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Plenarprotokoll 13/246

Deutscher

Stenographischer Bericht

246. Sitzung

Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Inhalt:

Glückwünsche zu den Geburtstagen der Entlastung der Bundesregierung für Abgeordneten Doris Odenthal, Siegfried das Haushaltsjahr 1995 Hornung, Dr.-Ing. Dietmar Kansy, Man- - Vorlage der Haushaltsrechnung und fred Opel, Ernst Kastning, Richard Schuh- Vermögensrechnung des Bundes mann (Delitzsch) und Volkmar Schultz (Jahresrechnung 1995) - (Köln) 22897 A - zu dem Antrag des Bundesministe- Erweiterung der Tagesordnung 22897 B riums der Finanzen Entlastung der Bundesregierung für Zur Geschäftsordnung das Haushaltsjahr 1996 Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ - Vorlage der Haushaltsrechnung und DIE GRÜNEN 22897 C Vermögensrechnung des Bundes Dr.-Ing. Dietmar Kansy CDU/CSU . . 22898 C (Jahresrechnung 1996) - Achim Großmann SPD 22899 B - zu der Unterrichtung durch den Bun- Hildebrecht Braun (Augsburg) F.D.P. . 22900B desrechnungshof Klaus-Jürgen Warnick PDS 22901 A Bemerkungen des Bundesrech- nungshofes 1997 zur Haushalts- und Begrüßung der Präsidentin des Bundes- Wirtschaftsführung (einschließlich rechnungshofes, Frau Dr. von Wedel . . 22991 D der Feststellungen zur Jahresrech- nung des Bundes 1995 und 1996) Tagesordnungspunkt 1: (Drucksachen 13/5141, 13/7352, 13/8550, a) Erste Beratung des von der Bundes- 13/10904) 22902 C regierung eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes über die Feststellung des d) Beratung der Unterrichtung durch die Bundeshaushaltsplans für das Haus- Bundesregierung haltsjahr 1999 (Haushaltsgesetz 1999) (Drucksache 13/11100) 22902 B Bericht über die Lebenssituation von Kindern und die Leistungen der Kin- b) Unterrichtung durch die Bundesregie- derhilfen in Deutschland - Zehnter rung Kinder- und Jugendbericht - mit der Stellungnahme der Bundesregierung Finanzplan des Bundes 1998 bis 2002 (Drucksache 13/11368) 22902 D (Drucksache 13/11101) 22902 B Jürgen Koppeln F.D.P. (zur GO) . . . 22902 D c) Beschlußempfehlung und Bericht des Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 22903 B Haushaltsausschusses SPD 22907 B - zu dem Antrag des Bundesministe- Oskar Lafontaine, Ministerpräsident riums der Finanzen () 22912 D II Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. , Mittwoch, den 2. September 1998

Dr. Norbert Blüm CDU/CSU . 22916C, 22926 D Adolf Roth (Gießen) CDU/CSU 23010 C Dr. , Ministerpräsident Dr. Wolfgang Weng (Gerligen) F.D.P. . 23013 A (Sachsen) 22921 A Vizepräsidentin Michaela Geiger . . . 22967 A Siegmar Mosdorf SPD . . . . 22926B, 22927 A 22927 C Ingrid Matthäus-Maier SPD Tagesordnungspunkt 2: SPD 22929B, 23002 D Oswald Metzger BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Abschließende Beratungen ohne Aus- NEN 22929 D sprache Dr. F.D.P. . . . . 22933 A a) Beschlußempfehlung und Bericht des Dr. PDS 22937 C, 22945 B Ausschusses für Arbeit und Sozialord- Hans-Peter Repnik CDU/CSU 22940B, 22947 A nung zu der Unterrichtung durch die Hans Georg Wagner SPD 22945 D Bundesregierung Helmut Rauber CDU/CSU 22946 C Vorschlag für eine Verordnung (EG) Karl Diller SPD 22947 B des Rates zur Änderung der Ver- ordnung (EWG) Nr. 1408/71 zur An- Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister BMWi 22949 D wendung der Systeme der sozialen Si- Hans Büttner () SPD . . . 22951 C cherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemein- Ernst Schwanhold SPD 22952 C schaft zu- und abwandern, auf Staats- Dr. Barbara Höll PDS 22953 C angehörige von Drittländern (Druck- Paul K. Friedhoff F.D.P 22955 C sachen 13/9819 Nr. 2.29, 13/10598) . . 23015 A Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister BMBF 22957 B b) Beschlußempfehlung und Bericht des Rudolf Dreßler SPD 22959 C Ausschusses für Arbeit und Sozialord- Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 22963 A nung zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung () BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 22967 B Mitteilung der Kommission Dr. F.D.P 22969 D Aktionsplan zur Förderung der Frei- Petra Bläss PDS 22971 C zügigkeit der Arbeitnehmer (Drucksa- SPD 22973 A chen 13/9668 Nr. 2.44, 13/10599) . . . 23015 B Dr. Heiner Geißler CDU/CSU . 22976 B, 22979 C c) Beschlußempfehlung und Bericht des Ottmar Schreiner SPD 22973 B Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Dr. Edith Niehuis SPD 22977 D Forschung, Technologie und Technik- folgenabschätzung Dr. CDU/CSU 22981 D Dr. , Senatorin (Berlin) 22982 B - zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. Dr. Heiner Geißler CDU/CSU . . . . 22984 A zu der Unterrichtung durch die Bun- Dr. Barbara Höll PDS 22980 C desregierung Rita Grießhaber BÜNDNIS 90/DIE GRÜ - zu dem Entschließungsantrag der NEN 22986 D Abgeordneten , Sabine Leutheusser-Schnarrenberger F.D.P 22987 D Tilo Braune, weiterer Abgeordneter , Bundesminister BMG . 22988 D und der Fraktion der SPD zu der Un- terrichtung durch die Bundesregie- Edelgard Bulmahn SPD 22992 A rung Dr. Gerhard Friedrich CDU/CSU . . 22996 C Bundesbericht Forschung 1996 , Bundesministerin BMFSFJ 22997 B BÜNDNIS 90/DIE (Drucksachen 13/4554, 13/7128, 13/ GRÜNEN 23000 C 9744, 13/9746, 13/11096) 23015 C CDU/CSU . 23001 A d) Beschlußempfehlung und Bericht des (Köln) SPD 23001 C Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, CDU/CSU 23004 D Forschung, Technologie und Technik- Dr. Angela Merkel CDU/CSU 23007 A- folgenabschätzung (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE - zu dem Antrag der Abgeordneten GRÜNEN 23009 B Günter Rixe, , weiterer Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 III

Abgeordneter und der Fraktion der weiterer Abgeordneter und der Frak- SPD tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Jugend braucht Zukunft - Ausbil- Vorlage eines Gesetzes zum Schutz vor dungsoffensive jetzt verwirklichen Verkehrslärm an Straßen und Schie- nen (Drucksachen 13/6958, 13/8925) . 23017 A - zu der Unterrichtung durch die Bun- desregierung i) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bau- Berufsbildungsbericht 1998 wesen und Städtebau zu dem Antrag der Abgeordneten Gabriele Iwersen, (Drucksachen 13/10665, 13/10651, 13/ Achim Großmann, weiterer Abgeordne- 11097) 23015D ter und der Fraktion der SPD Vorlage eines Vierten Berichtes über e) Beschlußempfehlung und Bericht des Schäden an Gebäuden (Drucksachen Ausschusses für Wirtschaft zu dem An- 13/10449, 13/11145) 23017 A trag der Abgeordneten Heidemarie Wieczorek-Zeul, und wei- j) Beschlußempfehlung und Bericht des terer Abgeordneter der Fraktion der Ausschusses für Wirtschaft zu der Un- SPD terrichtung durch die Bundesregierung Sicherung der Arbeitsplätze bei der Mitteilung der Kommission Hoechst Marion Roussel Deutschland GmbH (Drucksachen 13/10028, 13/ Das öffentliche Auftragswesen in der 11110) 23016B Europäischen Union (Drucksachen 13/ 10588 Nr. 2.21, 13/11160) 23017 B f) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz k) Beschlußempfehlung des Petitionsaus- und Reaktorsicherheit zu dem Antrag schusses der Abgeordneten Dietmar Schütz (Ol- denburg), Marion Caspers-Merk, wei- Sammelübersicht 375 zu Petitionen terer Abgeordneter und der Fraktion (Drucksache 13/11193 [neu]) . . . . 23017 C der SPD 1) Beschlußempfehlung des Petitionsaus- Klimaschutz durch Minderung von schusses Stand-by-Verlusten bei Elektrogeräten (Drucksachen 13/9254, 13/11121) . . 23016 B Sammelübersicht 377 zu Petitionen (Gesetzliche Nichtigkeitserklärung al- ler NS-Unrechtsgesetze und -urteile) g) Beschlußempfehlung und Bericht des (Drucksache 13/11195) 23017 C Ausschusses für Verkehr

- zu dem Antrag der Abgeordneten m) Beschlußempfehlung des Petitionsaus- Albert Schmidt (Hitzhofen), Gila Alt- schusses mann (Aurich), weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Sammelübersicht 381 zu Petitionen DIE GRÜNEN (Überführung der Ansprüche der Be- schäftigten der ehemaligen Deutschen Novellierung des Gesetzes zum Reichsbahn in die gesetzliche Renten- Schutz gegen Fluglärm versicherung) (Drucksache 13/11330) . 23017 D

- zu dem Antrag der Abgeordneten Zusatztagesordnungspunkt 1: Monika Ganseforth, Elke Ferner, weiterer Abgeordneter und der Frak- Zweite und dritte Beratung des von der tion der SPD Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Fünften Gesetzes zur Än- Verbesserung des Schutzes vor derung des Bundes-Immissionsschutz- Fluglärm gesetzes (Drucksachen 13/11118, 13/ 11381) 23018A (Drucksachen 13/6346, 13/7498, 13/ 11140) 23016 C Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, h) Beschlußempfehlung und Bericht des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. Ausschusses für Verkehr zu dem An- trag der Abgeordneten Albe rt Schmidt Bürgerkrieg und humanitäre Situation (Hitzhofen), Gila Altmann (Aurich), im Süd-Sudan (Drucksache 13/11387) 23018 B IV Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Tagesordnungspunkt 3: Nächste Sitzung 23018 D Beschlußempfehlung des Haushalts- ausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Anlage 1 Haushalts- und Wirtschaftsführung 1998 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 23019* A Überplanmäßige Ausgabe bei Kapi- tel 06 29 - Bundesanstalt Technisches Hilfs- Anlage 2 werk - Titel 532 03 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tages- - Hilfsmaßnahmen außerhalb des ordnungspunkt 1 (Haushaltsgesetz 1999) Bundesgebietes - bis zur Höhe von 12 340 TDM Rolf Kutzmutz PDS 23019* B Anke Fuchs (Köln) SPD (Drucksachen 13/10929, 13/11122, lfd. 23021* C Nr. 1.3, 13/11389) 23018 C Dr. Barbara 11611 PDS 23022* C Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 22897

246. Sitzung

Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Beginn: 10.00 Uhr

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Meine Damen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie der Herren, die Sitzung ist eröffnet. Ich begrüße Sie hier Gruppe der PDS zum Mietrecht. im Plenum ganz herzlich zur Haushaltsdebatte. Das Wort zur Geschäftsordnung hat Frau Kollegin Bevor wir in die Debatte eintreten, möchte ich je- Eichstädt-Bohlig. nen gratulieren, die in den zurückliegenden Wochen einen runden Geburtstag gefeiert haben. Ich beginne Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE mit der Kollegin Doris Odenthal, die am 30. Juni ih- GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und ren 65, Geburtstag gefeiert hat. Herzlichen Glück- Kollegen! Wir beantragen, daß heute über unseren wunsch! Antrag auf Verlängerung der 20 - Prozent - Kappungs- grenze im Miethöhegesetz und über die Beschluß- (Beifall) empfehlung auf Drucksache 13/11075 abgestimmt Nun gratuliere ich jenen, die ihren 60. Geburtstag wird. Die Entscheidung ist überfällig. Es ist wirklich ein Skandal, daß Ihre beiden Fraktionen vor der gefeiert haben: dem Kollegen Siegfried Hornung, Sommerpause die Debatte über diesen Punkt und dem Kollegen Dr. Dietmar Kansy, dem Kollegen über diese Beschlußempfehlung von der Tagesord- Manfred Opel, dem Kollegen Ernst Kastning, dem Kollegen Richard Schuhmann und dem Kollegen nung gekippt haben. Volkmar Schultz. Ihnen allen herzlichen Glück- Grüne, SPD und Bundesrat hatten beantragt, daß wunsch nachträglich! über die 20-Prozent-Kappungsgrenze, die seit dem 1. September, also seit gestern, weggefallen ist, vor der (Beifall) Sommerpause debattiert wird und daß hier ein ein- Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbun- deutiger Beschluß dazu gefaßt wird. Sie haben dafür gesorgt, daß das unter den Tisch fällt, weil Sie zu dene Tagesordnung um die Beratung der Beschluß- empfehlung und des Berichts des Umweltausschus- feige sind, den Mietern reinen Wein einzuschenken ses zum Gesetzentwurf zur Änderung des Bundes im Hinblick auf das, was im Mietrecht zur Zeit pas- Immissionsschutzgesetzes auf Drucksache 13/11381 siert. Das, finden wir, ist ein Skandal, und das darf in und um einen interfraktionellen Antrag „Bürgerkrieg der Öffentlichkeit so nicht stehenbleiben. und humanitäre Situation im Südsudan" - Drucksa- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, che 13/11387 - zu erweitern. bei der SPD und der PDS) Beide Vorlagen werden mit den Beratungen ohne Sie haben als zweites - das betrifft vor allem die Aussprache aufgerufen. Sind Sie damit einverstan- F.D.P. - die Diskussion und die Abstimmung über die den? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann verfahren Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/11075 und wir so. damit darüber, daß es überfällig ist, daß gleichge- schlechtliche Lebenspartner beim Tod des Partners Ich mache schon jetzt darauf aufmerksam, daß die endlich das Recht haben, in den Mietvertrag einzu- Punkte ohne Debatte am Ende der Plenarsitzung als treten, bisher verweigert, obwohl es Ihr Minister von letzter Tagesordnungspunkt aufgerufen werden. der F.D.P., Herr Schmidt-Jortzig, war, der dazu sogar einen Gesetzentwurf eingebracht hat. Wir fordern, Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat fristge- daß auch dieser überfällige Punkt endlich hier erör- recht beantragt, die heutige Tagesordnung zu erwei- tert wird und zur Abstimmung kommt, daß auch hier tern. Die Tagesordnung soll erweitert werden um die der Öffentlichkeit und den Menschen im Land klar Beratung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die gesagt wird, was Sache ist. Grünen zur Verlängerung der 20 prozentigen Kap- pungsgrenze für ältere Wohnungen sowie um die Be-- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ratung der Beschlußempfehlung des Rechtsausschus- sowie bei Abgeordneten der SPD und der ses zu mehreren Vorlagen der Fraktion der SPD und PDS) 22898 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Franziska Eichstädt-Bohlig Sie von der CDU/CSU sind zu feige, den Mietern Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster der zu sagen, was im Mietrecht auf sie zukommt. Geben Kollege Dr. Dietmar Kansy. Sie doch zu, daß Sie eigentlich wollen, daß das Miet- recht weiter liberalisie rt wird, daß Sie den Eigen- tümern den Abbau der Steuersubventionen, der mit Dr.-Ing. Dietmar Kansy (CDU/CSU): Frau Präsi- der Steuerreform kommen soll, durch das Recht auf dentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! weitere Mieterhöhungen schmackhaft machen wol- Was machen Oppositionsparteien, die sich seit Mo- len! Sagen Sie das deutlich! Seien Sie nicht so feige naten jeder sachlichen Auseinandersetzung entzie- wie in Ihrem Programm, in dem Sie zum Mietrecht hen schweigen! In Wirklichkeit wollen Sie ganz genau (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge das, was die F.D.P. laut fordert, nämlich die weitere ordneten der F.D.P. - Lachen bei der SPD, Liberalisierung des Mietrechts und Aushöhlung des dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Kündigungsschutzes in der nächsten Legislaturperi- PDS) ode. Haben Sie wenigstens den Mut, das heute hier öffentlich zu erklären und entsprechend zu beschlie- und im Wahlkampf auf ihre „Zukunftsprogramme" ßen! ausweichen? Sie machen angst. Und was machen de- ren Bundestagsfraktionen? Sie stellen Geschäftsord- Genau das gleiche gilt für die F.D.P. Sie haben sich nungsanträge, um diese Angst über die Medien zu das Recht gleichgeschlechtlicher Pa rtner auf Eintritt transportieren. Das ist die Absicht dieser morgendli- in den Mietvertrag auf die Fahnen geschrieben. Sa- chen Debatte, die völlig überflüssig ist. gen Sie endlich, daß Sie das der Koalitionsdisziplin opfern! Hier drücken Sie sich. Sagen Sie das den (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Menschen im Lande, damit endlich klar ist, wer für Aber wenn Sie sie schon wollen: Wollen Sie viel- was steht. Darauf haben die Menschen ein Recht, ge- rade jetzt vor der Wahl. leicht die Mieter darauf aufmerksam machen, daß dank der Wohnungspolitik dieser Bundesregierung, (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Frau Eichstädt-Bohlig, in den letzten vier Jahren SES 90/DIE GRÜNEN) 2,3 Millionen Wohnungen neu gebaut wurden, daß dadurch der Vermietermarkt zu einem Mietermarkt Wenn Sie uns jetzt wieder erklären werden, daß geworden ist, die Situation bei den Mieten rosig ist, weil wir so (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) viele Wohnungen haben, dann wissen Sie ganz ge- nau: Der Wohnungsmarkt ist nur im Bereich der ho- daß zwischenzeitlich die Mieter die Bedingungen hen Mieten entspannt, bei den Neubauwohnungen. stellen und nicht mehr die Vermieter? Bei den Bestandsmieten haben wir Jahr für Jahr enorme Anstiege, und die Mietbelastung steigt we- sentlich stärker als die Einkommen. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Zum Antrag!

(CDU/CSU): Oder wollen Keine vorwegge- Dr.-Ing. Dietmar Kansy Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Sie mit diesem Antrag die Mieter ermutigen, mit dem nommene Debatte! entsprechenden Selbstbewußtsein neue Verträge auszuhandeln? Nein! In der Hoffnung, parteipoliti- schen Honig zu saugen, machen Sie uninformierten (BÜNDNIS 90/DIE Franziska Eichstädt-Bohlig Menschen mit diesem Antrag angst, GRÜNEN): Ja. - Von daher fordern wir Sie auf, nicht immer nur Rosinenpickerei zu betreiben, sondern (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) den Mietern wirklich klar zu sagen, was auf sie zu- kommt. statt ihnen zu sagen, daß die Kappungsgrenze von 20 Prozent ein Schutzinstrument war, das richtig war, Wenn Ihre These richtig ist, daß die Eigentümer als wir Mieterhöhungen von 6 und 7 Prozent hatten, gar keine Mieterhöhungen wollen, dann können Sie als uns Millionen von Wohnungen fehlten, daß aber unserem Antrag zustimmen. Dann könnten wir uns heute bei einer Mietsteigerung von 1,6 Prozent der doch alle einig sein; die Koalitionsfraktionen, die Ei- Zeitpunkt gekommen ist, um das Verfallsdatum in gentümer, die Mieter und die Opposition könnten diesem Gesetz tatsächlich wirksam werden zu lassen, gemeinsam beschließen, daß 20 Prozent Mieterhö- wie wir es vorgesehen haben. hung wirklich die oberste Grenze sind. Wir selbst for- dern, daß die Kappungsgrenze auf 15 Prozent ge- Meine Damen und Herren, vielleicht wollen SPD senkt wird. und Grüne ja mit diesen Anträgen, Frau Präsidentin, auch nur die Investoren verschrecken, die noch Miet- Wir bleiben dabei: Wir und die Menschen im wohnungen bauen wollen, oder sie wollen im Detail Lande erwarten, daß Sie kein Schaugefecht über ei- erläutern, was das angebliche Aufbrechen der Ver- nen miserablen Haushalt inszenieren, sondern daß krustung, die der Kanzlerkandidat und der Schatten- hier endlich zur Sache gesprochen wird. Das ist über- wirtschaftsminister ständig predigen, nun in der Pra- xis bedeutet - wenn man überhaupt einmal eine fällig. - Sachdiskussion führt. Insofern herzlichen Dank für (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, diese Möglichkeit! Also: Nein zu diesem ersten An- bei der SPD und der PDS) trag. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 22899

Dr.-Ing. Dietmar Kansy Zu dem zweiten Antrag der Grünen, das Eintritts- dern um eine zentrale Frage des deutschen Miet- recht nach § 569a BGB, das sich auf hinterbliebene rechts. Haushaltsangehörige eines verstorbenen Mieters be- zieht, auf gleichgeschlechtliche Lebenspartner aus- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des zudehnen, muß ich sagen: Meine Damen und Her- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ren, wir haben in diesen Monaten in Deutschland Deshalb ist es notwendig, daß wir heute noch ein- verdammt noch mal was anderes zu tun, als heute mal den Versuch machen, eine parlamentarische morgen dieses Thema zu diskutieren. Mehrheit für den Antrag zu finden, der übrigens ei- nem Gesetzentwurf der SPD entspricht, welcher in (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- den Ausschüssen niedergestimmt worden ist. Wir ordneten der F.D.P.) wollen, daß die Mieterinnen und Mieter nicht in Angst - und zwar in berechtigter und nicht von uns Von uns aus kann in diesem Lande jeder leben, provozierter Angst - leben müssen. wie er will. Aber für die CDU/CSU gilt nach wie vor: Wer unter dem Zeichen der Gleichbehandlung von (Beifall bei Abgeordneten der SPD) anderen Formen des Zusammenlebens die grundle- gende Bedeutung von Ehe und Familie einschränken Der Deutsche Mieterbund hat das Problem dieses will, der zerstört die Lebenskraft unserer Gesell- Antrages in - wie ich finde - drei guten Sätzen zu- schaft. sammengefaßt. Er schreibt: Die Kappungsgrenzen haben eine soziale Schutz- (Beifall bei der CDU/CSU) funktion. Sie haben nicht die Aufgabe, den Miet- Da Sie neuerdings so gern die Bischöfe zitieren, anstieg insgesamt zu begrenzen. Die Wirkungs- lassen Sie sich einmal die Aussagen von Bischof Leh- weise des marktorientierten Vergleichsmietensy- mann auf der Pressekonferenz herüberreichen. Ehe stems wird grundsätzlich nicht berührt. und Familie stehen nach A rt. 6 unseres Grundgeset- Darum geht es, Herr Kansy. Das heißt, es geht zes unter dem besonderen Schutz der staatlichen überhaupt nicht darum, den Vermietern eine sinn- Ordnung. Das Grundgesetz versteht unter Ehe und volle Mieterhöhungsmöglichkeit zu nehmen. Es geht Familie schlicht und ergreifend eine Lebensgemein- vielmehr darum, die soziale Schutzfunktion auf- schaft zwischen Mann und Frau und nichts anderes. rechtzuerhalten und Mietpreistreibern sowie Miet- haien, wie es so schön im Volksmund - aber leider (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) auch zutreffend - heißt, das Handwerk zu legen. Meine Damen und Herren, die CDU/CSU lehnt (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Fran deswegen Ihre beiden Anträge ab. Wir hoffen sehr, ziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE daß wir heute die Gelegenheit haben, mit Ihnen die GRÜNEN]) wesentlichen Fragen dieses Jahres und dieser Nation zu diskutieren. Eine Studie, die Sie selbst in Auftrag gegeben ha- ben, kommt zu dem Schluß - ich zitiere aus der Vielen Dank. Studie des Instituts für Stadtforschung und Struktur- politik, wo es genau um den Inhalt dieses Antrages (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab- geht -: geordneten der F.D.P. - Franziska Eichstädt- Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das In Einzelfällen dürften die Kappungsgrenzen je- ist absolut zynisch!) doch einen nicht unwesentlichen Schutz für die Mieter darstellen und dazu beitragen, besonders hohe Mietsteigerungen zu verhindern. Als nächster spricht Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Ich glaube, das ist eindeutig. Jetzt wollen wir uns der Kollege Achim Großmann. einmal ansehen - weil Herr Kansy schon über den Wahlkampf gesprochen hat -, wie Sie und Ihre Partei sich denn geäußert haben. Ich zitiere den Parteivor- Achim Großmann (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, jeder, der gerade zu- sitzenden der CDU, Herrn Bundeskanzler Helmut gehört hat, kann sich jetzt ein besseres machen Kohl, von der Überheblichkeit, mit der über die Interessen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) vieler Mieter in diesem Hause geredet wird. der noch im August in der „MieterZeitung" folgen- (Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei den Satz geschrieben hat: Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dabei werden die Kernelemente unseres sozialen Mietrechtes, das heißt, der Schutz der Mieter vor Wir unterstützen den Antrag von Bündnis 90/Die willkürlichen Kündigungen und überzogenen Grünen auch deshalb, weil davon 11,5 Millionen Mieterhöhungen, nicht angetastet. Wohnungen indirekt - denn so viele sind vor 1981 (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge gebaut worden - und ungefähr 6,5 Millionen Woh- ordneten der F.D.P.) nungen direkt betroffen sind; denn deren Mieten lie-- gen über dem Mietspiegel von 8 DM pro Quadratme- - Ja, klatschen Sie nur. Das ist der Unterschied zwi ter. Es geht also hier nicht um eine Marginalie, son- schen Worten und Handeln; denn genau diese so- 22900 Deutscher Bundestag - 13. Wahlpe riode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Achim Großmann ziale Schutzfunktion tasten Sie heute an. Die Mieten Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Braun, bitte können jetzt statt um 20 um 30 Prozent in drei Jahren reden Sie zum Antrag, nicht zur Sache. erhöht werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Hildebrecht Braun (Augsburg) (F.D.P.): Wir spre- chen darüber, ob wir heute eine mietenpolitische De- batte führen sollen oder ob wir nicht über andere Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Großmann, zum Antrag! Dinge sprechen müssen, Frau Präsidentin. (Zurufe von der SPD: Na! Na! - Anke Fuchs Achim Großmann (SPD): Wenn das keine Unter- [Köln] [SPD]: Sie rügen die Präsidentin!) höhlung des Mietrechts ist, dann weiß ich nicht, wor- Wenn wir das tun würden, was uns Rotgrün ansinnt, über wir reden. dann würde das bedeuten, daß keine Wohnungen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- mehr gebaut werden, daß wir eine Verknappung von ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wohnraum erleben würden und daß deswegen die Mieten wieder ansteigen würden. Deshalb ist das der Der Antrag macht Sinn; er ist notwendig. falsche Weg. Wir wollen ihn nicht. Sie haben das ganze Umfeld für Mieterhöhungen (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) nicht in Ordnung gebracht. Wir warten seit acht Jah- ren auf die notwendige Wohngeldreform. Sie privati- Wir haben heute die Aufgabe, über die wirklich sieren Hunderttausende von Wohnungen und setzen wichtigen Fragen des September 1998 zu reden. die Mieter schutzlos Mieterhöhungen aus. Deshalb Diese Regierungskoalition hat einen Haushaltsent- brauchen wir die Begrenzung auf 20 Prozent. Sie wurf vorgelegt, über den wir vor der Öffentlichkeit macht Sinn und schadet keinem Vermieter, der sich sprechen werden. Wir werden darlegen, wo wir das an vernünftige, marktorientierte Mieten hält. Sie hat Geld für die Aufgaben hernehmen, die wir für nötig aber auch eine wichtige soziale Schutzfunktion. Wir halten. Wir werden der SPD die Gelegenheit geben, wollen die Mieterinnen und Mieter nicht den Miet- ihre Blütenträume vorzutragen. Wir werden aber preistreibern in diesem Land ausliefern. auch darauf hinweisen, daß Herr Schröder den Hin- weis „nur unter dem Finanzierungsvorbehalt" im Vielen Dank. Kleingedruckten hat. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS) (Zuruf von der SPD: Reden Sie zum Antrag!)

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Braun. Das heißt, daß alle Versprechungen, die wir heute hören werden, unrealistisch und im Grund auch un- ehrlich sind. Hildebrecht Braun (Augsburg) (F.D.P.): Frau Präsi- dentin! Meine Damen und Herren! Wenn es in die- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) sem Monat nicht um eine Richtungsentscheidung dieses Landes an der Schwelle zum nächsten Jahr- Ich möchte deutlich machen: Wir von der Regie- tausend ginge, dann könnten wir jetzt in der Tat eine rungskoalition sind für mehr Markt im Bereich der ausführliche wohnungspolitische Debatte führen. Mieten und der Wohnungspolitik - zugunsten der Wenn dafür heute wäre, würde es mir eine Mieter. Das lassen wir uns von Rotgrün nicht kaputt- Freude sein, mit Ihnen über das Programm von Rot- machen. grün zur Verschärfung der Kappungsgrenzen zu re- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) den. Diese unseligen Kappungsgrenzen haben zu höheren Mieten geführt und bei Tausenden von Mie- Bei uns liegen die Prioritäten anders. tern und Vermietern und - wie man gestern abend Wir werden heute unter dem Thema Wohnungs- im Fernsehen sehen konnte - auch bei Journalisten politik auch nicht über das Recht von überlebenden zu der irrigen Meinung geführt, jetzt könnten die homosexuellen Lebenspartnern auf Eintritt in ein Mieten jeweils in drei Jahren um 30 Prozent angeho- Mietverhältnis reden. Diese wichtige Frage werden ben werden. Die Kappungsgrenzen sorgen für ein wir im richtigen Kontext besprechen, nämlich bei der kapitales Mißverständnis - zu Lasten der Mieter. Beratung eines Partnerschaftsgesetzes, in dem die Denn es geht gegenwärtig nicht um Mieterhöhungen Problematik der Diskriminierung von Homosexuellen - schon gar nicht um solche um 30 Prozent -, sondern insgesamt angesprochen wird, und zwar in allen Be- viel häufiger um Mietsenkungen, reichen, nicht nur in einem kleinen Teilbereich. Des- (Beifall bei der F.D.P.) wegen werden wir dieses Teilthema jetzt nicht im Rahmen eines anderen Themas, nämlich der Woh- weil der Markt und das große Angebot an Wohnun- nungspolitik, ansprechen. gen dafür gesorgt haben, daß eine früher erzielbare Miete nicht mehr marktüblich ist und deswegen ge- Aus diesen Gründen spricht alles dafür, daß wir es senkt werden muß. Die Bürger lassen sich durch Sie bei der Tagesordnung belassen, die der Ältestenrat nicht in Angst treiben, weil sie wissen, daß die Reali- festgelegt hat. Wir lassen uns nicht die Chance neh- tät ganz anders ist. Ich habe Ihnen viele Male erläu- men, den Bürgern in Deutschland zu zeigen, wer tert, weswegen die Einführung der Kappungsgren- eine realistische Politik zu den Fragen macht, die die zen zu einem höheren Mietanstieg geführt hat. Bevölkerung umtreiben, nämlich Steuerlast, Arbeits- Deutscher Bundestag - 13. Wahlpe riode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 22901

Hildebrecht Braun (Augsburg) losigkeit und Bewahrung unserer sozialen Siche- Der PDS ist es jedenfalls als einziger politischer rungssysteme. Kraft im Bundestag gelungen, einen entsprechenden Gesetzentwurf in dieser Legislaturpe riode einzubrin- Darüber wollen wir sprechen und nicht über woh- gen. Um die Wichtigkeit einer entsprechenden De- nungspolitische Peanuts. batte zu verdeutlichen, kann ich nur ganz kurz we- Vielen Dank. nige Stichpunkte daraus aufzählen. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- In unserem Entwurf wird vorgeschlagen, daß sich ten der CDU/CSU) Mieten zukünftig nach dem tatsächlichen Wohnwert richten müssen. Dafür werden in den Kommunen verbindliche Mietspiegel benötigt. Mieterhöhungen Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Braun, noch bei Neuvermietung ohne Wohnwertverbesserung ein Nachtrag: Die Kommentierung war nicht in Ord- sollen nicht mehr zulässig sein. Wenn Wohnungen nung. Es war schon richtig, was ich gesagt habe. neu vermietet werden, soll die Miete nur steigen dür- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) fen, wenn sich der Wert der Wohnung tatsächlich verbessert hat. Die Mietentwicklung soll zukünftig Als nächster spricht der Kollege Klaus-Jürgen an die Entwicklung der Lebenshaltungskosten ge- Warnick. koppelt werden. Zum Schluß: Mietermitbestim- mungs- und -mitwirkungsrechte sollen festge- schrieben und der Kündigungsschutz für sozial Klaus - Jürgen Warnick (PDS): Frau Präsidentin! Schwache, Schwangere, Alleinerziehende, Kinder- Meine Damen und Herren! Die demokratischen So- reiche, Schwerbehinderte und über Siebzigjährige zialisten unterstützen selbstverständlich das Anlie- soll verbessert werden. gen der Bündnisgrünen, (Lachen bei der SPD und beim Aber noch einmal zurück zur Frage der 20- bzw. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 30 prozentigen Mieterhöhung. Wie gesagt, seit ge- stern hat sich die rechtliche und damit finanzielle Si- die seit gestern geltende Heraufsetzung der Kap- tuation für ausgewählte Mieterhaushalte erneut ver- pungsgrenze für Mieterhöhungen in Altbauwohnun- schlechtert. Um diese negativen Auswirkungen auf gen so schnell wie möglich rückgängig zu machen Teile der Mieterschaft möglichst in Grenzen zu hal- und die notwendige Debatte dazu auf die Tagesord- ten, ist zügiges Handeln vonnöten. Kommen Sie mir nung zu setzen. bitte nicht mit den simplen Parolen, Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, der Wohnungsmarkt Mieterinnen und Mieter, die die wohnungspoliti- habe sich entspannt, höhere Mieten seien momentan schen Aktivitäten der PDS in Landtagen und Bun- sowieso nicht zu erzielen, das Wohnungsangebot sei destag in den letzten acht Jahren verfolgt haben, momentan mehr als ausreichend, und der Markt re- wird dies wohl nicht verwundern, waren wir es doch, gle das schon. Das sind alles nur Halbwahrheiten. die die Forderungen des Mieterbundes stets konse- Herr Kollege Kansy, wenn es denn stimmt, daß die quent und zeitnah in Gesetzesinitiativen umgesetzt, Mieterhöhungen nur 1,6 Prozent betragen, warum vielfältige Vorschläge für einen verbesserten Mieter- weigern Sie sich dann konsequent, dieser wesentlich schutz eingebracht und immer wieder finanzielle höheren Kappungsgrenze von 20 Prozent zuzustim- Verbesserungen, vor allem für sozial schwache Mie- men? Dann würden Sie bei 1,6 Prozent Ihre Klientel terhaushalte, vorgeschlagen haben. Wir wollen den immer noch wunderbar bedienen. Schnellzug immer weiterer Mieterhöhungen nicht nur durch eine Notbremsung à la Bündnisgrüne - Wenn Sie uns nicht glauben, sollten Sie vielleicht also die Frage: 20 oder 30 Prozent - kurzfristig etwas einmal die eigene Unterrichtung der Bundesre- stoppen; wir wollen aus der Mieterhöhung dauerhaft gierung lesen. Der wenige Tage alte Kinder- und einen bezahlbaren Personenzug machen. Jugendbericht stellt nämlich zutreffend fest - ich (Beifall bei der PDS) zitiere -: Dem dient unter anderem unser oben erwähnter, Es fehlen für Familien mit Kindern (insbesondere schon seit Oktober 1997 vorliegender Mietrechtsent- für Alleinerziehende) finanzierbare Wohnungen wurf, dessen Aufsetzung auf die Tagesordnung hier in ausreichender Größe. Das gilt zunehmend ebenfalls zur Debatte steht; es ist noch nicht erwähnt auch für Familien mit mittlerem Einkommen. worden. Dieser Gesetzentwurf ist im Frühjahr ohne parlamentarische Diskussion an die Ausschüsse Weiter heißt es: überwiesen worden. Eine zweite und dritte Lesung hat im Bundestag bisher nicht stattgefunden, und Daher ist zu fordern, daß zum einen der öffentlich dies beim Mietrecht, bei einem Gesetzesvorhaben, unterstützte Wohnungsbau Wohnungen für Fa- das von den Regierungsparteien in ihrer eigenen Ko- milien zu einem Mietpreis bereitstellt, der die alitionsvereinbarung als Selbstverpflichtung für Einkommensverhältnisse von Familien der unte- diese Legislaturpe riode und als besonders dringlich ren und mittleren sozialen Schichten nicht über- eingestuft wurde. Wir sind nicht daran schuld, wenn fordert; dieser subventionierte Wohnungsbau Sie noch nicht einmal Ihre selbstgestellten Aufgaben sollte nicht nur als Großsiedlung verwirklicht erfüllen. Daß wir der Aufsetzung zustimmen, versteht werden, sondern Familien auch Wohnungen in sich also von alleine. attraktiven städtischen Vierteln bieten. 22902 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Warnick, auch c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Sie entfernen sich vom Antrag. Berichts des Haushaltsausschusses (8. Aus- schuß) Klaus-Jürgen Warnick (PDS): Ich kann Ihnen nicht - zu dem Antrag des Bundesministeriums der den gesamten Bericht der Kinderkommission vorle- Finanzen sen. Sie müssen ihn schon selber lesen. Entlastung der Bundesregierung für das Aber eines ist klar: Sie predigen Wasser und trin- Haushaltsjahr 1995 ken Wein. Eigener Anspruch und Wirklichkeit klaf- - Vorlage der Haushaltsrechnung und Ver- fen weit auseinander. Sie geben an, die soziale Ent- mögensrechnung des Bundes (Jahresrech- mischung von Wohnungsbeständen zukünftig ver- nung 1995) - hindern zu wollen, — - zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Warnick, zum Entlastung der Bundesregierung für das Antrag! Haushaltsjahr 1996 - Vorlage der Haushaltsrechnung und Ver- Klaus-Jürgen Warnick (PDS): - fordern aber gleich- mögensrechnung des Bundes (Jahresrech- zeitig erneut Bedingungen, die genau diese Prozesse nung 1996) - noch beschleunigen werden. Denn ein erhöhter An- stieg der Mieten in Altbaubeständen in Innenstädten - zu der Unterrichtung durch den Bundes- wird zahlungskräftige Menschen anziehen und bis- rechnungshof her hier angestammte Bevölkerungskreise an die Bemerkungen des Bundesrechnungshofes Peripherie der Städte, dorthin, wo schon jetzt schon 1997 zur Haushalts- und Wirtschaftsfüh- Problemlagen vorhanden sind, vertreiben. rung Eines ist jedenfalls klar: Egal, wie Sie heute hier (einschließlich der Feststellungen zur Jah- entscheiden - Aufsetzung oder nicht -, nach dem resrechnung des Bundes 1995 und 1996) 27. September sehen wir uns wieder. Unser Miet- - Drucksachen 13/5141, 13/7352, 13/8550, rechtsentwurf - das sei auch an Rotgrün gerichtet - 13/10 904 - ist im Interesse der Mieterinnen und Mieter in die- Berichterstattung: sem Land wieder dabei. Dann heißt es auch für Sie: Farbe bekennen! Abgeordnete Dieter Pützhofen Oswald Metzger Schönen Dank. d) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes- (Beifall bei der PDS) regierung Bericht über die Lebenssituation von Kindern Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Wir kommen zur und die Leistungen der Kinderhilfen in Abstimmung über den Aufsetzungsantrag der Frak- Deutschland - Zehnter Kinder- und Jugend- tion Bündnis 90/Die Grünen. Ich bitte diejenigen, bericht - mit der Stellungnahme der Bundes- die dem Aufsetzungsantrag zuzustimmen wünschen, regierung um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltun- gen? - Damit ist der Antrag mit den Stimmen von - Drucksache- 13/11368 CDU/CSU und F.D.P. gegen die Stimmen von SPD, Überweisungsvorschlag: Bündnis 90/Die Grünen und PDS abgelehnt. Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind Ich rufe die Tagesordnungspunkte 1 a bis 1 d auf: für die heutige Aussprache im Anschluß an die Ein- a) Erste Beratung des von der Bundesregierung bringungsrede des Bundesministers der Finanzen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über acht Stunden vorgesehen. Danach folgen die ab- die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für schließenden Beratungen ohne Aussprache. das Haushaltsjahr 1999 Für morgen ist eine sechsstündige Debatte zum Etat des Bundeskanzleramtes sowie zur Außen- und (Haushaltsgesetz 1999) Verteidigungspolitik vorgesehen. Abschließend soll - Drucksache- 13/11 100 das Thema „Innere Sicherheit" mit einer Debatten- Überweisungsvorschlag: zeit von eineinhalb Stunden behandelt werden. - Haushaltsausschuß Dazu höre ich keinen Widerspruch. Es ist so be- schlossen. b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes- regierung (Abg. Jürgen Koppelin [F.D.P.] meldet sich zu Wort) Finanzplan des Bundes 1998 bis 2002 - Herr Abgeordneter Koppelin. - Drucksache- 13/11 101 Überweisungsvorschlag: Jürgen Koppelin (F.D.P.): Frau Präsidentin! Liebe Haushaltsausschuß Kolleginnen und Kollegen! Für die Debatte zum Bun- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 22903

Jürgen Koppelin deshaushalt 1999 ist ein Ablauf geplant, den ich als Bei 3,8 Prozent Wachstum im ersten Quartal und zu Parlamentarier - ich spreche nur für mich allein, nicht erwartenden etwa 3 Prozent im ganzen Jahr wird es für meine Fraktion - so nicht billigen kann. Hier ist doch niemanden im Hause geben, der, wenn er den eine Diskussion vorgesehen - so ist es jedenfalls zwi- Anspruch erhebt, ein qualifizierter Parlamentarier zu schen den beiden großen Fraktionen vereinbart -, sein, sagen kann: Das ist kein Aufschwung. - Natür- bei der es in erster Linie darum geht, daß auf der ei- lich stehen wir mitten im Aufschwung, und das ist nen Seite Mitglieder der Bundesregierung und auf gut so. der anderen Seite Mitglieder des Bundesrates spre- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) chen. Nach meiner Auffassung als Parlamentarier des Deutschen Bundestages gehört eine solche Dis- Die Trendwende am Arbeitsmarkt ist erreicht. Das kussion in den Bundesrat. ist das Ergebnis der Wirtschafts- und Finanzpolitik der Koalition von CDU/CSU und F.D.P. Die Mitglieder des Haushaltsausschusses - ich bin Mitglied im Haushaltsausschuß - und des Finanzaus- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) schusses werden kaum Gelegenheit haben, sich im Unternehmer, Arbeitnehmer und die Bundesregie- Bundestag an der Debatte zu beteiligen. Das finde rung haben gehandelt. Zentrale Reformen und An- ich nicht in Ordnung. passungen an ein verändertes weltwirtschaftliches (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Umfeld sind weit vorangekommen und entfalten jetzt ihre Wirkung. Es ist mein Selbstverständnis als Parlamentarier, daß ich zu einzelnen Punkten, die auf der Tagesordnung In der Wirtschafts- und Finanzpolitik müssen wir stehen - ich bin zum Beispiel in einem Bereich Be- jetzt klaren Kurs halten und die Politik für mehr Be- richterstatter -, reden kann. Ich habe aber kaum die schäftigung am Standort Deutschland entschlossen Chance, zu diesen Themen zu sprechen. fortsetzen. Das bedeutet weniger Staat und Bürokra- tie, sondern mehr Markt und Eigenverantwortung, (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ eine weitere Konsolidierung der öffentlichen Haus- DIE GRÜNEN]: Wo er recht hat, hat er halte und Rückführung der öffentlichen Defizite, recht!) eine schlanke, kostengünstige und bürgerfreundli- Aus meiner Sicht ist das ein Vorgang, den wir als Par- che Verwaltung, von der weitere Teile privatisiert lamentarier des Deutschen Bundestages so nicht bil- werden, weiter sinkende Lohnnebenkosten - Arbeit ligen sollten. muß sich für jeden, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, lohnen - und eine große Steuerreform. Innovationen, (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ Investitionen, unternehmerisches Risiko, persönli- DIE GRÜNEN]: Guter Koalitionspartner!) cher Einsatz und harte Arbeit müssen belohnt wer- Frau Präsidentin, ich schlage daher vor, daß wir den. ohne Zeitbegrenzung diskutieren. Wenn dies ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) schieht, dann werden wir sehen, wie lange die De- batte dauern wird. Meine Damen und Herren, eigentlich müßte uns der politische Gegner dankbar sein. Ich lese heute in der „Rheinischen Post", die SPD bekenne sich zu Ist das ein Vor- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: strikter Ausgabendisziplin und Schuldenabbau, und schlag oder ein Antrag? das Grundlagenpapier der SPD stehe in eklatantem (Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Ein Antrag! - Widerspruch zum SPD-Wahlprogramm. Es fänden Ministerpräsident [Saar- überall Anleihen bei unserer Finanz- und Wi rt land]: Das ist ein verfassungsändernder -schaftspolitik statt. - Um so besser diese Debatte! Antrag!) Hier sieht man, die Koalition ist auf dem richtigen Kurs. Teile der SPD erkennen das, Teile wollen die Wir stimmen über den Antrag „Keine zeitliche Be- Bevölkerung vor dem Wahltermin noch im unklaren grenzung" von Herrn Koppelin ab. Wer stimmt die- lassen. Wir wollen, daß Klarheit herrscht. Wir brau- sem Antrag zu? - Gegenstimmen? - Der Antrag ist chen keinen Kassensturz; ein Blick in diesen Haus- bei Zustimmung von Bündnis 90/Die Grünen und halt genügt, um sich über die Finanzpolitik der Ge- einzelnen Abgeordneten der SPD und der PDS abge- genwart und der Zukunft zu orientieren. lehnt. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich eröffne die Debatte. Das Wo rt zur Einbringung des Haushalts hat der Bundesminister der Finanzen, Was brauchen wir nicht? Wir brauchen kein Start- Dr. Theodor Waigel. programm der SPD. Wirtschaftsverbände bezeich- nen es zu Recht als Programm zur Beendigung des Aufschwungs. Dr. Theodor Waigel, Bundesminister der Finanzen (von der CDU/CSU und der F.D.P. mit Beifall be- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge grüßt): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen ordneten der F.D.P.) und Herren! Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Wer auf der einen Seite etwa 50 Milliarden DM mehr Deutschland steht mitten im Aufschwung! fordert und auf der anderen Seite das rückgängig - (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - machen will, was wir in vier schweren Jahren an An- Widerspruch bei der SPD und beim passung und Reformen durchgesetzt haben, der BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) würde Abschwung statt Aufschwung, mehr Arbeits- 22904 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Bundesminister Dr. Theodor Waigel lose statt mehr Beschäftigung erreichen. Das, meine Wenn sie doch möglich gewesen wäre, dann wäre sie Damen und Herren, wollen wir nicht. nicht weitgehend durch Einsparungen und Um- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) schichtungen, sondern weitgehend durch Steuerer- höhungen finanziert worden. Dies hätte der deut- Wir brauchen keine alten Hüte in der Politik. Wenn schen Wirtschaft mit Sicherheit entscheidend ge- ich mir überlege, was schon vor mehr schadet. Die deutsche Volkswirtschaft hätte nicht die als 20 Jahren entdeckt und auch zum Teil durchge- Kraft aufgebracht, jedes Jahr 4 bis 5 Prozent des BIP setzt hat, stelle ich fest, daß die gegenwärtige Wi rt für die größte Solidaraktion der deutschen Ge- -schaftsphilosophie der SPD eigentlich weit hinter schichte, nämlich die Einheit, aufzubringen. Das ha- dies zurücksinkt. ben wir geleistet. Der amerikanische Ökonomieprofessor Rudi Dorn- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) busch vom renommierten Massachusetts Institute of Technology Meine Damen und Herren, die Konjunktur läuft seit Ende letzten Jahres auf vollen Touren. Die deut- (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ sche Wirtschaft befindet sich deutlich im Aufwind. DIE GRÜNEN]: Oh!) (Joachim Poß [SPD]: Das ist Realitätsver - man wird doch noch einen ausländischen Fach- lust!) mann zitieren dürfen - Im ersten Quartal 1998 erreichte das Wirtschafts- (Zuruf von der SPD) wachstum mit 3,8 Prozent den höchsten Anstieg seit der Wiedervereinigung. Damit ist für 1998 ein reales - Sie wissen doch noch gar nicht, was ich sagen will, Wachstum in einer Größenordnung von rund 3 Pro- oder doch? - schreibt über den von der SPD als Fi- zent erreichbar. Die deutschen Exporteure haben nanzminister ins Auge gefaßten und sich auch selber ihre führende Stellung auf den Weltmärkten gefe- dafür ins Gespräch bringenden saarländischen Mi- stigt. Die Inlandsnachfrage wird immer mehr zum nisterpräsidenten: zweiten Standbein des Aufschwungs. Er steht für alles, was falsch ist in Europa. Die gute Wirtschaftslage hat den Arbeitsmarkt er- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) reicht. Die Trendwende ist nicht zu bestreiten. Seit Jahresbeginn ist die Zahl der Arbeitslosen auf breiter Rudi Dornbusch fährt fort: Front, und zwar um rund 700 000, zurückgegangen. Wenn er Finanzminister im neuen Kabinett wäre, Die Zahl der Kurzarbeiter ist seit Januar um rund kann man das nur katastrophal nennen. 60 000 gesunken. Die Nachfrage nach Arbeitskräften steigt. Seit Jahren gab es in Deutschland nicht mehr (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) so viele gemeldete offene Stellen. Innerhalb eines Wir sollten diese richtige Stimme aus dem Ausland Jahres stieg die Zahl der offenen Stellen um rund ernst nehmen. 125 000 auf rund 355 000 Stellen. Nimmt man die Zahl der offenen Stellen, die nicht offiziell gemeldet Wie heißt es im Duden zu dem Begriff Galionsfigur, sind, dazu, sind es wahrscheinlich mehr als 1 Million als welche der Schattenwirtschaftsminister vorge- offene Stellen. Dies ist Gott sei Dank eine Trend- führt wird? wende auf dem Arbeitsmarkt. Darüber sind wir sehr (Joseph Fischer [] [BÜNDNIS 90/ glücklich. DIE GRÜNEN]: Vor der Rechtschreibreform (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) oder danach?) Dabei sieht der Arbeitsmarkt - das ist richtig - in Dort steht, das sei eine aus Holz geschnitzte Verzie- den einzelnen Bundesländern allerdings ganz unter- rung des Schiffsbugs, die die Blicke auf sich lenkt. schiedlich aus. Das gleiche gilt für die Ausbildung. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wenn man sich die entsprechende Statistik ansieht, stellt man fest: Die Länder, in denen CSU und CDU Er wird durch das, was die Partei will, immer wieder maßgebliche Regierungsverantwortung tragen - Ba- von ihr selbst zurechtgerückt. den-Württemberg, Bayern oder, als neues Bundes- Die SPD steht für Realitätsverlust und Verweige- land, Sachsen -, liegen bei der Bekämpfung der Ar- rung. beitslosigkeit an der Spitze, während Niedersachsen, das Saarland und andere sozialdemokratisch regierte (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Länder hierbei leider immer wieder am unteren Ende stehen. Es lohnt sich, einmal kurz darüber nachzudenken: Wo stünden wir eigentlich, wenn Schröder und La- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ fontaine seit 1990 das Sagen gehabt hätten? DIE GRÜNEN]: Hessen!) (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Steht Das weist die Statistik aus. das im Haushalt?) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Ob dann, nachdem beide gegen die Währungsunion Zuruf von der Bundesratsbank) gestimmt hatten, die Einheit überhaupt möglich ge-- wesen wäre, wage ich zu bezweifeln. - Eigentlich sollten die Mitglieder des Bundesrates mit Zwischenrufen vorsichtig sein. Trotzdem habe (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ich bis jetzt von der linken Seite „jawohl, jawohl" ge- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 22905

Bundesminister Dr. Theodor Waigel hört. Nun höre ich aber „o weh". Herr saarländischer Die Mitbürgerinnen und Mitbürger in unserem Ministerpräsident, ich würde auch „o weh" sagen, Land spüren diese Erfolge des strikten Konsolidie- wenn ich mit den Zahlen konfrontiert würde, die Sie rungskurses. Ein Prozent weniger Inflation bedeutet im Saarland aufzubieten haben und die zeigen, daß 18 Milliarden DM mehr Kaufkraft für die Menschen Sie in mehr als zehn Jahren kaum etwas Positives be- in unserem Land. Eine niedrige Inflation liefert einen wegt haben. größeren Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit als eine schulden- oder steuertreibende Umverteilungspoli- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) tik. In Deutschland herrscht Preisstabilität. Im Juli be- Die Zinsen bewegen sich auf dem niedrigsten Ni- trug der Preisanstieg nur noch 0,9 Prozent gegenüber veau seit Jahrzehnten. Das hilft den Investoren und dem Vorjahr. Das ist der niedrigste Wert seit der Be- erleichtert dem Häuslebauer die Finanzierung seiner rechnung gesamtdeutscher Indizes im Jahre 1991. eigenen vier Wände. Bei Hypothekenzinsen von zur Diese sichtbaren Erfolge mußten ha rt erarbeitet wer- Zeit rund 5,5 Prozent kostet die Finanzierung eines den. Wir haben die Grundlage für den Aufschwung Eigenheims heute nur noch die Hälfte dessen, was gelegt, insbesondere durch das Spar-, Konsolidie- 1981 unter sozialdemokratischer Inflationsregie auf- rungs- und Wachstumsprogramm 1994, durch das zubringen war. Aktionsprogramm für Investitionen und Arbeits- plätze und durch das Programm für mehr Wachstum (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge und Beschäftigung. Sie alle wissen, wie sehr diese ordneten der F.D.P.) Politik für Wachstum und Arbeitsplätze in vielen Fäl- Durch die Freistellung des Existenzminimums und len gegen den erbitterten Widerstand der Opposition durch den neuen Familienleistungsausgleich konn- durchgesetzt werden mußte. ten wir vor allem die Bezieher unterer und mittlerer (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Wohl Einkommen sowie die Familien um netto 19 Milliar- wahr!) den DM entlasten. Der Wegfall des Kohlepfennigs schlägt seit 1996 mit einem jährlichen Plus von 8 Mil- Ich kann mich daran erinnern, wie ein bekannter liarden DM zu Buche. Die Absenkung des Solidari- Sportreporter einmal die quälende Frage aufwarf: tätszuschlags seit Januar 1998 bringt eine weitere Wo ist Behle? Ich frage mich manchmal: Wo war Entlastung von 7 Milliarden DM pro Jahr. Schröder in den letzten vier Jahren, als es um die Damit der Wachstumspfad auf Dauer oberhalb des Entscheidungen hier und im Bundesrat ging? Ich Produktivitätswachstums bleibt - das ist nämlich die habe ihn nicht gesehen. Aber jetzt den Aufschwung entscheidende Voraussetzung für mehr Beschäfti- für sich reklamieren zu wollen ist schon ein starkes gung - , muß aber noch viel Arbeit geleistet werden. Stück. So viel Hybris ist mir nur selten untergekom- Wem der Reformwille fehlt, wer das, was wir durch- men. gesetzt haben, rückgängig machen möchte, dem (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nützt auch keine Modernisierungsrhetorik. Inzwischen liegt die Staatsquote mit 48 Prozent Arbeit und Investitionen gehen vor Konsum. Pro- wieder deutlich unter der 50-Prozent-Marke. Damit duktion geht vor Umverteilung. Wer die Reihenfolge, fließen gegenüber dem Höchststand nach der Wie- wie die SPD, umkehrt, wer Wohlstand ohne Anstren- dervereinigung rund 100 Milliarden DM weniger gung verspricht, der streut den Menschen Sand in durch die öffentlichen Kassen. Trotz der Steueraus- die Augen. fälle konnte die Defizitquote im Jahr 1997 auf 2,7 Pro- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) zent reduziert werden. Wir werden heuer mutmaß- lich 2,5 Prozent erreichen. Das ist eine ausgezeich- Wir werden unser Konzept für Wachstum und Be- nete Quote. Niedrigere Defizite befördern ein günsti- schäftigung, die symmetrische Finanzpolitik, nach ges Investitionsklima. Damit haben wir die für unsere der Wahl entschlossen weiterführen. Dreh- und An- wirtschaftliche Zukunft so bedeutsame Eintrittskarte gelpunkt unseres Konzepts ist die Rückführung der für die Europäische Währungsunion gelöst. Staatsquote. Bis zum Jahr 2000 erreichen wir wieder Deutschland erfüllt alle Voraussetzungen, die Vor- 46 Prozent. Das war der Stand vor der Einheit. Bis teile der zu nutzen. Unsere Finanzkennzif- zum Jahr 2002 ist eine Staatsquote von 44 Prozent er- fern, was Staatsdefizit und Staatsquote anbelangt, reichbar. Jeder Prozentpunkt weniger Staatsquote sind heute wesentlich besser als Ende 1982, obwohl läßt etwa 40 Milliarden DM mehr in den Taschen der wir wie keine andere Industrienation in der Welt mit Bürger, schafft Raum für die Senkung von Steuern Herausforderungen konfrontiert sind. Diese Zahlen und Sozialabgaben. können sich sehen lassen. Am Ende der nächsten Legislaturpe riode werden (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) wir mit einem Staatsdefizit von etwa einem halben Prozent sehr nahe an einem ausgeglichenen Staats- Auch Deutschlands Standortvorteile können sich haushalt stehen und auch von dieser Seite für das sehen lassen: die zentrale Lage im Herzen Europas, 21. Jahrhundert gut gerüstet sein. Wir werden dann eine hervorragende Infrastruktur, eine stabile Wi rt in etwa wieder die Finanzkennziffern haben, die wir - -schaftsordnung, ein hohes Ausbildungsniveau, hohe 1989 nach einer systematischen, erfolgreichen Kaufkraft, niedrige Preise und Zinsen und politische Wachstumspolitik mit drei Millionen Arbeitsplätzen Stabilität. Diese Stärken müssen wir bewahren und mehr und einem Staatsüberschuß hatten, bevor wir ausbauen. dann die große Aufgabe der Einheit meisterten. 22906 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Bundesminister Dr. Theodor Waigel Wenn wir dann etwa zehn Jahre später wieder über Lohngruppe mit harter Arbeit weniger Geld verdient, die gleichen international hervorragenden Ziffern als sie als Sozialhilfe erhalten könnte. verfügen, ist das eine großartige Leistung: 16 Jahre Politik , CDU/CSU und F.D.P. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Hier werden wir mit Modellen wie dem Kombilohn ansetzen; weitere Reformen müssen folgen.

1992 gab es beim - vereinigungsbedingt - ei- Bund (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das war's!) nen Bestand von 381000 Stellen. Bis Ende 1998 wird er auf rund 310 000 Stellen abgebaut werden. Das be- Die SPD will als Ausweg für mangelnden Reform- deutet: konstante Personalausgaben seit 1993. Dies willen allein beim Steuerzahler abkassieren. Sagen ist ein wichtiger Beitrag zur Konsolidierung und zur Sie offen, bei wem und um wieviel! Im Startpro- Schaffung von Steuersenkungsspielräumen. gramm lesen wir: Im Rahmen der Privatisierungspolitik ist die Zahl Wer auch morgen sicher leben will, darf keine der Unternehmensbeteiligungen zwischen 1982 und Angst vor Veränderungen haben. 1996 um gut die Hälfte auf noch 424 gesunken. Ne- ben einer Vielzahl einzelner Privatisierungsmaßnah- (Dr. [F.D.P.]: Na prima!) men wurden innerhalb eines Jahres auf den Kapital- Ich stelle fest: Es gibt keine ernsthafte politische Kraft märkten mit der Teilprivatisierung der Deutschen Te- in Deutschland, die so viel Angst vor Veränderungen lekom AG und der Restprivatisierung der Deutschen hat wie die SPD und mit der Angst der Menschen vor Lufthansa AG zwei Privatisierungsaktionen von in- Veränderung bis zum 27. September systematisch ternationaler Dimension erfolgreich abgeschlossen. Wahlkampf betreiben wi ll. (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Ger- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) lingen] [F.D.P.]) Mit dem Haushaltsentwurf 1999 und dem Finanz- Das Haushaltsrecht wurde modernisiert. Mit der plan bis 2002 legt die Bundesregierung die Basis für Einführung der Haushaltsflexibilisierung werden die Fortsetzung der erfolgreichen Finanzpolitik der 1999 Effizienzgewinne von deutlich über 400 Millio- zurückliegenden Jahre. Die Ausgaben im Entwurf nen DM erreicht. Daneben werden mehr Kosten- des Bundeshaushalts 1999 steigen gegenüber dem transparenz und eine effizientere Planung und Soll 1998 nur um 0,4 Prozent auf 465,3 Milliarden Steuerung von Verwaltungsabläufen durch die Ein- DM. Darin sind die höheren Zuschüsse an die Ren- führung der Kosten- und Leistungsrechnung gewähr- tenversicherung bereits enthalten. Ohne diese hö- leistet. In den alten Ländern haben wir die Subven- heren Zuschüsse ergäbe sich sogar ein nominaler tionen in den letzten acht Jahren bereits um ein Drit- Ausgabenrückgang von 1,6 Prozent. tel, etwa 10 Milliarden DM, reduziert. Die Nettokreditaufnahme sinkt zum viertenmal in Aber ich habe an dieser Stelle eine Frage an die Folge und liegt mit 56,2 Milliarden DM unter dem SPD: Wie können Sie, Herr Lafontaine, auf den Berg- Soll 1998. Im Finanzplanungszeitraum ist ein weite- baudemonstrationen die Bergleute herzen, während rer deutlicher Rückgang bis auf gut 45 Milliarden der präsumtive Kandidat der SPD für das Amt des DM vorgesehen. Der Anteil der Bundesausgaben am Wirtschaftsministers gleichzeitig den Kohlekompro- Bruttoinlandsprodukt liegt 1999 unter 12 Prozent und miß aufkündigen will? Sie müssen den Menschen unterschreitet damit den Wert des Jahres 1989 von schon sagen, was die Wirklichkeit ist: Wollen Sie den 12,4 Prozent deutlich. Das muß man sich einmal klar- Kohlekompromiß halten, oder wollen Sie Herrn Stoll machen: Trotz eines erheblichen Nettotransfers für mann folgen, der durch die Lande zieht und verkün- Investitionen und für soziale Maßnahmen in die det, dies sei überflüssig und falsch? Beides zusam- neuen Bundesländer ist der Anteil der Bundesausga- men geht jedenfalls nicht. ben am BIP heute niedriger als 1989. Dies beweist den Erfolg der Konsolidierungspolitik im Bundes- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) haushalt. Deutschland ist ein hochentwickeltes Industrie- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) land. Wir haben ein leistungsfähiges Sozialsystem. Daran wollen wir festhalten und es, wenn nötig, auch Die Investitionen bewegen sich trotz der Konsoli- ausbauen, wie wir es mit der Pflegeversicherung un- dierung mit 57,5 Milliarden DM auf dem Niveau des ter Beweis gestellt haben. Vorjahres. Im Finanzplanungszeitraum 1998 bis 2002 verzeichnen wir einen durchschnittlichen Ausgaben- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) zuwachs von 1,1 Prozent. Damit unterschreitet der Bund die Ausgabenempfehlung des Finanzpla- Solidarität mit den Bedürftigen, der Schutz vor sozia- nungsrates von 2 Prozent ganz deutlich. len Risiken, kostet Geld. Kein Sozialsystem kann es sich aber leisten, die Volkswirtschaft, die Steuer- und Die konsequente Ausgabenbegrenzung im Bun- die Beitragszahler zu überfordern. Wenn hohe Sozial- deshaushalt 1999 geschieht mit Augenmaß. Damit versicherungsbeiträge als Lohnnebenkosten die In-- unterscheiden wir uns fundamental von Verspre- vestitionen hemmen und die Leistungsbereitschaft chungen des Kanzlerkandidaten der SPD, die durch schwächen, dann ist Gefahr im Verzug. Es kann nicht Unseriosität und Unverbindlichkeit gekennzeichnet sein, daß eine vierköpfige Familie in einer niedrigen sind. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 22907

