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Plenarprotokoll 14/206

Deutscher

Stenographischer Bericht

206. Sitzung

Berlin, Freitag, den 30. November 2001

Inhalt:

Beratungen mit Aussprache Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und zur Abwicklung Tagesordnungspunkt II: des Fonds „Deutsche Einheit“ (Soli- darpaktfortführungsgesetz) Dritte Beratung des von der Bundesregie- (Drucksache 14/7063) ...... 20395 A rung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushalts- – Zweite und dritte Beratung des von der plans für das Haushaltsjahr 2002 Haus- Bundesregierung eingebrachten Ent- haltsgesetz 2002 wurfs eines Gesetzes zur Fortführung (Drucksachen 14/6800, 14/7537, 14/7301 des Solidarpaktes, zur Neuordnung des bis 14/7320, 14/7321, 14/7322, 14/7323 20365 A bundesstaatlichen Finanzausgleichs und zur Abwicklung des Fonds „Deutsche (Emstek) CDU/CSU . . . . . 20365 B Einheit“ (Solidarpaktfortführungs- Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein gesetz) (Drucksachen 14/7256, 14/7646, 14/7647) CDU/CSU ...... 20365 D 20395 A Sabine Kaspereit SPD ...... Joachim Poß SPD ...... 20368 A 20395 C CDU/CSU ...... Dr. FDP ...... 20372 C 20397 D Antje Hermenau BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Antje Hermenau BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 20375 A 20399 C Gisela Frick FDP ...... Dr. Uwe-Jens Rössel PDS ...... 20378 C 20401 C Dr. Barbara Höll PDS ...... , Bundesminister BMF ...... 20380 B 20402 D Hans Eichel, Bundesminister BMF ...... CDU/CSU ...... 20385 A 20404 A Heinz Seiffert CDU/CSU ...... Hans Eichel, Bundesminister BMF ...... 20385 C 20406 B Jochen-Konrad Fromme CDU/CSU ...... CDU/CSU ...... 20385 D 20408 D

Namentliche Abstimmungen ...... 20389 B, C Zusatztagesordnungspunkt 3: Ergebnisse ...... 20390 C, 20392 D – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Versorgungsänderungs- Tagesordnungspunkt III: gesetzes 2001 (Drucksachen 14/7223, 14/7257, 14/7681, – Zweite und dritte Beratung des von den 14/7693) ...... 20409 B Fraktionen der SPD und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN einge- – Zweite und dritte Beratung des von den brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fraktionen der SPD und des BÜNDNIS- Fortführung des Solidarpaktes, zur SES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten II Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. , Freitag, den 30. November 2001

Entwurfs eines Versorgungsände- sowie der Abgeordneten rungsgesetzes 2001 (Köln), Grietje Bettin, weiteren Abge- (Drucksachen 14/7064, 14/7681, 14/7693) 20409 C ordneten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ein- – Zweite und dritte Beratung des vom gebrachten Entwurfs eines Gesetzes Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- zur Änderung des Gesetzes über nes Gesetzes zur Änderung des Be- Arbeitnehmererfindungen amtenrechtsrahmengesetzes (Drucksachen 14/5975, 14/7573) . . . . 20424 C (Drucksachen 14/6717, 14/7681, 14/7693) 20409 C – Zweite und dritte Beratung des vom Hans-Peter Kemper SPD ...... 20409 D Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- CDU/CSU ...... 20411 A nes Gesetzes zur Förderung des Pa- tentwesens an den Hochschulen Helmut Wilhelm (Amberg) BÜNDNIS 90/ (Drucksachen 14/5939, 14/7573) . . . . 20424 D DIE GRÜNEN ...... 20412 C Norbert Hauser () CDU/CSU ...... 20424 D Dr. FDP ...... 20413 C PDS ...... 20414 B Nächste Sitzung ...... 20427 C , Bundesminister BMI ...... 20415 A Anlage 1 Zusatztagesordnungspunkt 4: Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 20429 A Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Straf- Anlage 2 prozessordnung Zu Protokoll gegeben Reden zur Beratung der (Drucksachen 14/7008, 14/7258, 14/7679) 20417 A Gesetzentwürfe: Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär BMJ 20417 B – Änderung des Gesetzes über Arbeitneh- CDU/CSU ...... 20418 A mererfindungen Hans-Christian Ströbele BÜNDNIS 90/ – Förderung des Patentwesens an Hochschulen DIE GRÜNEN ...... 20419 D (Zusatztagesordnungspunkt 4) ...... 20429 D FDP ...... 20421 A Alfred Hartenbach SPD ...... 20429 D Dr. Evelyn Kenzler PDS ...... 20422 A Jörg Tauss SPD ...... 20430 B Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD ...... 20422 D Dr. Reinhard Loske BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 20431 D Rainer Funke FDP ...... 20432 C Tagesordnungspunkt IV: Maritta Böttcher PDS ...... 20433 A – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Alfred Hartenbach, Anlage 3 Hermann Bachmaier, weiteren Abge- ordneten und der Fraktion der SPD Amtliche Mitteilungen ...... 20433 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001 20365

(A) (C)

206. Sitzung

Berlin, Freitag, den 30. November 2001

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident : Guten Morgen, liebe dioser Auftakt! – Zuruf von der SPD: Diese Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Freude wird nicht eintreten!) Der Kollege Austermann hat bei der zweiten Lesung Ich rufe den Tagesordnungspunkt II auf: am Dienstag auf vorzügliche Weise dargelegt, wo die fi- Dritte Beratung des von der Bundesregierung nanz- und haushaltspolitischen Versäumnisse der Bun- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die desregierung liegen. Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Wo ist ei- Haushaltsjahr 2002 gentlich der Finanzminister? – Steffen Haushaltsgesetz 2002 Kampeter [CDU/CSU]: Der Finanzminister ist – Drucksachen 14/6800, 14/7537, 14/7301 bis gar nicht da!) 14/7320, 14/7321, 14/7322, 14/7323 – Ich möchte mich insbesondere einem Thema zuwenden, Berichterstattung: nämlich dem, wie es möglich sein konnte, dass in einer so (B) Abgeordnete Dietrich Austermann kurzen Zeit ein relativ robuster wirtschaftlicher Auf- (D) Michael von Schmude schwung zunichte gemacht wurde. Hans Georg Wagner (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Dr. Elke Leonhard neten der FDP – Lachen bei der SPD) Oswald Metzger Jürgen Koppelin Die derzeitige wirtschaftliche Lage kann man wohl als Dr. Stagnation bezeichnen, möglicherweise befinden wir uns schon in einem Schrumpfungsprozess. Über den Gesetzentwurf sowie über einen Ent- schließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU werden (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Der Finanz- wir nach der Aussprache namentlich abstimmen; zu einer minister ist nicht da!) Reihe weiterer Entschließungsanträge erfolgt einfache – Der Finanzminister scheint sich für diese Debatte nicht Abstimmung. zu interessieren, weil er nicht anwesend ist. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich höre Präsident Wolfgang Thierse: Kollege Carstens, keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. gestatten Sie eine Zwischenfrage? Ich ahne schon, welche es ist. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Manfred Carstens, CDU/CSU-Fraktion. (Heiterkeit im ganzen Hause – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wir auch, Herr Präsident!) Manfred Carstens (Emstek) (CDU/CSU) (von der CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Herr Präsident! Meine Manfred Carstens (Emstek) (CDU/CSU): Ja, bitte verehrten Kolleginnen und Kollegen! Heute beraten wir sehr. abschließend in dritter Lesung den Bundeshaushalt 2002. Ich würde mich sehr darüber freuen – ich hoffe auch da- Präsident Wolfgang Thierse: Bitte schön. rauf –, wenn das der letzte Bundeshaushalt wäre, der von Rot-Grün zu verantworten ist. Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein (CDU/ (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- CSU): Vielleicht können Sie, Herr Präsident, das Parla- neten der FDP – Widerspruch bei der SPD – ment informieren, warum zum entscheidenden Tagesord- Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ein gran- nungspunkt, zur dritten Lesung des Bundeshaushaltes, 20366 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001

Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein (A) weder der Finanzminister noch ein Staatssekretär hier scheinlich ist, dass wir im nächsten Jahr über 4 Millionen (C) heute Morgen anwesend sind. Vielleicht können Sie das Arbeitslose im Jahresdurchschnitt haben werden. beantworten. (Simone Violka [SPD]: Immer noch besser als bei Ihnen! – Weiterer Zuruf von der SPD: Wie Präsident Wolfgang Thierse: Ich kann die Frage lei- war es denn bei Ihnen, Herr Carstens?) der auch nicht beantworten. Ich habe gerade darum gebe- Da der Bundeskanzler sich und seine politische Entwick- ten, nach ihm zu fragen, weil auch mir das aufgefallen ist. lung mit der Zahl der Arbeitslosen verbunden hat, ist er im (Bundesminister Hans Eichel betritt den Ple- Grunde nur noch ein Kanzler auf Abruf. narsaal und wird von der SPD mit Beifall be- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) grüßt) Diese Entwicklung, dieser rapide Verfall der Wirt- – Wir haben Glück, der Finanzminister hat gerade den schaft ist nur mit der Maßgabe vorstellbar, dass ein Groß- Saal betreten. teil der Bevölkerung einfach das Vertrauen in die Regie- Herr Kollege Carstens, jetzt können Sie in aller Ruhe rung und in die weitere Entwicklung verloren hat. fortfahren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das ist auch gut nachvollziehbar. Denn wenn Sie einmal Manfred Carstens (Emstek) (CDU/CSU): Herr Kol- nachlesen, was der Kanzler, die Minister und der Gene- lege von Hammerstein, es ist in der Tat so, dass der Fi- ralsekretär der SPD in den letzten Jahren und Monaten ge- nanzminister bei diesem Thema anwesend sein muss. sagt haben, dann stellen Sie fest: Ob Sie sich das angehört Aber da es sein letzter Haushalt ist, wäre es eigentlich haben, ist völlig egal; denn es ist sowieso nicht so einge- doch nicht so wichtig. troffen, wie sie es gesagt haben. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die wirtschaftliche Entwicklung verläuft sehr be- Wenn man eine solche Politik macht, ist völlig klar, dass drohlich. Es weiß noch keiner abzuschätzen, wie sich das Vertrauen als wichtige Voraussetzung für wirtschaft- die Dinge im Jahre 2002 darstellen. Der Sachverstän- liche Entwicklung nicht mehr da sein kann. digenrat geht noch davon aus, dass es ein geringes Wachstum geben wird, fügt aber sofort hinzu: Alles an- Wenn Sie sich die Statistiken anschauen, dann stellen dere, was wir unterstellt haben, muss sich aber auch so Sie fest, dass die Ausrüstungsinvestitionen ausbleiben, ereignen; ansonsten geraten wir tatsächlich in eine dass die Bauinvestitionen ausbleiben, dass das Mehr- (B) rezessive Phase. Wie gesagt, keiner weiß, ob wir uns wertsteueraufkommen rapide abnimmt. Das hat es in (D) nicht wirklich schon in einem Schrumpfungsprozess diesem Umfang im Vergleich zu den Schätzungen über- befinden. haupt noch nicht gegeben. Das sind Entwicklungen, die darauf hindeuten, dass die Bevölkerung der Zukunft nicht Am deutlichsten wird die Gefährlichkeit einer solchen mehr traut. Man kauft nicht mehr; man investiert nicht Entwicklung, wenn man die Entwicklung der Arbeitslo- mehr. Wenn der Finanzminister sagt: „Liebe Deutsche, sigkeit betrachtet. Man muss sich einmal vorstellen, dass sorgt für den Aufschwung! Kauft! Legt euer Geld an!“, wir in den letzten zwölf Monaten vor dem Regierungs- dann klingt das bei vielen Arbeitnehmern und Rentnern wechsel, von Oktober 1997 bis Oktober 1998, die Zahl angesichts der Tatsache, dass er der breiten Masse ständig der Arbeitslosen um 399 000 reduziert haben. durch Steuererhöhungen das Geld aus der Tasche gezogen ( [CDU/CSU]: Hört! Hört!) hat, wie Hohn. 1999 und in den folgenden Jahren sind darüber hinaus (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wi- über 200 000 ältere Menschen mehr aus dem Arbeits- derspruch bei der SPD – Wilhelm Schmidt prozess ausgeschieden als jüngere nachgekommen sind. [Salzgitter] [SPD]: Hier wird gelogen, dass sich Bei einer moderaten wirtschaftlichen Entwicklung hätte die Balken biegen! –Gegenruf des Abg. Steffen es möglich sein müssen, die Arbeitslosigkeit im Durch- Kampeter [CDU/CSU]: Eine gute Rede ist das!) schnitt des Jahres 2002 in Richtung 3 Millionen zu brin- Wenn man so will, ist eine Regierung aus Rot-Grün gen. schon an sich ein Risiko für die Konjunktur. (Beifall bei der CDU/CSU) (Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein [CDU/ Was wir jetzt erleben, ist das genaue Gegenteil. CSU]: Eine Belastung für die Konjunktur!) (Zuruf von der SPD: Wie war es denn in Ihrer Die Grünen sind ein latentes Risiko. Die Grünen wissen, Zeit?) was sie alles nicht wollen; aber sie wissen kaum, was sie wollen. So kann man keine Wirtschaftspolitik machen. Der Bundeskanzler hat noch im Frühjahr 2001 versucht, einen Notnagel einzuschlagen, indem er sagte: Es werden (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- wohl 3,5 Millionen arbeitslose Menschen werden. – Aber neten der FDP – Lachen bei der SPD) jetzt sagt die Regierung selbst: Wir gehen von fast Kernenergie, PKWs und Straßenbau sind Feindbilder für 3,9 Millionen Arbeitslosen aus. Der Sachverständigenrat die Grünen. Entsprechend sieht die Politik aus. Was wir in sagt: Es werden knapp 4 Millionen Arbeitslose. Wahr- den letzten drei, vier Jahren erlebt haben, war ein Reper- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001 20367

Manfred Carstens (Emstek) (A) toire von Strafexpeditionen gegen Autofahrer: jedes Jahr Da hat es Absprachen gegeben. Man weiß, dass Abspra- (C) sechs Pfennig drauf. chen, die es vorher gegeben hat, auch eingehalten werden (Walter Hirche [FDP]: Sieben! Mehrwert- müssen. Solchen Absprachen traut man nicht; darauf steuer bedenken!) setzt man nicht. Daher kann eine Regierung Schröder nicht erwarten, dass die Wirtschaft noch Vertrauen in ihre So kann man keine Wirtschaftspolitik machen. So kann es Politik hat. nicht dauerhaft gut gehen. Da geht selbst die stabilste Konjunktur in die Knie. Da steigt die Arbeitslosigkeit an. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir haben darüber hinaus zu bedenken – das möchte ich ebenso deutlich ansprechen –, dass diejenigen, die in Wie Sie den Mittelstand bei der Steuerreform behan- der Politik das Vertrauen verspielt haben, kaum imstande delt haben, wie Sie ihn mit bürokratischen Auflagen be- lastet haben und wie Sie überhaupt mit ihm umgehen, ge- sein werden, dieses Vertrauen zurückzugewinnen. Wenn rade mit den Familienbetrieben, wie Sie mit der die Wirtschaft kein Vertrauen mehr zur Politik hat, wenn Landwirtschaft umgehen, was Frau Künast sich seit der man ihrem Wort nicht mehr glaubt, wenn man der Regie- BSE-Krise erlaubt, die im Grunde gar keine war, sondern rung nichts mehr, erst recht nichts Gutes, zutraut, dann künstlich erzeugt wurde – – gibt es kaum noch Aussicht darauf, dass es mit dieser Regierung in der Wirtschaft wieder aufwärts gehen kann. (Lachen bei der SPD und dem BÜND- Deswegen muss die Lösung heißen: Weg mit dieser Re- NIS 90/DIE GRÜNEN) gierung! Her mit einem neuen Programm und einer neuen – Wenn Sie das so mit Widerspruch belegen, dann haben Regierung! wir heute noch genauso eine BSE-Krise wie vor einem Jahr. Da hat sich überhaupt nichts geändert, meine Damen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- und Herren. neten der FDP – Hans Georg Wagner [SPD]: Wo soll die herkommen? Mit diesen Figuren? (Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ Um Gottes willen! – Weitere Zurufe von der DIE GRÜNEN]: Das ist zynisch gegenüber al- SPD) len Bauern! Das ist wirklich der Hammer!) Das muss natürlich durch das Einhalten gewisser Von daher ist bei den Landwirten wie beim Mittelstand Grundsätze angereichert werden. Ich bin davon über- einfach kein Vertrauen da. Man hat bei Frau Künast den zeugt, dass sich unser Land in Zukunft wirklich nur dann Eindruck, als ob sie die deutsche Landwirtschaft am gedeihlich entwickeln kann, wenn wir der Familie wieder liebsten des Landes verweisen möchte. Woher sollen denn dann noch Investitionen kommen? Das ist doch völlig un- den Stellenwert einräumen, den sie haben muss. (B) vorstellbar. (Lachen und Beifall bei der SPD) (D) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sie muss der Kern unserer gesellschaftlichen Entwick- Es gibt noch etwas, was zur Gesamtbetrachtung der lung sein. Frage gehört, warum das Vertrauen in die Regierung bzw. (Hans Georg Wagner [SPD]: Weg mit dem in eine gesunde Politik nicht vorhanden ist. Es gibt so- Kindergeld!) wohl in Westdeutschland als auch in Ostdeutschland nach wie vor einen großen Vorbehalt – ich meine, zu Recht – Die Familien müssen wieder bereit sein, mehr Kinder zu gegen die PDS. haben, Kinder zu erziehen und sie für das Leben fit zu ma- (Uta Titze-Stecher [SPD]: Wie hängt das mit chen, um sie dann entsprechend ins Leben entlassen zu dem Haushalt zusammen?) können. Das bedarf unserer Unterstützung. Eine Bürgerrechtlerin hat einmal gesagt: Das ist die SED, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- die sich mit einem neuen Namen maskiert hat. – Das ist neten der FDP) eine gute Beschreibung. Darüber hinaus ist es wichtig, dass wir uns weiterhin (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei an gewisse Grundsätze halten. Es kann einfach nicht sein, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dass gleichgeschlechtliche Partnerschaften der Ehe und NEN – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: der Familie gleichgestellt werden. Das ist völlig undenk- Was ist mit Ihrer Block-CDU?) bar. Das kann in Zukunft nicht gut gehen. Wenn sich die Regierungspartei SPD mit der PDS in (Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der Mecklenburg-Vorpommern in ein Boot begibt SPD) (Hans Georg Wagner [SPD]: Und hier in Wir müssen uns auch gewisse Normen auferlegen. Wir Berlin Sie!) müssen uns wieder daran gewöhnen, gewisse Grundsätze sowie sich von ihr in Sachsen-Anhalt tolerieren lässt und im zwischenmenschlichen Zusammenleben, Grundsätze, wenn sie sich in Berlin auf unseriöse Weise an die Regie- die uns von Gott gegeben sind, einzuhalten. rung bringen lässt, dann denkt sich das deutsche Volk et- Zum Schluss meiner Ausführungen sage ich Ihnen: Wir was dabei. werden erleben, dass wir in dem Maße, in dem wir in un- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – serem Leben bereit sind, uns an diese Grundsätze zu hal- Lachen und Beifall bei der PDS) ten und sie zu praktizieren, eine gesegnete und gute 20368 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001

Manfred Carstens (Emstek) (A) Zukunft haben werden. Das wünsche ich Ihnen allen und hartes Stück Arbeit, für das wir sicherlich alle den Haus- (C) unserem ganzen Volk. hältern zu Dank verpflichtet sind. Schönen Dank für die Aufmerksamkeit. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Getrickst habt ihr, sonst nichts!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) Im überschaubaren Maße mussten wir Privatisierungs- erlöse einstellen. Nach vernünftiger Abwägung halten wir das für vertretbar; denn die Einhaltung der vorgesehenen Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile dem Kolle- GrenzefürdieNettokreditaufnahmeisteinwichtigesSignal gen Joachim Poß, SPD-Fraktion, das Wort. dafür, dass die Regierungsfraktionen, die Bundesregierung (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Jetzt und der Bundesfinanzminister in einer Situation Kurs hal- wird es endlich seriös! – Steffen Kampeter ten, die immer noch durch Unsicherheiten bei den Men- [CDU/CSU]: Es bleibt hier einem aber auch schen und in den wirtschaftlichen Prognosen geprägt ist. nichts erspart!) (Zuruf von der CDU/CSU: Kein Wunder bei der Politik!) Joachim Poß (SPD): Herr Präsident! Meine Damen Wer in den letzten Tagen und Wochen davon geredet und Herren! Herr Kollege Carstens, Sie sind jemand, den hat und dafür geworben hat, den Konsolidierungspfad ich persönlich wirklich achte. Sie haben in den letzten auch nur vorübergehend zu verlassen, Jahrzehnten versucht, insgesamt gesehen einen guten Bei- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das war der trag zur Finanzpolitik zu erbringen. Bundesfinanzminister!) (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: So weit der bedenkt eines nicht: Wie sollen die Menschen, die In- war es richtig! – Steffen Kampeter [CDU/ vestoren und Konsumenten wieder die nötige Zuversicht CSU]: Das war eine gute Rede, die Herr und Sicherheit bekommen, wenn selbst die verantwortli- Carstens vorgetragen hat!) che Politik keine verlässlichen Fixpunkte gibt? Weil Sie von Grundsätzen geredet haben, werden Sie mir (Beifall bei der SPD) die folgende Feststellung aber erlauben, Herr Kollege Carstens: Die Grundsätze einer geordneten Finanzpolitik Wir bieten diese Verlässlichkeit. wurden unter Ihrer Mitwirkung über Jahre missachtet. Wie nicht anders zu erwarten, hat die Opposition in der Dieses Urteil kann man Ihnen leider nicht ersparen. abgelaufenen Woche immer wieder versucht, unsere (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Spar- und Konsolidierungserfolge der letzten Jahre klein (B) (D) DIE GRÜNEN – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: zu reden. Das Argument musste ja wieder hervorgekramt (Zuruf von der CDU/CSU: Zu Recht! – Friedrich werden!) Merz [CDU/CSU]: Es gibt sie gar nicht!) Im Übrigen will ich sagen, dass Sie stellenweise mit Ihrer Aber ohne unser mittelfristig angelegtes Konsolidie- Rede Ihren Humor durchaus unter Beweis gestellt haben. rungspaket, das wir 1999 als Teil des Zukunftspro- gramms 2000 verabredet haben, (Heiterkeit bei der SPD und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) (Friedrich Merz [CDU/CSU]: Sprechblasen!) Am Ende der Haushaltsdebatte bleibt als wichtigste hätte das Niveau der Neuverschuldung des Bundes, Herr Feststellung: Die Koalition aus SPD und Bündnis 90/Die Kollege Carstens, das in der Endzeit der Regierung Grünen bleibt auf Kurs, Kohl/Waigel jährlich Spitzenwerte in Höhe von 60 Milli- arden bis 70 Milliarden DM erreicht hatte, auch noch nach (Zuruf von der CDU/CSU: Wohin? – Hans 1998 fortgeschrieben werden müssen. Davon sind wir Michelbach [CDU/CSU]: Kurs in den Kel- jetzt weit entfernt. Die Menschen wissen das. ler!) (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Franziska und das in wirtschaftlich schwieriger Zeit. Wir sind struk- Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- turell in die richtige Richtung vorangekommen. NEN] – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist (Lachen bei der CDU/CSU) doch Quatsch, was Sie da erzählen!) Das wurde in dieser Woche vom Bundesfinanzminister Für 2002 sind rund 42 Milliarden DM für die Neuver- und vom Bundeskanzler eindeutig unter Beweis gestellt. schuldung vorgesehen. Das sind jährlich mindestens 20 Milliarden DM weniger als zur Endzeit Ihrer Regie- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ rung. Im Gegensatz zu uns mussten Sie jedes Jahr bangen, DIE GRÜNEN – [CDU/ ob es Ihnen überhaupt gelingt, einen verfassungsmäßi- CSU]: 4 Millionen Arbeitslose!) gen Haushalt aufzustellen. Dieses Problem haben wir – selbst in der derzeit schwierigen konjunkturellen Situa- Das zeigt auch der Haushalt, der heute verabschiedet tion – nicht mehr. wird. Mit der Nettokreditaufnahme von 21,1 Milliar- den Euro bleiben wir trotz der konjunkturbedingten (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Franziska Mehrbelastungen, die in den Regierungsentwurf einzu- Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- arbeiten waren, im vorher geplanten Rahmen. Das war ein NEN]) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001 20369

Joachim Poß (A) Es ist reine Ablenkung, wenn Sie mit Ihrer Vergangen- wirklich nicht der Wahrnehmung und Überzeugung der (C) heit uns heute mangelnde Konsolidierungsbemühungen allermeisten Bürgerinnen und Bürger, dass Deutschland vorwerfen. Wer sich den gemeinsamen Grundtenor der das Sorgenhaus Europas ist. Oppositionsreden vor Augen hält, der erkennt deutlich das In Ihren Haushaltsreden versuchen Sie, der Regierung rein taktische Bemühen, die Bundesrepublik Deutschland die wirtschaftliche Schwäche in die Schuhe zu schieben. zum Sorgenkind Europas herunterzureden. Das soll wohl Ihr Hauptmotiv bei der Wahlkampfauseinandersetzung (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Wem denn werden. Das ist aber ein Versuch, der die Realität maßlos sonst? – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Der verzerrt darstellt. Bundeskanzler hat uns ja dazu aufgefordert!) (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Franziska Deshalb will ich hier noch einmal das neueste Gutachten Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- des Sachverständigenrates zitieren, das gerade einmal NEN]) zwei Wochen alt ist. Der Sachverständigenrat führt aus: Dieses Vorgehen ist zudem auch unverantwortlich; Eigene Berechnungen zeigen, dass allein die denn so lässt sich die nötige Zuversicht bei Investoren und Verlangsamung der wirtschaftlichen Expansion in Konsumenten nicht erreichen. den Vereinigten Staaten ... in diesem Jahr zu einem (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Franziska Rückgang der deutschen Zuwachsrate des Brutto- Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- inlandsprodukts von knapp einem Prozentpunkt NEN]) führt. Wer wünschte nicht, dass unsere Wachstumsraten im in- Ich füge hinzu – auch der Bundeskanzler hat das in seiner ternationalen Vergleich besser wären? Aber bei seriöser Rede angedeutet –: Dabei wurden die Sekundäreffekte Betrachtung sind die Gründe offenkundig: 40 Jahre SED- aufgrund des Rückgangs der Gewinne von US-Töchtern Herrschaft mit all ihren ökonomischen und sozialen deutscher Konzerne noch nicht berücksichtigt. Verwerfungen in Ostdeutschland können nicht in wenigen (Dr. Peter Struck [SPD]: Das ist wahr!) Jahren völlig aufgearbeitet werden. Ähnliches steht im Herbstgutachten der Wirtschafts- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) forschungsinstitute: Wir als Sozialdemokraten haben schon 1990 und in der Auslöser des konjunkturellen Abschwungs, der Folgezeit gesagt, dass das eine Generationenaufgabe ist. des vergangenes Jahres eingesetzt hatte, war der Hier liegt Ihre grundlegende Fehleinschätzung. Ölpreisschock; im Laufe dieses Jahres kamen zudem die bremsenden Wirkungen der im Vorjahr merklich (B) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (D) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) gestrafften Geldpolitik zum Tragen. Sie haben beim Aufbau Ost die Weichen falsch gestellt. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Schuld sind Auch darunter leiden wir noch heute. Damit haben wir immer nur die anderen!) noch zu tun. Zwei Komponenten machen uns Schwierig- Es geht noch weiter: keiten: zum einen natürlich die SED-Vergangenheit und zum anderen Ihre falsche Weichenstellung beim Aufbau Zunächst konzentrierte sich der Abschwung auf die Ost im Jahre 1990. Binnennachfrage. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Warum sind wir dann in Europa die Wachstumsbremse Es ist ein Teil der Argumentation Ihres beginnenden Nummer eins?) Wahlkampfes, dass Sie immer wieder behaupten, Deutschland sei das ökonomische Schlusslicht Europas Seit Beginn dieses Jahres wurde der Export von der und die SPD und die Grünen seien daran schuld. sich deutlich verschlechternden Weltkonjunktur er- fasst. (Walter Hirche [FDP]: Das ist Ihre Schuld! Alle sagen das!) Einem Land wie der Bundesrepublik Deutschland, das ökonomisch in außergewöhnlichem Umfang mit seinen Dabei unterschlagen Sie, wie es während Ihrer Regie- Nachbarn und anderen Industriestaaten der Welt ver- rungszeit war, – das werden wir Ihnen noch öfter sagen –: flochten ist, kann es nicht gut gehen, wenn es, was zurzeit 1996, 1997 und 1998 lag Deutschland – bezogen auf das der Fall ist, all seinen Partnern schlecht geht. Wachstum – am Ende der Reihenfolge in Europa. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Zuruf von der CDU/CSU: 2001 auch!) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf 1993, 1994 und 1995 stand sogar das ökonomisch ver- von der CDU/CSU: Wieso denn?) meintlich stärkere Westdeutschland – bezogen auf das Sowohl die USA als auch Japan und die Staaten der EU Wachstum – am Ende der Reihenfolge in Europa. – im Blick auf England und Frankreich brauchen Sie (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Ohne Infla- heute Morgen nur die Zeitung zu lesen – befinden sich tion!) zurzeit in konjunkturell schwierigem Fahrwasser. Auch wenn wir uns natürlich eine weitaus bessere wirt- ( [CDU/CSU]: Machen Sie schaftliche Entwicklung wünschen, entspricht es nun die anderen nicht schlecht!) 20370 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001

Joachim Poß (A) Dass es allen großen Wirtschaftsräumen zur gleichen Zeit die Umstellung, die Gewöhnung an und das sich verstär- (C) wirtschaftlich nicht gut geht, ist übrigens eine Konstella- kende Vertrauen in den Euro in den nächsten Monaten zu tion, die historisch fast einmalig ist. einer Verbesserung der wirtschaftlichen Stimmungslage führen. Auch dies ist konjunkturpolitisch bedeutsam. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Schuld sind immer die anderen!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Hinzu kommt, dass Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, durchgehend ausblenden, dass die wirt- Die Entwicklung der Sozialversicherungsbeiträge ist schaftlichen Rahmenbedingungen für eine Verbesserung unbefriedigend. Wir werden unser Ziel, den Gesamtsozi- unserer Lage derzeit in vielerlei Hinsicht so schlecht gar alversicherungsbeitrag im Laufe der Legislaturperiode nicht sind: auf unter 40 Prozent zu senken, aller Voraussicht nach nicht erreichen. (Friedrich Merz [CDU/CSU]: Wir sind schuld!) (Friedrich Merz [CDU/CSU]: Wie kommt das denn?) Erstens. Die Preissteigerungsrate geht spürbar zurück; insbesondere sind die Öl- und Benzinpreise im Jahres- Aber in konjunkturellen Schwächeperioden ist es nun ein- verlauf erheblich gesunken. mal so – das wissen Sie auch –, dass das Geld nicht nur bei den Steuereinnahmen, sondern auch bei den Beitrags- (Friedrich Merz [CDU/CSU]: Sie sinken be- einnahmen fehlt. stimmt wegen der Ökosteuer! Das ist wirklich Wodu-Ökonomie!) (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Dank Ihrer Politik ist das so!) Das Inflationsgespenst ist verjagt; wieder stabilisierte Preise lassen die Händler hoffnungsvoller auf das Weih- Wir alle haben gesehen und gespürt, wie schwierig die nachts- und das Frühjahrsgeschäft blicken. in diesem Jahr endgültig realisierte große Rentenstruktur- reform gewesen ist. Ich kann nur jedem raten, Reform- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist kein bemühungen in den anderen Sozialversicherungszweigen Poß, sondern eine Posse!) ähnlich behutsam und sorgsam anzugehen. Die Reform – Entschuldigen Sie mal. Sie haben wegen der Inflations- der Sozialversicherungssysteme ist eine gesellschaftspo- rate noch im April und Mai Aktuelle Stunden beantragt. litische Aufgabe ersten Ranges. So wichtig das für sich Haben Sie das schon wieder vergessen? Das Inflationsge- genommen ist, so kann aber die Senkung der Sozialabga- spenst ist verjagt. Sehen Sie sich die Entwicklung an! ben dabei nicht das alleinige Ziel der nötigen Reformen im Sozialbereich sein. Es geht auch um die Qualität Zweitens. Der Eurokurs – bezogen auf den Dollar – be- (B) unseres Sozialstaates. Möglicherweise unterscheidet uns (D) wegt sich nach wie vor – und wohl auch auf absehbare genau das. Auch darüber können wir im nächsten Jahr Zeit – auf einem Niveau, das den deutschen Export unter- streiten. stützt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: 25 Prozent des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Verlust für die Mark und den Euro, seit Sie dran sind!) Wenn Sie davon reden, dass die Sozialversicherungs- abgaben weiter gesenkt werden sollen, müssen Sie den Drittens. Die Europäische Zentralbank hat in diesem Bürgerinnen und Bürgern auch sagen, was dies bedeutet: Jahr die Leitzinsen deutlich auf zurzeit 3,25 Prozent re- Die von Ihnen geforderte Senkung des Beitrags zur duziert. Dadurch werden auf absehbare Zeit attraktive Fi- Arbeitslosenversicherung wäre nur dann möglich, wenn nanzierungsmöglichkeiten für Investoren und Konsumen- das Arbeitslosengeld und die anderen Lohnersatzleistun- ten sichergestellt. gen gekürzt würden oder wenn der Etat für die aktive Ar- Viertens. Ich gehe fest davon aus, dass auch in den jetzt beitsmarktpolitik, die wir nach wie vor dringend – vor al- anstehenden Tarifrunden die Tarifpartner einen Weg fin- lem in Ostdeutschland – brauchen, radikal beschnitten den werden, der die wirtschaftliche Entwicklung in würde oder wenn erhebliche Lasten aus dem Haushalt der Deutschland weiter befördert. Die Tarifparteien haben Bundesanstalt für Arbeit in den Bundeshaushalt hinüber- sich nämlich bisher immer verantwortungsbewusst ver- geschoben würden, welches zu einer stark nach oben stei- halten. Es gibt keinen Grund, daran zu zweifeln, dass dies genden Verschuldung des Bundes führen würde. auch weiterhin der Fall sein wird. Ich bin auf Ihre Wahlprogramme gespannt, insbeson- Fünftens. Alle Vorhersagen für die wirtschaftliche Ent- dere darauf, ob Sie den Bürgerinnen und Bürgern hierüber wicklung im kommenden Jahr gehen davon aus, dass es reinen Wein einschenken werden oder ob Sie auch wei- spätestens in der zweiten Jahreshälfte zu einer Wiederbe- terhin Ihre vermeintlichen Politikalternativen hinter lebung der Auftriebskräfte kommen wird. wohlfeilen Sprüchen verbergen werden. Die Wahrheit ist konkret; der können Sie nicht ausweichen. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das glaubt Ih- nen doch niemand! Erzählen Sie doch keinen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Unfug!) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Unabhängig von der Entwicklung in Amerika wird Zunächst einmal kann ich hier – auch in dem Papier nach meiner Überzeugung in Europa und in Deutschland „Neue Soziale Marktwirtschaft“ von Frau Merkel – nur Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001 20371

Joachim Poß (A) die Politik der Umverteilung von unten nach oben erken- liarden DM an Steuerentlastungen wirksam, davon (C) nen, die Sie 16 Jahre lang praktiziert haben. 5 Milliarden DM zusätzlich für Familien mit Kindern. Wir praktizieren nämlich Familienpolitik, Herr Kollege (Beifall bei der SPD – Steffen Kampeter Carstens, im Gegensatz zu dem, was Sie nur verbal dar- [CDU/CSU]: Selbst als Testamentsvollstrecker gestellt haben. taugen Sie nichts!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Ähnlich verhält es sich beim Rentenversicherungsbei- DIE GRÜNEN) trag. Auch hier müssen Sie den Bürgerinnen und Bürgern sagen, was es bedeutet, wenn der Rentenversicherungs- Das wird seine konjunkturellen Wirkungen nicht verfehlen. beitrag stärker als bisher zurückgehen soll. Sagen Sie den (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Im Portemon- Rentnerinnen und Rentnern, dass Sie das Rentenniveau naie merken die Menschen das nicht!) noch weiter senken wollen? Oder wollen Sie auch hier eine stärkere Finanzierung aus dem Bundeshaushalt, der bereits Außerdem haben wir im Baubereich eine halbe Milli- jetzt – mit steigender Tendenz – zu fast einem Drittel aus arde Euro an zusätzlichen Verpflichtungsermächtigungen Zahlungen an die Rentenversicherungsträger besteht? mit Fälligkeit 2003 in den Haushaltsberatungen ausge- bracht, sodass die entsprechenden Aufträge bereits nach (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Was Sie hier 2002 vorgezogen werden können. Also wird die Wirt- vortragen, ist eine wüste Mischung aus Dema- schaft auch im Baubereich anziehen. gogie und Unkenntnis! – Lachen des Abg. Ulrich Heinrich [FDP]) Sie fordern immer noch, die für 2003 und 2005 vorge- sehenen Entlastungsstufen unserer Steuerreform vorzu- Hier zeigt sich auch die ganze Widersprüchlichkeit Ih- ziehen. Es ist hier in der Debatte bereits gesagt worden: rer Forderungen: Die von Ihnen immer wieder ohne Ein- Erst haben Sie unsere Steuerreform beständig verteufelt, sicht geforderte Aussetzung der nächsten Ökosteuer- jetzt wollen Sie sie sogar vorziehen. Das ist doch grotesk. stufe würde mit Sicherheit eine Konsequenz haben: Sie würde nämlich den Rentenversicherungsbeitrag, den Sie (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ja eigentlich weiter senken wollen, bereits im nächsten DIE GRÜNEN – Hans Michelbach [CDU/ Jahr in die Höhe treiben. Wie passt das zusammen? Zeigt CSU]: Sie haben eine gute Reform blockiert!) das Regierungs- oder Politikfähigkeit? Der Sachverständigenrat hat ausgeführt, dass alles in (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ allem überzeugende ökonomische Gründe gegen Kon- DIE GRÜNEN – Friedrich Merz [CDU/CSU]: junkturprogramme in einem normalen Konjunkturzy- Bei Ihnen kommt beides: Ökosteuer und eine klus sprechen. (B) Erhöhung der Beiträge!) (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Konjunktur- (D) Wo ist also Ihr Konzept? Wo ist Ihre Alternative? Oder programme hat überhaupt keiner gefordert! Das anders formuliert: Wie hoch ist der Realitätsgehalt, wie ist dummes Zeug, was Sie erzählen!) hoch ist eigentlich der Grad an Verantwortbarkeit Ihrer Es gehe darum, stabile und verlässliche makroökonomi- auch in der abgelaufenen Woche wieder ohne Unterlass sche Rahmendaten als Voraussetzung für ein stärkeres Po- vorgebrachten vermeintlichen Verbesserungsvorschläge? tenzialwachstum zu schaffen. Das machen wir. Bei uns ist Sie bieten ein virtuelles Programm, das mit der finanzpoli- Politik wieder planbar geworden. tischen Realität in diesem Land überhaupt nichts zu tun hat. (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Bloß ist die des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Richtung falsch!) Stichwort Steuerpolitik: Wider besseres Wissen versu- Sie haben immer dann, wenn es zur Sache ging, zum Bei- chen Sie ständig, den Eindruck zu erwecken, in der Steu- spiel bei der Verbreiterung der Steuerbasis, dagegen ge- erpolitik bestünde konjunkturpolitischer Handlungsbe- stimmt. Sie waren immer die Meister der Schlupflöcher darf. und haben damit einen finanzierungsfähigen Staat immer (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Was denn mehr infrage gestellt. sonst? – Walter Hirche [FDP]: Struktureller (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Handlungsbedarf!) DIE GRÜNEN) Nicht bestreitbar ist doch, dass es bereits jetzt durch die Wer von Ihnen will angesichts der derzeitigen großen von uns durchgesetzten massiven Steuerentlastungen er- Unsicherheit über die zukünftige Entwicklung aus- hebliche konjunkturfördernde Impulse gibt und noch schließen, dass zusätzliche steuerliche Entlastungen geben wird. von den Bürgerinnen und Bürgern gar nicht konjunk- turfördernd verausgabt, sondern auf die hohe Kante ge- (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Keiner merkt legt würden? Schauen Sie sich die Zahlen in den USA es!) an. Die Sparquote ist dort von 1 Prozent auf 4,7 Pro- Beschlossene Steuergesetze wirken natürlich nicht nur im zent angestiegen. Auch dort stellt sich die Frage, ob das Jahr ihrer Einführung, sondern auch in den Folgejahren. von Bush auf den Weg gebrachte Steuersenkungs- Zum nächsten Jahr, also genau dann, wenn wir das kon- programm überhaupt etwas bewirkt. Damit bleibt fest- junkturell brauchen, werden zusätzlich sogar etwa 19 Mil- zuhalten: Es gibt eine große ökonomische Skepsis 20372 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001

Joachim Poß (A) gegenüber weiteren Steuerentlastungen in der jetzigen Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort (C) Situation, ohne dass wir über die Finanzierbarkeit sol- dem Kollegen Dr. Wolfgang Gerhardt, FDP-Fraktion. cher Steuerentlastungen bisher überhaupt geredet hätten. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Endlich ein- Wir haben in der Diskussionsrunde am Sonntag Herrn mal eine gute Rede!) Stoiber gehört. Er sprach davon, dass die öffentlichen Haushalte, insbesondere die der Länder, so ausgezehrt Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Herr Präsident! seien, dass sie ein Vorziehen der Steuerreform finanziell nicht verkraften könnten. Recht hat Herr Stoiber! Schaf- Meine Damen und Herren! Wir haben mehrere Tage aus- fen Sie in Ihren Köpfen und in Ihren Reihen gedankliche führlich debattiert. Die Lage und die Daten der deutschen Klarheit. Dann können Sie sich wieder in den politischen Volkswirtschaft haben sich dadurch nicht geändert: Die Wettbewerb begeben; denn bis heute haben Sie das wahr- Arbeitslosigkeit ist weiterhin hoch; die Zahl der neuen lich nicht geschafft. Arbeitsplätze ist ganz niedrig; die Teuerungsrate ist wei- terhin hoch; die Sozialversicherungsbeiträge sinken nicht, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sondern steigen eher – wie die Ökosteuer, die eigentlich des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) eingeführt wurde, um sie sinken zu lassen –; die steuerli- Unter Berücksichtigung der Ergebnisse der letzten che Belastung der Durchschnittseinkommen ist hoch. Steuerschätzung mit Mindereinnahmen von 20 Milliar- Selbst wenn Sie fünf Statistiken heranziehen: Wahr- den DM allein im Jahr 2002 ist der Spielraum noch klei- scheinlich liegen nur noch Belgien und Dänemark vor ner geworden. Es ist abwegig, davon auszugehen, dass die Deutschland. Die Belastung der Unternehmensgewinne Politik einfach einen Hebel umlegen kann und dann ist weiterhin hoch. Hier liegt nur noch Frankreich vor brummt die Wirtschaft. Arbeitnehmer und Gewerk- Deutschland. Wenn Sie so weitermachen, dann schaffen schaften, aber auch und vor allem die Unternehmer müs- Sie es, dass Deutschland auch noch diese Länder überholt sen sich ihrer gesamtwirtschaftlichen Verantwortung be- und bei den negativen Indikatoren an der Spitze der Bun- wusst sein. desliga liegt. Helfen Sie lieber mit, dass die Ihnen nahe stehenden Der Haushalt pfeift aus dem letzten Loch. Er sei auf Präsidenten und sonstigen Funktionäre der Wirtschafts- Kante genäht, sagt der Bundesfinanzminister. Er hat den verbände ihre Mitglieder überzeugen, die von uns ge- niedrigsten Investitionsanteil, den je ein Haushalt in der schaffenen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu nut- Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gehabt hat. zen, um in Deutschland endlich neue Arbeitsplätze zu (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) schaffen und nicht kurzfristig und fantasielos Arbeits- (B) plätze zu Tausenden abzubauen. Das wäre eine Aufgabe Einen Boom gibt es nur noch in der Schattenwirtschaft. (D) von Ihnen. Dann wären wir ein gutes Stück weiter. Das ist die Bilanz. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Kurzfristige Gewinnmaximierung ist keine Alternative Im Hinblick darauf trägt die Regierung immer wieder zur langfristigen Investitionsplanung im Interesse der – das hat auch der Kollege Poß getan – zwei Argumente Belegschaften und der Volkswirtschaft. Nicht alles kann vor: Daran seien – das ist wie im wirklichen Leben – die mit dem Schlagwort der Globalisierung gerechtfertigt Eltern schuld; werden. (Friedrich Merz [CDU/CSU]: Und die Opposi- (Hans Georg Wagner [SPD]: Sehr wahr!) tion!) Politische Opposition hat ihre Rolle und Funktion. Sie denn die hätten dem Nachwuchs kein ausreichendes Erbe darf allerdings nicht in die Rolle verfallen, aus reiner Wahl- hinterlassen. So lautet der Vorwurf an die ehemalige Re- taktik die Stimmung schlecht zu reden. In dieser Haus- gierung. Der Bundeskanzler bemüht sich in einer langen haltsdebatte haben Sie jedenfalls nicht gezeigt, dass Sie Rede, zu erklären, daran seien die weltwirtschaftlichen eine Gruppierung sind, die im nächsten Jahr in Deutschland Umstände schuld. Man müsse ein Stück auf die anderen Regierungsverantwortung übernehmen könnte. Ihnen fehlt Länder, vor allen Dingen auf die USA, hoffen. trotz vieler Worte in dieser Woche ein stringentes inhaltli- ches Konzept, das vor der Realität Bestand hat. Dazu sagt der Sachverständigenrat, der sowohl die Er- ben als auch die Erblasser immer kritisch beobachtet hat, (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Hanebüchen in seiner feinsinnigen Sprache, die aber ganz klar ist, Fol- ist das!) gendes: Die größte europäische Volkswirtschaft – ge- Bemühen Sie sich auch auf dem CDU-Parteitag um Kon- meint ist die in Deutschland – müsste die der anderen Län- zepte, lieber Kollege, um endlich in einen ernsthaften der eigentlich ziehen und dürfte gewissermaßen nicht von und verantwortlichen Wettbewerb mit uns eintreten zu außen geschoben werden. Sie – gemeint ist noch immer können. die Volkswirtschaft in Deutschland – dürfte in einer Phase der allgemeinen Konjunkturschwäche nicht stärker an Danke. Schwung verlieren als die Volkswirtschaften in den übri- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gen Mitgliedsländern. Weiter sagt der Sachverständigen- DIE GRÜNEN – Hans Michelbach [CDU/ rat: Das ist ein Befund, der Zweifel an der Effizienz der CSU]: Vorwärts Genossen, wir treten zurück!) für die wirtschaftlichen Entscheidungen maßgeblichen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001 20373

Dr. Wolfgang Gerhardt (A) Anreizsysteme hierzulande nahe legt. Das nenne ich auf Damit sagt die Bundesregierung den vielen Arbeits- (C) den Punkt gebracht. Darum geht es! losen, dass sie keine neue, ausreichende hoffnungs- volle Perspektive für den Eintritt in den regulären (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Arbeitsmarkt haben und dass Deutschland als po- Die Frage lautet nämlich – ich leite sie sinngemäß aus tenzieller Investitionsstandort nicht ausreichend in dem Gutachten des Sachverständigenrates ab –: Was der Lage ist, überholte Strukturen aufzubrechen und macht die Bundesregierung, die Mehrheit in diesem Hause seine Regelwerke neu auszurichten. eigentlich, um Menschen zu motivieren, Leistungen zu Sie können auf die Weltwirtschaft, auf die Vereinigten erbringen und sich neuen Aktivitäten zuzuwenden? Was Staaten und auf das Erbe verweisen; aber Sie können sich tut sie, um die Anreizsysteme, die falsch ausgerichtet sind, in dieser Woche nicht vier Tage lang darum herum- umzustellen? drücken, die Frage zu beantworten, was Sie denn tun (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Keinen Fin- wollen. ger krumm!) (Joachim Poß [SPD]: Sie auch nicht!) Der Sachverständigenrat und nicht die böse Opposition Das ist die Kernfrage an die Bundesregierung. antwortet Ihnen, den Erben, darauf Folgendes: Es war ein Fehler, dass die jetzige Bundesregierung glaubte, das we- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – nige an Deregulierung des Arbeitsmarktes, das die Zurufe von der SPD) Vorgängerregierung zustande gebracht hatte, auch noch Sie stehen jetzt vor einem Waterloo Ihrer Arbeits- rückgängig machen zu müssen. Damit ist alles gesagt. marktspolitik. Die Daten, die wir nun abfragen und die of- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) fensichtlich auch im nächsten Jahr nicht besser werden, führen wir als Opposition natürlich ein, weil jedermann Sie können also nicht mehr sagen: Wir sind die Erben, wir dies im parlamentarischen Schlagabtausch erwartet. Ei- sind an nichts schuld; die Eltern hätten uns – weil es uns gentlich kommen wir aber auch einem Wunsch des Bun- friert – Handschuhe schenken müssen. Sie müssen sich deskanzlers nach. Er hat uns ja aufgefordert, ihn genau da- schon fragen lassen, was Sie tun. ran zu messen. Er hatte wohl gedacht, er werde mit einem Der Bundeskanzler hat zwar lange geredet. Aber er hat Guthaben ins neue Jahr gehen. Er hat sich gründlich ver- genau die Fehler am vehementesten verteidigt, die ihm kalkuliert. Das werfen Sie aber bitte nicht der Opposition der Sachverständigenrat ankreidet. Der Bundeskanzler er- vor. Sie müssen sich an dem messen lassen, woran er klärt, dass er die Abschaffung der 630-Mark-Arbeits- sich – das ist vom Herrn Bundeskanzler in allen deut- verträge für richtig halte. Aber damit haben Sie, nur die schen Zeitungen gewünscht worden – messen lassen (B) Arbeitslosenstatistik geschönt und die Schwarzarbeit wollte. Wenn die Arbeitslosenzahl diese Entwicklung (D) ausgeweitet. nimmt, die wirtschaftlichen Daten so sind, wie sie sind, dann wäre die Opposition geradezu mit dem Klammer- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) beutel gepudert, Sie haben den Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit weiter (Hans Georg Wagner [SPD]: Das ist sie so- begründet. Sie haben damit die Einstellung von Frauen wieso!) behindert und dafür gesorgt, dass betriebliche Angelegen- heiten eher vor die Gerichte gebracht werden. wenn sie seinem Wunsch nicht nachkäme. Wir werden ihn daran messen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zuruf Sie haben das Betriebsverfassungsgesetz geändert. Sie von der SPD: Sie reden so viel mies, dass die Si- haben die Mitbestimmung der Gewerkschaften ausgewei- tuation schlechter wird!) tet sowie die Selbstbestimmung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Betrieben zurückgedrängt. Sie In der Haushaltsdebatte hat sich der Bundeskanzler in haben ein Gesetz gegen Scheinselbstständigkeit erlassen. bemerkenswerter Weise geäußert: Die Steuerpraxis sei Das alles haben Sie trotz der Kritik des Sachverständi- nicht so, wie die Opposition es darstelle, wenn sie darauf genrates durchgesetzt. Damit haben Sie genau die Moti- hinweise, dass der Mittelstand in Deutschland ungerecht vationsanreize zurückgedrängt, die der Sachverständi- behandelt werde. Mit etwas Kreativität und guter Bera- genrat für die größte Volkswirtschaft in Europa anmahnt. tung (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Walter Hirche (FDP): Aha!) Sie haben jetzt die Absicht – das sagt der Sachverstän- könne man in der Steuergestaltung die Ungerechtigkeit digenrat auch –, ein weiteres Gesetz hinzuzufügen. Der im Hinblick auf die kleineren und mittleren Betriebe Bundeskanzler hat der IG BAU zugesagt, ein Vergabege- schon beseitigen. Allenfalls wolle er mit sich darüber re- setz vorzulegen. Der Sachverständigenrat hält das für eine den lassen, dass bei großen mittelständischen Unterneh- Fortsetzung der Fehlentwicklung: men im Vergleich zu Körperschaften und Kapitalgesell- schaften ein Problem bestehe. (Widerspruch bei der SPD) Dazu hat er lange Ausführungen gemacht. Das verteuert die Arbeit, das erhöht die Baupreise, das zö- gert strukturelle Anpassungen hinaus und das diskrimi- (Friedrich Merz [CDU/CSU]: Ein Seminar ge- niert die Anbieter aus Ostdeutschland. Der Rat sagt: halten!) 20374 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001

