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Plenarprotokoll 14/193

Deutscher

Stenographischer Bericht

193. Sitzung

Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 16: Christian Müller (Zittau) SPD ...... 18875 D Erste Beratung des von den Fraktionen der Wolfgang Börnsen (Bönstrup) CDU/CSU . . . 18876 D SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN eingebrachten Entwurfs eines Geset- Hans-Josef Fell BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18878 A zes zur Finanzierung der Terrorbe- Günther Friedrich Nolting FDP ...... 18879 D kämpfung (Drucksache 14/7062) ...... 18855 A Rolf Kutzmutz PDS ...... 18880 D Joachim Poß SPD ...... 18855 B Kurt J. Rossmanith CDU/CSU ...... 18881 D CDU/CSU ...... 18858 A Johannes Kahrs SPD ...... 18882 C Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18861 A Kurt J. Rossmanith CDU/CSU ...... 18883 A Dr. Günter Rexrodt FDP ...... 18863 C Susanne Jaffke CDU/CSU ...... 18885 A Dr. PDS ...... 18865 D Detlev von Larcher SPD ...... 18867 B Tagesordnungspunkt 18: CDU/CSU ...... 18869 A a) Unterrichtung durch die Bundesregie- Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin rung: Bericht der Bundesregierung BMF ...... 18871 D zum Stand der Bemühungen um Ab- rüstung, Rüstungskontrolle und Hartmut Schauerte CDU/CSU ...... 18872 B Nichtverbreitung sowie über die Ent- Sylvia Bonitz CDU/CSU ...... 18873 D wicklung der Streitkräftepotenziale (Jahresabrüstungsbericht 2000) Dr. Barbara Höll PDS ...... 18874 B (Drucksache 14/5986) ...... 18886 A Klaus-Peter Willsch CDU/CSU ...... 18875 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Ent- schließungsantrag der Fraktion der Tagesordnungspunkt 17: PDS zu der vereinbarten Debatte Ent- Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- scheidung des US-Senats zum Atom- schusses für Wirtschaft und Technologie zu teststoppvertrag dem Antrag der Abgeordneten Dagmar (Drucksachen 14/1894, 14/3812) . . . . . 18886 B Wöhrl, Christian Schmidt (Fürth), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/- e) Beschlussempfehlung und Bericht des CSU: Strukturpolitische Verantwortung Auswärtigen Ausschusses zu dem An- für Bundeswehrstandorte übernehmen, trag der Fraktion der PDS: Neue nu- die die Bundesregierung schließen oder kleare Abrüstungsinitiativen statt verkleinern will neuer Raketenabwehrprojekte (Drucksachen 14/5550, 14/6930) ...... 18875 C (Drucksachen 14/3875, 14/5852) . . . . . 18886 B II Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Petra Ernstberger SPD ...... 18886 C der FDP: Kraft-Wärme-Kopplung auf dem Prüfstand CDU/CSU ...... 18888 A (Drucksachen 14/4614, 14/6519) . . . . . 18904 A BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18891 A Dr. Werner Müller, Bundesminister BMWi 18904 B Günther Friedrich Nolting FDP ...... 18891 D Dr. Christian Ruck CDU/CSU ...... 18905 C Hildebrecht Braun (Augsburg) FDP ...... 18892 B Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/ Heidi Lippmann PDS ...... 18893 C DIE GRÜNEN ...... 18906 D SPD ...... 18894 C Walter Hirche FDP ...... 18908 B Joseph Fischer, Bundesminister AA ...... 18895 D Rolf Kutzmutz PDS ...... 18909 C Volker Jung (Düsseldorf) SPD ...... 18910 C Tagesordnungspunkt 23: Kurt-Dieter Grill CDU/CSU ...... 18912 B a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/ Tagesordnungspunkt 21: DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs Zweite und dritte Beratung des von den Ab- eines Versorgungsänderungsgesetzes geordneten Dr. Günter Rexrodt, Hans- 2001 Joachim Otto (Frankfurt), weiteren Abge- (Drucksache 14/7064) ...... 18897 C ordneten und der Fraktion der FDP b) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur gebrachten Entwurfs eines Gesetzes Änderung des Gesetzes über die Ausprä- zur Änderung des Beamtenrechts- gung einer 1-DM-Goldmünze und die Er- rahmengesetzes (BRRG) richtung der Stiftung „Geld und Währung“ (Drucksache 14/6717) ...... 18897 D und zur Unterstützung der Rekonstruktion der Museumsinsel (Museumsinselunter- Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär BMI 18897 D stützungsgesetz) CDU/CSU ...... 18898 D (Drucksachen 14/5274, 14/6563, 14/7092) 18913 D Helmut Wilhelm (Amberg) BÜNDNIS 90/ Ingrid Arndt-Brauer SPD ...... 18914 B DIE GRÜNEN ...... 18900 A Diethard Schütze (Berlin) CDU/CSU ...... 18914 D Dr. FDP ...... 18901 A Dr. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ...... 18916 A PDS ...... 18901 D Dr. Günter Rexrodt FDP ...... 18916 D Hans-Peter Kemper SPD ...... 18902 C

Tagesordnungspunkt 22: Tagesordnungspunkt 20: Erste Beratung des von den Fraktionen der a) Erste Beratung des von der Bundes- SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- regierung eingebrachten Entwurfs eines NEN eingebrachten Entwurfs eines Geset- Gesetzes für die Erhaltung, die Moder- zes zur Fortführung des Solidarpaktes, zur nisierung und den Ausbau der Kraft- Neuordnung des bundesstaatlichen Finanz- Wärme-Kopplung (Kraft-Wärme- ausgleichs und zur Abwicklung des Fonds Kopplungsgesetz) „Deutsche Einheit“ (Solidarpaktfort- (Drucksachen 14/7024, 14/7086) . . . . . 18903 D führungsgesetz – SFG) (Drucksache 14/7063) ...... 18918 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- nologie zu dem Antrag der Abgeordneten Tagesordnungspunkt 24: Dr. Christian Ruck, Hartmut Schauerte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Antrag der Abgeordneten Christina der CDU/CSU: Kraft-Wärme-Kopp- Schenk, Dr. Ilja Seifert, weiterer Abgeord- lung im Wettbewerb stärken neter und der Fraktion der PDS: Forschun- (Drucksachen 14/4753, 14/6518) . . . . . 18904 A gen zur Lebenssituation intersexueller Menschen c) Beschlussempfehlung und Bericht des (Drucksache 14/6259) ...... 18918 A Ausschusses für Wirtschaft und Tech- Christina Schenk PDS ...... 18918 B nologie zu dem Antrag der Abgeordne- ten Walter Hirche, Rainer Brüderle, Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS 90/DIE weiterer Abgeordneter und der Fraktion GRÜNEN ...... 18919 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001 III

Nächste Sitzung ...... 18920 D (Solidarpaktfortführungsgesetz – SFG) (Tagesordnungspunkt 22) ...... 18923 A Berichtigung ...... 18920 D Horst Schild SPD ...... 18923 A Jochen-Konrad Fromme CDU/CSU ...... 18924 A Anlage 1 Antje Hermenau BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18927 A Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 18921 A Jürgen Türk FDP ...... 18927 C Dr. Barbara Höll PDS ...... 18928 A Anlage 2 Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des BMF ...... 18928 C Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ge- setzes über die Ausprägung einer 1-DM-Gold- münze und die Errichtung der Stiftung „Geld Anlage 4 und Währung“ und zur Unterstützung der Re- konstruktion der Museumsinsel (Museums- Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung inselunterstützungsgesetz) des Antrags: Forschungen zur Lebenssituation (Tagesordnungspunkt 21) ...... 18922 A intersexueller Menschen (Tagesordnungs- punkt 24) ...... 18929 B Dr. PDS ...... 18922 B Margot von Renesse SPD ...... 18929 B Dr. Sabine Bergmann-Pohl CDU/CSU . . . . . 18929 D Anlage 3 Hildebrecht Braun (Augsburg) FDP ...... 18931 A Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Fortführung des Solidarpaktes, zur Neuordnung des bun- Anlage 5 desstaatlichen Finanzausgleichs und zur Abwicklung des Fonds „Deutsche Einheit“ Amtliche Mitteilungen ...... 18931 B

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(A) (C)

193. Sitzung

Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Beginn: 9.00 Uhr

Vizepräsident Dr. : Guten – Herr Westerwelle, Sie verstehen manches nicht. Das Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist beweisen Sie auch mit gelegentlich dummen Bemerkun- eröffnet. gen wie dieser. (Beifall bei der SPD – Dr. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: [FDP]: Prima! So kennen wir ihn!) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD Sehr wahrscheinlich ist es so, dass die Tonanlage im Deut- und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge- schen Bundestag besser funktioniert als Ihr Verstand. brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Finanzie- rung der Terrorbekämpfung (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Unruhe bei der FDP) – Drucksache 14/7062 – – Sie wollten das doch haben! Sie haben die Einladung Überweisungsvorschlag: dazu doch ausgesprochen. (B) Finanzausschuss (f) (D) Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO (Dr. Günter Rexrodt [FDP]: Poß ist immer ein feiner Mann!) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Ich höre Wir haben sehr schnell auf diese Situation reagiert. keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. (Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Mit Steuerer- Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der höhungen sind Sie schnell!) Kollege Joachim Poß von der SPD-Fraktion das Wort. Im Moment diskutiert die Bundesregierung die bedarfs- orientierte Verteilung für dieses Programm. Joachim Poß (SPD): Herr Präsident! Meine Damen (Dr. Günter Rexrodt [FDP]: Prolo!) und Herren! In den Wochen seit dem 11. September ist uns – Genau. – Mit der prompten Bereitstellung umfangrei- allen bewusst geworden, dass wir verstärkte Anstrengun- cher finanzieller Mittel für die jetzt notwendigen Maß- gen zur wirksamen Bekämpfung des internationalen nahmen haben wir Forderungen auch der Opposition auf- Terrorismus gegriffen. Dies zeigt: In der schwierigen Lage, in der wir (Dr. [CDU/CSU]: Da fällt Ihnen uns derzeit befinden, suchen wir ernsthaft den Konsens nichts anderes ein, als Steuern zu erhöhen!) und die Zusammenarbeit mit der Opposition. Darum geht es nämlich jetzt. Es muss der unabdingbare Bedarf im und zur Erhöhung der inneren und äußeren Sicherheit der Zusammenhang mit der neuen Sicherheitslage ermittelt Bundesrepublik Deutschland unternehmen müssen. und auch finanziert werden. (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Ist das eine (Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Was ist mit Rede oder ist das ein Flüstern im Deutschen dem Inhalt des Gesetzes?) Bundestag?) Wir wollen alles unternehmen, damit sich so etwas wie Sehr schnell hat die Bundesregierung mit Unterstüt- in New York und Washington nicht wiederholt. zung der Koalitionsfraktionen hierfür ab dem 1. Ja- (Beifall bei der SPD – Gerda Hasselfeldt nuar 2002 3 Milliarden DM zur Verfügung gestellt. [CDU/CSU]: Mit Steuererhöhungen!) (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Können Sie Aber auch in schwieriger Lage müssen wir die vorgege- nicht so laut sein wie sonst bei Ihren Zwi- benen finanziellen Beschränkungen berücksichtigen. Sie, schenrufen? Ich verstehe nichts!) die Sie uns diese Erbschaft – allein auf Bundesebene 18856 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Joachim Poß (A) 1,5 Billionen DM Schulden – hinterlassen haben, sollten Die Steuererhöhungen sind leider Gottes – das sage ich (C) sich wirklich nicht so aufblasen, wie Sie das hier schon zu mit besonderer Hingabe in Richtung der Opposition im Beginn der Sitzung heute Morgen tun. Hinblick auf deren politische Erbschaft – auch deshalb (Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/ notwendig, weil bis heute in manchen Bereichen beste- CSU: Das sind ganz alte Kamellen!) hende Steueransprüche des Staates noch nicht umfassend durchgesetzt sind. Gerade die derzeitige Situation zeigt, Sie haben allen Anlass, uns zu unterstützen, wenn wir wie wichtig ein handlungs- und finanzierungsfähiger trotz dieser schwierigen Lage sagen: Jawohl, es ist rich- Staat ist und dass wir uns zum Beispiel Steuerhinterzie- tig. Wir müssen aus der Schuldenfalle herauskommen und hungen in mehrstelliger Milliardenhöhe nicht leisten dürfen nicht anderen Vorschlägen von Ihnen folgen. können. (Zuruf von der CDU/CSU: Alte Kamellen!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Selbst in solchen Zeiten ist es richtig, den Kurs solider des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Finanzpolitik beizubehalten. Deshalb sind wir in diesem Parlament bereits initiativ (Detlev von Larcher [SPD], zu Abg. Dr. Guido geworden, um die Umsatzsteuerkriminalität zu bekämp- Westerwelle [FDP] gewandt: Herr Westerwelle, fen, deshalb müssen wir jetzt verstärkt die Frage einer Sie wollten doch zuhören!) verfassungsgemäßen Besteuerung der Zinserträge stel- len und deshalb gehört nach meiner Auffassung Selbst in der derzeitigen Ausnahmesituation fällt die der § 30 a der Abgabenordnung, den Sie in den 80er- Opposition zum Teil aber in ihre alte Obstruktionshaltung Jahren hinzugefügt haben, wieder auf die politische zurück; beredte Beispiele dafür haben wir gerade in den Agenda. letzten Minuten erlebt. Mit Entrüstung über die geplante Erhöhung der Tabak- und der Versicherungsteuer ver- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sucht sie, Stimmungsmache und Wahlkampf zu betreiben, der PDS) wo eigentlich Unterstützung angemessen wäre. Ich kann mich daran erinnern, dass der Herr Präsident der (Beifall bei der SPD – Gerda Hasselfeldt Initiator dieser Aktion war. Sie sind die Beschützer von [CDU/CSU]: Unterstützung für Steuererhö- Steuerhinterziehern. Über diese Frage können wir gerne hung?) einmal eine Debatte führen. Wir alle müssen uns hier gemeinsam ernsthaft und ver- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE antwortlich Gedanken darüber machen, wie wir Terror- GRÜNEN und der PDS – Dr. Peter Ramsauer anschläge in der Bundesrepublik Deutschland verhindern [CDU/CSU]: Diese Verleumdung nehmen Sie (B) können. Wir müssen im Parlament vielleicht sogar bald zurück! Sie sind ein Brandstifter, ein Brunnen- (D) entscheiden, ob deutsche Soldaten in Krisengebieten ein- vergifter! Sie sind ja halbkriminell! – Gegenruf gesetzt werden. Vor diesem Hintergrund die geplanten Er- des Abg. Dr. Günter Rexrodt [FDP]: Nein, das höhungen der Tabaksteuer und der Versicherungsteuer ist ein Kasper!) voller Entrüstung zu einer Grundsatzfrage zu machen, das ist keine angemessene Reaktion auf den Ernst der Lage. Angesichts zu erwartender Widerstände von interes- sierter Seite – er meldet sich hier besonders lautstark – (Beifall bei Abgeordneten der SPD) wird auf diesem Gebiet sicherlich noch einige Überzeu- Wenn Sie Bundeskanzler Schröder Ihre Partnerschaft gungsarbeit zu leisten sein. anbieten – Herr Westerwelle macht das ja jeden Tag –, Die Argumentation der Opposition wie auch mancher (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Nein, nur jeden Verbände gegen die heute in erster Lesung behandelte zweiten! – Detlev von Larcher [SPD]: Jetzt liest Vorlage, die Steuererhöhungen vorsieht, ist stark übertrie- er Zeitung!) ben. Ich bin gespannt, wie sich Herr Rexrodt hier gleich dann müssen Sie auch entsprechend verantwortlich han- als wahlkämpfender Frischling der Berliner FDP aufbla- deln und tatsächlich bereit sein – Sie betonen es immer sen wird, wenn er sich gegen die Steuererhöhungen aus- wieder –, unpopuläre Maßnahmen mitzutragen. Das gilt spricht. auch für die in Aussicht genommenen Erhöhungen von (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Sie sind Tabak- und Versicherungsteuer. Weder der Bundesfinanz- grün hinter den Ohren!) minister noch wir sind von den Steuererhöhungen begeis- tert. Daraus machen wir gar keinen Hehl. Bei den in Rede stehenden Steuererhöhungen handelt es sich um genau abgegrenzte, auf wenige Produkte be- (Zuruf von der CDU/CSU: Dann soll er es schränkte punktuelle Erhöhungen. Damit bleiben die Aus- doch lassen!) wirkungen auf das Preisniveau überschaubar und es ent- Wir bewerten allerdings die besondere Situation, in der stehen keine unzumutbaren Belastungen für Haushalte wir uns befinden, und wir sehen, was die Aufbringung der und Betriebe. Die Inflationsrate geht offensichtlich ste- jetzt notwendigen Mittel angeht, keine Alternative. Von tig zurück. Laut Statistischem Bundesamt fiel die jähr- daher sind die Steuererhöhungen nach Abwägung aller liche Teuerungsrate im September mit 2,1 Prozent auf den Optionen notwendig und unabdingbar, weil wir, wie ich tiefsten Stand seit einem Jahr. gesagt habe, Kurs halten wollen. (Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Deshalb (Beifall bei Abgeordneten der SPD) machen Sie Steuererhöhungen!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001 18857

Joachim Poß (A) Vor allem die Benzinpreise erreichen zurzeit Jahrestiefst- – Ich weiß nicht, in welcher Funktion Sie, Herr Rexrodt, (C) stände. Das hat im Übrigen die gleiche Wirkung wie ein damals hier tätig waren. kleines Konjunkturprogramm. (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Der war (Lachen bei der CDU/CSU und der SPD) immer da!) – Ja, natürlich! Erinnern Sie sich doch einmal an die Re- – Dass der immer da war, stimmt ja; das ist wohl wahr. Er den, die Sie in diesem Parlament gehalten haben, als die war zwar nicht immer segensreich tätig; aber er war im- Inflationsrate im Mai bei 3,5 Prozent lag. Offenbar haben mer da. Sie schon vergessen, was Sie da gesagt haben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Sie haben nicht nur die Versicherungsteuer, sondern DIE GRÜNEN – Detlev von Larcher [SPD]: auch die Tabaksteuer erhöht. Wenn man davon absieht, Die schwatzen nur rum!) dass der Solidaritätszuschlag ein Jahr später für kurze Zeit ausgesetzt worden ist, kann man sagen, dass diese Ein Rückgang der Preissteigerungsrate erhöht die Steuererhöhungen im Wesentlichen bis heute gelten; das Kaufkraft der Investoren und der Konsumenten natürlich heißt, diese Steuern werden Jahr für Jahr erhoben. Ge- unmittelbar. braucht haben Sie für den Golfkrieg allerdings nur 14 bis (Zuruf von der FDP: Das ist eine Posse nach 15 Milliarden DM. Unter falscher Überschrift – ich kann der anderen!) mich an die Debatten hier im Deutschen Bundestag erin- Da werden die mit den Preissteigerungen einhergehen- nern, als wir gesagt haben, Sie dürften beispielsweise für den Verteuerungen von Tabakwaren und Versicherungen, Aufwendungen im Zusammenhang mit der deutschen gesamtwirtschaftlich gesehen, eher zu einer Rand- Einheit oder für Zahlungen an Russland keine falschen erscheinung. Das heißt, bei sachlicher Bewertung halten Überschriften verwenden – haben Sie damit die Bürge- sich auch die konjunkturellen Effekte der vorge- rinnen und Bürger gezwungen, über Jahre hinweg Steu- schlagenen Tabak- und Versicherungsteuererhöhung in ern, die weit mehr als 10 Milliarden DM über dem Betrag Grenzen. lagen, der für den Golfkrieg aufgebracht werden musste, Ich finde, es ist wirklich unter Niveau – wenn auch bei an den Staat abzuführen. Auf welcher Grundlage wollen Ihnen nicht verwunderlich –, dass bei der Einschätzung Sie eigentlich heute, wenn Sie sich das noch einmal vor der konjunkturellen Effekte – ob gewollt oder ungewollt, Augen halten, unsere moderaten Steuererhöhungen kriti- lasse ich einmal dahingestellt – schlichtweg vergessen sieren? wird, dass die Verwendung der durch die Steuererhöhun- gen erzielten Mittel durchaus positive konjunkturelle Ef- (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Moderat nennt (B) fekte hat. Das mag sich zwar zynisch anhören; aber es ist er das!) (D) so. Das können Sie bei Ökonomen nachlesen. Was ich Mit der Finanzierung des Antiterrorpakets durch über- sage, gilt auch für die Lage in den USA. All das, was jetzt schaubare Steuererhöhungen hält die Bundesregierung für die innere und äußere Sicherheit ausgegeben werden muss, generiert Wirtschaftswachstum. Natürlich dürfen – sie wird dabei von den Koalitionsfraktionen unterstützt – Sie diesen Effekt nicht ausblenden. Ein Großteil der In- haushaltspolitisch Kurs. Von diesem Kurs lassen wir uns vestitionen in mehr Sicherheit wird mit Ihrer Zustimmung nicht abbringen, weder heute Morgen durch besonders für mehr und besser qualifiziertes Personal ausgegeben lebhafte Zwischenrufe, noch morgen oder irgendwann. werden. Das Geld wird also dem Wirtschaftskreislauf Wir halten Kurs, und zwar im Interesse der Bevölkerung nicht entzogen werden; vielmehr werden wichtige Nach- der Bundesrepublik Deutschland. frageaggregate gestärkt. Denken Sie auch einmal an Ihre sonstigen Forderun- Ihre Empörung ist zudem unangebracht: 1991 haben gen: Gestern forderte Frau Merkel eine erhebliche Auf- Sie, nicht wir, die Steuern zur Finanzierung des Golf- stockung des Wehretats und der Entwicklungshilfe; vor- krieges um bis zu 27 Milliarden DM erhöht, und zwar auf gestern forderte Herr Merz 50 Milliarden DM zusätzlich Jahre hinaus. für das Familiengeld. Wie wollen Sie das denn alles fi- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Gerda nanzieren? Sollen wir dafür andere Sozialausgaben im Hasselfeldt [CDU/CSU]: Das ist doch nicht Bundesetat streichen? vergleichbar!) Es ist somit festzuhalten, meine Damen und Herren: In Auf einen Schlag haben Sie damals den Solidaritätszu- Abwägung der verschiedenen Finanzierungsoptionen und schlag eingeführt sowie die Mineralölsteuer für bleifreies angesichts der derzeitigen Ausnahmesituation sind die be- Benzin um 22 Pfennig pro Liter und für verbleites Benzin schlossenen Steuererhöhungen eine angemessene und um 25 Pfennig pro Liter erhöht. vernünftige Antwort auf die aktuellen Erfordernisse. Dass (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: die Opposition ihre Argumentation in dieser Frage nicht Viermal Ökosteuer auf einen Schlag!) der außergewöhnlichen historischen Situation anpasst, ist Das allein entspricht dem Umfang aller bisherigen Öko- sehr fragwürdig und im Kern auch unredlich; verhindern steuererhöhungen. Sie haben die Versicherungsteuer nicht können wir allerdings diese Haltung wohl nicht. um einen Punkt, sondern um drei Punkte erhöht. (Beifall bei der SPD – Dr. Guido Westerwelle (Dr. Günter Rexrodt [FDP]: Ach Gott!) [FDP]: Eine große Rede der Steuerpolitik!) 18858 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

(A) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als Aber, meine Damen und Herren, selbst wenn Sie diese (C) nächste Rednerin hat die Kollegin Gerda Hasselfeldt von Verhaltensänderungen einkalkulieren, müssen Sie fest- der CDU/CSU-Fraktion das Wort. stellen: Zwischen den Beträgen von 2 Milliarden DM und 6 Milliarden DM ist ein sehr großer Unterschied, Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU): Herr Präsident! den man nicht mit Verhaltensänderungen begründen Meine Damen und Herren! Wie bei vielen anderen Steuer- kann. gesetzen stimmen auch bei diesem Gesetz Verpackung (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) und Inhalt überhaupt nicht überein. Sie nehmen unter dem Deckmantel der Terror- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – bekämpfung einen kräftigen Schluck aus der Pulle, Detlev von Larcher [SPD]: Ah geh! – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist (Detlev von Larcher [SPD]: Oh, oh! – Christine vernünftig und ehrlich!) Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das tun wir nicht!) In der Überschrift steht „Terrorbekämpfung“; inhaltlich geht es aber um Steuererhöhungen. Warum schreiben Sie weit mehr, als Sie für den von Ihnen angegebenen Zweck dann nicht auch in der Überschrift: Gesetz zur Erhöhung brauchen, um Ihre selbstverschuldeten Haushaltslöcher der Tabaksteuer und der Versicherungsteuer? Damit zu stopfen. Das ist nämlich der eigentliche Grund, warum wären Sie wenigstens ehrlich und würden nicht täuschen Sie so schnell zu einer Steuererhöhung in diesem Ausmaß und tarnen. greifen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Detlev von Larcher [SPD]: Jetzt haben Sie uns Die Täuschung setzt sich auch bei den veranschlagten entlarvt!) Zahlen fort. Es war von 3 Milliarden DM Finanzbedarf die Rede. In Ihrem eigenen Gesetzentwurf veranschlagen Wissen Sie, es war doch schon bei der Haushaltsde- Sie bei der Versicherungsteuer im nächsten Jahr 1 Milli- batte klar, dass Ihr Haushalt auf Sand gebaut ist arde DM Mehreinnahmen und bei der Tabaksteuer im (Detlev von Larcher [SPD]: Ich fühle mich nächsten Jahr 2 Milliarden DM Mehreinnahmen. richtig entlarvt!) Schon ein Jahr später gehen Sie – mit steigender Ten- und dass er Makulatur ist. Ihre Annahmen sind nicht rea- denz – davon aus, dass aus diesen 3 Milliarden DM 4 Mil- listisch. Sie gehen nach wie vor von 2 Prozent Wachstum liarden DM werden. Selbst wenn wir annehmen, dass aus. Aber wir müssen froh sein, wenn wir 0,8 Prozent er- diese Zahlen richtig errechnet sind – was sie im Übrigen reichen. Das wissen Sie genau. Damit sind wir Schluss- (B) nicht sind; darauf komme ich gleich noch zu sprechen –, (D) licht in Europa. Allein in diesem Jahr müssen Sie für die geben Sie damit selbst zu, dass Sie mehr Geld einnehmen werden, als Sie benötigen. Bundesanstalt für Arbeit nicht – wie vorgesehen und ein- geplant – 1,2 Milliarden DM, sondern 4 Milliarden DM (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ausgeben, neten der FDP) (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Tatsächlich werden die Einnahmen noch wesentlich NEN]: Sie haben hellseherische Fähigkeiten, höher ausfallen. Im Jahr 2000 hatten wir einen Verbrauch Frau Hasselfeldt!) an Zigaretten in Höhe von 140 Milliarden Stück. Nun planen Sie eine Erhöhung um 2 Cent, das heißt von fast und zwar nicht aus irgendwelchen Gründen, die mit den 4 Pfennig, pro Stück. Das bedeutet für jede Schachtel eine Ereignissen des 11. September dieses Jahres zu tun haben, Erhöhung um etwa 80 Pfennig – nur, damit man sich die sondern wegen Ihrer falschen Wirtschafts- und Finanzpo- Größenordnung einmal vor Augen halten kann. Wenn Sie litik. Dies ist die Ursache für Ihre Haushaltslöcher. diesen Betrag auf der Basis des Verbrauchs des Jah- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- res 2000 hochrechnen, dann nehmen Sie 2,8 Milliar- neten der FDP – Detlev von Larcher [SPD]: Ja, den Euro, also etwa 5,5 Milliarden DM, ein. Hinzu kommt freilich!) noch – das wird ja sowieso verschwiegen – zusätzlich die Mehrwertsteuer. Das bedeutet, dass Sie mehr als 6 Milli- Anstatt diese Situation nun herumzudrehen und die arden DM allein aus der Tabaksteuer einnehmen. Rahmenbedingungen für echtes Wirtschaften zu verbes- sern, (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Quatsch! Das bewirkt (Detlev von Larcher [SPD]: Warum hatten Sie Verhaltensänderungen! Das wissen Sie doch!) so viele Haushaltslöcher?) – Aber selbst wenn Sie solche Verhaltensänderungen ein- tun Sie das, was am schnellsten und am einfachsten mög- kalkulieren, wissen Sie genau, dass diese nur kurzfristig lich ist: Sie greifen in die Taschen des Steuerzahlers. Das sind und dass manche Menschen vielleicht kurzfristig auf ist wirtschaftspolitisch nicht richtig und auch unredlich. einige Zigaretten verzichten. Aber sehr schnell wird der Im Übrigen ist es schon ein Armutszeugnis und auch ein Konsum das vorherige Niveau wieder erreichen. Offenbarungseid des Finanzministers, (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Die Sucht ist (Detlev von Larcher [SPD]: Das möchten Sie stärker!) gerne!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001 18859

Gerda Hasselfeldt (A) wenn wegen eines Betrags von 3 Milliarden DM, 0,6 Pro- – Ich habe es doch ganz konkret gesagt: Umschichtungen (C) zent des Haushaltsvolumens, sofort zu Steuererhöhungen im Haushalt. gegriffen wird. (Lachen bei der SPD – Jörg-Otto Spiller (Lachen bei Abgeordneten der SPD) [SPD]: Das ist sehr konkret!) Daran sieht man auch, mit welch heißer Nadel dieser Jede Menge können Sie umschichten. Sie geben viel zu Haushalt gestrickt ist, wenn Sie nicht einmal diese 3 Mil- viel aus, nur weil Sie nicht mutig genug sind, echte Re- liarden DM durch vernünftige Prioritätensetzung und formen zum Beispiel beim Arbeitsmarkt und bei der So- durch Umschichtung finanzieren können. Denn dann zialpolitik durchzuführen. wäre keine Erhöhung der Neuverschuldung notwendig, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Herr Poß. Man kann leicht den Sparminister spielen, wenn man (Detlev von Larcher [SPD]: Macht uns das beim geringsten Finanzbedarf nicht ans Sparen denkt, mal vor!) (Joachim Poß [SPD]: Das ist genauso erbärm- Wenn Sie diesen Betrag nicht durch eine vernünftige Um- lich wie gestern bei Frau Merkel!) schichtung finanzieren können, dann ist das ein Armuts- zeugnis, wie es schlimmer nicht sein kann. sondern zuerst zum Geld der Steuerpflichtigen greift, die sich nicht wehren können. Das hat doch mit einem Spar- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – minister nichts zu tun. Detlev von Larcher [SPD]: Konkrete Vor- schläge! – Joachim Poß [SPD]: Die hat Merkel (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gestern nicht gemacht!) NEN]: Bleiben Sie mal bei der Wahrheit!) – Herr von Larcher, ich muss Sie an Folgendes erin- Die Mär vom Sparminister glaubt Ihnen ohnehin niemand nern: Der Finanzminister, der ja heute nicht anwesend mehr. ist, hat auf dem Kongress des Bundes der Steuerzah- (Susanne Kastner [SPD]: Frau Hasselfeldt, das ler am 18. September dieses Jahres – damit wurde er ist aber schlimm, was Sie jetzt sagen!) im „Handelsblatt“ vom 19. September dieses Jahres zitiert; diese Aussage ist wörtlich nachzulesen – ge- Die Defizitquote ist nicht gesunken, die Abgabenquote ist sagt, nicht gesunken, die Steuerquote ist nicht gesunken. Das Einzige, was in Ihrer Regierungszeit gestiegen ist, sind Eichel will „zusätzliche Ausgaben des Bundes für in- die Ausgaben des Bundes. Was ist da vom Sparen eigent- nere und äußere Sicherheit allein durch Umschich- lich übrig geblieben? (B) tungen im Haushalt finanzieren“. (D) Es ist überhaupt keine Frage, dass die von Ihnen beab- ( [CDU/CSU]: Wo ist der sichtigten Erhöhungen der Versicherungsteuer und der Finanzminister eigentlich?) Tabaksteuer Gift für die wirtschaftliche Entwicklung Genau einen Tag später fand hier vormittags eine De- sind. batte zur Terrorbekämpfung statt. Am Nachmittag des (Detlev von Larcher [SPD]: Ach du liebe gleichen Tages, wenige Minuten nach Schluss dieser De- Zeit!) batte, Auch in anderen Ländern in Europa und darüber hinaus (Dr. Günter Rexrodt [FDP]: Richtig!) sind verstärkte Anstrengungen bei der inneren und äuße- in der weder von Steuererhöhungen noch von der Finan- ren Sicherheit notwendig. Kein einziges anderes Land zierung die Rede war, denkt aber bei diesen notwendigen Maßnahmen an Steuererhöhungen. (Dr. Günter Rexrodt [FDP]: Jawohl!) (Susanne Kastner [SPD]: Die hatten auch keine hat das Kabinett entgegen den Äußerungen des Finanz- CDU/CSU-Regierung, die so viel Schulden ge- ministers vom Tag zuvor auf dem Kongress des Bundes macht hat!) der Steuerzahler Sie jedoch haben als allererste Maßnahme nur an Steuer- (Dr. Günter Rexrodt [FDP]: So war es!) erhöhungen gedacht und wollen sie im Hauruckverfahren genau diese Steuererhöhung beschlossen. realisieren. Gerade in unserem Land, das ohnehin das niedrigste Wachstum aller europäischen Länder hat, ist (Dr. Günter Rexrodt [FDP]: Eigenartig!) dies besonderes Gift. Der EU-Währungskommissar hat Es war keine Rede mehr von Umschichtungen. Meine erst vor wenigen Wochen, nachzulesen in der „FAZ“ vom Damen und Herren, wer soll denn einem Mitglied dieser 9. Oktober, in Bezug auf die Wachstumsentwicklungen Regierung noch glauben und vertrauen? Herr Poß, mit der Euroländer wörtlich gesagt: „Deutschland ist ein Pro- blem.“ dem Motto „Kurs halten“, wie Sie es gesagt haben, ist nicht sehr viel zu machen. ( [CDU/CSU]: Die Regie- rung ist das Problem!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Es fehlen immer noch die Meine Damen und Herren, wenn Sie die wirtschaftli- konkreten Vorschläge!) che und konjunkturelle Entwicklung in unserem Land 18860 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Gerda Hasselfeldt (A) nicht nur aktuell, sondern über die letzten Monate hinweg Von den technischen Schwierigkeiten in Bezug auf die (C) objektiv betrachten und dann, wie es Herr Poß vorhin ge- Umstellungen bei den Automaten, auch von den techni- tan hat, Steuererhöhungen als die richtige konjunktur- schen Schwierigkeiten der Versicherungen wegen der politische Antwort ansehen, dann kann ich nur sagen: Ei- kurzfristigen Erhöhungen will ich hier gar nicht reden. Sie nen größeren Amateurökonom habe ich noch nicht gehört. wissen auch, dass das beispielsweise enorme Auswirkun- gen auf die Mitarbeiter, auf die Beschäftigten in der Ta- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – bakwirtschaft hat. Aber das scheint Ihnen alles völlig egal Detlev von Larcher [SPD]: Das hat er nicht ge- zu sein. Sie haben nicht einmal allen betroffenen Verbän- sagt! Sie unterstellen ihm etwas!) den den Gesetzentwurf zugeschickt. – Natürlich hat er das gesagt. Lesen Sie es nach! Da wird schon deutlich, dass Sie das in einem Hau- (Detlev von Larcher [SPD]: Sie bauen einen ruckverfahren möglichst schnell und geräuschlos, ohne Popanz auf! Sie sind nicht ernst zu nehmen!) dass die Betroffenen Stellung nehmen können, durchzie- Das Problem ist hausgemacht; das wissen Sie ganz hen wollen. genau. Ursache ist Ihre falsche Wirtschafts- und Finanz- (Detlev von Larcher [SPD]: Auch das ist nicht politik. Durch die Maßnahme, die Sie jetzt vorsehen, ver- wahr!) größern Sie das Problem noch, weil sie das konjunktur- Auch das wirft ein Licht auf Ihre Unseriosität. politisch völlig falsche Signal ist. Das Problem sind die fehlenden Binneninvestitionen und die gesunkene Bin- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) nennachfrage. Eine Schlüsselrolle spielt dabei der pri- Nun hat Herr Kollege Poß die Steuererhöhungen im vate Verbrauch. Mit Ihrer Steuererhöhung würgen Sie die- Jahre 1991 anlässlich des Golfkrieges angesprochen. sen noch mehr ab, als es ohnehin schon der Fall ist. (Joachim Poß [SPD]: Lesen Sie mal die Proto- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – kolle des Deutschen Bundestages nach!) Detlev von Larcher [SPD]: Jetzt auf einmal der Verbrauch!) Herr Poß, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie das ein biss- chen detaillierter und objektiver betrachten würden. Wenn Sie die Erhöhung dieser Steuern, die mit einer Erhöhung der Inflationsrate in Höhe von etwa 0,5 Prozent (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das kann er verbunden ist – ich beziehe hier die Ökosteuer ein, deren nicht!) Erhöhung zum 1. Januar 2002 schon beschlossen ist –, da- Sie wissen genau, dass dies erstens eine völlig andere Di- mit abtun, dass das nicht so schlimm sei, weil die Inflati- mension war, dass es zweitens auch mit den großen An- onsrate jetzt wieder zurückgegangen sei, (B) strengungen bei der Herstellung der deutschen Einheit (D) (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Aber die Basis verbunden war ist entscheidend!) (Joachim Poß [SPD]: Das hat der Waigel aber dann wird auch deutlich, wes Geistes Kind Sie sind. In nicht so gesagt! Dann hätten Sie das im Deut- dem Moment, in dem die Inflationsrate durch Einflüsse schen Bundestag anders begründen müssen!) von außen, die Sie nicht verursacht haben, ein wenig und dass wir drittens damals ein wesentlich höheres zurückgeht, sehen Sie sofort Spielraum für Steuererhö- Wachstum hatten, als wir es heute haben. Auch die öko- hungen, womit Sie die Inflationsrate wieder erhöhen. So nomische Bewertung war eine völlig andere als jetzt. Hier einfach können Sie es sich nicht machen. Die Bürger mer- Äpfel mit Birnen zu vergleichen und das Handeln jetzt so ken, dass dies der falsche Weg ist. Sie werden von Ihrer zu rechtfertigen ist ein völlig falscher Schluss. Politik nur abgezockt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Detlev von Larcher [SPD]: Das ist wirklich Es ist im Übrigen eine billige Ausrede und sonst lächerlich!) nichts. Es ändert nichts daran, dass diese Steuererhö- hung, die Sie jetzt vorhaben, nicht notwendig ist, und es Sie treffen damit ja nicht nur die Raucher. Mit der Ver- ändert auch nichts daran, dass sie ökonomisch verfehlt sicherungsteuer treffen Sie jeden Haushalt und jeden Be- ist. Deshalb werden Sie unsere Zustimmung dazu nicht trieb: bei der Kfz-Versicherung, bei den Gebäudeversi- bekommen. cherungen, bei den Brandversicherungen und allen sonstigen Sachversicherungen. Dies tun Sie in einer Zeit, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) in der die Versicherungsbeiträge wegen der vielen Scha- densfälle ohnehin steigen. Damit steigt übrigens auch das Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort Steueraufkommen aus der Versicherungsteuer. Wenn Sie hat jetzt die Kollegin Christine Scheel, Bündnis 90/Die nun durch Ihre gesetzliche Maßnahme die Versicherung- Grünen. steuer zusätzlich erhöhen, werden die Menschen nicht nur durch die Prämienerhöhung und die darauf ohnehin an- (Joachim Poß [SPD]: Bieg das mal gerade! – fallende höhere Versicherungsteuer, sondern auch noch Dr. Günter Rexrodt [FDP]: Jetzt kommt der ein drittes Mal durch Ihre Steuererhöhung getroffen, ganz große Slalom! – Norbert Barthle [CDU/CSU]: zu schweigen von der damit verbundenen zusätzlichen Jetzt zeigt sie, was sie alles für den Mittelstand Mehrwertsteuer. tun will!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001 18861

(A) Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): was bedeutet, dass wir im nächsten Jahr weniger Einnah- (C) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erste men in einer Größenordnung von rund 45 Milliarden DM Feststellung: Ich gehe davon aus, dass es keine einzige po- hätten. litische Partei in diesem Raum gibt, die nicht die Auffas- (Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Das stimmt sung vertritt, dass unverzüglich mehr finanzielle Mittel doch nicht!) für verstärkte Anstrengungen zur wirksamen Bekämp- fung des internationalen Terrorismus und zur Erhöhung Gleichzeitig sagt Herr Merz, wir müssten die Familien der inneren, aber auch der äußeren Sicherheit der Bürger fördern; das klingt ja immer gut. und Bürgerinnen der Bundesrepublik Deutschland aufge- (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Das klingt nicht wandt werden müssen. nur gut, das ist auch gut! – Gerda Hasselfeldt Zweite Feststellung: Durch die im vorgelegten Gesetz- [CDU/CSU]: Das ist notwendig!) entwurf vorgesehene Erhöhung der Versicherungs- und Das kostet 50 Milliarden DM. Tabaksteuer mit einem geplanten Einnahmevolumen von rund 3 Milliarden DM sollen ab 2002 Maßnahmen im Dann sagen Sie: Der Haushalt ist zwar nicht richtig ge- Bereich des Katastrophenschutzes, des Bundesgrenz- deckt – da haben Sie eine Riesenlücke –, aber gleichzei- schutzes, des Bundeskriminalamtes, aber auch der Ent- tig brauchen wir im Bereich der Bundeswehr, im Bereich wicklungszusammenarbeit und der humanitären Hilfe fi- der Landwirtschaftssubventionen usw. Mehrausgaben nanziert werden. von rund 13,5 Milliarden DM. Wir haben bereits jetzt zur Verbesserung der (Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Umschich- wirtschaftlichen Perspektiven der betroffenen Länder ten! Schwerpunkte setzen!) verstärkt Mittel bereitgestellt und auch im Bereich der hu- Wenn man das alles zusammennimmt, Frau manitären Hilfe finanzielle Anstrengungen unternom- Hasselfeldt, haben wir es hier, abgeleitet von Ihren For- men. Am Geld scheitert – das muss man ganz klar sagen –, derungen, mit Mehrausgaben bzw. Steuerminder- die humanitäre Unterstützung von deutscher Seite aus einnahmen – wenn man es so herum betrachtet – in einer nicht. Größenordnung von rund 115 Milliarden DM zu tun. Wir sind allerdings der Überzeugung, dass im Haushalt Das heißt: absolutes gedankliches Chaos in Ihren Vor- 2002 keine Möglichkeiten für Umschichtungen zulasten schlägen! anderer Ausgaben bestehen. Es ist auf der einen Seite (Widerspruch bei der CDU/CSU) schwer, das zuzugeben. Auf der anderen Seite ist es für Sie glauben doch wohl nicht, dass die Leute so doof sind, viele Bürgerinnen und Bürger schwer nachvollziehbar, Ihnen abzunehmen, dass Sie auf der einen Seite Steuer- dass bei einem Haushaltsvolumen von rund 485 Milliar- (B) senkungen finanzieren wollen, die Ökosteuer aussetzen (D) den DM kein Spielraum für Einsparungen gegeben sein wollen, gleichzeitig die Arbeitslosenversicherungsbei- soll. träge senken wollen – das finden wir übrigens richtig und Ich möchte Sie daran erinnern, dass selbst die Haushalts- das wollen wir ebenfalls tun, aber auf einem anderen Weg, experten der Opposition, Herr Austermann und Herr Kalb, als Sie ihn vorschlagen – und auf der anderen Seite aus dem wissen müssen, dass es im Haushalt, Frau Hasselfeldt, eben Haushalt heraus auch noch 13,5 Milliarden DM Mehraus- keinen Spielraum mehr gibt. Ich finde, dass die Union sich gaben für die Bundeswehr und andere Einrichtungen zur endlich sortieren muss, dass sie klar bekennen muss, wie sie Verfügung stellen wollen. Sie glauben doch nicht im Ernst, Haushaltspolitik, Finanzpolitik und Wirtschaftshilfe in der dass Ihnen die Leute abnehmen, dass all dies ohne gigan- Zukunft gestalten will. tische Steuererhöhungen an irgendeiner anderen Stelle (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Zuruf von der CDU/CSU: Eben an der DIE GRÜNEN) richtigen Stelle!) Sie haben hier Anfang September Erklärungen abge- oder eben ohne eine massive Neuverschuldung funktio- geben, dass im Haushalt angeblich ein Finanzloch von nieren soll. Was Sie hier an Forderungen aufstellen, ist rund 12 Milliarden DM bestehe. Wir haben gesagt: Das vom Volumen her ein Viertel des gesamten Haushaltsvo- stimmt nicht. Wir haben einen soliden Haushalt – ver- lumens. nünftig durchgerechnet – aufgestellt. (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Reden Sie doch (Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Warum kas- einmal zum Thema!) sieren Sie denn dann jetzt mehr ein, als Sie Da kann ich nur sagen: Gott sei Dank sind Sie nicht an der brauchen?) Regierung; sonst würden wir den Schuldenstaat, den wir Sie haben gesagt, es gebe eine Unterdeckung von 12 Mil- leider übernommen haben, fortführen müssen. liarden DM. Fast zum gleichen Zeitpunkt – in den vorhe- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN rigen Wochen und auch jetzt wieder in den letzten Ta- und bei der SPD) gen – kommen Forderungen, die nächsten Steuerreform- stufen, vor allem die Senkung des Spitzensteuersatzes, Das wäre eine Katastrophe für die Wirtschaft. Das würde vorzuziehen, bedeuten, dass wir einen verfassungswidrigen Haushalt hätten, dass die Länder Pleite gingen, die Kommunen (Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Das wäre das pleite wären und der Bund dazu. Das ist die Konsequenz richtige Signal!) Ihrer Politik. 18862 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Christine Scheel (A) Sie wissen ganz genau, dass Ihre eigenen Ministerprä- 50 Prozent ausmacht. Jeder weiß, dass es sehr enge wirt- (C) sidenten – dazu gehört auch der bayerische, der ja im Hin- schaftspolitische Zusammenhänge zwischen den Ent- blick auf die nächsten Wahlen so ein bisschen im Startloch wicklungen in den USA, in Japan und in Europa gibt. sitzt – ganz genau wissen, dass diese Forderungen nur ge- (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Auf einmal!) stellt werden können, solange man in der Opposition ist. Aber ich finde, zur Politik gehört auch eine gewisse Ehr- Wir wissen, dass sich in Japan ein realer Schrump- lichkeit. Man darf den Leuten nicht Sand in die Augen fungsprozess mit Raten von 0,5 bis 1 Prozent abzeichnet. streuen – nach dem Motto, man könnte irgendwo im Wir wissen auch, dass die Prognose für das reale Wirt- Haushalt umschichten, das sei ja alles überhaupt kein Pro- schaftswachstum in den USA für das Jahr 2001 bei rund blem – und gigantische Mehrausgaben fordern, die nie- 1,5 Prozent liegt. Insgesamt ist aber eine rückläufige mand schultern kann, von denen wir alle ganz genau wis- Wachstumsentwicklung zu verzeichnen. sen, dass das völlig unsolide ist. Die Haushalts- und Finanzpolitik, die Sie betreiben wollen, darf man nicht (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Man kann dazu ernst nehmen. auch „Rezession“ sagen!) Wir sind endlich so weit, dass wir sagen: Wir gehen Wir wissen, dass in allen Ländern Europas die von den Schulden herunter, aber leisten trotzdem die Aus- Wachstumserwartungen nach unten korrigiert werden gaben, die notwendig sind für die Konjunktur, für Bildung mussten. Wir sehen aber auch, dass in diesem zweiten und für Wissenschaft und im ökologischen Bereich bis hin Halbjahr, vor allem im vierten Quartal, die Talsohle der zu Anschubfinanzierungen und Finanzierungen, die im wirtschaftlichen Entwicklung in Europa erreicht ist und Infrastrukturbereich, auch bei der Bahn, auch im Straßen- dass es jetzt aufwärts geht. Die Tendenz ist in vielen Bran- bau usw. sinnvoll sind. chen europaweit steigend. Dass dieses gute Ergebnis trotz der negativen gesamtweltwirtschaftlichen Situation er- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – reicht werden konnte, hängt auch damit zusammen, dass Norbert Barthle [CDU/CSU]: Wann kommen der Konsolidierungskurs in anderen europäischen Län- Sie denn mal zum Thema? Diese Rede haben dern gut durchgehalten werden konnte. Sie schon einmal gehalten! – Gegenruf des Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Die Inflationsrate ist nach den starken Rohölpreis- GRÜNEN]: Man kann Ihnen das nicht oft ge- steigerungen im letzten Jahr und den aktuell fallenden nug sagen!) Rohölpreisnotierungen stark rückläufig. Die Europäische Zentralbank hat bereits die Geldmarktzinsen gesenkt. Wir haben jetzt im Verhältnis zum Gesamtvolumen des Weiterer Spielraum für Zinssenkungen ist vorhanden, so- Bundeshaushalts zwar nicht unerhebliche Steuererhöhun- dass auch Investitionen kostengünstig finanziert werden (B) gen beschlossen – das ist richtig –, aber wir haben sie auf können. (D) der Grundlage des Ziels einer sehr soliden, einer ehrlichen und einer an der Konsolidierung der Staatsfinanzen ori- Die Bürgerinnen und Bürger haben durch die Steuer- entierten Finanzpolitik beschlossen. Das ist die Richt- reform, durch die Anhebung des Kindergeldes und durch schnur unseres Handelns und die Rückführung der die angehobenen Freibeträge, die die rot-grüne Regierung Nettokreditaufnahme in diesem und im nächsten Jahr soll im Rahmen des Familienförderungsgesetzes beschlossen auch im Rahmen eigener Handlungskompetenz fortge- hat, mehr Kaufkraft in einer Höhe von rund 47 Milli- setzt werden. arden DM. Wir haben das Problem, dass im Jahr 2001 – das wis- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sen Sie – die Weltkonjunktur rückläufig ist. und bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Dann müsste die Lage ja eigentlich besser sein!) (Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Auf einmal ist sie rückläufig? – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Auch die Einführung des Euro im Rahmen des europä- Jetzt geht es nicht mehr nur um die Konjunktur ischen Binnenmarktes wird zusätzliche Impulse für mehr in Europa, sondern in der ganzen Welt!) wirtschaftliche Aktivitäten freisetzen. Das wird die Planung für das nächste Jahr nicht verein- Die Lohnstückkosten haben sich im Rahmen der mo- fachen. Erst die Konjunkturprognosen der fünf For- deraten Tarifabschlüsse laut Bundesbankbericht leicht schungsinstitute und des Sachverständigenrates werden rückläufig entwickelt. Auch die nächsten Tarifrunden die Bundesregierung insbesondere im Rahmen des Jah- sollten sich, so meinen wir, am Produktivitätsfortschritt reswirtschaftsberichts veranlassen, eigene Konjunktur- orientieren, um eine stetige wirtschaftliche Entwicklung erwartungen zu formulieren. Grundsätzlich ist jede Kon- gewährleisten zu können. junkturprognose angesichts der Militäreinsätze gegen den Die weitere wirtschaftliche Entwicklung auf den Ex- Terrorismus von psychologisch begründeter Unsicherheit portmärkten hängt von äußeren Einflussfaktoren ab, die geprägt. mit der Terrorismusbekämpfung in unmittelbarem Zu- (Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Das war doch sammenhang stehen. Wie gesagt, der Weltmarktpreis für schon vor dem 11. September so! Tun Sie doch Öl ist gegenwärtig auf einem niedrigen Niveau, was für nicht so, als ob das mit dem 11. September zu die Devisenbilanz eine stark entlastende Wirkung hat, tun hätte!) aber ebenso auch für die Verbraucher und Verbraucherin- nen, weil die Preise entsprechend niedrig sind. Wir wis- Die Psychologie ist jetzt „Herr des Verfahrens“. Alle Wirt- sen aber nicht, ob dieses Preissignal morgen noch gilt, da schaftsforscher sagen, dass die Psychologie zumindest der Kampf gegen den Terrorismus grundsätzlich auch den Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001 18863

Christine Scheel (A) Nachschub von Öl für die Weltwirtschaft infrage stellen fen. Sie haben bei weitem keine Steuerentlastungen in der (C) kann. Höhe vorgenommen wie wir in den letzten Jahren. Des- wegen ist dieser Vergleich vollkommen falsch. Ich bitte Die Bundesregierung setzt im Kampf gegen den Terro- rismus vor allen Dingen auf internationale Zusammen- Sie, ein bisschen mehr Ehrlichkeit walten zu lassen. arbeit gerade auch mit den arabischen Ländern. Sie setzt Streuen Sie den Bürgern nicht Sand in die Augen und sug- sich insbesondere durch unseren Außenminister, Joschka gerieren Sie nicht, wir hätten Freiraum für alle möglichen Fischer, aktiv für eine friedliche Lösung des Palästina- Maßnahmen. Den haben wir nicht. Deswegen nehmen wir konfliktes ein. Auch das ist ein Beitrag zu einer möglichst einmalig diese Steuererhöhungen vor, die wir hier be- günstigen Weltkonjunkturentwicklung. Man muss einmal schlossen haben. Wir machen dies, weil wir eine ehrliche auch diesen Zusammenhang betrachten. Politik wollen. Wir wollen nicht zulasten der nächsten Generationen weitere Schulden aufnehmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Danke schön. Keinem Land der Erde ist in Zeiten der Globalisierung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Weltwirtschaft mit einer Rezession gedient. Vielmehr und bei der SPD) würden die Mittel für aktive Armutsbekämpfung, wirt- schaftliche Hilfen, vermehrte humanitäre Aufgaben in Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als vielen Teilen der Erde mit einer Rezession schwerer fi- nächster Redner hat der Kollege Dr. Günter Rexrodt von nanzierbar. Aus diesem Grund sollte die Politik alles dafür der FDP-Fraktion das Wort. tun, dass die Unsicherheit überwunden wird und dass Zu- versicht greift. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat der denn zu sagen?) Gegenwärtig ist aber nicht der Zeitpunkt gekommen, um Konjunkturankurbelungsprogramme aufzulegen bzw. zu fordern. Mehrere Konjunkturforschungsinstitute rech- Dr. Günter Rexrodt (FDP): Herr Präsident! Meine nen für nächstes Jahr bereits wieder mit einer Wiederbe- Damen und Herren! Ich möchte zwei Vorbemerkungen lebung des Wirtschaftswachstums. Selbst der Präsident machen. Erstens. Wir reden hier heute über Steuer- des DIHK, Herr Ludwig Georg Braun, sieht wie wir keine erhöhungen. Dem Bürger wird dadurch in die Tasche ge- Rezessionsgefahr. Er rät – wörtlich –, „sich nicht verrückt griffen. Und was muss ich feststellen: Nicht ein einziger machen zu lassen“. Auch er sieht Konjunkturprogramme Minister hält es für notwendig, bei solch einem Thema auf als gefährlich für die Stabilität des Euros an – und das mit der Regierungsbank zu erscheinen. Das ist ein unmögli- Recht. Diese Einschätzung möchte ich Ihnen mitgeben, cher Vorgang. (B) da Sie immer die Forderung aufstellen, locker mehr Geld (D) auszugeben. Dafür würden Sie sogar eine Neuverschul- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – dung in Kauf nehmen. Das werden wir im Hinblick auf Detlev von Larcher [SPD]: Das ist ja ungeheu- die Wirtschaftspolitik in diesem Land mit Recht nicht tun. erlich!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zweitens. Herr Poß, Sie haben hier ja schon so manche und bei der SPD) Posse aufgeführt, aber spätestens heute morgen habe ich verstanden, warum Herr Clement dabei ist, Sie politisch Wir haben, um das in Erinnerung zu rufen, noch immer des Landes zu verweisen. Das ist leider kein Zugewinn für einen Schuldenberg von fast 1,5 Billionen DM – das sind die Bundespolitik. 1 500 Milliarden DM –, eine kaum vorstellbare Summe. Wir müssen jährlich Zinslasten von rund 80 Milli- (Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU – arden DM tragen. Deswegen werden wir nichts tun, wo- Detlev von Larcher [SPD]: Das war ein heftiger durch diese Zinslast weiter steigt. Alle Vorschläge, die vor Rüffel!) allem vonseiten der FDP gekommen sind und auf die die Sie werden von Herrn Clement gebraucht, Herr Poß. Ge- CDU/CSU jeden Tag aufsattelt, würden dazu führen, dass hen Sie nach Nordrhein-Westfalen. Wir können gern auf die Zinslasten der Bundesrepublik Deutschland weiter Sie verzichten. steigen. Diese Politik wollen wir nicht und wir machen sie nicht mit. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Susanne Kastner [SPD]: Ein sehr (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sachlicher Beitrag! – Hans-Christian Ströbele und bei der SPD) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir können Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Im Vergleich auch in Berlin auf Sie verzichten!) zu den USA haben wir eine andere Situation. Das möchte Dass jemand derartige Wolken um einen wirtschafts- und ich einmal sagen. Es heißt immer, in den USA werde al- finanzpolitisch verfehlten Schritt macht, habe ich selten les wunderbar geregelt, es gebe Entlastungs- und Kon- junkturprogramme. erlebt. (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Warum? Weil Ich komme zur Sache. Ich möchte keine weiteren Aus- sie die richtige Steuerpolitik gemacht haben, führungen darauf verwenden, um klarzustellen, dass es Frau Scheel!) notwendig ist, Maßnahmen gegen den Terror zu verab- schieden, die die innere und die äußere Sicherheit er- Die USA haben aber auch Budgetüberschüsse zu ver- höhen. Es war immer unsere Partei, die dafür eingetreten zeichnen und können somit andere Entscheidungen tref- ist, die Bundeswehr besser auszustatten und deren Etat 18864 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Dr. Günter Rexrodt (A) nicht als Steinbruch zur Sanierung des Haushalts zu be- Das wird in ganz anderen Zusammenhängen x-mal getan. (C) nutzen. Wir waren immer diejenigen, die gesagt haben: Sie haben die „Gunst der Stunde“ genutzt, um den Freiheit ist ohne Sicherheit nicht möglich. Frau Scheel, Steuerzahler, den Verbraucher, den mittelständischen In- Sie, die Grünen, waren und sind diejenigen, die sich in vestor zusätzlich zur Kasse zu bitten; nichts anderes ist Ihrem Programm von 1998 dafür aussprechen, dass der geschehen. Verfassungsschutz, der Bundesnachrichtendienst und der Militärische Abschirmdienst abgeschafft werden. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Detlev von Larcher [SPD]: Schulden-Rexrodt!) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Dann bringen Sie zweitens diese lächerliche Begrün- NEN]: Sie haben doch 29 Jahre regiert! Oder dung, konjunkturell sei die Steuererhöhung ohne Wir- habe ich da etwas verpasst? – Hans-Christian kung. Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was (Detlev von Larcher [SPD]: Ist es auch!) hat das mit der Steuer zu tun?) – Lassen Sie sich Folgendes sagen: Sie sind der größte Diesen Beitrag zur Sicherheit leisten Sie bis zum heutigen Wirtschaftsexperte aller Zeiten, Herr von Larcher; das ist Tag. weltweit bekannt. Ich habe nichts dagegen, dass Geld bereitgestellt wird, (Detlev von Larcher [SPD]: Mehr als Sie! Sie und das schnell. Ich bin aber strikt dagegen, dass bei ei- konnten ja nicht einmal Wirtschaftsminister nem Bundeshaushalt von 490 Milliarden DM 3 Milli- bleiben!) arden DM dadurch aufgebracht werden müssen, dass man die Steuern erhöht. Das ist ein Armutszeugnis für die Fi- Sie sagen, das seien ja nur 3 Milliarden DM, geraucht nanzpolitik. Das ist Ausdruck dessen, dass diese Bundes- werde im Übrigen immer und eine Sachversicherung regierung ihre Schularbeiten nicht gemacht hat, insbe- müsse es sowieso geben, das Auto müsse versichert wer- sondere wenn es darum ging, die Ausgabenseite des den. Wissen Sie denn nicht: Wer zwangsweise sparen Haushalts zu sanieren. muss, der gibt weniger aus. Er gibt weniger aus für Mö- bel und Einrichtungsgegenstände, beim Besuch von (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Gaststätten und bei Textil und Bekleidung und er ver- Walter Hirche [FDP]: So ist es! – Hans- schiebt auch die Anschaffung eines Autos. Das ist dann Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nicht mehr spaßig; von Spaß kann gar keine Rede mehr NEN]: Machen Sie einen Vorschlag!) sein. Wir befinden uns in einer wirtschaftlich schwierigen (Detlev von Larcher [SPD]: Das stimmt!) (B) Situation. Diese Steuererhöhung ist das falsche Signal (D) zum schlechtesten Zeitpunkt, den man sich nur vorstellen Gehen Sie in dieser Zeit einmal in ein Warenhaus und kann. Diese Steuererhöhung wird hier handstreichartig sprechen Sie mit dem Geschäftsführer. Die Warenhäuser präsentiert. Am Morgen des 19. September hält der Bun- sind leer; es wird nichts mehr gekauft. deskanzler eine Regierungserklärung an dieser Stelle und (Susanne Kastner [SPD]: Gehen Sie mal ins sagt kein Wort von einer Steuererhöhung. Nachmittags um zwei erfahren wir über die Ticker, dass eine Steuer- KaDeWe! Sie sollten mal wieder einkaufen erhöhung vorgesehen ist. So geht man mit dem deutschen gehen!) Parlament nicht um! Offensichtlich sind Ihnen nicht einmal die neuesten Zah- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) len bekannt. Diese Steuer wird in Ihrer Argumentation in ihrer Wir- Die Einzelhandelsumsätze – so ist es heute in der Sta- kung bagatellisiert und bei Ihrer Begründung wird mani- tistik ausgewiesen – sind im September um 0,9 Prozent puliert, und zwar erstens, indem der Finanzminister so zurückgegangen. Darin spiegelt sich noch nicht die Reak- tut – auch Sie, Frau Scheel, haben eben in Ihrer Begrün- tion auf den 11. September vollständig wider. Sie sind ja dung so getan –, als wäre die Alternative zu dieser Steuer- nicht einmal über die Fakten informiert. Dass das bei Ih- erhöhung der Schuldenstaat. nen zu dieser Reaktion führt, das werden die Menschen, die Handwerksbetriebe, diejenigen, die im Einzelhandel (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Verantwortung tragen, sehr wohl registrieren. Lassen Sie GRÜNEN]: Sie haben es uns vorgemacht! – sich das sagen. Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Wir müssen Ihren Schuldenberg ab- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – bauen!) Detlev von Larcher [SPD]: Sie machen uns richtig Angst!) Es ist doch lächerlich, bei einer Haushaltssumme von 490 Milliarden DM nicht in der Lage sein zu wollen, Schauen Sie sich einmal die Bemühungen der Auto- 2 oder 3 Milliarden DM durch eine pauschale Minder- branche an, die sie unternehmen muss, um in dieser Zeit ausgabe oder durch Umschichtung aufzubringen. in diesem Land überhaupt noch Autos loszuwerden. Dies alles ist nicht nur, aber auch darauf zurückzuführen, dass (Detlev von Larcher [SPD]: Zu Ihrer Regierungs- Sie in Ihrer Steuerpolitik und in Ihrer Wirtschaftspolitik zeit waren 1 Milliarde immer nur Peanuts! – falsche Signale gesetzt haben. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist Ihr Vorschlag?) (Lachen des Abg. Detlev von Larcher [SPD]) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001 18865