Bundesminister Dr. Theodor Waigel Sie sind unseriös, weil milliardenschwere Pro- Dr. Theodor Waigel, Bundesminister der Finanzen: gramme und Maßnahmen ohne Finanzierungskon- Lieber Herr Diller, wenn Sie einen guten Berater ge- zept in Aussicht gestellt werden. Das Gerede der habt hätten, dann hätte er Ihnen dringend von dieser SPD vom Kassensturz ist angesichts des von der Bun- Intervention abgeraten. desregierung vorgelegten vollständigen Zahlen- werks nichts anderes als Wahlkampfgetöse. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Denn wenn er eine Erblast ist, dann bringe ich ihn (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) doch nicht zusammen mit einer bescheidenden Er- Ich bin dem Kollegen Karl Diller außerordentlich gänzung wieder ein, sondern lehne ihn ab und dankbar. bringe einen eigenen Haushalt ein. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) DIE GRÜNEN]: Oh!) Nein, meine Damen und Herren, Sie beweisen damit, - Wenn er recht hat, hat er recht. - Er hat gesagt, daß wir die Zahlen auf realistischer Basis darstellen wenn die SPD an die Regierung käme - was nicht und dies das Programm für die Zukunft ist. stattfinden wird -, würde er seinen Vorderen raten, (Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/ den gleichen Haushaltsentwurf wieder einzubringen. CSU]: Da hat er recht!) Lieber Herr Diller, ich möchte mich für dieses Testat ausdrücklich bei Ihnen bedanken. Bei der regionalen Wirtschaftsförderung stehen zusammen mit Ländermitteln und Strukturfondsmit- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - teln der Europäischen Union für Neuzusagen 1999 Widerspruch des Abg. Karl Diller [SPD]) knapp 6 Milliarden DM zur Verfügung. Mit rund 3,2 Milliarden DM werden die Bereiche Wissen- Sie werden zwar nicht die Möglichkeit dazu erhalten, schaft, Forschung und Bildung in Ostdeutschland un- aber Ihr Realitätssinn auch in schwieriger Zeit ehrt terstützt. Sie. Der Aufbau Ost gehört schon heute zu den beein- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) druckenden Erfolgsgeschichten unseres Jahrhun- Die Aussagen der SPD verdienen das Prädikat derts. Das denkt nicht nur das Ausland, das denken „unverbindlich", weil Schlagworte wie „Erneuerung auch die Menschen in den neuen Ländern. der sozialen Marktwirtschaft" aufgebracht werden - Meine Damen und Herren, es bewegt mich immer ohne konkrete Aussagen. tief, wenn ich mit den Menschen in Ostdeutschland Meine Damen und Herren, Sparen ist für uns kein spreche und sehe, wie viele auf mich zukommen und Selbstzweck. Die Bundesregierung hat im Haushalts- sich bei allen deutschen Steuerzahlern für die großar- entwurf 1999 bei einer ausgewogenen Ausgaben- tige Leistung bedanken, die gerade in den neuen struktur in volkswirtschaftlich wichtigen Investitions- Ländern erbracht worden ist. Das wird selten trans- bereichen ganz deutliche Akzente gesetzt. portiert. Der Aufbau Ost hat für uns weiterhin eine heraus- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ragende Bedeutung. Die Ausgabentransfers werden Die Bürger in den neuen Ländern können auf ihre in 1999 eine Größenordnung von rund 94 Milliarden Aufbauleistung und die Bürger im Westen können DM erreichen. Weit über 40 Prozent der gesamten In- auf ihre Solidarität stolz sein. Die Menschen in Ost vestitionsausgaben des Bundes gehen in die neuen und West haben in den letzten acht Jahren bewiesen: Länder. Fast jede zweite Mark der Verkehrsinvesti- Wir Deutsche sind ein Volk. tionen von rund 20 Milliarden DM ist für Projekte in Ostdeutschland vorgesehen. 1992 hat Herr Schröder bei der fortdauernden Auf- bauhilfe Ost vor einem Aufstand im Westen gewarnt. Er hat etwas bemerkenswe rt Zynisches gesagt, wört- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Minister, ge- lich: „Wir können die ja schließlich nicht an Polen ab- statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten treten" - so in der „Leipziger Volkszeitung" vom Diller? 15. Januar 1996. Wer 1992 und 1996 noch so etwas von sich gege- Dr. Theodor Waigel, Bundesminister der Finanzen: ben hat, hat im Jahr 1998 jedes Recht verwirkt, uns Bitte. zu kritisieren und in den neuen Bundesländern zu sa- gen, es sei zuwenig geschehen und das, was gesche- hen sei, sei nicht richtig. Das lassen wir uns nicht ge- Karl Diller (SPD): Herr Dr. Waigel, nachdem Sie zum wiederholten Male auf einer Falschaussage be- fallen. harren: Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß es eine (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und solche Aussage von mir nicht gibt! Die richtige Aus- der F.D.P.) sage lautet: Wir nehmen Ihren Haushalt, sagen: „Das ist die Erblast Kohl", legen unseren Ergänzungshaus- Ein weiterer Schwerpunkt des Haushaltsentwurfs halt daneben und sagen: Das ist die Zukunft. 1999 ist Bildung, Wissenschaft und Forschung. D ie Mittel in diesem Bereich steigen von 14,9 Milliarden (Beifall bei der SPD - Lachen bei der CDU/ DM im Jahr 1998 auf 15,4 Milliarden DM im Jahr CSU und der F.D.P.) 1999 und damit um 3,4 vom Hundert . Im Mittelpunkt 22908 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Bundesminister Dr. Theodor Waigel steht neben der verstärkten Förderung des Hoch- Für Ausbau und Modernisierung der Verkehrsinfra- schulbereichs eine effiziente Forschungs- und Tech- struktur stehen 500 Millionen DM mehr als in diesem nologieförderung einschließlich der Stärkung einer Jahr zur Verfügung. Mit insgesamt 42,9 Milliarden leistungsfähigen Forschungsinfrastruktur. Auch die DM steigt der Verkehrsetat 1999 um 0,7 vom Hundert Ansätze für das Meister-BAföG werden erhöht. Zum gegenüber dem Vorjahr an. Besten, was uns in dieser Legislaturpe riode gelungen Die Aufwendungen für die ist, gehört, daß künftig der Geselle, der Meister wer- aktive Arbeitsmarkt- politik im Bundeshaushalt und im Haushalt der Bun- den will, genauso BAföG-Leistungen bekommt wie desanstalt für Arbeit werden 1999 eine Größenord- der Abiturient, der auf die Hochschule oder auf die nung wie im laufenden Jahr erreichen. Der erf order Universität geht. -liche Zuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit geht (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - angesichts der Wende auf dem Arbeitsmarkt von Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ 14,1 Milliarden DM im Jahr 1998 um 3,1 Milliarden DIE GRÜNEN]: Danke, Theo!) DM auf 11 Milliarden DM im Jahre 1999 zurück. Dies zu kritisieren und zu beklagen, das ist schon ein star- Dem SPD-Kanzlerkandidaten geht die Anhebung kes Stück. Das ist das Ergebnis einer günstigen Ar- der Mittel für die Bereiche Bildung, Forschung und beitsmarktentwicklung. Dafür sollten wir dankbar Technik nicht weit genug. Er schlägt eine Verdoppe- sein und sollten es nicht kritisieren. lung der Ausgaben innerhalb von fünf Jahren vor. Sehr gut! Von der Sache her würde man da eigentlich (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) kaum zu widersprechen wagen. Fraglich ist nur die Glaubwürdigkeit der Schröderschen Versprechen. Der Ansatz für Arbeitslosenhilfe bleibt allerdings mit 28 Milliarden DM im Jahr 1999 auf hohem Niveau. (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Hat er in Hier macht sich die Verbesserung am Arbeitsmarkt Niedersachsen alles schon geübt!) erst allmählich bemerkbar. Denn Tatsache ist: Der Ministerpräsident Schröder Die Gesamtaufwendungen des Bundes für die Al- hat die Unterrichtsversorgung im Land Niedersach- tersversorgung der Arbeiter und Angestellten sowie sen massiv vernachlässigt. die knappschaftlich Versicherten erhöhen sich dage- gen um 14 Milliarden DM auf rund 104 Milliarden (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Bildungsur- DM. Wenn ich dann noch Ausgaben für die landwirt- laub ! ) schaftliche Alterskasse dazurechne, komme ich zu Niedersachsen verfügt über die schlechteste Unter- dem Ergebnis, daß wir mehr als 110 Milliarden DM richtsversorgung aller Bundesländer. im Bundeshaushalt für diesen Bereich ausgeben. Das sind weit mehr als 22 Prozent aller Bundesausgaben. (Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!) Dies zeigt in a ller Deutlichkeit: Wir stehen für die Bereits im Jahr 1994 wies der Landeselternrat darauf Freundschaft zwischen den Generationen. Wir ste- hin - ich zitiere aus der Pressemitteilung des Landes- hen für die älteren Menschen ein; sie können sich elternrats vom 12. Dezember 1994 -: auf uns verlassen. Die Eltern des Landes Niedersachsen verfolgen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) fassungslos die Entwicklung der Schul- und Bil- Ein Wort in diesem Zusammenhang zu den Pensio- dungspolitik Niedersachsens. Das Vertrauen in nen der Postbeamten: Für die Pensionäre der Post ein verantwortungsbewußtes Handeln der Lan- kommt es nicht darauf an, ob in den einzelnen Jah- desregierung ist zutiefst erschüttert. ren die Abführungen der Postnachfolgegesellschaf- Meine Damen und Herren, Herr Schröder sollte ten ausreichen oder nicht. Die Pensionen sind staat- doch endlich im eigenen Land das tun, was er tun lich garantiert, und dafür stehe ich ein. könnte, bevor er hierherkommt und uns Lehren er- (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ teilt. DIE GRÜNEN]: Ja, ja, ja!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Insgesamt ist ein Anstieg der Sozialausgaben im Die Forschungsausgaben des Landes Niedersachsen Bundeshaushalt auf rund 190 Milliarden DM zu ver- wurden nämlich zusammengestrichen, und die Mittel zeichnen. Das zeigt, wie inhaltsleer, wie töricht und für die Technologieförderung wurden von 80 Millio- wie falsch das Gerede vom Sozialabbau ist. nen DM im Jahre 1990 auf nur noch 50 Millionen DM im Jahr 1998 reduziert. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Diese Entwicklung zeigt mit aller Deutlichkeit, wie Meine Damen und Herren, in der Steuerpolitik hat man mit Fakten die Glaubwürdigkeit von jemandem die Bundesregierung frühzeitig und konsquent für beweisen kann. Der Vergleich dieser Daten erweist, die Zukunftsfähigkeit des Standorts Deutschland ge- daß der SPD-Kanzlerkandidat nicht glaubwürdig ist. sorgt. Wir haben eine dreistufige Reform der Unter- nehmensbesteuerung umgesetzt. Die dritte Stufe ist (Beifall bei der CDU/CSU) seit Jahresanfang in Kraft. Die arbeitsplatzvernich- tende Gewerbekapitalsteuer wurde abgeschafft; in Wichtig für den Standort Deutschland ist eine mo- den neuen Bundesländern brauchte sie Gott sei derne Infrastruktur. Dank erst gar nicht eingeführt zu werden. Alle drei (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ Stufen wurden gegenfinanziert, um die Erfolge unse- DIE GRÜNEN]: So etwas!) rer Haushaltskonsolidierung nicht zu gefährden. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 22909 Bundesminister Dr. Theodor Waigel Gezielt wurden Steuervergünstigungen und steu- Die verbleibenden Reformelemente können dann ab erliche Sonderregelungen im Unternehmensbereich dem Jahr 2000 in Kraft treten. Dabei muß das Ge- abgebaut. In den letzten Jahren waren es insgesamt samtpaket in einem Gesetz verabschiedet werden. mehr als 50 Milliarden DM. Es ist absurd, wenn uns die SPD vorwirft, wir hätten die Unternehmen einsei- Mit dem zeitgleichen Signal zum 1. Januar 1999 tig entlastet. Richtig ist: Mit dem Jahressteuergesetz unterstreichen wir: Deutschland geht als konkur- 1996 haben wir das Existenzminimum verfassungs- renzfähiger Steuerstandort in die -Zukunft. Das konform steuerfrei gestellt. Der Grundfreibetrag be- wird die Investitionsentscheidungen ab sofort positiv trägt in diesem Jahr rund 12 400 DM und steigt ab beeinflussen. Wir schaffen vor allem Vorsorge für die 1999 auf rund 13100 DM. Immer mehr Arbeitnehmer Stärkung der inländischen Wirtschaftsentwicklung mit geringem oder mittlerem Einkommen zahlen so angesichts beachtlicher weltwirtschaftlicher Risiken weniger oder gar keine Einkommensteuer. und Gefahren, die vor allem von Asien und von Ruß- land ausgehen. Wir haben die finanzielle Situation der Familien Vorrangig zum 1. Januar 1999 sind folgende Ele- nachhaltig verbessert. In diesem Jahr erreichen die mente: Der Höchstsatz für gewerbliche Einkünfte steuerlichen Entlastungen und Geldleistungen für und der Körperschaftsteuersatz für einbehaltene Ge- die Familien fast 77 Milliarden DM. Das sind fast winne sollen von 47 bzw. 45 Prozent auf 40 Prozent, 50 Milliarden DM mehr als 1982. der Körperschaftsteuersatz für ausgeschüttete Ge- Seit 1997 ist die Vermögensteuer weggefallen. Die winne soll von 30 Prozent auf 28 Prozent gesenkt Vermögensteuer belastete zu rund 60 Prozent Be- werden. Damit erreichen wir eine erhebliche Annä- triebsvermögen und damit vor allem die Arbeits- herung an das niedrigere internationale Niveau der plätze. Eine weitere Arbeitsplatzvernichtungssteuer betrieblichen Steuerbelastung, die für Standortent- ist damit beseitigt. Außer den Sozialdemokraten in scheidungen von entscheidender Bedeutung ist. Deutschland gibt es niemanden mehr in Europa, der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) eine arbeitsplatzfeindliche Vermögensteuer einfüh- ren oder auch nur behalten wollte. Das stellt Sie, Der Eingangssteuersatz in der Lohn- und Einkom- meine Damen und Herren von der SPD, doch ins Ab- mensteuer soll von derzeit knapp 26 Prozent auf seits. nahe 20 Prozent und der Höchststeuersatz von der- zeit 53 auf 47 bis 48 Prozent reduziert werden. Am (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - unteren Ende der Einkommens- und Steuerskala Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ wird damit der Anreiz zur Arbeit deutlich verstärkt DIE GRÜNEN]: Völliger Quatsch!) und der Übergang vom Transfereinkommen erleich- tert. Alle Steuerzahler werden von dieser Tarifanpas- Mit dem Jahressteuergesetz 1997 haben wir dann sung profitieren. die Erbschaft- und Schenkungsteuer wirtschafts- und sozialverträglich geregelt. Die private Vermö- Die gleichgewichtige Entlastung im obersten Tarif- gensteuer ist vor allem aus Gründen der Steuerver- bereich kappt die extrem hohe Belastung der Lei- einfachung mit der Erbschaft- und Schenkungsteuer stungsspitzen. Sie ist im übrigen unverzichtbar, um zusammengefaßt worden. die Entlastung der gewerblichen Einkommen verfas- sungsgemäß sicherstellen zu können. (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Wie hängt Das gesamte Bruttoentlastungsvolumen von gut das denn zusammen?) 20 Milliarden DM wollen wir zur Hälfte durch das Schließen von Steuerschlupflöchern und durch eine Die SPD will die private Vermögensteuer als Sozial- Verbreiterung der Bemessungsgrundlage gegenfi- neidsteuer wieder einführen. Das bringt nichts ein. nanzieren. Damit verbleibt eine echte Nettoentla- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ stung von rund 10 Milliarden DM, die allen Steuer- DIE GRÜNEN]: Doch!) zahlern - Privaten und Betrieben - zugute kommt. Wir wollen die günstige wirtschaftliche Entwick- Die Steuer zu erheben ist viel zu aufwendig, und lung der letzten Monate nutzen, um diese Nettoent- sie führt zu kaum kontrollierbaren Tricksereien zwi- lastung ohne Erhöhung der Kreditaufnahme zu fi- schen Privat- und Betriebsvermögen. Eine solche Ali- nanzieren. Art. 115 des Grundgesetzes und das bisteuer, die nur schädlich für die Volkswirtschaft Maastricht-Defizitkriterium bleiben unangetastet. und die Arbeitsplätze wäre, lehnen wir ab. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Das ist realistisch, weil die gute Wirtschafts- und Der nächste steuerpolitische Schritt ist die große die sich verbessernde Arbeitsmarktlage die öffentli- Steuerreform. Sie wird unmittelbar nach der Wahl chen Haushalte entlasten. Die deutlich entspannte kommen, eingebracht von dieser Koalition. Es ist Arbeitsmarktlage kann das Bundesdefizit bei rund auch möglich, durchzusetzen, daß es schon ab dem 100 000 Arbeitslosen weniger um insgesamt rund 1. Januar 1999 weniger Steuern geben kann. Im Blick 3 Milliarden DM senken. Das extrem niedrige Zinsni- auf den Investitionsstandort Deutschland soll eine er- veau hält die Zinsausgaben gering. Die Steuerein- ste spürbare Entlastung schon zum 1. Januar 1999 nahmen haben sich wieder deutlich erhöht. Im übri- wirksam werden. gen wird die frühzeitige Steuerentlastung über ver- stärktes Wachstum zur Einpassung in die Konsolidie- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) rungslinie auch selbst beitragen. 22910 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Bundesminister Dr. Theodor Waigel Auf der Grundlage der bereits vorliegenden Re- Der Bürger muß wissen: Wer SPD wählt, wählt am formgesetze wollen wir die Gesetzgebung möglichst Ende Steuererhöhungen. vor dem 1. Januar 1999 abschließen. Wir wollen über (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) die Verwirklichung der gesamten Petersberg-Reform in direktem Zusammenhang mit der ersten Stufe ent- Die SPD hat eine Mindeststeuer ins Gespräch ge- scheiden. bracht. Alle Experten kommen zu demselben Schluß: Die Mindeststeuer ist ein völlig ungeeignetes Instru- Wir wollen insgesamt eine Nettoentlastung von ment zur Verbesserung der Steuergerechtigkeit. 30 Milliarden DM. Wir wollen nicht, wie die SPD, nur Diese Idee kann nur von jemandem kommen, der die einen kleinen Personenkreis geringfügig entlasten, Grundprinzipien des Steuerrechts in Frage stellen sondern alle, die Familien ebenso wie die Facharbei- will. Mit dem Prinzip der Besteuerung nach der wirt- ter, Angestellte, Handwerker, Selbständige und Be- schaftlichen Leistungsfähigkeit und der Wahrung triebe. des objektiven Nettoprinzips hat eine Mindeststeuer Wir wollen nach Abschluß der Steuerreform einen nichts mehr zu tun. Das einzige Ergebnis ist eine un- Eingangsteuersatz von 15 Prozent, einen Körper- verantwortliche Komplizierung des Steuerrechts. schaftsteuersatz von 35 Prozent für einbehaltene und Wer die Gestaltungsmöglichkeiten der sogenann- 25 Prozent für ausgeschüttete Gewinne, einen Steu- ten Abschreibungskünstler treffen will, muß das Pro- ersatz auf gewerbliche Einkünfte von 35 Prozent und blem an der Wurzel packen. Volkswirtschaftlich un- einen Höchststeuersatz von 39 Prozent. Zahlreiche sinnige Steuervergünstigungen und steuerliche Son- Steuervergünstigungen werden dafür wegfallen; für dertatbestände müssen aufgehoben werden. Das viele Steuersparmodelle bedeutet unsere Steuerre- entspricht dem Konzept der Petersberger Steuervor- form das endgültige Aus. schläge. Meine Damen und Herren, wenn Sie es mit dem (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Standort Deutschland ernst meinen, wenn Sie etwas für die Arbeitslosen tun wollen und wenn Sie es mit Für die Besteuerung der gewerblichen Einkünfte der entscheidenden Rückführung der Arbeitslosig- schlägt die SPD ein sogenanntes Optionsmodell vor. keit ernst meinen, dann sind Sie aufgefordert, späte- Das ist nun wirklich ein ganz alter Hut aus der Mot- stens nach dem 27. September - dann werden Sie die tenkiste, der bereits Anfang der 50er Jahre wegen Opposition, wir die Regierung sein - mit uns zusam- praktischer Undurchführbarkeit abgeschafft werden menzuarbeiten, damit bereits zum 1. Januar 1999 ein mußte. entscheidender Schritt getan werden kann. ( [CDU/CSU]: Das ist wahr!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Rechtspraxis und Rechtsentwicklung der vergange- nen Jahre sind offenbar an der SPD vorbeigegangen. ist Das sogenannte Steuerprogramm der SPD In der Gesamtschau ist der Steuertorso der SPD - von reiner Populismus. Es verspricht der Durchschnitts- einem Konzept kann man ja wohl nicht sprechen - familie eine steuerliche Entlastung um jährlich völlig unbrauchbar, um in einer globalisierten Welt- 2 500 DM. Diese Größenordnung hätten wir mit dem wirtschaft und in einem scharfen Wettbewerb zu be- Steuerreformgesetz schon längst erreicht. Eine Fami- stehen. lie mit zwei Kindern und einem Bruttojahresverdienst von 70 000 DM wäre schon heute um diese Summe (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) entlastet. Die SPD windet sich, wenn es um die De- tails und die Finanzierung geht. Darüber schweigt Einem Steuerdumping innerhalb der EU werden sie sich weiterhin beharrlich aus. Nur, das Spiel ist wir weiter energisch entgegentreten. Teilerfolge ha- leicht zu durchschauen: Allen wird alles versprochen. ben wir schon erreicht. Das Motto lautet: Bloß nicht konkret werden. Immer (Zuruf von der SPD: O ja!) wenn der SPD-Kanzlerkandidat konkret wurde, dann fiel er voll auf die Nase. Lafontaine ist für die Auf unsere Initiative hin wurde am 1. Dezember 1997 Entlastung der niedrigen Einkommen zuständig, die ein Verhaltenskodex zur Bekämpfung unfairer Wett- Zeche dafür sollen die Unternehmen zahlen; Schrö- bewerbspraktiken im Bereich der Unternehmensteu- der ist für den Schmusekurs mit den Unternehmen ern verabschiedet. Der faire Wettbewerb der Steuer- zuständig, die zuvor von Lafontaine geschröpft wor- systeme und damit die freie Standortwahl der Unter- den sind. nehmen bleiben erhalten, aber steuerliche Anreize zur bloßen Gewinnverlagerung werden verschwin- Das Wahlprogramm der SPD enthält noch eine an- den. dere Nebenbedingung. Die SPD stellt ihr gesamtes Programm sowieso unter einen Finanzierungsvorbe- Ganz anders steht es mit den Ideen Oskar Lafontai- halt. Wenn die SPD die knappen Mittel des Haus- nes und der SPD zu Absprachen in der Makro-, halts für neue Wohltaten, für Umverteilung oder für Struktur- oder Währungspolitik auf europäischer rt die Beseitigung der Defizite der Sozialversicherung oder internationaler Ebene. Oskar Lafontaine forde braucht, fallen die Steuerversprechen der SPD alle- llar, Yen und Euro. ein Festkurssystem zwischen Do samt wie ein Kartenhaus zusammen. Es paßt bei Ih- Im „Startprogramm" steht die nebulöse Idee von in- nen nichts zusammen. ternationalen Übereinkünften in allen möglichen Be- reichen: bei der Beschäftigung, im Sozial- oder im (Widerspruch bei Ministerpräsident Oskar Umweltbereich. Aber ein globales Festkurssystem Lafontaine [Saarland]) kann doch nicht funktionieren. Man stelle sich ein- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 22911

Bundesminister Dr. Theodor Waigel mal vor, die Europäische Zentralbank müßte mit mas- ben und hatte mit fast allen wichtigen Mächten in siven Interventionen den Yen-Wechselkurs stützen Europa und in der Welt ein so gutes Verhältnis. Das und würde dabei die Preisstabilität im Euro-Raum ist die große Leistung von Helmut Kohl, von CDU/ aufs Spiel setzen. Meine Damen und Herren von der CSU und F.D.P. SPD, Herr Lafontaine, an Ihnen ist die ganze interna- tionale Wirtschaftspolitik der letzten zehn, fünfzehn (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Jahre vorübergegangen. Es geht darum, daß jedes Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ Land seine Anpassungsprozesse vollzieht, daß die DIE GRÜNEN]: Großer Kohl, wir loben notwendige Konvergenz hergestellt wird. Sie können dich! Herr, wir preisen deine Stärke!) nicht mit Hilfe von Interventionen das wettmachen, Noch geht es uns Deutschen und den Europäern was in bezug auf die Anpassung der Volkswirtschaf- trotz aller Probleme und Aufgaben besser als ande- ten vorher nicht erfolgt ist. ren. Dafür spricht nicht nur die wirtschaftliche Ent- wicklung. Dazu kommt der Erfolg unserer Europapo- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) litik. Die Euro-Zone ist schon jetzt zu einem Stabili- Ich sage es hier noch einmal: Wir setzen auf eine tätspol geworden. Die Geldanleger stellen zu immer Senkung der deutschen Nettobeiträge an die Euro- niedrigeren Zinsen Kapital in Europa zur Verfügung päische Union. Ich halte das für richtig und für ver- und erleichtern damit die Investitionen. tretbar. Nicht nur die Länder, die davon betroffen (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ sind, auch andere wie Luxemburg und die Kommis- DIE GRÜNEN]: Das war aber nur ein kurzes sion haben es zwischenzeitlich beg ri ffen: Wir sind Lob!) ein solidarisches Land in Europa und in der Welt; aber auf die Dauer kann und wird Deutschland nicht Hätten wir den Euro jetzt nicht, dann stiegen Preise 60 Prozent der Nettobeiträge an die EU entrichten und Zinsen, und die D-Mark geriete unter Aufwer- können. tungsdruck. All dies würde unseren Aufschwung ge- fährden. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) - Meine Damen und Herren, daß heute die Euro Meine Damen und Herren, um uns herum in der Zone, das Zentrum Europas, fast eine Insel der Stabi- Welt brodelt es. Die Krise in Ostasien ist noch längst lität und natürlich auch die Wachstumslokomotive in nicht überwunden. Japan befindet sich nicht nur in der Weltwirtschaft ist, ist darauf zurückzuführen, daß der Rezession, sondern in einer schweren Struktur- wir in den letzten Jahren unglaubliche Anstrengun- krise. Andere Regionen leben in akuter Anstek- gen bei uns und nicht minder in den anderen Län- kungsgefahr. Die Vereinigten Staaten werden vom dern unternommen haben, daß wir Konvergenz er- internationalen Terrorismus attackiert und konzen- reicht, Konsolidierungsmaßnahmen durchgesetzt, trieren sich natürlich auf ihre eigenen Aufgaben. Strukturreformen durchgeführt und am 1. und 2. Mai Rußland wird nur mit erheblichen eigenen An- dieses Jahres eine Entscheidung getroffen haben. strengungen wieder auf die Beine kommen. Deutsch- Wo wären wir, wenn wir Herrn Schröder gefolgt land hat ein unmittelbares Interesse an Rußlands wären, der den Euro als „kränkelnde Fehlgeburt" politischer und wirtschaftlicher Stabilität. Nur wenn bezeichnet hat? Da zeigt sich, wie töricht dieser es gelingt, die russische Volkswirtschaft zu stabilisie- Mann geurteilt hat und daß er von den Dingen ren, wird Rußland auf Dauer als verläßlicher Pa rtner nichts, aber auch gar nichts versteht. an der Erhaltung des Friedens in Europa und der Welt mitwirken können. Rußland ist reich an Res- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) sourcen. Es kann eine starke Wi rtschaft aufbauen, Weltwirtschaftspolitik und Krisenbewältigung set- wenn es entschlossen den Weg der marktwirtschaftli- zen internationale Erfahrung und marktwirtschaftli- chen Reformen weitergeht. Wenn Rußland Reformen che Kompetenz voraus. Für sozialistische Experi- wirklich will, dürfen seine Anstrengungen nicht an mente und rotgrüne Versuchsballons sind Deutsch- mangelnder Unterstützung scheitern. Das ist die ver- land und Europa zu schade. antwortungsvolle Position der Bundesregierung, seit Präsident Jelzin 1992 in München erstmals am Wirt (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) -schaftsgipfel der G 7 teilgenommen hat. Gebraucht werden Welterfahrung, klare Führung, Meine Damen und Herren, wo stünden wir eigent- Verläßlichkeit - kurz: ein Fels in der Brandung, ein lich, wenn die weltbewegenden Ereignisse seit 1990, Lotse, kein Segel, das sich nach jedem Lüftchen die gerade von Helmut Kohl entscheidend mit her- dreht -: Das, meine Damen und Herren, ist Helmut beigeführt wurden, nicht stattgefunden hätten, wenn Kohl. wir heute diese Beziehungen zu Rußland nicht hät- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - ten? Was wäre, wenn heute noch 500 000 oder Lachen und Widerspruch bei der SPD sowie 600 000 russische Soldaten mit all den Waffen hier bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ ständen? Wie glücklich und wie gut ist es, daß wir DIE GRÜNEN) diese Entwicklung in Deutschland und in Europa er- reicht haben, in der EU, mit der NATO, daß es Der Bundeshaushalt 1999 und der Finanzplan bis freundschaftliche Beziehungen zu Rußland, allen an- 2002 zeigen deutlich: Die Koalition von CDU/CSU deren europäischen Staaten und den Vereinigten und F.D.P. hat die richtigen finanzpolitischen Kon- Staaten gibt! Noch nie zuvor in seiner Geschichte zepte. Sie wird diese Konzepte in konkrete Politik war Deutschland von Freunden und Pa rtnern umge- zum Wohl unseres Landes umsetzen. Die Oppositi- 22912 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Bundesminister Dr. Theodor Waigel onsparteien, allen voran die SPD und der Kanzler- Meine Damen und Herren, Eugen Biser hat einmal kandidat, können keine schlüssigen und erst recht angemerkt - ich nehme an, Sie werden dem nicht wi- keine finanzierbaren Konzepte vorweisen. Ihnen dersprechen, Herr Ministerpräsident -, daß Zeiten fehlt die Kraft und die Geschlossenheit, Reformen er- der Erschütterung immer auch die Chance beinhal- folgreich voranzubringen. ten, daß die Erschütterung an der Oberfläche mit einer positiven Entwicklung im Untergrund einher- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU geht. Heute geht es darum, Angst zu überwinden und der F.D.P.) und Vertrauen zu schaffen. Die Politik der letzten Meine Damen und Herren, Deutschland steht vor 16 Jahre, vor allen Dingen die Politik der letzten der Wahl. neun Jahre hat in Deutschland und Europa Angst weggenommen. Das ist eine ganz wichtige Voraus- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- setzung für die Zukunft. ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) - Ich sage Ihnen eins: Wahlen sind bisher immer beim Wahlgang und nicht bei Umfragen entschieden Wir haben Vertrauen in die Grundwerte von Staat worden. Sie werden sich wundern. und Gesellschaft, in die Freiheit und Demokratie in einer offenen Gesellschaft, in die eigene Kraft und in (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ die Möglichkeit, diese Zukunft zu gestalten. DIE GRÜNEN]: Das hat letztes Mal der Kanzler in einem Interview gesagt, wo Es ist die Politik unter diesem Vorzeichen, die uns hauptsächlich ihr euch gewundert habt!) gestern stolz an 50 Jahre Verfassungsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland erinnert hat. Diese Ver- Wir haben Sachargumente, Sie haben Slogans. Wir fassungsgeschichte ist mehr als nur eine Auseinan- haben ein Programm, Sie machen PR. Wir haben dersetzung um Wettbewerbsföderalismus, so wichtig konkrete Maßnahmen, Sie haben leere Worte. Wir er auch ist. Es ist eine stolze Verfassungsgeschichte, haben einen Kanzler, Sie haben einen Kandidaten.- die wir mit Leben erfüllt haben. Es ist dies die Politik, Dabei bleibt es. die die deutsche Einheit möglich und den Aufbau der neuen Länder in Gang gebracht hat. Es ist diese (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Politik, die ein Europa in Frieden, Freiheit und De- Es geht um eine Richtungsentscheidung für das mokratie entscheidend vorangebracht hat. Dafür ste- 21. Jahrhundert: Fortschritt oder Rückschritt, Stabili- hen wir bei den Bürgern ein, heute und morgen. tät oder Krise, Aufschwung oder Stagnation, Wachs Die Regierungskoalition von CDU/CSU und F.D.P. tum oder Umverteilung, Markt oder Staat. wird den Haushalt 1999 nach der Bundestagswahl (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ verabschieden. DIE GRÜNEN]: Zukunft oder Untergang!) Ich danke Ihnen. Das Vertrauen der Bürger gewinnt man durch Klar- (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und heit und Wahrheit. der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der F.D.P. - Lachen und Beifall bei Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Es spricht jetzt der der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ministerpräsident des Saarlandes, Oskar Lafontaine. NEN)

Reiner Kunze schreibt in seinem neuen Gedicht- Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland) band: Wort ist Währung, je wahrer desto härter. Wir (von der SPD und vom Bündnis 90/Die Grünen mit scheuen uns nicht, den Bürgern reinen Wein einzu- Beifall begrüßt): Frau Präsidentin! Meine sehr geehr- schenken und die Probleme zu nennen. ten Damen und Herren! Es ist üblich, am Ende einer (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Legislaturpe riode bei Haushaltsberatungen Bilanz zu DIE GRÜNEN]: Reines Papiergeld! ziehen. Es war zu erwarten, daß sich der Finanzmi- nister redlich bemüht hat, die Lage in bunten Farben Meine Damen und Herren, wir legen hier einen darzustellen und mitzuteilen, eigentlich sei doch al- Haushalt für das nächste Jahr vor. In Niedersachsen les auf bestem Wege. ist keiner vorgelegt worden. Als er über den Arbeitsmarkt sprach, dachte ich, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) wenn er weiterredet, haben wir Vollbeschäftigung. Wir sagen, was not tut, auch wenn die Medizin (Heiterkeit bei der SPD) manchmal schmerzt. Wir sagen aber auch, welche Chancen wir im 21. Jahrhundert haben, wenn wir In einer solchen Situation muß man aber auch bei der unsere Tugenden ausspielen. Wahrheit bleiben; denn was Sie hier vorgetragen ha- ben, hat mit der Wirklichkeit in unserem Lande (Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Sie haben nichts zu tun. keine!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Dazu gehören Primärtugenden und Sekundärtugen- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN den. und der PDS) Deutscher Bundestag - 13. Wahlpe riode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 22913

Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland) Vor einer Wahl ist es gerechtfertigt, die Wählerin- 48 Prozent, damit es nicht auffällt, daß es 49 Prozent nen und Wähler darauf hinzuweisen, was eine Regie- sein sollen, und dann wird man weitersehen. Es soll rung zu Beginn ihrer Amtszeit versprochen hat. Jeder ein Entlastungsvolumen von 10 Milliarden DM ange- in Deutschland weiß, daß diese Regierung zu Beginn boten werden. Genau das hat Ihnen die SPD doch ihrer Amtszeit versprochen hat, die Staatsschulden jahrelang angeboten! Warum kommen Sie jetzt kurz zu begrenzen oder zu senken, die Steuer- und Abga- vor der Wahl auf unser Konzept, zumindest beim Ta- benlast zu mindern sowie die Zahl der Arbeitslosen rif? zu reduzieren. Und jeder in Deutschland weiß, daß (Beifall bei der SPD) das Gegenteil von all dem eingetreten ist: (Beifall bei der SPD) Allerdings muß ich sagen, daß Sie wieder nicht ge- nau geworden sind bei der Gegenfinanzierung. Da Die Staatsschulden sind so hoch wie niemals zuvor. liegt ja dann bekanntlich die Schwierigkeit. Wenn Die Steuer- und Abgabenlast ist nicht für alle, aber Sie von 20 Milliarden DM als Gegenfinanzierungs- für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer so volumen sprechen, dann haben Sie das alles nicht hoch wie niemals zuvor. Die Arbeitslosigkeit ist bei durchgerechnet. Ich muß das hier noch einmal in al- 4,3 Millionen die höchste nach dem Kriege. - Das ler Klarheit sagen: Einen solchen Ta rif - ich sage es schönzureden ist im Grunde genommen nicht hin- noch einmal: Eingangssteuersatz in der Nähe von nehmbar. Die Wählerinnen und Wähler akzeptieren 20 Prozent und oben bei 48 Prozent - mit einem Volu- das auf Dauer auch nicht. men von 20 Milliarden DM gegenzufinanzieren ist nicht möglich. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Als Helmut Kohl 1982 ins Amt gewählt wurde, sagte er wörtlich: Deshalb, meine Damen und Herren: Sie können nicht Steuerpolitik machen, die hinten und vorne nicht Die neue Regierung ist notwendig geworden, stimmt; damit werden Sie niemals durchkommen. weil sich die alte, die bisherige Regierung als un- fähig erwies, gemeinsam die Arbeitslosigkeit zu (Beifall bei der SPD) bekämpfen, das Netz sozialer Sicherheit zu ge- währleisten und die zerrütteten Staatsfinanzen Ich will Ihnen jetzt sagen, was unsere Position ist. wieder in Ordnung zu bringen. Unsere Position ist, daß ein Teil Ihrer Gegenfinanzie- rungsmaßnahmen, die ich noch einmal in Erinnerung Wie schön wäre es, wenn wir heute noch die Zah- rufen muß, nicht akzeptabel sind. Da wird vorge- len des Jahres 1982 hätten. schlagen, die Schichtarbeiter zu besteuern. Ich muß den Wählerinnen und Wählern hier noch einmal sa- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gen: Das halten wir für falsch, weil wir Leute brau- DIE GRÜNEN) chen, die am Wochenende arbeiten oder Nacht- In welchem Umfang haben Sie draufgesattelt, bei Ar- schichten fahren; sie wollen wir weiterhin steuerlich beitslosigkeit, bei Staatsschulden, bei Steuer- und begünstigen. Wenn Sie das anders sehen, ist das Ihre Abgabenbelastung! Sache. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD) DIE GRÜNEN) Da wird vorgeschlagen, die Kilometerpauschale Ihre Wirtschaftspolitik ist die eigentliche Ursache abzuschaffen. Das halten wir für falsch in einem des Anstiegs der Massenarbeitslosigkeit, und wenn Land, in dem auf Grund struktureller Verwerfungen die Wählerinnen und Wähler Sie weiter mit der Re- viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einen gierungsverantwortung beauftragen, dann wird die langen Anfahrtsweg haben. Deshalb werben wir im Arbeitslosigkeit weiter steigen. Es ist nämlich nicht Interesse mobiler Arbeitnehmer für den Erhalt der möglich, eine Wirtschafts- und Finanzpolitik zu be- Kilometerpauschale bei einem langen Arbeitsweg. treiben, nach der, wie die Bischöfe zu Recht festge- (Beifall bei der SPD) stellt haben, in Deutschland die Armen immer ärmer und die Reichen immer reicher geworden sind. Diese Sie schlagen vor, Versicherungen und Renten zu Wirtschaftspolitik rächt sich jetzt, weil wir seit Jahren besteuern. Vielen ist das vielleicht in Vergessenheit eine viel zu schwache Binnennachfrage haben und geraten. Gleichzeitig wollen Sie die Renten kürzen. weil ohne eine Stärkung der Binnennachfrage Wem wollen Sie denn das alles noch erklären? Ich Wachstum und Beschäftigung nicht in Gang kom- mache Sie auf noch etwas aufmerksam, denn viel- men können. leicht haben Sie Ihre eigenen Programme nicht gele- sen. Sie wollen jetzt Ihre Rentenkürzungen auch (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- wieder zurücknehmen. Aber - da kann man fast den ten der PDS) ganzen Unterschied der Politik ausmachen - Sie wol- Daher bieten wir den Wählerinnen und Wählern len die Rentenkürzungen nur für diejenigen zurück- eine andere Steuerpolitik an, als Sie sie bisher ange- nehmen, die 45 Versicherungsjahre haben, also rela- boten haben. Es war ja doch überraschend, was Sie tiv hohe Renten haben. Sehen Sie, da ist einfach die jetzt hier vorgetragen haben, Herr Bundesfinanzmi- Trennlinie. Wer bei solchen Kürzungsmaßnahmen, nister. Es ist mir irgendwie bekannt vorgekommen: wenn sie unpopulär werden, oben anfängt, die Grau- Eingangssteuersatz zunächst in die Nähe von 20 Pro- samkeiten zu beseitigen, und nicht an diejenigen zent, der Höchststeuersatz zunächst einmal bei denkt, die am Rande des Existenzminimums leben, 22914 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland) der gehört abgewählt, und so wird es sein, meine Da- nenkreis geringfügig entlasten. Sie als Bundesfi- men und Herren. nanzminister kennen die Systematik des Steuer- rechts nicht! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN (Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P. - und der PDS) Zuruf von der CDU/CSU: Aber Sie!) An dieser Stelle kritisiere ich ausdrücklich die Wenn wir beispielsweise den Grundfreibetrag anhe- Wirtschaftsverbände, die allmählich als Gesprächs- ben, dann werden alle Steuerzahlerinnen und Steu- partner unglaubwürdig werden, wenn sie auf der erzahler entlastet. Was reden Sie hier für einen Un- einen Seite bei der SPD die Pläne zur Rücknahme sinn, Herr Bundesfinanzminister? Gucken Sie noch der Rentenkürzung kritisieren, Rücknahmepläne bei einmal ins Steuerrecht! der CDU aber überhaupt nicht erwähnen. Das ist un- seriös. Wer als Gesprächspartner ernst genommen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne werden will, der muß, bitte schön, mit gleichen Maß- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) stäben messen. Wenn wir, wie Sie richtig zitiert haben, den Ein- (Beifall bei der SPD) gangssteuersatz senken, dann werden alle Steuer- zahlerinnen und Steuerzahler entlastet, soweit sie Wir wollen - das haben Sie richtig zitiert - Arbeit- Steuern zahlen. Soviel ich weiß, ist das ein ziemlich nehmerinnen und Arbeitnehmer durchschnittlich um großer Personenkreis. Nur, das Problem ist, wenn 2 500 DM entlasten. Wir wissen, daß das ein an- man den Spitzensteuersatz senkt, dann kann man spruchsvolles Versprechen ist, weil wir eben nicht diese Aussage nicht aufrechterhalten und behaup- der Gefahr erliegen wollen, Versprechen zu geben, ten, alle Steuerzahlerinnen und Steuerzahler würden die wir nicht einhalten können. entlastet. Das ist die Systematik unseres Steuer- (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU rechts. und der F.D.P.) - Deshalb sagen wir Sozialdemokraten angesichts Sehen Sie, genau das ist Ihr Problem. Ich konnte vor- stagnierender oder sinkender Reallöhne in den letz- hin fast nicht mehr zuhören, als Sie sagten, daß Sie ten Jahren, angesichts der Umverteilung, die die Bi- bei der Wahrheit bleiben, schöfe mit den Worten „Die Armen sind ärmer, und die Reichen sind reicher geworden" charakterisiert (Zustimmung bei der SPD) haben: Wir fangen von unten an, und wir entlasten Sie, die Sie 1990 versprochen haben: keine Steuer- zunächst einmal diejenigen, die das Geld brauchen. und Abgabenerhöhungen. Helmut Kohl steht dafür Das ist unsere Steuerpolitik. Die Wählerinnen und in ungezählten Anzeigen in diesem Land. Dann ha- Wähler werden darüber entscheiden. ben Sie die Steuern und Abgaben, auf das Jahr ge- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ rechnet, um 120 Milliarden DM erhöht. Sie wollen DIE GRÜNEN) hier etwas von Wahrheit erzählen? Glauben Sie, die Menschen in Deutschland vergessen a lles? - Ist es Im übrigen ist das nicht mehr nur ein Problem der nicht wahr? Deutschen, es ist ein Problem in Gesamteuropa. Gott (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ sei Dank - wir sind gar nicht so unfair, es nicht anzu- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der erkennen, wenn Sie dazulernen - haben Sie jetzt ge- sagt: Der Steuersenkungswettlauf, PDS) Steuerdumping, in Europa muß begrenzt werden. Vor Jahren haben 1994 geschah wiederum dasselbe. 1994 verspra- Sie darüber noch gespottet. Wenn Sie das jetzt eben- chen Sie, den Soli abzuschaffen. Sie versprachen di- falls fordern, dann ist das anerkennenswert. Vor Jah- verse Steuersenkungen. Sie versprachen, die Mehr- ren haben Sie noch versucht, diese Idee lächerlich zu wertsteuer nicht zu erhöhen. Das Gegenteil von all machen. dem ist geschehen. Sie wollen hier etwas von Wahr- heit erzählen, wo Sie eine solche Serie von gebroche- Was ist in Europa geschehen? Ich wiederhole es: nen Versprechen, wie ich sie nirgendwo in ganz Eu- Im Sinne des Standortwettbewerbs versuchte das ropa und in der Welt kenne, aufzuweisen haben? Land A, die Unternehmensteuern zu senken. Da sagte das Land B: Dann senken wir sie noch weiter. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- Dann erklärte das Land C: Wir senken noch weiter. ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das war dann der Wettbewerb an dieser Stelle. Bei der Vermögensteuer galt dasselbe: Zunächst die Ver- Und dann sagen Sie hier mit Tremolo in der mögensteuer senken, dann sie weiter senken und Stimme: „Wort ist Währung, je wahrer, desto härter." dann ganz abschaffen. Dasselbe galt auch bei den Mein lieber Herr Waigel, hängen Sie sich das übers Steuern auf die Gelderträge: Zunächst sie senken, Bett, aber erzählen Sie es nicht im Parlament, denn dann Abschlagsbeträge festlegen. Doch mittlerweile Sie fallen doch auf, wie kaum jemand aufgefallen ist, hatten sich viele schon verflüchtigt und ihr Geld auf wenn er solche Ansprüche in diesem Hause erhebt! Konten in andere Länder gebracht. (Beifall bei der SPD) Die Leidtragenden dieses falschen Konzeptes, dem Dann haben Sie etwas noch einmal gesagt, was Sie anhängen, sind die Arbeitnehmerinnen und Ar- mir auch bei anderen Sprechern schon öfter aufgefal- beitnehmer in ganz Europa, die mit immer höheren len ist, nämlich wir wollten nur einen kleinen Perso- Abgaben, mit immer höheren Lohnsteuern und im- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 22915

Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland) mer höheren Verbrauchsteuern diesen Wettbewerb würde ich den Mund nicht so voll nehmen, Herr Wai- bezahlen müssen. gel.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich könnte Ihnen auch etwas zur Entwicklung der Deshalb begrüßen wir es, wenn Sie jetzt einsehen, Arbeitslosenzahlen sagen. Sie können das alles daß das so nicht weitergehen kann. Wir sagen aber, durchaus so weite rtreiben. Ich sage Ihnen nur eines: daß das unsere Politik ist, die wir konsequent umset- Über die Qualität einer Politik urteilen nicht Sie und zen werden, und weisen darauf hin, daß Initiativen nicht wir, sondern die Wählerinnen und Wähler. Der auf europäischer Ebene in den letzten Jahren - ich Kollege Schröder hat zweimal die absolute Mehrheit denke einmal an die - von Ihnen nicht Quellensteuer - jetzt sogar eine ganz starke - erreicht, weil die gerade positiv begleitet worden sind. Wählerinnen und Wähler seine Politik anerkannt ha- (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Das ist ben. Ihr Geschwätz prallt ab, meine Damen und Her- doch nicht wahr!) ren. Wo haben Sie denn noch solche Ergebnisse? (Beifall bei der SPD) - Sie streiten das immer wieder ab, verehrter Herr Bundesfinanzminister. Sie haben nur das Problem, Meinen Sie wirklich, wenn Sie schon das Saarland daß uns alle führenden Leute, die wir in Europa ken- ansprechen, ich hätte do rt dreimal die absolute nen, das so sagen und bestätigen. Tun Sie doch nicht Mehrheit erreicht, weil ich mit meinen Freunden so, nachdem Sie die Quellensteuer hier zuerst einge- eine so schlechte Politik dort gemacht habe? Glauben führt und dann wieder abgeschafft haben, als seien Sie das tatsächlich, und sind Sie so überheblich? Sie in Europa der Vorreiter bei der Einführung der Wenn Sie jetzt bei den Meinungsumfragen unter europaweiten Quellensteuer gewesen. Sie haben sie 40 Prozent hängen, liegt das nicht daran, daß Sie so abgeschafft und damit einen Ansatz der Harmonisie- gut waren, wie Sie selber meinen, sondern daran, rung zerstört. Stellen Sie sich dieser Verantwortung! - weil die Wählerinnen und Wähler sagen, Sie haben schlecht gearbeitet. So ist das in einer Demokratie. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ein zweiter Punkt ist: Sie haben sich mit dem Kol- Sagen Sie offen, bei wem und wo Sie abkassieren legen Diller in unfairer Weise auseinandergesetzt. wollen: nämlich bei den Schichtarbeitern, bei den Natürlich kann man den von Ihnen aufgestellten Pendlern, bei den Rentnern, bei denen, die Versiche- Haushalt nicht ohne weiteres zur Seite legen. Sie rungspolicen abgeschlossen haben. Sie wollen die wissen doch, wie sich bei Ihnen die Schulden in den Mehrwertsteuer erhöhen, die bekanntlich nach allen letzten Jahren entwickelt haben: Die Schulden sind Berechnungen die Haushalte mit geringen Einkom- in Ihrer Amtszeit um über 1000 Milliarden DM ge- men trifft. Das steht alles in Ihrem Steuerkonzept. stiegen. Wir würden das zwar gerne zur Seite legen Auch wir sagen ja: Wir kassieren Steuersubventionen und weglegen, aber wir können das leider nicht. und werden teilweise diejenigen treffen, die bisher in großem Umfang von Steuersubventionen Ge- (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Saar brauch gemacht haben. Das ist richtig. Die Wählerin- land!) nen und Wähler werden entscheiden, wer das bes- Insofern ist Ihre Replik auf den Kollegen Diller leider sere Konzept hat. So ist das in einer Demokratie. sehr ungeschickt. Wir würden das im Interesse der (Beifall bei der SPD) Steuerzahlerinnen und Steuerzahler und kommender Generationen gerne weglegen, aber die Hypothek ist Dann wäre es noch ganz schön, wenn Sie bei den da; wir müssen sie zahlen. Wir werden in den näch- Heldentaten, die Sie hier aufzählen, immer auch sa- sten Jahren 25 Prozent der Steuereinnahmen auf gen würden, welche Heldentaten eher auf unser, Grund Ihrer verfehlten Finanzpolitik für Zinsen aus- welche eher auf Ihr Konto gehen und welche wir nur geben müssen - 25 Prozent! gemeinsam umsetzen konnten. Wenn Sie sich hier brüsten, Sie hätten die Familien bei den Steuerver- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- handlungen bessergestellt - das ist wirklich eine ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Frechheit -, Zurufe von der CDU/CSU: Saarland!) (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ - Ich würde Ihnen raten, ehe Sie „Saarland" dazwi- DIE GRÜNEN]: So ist es!) schenrufen, sich einmal zu informieren. Sie haben ja dann ist das angesichts der Tatsache, daß wir lange entsprechende Leute hier sitzen. Ich will Ihnen noch gekämpft haben und mit dem Scheitern der Steuer- einmal die Zahlen vortragen. Die können Sie ja über- verhandlungen drohen mußten, um die Besserstel- prüfen. Ich habe von einer CDU/F.D.P.- Regierung lung der Familien durchzusetzen, schlicht und ein- eine Zinssteuerquote von 19 Prozent geerbt. Sie liegt fach unfair, Herr Waigel, wie Sie hier auftreten. jetzt bei 21 Prozent. Damit bin ich unzufrieden. Aber Sie haben 1982 eine Zinssteuerquote - das ist die ent- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ scheidende Kennziffer - von 12 Prozent übernom- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der men; jetzt beträgt sie 26 Prozent. An Ihrer Stelle PDS) 22916 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland) Der Gipfel ist - man kann gar nicht alles anspre- kommen in der gleichen Zeit zugeschustert habt. Das chen -, wenn Sie sich hier hinstellen und sagen: Wir wäre eine wahrheitsgemäße, eine ehrliche Bilanz. haben das Meister-BAföG wieder eingeführt. Darüber würden wir gern diskutieren. (Zustimmung bei der SPD) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Dr. Norbe rt Blüm [CDU/ Wie kann man die Menschen so belügen? Ich wi ll Ih- CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage) nen sagen, wie das mit dem Meister-BAföG war. Ihre Koalition hat es abgeschafft. Das ist die Wahrheit; - Herr Bundesminister, bitte beruhigen Sie sich, das kann jeder überprüfen und nachlesen. Daraufhin selbstverständlich haben Sie Gelegenheit - - kamen die Handwerksmeister und haben gesagt, daß es einen deutlichen Rückgang bei den Anträgen Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Noch habe ich die zur Zulassung zur Prüfung gibt. Dann haben wir ge- Sitzungsleitung. sagt: Wir müssen etwas machen. Dann kam der Bund und hat gesagt: Wir haben das bisher allein bezahlt, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - jetzt sollen die Länder mitzahlen. Dazu haben einige Zuruf von der SPD: Noch!) Ministerpräsidenten - auch ich - gesagt: Das machen Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischen- wir nicht. Dann kam Gerhard Schröder ins SPD-Prä- frage des Abgeordneten Blüm? sidium und hat gesagt: Stellt euch nicht so stur, macht das mit, es geht um die Sache. Dann haben wir das Gesetz im Bundesrat passieren lassen. Sie Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland): Ja, tun dem Mann unrecht, wenn Sie hier über ihn so re- wobei ich die CDU-Fraktion bitte, Sie für das Wo rt den, Herr Kollege Waigel. Ohne ihn hätten Sie das „noch" nicht zur Rechenschaft zu ziehen oder zu ta- Meister-BAföG so nicht - um das hier in aller Klarheit deln. - Bitte sehr. zu sagen. (Beifall bei der SPD) Dr. Norbert Blüm (CDU/CSU): Herr Ministerpräsi- dent, können Sie bestätigen, daß wir die 98 Milliar- Wir werden die Achsen der Republik wieder hin zu den DM, die wir gespart haben, für die Arbeitneh- mehr sozialer Gerechtigkeit verschieben. Das ist un- mer, die Beitragszahler, gespart haben? Das bet rifft ser Anspruch. Deshalb ist das Trio Henkel, Stihl und nicht die reichen Leute, weil es nur um Bezieher von Hundt auch so gegen unsere Politik. Aber das beein- Einkommen unterhalb der Beitragsbemessungs- druckt uns nicht sonderlich. Wer nur drei Wörter grenze geht. kennt: Lohnzurückhaltung, Unternehmensteuersen- kung und Sozialkürzung, der macht keine überzeu- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) genden Vorschläge zur Wi rtschaftspolitik. Wir wis- sen, was diese Herren jeden Tag, jedes Jahr und im- Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland): mer wieder sagen werden: Lohnzurückhaltung, Un- Herr Bundesminister, Sie haben mir dieselbe Frage ternehmensteuersenkung und Sozialabbau. zum selben Gegenstand schon einmal von dieser (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Stelle aus gestellt. Es ist richtig, daß Beitragszahler die Arbeitnehmer sind. Sie sollten aber vielleicht GRÜNEN und der PDS) noch hinzufügen, daß Beitragszahler auch die Unter- Wenn Sie, Herr Kollege Waigel, dann hier sagen, nehmen sind, um das abzurunden, damit man die Pa- das Gerede vom Sozialabbau sei törichtes Gerede, rität der Entlastung sieht. müssen sich das alle Wählerinnen und Wähler auf Aber wenn ich sage, daß Sie bei Rentnern und Ar- der Zunge zergehen lassen. Wir haben durchaus das beitslosen gespart haben, habe ich von Rentnern und eine oder andere mitgetragen, weil wir - das haben Arbeitslosen gesprochen und nicht von Beitragszah- Sie gesagt - vor große finanzielle Herausforderungen lern. Verschieben Sie hier nicht die Problematik. Ar- gestellt worden sind. Ich nenne beispielsweise die beitslose und Rentner haben nicht zuviel Geld, son- Umstellung der Rente, ich nenne die Abschaffung dern sie haben oft zuwenig Geld, und Sie haben zu- der üppigen Vorruhestandsregelung, ich nenne die viel gekürzt. Das sieht die große Mehrheit der Deut- Abschaffung der üppigen Anrechnung der Ausbil- schen genauso. dungszeiten und vieles andere. Ich wi ll das aus Zeit- gründen nicht alles erwähnen. (Beifall bei der SPD) Der Gesundheitsminister stand einmal hier und hat Herr Kollege Blüm, daß Sie auch noch stolz darauf gesagt, wir seien mit den sozialen Kürzungen noch sind, bei Rentnern und Arbeitslosen 98 Milliarden viel schlimmer als die Koalition. Sie können das alles DM im Jahr gespart zu haben, hätte ich eigentlich nachlesen. Sie werden sich vielleicht noch daran er- nicht geglaubt. Das muß ich Ihnen sagen. innern, wie es war, als Sie hier standen. Ich gehe weiter auf Ihre These ein, daß das Gerede Wir haben eine Reihe von unpopulären Entschei- vom Sozialabbau trotz der Einsparungen von 98 Mil- dungen mitgetragen. Aber die Frage ist, wo der Aus- liarden DM ein törichtes Gerede sei. Dazu spreche gleich ist. Als Norbe rt Blüm seine Bilanz aufgestellt ich einige wenige Punkte an, wie etwa die Kürzung und hier stolz vorgetragen hat, er habe bei Rentnern der Lohnfortzahlung. Die Verhinderung dieser Kür- und Arbeitslosen aufs Jahr gerechnet 98 Milliarden zung im Rahmen der Tarifverhandlungen hat ja be- DM gespart, habe ich ihm gesagt: Sag doch einmal, kanntlich dazu geführt, daß große Kompensationen was ihr den Vermögenden und Beziehern hoher Ein- erfolgen mußten. Im letzten Jahr hatten wir zum er- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 22917

Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland) stenmal nach dem Kriege - das gab es vorher noch die 45 Versicherungsjahre haben; wir denken vor al- nicht - sinkende Nettolöhne. Vielleicht ist diese Tat- lem an die Kriegerwitwen, die ihre Männer im Krieg sache da oder dort nicht sofort erkannt worden: Ein verloren haben, die die Kinder allein großgezogen Land, das sinkende Nettolöhne aufweist, sollte sich haben, die zu wenig geklebt haben, die von kleinen fragen, ob es auf dem richtigen Weg ist. Renten leben müssen und die keine Nebeneinkünfte haben. Mein Wo rt steht: Diesen Menschen die Rente Bei der Kürzung der Lohnfortzahlung geht es um zu kürzen ist und bleibt schamlos! Die Wählerinnen die soziale Gerechtigkeit, die uns Sozialdemokraten und Wähler haben über diese Politik zu entscheiden. ein wichtiger Wert für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft ist. Warum? Werden jemandem von uns (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne die Bezüge gekürzt, wenn er krank wird? Werden ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN den Herren Henkel, Stihl oder Hundt die Bezüge ge- und der PDS) kürzt, wenn sie krank werden? Dieser Personenkreis Das Ganze läuft natürlich auf eine systematische könnte eine Kürzung verkraften. Wieso glauben wir Binnennachfrage hinaus. Ich kann eigentlich, daß wir diese Kürzungen den Arbeitneh- Schwächung der rt allein können Sie merinnen und Arbeitnehmern zumuten können? Ich es nur wiederholen: Vom Expo den Beschäftigungsaufschwung nicht in Gang set- werbe hier dafür, daß in diesem Lande wieder der Grundsatz gilt: Was du nicht willst, das man dir tu', zen. das füg auch keinem anderen zu. Das sollte der (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wo leben Grundsatz einer Politik sein, die in der Gesellschaft Sie denn?) in breitem Maße akzeptiert wird. Wenn Sie sich die Situation in den Vereinigten Staa- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- ten, die ja sehr große Handelsbilanzdefizite haben, ten des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und oder wenn Sie sich die Situation in Dänemark, Hol- der PDS) land und in anderen Ländern anschauen, dann kön- Oder nehmen Sie den Abbau des Kündigungs- nen Sie erkennen: Ohne das Anspringen der Binnen- wirtschaft gibt es nicht den von uns gewollten Be- schutzes. Würde einer von uns gerne einen Vertrag- eingehen, nach dem er am nächsten Morgen gekün- schäftigungsaufschwung. Mit all Ihren Maßnahmen digt werden kann? Ich frage: Würden die genannten haben Sie 98 Milliarden DM bei Rentnern und Ar- Herren der Unternehmensverbände, Henkel, Stihl beitslosen gekürzt. Damit haben Sie die Kaufkraft, und Hundt, solche Verträge unterschreiben, bei de- die den Einzelhandelsgeschäften direkt zugute nen sie ohne eine Millionenabfindung gekündigt käme, und die Binnennachfrage massiv geschwächt. werden können? Herr Kollege Waigel, Sie haben Herrn Dornbusch (Beifall bei Abgeordneten der SPD) zitiert. Darauf bin ich Ihnen noch eine Antwort schul- dig. Sie haben einen Ökonomen des MIT zitiert. Viel- Ich sage noch einmal: Was du nicht willst, was man leicht ist Ihnen aufgefallen, daß ich in den letzten dir tu', das füg auch keinem anderen zu. Wenn der Jahren die verschiedensten Ökonomen zitiert habe. Abbau des Kündigungsschutzes eine solch tolle Re- Herr Dornbusch ist auch mir bekannt. Ich stimme mit form ist, dann können die Wählerinnen und Wähler ihm zwar da oder dort nicht überein. Nur, wenn wir am 27. September dafür sorgen, daß sie in den Genuß schon Herrn Dornbusch zitieren, dann zitiere ich jetzt dieser Reform kommen. Das wäre die adäquate Ant- das, was er kürzlich schrieb: wort auf diese tolle Reform, für die Sie überall im Lande werben. Deutschland dreht sich im Kreis, besessen von ei- ner sinnlosen Standortdiskussion, legislativen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- Ansätzen zur Förderung der Wirtschaftsdynamik ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und weitverbreiteten Subventionen zur Förde- und der Abg. Dr. Christa Luft [PDS]) rung des Wohlstands. All dies wird noch durch „Waigelismus" verschlimmert - Rentenkürzung. Ich mache noch einmal alle, die an dieser Debatte teilnehmen, darauf aufmerksam, (Heiterkeit bei der SPD) daß Sie, vor Wahlen stehend, in Bayern gesagt ha- ben: Bei dem Personenkreis mit 45 Versicherungsjah- ein oberflächliches Bekenntnis zur Verantwor- ren nehmen wir die Kürzung zurück. Ich sage aber tung in der Fiskalpolitik, welches grundsätzlich den Wählerinnen und Wählern: Wenn die F.D.P. wei- eher die Furcht vor kühnen, wachstumsorientier- terhin in der Koalition bleibt, wird daraus nichts. Das ten Entscheidungen widerspiegelt. alte Spiel würde dann wieder beginnen: Die CSU Wenn Sie also schon Dornbusch zitieren, dann würde so tun, als hätte sie mit der Politik in Bonn schauen Sie, was er sonst so geschrieben hat. überhaupt nichts zu tun, und sie würde sagen, daß an allem die böse F.D.P. schuld sei. Damit wäre man (Beifall bei der SPD) wieder aus dem Schneider. So darf man nicht vorge- Es gibt im MIT einen renommierten Nobelpreisträ- hen. ger. Er heißt Modigliani, nicht mit dem Künstler zu (Beifall bei der SPD - Dr. Herta Däubler- verwechseln. Nun lese ich Ihnen vor - Sie provozie- Gmelin [SPD]: Das ist die Wahrheit à la ren mich dazu, ich wollte es eigentlich nicht tun -, Waigel) was er über Sie gesagt hat: Wir werden diese Rentenkürzung aufheben. Wir Meiner Ansicht nach ist , was die denken dabei auch, aber nicht in erster Linie, an die, Wirtschaft angeht, ein Ignorant. Er mag ein Ex- 22918 Deutscher Bundestag - 13. Wahlpe riode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland) perte in zahlreichen Dingen sein, aber von Wirt warne Sie: Spekulieren Sie nicht auf die Krise, in der -schaftspolitik versteht er überhaupt nichts. Hoffnung, daß es dann vielleicht einen Strohhalm für Sie gibt. Das ist kein verantwortungsvolles Herange- Soweit ein Nobelpreisträger der Nationalökonomie. hen. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Sie sehen also: Im MIT gibt es ein paar Ökonomen, GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der die Ihren Auffassungen nahestehen. Das ist richtig. PDS) (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Herr Stoll -mann!) Sehen Sie, auch das ersparen Sie mir jetzt nicht: Wenn Sie Helmut Kohl als Weltklasse plakatieren Letztendlich ist es nicht so, daß in der Wirtschaftswis- senschaft immer nur eine Richtung vertreten wird. (Heiterkeit bei der SPD) Aber die große Mehrheit der Ökonomen des MIT hält Ihre Wirtschafts- und Finanzpolitik für grund- und ihn zum Stabilitätsanker erklären, dann möchte sätzlich falsch, um das hier anzumerken. Vielleicht das noch hingehen, solange eben nicht folgendes sollten Sie sich einmal die Mühe machen, deren Aus- passiert, daß nämlich der Ruf der Jungsozialisten arbeitungen und deren Ratschläge zu überlegen. (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Gibt es die Das gilt im übrigen auch - man kann nicht alles an- überhaupt noch?) sprechen - für die Entwicklung der Weltfinanz- märkte. Sehen Sie, Herr Kollege Waigel, ich habe „Kohl muß weg" - ich habe ihn manchmal als das öfters schriftlich dargelegt. Ich habe immer sprachlich etwas hart empfunden - ein solcher Er- wieder dafür geworben, daß wir zunächst nicht nur folgsschlager wurde, daß zuerst Westerwelle darauf ein europäisches Währungssystem schaffen und herumsurfte, dann fast die ganze F.D.P. und dann dann den Euro, sondern daß wir diesen Mechanis- mehr und mehr die CDU. Herr Solms hat vorhin ge- mus auf die wichtigsten Weltwährungen übertragen. klatscht, Herr Geißler hat das wenigstens nicht ge- Da geht es nicht um feste und unverrückbare Wech- tan, als Sie gesagt haben, Helmut Kohl sei der Fels in selkurse, sondern es geht um ein stabiles Wech- der Brandung. Meine Damen und Herren, wenn Sie selkurssystem mit Zielzonen, wie es der Vorgänger auf der einen Seite den Rücktritt von Helmut Kohl des jetzigen amerikanischen Notenbankpräsidenten, fordern und ihn auf der anderen Seite gleichzeitig als Paul Volcker, vorgeschlagen hat. Das wäre die logi- Weltklasse und als Fels in der Brandung feiern, dann sche Fortsetzung dessen, was wir in Europa versu- muß ich sagen, daß das irgendwie nicht zusammen chen. paßt. Die Wählerinnen und Wähler bekommen das nicht so richtig mit. Wenn Sie im Amt blieben und Ihre bisherige Politik fortsetzen würden, wäre das kein Beitrag zur Stabili- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE sierung der Wechselkurse in aller Welt, insbesondere GRÜNEN und der PDS) der Währungen der wichtigsten Handelsländer. (Beifall bei der SPD) Es war mir natürlich auch ein gewisses Vergnügen, das reumütige Klatschen von Wolfgang Schäuble zu Sie haben bei der Steuerpolitik auf europäischer beobachten. Ebene dazugelernt. Das ist begrüßenswert. Sie müs- sen jetzt eine Debatte führen angesichts der Tatsa- (Heiterkeit bei der SPD) che, daß wir weltweit Spekulationen haben, die mit den realwirtschaftlichen Vorgängen nichts mehr zu Es war zwar ein reumütiger Beifall, aber immerhin tun haben, was im Jahre 1973 niemand sehen hat Wolfgang Schäuble gezeigt, daß er die Einheit konnte, als das System von Bretton Woods zusam- von Fraktion und Partei im Auge hat. menbrach. Sie müssen jetzt darüber nachdenken, ob die gegenwärtigen Zustände auf den Weltfinanz- (Beifall bei der SPD) märkten fortgesetzt werden können oder ob wir nicht Manchmal ist es eben so, daß gewisse Parteien in doch, wie von uns gefordert, wiederum einen inter- Schwierigkeiten sind. Man muß dann versuchen, die nationalen Ordnungsrahmen brauchen, der, soweit Wahlaussagen einigermaßen zur Deckung zu brin- es denn irgend geht, die Spekulation auf den Weltfi- gen. Daß dem bei Ihnen nicht so ist, ist ja keine Erfin- nanzmärkten eindämmt. dung von mir. Heute habe ich zum Beispiel gelesen, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- ein Mitglied der Koalition - ich sehe ihn hier; aber ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ich will ihn gar nicht ansprechen - habe sich geäu- ßert, sie könnten den Kohl nicht mehr sehen. Das ist Im übrigen - wenn wir schon die Weltfinanzmärkte einfach kein angemessener Umgangsstil. und die Entwicklung beim Rubel und beim Yen an- sprechen - haben wir mit Interesse verfolgt, was sich (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) Ihr Wahlkampfmanager - so nennt er sich wohl - jetzt wieder ausgedacht hat: Bei dieser Krise könne man Aber das wird auch nicht besser, Herr Kollege Wai- darauf hoffen, daß die Aktien der Union wieder stei- gel, wenn Sie sich mit den Worten vernehmen lassen, gen würden. Wir haben Immobilienspekulanten, Sie seien der eigentliche Außenminister, und gleich- Währungsspekulanten und manchmal Aktienspeku- zeitig sagen: „Der Euro spricht deutsch." Ich möchte lanten. Jetzt haben wir auch Krisenspekulanten. Ich Sie doch bitten, letzteres zu unterlassen. „Der Euro Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 22919

Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland) spricht bayerisch" konnten Sie angesichts der Hal- Dennoch muß ich in dieser Debatte zwei Dinge an- tung Stoibers nicht sagen. sprechen: Wir halten es für falsch, jetzt den Bund-

Länder - Finanzausgleich in Frage zu stellen, weil (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- 87 Prozent der Mittel in den Osten fließen. Deshalb ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sage ich den Menschen in den neuen Ländern: Sol- und des Abg. [PDS]) che Vorstöße haben keine Chance. Die SPD steht da- Wissen Sie, „Der Euro spricht deutsch" hört sich in für, daß sie keine Chance haben. den Hauptstädten Europas merkwürdig an. Sie soll- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten solche Töne wirklich unterlassen. Ich bitte Sie im ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Interesse unseres Ansehens in Europa darum. und des Abg. Gerhard Zwerenz [PDS]) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- Und auch in Sachen Bodenrecht setzen wir unsere ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Politik fort . Wir haben uns damals nicht durchgesetzt und des Abg. Gerhard Zwerenz [PDS] - mit der Forderung, das Prinzip Rückgabe vor Ent- Lachen und Widerspruch bei der CDU/CSU schädigung nicht in den Vertrag zu schreiben. Alle und der F.D.P.) Beteiligten wissen: Wir wollten das anders. Was dar- Meine Damen und Herren, historisch war es so - aus geworden ist, wissen viele: ein Vermögensaufbau auch wenn Sie das vielleicht nicht wissen -, daß der West in vielfältiger Form. Das wird im Osten heftig Euro nicht von Helmut Kohl durchgesetzt wurde. kritisiert; wie wir meinen: zu Recht. Deshalb sage ich für die deutschen Sozialdemokraten: Am Bodenrecht (Zurufe von der CDU/CSU: Sondern von wird nicht weiter herumgefummelt. Schröder?) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ - Nein, von Schröder auch nicht. Da haben Sie recht. DIE GRÜNEN) - Der Euro wurde von dem französischen Staatspräsi- denten durchgesetzt, der nach der deutschen Einheit Was wir brauchen, ist eine Verstetigung der Inve- stitionen in den neuen Ländern. Was wir brauchen, diesen Vertrag zur Bedingung des weiteren Vorge-- hens gemacht hat. Das ist die historische Wahrheit. ist eine Konzentration auf die gewerbliche Produk- Also lassen Sie das Gerede von „Der Euro spricht tion. Ich glaube, das ist mittlerweile unstreitig. Und deutsch"! wenn darüber Einigkeit besteht, dann ist das auch in Ordnung. Ich sage aber noch einmal: Wenn man (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- diese ganze Reihe von Versprechungen macht, dann ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) muß man sie auch mit der eigenen Finanzpolitik und den Steuersenkungsversprechungen in Übereinstim- Herr Bundeskanzler, vielleicht unterhalten Sie sich mung bringen. einmal mit Herrn Genscher über diese Frage. Ich wi ll das nicht weiter vertiefen. Das ist auch alles schrift- Ich wende mich jetzt einmal an die F.D.P. Nicht ich, lich fixiert. Vielleicht sollte man nicht nur die eigenen sondern Zeitungskommentatoren haben auf Grund- Memoiren, sondern auch die anderer lesen. Das wei- lage Ihrer Parteitagsbeschlüsse Steuerausfälle in tet manchmal den Horizont. Höhe von 150 Milliarden DM hochgerechnet. Ich bitte Sie, diese noch einmal zu überprüfen und be- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- züglich Ihrer Versprechungen vielleicht zu Zahlen zu ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) kommen, die sich noch irgendwo im Grenzbereich Noch einmal: Es lag in der großen Linie französischer der Realität bewegen. So nämlich kann man Staats- Außenpolitik, so vorzugehen. Deshalb ist es eine verdrossenheit schüren. Die Wählerinnen und Wäh- Chance - das war der ganze Sinn -, die europäische ler wollen nicht permanent in die Irre geführt wer- Einigung zustande zu bringen. Weder der Euro noch den. die europäische Einigung sprechen dabei deutsch. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Sie sprechen viele Sprachen, und so sollte es auch DIE GRÜNEN) bleiben. Ich möchte noch den Bereich der Förderung von (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Forschung, Bildung und Ausbildung ansprechen DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der und sagen, daß diese in den vergangenen Jahren im- PDS) mer die wichtigste Investition war, die wir in Ich möchte noch ein paar Worte zum Aufbau Ost Deutschland überhaupt tätigen konnten. Denn ein sagen. Ich will überhaupt nicht in Abrede stellen, Land, das keine Rohstoffe hat, muß in die Fähigkei- daß dabei eine ganze Reihe richtiger Entscheidungen ten der Menschen, in die Fähigkeiten der Köpfe inve- getroffen wurde, daß vieles geleistet worden ist und - stieren. Da ist in den letzten Jahren einiges falschge- auch dem stimme ich zu - daß die westdeutschen laufen. Steuerzahler in großem Umfang ihren Beitrag gelei- ( [F.D.P.]: In Nordrhein-Westfa stet haben, um den Aufbau in den neuen Ländern zu len! Wir gucken uns die Zahlen alle an, finanzieren. Wir sollten uns gemeinsam freuen, daß Herr Ministerpräsident!) das dort entsprechend anerkannt und aufgenommen wird. Ich sage also gerade nicht, alle Entscheidun- - Ich greife das gerne auf und sage noch einmal: Es gen, die getroffen wurden, seien falsch gewesen. ist unredlich, Steuervorschläge vorzulegen, die die Eine ganze Reihe von Entscheidungen war richtig. Länder mit weiteren Steuerausfällen in Höhe von Wer sollte das bestreiten? 25 Milliarden DM konfrontieren würden, um dann zu 22920 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland) sagen: Ihr tut zuwenig für Schulen, Universitäten, Ausbildung erhält, nicht vom Einkommen seiner El- Polizei usw. Das ist einfach unredlich. tern abhängig ist. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Im übrigen ist das Steuerrecht auch gar nicht so PDS) konzipiert, daß der Bund, wenn er irgendwelche strukturfördernden oder stimulierenden Wirkungen Zu einem anderen Thema - ich möchte dies nicht entfalten will, zunächst an Steuern herangeht, die so- so ausführlich ansprechen -, zum Thema des Um- wohl den Bund als auch die Länder und die Gemein- weltschutzes. Ich will hier nur klarstellen: Die Ener- den betreffen. Die Finanzverfassung sieht etwas an- giepolitik ist nun einmal der Schlüssel, wenn es deres vor. Diese Debatte aber möchte ich jetzt nicht darum geht, für kommende Generationen, die heute beginnen. Vielleicht führen wir sie in anderer Form noch keine Lobby haben, eine lebenswerte Umwelt an anderer Stelle fort. sicherzustellen. Deshalb müssen wir do rt investieren. Deshalb brauchen wir do rt neue Technologien. Und Auf jeden Fall - das sage ich noch einmal - ist auch deshalb müssen wir auch unser Steuer- und Abga- die Ausbildung in Deutschland die Grundlage unse- benrecht dieser Zielsetzung anpassen. res Wohlstandes. (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Sehr richtig!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Es ist nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Eu- Ein Land, das ein Privatvermögen von über 10 000 ropa falsch, die Arbeit immer stärker zu belasten und Milliarden DM hat, wenn auch ungleich verteilt, muß den Umweltverbrauch relativ zu entlasten. Deshalb jedem Jugendlichen eine Ausbildungsstelle zur Ver- brauchen wir diese Reform. Da hat in Ihrer Partei fügung stellen. Das Geld dazu haben wir. Schäuble recht, und die, die ihn bremsen, haben un- recht, um das in aller Klarheit zu sagen. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Wir stimmen überein, daß es wünschenswert ist, wenn die Wirtschaft dies von sich aus leistet. Da gibt Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen: es, soweit ich das verfolgt habe, nirgendwo Wider- Vor der Wahl bieten wir zwei unterschiedliche Poli- spruch. Ich füge aber hinzu: Wenn der Trend weiter- tikvorstellungen, Politikkonzepte an. geht, daß über 60 Prozent der Bet riebe nicht ausbil- (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Da den - wir danken den etwa 33 Prozent, den Hand- haben Sie recht: CDU und Rotgrün!) werksmeistern, den Mittelständlern, den Selbständi- gen und den Einzelhändlern, die ausbilden -, - Sehen Sie. Wir haben das Testat von Schäuble. Es gibt Unterschiede. Auch hier ist Ihr Wahlkampf et- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- was unschlüssig. Die einen behaupten, es gebe ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN keine, die anderen behaupten, es gebe Unterschiede. und der PDS) Das soll in der Demokratie auch so sein. dann werden wir die Bet riebe, die nicht ausbilden, In diesem Land hat sich die soziale Achse hin zu belasten und die Bet riebe, die ausbilden, entlasten. den höheren Einkommen, den größeren Vermögen Anders ist das nicht zu machen. Als Ministerpräsi- verschoben. Mehr und mehr Menschen sind deshalb dent des Landes Rheinland-Pfalz hat der jetzige unzufrieden. Ich sage an die Adresse der Jugendli- CDU-Vorsitzende dies im übrigen ebenfalls gefor- chen nicht nur in den neuen Ländern, sondern auch dert. - Das ist unsere Position. Die Wählerinnen und in den alten Ländern, die rechts gewählt haben, und Wähler werden darüber entscheiden. an die Adresse der Langzeitarbeitslosen, die viel- leicht aus Verzweiflung rechtsradikale Parteien ge- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ wählt haben: Die Lehre der Weimarer Republik ist: DIE GRÜNEN sowie des Abg. Gerhard Jüt- Rechtsradikale haben in deutschen Parlamenten temann [PDS]) nichts verloren. Sie haben diesem Land nur Krieg Ich kann im Rahmen dieser Haushaltsdebatte nicht und Unglück gebracht. all unsere Linien ansprechen. Die Tatsache aber, daß (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE die Zahl der Kinder aus den Arbeitnehmerhaushalten GRÜNEN und der PDS - Bundesminister an den Universitäten immer weiter zurückgeht, ist Dr. Theodor Waigel: Linksradikal gibt es eine Fehlentwicklung. nicht?) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ - Ich will das Wort „linksradikal" gerne einmal auf- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der nehmen. Wenn Sie diese Watschen auch noch wol- PDS) len, können Sie sie gerne haben. Die Partei des Hel- mut Kohl und die Partei des Herrn Gerhardt arbeiten In unserem Lande sind die Begabungen gleichver- in den neuen Ländern überall mit der PDS zusam- teilt. Sie sind Gott sei Dank nicht nach dem Wohl- men, stand der Eltern verteilt. Deshalb müssen wir, so schwer es auch immer ist, die Rahmenbedingungen (Widerspruch bei der CDU/CSU und der so gestalten, daß die Frage, ob jemand eine gute F.D.P.) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 22921

Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland) und Sie haben hier Leute, die als Blockflöten Mauer- so daß Sie jetzt wieder von den Unterschieden spre- bau und Stacheldraht gerechtfertigt haben. Da füh- chen können, auf die es Ihnen ankommt. ren Sie dann eine so verlogene Kampagne! Es ist doch lächerlich, was Sie aufführen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Herr Stollmann redet eine ganz andere Sprache. DIE GRÜNEN - Lachen bei der CDU/CSU) Nachdem Herr Kollege Schröder noch einmal aus- drücklich versichert hat, daß er an dieser Nominie- Es ist nun einmal so: Sie haben sich in vielfältiger rung festhalten werde, wird es Ihnen nach der Wahl, Form in Widersprüche verwickelt. Sie sind unterei- falls Sie überhaupt in die Situation kommen, eine Re- nander zerstritten, und Sie sind auch nicht wahrhaf- gierung zu bilden, außerordentlich schwerfallen, das tig. Deshalb wollen immer mehr Menschen in zu praktizieren, was Sie vorhin in einer durchaus Deutschland den Wechsel. Wir werden diesen Neu- geistreichen Passage über die Tatsache gesagt ha- anfang demnächst beginnen. Deshalb wird der Bun- ben, daß man innerhalb der Parteien den Zusammen- deshaushalt demnächst in anderer Form vorgelegt. halt wahren müsse. Ich habe den Eindruck, daß Sie (Langanhaltender Beifall bei der SPD - Bei- das in den letzten Wochen des Wahlkampfs in der fall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie Weise tun wollen, daß nur noch Sie reden. Deshalb bei Abgeordneten der PDS) ist es gerechtfertigt, sich mit Ihnen auseinanderzuset- zen. ,

