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DEUTSCHLAND

noch aus, wenn er hört, was in den libe- ralen Landesverbänden oder in den Zei- Parteien tungen, die eigentlich der FDP geneigt sind, über ihn gelästert und geschrieben wird. So dick ist das Fell noch lange nicht, daß er darunter nicht zitterte. „Alles neu sortieren“ Man dürfe nicht zurück, man müsse nach vorne schauen, verkündet er be- Hans-Jochen Tschiche über Grüne und PDS in Ostdeutschland schwörend. Aber er selbst ist ein Mei- ster der vergleichenden Retrospektive. Wären die Landtagswahlen in Branden- SPIEGEL: Herr Tschiche, in Sachsen auch viel zu wenige. Wir haben unseren burg und Sachsen etwa anders ausgefal- und Brandenburg sind die Grünen aus Einfluß maßlos überschätzt. Nun hilft len, wenn oder dem Landtag geflogen. Warum tut sich kein Lamentieren über die Wende, jetzt Hans-Dietrich Genscher die Partei noch Ihre Partei im Osten so schwer? müssen wir nach vorn gucken und unse- führten? Tschiche: Die Grünen im Westen sind re Themenpalette erweitern. Natürlich hat es ihn geärgert, daß der eine etablierte Partei, hervorgegangen SPIEGEL: In welche Richtung? umtriebige Jürgen W. Möllemann, einer aus der 68er Bewegung. Die haben ei- Tschiche: Es geht nicht mehr nur um seiner ärgsten Widersacher, in Nord- nen langen Marsch durch die Institu- bürgerliche Freiheitsrechte wie im rhein-Westfalen ein Plakat kleben wird, tionen gemacht und sind nun in den Herbst 1989. Dieser Bonus, den die auf dem Kinkel nicht vorkommt. Daß Parlamenten angekommen. In dieser Bürgerrechtler hatten, ist aufgezehrt der Parteichef selbst das schlechte Ab- Zeit konnten sie bestimmte Milieus und abgewählt worden. Nun müssen wir schneiden der FDP in Sachsen und fest an sich binden. Uns Grüne im andere Themen in den Mittelpunkt stel- Brandenburg mit dem „Trend zur Per- Osten gibt es erst seit wenigen Jahren. len: das Menschenrecht auf saubere sönlichkeitswahl“ erklärt, haben seine Wir haben nur wenige Mitglieder. Die Umwelt oder das Menschenrecht auf so- Kritiker mit grimmiger Zustimmung Intellektuellen und Akademiker, die ziale Sicherheit. quittiert – sie sehen es genauso. im Westen die Grünen unterstützen, SPIEGEL: Ist in Ostdeutschland über- Wie der CDU-Kanzler verschlingt wählen im Osten meist PDS, weil sie haupt genügend Raum für zwei Parteien auch Kinkel die Meinungsumfragen, ob- sich zu den Verlierern der Einheit links von der SPD? wohl er ihnen angeblich nicht traut. Und rechnen. Tschiche: Jenseits der SPD ist auf Dauer auch sein Verhältnis zu den Meinungs- SPIEGEL: Beschäftigen Sie sich zu sehr für zwei Reformparteien kein Platz. Wir machern in den Medien ist von ähnlich mit der Bewältigung der DDR-Vergan- müssen jetzt neu und unbefangen dar- angstvoller Verachtung geprägt: Wie oft genheit? über nachdenken, wie es mit ökologi- haben sich die Kommentatoren geirrt. Tschiche: Ich mußte akzeptieren, daß scher Reformpolitik im Osten weiterge- Erst in Kohl und dann in Scharping. uns in den neuen Ländern nichts ande- hen soll. Scheuklappen können wir uns Erst in Stolpe – und jetzt in Kinkel? res übrigbleibt, als den neuen Staat mit in dieser Diskussion nicht leisten. „Wenn ich alles glaube, was ich – zwi- den alten Eliten aufzubauen. Schließ- SPIEGEL: Wo und mit wem wollen Sie schen Flensburg und Passau – über mich lich wurden die im Herbst 1989 nicht neu anfangen? in den Zeitungen lese, dann säße ich gar völlig entmachtet. Wir Bürgerrechtler Tschiche: Wenn ich mir die PDS-Frakti- nicht mehr hier.