Dr. Wolfgang Gerhardt (A) Er ist aber an dem Kern des Problems gründlich vorbei- brauchen, sofern ich die Buschtrommeln, die in den letz- (C) gegangen. ten Tagen zu hören waren, richtig verstehe. Das ist noch nicht an seinem Ende angekommen. (Joachim Poß [SPD]: Das machen Sie mit Ih- rer Rede! Sie verfehlen den Kern!) (Zuruf von der SPD: Sind Sie jetzt auch für Urwaldfragen zuständig?) – Herr Poß, es geht dabei nicht um die Steuergestaltung in der Praxis, auch nicht um die Unternehmen, ob kleine In der Wirtschaftspolitik hoffen Sie nun auf Amerika, oder große, und nicht um die Besänftigung der kleinen mit das Sie mit den Vokabeln „McJob“ und „Hire and Fire“ den Freibeträgen bei der Gewerbesteuer. Im Kern geht es genüsslich heruntergeredet haben. um die Unternehmenskultur in Deutschland. Das hat er (Walter Hirche [FDP]: Genau so war es!) gar nicht begriffen. Jetzt ist das die große Hoffnung von Rot-Grün. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Diese Unternehmenskultur, so schrieb Paul Kirchhof der CDU/CSU) gestern in der „FAZ“, ist der strukturelle Vorteil der Bun- desrepublik Deutschland. Dies ist besonders in einer Zeit Dazu sagt der Sachverständigenrat Folgendes, was ich von Bedeutung, in der flüchtige Aktienmärkte uns im Hin- Ihnen abschließend zitieren will: blick auf die soziale Sicherheit der Menschen dazu he- Es ist nicht angebracht, rausfordern müssten, – das sagt der Sachverständigenrat, nicht die böse Oppo- (Joachim Poß [SPD]: Deswegen stärken wir ja sition – den Mittelstand!) bei einer schwachen eigenen wirtschaftlichen Ent- die Personengesellschaften in der Bundesrepublik wicklung sich mit dem Hinweis auf andere damit ab- Deutschland zu stabilisieren und nicht diejenigen zu be- zufinden und zu warten, bis die weltwirtschaftliche strafen, die sich in Form einer Personengesellschaft zu Konjunktur, namentlich die Wirtschaftsentwicklung Großunternehmen entwickeln und damit zu stabilen in den Vereinigten Staaten, wieder in Schwung Wettbewerbern der Körperschaften und Kapitalgesell- kommt. Das hieße nämlich, vor den eigenen Proble- schaften werden. men zu kapitulieren und darauf zu setzen, dass an- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) dere Länder eher in der Lage sind, ihre Aufgaben zu erledigen, und dass die deutsche Volkswirtschaft nur Der Bundeskanzler – er ist nicht da; Sie werden es ihm gleichsam als stiller Teilhaber der anderswo erzielten übermitteln – verrät in diesem Punkt die Neue Mitte, die wirtschaftspolitischen Erfolge gesehen wird. (B) er bei der letzten Bundestagswahl gebeten hat, ihm die (D) Stimme zu geben. Der Sachverständigenrat fügt einen weiteren Satz hinzu: (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wir kommen um die Notwendigkeit nicht herum, die eigenen wirtschaftlichen Antriebskräfte zu mobili- Damit trifft Rot-Grün gesellschaftspolitisch den Wachs- sieren. Deutschland ist nicht ein Land, das damit tumsmotor der Bundesrepublik Deutschland. überfordert sein sollte. (Zuruf von der SPD: Das Traurige ist ja, dass Deutschland ist damit auch nicht überfordert, aber Rot- er das, was er sagt, wirklich glaubt!) Grün anscheinend komplett. Rot-Grün bestraft Risikobereitschaft bei denen, die per- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) sönlich bereit sind, etwas in Deutschland zu riskieren. Meine Damen und Herren, Sie haben es in vier Jahren Die Bundesregierung hat in diesen zwei Kernpunkten geschafft, Antriebskräfte in Deutschland zu verbrauchen der übermäßigen Regulierung des Arbeitsmarktes und der und zu beschädigen. Vernachlässigung der Personengesellschaften die größten Fehler gemacht, die sie machen konnte. Deshalb soll sie (Zurufe von der SPD: Drei!) sich nicht in Ausreden über das Erbe flüchten. Rot-Grün – Für das letzte Jahr dieser Wahlperiode sehe ich keinen hat in dieser Legislaturperiode die größte Verramschung Aufschwung in Ihrer Geisteshaltung oder in den wirt- des Erbes von vorgenommen. schaftlichen Daten voraus. Dieses Jahr kann ich vorweg- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) nehmen. Das wird ein verlorenes Jahr sein. Auf dem Gebiet der Außenpolitik durften wir erleben, Sie haben die Antriebskräfte in Deutschland gründlich demotiviert. Sie haben jede Bereitschaft zur eigenen An- dass die Bundesregierung eine Vertrauensfrage brauchte, strengung, zum eigenen Risiko in Mitleidenschaft gezo- um einen der Kernbestandteile der erfolgreichen Nach- gen. Sie haben Flexibilität zugeschüttet. Sie haben kriegsentwicklung der Bundesrepublik Deutschland, die Deutschland eingekerkert, aber sich selbst auch mit in die schlichte Bündnisfähigkeit, zu stabilisieren. Zelle gesperrt. Jetzt haben Sie nur noch die zwei Mög- (Zuruf von der FDP: Richtig!) lichkeiten, die Sie immer nennen: ruhige Hand und run- der Tisch. Die Grünen haben das jetzt auf einem Parteitag abgeseg- net. Ich sage hier voraus: Sie werden noch eine gewaltige (Hans Georg Wagner [SPD]: Von welchem Interpretationsbandbreite für ihren Parteitagsbeschluss Deutschland reden Sie überhaupt?) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001 20375

Dr. Wolfgang Gerhardt (A) Das ist für die Freie Demokratische Partei zu wenig. – Ihr Wehgeschrei zeigt, dass ich den richtigen Punkt er- (C) Deshalb bitten wir den Wähler, wischt habe. – Wir haben einen Haushalt vorgelegt, der (Hans Georg Wagner [SPD]: Wovon reden Sie schwer zu fahren ist, weil er knapp ist. Trotzdem gestal- denn?) ten wir die Zukunft, und zwar schon seit drei bis vier Jah- ren erfolgreich gemeinsam in dieser Koalition. Sie ist in dieser Politik im nächsten Herbst ein Ende zu bereiten – ihrer Finanzpolitik erfolgreich. demokratisch, aber überzeugend. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Hans und bei der SPD) Georg Wagner [SPD]: In welchem Land leben Sie eigentlich?) Wir haben die ökologische Modernisierung vorange- trieben. Es gibt eine Energiewende. Energieforschung, Markteinführung erneuerbarer Energien, Biomasse, die Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile der Kolle- Mittel für all das wurden aufgestockt. gin Antje Hermenau, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. (Walter Hirche [FDP]: Der Bundeswirtschafts- Antje Hermenau (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): minister hat seinen Teil dazu gesagt!) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich Das liegt stringent auf einer Linie. Das ist eine klare Stra- mich gleich diesen großen intellektuellen Herausforde- tegie. rungen von Oppositionsseite stellen werde, möchte ich als Erstes den Mitarbeitern des Sekretariats des Haushalts- Wir haben eine Agrarwende begonnen. Inzwischen ausschusses danken. gibt es gesündere Lebensmittel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Lachen bei der CDU/CSU – Dietrich und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Austermann [CDU/CSU]: Vor allem im Paul- CDU/CSU) Löbe-Haus!) Sie haben dieselben Nachtschichten geschoben wie wir, bis Artgerechte Tierhaltung wird sich durchsetzen. Die Mit- früh um vier die Anträge der Opposition kopiert, was sie tel für Verbraucherschutz sind gestiegen. Auch das ist auch nicht besser machte, aber immerhin dazu führte, dass wichtig für die Leute im Land. sie vollzählig vorlagen, und sie in die Fächer einsortiert. Wir konnten um neun ordentlich beraten. In der diesjährigen Es wird eine Verkehrswende geben. Aus dem ZIP- Haushaltsberatung verdankt der Haushaltsausschuss den Programm, dem Zukunftsinvestitionsprogramm, das wir Mitarbeitern sehr viel. Das muss auch gesagt werden. vor zwei Jahren aufgelegt haben, ist von 2,6 Milliarden (B) Euro eine ganze Milliarde, also ein wirklich großer Be- (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN trag, in Investitionen in die Schiene gegangen. Das ist Zu- und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der kunft! Das ist ökologische Modernisierung der Gesell- PDS) schaft! Jetzt will ich mich dieser intellektuellen Herausforde- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN rung widmen. Herr Gerhardt, wenn Sie hier behaupten, wir beklagten uns darüber, Sie hätten kein ordentliches und bei der SPD) Erbe hinterlassen, so muss angemerkt werden, dass Sie Wir haben den Begriff der Nachhaltigkeit aus der mindestens 30 Jahre mitregiert haben und insofern auch Ökologie auf die anderen gesellschaftlichen und politi- für das, was Sie hinterlassen haben, zuständig sind. schen Bereiche übertragen. Es gibt inzwischen auch De- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) batten über eine nachhaltige Finanzpolitik. Mir hätte es schon genügt, wenn Sie uns keine so (Beifall bei Abgeordneten der SPD) großen Schulden hinterlassen hätten. Von Ihrer Erbschaft Die ist durch den Wechsel von Finanzminister Lafontaine will ich gar nichts haben. zu Finanzminister Eichel plastisch geworden. Die Koali- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) tion hat darin in harter Arbeit ihre gemeinsamen Projekte definiert. Das war weder für die Sozialdemokraten noch Mir nützte es schon, wenn ich als junger Mensch meine Zukunft selbst gestalten könnte. Das geht aber gar nicht, für die Bündnisgrünen leicht. weil ich auf Jahre dazu verdammt bin, mit meinen Steu- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ergeldern Ihre Schulden abzutragen. sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Wir sagen: Wir wollen die Gesellschaft modernisieren. SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf Denken Sie zum Beispiel an die Fragen der Zuwanderung von der CDU/CSU: Und das aus dem Munde ei- und der Integration! Es wird mehr Geld für eine bessere nes Kindes der Wiedervereinigung! Unglaub- Integration und für verstärkte Sprachförderung geben. lich!) Denken Sie daran, dass Familienförderung betrieben Wir wollen Zukunft gestalten. wird! Wir haben einmal 300 DM Kindergeld versprochen. Das kommt nächstes Jahr. Das ist eine Punktlandung! (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Ohne uns wür- den Sie gar nicht hier stehen! Dann wären Sie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN noch hinter Stacheldraht!) und bei der SPD) 20376 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001

Antje Hermenau (A) Sehen Sie sich den Haushalt für Bildung und For- Bundesanstalt für Arbeit um 2 Milliarden Euro zu er- (C) schung an! Der ist um mehr als 15 Prozent gestiegen. Das höhen. BAföG ist dabei schon herausgerechnet. (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Nein, nein, Wenn Sie sich das einmal angucken, dann stellen Sie fest: kein Zuschuss an die BA! – Steffen Kampeter Das ist eine klare, stringente, kohärente Politik, auf we- [CDU/CSU]: Das ist falsch!) nige wichtige Investitionen in die Zukunft konzentriert, und an allen anderen Stellen wird intelligent gespart. Ich kann mich noch an Blüms Wahlkampf-ABM erinnern. Wissen Sie noch, wie das im letzten Wahljahr, als Sie ab- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- gewählt worden sind, gewesen ist? Da hat Herr Blüm SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) noch erzählt: Jetzt kommen noch einmal ganz viele ABM Ich frage mich immer, wie Sie das alles gemacht hätten. auf den Markt. – Die haben dann für vier Monate gehal- ten – gerade bis einen Monat nach der Wahl! Solchen Ver- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Besser!) suchungen sind Sie wieder erlegen. Wir sind es nicht. Wir – Genau der Versuchung sind Sie erlegen. Sie von der sind solchen Versuchungen nicht erlegen. CDU/CSU haben Änderungsanträge mit einem Volumen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN von mehr als 35 Milliarden Euro eingebracht. Das haben und bei der SPD) Sie als ordentliche Haushaltspolitik zu suggerieren ver- sucht. Dabei hätten Sie auf die Ökosteuer verzichtet. Da Dieser Haushalt wird im Wahljahr Prüfstein für unsere hätten Ihnen schon einmal 15 bis 16 Milliarden gefehlt, Vorschläge zur Modernisierung dieser Gesellschaft sein mindestens, wenn nicht noch mehr! Sie haben gesagt, Sie müssen. Wir haben dazugelernt, übrigens sehr schmerz- wollten die Steuerreform vorziehen. Zusätzlich zu all haft. Daher kommt genau die Häme, die Sie in der ganzen Ihren Änderungsanträgen wäre das ein Volumen gewesen, Woche verbreiten. Natürlich freut Sie das. Sie sind ja we- das überhaupt nicht darstellbar gewesen wäre! Wahr- gen derselben Probleme, mit denen auch wir konfrontiert scheinlich – da folge ich einmal Ihrer alten Programma- sind – das ist ganz klar; wir leben im selben Land –, ab- tik – hätten Sie dann die Mehrwertsteuer auf 20 Prozent gewählt worden. angehoben (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Deswegen wer- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den auch Sie abgewählt und das ist gut so!) und bei der SPD) Aber Sie haben nichts dazugelernt. Wir lernen dazu. Un- oder hätten allen Deutschen die Grundrente verordnet; sere Lernprozesse regen Sie auf. denn anders hätten Sie das nicht finanzieren können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) (D) und bei der SPD) Das ärgert Sie am meisten. Daher kommt Ihre Häme. Wir Da Sie nicht die Traute gehabt hätten – so denke ich je- sind in der Lage, uns in die Regierungsrolle hineinzufin- denfalls –, die Mehrwertsteuer auf 20 Prozent anzuheben den, oder die Grundrente in Deutschland einzuführen, muss ich davon ausgehen, dass Ihre sämtlichen Erhöhungsan- (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie machen träge Popanz sind und überhaupt nichts taugen. doch die Rolle rückwärts!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN während Sie eine schlechtere Opposition machen, als wir und bei der SPD) sie früher gemacht haben. Damit lassen Sie sich hier blicken! Ich kann ein paar Beispiele bringen. Es gibt zum Bei- spiel einen Antrag, 600 Millionen Euro mehr in den (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Straßenbau zu investieren. Ich erinnere mich noch an SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) Wissmanns Spatenstiche. Wissen Sie noch, wie er damals im Wahlkampf durch die Gegend gezogen ist und die Spa- Sie haben die Änderungsanträge der Bündnisgrünen tenstiche gemacht hat? zum Haushalt aus Oppositionszeiten bestimmt noch in Er- innerung. Sie werden sich erinnern, dass die alle gedeckt (Zuruf von der SPD: Aber nur die Spatensti- waren. Da gab es keine illusorischen Angelegenheiten wie che! – Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Da Ihre komischen Vorstellungen: Steuerreform vorziehen, wurde noch gebaut!) auf die Ökosteuer verzichten, Einfrieren der Grundrente, Danach war das Geld alle. Alles sollte natürlich privat fi- Erhöhung der Mehrwertsteuer und alles irgendwann noch nanziert werden und nichts hat geklappt. So ist das damals einmal. gelaufen! (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Danke (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- fürs Zitat!) SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) Was Sie hier vorgelegt haben, ist Quatsch. Ich weiß nicht, So machen Sie das wieder. Sie haben nichts dazuge- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Dass Sie lernt. Sie machen wieder dieselben Fehler, die Sie schon nichts wissen, wissen wir jetzt auch!) vor vier Jahren gemacht haben. Sie kommen mit einem Antrag, den Verteidigungshaushalt um 1,4 Milliarden aber wenn ich an denke, über den in Euro zu erhöhen, mit einem Antrag, den Zuschuss an die dieser Woche mehrmals gesprochen worden ist – mit Res- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001 20377

Antje Hermenau (A) pekt natürlich, das ist klar –, glaube ich, Herr Stoltenberg Das ist es, was Sie wurmt. Herr Carstens hat Sie heute hier (C) hätte Ihnen diesen Mist nicht durchgehen lassen. vertreten, meine Damen und Herren von der Union. Der hat hier doch im Prinzip einen Rückblick in die Ge- (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Wir wol- schichte abgeliefert. len Oswald Metzger hören!) (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie glauben Herr Stoltenberg hätte Sie bei diesem Wirrwarr, den Sie doch selbst nicht, was Sie da vortragen!) hier als Haushaltsberatung vorzulegen gewagt haben, ins Gebet genommen. Sie haben Ihre Kompetenz auf dem Sie glauben, damit könnten Sie jüngere Menschen in die- Gebiet völlig verloren. sem Land dafür interessieren, was Sie finanzpolitisch eventuell noch anzubieten hätten. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Wie ich schon sagte: Häme steht Ihnen gut zu Gesicht. Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Herr Metzger (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wir wollen hätte das Zeug, was man ihr aufgeschrieben hat, jetzt nicht über Ästhetik reden!) hier gar nicht vorgetragen!) Das ist offensichtlich das Einzige, was Sie im Moment Der Wechsel von Stoltenberg zu Waigel erfolgte ein drauf haben. Mehr kommt nicht. Ich erinnere mich an das halbes Jahr vor der Wende; deswegen kann man sich mit letzte tolle schwarz-gelbe Konjunktur-Ankurbelungspro- den Kosten der deutschen Einheit nicht herausreden. gramm, die Sonder-AfA, mit dem die Baubranche im (Zustimmung der Abg. Uta Titze-Stecher Osten künstlich hoch geschraubt wurde. [SPD]) (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie schrauben Damals haben Sie in Ihrer Finanzpolitik umgesteuert und lediglich an den Pleiten!) den Pfad der stoltenbergschen Tugend verlassen. So ist es Es gab geborgte Arbeitsplätze in der Baubranche, diese doch gewesen, und zwar ein halbes Jahr vor der Wieder- geborgten Arbeitsplätze wurden aus Steuerverzicht finan- vereinigung. Kommen Sie mir nicht mit den Kosten der ziert und der Boom ist trotzdem nicht von Dauer gewesen. deutschen Einheit. Ich kann es nicht mehr hören. Wir hingegen haben mühsam Gelder in Marktanreizpro- (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Nein, wir kom- gramme für erneuerbare Energien gesteckt. men Ihnen nicht! – Hans Michelbach (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Bei Ihrer Rede [CDU/CSU]: Das haben Sie doch noch nie ge- vergeht ja sogar dem Finanzminister das glaubt!) Lächeln! – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Bei (B) In Wirklichkeit hat es etwas damit zu tun, dass Sie vor der der Rede braucht er gar nicht zuzuhören!) (D) Bundestagswahl 1990 Muffensausen hatten und deshalb Dort entstehen neue zukunftsfeste Arbeitsplätze, ganz im Ihre Finanzpolitik ganz massiv geändert haben. So ist das Gegensatz zu Ihrer durch Steuerersparnis erkauften Kon- gelaufen! junktur. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dietrich Austermann und bei der SPD) [CDU/CSU]: Laut ist noch nicht gut!) Weil Sie der Meinung sind, wir hätten die Staats- Schwarz-Gelb hat von 1994 bis 1998 23,4 Prozent mehr ausgaben davongaloppieren lassen: Man kann sie ja neue Schulden gemacht. Rot-Grün hat in den letzten vier durchaus einmal mit der waigelschen mittelfristigen Jahren nicht einmal halb so viel Schulden gemacht, selbst Finanzplanung vergleichen. Das müssen wir nicht wenn man UMTS herausrechnet. Wenn wir auch zugeben, scheuen. Die läge nämlich maximal 1 bis 2 Milliar- dass wir die UMTS-Gelder zur Schuldentilgung genutzt den Euro unter dem, was wir anzubieten haben. Aber die haben, haben wir eigentlich sogar nur 5 Prozent mehr waigelsche Planung wäre ohne Ökosteuer – da hätten neue Schulden gemacht im Vergleich zu den 23,4 Prozent, Sie schon ein Problem –, sie wäre ohne Zukunftsinves- die Sie in Ihrer letzten Legislaturperiode abgeliefert titionen, sie wäre mit 20 Prozent Mehrwertsteuer und haben. sie wäre mit einer Grundrente und einem Rentenversi- (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Wir wollen cherungsbeitrag von wahrscheinlich immer noch unge- Metzger hören, bevor der Metzger zur GEBB fähr 20 Prozent. geht!) Ich weiß doch noch, Wir haben die Trendumkehr eingeleitet. Wir haben Ihr (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie wissen gar Erbe, Herr Gerhardt, gar nicht angetreten, wir haben es nichts, das dokumentieren Sie hier nun wortge- ausgeschlagen. Wir machen etwas anderes. Wir werden waltig!) diese Neuverschuldung herunterfahren. Es tut weh, es ist nicht leicht, es gibt Probleme, es ist diskussionswürdig, wie Norbert Blüm damals in den Haushaltsausschuss ge- aber es ist ehrlich und es ist zukunftsweisend. kommen ist und mit einer Träne im Knopfloch meinte, jetzt müssten wir uns langsam auf 21 Prozent Rentenver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sicherungsbeitrag zubewegen. Erinnern Sie sich doch ein- und bei der SPD) mal an Ihren eigenen Minister. Er saß dort und sagte mit 20378 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001

Antje Hermenau (A) einer Träne im Knopfloch: Tut mir Leid, Leute, 21 Pro- Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort (C) zent, irgendwie lässt es sich nicht vermeiden. Das war dem Kollegen Uwe-Jens Rössel, PDS-Fraktion. doch keine Zukunftsentwicklung. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wir sind doch Dr. Uwe-Jens Rössel (PDS): Herr Präsident! Liebe hier nicht auf der Bauernbühne!) Kolleginnen und Kollegen! Es ist mir ein Bedürfnis, Wir stabilisieren den Rentenversicherungsbeitrag, und zunächst den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Se- wir stabilisieren ihn nicht dadurch, dass es nur eine Grund- kretariats des Haushaltsausschusses für ihre stets hilfsbe- rente für alle gibt. Das ist doch der entscheidende Punkt, reite, engagierte und umsichtige Arbeit den Dank meiner der uns gelungen ist. Fraktion auszusprechen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der PDS, der SPD und dem und bei der SPD) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie werden wahrscheinlich nicht müde werden, immer Dank sagen möchte ich auch ausdrücklich den Kolle- wieder zu behaupten, Sie könnten die Steuerreform vor- ginnen und Kollegen des Bundesrechnungshofs. Ihre Ar- ziehen. Dazu haben Sie auch geistreiche Vorschläge. Ich beit genießt bei uns hohe Wertschätzung. Sie ist für unser kann Ihnen nur sagen: Wenn Ihre eigene große Füh- parlamentarisches Wirken unverzichtbar. rungspersönlichkeit Stoiber schon den Rückzug angetre- ten hat, weil ihm das Ganze nicht mehr ganz geheuer ist (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten und er merkt, dass das Eis bricht, auf das Sie sich da schlit- der SPD) ternd wagen, kann ich mir eigentlich jede weitere Bemer- Wenn jetzt Bilanz der viertägigen Haushaltsberatungen kung zu dem Schnulli-Vorschlag ersparen. gezogen wird, wäre vieles zu sagen. Der politische Kommen wir dann zu einem Vergleich, der ganz ein- Schlagabtausch in der Haushaltsdebatte – dafür gibt es be- fach zu begreifen ist: Alle Deutschen waren im letzten reits heute viele Beispiele – zwischen der rot-grünen Ko- Jahr sehr bewegt von der Entwicklung der Fußball-Natio- alition und der Vorgängerkoalition verläuft aber in weiten nalmannschaft. Das kann ich gut verstehen. Da ist genau Teilen auf einem erschreckend niedrigen Niveau. dasselbe passiert wie bei Ihnen. Dort gab es die gleiche (Beifall bei der PDS) Nichtlernfähigkeit, die Sie hier auch dokumentiert haben, in den letzten Jahren und in dieser Haushaltsberatung wie- Von Kultur im Meinungsstreit kann hier wohl nicht ge- der. Da hat man sich in der Fußballnationalmannschaft auf sprochen werden. seinen Lorbeeren und dem vergangenen Ruhm ausgeruht. (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sie meinen die Dann hat man in einem Dritte-Klasse-Spiel mörderisch letzte Rede?) (B) verloren. Anschließend hat man die nationale Krise aus- (D) gerufen. So ist das gelaufen. Das erste Paradebeispiel lieferte Kollege Carstens. So ähnlich ist Ihre Haushaltspolitik. Nachhaltigkeit be- Seine Rede strotzte nur so vor Peinlichkeiten und ideolo- ginnt nämlich mit Vorausdenken. Man fängt beizeiten an, gischen Ausfällen. an die Zukunft zu denken. Man investiert in junge Spieler (Beifall bei der PDS – Dietrich Austermann und man bemüht sich, Angebote zu machen, die auch [CDU/CSU]: Was?) wirklich tragen. Aber Sie haben nichts dazugelernt. Sie haben Herrn Stoltenberg verachtet. Sie haben zum Bei- Kollege Carstens, wüsste ich nicht, dass Sie Mitglied des spiel Männer wie Kohl oder Waigel, die für den Maas- Haushaltsausschusses des Bundestags sind, so müsste ich tricht-Vertrag verhandelt haben, der Ihnen in Ihrer Fi- sagen, Sie waren ein bestellter Gastredner. nanzpolitik einmal so wichtig war, an die Wand laufen (Beifall bei der PDS – Dietrich Austermann lassen. [CDU/CSU]: Das war eine Beleidigung!) (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Wie sieht Sie, Kollegin Antje Hermenau, kommen offensichtlich es denn aus mit den Maastricht-Kriterien? Da – zu diesem Schluss komme ich nicht nur aufgrund Ihrer wäre ich doch ganz vorsichtig!) Wortwahl, sondern auch aufgrund der Ergebnisse, die Sie Ihnen scheint es doch wohl egal zu sein, ob die Nettokre- hier vorgetragen haben – vom Kongress der Weißwäscher. ditaufnahme, die Neuverschuldung steigt. (Beifall bei der PDS) (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das ist auch Ihre letzte Haushaltsrede!) Die Bürgerinnen und Bürger im Land, Kollege Carstens, Kollegin Hermenau, wollen von der Politik und Dabei müsste es Ihnen doch eigentlich richtig weh tun. damit von uns Bundestagsabgeordneten doch vor allem Kohl und Waigel haben für Sie in Verhandlungen eine wissen, mit welchen Konzepten die anhaltend hohe stringente Finanzpolitik in Europa durchgesetzt, aber Sie Arbeitslosigkeit abgebaut werden kann. Sie wollen vor tun hier so, als wäre es völlig egal, ob die Neuverschul- allem wissen, wann endlich mehr soziale Gerechtigkeit dung steigt oder nicht. Sie sprechen von einer nationalen in dieses Land einzieht und die Renten auch für die künf- Krise. Wir haben keine nationale Krise, sondern Sie ha- tigen Generationen wirklich sicher sind. ben eine Wahlkampfkrise; das ist Ihr Problem. (Lothar Mark [SPD]: Daran arbeiten wir!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dietrich Austermann [CDU/ Sie wollen wissen, wie Bildung und Forschung nachhal- CSU]: Krise am Pult!) tiger gefördert und die Gesundheitsfürsorge bezahlbar ge- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001 20379

Dr. Uwe-Jens Rössel (A) halten werden kann. Besonders darauf muss der vorge- Länder und Kommunen leiden teilweise spürbar unter der (C) legte Haushalt Antwort geben. Haushaltskonsolidierungspolitik der Bundesregierung. (Beifall bei der PDS – Lothar Mark [SPD]: (Beifall bei der PDS) Die gaben wir!) Das aber ist keine wahre Konsolidierung der öffentlichen Angesichts der entsetzlichen Terroranschläge vom Haushalte. Minister Eichel, Sie wissen genau, dass Sie 11. September und deren Folgen, Kollege Mark, plagt im- damit aber immer mehr an die von der Europäischen mer mehr Menschen die Sorge um die Erhaltung des Union vorgegebene Obergrenze für die Nettoverschul- Friedens. Die PDS-Fraktion bekräftigt von hier aus ihre dung herankommen. Forderung, den Krieg in Afghanistan sofort einzustellen Die Kommunen könnten vor allem von einer Reform und seine Ausdehnung auf andere Regionen zu verhin- der Kommunalfinanzierung profitieren. Die Koalition dern. hatte das 1998 versprochen. Das Gegenteil aber ist einge- (Beifall bei der PDS – Hans Georg Wagner treten. Der Grundsatz „Der Bund bestellt und die [SPD]: Das haben Sie 1980 auch schon gefor- Kommunen zahlen“ wird auch unter Finanzminister dert!) Eichel praktiziert. Wir hatten erwartet, dass das „Theo-Waigel-Credo“ endlich zu Grabe getragen ist. – Bitte nicht die alten Kamellen, Kollege Wagner! (Beifall bei der PDS – Lothar Mark [SPD]: Zum Etat 2002. Trotz manch unterstützenswerter So ist es!) Einzelvorhaben und Projekte, die in den Bundesetat ein- gestellt sind – ich nenne die Anhebung der langfristigen Leere Kassen der Kommunen jedoch bedeuten weni- Finanzierungsverpflichtungen des Bundes für die Städte- ger Zuschüsse für Behindertenverbände und soziale Ver- bauförderung West; ich nenne die Bundeskulturförde- eine. Ferner bedeuten sie Schließung von Jugend- und rung –, wird der Haushalt insgesamt den Herausforderun- Freizeiteinrichtungen und weniger Geld für den Breiten- gen der Zukunft nur unzureichend gerecht. sport. All das sind Fragen, die die Menschen bewegen. Auch das muss der Finanzminister im Blick haben. Er (Beifall bei der PDS) darf die Konsolidierung nicht auf die Bundesebene be- Die soziale Schieflage in der Gesellschaft wird mit dem grenzen. Etat 2002 unter Rot-Grün nicht abgebaut; sie nimmt sogar (Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Hat er fest zu. im Blick!) (Dr. Klaus Grehn [PDS]: Das ist wahr!) In diesem Zusammenhang bekräftigt die PDS-Fraktion (B) Finanzminister Eichel ist wegen der dramatisch ihre Forderung, dass vor allem den finanziell arg gebeu- (D) zurückgegangenen Steuereinnahmen und der unabwend- telten Kommunen in Ostdeutschland und in verschiede- baren Einstellung von Mehrausgaben für die Arbeits- nen Regionen in Westdeutschland schnelle Hilfe zuteil marktpolitik schon heilfroh, dass er die Eckdaten seiner werden muss. Regierungsvorlage vom Juni dieses Jahres halbwegs über (Beifall bei der PDS) die Haushaltsberatungen bringen konnte. Auf Kante genäht sei der Haushalt und enthalte keinen Spiel- Die Verankerung einer Investitionspauschale des Bun- raum – das ist der Originalton des Finanzministers. des, wie wir sie vom Grundsatz her schon in zwei Jahren hatten, ist dringend geboten, um mehr Beschäftigung zu Dazu ist noch zu sagen, dass die Punktlandung bei der erreichen und die Selbstverwaltung der Kommunen zu er- Neuverschuldung in Höhe von 21,1 Milliarden Euro nur möglichen. dadurch möglich geworden ist, dass in diesen Haushalt – sprichwörtlich fünf vor zwölf – massive Privatisie- (Dr. Konstanze Wegner [SPD]: Dem Bund geht rungserlöse eingestellt wurden. Wäre das nicht passiert, es am schlechtesten, lieber Kollege Rössel!) läge die Neuverschuldung im nächsten Jahr bereits über Im Hinblick auf Beschäftigungsförderung und Be- dem Ansatz von 2001. Finanzminister Eichel wäre es da- schäftigungssicherung erwarten wir von der Bundesregie- durch aber in der Öffentlichkeit sehr schwer gefallen, sei- rung eine wirkliche Umkehr. Mittel für innovative Maß- nen Kurs der Haushaltskonsolidierung weiterhin glaub- nahmen müssen in den Haushalt eingestellt werden. Dazu haft zu machen. gehört auch der Einstieg in den öffentlich geförderten Be- Während der Bund dank umfangreicher Privatisie- schäftigungssektor. Meine Fraktion hat dazu schon vor rungserlöse Möglichkeiten hat, die Aufnahme neuer längerer Zeit konkrete Vorschläge auf den Tisch des Ho- Schulden zu begrenzen, verfügen Länder und Kommunen hen Hauses gelegt. über derartige Chancen in aller Regel nicht mehr. Die (Beifall bei der PDS – Antje Hermenau Länder und Kommunen werden in diesem Jahr neue [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie Schulden in einem Umfang von 88 Milliarden DM auf- schon einmal in den Sand gesetzt!) nehmen. Zum Vergleich: Im Vorjahr waren es noch 65,3 Milliarden DM. Die Haushaltskonsolidierung des 2 000 zusätzliche Arbeitsvermittler, die die Bundesre- gierung einstellen will, nützen wenig, wenn es keine ent- Bundes ist offensichtlich nicht mit Blick auf die Länder sprechenden Arbeitsplatzangebote der Unternehmen gibt. und Kommunen vollzogen worden. Zudem ist völlig unklar – meine Kollegin Luft hat es ges- (Beifall bei der PDS) tern dargelegt –, wie diese zusätzlichen Vermittler bezahlt 20380 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001

Dr. Uwe-Jens Rössel (A) werden sollen. Offenbar geht deren Finanzierung wieder Wir sind nun am Ende der Haushaltsberatungen ange- (C) zulasten arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen. Das aber langt, sodass wir Bilanz ziehen können. wäre kontraproduktiv. Da Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, (Beifall bei der PDS) die Regierung kritisieren, Auch dazu muss der Finanzminister etwas sagen. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Mit Recht!) Mit der Vergabe von Mitteln ist die Bundesregierung was Ihr gutes Recht ist, werden Sie es sich gefallen lassen ausgesprochen knauserig, wenn es darum geht, diejenigen müssen, dass wir auch Bilanz ziehen und zwischen Ihrer Soldaten und Zivilbeschäftigten der und der Regierungstätigkeit – das ist ja noch nicht so lange her – Nationalen Volksarmee zu entschädigen, die aufgrund ih- und dem, was wir in vier Jahren erreicht haben, verglei- rer Tätigkeit als Radartechniker gesundheitlich schwer chen. Dabei sind auch Ihre Vorschläge zu berücksichti- geschädigt sind. Mit den Stimmen der Regierungskoali- gen, was man in diesem Land anders machen sollte. tion und der CDU/CSU – Letzteres sage ich ganz aus- drücklich – wurde am Mittwoch ein entsprechender An- Ich möchte heute zunächst Bilanz ziehen und zwischen trag der PDS-Fraktion in namentlicher Abstimmung dem letzten Haushalt der vorigen Wahlperiode, nach dem abgelehnt. Wir forderten darin die rasche Auszahlung er- Sie die Regierungsverantwortung abgeben mussten, weil forderlicher Fürsorgeleistungen sowie Schadensersatz die Bevölkerung Sie nicht wieder gewählt hat, und Schmerzensgeldzahlungen. (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Damit ha- (Beifall bei der PDS) ben Sie ja Erfahrung!) Allein der Verzicht auf einen einzigen Eurofighter hätte und dem letzten Haushalt dieser Wahlperiode, den wir ausgereicht, um die Entschädigungsleistungen schon im heute verabschieden, vergleichen. Wie sieht das Ergebnis Haushalt 2002 zu finanzieren. aus? Erstens. Sie haben in der letzten Wahlperiode drei Präsident Wolfgang Thierse: Kollege Rössel, Sie Jahre lang verfassungswidrige Haushalte vollzogen und müssen zum Schluss kommen. deren Verfassungswidrigkeit durch riesige Privatisie- rungserlöse überdeckt. Dr. Uwe-Jens Rössel (PDS): Ich komme zum (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist doch Schluss, Herr Präsident. unwahr! – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Was machen Sie denn?) In den viertägigen Haushaltsberatungen lagen insge- (B) samt 31 Änderungs- und Entschließungsanträge meiner Wir haben in der Zeit zwischen dem Haushalt 1998 und (D) Fraktion für die Abstimmung vor. Sie umfassen sowohl dem Haushalt 2002 einen Konsolidierungsfortschritt in Verbesserungen auf der Einnahmeseite als auch Ein- Höhe von 30 Milliarden DM erreicht. Das ist das Mar- sparungen. Zum Vergleich: Die FDP stellte 24 entspre- kenzeichen dieser Wahlperiode. chende Anträge, die CDU/CSU 18. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Die PDS-Fraktion – das ist mein letzter Satz – wird den DIE GRÜNEN) Entwurf des Bundeshaushaltes ablehnen. Zweitens. In diesem Haushalt betragen die Steuermin- (Hans Georg Wagner [SPD]: Was? dereinnahmen durch die Steuerreform über 25 Milliar- Unglaublich!) den Euro. Er gibt überwiegend unzureichende Antworten, Kollege (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Wachstums- Wagner, auf die Zukunftsfragen, die den Menschen in der einbruch!) Bundesrepublik Deutschland unter den Nägeln brennen. Ich ziehe Bilanz: Am Anfang dieser Wahlperiode lag Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. das Kindergeld – das haben wir von Ihnen übernommen – (Beifall bei der PDS) bei 220 DM; nach den Beschlüssen, die bereits gefasst sind, wird es jetzt 300 DM betragen. Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile dem Bun- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ desminister Hans Eichel das Wort. DIE GRÜNEN) Für eine vierköpfige Familie bedeutet das netto 1 920 DM Hans Eichel, Bundesminister der Finanzen (von der mehr im Jahr an Kindergeld. Für eine Verkäuferin als SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit Beifall Ernährerin der Familie kommt dies einem 13. Monatsge- begrüßt): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen halt gleich. Damit haben wir die verfassungswidrig hohe und Herren! Dies ist Besteuerung der Familien, die Sie zu verantworten hatten, beendet. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ihre letzte Rede!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Steffen Kampeter [CDU/ die letzte Haushaltsdebatte in dieser Wahlperiode. CSU]: Das ist doch unwahr! Und das wissen (Beifall bei der CDU/CSU) Sie!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001 20381

Bundesminister Hans Eichel (A) Wir haben von Ihnen ein steuerfreies Existenzmini- Wir haben die Ausgaben für die Forschung wieder (C) mum in Höhe von 13 200 DM übernommen. Bereits jetzt hochgefahren, die Sie in den gesamten 90er-Jahren zu- beträgt es 14 100 DM. Im Zuge der Steuerreform werden rückgefahren haben. Eine Schande ist die Tatsache, dass wir es noch bis auf 15 000 DM anheben. Damit ist die am Ende Ihrer Regierungszeit 300 000 Studentinnen und Besteuerung der Niedrigverdiener bei uns im Vergleich Studenten weniger BAföG bekommen konnten. Hier ha- zu den anderen Ländern der Europäischen Union am ben Sie Investitionen in die Zukunft unterlassen. Wer günstigsten. nicht in die Köpfe der jungen Menschen investiert, ver- sündigt sich an der Zukunft unseres Landes. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Steffen Kampeter [CDU/ (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ CSU]: Sie sind die Wachstumsbremse! Sie sind DIE GRÜNEN) ein unglaublicher Schönredner!) Dagegen haben wir unsere Konsolidierungspolitik ge- stellt: Wir haben eine BAföG-Reform durchgeführt, die Wir haben von Ihnen einen Eingangssteuersatz in Höhe Schritt für Schritt dazu führt – es kann nicht in ein oder von 25,9 Prozent übernommen. Sie haben Sie es in den zwei Jahren alles ausgebügelt werden, was Sie in 16 Jah- 16 Jahren Ihrer Regierungstätigkeit nicht geschafft, hier ren versäumt haben –, dass die jungen Leute wieder un- etwas Nennenswertes zu bewegen. Jetzt liegt er bereits bei abhängig vom Geldbeutel der Eltern studieren können. 19,9 Prozent. Das sind wir den jungen Leuten und der Zukunft unseres Das alles heißt: Wir haben eine massive Entlastung der Landes schuldig. Bezieher niedriger Einkommen vorgenommen. (Hans Michelbach [CDU/CSU]: In die eine Ta- Ich komme nun zum Mittelstand. Ihre Lügen sche gegeben, aus der anderen genommen!) (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Na, na, Herr Die Bildung ist nämlich der wichtigste Produktionsfaktor, den wir haben. Darin, was in den Köpfen unserer jungen Minister!) Leute ist, liegt unsere Zukunft. werden spätestens bei den Steuererklärungen, die jetzt an- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ stehen, sichtbar, weil dann jedem Betriebsinhaber klar DIE GRÜNEN) wird: Wir haben die Gewerbesteuer, über die die Einzel- händler und die Handwerksmeister seit 50 Jahren geklagt Sie haben Investitionen in die Zukunft unterlassen. haben, als Kostenfaktor beseitigt. Sie haben das, während Jetzt spreche ich über die Beschäftigung: Ja, wir Sie die Bundesrepublik Deutschland regierten, nie ge- wären gerne weiter vorangekommen. Wer wäre das schafft. (B) nicht? Die Bilanz ist aber, dass es jetzt 1 Million Be- (D) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ schäftigte mehr als am Ende Ihrer Regierungszeit gibt. DIE GRÜNEN) (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Durch Tricks Wenn Sie vom Mittelstand reden und ihn mit den Kapi- und Täuschen!) talgesellschaften vergleichen, haben Sie ganz offenkun- Damit haben wir das aufgeholt, was Sie in den 90er-Jah- dig nur noch die ganz großen Einzelunternehmer im ren versäumt hatten, und noch mehr erreicht. Wenn wir Blick, auch nicht das erreicht haben, was wir wollten, so werden wir dennoch, wenn die Konjunkturkrise im kommenden (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Der Kanzler!) Februar ihren Höhepunkt erreicht hat, die als Verheiratete mehr als 480 000 DM verdienen, denn (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Auf dem Ar- nur diese ganz kleine Gruppe muss eventuell mehr Steu- beitsmarkt ist wohl alles in Ordnung, nicht?) ern bezahlen als die Körperschaften. 500 000 bis 600 000 Arbeitslose weniger haben, als Sie (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Die stellt aber die uns 1998 hinterlassen haben. Hälfte der Arbeitsplätze! – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Die beschäftigen 50 Prozent der Ar- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Steffen beitnehmer!) Kampeter [CDU/CSU]: Unglaubliche Schönre- Das gilt auch nur für den einbehaltenen Gewinn, denn derei!) beim ausgeschütteten Gewinn sind Körperschaften immer Es wird, wie Professor Zimmermann gestern Abend zu schlechter gestellt als die Personengesellschaften. Recht gesagt hat, das erste Mal nach dem Krieg sein, dass (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie müssen es in Deutschland nach einer Konjunkturkrise keine höhere bei den Arbeitnehmern anfangen!) Arbeitslosigkeit gibt, sondern eine deutlich niedrigere. Ihre ganze Propaganda bricht zusammen, wenn man die (Friedrich Merz [CDU/CSU]: Mal ganz lang- Steuererklärungen zugrunde legt. sam mit Ihren Prognosen!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Das zeigt, dass wir mit unserer Politik auf dem richtigen DIE GRÜNEN – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Wege sind. Das glaube ich nicht! – Hans Michelbach [CDU/ (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten CSU]: Der Mittelstand ist begeistert!) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Steffen 20382 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001

Bundesminister Hans Eichel (A) Kampeter [CDU/CSU]: Nehmen Sie den Mund lichkeit am Sonntagabend zum großen Entsetzen der Frau (C) nicht so voll!) Merkel auch das noch vom Felde gezogen. Wir haben außerdem – wir werden das ja gleich noch (Friedrich Merz [CDU/CSU]: Sie wissen, dass diskutieren – langfristig die Grundlagen für den weiteren das falsch ist, was Sie da sagen, Herr Eichel!) Aufbau Ost gelegt, damit in Deutschland in einer Genera- Als dann Frau Merkel am Mittwoch hier gegen den Bun- tion zusammenwachsen kann, was in der Tat zusammen- deskanzler antreten sollte, ist das Wort vom Vorziehen der gehört. Steuerreform überhaupt nicht mehr vorgekommen. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Der Etat ist so (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ auf Sand gebaut wie Ihre Rede heute!) DIE GRÜNEN) – Sie sind ja schon wieder so unruhig. Das muss Ihnen ja Das Kernstück Ihrer Alternativen – weg, einfach weg! irgendwie Probleme machen; das ist jedenfalls mein Ein- druck. (Friedrich Merz [CDU/CSU]: Unfug!) (Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das müssen ge- Dafür wird es allerdings auf dem Bundesparteitag in rade Sie sagen! – Hans Michelbach [CDU/ Dresden wieder ausgepackt. Da wird dann mal eben eine CSU]: Sie sind der Zappelhans!) Steuerreform beschlossen, die zur glatten Halbierung der Einkommen- und Körperschaftsteuer führt. Mit anderen Worten: Ihre Bilanz nach vier Jahren war jämmerlich und Sie sind zu Recht abgewählt worden; un- (Friedrich Merz [CDU/CSU]: Bei der Körper- sere Bilanz ist gegenüber dem, was Sie uns hinterlassen schaftsteuer können Sie nichts mehr halbieren! haben, ein riesiger Fortschritt. Dieser Vergleich muss ein- Die ist sowieso weg!) fach einmal angestellt werden. Wer soll denn so etwas überhaupt noch ernst nehmen? (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN) Es ist gar keine Frage, dass wir heute in einer schwie- Arbeit, um dieses Land voranzubringen, verlangt mehr. rigen ökonomischen Situation sind. Sie verlangt vor allem Solidität und Seriosität. Wer solche (Jürgen Koppelin [FDP]: Dank eurer Politik!) Vorschläge nicht macht, kann nicht ernst genommen werden. – Dank unserer Politik? Das müsste dann ja für die ganze (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Welt gelten: Wir sind also auch an den Rezessionen in Ja- DIE GRÜNEN – Steffen Kampeter [CDU/ (B) pan und den Vereinigten Staaten schuld. Das übernehmen (D) CSU]: Das ist eine Wahlkampfrede und keine wir dann gleich noch alles mit, das macht dann ja auch gar Haushaltsrede, die Sie vortragen!) keinen Unterschied mehr. Damit bin ich beim Haushalt 2002. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Reden Sie doch einmal vom Inland, von der Binnenkon- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Na endlich!) junktur, dem Arbeitsmarkt, den Sozialversiche- – Ich habe die Bilanz eben schon einmal gebracht. rungssystemen!) (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie haben Nein, die wichtigste Frage in dieser Situation ist doch, wie keine Perspektiven!) Ihre Vorschläge aussehen und was wir machen wollen. Die Ausführungen, die Frau Merkel in dieser Woche dazu Es gefällt Ihnen nicht, wenn ich über Ihre Zeit rede. Das gemacht hat, waren übrigens jämmerlich. kann ich verstehen. (Friedrich Merz [CDU/CSU]: Sie haben nur (Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das reicht als die Opposition beschimpft, Herr Eichel!) Entschuldigung nicht mehr, Herr Eichel!) Ihr Vorschlagsreigen begann im August mit der For- Wenn ich ein solches Erbe hinterlassen hätte, würde ich derung nach einem großen Zehn-Punkte-Sofortpro- auch nicht gerne haben, wenn andere darüber reden. Das gramm. Da wurde zum Beispiel gefordert, die gesamte ist wahr. Steuerreform von 2003 und 2005 auf 2002 vorzuziehen. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Eine schwa- Das hätte mal so eben läppische 60 Milliarden DM ge- che Vorstellung, Herr Minister!) kostet, die man oben draufpacken müsste. An Maas- tricht denkt in diesem Zusammenhang ja keiner. Allein Übrigens, Herr Brüderle ist auch wieder nicht da. Das der Rückzieher in diesem Punkte war ja bemerkens- ist eine spannende Veranstaltung: Die Finanzämter neh- wert: men nicht Gelder ein, um Staatsaufgaben zu finanzieren; die Finanzämter verteilen Schecks. – Meine Damen und (Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ Herren, so etwas können Sie wirklich nur als Weihnachts- DIE GRÜNEN]: Genau!) mann irgendjemandem erzählen, aber nicht in einer seriö- sen Finanzdebatte. Etwas später sollte nicht mehr die Steuerreform 2005, sondern nur noch die Steuerreform 2003 vorgezogen wer- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ den. Dann hat der Herr Stoiber vor versammelter Öffent- DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001 20383