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Vizepräsident Hans - Ulrich Klose: Das Wort hat der Ministerpräsident Professor Dr. Kurt Biedenkopf, Freistaat Sachsen, Bundesrat. Ich möchte schließlich nur noch zwei Vorbemer- kungen machen, weil mir das gerade im Blick auf den Aufbau Ost wichtig ist. Sie haben mit Ihrer Kritik Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf (Sachsen) an der Infragestellung des Bund-Länder-Finanzaus- (mit Beifall von der CDU/CSU begrüßt): Herr Präsi- gleichs zweifellos Bayern und Baden-Württemberg dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! gemeint, die mit einer Klage vor dem Bundesverfas- sungsgericht den Versuch unternehmen, die verfas- (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ sungsrechtliche Vertretbarkeit des jetzigen Finanz- DIE GRÜNEN]: Zwei Kohl-Kritiker hinter- ausgleichs unter den Ländern und des vertikalen einander! Das ist unfair!) Finanzausgleichs zwischen Bund und Ländern prü- Herr Kollege Lafontaine, Sie haben im Schlußteil fen zu lassen. Ihrer Rede einige Anmerkungen eher flüchtiger Art Ich habe dieser Initiative der beiden Länder aus- zu dem Aufbau Ost gemacht. drücklich zugestimmt, weil sie nicht gegen den Auf- (Ina Albowitz [F.D.P.]: Das kann man wohl bau Ost gerichtet ist. sagen!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Daß das so ausfallen mußte, haben Sie dann mit der Feststellung bestätigt, daß die CDU überall mit der Ich habe vielfältig - auch im des Freistaates PDS zusammenarbeite. Das würden nicht einmal Sachsen - Gelegenheit genommen, darauf hinzuwei- Ihre sozialdemokratischen Kollegen im Freistaat sen, daß wir diese Klärung für notwendig halten. Sachsen behaupten, die nämlich - im Unterschied zu denen in Sachsen-Anhalt - auch nicht mit der PDS Erstens. Eine solche Klage wird wahrscheinlich die zusammenarbeiten wollen. Bereitschaft der Länder zu einer einvernehmlichen Klärung der Probleme erhöhen. Wir haben es auch in (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) früheren Zeiten erlebt, daß die Einreichung einer Klage den Willensbildungsprozeß unter den Ländern Beide Parteien im Freistaat Sachsen sind der Mei- gefördert hat, so daß am Ende Klagen überflüssig ge- nung, die beste Methode, sich mit der PDS erfolg- worden sind. Hessen hat zum Beispiel in diesem reich auseinanderzusetzen, bestehe darin, den Auf- Sinne Entscheidungen unter den Ländern bewirkt, bau Ost zum Erfolg zu führen; indem es zunächst geklagt hat.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Zweitens. Herr Kollege Lafontaine, wir sollten dar- denn nur aus wirklichen oder vermeintlichen Mißer- auf hinweisen, daß sich dieser Initiative von Bayern folgen hat sich die PDS bisher politisch gestärkt ge- und Baden-Württemberg inhaltlich auch Hessen an- fühlt. geschlossen hat und daß sich Nordrhein-Westfalen außerordentlich interessie rt daran zeigt. Das ist ver- Sie haben davon gesprochen, daß es Unterschiede ständlich; denn diese vier Länder sind diejenigen, gebe. Wir sind unter dem Gesichtspunkt der anste- die den großen Teil des Finanzausgleichs tragen, henden Wahlentscheidung dafür dankbar, daß diese während die anderen Länder vom Finanzausgleich Unterschiede heute deutlich geworden sind. Daß sie profitieren. Ihr Land, das Saarland, profitiert nicht in der Vergangenheit nicht immer so deutlich wur- nur vom Finanzausgleich, sondern auch vom Solidar- den, Herr Kollege Lafontaine, hängt damit zusam- pakt, in dem eine Zuweisung an das Saarland und men, daß sich Herr Stollmann des öfteren geäußert vorgesehen ist, was ich ja durchaus für rich- hat. Den haben Sie inzwischen allerdings stillgelegt, tig halte. Nur, wenn Sie jetzt diese Art von Kritik 22922 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf (Sachsen) üben, dann sollten Sie den Sachverhalt richtig dar- gut. Denn die Menschen wollen ja wissen, zwischen stellen. welchen unterschiedlichen Positionen sie entschei- den und was die reale Alte rnative ist. Der wichtigste (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Unterschied - das hat mir Ihre Rede bestätigt - ist der Es hat keinen Zweck - und dagegen möchte ich mich Unterschied in der Wahrnehmung der Wirklichkeit. auch ausdrücklich verwahren -, daß Sie jetzt durch (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU solche Formulierungen zur West-Ost-Spaltung bei- und der F.D.P.) tragen. Das ist das Kernproblem der Auseinandersetzung. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wenn ich von einer Wirklichkeit ausgehe, wie sie Denn nichts anderes, Herr Kollege Lafontaine, ist Herr Kollege Lafontaine und wie sie die Sozialdemo- das. kraten in Publikation nach Publikation, unterstützt durch einen Teil der Medien, darstellen, und diese Baden-Württemberg und Bayern sind unsere Pa rt Wirklichkeit zur Grundlage von Politik mache, muß -nerländer, und diese beiden Länder haben in den diese Politik scheitern, weil sie etwas zu gestalten letzten acht Jahren enorme Leistungen für den Auf- versucht, was es gar nicht gibt. bau im Freistaat Sachsen erbracht, für den ich im Bundesrat und auch hier sprechen kann. Diese Lei- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) stungen dürfen jetzt nicht durch den Verdacht in Die Grundlage für jede Politik ist eine realistische Frage gestellt werden, diese beiden Länder wende- Einschätzung der jeweiligen Situation, die man poli- ten sich gegen den Aufbau Ost. Das möchte ich mit tisch gestalten will. Dies ist eine notwendige Voraus- aller Entschiedenheit zurückweisen. setzung, Herr Kollege Lafontaine, wie Sie es in Ihrem (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Buch zusammen mit Frau Christa Müller beschrieben haben. - Das aber wird von Ihnen nicht gemacht. Wenn Sie, Herr Kollege, die Unterlagen der Klage und alles, was dazu von den Ländern, von mir, von Ich will jetzt meine Sicht der Wirklichkeit Ihrer ge- Ministerpräsident und anderen, ge- genüberstellen. Sie sprechen von einem Land, das - äußert wurde, lesen würden, würden Sie feststellen, wenn die Wirklichkeit so wäre, wie Sie sie beschrei- daß das nicht der Fall ist. Bernhard Vogel ist der glei- ben - eigentlich daran verzweifeln müßte. Das Ge- chen Auffassung wie ich. Was sollte uns als arme genteil ist aber richtig. Ich möchte folgendes dazu sa- Länder veranlassen, etwas zu unterstützen, wenn es gen, obwohl es von vielen Menschen in diesem Saal, gegen uns gerichtet wäre? aber nur von einer Minderheit in Deutschland als Provokation verstanden werden kann: Es ist den Das zweite betrifft Ihre Bemerkung zu Rückgabe Deutschen zwischen Rhein und Oder noch nie so gut vor Entschädigung. Ich halte auch diese Formulie- gegangen wie heute. rung für sachlich falsch und zum jetzigen Zeitpunkt für geeignet, neue Konfrontationen auszulösen, statt (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - zur Einheit des Landes beizutragen. Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Ja, richtig!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Das beziehe ich ausdrücklich nicht nur - obwohl das „nur" hier fehl am Platz ist - auf den Umstand, daß Es gibt niemanden im politischen verantwortlichen wir eine begründete Aussicht haben, auf lange Zeit Bereich, der das Problem der Bodenreform wieder weiter in Frieden leben zu können. Das ist etwas, aufrollen will. Das, was hier diskutiert wird, ist die was zum Beispiel die Generation meines Vaters nicht Frage, ob die zwischen 1945 und 1949 Enteigneten hatte. das Recht haben sollen, aus dem Bestand, der jetzt (Zuruf von der CDU/CSU: Jawohl!) vom Bund verwaltet wird, zurückzukaufen, und zwar ehe man das Grundstück anderen anbietet; es geht Das begründe ich nicht nur damit, daß wir Deutschen also um eine gewisse Präferenz in bezug auf den Er- in Freiheit und mit Zustimmung unserer Nachbarn werb - nicht auf die Rückgabe - der Ländereien, die die Wiedervereinigung erreichen konnten; vielmehr der Bund im Zuge der Privatisierung des enteigneten begründe ich das ausdrücklich auch mit der wi rt Landes ohnehin verkaufen will. Dabei sind auch -schaftlichen Situation. noch großzügigere Einschränkungen vorgesehen. Man will die Pachtverträge, auch die langfristigen In der Rede des Kollegen Lafontaine gab es viele Pachtverträge, eben nicht in Frage stellen. Alle ande- bemerkenswe rte Aperçus und viele sicherlich legi- ren Äußerungen hierzu stützen weder die Sozialde- time Angriffe, aber es gab sehr wenige Fakten. Las- mokraten noch die Christdemokraten, noch die deut- sen Sie mich deshalb einige nachliefern. Die Wohl- sche Einheit, sondern nur die PDS. Ich denke, das ha- standsentwicklung in Westdeutschland dokumen- ben Sie nicht vor. tiert sich wie folgt. Seit 1982, also seit der Übernahme der Regierung durch die CDU, die CSU und die (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) F.D.P. unter Führung von Helmut Kohl, ist das Brutto- inlandsprodukt pro Einwohner - es schließt die durch Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich Zuwanderung gewachsene Einwohnerzahl in West- möchte mit meinem Beitrag in dieser Debatte den deutschland ein - real um 34 Prozent gestiegen, so- Versuch machen, noch etwas zu den Grundlagen mit in 16 Jahren um ein Drittel. Das ist eine unglaub- beizutragen, auf denen wir die Wirtschafts-, Finanz- liche Leistung. und Sozialpolitik aufbauen. Herr Kollege Lafontaine, Sie haben die Unterschiede betont, und das ist sicher (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 22923

Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf (Sachsen) Das Bruttoinlandsprodukt pro Erwerbstätigen ist auf halten dient der Alterssicherung und der Sicherung Grund der Arbeitsproduktivität um 38 Prozent gestie- vor anderen Risiken, die in den Arbeitnehmerhaus- gen. Das Bruttoarbeitseinkommen ist real um 15 Pro- halten durch die kollektiven Systeme abgedeckt zent gestiegen. Das eigentliche Problem ist also nicht werden. Deshalb ist eine Vermögensverteilungsde- der Zuwachs des Bruttoeinkommens, einschließlich batte nur dann ehrlich, wenn man die Rentenan- der Arbeitnehmeranteile, sondern die wachsende Be- sprüche der Erwerbsbevölkerung in die Vermö- lastung der Arbeit. gensverteilung einbezieht. (Karl Diller [SPD]: Ja, durch eure Politik!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Das führt nämlich dazu, daß die Nettoarbeitsentgelte Da wir davon ausgehen, daß diese Ansprüche eigen- nur um 1,4 Prozent gestiegen sind. Darin gründet tumsähnlichen Charakter haben, ist es völlig uner- sich die von der Opposition ebenso wie von uns ver- träglich und für die Arbeitnehmerhaushalte selbst tretene Überzeugung, daß die Belastung der Arbeit auch unzutreffend, wenn man diese Vermögensbil- verringert werden muß. dung ausklammert. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Um welches Vermögen handelt es sich? Würde sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- man die Zahlungen, die die Arbeitnehmerhaushalte SES 90/DIE GRÜNEN) in die Rentenversicherung leisten, so behandeln, als hätten sie der Vermögensbildung gedient und als Das ist völlig richtig. Insofern gibt es einen, wie ich wären sie mit jeweils 4 Prozent verzinst worden, meine, wichtigen Konsens, der auch gar keinen An- dann würde jemand aus dem Geburtenjahrgang laß bietet, „die Pferde zu wechseln". Das verfügbare 1960 ein Vermögen von knapp 800 000 DM durch die Einkommen der Privathaushalte pro Einwohner in Beiträge, die er über 35 Jahre zahlt, gebildet haben, Deutschland (West) ist real um 25 Prozent gestiegen. ein Mitglied des Geburtenjahrgangs 1970 nach 35 Er- Das schließt die Transfereinkommen und die Vermö- werbsjahren eines von knapp 1 Million DM und ein genseinkommen ein. Die Nettovermögen der Privat- Mitglied des Geburtenjahrgangs 1980 nach 35 Jahren haushalte pro Einwohner sind um 37 Prozent gestie- eines von ungefähr 1,2 Millionen DM. Diese Beträge gen; die Sozialhilferegelsätze für den Einpersonen- - selbst wenn ich sie ohne Verzinsung rechne, sind es haushalt sind real um 14 Prozent gestiegen. Ich immer noch rund 400 000 bis rund 600 000 DM - sind glaube nicht, daß es viele Länder in der Welt gibt, in Sicherungen der Arbeitnehmer im Sinne Ludwig denen sich die wirtschaftliche Situation der Bevöl- Erhards: Vermögensbildung als Sicherung der Frei- so dramatisch verbessert hat wie in Deutsch- kerung heit und der Unabhängigkeit des einzelnen. land in den letzten 16 Jahren. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Die Aufforderung, die Arbeitnehmer sollten mehr Nun wird in diesem Zusammenhang immer wieder Vermögen bilden, ist nur dann realistisch, wenn die kritisiert. Der pauschale Vor- Vermögensbildung die Vermögensbildungsfähigkeit der Arbeitnehmer- wurf der ungleichen Vermögensverteilung ist unzu- haushalte nicht durch immer höhere Beiträge für treffend. Beim internationalen Vergleich - wir müs- die Sozialsysteme eingeschränkt wird. Im Augen- sen ja Vergleichsmaßstäbe haben, wenn wir solche blick können sie praktisch kein zusätzliches Vermö- Behauptungen aufstellen, an denen man sich orien- gen bilden oder jedenfalls nur sehr wenig. Die we- tieren kann - ergibt sich, daß die Vermögen bei uns nigen Versuche, eine Entlastung vorzunehmen, die bemerkenswert gleichmäßig verteilt sind. Das gilt wir bisher auf Grund der politischen Mehrheitsver- insbesondere für den Besitz von Immobilien. Schon hältnisse machen konnten, wollen Sie, Herr Lafon- 1993 - das gilt für ganz Deutschland - hatte nach der taine, aber alle wieder rückgängig machen. Das Einkommens- und Verbrauchsstichprobe des Statisti- heißt, die Voraussetzungen für Ihre Forderung schen Bundesamtes jeder zweite Haushalt in West- „Mehr Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand" deutschland - Einpersonenhaushalte eingeschlossen wollen Sie wieder aufheben, indem Sie die Arbeit- von durchschnittlich 423 000 - Immobilienvermögen nehmerhaushalte durch höhere Beiträge und im DM. In Ostdeutschland hatte jeder vierte Haushalt, übrigen auch durch höhere Mehrwertsteuern - auch genau 28 Prozent, ein Vermögen von im Durchschnitt in Ihrem Buch ausführlich dargestellt, und zwar im 210 000 DM. Das sind beachtliche Vermögen. Alle Sinne der Entlastung der Arbeitnehmer - zusätzlich diese Werte haben sich inzwischen wesentlich ver- belasten. Diese Widersprüchlichkeit zeigt, daß Ihr bessert. Nimmt man nur die Zwei- und Mehrperso- Konzept nicht durchdacht ist. Es kann nicht aufge- nenhaushalte in Westdeutschland, so ist festzustel- hen. len, daß zwei Drittel Immobilienvermögen haben. Die abhängig Beschäftigten haben einen wesentli- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) chen Teil dieses Vermögens gebildet. Bisher haben Sie zwar viel von Vermögensbildung Betrachtet man das Geld- und Betriebsvermögen, gesprochen, de facto aber jeden Schritt in Richtung so ergibt sich, daß die Verteilung ungleicher ist. der individuellen Vermögensbildung erschwert oder Aber diese ungleiche Vermögensverteilung darf behindert. Ihre jüngsten Vorschläge, nun durch nicht betrachtet werden, ohne zu berücksichtigen, Beiträge einen Kapitalstock in der Rentenversiche- daß 10 Prozent der Bevölkerung, die nicht Arbeit- rung zu bilden, aber nicht in Form von individuellem nehmer sind, ihre Lebensrisiken durch Kapitalbil- Vermögen, sondern von Kollektivvermögen, führen dung abdecken müssen. Ein wesentlicher Teil der ebenfalls in die Irre. Das bedeutet nur, daß riesi- Vermögensbildung in den Nichtarbeitnehmerhaus- ge Kapitalvermögen angesammelt werden, die vor 22924 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf (Sachsen) politischer Intervention zu schützen fast unmöglich bleme gelöst, wir haben als Politiker dazu einen Bei- ist. trag leisten können. - Vielmehr hören sie ständig, daß das Ergebnis ihrer Anstrengungen unzureichend Wir haben aber nicht nur einen gewaltigen Anstieg ist und immer schlechter geworden ist. So kann man des Wohlstandes in Deutschland in der erfaßten Öko- eine Bevölkerung in der Demokratie nicht zu weite- nomie. Zur Wirklichkeit in Deutschland gehört auch ren Leistungen anspornen. Aber gerade das wollen der Blick auf die Schattenwirtschaft. Die Deutsche Sie doch! Bundesbank hat festgestellt, daß die Wertschöpfung in der Schattenwirtschaft inzwischen auf 560 Milliar- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) den DM angestiegen ist. Diese Wertschöpfung ent- spricht der Arbeit von 6 Millionen abhängig Beschäf- Nun lassen Sie mich in dieser Bestandsaufnahme tigten in der gleichen Zusammensetzung wie bei den noch ein Schlußwort zur heutigen Situation sagen. gesamten Beschäftigten in Deutschland. Zum größten Teil sind die Teilhaber an der Schat- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das war es tenökonomie Erwerbstätige, zum geringeren Teil dann schon?) sind es Arbeitslose oder solche, die dem Arbeits- markt sonst gar nicht zur Verfügung stehen. Würden Das bisherige Wirtschaftswachstum hat dazu ge- wir diese Schattenökonomie mit einbeziehen, wäre führt, daß wir heute ein Bruttoinlandsprodukt von unser Bruttoinlandsprodukt um ein Sechstel höher 45 800 DM pro Kopf der Bevölkerung gemeinsam er- als ausgewiesen. Die Schattenökonomie ist schneller wirtschaften. Das ist eines der höchsten Bruttoin- gewachsen als das Bruttoinlandsprodukt. Das ist in landsprodukte der Welt. Wenn dieses Bruttoinlands- der Tat ein Krankheitssymptom. produkt real um 2,6 Prozent wächst, dann scheint das relativ wenig. In absoluten Zahlen sieht die Sache Worauf beruht diese Krankheit? Sie beruht auf ei- ganz anders aus: Wenn das heutige Bruttoinlands- ner Überforderung der arbeitenden Bevölkerung produkt um 2,6 Prozent wächst, wächst es um fast oder der Bevölkerung insgesamt durch Steuern und 100 Milliarden DM oder um etwa 1200 DM pro Kopf Abgaben, angesichts deren sie sich immer mehr der Bevölkerung real oder um etwa 100 DM pro durch Ausweichen aus der legalen Ordnung in die Monat und Einwohner der Bundesrepublik Deutsch- Schattenordnung begibt. Das ist ein Massenphäno- land. Wenn wir 1998/99 die projizierte Wachstums- men, kein Phänomen der Reichen. rate von 2,7 Prozent erreichen, wächst es wieder um rund gut 100 Milliarden DM. Das heißt, in den zwei (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Jahren von 1997 bis 1999 ist das Bruttoinlandspro- Weil es ein Massenphänomen ist, müssen wir uns mit dukt pro Haushalt in der Bundesrepublik Deutsch- den Ursachen auseinandersetzen. Der Bevölkerung land in nur einem Jahr um 2700 DM real gewachsen, nun einzureden, man könne diese Probleme durch in zwei Jahren um 5000 DM. eine stärkere Belastung der Reichen lösen, ist lächer- lich. Wenn es uns nicht möglich ist, bei einem solchen Zuwachs unseres Volkseinkommens mit dem auszu- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU kommen, was die Bürger uns bisher für staatliches und der F.D.P.) Handeln zur Verfügung stellen, dann müssen wir uns große Vorwürfe machen. Schließlich haben wir in Deutschland - auch das übergeht die Opposition bei ihrer Wahrnehmung der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wirklichkeit - einen wachsenden Bereich an Eigen- arbeit. Die wachsende, auch finanzielle, Leistungsfä- In diesem Zuwachs liegen die Reserven, um die vom higkeit der Haushalte - gerade auch der Arbeitneh- Finanzminister angestrebte Konsolidierung der öf- merhaushalte - hat dazu geführt, daß sie sich in im- fentlichen Haushalte zu erreichen und Neuverschul- mer stärkerem Maße auch mit den eigenen kleinen dungen in größerem Umfang zu vermeiden. Investitionen für Eigenarbeit ausstatten können. Die Baumärkte gehören zu den erfolgreichsten Ge- Ein Wort noch dazu, weil Sie, Herr Kollege Lafon- schäftsbereichen in Deutschland, weil die Nachfrage taine, die Verschuldung angesprochen haben. Ich nach Eigenarbeit immer größer wird. Im ländlichen wäre Ihnen dankbar, wenn Sie die Verschuldung, die Raum werden bis zu 80 Prozent der Eigenheime in in den letzten acht Jahren entstanden ist, etwas deut- Eigenarbeit und Nachbarschaftshilfe - nicht einmal licher vor dem Hintergrund der Leistungen würdigen in der Schattenökonomie - erstellt. würden, die die westlichen Länder der Bundesrepu- blik Deutschland in den letzten acht Jahren erbrin- Alles dies sind eindrucksvolle Daten für die wirt- gen mußten. Die Transferleistungen von West- schaftliche Leistungsfähigkeit unseres Landes. deutschland nach Ostdeutschland, die ich vor diesem (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Hohen Hause schon als einen Ausdruck großartiger nationaler Solidarität bezeichnet habe, machen bis- Wer diese kaputtredet, nimmt den Menschen im her insgesamt 73 000 DM pro Kopf der Bevölkerung Land die Motivation. Das Schlimmste an dieser in Ostdeutschland aus. Wer eine solche Leistung er- Debatte über die irreale Wirklichkeit ist nämlich, daß bringt und wer gleichzeitig Wachstumsraten zu- die Menschen nicht hören: Ihr habt das in den letzten stande bringt sowie in einem wesentlichen Teil dieser Jahrzehnten und vor allen Dingen in den letzten Zeit das reale Bruttoinlandsprodukt auf die Höhe zehn Jahren hervorragend gemacht, ihr habt die Pro- führen kann, auf der es heute ist, der hat Respekt Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 22925

Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf (Sachsen) verdient. Das sind die Deutschen selbst, und das ist der weiteren Entwicklung des Arbeitsmarktes. Die die Bundesregierung. Arbeitslosigkeit in Deutschland ist nach wie vor au- ßerordentlich hoch. Eine pauschale Behandlung die- (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und ser hohen Arbeitslosenzahlen ist als Grundlage für der F.D.P.) Politik aber falsch. Ich bin sehr glücklich, daß das in- Herr Kollege Lafontaine, ich bin gerne bereit, zwischen auch maßgebliche Männer und Frauen im Deutschen Gewerkschaftsbund so sehen - unter an- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Wieso kann derem auch der Vorsitzende der IG-Metall. Ich hatte man das nicht richtig finanzieren?) vor wenigen Wochen die Gelegenheit, mit ihm in ei- mich im nachhinein mit Ihnen darüber zu unterhal- ner Veranstaltung der Hans-Böckler-Stiftung in Han- ten, ob wir vor einiger Zeit die Steuern vielleicht et- nover über diese Fragen zu diskutieren. was stärker hätten erhöhen oder ob wir uns weniger Wenn wir eine vernünftige Politik machen wollen, hätten verschulden müssen. Ich bin aber nicht bereit, müssen wir auch in diesem Bereich von der Wirklich- mich mit jemandem zu unterhalten, der im Jahre keit ausgehen. Die Wirklichkeit ist - ohne unzuläs- 1990 im Bundesrat den Vertrag über die Wirtschafts- sige Vereinfachung - diese: Ein Drittel der registrier- und Währungsunion abgelehnt hat ten Arbeitslosen in Deutschland ist weniger als drei (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und Monate arbeitslos. Diese Menschen finden innerhalb der F.D.P.) von drei Monaten eine neue Tätigkeit. Darin drückt sich nicht ein soziales Elend aus, sondern die Folge und sich damit gerade der Diskussion entzogen hat, einer ungewöhnlich dynamischen Wirtschaft. die Sie heute - acht Jahre später - einfordern. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Alte ordneten der F.D.P.) Kamellen! - Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Rea -litätsverlust!) In dieser Wirtschaft ändert sich die Zuordnung von Produktionsfaktoren, von Arbeitskräften und von - Das sind keineswegs alte Kamellen. Die Leute in- Wissen ständig. Ostdeutschland haben das sehr gut in Erinnerung. Jetzt darf ich wieder Herrn Kollegen Lafontaine (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Blühende Land aus seinem Buch zitieren. Er beschreibt dort aus- -schaften!) drücklich diesen Vorgang der ständigen Verände- Wenn ich mir den Bericht über den letzten Besuch rung der Ressourcenallokation „bis hin zum Ver- von Herrn Kollegen Lafontaine in Dresden anschaue, schwinden ganzer Unternehmensbereiche" als not- dann erkenne ich, daß das auch heute noch so ist. wendige Voraussetzung für die Wettbewerbsfähig- keit der hochentwickelten Industrienationen. (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Natür- lich!) (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) Die Bevölkerung sieht das im übrigen ähnlich. Was heißt das denn, wenn ganze Industriezweige verschwinden und andere neu entstehen? Das heißt, (Zuruf von der SPD: Das werden wir ja wir haben eine große Wanderung von Beschäftigten sehen!) von bisherigen Tätigkeiten zu neuen Tätigkeiten. Diese Wanderung ist in der Regel mit vorübergehen- Sie weiß um die Leistungen, die sie erbracht hat. der Arbeitslosigkeit verbunden. Diese Arbeitslosig- Nach dem „Politbarometer" beurteilt die Bevölke- rung in Gesamtdeutschland im August 1998 ihre ei- keit zu bekämpfen hieße, zu einem statischen Wi rt -schaftsmodell zurückzukehren. Genau das wäre gene wirtschaftliche Lage zu 54 Prozent als „gut", zu falsch. 37 Prozent als „teils-teils" und nur zu 9 Prozent als „schlecht". So schlecht kann die Politik also nicht ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) wesen sein. Deshalb ist es unzulässig, dieses Drittel in der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Form zu demagogisieren, wie das immer wieder in den pauschalen Arbeitsmarktdebatten geschieht. Für Ich habe auch die Zahlen von Sachsen. Do rt sagen die Überwindung der Arbeitslosigkeit dieses Drittels 41 Prozent, die Lage sei gut, 39 Prozent halten sie für sollten wir keine öffentlichen Mittel einsetzen, son- mittelmäßig und 13 Prozent für schlecht. Wenn ich dern wir sollten allenfalls durch eine richtige Wi rt bei denjenigen, die „mittelmäßig" angeben, einmal -schaftspolitik die Entstehung neuer Unternehmen annehme, daß sich die eine Hälfte davon eher für beschleunigen, damit die Frist nicht drei Monate, „gut" und die andere Hälfte eher für „schlecht" ent- sondern nur zwei Monate beträgt. scheiden würde, dann sind es weit über 50 Prozent, die die Lage für gut halten. Ich bin ziemlich sicher, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - daß ein wesentlicher Teil dieser weit über 50 Prozent Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Machen der Menschen ihre Wahlentscheidung nach diesem Sie das doch! Wer regiert denn? Nicht Votum abgeben wird. reden, machen!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) - Machen wir ja. Kommen Sie nach Sachsen, dann können Sie es sehen. Ich sehe, Sie sind selten do rt. Lassen Sie mich abschließend noch einiges zu ei- nem zentralen Problem sagen, das auch die Finanz- Das zweite Drittel sind die Langzeitarbeitslosen, politik unmittelbar betrifft, nämlich zu dem Problem die mehr als zwölf Monate arbeitslos sind. Wie setzt 22926 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf (Sachsen) sich die Gruppe dieser Menschen, denen unsere 30 Prozent gekürzt hat, die es Arbeitslosen erlauben ganze Zuwendung gehört, zusammen? Zwei Drittel sollen, sich selbständig zu machen? Sie hat diese Mit- von ihnen sind entweder über 55 oder ohne jede Aus- tel im letzten Jahr um 30 Prozent gekürzt. bildung oder gesundheitlich beeinträchtigt, und bei zwei Dritteln dieser Gruppe treffen alle drei Kriterien (Ina Albowitz [F.D.P.]: Das ist doch gar nicht zu. Das heißt, etwa die Hälfte ist in dieser Weise be- wahr!) einträchtigt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, jeder, Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf (Sachsen): der behauptet, man könne dieses Problem durch Ma- Ich sehe erstens keinen unmittelbaren Zusammen- kroökonomie, durch Stärkung der Nachfrageseite hang zu dem, was ich gesagt habe oder auf andere Weise lösen, führt die Menschen in (Siegmar Mosdorf [SPD]: Doch!) die Irre. Das ist unmöglich. - nein, -, und zweitens möchte ich ausdrück- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) lich hinzufügen: Mir wäre es sehr lieb, wenn sich die Wir haben inzwischen ganz andere Methoden zu Bundesregierung an diesen Dingen überhaupt nicht entwickeln versucht, und zwar nicht ohne Erfolg. Wir beteiligen müßte und die Länder dafür etwas mehr sind der Meinung - ich kann hier nur vom Freistaat Mittel hätten; sprechen, aber das wird auf der bundespolitischen Ebene genauso gefördert und unterstützt werden -, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - daß diesen Menschen, etwa einem Drittel, nur in Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: einem hochgradig dezentralen System geholfen wer- Woher denn?) den kann, also auf kommunaler und auf regionaler denn wir möchten nicht alle diese Fragen bis hinun- Ebene. ter auf die kommunale Ebene zentralistisch lösen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Siegmar Mosdorf [SPD]: Das ist okay!) Wir haben deshalb entsprechende regionale Einrich- Wir setzen Landesmittel für diese Probleme ein. tungen geschaffen. Wir haben Stiftungen gegründet. Wir haben die Kommunen unterstützt. Wir haben in (Siegmar Mosdorf [SPD]: Hätten Sie schon Leipzig und in inzwischen Organisationen machen können! Sie haben 16 Jahre Zeit mit bis zu 4 000 Menschen aus diesem Bereich der gehabt!) Langzeitarbeitslosen, die do rt jetzt wieder arbeiten. Wir haben einen erstaunlich hohen Übergang in den Wir haben keine Probleme, diesen möglichen Aus- ersten Arbeitsmarkt. Aber alles ist nur auf lokaler fall, falls er überhaupt besteht - ich bin im Augen- und regionaler Ebene möglich. Es ist sehr viel mehr blick keineswegs sicher -, durch Landesmittel zu der Sozialpolitik als der Makroökonomie verwandt. kompensieren. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Minister- Der Kombilohn kann hier hellen; deshalb sind wir präsident, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage für das Experiment. Übrigens beinhaltete § 249h Ar- des Abgeordneten Blüm? beitsförderungsgesetz auch schon so etwas ähnliches wie den Kombilohn. Das ist gar nicht so neu. Er ist aber aus anderen Gründen nicht so weit, wie wir das Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf (Sachsen): wollten, angenommen worden. Wir können diese Bitte schön. Dinge weiterentwickeln. Das letzte Drittel - gut ein Drittel -, das sind die Dr. Norbert Blüm (CDU/CSU): Herr Ministerpräsi- Menschen, die zwischen drei und zwölf Monaten ar- dent, wären Sie bereit, dem Herrn Abgeordneten beitslos sind. Hier muß die Wirtschafts-, Sozial- und Mosdorf zu sagen, daß wir die Mittel nicht gekürzt, Finanzpolitik einsetzen, um diese Arbeitslosigkeit sondern aufgestockt haben? abzubauen. Das ist auch möglich. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Minister- präsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kol- Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf (Sachsen): legen Mosdorf? Herr Kollege Blüm, ich bin natürlich nicht nur bereit, das zu tun; vielmehr danke ich auch für die Unter- stützung. Uns ist eine Kürzung jedenfalls nicht auf- Ministerpräsident (Sachsen): Dr. Kurt Biedenkopf gefallen; deshalb war sie mir nicht präsent. Bitte schön, Herr Kollege.

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Bitte. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Minister- präsident, jetzt drängt es den Kollegen Mosdorf zu einer weiteren Zwischenfrage. Siegmar Mosdorf (SPD): Herr Ministerpräsident, teilen Sie meine Auffassung, daß es gerade deshalb, weil Ihre Argumente in dem zweiten Punkt stimmen, Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf (Sachsen): falsch ist, daß die Bundesregierung die Mittel um Das kann ich mir gut vorstellen. Bitte. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 22927

Siegmar Mosdorf (SPD): Ich will den Herrn Mi- Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf (Sachsen): nisterpräsidenten nur fragen, ob er dem Bundes- Bitte schön, Frau Kollegin. arbeitsminister mitteilen kann, daß der Etat in diesem Frühjahr wieder angehoben, aber letztes Jahr ge- (SPD): Herr Ministerpräsi- kürzt worden ist. Ingrid Matthäus-Maier dent, da mehrere hier im Raume - auch ich selbst - (Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.) dem Vermittlungsausschuß angehören: Wollen Sie nicht zur Kenntnis nehmen, daß diese Steuerreform aus mehreren Gründen nicht zustande kam? Der Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf (Sachsen): eine Grund war die enorme soziale Schlagseite, die Herr Kollege, Ihr Vorsitzender wirft uns ja immer vor, darin bestand, daß nach Ihrem Konzept Rentner, So- wir seien nicht lernfähig. Sie sehen: Das stimmt zialhilfeempfänger und kleine Leute durch eine nicht. Mehrwertsteueranhebung die Spitzensteuersatzsen- kung für Menschen mit einem Einkommen oberhalb Wo auch immer die Mittel herkommen: Mir kam es von 240 000 DM bezahlen sollten. entscheidend - auch bei Ihrer Zwischenfrage, Herr Kollege - auf die Feststellung an, daß ich im Prinzip (Widerspruch bei der CDU/CSU und der recht habe. Wenn es aber so ist, daß ich im Prinzip F.D.P.) recht habe, dann ist das Hantieren mit Globalzahlen, so wie das in der politischen Auseinandersetzung Zweitens war Ihr Konzept aus unserer Sicht ökono- durch die Sozialdemokraten derzeit geschieht, un- misch unvernünftig. Wenn man statt dessen den klei- lauter, um nicht zu sagen unredlich. nen Leuten und den Familien mit Kindern Geld ge- geben hätte, dann hätten diese Menschen dieses (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Geld nicht im Koffer nach Luxemburg getragen, son- dern zum Einzelhändler. Es lenkt von der Lösung des eigentlichen Problems ab. Der dritte Grund für das Scheitern der Steuerre- form war, daß die Haushaltslöcher ganz unerträglich Wir müssen durch die Steuer- und die Sozialreform gewesen wären, weswegen aus meiner Sicht Theo dem großen Drittel, den rund 40 Prozent helfen, die Waigel am Abend des Scheiterns dem Herrgott hier- zwischen drei und zwölf Monaten arbeitslos sind, die für gedankt hat; denn auch Theo Waigel konnte die noch der Arbeit nahe sind, ihr durch die Zeitdauer Haushaltslöcher nicht ertragen. noch nicht entfremdet wurden, die Fähigkeiten ha- ben, wieder beschäftigt zu werden, die nicht über Behinderungen irgendwelcher A rt verfügen, aber Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf (Sachsen): trotzdem keinen Arbeitsplatz bekommen. Das gilt Was in Theo Waigel vorgegangen ist, kann ich aus natürlich insbesondere für die jungen Leute. eigener Anschauung nicht sagen, weil ich nicht da- bei war. Die Steuerreform ist aus Gründen, die ich hier nicht wiederholen muß, im Bundesrat gescheitert. (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Wir waren Herr Kollege Lafontaine, Sie wehren sich dagegen, dabei!) daß hier vom Scheitern die Rede ist. Aber wir beide Die Berichte, die ich aus dem Vermittlungsaus- wissen doch ganz genau, daß sich unsere Finanzmi- schuß - dem ich nicht angehöre - bekommen habe, nister und der Bundesfinanzminister in den Fragen legen eine etwas andere Bewe rtung nahe. der Steuerreform außerordentlich nahegekommen waren (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Sehr wahr!) (Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Sehr gut!) In den Gesprächen bis zu den Vermittlungsausschuß- verhandlungen waren wir einander sehr nahege- und daß auch sozialdemokratische Finanzminister kommen. aus den Ländern bedauert haben, daß es dann - wie auch immer man das interpretieren will - jedenfalls (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Sehr richtig!) aus allgemeinpolitischen Gründen nicht möglich war, den Sack zuzumachen Daß man natürlich dann, wenn man eine Sache scheitern lassen will, nicht sagt: „Ich lasse sie schei- (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Natür- tern", sondern Gründe politischer A rt findet, warum lich!) sie scheitern muß, und schon zwei Jahre früher das zu tun, was Sie jetzt (Zuruf von der CDU/CSU: Ausreden!) tun wollen und was der Bundesfinanzminister gerade und auch schon lange vorher vorgeschlagen hat, was liegt in der Natur des politischen Handwerks. Aber aber bisher nicht hat umgesetzt werden können. die sogenannte Arbeitsebene, auf der ja die entschei- dende Arbeit gemacht wurde, hat uns sowohl von (lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der seiten der CDU als auch von seiten der SPD wissen F.D.P.) lassen, daß es möglich gewesen wäre, wenn man ge- wollt hätte. Das ist die Wahrheit.

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Minister- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - präsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kol- Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Genauso ist legin Matthäus-Maier? es!) 22928 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf (Sachsen) Frau Kollegin, ich will Ihnen das an einem anderen zogen hat, halte ich nicht nur für falsch, sondern Beispiel verdeutlichen, das ich jetzt sowieso erwäh- auch für kontraproduktiv. Die Vorstellung, man nen wollte, weil es um den Arbeitsmarkt ging. Auch könne auf dem derzeitigen deutschen Arbeitsmarkt in den Fragen bezüglich des Arbeitsmarktes waren durch Steigerung der Nachfrage zusätzliche Be- wir sehr nahe beieinander. Wir haben Ende 1995 in schäftigungswirkungen auslösen, ist falsch. der Runde der Ministerpräsidenten beschlossen, eine besondere Konferenz durchzuführen, um uns mit (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Fragen der Sozialpolitik, der Finanzen und des ordneten der F.D.P.) Arbeitsmarktes zu befassen. Daraus wurde die Kon- Sie wird auch von kaum einem Ökonomen geteilt. ferenz in Krickenbeck in Nordrhein-Westfalen. Herr Kollege Schröder und ich bekamen den Auftrag, die (Walter Hirche [F.D.P.]: So ist es!) Vorlage für den Arbeitsmarkt zu erarbeiten. Wir ha- Das funktioniert eben nicht, Herr Kollege Lafontaine. ben eine gemeinsame Vorlage für den Arbeitsmarkt Sie selbst sind sich ja in dieser Frage - da verweise erarbeitet, in weitgehendem Konsens mit den ich auf Ihr Buch, das ich mit Interesse gelesen habe - Arbeits- und Sozialministerinnen und -ministern keineswegs sicher. Auf der einen Seite wollen Sie noch einmal in Hannover besprochen, dann der Mi- strikte Haushaltsdisziplin, auf der anderen Seite wol- nisterpräsidentenkonferenz vorgelegt und dort weit- len Sie die Nachfrage stützen. Wo soll denn das Geld gehende Zustimmung gefunden. Das war eine außer- für die Nachfrage herkommen? ordentlich wichtige und in meinen Augen auch be- deutsame Bewegung hin auf einen Konsens sowohl (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Fragen Sie in bezug auf die Wirklichkeit als auch in bezug auf doch den Waigel!) die notwendigen Maßnahmen. - Aber entschuldigen Sie, Herr Kollege Waigel macht In diesem Text, den ich hier nicht im einzelnen vor- keine Steuerreform, um die Nachfrage zu stützen, tragen kann, wird ausführlich Stellung genommen: sondern um die Angebotssituation bei den Unterneh- zur Bedeutung der Schattenwirtschaft und dazu, men im Land zu verbessern, - warum sie entstanden ist, zu den hohen Belastungen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) der Arbeit, zur Chancenlosigkeit, unter den gegen- wärtigen Arbeitsmarktbedingungen geringfügige und zwar bis hin zu den kleinsten Unternehmen. Tätigkeiten im ersten Arbeitsmarkt erfolgreich nach- fragen zu können bzw. angeboten zu bekommen, (Detlev von Larcher [SPD]: Die Reichen und insbesondere auch zum Verhältnis zwischen Er- müssen reicher werden!) werbsarbeit und sozialen Sicherungssystemen. Mein - Sie können diesen Unsinn beliebig wiederholen. Es Eindruck ist - ich kann das nicht bis ins letzte verifi- ist Ihre Wirklichkeit, nicht die Wirklichkeit dieses zieren - , daß gerade diese Aussage und insbesondere Landes. die gemeinsam von uns getroffene Feststellung „In Zukunft wird Erwerbsarbeit weder der alleinige noch (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) der wesentliche Kostenträger der sozialen Siche- Was haben die Leute im Land von Sprüchen wie rungssysteme sein können" in der Sozialdemokrati- „Die Reichen sollen nicht reicher werden"? Die schen Partei auf Widerstand gestoßen sind. Jeden- Frage stellt sich, wer investiert. Sie müssen einmal falls konnten wir die Arbeit nicht fortführen. Das die Frage beantworten, wie Arbeitsplätze entstehen. habe ich sehr bedauert. Jetzt wird ein Bündnis für Das tun Sie nie. Wenn ich das Startprogramm oder Arbeit verlangt. Wir waren uns damals in der inhaltli- das Programm der SPD oder anderer - immer auf der chen Beurteilung sowohl der Wirklichkeit wie der Suche nach neuen Erkenntnissen, die man gebrau- notwendigen Maßnahmen sehr viel näher. Daß dies chen kann - durchlese, dann werde ich immer wieder nicht weitergeführt werden konnte, dafür ist nach enttäuscht. Da lese ich: Wir wünschen Arbeit, wir for- meiner Auffassung die Sozialdemokratische Partei dern Arbeit, wir wollen Arbeit. - Wer ist denn „wir" verantwortlich. Ich bedaure das. in dem Zusammenhang? Das ist doch offensichtlich (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) die Sozialdemokratische Partei. Aber Sie bauen über- all - bei den Gewerkschaften und anderswo - Ar- Wir haben auch in diesem Bereich zwei Jahre verlo- beitsplätze ab. Warum denn? Weil die jetzigen Struk- ren. turen nicht mehr stimmen. Wir können nur Arbeit schaffen, wenn wir den Menschen, die bereit sind, Schließlich haben wir den Bericht der bayerisch- das Risiko, zu investieren, einzugehen, zusagen, daß sächsischen Zukunftskommission, deren Empfehlun- sie von diesen Investitionen etwas haben, und zwar gen heftig umstritten sind. Ich finde das sehr gut, da mehr, als wenn sie gutverdienende Arbeitnehmer über etwas gestritten wird, bei dem man sich im wären. Sachverhalt einig ist. Das ist etwas ganz anderes, als wenn man mit zwei Wirklichkeiten operiert. Daß die- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ser Sachverhalt überall - auch im DGB, auch bei Herrn Kollegen Zwickel - unstreitig ist, ist ein großer Das verstehen die Menschen im Land sehr viel bes- Fortschritt. Jetzt geht es darum, aus diesem unstreiti- ser; denn sie erleben, wie Arbeitsplätze zustande gen Sachverhalt die richtigen Schlußfolgerungen zu kommen, sie erleben, wie notwendig es ist, daß ihre ziehen. Unternehmer Geld haben, um zu investieren. Sie er- leben die Gefahren, die auftreten, wenn die Unter- Meine sehr verehrten Damen und Herren, die nehmensvermögen zu gering sind und die Unterneh- Schlußfolgerungen, die Herr Kollege Lafontaine ge- men konjunkturelle Rückschläge nicht auffangen Deutscher Bundestag - 13. Wahlpe riode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 22929

Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf (Sachsen) können, weil die Eigenkapitalausstattung zu gering der großen Verunsicherung richtigstellen mußte. Es ist. Sie reden doch dauernd über die Erhöhung der gibt - bis zum 27. September - Personen, die in Amt Eigenkapitalausstattung. Aber wenn sie erhöht wird, und Würden sind, die das Bodenrecht sehr wohl in beschimpfen Sie die Leute, weil sie reicher geworden Frage stellen. sind. Wie paßt das zusammen? Zweitens. Sie sagen, es geht nur um die Rechts- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) position der Alteigentümer. Ich sage noch einmal ausdrücklich: Wer die Rechtsposition der einen Seite Meine sehr verehrten Damen und Herren, unser stärken will, der muß sich darüber im klaren sein, Plädoyer - ich sage das ausdrücklich nicht nur für daß er die andere Seite schwächt. Das Entschädi- mich oder für die Christlich Demokratische Union, gungs- und Ausgleichsleistungsgesetz ist 1994 nach sondern ich sage es auch für viele Menschen in unse- anderthalbjähriger parlamentarischer Auseinander- rem Land, mit denen ich rede - ist: Laßt uns von der setzung zustande gekommen, weil es einen fragilen Wirklichkeit im Land ausgehen! Da sind Probleme Kompromiß gegeben hat zwischen den Interessen genug. Aber laßt uns nicht die Probleme dadurch fin- der Alteigentümer auf der einen Seite und denen der gieren, daß wir von einer Wirklichkeit ausgehen, die ostdeutschen Bauern, also der Rechtsnachfolger der die Menschen um die Leistung der letzten zehn LPGen, auf der anderen Seite. Wer hier einseitig die Jahre im Osten und um die Leistung der letzten Rechtsposition der Alteigentümer stärkt, der ver- 30 Jahre im Westen betrügt. schlechtert die Rechtsposition der juristischen Perso- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nen in der ostdeutschen Landwirtschaft. Deswegen ist es richtig, zu sagen: Am Bodenrecht wird nicht Denn nicht Sie in diesem Hohen Hause, nicht die herumgedoktert. Das wird mit keiner Gesetzesände- Mitglieder der Landtage, nicht die Bundesregierung, rung und auch nicht auf dem Verwaltungswege ge- nicht die Landesregierungen haben diesen Erfolg schehen - auch nicht nach dem 27. September. herbeigeführt, sondern es waren die Bürgerinnen und Bürger, die an das Land glauben, die in das (Beifall bei der SPD) Land investieren, die zwar maulen und bisweilen un- zufrieden sind, aber im großen und ganzen sagen: Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Minister- Wir wollen, daß sich die Dinge so weiterentwickeln präsident, möchten Sie antworten? wie bisher. Ich bin überzeugt, das werden sie auch am 27. September zum Ausdruck bringen. Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf (Sachsen): (Langanhaltender Beifall bei der CDU/CSU Nein. und der F.D.P.) Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Dann hat jetzt Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort zu ei- das Wort der Kollege Oswald Metzger, Bündnis 90/ ner Kurzintervention hat der Kollege Rolf Schwanitz. Die Grünen.

Rolf Schwanitz (SPD): Herr Präsident! Meine Da- Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): men und Herren! Herr Ministerpräsident, daß Sie die Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin Länder Baye rn und Baden-Württemberg bei der 43 Jahre alt und habe festgestellt, daß es im Leben Klage gegen den Länderfinanzausgleich unterstüt- nicht nur Schwarz und Weiß gibt, sondern daß man zen, war mir neu. Ich will das aber nicht kommentie- differenzieren muß. Wir sind in der Endphase eines ren. Dies ist auch nicht Gegenstand meiner Kurz- hysterischen Wahlkampfes, in dem natürlich der intervention. Sie mögen den Wählerinnen und Wäh- Blickwinkel der jeweiligen Ausgangssituation auch lern in Sachsen erklären, daß sich das nicht gegen die Wahrnehmung bestimmt. Ich knüpfe an das an, Ostdeutschland richtet. was Ministerpräsident Kurt Biedenkopf aus Sachsen gesagt hat. Er hat - ganz zu Recht - die hohe Bela- Ich will meine Kurzintervention auf Ihre Ausfüh- stung des Faktors Arbeit beklagt und daraus die rungen zum Bodenrecht beschränken, durch die ich Schlußfolgerung gezogen, daß die heutige Regierung mich persönlich betroffen fühle und die schlichtweg ihre Arbeit fortsetzen solle. Ich weise darauf hin, daß falsch sind. Sie haben ausgeführt, daß niemand - die Abgabenquote heute so hoch ist wie noch nie in und schon gar niemand, der Verantwortung trage - der Geschichte dieser Republik. Sie beträgt 42,10 DM das Bodenrecht in Frage stellen wolle und daß es nur auf 100 DM Bruttolohn. In bezug auf die fiskalischen darum gehe, die Alteigentümer hinsichtlich ihrer Auswirkungen lag der möglicherweise größte Web- Vorkaufsrechte günstiger zu stellen. fehler der Kohlschen Wiedervereinigungsstrategie Ich will folgendes noch einmal ausdrücklich fest- darin, einen Teil der Lasten über Sozialversiche- halten: rungsbeiträge statt über Steuern zu finanzieren. Er nahm damit in Kauf, daß die Lasten in der Bevölke- Erstens. Wir hatten hier im Plenum des Deutschen rung sozial ungerecht verteilt werden. Es werden Bundestages mehrere Auseinandersetzungen parla- nämlich nur die Einkommen der Arbeitnehmer bis mentarischer Art, zu denen Kanzleramtsminister zur Beitragsbemessungsgrenze in den jeweiligen Bohl kommen mußte, weil es entsprechende öffentli- Sicherungssystemen herangezogen. Der Rest, also che Äußerungen des Bundesjustizministers gab, die Selbständige und Beamte, leistet dagegen keinen weit in das Entschädigungsgesetz und in das Vermö- Beitrag. Das hat natürlich dazu geführt, daß die gensgesetz hineinreichen und die er hier auf Grund Arbeitslosigkeit als Folge der Finanzierung der 22930 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Oswald Metzger deutschen Wiedervereinigung nach oben get rieben gen des Finanzplanungsrats von maximal 2 Prozent wurde. gelegen hätte.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Im Klartext gesprochen: Hier sind Lasten in die Zu- kunft verschoben worden, um jetzt einen vorgebli- Ich frage mich, wie Sie dieses Vorgehen Angebots- chen Konsolidierungshaushalt vorlegen zu können. politik nennen können. Überhaupt rate ich allen, die ökonomisch diskutieren und meinen, in der ange- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) botsorientierten Politik liege das Heil der künftigen wirtschaftlichen Entwicklung, oder die meinen, nur Ein ähnliches Problem ist die Behauptung - Theo auf der nachfrageorientierten Schiene liege die Zu- Waigel hat es mit einem Satz gestreift, er hat auch ei- kunft des Arbeitsmarktes, endlich einmal die Scheu- nen Brief an den Vorsitzenden der Deutschen Postge- klappen beiseite zu lassen. Beides ist falsch. Selbst werkschaft geschrieben -, daß die Zukunft der Pen- der Sachverständigenrat hat in seinem letzten sionen der ehemaligen Postmitarbeiterinnen und Herbstgutachten zu Recht darauf hingewiesen, daß Postmitarbeiter sicher sei. Das muß er schon betonen. wir einen Policy-Mix zwischen Angebotsverbesse- Natürlich sind sie sicher - weil der Staat sie garan- rung und Nachfrageorientierung brauchen. tiert! Aber die Finanzierung dieser Pensionsver- pflichtungen ist nicht mehr sicher. Wir wissen, daß Kommen wir nun aber zurück auf den Haushalts- bei der Postunterstützungskasse bereits in diesem entwurf 1999. Theo Waigel hat am Anfang natürlich Jahr ein Minus entstand, das durch Dividendenent- seine virtuelle Wahrheit dargestellt. Er sprach vom nahmen und Telekomaktienerlöse gegenfinanziert Aufschwung, in dem wir uns befinden. Im September werden muß. 1998 bemühte er das erste Quartal dieses Jahres mit Im nächsten Jahr wächst dieses Loch auf 6 Milliar- 3,8 Prozent realem Wachstum. Warum wohl? Weil in- zwischen die Wachstumsraten nach unten gehen. den DM. Ab dem Jahr 2000, wenn der Gesetzgeber durch seine Anschubhilfe für die Privatisierung der Die Dynamik des ersten Quartals, die auch von Son- derfaktoren geprägt wurde - Zahlungsverpflichtun-- Postunternehmen dann künftig den größeren Teil der gen wurden gestreckt oder in die Zukunft verscho- Postpensionen übernehmen wird, wird das jährliche ben, um 1997 das Defizitkriterium für Maastricht ein- Risiko etwa 9 Milliarden DM Ausgaben betragen. Wenn Sie den heutigen Kurswert der Telekomaktie zuhalten -, ist weggebrochen. Heute bewegen wir uns in einem schwierigen weltwirtschaftlichen Um- nähmen, wäre innerhalb von acht Jahren das ge- samte Telekomvermögen des Bundes vervespert, um feld mit den nachhaltigen Folgen der Asienkrise, mit der Staats- und Finanzkrise in Rußland und mit den die Pensionen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bis zum Jahr 2008 zu zahlen. Danach wird es gna- lateinamerikanischen Märkten, die den Dollar der- zeit nach unten ziehen. All das schwebt wie ein Da- denlos. Denn dann muß der Bundeshaushalt diese moklesschwert über der Weltwirtschaft und damit Pensionslast vollständig aus Steuereinnahmen finan- auch über der konjunkturellen Entwicklung in zieren. Deutschland. Pensionslasten sind Verpflichtungen auf die Zu- kunft ohne Gegendeckung. Da sind wir im gleichen Denken Sie daran, was Professor Norbe rt Walter, Bereich wie bei der Rentenlast, von der heute in der immerhin Chefökonom der Research, Debatte schon gesprochen wurde. Herr Kurt Bieden- am Montag dieser Woche zu den Wachstumsper- kopf hat angesprochen, daß 10 Billionen DM Finanz- spektiven des nächsten Jahres gesagt hat: Wenn gegenwert erforderlich wären, wenn man die heuti- diese Faktoren zusammenkommen, wird 1999 in gen Rentenzahlungen aus Erträgen, also kapital Deutschland ein Wirtschaftswachstum von maximal stockgestützt, finanzieren wollte. Bei den Pensionen, real 2 Prozent erreicht. Der Haushaltsentwurf dieser die wir aus der Staatskasse bezahlen, haben wir das Regierung, der heute im Parlament eingebracht wor- Problem, daß die Staatskasse für etwas geradesteht, den ist, geht aber von einem Wachstum von real über wofür in der Finanzplanung keine Vorsorge getroffen 2,5 Prozent aus. Allein diese Wachstumsverschie- ist. Die Vorsorge reduziert sich auf eine marginale bung würde im Saldo die Arbeitsmarktausgaben um Bemerkung auf den letzten Seiten des dicken, roten rund 10 Milliarden DM erhöhen. Finanzberichts, auf denen auch andere Risiken der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zukunft benannt sind, für die jede neue Regierung, selbst wenn es die alte wäre, aufkommen müßte. Auch ein zweiter Punkt ist deutlich herauszuarbei- ten - die Wirtschaftspresse dieser Woche beschäftigt Da setze ich mit meiner Philippika, dreieinhalb sich auch damit; lesen Sie, was Heike Göbel gestern Wochen vor der Wahl, an. Unsere Bevölkerung ist zu in der „FAZ" zu Recht über die Risiken des Bundes- klug, um nicht zu merken, daß ein Teil der Verspre- chungen, die wir alle hier machen, natürlich nicht haushalts schreibt - : Das Ausgabenwachstum im nächsten Jahr beträgt nur deshalb 0,4 Prozent, weil reell ist. beim Erblastentilgungsfonds allein durch Tilgungs- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) streckung über 9,5 Milliarden DM an eigentlich vor- gesehenen Ausgaben weggedrückt wurden, weil Nehmen wir das Rentenrecht: Wir, die grüne Partei, beim Bundeseisenbahnvermögen, beim Fonds Deut- sitzen nicht umsonst in der dieses Hauses. sche Einheit Tilgungsstreckungen veranlaßt wurden, die per saldo dazu geführt hätten, daß ohne sie das ( [CDU/CSU]: Direkt neben der Ausgabenwachstum deutlich über den Zielsetzun- PDS!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 22931

Oswald Metzger Wir greifen Dinge auf, die zum Beispiel aus Sicht der rühmt, die Angebotsbedingungen für die Wi rtschaft jungen Generation für die alte Generation eine unan- zu verbessern. genehme Wahrheit darstellen. Was nützt es uns bei- spielsweise ökonomisch, wenn wir in der Rentenver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sicherung den Eindruck erwecken, die älter wer- sowie bei Abgeordneten der SPD und der dende Bevölkerung brauche durch den Einbau einer Abg. Dr. Christa Luft [PDS]) demographischen Komponente im Rentenrecht nicht Damit wir die Kirche im Dorf lassen: Wir brauchen, auch ihren Teil zur Neujustierung der Lasten zwi- um die Strukturen der öffentlichen Einnahmen und schen den Generationen beizutragen? Nein, auch sie der öffentlichen Haushalte zu konsolidieren, drei muß ihren Anteil beisteuern. Im Gegenzug hat die Maßnahmen: aktiv beschäftigte Generation - das geht jetzt auch an die Adresse der SPD - durch eine wesentlich stär- Die erste Maßnahme ist die Stabilisierung der kere Steuerfreistellung bei Vorsorgeleistungen für Steuereinnahmen. Zur Zeit ist zwar eine Stabilisie- das Risiko Alter tatsächlich die Chance - die Enkel, rung zu verzeichnen, aber die Steuerlastkurve dieses die jetzt in den Beruf einsteigen -, in ihrem Erwerbs- alten Steuerrechts ist sehr ungerecht. Wir müssen die leben einen Kapitalstock aufzubauen, der dazu führt, Steuerlastkurve durch das Abschaffen von Sonder daß man im Alter neben einem abnehmenden, ge- tatbeständen und durch die sogenannte Verbreite- setzlich finanzierten Rententeil auch Mittel aus Ei- rung der Bemessungsgrundlage gerechter gestalten. genvorsorge zur Verfügung hat. Alles andere bedeu- Dafür gibt es von uns ein Konzept, das wirklich tete, sich selber ein X für ein U vorzumachen. ranklotzt. Wir Grüne haben eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage in einem Volumen von fast Meine Damen und Herren, wir sind uns mit der 380 Milliarden DM vorgeschlagen. So kommen wir SPD einig, daß wir tatsächlich Sondertatbestände im dem Ziel einer umfassenden Reform näher: höherer Einkommensteuerrecht streichen wollen, daß wir Freibetrag, auskömmliches Kindergeld für Familien - Privilegien für die sehr gut situierte Spitze der Ge- denn diese sind die eigentlichen Zahlmeister des sellschaft abschaffen und dafür die Sätze in der ge- heutigen Steuer- und Sozialsystems -, niedrigerer samten Bandbreite des Tarifverlaufs senken wollen.- Eingangssteuersatz und deutlich abgesenkter Spit- Dann aber müssen wir daran denken, daß allein das zensteuersatz. Damit werden wir im Wettbewerb der Abschaffen von Sondertatbeständen denjenigen, die Unternehmen und im Wettbewerb der Steuerpflichti- heute hohe Einkommen haben, gewaltige Steuer- gen dem alten Steuerrechtsgrundsatz „Besteuerung mehrausgaben aufbürdet. Deshalb müssen wir im nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit" wieder Gegenzug dafür Sorge tragen, daß der Spitzensteuer- zum Durchbruch verhelfen. satz entsprechend sinkt. Denn ansonsten gehen diese Leute ins Ausland, ansonsten muß der Fiskus Nach dem, was ich heute von Theo Waigel gehört das feststellen, was schon heute bei den „global habe, und nach dem, was ich von der SPD höre und players", den Großunternehmen, dieses Landes fest- lese, glaube ich, daß das Konzept der Grünen in die- zustellen ist: Die Erträge werden do rt ausgewiesen, sem Punkt - Tarifverlauf von 18,5 bis 45 Prozent - das wo die Ertragsteuersätze am geringsten sind - mit ist, auf das sich diese Gesellschaft nach der Wahl am der Folge, daß die Mittelständler in diesem Lande die 27. September einigen wird. Gekniffenen sind, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das müs- Zum zweiten brauchen wir - da beißt die Maus kei- sen Sie dem Lafontaine sagen!) nen Faden ab - Strukturreformen in der gesetzli- chen Rente. Dazu habe ich bereits etwas gesagt. weil sie in der Regel keine Kapitalgesellschaften, Aber das allein reicht nicht, um den Faktor Arbeit in sondern Personengesellschaften sind und deshalb als Deutschland wirklich billiger zu machen und damit Körperschaftsteuersatz den höheren Einkommen- die Angebotsbedingungen in unserer Gesellschaft steuersatz auf gewerbliche Einkünfte zahlen. Diese für Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt zu müssen in diesem Land die Steuerlast tragen, wäh- verbessern. Wir werden nicht um Antworten auf die rend sich die Großbetriebe arm rechnen. Frage herumkommen, wie wir die Senkung der Lohnzusatzkosten finanzieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Kostendynamik nach oben bekommen wir in Stellen Sie sich vor - das geht an die Adresse der den Griff, wenn wir die demographische Kompo- Koalition -: Daimler-Benz hat dadurch, daß es die nente im Rentenrecht belassen. Aber die Senkung Vorteile des heutigen Steuerbilanzrechtes genutzt der Abgabenlastquote deutlich unter 40 Prozent er- hat - Ende 1996 hatte es Verlustvorträge in Höhe von reichen wir in der nächsten Legislaturpe riode nur mehr als 17 Milliarden DM in den Steuerbilanzen -, dann, wenn wir in einem Zug-um-Zug-Geschäft die im letzten Jahr bei der Indust rie- und Handelskam- Verbrauchsteuer auf Energie erhöhen und mit den mer Stuttga rt lediglich den Mindestbeitrag für Kör- Mitteln die Zuschüsse zu den Sozialversicherungen perschaften, nämlich 960 DM, gezahlt. Ein Malermei- erhöhen. Das ist das Ökosteuerkonzept der grünen ster in meinem Wohnort Bad Schussenried mit 10 Partei. Das wäre ein riesiger Schritt; denn damit hät- oder 15 Beschäftigten dagegen zahlt bei der IHK Ulm ten wir das erste Mal nach Jahrzehnten des immer 3000 bis 5000 DM. Angesichts dessen muß diesen währenden Anstiegs der Abgabenlast auf den Faktor Leuten doch das Messer in der Hose aufgehen! Für Arbeit eine Trendumkehr. In Verbindung mit einer diese Politik steht diese Koalition, die sich immer Einkommen- und Körperschaftsteuerreform, die ih- 22932 Deutscher Bundestag - 13. Wahlpe riode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Oswald Metzger ren Namen verdient, wäre dies ein Startsignal für In- mens Bundesrepublik in jedem Jahr Verwaltungsko- vestitionen und mehr Beschäftigung. sten einsparen, keine Frage.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ein zweites Beispiel: Sie haben vor der Sommer- pause in einer Art Torschlußpanik alles an Investi- Als drittes brauchen wir eine klare Botschaft; denn tionsgütern im Rüstungsbereich gekauft, was noch zu kaufen war, ohne der veränderten Sicherheitslage die öffentlichen Haushalte stehen unter dem Vorzei- chen eines strukturellen Defizits. Die SPD redet im- Rechnung zu tragen. Im Verteidigungshaushalt stei- mer von Kassensturz. Ich bin schon bestürzt, wenn gen die Investitionen im nächsten Jahr und auch ich in den Haushalt von Theo Waigel gucke, und künftig - gleich festgelegt für 15 bis 18 Jahre. Wir zwar schon allein wegen der Lasten, für die prak- werden daher um eine Personalstrukturreform der tisch keine Mittel eingestellt sind, von denen ich nicht herumkommen. Sie können in aber weiß, daß sie bestehen. So werden zum Beispiel Zeiten knapper Kassen für das Militär nicht ständig Pensionsverpflichtungen in die Zukunft verschoben. mehr abzweigen, obwohl sich die Bedrohungssitua- Außerdem sind Tilgungsstreckungen und Einmaler- tion verändert hat. Daher ist eine Diskussion über die löse, beispielsweise Verkaufserlöse für Deutsche- Wehrpflicht bzw. über ihre Abschaffung und eine Bahn-Forderungen - da werden für das nächste Jahr deutliche Verkleinerung der Armee nötig. Ansonsten 6 Milliarden DM als Einnahmen veranschlagt -, ent- werden die Investitionsausgaben, die Sie beschlos- halten. Wenn ich diese Einmalmaßnahmen und Last- sen haben, wie ein Damoklesschwert über dem verschiebungen herausnehme, komme ich auf ein Haushalt des Einzelplans 14 hängen, und dieser strukturelles Defizit in Höhe von 20 bis 30 Milliarden Haushalt wird in den nächsten Jahren mehr Geld DM. verschlingen, als jeder andere Haushalt einsparen kann. So sieht die Wirklichkeit aus. Diese Erblast ist Wenn dies von einer neuen Regierung als Erblast entstanden durch diesen Akt der Torschlußpanik vor übernommen werden muß, ist der Haushalt, so wie er der Sommerpause. jetzt aussieht, verfassungswidrig; denn Theo Waigel Wir brauchen darüber hinaus eine Botschaft an die bleibt nur haarscharf unter der Verschuldungsober- Bevölkerung, nämlich die Botschaft, daß viele der grenze, wie sie im Grundgesetz verankert ist. Er hat Einschnitte in der Vergangenheit häufig unter dem nur einen Spielraum von knapp über 1 Milliarde DM, Blickwinkel durchgeführt wurden: Wir treffen dieje- weil die Investitionsausgaben drastisch gesenkt wur- nigen, die keine Lobby haben. Wir riskieren eine so- den. ziale Schieflage, lassen aber die Privilegierten weiter- hin ungeschoren. Gerade die Regierung bzw. die Koalition spricht doch immer wieder von Verbesserungen in der An- Wir brauchen in dieser Gesellschaft wieder eine gebotspolitik, von einem Primat von Wachstum und Wertediskussion, in der es darum geht, was gesell- Investitionen. Sie aber hat seit Jahren die Investi- schaftsfähig ist. Eine Gesellschaft lebt nicht davon, tionsausgaben zurückgefahren, und zwar gnadenlos. daß der einzelne nur daran denkt, was er von der Ge- Und dann rühmt sie sich, sie würde die Staatsquote sellschaft bekommen kann, sondern davon, daß der senken. Verflixt noch mal, es ist doch nicht nur die einzelne seinen Teil zum Gemeinwesen beiträgt und Höhe der nominalen Staatsquote entscheidend, son- die Gesellschaft als Bürgergesellschaft begreift, in dern auch ihre Zusammensetzung. Wenn, gemessen der jeder einzelne seinen Platz und seinen Wert hat. an dem Volumen, mit dem der Staat am Wirtschafts- Wenn wir diesen Wert neu definieren wollen, so ge- leben teilhat, der Investitionsanteil sinkt und der hört dazu auch, daß der Staat dem einzelnen Men- konsumtive Teil immer größer wird, dann ist dies schen, ob Kleinverdiener oder Großverdiener, ob ar- doch nicht im Sinne einer angebotsorientierten Wi rt beitslos, ob behindert, ob Ausländer oder Inländer, -schaftspolitik. Sie müssen den Investitionen wieder das Gefühl gibt, daß er in dieser Gesellschaft seinen Vorrang geben. Deshalb kommen Sie bei knappen Platz hat. Haushalten eben nicht darum herum, in den Berei- chen umzuschichten, wo die Musik spielt! Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Verzeihung, Frau Kollegin Dr. Niehuis, ich darf bitten, daß es auf Weil nächstes Jahr der Berlin-Umzug ansteht, der Bundesratsbank etwas leiser wird. nenne ich Ihnen dieses erste Beispiel. Das Kombina- (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Das tionsmodell, das dieses Haus beschlossen hat, daß kann man wohl sagen! Das ist den ganzen ein Teil der Ministerien in Bonn bleibt und Kopfstel- Tag schon so!) len in Berlin eingerichtet werden, ist absurd. Es ko- stet ein Schweinegeld. - Auf der Regierungsbank ist es gelegentlich auch so. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS und des (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Nein, Abg. Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]) nein!)