“ So hat man es bisher waren nicht entschieden genug und on hier in Magdeburg angucke, dann se- immer nur von Kohl gehört. Und ähnlich herablassend wie der CDU-Vorsitzende blickt auch auf seine innerparteilichen Wi- dersacher herab: Vor einem Jahr, das rechnet er den Leuten immer wieder vor, saß im Meinungsloch, und Scharping war ganz oben. Daß sein Generalsekretär („Die FDP ist im Aufwind“) nach dem Wahl-Desaster von Branden- burg und Sachsen unter Berufung auf neueste Umfrageergebnisse einen steti- gen Aufwärtstrend der FDP auf Bun- desebene sah, hat Hohngelächter und Kopfschütteln ausgelöst. Tags drauf sagt Kinkel das gleiche. Aufwind im freien Fall, spotten seine Parteifeinde, rede sich der Oberliberale da ein. Solche Sticheleien ärgern ihn mehr, als er sich eingesteht. Aber Klaus Kin- PRINT kel hat, wie Genscher, ein gutes Ge- Hans-Jochen Tschiche sammen mit Bärbel Bohley und Jens dächtnis. Er wird nie vergessen, wer von Reich Gründer des Neuen Forums. Auf seinen Parteifreunden die Liberalen ist Fraktionschef von Bündnis 90/Grü- diese Zeit blickt Tschiche heute selbst- jetzt in „Lichtgestalten“ und „Wat- ne in Sachsen-Anhalt. Er gilt als Ver- kritisch zurück:„Wir haben unseren Ein- schenmänner“ einteilt. Nach der Wahl mittler zwischen der rot-grünen Min- fluß maßlos überschätzt.“ Er plädiert wird abgerechnet – so oder so. derheitsregierung und der PDS. Der jetzt für eine stärkere Kooperation sei- „Ich kann auch aufhören“, behauptet Theologe, 64, war zu DDR-Zeiten Bür- ner Partei mit der PDS und hält auch ei- Klaus Kinkel, „dann können die sich ei- gerrechtler der ersten Stunde und zu- ne Listenverbindung für möglich. nen andern suchen.“ Y

26 38/1994 he ich da eine ganze Reihe Leute, die auch bei den Grünen sein könnten, so- wohl Fundis als auch Realos. Und bei PDS den Bündnisgrünen gibt es viele, die den Traum vom Sozialismus mit menschlichem Antlitz noch nicht aus- geträumt haben; zu denen gehöre ich Drei plus x auch. Es gibt also Gemeinsamkeiten. SPIEGEL: Sie halten eine engere Zu- Im Osten wirbt die PDS um Erst- sammenarbeit zwischen Bündnisgrünen stimmen. Die Chancen auf und der PDS für wünschenswert? Tschiche: Die Magdeburger PDS-Frak- Direktmandate und damit Einzug tionschefin Petra Sitte wäre im Westen in den stehen gut. sicher beim feministischen Flügel der Grünen. Ich gebe gerne zu, daß ich ihr politisch näher stehe als dem Grü- keptischen Parteifreunden jagt nen-Bundestagsabgeordneten Werner PDS-Sprecher Hanno Harnisch Schulz, der in Sachsen kandidierte. Er Sgern einen Schrecken ein – um sie hat mit seinen schwarz-grünen Gedan- dann zu erlösen: „Am Wahlabend krie- kenspielereien mit zu verantworten, gen wir nach den ersten Hochrechnun- daß meine Partei nicht mehr im gen 4,8 Prozent und zwei Direktmanda- Dresdner Landtag sitzt. te. Alles ist hin. Doch dann wird um 22 SPIEGEL: Ihr Parteifreund Konrad Uhr das Resultat von Rügen verkün- Weiß schlägt vor, daß sich im Osten det: ein drittes Direktmandat für die eine neue Partei der Mitte unter Ein- PDS.