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Inhaltsverzeichnis Plenarprotokoll 18/118

Deutscher

Stenografischer Bericht

118. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 1: (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 11476 A a) Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister der Finanzen: Stabili- (CDU/CSU) ...... 11477 A tätshilfe zugunsten Griechenlands Heinz-Joachim Barchmann (SPD) ...... 11479 A b) Antrag des Bundesministeriums der Finan- Michael Stübgen (CDU/CSU) ...... 11479 D zen: Einholung eines zustimmenden Be- schlusses des Deutschen Bundestages, Johannes Kahrs (SPD) ...... 11481 C der Hellenischen Republik Stabilitäts- Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) ...... 11482 D hilfe in Form einer Finanzhilfefazilität zu gewähren, sowie zur Vereinbarung (CDU/CSU) ...... 11484 A über ein Memorandum of Understan- Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) (Erklärung ding zwischen der Hellenischen Repu- nach § 30 GO) ...... 11485 D blik und dem Europäischen Stabilitäts- mechanismus (ESM) Drucksache 18/5780 ...... 11455 B Namentliche Abstimmung...... 11486 D Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister BMF ...... 11455 C Ergebnis ...... 11487 C Dr. (DIE LINKE) ...... 11458 D Nächste Sitzung ...... 11489 D (SPD) ...... 11462 A

Dr. (BÜNDNIS 90/ Anlage 1 DIE GRÜNEN) ...... 11464 A Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 11491 A (CDU/CSU) ...... 11465 D (Erfurt) (SPD) ...... 11467 B Anlage 2 (DIE LINKE) ...... 11468 D Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) ...... 11469 D , , (Havelland), Richard Pitterle, Kirsten (CDU/CSU) ...... 11470 D Tackmann, Frank Tempel und Dr. Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/ (alle DIE LINKE) zur namentlichen Abstim- DIE GRÜNEN) ...... 11472 C mung zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen zur Einholung eines zustimmen- Christian Freiherr von Stetten (CDU/CSU) 11473 A den Beschlusses des Deutschen Bundesta- Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) ...... 11474 A ges, der Hellenischen Republik Stabilitäts- hilfe in Form einer Finanzhilfefazilität zu Norbert Spinrath (SPD) ...... 11475 A gewähren, sowie zur Vereinbarung über ein II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. , Mittwoch, den 19. August 2015

Memorandum of Understanding zwischen der fazilität zu gewähren, sowie zur Vereinbarung Hellenischen Republik und dem Europäi- über ein Memorandum of Understanding zwi- schen Stabilitätsmechanismus (ESM) (Tages- schen der Hellenischen Republik und dem ordnungspunkt 1 b) ...... 11492 A Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) (Tagesordnungspunkt 1 b) ...... 11495 A (CDU/CSU) ...... 11495 B Anlage 3 Klaus Brähmig (CDU/CSU) ...... 11496 A Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten , Sylvia Kotting-Uhl, , Michael Brand (CDU/CSU) ...... 11496 A , Beate Müller-Gemmeke, (CDU/CSU) ...... 11497 B Corinna Rüffer und Dr. Harald Terpe (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentli- Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU) ...... 11497 C chen Abstimmung zu dem Antrag des Bun- Josef Göppel (CDU/CSU) ...... 11498 A desministeriums der Finanzen zur Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deut- Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU) . . . . . 11498 C schen Bundestages, der Hellenischen Repu- (CDU/CSU) ...... 11499 A blik Stabilitätshilfe in Form einer Finanzhilfe- fazilität zu gewähren, sowie zur Vereinbarung (CDU/CSU) ...... 11499 C über ein Memorandum of Understanding zwi- Dr. (CDU/CSU) ...... 11500 C schen der Hellenischen Republik und dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) Bettina Hornhues (CDU/CSU ...... 11501 B (Tagesordnungspunkt 1 b) ...... 11492 D (DIE LINKE) ...... 11501 C (SPD) ...... 11502 A Anlage 4 (BÜNDNIS 90/ Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten DIE GRÜNEN) ...... 