Dr. Günter Rexrodt (A) Dann kommt am 1. Januar – das ist das kritische Da- Dies ist Ergebnis einer total verfehlten Wirtschafts- und (C) tum – noch einmal eine Erhöhung der Ökosteuer hinzu. Arbeitsmarktpolitik. (Susanne Kastner [SPD]: Jetzt sind wir wieder (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – beim Thema, Herr Rexrodt! Darauf habe ich Detlev von Larcher [SPD]: An Ihrem Schulden- schon gewartet!) berg arbeiten noch Generationen!) Sie reden groß von Entlastung, aber merken Sie denn Die Menschen draußen erkennen das immer mehr, meine nicht, wie die Menschen draußen denken? Auf der einen Damen und Herren. Seite gibt es eine irgendwie angesetzte Entlastung und auf der anderen Seite wird in mindestens demselben Umfang Dann sagt Frau Scheel und sagen andere: Die durch eine Steuererhöhung wieder zugegriffen, in diesem Weltwirtschaft ist daran schuld. Frau Scheel, Sie sind Fall sogar durch eine Steuererhöhung, die überhaupt nicht doch meilenweit weg von Ihrer Partei. Sie wissen es ei- notwendig war. gentlich besser, aber was tragen Sie hier vor? Wenn die Weltwirtschaft, vielleicht nur die europäische Wirtschaft, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – daran Schuld hätte, dann müssten kleine Länder wie Bel- Detlev von Larcher [SPD]: Weil das zurückge- gien, die Niederlande oder Dänemark, die prozentual sehr geben wird! Sie reden ja Unsinn! – Wolfgang viel stärker in die Weltwirtschaft integriert sind, erheblich Weiermann [SPD]: Volksverdummung!) mehr in den konjunkturellen Rückgang involviert sein. Es leidet nicht nur der private Konsum, es leidet auch Sie sind es aber nicht. Ihnen geht es besser. Deutschland das Investitionsklima; denn Investitionen und Konsum ist Schlusslicht in der konjunkturellen Entwicklung und hängen immer zusammen. Das lernt man im zweiten Se- das kann nur Ergebnis einer verfehlten hausgemachten mester, Herr von Larcher. Sie haben es nach so vielen Jah- Politik sein. ren noch nicht gelernt, weil Sie von Wirtschaft null Ah- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) nung haben. Wenn Sie das Vertrauen des Mittelstandes, das Ver- (Detlev von Larcher [SPD]: Ihre Wirtschaftspo- trauen der Bürger – in diesem Fall ohne Not – mit einer litik hat wirklich Grenzen! Deshalb durften Sie Erhöhung der Steuern enttäuschen, wenn Sie die Men- nicht bleiben!) schen davon abhalten, Vertrauen in die künftige Entwick- In der Wirtschaft hat 50 Prozent dessen, was passiert, lung zu haben und wie geplant zu disponieren – durch die psychologische Gründe. Die Steuererhöhung mag in Anschaffung langlebiger Konsumgüter mit Auswirkun- Ihren Augen noch so klein sein: Psychologisch gesehen gen auf den Einzelhandel – dann brauchen Sie sich nicht haben Sie wirtschaftspolitisches Vertrauen verspielt, ha- zu wundern, dass wir in dieser Position sind. (B) ben Sie die Investoren und die Mittelständler erneut vor (D) den Kopf gestoßen. Die Erhöhung der Tabak- und der Versicherung- steuer ist ein schwerer wirtschafts- und finanzpolitischer (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Fehler. Das ist Ausdruck der Fantasielosigkeit des Fi- der CDU/CSU) nanzministers, Dabei hätte die Wirtschafts- und Arbeitsmarktpoli- (Lachen des Abg. Detlev von Larcher [SPD]) tik doch Ihr Highlight sein sollen. Sie haben von einer Senkung der Arbeitslosenzahlen um mindestens 1 Million aber auch ein Stück Ausdruck von Arroganz und Selbst- gesprochen. Die magische Zahl ist 3,5 Millionen im herrlichkeit der Bundesregierung, Jahresdurchschnitt. Wir werden wahrscheinlich 3,9 Milli- (Detlev von Larcher [SPD]: Mehr Arroganz onen Arbeitslose haben. Wir haben jetzt schon 3,85 Mil- als Sie kann man gar nicht haben!) lionen. Davon sprechen die Institute. wenn sie die „Gunst der Stunde“ nutzt, um den Steuer- Beim Wirtschaftswachstum sind wir nicht mehr Loko- zahler zur falschen Zeit an der falschen Stelle zur Kasse motive, sondern wir sind im europäischen Zug im Ge- zu bitten. päckwagen angelangt. Herzlichen Dank. (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Wir haben auch ein etwas anderes (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Wirtschaftsniveau gehabt als Spanien und Detlev von Larcher [SPD]: Kein konkreter Vor- Portugal!) schlag vom Experten! – Gegenruf der Abg. Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Die Arbeitslosigkeit ist viel, viel höher als im europä- NEN]: Schulden, Schulden, Schulden!) ischen Durchschnitt und darin sind schon die Länder im Süden des Kontinents mit traditionell hoher Arbeitslosig- keit eingerechnet. Deutschland sitzt im Gepäckwagen, ist Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als Schlusslicht. Nach drei Jahren können Sie nicht mehr mit nächste Rednerin hat die Kollegin Dr. Christa Luft von dem Schuldenberg, mit der Wiedervereinigung und die- der PDS-Fraktion das Wort. sen Dingen kommen. (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Dr. Christa Luft (PDS): Herr Präsident! Verehrte Kol- NEN]: Sie sind noch nach zwölf Jahren mit dem leginnen und Kollegen! Es ist in der PDS-Bundestags- Schuldenberg gekommen!) fraktion unstrittig, dass zur wirksamen Bekämpfung des 18866 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Dr. Christa Luft (A) internationalen Terrorismus und zur Erhöhung der öffent- Die Bundesregierung hat für meine Begriffe zunächst (C) lichen Sicherheit notwendige Mittel aufgebracht werden wie eine Art Hausnummer die Zahl von 3 Milliarden DM müssen. genannt, die für ein Sicherheitspaket notwendig seien. (Beifall bei der PDS) Bislang kennen wir die Struktur, wie also das Geld aus- gegeben werden soll, noch nicht im Einzelnen. Insofern Das Sicherheitsbedürfnis in der Bevölkerung darf man muss man diesen 3 Milliarden DM nicht unbedingt eu- weder ignorieren noch bagatellisieren; man muss es ernst phorisch zustimmen. nehmen. Das steht für uns fest. Dabei werden wir uns si- cherlich noch darüber zu streiten haben, was auf diesem Die Bundesregierung hat willkürlich zwei Steuerarten Gebiet notwendig sein wird. herangezogen, die sie für diesen Zweck erhöhen will, nämlich die Tabaksteuer und die Versicherungsteuer. Eine Erhöhung der Neuverschuldung für diesen Wir haben gegen dieses Vorhaben prinzipielle Einwände. Zweck lehnen wir allerdings ab. Sicherheit brauchen alle, aber nicht alle rauchen. Wir wol- (Beifall bei der PDS) len überhaupt keinen Schutzzaun um Raucherinnen und Raucher ziehen, aber man darf doch wohl daran erinnern, Es war schon erstaunlich, aus Unionskreisen vor Tagen zu dass die Tabaksteuer schon heute fast so viel aufbringt hören, dass man sich dort die Finanzierung der Terroris- wie die veranlagte Einkommensteuer und die Körper- musbekämpfung durch Aufnahme neuer Schulden durch- schaftsteuer zusammengenommen. Das lässt aufhorchen. aus vorstellen konnte. Jedenfalls habe ich in der „Welt“ Wenn man diese Steuer weiter erhöhen will, würden wir Ausführungen des Kollegen Merz so gelesen. Vom Kolle- dazu nur dann Ja sagen, wenn die zusätzlichen Einnahmen gen Austermann war Entsprechendes zu lesen und auch für die Gesundheitsvorsorge aufgewendet würden, aber der hessische Ministerpräsident Koch hat sich in dieser nicht für den Zweck, der jetzt in Rede steht. Weise geäußert. (Beifall bei der PDS) (Detlev von Larcher [SPD]: Die hatten ja Übung darin!) Bei der Versicherungsteuer ist schon heute auf dem Ge- biet der Sachversicherungen die Lage in den Haushalten Eine höhere Neuverschuldung war für Unionspolitike- und in den Unternehmen außerordentlich differenziert. Es rinnen und -politiker in den vergangenen drei Jahren stets gibt viele Fälle von Unterversicherung. Ich sage Ihnen: ein Sündenfall. Man sehe, wie schnell auch in der CDU in Die Zahl dieser Fälle wird angesichts der Verteuerung der dieser Frage jähe Wendungen möglich sind! Versicherungen weiter zunehmen. Dabei müsste eigent- Ich will noch einmal sagen: Wir als PDS haben die lich die Möglichkeit, sich sachgerecht zu versichern, ge- Neuverschuldung nie zu einem Tabu erklärt, wenngleich rade in unsicheren weltpolitischen Zeiten durch die Bun- (B) wir uns Schuldensenkung auch sehr wünschen. Aber desregierung gestärkt statt geschwächt werden. Diese (D) wenn über Neuverschuldung geredet wird, dann wollen Gefahr der Unterversicherung wird für das Gemeinwesen wir, dass daraus wachstumsfördernde, Beschäftigung teuer werden, wenn für diese Fälle der Ausgleich ansteht. schaffende und wieder Steuereinnahmen generierende Maßnahmen finanziert werden. Für das, worüber wir jetzt Da sich die vorgesehenen Steuererhöhungen, wie wir reden, brauchen wir andere Quellen. aus dem vorgelegten Tableau ersehen, ab 2003 auf eine Summe belaufen werden, die das anvisierte Ziel von (Beifall bei der PDS) 3 Milliarden DM weit überschreiten wird, fragt man sich, Ausdrücklich lehnen wir auch das Ansinnen von Union ob dann vorgesehen ist, das Sicherheitspaket aufzu- und FDP, eben nochmals von der Kollegin Hasselfeldt stocken oder wofür sonst die überschüssigen Einnahmen und vom Kollegen Rexrodt vorgetragen, ab, die Mittel für verwendet werden sollen. Der Finanzminister schweigt ein Sicherheitspaket durch Umschichtungen im Haushalt dazu. Offensichtlich will er die zusätzlichen Milliarden aufzubringen, jedenfalls wenn damit ein Aderlass für Ar- als Manövriermasse in seinem Haushalt zur freien Verfü- beit und Soziales gemeint ist – und das ist ja wohl ge- gung haben. meint, wie man den entsprechenden Äußerungen entneh- Hier beginnt die ganze Angelegenheit noch anrüchiger men kann. Ich sage Ihnen: Wer arbeitslos oder in einem zu werden. Angesichts der anhaltenden Massenarbeitslo- prekären Beschäftigungsverhältnis ist, der lebt alltäglich sigkeit – wir nähern uns leider fast wöchentlich der Zahl sozial unsicher. Ihn darf man durch öffentliches Speku- von vier Millionen Arbeitslosen – wächst die Belastung lieren über weitere Reduzierungen der Mittel für Arbeits- des Haushalts. Um eine höhere Neuverschuldung zu ver- förderung und soziale Leistungen nicht noch mehr verun- meiden, werden unter der Hand Steuererhöhungen durch- sichern. geführt. Dadurch wird die missliche finanzielle Lage der (Beifall bei der PDS) Regierung kaschiert. Diese Bürgerinnen und Bürger, Herr Kollege Rexrodt, (Detlev von Larcher [SPD]: Wieso „unter der die sich in einer solchen Situation befinden, kaufen oh- Hand“?) nehin keine Autos und keine teuren Schrankwände. Wenn Das eherne Versprechen von Rot-Grün, nach der Öko- das verwirklicht wird, was Sie vorhaben, müssen diese steueranhebung keine weiteren Steuererhöhungen vorzu- Menschen fürchten, für den täglichen Bedarf immer we- nehmen, ist gebrochen worden; das muss deutlich ausge- niger Geld zu haben. Hinzu kommen noch die Preis- sprochen werden. erhöhungen, die sich durch die Euroumstellung schon jetzt in jedem Laden täglich erleben lassen. (Beifall bei der PDS) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001 18867

Dr. Christa Luft (A) Wir wollen zur Terrorismusbekämpfung nicht neuen Bekämpfung von Armut, Hunger, Elend und Ungerech- (C) Steuererhöhungen das Wort reden. Aber wir halten es in tigkeit – wollen Sie nichts zu tun haben. Das ist wirklich Anbetracht der neuen Herausforderungen für dringend scheinheilig. Sie sagen, die Mehrkosten seien aus dem geboten, auf bereits beschlossene, jedoch noch nicht in laufenden Haushalt zu finanzieren. Kraft getretene Steuererleichterungen zu verzichten. Das betrifft konkret die Steuerfreistellung für Veräu- Gleichzeitig verlangen Sie ein Vorziehen der nächsten ßerungsgewinne von Kapitalgesellschaften, die ab Ja- Stufe der Steuerreform, eine Steigerung der investiven nuar 2002 gelten soll. Sie wissen, dass es dagegen von An- Ausgaben des Bundes und viele andere Dinge, die heute fang an große Einwände gab. Im Bundesrat wird bis zur schon genannt worden sind. Ihre zusätzlichen Forderun- Stunde dagegen Widerstand geleistet. gen zum Haushalt 2002 – völlig ohne Finanzierungsvor- schläge – betragen 36,5 Milliarden DM. Darin sind Ihre Ich habe sehr große Sympathie für einen Satz, den Forderungen zur Familienförderung noch gar nicht ent- der Außenminister in der gestrigen Debatte gesagt hat: halten. Wir müssen angesichts der neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen über bisherige Vorstellungen vom (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Niedrigsteuerstaat neu diskutieren. Das ist für meine Be- NEN]: Da fehlt noch einiges! Genau!) griffe nicht nur ein Appell an Verbraucherinnen und Ver- Das ist ein derart deutliches parteitaktisches Verhalten, braucher, sondern auch an Unternehmerinnen und Unter- dass Sie damit niemanden, weder im Parlament noch bei nehmer, über diesen Satz nachzudenken. den Bürgerinnen und Bürgern, überzeugen können. (Beifall bei der PDS) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Angebracht wäre in diesem Zusammenhang auch der DIE GRÜNEN) Verzicht auf die geplante weitere Senkung des Spitzen- Sie machen Sprüche, aber es steht nichts dahinter. Das ist steuersatzes bei der Einkommensteuer ab dem Jahre 2003. ein konzeptionsloses Neinsagen. Wenn diese Senkung des Spitzensteuersatzes vollzogen wird, wird es immer unverständlicher, wie Sie von Rot- Die Maßnahmen, die jetzt erforderlich sind, kosten Grün erklären wollen, dass Sie sich nicht mit den Bun- Geld, und zwar viel Geld. Für uns sind 1 Milliarde DM desländern über die Wiedererhebung der Vermögensteuer keine Peanuts wie anscheinend für Herrn Rexrodt. Wenn verständigen können. Auch die Bundesländer brauchen wir das Konzept so breit anlegen, wie es notwendig ist, mehr Geld für die Verbesserung der Sicherheit. Wir glau- wenn wir unsere Anstrengungen zur Armutsbekämpfung ben, dieses Thema gehört endlich wieder auf die Tages- und zur Beseitigung von Ungerechtigkeit und Benachtei- ordnung. ligungen auf der Welt – mit den wohlhabenden Staaten zu- (B) Danke. sammen – wirksam und effektiv verstärken müssen und (D) wollen, dann kostet das wahrscheinlich noch mehr Geld (Beifall bei der PDS) als die Summe, über die wir heute sprechen. Gerade dieser rot-grünen Steuersenkungskoalition fällt Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als es besonders schwer, in einem kleinen Bereich, nämlich nächster Redner hat der Kollege Detlev von Larcher von bei Tabak und den Sachversicherungen, Verbrauchsteu- der SPD-Fraktion das Wort. ern – ich sage: leicht – zu erhöhen. Wir müssen der Be- (Friedrich Merz [CDU/CSU]: Darf der auch völkerung aber klar sagen: Angesichts der seit dem mal wieder reden? – Dr. Günter Rexrodt [FDP]: 11. September neuen ungeahnten Bedrohungen ist Si- Er ist ja ein großer Experte!) cherheit nicht kostenlos zu haben. Deswegen müssen wir diese Operation machen. Wir wollen die Steuern auf Ziga- retten um 2 Cent und auf den Feinschnitt um den gleichen Detlev von Larcher (SPD): Hoffentlich schmeckt Ih- nen der Kaffee. Ich wünsche Ihnen das jedenfalls. prozentualen Anteil erhöhen. Außerdem wollen wir die Versicherungsteuer für Sachversicherungen – also nicht Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr für Lebensversicherungen – um einen Prozentpunkt von Hauser hat in seiner Rede in der Bundestagsdebatte zum 15 Prozent auf 16 Prozent erhöhen. Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz am 25. September dieses Jahres gesagt: „Wir unterstützen sinnvolle Dies ist notwendig, weil die Maßnahmen zur Verbes- Maßnahmen zur Bekämpfung von Steuerverkürzungen.“ serung der inneren und äußeren Sicherheit, die wir jetzt Dann kam lange nichts außer Kritik an unserem Gesetz- ergreifen müssen, anders nicht zu finanzieren sind. Dies entwurf. Und dann habe ich gefragt, was er an Positivem muss allen verständigen Menschen angesichts der Haus- unterstützen wolle. Auch da kam nichts. haltslagen von Bund, Ländern und Gemeinden deutlich sein. Wer sagt, es ginge anders, versucht, den Menschen Heute geht das wieder so. CDU/CSU und FDP be- etwas vorzumachen. schwören die Einigkeit bei der Bekämpfung des Terroris- mus mit großen Worten. Gestern haben Sie unserem In- Gleichzeitig muss gesagt werden, dass die geplanten nenminister bestätigt, seine Vorschläge seien Erhöhungen maßvoll und für die Menschen zumutbar gut. Nur, mit der Finanzierung der Kosten dieses wahr- sind, nachdem sich ihr Nettoeinkommen durch unsere scheinlich jahrelangen Kampfes gegen den Terrorismus Steuerreform und unsere Familienförderung so deut- – für die Maßnahmen zur Verbesserung der äußeren und lich verbessert hat und bis zum Jahre 2005 noch weiter inneren Sicherheit, für die weltweiten Maßnahmen zur verbessern wird. 18868 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Detlev von Larcher (A) Ich rufe in Erinnerung: Am Ende der Regierungszeit uns ihrerseits Vorschläge für die Ausgestaltung des Ge- (C) Kohl lag der Grundfreibetrag bei 12 365 DM. 2005 wird setzentwurfs gemacht. er 14 989 DM betragen. Der Eingangssteuersatz lag am (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Was bleibt ih- Ende Ihrer Regierungszeit bei 25,9 Prozent. 2005 wird er nen anderes übrig?) 15 Prozent betragen. Der Spitzensteuersatz betrug bei Ih- nen zuletzt 53 Prozent. 2005 wird er 42 Prozent betragen. Sie haben uns beispielsweise gebeten, Zigarren von der Das Kindergeld lag bei Ihnen zuletzt bei 220 DM; bei uns Steuererhöhung auszunehmen, weil die einheimischen wird es auf 300 DM erhöht. Das alles ist schon Gesetz. Zigarren- und Zigarillohersteller sonst vor die Existenz- Eine vierköpfige Familie zahlt im Jahr 2005 gut 4 000 DM frage gestellt würden. weniger an Steuern als 1998. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Weil der Kanzler (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ so gern Zigarren raucht!) DIE GRÜNEN) – Darauf habe ich gewartet. Genau diese Bemerkung, die Herr Rexrodt, ein verheirateter mittelständischer Un- aus den Reihen der CSU kam und die sich jetzt die FDP ternehmer mit einem Jahresgewinn von 150 000 DM zahlt zu Eigen macht, ist unsinnig und geht an der Sache völlig im Jahr 2005 gut 10 000 DM weniger an Steuern als 1998. vorbei. Außerdem ist diese Bemerkung lächerlich. Bürger und Unternehmen werden um insgesamt mehr als (Dr. Günter Rexrodt [FDP]: Hier raucht keiner 100 Milliarden DM entlastet. Dabei profitieren private Zigarren!) Haushalte, Familien und mittelständische Unternehmen am meisten von dieser Steuerentlastung. Dazu kommt die – Hören Sie zu! Sie haben offenbar keine Ahnung. kräftige Erhöhung des BAföG und die Anhebung der Unsere einheimischen Zigarrenhersteller verlangen in Einkommensgrenzen dafür. Das ist die bisherige Bilanz ihrem Marktsegment einen Preis von 30 Pfennig bis rot-grüner Steuer- und Familienpolitik. Die kann sich 1,10 DM. Um die geht es. wahrhaftig sehen lassen. (Dr. Günter Rexrodt [FDP]: Und der Kanzler (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ raucht für 70 DM!) DIE GRÜNEN) – Nur kein Neid, Herr Rexrodt. – Wir denken nun darüber Die Erhöhung der Tabak- und Versicherungsteuer, wie nach, ob wir einen Weg finden, die Besteuerung der Zi- wir sie vorhaben, ist im Übrigen so konzipiert, dass es garren so zu gestalten, dass sie unseren Zigarrenherstel- keine schädlichen Auswirkungen auf die Konjunktur gibt, lern nicht schadet. Das gilt auch für Pfeifentabak. Wir Herr Rexrodt. Das wäre bei einer Erhöhung anderer Ver- denken auch darüber nach, ob wir die Erhöhung der Ta- brauchsteuern, beispielsweise bei der Mehrwertsteuer, die baksteuer möglicherweise in zwei Stufen vornehmen, um (B) Sie erhöht haben, oder gar bei der Einkommensteuer, ganz so die technischen Probleme bei der Umstellung der Zi- (D) anders. Was die Tabaksteuer anbelangt, liegen wir im un- garetten- und Automatenindustrie zu erleichtern. teren Bereich der inzwischen in Kraft getretenen EU- Richtlinie. Es gibt Länder, in denen Zigaretten sehr viel Wir wollen über diese Probleme in der Sitzung des Fi- teurer sind; denken Sie zum Beispiel an Großbritannien. nanzausschusses in der kommenden Woche in einem kleinen Expertengespräch noch einmal diskutieren und (Heidemarie Ehlert [PDS]: Es gibt auch Län- uns dann entscheiden, und zwar schnell, weil Eile gebo- der, in denen die billiger sind!) ten ist. Denn die Betroffenen haben ein Anrecht darauf, Im Übrigen möchte ich Sie von der 1998 abgewählten schnell zu erfahren, was ganz konkret auf sie zukommt, Regierungskoalition daran erinnern, dass Sie die Versiche- damit sie die notwendigen Umstellungen zum 1. Januar rungsteuer in Ihrer Regierungszeit viermal erhöht haben: 2002 noch einigermaßen rechtzeitig vornehmen können. von 5 Prozent auf 15 Prozent. Die Erhöhung der Ta- Ich sage es noch einmal: Wir erhöhen die Steuern auf baksteuer, die Sie vorgenommen haben, betrug 0,8 Pfen- Tabak und Versicherungen nicht gerne. Aber wir müssen nig pro Zigarette. Was sollen also die heutigen Krokodils- uns der Notwendigkeit beugen, die Maßnahmen zu finan- tränen? Ihre Kritik nimmt Ihnen niemand ab. zieren, die jetzt unerwartet auf uns zugekommen sind, die aber unabdingbar für die Sicherheit unserer Bürgerinnen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ und Bürger und für den erfolgreichen Kampf gegen den DIE GRÜNEN) Terrorismus geworden sind. Selbstverständlich haben wir mit der Tabak- und Ziga- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ rettenindustrie, mit der Versicherungswirtschaft und den DIE GRÜNEN – Dr. Günter Rexrodt [FDP]: zuständigen Gewerkschaften gesprochen, bevor wir unse- Das war eine Bürokratenrede!) ren Gesetzentwurf heute eingebracht haben. – Ich bin ja auch nicht im Wahlkampf wie Sie, Herr (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Die kannten Rexrodt. den noch nicht einmal! Die wussten nichts da- von!) (Susanne Kastner [SPD]: Herr Rexrodt hat eine Wahlkampfrede gehalten!) Natürlich sind diese Gesprächspartner von unserem Vor- haben nicht begeistert. Uns begeistert die Notwendigkeit dieses Vorhabens ja selbst nicht. Aber unsere Gesprächs- Vizepräsident Dr. h. c. : Das Wort partner haben uns gesagt, dass sie das Vorhaben ange- hat jetzt der Kollege Norbert Barthle von der CDU/CSU- sichts der heutigen Situation tolerieren können. Sie haben Fraktion. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001 18869

(A) Norbert Barthle (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Der Finanzminister glaubt, mit diesem finanzpolitischen (C) sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zu- Schnellschuss Haushaltslöcher stopfen zu können, ohne erst eine Vorbemerkung machen. Mir ist aufgefallen, dass dass die Menschen draußen im Land das in diesen aufge- heute, wo wir über Steuererhöhungen reden, auf der Re- regten Tagen merken. Das nenne ich schäbig. gierungsbank und in den Reihen der Koalition große (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Lücken klaffen. Offensichtlich will sich mit diesem neten der FDP) Thema niemand identifizieren. Offensichtlich mag der Herr Bundeskanzler keine Fernsehbilder von Sitzungen Meine Kollegin Gerda Hasselfeldt hat schon darge- sehen, in denen es um Steuererhöhungen geht. Das gibt stellt, wie unfair und unseriös der Herr Bundesfinanzmi- mir schon zu denken. nister mit dem Thema Steuererhöhung umgegangen ist. Innerhalb von 24 Stunden hat er sich fundamental (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- widersprochen. Auch der Herr Bundeskanzler meinte, neten der FDP – Susanne Kastner [SPD]: Das dieses Thema in seiner gestrigen Rede ausklammern zu ist doch Quatsch!) können. Auch dieses Vorgehen hat wenig Stil. Das muss Herr Kollege Poß ist heute Morgen als Speerspitze vor- man deutlich zur Sprache bringen. geschickt worden, um die jetzt anstehenden Steuererhö- (Susanne Kastner [SPD]: Von Stil verstehen hungen zu begründen. Dazu kann ich nur sagen – das kann Sie eine ganze Menge!) ich Ihnen nicht ersparen, Herr Kollege –: Nach Ihrer Rede weiß ich, warum Sie in Ihrem eigenen SPD-Landesver- – Ich denke schon. band als Bezirksvorsitzender abgemeiert wurden und (Detlev von Larcher [SPD]: Ja, ja!) auch auf der Regierungsbank keinen Platz gefunden ha- ben. Mir wird jetzt einiges klar. – Wie nennen Sie denn ein solches Vorgehen, wenn man sich während der Beratungen über die Steuern zuerst für (Detlev von Larcher [SPD]: Das möchten Sie die eigentlich richtige Aussage, man müsse Umschich- gerne! – Susanne Kastner [SPD]: Was erzählen tungen vornehmen, feiern und sich dann 24 Stunden spä- Sie denn da für Ungereimtheiten! – Joachim ter im Kabinett Steuererhöhungen absegnen lässt? Nen- Poß [SPD]: Ich bin noch nie abgemeiert nen Sie das tricksen, die Unwahrheit sagen oder lügen? worden!) Ich nenne das schäbig. Sie haben nur in einem Punkt Recht behalten, als Sie (Beifall bei der CDU/CSU) gesagt haben: Wir halten Kurs. In der Tat treffen wir in der heutigen Diskussion auf ein durchgängiges Gestaltungs- Man sollte an dieser Stelle darüber nachdenken, was es (B) merkmal rot-grüner Regierungspolitik, das sich mit eigentlich ist, das unseren Bundesfinanzminister dazu (D) Aktionismus und Arroganz beschreiben lässt. treibt, sich so zu verhalten. Wie groß sind eigentlich die Brocken, die er stemmen muss? Sie lassen sich gerade (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) einmal auf 3 Milliarden DM beziffern. Das sind Denn in Ihrem Gesetzentwurf heißt es unter Punkt B – Lö- 0,618 Prozent des Bundeshaushalts, der ein Volumen sung – ganz lapidar: von rund 485 Milliarden DM hat. Ein ehemaliger Ban- ker der Deutschen Bank würde Peanuts dazu sagen. Das Durch die Erhöhung der Tabaksteuer und der möchte ich nicht tun. Wer aber angesichts dieser Tatsa- Versicherungsteuer werden die notwendigen Ein- chen glaubt, trotz interner Umschichtungen könnten die nahmen zur Erhöhung der inneren und äußeren Si- geplanten Maßnahmen nicht mit Haushaltsmitteln fi- cherheit zur Verfügung gestellt. nanziert werden und müssten Steuern erhöht werden, Welche Auswirkungen dies auf die Konjunktur in der hat jeden politischen Gestaltungsanspruch aufge- Deutschland haben wird, welche psychologischen Folgen geben. dies für die Wirtschaft und die Verbraucher haben wird (Detlev von Larcher [SPD]: Und jetzt hören und wie die betroffenen Branchen mit den Steuererhö- wir konkrete Vorschläge!) hungen umzugehen haben werden, hat Sie nicht interes- siert. Das nenne ich arrogant. Im Grunde genommen ist der vorliegende Gesetzentwurf eine Bankrotterklärung der Finanzpolitik dieser Bundes- (Beifall bei der CDU/CSU – Detlev von regierung. Larcher [SPD]: Sie hören nicht zu!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- – Wir haben mit den Vertretern der von den Steuererhö- neten der FDP – Detlev von Larcher [SPD]: hungen betroffenen Branchen gesprochen. Nein, konkrete Vorschläge!) Während wir alle die besonnenen Reaktionen der Ame- – Herr Larcher, eines muss ich Ihnen noch sagen: Wir wis- rikaner auf den 11. September loben und insbesondere aus sen aufgrund der in den letzten Tagen veröffentlichten Ar- den Reihen der Grünen und der SPD-Linken die Befürch- beitsmarktdaten – selbst Herr Riester gibt es zu –, dass die tung zu hören war, Präsident Bush könnte „aus der Hüfte Zahl der Arbeitslosen auf über 4 Millionen ansteigen schießen“, handelt Rot-Grün genauso. Sie schießen fi- wird. Sie wissen genau, dass Sie die Bundeszuschüsse an nanzpolitisch aus der Hüfte. die Bundesanstalt für Arbeit um fast 3 Milliarden DM er- (Detlev von Larcher [SPD]: Was der miteinan- höhen müssen. Wäre Ihre Argumentation logisch und der vergleicht, das ist ja unglaublich!) stringent, müssten Sie auch dafür Steuern erhöhen. Aber 18870 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Norbert Barthle (A) das kann man offensichtlich durch Umschichtungen fi- Es ist zynisch, meine ich, in dieser Situation diese Pläne (C) nanzieren. Also, seien Sie einmal ehrlich und sagen Sie aus der Schublade zu ziehen und der staunenden Öffent- den Leuten, um was es geht! lichkeit zu präsentieren. (Detlev von Larcher [SPD]: Nun machen Sie Dass Sie die Steuermehreinnahmen nur zur Terror- mal konkrete Vorschläge! – Gegenruf des Abg. bekämpfung verwenden wollen, glaubt Ihnen ohnehin Dr. Günter Rexrodt [FDP]: Muss er doch gar niemand mehr; da können Sie tricksen und schönrechnen, nicht! – Detlev von Larcher [SPD]: Er kann for- wie Sie wollen. Selbst wenn der Zigarettenkonsum von dern und fordern und fordern!) derzeit 140 Milliarden Stück auf 120 Milliarden Stück zurückgehen sollte, fließen zusammen mit der zusätzli- Im Grunde genommen ist es auch falsch, diese Steuer- chen Mehrwertsteuer und der erhöhten Versicherung- erhöhungen isoliert zu betrachten. Isoliert betrachtet sind steuer deutlich mehr als 6 Milliarden DM in die Kassen es nur 1 Prozentpunkt mehr Versicherungsteuer und des Bundes. 4 Pfennige mehr pro Zigarette, aber die eigentliche Bot- schaft, die damit einhergeht, lautet ganz anders: Unser (Ingrid Holzhüter [SPD]: Sie haben doch ge- Sparhansel Eichel ist nicht länger der Sparminister, der er rade gesagt, dass es teurer wird!) ohnehin nie war; er ist jetzt Steuererhöhungsminister. Die überschüssigen Milliarden werden Sie verwenden, (Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der um Ihre Haushaltslöcher zu stopfen, die sich aus der lah- SPD) menden Konjunktur, aus der wieder steigenden Arbeitslo- sigkeit und aus Ihrer unseriösen Wirtschafts- und Finanz- Darin wird er sogar noch von Außenminister Fischer politik ergeben. unterstützt. (Detlev von Larcher [SPD]: Darauf kommen Sie (Dr. Günter Rexrodt [FDP]: Wer ist denn das ei- nur, weil Sie es 1991 so gemacht haben!) gentlich? – Detlev von Larcher [SPD]: Wirklich peinlich!) – Von wegen! Wir haben gestern seine Rede hier gehört. Darin stellte (Detlev von Larcher [SPD]: Ja! Nicht „von Herr Fischer die Frage, ob wir es uns denn angesichts der wegen“!) anstehenden Herausforderungen leisten können, weiter- Die Botschaft, die Herr Eichel aussendet, lautet klipp hin ein Niedrigsteuerland zu sein. Herr Fischer, erstens und klar: Weitere Steuererhöhungen drohen. Was sagen sind wir kein Niedrigsteuerland und zweitens lässt diese die Experten aus der Regierungskoalition dazu? Herr Aussage ahnen, wohin die Reise gehen soll. Metzger meinte, wir müssten wieder Wachstumsmotor in (B) (Beifall bei der CDU/CSU – Detlev von Europa werden, aber nicht mit Steuererhöhungen. Da hat (D) Larcher [SPD]: Ach du liebe Zeit!) er Recht. Aber dann knickt er in typischer Manier wieder ein und bezeichnet das als lässliche Sünde, als Ausnahme. Wenn diesem Finanzminister schon bei 3 Milliar- Frau Scheel, können Sie uns garantieren, dass das eine den DM nichts anderes einfällt, als die Steuern zu er- Ausnahme bleibt? Sind die Grünen so stark? Wir alle wis- höhen, ist die Frage: Wie wird das erst sein, wenn die He- sen es: Sie sind es nicht. rausforderungen größer werden? Der Kollege Poß von der SPD ist da schon etwas ehr- (Detlev von Larcher [SPD]: Und jetzt konkrete licher. In einem Schreiben an seine Fraktion behauptet er, Vorschläge!) dass die negativen konjunkturellen Effekte begrenzt und Der Golfkrieg hat unter dem Strich 17 Milliarden DM die Auswirkungen auf das Preisniveau überschaubar sind. gekostet. Darin hat er Recht. Diese Steuererhöhungen haben nega- tive konjunkturelle Effekte. Sie sind in der derzeitigen Si- (Joachim Poß [SPD]: 27 Milliarden DM laut tuation grundfalsch und werden die Krise verstärken. Finanzbericht 1997!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Die aktuelle Krise ist, meine ich, wesentlich gravierender. neten der FDP) Nebenbei bemerkt: Im kommenden Jahr steht Ihnen Das Statistische Bundesamt geht von einer um fast ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur Renten- 0,5 Prozentpunkte höheren Inflationsrate aus. Das hängt besteuerung ins Haus – mit einem geschätzten Steueraus- auch mit der Ökosteuererhöhung zusammen, die zum fall von roundabout 50 Milliarden DM. Ich bin gespannt, 1. Januar kommt. Sie entziehen den Bürgern 10 Milliar- was Ihnen dann einfällt. den DM Kaufkraft. Das wird sich auswirken. Sie haben es mit Umschichtungen, mit Sparen noch (Detlev von Larcher [SPD]: Ach du liebe nicht einmal versucht. Wie aus dem Finanzministerium zu Zeit!) hören ist, lagen die Pläne schon seit Monaten in den Schubladen. Sie haben sich bewusst eine Steuer ausge- Betroffen sind nicht nur die Raucher, die unter Ihrer Steuererhöhung leiden; betroffen ist auch die Branche der sucht, zu deren Erhöhung Sie keine Zustimmung des Bun- Versicherungswirtschaft, ist die Tabakindustrie, ist der desrats brauchen. Einzelhandel. Diese werden durch Ihren Schnellschuss (Detlev von Larcher [SPD]: Das ist ja so fies vor große Probleme gestellt. Mit der Erhöhung der Versi- von uns!) cherungsteuer bestrafen Sie genau die Menschen, die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001 18871

Norbert Barthle (A) verantwortungsvoll handeln, die, indem sie Versicherun- sagt, dass er 90 Prozent seines Gewinns darüber erwirt- (C) gen abschließen, vorsorgen anstatt zu konsumieren. Dabei schaftet. Er sieht sich vor existenzielle Probleme gestellt. haben wieder einmal die Autofahrer über die Kfz-Steuer (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Herr Larcher die Hauptlast zu tragen. macht den Mittelstand kaputt!) Auch die deutsche Wirtschaft wird erneut belastet. Die Mit dieser Verteuerung treffen Sie auch die Tabakwirt- Versicherungsteuer ist anders als zum Beispiel die Mehr- wertsteuer nicht vorsteuerabzugsfähig. Damit werden die schaft. Die von Herrn Eichel eingerechnete Reduzierung Produkte unmittelbar verteuert, die Mehrkosten unmittel- von 20 Milliarden Zigaretten pro Jahr entspricht in etwa bar an die Kunden weitergegeben. der Dimension der Jahresproduktion eines Werkes. Eines wird geschlossen werden, vielleicht in Berlin, vielleicht in (Detlev von Larcher [SPD]: Sie haben die Brandenburg oder vielleicht in Baden-Württemberg. Da- Mehrwertsteuer erhöht!) ran hängen Arbeitsplätze. Sie haben offensichtlich auch Das schadet nicht nur den Unternehmen in Deutschland, vergessen, dass es in Baden-Württemberg und in anderen sondern das vergrößert auch die schon bestehenden Stand- Bundesländern Tabakbauern gibt. Allein in meiner Hei- ortnachteile weiter. mat sind 1 900 Arbeitsplätze gefährdet. Die Steuer ist in kaum einem anderen Land so hoch wie (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – in Deutschland. In der EU sind wir, was die Höhe der Ver- Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sicherungsteuer angeht, einsame Spitze. NEN]: Nach dieser Logik müssten wir die Steu- ern senken, damit mehr geraucht wird!) (Detlev von Larcher [SPD]: Deswegen haben wir sie ja entscheidend gesenkt, was Sie nicht Lassen Sie mich zum Abschluss anmerken: Wenn Sie fertig gebracht haben!) schon meinen, die Mehrkosten durch Steuererhöhungen erwirtschaften zu müssen, dann frage ich Sie, weshalb Sie Mein Kollege Peter Rauen hat, Herr von Larcher, allein die Lasten nur von einer Gruppierung tragen lassen. für seinen Betrieb in der Baubranche Mehrkosten von über 2 200 DM errechnet. (Detlev von Larcher [SPD]: Also was soll ge- macht werden?) (Joachim Poß [SPD]: Der konnte noch nie rechnen!) Wenn es um die Stärkung der inneren Sicherheit geht, dann ist das doch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Jede weitere Steigerung würde die schon bestehende Ge- Es wäre doch fairer, ehrlicher und gerechter, wenn zu die- fahr erhöhen. Es wird Ausweichstrategien geben und es ser Finanzierung die gesamte Bevölkerung und nicht nur wird sicherlich zu einer Neubewertung der Risiken kom- eine einzige Gruppe herangezogen würde. Das ist nicht (B) men. Das kann doch nicht Ihr Ziel sein, meine Damen und korrekt. (D) Herren von der Koalition. Überlegen Sie also in Ruhe und stoppen Sie diesen unproduktiven, schädlichen Schnell- (Detlev von Larcher [SPD]: Also die Mehr- schuss! wertsteuer erhöhen! Und die ist konjunkturell nicht wirksam?) (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Besonnen!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Kommen Für die Tabakindustrie und für den Einzelhandel gilt Sie bitte zum Schluss. Gleiches. Auch dort haben Sie nicht an die Folgen ge- dacht. Für Sie ist es eine Kleinigkeit, die Tabaksteuer um 30 Prozent zu erhöhen. Nach Aussage eines Betroffenen Norbert Barthle (CDU/CSU): Offensichtlich ist das ist das die höchste Steuererhöhung, seit Christoph Ihre Strategie. Vielleicht sollten Sie auf den Zigaretten- Kolumbus dieses Kraut nach Europa gebracht hat. schachteln künftig aufdrucken lassen: Rauchen gefährdet Ihre Gesundheit, doch mit jeder Zigarette unterstützen Sie (Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der Ihre innere Sicherheit. – Das ist, wie Herr Westerwelle ge- SPD) sagt hat, gaga. An dem Ganzen hängt ein Rattenschwanz von Proble- Danke. men. Eines der Hauptprobleme besteht für die Tabakwa- rengroßhändler und für die Automatenaufsteller. Seit die- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sem Frühjahr werden 830 000 Automaten in Deutschland auf die Annahme von Euromünzen umgerüstet. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die (Detlev von Larcher [SPD]: Darüber habe ich Bundesregierung spricht jetzt die Parlamentarische ja gesprochen!) Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks. – Eben. – Schon diese Umstellung war eine enorme logis- tische Leistung. Die jetzige Erhöhung auf 3,50 Euro ver- Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim teuert nicht nur die Schachtel Zigaretten um knapp 1 DM, Bundesminister der Finanzen: Herr Präsident! Meine Da- sondern sie stellt auch die Automatenhersteller vor unlös- men und Herren! Wir waren uns in diesem Hause frakti- bare Probleme. Ein Großteil der Automaten wird von klei- onsübergreifend einig, dass wir national und international nen und mittleren Familienunternehmen betrieben. Ein Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus ergreifen Tabakwarenhändler aus meinem Wahlkreis hat mir ge- müssen. Offenbar hört eine Seite dieses Hauses auf, 18872 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks (A) Verantwortung für dieses Land zu übernehmen, wenn es wir auch im Interesse zukünftiger Generationen keine (C) ein bisschen unangenehm wird. weitere Neuverschuldung zulassen wollten. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN) Wir sind bereit, auch für die etwas unangenehmeren Wir halten das für nicht verantwortbar. Seiten Verantwortung zu tragen. Das gehört dazu, weil wir an der Regierung sind. Sie von der rechten Seite dieses In den acht Jahren der Clinton-Administration ist in Hauses mögen aber bitte nicht behaupten, dass Sie in der den USA ein erheblicher Haushaltsüberschuss aufgebaut Lage sind, regierungsfähig zu sein. Sie sind es nicht. worden. Im Vergleich dazu ist festzustellen, dass der Bun- deshaushalt einen Schuldenstand von 1,5 Billionen DM (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ hat. Ich brauche nicht zu sagen, wo er herkommt. Wir wis- DIE GRÜNEN) sen es alle. Zur Regierungsfähigkeit gehört die Übernahme der ge- (Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Seit drei Jah- samten Verantwortung. Dazu gehört auch, den Bürgerin- ren sind Sie an der Regierung!) nen und Bürgern zu sagen, dass die Erhöhung der inneren und äußeren Sicherheit durch öffentliche Schutzmaßnah- Aus Ihrer Richtung wird natürlich immer wieder gesagt, men hergestellt werden muss. wir sollten aufhören, darüber zu reden. Es ist Ihnen unan- genehm. Der Schuldenstand von 1,5 Billionen DM be- (Susanne Kastner [SPD]: Wo ist eigentlich der deutet aber, dass wir 82 Milliarden DM Zinsen im Jahr zu Rexrodt?) zahlen haben. Hätten wir diese zur Verfügung, bräuchten Infolgedessen müssen öffentliche Gelder bereitgestellt wir auch keine Steuern zu erhöhen. werden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Öffentliche Gelder können – das ist schon der Defini- DIE GRÜNEN) tion nach so – keine privaten Gelder sein. Wir haben also Diese 82 Milliarden DM Zinsen werden wir auch in Zu- logischerweise einen höheren Finanzbedarf. Wir bitten kunft noch leisten müssen. die Bürgerinnen und Bürger mit diesem Gesetzentwurf – wir haben ihn nicht heimlich oder versteckt auf den Weg (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Wollten Sie gebracht, wie es uns gerade vorgeworfen worden ist – da- die deutsche Einheit nicht haben?) rum, einen Beitrag zur Erhöhung der inneren Sicherheit zu leisten, die ihnen notwendigerweise zugute kommt. – Herr Dautzenberg, hören Sie doch auf! Natürlich woll- Wir haben gar keine andere Wahl, als alle Maßnahmen zu ten wir die deutsche Einheit. (B) ergreifen, die wir für notwendig erachten. Wir sind nicht (Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Ihnen war doch (D) sicher, ob sie ausreichend sind. Wir können die Bedro- jede Mark, die wir ausgegeben haben, zu we- hungen, die vielleicht noch auf uns zukommen, nicht nig!) recht ermessen. Nach bestem Wissen und Gewissen tun wir jetzt alles, was wir tun können. Wir müssen diesen Zinsendienst leisten. Es lässt sich nun einmal nicht ändern. Deswegen werden Sie sich auch noch etwas länger, nämlich so lange, wie wir diesen Zin- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau Kol- sendienst zu leisten haben, mit dieser unangenehmen Tat- legin Hendricks, erlauben Sie eine Zwischenfrage des sache konfrontiert sehen müssen. Wir haben eben keinen Kollegen Schauerte? Spielraum im Haushalt. Es tut mir Leid, dass ich Ihnen das noch einmal sagen muss. Ich will Sie ja gar nicht persön- Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim lich beleidigen, Sie dürfen es aber auch nicht vergessen. Bundesminister der Finanzen: Ja, bitte. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Gerda Hasselfeldt [CDU/ Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr CSU]: Was hat das mit der Wachstumslücke zu Schauerte, bitte. tun?) Es wurde eben davon gesprochen, die Grünen hätten Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Frau Staatssekretä- gesagt, es müsse alles abgebaut werden und es stehe in de- rin, unter diesen fürchterlichen Terroranschlägen haben ren Wahlprogramm, die Ausgaben für die innere Si- die Amerikaner am heftigsten gelitten und noch zu leiden. cherheit zu verringern und den ganzen Verfassungsschutz Deutschland ist ungefähr in gleicher Weise betroffen wie abzubauen. Dazu möchte ich feststellen: Mir liegt eine ak- die anderen europäischen Nationen auch. Die Belastung tuelle Vorlage aus dem Haushaltsreferat des Bundes- dürfte in etwa gleich sein. Können Sie mir erklären, innenministeriums vor. warum Deutschland in dieser Situation weltweit das ein- (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist ein Grü- zige und damit logischerweise auch das erste Land ist, nen-Programm!) welches, bevor irgendetwas anderes beschlossen worden ist, Steuererhöhungen festlegt? Seit 1996 hat es ein Abbau- und Strukturprogramm beim Bundesamt für Verfassungsschutz gegeben. Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim (Lothar Mark [SPD]: Das haben Sie von der Bundesminister der Finanzen: Dies haben wir getan, weil CDU/CSU beschlossen!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001 18873

Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks (A) Die Zielvorstellung lautete, 500 Stellen einzusparen, dass man sie leicht durch eine Umschichtung im Bundes- (C) 20 Prozent des gesamten Stellenbedarfs. Dies lag – wenn haushalt hätte aufbringen können. ich das richtig im Kopf habe – in der Verantwortung un- (Joachim Poß [SPD]: Ja, genau! Sehr logisch!) seres ehemaligen Kollegen Kanther. Wenn man nur ein bisschen logisch damit umgeht, (Joachim Poß [SPD]: Ah, der Herr Kanther! Wo muss man doch sagen: ist er denn? Er taucht nur im Untersuchungs- ausschuss auf! Dort ist er Repräsentant der (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Der Bundes- Union! – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Fragen kanzler redet immer von Psychologie!) Sie einmal, wie viele Stellen Sie in der Zollver- Einerseits stehen die 3 Milliarden DM im Verhältnis zum waltung einsparen!) Bundeshaushalt in Höhe von 485 Milliarden DM. – Ja, der Herr Kanther, genau. (Ulrich Heinrich [FDP]: Das ist ein weiterer Es war vorgesehen, ab1993 beim Bundesgrenzschutz falscher Schritt nach den anderen falschen 760 Planstellen einzusparen. Auch dies lag in der Verant- Schritten, die vorangegangen sind!) wortung von Kanther bzw. seines Vorgängers. Im Bun- Andererseits stehen die 3 Milliarden DM im Verhältnis deskriminalamt sollten – auch seit 1993 – 252 Planstellen zum gesamten Bruttoinlandsprodukt. Diese Relation ist eingespart werden. Diese vorgesehenen Einsparungen sehr viel geringer als das Verhältnis zum Bundeshaushalt. sind noch nicht alle realisiert worden. Nach meinem Trotzdem soll eine Umschichtung im Bundeshaushalt Kenntnisstand hat der Bundesinnenminister angewiesen, ganz einfach sein, bezüglich des Bruttoinlandsprodukts den vorgesehenen Abbau, der während Ihrer Regierungs- aber soll die Steuererhöhung Verwüstungen anrichten. verantwortung eingeleitet worden ist, jetzt zunächst ein- mal zu stoppen. (Joachim Poß [SPD]: Nein!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Irgendwann müssen Sie sich einmal entscheiden, welche DIE GRÜNEN – Joachim Poß [SPD]: Ich wuss- Argumentationslinie Sie aufrechterhalten wollen. te gar nicht, dass Herr Kanther so für die innere (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Christine Sicherheit war! – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das haben wir seriös und flächendeckend ein- geführt!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau Kol- Das ist also nicht dieser Bundesregierung anzulasten. Im legin Dr. Hendricks, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Gegenteil: Wir stoppen den vorgesehenen Abbau. Das ist Kollegin Bonitz? natürlich angesichts der jetzigen Sicherheitslage auch (B) notwendig. (D) Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim (Detlev von Larcher [SPD]: Bei der Bundes- Bundesminister der Finanzen: Ja, bitte. wehr ist es das Gleiche!) Herr Rexrodt hat eben mitgeteilt, dass er nicht mehr an- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau wesend sein könne, weil er – er ist ja im Wahlkampf – zu Bonitz, bitte. einer Pressekonferenz müsse. Ich habe Verständnis dafür, dass er jetzt nicht mehr da ist. Ich hatte Gelegenheit, vor Beginn dieser Plenarsitzung gemeinsam mit Herrn Sylvia Bonitz (CDU/CSU): Frau Staatssekretärin, die Rexrodt eine Viertelstunde im Sender Phoenix zu disku- Steuermehreinnahmen in Höhe von 3 Milliarden DM sol- tieren. Ich hatte gedacht, er sei, noch aufnahme- und lern- len ja zur Finanzierung zusätzlicher Sicherungsmaßnah- fähig. men verwandt werden. Beabsichtigt denn die Bundes- regierung, möglicherweise darüber hinausgehende (Lothar Mark [SPD]: War der noch nie!) Steuermehreinnahmen, die den Betrag von 3 Milliar- Er hat aber den gleichen Unsinn, den er im Sender Phoe- den DM übersteigen, auch für zusätzliche Sicherungs- nix gesagt hat, hier wiederholt. maßnahmen zur Verfügung zu stellen, oder würden diese in den allgemeinen Haushalt zur Schuldentilgung fließen? (Detlev von Larcher [SPD]: Immer wieder!) Wir haben Argumente ausgetauscht und ich dachte, es sei Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim etwas hängen geblieben. Aber es nützt ja nichts. Dabei ist Bundesminister der Finanzen: Frau Kollegin Bonitz, für das nur eine Viertelstunde vorher gewesen. das Jahr 2002 erwarten wir tatsächlich Steuermehrein- (Zuruf von der FDP: Sie waren nicht überzeu- nahmen in der Größenordnung von 3 Milliarden DM. Natürlich gibt es da gewisse Schätzunsicherheiten. Es ist gend genug! – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/ richtig, dass in den Folgejahren aufgrund sich wieder än- DIE GRÜNEN]: Das ist bei der FDP hoff- dernden Verbraucherverhaltens beim Rauchen etwas nungslos!) mehr Steuern eingenommen werden könnten. Es ist wirklich problematisch: Auf der einen Seite be- (Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: wegt sich diese Steuererhöhung nach Argumentation von- 4 Milliarden DM!) seiten der Union und der FDP in einer solchen Größen- ordnung, dass sie die ganze Konjunktur zerstört. Auf der Aber das ist nicht sicher, weil man nie genau weiß, wie anderen Seite handelt es sich um solch geringe Beträge, sich das Verbraucherverhalten entwickeln wird. 18874 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks (A) In den Folgejahren wird der Haushaltsgesetzgeber, sekretär beim Innenminister, der den Aspekt der inneren (C) also die Mehrheit dieses Hauses – vielleicht auch das Sicherheit abdeckt, und durch die Parlamentarische ganze Haus zusammen; das erwarte ich aber eher nicht –, Staatssekretärin beim Wirtschaftsminister, die die Frage zu entscheiden haben, wie mit den Finanzmitteln umzu- möglicher konjunktureller Wirkungen abdeckt sowie gehen ist. Alle Steuereinnahmen – alle, nicht nur diese – durch die Parlamentarische Staatssekretärin bei der Bun- fließen immer in den Einzelplan 60. Aus diesem werden desministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und sie zum Ausgeben in die verschiedenen Einzelpläne trans- Entwicklung, die die internationale Entwicklungszusam- poniert, die in der Verantwortung des Haushaltsgesetzge- menarbeit abdeckt. Im Übrigen bitte ich Sie, sich weiter- bers liegen. Wenn es dann notwendig sein sollte, noch hin auf mich zu verlassen. weitere Maßnahmen zur Erhöhung der inneren und äuße- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ren Sicherheit vorzunehmen, wird der Haushaltsgesetz- DIE GRÜNEN) geber das tun. Wir haben also wirklich sehr überschaubare Steuer- (Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Dann er- erhöhungen vorgeschlagen. Folgendes möchte ich noch höhen Sie die Steuern noch einmal!) einmal sagen: Die Anhebung der Versicherungsteuer um Wenn dann andere Aufgabenbereiche vordringlicher zu einen Prozentpunkt bedeutet für eine normale Familie, sein scheinen, wird sich der Haushaltgesetzgeber diesen dass sie im gesamten Jahr – ich wiederhole: pro Jahr – zuwenden. etwa 15 DM mehr bezahlen muss. (Detlev von Larcher [SPD]: Aber dafür Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau 4 000 DM weniger Steuern!) Hendricks, erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage der Wenn Herr Rauen sagt, das werde ihn 2 200 DM kosten, Kollegin Dr. Höll von der PDS-Fraktion? dann müsste er – ich überschlage das einmal kurz im Kopf (Zuruf von der SPD: Ist jetzt Regierungs- – in seinem mittelständischen Bauunternehmen Versiche- befragung?) rungspolicen in einer Größenordnung von 500 000 DM haben. Das halte ich eher für unwahrscheinlich. Ich glaube vielmehr, dass Herr Rauen hier – wie schon des Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim Öfteren – falsch gerechnet hat. Bundesminister der Finanzen: Ja, bitte. (Zuruf von der CDU/CSU: Sie wissen wohl nicht, was die Versicherung für einen Baukran kostet! – Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte schön. Detlev von Larcher [SPD]: Wenn er so hohe Po- (B) licen hat, dann kann er es auch bezahlen!) (D)