Bundesminister Hans Eichel (A) Der Haushalt 2002 ist in der Tat viel schwieriger als Wir haben trotzdem – das ist nun das Entscheidende – in (C) 2001. 2001 haben wir es trotz 2 Prozent weniger Wirt- diesem Haushalt eine Fülle von Maßnahmen, die helfen, schaftswachstum, als bei der Aufstellung des Haushalts das Wachstum zu stimulieren, und zwar nicht, weil wir unterstellt – – glaubten, wir könnten die Konjunktur steuern, sondern (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Tricksen! weil wir den Haushalt systematisch auf Zukunftsfähigkeit Umverteilen!) hin umbauen. – Wir werden noch den Abschluss sehen. Dann haben Sie (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Nur Wortbla- wieder Pech gehabt. sen!) Herr Austermann, bis Februar sagten Sie, ich müsse Erstens. 19 Milliarden DM an Steuerentlastungen aus Nachtragshaushalte aufstellen, weil ich das Geld ver- der ersten Stufe der Steuerreform plus Kindergeld plus steckt hätte; ich müsse es endlich einmal offen legen. weitere Entlastungen im Zusammenhang mit dem Nicht- Nach dem Februar war es umgekehrt: Ich müsse einen einsetzen der neuen AfA-Tabellen: Das sind fast 0,5 Pro- Nachtragshaushalt machen, weil ich riesige Löcher habe; zent des Bruttoinlandsprodukts. Mehr macht kein anderes ich müsse hierher kommen und mir neue Kreditermäch- Land in der Europäischen Union, um an dieser Stelle für tigungen holen. – Mit all dem haben Sie Pech gehabt, Wachstum zu sorgen. Herr Austermann. Das eine hat nicht gestimmt und das Zweitens. Die Zusatzinvestitionen aufgrund der andere hat nicht gestimmt. Zinsersparnisse, die wir durch den Schuldenabbau wegen (Hans Georg Wagner [SPD]: Bei denen stimmt der UMTS-Versteigerungserlöse haben, greifen jetzt rich- nie was!) tig. Wir werden trotz 2 Prozent weniger Wachstum den Haus- (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Es eilt halt 2001 ziemlich dort abschließen, wo wir ihn vorge- aber auf dem Arbeitsmarkt!) schlagen haben. Das ist eine gewaltige Leistung. Übrigens hat Herr Mehdorn mich angerufen und gesagt, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ es tue ihm sehr Leid, was Herr Austermann da gesagt DIE GRÜNEN – Dietrich Austermann [CDU/ habe; es gebe überhaupt kein Problem zwischen der Bahn CSU]: „Ziemlich“? Was heißt „ziemlich“?) und der Bundesregierung, das Geld werde auch komplett ausgegeben. – Das will ich noch einmal sagen, damit Sie Wahr ist: nicht mit Ihrer Brunnenvergiftung davonkommen. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Dass Sie am (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Ende sind!) DIE GRÜNEN) (B) Bei dieser Wirtschaftsentwicklung, die keiner vorausge- (D) sehen hat, ist der Haushalt 2002 mit dem Einhalten der Wir haben im Haushalt das neue Programm „Stadtum- weiteren Absenkung der Nettoneuverschuldung in der bau Ost“. Wir haben – das ist langfristig sichere Politik – Tat auf Kante genäht. Es hat überhaupt keinen Zweck in diesem Jahr – wir werden darüber anschließend disku- – der Finanzminister tut das am allerwenigsten –, um tieren und auch entscheiden – mit dem Solidarpakt II die diesen Sachverhalt auch nur einen Moment herumzure- Grundlagen für einen langfristigen Aufbau im Osten ge- den. Deswegen habe ich – das „Handelsblatt“ hat völlig legt. Etwas Wichtigeres kann es in dieser Periode über- Recht – auch Alternativszenarien durchrechnen lassen: haupt nicht geben. Die gesamte Konsolidierungspolitik Was bedeutet es, wenn, wie Sie behaupten, das Wirt- hatte den Sinn, die Leistungsfähigkeit unseres Staates schaftswachstum noch etwas niedriger ausfällt? auch in Zukunft zu gewährleisten. (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Steuer- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ erhöhungen!) DIE GRÜNEN) Übrigens kommen in den letzten Tagen wieder ganz an- Das ist natürlich nicht das Ende der Reform. Wir haben dere, positivere Nachrichten herein. Die neuesten Nach- einen Konsolidierungskurs eingeleitet und Jahr für Jahr richten waren die der OECD und des Instituts der deut- konsequent durchgehalten. Sie sollten sich daran gewöh- schen Wirtschaft. Die kommen zu anderen Ergebnissen. nen, dass das eine Dauerveranstaltung ist und dass dieser Die gehen nämlich wieder hoch: von 0,7 auf 1 Prozent. Kurs nicht nur für zwei Jahre gedacht war. Das werden wir am Jahresende sehen. Wir haben alle (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des Hände voll zu tun, diesen Kurs der Konsolidierung zu hal- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Steffen ten. Aber mit Ihren Vorschlägen, meine Damen und Her- Kampeter [CDU/CSU]: Nein, nächstes Jahr ist ren, ist überhaupt kein Staat zu machen, sondern das ge- Schluss!) naue Gegenteil. Wir haben eine Steuerreform, die sich über zwei Wahl- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ perioden erstreckt, verabschiedet. Die wird auch eisern DIE GRÜNEN – Steffen Kampeter [CDU/ durchgehalten. CSU]: Sagen Sie mal was zum Haushalt!) (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Bis zum Wir halten den Kurs. Sankt Nimmerleinstag!) (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr souverän Wir haben eine Rentenreform durchgesetzt, die sich die wirken Sie heute nicht, Herr Bundesminister!) anderen großen Staaten auf dem europäischen Kontinent, 20384 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001

Bundesminister Hans Eichel (A) wie die Europäische Kommission sagt, zum Vorbild neh- Diese Arbeit werden wir fortsetzen. Daran werden Sie (C) men sollten. Denn sie haben die Bewältigung dieser Auf- von der Opposition uns nicht hindern. Natürlich haben gabe noch vor sich. wir Schwierigkeiten. Aber Sie malen alles schwarz in Weitere Aufgaben liegen vor uns. Das Job-Aqtiv-Ge- schwarz. Die „Zeit“ hat Recht: Kassandra muss nicht setz beinhaltet eine große Vermittlungsinitiative. Recht haben. – Sie werden übrigens noch erleben: Nicht Kassandra wird gewählt, sondern nur der, der eine Zu- (Friedrich Merz [CDU/CSU]: Wo ist der Ar- kunftsperspektive bietet. Das sollten Sie sich einmal mer- beitsminister? Warum ist er heute Morgen ken! schon wieder nicht hier? – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Der Kanzler blickt müde drein (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten und der Arbeitsminister ist nicht da!) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Offiziell sind immerhin mehr als 400 000 Arbeitsplätze Wir reden um nichts herum. Es ist ein fundamentaler frei. Da kann man einen Teil tun. Fehler, die positiven Signale, die es gibt, zu verschwei- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Der Arbeits- gen. Das werden Ihnen die Menschen nicht abnehmen. minister ist aber nicht in seinem Job aktiv!) Denn die Wirtschaftspolitik ist zur Hälfte Psychologie. Herr Riester hat darauf hingewiesen, dass die Wirtschaft (Lachen bei der CDU/CSU – Steffen Kampeter sagt, es gebe 1,5 Millionen freie Arbeitsplätze. Dazu kann [CDU/CSU]: Sehr richtig! – Friedrich Merz ich nur sagen: Die Wirtschaft soll sie melden. Wir tun al- [CDU/CSU]: Wo ist der Wirtschaftsminister?) les dafür, dass die freien Arbeitsplätze und die Menschen, Zu dieser Psychologie gehört, dass man das Positive, die keinen Job haben, zusammenkommen. Das ist der das es gibt, nicht unterschlägt: Sinn des Job-Aqtiv-Gesetzes. Erstens. Der Ölpreis – das ist der große Unterschied im (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Vergleich zur Situation vor einem Jahr – ist ein eigenes des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Konjunkturprogramm, eine gewaltige Entlastung der Pri- Die Gesundheitsreform wird der nächste Schritt sein. vathaushalte und der Wirtschaft in Deutschland. Bei allem Ärger, den es an dieser Stelle gibt: Wir sind die erste Regierung, in deren Wahlperiode die Lohnneben- (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie sind die kosten sinken. personifizierte Konjunkturvernichtung!) (Friedrich Merz [CDU/CSU]: Bitte? – Hans Zweitens. Die Inflationsrate ist so niedrig wie schon Michelbach [CDU/CSU]: Wo leben Sie lange nicht mehr. Der Verbraucherpreisindex liegt bereits bei 1,4 Prozent. Die Europäische Zentralbank hat, weil (B) denn? – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das (D) gibt es doch nicht!) wir konsequent Kurs halten, die Zinsen gesenkt. Deswe- gen sind die Finanzierungskosten historisch niedrig. Der Als wir die Regierung übernommen haben, lagen die Haushalt 2002 gibt eine Menge Anstöße für das nächste Lohnnebenkosten bei 42,1 Prozent und der Rentenversi- Jahr. cherungsbeitrag bei 20,3 Prozent. Herr Merz, Sie kennen sich in der Wirklichkeit dieses Landes überhaupt nicht (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Anstößig ist mehr aus! Ihre Politik! – Dietrich Austermann [CDU/ (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ CSU]: Anstößiger Haushalt!) DIE GRÜNEN – Hans Michelbach [CDU/ Die Menschen – dabei ist es nicht die Frage, ob ich das CSU]: Was steht in Ihrer Koalitionsvereinba- gesagt habe oder nicht – nehmen diese Entwicklung wahr. rung? 40 Prozent!) Im Oktober dieses Jahres gab es in der Automobilindus- Wir werden die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe trie ein Absatzplus von 9,6 Prozent, einen richtigen Zulas- zusammenführen. Wir sind die Gemeindefinanzreform sungsboom. Freuen Sie sich doch wenigstens darüber! angegangen und haben zu einer Verstetigung der Finanzen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten beigetragen. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das ist doch Das heißt, die Menschen haben ein Stück mehr Vertrauen keine Märchenstunde!) in die Zukunft. Schauen Sie sich doch einmal die Finanzentwicklung an: Die Gewerbesteuer ist von 1995 bis 2000 auf mehr als Zum Schluss sage ich Ihnen: Wenn das alles, was Sie 40 Prozent gestiegen. Dann ist sie auf einem – allerdings hier erzählt haben, wahr wäre, wie kommt es dann ei- hohen – Niveau eingebrochen, während alle anderen Ge- gentlich zu folgenden Umfrageergebnissen? bietskörperschaften in diesem Zeitraum bei den Einnah- (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Jetzt hat er men einen Zuwachs von 12 Prozent zu verzeichnen hat- wieder in seinem Zettelkasten gekramt!) ten. Sie sollten einmal die Fakten zur Kenntnis nehmen. Das sage ich vor allem den Damen und Herren von der Diese Woche wurde den Menschen die einfache Frage ge- verehrten PDS. stellt: Wem traut ihr zu, dass er mit den Problemen dieses Landes am besten fertig wird? – Antwort: Für die SPD ha- (Zurufe von der PDS: Oh! – Friedrich Merz ben sich 33 Prozent entschieden. [CDU/CSU]: Das sind doch Ihre Koalitions- partner!) (Zurufe von der CDU/CSU: Mehr nicht?) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001 20385

Bundesminister Hans Eichel (A) – Vorsicht, nicht lachen! Gleich können Sie lachen. – Für Das ist eine schwierige Lage. (C) die CDU/CSU haben sich 13 Prozent entschieden. (Zurufe von der SPD: Ah!) (Beifall bei der SPD) Aber wir sind übereinstimmend mit vier der fünf For- Daran erkennen Sie: Sie leben in einer Scheinwelt, was schungsinstitute der Auffassung: Es wäre richtig, wenigs- sowohl die Wirklichkeit in diesem Land als auch was die tens die Stufe des Jahres 2003 auf das Jahr 2002 so vor- Wahrnehmung Ihrer Kompetenzen angeht. Nur ganze zuziehen, 13 Prozent der Menschen dieses Landes trauen Ihnen zu, (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Richtig!) mit den Problemen dieses Landes in der Zukunft erfolg- reich fertig zu werden. Das holen Sie auch bis zum Sep- dass der Mittelstand in diesem Lande entlastet wird, und tember des nächsten Jahres nicht mehr auf. Seien Sie da so vorzuziehen, dass die Wirtschaft ein Signal bekommt, gewiss. dass wir es ernst meinen mit ihrer Entlastung und dass wir es ernst meinen mit Wachstum und Beschäftigung. (Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)) Herr Eichel, damit Sie hier nicht weiter an Legenden stricken: Das ist die Auffassung der Union, der Vorsitzen- den beider Parteien und auch der CDU/CSU-Bundestags- Präsident Wolfgang Thierse: Das Wort zu einer fraktion. Kurzintervention hat der Kollege Friedrich Merz. Herzlichen Dank. (Zurufe von der SPD: Oh! – Hans Georg Wagner [SPD]: Jetzt kommt die geballte Kom- (Beifall bei der CDU/CSU) petenz!) Präsident Wolfgang Thierse: Herr Minister Eichel, Friedrich Merz (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Sie haben Gelegenheit zur Erwiderung. Damen und Herren! Lassen Sie mich ganz kurz – [der Bundeskanzler verlässt auch gerade den Saal] – zwei Hans Eichel, Bundesminister der Finanzen: Herr Prä- Punkte ansprechen. sident! Meine Damen und Herren! Ich will nur auf einen Erstens. Ich finde, es ist eine Zumutung für dieses Par- Punkt hinweisen: Herr Kollege Merz, es hat doch so viele lament, dass die zweite und dritte Lesung des Bundes- Gelegenheiten gegeben, diese Vorstellungen – sie sind haushaltes für das kommende Jahr in dieser Besetzung der offenbar, wie Sie sagen, Ihre gemeinsamen Vorstellungen– Regierungsbank stattfindet. Noch nicht einmal der Bun- (Joachim Poß [SPD]: Das hätte Frau Merkel desarbeitsminister und der Bundeswirtschaftsminister (B) am Mittwoch sagen können!) (D) scheinen es für nötig zu halten, an dieser Debatte teilzu- nehmen. in allen möglichen Gremien nicht nur zu debattieren, son- dern dazu auch Anträge zu stellen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Der Finanzplanungsrat, in dem auch alle Landesregie- Ich empfinde es als eine Zumutung für den Deutschen rungen vertreten sind, ist vor kurzem zusammengekom- Bundestag, wie die Regierungsbank bei der zweiten und men. Von den acht Finanzministern, die die CDU und die dritten Lesung für den Bundeshaushalt des nächsten Jah- CSU stellen, waren fünf anwesend. Nicht einer hat auch res besetzt ist. nur einen einzigen Mucks zu diesem Thema gesagt. Wir Zweitens. Herr Bundesfinanzminister, nur damit haben ein Papier verabschiedet, das vorher von allen Lan- keine Legenden darüber entstehen, was wir zur Steuer- desregierungen gebilligt wurde und in dem klipp und klar politik in den letzten Wochen gesagt haben und was die die konsequente Fortsetzung des Konsolidierungskurses übereinstimmende Auffassung der Parteivorsitzenden festgestellt worden ist. der CDU, der Kollegin , des Parteivorsit- So viel zur Ernsthaftigkeit Ihrer steuerpolitischen Vor- zenden der CSU, des Ministerpräsidenten des Freistaa- stellungen. tes Bayern, und auch der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zum Thema „Vorziehen einer Stufe der Steuerreform“ (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ist: DIE GRÜNEN) (Hans Georg Wagner [SPD]: Auf Pump geht alles!) Präsident Wolfgang Thierse: Als letzter Redner in der Haushaltsdebatte erteile ich dem Kollegen Dietrich Es ist und bleibt unsere Auffassung, liebe Kolleginnen Austermann, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. und Kollegen von der SPD, dass es in der gegenwärtigen Lage der öffentlichen Haushalte des Bundes, der Länder und der Gemeinden außerordentlich schwierig ist, mit ei- Dietrich Austermann (CDU/CSU): Herr Präsident! ner vorgezogenen Steuerreform einen größeren Schritt bei Meine Damen und Herren! Auch ich möchte zu Beginn der Entlastung der Bürger und der Unternehmen in diesem der Debatte den Mitgliedern des Haushaltsausschusses Land zu tun. und den Mitarbeitern des Sekretariats herzlich danken für die Arbeit, die sie geleistet haben. (Hans Georg Wagner [SPD]: Das sagen Sie jetzt erst?) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) 20386 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001

Dietrich Austermann (A) Ich möchte in diesen Dank zugleich auch unseren Kolle- Sie sind verantwortlich dafür, dass das Finanzministerium (C) gen Adolf Roth mit einschließen, der krank ist, aber sonst die Auszahlung von Investitionsmitteln verweigert. Diese an dieser Stelle geredet hätte. Investitionen sind seit langer Zeit geplant und können jetzt nicht durchgeführt werden. Und warum ist das so? Ich habe zunächst gedacht, es sei schwierig, in dieser Weil Sie durch eingesparte Investitionen das Ziel der oh- Phase der Debatte zu reden, nachdem der Finanzminister nehin hohen Nettoneuverschuldung von 43,5 Milliarden groß eingestiegen ist. Aber nachdem ich gehört habe, was Sie gesagt haben, Herr Eichel, denke ich, dass es doch DM noch einigermaßen erreichen wollen. Das ist der ein- ziemlich einfach ist. zige Grund. Es gibt kein neuesArgument, das Sie vorgetragen haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Sie haben im Wesentlichen die Vergangenheit beschrieben. Hans Georg Wagner [SPD]: So ein Quatsch!) Das war die Bilanz von Opa Hans zu dem, Sie haben davon gesprochen – ich arbeite es der Reihe was sich vor ein paar Jahren zugetragen hat. Zu der nach ab –, dass Sie mit der Konsolidierung jetzt anfangen gegenwärtigen konkreten Notwendigkeit und zu dem, was werden. Ist das Konsolidierung, wenn man in vier Jahren jetzt erforderlich ist, um das Steuer herumzureißen, haben 183 Milliarden DM neue Schulden macht? Über das Kri- Sie nichts gesagt. Dazu ist nichts gekommen – Fehlanzeige! terium der Gesamtverschuldung des Staates haben Sie (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- mit Ihren Kollegen im Finanzplanungsrat doch wohl auch neten der FDP) gesprochen; diese haben Ihnen offensichtlich gesagt, dass Sie in diesem Jahr höhere Schulden machen müssen und Die Debatte in dieser Woche hat gezeigt, dass man Ih- im nächsten Jahr noch höhere. Ist das Konsolidierung, nen eine erhebliche Realitätsferne bescheinigen muss. Es wenn sich die gesamtstaatliche Verschuldung von 1998 gibt überhaupt keinen Bezug mehr zu dem, was die Men- bis heute von 1,7 auf 2,7 Prozent verändert hat? Nein, Sie schen in diesem Land denken, was in der Wirtschaft ge- haben lediglich Lasten aus dem Bundeshaushalt in die dacht wird und welche Sorgen die Menschen tatsächlich Sozialkassen sowie in die Länder und Gemeinden ver- umtreiben. schoben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Sie haben dann die Mär von einer anderen Familien- Ich will das an einem Beispiel deutlich machen, weil politik, die Sie jetzt machen wollten, erzählt. Dazu muss Sie bei einem Punkt noch etwas zu Herrn Mehdorn gesagt ich zunächst feststellen: Als wir angefangen haben, gab es haben: Heute Nachmittag fahre ich mit der Bahn nach keine Kinderfreibeträge mehr, weil die Sozialdemokraten Hause. sie nicht wollten. Das Kindergeld war sehr niedrig. Viel- leicht denken Sie noch einmal darüber nach, wie die Si- (B) (Hans Georg Wagner [SPD]: Hoffentlich!) tuation tatsächlich ausgesehen hat. Wir haben die Leis- (D) Die Strecke von Berlin nach wird repariert; sie tungen für die Familien dann kräftig erhöht und soll renoviert werden. Zu Zeiten der DDR war der Zu- ausgeweitet. stand katastrophal. Jeder erinnert sich noch an den „Flie- (Hans Georg Wagner [SPD]: Wovon reden Sie genden Hamburger“ aus den 30er-Jahren. Seit langem ist überhaupt?) die Bundesbahn bestrebt, diese Strecke in einen ordentli- chen Zustand zu bringen. Sie sprechen jetzt immer von der Verkäuferin, die durch die Steuerreform ein 13. Monatsgehalt zusätzlich Der Bahnvorstand schreibt jetzt dazu: erhalte. Wenn ich am Bahnhof Itzehoe ankomme und in Die Bahn hat mit Hochdruck die Planungsarbeiten die dortige Buchhandlung gehe, spricht mich die Verkäu- für den Ausbau der Strecke Hamburg–Berlin auf ferin an und sagt, dass es ihr finanziell heute schlechter Tempo 230 vorangetrieben. Auftragsvergabe und geht. Sie sagt, sie habe Sorge, ob sie in diesem Jahr über- Anzahlung hätten im Juli 2001 erfolgen können. Sie haupt Weihnachtsgeld erhalte. Trotzdem stellen Sie sich sind derzeit ausgesetzt, weil der Bund eine zusätzli- hier realitätsfern hin und sagen, dass die Leute mehr in der che Planung für Tempo 200 Tasche haben. Das ist doch eindeutig falsch. Den Leuten geht es heute schlechter als vor drei Jahren. – natürlich langsamer; das ist aber auch klar, da Sie re- gieren – (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP – Hans Georg Wagner [SPD]: Da zum Kostenvergleich beider Varianten fordert und es freuen Sie sich!) derzeit ablehnt, auch nur eine Unbedenklichkeits- bescheinigung für die Auftragsvergabe selbst von Ich komme zum Thema Lohnnebenkosten, das ja denjenigen Streckenabschnitten zu erteilen, bei de- für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung durchaus nen zwischen beiden Varianten keine Kostendiffe- wichtig ist. Rechnen wir einmal alle Sozialabgaben zu- renzen bestehen. Die DB AG ist daher gehindert, au- sammen – das ist relativ leicht überschaubar –: Der Pfle- genblicklich auch nur in die Auftragsvergabe und geversicherungsbeitrag beläuft sich auf 1,7 Prozent- Vorfinanzierung einzutreten. punkte; das galt 1998 wie heute. Der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung liegt derzeit bei 6,5 Prozent- Das macht doch wohl deutlich: Herr Finanzminister, punkten. Vor etwa einem Jahr haben Sie davon geredet, Sie persönlich sind an vielen Hunderttausend Arbeitslo- dass man diesen absenken könne; daraus ist nichts ge- sen in Deutschland schuld. worden. Der Krankenversicherungsbeitrag betrug 1998 (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) durchschnittlich 13,5 Prozentpunkte, jetzt liegt er bei Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001 20387

Dietrich Austermann (A) 14 Prozentpunkten. Der Beitrag zur Rentenversicherung einer Rezession und diese Rezession ist hausgemacht. Sie (C) lag bei uns bei 20,2 Prozentpunkten, jetzt liegt er bei 19,1 hat – dies wird deutlich am Einbruch bei der gesamtwirt- Prozentpunkten. Wenn man den Griff in die Rentenkassen schaftlichen Nachfrage – nichts mit Krisen außerhalb berücksichtigt, wird er im neuen Jahr bei 19,4 Prozent- Deutschlands zu tun, sondern vor allem mit der Krise die- punkten liegen. Beachten Sie bitte dabei, dass Sie den ser Bundesregierung. Rentenbeitrag nur deshalb auf diesem Niveau halten kön- nen, weil – das macht zumindest einen Prozentpunkt aus – Der Sachverständige Rürup hat vorgestern in einem In- die Ökosteuer erhoben wird. Notwendig war darüber hi- terview ausgeführt: naus die Einführung der privaten Vorsorge am 1. Januar Deutschland befindet sich zwar in einer Rezession. – das macht einen weiteren Prozentpunkt aus –, damit Aber diese Abschwächung ist noch nicht so stark, man überhaupt das Rentenniveau halten kann, das wir dass sie eine Verletzung der 3-Prozent-Quote erlau- 1998 hatten. Realiter beträgt der Rentenversicherungsbei- ben würde. trag also mehr als 22 Prozent. Diese Beträge addiert be- deuten, dass die Lohnnebenkosten in Deutschland in den Aber bei Fortsetzung Ihrer Politik der „eingeschlafenen letzten drei Jahren deutlich gestiegen sind. Dies ist mit ein Hand“ werden Sie auch dies schaffen. Grund für die wirtschaftliche Misere in Deutschland. Herr Eichel, Sie haben gesagt, die von uns abgegebe- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nen Prognosen hätten nicht gestimmt. Haben wir im Au- neten der FDP) gust gesagt, dass Sie für das kommende Jahr ein Haus- Fehler haben Sie im Wesentlichen bei drei Punkten ge- haltsloch in Höhe von 20 Milliarden DM haben oder macht: Erstens haben Sie die Steuern – das ging im Zick- nicht? Hat es dieses Haushaltsloch gegeben oder nicht? zackkurs – und die Energiekosten drastisch erhöht. Das, Das hat es gegeben; Sie haben sich verschätzt. was an Steuerentlastung da war, wird scheibchenweise (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- durch die Energiekostensteigerung aufgefressen, zum neten der FDP) Beispiel über die Ökosteuer. Wir haben im März hier den Antrag auf einen Nach- (Hans Georg Wagner [SPD]: Wie hoch wollen tragshaushalt gestellt, weil erkennbar war, dass sich die Sie die Mehrwertsteuer denn erhöhen?) Arbeitsmarktdaten nach unten entwickeln, weil erkennbar Der erste Punkt, der bei Ihnen negativ zu Buche schlägt, war, dass in dem Zusammenhang auch die Steuereinnah- ist also die zu hohe Steuerbelastung. men sinken. Sie haben nicht darauf reagiert. Natürlich hätte man zu Beginn dieses Jahres eine Steuerreform Zweitens haben Sie die Investitionen gesenkt. Ich schneller, besser und großzügiger machen können. (B) habe dazu schon etwas gesagt. Sie stehen bei den Investi- (D) tionen seit Jahren auf der Bremse. Sie haben im Haushalt (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sehr richtig!) 2002 die niedrigste Investitionsquote, die es je in der Nachkriegszeit gegeben hat. Sie haben die Basis dafür weggeschlagen und werfen uns jetzt vor, dass wir nicht am Gesamtmodell hängen blei- Drittens haben Sie den Arbeitsmarkt zwangsreguliert. ben. Der Fehler liegt doch bei der von Ihnen vorher so Sie haben eine Fülle von neuen Regelungen getroffen, die schlecht geleisteten Arbeit. den Arbeitsmarkt zusätzlich unter Druck setzen und die Möglichkeit, Arbeitsplätze zu schaffen, erschweren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Auf die Frage, was man in dieser Situation anders bzw. besser machen könnte, sagen wir ganz klar: Die Steuern Versuchen Sie nicht, das Ganze zu verniedlichen. Ich müssen runter. Das hat auch Friedrich Merz eben ganz habe mir sagen lassen, dass Sie am letzten Dienstag beim deutlich gesagt. Dazu nenne ich ein Beispiel, bei dem Bausparkassentag gesagt haben, um die Leute zu be- auch die Frage der Konsolidierung eine Rolle spielt: Von schwichtigen, das sei keine Rezession, das sei nur eine 1998 bis 2002 werden jährlich 50 Milliarden an Steuern „Anpassungsrezession“. mehr kassiert. Spiegelt das eine Entlastung für Bürger und (Lachen des Abg. Friedrich Merz Betriebe? Bei richtiger Konsolidierung könnte aus diesen [CDU/CSU]) Steuermehreinnahmen jede Reform finanziert werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Es gibt eine Reihe von Vokabeln, die Sie in der letzten Zeit neten der FDP) verwendet haben, die alle umschreiben sollen, dass die Si- tuation schlecht ist, man es aber nicht zugeben möchte. Sie haben es nicht gemacht, weil Sie umverteilen wollten. Was heißt denn „Anpassungsrezession“? Wer muss Wenn ich jetzt unterstelle, wir hätten das Wachstum aus sich denn an wen anpassen? Heißt das, dass sich die Men- dem Jahre 1998, als sich alle relevanten Daten positiv ent- schen, die Arbeit haben, an die Situation anpassen müs- wickelt haben, hätten Sie gar 70 Milliarden DM gehabt, sen, dass sie künftig keine Arbeit mehr haben? Heißt das, um eine kräftige Steuerentlastung zu finanzieren. Er- dass sich die Firmen, die noch Aufträge haben, anpassen zählen Sie also nicht, dass das nicht möglich ist. Es wäre müssen, dass sie künftig keine Aufträge mehr haben? Er- möglich gewesen, wenn Sie es richtig gemacht hätten. zählen Sie doch keine Fantasiezahlen über irgendwelche Nun wird gegenwärtig versucht, das eine oder andere Auftragseingänge, sondern schauen Sie sich die Ge- zu verniedlichen. Wir haben gesagt: Wir befinden uns in schäftsbilanzen der Unternehmen an! 20388 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001

Dietrich Austermann (A) Wir haben gestern in der Arbeitsgruppe Haushalt – der niger. Sie haben im Haushalt des kommenden Jahres für (C) ich für die gute Arbeit in den letzten Wochen und auch in Arbeitsmarktpolitik 44 Milliarden DM eingestellt, also dieser Woche danken möchte – mit einem Vertreter einer 7 Milliarden DM mehr, als wir 1998 im Sollansatz hatten. Sparkasse aus Süddeutschland zusammengesessen. Er hat Nehmen Sie Ihre Behauptung zurück, wir hätten den es auf den Punkt gebracht, als er meinte: Wenn der Fi- zweiten Arbeitsmarkt aufgebläht. Sie tun das, um über- nanzminister zum Konsum auffordert, dann müssen alle haupt eine einigermaßen erträgliche Bilanz vorweisen zu Alarmglocken klingeln. Wenn das der Wirtschaftsminis- können. Diesen Sachverhalt können Sie sich überall be- ter macht, ist das in Ordnung. Aber beim Finanzminister stätigen lassen. lässt das offensichtlich darauf schließen, dass er selbst nicht daran glaubt, dass die Situation in Ordnung ist, son- (Beifall bei der CDU/CSU) dern dass wir in einer ganz schwierigen Lage sind. Dies führt schließlich zu der Frage: Wie kann es ei- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- gentlich passieren, dass eine Regierung völlig unvorbe- neten der FDP) reitet vor diesen Dingen steht? Sie verlässt sich immerhin auf eine große Zahl von Sachverständigen. Ich kann das Es gibt ein neues Gerücht, das da lautet, der Finanzmi- nur so deuten, dass es offensichtlich eine erhebliche Rea- nister habe mit dem Golfspielen angefangen: Er tastet sich litätsferne gibt. Wenn man mit den Menschen redet, wenn von Loch zu Loch. man in die Betriebe geht und sich die Bilanzen der Unter- (Simone Violka [SPD]: Darin hat Waigel ja nehmen anschaut, dann hat man seit mindestens einem Übung!) Jahr den Gang der Entwicklung absehen können. Dazu Fragt einer nach dem Handicap, dann heißt es: 2002. Weil brauche ich keine statistischen Zusammenfassungen, von es so ein hohes Handicap nicht gibt, heißt das, dass Sie die welchen Forschungsinstituten auch immer. Deren Pro- Platzreife nicht haben. Im September 2002 wird sich die gnosen kommen sowieso immer hinterher. Man muss die Situation klären. Situation vor Ort betrachten. Dann kommt man zu der richtigen Prognose, die zu den richtigen Schritten führt, (Beifall bei der CDU/CSU – Hans Michelbach die wir vorgeschlagen haben. [CDU/CSU]: Da hat er viel Zeit zum Golf- spielen!) Ich sage es noch einmal, damit deutlich wird, wo un- sere Alternative liegt: Wir wollen die Rücknahme der Be- Von solchen Sprüchen gibt es mittlerweile viele: Was schäftigungshemmnisse, die seit 1998 durchgesetzt wor- ist paradox? Paradox ist, wenn sich der Sohn des Kanzlers den sind. namens Aufschwung in die Tochter Rezession verwandelt und die Mutter deutsche Volkswirtschaft Vaterschafts- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) klage einlegt. (B) Wir wollen die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und (D) (Ilse Janz [SPD]: Sehr witzig!) Sozialhilfe. Wir wollen die Einführung des Kombilohns Wenn Sie sich die Situation anschauen, dann werden für Geringverdiener. Wir wollen, dass ein wesentlicher Sie feststellen, dass sich unter dieser Regierung die wirt- Teil der Steuerreform vorgezogen wird. Wir wollen vor al- schaftlichen Daten drastisch verschlechtert haben. Sie len Dingen, dass das Steuerrecht vereinfacht wird. Wir müssen zu haushälterischen Tricks en masse greifen. Sie wollen, dass auf die nächste Stufe der Ökosteuer verzich- gehen beim Wachstum von unrealistischen Annahmen tet wird, die insbesondere den Familien das, was sie an Fa- aus. Die Frage ist doch: Können aus der heutigen Situa- miliengeld angeblich mehr in der Tasche haben, sofort tion bei der Beschlussfassung über diesen Bundeshaus- wieder wegnimmt. halt für die Zukunft, für die Menschen im Land, die Wirt- (Beifall bei der CDU/CSU) schaft und die wirtschaftliche Entwicklung Perspektiven gewonnen werden? Wir sagen Nein. Wir sagen deshalb Wir wollen ein modernes Betriebsverfassunggesetz. Wir Nein, weil die für diesen Haushalt unterstellten An- wollen eine grundlegende Reform des Gesundheitswe- nahmen – Sie nennen das „auf Kante genäht“ – hinsicht- sens. Wir wollen vor allen Dingen die Eigen- lich der Einnahmen aus Sozialabgaben, der Zahl der be- verantwortung stärken. schäftigten Menschen und der Auftragslage der Betriebe – dies alles ist eng miteinander verknüpft – schon heute Im nächsten Schritt wird es notwendig sein, die Infra- nicht mehr stimmen und weil zudem Ihre Annahmen hin- strukturlücken durch Mobilisierung von privatem Kapital sichtlich der Zuschüsse an die Bundesanstalt für Arbeit zu schließen. Die in diesem Land noch vorhandenen unrealistisch sind. schöpferischen und finanziellen Kräfte müssen für pri- vate Investitionen genutzt werden. Sie dürfen nicht de- Ich will etwas zu dem Gerücht sagen, wir hätten 1998 motiviert werden. Wir wollen spätestens nach der nächs- so genannte Wahlkampf-ABM gemacht. ten Wahl entsprechende Schritte unternehmen. (Simone Violka [SPD]: Das ist kein Gerücht! (Beifall bei der CDU/CSU) Das ist die Wahrheit!) Die Maßnahmen, die die Regierung eingeleitet hat, tau- Ich bemühe mich, das Ganze so darzustellen, dass ich mit gen dafür nicht. wenigen Zahlen auskomme: 1998 hatten wir im Sollan- satz rund 37 Milliarden DM im Haushalt der Bundes- Ich sage es noch einmal: Der jetzt vorgelegte Haushalt anstalt für Arbeit für den zweiten Arbeitsmarkt. Als das kommt nur mit Tricks zustande. Er zeigt keine Perspekti- Jahr vorbei war, wurde festgestellt, dass davon 35 Milli- ven auf und gibt vor allen Dingen den Menschen, die ar- arden DM ausgegeben wurden, also 2 Milliarden DM we- beitslos sind, keine Hoffnung. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001 20389

Dietrich Austermann (A) Schauen wir uns einmal die Ergebnisse der Umfragen an, Wir setzen die Abstimmungen fort und kommen zur (C) die am Ende dieses Jahres durchgeführt worden sind. Die Abstimmung über die Entschließungsanträge, zunächst Umfrage, aus der Sie zitiert haben – ich nehme an, sie war über den Entschließungsantrag der Fraktion der von Forsa –, war voll daneben. Eine andere, gestern veröf- CDU/CSU auf Drucksache 14/7590. Die Fraktion der fentlichte Umfrage hat Folgendes ergeben: Auf die Frage CDU/CSU verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte „Mit welchen Erwartungen gehen Sie in das Jahr 2002?“ die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehe- haben etwa 62 Prozent der Menschen geantwortet, dass sie nen Plätze einzunehmen. – Sind die Schriftführerinnen dem neuen Jahr skeptisch entgegensehen. Sie machen ihnen und Schriftführer an ihren Plätzen? Ist alles zur Abstim- keinen Mut für die Zukunft. Etwa 28 Prozent der Menschen mung bereit? – Das ist der Fall. rechnet damit, dass ihre persönliche Situation im nächsten Jahr schwieriger sein wird. Solche negativen Umfrageer- Ich eröffne die Abstimmung.2) gebnisse hat es lange nicht mehr gegeben.VerlassenSie sich (Vorsitz: Vizepräsidentin ) also nicht auf Umfragen, die Sie selbst bestellt haben und die die Realität schöner malen, als sie tatsächlich ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Anke Fuchs: Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben Während wir hier beraten, trifft sich im Kanzleramt hat? – Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schrift- eine Runde – ich vermute, dass der Bundeskanzler dabei führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu be- ist – und versucht, die Mittel für die Finanzierung des ginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später Großflugzeugs, das der Kanzler in der letzten Woche dem bekannt gegeben. französischen Präsidenten versprochen hat, zusammenzu- kratzen. Man hat offensichtlich ein Problem, den einge- Wir kommen jetzt zum Entschließungsantrag der Frak- gangenen internationalen Verpflichtungen nachzu- tion der CDU/CSU auf Drucksache 14/7571. Wer stimmt kommen; denn im laufenden Haushalt ist zu wenig Geld. für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dage- Deswegen müssen in den nächsten 6 Milliarden zusätz- gen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag abgelehnt. lich eingestellt werden. Auch das beschreibt im Grunde genommen die wirtschaftliche Situation und die finanzi- Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion elle Lage des Verteidigungsetats. der CDU/CSU auf Drucksache 14/7592. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Lassen Sie mich zum Ende kommen. Wir haben unsere Wer enthält sich? – Der Antrag ist abgelehnt. Alternativen zu dem vorgelegten Haushalt aufgezeigt und deutlich gemacht, dass es einen besseren Weg für Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion Deutschland gibt. der CDU/CSU auf Drucksache 14/7594. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – (B) (D) (Beifall bei der CDU/CSU) Wer enthält sich? – Der Antrag ist abgelehnt. Wenn Sie sich ein bisschen in Europa umschauen, dann Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion werden Sie feststellen: Als es vor ein paar Monaten der CDU/CSU auf Drucksache 14/7663. Wer stimmt für Wahlen in Norwegen gab, sind die Sozialdemokraten ab- diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – gewählt worden. Als es vor ein paar Tagen Wahlen in Dänemark gab, sind die Sozialdemokraten abgewählt Wer enthält sich? – Der Antrag ist gegen die Stimmen von worden. Am 22. September nächsten Jahres gibt es in CDU/CSU und FDP abgelehnt. Deutschland Wahlen. Dann ereilt die deutschen So- Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion zialdemokraten wegen ihrer falschen Politik genau das der FDP auf Drucksache 14/7625. Wer stimmt für diesen gleiche Schicksal. Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Der An- (Beifall bei der CDU/CSU) trag ist gegen die Stimmen von CDU/CSU, FDP und PDS abgelehnt. Präsident Wolfgang Thierse: Ich schließe die Aus- Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion sprache. der FDP auf Drucksache 14/7626. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Wir kommen zur Schlussabstimmung über das Haus- Gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP ist der An- haltsgesetz 2002. Die Koalitionsfraktionen verlangen namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerin- trag abgelehnt. nen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzuneh- Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion men. – Sind die Schriftführerinnen und Schriftführer an der FDP auf Drucksache 14/7650. Wer stimmt für diesen ihren Plätzen? Ist alles zur Abstimmung bereit? – Dann Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- eröffne ich die Abstimmung.1) tungen? – Der Antrag ist gegen die Stimmen von Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine CDU/CSU und FDP abgelehnt. Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist offensichtlich (Dr. Barbara Höll [PDS]: Und PDS!) nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen der FDP auf Drucksache 14/7651. Wer stimmt für diesen später bekannt gegeben. Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-

1) Ergebnis Seite Seite 20390. 1) Ergebnis Seite Seite 20392. 20390 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001

Vizepräsidentin Anke Fuchs (A) hält sich? – Gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP tungen? – Keine. Der Entschließungsantrag ist gegen die (C) abgelehnt. Stimmen der PDS abgelehnt. Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen der FDP auf Drucksache 14/7684. Wer stimmt für diesen Schlussabstimmung über das Haushaltsgesetz 2002 un- Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- terbreche ich die Sitzung. hält sich? – Gegen die Stimmen der FDP ist der Antrag ab- gelehnt. (Unterbrechung von 11.05 bis 11.09 Uhr) Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/7576. Wer stimmt für diesen Vizepräsidentin Anke Fuchs: Die unterbrochene Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- Sitzung ist wieder eröffnet. tungen? – Keine. Der Entschließungsantrag ist gegen die Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schrift- Stimmen der PDS abgelehnt. führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Schlussab- Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion stimmung über das Haushaltsgesetz 2002 bekannt: Abge- der PDS auf Drucksache 14/7698. Wer stimmt für diesen gebene Stimmen 590. Mit Ja haben gestimmt 313, mit Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- Nein haben gestimmt 276, Enthaltungen 1.

Endgültiges Ergebnis Dieter Dzewas Walter Hoffmann Erika Lotz Abgegebene Stimmen: 590; Dr. Peter Eckardt (Darmstadt) Dr. () Dieter Maaß (Herne) davon Ludwig Eich Frank Hofmann (Volkach) Winfried Mante ja: 313 Marga Elser Ingrid Holzhüter Dirk Manzewski nein: 276 Peter Enders Eike Hovermann Tobias Marhold enthalten: 1 Christel Humme Lothar Mark Petra Ernstberger Lothar Ibrügger Ulrike Mascher Annette Faße Barbara Imhof Ja Lothar Fischer (Homburg) Brunhilde Irber Heide Mattischeck Gabriele Iwersen SPD Norbert Formanski Renate Jäger Ulrike Mehl Rainer Fornahl Jann-Peter Janssen Ulrike Merten Hans Forster Ilse Janz (B) Ingrid Arndt-Brauer Dr. Uwe Jens Dr. Jürgen Meyer (Ulm) (D) Lilo Friedrich (Mettmann) Volker Jung (Düsseldorf) Ursula Mogg Hermann Bachmaier Harald Friese Johannes Kahrs Christoph Moosbauer Anke Fuchs (Köln) Ulrich Kasparick Siegmar Mosdorf Arne Fuhrmann Sabine Kaspereit Michael Müller (Düsseldorf) Dr. Hans-Peter Bartels Monika Ganseforth Susanne Kastner Jutta Müller (Völklingen) Eckhardt Barthel (Berlin) Konrad Gilges Christian Müller (Zittau) (Starnberg) Iris Gleicke Hans-Peter Kemper Franz Müntefering Ingrid Becker-Inglau Günter Gloser Klaus Kirschner Volker Neumann (Bramsche) Wolfgang Behrendt Uwe Göllner Siegrun Klemmer Gerhard Neumann (Gotha) Dr. Renate Gradistanac Fritz Rudolf Körper Dr. Edith Niehuis Hans-Werner Bertl Günter Graf (Friesoythe) Karin Kortmann Dr. Rolf Niese Friedhelm Julius Beucher Angelika Graf (Rosenheim) Dieter Grasedieck Nicolette Kressl Günter Oesinghaus Volker Kröning Eckhard Ohl () Angelika Krüger-Leißner Leyla Onur Achim Großmann Horst Kubatschka Manfred Opel Klaus Brandner Wolfgang Grotthaus Ernst Küchler Holger Ortel Anni Brandt-Elsweier Karl-Hermann Haack Helga Kühn-Mengel Adolf Ostertag (Extertal) Ute Kumpf Kurt Palis Rainer Brinkmann (Detmold) Hans-Joachim Hacker Konrad Kunick Albrecht Papenroth Klaus Hagemann Werner Labsch Dr. (Hildesheim) Manfred Hampel Johannes Pflug Hans-Günter Bruckmann Alfred Hartenbach Brigitte Lange Dr. Eckhart Pick Anke Hartnagel Christian Lange (Backnang) Joachim Poß Ursula Burchardt Klaus Hasenfratz Detlev von Larcher Karin Rehbock-Zureich Dr. Michael Bürsch Christine Lehder Dr. Carola Reimann Hans Büttner (Ingolstadt) Reinhold Hemker Waltraud Lehn Margot von Renesse Marion Caspers-Merk Frank Hempel Robert Leidinger Renate Rennebach Wolf-Michael Catenhusen Rolf Hempelmann Klaus Lennartz Bernd Reuter Dr. Dr. Elke Leonhard Dr. Edelbert Richter Christel Deichmann Monika Heubaum Eckhart Lewering Christel Riemann- Reinhold Hiller (Lübeck) Götz-Peter Lohmann Hanewinckel Peter Dreßen Gerd Höfer (Neubrandenburg) Reinhold Robbe Detlef Dzembritzki Jelena Hoffmann () Gabriele Lösekrug-Möller Gudrun Roos Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001 20391

Vizepräsidentin Anke Fuchs (A) René Röspel Wolfgang Weiermann Dr. Georg Girisch (C) Dr. Reinhard Weis (Stendal) Dr. Ludger Volmer Michael Roth (Heringen) Matthias Weisheit Helmut Wilhelm (Amberg) Dr. Reinhard Göhner Birgit Roth (Speyer) Margareta Wolf () Peter Götz Marlene Rupprecht (Wiesloch) Dr. Wolfgang Götzer Thomas Sauer Dr. Ernst Ulrich von Hermann Gröhe Gudrun Schaich-Walch Weizsäcker Nein Jochen Welt Horst Günther (Duisburg) Bernd Scheelen Dr. CDU/CSU Carl-Detlev Freiherr von Dr. Hildegard Wester Hammerstein Siegfried Scheffler Lydia Westrich Horst Schild Inge Wettig-Danielmeier Norbert Hauser (Bonn) Otto Schily Dr. Dietrich Austermann Hansgeorg Hauser Dieter Schloten Dr. Norbert Wieczorek (Rednitzhembach) Horst Schmidbauer Jürgen Wieczorek (Böhlen) Dr. Klaus-Jürgen Hedrich (Nürnberg) Helmut Wieczorek Günter Baumann (Aachen) (Duisburg) Ursula Heinen Silvia Schmidt (Eisleben) Dieter Wiefelspütz Meinrad Belle Manfred Heise (Meschede) Heino Wiese (Hannover) Dr. Sabine Bergmann-Pohl Siegfried Helias Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Brigitte Wimmer (Karlsruhe) Hans Jochen Henke Dr. Frank Schmidt Engelbert Wistuba Hans-Dirk Bierling Ernst Hinsken (Weilburg) Barbara Wittig Dr. Joseph- Regina Schmidt-Zadel Dr. Klaus Hofbauer Heinz Schmitt (Berg) Verena Wohlleben Dr. Hanna Wolf (München) Klaus Holetschek Dr. Emil Schnell Waltraud Wolff Dr. Norbert Blüm Josef Hollerith Walter Schöler (Wolmirstedt) Dr. Karl-Heinz Hornhues Karsten Schönfeld Heidemarie Wright Dr. Maria Böhmer Joachim Hörster Fritz Schösser Sylvia Bonitz Hubert Hüppe Dr. Christoph Zöpel Susanne Jaffke Gerhard Schröder Peter Zumkley Wolfgang Börnsen Georg Janovsky Dr. Mathias Schubert (Bönstrup) Dr.-Ing. Rainer Jork Richard Schuhmann BÜNDNIS 90/ Dr. Harald Kahl (Delitzsch) DIE GRÜNEN Steffen Kampeter Brigitte Schulte (Hameln) Dr. Wolfgang Bötsch Volker Beck (Köln) Klaus Brähmig Dr.-Ing. Dietmar Kansy Volkmar Schultz (Köln) Irmgard Karwatzki Dr. (B) Volker Kauder (D) Dr. Angelica Schwall-Düren Eckart von Klaeden Grietje Bettin Hartmut Büttner Ulrich Klinkert Bodo Seidenthal Ekin Deligöz (Schönebeck) Dr. Erika Simm Dr. Thea Dückert Norbert Königshofen Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Franziska Eichstädt-Bohlig Manfred Carstens (Emstek) Eva-Maria Kors Dr. Cornelie Sonntag- Dr. Uschi Eid Peter H. Carstensen Wolgast Hans-Josef Fell (Nordstrand) Hartmut Koschyk Wieland Sorge (Berlin) Leo Dautzenberg Thomas Kossendey Wolfgang Spanier Joseph Fischer (Frankfurt) Dr. Martina Krogmann Dr. Margrit Spielmann Katrin Göring-Eckardt Dr. Hermann Kues Jörg-Otto Spiller Rita Grießhaber Albert Deß Dr. Ditmar Staffelt Gerald Häfner Antje-Marie Steen Thomas Dörflinger Dr. Karl A. Lamers Antje Hermenau Marie-Luise Dött (Heidelberg) Rolf Stöckel Kristin Heyne Maria Eichhorn Dr. Rita Streb- Ulrike Höfken Reinhold Strobl (Amberg) Michaele Hustedt (Lübeck) Dr. Paul Laufs Dr. Peter Struck Monika Knoche Karl-Josef Laumann Joachim Stünker Dr. Angelika Köster-Loßack Dr. Hans Georg Faust Joachim Tappe Albrecht Feibel Werner Lensing Jörg Tauss Dr. Helmut Lippelt Peter Letzgus Jella Teuchner Dr. Reinhard Loske Dirk Fischer (Hamburg) Ursula Lietz Dr. Gerald Thalheim Oswald Metzger Axel E. Fischer Walter Link (Diepholz) Wolfgang Thierse Kerstin Müller (Köln) (Karlsruhe-Land) Franz Thönnes Christa Nickels Dr. Klaus W. Lippold Uta Titze-Stecher Cem Özdemir Dr. Gerhard Friedrich (Offenbach) Adelheid Tröscher Simone Probst (Erlangen) Dr. Manfred Lischewski Hans-Eberhard Urbaniak Christine Scheel Dr. Hans-Peter Friedrich Wolfgang Lohmann Rüdiger Veit Irmingard Schewe-Gerigk (Hof) (Lüdenscheid) Simone Violka Albert Schmidt (Hitzhofen) Erich G. Fritz Julius Louven () (Leipzig) Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Luther Hans Georg Wagner Christian Simmert Hans-Joachim Fuchtel Erich Maaß (Wilhelmshaven) Hedi Wegener Christian Sterzing Dr. Jürgen Gehb Dr. Konstanze Wegner Hans-Christian Ströbele Norbert Geis () 20392 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001

Vizepräsidentin Anke Fuchs (A) Dr. Martin Mayer Hartmut Schauerte Klaus-Peter Willsch Dr. (C) (Siegertsbrunn) Heinz Schemken Bernd Wilz Marita Sehn Wolfgang Meckelburg Karl-Heinz Scherhag Willy Wimmer (Neuss) Dr. Dr. Dr. Gerhard Scheu Dr. Max Stadler Friedrich Merz Norbert Schindler Werner Wittlich Jürgen Türk Hans Michelbach Dagmar Wöhrl Meinolf Michels Christian Schmidt (Fürth) Aribert Wolf PDS Elke Wülfing Dr. Gerd Müller Dr.-Ing. Joachim Schmidt Dr. Peter Kurt Würzbach Bernward Müller (Jena) (Halsbrücke) Petra Bläss Wolfgang Zeitlmann Elmar Müller (Kirchheim) Andreas Schmidt (Mülheim) Maritta Böttcher Benno Zierer () Michael von Schmude Eva Bulling-Schröter Wolfgang Zöller Dr. Günter Nooke Dr. Heidemarie Ehlert Franz Obermeier Reinhard Freiherr von FDP Dr. Schorlemer Dr. Norbert Otto (Erfurt) Rainer Brüderle Wolfgang Gehrcke Dr. Peter Paziorek Gerhard Schulz Dr. Klaus Grehn Clemens Schwalbe Jörg van Dr. Dr. Friedbert Pflüger Wilhelm Josef Sebastian Ulrike Flach Uwe Hiksch Gisela Frick Dr. Barbara Höll Heinz Seiffert Paul K. Friedhoff Sabine Jünger Dr. h. c. (Bayreuth) Gerhard Jüttemann Marlies Pretzlaff Bernd Siebert Rainer Funke Dr. Evelyn Kenzler Dr. Bernd Protzner Werner Siemann Dr. Wolfgang Gerhardt Dr. Heidi Knake-Werner Hans-Michael Goldmann Rolf Kutzmutz Hans Raidel Bärbel Sothmann Dr. Ursula Lötzer Dr. Margarete Späte Klaus Haupt Dr. Christa Luft Helmut Rauber Carl-Dieter Spranger Dr. Heidemarie Lüth Christa Reichard (Dresden) Wolfgang Steiger Ulrich Heinrich Pia Maier Walter Hirche Angela Marquardt Erika Reinhardt Andreas Storm Birgit Homburger Manfred Müller (Berlin) Hans-Peter Repnik Dorothea Störr-Ritter Ulrich Irmer Kersten Naumann Dr. Rosel Neuhäuser Dr. Matthäus Strebl Dr. Heinrich L. Kolb Dr. Uwe-Jens Rössel Franz Romer Edeltraut Töpfer Gudrun Kopp Gustav-Adolf Schur Dr. Ilja Seifert (B) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Hans-Peter Uhl Jürgen Koppelin (D) Dr. Klaus Rose Ina Lenke Kurt J. Rossmanith Sabine Leutheusser- Enthalten Dr. Norbert Röttgen Andrea Voßhoff Schnarrenberger Dr. Christian Ruck Peter Weiß (Emmendingen) Fraktionslose Volker Rühe Gerald Weiß (Groß-Gerau) Günther Friedrich Nolting Abgeordnete Anita Schäfer Annette Widmann-Mauz Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Wolfgang Schäuble Heinz Wiese (Ehingen) Gerhard Schüßler Christa Lörcher

Der Gesetzentwurf ist damit angenommen. mung über den Entschließungsantrag der Fraktion der (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ CDU/CSU zu Einzelplan 14 auf Drucksache 14/7590 DIE GRÜNEN) bekannt: Abgegebene Stimmen 592. Mit Ja haben ge- Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schrift- stimmt 247, mit Nein haben gestimmt 345, Enthaltungen führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim- keine.