“ schluß der Grünen gründen sollte. Ist Das würde reichen. Aber es muß ja das eine gute Idee? nicht unbedingt die Ostseeinsel Rügen Tschiche: Statt-Parteien haben wir sein, auch wenn die Aussichten dort – doch schon mehr als genug. bei der Europawahl landete die PDS SPIEGEL: Halten Sie die PDS für ko- bei 30,3 Prozent – nicht schlecht sind. operationsfähig? Die Hochburgen der PDS liegen in Ost- , wo sich die Nomenklatura aus dem alten Staatsapparat der SED und „Die alten die DDR-Intelligenz ballt, und eine Kader und Betonköpfe ungewöhnliche Gemengelage mit der Sponti-Szene und Arbeitslosen bildet. sterben aus“ Nach einer Emnid-Umfrage für den SPIEGEL in drei Ost-Berliner Wahl- Tschiche: In Sachsen-Anhalt sind sie kreisen, in denen die Sozialisten bei der erschreckend kooperativ. Die PDS hat Europawahl stärker waren als CDU im Osten das Gesicht der Opposition. und SPD zusammen, liegen die PDS- Sie ist eine linke, regionale Volkspar- Kandidaten , tei. Ich rechne damit, daß in dieser Par- und besser als die Konkur- tei ein Differenzierungsprozeß ablaufen renz. Nur die SPD könnte hier der PDS wird. Die alten Kader und Betonköpfe noch gefährlich werden – die CDU- sterben aus oder werden entmachtet. Kandidaten liegen weit abgeschlagen SPIEGEL: Wie weit wollen Sie bei der zurück. Zusammenarbeit gehen? Emnid befragte je 1000 Bürger, wen Tschiche: Die Reformkräfte bei der sie am 16. Oktober zu wählen geden- PDS und bei den Bündnisgrünen müs- ken. Das Ergebnis: In Hellersdorf/ sen in einen Diskussionsprozeß eintre- Marzahn bringt es Gregor Gysi auf 36 ten. Wir müssen alles neu sortieren, Prozent, Angelika Barbe (SPD) auf 24 wenn wir überleben wollen. Beide Prozent. Schon bei der letzten Bundes- Gruppen müssen ihre politische Klien- tagswahl konnte Gysi als einziger PDS- tel finden. Politiker ein Direktmandat erringen. SPIEGEL: Eine grüne PDS? Deutlich vorn liegt auch die ehemali- Tschiche: Die PDS vertritt in der Aus- ge DDR-Wirtschaftsministerin Christa länder-, Innen- und Bildungspolitik Luft (32 Prozent) im Bezirk Friedrichs- durchaus grüne Positionen. Wir müssen hain/ vor dem Berliner Ju- in den nächsten vier Jahren diskutieren, gendsenator Thomas Krüger (SPD), wie sich die Reformkräfte als politische für den vier Wochen vor der Wahl 28 Kraft in den neuen Ländern behaup- Prozent stimmten. ten wollen. Es gibt ja die Möglich- Eng wird es im Bezirk Mitte/Prenz- keit der Listenverbindung. Die könnte lauer Berg. Dort rangiert der Schrift- doch „Freie Liste/Bündnis 90/Grüne“ steller Stefan Heym (PDS) mit 33 Pro- heißen. Ich will mich da auf einen Na- zent mal gerade einen Prozentpunkt men nicht festlegen. An der Debatte vor dem stellvertretenden SPD-Vorsit- kommen wir nicht vorbei, wenn wir zenden . weiter Reformpolitik im Osten machen wollen. Y

28 DER SPIEGEL 38/1994