Dr. Barbara Höll (PDS): Frau Staatssekretärin, es – Wenn sein Unternehmen ein so großes mittelständisches freut uns natürlich, dass Sie uns hier mit Ihrer Fachkom- Unternehmen ist, dass es Versicherungen in einem so petenz die Meinung der Regierung kundtun. Trotz allem großen Umfange braucht, dann ist es auch im Hinblick auf habe ich die Frage, wo die Ministerinnen und Minister der die Belastungen nicht so problematisch. Regierung sind. Denn wir befinden uns in der Kerndebat- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Christine tenzeit und debattieren die doch sehr grundlegende Frage Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) der Finanzierung des Antiterrorprogramms. Wir meinen, bei einem solch wichtigen politischen Thema in der Kern- Ich bitte einfach darum, zu versuchen – – debattenzeit wäre eine Präsenz von Ministerinnen und Ministern doch angebracht. Deshalb stelle ich Ihnen Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Entschul- diese Frage. Dies hat nichts mit Ihrer Fachkompetenz und digen Sie, Frau Kollegin Hendricks. – Herr Göhner, ich Ihrer Stellungnahme in dieser Debatte zu tun. habe bereits viele Zwischenfragen zugelassen. Heute ist Freitag und die Debatten werden sich bis in den Nachmit- tag hineinziehen. Viele Kolleginnen und Kollegen wollen Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister der Finanzen: Frau Kollegin Höll, gerade nach Hause. Daher bitte ich, auf Zwischenfragen zu ver- weil ich Sie schätze, verwundert es mich, dass Sie diese zichten. Frage, die eben schon aus den Reihen der anderen Seite (Ulrich Heinrich [FDP]: Das ist aber schade! dieses Hauses gestellt wurde, noch einmal stellen. Das war jetzt sehr interessant!) (Beifall des Abg. Detlev von Larcher [SPD]) Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim Ich weiß, dass die Ministerinnen und Minister ihren Bundesminister der Finanzen: Herr Präsident, ich fasse Dienstgeschäften nachgehen. Ich weiß natürlich nicht mich jetzt kurz und nehme die Zeit nicht mehr weiter in – jedenfalls nicht von allen –, wo sie dies tun. Vom Bun- Anspruch. desfinanzminister weiß ich, dass er sich zurzeit in Argen- tinien befindet, und zwar zu politischen Gesprächen mit Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, sich zu über- dem dortigen Finanzminister, dem Staatspräsidenten, dem legen, ob die Verantwortung teilbar ist. Angesichts der Notenbankpräsidenten und anderen. Die Bundesregie- Tatsache, dass man für die Sicherheit der Bürgerinnen und rung ist vertreten durch den Parlamentarischen Staats- Bürger mehr tun muss, als bisher notwendig zu sein Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001 18875

Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks (A) schien, sollte eigentlich das ganze Haus in der Lage sein, völlig falsches wirtschaftspolitisches Signal aus, mit (C) auch den zweiten Teil der Verantwortung zu übernehmen. dem eine weitere Verunsicherung einhergeht. Im Übrigen führt dies zu einer Erhöhung der Staatsquote. Herzlichen Dank. (Detlev von Larcher [SPD]: Und jetzt kommt (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Ihr konkreter Vorschlag! Sie sind doch verant- DIE GRÜNEN) wortungslos!) Das ist eine falsche Politik, die wir nicht mittragen wer- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als den. Das werden wir in den nächsten Wochen auch bei nächster Redner hat der Kollege Klaus-Peter Willsch von vielen Diskussionen in unserem Lande deutlich machen. der CDU/CSU-Fraktion das Wort. Vielen Dank. (Detlev von Larcher [SPD]: Das ist der Letzte!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): Herr Präsident! Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau schließe die Aussprache. Staatssekretärin, ich war schon einigermaßen überrascht, Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs als ich am 19. September nach einer dreistündigen De- auf Drucksache 14/7062 an die in der Tagesordnung auf- batte, in der wir einvernehmlich feststellten, dass wir der geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu ander- Bedrohung durch den Terrorismus gemeinsam wider- weitige Vorschläge? – Das ist offenkundig nicht der Fall. stehen müssten, die geheimen Steuererhöhungspläne der Dann ist die Überweisung so beschlossen. Regierung auf dem Weg zum Flughafen im Radio hörte. Das war schon ein starkes Stück. Ich bin ja sehr dafür, dass Ich rufe den Tagesordnungnungspunkt 17 auf: man in militärischen Angelegenheiten nicht alles offen zu Markte trägt. Aber dass man Steuererhöhungen wie ge- Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- heime Kommandosachen behandelt, halte ich für sehr un- richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno- gewöhnlich. Damit kündigen Sie die Gemeinsamkeit auf, logie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord- die wir an jenem Tag gemeinsam bekundeten. neten Dagmar Wöhrl, Christian Schmidt (Fürth), Wolfgang Börnsen (Bönstrup), weiterer Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) neter und der Fraktion der CDU/CSU Man hat einfach den Eindruck – das kann man ange- Strukturpolitische Verantwortung für Bundes- (B) sichts der Wirtschaftsdaten, die Sie zu verantworten ha- wehrstandorte übernehmen, die die Bundes- (D) ben, durchaus verstehen –, dass Sie auf eine Gelegenheit regierung schließen oder verkleinern will gelauert haben, eine Steuer zu erhöhen, – Drucksachen 14/5550, 14/6930 – (Lachen des Abg. Detlev von Larcher [SPD]) Berichterstattung: und die Gelegenheit sofort ergriffen haben, weil Sie das Abgeordneter Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Gefühl hatten, dass es mit dieser Begründung keinen Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die großen Protest geben werde. Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre (Detlev von Larcher [SPD]: 1991!) keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Sie wissen, dass Ihnen die Zahlen in diesem Jahr ab- Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der schmieren. Bei der Arbeitslosigkeit werden Sie zum Jah- Kollege Christian Müller von der SPD-Fraktion das Wort. resende bei 4 Millionen liegen, beim Wachstum werden Sie deutlich unter 1 Prozent liegen, bei der Preissteige- Christian Müller (Zittau) (SPD): Herr Präsident! rung werden Sie deutlich über 2 Prozent liegen, bei den Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dies ist wohl die Sozialversicherungsbeiträgen werden Sie deutlich über vorerst letzte Debatte zu dem Thema, das wir hier bereits 40 Prozent liegen; die nächste Erhöhungsrunde ist durch im März behandelt haben. Lassen Sie mich daher zuerst die AOK in Bayern schon angekündigt worden. Das ist noch einmal unterstreichen: Es ist für keine Region leicht, die miserable wirtschaftspolitische Bilanz, die Sie zu mit den Folgen eines tief greifenden Strukturwandels, vertreten haben. Nun wollen Sie auch noch mittels eines gleich welcher Art, fertig zu werden. Dazu liegen be- Vorzieheffektes – das sage ich mit Blick auf die Erhöhung kanntlich aus den letzten zehn Jahren, nicht zuletzt in den der Tabaksteuer, weil die Leute in diesem Jahr noch bun- ostdeutschen Regionen, aber eben nicht nur dort, um- kern – versuchen, Ihre Bilanz zu schönen. Das ist nicht der fangreiche Erfahrungen vor. Das gilt natürlich auch für richtige Weg. die Folgen einer Schließung von Bundeswehrstandorten. Die Berichte von BMWi und BMVg, die im Ausschuss Wir halten es für psychologisch völlig abwegig, dass vorgelegen haben, haben uns meiner Meinung nach ge- Sie angesichts einer Bedrohung, hinsichtlich derer andere zeigt: Strukturpolitische Verantwortung hat bei dem jetzi- sich Gedanken machen, wie sie Zeichen von Optimismus gen Standortkonzept eine wichtige Rolle gespielt. aussenden und der Bevölkerung deutlich machen können, dass es sich zwar um eine ernste Gefahr handele, die aber (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Herr Kol- beherrscht werde, als Erstes daran denken, in kleinkräme- lege, das darf doch nicht wahr sein! Das gibt es rischer Manier Steuern zu erhöhen. Damit senden Sie ein ja nicht!) 18876 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Christian Müller (Zittau) (A) Es gibt keinen Zweifel: Konversion führt in der Regel um dem erkennbaren Mangel in der Zusammenführung (C) zu strukturpolitischen Herausforderungen. Insofern steht der verschiedenen raumwirksamen Politiken des Bundes Konversion in einer Reihe mit den Folgen von Globali- und der Länder zu begegnen. sierung an sich, dem überregionalen Wettbewerb der Standorte, der im Zuge der Europäischen Wirtschafts- und Natürlich müssen wir die wirksamen Instrumente auch Währungsunion eine Beschleunigung erfahren hat, dem finanziell leistungsfähig halten und Förderprogramme Strukturwandel im ländlichen Raum, der Umorientierung besser aufeinander abstimmen. Die Mittelausstattung der Agrarpolitik und der noch nicht vollendeten Behe- wird allerdings dort an Grenzen stoßen, wo die Haus- bung der strukturellen und wirtschaftlichen Defizite in haltslage des Bundes und der Länder mehr Mittel nicht Ostdeutschland. Im Übrigen dürfen wir einen weiteren zulässt. Schub des Strukturwandels in der Folge der Erweiterung Sinnvoll sind nach wie vor Umschichtungen von kon- der Europäischen Union erwarten. sumtiven zu investiven Ausgaben und der Übergang von Keines dieser Probleme tritt für sich alleine auf. Folg- strukturkonservierenden zu strukturverbessernden Maß- lich sind sie auch nicht durch die isolierte Auflage einzel- nahmen. Derartige Ansätze stehen selbst dann noch zur ner Sonderprogramme behebbar. Vielmehr haben wir die Verfügung, wenn wir Haushaltskonsolidierung als bewährten Instrumente zu nutzen und zu verstärken, über ein wesentliches Prinzip unserer Politik festschreiben die wir verfügen können. müssen. Natürlich ist die Frage, ob gerade die schwächsten Re- (Beifall bei der SPD) gionen den Strukturwandel aus eigener Kraft zuwege Mehr Klarheit in Förderprogrammen und die Beseitigung bringen, sehr berechtigt. Deswegen halten wir es für sinn- von Parallelförderungen und Überschneidungen können voll, dass Bund und Länder eine verstärkte Verantwortung ebenfalls einen Beitrag dazu liefern. für Moderation, Koordinierung und Begleitung des Struk- turwandels in den Regionen übernehmen. Derartige An- Es sollte doch wohl deutlich genug sein: Nicht neue sätze haben wir bereits in der jüngsten Zeit in unseren di- Programme sind der notwendige Lösungsansatz zur Be- versen europapolitischen Anträgen zum Ausdruck wältigung des Strukturwandels, sondern die bessere gebracht. Koordinierung unserer bewährten strukturpolitischen In- strumente. Deswegen kann der noch immer im Raum ste- Wir verfügen über eine bewährtes strukturpolitisches henden Forderung nach einem gesonderten Konversions- Instrumentarium, das wir zur Anwendung bringen kön- programm so nicht zugestimmt werden. nen. Ich erwähne in diesem Zusammenhang noch einmal ausdrücklich alle bekannten Gemeinschaftsaufgaben, (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das sagen natürlich an erster Stelle die Gemeinschaftsaufgabe „Ver- Sie gegen Ihr eigenes Wissen!) besserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“. Es ist also (B) Erinnert werden soll außerdem noch einmal an die Er- (D) nicht erforderlich, Neues zu erfinden. Wir sollten viel- höhung des Anteils der Länder am Mehrwertsteuerauf- mehr darauf achten, dass uns bewährte, bundesweit gül- kommen von 35 auf 37 Prozent, wobei 2 Prozent für Kon- tige und regelgebundene Systeme wie eben insbesondere die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen version verwendet werden können, und auch daran, dass Wirtschaftsstrukturen“ nicht abhanden kommen. die Länder die Möglichkeit erhielten, Mittel aus der Er- höhung des Mehrwertsteuersatzes von 14 auf 15 Prozent In diesem Zusammenhang darf erwähnt werden, dass zusätzlich für diese Zwecke einzusetzen. die Ministerpräsidenten der Länder im Zuge der Verhand- lungen zum Länderfinanzausgleich ihren Willen zur Ab- Ingesamt stehen noch immer, neben den Instrumenten schaffung der Gemeinschaftsaufgaben bekundet haben. der Gemeinschaftsaufgabe, 39 Milliarden DM für Kon- Wir werden also in den nächsten Jahren erheblich darüber version zur Verfügung. Diese Mittel sind nicht gestrichen nachzudenken haben, wie dies mit den vorhandenen worden. Erkenntnissen zusammenpasst, dass durch den sich be- Hinsichtlich der hier zur Debatte stehenden wirtschaft- schleunigenden Impuls zum Strukturwandel der regional- lichen Folgen der Schließung von Bundeswehrstandorten politische Handlungsbedarf zunimmt, während Hand- werden wir uns – das ist im Wirtschaftsausschuss so ver- lungsmöglichkeiten und Instrumente, natürlich auch in einbart worden – zu Beginn des nächsten Jahres von der der Folge des Wirkens der Kommission in Brüssel, ab- Bundesregierung einen aktuellen Bericht geben lassen nehmen bzw. zunehmend begrenzt sind. und uns auf seiner Grundlage dann mit diesem sehr wich- Darüber hinaus geht es nach wie vor darum, diese be- tigen Thema weiter auseinander setzen. währten Förderinstrumente in Brüssel beihilferechtlich Vielen Dank. abzusichern. Wir unterstützen deshalb ausdrücklich alle Bemühungen der Bundesregierung, in einer vernünftigen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / Interpretation des Subsidiaritätsprinzips Spielräume für DIE GRÜNEN) eigenes Handeln zu behalten bzw. wiederzugewinnen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als DIE GRÜNEN) nächster Redner hat der Kollege Wolfgang Börnsen von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. Erfolge bei der Regionalentwicklung – also auch in der Folge der Konversion – werden sich am ehesten durch eine vernünftige regionale Koordinierung auf Projekt- Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Herr ebene erreichen lassen. Dies dürfte der richtige Weg sein, Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kolle- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001 18877

Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (A) gen! Ich möchte es trotz der sachlichen Rede von Gegenüber den neuen Ländern wird das Wort gebrochen. (C) Christian Müller noch einmal klarstellen: Es gibt keine Auch hier schafft man jetzt soldatenfreie Zonen. Sondermittel für die Konversion. 47 Prozent, also fast 50 Prozent, aller betroffenen Bun- (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Leider deswehrstandorte befinden sich in benachteiligten Regio- Gottes!) nen. Über 55 000 Dienstposten sollen hier nach dem Wil- len des Verteidigungsministers abgezogen werden – hier, Deshalb haben auch die SPD-Bundesländer ein eigenes wo die Arbeitslosigkeit überdurchschnittlich hoch ist. Konversionsprogramm beantragt und sind von ihrer For- Aber einen fairen Ausgleich für die neuen, unverschulde- derung noch nicht zurückgetreten. ten Verluste soll es nach Auffassung der Regierung nicht Mit dem 11. September 2001 hat sich die Sicherheits- geben: weder für fehlende Kaufkraft noch für Defizite bei lage weltweit, auch bei uns, radikal geändert. Die zusätzli- den Einrichtungen bei der Daseinsfürsorge von Schulen chen Risiken machen vielen Menschen Angst und verant- über Kindergärten bis hin zu Schwimmbädern. Auch wortliche Politik hat darauf zu reagieren. Unser Land tut staatliche Aufträge für die regionale Wirtschaft sollen es – und das weitgehend übereinstimmend –; das festigt bei nicht ersetzt werden. Es erfolgt ein Kahlschlag ohne neue vielen Bürgern ihren Glauben an unsere Demokratie. Aufforstung. Auf dem Prüfstand stehen bei uns seit dem Terroran- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hans- schlag besonders die Konzeptionen für die äußere wie Peter Repnik [CDU/CSU]: Verantwortungs- für die innere Sicherheit; hier ist in den vergangenen los!) Jahren gesündigt worden. Deshalb muss wenigstens jetzt Fast 40 Jahre waren Städte und Gemeinden gute Part- gehandelt werden. Das gilt für die Verstärkung der perso- ner der Bundeswehr. Sie werden jetzt mit ihren Sorgen al- nellen Sicherheit, das gilt für die Sicherheitstechnik, das lein gelassen. Dieser Vorgang ist einmalig in unserem gilt für den Umfang der Finanzmittel für mehr Sicherheit, Land. Bisher erfolgte Truppenreduzierungen wurden stets das gilt aber auch für das hier zur Diskussion stehende mit Sonderprogrammen begleitet: Anfang der 90er-Jahre Ressortkonzept des Verteidigungsministers. durch höhere Länderanteile an den Verbrauchsteuern und (Beifall bei der CDU/CSU) Mitte der 90er-Jahre durch mehr Mittel im Rahmen des Finanzausgleichs. Aber diesmal gibt es keine Direkthil- Die dramatischen und tragischen Bilder dieser Tage fen. Das ist fatal für die betroffenen Gebiete. zwingen zu folgenden Fragen: Ist der Rückzug der Bun- (Beifall bei der CDU/CSU) deswehr aus fast 100 Standorten wirklich verantwortbar? Ist die Aufgabe stragisch optimaler Standorte vertretbar? So bedeutet der Abzug von 1130 Dienstposten aus dem (B) Gehört nicht auch dieser Teil der Bundeswehrreform wie- historischen Bundeswehrstandort Schleswig – er liegt in (D) der auf den Prüfstand? Ich meine: ja. meinem Wahlkreis –, dass damit fast jeder zehnte Ar- beitsplatz in dieser Kreisstadt wegfällt und dass damit 61 000 Dienstposten sollen in kürzester Zeit abge- jährlich ein Kaufkraftverlust von 22 Millionen DM ein- schafft, 45 000 zivile Mitarbeiter weniger beschäftigt wer- tritt. Eine Alternative ist für diesen Raum aber nicht er- den. Auf über 100 000 Sicherheitskräfte will die Bundes- kennbar. Was für die Schleistadt gilt, trifft für fast alle der regierung trotz einer Weltlage verzichten, die durch einen 100 Standorte gleichfalls zu. unberechenbaren Terrorismus, durch Krieg und neue Ge- fahren für die gesamte Menschheit gekennzeichnet ist. Es Die Bundesregierung ist in diesem Zusammenhang an darf deshalb keine Reform im Handstreich geben. ihren Verfassungsauftrag zu erinnern. Nach Art. 72 und 106 unseres Grundgesetzes ist sie zur Schaffung gleich- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hans- wertiger Lebensverhältnisse verpflichtet. Durch nationale Peter Repnik [CDU/CSU]: Wolfgang, schau Bundesentscheidungen ist es zur Festlegung von Bundes- einmal, wo die Regierung ist!) wehrstandorten gekommen. Jetzt hat auch der Bund die – Die Regierung ist abgetaucht. Schade, dass sie bei die- Pflichten zu tragen, wenn das Vertragsverhältnis durch ser Debatte so schwach vertreten ist. ihn einseitig aufgekündigt wird. (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Wie im- (Beifall bei der CDU/CSU) mer!) Doch der Bund schleicht sich aus seiner Verantwor- Eine besonnene Aufbereitung des Ressortkonzeptes tung. Die Regierung empfiehlt den betroffenen Regionen, vor diesem Hintergrund ist ein Gebot verantwortlichen frühzeitig eine zivile Anschlussnutzung von Konversi- Handelns. Doch noch gibt es kein Signal für einen Stopp onsflächen zu planen. Gleichzeitig lehnt sie die Einräu- dieser vorhandenen Pläne und Programme; noch hält man mung von Vorzugskrediten rigoros ab. Das ist nicht fair. fest an der Ausdünnung der Bundeswehr; noch hält man Die Regierung empfiehlt, regionalpolitische Förder- fest am Abbau von Sicherheit. Deshalb möchte ich mich instrumente des Bundes zu nutzen. Gleichzeitig ist sie neben den grundsätzlichen Bedenken auch mit den aber nicht bereit, im Haushalt 2002 zusätzliche Mittel für Schwachstellen des aktuellen Ressortkonzeptes ausei- die Förderung der Regionalwirtschaft einzusetzen. Das ist nander setzen. Strukturschwache Regionen werden un- unverantwortlich. Doch da die Kassen leer sind, bleiben bei den Städten viele dieser Forderungen unerfüllt. Es verhältnismäßig hoch belastet. Bayern wird übermäßig werden keine Arbeitsplätze geschaffen und es erfolgt ausgedünnt. keine Wirtschaftsförderung. Die Finanzkraft vor Ort sinkt (Lachen bei der SPD) dramatisch. 18878 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (A) Auch der Bundesrat hat sich mit dieser konfliktrei- gion ausgegeben. Nein, Sie verteilten diese Mittel nach (C) chen Sachlage befasst. Er erwartet noch immer ein Kon- Einwohnerzahlen. So wurde Bayern mit einer damaligen versionsprogramm von der Bundesregierung. Nieder- unterproportionalen Anzahl von Standortschließungen sachsen ist dafür als Wortführer Anfang des Jahres überproportional begünstigt. eingetreten. Doch nichts ist daraus geworden. (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Gar nichts!) NEN]: So ist es! – Christine Scheel [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Die Regierung hat ihre Genossen vor Ort abblitzen lassen. Die fast 100 betroffenen Bundeswehrstandorte sind ohne Allerdings sind diese Mittel in Bayern kaum in die be- Hilfen geblieben. Was bleibt, ist ein Scherbenhaufen für troffenen Regionen geflossen. Das habe ich als Stadtrat die betroffenen Regionen, für die betroffenen Städte und von Hammelburg, einem Bundeswehrstandort, der von Gemeinden. Die Bürger haben bei diesem Ressortkonzept der Reduzierung stark betroffen war, bitter miterleben das Nachsehen. müssen. Erfolgreiche Landeskonversionskonzepte gab es dagegen in rot-grün-regierten Ländern, zum Beispiel in Herzlichen Dank. Nordrhein-Westfalen oder Brandenburg. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Also, meine Damen und Herren von der Union, wer heute so laut nach regionalen Konversionsmitteln ruft, der Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort muss sich an den eigenen Fehlleistungen der Vergangen- hat jetzt der Kollege Hans-Josef Fell vom Bündnis 90/Die heit messen lassen. Grünen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Kurt J. Rossmanith [CDU/ Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): CSU]: Sie wissen nicht, was Sie sagen!) Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch wenn die heute geplanten Reduzierungen bei der Eine Bundeswehrreform ist notwendig. Ich denke, Herr Bundeswehr den Umfang der vergangenen Standort- Börnsen, darüber sind wir uns alle einig. Oder meinen Sie, schließungen bei weitem nicht erreichen, so sind aus der man bräuchte keine Modernisierung, da Sie eine solche Sicht von Bündnis 90/Die Grünen die betroffenen Regio- Bundeswehrreform abgelehnt haben? nen dennoch nicht alleine zu lassen. Ihre Vorschläge, Eine Reform der Bundeswehr – notwendig auch deshalb, meine Damen und Herren von der Union, können wir aber um sie den jetzigen Aufgaben gerecht werden zu lassen – nicht mittragen, da Sie wie immer keine Vorstellungen ha- kann angesichts der aktuellen schwierigen Haushaltslage ben, wie Ihre Wünsche finanziert werden sollen. (B) nur durch eine Verkleinerung der Mannschaftsstärke Wir empfehlen den betroffenen Kommunen, zunächst (D) verwirklicht werden. Eine solche Verkleinerung hat die Chancen, die in einer Standortschließung liegen kön- zwangsläufig die Reduzierung der Zahl von Bundeswehr- nen, klar zu analysieren und gegebenenfalls zu nutzen. standorten zur Folge. Sie, meine Damen und Herren von Durch den Wegfall von Flug- und Schießlärm und ande- der Union, wissen das nur zu genau; denn Anfang der rer militärischer Belastungen können innerstädtische oder 90er-Jahre hatten Sie eine entsprechende Reform in Gang touristische Liegenschaften an Attraktivität gewinnen. gesetzt, die auch eine drastische Reduzierung der Zahl der Eine Folgenutzung für Betriebe oder Gebäude kann so er- Liegenschaften umfasste. leichtert werden. In neu angesiedelten Betrieben können Eine Reduzierung der Mannschaftsstärke um neue Arbeitsplätze entstehen. Damit kann die Wirt- 700 000 Soldaten unter Ihrer Regie hatte damals weitaus schaftskraft der Region gestärkt werden. Eine Fülle von gravierendere Folgen als die momentane Reduzierung um Wirtschaftsförderprogrammen steht dafür zur Verfügung. 90 000 Soldaten. Viele Regionen in Deutschland hatten Ich verweise beispielsweise auf die vielen Programme der durch Ihre Bundeswehrreform mit viel größeren wirt- Bundesregierung zur Unterstützung des Aufbaus von schaftlichen und umweltpolitischen Problemen zu kämp- Technologieunternehmen, für erneuerbare Energien, für fen als heute. Umweltschutz oder für naturverträgliche Landwirtschaft bzw. für die Touristikbranche. Ich will die heutigen regionalen Probleme nicht klein reden, aber Ihre jetzigen Forderungen ins rechte Licht Diese Chancen aktiv zu nutzen kann gerade über eine rücken: Sie fordern heute Finanzierungshilfen vom Bund Stärkung des Mittelstandes einen Teil der Nachteile von für das Auffangen von wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Standortschließungen oder -reduzierungen auffangen. Ich erinnere mich, dass Sie damals einen Konversions- Hierfür sind Kreativität und aktives Anpacken der betrof- fenen Kommunen gefordert. fonds, wie er von Bündnis 90/Die Grünen gefordert wurde, ablehnten. Sie haben auch das von uns Grünen Wir von Bündnis 90/Die Grünen sind auch der Auffas- 1994 eingebrachte Bundeskonversionsgesetz abgelehnt. sung, dass solche Unterstützungen sogar verstärkt und ge- zielt durch Umschichtungen in bestehenden Regional- (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Sie wollten strukturprogrammen des Bundes und der Länder oder doch aus der NATO!) aus Privatisierungserlösen zugunsten der betroffenen Re- Der von der damaligen Bundesregierung den Ländern gionen eingesetzt werden sollten. Bereits heute – Herr pauschal überlassene um 2 Prozent höhrere Umsatzsteu- Börnsen, hören Sie gut zu – hat der Bund gehandelt. Er eranteil wurde nicht nach der Betroffenheit durch den schleicht sich nicht aus seiner Verantwortung, wie Sie be- Truppenabbau oder nach der Strukturschwäche der Re- hauptet haben. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001 18879

Hans-Josef Fell (A) Der CDU/CSU-Antrag ist deshalb überflüssig. Ein regionalen Ansprechpartner zu Fragestellungen hin- (C) Drittel der GA-Mittel fließt in die Infrastruktur und ein sichtlich Konversion und Wirtschaftsförderung gebündelt überproportionaler Anteil davon in Konversionsgebiete. sowie die Modalitäten für das Veräußerungsverfahren er- läutert. Die Übersicht wird voraussichtlich noch in diesem ( [CDU/CSU]: Was? Die GA- Monat vorgelegt. Mittel werden jetzt gegen die Konversionspro- gramme aufgerechnet? Das glaube ich nicht!) (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Ein neuer Bürokratismus wird aufgebaut!) Lassen Sie mich in der Kürze der Zeit das bestehende Instrumentarium aufzeigen, das auch zur Flankierung des Bündnis 90/Die Grünen stehen zu der im Koalitions- Anpassungsprozesses in den von den Reduzierungen oder vertrag festgeschriebenen Verantwortung des Bundes, Schließungen betroffenen Standorten eingesetzt werden Konversion auch als Element regionaler Strukturpolitik kann. Hierzu gehören insbesondere die Bund-Länder-Ge- zu begreifen. Wir halten es auch weiterhin für sinnvoll, ei- meinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirt- nen Bundeskonversionsbeauftragten als Vermittler und schaftsstruktur“, Koordinator zwischen Bund, Ländern, Kommunen und Investoren zu berufen. Wir halten es für sinnvoll, Kon- (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: versionsflächen für den Städtebau, für das Gewerbe oder Alle Mittel bereits verplant!) für Natur- und Landschaftsschutz zu verwenden. die europäischen Strukturfonds, die Städtebauförderung Wir lassen die betroffenen Kommunen nicht alleine. (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Wir werden weiter an Vorschlägen für bezahlbare Kon- Auch verplant!) versionshilfen arbeiten. sowie die Maßnahmen der Arbeitsmarktspolitik, natürlich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- auch für Konversionsaufgaben verplant. wie bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang Gehrcke [PDS]: Eine Welt!) Darüber hinaus ist für die infolge der Reform betroffe- nen Zivilbeschäftigten der Bundeswehr ein Tarifvertrag abgeschlossen worden, der weitreichende sozialverträgli- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bevor ich che Begleitmaßnahmen enthält, insbesondere den Aus- das Wort weitergebe, möchte ich darauf hinweisen, dass schluss von betriebsbedingten Beendigungskündigungen, laut Protokoll vom vorherigen Tagesordnungspunkt bei eine zusätzliche kostenfreie Qualifizierungsförderung für der Rede des Kollegen Poß der Kollege Dr. Peter Anschlussbeschäftigungen auch außerhalb des öffentli- Ramsauer folgenden Zwischenruf gemacht hat: „Diese chen Dienstes, Elemente zur Einkommenssicherung für Verleumdung nehmen Sie zurück! Sie sind ein Brandstif- (B) wegfallende Zulagen, pauschale Abgeltungsbeträge und ter, ein Brunnenvergifter! Sie sind ja halbkriminell!“ (D) Abfindungen, Einkommensverbesserungen im Rahmen Auch in Anbetracht der bayerischen Sprachgewohnheiten der Altersteilzeit bei Wegfall des Arbeitsplatzes sowie überschreitet das deutlich die Grenzen der Sprache, deren eine Härtefallregelung. wir uns hier im Parlament befleißigen sollten. Ich rüge diesen Zwischenruf ausdrücklich. (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Aber dafür musste gestreikt werden!) Das Wort hat jetzt der Kollege Günther Nolting von der FDP-Fraktion. Weiterhin hat das Verteidigungsministerium bereits Anfang Juli eine Übersicht über alle im Rahmen der (V o r s i t z: Vizepräsidentin Dr. Antje Reform voraussichtlich frei werdenden Bundeswehr- Vollmer) liegenschaften veröffentlicht. Damit haben die Kommu- nen und die potenziellen Investoren eine frühzeitige Pla- Günther Friedrich Nolting (FDP): Herr Präsident! nungsgrundlage über den Zeithorizont sowie über die Meine Damen und Herren! Herr Kollege Fell, als ich Ihre Größe der Flächen und der Anlagen. Rede gehört habe, habe ich mich gefragt, wann Sie in der (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das wussten letzten Zeit einen Standort besucht haben, der von der Re- die doch mit dem Tag der Nennung der duzierung oder Schließung betroffen ist, wann Sie mit den Schließung! Da brauche ich doch nicht noch betroffenen Menschen vor Ort gesprochen haben, die da- eine Liste zu veröffentlichen! So ein Krampf!) rauf warten, dass es konkrete Hilfen gibt und konkrete Maßnahmen ergriffen werden. Das, was Sie heute hier Im Übrigen strebt der Bund wie auch bei den bis- gemacht haben, war Schönrederei. Ich halte mich lieber herigen Standortfreigaben an, die ehemaligen Militär- an den Kollegen Müller, der die Probleme aufgezeigt hat. liegenschaften so schnell wie möglich einer zivilen Anschlussnutzung zuzuführen. Die bestehenden Altlas- Wenn Sie aber, Herr Kollege Müller, diese Probleme so tenregelungen tragen dazu bei, Befürchtungen von Inves- sehen, wie wir sie ja auch sehen, wie sie in dem Antrag der toren hinsichtlich etwaiger Kontaminationen abzubauen. Union wiedergegeben werden, wie wir sie im Antrag der FDP aufgezeigt haben, warum werden dann nicht ent- Um potenzielle Investoren und Kommunen gezielt sprechende Maßnahmen im Haushalt umgesetzt? Das ist über das Verwertungsverfahren und die Fördermöglich- doch die Frage! keiten zu informieren, erstellt das Wirtschaftsministerium gemeinsam mit dem Finanzministerium und dem (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Hans- Verteidigungsministerium sowie den Länderwirtschafts- Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die ministerien ein Liegenschaftsschema. Darin werden alle sind doch umgesetzt!) 18880 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Günther Friedrich Nolting (A) Diese Fragen müssen Sie beantworten. Ich hoffe, dass ei- hier ganz bewusst: Wenn Ihnen dazu die Kraft fehlt, dann (C) ner der Nachredner aus der Koalition darauf noch eingeht. treten Sie zum Wohle dieser Bundeswehr zurück. Wir haben eine drastisch unterfinanzierte Bundes- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten wehr, wir haben eine katastrophale Materiallage, wir ha- der CDU/CSU) ben eine unausgewogene Personalstruktur, wir haben Für die FDP-Bundestagsfraktion fordere ich die rot- unmittelbar bevorstehende, zwingend notwendige Kon- grüne Bundesregierung und auch die rot-grüne Koalition versionsmaßnahmen und – ich muss das an dieser Stelle auf, erstens sofort ein Sonderprogramm einzuleiten, das sagen – wir haben einen Verteidigungsminister, der die- den von Standortschließung bzw. -reduzierung betroffe- sen Herausforderungen ganz und gar nicht gewachsen nen Kommunen hilft, die wirtschaftlichen und strukturel- ist, len Folgen zu mildern, zweitens ein über die betroffenen (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Gemeinden hinausgehendes regionales Ausgleichskon- der CDU/CSU) zept in die Förderung mit einzubeziehen, drittens Härtefallfonds einzurichten, viertens im Zuge der Stand- sondern der, wie in den letzten Tagen mehrfach gesche- ortschließungen bzw. -reduzierungen betriebsbedingte hen, mit verantwortungslosen Äußerungen durch die Me- Kündigungen zu vermeiden, sozialverträgliche Lösungen dien schwadroniert. für die betroffenen Zivilbediensteten zu finden und not- Mit einem nominal sinkenden Verteidigungshaushalt wendige Arbeitsplatzveränderungen sozial abzufedern, wird keine Liegenschaft der Bundeswehr so zurückge- fünftens Verfahren zur Freigabe von Liegenschaften baut oder so saniert werden, dass sie verkauft werden durch die Bundesvermögensverwaltung zu beschleunigen kann. Personalmaßnahmen können nicht sozialver- und sechstens bei der Entwicklung der Konversionspro- träglich umgesetzt werden, geschweige denn, dass ein gramme insgesamt verstärkt mit dem internationalen Sonderprogramm für die von Schließungen und Verklei- Konversionszentrum in zu kooperieren. nerungen besonders betroffenen Kommunen eingeleitet (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) werden kann. Die FDP-Bundestagsfraktion erwartet, dass die rot- Wir alle wissen: Eine Verkleinerung der Bundeswehr grüne Bundesregierung und die rot-grüne Koalition eine hat Standortreduzierungen und auch -schließungen zur aktive Politik betreiben, die die Belange der Bundeswehr Folge. Die wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Maß- genauso wie die der betroffenen Kommunen und der nahmen müssen für die betroffenen Kommunen abgemil- mittelständischen Wirtschaft berücksichtigt, sonst sind dert werden. diese rot-grüne Bundesregierung und die rot-grüne Koali- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) tion dafür verantwortlich, dass ganze Landstriche ver- (B) öden, gerade in den neuen Bundesländern. Dies darf nicht (D) Viele Gemeinden befinden sich durch den Perso- sein. nalabbau, der zum Beispiel auch in meiner Region, in Augustdorf, über 2 700 Dienstposten umfasst, in einer (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) existenziell bedrohlichen Situation. Dies kann und darf die rot-grüne Bundesregierung, Herr Minister, nicht igno- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat rieren, auch und gerade angesichts der Lage in den neuen jetzt der Abgeordnete Rolf Kutzmutz. Bundesländern. Herr Kollege Müller, ich frage Sie noch einmal – Sie Rolf Kutzmutz (PDS): Verehrte Frau Präsidentin! kommen aus den neuen Bundesländern –: Wenn Sie das Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Bundeskonver- so sehen, warum tun Sie dann nichts? Darf ich Sie zum sionsprogramm halte ich für ausgesprochen sinnvoll. Beispiel an Eggesin erinnern, darf ich Sie an Stavenha- Eine entsprechende Initiative hat das Land Brandenburg gen erinnern, wo wir heute schon in der Region eine Ar- im Bundesrat eingebracht. Es geht doch nicht nur um die beitslosenquote von 26 Prozent haben – und Sie tun Schließung von Kasernen. Es geht um zukunftsfähige Lö- nichts! sungen für Menschen, Kommunen und Regionen. Jetzt sind Steuerentlastungen und arbeitsmarktpoliti- (Beifall bei der PDS) sche Impulse für die Regionen gefragt. Aber was tun Sie? Sie erhöhen die Steuern, wie wir es heute Morgen hier Fest steht: Die Bundeswehr muss umgebaut werden, wieder gehört haben. Das ist der falsche Weg. aber nicht zu einer Streitmacht, die globale Interventionen lange durchhalten kann, sondern zu einer jederzeit hand- Lassen Sie mich eines auch als Bürger dieser lungsfähigen regionalen Verteidigungskraft. Dafür braucht Bundesrepublik Deutschland dazu sagen: Es erschreckt man weniger als die bisher geplanten Mittel, womit auch mich, wenn Maßnahmen für die äußere und innere Si- Geld für die laufende Konversion verfügbar wäre. cherheit angeblich nicht mehr finanziert werden können. (Beifall bei der PDS) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) An dem Nebengedanken im CDU/CSU-Antrag, ein Für die FDP-Bundestagsfraktion, Herr Minister Bundeskonversionsprogramm sofort, aber nicht zulasten Scharping, sage ich Ihnen: Beenden Sie die haushaltspo- des Verteidigungsetats aufzulegen, müssen sich allerdings litischen Schildbürgerstreiche und kehren Sie zu einer so- die Geister scheiden. Den Widerspruch, einerseits mehr liden Finanzpolitik für die Bundeswehr zurück. Ich sage Geld für Konversion, andererseits auch mehr Geld für die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001 18881

Rolf Kutzmutz (A) Umrüstung zu verlangen – das Ganze steht zudem unter Vielleicht waren Sie in letzter Zeit nicht mehr in dem Be- (C) dem herzhaft vertretenen politischen Primat der Haus- reich tätig. Sie haben so getan, als ob die Kommunen im haltskonsolidierung –, müssen Sie erst noch auflösen. Wir Geld schwämmen und verlassene Bundeswehrstandorte stimmen Ihrem Antrag dennoch zu, weil sein Kern, das einfach in Besitz nehmen, in sie investieren und für neue schon mehrfach erwähnte Bundeskonversionsprogramm, Unternehmen attraktiv machen könnten. Dazu muss ich jetzt unverzichtbar ist. Ihnen sagen: Selbst eine geschenkte Anlage kann schon zu einem Stein am Hals werden. Im Osten ist dies oft der Bei dieser strukturpolitisch vielerorts existenziellen Fall. Sicherlich gibt es auch Beispiele im Westen. Frage bewegen sich Regierung und Koalition nicht. Das hat sich auch bei dem ersten Diskussionsbeitrag wieder (Beifall bei der PDS) gezeigt. In einem Brief an den Vorsitzenden der PDS- Es geht um die Stärkung der Region, damit das Geld Stadtratsfraktion der Reuterstadt-Stavenhagen – Herr für eine nachhaltige, langfristig selbst tragende Entwick- Nolting hat die Stadt schon erwähnt – schrieb das Bun- lung wirksam wird. deskanzleramt im Mai 2001 – ich zitiere –: Auch der Verweis auf die zusätzlichen Umsatzsteuer- Die Bundesregierung hat natürlich Verständnis für punkte vom Anfang der 90er-Jahre hilft den betroffenen die Sorgen und Ängste der Bürgerinnen und Bürger Gebieten heute überhaupt nichts mehr. Zum einen kos- im Zusammenhang mit der beschlossenen Bundes- tet – insbesondere im Osten mit den großen früheren wehrstrukturreform und nimmt diese Sorgen ernst. Standorten der Westgruppe und der NVA – der damalige Allein das Ernstnehmen der Sorgen bringt den Leuten dort Umbruch auch heute noch das seinerzeit bewilligte Geld überhaupt nichts. und zum anderen geht Strukturschwäche – das macht sol- che Steuerinstrumente von vornherein untauglich – mit (Günther Friedrich Nolting [FDP]: So ist es!) niedriger Nachfrage, niedrigen Umsätzen und entspre- Natürlich haben auch wir registriert, dass mittlerweile chend geringeren Steuereinnahmen einher. Aus diesem betriebsbedingte Arbeitslosigkeit für nicht mehr benötigte Teufelskreis hilft nur eine Bundesfinanzierung – eine Fi- Zivilbeschäftigte der Bundeswehr durch einen neuen nanzierung durch den Verursacher –, deren Umfang sich Tarifvertrag ausgeschlossen wurde. Die Lösung des vor allem an der tatsächlichen Strukturschwäche der personalpolitischen Problems ist das eine die strukturpo- betroffenen Regionen orientieren muss, also: ein Kon- versionsprogramm nach GA-Kriterien, aber nicht als Ge- litischen Verwerfungen jedoch sind das andere. meinschafts-, sondern als Bundesaufgabe. Darüber soll- Bemerkenswert ist, wenn vom Wirtschaftsministerium ten wir gemeinsam nachdenken. zu den Haushaltsberatungen 2002 zur Gemeinschaftsauf- (Beifall bei der PDS) gabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (B) mitgeteilt wird – ich zitiere, weil dies vorhin meiner An- (D) sicht nach falsch dargestellt worden ist –: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt der Kollege Rossmanith. Die jetzigen Ansätze für 2002 enthalten keine finan- ziellen Reserven, aus denen spezielle strukturelle Probleme wie Auswirkungen der EU-Osterweiterung Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Frau Präsidentin! oder der Bundeswehrreform oder der Umorientie- Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Lie- rung in der Agrarpolitik auf einzelne Standorte re- ber Kollege Christian Müller, ich schätze Sie sehr, aber gionalpolitisch abgefedert werden könnten. nach den ersten Sätzen Ihrer Rede bin ich davon über- zeugt: Es ist in der jetzigen Zeit ganz gut, dass es Men- Sie alle wissen, dass bisher mit dem Verweis auf diese Ge- schen gibt, die ihren Humor noch nicht verloren haben. meinschaftsaufgabe ein Bundesprogramm abgelehnt Ihre Bemerkung, bei dieser so genannten Bundeswehr- wurde. reform sei auf den Arbeitsmarkt und auf Wirtschaftsre- Wie sollen denn nun die strukturpolitischen Fragen gionen Rücksicht genommen worden, gehört in den Be- bundespolitisch beantwortet werden? Über Eggesin ist reich des Humors, aber nicht in dieses Parlament; denn schon beim letzten Mal gesprochen worden, auch heute nichts davon stimmt. wurde es wieder erwähnt. Mecklenburg-Vorpommern hat (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hans- zwar in den letzten Monaten knapp 8 Millionen DM für Peter Repnik [CDU/CSU]: Es ist eher zynisch den dortigen Stadtumbau mobilisiert, aber dies war nur als humorvoll! – Weiterer Zuruf von der CDU/ ein Darlehen, womit das Problem finanziell letztlich nur CSU: Galgenhumor!) in die Zukunft verschoben wird. Gerade an Orten wie die- sen – ich möchte hierzu den stellvertretenden Minister- Allerdings wurden Sie noch vom Kollegen Fell über- präsidenten, Helmut Holter, der dies immer wieder betont, troffen. Kollege Fell sagte: Wir modernisieren die Bun- zitieren – geht es nicht um starre Standortkonversion, son- deswehr. – Gleichzeitig wird der Verteidigungshaushalt dern um flexible Raumkonversion. permanent nach unten gefahren. Lieber Kollege Fell, Sie müssen erläutern, wie Sie es machen wollen, mit nichts Herr Fell, ich schätze Sie sehr, aber ich habe bei Ihrer oder weniger als nichts die Bundeswehr zu moderni- Rede den Eindruck gehabt, Sie haben von den Kommu- sieren. nen ein völlig falsches Bild. (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Mit der Reduzierung der Mannschafts- NEN]: Ich war lange genug Stadtrat!) stärke!) 18882 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Kurt J. Rossmanith (A) Das ist die Quadratur des Kreises und gehört auf eine Fast- Zum Schluss meiner Rede muss ich zum einen deutlich (C) nachtsveranstaltung, aber nicht in dieses Parlament. Denn feststellen: Es ist mir unverständlich und sogar meiner wir sollten hier bei derWahrheit und der Ehrlichkeit bleiben. Meinung nach unverantwortlich, dass man aufgrund der Ereignisse seit dem 11. September dieses Jahres nicht be- Vor dem Hintergrund der Situation, in der wir seit dem 11. September sind, bin ich der Meinung, dass diese Bun- reit ist, noch einmal über diese so genannte Reform nach- desregierung – vor allem Sie, Herr Bundesverteidigungs- zudenken. Zum anderen ist auf Folgendes hinzuweisen: minister – nichts anderes – – Wie die beiden Koalitionsfraktionen mit unserem Antrag, der nur darauf abzielt, den Kommunen Hilfen an die Hand (, Bundesminister: Bitte, zu geben, umgehen, ist unverständlich. Auf die Schwie- reden Sie ruhig weiter!) rigkeiten der Kommunen wurde ja bereits hingewiesen. – Ich rede gerne weiter, wenn Sie zuhören. (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – NEN]: Sie sagen ja nicht, wie Sie das finanzie- Simone Violka [SPD]: Das ist ja billig! Mann, ren wollen!) Mann!) Sie haben unseren Antrag ohne eine Begründung abge- Ich bin der Meinung, dass Sie Ihre so genannte Reform lehnt. Sie haben wieder die alte Leier gebracht, die nicht – ich sehe das als allerletzte Warnung – überdenken müs- einmal der Wahrheit entspricht. Bleiben Sie bei der Wahr- sen. heit und überdenken Sie das, was wir in diesem Antrag vorgeschlagen haben! Heute wäre noch Zeit dazu. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hans- Tag für Tag müssen wir sehen, dass die Bürger verun- Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Un- sichert sind. In Großbritannien, den USA und bei uns wird finanzierbare Wünsche sind im Antrag, sonst die Gefahr biologischer und chemischer Waffen herauf- nichts!) beschworen. Sie dagegen schließen – nur um ein Beispiel zu bringen – die ABC-Schule in Sonthofen. Es wird nicht darüber nachgedacht, diese Entscheidung zurückzuneh- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat men. Ich frage Sie: Was lernen Sie denn aus den brutalen jetzt der Abgeordnete Johannes Kahrs. und menschenverachtenden Anschlägen auf die freiheit- liche, zivilisierte Welt vom 11. September? Johannes Kahrs (SPD): Sehr geehrte Frau Präsiden- Sie wollen 100 000 Stellen für Soldaten und zivile Mit- tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich arbeiterinnen und Mitarbeiter streichen. Ich bin dem Kol- gleich zu Anfang feststellen, dass große Teile des Antra- legen Börnsen sehr dankbar dafür, dass er darauf hinge- ges der CDU/CSU inzwischen von der Wirklichkeit ein- (B) wiesen hat, dass ein Drittel davon Standorte in Bayern geholt worden sind (D) betrifft. Es steht doch außer Frage, dass solche Pläne gra- (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Und vom vierende Folgen für die betroffenen Regionen haben. In 11. September!) der Debatte vom 29. März habe ich bereits darauf hinge- wiesen, dass Ihr SPD-Parteikollege Dr. Ivo Holzinger, und keiner Diskussion mehr bedürfen. Oberbürgermeister in Memmingen gesagt hat: Allein (Simone Violka [SPD]: Das wissen die nur die Schließung des Standortes Memmingerberg – rund noch nicht!) 2 500 Beschäftigte, also Soldaten und zivile Mitarbeiter – wird für die Region eine Minderung des Investitions- und Die CDU/CSU fordert in ihrem Antrag – Kurt, du solltest Konsumrahmens von 250 Millionen DM pro Jahr bedeu- euren Antrag kennen –, dass der Bundesminister der Ver- ten. Die Schließung hat auch Auswirkungen auf Hand- teidigung seiner Fürsorgepflicht nachkommen solle und werk, Handel, Industrie, Kindergärten, Schulen und vie- es keine betriebsbedingten Kündigungen geben dürfe. les andere mehr. (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: So ist es!) Sie sind überhaupt nicht bereit, den Kommunen ent- gegenzukommen. In der Debatte vom 29. März dieses Hierzu stelle ich fest, dass mit Schreiben vom 16. Mai Jahres, die ich schon erwähnt habe, hat der Parlamenta- dieses Jahres – Kurt, lesen kannst du – der Bundesminis- rische Staatssekretär Mosdorf gesagt, Ihr Parlamenta- ter der Verteidigung allen Abgeordneten des Deutschen rischer Staatssekretär , Herr Bundesvertei- Bundestages den neuen Tarifvertrag für die Arbeitneh- digungsminister, habe ihm zugesagt, er wolle prüfen merinnen und Arbeitnehmer der Bundeswehr zugesandt lassen, ob den betroffenen Gemeinden ein vorrangiges hat. Dieser Tarifvertrag, den du hoffentlich gelesen hast, Zugriffsrecht auf die Flächen eingeräumt werden kann. ist bereits in Kraft. Zu seinen wesentlichen Inhalten zählt Seitdem habe ich davon nichts mehr gehört. Es genügt unter anderem der Vorrang der Arbeitsplatzsicherung im auch nicht, im Sommer dieses Jahres eine Liste darüber Zusammenhang mit der Bundeswehrreform und das Ver- herauszugeben, welche Flächen frei werden. Eine solche bot der betriebsbedingten Kündigung. Liste brauchen die Gemeinden nicht. Diese Arbeit hätten (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Was kostet Sie sich und Ihren Mitarbeitern ersparen können. Denn der Vertrag?) aufgrund Ihres so genannten Schließungsprogramms war doch klar, welche Standorte geschlossen werden. Um Die CDU/CSU fordert Umschulungsmaßnahmen. Ich festzustellen, welche Flächen aufgrund der Standort- stelle fest, dass ein weiteres Kernstück dieses Tarifvertra- schließungen frei werden, brauche ich doch nicht noch ges das Angebot kostenloser Qualifizierung ist. Darüber einmal eine ganze Stabsabteilung in Gang zu setzen. hinaus beinhaltet der gleiche Tarifvertrag auch eine Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001 18883

Johannes Kahrs (A) Härtefallregelung, die in besonderen Fällen greift und den terschied! – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: (C) Arbeitnehmern einen umfangreichen Schutz bietet. Nicht nur geduldet, sondern erwünscht!) Während Sie hier längst überholte Forderungen stellen, – Stimmt, in Bayern sind sie geduldet; aber in Hamburg hat die Regierung bereits gehandelt und die Interessen der werden sie geschätzt. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vertraglich abge- Dies zeigt, dass der Bundesminister der Verteidigung sichert. seine Fürsorgepflichten sehr ernst nimmt – Kurt, hör ge- (Beifall bei der SPD – Simone Violka [SPD]: nau zu – und die notwendigen Maßnahmen ergriffen hat. Die CDU/CSU ist nicht so schnell! Die braucht Dafür hat er sich den Respekt aller Abgeordneten dieses länger!) Hauses verdient. – Also, Kurt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU, zu Kahrs, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen der von Ihrer Fraktion geforderten verbilligten Abgabe Rossmanith? von Liegenschaften stelle ich fest, dass bereits während Ihrer Regierungszeit die anfängliche Zahl der Verbil- Johannes Kahrs (SPD): Selbstverständlich, Kurt. ligungsmöglichkeiten erheblich heruntergefahren worden ist. Da aber die derzeitige Reform in ihren Auswirkungen bei weitem nicht das Ausmaß der bereits erfolgten bun- Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Lieber Kollege desweiten Truppenreduzierung hat, ist es müßig, über Kahrs, ich bedanke mich sehr herzlich. – Vielleicht kön- weitere Verbilligungen zu diskutieren. nen Sie mir einmal erklären – ich lade Sie gerne einmal in meinen Wahlkreis ein –, was Sie angesichts des Tarifver- Ich erinnere auch in diesem Zusammenhang daran, trages, den Sie erwähnt haben und den ich natürlich dass der Bund allein in diesem Jahr im Rahmen der Ge- kenne, einer Mitarbeiterin sagen wollen, die in der Küche meinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirt- in Memmingerberg oder Sonthofen – das ist nur ein Bei- schaftsstruktur“ Barmittel in Höhe von 2 Milliarden DM spiel; das gilt auch für alle anderen betroffenen Stand- und Verpflichtungserklärungen in Höhe von 1,8 Milli- orte – arbeitet und keine Möglichkeit hat, an einen ande- arden DM zur Verfügung stellt, die auch dafür genutzt ren Standort zu wechseln, da diese mindestens 50 bis werden können. 70 Kilometer entfernt sind. (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Aber nicht für die Konversion!) Johannes Kahrs (SPD): Als wir diesen Tarifvertrag Sie sagen doch immer, dass man Schwerpunkte setzen (B) abgeschlossen haben, haben wir unter anderem darauf und umschichten muss. Genau das ist hier geschehen. (D) geachtet, dass in bestimmten Fällen Ausnahmere- Natürlich ist es eine Selbstverständlichkeit, dass im Rah- gelungen möglich sind; darum bemühen wir uns. Gerade men der bereits bestehenden Programme der Städtebau- bei einer solch großen Anzahl von Mitarbeiterinnen und förderung, der Agrarpolitik, der Arbeitsmarktförderung Mitarbeitern gibt es problematische Einzelfälle. Diese und der Mittelstandsförderung – der Kollege Müller hat Einzelfälle werden bearbeitet. In den meisten Fällen ha- schon darauf hingewiesen – die Länder entsprechend um- ben wir es auch geschafft, eine vernünftige Regelung zu schichten können. finden. (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: In meiner weiteren Rede werde ich darauf zu sprechen Das sind alles allgemeine Mittel! Das hat nichts kommen, dass wir darauf geachtet haben, nur solche damit zu tun!) Bundeswehreinrichtungen zu schließen, in deren unmit- telbarer Nähe sich, wenn irgend möglich, andere Bun- Es bedarf keiner zusätzlicher Finanzmittel. Es geht da- deswehreinrichtungen befinden. rum, die bestehenden Möglichkeiten auszuschöpfen. (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Kommen Sie In diesem Zusammenhang ist es einmal mehr bezeich- einmal in das Allgäu! Dann sehen Sie die Ent- nend für Ihre Art von Politik, dass Sie die Höhe Ihrer For- fernungen! Nicht wie in Hamburg!) derungen weder genau benennen noch Möglichkeiten der Finanzierung aufzeigen. Statt anständig und redlich den Ich glaube, dass wir das im Rahmen der jetzigen Reform konkreten Finanzierungsbedarf und die entsprechende entsprechend berücksichtigen. Deckung aufzuzeigen, wollen Sie mit einer wolkigen Um- Ich möchte gerne noch darauf hinweisen, dass Sie bei schreibung wie – ich zitiere aus Ihrem Antrag – „muss Ihren Versuchen, die Bundeswehr zu reformieren, dem, durch Umschichtungen im Rahmen des Gesamthaushalts was Sie in Ihrer Zwischenfrage angemerkt haben, über- ermöglicht werden“ die Bürgerinnen und Bürger auf das haupt nicht Rechnung getragen haben. Die Beispiele dafür Glatteis führen. kann ich ihnen nennen, abgesehen von der Tatsache, dass In der vorangegangenen Debatte wollten Sie auch alles Bayern, das in der Vergangenheit durch die von Ihnen ge- durch Umschichtungen im Rahmen des Gesamthaushalts führte Bundesregierung bevorzugt behandelt worden ist. ermöglichen. In den letzten Wochen war es immer das Deswegen sind Sie in Bayern besser weggekommen. Gleiche: (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: In Bayern (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Weil Ihnen sind die Soldaten noch geduldet! Das ist der Un- außer Steuererhöhungen nichts einfällt!) 18884 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Johannes Kahrs (A) Die Zahl Ihrer Forderungen ist unendlich und Sie wollen Region zu schließen, ist für einen Sozialdemokraten noch (C) sie durch Umschichtungen im Gesamthaushalt finanzie- weniger akzeptabel. ren. Aber nie hat einer Ihrer Kolleginnen und Kollegen (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Hans- auch nur einen einzigen Vorschlag gemacht, aus dem er- Peter Repnik [CDU/CSU]: Rauschender Bei- sichtlich wird, wo gestrichen werden soll. fall! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Das (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ sag mal deinem Verteidigungsminister!) DIE GRÜNEN) Sie wissen ebenso gut wie ich, dass die Reduzierung Herr Kollege Rossmanith, ich möchte noch etwas zu der Standorte eben nicht proportional zur personellen Ver- Ihrem Zwischenruf sagen. Es ist natürlich erfreulich, dass ringerung der Streitkräfte und ihrer Angestellten erfolgte. Sie zumindest in dem jetzt vorliegenden Antrag darauf Aus Verantwortung gegenüber den Kommunen haben wir verzichtet haben, die staatliche Neuverschuldung hoch- schon bei der Konzeption der Bundeswehrreform den zufahren. Ich finde, das ist ein geradezu richtungsweisen- Sorgen und Ängsten in höchstem Maße Rechnung getra- der Aspekt für Ihre zukünftige Oppositionspolitik. Den gen; denn vor dem Hintergrund einer funktionalen Be- sollten Sie beibehalten; denn hinsichtlich der Neuver- trachtung hätte die Hälfte aller Standorte bundesweit ge- schuldung haben Sie in der Vergangenheit kein rühm- schlossen werden müssen. liches Bild abgegeben. Lassen Sie mich das verantwortungsvolle Handeln mit (Beifall bei der SPD – Kurt J. Rossmanith zwei Zahlen belegen. Betrachtet man die zu schließenden [CDU/CSU]: Die Wiedervereinigung haben Sie Standorte im regionalen Zusammenhang, kommt man zu gar nicht mitgekriegt!) dem Ergebnis, dass bei einem Drittel dieser Standorte der nächste aufrechterhaltene Standort – mancherorts sind es – Selbstverständlich! Auch wir haben sie begrüßt! sogar mehrere solcher Standorte – bereits in einem Um- Ich möchte noch Folgendes sagen, Herr Kollege. Wenn kreis von 10 Kilometern zu finden ist. Bei den übrigen Sie hier schon Forderungen aufstellen – über die kann von Schließung betroffenen Standorten liegt die nächste man im Einzelfall durchaus diskutieren –, dann müssen Präsenz der Bundeswehr im Umkreis von lediglich 20 Ki- Sie, bitte schön, auch sagen, wie Sie sie finanzieren wol- lometern. Damit werden die Auswirkungen im regionalen len. Werden Sie ausnahmsweise einmal konkret. Merken Zusammenhang schon der Konzeption nach abgemildert. Sie sich: Tatsachen schafft man nicht aus der Welt, indem An dieser Stelle möchte ich noch einmal auf den Kern man sie ignoriert. Das sollte inzwischen auch in Bayern der Reform zu sprechen kommen. Während die Bundes- angekommen sein. wehr in Ihrer Regierungszeit – auch in deiner, Kurt – von Zu den Verfahren der Freigabe von Liegenschaften: einer Reform in die nächste stolperte und mit den Folgen (B) Die Verfahren zur Freigabe der Liegenschaften, die schon noch heute kämpfen muss, wird diese Reform zu Recht als (D) angesprochen worden sind, wurden bereits in der Vergan- Erneuerung von Grund auf bezeichnet. Die Ergebnisse genheit angepasst. Wir haben erhebliche Vereinfachungen der Bestandsaufnahme der Bundeswehr waren für Ihre in den Verwertungsverfahren geschaffen und deutliche verfehlte Politik bezeichnend. – Ich hoffe, du hast das ge- Beschleunigungseffekte erreicht. Aber ich weise in die- lesen. sem Zusammenhang auch darauf hin, dass insbesondere Bundesminister Scharping hat es in vorzüglicher Weise den Kommunen eine nicht zu unterschätzende Rolle bei verstanden, sowohl die Öffentlichkeit als auch die Politik der Anschlussnutzung zukommt. Hier geht es darum, dass und die Betroffenen selbst an der Gestaltung dieser Re- die Kommunen die rechtlichen Rahmenbedingungen für form teilhaben zu lassen. die weitere Nutzung schaffen müssen. (Ruprecht Polenz [CDU/CSU]: Das ist aber Zu Ihrem Antrag möchte ich des Weiteren feststellen, der Einzige, der das glaubt!) dass Sie mit Ihrer Behauptung, Standortschließungen und – Merken Sie sich: Auf jedem Schiff, das dampft und se- -reduzierungen fänden vorwiegend in strukturschwachen gelt, ist einer, der die Sache regelt. In diesem Fall ist das Gebieten statt, der tatsächlichen Situation nicht gerecht Rudolf Scharping. werden. Das Gegenteil ist zutreffend. Es ist vielmehr rich- tig, dass insbesondere die strukturschwachen Regionen (Beifall bei der SPD – Lachen bei der von Veränderungen unterdurchschnittlich betroffen wor- CDU/CSU – Ruprecht Polenz [CDU/CSU]: den sind. Wir lassen uns da von einigen Wolkenschiebern Das Beispiel mit dem Schiff und dem Wasser der CDU/CSU die Sonne nicht verdunkeln. hätte nicht kommen sollen!) Es ist das Verdienst dieser Reform, die Bundeswehr- Zusammenfassend stelle ich fest, meine Damen und präsenz da zu verringern, wo es möglich und sinnvoll war, Herren von der CDU/CSU: Ihr Antrag war vielleicht gut eben in strukturstarken Gebieten. Ich nenne Ihnen als Bei- gemeint, aber das heißt noch lange nicht, dass er auch gut spiele die Städte Koblenz, München und Hamburg, die gemacht ist. Seit der letzten Bundestagswahl sollten Sie eine Reduzierung natürlich eher verkraften können als an- wissen: Im Zweifel entscheidet die Wirklichkeit. dere, auch wenn es uns im Einzelfall jedes Mal schwer (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Lachen fällt. Natürlich schmerzt es insbesondere mich als Ham- bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: burger und Hauptmann der Panzergrenadiertruppe, dass Das ist wohl wahr!) der Standort Fischbek mit dem Panzergrenadierbatail- lon 72 in meiner Heimatstadt geschlossen wird. Die Al- Wir Sozialdemokraten werden diese Bundeswehr- ternative jedoch, eine Kaserne in einer strukturschwachen reform weiterhin solide und reell umsetzen; denn wir wis- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001 18885