Endgültiges Ergebnis Norbert Barthle Sylvia Bonitz Leo Dautzenberg Abgegebene Stimmen: 591; Dr. Wolf Bauer Jochen Borchert Wolfgang Dehnel Günter Baumann Wolfgang Börnsen Hubert Deittert davon Brigitte Baumeister (Bönstrup) Albert Deß ja: 247 Meinrad Belle Wolfgang Bosbach Renate Diemers nein: 344 Dr. Sabine Bergmann-Pohl Dr. Wolfgang Bötsch Thomas Dörflinger Otto Bernhardt Klaus Brähmig Marie-Luise Dött Ja Hans-Dirk Bierling Dr. Ralf Brauksiepe Maria Eichhorn Dr. Joseph-Theodor Blank Georg Brunnhuber Rainer Eppelmann Renate Blank Hartmut Büttner Anke Eymer (Lübeck) CDU/CSU Dr. Heribert Blens (Schönebeck) Ilse Falk Ulrich Adam Peter Bleser Dankward Buwitt Dr. Hans Georg Faust Ilse Aigner Dr. Norbert Blüm Manfred Carstens (Emstek) Albrecht Feibel Peter Altmaier Antje Blumenthal Peter H. Carstensen Ulf Fink Dietrich Austermann Dr. Maria Böhmer (Nordstrand) Dirk Fischer (Hamburg) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001 20393

Vizepräsidentin Anke Fuchs (A) Axel E. Fischer Ursula Lietz Reinhard Freiherr von Dirk Niebel (C) (Karlsruhe-Land) Walter Link (Diepholz) Schorlemer Günther Friedrich Nolting Klaus Francke Eduard Lintner Gerhard Schulz Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Gerhard Friedrich Dr. Klaus W. Lippold Clemens Schwalbe Gerhard Schüßler (Erlangen) (Offenbach) Wilhelm Josef Sebastian Dr. Irmgard Schwaetzer Dr. Hans-Peter Friedrich Dr. Manfred Lischewski Horst Seehofer Marita Sehn (Hof) Wolfgang Lohmann Heinz Seiffert Dr. Hermann Otto Solms Erich G. Fritz (Lüdenscheid) Dr. h. c. Rudolf Seiters Dr. Max Stadler Jochen-Konrad Fromme Julius Louven Bernd Siebert Jürgen Türk Hans-Joachim Fuchtel Dr. Michael Luther Werner Siemann Dr. Jürgen Gehb Erich Maaß (Wilhelmshaven) Johannes Singhammer Norbert Geis Erwin Marschewski Bärbel Sothmann Nein Georg Girisch (Recklinghausen) Margarete Späte Michael Glos Dr. Martin Mayer Carl-Dieter Spranger SPD Dr. Reinhard Göhner (Siegertsbrunn) Wolfgang Steiger Brigitte Adler Peter Götz Wolfgang Meckelburg Erika Steinbach Gerd Andres Dr. Wolfgang Götzer Dr. Michael Meister Andreas Storm Ingrid Arndt-Brauer Hermann Gröhe Friedrich Merz Dorothea Störr-Ritter Rainer Arnold Manfred Grund Hans Michelbach Max Straubinger Hermann Bachmaier Horst Günther (Duisburg) Meinolf Michels Matthäus Strebl Ernst Bahr Carl-Detlev Freiherr von Dr. Gerd Müller Edeltraut Töpfer Doris Barnett Hammerstein Bernward Müller (Jena) Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Hans-Peter Bartels Gerda Hasselfeldt Elmar Müller (Kirchheim) Arnold Vaatz Eckhardt Barthel (Berlin) Norbert Hauser (Bonn) Bernd Neumann (Bremen) Angelika Volquartz Klaus Barthel (Starnberg) Hansgeorg Hauser Claudia Nolte Andrea Voßhoff Ingrid Becker-Inglau (Rednitzhembach) Günter Nooke Peter Weiß (Emmendingen) Wolfgang Behrendt Klaus-Jürgen Hedrich Franz Obermeier Gerald Weiß (Groß-Gerau) Dr. Axel Berg Helmut Heiderich Eduard Oswald Annette Widmann-Mauz Hans-Werner Bertl Ursula Heinen Norbert Otto (Erfurt) Heinz Wiese (Ehingen) Friedhelm Julius Beucher Manfred Heise Dr. Peter Paziorek Hans-Otto Wilhelm (Mainz) Petra Bierwirth Siegfried Helias Anton Pfeifer Klaus-Peter Willsch Rudolf Bindig Hans Jochen Henke Dr. Friedbert Pflüger Bernd Wilz Lothar Binding (Heidelberg) Ernst Hinsken Beatrix Philipp Willy Wimmer (Neuss) Kurt Bodewig Peter Hintze Ronald Pofalla Matthias Wissmann Klaus Brandner Klaus Hofbauer Ruprecht Polenz Werner Wittlich Anni Brandt-Elsweier (B) Martin Hohmann Marlies Pretzlaff Dagmar Wöhrl Willi Brase (D) Klaus Holetschek Dr. Bernd Protzner Aribert Wolf Rainer Brinkmann (Detmold) Elke Wülfing Josef Hollerith Thomas Rachel Bernhard Brinkmann Peter Kurt Würzbach Dr. Karl-Heinz Hornhues Hans Raidel (Hildesheim) Wolfgang Zeitlmann Joachim Hörster Dr. Peter Ramsauer Hans-Günter Bruckmann Benno Zierer Hubert Hüppe Peter Rauen Edelgard Bulmahn Wolfgang Zöller Susanne Jaffke Christa Reichard (Dresden) Ursula Burchardt Georg Janovsky Katherina Reiche Dr. Michael Bürsch FDP Dr.-Ing. Rainer Jork Erika Reinhardt Hans Büttner (Ingolstadt) Dr. Harald Kahl Hans-Peter Repnik Ina Albowitz Marion Caspers-Merk Steffen Kampeter Klaus Riegert Rainer Brüderle Wolf-Michael Catenhusen Dr.-Ing. Dietmar Kansy Dr. Heinz Riesenhuber Ernst Burgbacher Dr. Peter Danckert Irmgard Karwatzki Franz Romer Jörg van Essen Christel Deichmann Volker Kauder Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Ulrike Flach Karl Diller Eckart von Klaeden Dr. Klaus Rose Gisela Frick Peter Dreßen Ulrich Klinkert Kurt J. Rossmanith Paul K. Friedhoff Detlef Dzembritzki Dr. Helmut Kohl Dr. Norbert Röttgen Horst Friedrich (Bayreuth) Dieter Dzewas Norbert Königshofen Dr. Christian Ruck Rainer Funke Dr. Peter Eckardt Eva-Maria Kors Volker Rühe Dr. Wolfgang Gerhardt Sebastian Edathy Hartmut Koschyk Anita Schäfer Hans-Michael Goldmann Ludwig Eich Thomas Kossendey Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Karlheinz Guttmacher Marga Elser Dr. Martina Krogmann Hartmut Schauerte Klaus Haupt Peter Enders Dr. Hermann Kues Heinz Schemken Dr. Helmut Haussmann Gernot Erler Werner Kuhn Karl-Heinz Scherhag Ulrich Heinrich Petra Ernstberger Karl Lamers Dr. Gerhard Scheu Walter Hirche Annette Faße Dr. Karl A. Lamers Norbert Schindler Birgit Homburger Lothar Fischer (Homburg) (Heidelberg) Bernd Schmidbauer Ulrich Irmer Gabriele Fograscher Dr. Norbert Lammert Christian Schmidt (Fürth) Dr. Klaus Kinkel Norbert Formanski Helmut Lamp Dr.-Ing. Joachim Schmidt Dr. Heinrich L. Kolb Rainer Fornahl Dr. Paul Laufs (Halsbrücke) Gudrun Kopp Hans Forster Karl-Josef Laumann Andreas Schmidt (Mülheim) Jürgen Koppelin Dagmar Freitag Vera Lengsfeld Michael von Schmude Ina Lenke Lilo Friedrich (Mettmann) Werner Lensing Dr. Andreas Schockenhoff Sabine Leutheusser- Harald Friese Peter Letzgus Dr. Rupert Scholz Schnarrenberger Anke Fuchs (Köln) 20394 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001

Vizepräsidentin Anke Fuchs (A) Arne Fuhrmann Detlev von Larcher Siegfried Scheffler Dr. Rainer Wend (C) Monika Ganseforth Christine Lehder Horst Schild Hildegard Wester Konrad Gilges Waltraud Lehn Otto Schily Lydia Westrich Iris Gleicke Robert Leidinger Dieter Schloten Inge Wettig-Danielmeier Günter Gloser Klaus Lennartz Horst Schmidbauer Dr. Margrit Wetzel Uwe Göllner Dr. Elke Leonhard (Nürnberg) Dr. Norbert Wieczorek Renate Gradistanac Eckhart Lewering Ulla Schmidt (Aachen) Jürgen Wieczorek (Böhlen) Günter Graf (Friesoythe) Götz-Peter Lohmann Silvia Schmidt (Eisleben) Helmut Wieczorek Angelika Graf (Rosenheim) (Neubrandenburg) Dagmar Schmidt (Meschede) (Duisburg) Dieter Grasedieck Gabriele Lösekrug-Möller Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Dieter Wiefelspütz Monika Griefahn Erika Lotz Dr. Frank Schmidt Heino Wiese (Hannover) Kerstin Griese Dr. Christine Lucyga (Weilburg) Brigitte Wimmer (Karlsruhe) Achim Großmann Dieter Maaß (Herne) Regina Schmidt-Zadel Engelbert Wistuba Wolfgang Grotthaus Winfried Mante Heinz Schmitt (Berg) Barbara Wittig Karl-Hermann Haack Dirk Manzewski Carsten Schneider Dr. Wolfgang Wodarg (Extertal) Tobias Marhold Dr. Emil Schnell Verena Wohlleben Hans-Joachim Hacker Lothar Mark Walter Schöler Hanna Wolf (München) Klaus Hagemann Ulrike Mascher Karsten Schönfeld Waltraud Wolff Manfred Hampel Christoph Matschie Fritz Schösser (Wolmirstedt) Alfred Hartenbach Heide Mattischeck Ottmar Schreiner Heidemarie Wright Anke Hartnagel Markus Meckel Gerhard Schröder Uta Zapf Klaus Hasenfratz Ulrike Mehl Dr. Mathias Schubert Dr. Christoph Zöpel Hubertus Heil Ulrike Merten Richard Schuhmann Peter Zumkley Reinhold Hemker Angelika Mertens (Delitzsch) Frank Hempel Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Brigitte Schulte (Hameln) BÜNDNIS 90/ Rolf Hempelmann Ursula Mogg Volkmar Schultz (Köln) Gustav Herzog Christoph Moosbauer Ewald Schurer DIE GRÜNEN Monika Heubaum Siegmar Mosdorf Dr. Angelica Schwall-Düren Volker Beck (Köln) Reinhold Hiller (Lübeck) Michael Müller (Düsseldorf) Rolf Schwanitz Angelika Beer Gerd Höfer Jutta Müller (Völklingen) Bodo Seidenthal Grietje Bettin Jelena Hoffmann (Chemnitz) Christian Müller (Zittau) Erika Simm Ekin Deligöz Walter Hoffmann Franz Müntefering Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Thea Dückert (Darmstadt) Volker Neumann (Bramsche) Dr. Cornelie Sonntag- Franziska Eichstädt-Bohlig Iris Hoffmann (Wismar) Gerhard Neumann (Gotha) Wolgast Dr. Uschi Eid Frank Hofmann (Volkach) Dr. Edith Niehuis Wieland Sorge Hans-Josef Fell (B) Ingrid Holzhüter Dr. Rolf Niese Wolfgang Spanier Andrea Fischer (Berlin) (D) Eike Hovermann Dietmar Nietan Dr. Margrit Spielmann Joseph Fischer (Frankfurt) Christel Humme Günter Oesinghaus Jörg-Otto Spiller Katrin Göring-Eckardt Lothar Ibrügger Eckhard Ohl Dr. Ditmar Staffelt Rita Grießhaber Barbara Imhof Leyla Onur Antje-Marie Steen Gerald Häfner Brunhilde Irber Manfred Opel Ludwig Stiegler Winfried Hermann Gabriele Iwersen Holger Ortel Rolf Stöckel Antje Hermenau Renate Jäger Adolf Ostertag Rita Streb-Hesse Kristin Heyne Jann-Peter Janssen Kurt Palis Reinhold Strobl (Amberg) Ulrike Höfken Ilse Janz Albrecht Papenroth Dr. Peter Struck Michaele Hustedt Volker Jung (Düsseldorf) Dr. Martin Pfaff Joachim Stünker Monika Knoche Johannes Kahrs Johannes Pflug Joachim Tappe Dr. Angelika Köster-Loßack Ulrich Kasparick Dr. Eckhart Pick Jörg Tauss Steffi Lemke Sabine Kaspereit Joachim Poß Jella Teuchner Susanne Kastner Karin Rehbock-Zureich Dr. Gerald Thalheim Dr. Helmut Lippelt Ulrich Kelber Dr. Carola Reimann Wolfgang Thierse Dr. Reinhard Loske Hans-Peter Kemper Margot von Renesse Franz Thönnes Oswald Metzger Klaus Kirschner Renate Rennebach Uta Titze-Stecher Kerstin Müller (Köln) Siegrun Klemmer Bernd Reuter Adelheid Tröscher Christa Nickels Fritz Rudolf Körper Dr. Edelbert Richter Hans-Eberhard Urbaniak Cem Özdemir Karin Kortmann Christel Riemann- Rüdiger Veit Simone Probst Anette Kramme Hanewinckel Simone Violka Christine Scheel Nicolette Kressl Reinhold Robbe Ute Vogt (Pforzheim) Irmingard Schewe-Gerigk Volker Kröning Gudrun Roos Hans Georg Wagner Rezzo Schlauch Angelika Krüger-Leißner René Röspel Hedi Wegener Albert Schmidt (Hitzhofen) Horst Kubatschka Dr. Ernst Dieter Rossmann Dr. Konstanze Wegner Werner Schulz (Leipzig) Ernst Küchler Michael Roth (Heringen) Wolfgang Weiermann Christian Simmert Helga Kühn-Mengel Birgit Roth (Speyer) Reinhard Weis (Stendal) Christian Sterzing Ute Kumpf Marlene Rupprecht Matthias Weisheit Hans-Christian Ströbele Konrad Kunick Thomas Sauer Gert Weisskirchen Dr. Antje Vollmer Werner Labsch Gudrun Schaich-Walch (Wiesloch) Dr. Ludger Volmer Christine Lambrecht Rudolf Scharping Dr. Ernst Ulrich von Sylvia Voß Brigitte Lange Bernd Scheelen Weizsäcker Helmut Wilhelm (Amberg) Christian Lange (Backnang) Dr. Hermann Scheer Jochen Welt Margareta Wolf (Frankfurt) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001 20395

Vizepräsidentin Anke Fuchs (A) PDS Dr. Ruth Fuchs Dr. Heidi Knake-Werner Rosel Neuhäuser (C) Wolfgang Gehrcke Rolf Kutzmutz Christine Ostrowski Dr. Dietmar Bartsch Dr. Klaus Grehn Ursula Lötzer Dr. Uwe-Jens Rössel Petra Bläss Dr. Gregor Gysi Dr. Christa Luft Gustav-Adolf Schur Maritta Böttcher Uwe Hiksch Heidemarie Lüth Dr. Ilja Seifert Eva Bulling-Schröter Dr. Barbara Höll Pia Maier Roland Claus Sabine Jünger Angela Marquardt Fraktionslose Heidemarie Ehlert Gerhard Jüttemann Manfred Müller (Berlin) Abgeordnete Dr. Heinrich Fink Dr. Evelyn Kenzler Kersten Naumann Christa Lörcher

Der Entschließungsantrag ist damit abgelehnt. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. Ich höre keinen Wi- Ich danke den Schriftführerinnen und Schriftführern derspruch. Dann ist so beschlossen. für die schnelle Auszählung. (Beifall bei der SPD) Ich eröffne die Aussprache – die Diskutanten sind da – und erteile der Kollegin Sabine Kaspereit für die SPD- Ich rufe Tagsordnungspunkt III auf: Fraktion das Wort.

– Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Sabine Kaspereit (SPD): Frau Präsidentin! Liebe NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Kolleginnen und Kollegen! Mit der abschließenden Bera- Fortführung des Solidarpaktes, zur Neuordnung tung des Gesetzentwurfs zur Fortführung des Solidar- des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und zur pakts, zur Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzaus- Abwicklung des Fonds „Deutsche Einheit“ (Soli- gleichs und zur Abwicklung des Fonds „Deutsche darpaktfortführungsgesetz – SFG) Einheit“ wird nach der Steuer- und Rentenreform ein wei- teres großes Projekt der Reformagenda dieser Bundes- – Drucksache 14/7063 – regierung zu einem guten Abschluss gebracht. (Erste Beratung 193. Sitzung) (Beifall bei der SPD) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- Ich hätte vor einem Jahr noch nicht geglaubt, dass wir regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes an diesem 30. November des Jahres 2001 das Solidar- zur Fortführung des Solidarpaktes, zur Neuord- (B) paktfortführungsgesetz abschließend durch den Bundes- (D) nung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und tag bringen würden. Hier ist in unglaublich kurzer Zeit un- zur Abwicklung des Fonds „Deutsche Einheit“ glaublich viel passiert und gesetzgeberisch umgesetzt (Solidarpaktfortführungsgesetz – SFG) worden, im Übrigen weit mehr, als uns die Karlsruher – Drucksache 14/7256 – Richter im November 1999 abverlangt hatten. (Erste Beratung 198. Sitzung) Es ist klar: Der Konsens zwischen den Ministerpräsi- a) Beschlussempfehlung und Bericht des denten der Länder und dem Bundeskanzler vom Juni die- Sonderausschusses Maßstäbe-/Finanzaus- ses Jahres hat hierfür die entscheidenden Weichen ge- gleichsgesetz stellt. Dafür ist allen Beteiligten, aus welcher Region der – Drucksache 14/7646 – Bundesrepublik sie auch kommen, welcher Regierung sie auch immer angehören, zu danken. Die Interessenlagen Berichterstattung: hätten doch unterschiedlicher nicht sein können! Ob Bund Abgeordnete Horst Schild oder Länder, ob Zahler oder Empfänger, ob Ost oder West, Heinz Seiffert Oswald Metzger ob Nord oder Süd, ob SPD- oder CDU-regiert – man fand Gisela Frick sich in einem guten Kompromiss wieder. Dr. Barabara Höll (Beifall bei der SPD) b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- Es war richtig, dass die Bundesregierung zunächst ver- schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung halten agierte und dann bei den entscheidenden Weichen- – Drucksache 14/7647 – stellungen Tempo machte. Es war ebenso richtig, die Län- der zu bewegen, vorweg in einem möglichst engen Berichterstattung: Beratungs- und Konsensfindungsprozess so viele Kom- Abgeordnete Dietrich Austermann promisslinien wie möglich zu entwickeln und darüber zu Dr. sprechen. Ich finde es schade, dass die FDP sich dieser Dr. Christa Luft Verfahrensweise verweigert hat. Wo es um so viel Geld Hans Georg Wagner geht, ist es realitätsfern, zu glauben, man könne die Rech- Oswald Metzger nung ohne den Wirt machen. Es ist nur legitim, dass die Zum Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen liegt ein Länder hier ein gewichtiges Wort mitreden müssen; es Änderungsantrag der Fraktion der PDS vor. geht gerade um sie. 20396 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001

Sabine Kaspereit (A) Ich kann das hier gewählte Verfahren der Kompromiss- Regierung verlassen. Insgesamt 306 Milliarden DM hat (C) findung als Parlamentarierin, die nicht vom Lehrstuhl ei- der Bund den neuen Ländern bis zum Jahre 2019 zuge- nes Rechtsprofessors oder vom Senatssessel eines Verfas- sagt, um die teilungsbedingten Sonderlasten in den neuen sungsrichters Politik für die Menschen in diesem Lande Ländern tragen zu helfen. erfolgreich umzusetzen versucht, nicht grundsätzlich kri- tisieren. (Beifall bei der SPD und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das sind aber hehre Ansprüche!) Die Finanzmittel aus dem Solidarpakt II in Höhe von 206 Milliarden DM oder gut 105 Milliarden Euro können Deshalb sage ich: Die Verabschiedung dieses Gesetzes damit eingesetzt werden, um zum einen dem nach wie vor zur Fortführung des Solidarpakts, zur Neuordnung des erheblichen infrastrukturellen Nachholbedarf wirksam zu bundesstaatlichen Finanzausgleichs und zur Abwicklung begegnen und zum anderen die Finanzschwäche der ost- des Fonds „Deutsche Einheit“ in einem einzigen Paket ist deutschen Kommunen auszugleichen. Hinzu kommen ein gutes Ergebnis des deutschen Föderalismus. rund 100 Milliarden aus dem so genannten Korb 2, das (Beifall bei der SPD) heißt diverser weiterer Förderprogramme. Es zeigt seine Fähigkeit, auch mit schwerwiegenden Viertens. Ein in meinen Augen außerordentlich wichti- Problemen unter schwierigen Umständen angemessen ger Aspekt ist neben der Summe von 206 Milliarden DM fertig zu werden. die Planungssicherheit, die die Länder und Gemeinden in Ostdeutschland für ihre Investitionen jetzt haben, und Meine Damen und Herren, es ist weitgehend unum- das für einen fast 20-jährigen Zeitraum. Das ist mehr wert stritten: Das Ergebnis des Gesetzgebungsverfahrens kann als das jahrelange Feilschen um die eine oder andere zu- sich sehen lassen. Ich sage das ganz bewusst auch als ost- sätzliche Mark aus dem Bundeshaushalt. deutsche Abgeordnete. (Beifall bei der SPD und dem BÜND- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ NIS 90/DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN) Wir wissen jetzt, was der Bund zur Beseitigung tei- Deshalb beziehe ich mich in meiner Rede vor allem auf lungsbedingter Sonderlasten in den neuen Ländern Jahr die Fortführung des Solidarpakts. für Jahr aufbringt. Wir machen mit diesem Gesetz mehrere Dinge deut- (Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Und die Länder!) lich: Die Länderregierungen und auch die Städte und Gemein- (B) Erstens. Der wirtschaftliche Aufbau in den neuen (D) den können jetzt auf Heller und Pfennig mit zweistelligen Bundesländern ist und bleibt für uns eine überragende Milliardensummen rechnen. Das bringt langfristige Pla- Aufgabe deutscher Politik. nungssicherheit für öffentliche Investitionen. Der Aufbau (Beifall bei der SPD) Ost hat damit eine klare Perspektive bis zum Jahr 2020. Wir haben immer gesagt: Der wirtschaftliche Aufbau ist (Beifall bei der SPD und dem BÜND- ein gewaltiger Prozess, dem sich die Deutschen in Ost und NIS 90/DIE GRÜNEN) West als eine Generationenaufgabe stellen müssen. Wer anderes behauptet, erweckt Illusionen, die nur in Ent- Ich finde es im Übrigen sachgerecht und angemessen, täuschungen enden können. Wir haben zu keinem Zeit- dass die Hilfen degressiv ausgestaltet sind. Entsprechend punkt unhaltbare Versprechungen gemacht, liebe Kol- dem Finanzbedarf werden sie von 10,5 Milliarden Euro leginnen und Kollegen von der Opposition. Wir handeln im Jahr 2005 auf 2,8 Milliarden Euro im Jahr 2018 sinken. auf dem Boden der Realität und sagen das auch. Der Deutsche Bundestag wird mit diesem Gesetz der (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ stärkeren Regionalisierung in den neuen Ländern und da- DIE GRÜNEN) mit der stärkeren Verantwortung politischer Entscheidun- gen vor Ort Rechnung tragen, und das bereits ab Beginn Zweitens. Für uns bleibt das Ziel, nämlich die Anglei- des nächsten Jahres. Wir warten nicht bis zum Auslaufen chung der wirtschaftlichen Verhältnisse, der Lebens- des Solidarpaktes I, sondern machen das schon jetzt und und Arbeitsverhältnisse der Menschen, im Mittelpunkt kommen damit den neuen Ländern deutlich entgegen. unserer Arbeit. Dabei – auch das will ich an dieser Stelle deutlich machen – geht es nicht darum, den Aufbau Ost (Beifall bei der SPD und dem BÜND- als einen schlichten Nachbau West zu begreifen. Es geht NIS 90/DIE GRÜNEN) darum, den Menschen in Ostdeutschland, denen in 40 Jah- Bislang sind im Rahmen des Investitionsförderungs- ren DDR ein Leben in Freiheit und Wohlstand verwehrt gesetzes Aufbau Ost Mittel in Höhe von jährlich rund worden war, die gleichen Lebenschancen wie den Bürge- 3,4 Milliarden Euro – das sind 6,6 Milliarden DM – rinnen und Bürgern in Westdeutschland einzuräumen. zweckgebunden für gesetzlich definierte Investitionen Drittens. Um dieses Ziel zu erreichen, ist die Solida- ausgegeben worden. Damit die ostdeutschen Länder und rität der Länder und des Bundes in Form finanzieller Un- Berlin schon ab dem Jahr 2002 in stärkerem Maße eigen- terstützung eine – ich sage: eine – Maßnahme. Die Men- verantwortlich handeln können, werden diese Mittel des schen in den neuen Ländern können sich dabei auf die Investitionsförderungsgesetzes bereits ab 2002 in unge- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001 20397

Sabine Kaspereit (A) bundene Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen zu beschreiten ist nicht immer populär; aber es ist der ein- (C) umgewandelt werden. zig mögliche Weg, der glaubwürdig ist und der verloren gegangenes Vertrauen wieder wecken kann. (Beifall bei der SPD und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD) Damit erreichen wir zum einen mehr Transparenz bei der Es ist guter Brauch – ich komme ihm gerne nach –, Förderung und zum anderen mehr Klarheit und Kontrolle Dank an all diejenigen auszusprechen, die an dieser in der beim Einsatz der Finanzmittel aus dem Solidarpakt. Die Sache doch schwierigen und vom Verfahren her eher un- Steuerbürger haben darauf ein Recht. gewöhnlichen Arbeit vor und hinter den Kulissen beteiligt Die Länder Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vor- waren: Dank an die beiden Vorsitzenden des Sonderaus- pommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen wer- schusses, an Joachim Stünker und Volker Kröning. den dem Finanzplanungsrat im Rahmen von Fort- (Beifall bei der SPD) schrittsberichten Aufbau Ost jährlich erstens über ihre jeweiligen Fortschritte bei der Schließung der Infrastruk- Ein ausdrücklicher Dank geht an das Sekretariat des Son- turlücke, zweitens über die Verwendung der erhaltenen derausschusses, an die Vorsitzenden der Arbeitsgruppen Mittel aus Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisun- und ihre Mitarbeiter. Ich danke auch für die hilfreiche Zu- gen und drittens über die finanzwirtschaftliche Entwick- sammenarbeit mit der Ministerialbürokratie in Bund und lung der Länder und Kommunen einschließlich der Be- Ländern. Ein weiterer Dank richtet sich an die Sachver- grenzung der Nettoneuverschuldung berichten. ständigen in Anhörungen und Gesprächen. Last, but not least: Dank auch an die Kolleginnen und Kollegen der (Beifall bei der SPD) Fraktionen. Der Fortschrittsbericht Aufbau Ost wird erstmals im (Beifall bei der SPD und dem BÜND- Jahr 2003 vorgelegt werden. Ich möchte an dieser Stelle NIS 90/DIE GRÜNEN) erneut anregen, dass der Deutsche Bundestag diese Fort- schrittsberichte und deren Bewertung durch die Bundes- Allen zusammen gilt ein Kompliment für die überwie- regierung zur Kenntnis erhält und debattiert. gend sachliche und konstruktive Zusammenarbeit. Eines sage ich ganz ausdrücklich: Danke für die Solidarität! (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD und dem BÜND- Die rot-grüne Regierungskoalition hat mit diesem Ge- NIS 90/DIE GRÜNEN) setz und insbesondere mit der Festlegung auf das Jahr 2019 deutlich gemacht: Wir haben erst die eine (B) Hälfte des Aufbauweges in Ostdeutschland hinter uns ge- Vizepräsidentin Anke Fuchs: Ich erteile das Wort (D) lassen. Uns steht noch eine zweite, mindestens ebenso dem Kollegen Leo Dautzenberg für die CDU/CSU-Frak- lange Wegstrecke bevor. tion. (Siegfried Scheffler [SPD]: Sehr richtig!) Leo Dautzenberg (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Wir müssen das den Bürgerinnen und Bürgern in beiden Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kolle- Teilen Deutschlands immer wieder klar sagen, auch wenn gen! Mit dem heute zu beschließenden so genannten So- das unpopulär sein mag. Es war ein großer, vielleicht so- lidarpaktfortführungsgesetz wird eine Anschlussregelung gar der entscheidende Fehler der Kohl-Regierung, die Er- zum so genannten Solidarpakt zugunsten der neuen Län- wartungen der Menschen an das Tempo, die Breite und der getroffen und der bundesstaatliche Finanzausgleich die Tiefe des erforderlichen Aufbauprozesses unrealis- wird neu geregelt. Des Weiteren wird der Fonds „Deut- tisch hoch geschraubt zu haben. Das werfe ich der alten sche Einheit“ abgewickelt. Regierung vor. Im Einzelnen zu nennen sind hier die Regelungen über (Beifall bei der SPD und dem BÜND- die Umwandlungen der Mittel des Investitionsförde- NIS 90/DIE GRÜNEN) rungsgesetzes Aufbau Ost in ungebundene Sonderbe- Diese enttäuschten Erwartungen sind es, die bei man- darfs-Bundesergänzungszuweisungen bereits ab 2002 so- chen Menschen in Ostdeutschland das Gefühl der Zweit- wie Regelungen zur Wahrung der Haushaltsdisziplin im klassigkeit aufkommen ließen. Dieses Gefühl zu nähren Rahmen der Europäischen Wirtschafts- und Währungs- und daraus politisch Kapital schlagen zu wollen, es op- union im Haushaltsgrundsätzegesetz. portunistisch in Wählerstimmen ummünzen zu wollen, Die Abwicklung des Fonds „Deutsche Einheit“ wird das werfe ich der PDS vor. näher ausgestaltet und das Finanzausgleichsgesetz wird (Beifall bei der SPD und dem BÜND- neu gefasst. Beim Finanzausgleich geht es um eine Neu- NIS 90/DIE GRÜNEN – Wilhelm Schmidt verteilung des Steueraufkommens zwischen dem Bund [Salzgitter] [SPD]: Billiger Populismus!) und den Ländern sowie unter den Ländern. Ferner gilt es, Unterschiede in der Finanzkraft der einzelnen Länder an- Es ist ein Verdienst unserer Bundesregierung unter gemessen auszugleichen. Insgesamt werden dazu jährlich Gerhard Schröder, gegenüber den Menschen in den neuen rund 60 Milliarden DM umgeschichtet. Ländern eine Politik zu vertreten, die auf realistischen Perspektiven für den weiteren Aufbau und die Anglei- Warum ist die vorliegende Regelung erforderlich? Das chung der Lebensverhältnisse beruht. Einen solchen Weg Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil vom 20398 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001

Leo Dautzenberg (A) 11. November 1999 entschieden, dass der Bund-Län- konnten oder wollten vom Finanzminister zum Teil nicht (C) der-Ausgleich einer neuen Regelung bedarf. Außerdem vorgelegt werden. musste eine Anschlussregelung zugunsten der neuen Län- So hat in Art. 5 die Regelung Eingang gefunden, dass der getroffen werden. Das Bundesverfassungsgericht gab bezüglich der zusätzlichen Belastungen aus der Neurege- dem Gesetzgeber dabei ein zweistufiges Verfahren vor. lung des Familienleistungsausgleichs der Umsatzsteu- Der Gesetzgeber war aufgefordert, bis Ende 2002 ein Ge- eranteil an die Entwicklungen der Leistungen nach den setz zu erlassen, in dem die unbestimmten Rechtsbegriffe §§ 62 bis 78 des Einkommensteuergesetzes in der jeweils der Verfassung konkretisiert und ergänzt werden. Darauf geltenden Fassung angepasst wird, sodass diese zu aufbauend sollte dann in einem zweiten Gesetz der 74 Prozent vom Bund und zu 26 Prozent von den Ländern angemessene Ausgleich der unterschiedlichen Finanz- getragen werden. Nach Auffassung der Länder hat bei Er- kraft der Länder geregelt werden. höhung dieser familienpolitischen Leistungen eine Über- Die erste Stufe der höchstrichterlichen Vorgabe ist mit prüfung mit dem Ziel der Anpassung zu erfolgen. dem so genannten Maßstäbegesetz, das am 5. Juli 2001 Bundesminister Eichel hat den Versuch unternommen, im Deutschen Bundestag verabschiedet wurde, umgesetzt diese Regelung dahin gehend abzuschwächen, dass statt worden. Auf der Basis dieses Maßstäbegesetzes sind nun einer „Anpassung“ nur eine „Überprüfung“ der Vorgabe die konkreten Regelungen festgelegt worden. Das erfolgen soll. Diese Tricksereien des Bundesfinanzminis- Bundesverfassungsgericht hat uns hier keine leichte Auf- ters führten zu unnötigen Verzögerungen, da in der ersten gabe gestellt. So verwundert es nicht, dass seit dem Urteil Vorlage das, was im Rahmen des Maßstäbegesetzes ge- zwei Jahre verstrichen sind, bis schließlich zwischen dem meinsam vereinbart wurde, nicht eingehalten worden ist Bund und allen 16 Bundesländern ein Konsens in greif- und die Zusammenkunft mit den Finanzministern der bare Nähe rückte. Länder – diese fand auf Wunsch des Bundesfinanzminis- ters statt – daher abgebrochen wurde. Dieser – so muss Der nun erzielte Kompromiss entspricht in vielen man jetzt feststellen – untaugliche Versuch ging zulasten Punkten nicht den Vorstellungen der CDU/CSU-Fraktion. der Länder. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Es ist festzuhalten, dass der gesamte Kompromiss im neten der FDP) Wesentlichen auf einer Liquiditätsverbesserung für den Er trägt wohl auch den Vorgaben des Bundesverfassungs- Bund beruht – jedoch zulasten unserer Kinder. Der Bund gerichtes nur weitläufig Rechnung. Dennoch stimmen wir übernimmt von 2005 bis 2019 Zins- und Tilgungslasten; ihm zu, wenn auch mit Bedenken. Denn wir haben er- er lässt sich diesen Aufwand teilweise durch Vorweg- reicht, dass ein Anreizsystem geschaffen wurde, sodass nahme der Gelder aus dem Umsatzsteuertopf entgelten (B) sowohl Geber- als auch Empfängerländer für erfolgrei- und vermindert damit die Tilgungsleistungen weiter. (D) ches Wirtschaften belohnt wurden. Ferner wird für die Auch den Ländern – das muss man betonen – kommt neuen Bundesländer eine langfristige Planungs- und Ge- diese Tilgungsstreckung natürlich gelegen. Dem Bundes- staltungssicherheit – zunächst bis zum Jahre 2019 – er- finanzminister gelingt es damit – zumindest mittelfris- reicht; sie ermöglicht auch eine größere Unabhängigkeit tig –, seine Haushaltsdefizite zu verdecken und vorerst der Kommunen. Schließlich wird es dem Bundesfinanz- Tilgungsausgaben in Höhe von deutlich über 4 Milliar- den DM zu vermeiden. minister nicht mehr möglich sein, die Uneinigkeit der Länder für sachfremde Zwecke auszunutzen. Diese Liquiditätsschöpfung wird der Bundesregierung nur vordergründig helfen, ihre Haushaltsprobleme zu be- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – wältigen. Sie versucht, damit ihre schlechte Arbeitsmarkt- Joachim Poß [SPD]: Hört, Hört!) und Wirtschaftspolitik zu kaschieren. Das ist ein sehr Dabei bestand von Anfang an das Problem, dass der Ent- durchsichtiges Unterfangen, meine Damen und Herren. scheidungsspielraum für die Mitglieder des Sonderaus- (Joachim Stünker [SPD]: Tibetanische Gebets- schusses, die den Kompromiss erarbeitet haben, stark ein- mühle ist das hier! – Weitere Zurufe von der geschränkt war. SPD) Der Finanzausgleich wird jedoch durch die getroffene Des Weiteren versucht die Bundesregierung, die leere Regelung nicht einfacher und auch nicht transparenter. Haushaltskasse mit immer neuen Steuererhöhungen zu (Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Im Gegenteil!) füllen, Eine geschickter agierende Bundesregierung hätte zwei- (Joachim Poß [SPD]: Was? Wir entlasten fellos mehr Innovation in das System bringen können. doch!) Zu kritisieren ist in diesem Zusammenhang der aber eine Korrektur über die Einnahmeseite kann nicht schlechte Stil, mit dem die Beratungen insbesondere von- gut gehen. Im Gegenteil: Für die konjunkturelle Lage ist seiten des Bundesfinanzministers immer wieder unnötig sie Gift. Jüngstes Beispiel ist die Erhöhung der Versiche- verzögert worden sind. rung- und Tabaksteuer, angeblich um Kostendeckung für Maßnahmen zur inneren Sicherheit zu erhalten. (Jörg Tauss [SPD]: Na, na, na! Unglaublich!) (Beifall bei der CDU/CSU – Joachim Poß Wir hätten zugunsten der neuen Länder schon viel früher [SPD]: Das hat etwas mit dem Terrorismus und ein Ergebnis erzielen können. Erforderliche Unterlagen nichts mit dem Solidarpakt zu tun!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001 20399

Leo Dautzenberg (A) – Herr Kollege Poß, Sie erkennen nicht, dass alles mit al- Es ist als ein Erfolg der CDU/CSU-Fraktion zu sehen, (C) lem zusammenhängt; das beste Ausgleichssystem nützt dass aufgrund unserer Initiative zumindest bis zum Jahre dann nichts, wenn die Bemessungsgrundlagen für die Ver- 2010 eine Überprüfung der Gewerbesteuerumlage, die teilung auf alle staatliche Ebenen immer ungerechter wer- sich positiv auf die Kommunen auswirken wird, statt- den. Insbesondere der Bund muss das einsehen. finden wird. (Joachim Stünker [SPD]: Das ist unwahr!) Wir von der CDU/CSU-Fraktion legen Wert darauf, Das hat nämlich etwas mit der Wirtschafts- und Finanz- dass die gemeinsame Entschließung trotz aller Bedenken politik dieser Bundesregierung zu tun, und nichts mit So- unsere Zustimmung findet, weil wir erreicht haben, dass lidarpakt oder Finanzausgleich. hiermit ein Anreizsystem geschaffen wird, das sowohl Geber- als auch Empfängerländer für erfolgreiches Wirt- (Beifall bei der CDU/CSU – Joachim Poß schaften belohnt. Es gibt einerseits den neuen Ländern [SPD]: Das müssen Sie gerade sagen!) Gestaltungssicherheit bis 2019. Auf der anderen Seite ist Zu Beginn des nächsten Jahres, Kollege Poß, werden Mi- es dem Finanzminister, wie schon betont, nicht mehr neralölsteuer und Stromsteuer erhöht. Steuererhöhungen möglich, die Länder mit sachfremden Aspekten gegen- führen zu Kaufkraftentzug, zu Einschränkung des Konsums einander auszuspielen. Wir werden zustimmen, weil die und letztlich zu einem schwächeren Wirtschaftswachstum. Länder in diesen Kompromiss eingebunden sind, obwohl Die Bundesrepublik Deutschland weist im europäischen – das muss man betonen – der Spielraum für uns Parla- Vergleich mittlerweile die schlechtesten Wachstumsraten mentarier sehr eng war. auf. Unser Land trägt damit in Europa die rote Laterne. Diese konjunkturelle Situation ist ausschließlich hausgemacht; Vielen Dank. diese Bundesregierung hat das bisher nicht verstanden, sie (Beifall bei der CDU/CSU) führt die notwendigen Reformmaßnahmen, die von der Vor- gängerregierung eingeleitet worden sind, nicht fort. Vizepräsidentin Anke Fuchs: Ich erteile das Wort (Jörg Tauss [SPD]: Ach du lieber Himmel! – der Kollegin Antje Hermenau für Bündnis 90/Die Grünen. Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Sie sind zurückge- nommen worden! Statt Deregulierung auf dem Arbeitsmarkt haben Sie Antje Hermenau (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): neue Formen der Regulierung beschlossen. Ich erinnere Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich dachte nur an die Fremdbestimmung bei der Mitbestimmung, an eigentlich, dass diese Debatte die ruhigere der beiden heu- das 630-Mark-Gesetz, an das Gesetz gegen die Schein- tigen Finanzdebatten sein würde. Als ich mich vorberei- (B) selbstständigkeit. All diese Maßnahmen haben mehr tete, dachte ich mir: Die erste wird lebendig und spritzig. – (D) staatliche Regulierung herbeigeführt und nicht eine De- Jetzt hat Herr Dautzenberg doch auch in diese Debatte regulierung, wie sie eigentlich für die Flexibilisierung er- noch Pfeffer gebracht. Das haben wir gerade gemerkt. forderlich gewesen wäre. Jede einzelne Fraktion, die hier zustimmt, tut das in (Beifall bei der CDU/CSU) dem Bewusstsein, dass das Ganze ein Kompromiss ist. Keine einzige Fraktion in diesem Haus ist wirklich hun- Ich darf an die Einnahmen aus den Verkäufen der UMTS-Lizenzen erinnern, die im Grunde genommen ein- dertprozentig zufrieden mit dem, was wir haben. Es ist ty- seitig dem Bund zugeflossen sind. Die Länder haben je- pischer Kompromiss. Alle stimmen zu und alle meckern doch aufgrund der Betriebsausgaben der Unternehmen rum; das ist ganz normal. für die UMTS-Lizenzen weniger Steuereinnahmen und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN damit eine schlechtere Einnahmesituation, obwohl sie die und bei der SPD – Gisela Frick [FDP]: Nicht Steuern dringend benötigen. alle stimmen zu!) Nun überlegt Finanzminister Eichel immer wieder ge- Ich erinnere mich, dass wir in öffentlicher Debatte und meinsam mit dem französischen Finanzminister, wie die nicht nur heimlich beim Bier unter Kollegen gesagt ha- Stabilitätskriterien von Maastricht durch so genannte ben: Dieses Verfahren – Hinterzimmergespräche – ist für Ausgabenziele aufgeweicht werden können. Angesichts uns alle eine Beleidigung oder eine Bedrückung. Wir ar- dessen habe ich kein Verständnis dafür, dass Sie über das beiten im Ausschuss gründlich und vertiefend und dann Haushaltsgrundsätzegesetz die Länder und die Kommu- nen stärker auf die Stabilitätskriterien verpflichten wol- wird das Problem doch im Hinterzimmer geklärt, wenn len, während Sie sich selber einen Freiraum schaffen wol- die Ministerpräsidenten mit dem Finanzminister zusam- len. Das bringt nämlich eine Destabilisierung des Euro mensitzen. und damit auch unserer Stabilitätspolitik mit sich. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das kennen Meine Damen und Herren, in dieser kritischen Wirt- wir doch aus anderen Bereichen auch!) schaftslage sind andere Maßnahmen erforderlich. Gebot Das ist für die Mitglieder des Ausschusses, die gearbeitet der Stunde ist ein Verzicht auf weitere Steuererhöhungen, haben, insgesamt keine angenehme Situation. Das haben ist eine schnellere Entlastung der Betriebe sowie der alle zugegeben und das wissen wir alle. Das zeigt aller- Bürgerinnen und Bürger. dings auch, wie in den letzten Jahrzehnten der Föderalis- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- mus in der Bundesrepublik Deutschland gewachsen ist neten der FDP) und welche Machtstellung die Ministerpräsidenten haben. 20400 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001