11503 C und (CDU/CSU) ...... 11504 B (beide DIE LINKE) zur namentlichen Abstim- mung zu dem Antrag des Bundesministeriums (SPD) ...... 11504 D der Finanzen zur Einholung eines zustimmen- Dr. (CDU/CSU) ...... 11505 B den Beschlusses des Deutschen Bundesta- ges, der Hellenischen Republik Stabilitäts- Florian Oßner (CDU/CSU) ...... 11506 B hilfe in Form einer Finanzhilfefazilität zu Ulrich Petzold (CDU/CSU) ...... 11506 C gewähren, sowie zur Vereinbarung über ein Memorandum of Understanding zwischen Alois Rainer (CDU/CSU) ...... 11507 A der Hellenischen Republik und dem Europäi- (SPD) ...... 11507 C schen Stabilitätsmechanismus (ESM) (Tages- ordnungspunkt 1 b) ...... 11493 D Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 11508 C Dr. (SPD) ...... 11509 C Anlage 5 (CDU/CSU) ...... 11510 A Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung zu dem Antrag des Bundes- Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ ministeriums der Finanzen zur Einholung DIE GRÜNEN) ...... 11510 B eines zustimmenden Beschlusses des Deut- Dr. (CDU/CSU) ...... 11510 D schen Bundestages, der Hellenischen Repu- blik Stabilitätshilfe in Form einer Finanzhilfe- (CDU/CSU)...... 11511 B Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015 11455

(A) (C)

118. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015

Beginn: 9.01 Uhr

Präsident Dr. : Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. der Bundesminister der Finanzen, Wolfgang Schäuble. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- herzlich zur 118. Plenarsitzung des Deutschen Bundesta- neten der SPD) ges. Die heutige Sitzung habe ich gemäß Artikel 39 Ab- satz 3 Satz 2 des Grundgesetzes einberufen, und ich gehe Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan- davon aus, dass Sie nachweislich Ihrer bemerkenswert zen: starken Anwesenheit mit der Einberufung dieser Sitzung Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ent- einverstanden sind. Die Unvermeidlichkeit war ja auch scheidung über ein weiteres Hilfsprogramm für Grie- hinreichend gut erkennbar. chenland fällt nicht leicht. Die Debatten zu den Hilfen Nun rufe ich unsere Tagesordnungspunkte 1 a und 1 b für Griechenland waren und sind aus guten Gründen auf: streitig. Es gibt beachtliche Gründe dafür und es gibt be- (B) achtliche Gründe dagegen – ökonomische und politi- (D) a) Abgabe einer Regierungserklärung durch den sche; das ist unbestritten. Das liegt an der unvollständi- Bundesminister der Finanzen gen Konstruktion der Währungsunion, der eben eine Stabilitätshilfe zugunsten Griechenlands gemeinsame Haushalts-, Finanz- und Wirtschaftspolitik fehlt. So konnten einzelne Euro-Länder Entscheidungen b) Beratung des Antrags des Bundesministeriums auf Kosten der Gemeinschaft treffen, weil Verantwor- der Finanzen tung und Haftung immer wieder auseinanderzufallen Einholung eines zustimmenden Beschlusses drohten. des Deutschen Bundestages, der Hellenischen Im Zuge der Euro-Krise haben wir die Währungs- Republik Stabilitätshilfe in Form einer Finanz- union seit 2010 stabiler gemacht: mit den neu eingeführ- hilfefazilität zu gewähren, sowie zur Vereinba- ten Regeln für den Stabilitäts- und Wachstumspakt, mit rung über ein Memorandum of Understanding dem sogenannten Six-Pack, und mit dem Fiskalpakt. So zwischen der Hellenischen Republik und dem ist es gelungen, Verantwortung und Haftung näher zu- Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) sammenzuführen. Mit der Bankenunion haben wir den Drucksache 18/5780 Teufelskreis zwischen Staatsschulden und Bankenkrisen durchbrochen. Mit gezielten Reformprogrammen haben Die Anhänge zu diesem Memorandum liegen als Un- wir die Wachstumskräfte in der Währungsunion gestärkt. terrichtung zu diesem Antrag vor und sind allen Mitglie- Das war erfolgreich: in Irland, in Portugal, in Spanien dern des Hauses