Johannes Kahrs (A) sen: Der größte Feind des Kaufmanns ist die Hoffnung. Ort. Anschließend wurde dieses Standortkonzept vorge- (C) Wir dürfen nicht die Armee erhalten, die wir gewohnt stellt, woraufhin die Anzahl der Dienstposten am Standort sind, sondern müssen die Armee aufstellen, die wir Eggesin um weitere 1 800 gekürzt wurde. benötigen – und genau das tun wir. (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Vielen Dank. Wortbruch ist das!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ In dieser Region, die an der polnischen Grenze liegt, DIE GRÜNEN) haben die Menschen immer mit der Armee gelebt und sie wollen dort ihren Frieden und ihr Leben finden. Daher ist Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat es einfach unanständig, wenn Sie so handeln. jetzt die Abgeordnete Susanne Jaffke. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) Susanne Jaffke (CDU/CSU): Frau Präsidentin! In dieser Region sind allein in die Sanierung der Infra- Meine Damen und Herren! Ich hoffe, dass sehr viele Bür- struktur der Bundeswehr und der Truppenübungsplätze ger zum Beispiel aus den Regionen Eggesin und Staven- mehr als 109 Millionen DM geflossen. Vor diesem Hin- hagen diese Rede des Kollegen Kahrs gehört haben; denn dann wird es tergrund halte ich es für einen Treppenwitz der Ge- schichte, wie Sie auf die Haushaltskonsolidierung abge- (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Hoffnungs- hoben haben. Erst haben Sie in den Gesamtstandort mehr los!) als 300 Millionen DM investiert und nun ziehen Sie große im nächsten Jahr für die Bundesrepublik Deutschland mit Teile der Armee ab. Sicherheit sehr gut aussehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich danke vor allem Die Bundesrepublik Deutschland hat dort mit den meinen Kollegen Börnsen und Rossmanith dafür, dass sie Kommunen Verträge geschlossen, und zwar im Bereich so klar und eindeutig über die Sicherheitsanforde- Wohnungsfürsorge. Ich habe diesbezüglich mehrfach rungen gesprochen haben, die unserer Meinung nach Anfragen an die Bundesregierung gerichtet. Sie sind schon vor dem 11. September bestanden haben, die seit nichts sagend beantwortet worden. An die Adresse der dem 11. September noch stärker geworden sind und de- PDS möchte ich Folgendes sagen: Was der Kollege Holter nen mit diesem neuen Konzept für die Bundeswehrstruk- tur mitnichten Genüge getan wird. – ich war anwesend – von sich gegeben hat, war das Hin- terletzte; es war gar nichts. Die Kommunen bekommen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (B) nichts, schon gar nicht von der Landesregierung. Aber ich (D) Der Antrag, den wir vorgelegt haben, zielt in die Rich- will Sie an den Taten messen: Durch den Haushalt 2002 tung, die Kommunen, die jetzt im Stich gelassen werden, werden sämtliche Verbilligungstatbestände der Kommu- ein Stückchen zu berücksichtigen, was die Aufgaben an- nen für Investitionen in die soziale Infrastruktur – und geht, die sie zu erfüllen haben. damit für den Erwerb von Bundesliegenschaften – der Jahre 2000 und 2001 sang- und klanglos abgeschafft. In vielen Diskussionsbeiträgen, vor allem in dem Bei- trag vom Kollegen Fell, wurde darauf abgehoben, was (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Das ist gera- schon alles geleistet worden ist. Lassen Sie mich das an- dezu skandalös! Rücksichtslos!) hand einiger Beispiele, vor allem aus den neuen Bundes- Bei allen drei Verbilligungstatbeständen, die den Kommu- ländern, betrachten. nen beim Erwerb von Bundesgrundstücken für gemein- Im Land Mecklenburg-Vorpommern waren zur Wen- nützige Einrichtungen gewährt wurden, steht expressis dezeit am Standort Eggesin 21 000 und am Standort Ba- verbis, dass der entsprechende Haushaltsvermerk nicht sepohl mehr als 5 000 NVA-Soldaten stationiert. Dazu für den Fall der Veräußerung von bisher militärisch ge- kommen die Angehörigen der Marine in Dranske, die der nutzten Liegenschaften, die nach dem 14. Juni 2002 zum Luftwaffe in Peenemünde und die dort stationierten sow- Verkauf anstehen, gilt. jetischen Streitkräfte. Insgesamt waren in Mecklenburg- Vorpommern mehr als 150 000 Armeeangehörige sta- (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Abzocken tioniert. zulasten der Bürger!) Dadurch, dass die Anzahl der Dienstposten am Stand- Wo ist also bitte schön die Verantwortung dieser Regie- ort Eggesin von mehr als 20 000 auf 4 800 reduziert wor- rung gegenüber den Ländern und gegenüber den Kom- den ist, hat diese Region eine besondere Kraftanstrengung munen, wenn sie so mit diesen Standorten umgeht? vornehmen müssen. 1998 – CDU und SPD stellten die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Landesregierung – dachte man in der Region, man könne neten der FDP) sich darauf verlassen, dass sich diese Kraftanstrengung nach acht Jahren endlich auszahlt. Dann fuhren der Bun- Abgesehen davon kann ich Ihnen, was die neuen Bun- deskanzler und der Verteidigungsminister durch die Ge- desländer angeht, nur Folgendes sagen: Ich wage zu be- gend und erklärten den Leuten, dass das Standortkonzept, zweifeln, dass es gelingt, die für ein deutsch-dänisch- wie es die vorherige Bundesregierung entwickelt hatte, polnisches Korps im Rahmen der NATO entwickelte durch die jetzige Bundesregierung aufrechterhalten Konzeption – die Soldaten, die eine bestimmte Tradition werde. Das waren die Worte dieser beiden Personen vor aufgebaut haben, werden jetzt abgezogen; Stichwort 18886 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Susanne Jaffke (A) Stargarder Regiment in Polen – aufrechtzuerhalten. Ich Berichterstattung: (C) weiß nicht, wie den Verpflichtungen gegenüber der NATO Abgeordnete Petra Ernstberger und anderen damit verbundenen Aufgaben nachgekom- Dr. men werden soll. Dr. Helmut Lippelt Ulrich Irmer Sie haben jetzt noch die Chance, unserem Antrag zu- Wolfgang Gehrcke zustimmen. Ich bitte Sie darum. Alles andere wird die Be- völkerung entsprechend würdigen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich schließe da- mit die Aussprache. Abgeordnete Petra Ernstberger. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp- Petra Ernstberger fehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (SPD): Frau Präsidentin! Liebe zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel Kolleginnen und Kollegen! Wir alle stehen noch immer „Strukturpolitische Verantwortung für Bundeswehrstand- unter dem Eindruck der terroristischen Anschläge vom orte übernehmen, die die Bundesregierung schließen oder 11. September und der daraufhin erfolgten Gegenmaß- verkleinern will“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag nahmen, die im Rahmen eines bis dahin noch nie gekann- auf Drucksache 14/5550 abzulehnen. Wer stimmt für ten Bündnisses, auch eines Bündnisses über die NATO diese Beschlussempfehlung des Ausschusses? – Gegen- hinaus, eingeleitet wurden. Diese Anschläge haben Aus- stimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung wirkungen auf unser Thema: Auswirkungen auf den Fort- ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die gang von Abrüstung und Rüstungskontrolle, Auswirkun- Stimmen der gesamten Opposition angenommen worden. gen vor allem aber aufgrund der Konsequenzen, die die Vereinigten Staaten aus den Terroranschlägen gerade für Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a und b sowie ihr Land gezogen haben. Sie haben sich von der Über- 18 e auf: zeugung leiten lassen, dass die Herstellung von Sicherheit vor Terrorismus eine gemeinsame Aufgabe der Staaten- a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes- welt ist, dass Erfolge nicht durch unilaterale Maßnahmen, regierung vielmehr am ehesten im Zusammenwirken aller Staaten erzielt werden könne. Bericht der Bundesregierung zum Stand der (B) Bemühungen um Abrüstung, Rüstungskontrolle (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (D) und Nichtverbreitung sowie über die Entwicklung Das Zusammenschmieden dieser großen Antiterror- der Streitkräftepotenziale (Jahresabrüstungs- koalition ist der Ausdruck eines neuen Engagements für bericht 2000) eine multilaterale Sicherheitspolitik. Kollektive Sicher- – Drucksache 14/5986 – heitsanstrengungen und vertragliche Vereinbarungen zur Überweisungsvorschlag: Reduzierung von Bedrohungen waren und bleiben politi- Auswärtiger Ausschuss (f) sche Ansätze der Rüstungskontrolle. Gerade diese An- Verteidigungsausschuss sätze sind aber in den letzten Jahren zunehmend infrage gestellt und zugunsten einseitiger Sicherheitsmaßnahmen b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- ausgehöhlt worden. Eine einseitige Kündigung des ABM- richts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus- Vertrages und eine einseitige Stationierung von Raketen- schuss) zu dem Entschließungsantrag der Frak- abwehrsystemen hätten Rüstungskontrollbemühungen im tion der PDS zu der vereinbarten Debatte Bereich der strategischen Rüstung die Basis entzogen. Entscheidung des US-Senats zum Atomtest- Dazu ist es Gott sei dank bislang nicht gekommen. Es gibt stoppvertrag Grund zur Hoffnung, dass es künftig nicht nur bei der Bekämpfung des Terrorismus, sondern auch bei der Frage – Drucksachen 14/1894, 14/3812 – der Raketenabwehr zu Vereinbarungen und Regelungen Berichterstattung: kommt, die die Interessenslagen der Nuklearmächte und Abgeordnete Petra Ernstberger aller anderen Staaten berücksichtigen, die sich potenziell Hans Raidel einer Bedrohung durch Raketen ausgesetzt sehen. Rita Grießhaber Hildebrecht Braun (Augsburg) Unser Interesse besteht nach wie vor darin, die Proli- Wolfgang Gehrcke feration von Massenvernichtungswaffen und deren Trä- gersystemen durch internationale verifizierbare Überein- e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- kommen zu verhindern. richts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus- (Beifall der Abg. Angelika Beer [BÜNDNIS 90/ schuss) zu dem Antrag der Fraktion der PDS DIE GRÜNEN]) Neue nukleare Abrüstungsinitiativen statt Es gibt berechtigten Anlass zu der Erwartung, dass dies neuer Raketenabwehrprojekte nun auch im Interesse der USA, Russlands und Chinas – Drucksachen 14/3875, 14/5852 – liegt und von ihnen mitgetragen wird. Präsident Putin hat Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001 18887

Petra Ernstberger (A) ja gerade an diesem Ort seine Bereitschaft zu einer geschlossene Vertrag hat dafür gesorgt, dass über (C) Stabilitätskoalition erklärt. Auch Indien und Pakistan 50 000 schwere konventionelle Waffen abgerüstet worden gehören in eine solche Koalition. Die neuen Umstände sind. Durch ihn wurde die Fähigkeit zu Überraschungs- müssen jetzt genutzt werden, um die bisherige Stagnation angriffen und zur Einleitung groß angelegter militärischer bei den Verhandlungen über nukleare Abrüstung und der Offensiven in Europa vollständig beseitigt. Keine noch so Durchsetzung eines umfassenden nuklearen Teststopp- große einseitige militärische Maßnahme Deutschlands vertrages zu überwinden. oder der NATO hätte eine derart durchgreifende Verbes- serung unserer Sicherheit erzielen können. Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, bei der Wei- terentwicklung von Raketentechnologie tätig zu werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist doch der Er- Als ein Beispiel nenne ich den Umgang mit Nordkorea. fahrungshintergrund dafür, dass wir auch in anderen Be- Wir begrüßen es, dass Präsident Bush den Dialog mit die- reichen der militärischen Sicherheit so beharrlich an der sem Land wieder aufgenommen hat. Wir sehen reale Rüstungskontrolle und den Abrüstungsregimen festhal- Chancen, dass durch ein Zusammenwirken der Staaten ten. Allerdings gibt es auch beim KSE-Vertrag noch De- der ganzen Region – Südkorea, Japan, China –, aber auch fizite. Russland ist wegen Tschetschenien seinen KSE- der Europäischen Union Bedingungen zur Beendigung Verpflichtungen immer noch nicht ausreichend nach- der Raketenproliferation aufgestellt und ein andauernder gekommen. Deshalb appellieren wir an die Bundesregie- Stopp der Entwicklung weit reichender Raketen erreicht rung, weiterhin auf unseren russischen Partner einzuwir- werden können. ken, damit die Bedingungen für die Ratifizierung des an- gepassten KSE-Vertrages sobald wie möglich erfüllt Ein zweiter Ansatz besteht darin, die MTCR-Verhand- werden. lungen, die die Verbreitung von Risikotechnologie unter internationale Kontrolle bringen sollen, wieder zu inten- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ sivieren. Diese Verhandlungen waren in letzter Zeit fest- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der gefahren und das Interesse daran, sie erfolgreich abzu- FDP) schließen, war zunehmend geschwunden. Jetzt gibt es Zum Schluss möchte ich noch auf das Thema Minen neue Gründe für neue Anstrengungen, bei denen auch eingehen, das bereits bei der gestrigen Debatte eine Rolle Staaten wie der Iran mit einbezogen werden sollten. gespielt hat. Es gibt Vorschläge, das Ottawa-Überein- Auch die Frage, wie waffentaugliches Plutonium aus kommen zu einem Verbot von Antipersonenminen auszu- abgerüsteten Kernsprengköpfen sicher entsorgt wird, weiten und auch ein Verbot von Antipanzerminen in den muss auf die Tagesordnung. Es ist ein prioritäres Interesse Vertrag aufzunehmen. aller Staaten, dass dieses Plutonium nicht in irgendwelche (Hildebrecht Braun [Augsburg] [FDP]: Es gibt (B) falschen Hände gerät. Für meine Fraktion ist die Frage, auch einen entsprechenden Antrag der FDP!) (D) wie das Plutonium entsorgt wird und welche Technologie damit verbunden ist, sekundär. Primär ist, dass das Pluto- Dazu ist ja gestern der Antrag der FDP diskutiert worden. nium für seinen weiteren Einsatz als Waffe unbrauchbar Aus meiner Sicht wäre eine solche Vorgehensweise gemacht wird. Auffassungsunterschiede über die zu ver- dann zweckmäßig, wenn die Ziele des Ottawa-Vertrages, wendende Technik und Finanzen waren aber gerade die bei denen es ausschließlich um Antipersonenminen geht, Gründe, die dieses wichtige Thema international auf Eis bereits erreicht wären. Das ist leider längst nicht der Fall. gelegt haben. Die größte Schwäche des Ottawa-Abkommens besteht (Ruprecht Polenz [CDU/CSU]: Hört! Hört! – nämlich darin, dass die wichtigsten Länder, die Produ- Hildebrecht Braun [Augsburg] [FDP]: Daran zenten und Exporteure sind, nämlich Russland, China, war Deutschland aber sehr wohl beteiligt!) Pakistan, Indien und auch die USA, dem Übereinkommen nicht beigetreten sind. Darüber hinaus hat das Überein- Angesichts der dringenden Frage der Terrorismus- kommen in den realen Krisenregionen dieser Welt bisher bekämpfung können wir uns eine derartige Vernachlässi- noch keine sehr nachhaltigen Wirkungen erzielt. In allen gung nicht mehr leisten. Aber wir können sie uns auch aus Krisengebieten – ob in Jugoslawien, Mazedonien, Abrüstungsgründen nicht leisten. Wer nämlich möchte, Kaschmir oder jetzt in Pakistan und Afghanistan – wur- dass künftig noch mehr Atomwaffen verschrottet werden, den und werden weiterhin Minen gelegt. Das Ottawa-Ab- der muss auch eine Antwort auf die Frage geben, was aus kommen hat daran nichts ändern können. dem dadurch frei werdenden Plutonium und dem hoch an- gereicherten Uran in den Atomsprengköpfen werden soll. ( [Wiesloch] [SPD]: Ohne eine solche Antwort wäre eine weitere Atomabrüs- Leider!) tung nur schwer verantwortbar. Denn sie würde das Ri- Aus diesem Blickwinkel erscheint es wenig erfolgver- siko, dass sich gerade die Falschen dieses Materials sprechend, die Thematik auszuweiten, solange der erste bemächtigen, mit jedem weiteren Abrüstungsschritt stei- Schritt, nämlich die Ächtung der Antipersonenminen, gern. noch nicht zufrieden stellend vollzogen ist. Deshalb drän- gen wir die Bundesregierung, sich mit allen ihr zur Verfü- Was multilaterale Rüstungskontrolle für den Aufbau gung stehenden Mitteln für die Universalität des Ottawa- der Sicherheit zu leisten vermag, zeigt in meinen Augen Abkommens einzusetzen auf besondere Weise der „Eckstein der europäischen Si- cherheit“, wie ihn der Abrüstungsbericht bezeichnet, (Beifall des Abg. Gert Weisskirchen nämlich der KSE-Vertrag. Der im November 1990 [Wiesloch] [SPD]) 18888 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Petra Ernstberger (A) und sich mit eigenen Beiträgen weiterhin an der Minen- die Bundesregierung es bei den ersten Maßnahmen zur (C) räumung zu beteiligen. Auch unser Unterausschuss wird Terrorbekämpfung mit der Tabaksteuer gemacht hat. sich mit dieser Thematik weiterhin befassen. (Beifall bei der CDU/CSU – Joseph Fischer, Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, bei aller Dramatik Bundesminister: Was schlagen Sie vor?) der gegenwärtigen Entwicklungen müssen wir verstärkt Meine Damen und Herren, der 11. September hat ge- an unserem Thema Abrüstung und Rüstungskontrolle ar- zeigt, dass wir die Proliferationsgefahren noch ernster als beiten. Jetzt müssen und werden wir auf die neuen Anfor- bisher nehmen müssen. Ein besonderes Risiko bei der derungen reagieren. Aufgrund der neuen internationalen Weiterverbreitung sind die Bestände der ehemaligen Zusammenarbeit gegen Terrorismus ist nun eine neue Sowjetunion. Hier geht es zum einen – das sagt auch der Chance gegeben, wieder in Gespräche zu kommen. Diese Jahresabrüstungsbericht – um die Beseitigung von che- neuen internationalen Konstellationen bieten uns auch mischen Waffen, zum anderen um die Beschäftigung von Chancen für Abrüstung. Lassen Sie uns bitte gemeinsam Wissenschaftlern aus den GUS-Staaten, diese Chancen nutzen! (Hildebrecht Braun [Augsburg] [FDP]: Sehr (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ richtig!) DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hildebrecht Braun [Augsburg] [FDP]) die in ehemals sensiblen militärischen Forschungs- und Entwicklungsbereichen tätig waren. Die Programme be- schäftigen insgesamt 36 700 Wissenschaftler. Die Haupt- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat finanzlast dieser Programme tragen die USA; die Eu- jetzt der Abgeordnete Ruprecht Polenz. ropäer tragen einen kleinen Bruchteil und wir sind daran kaum beteiligt. Die Programme zur Beschäftigung dieser Wissenschaftler sind außerordentlich wichtig, denn es Ruprecht Polenz (CDU/CSU): Frau Präsidentin! gibt, wie wir wissen, Versuche zu ihrer Anwerbung aus Meine Damen und Herren! Ich möchte mich bei der De- Staaten wie dem Irak, dem Iran oder Pakistan. Wir müs- batte um den Jahresabrüstungsbericht aus dem aktuellen sen uns, wenn die Programme ausgelaufen sein werden, Anlass des 11. September ebenfalls auf die Gefahren der hier stärker engagieren und dafür mehr Mittel bereitstel- Proliferation, also der Weiterverbreitung von Massen- len, auch weil noch nicht alle Wissenschaftler erfasst sind. vernichtungswaffen, konzentrieren. Hier müssen wir un- sere Anstrengungen verstärken; dieses Thema hat seit Das gilt nach meiner festen Überzeugung auch für die dem 11. September eine größere Dringlichkeit bekom- Beseitigung von chemischen Waffen der ehemaligen Sow- men. jetunion. Hier gewähren wir technische Unterstützung bei der Planung und Errichtung einer Pilotanlage zur Ver- (B) (Hildebrecht Braun [Augsburg] [FDP]: So ist nichtung chemischer Kampfstoffe in Gornyj. Das Ziel ist, (D) es!) dass Russland mit der Vernichtung im Jahre 2002 beginnt, damit seine Verpflichtungen aus dem Chemiewaffenüber- Es geht nicht nur um die Gefahr der Verbreitung dieser prüfungsabkommen bis zum Jahre 2007 erfüllt sein wer- Systeme an Staaten, sondern auch um die Gefahr einer den. Aber auch hier, meine Damen und Herren, könnten Verbreitung an Terroristen. Wir müssen deshalb mehr und sollten wir mehr tun; je eher diese Waffen vernichtet dafür aufwenden; ich füge gleich hinzu: auch mehr Geld. sein werden, desto besser. Solange sie noch existieren, Das wird uns nur gelingen, wenn wir das öffentliche können sie auch in falsche Hände geraten. Bewusstsein für diese neue Dringlichkeit nutzen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall der Abg. Heidi Lippmann [PDS]) Jetzt komme ich zum Geld in diesem Zusammenhang. Die Debatte heute findet aber als eine Art Nischendebatte Insgesamt gaben wir als Bundesrepublik Deutschland zur statt. vorbeugenden Bekämpfung der Proliferationsgefahren auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion und zur Ab- (Hildebrecht Braun [Augsburg] [FDP]: So ist rüstungszusammenarbeit mit Russland und der Ukraine es! Ganz genau!) im Jahre 2000 ganze 15 Millionen DM aus. Das ist weni- Wir müssen diese Debatte aus der Expertendiskussion her- ger, als dem Fußballer Sebastian Deisler als Anzahlung ausholen – wir sollten gemeinsam überlegen, wie uns das für seinen bevorstehenden Wechsel von Hertha BSC zu gelingen kann –, damit die Grundlagen dieser Debatte auch Bayern München gezahlt worden ist. für eine breitere Öffentlichkeit nachvollziehbar werden. (Hildebrecht Braun [Augsburg] [FDP]: So ist das! Das sind die Größenordnungen!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) Zum Vergleich: Die USA geben für diesen Zweck seit 1992 jedes Jahr 1 Milliarde US-Dollar aus dem Nunn-Lu- Ich wäre froh, wenn die Bundesregierung Vorschläge gar-Funds aus, an dem auch die Briten und die Franzosen dazu vorlegen könnte. Wir werden die notwendige Ver- beteiligt sind. Sie sehen an diesen Zahlen: Die USA, aber schiebung von Prioritäten mit den entsprechenden finan- auch Großbritannien und Frankreich nehmen das Prolife- ziellen Konsequenzen nicht ohne Rückhalt in der Öffent- rationsrisiko in diesem Fall wesentlich ernster als wir. Es lichkeit erreichen. Herr Minister, wir werden deshalb ist höchste Zeit, dass wir das ändern. weniger Geld für andere Dinge zur Verfügung haben. Wir werden nicht einfach die Steuern erhöhen können, wie Sie Darüber hinaus gibt es ein besonderes Proliferationsri- es in Ihrem gestrigen Beitrag angekündigt haben und wie siko, nämlich das waffenfähige Plutonium in der ehe- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001 18889

Ruprecht Polenz (A) maligen Sowjetunion betreffend. Die Vernichtung dieses Wie soll nun die Lösung aussehen? Zur Beruhigung (C) Plutoniums ist eines der größten abrüstungspolitischen der grünen Basis hat der Wirtschaftsminister festgestellt, Probleme, die der Kalte Krieg hinterlassen hat. Ein ame- der Export der Hanauer Anlage sei zwar genehmigungs- rikanisch-russisches Abkommen in diesem Zusammen- pflichtig, aber bedauerlicherweise bestehe ein Rechtsan- hang sieht nun vor, zunächst insgesamt 34 Tonnen des spruch auf Genehmigung. Keinesfalls werde man aber Plutoniums auf beiden Seiten zu entsorgen, also ein- diesen Export mit einer Hermesbürgschaft absichern. schließlich des Anteils, den die USA haben. Wir wissen: (Hildebrecht Braun [Augsburg] [FDP]: Sehr Das ist nur ein Anfang. Die Bestände sind etwa dreimal so richtig!) groß. Jedes Jahr sollen 2 Tonnen entsorgt werden. Man will spätestens am 31. Dezember 2007 beginnen, wenn Damit erklärt die rot-grüne Bundesregierung die abrüs- möglich noch früher, und hat vereinbart, dass das ent- tungspolitisch höchst erwünschte Verwendung der Ha- sorgte Plutonium nicht mehr für Waffenzwecke verwen- nauer Anlage gleichsam zur Privatsache der Firma det werden darf. Siemens. Sie nimmt möglicherweise eine erhebliche Ver- zögerung, vielleicht sogar ein Scheitern des gesamten Die Sache eilt, das wissen wir, denn das Plutonium ist Projektes in Kauf, einschließlich einer Brüskierung unse- in Russland – ich will es mal so ausdrücken – in zweifel- rer Partner in der G 8, die an dem Projekt beteiligt sind. haftem Gewahrsam. Es ist nicht auszudenken, was pas- sieren würde, wenn davon etwas in terroristische Hände Auf der anderen Seite möchte man sich aber doch be- fiele. teiligen, weil man der grünen Basis auch abrüstungspoli- tisch etwas vorweisen möchte. Hier gibt es 100 Milli- Angesichts der dringend gebotenen abrüstungspoliti- onen DM von der EU, und Sie, Herr Außenminister, schen Hilfe für Russland stolpert die Bundesregierung haben für Deutschland einen signifikanten Beitrag in Aus- über die ideologischen Hürden ihrer Kernenergiepolitik. sicht gestellt, Bedingung allerdings: nicht für die Herstel- (Hildebrecht Braun [Augsburg] [FDP]: Ge- lung von MOX-Brennstäben, stattdessen für eine Im- nauso ist es!) mobilisierung durch Verglasung oder Keramisierung. Frau Ernstberger hat gerade selber darauf hingewiesen, Jetzt kommt der Punkt: Weil Russland das Plutonium dass das Projekt droht, auf Eis gelegt zu werden. Wie sieht wiederverwerten will, wird für diese Immobilisierung nur die Situation konkret aus? Russland will waffenfähiges Atommüll zur Verfügung gestellt, der mit Plutonium ver- Plutonium vernichten, sieht das Plutonium jedoch als ei- seucht ist, also plutoniumhaltige Schlämme. Damit ist der nen energiehaltigen Wertstoff, will es also durch Um- deutsche Beitrag, der hier in Aussicht gestellt wird, eher wandlung in Mischoxidbrennelemente verarbeiten und ein Beitrag zum Umweltschutz als zur Abrüstung. Des- damit Strom erzeugen, auch durch den Export an Kern- halb sollte dieser Beitrag im Haushalt von Minister Trittin (B) kraftbetreiber im Westen. Die sollen die Brennelemente statt unter „Abrüstungshilfe“, Herr Außenminister, etati- (D) kaufen und später gegen Bezahlung wieder nach Russland siert werden. schaffen. Die Russen könnten so die Vernichtung des Plu- Trotz dieser Klimmzüge ist Rot-Grün hier nicht aus toniums bezahlen, die Kernkraftbetreiber bekämen ihren dem Schneider, meine Damen und Herren. Die 4 Tonnen Brennstoff etwas billiger, weil die Investitionskosten vom Plutonium pro Jahr, die über die MOX-Brennstäbe weg- westlichen Steuerzahler aufgebracht werden und nicht geschafft werden sollen, lassen sich nämlich ohne deut- voll in die Preise eingehen. sche Kernkraftwerke nicht verbrennen. Dazu wären die Die USA, Großbritannien, Frankreich und Japan, die deutschen Betreiber wohl auch bereit. Nach Auskunft der das Umwandlungsprogramm mitfinanzieren, haben da- Kernkraftwerksbetreiber in Deutschland ist bis zum Ab- gegen keine Bedenken. Nur die rot-grüne Bundesregie- lauf der Restlaufzeiten noch Platz für 14 Tonnen Pluto- rung hat energiepolitische Bauchschmerzen. Die werden nium. Washington und Moskau drängen auf Klarheit, ob nun dadurch verstärkt, Herr Minister, dass für die Um- die Bundesregierung dazu die Genehmigung erteilt. Sie wandlung des Plutoniums die Hanauer Brennelementefa- werden also noch vor der Bundestagswahl Farbe be- brik von Siemens gebraucht wird, weil sonst alles viel teu- kennen müssen, Herr Lippelt. rer würde oder weitere Verzögerungen eintreten würden. (Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Gebraucht wird also die Anlage, die Minister Fischer als NEN]: Ja, und Sie werden sich mit der Proble- hessischer Umweltminister einst stillgelegt hat. matik von MOX-Brennelementen beschäftigen (Joseph Fischer, Bundesminister: Sie war nie in müssen!) Betrieb! Von daher konnte sie auch nicht still- Lassen Sie mich zum KSE-Vertrag kommen. Der an- gelegt werden!) gepasste KSE-Vertrag konnte – Frau Ernstberger hat da- Es ist ein Eiertanz, es sind halbherzige Lösungen, die die rauf hingewiesen – auch im Jahre 2000 nicht in Kraft tre- ten, da die Bedingungen für die Ratifikation unverändert Regierung hier vollzieht. Die Politik ist mehr an den grü- nicht gegeben sind. Das Problem ist: Russland erfüllt die nen Scheuklappen orientiert als an der Notwendigkeit, neu vereinbarten Flankenobergrenzen in Tschetschenien Proliferationsgefahren umfassend und schnellstmöglich nicht. Es bleibt eine Kernforderung an Russland auch im zu beseitigen. Jahre 2001, wie es im Jahresabrüstungsbericht heißt, dies (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zu- zu ändern. ruf des Bundesministers Joseph Fischer) Nun war Herr Putin zu Besuch in Berlin, und wir soll- – Sie kommen gleich noch dran, Herr Minister! ten das gute Klima nutzen, um erneut darauf hinzuwirken. 18890 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Ruprecht Polenz (A) Das Hindernis: Russland überschreitet im Zusammen- prävention und Terrorbekämpfung. Bei der Krisenpräven- (C) hang mit dem Tschetschenien-Konflikt die regionalen tion und Terrorbekämpfung hat auch die Entwicklungs- Flankenobergrenzen. In diesem Zusammenhang möchte zusammenarbeit einen besonderen Stellenwert. Hier ich doch darauf hinweisen: Es gibt keinen Anlass für eine gibt es zwar keinen unmittelbaren, aber einen mittelbaren so genannte „differenzierte Bewertung“ des russischen Zusammenhang; denn Armut ist der Nährboden für den Vorgehens in Tschetschenien, wie der Bundeskanzler Terrorismus. Armut, Verzweiflung und Perspektivlosig- meint. keit sind auch ein Grund dafür, dass viele die reichen Län- der hassen. Dieser Hass macht anfällig dafür, sich von (Zuruf von der FDP: So ist es!) Ideologen und Volksverhetzern einspannen zu lassen. Wir haben das russische Vorgehen immer differenziert Es war deshalb falsch, dass die Bundesregierung ihre bewertet. Wir haben das Recht Russlands anerkannt, ge- Mittel zur Armutsbekämpfung gekürzt hat. gen Terrorismus vorzugehen, und das Recht Russlands auf territoriale Integrität. Aber es gibt kein Recht Russ- (Beifall bei der CDU/CSU) lands, dabei in schwer wiegender Weise die Menschen- Es war auch falsch, dass die Bundesregierung in den ver- rechte zu verletzen. gangenen Jahren Botschaften, Konsulate und Goethe-In- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) stitute geschlossen hat; Es gibt Berichte von Menschenrechtsorganisationen über (Beifall bei der CDU/CSU) Folter, über Vergewaltigungen, über entwürdigende Be- denn wir müssen unsere Anstrengungen verstärken, De- handlung von Gefangenen und über Repressalien gegen mokratie, Freiheit und Achtung der Menschenwürde und die Zivilbevölkerung. Hier ist keine „differenzierte“, son- Rechtsstaatlichkeit weltweit zu etablieren. Es ist falsch, dern weiterhin eine klare Bewertung angebracht. dass die Bundesregierung die Mittel für die politischen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Stiftungen kürzt, die in vielen Ländern gerade in diese neten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE Richtung besonders erfolgreich arbeiten. GRÜNEN und der FDP – Dr. Helmut Lippelt (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie den Außenminister nicht in der Haushaltsdebatte Es ist außerdem falsch, dass die Bundesregierung die gehört? Er hat nur den Kanzler gehört!) Mittel für die deutschen Schulen im Ausland kürzt; denn in diese Schulen gehen ja nicht nur die Kinder der deut- Lassen Sie mich ein Wort zum Raketenabwehrsystem schen Diplomaten, sondern auch die Kinder vieler und zum ABM-Vertrag sagen. Ungeachtet der präventiv Einheimischer, die später zu den Eliten ihrer Länder (B) angelegten Nichtverbreitungs- und Rüstungskontroll- gehören. Wir vergeben durch die Kürzung der Mittel für (D) regime gibt es weiterhin eine Besorgnis erregende welt- deutsche Schulen im Ausland die Chance, dass diese Kin- weite Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und der auch zu demokratischen Werten erzogen werden. Es Trägersystemen, und bei den Staaten oder internationalen ist deshalb doppelt falsch, dass die Bundesregierung die Akteuren, die heute oder künftig in Besitz von Massen- Mittel für Bildung in der Entwicklungszusammenarbeit vernichtungswaffen sind, wird das Prinzip der Ab- im Haushaltsentwurf 2002 um 60 Millionen Euro kürzt. schreckung durch gegenseitige gesicherte Vergeltung nicht mehr aufrechtzuerhalten sein, das zur Zeit des Kal- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ten Krieges den Einsatz dieser Waffen verhinderte. Mit Mit diesen Bildungsmitteln wird vielen Kindern und Ju- den amerikanischen Plänen zur Schaffung einer Raketen- gendlichen ein Schulbesuch überhaupt erst ermöglicht. abwehr zeichnet sich die Möglichkeit ab, die militärische Damit wird der Anfälligkeit für die Ideen von Terroristen Abschreckung und Prävention durch eine Verteidigung entgegengewirkt. gegen Raketenangriffe zu ergänzen. Es ist deshalb auch moralisch geboten, zu prüfen, inwieweit durch Raketen- Kurz gesagt: Es ist falsch – gerade auch angesichts der abwehr die Chance besteht, die Abhängigkeit von Offen- Bedrohung durch den internationalen Terrorismus –, dass sivwaffen durch eine gemeinsame Abhängigkeit von De- die Bundesregierung die Entwicklungshilfe im Haushalt fensivwaffen zu reduzieren und damit eine umfassende 2002 um 5,3 Prozent herunterkürzt. Abrüstung auf wenige hundert Nuklearsysteme zu er- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und möglichen. der PDS) Gegen die Entwicklung eines solchen Systems zur Ra- Sie hat jetzt nur noch einen Anteil von 0,2 Prozent am ketenabwehr spricht nicht, dass auch damit die Anschläge Bruttosozialprodukt. Wir sind weit von dem Ziel entfernt, auf das World Trade Center und das Pentagon nicht hätten 0,7 Prozent des Bruttosozialproduktes für Ent- verhindert werden können, genauso wenig, wie es gegen wicklungshilfe auszugeben. Anstrengungen zur Rüstungskontrolle und Abrüstung Wir hatten im Frühjahr eine gemeinsame Anhörung des spricht, dass weder Teppichmesser noch Passagierma- Finanz-, des Auswärtigen und des AWZ-Ausschusses mit schinen jemals in Abrüstungsvereinbarungen aufgenom- dem Präsidenten des Internationalen Währungsfonds, men werden. Horst Köhler. Er hat uns dazu aufgefordert, dieses Wir brauchen einen umfassenden Ansatz unserer 0,7-Prozent-Ziel in zehn Jahren zu erreichen und uns dazu Außen- und Sicherheitspolitik: Verteidigungspolitik, gesetzlich zu verpflichten. Ich fordere die Bundesregie- Abrüstung, Rüstungskontrolle, Nonproliferation, Krisen- rung auf, einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzule- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001 18891

Ruprecht Polenz (A) gen und die mittelfristige Finanzplanung des Bundes- nationalen Kampagne durchgesetzt werden konnte, erst (C) finanzministers entsprechend zu korrigieren. dann wirklich wirksam sein wird, wenn wichtige Staaten wie Russland, China oder die USA hier aktive Unterstüt- (Beifall der Abg. Heidi Lippmann [PDS]) zung bieten. Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Spätestens seit gestern Abend, seit dem Vortrag des Wir haben keine Alternative zum jetzigen Vorgehen gegen Vertreters von Medico International, wissen wir aber die Terroristen und diejenigen, die sie unterstützen und ih- auch, dass seit der Ächtung von Antipersonenminen in nen Unterschlupf gewähren. Das schließt auch militäri- diesen Regionen vermehrt Antipanzerminen mit einem sche Mittel ein. Aber die Anwendung von Gewalt, der so genannten Aufhebeschutz verwendet und ausgelegt trotz aller Vorsicht auch Unschuldige zum Opfer fallen können, bleibt ein Übel, auch wenn sie in bestimmten Si- werden. Wieder sind Zivilisten die Opfer, weil eine Anti- tuationen unvermeidbar ist. Umso dringender ist die Auf- panzermine nicht zwischen einen Minenräumer und ei- gabe, alles zu tun, um solche Dilemmasituationen in Zu- nem Gegner, nicht zwischen einem Panzer, einem Schul- kunft möglichst zu vermeiden: durch Gewaltprävention, bus und anderen zivilen Fahrzeugen unterscheiden kann. Nonprofileration, Abrüstung, Rüstungskontrolle und Ver- So sehr ich dieses Ottawa-Abkommen und die Versu- stärkung der Entwicklungszusammenarbeit. Das Recht, che, die anderen Staaten zu überzeugen, dass diese Abrüs- jetzt so zu handeln, macht es erforderlich, dass die ande- tungsinitiative der richtige Schritt ist, begrüße, so bin ich ren Maßnahmen der Gewaltprävention folgen. doch sicher, dass wir den Aspekt der Ächtung der Vielen Dank. Antipanzerminen nicht vernachlässigen dürfen. Ich glaube, es stünde uns gut an, gerade in dieser Zeit paral- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie lel eine Initiative zu untenehmen und zusammen mit an- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE deren Staaten, wie zum Beispiel mit Italien, dafür zu wer- GRÜNEN) ben, dass auch die Antipanzerminen ohne Aufhebeschutz geächtet gehören, eben weil sie eine undifferenzierte Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat die Waffe sind, die sich gegen alle richtet. Abgeordnete Angelika Beer. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Frau Kollegin, Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Nolting? Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich teile die bisher geäußerte Einschätzung aller Rednerinnen und Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, Redner, dass der 11. September eine große Auswirkung natürlich. (B) auf die Bedeutung unseres Unterausschusses haben wird, (D) gerade wenn es um Fragen wie die Verhinderung der Pro- liferation von chemischen, biologischen und atomaren Günther Friedrich Nolting (FDP): Frau Kollegin Stoffen geht. Beer, es liegt hierzu ja ein entsprechender Antrag der FDP-Fraktion vor, der gestern eingebracht wurde. Wird Da Bundesaußenminister gleich noch die Koalition und werden speziell Sie diesem Antrag zu- selber zu diesen Bereichen Stellung nehmen wird, möchte stimmen? ich in der kurzen Zeit auf zwei Aspekte zu sprechen kom- men, die wir unter abrüstungspolitischem Blickwinkel (Zuruf von der SPD: Da machen wir lieber ei- nicht vergessen dürfen, weil sie auch wichtige humanitäre nen gemeinsam!) Fragen berühren. Diese betreffen die Landminen und Kleinwaffen und sind für die Zivilbevölkerung und für Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr die Entwicklung der Gesellschaft der auch heute genann- Kollege Nolting, dieser Antrag ist wie jede Initiative zu ten Regionen wie zum Beispiel Afghanistan von wesent- begrüßen. Es auch zu begrüßen, dass die FDP den Stand, licher Bedeutung. Landminen und Kleinwaffen sind zen- den wir im Rahmen der internationalen Verhandlungen trale Themen in der Abrüstungspolitik unserer durchgesetzt haben, durch den Bundestag gerne fest- Bundesregierung. Die Bundesregierung versucht aktiv, schreiben möchte. Das wird die Bundesregierung nicht die jeweiligen Ansätze in Zusammenarbeit mit den Part- stören und uns erst recht nicht. nerländern der Europäischen Union und womöglich im Rahmen anderer internationaler Organisationen weiter zu Es stellt sich hier aber die Frage, ob wir im Rahmen un- entwickeln. serer humanitären Aufgaben jetzt nicht einen Schritt wei- ter gehen sollten. Wir sollten prüfen, ob Bereitschaft vor- Wenn ich heute das Thema Landminen anspreche, so handen ist, jene Minen, die wie die Antipanzerminen nehme ich auch Bezug auf ein Forum, das gestern Abend unterschiedslos wirken, ebenfalls perspektivisch zu äch- stattgefunden hat, nämlich auf das Lew-Kopelew-Forum ten. Deswegen werden wir hier im Parlament gründlich zur Problematik Landminen und Afghanistan. In Afgha- beraten und dabei möglicherweise etwas weiter gehen als nistan ist seit Jahren Krieg. Nur 25 Prozent der Landes- Sie in Ihrer Initiative. Ich glaube, das ist die humanitäre fläche sind noch nutzbar, also nicht vermint. Vor diesem Verantwortung, der wir uns nicht nur als Politiker und Re- Hintergrund ist es notwendig – darüber gibt es keinen gierung zu stellen haben. Dazu haben wir uns auch im Streit –, die Universalisierung des Ottawa-Abkommens Koalitionsvertrag verpflichtet. weiter zu betreiben. Universalisierung meint, dass die Ächtung der Antipersonenminen, die auf Druck der inter- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 18892 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Angelika Beer (A) Deswegen, Herr Kollege Nolting, werden wir auch eigene Abrüstung und die Verhinderung der Verbreitung von (C) Vorschläge unterbreiten. Massenvernichtungswaffen sind eigentlich zentrale The- men unserer Zeit. Nur, die Bundesregierung zeigt ihr (Günther Friedrich Nolting [FDP]: Das habe ich besonderes Interesse in der besonderen Art: Der Verteidi- gestern ganz anders gehört! Das sagt Ihr Koali- gungsminister schickt noch nicht einmal seinen Staats- tionspartner ganz anders, auch gestern Abend!) sekretär. Die Entwicklungsministerin glänzt durch Abwe- Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich weiß, dass Sie senheit, als hätte dieses Thema mit den Lebenschancen das alles als illusorisch bezeichnen. der Menschen in den Entwicklungsländern schlicht gar (Günther Friedrich Nolting [FDP]: Nein, über- nichts zu tun. haupt nicht! Sie haben drei Jahre Zeit gehabt!) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Als ehemalige Koordinatorin der internationalen Kam- Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- pagne gegen Landminen für Medico International NEN]: Und die FDP sitzt mit drei Leuten hier!) möchte ich hier kurz Folgendes berichten: Als ich anfing, Der Wirtschaftsminister weiß wahrscheinlich gar nicht, mit den Verteidigungsministerien der europäischen Staa- dass sein Ressort für Rüstungsexporte primär zuständig ten zu beraten, unsere Kampagne vorstellte und fragte: ist. Der Staatssekretär für Verbraucherfragen unterhält „Was halten Sie davon?“, war ich spätestens nach fünf den gelangweilten Außenminister während der Hälfte der Minuten mit dem Kommentar wieder vor der Tür, das sei Debatte. Das ist unsere große Abrüstungsdebatte – tolle vollkommen illusorisch, sie bräuchten diese Antiperso- Sache! nenminen. Letzten Endes erhielt diese Kampagne den in- ternationalen Friedenspreis. Das Ergebnis ist Ottawa I. (Beifall bei der FDP und der PDS) Deswegen sind wir hoffungsvoll, dass wir zusammen mit Dabei hätten wir bei einer der zentralen Schicksalsfra- den Hilfsorganisationen – das sind die Experten in diesem gen der Menschheit durch unsere politische und wirt- Bereich – einen Schritt weiterkommen hin zu Ottawa II, schaftliche Bedeutung, aber eben auch durch die in den hin zur Ächtung aller Landminen. vergangenen Jahren und Jahrzehnten betriebene Politik Lassen Sie mich zum Schluss noch eine nachdenkliche besonderen Einfluss, wenn wir ihn nur geltend machten. Anmerkung machen. Wenn es stimmt, dass jetzt auch im Wir alle wissen, dass unser Partner, die USA, sich bei der Rahmen der von uns mitgetragenen militärischen Ein- Abrüstung besonders schwer tut. Atomteststoppvertrag, sätze gegen Terrorzentralen in Afghanistan Streubomben National Missile Defense, Ottawa-Abkommen über die und Bomben, die Antipersonenminen beinhalten, abge- Ächtung von Minen, Bedenken gegen den ABM-Ver- worfen werden, dann müssen wir überlegen, ob das der trag – wo man hinschaut, sitzen die USA im Bremser- häuschen. Abrüstung ist in den USA wenig populär. (B) richtige Weg ist. (D) (Hildebrecht Braun [Augsburg] [FDP]: Und (Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- woher wissen Sie das?) NEN]: Im Moment ist das auch schwierig!) Ich habe da große Zweifel; denn wir wissen: Auch wenn Hier hätte ein selbstbewusster Partner, der den USA Kriege beendet sind, bleiben Minen scharf. Sie bleiben aus gutem Grunde solidarisch beistand und beisteht, wenn scharf, bis ein Zivilist, ein Flüchtling, der Nahrung sucht, es darauf ankommt, großen Einfluss. Nur, wird er genutzt auf sie tritt und damit zu einem weiteren Opfer eines be- von denjenigen, die unser Land in der internationalen Po- endeten Krieges wird. Darüber sachlich zu diskutieren litik vertreten? und Auswege zu suchen ist unser aller Verantwortung. Eines der wichtigsten Themen gerade in unserer Zeit Vielen Dank. muss sein, mit allen Mitteln zu verhindern, dass Atom- bomben in die Hände von Terroristen oder auch von Staa- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ten wie dem Irak, dem Iran oder Libyen geraten. Nicht sowie bei Abgeordneten der SPD) auszudenken, was passiert wäre, wenn die Attentäter des 11. September 2001 Atombomben in ihrer Verfügungsge- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat walt gehabt und an Bord der Flugzeuge gebracht hätten. jetzt der Abgeordnete Hildebrecht Braun. Wir würden von New York nur noch in der Vergangen- heitsform sprechen können. Hildebrecht Braun (Augsburg) (FDP): Frau Präsi- Es glaube doch keiner, dass Attentäter, die ihr eigenes dentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dies ist Leben und das von Hunderten von mitfliegenden Men- also die große Abrüstungsdebatte des Deutschen Bundes- schen und Tausenden von völlig unbeteiligten friedlichen tages im Jahr 2001, die Debatte im Parlament eines der Bürgern riskieren, auf den Einsatz von Massenvernich- wichtigsten Staaten dieser Welt, eines Staates, der wie tungswaffen verzichten würden, wenn diese nur ihrem kein anderer zur Abrüstung und zum Frieden beitragen Ziel des Kampfes gegen die Amerikaner, gegen den Ka- könnte; denn er hat schon lange freiwillig auf den Besitz pitalismus, gegen den Westen, gegen die Demokratie, ge- von Atomwaffen sowie von biologischen und chemischen gen das Christentum oder gegen die Ungläubigen dienen Waffen verzichtet. Er hat schon lange Obergrenzen seiner könnten. Streitkräfte akzeptiert und seit Jahren eine sehr zurück- Mehr als 15 000 Atomsprengköpfe mit mehr als haltende Rüstungsexportpolitik betrieben. 50 Tonnen waffenfähigem Plutonium lagern in Russ- (Lachen der Abg. Heidi Lippmann [PDS]) land. Keiner von uns weiß, ob diese Plutoniummengen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001 18893

Hildebrecht Braun (Augsburg) (A) wirklich sicher bewacht und kontrolliert werden. Wir wis- Grenzübertritten einzusammeln und der Vernichtung zu- (C) sen aber, dass Russland den größten Teil davon gerne los- zuführen, ist ein ermutigendes Zeichen. werden und für die friedliche Atomenergie nutzen will. (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie Herr Polenz vorhin schon sagte: Amerika, England, Das ist doch was!) Frankreich und Japan wollten sich an dem Programm be- teiligen, nur die Bundesregierung ging und geht davon Ähnliches muss aber mit der Nordallianz und allen mög- aus, es sei wichtiger, dass bestehende russische Atom- lichen ähnlichen Partnern der Zukunft vereinbart werden, kraftwerke nicht zusätzliche Brennstoffe erhalten, als wenn wir nicht gleich den nächsten Waffengang in Kauf dass vagabundierende Atombomben von ihrer Gefähr- nehmen wollen. Über die vordergründigen Interessen in lichkeit befreit werden. einer momentanen Interessenkonstellation hinaus müssen auch immer die Wirkungen der Waffenlieferungen für die (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zukunft beachtet werden. Walter Hirche [FDP]: Unverantwortlich!) Vielen Dank. Die Bundesregierung weigert sich, Russland auf sei- nem Weg zur Konversion von Waffen in friedliche Ener- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) gie beizustehen, und besteht darauf, dass Plutonium, wel- ches für Russland von größtem wirtschaftlichem Wert Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat sein kann, verglast und dann immobilisiert werden soll. jetzt die Abgeordnete Heidi Lippmann. Dass dieses Glas auch wieder aufgebrochen werden kann, sodass man letztlich wieder an das Plutonium heran- Heidi Lippmann (PDS): Frau Präsidentin! Liebe Kol- kommt, wurde als nicht so wesentlich angesehen. Statt leginnen und Kollegen! Sie alle haben darauf hingewie- den Export der Nukem-Fabrik sen, dass wir nicht zur Tagesordnung übergehen können. (Joseph Fischer, Bundesminister: Alkem!) Ich möchte in diesem Zusammenhang auch noch einmal daran erinnern, dass die NATO genau heute vor einem zur Umwandlung von Waffenplutonium in MOX-Brenn- Monat erstmals das In-Kraft-Treten des Art. 5 des NATO- elemente zu fördern, gibt man sich distanziert und im Vertrages erklärt hat. Ich möchte auch daran erinnern, Grunde abweisend. dass in den vergangenen Tagen der Bundeskanzler in Kann es denn richtig sein, wenn diese Regierung mit Washington ganz im Gegensatz zu dem Tenor dieser De- dem Blick auf grüne Wähler, denen der Ausstieg aus der batte, die wir führen, weitreichende Zusagen zur militä- Kernenergie versprochen wurde, die Augen vor den gro- rischen Unterstützung bei den Angriffen auf Afghanistan ßen Nöten dieser Welt verschließt, und eventuell weitere Staaten, die noch folgen werden, (B) gemacht hat. Auch der Bundesverteidigungsminister ist (D) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) mehr denn je davon entfernt, dem Thema Abrüstung auch die sehr viel mehr mit der Gefahr der Weiterverbreitung nur eine nennenswerte Beachtung zu schenken. Sie sag- von Massenvernichtungswaffen als mit dem Abschalten ten zu Recht: Wenn man auf die Regierungsbank schaut, sicherer deutscher Atomkraftwerke zu tun haben? sieht man, wer hier ist und wer nicht hier ist. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin sehr dankbar für die Besonnenheit, die wir in der jetzigen Debatte hat- In der Kürze der mir zur Verfügung stehenden Zeit will ten; aber die haben wir als Abrüster immer schon gehabt. ich noch auf ein Thema zu sprechen kommen. Wir spre- Ich wünschte mir – darin kann ich dem Kollegen Braun chen heute über Abrüstung. Über Jahre und Jahrzehnte nur Recht geben –, dass wir nur ein Minimum an Auf- wurde jeweils der Gegner des Gegners aufgerüstet. Nicht merksamkeit dessen bekämen, was den Aufrüstern und zuletzt die USA haben die Taliban mit Boden-Luft-Ra- den Militärdiskutanten hier widerfährt. keten ausgestattet, als diese noch gegen die Sowjets Wenn wir uns über Abrüstung unterhalten, können wir kämpften. Jetzt richten sich diese Raketen gegen die ei- das nur unter den aktuellen Gesichtspunkten tun. Da genen Flugzeuge. Diese Beobachtung sollte all denen die möchte ich Ihnen widersprechen, Herr Kollege Polenz: Augen öffnen, die allzu leichtfertig Waffen an Streitpar- Die aktuelle Debatte, die im Moment in den USA zur Na- teien liefern, deren Verlässlichkeit alles andere als ge- tional Missile Defense geführt wird, ist sehr weit herun- sichert ist. tergefahren worden. Denn dort sieht man ganz klar, dass (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Raketenabwehr die Anschläge vom 11. September eben der PDS) nicht verhindert hätte. Deswegen ist im Moment dort nie- mand mehr ernsthaft in der Lage, dieses Programm vo- Wenn jetzt die Nordallianz mit Waffen vollgepumpt ranzutreiben. Wir sind sehr dankbar dafür, weil wir – ei- wird, ohne dass eine Absicherung über die Rückgabe oder gentlich fraktionsübergreifend – immer wieder gefordert die Vernichtung der Waffen nach einem eventuellen Sieg haben, das nationale Raketenabwehrprogramm zu stop- über die Taliban gewährleistet ist, dann sät man damit be- pen. reits wieder für den nächsten Krieg mit einem noch unbe- kannten Gegner. Schauen wir uns die aktuellen Ängste in der Bevölke- rung an, zum Beispiel angesichts der Milzbranderkran- Dass es bei der UCK gelang, 3 000 Waffen durch frei- kungen in den USA, dann wird das bestätigt, was NATO- willige Abgabe und weitere 3 000 Waffen bei illegalen Generalsekretär Robertson vor zwei Tagen in Ottawa 18894 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Heidi Lippmann (A) gesagt hat: dass B-Waffen die „Atombomben des kleinen Heidi Lippmann (PDS): Noch einen Satz: Wenn wir (C) Mannes“ seien. Bei der NATO-Versammlung in Ottawa die Spirale der Gewalt durchbrechen wollen, dann müs- hat man sehr besonnen darüber diskutiert, wie Prolife- sen wir aktiv Friedenspolitik gestalten. Friedenspolitik ration verhindert werden könnte, welche Auswirkungen bedeutet Entwicklungspolitik. Friedenspolitik bedeutet nicht nur konventionelle Systeme, sondern natürlich auch nicht die Bombardierung von Ländern wie Afghanistan A-, B- und C-Waffen haben. im Rahmen der Terrorbekämpfung. Wir können heute nur ahnen, wie viele Tonnen chemi- (Beifall bei der PDS) scher Kampfstoffe in den Lagern der GUS lagern. Wir können allenfalls erahnen, wie viele Tonnen den Weg hi- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat naus in die seit kurzem wieder als „Schurkenstaaten“ be- jetzt der Abgeordnete Rainer Arnold. zeichneten Länder gefunden haben. Wir können nur erah- nen, in welchem Ausmaß biologische Waffen vorhanden sind, nicht nur in Staaten, sondern auch bei terroristischen Rainer Arnold (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolle- Gruppen oder bei Einzelpersonen. ginnen! Liebe Kollegen! Der 11. September 2001 und seine tief greifenden Folgen könnten zu dem Trugschluss Wir wissen auch nicht erst seit dem 11. Septem- führen, dass wir uns mehr mit Aufrüstung als mit Abrüs- ber 2001, dass es möglich ist, B-Waffen-Erreger mit Flug- tung auseinander setzen müssen. Der richtige Weg ist aber zeugen, die normalerweise Pestizide versprühen, zu ver- die Verstärkung der bisherigen Abrüstungsbemühungen. teilen, sondern das wussten wir schon früher, weil es die Deshalb ist es gut, dass Fortschritte bei Abrüstung, Rüs- USA in Kolumbien vorgeführt haben, indem sie Koka- tungskontrolle und besonders bei der Nichtverbreitung felder mit „Agent Green“ besprüht haben. von Massenvernichtungswaffen ein wichtiges Ziel deut- Doch darüber, wie wir aus dieser Spirale herauskom- scher Sicherheitspolitik waren und bleiben. men, sollten wir nicht nur gemeinsam in diesem Kreis (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Angelika nachdenken, sondern darüber hinaus. Wir sollten vor al- Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) len Dingen über die Relation zwischen Aufrüstung und Abrüstung massiv nachdenken. Ich als Raucherin wäre Wenn dieser Prozess im Jahr 2000 gelegentlich leider persönlich gerne bereit, eine Mark mehr zu bezahlen, ins Stocken geraten ist, dann liegt das auch an NMD. Herr wenn ich wüsste, dass die 1,5 Milliarden DM, die Herr Polenz, darin sind wir anderer Meinung. NMD ist keine Scharping jetzt bekommt, in den Bereich der Abrüstung Chance, sondern es ist ein Risiko. und nicht in den Bereich der Aufrüstung investiert wür- (Beifall der Abg. Angelika Beer [BÜNDNIS 90/ den. DIE GRÜNEN] sowie bei der PDS) (B) (Beifall bei der PDS) (D) Wenn das Verhältnis zwischen den Vereinigten Staaten Wenn Länder wie die USA nicht bereit sind, den Atom- und Russland von Irritationen geprägt ist, dann fallen die teststoppvertrag zu ratifizieren, dann hat das natürlich eine entscheidenden Akteure für den Abrüstungsprozess aus. Wirkung, ebenso, wenn Sie nicht bereit sind, ihre Chemie- (Ruprecht Polenz [CDU/CSU]: Das ist nicht produktion für unabhängige Kontrollorgane zu öffnen. wahr!) Wenn wir es schaffen, Abrüstung in eine nennenswerte Jetzt hat die aktuelle weltpolitische Lage zu intensiven Relation zu den Aufrüstungsprogrammen zu setzen, die Dialogen über mögliche Bedrohungsszenarien geführt wir gerade dieser Tage erleben, dann schaffen wir es auch, und eine breite Basis gemeinsamer Interessen geschaffen. entsprechende Mittel in den Etat der Entwicklungs- Das Ziel ist klar: mehr Sicherheit für alle durch verstärkte zusammenarbeit zu investieren, die Chemiewaffenlager Abrüstungsbemühungen. in Russland und den anderen GUS-Staaten durch entspre- chende Maßnahmen zu sichern und abzubauen und damit Ein Thema, mit dem wir uns immer wieder im Unter- aus dieser Spirale der militärischen Gewalt auszubrechen. ausschuss beschäftigt haben, findet in den letzten Tagen besondere Aufmerksamkeit: die Gefahren, die von che- Liebe Kollegin Beer, ein Wort an Sie. Sie haben Ottawa mischen und biologischen Kampfstoffen ausgehen. Trotz angesprochen und von den humanitären Verpflichtungen internationaler Ächtung bedrohen sie die Menschheit und geredet. Wir alle sind der Meinung, dass wir nicht nur – wir wissen es – viele Menschen sind besorgt. Wir wis- Antipersonenminen, sondern auch Antifahrzeugminen sen, dass kriminelle Terroristen die Substanzen in größe- ächten müssen. Doch angesichts dessen, was gerade die- rem Umfang nicht in der Badewanne oder im Küchenla- ser Tage in Afghanistan passiert, möchte ich Sie aus hu- bor basteln können. Die Herstellung solcher Stoffe und manitärer Verpflichtung heraus bitten, einmal lautstark vor allem deren weite Streuung ist komplex und wird darüber nachzudenken, welchen Sinn es macht, gleich- wohl nur mit der Unterstützung verantwortungsloser zeitig Lebensmittelpakete und Bomben in Gebiete abzu- Staaten möglich sein. Der Irak taucht dabei seit Jahren in werfen, die nachweislich vermint sind. der Arbeit unseres Unterausschusses als einer der (Beifall bei der PDS) Hauptakteure auf. Der vorliegende Abrüstungsbericht beschäftigt sich Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Frau Kollegin mit dem Chemiewaffenübereinkommen, das bis zum Lippmann, Ihre Redezeit ist vorbei. Ihr letzter Satz war Jahre 2007 zu einer Vernichtung aller C-Waffen und doch ein sehr guter Schluss. C-Waffen-Produktionsstätten führen soll. Wir haben ge- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001 18895