Antje Hermenau (A) Drehen wir die Sache einmal um! Positiv ist zum Bei- Eines ist natürlich auffällig: In der dritten Lesung be- (C) spiel, dass es gelungen ist, einen Ministerpräsidenten zu raten nur noch ein paar Fachpolitiker darüber. Ich weiß stoppen, und zwar Herrn Stoiber, der permanent versucht noch, wie die Ministerpräsidenten wie die Döckchen artig hat, aus dem Aufbau Ost auszusteigen. auf der Bundesratsbank saßen, als es darum ging, was die- ser Bundestag beim Länderfinanzausgleich und beim (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Joachim Poß [SPD]: Und Maßstäbegesetz will. Denen ging die Muffe. Die hatten Herr Teufel!) Angst, wir könnten vielleicht wirklich etwas Gerechtes erreichen. Die Kompromisslage ist klar. Wir haben ein paar Sa- chen „reingestimmt“ bekommen, die den Ministerpräsi- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN denten wichtig waren. Wir haben selber ein paar Sachen und bei der SPD sowie des Abg. Heinz Seiffert „reingestimmt“, die uns wichtig waren und den Minister- [CDU/CSU] – Gisela Frick [FDP]: Es wäre präsidenten, zumindest Herrn Stoiber, nicht so sehr. Das auch gut gewesen!) ist ein ganz normaler Kompromiss. Die hatten richtig Angst vor uns. Wenigstens das sei uns Ich glaube, die Selbstbindung der Länder und Kom- als Befriedigung gegönnt. munen an das Stabilitätsziel, das in der EU greifen soll, Jetzt, wo alles beschlossen ist, ist natürlich kein einzi- ist eine der wichtigsten Errungenschaften, auch wenn das ger von den Ministerpräsidenten mehr da. hier nach gar nichts klingt. Das bedeutet nämlich, dass auch die Länder – ob Süd, ob Nord, ob Ost, ob West – und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Kommunen angehalten sind, dazu beizutragen, dass und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der alle öffentlichen Ebenen es schaffen, dass die Bundesre- CDU/CSU) publik Deutschland das Stabilitätsziel in Europa erreicht. Wir reden über zukünftige Aufgaben, zum Beispiel über (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Gemeindefinanzreform, und wer glänzt durch Abwe- und bei der SPD) senheit? – Der Schwamm der mittleren Ebene. Typisch, aber auch damit müssen wir leben. Denken Sie nicht, dass wir jetzt schon mit aller Arbeit fertig sind, nur weil wir dieses Gesetz abschließen kön- (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Man muss nen! In der nächsten Legislaturperiode wird die Kommu- der Fairness halber sagen, dass die parallel nalfinanzverfassung auf der Tagesordnung stehen. Es Bundesratssitzung haben! Aber Beobachter wird eine schwierige Debatte über die Gemeindefinanz- müssen da sein!) reform geben. Ich weiß, der Kollege Rössel macht sich Ich halte es für eine besondere Errungenschaft des (B) schon bereit. Wir werden also heftigst streiten. Warum ist Diskussionsprozesses, dass es gelungen ist, die Anrech- (D) das so wichtig? – Weil der größte Teil der Politik, die die nung der kommunalen Finanzkraft auf 64 Prozent an- Menschen erleben und anfassen können, bei ihnen zu zuheben. Das ist bei weitem nicht genug. Wir haben das Hause stattfindet, nämlich in den Kommunen. Deswegen deutlich und lautstark kritisiert. Die Kommunen hatten wird es in diesem Parlament eine erbitterte Schlacht über eben nicht das Glück, im Hinterzimmer mit den entspre- die Gemeindefinanzreform geben. Das ist auch richtig so; chenden Entscheidenden zu sitzen, wie die Ministerpräsi- denn das ist gelebte Politik. denten es taten. Das merkt man diesem Gesetz an. Aber (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN immerhin wurde die Anrechnung angehoben. Das war ein und bei der SPD) Schritt in die richtige Richtung. Bei aller Herummeckerei: Gelungen ist zum Beispiel, Es ist geschafft worden – das hat Herr Dautzenberg von dass der Länderfinanzausgleich endlich ein bisschen ent- der CDU sogar gerade zugegeben –, gewisse Anreize zu schlackt worden ist. verankern. Auch das halte ich für richtig. Wer sich bei der Steuereintreibung mehr bemüht, soll gefälligst ein biss- (Lachen des Abg. Heinz Seiffert [CDU/CSU]) chen mehr für sich selbst behalten können. Das halte ich Es sind ein paar Sachen herausgeflogen oder gemindert für eine vernünftige Vorgehensweise. Wir haben nämlich worden. sehr oft das Problem, dass die Länder gar nicht so sehr da- ran interessiert sind, ein paar Steuermark mehr mit viel (Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Das meinen Sie Mühe einzusammeln, weil sie glauben, sie bekämen ge- aber nicht ernst! „Entschlackt“ ist etwas an- nug Bundesmittel und dann müssten sie sich nicht küm- deres!) mern. Aber die Länder und Kommunen müssen sich ge- – Na, na! Man kann es konkret machen – das ist kein Pro- nauso um die Steuereintreibung kümmern wie alle blem –: Entschlackt wurde zum Beispiel bei den Hafen- anderen auch. lasten, zum Beispiel bei den Belastungen aus der politi- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schen Führung. und bei der SPD – Zustimmung des Abg. (Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Was? Das gibt es Günter Nooke [CDU/CSU]) doch weiterhin, Frau Kollegin!) Wenn man das mit Anreizen schaffen kann, soll mir das – Aus dem FAG ist das aber raus; das wissen Sie. recht sein. Diese Sachen sind geschafft worden. Das halte ich für Noch einmal zum Aufbau Ost. In der Finanzdebatte einen wichtigen Beitrag. heute früh zum Haushalt 2002 ist unheimlich gestritten Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001 20401

Antje Hermenau (A) worden. Man hat uns dauernd vorgeworfen, wir hätten un- Gisela Frick (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen (C) sere Investitionsquote dramatisch gesenkt. Aber jetzt und Herren! Frau Kaspereit, Sie haben zu Beginn Ihrer schauen wir uns doch einmal diesen Gesetzentwurf an: Rede gesagt, das Solidarpaktfortführungsgesetz sei ein Die Investitionen, die der Bund früher im Rahmen des In- weiteres Projekt in der Agenda der großen Reformen der vestitionsförderungsgesetzes vorgenommen hat, dürfen rot-grünen Bundesregierung. die fünf neuen Bundesländer jetzt selber vornehmen. Die Investitionen finden in gleicher Höhe statt; das ist über- (Sabine Kaspereit [SPD]: Dazu stehe ich haupt nicht das Problem. Sie gehen optisch nur nicht mehr auch!) zulasten des Bundes. Aber uns deswegen herunterzuma- Entschuldigen Sie bitte, dass ich das nicht mittragen kann. chen und zu sagen, wir hätten keine vernünftige Inves- titionsquote, ist albern. Es handelt sich dabei um eine op- (Sabine Kaspereit [SPD]: Sie haben auch den tische Verlagerung auf die Länderebene. Investitionen Solidarpakt nicht mitgetragen!) finden statt, und zwar in gewohnter Höhe. Das ist ein Das ist kein großes Projekt. Es ist auch nicht, wie im Aus- wichtiger Punkt. schuss immer wieder betont worden ist, die Erfüllung der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Es ist sehr viel und bei der SPD) weniger. Wir als FDP haben uns auch nicht verweigert. Wir waren zur konstruktiven Mitarbeit bereit, aber natür- Ich gehöre zu denen, die manchmal etwas kess und lich nur auf der Basis dessen, was das Bundesverfas- selbstbewusst sagen: Warum sollen wir fünf neuen Län- sungsgericht uns als Richtschnur vorgegeben hat. der eigentlich ständig darum betteln, solidarisch behan- delt zu werden? Aber auf der anderen Seite muss ich (Antje Hermenau [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- demutsvoll anerkennen: Wir sind in diesem Solidarpakt- NEN]: Das ist richtig!) fortführungsgesetz solidarisch bedacht worden. Das ist Davon sind wir noch meilenweit entfernt. Im Maß- korrekt und richtig. stäbegesetz besteht natürlich ein Grundfehler; da gebe (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ich Ihnen Recht. Das ist aber schon verabschiedet worden. und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Insofern könnte ich viele der Argumente wiederholen, die PDS – Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Übrigens ich damals in der Lesung des Maßstäbegesetzes genannt auch von den Geberländern!) habe. Dieses Maßstäbegesetz ist die Grundlage für das Fi- nanzausgleichsgesetz, das Sie jetzt novellieren möchten. – Das ist völlig richtig. Natürlich muss einer etwas geben, damit der andere etwas bekommt. Das ist ganz normal. In einem Punkt würde ich Ihnen zustimmen: Es steht in (Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Schön, dass Sie einer Reihe von großen Gesetzen Ihrer Bundesregierung, (B) das akzeptieren!) nämlich in der Reihe euphemistischer Benennungen von (D) Gesetzen. Jetzt ist es das Solidarpaktfortführungsgesetz. Ich glaube, dass es uns damit gelungen ist, einen wirk- Die meisten stolpern über den Namen. Es handelt sich da- lichen Beitrag dazu zu leisten, den Aufbau Ost oder, bes- bei natürlich um den neuen Finanzausgleich, in dem auch ser gesagt, die Verwirklichung der nationalen Einheit, die, der Solidarpakt enthalten ist. Insofern ist ganz klar, dass wie ich glaube, im letzten Jahrzehnt von fast allen Betei- wir diesen Gesetzentwurf, mit dem auf der Basis des ligten ein bisschen unterschätzt worden ist – wir alle ler- Maßstäbegesetzes die detaillierten Verteilungs- und Aus- nen hinzu –, auf solide Füße zu stellen. Innerhalb von führungsfolgen geregelt werden sollen, auch nicht mittra- zwei Jahren ist sicherlich kein Feuerwerk zu erwarten; das gen können. Das ist ja ganz selbstverständlich. haben inzwischen alle gelernt. Deswegen gibt es eine Vereinbarung für 20 Jahre – das ist eindeutig – mit klaren (Sabine Kaspereit [SPD]: Das halte ich nicht Zielvorgaben. In der Vereinbarung sind Jahr für Jahr Sen- für selbstverständlich!) kungen vorgesehen; es wird immer weniger Geld geben. – Aus unserer Sicht ist es selbstverständlich. Aber man klotzt am Anfang noch einmal richtig ran. Ich halte das für das richtige Verfahren; das kann man nur so Wenn Sie gestern den Artikel von Paul Kirchhof in der machen. „FAZ“ gelesen hätten, wüssten Sie – darauf wurde ganz deutlich hingewiesen –, dass er mit diesen Regelungen Damit stellen wir den Aufbau Ost auf eine solide Ba- nicht einverstanden ist. Sie haben da ein kleines bisschen sis, wenn sie auch nicht sehr erotisch und sexy erscheint. arrogant gesagt – Frau Kaspereit, jedenfalls in meinen Im Wahlkampf wird es natürlich nicht toll klingen, sagen Ohren klang das so –, Sie würden keine Regelungen vom zu müssen: Der Solidarpakt existiert noch 20 Jahre. – Ich Lehrstuhl eines Universitätsprofessors oder vom Sessel weiß das. Die Erotik dieses Sachverhaltes ist gering. Das eines Bundesverfassungsrichters aus treffen. Das ist ja wissen alle, die im Wahlkampf damit umgehen müssen. schön und gut. Aber das Bundesverfassungsgericht ist Aber die Basis für den Aufbau Ost ist damit solide, be- der Hüter unserer Verfassung; das möchte ich Ihnen sehr lastbar und verlässlich. Das ist das Entscheidende. deutlich sagen. Danke schön. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zuruf von der SPD: Das war uns aber ganz und bei der SPD) neu!) Es handelt sich nicht um eine abgehobene Rechtspre- Vizepräsidentin Anke Fuchs: Für die FDP-Fraktion chung aus der theoretisch-abstrakten Sicht eines Bundes- spricht jetzt die Kollegin Professor Gisela Frick. verfassungsrichters von einem komfortablen – auch das 20402 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001

Gisela Frick (A) klingt immer mit – Sessel. Es ist vielmehr die authenti- – Frau Kaspereit, es ist gut, dass Sie diesen Zwischenruf (C) sche Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, unsere machen. Ich habe im Ausschuss darauf hingewiesen, dass Verfassung für alle Staatsorgane und natürlich für alle die Ablehnung des Verfahrens und zum Teil auch der In- Staatsbürger verbindlich auszulegen. Ich halte es also halte nicht bedeutet, dass ich die Regelungen im Einzel- nicht für richtig, wenn wir uns darüber erheben und so tun, fall alle ablehne. als würde es sich bei den Entscheidungen um Elfenbein- (Jörg Tauss [SPD]:Ach! – Heinz Seiffert [CDU/ turmspielereien handeln, an die wir uns nicht weiter hal- CSU]: Wenn es alle so machen würden!) ten müssten. Ich habe schon damals bei der Lesung zum Maßstäbegesetz (Beifall bei der FDP) gesagt, dass wir nicht die Solidarität mit den neuen Ländern Frau Hermenau, ich gebe ihnen vollkommen Recht, in irgendeiner Form aufkündigen wollen. Was aber schlecht wenn Sie sagen, dass wir durch das Verfahren als Parla- ist – das will ich hier wiederholen, weil Sie es als Positivum mentarier beleidigt wurden. Das Verfahren – das habe ich angeführt haben –, ist das so genannte Verfallsdatum. damals bei der Lesung zum Maßstäbegesetz auch schon (Sabine Kaspereit [SPD]: Das habe ich nicht ausgeführt – war natürlich ein Schlag ins Gesicht des Par- angeführt!) lamentarismus. Solche Dinge kann man in einem Maßstäbegesetz, das ob- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) jektive, grundlegende Kriterien enthalten sollte, nicht auf- Ich habe es damals so ausgedrückt: Wenn das als Stern- nehmen. Es sind keine Lebensmittel, kein Quark und kein stunde des Föderalismus gefeiert wird, dann muss ich sa- Jogurt, obwohl der Vergleich mit dem Quark manchmal gen, dass es eine rabenschwarze Stunde für den Parla- gar nicht so falsch ist. mentarismus ist. Es sind so viele Fehler gemacht worden, dass wir ins- (Beifall bei der FDP) gesamt sagen müssen: so nicht! Wir bleiben bei dieser Haltung. Sie werden verstehen, dass die FDP-Fraktion Ich bleibe bei meinem Standpunkt. dieses Solidarpaktfortführungsgesetz ablehnt. Weil die Die Angelegenheit wäre nicht so schlimm, wenn es nur Grundlagen schon nicht stimmen, können auch die nach- um das Verfahren ginge. Aber auch der Inhalt ist in mei- folgenden Regelungen nicht stimmen. nen Augen rabenschwarz. Wir haben das heute Morgen Ich habe gestern gehört, dass Chateaubriand einmal ge- schon mehrfach gehört; ich kann mir nicht verkneifen, das sagt haben soll – offensichtlich hat er sich nicht nur um ebenfalls auszusprechen. die Gourmetküche, sondern auch um andere Fragen gekümmert –, der Föderalismus sei die Staatsform für Sehr viel ist auf dem Rücken der Steuerzahler und ins- Barbaren. Nun ist Chateaubriand als Franzose ein Vertre- (B) besondere der künftigen Generationen geschehen. (D) ter des Zentralstaates und Aphorismen sind immer etwas (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) zugespitzt formuliert. Aber ich muss sagen, dass ich nach diesem Verfahren in diesem Sonderausschuss dazu neige, Es war daher relativ leicht, eine 16:0-Lösung zu errei- dieser Aussage – zumindest in Teilen – zuzustimmen. chen, mit der man sich brüsten kann und von der man sa- Wenn man sieht, was es da für einen Kuhhandel gegeben gen kann: Es gibt nur Gewinner und keine Verlierer. Diese hat, muss man sagen, dass es wirklich traurig ist. Rechnung kann aber nicht aufgehen; denn das wäre die Quadratur des Kreises. Die Verlierer haben wir eindeutig Auch ich möchte den Dank an alle Beteiligten aus- da, wo es ganz besonders wehtut, nämlich bei der künfti- sprechen. Mein Dank geht besonders an das Sekretariat. gen Generation. Das ist also überhaupt keine Sternstunde Ich kann das im Einzelnen nicht mehr ausführen, weil ich des Föderalismus – ganz im Gegenteil. Ich muss sagen, nicht so viel Redezeit habe wie Sie, Frau Kaspereit. Die dass es so wie immer gelaufen ist und dass es genau so ge- Arbeit im Ausschuss war fair und ich danke deshalb allen laufen ist, wie es das Bundesverfassungsgericht durch für die Zusammenarbeit, auch wenn wir als FDP vom Er- seine Rechtsprechung für die Zukunft verhindern wollte. gebnis alles andere als begeistert sind. Über das Verfahren müssen wir uns in den Folgejahren Danke schön. nicht mehr im Einzelnen verständigen; denn es ist Be- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) standteil des Maßstäbegesetzes und damit Grundlage aller zukünftigen Finanzausgleichsüberlegungen. Nach meiner Meinung ist das noch schlimmer als das, was wir alles Vizepräsidentin Anke Fuchs: Nun hat die Kollegin schon erlebt haben. Es ist also eine nochmalige Ver- Dr. Barbara Höll für die PDS-Fraktion das Wort. schlechterung und keine Verbesserung. Wenn wir uns als FDP der Zustimmung zu diesem Gesetz verweigern Dr. Barbara Höll (PDS): Frau Präsidentin! Liebe Kol- – Gott sei Dank ernten wir Lob von der „FAZ“ und von leginnen und Kollegen! Nach zweijähriger Debatte kom- ähnlichen Organen, dass wir in diesem Punkt so konse- men wir heute zum Abschluss. Ich schließe mich der Mei- quent sind –, dann ist das nicht auf bösen Willen nung an, dass wir im Ausschuss sehr wohl ernsthaft und zurückzuführen, sondern auf ein anderes Verfassungsver- intensiv diskutiert haben. Auch ich bin enttäuscht, dass ständnis als das der Mehrheit im Hause. sich die Bundesratsmitglieder heute durch ihre völlige Abwesenheit auszeichnen. (Beifall bei der FDP – Sabine Kaspereit [SPD]: Frau Pieper wird in Ostdeutschland viel Ver- (Beifall bei Abgeordneten der PDS und ständnis dafür finden!) der SPD) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001 20403

Dr. Barbara Höll (A) Wir haben uns intensiv in diesen Prozess eingebracht. Das ist auch einer der Gründe, warum wir dem Haushalt (C) Das vorliegende Ergebnis findet in vielen Punkten unsere für das nächste Jahr heute nicht zustimmen konnten. ausdrückliche Unterstützung, vor allem weil es gelungen In dieser Richtung muss auf alle Fälle etwas getan ist, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom werden. 11. November 1999 in dem entscheidenden Punkt umzu- setzen: Wir bleiben bei dem Prinzip des solidarischen Fi- Das DIW hat in der Diskussion auch schon darauf hin- nanzausgleichs und wir gehen nicht in Richtung – wie es gewiesen, dass das Abschmelzen des Mittelflusses – also Herr Dautzenberg heute auch noch einmal gesagt hat – ei- die degressive Ausgestaltung – ab 2008 eine Gefahr für nes Wettbewerbsföderalismus. Dem wurde eine klare Ab- den Aufholprozess der neuen Bundesländer darstellt. Wir fuhr erteilt. als PDS werden weiterhin konsequent darauf achten, wie sich die Prozesse entwickeln. Wir werden die nötigen For- (Beifall bei der PDS sowie des Abg. Joachim Stünker [SPD]) derungen erheben, damit sie erfüllt werden. Wir erheben sie nicht aus Populismus, sondern weil es uns darum geht, Für uns ist die Situation in den neuen Bundesländern die Vereinigung tatsächlich voranzutreiben. natürlich besonders wichtig. Wir freuen uns, dass es ge- lungen ist, Planungssicherheit herzustellen: Den neuen (Beifall bei der PDS) Bundesländern und Berlin werden für einen langen Zeit- Ein wesentlicher Kritikpunkt, der auch dazu führt, dass raum – bis 2019 – insgesamt 206 Milliarden DM zur Ver- wir bezüglich des vorliegenden Gesetzentwurfs nicht in fügung gestellt. Wir meinen, dass das auch notwendig ist. Jubel ausbrechen können, ist die unzureichende Beach- Frau Hermenau, manchmal sollte man sich als Person tung der kommunalen Belange im Gesetzentwurf. Wir nicht so wichtig nehmen. Es ist egal, ob Sie das hier forsch haben einen Änderungsantrag eingebracht. In dem Ände- fordern oder sich demutsvoll freuen. rungsantrag fordern wir, dass die einfache Übertragung (Antje Hermenau [BÜNDNIS 90/ DIE EU-rechtlicher Vorgaben zur Haushaltsdisziplin vom GRÜNEN]: Man darf sich doch eine eigene Bund und von den Ländern auf die Kommunen aus dem Meinung leisten! Versuchen Sie es einmal!) Gesetz herausgenommen wird. Wir meinen, dass die kommunalen Spitzenverbände mit ihrer diesbezüglichen Es gibt ein Grundgesetz. In diesem Grundgesetz steht Forderung Recht haben, da die Regelung im Gesetzent- immer noch, dass wir annähernd gleiche Lebensverhält- wurf den Besonderheiten des kommunalen Haushalts- nisse innerhalb des föderalen Systems der Bundesrepu- rechts sowie der spezifischen Struktur der kommunalen blik Deutschland erreichen müssen. Genau das versuchen Ausgaben nicht gerecht wird. wir sowohl mit dem Maßstäbegesetz als auch mit dem So- lidarpaktfortführungsgesetz. Der so genannte Finanzierungssaldo, der auf der Ebene (B) (D) (Beifall bei der PDS) des Bundes und der Länder aussagekräftig ist, hat auf kommunaler Ebene nicht die gleiche Aussagekraft zur Frau Kaspereit, Sie werfen uns Populismus vor. Ich Beurteilung der Haushaltssituation. Deshalb sind wir meine, wir als PDS haben uns ganz bewusst in die Dis- dafür, diesen wieder zu streichen. In diesem Sinne werben kussion eingebracht. Dass es gelungen ist, den Flächen- wir für Unterstützung. faktor tatsächlich zu verankern – dies ist wichtig für Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg –, ist auch (Beifall bei der PDS) unserem Engagement im Ausschuss zu verdanken gewe- Wir möchten noch positiv anmerken, dass die Kritik sen. Das möchte ich uns zugute halten. der kommunalen Spitzenverbände an anderer Stelle auf- (Sabine Kaspereit [SPD]: Hören Sie gegriffen wurde. Auch wir als Fraktion sind für die An- richtig zu!) nahme des Entschließungsantrags, der im Ausschuss fast – Ich habe richtig zugehört. – Es geht doch einfach darum, einvernehmlich beschlossen worden ist, dass im Jahre dass die Realitäten zur Kenntnis genommen werden müs- 2010 eine grundsätzliche Überprüfung der Finanzbetei- sen. ligung der westdeutschen Kommunen an den Solidar- paktlasten erfolgen soll. Als Ergebnis dieser Überprüfung Wir freuen uns, dass über das Verankerte hinaus auch muss dann eine entsprechende Reaktion, also eine gege- – wir denken es zumindest – die Vereinbarung der Minis- benenfalls erforderliche Anpassung des Landesvervielfäl- terpräsidenten vom Juni dieses Jahres eingelöst wird, tigers bei der Gewerbesteuerumlage, erfolgen. – Ich halte nach der für überproportionale Leistungen zusätzlich es nicht für sinnvoll, wenn Sie, Herr Dautzenberg, sagen: 100 Milliarden DM zur Verfügung gestellt werden sollen, Hierüber herrschte im Ausschuss Einigkeit. – Dies ist die die neuen Bundesländer einsetzen können. wichtig, da sich inzwischen die Situation einiger west- Allerdings muss man sehen, dass wir natürlich trotz- deutschen Kommunen nicht mehr sehr von der schlechten dem ein wirtschaftliches Problem haben: Wir müssen Situation vieler ostdeutschen Kommunen unterscheidet. feststellen, dass die Schere zwischen den neuen und den Hier muss etwas getan werden. alten Bundesländern wieder weiter auseinander geht. Nicht nur die PDS, sondern auch die Ministerpräsidenten (Beifall bei der PDS) der neuen Bundesländer – egal ob der SPD oder der CDU; Insgesamt unterstützen wir das vorliegende Gesetz, jeglicher Couleur also – fordern, dass wir ab dem nächs- vor allem weil es gelungen ist, das Solidarprinzip ten Jahr auf alle Fälle etwas tun müssen. aufrechtzuerhalten. Nicht gelungen ist leider die Ver- (Beifall bei der PDS) stärkung der Transparenz und Nachvollziehbarkeit der 20404 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001

Dr. Barbara Höll (A) Finanzbeziehungen auch für die Bürgerinnen und Bürger. muss ein Finanzausgleich geschaffen werden, der allen (C) Vielleicht gelingt dies dann in den weiteren Diskussionen. 16 Ländern Lebensmöglichkeiten gibt. Es macht dann keinen Sinn, einen Finanzausgleich – auch nicht mit Ich danke Ihnen. Mehrheit – zu beschließen, durch den am Ende einzelne (Beifall bei der PDS) Länder zu Haushaltsnotlageländern werden. Dann muss man darauf achten, dass alle die Chance haben, nicht in diese Situation hineinzugeraten, sondern – natürlich auch Vizepräsidentin Anke Fuchs: Ich erteile dem Bun- aufgrund eigener Anstrengungen – auf der Grundlage des desfinanzminister Hans Eichel das Wort. Finanzausgleichs ihre Aufgaben zu erfüllen. So gesehen glaube ich, dass weder das Verfahren, das Hans Eichel, Bundesminister der Finanzen (von der wirklich schwierig war, noch das Ergebnis kritikwürdig SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit Beifall sind. Man kann natürlich über einzelne Fragen streiten, begrüßt): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen aber man muss die Grundannahme akzeptieren oder ab- und Herren! Zum Ende dieser Debatte will ich nur noch lehnen. wenige Bemerkungen zu diesem Thema machen. Ich möchte mich zunächst ausdrücklich für die intensiven Be- Deswegen sage ich Ihnen, Frau Professor Frick: Es gibt ratungen bedanken. Für den Deutschen Bundestag und ein Problem. auch für den Sonderausschuss war dies kein einfaches (Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Einige!) Verfahren. Auf der Ebene der Länder haben sich alle Parteien, so sie (Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Das ist mitregieren, zu diesem Verfahren bekannt. Das gilt auch wohl wahr!) für die FDP in Baden-Württemberg, Hessen und Rhein- Das ist nicht zu bestreiten. land-Pfalz. Die Frage war nur – insofern ist das Ganze am Schluss (Gisela Frick [FDP]: Das weiß ich!) dann doch nicht kritikwürdig –, welches Ergebnis am Dieses Problem müssen Sie nicht anderen zuschieben, Schluss der Veranstaltung herauskommen soll. Wollen sondern zuallererst in Ihrer eigenen Partei lösen. Zwi- wir Mehrheitsentscheidungen, und zwar nicht nur im schen den Bundes- und Landespolitikern gibt es in diesem Deutschen Bundestag – das werden wir haben –, sondern Punkt Differenzen. Das ist nicht das Problem dieses Hau- auch im Bundesrat? Oder wollen wir eine Situation schaf- ses. fen, in der alle 16 Länder sagen können: „Jawohl, mit die- sem Ergebnis sind wir einverstanden“? Dies vorausgeschickt sage ich: Der Föderalismus hat (B) sich als einigungsfähig und – das möchte ich noch aus- (D) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ führen – auch als reformfähig erwiesen. Dies setzt aber DIE GRÜNEN) immer die Grundannahme voraus. Ich habe über diesen Wer das anpeilt, kommt – das haben wir gemeinsam Punkt lange nachgedacht. Ich gebe Ihnen zu: Am Anfang besprochen – in der Tat zu einem anderen Verfahren. war ich nicht unbedingt dafür. Aber das, was Sie, Frau Das ist unvermeidlich. Das ist dann nicht das übliche Ge- Professor Frick, als Verfallsdatum genannt haben, kann setzgebungsverfahren: Mehrheitsentscheidung, Vermitt- man auch ganz anders interpretieren. Ich weiß, dass dies lungsausschuss und dann möglicherweise wieder Mehr- Herrn Kröning große Sorgen gemacht hat. heitsentscheidung. Dann muss man sich erstens um die Man kann es so interpretieren – ich rate dazu, sich da- Übereinstimmung aller 16 Länder und zweitens um die rüber im Klaren zu sein –: Wir brauchen für die Herstel- Übereinstimmung zwischen der Gesamtheit der Länder lung der inneren Einheit Deutschlands eine Genera- und dem Bund bemühen. Das war das Problem. tion. Mit dem Solidarpakt I und II beschreiben wir genau (Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD]) diesen Zeitraum von 30 Jahren einer Generation. Das ist das Hauptproblem dieses Gesetzes; sowohl (Siegfried Scheffler [SPD]: Da hat er Recht!) dem Verfahren als auch dem Inhalt nach. Ich habe Zwei- Dann erst werden wir die innere Einheit Deutschlands fel – mehr will ich dazu gar nicht sagen –, ob sich das – das ist die Aufgabenstellung des Solidarpakts II – her- Bundesverfassungsgericht – das ich gut verstehen gestellt haben. Dann haben wir gemeinsam – von uns wird kann – bei seiner Rechtsprechung über die Zweistufigkeit wohl 2017/2018 kaum noch jemand dabei sein, wenn man diesem Sachverhalt gestellt hat. über die Folgeregelung nach 2019 nachdenkt – die Diesem Verfahren geht eine Einigung unter den Län- Chance, nach Herstellung der deutschen Einheit über alle dern darüber voraus, dass die Länderneugliederung in Grundsätze des Föderalismus neu zu diskutieren und diesem Zusammenhang kein Gegenstand der Beratung diese gegebenenfalls zu ändern, nicht nur die konkreten sein soll. Wir wissen alle, dass über Länderneugliederun- Einzelregelungen, sondern auch die Prinzipien. gen am Schluss nur die Bevölkerung des jeweiligen Lan- Vorausgesetzt, wir sind mit der Grundannahme der des entscheiden kann. Wir haben das schmerzhaft – auch Herstellung der inneren Einheit Deutschlands erfolgreich, ich war für den Zusammenschluss von Berlin und Bran- könnte dies dazu führen, dass die großen Differenzen zwi- denburg – im Falle Berlin und Brandenburg erlebt. Wenn schen den Ländern geringer werden und man unter der man dies aber als Grundlage des Föderalismus ansieht Voraussetzung zu neuen Regelungen für den Föderalis- – ich tue das und auch unsere Verfassung tut das –, dann mus kommt, was ich hoffe. Ich glaube unverändert: Wir Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001 20405

Bundesminister Hans Eichel (A) sollten insgesamt mehr zu einer Gemeinschaft der starken Sie hängen das immer wieder am Thema Fonds (C) Länder werden, die ihrerseits mehr Rechte im Föderalis- „Deutsche Einheit“ auf. Das ist grundfalsch; denn bisher mus ausüben. Darauf sollten wir zurückkommen. hat in Wahrheit keine Tilgung stattgefunden. Von Tilgun- gen kann man doch nur dann sprechen, wenn sie aus er- Wir werden in der nächsten Wahlperiode, auch auf sparten Mitteln und nicht aus aufgenommenen Krediten Wunsch der Länder, bei der Entflechtung von Mischfi- finanziert werden. nanzierungstatbeständen einen ersten Versuch machen. Wir sollten zu einer Regelung kommen, in der die Länder (Beifall bei der SPD und dem BÜND- und der Bund jeweils selber mehr eigenverantwortlich NIS 90/DIE GRÜNEN) entscheiden können. Das ist die bessere Lösung. Jede Tilgung von Schulden aus dem Fonds „Deutsche Damit komme ich auf die vorhin geäußerte Kritik am Einheit“ heute ist nichts anderes als eine teure Umbu- Verfahren zurück, die in extremer Weise zeigt – jedenfalls chung; denn die Schulden im Fonds „Deutsche Einheit“ an diesem Fall, bei dem es unvermeidlich ist –, wie eng sind zurückgeführt worden, indem für deren Tilgung neue der Willensbildungsprozess zwischen Bund und Ländern Schulden in den Ländern und im Bund gemacht worden verknotet ist. Das muss so sein. Aber ich wünsche mir eine sind. Wie kann man denn Schulden aus Krediten zurück- Vielzahl von Fällen, in denen das nicht so ist, in denen der zahlen? Deswegen haben Sie, Frau Professor Frick, fun- Deutsche Bundestag und die Länderparlamente alleine damental Unrecht. Die Tilgung beginnt erst in dem Au- entscheiden können. genblick, in dem die Haushalte Überschüsse aufweisen. Deswegen wird überhaupt nichts zulasten der künftigen (Günter Nooke [CDU/CSU]: Ja!) Generationen verschoben. Vielmehr haben wir mit der Das ist eine befriedigendere Situation. Es wird in einer Si- bisherigen Praxis der Scheintilgung Schluss gemacht. Das tuation, in der hoffentlich die Differenzen zwischen den ist der ganze finanzpolitische Vorgang, mit dem wir es zu Ländern in ihrer Leistungsfähigkeit nicht mehr so groß tun haben. sind wie heute, möglicherweise leichter sein, zu diesen (Beifall bei der SPD und dem BÜND- Prinzipien zu finden, als man das in der gegenwärtigen Si- NIS 90/DIE GRÜNEN) tuation kann. Zu den Einzelregelungen ist ja schon vieles gesagt (Beifall bei der SPD) worden. Das möchte ich nicht wiederholen. Ich möchte nur noch etwas zum Thema Maastricht sagen. Das ist auch Dies ist eine Politik der Nachhaltigkeit, also eine Poli- ein sehr schwieriges Kapitel. Ich weiß, dass sich schon tik, die eben nicht von der Hand in den Mund lebt. Diese mein Vorvorgänger im Amt, Herr Kollege Waigel, inten- getroffenen Vereinbarungen müssen natürlich von allen, siv darum bemüht hat, die Bestimmungen des Europä- auch den Ländern, eingehalten werden. Wir haben die (B) ischen Stabilitäts- und Wachstumspakts in innerstaatli- (D) Verabredung: Bis 2019 gelten nicht nur der Solidarpakt II ches Recht umzusetzen. Das ist auch erforderlich. und damit die Grundlagen für den Aufbau Ost, sondern es Insofern bin ich froh, dass wir wenigstens den Einstieg gelten auch die Finanzbeziehungen zwischen den Län- geschafft haben. dern. Ich bin gespannt, ob diese Regelung wirklich alle einhalten. Daran wird sich die Reife von Politiken erwei- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Leo sen. Dautzenberg [CDU/CSU]: Aber selber auch einhalten!) Ich sage ausdrücklich: Als hessischer Ministerpräsi- dent wollte ich nicht das Gericht in Karlsruhe anrufen, Angesichts der angepeilten Regelung 16:0 plus 1 – man aber nachdem sich Bayern und Baden-Württemberg zu darf nicht vergessen, dass die Situationen in den Haushal- diesem Schritt entschlossen hatten, konnte sich das ten der Länder sehr unterschiedlich sind; das macht es Hauptzahlerland Hessen nicht vom Votum anderer Zah- außerordentlich schwierig – bin ich froh, dass sich alle zur lerländer abhängig machen, sondern musste seine eigene Politik der Reduzierung der Neuverschuldung mit dem Position vertreten. Ziel, ausgeglichene Haushalte zu erreichen, bekennen. Ich hoffe, dass sich der Einstieg, den wir im Gesetz ge- Der Solidarpakt II war kaum in Kraft getreten, da hat funden haben, in der Folge konkretisieren wird. Bisher Bayern, das vom Nehmerland zum Geberland geworden gab es hier keine Regelung. war, erklärt, dass ihm die finanziellen Belastungen, die ihm im Rahmen des Finanzausgleichs aufgebürdet wür- Vor diesem Hintergrund brauchen wir, finde ich, die den, zu hoch seien. Ich hoffe, dass diesmal der Gedanke abstrakte Debatte über die Frage „Was ist, wenn wir das der Solidarität nachhaltiger sein wird, als es beim Soli- Ziel verfehlen; wer bezahlt dann?“ nicht weiterzuführen; darpakt I der Fall gewesen ist. denn daran sind bislang alle Einigungsversuche geschei- tert. Jeder ist jetzt für seinen Haushalt verantwortlich: wir (Beifall bei der SPD und dem BÜND- für den Bundeshaushalt und die Länder für ihre Haus- NIS 90/DIE GRÜNEN) halte. Es kann also – das möchte ich deutlich sagen – gar Der nächste Punkt betrifft die Nachhaltigkeit. Frau nichts verschoben werden; denn alle finanzwirksamen Professor Frick, Ihre Behauptung, es sei ein raben- Gesetze können nie ohne die Zustimmung des Bundesra- tes verabschiedet werden. Das ist die beste Ausformung schwarzer Tag gewesen, weil es zulasten der Steuerzahler des Konnexitätsprinzips, die man sich überhaupt vor- und der zukünftigen Generationen gehe, ist falsch. stellen kann. Abstrakt ist vieles möglich. Die Zustimmung (Heinz Seifert [CDU/CSU]: Nein!) der ebenfalls von den Gesetzen, die wir auf den Weg 20406 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001

Bundesminister Hans Eichel (A) bringen, Betroffenen ist die entscheidende Grundlage. Ich Bundestages, waren quasi gezwungen, einem zwischen (C) bin froh, dass wir das erreicht haben. den Ländern ausgehandelten Kompromiss, der dann auch Ich möchte auch noch eine Bemerkung zur PDS ma- noch bei Nacht und Nebel im Bundeskanzleramt abge- chen, die sich zu ihren kommunalen Finanzen geäußert segnet wurde, nach Punkt und Komma umzusetzen. hat. Der Bund hat die Position vertreten, dass die kom- (Hans Eichel, Bundesminister: Es war helllich- munalen Finanzen zu 100 Prozent einzubeziehen sind. ter Tag! – Joachim Stünker [SPD]: Da war gar (Beifall bei der PDS) kein Nebel!) Diese Position hätten auch Sie einnehmen sollen; denn Das war keine Sternstunde des Parlamentarismus, das war schließlich sollen auch die schwächeren Kommunen voll eine Zumutung für die Abgeordneten. einbezogen werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der SPD und dem BÜND- In diesem Zusammenhang sehe ich auch den Rücktritt des NIS 90/DIE GRÜNEN) früheren Ausschussvorsitzenden Kröning als logischen Sie wissen aber, dass dies aufgrund der Regelung 16:0 und konsequenten Schritt an. nicht durchgesetzt werden konnte. Deswegen mussten wir Es kommt ja nun nicht selten vor, dass die Abgeordne- inhaltliche Einschränkungen hinnehmen, die wir von uns ten des Deutschen Bundestages ihr im harten parlamenta- aus nicht gemacht hätten, obwohl wir weiterhin von der Richtigkeit unserer Position überzeugt waren. rischen Ringen beschlossenes Gesetz fast nicht mehr wie- dererkennen, wenn es aus dem Vermittlungsausschuss (Heinz Seifert [CDU/CSU]: Damit kann ich herauskommt. Ungewöhnlich – und hoffentlich einma- leben!) lig – ist allerdings, dass wir bereits im Gesetzgebungsver- Einfach war es auch nicht beim Thema vertikale Um- fahren erfahren, was wir abzunicken haben. satzsteuerverteilung. Ich habe mich über Ihre Bemerkung Nach der Einigung der Ministerpräsidenten ist ziem- zu diesem Thema, Herr Dautzenberg, gewundert; denn lich euphorisch von einer Sternstunde des Föderalismus bei aller Beachtung sämtlicher öffentlicher Haushalte ist gesprochen worden. Ich teile diese Beurteilung absolut es doch unsere Aufgabe, den Bundeshaushalt davor zu be- nicht. Das war kein Glanzlicht, sondern das ist ein hart er- schützen, dass er in besonderem Maße belastet wird. Wahr rungener Kompromiss mit ganz erheblichen Schönheits- ist, dass der Bundeshaushalt der am höchsten belastete fehlern. Haushalt in Deutschland ist. Er ist strukturell sogar schlechter als die Etats der Länder, die sich in einer Haus- (Gisela Frick [FDP]: Ein fauler Kompromiss!) haltsnotlage befinden. Deswegen sage ich ausdrücklich, (B) Wenn ich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (D) dass wir – mir gefällt das nicht; aber das ist nun einmal richtig verstanden habe, könnte es sein, dass die Verfas- eine Folge des Prinzips 16:0 plus 1 – bei der vertikalen Umsatzsteuerverteilung in Wahrheit nicht mehr erreicht sungsrichter an dem, was wir heute beschließen und im haben, als dass die wechselseitigen Rechtspositionen ge- Maßstäbegesetz schon abgesegnet haben, nicht die reine wahrt sind. Einzelgesetzliche Regelungen wie die zur Er- Freude haben werden. Aus heutiger Sicht braucht uns dies höhung des Kindergeldes sind jeweils neu auszuhandeln. zumindest für die kommenden 19 Jahre nicht besonders Das ist das Ergebnis, das die Grundlage zukünftiger Ver- zu beunruhigen. Bund und Länder waren sich ja einig. Wo handlungen ist. kein Kläger ist, ist auch kein Richter. Spannend wird die Sache erst dann wieder, wenn es sich im Laufe der Jahre Zum Schluss, meine Damen und Herren, bekräftige eines der Länder oder gar der Bund anders überlegt. Ich ich, dass wir es, wenn man das alles zusammen nimmt und bin einmal gespannt, ob 19 Jahre auch wirklich 19 Jahre die Ausgangsprämisse teilt, mit einem guten Ergebnis zu sind. tun haben. Deshalb bitte ich Sie auch herzlich um Zu- stimmung zu diesem Gesetz. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD und dem BÜND- Ganz sicher hat das Bundesverfassungsgericht nicht NIS 90/DIE GRÜNEN) gewollt, dass man den komplizierten Finanzausgleich mit all seinen Sonderregelungen fortschreibt, ohne deren Be- Vizepräsidentin Anke Fuchs: Das Wort hat nun der rechtigung sauber nachzuweisen. Der Finanzausgleich Kollege Heinz Seiffert für die CDU/CSU-Fraktion. wird durch dieses Gesetz nicht einfacher und transparen- ter, ganz im Gegenteil. Herr Minister Eichel, es ist keine besondere Kunst, eine Reform zu machen, bei der alle Be- Heinz Seiffert (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine teiligten nur profitieren, was hier der Fall ist. Dass dieser Damen und Herren! Nach 24 Sitzungen im Sonderaus- Konsens nur durch die Einbeziehung des Fonds „Deut- schuss und mindestens genau so vielen Sitzungen in den sche Einheit“ in den Finanzausgleich möglich wurde, ist Arbeitsgruppen können wir heute nach dem so genannten allerdings mehr als ein Schönheitsfehler. Diese scheinbar Maßstäbegesetz die Neuordnung des bundesstaatlichen elegante Lösung hat einen entscheidenden Nachteil: Die Finanzausgleichs und die Fortführung des Solidarpakts Tilgungsstreckung – um nichts anderes dreht es sich hier – beschließen. Das Verfahren bei dieser Gesetzgebung ist geht voll zulasten der kommenden Generationen, zuletzt von vielen Seiten völlig zu Recht kritisiert worden. Das Parlament, also die Abgeordneten des Deutschen (Hans Eichel, Bundesminister: Falsch!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001 20407

Heinz Seiffert (A) der künftigen Steuerzahler und auch zulasten späterer Re- hinsichtlich ihrer Angemessenheit überprüft werden soll, (C) gierungen. ist mehr als berechtigt. Dem stimmen wir auch gemein- sam zu. (Hans Eichel, Bundesminister: Falsch!) Ganz unabhängig hiervon sollte die Bundesregierung Ihnen, Herr Minister Eichel, verschafft diese Tilgungs- als Sofortmaßnahme zugunsten der Kommunen die Ge- streckung Liquidität im Wahljahr. werbesteuerumlage wieder absenken. Gestern hat der Verfassungsrechtler Professor Kirchhof, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) der an dem Urteil maßgeblich mitgewirkt hat, in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ geschrieben, „dass Sie muss sofort auf das Niveau gebracht werden, das sie die Entschuldung der einigungsbedingten Sonderlasten vor der Unternehmensteuerreform hatte: Die Annahme verlangsamt und damit noch mehr auf die zukünftige Ge- – höhere Steuereinnahmen –, die der damaligen Erhöhung neration verlagert worden ist.“ Entweder haben Sie oder zugrunde gelegt wurden, sind nicht eingetreten. Deshalb hat Professor Kirchhof es nicht richtig verstanden. Ich muss dies umgehend zugunsten der Kommunen korrigiert sage Ihnen ganz offen: Ich glaube in diesem Fall Herrn werden. Professor Kirchhof mehr. Meine Damen und Herren, wenn wir dem vorliegenden (Joachim Stünker [SPD]: Warum eigentlich?) Gesetz trotz dieser kritischen Bemerkungen zustimmen, dann deshalb, weil sich die Länder auf eine Verbesserung Wesentlich ehrenwerter – auch das sage ich ganz of- der Anreize im Finanzausgleich einigen konnten und weil fen – wird diese Aktion auch nicht dadurch, dass alle Lan- eine Regelung zur Fortführung des Solidarpaktes gefun- desfinanzminister mitgemacht haben. Für sie habe ich im den wurde. Gerade für die neuen Länder ist es wichtig, Übrigen noch mehr Verständnis, weil auch die Länder- dass sie langfristig Planungssicherheit und Gestaltungs- haushalte unter den wegbrechenden Steuereinnahmen möglichkeiten haben. Dies ist eindeutig positiv zu werten. und der Wirtschaftsschwäche leiden, die in erster Linie Ich sehe darin auch ein Stück verwirklichter Solidarität diese Bundesregierung verursacht und zu verantworten der Geberländer und auch des Bundes. hat. Eines will ich aber klar sagen: Was in der Öffentlich- Es war unserer Fraktion wichtig, im Rahmen des Ge- keit als großer Sieg für die neuen Bundesländer verkauft setzgebungsverfahrens auch den kommunalen Spitzen- worden ist – es wurden Stimmen laut, sie bekämen jetzt verbänden in einer Anhörung Gelegenheit zu einer Stel- mehr, als sie gewollt hätten –, ist deutlich weniger als das, lungnahme zu geben. Auch bei diesem Gespräch ist was berechtigt war und auch durch Gutachten eindeutig deutlich geworden, dass die Regierung die Kommunen in belegt worden ist. (B) eine äußerst dramatische Finanzsituation gebracht hat. (Beifall bei der CDU/CSU – Joachim (D) (Joachim Stünker [SPD]: Na, na, das war wohl Poß [SPD]: Fragen Sie mal Baden-Württem- anders!) berg!) Es wurde berichtet, dass das Präsidium des Deutschen Immerhin sollen die neuen Länder aber nun über dieses Städtetages „in seiner Verzweiflung“ Geld frei und ohne besondere Zweckbindung verfügen. Das begrüßen wir ausdrücklich, weil es ein Stück mehr (Joachim Stünker [SPD]: Über die Länder!) Gestaltungsmöglichkeit und Autonomie für die Länder schafft. einen Brief an den Herrn Bundestagspräsidenten (Beifall bei der CDU/CSU) (Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Auch an die Fraktionen!) Allerdings übernehmen die Länder damit auch mehr Ver- antwortung. Sie werden sich im jährlichen Fortschrittsbe- und an die Fraktionen geschrieben habe. richt bald an ihren Erfolgen messen lassen müssen. Ich Auch wenn wir in diesem Ausschuss und in diesem Ge- habe keinen Zweifel daran, dass gut regierte Länder die- setzgebungsverfahren die Interessen der Kommunen sen Vergleich nicht zu scheuen brauchen. nicht wahrnehmen können – nach dem Grundgesetz sind (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Sachsen und eben eindeutig die Länder zuständig –, so sollten wir we- Thüringen zum Beispiel!) nigstens die Sorgen und Nöte der Kommunen ernst neh- men. Ich sehe nur noch eine größere Aufgabe für den Son- derausschuss. Das ist die Beratung über ein Gesetz zur (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Verteilung der Umsatzsteuer. Nicht nur im Ent- Joachim Stünker [SPD]: Das tun wir!) schließungsantrag vom 5. Juli 2001 wurde bekundet, dass Wir haben getan, was wir in diesem Ausschuss gemein- für die Anwendung des Deckungsquotenverfahrens ein sam tun konnten. Der Entschließungsantrag, wonach die rechtssicheres Verfahren vereinbart werden soll. Auch in erhöhte Gewerbesteuerumlage bereits im Jahr 2010, also dem bereits angesprochenen Urteil des Bundesverfas- fünf Jahre nach dem In-Kraft-Treten des neuen Finanz- sungsgerichts wird zwingend eine gesetzliche Regelung ausgleichs, gefordert. Der Kuhhandel um die Umsatzsteuer, der bis- her jedes Jahr aufs Neue zwischen Bund und Ländern ver- (Joachim Poß [SPD]: Sie haben die Gewerbe- anstaltet wird, hat also rechtlich keinen Bestand und im steuer ausgehöhlt!) Übrigen auch keine Zukunft. 20408 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001