zugegangen. Über den Antrag des Bun- und in Zypern. Es hat bis zum letzten Jahr auch in Grie- desministeriums der Finanzen werden wir am Schluss chenland funktioniert. Dabei war Griechenland von An- der Beratung namentlich abstimmen. Zu diesem Antrag fang an ein außergewöhnlich schwieriger Fall. des Bundesministeriums der Finanzen liegt auch ein Ent- Vor dem ersten Programm hatte Griechenland 2009 schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ein Haushaltsdefizit und ein Leistungsbilanzdefizit von vor. jeweils 15 Prozent – vor der Euro-Krise. Dazu kamen Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für und kommen die schwierigen institutionellen Rahmen- die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklä- bedingungen, schwache Strukturen der Verwaltung und rung 125 Minuten, also gut zwei Stunden, vorgesehen. der Justiz, hohe Sozialleistungen und ein überdimensio- Ich darf auch hierzu Ihr Einvernehmen feststellen. – Das nierter Beamtenapparat. Trotzdem war Griechenland bis ist offenkundig der Fall. Dann haben wir das so be- Ende vergangenen Jahres auf gutem Weg. Griechenland schlossen. hatte Wachstum; es hatte im vergangenen Jahr eine hö- 11456 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble (A) here Wachstumsrate als die meisten anderen Länder der vorbereitet, für den ich im Deutschen Bundestag um Zu- (C) Euro-Zone. Griechenland hatte einen Handelsbilanz- stimmung ersuche. überschuss, einen Primärüberschuss, und auch die Ar- Das Programm für die nächsten drei Jahre sieht Fi- beitslosigkeit begann zu sinken. nanzhilfen von bis zu 86 Milliarden Euro vor. Die erste (Klaus Ernst [DIE LINKE]: 50 Prozent Tranche soll 26 Milliarden Euro betragen. Sie dienen der Jugendarbeitslosigkeit!) Ablösung der schon im Juli beschlossenen Brücken- finanzierung zur Bedienung der fällig gewordenen aus- – Sie ging zurück. Sie war vorher so hoch, Herr Kollege. wärtigen Verbindlichkeiten – mit über 12 Milliarden Das ist in Krisen so. Ich kann Ihnen einmal die Zahlen Euro –; etwas mehr als 3 Milliarden Euro werden für die aus anderen Ländern sagen. Griechenland war auf einem Erfüllung aufgelaufener Zahlungsverpflichtungen in guten Weg, auf einem besseren, als viele zu hoffen ge- Griechenland zur Verfügung gestellt, damit die griechi- wagt haben. sche Wirtschaft wieder in Schwung kommen kann. Denn Nun ist auch wahr: Die Wiedergewinnung tragfähiger wenn Rechnungen nicht bezahlt werden, dann kommt öffentlicher Finanzen als Voraussetzung für Wachstum, die Wirtschaft nicht in Schwung. Wettbewerbsfähigkeit, Investitionen und Arbeitsplätze Darüber hinaus werden Griechenland 10 Milliarden erfordert von der Bevölkerung in jedem Fall erhebliche Euro auf einem gesonderten Konto beim ESM für die Anpassungsleistungen. Je länger die Anpassungsleistun- Bankenrekapitalisierung bereitgestellt; denn die zügige gen dauern, umso schwieriger ist es auch für eine Bevöl- Rekapitalisierung der Banken in Griechenland ist wiede- kerung, dafür den politischen Konsens und den sozialen rum notwendig, damit die Kapitalverkehrskontrollen Konsens aufrechtzuerhalten. Aber sie sind unverzicht- schrittweise aufgehoben werden können. Auch das ist bar, insbesondere wenn man Mitglied in einer Wäh- wichtig, damit die griechische Wirtschaft wieder Fuß rungsunion ist. Die Entscheidung, ob man solche Anpas- fasst. sungsleistungen zu tragen bereit und in der Lage ist, liegt ausschließlich im jeweiligen Land. Aber für die Mit- Die weiteren im Programm vorgesehenen Tranchen gliedschaft in der Währungsunion sind sie unverzichtbar. werden Zug um Zug mit erfolgreichen Programmüber- prüfungen in den kommenden Jahren gezahlt. Diese Das Problem des griechischen Ministerpräsidenten Konditionalität mit Überprüfungen ist Bestandteil und war, dass er vor und nach der letzten Wahl versprochen Bedingung eines jeden europäischen Stabilisierungspro- hatte, genau diese