit gutem Ich wünsche Ihnen ein erholsames Wochenende; denn Beispiel vorangehen? Dann fragen sie sich: Müssen sie nächste Woche geht es schon wieder weiter. in den Kaffeeladen mit dem Einweggeschirr gehen oder zu der Fast-Food-Kette? Müssen sie Gurken kaufen, die Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- doppelt eingeschweißt sind? Müssen sie Lebensmittel tages auf Mittwoch, den 20. März 2019, 13 Uhr, ein. verschwenden? Können sie nicht vielleicht bewusster einkaufen? Die Sitzung ist geschlossen. Kommen Sie gut nach (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Hause. NEN]: Sollen wir uns jetzt noch um Ihre Wurst kümmern?) (Schluss: 16.45 Uhr)

(B) (D) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 10183

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Entschuldigte Abgeordnete

Abgeordnete(r) Abgeordnete(r)

Bas, Bärbel SPD Lamers, Dr. Dr. h. c. Karl A. CDU/CSU Bernhard, Marc AfD Magwas, Yvonne* CDU/CSU Castellucci, Dr. Lars SPD Meiser, Pascal DIE LINKE Burkert, Martin SPD Mittag, Susanne SPD Busen, Karlheinz FDP Mortler, Marlene CDU/CSU Deligöz, Ekin BÜNDNIS 90/ Müller-Böhm, Roman FDP DIE GRÜNEN Müntefering, Michelle SPD Fischer (Karlsruhe-Land), Axel E. CDU/CSU Oehme, Ulrich AfD Föst, Daniel FDP Raabe, Dr. Sascha SPD Freihold, Brigitte DIE LINKE Remmers, Ingrid DIE LINKE Freitag, Dagmar SPD Schmidt, Dr. Frithjof BÜNDNIS 90/ Gohlke, Nicole DIE LINKE DIE GRÜNEN Grosse-Brömer, Michael CDU/CSU Schulz, Jimmy FDP (B) (D) Gutting, Olav CDU/CSU Schulz, Martin SPD Hartmann, Verena AfD Sendker, Reinhold CDU/CSU Heinrich, Gabriela SPD Seitz, Thomas AfD Held, Marcus SPD Solms, Dr. Hermann Otto FDP Hellmich, Wolfgang SPD Sommer, Helin Evrim DIE LINKE Heßenkemper, Dr. Heiko AfD Steier, Andreas CDU/CSU Heveling, Ansgar CDU/CSU Strenz, Karin CDU/CSU Högl, Dr. Eva SPD Tack, Kerstin SPD Ihnen, Ulla FDP Tackmann, Dr. Kirsten DIE LINKE Janecek, Dieter BÜNDNIS 90/ Todtenhausen, Manfred FDP DIE GRÜNEN Verlinden, Dr. Julia BÜNDNIS 90/ Jung, Andreas CDU/CSU DIE GRÜNEN Kapschack, Ralf SPD Vogel (Olpe), Johannes FDP Kemmerich, Thomas L. FDP Vogler, Kathrin DIE LINKE Klein, Karsten FDP Walter-Rosenheimer, Beate BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Körber, Carsten CDU/CSU Wellenreuther, Ingo CDU/CSU Kotting-Uhl, Sylvia BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Wiesmann, Bettina Margarethe CDU/CSU

Krings, Dr. Günter CDU/CSU *aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes 10184 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019

(A) Anlage 2 Beratung und Vollzug sowie insbesondere zur Ab- (C) schätzung des Personalbedarfs des Bundesamtes Erklärung nach § 31 GO für Naturschutz der Abgeordneten Gökay Akbulut (DIE LINKE) zu der namentlichen Abstimmung über den von Drucksachen 19/6495, 19/7140 Nr. 4 den Abgeordneten Corinna Rüffer, Anja Hajduk, – Unterrichtung durch die Bundesregierung Britta Haßelmann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- Klimaschutzbericht 2018 wie der Abgeordneten Sören Pellmann, Susanne Drucksachen 19/7670, 19/7985 Nr. 1 Ferschl, Gökay Akbulut, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Ent- Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben wurf eines Gesetzes zur Umsetzung der UN-Be- mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Uni- hindertenrechtskonvention im Wahlrecht onsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer (Tagesordnungspunkt 25) Beratung abgesehen hat. Ich habe versehentlich mit Nein gestimmt. Mein Vo- tum lautet Ja. Ausschuss für Inneres und Heimat Drucksache 19/4978 Nr. A.1 Ratsdokument 11909/18 Anlage 3 Drucksache 19/4978 Nr. A.2 Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung Ratsdokument 11913/18 Drucksache 19/7158 Nr. A.7 Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie Ratsdokument 15486/18 gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von Drucksache 19/7158 Nr. A.8 einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen Ratsdokument 15496/18 absehen: Haushaltsausschuss Finanzausschuss Drucksache 19/7158 Nr. A.11 – Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof Ratsdokument 14651/18 Bericht nach § 99 der Bundeshaushaltsordnung Drucksache 19/7158 Nr. A.12 über die Ziele des Bundes bei den Verhandlungen Ratsdokument 15243/18 Drucksache 19/7158 Nr. A.13 (B) mit der Deutschen Bahn AG über eine dritte Leis- (D) tungs- und Finanzierungsvereinbarung für die be- Ratsdokument 15360/18 stehende Eisenbahninfrastruktur Drucksache 19/7505 Nr. A.16 Ratsdokument 15455/18 Drucksachen 19/6200, 19/7140 Nr. 1 – Unterrichtung durch die Delegation des Deutschen Ausschuss für Wirtschaft und Energie Bundestages in der Interparlamentarischen Konferenz Drucksache 19/7505 Nr. A.21 über Stabilität, wirtschaftspolitische Koordinierung Ratsdokument 15848/18 und Steuerung in der Europäischen Union Elfte Tagung der Konferenz am 17. und 18. Septem- Verteidigungsausschuss ber 2018 in Wien Drucksache 19/7505 Nr. A.22 Drucksachen 19/7563, 19/7803 Nr. 7 EP P8_TA-PROV(2018)0498

Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur – Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof Drucksache 19/7158 Nr. A.33 Bericht nach § 99 der Bundeshaushaltsordnung zur Ratsdokument 14965/18 strukturellen Weiterentwicklung und Ausrichtung der Deutschen Bahn AG am Bundesinteresse Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksachen 19/7050, 19/7503 Nr. 1.3 Drucksache 19/3112 Nr. A.68 Ratsdokument 9542/18 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Drucksache 19/6537 Nr. A.10 Sicherheit EP P8_TA-PROV(2018)0446 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 19/6537 Nr. A.14 Ratsdokument 14332/18 Zweiter Bericht der Bundesregierung zum Stand Drucksache 19/6537 Nr. A.15 der Umsetzung des Nagoya-Protokolls hinsichtlich Ratsdokument 14335/18 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 87. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. März 2019 Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333