Dieses Kombinationsmodell muß in den Orkus. Eine Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): neue Regierung täte gut daran, den Umzug dafür zu Wenn wir in einer so definie rten gerechten Gese ll nutzen, die Ministerialbürokratie zu verschlanken -schaft die Lastenverteilung zwischen den verschie- und alle Ressorts nach Berlin zu verlagern. Dann denen Bevölkerungsgruppen gemeinsam neu justie- würde man für die Betriebsführung des Unterneh- ren, werden wir die Unzufriedenheit, die rechtsradi- Deutscher Bundestag - 13. Wahlpe riode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 22933

Oswald Metzger kales Wahlverhalten provoziert, beseitigen. Diese aufwärts und zeigen eine positive Richtung. Die richtet sich inzwischen gegen das System, das sich Staatsausgaben sind im Verhältnis zum Bruttosozial- für viele Bürgerinnen und Bürger hier im Bundestag produkt gesunken. Da gibt der Bund gegenüber Län- manifestiert. Nur so werden wir diese Republik auf dern und Gemeinden ein gutes Vorbild. Aber der Ge- eine Grundlage stellen, von der aus wir unser Ge- samtstaat hat sich daran zu halten. meinwesen im nächsten Jahrtausend in ökonomi- scher Wohlfahrt, in ökologischer Verträglichkeit, in (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) solidarischer Gerechtigkeit, aber auch in demokrati- Das Wichtigste ist, daß die Inflationsrate unter scher Rechtsstaatlichkeit führen können. Wir Grünen 1 Prozent gesunken ist. Das ist das Sozialste an die- sind bereit, daran mitzugestalten. Wir bitten deshalb sem Prozeß überhaupt, die Menschen am 27. September um ihre Zweit- stimme. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Vielen Dank. weil die Sparer nicht um ihre Ersparnisse gebracht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) werden, da diese ihren Wert behalten. Wichtig ist, daß die Konjunktur auch in den neuen Bundeslän- dern nach oben geht. Das „Handelsblatt" hat gerade Vizepräsident Hans - Ulrich Klose: Das Wort hat der vor zwei Tagen das Konjunkturbarometer für die Vorsitzende der F.D.P.-Fraktion, Dr. Hermann Otto neuen Bundesländer, insbesondere für das produzie- Sohns. rende Gewerbe, nach oben gesetzt. Das zeigt, daß (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ auch dort die wirtschaftlichen Hilfen, die die Bundes- DIE GRÜNEN]: Herr Solms will das auch, er regierung gibt und um die sich die Länder kümmern, darf es nur nicht sagen, sonst gibt es wieder tatsächlich zur Verbesserung der Situation führen Koalitionskrach!) und auch dort langfristig zu einer Verbesserung auf dem Arbeitsmarkt beitragen werden. Vor diesem Hintergrund war es notwendig und ist Dr. Hermann Otto Solms (F.D.P.): Herr Präsident! - Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das war es richtig, den Haushalt vorzulegen. Das ist auch der typische Schleiertanz von Herrn Metzger, der durch die Ministerpräsidenten, Herr Lafontaine, von den eigentlichen - ökonomisch absurden - For- nicht zu kritisieren, insbesondere wenn man sieht, derungen mit vielfältigen Steuererhöhungen, ange- daß Sie Ihren Landeshaushalt noch nicht vorgelegt fangen bei der Mineralölsteuer, ablenkt. Dazu war haben und daß, wie ich höre, Herr Schröder in Nie- jetzt kein Wo rt zu hören. dersachsen überhaupt nicht daran denkt, einen vor- zulegen. Es wird geplant, daß der Haushalt 1999 in (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- Niedersachsen erst im nächsten Jahr zur Abstim- ten der CDU/CSU - Oswald Metzger mung gebracht werden soll. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Habe ich doch gesagt!) (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Er geniert sich!) Die Betroffenen wissen das aber, und wir werden da- Das kann einen auch nicht wundern, wenn man für sorgen, daß das in der Öffentlichkeit bekannt sieht, daß der Staatsgerichtshof in Bückeburg im bleibt. Herbst 1997 die letzten beiden Landeshaushalte in Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Vor- Niedersachsen für verfassungswidrig erklärt hat. Das lage des Bundeshaushaltes durch die Bundesregie- macht deutlich, wie die Lage ist. rung ist ein Akt der Ehrlichkeit, der Haushaltsklar- (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Haben heit und der Glaubwürdigkeit, Sie schon einmal etwas von Doppelhaushal (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ ten gehört?) DIE GRÜNEN]: Und Sie sind der heilige Herr Ministerpräsident Lafontaine, wir verstehen Solms!) die besonderen Finanzprobleme und Strukturpro- denn die Bundesregierung wäre gar nicht gehalten bleme, die Sie im Saarland haben. Sie hätten aber gewesen, noch einen Bundeshaushalt vorzulegen, trotzdem ehrlichkeitshalber darauf hinweisen müs- wo doch die Legislaturperiode in diesem Monat en- sen, daß es gerade der Bund - der Bundesfinanzmi- det. Darauf ist hinzuweisen. Die Zahlen machen nister - ist, der seit Jahren das Saarland mit Sonder- deutlich, wo wir stehen. Da braucht man keinen Kas- zuweisungen in Höhe von jährlich 2 Milliarden DM sensturz, wie von der Opposition gefordert. Hier ist unterstützt. alles genau aufgeführt, und jeder weiß, woran wir sind. (Ministerpräsident Oskar Lafontaine [Saar land]: Bayern mit 10 Milliarden DM!) Wir sind in einer sehr viel besseren Situation, als vielfach dargestellt wird. Ihre Zinssituation wäre natürlich viel schlechter, wenn Sie diese Hilfen nicht bekämen. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das gilt aber nicht für die (Ministerpräsident Oskar Lafontaine [Saar F.D.P.!) land]: Ja!) Ich stimme dem Ministerpräsidenten Biedenkopf Wir haben das mit beschlossen. Aber die Ehrlichkeit ausdrücklich zu. Die ökonomischen Daten gehen alle gebietet, daß man auf diese Zusammenhänge hin- 22934 Deutscher Bundestag - 13. Wahlpe riode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Dr. Hermann Otto Solms weist. Der Bundesfinanzminister zahlt die politische mehr Arbeitsplätze. Deswegen habe ich es schon be- Führung des Saarlandes. Sie sollten ihm gegenüber dauert, Herr Ministerpräsident Lafontaine, daß Sie dankbar sein; denn er zahlt Ihren Gehaltsscheck. wieder mit der Geschichte von der Binnennachfrage Das muß man doch der Öffentlichkeit sagen. gekommen sind, als könnte allein durch eine Steige- rung der Binnennachfrage (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - Ministerpräsident Oskar Lafontaine [Saar- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: „Allein" hat land]: Wer bezahlt Sie denn? - Wilhelm er nicht gesagt!) Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Was ist denn das für eine Einstellung? Das ist doch nicht das die Situation auf dem Arbeitsmarkt verbessert wer- Geld des Bundesfinanzministers!) den. (Joseph Fischer [Frankfu Herr Stollmann - das ist ja auch bezeichnend - hat rt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Da ist ja selbst der BDI mitt erklärt, daß die Sonderergänzungszuweisungen ge- lerweile weiter!) strichen werden sollten und daß die kleinen Länder schauen sollten, wie sie zurechtkommen. Was mich daran so ärgert, ist, daß Sie damit indirekt unterstellen, daß derjenige, der diese Politik nicht (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Er hat viel verfolgt, nicht dafür sei, daß die Arbeitnehmer mehr erklärt! Was hat er nicht alles erklärt!) Nettoeinkommen erhalten. Ganz im Gegenteil: Na- Auch das ist ein Zeichen der Uneinigkeit innerhalb türlich wollen die, die eine angebotsorientierte Poli- der Sozialdemokratischen Partei. tik vertreten, genau das gleiche, allerdings nur in Verbindung mit der Verbesserung der Angebotsbe- Meine Damen und Herren, die Verbesserung der dingungen. Nur durch Nettosteuersenkung für Ar- Situation ist uns aber nicht in den Schoß gefallen. Sie beitnehmer und Unternehmen, durch Abgabensen- ist auch nicht zufällig gekommen, sondern sie beruht kung für Arbeitnehmer und Unternehmen verbes- auf wichtigen Entscheidungen dieser Koalition, die sern sich die Investitionsbedingungen für die Unter- gerade auch von Ihnen immer bestritten worden wa-- nehmen einerseits und die Nettoeinkommensbedin- ren. Ich darf auf einige hinweisen: Anhebung des gungen für die Arbeitnehmer auf der anderen Seite. Kindergeldes, (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die F.D.P. war doch gegen Nur so wird ein Schuh daraus, und deswegen muß die Anhebung des Kindergeldes!) diese Politik weiter verfolgt werden. Nur so können auch mehr Arbeitsplätze geschaffen werden. Anhebung des Grundfreibetrages, Senkung des Soli, Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer, Nicht-mehr- Auf Grund dieser verbesserten Rahmenbedingun- Erhebung der Vermögensteuer. Allein in diesem Be- gen haben nun auch die Auslandsinvestitionen in reich hat es Nettoentlastungen von über 30 Milliar- Deutschland wieder deutlich zugenommen. Während den DM in dieser Legislaturpe riode gegeben, die na- sie im letzten Jahr bei nur 4 Milliarden DM lagen, türlich die Kaufkraft der Arbeitnehmer gefördert und flossen bereits im ersten Halbjahr dieses Jahres Aus- gestützt haben und nicht das Gegenteil. landsinvestitionen in Höhe von 14 Milliarden DM in die Bundesrepublik Deutschland. Der Präsident der (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - amerikanischen Handelskammer in Frankfu rt, Fred Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ Irvin, hat vor kurzem in einer Rede bestätigt, daß die DIE GRÜNEN]: Sie wollten das Kindergeld großen amerikanischen Tochterunternehmen in doch nicht erhöhen!) Deutschland wieder überwiegend mehr investieren wollten. - Wir haben es zweimal erhöht, Herr Fischer. (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Der Steuer (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ satz ist doch immer noch hoch!) DIE GRÜNEN]: Sie und das Kindergeld, da lachen ja die Hühner!) Er hat ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Ab- schaffung der Gewerbe- und der Vermögensteuer, Dazu kommen eine Reihe von Maßnahmen beim die Änderung des Kündigungsschutzes und die Sen- Kündigungsschutz, bei der Lohnfortzahlung, im Ar- kung des Solidaritätszuschlages die Voraussetzun- beitsrecht, bei der Arbeitsförderung sowie die Re- gen dafür waren, daß sich das Investitionsklima für form der Gesundheitspolitik, die dazu geführt haben, die ausländischen Firmen hier in Deutschland so dra- daß die Defizite der gesetzlichen Krankenversiche- matisch verbessert hat. rung verschwunden sind. Wer hätte das denn noch vor einem Jahr gehofft? (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Son- Noch wichtiger ist, daß er gesagt hat, die große Steu- derlasten für Versicherte und Kranke sind erreform würde aus Deutschland über Nacht ein In- das!) vestitionsparadies machen. - Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Das zeigt, wie die internationa- Das ist der Einstieg in die Senkung der Kostenbela- len Fachleute den Standort beurteilen. Deswegen stung von Arbeitnehmern und Unternehmen. Nur so möchte ich auch einmal auf die unterschiedlichen werden mehr Investitionen angeregt werden können, Vorstellungen hinsichtlich einer Steuerreform einge- und nur durch Investitionen entstehen nun einmal hen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 22935

Dr. Hermann Otto Solms Zunächst einmal bedanke ich mich und unterstütze gebnis: Die F.D.P. hat den „Eichtest" am besten be- nachdrücklich den Vorschlag des Bundesfinanzmi- standen; die Vorschläge der SPD und der Grünen nisters, daß die erste Stufe der Steuerreform als Teil sind unter den Tisch gefallen. Ich bedanke mich für eines Gesamtkonzeptes, das natürlich auch nur ins- diese objektive Untersuchung. Das ist genau das, gesamt beschlossen werden darf, schon im Jahr 1999 was ich von ihr erwartet habe, zu Nettosteuerentlastungen in Höhe von 10 Milliar- den DM führen soll und führen muß. (Beifall bei der F.D.P.) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) weil wir nämlich ein ganz konsequentes, durchge- rechnetes Konzept vorgestellt haben - mit dem Ziel Wir werden dieses Steuerreformpaket nach der Bun- der Entlastung; das darf man nicht vergessen. destagswahl umgehend wieder einbringen und so schnell wie möglich durchberaten und verabschie- Meine Damen und Herren, was die Sozialdemokra- den. Das ist leistbar und machbar. ten in ihrem Mittelstandspapier fordern, macht dieses Papier zu einem Abschreckungspapier. Das klingt al- Der Tarifvorschlag der Sozialdemokraten führt zu les schön, teilweise so, als wäre es von der F.D.P. ab- einer Nettoentlastung von 51,8 Milliarden DM. Die geschrieben. Aber wenn Sie sich die Forderungen Gegenfinanzierung: etwa 16,5 Milliarden DM plus anschauen, stellen Sie fest: Es ist das Gegenteil. Sie 2 Milliarden DM mehr Vermögensteuer. Übrig bleibt wollen die Körperschaftsteuer auf 35 Prozent senken. eine Lücke von 35 Milliarden DM. Die Sozialdemo- Was bleibt denn dann bei den 90 Prozent Personen- kraten wollen keine oder eine nur geringfügige gesellschaften, die Einkommensteuer bezahlen? Nettoentlastung. Ich frage Sie aber: Wie wollen Sie die Lücke finanzieren? Sie behaupten immer, wir (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Optionsmo würden nicht anständig rechnen. Nun machen Sie dell!) ein solches Wahlgeschenk, ohne die Rechnung abzu- - Optionsmodell oder Betriebssteuer, das führt nicht schließen und zu sagen, wie Sie das bezahlen wollen. weiter. Sie wollen die Gewerbesteuer auf die freien (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Berufe ausdehnen. Sie wollen die Vermögensteuer - wieder einführen, und die Grünen wollen noch eine Hinzu kommen natürlich die völlig unsystemati- Vermögensabgabe obendrauf. Sie wollen die Min- schen Vorschläge zur Einführung einer Mindest- deststeuer. Sie wollen die Lohnfortzahlung im Krank- steuer. Wenn Sie eine Mindeststeuer einführen, dann heitsfall rückabwickeln. Sie wollen den Kündigungs- müssen auch diejenigen Steuern bezahlen, die nach schutz rückabwickeln. unseren Vorstellungen steuerfrei ausgehen würden. Darauf muß man hinweisen. Das würde gerade die (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das ist doch kleinen und mittleren Unternehmen treffen, die wir unter Ihrem Niveau!) ja besonders stärken wollen und müssen. Sie wollen die 620-DM-Verträge abschaffen. Sie wol- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) len eine Ausbildungsplatzabgabe einführen. Alles freudige Botschaften für den Mittelstand! Ich glaube, Meine Damen und Herren, Sie wollen die Gewer- daß die Vertreter des Mittelstandes wissen, was sie besteuer auf die freien Berufe ausdehnen. Auch das zu wählen haben. ist kein Beitrag zur Stärkung des Mittelstandes. Außerdem wollen Sie eben die Entlastungen nicht (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) über den ganzen Tarif durchführen, sondern im we- sentlichen im unteren Bereich vornehmen. Das wird Bei den Renten ist es doch nicht viel anders. Wenn aber nichts nützen, weil ein gut Teil der Facharbeiter Herr Lafontaine hier von Rentenkürzungen spricht, bereits überdurchschnittlich verdienen und auch ist das eine absolute Unwahrheit. Es werden keine diese durch eine Absenkung des Tarifs im gesamten Renten gekürzt. Verlauf entlastet werden müssen. (Zurufe von der SPD: Natürlich!) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Die Rentenreform führt dazu, daß der Rentenanstieg Wer eine Mindeststeuer nicht will, sagt damit indi- in den nächsten Jahren maßvoller ausfällt. Es wird rekt, daß er eine Beseitigung der steuerlichen Aus- keine einzige Rente gekürzt, und ich verbitte mir, nahmen nicht konsequent mittragen will. Denn daß Sie diese Lüge ständig wiederholen. Das geht wenn Sie das täten, müßte jeder nach der Höhe sei- wirklich nicht. nes Einkommens Steuern zahlen, unabhängig von (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - der Frage, woher das Einkommen kommt oder wofür Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ es verwendet wird. Das führt natürlich nicht weiter. DIE GRÜNEN]: Keine Mehrwertsteuererhö Das hat Herr Lafontaine ja auch bestätigt, indem er hung ! ) eine Reihe von Bereichen aufgeführt hat, in denen er die steuerlichen Ausnahmen nicht beseitigen will. Wer die Rentenreform zurücknehmen wi ll, der Sie bekommen aber kein gerechtes Steuersystem, wird dazu beitragen, daß die Rentenbeiträge um wenn Sie hier nicht den Mut zur Konsequenz haben. 3 Prozentpunkte steigen werden. Das hat das Pro- gnos-Institut errechnet. Das heißt, daß die Beitrags- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) zahler im Endeffekt jährlich mit über 50 Milliarden Meine Damen und Herren, die „Welt am Sonntag" zusätzlich belastet werden. Das ist Ihr Beitrag zur hat einen Fachmann beauftragt, die Steuerpro- Rentenpolitik. Dadurch wird die Rente nicht auf eine gramme der verschiedenen Parteien zu testen. Er- gesicherte Grundlage gestellt. Aber gerade das ist 22936 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Dr. Hermann Otto Solms unsere Aufgabe. Wer eine Renten- und Sozialpolitik nicht verzichtet. Das sagt Schröder wortwörtlich. Wie betreibt, die die Renten und Sozialleistungen auch in sehen die Fakten in Niedersachsen aus? Die Justiz- Zukunft finanzierbar macht, der betreibt eine soziale ministerin ordnet die De-facto-Straffreiheit bis zu ei- Politik, aber nicht derjenige, der sich um Reformen nem Wert des Diebesgutes von 100 DM an. drückt. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- DIE GRÜNEN]: Wer soll euch denn wählen ten der CDU/CSU) mit solchen Reden?) Im SPD-Programm ist zu lesen, daß die SPD vor al- So geht es nicht. Sie können der Öffentlichkeit im lem eine Erhöhung der staatlichen Zuschüsse zu den Wahlkampf nicht solche Versprechungen machen, Rentenkassen zu Lasten der Steuerzahler wi ll. Das wenn alle Fakten dagegen sprechen. Da, wo Sie han- summiert sich auf etwa 45 Milliarden DM. Das muß deln müssen, zucken Sie zurück. Das ist keine ehrli- dann wohl durch Steuererhöhungen finanziert wer- che Politik, auch nicht, wenn man berücksichtigt, den, wie denn sonst? Dem Arbeitnehmer ist es doch daß der Wahltag in Kürze bevorsteht. wirklich egal, ob er nun zuwenig Nettoeinkommen wegen zu hoher Steuern oder wegen zu hoher Abga- Wenn Sie von etwas größerer Ferne auf das Ge- ben hat. Wenn Sie das von einem zum anderen um- schehen in der Bundesrepublik blicken, dann sehen verteilen, dann hat der Arbeitnehmer überhaupt kei- Sie, daß wir schwierige Aufgaben zu bewältigen ha- nen Vorteil davon; ihm geht es aber darum, daß er ben, daß das Staatsschiff aber auf gutem Kurs ist. netto mehr in der Kasse hat, damit er über mehr Ein- kommen verfügen kann. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU) (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Bei Ihnen kriegt er gar nichts!) Wir haben die riesigen Probleme, die mit der deut- schen Einheit verbunden sind, sehr gut gelöst. Wir Diese unglaubwürdigen Wahlversprechen werden sind zwar noch nicht am Ende des Prozesses ange- beispielsweise bei der Frage der inneren Sicherheit- langt, aber wir haben riesige Fortschritte gemacht. fortgesetzt. Herr Schröder hat im SPD-Programm Wer durch die neuen Bundesländer fährt, der sieht dazu folgendes geäußert: Die Strafe muß der Tat auf doch überall im Alltag, wo die Verbesserungen statt- dem Fuße folgen. - Er hat recht, kann ich dazu nur gefunden haben. sagen. Aber Schröder hat mit den SPD-Vertretern im Bundesrat die Einführung der Hauptverhandlungs- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - haft blockiert. Erst mit Kanzlermehrheit konnte sie Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ im Bundestag gegen den Widerstand der SPD durch- DIE GRÜNEN]: Blühende Landschaften!) gesetzt werden. Dabei geht es darum, daß die Strafe Wenn Sie die dortige Situation mit der in anderen der Tat auf dem Fuße folgt. Ländern vergleichen wollen, dann müssen Sie es mit (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: So war der Situation der Arbeitnehmer und Unternehmer in das!) Tschechien, in Polen und in Ungarn tun, die ebenfalls Fortschritte machen, aber auf einem sehr viel niedri- Zweitens. Schröder hat gesagt: Wir dürfen bei er- geren Niveau. tappten ausländischen Straftätern nicht mehr so zag- haft sein. Wer unser Gastrecht mißbraucht, für den (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ kann nur eines gelten: raus, und zwar schnell. DIE GRÜNEN]: Wir sind dankbar!) (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- Da können Sie sehen, wie die deutsche Einheit dem ten der CDU/CSU) Fortschritt geholfen hat. Gut, sage ich dazu. Wie sehen die Fakten aus? Ge- Ich bedauere, daß die Arbeitnehmer in Ost- gen die Bedenken des Bundesrates hat die Bundesre- deutschland im Durchschnitt noch nicht 100 Prozent gierung die schnelle Abschiebung ausländischer des Westeinkommens haben. Aber sie haben immer- Straftäter durchgesetzt. 200 000 Straftaten von Aus- hin 80 Prozent erreicht. ländern gab es 1996 in Niedersachsen. Was meinen Sie, wie viele ausländische Straftäter aus Niedersach- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das wollten Sie sen abgeschoben wurden? - Ganze vier. doch nicht! Sie waren doch dagegen! - Dr. [PDS]: Und die (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist die sozia- Lebenshaltungskosten?) listische Wirklichkeit!) Auch ihr Einkommen wird Schritt für Schritt weiter Soviel ist zur Einhaltung der Versprechen und zur angehoben werden. Wenn Sie das mit den Verhält- Glaubwürdigkeit von Gerhard Schröder zu sagen. nissen in Polen oder Ungarn vergleichen, stellen Sie Drittens. In Niedersachsen wurde das Asylbewer- fest: Die dortigen Einkommen betragen nur 10 Pro- berleistungsgesetz praktisch nicht angewendet. Es zent im Vergleich zu denen bei uns. gibt weiterhin Barleistungen statt der vorgesehenen Sachleistungen bzw. Gutscheine. Wir haben die Probleme der europäischen Vereini- gung, der Erweiterung und der Vertiefung weiterhin Schröder im Wahlprogramm: Auf Bestrafung bei zu lösen. Das sind schwierige Aufgaben. Auch hier Ladendiebstahl, beim Schwarzfahren und bei ande- geht es darum, daß der Kurs mit erfahrener Hand ren Taten der sogenannten Alltagskriminalität wird fortgesetzt wird. Wir haben uns der Globalisierung Deutscher Bundestag - 13. Wahlpe riode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 22937

Dr. Hermann Otto Solms zu stellen, nicht durch Abschottung, wie Herr Lafon- das Ruder in ihre Hand bekommen wollen. Wenn sie taine das vorschlägt, es einmal in ihrer Hand haben, dann werden sie es nicht mehr abgeben. (Joachim Poß [SPD]: Was? Er sagt doch genau das Gegenteil!) Meine Damen und Herren, wir setzen auf Erfah- rung, auf Stabilität, aber zugleich auch auf markt- sondern dadurch, daß wir uns dem Wettbewerb stel- wirtschaftliche Erneuerung. Wir werden am 27. Sep- len. Nur wenn wir uns dem Wettbewerb stellen, kön- tember die Mehrheit der Stimmen auf uns konzen- nen wir bestehen. Aber ich sage Ihnen: Die deutsche trieren. Wirtschaft ist so stark, daß sie das von allen Volks- wirtschaften in Europa am besten schaffen wird, Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. wenn wir die Hemmnisse beiseite räumen, die dem entgegenstehen. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

- Das Wort hat die Wenn Sie ins internationale Umfeld schauen, dann Vizepräsident Hans Ulrich Klose: Kollegin Dr. Christa Luft, PDS. sehen Sie riesige Probleme in Rußland, in der , in Weißrußland. Sie sehen Bürgerkriege in Serbien, in , in Afrika. Sie sehen die asia- Dr. Christa Luft (PDS): Herr Präsident! Verehrte tische Finanzkrise, die sich auch auf uns auswirkt. Kolleginnen und Kollegen! Ich dachte schon, die Re- Sie sehen den zunehmenden islamischen Fundamen- gie würde es wieder schaffen, uns ganz aus der Fern- talismus. Sie sehen die in der Führung gehemmte sehzeit herauszudrängen. Das ist nicht gelungen. Ich Weltmacht Vereinigte Staaten. Wir sollten doch froh bedanke mich dafür. sein, daß in einer solchen Situation ein stabiles, gro- ßes Land in Europa, nämlich Deutschland, den Kurs (Beifall bei Abgeordneten der PDS) hält, die Reformen voranbringt und für Stabilität und Anerkennung sorgt. Mit dieser zweitägigen Haushaltsdebatte wollte sich die amtierende Bundesregierung offenbar noch Sie sehen es doch auch an der Bewertung der einmal eine Bühne verschaffen, um ihre Erfolgsbilanz Währung. Alle haben gesagt: Wenn der Euro kommt, vorzustellen. Ich habe aber eher den Eindruck, daß dann kommen wir in eine Inflationsphase. - Das Ge- die Öffentlichkeit heute einer medialen Henkers- genteil ist der Fall. Der Wert der D-Mark und des mahlzeit für diese Mannschaft beiwohnt, der am Euro steigt im Verhältnis zum Dollar. Sie sehen doch 27. September gewiß das Urteil durch die Wählerin- das stabilisierende Element auf der Basis des Ver- nen und Wähler ausgesprochen wird, nämlich ein trauens in die deutsche Politik und die deutsche Re- Abwahlvotum. gierung. Das ist aber die Regierung dieser Koalition. (Beifall bei der PDS) (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Noch!) So ist zumindest die Stimmung in den neuen Bun- In einer solchen Situation, wo wir umgeben sind desländern. Ich darf aus einer in der „Super Illu" von Stürmen, sollten wir doch froh sein, daß der Ka- heute veröffentlichten Umfrage bekanntgeben, daß pitän, Helmut Kohl, und der Steuermann, Klaus Kin- in den neuen Bundesländern die derzeitige Koalition kel, weiterarbeiten und die Sache in der Hand behal- gegenwärtig ganze 12 Prozent der Stimmen bekäme ten, und es ist doch kein Schaden, wenn der Erste Of- - das doch aber nicht, wie Ministerpräsident Bieden- fizier, Wolfgang Schäuble, auch schon das Kapitäns- kopf argwöhnte, weil die PDS dort eine miese Stim- patent in der Tasche hat. Das erhöht doch nur das mung verbreitet, sondern weil die Bürgerinnen und Vertrauen. Bürger in den neuen Bundesländern - im übrigen (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) politisch hoch sensibilisiert und hoch gebildet; nie- mand sollte sie für tumb und für manipulierbar halten In dieser Situation darauf zu setzen, daß zwei Leicht- - viel bitterer empfinden, daß sich die Realität der matrosen, Gerhard Schröder und , Bundesrepublik Deutschland in ihrem Alltag immer die Brücke erklimmen mehr vom Anspruch des Grundgesetzes entfernt. Deshalb kommt diese Stimmung zustande. (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Besser Leichtmatrose als (Beifall bei der PDS) Küchenjunge!) Ich nenne nur die Sozialpflichtigkeit des Eigen- - er würde es ja gerne tun -, bedeutet nicht nur Risi- tums, die im Grundgesetz verankert ist. Wo ist sie ge- kobereitschaft; das bedeutet schon ausgesprochen blieben? Der Shareholder value diktiert hier. Die öf- auf Baisse zu spekulieren. fentliche Daseinsvorsorge steht im Grundgesetz als (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Aufgabe für die öffentliche Hand. Sie wird immer DIE GRÜNEN]: Besser Leichtmatrose als mehr abgebaut. Es gibt ein fast leeres Reservoir an ein Schiffbrüchiger!) öffentlichem Vermögen, das diese Bundesregierung vor 16 Jahren aber voll übernommen hat. Inzwischen Das kann doch nicht helfen. Das kann man nieman- gibt es nun sogar schon den Ausverkauf we rtvollster dem empfehlen, insbesondere nicht, wenn man sieht, Naturschutzflächen in Ostdeutschland. Ich erinnere daß im Beiboot Jürgen Trittin und na- an die Schorfheide in . Das ist das, was hen, die natürlich ebenfalls die Brücke entern und bitter aufstößt. 22938 Deutscher Bundestag - 13. Wahlpe riode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Dr. Christa Luft Ich nenne noch einen Punkt aus dem Grundgesetz. Nun hat Bundesfinanzminister Waigel in seinem Dort steht das Recht auf freie Berufswahl für jeden ZDF-Sommerinterview gesagt, der Entwurf, den er jungen Menschen. Ich weiß nicht, wer von Ihnen sich vorlege, sei das Buch der Zahlen; jeder wisse nun, trauen würde, in eine Veranstaltung zu gehen, in der woran er 1999 und bis zum Jahr 2000 sei. Ja, wie Hunderte junger Leute sitzen nach x Ablehnungen recht er doch hat, unser oberster Kassenwart! Das bei Bewerbungen um eine Ausbildungsstelle. Was Wahlvolk weiß nun - schwarz auf weiß kann es das würden Sie denen wohl erzählen? Ich treffe jeden- zur Kenntnis nehmen -, daß die amtierende Regie- falls, Herr Solms, in den neuen und auch in den alten rung trotz allen Geredes von einer Trendwende auf Bundesländern auf Handwerksbetriebe, auf Hand- dem Arbeitsmarkt selbst im Jahr 2002 noch mit werker, auf Gewerbetreibende und auf Kleinunter- 3,5 Millionen Arbeitslosen rechnet - offiziell versteht nehmer, die einer Ausbildungsplatzumlagefinanzie- sich; die Quasi-Arbeitslosen zählt ja sowieso nie- rung sofort gern zustimmen würden. Denn sie wüß- mand. ten, sie würden davon profitieren. Es sind doch die Ich finde, das sind schöne Aussichten. Dabei wollte großen und gutsituierten Mittelständler, die sich von der Kanzler die Arbeitslosenzahl schon bis zum Jahr der Ausbildung abgeseilt haben. 2000 halbieren, also auf zirka 2 Millionen reduzieren. (Beifall bei der PDS) Wer sich so verkalkuliert, der hat doch jede Glaub- würdigkeit verloren. Die Menschen in den neuen Bundesländern wür- (Beifall bei der PDS) den so stimmen, wie ich eben gesagt habe, weil sie wollen, daß der Osten endlich als eine Chance für Von den 23 Berliner Bezirken hatten im übrigen 17 das ganze Land begriffen wird und daß er nicht stän- im Juli eine höhere Arbeitslosigkeit als im Juni. Fünf dig nur als Sozialfall gehandhabt wird, der schon so- Bezirke hatten eine Plus-Minus-Bilanz, und nur in ei- viel gekostet hat. Im übrigen werden ja die Transfer- nem Bezirk gab es einen leichten Rückgang bei der leistungen immer noch brutto ausgerechnet. Arbeitslosigkeit. Das alles ist festzustellen, obwohl die Koalition lautlos etwas getan hat, was sie norma- Die halbe Million, die dieses heutige und morgige- lerweise lauthals diskreditiert, ja gar diffamiert: Sie überflüssige Manöver wahrscheinlich kostet, hätte hat inzwischen den zweiten Arbeitsmarkt gestärkt. ich gern für meinen Wahlkreis. Ich nehme an, viele Zwar bestreitet die Koalition, daß sie durch das Aus- andere Abgeordnete hätten das auch gern. Kinder- schütten des Füllhorns von ABM-Geldern Wahlspeck spielplätze könnten gebaut, Jugendfreizeiteinrich- verteilt hat. Sie behauptet sogar, die Zahl der ABM- tungen erhalten oder Schulen renovie rt werden. Das Stellen würde sich lediglich auf dem Niveau des ver- wären alles wichtigere Projekte als verbale Reden- gangenen Jahres bewegen. Mit meinen Erfahrungen schlachten. deckt sich das aber nicht: In dem Arbeitsamtbezirk, zu dem mein Wahlkreis gehört, gibt es gegenwärtig Im übrigen ist ja das, was uns vorgelegt worden ist, 1500 ABM-Stellen mehr als 1997. Selbstverständlich sowieso ein Zahlenfriedhof. Das Wirtschaftswachs- bedauere ich das nicht. Aber ich kritisiere scharf, daß tum, das angegeben worden ist, die Steuereinnah- wiederum nur befristete Stellen finanziert werden men oder die Zuwendungen für die Bundesanstalt und daß die Menschen nach Ablauf der Zeit wieder für Arbeit, die Neuverschuldung, die Zinsausgaben - in ein Loch fallen. Mit der Not arbeitsloser Menschen alles das sind doch inzwischen schon obsolete Zah- Schindluder zu treiben, das ist, finde ich, skandalös. len. (Beifall bei der PDS) Wir haben eine neue weltwirtschaftliche Situation. Für die Finanzierung solch wichtiger Bereiche wie Ich darf Sie bitten, Herr Bundeskanzler: Wenn Sie Jugendarbeit, soziale Dienste und humane Dienstlei- nicht wollen, daß die Rußlandkrise zu weiteren Unsi- stungen überhaupt werden jedoch keine stabilen cherheiten in Europa und in der Welt führt, dann müssen Sie aufhören, mit Ihrer Regierung den Fo rt und existenzsichernden Lösungen gesucht. Statt des- sen meditieren Sie über Niedriglohnsektoren und -gang der Reformen an puren ideologischen Dogmen Löhne ei- zu messen. Es ist wichtig, daß wirtschaftliche Stabili- Kombilohnmodelle. Wohin sollen sich die gentlich noch entwickeln? Ich nenne Ihnen einmal tät in Rußland entsteht, daß innerer sozialer Friede ein Beispiel, das jüngst durch die Presse ging. Selbst bewahrt wird, daß es zu kommerzieller Zuverlässig- qualifizierte Facharbeiter und Facharbeiterinnen keit und zu Rechtssicherheit kommt. werden in den neuen Bundesländern mit 6,10 DM Sie aber haben Kredite und Beratungshilfen daran brutto in der Stunde bezahlt. Ich weiß nicht, wer da- gebunden, daß große Staatsunternehmen ganz von leben soll. Meint jemand, daß die immer niedri- schnell zerhackt werden mußten und privatisiert wer- geren Löhne eine Perspektive für dieses Land sein den sollten, daß staatliche Strukturen vorschnell ab- können? Wir fordern die gesetzliche Fixierung eines gebaut wurden. Die Folge ist, daß wir ein Wi rt existenzsichernden Mindestlohnes für Männer und -schafts- und Steuerchaos haben, daß das Volk darbt, für Frauen. während sich eine gewisse Clique bereichert hat. Die (Vorsitz : Vizepräsidentin Dr. Antje Voll soziale Bombe tickt. Jelzin war - ich muß das jetzt mer) einmal so sagen - für Sie bis gestern noch die Inkar- nation einer Reformkraft. Ich meine, Irren ist mensch- Im übrigen finde ich es schade, daß Herr Minister- lich, aber dieser Irrtum ist besonders tragisch. präsident Biedenkopf nicht mehr da ist. In dem von ihm in Auftrag gegebenen Zukunftsbericht steht die (Beifall bei der PDS) zynische Bemerkung, die Arbeitslosigkeit im Osten Deutscher Bundestag - 13. Wahlpe riode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 22939 Dr. Christa Luft wäre dann nicht höher als im Westen, wenn nicht die oder auch die Rücknahme der von der Koalition be- Frauen im Osten eine so schrecklich hohe Erwerbs- schlossenen Rentenkürzungen. neigung hätten. Wie will er denn die ostdeutschen Frauen - und wahrscheinlich auch die westdeut- Angekündigt hat der Kanzlerkandidat auch, bei schen Frauen - gestellt wissen? Damit wird er keinen Amtsübernahme sofort ein Programm für die Ausbil- Anklang finden - auch nicht bei der Wahl am 27. Sep- dung und für die Beschäftigung von hunderttausend tember. jungen Leuten auflegen zu wollen. Ich kann nur sa- gen: Gut so. Nur ist das keine o riginelle Idee mehr; (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne- denn vor mehr als einem halben Jahr hat neben den ten der SPD) Koalitionsfraktionen auch die SPD-Bundestagsfrak- tion einen Bleichlautenden Antrag der PDS hier in Die Bundesbürgerinnen und -bürger können sich diesem Hohen Hause abgelehnt. davon überzeugen, daß die Verschuldungspolitik (Petra Bläss [PDS]: Hört! Hört!) der Bundesregierung zu einer gigantischen Umver- teilung geführt hat und daß sie sich fortsetzen soll. Nicht finanzierbar, hieß es, und im übrigen sei das Der Steuerzahler hat für fast 80 Milliarden DM Zin- auch ein Rückfall in den Staatssozialismus. sen im Jahr aufzukommen. Das betrifft vor allem die abhängig Beschäftigten, die die Lohnsteuer aufzu- Der SPD-Vorschlag soll nun aus eingesparten Gel- bringen haben und die den größten Teil der Mehr- dern für Jugendarbeitslosigkeit bezahlt werden. Ich wertsteuer bezahlen. Der größte Teil der Zinsen fließt habe Zweifel, ob das reichen wird. Hoffentlich fällt in die Taschen derer, die so viel Geld hatten, daß sie dieses überaus gute Projekt, das unsere volle Unter- es der öffentlichen Hand pumpen konnten. Jenen stützung haben wird, nicht auch unter den Finanzie- aber haben Sie nun auch noch die private Vermögen- rungsvorbehalt. Dann kämen die Jugendlichen nur steuer erlassen. vom Regen in die Traufe; denn eine Ausbildungs- platzumlagefinanzierung soll es laut Startprogramm Mit Blick auf die Verschuldung heißt es häufig - so ja nicht geben. auch von meinem Kollegen Metzger von den Bünd- Wie lange aber, so frage ich Sie mit Verlaub, soll nisgrünen im Frühstücksfernsehen -, dieses Land denn ein solches Spiel, ein solches letztlich unwürdi- hätte in den letzten Jahren über seine Verhältnisse ges Spiel, noch fortgesetzt werden, daß ein vernünfti- gelebt. Wer soll denn der Völlerei bezichtigt werden? ger Vorschlag abgelehnt wird, nur weil er von der fal- Sind das die Kinder in Familien, die an der Armuts- schen Partei kommt? Dafür hat unter den Wählerin- grenze leben und über die Frau Ministe rin Nolte nen und Wählern niemand mehr Verständnis. Ich ignorant meint, Sozialhilfe sei nicht mit Armut gleich- könnte die Beispiele hier fortsetzen, die belegen, daß zusetzen? Sind das die Langzeitarbeitslosen, deren wir in diesem Parlament, auch in den Ausschüssen, Bezüge laufend gesenkt wurden? Sind das die Men- häufig Projekte angeregt und auf die Tagesordnung schen mit Behinderungen, die keinen Zugang zum gesetzt haben, die von allen Seiten dieses Hauses ab- Arbeitsmarkt haben? Nein. Ich denke, wir müssen gelehnt worden sind. Später haben sich andere diese genauer lokalisieren, wer den großen Schluck aus Projekte auf ihr Briefpapier geschrieben und es ein- der Flasche genommen hat. Das sind diejenigen mit gereicht. privaten Sonderabschreibungen, die den Fiskus schröpfen. Zudem sind es die Banken, die enorme Wir wollen nicht parteienegoistisch sein. Wir Rückstellungen für die Finanzierung von großen Ge- möchten, daß Probleme in diesem Lande gelöst wer- werbezentren und Bürohochhäusern, die anschlie- den. ßend nicht ausgelastet sind, bilden. Sie können mit (Beifall bei der PDS) den Rückstellungen in ihren Bilanzen Wertberichti- gungen vornehmen, um ihre Steuerbelastung zu sen- Daher werden wir auch künftig vernünftige Vor- ken. Das sind Zustände, die endlich geändert werden schläge immer wieder einreichen. müssen. Ich komme noch einmal auf den Finanzierungs- (Beifall bei der PDS) vorbehalt zurück, der im SPD-Programm enthalten ist. Es mutet zunächst realistisch an, wenn gesagt Alles in allem ist das, was die Bundesregierung wird, man kann nur angehen, was man auch finan- vorlegt, eigentlich ihr Testament. Es ist eine traurige zieren kann. Aber ist die Vermutung ganz fehl am Hinterlassenschaft. Aber nicht nur die Regierung Platze, daß man hier freiwillig und vorzeitig auf das Kohl hat abgewirtschaftet; auch die neoliberale Phi- Erschließen alternativer Finanzierungsquellen ver- losophie, der sie gefolgt ist, mit ihrer Marktgläubig- zichtet? Warum ist im Startprogramm von der Wie- keit ist gescheitert. Daher nutzt ein Auswechseln von dereinführung der p rivaten Vermögensteuer keine Personen am 27. September überhaupt nichts. Was Rede? wir bitter nötig haben und überfällig ist in diesem (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Lassen Sie das Lande, ist ein Politikwechsel. einmal unsere Sorge sein!) Gespannt blickt nun die Öffentlichkeit auf das Warum wird eine Abgabe auf große Vermögen nicht Startprogramm der SPD. Darin sind ganz gewiß ei- einmal in Erwägung gezogen? Warum wird plötzlich nige außerordentlich begrüßenswerte Maßnahmen ein ziemlicher Spielraum für die Absenkung des Spit- enthalten. Ich nenne nur die Rücknahme der gekürz- zensteuersatzes gesehen, der vor Monaten noch für ten Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Ich nenne die illusorisch gehalten wurde? Erstaunlich ist im übri- Rücknahme des gelockerten Kündigungsschutzes gen, daß die Bündnisgrünen sogar noch größere 22940 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Dr. Christa Luft Spielräume für die Absenkung des Spitzensteuersat- Ausgabenkürzung. Wir haben das Versprechen ein- zes sehen als die SPD. gelöst, die Staatsquote zurückzuführen. Wir haben eine Preisstabilität wie seit Jahren nicht mehr, und (Margareta Wolf [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ wir haben niedrige Zinsen. Dies kommt nicht von un- DIE GRÜNEN]: Das ist nicht immer so ein- gefähr. Das ist kein Wunder und kommt nicht vom fach, wie Sie das meinen!) Himmel; vielmehr hat es etwas mit der verläßlichen Auch das war nicht immer so. Finanzpolitik dieses Ministers Theo Waigel zu tun. Deshalb gebührt ihm Dank. Wenn Politikangebote für die nächste Legislatur- periode und nicht nur für den Wahltag gemacht wer- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge den sollen, dann müssen von der SPD und von den ordneten der F.D.P.) Bündnisgrünen schon noch Fragen beantwortet wer- Leider ist Herr Ministerpräsident Lafontaine nicht den. Wir jedenfalls werden solche Angebote in der mehr da. Ich muß in einigen Punkten auf seine Aus- nächsten Legislaturpe riode hier an diesem Platze führungen eingehen. Herr Lafontaine hat immer wie- weiter unterbreiten. Wir werden auch Antworten der „die Wahrheit" strapaziert. Ich kann bloß sagen: von Ihnen einfordern. Wir werden prüfen, ob Sie In einer ganzen Reihe von Fragen ist er mit der Wahr- Projekte, die Sie heute im Wahlkampf vorlegen, heit leichtfertig umgegangen. Dies kann man zum auch umsetzen, wenn Sie an der Regierung sein soll- Beispiel auch durch verkürzte Wiedergabe von Zita- ten. ten tun. Ich möchte ein solches Zitat weiterführen. Wenn die SPD die Wahl gewinnen will - was wir Herr Lafontaine hat sich mit Herrn Dornbusch aus- ihr wünschen -, dann muß sie der CDU Stimmen ab- einandergesetzt und dabei eine Aussage zu Finanz- jagen und unter den Nichtwählerinnen und Nicht- minister Theo Waigel gemacht. Jetzt darf ich aus wählern Stimmen holen und darf nicht versuchen, im demselben Artikel - zwei Spalten weiter - Herrn linken Lager Stimmen umzuverteilen. Das ist der Dornbusch zitieren; so wird die Wahrheit daraus. leichte Weg, aber von diesem Weg hat dieses Land Herr Dornbusch sagt: nichts. - In den USA haben rigorose Steuersenkungen (Beifall bei der PDS) (und Deregulierungsmaßnahmen) zur Vollbe- schäftigung, einem ausgeglichenen Staatshaus- halt und einer einmalig niedrigen Inflation ge- Vizepräsidentin Dr. : Das Wort hat führt. In Deutschland wäre dies nicht anders, jetzt der Abgeordnete Repnik. hätte man nur den Mut für diesen doppelseiti- gen Ansatz der Steuersenkung und Deregulie-

Hans - Peter Repnik (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau rung. Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Her- Dornbusch weiter, ganz wichtig: ren! Ich möchte zu Beginn meiner Ausführungen in dieser Haushaltsdebatte einen Dank abstatten, Dank Der Waigel-Pakt ist dabei natürlich ein wunder- an den Bundesfinanzminister Dr. Theo Waigel! bares, disziplinierendes Instrument: (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Weiter heißt es: Ich möchte ihm nicht nur danken, daß er vor der Bun- Schwachköpfige Sozialisten, die alles dem Staat destagswahl diesen Haushalt für das Jahr 1999 vor- übertragen wollen, erhalten ein klares Nein gelegt hat, sondern ich möchte ihm auch für die Her- ebenso wie diejenigen, die an ihren. Monopolen kulesarbeit danken, die er in der jetzt zu Ende ge- oder einer großen staatlichen Bürokratie festhal- henden Legislaturpe riode geleistet hat. ten wollen. (Beifall bei der CDU/CSU) Im Gegensatz zu dem, was Herr Lafontaine gesagt hat, erfährt Herr Waigel mit seiner Politik eine ein- Was wurde in den letzten vier Jahren von der Lin- deutige Bestätigung durch Herrn Dornbusch. Auch ken nicht alles behauptet! Was für Horrorszenarien dies gehört zur Wahrheit. wurden nicht alles entwickelt! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Die sind ordneten der F.D.P.) doch alle eingetreten!) Wenn wir schon bei der Wahrheit sind: Es ist doch Welche Prognosen wurden gestellt! - Alle die von Ih- ganz spannend, die Parallelität der Argumentation nen entwickelten Prognosen waren Fehlprognosen. Ihres Parteivorsitzenden und jener der PDS zu sehen. Die Wahrheit ist eine andere. Maastricht: Wenn ich (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: So ist an das Defizitkriterium denke, dann stelle ich fest, es!) daß wir die Maastricht-Kriterien nicht nur gerade so erreicht, sondern sogar nachhaltig unterschritten ha- Wenn ich betrachte, was sich da anbahnt, dann ahne ben. ich Schreckliches. Herr Lafontaine hat dargestellt, daß hier eine Umverteilung von unten nach oben (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) stattfindet und wie schlecht es gerade den Beziehern Wir haben Art . 115 selbstverständlich eingehalten kleinerer Einkommen gegangen ist. - Auch hier und haben heute mehr Investitionen als neue Schul- möchte ich wieder einen Blick auf die Fakten werfen. den. Wir haben in diesem Haushalt 1999 eine reale Es handelt sich nicht um politische Zahlen. Das Insti- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 22941 Dr. Christa Luft tut der deutschen Wi rtschaft hat folgendes berech- und Verläßlichkeit auch und gerade im Hinblick auf net. Ich darf nur zwei Daten zitieren: den Aufbau Ost.

Preisbereinigt beträgt das Wohlstandsplus im (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Zeitraum 1985 bis 1997 je Haushalt 9 Prozent und ordneten der F.D.P.) je Kopf sogar fast 16 Prozent. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich halte es schon für bemerkenswe rt, daß Herr Lafontaine in Dies sind die Fakten. Kein Zurück, sondern ein seinen Aussagen kein Wo rt über die kommunisti- Mehr. schen Altschulden verloren hat. Wenn die kommuni- Ein Zweites. stischen Altschulden nicht wären, hätte der Bund 450 Milliarden DM weniger Schulden. Daß sich dies (Zurufe von der SPD) auch auf die Zinssituation auswirkt, weiß doch alle Welt. 21 Milliarden DM, ein Viertel der Zinsaufwen- - Hören Sie mir bitte zu! Sie können doch an den dungen in diesem Haushalt, sind ausschließlich auf Fakten nicht vorbeimanipulieren. Das versuchen Sie. die kommunistischen Altschulden zurückzuführen. Aber genau das werden wir nicht zulassen. Frau Kol- Dies Finanzminister Waigel anzulasten ist schon eine legin Matthäus-Maier, ich möchte Sie mit folgendem gewaltige Frechheit. Datum konfrontieren. Das ausgabefähige reale (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Pro-Kopf-Einkommen: der einkommensschwächsten 30 Prozent der westdeutschen Bevölkerung stieg zwi- Die Verantwortlichen sitzen doch hier. Das sind die schen 1985 und 1996 unter dieser Regierung Helmut PDS und ihre Vorgängerpartei, Ihr Koalitions- und Kohl mit 21 Prozent stärker als in jeder anderen Ein- Duldungspartner. Bei denen liegt die Verantwortung kommensgruppe. Es lohnt sich doch, auch diese Fak- und nicht beim Bundesfinanzminister. ten zur Kenntnis zu nehmen. Verbreiten Sie bitte an Wenn wir von der Konsolidierung des Haushalts diesem Pult nicht die Unwahrheit. sprechen, berufen wir uns auf verläßliche Zahlen. - Der Anteil, den der Bund im Jahre 1999 am Bruttoso- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - zialprodukt hat, beträgt gerade 11,8 Prozent. Man Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Ich habe kann sagen, das ist immer noch zuviel, aber es lohnt doch gar nichts gesagt!) sich, hier einmal den Blick zurückzuwenden. - Sie haben es nicht gesagt. Ich wollte nur Ihre Auf- merksamkeit haben. Da Ihr Parteivorsitzender nicht Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege da ist, möchte ich Sie darum bitten, daß Sie ihm diese Repnik, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Zahlen unterbreiten, damit er bei der nächsten Ver- Luft zu? anstaltung nicht wieder solchen Unsinn wie heute früh zu diesem Thema erzählt. Hans - Peter Repnik (CDU/CSU): Vielen Dank, ver- ehrte Frau Präsidentin, aber ich würde gerne diese (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Daten dem Hohen Haus und der Öffentlichkeit prä- und der F.D.P.) sentieren; denn nichts überzeugt stärker als die Da- Ich habe vorhin unserem Finanzminister gedankt, ten dieser Regierung. weil dieser Haushalt im Ergebnis doch außerge- Ich nenne deshalb ein ganz wichtiges Datum: Der wöhnlich bemerkenswe rt ist. Noch niemals seit Be- Anteil des Bundes am Bruttosozialprodukt liegt mit stehen der Bundesrepublik Deutschland mußten 11,8 Prozent 1999 niedriger als in den 60er, 70er oder haushaltspolitisch in einem Jahrzehnt so gewaltige 80er Jahren. Vielleicht ist es gut, daran zu erinnern, Lasten geschultert werden. Dies ist doch ein Faktum daß wir vor 16 Jahren, bevor Helmut Kohl die Regie- vor dem Hintergrund der Wiedervereinigung und rungsverantwortung übernommen hat, unter der Re- der weltweiten Umbrüche. Dennoch ist die Haus- gierung von ohne die Sonderbela- haltspolitik des Bundes ihrer verantwortungsbewuß- stung durch den Aufbau Ost und die kommunisti- ten Konsolidierungslinie treu geblieben. schen Altlasten einen Anteil von 15,4 Prozent hatten. Dabei haben wir auch noch 8 Milliarden DM Kohle- (Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr wahr!) pfennig übernommen und damit den Bürger entla- stet. Das sind doch die Tatsachen. Dies ist eine Kon- Ich möchte auf etwas aufmerksam machen, was solidierungspolitik, die sich sehen lassen kann. Herr Ministerpräsident Biedenkopf bereits gesagt hat. Auch in diesem Haushalt, der jetzt für das näch- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ste Jahr zur Beratung ansteht, hat der Bund einen Noch eine andere Zahl: Würde der Bund das Brut- Nettotransfer von West nach Ost in Höhe von 95 Mil- toinlandsprodukt genauso stark belasten wie damals liarden DM eingeplant. Das zeigt die Solidarität der die SPD-geführte Regierung von Helmut Schmidt, lä- Bürger im Westen mit denen im Osten. Wir stehen gen die Bundesausgaben heute um 140 Milliarden dazu. Was macht die SPD? - Die SPD hat ihre gesam- DM höher als in dem Haushalt, den Theo Waigel vor- ten Aussagen zum Haushalt unter einen Finanzie- gelegt hat. Dies sind die unterschiedlichen Ansprü- rungsvorbehalt gestellt. Doch gerade die Bürger in che, die wir in dieser Frage haben. den neuen Bundesländern müssen wissen, daß wir das Geld eingeplant haben. Die SPD dagegen weiß Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe es noch nicht so genau. Bei uns herrschen Sicherheit Theo Waigel auch dafür gedankt, daß er eine bere- 22942 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Hans-Peter Repnik chenbare und transparente Haushaltspolitik bet rie- zu tätigenden Investitionen für den Mittelstand be- ben und uns einen solchen Haushalt vorgelegt hat. deutet, was dies für den Arbeitsmarkt bedeutet? Auch hier zeigt sich einmal mehr ein glattes Versa- (Katrin Fuchs [Verl] [SPD]: Das meinen Sie gen. doch wohl nicht ernst?) Der Landesrechnungshof von Niedersachsen hat Man hört in diesen Tagen sehr viel - dies sagt auch jetzt wiederholt moniert, daß der Haushalt des Bun- der SPD-Kanzlerkandidat - von einem Kassensturz. deslandes Niedersachsen nicht verfassungskonform Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ist. Und dieser Herr will uns hier lehren, wie man ei- auch hier gilt: Nicht an ihren Sprüchen, sondern an nen verfassungsmäßigen Haushalt aufstellt! Nein, ihren Früchten, an ihren Taten oder - wenn ich an meine Damen und Herren, an ihren Früchten wollen die SPD denke - an ihren Unterlassungen sollen wir wir sie erkennen. sie messen. Wer sich anheischig macht, die Geschicke einer Dieser Bundeshaushalt 1999 ist ein offenes Buch. der größten Industrienationen der Welt zu führen, Wenn schon der Kollege Diller nicht mehr zu seiner der muß sich schon fragen lassen, wodurch er sich Aussage steht, man möge die Pläne übernehmen, dafür qualifiziert. möchte ich den Kollegen Metzger, der vorhin hier ge- sprochen hat, zitieren. Herr Metzger hat zu dem vor- (Beifall bei der CDU/CSU) gelegten Haushalt des Finanzministers gesagt, die Deshalb möchte ich ein paar Zahlen in den Raum Einhaltung der Waigelschen Vorgaben würde zu ei- stellen. Ich möchte darüber sprechen, wie das Duo ner allmählichen Konsolidierung des Haushalts füh- Lafontaine und Schröder do rt, wo sie in der Verant- ren, da in diesem Szenario sowohl das Wachstum der wortung stehen, mit ihrer Verantwortung umgegan- Neuverschuldung als auch das Wachstum der Ausga- gen sind und wie es in anderen Ländern aussieht, in ben unter dem angenommenen Wirtschaftswachstum denen andere in der Verantwortung stehen. lägen und somit die Gesamtverschuldung und die Staatsausgaben als Relation zum Bruttoinlandspro- Wer gestern beim Festakt im Museum Koenig war - dukt langsam zurückgehen würden. - Wenn dies und dem Ministerpräsidenten Schröder zugehört hat, keine eindeutige Aussage ist, an der sich auch Herr konnte eine ganz bemerkenswerte Aussage - in mei- Waigel messen lassen kann, dann weiß ich es nicht. nen Augen eine verräterische Aussage - zur Kennt- nis nehmen. Schröder hat do rt nämlich gesagt, daß Peffekoven, der Wirtschaftsweise, hat gesagt: Kas- wir nicht in einen Föderalismuswettbewerb eintre- sensturz zu verlangen ist ein „Unsinn"; denn „jeder, ten wollen. - Meine sehr verehrten Damen und Her- der sich über den Zustand öffentlicher Finanzen in- ren, es könnte der SPD so passen: die Erfolge, die in formieren will, kann das schon heute tun" . den Ländern eingefahren werden, die von CDU und (Beifall bei der CDU/CSU) CSU regiert werden, umzuverteilen und die Mißer- folge der Sozialdemokraten zu sozialisieren. Diese Meine Damen und Herren, ich bin bei der Transpa- Rechnung geht nicht auf. Das lassen wir Ihnen auch renz, ich bin beim Kassensturz, ich bin bei der Re- nicht durchgehen. chenschaftspflichtigkeit auch dieser Regierung. Wie sieht dies bei der SPD aus? Die SPD stellt alles, was (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge sie in ihren Wahlprogrammen anbietet und ver- ordneten der F.D.P.) spricht, unter einen Finanzierungsvorbehalt. Wenn heute - das sage ich jetzt den Bürgerinnen (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Alles und Bürgern in den neuen Bundesländern - der Mi- versprechen, nichts halten! - Ing rid Mat- nisterpräsident des Saarlandes und SPD-Vorsitzende thäus-Maier [SPD]: Das müssen Sie sagen!) den Eindruck erweckt hat, daß sich die Klage, die Ba- den-Württemberg und Bayern gemeinsam erhoben - Alles versprechen, nichts halten müssen, das ist haben, gegen den Finanzausgleich mit den neuen wohl wahr. Ländern richtet, ist das die Unwahrheit. Wie sieht es bei dem Herrn aus, der als Kanzler- (Beifall bei der CDU/CSU) kandidat auftritt? Auch hier rate ich uns: An ihren Früchten und nicht an ihren Sprüchen werdet ihr sie Es geht vielmehr darum, daß diese Länder die erkennen. In Niedersachsen ist seit langem ein Früchte ihrer guten Arbeit nicht mehr länger mit her- Nachtragshaushalt für das Jahr 1998 fällig. Er wei- untergewirtschafteten Ländern wie dem Saarland gert sich, ihn einzubringen. Er verschleppt es bis und Niedersachsen teilen wollen. Das hat nichts mit nach den Wahlen, weil er nicht zu seinen Zahlen und mangelnder Unterstützung des Aufbaus Ost und der zu seinen Fakten stehen will. Wie sieht es mit dem neuen Länder zu tun. Jahr 1999 aus? Der Haushalt des Jahres 1999 in Nie- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. dersachsen wird nach der Bundestagswahl vorgelegt Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]) und nach der jetzigen Planung im Mai 1999 im Parla- ment verabschiedet. Dies hat etwas mit Transparenz Herr Schröder hat vor vier Jahren in einem „Spie- zu tun. Was will der Herr verschleiern, daß er den gel" -Interview dem damaligen Kanzlerkandidaten Haushalt nicht wie wir schon vor den Wahlen vor- Scharping folgenden Rat gegeben. Ich darf zitieren: legt? Er hat offensichtlich etwas zu verstecken. Für die Selbstdarstellung der Bundestagsopposi Weiß er, was die Unsicherheit über einen nicht ver- tion ist das Arbeitsplatzthema nur schwer geeig abschiedeten Haushalt im Hinblick auf die vom Land net. Deswegen muß die SPD die erfolgreiche Ar- Deutscher Bundestag - 13. Wahlpe riode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 22943 Hans-Peter Repnik beit all ihrer Ministerpräsidenten auf diesem Ge- wie in Niedersachsen. Das sind doch Fakten, an de- biet klarmachen und als Ausweis für ihre spezifi- nen wir nicht vorbeikommen. sche industriepolitische Kompetenz nutzen. Auch dies müssen wir den Bürgern sagen: Hätten Wir lassen uns auch vier Jahre nach dieser Aussage die alten Bundesländer die derzeitige Arbeitslosen- an beiden Kriterien, sowohl an dem bundespoliti- quote von Bayern oder von Baden-Württemberg, wä- schen wie auch an dem landespolitischen Kriterium, ren in Deutschland 800 000 Menschen weniger ar- messen. beitslos. Diese Tatsache hat doch etwas mit der Poli- tik der betreffenden Länder zu tun. Ich will zum Arbeitsmarkt' auf Bundesebene fol- gendes sagen: (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der F.D.P.) Erstens. Sie waren es doch, die uns im vergange- nen Herbst prognostiziert haben, daß wir binnen Jah- Oder andersherum: Hätten wir eine Arbeitslosen- resfrist die 5-Millionen-Grenze überschreiten wer- quote wie in Niedersachsen oder wie im Saarland, den. Heute sind wir dabei, die 4-Millionen-Grenze zu dann hätten wir in Deutschland 500 000 Arbeitslose unterschreiten. Das ist doch ein Erfolg! mehr, als wir jetzt haben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Herr Lafontaine hatte sich dieses Themas ganz be- Dr. Dieter Thomae [F.D.P.J) sonders angenommen. (Monika Ganseforth [SPD]: Peinlich ist das!) Zweitens. Kurzarbeit findet in dieser Republik so gut wie nicht mehr statt. Diese Tatsache sagt doch et- - Nein. Ich werde Ihnen jetzt aufzeigen, wie es im was aus, weil die Kurzarbeit in aller Regel der Ein- Saarland aussieht. Diese Zahlen sind nicht von mir, stieg in die Arbeitslosigkeit ist. Bevor nämlich ein sondern von der SPD-nahen Arbeitskammer des Unternehmer entläßt, wird er die Arbeitnehmer kurz- Saarlandes. Der Präsident dieser Arbeitskammer ist arbeiten lassen. Die Tatsache, daß wir die Kurzarbeit ein SPD-Landtagsabgeordneter, der uns mit Sicher- bis fast auf Null heruntergefahren haben, hat etwas - heit nicht hellen will. In dem diesjährigen Jahresbe- mit der Sicherung der Arbeitsplätze und der Bewe- richt - Sie können ihn anfordern; weil Sie dazwi- gung auf dem Arbeitsmarkt zu tun. schenrufen, unterstelle ich, daß Sie ihn nicht kennen; ich rate Ihnen: fordern Sie ihn an - steht auf Seite 39 (Monika Ganseforth [SPD]: Das ist Realitäts- unter anderem, daß zwischen 1985 und 1997 im Saar- verlust, was Sie da sagen!) land 1,7 Prozent mehr Arbeitsplätze geschaffen wur- Drittens. Diese Tatsache ist heute morgen schon den. Das hört sich gar nicht so schlecht an. Aber wie angesprochen worden, ich will sie aber noch einmal sieht es insgesamt aus? erwähnen: Es gibt 500000 gemeldete offene Stellen. Jeder Expe rte sagt uns, daß diese Zahl mit einem Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege Faktor 3 zu multiplizieren ist, weil in vielen Branchen Repnik, es gibt einen weiteren Wunsch nach einer und in vielen Ländern, zum Beispiel in Baye rn und in Zwischenfrage. Lassen Sie gar keine mehr zu? Baden-Württemberg, fast keine Vermittlung mehr über das Arbeitsamt läuft, da der Arbeitsmarkt do rt leergefegt ist. Wir haben in der Bundesrepublik Hans-Peter Repnik (CDU/CSU): Ich finde, es ist sehr gut, wenn sich die Kolleginnen und Kollegen Deutschland derzeit 1,3 bis 1,5 Millionen offene Stel- von der linken Seite einfach einmal mit diesen Fak- len. Das bedeutet doch, daß sich auf dem Arbeits- markt etwas verändert hat. ten auseinandersetzen, die Sie offensichtlich nicht kennen. Was bedeutet dies weiter? Das bedeutet auch, daß (Beifall bei der CDU/CSU) die Unternehmen wieder einstellen, weil sie der poli- tischen und auf Grund der Auftragslage auch der wirtschaftlichen Entwicklung wieder etwas zutrauen. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich möchte Sie Sie sind zuversichtlich im Hinblick auf die Zukunft, darauf hinweisen, daß Ihre Redezeit vorbei ist. sonst würden sie nicht neue Arbeitnehmer suchen. Das ist doch ein grandioser Erfolg dieser Regierung Hans-Peter Repnik (CDU/CSU): Vielen Dank, Frau unter Helmut Kohl. Präsidentin. Die Fraktion gibt mir bestimmt noch (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) zwei Minuten dazu. Ich möchte mich jetzt noch einmal mit den saarlän- Wie kam dieser Erfolg zustande? Ich darf noch ein- dischen Arbeitsmarktzahlen auseinandersetzen. Ich mal zu den Aussagen von Herrn Lafontaine, dem Mi- zitiere hier nur die SPD-nahe Arbeitskammer Saar- nisterpräsidenten des Saarlandes, zurückkommen. land: Es gab ein Plus von 1,7 Prozent zwischen 1985 Wie sehen in dieser Republik die Arbeitslosenquo- und 1997. Der Bundesdurchschnitt war plus 8,4 Pro- ten aus? Baye rn : 6,4 Prozent. Das ist ein Minus von zent. Das heißt, das Saarland ist gewaltig hinter dem 8,4 Prozent innerhalb des letzten Jahres. Baden- Bundesdurchschnitt zurückgeblieben. Württemberg: 6,8 Prozent. Das ist ein Abbau der Ar- beitslosigkeit von 10,8 Prozent in einem Jahr. Nieder- Jetzt wird es noch besser - vielleicht setzen Sie sachsen: 10,8 Prozent. Das ist ein Rückgang von sich sogar besser hin, Herr Kollege Wagner -: Jähr- 5,2 Prozent. Das heißt: Der Rückgang der Arbeitslo- lich verlassen 1500 Menschen das Saarland auf der sigkeit ist in Baden-Württemberg doppelt so stark Suche nach Arbeit und gehen in ein anderes Bundes- 22944 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Hans-Peter Repnik land, weil das Saarland diese Arbeitsplätze nicht bie- jeweils 19 Unternehmen mit Wagniskapital gefördert. tet. Das ist eine Wanderungsbewegung vom Saar- In Baden-Württemberg sind es 882, in Bayern 622 land in andere Bundesländer, weil das Saarland diese und in Sachsen 158 gewesen. Daß sich dies arbeits- Arbeitsplätze nicht bietet. marktpolitisch niederschlägt, daß dies Arbeitsplätze schafft und Arbeitslosigkeit zurückführt, versteht Es ist doch spannend, zu sehen, daß das Saarland sich doch von selbst. Dies alles geschieht unter den- nur die Hälfte des Bevölkerungszuwachses der übri- selben Rahmenbedingungen, nämlich jenen, die gen westlichen Bundesländer hat. Vielleicht hat das diese Koalition unter Helmut Kohl geschaffen hat. etwas mit der Lebensqualität und Arbeitsplatzsitua- Auch dies müssen Sie sich sagen lassen. tion im Saarland zu tun. Dies sind doch die Fakten, die wir den Bürgern vermitteln müssen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Die Norddeutsche Landesbank - auch nicht CDU- nah - bestätigt, daß Niedersachsen seine Bedeutung Noch einige Zahlen - sie sind nicht manipulierbar; als Forschungsstandort langfristig verloren hat. Das ich weiß, daß sie Ihnen wehtun -: Unter den 37 Ar- hat etwas mit Arbeitsmarkt und mit dem Verständnis, beitsämtern mit den niedrigsten Arbeitslosenquoten wie man gerade mit dem Mittelstand umgeht, zu tun. im Juli dieses Jahres - jetzt, vor fünf Wochen - sind 16 in Baden-Württemberg und 21 in Baye rn. Da fin- Wenn Sie mir und der Norddeutschen Landesbank det sich kein Arbeitsamtsbezirk aus dem Saarland nicht glauben, dann schauen Sie in den „Stern"; und auch nicht aus Niedersachsen. Unter den 37 mit auch er ist unserer Koalition nicht sonderlich wohlge- den besten Daten sind 16 in Baden-Württemberg sonnen. In seiner Nummer 17/1998 heißt es unter der und 21 in Bayern. Überschrift „Der Süden - das bessere Deutschland": Jetzt sagen Sie mir nicht, das hätte nichts mit Poli- Weniger Verbrechen, weniger Arbeitslose, mehr tik zu tun. Niedersachsen und das Saarland liegen in Freizeit, mehr Natur ... derselben Republik wie Bayern und Baden-Württem- berg. Niedersachsen und das Saarland haben ge- Und dann: nauso fleißige Menschen wie Bayern und Baden- Bayern und Baden-Württemberg sind heute die Württemberg. Es hat etwas mit den Rahmenbedin- Top-Standorte in Deutschland: Die Zahlen bewei- gungen zu tun, die in diesem Bereich auch die Län- sen, daß dort ordentlich gewirtschaftet und nicht der schaffen können. Also sind unionsregierte Län- über die Verhältnisse gelebt worden ist. Beide der schlichtweg besser. Das können wir auch nach- Länder sind technologiefreundlich und setzen in weisen. der Industriepolitik auf Modernisierung, Wettbe- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) werb und Innovationen. Auch dies ist ein Testat: Wenn sich immer mehr Men- Herr Lafontaine hat hier davon gesprochen, daß schen in diesen Ländern wohlfühlen, dann hat das Forschung das wichtigste Gut sei. Jetzt lassen Sie etwas mit guter Politik zu tun - mit einer Politik, für uns doch einmal die Forschungsausgaben an- die weder Schröder noch Lafontaine auch nur im An- schauen. Die Forschungsausgaben in Baden-Würt- temberg liegen um 31 Prozent höher als die in Nord- satz stehen. rhein-Westfalen und übersteigen die Gesamtaufwen- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - dungen von Hessen, Niedersachsen, Rheinland- Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Stoiber muß Pfalz, Schleswig-Holstein und vom Saarland - alles Kanzler werden!) SPD-regierte Länder. Ich darf mich nicht wundern, wenn in diesem wie im letzten Jahr wieder vier Ge- Ich will abschließend noch zwei Anmerkungen ma- winner von „Jugend forscht" aus Baden-Württem- chen. Herr Stollmann sprach in den letzten Wochen berg kommen und in Niedersachsen und im Saarland davon, er wolle wieder ein Wi rtschaftswunder kre- Fehlanzeige herrscht. Das hat doch Auswirkungen. ieren. Sowenig die Entwicklung in den 50er und 60er Jahren auf einem Wunder beruhte, sondern auf dem (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Fleiß und der Schaffenskraft der Menschen, auf der rie und auf einer gu- Ich darf mich nicht wundern, wenn in Niedersachsen Leistungsbereitschaft der Indust ten Politik, sowenig sind die jetzigen guten Rahmen- auf 100 000 Einwohner nur 37 Patente kommen, in bedingungen das Ergebnis eines Wunders. Vielmehr Baden-Württemberg 98 und in Bayern 93. Patente hat das etwas mit guter Politik dieser Koalition aus von heute sind die Arbeitsplätze von morgen. Auch CDU/CSU und F.D.P. zu tun. dies hat doch etwas mit einer guten Landespolitik zu tun. In diesem Zusammenhang möchte ich ein zweites sagen: Herr Lafontaine hat - wie verschiedene, auch (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Herr Schröder, in den letzten Wochen - auch heute Ein anderes Thema hat eine Rolle gespielt, und wieder ein Bündnis für Arbeit eingefordert. Es ist Herr Mosdorf hat dazu eine Zwischenfrage gemacht. wohl wahr: Wir brauchen ein Bündnis für Arbeit im Es geht um Existenzgründungen und neue Techno- Sinne eines Zusammenwirkens, im Sinne dessen, logien. Das ist ein Wort, das auch Herr Schröder per- daß sich Unternehmer und Gewerkschaften, Arbeit- manent im Munde führt. Jetzt darf ich Ihnen einmal nehmer und Politik gemeinsam ihrer Verantwortung sagen, wie es do rt aussieht, was neue Technologien stellen. Aber wahr ist auch: Wenn es Helmut Kohl und die Versorgung mit Risikokapital betrifft: Nieder- nicht gelungen wäre, in den vergangenen Jahren in sachsen und das Saarland haben binnen Jahresfrist einer Vielzahl von Gesprächen mit Gewerkschaften Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 22945 Hans-Peter Repnik und mit Unternehmern eine moderate Tarifpolitik mit lassen. Die kaufmännische Qualifikation von Frau herbeizuführen, hätten wir die jetzigen Erfolge nicht Breuel zeigt sich jetzt erneut an dem Mißmanage- verzeichnen können. ment der Expo. Sie wird auch bei diesem Projekt rote Zahlen hinterlassen. Wer wie Herr Lafontaine in jeder Rede das Bündnis für Arbeit auf den Lippen führt und dann ganz we- 256 Milliarden DM Schulden hat die Treuhand hin- sentliche Gesprächspartner, nämlich die Vertreter terlassen. Selbst wenn man den Wert des zu privati- der Arbeitgeber, der Indust rie und des Handwerks - sierenden Vermögens nur mit 1 DM ansetzt, ist es die Herren Henkel, Stihl und Hundt -, so vor den schon eine zu hinterfragende „Leistung", wie man Kopf stößt wie heute früh, der darf sich nicht wun- daraus 256 Milliarden DM Schulden machen kann. dern, wenn man feststellt, daß er die Fähigkeit für Das jedenfalls ist eine Weltpremiere. Sie müßten bitte Gespräche mit dieser Seite verloren hat. Ich habe sel- erklären, weshalb, wenn alles do rt marode war und ten ein höheres Maß an Beleidigung erlebt als das, nur Schulden hinterlassen worden sind, zwischen das Herr Lafontaine heute vormittag gegenüber den 1990 und 1992, also innerhalb von drei Jahren, in den Herren Henkel, Stihl und Hundt an den Tag gelegt alten Bundesländern die Zahl der Vermögensmillio- hat. Dies ist doch keine Einladung zu einem Bündnis näre um 40 Prozent angestiegen ist. Das ist in der Ge- für Arbeit! schichte der Bundesrepublik vorher noch nie vorge- (Beifall bei der CDU/CSU) kommen. Es war doch aber die Stunde des ersten Zu- griffs auf das, was in der DDR zu holen war. Nein, meine sehr verehrten Damen und Herren, mit Neid, wie er heute wieder geschürt wurde, wird Für mich ist das Kernproblem, daß der Vermögens- kein einziger Arbeitsplatz geschaffen. Dieser Haus- transfer von Ost nach West zugunsten einer kleinen halt von Theo Waigel ist solide und zukuftsorientiert. Schicht in den alten Bundesländern stattgefunden Er hat unsere Unterstützung. Die Rede von Herrn La- hat. Aber die ziemlich umfangreichen Transferzah- fontaine heute früh hat deutlich gemacht: Zu der lungen haben vor allen Dingen abhängig Beschäf- wachstumsorientierten, arbeitsmarktfördernden, sta- tigte aufzubringen. Das ist die Ungerechtigkeit, die bilitätsorientierten und friedenssichernden Politik im Zuge der Privatisierung des volkseigenen Vermö- der Regierung unter Helmut Kohl gibt es keine Alter- gens der DDR entstanden ist. native. Darum bin ich nicht bange, daß der Bürger Nun, in Zeiten niedrigster Zinsen, setzen Sie auch dies auch am 27. September entsprechend honorie- noch die Zahlungen für den Erblastentilgungsfonds ren wird. aus. Auf diese Weise erhalten Sie natürlich die (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Chance, noch etliche Jahre länger immer wieder die Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Die Nord- Erblast der DDR zu bemühen. Ich finde, das ist gei- deutschen freuen sich über Ihre Rede!) stige Spaltung. (Beifall bei der PDS) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Zu einer Kurzin- tervention erteile ich zunächst der Abgeordneten Christa Luft das Wo rt . Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Zur zweiten Kurzintervention erteile ich dem Abgeordneten Wag- ner das Wort. Dr. Christa Luft (PDS): Danke, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Repnik, als Grund für die ausufernde Verschuldung des Bundes seit 1990 wird immer wie- Hans Georg Wagner (SPD): Herr Kollege Repnik, der der Anschluß der DDR an die BRD genannt. ich bin immer froh, wenn das Saarland hier genannt wird. Als Saarländer bin ich stolz darauf, einem Völk- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: ,,Beigetre- chen anzugehören, das sehr fleißig und sehr liebens- ten" heißt das!) wert ist. Ich lade Sie ein, einmal in das Saarland zu Auch Sie haben das eben getan mit dem Hinweis auf kommen, um zu sehen, wie es do rt wirklich ist. die „kommunistischen Altschulden". Niemand im (Beifall bei der SPD) Osten - ich kenne jedenfalls niemanden - redet die Transferleistungen von West nach Ost klein. Im Ge- Sie haben den Bericht der Arbeitskammer des genteil, alle wissen: Das waren hilfreiche Leistungen. Saarlandes an die Regierung des Saarlandes zitiert. Das wird gerade im Hinblick auf die Probleme in an- Die Zahlen, die Sie genannt haben, sind richtig, Sie deren osteuropäischen Ländern deutlich. haben aber den Zusammenhang falsch dargestellt. In diesem Bericht - ich nehme an, daß Sie ihn gelesen Das also ist nicht der Punkt. Aber es ist allerhöch- haben und nicht nur zitieren, was Ihnen ein Kollege ste Zeit und ein Gebot der Fairneß, im achten Jahr brieflich übermittelt hat - steht zwei Seiten vorher, der deutschen Einheit richtigzustellen, daß ein be- warum das so ist. trächtlicher Teil dessen, was ständig als „Erblast der DDR" deklariert wird, auf das Konto dieser Regie- Baden-Württemberg und Baye rn haben weder rung geht. eine große Stahlindustrie noch viel Steinkohlenberg- (Beifall bei der PDS - Steffen Kampeter bau; 17 Prozent der Industriebeschäftigten arbeiten [CDU/CSU]: Unglaublich!) in diesem Bereich, Herr Kollege Dr. Waigel. Das Saar- land hat jetzt durch die Entscheidung dieser Bundes- Denn sie hat die Treuhand - mit Frau Breuel an der regierung und dieser Koalition einen Abbau von Spitze - blindwütig die Privatisierungsaxt schwingen 6 000 Arbeitsplätzen im Steinkohlenbergbau zu ver- 22946 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Hans-Georg Wagner kraften. Es hat auch im Stahlbereich erhebliche Ar- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege beitsplatzverluste hinnehmen müssen. Durch weitere Wagner, länger als drei Minuten darf eine Kurzinter- Entscheidungen Ihrer Bundesregierung und dieser vention nicht sein. Koalition sind 5 000 Arbeitsplätze im bundesunmittel- baren Bereich abgebaut worden, also bei der Bun- Hans Georg Wagner (SPD): Aber ich möchte einen deswehr, der Bundesbahn und der Bundespost. positiven Satz noch zu Herrn Waigel sagen dürfen. Wenn Sie diese 16 000 Arbeitsplätze abrechnen - so fair müssen Sie sein -, kommen Sie zu dem Ergebnis, Ich begrüße außerordentlich, Herr Waigel, was Sie daß der Durchschnittswert im Saarland genauso als Bundesfinanzminister im Oktober 1991 an das hoch ist wie der in Baden-Württemberg und Baye rn. Bundesverfassungsgericht geschrieben haben, näm- Sie müssen diese Zahlen fairerweise herausrechnen lich: Die langfristigen Erfolge der saarländischen und dürfen sie nicht immer den Saarländerinnen und Wirtschafts- und Strukturpolitik sind zu sehen und Saarländern in die Schuhe schieben. machen eigentlich eine Teilentschuldung nicht not- wendig. - Ein besseres Dankeschön kann man Ihnen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- nicht mehr abstatten. ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS) (Beifall bei der SPD und der PDS - Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Hätten Sie Sie haben auch die Forschung angesprochen. Herr es doch gemacht, Sie hätten doch verzich Rüttgers kann bestätigen, daß er den Bundesländern, ten können!) die die Errichtung von Forschungseinrichtungen vor- finanziert haben, etwa 1 Milliarde DM schuldet. Es gibt eine wei- Auch das Saarland hat Vorfinanzierungen vorgenom- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: tere Kurzintervention, und zwar des Abgeordneten men. Rauber. Daß Sie das Saarland schädigen wollen, haben Sie ja bei der Haushaltsberatung 1998 bewiesen; der - Helmut Rauber (CDU/CSU): Herr Kollege Wagner, Kollege Rüttgers muß dies zugeben. Es gab einen Sie haben bestätigt, daß die Zahlenangaben des Kol- Antrag der Koalition im Haushaltsausschuß, dem „In- legen Hans-Peter Repnik richtig sind. stitut für neue Mate rialien" in Saarbrücken, einer wirklich erfolgreichen Neugründung im Saarland, (Zuruf von der SPD: Ach, die waren von 5 Millionen DM zu entziehen und damit sein Aus her- Ihnen!) beizuführen. Das war Ihr Antrag. Nun aber kommen Auch ich bin froh, daß ich Saarländer bin, nur bin ich Sie hierher und machen uns den Vorwurf, wir im nicht froh, unter dieser SPD-Landesregierung leben Saarland würden zuwenig in die Forschung investie- zu müssen. ren. Wir hatten vertragliche Vereinbarungen und ha- ben auf diesem Gebiet etwas geleistet. Deswegen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge nehme ich dies nicht hin. ordneten der F.D.P. - Zuruf von der SPD: Auswandern!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Nach 1985 habe ich im saarländischen Landtag eine Anfrage an die Regierung gerichtet: Wie ist die Herr Kollege Repnik, gehen Sie einmal in die Zeit Entwicklung der Zahl der Arbeitsplätze bis 1985 im um den 10. April 1985 zurück, als Oskar Lafontaine Saarland und auf Bundesebene gewesen? Mir ist da- vereidigt wurde, und denken Sie an den damaligen mals von der jetzigen SPD-Landesregierung bestätigt Schuldenstand des Saarlandes - Kollege Waigel worden, daß das Saarland unter der Regierung Zeyer weiß das -, verursacht von CDU und F.D.P. Dieser be- und vorher unter der Regierung Röder deutlich bes- trug 7,8 Milliarden DM. Nach den Zinsentwicklun- ser gelegen hat als der Bundesdurchschnitt. Jetzt er- gen hat sich dieser auf etwa 13 Milliarden DM er- fahren wir - die Zahlen haben Sie genannt -, daß im höht. Im Mai 1992 gab es dann das Urteil des Bun- Saarland die Zahl der Arbeitsplätze zwischen 1985 desverfassungsgerichts, wonach der Bund und die und 1997, akkurat in der Regierungszeit von Lafon- Länder verpflichtet wurden, diesen zu reduzieren. taine, um 1,7 Prozent gestiegen ist, und auf Bundes- ebene sind es 8,4 Prozent. Dies macht für das Saar- (Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Und was land ein Defizit von 22 300 Arbeitsplätzen aus, das al- haben die Länder getan?) lein auf das Versagen der jetzigen SPD-Landesregie- rung zurückzuführen ist. - Das ist nicht meine Sache. Ich bin Saarländer, Sie stehen für den Bund. Sie haben jetzt versucht, mit (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge dem Haushalt 1999 ein Druckmittel einzubringen, in- ordneten der F.D.P.) dem Sie Ihren Anteil in Höhe von 1,5 Milliarden DM, den Sie eigentlich einstellen müßten, nicht einge- Es gibt keinen einzigen wirtschaftlichen Indikator, stellt haben. Das heißt: Sie haben für die weitere Teil- bei dem das Saarland unter Lafontaine auch nur an- entschuldung keine müde Mark im Haushalt einge- nähernd gewonnen hat. Sie weisen auf die For- plant. schungsförderung hin und erdreisten sich zu sagen, der Bund habe zuwenig getan. Im Bereich Multime- (Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Organisie- dia ist vom Kollegen Rüttgers eine Vielzahl von Pro- ren Sie einmal die Solidarität der Länder jekten initiiert worden, für die Biotechnologie, für und nicht die Blockade!) weitere Zukunftstechnologien. Das Saarland hat für Deutscher Bundestag - 13. Wahlpe riode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 22947

Helmut Rauber Projekte in diesen beiden Schlüsseltechnologien Mitglieder: Mit Herrn Kohl muß Schluß sein. - Soweit noch nicht einmal einen Antrag eingereicht. Da be- ist die Stimmung bei Ihnen. schweren Sie sich darüber, daß das Saarland zuwe- nig unterstützt wird. Das Saarland bekommt pro Kopf (Beifall bei der SPD) der Bevölkerung 4500 DM pro Jahr aus der Bundes- Erstens. Unser Land will den politischen Wechsel, kasse. Dafür sollten auch wir Saarländer dankbar weil die Regierung Kohl die Verantwortung für die sein und uns nicht so polemisch aufführen, wie Sie es schlimmste Massenarbeitslosigkeit in der Ge- hier getan haben. schichte der Republik trägt. Da hilft auch kein Feil- schen darum, ob im August knapp über oder knapp (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - unter 4 Millionen Menschen arbeitslos waren. Was Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Wer ist denn zählt, ist, daß durch Ihr Versagen in diesem Jahr polemisch?) 4,3 Millionen Mitbürgerinnen und Mitbürger ohne Arbeit und über 3 Millionen Menschen Sozialhilfe- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich möchte doch empfänger sein werden. noch einmal darauf hinweisen, daß die Kurzinterven- (Beifall bei der SPD - Ing rid Matthäus tionen nicht dazu da sind, interne Debatten, auf die Maier [SPD]: Leider!) anderen Redner bezogen, zu führen. Das nur zur Klarstellung. Mit dieser Regierung verbindet sich keine Hoffnung, kann sich auch keine Hoffnung verbinden, weil in Einer hat noch das Recht zu antworten. Herr Kol- ihrer Kabinettsvorlage zum Haushaltsplan die Regie- lege Repnik, möchten Sie das noch? rung selbst für das Jahr 2000 noch davon ausgeht, (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Ich lebe gern daß sie es mit 3,9 Millionen Arbeitslosen zu tun ha- in NRW! Ich lasse mir das nicht schlecht- ben wird. Die Menschen sind deshalb Ihre leeren machen durch Sie!) Versprechungen leid, und deshalb wollen sie den po- litischen Wechsel. - (Beifall bei der SPD) Hans-Peter Repnik (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Zum Saarland hat der Kollege Rauber, wie ich finde, Zweitens. Unser Land will den politischen Wech- alles Zutreffende gesagt. Ich wollte mir nur noch sel, weil die Regierung Kohl die politische Verant- einen kleinen Hinweis erlauben, Herr Wagner. So wortung für die schlimmste Verschuldung des Bun- geht es natürlich auch nicht, zu sagen: Die Zinsent- des trägt. Dies ist ein fast druckfrisches Exemplar des wicklung im Saarland ist auf die allgemeine Zinsent- Jahresberichtes der Bundesschuldenverwaltung, und wicklung zurückzuführen, und die Zinsentwicklung ich möchte Ihnen daraus eine Graphik zeigen, Herr im Bund ist Theo Waigel anzulasten. Diese Rechnung Repnik. Dies war die von den Sozialdemokraten und geht nicht auf. der F.D.P. bis Ende 1982 zu verantwortende Staats- verschuldung des Bundes. Was jetzt kommt, ist die Zur Kollegin Luft. Sie hat offensichtlich immer wachsende Staatsverschuldung des Bundes in den noch nicht gelernt, wo die Ursachen liegen. Eine Par- 80er Jahren bis zum Ende der alten Republik, also tei, bei der man gerade jetzt entdeckt hat, daß sie da- bis Ende 1989. In dieser Zeit sind die Schulden des bei war, von ihrem Vermögen rund 2,5 Milliarden Bundes um 60 Prozent gewachsen. DM ins Ausland zu schaffen, oder die dies schon ge- tan hat, sollte sich mit solchen Belehrungen zurück- (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Denken halten. Sie in diesem Zusammenhang an die Stei gerung des Bruttosozialprodukts!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Schämen Jetzt kommt hinzu, was sich seither getan hat: Hier - sollte sie sich!) die obere Linie - ist die Verschuldung des Bundes seither dargestellt. Herr Waigel hat der Bundesschul- denverwaltung untersagt, in dieser Statistik noch die Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat in den Sondervermögen - so werden sie genannt; in jetzt der Abgeordnete Diller. Wirklichkeit sind es aber Sonderschuldentöpfe - ver- steckten Hunderte von Milliarden DM an weiteren Schulden daraufzupacken. Es gehören nämlich noch Karl Diller (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr ver- ehrten Damen und Herren! Was war den Redebeiträ- einmal weitere 500 Milliarden DM dazu. gen von Herrn Kollegen Waigel und Herrn Kollegen (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Repnik gemeinsam? Sie waren sehr laut, sie waren Schuldenmacher!) sehr aufgeregt, ja hektisch. So redet man halt, wenn man mit dem Rücken an der Wand steht. Nein, Herr Waigel, es steht fest, daß sich unter Hel- mut Kohl in den ersten acht Jahren seiner Amtszeit (Beifall bei der SPD) die Verschuldung des Bundes verdoppelt hat. In den Jahren danach wurden die so verdoppelten Schulden In dieser Debatte geht es um die politische Schluß- glatt noch einmal verdoppelt. Deswegen sagen wir: bilanz der Regierung Kohl. Unter dem Strich zeigt Herr Kohl, Herr Waigel und die F.D.P. sind die größ- sich nach 16 Jahren: Unser Land braucht den Wech- ten Schuldenmacher aller Zeiten. sel, und unser Land will den Wechsel. Das bestätigen mir in meinem Wahlkreis selbst eingetragene CDU- (Beifall bei der SPD) 22948 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Karl Diller Darüber hinaus müssen wir beklagen - das ist bit- Wenn das die „Weltklasse" ist, von der die CDU/ ter für die nächste Wahlperiode -, daß diese Regie- CSU-Plakate künden, dann sagen die Leute draußen rung den Haushalt des Bundes in eine Haushaltsnot- zu Recht: Nein, danke, Herr Kohl, es reicht! lage gewirtschaftet hat, weil mittlerweile in diesem Jahr 26 Prozent, also jede vierte Mark, die wir aus (Beifall bei der SPD - Jürgen Koppelin Steuern einnehmen, nur für das Zahlen von Zinsen [F.D.P.]: Erzählen Sie mal etwas zu den Bun draufgehen. Deswegen darf man zu Recht, wie ich desländern, Fonds Deutsche Einheit!) meine, Herrn Theo Waigel den größten Pleitier der Nun wird das restliche Bundesvermögen verscher- Nation nennen. belt. Das, was Sie mit Ihren Privatisierungsaktionen machen, ist keine vernünftige Privatisierung mit ei- (Beifall bei der SPD) nem bestimmten, politisch vertretbaren Ziel.