Entscheidung zu vermeiden. Er hatte gramms. Die Institutionen werden die Umsetzung der versprochen: Griechenland bleibt in der Euro-Zone, Auflagen alle drei Monate überprüfen. Auf der Grund- ohne Reformen, ohne Programm. Dies hat sich als ein lage dieser Überprüfungen wird in der Euro-Gruppe nicht haltbares Versprechen herausgestellt. Jetzt muss er (B) bzw. im Board des Europäischen Stabilitätsmechanismus (D) das Gegenteil von dem machen, was er versprochen über die jeweiligen Auszahlungen beschlossen, wobei hatte. Darüber ist die Einheit seiner Partei ganz offen- der Deutsche Bundestag jeweils im Rahmen des ESM- sichtlich schweren Belastungen ausgesetzt. Finanzierungsgesetzes über die Entscheidungen infor- Erst als die Unausweichlichkeit der Entscheidung klar miert oder daran beteiligt wird – so wie das in unserer war, haben sich die Verantwortlichen in Griechenland Gesetzgebung beschlossen und geregelt ist. Die erste für einen neuen Anfang entschieden. Wenn der Minister- Überprüfung soll im Oktober 2015 stattfinden. präsident im Parlament und öffentlich gesagt hat – ich Ziel der Reformmaßnahmen ist, dass Griechenland zitiere –, dass Griechenland jetzt all das umstürzen wirtschaftlich möglichst schnell wieder auf eigenen Bei- müsse, was Griechenland in diese Krise geführt habe, nen stehen kann. Deshalb ist es erforderlich, dass Grie- um dauerhaft zu Wachstum und Beschäftigung zu kom- chenland ab 2016 wieder Primärüberschüsse erwirt- men, dann ist das von seiner Seite die Bestätigung, dass schaftet. Ich will daran erinnern: Griechenland hatte im es richtig war, Griechenland die Notwendigkeit, diese vergangenen Jahr einen Primärüberschuss. Wir hatten Wahl zu treffen, deutlich vor Augen zu führen. Dazu hat die Aussicht, dass in diesem Jahr ein ansteigender Pri- die Euro-Gruppe, dazu hat Deutschland beigetragen. Das märüberschuss entstehen würde. Das ist leider durch die ist im Interesse Griechenlands und im Interesse Europas. Entwicklungen der letzten acht Monate unmöglich ge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und worden. Aber ab dem kommenden Jahr soll wieder ein der SPD) kleiner und dann ansteigender Primärüberschuss erwirt- schaftet werden: 0,5 Prozent im kommenden Jahr, Die Vereinbarung der Staats- und Regierungschefs 1,75 Prozent in 2017 und ab 2018 ein Primärüberschuss vom 12. Juli 2015 enthält die Rahmenbedingungen. Da- von 3,5 Prozent. nach haben die Institutionen die Vereinbarungen mit der griechischen Regierung erarbeitet. Die Institutionen sind Die Reformmaßnahmen betreffen insbesondere eine die Europäische Kommission, die Europäische Zentral- verbesserte Haushaltsplanung, eine größere Steuerge- bank und der Internationale Währungsfonds. Früher ha- rechtigkeit, eine Modernisierung der Arbeits- und Pro- ben wir diese Einrichtungen Troika genannt, jetzt nen- duktmärkte und der öffentlichen Verwaltung, eine Priva- nen wir sie Institutionen. Sie haben die Vereinbarungen tisierungsstrategie und eine Rentenreform. Insgesamt mit der griechischen Regierung erarbeitet, das soge- sieht das Programm zahlreiche und umfangreiche Ein- nannte Memorandum of Understanding, und abgeschlos- zelmaßnahmen vor, von denen ein Großteil – das ist das sen. Auf dieser Grundlage hat die Euro-Gruppe am Neue – bereits vorab im griechischen Parlament verab- vergangenen Freitag völlig einmütig einen Beschluss schiedet worden ist. Wichtige konkrete Reformmaßnah- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. 