Rainer Arnold (A) meinsam die Beseitigungsanlage im russischen Gorny liche Akteure und Markierung aller Kleinwaffen zur Kon- (C) besichtigt; ich darf daran erinnern, dass wir diese Anlage trolle der Vertriebswege. finanziell unterstützen. Der Ansatz hierzu wurde im lau- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE fenden Haushaltsjahr erhöht. Allerdings wünschen wir GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP) uns auch, dass die russischen Partner eine baldige Inbe- triebnahme mit mehr Vehemenz verfolgen, um ihre Ver- Mit der Reduzierung illegaler Kleinwaffen und der Kon- tragszusagen termingerecht erfüllen zu können. trolle der Beschaffungsmöglichkeiten entziehen wir auch dem internationalen Terrorismus und den Warlords in 141 Staaten sind bis zum Ende des Berichtsjahres dem Afrika eine ihrer wichtigen Grundlagen. Abkommen beigetreten. Allerdings bleiben im Mittleren und Nahen Osten Besorgnis erregende Lücken. Wir be- Nachdem wir schmerzhaft erfahren mussten, dass die grüßen die Bestrebungen der Bundesregierung, eine uni- größten Risiken für den Frieden von nicht staatlicher Ge- verselle Geltung des CWÜ zu erreichen. walt ausgehen, sollte auch der Prozess der Rüstungskon- trolle neu justiert werden. Im Mittelpunkt muss dabei die (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Unterbindung der Weitergabe von Waffen, aber auch von DIE GRÜNEN) technologischem Know-how stehen. In diesem Bereich Das Problem der biologischen Waffen wird seit 1975 sehen wir Wirtschaftsgüter, die Dual-Use-Zwecke haben, im Biologiewaffenübereinkommen berücksichtigt. Die zunehmend kritisch. Dies gilt vor allem, soweit es um die bisherigen Vereinbarungen müssen allerdings mehr als Produktion biologischer und chemischer Waffen geht. Gentleman’s Agreement aus der Zeit des Kalten Krieges (Beifall bei Abgeordneten der SPD) bewertet werden; Wir wissen: Langfristig wird die Welt nur dann siche- (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- rer, wenn Waffen nicht in die falschen Hände geraten. NEN]: Leider ja!) Danke schön. denn es besteht ein grundsätzliches Problem: Leider feh- len beim BWÜ nach wie vor konsequente Verifikations- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE regeln. GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP) Die Entwicklung der letzten Tage in den Vereinigten Staaten zeigt, wie notwendig denkbar strengste Überprü- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat fungen wären. Gerade unter verlässlichen Freunden muss jetzt der Bundesaußenminister, Joschka Fischer. dieses Anliegen auch gegenüber den Vereinigten Staaten klar formuliert werden. Ich bin froh, dass unsere Bundes- Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen: (B) wehr bei ihrer präventiven Forschung in den Bereichen (D) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie biologischer und chemischer Kampfstoffe nichts zu ver- mich mit zwei Vorbemerkungen beginnen. Erste Vorbe- bergen hat. Die Kritiker in den Medien und aus diesem merkung. Herr Polenz, Opposition ist ein hartes Geschäft; Haus müssen zwischenzeitlich anerkennen: Auch unser aber Sie sollten eine gewisse Logik beibehalten: Sie kön- Land braucht diese Forschung zur Abwehr möglicher Ge- nen nicht sagen, dass wir Steuern senken und Kürzungen fahren dringend. unterlassen und gleichzeitig Leistungen wesentlich anhe- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE ben sollen. Da begeben wir uns in einen Bereich, in dem GRÜNEN und der FDP) nur noch der Glaube an Wunder hilft. Reines Wunsch- Es sind allerdings nicht Massenvernichtungswaffen, denken gehört aber nicht in den Bereich der Politik. die Jahr für Jahr 500 000 Menschen töten. Die grauenhaft (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hohe Zahl der Opfer ist Folge von 100 Millionen Klein- und bei der SPD – Ruprecht Polenz [CDU/ waffen, die unkontrolliert zirkulieren. CSU]: Man muss von den Grundrechenarten (Hildebrecht Braun [Augsburg] [FDP]: So ist nur eine beherrschen!) es!) Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Sie sollten einmal Die Bundesregierung hat im Jahr 2000 intensive ordentliche Finanzierungsvorstellungen auf den Tisch Bemühungen unternommen, um die Masse an Klein- legen. waffen unter Kontrolle zu bringen. Sie hat eine Resolu- Zweite Vorbemerkung. Ich schätze Sie ja sehr; aber tion der Vereinten Nationen mit auf den Weg gebracht, von der Hanauer Anlage verstehen Sie nun wirklich we- die zu einer internationalen Staatenkonferenz zum Han- nig. Das damalige Unternehmen hieß nicht Nukem, son- del mit Kleinwaffen geführt hat. Diese Konferenz dern Alkem. Außerdem wissen Sie doch ganz genau, dass konnte trotz gemeinsamer Interessen die gesteckten einmal in Betrieb genommene Anlagen überhaupt nicht Ziele nicht erreichen. Innenpolitische und kulturelle Dif- exportiert werden können, weil sie kontaminiert sind. ferenzen – auch die Frage einer möglichen Un- terstützung von Bürgerkriegsparteien – haben eine Eini- Jetzt kommt das für Sie Erstaunliche: Diese Anlage gung leider verhindert. war nie in Betrieb. Sie hatte gar keine Genehmigung. Denn diese ist von einem Gericht kassiert worden. Die da- Auch wir wollen Kleinwaffen nur unter staatlicher mals vorhandene Genehmigung ist von einem CDU-Kol- Kontrolle. Das heißt konkret: Einschränkung des privaten legen unterschrieben worden, der so unter politischen Waffenbesitzes, Begrenzung des Verkaufs an nicht staat- Druck gesetzt wurde, in kürzester Zeit eine Genehmigung 18896 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Bundesminister Joseph Fischer (A) zu erhalten, dass er in seiner Verzweiflung die Firma realen Bedrohungen gelingen, endlich wirksame interna- (C) Siemens die Genehmigung hat schreiben lassen. Das ging tionale Kontrollmechanismen zu schaffen. Ich denke, – dagegen wurde geklagt – nach dem deutschen Verwal- diese Chance besteht jetzt mehr denn je. Insgesamt muss tungsrecht nicht. Das heißt, eigentlich war die CDU sehr die Verhinderung des Erwerbs solcher Waffen durch nicht erfolgreich im Verhindern dieser Anlage. Das wollte ich staatliche Gruppen stärker in den Vordergrund rücken. Ihnen nur sagen. Bei den Trägersystemen – diese sollten wir nicht ver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- gessen – treiben wir gemeinsam mit Frankreich und un- wie bei Abgeordneten der SPD – Ruprecht seren anderen EU-Partnern seit Monaten die Erarbeitung Polenz [CDU/CSU]: Wie geht es jetzt mit der eines internationalen Verhaltenskodex gegen ballistische Anlage weiter, Herr Minister? Das ist viel span- Raketenproliferation voran, der alle wichtigen Länder nender! – Heidi Lippmann [PDS]: Nach dieser einbezieht. Nun gilt es, die internationale Staatengemein- erfolgreichen Verhinderung sind Sie nun bereit, schaft für diese Vereinbarung zu gewinnen. Wir wollen sie nach Russland zu exportieren!) noch im nächsten Jahr den ersten greifbaren weltweiten Schritt gegen diese besonders gefährliche Form der Proli- – Nein, das ist nicht der Punkt. Siemens hat jetzt erklärt, feration verwirklichen. dass es von dieser Anlage keinen Gebrauch mehr macht. Zweitens wollen wir eine Eindämmung konkreter Auch weitere Aussagen von Ihnen teile ich nicht: Punkt Proliferationsgefahren durch eine Verstärkung der prakti- eins. Natürlich wäre eine Verglasung die einzig sinnvolle schen Abrüstungszusammenarbeit bewirken. Hier geht Maßnahme. Denn die Plutoniumwirtschaft halte ich an- es um die Zerstörung gewaltiger Bestände an nuklearen gesichts der sowieso schwer bis gar nicht kalkulierbaren und chemischen Waffen, vor allem in der ehemaligen nuklearen Risiken für überhaupt nicht mehr tragbar. Ich Sowjetunion. Damals waren das ja noch Nuklearwaffen in finde, Russland begibt sich hier in eine völlig falsche des Volkes Hand. Daneben gilt es, den Abfluss von tech- Richtung, was Sie in Ihrer Rede auch noch unterstützt ha- nischem Know-how für die Herstellung von Massenver- ben. Ich halte das für eine ganz verderbliche Entwicklung. nichtungswaffen zu verhindern. Die Bundesrepublik hat Punkt zwei. Russland erbrütet täglich neues waffen- zwar in den letzten Jahren mit ihrer Hilfe bei der um- fähiges Plutonium. Das heißt, wir würden hier einen zu- weltschonenden Beseitigung von ehemals sowjetischen chemischen und nuklearen Waffen Wichtiges geleistet. sätzlichen Kreislauf bewirken. Das ist eine schlechte Idee. Aber die Dimension der Aufgabe erfordert – hier stimme Punkt drei. Wie kommen Sie auf die Idee, dass wir mit ich zu –, dass die dafür zur Verfügung stehenden unserem hohen Plutoniumvorrat in Europa – das betrifft Haushaltsmittel deutlich erhöht werden, allerdings im auch die deutsche Nuklearwirtschaft – ausgerechnet auch Rahmen der Prioritätensetzung. noch russisches Waffenplutonium in Form von MOX- (B) (Ruprecht Polenz [CDU/CSU]: Dann lassen (D) Brennelementen bräuchten? Dieses müsste sonst wohin in Sie uns einmal darüber reden!) die Welt exportiert werden. Aber Europa – ich meine hier die Mitgliedstaaten der Europäischen Union und vor allen – Ich bin dafür, dass wir darüber reden, aber – ich sage es Dingen die nuklear arbeitende Stromwirtschaft bei uns, in noch einmal – nur im Rahmen der entsprechenden Prio- Frankreich und in anderen Ländern – sitzt auf ganz großen ritätensetzung. Vorräten. Ihre Argumente stimmen also hinten und vorne Drittens. Ein neuer Impuls für die weltweite Koopera- nicht. tion in Fragen der Abrüstung, Rüstungskontrolle und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Nichtverbreitung ist wichtig. Kein verantwortliches Mit- und bei der SPD – Ruprecht Polenz [CDU/ glied der Völkergemeinschaft darf bei dieser Anstrengung CSU]: Schauen wir mal!) abseits stehen, die sowohl nationale Maßnahmen, wie etwa verschärfte Exportkontrollen, als auch internationale Lassen Sie mich nun zum aktuellen Thema kommen. Verpflichtungen umfasst. Wir führen deshalb einen in- Erstens. Angesichts der Krise nach dem 11. September tensiven Dialog über Abrüstung und Nichtverbreitung. 2001, die hier erwähnt wurde, und der aktuellen Situation Ich wage die Prophezeiung, dass gerade die Frage der ist die Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen Nichtverbreitung eine wesentlich größere Rolle in der in- eine ganz entscheidende Frage, wobei es hier nicht nur um ternationalen Politik spielen wird. Ich halte das auch und biologische und chemische Waffen geht. Für mich ist, ge- gerade vor dem Hintergrund der neuen Bedrohungssitua- rade wenn ich an den Nahen und Mittleren Osten und an tion für einen sehr wichtigen Ansatz. Südasien denke, das Problem der Trägersysteme und des nuklearen Rüstungswettlaufs alles andere als beruhi- Wir dürfen aber in diesem Zusammenhang, wie gesagt, gend. regionale Rüstungswettläufe nicht vergessen. Wir haben es mit einer Kumulation von Krisenfaktoren zu tun. Zu Die politischen und vertraglichen Instrumente der diesen gehören regionale Rüstungswettläufe, „failing sta- Nichtverbreitung gilt es zu stärken und Schwachstellen zu tes“, also zusammengebrochene Staatsstrukturen, sowie beseitigen. Im nuklearen Bereich bleibt die Verpflichtung die Verbreitung der Unterentwicklung, der Unter- des Nichtverbreitungsvertrages zu vollständiger atomarer drückung der Menschenrechte und des Terrorismus. Das Abrüstung entscheidend. Die konkreten Schritte sind auf alles kumuliert in bestimmten Regionen und macht einen der Überprüfungskonferenz im Frühjahr 2000 festgelegt breiten Ansatz notwendig, wenn man dem entgegensteu- worden. Auf diesem Weg müssen wir vorangehen. ern will. Das Chemiewaffenübereinkommen muss voll operativ (Heidi Lippmann [PDS]: Aber das sind doch werden. Bei den Biowaffen muss es uns angesichts der keine neuen Erkenntnisse!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001 18897

Bundesminister Joseph Fischer (A) – Ich war wirklich überrascht, als ich Ihre Rede gehört Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp- (C) habe; denn sie strotzte ja nur so vor neuen Erkenntnissen. fehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Ent- schließungsantrag der Fraktion der PDS zu der vereinbar- (Heidi Lippmann [PDS]: Sie haben nur Lippen- bekenntnisse! Sagen Sie das doch mal in Zah- ten Debatte über die Entscheidung des US-Senats zum len!) Atomtteststoppvertrag. Der Ausschuss empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 14/1894 abzuleh- Die breite internationale Koalition, die die USA ge- nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge- schmiedet haben, bietet Chancen für kooperative Si- genstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh- cherheitsstrukturen auch auf strategischer Ebene, die lung ist mit den Stimmen des ganzen Hauses gegen die wir nutzen sollten. Bei all den Tragödien – darauf habe ich Stimmen der PDS angenommen worden. schon gestern hingewiesen – gibt es jetzt auch und gerade im Zusammenhang der Abrüstung, der Rüstungskontrolle Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- und der Nichtverbreitung eine neue Chance, die wir un- empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag bedingt nutzen sollten, zumal hier der neue Konsens zwi- der Fraktion der PDS mit dem Titel „Neue nukleare schen den USA und Russland in der Tat Möglichkeiten Abrüstungsinitiativen statt neuer Raktenabwehrpro- eröffnet. Wenn es gelingt, noch eine andere Großmacht, jekte“. Der Ausschuss empfiehlt, auch diesen Antrag auf zum Beispiel China, sowie die Frage der Rüstungs- Drucksache 14/3875 abzulehnen. Wer stimmt für diese kontrolle und der Rüstungsbegrenzung etwa im indisch- Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltun- pakistanischen Konflikt miteinzubeziehen, dann wären gen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des wir in der Tat einen ganz entscheidenden Schritt weiter. ganzen Hauses gegen die Stimmen der PDS angenommen worden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Hans-Peter Repnik [CDU/ Ich rufe die Tagesordnungspunkte 23 a und 23 b auf: CSU]: Wie sieht es im Hinblick auf die Frage des Kollegen Polenz aus? Die Plutoniumab- a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD rüstung!) und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge- – Darauf habe ich vorhin schon ausführlich geantwortet. brachten Entwurfs eines Versorgungsänderungs- Ich bin gerne bereit, Ihnen ein Privatissimum angedeihen gesetzes 2001 zu lassen. – Drucksache 14/7064 – Überweisungsvorschlag: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Bitte nicht im Innenausschuss (f) Rahmen der angemeldeten Redezeit, die bald zu Ende ist. Rechtsausschuss (B) Finanzausschuss (D) Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen: Verteidigungsausschuss Wir stehen an einer Wegscheide. Die alten Feindschaften Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- sind überwunden. Neue Bedrohungen sind aufgetaucht. abschätzung Allerdings werden die Abrüstung, die Rüstungskontrolle, Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO die Abrüstungspolitik und die Rüstungsbegrenzung in der Welt des 21. Jahrhunderts wichtiger denn je sein. Die al- b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten ten Instrumente zu schärfen, neue Instrumente vor allen Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Dingen für die Abwehr neuer Gefahren zu entwickeln und Beamtenrechtsrahmengesetzes (BRRG) eine wirksame operative Politik gegen die Proliferation von Massenvernichtungsmitteln zu finden – damit müs- – Drucksache 14/6717 – sen wir uns intensiv auseinander setzen – gehört zu den Überweisungsvorschlag: Hauptaufgaben. Aber ich unterstreiche auch, dass die Innenausschuss (f) konventionelle Bedrohung – ich denke an die Kleinwaf- Rechtsausschuss Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung fen und die Antiminenprogramme – nicht vergessen wer- Haushaltsausschuss den darf. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Ich bedanke mich. Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich sehe kei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der CDU/CSU) Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich schließe da- Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär beim Bun- mit die Aussprache. desminister des Innern: Frau Präsidentin! Meine Damen Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf und Herren! Am 19. September dieses Jahres hat die Bun- Drucksache 14/5986 an die in der Tagesordnung aufge- desregierung einen so genannten zweiten Versorgungs- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie einverstan- bericht beschlossen, der dem Parlament zugeleitet wor- den? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so be- den ist. Diesem Versorgungsbericht kann man eine schlossen. Entwicklung entnehmen, die man notwendigerweise im 18898 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Parl. Staatssekretär Fritz Rudolf Körper (A) Kopf haben muss, wenn man über das Thema Versor- für die absehbaren künftigen Belastungen durch die er- (C) gungsänderungsgesetze redet, nämlich: Wir werden einen höhten Versorgungskosten wird die Hälfte der Ersparnisse ungeheuer dynamischen Anstieg der Versorgungsleistun- aus dieser ersten Übertragungsstufe den Versorgungs- gen erleben. Wir geben derzeit 43 Milliarden DM für Ver- rücklagen von Bund und Ländern zugeführt. Auch das sorgungsleistungen aus. Aller Voraussicht nach wird es halten wir für systematisch richtig. einen Anstieg bis auf 164 Milliarden DM im Jahr 2040 ge- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ben. Das ist die eigentliche Herausforderung. Man kann DIE GRÜNEN) natürlich sagen, dass solche Zahlen spekulativ sind; aber wichtig ist die Entwicklung. Um Doppelbelastungen zu vermeiden, werden die Leistungen der Versorgungsrücklage in Höhe von 0,2 Pro- Die Entwicklung gründet sich auf zwei Dinge: einmal zent der Besoldungs- und Versorgungsanpassungen für auf den demographischen Wandel – darin liegt ein Teil der die Zeit von 2003 bis 2010 ausgesetzt. Ab dem Jahr 2011 Ursache – und zum anderen auf die Einstellungspraxis wird der Aufbau der Versorgungsrücklage wieder auf- von Bund, Ländern und Gemeinden – auch das ist ein Teil genommen und bis in das Jahr 2017 fortgesetzt. Diese der Ursache –, insbesondere von Mitte der 60er- bis Mitte Regelung ist im Lichte der ab dem Jahr 2011 absehbaren der 70er-Jahre. Aus einem einfachen Grund sage ich das Entwicklung zu überprüfen. Das ist die so genannte Revi- in einer Vorbemerkung: Ich will deutlich machen, dass sionsklausel. Ich denke, auch das ist richtig. wir heute nicht so tun können, als ob kein Handlungsbe- darf bestünde. Handlungsbedarf ist gegeben, damit auch Ich will deutlich zum Ausdruck bringen, dass die Beam- noch zukünftig – das, denke ich, ist ganz wichtig – ein tinnen und Beamten zukünftig genauso wie die Arbeitneh- solch bewährtes System wie das der Versorgung erhalten merinnen und Arbeitnehmer an der freiwilligen Vorsorge bleibt. beteiligt werden und von den steuerlichen Vergünstigungen Gebrauch machen können. Das ist meiner Meinung nach (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des im Sinne einer wirkungsgleichen Harmonisierung der bei- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) den Systeme. Wir sehen auch kinderbezogene Verbesse- Von daher ist all das, was kritisch gesagt wird, nämlich rungen, zum Beispiel die Kinderkomponente beim Wit- dass es nichts zu tun gebe, im Grunde genommen falsch. wengeld, vor. Der vorliegende Gesetzentwurf ist natürlich ein Stück Wir wollen mit unseren Maßnahmen das Versorgungs- an dem orientiert, was wir zur Rentenreform beschlossen system zukunftssicher machen. Ich lade Sie zu einer kon- haben. Es ist der Versuch unternommen worden, eine wir- struktiven Diskussion über unseren Vorschlag ein. kungsgleiche Harmonisierung dieser beiden Systeme Herzlichen Dank. vorzunehmen. (B) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (D) Meine Damen und Herren, ich will vor einem falschen DIE GRÜNEN) Eindruck warnen und deshalb deutlich sagen: Bei der Umsetzung dieses Gesetzentwurfs wird keine Pension gekürzt. Das ist für die öffentliche Diskussion in aller Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat Deutlichkeit festzuhalten. jetzt der Abgeordnete Meinrad Belle. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Heidemarie Ehlert [PDS]: Das Meinrad Belle (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine stimmt doch gar nicht!) Damen! Meine Herren! Heimlich, still und leise erfolgt jetzt, am Freitag Mittag um 13 Uhr – die meisten Kolle- – Es ist richtig, dass keine Pension gekürzt wird. Der Zwi- ginnen und Kollegen sind bereits auf der Rückfahrt in die schenruf macht meine Aussage nicht falsch. Wahlkreise; Niemand erhält aufgrund der vorgesehenen Maßnah- (Dr. Angelica Schwall-Düren [SPD]: Die wis- men weniger Pension, als er derzeit bezieht. Ebenso wie sen aber, dass das hier verhandelt wird!) künftig in der gesetzlichen Rentenversicherung wird aber der zukünftige Anstieg der Versorgungsbezüge – ich be- die Berichte für die Wochenendausgaben der Tageszei- tone das, um das System deutlich zu machen – geringer. tungen sind weitgehend geschrieben –, die erste Lesung Das geschieht, indem die an die Besoldungserhöhungen des von den Koalitionsfraktionen eingebrachten Entwurfs eines Versorgungsänderungsgesetzes 2001. der aktiven Beamten und Beamtinnen gekoppelten Er- höhungen der Versorgungsbezüge bei den nächsten acht (Dieter Wiefelspütz [SPD]: Dem die CDU zu- Anpassungen nach dem 31. Dezember 2002 um jeweils stimmen wird!) circa 0,5 Prozent geringer ausfallen. Nach diesen acht fällt Zur Fristwahrung wurde dieser Gesetzentwurf in den die Versorgung damit um circa 4,33 Prozent geringer aus. Sitzungen der Koalitionsfraktionen am Dienstag einge- Diese Abflachung zukünftiger Versorgungserhöhun- bracht. Möglichst ohne großes Aufsehen, ohne Wider- gen ist niedriger als bei den Rentnerinnen und Rentnern, stand und Ärger bei den Beamten und bei den Pensionären bei denen die Erhöhungen in der ersten Phase der Ren- zu entfachen, beginnt die Beratung dieses Gesetzesvorha- tenreform um circa 5 Prozent reduziert sind. Allerdings bens – es hat die verniedlichende Bezeichnung „Versor- haben die Beamtinnen und Beamten in den Jahren von gungsänderungsgesetz“ –, das gewaltige Einschnitte in 1999 bis 2002 bereits Vorleistungen erbracht. Das hängt die Bezüge bzw. Pensionen der Beamten und der Versor- mit der Versorgungsrücklage zusammen. Als Vorsorge gungsempfänger mit sich bringt. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001 18899

Meinrad Belle (A) In der ersten Stufe bis 2010 sollen Minderausgaben in ner tatsächlichen Gehaltskürzung von bis zu 3 Prozent (C) den öffentlichen Haushalten in Höhe von circa 12 Milli- führen. arden DM erwirtschaftet werden. Diese Art der Behand- Durch Ihre Rentenreform 2001 wird bei den aktiven lung wird der Bedeutung und den Auswirkungen dieses Arbeitnehmern aber eher ein positiver Effekt erreicht, da Gesetzentwurfs nicht gerecht. der Beitragssatz zur Rentenversicherung ja stabil gehalten (Beifall bei der CDU/CSU) werden soll. Auf jeden Fall tritt bei Ihrer Rentenreform bei den aktiven Arbeitnehmern keine Verringerung der Löhne Diese Verfahrensweise ist unangemessen und muss bean- und Gehälter ein. standet werden. Außerdem haben Sie außer Betracht gelassen, dass Ich erinnere an Folgendes: Nach jahrelangen Beratun- durch die weiteren versorgungsrechtlichen Einsparmaß- gen, nach der Bildung vieler Kommissionen, nach unzäh- nahmen im Dienstrechtsreform- und Versorgungsrechts- ligen Verhandlungsrunden, nach intensiven öffentlichen reformgesetz, wie zum Beispiel die Anhebung der allge- Diskussionen wurde Ihre Reform der gesetzlichen Ren- meinen Antragsaltersgrenze auf 63 Jahre, das Vorziehen tenversicherung in diesem Jahr mit dem Altersvermö- des Versorgungsabschlages, der Wegfall des Erhöhungs- gensgesetz und dem Altersvermögensergänzungsgesetz betrages, der Wegfall, die Kürzung und die Beseitigung abgeschlossen. Die Weiterführung der Versorgungsre- der Ruhegehaltsfähigkeit von Zulagen, die Verlängerung form kann doch nicht im Eilzugtempo und quasi per Fe- der Wartefrist für die Versorgung aus dem Beförderungs- derstrich realisiert werden. Auch dieses Reformvorhaben amt usw., zusätzliche Vorleistungen von hochgerechnet muss mit der notwendigen Gründlichkeit und Gewissen- etwa 4,4 Milliarden DM bis Ende dieses Jahres von den haftigkeit angepackt werden. Versorgungsempfängern und den Beamten erbracht wur- In der letzten Legislaturperiode hat die CDU/CSU- den. Hinzu kommt dann natürlich auch noch der Betrag FDP-Koalition die erste Dienstrechts- und Versor- aus der verspäteten Besoldungs- und Versorgungs- gungsrechtsreform verabschiedet. Ich will gerne bestäti- anpassung 2000 – der tatsächlichen Nullrunde für die gen, dass Sie diese Reformen in weiten Bereichen Pensionäre – in Höhe von circa 3 Milliarden DM. mitgetragen haben. Die Versorgungsrechtsreform erfolgte Meine Damen und Herren, damit wir uns richtig ver- zeit- und wirkungsgleich mit der von uns damals reali- stehen: Wir wehren uns nicht gegen eine wirkungsgleiche sierten Rentenreform, die Sie nach der Bundestagswahl und systemgerechte Übertragung der Ergebnisse der Ren- allerdings zurückgenommen haben. Die Dienst- und Ver- tenreform auf die Versorgung der Beamten und Pen- sorgungsrechtsreform mit Auswirkungen auf die aktiven sionäre. Sie muss dann aber auch tatsächlich wirkungs- Beamten und die Versorgungsempfänger in Milliarden- gleich und systemgerecht erfolgen. höhe blieb aber unverändert. Seit über drei Jahren erbrin- (B) gen also aktive Beamte und Versorgungsempfänger Vo- (Peter Rauen [CDU/CSU]: Keine Sonder- (D) rausleistungen auf Ihre Reform 2001. opfer!) Was wird von Ihnen beabsichtigt? Sie wollen, wie im Bei Ihnen werden die Beamten und Versorgungsempfän- Entwurf formuliert, die Reformmaßnahmen der gesetzli- ger aber nicht nur doppelt, sondern, wenn Sie die verspä- chen Rentenversicherung wirkungsgleich und systemge- tete Besoldung- und Versorgungsanpassung 2000 mit recht auf die Beamtenversorgung übertragen. Ich will berücksichtigen, sogar dreifach zur Kasse gebeten. jetzt nicht auf Einzelheiten des Entwurfs eingehen; dafür Bei dem objektiven Beobachter muss einfach der Ein- bleibt noch genug Zeit. Bereits heute muss ich Ihnen aber druck entstehen, dass es Ihnen nicht so sehr um eine ge- den grundlegenden Vorwurf machen, dass Sie die Vorleis- rechte Übertragung der Rentenreform in das Beamtenrecht tungen der Beamten und Versorgungsempfänger in Milli- und damit um eine Gleichbehandlung der verschiedenen ardenhöhe in Ihrem Gesetzentwurf nicht ausreichend Gruppen im öffentlichen Dienst geht. Sie wollen Ihre berücksichtigt haben. Das ist ein Skandal und dürfte Ih- ideologischen Vorbehalte gegen das Berufsbeamtentum nen als erfahrenen Beamtenpolitikern nicht passieren. erneut vor allem im Geldbeutel der Beamten und Pen- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sionäre ausleben. Sie müssten sich eigentlich nicht nur ein bisschen, son- (Beifall bei der CDU/CSU – Dieter Wiefelspütz dern sehr schämen. [SPD]: Wen meinen Sie?) – Sie alle. Sagen Sie heute nicht, dass Sie es nicht wussten oder dass jedes Gesetz den Bundestag in einer anderen Fassung (Dieter Wiefelspütz [SPD]: Unglaublich!) verlässt, als es eingebracht worden ist. Das wäre zu billig. Zu diesen ungerechten und unsozialen Vorschlägen In fast allen meinen Redebeiträgen der letzten beiden können Sie unsere Zustimmung nicht erwarten. In den Jahre zu Besoldungs- und Beamtenfragen habe ich Sie auf weiteren Beratungen werden wir Ihre Vorschläge an fol- diese Vorleistungen hingewiesen. genden Punkten messen: Reformen der verschiedenen Aus den Reformen der letzten Legislaturperiode wurde Alterssicherungssysteme müssen zu wirkungsgleichen nur die Versorgungsrücklage in Höhe von 0,6 Prozent, Ergebnissen für die Betroffenen führen. Sonderopfer für die bei den Versorgungsempfängern einbehalten und da- die eine oder andere Gruppe darf es nicht geben. nach abgeführt wird, berücksichtigt. Unberücksichtigt (V o r s i t z: Vizepräsidentin Petra Bläss) blieb dabei insbesondere die Tatsache, dass auch die akti- ven Beamten in diesen drei Jahren an der Versorgungs- Die Besonderheiten der jeweiligen Systeme sind zu rücklage beteiligt waren. Dies wird in der Endstufe zu ei- berücksichtigen und die Vorleistungen der aktiven 18900 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Meinrad Belle (A) Beamten und der Pensionäre aus der Dienstrechts- und entsprechend und im Einklang mit der Rentenreform, also (C) Versorgungsrechtsreform der letzten Legislaturperiode wirkungsgleich, fortzuentwickeln. Wirkungsgleiche Über- müssen voll berücksichtigt werden. tragung bedeutet einerseits eine den Einsparungen bei den Rentenversicherungsträgern vergleichbare Entlastung der Ich appelliere heute an Sie: Kehren Sie wieder zu einer öffentlichen Haushalte und andererseits eine äquivalente gerechten, soliden und leistungsfördernden Besoldungs- monetäre Auswirkung bei Beamten und Pensionären so und Versorgungspolitik zurück. wie bei Arbeitnehmern und Rentnern auch. Dass Minister (Peter Dreßen [SPD]: Wir sind doch schon da- und Staatssekretäre in gleicher Weise einbezogen sind, ist bei!) hier wohl selbstverständlich. Dies alles ergibt sich bereits aus dem Gleichheitsprinzip. Dann werden auch wir künftig unpopuläre und einschnei- dende Maßnahmen mittragen. Dabei darf die wirkungsgleiche Übertragung der Ren- tenreform auf die Beamtenversorgung wegen der beson- Vielen Dank. deren verfassungsrechtlichen Stellung nur systemkon- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie form erfolgen. Die Schwerpunkte des Gesetzentwurfs bezüglich des Versorgungsniveaus sind bereits genannt des Abg. Hans-Peter Kemper [SPD]) und dargestellt worden: der Aufbau einer steuerlich ge- förderten ergänzenden privaten Altersversorgung als Vizepräsidentin Petra Bläss: Nächster Redner ist staatliches Angebot, die Abflachung des Anstiegs der Ver- der Kollege Helmut Wilhelm für die Fraktion des Bünd- sorgungsbezüge und das Absinken des Höchstversor- nisses 90/Die Grünen. gungssatzes. Ich will hier nicht alle Punkte wiederholen. An dieser Stelle möchte ich aber etwas näher auf die Helmut Wilhelm (Amberg) (BÜNDNIS 90/DIE Hinterbliebenenversorgung eingehen. Das Witwengeld GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und wird bekanntlich ebenso wie die Witwenrente reduziert. Kollegen! Wenn heute die Änderung der Versorgung von Dies gilt, ebenso wie in der Rentenversicherung, Beamten, Richtern, Soldaten, Parlamentarischen Staats- grundsätzlich nur für nach dem 31. Dezember dieses Jah- sekretären und Ministern – auch diese gehören dazu – auf res geschlossene Ehen. Dabei bleibt – wegen des Grund- satzes der Alimentation – die Mindestversorgung erhal- den Weg gebracht wird, geschieht dies aus zwei Gründen: ten. Zum Ersten ist das geboten angesichts der abzusehen- Die Hinterbliebenenversorgung der Beamten stellt den Probleme, die mit den erheblich steigenden Ausgaben aber gemäß dem Alimentationsgrundsatz aus Art. 33 des für das Alterssicherungssystem des genannten Personen- Grundgesetzes einen eigenständigen Alimentationsan- (B) kreises einhergehen. Auch hier ist der Handlungsbedarf, spruch dar. Hier verbietet sich wegen des Verfassungs- (D) ebenso wie in der Rentenversicherung, auf die allgemeine rangs eine vollständige Übertragung der Grundsätze, so demographische Entwicklung zurückzuführen. Die ge- zum Beispiel bei den Anrechnungen von Hinzuverdiens- stiegene Lebenserwartung, verbunden mit einem sinken- ten. Besonders wichtig ist hier ein sozialer Ausgleich bei den Ruheeintrittsalter und damit verlängerten Laufzeiten, Witwenrente und Witwengeld durch einen Kinderzu- ist für die enormen Kostensteigerungen der öffentlichen schlag. Kindererziehungszeiten werden dadurch berück- Haushalte verantwortlich. sichtigt. Auch hier werden Grundsätze der Rentenversi- Ich möchte trotzdem an dieser Stelle dafür plädieren, cherung in das Beamtenversorgungssystem übernommen. den Begriff „Versorgungsberg“ in diesem Zusammenhang Berücksichtigt werden muss insbesondere Folgendes: nicht zu verwenden. Hier geht es nicht um Dinge, sondern Die Beamten haben Vorleistungen erbracht. Während um Menschen, die ein Anrecht auf Versorgung haben. Einschränkungen der früheren Regierung im Rentenver- sicherungssystem bei Regierungsantritt dieser Bundesre- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gierung aufgehoben wurden, verblieb es bei den Beamten und bei der SPD) beim entsprechenden Einschnitt des 0,2-prozentigen Dass die Finanzierung eine wirkliche Herausforderung Versorgungsabschlags. Eine wirkungsgleiche Umsetzung darstellt, ist unbestritten. Dafür können aber am wenigs- der Rentenversicherung auf das Beamtenversorgungs- ten die Menschen, die als Beamte eingestellt wurden. Der system bedeutet aber ganz klar, dass diese Vorleistung Reformbedarf zur Sicherung der Altersversorgung der ak- berücksichtigt werden muss. tuellen, vor allem aber der zukünftigen Pensionäre und ih- Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang noch eine rer Familien steht außer Frage. Auch ich bin Beamter, also Bemerkung in Richtung Opposition: Ich habe mir einmal selbst betroffen. den einschlägigen Antrag der CSU für den Bayerischen (Dr. Max Stadler [FDP]: Ein Richter!) Landtag besorgt. Dort teilt man immerhin den akuten Handlungsbedarf. Auch die Vorschläge der CSU im Land- – Richter, das ist richtig. Dies ist ein dem Beamtenrecht tag sind, wenngleich sie keinerlei konkrete Ansätze zur angenäherter Zustand. – Herr Kollege Belle, was ich da- Lösung des Problems beinhalten, in ihrer Generalität be- her ganz bestimmt nicht habe, sind ideologische Vorbe- achtenswert; denn sie entsprechen, wenn auch verallge- halte gegenüber Beamten. meinert, gänzlich dem vorliegenden Gesetzentwurf von Rot-Grün. Zum Zweiten ist zwischen Rot-Grün im Koalitionsver- trag festgeschrieben worden, nach der Reform der gesetz- Zum Schluss noch ein Wort zur Änderung des Beam- lichen Rentenversicherung auch die Beamtenversorgung tenrechtsrahmengesetzes. Es war ja nun wirklich nicht Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001 18901

Helmut Wilhelm (Amberg) (A) mehr einzusehen, weshalb bei der willkürlich gezogenen gelassen, dass mit der Einführung der Versorgungsrück- (C) Altersgrenze von 50 Jahren bei nur begrenzter Dienst- lage durch die alte Koalition die notwendige Vorsorge für fähigkeit ältere Beamte weiterbeschäftigt werden konn- die Erfüllung der Pensionsansprüche bereits getroffen ten, jüngere aber in den Ruhestand zu versetzen waren. worden war. Der Reformbedarf war von uns in der letzten Hier muss Rehabilitation Vorrang vor Versorgung haben. Legislaturperiode längst erkannt. Der Einschnitt, den wir Auch eine erneute Berufung in das Beamtenverhältnis ist bei der Beamtenversorgung vorgenommen haben, ist von in diesen Fällen nunmehr möglich. Ihnen nicht rückgängig gemacht worden, die Rentenre- form dagegen sehr wohl. Meine Damen und Herren, ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das ist der Wi- derspruch!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Deswegen ist es eine verquere Logik, wenn Sie jetzt be- haupten, man müsse im Beamtenrecht das nachvollzie- hen, was im Rahmen Ihrer Rentenreform von Bundestag Vizepräsidentin Petra Bläss: Nächster Redner ist und Bundesrat beschlossen worden ist. Vielmehr ist die der Kollege Dr. Max Stadler für die FDP-Fraktion. Reform in der Beamtenversorgung längst von CDU/CSU und FDP vollzogen worden. Es besteht daher nach Auf- Dr. Max Stadler (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr fassung der FDP kein Anlass, erneut in die Beamtenver- geehrten Damen und Herren! Heute stehen zwei Gesetz- sorgung einzugreifen. Es wäre sachgerecht gewesen, es entwürfe zur Debatte, die allerdings nach Auffassung der bei der Versorgungsrechtsreform der letzten Legislaturpe- FDP-Fraktion sehr unterschiedlich zu bewerten sind. riode zu belassen. Der Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Beamtenrechtsrahmengesetzes greift zwei berechtigte Meine Damen und Herren, die FDP will weder eine Anliegen auf. Die Möglichkeit, Beamte bei begrenzter Besserstellung noch eine Schlechterstellung der Beamten. Dienstfähigkeit weiterzubeschäftigen, ist bisher an die Entgegen allgemeiner Meinung in der Öffentlichkeit gibt Vollendung des 50. Lebensjahres geknüpft. Die Strei- es aber im Versorgungsrecht längst keine Besserstellung chung dieser Altersgrenze soll eine Gleichbehandlung der Beamtenschaft mehr. Deswegen kann das, was Sie aller begrenzt dienstfähigen Beamten sicherstellen. Dem heute auf den Weg bringen, nur als ungerechtfertigte kann man zustimmen. Schlechterstellung bezeichnet werden. Im Dienstrechtsreformgesetz, das die frühere Koalition Ich möchte zum Schluss noch einen Gedanken aus der aus CDU/CSU und FDP in der letzten Legislaturperiode (B) aktuellen politischen Situation einbringen. Bei den De- (D) beschlossen hat, war der Grundsatz „Rehabilitation vor batten um die innere Sicherheit wird allseits gesagt, dass Versorgung“ betont worden. Dieser richtige Gedanke wir einen leistungsfähigen, hoch motivierten und mit wird nun durch den Gesetzentwurf des Bundesrates kon- kompetenten Beamten ausgestatteten Sicherheitsapparat sequent fortgeführt, indem die erneute Berufung in ein brauchen würden. Um diesen zu erhalten und zu bekom- Beamtenverhältnis auch in den Fällen der begrenzten men, muss der Staat aber auch die Bedingungen für das Dienstfähigkeit möglich werden soll. Bei dem großen An- Beamtenverhältnis attraktiv gestalten und attraktiv hal- stieg vorzeitiger Ruhestandsversetzungen darf der Ge- ten. Dazu passt das, was Sie jetzt zur Versorgungsreform setzgeber nicht tatenlos zusehen; das hat ja erhebliche vorschlagen, überhaupt nicht. Auch aus diesem Grund Konsequenzen für die öffentlichen Haushalte. Daher ist kann die FDP bei einer solchen Politik nicht mitmachen. diesem Vorschlag des Bundesrates aus Sicht der FDP zu- zustimmen. (Beifall bei der FDP) Dagegen lehnen wir Ihren Entwurf zum Versorgungs- änderungsgesetz 2001 weiterhin entschieden ab. Herr Vizepräsidentin Petra Bläss: Das Wort hat die Kol- Staatssekretär Körper hat sich heute auf den Versorgungs- legin Petra Pau für die PDS-Fraktion. bericht berufen, den die Bundesregierung im September beschlossen hat und der wohl dem Parlament zugeleitet Petra Pau (PDS): Frau Präsidentin! Liebe Kollegin- ist, beim Parlament aber noch nicht angekommen ist. Des- nen und Kollegen! Herr Staatssekretär, Sie begannen mit wegen ist es ein etwas schwieriges Unterfangen, auf der dem Wort „Herausforderung“. Ich dachte schon mit Blick Basis von Herrschaftswissen über eine Versorgungs- auf die Debatten, die wir in den letzten Tagen hier hatten, rechtsreform zu diskutieren. was die Herausforderungen an den öffentlichen Dienst be- trifft, aber auch mit Blick auf die tatsächliche Herausfor- (Walter Hirche [FDP]: Das ist der Unterschied derung, Gerechtigkeit herzustellen, Sie hätten umgedacht zwischen Körper und Antikörper! – Heiterkeit und würden uns heute veränderte Gesetzentwürfe vorstel- bei der CDU/CSU) len. Fehlanzeige! Klar ist, dass Sie sich in der Vergangenheit ohnehin (Beifall bei der PDS – Fritz Rudolf Körper, nicht auf diesen Versorgungsbericht bezogen haben, da Parl. Staatssekretär: Was gut ist, braucht man Sie bereits seit Monaten ankündigen, dass Sie die Re- nicht zu verändern!) formmaßnahmen der gesetzlichen Rentenversicherung „wirkungsgleich“, wie es heißt, auf die Beamtenversor- Was hier vorliegt, ist insofern eine Herausforderung, gung übertragen wollen. Dabei haben Sie außer Betracht besser: eine Zumutung, für die betroffenen Beamten, auch 18902 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Petra Pau (A) für diejenigen, die vielleicht darüber nachdenken, in ein sind, das heißt, was an den Arbeitsbedingungen im öffent- (C) solches Dienstverhältnis zu gehen. lichen Dienst zu verändern ist. (Jürgen Türk [FDP]: Wir wollen ja gar nicht so Danke schön. viele Beamte!) (Beifall bei der PDS) Sie meinten ja, Sie würden mit diesen Gesetzesentwürfen Gerechtigkeit herstellen, da Sie die Beamtenversorgung Vizepräsidentin Petra Bläss: Letzter Redner dieser nur an die Rentenreform anpassen oder diese nachvoll- Debatte ist der Kollege Hans-Peter Kemper für die SPD- ziehen würden. Nun kennen Sie meine Auffassung zur Fraktion. Rentenreform, welche hier beschlossen wurde: Sie ist we- der gerecht noch hat sie etwas mit Zukunftsfähigkeit zu tun. Hans-Peter Kemper (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst dem (Zuruf von der CDU/CSU: Da haben Sie wohl Kollegen Meinrad Belle Recht!) (Meinrad Belle [CDU/CSU]: Danken!) Das, was Sie jetzt vorgelegt haben, ist insofern eine Zu- mutung, da die Beamtinnen und Beamten noch schlechter in vielen Punkten Recht geben: Heimlich, still und leise behandelt werden als diejenigen, welche in Zukunft eine machen wir die Reform nicht. Aber es ist ärgerlich: Wir Rente beziehen werden. Sie haben keine Übergangsfrist haben im Vorfeld mit fast allen Berufsorganisationen ge- in Ihren Gesetzentwurf für die eingefügt, die in den nächs- sprochen. Es hat sich einiges geändert, und wir sind wei- ten zwölf Jahren in den Ruhestand gehen. Das heißt, Sie terhin im Gespräch. Die Sache ist aber noch nicht abge- haben das Vertrauen derjenigen, die im öffentlichen schlossen. Dienst beschäftigt sind, missbraucht. Sie werden nämlich Es hat mich aber auch geärgert, dass wir diese Diskus- unzumutbare Abschläge bei ihren Pensionen hinnehmen sionen ständig in den Abendstunden oder am Freitag- müssen. Sie haben keine Chance mehr, privat zusätzlich mittag führen. Umso mehr freut es mich, dass Sie mit der vorzusorgen. ganzen Wucht Ihrer großen Fraktion anwesend sind, um die berechtigten Interessen der Beamten zu verteidigen. (Zuruf von der FDP: So ist es!) (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem Das widerspricht meines Erachtens übrigens auch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Kurt-Dieter Art. 3 Grundgesetz, in dem es um die Gleichbehandlung Grill [CDU/CSU]: Das war ein tolles Argu- geht. ment!) (B) Sie haben außerdem all diejenigen nicht berücksich- Es geht um die Versorgungsreform. Die Versor- (D) tigt, welche den Höchstruhesatz nicht erreichen können, gungsreform ist ein Stück Sicherheit. Wir haben in der das heißt die Beamten im Osten, die beispielsweise aus letzten Zeit ständig über Sicherheit gesprochen, über in- der NVA in die Bundeswehr übernommen wurden. Aber nere Sicherheit allerdings mehr als über die soziale Si- das trifft insbesondere auch Beamte bei der Bahn. Auch cherheit. Aber ich sage Ihnen: Auch die soziale Sicherheit dort Fehlanzeige bei der Suche nach Gerechtigkeit in gehört dazu. Das, was wir heute hier beraten, dient dazu, Ihrem Gesetzentwurf! ein Stück Leben ohne Angst zu gewährleisten; ein Stück Diejenigen, die im einfachen und mittleren Dienst be- Leben ohne Angst ist auch ein Stück Lebensqualität. Wenn die Menschen, die im öffentlichen Dienst oder schäftigt sind, fallen in großen Teilen unter die Mindest- sonst wo ihre Arbeit geleistet haben, in den Ruhestand ge- versorgung. Sie haben das trotz Zusage des Bundesinnen- hen, müssen sie sich darauf verlassen können, dass sie ministers in einem Gespräch mit dem Deutschen nachher nicht mit der letzten Mark rechnen müssen, dass Gewerkschaftsbund von Anfang September, das noch sie das Geld bekommen, das sie sich verdient haben. einmal zu prüfen ist, nicht nachgebessert. Dafür sorgen wir. Wir machen die Versorgung berechen- Zu den Versorgungsrücklagen haben meine Vorredner bar und bezahlbar, und zwar sowohl im Interesse der heu- schon gesprochen. Das muss ich nicht wiederholen. tigen Ruheständler als auch und gerade im Interesse künf- tiger Ruheständler. Ein Satz noch zum Beamtenrechtsrahmengesetz – Kollege Stadler sprach schon dazu –: Es wäre gut ge- Es ist richtig, dass wir einen motivierten und engagier- wesen, den zweiten Versorgungsbericht der Bundesregie- ten öffentlichen Dienst brauchen. Ich denke da an die vie- rung nicht nur zu berücksichtigen, sondern ihn dem Par- len Polizeibeamten und Beamten des Bundesgrenz- lament auch rechtzeitig vorzulegen. Wir sind mit Ihnen im schutzes, die gerade in dieser Zeit bis zur Höchstgrenze Grundsatz einig, dass Rehabilitation vor Versorgung ge- der Belastbarkeit ihren Dienst versehen. Wir sehen sie hen muss. Aber dann fehlen in diesem Gesetzentwurf An- draußen, wie sie Streife laufen, wie sie auch für unsere Si- reize für diejenigen, die bei Teildienstfähigkeit tatsächlich cherheit sorgen. Es ist nicht zumutbar, dass sie später mit Unsicherheit belastet in den Ruhestand gehen. aktiv bleiben wollen, im Hinblick auf diejenigen, die die Pension in Anspruch nehmen. Ich denke, hier muss nach- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gebessert werden. DIE GRÜNEN) Etwas, was in beiden Gesetzen nicht gelöst werden Deswegen legen wir die Reform so an. Aber wenn das kann, sondern nur durch aktive Politik: Wir sollten da- von Ihnen, Herr Belle, und von Herrn Stadler – lieber rüber nachdenken, warum so viele Beamte teildienstfähig Max! – kritisiert wird, dann muss ich allerdings sagen: Es Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001 18903