Drittens. Unser Land will den politischen Wechsel, (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: weil die Regierung Kohl die Verantwortung für die Doch! Ausdrücklich doch!) schlimmste Steuer- und Abgabenlast in der Ge- Es ist dilettantisch vorbereitet schichte der Bundesrepublik trägt. Die Menschen sind es leid, mit ansehen zu müssen, daß das Brutto- (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: einkommen derjenigen, die 500 000 DM oder weit Unsinn! - Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Sie über 1 Million DM im Jahr verdienen, dank deren waren doch nicht dabei!) Abschreibungskünsten netto in etwa nur genauso und deshalb oft in der Praxis undurchführbar. Des- hoch wie ihr Nettoeinkommen ist, während die wirk- wegen reden Sie schon seit drei Jahren darüber, die lichen Leistungsträger des Landes, die Facharbeiter Postbank zu privatisieren. Weil Sie auch in diesem und Angestellten, die in den karitativen Berufen Tä- Jahr nicht zu Potte kommen, haben Sie zusätzlich ein tigen, die Selbständigen und die Handwerksmeister Haushaltsrisiko von über 3 Milliarden DM. Nein, Ihre sich an Steuern und Abgaben dumm und dusselig Privatisierungsaktionen sind geboren aus der schie- zahlen. Mittlerweile liegt die Steuer- und Abgaben-- ren Geldnot, aus der schieren haushälterischen Ver- last bei 45 Prozent des Bruttoeinkommens. Das ha- zweiflung, und sie sind deshalb nicht richtig. ben Sie politisch zu verantworten. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Kohl, Waigel und Co. unterschlagen in ihrem Haushalt - Herr Repnik, offenbar fehlt Ihnen da der So bitter wie die Schlußbilanz ist auch die Perspek- Durchblick, die Transparenz - Ausgaben, zu deren tive, die Sie bieten. Weil Sie vor der Arbeitslosigkeit Leistung sie vertraglich verpflichtet sind. Zeigen Sie kapituliert haben, kommt die Konsolidierung des mir doch einmal, wo im Haushalt die finanziellen Fol- Bundeshaushaltes nicht voran. 1999 klafft trotz einer gen des Kohlekompromisses vom März 1997 veran- Neuverschuldung, die ha rt an der Verfassungsgrenze kert sind! Wo sind die 500 Millionen DM, mit denen liegt, ein weiteres Loch von 30 000 Millionen DM, das der Bund den Verkauf der Saarbergwerke an die Herr Waigel nur dadurch schließen kann, daß er zu Ruhrkohle AG „schmücken" wollte? Wo sind denn den gleichen Mitteln greift, wie es bitterarme Ent- die 375 Millionen DM zusätzlich, die im Kohlekom- wicklungshilfeländer in Afrika tun, zu den gleichen promiß vorgesehen sind? Allein 875 Millionen DM Mitteln, von denen wir jetzt aus Rußland hören und aus diesen beiden Bereichen fehlen in Ihrem Haus- zu denen auch sonst im Leben ein gewöhnlicher halt völlig. Bankrotteur greift, der zahlungsunfähig ist: Er stellt nämlich seine gesetzlichen Zahlungsverpflichtungen (Zurufe von der SPD: Verfassungswidrig! - ein. Herr Waigel hat für das nächste Jahr 15 000 Mil- Pflichtverletzung! - Das darf doch nicht lionen DM an gesetzlichen Leistungspflichten an den wahr sein!) Erblastentilgungsfonds, an das Bundeseisenbahnver- mögen, an den Fonds Deutsche Einheit gestrichen, Deshalb müssen wir sagen: Sie machen den betrof- weil er sonst nicht wüßte, wie er das in seinem Haus- fenen Unternehmen angst, Sie jagen den betroffenen halt finanzieren soll. Herr Repnik, das sind die Klar- Menschen an Ruhr und Saar Ängste ein. Aber wir sa- heit und Wahrheit, gen den Menschen: Wir werden dies schultern; wir werden die Verträge einhalten und bedienen. Bei uns werden sie keine Angst mehr um ihre Zukunft (Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Was machen haben müssen. denn die Bundesländer?) (Beifall bei der SPD) die sich mit Ihrem Haushalt verbinden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Ver- mögen des Bundes haben Sie weitestgehend ver- (Beifall bei der SPD) scherbelt. Jetzt stehen Sie angesichts weltwirtschaft- licher Risiken mit leeren Händen da und versuchen Sie sind finanziell am Ende, das muß man Ihnen be- sich mit Schönfärbereien. Es ist schon mehrfach an- stätigen. gesprochen worden, daß Sie weiterhin von 3 Prozent Wirtschaftswachstum ausgehen, daß aber die Deut- (Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Was machen sche Bank beispielsweise rät, vorsichtig zu sein und denn die Bundesländer?) lieber von 2 Prozent auszugehen. Wenn das einträfe, Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 22949

Karl Diller würden Ihnen allein auf der Einnahmenseite 4 Mil- ist klar abzulesen, was im nächsten Jahr an Zinsen liarden DM fehlen. fällig sein wird. Angesichts dieser desolaten Finanzlage leistet sich Drittes Beispiel: sprudelnde Steuereinnahmen. nun Herr Waigel ein tolldreistes Stück mit seiner Schauen Sie doch einmal in Ihre eigene Monatsta- Steuerreform. Da hat er sich jetzt auch verheddert. belle vom Juli hinein. Bei der veranlagten Einkom- Bis gestern hat er nämlich von einer Nettoentlastung mensteuer ist noch kein Pfennig von den erwarteten von 30 Milliarden DM schwadroniert. Gegenüber der 6 Milliarden DM hereingekommen, im Gegenteil: Sie „Welt am Sonntag" hat er sogar behauptet, das waren gezwungen, 5000 Millionen DM an die Rei- könne er ohne Steuererhöhung finanzieren, was glatt chen dieser Republik auszuzahlen. gelogen ist. Denn in seinem Plan ist eine Erhöhung der Mehrwertsteuer von 16 auf 17 Prozent enthalten. ( [CDU/CSU]: „Auszuzah Er weiß nicht, wie er das finanzieren soll. len", als wenn das ein Geschenk des Staa tes gewesen wäre! Die Denke, die dahinter Heute morgen kommt er mit einem Wahlkampfma- steckt, ist doch abenteuerlich!) növer des letzten Augenblicks. Wir können das, was Sie da vorgetragen haben, nur als Budenzauber be- Deshalb ist das Defizit des Bundes Ende Juli dieses zeichnen. Denn, Herr Waigel, wo ist die Finan- Jahres schon bei 60 Milliarden DM und damit jen- zierung? Was Sie hier vorgeschlagen haben, kostet seits der Verfassungsgrenze. brutto nicht 20 Milliarden DM an Einnahmeausfäl- Nun, Herr Repnik, möchte ich noch etwas zu der len, sondern mindestens 36 Milliarden DM. Wenn Verläßlichkeit von Theo Waigels Zahlen sagen. Als Sie dennoch von 20 Milliarden DM ausgehen, dann Herr Theo Waigel zum erstenmal das Jahr 1994 in heißt das nichts anderes, als daß die Koalition von seine mittelfristige Finanzplanung einbezog, da ver- CDU/CSU und F.D.P. weiter die Bürgerinnen und sprach er den Menschen, daß die Kreditaufnahme Bürger täuschen will, nämlich darüber, daß sie nach bei 30 Milliarden liege. Daraus wurden 50 Milliarden wie vor die Mehrwertsteuer von 16 auf 17 Prozent er- DM. Beim Jahre 1995 behauptete er, daß die Kredit- höhen will. Denn das bedeutet 16 Milliarden DM we- aufnahme 25 Milliarden DM betrage. Heraus kamen niger Steuerausfall. - 50 Milliarden DM. Beim Jahre 1996 versprach er, daß Meine Damen und Herren, wir wollen nicht eine es nur 22 Milliarden DM sein würden. Herausgekom- höhere Mehrwertsteuer, wir wollen ein höheres Kin- men sind 78 Milliarden DM. Bei dem Jahr 1997 ver- dergeld für die Familien. sprach er, daß es 38 Milliarden sein würden. Heraus- gekommen sind 63 Milliarden DM. Ihre Treffgenau- (Beifall bei der SPD) igkeit bei Prognosen ist ja furchtbar. Sie ist so gut, als Was meinen Sie mit Ihrer sibyllinischen Äußerung wenn man mit der Schrotflinte schießen würde, denn über das Schließen von Steuerschlupflöchern und die Sie liegen zum Teil um über 200 Prozent daneben. Verbreiterung der Bemessungsgrundlage? Was wir Deswegen glaubt Ihnen die ganze Republik über- bisher von Ihren Petersberger Beschlüssen kennen, haupt nichts mehr. Deswegen haben Sie auch das ist, daß Sie unter Steuersubvention nur Vergünsti- schlechteste Ansehen aller Politiker in der Republik. gungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verstehen. Also sagen Sie doch den Leuten klipp und Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege klar, daß Sie weiter ihre Sonntagszuschläge und ihre Diller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen steuerfreien Nachtzuschläge versteuern und der So- Kalb? zialpflichtigkeit unterwerfen wollen und die davon betroffenen Familien Hunderte von DM im Monat Wenn ich auf meine Uhr schaue, einbüßen würden. Karl Diller (SPD): dann sehe ich, daß meine Redezeit leider Gottes ab- ( [CDU/CSU]: Schauen gelaufen ist. Ich wi ll deshalb zum Schluß kommen Sie doch in unsere Gesetze! - F riedrich und Ihnen sagen: Die Menschen haben eine klare Al- Merz [CDU/CSU]: Sie wissen es besser! ternative in diesem Jahr. Wenn Sie es nicht wissen, dann tun Sie mir (F leid!) riedrich Merz [CDU/CSU]: Das stimmt!) Was unter dem Strich an haushaltsmäßigen Bela- Wir sind zuversichtlich, daß wir in die Verantwortung stungen auf die Gebietskörperschaften zukommen hinein gewählt werden; denn wie sagten mir einge- würde, das verschweigen Sie. tragene CDU-Mitglieder: Es ist Zeit, daß mit Kohl Schluß ist. Was der Bundesfinanzminister über die angebli- chen Spielräume sagt, ist abenteuerlich. Erstes Bei- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne spiel: Arbeitslosigkeit. Seit Jahren, auch in diesem ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Haushaltsjahr, kommt er ständig und sagt: Ich brau- che mehr Geld für die Finanzierung der Arbeitslosig- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat keit. Wer ständig mehr Geld braucht zur Finanzie- jetzt der Herr Bundesminister Rexrodt. rung der Arbeitslosigkeit, der sollte nicht davon spre- chen, daß er im nächsten Jahr weniger braucht. Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wi rtschaft: Zweites Beispiel: Entlastung an der Zinsfront. Die Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich Zinsausgaben im nächsten Jahr stehen fest; denn aus möchte einmal mit einem anderen Aspekt anfangen, Ihren 1500 Milliarden DM an Schulden des Bundes einem Aspekt, von dem ich annehme, daß er die 22950 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Bundesminister Dr. Günter Rexrodt Menschen draußen im Lande in besonderer Weise in- kurzzeitig unter 4 Millionen kommen, werden wir teressiert und in diese Debatte gehört. Es handelt danach wieder über 4 Millionen liegen. Das ist gar sich dabei um die Frage, wie weit die Krisen, von de- keine Frage, und das ist viel zu viel. Aber der Trend nen wir jeden Tag vor einem sehr ernsten Hinter- ist richtig. Es geht in die richtige Richtung. Das ist grund hören, Einfluß auf die Sicherheit der Arbeits- das Ergebnis der Wirtschafts- und Reformpolitik der plätze und die Entwicklung unserer Wi rtschaft ha- Menschen und der Unternehmer in unserem Land. ben. Krise in Japan, Krisen in Asien, Krise in Rußland und Krise auch in Lateinamerika: Können diese Ent- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) wicklungen dazu führen, daß der Aufschwung, den Nun fragen viele - ich komme auf die Krisen noch wir alle feststellen können, gebremst wird? Kann das zurück -: Ist das Fundament breit genug? Sind die dazu führen, daß wir erneut in schwierige Situatio- Daten wirklich fundie rt? Oder ist das nur ein Stroh- nen geraten? feuer? Ich will in der Antwort darauf zunächst einmal sa- Meine Damen und Herren, wir haben eine Kapazi- gen, daß wir einen soliden, breit fundie rten Auf- tätsauslastung der deutschen Wirtschaft von 87 Pro- schwung haben, so solide und breit fundie rt, daß er zent. Das sind 5 Prozent mehr als im langjährigen heute auch von seiten der Opposition nicht mehr Mittel. Das sind solide Zahlen. Wir haben ein Wachs- weggeredet wird, sondern im Gegenteil, wie wir wis- tum bei den Ausrüstungsinvestitionen von 7 bis 9 1/2 sen, für sich reklamie rt wird, indem vom Kanzlerkan- Prozent. Das ist ein Wachstum, wie wir es seit langem didaten Schröder eine Vaterschaft angemeldet wird. nicht mehr hatten. Wir haben eine Belebung der In- Dieser Aufschwung hat seine Ursache in der Tatsa- landsnachfrage um 2 1/2 Prozent. Das ist darauf zu- che, daß unsere Arbeitnehmer fleißig arbeiten und rückzuführen, daß wieder mehr Vertrauen in die qualifiziert sind, auch darin, daß wir moderate Tarif- Wirtschaft und die Wirtschaftspolitik gesetzt wird. politik haben. Er hat seine Ursache da rin, daß wir In- novationskraft in unseren Unternehmen neu belebt Das verarbeitende Gewerbe in den neuen Ländern haben, und auch in der Reformpolitik der Bundesre- hat Tritt gefaßt. Die Produktion wächst um 10 Prozent, gierung, die Exporte steigen um 20 Prozent. Forschung und Entwicklung sind wieder da. Deutschland ist wieder (Beifall bei der F.D.P.) Gründerland. Die Selbständigenquote ist seit 1991 auch in der Wirtschaftspolitik, die auf die Öffnung von 7,3 auf 9,2 Prozent gestiegen. der Märkte gerichtet war und nicht darauf, das Rad (Beifall bei der F.D.P.) wieder zurückzudrehen. Die Reformpolitik hat den Aufschwung beflügelt und nicht die Reformverwei- Meine Damen und Herren, das sind Zahlen, an de- gerungspolitik der SPD. nen man nichts manipulieren kann. Das ist das Er- gebnis unserer Arbeit und der Ausrichtung unserer (Beifall bei der F.D.P.) Wirtschaftspolitik. So wird das auch bleiben. Ich sage hier mit großem Nachdruck: Es bleibt, Wenn wir diese Gründeratmosphäre erhalten wol- Herr Diller, bei 3 Prozent Wachstum auch im näch- len, dann müssen wir darauf setzen, daß das zarte sten Jahr. Pflänzchen Risikokapitalkultur, Eigenkapitalkultur in (Lachen bei Abgeordneten der SPD) diesem Land, das da gewachsen ist, erhalten bleibt, auch in der Steuerpolitik seine Berücksichtigung fin- - Ich werde das auch begründen. Wir haben Preissta- det und nicht ausgerissen wird. bilität, wir haben Außenhandelsüberschüsse, und das Ganze ist am Arbeitsmarkt angekommen. Dies Entscheidend ist, daß unsere Unternehmen ihre kann niemand mehr in Abrede stellen. Wettbewerbsfähigkeit wiedergefunden haben, durch Umstrukturierungen, durch flachere Hierar- Seit Anfang des Jahres, im Westen seit Dezember chien, durch innovative Produkte, durch eine ver- vorigen Jahres, haben wir saisonbereinigt einen stärkte Exportfähigkeit. Rückgang der Arbeitslosigkeit. Im Osten haben wir eine Stabilisierung am Arbeitsmarkt, und die Zu- Wir haben keine gravierenden Rückstände mehr in wachsraten im verarbeitenden Gewerbe überdecken Forschung und Entwicklung, auch nicht in der sogar den Rückgang im Baubereich, der unabwend- Mikroelektronik und in der Biotechnologie. Wir sind bar war. Wir werden am Ende des Jahres in Deutsch- in der Kfz-Indust rie auf dieser Welt führend, was die land saisonbereinigt 350 000 Arbeitsplätze mehr ge- technischen Standards angeht, und auch in anderen schaffen haben und, anders ausgedrückt, 350 000 Ar- Transporttechnologien. Der Maschinenbau ist wieder beitslose weniger haben als ein Jahr zuvor. da, Chemie und Pharmazie sowieso. Die Elektrotech- nik hat sich gefangen. Selbst in der klassischen Indu- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Wahlkampf- strie wie Eisen, Stahl und Textil haben unsere Unter- ABM!) nehmen einen Standard erreicht, der sie im weltwei- - Frau Fuchs, das sind Fakten. Das wird von den In- ten Vergleich wieder wettbewerbsfähig macht. stituten, von wissenschaftlichen Einrichtungen, von Das ist eine grundsolide Basis dafür, daß das der Wirtschaft, selbst von den Gewerkschaften nicht in Abrede gestellt. Wachstum fortgesetzt, die Arbeitslosigkeit weiter zu- rückgeführt werden kann und daß wir im europäi- Nun sage ich nicht, daß diese Entwicklung im Er- schen Kontext sowie bei den Herausforderungen der gebnis schon befriedigen kann. Wir haben noch über Globalisierung eine Rolle spielen können, die uns auf 4 Millionen Arbeitslose. Auch wenn wir im Oktober lange Sicht Wettbewerbsfähigkeit sichert. Das ist das Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 22951

Bundesminister Dr. Günter Rexrodt Ergebnis der Arbeit der Menschen, der Innovations- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Bundesmi- fähigkeit unserer Unternehmen und auch der Wi rt nister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen -schaftspolitik. Büttner? (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- ten der CDU/CSU) Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wi rtschaft: Ja, bitte. Meine Damen und Herren, ich sage das vor dem Hintergrund der Fragen, die mit den Krisen in Asien Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD): Herr Minister, Sie und Rußland im Zusammenhang stehen werden: Wir haben davon gesprochen, daß Sie uns sagen wollten, haben uns auch hin zu neuen Beschäftigungsfeldern welche Risiken angesichts der internationalen Krisen orientiert. Denn bei aller erfolgreichen Umstrukturie- auf uns zukommen. Können Sie uns bitte hier in die- rung unserer Unternehmen: Die Arbeitsplätze der sem Hohen Hause sagen, wie hoch die Risiken durch Zukunft entstehen nicht in der Indust rie - die Indu- die Hermes - Bürgschaft im Falle Rußlands sind? Kön- strie ist enorm wichtig; wir können auf unsere breit- nen Sie uns sagen, wie hoch die Risiken sein werden, gefächerte Industriestruktur stolz sein -; die Arbeits- die durch Steuerausfälle auf Grund der Derivatge- plätze der Zukunft entstehen im Dienstleistungsbe- schäfte bei Geschäftsbeziehungen mit diesen Regio- reich. nen entstehen können? Deshalb ist es Bestandteil der Wi rtschaftspolitik der Bundesregierung, daß wir in ganz besonderer Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wirtschaft: Weise das Handwerk fördern, daß wir die Pflegebe- Herr Kollege, ich will Ihnen zunächst einmal sagen, rufe für wichtig halten, ich hätte das Ganze gern in einen Kontext eingebaut, den ich jetzt fortgeführt hätte. Aber ich greife das (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- Thema auf und spreche über Hermes. ten der CDU/CSU) Wir haben, was das Rußland-Geschäft angeht - ich daß wir die vielen neuen Möglichkeiten im Reini- - spreche speziell über Rußland -, Außenstände in gungssektor, im Gebäudemanagement erkennen Deutschland in einer Größenordnung von 22 Milliar- und daß wir Finanzdienstleistungen für einen wichti- den DM. Davon sind etwa 16 Milliarden DM Hermes gen Sektor unserer Volkswirtschaft halten. Die freien verbürgt. Berufe, die Ingenieure, die Architekten, die Anwälte, die Wirtschaftsberater - all sie sind Bestandteil der Es gibt, derzeit jedenfalls, keine Anzeichen dafür, Wirtschaftsstruktur der Zukunft. Hierhin müssen sich daß Rußland zurücksteckt und mit der Bedienung unsere Gründeraktivitäten orientieren, und hierauf seiner Handelskredite aufhört. Die Handelskredite, müssen unsere Fördermaßnahmen ausgerichtet sein. so die Moratorien und die Abmachungen, die dort getroffen worden sind, sollen - ich hoffe, daß das Eine wichtige Rolle spielen Information und Kom- richtig ist - weiter bedient werden. Das ist für uns munikation, die Medien und die Kultur, Freizeit und Veranlassung dafür, daß wir das Hermes-Instrumen- Tourismus, wo 6 Prozent unseres Sozialproduktes er- tarium prinzipiell offenhalten wollen. Wir werden je- wirtschaftet werden. Meine Damen und Herren, ne- des Geschäft, das do rt zu verbürgen ist, genau prü- ben der Rationalisierung, neben besseren Rahmen- fen. Wenn Rußland seinen Verpflichtungen aus Han- bedingungen für die Indust rie kommt es enorm dar- delskrediten aber weiter nachkommt - das tut es bis auf an, daß neue Beschäftigungsfelder in den Dienst- zum heutigen Tag -, bleibt das Hermes-Instrumen- leistungen erschlossen werden. Deshalb die Förder- tarium weiter offen; denn es ist unsere Politik, Ruß- politik, deshalb die Politik für eine Verbesserung der land in verantwortbarer Weise, auch mit Blick auf Rahmenbedingungen, auch im Dienstleistungsbe- den Steuerzahler, bilateral zur Seite zu stehen. In die- reich. sem Bereich geht das. Ein kollabierendes, instabiles Rußland ist allemal teurer als ein Rußland, das wir (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) auch in Hermes-Angelegenheiten in die Marktwirt- Dazu gehören Existenzgründungshilfen, Eigen- schaft begleiten. Deswegen werden wir diese Politik kapitalhilfen, Meister-BAföG, Beratungsprogramme, abgewogen und fallbezogen weiter fortsetzen. die Hermes-Förderung, die Messeförderung - all das (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) haben wir verschärft ausgebaut. Das ist nicht zurück- gefahren worden, auch nicht in einer Zeit, wo es zu- Das heißt nicht, daß die Bundesrepublik in der nächst einmal darum ging, andere Prioritäten zu set- Lage wäre, bilateral außerhalb der internationalen zen, auch mit Blick auf den Euro und auf die Krite- Institutionen zusätzliche Kredite zur Verfügung zu rien von Maastricht. stellen. Das ist nur in dem Maße und in dem Umfang möglich, in dem Rußland Reformen durchführt. Das In der Mittelstandspolitik macht uns niemand et- muß Rußland selbst tun. Soviel zu Ihrer Frage. was vor. Daß wir dort so erfolgreich sein konnten, ist Ergebnis des novellierten Kartellgesetzes und vieler Wenn Sie gestatten, möchte ich noch ein Wort zu anderer gesetzlicher Maßnahmen, die wir getroffen den Krisen in Asien und in Rußland sagen. Diese Kri- haben, auch der Tatsache, daß wir die Märkte offen- sen haben weltweit eines gemeinsam. Sie sind An- hielten. passungskrisen, die daraus resultieren, daß die ge- setzlichen und faktischen Rahmenbedingungen nicht (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und mit den dringend notwendigen Entwicklungen in der CDU/CSU) Richtung Marktwirtschaft übereinstimmen. 22952 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Bundesminister Dr. Günter Rexrodt Die gefährlichste Situation gibt es in Japan. Do rt krise wird. Wer dies an die Wand malt, bezweckt da- hat es die Erfolgsgesellschaft, die über Jahrzehnte mit eigentlich ganz andere Dinge. hinweg wuchs und verteilen konnte, versäumt, die notwendigen Reformen insbesondere im Finanzsek- Jetzt, Frau Präsidentin, kann der Herr Kollege tor durchzuführen. Das ist eine Anpassungskrise. Ja- seine Frage stellen. pan steht unter enormem Druck. (SPD): Herr Minister, ich will Dies alles gilt auch für die anderen asiatischen Ernst Schwanhold ausdrücklich darauf aufmerksam machen, daß sich Staaten mit ganz anderen Vorzeichen. Hier hat sich dieses Thema nach meiner Einschätzung nicht dazu stürmisch eine Entwicklung in Richtung Marktwirt- eignet, hier eine Wahlkampfauseinandersetzung zu schaft vollzogen. Die Länder haben aber keine Ände- führen, sondern wir haben, ganz im Sinne von Graf rungen bei ihren Strukturen im Finanzsystem, in der Lambsdorff, uns diese Thematik sehr genau anzu- Administration, im Steuersystem und bei den Zöllen schauen. Die Deutsche Bank Research sagt, daß vorgenommen. Reformen haben gefehlt. Deshalb 38 Prozent der Weltwirtschaft in krisenhaften Situa- gibt es dort diese Krisen. tionen sind. Zu Lateinamerika haben Sie bezeichnen- Im übrigen bin ich der Meinung, daß mittlerweile derweise kein Wort gesagt. Norbe rt Walter von der in vielen sogenannten Tigerstaaten wichtige Refor- Deutschen Bank reduziert die Wachstumserwartung men eingeleitet worden sind. Diese Länder bewegen für das Jahr 1999 von 4,25 Prozent auf 3 Prozent. Die sich auf dem Pfad in Richtung Stabilisierung. Von da- OECD schließt sich dieser Einschätzung an, Graf her ist die Krise beherrschbar. Das gilt für die Tiger- Lambsdorff übrigens auch, und den würde ich als je- staaten, das gilt auch für Japan. manden ansehen, der in solchen Fragen über gute Informationen, guten Einblick und analytischen Ver- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Minister, stand verfügt. gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen (Dr. Hermann Otto Solms [F.D.P.]: Auch in Schwanhold? anderen Fragen!) Nun ist die Frage, die sich daraus ergibt: Welche Bundesminister für Wirtschaft: Dr. Günter Rexrodt, Vorsorge haben Sie in diesem Haushalt getroffen, um Herr Schwanhold, ich bitte Sie, mir noch eine Minute die daraus resultierende Abschwächung des expo rt zuzuhören. Ich möchte diesen Gedanken mit Blick -gestützten Wachstums bei uns aufzufangen durch auf China noch zu Ende führen. ein in der Europäischen Union initiiertes Wachstum? China ist eine große Unbekannte. Wir wissen nicht, Das ist die zentrale Frage. Wie erzielen wir Binnen- ob es gelingt, die chinesische Währung zu stabilisie- wachstum? Darauf haben Sie nach meiner Einschät- ren, um zu verhindern, daß erneut Abwertungen zung sowohl im Haushalt als auch in Ihrer bisherigen stattfinden. Wie es aussieht, ist das machbar. Politik keine schlüssige Antwort gegeben. Ich würde Sie sehr bitten, uns diese schlüssige Antwort hier in Auch bei Rußland handelt es sich um eine Anpas- der Debatte zu geben. sungskrise. Es wurden wichtige Reformen versäumt, nämlich den Staatshaushalt in Ordnung zu bringen, die Privatisierung voranzutreiben und die Arbeits- Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wi rtschaft: weise der Institutionen zu verbessern. Herr Kollege Schwanhold, zunächst einmal zitieren Sie Herrn Walter und andere, und einige zitieren Sie Die Finanzmärkte bestrafen, wenn man Reformen auch schief und unvollständig. Das ist heute ausgie- nicht im notwendigen Umfang durchführt. Diesen bigst geschehen, daß jeder zitiert, aber immer nur Fall haben wir jetzt in Rußland. Hier handelt es sich eine halbe Passage, und in der nächsten steht das primär um eine Staatskrise mit enormen Wirkungen Gegenteil. auf den Wirtschafts- und den Finanzsektor. Wir müs- sen die Entwicklung beobachten und begleiten, so- Es ist keine Frage - ich bin davon überzeugt, Herr weit wir das können. Ich sage aber - das war meine Kollege, daß Sie das wissen -, daß die Masse der Eingangsfrage -, sowohl die Krisen in Asien als auch Ökonomen in den Unternehmen und in den Institu- die in Rußland erscheinen mir beherrschbar. Ich ten keine unmittelbaren Auswirkungen von Rußland glaube nicht, daß sie wegen der Handelsvolumina - und Asien auf unsere wirtschaftliche Entwicklung er- sie betragen bei Import und Export jeweils 2 Prozent wartet. Tendenziell wirkt das dämpfend; das ist gar -, die es mit diesen Regionen und insbesondere mit keine Frage. Wir sind aber integraler Bestandteil der Rußland gibt, eine unmittelbare Wirkung auf unsere robusten, der vitalen europäischen Volkswirtschaften volkswirtschaftliche konjunkturelle Entwicklung ha- und der gesunden amerikanischen Volkswirtschaften ben. in unserer gesamten Integration. Das, was wir mit Asien an Expo rten, Importen und Investments haben, Damit möchte ich die Eingangsfrage, die ich selbst ist wachsend und sehr bedeutend, auch was Rußland gestellt habe, ob diese Krisen Auswirkungen auf un- angeht. Aber es kann allemal dadurch aufgefangen ser Wachstum haben, eigentlich damit beantworten, werden, daß wir in Westeuropa und in Asien ein daß ich sage: Ich glaube das nicht. Ich halte die Kri- Wachstum haben, das durch nichts beeinträchtigt ist. sen für beherrschbar. Das darf uns aber nicht dazu bringen, diese Dinge abzutun oder zu bagatellisie- Ich korrigiere aus gutem Grund unsere Wachs- ren. Dazu sind sie viel zu ernst. Aber niemand tumsraten für dieses Jahr nicht nach unten, und ich braucht Angst zu haben, daß aus einer Staatskrise in tue das auch nicht für das nächste Jahr. Ich bin da Rußland von heute auf morgen eine Weltwirtschafts- nicht blauäugig. Es gibt Gefahren, und wir müssen Deutscher Bundestag - 13. Wahlpe riode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 22953

Bundesminister Dr. Günter Rexrodt genau hingucken. Es gibt aber keine Vorsorge zu Was ist mit der Öffnung der Strom- und Gasmärkte? treffen; Haushaltsrelevanz steht hier nicht an. Die Stromverteiler haben erstmals entdeckt, daß sie Kunden haben. Und die Preise purzeln! Ihre Antwort Die meisten Kredite der alten Sowjetunion sind ist, daß Sie in Sachen Strom- und Gasmärkte zum umgeschuldet - Herr Schwanhold, Sie wissen das - Verfassungsrichter laufen. Ist das Reformpolitik? Das und werden erst im Zeitraum 2006 folgende fällig. ist Reformverweigerungspolitik! Die aktuellen Kredite werden, bislang jedenfalls noch - ich kann das nicht mit absoluter Sicherheit für (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne die Zukunft zusagen -, von Rußland bedient. Insofern ten der CDU/CSU) gibt es da keinen Anhaltspunkt für eine Dramatisie- rung der Situation. Wir wollen Rußland innerhalb der Dieses Thema haben wir im letzten Jahr hoch und internationalen Institutionen und, soweit vertretbar, herunter diskutiert. Ich sage nur: Wenn wir Krisen auch mit Hermes weiter zur Seite stehen. Ich teile vermeiden wollen, wenn wir eine Zuspitzung vermei- Ihre Auffassung, daß wir dieses Thema nicht in den den wollen, dann müssen wir Reformpolitik betrei- Wahlkampf ziehen sollten. Aber ich bin erklärterma- ben. Andere Länder führen uns im Negativen vor, ßen der Auffassung, daß wir nicht Ängste schüren was passiert, wenn keine Reformen stattfinden. sollten - ich sage nicht, daß Sie das tun, Herr Das Wichtigste, was jetzt passieren muß, ist, daß Schwanhold -, daß wir in dieser Krisensituation, die wir die Lohnnebenkosten senken. Das heißt: Wir Anpassungskrisen angeht, akut mit wirtschaftlichen müssen die Sozialsysteme weiter reformieren. Dieses Einbrüchen zu rechnen hätten. Dies ist nicht der Fall. Land braucht wie ein dürstender Baum eine Steuer- Ich will einen letzten Gedanken aus diesem Thema reform mit einer Nettoentlastung. Das ist das Wich- Krisen in Rußland und in Asien ableiten. Ich habe tigste, was wir brauchen. Diese Koalition wird das eben mit Deutlichkeit gesagt: Diese Krisen sind Er- auch in die Tat umsetzen. gebnis eines Reformstaus; sie sind Anpassungskri- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne sen. Was wir daraus lernen können und müssen, ist ten der CDU/CSU - Anke Fuchs [Köln] einfach, daß wir unsere Reformpolitik, unsere Politik - [SPD]: Abschiedsrede Rexrodt!) zur Umgestaltung der wi rtschaftlichen und gesell- schaftlichen Rahmenbedingungen fortsetzen müs- sen. Wenn wir dies nicht tun, wenn wir das Rad zu- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat rückdrehen wollen, wenn wir die Ergebnisse von Re- jetzt die Abgeordnete Höll. formen, mit denen wir eine ganze Menge erreicht ha- ben, zurücknehmen, wenn wir Reformen, bei denen Dr. Barbara Höll (PDS): Frau Präsidentin! Meine wir nicht richtig vorangekommen sind, weil wir blok- Damen und Herren! Das, was die Vertreter der Re- kiert wurden, nicht durchführen, dann werden auch gierungskoalition bisher heute hier geboten haben, wir in eine Krisensituation kommen. Eben das wollen zeugt nur von einem: von ihrem totalen Realitätsver- wir nicht. Deshalb treten wir so engagiert für die lust. Fortsetzung der Reformpolitik dieser Koalition ein. (Beifall bei der PDS) (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- ten der CDU/CSU) Dies betrifft das angenommene Wirtschaftswachs- tum. Sie, Herr Rexrodt, wissen, daß die Institute in- Es muß schon noch einmal vor Augen geführt wer- zwischen von anderen Zahlen sprechen: höchstens den: Wer hat denn zurückgedrängt und gebremst? 2 Prozent. Das betrifft die Ausbildungssituation jun- Unsere Politik zielt auf Marktöffnung. Ich nenne nur ger Menschen in Ost und West, das bet rifft die Ar- zwei Beispiele; die Zeit gibt nicht mehr her: beitsmarktsituation, und es betrifft auch die Situation (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das reicht auch!) von Kindern und Jugendlichen in unserem Land und die Einordnung von Sozialhilfe. Frau Nolte hat ja Was haben Sie für Probleme bei der Privatisierung eine sehr eigentümliche Sicht der Dinge: Je mehr von Telekommunikation und Post gemacht?! Mit Sozialhilfe, um so besser hat ihr Staat gearbeitet. - Zähnen und Klauen haben Sie sich dagegen gewehrt Fragen Sie die Leute auf der Straße! Fragen Sie, wie - es gibt einen SPD-Antrag vom Mai 1996 -, das Mo- weit man mit der Sozialhilfe kommt und was es be- nopol für Briefe und die Infopost aufzuheben. Herr deutet, von Sozialhilfe zu leben! Bury hat diese Forderung im Februar 1997 in einer Aktuellen Stunde noch einmal bekräftigt. Heute 4,1 Millionen Menschen sind arbeitslos. Sie haben haben wir 115 000 zusätzliche Arbeitsplätze allein in eine konstante Arbeitslosigkeit von offiziell 4 Millio- Fracht- und Kurierdiensten. nen, aber inoffiziell über 7 Millionen Menschen zu verantworten. Fragen Sie bitte auch vor den Arbeits- Auf dem Gebiet der Telekommunikation wollten ämtern die Menschen, die dort hinkommen, was es Sie Anbieter nur dann mit einer Lizenz versehen, heißt, wenn man von einer ABM in eine Umschu- wenn sie flächendeckend Dienste anbieten. Heute lungsmaßnahme hin und her geschubst wird, dann in paßt Ihnen in der Telekommunikation die ganze Ent- die Arbeitslosigkeit, in die Arbeitslosenhilfe und wicklung nicht. In diesem Bereich haben wir netto dann vielleicht wieder in die ABM! 80 000 Arbeitsplätze geschaffen. Das ist das Entschei- dende. Nichts gegen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, aber wir sind dafür, die öffentlichen Gelder tatsäch- (Walter Hirche [F.D.P.]: Das ist eine Erfolgs- lich sinnvoll anzulegen, so daß die Menschen eine geschichte!) Perspektive haben und sich die Gesellschaft zu not- 22954 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Dr. Barbara Höll wendiger Arbeit bekennt, die im Nichtprofitsektor schlimme ist, daß diese gesamte Politik in eine bösar- angesiedelt sein muß. Das heißt, wir brauchen einen tige und denunziato rische öffentliche Debatte über öffentlich geförderten Beschäftigungssektor ohne Ro- den Generationenve rtrag einmündete, in der die tationsprinzip, der tatsächlich die Anforderungen er- Rentnerinnen und Rentner am Ende als Last der Ge- füllt, die an ihn gestellt werden. sellschaft dargestellt wurden. Das haben Sie zu ver- antworten. (Beifall bei der PDS) Vergleicht man damit das Bruttoeinkommen aus Im vergangenen Jahr, 1997, haben wir einen Unternehmertätigkeit und Vermögen, so stellt man Höchststand bei der Verschuldung der öffentlichen fest, daß es sich massiv erhöht hat, insbesondere natür- Hand erreicht: 2,3 Billionen DM. Inzwischen wach- lich bei den ganz großen Unternehmen. Die Gewinne sen die Schulden in jeder Sekunde um 3 203 DM - bei Daimler-Benz sind allein 1997 um 191 Prozent ge- eine unvorstellbare Summe. Sie haben zu verantwor- stiegen. Die Lufthansa hat ihre Gewinne um 50 Prozent ten, daß 27 500 Firmen 1997 zusammengebrochen und die Allianz AG um 20 Prozent gesteigert. sind. Das ist eine Verdreifachung gegenüber 1991. Für dieses Jahr wird mit einem neuen Rekord ge- Nun frage ich, da Sie doch so erfolgreich sind: Wo rechnet. Damit ist seit fünf Jahren eine ständig an- sind die vollen Kassen? Wohin fließen die Steuergel- steigende Zahl von Firmenpleiten zu verzeichnen. der? Herr Waigel beklagt die Not der öffentlichen Kassen; sie sind leer. Aber das ist doch das Ergebnis Noch nie waren die Menschen in dieser Bundesre- Ihrer Politik. Sie haben die Vermögensteuer abge- publik auf der einen Seite so arm und auf der ande- schafft, die Körperschaftsteuersätze und die Ertrag- ren Seite so reich. Das private Geldvermögen betrug steuersätze für gewerbliche Einkünfte gesenkt. im letzten Jahr rund 5,2 Billionen DM. Im Durch- schnitt hatte also jeder Haushalt gut 135 000 DM (Walter Hirche [F.D.P.]: Höchste Zeit!) bares Geld. Das mag ja für uns Abgeordnete hier im Die Bürgerinnen und Bürger kostet das alles Milliar- Haus zutreffen, aber nicht für die Mehrheit der Be- den, allein seit 1991 60 Milliarden DM. Wenn Daim- völkerung. Die Hälfte der Bevölkerung hat über- ler-Benz keine Mark Steuern mehr zahlt, frage ich haupt kein Barvermögen. In Wirklichkeit ist es so, mich, wo hier noch soziale Gerechtigkeit besteht. daß 6 Prozent der Haushalte über ein Drittel des Ver- mögens verfügen. (Beifall bei der PDS) Die Zahl der Menschen, die mit Sozialhilfe aus- Momentan läuft da eine ganz interessante Debatte. kommen müssen, ist auf einen neuen Rekord geklet- Der DIHT pries in der vergangenen Woche, das halte tert: auf 3 Millionen. 7 Prozent aller Kinder und Ju- ich schon für zitierwürdig, den Steuerstandort gendlichen in dieser Bundesrepublik sind arm. Sie Deutschland. Der BDI hat geantwortet, das sei natür- haben damit schlechtere Bildungschancen, schlech- lich nicht ganz so zu verstehen, es gebe ja noch so tere Möglichkeiten bei der Freizeitgestaltung, bei viel Steuerschlupflöcher. Was lehrt uns das eigent- der Ernährung und auch in ihrem weiteren Leben. lich? - Sie sind nicht bereit, in der Steuerpolitik zu reagieren. Ihre einzige Antwort bezüglich der Steuer- (Birgit Homburger [F.D.P.]: Das ist doch schlupflöcher innerhalb der Europäischen Union, die Quatsch!) Herr Waigel heute wiederholt hat, lautet, einen Ver- - Das ist nicht Quatsch. Gehen Sie hin, und fragen haltenskodex gegen einen unfairen Steuerwettbe- Sie die Menschen! Das ist kein Quatsch. werb zu schaffen. Nun frage ich Sie, was Sie mit Ihren Appellen bisher erreicht haben. Sie haben ver- (Beifall bei der PDS - Birgit Homburger sucht, dadurch Arbeitsplätze und Ausbildungsplätze [F.D.P.]: Doch!) zu schaffen; aber erreicht haben Sie damit nichts. Sie 1996 betrug der Regelsatz der Sozialhilfe für Kin- haben, auch unter dem Verdikt der europäischen der 342 DM. An die Adresse der SPD und der Grünen Steuerharmonisierung, bereits 1993 die Mehrwert- sage ich: Solange Sie das Kindergeld nur auf 250 DM steuer um einen Prozentpunkt erhöht. In diesem Jahr oder auf 300 DM, wie es die Grünen fordern, anhe- haben Sie es wieder getan. Dazu muß man allerdings ben wollen, verbessert sich die Situation der Kinder sagen: mit Zustimmung auch der SPD. und Jugendlichen, die von der Sozialhilfe leben müs- Armut bekämpft man nicht, indem man Arme aus- sen, überhaupt nicht. Es gilt, hier zumindest einen grenzt, sondern indem man Reichtum begrenzt. Um Regelungsmechanismus einzuführen. Oder seien Sie das zu lernen, ist es für diese Regierung zu spät. Sie so konsequent wie wir, indem Sie gleich richtig her- haben den in der Verfassung verankerten Konsens angehen und das Kindergeld auf einen entsprechen- der sozialen Marktwirtschaft aufgekündigt. Ein Poli- den Satz erhöhen, der auch diesen Kindern nützt. tikwechsel - der notwendig ist - muß aber mehr sein Herr Blüm schmückt sich, wenn er sich heute oder als ein Wechsel des Personals. Es geht um einen Poli- morgen mit einer Rede verabschiedet, damit, daß er tikwechsel hin zu sozialer Gerechtigkeit ohne Wenn in seiner Regierungsbilanz seit 1982 98 Milliarden und Aber. Das heißt, meine Damen und Herren der DM eingespart hat: 60 Milliarden DM bei den Renten SPD: ohne Finanzierungsvorbehalt. und 38 Milliarden DM bei den Arbeitslosen. Es er- (Walter Hirche [F.D.P.]: Das Geld leihen Sie folgte eine Umorientierung in Ihrer Politik weg von sich in Rußland, oder wo?) der Bruttolohnorientierung bei der Rente, die in dem Beschluß vom vergangenen Jahr gipfelt, nach dem Das bedeutet ein klares Ja zur Umverteilung und zur das Rentenniveau von 70 auf 64 Prozent des durch- Erschließung neuer Finanzquellen. Dieses Land ist schnittlichen Nettolohns gesenkt werden soll. Das reich, und wenn die öffentlichen Kassen leer sind, Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 22955 Dr. Barbara Höll dann ist das Ihr Problem. Sie haben das zu verant- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat worten. Wir demokratischen Sozialistinnen und So- jetzt der Abgeordnete Friedhoff. zialisten werden das nicht so hinnehmen. Matthias Richling hat gesagt, Schröder versuche Paul K. Friedhoff (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine mit aller Macht, Kohl zu werden. Auch deshalb lohnt sehr verehrten Damen und Herren! Der Wirtschafts- es sich, am 27. September PDS zu wählen, damit aufschwung in Deutschland ist da, und er ist bemer- Schröder dann für eine SPD-Politik steht, mit der kenswert stabil. Die OECD prognostiziert trotz Asien- man tatsächlich eine Umverteilung erreichen kann. und Rußlandkrise in ihrem jüngsten Deutschlandbe- Wir wollen soziale Gerechtigkeit ohne Wenn und richt für dieses Jahr ein Wirtschaftswachstum von Aber. Dazu muß sich auch die SPD bekennen. Sie 2,75 Prozent. Der eingeschlagene Weg war also rich- brauchen dafür unseren Druck, das wissen wir. Wir tig. haben hier im Bundestag entsprechende Anträge (Beifall bei der F.D.P.) eingereicht. Sie müssen sich daran messen lassen. Aber eines ist auch klar: Unser Land kann sich in Da frage ich mich wirklich, was das Gezerre um diesen außenpolitisch so schwierigen Zeiten keine die Vermögensteuer soll. Ja oder nein? Nun hat Anfänger auf der Regierungsbank leisten. Die Ver- Schröder ein Machtwort gesprochen: Es wird keine antwortung der deutschen Regierung wird in den Vermögensteuer kommen, falls die SPD die Regie- nächsten Jahren größer sein als jemals zuvor seit der rung bildet. Das heißt, Steuergeschenke an die Rei- Wiedervereinigung. chen fallen bei Ihnen nicht unter Finanzierungsvor- behalt. Oder wie ist das zu verstehen? Ein klares Ja - Meine Damen und Herren, die Koalition hat den Sie wollen die Vermögensteuer - heißt dann, daß Sie Wirtschaftsstandort Deutschland für den internatio- wirklich Quellen haben, um sozial gerecht zu agie- nalen Wettbewerb wieder fit gemacht. In der ersten ren, und heißt natürlich auch, daß man Reichtum be- Reformphase 1983 bis 1990 haben wir die Staats- grenzt. Wir haben entsprechende Vorschläge einge- quote von über 50 Prozent auf 45,3 Prozent gesenkt. bracht. In diesem Zeitraum sind in Westdeutschland folge- - richtig mehr als 2,2 Millionen zusätzliche Arbeits- Sie wissen, daß auch der Bundesfinanzhof noch plätze geschaffen worden. einmal die Meinung, die die PDS hier immer vertre- ten hat, bestätigt hat, nämlich daß der Halbteilungs- Dann kam die Wiedervereinigung mit ihren unge- grundsatz im Bundesverfassungsgerichtsurteil zur heuren Sonderlasten. Der Bund hat Jahr für Jahr Vermögensteuer nicht verbindlich ist. Wir sind als netto rund 130 bis 140 Milliarden DM Zusatzleistun- Politikerinnen und Politiker in der Pflicht, die gege- gen für den Einigungsprozeß erbracht. Natürlich ist benen Spielräume auszunutzen. Das möchten wir. dadurch der Schuldenstand angewachsen; natürlich Das heißt ja, daß wir niemanden enteignen. Eine Ver- haben wir während dieser Zeit andere Prioritäten set- mögensteuer beschneidet nur Vermögenszuwächse. zen müssen. Dennoch: Diese Koalition wird die Es geht nicht um die Substanz. Die Vermögensteuer Staatsquote in diesem Jahr von über 50 Prozent auf belastet die Erträge, die aus wirklich sehr großen 48 Prozent absenken und im nächsten Jahr um einen Vermögen entstehen. Das wissen Sie alle sehr genau. weiteren Prozentpunkt herunterdrücken. Das bedeu- tet einen größeren Freiraum für die Bürger und die Die PDS hat im Bundestag bereits Vorschläge vor- Unternehmen in Deutschland. gelegt, mit denen es möglich ist, in einem relativ kur- zen, überschaubaren Zeitraum Finanzierungsquellen (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne in Höhe von 60 bis 86 Milliarden DM zu erschließen. ten der CDU/CSU) Ich nenne dazu: eine wirkliche Reformierung der Erbschaftsteuer, eine Vereinheitlichung der Steuer- Das bedeutet mehr Arbeitsplätze für die Menschen sätze und Ergänzung der Nachlaßsteuer, eine tat- in unserem Land. sächliche Reform der Einkommensteuer und eine tat- Wir haben in Deutschland inzwischen praktisch sächlich gerecht verteilte Steuer- und Abgabenlast. Preisstabilität. Das ist gerade für die kleinen Leute Das heißt konkret: Erhöhung des steuerlichen Exi- und für die Rentner ganz besonders wichtig. Für stenzminimums auf 17 000 DM und Erhöhung des diese Menschen ist das eine gute Botschaft. Kindergelds einkommensabhängig auf 300 bis 660 DM, bei Beibehaltung der Eingangssteuersätze. (Beifall bei der F.D.P.) Wir hatten im Juli dieses Jahres eine Teuerungsrate Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Frau Kollegin, im Vergleich zum Vorjahr von minus 0,9 Prozent. Die Sie müssen zum Schluß kommen. Preise sind also gesunken. Das ist das beste Ergebnis seit der Einführung der gesamtdeutschen Indizes. Dr. Barbara Höll (PDS): Ich sage Ihnen: Nur mit der Auch der Aufwärtstrend am Arbeitsmarkt stabili- PDS, nur mit den demokratischen Sozialistinnen und siert sich. Die Arbeitslosenzahlen gehen allen Un- Sozialisten hier im Deutschen Bundestag wird es ge- kenrufen zum Trotz weiter nach unten. Seit Februar lingen, nicht nur Kohl abzuwählen, sondern tatsäch- hat die Zahl der Arbeitslosen im Einjahresvergleich lich den Regierungswechsel zu einem Politikwechsel Monat für Monat deutlich abgenommen. Im Juli gab zu gestalten. es 220 000 Arbeitslose weniger als ein Jahr zuvor. Der Ich bedanke mich. Aufwärtstrend am Arbeitsmarkt ist nicht zu leugnen. Die Zahl der offenen Stellen wächst beständig. Von (Beifall bei der PDS) Januar bis Juni sind den Arbeitsämtern insgesamt 22956 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Paul K. Friedhoff 1,6 Millionen freie Arbeitsplätze gemeldet worden. Schauspiel mit und um Jost Stollmann. Welche Funk- Das sind 17,5 Prozent mehr als im Vorjahr. Dabei tion seine Nominierung für die SPD hatte, war geht das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsfor- schnell mit Händen zu greifen. Ein von Anfang an in- schung davon aus, daß überhaupt nur knapp 40 Pro- szenierter Streit mit den Gewerkschaften machte den zent aller freien Stellen bei den Arbeitsämtern regi- Kandidaten bekannt. Schröder nahm ihn natürlich in striert sind. Daran erkennt man die Dynamik dieses Schutz und zeigte sich damals scheinbar als Mann Marktes bezüglich der Veränderungen in die positive der bürgerlichen Mitte. Diese Show war so offenkun- Richtung. dig, daß der ÖTV-Chef Mai sie vor kurzem freimütig eingeräumt hat. Richtig ist aber auch, daß in vielen traditionellen Beschäftigungsfeldern Stellen abgebaut worden sind Das Theater von Schröder und Gewerkschaften und auch abgebaut werden mußten. Der Struktur- war in der Tat nichts anderes als ein plumpes Ablen- wandel schreitet unaufhaltsam voran. Wer heute kungsmanöver mit Stollmann als Hauptdarsteller. noch wie die SPD meint, daß man Industrien von ge- Dieses Ablenkungsmanöver soll den Blick darauf stern mit Dauersubventionen am Leben erhalten verstellen, daß Rotgrün im Falle des Wahlsieges ei- kann, der hat diesen Wandel nicht begriffen. nen Vernichtungsfeldzug gegen die kleinen und (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- mittleren Betriebe in unserem Land unternehmen ten der CDU/CSU) wird. Neue Arbeitsplätze gibt es nur do rt, wo Wett- (Lachen bei der SPD - Horst Kubatschka bewerb ermöglicht wird und wo er nicht durch [SPD]: Sie sind ja ein Witzbold! - Ottmar dauernde Staatseingriffe eingeschränkt wird. So ent- Schreiner [SPD]: Ein übler Verleumder!) stehen im Bereich der Informationstechnik in Deutschland allein in diesem Jahr über 80 000 neue Sie wollen die Rentenreform revidieren, ohne die Arbeitsplätze. Hier fehlen sogar die geeigneten Be- wir die Lohnzusatzkosten nicht in den Griff bekom- werber. Voraussetzung für diese Entwicklung war die - men können. Rotgrün will die Reform der Lohnfort- Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes, zahlung im Krankheitsfall zurückdrehen, die den Un- den die SPD nun wieder einschränken will. Dabei ternehmen in unserem Land eine Kostenentlastung hat der Wettbewerb in diesem Wachstumsbereich von über 20 Milliarden DM gebracht hat. Damit sind nicht nur neue Arbeitsplätze geschaffen, sondern Hunderttausende von Arbeitsplätzen sicherer gewor- auch noch die Telefontarife um bis zu 70 Prozent den. nach unten gedrückt. Dies hat p rivate Haushalte wie Unternehmen entlastet. Rotgrün will die Liberalisierung des Kündigungs- schutzes zurückdrehen, von der gerade die kleinen (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- Betriebe profitieren. Lesen Sie die neueste DIHT-Um- ten der CDU/CSU - Dr. Wolfgang Weng frage! Hier haben sich 11 Prozent der Unternehmen [Gerlingen] [F.D.P.]: Eine enorme Dynamik!) dahin gehend geäußert, daß sie bereits auf Grund Unsere Reformpolitik für Arbeitsplätze durch Ver- dieses veränderten Gesetzes eingestellt haben, und besserung der Wettbewerbsfähigkeit trägt erkenn- 14 Prozent haben sich dahin gehend geäußert, daß bare Früchte. Dies ist das Ergebnis unserer Politik, sie die ganz konkrete Absicht haben, in den nächsten der Politik dieser Koalition, die von Minister Rexrodt Monaten einzustellen. Dies ist erfolgreich umgesetzt erfolgreich umgesetzt wird. Wir können den Auf- worden. Es hat also seine Wirkung auf dem Arbeits- wärtstrend aber nur dann stabilisieren und verstär- markt. Erzählen Sie einem Handwerksmeister, einem ken, wenn die Reformen am Wi rtschaftsstando rt Kleinunternehmer, daß dieses Kündigungsschutzge- Deutschland auch fortgesetzt werden. setz wieder zurückgenommen werden muß! Sie wer- den dafür Ihre Quittung bekommen. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- ten der CDU/CSU) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Die SPD will diese Reformpolitik nicht fortsetzen; wiederbeleben sie will diese Reformpolitik zunichte machen. Weil Rotgrün will die Vermögensteuer die Opposition kein Konzept für eine seriöse Wirt- und eine Zwangsabgabe für Unternehmen einfüh- schaftspolitik besitzt, kann sie auch keinen Wahl- ren, die nicht ausbilden. Dazu hat sich Herr Stoll kampf der Argumente führen. Sie setzt vielmehr al- mann bis heute nicht geäußert. Bei seinem ersten lein auf Showeffekte. Ich gestehe ganz offen: Als Auftritt fabuliert er ausgerechnet von einem „dritten Gerhard Schröder Jost Stollmann aus der Tasche zog, Weg" zwischen Kapitalismus und Sozialismus. Solch war ich zunächst gespannt. Sicherlich könnte es ein Laiendarsteller soll die Wi rtschaftspolitik unseres nicht schaden, wenn der eine oder andere Staatsdie- Landes führen? Meine Damen und Herren, es geht ner in der deutschen Politik gegen einen erfolgrei- dabei um Millionen von Arbeitsplätzen. Es geht um chen Unternehmer ausgetauscht würde. Darin bin den Wohlstand dieses Landes und um die Zukunft ich mir mit vielen anderen selbständigen Unterneh- seiner Menschen. mern einig. Wir Freien Demokraten hätten erst recht nichts dagegen einzuwenden, wenn die SPD ihren Ich sage noch einmal: In einer Situation, in der ökonomischen Sachverstand damit erweitern würde. Deutschland als Stabilitätsfaktor in der internationa- len Wirtschafts- und Finanzpolitik gefordert ist, Um so enttäuschter bin ich, müssen auch die selb- würde eine rotgrüne Bundesregierung die Kata- ständigen Unternehmer nunmehr sein, über dieses strophe heraufbeschwören. Wer der enormen Verant- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 22957 Paul K. Friedhoff wortung für unser Land nicht gewachsen ist, dem den Arbeitsplätzen, bei den Steuern, bei den Ausbil- darf man keine politische Macht geben. dungsplätzen. Demgegenüber denkt die Koalition darüber nach, wie neue Arbeit geschaffen werden (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) kann: durch eine konsequente Standortpolitik und Das gilt für Rotgrün im allgemeinen und für Herrn durch eine offensive Innovationspolitik. Stollmann im besonderen. Herr Stollmann hat nicht (Beifall bei der CDU/CSU) das Recht, für die Unternehmen in diesem Land zu sprechen. Was die kleinen und mittleren Unterneh- Das ist der große Unterschied, um den es am 27. Sep- men brauchen, ist die Fortsetzung der Reformpoli- tember auch geht. tik, die sie nachhaltig entlastet und die ihnen wieder Nun würde man ja gerne darüber diskutieren, mit größere Freiräume gibt. welchen konkreten Schritten das geschehen soll. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- Aber in Deutschland weiß beim besten Willen keiner, ten der CDU/CSU) was Herr Schröder eigentlich wi ll. Er weiß noch nicht einmal, wer in seinem Schatten- bzw. Gruselkabinett Schon Rotgrün alleine wäre ein Katastrophensze- zuständig ist für Forschung und Technologie. Ist es nario für den Wirtschaftsstando rt Deutschland. Herr Stollmann, oder ist es Frau Bulmahn? Frau (Widerspruch bei der SPD) Bulmahn hat selber schon öffentlich darüber geklagt, sie wisse nicht, wofür sie eigentlich zuständig sein Sollte das nicht reichen, dann kämen eben noch Wal- solle. ter Ulbrichts Enkel hinzu. (Edelgard Bulmahn [SPD]: Das ist falsch!) (Widerspruch bei der PDS) Herr Kollege Friedhoff, Sie haben schon recht: Der SPD-Bundesgeschäftsführer hat doch in aller Herr Stollmann ist ein interessanter Fall. Er ist gegen Öffentlichkeit klargemacht, daß die Kommunisten Betriebsräte, er ist gegen Ladenschlußgesetze, er ist nach der Bundestagswahl auch in Erfu rt und gegen Kohlesubventionen, er ist gegen staatliche Schwerin an die Macht kommen sollen. Hier geht es Steuerung, er ist gegen die Rücknahme der Wi rt nicht um eine abstrakte Koalitionsarithmetik. Es geht -schaftsreformen. Wenn das Modell Stollmann Grund- ganz konkret um die Frage, ob auch in Bonn eine lage eines Bündnisses für Arbeit werden sollte, dann Partei an die Macht kommen kann, die der erklärte wird der DGB an den 8 Millionen DM, die er jetzt in Todfeind einer freiheitlichen Wi rtschaftsordnung und den Wahlkampf für die SPD steckt, noch ha rt zu der Todfeind des freien Unternehmertums ist. Diesem knabbern haben. Ich jedenfalls würde dem DGB freien Unternehmertum, dem Fleiß und der Risikobe- empfehlen, aus den 8 Millionen DM in letzter Minute reitschaft hunderttausender Firmengründer, Freibe- noch eine Rücklage zu machen. Denn spätestens rufler und Handwerksmeister verdanken wir den dann, wenn es eine rotgrüne Regierung gäbe, müßte Wohlstand in unserem Land. Sie schaffen die Ar- der DGB eine Ausbildungsplatzabgabe zahlen. Denn beitsplätze für unsere fleißigen Arbeitnehmer. im vergangenen Jahr hat er ja nur einen Lehrling ausgebildet. Es geht also bei der Wahl am 27. September in der Tat um eine Richtungsentscheidung von historischer (Beifall bei der CDU/CSU) Bedeutung. Es geht wirklich ums Ganze. Ich bin Meine Damen und Herren, die Diskussion heute ziemlich sicher, daß das die Menschen dieses Landes hat am Punkt auch erkennen und sich bei der Wahl entsprechend Ausbildungsplatzabgabe ganz deutlich verhalten werden. gezeigt: Sie wird eingeführt, wenn Rotgrün an die Macht kommt. Man hat versucht zu kalmieren; im Ich danke Ihnen. Startprogramm der SPD wird sie verschwiegen. Aber Lafontaine hat heute morgen klar gesagt: Mit der (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) SPD gibt es eine Ausbildungsplatzabgabe. (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Nein! Das Das Wort hat Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: hat er nicht gesagt!) jetzt der Herr Bundesminister Rüttgers. Mir aber hat noch nie jemand erklären können, warum ein Bäckermeister eine Ausbildungsplatzab- Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie: Frau Prä- gabe zahlen soll, wenn er keinen Lehrling findet. sidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wir diskutieren heute über den Haushaltsplan 1999. Wir reden auch darüber, was in den letzten vier Jah- Wir brauchen in diesem Jahr 645 000 Lehrstellen; ren erreicht wurde und was in den nächsten vier Jah- das sind 10 000 Lehrstellen mehr als im vorigen Jahr. ren geschehen muß. Wir haben gestern von der Bundesanstalt für Arbeit gehört, uns fehlen derzeit noch 20 000 Lehrstellen. Wenn ich die bisherige Debatte auf mich wirken Nicht dazugesagt wurde: Das sind 15 000 weniger als lasse, dann stelle ich fest, daß - bei allen Versuchen zur gleichen Zeit im vorigen Jahr. Diese Stellen wer- von der linken Seite des Hauses, so manches zu ver- den wir - das hat die Entwicklung in all den letzten nebeln - doch eines klar geworden ist: Es gibt zwei Jahren gezeigt - in den nächsten Wochen und Mona- sehr unterschiedliche Ansätze der Politik in der ten mit Sicherheit noch bekommen. Alleine bei den Frage, wie neue Arbeitsplätze entstehen. Der linken Industrie- und Handelskammern sind bis Ende Juli Seite des Hauses geht es immer um das Verteilen: bei bereits 7,2 Prozent mehr Ausbildungsverträge einge- 22958 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers tragen als im Vorjahr. Das heißt im Klartext - da kön- ben mit drei neuen Solarzellenfabriken und 50 Mega- nen Sie sagen, was Sie wollen -: In diesem Jahr wird watt jährlicher Produktionskapazität den Vorstoß in es erneut keine Lehrstellenkatastrophe geben. die Weltspitze erreicht; die USA haben zur Zeit 39 Megawatt. Inzwischen werden in der Informati- 34 neue Berufe, Änderung der Ausbildereignungs- onswirtschaft 90 000 Leute gesucht. Die Plätze kön- verordnung, 4 Prozent mehr Lehrstellen bei der Bun- nen nicht besetzt werden, weil die Ausbildung nicht desverwaltung, Sonderprogramm Ost - all das sind nachgekommen ist. konkrete Schritte für junge Leute, die eine Lehrstelle suchen, während der SPD wiederum nur Bürokratie Meine Damen und Herren, mir ist inzwischen klar, und zusätzliche Abgaben einfallen. warum im „Time Magazine" wieder vom „German miracle", dem deutschen Wirtschaftswunder, gespro- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) chen wird. Mir ist klar, warum auf dem amerikani- Bei der Forschung das gleiche Bild: Die SPD jam- schen Innovationsgipfel in Sachen Innovation, Tech- mert und klagt - und übersieht, daß Deutschland nologie und Forschung vor der deutschen Konkur- längst zum Innovationsstandort Nummer eins in renz gewarnt wird. Ich glaube, daß es für dieses Europa geworden ist. Mit 15,4 Milliarden DM steigt deutsche Innovationswunder nur eine einzige Gefahr der Haushalt für Forschung und Bildung im nächsten gibt, nämlich daß Schröder die Gelegenheit be- Jahr um 0,5 Milliarden DM. Er liegt damit, trotz der kommt, das, was er in Niedersachsen gemacht hat, in Rückführung der Staatsquote auf 48 Prozent, die not- ganz Deutschland zu wiederholen. Das ist die einzige wendig war, um 200 Millionen DM über dem Volu- Gefahr. men des Haushaltes 1994. Bis zum Jahr 2002 wird er (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) gegenüber dem Finanzplan 1997 um mindestens weitere 2,2 Milliarden DM steigen. High-Tech-Unternehmensgründungen: Nieder sachsen liegt, verglichen mit den anderen Bundes- Das heißt, wir können im Bereich Forschung und ländern, an letzter Stelle. In keinem Land gibt es we- Technologie auch im Aufbau Ost weiterhin eine Prio- niger Unternehmensgründungen im High-Tech-Be- rität setzen - im nächsten Jahr eine erneute Steige-- reich als in Niedersachsen. Patentanmeldungen: Nie- rung, von 3,1 Milliarden DM auf 3,2 Milliarden DM. dersachsen liegt auf dem drittletzten Platz der west- Wir können bei der erkenntnisorientierten Grundla- deutschen Flächenländer, darunter liegen nur noch genforschung mit einem Anteil von knapp 30 Prozent das Saarland und Schleswig-Holstein. Hochschulaus- im internationalen Vergleich weiter an der Spitze lie- gaben: Niedersachsen liegt auf dem vorletzten Platz gen. Wir können die Projektförderung um 8,5 Prozent aller Bundesländer. 31,28 DM - Sie haben richtig ge- steigern, die institutionelle Förderung um 2,6 Prozent. hört: ganze 31,28 DM - pro Jahr und Kopf ist Herrn Meine Damen und Herren, neben dem staatlichen Schröder der Hochschulbau we rt. Lehrstellen: Auf Sektor geht es jetzt Gott sei Dank auch im privaten 100 Bewerber kamen nur 95 Lehrstellenangebote. Forschungssektor wieder bergauf. Ich kann Ihnen Das ist die schlechteste Relation in den alten Län- dazu einige neue Zahlen nennen: Nach den jüngsten dern. Unternehmensmeldungen sind die Ausgaben der Der Mann ist eben ein Innovationsrisiko ersten deutschen Wirtschaft für Forschung und Entwick- Ranges. lung im vergangenen Jahr gegenüber 1995 um mehr als 10 Prozent gestiegen. Auch beim Forschungsper- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) sonal gibt es eine Trendwende. Nachdem die Zahlen 1996 noch gesunken sind, gab es 1997 wieder einen Daß er von Kultur keine Ahnung hat, konnten wir deutlichen Anstieg um 3 Prozent. am Sonntag im Fernsehen sehen, als er mit Reich- Ranicki diskutiert hat. Er hat aber auch von For- Deutschland ist im Bereich Forschung und Innova- schung und Innovation keine Ahnung. Jüngst hat er tion auf dem Vormarsch. Das läßt sich mit Fakten be- gefordert, wir müßten etwas beim Risikokapital tun. legen; darüber braucht man nicht groß zu reden. Der Mann hat einfach nicht mitbekommen, daß 1997 in Deutschland 71 Prozent a ller Seed-capital-Finan- (Ottmar Schreiner [SPD]: Hurra!) zierungen Europas bereitgestellt wurden. Er hat - Sie können von mir aus „Hurra!" brüllen; ich habe nicht mitbekommen, daß 1997 mehr als 450 Millionen überhaupt nichts dagegen. Forschung und Innova- DM an Kapitalbeteiligungen für kleine High-Tech- tion sind nämlich wichtig für neue Arbeitsplätze und Unternehmen durch das BTU-Programm mobilisiert die Zukunft dieses Landes. Das kann man, verehrter wurden - Tendenz steigend: dieses Jahr 750 Millio- Kollege Schreiner, inzwischen als großer Schreier in nen DM, nächstes Jahr über 1 Milliarde DM. Er hat diesem Hause öffentlich bekannt, auch durch nicht mitbekommen, daß ausländische Investoren Schreien nicht negieren. den Standort Deutschland für Investitionen in For- schung und Technologie wiederentdeckt haben. Er Die Anzahl der Bio-Tech-Firmen hat sich innerhalb hat nicht mitbekommen, daß junge Leute, die ins von zwei Jahren vervierfacht. Die Anzahl neuer Mul- Ausland gegangen sind, inzwischen wieder zurück- timedia-Unternehmen hat sich pro Jahr verdreifacht. kommen. Es gibt kein Land, meine Damen und Her- In Deutschland wurden im vergangenen Jahr erst- ren, in dem sich in den letzten Jahren so viel in Sa- mals mehr PCs als Autos verkauft, und wer die deut- chen Innovation getan hat wie in Deutschland. sche Seele kennt, der weiß, was das heißt. Wir liegen in der Umwelttechnik mit 18,7 Prozent am Weltmarkt Selbst in Sachen Genehmigungen sind wir inzwi- wieder auf Platz eins. Bezüglich der Weltmarkt- schen, was keiner geglaubt hat, vorangekommen. patente liegen wir vor Japan und den USA. Wir ha- Die Dresdner Chip-Fabrik wurde - man höre - in vier Deutscher Bundestag - 13. Wahlpe riode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 22959

Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers Monaten rechtskräftig genehmigt, die neue - Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Fabrik für Medizintechnik in Erlangen in sechs Kollegen, vor einiger Zeit sagte mir ein Aussiedler ei- Wochen, die neue Rechnerfabrik von Hewlett nen wunderschönen Satz, den ich Ihnen zum Ab- Packard bei Böblingen ebenfalls in sechs Wochen. schluß wiedergeben will - manchmal haben diejeni- Daß das natürlich wieder in Bayern, Baden-Württem- gen, die es von außen betrachten, einen etwas schär- berg und Sachsen stattgefunden hat, verwundert feren Blick -: Wissen Sie, Deutschland ist kein mich nicht. Traumland, aber es ist ein Land, in dem man seine Träume verwirklichen kann. (Beifall bei der CDU/CSU) Daß das so bleibt, dafür werden wir am 27. Septem- Mein Traum wäre jetzt noch, daß das Ganze nicht ber sorgen, zusammen mit allen Menschen, die stolz nur für große High-Tech-Firmen in Deutschland auf dieses Land sind. gang und gäbe wird, sondern daß der eben schon an- gesprochene Bäckermeister für die Erweiterung sei- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - ner Backstube überall in Deutschland genau diesel- Zurufe von der SPD: Eine schlechte ben Genehmigungszeiten bekommt. Das wäre eine Abschiedsrede! - Leeres Geschwätz!) riesige Innovation. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Rudolf Dreßler, SPD-Fraktion. Apropos Handwerk: Von den 100 000 jungen Leu- ten, die jetzt Meister - BAföG erhalten, werden sich Rudolf Dreßler (SPD): Frau Präsidentin! Meine Da- 70 000 in den nächsten Jahren selbständig machen. men und Herren! Der Entwurf eines Bundeshaushal- Diese Firmen brauchen wir genauso wie die Techno- tes, den die Wählerinnen und Wähler alsbald der logiefirmen. Wir müssen sie auch genauso behandeln Kategorie „Makulatur" zuordnen werden, lohnte die wie jede High-Tech-Investition. sozialpolitische Auseinandersetzung drei Wochen Es war heute morgen schon spannend, als ich vor Neuwahlen eigentlich nicht. Herrn Lafontaine zum Thema „Meister-BAföG" ge- (Beifall bei der SPD) hört habe. Das habe ich als zuständiger Minister ja nun höchstselbst gemacht. Wie man so Wahrheit ver- Man könnte über ihn hinweggehen. Daß das diesmal drehen oder unter partieller Wahrnehmungsverdrän- anders ist, liegt daran, daß er den vorläufigen End- gung leiden kann, habe ich nun wirklich noch nie er- punkt einer Entwicklung markiert, die auf eine tief- lebt. greifende Veränderung unserer Gesundheitsversor- gung und der Rentenversicherung abzielt. (Zustimmung bei der CDU/CSU - Wider- spruch bei der SPD) (Dr. Renate Hellwig [CDU/CSU]: Nur keine Veränderung, Herr Dreßler!) Als ich das Gesetz eingebracht hatte, damals zustim- mungspflichtig, ist es an Herrn Lafontaine und Herrn Es ist auch deshalb anders, weil dieser Haushaltsent- Schröder gescheitert. wurf das indirekte Versprechen der noch amtieren- den Koalition enthält, mit dieser Veränderung fortzu- (Vorsitz : Vizepräsidentin Michaela Geiger) fahren, wenn Wählerinnen und Wähler sie lassen würden. Erst als ich es zustimmungsfrei wieder eingebracht habe, kam Herr Schröder um die Ecke und hat ge- Verändert werden soll nämlich die solidarische sagt: Laßt uns lieber zustimmen, ehe wir nachher auf Absicherung gesundheitlicher Risiken. An ihre der Schattenseite der Veranstaltung stehen. Stelle soll deren weitestmögliche Privatisierung tre- ten. Verändert werden soll die hälftige Finanzie- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - rungsverantwortung von Arbeitgebern und Arbeit- Zuruf von der CDU/CSU: Unglaublich!) nehmern. An ihre Stelle soll die ausschließliche oder überwiegende Finanzverantwortung der Arbeitneh- Jetzt zu sagen: „Ich habe das gemacht", ist schon ein mer treten. Verändert werden soll der sozial gerechte tolles Stück. Jede Innovation ist der SPD in diesen Ausgleich zwischen Gesunden und Kranken. An vier Jahren immer nur unter Zwang abgepreßt wor- seine Stelle soll eine stärkere Belastung ausschließ- den. Das ist die Wahrheit. lich der Kranken treten. Verändert werden soll die (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Schutzwirkung starker Sozialversicherungssysteme Widerspruch bei der SPD) für alle. An ihre Stelle soll peu à peu das individuali- sierte Versicherungsverhältnis für den einzelnen tre- Das gilt übrigens auch für das neue Hochschulrah- ten. Verändert werden soll die Akzeptanz unserer mengesetz, das Gott sei Dank seit letzter Woche in Rentenversicherung; statt Sicherheit immer größere Kraft ist. Hätten wir das nicht von Anfang an zustim- Zweifel in die Leistungsfähigkeit dieser Rentenversi- mungsfrei hier im Bundestag beschlossen, wären wir cherung. hängengeblieben. Jetzt gibt es mehr Wettbewerb, mehr Freiheit, es gibt mehr Vielfalt und mehr Inter- Das alles, meine Damen und Herren, läßt sich bele- nationalität für unsere Hochschulen - wieder einmal gen. Die Stichwörter dazu liefern die Regelungen des gegen die SPD, nur mit der Koalition. sogenannten Beitragsentlastungsgesetzes der Bun- desregierung,- des 1. und des 2. sogenannten GKV (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Neuordnungsgesetzes, die Kürzungen des zugesi- 22960 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Rudolf Dreßler cherten Rentenniveaus, die radikalen Einschnitte in die Selbstbeteiligung in bis vor kurzem unvorstell- die Erwerbsunfähigkeitsrente. Diese Regelungen bare Höhen getrieben. 9 DM, 11 DM, 13 DM je Pak zeigen: CDU/CSU und F.D.P. haben das Ziel einer so- kung bedeuten in der täglichen Praxis, daß die Pa- lidarisch organisierten Gesundheitssicherung - das tienten einen guten Teil - in manchen Indikationsbe- ist eine qualitativ hochstehende Gesundheitsversor- reichen bis zu 80 Prozent - der Arzneimittelversor- gung für alle, unabhängig vom Einkommen und zu gung ganz allein zu bezahlen haben. tragbaren Preisen - aufgegeben. (Zustimmung bei der SPD - Lachen bei (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Abgeordneten der CDU/CSU) DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS) - Bei diesem Sachverhalt gibt es einen Abgeordneten der CDU/CSU, der nichts anderes tut, als sich dar- Meine Damen und Herren, die Regierung Kohl hat über lustig zu machen. Das muß man sich vergegen- auch eine ausreichende Rentenhöhe aufgegeben. wärtigen. Die Veränderungen, die CDU/CSU und F.D.P. in den vergangenen Jahren bereits durchgesetzt haben und (Beifall bei der SPD) noch weiter durchsetzen wollen, wenn die Wähler- schaft sie läßt, Sie kassieren bei Patienten ab und lachen sich hier im Bundestag einen Ast. Was Sie hier tun, ist so schä- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Tut sie nicht!) big, Herr Abgeordneter. Sie sollten sich schämen, werden die soziale Krankenversicherung zerstören. sich auch noch darüber lustig zu machen, daß Sie bei Genau das ist auch die eigentliche Absicht. Patienten abkassieren. (Beifall bei der SPD - Dr. Uwe Küster [SPD]: (Beifall bei der SPD und der PDS) Leider!) Das ist noch nicht einmal Pseudostabilität in der Die Koalition hat sich angeblich die Stabilisierung Krankenversicherung, das ist politische Roßtäusche- - der Krankenversicherungsbeiträge zum Ziel gesetzt. rei. Schön wäre es ja, wenn sie es nach 16 Regierungsjah- ren endlich täte. Auch sollten Sie Ihren berühmten Satz von der Eigenverantwortung der Leute wirklich einmal (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- einen Augenblick bedenken. ten der PDS) (Zuruf von der CDU/CSU: Ist der im Schat Aber sie tut es nicht. Statt dessen veranstaltet sie tenkabinett?) Schwindelmanöver, zum Beispiel beim Zahnersatz. CDU/CSU und F.D.P. setzen durch, daß nach 1978 Heißt das mit anderen Worten, daß ein Krankenversi- Geborene nie mehr in ihrem Leben auch nur einen cherter, der nach unseren gesetzlichen Regeln bis zu Pfennig an Zahnersatzleistungen von ihrer Kranken- 11000 DM im Jahr an Krankenversicherungsbeitrag kasse erhalten werden, selbst wenn sie 100 Jahre alt leisten muß, keine Eigenverantwortung zeigt und werden sollten. keine Eigenvorsorge betreibt? Wie behandeln Sie (Zuruf von der SPD: Unglaublich!) eigentlich Menschen, die so viele Tausende von Mark in die Krankenversicherung einzahlen? Sie tun Was machen die betroffenen Menschen? so, als hätten diese Menschen keine Eigenverantwor- tung. Es ist unglaublich, wie Sie sich hier benehmen. (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Sie wählen SPD!) (Beifall bei der SPD - Widerspruch bei der Es handelt sich ja um Familien mit Kindern. Wenn sie CDU/CSU und der F.D.P.) verhindern wollen, daß ihre Kinder später einmal ohne Versicherungsschutz beim Zahnersatz daste- Der Bundesgesundheitsminister, der diesen Kurs hen, bleibt ihnen nur eines: Sie müssen dieses Risiko der Entsolidarisierung und Krankenbestrafung ange r bei einem privaten Krankenversicherungsunterneh- steuert und zu verantworten hat, gefällt sich heute in men zusätzlich zu ihrem Krankenkassenbeitrag ver- der Rolle eines angeblichen Retters der Patienten- sichern, sofern sie dazu finanziell in der Lage sind. interessen. Höhere Zuzahlungen werde es mit ihm Ich frage, wo für die Betroffenen der Beitrag eigent- nicht mehr geben, lich stabilisiert und wo gespart worden ist. (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Wer sagt das?) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der hat er 1994 gesagt. Anschließend hat er das Zuzah- PDS) lungsvolumen mehr als verdoppelt. Wer soll ihm Die Wahrheit ist, daß nicht nur nichts gespart worden eigentlich heute glauben, wenn er vor Wahlen das ist, sondern daß die Betroffenen in der Summe noch gleiche wieder sagt, höhere Beiträge als je zuvor zu zahlen haben. (Zuruf von der SPD: Niemand!) (Zuruf von der SPD: So ist es!) zumal die nächsten Zuzahlungserhöhungen durch Die sogenannte Stabilisierung von Gesundheits- periodische Dynamisierung und Verknüpfung mit ausgaben in der Arzneimittelversorgung läuft nach der Beitragssatzerhöhung schon im Gesetz stehen, ähnlichem Muster ab: CDU/CSU und F.D.P. haben allerdings erst am 1. Januar 1999 in Kraft treten? Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 22961

Rudolf Dreßler Die SPD wird bewirken, Herr Seehofer, daß Sie Wenn Sozialhilfebezug kein Beweis für Armut der keine Zuzahlungen mehr erhöhen können, weil wir Betroffenen ist, für was steht er denn? Etwa für ein dafür sorgen werden, daß Sie selbst nur noch drei auskömmliches Leben? Ich weiß ja, daß diese Regie- Wochen im Amt bleiben. rung und insbesondere Herr Seehofer denjenigen, die nicht in ausreichendem Maße für sich selbst sor- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE gen können, ans Leder wollen. Aber dann stehen Sie GRÜNEN und der PDS - Widerspruch bei doch wenigstens dazu und hören Sie auf, finanzielle der CDU/CSU und der F.D.P.) Hilfsbedürftigkeit von Menschen wider besseres Ja, es dämmert auch Ihnen langsam, daß Ihre Zeit Wissen umzudefinieren! vorbei ist. Und das ist gut so. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der SPD - Widerspruch von der GRÜNEN und der PDS) F.D.P.) Meine Damen und Herren, auch wenn CDU/CSU Dieser Minister, meine Damen und Herren, der und F.D.P. das mittlerweile alles vergessen haben: durch seine Gesundheitspolitik die Menschen mit (Walter Hirche [F.D.P.]: Sie bauen hier einen immer höheren Gesundheitsausgaben striezt, ist ja Popanz auf, um auf ihn einzuschlagen!) nicht nur für das Gesundheitswesen, sondern auch für die Sozialhilfe zuständig. Nun hat uns Bundesfa- Armut beseitigt man dadurch, daß man hilft und sie milienministerin Nolte in einem ihrer bekannten in- bekämpft, aber nicht dadurch, daß man sie verleug- tellektuellen Höhenflüge mit dem neuen Armutsver- net. Das hat überhaupt keinen Zweck. ständnis dieser Bundesregierung bekannt gemacht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne (Dr. Uwe Küster [SPD]: Geistige Armut der ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bundesregierung! ) Armut beseitigt oder bekämpft man im übrigen auch Sinngemäß hat sie gesagt, Armut sei nie allein eine nicht dadurch, daß man das Rentenniveau von 70 auf Frage des zu geringen Einkommens, sondern immer- 64 Prozent zusammenkürzt. Das schafft nämlich im- auch eine Frage, wie man in der Lage sei, mit gerin- mer noch neue Armut. gem Einkommen umzugehen. Intellektuell weniger (Walter Hirche [F.D.P.]: Bei Begabte als Frau Nolte, also Leute wie ich, neigen 61 Prozent, Herr Dreßler! Das wollen wir dazu, solche Gedankengänge in eine etwas volks- mal festhalten!) tümlichere Sprache zu bringen. In der volkstümli- chen Fassung besagt der Satz von Frau Nolte nichts - Ich darf Sie kurz daran erinnern, damit Sie heute anderes, als daß arm nicht der ist, der zuwenig hat, noch eine kleine Exkursion mitnehmen: Damals hat- sondern der, der zu dumm ist, damit umzugehen. ten wir die Bruttoanpassung, und damals hatten wir sogar ein Nettorentenniveau von unter 64 Prozent. (Zustimmung bei der SPD) Dann haben die Regierung Brandt und die Regie- Dieser wahrhaft schändliche Nolte-Satz ist selbst in rung Schmidt das Rentenniveau auf die Höhe von Wahlkampfzeiten, meine Damen und Herren, unent- über 70 Prozent gebracht, schuldbar. (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Das war ja auch (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ der Höhepunkt der Torheit!) DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der die Sie 1982 übernommen haben, meine Damen und PDS - Jörg Tauss [SPD]: So ist sie halt!) Herren. Das wollen wir einmal klarstellen. Biegen Er beweist ja nicht nur, daß diese Regierung jeden Sie also nicht unsere jüngere Geschichte um! Kontakt zur Wirklichkeit verloren hat, sondern auch, (Walter Hirche [F.D.P.]: Wir wollen die Bei daß sie bereit ist, um billiger Wahlkampfeffekte wil- tragsfreiheit, damit Arbeitsplätze entstehen, len die Schwächsten in unserer Gesellschaft auch und Sie verweigern sich!) noch verächtlich zu machen. Meine Damen und Herren, noch ein paar Bemer- (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ja kungen zur Rentenpolitik. Die Rentenpolitik dieser unglaublich!) Koalition leidet vor allem an einem: an einem Mangel an Stetigkeit und Verläßlichkeit. Der ist zurückzufüh- Wie weit geht Ihre Schamlosigkeit eigentlich, frage ren auf eine beinahe schon hemmungslose Zahlen- ich Sie. klempnerei des verantwortlichen Sozialministers.

Da kommt dann der für Sozialhilfe zuständige Herr Herr Blüm , wie ist das eigentlich mit der Beitrags- Seehofer her und setzt noch eins drauf. Er erklärt, die satzsenkung auf deutlich unter 20,3 Prozent, die Sie Zahl der Sozialhilfebezieher sei kein Armutsindika- Anfang dieses Jahres für den 1. Januar 1999 in Aus- tor. sicht gestellt haben? Kommt sie nun, oder kommt sie nicht? Ich will es Ihnen sagen: Sie kommt nicht. (Bundesminister Horst Seehofer: Das ist Nachdem Herr Blüm selbst schon einräumen mußte, doch richtig!) aus dem „deutlich" werde nichts - er redet ja jetzt - Sagen Sie mal, Herr Seehofer, glauben Sie solchen von 20,2 Prozent -, hat er nun rein zufällig in der Quatsch eigentlich selber? Sommerpause folgendes entdeckt: Der aktuelle Bei- trag von 20,3 Prozent, den er für die Rentenversiche- (Jörg Tauss [SPD]: Ja, der schon!) rung im laufenden Jahr festgelegt hat, sei um 0,3 Pro- 22962 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Rudolf Dreßler zent zu niedrig angesetzt gewesen, um die gesetzlich Blüm: Auch das wird nicht geschehen, weil eine vorgesehene Schwankungsreserve zu erfüllen. Also SPD-geführte Bundesregierung die Senkung des muß nach 1999 nachfinanziert werden. So sieht es Rentenniveaus unverzüglich rückgängig machen das Gesetz vor. Daß das eine SPD-geführte Bundes- wird. So einfach ist das. regierung machen muß, sage ich nur am Rande. Aber das ist die Rentenerblast von Herrn Blüm: eine Ende (Beifall bei der SPD) des Jahres nicht mehr vorhandene gesetzlich vorge- Allein diese beiden Beispiele zeigen: Die Renten- schriebene Schwankungsreserve von 24 Milliarden politik muß endlich in verläßliche Hände. DM, einer Monatsausgabe. In allen Prognosen wird von maximal 19 Milliarden DM ausgegangen. Das (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Wollen Sie unser heißt, Norbert Blüm hinterläßt eine 5-Milliarden- Koalitionspartner sein?) Lücke, die in diesem Haushaltsentwurf nirgendwo Sie muß wieder berechenbar werden. Der jetzige gedeckt ist. Bundesminister, der für die Renten zuständig ist, ge- (Beifall bei der SPD) hört wahrlich in Rente. Also: Es müßte nachfinanziert werden. Deshalb (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne prophezeie ich Ihnen: Sie könnten, wenn Sie weiter- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) machen dürften, Herr Blüm, den Rentenbeitragssatz Die Regierung ist nicht nur völlig aus dem Tritt ge- noch nicht einmal von 20,3 Prozent auf 20,2 Prozent raten; vielmehr ist sie auch ziellos. Politik als konzep- senken. Sie würden erhöhen müssen, wenn Sie im tioneller Gesamtentwurf und Politik als Wertorientie- Amt blieben. Aber da Sie nicht im Amt bleiben, wird rung gibt es schon lange nicht mehr. Unser Land eine sozialdemokratisch geführte Regierung diese braucht wirklich einen neuen Anfang. In der Sozial- Erhöhung verhindern. politik brauchen wir wieder eine klare Zielorientie- (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Was wi ll denn rung statt bloßer Klientelbedienung. Die SPD steht Herr Riester?) für unsere Sozialsysteme. Wir stehen für die soziale - Kranken- und Rentenversicherung. Wir stehen für - Wir haben nämlich, Frau Dr. Babel, auch wenn Sie die Verpflichtung des Staates, für eine bezahlbare es nie begriffen haben, kein Ausgabeproblem in der und qualitativ hochstehende Gesundheits- und Al- Rentenversicherung, sondern ein Einnahmeproblem. tersversorgung der Bürger zu sorgen. Deshalb wer- Ich sage das, damit es ganz klar ist. den wir die Gesundheitsausgaben in einem Korridor von 9 Prozent des Volkseinkommens halten und so (Beifall bei der SPD) den medizinischen Fortschritt weiterhin allen zu- Sie werden sich, Frau Dr. Babel, an folgendes gewöh- gänglich machen. nen müssen - auch wenn Sie diesem Hohen Hause (Beifall bei der SPD) nicht mehr angehören -: Egal, ob , Rudolf Dreßler, Ottmar Schreiner oder Ul rike Ma- Wir werden die Gesundheitsvorsorge gleichberech- scher, wir werden sozialdemokratische Grundsatz- tigt neben die Behandlung von Krankheiten stellen politik hier mehrheitlich gegen Sie durchsetzen und und so die Bekämpfung der Krankheitsursachen Ihre Kürzungen korrigieren. Auch das sage ich, da- endlich ernst nehmen. Wir werden die Finanzierung mit es völlig klar ist. unserer Krankenhäuser auf eine neue Grundlage stellen und wirtschaftlicher gestalten. (Beifall bei der SPD) (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist aber eine Wir werden zum Beispiel reaktionäre Sozialpolitik!) (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Die Steuern erhö- Wir werden die ärztlichen Honorare an vernünftigen hen!) Prinzipien orientieren und endlich dafür sorgen, daß das Einnahmeproblem anpacken, indem wir die so- nicht eine immer größer werdende Zahl von zugelas- genannten 620-DM-Jobs, die geringfügigen Beschäf- senen Vertragsärzten die finanziellen Grundlagen tigungsverhältnisse, sozialversicherungspflichtig ma- unserer Krankenversicherung erschüttert. Wir wer- chen. Wir werden endlich die Scheinselbständigkeit den den Arzneimittelmarkt neu ordnen und von the- bekämpfen, die Sie mittlerweile millionenfach in rapeutischem Unsinn befreien. Deutschland haben einführen lassen. Das ist auch (Beifall bei der SPD - Zuruf von der CDU/ ein Einnahmeproblem. CSU: Wundertüte!) (Beifall bei der SPD) Wir werden aus der Sozialhilfe wieder ein Instru- Zurück zur Kürzung des Rentenniveaus: Der erste ment zur Armutsbekämpfung statt zur Armutsbestra- Schritt soll nach den Beschlüssen von CDU/CSU und fung machen, und zwar zur Armutsbekämpfung in F.D.P. am 1. Januar 1999 erfolgen. Das hätte eine Ver- besonderen Lebenslagen und nicht als Reparaturbe- minderung der Rentenerhöhung zum 1. Juli 1999 trieb dieser Gesellschaft. von 0,53 Prozent zur Folge. Der Sozialbeirat, also das (Beifall bei der SPD) Beratergremium von Herrn Blüm, prognostizie rt in dieser Woche für diesen Fall für 1999 eine Renten- Wir werden das Vertrauen in die gesetzliche Ren- nullrunde. Für die Rentner, für die sich der Kranken- tenversicherung als Kern der Altersversorgungs- kassenbeitrag erhöhen würde, ergäbe sich dann so- systeme erneuern und sie wieder auf verläßlichen, gar ein reales Minus. Ich darf Ihnen sagen, Herr kalkulierbaren Boden stellen. Wir werden in einer Deutscher Bundestag - 13. Wahlpe riode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 22963

Rudolf Dreßler längerfristig angelegten Rentenreform einen Vorsor- in einem Versandhaus: für jeden Kunden etwas - gefonds schaffen, um so die sich aus der demographi- nun gilt? schen Entwicklung ergebenden Probleme zu lösen. (Zuruf von der CDU/CSU: Keines ist Meine Damen und Herren, es wird Zeit, daß die brauchbar!) Gesundheits- und Sozialpolitik wieder auf eine ver- Herr Schröder sagt: Bei den Rentnern verändern nünftige Grundlage gestellt wird. Denn eines haben wir gar nichts, und die Beiträge senken wir. Bei den die Menschen bei dieser Koalition in den vergange- Rentnern verändern wir gar nichts, aber dafür wer- nen 16 Jahren wirklich beg riffen: Eine Gesellschaft den die heute aus der Schule Entlassenen in 40 Jah- macht mehr aus als die Summe aller guten Ge- ren eine bekommen. Das ist aus mei- schäfte, die sich in ihr erzielen lassen. Basissicherung ner Sicht, um es kurz zu machen, Betrug an den (Beifall bei der SPD) Jungen. Dies hieße ja, daß sie zunächst einmal die Beiträge für die Rentner unverände rt weiterbezahlen Für ein solches Gesellschaftsbild werden wir sorgen. - Rentensteigerung -, und dafür bekommen sie, wenn sie selber in Rente gehen, nur eine Basissiche- Ich danke Ihnen. rung. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Aber es wird noch schöner. Herr Lafontaine spricht GRÜNEN und der PDS) von einer demographischen Formel, die Sie, Herr Dreßler, abgelehnt haben. Ich erteile das Vizepräsidentin Michaela Geiger: (Rudolf Dreßler [SPD]: Nein, die habe ich Wort dem Bundesminister für Arbeit und Sozialord- soeben vorgestellt!) nung, Dr. Norbert Blüm. - Das war aber streng vertraulich. Ich habe das nicht gehört. Sie haben doch in Ihrer eigenen Vorlage ge- Bundesminister für Arbeit und Dr. Norbert Blüm, sagt - habe ich das richtig in Erinnerung? -, daß auf Sozialordnung: Frau Präsidentin! Meine Damen und die Demographie erst nach 2015 geantwortet werden Herren! Der Kollege Dreßler hat vom Einnahmepro- müßte. blem der Rentenversicherung gesprochen. Wissen Sie, was das größte Einnahmeproblem ist? (Zuruf von der SPD: Nein!) (Zuruf von der SPD: Sie!) - Soll ich die Papiere holen? Hat jemand die Papiere da? Dann lese ich die Dreßler-Papiere vor. 2015 - so Die SPD! als würde sich die Lebenserwartungsverlängerung (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Ja!) nach den Beschlüssen der SPD richten. Bleiben wir erst einmal dabei: Lafontaine sagt, eine Demogra- Ich will das erklären. Sie wollen die Reformen zu- phieformel muß eingebaut werden, aber ohne Folgen rücknehmen und die Beiträge senken. Das ist das für das Niveau. Das ist wieder so ein Kunststück: De- größte Einnahmeproblem, das ich überhaupt kenne. mographieformel ohne Folgen. (Zustimmung bei der CDU/CSU und der Dann kommt Herr Kollege Dreßler: Es soll ein Vor- F.D.P.) sorgefonds gebildet werden, Sie wollen die Reformen zurücknehmen - das bedeu- (Rudolf Dreßler [SPD]: Richtig!) tet eine Mehrbelastung bis 2030 von 500 Milliarden mit 1 Prozent Beitrag der Rentner. Ist das eine Minde- DM, dynamisiert 1 Billion DM. Gleichzeitig wollen rung der Rente, oder ist das nicht eine Minderung Sie die Beiträge senken. Wissen Sie, was das ist? der Rente? Die jährliche Anpassung nach der Demo- (Zuruf von der CDU/CSU: Dummes Zeug!) graphieformel beträgt übrigens 0,4 bis 0,5 Prozent. Das ist Wählerverdummung. Das ist Wählertäu- Wir sind aber noch gar nicht fertig. Dann kommt schung. Das ist eine Beleidigung der Wähler, weil Sie Herr Riester. Er kann soviel reden, wie er wi ll. Er hat sie für so dumm halten, Ihnen zu glauben, man Sympathie für das dänische Modell gezeigt, und das könne mehr Ausgaben mit weniger Einnahmen be- dänische Modell ist relativ eindeutig definiert: zahlen. Das ist nun wirklich der Höhepunkt. 1000 DM, steuerfinanziert, für alle, ob Millionär oder nicht Millionär - das Geld wird aus dem Fenster ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) worfen -, dann noch 500 DM bedürfnisabhängig. Nummer zwei. Ich halte fest: Die Nullrunde bei der Halten wir also fest: Dreßler gegen Demographie, Rente im nächsten Jahr ist eine Ente, gefüllt mit SPD- Lafontaine für Demographie, Schröder: Bei den Alten Wahlkampfmüll. In Übereinstimmung mit den Ren- passiert nichts, bei den Jungen Basissicherung, und tenversicherungsträgern gehen wir von einer positi- Riester für das dänische Modell. ven Rentenanpassung im nächsten Jahr aus. Die ge- naue Zahl wird wie immer im März nach der Lohn- Jetzt komme ich zum fünften Modell. Das steht im entwicklung dieses Jahres festgelegt. Wahlprogramm der SPD. Kleine Renten werden be- dürfnisabhängig aufgestockt. Gut. Da ja nicht alle Weiter zur Rentenpolitik: Herr Kollege Dreßler, kleinen Renten Renten von armen Leuten sind, son- können Sie mir einmal erklären, welches SPD-Ren- dern in vielen Fällen ein zweites oder sogar ein drit- tenmodell - ich kenne nämlich mindestens fünf, wie tes Alterseinkommen vorhanden ist - die Zahlen ken- 22964 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Bundesminister Dr. Norbert Blüm nen Sie -, müssen Sie also 10 Millionen Rentner einer müssen sich nicht nur die Beitragszahler beteiligen, Bedürfnisprüfung unterziehen. 10 Millionen! Die sondern alle Steuerzahler. Rente hat nach meinem Rentenversicherung hat übrigens dafür überhaupt Verständnis nichts mit Existenzsicherung zu tun, son- keine Unterlagen. Sie müßte ein richtiges Bedürfnis- dern mit der Leistungsgerechtigkeit derjenigen, die prüfungsinstitut einrichten. Gut, das kann sie ja gearbeitet und Beitrag gezahlt haben. machen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Jetzt wird es aber noch spannender. Das Ganze ordneten der F.D.P.) soll aufgestockt werden auf eine Mindestrente, die, wie auch Riester sagt, etwas über der Sozialhilfe lie- Ich komme noch einmal zu Ihrem Rentenkürzungs- gen soll. Jetzt wird es konfus. Das heißt, eine allein- beispiel. Es wird ja ständig wiederholt. Ich gestehe stehende Mutter mit einem Kind bekommt mögli- mit Schrecken, es hat sogar Wirkung. Nur entspricht cherweise ihr ganzes Leben lang Sozialhilfe. In dem es nicht den Tatsachen. Moment, wo sie 65 Jahre wird, bekommt sie eine (Zuruf von der SPD) Mindestrente oberhalb der Sozialhilfe. Ein Behinder- ter, der nie Beiträge zahlen kann, bleibt auf Sozial- - Das wollen Sie auch so. Unter Kürzung verstehen hilfe pur, einer, der ein paar Jahre Beitrag gezahlt hat die Rentner, ihre Rente wird reduziert. und - aus welchen Gründen auch immer - dann nicht mehr weiterzahlt, wird möglicherweise auf „Sozial- (Zurufe von der SPD: Das ist ja auch so! - hilfe plus" aufgestockt. Wird sie doch auch! - Gegenruf von der CDU/CSU: Wird sie nicht!) Wir können die Konfusion noch weite rtreiben. An- schließend muß sich ja der beitragsbezogene Anteil Richtig ist, daß der Anstieg sachter verläuft. der Rente durch Anpassung jährlich so entwickeln (Dr. Uwe Küster [SPD]: Was ist denn das?) wie die Löhne. Wie denn sonst; der Beitrag ist doch vom Lohn bezahlt. Der bedürfnisabhängige Teil - Hören Sie doch zu! Wenn ich aufklären will, brau- kann aber nicht an die Lohnentwicklung gekoppelt- chen Sie mir doch bei dieser Aufklärung nicht ins werden; denn die Lohnentwicklung sagt ja nichts Wort zu fallen. über die Bedürfnisse. Er müßte dann preisabhängig sein. Ich sage Ihnen voraus: Zehn Jahre danach ist (Dr. Uwe Küster [SPD]: Ist doch nur Seman das Rentenchaos eingetreten. tik!) Deshalb: Wir bleiben bei der beitragsbezogenen Aus 1500 DM Rente wird nach 30 Jahren ohne Rente, und zwar aus Gründen der Generationenge- Reform eine von 3431 DM, mit Reform eine von rechtigkeit. Selbst wenn die Kasse prall gefüllt wäre, 3 242 DM. wäre es ein Gebot der Gerechtigkeit. Wenn die Ren- ten länger bezogen werden, als es früher der Fall Wenn Sie mich fragen: Der größte Gewinn für die war, dann müssen sich an der Finanzierung der län- Rentner in dieser Zeit ist Stabilität: keine Preissteige- geren Rentenlaufzeit auch diejenigen beteiligen, die rung. die Leistungen Gott sei Dank in Anspruch nehmen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) können - also auch die Älteren, nicht nur die Jünge- ren. Was hatte ein Rentner von 7 Prozent Preissteigerung zu Schmidts Glanzzeiten? Was hatten die Menschen Für uns besteht Rentenversicherung aus der Gene- davon? Der Wert ihrer Kaufkraft ist gemindert wor- rationensolidarität von Jung und Alt. Die Alten ha- den. ben nach einem erfüllten Arbeitsleben einen An- spruch auf eine anständige Rente und auf keine Be- Meine Damen und Herren, beim Rentenniveau dürfnisprüfung. können Sie mit brutto und netto noch soviel mit Ne- belkerzen werfen. Machen Sie nicht soviel Watte (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) darum herum. Unter Brandt, den ich gegen Ihre Vor- Wenn einer ein Leben lang gearbeitet und Beitrag würfe in Schutz nehme - eine andere Politik wäre gezahlt hat, kriegt er eine anständige Rente. Wenn Rentnerverelendung gewesen -, lag das Renten- ich eine Feuerversicherung abschließe und das Haus niveau unter 64 Prozent. Das werden wir erst im brennt ab, fragt mich auch niemand: Hast du noch Jahre 2030 erreichen. Machen Sie nicht so viele ein zweites Haus? Da wird gefragt: Hast du bezahlt? Worte mit „brutto" und „netto"! Das verwirrt. Es Ich möchte keinen Staat, der ständig Bedürfnisprü- bleibt dabei: Damals war das Rentenniveau unter fungen durchführt. dem für 2030 angesteuerten. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Rudolf Dreßler [SPD]: Das haben wir Die Rentenversicherung hat etwas mit einem Lei- erhöht!) stungsanspruch zu tun. - Sie haben gar nichts erhöht. Freilich, Existenz muß gesichert werden. Das ist (Erneuter Zuruf des Abg. Rudolf Dreßler ein anderes Instrument. Man kann Sozialhilfe und [SPD]) Rentenversicherung besser miteinander verzahnen. Man muß die Leute nicht von Schalter zu Schalter - Wie auch immer. Es bleibt dabei: Generationen- schicken, aber es sind zwei unterschiedliche Finan- solidarität bedeutet, die Lasten gerecht auf Jung und zierungssysteme. An dem Kampf gegen die Armut Alt zu verteilen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung, Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 22965

Bundesminister Dr. Norbert Blüm Morgen werden wir wieder etwas von Herrn tiger. Deswegen haben wir noch in dieser Legislatur- Schröder hören. Ich sage es Ihnen voraus, was er sa- periode ein Gesetz eingebracht und verabschiedet, gen wird: Er sagt den Alten, was sie hören wollen, das die Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand re- den Jungen, was sie hören wollen, den Gewerkschaf- gelt. Denn wenn es das Programm „Ergänzung durch tern, was sie hören wollen, und den Arbeitgebern, private Vorsorge" gibt, dann muß jeder - auch dieje- was sie hören wollen. Aber ich kann ihn nicht mehr nigen mit geringerem Einkommen - daran teilneh- hören, weil er jedem nach dem Munde redet. Durch men können. Deshalb führen diese 20 Prozent, mit diese Art von Rentenpolitik werden die Leute auf denen wir die Vermögensbildung durch staatliche den Arm genommen, und dagegen habe ich etwas. Zulage unterstützen, dazu, daß die Rente, wenn fünf Verträge nacheinander abgeschlossen worden sind, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) zusätzlich um 400 DM - oder in einer Va riante für Von mir aus können Sie das überall so machen, zwölf Jahre um 800 DM - erhöht wird. Wir reden aber in der Rentenpolitik bleiben wir in der Spur. Da nicht nur darüber, wir machen es auch. werden Sie diesen Zickzackkurs nicht fahren. Schrö- Heute wurde viel über Arbeitnehmerrechte ge- der fährt doch Slalom und stößt nur deshalb nicht an, sprochen. Aus gegebenem Anlaß: Heute habe ich weil er sich die Fähnchen auf den Buckel gebunden über den Ticker erfahren, daß der DGB die Verlet- hat. Diese Art von Politik lassen wir in der Renten- zung von Arbeitnehmerrechten beklagt. Es gibt ein politik nicht durchgehen. Schwarzbuch „Faire Arbeitsbedingungen - fairer (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wettbewerb". Darin sind 48 Beispiele genannt, aber das 49. wurde vergessen. Das ist das Beispiel Stoll In der Debatte über die Rentenpolitik wurde eines mann. Wenn der DGB schon die Verletzung von Ar- fast völlig vergessen, und dazu will ich etwas sagen: beitnehmerrechten und die Tatsache beklagt, daß Trotz harter Sparnotwendigkeiten haben wir die Kin- keine Betriebsräte gebildet werden, warum wird dererziehungszeiten in diesem Jahr erhöht und wer- dann nicht der Bet rieb des Schattenwirtschaftsmi- den sie in drei Schritten auf 100 Prozent erhöhen. nisters von Herrn Schröder genannt? Warum - schweigt der DGB dazu? (Zuruf der Abg. Ulrike Mascher [SPD]) - Frau Mascher, damit wir auch das mit Zahlen bele- (Ottmar Schreiner [SPD]: Schrei doch nicht gen können: Für eine Mutter, deren drei Kinder nach so rum! - Weitere Zurufe von der SPD) 1992 geboren wurden, bedeutet die jetzt beschlos- - Doch, das kann ich Ihnen sagen. Frau Engelen-Ke- sene Verbesserung eine jährliche Rentenerhöhung fer hat gesagt, Herr Stollmann habe dem DGB (Zurufe von der SPD) schriftlich ein Gespräch zugesagt. Das stelle man sich einmal vor! Man stelle sich vor, ein Rexrodt oder - schreien Sie nicht dazwischen; das soll jeder hören! Blüm hätte gesagt, Bet riebsräte seien nicht nötig, - von 1296 DM. Das übertrifft alle Niveauabsenkun- und dann hätte Frau Engelen-Kefer gesagt: Nicht auf gen. Das ist unsere Politik. Die heutige Rentenversi- Blüm schimpfen, er hat uns schriftlich ein Gespräch cherung muß berücksichtigen, daß Kindererziehung zugesagt. Können Sie sich vorstellen, was da los auch eine Leistung für die Rentenversicherung ist. wäre? Denn ohne Kinder gibt es morgen keine Beitragszah- ler. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich entnehme einer kleinen Notiz in der Zeitung Darüber haben Sie ja 13 Jahre lang geredet. „IG-Metall", daß bei Stollmann - das ist doch euer „Spitzenschattenmann" für die Wi rtschaft in diesem Lassen Sie uns ein Thema endgültig erledigen, Musterbetrieb - die Vermögensbildung in Arbeitneh- über das Sie immer viel reden: die sogenannten merhand zu 40 Prozent durch eine Beteiligung am Fremdleistungen. Im nächsten Jahr gibt es einen Betrieb in Form von Darlehen erfolgen soll. Wenn Bundeszuschuß von 104 Milliarden DM; dazu kom- man den Betrieb wechselt, kann man das Darlehen men 13 Milliarden DM an Erstattung. Ich hoffe, das nicht mitnehmen. Damit hat er vor mehreren Arbeits- Thema ist jetzt endgültig vom Tisch, zumal ich den gerichten verloren - zu Recht! Begriff Fremdleistung gar nicht schätze. Was ist denn Fremdleistung? Das ist doch eine Definitionsfrage. Deshalb meine Frage: Wo seid ihr Gewerkschafter Eine Sozialversicherung hat immer einen Solidaraus- in der SPD? Ein Mann wie Stollmann hat sich damit gleich. Wenn Sie alles, was beitragsfrei ist, zu Fremd- gebrüstet - nicht entschuldigt, sondern gebrüstet -, leistungen erklären, dann können Sie das Geschäft keinen Betriebsrat zu haben, weil, wie er gesagt hat, auch gleich von der Allianz machen lassen. Es gibt in ein moderner Unternehmer weiß, was seine Arbeit- der Rentenversicherung einen regionalen Solidaraus- nehmer wollen - und wo ist die SPD? Das ist so ähn- gleich - nicht nur zwischen Ost und West, sondern lich wie bei Kaiser Wilhelm, der gesagt hat: Ich brau- auch zwischen Nord und Süd -, und es gibt den Aus- che keine Parteien, ich weiß, was das Volk will. gleich zwischen Arbeitern und Angestellten. Das ist Gott sei Dank das Wesen einer Solidarversicherung. (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich habe ja schon viel erlebt - auch in Wahlkämp- Sicherlich ist die ergänzende Funktion der priva- fen. Aber ich habe noch nicht erlebt, daß meine Ge- ten Vorsorge wichtig; sie wird in Zukunft noch wich- werkschaft, die IG Metall, daß Klaus Zwickel, der 22966 Deutscher Bundestag - 13. Wahlpe riode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Bundesminister Dr. Norbert Blüm größte Rambo für alle Proteste und Demonstrationen, vor Ort als der Bund. - Wo er recht hat, hat er recht. ein kraftvoller Redner, jetzt noch Schmiere steht, Dann wollen wir uns doch mal die Länder ansehen. wenn die SPD einen Mann herausste llt, der Betriebs- räte lächerlich macht. Nein, da stelle ich mich mit al- (Andrea Fischer [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das lesen wir jeden Tag in der len, die es mit der sozialen Pa rtnerschaft gut meinen, „Bild"-Zeitung! Das müssen wir nicht hier vor 220 000 Bet riebsräte, die von Schröders Wirt -schaftsmann lächerlich gemacht werden. Wenn der auch noch hören!) DGB seine 8 Millionen DM sinnvoll ausgeben will, Bayern 6,4 Prozent Arbeitslose, Baden-Württem- soll er Unterschriften gegen Stollmann sammeln, da- berg 6,8 Prozent, Nordrhein-Westfalen 10,5 Prozent, mit endlich Arbeitnehmerinteressen im DGB gewahrt Niedersachsen 10,8 Prozent, Saarland 11,3 Prozent. werden. (Zurufe von der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - - Gut, dann wollen wir uns einmal die letzten Monate Lachen und Widerspruch bei der SPD) ansehen, wie bei unterschiedlichen Ausgangspositio- - Da gibt es überhaupt nichts zu lachen. Klaus Zwik- nen und unterschiedlichen Niveaus, also bei Akzep- kel muß eine Suchmeldung aufgeben: Mann ohne tanz der unterschiedlichen Startpositionen, der Ab- Gesicht wird gesucht. Er hat sein Gesicht und seine bau der Arbeitslosigkeit aussah. Glaubwürdigkeit verloren, und das bedauere ich In Westdeutschland insgesamt ist die Arbeitslosig- auch als Gewerkschafter, nicht nur als Arbeitsmi- keit von Juli 1997 bis Juli 1998 um 5,7 Prozent zu- nister. rückgegangen, aufgeschlüsselt auf einzelne Länder: in Nordrhein-Westfalen nur um 4,8 Prozent, in Nie- Aber das wichtigste Thema ist der Arbeitsmarkt. dersachsen um 5,2 Prozent, in Baden-Württemberg Der Aufschwung hat den Arbeitsmarkt erreicht. um 10,8 Prozent und in Bayern um 8,4 Prozent. Wenn Westdeutschland die Arbeitslosenquote von Bayern (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es! - hätte, dann hätten wir 829 000 - fast 1 Million - weni- Lachen bei der SPD) - ger Arbeitslose. Wenn Westdeutschland soviel Ar- - Der Aufschwung hat den Arbeitsmarkt erreicht. beitslose wie Niedersachsen hätte, dann hätten wir Warum lachen Sie darüber? Da muß ich den Schröder 538 000 Arbeitslose mehr. Deshalb: Wo Clement recht in Schutz nehmen, hat er doch gesagt: Der Auf- hat, hat er recht. Für Standortbedingungen sind auch schwung, den wir jetzt haben, ist mein Aufschwung. die Länder zuständig. Er hat sogar „mehr zuständig" gesagt. Ich stelle einen eklatanten Unterschied zwi- (Lachen und Widerspruch bei der CDU/ schen unionsgeführten Ländern und denjenigen, die CSU und der F.D.P.) unter rotgrüner Führung stehen, fest.

Sie sagen, es gibt den Aufschwung gar nicht, von (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) dem er sagt, es sei sein Aufschwung. Das ist ein Auch ich glaube, das eigentlich große, spannende Stück Überheblichkeit! Thema der Zukunft - Herr Biedenkopf hat es heute morgen schon angesprochen - ist, daß der Auf- Wir haben im Westen im siebten Monat bessere Ar- schwung am Arbeitsmarkt nicht alle erreicht. Er er- beitslosenzahlen als im Vorjahr, in den neuen Bun- reicht zwar die Jungen, die Ausgebildeten, die „glo- desländern im zweiten Monat, und ich sage Ihnen: bal players". Aber was machen wir mit den ungelern- Der August wird der dritte Monat sein. Suchen Sie ten und mit den älteren Arbeitnehmern, die bei aller nicht nach weiteren Ablenkungsmanövern. Fest Mobilität, die ich schätze, aussortiert werden? Das ist steht: Das ist ein Erfolg, und darüber sollten wir uns die eigentlich spannende Herausforderung. Eine freuen. Das hat auch nichts mit dem zweiten Arbeits- Antwort darauf heißt: neue Beschäftigungsfelder. markt zu tun. Sie versuchen immer, Erfolge herunter- Nicht alle Ungelernten werden lernen, einen Compu- zureden. Immerhin haben wir bei Arbeitsbeschaf- ter zu bedienen. Ich denke an neue Beschäftigungs- fungsmaßnahmen, Fortbildung und Umschulung felder auch bei den einfachen Dienstleistungen: 32 000 Teilnehmer weniger als im letzten Jahr. Zuge- Menschen zu bedienen und auch mit einem höheren nommen haben die Mittel für Strukturanpassungs- Stellenwert auszustatten. maßnahmen. Dies sind zum größten Teil Lohnkosten- zuschüsse, und die führen in den ersten Arbeits- Nur, freilich befinden wir uns hier in einer Zwick- markt, in den Bet rieb und haben mit dem zweiten Ar- mühle. Viele dieser Arbeitsplätze sind mit so gerin- beitsmarkt gar nichts zu tun. gen Löhnen verbunden, daß man mit ihnen eine Fa- milie nicht ernähren kann. Andererseits kann man (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) die Löhne nicht beliebig in die Höhe schrauben, weil Arbeitsplätze sonst gar nicht erst entstehen. Das ist Nun gehöre ich nicht zu denen, die sagen, der die Zwickmühle. Ist nicht gerade deshalb ein Kombi Staat - schon gar nicht eine einzelne Person - könne lohn sinnvoll? Wenn wir ihn nicht organisieren, dann sich dieses Verdienst alleine zuschreiben. Der Staat schafft das Leben seinen eigenen Kombilohn, der aus hat an diesem Aufschwung mitgewirkt, aber auch Arbeitslosengeld und ein bißchen zusätzlichem viele Handwerker, Unternehmer und Arbeitnehmer. Schwarzgeld besteht. Auch das ist ein Kombilohn, Allerdings gilt auch: Der Staat hat Mithaftung. aber nicht derjenige, den wir meinen. Und nun lese ich von : Wir, die Auch die SPD muß sich darüber klarwerden, was Länder, haben heute mehr Einfluß auf den Standort sie eigentlich will. Herr Mosdorf hat gesagt: ja, Herr Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 22967

Bundesminister Dr. Norbert Blüm Riester hat gesagt: nein, und Herr Schröder hat ge- losen reden müssen. Wir müssen mit ansehen, daß im sagt, wir müßten das Problem angehen. Das ist so, als jetzigen Wahlkampf derselbe, der vor 16 Jahren wenn man am Hauptbahnhof nach dem Weg gefragt diese Krokodilstränen in seiner Rede vergossen hat, wird und sagt: Weiß ich auch nicht, aber Hauptsache, nun versucht, die Arbeitslosenzahlen hin und her zu wir haben mal drüber gesprochen. Das ist typisch für wenden, um zu schauen, ob die 100 000 Arbeitslosen den Kanzlerkandidaten der SPD. weniger vielleicht schon die Schwalbe sind, die den arbeitsmarktpolitischen Sommer ankündigt, und ob Ich finde, daß wir mutig neue Wege gehen und nicht vielleicht doch schon eine große Trendwende auch nie begangene Wege ausprobieren müssen. auf dem Arbeitsmarkt zu erkennen ist. Wir sind mit Eine Gesellschaft, die nur für einen Teil der Men- einer Wahlkampf-ABM konfrontiert, die selbst die schen einen Aufschwung schafft und die anderen mit Bündnisgrünen, die immer für eine Umverteilung der Unterstützung abfindet, ist nicht unsere Gesellschaft. Arbeit zu haben sind, zweifeln läßt, ob es klug ist, Wir wollen auch keine Gesellschaft, die die älteren wenn sich in Zukunft vier Leute eine ABM-Stelle tei- Arbeitnehmer immer früher in den Ruhestand schickt len sollen. - nicht nur der Rente wegen, sondern geradezu auch aus kulturellen Gründen. Das verträgt keine Gesell- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schaft: höhere Lebenserwartung und früheren Ruhe- sowie bei Abgeordneten der PDS) stand. Nein, ich denke an eine Gesellschaft, die die Herr Minister Blüm, Sie haben jetzt gerade eine Ih- Alten beteiligt und die Bildung nicht nur auf das er- rer durchaus auch von uns geschätzten kabarettisti- ste Drittel des Lebens reduziert. schen Einlagen gegeben. Aber da Sie sich ja eben so Sie sehen: Es gibt noch viele Gründe, warum diese viel Mühe gaben, auf Widersprüche bei anderen hin- Regierung weiter im Amt bleiben sollte. zuweisen, darf ich vielleicht auf einen Widerspruch hinweisen, der mir immer auffällt - ich habe das auch Ich danke Ihnen. heute morgen gehört -: Herr Stollmann, der zumin- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) dest als Katalysator für verschiedene Debatten in die- sem Wahlkampf ein großes Verdienst hat, wird mor- gens von den Wirtschaftspolitikern der Koalition als Vizepräsidentin Michaela Geiger: Mir wurde vom der Gottseibeiuns zitiert nach dem Motto, daß die Sitzungsdienst ein Protokollauszug vorgelegt. Wäh- SPD, wenn sie so wie Herr Stollmann wäre, wirklich rend der Rede des Abgeordneten Paul K. Friedhoff klasse wäre; aber leider sei sie nicht so, da sie ver- hat der Abgeordnete Ottmar Schreiner den Zwi- mufft sei. Nachmittags kommt Herr Blüm und kriti- schenruf „Ein übler Verleumder! " gemacht. Herr Ab- siert Herrn Stollmann auf seine unnachahmliche A rt geordneter Schreiner, ich erteile Ihnen dafür einen und Weise. Wenn das jemand von der Opposition Ordnungsruf. täte, würde er sagen: Du gehörst in die Mottenkiste (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Aber der liebt das, der letzten 20 Jahre. der sammelt das!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich erteile jetzt das Wo rt der Abgeordneten Andrea Sie müssen sich schon entscheiden, was Sie eigent- Fischer, Bündnis 90/Die Grünen. lich mit Ihrer Kritik wollen. Dieses Verhalten zeigt, daß bei Ihnen ganz erhebliche Widersprüche be- Andrea Fischer (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- stehen. NEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Arbeitsminister hat gerade gefordert, wir müß- Ellenbogengesellschaft, das halte ich für eine ten mutig neue Wege gehen. Unser Weg aber, Ar- Verharmlosung der Arbeitslosengesellschaft. Die beitsplätze durch die Förderung der ökologischen Arbeitslosengesellschaft, die Sie hinterlassen, ist Modernisierung und durch eine Umstellung unseres die Dampfhammergesellschaft. Sie zerstört Hoff- Steuersystems zu schaffen, ist in Ihren Augen kein nung, löst den menschlichen Zusammenhalt auf mutiger Weg. Ich halte dagegen: Wir wissen, daß und drängt die Menschen aus einer Gesellschaft, eine moderne Politik nur Arbeitsplätze schafft, indem in der sie gebraucht werden. Das ist die härteste sie diese ökologisch modernisiert und nicht das eine Gesellschaft, die wir kennen, und die hinterlas- gegen das andere ausspielt. Wir wissen auch, daß sen Sie uns. der moderne Sozialstaat der Zukunft, wenn er die Schaffung neuer Arbeitsplätze nicht behindern soll, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - noch viel stärker als heute durch Steuern denn durch Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Machen wir nicht!) Sozialbeiträge, die an die Arbeitskosten angebunden Ich weiß nicht, Kollege Geißler, Kollege Louven und werden, finanziert werden muß. Das ist übrigens Kollege Vogt, ob Sie sich erinnern, daß Sie zu diesen auch in der Debatte auf europäischer Ebene längst Sätzen einmal geklatscht haben. Das war am 15. Ok- Stand der Dinge. Ich möchte an dieser Stelle meine tober 1982, als der - damals - neue Bundesarbeitsmi- Frage an alle Parteien im Hause, nach deren Mei- nister Blüm mit diesen Worten seine erste Rede als nung es ein Hindernis für die Schaffung neuer Ar- Minister begann. beitsplätze sei, wenn die Lohnnebenkosten zu hoch sind, erneut stellen: Welche konkreten Vorstellungen Damals hat Minister Blüm noch von 2 Millionen Ar- haben Sie in bezug auf die Senkung der Lohnneben- beitslosen geredet. Wir wissen, daß wir nach 16 Jah- kosten? Wir Bündnisgrünen wollen - das ist ein Teil ren Amtszeit der Regierung Kohl und des Arbeitsmi- unseres Konzepts - die Sozialversicherungsbeiträge nisters Blüm heute von mehr als 4 Millionen Arbeits- durch die ökologische Steuerreform deutlich senken. 22968 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Andrea Fischer (Berlin) Wir wissen, daß davon ein positiver Effekt für den Ar- Wir brauchen andererseits aber auch Sozialrefor- beitsmarkt ausgeht. men, die den Menschen die Botschaft senden, daß sie geschützt sind - selbst wenn sie flexibler und län- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - gere Zeit in ihrem Leben in Teilzeit arbeiten. Es ist ei- Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wunder- nes Ihrer großen Versäumnisse in der Rentenpolitik, tütenpolitik! ) daß Sie in diesem Punkt nichts getan haben, um auf Sie wollen außerdem mutig neue Wege mit dem einen besseren Weg zu kommen. Kombilohn gehen. Das haben Sie uns gerade noch einmal erklärt. Schauen wir uns das doch jetzt bitte (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) noch einmal ein wenig genauer an: Dieser mutige Sie haben bei allen Kürzungsmaßnahmen im So- neue Weg wurde mit einem, wenn ich mich recht er- zialbereich auf Einkommensgrenzen verzichtet. Sie innere, vierseitigen kleinen Papierchen beschritten, haben die Höher- und Besserverdienenden bei die- das vor vier oder fünf Wochen aus dem Hause Blüm sen Kürzungen völlig ungeschoren gelassen. Sie sind auf den Markt gekommen ist. Das ist offensichtlich mit der Heckenschere vorwärts marschiert. Das war ein mutiger, neuer Wahlkampfweg, aber viel mehr auch der Befund des Bundesarbeitsministers Blüm wohl nicht. In diesem Papier ist immer die Rede von am 15. Oktober 1982. Das kann ich als Befund am „man könnte, müßte, sollte" und „man könnte auch Ende der Amtszeit des Bundesarbeitsministers Blüm einmal prüfen". Auch in Ihren Reihen wurde dadurch im September 1998 ebenfalls blanko unterschreiben. eine Debatte losgetreten, da natürlich auch Sie die ordnungspolitischen Probleme kennen, die daraus Schauen wir uns das an: Nirgendwo haben Sie so entstehen, wenn man eine allgemeine Lohnkosten- gnadenlos zugeschlagen wie bei den Behinderten. subvention einführt. Sie haben durch verschiedene Änderungen im So- zialrecht die Gefahr heraufbeschworen, daß die Fo rt -schritte, die in den letzten Jahren für die Selbstbe- Vizepräsidentin Michaela Geiger: Frau Abgeord- nete, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeord- stimmung von Behinderten und für ihre eigenstän- neten Dr. Babel? - dige Lebensführung erreicht worden sind, zurückge- dreht werden und wir wieder bei einer „Satt-und- sauber-Pflege" der 50er Jahre landen. Andrea Fischer (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Nein, im Moment nicht. - Es stellt sich nämlich (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS die Frage, wie man eine Dienstleistung, die durch SES 90/DIE GRÜNEN - Zurufe von der den Kombilohn öffentlich gefördert wird, definiert, CDU/CSU: Na, na, na! - Das stimmt doch wo man aufhört und wie man dem Handwerksmei- nicht!) ster erklärt, daß seine Beschäftigungsverhältnisse im Sie haben eben gesagt, Sie wollten nicht, daß alte Gegensatz zu anderen Bet rieben, in denen Niedrig- Menschen bei ihrer Rente auf eine Bedürfnisprüfung qualifizierte arbeiten, nicht gefördert werden. Sie angewiesen sind. Was sonst wird Ihre Reform der Er- wissen das alles ganz genau; deswegen bleibt von werbsunfähigkeitsrenten denn bewirken? Damit ha- diesem mutigen, neuen Weg am Ende nur ein Expe- ben Sie die Erwerbsunfähigkeitsrentner systematisch riment übrig. in die Sozialhilfe getrieben, weil die Erwerbsunfähig- Es ist sicherlich schön, Expe rimente zu machen, keitsrenten nicht mehr reichen. aber trotzdem kann ich nicht erkennen, daß die Re- gierung wirklich neue Wege geht. Sie wissen alle, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, daß man, wenn man vermeiden will, daß systema- bei der SPD und der PDS) tisch Niedriglöhne geschaffen werden und immer Was ist mit dem Zahnersatz, den Sie allen jungen mehr Anreiz für Arbeitgeber entsteht, zu sagen, wir Leuten nicht mehr gönnen wollen? „Nach mir die zahlen einfach nur die Hälfte, der Staat wird den Sintflut" - das ist Ihre Politik! Die Jungen von heute Rest schon dazugeben, Bedingungen an solche werden es schon nicht merken. Wenn sie ihn eines Lohnsubventionen knüpfen muß. Damit sind wir bei Tages brauchen, sind wir schon längst vom Acker -. Lohnkostenzuschüssen; diese stellen aber in keiner Das ist eine Politik, die deutlich macht, daß die Inter- Weise einen neuen Weg dar. Sie haben an diesem der jungen Leute von heute Sie einen feuchten Punkt gar keine neuen Ideen zu bieten. Deswegen Kehricht interessieren. kann ich überhaupt nicht erkennen, daß Sie ernsthaft etwas dafür tun, wenigstens auf den Stand der Ar- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beitslosigkeit zurückzukommen, bei dem Sie vor sowie bei Abgeordneten der SPD) 16 Jahren die Regierungsgeschäfte in diesem Land übernommen haben. Für mich ist das eine der bittersten Bilanzen von 16 Jahren Regierung Kohl: Durch all das, was da ge- Wir müssen außerdem - wenn es denn wirklich um schehen ist, sind die Legitimation des Sozialstaates neue Wege geht - die Arbeit umverteilen. Dafür ist und die Zustimmung zum Sozialstaat zerstört wor- existentiell, daß es sich die Menschen auch leisten den. Das kann man an den vielen Debatten merken, können, Arbeit umzuverteilen. Dann kommt natür- in denen jeder dem anderen etwas mißgönnt und im- lich einerseits die Einkommensteuer ins Spiel, die ge- mer Angst hat, er komme irgendwie zu kurz. Wir rade die kleinen und mittleren Einkommen entlasten merken das aber natürlich auch daran, daß immer muß. Sonst brauchen wir über so etwas gar nicht zu mehr Menschen aus der Sozialversicherungspflicht reden; sonst könnten die Menschen ihren Lebensun- flüchten. Darauf haben Sie keine Antwort. Sie haben terhalt nicht mehr von ihrem Einkommen bestreiten. sich an diesem Punkt in den letzten Jahren regelmä- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 22969

Andrea Fischer (Berlin) Big zerstritten, obwohl Sie sehen, was das für die So- größten Probleme. Diese Zahl ist neben der Zahl der zialversicherungen bedeutet. Arbeitslosen die bitterste Zahl, die die Ära Kohl kennzeichnet. Dazu gehört auch - das ist ebenfalls Bestandteil der Bilanz von Bundesarbeitsminister Blüm -, daß die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, wirklich wegweisenden Reformen, die notwendig bei der SPD und der PDS) gewesen wären, um diesen Sozialstaat so zu verän- dern, daß er zu unseren veränderten Lebens- und Ar- Herr Arbeitsminister Blüm, nehmen wir einmal an, beitsverhältnissen paßt, entweder unterblieben sind drei Millionen Arbeitslose stünden auf der Straße. oder auf bestimmte Reformnotwendigkeiten zu spät Was würden wir dann machen? Sollte man dann das reagiert wurde - insbesondere in der Rentenpolitik. alte Ritual der Auseinandersetzung - die Arbeitgeber Eine immer größer werdende Zahl von jungen Leu- beschimpfen die Gewerkschaften; die Gewerkschaf- ten - 30 bis 40 Prozent der heutigen jungen Leute - ten beschimpfen die Arbeitgeber; die Regierung be- glauben nicht mehr daran, daß die Renten sicher sind schimpft die Opposition; die Opposition beschimpft und daß sie eines Tages durch den Generationenver- die Regierung - fortführen? Ich fürchte, die Arbeitslo- trag noch fair behandelt werden. Das ist auch Teil sen hätten für diesen Streit kein Verständnis - übri- Ihrer Bilanz, die Sie als derjenige vorlegen, der in gens zu Recht. Auch diese Entwicklung geht auf Ihr den letzten 16 Jahren für die Rentenpolitik zuständig Konto. Sie haben nämlich das Bündnis für Arbeit ver- gewesen ist. bockt, indem Sie Bedingungen eingefordert haben, unter denen das Gespräch, der Dialog nicht mehr (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - möglich gewesen ist. Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Was schlagen Sie denn vor, Frau Fischer?) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was passiert in einem Land, in dem die Stimmung Auch deswegen braucht es so dringlich eine neue inzwischen so ist, daß wir einen alltäglichen Krieg in Regierung in diesem Land, die diesen Dialog wieder den Zahnarztpraxen erleben? Da wird doch die Bun- aufnehmen und die Beteiligten an einen Tisch führen desregierung die Geister nicht mehr los, die sie geru- kann, an dem man darüber redet, was notwendig ist. fen hat, indem sie den Markt in die Praxen eingeführt Das geht aber nur, wenn man bereit ist, Fairneß ge- hat. Jetzt kämpfen alle gegen alle, und die Patienten genüber allen Beteiligten zu praktizieren, und wenn sind die Dummen; sie blicken überhaupt nicht mehr man eine Idee von sozialer Gerechtigkeit und von ei- durch. Daß es im Gesundheitswesen ganz offensicht- ner Modernisierung hat, die nicht die Verlierer ein- lich nicht mehr um die Gesundheit geht, sondern nur fach billigend in Kauf nimmt. Das geht nur, wenn noch darum, wer am meisten daran verdient, haben man weiß, daß ein Bündnis ein Geben und Nehmen doch auch Sie zu verantworten. ist, und wenn man nicht sagt: Wir machen ein Bünd- nis, und am Ende sollt ihr abnicken, was wir schon Sie haben die Kassen erst arm gemacht, indem Sie immer gewollt haben. die Bemessungsgrundlagen verändert haben. Dann haben Sie sich das Geld von den Patienten über die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zuzahlungen zurückgeholt. Wie sollen die Leute es sowie bei Abgeordneten der SPD) dann noch gut finden, in der gesetzlichen Kranken- Dafür brauchen wir ganz dringend - das ist längst versicherung zu sein? Dafür sind Sie verantwortlich! überfällig - eine neue Regierung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Herr Minister, Sie kennen Ihre Gesetze selber am bei der SPD und der PDS) besten. Sie wissen: Je früher Sie in Rente gehen, um Ich habe mich in den letzten Jahren beruflich und so eher entgehen Sie den Kürzungen, die in den jetzt auch als Politikerin mit Armutspolitik und Ar- nächsten Jahren geplant sind. mutsforschung beschäftigt. Ich könnte mit Ihnen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Stunde um Stunde über Armutsdefinitionen jeder A rt sowie bei Abgeordneten der SPD und der reden und filibustern. Aber das ist nicht der Punkt. PDS) Wenn Sie die negative Entwicklung nicht erkennen, dann drückt das aus, daß Sie überhaupt kein Gefühl mehr dafür haben, was die Menschen in diesem Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat Lande wollen und welche Wertvorstellungen sie ha- jetzt die Abgeordnete Frau Dr. Gisela Babel, F.D.P.- ben, mit denen Sie Schindluder treiben. Wenn in die- Fraktion. sem Land eine Million Kinder von der Sozialhilfe le- ben, dann brauchen wir nicht darüber zu reden, ob das Armut ist oder nicht. Dann stimmt nämlich etwas Dr. Gisela Babel (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine in diesem Land nicht; dann ist es ein Skandal. Damen und Herren! Gute Nachrichten aus Deutsch- land, schlechte Nachrichten aus Deutschland: Es war (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, klar vorhersehbar, daß wir heute in dieser Debatte in bei der SPD und der PDS) unterschiedliche Bewertungen der ökonomischen Daten und ihrer Ursachen einsteigen. Da der Wahl- Sie wissen selber, daß das Sozialhilfegesetz als ein termin vor der Tür steht, muß uns gewiß kein hohes Gesetz eingeführt worden ist, das nur in Ausnahme- Maß an Rücksicht abgefordert werden. fällen gelten soll. Sind eine Million Kinder für Sie Ausnahmefälle? Wie soll ich verstehen, daß Sie sa- Aber eines möchte ich sagen: Unser Volk interes- gen, es gebe hier kein Problem? Hier liegt eines der siert mehr das, was in Zukunft kommen wird, als 22970 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Dr. Gisela Babel diese larmoyante, langweilige und rückwärtsge- der DIHT ebenfalls bestätigt - ich darf das hier dem wandte Bilanz, die Sie hier präsentieren. werten Koalitionspartner anmelden -, daß auch die Beibehaltung der 620-Mark-Jobs richtig wäre; denn ( [SPD]: Vor der Verantwor- wenn sie versicherungspflichtig wären, würden tung davonschleichen!) 40 Prozent der Unternehmer diese Jobs nicht mehr Das ist keine Politik, von der heute die Bürgerinnen anbieten. Das ist doch für uns noch einmal eine Be- und Bürger in unserem Lande erkennen können, stätigung. welches die Rezepte für die Zukunft sind. (Beifall bei der F.D.P.) Lassen Sie mich noch einmal die guten Nachrich- ten auflisten, weil es immer richtig ist, gute Nachrich- Aber ich komme jetzt zu den schlechten Nachrich- ten zu wiederholen: Wir haben heute in Deutschland ten aus Deutschland. Zu den schlechten Nachrichten aus Deutschland gehört das, was Sie, meine Damen ein Bruttoinlandsprodukt, das im ersten Quartal um und Herren von der Opposition, hier verkündet ha- 3,8 Prozent kräftig angestiegen ist. Wir haben den ben. Es ist so jämmerlich, widersprüchlich und auch Zuwachs der Investitionsgüter um 5 Prozent. Der Ex- portindusirie geht es gut. Allein im ersten Quartal so wenig mutig, daß es sich - wie ich finde - lohnt, 1998 lag der reale Zuwachs bei 15 Prozent. Wir ha- sich damit länger auseinanderzusetzen. Herr Dreßler und Frau Fischer, Sie sagen: Wir wollen die ben mehr selbständige Existenzgründer. - Lohnne- benkosten senken. Alles, was Sie in Ihrem 100-, 200- Die Lohnstückkosten sind um 3,4 Prozent zurück- oder 300-Tage-Programm beschließen, wird die gegangen. Ich erinnere an den Kollegen Schreiner, Lohnnebenkosten von heute 42 Prozent auf 50 Pro- der oft den Anstieg der Lohnstückkosten beklagt hat. zent anheben, es sei denn - dazu komme ich gleich. Hier ist ein Erfolg hinsichtlich der Wettbewerbsfähig- keit der deutschen Wi rtschaft zu sehen. 200 000 we- Die Rücknahme der Rentenreform wird zu einem niger Arbeitslose sind ein Hoffnungsschimmer. Ich Anstieg des Rentenversicherungsbeitrages um wei- habe die Abnahme der Arbeitslosigkeit nie überbe- tere drei Punkte führen. Die Rücknahme bei der wertet. Aber sie ist ein Indiz für die positive Entwick- Krankenversicherung und die Rücknahme der Zu- lung, weil die Zahl der Arbeitslosen über mehrere zahlung - das klingt alles so schön - werden den Bei- Monate hinweg abgenommen hat. trag um 1,2 Prozent anheben. Wenn das Wirklichkeit wird, was Sie zur Arbeitslosenversicherung verkün- (Beifall bei der F.D.P.) den, dann wird das die Kosten der Arbeitslosenversi- cherung weiter in die Höhe treiben. Das ist eine Poli- Wichtiger Indikator ist aber die Kurzarbeit. Die tik, bei der Sie Ihre Grundsätze durch Einzelmaßnah- Kurzarbeit war immer ein Warnsignal für kommende men total in Frage stellen, es sei denn - das sage ich Arbeitslosigkeit. Sie ist dramatisch zurückgegangen, Ihnen noch einmal -, Sie würden wirklich alle diese sie hat sich nämlich halbiert. Die Zahl der offenen Löcher mit Steuergeldern stopfen. Das ist nach wie Stellen ist förmlich explodie rt . Im Juli 1997 gab es vor das Rezept. Bei den Grünen ist es noch ein biß- 111000 offene Stellen. Heute gibt es 466 000 offene chen verbrämt, versüßt und mit dem Ökologischen Stellen. Sie wissen, daß diese Zahl eine untere Zahl verzuckert. Das fehlt bei der SPD ein wenig. Sie geht ist. Das sind nur die gemeldeten Stellen. Eigentlich hierbei unverblümter zu Werke und sagt: erst einmal müssen Sie diese mit drei multiplizieren, dann sind mehr Steuern, damit in der Sozialversicherung die wir schon bei 1,5 Millionen Arbeitsmöglichkeiten in Beiträge sinken können. Deutschland. Diese Zahlen rechtfertigen es, zu sagen, daß die Meine Damen und Herren, das ist eine wirklich un- Reformpolitik unserer Koalition jetzt wirklich gegrif- glaubliche Politik, die Sie hier vorstellen. Sie stellen fen hat. sie dann auch noch als etwas Neues dar, durch das neue Arbeitsplätze entstehen würden. Sie würgen (Beifall bei der F.D.P.) sozusagen erst einmal mehr Steuergeld aus dem System und stopfen dann die Löcher, die bei den Ver- Ich wünschte mir, es wäre schon früher so gewesen. sicherungen entstanden sind, um schließlich zu sa- Dann stünden wir vielleicht etwas gelassener in der gen: Wir haben die Lohnnebenkosten gesenkt. Diese heutigen Debatte. Aber es ist unzweifelhaft, daß die Politik können Sie meiner Ansicht nach in dieser Reformpolitik gegriffen hat. Weise nicht durchführen. Das wird auch durch die Umfrage des DIHT bestä- Ich habe den Eindruck - ich habe auf Frau Fischer tigt, die besagt, daß 50 Prozent der Unternehmer die gewartet, aber sie hat keine Andeutung gemacht -, Möglichkeit nutzen, befristete Arbeitsverträge abzu- daß die SPD insgeheim diesen Koalitionspartner an- schließen, und daß sie die Anwendbarkeit des Kündi- fleht, er möge sie hindern, das zurückzunehmen, was gungsschutzgesetzes auf Bet riebe mit zehn statt mit in ihrem Parteiprogramm steht. Frau Fischer, Sie ha- vorher fünf Beschäftigten als Flexibilisierung begrü- ben damals bei der Auseinandersetzung um den De- ßen. Dadurch haben 11 Prozent der Unternehmer mographiefaktor gesagt, daß man durchaus die Tat- neue Mitarbeiter eingestellt, und 14 Prozent haben sache berücksichtigen müsse, daß unsere Rentner das sozusagen auf dem Schreibtisch vor. länger leben: die Männer 10 Jahre, die Frauen Auch die . Eingliederungszuschüsse werden von 18 Jahre. Ich habe jetzt nichts dazu gehört, ob Sie 32 Prozent der Unternehmen in Westdeutschland Ihrem großen Koalitionspartner in spe in den Arm fal- und von 50 Prozent der Unternehmen in Ostdeutsch- len wollen, wenn er dies zurücknehmen wi ll. Das ha- land genutzt. Hier ist auch die Übernahmequote ben Sie nicht gesagt. Vielleicht werden Sie sich in nach Ablauf der Förderung sehr hoch. Übrigens hat dieser Frage noch klarer äußern und sagen: mit uns Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 22971 Dr. Gisela Babel nicht. Dann wird die SPD an der Rea lisierung dieses - Ich wurde gebeten, Ihnen noch einmal ganz herz- unvernünftigen Vorhabens gehindert. lich zu danken. Sie sind seit 1992 die sozialpolitische Sprecherin der F.D.P.-Fraktion. Sie verlassen das Par- Zwei muffige alte Rezepte haben Sie aber in Ihrem lament nun auf eigenen Wunsch. Sie waren eine sehr Programm aufgelistet. Da wird zunächst - außeror- engagierte Sozialpolitikerin und Spitzenreiterin Ihrer dentlich originell - die Abschaffung von Überstun- Fraktion, was die Anzahl von Reden im Parlament den genannt. Dadurch sollen sozialversicherungs- betrifft. Das Parlament dankt Ihnen ganz herzlich für pflichtige Arbeitsplätze entstehen, so ähnlich wie in Ihren Einsatz. der Diskussion um die 620-Mark-Verträge. (Beifall) (Rudolf Dreßler [SPD]: Hat Herr Kohl auch gemeint, im Februar in diesem Hause!) Ich erteile jetzt der Abgeordneten Petra Bläss, PDS, Weswegen macht ein Unternehmer Überstunden? das Wort. Weswegen genehmigen Betriebsräte Überstunden? Davon kein Wort; es geht einfach um die Verteilung: Petra Bläss (PDS): Frau Präsidentin! Liebe Kolle- Hier nehme ich ein bißchen Arbeit, flicke es zusam- ginnen und Kollegen! Frau Kollegin Dr. Babel, die men, und schon habe ich do rt ein versicherungs- Nachrichten, die ich überbringe, sind in der Tat an- pflichtiges Arbeitsverhältnis. Das zeigt Ihre Ferne dere als Ihre „Erfolgsbilanz". von unternehmerischem Denken und vom Verständ- nis für unternehmerische Zwänge. Ein Nachmittag im Spaßbad ist für einige Kinder das größte Ferienerlebnis. Im Schnitt können ein bis (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- zwei Kinder pro Klasse nicht an den Klassenfahrten ten der CDU/CSU - Rudolf Dreßler [SPD]: teilnehmen. Einige Sportarten zu betreiben ist inzwi- Das ist eine Beleidigung des Bundeskanz- schen keine Frage des Talents, sondern des Geldes. lers!) Kosten für das Ferienlager von 600 DM können sich Die Grünen sind für die Ausbildungsabgabe. Da viele Eltern nicht leisten. - weiß man nun gar nicht, was sie sich überlegen. Wir Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind Fakten, wissen, daß heute neue Ausbildungsberufe geschaf- mit denen wir vor Ort in den Wahlkreisen gegenwär- fen werden müssen, damit überhaupt die Möglich- tig - und zunehmend - konfrontiert werden, während keit besteht, eine Lehrstelle anzubieten. Aber Sie hier in Bonn Ignoranz und Schönfärberei das regie- schreiben nur, daß Sie diese neue Belastung für ak- zeptabel halten. rungspolitische Sagen haben. Die Lehrerinnen der Ferropolis-Sekundarschule in Gräfenhainichen in Die Änderung der jetzigen Lohnfortzahlungsrege- Sachsen-Anhalt jedenfalls haben mir auf den Weg lung - einer Ihrer Programmpunkte - führt zu weite- gegeben, ihre Empörung über Frau Noltes Äußerun- rer enormer Belastung der Wi rtschaft. Und auch das gen anläßlich der Untersuchungsergebnisse des Kündigungsschutzgesetz, auf dessen Änderung wir Zehnten Kinder - und Jugendberichtes hier kundzu- uns nach langen Verhandlungen schließlich einigen tun. konnten, soll wieder dahin gehend lauten, daß die Flexibilität hinsichtlich der Gestaltung des Arbeits- (Beifall der Abg. Dr. [PDS]) verhältnisses lediglich für Bet riebe mit bis zu fünf Be- Frau Noltes Aussagen, so die Lehrerinnen, zeugen triebsangehörigen gilt. davon, wie weit weg sie von der Realität sei. Ein be- Nach all diesen „Reformen" kommen Sie zu dem sonderer Hohn sei die These, Eltern würden es nur versöhnlichen Schluß: Wir brauchen einen runden nicht verstehen, das Geld richtig einzuteilen. Tisch, um ein Bündnis für Arbeit zu schmieden. Das (Beifall bei der PDS) kommt mir so vor, als würden Sie nach einem Post- kutschenüberfall die Banditen zu Tisch bitten. Die Die überfällige Debatte zur Kinderarmut hierzu- Gerupften sollen am runden Tisch Platz nehmen, um lande im zuständigen Fachausschuß heute morgen ein Bündnis für Arbeit zu schließen. Glauben Sie das hat einmal mehr deutlich gemacht, daß die Regie- im Ernst? rungskoalition weder in der Lage ist, die soziale Lage Lassen Sie mich zusammenfassen: Noch nie wäre im Lande wahrzunehmen, noch politische Hand- lungskonzepte vorzulegen, die die Armut bekämp- ein Wechsel zu Ihrer Politik verhängnisvoller als jetzt. Nur wenn der Reformkurs beibehalten und fortge- fen. Statt dessen wird die Rotstiftpolitik der letzten Jahre schöngeredet, während Hunderttausende auf setzt wird, wird die Arbeitslosigkeit erfolgreich be- kämpft werden. der Strecke bleiben. Bezeichnend ist, daß der Herr Kollege Geißler - und gewiß nicht nur er - bezweifelt, Ich bedanke mich. daß die Vermögensteuer etwas mit dem Bericht zu tun hat. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer Armut in einem reichen Land nicht zur Kenntnis nehmen will, Vizepräsidentin Michaela Geiger: Frau Abgeord- nete Dr. Babel, dies war vermutlich Ihre letzte Rede der will erst recht nichts vom andererseits drastisch in diesem Parlament. gewachsenen Reichtum wissen. Die wachsende Spaltung dieser Gesellschaft in Arm und Reich ist der (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Die ist schon eigentliche Skandal, den die abgewirtschaftete Kohl abgefeiert worden!) Regierung zu verantworten hat. Die Zeit für einen 22972 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Petra Bläss Wechsel ist deshalb überfällig, vor allem im Sinne immer ein ungelöstes Problem ist, die soziale Sicher- der armen Kinder hierzulande. heit für einen Ladenhüter und nicht für einen hohen Wert hält und die Leistungen ohne Sinn und Ver- (Beifall bei der PDS) stand und ohne Not kürzt. Auch die Schmälerung Es ist beschämend, wie Bundesfrauenministerin der öffentlichen Kassen und die Selbstverarmung des Nolte nach wie vor ignoriert, daß Kinderarmut eine Staates sind das Ergebnis gezielter Politik der Kohl der zentralen Herausforderungen der Politik ist. Regierung. Aber Sie wollten daran nichts ändern und Peinlich genug, wenn Frau Nolte nicht den von ihr - das zeigen Ihre zynischen Reaktionen auf den Kin- mitzuverantwortenden politischen Rahmenbedin- der- und Jugendbericht - Sie wollen es auch heute gungen die Schuld für das erschreckende Ausmaß nicht. von Unterversorgungslagen gibt, sondern der Tat- Nur ein Beispiel für Ihre absurde Politik. Sie haben sache, daß es Familien mit mehreren Kindern gibt, die steuerlich absetzbaren Aufwendungen für Haus- daß sich Elternteile scheiden lassen und daß die Bun- haltskräfte von 12 000 auf 18 000 DM jährlich erhöht. desrepublik ein Einwanderungsland ist. Wenn Frau Wer dem Spitzensteuersatz unterliegt, kann sich Mo- Nolte es fertigbringt, Untersuchungsergebnisse auch nat für Monat rund 900 DM von Herrn Waigel für noch mit dem Verweis auf den Aufschwung Ost zu seine Putzhilfe zuschießen lassen, unabhängig da- relativieren, spricht das Bände über ihr Verständnis von, ob Kinder im Haushalt leben. 900 DM monatlich vom Aufschwung Ost, der da heißt: seit 1992 eine für Gutverdienende ohne Kinder - ganze 1259 neue halbe Million Erwerbstätige weniger, 150 000 Ar- Stellen sind so 1997 entstanden. Ich kann mich noch beitslose mehr und 118 000 zusätzliche Sozialhilfe- gut daran erinnern, daß uns vor ungefähr zwei Jah- empfängerinnen und -empfänger. ren hier bis zu 1 Million Arbeitsplätze versprochen Es grenzt schon an Zynismus, wenn sie die hohe worden sind. Kostenpunkt dafür: 300 Millionen DM Zahl derer, die Sozialhilfe beziehen, lediglich als entgangene Steuern. Dies ist ein Paradebeispiel für einen Beweis für gute Sozialgesetzgebung interpre- Ihre verfehlte Sozial- und Familienpolitik. tiert. Was ist denn daran „bekämpfte Armut", Frau Ministerin Nolte, daß sich viele Menschen nicht ein-- (Beifall bei der PDS sowie des Abg. Rudolf mal mehr aufs Amt trauen? Was ist daran „bekämpfte Bindig [SPD]) Armut", daß immer mehr Kinder mit dem Gefühl auf- Sie haben es 16 Jahre nicht geschafft, eine Politik wachsen, nicht dazuzugehören, anders zu sein, nicht umzusetzen, die nicht ausgrenzt, sondern an den Be- mithalten zu können? Was, bitte schön, ist daran „be- dürfnissen der Menschen orientiert ist, die Arbeit ge- kämpfte Armut", daß ein Fünftel der jungen Men- recht verteilt und neu organisiert, die eine eigenstän- schen keine Chance mehr auf einen Ausbildungs- dige soziale Absicherung für Frauen und Männer ga- platz hat? rantiert und für Frauen und Männer die Vereinbar- Meine Damen und Herren von der Regierungsko- keit von Berufstätigkeit und Kinderbetreuung ge- alition, Sie haben hier eine beispiellose und scham- währleistet. Dafür werden Sie - da bin ich mir ganz lose Umverteilung von unten nach oben durchge- sicher - am 27. September die Quittung bekommen. setzt, die Ihnen jetzt auf die Füße fällt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die PDS ist der (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist Auffassung, daß jede und jeder einen Anspruch auf doch gar nicht wahr! Erzählen Sie doch ein garantiertes soziokulturelles Existenzminimum keine Lügen!) hat, also auch und vor allem Kinder. Die im Rahmen unseres Konzeptes für eine bedarfsorientierte soziale Sie haben in diesem Parlament dafür gesorgt, daß die Grundsicherung entwickelte Forderung nach einem Sozialhilfe seit Jahren stagniert. Wer Kinder be- bedarfsdeckenden Kindergeld von 660 DM monat- kommt, durchschnittlich verdient und kein Vermö- lich sehen wir durch den Kommissionsbericht bestä- gen besitzt, ist auf dem besten Wege zu verarmen - tigt. Der fordert bekanntlich die Erhöhung des Exi- das ist die Kurzformel Ihrer verfehlten Sozial- und stenzminimums für Kinder auf 7500 DM jährlich. Familienpolitik. Die PDS hat weiterhin einen Gesetzesvorschlag für (Beifall bei der PDS) grundsätzlich verbesserte Rahmenbedingungen für Sozialminister Blüm hat sich zu Jahresbeginn in die Vereinbarkeit von Beruf und Kinderbetreuung diesem Hause damit gebrüstet, daß er allein bei eingebracht. Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub Rente und Arbeitslosengeld jährlich 98 Milliarden sind nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein DM einspart. Gesundheitsminister Seehofer lädt den und zementieren nach wie vor die traditionelle Ge- Versicherten durch Zuzahlungen, mehr Eigenanteile schlechterhierarchie. Frauen und Männer müssen und nicht erstattete Leistungen jährlich rund 30 Mil- die gleiche Chance erhalten, Beruf und Kinderbe- liarden DM zusätzlich auf. treuung miteinander zu vereinbaren. Bezahlte Frei- stellung mit Lohnersatzleistung, unbezahlte Freistel- Liebe Kolleginnen und Kollegen, die zunehmende lung mit einem Zeitkonto, ein Rechtsanspruch auf ei- Armut ist Resultat einer verfehlten Wirtschafts- und nen ganztägigen Kinderbetreuungsplatz sowie ein Arbeitsmarktpolitik, die mit der Gießkanne Subven- Rechtsanspruch auf Arbeitszeitverkürzung lauten tionen in Milliardenhöhe an Unternehmen verteilt, daher die Grundforderungen der PDS. Denn ein ohne sich darum zu scheren, ob neue Arbeitsplätze Sozialstaat muß sich zuallererst daran messen lassen, entstehen, die auf kurze Strohfeuer auf dem zweiten unter welchen Bedingungen Kinder aufwachsen. Arbeitsmarkt setzt statt auf langfristige Arbeitsplätze, für die die Vereinbarkeit von Beruf und Familie noch (Beifall bei der PDS) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 22973 Petra Bläss Da stellt Ihnen, meine Damen und Herren von der gen ist. Alle anderen Länder der Europäischen Union Regierungskoalition, der Zehnte Kinder- und Ju- haben es geschafft, die Arbeitslosigkeit anzuhalten gendbericht ein Armutszeugnis aus. oder die Arbeitslosigkeit deutlich zurückzuführen. Ein Wort an dieser Stelle an die Kolleginnen und Die Dänen haben es geschafft, von 13,5 Prozent Ar- beitslosigkeit im Jahre 1993 auf jetzt 6 Prozent herun- Kollegen von den Grünen. Sie werden unseren Druck nach dem 27. September brauchen, denn von terzukommen. Die Holländer sind inzwischen bei un- ter 5 Prozent, die Briten bei etwa 7 Prozent. In Frank- Ihren früheren emanzipatorischen Politikentwürfen ist wenig übriggeblieben. Ich verweise auf den heute reich haben wir eine ähnliche Entwicklung. In der zur Abstimmung stehenden Entschließungsantrag. zentralen Frage der Arbeits- und Beschäftigungsent- Ihr Vorschlag, die Einkommensgrenzen beim Erzie- wicklung innerhalb der Europäischen Union haben hungsgeld anzuheben, in allen Ehren, aber bei der wir in Deutschland eine einmalig negative Bilanz zu Frauenpolitik wollen Sie inzwischen offenbar nicht präsentieren. Das allein wäre Grund genug, diese mehr die Hälfte des Himmels, sondern nur noch ei- Koalition am 27. September abzuwählen. nen kleinen, etwas aufgestockten Haushaltstitel. (Beifall bei der SPD) Wenn ich lese, daß die SPD lieber nicht mehr von Zweitens. Wir sind das einzige Land in der Euro- der Streichung des Ehegattensplittings spricht, dann päischen Union, das sich eine geradezu stündlich kann ich auch zu Ihnen, liebe Kolleginnen und Kolle- steigende Jugendarbeitslosigkeit erlaubt, ohne daß gen, nur sagen: Die PDS wird auch bei diesem die verantwortliche Regierung irgendeine Hand Thema nicht lockerlassen. rührt. In allen anderen Ländern der Europäischen Eines ist sicher: Den notwendigen Politikwechsel Union bemühen sich die Regierungen teilweise mit nach dem überfälligen Regierungswechsel gibt es sehr viel Geld und großen Anstrengungen, den jun- nur mit uns. Ansonsten droht die soziale Frage unter gen Menschen wieder eine Arbeits- und Lebensper- die Räder der Standortdebatte zu kommen. spektive aufzuzeigen. Wir haben in Deutschland rund 700000 junge Leute unter 25 Jahren, die weder (Beifall bei der PDS) einen Ausbildungs- noch einen Arbeitsplatz haben. Drittens. Wir sind das Land in der Europäischen Vizepräsidentin Michaela Geiger: Ich erteile jetzt Union, in dem in den 90er Jahren ausweislich der Er- dem Abgeordneten Ottmar Schreiner, SPD-Fraktion, klärungen des Bundesarbeitsministers die Soziallei- das Wort. stungen am massivsten abgebaut worden sind. Wir sind das Land in der Europäischen Union, dessen So- Ottmar Schreiner (SPD): Frau Präsidentin! Liebe zialleistungsquote - also der Anteil der Sozialleistun- Kolleginnen und Kollegen! Ich will versuchen, den gen am Bruttoinlandsprodukt - sich inzwischen im Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen zu unteren Drittel befindet. erklären, warum sie diese Wahlen nicht mehr gewin- nen können und auch nicht mehr gewinnen dürfen. Meine Damen und Herren, das ist in wenigen Sät- zen die beschäftigungs- und sozialpolitische Bilanz (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Laßt dieser Regierung, was die letzten Jahre und vor al- doch einmal die Wähler entscheiden!) lem die abgelaufene Legislaturpe riode anbelangt. - Ich sagte: „auch nicht mehr gewinnen dürfen." Diese Bilanz verfügt - ich sage es nochmals - über nicht einen einzigen positiven Vorzeigepunkt. (Bundesminister Dr. Norbe rt Blüm: Ruhig bleiben!) (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Was ist mit der Pflegeversicherung?) - Der flegelt einen jetzt auch noch von rechts an. Unser zentrales Problem sind die hohen Kosten der Arbeitslosigkeit, ist das hohe Ausmaß an Ar- Vizepräsidentin Michaela Geiger: Vorsicht! Von beitslosigkeit ingesamt. Daran können Sie sehen, wegen „flegeln": Sie haben heute schon einen Ord- wie sehr wir die politischen Spielräume verloren ha- nungsruf erhalten. ben. Die Kosten der Arbeitslosigkeit beliefen sich 1990 - vor acht Jahren - auf 55 Milliarden DM. 1997 - Ottmar Schreiner (SPD): Ich könnte auch auf „Rü- im vorigen Jahr - beliefen sich die gesamtfiskali- pel" ausweichen. Aber bleiben wir lieber dabei. schen Kosten der Arbeitslosigkeit auf 170 Milliarden DM. Das ist mehr als eine Verdreifachung der fiskali- Meine Damen und Herren, was Sie an Bilanz vor- schen Kosten der Arbeitslosigkeit in Deutschland. zuzeigen haben, ist so verheerend, daß eine Bestäti- gung dieser Koalition nun in der Tat zu einem sozial- Besonders stark sind in diesem Zeitraum die Ko- politischen Kahlschlag nie dagewesenen Ausmaßes sten für passive Leistungen gestiegen. Auch dafür in Deutschland führen müßte. Ich wi ll versuchen, Ih- zwei Beispiele: 1997 betrugen die Aufwendungen für nen das an wenigen Beispielen zu begründen. das Arbeitslosengeld 59 Milliarden DM, die Aufwen- dungen für die Arbeitslosenhilfe 28 Milliarden DM. Wenn Sie die Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich mit der Europäischen Was im übrigen die Argumentation anbelangt, wir