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Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble (A) men umfassen unter anderem die Liberalisierung des spezifiziert, die jetzt auf den Weg gebracht werden müs- (C) Energiemarkts, die Abschaffung von Steuerbegünstigun- sen. gen, die Bekämpfung von Korruption in der Verwaltung, (Zuruf der Abg. Katrin Göring-Eckardt den Umbau des Renten- und Gesundheitswesens, die [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wiederherstellung von Liquidität und Kapitalausstattung angeschlagener Banken, den Umgang mit notleidenden – Frau Göring-Eckardt, die Konditionalität, die wir im Krediten und die Einrichtung eines Privatisierungsfonds. MoU vereinbart haben, ist mit dem IWF zu 100 Prozent gemeinsam festgelegt. Bei den Bankenrekapitalisierungsmaßnahmen, die sich in dem Programm, im Rahmen der 86 Milliarden Der IWF hat zwei zusätzliche Punkte – hinsichtlich der Euro, auf bis zu 25 Milliarden Euro belaufen können – je Rentenreform und der Banken-Governance – genannt, die nachdem, was durch die europäische Bankenaufsicht als bis Oktober 2015 geklärt werden müssen – auch das ist Notwendigkeit ermittelt wird –, ist sichergestellt, dass einvernehmlich – und die dann auch in das europäische über die ersten 10 Milliarden Euro hinaus zunächst der Programm übernommen werden sollen, damit wir eine tatsächliche Bedarf durch einen Stresstest der europäi- völlige Identität der Konditionalität von ESM-Programm schen Bankenaufsicht ermittelt wird. Darüber hinaus ist und IWF-Programm haben werden. Voraussetzung, dass die Programmüberprüfung im Okto- Des Weiteren gehört zu diesen Maßnahmen natür- ber 2015 erfolgreich abgeschlossen wird. Darüber hi- lich auch die gemeinsame Beurteilung, dass die Schul- naus wird das Bail-in-Instrument für Anleihegläubiger dentragfähigkeit gegeben ist. Da haben wir im Augen- erstrangiger Schuldtitel gelten. Die Beteiligung von Ein- blick die Situation, dass die europäischen Institutionen legern bleibt vor Inkrafttreten der Bankenrestrukturie- – Kommission und EZB – zu der Einschätzung gekom- rungsrichtlinie ausgeschlossen. men sind, dass die Schuldentragfähigkeit bei konse- Für das den Banken zur Verfügung zu stellende Kapi- quenter Umsetzung der Programmvereinbarungen und tal, also bis zu 25 Milliarden Euro, sollen entsprechende durch Maßnahmen zur Schuldenerleichterung ohne ei- Anteile an den unabhängigen Privatisierungsfonds über- nen Schuldenschnitt erreicht werden kann. tragen werden. Dieser Privatisierungsfonds soll bis Ende Zwar werden die bisher vereinbarten Zielwerte für die 2015 unter der Aufsicht der relevanten europäischen Schuldenstandsquote aufgrund der Verwerfungen der Institutionen seine Arbeit aufnehmen. Den ersten Ent- vergangenen Monate erst deutlich später erreicht werden wurf dafür muss Griechenland schon im Oktober 2015 können – das ist unbestreitbar –, aber in jedem Fall wird vorlegen. In diesen Fonds sollen während der Laufzeit die Schuldenstandsquote schon während der Programm- des Programms – über die im MoU vereinbarten Privati- laufzeit bis 2018 ihren Kulminationspunkt überschrei- (B) sierungen hinaus – werthaltige Vermögenswerte transfe- ten, ab dem sie dann wieder zurückgeht. Denn die Schul- (D) riert werden, die sich im Wert entwickeln sollen, damit denstandsquote geht in dem Augenblick zurück, in dem sie nach Abschließen der Privatisierung zusätzlich zur der Überschuss höher ist, und deswegen hängt das davon Schuldenreduzierung und zur Förderung von Investitio- ab, wie sich das Wachstum entwickelt und die Reduzie- nen in Griechenland beitragen können. rung der Haushaltsdefizite erfolgt. Der Kulminations- punkt muss also noch vor 2018 erreicht werden, sodass (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE die Schuldenstandsquote dann wieder rückläufig ist. GRÜNEN]: Das klappt doch nie!) Der Verschuldungsgrad ist im internationalen Ver- Für die Bundesregierung ist unabdingbar, dass der In- gleich extrem hoch, obwohl es Länder gibt – ich nenne ternationale Währungsfonds mit seiner besonderen Exper- nur Japan –, die eine viel höhere Schuldenstandsquote tise bezüglich Staatsschuldenkrisen weiter an Bord bleibt. haben. Deswegen hat man in den vergangenen Jahren in- Die Euro-Gruppe teilt diese Auffassung, und sie hat dies