Heinz Seiffert (A) Herr Minister Eichel, wir erwarten also aus Ihrem Hierzu liegt ein Änderungsantrag der PDS vor, über (C) Hause alsbald einen fairen Vorschlag, der sowohl den In- den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Ände- teressen des Bundes – das liegt uns natürlich auch am Her- rungsantrag auf Drucksache 14/7648? – Wer stimmt da- zen, wenn wir nächstes Jahr Ihr Haus wieder übertragen gegen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist gegen bekommen – die Stimmen der PDS abgelehnt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus- Gisela Frick [FDP] – Dr. Uwe-Jens Rössel schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – [PDS]: Warten Sie mal ab!) Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Kollege Fromme als auch den Interessen der Länder gerecht wird. Falls sich und die FDP-Fraktion stimmen dagegen. Der Gesetz- jedoch abzeichnet, dass es nicht gelingen wird, diesen Ge- entwurf ist in zweiter Beratung angenommen. setzentwurf noch im Frühjahr 2002 zu beraten und zu ver- abschieden, dann sollten wir die Arbeit dieses Sonderaus- Dritte Beratung schusses, der getan hat, was er konnte – das will ich hier und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem auch bestätigen –, beenden. Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge- Wir erwarten, dass sofort und nicht erst am Sankt- genprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit Nimmerleins-Tag eine Kommission zur Neuordnung und angenommen. Ich gratuliere allen, die dazu beigetragen Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung einge- haben. setzt wird. Zu dieser Föderalismusreform gehört auch (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜND- eine umfassende Gemeindefinanzreform. NIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS) (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der Wir kommen nun zu dem von der Bundesregierung PDS) eingebrachten Entwurf eines Solidarpaktfortführungsge- Der Bund sollte die Länder, die jetzt eine Entflechtung der setzes, Drucksache 14/7256. Der Ausschuss empfiehlt un- Gemeinschaftsaufgaben und der Mischfinanzierungen ter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- angemahnt haben, beim Wort nehmen. che 14/7646, den Gesetzentwurf für erledigt zu erklären. – (Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Die Kommission Ich überlege gerade, was eigentlich passierte, wenn wir muss sofort eingesetzt werden!) ihn nicht für erledigt erklärten. Aber das ist nicht meine Aufgabe. – Wer stimmt für diesen Teil der Beschlussemp- Es muss auch sichergestellt sein, dass das Geld, das den fehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Dieser Teil der Kommunen zum Wirtschaften und Überleben zusteht, Beschlussempfehlung ist angenommen. dann nicht auf anderen Ebenen hängen bleibt, sondern (B) wirklich durchgereicht wird. Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- (D) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Leo che 14/7646 empfiehlt der Ausschuss die Annahme einer Dautzenberg [CDU/CSU]: Wie in Nordrhein- Entschließung. Wer stimmt für diesen Teil der Beschluss- Westfalen!) empfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Gegen die Stimmen der FDP ist dieser Teil der Beschlussempfehlung Wichtig sind hierbei vor allem die eindeutige Zuordnung angenommen. von Verantwortlichkeiten sowie mehr Transparenz bei den politischen Strukturen und Verfahren. Nur so wird der Nun folgt die Erklärung des Kollegen Jochen-Konrad – unter dem Strich – erfolgreiche Föderalismus in Fromme nach § 31 der Geschäftsordnung. Bitte sehr. Deutschland für die Zukunft gerüstet sein. Dem so genannten Solidarpaktfortführungsgesetz Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Frau Präsi- stimmen wir nach reiflicher Abwägung – bei Zurückstel- dentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich lung der beschriebenen Bedenken – zu. kann dem Gesetz nicht zustimmen, weil es einen schwe- Vielen Dank. ren Abwägungsmangel hat. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Es ist ein Bundesgesetz, das heißt, der Deutsche Bun- neten der SPD) destag muss zu diesem Gesetz und seinen Grundlagen eine Abwägung vornehmen. Dazu müssen ihm die ent- sprechenden Fakten vorgelegt werden. Vizepräsidentin Anke Fuchs: Ich schließe die Aus- sprache und kündige an, dass der Kollege Jochen-Konrad (Beifall des Abg. Günter Nooke [CDU/CSU]) Fromme nach den Abstimmungen eine Erklärung zur Ab- stimmung abgeben wird. Das war in der Frage der Gewerbesteuerumlage nicht der Fall. Wir haben die Bundesregierung rechtzeitig aufge- Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den von fordert – da war sich der Ausschuss einig; schade, dass der den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grü- Kollege Metzger jetzt nicht hier ist –, uns die Entwick- nen eingebrachten Entwurf eines Solidarpaktfort- lung der Gewerbesteuer mit Zahlen und Fakten aufzu- führungsgesetzes, Drucksache 14/7063. Der Sonderaus- zeigen. schuss Maßstäbegesetz/Finanzausgleichsgesetz empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- Die Festlegung beruht auf Prognosen. Von Zeit zu Zeit che 14/7646, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung muss man einmal nachschauen, ob diese Prognosen zu- anzunehmen. treffen. In diesem Fall ist äußerst umstritten, ob sie zu- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001 20409

Jochen-Konrad Fromme (A) treffen. Ich erinnere an die Anhörung der kommunalen – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio- (C) Spitzenverbände. nen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Versor- Die Bundesregierung hat zunächst einmal verbal mit gungsänderungsgesetzes 2001 Ausflüchten geantwortet. Sie hat dann zugesagt, die Zah- len und Fakten zu liefern. – Drucksache 14/7064 – (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Nichts kam!) (Erste Beratung 193. Sitzung) Als das entscheidende Datum war, hat sie nur gesagt, die – Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat Länder seien zuständig, sie wolle die Fakten nicht vorle- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än- gen. derung des Beamtenrechtsrahmengesetzes (BRRG) (Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Das war die Aus- rede!) – Drucksache 14/6717 – Eine Abwägung, die sozusagen auf Nichtfakten beruht, (Erste Beratung 193. Sitzung) kann nicht in Ordnung sein. a) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus- schusses (4. Ausschuss) Es gibt nur zwei Möglichkeiten. Entweder hat die Bun- desregierung die Fakten nicht gekannt – dann war es fahr- – Drucksache 14/7681 – lässig, dem Bundestag ein Gesetz vorzulegen, weil ab- Berichterstattung: sehbar war, dass die Abwägung nicht stattfinden kann – Abgeordnete Hans-Peter Kemper oder sie hat die Fakten gekannt; dann hat sie etwas zu ver- Meinrad Belle bergen und hat sie deshalb nicht vorgelegt. Beides ist Helmut Wilhelm (Amberg) gleich schlimm und das versieht dieses Gesetz mit einem Dr. Max Stadler unheilbaren und unerträglichen Mangel. Petra Pau Ich muss auch sagen, dass die Arbeit der Abgeordne- b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) ten, insbesondere der Oppositionsabgeordneten, in einem gemäß § 96 der Geschäftsordnung unerträglichen Maße erschwert worden ist, denn der Wis- – Drucksache 14/7693 – senschaftliche Dienst konnte nicht helfen, weil das Bundesfinanzministerium auch hier die Zusammenarbeit Berichterstattung: verweigert hat. Abgeordnete Dr. Werner Hoyer Gunter Weißgerber Einem Gesetz, das auf solche Art und Weise zustande (B) Carl-Detlev von Hammerstein (D) gekommen ist, kann ich nicht zustimmen. Oswald Metzger Es gibt noch zwei weitere Punkte: Sie haben – daran Dr. Christa Luft waren insbesondere die damaligen Ministerpräsidenten Der Innenausschuss hat in seine Beschlussempfehlung Schröder, Eichel, Lafontaine. beteiligt – bei der Familien- den vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf zur Än- lastenausgleichsregelung 1996 festgelegt, in welchem derung des Beamtenrechtsrahmengesetzes einbezogen, Verhältnis Bund und Länder belastet werden sollen. über den wir jetzt ebenfalls abschließend beraten werden. – Diese Festlegung haben Sie hier nicht eingehalten. Sie ist Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist so be- eingefordert worden und wird leider nicht fortgeschrie- schlossen. ben. Das ist für mich der zweite Grund. Zum Entwurf des Versorgungsänderungsgesetzes lie- Der dritte Grund ist, dass der wesentliche Punkt, die gen ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU so- Umsatzsteuerverteilung durch Deckungsquotenberech- wie ein Änderungsantrag und ein Entschließungsantrag nung, die zu den Grundfragen des Finanzausgleichs der Fraktion der PDS vor. gehört, nicht berücksichtigt wird. Herr Minister Eichel, wenn das nun die große Reform ist, darf man eine solche Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die wichtige Grundfrage nicht offen lassen. Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Auch damit sind Sie einverstanden. Dann ist es so beschlossen. Das sind die drei Gründe dafür, dass ich nicht zustim- men konnte. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Hans-Peter Kemper, SPD-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und bei der FDP) Hans-Peter Kemper (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute verabschieden wir das Vizepräsidentin Anke Fuchs: Nun rufe ich Zusatz- Versorgungsänderungsgesetz 2001 und damit die wir- punkt 3 auf: kungsgleiche Übertragung der Rentenreform auf die – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- Beamtenversorgung. Außerdem beschließen wir die Än- gierung eingebrachten Entwurfs eines Versor- derung des Beamtenrechtsrahmengesetzes. gungsänderungsgesetzes 2001 Bevor ich aber zu den Einzelheiten komme, will ich die Gelegenheit nutzen und mich ganz herzlich bei den Kol- – Drucksachen 14/7223, 14/7257 – leginnen und Kollegen aus dem Innenausschuss, insbe- (Erste Beratung 198. Sitzung) sondere bei den Berichterstattern, bedanken. Es war nicht 20410 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001

Hans-Peter Kemper (A) immer ganz einfach. Es hat Irritationen, Zeitdruck und hatten und vor dem 3. Oktober 2000 in den Ruhestand ge- (C) Ärger gegeben; dennoch haben wir gut zusammenge- treten sind, erhebliche Verbesserungen herbeigeführt. arbeitet und waren in vielen Punkten einer Meinung, auch wenn Sie, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von (Siegfried Scheffler [SPD]: Sehr gut!) der Opposition, heute in der Schlussabstimmung zu einem Das waren die Männer und Frauen der ersten Stunde, die falschen Ergebnis kommen. damals nicht lange gefragt haben, ob sie das können, ob (Zustimmung des Abg. René Röspel [SPD]) sie die richtige Ausbildung haben, ob es Vorbilder gibt für das, was sie leisten sollten. Nein, sie haben angepackt und Aber so ist das halt in der Politik zwischen Opposition und ihre Sache gut gemacht. Regierung. (Beifall bei der SPD) Ich möchte auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbei- tern des Innenministeriums danken, die sich in der letzten Ich will unserem Kollegen Ernst Bahr, der diese Pro- Zeit über Arbeitsmangel wirklich nicht zu beklagen hat- blematik hier aufgegriffen hat und das Ganze intensiv be- ten. Ich weiß, dass sie die eine oder andere Nachtschicht gleitet hat, noch einmal ganz ausdrücklich danken. Er hat eingelegt haben, um dieses Gesetz über die Bühne zu uns für diese Probleme sensibilisiert. bringen. In Bezug auf die Bundeswehr haben wir deutlich ge- Zur Sache: Mit diesem Gesetz werden die Inhalte der macht, dass wir die Verantwortung für unsere Soldaten Rentenreform weitgehend wirkungsgleich auf die Beam- ernst nehmen. Es ist klar, dass die Soldaten, die aufgrund tenversorgung übertragen. Der Anstieg der Beamten- besonderer Altersgrenzen früher in den Ruhestand gehen, versorgung wird in acht Jahresschritten bis 2010 abge- Gehaltseinbußen zu verzeichnen haben. Wir haben dem flacht. Die noch von der Vorgängerregierung installierte Rechnung getragen. Unter der Voraussetzung, dass die Versorgungsrücklage von jährlich 0,2 Prozent wird bis vorzeitig in den Ruhestand gehenden Beamten nicht so- zum Jahre 2010 ausgesetzt und dann bis zum Jahre 2017 fort wieder in einen gut dotierten Job eintreten, bekom- weitergeführt. men sie – zusätzlich zu einer einmaligen Abfindung – für Ziel dieser Maßnahme ist es, wie bei der Rentenreform jedes Jahr, das sie vor dem 60. Lebensjahr in den Ruhe- die immensen Kosten der Alterssicherung abzumildern. stand gehen, 1 000 DM. Die Kosten für die Versorgung werden sich in den nächs- Das ist nur wenige Tage nach den wesentlichen Struk- ten Jahren nahezu vervierfachen. Das liegt zum einen da- turverbesserungen festgelegt worden, die vor kurzem ran, dass die Menschen älter werden; das ist die demo- beschlossen worden sind, nämlich der Wegfall der Be- graphische Entwicklung. Zum anderen liegt es aber auch soldungsgruppen A 1 und A 2 sowie die Ausweitung der (B) daran, dass in den 60er- und 70er-Jahren ungleich mehr Besoldungsgruppen A 9 für Unteroffiziere und A 12 und (D) Beamte eingestellt worden sind, die jetzt nach und nach in A 13 für das Führungspersonal. Es wäre nicht schlecht den Ruhestand treten und damit zu Versorgungsempfän- gewesen, wenn der Bundeswehr-Verband bei der großen gern werden. Das trifft nicht in erster Linie die Bundes- Demonstration am letzten Montag auf diese massiven haushalte, sondern die Länderhaushalte. Strukturverbesserungen hingewiesen hätte. Das hat es Den Beamten wird künftig die Möglichkeit einer kapi- nämlich in der alten Regierung in diesem Ausmaß nie talgedeckten, staatlich geförderten Alterssicherung einge- gegeben. Deshalb wäre es wert gewesen, das zu er- räumt. wähnen. Ich will nur auf einige Punkte eingehen, die wir ne- Zwei weitere Themen möchte ich gerne noch anspre- benher noch beschlossen haben. Stichwort: Qualifizier- chen, zum einen die Möglichkeit einer kollektiven Lö- ter Dienstunfall. Wir haben die Anforderungen für den sung bei der privaten Altersvorsorge. Das ist ein Anlie- qualifizierten Dienstunfall neu formuliert und zugespitzt. gen der Gewerkschaft, das wir mit aufgenommen haben. Damit tragen wir einem alten Anliegen der Gewerkschaf- Wir werden allerdings auf dieses Thema noch einmal ten und der Verbände Rechnung; denn es ist nicht einzu- zurückkommen. Wenn die Verhandlungen im Tarifbereich sehen, dass die Vollzugsbeamten im öffentlichen Dienst, abgeschlossen sind, werden wir prüfen, ob eine die in ihrem Dienst einer besonderen Gefährdung ausge- Entgeltumwandlung möglich ist. setzt werden und durch ihren Einsatz für die innere Si- cherheit, für die Sicherheit der Menschen gelegentlich Die Präsidentin mahnt mich über das Display, meine auch ihr Leben riskieren, im Anschluss an solch einen Un- Rede zu beenden. Ich hätte zwar noch einiges zu sagen, fall auch noch um die Anerkennung als qualifizierten aber ich will dann auch zum Schluss kommen – obwohl Dienstunfall kämpfen müssen, nämlich um 80 Prozent aus ich mich hier vorne sehr wohl fühle, Frau Präsidentin; der übernächst höheren Besoldungsgruppe. Das haben aber es geht ja leider nicht anders. wir umformuliert; das ist besser geworden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Anke Fuchs: Danke schön. Wir haben gemeinsam mit der CDU/CSU einen Vor- schlag des Bundesrates aufgegriffen. Es geht um die so Hans-Peter Kemper (SPD): Wir wissen, dass wir genannten Bürgermeister der ersten Stunde. Wir haben für dem öffentlichen Dienst mit diesem Gesetzentwurf eine die kommunalen Wahlbeamten im Beitrittsgebiet, die Menge zumuten. Es geht aber nicht anders, wenn wir die eine Amtszeit von acht Jahren erreicht oder überschritten Staatsfinanzen dauerhaft stabilisieren wollen und wenn Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001 20411

Hans-Peter Kemper (A) wir dem öffentlichen Dienst ein dauerhaftes Überleben Obgleich die riestersche Rentenreform von uns hier ab- (C) garantieren wollen. gelehnt wurde, haben wir uns grundsätzlich mit der wir- kungsgleichen Übertragung der Rentenreform, allerdings Frau Präsidentin, ich bedanke mich ausdrücklich für bei vollständiger Anrechnung der Vorleistungen, einver- Ihre Langmut. Danke, Anke! standen erklärt. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem (Heidemarie Ehlert [PDS]: Darin liegt das Pro- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) blem!) – Ganz genau. Vizepräsidentin Anke Fuchs: Das war gewährt. – Jetzt kommt der Kollege Meinrad Belle für die Von Anfang bestand Streit über die Wirkungsgleichheit CDU/CSU-Fraktion. und die Anrechnung der Vorleistungen. (Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Reines Meinrad Belle (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Spargesetz!) Damen! Meine Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Daher kam dem Ergebnis der Sachverständigenanhörung Es wird Sie nicht verwundern, dass ich dem Inhalt der am 8. November 2001 besondere Bedeutung zu. Das Er- Rede meines geschätzten Kollegen Kemper natürlich gebnis war vernichtend. Einen derartigen Totalverriss ei- in keiner Weise zustimmen kann; denn 1,9 Millionen nes Gesetzentwurfs habe ich noch nicht erlebt: Acht von Richter, Beamte und Soldaten sowie 850 000 Versor- zehn Sachverständigen erklärten von vornherein, dass gungsempfänger mit ihren Familien fühlen sich veralbert, keine wirkungsgleiche Übertragung vorliege und die Vor- ja verschaukelt. leistungen nicht ausreichend berücksichtigt seien. Ein Sachverständiger bestätigte eine einigermaßen wirkungs- Es ist eine Zumutung, in welchem Düsenjägertempo gleiche Übertragung, wollte sich aber zur Anrechnung der – der bisher übliche Begriff D-Zug-Tempo reicht gar nicht Vorleistungen nicht äußern. Ein einziger Sachverständi- mehr aus – ein Gesetzesvorhaben mit erheblichen Aus- ger sprach von einer wirkungsgleichen Übertragung und wirkungen auf die Betroffenen und ihre Familien durch Anrechnung der Vorleistungen, war sich seiner Sache die Bundestagsgremien gepeitscht wird. dann aber doch nicht sicher; denn er empfahl den Aus- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – tausch der Gesetzesbegründung, Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: So was ha- (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Herr Minis- ben wir noch nie gehabt!) ter, ist Ihnen das berichtet worden?) (B) Auf das vernichtende Ergebnis der der Sachverständi- weg von der Übertragung der Rentenreform, hin zu einem (D) genanhörung wird weder von der Bundesregierung noch allgemeinen Versorgungsreformgesetz. Das war’s! von den Koalitionsfraktionen reagiert. Es wurde überzeugend dargelegt, dass die vorgesehe- (Dr. Max Stadler [FDP ]: So ist es!) nen Kürzungsmaßnahmen zu einer Sonderbelastung der Auf die sachlich fundierten Aussagen der Sachverständi- Beamten und der Versorgungsempfänger führen, und gen sind Sie in Ihren Redebeiträgen im Innenausschuss zwar wegen der so genannten Bifunktionalität der Beam- überhaupt nicht eingegangen. Die Beratungen im Innen- tenversorgung, die im Gegensatz zur gesetzlichen Rente ausschuss können unter diesen Umständen nur als Farce Regelversorgung und betriebliche Zusatzversorgung beinhaltet. Mehrfach wurden grundsätzliche verfassungs- bezeichnet werden. rechtliche Bedenken, insbesondere wegen der Art und Sie brauchen sich nicht zu wundern, wenn Zigtausende Weise der Einbeziehung der Bestandspensionäre, vorge- auf der Straße demonstrieren. Am Montag dieser Woche, tragen. in einer Zeit, in der Polizeibeamte wegen der inneren Si- Beanstandet wurde ebenfalls, dass die Einsparungen cherheit und Soldaten wegen der gefährlichen Auslands- aus den Vorleistungen der verschiedenen Einzelmaßnah- einsätze besonders gefordert sind, demonstrierten men des Dienstrechts- und Versorgungsreformgesetzes 25 000 Polizeibeamte und Soldaten in Berlin. Wenn ich der letzten Legislaturperiode und die Wirkung der Erhe- Mitglied Ihrer Regierungskoalition wäre, würde ich mich bung der Versorgungsrücklage auch bei den aktiven Be- geohrfeigt fühlen. amten nicht berücksichtigt wurden. Die Summe der Ein- (Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Das ist de- sparungen der Einzelmaßnahmen – Wegfall der nen völlig wurscht!) Ruhegehaltsfähigkeit der Polizeizulage, Hinausschieben der Antragsaltersgrenze usw. – belaufen sich allein bis Nun zur Sache. Der erste Versorgungsbericht wurde in zum Ende dieses Jahres auf etwa 4,4 Milliarden DM. unserer Regierungszeit vorgelegt. Mit der Versorgungs- rechtsreform in der letzten Legislaturperiode haben wir (Hans-Peter Kemper [SPD]: Das war ein schwe- wirkungsvolle Maßnahmen zur Untermauerung des Ver- rer Fehler, den Sie da gemacht haben!) sorgungswerks in Bund, Ländern und Gemeinden ergrif- Ihre Reaktion auf dieses niederschmetternde Ergebnis fen. Wir benötigen keine Nachhilfe in Sachen Versor- der Anhörung: null. Es gab hierzu keinen einzigen Wort- gungsreform. beitrag Ihrerseits im Innenausschuss. Das ist ein Skandal! (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) 20412 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001

Meinrad Belle (A) Ich möchte noch einige wenige Sätze zu den finanziel- ich feststellen: Zuerst passierte lange Zeit nichts. Ge- (C) len Auswirkungen dieses Gesetzes sagen. Die Minderaus- setzesvorhaben wurden großartig angekündigt; aber den gaben der öffentlichen Haushalte belaufen sich in der ers- Bundestag hat in dieser Hinsicht so gut wie nichts er- ten Stufe auf 12 Milliarden DM. Es sollen also reicht. Dann wurden in den letzten Wochen nicht aus- 12 Milliarden DM brutto eingespart werden. Davon wird gereifte Gesetzentwürfe überhastet eingebracht und der die Hälfte, also 6 Milliarden DM, der Versorgungsrück- Gesetzgebungsprozess überstürzt durchgezogen. Bei Ih- lage zugeführt. Nach den Auskünften der Bundesregie- nen war so gut wie keine Bereitschaft zu einer sachge- rung wird andererseits durch die Einbeziehung der Beam- rechten Diskussion vorhanden. ten in die steuerliche Förderung der privaten Meine Damen und Herren, auch in der Gesetzgebung Altersvorsorge mit Steuermindereinnahmen in Höhe von gilt der alte Grundsatz: Gut Ding will Weile haben. Die 9,3 Milliarden DM gerechnet. In den Haushalten von Beachtung dieses alten Sprichwortes würde der Qualität Bund, Ländern und Gemeinden fehlen also in der ersten Ihrer Arbeit nur gut tun. Stufe insgesamt 3,3 Milliarden DM. Adam Riese lässt grüßen. Vielen Dank. Lassen wir einmal die Zuführung zur Versorgungs- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) rücklage unberücksichtigt: Nach Berechnungen des Deut- schen Städte- und Gemeindebundes werden in Anbetracht Vizepräsidentin Anke Fuchs: Das Wort hat nun der des Einkommensteuerverbundes Bund, Länder und Ge- Kollege Helmut Wilhelm für Bündnis 90/Die Grünen. meinden in der ersten Stufe bis 2010 beim Bund und bei den Kommunen zusammen rund 600 Millionen DM Mehrausgaben entstehen. Lediglich die Länder können Helmut Wilhelm (Amberg) (BÜNDNIS 90/DIE mit einer Nettoentlastung von rund 4,7 Milliarden DM GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! rechnen. Da lobe ich mir die finanziellen Entlastungswir- Um es gleich vorwegzunehmen: Bei der heutigen Ab- kungen der von uns 1998 mit Ihrer Zustimmung einge- schlussberatung des Versorgungsänderungsgesetzes 2001 führten Versorgungsrücklage. bleibt für mich ein kleines Restproblem: Einerseits halte ich das Vorhaben der wirkungsgleichen Übertragung der Überdenkt man die finanziellen Auswirkungen der be- Reform der gesetzlichen Rentenversicherung auf die Be- absichtigten Reform unter Berücksichtigung der Zu- amtenversorgung tatsächlich für unaufschiebbar. Ande- führung zur Versorgungsrücklage mit einer Zu- rerseits hätte ich es begrüßt, wenn auf einige Kritikpunkte satzbelastung von 3,3 Milliarden DM in der ersten Stufe, der Sachverständigen, geäußert in der Anhörung vor dem kommt man zu folgendem Ergebnis: Innenausschuss, noch etwas stärker eingegangen worden (B) Erstens. Eine Versorgungsrücklage und ein beabsich- wäre. (D) tigter Systemwechsel zur Absenkung des Höchstsatzes Während die neue Regierung für Arbeitnehmer die der Pensionen passen nicht zusammen. Einschränkungen im Rentenversicherungssystem bei (Beifall bei der CDU/CSU) ihrem Amtsantritt aufgehoben hat, blieb es bei den Beam- ten bei dem entsprechenden Einschnitt, bei dem 0,2-pro- Man muss sich für einen Weg entscheiden: entweder für zentigen Versorgungsabschlag. Zwar wurden diese Vor- die Versorgungsrücklage oder für die Absenkung der pro- leistungen der Beamten und Beamtinnen mit der zentualen Pensionshöhe. Anhebung des Höchstversorgungssatzes von 71,25 Pro- Zweitens. Die finanziellen Auswirkungen sind nicht zent auf nunmehr 71,75 Prozent zumindest teilweise aus- vollständig bedacht. Entweder wurde schlampig gearbei- geglichen. Ich hätte mir aber nach der Sachverständigen- tet oder man will auf kaltem Wege, sozusagen klamm- anhörung gewünscht, dass wir uns – damit meine ich die heimlich, den ersten Schritt zu einem einheitlichen öf- Innenpolitiker von SPD und Bündnis 90/Die Grünen – mit fentlichen Dienstrecht gehen; das könnte natürlich auch unserem gemeinsamen Vorschlag, den Höchstversor- sein. gungssatz auf 72 Prozent anzuheben, hätten durchsetzen können. Immerhin hat die große Mehrheit der Sach- Meine Damen und Herren, es wird Sie nicht wundern: verständigen in der Anhörung auf die Gefahr hingewie- Wir lehnen diesen Gesetzentwurf ab. Gleichzeitig wollen sen, dass es zu einer Überkompensation zulasten der Be- wir mit unserem Änderungsantrag zur zweiten und dritten amten kommen könne. Aber leider haben wir uns mit Lesung die im Innenausschuss teils abgelehnten, teils diesem Vorschlag nicht durchsetzen können. Für die Ak- nicht vollständig übernommenen folgenden Änderungen zeptanz des Gesetzesvorhabens in der Beamtenschaft erreichen: erstens die Beibehaltung der bisherigen hätte dies nützlich sein können. Rechtslage durch Fortführung der Versorgungsrücklage entsprechend unserer Versorgungsrechtsreform mit einer Ich stimme dem Gesetzesvorhaben trotzdem zu, da wir Absenkung der Aktiven- und Versorgungsbezüge um letztendlich daran gemessen werden, ob es uns gelingt, 3 Prozent, zweitens eindeutige Verbesserungen beim qua- die bestehenden Versorgungssysteme auch in Zukunft lifizierten Dienstunfall und drittens die Abschaffung der funktionsfähig zu erhalten, damit sie ihren Zweck erfül- einschränkenden Quotierung von Ausbildungszeiten. len können. Wenn ich die im Bereich des Innern geleistete gesetz- Die Beamtenversorgung steht bekanntlich vor den geberische Arbeit der letzten Monate und die Tagesord- gleichen Problemen wie andere Alterssicherungssysteme. nungen der letzten Wochen Revue passieren lasse, muss Die allgemeine demographische Entwicklung in Deut- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001 20413

Helmut Wilhelm (Amberg) (A) schland führt zu einem raschen Anstieg der Ausgaben für – Ja. – Damit wird einem Änderungsantrag des Bundes- (C) die Beamtenversorgung. Das hängt zum einen mit der be- rates Rechnung getragen. kanntlich stetig steigenden Lebenserwartung zusammen. Ich kann darum dem Gesetzesvorhaben zustimmen, Zum anderen liegt das durchschnittliche Ruheeintrittsal- auch damit ein gemeinsames In-Kraft-Treten mit der Ren- ter in den letzten Jahren auf konstant niedrigem Niveau: tenreform gesichert ist. Auch aufgrund der hohen Zahl der Frühpensionierungen liegt es zurzeit bei 59 Jahren. Dass diese beiden Faktoren Danke schön. zusammengenommen zu erheblichen Steigerungen der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Versorgungsleistungen geführt haben, ist bekannt. und bei der SPD) (Zuruf von der CDU/CSU: Wohl wahr!) Eine gewisse Brisanz bekommt die Geschichte, wenn Vizepräsidentin Anke Fuchs: Nun hat der Kollege man sich die Tatsache vor Augen hält, dass die durch- Dr. Max Stadler für die FDP-Fraktion das Wort. schnittliche Pensionslaufzeit derzeit bei rund 20 Jahren liegt. Für die Berechtigten ist das sicherlich angenehm. Dr. Max Stadler (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr Sie ist gegenüber früheren Zeiten also ebenfalls erheblich geehrten Damen und Herren! Der Bundesinnenminister angewachsen. Hinzu kommt der so genannte Versor- hat zu Beginn seiner Amtszeit angekündigt, dass die In- gungsberg als Folge der Ausweitung des öffentlichen nenpolitik ein Politikbereich sei, wo ähnlich wie in der Dienstes in den 60er- und 70er-Jahren. Die Pensionsauf- Außenpolitik Kontinuität gewahrt werden müsse. Herr wendungen von Bund, Ländern und Gemeinden werden Minister Schily, es ist Ihnen wirklich in überzeugendem deshalb von heute bis 2030 auf das 3,5fache ansteigen: Maße gelungen, zum Beispiel bei der inneren Sicherheit, von derzeit 43 Milliarden DM auf rund 150 Milliar- die Politik Ihres Vorgängers fortzusetzen, ja sogar in ei- den DM. Aus alledem ergibt sich schlichtweg ein Finanz- nem solchen Maße, dass es Ihren eigenen Koalitionspart- problem. ner hie und da etwas erschreckt. Außerdem ist zwischen Rot-Grün im Koalitionsvertrag (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) festgeschrieben worden, nach der Reform der gesetzli- chen Rentenversicherung auch die Beamtenversorgung Sie wären aber gut beraten gewesen, wenn Sie diese Kon- entsprechend und im Einklang mit der Rentenreform tinuität gerade bei der Frage der Beamtenversorgung auch – wirkungsgleich also – fortzuentwickeln. Wirkungsglei- gewahrt hätten. che Übertragung bedeutet einerseits eine den Einsparun- Die Koalition aus CDU/CSU und FDP hat ja mit den gen bei den Rentenversicherungsträgern vergleichbare Reformen in der letzten Legislaturperiode Vorsorge ge- (B) Entlastung der öffentlichen Haushalte und andererseits troffen, damit die Pensionsansprüche auch über die kriti- (D) eine äquivalente monetäre Auswirkung bei Beamten und schen Jahre hinweg, in denen sie in hoher Zahl auflaufen, Pensionären, so wie bei Arbeitnehmern und Rentnern erfüllt werden können. Deswegen wäre es doch zweck- auch. Dies ergibt sich bereits aus dem Gleichheitsprinzip. mäßig gewesen, im System zu bleiben und, wenn es denn Dabei darf die wirkungsgleiche Übertragung der Renten- wirklich notwendig gewesen wäre, etwa die Versor- reform auf die Beamtenversorgung wegen der besonderen gungsrücklage anzuheben, aber nicht eine völlige Neu- verfassungsrechtlichen Stellung nur systemkonform er- regelung der Beamtenversorgung vorzuschlagen. folgen. Herr Minister Schily, Sie haben in der Haushaltsde- Die Schwerpunkte des Gesetzentwurfs bezüglich des batte davor gewarnt, bei diesem Thema Polemik zu be- Versorgungsniveaus sind bereits mehrfach genannt und treiben. Das tun wir keineswegs. Vielmehr lehnt die FDP dargestellt worden; ich kann mir dies ersparen. Ihr Gesetz aus sachlichen Gründen ab. Hervorheben möchte ich allerdings, dass es nach der Erstens. Das Gesetz ist nicht notwendig. Laut Versor- Anhörung doch noch einige Verbesserungen gegeben hat. gungsbericht der Bundesregierung reichen die Maßnah- So kann zukünftig der qualifizierte Dienstunfall begriff- men aus der letzten Legislaturperiode durchaus aus. lich besser vom einfachen Dienstunfall unterschieden Zweitens. Zum Verfahren hat der Kollege Belle schon werden. einiges gesagt. Ich möchte noch anmerken: Es war auch (Meinrad Belle [CDU/CSU]: Weil wir es bean- ein Fehler des Verfahrens, dass gerade dieser Versor- tragt haben!) gungsbericht, den ich jetzt kurz zitiert habe, nicht richtig in die parlamentarischen Beratungen eingeflossen ist, Das erleichtert die Rechtsanwendung und dient den Be- weil er zwar von der Bundesregierung meines Wissens im troffenen. September verabschiedet worden ist, aber erst vor kurzem Auch die Bürgermeister der ersten Stunde, also die den Parlamentariern überhaupt zugegangen ist. Eine Kommunalbeamten im Beitrittsgebiet, die eine Amtszeit wirkliche Auswertung hat nicht stattgefunden. von acht Jahren erreichen und bis zum 3. Oktober 2000 in Wir sind drittens der Meinung, dass die vorgesehenen den Ruhestand getreten sind, kommen nunmehr in den Maßnahmen eine Überkompensation im Vergleich zur Genuss des § 66 Abs. 2 Satz 1 Beamtenversorgungs- Rentenreform darstellen. gesetz. Viertens. Es wird nicht beachtet, dass die Rentenre- (Meinrad Belle [CDU/CSU]: Weil wir es bean- form in die Grundsicherung eingreift, dagegen die Neu- tragt haben!) fassung der Beamtenversorgung die Vollversorgung 20414 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001

Dr. Max Stadler (A) betrifft. Würde die Rentenreform tatsächlich wirkungs- Von diesen Regelungen betroffen sind rund 2 Milli- (C) gleich übertragen, so würde eine geringere Absenkung onen Beschäftigte im öffentlichen Dienst und Soldatinnen der Beamtenversorgung ausreichen. und Soldaten, die im Moment aktiv sind. Fünftens. Die durch das Gesetz erzielten Minderaus- (Hans-Peter Kemper [SPD]: Die kommen da- gaben von 12 Milliarden DM werden durch die jährlichen bei sehr gut weg!) staatlichen Zuschüsse zum Aufbau der Privatvorsorge in Angeblich wollen Sie mit diesem Gesetz die Rentenre- Höhe von 9 Milliarden DM weitgehend aufgezehrt. Das form wirkungsgleich übertragen. War schon die Renten- Gesetz bringt also auch finanziell nicht das, was Sie sich reform der Einstieg in den Ausstieg aus der solidarischen und der Öffentlichkeit versprechen. Alterssicherung, ist diese Art der Änderung in der Sechstens. Einige der Maßnahmen bewegen sich Beamtenbesoldung noch viel schlimmer. Sie brechen das mindest an der Grenze zur Verfassungswidrigkeit. So Vertrauen derjenigen, welche sich im öffentlichen Dienst könnte etwa in Zukunft die Witwenversorgung nahe am für unser Gemeinwesen besonders zu engagieren haben, Sozialhilfesatz liegen, was gegen die Alimentations- und Sie sind mindestens am Rande der Verfassungswid- pflicht des Staates verstoßen würde. rigkeit und vielleicht bei einigen Regelungen tatsächlich schon darüber hinaus. Darüber wird sicherlich nach dem Im Übrigen ist auch in den Übergangsregelungen eine heutigen Tage weiter zu reden sein. Fehlkonstruktion enthalten; denn ältere Beamte haben nicht mehr die Möglichkeit, eine private Altersversorgung (Beifall bei Abgeordneten der PDS) zur Kompensation aufzubauen, während übrigens bei den Mit diesem Gesetz verringern Sie natürlich die Attrak- Angestellten die Zusatzversorgung voll bestehen bleibt. tivität der Beschäftigung im öffentlichen Dienst. Ich habe Das sind alles keine Polemiken, sondern sachliche Ar- in dieser Woche mit Vertretern des Richterbundes gespro- gumente für eine Ablehnung. Aber am schlimmsten ist, chen. Sie haben aufgrund ihrer Erfahrungen aus dem dass das Ergebnis der Sachverständigenanhörung – das heutigen Alltag erzählt, wie schwer es ist, junge, qualifi- ziert ausgebildete Kolleginnen und Kollegen für diesen hat Herr Kollege Wilhelm von den Grünen selber zum Beruf zu gewinnen. Was soll erst werden, wenn dieses Ge- Ausdruck gebracht – nicht mehr entscheidend in die Ge- setz greift, das heißt, wenn man sich nicht darauf verlas- setzgebung eingeflossen ist. sen kann, dass man selbst – und auch die Angehörigen – (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der am Ende eines Arbeitslebens entsprechend abgesichert PDS) ist? Ich finde, wenn eine Sachverständigenanhörung eine so Ich gehe davon aus, dass die Betroffenen auch nach (B) (D) eindeutige Ablehnung ergibt, dann muss ein solch ein- dem heutigen Tage sehr viel Grund zum Protest haben schneidendes Reformwerk wirklich ernsthaft überdacht werden. werden. (Beifall bei der PDS) Ich habe Bedenken, dass uns heute Nachmittag ab Denn es bleibt bei der pauschalen Absenkung der Versor- 13 Uhr beim Terrorismusbekämpfungsgesetz dasselbe gungsanpassungen, vor allen Dingen im einfachen und widerfährt, wo der Zeitplan ja vorsieht, rasch zu einer Be- mittleren Dienst. Es bleibt dabei, dass die Vorleistungen, schlussfassung zu kommen. Offenkundig will man die welche die Beamtinnen und Beamten erbracht haben, Anhörung, die jetzt gleich stattfindet, nicht auswerten. nicht berücksichtigt werden. Es bleibt dabei, dass diejeni- Meine Damen und Herren, unter diesen Umständen gen, welche in den nächsten Jahren die Pensionsgrenze er- können wir Ihrem Reformgesetz nicht zustimmen. reichen, keine Chance mehr haben, vorzusorgen, um die- sen Absenkungen entsprechend entgegenzutreten. Sie (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) haben keine Ausnahmen für Dienstunfähige und Schwer- behinderte vorgesehen; sie werden also mit diesem Ge- Vizepräsidentin Anke Fuchs: Das Wort hat nun die setzentwurf doppelt benachteiligt. Kollegin Petra Pau für die PDS-Fraktion. (Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Unerhört!) Auch die Arbeitsbedingungen in den Vollzugsdiensten Petra Pau (PDS): Frau Präsidentin! Liebe Kollegin- sind nicht berücksichtigt worden. Feuerwehrbeamte wer- nen und Kollegen! Der Kollege Kemper meinte vorhin den im Vergleich zu den Vollzugsdienstleistenden doppelt zum Abschluss, dass wir mit diesem Gesetzentwurf den benachteiligt. Diejenigen, die im Osten im öffentlichen Betroffenen eine Menge zumuten. Ich finde, das ganze Dienst beschäftigt sind, werden ganz besonders getroffen. Gesetzeswerk, welches heute auf dem Tisch liegt, ist eine Hier bleibt die Aufgabe der Gleichstellung; denn nach wie Zumutung, sowohl in Bezug auf den als Inhalt auch auf vor werden sie nicht nur niedriger bezahlt, sondern brau- das Verfahren. chen auch mehr Zeit, um überhaupt eine Mindestpension (Beifall bei der PDS) zu erreichen. (Beifall bei der PDS) Dazu, wie es hier zur Verabschiedung gelangt ist, haben die Kollegen Belle und Stadler hier schon ausführlich ge- Unterm Strich muten Sie dann auch noch den Frauen die redet; das muss nicht wiederholt werden. so genannte Quotelung der Ausbildungszeiten zu. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001 20415

Petra Pau (A) Die einzig positive Änderung in dieser Gesetzgebung Dazu gehören selbstverständlich auch die im öffentlichen (C) – dies wurde schon hervorgehoben – ist die Regelung für Dienst Beschäftigten. Darüber sollten wir mit diesen ehr- die Kommunalbeamten der ersten Stunde im Osten. lich sprechen. Dieser haben wir im Ausschuss natürlich zugestimmt. Ich denke, wir werden bald über die Folgen der verfassungs- (Heidemarie Ehlert [PDS]: Dann tun Sie das!) rechtlichen Prüfungen dieses Gesetzeswerkes zu sprechen Die Veränderungen der Beamtenpensionen dienen in haben. Ich sehe bereits nachfolgende Gesetzespakete am erster Linie den Interessen der Länder; das will ich hier Horizont. besonders herausstellen. Die Zahl der Versorgungsemp- Es wird Sie nicht wundern: Nach einer solchen Liste fänger in den Ländern von Ablehnungsgründen können wir dieses Gesetzespa- (Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Es geht um die ket insgesamt nur ablehnen – es sei denn, Sie stimmen un- Menschen!) serem Änderungsantrag und unserem Entschließungs- antrag heute zu. – rufen Sie doch nicht immer solchen Unsinn dazwischen – (Beifall bei der PDS) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat wird sich bis 2030 verdoppeln. Beim Bund hingegen wird jetzt der Herr Bundesminister des Innern, Otto Schily. sich die Zahl um 15 Prozent verringern. Wir machen eine verantwortungsbewusste Politik, die Otto Schily, Bundesminister des Innern: Frau Präsi- wir vor allem im Interesse der Länder durchsetzen müs- dentin! Meine Damen und Herren! Wenn man sich der sen; Wirklichkeit nicht verschließt, dann muss man anerken- (Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Das sehen die nen, dass das Versorgungsänderungsgesetz 2001 notwen- Beamtinnen und Beamten aber anders!) dig ist, um das Versorgungssystem zu erhalten denn die Versorgungsausgaben in den Ländern werden (Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Flickschusterei!) in dem genannten Zeitraum um 300 Prozent steigen. und die Pensionen von Beamten, Richtern und Soldaten Diese Zahl muss man auch vor dem Hintergrund sehen, zu sichern. Wir müssen die Rentenreform – das ist übri- dass in den Ländern bereits heute circa 40 Prozent des gens ein gesetzlicher Auftrag – wirkungsgleich auf die Haushalts für Personalkosten aufgewendet werden. Der Beamtenversorgung übertragen. Bund liegt bei etwa 12 Prozent. Diese Tatsache muss man berücksichtigen. (B) (Heidemarie Ehlert [PDS]: Das tun Sie aber (D) nicht!) Ohne dieses Gesetz können die Probleme der Länder überhaupt nicht gelöst werden. Deshalb erwarte ich auch, Ich empfehle allen, den Zweiten Versorgungsbericht dass die Länder im Bundesrat zustimmen werden. Es wäre der Bundesregierung nachzulesen. Aus diesem Versor- einmal ganz interessant, zu erfahren, ob es einige Länder gungsbericht ergibt sich, dass allein im früheren Bundes- gebiet die Versorgungsausgaben der Gebietskörperschaf- darauf ankommen lassen würden, dieses Gesetz scheitern ten von derzeit fast 43 Milliarden DM bis 2040 auf circa zu lassen. Mit Blick auf ihre künftigen Finanzprobleme 164 Milliarden DM ansteigen werden. Das ist fast eine können sie sich das nämlich gar nicht leisten. Vervierfachung. Diesem Problem müssen wir uns alle Was von verantwortungslosen Politikerinnen und Poli- stellen. Eine verantwortungsbewusste Politik kann das tikern leider geäußert wird, es würden die Pensionen nicht einfach beiseite schieben. gekürzt, ist schlicht falsch. Es wird nur der Anstieg ent- Die PDS hat ja allenfalls Ahnung, wie man Ausgaben sprechend den Vorgaben der Rentenreform abgeflacht. erhöht, versteht aber von Finanzpolitik nicht mehr als das Dadurch sinkt der Höchstruhegehaltssatz von 75 auf Schwarze unterm Fingernagel. Das will ich jedoch nicht 71,75 Prozent. Auch nach der Reform bleibt für alle Be- weiter kommentieren. troffenen die verfassungsrechtlich abgesicherte Vollver- sorgung erhalten. Ich werde am Schluss noch auf das (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Heidemarie Sachverständigengutachten eingehen. Ehlert [PDS]: Unverschämtheit! – Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Wer keine Argumente hat, kommt Entgegen der Propaganda einiger Kritiker werden die mit so primitiven!) Vorleistungen berücksichtigt. Die in den Versorgungs- rücklagen schon erbrachten Leistungen in Höhe von Im Übrigen sind die Maßnahmen, die wir hier treffen 0,6 Prozent werden bereits in der ersten Stufe der Über- und die der wirkungsgleichen Übertragung der Renten- tragung der Rentenreform berücksichtigt. Insgesamt wird reform entsprechen, ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit. das Versorgungsniveau von 2003 bis 2010 um circa 5 Pro- Die Konsequenzen, die sich aus den verschiedenen Fi- zent abgeflacht. Das ist genau wirkungsgleich zur Ren- nanzproblemen ergeben, müssen gleichmäßig auf die ak- tenreform. Zur Vermeidung von Doppelbelastungen ist tiv Beschäftigten und auf die im Ruhestand Befindlichen in diesem Zeitraum der weitere Aufbau der Versorgungs- verteilt werden, damit die soziale Gerechtigkeit keinen rücklage ausgesetzt. Von 2011 bis 2017 wird dann in Schaden nimmt. Umsetzung der zweiten Stufe der Rentenreform die (Heidemarie Ehlert [PDS]: Weil Sie vergessen Versorgungsrücklage fortgeführt. Soziale Härten werden haben, Rücklagen zu bilden!) vermieden. Auch dafür gibt es genügend Belege. 20416 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001

Bundesminister Otto Schily (A) Ich komme zu einem anderen Sachverhalt, den Sie Altersversorgung erhalten. Ich bitte Sie deshalb alle um (C) ebenfalls nicht berücksichtigen. Dass auch Beamte künf- Zustimmung zu diesem Gesetzgebungswerk. tig an der staatlichen Förderung teilnehmen können, über- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ sehen manche. Ich muss in Richtung Herrn Stadler – er DIE GRÜNEN) musste aus zwingenden Gründen die Debatte verlassen – und Herrn Belle sagen: Bei Ihren Vorschlägen bleiben die Beamten hinsichtlich der staatlichen Förderung außen Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Danke schön. – vor. Sie müssen einmal die Zahlen vergleichen: Die Ent- Ich schließe damit die Aussprache. lastungen zugunsten der Länder, des Bundes und der an- Wir kommen zur Abstimmung über die von den Frak- deren Gebietskörperschaften betragen etwas über 12 Mil- tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen sowie liarden DM. Über die Förderung der privaten Vorsorge von der Bundesregierung eingebrachten Entwürfe eines geben wir 9,3 Milliarden DM zurück. Auch diese Zahlen Versorgungsänderungsgesetzes 2001. Der Innenausschuss muss man bei einer objektiven Beurteilung zur Kenntnis empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf nehmen. Drucksache 14/7681 die Annahme der genannten Gesetz- Wir müssen uns im Übrigen darüber im Klaren sein, entwürfe als Versorgungsänderungsgesetz 2001 in der dass wir mit den Versorgungsproblemen noch grundsätz- Ausschussfassung. licher umgehen müssen. Tatsache ist, dass im Jahre 1999 Hierzu liegen zwei Änderungsanträge vor, über die wir circa 47 Prozent aller Pensionierungen wegen Dienst- zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag unfähigkeit erfolgt sind und dass die Beamtinnen und der Fraktion der CDU/CSU, Drucksache 14/7694? – Wer Beamten im Durchschnitt mit 59 Jahren in den Ruhestand stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag treten. Angesichts des starken Anstiegs der Versorgungs- ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die ausgaben muss diese Situation geändert werden. Ich be- Stimmen der gesamten Opposition abgelehnt worden. grüße deshalb ausdrücklich den Entschließungsantrag der Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der Koalition, der dieses Thema aufgreift. Ich erwarte selbst- PDS auf Drucksache 14/7699? – Wer stimmt dagegen? – verständlich nicht, dass alle meinem Beispiel folgen und Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist mit den Stim- zur Entlastung der Renten- bzw. Versorgungskassen ihre men der Koalitionsfraktionen und der FDP gegen die PDS Lebensarbeitszeit verlängern. bei Enthaltung der CDU/CSU abgelehnt worden. (Heiterkeit bei der SPD) Wer stimmt für den Gesetzentwurf in der Ausschuss- Noch eine Bemerkung zur Sachverständigenanhörung: fassung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetz- (B) Die Sachverständigen sind schlicht von einer falschen Vo- entwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen wor- (D) raussetzung ausgegangen. den. (Zuruf von der CDU/CSU: Alle?) Wir kommen zur – Ja. – Sie kannten nämlich nicht das Ergebnis der Ver- dritten Beratung handlungen über die Zusatzversorgung des öffentlichen und Schlussabstimmung. Ich bitte Sie, sich zu erheben, Dienstes. Wenn sie die gekannt hätten, wären sie zu ganz wenn Sie dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. – Wer anderen Feststellungen gekommen. Ich will einmal davon stimmt dagegen? – Der Gesetzentwurf ist damit in dritter absehen, dass einige Sachverständige Verbandsvertreter Lesung angenommen worden. waren und eher die Verbandspositionen vertreten haben. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent- (Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Maulkorb!) schließungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache – Das ist kein Maulkorb. Die Objektivität kann aber in ei- 14/7700. Wer stimmt dafür? – Dagegen? – Enthaltungen? – nem solchen Fall an der einen oder anderen Stelle infrage Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der gestellt werden. Koalitionsfraktionen und der FDP gegen die Stimmen der PDS bei Enthaltung der CDU/CSU abgelehnt worden. Ich bedanke mich ausdrücklich bei den Tarifvertrags- parteien, dass sie in diesen schwierigen Verhandlungen Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Be- über die Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes zu schlussempfehlung auf Drucksache 14/7681 die An- einem guten Ergebnis gekommen sind. nahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Be- schlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das muss man in einem Zusammenhang sehen: Ohne Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der SPD, die Reform der Beamtenversorgung wäre die Bereitschaft des Bündnisses 90/Die Grünen und der FDP bei Enthal- der Tarifvertragsparteien – zumindest auf der Seite der tung der CDU/CSU und der PDS angenommen worden. Gewerkschaften –, diese schwierigen Verhandlungen zu einem erfolgreichen Ende zu führen, nicht vorhanden ge- Wir kommen zur Abstimmung über den vom Bundesrat wesen. Diesen Zusammenhang sollten Sie beachten. eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Beamten- rechtsrahmengesetzes, Drucksache 14/6717. Der Innen- Das Gesamtkonzept der Bundesregierung sorgt dafür, ausschuss empfiehlt unter Nr. 3 seiner Beschlussempfeh- dass alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des öffentli- lung auf Drucksache 14/7681, den Gesetzentwurf chen Dienstes, seien es nun Arbeiter, Angestellte oder Be- abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf amte, auch in Zukunft eine sichere und finanzierbare zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstim- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001 20417