Hans-Peter Kemper (A) war die letzte Koalition, die die Ruhegehaltsfähigkeit der Wir haben eine Reihe von Prüfaufträgen im Rahmen (C) Polizeibeamten – gerade derjenigen, die diese Arbeit dieses Gesetzesvorhabens auf den Weg gebracht. Das Ge- heute leisten müssen – abgeschafft hat setzgebungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen. Dies ist erst die erste Lesung; wir werden noch über den (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Hört! Gesetzentwurf beraten. Ich bin aber ganz sicher, dass wir Hört!) eine Lösung finden werden, sodass das Gesetz mit einer und sie damit um 150 bis 200 DM ihrer Pension gebracht breiten Mehrheit verabschiedet werden kann. hat. Wenn man heute also solche Krokodilstränen ver- Der Bundesrat wird noch einige Vorschläge in die Be- gießt, muss man auch einmal daran denken, was man ratung einbringen. Ich bin ganz sicher, dass er uns noch früher selbst angerichtet hat. einige Hinweise geben wird. Wir werden zu diesem (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Thema wahrscheinlich am 7. oder am 8. November eine DIE GRÜNEN – Dr. Max Stadler [FDP]: Wir Anhörung durchführen. Dazu werden Sachverständige haben doch nicht die Ruhegehaltsfähigkeit der eingeladen, die in der Materie stecken und die uns viel- Beamten abgeschafft!) leicht den einen oder anderen Hinweis geben werden. Ich will es mir jetzt verkneifen, die beliebten Spielchen Ein Punkt ist aber klar – davon können Sie und auch zu treiben, also die Versäumnisse der letzten 16 Jahre auf- alle Beamtinnen und Beamten ganz sicher ausgehen, die zuzählen, auf die Verschuldung, die Sie uns hinterlassen heute noch ihren Dienst verrichten oder die sich bereits im haben, hinzuweisen und zu sagen: Damit haben Sie uns Ruhestand befinden –: Es wird keine Sonderopfer für Be- erst gezwungen, das alles so zu machen. Ich will statt- amte geben. Es wird keine Überkompensation bei der wir- dessen auf die Prognosen eingehen, die wir haben. Das kungsgleichen Übertragung geben. Es wird vielmehr ei- sind die gleichen Prognosen, die auch Sie in der letzten nen sozial ausgewogenen und einen gerechten Übertrag Legislaturperiode gehabt haben. Die vermehrten Einstel- geben. lungen in den öffentlichen Dienst in den 60er- und 70er- Der eine oder andere Punkt wird sicherlich noch zur Jahren haben zur Folge, dass diese Menschen nun zu- Disposition gestellt. Wir werden über den einen oder an- nehmend in den Ruhestand gehen und zunehmend deren Punkt noch diskutieren. Aber die grobe Richtung Versorgungskosten verursachen. Bis zum Jahre 2040 wer- stimmt. Die Weichenstellung ist richtig. Ich lade Sie ein, den die Versorgungslasten – ohne Bahn und Post – um bei den Beratungen mitzumachen. Ich bitte Sie, dieses das 3,8fache steigen. Diese Folge ist nicht in den letzten Gesetzesvorhaben, das für eine sichere Versorgung der drei Jahren entstanden, sondern während der gesamten Beamtinnen und Beamten wichtig ist, zu unterstützen. Ich Laufzeit. kann mir nicht vorstellen, dass Sie sich diesen vernünf- (B) (Meinrad Belle [CDU/CSU]: Darum haben tigen Einsichten verschließen werden. Das haben Sie wie (D) wir es ja auch so gemacht!) auch wir in der Vergangenheit nicht getan. Ich gehe daher zuversichtlich in die nächsten Beratungsrunden. Das haben wir erkannt. Wir haben Sie ja in der letzten Legislaturperiode in kleinen Teilbereichen, die Sie in An- Schönen Dank. griff genommen haben, unterstützt, weil das vernünftig (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ war. Da auch wir etwas Vernünftiges machen, werden Sie DIE GRÜNEN) uns – da bin ich sicher – im Endeffekt ebenfalls unter- stützen. Vizepräsidentin Petra Bläss: Ich schließe die Aus- Wir haben deutlich gemacht, dass wir die Renten- sprache. reform wirkungsgleich auf die Beamten übertragen wer- den. Das geschieht in acht kleinen Schritten in den Jahren Interfraktionell wird die Überweisung der Gesetzent- von 2003 bis 2010. Für diese Zeit wird die Versorgungs- würfe auf den Drucksachen 14/7064 und 14/6717 an die rücklage ausgesetzt; danach wird sie bis zum Jahre 2017 in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- wieder eingeführt. schlagen. – Ich sehe Einverständnis im gesamten Hause. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Nun weiß ich, dass die Berufsverbände zu dem ersten Vorschlag gesagt haben, hier finde eine Überkompensa- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a bis 20 c auf: tion statt, hier würden von den Beamten Sonderopfer ver- langt. Deswegen ist es zu Änderungen gekommen. Des- a) Erste Beratung des von der Bundesregierung wegen wird die Versorgungsrücklage vier Jahre lang nicht eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes für die erhoben und das Versorgungsniveau weniger abgesenkt. Erhaltung, die Modernisierung und den Aus- Auf welches Niveau wird man noch sehen. Jedenfalls er- bau der Kraft-Wärme-Kopplung (Kraft-Wärme- folgt die Absenkung nicht auf die Weise, wie sie zunächst Kopplungsgesetz) im Gespräch war. – Drucksachen 14/7024, 14/7086 – Die Beamten haben die Möglichkeit, eine freiwillige Überweisungsvorschlag: Zusatzversorgung zu den gleichen Bedingungen, wie sie Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) für die rentenversicherten Arbeitnehmerinnen und Arbeit- Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und nehmer gelten, abzuschließen. Zur Hinterbliebenenver- Landwirtschaft Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen sorgung ist schon einiges gesagt worden. Ich will das Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit nicht wiederholen. Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder 18904 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Vizepräsidentin Petra Bläss (A) b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- schaftliche Situation für die Kraft-Wärme-Kopplung (C) richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- durch die Folgen der Liberalisierung im Strommarkt in nologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge- eine ungünstige Situation geraten ist; denn die Strom- ordneten Dr. Christian Ruck, Hartmut Schauerte, preise sind gesunken. Dies ist ein für die Stromverbrau- , weiterer Abgeordneter und der cher angestrebtes Ergebnis des Liberalisierungsprozesses. Fraktion der CDU/CSU Aber die Betreiber von Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen Kraft-Wärme-Kopplung im Wettbewerb stär- gerieten in wirtschaftliche Schwierigkeiten. ken Folge dieser wirtschaftlichen Schwierigkeiten wäre – Drucksachen 14/4753, 14/6518 – gewesen, dass Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen inner- halb relativ kurzer Frist vor der Stilllegung gestanden hät- Berichterstattung: ten. Deswegen haben wir vor einiger Zeit für solche An- Abgeordnete Michaele Hustedt lagen ein Hilfsprogramm beschlossen, in dem auch festgelegt wurde, dass bis zum 1. Januar 2002 eine gene- c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- relle Kraft-Wärme-Kopplungsregelung gefunden werden richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno- soll. Dies ist insbesondere auch deswegen notwendig, logie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord- weil wir nicht nur die bestehenden Anlagen in vernünfti- neten Walter Hirche, Rainer Brüderle, Paul K. gem Ausmaß vor den Folgen der Liberalisierung zu schüt- Friedhoff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion zen haben, sondern auch weil wir bei solchen Anlagen ei- der FDP nen Zubau erreichen wollen, damit die klimapolitischen Kraft-Wärme-Kopplung auf dem Prüfstand Ziele der alten und der neuen Bundesregierung verwirk- – Drucksachen 14/4614, 14/6519 – licht werden können. Für die Erreichung dieser klima- politischen Ziele sind Erhalt und Ausbau ökologisch effi- Berichterstattung: zienter Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen ein wichtiger Abgeordneter Volker Jung (Düsseldorf) Baustein. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Im Kabinettsbeschluss vom Juli 2000 hat die Bun- Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre desregierung den Minderungsbeitrag der Kraft-Wärme- keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Kopplung zur Erfüllung des Klimaschutzziels mit 23 Mil- Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Bun- lionen Tonnen weniger CO2 pro Jahr bis 2010 beziffert. In desminister für Wirtschaft und Technologie, Dr. Werner Politik und Wirtschaft gibt es einen breiten Konsens da- Müller. rüber, dass dieses Ziel mit einer ökologisch effizienten Kraft-Wärme-Kopplung prinzipiell erreichbar ist. Bei der (B) Umsetzung dieses Zieles gilt es, einerseits die Interessen (D) Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft der stromverbrauchenden Industrie und andererseits die und Technologie: Frau Präsidentin! Meine Damen und Interessen der Anlagenbetreiber an der Absicherung vor- Herren! Die Bundesregierung hat nach langen und handener Anlagen im Auge zu behalten. schwierigen Verhandlungen, die insbesondere von Herrn Trittin und mir über viele Monate geführt wurden, am Die beteiligten Verbände sind den Vorstellungen der 25. Juni 2001 mit der deutschen Wirtschaft eine Selbst- Bundesregierung gefolgt und haben sich entschieden, den Weg einer Selbstverpflichtung zu gehen, um die klima- verpflichtungsvereinbarung zur Verminderung der CO2- Emissionen und zur Förderung der Kraft-Wärme-Kopp- politischen Ziele zu erreichen. Wir haben – das möchte ich lung paraphiert. Mit der Vorlage des Gesetzes für die kurz einflechten – mit dem Mittel der Selbstverpflichtung Erhaltung, die Modernisierung und den Ausbau der Kraft- der Wirtschaft in Kombination mit flankierenden Maß- Wärme-Kopplung, kurz: Kraft-Wärme-Kopplungsge- nahmen der Politik bisher insgesamt sehr gute Erfolge er- setz, erfüllt die Bundesregierung die Verpflichtung, die zielt. Deswegen wollen wir diesen Weg auch fortsetzen. sie im Rahmen dieser Vereinbarung zum Klimaschutz mit Mit der im Juni paraphierten Vereinbarung soll eine den Vertretern der Wirtschaft eingegangen ist. Emissionsreduktion um insgesamt bis zu 45 Milli- Wir sind damit bei einem oftmals auch etwas kontro- onen Tonnen CO2 pro Jahr bis 2010 verwirklicht werden. vers diskutierten Thema einen großen Schritt vorange- Dazu ist in dieser paraphierten Vereinbarung ein umfang- kommen. Ich begrüße das sehr. Denn bei den langwie- reiches Maßnahmenpaket verabredet worden. Neben dem rigen und schwierigen Diskussionen hat der eine oder Bereich der Kraft-Wärme-Kopplung umfassen die Zusa- andere schon einmal das eigentliche Ziel aus den Augen gen der Wirtschaft beispielsweise Maßnahmen zur Mo- verloren. Mitunter standen auch Forderungen im Raum, dernisierung des Kraftwerksparks, den beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energien sowie die Modernisierung die klar an dem eigentlichen Ziel des CO2-Sparens vor- beigingen und die, was die Forderung nach öffentlichen der Heizungs- und Warmwasserversorgung. Subventionen anbelangt, gelegentlich schlicht über das Bei der Kraft-Wärme-Kopplung hat die Bundesregie- Ziel hinausgeschossen sind. rung zugesagt, die Modernisierung des KWK-Bestandes mit gesetzlichen Maßnahmen zu unterstützen. Mit dem (Walter Hirche [FDP]: Die Forderung nach Gesetz, das heute eingebracht wird, löst die Bundesregie- dem Jungbrunnen!) rung diese eingegangene Verpflichtung ein. Zweck des Lassen Sie mich noch einmal deutlich machen, was der Gesetzes ist der befristete Erhalt und vor allem die Mo- Ausgangspunkt war. Ausgangspunkt war, dass die wirt- dernisierung des Bestandes der Kraft-Wärme-Kopp- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001 18905

Bundesminister Dr. Werner Müller (A) lungsanlagen in Deutschland. Deshalb belohnt das Gesetz Vizepräsidentin Petra Bläss: Für die CDU/CSU- (C) eine schnelle Modernisierung. Über die Erhöhung der Fraktion spricht jetzt der Kollege Dr. Christian Ruck. Stromausbeute durch Modernisierung kann der Betrag der Begünstigung ferner verdoppelt bis verdreifacht werden. Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Ich will deutlich sagen: Das Hauptziel dieses Gesetzes Meine Damen und Herren! Das Kraft-Wärme-Kopp- liegt auf der Modernisierung bestehender Anlagen. Wir lungsgesetz der Bundesregierung, das wir heute in erster wollen also verhindern, dass durch übermäßige Subven- Lesung beraten, hat gute und schlechte Seiten. Positiv ist tionierung relativ wenig umweltwirksame Altanlagen im wenigstens, dass wir die Vorstellungen der Bundesregie- Bestand viel zu lange weiter betrieben werden, einfach rung endlich hier im Parlament und sogar bei Tageslicht deshalb, weil sie Subventionen genießen. Wenn wir hier diskutieren können. Nach meinem parlamentarischen auf ein Hilfssystem durch Umlage über den Strompreis Verständnis sind wir Abgeordnete nämlich nicht nur zum zurückgreifen, dann müssen wir dabei beachten, dass wir Abnicken von Vorlagen gewählt, die die Bundesregierung die Strompreise in Deutschland durch diese Umlagesys- mit Verbänden und Organisationen außerhalb des Hauses teme nicht zu sehr nach oben treiben dürfen. ausgemauschelt hat. Das gilt umso mehr, als die Maßnah- men die Menschen in diesem Land viel Geld kosten. Wie wir wissen, ist das von dieser Bundesregierung eingangs ihrer Tätigkeit gefertigte Stromeinspeisungsge- (Horst Kubatschka [SPD]: Das sagen die, die setz überaus erfolgreich. Wir haben exorbitante Zu- immer erbitterten Widerstand während der wächse bei der Verstromung erneuerbarer Energien, so- Kohl-Regierung geleistet haben! – Michael dass wir im Jahre 2005 mit etwa 5 Milliarden DM Umlage Müller [Düsseldorf] [SPD]: Dem stimmen wir auf den Strompreis durch das Stromeinspeisungsgesetz ausdrücklich zu! – Gegenruf des Abg. Walter rechnen. Hirche [FDP]: Dem, dass die Bundesregierung mauschelt, stimmen Sie zu? Das ist ja interes- Das von der Bundesregierung hier und heute einge- sant! Herr Müller, Sie müssen zuhören! – Hei- brachte Gesetz wird zu Belastungen für den Strompreis terkeit bei der FDP und der CDU/CSU) von insgesamt rund 1 Milliarde DM bis 2010 führen. Es wird aber zu keiner Strompreiserhöhung kommen, weil – Danke, Herr Müller. durch das Gesetz die Hilfsverpflichtung, die ebenfalls ge- Gut ist auch, Herr Müller – ich bin gerade dabei, die setzlich geregelt ist, abgelöst wird. Ich will noch einmal Vorlage zumindest in einigen Teilen zu loben; das sollten deutlich sagen: Mir scheint damit das erreicht, was wir an Sie sich nicht entgehen lassen –, dass Rot-Grün mit dem Belastungen des Strompreises durch Umlagesysteme neuen Gesetz das unselige KWK-Vorschaltgesetz beer- gesamtwirtschaftlich in etwa für verkraftbar halten. digt. Schon dieses Vorschaltgesetz kam unsere Bürger (B) (D) Ich füge hinzu, dass neben der Unterstützung kleiner teuer zu stehen und war und ist ökologisch völlig wir- Blockheizkraftwerke ein weiteres wichtiges Ziel des jetzt kungslos, also in jeder Hinsicht eine Missgeburt. eingebrachten Gesetzes die Markteinführung der Brenn- Wir begrüßen auch, dass Rot-Grün in der neuen Geset- stoffzelle ist. Die Brennstoffzelle wird mit diesem Gesetz zesvorlage auf einige frühere Pläne verzichtet hat, die wir in einer besonderen Weise gefördert, sowohl was den Be- für falsch gehalten haben, zum Beispiel die starre Ziel- trag als auch was den Zeitraum angeht; denn sie wird als vorgabe einer Verdoppelung von KWK als Handlungs- Einziges über den Zeitpunkt 2010 hinaus gefördert. Das auftrag oder ein wie immer geartetes Quotenmodell. trägt dem Umstand Rechnung, dass die Brennstoffzelle einschließlich der in diesem Gesetz geregelten Beihilfen Wir begrüßen auch, dass der neue Gesetzentwurf nun zurzeit noch relativ deutlich von der Wirtschaftlichkeit tatsächlich die gleichzeitige Produktion von Strom und entfernt ist, dass wir aber die sichere Überzeugung haben, Wärme honoriert, dass die Förderung degressiv gestaffelt dass Brennstoffzellen 2005 und später mit den im Gesetz und zeitlich begrenzt wird – auch das haben wir immer ge- angebotenen Hilfen in den Bereich der Wirtschaftlichkeit fordert – und dass mit dem Anreiz zur Modernisierung kommen. Deswegen haben wir hier eine Ausnahme und zur Förderung von Blockheizkraftwerken und Brenn- gemacht und fördern Brennstoffzellen maximal bis stoffzellenanlagen Innovation und technischer Fortschritt 2019/2020. angeregt werden. Alles in allem bildet das vorgesehene Gesetz eine Auch das politische Instrument der freiwilligen Selbst- wichtige Voraussetzung für den langfristigen Erhalt der verpflichtung halten wir generell für richtig, wenn es denn Kraft-Wärme-Kopplung und die Realisierung der Klima- auch wirklich freiwillig ist und nicht nur die Wahl zwi- schutzziele dieser Bundesregierung bis zum Jahre 2010. schen Teufel und Beelzebub. Daher sollte der mit der Wirtschaft gefundene Kompro- Aber der neue rot-grüne KWK-Gesetzentwurf bietet miss auch so rasch wie möglich umgesetzt werden. leider auch viel Anlass zur Kritik. Wie beim EEG und dem Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie den Gesetzentwurf KWK-Vorschaltgesetz wird wieder der Weg einer Umla- in der von der Bundesregierung vorgelegten Form unter- gefinanzierung durch die Verbraucher gewählt, das heißt stützten. eine heimliche Steuererhöhung ohne die Transparenz und die Kontrolle durch ein ordentliches parlamentarisches Vielen Dank. Haushaltsverfahren. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Die Wettbewerbsverzerrung zwischen öffentlichen und DIE GRÜNEN) industriellen KWK-Anlagen ist zwar gemildert, aber 18906 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Dr. Christian Ruck (A) längst nicht beseitigt. Ich frage mich schon, wie unter den ein 100 000-Keller-Programm zur Markteinführung inno- (C) Bedingungen dieses Gesetzes der Zubau durch die private vativer KWK-Anlagen, zum Beispiel – aber nicht nur – Wirtschaft, der zugesagt wurde, garantiert werden kann, mit Brennstoffzellentechnologie. Solche Technologien wenn weder der Zubau noch der Eigenverbrauch geför- – das haben Sie zumindest schon gesagt, Herr Müller – dert werden. könnten ihre Marktreife in drei bis vier Jahren erreichen. Der Entwurf bringt an mehreren Stellen auch riskante Bei einem solchen gezielten Markteinführungsprogramm Unklarheiten, rechtliche Risiken und den völlig unnötigen wäre der CO2-Minderungseffekt um ein Vielfaches höher Zwang zu einem gewaltigen bürokratischen Mehrauf- als zum Beispiel beim 100 000-Dächer-Programm für wand, vor allem für die betroffenen Unternehmen. Darauf Photovoltaik. hat auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme hinge- (Beifall bei der CDU/CSU) wiesen. Wir fordern Sie auf, Herr Müller, auch diese Hin- weise ernst zu nehmen. Unseren Antrag haben Sie im Umweltausschuss fälsch- licherweise abgelehnt – und nicht nur das: Sie haben fälsch- Ich möchte ein Beispiel für diese Unklarheiten und Un- licherweise auch andere gute Klimaschutzanträge der schärfen nennen. Die Deutsche Bahn befürchtet, dass sie CDU/CSU mit Ihrer Mehrheit abgeschmettert, darunter nicht in die zweite Vergünstigungsstufe des Gesetzes ein detailliertes Konzept zur Komplettsanierung des deut- fallen könnte, obwohl das Unternehmen sehr strominten- schen Gebäudebestandes mit dem Ergebnis einer Minde- siv arbeitet und 7,5 Prozent des Konzernumsatzes aus rung des CO2-Ausstoßes um jährlich über 90 Millionen Energiebeschaffungskosten bestehen. Aber die umwelt- Tonnen. Im Vergleich: Ihr KWK-Gesetz soll im Jahr 2010 freundliche Bahn ist eigentlich kein produzierendes knapp über 20 Millionen Tonnen CO -Ausstoß einsparen. Unternehmen im Sinne des Gesetzes und müsste damit 2 Wir haben auch Vorschläge für einen wirksamen Klima- erneut die als umweltschützerische Maßnahmen dekla- schutz durch verstärkte Forschungs- und Entwicklungs- rierten Mehrkosten des KWK-Gesetzes voll tragen. Das politik unterbreitet. Sie haben sowohl die Mittel für die würde zum Beispiel für die Dauer des Gesetzes einen Be- trag von 170 Millionen DM im Vergleich zu dem Zustand Forschungs- als auch für die Entwicklungspolitik zusam- ausmachen, den die Bahn hätte, wenn man sie logischer- mengestrichen. weise in die höchste Vergünstigungsstufe hereinnähme. Ihre Klimaschutzpolitik, dessen Bestandteil das KWK- Hier muss eine Klarstellung zugunsten der Bahn erfolgen. Gesetz sein soll, ist ein jährliches zweistelliges Mil- Schließlich ist auch die Klimaschutzkomponente liardengrab, mit dem Sie den Klimaschutz aber nicht vo- nach wie vor unterbelichtet. Die Förderung der Kraft- ranbringen. Die ökologischen Herausforderungen im Wärme-Kopplung ist erklärtermaßen Teil der Klima- Klimabereich für die nächsten Jahre und Jahrzehnte sind schutzstrategie der Bundesregierung. So ist sie auch be- gewaltig. Deswegen können wir uns keine ideologisch be- (B) gründet worden. Aber auch im neuerlichen Anlauf ist es gründete Verschwendung volkswirtschaftlicher Ressour- (D) nicht gelungen, die Förderung tatsächlich an ökologi- cen leisten. Mit ihrer Umwelt- und Energiepolitik wird die schen Kriterien, insbesondere an der Reduktion von Bundesregierung ihrer Verantwortung, eine nachhaltige Treibhausgasemissionen, festzumachen. Sie entscheiden Politik zu betreiben, in keiner Weise gerecht. in Ihrem Gesetz die Frage des Ob und Wie einer Förde- (Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ rung nach den Kriterien, wie alt eine Anlage ist, ob sie mo- DIE GRÜNEN]: Im Gegensatz zu Ihnen!) dernisiert wird und ob die Anlage in das öffentliche Netz einspeist oder nicht, aber nicht nach der Frage, welchen Stimmen Sie unseren Vorschlägen zu, dann sind wir Beitrag sie zum Klimaschutz leistet. Damit ist der ökolo- schon einen konkreten Schritt weiter. gische Effekt der 8 Milliarden DM, die Sie den Bürgern (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – aus der Tasche ziehen, gering. Lachen bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU) Die Ausgestaltung Ihres Gesetzentwurfes lässt nur ei- Vizepräsidentin Petra Bläss: Die nächste Rednerin nen Schluss zu: Es geht Ihnen auch diesmal weniger um ist die Kollegin Michaele Hustedt für die Fraktion Bünd- den Klimaschutz als um die stranded investments bei öf- nis 90/Die Grünen. fentlichen Energieerzeugern. Darüber kann man natürlich diskutieren. Aber das ist kein schlüssiges Klimaschutz- konzept, das ist hoher ökonomischer Aufwand für wenig Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ökologie – genau wie bei der Ökosteuer, dem EEG und Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach langer dem 100 000-Dächer-Programm. Deswegen lehnen wir Beratung haben wir jetzt das KWK-Modernisierungs- auch diesen Gesetzentwurf – zumindest in der vorliegen- und Ausbaugesetz in der parlamentarischen Beratung. den Form – ab. Damit haben wir nach dem Gesetz zur Förderung der erneuerbaren Energien weltweit das beste Gesetz, das es Wir haben zur KWK-Förderung eigene Vorschläge auf dem Markt gibt, und neben dem Altbausanie- auf den Tisch gelegt, die sicherlich auch nicht perfekt rungsprogramm sowie der Wärmeschutzverordnung ei- sind, die wir aber für schlüssiger halten: erstens die För- nen weiteren Baustein einer neuen umweltfreundlichen derung bestehender Anlagen nach einem hohen ökologi- Energiepolitik auf den Weg gebracht. schen Effizienzkriterium, zum Beispiel einem Monats- nutzungsgrad von mindestens 60 Prozent, zweitens eine (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Intensivierung von Forschung und Entwicklung innovati- und bei der SPD – Widerspruch bei der ver, dezentraler Energieumwandlungsanlagen, drittens CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001 18907

Michaele Hustedt (A) Dieses Gesetz löst gleichzeitig das KWK-Vorschaltge- munen tatsächlich ein guter Weg ist, um ökologisch effi- (C) setz ab und macht dabei Fehler wieder gut, die wir aus zient einen Beitrag für den Klimaschutz zu leisten. meiner Sicht im KWK-Vorschaltgesetz gemacht haben. (Walter Hirche [FDP]: Die erste Hälfte des (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Endlich! Das Satzes stimmt!) ist erfreulich!) Die Aufforderung, dieses Gesetz bis über das Jahr 2010 zu – Das habe ich immer gesagt. verlängern, zeugt nicht gerade von einer Ablehnung des Gesetzes. Was also nun? Welche Position hat die (Beifall des Abg. Wolfgang Zöller CDU/CSU in dieser Frage? [CDU/CSU]) (Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Das ist miss- Herr Ruck, es ist in keiner Weise so, wie Sie es be- verstanden worden!) haupten. In dem neuen KWK-Gesetz werden klare ökolo- gische Effizienzkriterien zur Vergabe der Förderung ge- Wenn Sie fordern, dass wir das Gesetz ausweiten und nannt. die Industrie einbeziehen sollen, dann muss ich Ihnen dazu sagen: Wer die Ausweitung fordert, kann nicht (Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Nein, das gleichzeitig das Gesetz ablehnen. stimmt nicht! Das wissen Sie!) (Walter Hirche [FDP]: Das geht schon! – – Lesen Sie es genau durch. Viele unökologische Anlagen, Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Sie haben die im KWK-Vorschaltgesetz aufgeführt sind, werden aus nicht zugehört, Frau Hustedt! Lesen Sie meine der Förderung herausfallen. Rede bitte nach!) (Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Auch das Überlegen Sie sich, welche Position Sie in diesem Bereich stimmt nicht!) haben! Das bedeutet unterm Strich, dass das neue KWK-Gesetz Herr Hirche, es ist merkwürdig, dass gerade von der günstiger wird als das KWK-Vorschaltgesetz. FDP der Vorwurf kommt, Gesetze im Dialog mit der In- Wir werden mit diesem Gesetz hauptsächlich die Mo- dustrie zu entwickeln sei Mauschelei. dernisierung fördern. Mit Blick auf Anlagen, die Fern- (Walter Hirche [FDP]: Ich habe ihn nicht erho- wärme produzieren und ökologisch nicht effizient sind, ben! Herr Müller hat den Vorwurf erhoben! wollen wir einen Anreiz geben, moderne, ökologisch effi- Bringen Sie die Dinge nicht durcheinander! Das ziente Anlagen zu bauen. Zum anderen werden wir den kann doch jeder im Protokoll nachlesen! – Ausbau kleiner BHKWs und der Brennstoffzelle fördern. Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie machen schon beim Zuhören Fehler!) (B) Herr Ruck, Sie müssen sich klar machen, wie die Posi- (D) tion der CDU/CSU-Fraktion zu diesem Gesetz ist. Sie – Der Bundestag ist die gesetzgebende Instanz und wir ge- wollen andere Wege gehen. Ich sage Ihnen dazu: Das ma- hen jetzt in die Beratung. Ich finde, es ist völlig richtig, chen wir alles schon. Die Forschung für die Brenn- dass man Gesetze auch im Dialog mit der Industrie ent- stoffzelle – das sollte Ihnen nicht entgangen sein – haben wickelt. wir mit Mitteln aus dem Verkauf der UMTS-Lizenzen deutlich aufgestockt, und zwar mit dem Schwerpunkt Wir unterstützen den Gesetzentwurf; wir haben für ihn Brennstoffzelle. gekämpft, weil KWK ein Baustein ist, um die dezentrale Energieversorgung weiter voranzutreiben. Wir erwarten (Walter Hirche [FDP]: Für ein Jahr aufge- von der Umsetzung des Entwurfs einen Schub für neue stockt, im nächsten Jahr gekürzt!) Technologien. Wirtschaftlich ist die Technologie span- – Nein, das ist gerade für den Bereich Brennstoffzelle nend, weil die Investitionen sehr flexibel der Nachfrage dauerhaft. angepasst werden können. KWK ist aber auch sehr öko- logisch, weil wir mit ihr einen Beitrag zur Effizienzrevo- Die Markteinführung – das ist doch bekannt – ist mit lution schaffen. Die BHKWs sind bei der Ausnutzung der Instrumenten wie der Einspeisevergütung oder den Zerti- Primärenergie wesentlich effizienter. Dies gilt für die fikatshandelsmodellen wesentlich leichter als über För- großen KWK-Anlagen, aber erst recht für die kleinen derprogramme zu erreichen, die jedes Jahr auf dem Prüf- Brennstoffzellen, die eine Effizienzsteigerung von 15 bis stand stehen. Förderprogramme bedeuten immer stop and 30 Prozent bringen. go und geben keine Investitionssicherheit und damit die Voraussetzung einer Planung für die Markteinführung. KWK ist gleichzeitig ein idealer Baustein für den Wenn Sie der Markteinführung zustimmen, dann müssten Übergang vom fossilen und atomaren Zeitalter zum sola- Sie dieses Gesetz eigentlich begrüßen. ren Zeitalter, weil wir mit dem System eine Struktur auf- bauen, die optimal mit den erneuerbaren Energien zu Einige aus der CDU/CSU-Fraktion tun dies sogar. Ich kombinieren ist. Die Brennstoffzelle, die BHKWs sowie habe zum Beispiel heute eine Pressemitteilung des kom- die KWK-Anlagen können perspektivisch – das dauert al- munalpolitischen Sprechers Ihrer Fraktion, Herrn Götz, lerdings noch ein bisschen – mit solar erzeugtem Wasser- vorliegen. stoff betrieben werden. Gleichzeitig ist diese Form der (Walter Hirche [FDP]: Das kann ich mir nicht Energieerzeugung ein großer Beitrag zur aktiven Be- schäftigungspolitik. Wir bauen mit diesen innovativen vorstellen!) Technologien, die große Zukunftsmärkte haben – ebenso – Doch. – Er fordert uns auf, dieses Gesetz deutlich über wie bei den erneuerbaren Energien –, ein neues Innovati- das Jahr 2010 hinaus zu verlängern, weil es für die Kom- onszentrum auf. 18908 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Michaele Hustedt (A) Die technischen Veränderungen kosten ein bisschen habe bei der Debatte über das Vorschaltgesetz gesagt, das (C) was. Die Kosten sind aber niedriger, als sie nach dem sei ein „Jung-Brunnen“ für die Kommunen. KWK-Vorschaltgesetz, das wir durch das neue Gesetz ab- Im Rahmen der jetzt vorliegenden Gesetzesfassung lösen wollen, gewesen wären. kann man die Abkürzung KWK ganz neu auflösen: K wie (Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Da haben Kommunen, W wie wollen und K wie kassieren. Also: Sie Recht!) Kommunen Wollen Kassieren. Ihr Gesetz ist kein Beitrag, Außerdem fügen wir eine Regelung in das Gesetz ein, die so wie wir ihn uns vorstellen, nämlich dass man versucht, die Kosten für die Industrie zusätzlich begrenzt. Insge- eine gute Technologie und eine klima- und energiepoli- samt wird die Industrie mit 0,1 Pfennig pro Kilowatt- tisch wichtige Energieform effizient zu fördern. stunde belastet. Auf der anderen Seite wird die Branche Ich gebe zu, dass der heute vorliegende Gesetzentwurf der Anlagenbauer in Deutschland unterstützt, um innova- deutliche Verbesserungen im Vergleich zum Vorschaltge- tive Techniken auf den internationalen Markt zu bringen. setz enthält, das nicht zu einer umfangreichen Senkung Zu diesen Zielen stehen wir. Wenn man den Begriff Nach- der CO2-Emissionen beigetragen hat. Ich will in aller haltigkeit ernst nimmt, muss man diesen Weg gehen. Deutlichkeit sagen: Ich freue mich, dass Frau Hustedt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – natürlich etwas verklausuliert – unsere Kritik am Vor- und bei der SPD) schaltgesetz bestätigt hat. Klimaschutz ist nicht umsonst zu haben. Auch der neue Gesetzentwurf ist gut gemeint, aber schlecht gemacht. Zwei wesentliche Aspekte müssen kri- Wir hätten uns natürlich gewünscht, dass die Industrie tisiert werden. Erstens. Es entsteht eine Ungleichbehand- einbezogen wird. Wir werden ein knallhartes Monitoring lung von KWK-Anlagen je nach Verbrauch. Man muss in in Bezug auf die Selbstverpflichtung der Industrie ma- aller Deutlichkeit sagen: KWK-Strom wird gemäß dem chen. Ich bin mir nicht sicher, ob es für die Industrie nicht jetzt vorliegenden Gesetzentwurf nur dann begünstigt, Möglichkeiten gibt, auch ohne zusätzliche finanzielle wenn er in öffentliche Anlagen eingespeist wird. Was ist Unterstützung durch ein Gesetz zuzubauen. Dies wird denn eigentlich schlecht an einem solchen KWK-Strom, davon abhängen, ob die Strompreise in der Zukunft stei- den die Industrie selber verbraucht, um Arbeitsplätze zu gen und die Gaspreise sinken werden. Von dem Verhält- sichern? nis zwischen Strom- und Gaspreisen wird es abhängen, ob bei einem neuen Investitionsbedarf auf dem Energie- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) sektor die Industrie tatsächlich die hochmodernen Anla- Was soll dieser Quatsch einer Differenzierung und der gen zubaut. Es ist wichtig zu kontrollieren, ob dies ge- Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz? (B) schieht, und im Jahre 2004 eine Bilanz zu ziehen, um zu (D) sehen, ob es im Bereich der Industrie den Zubau, zu dem Ich habe mir heute noch einmal eine entsprechende sich die Industrie selbst verpflichtet hat, gegeben hat. Stellungnahme des Bundesverbandes Kraft-Wärme- Wenn er nicht vorgenommen worden ist, müssen daraus Kopplung durchgelesen, der auf diesem Gebiet tätig ist. Konsequenzen – eventuell auch hinsichtlich einer Aus- Schon in der Einleitung steht, dass „ohne sachliche Recht- weitung der gesetzlichen Regelungen – gezogen werden. fertigung KWK-Strom außerhalb des Eigentums öffentli- Ich finde, wir haben einen gangbaren Weg des Kompro- cher Netzbetreiber und von Neuanlagen diskriminiert“ misses gewählt, der eigentlich auch in Ihrem Sinne sein wird. Ich füge aus der Seite 4 dieser Stellungnahme hinzu: sollte. Klimapolitisch ist ein Ausschluss von selbst ver- Abschließend: Wir reden hier über einen wichtigen brauchtem KWK-Strom von der Förderung nicht zu Bestandteil einer neuen Energiepolitik, die umweltver- rechtfertigen, da hinsichtlich CO2-Emissionen kein träglich und wirtschaftlich ist sowie – auch nach den Er- Unterschied zwischen dem vor Ort verbrauchten und eignissen des 11. September – eine wesentlich höhere dem in das öffentliche Netz eingespeisten Strom be- Versorgungssicherheit als unser jetziges System garan- steht. tiert. Wir sind auf dem besten Weg zu einer nachhaltigen Das ist Tatsache. Von daher, Herr Wirtschaftsminister, Energiewirtschaft. kann ich nachvollziehen, warum dies Ihr „Lieblingsge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN setz“ ist. und bei der SPD) Zweitens. Wir werden uns im zuständigen Ausschuss über folgendes Problem unterhalten müssen: Eine funda- Vizepräsidentin Petra Bläss: Jetzt spricht der Kol- mentale Schwäche ist – Herr Kollege Ruck hat das soeben lege Walter Hirche für die FDP-Fraktion. ausgeführt –, dass es keine strengen technischen und wirt- schaftlichen Effizienzkriterien und keine ökologischen Mindeststandards für die zu fördernden Anlagen gibt. Walter Hirche (FDP): Frau Präsidentin! Meine Da- men und Herren! Wir beschäftigen uns gewissermaßen Interessant ist im Übrigen, dass Sie immer damit argu- mit dem Lieblingsthema unseres Wirtschaftsministers. Er mentieren, dass die Industrie dann, wenn eine Energie- hat in vielen öffentlichen Erklärungen deutlich gemacht, form modern ist, den Anteil an dieser selber erhöht. Die wie sehr es ihm am Herzen liegt – ich hoffe, die Ironie ist Industrie ist die Selbstverpflichtung eingegangen, eine nicht zu verkennen –, dass die Kommunen deutlich mehr entsprechende Senkung der CO2-Emissionen vorzuneh- Geld für ihre Stadtwerke in die Kassen bekommen. Ich men. Sie will in diesem Zusammenhang ein Monitoring Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001 18909

Walter Hirche (A) durchführen. Ich verstehe das so, dass auf diesem Gebiet Ihre Rede hat mir erst die Möglichkeit gegeben, dies zu sa- (C) kein Fördergesetz nötig ist. gen. Wenn der Sprecher, der für die Kommunalpolitik der Union zuständig ist, erklärt, er finde das Ganze besonders (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: So ist es! – gut, dann wird deutlich – Herr Fromme schaut mich zwar Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- etwas streng an, aber es ist so; das ist in diesem Zusam- NEN]: Genau, das will die Industrie!) menhang auch legitim –, dass hier bestimmte kommunal- Wenn es in einem Wirtschaftsbereich eine Selbstver- politische Interessen ausschlaggebender sind als die Kli- pflichtung gibt, warum muss ich dann eine Förderung mapolitik und die Arbeitsplätze. Mit dieser Art von vorsehen? Sie schneidern die Förderung so zu, dass sie im Prioritätensetzung werden Sie die Zukunft nicht gewinnen. Wesentlichen bei den Kommunen und bei der Verbund- wirtschaft ankommt, die Privatindustrie aber ausgenom- men wird. Das bedeutet wiederum: Arbeitsplätze stehen Vizepräsidentin Petra Bläss: Herr Kollege Hirche, bei Ihnen nicht im Mittelpunkt und, wie ich eingangs ge- ich muss Sie bremsen. sagt habe, der Klimaschutz spielt für Sie überhaupt keine Rolle. Walter Hirche (FDP): Klimapolitik und Arbeitsplätze In der Industrie gibt es – das ist eine sehr interessante müssen an erster Stelle stehen. Unter dieser Prämisse wer- Tatsache – in starkem Maße eine isolierte Wärmeerzeu- den wir die weiteren Gesetzesberatungen begleiten. gung. Dabei denke ich zum Beispiel an die Chemie, die (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) unwahrscheinlich viel Dampf für ihre Prozesse benötigt. Wenn man eine Förderung vorsehen will, dann wäre es in- teressant zu sagen: Dort, wo dauerhaft Wärme gebraucht Vizepräsidentin Petra Bläss: Jetzt spricht der Kol- und abgegeben wird, ist unser Ausgangspunkt; zusätzlich lege Rolf Kutzmutz für die PDS-Fraktion. zu dieser Wärme erzeugen wir Strom. Sie aber tun das Umgekehrte. Rolf Kutzmutz (PDS): Frau Präsidentin! Liebe Kol- leginnen und Kollegen! Minister Müller hat gesagt, das (Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Das ist der Ziel des Gesetzentwurfes sei die Modernisierung der be- entscheidende Fehler!) stehenden Anlagen. Frau Hustedt, von Ausbau war bei Sie sagen: Es wird Strom erzeugt und zusätzlich produ- Herrn Müller nicht die Rede. Dabei bleiben nach meiner zieren wir Wärme. Dabei nehmen Sie keine Rücksicht da- Auffassung der vorgelegte Gesetzentwurf und die in ihm rauf, ob diese Wärme das ganze Jahr über abgenommen favorisierte Variante selbst hinter der halbherzigen Lö- und gebraucht wird. sung zurück, die von den meisten Energiewirtschaftsver- (B) bänden Ende Juni – Herr Minister, Sie haben es schon an- (D) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) gesprochen – angeboten wurde. Selbst die ist bis heute Das ist falsch. Ihr Weg ist der klimapolitisch und im Übri- nicht unterzeichnet worden. Es scheint fast so zu sein, gen auch wirtschaftspolitisch schlechtere. dass die Verbände ihren eigenen Forderungen nicht mehr trauen. Ich empfehle Ihnen sehr nachdrücklich, in der An- hörung, die noch ansteht, und während der diesbezügli- Ich möchte vier kritische Anmerkungen machen. Dass chen Ausschussberatungen zur Kenntnis zu nehmen, wel- sich die von den kritischen Anmerkungen, die Herr Hirche che Position der in diesem Jahr wegen der dilettantischen gemacht hat, unterscheiden, liegt einfach daran, dass wir Vorbereitungen dieses Gesetzes neu gegründete Bundes- die KWK unterschiedlich betrachten. verband Kraft-Wärme-Kopplung einnimmt. Gespräche Erstens. Der Gesetzentwurf enthält keinerlei prak- mit Vertretern dieses Verbandes führen nämlich zu einem tische umweltpolitische Bezüge. Er erscheint deshalb als ganz anderen Ergebnis, als es Frau Hustedt hier ausge- bloßes Investitionsschutzgesetz. Er kann sich daher führt hat. nicht auf die mittlerweile ständige Rechtsprechung des Ich habe keine Hemmungen, zuzugeben, dass ich mit Europäischen Gerichtshofes stützen, die den Umwelt- Vertretern von bestimmten Firmen gesprochen habe, un- schutz höher als die Warenverkehrsfreiheit gewichtet. ter anderem einer, die am Rande Bayerns, und zwar im (Dr. Ilja Seifert [PDS]: Richtig!) Ausland, ihren Sitz hat. Ich möchte das nicht näher aus- führen, weil ich keine Werbung für diese Firmen machen Zumindest müssten konkrete Ziele zur Reduzierung des möchte. Jedenfalls haben mir diese Firmenvertreter ge- Kohlendioxidumfangs im Gesetz festgeschrieben und sagt, dass sie wegen der Konstruktion des Gesetzes zur- müsste deren Überprüfung viel früher als geplant durch- zeit gar keine Anlagen verkaufen könnten, dass die Anla- geführt werden. Das vorgesehene Verbot der Er- genbauer zutiefst verunsichert seien, weil nur die schließung neuer Wärmeabsatzpotenziale durch Anlagen- Modernisierung bestehender Anlagen angestrebt werde modernisierung muss fallen. und nicht verlangt werde, dass die Industrie ihrer Selbst- Zweitens. Der Entwurf diskriminiert industrielle verpflichtung, die KWK in einem bestimmten Umfang KWK-Stromerzeugung, obwohl diese nachgewiesener- auszubauen, nachkomme. maßen die größten Klimaschutzeffekte brächte. Für diese Aus diesem Grunde unterstelle ich zwar, dass Sie das al- Anlagen muss ein diskriminierungsfreier Anschluss an les gut meinen. Aber ich muss feststellen, dass Sie das die Netze der allgemeinen Versorgung gesetzlich vorge- handwerklich ganz schlecht umgesetzt haben. Es ist nicht schrieben werden. Nur so haben die Betreiber solcher An- ohne Grund so schlecht gemacht worden. Frau Hustedt, lagen überhaupt eine Chance auf Vergütung ihres Stroms. 18910 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Rolf Kutzmutz (A) Drittens. Die erhebliche Entlastung bestimmter Vizepräsidentin Petra Bläss: Jetzt spricht der Kol- (C) Stromkundengruppen ist in der vorgeschlagenen Form lege Volker Jung für die SPD-Fraktion. unpraktikabel und dürfte sogar gegen den Gleichheits- grundsatz des Grundgesetzes verstoßen. Kleinkunden, Volker Jung (Düsseldorf) (SPD): Frau Präsidentin! vor allem die Haushalte, kann man jedenfalls nicht derart Meine Damen und Herren! Herr Müller und Herr Trittin, diskriminieren wie vorgesehen. Es wäre doch sozial- und wir begrüßen es sehr nachdrücklich, dass die Bundesre- umweltpolitisch verrückt, wenn die Stromkosten der Bür- gierung den Gesetzentwurf zur Modernisierung und zum gerinnen und Bürger desto mehr steigen würden, je mehr Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung fristgerecht vorge- umweltfreundlicher KWK-Strom auf den Markt käme. legt hat. Außerdem verbaut die Entlastung der großen Stromver- braucher gerade die Chancen auf Erhalt und Ausbau der (Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Das ist die industriellen KWK. Schließlich mindern sich damit die Energierevolutionsrede von Volker Jung!) wirtschaftlichen Anreize, vom Fremdstrombezug zur Ei- Das gibt uns nämlich die Chance, das Gesetz, wie vorge- genstromversorgung überzugehen. sehen, zum 1. Januar 2002 in Kraft treten zu lassen. Nach Viertens. Vor allem das im Bereich des KWK-Stroms der langen und streckenweise auch kontroversen Diskus- propagierte Alleinkäufermodell verstärkt die Vormacht- sion, auf die der Bundeswirtschaftsminister hingewiesen stellung der regionalen und der überregionalen Netzbe- hat, ist das, meine ich, ein recht bemerkenswertes Ergeb- treiber. Die entscheiden letztlich darüber, ob der Strom nis. auf dem Markt eine Chance hat. Das ist auch europa- Meine Damen und Herren, mit diesem Gesetz rechtlich angreifbar. Schließlich sollen Stromhandel und schließen wir die letzte große Lücke unseres Energie- Netzbetrieb zunehmend getrennt werden. Der Regie- wendeprogramms, das wir am Anfang der Legis- rungsentwurf würde das Gegenteil bewirken. laturperiode verabredet haben. Nach dem 100 000- Der vorliegende Gesetzentwurf belegt einmal mehr, Dächer-Programm, nach dem Einstieg in die ökologische dass ein Handel mit Zertifikaten auf der Basis einer Quote Steuerreform, nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz, nicht nur unbürokratischer und zielführender, sondern of- nach dem Markteinführungsprogramm, nach dem fenbar auch volkswirtschaftlich günstiger wäre. Kernenergieabwicklungsgesetz und auch dem KWK-So- forthilfegesetz schließen wir dieses Programm jetzt mit In der vorliegenden Form jedenfalls ist der einge- einem fundierten Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz ab. brachte Entwurf nicht zustimmungsfähig. Wir setzen hier – wie viele andere Befürworter von KWK auch – auf die (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Ausschussberatungen. Insofern ist die von der FDP bean- DIE GRÜNEN) tragte Vorlage eines Berichts der Bundesregierung ak- (B) Der Ansatz ist die Kombination einer Selbst- (D) tueller denn je. Wie schon in den Ausschüssen werden wir verpflichtung der deutschen Wirtschaft und einer gesetz- diesem Anliegen zustimmen, auch wenn ich natürlich lichen Begleitung. Anders ist das bei dieser Materie gar weiß, lieber Herr Kollege Hirche, dass Sie mit dem Be- nicht vorstellbar. Die Wirtschaft hat eine zusätzliche Re- richt ein gänzlich anderes Ziel verfolgen als wir. duzierung der CO2-Emissionen im Umfang von 45 Milli- (Walter Hirche [FDP]: So ist es!) onen Tonnen bis zum Jahre 2010 zugesagt; durch die Nut- zung der Kraft-Wärme-Kopplung soll in diesem Zeitraum Aber letztlich ist der Bericht wichtig als Entscheidungs- eine Minderung um 20 Millionen Tonnen bis 23 Milli- grundlage. onen Tonnen erreicht werden. Auf der anderen Seite muss (Walter Hirche [FDP]: Eine objektive Platt- die Umlagefinanzierung organisiert werden und das geht form!) nur auf gesetzlichem Wege. Dabei konzentrieren wir uns auf den Bestandsschutz und auf die Modernisierung der Was den CDU/CSU-Antrag angeht, können wir nur Kraft-Wärme-Kopplung in der öffentlichen Versorgung. die Koalition unterstützen. Die Christdemokraten waren Außerdem fördern wir die Markteinführung der Brenn- und sind gegen KWK, weil sie für die großen Verbund- stoffzellen. unternehmen sind. Herr Hirche, Sie haben den Unterschied zwischen der (Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Nein! Das ist öffentlichen Versorgung und der industriellen KWK her- Quatsch!) vorgehoben; das ist ja ein Lieblingsthema von Ihnen. Sie beweisen Kontinuität – vom durch sie betriebenen Dazu muss ich Ihnen in aller Klarheit sagen: Die Energiewirtschaftsgesetz 1998 bis zum jüngsten Antrag. Gleichstellung dieser beiden Anlagenkategorien ist von der Wirtschaft verhindert worden. Wir sind mit dem An- (Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Das hat über- satz hineingegangen, auch die industrielle Kraft-Wärme- haupt nichts miteinander zu tun! – Zuruf von der Kopplung zu fördern, und zwar adäquat; CDU/CSU: Darüber unterhalten wir uns auf dem Fußballplatz!) (Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Das habt ihr doch schon beim ersten Mal nicht gemacht! Das Klimaschonende Stromerzeugung ist auf diese Art und wolltet ihr doch schon beim ersten Mal nicht!) Weise nicht zu erreichen. denn sie hat erhebliche Wettbewerbsvorteile. Das ist aber Danke schön. von der deutschen Wirtschaft verhindert worden, und (Beifall bei der PDS) zwar unter Einschluss des VIK, des Verbandes der Indus- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001 18911

Volker Jung (Düsseldorf) (A) triellen Energie- und Kraftwirtschaft, die intern zerstritten Die Kernenergie wird im Jahre 2020 oder 2022 voll- (C) war. ständig vom Netz genommen sein. Das bedeutet, dass bis dahin immerhin ein Drittel der Stromerzeugungskapazität (Walter Hirche [FDP]: Sie sind doch nicht der Knecht der Wirtschaft, oder?) in unserem Lande wegfällt. Die Kernenergie wird vor al- len Dingen in der Grundlast eingesetzt. Im Jahre 2010 Das ist der Punkt an der ganzen Sache, der, wie ich finde, werden die Atomkraftwerke bereits 40 Terawattstunden nicht unterschlagen werden darf. – das entspricht 8 Prozent unserer Stromversorgung – we- (Beifall bei der SPD – Kurt-Dieter Grill [CDU/ niger liefern. Man muss sich Gedanken darüber machen, CSU]: Nennen Sie mal den Grund, warum das in welche Richtung Investitionen zur Substitution dieser so ist!) Energie gelenkt werden sollen. Durch den Diskussionsprozess hat sich doch, meinen Ich füge den Hinweis hinzu, dass die Kraft- wir, ein ganz erheblicher Konsens zwischen Wirtschaft Wärme-Kopplung grundlastfähig ist. Sie kann also, was und Politik herausgebildet, den man festhalten und nicht in diesem Zusammenhang von großer Bedeutung ist, auch zerreden sollte. Der Konsens bezieht sich darauf – so in der Grundlast eingesetzt werden. Wenn wir die würde ich das umschreiben –, dass Kraft-Wärme-Kopp- Kraft-Wärme-Kopplung nicht ausbauen, dann gäbe es im lung tatsächlich einen wirksamen und kostengünstigen Hinblick auf die Zukunft der Fernwärmeversorgung in Beitrag zum Klimaschutz leistet. Auch die begleitenden unserem Lande zwei Alternativen: Entweder müssten wir wissenschaftlichen Studien kommen letztlich zu dieser – das ist ökologisch absolut unsinnig – reine Heizwerke Schlussfolgerung. bauen oder es käme – darüber diskutieren viele Unter- nehmer schon – zu einem Desengagement auf diesem Ge- (Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Was?) biet. Wir leisten mit dem Ausbau der Kraft-Wärme-Kopp- Ich möchte das Ganze folgendermaßen zusammenfas- lung auch einen erheblichen Beitrag zur Stärkung der sen: Die Kombination von einer Vereinbarung und einer dezentralen Energieversorgung. Wenn man die heutige gesetzlichen Flankierung hat eine völlig neue Qualität be- Entwicklung beobachtet, dann stellt man fest, dass es ein züglich der Selbstverpflichtung der deutschen Wirtschaft. ganz entscheidender Gesichtspunkt ist, dass sich insbe- Sie ist zielgenau. Sie ist branchenscharf und technologie- sondere die großen Energieverbundunternehmen in zu- spezifisch angelegt. nehmendem Maße international organisieren, damit auch ihre Produktionsstrukturen international werden, weswe- (Walter Hirche [FDP]: Nur das Letzte stimmt!) gen die Gefahr groß ist, dass in Zukunft der Umfang des Ich meine, dass wir damit im Prinzip gar nichts anderes Stromimports und nicht die Wertschöpfung in unserem machen, als das einzulösen, was Sie einmal entschieden (B) Lande erheblich wachsen wird. (D) haben. Da Sie es mit Sicherheit vergessen haben, möchte (Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Sorgt doch ich gerne § 4 a des Energiewirtschaftsgesetzes zitieren: dafür, dass hier Kraftwerke gebaut werden! Dann braucht ihr das hier nicht vorzutragen!) (1) Die Bundesregierung wirkt darauf hin, dass die Elektrizitätsversorgungsunternehmen im Wege frei- Dieser wichtige Aspekt wird in der Diskussion in der Re- williger Selbstverpflichtung zusätzliche Maßnahmen gel unterschlagen. zur Steigerung des Anteils der Elektrizitätserzeugung (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten aus erneuerbaren Energien und aus Kraft-Wärme- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Kopplung treffen. (2) Die Bundesregierung kann nach Anhörung der Es ist von entscheidender Bedeutung, dass wir mit dem beteiligten Kreise Ziele festlegen, die in angemessener Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung einen Beitrag dazu Frist erreicht werden sollen. leisten, die Wertschöpfung und die Beschäftigung in die- sem Lande zu stärken und zu verhindern, dass Arbeits- Dieses Gesetz ist 1998 von und Günter plätze exportiert werden. Um diese Ziele zu erreichen, ist Rexrodt unterschrieben worden. der Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung ein geeignetes In diesem Zusammenhang ist ein weiterer Gesichts- Instrument. punkt wichtig – meine Kollegin Hustedt hat darauf hin- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) gewiesen –: Durch die neue Ausrichtung des Gesetzes, also durch die ausschließliche Förderung des KWK-Stro- Wir müssen – diese Frage darf man ebenfalls nicht mes, wird sich die Belastung der Industrie von 0,5 Pfen- außen vor lassen – die Kernenergie – die Atomkraft- nig pro Kilowattstunde, wie beim KWK-Soforthilfege- werke gehen in absehbarer Zeit vom Netz – in der Zukunft setz, auf 0,1 Pfennig pro Kilowattstunde absenken lassen. substituieren, genauso wie wir veraltete Kraftwerke er- Wir werden die Belastung der stromintensiven Industrie neuern müssen. Die Vertreter der Elektrizitätswirtschaft auf 0,05 Pfennig pro Kilowattstunde verringern. sagen uns, dass der Reinvestitionszyklus im Kraft- werkspark ab dem Jahre 2005 einsetzen wird. Auch von (Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Das müssen daher ist es wichtig, dass es politische Signale gibt, in wel- andere bezahlen! Bleiben Sie doch bei der che Richtung die Entwicklung gehen soll. Wahrheit!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Das ist doch ein in diesem Zusammenhang nicht zu ver- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) nachlässigender Fortschritt. Das bedeutet – das muss man 18912 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Volker Jung (Düsseldorf) (A) auch hinzufügen –, dass wir andere Kreise möglicher- dem Umweltschutz. Den Kommunen hilft er nicht (C) weise etwas mehr belasten müssen. weiter. (Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Das ist die Re- (Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- volution!) NEN]: Und warum? Weil es zu wenig ist und nicht zu viel!) Ich möchte in dieser Debatte als Letztes noch einen weiteren Gesichtspunkt in Erinnerung rufen: Die Wirt- Herr Götz ist also weiß Gott kein Kronzeuge. Ich finde, schaft muss sich bewusst sein, dass sich, wenn wir ein sol- Sie sollten doch etwas wahrhaftiger mit den Dingen, die ches System neu konzipieren – dazu gibt es sehr eindeu- draußen geschehen, umgehen. tige Signale aus Brüssel –, die Beihilfekontrolle der (Beifall bei der CDU/CSU – Michaele Hustedt Europäischen Kommission in Zukunft auch verstärkt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weiterlesen!) diesen Selbstverpflichtungen zuwenden wird. Das be- deutet, dass sehr deutlich erkennbare Beiträge zum Kli- Das Zweite ist: Ich habe immer danach gesucht, worin maschutz von der Wirtschaft erbracht werden müssen, denn die Revolution besteht, die Sie hier jetzt verkündet wenn diese Ansatzpunkte vor der Beihilfekontrolle der haben. Wir werden einmal schauen, ob es Ihnen, ebenso Europäischen Kommission Bestand haben sollen. Ansons- wie es uns in den letzten zehn Jahren gelungen ist, gelingt, ten könnte es nämlich passieren, dass die Privilegierung eine 2-prozentige Energieeffizienzsteigerung pro anno der Wirtschaft, beispielsweise bezüglich der Belastung mit Ihrer Politik hinzubekommen. Angesichts dieses Ge- durch die ökologische Steuerreform, unter Druck geraten setzes ist jedenfalls nicht sichergestellt, dass Sie eine Ef- und möglicherweise untersagt wird. Die Beträge, um die fizienzrevolution hinbekommen. Sie werden aber auf je- es dabei geht, sind nicht gerade klein; es geht um Beträge den Fall erreichen, dass mehr Geld von den Bürgern in die von 5 Milliarden DM aufwärts. Kassen von Leuten, die auf Ihren Wunsch hin Kraft- Wärme-Kopplung ausbauen, fließt. Insofern bin ich überzeugt davon, dass dieser sich neu andeutende Konsens zwischen Wirtschaft und Politik zu- (Walter Hirche [FDP]: Eine Subventionsrevo- stande kommen wird und wir auf dieser Grundlage letzt- lution!) lich ein gutes Gesetz verabschieden können. – Eine Subventionsrevolution; das ist ein netter Zuruf, ich Schönen Dank. bin dafür dankbar, Walter Hirche. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Wer gegen diesen Gesetzentwurf etwas sagt, meine DIE GRÜNEN) Damen und Herren, muss nicht zwangsläufig gegen Kraft-Wärme-Kopplung sein. Er muss schon gar nicht ge- (B) gen Brennstoffzellen sein. Es muss vielmehr gestattet (D) Vizepräsidentin Petra Bläss: Der letzte Redner in sein, in diesem Hause darüber zu diskutieren, ob das, was dieser Debatte ist der Kollege Kurt-Dieter Grill für die hier auf dem Tisch liegt, den Ansprüchen einer in sich Fraktion der CDU/CSU. konsistenten Energiepolitik gerecht wird. (Walter Hirche [FDP]: Nein!) Kurt-Dieter Grill (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will Frau Hustedt hat von einem weiteren Baustein gespro- zunächst den Versuch der Kollegin Hustedt, den Vorsit- chen. Es wäre ja schön, wenn wir endlich einmal erken- zenden der Arbeitsgruppe Kommunalpolitik der CDU/ nen könnten, wie der Konstruktionsplan, sozusagen die CSU-Fraktion zum Kronzeugen für dieses Gesetz zu ma- Architektur dieses Energiehauses von Rot-Grün, denn chen, zurückweisen und bitte sie, noch einmal zu prüfen, aussieht. Nach dem Energiebericht des Bundeswirt- ob sie bei der Wahrheit geblieben ist. schaftsministers liegt er bisher überhaupt nicht vor. Eine in sich schlüssige Konzeption werden wir von der rot-grü- (Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nen Koalition bis Ende der Legislaturperiode auch nicht NEN]: Warum darf er nicht reden?) bekommen. Insofern ist eine Einordnung dieses Bausteins Die vorliegende Presseerklärung von Peter Götz unter- schlicht und einfach gar nicht möglich. stützt in keiner Weise den Gesetzentwurf, den wir hier Ich denke, dass wir uns darüber einig sind, dass die Er- heute beraten. Es heißt nämlich schon in der Überschrift: forschung von Brennstoffzellen keine Erfindung von Rot- „KWK-Modernisierungsgesetz – lauwarme rot-grüne Grün ist. Die Erprobung und der Einsatz der Brennstoff- Energiepolitik lässt Kommunen im Regen stehen“. zelle, so wie heute schon bei Daimler-Chrysler und vielen (Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- anderen Industriebetrieben und Lieferanten, erfolgen NEN]: Weil es zu wenig ist!) doch nicht erst seit den letzten drei Jahren. Im Gegenteil, die Energieforschung läuft bei Ihnen Gefahr, auf Null re- Weiter heißt es: duziert zu werden. Zur ersten Lesung des Kraft-Wärme-Koppelungsge- Es gibt einen zweiten Punkt, über den ich in diesem Zu- setzes der rot-grünen Bundesregierung … erklärt der sammenhang gerne einmal mit Ihnen streiten würde. Es kommunalpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bun- geht darum, dass Sie in den energiepolitischen Diskussio- destagsfraktion …: Der rot-grüne Gesetzentwurf ist nen draußen eigentlich immer den Vorwurf erheben, wir ein fauler Kompromiss im Zielkonflikt zwischen bil- würden eine zu stark angebotsorientierte Energiepolitik liger Energie auf einem liberalisierten Markt und betreiben. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001 18913

