DEUTSCHLAND woran ich damals mitgewirkt habe. Für Gefangene nach West- gebracht. die Betroffenen hätte ich subjektiv den- Sollte ich das aus meiner Tasche bezah- Parteien noch keine Alternative gesehen. Aber len? Daß diese Gelder aus einem Etat des ich habe keinen Anhalt gehabt für eine MfS stammen, habe ich erst nach der solche Annahme. Auch meine Partner Wende erfahren. Für mich war als Zah- in Bonn hatten offenbar dafür keinerlei lungsgeber die Staatsbank ausgewiesen. Milde Anhaltspunkte. Sie hätten mir das sonst Ich habe mit meinem Bürostempel quit- vorgehalten. tiert. SPIEGEL: Eigentlich hätten Sie Nieb- SPIEGEL: Die Staatsanwaltschaft sieht Unperson lings Order kennen müssen. Aus den das ganz anders: Laut Anklageschrift wa- jetzt vorliegenden Akten geht hervor, ren Sie ein Top-Agent des MfS. Wandel eines Schriftstellers: daß Ihre Anbindung an die Stasi sehr Vogel: Ich war kein Top-Agent. Unter ei- Stefan Heym, früher SED-Opfer, nem Agenten verstehe ich jemanden, der klammheimlich etwas tut. Was ich getan kandidiert für die SED-Nach- habe, ist doch früher oder später publik folgepartei PDS zum . geworden. Daß ich einen regen Umgang mit der Stasi als der zuständigen Stelle pflegen mußte, daraus habe ich nie ein em alten Dickschädel gefiel der Hehl gemacht, das stand schon lange vor Rummel um seine Person. Der der Wende zum Beispiel im SPIEGEL. DSchriftsteller Stefan Heym, 80, Wenn ich gefragt wurde, mit wem ich wähnte sich gar in seinem früheren Me- Ausreisen und Freikäufe verhandle, tier als US-Sergeant während des Zwei- dann war meine Antwort: Mit dem Post- ten Weltkrieges: „Ich betreibe Psycho- beamten kann ich das nicht tun. Damit logical Warfare“ – psychologische war klar, mit wem. Das wußten auch die Kriegführung. So ließ Heym monate- Ständigen Vertreter Bonns in der DDR, lang die Gerüchte köcheln, ob er für die alle vier haben dasder Staatsanwaltschaft PDS zum Bundestag kandidieren werde schriftlich erklärt. oder nicht. SPIEGEL: Aber warum haben Sie nach Er wird. Stolz präsentierten die Erben der Wende stets abgestritten, daß Ihre der Honecker-Partei am vorigen Sonn- Beziehung zur Stasi sehr viel enger war? tag Heym als ihren Direktkandidaten Sie haben sich nach dem klassischen Mu- für den Wahlkreis Berlin-Mitte/Prenz- ster all jener DDR-Bürger verhalten, die lauer Berg. PDS-Strahlemann Gregor „Die Macht in diesem nach dem Ende des SED-Regimes als Gysi: „Eine schöne Sache.“ Der ewige Staat ging von Stasi-Mitarbeiter enttarnt wurden: nur Illusionist Heym im Blitzlichtgewitter: das zugeben, was nach Aktenlage nicht „Ich kandidiere als Unabhängiger.“ der Staatssicherheit aus“ mehr zu leugnen ist. Die beiden haben ein Geschäft auf Vogel: Sie werden es mir nicht abneh- Gegenseitigkeit vereinbart: Dem Litera- viel enger war, als Sie bis zum Auftau- men, aber es ist die Wahrheit: Die Zeit ten ist mediale Aufmerksamkeit sicher, chen dieser Akten eingeräumt haben. bis 1957, die besonders kritische Phase Vogel: Es kommt darauf an, wie ich die meiner Anbindung an das MfS, habe ich Anbindung gesehen habe und wie sie so nicht mehr in Erinnerung gehabt. Das beim MfS gesehen wurde. ist mir erst nach und nach, als mir Schrift- SPIEGEL: Sie haben zum Beispiel bestrit- stücke vorgehalten wurden, erinnerlich ten, der Inoffizielle Mitarbeiter „Georg“ geworden. Außerdem: Es wollte sich nie- gewesen zu sein, bis handschriftliche Be- mand diejenigen zum Gegner machen, richte von Ihnen mit diesem Decknamen mit denen er früher zusammengearbeitet auftauchten. Dann