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer (A) men? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Allerdings darf es Sicherheit ohne Freiheit nicht ge- (C) Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen ben. Diese Erkenntnis gilt auch in Zeiten, in denen sich die Stimmen der gesamten Opposition abgelehnt worden. unsere demokratische Gesellschaft als wehrhaft gegen die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus er- Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die wei- weisen muss. Aus diesem Grund kommt für die Bundes- tere Beratung. regierung eine bloße Verlängerung oder Entfristung des Ich rufe jetzt Zusatzpunkt 4 auf: § 12 FAG nicht in Betracht. Sie wissen, diese Vorschrift stammt im Wesentlichen aus dem Jahre 1927 und ist auf Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- die damalige, von Handvermittlung geprägte Fernmelde- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes technik zugeschnitten. Gerade weil die moderne Digitali- zur Änderung der Strafprozessordnung sierung des Telekommunikationsverkehrs zu einer enor- – Drucksachen 14/7008, 14/7258 – men Fülle abruffähiger Daten geführt hat, ist ein neuer (Erste Beratung 192. Sitzung) Ausgleich zwischen den Belangen der Kriminalitäts- bekämpfung einerseits sowie dem Schutz des Fernmel- Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus- degeheimnisses andererseits zu schaffen. schusses (6. Ausschuss) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ – Drucksache 14/7679 – DIE GRÜNEN) Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Diesem Anspruch wird der Gesetzentwurf, über den wir Joachim Stünker heute beschließen, gerecht. Er stärkt die Verbrechens- Norbert Geis bekämpfung und die Bürgerrechte. Volker Kauder Lassen Sie mich kurz auf die wesentlichen Verbesse- Volker Beck (Köln) rungen in diesem Gesetzentwurf eingehen: Jörg van Essen Dr. Evelyn Kenzler Erstens. Das Auskunftsrecht besteht künftig bei der Aufklärung von Straftaten von erheblicher Bedeutung, Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der wobei im Gesetz der Katalog des § 100 a Satz 1 StPO bei- CDU/CSU vor. Für die Aussprache ist eine halbe Stunde spielhaft genannt wird. Bei den telekommunikationstypi- vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das schen Straftaten wie etwa der Datennetzkriminalität oder so beschlossen. belästigenden Anrufen kann die Auskunft sogar bereits Ich eröffne die Aussprache. Zunächst hat für die Bun- dann verlangt werden, wenn Gründe der Verhältnis- (B) desregierung der Parlamentarische Staatssekretär Eckhart mäßigkeit nicht entgegenstehen. (D) Pick das Wort. In diesem Zusammenhang ist die Kritik an dieser maßvollen Absenkung der Auskunftsvoraussetzungen Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- nicht nachvollziehbar. Ich verweise insbesondere auf die ministerin der Justiz: Frau Präsidentin! Meine Damen und Stellungnahme des Bundesrates vom 19. Oktober 2001, in Herren! Mit Ablauf des 31. Dezember dieses Jahres tritt der er diesen Punkt ausdrücklich begrüßt hat. Dieser über- § 12 des Gesetzes über Fernmeldeanlagen außer Kraft. zeugenden Einschätzung kann ich mich nur anschließen. Der vorliegende Gesetzentwurf zur Einführung der Sie wird im Übrigen auch von dem Bundesbeauftragten §§ 100 g und 100 h StPO schafft eine verbesserte Nach- für den Datenschutz geteilt. folgeregelung zu dieser Vorschrift. (Beifall des Abg. Alfred Hartenbach [SPD]) Eine solche Nachfolgeregelung ist wichtig. Gerade im Zweitens. Da wir das Ermittlungsinstrument der Rahmen organisierter oder gar terroristischer Krimina- §§ 100 g und 100 h StPO nunmehr stärker auf die erheb- lität beobachten wir immer wieder den Einsatz moder- lichen Straftaten konzentrieren, wollen wir gleichzeitig ner Telekommunikationstechniken. So wissen sich ge- den Wert der Auskünfte für die Strafverfolgungsbehörden rade auch archaisch anmutende so genannte Gotteskrieger verbessern. Der Gesetzentwurf räumt Staatsanwaltschaf- modernster Telekommunikationsformen zu bedienen. ten und Polizei erstmals die Möglichkeit ein, Auskunft Die §§ 100 g und 100 h StPO erlauben den Strafver- auch über zukünftige Telekommunikationsverbindungen folgungsbehörden – ebenso wie die Vorgängerregelung – zu erlangen. Damit begegnen wir der Gefahr, dass den den Zugriff auf solche Daten, die Informationen darüber Strafverfolgungsbehörden wichtige Erkenntnisse vorent- geben, mit wem ein Verdächtiger wann telefoniert oder im halten bleiben. Internet kommuniziert hat. Diese Fähigkeit der Strafver- Drittens. Schließlich präzisiert der Gesetzentwurf erst- folgungsbehörden ist unverzichtbar. Staatsanwaltschaften mals die Daten, über die Auskunft zu erteilen ist. Dabei und Polizei können dieses Ermittlungsinstrument auch beschränken wir die Auskunft über die Standortkennung in Zukunft nutzen. Damit leisten Bundesregierung und bei Mobiltelefonen ganz bewusst auf die Fälle, in denen Regierungskoalition einen weiteren messbaren Beitrag es zu einer Verbindung gekommen ist. dazu, dass sich die Menschen in unserem Land sicher fühlen können. (Alfred Hartenbach [SPD]: Sehr gut!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Präzise Bewegungsprofile von Personen anhand der DIE GRÜNEN) Funkzellen, in die sich Handys im Stand-by-Betrieb 20418 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001

Parl. Staatssekretär Dr. Eckhart Pick (A) einbuchen, sollen den Strafverfolgungsbehörden zwar Gesetzentwurf auf der Tagesordnung war, wieder abge- (C) weiter zur Verfügung stehen, aber nur wie bisher bei Vor- setzt wurde, um dann wieder neu auf die Tagesordnung liegen der Voraussetzungen einer Telefonüberwachung. gesetzt zu werden. Das ist ein Beispiel dafür, wie diese rot-grüne Koalition im Rechtsausschuss schon seit Jahren Die Neuregelung des § 12 FAG in der Form der arbeitet. §§ 100 g und 100 h StPO ist eine wesentliche Verbesse- rung gegenüber der geltenden Rechtslage. Sie schafft Si- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf cherheit und sichert Freiheit. Deswegen bitte ich um Ihre von der CDU/CSU: Das war ein Küsschen für Zustimmung. den grünen Frosch!) (Beifall bei der SPD und dem BÜND- Sie sollten mit dieser Form der Arbeit, Herr Staatsse- NIS 90/DIE GRÜNEN – Alfred Hartenbach kretär Pick, nicht weitermachen, weil dies nicht seriös ist. [SPD]: Unsere haben Sie!) Ich könnte eine ganze Reihe von anderen Gesetzesvorha- ben nennen, bei denen Sie in gleicher Weise vorgegangen sind. Mich wundert ein bisschen, dass Sie, die Sie nicht in Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat der Regierung sitzen, sondern Abgeordnete sind, so etwas jetzt der Abgeordnete Volker Kauder. mit sich machen lassen. Es ist eine grobe Missachtung der Rechte von Parlamentariern, wie die Beratungen im Volker Kauder (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Rechtsausschuss stattfinden. sehr verehrten Damen und Herren! Herr Staatssekretär (Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Christian Pick, man muss sich über die Einlassung, die Sie gerade Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sa- gemacht haben, schon wundern. Sie haben darauf ver- gen Sie mal was Inhaltliches!) wiesen, dass die Regelungen des § 12 des Fernmeldean- lagengesetzes im Wesentlichen aus dem Jahr 1927 stam- Sie haben zwei Jahre Zeit gehabt, sich eine konkrete men. Man wundert sich doch sehr, wie lange Sie in dieser Regelung zu überlegen. Sie haben in diesen zwei Jahren rot-grünen Bundesregierung gebraucht haben, um eine nichts gemacht. Aber auf einmal kommt etwas. Man ver- neue Regelung herbeizuführen. mutet fast, seit den Ereignissen vom 11. September ist bei Ihnen die Erkenntnis gewachsen, dass nun doch schneller (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE etwas getan werden muss. Sie haben sich dann darauf GRÜNEN]: Sie haben es in 16 Jahren nicht ge- festgelegt, nicht nur eine Verlängerung des § 12 des Fern- schafft!) meldeanlagengesetzes, sondern einen Gesetzentwurf vor- Wenn man sich das Verfahren anschaut, dann muss zulegen. man sich noch mehr wundern. Man muss der Öffentlich- (B) In diesem Gesetzentwurf haben Sie die Bedingungen (D) keit einmal sagen, wie das abgelaufen ist. Man weiß seit angehoben. Sie gleichen die neuen Regelungen den Re- zwei Jahren, dass die Regelung im Dezember 2001 aus- gelungen zur Abhörung von Telefongesprächen an, bei läuft. Bereits im Oktober 1999 stand ich an diesem Pult denen auch über die Inhalte berichtet werden muss. Es im Deutschen Bundestag und habe einen Gesetzentwurf gibt aber überhaupt keine Notwendigkeit, bei den Rege- der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vorgetragen, der diese lungen zur Fortführung des § 12 FAG die gleichen schar- Regelung verlängern und entfristen sollte, damit sie dau- fen Eingriffsvoraussetzungen wie bei den Vorschriften an- erhaft zur Verfügung steht. zulegen, die sich auf die Abhörung beziehen. (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Es sind zwei Jahre ins Land gegangen, bis Sie endlich GRÜNEN]: Das sehen die Länder aber anders!) – vor wenigen Wochen – einen Gesetzentwurf vorgelegt Sie haben damit eine Regelung, die wesentlich weni- haben. Als wir ihn in dieser Woche beraten wollten, haben ger greift und weniger Möglichkeiten als bisher zur Ver- Sie ihn kurzfristig zurückgezogen und diesen Punkt von fügung stellt. Dazu kann ich nur sagen: So etwas erleben der Tagesordnung nehmen wollen. Zur völligen Überra- wir in diesen Tagen permanent. Der Bundesinnenminister schung von uns allen ist dann eine Sondersitzung des Aus- spricht scharf wie ein Rasiermesser. Aber es kommt im- schusses einberufen worden. Man hat auf einmal eine mer viel weniger heraus, als versprochen worden ist. Es Regelung vorgelegt, die alles andere als systematisch kor- gilt auch hier der alte Satz der Heiligen Schrift: An euren rekt und inhaltlich in Ordnung ist. Das muss man einmal Taten werdet ihr gemessen, nicht an euren Worten. klar und deutlich sagen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hans- (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- GRÜNEN]: Das ist dieselbe Regelung!) NEN]: Da kommen Sie aber schlecht weg!) Wir wissen natürlich ganz genau, womit das zusam- Sie spielen ein ganz eigenartiges Spiel. Am Montag hat menhängt, Herr Kollege Ströbele. Sie waren vermutlich der Bundesinnenminister mit aller Schärfe erklärt: Wir derjenige, der entscheidend dazu beigetragen hat, aus ei- werden alles tun. Am Dienstag hat sich Herr Ströbele ner guten Regelung mit guten Möglichkeiten für die geäußert, worauf alles verwässert wurde. Am Freitag se- Strafverfolgungsbehörden eine Regelung zu machen, die hen die Dinge wieder ganz anders aus. verwässert ist und schlechter als die ist, die wir bisher hat- ten. Dies alles musste in einer Nacht-und-Nebel-Aktion (Alfred Hartenbach [SPD]: Eure Rede sei: Ja, geschehen, sodass innerhalb von wenigen Stunden ein ja und nein, nein!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001 20419

Volker Kauder (A) Ich möchte Ihnen dafür ein Beispiel geben: SPD und einem Gesetzgebungsverfahren, das einen Eingriff in (C) Bündnis 90/Die Grünen haben große Probleme, auf dem Grundrechtspositionen sauber und angemessen regelt, Gebiet der inneren Sicherheit zu einem Kompromiss zu eine dauerhafte Fortgeltung dieser Regelung zu kodifizie- kommen. Herr Schily hat angekündigt, dass der ren. Herr Staatssekretär, Sie haben das Thema unerträg- Daumenabdruck in den Ausweis aufgenommen werden lich lange schleifen lassen und überbieten sich jetzt in Ak- soll. Herr Ströbele hat daraufhin gesagt: Das kommt nicht tionismus. in die Tüte. Dann kam es auch nicht in die Tüte. Der vorliegende Entwurf ist nicht durchdacht und in (Zuruf von der CDU/CSU: Nicht in die Tüte sich widersprüchlich, wie Sie selber in der Begründung und nicht in den Ausweis!) Ihres Gesetzentwurfs zugeben. So sieht der Preis aus, der für die Zustimmung der Grünen (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE zum Einsatz der Bundeswehr gezahlt werden muss. Die GRÜNEN]: Quatsch!) Wechsel werden jetzt präsentiert. Er widerspricht auch dem erklärten Ziel der Bundesregie- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) rung, den Terrorismus mit bestmöglichen Mitteln zu bekämpfen. Die Entwurfsfassung ist ein massiver Rück- Herr Kollege Ströbele, dies dient nicht der inneren Si- schritt im Vergleich zu dem bisherigen Rechtszustand. cherheit. Wir bedauern es außerordentlich, dass Sie uns im Rechts- (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE ausschuss keine Gelegenheit gegeben haben, angemessen GRÜNEN]: Sie fantasieren!) über dieses schwierige Thema, das natürlich mit Ein- griffen in Grundrechtspositionen verbunden ist, zu bera- Richtig ist aber – das will ich durchaus anerkennen –, ten. Schließlich handelt es sich ja nicht um eine Regelung, dass Sie sich nach zwei Jahren dazu durchgerungen ha- die sich einfach aus dem Ärmel schütteln lässt. Man kann ben, das Thema innere Sicherheit etwas ernster zu neh- nicht einfach sagen: Wenn sie nichts ist, machen wir halt men und einen Gesetzentwurf vorzulegen. Einige Teile eine neue. Diese Regelung ist ja von einer gewissen Be- des Gesetzentwurfs weisen allerdings systematische deutung. Mängel auf. Dies wird – darauf möchte ich hinweisen – auch noch selber zugegeben: Es ist nicht geboten, das Ich finde es besonders ärgerlich, dass wir jetzt eigent- Zeugnisverweigerungsrecht in § 100 h einzuschränken. lich Gelegenheit gehabt hätten, eine Regelung auf den Es ist nicht sachgerecht. – Dass das Zeugnisverweige- Weg zu bringen, die Bestand hat und auf Dauer wirkt. Die rungsrecht in § 100 h ein Fremdkörper ist, wird pikanter- Strafverfolgungsbehörden haben in der heutigen Zeit weise in der Begründung des Entwurfs zugegeben. Die wirklich etwas anderes zu tun, als immer wieder in das Befristung der Neuregelung wird nämlich ausdrücklich Gesetzblatt zu schauen, was sich geändert hat. Es wäre (B) damit begründet, dass ein Gesamtkonzept zum Zeugnis- richtig gewesen, die Regelung zu verlängern. Dann hätte (D) verweigerungsrecht noch vollständig fehle. Wir werden man genug Zeit gehabt, um eine gute Regelung auf den uns also erneut mit diesem Komplex befassen müssen. Sie Weg zu bringen und den Strafverfolgungsbehörden ein In- geben zu, dass Sie unter Zeitdruck gehandelt haben. Nur strument an die Hand zu geben, das bei der Bekämpfung weil Sie sich im Rechtsausschuss nicht durchringen konn- der Kriminalität wirksam ist und die Bürgerrechte trotz- ten – das finde ich ausgesprochen jämmerlich –, den An- dem nicht einschränkt. Diese Chance haben Sie verpasst, trag des Kollegen Funke anzunehmen, § 12 FAG noch wie es bei manchen Gesetzgebungsvorhaben der letzten einmal um ein halbes Jahr zu verlängern – das wäre die Zeit auch der Fall war. Deswegen werden wir nicht zu- sachgerechte Lösung gewesen –, haben Sie einen eigenen stimmen. Entwurf vorgelegt. Das ist unerträglich. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) So sollten wir als Juristen im Rechtsausschuss eigentlich Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat nicht miteinander umgehen. jetzt der Abgeordnete Hans-Christian Ströbele. Rot-Grün geht es also um alte ideologische Ziele. Es geht um bessere Möglichkeiten zur Kontrolle des Han- Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- delns der Strafverfolgungsbehörden. Aber es geht wieder NEN): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kol- nicht darum, den Polizeien, den Staatsanwaltschaften und legen! Weniger wegen der Union – obwohl der Kollege den Gerichten bestmögliche Instrumente zur Bekämpfung Kauder mir gerade reichlich Gelegenheit gegeben hat, der Kriminalität zu geben. ihm zu antworten –, sondern wegen alle der beiden klei- neren Parteien habe ich Wert darauf gelegt, heute hier Wir verschließen uns nicht dem Ansinnen, § 12 FAG noch einmal zu diesem Gesetzentwurf zu sprechen. im Rahmen eines vernünftigen – und dem Eingriff in die Herr Kollege Funke, ich verstehe überhaupt nicht, wie Rechte der Telefonnutzer angemessenen – Verfahrens in ein gestandener Abgeordneter aus einer sich liberal nen- neuer Form in die Strafprozessordnung einzufügen. Ihren nenden Fraktion dafür sein kann, dass die alte Regelung über das Knie gebrochenen Vorschlag, der eine eindeutige des § 12 FAG erneut verlängert wird, von der Sie selber Verwässerung der Regelung und eine Einschränkung der und eigentlich alle sagen, dass sie nicht nur alt ist – sie Effektivität der Arbeit der Strafverfolgungsbehörden be- stammt aus dem Jahre 1927 –, deutet, können wir jedoch nicht mittragen. Es war seit lan- gem bekannt, dass und wann § 12 FAG außer Kraft treten (Volker Kauder [CDU/CSU]: Alt ist noch kein wird. Dennoch hat die Koalition die Zeit nicht genutzt, in Grund! Das sieht man an Ihnen!) 20420 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001

Hans-Christian Ströbele (A) sondern auch die moderne Telekommunikation nicht die wir doch verteidigen wollen. Wir können nicht das (C) berücksichtigt. Vor allen Dingen aber engt sie eine Reihe Kind mit dem Bade ausschütten, indem alle möglichen von Freiheitsrechten unzulässigerweise viel zu weit ein, Formen polizeilicher Repression zugelassen werden. In weil der Eingriff in das Telefongeheimnis, nämlich die den USA treibt das ganz schreckliche Blüten; es wird über Feststellung, mit welcher Telefonnummer jemand eine Folter und über monatelange Festnahme ohne jede Be- Verbindung hatte, bei jeder x-beliebigen Straftat vorge- schuldigung und ohne jedes Verdachtsmoment gespro- nommen werden soll, auch dann, wenn es vielleicht nur chen. Das wollen wir nicht. um einen kleinen Diebstahl, einen kleinen Betrug oder (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das gab es auch eine Sachbeschädigung geht. Diesen Teil der alten Rege- unter dem alten § 12 FAG nicht! Malen Sie lung wollen wir im Gegensatz zu Ihnen nicht beibehalten. keine Gespenster an die Wand!) (Rainer Funke [FDP]: Ich will nur eine andere Vielmehr wollen wir uns in den Bahnen bewegen, die Beratung haben!) richtig und vernünftig sind und zugleich die Freiheits- Zur PDS kann ich nur feststellen, dass sie überhaupt rechte sichern. keine Änderung will. Sie hat im Rechtsausschuss alle An- Die wichtigste Bestimmung, um die wir die frühere träge abgelehnt. Ich bin nun wirklich kein großer Freund Regelung erweitert haben, ist, dass die Vorschrift nur für repressiver Strafverfolgungsmaßnahmen. Aber auch Sie erhebliche Straftaten gilt. Es ist doch zwingend, dass ers- müssten einsehen, dass es hin und wieder ein Interesse der tens die Regelungen dem Grundsatz der Verhältnismäßig- Strafverfolgungsbehörden gibt, zu wissen, wer mit wem keit entsprechen und dass zweitens die Richter die Maß- telefoniert hat. Wenn wir beispielsweise – Ihnen passiert nahmen anordnen. Wenn Staatsanwälte das im Einzelfall das sicherlich wie mir auch – nachts am Telefon be- wegen Gefahr im Verzuge machen, dann muss unverzüg- schimpft und beleidigt werden, lich die nachträgliche richterliche Genehmigung einge- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das passiert uns holt werden. Anders geht das vor allen Dingen in Zukunft nicht!) nicht. dann haben wir und auch die Strafverfolgungsbehörden Wir wollen drittens ebenfalls nicht – Herr Pick hat be- das Interesse, zumindest zu wissen, von welcher Telefon- reits darauf hingewiesen –, dass im Stand-by-Verkehr, nummer der Anruf kam. Das ermöglicht diese Vorschrift. wenn also ein Handy nur da liegt, aber keine Verbindung Dasselbe gilt, wenn festgestellt werden soll, wer zuletzt besteht, für die so genannten Bewegungsbilder festge- mit einem Ermordeten telefoniert hat. So etwas festzu- stellt und aufgezeichnet werden kann, wo es sich befindet. stellen ist doch ein berechtigtes Anliegen der Strafverfol- Wir haben viertens im Anschluss an die Diskussion (B) gungsbehörden. Es geht überhaupt nicht um die Ge- über dieses Thema in der letzten Legislaturperiode von (D) sprächsinhalte, sondern nur um die Daten der Anfang an verlangt und großen Wert darauf gelegt – das Telekommunikationsverbindungen. Wie man angesichts war tatsächlich einer der Gründe, warum es so lange ge- dessen sagen kann, man wolle und brauche dies alles dauert hat –, dass die Berufsgeheimnisträger geschützt nicht, verstehe ich nicht. bleiben, weil wir es für richtig halten, dass Anrufe bei Wir haben hier ein Gesetz vorgelegt, das die Möglich- Geistlichen, beispielsweise Beichtvätern – Beichtmütter keit aufrechterhält und sogar noch ein bisschen ausbaut, gibt es wohl gar nicht –, Telekommunikationsverbindungen im Rahmen des Not- (Alfred Hartenbach [SPD]: Demnächst viel- wendigen festzustellen. Die Erweiterung bezieht sich zum leicht auch!) einen auf die Daten, die aufgezeichnet werden können, zum anderen auf den Zeitraum, für den eine solche Maß- Verteidigern und Abgeordneten nicht festgehalten, son- nahme zulässig sein soll. Den Zeitraum haben wir auf drei dern geschützt werden sollen, weil diese Vertrauens- Monate begrenzt. Das ist richtig und vernünftig. Wenn sphäre schützenswert ist. Wir haben die Diskussion da- man erkennen will, ob und von wem ein Telefonanschluss rüber, ob auch die anderen Berufsgeheimnisträger wie angewählt wird, dann standen die Richter auch in der Ver- Rechtsanwälte, Ärzte, aber auch vor allen Dingen Journa- gangenheit immer wieder vor der Notwendigkeit – darauf listen in gleicher Weise geschützt werden sollen, noch hat der Datenschutzbeauftragte hingewiesen –, solche Er- nicht abgeschlossen. Das wollen wir nachbessern, sobald mächtigungen für einige Wochen zu erteilen. Wurden sie das in Auftrag gegebene Gutachten vorliegen wird, was nicht erteilt, hat die Staatsanwaltschaft sie alle paar Tage bisher leider daran scheiterte, dass die dazu erforderlichen oder Wochen neu gefordert. Jetzt dehnen wir das auf drei Daten von den von Ihnen regierten Ländern noch nicht ge- Monate aus; das ist richtig und vernünftig und notwendig, liefert worden sind. Eigentlich sollte dieses Gutachten im weil es einem berechtigten Bedürfnis der Strafverfol- September vorliegen. gungsbehörden entspricht. (Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt doch Aber, Herr Kollege Kauder, nicht alles, was möglich überhaupt nicht!) ist, um den Terrorismus zu bekämpfen, ist richtig. Unsere Deshalb konnten wir diesen Punkt noch nicht klären und Fraktion und unsere Koalition bestehen auf der Einhal- erledigen. Das wird nachgeliefert werden. tung der rechtsstaatlichen Regeln und der Freiheitsrechte, Wir haben hiermit ein sehr wirksames, aber den rechts- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das erfüllt unser staatlichen Grundsätzen und Freiheitsrechten verpflichte- Vorschlag auch!) tes Gesetz geschaffen. Es ist ein recht gutes Gesetz, das Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001 20421

Hans-Christian Ströbele (A) weiter verbessert werden kann. Auf jeden Fall ist es viel Es ist wirklich abenteuerlich, wie hier miteinander umge- (C) besser als die Regelung, die wir damit ablösen. gangen wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Alfred Hartenbach [SPD]: Das ist wieder die und bei der SPD – Rainer Funke [FDP]: Das so alte Leier! Sie waren doch dabei und haben zu- genannte Ströbele-Gesetz! – Dr. Jürgen Gehb gehört! Oder haben Sie nicht zugehört?) [CDU/CSU]: Lex Ströbele!) – Herr Hartenbach, ich kann doch auch zuhören und habe zugehört. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt Herr Kollege Funke. (Alfred Hartenbach [SPD]: Ich bitte Sie! Dann brauchen Sie doch kein Protokoll! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Warum machen wir über- Rainer Funke (FDP): Frau Präsidentin! Meine Da- haupt ein Protokoll?) men und Herren! Herr Kollege Ströbele, natürlich brau- chen wir eine Nachfolgeregelung zu §12FAG. Das war – Dann brauchen wir überhaupt kein Protokoll mehr. doch zwischen uns völlig unstreitig. Das ist eine diffizile Rechtsfrage. Es geht um rechts- Unsere Kritik bezieht sich darauf, dass Sie dieses Ge- staatliche Fragen, um Fragen der Einhaltung des Grund- setz in einem wirklich chaotischen Verfahren beraten gesetzes. Deshalb möchte ich doch einen Blick ins Proto- wollten. koll werfen können. Das haben Sie uns verwehrt. (Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) DIE GRÜNEN] spricht mit einem Mitarbeiter In der Sache kann man sehr unterschiedlicher Meinung des Plenarassistenzdienstes) sein. Es ist sicherlich richtig, dass die Nachfolgeregelung – Herr Kollege Ströbele, ich wollte Sie gerade anspre- zu § 12 FAG in der Strafprozessordnung untergebracht chen. wird. Das ist systematisch in Ordnung. (Jörg Tauss [SPD]: Es geht um sein Manu- Ausdrücklich begrüßt die FDP, dass die Neuregelung skript! – Hans-Christian Ströbele [BÜND- gerade keine Auskünfte über die „Aktiv“-Meldung von NIS 90/DIE GRÜNEN]: Entschuldigung!) Mobiltelefonen, also beim Stand-by, erlaubt. Herr Kollege Ströbele, wir wollten lediglich eine ord- (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE nungsgemäße Beratung zu dieser Nachfolgeregelung. GRÜNEN]: Darum haben wir auch gekämpft!) Das, was Sie hier veranstalteten, war das schlichte Chaos. (B) – Das halte ich auch für richtig. Keine Bewegungsbilder! (D) (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist wohl Das ist übrigens auch einer der Gründe dafür, dass wir wahr!) uns dem CDU/CSU-Änderungsantrag nicht anschließen Das wundert mich bei der rot-grünen Koalition nicht, können. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP) aber wir mussten das in den letzten Jahren noch nicht in Im Übrigen bleibt es inhaltlich dabei, dass trotz eines einem solchen Ausmaß erleben. vielfach besseren Schutzes gegen Eingriffe in die Grund- rechte nach Art. 10 Grundgesetz – das kann man be- Wenige Tage vor dem Auslaufen der alten Regelung grüßen – die Eingriffsschwelle gegenüber der Vorgänger- des § 12 FAG haben Sie dieses Gesetz im Rechtsaus- schuss durchgepeitscht. regelung letztlich deutlich niedriger ist, da Straftaten von erheblicher Bedeutung als Voraussetzung für einen Ein- (Alfred Hartenbach [SPD]: Wir peitschen nie griff ausreichen. Die FDP hätte einen abschließenden und durch, Herr Funke! Wir beraten immer sorgfäl- klar festgelegten Katalog befürwortet, so wie sie es auch tig!) beim Zeugnisverweigerungsrecht für Journalisten getan Heute soll es noch schnell im Plenum beschlossen wer- hat. den. Der Bundesrat hat überhaupt keine Möglichkeit (Beifall bei der FDP) mehr, beispielsweise den Vermittlungsausschuss anzuru- fen, es sei denn, man ließe sich darauf ein, dass es zeit- Das war bei der Schnelligkeit, in der Sie in der Nacht von weise überhaupt keine gesetzliche Regelung gibt. Sie Dienstag auf Mittwoch beraten haben, wohl nicht mög- wussten die ganze Zeit über, dass § 12 FAG geändert wer- lich. den muss. Das ist schon ein sehr beachtlicher Vorgang. Hinzu kommt noch etwas. Zwar hat der Bundesdaten- (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE schutzbeauftragte eine Reihe von Änderungen im Grund- GRÜNEN]: Die Länder haben längst Stellung satz durchaus begrüßt, aber immerhin vier wesentliche genommen!) Punkte kritisiert und die haben Sie nicht berücksichtigt. Das ist einer der Gründe, die mich zu der Auffassung ge- Selbst parlamentarische Regeln haben Sie missachtet. Sie führt haben, dass inhaltliche Fragen nicht hinreichend haben noch nicht einmal abgewartet, bis das Protokoll der berücksichtigt worden sind, weil Sie sich in der Nacht die Anhörung vorlag. Zeit dafür nicht genommen haben und auch nicht nehmen (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) konnten. Wir hätten eine gründliche Beratung gewünscht. 20422 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001

Rainer Funke (A) Das war wegen Ihrer Verzögerung vorher nicht möglich. Herr Kollege Ströbele, Sie werden uns aber auch nicht in (C) Deswegen lehnen wir das Gesetz ab. die Ecke der Totalzustimmung bekommen, in der Sie sich offensichtlich befinden. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Statt diesen Zustand zu verbessern, wird die Aus- kunftsbefugnis von Strafverfolgungsbehörden über Tele- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat kommunikationsverbindungen in die StPO eingestellt und jetzt die Abgeordnete Kenzler. bis 2004 befristet. Mit dem Verweis auf noch ausstehende Gutachten sind rechtsstaatliche Korrekturen in weite Dr. Evelyn Kenzler (PDS): Frau Präsidentin! Liebe Ferne gerückt. Kolleginnen und Kollegen! Uns ist durch eigene Anfra- gen, aber auch durch den Tätigkeitsbericht des Bundesbe- Für die neu eingefügten §§ 100 g und 100 h StPO setzt auftragten für den Datenschutz vom März dieses Jahres der Entwurf die Eingriffsschwelle zum Teil sogar niedri- bekannt, dass die Zahl der strafprozessualen Telefon- ger, wenn auf „Straftaten von erheblicher Bedeutung“ ab- überwachungen und damit der Eingriffe in die Grund- gestellt wird. Im Interesse der Rechtsklarheit und damit rechte nach Art. 10 Grundgesetz seit Jahren erheblich der Rechtssicherheit sollte zumindest ein abschließender steigt. Katalog der Straftaten von erheblicher Bedeutung aufge- stellt werden. (Zuruf von der CDU/CSU: Aber nicht so wie früher!) Auskünfte über Telekommunikationsdaten sollten nicht geringeren Anforderungen als bei der Telefonüber- Bereits 1999 haben die Datenschutzbeauftragten eini- wachung unterworfen werden. Bedenklich ist im Übrigen ger Bundesländer Alarm geschlagen; denn in der Vergan- auch, dass keine Höchstfrist für die Anordnung der Aus- genheit wurden die staatlichen Lauschbefugnisse durch kunft über in der Vergangenheit liegende Telekommuni- ausufernde Überwachungsvorschriften und -maßnahmen kationsdaten vorgesehen ist. ständig erweitert. Auch wenn jetzt noch auf die Schnelle durch die Re- (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE gierungskoalition beim Zeugnisverweigerungsrecht ein GRÜNEN]: Das hat aber nichts mit dem FAG Beweiserhebungs- und -verwertungsverbot für bestimmte zu tun!) Berufsgruppen nachgereicht wurde – was ich durchaus Die Zahl der richterlichen Anordnungen für Telefonüber- anerkenne und was auch unser Sachverständiger bei der wachungsmaßnahmen nach § 100 a StPO hat sich bereits Anhörung mit ins Gespräch gebracht hat –, können wir von 1989 bis 1993 nahezu verdoppelt. 1996 ist sie sogar diesem Gesetzentwurf wegen grundsätzlicher Bedenken nicht zustimmen. (B) auf über 6 000 angewachsen. (D) (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der PDS) GRÜNEN]: Das hat aber nichts mit dem Para- graphen zu tun!) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Jetzt hat der Ab- – Das müssen Sie sich trotzdem anhören. – Derzeit wer- geordnete Jürgen Meyer das Wort. den jährlich mehr als 13 000 Telefonanschlüsse abgehört. Wenn davon im Durchschnitt circa 50 Gesprächsteilneh- Dr. Jürgen Meyer (Ulm) (SPD): Frau Präsidentin! mer betroffen sind, geraten schätzungsweise mehr als Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Gesetzentwurf der 600 000 Bürger im Jahr in eine Telefonkontrolle. Das sind Bundesregierung, der heute in zweiter und dritter Lesung die Fakten. Damit nimmt Deutschland beim Abhören in- beraten und verabschiedet werden soll, erfüllt eine Forde- ternational einen Spitzenplatz ein. rung, die von der Koalition und der Opposition dieses Der Katalog der Straftaten, bei denen die Telefonab- Hauses gemeinsam erhoben worden ist. Ohne dieses Ge- hörung erlaubt ist, wurde mehrfach erweitert. Er umfasst setz würde die durch den bisherigen § 12 des Gesetzes inzwischen circa 90 Straftatbestände. Insgesamt ist die über Fernmeldeanlagen den Strafverfolgungsbehörden Entwicklung deshalb höchst alarmierend. eröffnete Möglichkeit, von verpflichteten Diensteanbie- tern Auskunft über Telekommunikationsverbindungen Unter diesen Umständen dürfte man zumindest ent- zu verlangen, am 31. Dezember dieses Jahres ersatzlos sprechende rechtsstaatliche Sicherungen erwarten. Das ist beendet. Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Op- aber nicht der Fall. Die Zustimmung des Richters zur Te- position, Sie sollten sich also überlegen, ob Sie heute mit lefonüberwachung braucht nicht begründet zu werden. Es Nein stimmen können. gibt auch keine richterliche Verlaufskontrolle mit regel- mäßigen Berichtspflichten. Rechtstatsachenforschung und (Rainer Funke [FDP]: Kommt das so ganz Qualitätskontrolle gibt es bislang ebenfalls nicht in ausrei- überraschend für Sie?) chendem Maß. Berichte an das Parlament über Anlass, Unbestreitbar ist es aber für eine effektive Strafverfol- Verlauf, Ergebnisse, Anzahl der Betroffenen und Kosten gung unverzichtbar, dass die Strafverfolgungsbehörden der durchgeführten Maßnahmen sucht man vergebens. Es derartige Auskünfte zu Ermittlungs- und Fahndungs- findet schlichtweg eine unzulängliche Rechtskontrolle zwecken auch weiterhin erhalten können. Die Nachfolge- statt. Es geht uns nicht um Totalverweigerung, sondern um regelung musste der Tatsache Rechnung tragen, dass die das Wie und um die Rechtskontrolle. Ermittlungsmaßnahme einen Eingriff in mehrere Grund- (Beifall bei der PDS) rechte darstellt. Betroffen ist zum einen das Fern- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001 20423

Dr. Jürgen Meyer (Ulm) (A) meldegeheimnis gemäß Art. 10 Grundgesetz, zum ande- stand lebhafter Debatten, auch in diesem Hause, gewesen (C) ren aber auch das Grundrecht auf informationelle Selbst- ist. bestimmung gemäß Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 (Jörg Tauss [SPD]: Zu Recht!) Abs. 1 Grundgesetz. Die hier interessierenden Auskünfte betreffen nicht Dabei hat die CDU/CSU-Fraktion immer wieder eine Er- den Inhalt von Ferngesprächen, wohl aber technische Da- weiterung des Deliktskataloges verlangt, während die ten wie Zeitpunkt, Anschlussstelle und Ort des Ge- Koalition auf einer gleichzeitigen kritischen Überprüfung spräches. Ursprünglich – darauf haben mehrere Redner der derzeitigen Katalogtaten hingewiesen – sollten auch im Sachzusammenhang ste- (Rainer Funke [FDP]: Was hätten Sie ge- hende Regelungen wie die Überwachung von Telefonge- macht?) sprächen gemäß § 100 a StPO systematisch neu geregelt werden. Leider hat sich dieses bis zum Zeitpunkt des Aus- und der Einführung von Kontrollmaßnahmen analog den laufens der Geltung von § 12 FAG als umöglich erwiesen. für die technische Wohnraumüberwachung vorgesehenen Darauf gehe ich noch ein, Herr Kollege Kauder. Kontrollen gemäß Art. 13 des Grundgesetzes bestanden hat. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Aber heftig!) (Beifall bei der SPD) Gleichwohl ist die Nachfolgeregelung unbestreitbar besser als die auslaufende Regelung. Dies stellt beispiels- Grundlage der von allen Fraktionen gewünschten Re- weise der Bundesbeauftragte für den Datenschutz bei form sollte ein rechtstatsächliches und rechtsvergleichen- aller Einzelkritik in seinem Schreiben vom 12. November des Gutachten des Freiburger Max-Planck-Instituts dieses Jahres zutreffend fest. Er hebt als positiv hervor: sein, das zwar vom Bundesjustizministerium im Dezem- ber 1999 in Auftrag gegeben worden ist, aber bis heute Erstens wird die Nachfolgeregelung aus systemati- nicht fertig gestellt werden konnte. Der Grund dafür ist schen Gründen in die StPO eingegliedert und damit auch einfach und alles andere, Herr Kollege Kauder, als Anlass inhaltlich in die Nähe der Telekommunikationsüberwa- für Vorhaltungen etwa gegenüber der derzeitigen Bundes- chung gerückt. regierung. Zweitens werden die Anspruchsvoraussetzungen ange- (Jörg Tauss [SPD]: Unglaublich!) hoben, indem – wenn die Tat nicht mittels einer Endein- richtung begangen worden ist – eine Straftat von erheb- Die Herausgabe der Akten für die vereinbarte empirische licher Bedeutung vorliegen muss. Untersuchung bedurfte nämlich einer gesetzlichen Grundlage, die seit dem bekannten Volkszählungsurteil Drittens wird die Harmonisierung mit den Vorschriften des Bundesverfassungsgerichts von 1983 längst hätte (B) der Telekommunikationsüberwachung in den §§ 100 a, (D) geschaffen werden müssen. 100 b StPO fortgesetzt, indem beispielsweise eine Anord- nung, die wegen Gefahr im Verzug durch einen Staatsan- (Alfred Hartenbach [SPD]: So ist es!) walt erfolgte, außer Kraft treten soll, wenn sie nicht bin- nen drei Tagen vom Richter bestätigt wird. Leider haben der früheren Bundesregierung die 16 Jahre bis 1998 dafür nicht ausgereicht. Die Tatsache, dass die Neuregelung bis zum 31. De- zember 2004 befristet wird, dient nicht zuletzt dem (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Zweck, spätestens zu diesem Zeitpunkt eine umfassende DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Regelung des Schutzes von Zeugnisverweigerungsrech- Aber Ihre drei auch nicht!) ten der Berufsgeheimnisträger vorzunehmen. Der Flughafenkompromiss eines neuen Strafverfah- (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE rensänderungsgesetzes vom August 1998 scheiterte letzt- GRÜNEN]: Spätestens!) lich am Widerstand der Bayerischen Landesregierung. Die Folge war, dass beispielsweise das FDP-geführte Die aus den Ausschussberatungen hervorgegangene Justizministerium von Baden-Württemberg Regelung umfasst zum Beispiel noch nicht das journalis- tische Zeugnigsverweigerungsrecht, dessen gesetzliche (Jörg Tauss [SPD]: Gekuscht hat!) Neuregelung gegenwärtig noch Gegenstand eines Ver- verständlicherweise die Herausgabe der benötigten Akten mittlungsverfahrens ist. Nach meiner Auffassung wird in zunächst abgelehnt hat, bis die überfällige gesetzliche die spätestens 2004 erfolgende endgültige Regelung auch Grundlage vorliegen würde. das Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO aufgenommen werden können. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Dann hatten Sie doch seit 1998 Zeit!) Ich gehe davon aus, dass mit der bevorstehenden Re- form für diesen Bereich bis dahin gute Erfahrungen ge- Bekanntlich ist unter der Federführung der jetzigen macht sein werden. Eine vorsichtige Bewertung des heute Bundesregierung das Projekt StVÄG zügig zu Ende ge- zu verabschiedenden Gesetzes kann nur lauten, dass es bracht worden, besser ist als § 12 FAG, dass es aber nicht das Ende der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Diskussion bedeuten kann. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Ich erinnere in diesem Zusammenhang daran, dass die Kauder [CDU/CSU]: Im Schneckentempo geht Telefonüberwachung gemäß § 100 a StPO häufig Gegen- das!) 20424 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001

Dr. Jürgen Meyer (Ulm) (A) sodass die gesetzliche Grundlage für die Herausgabe der den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und (C) benötigten Akten im August des vergangenen Jahres in PDS gegen die Stimmen der CDU/CSU abgelehnt worden. Kraft treten konnte. Wer stimmt für den Gesetzentwurf in der Ausschuss- Anschließend, verehrte Kolleginnen und Kollegen von fassung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetz- der CDU/CSU-Fraktion, kam es dann zu viel zu langen entwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen und teilweise von bürokratischer Bedenkenträgerei der der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesam- Landesregierungen von Baden-Württemberg und Bayern ten Opposition angenommen worden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Rainer Dritte Beratung Funke [FDP]: Ach, dann sind die schuld!) und Schlussabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zu- gekennzeichneten Verhandlungen zwischen dem Max- stimmen möchte, den bitte ich, sich zu erheben. – Wer Planck-Institut und den genannten Bundesländern. Da- stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf durch vergingen volle zwölf Monate, bis endlich im Au- ist damit in dritter Lesung mit dem eben festgestellten gust dieses Jahres die Akten übergeben worden sind. Stimmenverhältnis angenommen. Das ist der Sachverhalt, der zur Folge hat, dass wir Ich rufe den Tagesordnungspunkt IV auf: heute lediglich eine vorläufige, wenn auch den alten § 12 Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord- FAG verbessernde Regelung und nicht eine Gesamtrege- neten Alfred Hartenbach, Hermann Bachmaier, lung der Überwachung von Telekommunikation ver- Doris Barnett, weiteren Abgeordneten und der abschieden können. Wenn also die von der Opposition in Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Volker den Ausschussberatungen und heute erhobenen Vorwürfe Beck (Köln), Grietje Bettin, Dr. Thea Dückert, ernst gemeint sein sollten, müssten sie auf die frühere weiteren Abgeordneten und der Fraktion des Bundesregierung und die genannten CDU-FDP bzw. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten CSU-geführten Landesregierungen zurückfallen. Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ge- setzes über Arbeitnehmererfindungen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ – Drucksache 14/5975 – DIE GRÜNEN – Dr. Jürgen Gehb [CDU/ CSU]: Antizipierte Verantwortung! Sensatio- (Erste Beratung 170. Sitzung) nell!) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat Sobald im kommenden Jahr die rechtstatsächliche und eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur För- rechtsvergleichende Untersuchung des Freiburger Max- derung des Patentwesens an den Hochschulen (B) Planck-Instituts vorliegt, werden die Beratungen über die – Drucksache 14/5939 – (D) Reform insbesondere von § 100 a StPO, die wir ja ge- (Erste Beratung 170. Sitzung) meinsam wollen, intensiv aufzunehmen sein. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus- (Jörg Tauss [SPD]: Und TKG!) schusses (6. Ausschuss) Ich hoffe, dass dem Bundestag dann gelingt, was trotz – Drucksache 14/7573 – mehrerer Anläufe der Justizministerkonferenz, auf die wir Berichterstattung: ursprünglich gesetzt hatten, Abgeordneter Alfred Hartenbach Dr. Norbert Röttgen (Alfred Hartenbach [SPD]: Und auch gehofft Volker Beck (Köln) hatten!) Rainer Funke nicht gelungen ist, nämlich ein Gesetz, das sowohl dem Sabine Jünger Grundrechtsschutz der Betroffenen als auch der Effektivität Zu dem Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen liegt der Strafrechtspflege in vollem Umfang Rechnung trägt. ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS vor. Ich danke Ihnen. Erfreulicherweise haben die Kollegen Hartenbach, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Loske, Funke, Böttcher und Tauss ihre Reden zu Protokoll DIE GRÜNEN – Dr. Jürgen Gehb [CDU/ gegeben.1) – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. CSU]: Die Quadratur des Kreises sucht ihr ja Herr Hauser, ich habe gehört, dass es Ihre letzte Rede überall, Herr Meyer!) sein könnte. Wir werden Ihnen daher besonders aufmerk- sam zuhören. Als einziger Redner in dieser Debatte hat Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich schließe da- der Kollege Norbert Hauser das Wort. mit die Aussprache. (Jörg Tauss [SPD]: Wenn es die letzte ist, dann Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- hören wir zu!) desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung der Strafprozessordnung in der Ausschussfassung. Dazu Norbert Hauser (Bonn) (CDU/CSU): Frau Präsiden- liegt ein Änderungsantrag der CDU/CSU auf Drucksache tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit einigen Tagen 14/7691 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag der CDU/CSU? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist mit 1) siehe Anlage 2 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001 20425

Norbert Hauser (Bonn) (A) läuft in unseren Kinos der Film „Harry Potter und der beitet, darf man sich feiern lassen! – Lothar (C) Stein der Weisen“. Mark [SPD]: Sie hat gute Arbeit geleistet!) (Jörg Tauss [SPD]: Soll schön sein!) – Ich gebe gern zu: In dieser Disziplin ist sie Weltmeis- terin. Herr Tauss, wenn Sie sich diesen Film angeschaut hätten, dann hätten Sie etwas lernen können. Offenbar haben Sie (Jörg Tauss [SPD]: Und auch sonst!) das nicht gemacht. Mit Ihrem Vorschlag zur Abschaffung Bei einigen anderen Disziplinen, auf die es eigentlich an- des Hochschullehrerprivilegs haben Sie den Stein der kommt, hat sie die Kreisklasse noch nicht erreicht. Weisen jedenfalls nicht gefunden. So ist das eben, wenn sich „Bildungsmuggels“ austoben dürfen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Die Überschrift der Pressemitteilung hieß: „Bulmahn holt Erfindung aus den Schubladen“. Alle waren sich einig: Das Hochschullehrerprivileg ist ein Relikt aus der Kaiserzeit; daher ist es abzuschaffen. Es (Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD] – Jörg gibt den Professoren eine Vormachtstellung, die nicht Tauss [SPD]: Das ist ein gutes Ziel!) zeitgemäß ist. Während sie von ihren Erfindungen finan- Ihr Problem ist allerdings: Es gab Zoff im Bundesrat, der ziell profitieren können, geht die Universität, die die In- seinen eigenen Vorschlag – zu Recht – für besser hielt, frastruktur und damit die Voraussetzungen für die Erfin- und Frau Bulmahn geriet in Zeitnot. Antwort Bulmahn: dungen zur Verfügung stellt, leer aus. Gerade in der Zurück in die Schublade und schnell wieder vergessen. heutigen Zeit, in der viele unserer Hochschulen finanziell Das war der wegweisende Beitrag unserer Bundesfor- am Stock gehen, ist ein solches Ungleichgewicht nicht ak- schungsministerin zur Abschaffung des Hochschullehrer- zeptabel. privilegs! (Jörg Tauss [SPD]: Gut, da sind wir uns einig!) (Alfred Hartenbach [SPD]: Haben Sie heute Den Hochschulen sind bessere Rechte bei der Ver- Morgen im Kaffeesatz gelesen, oder was?) marktung von Patenten zu geben. Diesem Ziel wurde Ob die Hochschulen bei der Umsetzung des rot-grünen auch die Initiative des Bundesrats vom Dezember 2000 Gesetzentwurfes besser fahren, ist allerdings auch zwei- gerecht. Sicherlich hätte man über diese Initiative geson- felhaft. Zahlreiche Fachleute haben die heute vorliegende dert positiv abstimmen können; aber es herrschte die Auf- Regelung scharf kritisiert und darauf gedrängt, sie zu fassung, das Arbeitnehmererfindungsgesetz insgesamt sei überarbeiten. Herausgekommen sind eine Fristverlänge- zu novellieren. Auch die Bundesratsinitiative hätte in De- rung von einem Monat auf zwei Monate für die Offenba- (B) tailfragen noch überarbeitet werden müssen; allerdings rungsmöglichkeit nach vorher angezeigter Erfindung (D) stimmte zumindest einmal die Richtung. beim Dienstherrn und das Austauschen des Wortes „Ver- Sie von Rot-Grün gingen einen anderen Weg. öffentlichung“ durch „Offenbarung“ in der Frage, was zu tun ist, wenn ein Erfinder die Preisgabe seiner Dienst- (Alfred Hartenbach [SPD]: Das war der bes- erfindung ablehnt. sere Weg!) (Alfred Hartenbach [SPD]: Vielleicht hätten Man brachte einen eigenen Gesetzesantrag ein. Dieser Sie das ein bisschen besser lesen sollen!) fand zwar kaum die Zustimmung der Betroffenen und der Verbände. Aber das war Ihnen, wie üblich, egal; Mehrheit Meine Damen und Herren von Rot-Grün, diese Änderun- ist Mehrheit. Sie hielten am einmal eingeschlagenen Kurs gen sind Marginalien. Sie müssen sich die Frage gefallen fest und zeigten sich, wie auch sonst, in vielen Fällen ab- lassen, ob Sie die guten Ratschläge der Fachleute über- solut beratungsresistent. Entsprechend schlecht durch- haupt zur Kenntnis genommen haben. dacht ist das Ergebnis. Wie schwach Ihr Gesetzesvorschlag ist, erkennt man (Beifall bei der CDU/CSU) bereits an zwei Details: Bei den Beratungen hat wieder einmal die Bundesfor- Die Frist zwischen der Anmeldung der Diensterfin- schungsministerin Bulmahn verloren. Erst hakte es zwar dung beim Dienstherrn und der Möglichkeit, sie zu offen- zwischen den beteiligten Ministerien, sodass die Fraktio- baren, wird von einem Monat auf zwei Monate verlängert. nen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen einen eigenen Zahlreiche Sachverständige haben bei dem Bericht Entwurf vorlegten; aber dann kam die Ministerin doch erstattergespräch im Rechtsausschuss darauf gedrängt, die noch aus den Puschen. Frist auf vier Monate zu verlängern. Bei einer Frist von nur zwei Monaten ergeben sich Schwierigkeiten bei der Be- (Jörg Tauss [SPD]: Was?) wertung der Erfindungsergebnisse und gravierende Pro- Im Juli stimmte das Kabinett ihrem Vorstoß endlich zu bleme bei der Zusammenarbeit mit der Wirtschaft. Im Übrigen beträgt die nach dem Arbeitnehmererfindungs- und unsere Ministerin feierte sich selbst, wie sie es auch gesetz übliche Frist gemäß § 6 Abs. 2 vier Monate. Das in diesen Tagen – dies wurde durch eine Pressemitteilung heißt: Wird in der Wirtschaft geforscht, so hat der Arbeit- deutlich – wieder trefflich getan hat. geber zwei Monate länger Zeit, als wenn eine Hochschule (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Jörg Tauss beteiligt ist. Warum Sie den Hochschulen nicht die gleiche [SPD]: Zu Recht, sehr gute Arbeit! – Wilhelm Zeit einräumen wollen, konnten Sie nicht überzeugend Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wenn man gut ar- darlegen. 20426 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001