ternational mehr und mehr darauf abgehoben, dass die in ihrer Erklärung vom Freitag ausdrücklich niedergelegt. entscheidende Größe für die Schuldentragfähigkeit ei- Der Internationale Währungsfonds wird seinerseits über gentlich nicht der Schuldenstand ist, sondern die Frage: eine weitere Beteiligung nach einer Überprüfung des Pro- Liegt der jährlich zu leistende Dienst für Zins und Til- gramms im Herbst entscheiden. gung, die sogenannte Bruttofinanzierungsbelastung pro Jahr, unterhalb von 15 Prozent der gesamtwirtschaftli- Man muss daran erinnern: Das eigentliche Programm chen Leistungskraft oder nicht? Diese Beurteilung wird des Internationalen Währungsfonds hatte eine Laufzeit gemeinsam von Internationalem Währungsfonds und eu- bis Ende März kommenden Jahres. Durch die Nichtbe- ropäischen Institutionen mit zugrunde gelegt. Diese dienung einer Zahlung Ende Juni, Anfang Juli dieses 15 Prozent werden – jedenfalls nach den heutigen, noch Jahres an den IWF ist das Programm außer Kraft getre- vorläufigen Zahlen – bis weit in die 2020er-Jahre hinein ten. Deswegen hat der IWF schon bei den Verhandlun- eingehalten werden können. Ob das für die gesamte Pro- gen der Staats- und Regierungschefs am 12. Juli 2015 er- grammlaufzeit der Fall sein wird, muss man im Oktober klärt, dass ein neues Programm für den IWF notwendig 2015 im Lichte der dann zu aktualisierenden Zahlen be- ist und dass der IWF darüber erst im Oktober 2015 nach urteilen. Deswegen bin ich ganz zuversichtlich, dass wir einer ersten Programmübersicht – im Lichte der einge- im Oktober 2015 zu einer gemeinsamen Beurteilung der tretenen Verzögerungen bei der Bedienung von IWF- Schuldentragfähigkeit kommen werden. Verbindlichkeiten – nach IWF-Regeln entscheiden wird. Aber seine grundsätzliche Bereitschaft zu einer weiteren Dementsprechend werden wir, wenn es dann notwen- Beteiligung hat der IWF erklärt, und er hat Maßnahmen dig ist, noch einen begrenzten Spielraum in der Frage 11458 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. August 2015

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble (A) der Laufzeit der Kredite haben, vielleicht auch in der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (C) Frage von tilgungsfreien Perioden. Aber auch da sind ja der SPD) die bisherigen Laufzeiten und die tilgungsfreien Perio- den schon so umfangreich, dass der Spielraum für wei- Wenn Griechenland zu seinen Vereinbarungen steht und tere Schuldenerleichterungen ein begrenzter ist; das wenn das Programm entschlossen und vollständig umge- muss man immer wieder sehr klar sagen. Wiederum ist setzt wird, dann kann die griechische Wirtschaft in den auch klar, dass ein Schuldenschnitt nicht möglich ist. Er nächsten Jahren wieder wachsen. Die Chance ist gege- ist nach den europäischen Verträgen, nach übereinstim- ben. Ob sie genutzt wird, entscheiden allein die Grie- mender Beurteilung aller Fachleute und nach der Erklä- chen. rung der Staats- und Regierungschefs für die Mitglieder Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen oft Ent- der Europäischen Währungsunion nicht zulässig. scheidungen treffen, bei denen es gute Gründe dafür und gute Gründe dagegen gibt; das ist Politik. Es ist nicht so, Es war bereits in der Erklärung vom Juli dieses Jahres dass immer alle Argumente nur dafür sprechen. enthalten, dass der IWF erst im Oktober 2015 über seine Beteiligung an einem neuen Programm entscheiden wird. ( [SPD]: Leider!) Aber unter der Voraussetzung der entsprechenden Ände- rungen im Rentensystem und der Banken-Governance Bei den meisten Entscheidungen ist es übrigens so, und unter der Voraussetzung, dass eine Einigung über die dass man zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht ganz Schuldentragfähigkeit erzielt wird, hat die Generaldirek- sicher sein kann, wie sich das in der Rückschau in eini- torin des IWF am vergangenen Freitag zugesagt, sich