sagten Sie, die IM- hat. Man wäre als Wendehals verschrien Tätigkeit sei 1957 beendet worden. Spä- worden. ter wurden Akten gefunden, die bis ins SPIEGEL: Sie könnten heute mit mehr Jahr 1966 reichten. Inzwischen gibt es Verständnis rechnen, wenn Sie sich Dokumente aus der Stasi-Finanzabtei- rechtzeitig offenbart hätten. lung, die Ihre Anbindung an das MfS bis Vogel: Ich kann nur sagen, daß ich bereits Ende der achtziger Jahre belegen. Die in den fünfziger Jahren begriffen habe: Anklage wirft Ihnen vor, Sie hätten auf Die Macht in diesem Staat geht von der der Gehaltsliste des MfS gestanden. In Staatssicherheit aus; wenn du etwas er- der Anklageschrift stehen konkrete Sum- reichen willst, mußt du dich dahin wen- men: 100 000 Mark-Ost und 50 000 den. Das hat sich gehalten bis in die letz- Mark-West pro Jahr. ten Tage der DDR. Ich habe meine Kon- Vogel: Ich habe auf keiner Gehaltsliste takte zum MfS als Verhandlungskontak- gestanden, sondern ich habe Auslagen te gesehen, um meine Aufgabe zu erfül- erstattet bekommen, und zwar in Form len. So haben es, glaube ich, auch meine einer jährlichen Pauschale. Nehmen wir Gesprächspartner im Westen erkannt. mal zum Beispiel diese 16 Treffen mit Ich hoffe, daß man mir die Zusammenar- Wehner in den sechziger Jahren. Für die beit mit der Stasi nicht so ankreidet, daß brauchte ich doch, soweit sie in Bonn das andere vergessen ist, was ich für die stattfanden, Devisen für Flüge, Hotel Menschen im geteilten Deutschland be- und so weiter. Ich bin 1250mal mit mei- wirken konnte. nem Wagen zum Grenzübergang Herles- SPIEGEL: Herr Vogel, wir danken Ihnen PDS-Politiker Gysi hausen gefahren. Ich habe fast jeden Tag für dieses Gespräch. Y Glänzen mit großen Namen

32 DER SPIEGEL 6/1994 die PDS darf bei der Bundestagswahl auf ein paar Stimmen mehr hoffen. Bislang geben zwar fast alle Demo- skopen den SED-Nachfolgern geringe Chancen, im Oktober die Fünf-Prozent- Hürde zu schaffen; die Prognosen schwanken zwischen drei und vier Pro- zent der Stimmen. Gysi und Genossen aber setzen darauf, daß die PDS minde- stens drei Direktmandate erringt; dann wäre der Partei auch unterhalb der fünf Prozent der Bundestag sicher. Die Strategie heißt „Glänzende Na- men für die Direktwahl“ – ein Irrlicht wie Günther Maleuda, den die SED bis zum Stellvertretenden Vorsitzenden des Staatsrates befördert hatte, ließ sich da- für gewinnen. Mit einem Stefan Heym könnte die PDS im Osten die Konkurrenz tatsächlich ausstechen. Nach einer For- sa-Umfrage wollen dort 31 Prozent der Wähler „bestimmt“ und 13 Prozent „vielleicht“ für „prominente Direktkan- didaten“ der PDS stimmen. Im Wettlauf um die Kreuze wirbt die PDS, so Wahlkampfleiter Andre´ Brie, vor allem um Protestwähler und „Leute, die an der DDR hängen“. Wütende Nostalgie also, für die sich Stefan PDS-Kandidat Heym: „Ich werde euch nicht langweilen“ Heym, der kühle Beobachter und Kriti- ker der DDR, bereitwillig instrumenta- Heym, Hunderttausende Ost-Berliner len wir jetzt schaffen.“ Das Volk lehnte lisieren läßt. hätten sich auf dem es ab, sein neuer Möchtegern-Tribun Sein scharfer Blick hat sich ohnedies nicht nur „aus eigenem freien Willen sucht nun selbst Zutritt zur Tribüne. seit der deutschen Einigung zunehmend versammelt für Freiheit und Demokra- „Wenn Sie das Eitelkeit nennen – ich getrübt. tie“, sondern auch „für einen Sozialis- bin so eitel, daß ich erproben möchte, „Die alte SED hat mich zensieren, mus, der des Namens wert ist“. ob die Leute mich wirklich mögen.