Union nehmen, dann fallen Ihnen fast nur negative seien Weltmeister in Sachen Sozialleistungen - Frau Sonderleistungen auf: Erstens. Wir sind das einzige Dr. Babel, das habe ich zuletzt noch von Ihrem Partei- Land in der Europäischen Union, in dem in den 90er vorsitzenden in dem Streitgespräch mit Herrn Trittin Jahren die Arbeitslosigkeit von Jahr zu Jahr gestie- gehört -, so müßten Sie mir belegen, in welchem Be- 22974 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Ottmar Schreiner reich der sozialen Leistungen die Bundesrepublik Weiter heißt es: Deutschland Weltmeister ist. Sie werden kein Feld Die niederländischen Zeitungen haben mit Amü- finden. sement berichtet, daß es Wi rtschaftsminister ( [CDU/CSU]: Die Günter Rexrodt für we rt befunden habe, eine Höhe der Sozialhilfe!) Pressekonferenz einzuberufen, um seine Pro- gnose für das Wirtschaftswachstum mutig von 2,8 Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Die Höhe der Arbeitslo- auf 2,9 Prozent hochzufahren. senhilfe beträgt in Westdeutschland im Schnitt 1 022 DM, in Ostdeutschland im Schnitt 854 DM im Was will man dazu noch sagen? Was soll man dem Monat. Sie müssen mir erklären, wie Sie zum Beispiel noch hinzufügen? Ich sage Ihnen: Sie werden diese in Westdeutschland mit 1 022 DM im Monat über die Wahlauseinandersetzung nicht bestehen, weil Sie im Runden kommen wollten und wie das jemand in Ost- Kern Ihrer Strategie gescheitert sind. Der Kern Ihrer deutschland mit 854 DM machen soll. Strategie war - nochmals -: Mehr Beschäftigung durch massiven Sozialabbau, durch massive Eingriffe (Dr. Heiner Geißler [CDU/CSU]: Muß er ja in die sozialen Schutzrechte der Arbeitnehmerschaft. gar nicht!) Diese Strategie ist angesichts der soeben vorgetrage- - Das sind die Durchschnittsbeträge im Bereich der nen Datenlage jämmerlich gescheitert. Arbeitslosenhilfe. Wo sind da die weltmeisterschaftli- Im übrigen, ganz nebenbei gesagt: Wir sind - ne- chen Leistungen? Sehen Sie sich die Lohnersatzlei- ben Spanien, wo eine besondere Situation gegeben stungen an, die in Holland, Dänemark und Schwe- ist - das einzige Land in Europa, das sich noch den den gezahlt werden. Luxus einer konservativ-reaktionären Regierung er- (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: In Dänemark viel laubt. Es gibt nicht zufälligerweise einen Zusammen- geringer!) hang zwischen ebendiesem Luxus, den sich Deutsch- land noch erlaubt, auf der einen Seite und der abso- Wir sind, um ein anderes Beispiel zu nennen, das -luten Negativbilanz im Bereich der Beschäftigungs Land in Europa, das seine Familien am schändlich- und Sozialpolitik auf der anderen Seite. Da gibt es in sten behandelt. Es gibt in Deutschland weit und breit der Tat handfeste Entsprechungsverhältnisse. keinen funktionierenden Familienlastenausgleich. Wo sind da die weltmeisterschaftlichen Leistungen? Nun will ich Ihnen ein weiteres Zitat nicht vorent- Wenn sich in Deutschland eine Arbeitnehmerfamilie halten, ein Zitat von Herrn Prantl aus der „Süddeut- mit niedrigem Erwerbseinkommen für mehrere Kin- schen Zeitung". Ich schätze Herrn Prantl nicht im- der entscheidet, entscheidet sie sich für den direkten mer, aber ich glaube, daß er den Nagel auf den Kopf Weg in die gesellschaftliche Armut. Es ist eine trifft, was die Folgerungen aus dieser Strategie insbe- Schande für eines der reichsten Länder dieser Erde, sondere für die Fraktion der CDU/CSU und die daß es keinen funktionierenden Familienlastenaus- Volksparteien CDU und CSU anbelangt; es sind ja gleich gibt. beides Volksparteien. Es heißt in dem Kommentar von Herrn Prantl vom 29. August: (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Neuerdings stellt der Kanzler auch mißbilligend GRÜNEN und der PDS) fest, daß die Wirtschaft den Standort Deutschland Meine Damen und Herren, nicht die Sozialleistun- schlechtredet. Das fällt ihm zu spät auf. Vor zwei gen sind zu hoch, sondern viel zu hoch ist die Zahl Jahren hat Kohl sich das törichte Agitieren der derjenigen, die vor allem auf Grund der unerträglich Wirtschaftsfunktionäre zu eigen gemacht und hohen Arbeitslosigkeit auf soziale Leistungen ange- das Bündnis für Arbeit platzen lassen - es war wiesen sind. Wenn man es zusammenfaßt, dann ist sein kapitalster Fehler. Auf diese Weise gerieten der Kern Ihrer Politik gewesen, mehr Beschäftigung die Reformen seiner Amtszeit in die Konfronta- durch Sozialabbau zu erreichen. Diese Politik ist in tion, standen die Kirchen gegen die Sozialpolitik den letzten Jahren jämmerlich, kläglich gescheitert. der Regierung auf - und damit gewannen die Ge- Die Alternative der SPD war: Stabilisierung des werkschaften neue Legitimation. Die Regierung Sozialsystems durch mehr Beschäftigung, also eine Kohl hat den Konsens geopfe rt , weil sie sich von völlig andere Orientierung. der vulgär-liberalen Arroganz der Industrieführer vom Schlage Henkel & Co. anstecken ließ. So et- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Do rt, wo was kann sich allenfalls eine Klientelpartei wie Sie regieren, funktioniert es auch nicht!) die FDP leisten, nicht aber eine Volkspartei. Die - Ich zitiere einmal die „Süddeutsche Zeitung" vom CDU ist durch die konfrontative Sozialpolitik ge- 20. August: schwächt worden, und daran leidet sie und ihr Wahlkampf. Die Partei ist also doppelt ge- Überall in der Europäischen Union nimmt die Ar- schwächt: durch nachwirkende Fehler und durch beitslosigkeit ab, hier mehr, do rt weniger, in der die Unklarheiten an der Spitze. Bundesrepublik immer noch am wenigsten. in der weltweiten Diskussion über die Arbeits- Das ist eine präzise, richtige Beschreibung der Ent- märkte in globalisierten Volkswirtschaften figu- wicklung der letzten vier Jahre. riert die Bundesrepublik Der Versuch, die großen Probleme Deutschlands - nach Auffassung aller Experten - auf dem Arbeitsmarkt, auf dem Beschäftigungs- und auf dem sozialen Feld über die Entwicklung von Ge- als abschreckendes Beispiel. meinsamkeiten aller verantwortlichen Akteure in Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 22975

Ottmar Schreiner den Griff zu kriegen, ist 1996 gescheitert, nachdem - Das ist nun wirklich das größte. Da fragt dieser der Bundeskanzler, übrigens auf Anraten einiger Herr Clown, was daran falsch sei. Das ist doch wirk- Funktionäre von der anderen Seite, die Gewerk- lich nicht zu fassen! schaften mit für die Gewerkschaften völlig unan- nehmbaren Forderungen vom runden Tisch davon- jagte. Ich will nur an das Stichwort erinnern, das Vizepräsidentin Michaela Geiger: Herr Abgeordne- Herr Henkel in die öffentliche Debatte geworfen ter Schreiner, das Wort „Clown" ist ein unparlamen- hatte. Es lautete „Konsenssoße". Das Wo rt „Konsens- tarischer Ausdruck. soße" ist unter anderem vom Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion aufgegriffen wor- Ottmar Schreiner (SPD): Ich habe, Frau Präsiden- den. Sie haben damals Ihren zentralen Fehler ge- tin, „Herr Clown" gesagt. Aber es ist wirklich nicht macht, indem Sie von dem Versuch, politische Ge- zu fassen! Was war denn daran falsch? Das ist im meinsamkeiten zu finden - das gilt auch für die Ernst nicht zu fassen. Das mindeste, was hier ver- Rente, Herr Blüm -, auf eine brutale Konfliktstrategie sprochen worden ist, war, daß allein durch die Ver- umgeschaltet haben. Die Ergebnisse dieser Konflikt- schlechterung des Kündigungsschutzes 500 000 zu- strategie lassen sich jetzt, einige Zeit später, besichti- sätzliche Beschäftigungsverhältnisse bis zum Jahr gen. 1997 geschaffen werden sollten. Ich will Ihnen das am Beispiel von Herrn Geißler (Unruhe - Glocke der Präsidentin) vorführen, der hier vorn sitzt. Herr Geißler, an Ihrem Beispiel und am Beispiel der soeben von Frau - Ja, es ist mir schon klar, daß Ihnen diese Wahrhei- Dr. Babel erwähnten Verschlechterung des Kündi- ten außerordentlich unangenehm sind. Es ist mir gungsschutzes von 1996 kann man exemplarisch Ihre schon klar, daß Sie am Ende einer völlig gescheiter- Strategie und das jämmerliche Scheitern dieser Stra- ten Legislaturpe riode jetzt allmählich in Panik - tegie vorführen. Ich wi ll Sie aus der Debatte vom ten. Nur, Sie sollten Reste von menschlichem An- 23. Mai 1996 zitieren. Der Herr Kollege Dr. Geißler stand in diesem Hause bewahren. sagte damals im Rahmen der Diskussion des entspre- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ chenden Themas: DIE GRÜNEN - Lachen bei der CDU/CSU Nun, warum machen wir das? und der F.D.P.) Er meinte die Verschlechterung der Lohnfortzahlung, Ich könnte Ihnen das an einem Dutzend weiterer Verschlechterung im Bereich der Lebensarbeitszei- Beispiele deutlich machen. Ich habe Ihnen gesagt, ten, Verschlechterung im Bereich des Kündigungs- daß ich es Ihnen am Beispiel des Kündigungsschut- schutzes und wie die Themen alle hießen, also das, zes aufzeigen kann. Darüber ist damals gesagt wor- was wir eine klassisch neoliberale Angebotspolitik den, daß ein veränderter Kündigungsschutz binnen nennen. Das war ja Ihre Strategie: Eingriff in die Jahresfrist 500 000 neue Beschäftigungsverhältnisse sozialen Schutzrechte, und dies sollte mehr Beschäf- bringe. Er hat aber nicht nur nicht zu 500 000 neuen tigung schaffen. Dr. Geißler führte damals aus - ich Beschäftigungsverhältnissen geführt; vielmehr kam sage das exemplarisch im Blick auf die Gesamtan- es alleine beim Handwerk innerhalb eines Jahres lage der Politik in der abgelaufenen Legislaturperi- zum Verlust von fast 140 000 Beschäftigungsverhält- ode -: nissen. Die Gesamtbilanz 1996/97 wies nicht 500 000 neue Beschäftigungsverhältnisse auf, sondern ergab Nun, warum machen wir das? Das Ganze dient fast genau 500 000 Arbeitslose mehr. nur dem Zweck, neue Arbeitsplätze zu schaffen. ... Ich will Ihnen damit nur noch einmal mit Hilfe eines Beispiels sagen: Wenn es jemals eine Strategie Die Analyse des Zentralverbandes des Deutschen der Regierung zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Handwerks kommt zu dem Ergebnis: Wenn Ihr in dieser abgelaufenen Legislaturpe riode gegeben das macht, dann werden ungefähr 40 Prozent der hat - das völlig einseitige Setzen auf die Verbesse- Handwerksbetriebe - bei 1 Million Bet rieben wä- rung der unternehmerischen Angebotsbedingungen ren das 400 000 - neue Leute einstellen. Herr Mur- - , dann ist diese Strategie jämmerlich gescheitert. mann erklärte in der letzten Ausgabe der „Welt Schon deshalb gehören Sie am 27. September abge- am Sonntag", er rechne im nächsten Jahr wählt. Neue Kräfte, neue Ideen, neue Phantasien und neue Überlegungen braucht dieses Land. - also 1997 - (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE mit 500 000 neuen Stellen durch das Programm GRÜNEN und der PDS) für mehr Wachstum und Beschäftigung. Das wurde ja jeweils nicht in arcanis, im Geheimen, Wir brauchen eine neue Verteilung der Arbeitszeit. gesagt, sondern öffentlich. Darüber hinaus ma- Wir brauchen ein mutiges Sonderprogramm zur Be- chen wir das mit den Familienarbeitsverhältnis- kämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Ein Entwurf sen. Bernhard Jagoda sagt, damit könnten dafür liegt dem Parlament seit dem 1. Oktober letzten 300 000 bis 400 000 Arbeitsplätze zusätzlich er- Jahres, also seit fast einem Jahr, vor. Wir brauchen möglicht werden. ein vernünftiges Programm zur Förderung von Men- schen, die nur einfache Tätigkeiten ausüben können (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Genau! - hier sind wir hochdefizitär -, und vieles andere Und was ist daran falsch?) mehr. Die Debatten darüber sind bekannt. 22976 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Ottmar Schreiner Ich möchte ein letztes Wo rt an den Kollegen Ar- Herr Schreiner hat doch tatsächlich gerade gesagt, beitsminister richten. Er hat heute hier seine letzte wir würden die Familien unter allen europäischen Rede als Arbeitsminister gehalten. Er hat wieder eine Ländern am schändlichsten behandeln. Dann hat er Wunderkerze gezündet. Nur: Diese Wunderkerzen eine Statistik über die europäische Situation aufge- werden nicht mehr dazu beitragen, Weder dieses Par- führt. lament noch die Republik zu erhellen. Die Menschen wissen, daß Sie, Herr Minister, immer ein anständi- Jetzt frage ich Sie einmal: Wo gibt es in einem an- ger Kerl waren. Aber die Menschen wissen auch: deren europäischen Land - vielleicht mag es das eine Entscheidend bei der Bewe rtung dessen, was Sie ge- oder andere geben - zum Beispiel Kündigungsschutz macht haben, ist nicht Ihr Charakter - Sie sind ein von drei Jahren für berufstätige Frauen, die Kinder anständiger Kerl gewesen und geblieben -, entschei- erziehen? Anerkennung von Erziehungsjahren: drei dend ist das - was uns der Bundeskanzler immer wie- Jahre für ein Kind - wo? Wo gibt es eine Krankenver- der lehrt -, was hinten herauskommt. Hinten heraus- sicherung, in der für einen Beitrag die gesamte Fami- gekommen ist beschäftigungs- und sozialpolitisch lie, und wenn sie sechs Kinder hat, in den Sozialver- ein verheerender Mist! Das ist das Ergebnis dieser sicherungsschutz einbezogen ist? Wo gibt es in Regierung. Europa eine Pflegeversicherung, von der Pflegebe- dürftige bis zu 3 300 DM - in der Pflegestufe III (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE 2 800 DM, in der Pflegestufe II 2 500 DM und in der GRÜNEN und der PDS) Pflegestufe I 2 000 DM - bekommen? Wo werden die Aus diesen Gründen werden wir uns nach dem Leute, die die Pflege übernehmen, in der gesetzli- chen Rentenversicherung versichert? Lassen Sie die 27. September hier in aller Freundlichkeit wiederse- Verleumdung unseres Sozialstaates bleiben, Herr hen. Schreiner, wenn Sie hier das Wort ergreifen! (Rudolf Bindig [SPD]: Nicht alle! Die F.D.P. ist nicht mehr dabei!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Schönen Dank und eine schöne Zeit bis dahin. Was Sie, Frau Fischer, hier machen, ist um kein Haar besser. Das will ich anhand von zwei Beispielen (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE belegen, die auch Herr Schreiner genannt hat. Nun GRÜNEN und der PDS) bringt ihr die europäischen Statistiken und vergleicht unsere Arbeitslosenstatistik mit der englischen, mit Vizepräsidentin Michaela Geiger: Ich erteile jetzt der schwedischen, mit der französischen. Mancher das Wort dem Abgeordneten Dr. Heiner Geißler, Dumme kommt sogar noch auf die Idee, sie mit der CDU/CSU-Fraktion. amerikanischen Arbeitslosenstatistik zu vergleichen. Die Amerikaner haben überhaupt keine. Die ermit- teln die Zahlen mit der Demoskopie; da wird ge- Dr. Heiner Geißler (CDU/CSU): Frau Präsidentin! schätzt. Bei den Engländern kommen nur die in die Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kol- Statistik hinein, die eine Leistung erhalten. In Eng- lege Siegfried Hornung und ich fühlen uns durch die land hört die Leistung nach einem halben Jahr auf. Rede des Herrn Schreiner nicht verletzt, obwohl Über 2 Millionen Langzeitarbeitslose sind in der eng- Dummheit manchmal weh tun kann. lischen Statistik überhaupt nicht enthalten. Wenn wir (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU die Statistikmerkmale hätten, die die Engländer, die und der F.D.P.) Schweden und andere Länder haben, dann hätten wir eine Arbeitslosenstatistik, die überhaupt nicht Jemand - ich glaube, es war Andrea Fischer - hat mehr zu kritisieren wäre. Wir haben eine ehrliche vorhin von der Infragestellung oder sogar von der Statistik, obwohl man auch über sie noch reden Zerstörung der Glaubwürdigkeit der Demokratie ge- kann. sprochen. Ich bin über diese Debatte nicht traurig. Zu dem, was hier vorgetragen worden ist - auch von (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ihnen, Frau Fischer; das muß ich leider sagen - - Ich habe das schon einmal beklagt: Ich finde es (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Warum „leider"?) sehr bedauerlich, daß in diesem Parlament Diskus- sionen geführt werden, bei denen offenbar keiner - „Leider", weil ich von ihr manchmal die eine oder dem anderen zuhört. Da hat Kurt Biedenkopf heute - andere durchaus konstruktive Idee gehört habe. vormittag völlig zu Recht aufgeschlüsselt, wie es mit Was Sie, Frau Fischer, ebenso wie die Kollegen den Arbeitslosen ist: 30 Prozent, 40 Prozent, noch ein- Dreßler und Schreiner hier gesagt haben, ist genau mal 30 Prozent. Er hat die Sache problematisiert, so das, was wir vielen Wirtschaftsführern gegenüber in wie es sich gehört. Er hat zum Beispiel die 30 Prozent der Vergangenheit auf andere Weise auch immer Sucharbeitslosen - nach meiner Meinung völlig zu wieder beklagt haben. Ich denke zum Beispiel an Recht - aus der eigentlichen Arbeitslosenproblematik das, was Hans-Olaf Henkel im Ausland gemacht hat. herausgenommen. Diese Wirtschaftsführer haben den Standort Deutsch- land ohne triftigen Grund schlechtgeredet, und Sie reden den Sozialstaat ohne Grund kaputt. Vizepräsidentin Michaela Geiger: Herr Dr. Geißler, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Widerspruch bei der SPD) Schreiner? Deutscher Bundestag - 13. Wahlpe riode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 22977

Dr. Heiner Geißler (CDU/CSU): Ungern. Aber bitte, Jugendlichen unter 25 Jahren sind arbeitslos. Aber Herr Schreiner. über die Hälfte dieser jungen Leute bekommt inner- halb von sechs Monaten einen Arbeitsplatz und (Zuruf von der CDU/CSU: Wenn er leise 90 Prozent dieser Leute während eines Dreiviertel- fragt! - Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Ohne jahres. Üb rig bleiben 10 Prozent; das sind die 45 000, Schaum vor dem Mund, wenn es geht!) um die wir uns kümmern müssen. Die anderen be- kommen einen Job. Sie müssen längere Zeit warten; Ottmar Schreiner (SPD): Muß ich jetzt leise wei- das ist wahr. nend fragen, oder darf man ganz normal fragen? - Wir befinden uns in einer Umbruchgesellschaft. Herr Kollege Geißler, ich wollte Sie fragen, ob Ihnen Worauf wir uns bei der Jugendarbeitslosigkeit kon- bekannt ist, daß es eine Statistik der Europäischen zentrieren müssen, das sind die 40 000 bis 45 000, die Gemeinschaft gibt. Diese Statistik ist bereinigt. minder qualifiziert oder nicht qualifiziert sind. Dafür Selbst wenn man auf diese Statistik aus Brüssel nicht machen wir unsere Vorschläge: Kombilohn. Dafür zurückgreifen würde, könnte man immer noch die haben wir das Quas-Programm, das der Bundes- Entwicklung der Beschäftigungsverhältnisse zu Rate arbeitsminister zusammen mit dem Hamburger Senat ziehen. Wir haben jetzt am Ende der Legislatur- realisiert hat. Das sind die richtigen Maßnahmen. periode - das ist die Arbeitsmarktbilanz dieser Legis- laturperiode - 700 000 Arbeitslose mehr als zu Beginn Zum Lehrstellenmangel: 735 000 junge Leute ha- der Legislaturpe riode, und wir haben rund 1 Mil lion ben im letzten Jahr eine Lehrstelle gesucht; Stichtag Beschäftigungsverhältnisse weniger als zu Beginn war der 30. September. Das Angebot war etwa ge- dieser Legislaturpe riode. Diese Entwicklung ist dra- nauso hoch, 735 000. Es haben nicht alle eine Lehr- matisch. In keinem anderen europäischen Land fin- stelle bekommen. Das hat eine ganze Reihe von den Sie eine auch nur annähernd ähnlich negative Gründen. Ich glaube, 25 000 Menschen haben keine Entwicklung. bekommen. Im übrigen, was den Kollegen Ministerpräsident (Edelgard Bulmahn [SPD]: 48 000!) Biedenkopf anbelangt: Es hätte sich sehr gelohnt, auf Es ist auch nicht immer kompatibel, weil die Wün- vieles einzugehen. sche, Neigungen und Eignungen nicht immer ganz mit dem übereinstimmen, was an Stellen angeboten Dr. Heiner Geißler (CDU/CSU): Hätten Sie es doch wird. gemacht! Wenn Sie diese Zahlen aber einmal zur Kenntnis nehmen: Man kann die Situation ja an dem einen Ottmar Schreiner (SPD): Ich wollte Sie fragen, ob oder anderen Punkt beklagen. Aber, meine sehr ver- auch Sie zur Kenntnis genommen haben, daß er ge- ehrten Damen und Herren, muß denn dieses Kata- wissermaßen die Opposition als Umwegstation be- strophenszenario sein? Ich halte mir einmal vor Au- nutzt hat, um der Regierungskoalition, vor allen Din- gen, was da gesagt worden ist: Sozialabbau, Verar- gen der Bundesregierung, in aller Deutlichkeit zu sa- mung, Verelendung, Ausbeutung. Frau Fischer hat gen, daß einer der zentralen Fehler, die Sie in den das gesagt. Sie haben offensichtlich Lust an Katastro- vergangenen Jahren gemacht haben, war, pausenlos phen. Sie haben dazu inzwischen offenbar ein eroti- den Standort Deutschland herunterzureden. Wo soll sches Verhältnis; ich kann mir das überhaupt nicht da mutiges Engagement zur Verbesserung der Lei- anders erklären. stungsbereitschaft herkommen? Das war die Frage von Professor Biedenkopf an Ihre Adresse. Vielleicht Zur Frage der Armut, Herr Dreßler. Natürlich ist nutzen Sie die Gelegenheit, sie jetzt zu beantworten. der Sozialhilfebezug kein Indiz für Armut.

Herr Dr. Geißler, (CDU/CSU): Sie reden schneller, Vizepräsidentin Michaela Geiger: Dr. Heiner Geißler gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten als Sie denken können. Niehuis? (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/ CSU) Dr. Heiner Geißler (CDU/CSU): Wir haben heute Ich habe Ihre Frage nicht verstanden. Da ging soviel morgen darüber gesprochen. - Aber, bitte schön. durcheinander; ich kann diese Frage nicht ordentlich beantworten. Ich weiß nur das eine: Wenn wir diese Dr. Edith Niehuis (SPD): Herr Dr. Geißler, ich hätte europäische Statistik zugrunde legen, dann liegen eine Frage zu Ihrem Katastrophenszenario. Sie haben wir nicht an der schändlichsten, der letzten Stelle. mich heute morgen auf die Idee gebracht, einmal Vielmehr liegen wir in der ordentlichen Mitte. Das nachzulesen, was Sie 1975 im Deutschen Bundestag habe ich noch einigermaßen in Erinnerung. gesagt haben. Ich frage Sie, ob Sie das noch immer meinen. Sie haben ausweislich des Protokolls vom Ich möchte noch einmal auf das Problem zurück- 16. Januar 1975 gesagt: kommen, mit dem wir uns hier beschäftigen - Frau Fischer hat das auch angesprochen -, nämlich auf Meine Damen und Herren, es wird immer wieder das Kaputtreden unserer Situation. Das war auch das der Versuch unternommen, diejenigen, die es wa- Thema von Kurt Biedenkopf heute morgen. Ich gen, den Finger auf die Wunden zu legen, als möchte Sie vielleicht noch auf folgendes zum Thema Horrormaler, die ein unwirkliches Bild zeichnen, Jugendarbeitslosigkeit hinweisen: 10,7 Prozent der abzutun. 22978 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Dr. Edith Niehuis Das sagten Sie 1975. Wie stehen Sie zu Ihrer damali- bei der Bundesregierung und der Politik überhaupt gen Aussage - die Quote bei Sozialhilfeempfängern liegt. unter 18 Jahren betrug damals 2,1 Prozent; 1996 lag diese Quote bei 6,3 Prozent - im Vergleich zu Ihrer Der Computer hat unsere Arbeits- und Wirtschafts- heutigen Aussage? welt radikal verändert. Die Folge ist, daß wir jedes (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Jahr ein höheres Bruttosozialprodukt erarbeiten: mit PDS) einem immer geringeren Arbeitsaufwand und auch immer weniger Menschen. Die Verwendung von Computern hat zu Rationalisierungen geführt, zu Dr. Heiner Geißler (CDU/CSU): Frau Kollegin, Sie Umstrukturierungen unserer Unternehmen, und können diese Zahlen und Zitate von mir hier vortra- zwar in allen Industriestaaten. Bei uns hat das etwas gen. Aber das eine weiß ich mit absoluter Sicherheit: länger gedauert, weil ein Ereignis eingetreten ist, das Solche Reden, wie der Kollege Dreßler und der Kol- bei Ihrer Betrachtungsweise offenbar völlig ausge- lege Schreiner sie gehalten haben, habe ich zu die- blendet wird - es spielt bei Ihnen überhaupt keine sem Punkt mit Sicherheit nicht gehalten. Rolle mehr, wahrscheinlich weil es bei Ihnen auch (Beifall bei der CDU/CSU) vorher keine so große Rolle gespielt hat -:

Ich habe nicht gesagt, die Sozialdemokratische Partei (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Zuruf der Abg. Anke Fuchs [Köln] [SPD]) Im Jahre 1989/90 hat nämlich die deutsche Einheit - Frau Fuchs, Sie wissen das genau - würde den stattgefunden. Deswegen haben wir im Vergleich zu Sozialstaat kaputtmachen. Wie käme ich dazu, eine Amerika, England und Frankreich eine um zwei bis solche Behauptung aufzustellen? Das habe ich nicht drei Jahre verschobene konjunkturelle Entwicklung. getan. Aber Sie machen das, und zwar ohne jeden Das gilt selbstverständlich auch für den Arbeits- rationalen Grund. markt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der Umstrukturierungsprozeß ist nun im wesentli- Sie setzen Szenarien in , als ob die Jahrtau- chen abgeschlossen. Unsere moderne Wi rtschaft ist sendwende, die Endzeitpropheten und die Chiliasten auf dem Weltmarkt inzwischen wieder konkurrenzfä- auf Sie Einfluß genommen hätten, und versuchen, hig. Unser Exportvolumen umfaßt 520 Milliarden die Leute zu ängstigen. Dollar. Die Amerikaner haben gerade einmal 60 Mil- Ich bin über diese Debatte gar nicht unglücklich, liarden Dollar mehr, dort gibt es aber auch 180 Millio- weil ich der Auffassung bin, daß Sie einen großen nen Einwohner mehr. Das heißt: Wir sind wieder voll Fehler machen, und zwar in der Totalpersonalisie- konkurrenzfähig. Jeder zweite Arbeitsplatz ist vom rung und Amerikanisierung Ihres Wahlkampfes. Zu- Export abhängig. Diese Umstrukturierungen und dem begehen Sie einen Fehler, indem Sie glauben, diese Modernisierung haben dazu geführt, daß, un- mit einem solchen Szenario die Leute überzeugen zu terstützt durch unsere Reformen, die Bet riebe jetzt können. wieder Leute einstellen können, daß wir über 1 Mil- lion offene Stellen haben. Diese Situation ist keine Die Union hat ein Problem. Das ist gar keine Frage. Eintagsfliege, als welche Sie sie immer wieder hin- Die Leute sagen: 16 Jahre! Das heißt übrigens nicht, stellen. Sie ist vielmehr das Ergebnis des Umstruktu- daß diese 16 Jahre schlecht waren. Das habe ich rierungsprozesses in der deutschen Wi rtschaft, das noch von niemandem gehört. Vor vier Jahren habe Ergebnis der Reformen und Folge unseres klaren Ja ich das Buch von Joschka Fischer vorgestellt. Darin zu den modernen Technologien; denn in den moder- steht der schöne Satz: nen Technologien und den damit verbundenen Wahrscheinlich wird die Geschichtsschreibung Dienstleistungen entstehen die Arbeitsplätze von der späteren Jahre einmal feststellen, daß diese heute und von morgen. Zeiten Diese neue Welt mit den neuen Technologien muß - damit hat er die Jahre von 1982 bis 1994 und beson- aber eine menschliche Welt bleiben. Wir dürfen die ders das Jahr 1989 gemeint - Sache nicht so laufen lassen. Die neue Welt mit den zu den glücklichsten Jahren der Demokratie in neuen Technologien darf nicht über Leichen gehen. diesem Jahrhundert gehört haben. Deswegen brauchen wir eine Antwort auf die Globa- lisierung unserer Wirtschaft und eine internationale Das kann sich in den letzten vier Jahren wohl nicht soziale Marktwirtschaft. Wir brauchen also den gol- geändert haben. Die Menschen - da hat Joschka denen Mittelweg: soziale Marktwirtschaft auch auf Fischer völlig recht - denken gar nicht so. Sie sagen der globalen Ebene. Das müssen wir den jungen sich einfach: 16 Jahre, nun steht ein Wechsel an. - Leuten sagen. Das ist die Konzeption der CDU. Das kann man nicht einfach vom Tisch wischen. Das muß die Union dazu bringen, zu begründen, warum Eine Wirtschaftsordnung, die sich möglicherweise man am 27. September wieder die CDU wählen soll. so präsentiert, daß ein großes Unternehmen, eine Dafür gibt es einige sehr gute Gründe. große Bank in einer Presseerklärung sagt: „Wir ha- Wir haben, wie Sie wissen, über die Arbeitsmarkt- ben noch nie soviel Gewinne gemacht - 6,7 Milliar- entwicklung geredet. Tun Sie doch nicht so, als ob den DM -" und „Wir müssen in den nächsten fünf die Verantwortung dafür ausschließlich und allein Jahren 6000 Leute entlassen", ist nicht die Wi rt- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 22979

Dr. Heiner Geißler schaftsordnung, die wir als Christliche Demokraten Dr. Heiner Geißler (CDU/CSU): Nein. Von jeman- für richtig halten, um dies einmal ganz klar zu sagen. dem, der in der Nachfolge einer Partei ist, die den Frauen 300 Ostmark als Rente zugebilligt hat, lasse (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Aber ihr macht ich mir keine Frage zur Armut stellen, um das einmal sie!) ganz klar zu sagen. Das mache ich nicht mit. Das ist nicht unsere Wirtschaftsordnung, und deswe- gen brauchen wir hier eine Entwicklung, die interna- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) tionale soziale Marktwirtschaft möglich macht. Ich will dazu nur folgendes sagen: Sozialhilfebezug Ein zweites gutes Argument - das hat etwas mit ist ein Indiz - das ist wahr -, daß irgendwo in einer Sozialpolitik zu tun -, die CDU/CSU zu wählen: Der Gesellschaft Veränderungen vorgenommen werden. Euro kommt. Aber wir wollen ja, daß dieser Euro Die Altersarmut ist zurückgegangen. Inzwischen ha- mindestens genauso stabil wird wie die D-Mark, die ben sich neue Entwicklungen ergeben, die wir genau stabil geworden ist, seit die Union an der Regierung beobachten müssen, zum Beispiel die Armut von ist. Ausländerkindern.

(Zuruf des Abg. Rudolf Dreßler [SPD]) Wir haben ein Problem bei Alleinerziehenden, al- - Entschuldigung, das weiß ich aber ganz genau. lerdings nicht bei Alleinerziehenden in den ersten Frau Fuchs hat mir damals, im Oktober 1982, im zwei Jahren des Kindes. Da haben wir keine Pro- Ministerium das Amt übergeben. Sie hatten damals bleme, denn eine solche Frau bekommt auf Grund eine Inflationsrate von 5,5 Prozent, für die einfache unserer Gesetzgebung 600 DM Erziehungsgeld, Lebenshaltung eines Kindes von 7,3 Prozent, Herr 600 DM Sozialhilfe, einen 20 prozentigen Mehrbe- Dreßler. 1 Prozent Inflation zog den Leuten damals darfszuschlag, und das Kind bekommt ungefähr 18 Milliarden DM aus der Tasche. Jetzt können Sie 300 DM. Jetzt bin ich schon bei 1500 DM, und dann hochrechnen, was bei 5 Prozent Inflation mal 18 den kommt noch der Mietzuschuß hinzu. Das heißt, die Leuten in der Tasche fehlt. Die Inflation tobt sich auf Frau bekommt über 2000 DM netto. Nach dem zwei- - dem Rücken der kleinen Leute, der Rentnerinnen ten Jahr des Kindes wird die Sache schwierig, aber und Rentner und der Familien mit Kindern aus. zum Beispiel nicht in Baden-Württemberg und auch nicht in Bayern; denn dort gibt es ein Erziehungsgeld (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) für das dritte Jahr.

Der Abschnitt „Kinderarmut" - das habe ich schon (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) heute morgen in der Ausschußsitzung gesagt - be- schränkt sich auf sieben Seiten des Kinder- und In den anderen Ländern, für die Sie verantwortlich Jugendberichtes, der 343 Seiten hat. sind, gibt es dieses Erziehungsgeld nicht. Ab dem (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Haben Sie die vierten Jahr haben wir keine Probleme in den Län- gelesen?) dern, in denen wir einen hundertprozentig realisier- ten Anspruch auf Kindergartenplätze haben. Auch Er beschäftigt sich auf sieben Seiten, auf den diese haben wir wieder nur in Baden-Württemberg, Seiten 88 bis 95, mit der Armut. Mit allen anderen Bayern und in Rheinland-Pfalz, do rt aber nicht we- Themen, zum Beispiel dem Thema Medien, die in gen der SPD-Regierung, sondern das war schon zu diesem sehr guten Bericht enthalten sind, beschäfti- der Zeit so, als ich dort Minister war. In Nordrhein gen Sie sich nicht. Sie konzentrieren sich auf die sie- Westfalen und in Niedersachsen haben wir nicht aus- ben Seiten, weil dort soziologische Pendel ausgebrei- reichend Kindergartenplätze. tet werden, über die man wirklich debattieren kann. Aber, Herr Dreßler, ich will Ihnen eine Antwort ge- Das Problem der Kinderarmut müssen wir alle mit- ben: Sozialhilfe ist kein Beweis für Armut. einander beraten und auch lösen - der Bund do rt, wo er die Verantwortung trägt, und die Länder do rt, wo (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Sehr sie die Verantwortung tragen. richtig!) Die Sozialhilfe verhindert Armut. Ich komme noch einmal zum Euro zurück. Der Euro muß natürlich genauso stabil werden wie die D- (Beifall bei der CDU/CSU) Mark, die stabil geworden ist, seit wir an der Regie- rung sind. Ob das geschieht, entscheidet sich in den Aber die Sozialhilfe ist sehr wohl ein Indiz dafür, wo kommenden vier Jahren. Sagen Sie nicht: Es ist sich in unserer Gesellschaft Veränderungen vollzo- reiner Materialismus. Ich habe es Ihnen gerade schon gen haben, die wir korrigieren müssen. Das war auch gesagt: Es hat etwas mit Sozialpolitik zu tun. Es ent- damals, im Jahre 1975, bei der sozialliberalen Koali- scheidet sich in den kommenden vier Jahren, ob der tion der Fall. Damals hatten wir Armut, insoweit sie Stabilitätskurs durchgesetzt wird. Nach dem, was Sie zum Beispiel verschämte Armut war, verschämte inflationspolitisch bis Ende 1982 geleistet haben, Altersarmut. Das hat sich inzwischen etwas verän- weiß ich nicht, ob ausgerechnet die Aufgabe, unser dert. neues Geld stabil zu halten, bei Ihnen in guten Hän- den wäre. Auch bei den Grünen weiß ich das nicht. Vizepräsidentin Michaela Geiger: Herr Dr. Geißler, es besteht ein weiterer Wunsch nach einer Zwischen- Ich will es auf einen Nenner bringen: Der Euro frage, und zwar von der Abgeordneten Dr. Höll. kommt. Wenn wir jetzt das Geld wechseln, dann soll- 22980 Deutscher Bundestag - 13. Wahlpe riode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Dr. Heiner Geißler ten wir gescheiterweise nicht auch noch die Regie- Die Folge ist, daß die Beiträge wieder ansteigen. rung wechseln. Dann haben die Leute netto weniger in der Tasche. Die Handwerker haben zu hohe Lohnzusatzkosten. (Beifall bei der CDU/CSU - Zuruf von der Wir würden genau das Gegenteil von dem machen, SPD: Doch! Gerade!) was wir eigentlich machen müssen. Im Grunde ge- Es gibt einen dritten wichtigen Grund, die CDU nommen sind das, auf den Punkt gebracht, Ihre Vor- und CSU zu wählen: Das ist die Reformfähigkeit un- schläge. serer Gesellschaft. Hierzu nicht fähig ist eine politi- Wenn Sie nichts tun wollen, dann werden Sie die sche Partei, die sich anschickt, unser Volk in das Probleme der Zukunft nicht lösen. Lieber Herr nächste Jahrhundert zu führen, sich im Grunde ge- Dreßler, wo die Nächstenliebe nur darin besteht, nommen aber bei allen wichtigen Reformvorhaben nichts Böses zu tun, dort ist sie von der Faulheit verweigert hat. kaum zu unterscheiden. Frau Fischer, Sie haben mich etwas enttäuscht, als (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Sie gesagt haben: Wir machen das alles rückgängig. Sie müssen doch eine Antwort auf die Frage der Finanzierung geben. Vizepräsidentin Michaela Geiger: Ich erteile das Wort zu einer Kurzintervention der Abgeordneten Ihre Vorschläge zur Rentenversicherung, Herr Dr. Höll, PDS. Dreßler, geben doch keine Antwort auf die Frage nach einer langfristigen Finanzierung zum Beispiel angesichts der höheren Lebenserwartung. Dr. Barbara Höll (PDS): Herr Geißler, da Sie es ja nicht bei einer einfachen Ablehnung der Bitte um (Widerspruch des Abg. Rudolf Dreßler eine Zwischenfrage belassen haben, sondern ver- [SPD]) sucht haben, den unrichtigen Eindruck zu erwecken, - Nein, das haben Sie nicht. Das gilt für die Kranken- daß es uns als demokratisch gewählten Abgeordne- versicherung genauso. ten im Bundestag nicht zustehe, uns zu bestimmten Fragen zu äußern - was ich schon für ein sehr eigen- Was mich auf dem Gebiet der Krankenversiche- artiges Demokratieverständnis halte -, möchte ich rung am meisten empört, ist, daß Sie auch hier wie- einiges richtigstellen. der ein Angstszenario aufbauen, das mit der Realität überhaupt nichts zu tun hat. Sie verschweigen den Bei aller in der DDR vorhandenen starken ideologi- Menschen nämlich, auch was die Kinderarmut anbe- schen Ausrichtung, die aber in den verschiedenen langt, daß 22 Millionen Menschen überhaupt keine Zeitabschnitten der DDR und auch an den verschie- Zuzahlung leisten müssen. denen Orten jeweils sehr unterschiedlich war - wir haben dort gelebt, nicht Sie; das müssen Sie uns (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) schon glauben -, gab es keine wie heute hier veran- kerte und immer mehr zunehmende soziale Begren- Alle, die unter die Härtefallklausel fallen und im zung der Lebens- und Berufsaussichten von Kindern Westen ein Einkommen von unter 1736 DM - bei und Jugendlichen. Im Ergebnis Ihrer Politik ist es Verheirateten sind es 2387 DM; ich denke an ein nun einmal so, daß der Anteil von Kindern aus Arbei- Rentnerehepaar - zahlen keine Mark an Zuzahlung terhaushalten immer weiter zurückgeht, zum Bei- für Arzneimittel, Heil- und Hilfsmittel und Transpo rt spiel bei Studenten und Studentinnen. In der DDR -kosten. Es handelt sich um 22 Millionen Menschen, gab es - bei den von mir genannten Einschränkun- die keine Zuzahlung leisten müssen. Da reden Sie gen - eine sehr günstige Kinderbetreuung. Es gab von Abbau des Sozialstaates! Kinderkrippen, Kindergärten und Kinderhorte. Ich Die Zuzahlung derjenigen, deren Einkommen sage einmal: 50 Mark Kindergeld waren in dem oberhalb dieser Grenze liegt, ist begrenzt auf 2 Pro- System, welches wir nun einmal hatten, zent ihres Bruttoeinkommens. Bei einer Verkäuferin (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Wie war mit einem Einkommen von 3000 DM sind das 60 DM. das mit den Behinderteneinrichtungen?) Gut, das sind 720 DM im Jahr. Chronisch Kranke müssen 1 Prozent zahlen, also 360 DM im Jahr. Es ist zum Teil mehr als die 220 DM, die es heute für ein wahr, das ist eine Belastung. Dafür bekommt eine Kind gibt. Das ist einfach so. Ich mußte zu DDR-Zei- solche Frau aber das beste Gesundheitswesen der ten keine Hustentabletten bezahlen, wie ich es in- Welt, zwischen auch für Kinder machen muß. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Elke Holzapfel [CDU/CSU]: Aber Herz -tabletten!) weil wir die Leute nicht - wie in England - selektie- ren und sagen: Wer älter als 80 Jahre ist, arm ist und In der DDR war auch die Kinderkleidung subventio- kein Geld hat, der bekommt keine Bypassoperation, niert. Deswegen kann man absolute Zahlen nicht ne- kein künstliches Hüftgelenk und keine Nierentrans- beneinanderstellen. plantation. So sieht nicht die Gesundheitswelt aus, die wir für richtig halten. Deswegen ist die Zuzah- Dasselbe gilt für die Rente. Niemand von uns be- lung sozial verträglich; sie ist der richtige Weg. streitet, daß die Renten, die DDR-Bürger heute erhal- ten, zum Teil sehr gut sind. Aber erstens haben Sie Sie haben keine Alternative. Es ist bedauerlich, Rentenrecht als Strafrecht mißbraucht - das ist immer daß Sie unsere Reformen rückgängig machen wollen. noch nicht vollständig aufgehoben -, und zweitens Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 22981

Dr. Barbara Höll haben gerade DDR-Frauen eine sehr gute Rente, dieses Land wiederaufzubauen. Es gibt genügend weil sie ihr ganzes Leben lang berufstätig waren und politische Kräfte, die das vergessen machen wollen. sich ihre Rentenansprüche ha rt erarbeitet haben. Die Deswegen wird die Diskussion bei uns wie zum Bei- 300 Mark Mindestrente, die alle bekamen, hatte man spiel heute nachmittag bösartig. Im Osten gibt es zumindest wirklich; man muß auch sehen, daß man Leute, die das Schlechte vergessen machen wollen, für 10 Pfennige Straßenbahn fahren konnte. Versu- daß die Leute nämlich vor zehn Jahren noch in einer chen Sie nicht den Eindruck zu erwecken, als ob das Diktatur, eingesperrt und bespitzelt, leben mußten. nichts gewesen wäre. Sie wollen außerdem, daß die Leute vergessen, daß man nicht innerhalb von wenigen Jahren etwas errei- (Vorsitz : Vizepräsident Dr. ) chen kann, von dem wir miteinander gewünscht hät- Es ist doch bezeichnend, daß Sie bis heute immer ten, daß es einträte. Deswegen ist Ihr Ansinnen, das wieder die Versuche der Opposition abgelehnt ha- Schlechte vergessen machen zu wollen - frei nach ben, tatsächlich über Armut und Reichtum zu disku- Erich Kästner -, nichts anderes als der Versuch, das tieren. Wir haben Sie aufgefordert: Erstellen Sie Volk zu verdummen. Die PDS ist die Volksverdum- einen Reichtums- und einen Armutsbericht. Dann mungspartei der Bundesrepublik Deutschland. hätten wir wirklich eine gesicherte Grundlage. Sie (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - haben es doch immer mit Ihren Mehrheiten abge- Dr. Christa Luft [PDS]: Nur gut, daß die lehnt, eine solche gesicherte Grundlage zu erstellen Menschen im Osten klüger sind als Sie! - und auf dieser Basis mit allen Seiten der Opposition Abg. Dr. Angela Merkel [CDU/CSU] meldet zu diskutieren. sich zu einer Kurzintervention) Versuchen Sie hier nicht, anderen zu unterstellen, sie würden den Beg riff Armut falsch interpretieren. Es ist natürlich so, daß die Sozialhilfe nur das Exi- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Eine Sekunde, stenzminimum absichert und nicht mehr. Frau Kollegin Dr. Merkel. Wenn Sie hier eine Kurzin- tervention machen wollen, geht das nur, wenn Sie (Beifall bei der PDS) zur Rede von Herrn Geißler sprechen wollen. Sie können keine Kurzintervention auf eine Kurzinter- vention machen. Ich weiß nicht, wie ich Ihre Wort- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege Dr. Geißler, Sie haben die Möglichkeit, darauf zu ant- meldung einordnen soll. - Wünschen Sie also das worten. - Bitte schön. Wort zu der Rede vom Kollegen Geißler?

Dr. Heiner Geißler (CDU/CSU): Frau Kollegin, Dr. Angela Merkel (CDU/CSU): Ja, ich wünsche wenn es bei Ihnen damals so schön und so gut war, das Wort, weil ich gut verstehen kann, daß dem Kol- legen Geißler der Hut hochgegangen ist und er des- (Dr. Barbara Höll [PDS]: Das habe ich nicht halb eine Kurzintervention gemacht hat. Ich möchte gesagt!) aus dem Blick der anderen Seite genau das ergän- warum haben Sie denn die Leute eingesperrt und, zen, was Herr Kollege Geißler gesagt hat. wenn sie nach drüben wollten, erschossen? (Beifall bei der CDU/CSU - Anke Fuchs Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Entschuldigen [Köln] [SPD]: Jetzt kommt gleich der Ver- Sie, Frau Kollegin, das kann ich nicht zulassen. gleich mit den Nazis!) Ich will Ihnen folgendes zu den Medikamenten sa- Dr. Angela Merkel (CDU/CSU): Warum nicht? Na- gen: Die guten Medikamente - die Kollegin hat es türlich. Ich spreche zu der Kurzintervention von mir gerade noch einmal bestätigt -, die heute jeder Herrn Kollegen Geißler - Versicherte in Deutschland bekommt und die Versi- cherten in Westdeutschland immer bekommen ha- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Zu der Rede! ben, haben nur Ihre Funktionäre bekommen. Wenn der normale Bürger Medikamente aus Westdeutsch- land geschickt bekommen hat, haben Ihre Zollbeam- Dr. Angela Merkel (CDU/CSU): - und zu der Rede ten oder wer auch immer die Pakete aufgemacht und von Herrn Geißler - das ist vollkommen klar -, weil diese Tabletten aus den Paketen herausgenommen. ich glaube, daß es wichtig ist, daß ich bei dem Stand der Diskussion - Herr Präsident, wenn Sie mir das (Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Bis jetzt hatte ich vor gestatten - noch einmal sage, daß die Frage der Ar- Ihnen immer noch Achtung, Herr Geißler!) mut, die hier in aller Breite immer wieder diskutiert Das war die Realität in der sogenannten DDR gewe- wird, zuerst auch die geistige Armut und den geisti- sen. gen Reichtum bet rifft. Bei den Diskussionen, die wir heute geführt haben, Wenn hier über Armut gesprochen und von ande- fällt mir ein Sprichwort ein. Erich Kästner hat einmal ren darauf verwiesen wird, daß in der DDR keine Ar- gesagt: Wer das Schöne im Leben vergißt, wird böse; mut geherrscht hätte, dann kann ich nur sagen: Auf wer das Schlechte im Leben vergißt, wird dumm. das, was wir bis heute erreicht haben - ein Rechtsan- Manche in Westdeutschland vergessen das Schöne, spruch auf einen Kindergartenplatz in der Bundesre- nämlich daß wir das Glück gehabt haben, miteinan- publik Deutschland; unter Bedingungen, die ermög- der in Freiheit, Demokratie und Sozialpartnerschaft lichen, daß Kinder freiheitlich erzogen werden kön- 22982 Deutscher Bundestag - 13. Wahlpe riode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Dr. Angela Merkel nen, daß verschiedene Wege gegangen werden kön- Ich werde auf den einen oder anderen Punkt einge- nen -, können wir stolz sein, hen. Aber vieles von dem, was Sie gesagt haben - das wissen Sie selbst -, war nicht in Ordnung. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) weil wir - das ist mir wichtig - dieses auch im Zuge der deutschen Einheit erreicht haben. Sie haben uns ein erotisches Verhältnis zu Kata- strophenmeldungen zugeschrieben. Das halte ich Ich weiß nicht, ob es in der Bundesrepublik schon für sehr zynisch. Ich bin jeden Tag in Berlin Deutschland den Rechtsanspruch auf einen Kinder- unterwegs und kämpfe um Ausbildungsplätze, küm- gartenplatz auch ohne die deutsche Einheit gegeben mere mich darum, daß Jugendliche in den Arbeits- hätte. Deshalb ist das, wie ich finde, ein gutes Ergeb- markt hineinkommen. Ich habe die Jugendlichen vor nis. Das ist ein Rechtsanspruch auf einen Kindergar- mir, die Mädchen und Jungen, die verzweifelt sind, tenplatz, so wie ich mir ihn vorstelle. Dieser Rechts- weil es noch nicht geklappt hat, weil sie seit zwei anspruch wurde nicht verwirklicht, weil die Arbeits- Jahren suchen, oder - das ist natürlich besser - dieje- kraft der Mütter gebraucht wird und der Staat froh nigen, die glücklich sind, weil es endlich gelungen ist, daß er Kinder vom ersten Lebensjahr an indoktri- ist, einen Ausbildungsplatz zu bekommen. nieren kann. (Dr. Heiner Geißler [CDU/CSU]: Das ist die Das ist der Unterschied zwischen Armut in der frü- übergroße Mehrheit!) heren DDR und Armut in der Bundesrepublik Darum geht es uns. Darum sollte es vielleicht auch Deutschland. einmal in einer solchen Debatte gehen. Es geht Herzlichen Dank. darum, Probleme im Lande zu lösen. Das, was ich Ih- nen vorwerfe, ist, daß Sie einen ganz massiven Reali- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - tätsverlust haben. Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Diese Intervention war Spitze, Frau Merkel!) (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Kollegin, Es geht nicht um Katastrophenmeldungen. Es geht wenn ich daran denke, daß Sie als Mitglied der Bun- darum, herauszufinden, wo die Probleme liegen und desregierung jederzeit das Recht haben, zu reden, wie man sie gemeinsam anpacken kann. Wie groß habe ich ein Problem damit, das als eine Kurzinter- Ihr Realitätsverlust ist, haben wir gerade deutlich ge- vention auf die Rede des Kollegen Geißler einzuord- sehen, als Sie den Zehnten Kinder - und Jugendbe- nen. Ich nehme an, Herr Kollege Geißler, daß Sie dar- richt vorgelegt haben. Die Ergebnisse sind nicht sehr auf nicht antworten wollen. Ist das richtig? schön; das geben wir alle hier sicher zu. Dann muß man sich aber hinsetzen und - vielleicht ist das eine etwas naive Meinung - sagen: Ich bin nicht einer Dr. Heiner Geißler (CDU/CSU): Ja. Meinung mit den Gutachtern; ich bin nicht mit allem einverstanden. Laßt uns diskutieren; laßt uns darüber entscheiden, wie wir die Situation von Kindern, von Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Danke. Jugendlichen und von Familien in diesem Lande ver- Für den Bundesrat spricht die Senatorin für Arbeit bessern können. Berufliche Bildung und Frauen des Landes Berlin, Aber was machen Sie? Frau Dr. Christine Bergmann. Bitteschön. (Dr. Heiner Geißler [CDU/CSU]: Ich habe , Sie eben gelobt!) Senatorin Dr. Christine Bergmann (Berlin): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! - Ihre zuständige Ministe rin hat aber zunächst eine Ich denke, auf das Thema Kindergartenplatz werde Debatte darüber angefangen, wann jemand als arm ich im Laufe meiner Ausführungen noch zu sprechen anzusehen ist. Frau Merkel hat das gerade mit dem kommen und vielleicht etwas Sachliches dazu sagen. Thema der geistigen Armut fortgesetzt. Das ist auch Das wäre ja auch nicht schlecht. ein wichtiges Thema, das will ich gar nicht abstrei- ten. Aber vielleicht sollten wir uns einmal mit der (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE materiellen Armut befassen; denn darum geht es in GRÜNEN und der PDS) diesem Kinder- und Jugendbericht. Herr Geißler, Sie haben, als Sie begannen, den Sie haben wenigstens - das gebe ich fairerweise Kollegen Schreiner kritisiert und gemeint, einige sei- zu; ich bin ja immer fair - angesprochen, daß der Um- ner Darstellungen seien nicht ganz sachgemäß und fang der Sozialhilfe mindestens ein Indiz dafür ist, richtig gewesen. Wenn ich jetzt auf alle Ihre Unrich- daß etwas verbessert werden muß. Das ist ja schon tigkeiten eingehen wollte, bräuchte ich mindestens einmal etwas. Von der Jugendministerin habe ich so eine Stunde, bevor ich zu meinem eigentlichen etwas in den letzten Tagen nicht gehört. Ich habe Thema komme. von ihr eigentlich immer nur gehört, daß sie bestrei- tet, daß Sozialhilfebedürftigkeit durchaus problema- (Beifall bei der SPD - Dr. Norbe rt Blüm tisch ist. [CDU/CSU]: Tun Sie es doch! - Dr. Heiner Geißler [CDU/CSU]: Sie haben zehn Minu- Vielleicht ist Ihnen zur Kenntnis gekommen, daß ten!) es vor einem Jahr zur Lage in den neuen Ländern Deutscher Bundestag - 13. Wahlpe riode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 22983

Senatorin Dr. Christine Bergmann (Berlin) einen Bericht der Diakonie und der Ca ritas „Men- teiligungen, auch Benachteiligungen bei der Bil- schen im Schatten" gegeben hat. Do rt finden Sie dung. eine Armutsdefinition, die mit dem soziokulturellen (Beifall bei der SPD und der PDS) Existenzminimum arbeitet und die ganz klar besagt: Mit der Sozialhilfe, so wie wir sie jetzt haben, ist die- Wenn Sie den Kindern dann sagen: Strengt euch ses sozio-kulturelle Existenzminimum eben nicht an, einen guten Schulabschluß zu erreichen, damit mehr gewährleistet. Es muß in dieser Gesellschaft ihr eine Chance habt, einen Ausbildungsplatz zu be- um mehr als nur darum gehen, daß Kinder und Ju- kommen, dann antwortet Ihnen ein Teil dieser Kin- gendliche nicht verhungern. Wir sollten alle zusam- der: Warum denn? Ich sehe ja bei meinen Eltern, daß men ein bißchen mehr als das verlangen. das nichts bringt. - Am Ende trifft die sich selbst er- füllende Prophezeiung zu, daß die Kinder tatsächlich (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE keinen ordentlichen Schulabschluß und damit kei- GRÜNEN und der PDS) nen Ausbildungsplatz bekommen, weil sie schon vor- Es muß uns darum gehen - mir geht es besonders her resigniert haben. Mit diesem Sachverhalt muß darum -, daß uns jedes Kind in dieser Gesellschaft man sich auseinandersetzen. gleich wichtig ist. Sie wissen angesichts der vor uns Wir müssen das sozio-kulturelle Existenzminimum liegenden Zahlen ganz genau, daß es Unterschiede für Kinder und Jugendliche so definieren, daß nicht und Einschränkungen hinsichtlich der materiellen nur die materielle Grundausstattung der Kinder, also Bedingungen gibt. der Lebensunterhalt, gesichert sein muß, sondern daß auch Bildungserfordernisse und die soziale und Ich komme noch einmal auf den Bericht der Caritas kulturelle Förderung der Kinder berücksichtigt wer- und der Diakonie zurück. Sie haben von verschämter den. oder verdeckter Armut gesprochen. In diesem Be- richt steht eine interessante Zahl, die Sie wahrschein- Wir haben es erlebt: Anstatt diese Empfehlungen lich gar nicht zur Kenntnis genommen haben: In den aufzugreifen, kommen die berühmten Zahlen von neuen Ländern kommen auf zehn Sozialhilfeempfän- seiten der Bundesregierung. Heute ist ja schon - ger 17 Frauen oder Männer, die sozialhilfebedürftig Herr Waigel, ich glaube, Sie waren es - Wahrheit sind, die Sozialhilfe aber nicht in Anspruch nehmen. und Klarheit eingefordert worden. Sie haben den Be- trag von 77 Milliarden DM genannt, der jetzt für die (Zurufe von der SPD: Verdeckte Armut!) Familienförderung ausgegeben wird. Kinder leben ja in Familien. Das bedeutet: Wo Kinderarmut - Das ist verdeckte Armut in einem ganz erheblichen herrscht, sind die Familien in einer schlechten mate- Umfang. Auch diese Tatsache müssen wir zur Kennt- riellen Situation. nis nehmen. Wir können doch nicht so tun, als ob das Ansprechen dieser Tatsache aus Lust an der Kata- Hinsichtlich des Betrages von 77 Milliarden DM strophe geschähe. Es wäre uns allen lieber, es wür- haben Sie verschwiegen, daß wir inzwischen - dar- den insbesondere für die Kinder und Jugendlichen über freue ich mich - die deutsche Einheit hatten, bessere Zahlen auf dem Tisch liegen. daß also das Land größer geworden ist. Es sind Fami- lien mit relativ vielen Kindern - damals jedenfalls; (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- jetzt ist das leider drastisch zurückgegangen - hinzu- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN gekommen. Sie haben weiterhin verschwiegen, daß und der PDS) es Verbesserungen beim Familienlastenausgleich ge- geben hat. Bei der Berechnung der 77 Milliarden DM Man kann nicht sagen, daß Sozialhilfe die Men- berücksichtigen Sie auch nicht, daß die Lebenshal- schen aus der Armut herausführt und daß am Ende tungskosten gestiegen sind. Weiter rechnen Sie Lan- nur die übrigbleiben, die mit ihren persönlichen Pro- desleistungen mit ein. Auch in diesem Punkt sind Sie blemen nicht fertig werden. Diese Aussage ist schon nicht sehr genau. ziemlich zynisch. So kann man das Thema Armut si- cherlich nicht vom Tisch bekommen. 22 Prozent der Eines ist ja klar - die Mitglieder des Bundestages Kinder in den neuen Ländern und fast 12 Prozent in wissen sehr genau, wie die Situation wirklich war -: den alten Ländern sind betroffen. Ich weiß gar nicht, Die Erhöhung des Kindergeldes können Sie sich welche Zahlen wir eigentlich noch auf dem Tisch ha- nicht auf die eigenen Fahnen schreiben. Dies ist nur ben wollen, bevor wir uns mit dem Thema ernstlich durch die SPD-Mehrheit im Vermittlungsausschuß befassen. erreicht worden. Wenn Sie über die Folgen dieser Kinderarmut (Beifall bei der SPD) nachdenken wollen - das würde nicht schaden -, Sie, Frau Nolte, haben hier im Bundestag noch dage- dann gibt Ihnen der Bericht - Sie haben ja schon dar- gen gestimmt. Sich hier hinzustellen und zu sagen: auf hingewiesen, daß man sich nicht nur mit der Ar- „Das ist alles toll, was wir hier geleistet haben", hat mut an sich beschäftigen sollte - sehr gute Hinweise. schon ein Stück mit Chuzpe zu tun. Sie wissen, daß Armut gesundheitliche Folgen und Folgen der sozialen Ausgrenzung hat. Das ist eben Sie wissen, was wir wollen. Wir wollen das Kinder- eine Tatsache. Ich lebe in einer Stadt mit vielen sozia- geld auf 250 DM erhöhen. Wir brauchen natürlich ei- len Brennpunkten. Wenn Sie die Situation der Kinder nen stärkeren Familienlastenausgleich. Das fordern betrachten, deren Eltern von Arbeitslosigkeit betrof- nicht die Sachverständigen in dem Armutsbericht. fen sind und die daher nicht erleben können, daß Das fordern zum Beispiel die Kirchen. In dem Sozial- ihre Eltern arbeiten, dann erkennen Sie die Benach- wort der beiden großen Kirchen zur wi rtschaftlichen 22984 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Senatorin Dr. Christine Bergmann (Berlin) und sozialen Lage steht ausdrücklich, daß die Fami- geld und Elternurlaub umzugestalten, was noch lien in unserem Land besser gefördert werden müs- nicht einmal etwas gekostet hätte. Das wäre auch un- sen. Aber Sie nehmen dieses Wo rt der Kirchen ge- ter familienpolitischen und frauenpolitischen Ge- nausowenig wie alle anderen Vorschläge ernst, die sichtspunkten vernünftig gewesen. Ich denke, auch auf etwas mehr soziale Gerechtigkeit und Solidarität das gehört zu diesem Punkt der Leistung für Fami- ausgerichtet sind. lien. Hier muß mit Sicherheit mehr passieren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- Ich sage es noch einmal deutlich: Es ist zunächst ten des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und einmal eine Sache des Bundes. Der Versuch, nun im- der PDS) mer zu sagen: „Das sollen einmal die Länder machen", bringt nichts. Sie tun schon, was sie kön- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Gestatten Sie nen. Wir und die Kommunen haben aber bereits an- eine Zwischenfrage des Abgeordneten Geißler? dere Aufgaben, die sowieso bei den Ländern landen: die Sozialhilfe, immer mehr die Bekämpfung der Ar- beitslosigkeit und der Jugendarbeitslosigkeit. Die Senatorin Dr. Christine Bergmann (Berlin): Sie kön- Förderung der Familien - darüber sollten wir uns nen gerne Ihre Frage stellen. einig sein - ist eine Sache des Bundes.