Kurt-Dieter Grill (A) Es bestehen – das wird von Ihnen auch nicht bestritten – Herr Kollege Jung, Sie haben hier ganz deutlich gesagt, (C) Überkapazitäten. Sie selber schwärmen immer von den dass der normale Tarifverbraucher, der einzelne Bürger, hier bestehenden Einsparpotenzialen. Die entscheidenden die Zeche dafür bezahlt, dass Sie die Belastung aus der Einsparpotenziale – in diesem Punkt widersprechen wir Subvention der KWK-Förderung nicht an die energie- Ihnen ja gar nicht – liegen nicht nur im Strombereich, intensiven Betriebe weitergeben, sondern einen Deal zu- sondern insbesondere im Wärmebereich. Durch Ihre lasten der normalen Verbraucher gemacht haben. Das Energieeinsparverordnung in Fortsetzung der Wärme- heißt: Wer Ihrer Politik folgt, der wird – im Vergleich schutzverordnung besteht heute in den kommunalen zu der Zeit, bevor wir die Regierungsverantwortung ab- Fernwärmenetzen eine mangelnde Auslastung. Der Wär- geben mussten – am Ende dieser Legislaturperiode eine meverbrauch sinkt ja aufgrund von Nachrüstungen in Mehrbelastung von etwa 6 Pfennig pro Kilowattstunde Altbauten und vielen anderen Dingen. einschließlich Stromsteuer feststellen. (Walter Hirche [FDP]: Richtig!) Dabei sprechen wir ja nicht nur über die normalen Ta- rifverbraucher draußen im Lande, sondern auch über die Dies stützt das Argument, das Walter Hirche hier vorge- große Breite des Mittelstandes, die sich Ihrer Subven- tragen hat, sich bei dem Thema KWK nicht an der Strom- tionspolitik und den daraus folgenden Belastungen nicht produktion, sondern am Wärmeverbrauch zu orientieren. entziehen können. Sie betreiben eine Politik, die Sie sel- Dann kämen wir zu ganz anderen Ergebnissen; denn die- ber nicht bezahlen wollen, die aber der Bürger zu bezah- ses Kriterium ist ausschlaggebend für die ökonomische len hat. Es schert Sie im Grunde genommen einen Teufel, und ökologische Effizienz der Kraft-Wärme-Kopplung. ob das sozial und ökonomisch zu verantworten ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich möchte einen weiteren Punkt aufgreifen. Herr Noch ein letztes Wort: Sie haben gesagt, dass dieses Jung, auch durch Ihre Bemerkung über das Vorschalt- Gesetz auch zum Ziel habe, Auslandsinvestitionen und gesetz können Sie nicht darüber hinwegtäuschen, dass Sie eine Flucht der deutschen Stromwirtschaft ins Ausland zu hier wieder eher eigentümerorientiert als anlagenorien- verhindern. Herr Jung, eine solche Zumutung sollten Sie tiert fördern. uns in Zukunft ersparen. Wenn die deutsche Stromwirt- schaft außerhalb Deutschlands investiert, dann tut sie es (Volker Jung [Düsseldorf] [SPD]: Das ist nicht deswegen, weil sie nicht in der Lage wäre, den Er- völliger Quatsch!) satz von 30 000 Megawatt in Deutschland bereitzustellen – Das ist nicht völliger Quatsch. Lesen Sie einmal all die – bis zum Ende diesen Jahrzehnts werden wir darüber ja Stellungnahmen, die bei uns auf dem Tisch liegen. Sie entscheiden müssen –, sondern deswegen, weil Sie die (B) können dann zwar sagen, dass Sie sie nicht zur Kenntnis Weichen im Grunde genommen so stellen, dass niemand (D) nehmen oder dass Sie die Einwände nicht ernst nehmen; mehr Lust hat, in Deutschland zu investieren. das kann ich Ihnen zubilligen, das bleibt Ihnen überlassen. Herzlichen Dank. Aber zu sagen, dies sei völliger Quatsch, ist vollkommen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) inakzeptabel. Denn es geht Ihnen nicht um KWK im Ganzen, sondern um ganz spezifische Anlagen bei ganz spezifischen Eigentümern. Das ist der Konstruktions- Vizepräsidentin Petra Bläss: Ich schließe die Aus- fehler. Denn wenn die KWK, von der Sie immer behaup- sprache. ten, sie sei ökonomisch und ökologisch überlegen, wirk- Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent- lich eine solche Überlegenheit vorweisen könnte, dann wurfes auf den Drucksachen 14/7024 und 14/7086 an die bräuchte sie keine Förderung in diesem Umfang. Das ist in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- der Widerspruch an dieser Stelle. schlagen. – Ich sehe im gesamten Hause keinen Wider- (Walter Hirche [FDP]: Richtig!) spruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Die Stellungnahme des Bundesrates zeigt eine große Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- Fülle handwerklicher Schwächen dieses Gesetzentwurfes empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Techno- auf, die seine Umsetzung erschweren und nicht erleich- logie auf Drucksache 14/6518 zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Kraft-Wärme-Kopplung im tern. Die Klimaziele werden Sie damit nicht erreichen. Wettbewerb stärken“. Der Ausschuss empfiehlt, den An- Ich bin Herrn Kollegen Jung allerdings dankbar, dass trag auf Drucksache 14/4753 abzulehnen. Wer stimmt er am Schluss seiner Rede etwas deutlich gemacht hat, für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthal- was der Bürger draußen begreifen muss. Die entspre- tungen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stim- chende Aussage liegt ungefähr auf der Linie durchaus men von CDU/CSU und FDP angenommen. energieintensiver Betriebe, deren Vertreter sich bei einer Anhörung über die zusätzliche Belastung beschweren, Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: aber nicht sagen, dass sie gegen die Subventionen sind. Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord- Vielmehr sagen sie: Senkt unsere Belastungen ab und ver- neten Dr. Günter Rexrodt, Hans-Joachim Otto teilt sie auf die Bürger! Dann sind wir zufrieden. – Meine (Frankfurt), Rainer Brüderle, weiteren Abgeord- Damen und Herren, das ist eine Politik, die wir nicht neten und der Fraktion der FDP eingebrachten unterstützen können. Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Geset- 18914 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Vizepräsidentin Petra Bläss (A) zes über die Ausprägung einer 1-DM-Goldmünze stellungen zu verbinden. Darüber hinaus müssen aber (C) und die Errichtung der Stiftung „Geld und auch Fragen, die sich im europäischen Währungsraum Währung“ und zur Unterstützung der Rekonstruk- neu stellen, untersucht werden. tion der Museumsinsel (Museumsinselunterstüt- (Beifall bei der SPD) zungsgesetz) – Drucksache 14/5274 – Zu diesem Zweck brauchen wir eine unabhängige Stif- tung, die Forschung, vor allem Grundlagenforschung, be- (Erste Beratung 168. Sitzung) treibt. Mit diesem Wunsch stehen wir nicht allein; ur- sprünglich wurde er sogar aus Kreisen der Wirtschaft a) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz- formuliert. Das Stiftungsprojekt wird von der EZB wohl- ausschusses (7. Ausschuss) wollend begleitet; die EZB erklärt auch in Öffentlichkeit – Drucksache 14/6563 – immer wieder, wie sinnvoll diese Forschung ist. In diese Berichterstattung: Stiftung fließen ungefähr 100 Millionen DM. Abgeordnete Ingrid Arndt-Brauer Über diese 100 Millionen DM hinaus werden – je nach Diethard Schütze (Berlin) Goldwert – weitere 50 bis 60 Millionen DM erlöst wer- Gisela Frick den. Diese meiner Meinung nach große Menge Geld wer- b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- den wir sofort in die Sanierung der Museumsinsel schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung stecken. Wie wir alle wissen, ist die Museumsinsel ein ganz besonderes „Schätzchen“. Sie ist UNESCO-Welt- – Drucksache 14/7092 – kulturerbe und unbedingt schützens- und erhaltenswert. Berichterstattung: Neben diesen 50 bis 60 Millionen DM stellt die Bun- Abgeordnete Hans Jochen Henke desregierung im Rahmen der Hauptstadtkulturför- Hans Georg Wagner derung in den nächsten 10 Jahren noch circa 250 Milli- Oswald Metzger onen DM als Kofinanzierungsmittel zur Herrichtung der Jürgen Koppelin Museumsinsel zur Verfügung. Dies verdeutlicht, dass sie Dr. Uwe-Jens Rössel für uns sehr wertvoll ist Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die FDP DIE GRÜNEN) fünf Minuten erhalten soll. – Ich höre keinen Wider- spruch. Dann ist es so beschlossen. und dass wir sie unbedingt erhalten wollen. Trotzdem kann es nicht Ziel sein, das gesamte Geld in die Museums- (B) Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin ist die insel zu stecken. (D) Kollegin Ingrid Arndt-Brauer für die SPD-Fraktion. Der eingeschlagene Weg ist unserer Meinung nach nicht beliebig erweiterbar und auch nicht übertragbar. Je- Ingrid Arndt-Brauer (SPD): Sehr geehrte Frau Präsi- der von uns kennt eine Fülle von Vorhaben, die er gerne dentin! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf finanziert hätte. Wir haben mehrere erhaltenswerte Ge- lautet vereinfacht „Museumsinselunterstützungsgesetz“. bäude nicht nur in Berlin, sondern auch in vielen Teilen Da wir uns in der heißen Phase des Berliner Wahlkamp- der Bundesrepublik. Wir sollten hier nicht Tür und Tor fes befinden, werde ich eher neutral erläutern, worum es öffnen, sondern bei dem bestehenden Rahmen bleiben, geht. Es geht der FDP darum, ein Gesetz auszuhebeln, das 100 Millionen DM in die wirklich sehr sinnvolle Stiftung der Bundestag beschlossen hat und das zum Gegenstand zu überführen und das Geld, das darüber hinaus erlöst hat, eine 1-DM-Goldmünze zu prägen, vom Verkaufserlös wird, für die Erhaltung der Museumsinsel bereitzustellen. 100 Millionen DM in eine Stiftung mit dem Namen „Geld und Währung“ zu überführen und mit dem Rest die Sa- Das ist einleuchtend; das wird jeder verstehen. Wenn Sie nierung der Museumsinsel in Berlin zu betreiben. Es han- den Nachrednern intensiv zuhören und den Wahlkampf delt sich um ein sehr gutes Gesetz. Die FDP fordert, statt- ein bisschen außer Acht lassen, dann werden Sie feststel- dessen das gesamte Geld für die Museumsinsel zu len, dass auch sie nicht zu anderen Ergebnissen kommen. verwenden. Vielen Dank. Lassen Sie mich Ihnen erläutern, warum dies nicht (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sinnvoll ist. Ab Januar 2002 werden wir, 320 Millionen Menschen in Europa, mit dem Euro bezahlen können. Nicht nur uns fällt der Abschied von der alten Währung Vizepräsidentin Petra Bläss: Für die CDU/CSU- schwer. Wir hängen an unserer D-Mark und wollen einen Fraktion spricht jetzt der Kollege Diethard Schütze. ebenso stabilen Euro. Es muss mit allen Mitteln versucht werden, die Stabilität des Euro sicherzustellen. In diesem Diethard Schütze (Berlin) (CDU/CSU): Frau Präsi- Zusammenhang ist es sinnvoll, auch Forschung zu Fragen dentin! Meine Damen und Herren! Wir treten ebenso wie und Aufgabenstellungen zu betreiben, die die neue die FDP-Fraktion dafür ein, dass der Erlös aus der Aus- Währung mit sich bringt. Im Moment leistet der Sachver- prägung einer 1-DM-Goldmünze uneingeschränkt zur Sa- ständigenrat gute Arbeit bei der Begutachtung der ge- nierung der Museumsinsel eingesetzt wird. Dort wird je- samtwirtschaftlichen Entwicklung und die Bundesbank der Pfennig bitter benötigt. ist federführend zuständig, gesellschaftliche und wirt- schaftliche Fragestellungen mit finanzpolitischen Frage- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001 18915

Diethard Schütze (Berlin) (A) Die Stiftung „Geld und Währung“, die von meiner Vor- für ihre Politik; denn gerade in diesen Wochen wird wie- (C) rednerin im Einzelnen vorgestellt worden ist, in die nach der einmal deutlich, dass Rot-Grün von solider Finanzpo- dem Willen von Rot-Grün ein Großteil des Erlöses fließen litik, von effizienten Haushalten und von einer soliden soll, ist dagegen nach unserer Ansicht überflüssig. Währung nichts versteht, was der jüngste Haushaltsent- wurf, der in diesen Tagen hier besprochen worden ist, wie- (Dr. Günter Rexrodt [FDP]: Ein Witz ist das!) der einmal eklatant offenbart hat. Vor diesem Hintergrund Die Grundlagenforschung, die in dieser Stiftung ab kann ich schon verstehen, dass sich die Damen und Her- 1. Januar 2002 betrieben werden soll, kann ebenso gut von ren der Regierung eine Stiftung leisten wollen, von der sie der Deutschen Bundesbank oder auch von der Europä- das eine oder andere Sinnvolle über den Umgang mit Geld ischen Zentralbank selbst erbracht werden. Außerdem und über den Umgang mit der Währung erfahren können. verfügt die Bundesrepublik Deutschland bekanntlich über (Dr. Uwe Küster [SPD]: Vorsicht! Vorsicht! – zahlreiche Hochschulen und wissenschaftliche Institute, Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – die ebenfalls hervorragende Arbeit auf diesem Gebiet Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Pflicht- leisten. Im Übrigen dürfte deren Neutralität und Unab- beifall der beiden einzigen Abgeordneten der hängigkeit im Zweifel größer sein als die einer von Rot- CDU/CSU, die überhaupt noch hier sind!) Grün eingesetzten Stiftung. Die Frage ist nur, ob das tatsächlich etwas bringt; denn bei Zweck der Stiftung „Geld und Währung“ soll sein – ich Rot-Grün haben wir immer wieder erfahren müssen, dass zitiere –, „das Bewusstsein der Öffentlichkeit für die Be- nur das richtig ist, was ins ideologische Weltbild passt; an- deutung stabilen Geldes zu erhalten und zu fördern“. sonsten ist man beratungsresistent. Meine Damen und Herren von der Koalition, wenn es in (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das einem Land in Europa ein ausgeprägtes Bewusstsein für scheint ja die ganze Fraktion geradezu vom Geldwertstabilität gibt, dann doch ganz bestimmt in Hocker zu reißen!) Deutschland. Das deutsche Volk musste die leidvolle Er- fahrung machen, dass Börsencrash und andauernde Infla- Nachdem Sie sich beruhigt haben, meine Damen und tion mit politischer Instabilität und Armut einhergehen. Herren, kann ich vielleicht noch einen weiteren Punkt an- Demgegenüber steht für die Erfolgsstory der Bundes- sprechen. War es nicht Ihr Bundeskanzler, der mit viel republik Deutschland nicht zuletzt die hervorragende Sta- Getöse bereits im letzten Wahlkampf der angeblich so bilität der D-Mark. vernachlässigten Kultur zu neuer Größe und Schönheit verhelfen wollte? Mit der Zustimmung zu dem vorliegen- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) den Gesetzentwurf der FDP könnte Rot-Grün ein Gutteil Allerdings kann ich nicht verhehlen, dass ich gerade in ihrer vollmundigen Versprechen einlösen. Rot-Grün sind (B) den letzten Monaten schon darüber nachgedacht habe, ob es doch, die im Berliner Wahlkampf als die angeblichen (D) es nicht doch einer Institution bedarf, die das Bewusstsein Retter der Stadt auftreten. Jetzt hätten sie mit der An- der Öffentlichkeit für die Bedeutung stabilen Geldes er- nahme des Gesetzentwurfs die Möglichkeit, ihren Sprü- hält und fördert. Denn angesichts der katastrophalen Wirt- chen auch konkrete Taten folgen zu lassen. schafts- und Finanzpolitik von Rot-Grün (Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Nichts (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Unsinn! als Luftblasen!) Lesen Sie einmal die neuesten Statistiken!) Das sage ich nicht nur als Berliner Abgeordneter, dem diese Stadt naturgemäß besonders am Herzen liegt, son- kann man tatsächlich vom Glauben abfallen und sich fra- dern auch deshalb, weil es sich bei der Museumsinsel um gen, was aus unserer einst stabilen Währung möglicher- ein von der UNESCO anerkanntes kulturelles Welterbe weise noch werden wird. handelt, für dessen dringende Sanierung bisher nicht ge- Meine Damen und Herren, die Gedenkmünze soll im- nug Geld bereitstand. Wenn der volle Erlös aus dem Ver- merhin 250 DM kosten. Sie lässt sich sicherlich besser kauf der Goldmünzen an die Stiftung „Preußischer Kul- verkaufen – es sollen ja breite Bevölkerungsschichten an- turbesitz“ fließt, kann der Masterplan in den kommenden gesprochen werden –, wenn der Käufer weiß, dass sein zehn Jahren erfolgreich umgesetzt werden. Geld ausschließlich für einen guten Zweck verwendet Dies soll natürlich nicht bedeuten – um auch dies sehr wird, statt überwiegend einer unbekannten neu gegründe- deutlich zu sagen –, dass sich die öffentliche Hand damit ten Stiftung zuzufließen, deren Erfolg noch völlig unge- aus der Verantwortung für die Museumsinsel zurückzieht. wiss ist. Außerdem liegt es nicht völlig fern, anzunehmen, Das möchte ich hier als Vertreter der Union deutlich un- dass mit der Einrichtung dieser neuen Stiftung in bewähr- terstreichen. Wir könnten aber mit dem Erlös aus dem ter Manier noch kurz vor der Bundestagswahl ein paar Verkauf der D-Mark-Goldmünze sicherstellen, dass mit verdiente Genossen versorgt werden könnten. Wir werden der Restaurierung der Museumsinsel ein außerordentli- sehen. cher touristischer Anziehungspunkt in Berlin wieder er- (Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ stehen kann, der auch eine wichtige Ausstrahlung auf DIE GRÜNEN]: Das ist sagenhaft! – Dr. Uwe ganz Deutschland haben wird. Küster [SPD]: Da sollten gerade Sie vorsichtig Danke schön. sein!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Möglicherweise erwartet Rot-Grün von der geplanten Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Thema Gründung der Stiftung „Geld und Währung“ Erhellendes verfehlt, Herr Schütze; aber das kennen Sie ja!) 18916 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

(A) Vizepräsidentin Petra Bläss: Für die Fraktion des Generell wäre es ganz gut, wenn Sie überhaupt einmal ein (C) Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt die Kollegin Dr. Antje Konzept hätten. Vollmer das Wort. (Dr. Günter Rexrodt [FDP]: Dann hätten Sie heute gar kein Programm!) Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Schauen wir uns doch einmal an, was mit der Mu- Schütze, dass gerade Sie uns über Integrität und den kor- seumsinsel und überhaupt mit der Berliner Kulturpolitik rekten Umgang mit Geld belehren wollen! Ich denke, da geschehen ist. Wenn ich es richtig sehe, war es die fehlt es Ihnen ein wenig an Taktgefühl. CDU/FDP-Regierung, die in den Einigungsverhandlun- gen genau dies unterlassen hat: nämlich die Berliner Kul- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN turpolitik, die anerkanntermaßen besondere Finanzie- und bei der SPD – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] rungsschwierigkeiten hat, überhaupt sicherzustellen. War [SPD]: Die Aufhebung der Immunität stört Sie es nicht die Misere der großen Koalition in Berlin, stän- wohl überhaupt nicht?) dig in Finanzierungsschwierigkeiten zu geraten? Es ist Aber kommen wir zur Sache. Die Museumsinsel ist mit dem neuen rot-grünen Berliner Senat erstmals gelun- schon jetzt ein Wahrzeichen von Berlin. In New York gen, aus der ewigen Finanzierungsmisere der Museums- schwärmt man von ihr als einem Phänomen in der Tradi- insel herauszukommen. Der schon geplante Baustopp und tion der sieben Weltwunder und selbst in Paris ist man sich der Stopp für das Architektenbüro konnten abgewendet bewusst, dass sie eines Tages möglicherweise den Louvre werden. an Schönheit übertreffen wird. Der Bundeskanzler per- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sönlich, Gerhard Schröder, die SPD, die Grünen – auch und bei der SPD) ich wiederholt – haben immer darauf hingewiesen, dass uns der Wiederaufbau der Museumsinsel sehr am Her- Die Berliner Lage hat sich zwar nicht geändert; sie ist zen liegt und Chefsache ist. Deshalb begrüßen wir im weiterhin schwierig. Aber jetzt herrscht Planungssicher- Prinzip jede Initiative zur Unterstützung. heit, weil es Politiksicherheit gibt. Denn der Berliner Se- Allerdings verärgert mich die Art, lieber Herr Rexrodt, nat hat begriffen, dass man mit der Museumsinsel und ih- wie die FDP mit ihren Entwürfen in Hase-und-Igel-Ma- rer Finanzierung nicht spielen kann. nier auf die fahrenden Züge springt, die wir sorgfältig vor- Wir haben die Finanzierung gesichert und werden das bereitet haben. auch in Zukunft weiter tun. Sie werden uns den Erfolg (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bezüglich des Erhalts des Ruhms und des Glanzes (B) und bei der SPD – Dr. Günter Rexrodt [FDP]: der Museumsinsel nicht streitig machen können, Herr (D) Wie denn? Was denn?) Rexrodt. Von daher scheint es Ihnen mit der heutigen Debatte (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN am frühen Freitagnachmittag wohl eher um eine Unter- und bei der SPD) stützungsaktion zur Rekonstruktion der Berliner FDP zu gehen, jedenfalls in der Vorphase des Wahlkampfes. Vizepräsidentin Petra Bläss: Da der Kollege (Beifall des Abgeordneten Dr. Günter Rexrodt Dr. Heinrich Fink, PDS-Fraktion, seine Rede zu Protokoll [FDP] – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: gibt1), ist der Kollege Dr. Günter Rexrodt, der für die FDP Das war das Eingeständnis von Herrn Rexrodt! – spricht, der letzte Redner in dieser Debatte. Dr. Günter Rexrodt [FDP]: Jawohl, dazu ste- (Walter Hirche [FDP]: Jetzt wird es auf den hen wir!) Punkt gebracht!) Es war nämlich nicht die FDP, sondern die rot-grüne Re- gierung, Dr. Günter Rexrodt (FDP): Frau Präsidentin! Meine (Dr. Günter Rexrodt [FDP]: Oh Gott, oh Gott!) Damen und Herren! Frau Vollmer, dass Sie sich dazu her- die überhaupt erst dafür gesorgt hat, dass die Gelder die- geben, eine solche Rede zu halten und die Fakten der- ser Stiftung, die ursprünglich nämlich nicht für die Mu- maßen in ihr Gegenteil zu verkehren – ich sage es einmal seumsinsel vorgesehen waren, ab einem Betrag von sehr höflich an diesem Freitagnachmittag –, habe ich ei- 100 Millionen DM genau diesem Zwecke zugute kom- gentlich nicht für möglich gehalten. men. Wir also hatten diese intelligente Idee und Sie kom- Faktum ist, dass es hier um einen sehr vernünftigen, men jetzt und sagen: Könnte man denn nicht alles dafür praktikablen und eleganten Weg geht, die Wiederher- nehmen? – Ich finde, Sie sollten sich in Zukunft Ihren ei- richtung der Museumsinsel voranzubringen, Baustopps genen Kopf zerbrechen und nicht unsere Ideen und unsere zu vermeiden und die sich ergebenden Schwierigkeiten Konzepte besetzen. aus der Welt zu schaffen. Jeder, der diesen Vorschlag (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN kennt, unterstützt ihn. und bei der SPD – Jochen-Konrad Fromme (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) [CDU/CSU]: Wenn Sie auf halbem Wege ste- hen bleiben, können wir Ihnen doch zum Ganzen verhelfen!) 1) Anlage 2 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001 18917

Dr. Günter Rexrodt (A) Ich behaupte, Herr Nida-Rümelin wäre heilfroh, wenn er Es geht nur darum: Ein guter Vorschlag soll deswegen ab- (C) den Erlös aus der Prägung der Münze vollständig in die gelehnt werden, weil er von der FDP stammt. Finanzierung der Museumsinsel stecken könnte. (Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: So ist (Walter Hirche [FDP]: Frau Vollmer weint doch es! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: nur, weil es ihr nicht selber eingefallen ist!) Nein!) Rot-Grün lehnt einen Vorschlag – um nichts anderes geht Berlin ist in einer ganz prekären Situation. Der Haus- es Rot-Grün –, der vernünftig und gut ist, nur deshalb ab, halt 2002 kann frühestens im Frühjahr 2002 aufgestellt weil er von der FDP und nicht von Rot-Grün stammt. werden. Vorher ist eine Kofinanzierung angesichts der über alle Maßen angespannten Haushaltslage gefährdet. (Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Dadurch können große Gefahren für die Planungs- NEN]: Das ist doch unser Vorschlag! – Dr. Uwe sicherheit und für den Planungsfortschritt entstehen. Küster [SPD]: Absurdistan, was Sie da er- zählen!) (Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Alles Schnee von gestern!) Wir halten hier große Reden – an dieser Stelle müssen wir uns nicht streiten, Frau Vollmer – über das Gewicht Mit der Bereitstellung der gesamten Mittel wäre diese Ge- und die Bedeutung der Museumsinsel, dieses Kleinods, fahr aus der Welt geschafft. das auch von der UNESCO entsprechend gewürdigt wird. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Da sind Schätze zu finden, die mit den Schätzen ver- gleichbar sind, die man in Museen in Paris, New York und Es wird argumentiert: Weil wir für die Stabilität des London finden kann. Die Museumsinsel war nach dem Euro sind, brauchen wir die Stiftung „Geld und Zweiten Weltkrieg und während der DDR-Zeit in schlech- Währung“. Ich frage Sie: Wer ist denn nicht für die Sta- ter Verfassung. Aber langsam tut sich etwas. bilität des Euro? Müssen wir uns das hier vorhalten las- sen? Das ist eine Selbstverständlichkeit. Gibt es in dieser Frau Vollmer – damit komme ich zu dem entschei- Bundesrepublik Deutschland nicht Institutionen und Gre- denden Punkt –, Sie sprachen vorhin vom derzeitigen mien wie den Sachverständigenrat – Sie haben ihn eben Berliner Senat. Ihre Kultursenatorin Goehler hat zur angesprochen –, die Bundesbank, Forschungsinstitute Unterstützung der Museumsinsel partout nichts beigetra- und Universitäten, die sich um die Stabilität der Währung gen. kümmern? Gibt es nicht ein allgemeines Bewusstsein in (Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: So diesem Land? Gibt es nicht eine europäische Währungs- ist es!) kultur, die zu einem großen Teil aus dem deutschen Ver- ständnis von Währungsstabilität gespeist ist? Warum (B) Sie geht zu Eröffnungen von Kunstausstellungen. (D) muss ich zusätzlich noch eine Stiftung „Geld und (Walter Hirche [FDP]: Hält ausgesprochen Währung“ gründen, die zwar mit einem riesigen Kapital- dumme Reden!) stock ausgestattet ist, aber noch nicht einmal einen defi- nierten Auftrag hat? Das war eine Idee der Bundesbank, Sie paraphiert längst verhandelte Verträge und lässt sich die schon sehr frühzeitig in die Welt gesetzt wurde. Die auf Diskussionen mit antiamerikanischem Tenor ein. Bundesregierung oder die Koalition hätten jede Mög- (Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lichkeit gehabt, sich darüber hinwegzusetzen; sie tun es NEN]: Wer hat das Geld gesichert?) aber nur deshalb nicht – und dabei bleibt es –, weil der Sie spricht davon, dass es eigentlich gut nachvollziehbar Vorschlag nicht von Ihnen, sondern von uns gekommen ist, dass das World Trade Center in New York kaputt- ist. gegangen ist. Das ist Frau Goehler, die auf Ihrem Ticket (Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Kultursenatorin geworden ist. NEN]: Wie lange darf der eigentlich reden?) (Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das ist kleinkariert und schäbig. Das hat mit Kultur nichts NEN]: Herr Rexrodt, das ist unter Ihrem Ni- zu tun. Frau Vollmer, das ist nicht einmal eine gute Parla- veau!) mentskultur. Sie tut für klassische Kultur rein gar nichts; sie hat einen Herzlichen Dank. ganz anderen Kulturbegriff. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Machen Dr. Uwe Küster [SPD]: Det is sein Miljöh!) Sie hier keinen Wahlkampf! Das ist platter Wahlkampf!) Vizepräsidentin Petra Bläss: Ich schließe die Aus- – Die jetzige Kultursenatorin hat doch Frau Vollmer in die sprache. Debatte gebracht. Drehen Sie mir doch nicht das Wort im Wir kommen nun zur Abstimmung über den von der Munde herum! Wenn Frau Vollmer nicht von dieser Frau Fraktion der FDP eingebrachten Entwurf eines Museums- gesprochen hätte, hätte ich kein Wort dazu gesagt. inselunterstützungsgesetzes auf Drucksache 14/5274. Der (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie sind Finanzausschuss empfiehlt auf Drucksache 14/6563, den eben frontal auf diese Berliner Senatorin zuge- Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem gangen! Blanker Wahlkampf!) Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – 18918 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Vizepräsidentin Petra Bläss (A) Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent- kannten zumeist: Ist es ein Junge oder ein Mädchen? Er- (C) wurf ist damit gegen die Stimmen von CDU/CSU, FDP wartet wird eine klare Antwort. Was aber, wenn diese und PDS in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nicht gegeben werden kann, weil sich das Kind nicht ein- nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. deutig einem der beiden Geschlechter zuordnen lässt? Was, wenn bei dem Kind körperliche Merkmale beider Ich rufe Tagesordnungspunkt 22 auf: Geschlechter vorhanden sind, die inneren Geschlechtsor- Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD gane zum Beispiel weiblich und die äußeren männlich und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge- sind oder umgekehrt? In der Tat kommt auf 1 000 Neuge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortführung borene ein Kind mit – wie die Mediziner sagen – unein- des Solidarpaktes, zur Neuordnung des bundes- deutigen Geschlechtsmerkmalen. Im Volksmund werden staatlichen Finanzausgleichs und zur Abwicklung sie Zwitter oder Hermaphroditen genannt. In der Fach- des Fonds „Deutsche Einheit“ (Solidarpaktfort- sprache hat sich der Begriff Intersexuelle durchgesetzt. führungsgesetz – SFG) Das Allgemeine Preußische Landrecht hatte Zwittern – Drucksache 14/7063 – im 18. Jahrhundert immerhin noch das Recht zugestan- den, selbst zu entscheiden, ob sie als Männer oder als Überweisungsvorschlag: Sonderausschuss Maßstäbe-/Finanzausgleichsgesetz (f) Frauen leben wollen. Im neuen deutschen Recht findet Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO sich hingegen nichts dazu. Die Politik hat sich der Zu- ständigkeit mit der Konsequenz entledigt, dass Interse- Die Kolleginnen und Kollegen Horst Schild, Jochen- xualität heute ausschließlich als medizinisches Problem Konrad Fromme, Antje Hermenau, Jürgen Türk, verstanden wird. Dr. Barbara Höll sowie die Parlamentarische Staatssekre- tärin Dr. Barbara Hendricks haben ihre Reden zu Proto- Die Folgen sind fatal. Für die Medizin ist Intersexua- koll gegeben1). – Ich sehe Freude im gesamten Hause. lität ein zu beseitigender Zustand. So werden in Deutsch- land seit den 50er-Jahren geschlechtszuweisende Be- Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwur- handlungen an Kindern durchgeführt. Die systematische fes auf Drucksache 14/7063 an die in der Tagesordnung chirurgische und hormonelle Behandlung beginnt bereits aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Auch hier sehe im Alter von wenigen Monaten. Dabei wird in der Regel ich Einverständnis bei allen Kolleginnen und Kollegen. die Klitoris stark verkleinert, gegebenenfalls werden Pe- Dann ist die Überweisung so beschlossen. nis und Hoden entfernt und eine Vaginaplastik angelegt. Für die Betroffenen beginnt hier eine jahre- oder jahr- Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 24 auf: zehntelange Tortur. Ziel dieser Prozedur ist lediglich, dem Beratung des Antrags der Abgeordneten Christina intersexuellen Kind frühzeitig ein äußeres Geschlecht als (B) Schenk, Dr. Ilja Seifert, Rosel Neuhäuser, Dr. Ruth Junge oder Mädchen zuzuweisen und äußerliche körper- (D) Fuchs und der Fraktion der PDS liche Eindeutigkeit herzustellen. Zu 90 Prozent fällt die Forschungen zur Lebenssituation intersexu- Entscheidung dabei für das weibliche Geschlecht. Der eller Menschen Grund dafür ist rein technischer Natur: Ein Penis ist er- heblich schwieriger herzustellen als eine Vagina. – Drucksache 14/6259 – Überweisungsvorschlag: Hinzu kommt ein weiteres, sehr schwerwiegendes Pro- Ausschuss für Gesundheit blem: Oft genug erweist sich das zugewiesene Geschlecht Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe dann als das falsche. (Federführung strittig) Rechtsausschuss Gewiss, in einer Gesellschaft, die so tut, als ob es nur Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zwei Geschlechter gäbe, ist es weder für die Kinder noch Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- für die Eltern einfach, mit Intersexualität zu leben. Aber abschätzung angesichts der schwer wiegenden Beeinträchtigung so- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die wohl der physischen als auch der psychischen Integrität Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die PDS durch die medizinischen Eingriffe und angesichts der Tat- fünf Minuten Redezeit erhalten soll. – Ich höre auch hier sache, dass eine Geschlechtszuweisung nach operativen keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Machbarkeitskriterien in sehr vielen Fällen eben nicht der subjektiven Befindlichkeit entspricht, ist eine Fortsetzung Die Kolleginnen Margot von Rennesse und Dr. Sabine der bisherigen Praxis in keiner Weise akzeptabel. Bergmann-Pohl sowie der Kollege Hildebrecht Braun ha- ben ihre Reden zu Protokoll gegeben.2) (Beifall des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS]) Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Immer mehr Betroffene setzen sich öffentlich zur Wehr Kollegin Christina Schenk von der PDS-Fraktion. und brechen die um sie errichtete Mauer des Schweigens. Sie kritisieren die an ihnen in der Kindheit vorgenomme- nen schwersten operativen Eingriffe als Folter und als Christina Schenk (PDS): Frau Präsidentin! Meine Verletzung ihres Rechts auf körperliche Unversehrtheit Damen und Herren! Wenn ein Kind geboren wird, lautet und Selbstbestimmung. Sie wollen als das anerkannt wer- die erste Frage von Eltern, Großeltern, Freunden und Be- den, was sie sind: als Menschen, die nicht in das gewohnte und – seien wir uns darüber klar – kulturell konstruierte

1) Schema der zwei Geschlechter passen und dieses spren- Anlage 3 gen. Sie wollen das Recht, selbst zu entscheiden, ob sie 2) Anlage 4 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001 18919

Christina Schenk (A) sich einem Geschlecht zuordnen oder als Zwitter leben Vizepräsidentin Petra Bläss: Die letzte Rednerin in (C) wollen. Sie fordern die Zulassung geschlechtsindifferen- dieser Debatte ist die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk ter Vornamen und die Möglichkeit der Eintragung „Zwit- von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ter“ in Geburtsurkunde und Ausweise. Sie wollen, dass die Verfügungsgewalt von Eltern sowie Ärzten und Ärz- Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE tinnen in Bezug auf operative Eingriffe an intersexuellen GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kindern eingeschränkt wird. Kollegen! Wir beschäftigen uns heute mit einem Thema, So erlaubt das Bürgerliche Gesetzbuch eine Sterilisa- das auch im 21. Jahrhundert noch immer mit einem Tabu tion bei Kindern oder anderen einwilligungsunfähigen belegt ist: der Intersexualität. Eines von 2 000 Neu- Menschen nur, wenn ein Vormundschaftsgericht ihr zu- geborenen ist intersexuell, das heißt, es sind männliche stimmt. Die Klitorisverstümmelung, wie sie in manchen und weibliche Geschlechtsmerkmale vorhanden. Circa afrikanischen Kulturen verlangt wird, gilt hierzulande 20 000 Menschen leben unter uns, denen, meist im Säug- ohne Wenn und Aber als Körperverletzung im Sinne des lingsalter, operativ ein bestimmtes Geschlecht zugewie- Strafgesetzbuches und wird dementsprechend verfolgt. sen wurde, zu 90 Prozent das weibliche, weil es chirur- Aber die teilweise oder völlige operative Entfernung der gisch leichter herstellbar ist, wie uns leider Ärzte und Klitoris oder die vollständige Beseitigung der Hoden bei Ärztinnen selbst bescheinigen. Häufige operative Ein- intersexuellen Kindern können Eltern in Zusammenarbeit griffe, Hormonbehandlung und die falsche Geschlechts- mit den Chirurgen ohne weiteres beschließen. Wohlge- zuweisung führen nicht nur zu körperlichen Beschwer- merkt, es handelt sich hier nicht um eine behandlungsbe- den, sondern haben immense psychische Auswirkungen dürftige Krankheit. Ziel der schweren und – das betone für die Betroffenen. ich – nicht mehr rückgängig zu machenden Eingriffe ist Daher ist es wichtig, dass sich das Parlament dieser lediglich, dem intersexuellen Kind frühzeitig ein äußer- Probleme annimmt. Wir müssen gemeinsam darüber lich eindeutiges Geschlecht zu geben und es als Mädchen nachdenken, wie die Politik die Lebenssituation von in- oder Junge zu normieren. tersexuellen Menschen verbessern kann. Was heute als Die Bundesregierung – das ist das Problem – billigt Intersexualität bezeichnet wird, umfasst ein breites Spek- diese menschrechtsverletzende Praxis. Sie tut dies, wie trum an Variationen zwischen den beiden biologischen sie in der Beantwortung einer Kleinen Anfrage meiner Geschlechtern. Schon die Bandbreite des Phänomens „In- Fraktion eingestehen musste, in völliger Unkenntnis der tersexualität“ macht es nötig, sehr differenziert an die Lebenssituation von Intersexuellen. Weder hat sie Daten Problemlage heranzugehen. Diese Differenzierung fehlt zur Zahl intersexuell geborener Kinder noch Kenntnisse mir leider, verehrte Kollegin Schenk, im PDS-Antrag. Mit reiner Polemik kommen wir hier nicht weiter. (B) über die Art, den Umfang, die Dauer und die Ergebnisse (D) der Behandlung. (Zuruf des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS]) Die Bundesregierung lehnt eine Änderung des jetzigen – Ich sage das gleich, keine Aufregung! Rechts ab, solange – das ist vielleicht ein kleiner Licht- blick – nicht bewiesen ist, dass eine Nichtfestlegung des Die Bundesregierung ist ja für vieles verantwortlich zu Geschlechts dem Wohl der Betroffenen dient. Sie tut aber machen. Dass sie aber „entscheidend mitverantwortlich“ nichts – das ist mein Vorwurf –, um sich die von ihr ein- am bipolaren Zustand zwischen den Geschlechtern sein geforderten gesicherten Erkenntnisse zu verschaffen. In- soll, scheint mir doch sehr weit hergeholt. Ich finde, die- tersexuelle müssen zu ihrer Lebenssituation befragt und ses Thema eignet sich auch nicht für einen Parteienstreit. die medizinische Praxis muss evaluiert werden. Genau Hier sollten wir schauen, ob wir nicht interfraktionell et- darauf zielt unser Antrag; das ist der Gegenstand unserer was hinbekommen. Ich habe den Eindruck, das gelingt Vorlage. uns. Es geht letztendlich darum, der menschenrechtsverlet- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zenden Praxis der geschlechtszuweisenden Maßnahmen Ich bin mir auch nicht sicher, ob alle Problemstellun- an nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen schnellst- gen bei Intersexualität allein auf den gesellschaftlichen möglich ein Ende zu setzen. Zuschreibungen beruhen und damit auch gelöst wären, (Beifall des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS]) wenn diese entfielen. Deshalb beantragt die PDS-Fraktion als Einbringerin des Liebe Kolleginnen und Kollegen, es sind erschütternde Antrags die Federführung des Menschenrechtsausschus- Berichte bekannt, dass Mediziner besonders in den frühe- ses. Der Gesundheitsausschuss, der hier offensichtlich ren Jahren sehr selbstherrlich an die Geschlechtszuwei- von einigen favorisiert wird, ist meines Erachtens dazu sung herangegangen sind – mit schlimmen Folgen für die Betroffenen. Aus dieser Erfahrung heraus gibt es heutzu- nicht geeignet; denn es ist keine gesundheitspolitische tage in der Medizin weitaus differenziertere Empfehlun- Fragestellung, da es hier nicht um die politischen gen zur Intersexualität, die mehr Flexibilität ermöglichen Rahmenbedingungen für den Umgang mit kranken Men- und weitaus stärker auf Begleitung, Beratung und auch schen geht. Es handelt sich hier um etwas anderes; ich Therapie setzen. habe es dargelegt. Trotzdem stellt sich die Frage: Reicht das bereits aus? Vielen Dank. Denn wir wissen auch, dass es zumindest in einem Teil der (Beifall bei der PDS) Fälle weiterhin schief geht. Ich nehme die Berichte von 18920 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Irmingard Schewe-Gerigk (A) intersexuellen Menschen sehr ernst, wenn sie im Kin- Ich danke Ihnen. (C) desalter vorgenommene Eingriffe auch als Verletzung ih- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, rer Menschenrechte verstehen, als Angriff auf ihre Würde, bei der SPD und der PDS) als Angriff auf ihre Integrität. Es gibt intersexuelle Men- schen, die sagen: Wir fühlen uns verstümmelt. Die Medi- zin hat bei der Geschlechtszuweisung einen Fehler ge- Vizepräsidentin Petra Bläss: Ich schließe die Aus- macht; Geschlechtsidentität und medizinisch hergestelltes sprache. Geschlecht passen nicht zusammen. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Diese Schicksale müssen uns Anlass geben, sehr genau Drucksache 14/6259 an die in der Tagesordnung auf- hinzuschauen, was in diesem Bereich der medizinischen geführten Ausschüsse sowie an den Ausschuss für Bil- Geschlechtszuweisung passiert. Alle Maßnahmen müssen dung, Forschung und Technikfolgenabschätzung vorge- immer wieder kritisch reflektiert werden, müssen auf den schlagen. Prüfstand unter medizinischen, sexualwissenschaftlichen, Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen der aber auch ethischen Gesichtspunkten. Und genau hier, bei SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/Die Grünen und der ethischen Bewertung, sind wir als Bundestag gefragt. der FDP wünschen, abweichend von der Tagesordnung, Deshalb ist es sehr zu begrüßen, wenn immer mehr Er- die Federführung beim Ausschuss für Gesundheit, die kenntnisse über die Lebenssituation Intersexueller ge- Fraktion der PDS wünscht Federführung beim Ausschuss wonnen werden können. Insofern stimme ich dem PDS- für Menschenrechte und humanitäre Hilfe. Antrag zu, dass wir da noch Forschung brauchen. Zu Ich lasse zunächst über den Überweisungsvorschlag vielen Fragen ist der wissenschaftliche Kenntnisstand der Fraktion der PDS abstimmen, das heißt über die Fe- noch nicht sehr weit gediehen. Das hat die Bundesregie- derführung beim Ausschuss für Menschenrechte und hu- rung in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der PDS ja manitäre Hilfe. Wer stimmt für diesen Überweisungsvor- auch dargelegt. Ich begrüße es, dass es nun auch in schlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Deutschland Forschung gibt, insbesondere seit dem Sep- Überweisungsvorschlag ist gegen die Stimmen der PDS- tember des Jahres 2000 an der Universität . Fraktion abgelehnt worden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schlage vor, dass Wer stimmt für den Überweisungsvorschlag der Frak- wir, bevor wir den PDS-Antrag in den Ausschüssen bera- tion der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/Die Grü- ten, eine Sachverständigenanhörung des Deutschen Bun- nen und der FDP, das heißt für die Federführung beim destages zu diesem Thema durchführen, zu der wir auch Ausschuss für Gesundheit? – Wer stimmt dagegen? – die Betroffenen und ihre Organisationen als Expertinnen Enthaltungen? – Der Überweisungsvorschlag ist gegen (B) und Experten in eigener Sache hinzuziehen. Wir müssen die Stimmen der PDS-Fraktion angenommen worden. (D) die ethischen Probleme medizinischer Geschlechtszuwei- Damit liegt die Federführung beim Ausschuss für Ge- sungen im Bundestag beraten. Eine Engführung auf rein sundheit. medizinische Aspekte – da gebe ich Ihnen Recht – wäre Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am diesem Problem nicht angemessen. Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Es gibt weitere Fragen zu diskutieren, zum Beispiel: Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Was kann flankierend in der Aufklärung und Beratung ge- Bundestages auf Mittwoch, den 17. Oktober 2001, tan werden? Welche Möglichkeiten der Unterstützung 13 Uhr, ein. gibt es für Menschen, die sich nicht einem Geschlecht zu- ordnen möchten? Welche Maßnahmen sind nötig, um in- Ich bedanke mich ausdrücklich für die Geduld bei den tersexuelle Menschen besser vor Diskriminierung zu Besucherinnen und Besuchern auf der Tribüne und wün- schützen? sche Ihnen allen ein arbeitsreiches, aber auch erholsames Wochenende. Das Schlimmste ist das Schweigen – so bezeichnen Be- Die Sitzung ist geschlossen. troffene ihre Situation. Dieses Schweigen sollte mit dem heutigen Tage ein Ende finden. (Schluss:14.55 Uhr)

Berichtigung 192. Sitzung, Seite 18788 (B), zweiter Absatz ist wie folgt zu lesen: „Ab- gesehen davon: Glauben Sie wirklich im Ernst, dass eine Familie mit 160 000 DM Jahreseinkommen ein Eigenheim nicht baut, weil sie auf 5 000 DM Eigenheimzulage im Jahr verzichten muss?“ Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001 18921

(A) Anlagen zum Stenographischen Bericht (C) Anlage 1

Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Altmann (Aurich), BÜNDNIS 90/ 12.10.2001 Henke, Hans Jochen CDU/CSU 12.10.2001 Gila DIE GRÜNEN Hintze, Peter CDU/CSU 12.10.2001 Dr. Bauer, Wolf CDU/CSU 12.10.2001 Hornung, Siegfried CDU/CSU 12.10.2001 Beck (Köln), BÜNDNIS 90/ 12.10.2001 Volker DIE GRÜNEN Ibrügger, Lothar SPD 12.10.2001 Dr. Blank, CDU/CSU 12.10.2001 Jäger, Renate SPD 12.10.2001* Joseph-Theodor Janssen, Jann-Peter SPD 12.10.2001 Bodewig, Kurt SPD 12.10.2001 Dr. Knake-Werner, PDS 12.10.2001 Bohl, Friedrich CDU/CSU 12.10.2001 Heidi Borchert, Jochen CDU/CSU 12.10.2001 Dr. Kohl, Helmut CDU/CSU 12.10.2001 Böttcher, Maritta PDS 12.10.2001 Kolbow, Walter SPD 12.10.2001 Burchardt, Ursula SPD 12.10.2001 Kopp, Gudrun FDP 12.10.2001 Burgbacher, Ernst FDP 12.10.2001 Kraus, Rudolf CDU/CSU 12.10.2001 Dr. Dückert, Thea BÜNDNIS 90/ 12.10.2001 Laumann, Karl-Josef CDU/CSU 12.10.2001 DIE GRÜNEN Leidinger, Robert SPD 12.10.2001 (B) Dzembritzki, Detlef SPD 12.10.2001 Dr. Lippold CDU/CSU 12.10.2001 (D) Eichhorn, Maria CDU/CSU 12.10.2001 (Offenbach), Klaus W. Erler, Gernot SPD 12.10.2001 Mascher, Ulrike SPD 12.10.2001 Eymer (Lübeck), CDU/CSU 12.10.2001 Mogg, Ursula SPD 12.10.2001 Anke Naumann, Kersten PDS 12.10.2001 Feibel, Albrecht CDU/CSU 12.10.2001 Nickels, Christa BÜNDNIS 90/ 12.10.2001 Frankenhauser, CDU/CSU 12.10.2001 DIE GRÜNEN Herbert Nolte, Claudia CDU/CSU 12.10.2001 Friedrich (Altenburg), SPD 12.10.2001 Ostrowski, Christine PDS 12.10.2001 Peter Pfannenstein, Georg SPD 12.10.2001 Dr. Friedrich CDU/CSU 12.10.2001 (Erlangen), Gerhard Pieper, Cornelia FDP 12.10.2001 Friedrich (Mettmann), SPD 12.10.2001 Dr. Protzner, Bernd CDU/CSU 12.10.2001 Lilo Raidel, Hans CDU/CSU 12.10.2001 Fuchs (Köln), Anke SPD 12.10.2001 Rauber, Helmut CDU/CSU 12.10.2001 Funke, Rainer FDP 12.10.2001 Schlee, Dietmar CDU/CSU 12.10.2001 Girisch, Georg CDU/CSU 12.10.2001 Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 12.10.2001 Glos, Michael CDU/CSU 12.10.2001 Hans Peter Häfner, Gerald BÜNDNIS 90/ 12.10.2001 Schösser, Fritz SPD 12.10.2001 DIE GRÜNEN Schuhmann (Delitzsch), SPD 12.10.2001 Hartenbach, Alfred SPD 12.10.2001 Richard 18922 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

(A) entschuldigt bis len. Unserer Ansicht nach aber sollte die Chance nicht (C) Abgeordnete(r) einschließlich verpasst werden, diese Initiative auszuweiten. Simm, Erika SPD 12.10.2001 Mit dem Gesetzentwurf der FDP liegt ein Vorschlag dazu vor, den meine Fraktion nachdrücklich unterstützt. Dr. Skarpelis-Sperk, SPD 12.10.2001 Wir hielten es für sinnvoll, den gesamten Erlös aus dem Sigrid Verkauf der Goldmünzen für die Museumsinsel zur Ver- fügung zu stellen. Eine Zweckentfremdung können wir Spranger, Carl-Dieter CDU/CSU 12.10.2001 darin nicht sehen. Die Gründung der Stiftung „Geld und Dr. Freiherr von CDU/CSU 12.10.2001 Währung“ halten auch wir für überflüssig. Stetten, Wolfgang Wir stimmen dem Gesetzentwurf daher zu. Die Be- schlussempfehlung des Finanzausschusses lehnen wir Dr. Süssmuth, Rita CDU/CSU 12.10.2001 dementsprechend ab. Thiele, Carl-Ludwig FDP 12.10.2001 Ich möchte als Berliner hinzufügen, dass mir die Re- konstruktion der Museumsinsel auch persönlich am Her- Dr. Thomae, Dieter FDP 12.10.2001 zen liegt. Ich halte es für wichtig und richtig, dass die Wieczorek, Norbert SPD 12.10.2001 Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt mit dem Kauf die- ser Münze die Möglichkeit erhalten, sich am Wiederauf- Wolf, Aribert CDU/CSU 12.10.2001 bau zu beteiligen. Ich bedaure sehr, dass in den Aus- schüssen mit Koalitionsmehrheit abschlägig entschieden Zierer, Benno CDU/CSU 12.10.2001 wurde. * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Wie diese Entscheidung vonseiten der Kulturpolitiker Versammlung des Europarates und -politikerinnen der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen begründet wurde, macht mich nachdenklich; wurde sie doch einfach mit den resignierenden Hinweis Anlage 2 darauf erklärt, dass sich dieses kulturelle Anliegen in der Interessenauseinandersetzung mit anderen Politikfel- Zu Protokoll gegebene Rede dern nicht durchsetzen lasse. Für micht wirft dies ein zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Schlaglicht darauf, dass trotz anders lautender Erklärun- Änderung des Gesetzes über die Ausprägung ei- gen das Feld der Kulturpolitik generell, wie hier im be- sonderen die Unterstützung des Bundes für die Kultur in (B) ner 1-DM-Goldmünze und die Errichtung der (D) Stiftung „Geld und Währung“ und zur Unter- Berlin, durch die Bundesregierung immer noch nicht ih- stützung der Rekonstruktion der Museumsinsel rer wirklichen Bedeutung nach entsprechend behandelt (Museumsinselunterstützungsgesetz) (Tagesord- wird. nungspunkt 21) Diesem Stellenwert gerecht zu werden, das verlangt nicht nur höheres finanzielles Engagement, sondern neue Dr. Heinrich Fink (PDS): Über die Bedeutung des konzeptionelle Überlegungen zur Kulturförderung des Bundes in der Hauptstadt. Aus unserer Sicht kann dies nur Projektes Museumsinsel besteht hier Einigkeit, auch da- sinnvoll geschehen, wenn in gemeinsamer, ressortüber- rüber, dass es sich hierbei um eine Aufgabe von nationa- greifender Diskussion von Bund, dem Land Berlin und ler und internationaler Bedeutung handelt, für die auch den anderen Ländern, von Vertretern aus verschiedenen der Bund und die Länder Verantwortung tragen. Ange- gesellschafltichen Bereichen aus der ganzen Bundesrepu- sichts der prekären Haushaltssituation von Berlin ist un- blik geklärt wird, was Sache Berlins, was Sache des Bun- strittig, dass die Stadt diese gigantische Aufgabe nicht al- des und was Sache der Länder sein kann und muss. Mein lein schultern kann. Über die aktuelle Situation hinaus ist Fraktionskollege hat, wie Sie wissen, einen aus unserer Sicht ein dauerhaftes, noch größeres Engage- Vorschlag zur Bildung einer Kommission mit dieser Auf- ment der öffentlichen Hand für die Sanierung dieser he- gabenstellung unterbreitet, den ich sehr unterstütze. Er rausragenden Kulturstätte unter dem Dach der Stiftung sollte nach den Wahlen in Berlin unverzüglich in die Tat Preußischer Kulturbesitz unabdingbar. umgesetzt werden. Die Fraktion der PDS begrüßt daher die zusätzliche fi- Im Zuge dieser Neudefinition von Aufgaben und Kom- nanzielle Unterstützung für die investiven Maßnahmen petenzen wäre auch neu über das künftige Engagement der Stiftung Preußischer Kulturbesitz durch den Bund im des Bundes für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz ge- Rahmen des Hauptstadtkulturvertrages sowie die Ge- nerell zu befinden. Wir halben es für dringend geboten währung von Sondermitteln für die Museumsinsel im und für sachgerecht, dass der Bund die Investitionskosten Rahmen der Vereinbarung mit Berlin für die Jahre 2001 voll übernimmt und in Bund-Länder-Verhandlungen eine bis 2010. Dieses Engagement erkennen wir durchaus an. ausgewogene Beteiligung am Zuschussbedarf für den Be- Ebenso erkennen wir die Initiative des Bundes an, alle trieb der Stiftung erwirkt wird. Erlöse aus dem Verkauf der Goldmünze, die den Betrag Staatsminister Professor Dr. Nida-Rümelin hat Ge- von 100 Millionen DM übersteigen, unmittelbar für die sprächsbereitschaft zur Übernahme der Investitionskos- Restaurierung der Museumsinsel zur Verfügung zu stel- ten gegenüber Berlin signalisiert. Das ist erfreulich. Uns Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001 18923

(A) aber ist wichtig, dass eine Übernahme der Baukosten kommunale Finanzkraft wird mit 64 Prozent statt bisher (C) nicht zulasten der zurzeit durch den Bund geförderten mit 50 Prozent einbezogen – eine Regelung von der, iso- Kultureinrichtungen oder gar des Hauptstadtkulturfonds liert betrachtet, die finanzschwächeren Länder gerade in geht. Ostdeutschland profitieren. Die Einwohnerwertung der Stadtstaaten mit 135 Prozent wird beibehalten; die Ein- wohnerwertung bei den Gemeindesteuern wird deutlich Anlage 3 vereinfacht: 135 Prozent für die Stadtstaaten, zwischen 102 Prozent und 105 Prozent für die dünn besiedelten Zu Protokoll gegebene Reden Flächenländer Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Meck- lenburg-Vorpommern und 100 Prozent für alle anderen zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Länder. Die Hafenlasten werden künftig außerhalb des Fi- Fortführung des Solidarpaktes, zur Neuordnung nanzausgleichs abgegolten. Der Ausgleichstarif wird ab- des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und zur geflacht und Mindestauffüllungen für finanzschwache Abwicklung des Fonds „Deutsche Einheit“ (Soli- Länder entfallen auf allen Ausgleichsstufen zur Erhöhung darpaktfortführungsgesetz – SFG) (Tagesord- des Anreizes, Mehreinnahmen zu erzielen. Dieser Anreiz nungspunkt 22) soll zusätzlich durch ein so genanntes Prämiensystem, ei- nem Abzug von der Finanzkraft bei überdurchschnittli- Horst Schild (SPD): Mit dem heute in erster Lesung chem Einnahmezuwachs, gefördert werden. Abschöp- zu beratenden Solidarpaktfortführungsgesetz steht der fungshöchstgrenzen sichern zudem das einzelne zweite Teil der 1999 vom Bundesverfassungsgericht auf- Zahlerland vor übermäßiger Belastung. Die allgemeinen gegebenen Neuregelung des bundesstaatlichen Finanz- Bundesergänzungszuweisungen werden im Volumen ab- ausgleichsrechts an. Der Entwurf der Koalitionsfraktio- gesenkt; dasselbe gilt für die BEZ „Kosten politischer nen – der mit dem zurzeit im Bundesrat behandelten Führung“, die anders als bisher auf die tatsächlichen Gesetzentwurf der Bundesregierung identisch ist – knüpft Größenverhältnisse unter den Ländern ausgerichtet wird. dabei unmittelbar an die vor der parlamentarischen Som- Der Fonds „Deutsche Einheit“ wird – gegen Kompensa- merpause abgeschlossene Gesetzgebung zum Maßstäbe- tion bei der Umsatzsteuer – ab 2005 vom Bund übernom- gesetz und die von Bundestag und Bundesrat verabschie- men; eine Endabrechnung soll am Ende der Laufzeit des dete begleitende Entschließung an. Solidarpakts, also Ende 2019, vorgenommen werden. Für die Jahre bis 2005 ist eine deutliche Tilgungsabsenkung Das inhaltliche Leitmotiv des vorliegenden Gesetzes ist vorgesehen. die solidarische Bereitstellung der finanziellen Mittel für die zweite Hälfte der Wegstrecke des Aufbaus in den neuen Die Vorgeschichte dieses Gesetzentwurfs mit der Eini- (B) Ländern: Dem dienen die Regelungen zur Fortführung des gung zwischen den Ministerpräsidenten und dem Bun- (D) Solidarpakts bis zum Jahre 2019 ebenso wie die – eben- deskanzler sowie dem einvernehmlich verabschiedeten falls bis 2019 terminierte – Neuregelung des Finanz- Maßstäbegesetz bringt es mit sich, dass sich der im Be- ausgleichsgesetzes, die 2005 in Kraft treten wird. Der noch reich der Finanzausgleichsgesetzgebung ansonsten un- immer außergewöhnlichen ökonomischen und finanzwirt- vermeidliche Bund-Länder-Gegensatz in diesem Fall schaftlichen Lage in den neuen Ländern und ihren Ge- ganz wesentlich auf technische Umsetzungsfragen be- meinden wird so angemessen Rechnung getragen. schränkt. Im Einzelnen stellt der Entwurf die Ausformung der Die am vergangenen Freitag beschlossenen Empfeh- zwischen allen 16 Ministerpräsidenten der Länder und lungen des Finanzausschusses des Bundesrates zum gleich dem Bundeskanzler im Juni getroffenen und in der gleich lautenden Regierungsentwurf bestätigen dies und lassen lautenden Entschließung von Bundestag und Bundesrat größere Differenzen nur an zwei Stellen, nämlich bei den niedergelegten Vereinbarung zum Solidarpakt, zum Formulierungen zur vertikalen Umsatzsteuerverteilung im Finanzausgleich und zur Finanzierung des Fonds „Deut- Zusammenhang mit dem Familienleistungsausgleich so- sche Einhei“t dar: wie zur innerstaatlichen Umsetzung der Defizitkriterien des Maastrichter Vertrages im Haushaltsgrundsätzegesetz, Im Rahmen des Solidarpakts werden die neuen Länder also in Art. 7 des Entwurfs, erkennen. Da aber beide Kom- und Berlin weitere 105 Milliarden Euro, das sind 206 Mil- plexe, in denen es letztlich auch um wichtige finanzielle liarden DM, als direkte Transfers des Bundes zum Aus- Interessen des Bundes geht, ausdrücklich Bestandteil so- gleich des infrastrukturellen Nachholbedarfs und der un- wohl der Vereinbarung als auch des Entschließungstextes terdurchschnittlichen kommunalen Finanzkraft erhalten – waren, bin ich zuversichtlich, dass eine zufrieden stellende und zwar vollständig in Form von Sonderbedarfs-Bun- Lösung im Gesetzgebungsverfahren gefunden werden desergänzungszuweisungen. Die bisherige Parallelität kann. solcher Zuweisungen mit Investitionshilfen nach dem In- vestitionsfördergesetz wird bereits ab dem kommenden Dasselbe gilt übrigens auch für das – aus nachvoll- ziehbaren Gründen – zwar nicht von Länderseite, wohl Jahr entfallen. Damit liegt die Mittelverwendung künftig aber bereits von den kommunalen Spitzenverbänden an- allein in der Verantwortung der neuen Länder, die über die gesprochene Thema der Gewerbesteuerumlage. Wir wol- Ergebnisse des Mitteleinsatzes jährlich im Finanzpla- len im Verfahren dafür sorgen, dass im Ergebnis alle staat- nungsrat zu berichten haben. lichen Ebenen – Bund, Länder und Gemeinden – ihren Der neue Finanzausgleich unter den Ländern ab 2005 fairen Anteil an den belastenden wie an den entlastenden enthält vereinbarungsgemäß folgende Kernelemente: Die Elementen des Gesamtpakets haben. 18924 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