im gen Jahren darstellen wird; wir können zukünftige Ent- Oktober 2015 in den IWF-Gremien für eine weitere finan- wicklungen nicht antizipieren. Deswegen müssen wir zielle Beteiligung des Internationalen Währungsfonds ein- die Argumente sorgfältig abwägen. Insofern sage ich zusetzen. Genau in dieser Form wurde bei allen bisheri- mit allem Ernst: Wir haben uns alle Mühe gemacht, un- gen europäischen Programmen die Beteiligung des IWF serer Verantwortung für Europa, für europäische Soli- vereinbart; denn der IWF entscheidet unabhängig. darität gegenüber Griechenland, aber natürlich auch gegenüber dem Souverän in jedem anderen Mitglied- Die Zusage seiner Generaldirektorin, dass man sich staat und gegenüber den Steuerzahlern in allen Ländern für eine weitere Beteiligung einsetzen wird, ist von den der europäischen Währungsunion gerecht zu werden. Gremien des IWF in der Vergangenheit, wenn die Vo- raussetzungen erfüllt waren, immer honoriert worden. Wir wissen – darin sind wir uns alle einig –, wir brau- Es besteht nicht der geringste Zweifel daran, dass das chen aus vielen, vielen Gründen ein starkes, ein hand- auch in diesem Jahr der Fall sein wird. Die Euro- lungsfähiges Europa, und das geht nicht ohne Verläss- lichkeit, ohne Vertrauen, und das erfordert Solidarität. (B) Gruppe ihrerseits hat entsprechend der Position der (D) Bundesregierung klar gesagt, dass eine weitere Beteili- Ich glaube, dass ich sagen kann, dass ich nicht weniger gung des Internationalen Währungsfonds an diesem als irgendjemand sonst um diese Entscheidung gerungen Programm auch finanziell unverzichtbar ist. habe. Weil das so ist, kann ich Sie alle mit voller Über- zeugung bitten: Stimmen Sie dem Antrag des Bundes- Mit all den Vereinbarungen im MoU und mit den Er- finanzministeriums zu. klärungen der Euro-Gruppe sind also die Beschlüsse des Europäischen Gipfels vom 12. Juli 2015 umgesetzt. Alle (Anhaltender Beifall bei Abgeordneten der Beteiligten waren sich einig, dass in den letzten Wochen CDU/CSU und der SPD) ein grundsätzlicher Wandel in Griechenland zu verzeich- nen ist. Dass das zu Auseinandersetzungen innerhalb der Präsident Dr. Norbert Lammert: die dortige Regierung tragenden Kräfte führt, spricht für Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Kol- die Ernsthaftigkeit des Wandels; wenn es ohne Aus- lege Dr. Gysi für die Fraktion Die Linke. einandersetzung ginge, dann wäre das irgendwie überra- schend. Aber weil dieser Wandel wirklich offensichtlich (Beifall bei der LINKEN) ist und mit Händen zu greifen war – viele haben gesagt, man glaubt fast, dass man in einer anderen Welt lebt; wie Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): gesagt, die meisten Prior Actions sind inzwischen vom Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich griechischen Parlament beschlossen worden –, waren zur Euro-Krise und zu Griechenland komme, einige we- wir uns unter den Finanzministern am Freitag völlig ei- nige andere außenpolitische und innenpolitische Bemer- nig, dass wir auf dieser Grundlage den Abschluss eines kungen: Hilfsprogramms empfehlen können und empfehlen müs- sen. Gegen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Online- plattform netzpolitik.org Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich gibt es nach den Erfahrungen der zurückliegenden Monate und (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Zurufe Jahre keine Garantien, dass das alles funktionieren wird, von der CDU/CSU: Oh!) und Zweifel sind immer erlaubt. Aber angesichts der wurde ein Ermittlungsverfahren wegen Landesverrats Tatsache, dass das griechische Parlament einen Großteil und Preisgabe von Staatsgeheimnissen eingeleitet. der Maßnahmen bereits beschlossen hat, wäre es unver- antwortlich, die Chance für einen neuen Anfang in Grie- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Thema ver- chenland jetzt nicht zu nutzen. fehlt!)