“ observieren und schikanieren lassen“, Wenig später, nach der Maueröff- Manche sorgen sich um den Ausgang bilanziert Heym die Jahre, nachdem er nung, erschrak Heym über eine – vom des Experiments. Der letzte DDR-Pre- den „ewigen Rundlauf um diesen heißen Westen entwürdigte – „Horde von Wü- mier Lothar de Maizie`re etwa warnte Brei“ absolvierte und Bestseller wie den tigen, die, Rücken an Bauch gedrängt, seinen Freund Gysi: „Müßt ihr ein Roman „Collin“ (1979) nur im Westen Hertie und Bilka zustrebten auf der Denkmal schänden?“ publizieren konnte. Bis ins Schlafzim- Jagd nach dem glitzernden Tinnef“. Auch der stellvertretende SPD-Vor- mer hinein bespitzelte die Stasi den Heym und andere Intellektuelle, die sitzende , der im sel- Schriftsteller. trotz Mauer den Westen hatten kennen- ben Wahlkreis wie Heym antritt, fragt Jetzt läßt die nach be- lernen dürfen, schützten sich vor der sich, ob der Mitbewerber „weiß, was er kannteste Unperson der DDR Milde neuen, komplizierten Realität. Im Auf- sich und seinen Verehrern antut, wenn walten. Mit ihrem Angebot signalisiere ruf „Für unser Land“ erkannten sie En- er die Seite wechselt“. die PDS nicht nur, „daß ihre Mitglieder de November 1989 noch eine Chance, Solch freundliche Einwände des Ger- ein wesentlich anderes Verhältnis zu mir „eine sozialistische Alternative zur Bun- manisten und Politikers Thierse hält gefunden haben, als die verkrusteten desrepublik zu entwickeln“. sein Gegenkandidat offenbar für ein Genossen von damals es hatten“. Zu- Danach schien es manchmal so, als Mißverständnis: Verehrer sind „Käufer gleich mache die PDS „erkennbar, daß wolle der große Alte eingestehen, daß meiner Bücher“ – und die gab es sie sich in einem Prozeß innerer Wand- die neue Wirklichkeit ihn überfordert. reichlich. Einen Seitenwechsel vermag lung befindet“. So schnell läutern sich Einmal gab er im kleinen Kreis, der Heym nicht zu erkennen: Wie die PDS Honeckers Erben. über Vereinigung, Krise und Stasi de- sei er doch „stets für Demokratie und Von einer PDS-Versammlung, wo er battierte, zu: „Das alles langweilt Sozialismus gewesen, und ich bin es sein Urteil hätte prüfen können, mag mich.“ Was er denn spannend finde? noch“. der Schriftsteller nicht berichten. Knappe Antwort: „Mich.“ Der 80jährige Kandidat will keine Statt dessen proklamiert Heym, „im Aber er zog sich nicht zurück, um sei- große Botschaft verkünden, und er ver- Interesse der Bürger der DDR“, ge- nen Roman über den Kommunisten spricht nichts. Abstand nahm Heym so- meinsam mit den neuen Weggefährten zu bearbeiten. Im Sommer gar von der Idee, den Wählern wenig- eine „echte, starke, linke Opposition“. 1992 lieh der geübte Erstunterzeichner stens zu versichern: „Ich werde euch Am liebsten hätte er die SPD dabei, wieder seinen Namen, diesmal den nicht langweilen.“ ganz im Sinne der Volksfront-Ideologie, „Komitees für Gerechtigkeit“, die Gysi Der graue Panther freut sich höllisch „wenn Sie so wollen“. gemeinsam mit dem CDU-Querulanten darauf, die 13. Legislaturperiode als Al- Zu ähnlich erfolgreichen Projekten Peter-Michael Diestel ins Leben rief. terspräsident mit einer fulminanten Re- rief der starrköpfige Besser-Ossi seit der „Alle in diesem Land haben eine Lob- de eröffnen zu können. Es sei denn, ei- Wende mehrmals auf. Am legendären by“, sagte Heym damals, „bloß das ne andere Partei „findet einen noch net- 4. November 1989 glaubte Redner Volk hat keine. Diese Möglichkeit wol- teren älteren Herrn als mich“. Y

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