(A) Angesichts der Vorklärung vieler Detailfragen zum Fi- Dies kann aber im Sinne des Rechtsstaates nicht richtig (C) nanzausgleich bei den Ausschuss- und Plenarberatungen sein. Deshalb müssen hier Anreize durch das System ge- zum Maßstäbegesetz im Frühjahr spricht meiner Meinung schaffen werden, dass die Länder sich um rechtsstaatlich nach alles für eine zügige Beratung und eine baldige Ver- einwandfreie Verhältnisse bemühen. abschiedung des hier vorliegenden Gesetzentwurfs. So Wer von dem laufenden Verfahren, das aufgrund des können wir rechtzeitig vor In-Kraft-Treten der ersten Ele- Bundesverfassungsgerichtsurteils zum Länderfinanzaus- mente zum Jahreswechsel langfristig finanzielle Pla- gleich notwendig geworden war, eine echte Reform und nungssicherheit für Bund, Länder und Gemeinden schaf- damit eine Verbesserung der Verhältnisse in Deutschland fen und damit nicht zuletzt auch einen Beitrag zur erwartet hatte, muss bitter enttäuscht sein. Es wurde ein Stabilisierung der Konjunktur gerade auch in den neuen Kompromiss auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner ge- Ländern in einem ansonsten schwierigen weltwirtschaft- funden, der den Blick in die richtige Richtung erlaubt, lichen Umfeld leisten. Hierzu bitte ich Sie alle, im Son- aber in der Sache praktisch keine Fortschritte erzielt. Das derausschuss wie hier im Plenum, um Ihre tatkräftige ist wenig befriedigend und bedarf dringend der Nachbes- Hilfe. serung. Dass der Kompromiss überhaupt möglich wurde, liegt Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Die Bundes- im Wesentlichen daran, dass mit dem Finanztrick „Til- regierung hat mit der Drucksache 14/7063 einen Gesetz- gungsstreckung“ Bund und Länder in den nächsten Jah- entwurf vorgelegt, der das Maßstäbegesetz ausfüllen soll. ren Liquidität gewinnen. Dadurch, dass die Tilgung zum Wer davon die Klärung weiterer Streitfragen erwartet hat, Fonds „Deutsche Einheit“ gestreckt wird, war der Bund in wird enttäuscht. Es wird nur das in Gesetzform gekleidet, der Lage, den Ländern ab 2005 ihre Tilgungsanteile zu er- was die Ministerpräsidenten mit dem Bundeskanzler be- lassen. Für die Jahre 2002 bis 2004 werden die Früchte reits vor der Verabschiedung des Maßstäbegesetzes ver- der Tilgungsstreckung aufgeteilt zwischen Bund und Län- einbart hatten. Ob das allerdings gelungen ist, wird von dern. Dadurch konnte der Bund ohne finanziellen Mehr- den Ländern bezweifelt und muss kritisch geprüft werden. aufwand den Ländern vermeintliche finanzwirtschaftli- Ursprünglich war vereinbart, die Umsatzsteuervertei- che Luft verschaffen. Das Ganze ist allerdings ein großer lung noch zu verhandeln und deshalb die Regelung später Trugschluss. Tilgungsstreckung bedeutet immer nur, dass in einem gesonderten Gesetz zu treffen. Nun ist diese im Moment weniger Liquidität aufgewendet werden Frage ohne die erforderlichen Verhandlungen in den Ge- muss, bedeutet aber auch, dass Kredite länger laufen und setzentwurf aufgenommen worden. mit der Verlängerung der Laufzeit der Zinsanteil steigt. Hier werden nicht nur Lasten in die Zukunft verlagert, Der Länderfinanzausgleich bewegt sich im Span- sondern es werden auch neue konsumtive Kosten produ- nungsverhältnis zwischen Herstellung gleicher Lebens- (B) ziert. Dadurch wird die Finanzkraft in den Folgejahren (D) verhältnisse und dem Geben von Anreizen im Wettbewerb weiter geschwächt, ohne dass davon Impulse für die wirt- der Bundesländer untereinander. schaftliche Entwicklung ausgehen. Dieses Verlagern in Es herrscht in Deutschland weitgehend Einigkeit, dass die Zukunft ist gegenüber künftigen Generationen unver- in den letzten Jahrzehnten das Pendel zu sehr in die Rich- antwortlich und kann deshalb nicht als Fortschritt be- tung Herstellung gleicher Lebensverhältnisse geschlagen trachtet werden. ist. Dies führte unter anderem dazu, dass die Finanzver- Da praktisch alle Länder die Kommunen bei der Til- hältnisse nach Länderfinanzausgleich praktisch gleichge- gung des Fonds „Deutsche Einheit“ im Rahmen des Soli- schaltet worden sind. Bis auf 99,5 Prozent wurde die Fi- darpaktes I im Verhältnis der Quoten der Steuereinnah- nanzkraft angenähert. Dies nahm jeglichen Anreiz, eigene men von Ländern und Kommunen beteiligt haben, Mittel aufzuwenden, um sie in die Verbesserung der In- erwarte ich, dass die Länder dieses nun zurückgeben und frastruktur zur Erzielung künftiger Einnahmen zu stecken. die Liquidität an die Kommunen abtreten. Warum sollte man auf Konsum oder Wahlgeschenke ver- zichten, wenn die dadurch zu erwartenden Mehreinnah- Dadurch, dass der Bund den Fonds „Deutsche Einheit“ men über den Länderfinanzausgleich auf alle umverteilt allein tilgt, hat er auch das alleinige Bestimmungsrecht. werden? Die Debatte über das Maßstäbegesetz hat auch Ich sehe die Gefahr, dass er in Zukunft sich weitere Liqui- ergeben, dass sich bei Mehreinnahmen eines Landes je dität und damit politischen Finanzspielraum erschließt, nach Steuerart kuriose Wirkungen ergeben. So war es dass er die Tilgung aussetzt, indem der Fonds „Deutsche denkbar, dass Mehreinnahmen bei der Einkommensteuer Einheit“ aus dem Sondervermögen in die allgemeine unter dem Strich durch die Abschöpfungswirkung des Bundesschuld, die ja bekanntlich nicht getilgt wird, über- Länderfinanzausgleichs zu einer Verschlechterung der Fi- führt wird. nanzsituation hätten führen können. Ein Punkt, der dringend hätte geklärt werden müssen, Solche Zustände führen auch nicht gerade dazu, dass bleibt offen. Dies ist die Frage der Umsatzsteuervertei- sich ein Land im Rahmen der Steuerverwaltung anstrengt, lung. Zwischen Bund und Ländern gibt es große Diffe- zu einer gerechten Besteuerung zu kommen. Wozu soll renzen darüber, wie die entsprechenden Deckungsquoten man einen hohen Personalaufwand beispielsweise für die ermittelt werden sollen. Im Wesentlichen geht es um Mei- Betriebsprüfung oder für die Nachkontrolle von Steuerer- nungsdifferenzen bei der Frage der Berücksichtigung des klärungen investieren, wenn die Früchte auf alle umver- Sonderlastenausgleiches für das Kindergeld und um die teilt werden? Hier ließ sich auf bequeme Art und Weise Frage von Zurechnungen und Kürzungen. Bei Letzteren „Wirtschaftsförderung“ und „Standortpflege“ betreiben. fehlt ein klarer Maßstab. Entweder muss man sich für das Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001 18925

(A) Bruttoprinzip oder für das Nettoprinzip entscheiden. Das den, sondern muss vorab erledigt werden. Die Ergebnisse (C) bedeutet, dass beispielsweise die Zahlungen für die EU finden dann als Minderung beim Bund und Stärkung bei entweder vorweg auf der Einnahmeseite abgesetzt wer- den Ländern Eingang in die Deckungsquotenberechnung. den. Oder wenn man die Steuern ungekürzt als Finanz- Wenn man schon solch eine Grundgesetzregelung festge- kraft zugrunde legt, dann müssen die Ausgaben als Belas- schrieben hat, dann gebietet es der Respekt vor der Ver- tung voll berücksichtigt werden. Dies gilt auch für Punkte fassung, dass diese auch beachtet wird. Genau dies ge- wie die Finanzierung der Gemeinschaftsaufgaben. Sie schieht aber nicht. müssen beim Bund als Ausgaben mindernd und bei den Ländern als Einnahmen mehrend berücksichtigt werden. Im Zusammenhang mit der Änderung war festgelegt worden, dass der Bund 74 Prozent der Lasten aus der Kin- Gerade weil der Steit im Rahmen des Maßstäbegeset- dergeldfinanzierung trägt und die Länder zusammen mit zes nicht geklärt werden konnte, hätte er jetzt im Rahmen den Kommunen die restlichen 26 Prozent. Dieses Ziel des Konkretisierungsgesetzgebungsverfahrens geklärt wurde von Anfang an mit dem dafür vorgesehenen Zah- werden müssen. Es ist auch ausreichend Zeit dafür. Es lungsausgleich von 5,5 Umsatzsteuerpunkten nicht er- gibt überhaupt keinen Grund, den ab 2005 geltenen Län- reicht. Auch die „Anpassung“ auf 5,75 Umsatzsteuer- derfinanzausgleich schon im Jahre 2001 regeln zu müs- punkte zum 1. Januar 2000 hat das Ziel nicht erreicht. War sen. Zwar gibt es einige Punkte, die in dem Gesetzentwurf man beim Erlass des Gesetzes noch davon ausgegangen, enthalten sind, die noch zum 1. Januar 2002 in Kraft tre- dass dieses der Fall sein würde, so hätte spätestens nach ten sollen und müssen, diese hätte man jedoch isoliert und Erkenntnis, dass die Prognose nicht zutrifft, eine Anpas- vorgezogen regeln können. Das hätte ausreichende Zeit sung erfolgen müssen. Dies geschah nicht. Damit ist ein für eine sorgfältige Beratung und Entscheidung der offe- großer Teil der Kindergelderhöhung – übrigens erfolgte nen Streitfragen gelassen. Solange diese offenen Punkte die größte Erhöhung des Kindergeldes 1996 unter der Re- nicht geregelt sind, ist das Gesetz aus meiner Sicht nicht gie der CDU/CSU-FDP-Koalition und nicht durch die zustimmungsfähig. Anhebungen der jetzigen Koalition – auf die Länder und Das Grundgesetzt muss ernst genommen werden. Der Kommunen verlagert werden. Entwurf des Länderfinanzausgleichgesetzes bietet ein an- schauliches Beispiel dafür, wie gering die jetzige Koali- Um das 1996 von allen politischen Kräften gewünschte tion diesen Punkt erachtet. Die A-Länder hatten unter Ergebnis zu erreichen, hätte der Umsatzsteueranteil im Führung der damaligen Ministerpräsidenten Eichel, Jahre 1996 5,88 Mehrwertsteuerpunkte umfassen müssen. Voscherau, Schröder und Lafontaine eine Grundgesetzän- Durch die tatsächliche Entwicklung der Auszahlungen derung erzwungen, die verhindern sollte, dass der Bund und die Kindergelderhöhungen wären im Jahre 2000 7,256 Umsatzsteuerpunkte als Ausgleich notwendig ge- (B) die Finanzierung des Kindergeldes auf Länder und Kom- (D) munen verlagern kann. wesen. Nach der neuerlichen Erhöhung wären es 7,188 Mehrwertsteuerpunkte, die zum vollständigen Aus- Entgegen dem eindeutigen Ergebnis der Anhörung gleich notwendig sind. Tatsächlich wurden es 6,5 Punkte, zum Maßstäbegesetz erkennen die Bundesregierung und übrigens sollen es nach Art. 5 des Entwurfes ab 2005 nur die sie tragenden Fraktionen den von den SPD-Ländern noch 6,4 Umsatzsteuerpunkte sein. Die Differenz macht 1996 gegen den Willen der CDU erzwungenen Sonderlas- jährlich 4,3 Milliarden DM aus. Ich verstehe die Länder- tenausgleich bei der Familienförderung als gesonderten finanzminister überhaupt nicht, dass sie es hier dem Bund Regelungskreislauf nicht an. Im Hinblick auf die lang- durchgehen lassen, dass dieser Wahlgeschenke auf ihre fristige Vertrauenszerstörung, die dadurch im Verhältnis Kosten verteilt. Sonst jagen sie doch jedem Pfennig nach zu den Kommunen stattgefunden hat, halte ich dies nicht und haben nicht selten „klebrige Finger“, wenn Mittel für für vertretbar. Jetzt wird diese Frage wieder nicht voran- die Kommunen durch ihren Haushalt geleitet werden. gebracht. Ganz im Gegenteil: Der Bundesfinanzminister versucht die Länder über den Tisch zu ziehen. Noch ungerechter ist es gegenüber den Kommunen. Bei der Umstellung des Kindergeldes von einer Sozi- Denn eigentlich hätten die Länder intern den Kommunen alleistung zur Absetzung bei der Einkommensteuer im den durch ihre Zustimmung im Bundesrat zu den Kinder- Jahre 1995 mit Wirkung vom Jahr 1996 hatten die SPD- gelderhöhungen entstehenden Einnahmeausfall ersetzen geführten Bundesländer gegen den Willen der CDU/CSU- müssen. Schließlich sind sie nach den Länderverfassun- Bundestagsfraktion und damaligen Koalitionsregierung gen dafür verantwortlich, dass die kommunale Finanz- einen Sonderlastenausgleich für das Kindergeld mit ausstattung stimmt. Wenn sie durch derartige Maßnahmen grundgesetzlicher Absicherung erzwungen. Dieser muss, verschlechtert wird, müssen sie die Verantwortung über- dass hat die Anhörung zum Maßstäbegesetz eindeutig erge- nehmen. Dies können sie entweder dadurch, dass sie im ben, vor der Berechnung der Deckungsquotenberechnung Bundesrat und nur bei einem entsprechenden Ausgleich durchgeführt werden. Das ergibt einen anderen Finanzie- zustimmen, oder dadurch, dass sie mit der Übernahme der rungssaldo, als wenn dies in die Deckungsquotenberech- Verantwortung diesen Ausgleich selbst leisten. Das ist nung mit einbezogen wird. Das steht auch nicht im Wi- bundesweit nicht geschehen. Angesichts der Finanzenge derspruch zum Bundesverfassungsgerichtsurteil, denn in den Länderhaushalten verstehe ich überhaupt nicht, dieses hat ausdrücklich ausgeführt, dass der Sonderlas- dass die Länderfinanzminister sich diese Finanzquelle tenausgleich im Rahmen der Deckungsquotenberechnung entgehen lassen. Hier gibt es Rechtsansprüche gegenüber berücksichtigt werden muss. Er muss also nicht im Rah- dem Bund, sich jährlich wiederholend in Milliardenhöhe. men der Deckungsquotenberechnung durchgeführt wer- Von 1996 bis 2001 sind 19,6 Milliarden DM aufgelaufen. 18926 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

(A) Lächerlich wird es dann allerdings, wenn durch Bun- deanteil an der Einkommensteuer, den Gemeindeanteil an (C) desgesetz die Feststellung in das Gesetzblatt eingefügt der Umsatzsteuer und die Gewerbesteuerumlage. werden soll, dass die Verfassungsregel des Art. 106 Spätestens mit der Änderung des Art. 28 und des Abs. 3 Satz 5 erfüllt wird, obwohl dies offensichtlich nicht Art. 106 im Rahmen der Abschaffung der Gewerbekapi- der Fall ist. Man kann in das Gesetz Wege hineinschrei- talsteuer ist deutlich geworden, dass es direkte Finanz- ben, wie verfassungsgemäße Ziele erreicht werden sollen, ströme gibt. Deshalb kann der Ausgleich auch hier ge- und/oder an Tatbestandsmerkmale Rechtsfolgen knüpfen. sucht werden. Dass hätte den großen Vorteil, dass man Man kann aber nicht die Feststellung, dass eine bestimmte auch nach Jahren noch nachvollziehen kann, ob die ein- Rechtsfolge eingetreten ist, festschreiben. Genau dieses geräumten Umsatzsteueranteile oder Gemeindeanteile an versucht der Entwurf, indem er in das ab 2005 geltende der Einkommensteuer bzw. Veränderung bei der Gewer- Länderfinanzausgleichsgesetz in dem § 1 Satz 4 hinein- besteuerumlage ausreichen, um die aus einem bestimmten schreibt, dass die Verfassung erfüllt ist. Einer solchen Aufgabenfeld zu finanzierenden Aufgaben abzudecken Regelung vermag ich nicht zuzustimmen. Hier muss oder ob sie überschritten werden und sofern etwas zurück- nachgebessert werden. Es kann nur der Weg zur Erfüllung gegeben werden muss. Dieses System ist übrigens keine der grundgesetzlichen Regel vorgegeben werden. Da sich Einbahnstraße, sondern muss in beide Richtungen funk- die Verhältnisse durch Veränderung der Zahlungsströme tionieren. Damit könnte das finanzwirtschaftliche Streit- jährlich ändern, kann nur der Weg aufgezeigt werden, potenzial erheblich kleiner gemacht werden. Aus der nicht aber das Ergebnis im Gesetz qua Definition. Das Sicht der Kommunen ist es besonders wichtig, weil sie an wäre eine Fiktion, aber keine praktische Folge. Sie wol- der Willensbildung über Gesetze nicht beteiligt sind. Die len die Lebenswirklichkeit durch Ihre Wunschvorstellung Länder dürfen über den Bundesrat an der Gesetzgebung ersetzen. Das geht nicht. Wer in Zukunft, wie wohl eine des Bundes mitwirken und können so Einfluss ausüben. Mehrheit aller Parteien des Deutschen Bundestages, Ar- Dies ist den Kommunen verwehrt. Umso mehr sind sie beitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammenfügen will, auf faire Mechanismen angewiesen, damit es nicht zu benötigt dazu das Vertrauen der Kommunen. Wer dagegen nachhaltigen Lastenverschiebungen kommen kann. Hier die geltende Geschäftsgrundlage in einer so wichtigen Fi- haben in der Vergangenheit alle gesündigt. Angesichts der nanzbeziehung zerstört, der verhält sich im Blick auf die bevorstehenden Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe künftigen Einigungsnotwendigkeiten fahrlässig. und Sozialhilfe mit einem Ausgabenvolumen von Zu einer grundsätzlich notwendigen Förderalismus- 46,5 Milliarden DM im Jahre 2000 und der notwendigen Reform gehört auch eine Gemeindefinanz-Reform. Die Neuregelungen der Familienleistungen außerhalb bisheri- Chance dazu wurde verpasst. ger Tarifverträge oder der Sozialhilfe kommen auf die Kommunen so große Risiken zu, dass dieses nur vor dem (B) Zu einer grundlegenden Reform des Länderfinanzaus- (D) Hintergrund einer fairen Finanzregelung und eines direk- gleiches gehört aus meiner Sicht auch eine andere und ten, auf Dauer nachvollziehbaren Ausgleiches gewährleis- neuere Regelung des Finanzdreieckes Bund-Länder-Ge- tet ist. meinden. Wenn den Gemeinden neue Aufgaben vom Bund zugewiesen werden, dann muss der finanzielle Aus- Wir begrüßen, dass die Gewerbesteuerumlage abge- gleich direkt und unmittelbar im Verhältnis zu den Fi- senkt wird, damit die über diesen Weg erfolgte Beteili- nanzbeziehungen des Bundes zu den Kommunen geregelt gung der Kommunen an der Finanzierung des Fonds werden. Insbesondere wenn neue Aufgaben der sozialen „Deutsche Einheit“ rückgängig gemacht wird. Aber die Grundlast übertragen werden, muss auch sichergestellt darüber hinausgehende Beteiligung der Kommunen, wie werden, dass die Finanzierung auf Dauer fair erfolgt. Dies zum Beispiel in Niedersachsen, muss auch rückgängig ge- geht nur, wenn die Finanzströme auch auf Dauer nach- macht werden. An dieser Stelle möchte ich darauf hin- vollziehbar bleiben. Bisher wird ein doppelter Umweg weisen, dass die Gewerbesteuerumlage generell überprüft mit einem doppelten Risiko aus der kommunalen Sicht werden muss. Zum Beispiel war sie im Rahmen der Steu- gegangen. erreform angehoben, um Mehreinnahmen der Kommunen durch die veränderten Afa-Tabellen abzuschöpfen. Nach Es wird behauptet, dass es keine direkte Finanzbezie- dem die Branchentabellen nicht verändert wurden, muss hung zwischen Bund und Kommunen geben dürfte, des- dies korrigiert werden. Dies ist nur ein ganz augenfälliges halb müsste der Ausgleich immer über die Länder ge- Beispiel für die Notwendigkeit einer Überprüfung und schehen. Damit führt der Weg immer über das Korrektur der Gewerbesteuerumlage, wie ich sie im Aus- Bermuda-Dreieck der Länderfinanzhaushalte. Zusätzlich schuss gefordert habe. Der augenblicklich dramatische wurden Kompensionen nicht direkt gesucht, sondern im- Rückgang der Gewerbesteuer macht weiter Korrekturen mer in anderen Finanzbeziehungen, die mit der eigentli- erforderlich. Die kommunalen Spitzenverbände haben zu chen Sachfrage nichts zu tun haben, gelöst. Ich erinnere Recht darauf hingewiesen. an das Beispiel der Grundrente, wo die kommunalen Fi- nanzlasten über das Wohngeld – indirekt über die Lan- Die Länder wenden sich gegen den Vorschlag zur Um- deshaushalte – ausgeglichen werden soll. setzung der Maastrichtkriterien, weil damit in ihr Haus- haltsrecht eingegriffen wird. Dieser Punkt muss geklärt Dieser doppelte Umweg wird zum doppelten Risiko werden. und ist völlig überflüssig und unnötig. Es gibt mindestens eine dreifache direkte Finanzbeziehung zwischen den Alles in allem bedarf der Entwurf erheblicher Korrek- Kommunen und dem Bund. Sie umfassen: den Gemein- turen, um zustimmungspflichtig zu werden. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001 18927

(A) Antje Hermenau (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit barung gelungen, die den einen oder anderen Schönheits- (C) dem heute einzubringenden Gesetz über die Fortführung fehler ertragen lässt. Um diese Debatte auch ausführlich des Solidarpaktes dokumentieren wir die Vereinbarungen, in den nächsten Wochen führen zu können, bitten wir um die der Bund und die Länder dazu unserer Meinung nach die Überweisung unseres Gesetzesentwurfes in die zu- getroffen haben. Nachdem die Wiedervereinigung inzwi- ständigen Ausschüsse. schen schon mehr als eine Dekade zurückliegt, war es nun wirklich an der Zeit, Vereinbarungen zu treffen, die tei- Jürgen Türk (FDP): Der Titel des vorliegenden Ge- lungsbedingten Sonderlasten innerhalb einer Generation setzentwurfs der Bundesregierung ist schon etwas irre- zu einem ordentlichen Ende zu bringen: Der Fonds „Deut- sche Einheit“ wird zum 31. Dezember 2019 aufgelöst. führend. Das Bundesverfassungsgericht hat 1999 den Gesetzgeber aufgefordert, die Rechtsgrundlagen des bun- Bis dahin müssen wir uns den Realitäten stellen, die desstaatlichen Finanzausgleichs in zwei Stufen neu zu re- sich in den ostdeutschen Bundesländern entwickelt ha- geln. Die erste Stufe, das Maßstäbegesetzes, ist im Som- ben. Und es ist ein wirklicher Fortschritt, dass dies vor al- mer verabschiedet worden. Heute liegt die zweite Stufe, lem nach dem Finanzausgleichsgesetz geschehen soll, die eigentliche Ausführung des Maßstäbegesetzes, vor. mithin also die ostdeutschen Länder nunmehr „ordentli- Dieses Maßstäbegesetz, Sie werden sich erinnern, konnte che“ Teilnehmer im Länderfinanzausgleich sind und ord- im Bundestag erst verabschiedet werden, nachdem die nungspolitische Normalität einzieht, auch wenn man die Ministerpräsidenten der Länder einen finanziellen Kom- Ausgleichsbedarfe innerhalb des Systems immer noch mit promiss ausgekungelt hatten. Der Bundestag war ledig- Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen finanzie- lich Notar. ren muss. Für die zweite Stufe, den Länderfinanzausgleich, gilt Trotz vieler Erfolge sind immer noch Mehrbedarfe, das Gleiche. Wir haben keine wirkliche Neuregelung des zum Beispiel im Bereich Infrastruktur, vorhanden, deren bundesstaatlichen Finanzausgleichs mit echten Maßstä- Abdeckung dazu beitragen wird, die Lebensverhältnisse in ben vorliegen, wie vom Bundesverfassungsgericht ver- Ost und West weiter anzugleichen. Mit der Neuregelung langt, sondern nur einen politischen Kompromiss, der des Gesetzes erhalten die neuen Länder und Berlin zum sich an finanziellen Zugeständnissen der Geberländer und Abbau dieser teilungsbedingten Sonderlasten weitere des Bundes orientiert. Die Fortführung des Solidarpakts 15 Jahre besagte Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuwei- ist jedenfalls nicht Schwerpunkt dieses Gesetzes, wie es sungen in Höhe von insgesamt 206 Milliarden DM. Da- die Überschrift glauben machen will. rüber hinaus sollen aus dem Bundeshaushalt weiterhin überproportionale Leistungen für die neuen Länder geleis- Trotzdem begrüße ich als ostdeutscher Abgeordneter, tet werden. Zielgröße ist dabei für die Laufzeit des Soli- dass die neuen Länder hinsichtlich der weiteren notwen- (B) darpaktes lI insgesamt ein Betrag von 100 Milliarden DM. digen finanziellen Unterstützung Planungssicherheit er- (D) halten. Wir werden uns die Einzelheiten während der par- Teile des Gesetzes werden bereits zum Jahr 2002 in lamentarischen Beratungen genau ansehen und Kraft treten. Das betrifft zum Beispiel die Änderung der konstruktiv mitwirken. Skepsis kommt allerdings auf, Umsatzsteuerverteilung oder die Umschichtung aus dem wenn man das Eigenlob der Bundesregierung hinsichtlich IfG in die Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisun- ihrer Solidarität mit den neuen Ländern in der Einführung gen. Deshalb muss das Gesetzgebungsverfahren auch des Gesetzentwurfes liest. Andererseits muss man fest- schon in diesem Jahr abgeschlossen werden, obwohl Teile stellen, dass in einem anderen Steuergesetz die Investiti- seiner Regelungen erst ab dem Jahre 2005 wirksam onszulage für selbstgenutzte Wohnungen nicht mehr bis werden. Bundesrat und Bundestag haben durch Ent- 2004, sondern nur noch bis zum Ende dieses Jahres ge- schließungen dafür die Inhalte auch schon weitgehend währt wird. Hier haben wir schlichtweg eine Kürzung der vorgegeben. Förderung für Eigenheimbesitzer. Mit der Selbstlosigkeit Ab dem nächsten Jahr erhalten demzufolge die Länder der rot-grünen Bundesregierung ist es auch sonst nicht einen Ausgleich für die Belastungen aus dem Zweiten Ge- weit her. Angeblich dient ja der Solidaritätszuschlag, der setz zur Familienförderung in Höhe von 0,65 Umsatz- auch von Bürgern und Unternehmern in den ostdeutschen steuerpunkten. Die Beiträge der Länder zur Finanzierung Ländern aufgebracht wird, dem Aufbau Ost. Nach der des Fonds „Deutsche Einheit“ werden bis 2004 neu fest- jüngsten Steuerschätzung beläuft sich das Aufkommen gesetzt. Die ostdeutschen Länder bekommen höhere Bun- aus dieser Steuer auf 22,3 Milliarden DM. Im Haushalts- desergänzungszuweisungen, um die Laufzeitverkürzung entwurf des Bundes für das Jahr 2002 sind aber für den des IfG zu kompensieren. Aufbau Ost nur 20,5 Milliarden DM vorgesehen. Das be- deutet: Ein Teil der für die neuen Länder vorgesehenen Über die Änderungen, die nunmehr für den Länderfi- Mittel fließt in den allgemeinen Bundeshaushalt. Der So- nanzausgleich festgeschrieben worden sind und erst 2005 lidaritätszuschlag dient also keineswegs ausschließlich in Kraft treten werden, will ich hier nicht viel sagen, denn dem Aufbau Ost. Dabei wäre gerade jetzt ein Investiti- sie werden noch hinlänglich Gegenstand heftiger Debat- onsschub erforderlich. Wie sonst wollen Sie der steigen- ten in diesem Parlament sein. Die – vor allem westdeut- den Abwanderung, insbesondere junger Menschen, Ein- schen – Bundesländer haben viele ihrer Positionen durch- halt gebieten? gesetzt und damit auch dem Solidarpakt II engere Grenzen gesetzt, als es dem einen oder anderen Recht ge- Die FDP wird der Koalition während der parlamentari- wesen wäre. Insgesamt ist mit dem Gesetz zur Fort- schen Beratungen zu diesen Fakten sehr kritische Fragen führung des Solidarpaktes aber eine ausgewogene Verein- stellen. 18928 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

(A) Dr. Barbara Höll (PDS): Mit der Verabschiedung des Dennoch wird dieser Gesetzentwurf im Ganzen von (C) Maßstäbegesetzes durch den Bundesrat am 13. Juli 2001 der PDS unterstützt. Spiegeln sich im Gesetzentwurf doch wurde ein gutes Fundament gelegt für die Reform der Fi- die solidarischen Prinzipien des Finanzausgleichs wider nanzbeziehungen im föderalen Bundesstaat. Die PDS hat und ist der Forderung der ostdeutschen Ministerpräsiden- dem Maßstäbegesetz zugestimmt. Grundsätzliche Prinzi- ten entsprochen worden, den Solidarpakt gesetzlich zu pien des solidarischen Finanzausgleichs, die durch das verankern. Urteil des Bundesverfassungsgerichts bestätigt wurden, finden sich im Maßstäbegesetz wieder. Die reichen Ge- Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim berländer Bayern, Baden-Württemberg und Hessen, die Bundesminister der Finanzen: Vorrangiges Ziel der Bun- gegen den bestehenden Länderfinanzausgleich vor dem desregierung nach der deutschen Einheit ist auch weiter- Bundesverfassungsgericht geklagt hatten, konnten sich hin die Angleichung der Lebensverhältnisse. Wir alle wis- mit ihrem Ansinnen, den solidarischen Finanzausgleich in sen, dass der Aufbau der neuen Länder noch andauern einen Wettbewerbsföderalismus zu transformieren, nicht wird. Die neuen Länder brauchen daher sichere Pla- durchsetzen. nungsgrundlagen bei ihren weiteren Anstrengungen. Mit Heute liegt uns nunmehr der Entwurf des Solidarpakt- dem Solidarpaktfortführungsgesetz erhalten die neuen fortführungsgesetzes vor. Auch dieses geht auf das Urteil Länder eine verlässliche Perspektive. des Bundesverfassungsgerichts vom 11. November 1999 Um solide Planungsgrundlagen für die neuen Länder zurück. Das oberste Gericht hatte den Gesetzgeber aufge- zu schaffen, haben sich die Regierungschefs von Bund fordert, die im Maßstäbegesetz verankerten grundsätzli- und Ländern am 23. Juni dieses Jahres in Berlin auf eine chen Prinzipien der Steuerverteilung zwischen dem Bund Fortsetzung des Solidarpaktes bis zum Jahr 2019 verstän- und den Ländern in einem zweiten Schritt in einem Ge- digt. setz zu konkretisieren. Es ist also zu prüfen, inwieweit sich die im Maßstäbegesetz verankerten solidarischen Die herausragende Bedeutung des Solidarpaktes für Prinzipien des Finanzausgleichs im Solidarpaktfort- den Aufbau Ost haben auch der Deutsche Bundestag und führungsgesetz widerspiegeln. der Bundesrat in ihren Entschließungen vom 5. bzw. 13. Juli 2001 hervorgehoben. Die einzelnen Elemente die- Mit dem Solidarpaktfortführungsgesetz erhalten die ser Entschließungen werden mit dem Solidarpaktfort- neuen Bundesländer für einen sehr langen Zeitraum fi- führungsgesetz umgesetzt. nanzielle Planungssicherheit. Der Bund stellt den ost- Im Rahmen des Gesamtkonzeptes kommen die Soli- deutschen Ländern einschließlich Berlins zum Abbau tei- darpflichten von Bund und Ländern in vollem Umfang lungsbedingter Sonderlasten für den Zeitraum von 2005 zum Tragen. Ich erwähne hier insbesondere die Ver- (B) bis 2019 insgesamt 206 Milliarden DM zur Verfügung. (D) pflichtung des Bundes, bis zum Jahr 2019 insgesamt Dabei wird im Jahr 2005 vom derzeitigen Volumen des 206 Milliarden DM Sonderbedarfs-Bundesergänzungszu- Solidarpakts I in Höhe von 20,6 Milliarden DM ausge- weisungen an die neuen Länder und Berlin zu leisten. gangen. Dieser Betrag wird dann in kleinen Schritten bis 2020 abgebaut. Das Solidarpaktfortführungsgesetz besteht aus einer Reihe von Einzelgesetzen, die in engem Sachzusammen- Die PDS geht davon aus, dass die Bundesregierung hang stehen. Insbesondere wird der bundesstaatliche auch die Vereinbarung auf der Sonderkonferenz der Mi- Finanzausgleich für die Zeit ab 2005 neu geregelt. Damit nisterpräsidenten der Länder vom 21./22. Juni 2001 ein- wird gleichzeitig ein noch offener Gesetzgebungsauftrag löst, im Rahmen der Laufzeit des Solidarpakts II den des Bundesverfassungsgerichts aus seinem Urteil vom neuen Bundesländern insgesamt zusätzlich 100 Milliar- 11. November 1999 erfüllt. den DM für überproportionale Leistungen zur Verfügung zu stellen. Ein weiterer Auftrag, nämlich die erstmalige Schaf- fung des Maßstäbegesetzes, ist bereits erfüllt: Das Maß- Kritikwürdig am Gesetzentwurf ist aber – auch das stäbegesetz, das – wie vom Bundesverfassungsgericht ge- muss hier gesagt werden –, dass eine Überprüfung des fordert – die Grundlagen des Finanzausgleichsgesetzes Verteilungsschlüssels der Sonderbedarfsergänzungszu- regelt, ist gerade in Kraft getreten. Die Regelungen sollen weisungen des Bundes über den gesamten Zeitraum des teilweise bereits zum 1. Januar 2002 in Kraft treten. Solidarpakts II offenbar nicht vorgesehen ist. Eine un- terschiedliche wirtschaftliche Dynamik der neuen Bun- Kernelement der Änderungen ab 2002 ist die Um- desländer kann somit nicht berücksichtigt werden. Auch wandlung der bisherigen Mittel des Investitionsförde- kann man der Bundesregierung nicht den Vorwurf erspa- rungsgesetzes Aufbau Ost. Diese sollen bereits ab dem ren, dass das Solidarpaktfortführungsgesetz keinen Bei- kommenden Jahr übergeleitet werden in Sonderbedarfs- trag zur Vereinfachung der föderalen Finanzverfassung Bundesergänzungszuweisungen für die neuen Länder und leistet. Mit der Ablehnung der von der PDS gestellten Berlin; diese werden somit in entsprechender Höhe auf- Änderungsanträge zur Vereinfachung der Struktur des gestockt. Über die Mittelverwendung werden die neuen Finanzausgleichs wurde die Chance verpasst, die Finanz- Länder künftig dem Finanzplanungsrat berichten. beziehungen von Bund und Ländern transparenter und Mit dieser Änderung des Investitionsförderungsgesetzes durchschaubarer zu gestalten und damit dem Urteil des Aufbau Ost soll ihre Eigenverantwortlichkeit gestärkt wer- Bundesverfassungsgerichts vom 11. November 1999 in den. Ich möchte betonen, dass damit einem Wunsch der vollem Umfang gerecht zu werden. neuen Länder entsprochen wird. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001 18929

(A) Für die Zeit ab 2005 soll der bundesstaatliche Finanz- ser Grundsatz in der Regel für die Kinder auch das Beste. (C) ausgleich neu gefasst werden, und zwar auf der Grundlage Das gilt auch für die medizinische Versorgung, die Eltern des gerade in Kraft getretenen Maßstäbegesetzes. Die nach Beratung mit fachkundigen Ärzten und Ärztinnen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts haben dabei im Sinne des Kindeswohls zu entscheiden pflegen. wesentliche Weichen gestellt. Über die Betätigung der elterlichen Sorgepflicht wacht Das Finanzausgleichsgesetz für die Zeit ab 2005 ent- die staatliche Gemeinschaft. Der Staat kann, ja muss dann hält eine Reihe von Neuerungen, von denen ich nur einige eingreifen, wenn Eltern zum Schaden ihrer Kinder han- wichtige kurz skizzieren möchte: deln. Wenn ich das richtig sehe, gehen Sie davon aus, dass Für den Bereich des vertikalen Finanzausgleichs setzt es Veranlassung gibt, an der Zuträglichkeit elterlicher der Gesetzentwurf die Zusage der Bundesregierung um, Entscheidungen im Falle intersexueller Kinder zu zwei- den Ländern zum Ausgleich für Belastungen durch die feln. Die Veranlassung ergibt sich für Sie aus den ver- Kindergelderhöhung um 30 DM zusätzlich 0,05 und da- schiedenen Anklagen, die Betroffene gegen ihre Eltern mit insgesamt 0,65 Umsatzsteuerpunkte zu übertragen; vorbringen, weil diese ärztlichem Rat gefolgt sind. Da- dies gilt schon ab 2002. raus schlussfolgern Sie den Verdacht, der Kenntnisstand der Mediziner sei grundsätzlich von Vorurteilen gegen In- Des Weiteren ist im neuen Finanzausgleichsgesetz zur tersexualität geprägt und bedürfe der Korrektur. vertikalen Umsatzsteuerverteilung eine Regelung enthal- ten, die nach Auffassung der Bundesregierung der Es wäre in der Tat verhängnisvoll, wenn angesichts der Rechtsposition sowohl des Bundes als auch der Länder geringen Zahlen betroffener Kinder keine Forschung auf beim Streit über die Finanzierung des Familienleistungs- diesem Gebiet stattfände. Das aber ist, wie die Bundesre- ausgleichs Rechnung trägt. Allerdings vertreten die Län- gierung in ihrer Antwort auf Ihre Anfrage mitgeteilt hat, derfinanzminister in diesem Punkt eine andere Position. keineswegs der Fall. Medizinische Forschung findet statt Hierüber wird daher im Verfahren noch zu reden sein. und erweitert ständig den Kenntnisstand der Ärzte und Ärztinnen auf diesem Gebiet. Wahrscheinlich werden wir Zum Länderfinanzausgleich möchte ich hervorheben, morgen hinsichtlich der Erscheinung der Intersexualität dass es – trotz konträrer Interessenlagen unter den Län- klüger sein als heute. Gleichwohl müssen Eltern, wenn ih- dern – gelungen ist, die eine oder andere Regelung zu ver- nen ein intersexuelles Kind geboren wird, gleich Ent- einfachen. Dies hat auch das Bundesverfassungsgericht scheidungen treffen. Diese aufzuschieben, kann für Kinder angemahnt. mindestens ebenso irreparable körperliche und seelische Das neue Ausgleichssystem ist an einer Stärkung der Schäden hervorrufen wie eine Entscheidung, die uns im Anreizwirkungen ausgerichtet. Dies wurde auch erreicht Lichte späteren und besseren Wissens als überholt er- scheint. Eltern können und müssen handeln. Sie tun es (B) durch eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage in (D) Verbindung mit einer Abflachung der Ausgleichstarife nach bestem Wissen in dem Umfang und in der Weise, wie ohne Mindestauffüllgrenzen. es heute ärztlich geraten wird. Eine Neuerung des Ausgleichssystems, die ich auch er- Geht aus den von Ihnen zitierten Anklagen Betroffener wähnen möchte, betrifft die Höhe der Ausgleichszahlun- nun eindeutig hervor, dass die bisher ärztlich angeratenen gen der Geberländer: Es ist dafür Sorge getragen, dass die Wege in diesen Fällen so falsch sind, dass zum Schutz der Abschöpfung der überdurchschnittlichen Finanzkraft be- Kinder vor Verstümmelung von Rechts wegen eingegrif- grenzt ist – und dies selbstverständlich ohne die Solida- fen werden muss? Wir meinen, dass das nicht der Fall ist. rität unter den Ländern infrage zu stellen. 1) Wie viele betroffene Kinder mag es geben, die in keinen Selbsthilfeverein eintreten, weil es ihnen leidlich gut geht und sie ihren Eltern dafür dankbar sind, ihnen ein Leben Anlage 4 in der Schwebe erspart zu haben? Aus Anklagen erwach- sen gewordener Kinder gegen Entscheidungen ihrer El- Zu Protokoll gegebene Reden tern, die es auf vielen Gebieten häufig gibt, ist nur zu schließen, dass es zwischen Eltern und Kindern schwere zur Beratung des Antrags: Forschungen zur Le- Konflikte gegeben hat – nicht notwendigerweise jedoch, benssituation intersexueller Menschen (Tages- dass deren Hintergrund immer ein elterliches Fehlverhal- ordnungspunkt 24) ten gewesen ist. Das Wächteramt des Staates ist keines- wegs immer schon aufgerufen, wenn Kinder, in welcher Margot von Renesse (SPD): Pflege und Erziehung Lebensphase auch immer, ihre Eltern beschuldigen. der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die ih- Da es keine Anhaltspunkte dafür gibt, elterliches nen zuvörderst obliegende Pflicht. So steht es in Art. 6 un- Versagen oder verfehlte Beratung durch Mediziner zu seres Grundgesetzes. Die Damen und Herren von der PDS vermuten, da auch die für die medizinische Forschung mögen bitte zur Kenntnis nehmen, dass unsere freiheitli- gebotene Kompetenzerweiterung ständig stattfindet, che Verfassung den Eltern eines Kindes und nicht in ers- gibt es nach unserer Meinung hier keinen Handlungs- ter Linie dem Staat die Verantwortung dafür zuspricht, bedarf. dass es den Kindern gut geht. Nach aller Erfahrung ist die-

Dr. Sabine Bergmann-Pohl (CDU/CSU): Bei der 1) Abdruck des restlichen Redetextes erfolgt als Anlage zum Stenogra- Geburt eines Kindes wird den jungen Eltern neben der phischen Bericht der 194. Sitzung Frage nach der Gesundheit des Neugeborenen natürlich 18930 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

(A) auch immer die Frage gestellt: „Was ist es denn, Junge zung von medizinischen, psychologischen und sozialme- (C) oder Mädchen?“ Eine scheinbar einfache Frage. Es gibt dizinischen Erfahrungen unter Einbeziehung von Gynä- aber Fälle, wo sich diese zunächst nicht ohne weiteres be- kologen, Andrologen, Pädiatern und Betroffenen wün- antworten lässt. Eine Zahl von Neugeborenen vereint die schenswert. körperlichen Merkmale beider Geschlechter in einer Per- Nach der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine son, bedingt durch Abweichungen der Geschlechtschro- Anfrage zur Intersexualität kann die Anzahl der Fälle in mosomen oder hormonelle Entwicklungsstörungen. In- Deutschland nicht eindeutig beziffert werden. Wir haben tersexualität ist heute der medizinische Oberbegriff für hier scheinbar, wie in der gesamten Gesundheitspolitik, eine Vielzahl von verschiedensten Diagnosen, die eine das Problem, dass weitgehend belastbare Datengrundla- rechtliche und medizinisch eindeutige Geschlechterzu- gen fehlen. Forschung sollte zudem zielgerichtet darauf- ordnung erschweren. In einem Großteil dieser Fälle weist hin erfolgen, wie viele Erwachsene von Problemen mit In- eine Person genetisch die Merkmale des einen Geschlechts tersexualität tatsächlich betroffen sind. Denn die auf, hat aber zu einem bestimmten Teil Merkmale des an- Bundesregierung gibt in ihrer Antwort an, dass es nur eine deren Geschlechts. Die Wissenschaft geht davon aus, dass geringe Anzahl von Fällen gibt, in denen erwachsene In- circa eines von 2000 Neugeborenen intersexuell ist. Die tersexuelle um psychiatrische, psychologische und se- größte Gruppe dabei sind Mädchen mit einem adrenoge- xualmedizinische Beratungsangebote nachsuchen. Erst nitalen Syndrom, das heißt eine Überproduktion von an- wenn diese Grunddaten erhoben sind, macht es aus mei- drogenen Hormonen. ner Sicht Sinn, über einzelne weitere Forschungsvorha- In der Beantwortung der Kleinen Anfrage der Fraktion ben zu diskutieren. der PDS hat die Bundesregierung zu dieser Problematik Ich möchte in diesem Zusammenhang auch auf die umfassend Stellung genommen. Es wird zu Fragen der rechtlichen und ethischen Probleme möglicher For- Epidemiologie, der Diagnostik und der medizinischen schungsvorhaben hinweisen. Vielfach werden von den Behandlung, zu Fragen der psychosozialen Betreuung, Forschungsvorhaben nicht einwilligungsfähige Säuglinge der gesellschaftlichen Akzeptanz u. v. m. eine ausführli- und Kinder betroffen sein. Das könnte Einfluss auf eine che Stellungnahme abgegeben. Deshalb ist die Behaup- ungestörte sexuelle Identitätsentwicklung der Betroffenen tung im Antrag der PDS, den wir heute diskutieren, dass haben. Denn Sie müssen bedenken, dass die Vereindeuti- die Bundesregierung „der Medizin einen Freibrief für ihr gung des Geschlechtes – so bezeichnet es die Fachspra- Tun ausstellt“, eine Unterstellung. che – regelmäßig schon im Säuglingsalter vorgenommen Der Antrag der PDS geht von Voraussetzungen aus, die wird. Und das geschieht nicht ohne Grund. Wissenschaft- lediglich einer wissenschaftlichen Mindermeinung ent- ler gehen davon aus, dass es ein so genanntes „Fenster zur (B) stammen, nämlich der Auffassung, dass die Zweige- Geschlechterprägung“ gibt, das in diesem Alter noch of- (D) schlechtlichkeit des Menschen keine unumstößliche fen steht. In Fachkreisen gilt eine möglichst frühzeitige Wahrheit ist. Ein Großteil der Sexualwissenschaftler ist Festlegung des Geschlechts (bis zum 18. Monat) als Stand der Meinung, dass eine mögliche frühzeitige Festlegung der wissenschaftlichen Erkenntnis. Dabei ist zu berück- der Geschlechtszugehörigkeit anzustreben ist, um Iden- sichtigen, dass die Geschlechtszugehörigkeit eine kom- titätsproblemen für die heranwachsenden Kinder und Ju- plexe Interaktion von chromosomalen, gonadalen, genita- gendlichen mit entsprechenden psychosozialen und Ak- len, zerebralen und sozialen Faktoren ist. Natürlich zeptanzproblemen vorzubeugen. Gleichzeitig wird aber müssen die Eltern umfassend aufgeklärt und die Risiken die umfassende Einbeziehung und Aufklärung der Eltern und Chancen einer Operation miteinander abgewogen und das Angebot einer kontinuierlichen sexualmedizini- werden, einschließlich der Aufklärung über weitere Maß- schen und psychologischen Beratung und Begleitung bis nahmen wie hormonelle Behandlung und der Empfeh- ins Erwachsenenalter betont. Verschwiegen werden soll lung, dass eine einmal getroffene Entscheidung konsistent und kann dabei aber auch nicht, dass die Geschlechtszu- durchgehalten werden sollte. schreibung im Säuglingsalter später bei den Betroffenen Letztlich kann diese Problematik hier auch nur an- zu Problemen führen kann. Ich plädiere dafür, das ernst zu gerissen werden, denn aus meiner Sicht ist die Entwick- nehmen. Eine stärkere Aufklärung über Intersexualität lung medizinischer Methoden und Leitlinien Sache der gehört dazu. Aber ich sehe die Aufklärungsarbeit nicht als Fachleute. primäre Aufgabe des Gesetzgebers an. Sie obliegt den Be- troffenen und deren Interessengruppen. Zielgerichtete Be- Ich lehne den Antrag der PDS auch deswegen ab, weil ratungsangebote müssen ausgebaut werden. Hierbei sind ich mich nicht des Eindrucks erwehren kann, dass hier die Länder und die Kommunen in der Pflicht, bei der Ein- eine Forschungsförderung für eine eng umgrenzte Klien- richtung und Förderung einzelner Beratungsstellen tätig tel betrieben werden soll. Da nennen Sie einerseits in zu werden. Ihrem Antrag eine bestimmte Arbeitsgruppe, die als Interessenvertretung an der Ausrichtung der For- Den Antrag lehnt unsere Fraktion aus verschiedenen schungsaufträge beteiligt werden soll. Auf der anderen weiteren Gründen ab. Wir halten eine umfassende For- Seite wollen Sie den gesamten wissenschaftlichen Sach- schung weder für notwendig noch für sachgerecht. Aus verstand, nämlich die Fachleute, die in der Praxis Erfah- unserer Sicht sollte zunächst eine zielgerichtete For- rungen mit der Geschlechterzuweisung haben, von den schung hinsichtlich der Basisdaten erfolgen, um einen Forschungsaufträgen ausschließen. Diese Art von For- Überblick über die Relevanz der Problematik zu bekom- schungsförderungspolitik lehnen wir schon wegen ihrer men. Zum anderen scheint eine flächendeckende Umset- wissenschaftlichen Ungeeignetheit ab. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001 18931

(A) Hildebrecht Braun (Augsburg) (FDP): Die PDS hat – Gesetz zurÄnderung des Grundgesetzes (Artikel 108) (C) einen verdienstvollen Antrag gestellt, dem die FDP in sei- – Gesetz zu dem Vertrag zwischen der Bundes- ner Ziffer II zustimmt. republik Deutschland und der Tschechischen Die Feststellungen, die die PDS vom Bundestag be- Republik vom 2. Februar 2000 zur weiteren Er- stätigt bekommen haben will, können nach dem gegen- leichterung des Rechtshilfeverkehrs wärtigen Wissensstand, so wie er bei uns vorhanden ist, noch nicht geteilt werden. Sie müssten daher abgelehnt – Gesetz zur Regelung von Rechtsfragen auf dem Ge- werden. biet der internationalen Adoption und zur Weiterent- wicklung des Adoptionsvermittlungsrechts Wichtig und richtig ist es, dass die PDS das Augenmerk auf eine Personengruppe mit großen psychosozialen Pro- – Gesetz zu dem Haager Übereinkommen vom blemen lenkt, deren Existenz den meisten Bürgerinnen 29. Mai 1993 über den Schutz von Kindern und die und Bürgern unseres Landes gar nicht bekannt ist. Inter- Zusammenarbeit auf dem Gebiet der internationa- sexuelle Menschen haben Anzeichen von Männern und len Adoption Frauen, sodass ihre Sexualität nicht eindeutig einem Ge- – Gesetz zu dem Europäischen Übereinkommen vom schlecht zugeordnet werden kann. 25. Januar 1996 über die Ausübung von Kinder- Nach Meinung der Regierung soll jeder Tausendste rechten oder jeder Zweitausendste in Deutschland geborene – Gesetz zu dem Übereinkommen Nr. 182 der Inter- Mensch unter diese Rubrik fallen. Ich zweifle zwar an die- nationalen Arbeitsorganisation vom 17. Juni 1999 ser Annahme. Es kommt aber nicht wesentlich darauf an, über das Verbot und unverzügliche Maßnahmen ob es in Deutschland 80 000, 40 000 oder nur 1 000 Men- zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kin- schen gibt, die als intersexuell bezeichnet werden könn- derarbeit ten. Wesentlich ist, dass diese Personen wegen des bishe- rigen Verständnisses dessen, was „normal“ oder „gesund“ – Gesetz zu dem Abkommen vom 22. September 2000 oder für die Menschen zuträglich sei, bereits als Klein- zwischen der Bundesrepublik Deutschland und kinder erheblichen chirurgischen Eingriffen unterzogen dem Großherzogtum Luxemburg über die Zusam- werden, die möglicherweise noch schlimmere psychische menarbeit im Bereich der Insolvenzsicherung be- Folgen haben als das Belassen der äußerlichen und inne- trieblicher Altersversorgung ren zweideutigen Geschlechtsidentität. – Gesetz zur Aufhebung des Magnetschwebebahn- Es ist in jedem Fall richtig, wenn die Antragsteller For- bedarfsgesetzes schungen in Auftrag gegeben haben wollen, die geeignet – Gesetz zur Bereinigung offener Fragen des Rechts an (B) sind, ein zutreffendes Bild über die Lebenssituation von Grundstücken in den neuen Ländern (Grundstücks- (D) intersexuellen Menschen und einen eventuellen politi- rechtsbereinigungsgesetz – GrundRBerG) schen Handlungsbedarf zu vermitteln. – Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung und Ebenso richtig ist es, Vertreter der betroffenen Perso- anderer Gesetze nengruppe selbst in die Forschungen einzubeziehen und nicht nur über die Betroffenen Feststellungen vorlegen zu – Dreiundzwanzigstes Gesetz zur Änderung des Ab- lassen. Gerade angesichts der Tendenz der Bundesregie- geordnetengesetzes rung, Anfragen aus den Reihen der Opposition oft sehr – Gesetz zur Umstellung von Vorschriften des Dienst-, kurz, ja unzureichend zu beantworten, soll an dieser Stelle allgemeinen Verwaltungs-, Sicherheits-, Ausländer- ausdrücklich die Ausführlichkeit der Beantwortung der so und Staatsangehörigkeitsrechts auf Euro (Sechstes genannten Kleinen Anfrage der PDS auf Drucksache Euro-Einführungsgesetz) 14/5425 hervorgehoben werden. – Gesetz zur Harmonisierung des Schutzes gefährde- In den vergangenen Jahren ist es nicht zuletzt aufgrund ter Zeugen der Initiativen der FDP, aber auch der Grünen-Fraktion und der PDS gelungen, diskriminierende Tatbestände für Der Bundeskanzler hat mit Schreiben vom 10. Oktober Minderheiten wie Schwule oder Lesben zu beenden. Es 2001 mitgeteilt, dass der Bundesrat in seiner 767. Sitzung wird sicherlich notwendig sein, auch für Intersexuelle am 27. September 2001 beschlossen hat, gemäß Artikel eine Verbesserung der Lebenssituation zu schaffen, so- 110 Abs. 3 des Grundgesetzes gegen den Entwurf eines weit dies mit politischen Mitteln möglich ist. Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2002 (Haushaltsgesetz 2002) keine Einwendungen zu erheben. Anlage 5 Der Bundeskanzler hat mit Schreiben vom 10. Oktober 2001 mitgeteilt, dass der Bundesrat in seiner 767. Sitzung Amtliche Mitteilungen am 27. September 2001 beschlossen, hat, gemäß § 9 Abs. Der Bundesrat hat in seiner 767. Sitzung am 27. Sep- 2 Satz 2 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des tember 2001 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen Wachstums der Wirtschaft und gemäß § 50 Abs. 3 Satz 1 zuzustimmen, bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Ab- des Haushaltsgrundsätzegesetzes von dem Finanzplan des satz 2 Grundgesetz nicht zu stellen: Bundes 2001 bis 2005 Kenntnis zu nehmen. – Gesetz zur Änderung des Finanzverwaltungsgeset- Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- zes und anderer Gesetze geteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der 18932 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

(A) Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (C) nachstehenden Vorlagen absieht: Drucksache 14/1016 Nr. 2.23 Drucksache 14/3050 Nr. 2.1 Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Drucksache 14/3146 Nr. 2.9 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 14/3146 Nr. 2.10 Drucksache 14/3146 Nr. 2.11 Bericht des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Drucksache 14/3146 Nr. 2.12 Wohnungswesen über Maßnahmen auf dem Gebiet der Drucksache 14/3146 Nr. 2.13 Unfallverhütung im Straßenverkehr und Übersicht über Drucksache 14/3146 Nr. 2.14 das Rettungswesen 1998 und 1999 Drucksache 14/3146 Nr. 2.15 – Unfallverhütungsbericht Straßenverkehr 1998/99 – Drucksache 14/3146 Nr. 2.16 Drucksache 14/3146 Nr. 2.17 – Drucksache 14/3863 – Drucksache 14/3146 Nr. 2.18 Drucksache 14/3341 Nr. 2.26 Drucksache 14/3428 Nr. 2.15 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 14/3576 Nr. 2.34 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 14/3576 Nr. 2.41 Drucksache 14/4170 Nr. 2.64 Bericht der Bundesregierung über die Integration der Drucksache 14/4170 Nr. 2.84 Bundesrepublik Deutschland in die Europäische Union Drucksache 14/4309 Nr. 1.3 für den Zeitraum 1. Januar bis 31. Dezember 2000 Drucksache 14/4309 Nr. 1.22 – Drucksachen 14/5682, 14/6019 Nr. 1.2 – Drucksache 14/4309 Nr. 1.28 Drucksache 14/4441 Nr. 1.3 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- Drucksache 14/4441 Nr. 1.6 geteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-Vorla- Drucksache 14/4665 Nr. 3.1 Drucksache 14/4945 Nr. 2.4 gen bzw. Unterrichtungen durch das europäische Parla- Drucksache 14/4945 Nr. 2.33 ment zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung Drucksache 14/4945 Nr. 2.35 abgesehen hat. Drucksache 14/5114 Nr. 2.1 Drucksache 14/5114 Nr. 2.2 Finanzausschuss Drucksache 14/5172 Nr. 2.21 Drucksache 14/5172 Nr. 2.60 Drucksache 14/6508 Nr. 2.10 Drucksache 14/5610 Nr. 2.16 Drucksache 14/6508 Nr. 2.11 Drucksache 14/5610 Nr. 2.30 Drucksache 14/6508 Nr. 2.12 Drucksache 14/5610 Nr. 2.31 Drucksache 14/6508 Nr. 2.40 Drucksache 14/5610 Nr. 2.40 Drucksache 14/6615 Nr. 2.11 Drucksache 14/5730 Nr. 2.33 Drucksache 14/5836 Nr. 2.6 Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Drucksache 14/5836 Nr. 2.7 Drucksache 14/6026 Nr. 2.19 (B) Drucksache 14/6026 Nr. 2.25 Ausschuss für Gesundheit (D) Drucksache 14/6116 Nr. 1.3 Drucksache 14/5610 Nr. 2.53 Drucksache 14/6116 Nr. 1.4 Drucksache 14/6214 Nr. 1.2 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz Drucksache 14/6214 Nr. 2.18 und Reaktorsicherheit Drucksache 14/6395 Nr. 2.15 Drucksache 14/6395 Nr. 2.16 Drucksache 14/5610 Nr. 1.3 Drucksache 14/6395 Nr. 2.17 Drucksache 14/6395 Nr. 2.23 Ausschuss für Bildung, Forschung und Drucksache 14/6508 Nr. 2.13 Technikfolgenabschätzung Drucksache 14/6508 Nr. 2.15 Drucksache 14/6508 Nr. 1.3 Drucksache 14/6508 Nr. 2.33 Drucksache 14/6508 Nr. 2.3 Drucksache 14/6508 Nr. 2.35 Drucksache 14/6508 Nr. 2.23 Drucksache 14/6508 Nr. 2.37 Drucksache 14/6508 Nr. 2.34 Drucksache 14/6508 Nr. 2.41 Drucksache 14/6615 Nr. 2.8 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Verbraucherschutz, Drucksache 14/6026 Nr. 2.2 Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 14/6026 Nr. 2.10 Drucksache 14/6116 Nr. 1.8 Drucksache 14/6026 Nr. 2.29 Drucksache 14/6508 Nr. 2.22 Drucksache 14/6026 Nr. 2.31

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