Norbert Hauser (Bonn) (A) Völlig außer Acht gelassen haben Sie das Problem der aufgelegt werden. Der Ansatz ist löblich, die Realisierung (C) Gemeinschaftserfindungen. Ohne eine Lösung dieser aber ist leider unzureichend. Dafür werden Agenturen ge- Frage in der Neufassung von § 42 des Arbeitnehmererfin- gründet bzw. bereits tätige Agenturen erhalten neue Auf- dungsgesetzes ist dieses jedoch nicht tragfähig. träge. Wenn ich den Forschungsgeist in den Hochschulen betrachte, dann glaube ich, dass sie Erfolg haben werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jörg Nach drei Jahren aber wird die Förderung seitens des Tauss [SPD]: Überregulierung!) Bundes eingestellt. Was passiert dann? Diese Frage be- – Sie werden hier noch eine Neuformulierung vornehmen, antwortet der Gesetzentwurf nicht. Herr Tauss. Ohne eine weitere finanzielle Unterstützung durch den Wer glaubt, dass der Arbeitnehmer in der Hochschule Bund werden die dann mühsam aufgebauten Strukturen in einem stillen Kämmerlein vor sich hin brütet, dann abgebaut. Wenn Deutschland hinsichtlich der wirtschaft- schreit: „Heureka, ich habe es!“, in das Rektorat rennt und lichen Verwertung von Hochschulpatenten konkurrenz- sagt: „Hier ist meine Erfindung“, der denkt in Kategorien fähig sein will, muss die Förderung langfristig angelegt des 19. Jahrhunderts. werden. Das heißt, es muss die Bereitschaft zu einem An- schlusskonzept geben. Die Wirklichkeit sieht anders aus: (Jörg Tauss [SPD]: Jetzt haben Sie schon eine (Beifall bei der CDU/CSU) Glaskugel und nicht mehr nur den Kaffeesatz!) Heute wird im Team geforscht; oft sind unterschiedliche Fehlt diese Bereitschaft, läuft man Gefahr, 100 Millionen Träger beteiligt. in den Sand gesetzt zu haben. (Jörg Tauss [SPD]: Die sind kooperativ! Des- Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie ver- wegen spielt das auch keine Rolle, was Sie vor- fahren folgendermaßen: Erst setzt man Länder und Hoch- tragen!) schulen an einen reich gedeckten Tisch, um ihnen nach Es kann also sein, dass Hochschulen mit Forschungsein- der Vorspeise den Hauptgang wegzunehmen. richtungen und Abteilungen aus der Industrie gemeinsam (Jörg Tauss [SPD]: Was?) Erfindungen hervorbringen und es bei der Offenbarung zu Problemen kommt. Was ist dann zu tun? Ihr Gesetzentwurf Was bleibt, ist Hunger. gibt darauf keine Antwort. Dies hat nicht nur für die Pa- (Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt tentierbarkeit von Hochschulerfindungen Folgen. Wenn [Salzgitter] [SPD]: Merkwürdige Bilder diese alltäglichen Probleme nicht juristisch geklärt wer- hat er!) den, wird es zu Schwierigkeiten sowohl bei der Zusam- (B) menarbeit zwischen Hochschulen, zwischen Hoschschu- Zum gleichen Ergebnis kommt auch der Bundesrat. (D) len und Instituten und zwischen Hochschulen und der Dieser hat am 27. September 2001 in seiner Stellung- Wirtschaft kommen als auch bei der Einwerbung dringend nahme zum inzwischen eingestampften Gesetzentwurf benötigter Drittmittel. der Bundesregierung festgestellt: Sie sollten nicht die Augen vor der Wirklichkeit ver- Die in einigen Ländern noch aufzubauenden Patent- schließen. Sie halten aber trotz des Wissens, dass Ihr Ent- und Verwaltungsstrukturen werden jedoch voraus- wurf von allen vorliegenden Entwürfen der schwächste sichtlich über die Dauer der auf drei Jahre befristeten ist, Bundeshilfen hinaus defizitär bleiben. Deshalb for- dert der Bundesrat eine entsprechende Verlängerung (Jörg Tauss [SPD]: Na, na, na! – Alfred der finanziellen Unterstützung durch den Bund. Hartenbach [SPD]: Sie haben nicht einmal ei- nen eigenen geschafft, Herr Hauser!) Aber auch dieser Appell hat die Ohren der Koalition nicht erreicht, obwohl krampfhaft am eigenen Entwurf fest. Wahre Größe zeigt sich daran, wie man mit Kritik umgeht. Was das anbe- (Alfred Hartenbach [SPD]: Sie sollten zum langt, Herr Tauss, Schluss kommen!) (Jörg Tauss [SPD]: Ja, eben! Ich höre Sie mit – Herr Kollege, das ist Ihnen natürlich unangenehm – Geduld an!) auch die Länder das mitverfasst haben, in denen die Lan- desregierungen von Ihnen getragen werden. Verschließen sind Sie bis heute noch nicht über einen Zwergenwuchs Sie also nicht die Augen vor der Wirklichkeit, stellen Sie hinausgekommen. die Weichen für eine dauerhafte Lösung! Gesetzestech- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – nisch wäre noch Zeit innerhalb der kompletten Novellie- Jörg Tauss [SPD]: Ich bin 1,86 groß! Ich bitte rung des Arbeitnehmererfindungsgesetzes. Sie!) (Jörg Tauss [SPD]: Ach was! In der nächsten Meine Damen und Herren, die Koalition wird noch Legislaturperiode!) nicht einmal ihrem eigenen politischen Anliegen gerecht. Es wäre ja nicht das erste Mal, dass Sie innerhalb weniger Frau Bulmahn versprach in ihrer Pressemitteilung eine Monate Ihre eigenen Gesetze überarbeiten müssten. Unterstützung der wirtschaftlichen Verwertung von Hochschulpatenten. Dafür sollte es eine Gesetzesände- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. rung geben; zudem sollte ein 100-Millionen-Programm Jürgen Koppelin [FDP]) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001 20427

Norbert Hauser (Bonn) (A) Meine Damen und Herren, uns allen ist daran gelegen, Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus- (C) die Hochschulen bei der wirtschaftlichen Vermarktung ih- schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – rer Patente zu unterstützen. Wir liegen im internationalen Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist Vergleich noch weit zurück. Hilfe seitens des Bundes ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koali- dringend notwendig, sowohl als Geldgeber wie auch als tionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und Gesetzgeber. FDP bei Enthaltung der PDS angenommen worden. (Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD]) Dritte Beratung Wenn Sie heute das Arbeitnehmererfindungsgesetz in der und Schlussabstimmung. Ich bitte Sie, sich zu erheben, vorliegenden Fassung beschließen, versagen Sie als Ge- wenn Sie dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. – Wer setzgeber. Es bleibt zu hoffen, dass die Erfinder an unse- stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ren Hochschulen auch ohne rot-grüne Hilfe in der Lage ist damit in dritter Lesung mit dem eben festgestellten sind, den Stein der Weisen zu finden. Stimmverhältnis angenommen worden. Ich wünsche Ihnen ein gutes Wochenende. Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf zur Förderung des Patentwesens an den (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Hochschulen. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung, den Gesetzent- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Danke schön. – wurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent- Ich schließe damit die Aussprache. wurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf Wir kommen zu der Abstimmung über den von den ist in zweiter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hau- Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen einge- ses abgelehnt worden. Damit entfällt nach unserer Ge- brachten Gesetzentwurf. Der Rechtsausschuss empfiehlt schäftsordnung die weitere Beratung. unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/7573, den Gesetzentwurf in der Aus- Wir sind damit am Schluss unserer Tagesordnung. schussfassung anzunehmen. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS tages auf Mittwoch, den 12. Dezember, 13 Uhr, ein. vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Sofern ich mich mit dem Kalender richtig auskenne, Änderungsantrag der PDS auf Drucksache 14/7652? – kann ich Ihnen einen schönen Advent wünschen. Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Änderungs- Die Sitzung ist geschlossen. antrag ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen (B) der PDS abgelehnt worden. (Schluss: 14.04 Uhr) (D)

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001 20429

(A) Anlagen zum Stenographischen Bericht (C) Anlage 1

Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Altmann (Aurich), BÜNDNIS 90/ 30.11.2001 Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 30.11.2001 Gila DIE GRÜNEN Hans Peter Balt, Monika PDS 30.11.2001 Schröter, Gisela SPD 30.11.2001 Beck (Bremen), BÜNDNIS 90/ 30.11.2001 Dr. Schuchardt, Erika CDU/CSU 30.11.2001 Marieluise DIE GRÜNEN Schultz (Everswinkel), SPD 30.11.2001 Bohl, Friedrich CDU/CSU 30.11.2001 Reinhard Brudlewsky, Monika CDU/CSU 30.11.2001 Dr. Schwarz-Schilling, CDU/CSU 30.11.2001 Buntenbach, Annelie BÜNDNIS 90/ 30.11.2001 Christian DIE GRÜNEN Dr. Freiherr von CDU/CSU 30.11.2001 Caesar, Cajus CDU/CSU 30.11.2001 Stetten, Wolfgang Fischbach, Ingrid CDU/CSU 30.11.2001 Dr. Süssmuth, Rita CDU/CSU 30.11.2001 Follak, Iris SPD 30.11.2001 Thiele, Carl-Ludwig FDP 30.11.2001 Friedrich (Altenburg), SPD 30.11.2001 Dr. Thomae, Dieter FDP 30.11.2001 Peter Dr. Tiemann, Susanne CDU/CSU 30.11.2001 Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 30.11.2001 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ 30.11.2001 Günther (Plauen), FDP 30.11.2001 DIE GRÜNEN Joachim Wiesehügel, Klaus SPD 30.11.2001 (B) Haschke CDU/CSU 30.11.2001 (D) (Großhennersdorf), Gottfried Anlage 2 Hauer, Nina SPD 30.11.2001 Zu Protokoll gegebene Reden Heiderich, Helmut CDU/CSU 30.11.2001 zur Beratung der Gesetzentwürfe: Dr. Hendricks, Barbara SPD 30.11.2001 – Änderung des Gesetzes über Arbeitnehmer- Hübner, Carsten PDS 30.11.2001 erfindungen Kolbow, Walter SPD 30.11.2001 – Förderung des Patentwesens an Hochschulen Kraus, Rudolf CDU/CSU 30.11.2001 (Tagesordnungspunkt 4) Dr. Küster, Uwe SPD 30.11.2001 Lippmann, Heidi PDS 30.11.2001 Alfred Hartenbach (SPD): Die Innovationszentren Deutschlands liegen nicht nur in der Industrie und deren Nachtwei, Winfried BÜNDNIS 90/ 30.11.2001 Forschungsanstalten, sondern in hohem Maße auch bei DIE GRÜNEN den Hochschulen und Fachhochschulen. Nahles, Andrea SPD 30.11.2001 Leider konnte das Potenzial der dortigen geistigen Ost, Friedhelm CDU/CSU 30.11.2001 Leistungen bisher nicht in dem Umfange auch wirtschaft- lich genutzt werden, wie dies wünschenswert, ja auch ge- Pieper, Cornelia FDP 30.11.2001 radezu erforderlich wäre. Der Grund liegt darin, dass es Rauber, Helmut CDU/CSU 30.11.2001 bisher den Hochschullehrern und Fachhochschullehrern Roth (Gießen), Adolf CDU/CSU 30.11.2001 freigestellt war, ob sie eine Erfindung, die in ihrem Tätig- keitsbereich gelungen war, als Patent anmelden und ver- Rübenkönig, Gerhard SPD 30.11.2001 markten wollten oder ob sie davon Abstand nehmen. In Dr. Schäfer, Hansjörg SPD 30.11.2001 aller Regel war die Kostenfrage, aber auch die Prozedur der Anmeldung ein eher abschreckender Faktor für die Schenk, Christina PDS 30.11.2001 weniger dem Kommerziellen und dafür mehr dem Wis- Schlee, Dietmar CDU/CSU 30.11.2001 senschaftlichen zugewandten Hochschullehrer. 20430 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001

(A) Damit sind sowohl der deutschen Wissenschaft als Sie erst recht nicht in der Lage waren und für die es vie- (C) auch der deutschen Wirtschaft sehr häufig wertvolle lerorts die letzte Gelegenheit ist, meinen wir es ernst mit Erfindungen verloren gegangen, die dann aus dem Aus- der Aussage, dass wir den Wissenschafts- und For- land heraus angemeldet und von dort aus auch verwertet schungsstandort auf diesem hohen Niveau erhalten und wurden. im internationalen Wettbewerb fit machen wollen. Das Ausland macht uns längst vor, dass man mit den Ziel des heute in zweiter und dritter Lesung zu bera- wissenschaftlichen Erfindungen an den Hochschulen tenden Gesetzentwurfes der Koalitionsfraktionen ist es, auch anders verfahren kann. In vielen Ländern sind an den die bisherige Regelung der Rechte an den Erfindungen von Hochschulen ganze Stabsabteilungen vorhanden, die Hochschullehrern – das so genannte Hochschullehrer- dann die Erkenntnisse und Ergebnisse der Forschung in privileg des § 42 Arbeitnehmererfindungsgesetzes – an die den Hochschulen auch vermarkten, in aller Regel sogar sich gravierend veränderten Rahmenbedingungen der sehr gut vermarkten und damit auch für eine künftige Hochschulforschung anzupassen. Auch diese gesetzliche bessere technische Ausstattung der Hochschulen sorgen Änderung ist eine längst überfällige Anpassung an eine können. gänzlich veränderte Wirklichkeit und damit ein wichtiger Wir wollen dies mit unserem Gesetz auch für Deutsch- Bestandteil der zwingend gebotenen strukturellen Refor- land ermöglichen. Dabei haben wir von den Koalitions- men und damit auch ein weiterer Baustein einer zukunfts- fraktionen allerdings einen sehr wesentlichen Unterschied fähigen Innovationspolitik der rot-grünen Bundesregie- zu dem, was die Länder wollen. Wir wollen, dass der rung, die den Wissenschafts- und Forschungsstandort für Hochschullehrer nach wie vor entscheiden kann, ob er die Herausforderungen der Zukunft wappnen will. vermarktet oder nicht vermarktet. Dies sind wir dem ver- Bei der angestrebten Verbesserung der Verwertung von fassungsmäßigen Grundsatz der Freiheit von Wis- Hochschulerfindungen sind vor allem vier Schwerpunkte senschaft und Lehre schuldig. Wir sind allerdings über- das erklärte Ziel der Novelle: Zum einen soll das derzeit zeugt, dass mit unserem Gesetz den Hochschullehrern der brachliegende Innovationspotenzial an den Hochschulen Zugang zu einer Patentanmeldung und damit auch einer auch für die Hochschulen in einem deutlich höheren Vermarktung wesentlich erleichtert wird. Künftig brau- Maße genutzt werden, zugleich sollen die Hochschulen in chen sie sich nicht mehr um die Details zu kümmern; ihrer Verantwortung für den Technologietransfer nachhal- künftig brauchen sie nicht mehr Sorge zu tragen, welche tig gestärkt werden. Eng mit diesem Ziel verwoben ist die Kosten ihnen entstehen, und künftig werden sie automa- dringend gebotene Verbesserung des Technologietrans- tisch am Erfolg ihrer Forschung beteiligt werden. fers zwischen den Hochschulen und der Wirtschaft. Alles Wir wissen, dass wir damit Neuland betreten, und wir in allem geht es also um die Sicherstellung und Stärkung (B) wissen auch, dass an den Hochschulen oder aber in dem des Wissenschafts- und Forschungsstandortes Deutsch- (D) jeweiligen Bundesland zentral erst noch Stellen errichtet land in einem immer schwieriger werdenden globalen werden müssen, die dann die Forschung auch zum Patent Wettbewerb. Dabei ist wiederum die Tatsache, dass es anmelden. Damit treten die Länder oder aber die Hoch- eine von Bund und Ländern gemeinsam gestartete Initia- schulen dann in Konkurrenz zu bereits jetzt schon vor- tive war, die den Anstoß für die heute zu diskutierende handenen Unternehmern, die ihre Dienste schon seit län- Gesetzesänderung gab, ein wichtiger Beleg dafür, das gerem den Hochschullehrern anbieten und dafür auch in diese rot-grüne Bundesregierung sich in Zusammenarbeit aller Regel – auch bei zu beachtender Mischkalkulation – mit den Bundesländern – sofern sie es denn wollen – den gut verdienen. Dieser Konkurrenzeffekt ist durchaus ge- immensen Herausforderungen stellt und wichtige Wei- wollt. Er wird den Forscherdrang und den Drang zur Ver- chenstellungen vornimmt. öffentlichung von Forschungsergebnissen beflügeln und Gegenstand der parlamentarischen Beratungen waren er wird dafür sorgen, dass künftig mehr Erkenntnisse aus zwei Gesetzentwürfe. So gab es zum einen den Entwurf deutschen Hochschulen auch wirtschaftlich verwertet des Bundesrates, zum anderen den Entwurf der Koaliti- werden können. onsfraktionen. Stellt man die beiden Entwürfe nebenei- Alles in allem ein gutes Gesetz, das die volle Zustim- nander, so fällt auf, dass sie sich in der Zielsetzung nicht mung des ganzen Hauses verdient hat. wesentlich unterscheiden. Die Ansätze, mit denen diese wichtigen und sicherlich unstrittigen Ziele verwirklicht werden sollen, unterscheiden sich dagegen schon an eini- Jörg Tauss (SPD): Die Tatsache, dass auf der heuti- gen Stellen. Der Grund, warum sich die Koalitionsfrak- gen Tagesordnung – nachdem wir gestern einen abermals tionen nicht dem Gesetzentwurf des Bundesrates aufgestockten und zukunftsweisenden Etat für Bildung angeschlossen habe, ist, dass der Entwurf der Koalitions- und Forschung verabschiedet haben – erneut das Thema fraktionen das angestrebte Gesetzesziel besser verwirkli- Forschung angesetzt ist, ist eigentlich schon Beleg genug, chen kann und zudem dem zwingend zu beachtenden Ver- dass die rot-grüne Bundesregierung und die sie tragenden fassungsrecht, nämlich die Freiheit von Forschung und Fraktionen in ihren Reformbemühungen für die dringend Lehre gemäß Art. 5 Abs. 3 Grundgesetz, in einem deutlich gebotene Modernisierung der Wissenschafts- und For- höheren Maße Rechnung trägt. schungslandschaft nicht nachlassen. Ganz im Gegenteil: Es geht eben nicht allein um den bereitzustellenden Etat Mit der nun vorgesehenen Neufassung des § 42 Ar- – Ihre jahrelangen Versäumnisse, die uns bis heute zu beitnehmererfindungsgesetz werden die Hochschulen schaffen machen, haben wir gestern lang und breit disku- künftig in der Lage sein, das oftmals ungenutzte Innova- tiert –, es geht auch um strukturelle Reformen, zu denen tionspotenzial auch für die Hochschulen zu nutzen und Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001 20431

(A) Erfindungen der Hochschullehrerinnen und -lehrer, der der Hochschulen bei der Nutzung dieser Potenziale, wo- (C) Dozenten und wissenschaftlichen Assistenten besser wirt- bei es aber eben nicht darum gehen kann, die Frage der schaftlich zu verwerten. Nach den bisherigen Regelungen wirtschaftlichen Verwertung allein zu thematisieren, son- stand es allein im Ermessen der Erfinder, über die Paten- dern auch die Wissenschaftsrechte und Wissenschaftler- tierung und Verwertung von Erfindungen zu entscheiden. rechte im Blick zu behalten. Dies ist meines Erachtens mit Das hatte zur Folge, dass ein erhebliches Innovationspo- dem heute zur abschließenden Beratung anstehenden Ge- tenzial an den Hochschulen schlichtweg brachlag, weil setzentwurf gelungen. Damit diese wichtigen Instrumente oftmals die mit der Patentierung verbundenen Kosten, der möglichst schnell greifen und Früchte tragen, wird diese erhebliche Zeitaufwand und das wirtschaftliche Risiko Gesetzesinitiative der Koalitionsfraktionen durch eine gescheut wurde. Verwertungsinitiative der Bundesregierung flankiert. Bis zum Jahr 2004 stellt das Bundesministerium für Bildung Mit den nun vorgesehenen Regelungen werden die und Forschung insgesamt 100 Millionen DM aus den Hochschulen das Recht erhalten, die Erfindungen ihres UMTS-Zinsersparnissen zur Verfügung. Mit diesen Mit- wissenschaftlichen Personals zum Patent anzumelden und teln sollen die Hochschulen professionelle Agenturen mit durch Lizenzen Einnahmen zu erzielen. Strittig war, wie der Durchführung von Patentanmeldungen und der Ver- die Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer hieran be- marktung und Verwertung der gemachten Erfindungen teiligt werden sollten. Der Gesetzentwurf des Bundesra- beauftragen können. tes hatte hier einen etwas anderen Ansatz gewählt, der je- doch nach unserer Auffassung nicht tragfähig gewesen Es ist ein schöner Brauch, am Schluss einer parlamen- wäre. Während der Entwurf des Bundesrates ein Drittel tarischen Initiative allen hieran Beteiligten für ihr Enga- der Nettoverwertungseinnahmen als Erfindervergütung gement zu danken. Danken möchte ich den Fachpolitikern vorsah und so den Streit vorprogrammiert hätte, welche in den Arbeitsgruppen der Koalitionsfraktionen, den Ausgabe den nun von den Bruttoeinnahmen seitens der Staatssekretären und den Fachabteilungen in den beteilig- Hochschule abgezogen werden dürfte, haben wir uns für ten Bundesministerien. Diesen Dank betone ich umso einen anderen Weg entschieden: Der Gesetzentwurf sieht mehr, als es bei den nicht immer einfachen Auseinander- vor, dass den Erfindern als Vergütung 30 Prozent der Brut- setzungen und Abstimmungsprozessen zwischen For- toverwertungseinnahmen zustehen. Den Patentierungs- schungs-, Rechts- und auch Sozialpolitikern oft genug da- aufwand kann die Hochschule aus den ihr verbleibenden rauf ankommt, die unterschiedlichen Interessen zu 70 Prozent decken. Sie sehen, auch hier verfolgen wir im verbinden. Grundsatz das gleiche Ziel wie der Gesetzentwurf des Gestatten Sie mir am Schluss meiner Ausführungen Bundesrates, wir versuchen nur, zu sachgerechteren und noch darauf hinzuweisen, dass es ein besonderer Wunsch auch vergleichbaren Lösungen zu kommen. Ich denke der Bundesländer und der Hochschulen ist, diese Geset- dennoch, dass auch die Länder mit der jetzigen Lösung le- (B) zesänderung nun möglichst rasch umzusetzen, weil damit (D) ben können. ein deutlicher Anstieg der Patentanmeldungen zu erwar- In der öffentlichen Debatte gibt es – vor allem an den ten ist. Aus diesem Grund ist es richtig, die besonderen Hochschulen – offenbar noch ein paar kleine Unklarheiten Bestimmungen für Erfindungen an Hochschulen bereits hinsichtlich der Diensterfindungen bei Nebentätigkeit – jetzt und heute zu verabschieden und eben nicht auf den und hier vor allem bei Drittmittelforschung. Die In- noch in einem frühen Stadium der Beratungen befindli- anspruchnahme des Rechtes des Dienstherren bei Dienst- chen Gesetzentwurf über Arbeitnehmererfindungen zu erfindungen umfasst neben den Erfindungen aus wissen- warten. Ich werbe daher bei den Kolleginnen und Kolle- schaftlicher Tätigkeit mit Mitteln der Hochschule auch gen von der Opposition im Interesse des Wissenschafts- die Forschung mit Mitteln Dritter im Sinne des § 25 des und Forschungsstandortes Deutschland und im Interesse Hochschulrahmengesetzes. Erfindungen dagegen, die der zwingend notwendigen Fortführung der Reformpro- Wissenschaftler im Rahmen einer Nebentätigkeit ma- zesse in diesem Bereich um die Zustimmung zu diesem chen, sind dann frei, wenn es sich hierbei um keine Dienst- Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen. Freuen Sie sich erfindungen im Sinne des § 4 Abs. 2 handelt. Für die Ab- mit uns auf die Wiederentdeckung des allzu lange brach – grenzung im konkreten Einzelfall gelten die allgemeinen liegenden Innovationspotenzials an unseren Hochschu- Grundsätze, ohne dass es hierfür einer Sonderregelung len. Die Zunahme der Patentierungen wird dies alsbald bedarf. Jedoch sind auch freie Erfindungen der Hoch- bestätigen. schule mitzuteilen. Für die Inanspruchnahme und das Ver- fahren gelten die gleichen Regelungen wie für Beschäf- Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): tigte im privaten und öffentlichen Dienst. Nach intensiver Beratung mit Experten aus den Hoch- Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass diese schulen und der Forschung können wir nun den Gesetz- Gesetzesinitiative der Koalitionsfraktionen ein weiterer entwurf der Koalitionsfraktionen zur abschließenden Le- wichtiger Baustein bei der Modernisierung der Wissen- sung vorlegen. Mit dem zu verabschiedenden Gesetz ist schafts- und Forschungslandschaft ist, die vor allem zum es uns gelungen, den Spagat zwischen der Gewährung der Ziel hat, die verkrusteten Strukturen in diesem Bereich Forschungsfreiheit und einer effizienten Verwertung von aufzubrechen und die zweifellos vorhandenen Innovati- Patenten an Hochschulen zu verwirklichen. Ziel ist es onspotenziale zu nutzen – im Interesse eines zukunfts- nun, die Patentverwertung an den Hochschulen so attrak- und wettbewerbsfähigen Wissenschafts- und Forschungs- tiv zu gestalten, dass immer mehr Hochschullehrer ihre standortes Deutschland. Zu einer wirklich verantwor- Hochschulen als Verwertungspartner sehen und nicht tungsvollen Forschungspolitik gehört eben die Stärkung mehr die Industrie. 20432 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001

(A) Erstens. Ausgangslage – brachliegende Innovationspo- Qualifizierungsoffensive für die Patentverwertungsstruk- (C) tenziale: In der bisherigen Gesetzesstruktur gibt es weder turen auszubilden und die Verwertungslandschaft in für Wissenschaftler noch für die Hochschulen Anreize, Deutschland zu vernetzen und Kommunikations- und Ko- Erfindungen in Patente umzusetzen und damit wirtschaft- operationsplattformen aufzubauen. lich zu verwerten. Auf der einen Seite verzichten die For- An dieser Stelle soll nicht unerwähnt bleiben, dass die scher oft auf die Anmeldung zum Patent, da die Beantra- Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen explizit da- gung mühselig und die Finanzierung ungewiss ist. Statt sich mit bürokratischen Hürden auseinander zu setzen, rauf gedrängt hat, die Reform des Hochschullehrerprivi- konzentrieren sie sich lieber auf ihre eigene Stärke: das legs einer allgemeinen Novelle des ArbNErfG vorzuzie- Forschen. Auf der anderen Seite profitieren Hochschulen hen. Andernfalls hätte die Gefahr einer zeitlichen im Gegensatz zu allen anderen Arbeitgebern und außer- Verzögerung bestanden. In unseren Augen ist diese Re- universitären Forschungseinrichtungen bisher nicht von form ein erster Schritt zu einer umfassenden Reform der den Patenterlösen ihrer Arbeitnehmer. Demnach haben sie Hochschulen, die auf mehreren Ebenen stattfinden muss. auch kein gehobenes Eigeninteresse an der Anmeldung Die Verbesserung der Patentverwertung war überfällig und anschließenden Verwertung von Erfindungen. In der und zwingend notwendig, ihr müssen jedoch weitere Re- Konsequenz stehen wir vor dem Dilemma, dass das Inno- formen folgen. vationspotenzial an den deutschen Universitäten brach- liegt. Statt gute Ideen in Erfindungen umzusetzen und so- Rainer Funke (FDP): Das Arbeitnehmererfindungs- mit ökonomisch zu nutzen, bleiben sie im Getriebe der gesetz ist praktisch seit 1957 unverändert. Seitdem hat bürokratischen Universitätsstrukturen hängen. sich in den Arbeitsabläufen Grundlegendes verändert. Zweitens. Ziel des Gesetzes – Stärkung des Patent- Mehr als bisher werden Erfindungen im Team gemacht. rechts der Universitäten: Mit der Reform des Hochschul- Erfindungen sind kapitalintensiv geworden, kurzum: Die lehrerprivilegs werden wir diese verkrusteten Strukturen Strukturen haben sich grundlegend verändert. Das gilt aufbrechen und das bisher brachliegende Innovationspo- auch im Vergleich der nationalen Arbeitnehmererfindun- tenzial an den Hochschulen nutzen. Mit dem neuen Ge- gen zu internationalen Regelungen. Außerdem müssen setz werden die Hochschulen zukünftig das Recht haben, die Verbindungen in international tätigen Konzernen die Erfindungen ihres Personals zu verwerten; innerhalb berücksichtigt werden. Deswegen fordert die FDP seit von zwei Monaten erhalten sie das Exklusivzugriffsrecht. langem eine Neufassung des Arbeitnehmererfindungsge- Dies gilt auch für Forschung im Rahmen von Drittmitteln setzes und, wie wir hören, will auch die Bundesregierung und Nebentätigkeiten. Die genaue Abgrenzung zwischen noch in diesem Jahr, spätestens Anfang Januar, eine ent- einer Diensterfindung und einer freien Erfindung muss sprechende Kabinettsentscheidung herbeiführen. So hatte (B) dann im Einzelfall geregelt werden. Die Forscher werden ja auch die Bundesregierung im März 2000 die beteilig- (D) im Gegenzug an den Patenterlösen mit 30 Prozent betei- ten Kreise zu einer Anhörung geladen. ligt und brauchen sich nicht um finanzielle und bürokra- Wenn die Bundesregierung eine grundlegende Über- tische Fragen der Patentanmeldung und -verwertung zu arbeitung des Arbeitnehmererfindergesetzes vorsieht, be- kümmern. Entscheidende Verbesserungen stellen sich in steht überhaupt kein Anlass, für Hochschullehrer Sonder- drei Feldern ein: regelungen, sozusagen Insellösungen, vorzusehen. Zukünftig werden wieder mehr Patente angemeldet und Grundsätzlich sind Erfindungen im Hochschulbereich verwertet. Gute ldeen bleiben nicht in Schubladen liegen. nicht wesentlich anders zu bewerten als im Bereich der freien Wirtschaft. In beiden Bereichen wollen wir, dass Den Hochschulen wird die Möglichkeit gegeben, aus Eigeninitiative und Erfinderfreudigkeit des jeweiligen ihren eigenen Investitionen auch Kapital zu schlagen – Mitarbeiters gefördert wird. Vorab eine Änderung des wenn sie anfangen, selbst aktiv zu werden. Hochschullehrerprivilegs vorzunehmen macht keinen Zwischen Wirtschaft und Universität wird ein intensi- Sinn, auch wenn sich die Bundesregierung von der Bun- verer Wissens- und Technologietransfer stattfinden. Der desratsinitiative, die im Wesentlichen fiskalisch begrün- Diffusionsgrad von Forschungsergebnissen aus den Unis det wird, getrieben fühlt. Wenn schon eine Änderung des in die Wirtschaft hinein wird erhöht. Arbeitnehmererfindungsgesetzes von der Bundesregie- rung vorgesehen wird, kann diese Hochschullehrerfrage Drittens. Flankierende Maßnahme – Aufbau einer brei- auch im Rahmen eines Gesamtkonzeptes umgesetzt wer- ten Patent- und Verwertungsinfrastruktur: Bei der Reform den. Dies ist auch unter gesetzgeberischen Gesichtspunk- des ArbNErfG geht es allerdings nicht darum, Inseln der ten sinnvoll, weil nur so ein gerechter Interessenausgleich Patentverwertung innerhalb der Hochschulen zu schaffen. zwischen Bundestag und Bundesrat erfolgen kann. Nur Vielmehr sollen diese eng mit wirtschaftlichen Interessen wenn alle Fragen gemeinsam geregelt werden, besteht verzahnt werden und an den Bedürfnissen gerade der klei- auch eine Chance, dass in dieser Legislaturperiode das nen und mittleren Unternehmen orientiert sein. Die uni- Gesamtwerk von Bundestag und Bundesrat gemeinsam versitären Patentverwertungsstrukturen müssen in ein beschlossen wird. wirtschaftliches Netzwerk eingebunden sein. Daher wird die rot-grüne Regierung parallel eine Verwertungsoffen- Wir werden darum gegen beide Gesetzesvorschläge, sive starten und den Aufbau einer breiten Patent- und Ver- nämlich die von Bundesrat und Bundesregierung, stim- wertungsstruktur an den deutschen Hochschulen unter- men. Auch inhaltlich sind Fragen offen geblieben, so ins- stützen. Hier gilt es, Kosten von Patentanmeldungen in besondere die Frage der Teamvergütung und die Frage der der Anfangsphase zu bezuschussen, Mitarbeiter in einer Berechnungsmethode, von welchem Betrag die Erfinder Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001 20433

(A) ihre Erfindervergütung im Hochschulbereich berechnen schule Beschäftigten, und zwar nicht nur an Universitäten, (C) können. Für den Entwurf der Bundesregierung für eine In- sondern auch an Fachhochschulen, in die wissenschaftsspe- sellösung im Hochschulbereich besteht insgesamt gese- zifischen Sonderregelungen des Patentrechts einbeziehen. hen nicht nur kein Anlass, sondern er dürfte einer Ge- In zweierlei Hinsicht weisen die vorliegenden Gesetz- samtlösung des Arbeitnehmererfindergesetzes sogar entwürfe Defizite auf. Die PDS-Fraktion hat daher einen entgegenstehen. Änderungsantrag zum Gesetzentwurf der Koalitionsfrak- tionen vorgelegt. Maritta Böttcher (PDS): Der Deutsche Bundestag Zum einen geht es uns darum, dass selbstverständlich entscheidet heute über eine Reform des so genannten nicht nur Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an Hoch- Hochschullehrerprivilegs im Arbeitnehmererfindungsge- schulen, sondern auch ihre Kolleginnen und Kollegen setz aus dem Jahre 1957. Dieses Gesetz sieht grundsätz- an außerhochschulischen Forschungseinrichtungen das lich vor, dass die von Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- Grundrecht auf Wissenschaftsfreiheit beanspruchen kön- mern während ihrer Arbeit gemachten Erfindungen vom nen. Wenn es also im Patentrecht Bedarf an besonderen Arbeitgeber verwertet werden können – unbeschadet ei- wissenschaftsadäquaten Regelungen gibt, so müssen sich ner angemessenen Vergütung für die Erfinderinnen und diese Ausnahmeregelungen auch auf die staatlichen und Erfinder. staatlich finanzierten Forschungseinrichtungen erstrecken. In seiner geltenden Fassung enthält das Gesetz jedoch Zum anderen halten wir es für falsch, die Wissen- eine gewichtige Ausnahme von diesem Grundsatz: Hoch- schaftlerinnen und Wissenschaftler zur patentrechtlichen schullehrerinnen und Hochschullehrer an Universitäten Verwertung ihrer Erfindungen zu zwingen. Es ist zwar dürfen ihre Erfindungen bisher selbst verwerten. Zur Be- grundsätzlich richtig, den Beitrag der Hochschulen zu In- gründung für diese Privilegierung der Universitätsprofes- novationen zu stärken und die wirtschaftliche Verwertung soren wurde bisher stets das Grundrecht der Wissen- dieser Innovationen zu fördern, wenn dies der Schaffung schaftsfreiheit in Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes bemüht. von Arbeitsplätzen oder der Verbesserung der Lebensqua- Den vorliegenden Gesetzentwürfen der Koalitions- lität dient. Aber die Wissenschaftlerinnen und Wissen- fraktionen und des Bundesrats liegt offensichtlich die Ein- schaftler müssen auch das Recht haben, ihre Erfindung sicht zugrunde, dass die Bedeutung der Wissenschafts- weder geheim zu halten, was ihnen SPD und Grüne in freiheit in dieser Hinsicht bisher überstrapaziert worden ihrem Gesetzentwurf allein zugestehen möchten, noch sie ist – wie ich meine, zu Recht. Denn: Professorinnen und von der Hochschule patentieren und verwerten zu lassen, Professoren haben keinen Alleinanspruch auf Wissen- sondern sie durch eine Veröffentlichung der kommerziel- schaftsfreiheit. Und: Das Grundrecht auf Wissenschafts- len Nutzung ein für alle Mal zu entziehen. Alles andere (B) freiheit schließt nicht das Recht ein, wissenschaftliche wäre nach Auffassung der PDS mit dem Grundrecht der (D) Erfindungen zum ausschließlich eigenen Vorteil zu ver- Wissenschaftsfreiheit unvereinbar, da das Prinzip der Öf- werten, wenn diese der Nutzung der von der öffentlichen fentlichkeit geradezu konstitutiv für den modernen Wis- Hand bereitgestellten Infrastruktur zu verdanken sind. senschaftsprozess ist. Dies dürfte bei Erfindungen von Hochschullehrerinnen Die PDS fordert daher ein uneingeschränktes Recht der und Hochschullehrern regelmäßig der Fall sein. Erfinderinnen und Erfinder, ihre Diensterfindungen im Ich halte es daher für richtig, nicht nur den zu wissen- Rahmen ihrer Forschungs- oder Lehrtätigkeit jederzeit zu schaftlichen Innovationen führenden Aufwand, sondern veröffentlichen. Dies ist zwingend erforderlich, um die auch die aus ihnen resultierenden Erträge zumindest teil- Autonomie der Hochschulen gegenüber ökonomischen weise zu sozialisieren. Falsch wäre es, wenn weiterhin Verwertungszwängen zu sichern. Wir müssen den Wis- wie bisher die Kosten sozialisiert und Gewinne privati- sens- und Technologietransfer zwischen Wissenschaft, siert würden. Ich halte den im Gesetzentwurf von SPD Wirtschaft und Gesellschaft aktiv fördern, dürfen aber und Bündnis 90/Die Grünen gemachten Vorschlag, nicht den Fehler begehen, die Hochschulen den Fängen 30 Prozent der Verwertungserlöse den Erfinderinnen und des Marktes auszuliefern. Erfindern und den Rest den Hochschulen zukommen zu lassen, für eine brauchbare Lösung, die eine hemmungs- lose Privatisierung von Erträgen unterbindet, aber gleich- Anlage 3 wohl den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern An- reize zu Innovationen und ihrer ökonomischen Nutzung Amtliche Mitteilungen gibt. Ich bevorzuge diese Lösung auch gegenüber dem Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- Vorschlag des Bundesrats, der eine Beteiligung der Wis- geteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-Vorla- senschaftlerinnen und Wissenschaftler erst nach Abzug gen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parla- der Patentierungskosten vorsieht. Diese Kosten dürften in ment zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung vielen Fällen so hoch liegen, dass kein wirklicher Anreiz abgesehen hat. für die Verwertung von Erfindungen an den Hochschulen entstehen kann. Auswärtiger Ausschuss Ich begrüße ferner ausdrücklich, dass die Gesetzent- Drucksache 14/6026 Nr. 2.6 würfe auch insoweit mit dem Hochschullehrerprivileg Drucksache 14/6214 Nr. 1.5 Schluss machen wollen, dass sie nicht nur Hochschullehre- Drucksache 14/6214 Nr. 1.8 rinnen und Hochschullehrer, sondern alle an einer Hoch- Drucksache 14/6214 Nr. 2.12 20434 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001

(A) Innenausschuss Ausschuss für wirtschaftliche (C) Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 14/5730 Nr. 2.34 Drucksache 14/5730 Nr. 2.36 Drucksache 14/6026 Nr. 2.1 Drucksache 14/6214 Nr. 1.7 Finanzausschuss Drucksache 14/6214 Nr. 1.9 Drucksache 14/5836 Nr. 2.24 Drucksache 14/6026 Nr. 2.20 Ausschuss für Angelegenheiten Drucksache 14/6026 Nr. 2.21 der Europäischen Union Drucksache 14/6026 Nr. 2.32 Drucksache 14/5281 Nr. 2.24 Drucksache 14/6116 Nr. 1.5 Drucksache 14/5363 Nr. 2.12 Drucksache 14/6116 Nr. 1.6 Drucksache 14/5503 Nr. 2.25 Drucksache 14/6116 Nr. 1.7 Drucksache 14/5610 Nr. 2.2 Drucksache 14/6214 Nr. 1.4 Drucksache 14/5730 Nr. 1.1 Drucksache 14/6214 Nr. 2.15 Drucksache 14/5730 Nr. 2.22 Drucksache 14/6214 Nr. 2.16 Drucksache 14/5730 Nr. 2.24 Drucksache 14/6214 Nr. 2.17 Drucksache 14/5730 Nr. 2.25 Drucksache 14/5836 Nr. 2.25 Haushaltsausschuss Drucksache 14/6026 Nr. 1.1 Drucksache 14/5836 Nr. 2.1 Drucksache 14/6026 Nr. 2.7 Drucksache 14/6026 Nr. 2.3 Drucksache 14/6026 Nr. 2.8 Drucksache 14/6214 Nr. 1.1 Ausschuss für Wirtschaft und Drucksache 14/6214 Nr. 2.4 Technologie Drucksache 14/6026 Nr. 2.17 Finanzausschuss Drucksache 14/6026 Nr. 2.18 Drucksache 14/6508 Nr. 2.10 Drucksache 14/6214 Nr. 1.6 Drucksache 14/6508 Nr. 2.11 Drucksache 14/6214 Nr. 2.13 Drucksache 14/6508 Nr. 2.12 Drucksache 14/6214 Nr. 2.14 Drucksache 14/6508 Nr. 2.40 Drucksache 14/6214 Nr. 2.19 Drucksache 14/6615 Nr. 2.11 Drucksache 14/6214 Nr. 2.20 Ausschuss für Wirtschaft und Ausschuss für Verbraucherschutz, Technologie Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 14/6026 Nr. 2.19 Drucksache 14/1708 Nr. 2.5 Drucksache 14/6026 Nr. 2.25 Drucksache 14/4170 Nr. 2.47 Drucksache 14/6116 Nr. 1.3 Drucksache 14/4170 Nr. 2.52 Drucksache 14/6116 Nr. 1.4 Drucksache 14/6395 Nr. 2.19 Drucksache 14/6214 Nr. 1.2 (B) Drucksache 14/6214 Nr. 2.18 (D) Ausschuss für Familie, Senioren, Drucksache 14/6395 Nr. 2.15 Frauen und Jugend Drucksache 14/6395 Nr. 2.16 Drucksache 14/309 Nr. 2.42 Drucksache 14/6395 Nr. 2.17 Drucksache 14/4092 Nr. 1.1 Drucksache 14/6395 Nr. 2.23 Drucksache 14/6508 Nr. 2.13 Ausschuss für Verkehr, Drucksache 14/6508 Nr. 2.15 Bau- und Wohnungswesen Drucksache 14/6508 Nr. 2.33 Drucksache 14/4945 Nr. 1.2 Drucksache 14/6508 Nr. 2.35 Drucksache 14/4945 Nr. 1.3 Drucksache 14/6508 Nr. 2.37 Drucksache 14/5114 Nr. 2.4 Drucksache 14/6508 Nr. 2.41 Drucksache 14/5172 Nr. 2.62 Drucksache 14/6615 Nr. 2.8 Drucksache 14/5363 Nr. 2.10 Drucksache 14/6395 Nr. 1.1 Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Umwelt, Naturschutz Drucksache 14/6116 Nr. 1.8 und Reaktorsicherheit Drucksache 14/6508 Nr. 2.22 Drucksache 14/5363 Nr. 1.2 Drucksache 14/5610 Nr. 1.4 Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Drucksache 14/5610 Nr. 1.7 Drucksache 14/1016 Nr. 2.23 Drucksache 14/5836 Nr. 2.5 Drucksache 14/3050 Nr. 2.1 Drucksache 14/5836 Nr. 2.10 Drucksache 14/3146 Nr. 2.9 Drucksache 14/5836 Nr. 2.14 Drucksache 14/3146 Nr. 2.10 Drucksache 14/6026 Nr. 3.1 Drucksache 14/3146 Nr. 2.11 Drucksache 14/6214 Nr. 3.1 Drucksache 14/3146 Nr. 2.12 Drucksache 14/3146 Nr. 2.13 Ausschuss für Menschenrechte Drucksache 14/3146 Nr. 2.14 und humanitäre Hilfe Drucksache 14/3146 Nr. 2.15 Drucksache 14/5836 Nr. 1.8 Drucksache 14/3146 Nr. 2.16 Drucksache 14/5610 Nr. 1.10 Drucksache 14/3146 Nr. 2.17 Drucksache 14/3146 Nr. 2.18 Ausschuss für Bildung, Forschung Drucksache 14/3341 Nr. 2.26 und Technikfolgenabschätzung Drucksache 14/3428 Nr. 2.15 Drucksache 14/6026 Nr. 1.4 Drucksache 14/3576 Nr. 2.34 Drucksache 14/6214 Nr. 2.6 Drucksache 14/3576 Nr. 2.41 Drucksache 14/6395 Nr. 1.2 Drucksache 14/4170 Nr. 2.64 Drucksache 14/6395 Nr. 2.22 Drucksache 14/4170 Nr. 2.84 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2001 20435

(A) Drucksache 14/4309 Nr. 1.3 Ausschuss für Gesundheit (C) Drucksache 14/4309 Nr. 1.22 Drucksache 14/5610 Nr. 2.53 Drucksache 14/4309 Nr. 1.28 Drucksache 14/4441 Nr. 1.3 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz Drucksache 14/4441 Nr. 1.6 und Reaktorsicherheit Drucksache 14/4665 Nr. 3.1 Drucksache 14/5610 Nr. 1.3 Drucksache 14/4945 Nr. 2.4 Drucksache 14/4945 Nr. 2.33 Ausschuss für Bildung, Forschung Drucksache 14/4945 Nr. 2.35 und Technikfolgenabschätzung Drucksache 14/5114 Nr. 2.1 Drucksache 14/6508 Nr. 1.3 Drucksache 14/5114 Nr. 2.2 Drucksache 14/6508 Nr. 2.3 Drucksache 14/5172 Nr. 2.21 Drucksache 14/6508 Nr. 2.23 Drucksache 14/5172 Nr. 2.60 Drucksache 14/6508 Nr. 2.34 Drucksache 14/5610 Nr. 2.16 Drucksache 14/5610 Nr. 2.30 Ausschuss für wirtschaftliche Drucksache 14/5610 Nr. 2.31 Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 14/5610 Nr. 2.40 Drucksache 14/6026 Nr. 2.2 Drucksache 14/5730 Nr. 2.33 Drucksache 14/6026 Nr. 2.10 Drucksache 14/5836 Nr. 2.6 Drucksache 14/6026 Nr. 2.29 Drucksache 14/5836 Nr. 2.7 Drucksache 14/6026 Nr. 2.31

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