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege Ich möchte noch einen anderen Punkt nennen. Geißler, bitte schön. Wenn wir uns darüber unterhalten, wer von dieser Kinder- und Jugendarmut am meisten betroffen ist, (Zuruf von der SPD: Bei der Wahrheit blei- dann stellen wir fest, daß dies die kinderreichen ben!) Familien und die Alleinerziehenden sind. Diese ha- ben heute in der Debatte noch kaum eine Rolle ge- Dr. Heiner Geißler (CDU/CSU): Darf ich Sie freund- spielt. Es sind auch die Zuwandererfamilien. lich bitten, daß Sie, wenn Sie das nächste Mal über Hier muß man sich fragen: Was ist in den letzten die Familienpolitik der Bundesrepublik Deutschland Jahren zur Verbesserung der Situation der Frauen, reden, zwar durchaus die 20 DM mehr für das erste vor allen Dingen der Frauen in der Erwerbsarbeit und zweite Kind als eine Entscheidung verbuchen, passiert? 30 Prozent alleinerziehende Frauen leben die der Bundesrat durchgesetzt hat, aber dann viel- von Sozialhilfe. So toll leben sie nicht. Herr Geißler leicht doch fairerweise die gesamte Familienpolitik hat es vorgerechnet: Wenn das Erziehungsgeld nicht darstellen, nämlich alles andere, wie die Erhöhung mehr gewährt wird, sieht es also sehr „mau" aus. Da des Kindergelds in dieser Legislaturpe riode auf erst muß man sich auch als Familien- und Frauenministe- 200 DM und dann 300 DM für das dritte Kind, rin darum kümmern, was man tun kann, um diese 350 DM für das vierte und jedes weitere Kind, Frauen besser auf dem Arbeitsmarkt unterzubringen. (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Ohne das Bun- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE desverfassungsgericht wäre gar nichts GRÜNEN und der PDS) gekommen!) die Verbesserung der Unterhaltszuschußkassen, die Jetzt sind wir beim Thema Kinderbetreuung. Ich Anerkennung von Erziehungsjahren - drei Jahre für hatte angekündigt, etwas dazu zu sagen. Das hat et- ein Kind schon ab der nächsten Legislaturpe riode - was damit zu tun, daß man sich deutlich darum küm- und alles, was damit zusammenhängt, und nicht nur mern muß, daß Frauenförderung zum Beispiel auch die 20 DM Kindergelderhöhung, die Sie völlig zu im Bereich der Wirtschaft eine größere Rolle spielt. Recht für sich verbuchen können. Aber es sind eben Es reicht eben nicht, wenn wir ein Gleichstellungsge- nur 20 DM und sonst nichts. setz haben, das nur für den öffentlichen Dienst gilt. Frau Nolte, Sie haben so viele schöne Vorgaben Senatorin Dr. Christine Bergmann (Berlin): Wir gehabt, zum Beispiel das Quotenurteil des Euro- wollen auch mehr. Fairerweise sage ich, wie Sie es päischen Gerichtshofs und das Vergaberechtsände- gefordert haben, noch etwas zum Erziehungsgeld. rungsgesetz. Hier hätte man richtig etwas verbessern Dabei müßte Ihnen eigentlich das Herz bluten; denn können. Aber auf die noch verbleibenden vier Wo- Sie wissen genau, daß die Einkommensgrenzen beim chen kommt es jetzt auch nicht mehr an. Wir als SPD Erziehungsgeld, seit es eingeführt wurde - es war werden es danach hinbekommen. sehr gut, das Bundeserziehungsgeld einzuführen; Sie (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE wollen ja, daß ich das Gute benenne -, nie angepaßt GRÜNEN und der PDS) wurden. Wir haben eben jetzt die Situation, die Sie kennen, daß nämlich früher neun von zehn Familien Man muß den Frauen in diesem Lande deutlich sa- das Geld bekamen und heute nur noch vier von zehn gen: Wenn es um den Anteil der Frauen an der Er- Familien es bekommen. Das finde ich weniger toll. werbsarbeit geht, muß - das ist für die Frauen drin- Ich denke, Sie stimmen mir in diesem Punkt zu. gend notwendig - noch erheblich mehr getan wer- den; denn die Anrechnung von drei Jahren Erzie- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) hungszeit sichert den Frauen keine anständige Rente. Deshalb muß man sehen, wie man sie auf dem Sie haben auch dem Vorschlag der SPD nicht zuge- Arbeitsmarkt unterbringt. Man darf eben nicht zulas- stimmt, die Einkommensgrenzen anzupassen, das Er- sen, daß im Arbeitsförderungsgesetz zu Lasten der ziehungsgeld und den Erziehungsurlaub zu Eltern- Frauen Leistungen abgebaut werden. Wir haben Ih- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 22985

Senatorin Dr. Christine Bergmann (Berlin) nen, Frau Nolte, als Frauenministerin und dem Ar- daß sich bei den Frauen einiges geändert hat, und beitsminister einen ganzen Katalog von Regelungen zwar nicht nur im Osten. vorgelegt, die nicht sein dürfen: der Wegfall der An- rechnung von Erziehungszeiten, die Erweiterung der (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Rita Kriterien der Zumutbarkeit, das Fehlen von Mußvor- Grießhaber [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] schriften bei der Quotierung. Das alles haben Sie und Petra Bläss [PDS]) nicht aufgegriffen. Hier hätten Sie nun wirklich eine Auch zum Thema geringfügige Beschäftigungsver- ganze Menge mehr tun können, wenn Sie das Ziel, hältnisse - das ist schon angesprochen worden - den Anteil der Frauen an der Gesamtzahl der Er- hätte ich mir von der Frauenministerin ein kräftiges werbstätigen zu erhöhen, ernst nehmen würden. Wort gewünscht. Denn auch dieses Problem bet rifft überwiegend Frauen. In dem Zusammenhang noch ein Satz zu Herrn (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Biedenkopf, der heute früh die Empfehlungen der ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sächsisch - bayerischen Zukunftskommission ange- und der Abg. Petra Bläss [PDS]) führt hat. Im Grunde genommen sind wir uns ja einig, Herr (Beifall des Abg. Wolfgang Zöller [CDU/ Blüm, daß wir all unsere sozialen Sicherungssysteme CSU]) erhalten wollen. Sie - Herr Geißler war es - müssen uns nicht vorhalten, wir wollten an den Sozialstaat heran. Ich kann mich nicht erinnern, daß jemand von Mit einem Blick zu mir hat er von „kritischen Ausein- uns das will - im Gegenteil. Wir müssen gemeinsam andersetzungen" gesprochen. In der Tat, wir haben dafür sorgen, daß die Arbeitnehmerinnen und Ar- uns mit dieser Streitschrift - wer sie haben will, dem beitnehmer nicht zu Millionen - sie tun es ja meist kann ich sie zur Verfügung stellen - kritisch ausein- nicht freiwillig - in die Scheinselbständigkeit, in die andergesetzt. Nur, eigentlich hätten Sie, Frau Nolte, geringfügige Beschäftigung gedrängt werden. Im- sich mit diesen Empfehlungen auseinandersetzen - mer sind Frauen ganz besonders betroffen. Dagegen müssen. Denn manches von dem, was da zur Frauen- hätte schon längst etwas getan werden können. erwerbsarbeit ausgeführt wird, ist schon dramatisch. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Rita Ich will noch einen Punkt aus dem Kinder- und Grießhaber [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] Jugendbericht aufgreifen - eine Umsetzung würde und Petra Bläss [PDS]) gar nichts kosten -, der zeigt, wie unsere Gesellschaft mit Kindern und Jugendlichen umgeht. Ich meine Wenn, so wird ziemlich deutlich gesagt, die Frauen, das Thema Kinderrechte in der Verfassung. insbesondere die Ostfrauen, nicht so renitent wären und unbedingt erwerbstätig sein wollten, gäbe es gar (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne kein so großes Problem auf dem Arbeitsmarkt. Ein ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Mitglied dieser Kommission hat uns auf einer Veran- und der Abg. Petra Bläss [PDS]) staltung in Berlin gesagt: Na gut, wir haben begrif- Sind wir bereit, auch in der Verfassung festzulegen, fen: Die Ostfrauen wollen unbedingt; da kann man daß Kinder ein Recht auf Förderung ihrer Entwick- wohl nichts machen. Aber daß die Westfrauen das lung, ein Recht auf gewaltfreie Erziehung haben? nun auch alle wollen, das geht j a wohl nicht. Man kann argumentieren, das sei schon in der Ver- fassung festgeschrieben. Aber wir kennen das von Ich gebe Ihnen den Rat: Setzen Sie sich einmal mit der Frauendebatte: Es schadet nichts, das noch ein- dem Bericht dieser Zukunftskommission auseinan- mal deutlich zu verankern. der, wenn es Ihnen wirklich um die Gleichstellung von Frauen geht! Wie gesagt: Wir werden hier sehr (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Matthias Berninger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] vieles anders und besser machen. und Petra Bläss [PDS]) Kinderbetreuung ist ebenfalls ein wichtiger Punkt. Ich stimme mit Ihrem Appell, die Gesellschaft Herr Geißler hat aufgezählt, in welchen Bereichen müsse sich kinderfreundlicher verhalten, überein. Da das alles funktioniert. Die Realität, die ich erlebt haben Sie uns alle voll an Ihrer Seite. Aber als Politi- habe, zum Beispiel letzte Woche in Baden-Württem- kerin muß ich an der Spitze der Bewegung stehen. berg, ist anders. Do rt ist, so heißt es, der Rechtsan- Die Menschen erwarten genau solche Signale. Wir spruch auf einen Kita-Platz umgesetzt. Aber wie sieht sollten signalisieren: Wir wollen mit den Kindern in das dann aus? Ein Kita-Platz von 8 bis 12 Uhr oder der Gesellschaft anders umgehen. von 13 bis 17 Uhr - sicher nett für die Kinder. Aber Sie lehnen diese Forderung ab, obwohl sie im wie sollen erwerbstätige Mütter mit solchen Kita- Grunde genommen von Ihnen erhoben werden Plätzen agieren? Hier muß wesentlich mehr passie- müßte. Ich kann das nicht ganz verstehen. ren. Insbesondere Kinder alleinerziehender Mütter brauchen schon vor dem dritten Lebensjahr eine Be- Ich komme zum letzten Punkt, zum Thema treuung - und auch noch in der Schulzeit. Wie sonst Jugendarbeitslosigkeit. Hier werde ich nun wirklich soll die eigenständige Existenzsicherung von Frauen, bitter; denn was Herr Biedenkopf heute vormittag et- um die es uns geht und die die Frauen wollen, funk- was verharmlosend dargestellt hat, entspricht nicht tionieren? Sie haben noch nicht ganz mitbekommen, unserer Realität. Wir haben eine Zunahme der 22986 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Senatorin Dr. Christine Bergmann (Berlin) Jugendarbeitslosigkeit zu verzeichnen, und das nicht kämpfung der Jugendarbeitslosigkeit nicht mehr tun nur in Berlin. müßten, weil wir unter dem EU-Durchschnitt liegen, der ist schlichtweg zynisch. Wer so mit der Zukunft Herr Waigel - jetzt ist er weg -, der Jugend unseres Landes umgeht, hat auch das (Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Hier! Recht zur politischen Gestaltung verloren. Keine Sorge!) (Beifall bei der SPD und der PDS) Sie haben gesagt, in den letzten Jahren sei es gelun- Lassen Sie mich mit einem Satz aus dem Zehnten gen, den Menschen ihre Angst zu nehmen. Beim Kinder- und Jugendbericht schließen, der das poli- Thema Angst bin ich immer sehr empfindlich; denn tische Handeln wieder bestimmen muß und den ich ich habe lange in einer Diktatur gelebt, in der perma- in der Debatte bisher nicht gehört habe. Herr Geißler nent Angst herrschte. Ich kann es überhaupt nicht hat uns aufgefordert, auch über andere Dinge zu re- vertragen, wenn jemand mit Angst operiert. Nur, es den. Es hätte mich gefreut, wenn darüber diskutiert gibt Angst unter den Jugendlichen. Ich bitte Sie, das worden wäre. Im Bericht steht nämlich: Für Kinder ernstzunehmen. und Jugendliche muß erkennbar sein, daß die Ge- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sellschaft auf sie wartet und Bildungs- und Ausbil- dungsplätze zur Verfügung stellt, die den Weg zur Frau Nolte hat im vergangenen Jahr die Shell-Stu- Arbeit und zum selbstverantwortlichen Leben er- die vorgelegt, in der steht: Die Krise der Gesellschaft schließen. Das ist unser Leitbild, das Leitbild der So- hat die Jugend erreicht. Reden Sie einmal mit zialdemokratinnen und Sozialdemokraten. Wir wol- Jugendlichen, die monatelang einen Ausbildungs- len am 27. September dafür sorgen, daß genau das platz gesucht haben! Sie machen sich Sorgen um für Kinder und Jugendliche in der Gesellschaft ver- ihre Zukunft, und nicht nur sie, sondern die ganze wirklicht wird. Familie mit ihnen. Es muß uns doch gelingen, diesen Jugendlichen eine Chance zu geben. Es darf einfach Danke schön. kein Jugendlicher nach Abschluß der Schule in die (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Arbeitslosigkeit gehen. GRÜNEN und der PDS) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Petra Bläss Ich gebe der [PDS]) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Abgeordneten Rita Grießhaber das Wo rt. Aber sie gehen natürlich in die Arbeitslosigkeit. Herr Rüttgers hat hier so schöne Zahlen genannt. Rita Grießhaber (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich könnte jetzt stundenlang darauf eingehen; aber Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kol- das mache ich nicht. Ich möchte nur einmal sagen, lege Geißler hat sich eben bitter beklagt, daß dieser was die IHK, zumindest in meinem Umfeld - viel- wunderbare Kinderbericht, der uns vorliegt, einzig leicht ist das in anderen Bundesländern anders -, an- und allein dazu benutzt wird, hier eine Armutsde- bietet. Es sind Ausbildungsplätze, die zum größten batte zu führen. Aber, meine Damen und Herren von Teil wir finanzieren, voll oder auch teilweise. Die der Koalition, das hat allein die Reaktion Ihrer Mi- Ausbildungsplätze, die wir brauchen, um jedes Jahr nisterin ausgelöst. Sie hat die Schlagzeilen produ- die Lücke zu schließen, finanzieren wir als Land - ziert, daß die Kinder gar nichtwirklich arm seien. Sie und Berlin ist ein armes Land. In diesem Jahr haben hat das Problem geleugnet. Sie hat diese Reaktion wir wieder 25 Millionen DM mehr ausgegeben, um überhaupt hervorgerufen. Ausbildungsplätze zu finanzieren. Es sind eben nicht Dabei kann dieses Thema überhaupt nicht überra- Ausbildungsplätze der Wirtschaft. Wenn wir die Ver- schen. Schon 1996 anläßlich des UN-Kinderrechts- antwortung dafür nicht wieder der Wi rtschaft über- ausschusses wurde die Bundesregierung darüber be- geben, dann können wir das Problem nicht lösen und lehrt, daß es beschämend sei, daß das reiche Land den Jugendlichen auch nicht ihre Angst nehmen. Bundesrepublik Deutschland so wenig gegen Kin- Dies hat für uns absolute Priorität. Das werden wir derarmut tut. den Jugendlichen auch deutlich vermitteln. Es war die Bundesbank, die im April 1996 getitelt (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- hat: Kinder sind das Armutsrisiko Nummer eins in ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN diesem Land geworden. Es war nicht die Erfindung und der Abg. Petra Bläss [PDS]) der Opposition. Herr Schreiner hat es schon angesprochen: Wer Die Menschen, die sich um ihre Kinder kümmern, sich dann hier hinstellt und argumentiert: „Das ist die sehen müssen, wie sie das organisieren, daß bei- bei uns kein Thema. Wir liegen ja unter dem EU- spielsweise eine Klassenfahrt noch bezahlt wird, die Durchschnitt; sich überlegen müssen, ob sie ihre Kinder zum Zahn- (Zuruf von der SPD: Wir sind bescheiden!) arzt schicken können, fühlen sich von dieser Diskus- sion total verschaukelt. Das ist nicht die Aufgabe der liegt bei 21 oder 22 Prozent" - ich habe mich ge- einer Familienministerin. ärgert, daß das wieder in der Stellungnahme zu die- sem Kinder- und Jugendbericht steht; und in Berlin (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sind wir bald bei dem Wert von 21 oder 22 Prozent und bei der SPD - Wolfgang Zöller [CDU/ angelangt -, wer also so tut, als ob wir bei der Be- CSU]: So ein Schwachsinn!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 22987

Rita Grießhaber Frau Nolte hatte angemessen Zeit, auf diesen Be- Statt den Familienlastenausgleich noch so zu nen- richt zu reagieren. Erst wollte sie ihn wegsperren. nen, haben Sie ihn in „Familienleistungsausgleich" Die Öffentlichkeit hat es moniert. Jetzt diskutieren umbenannt. Natürlich haben Sie das Kindergeld wir ihn. Sie hat sich aber nicht hingestellt und gesagt: etwas erhöht. Aber Sie mußten den Familien wenig- Jawohl, auch ich bin über gewisse Entwicklungen stens wieder einen Teil dessen zurückgeben, was Sie besorgt, ich sehe, daß wir da etwas tun müssen, und ihnen vorher aus der Tasche gezogen haben. ich bedaure, daß die Situation an diesen Punkten so ist. Das fehlt uns, und es fehlt den Betroffenen. Wir Grüne sehen in diesem Bericht sehr viele unse- rer Forderungen durch die Ergebnisse der Sachver- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ständigen bestätigt. Nur ein paar Beispiele: Wir wol- len ein Kindergeld von 300 DM, wir wollen die Erhö- Sie hat sich hier hingestellt und behauptet, für vieles, hung des Existenzminimums, und wir wollen andere was in diesem Bericht beklagt wird, ist die Politik gar Steuertarife. nicht verantwortlich. Vielleicht sind Ihre vier Jahre Regierungstätigkeit zu kurz, um dafür verantwortlich Aber auch bei der Integration der hier lebenden zu sein. Aber angesichts von 16 Jahren christlich- ausländischen Kinder legt die Kommission den Fin- liberaler Koalition trägt man doch Verantwortung da- ger in die Wunde. Die hier geborenen Kinder nicht- für, wie die Situation im Land ist. deutscher Eltern müssen endlich die deutsche Staats- angehörigkeit bekommen. Einbürgerung und dop- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) pelte Staatsangehörigkeit gehören endlich erleich- Die Kommission kommt zu dem Schluß, daß die Le- tert. Flüchtlingskinder brauchen Schutz statt Ab- bens- und Entwicklungschancen von Kindern so un- schottung. gleich verteilt sind, daß wir das nicht länger dulden (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dürfen. Aber, Frau Nolte, daß Sie darauf verweisen, und bei der PDS) daß bei uns Kinder nicht hungern wie in Korea, ist bodenlos. Daß eine Familienministerin solche Ver- Auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist gleiche anstellt, schlägt alles, was wir bisher an sol- nicht nur eine Finanzierungsfrage. Mit einer Flexibi- chen Diskussionen gehört haben. Mir reicht schon, lisierung des Erziehungsurlaubs zum Zeitkonto hät- daß Kinderarbeit ein Problem nicht nur in Brasilien ten Sie da tätig werden können. oder Indien ist, sondern zum Beispiel auch in Bran- denburg, wo jedes dritte Schulkind der siebten bis Ich will ja nicht sagen, daß die Ministe rin untätig zehnten Klasse arbeitet, und dies nicht, um das gewesen sei. Aber was hat sie gemacht? Was hat die Taschengeld aufzubessern. 30 Prozent dieser Kinder Regierung gemacht? - Sie haben den Schwangeren schätzen ihre Arbeit als schwer und notwendig für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gekürzt, Sie den Unterhalt der Familie ein. Das muß uns doch zu haben für Eltern die zumutbaren Fahrzeiten zur denken geben. Arbeit erhöht, Sie haben die Möglichkeit gestrichen, gleichzeitig Erziehungsgeld und Arbeitslosenhilfe zu Armut bewegt sich vom Rand in die Mitte der Ge- bekommen. Für die Mütter ist diese Politik bitter und sellschaft. Zumindest phasenweise kann materielle zynisch, und den Kindern verbaut sie die Zukunft. Not einfach eine sogenannte Normalfamilie mit zwei Kindern mit einem durchschnittlichen Einkommen Als es allerdings darum ging, die Regelungen zum treffen, je nachdem, in welcher Stadt man eine Woh- Schwangerschaftsabbruch zu verschärfen, sind Sie, nung braucht und ob man die Miete noch bezahlen Frau Nolte, ohne Not vorneweg marschiert. Als es kann, je nachdem, welche außerschulische Be- darum ging, die Situation von Familien zu verbes- treuung man für die Kinder braucht oder ob die sern, mußten Sie leise jammern und feststellen, daß Eltern erwerbslos geworden sind. Die Familienver- es im Kabinett nicht durchsetzbar war. Mit dieser bände sprechen in diesen Fällen von einem prekären Politik verabschieden Sie sich zunehmend aus den Wohlstand. Strukturen, die Kinder schützen, stärken und ihnen Perspektiven bieten. Insoweit ist wirklich Zeit für Aber jenseits all dieser Beg riffe ist doch eines klar: einen Wechsel. Alle Bilanzen und Familienagenden, die Frau Nolte in den letzten Monaten veröffentlicht hat, können Vielen Dank. nicht darüber hinwegtäuschen: In diesem Punkt hat (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - die Bundesregierung versagt. Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Das war aber (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ein sehr schwacher Beifall!) Das bißchen Mehr, das Sie den Familien geboten ha- ben, hat das Verfassungsgericht erzwungen. Es war Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das nicht Ihre Idee. Wort der Abgeordneten Sabine Leutheusser-Schnar- renberger. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (F.D.P.): Die Expertenkommission stellt ganz klar fest, daß Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist gut, in den 80er und 90er Jahren der Spielraum der Fami- daß die Gelegenheit besteht, im Rahmen der Grund- lien durch sämtliche Reformen des Einkommens- satzdebatte über künftige Politik sich auch ein erstes und Steuersystems eingeengt statt erweitert wurde. Mal mit dem Zehnten Kinder- und Jugendbericht zu Was Sie gemacht haben, war ein Etikettenschwindel. beschäftigen, der sehr gute und interessante Infor- 22988 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger mationen über Kinder bis 14 Jahre enthält. In dieser Die Regierung und die Koalition haben in der Komplexität hat es das bis heute nicht gegeben. Des- Kindschaftsrechtsreform klargemacht, daß wir keine halb ist eine seriöse Beschäftigung mit diesen Fragen Gewalt als zulässiges Mittel der Erziehung wollen. geboten: seriös, was die Situation von Kindern von Aber der Bericht sagt auch deutlich, daß gewaltfreie alleinerziehenden Müttern und kinderreichen Fami- Erziehung zwar wichtig ist, aber ohne Sanktionsan- lien in materieller und in immaterieller Hinsicht an- drohungen. Man muß sich mit dieser Frage also in geht. einem breiteren Ansatz beschäftigen. Denn dieser Bericht will auch keine Kriminalisierung und Verun- Kinderarmut, die in der öffentlichen Diskussion sicherung von Eltern, die sich zum Teil in wirklich eigentlich fast ausschließlich mit diesem Bericht ver- schwieriger Lage befinden. bunden wird, ist ein wichtiger, aber natürlich nicht der einzige Teil dieses Berichtes. Wenn man sich die Eine Befassung mit dem Bericht muß zum Schluß Ausführungen dazu ganz nüchtern und realitätsbe- auch eine Bilanz erlauben über das, was zur Stär- zogen ansieht, dann wird deutlich, daß es sehr unter- kung der Stellung der Kinder getan worden ist. Ich schiedliche Entwicklungen gibt. glaube, mit der Kindschaftsrechtsreform ist in dieser Legislaturperiode ein Werk geglückt, das das Kin- Nimmt man als Kriterium den Bezug von Sozial- deswohl stärker berücksichtigt. hilfe oder die umstrittene Definition, daß Armut immer dann vorliege, wenn nur die Hälfte des durch- Zum Schluß darf ich sagen: In der nächsten Legis- schnittlichen Einkommens erzielt werde, dann ist im laturperiode wird die F.D.P. unter anderem alles dar- Vergleich der letzten zehn Jahre in den alten Bun- ansetzen, daß der Vorbehalt, der gegen die Kinder- desländern der Anteil gesunken. 1988 war die Situa- konvention der Vereinten Nationen eingelegt wor- tion in den alten Bundesländern schlechter als heute. den ist, schnell aufgehoben wird. Das ist überfällig. Aber natürlich gehört dazu, daß in den östlichen Das schaffen wir jetzt nicht mehr, aber es wird bereits Bundesländern - das können wir jetzt seit einigen geprüft. Ich denke, das ist eines der ersten Dinge, die Jahren beobachten - eine entgegengesetzte Ent- wir erledigen, weil wir nämlich die Stellung der Kin- wicklung stattfand. Eine seriöse Betrachtung aber der nicht nur rechtlich betrachten, sondern die Kin- muß doch beides in das Blickfeld nehmen. der als Wesen sehen, die wirklich die Schwächsten in unserer Gesellschaft sind und für die wir alles tun Dann muß, unabhängig von der Auseinanderset- müssen. zung um Definitionen, überlegt werden - das kann Vielen Dank. man, wie ich denke, sehr wohl bei den insgesamt sehr kritischen Ansätzen, die auch von Experten und (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Wissenschaftlern kritisch gesehen werden -, wo man Handlungsbedarf zielorientiert sieht. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das Dabei ist eines ganz klargeworden: Bei Familien, Wort dem Bundesminister für Gesundheit, Horst See- bei Alleinerziehenden, bei Personen mit niedrigem hofer. Einkommen muß in jedem Fall die Belastung mit (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Wo ist denn Frau Abgaben reduziert oder ganz beseitigt werden. Des- Nolte?) halb gehört in diese Debatte auch, daß die Steuer- belastung bei niedrigen Einkommen von derzeit 25,9 Prozent auf 15 Prozent gesenkt werden muß, Horst Seehofer, Bundesminister für Gesundheit: wie es die F.D.P. will. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte als zuständiger Minister etwas (Beifall bei der F.D.P.) zur Sozialhilfe und auch zu den heutigen Ausführun- gen von Herrn Dreßler zum deutschen Gesundheits- Wir wollen eine gerechte und damit natürlich auch wesen sagen. auf die tatsächliche Situation bezogene richtige und faire Besteuerung. Das hat dann natürlich Folgerun- Sozialhilfe schafft keine Armut, Sozialhilfe ver- gen für den gesamten linearen Tarif. hindert, daß Menschen in Deutschland in Armut leben müssen. (Beifall bei der F.D.P.) Dieser Satz stammt aus einer Information des Bun- Ein weiterer ganz wesentlicher Bereich - Frau Se- desministers für Jugend, Familie und Gesundheit natorin Bergmann, Sie haben es angesprochen - ist vom August 1976, und die Ministe rin war damals der Bereich Gewalt, Gewalt gegenüber Kindern in Frau Dr. Focke, SPD. Trotzdem ist dieser Satz richtig, Familien wie überhaupt Gewalt in der Gesellschaft. meine Damen und Herren. Sozialhilfe schafft keine Daß es in Familien einen hohen Anteil an Gewalt Armut, sondern Sozialhilfe verhindert, daß Men- gibt, wird, auch wenn es keine neue Erkenntnis ist, schen in Deutschland in Armut leben müssen. in diesem Bericht noch einmal gesagt. Es heißt aber auch, daß eine Ursache für auffälliges Verhalten von (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Kindern bis 14 Jahren in ihrer Unsicherheit über das Frau Bergmann, ich bitte Sie dringend - ich habe liegt, was sie wert sind, wie weit sie in der Familie, das schon mehrmals in diesem Haus getan -: Wir aber auch in der Gesellschaft akzeptiert und aner- müssen endlich damit Schluß machen, Sozialhilfe- kannt werden. Deshalb ist es richtig, sich über Erzie- empfänger in Deutschland zu stigmatisieren. hung und Inhalte von Erziehung zu unterhalten, auch über die Frage von Gewalt in der Erziehung. (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Wer tut das denn?) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 22989

Bundesminister Horst Seehofer Das Gegenteil ist erforderlich. Sozialhilfe ist ein un- hauptet wird, daß bei der Sozialhilfe ein Sozialabbau verzichtbarer Pfeiler unseres deutschen Sozialstaa- stattgefunden habe. Das stimmt einfach nicht. tes. Niemand muß sich schämen, wenn er Sozialhilfe beantragt und auch Sozialhilfe bekommt. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Abg. Ulrike Mascher [SPD] meldet sich zu (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - einer Zwischenfrage) Zuruf von der SPD) - Sie tragen dazu bei. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Minister Seehofer, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Meine Damen und Herren, wenn ein behinderter Mensch in einer Behinderteneinrichtung versorgt Horst Seehofer, Bundesminister für Gesundheit: und betreut wird, dafür 4000, 5000 oder 6000 DM Nein. monatlich aufgebracht werden und dieser Sozialhil- feaufwand dann in der Sozialhilfestatistik erscheint, dann ist dies nicht Ausdruck von Armut in Deutsch- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Keine Zwi- land, sondern Ausdruck eines hochentwickelten schenfrage. Danke. Sozialstaates. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Horst Seehofer, Bundesminister für Gesundheit: Ich wende mich nun den angesprochenen Zahlen Frau Bergmann, Sie müssen noch einiges zulegen. und den Ausgaben für die Sozialhilfe zu. Seit 1961, Sozialhilfe ist mehr als das physische Existenzmi- seit es ein reformiertes Sozialhilferecht gibt, sind die nimum. Sozialhilfe ist mehr, als man zum Leben Sozialhilfeausgaben im Jahre 1996 zum erstenmal braucht. Sozialhilfe ist nach der Definition des Be- auf unter 50 Milliarden DM gesunken. 1997 sind sie griffs und des Gesetzes seit 30 Jahren so ausgerich- noch einmal um 5 Milliarden DM gesunken. Das ent- tet, daß der Mensch neben dem, was er zum Leben spricht einem Rückgang der Sozialhilfeausgaben in- und Überleben braucht, auch am kulturellen und ge-- nerhalb von zwei Jahren von 52 Milliarden DM auf sellschaftlichen Leben teilnehmen kann. Frau Grieß- 44 Milliarden DM. Dafür gibt es verschiedene haber, das war auch Ihr Fehler wieder: Reden Sie Gründe. An erster Stelle nenne ich die Pflegeversi- den Leuten doch nicht Dinge ein, die in der Praxis so cherung und an zweiter Stelle die Sozialhilfereform nicht stimmen, womit Sie einen Schaden auslösen, mit der Deckelung der Regelsätze und der Decke der gar nicht nötig ist! lung der Pflegesätze in Einrichtungen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Es ist falsch, immer wieder zu behaupten, daß diese Regierung dazu beigetragen habe, den finan- Eltern, deren Kind an einem Schulausflug teilneh- ziellen Spielraum von Kommunen, die die Sozialhilfe men will, die das aber nicht bezahlen können, sollen bezahlen, durch die Ausuferung von Sozialhilfeaus- mit der gleichen Selbstverständlichkeit, mit der man gaben einzuengen. Vielmehr ist richtig, daß in den zum Amt geht, um Ausbildungsförderung zu bean- letzten zwei Jahren durch politische Maßnahmen, tragen, zum Sozialamt gehen können und für diesen die wir getroffen haben, erstmals seit Bestehen des Schulausflug eine einmalige Hilfe beantragen, damit Bundessozialhilferechts die Sozialhilfeausgaben das Kind den Schulausflug mitmachen kann. massiv um 8 Milliarden DM auf 44 Milliarden DM zu- rückgegangen sind. Daran wird deutlich, daß wir die (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Kommunen nicht zusätzlich belastet haben, sondern Rita Grießhaber [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sie durch unsere Politik im Bereich der Sozialhilfe NEN]: Fragen Sie einmal die Lehrer, wie entlastet haben. das vor Ort aussieht!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Aber wenn Sie den Menschen ständig einreden: „Das ist etwas Unanständiges, ihr steht am Rande Es ist richtig, daß die Zahl der Sozialhilfeempfän- der Gesellschaft und gehört eigentlich zu den ganz ger gestiegen ist. Ich bin Frau Leutheusser-Schnar- Armen und zum letzten Rest unserer Gesellschaft" - renberger sehr dankbar, daß sie das einmal in einem so wie Sie beide das heute getan haben -, dann dür- anderen Zusammenhang differenzie rt hat. Man muß fen Sie sich nicht darüber wundem, daß bei diesen sich nämlich einmal die Gründe ansehen, die zu Menschen auch Scham entsteht. einer Erhöhung der Zahl der Empfänger auch von Hilfe zum Lebensunterhalt beigetragen haben. In be- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) zug auf die Pflegebedürftigkeit und die Hilfe in Be- hinderteneinrichtungen habe ich schon gesagt, daß Wir haben einen hochwertigen Sozialstaat. Die es sich um einen Fortschritt des Sozialstaates han- Sozialhilferegelsätze, mit denen gewissermaßen der delt, wenn hier mehr aufgewendet wird und mehr Bedarf für einen Sozialhilfeempfänger abgedeckt Menschen versorgt werden. wird, sind in den 16 Jahren unserer Regierungszeit nominal um sage und schreibe 58 Prozent gestiegen. Zwischen 1985 und 1996 ist die Zahl der Kinder Die Arbeitslöhne sind um 46 Prozent gestiegen. Ich und Jugendlichen bis 18 Jahre, die Hilfe zum halte hier fest: In unserem Sozialstaat ist die Sozial- Lebensunterhalt bekommen haben, in der Tat um hilfe in den 16 Jahren unserer Regierung stärker ge- etwa 400 000 gestiegen. Dafür gibt es zwei wesent- stiegen als es bei den Arbeitslöhnen der Fall war. liche Gründe: Der erste und alles entscheidende Deshalb ist es einfach falsch, wenn immer wieder be- Grund ist die Wanderungsbewegung, und zwar nicht 22990 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Bundesminister Horst Seehofer nur von ausländischen Kindern, sondern auch von Man kann die Sozialhilfeempfängerzahlen redu- Kindern deutscher Aussiedler. Diese Entwicklungen zieren, wie das dankenswerterweise viele Kommu- und eine Wanderungsbewegung im Zusammenhang nen machen, indem sie Sozialhilfeempfängern, die mit der deutschen Einheit machen alleine einen erwerbsfähig sind, Arbeit anbieten. Da ist Erstaunli- Anteil von 280 000 Kindern und Jugendlichen an ches geleistet worden; dafür kann man den Kommu- dem Anstieg von 400 000 aus. Wenn wir in dieser nen nur dankbar sein. Es gibt fast eine Verdoppelung Größenordnung Zuwanderer über das deutsche der Maßnahmen bei der Hilfe zur Arbeit. Sozialhilferecht unterstützen, dann ist das nicht ein Indiz für zunehmende Armut in der Bundesrepublik Aber das ganz Erstaunliche und Widersprüchliche Deutschland, sondern ein Indiz für die Bereitschaft ist, daß 1996 in Niedersachsen das Landesprogramm der deutschen Bevölkerung, Zuwanderern zu helfen. zur Beschäftigung von Sozialhilfeempfängern einge- stellt wurde. Da wird pausenlos von sozialer Verant- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) wortung gesprochen, und der niedersächsische Mi- nisterpräsident versteht von Sozialpolitik so viel wie Zusätzlich zu den 280 000 Jugendlichen und Kin- eine Schildkröte vom Stabhochsprung. dern kommen 50000 hinzu, die deshalb in der Sozial- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) hilfestatistik erscheinen, weil es Leistungsverbesse- rungen für Kinder von Alleinerziehenden gab - wir Das ist widersprüchlich, zwiespältig. haben beispielsweise die Mehrbedarfszuschläge für Kinder von Alleinerziehenden massiv um 40 bis Meine Damen und Herren, die Sozialhilfe ist kein 60 Prozent erhöht -, weil es außerdem Leistungsver- Maßstab für die Armut in unserem Lande, sondern besserungen in der Form gegeben hat, daß man Ausdruck eines hochwertigen Sozialstaates. Ich kann familienpolitische Leistungen nicht als Einkommen nur „Guten Morgen, Herr Schröder! " sagen, wenn er auf die Sozialhilfe angerechnet hat, wie zum Beispiel sagt, wir müßten den unwilligen Sozialhilfeempfän- das Erziehungsgeld, und weil, wie ich schon sagte, gern die Sozialhilfe kürzen. Guten Morgen! Das steht die Sozialhilferegelsätze in Deutschland in den letz- im Gesetz! Das haben wir längst gemacht, weil wir ten 16 Jahren stärker gesteigert wurden, als die Ar-- etwas praktizieren, von dem Herr Schröder nur beitslöhne in der Bundesrepublik gestiegen sind. schwadroniert: Wir unterscheiden zwischen den Lei- Das hat einen Sozialhilfezuwachs bei Kindern und stungsunwilligen und den Leistungsschwachen. Den Jugendlichen durch Leistungsverbesserungen im Leistungsschwachen gehört unsere Solidarität, un- Sozialrecht von 50 000 Personen erbracht. sere Hilfe. Den Leistungsunwilligen muß, wenn ih- nen eine zumutbare Arbeit angeboten wird und sie Deshalb muß man differenzieren und, wie Herr abgelehnt wird, die Sozialhilfe gekürzt werden. Das Biedenkopf heute sagte, einfach der Wahrheit ins haben wir realisie rt. Auge sehen. Von den 400 000 erklären sich drei Vier- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) tel durch Zuwanderung und durch Leistungsverbes- serung. Jede andere Darstellung ist falsch und poli- Lassen Sie mich noch einen Satz zu dem Vorschlag tisch motiviert. der Grünen sagen: Grundsicherung in der Sozial- hilfe, mit den Beträgen, die sie veröffentlicht haben. Meine Damen und Herren, wenn man Sozialhilfe- Das bedeutet für eine Familie mit drei Kindern bezug zum Kennzeichen von Armut nehmen würde, 4 000 DM Sozialhilfe. Das bedeutet mehr, als ein dann gäbe es allerdings bei einer regionalen Be- Facharbeiter in der Bundesrepublik Deutschland trachtung in Deutschland ein erstaunliches Ergebnis: netto hat. Ich kann nur sagen: Das ist kein Programm Es gibt in Niedersachsen, obwohl do rt die Zahl der für Arbeitnehmer, sondern ein Programm für Ausstei- Bevölkerung nur halb so groß ist wie die in allen ger. Wenn ich 4000 DM ohne jede Arbeitsleistung er- neuen Bundesländern zusammen, mehr Sozialhilfe- halte, dann sehe ich nicht mehr ein, daß man arbei- empfänger als in Mecklenburg-Vorpommern, Bran- ten soll. Dann gehe ich zum Sozialamt und sichere denburg, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen mir die 4 000 DM durch eine Grundversorgung. Das zusammen: ist ein Programm für Aussteiger. (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Das ist (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - ja nicht zu fassen!) Rita Grießhaber [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN]: Auch bei uns bekommt man die 339 000 Sozialhilfeempfänger in Niedersachsen - Grundsicherung nicht, wenn man erwerbs Stand: 31. Dezember 1997 - und 320 000 Sozialhilfe- tätig sein kann!) empfänger in allen neuen Bundesländern zusam- men. Ein Wort an Herrn Dreßler, der offensichtlich nicht mehr da sein kann, zur Gesundheitspolitik: Meine Wenn Sie bei der Definition bleiben, daß Armut mit Damen und Herren, das deutsche Gesundheitswesen Sozialhilfebezug gleichzusetzen ist, dann ist das steht blendend da. Wir haben eine erstklassige Medi- Land Niedersachsen das Armenhaus der Bundesre- zin und Pflege für alle Bevölkerungsschichten, unab- publik Deutschland. Das liegt nicht an der Bundesre- hängig vom Alter und vom Einkommen. Dafür, daß gierung. Das liegt auch nicht an der Bevölkerung in wir diese hochwertige Versorgung haben, gibt es ein Niedersachsen. Vielmehr liegt es an den politischen starkes Indiz: Wenn die Deutschen im Ausland er- Rahmenbedingungen, die man in Niedersachsen kranken, haben sie nur einen Wunsch: so schnell wie selbst gesetzt hat. Denn für Niedersachsen gelten die möglich in die Obhut des deutschen Gesundheitswe- gleichen Gesetze wie für alle anderen Länder auch. sens zurückzukehren. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 22991

Bundesminister Horst Seehofer Das verdanken wir den Frauen und Männern, de- wenn er seine Zähne aus Gründen verliert, die er nen Sie täglich vorwerfen, daß sie unwirtschaftlich nicht zu vertreten hat. arbeiten: dem Pflegepersonal in den Krankenhäu- sern, den Ärzten, den Zahnärzten, den Krankengym- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Prophylaxe ist nasten, den Masseuren und den Pflegekräften der doch kein Zahnersatz!) Sozialstationen. Bei einem Unfall mit Zahnverlust: weiterhin Zahner- satz für Jugendliche. Bei einer Erkrankung der (Beifall bei der CDU/CSU) Mundhöhle mit Zahnverlust: weiterhin Zahnersatz Sie sind hochmotiviert, hochqualifiziert. Sie arbei- für Jugendliche. Bei einer schweren Allgemeiner- ten effizient, und sie arbeiten vor allem im Dienste krankung mit Zahnverlust: weiterhin Zahnersatz für derer, die auf ihre Hilfe angewiesen sind. Wir haben Jugendliche. Wenn es um eine schwere Kieferfehl- erstens eine erstklassige Medizin und Pflege. stellung geht, die nur operativ so zu behandeln ist, daß die Zähne herausgenommen werden: weiterhin Zweitens. Meine Damen und Herren, wir haben Zahnersatz für Jugendliche. seit sechs Jahren in Westdeutschland stabile Bei- träge: am 1. Januar 1993 13,4 Prozent und jetzt Das heißt, es gibt auch künftig Zahnersatz für Ju- 13,5 Prozent. Wir haben keinen Stillstand in der Poli- gendliche in den Fällen, wo Zahnverlust eintritt, die tik, sondern einen Stillstand bei den Beiträgen. Das der Jugendliche nicht zu verantworten hat. Aber, wird auch so bleiben. Wir haben in der gesetzlichen meine Damen und Herren, es gibt keine Reparatur Krankenversicherung eine Rücklage von fast 8 Mil- mehr, wenn sich durch Schlamperei, durch man- liarden DM. gelnde Mundhygiene oder mangelnden Zahnarztbe- such der Zahnverlust in 30 oder 40 Jahren einstellt. (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Erzählen Sie was (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge zum Zahnersatz!) ordneten der F.D.P.) Deshalb können auch die westdeutschen Kranken-- Das ist richtig verstandene Solidarität. kassen den ostdeutschen helfen, ohne daß es zu Bei- tragserhöhungen kommen muß. Auch das ist inner- Ganz zum Abschluß die neueste Zahl; Heiner deutsche Solidarität. Geißler konnte sie nicht wissen. Die Zuzahlung ist Voraussetzung, daß wir erstklassige Medizin und Meine Damen und Herren, wir haben keine be- Pflege ohne Erhöhung der Sozialversicherung für sorgniserregende Finanzentwicklung, wie die SPD in alle gewährleisten können. Nach den neuesten Zah- der letzten Woche völlig falsch veröffentlicht hat. Im len sind 24 Millionen Versicherte von jeder Zuzah- letzten Jahr hat Herr Kirschner gesagt, wir haben lung bei Arznei- und Heilmitteln völlig befreit. Das 20 Milliarden DM Defizit in der Krankenversiche- ist ein Drittel der Versicherten in der gesetzlichen rung zu erwarten. Am Ende des Jahres hatten wir Krankenversicherung. 1 Milliarde DM Überschuß. Da liegen Lichtjahre zwi- schen Prognose und Realität. Jetzt hat er gesagt, wir (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Die anderen zah haben 2,4 Milliarden DM im ersten Halbjahr. Wir ha- len doch die Beiträge!) ben unter 2 Milliarden DM. Man muß schon sehr böswillig sein, meine Damen (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Aber immerhin und Herren, wenn man hier mangelnde soziale Ver- 2 Milliarden!) antwortung beklagt. Wenn ein Drittel der Versicher- ten in der gesetzlichen Krankenversicherung von je- Meine Damen und Herren, wir werden in der der Zuzahlung bei Arznei- und Heilmitteln völlig be- Krankenversicherung insgesamt ein ausgeglichenes freit ist und darüber hinaus noch einmal 300 000 Ergebnis erzielen, weil die Einnahmen im zweiten Menschen teilweise befreit sind, dann ist das Aus- Halbjahr traditionell immer wesentlich höher sind als druck einer sozialen Verantwortung, die wir bei der im ersten Halbjahr. Wir teilen diese Einschätzung Verabschiedung dieses Gesundheitsstrukturgesetzes übrigens auch mit den Spitzenverbänden der Kran- gepflegt haben. kenkassen. Deshalb können wir den Menschen sa- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) gen, die Beiträge bleiben stabil, die Versorgung bleibt erstklassig. Deshalb haben wir ein blendendes Meine Damen und Herren, wer a lles allen ver- Gesundheitswesen. spricht, erlebt, daß er am Ende nichts mehr bezahlen kann. Frau Höll, das ist der Unterschied zu dem, was Wenn Sie den Zahnersatz ansprechen, Frau Fuchs: Sie heute gepriesen haben, zwischen der ehemaligen Informieren Sie die Leute nicht falsch. Es stimmt, daß DDR und uns: Bei Ihnen waren alle gleich, aber alle wir die Regelungen für den Zahnersatz für Jugendli- gleich arm. Die Funktionäre und Bonzen haben sich che unter 18 Jahren verändert haben. zu Lasten der Allgemeinheit eine bessere gesund- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Abgeschafft!) heitliche Versorgung gegönnt. Das wollen wir in der Bundesrepublik nicht. - Nein! - Wir haben ihn aber nicht in der Weise ver- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ändert, wie Sie das immer darstellen. Meine Damen und Herren, wir haben die Prophylaxe verstärkt. Wer Mundhygiene betreibt, wer zum Zahnarzt geht, der Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Bevor ich das wird auch weiterhin seinen Zahnersatz bekommen, Wort weitergebe, möchte ich auf der Tribüne die Prä- 22992 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch sidentin des Bundesrechnungshofes, Frau Dr. von Wer verschweigt, daß es heute für viele Menschen Wedel, begrüßen. eben nicht mehr möglich ist, am kulturellen und ge- sellschaftlichen Leben teilzunehmen, weil die Sozial- (Beifall) hilfe dazu nicht ausreicht, und wer verschweigt, daß viele Frauen immer wieder Prozesse vor den Sozial- Frau Präsidentin, wir freuen uns, daß Sie mit Ihrem gerichten führen müssen, damit sie Geld für das Besuch vielleicht eine neue Tradition begründen und Spielzeug oder für den Klassenausflug ihrer Kinder mit Ihrer Anwesenheit zum Ausdruck bringen, daß bekommen, der heuchelt. der Bundesrechnungshof die Beratungen des Hauses zum Haushalt mit derselben Aufmerksamkeit ver- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE folgt, wie wir die Bemerkungen des Bundesrech- GRÜNEN und der PDS) nungshofes ungeteilt und mit großem Interesse sehr aufmerksam zur Kenntnis nehmen. Herzlich will- Wer verschweigt, daß nach unseren Erkenntnissen kommen. in den alten Bundesländern auf eine Frau oder auf ei- nen Mann, die Sozialhilfe erhalten, eine weitere Per- Nun gebe ich der Abgeordneten Edelgard Bul- son kommt, die sich scheut, einen Sozialhilfeantrag mahn das Wort. zu stellen, und wer verschweigt, daß das in den neuen Bundesländern noch dramatischer ist, weil dort nämlich auf eine Person, die einen Sozialhilfean- Edelgard Bulmahn (SPD): Sehr geehrter Herr Präsi- trag stellt, zwei Personen kommen, die aus Scham dent! Liebe Kollegen und liebe Kolleginnen! Bis zum keinen Sozialhilfeantrag stellen, der versündigt sich heutigen Tag hätte ich die Bildungs- und For- an diesen Menschen. schungspolitik der Bundesregierung folgendermaßen bilanziert: Homo sapiens versteht zwar verstandesge- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE mäß, was die Stunde geschlagen hat, handelt aber GRÜNEN und der PDS) nicht danach. Nach der heutigen Debatte muß ich Das ist der eigentliche Unterschied zwischen der das leider etwas anders sagen: „Homo rüttgerens" Politik von CDU, CSU und F.D.P. und der der SPD. hat auch verstandesgemäß nicht erfaßt, worum es geht. (Gerhard Zwerenz [PDS]: Und der PDS!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Sie gaukeln den Menschen vor, daß man die Lebens- DIE GRÜNEN) verhältnisse durch Sozialabbau, durch Kürzungen, durch eine immer weitere Belastung der durch- Nach dem, was Herr Seehofer zur Sozialhilfe ausge- schnittlich Verdienenden sowie durch eine Rück- führt hat, muß ich das auf ihn erweitern. Herr Seeho- nahme und Verschlechterung der Bedingungen für fer, was Sie zur Sozialhilfe gesagt haben, grenzt an diejenigen, die noch in Arbeit stehen, tatsächlich ver- Heuchelei. bessern könnte. Sie scheuen sich, aktiv und offen eine Politik zu betreiben, mit der endlich wieder Ar- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ beit geschaffen wird, damit diese Menschen die DIE GRÜNEN) Möglichkeit erhalten, sich ihre eigene Existenz zu Wer diskreditiert denn seit Jahren Sozialhilfeempfän- verdienen. Das ist der eigentliche Unterschied. gerinnen und -empfänger? Das sind Sie von der rech- (Beifall bei der SPD) ten Seite des Hauses. Ich muß Ihnen ganz klar sagen: Sie hätten heute (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ darüber reden sollen, wie Sie den Menschen wieder DIE GRÜNEN) einen Arbeitsplatz verschaffen wollen. Sie werden im September keinen Erfolg haben, weil Ihnen das Ich bin der Auffassung, daß es völlig richtig ist, daß nicht gelungen ist, uns das aber zum Beispiel in Nie- es keine Schande ist, Sozialhilfe zu empfangen. Wer dersachsen gelungen ist. Deshalb helfen Ihnen die aber verschweigt, daß es nicht die freie Wahl der ganzen Diffamierungen, die Sie heute wieder ver- Frauen und Männer ist, Sozialhilfe zu empfangen, sucht haben, nicht weiter. sondern daß es eine Not ist und daß die Menschen dazu gezwungen werden, weil sie keinen Arbeits- (Beifall bei der SPD) platz erhalten, wer verschweigt, daß das eigentliche Die Menschen haben gesehen, daß die Arbeitslosig- Versagen dieser Bundesregierung darin liegt, daß sie keit in Niedersachsen überproportional zurückge- die Arbeitslosigkeit nicht bekämpft hat, sondern daß gangen ist. Das ist es, was sie wollen. Sie wollen wir Jahr für Jahr eine Steigerung der Arbeitslosen- zahlen feststellen müssen, und wer verschweigt, daß keine Almosen, sondern das Recht auf einen Arbeits- platz. Sie wollen selber für ihre Existenzsicherung es ein Ergebnis Ihrer Politik ist, daß immer mehr aufkommen. Darum hätte es in dieser Debatte gehen Menschen in die Sozialhilfe gedrängt werden - al- leinerziehende Frauen entscheiden sich doch nicht müssen. dafür, Sozialhilfeempfängerinnen zu sein; sie haben (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ keine andere Wahl, weil sie keinen Arbeitsplatz fin- DIE GRÜNEN) den -, der heuchelt. Heuchelei ist das, was die Men- schen in diesem Lande absolut zu Recht verärgert. Wir setzen auf Innovation und nicht auf Sozialab- bau. Darüber möchte ich jetzt weiter reden, weil es (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE die Kernfrage betrifft, ob es uns gelingt, in einem GRÜNEN und der PDS) größeren Maße Arbeitsplätze zu schaffen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 22993

Edelgard Bulmahn Als die konservativ-liberale Koalition im Herbst Dann müssen andere ran, die nämlich genau dieses 1982 die Regierungsverantwortung im Bund über- wahrmachen und nicht nur schwadronieren und re- nommen hat, verfügte die Bundesrepublik Deutsch- den, sondern auch entsprechend handeln. land über eine gute Ausgangsbasis, auch im Ver- gleich zu anderen Ländern, im internationalen Wis- Zu Niedersachsen nur einige wenige Zahlen. senschafts- und Technologiewettbewerb. Kein Staat (Dr. Gerhard Fried rich [CDU/CSU]: Ein der Welt wandte damals mehr für Wissenschaft, Bil- trauriges Land!) dung, Forschung und Entwicklung auf als die Bun- desrepublik. Wir standen damals auf Platz eins. In- - Ein schönes Land, und die Menschen, die do rt le- zwischen, 16 Jahre später, sind wir auf Platz neun ab- ben, finden dies ebenfalls. Wenn Sie sagen: „Ein gestürzt. 2,1 Prozent Anteil am Bruttoinlandsprodukt trauriges Land", dann, so kann ich nur sagen, ist das sind bei der wachsenden Bedeutung von Forschung falsch. Ich finde, diese Menschen haben eine richtige und Entwicklung, bei der wachsenden Bedeutung Entscheidung getroffen. von Bildung und Qualifizierung für die Entwicklung, für die Entwicklungsfähigkeit und die Zukunftssi- (Beifall bei der SPD) cherung eines Landes kein tragfähiges Fundament. Diese Regierung in Niedersachsen hat in den Jah- Da nützt es auch überhaupt nichts, Herr Minister ren 1990 bis 1997 die Wissenschafts- und For- Rüttgers, wenn Sie über den Investitionsstandort schungsausgaben um 30 Prozent gesteigert, in realen Deutschland schwadronieren. Fakt ist, wir sind auf Zahlen von 2,7 Milliarden DM auf 3,5 Milliarden DM. Platz neun herabgerutscht, und Fakt ist, daß viele Da kann ich Ihnen nur sagen: Ich wäre froh, wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, viele Stu- wir solche Steigerungsraten auch im Bundeshaushalt dierende, viele Forscher, viele kleine und mittlere Be- hätten. Dann ginge es uns nämlich ein ganzes Stück triebe inzwischen sagen: So geht es nicht mehr wei- besser. ter. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ - DIE GRÜNEN) Die Bundesregierung - daran gibt es überhaupt nichts zu deuteln - vernachlässigt die junge Genera- Unsere Arbeitsbedingungen haben sich so ver- tion, und damit versündigen Sie sich an der jungen schlechtert, daß wir nicht mehr wissen, wie wir das fi- Generation. Sie haben es mit Ihrer Untätigkeit zu ver- nanzieren und leisten sollen, was wir eigentlich lei- antworten, daß das duale System der Berufsausbil- sten könnten. dung in die Krise geraten ist. Trotz des Lehrstellen- versprechens und trotz erheblicher öffentlicher För- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Patentanmeldun- derung sowohl durch den Bund wie auch durch die gen sind zu teuer!) Länder gibt es kein ausreichendes Lehrstellenange- Ich sage Ihnen ganz klar: Es gehört schon eine un- bot für alle Jugendlichen. geheure Menge Unverfrorenheit dazu, wenn Sie, die Die Verharmlosung, die Sie immer wieder betrei- über Jahre die Ausgaben für Bildung, Wissenschaft ben und die Sie auch heute wieder bet rieben haben, und Forschung gekürzt haben, die den Anteil der finde ich unerträglich. Das muß ich Ihnen einmal Ausgaben des Bundes für Wissenschaft und For- ganz klar sagen. 45 000 arbeitslose Jugendliche - so schung von 4,7 Prozent im Jahre 1982 auf inzwischen viele waren es in der offiziellen Statistik im letzten 3,3 Prozent herabgesenkt haben, im Lande herumge- Jahr - sind für Sie offensichtlich kein Problem. Zig hen und die Notwendigkeit höherer Bildungs- und tausende, Zehntausende von Jugendlichen - wir wis- Wissenschaftsausgaben anmahnen und beklagen. sen nicht genau, wieviel es sind, ob es 70 000, 80 000 (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ oder 90 000 sind -, die in die Schulen zurückgedrängt DIE GRÜNEN) worden sind, obwohl sie dies eigentlich nicht wollten, sind für Sie offensichtlich kein Problem. Für mich ist Das ist eine Dreistigkeit, die nicht oder kaum noch zu das ein Problem. Für mich sind jedes Mädchen und übertreffen ist. jeder Junge, die keinen Ausbildungsplatz erhalten und denen die Tür vor der Nase zugeknallt wird, Glücklicherweise merken die Leute das. Wenn die wenn sie wirklich den Schritt in das eigenständige realen Pro-Kopf-Ausgaben so, wie Sie es durchge- Leben machen wollen, ein Problem. führt und zu verantworten haben, von 234 DM im Jahre 1982 auf 153 DM in diesem Jahr gesenkt wor- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE den sind, dann sind das Kürzungen, die nicht mehr GRÜNEN und der PDS) durch Effektivitätssteigerungen, die nicht mehr durch eine bessere Arbeitsleistung im System aufge- Deshalb finde ich es unerträglich, wenn Sie immer fangen werden können, sondern die sich dramatisch wieder verharmlosen, statt Ihrer Verantwortung auf die Bedingungen für Bildung, Wissenschaft und wirklich einmal gerecht zu werden, die notwendigen Forschung in diesem Land auswirken. Das sind Kür- Rahmenbedingungen zu setzen und verläßliche Ver- zungen, mit denen Sie den Menschen in diesem einbarungen zu treffen, damit eine ausreichende Land Lebenschancen nehmen. Wenn Sie dies nicht Zahl von Ausbildungsplätzen geschaffen wird. begreifen, dann müssen Sie die Quittung erhalten. Ich kann nur das wiederholen, was mein Parteivor- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ sitzender heute morgen gesagt hat: Wir werden mit DIE GRÜNEN) unserem Versprechen und unserem Ziel Ernst ma- 22994 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Edelgard Bulmahn chen, dafür zu sorgen, daß alle Jugendlichen einen herrscht seit mehreren Jahren konzeptionelle Ratlo- Ausbildungsplatz erhalten. sigkeit. Auch das ist nicht dadurch zu überdecken, daß man ein „Programmchen" nach dem anderen (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Ist das „Programmchen" auflegt. in Niedersachsen der Fall?) Bildung, Wissenschaft, Qualifikation und For- Wir werden versuchen, dies im Bündnis für Arbeit zu schung leisten den entscheidenden Beitrag zur Un- erreichen. Einige Tarifvertragsparteien - im übrigen terstützung des Strukturwandels und zur Schaffung auch in Niedersachsen - haben uns gezeigt, daß sie neuer Arbeitsplätze. Diese Bedeutung wird in den dazu durch einen Tarifvertrag, der von beiden Tarif- nächsten Jahren noch steigen. Wissenschaft und For- vertragsparteien vom Ergebnis her überprüft wird, schung sind nicht nur für die Sicherung und für die willens sind. Schaffung von neuen Arbeitsplätzen wichtig; sie sind Wenn uns dies nicht gelingt, wenn die Arbeitge- auch wichtig, damit wir tragfähige, zukunftswei- berseite nicht dazu bereit ist, dies freiwillig, zum Bei- sende Antworten auf die Zukunftsfragen unserer Ge- spiel durch Tarifvertragsvereinbarungen, durch Be- sellschaft entwickeln. Diese neuen Ideen, die wir für teiligung an Verbundsystemen, durch Kammerumla- neue Produkte und neue Verfahren brauchen, entste- gen oder durch einzelbetriebliche Aufwendungen in hen in den Köpfen von Menschen. Männer und die Tat umzusetzen, dann müssen wir den Weg einer Frauen sind diejenigen, die diese neuen Ideen ent- gesetzlichen Regelung gehen, so wie es Oskar Lafon- wickeln und die unseren gesellschaftlichen Wohl- taine heute morgen zu Recht gesagt hat. Die Arbeit- stand erarbeiten. Deshalb geht ohne gut ausgebil- geber haben es in der Hand; sie entscheiden es. Wir dete, qualifizierte Menschen überhaupt nichts, und werden in den Bündnis-für-Arbeit-Gesprächen ver- deshalb brauchen wir eine ausreichende Förderung suchen, zu verbindlichen Ergebnissen zu kommen. der Hochschulen, der Forschungseinrichtungen, eine Aber wir brauchen verbindliche Ergebnisse und gute berufliche Ausbildung für alle, damit wir die keine billigen Trostworte von Jahr zu Jahr, so wie Sie Menschen wieder in die Lage versetzen, dies zu lei- sie in den letzten Jahren immer wieder geäußert ha- sten, und damit die Hochschulen und Forschungsein- ben. richtungen wirklich wieder zu Zukunftswerkstätten unseres Landes werden. Das gleiche gilt im übrigen auch für die Studieren- den. Die Studierenden sind immer stärker vom So- Wir brauchen noch mehr. Wir brauchen mehr als zialabbau betroffen worden. Gleichzeitig wird aber Geld. Wir müssen den Wissenschaftlerinnen und darüber geredet, daß die Studienzeiten zu lang sind. Wissenschaftlern, den Studierenden, den Hochschul- Das ist doch wirklich Heuchelei hoch drei! Wenn die lehrerinnen und Hochschullehrern auch die Frei- Studierenden aus finanziellen Gründen gezwungen räume geben, damit sie mit ihrer Kreativität, mit ih- sind, neben ihrem Studium - und zwar nicht nur in rem Können und ihrem Wissen zur Modernisierung den Semesterferien, so wie wir das gemacht haben, von Wirtschaft und Gesellschaft, zur Stärkung unse- sondern während des Semesters - zu arbeiten, dann res Produktionsstandortes beitragen können und braucht man sich doch nicht über längere Studien- nicht durch bürokratische, obrigkeitsstaatliche Rege- zeiten zu wundern. lungen im Haushaltsrecht, im Dienstrecht behindert werden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD - B rigitte Baumeister [CDU/CSU]: Jetzt aber!) Können Sie mir einmal begreiflich machen, wie Sie es mit dem Anspruch auf Gewährleistung von Chan- Sie hatten nicht die Courage und das Rückgrat, ge- cengleichheit eigentlich vereinbaren wollen, daß Sie nau diese Aufgaben anzupacken. Unsere Anträge das BAföG Jahr für Jahr ausgehöhlt haben? Das war haben Sie immer wieder abgelehnt. Da kann ich nur doch das heimliche Sparschwein von Minister Rütt- sagen: Schandbar! Auch das kann man nicht mit Fi- gers, mit dem er seine anderen Haushaltslücken nanzen entschuldigen. praktisch überdeckt hat. Sie weigern sich seit mehre- ren Jahren, die Verantwortung hierfür zu überneh- (Beifall bei der SPD) men. Die Vorschläge, die zu einer wirklichen Verbes- Mit dem vorliegenden Haushaltsentwurf unter- serung geführt hätten, sind von Ihrer Seite schlicht- streicht diese Bundesregierung, daß sie die Zeichen weg kalt vom Tisch gewischt worden. Auch deshalb der Zeit nicht erkannt hat. In dem vorliegenden ist es notwendig, daß wir eine andere Bundesregie- Haushaltsentwurf ist zwar für nächstes Jahr eine rung erhalten, damit Chancengleichheit nicht nur ein kleine Erhöhung vorgesehen, damit man ein wenig in unserer Verfassung niedergelegter Anspruch ist, die Kürzungen der letzten Jahre überdecken kann; sondern ein Leitziel im konkreten politischen Han- aber wenn man in die mittelfristige Finanzplanung deln. Auch deshalb brauchen wir eine andere Bun- schaut, muß man leider feststellen, daß nach diesem desregierung. Jahr nichts mehr geschieht. Bis zum Jahre 2002 (Beifall bei der SPD) bleibt der Haushaltsansatz auf dem gleichen Niveau. Das heißt im Klartext: Er bleibt festgefroren, und trotz Die Bundesregierung weigert sich, ihre Verantwor- steigender Gesamtsumme des Bundeshaushaltes tung beim Hochschulbau wahrzunehmen. Überla- wird der Anteil von Bildung und Forschung dann stete Hochschulen, die auch international an Attrak- wieder sinken. In der Konsequenz würde das elf tivität in Lehre wie Forschung verlieren, sind die Jahre Nullwachstum bedeuten. Inflationsbereinigt Konsequenz. Im Bereich der Forschungspolitik führt das zu massiven Einschnitten und bedeutet Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 22995

Edelgard Bulmahn schlechtere Bildungsbedingungen, Abbau und Ver- Meine Damen und Herren, es ist ein Fehler, wenn nichtung von Forschungskapazitäten, von Know- die Politik versuchen würde, alles im Detail zu re- how, von Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten. geln. Das wollen wir nicht.

Ein noch genauerer Blick in den Haushaltsentwurf ( [CDU/CSU]: Das ist fördert weitere Ungereimtheiten und Versäumnisse schön!) zutage. So wird die Projektförderung keineswegs, Wir wollen aber Leitlinien und Rahmenbedingungen wie uns in Pressemitteilungen der Bundesregierung vereinbaren, weil Politik, Frau Baumeister, sich nicht weisgemacht werden soll, hochgefahren. Vielmehr dadurch auszeichnet, daß sie nur nachläuft, sondern sind bis zum Jahre 2002 weitere Kürzungen von über Politik zeichnet sich dadurch aus, daß sie Gestal- 100 Millionen DM in diesem volkswirtschaftlich so tungsziele verfolgt und auch den Willen hat, diese wichtigen Bereich vorgesehen. Die Mittel für Ener- Gestaltungsziele durchzusetzen. gieforschung sollen in dem Zeitraum im übrigen ge- nauso wie die für ökologische Forschung und wich- (Dr. Gerhard Friedrich [CDU/CSU]: Können tige Schlüsseltechnologiebereiche zusammengestri- muß man!) chen werden, obwohl wir wissen, daß hier ein ganz wichtiger Ansatzpunkt ist, sowohl um umweltpoliti- Deshalb ist es notwendig und richtig, daß auch Leit- sche Ziele zu erreichen als auch um das Erneue- linien und Rahmenbedingungen vereinbart werden, rungspotential unserer Wirtschaft und unserer For- die eine zukunftsfähige Entwicklung ermöglichen. schungsinstitutionen für Energieeinsparung um- und Wir müssen gemeinsam Zukunftsvisionen formulie- einzusetzen und den Weg zu einer nachhaltigen Ent- ren, Leitbilder entwerfen und Innovationen freiset- wicklung einzuschlagen. zen, statt dem Irrglauben zu unterliegen, Innovatio- nen im Detail verordnen zu wollen. Dafür ist, wie ge- Transdisziplinarität und Internationalität von Wis- sagt, Gestaltungswille gefragt. Wir haben ihn; bei Ih- senschaft und Forschung sind die Erfordernisse der nen ist er nicht zu finden. Gegenwart. Aber auch hier nur Worte statt Taten: Sie - (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne haben das DAAD-Programm zusammengekürzt. Sie ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sind nicht bereit, die Forschungsprogramme so um- zustrukturieren, daß sie dem Anspruch von Transdis- Meine Damen und Herren, unsere Gesellschaft ziplinarität wirklich gerecht werden. braucht eine neue Gründerwelle. Um die Chancen von neuen Märkten zu nutzen, ist die Förderung der Meine Damen und Herren, wir brauchen aber Eigenkapitalbildung für innovative kleine und mitt- noch mehr. Wir brauchen insgesamt bessere Rah- lere Unternehmen von zentraler Bedeutung. Für Un- menbedingungen. Auch das ist eine Binsenweisheit, ternehmen, die zusätzliche Arbeitsplätze schaffen, das wissen wir seit vielen Jahren. Die Bundesregie- wird deshalb von einer SPD-geführten Regierung ein rung redet zwar gelegentlich davon, aber es passiert Anteil des Unternehmensgewinns zur Stärkung des auch hier nichts. Neue Produkte - wie zum Beispiel Eigenkapitals von der Steuer freigestellt werden. die Solartechnik - und viele Umweltschutzprodukte Ebenso werden wir die Zusammenarbeit von Hoch- werden sich nur dann verbreiten, wenn der Staat schulen, Forschungseinrichtungen und Unterneh- ausreichende Rahmenbedingungen für die Sta rt men erleichtern und die Einstellung von Forschungs- -nachfrage schafft. Das kann öffentliche Beschaffung personal fördern. sein, das kann aber auch die richtige Grenzwertset- zung oder auch eine entsprechende Unterstützung Diese Ansätze werden forschungsintensive und in- bei Normen- und Standardsetzung sein, weil Sie do rt novative Unternehmen, die sich gerade in einer ja auch durchaus eine beratende Funktion haben. schwierigen Phase der Etablierung am Markt befin- den, stützen. Zudem werden wir ein Schwergewicht Wir brauchen in Zukunft Wachstum. Wir brauchen auf Existenzgründer und auf den Mittelstand legen. vor allen Dingen ein Wachstum unserer Binnenwirt- Wir werden das Engagement von Privatanlegern für schaft. Wir brauchen aber auch nachhaltiges Wachs- Wagniskapital für besonders junge Unternehmen för- tum, das in seiner Gesamtbilanz unsere Umwelt er- dern. hält und Rohstoffe nicht verschwendet. Wenn wir Von ebenso großer Bedeutung ist in diesem Zu- diesen Weg endlich einmal beschreiten würden, sammenhang die Vernetzung der vielfältigen Aktivi- dann würden wir ein Innovationspotential mobilisie- täten, nicht deren Parallelisierung. ren, das nicht nur unter ökologischen Gesichtspunk- ten Erfolg verspricht, sondern auch unserer Wi rt (Beifall bei der SPD) -schaft eine gute Ausgangsposition bei der Eroberung von Zukunftsmärkten verschafft. Diese Chance ha- Aktivitäten sowohl von Wirtschaftspolitik als auch ben Sie nicht begriffen. Ich finde, es ist an der Zeit, von Forschungspolitik, Autonomie und Vernetzung daß das Leitziel der Nachhaltigkeit in Forschung und sind deshalb Schlüsselbegriffe einer offensiven Inno- Entwicklung, ebenfalls in der wirtschaftlichen Ent- vations- und Qualifikationsstrategie. wicklung, endlich auch als Chance für Politikmana- Die Bildungs - und Forschungspolitik einer sozial- gement begriffen wird. Sonst verschlafen wir auch demokratisch geführten Regierung wird vor diesem hier wieder die Zukunft. Hintergrund folgende Schwerpunkte setzen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- Erstens. Wir werden Bildung, Wissenschaft und ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Forschung finanziell und strukturell deutlich stärken 22996 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Edelgard Bulmahn und ihrem Bundeshaushalt wieder Priorität einräu- Ich kann also nur sagen: Lesen können sollte eigent- men. lich Grundvoraussetzung für ein Bundestagsmandat sein. Zweitens. Wir werden die Zusammenarbeit von (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Lesen wollen vor Bund und Ländern in der Bildungs- und Forschungs- allem!) politik wieder auf eine vertrauensvolle Grundlage stellen und Schluß machen mit der Konfrontations- politik, die Sie in den letzten Jahren bet rieben haben Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Kollegin, und die weder den Studierenden noch den Hoch- gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten schullehrern nützt. Sie ist vielmehr destruktiv. Hier Friedrich? ist eine kooperative, vertrauensvolle Arbeit mehr als überfällig. Edelgard Bulmahn (SPD): Aber selbstverständlich.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Dr. Gerhard Friedrich (CDU/CSU): Frau Kollegin DIE GRÜNEN) Bulmahn, sind Sie bereit, zuzugeben, daß Ihre ganze Rede unter einem Finanzierungsvorbehalt steht und Drittens. Wir werden die Hochschulen und For- daß wir schon jetzt wissen, daß niemand all das, was schungseinrichtungen von bürokratischer Bevor- Sie hier versprechen, bezahlen kann? mundung befreien und ihnen ein Höchstmaß an Au- tonomie und Entscheidungsfreiheit einräumen. Wir werden in diesem Zusammenhang die Personalstruk- Edelgard Bulmahn (SPD): Erstens haben wir aus- tur und das Dienstrecht in Zusammenarbeit mit den drücklich gesagt - das haben sowohl unser Parteivor- Betroffenen grundlegend reformieren, das machen, sitzender wie auch unser Kanzlerkandidat immer wozu Sie keine Courage hatten. wieder gesagt -: Wir werden in einem Bereich eine Ausnahme machen. Wir werden die Ausgaben für Wir werden eine Qualifikationsoffensive starten, Bildung, Wissenschaft und Forschung deutlich erhö- weil ohne qualifizierte Menschen nichts läuft. Wir hen. werden eine umfassende Modernisierung der beruf- (Beifall bei der SPD) lichen Aus- und Fortbildung, die den Grundsätzen der Chancengleichheit, der Gleichwertigkeit und der Auch dazu kann ich nur sagen: Bitte lesen lernen. Durchlässigkeit verpflichtet ist, verwirklichen. Wir Das steht nämlich in unserem Wahlprogramm wie werden in diesem Zusammenhang im übrigen dafür auch in unserem Kurzprogramm. sorgen, daß alle Jugendlichen, die ausgebildet wer- Zweitens habe ich eine ganze Reihe von Vorschlä- den, einen qualifizierten Ausbildungsplatz angebo- gen gemacht, zum Beispiel betreffend die Änderung ten bekommen. der Personalstruktur und des Dienstrechtes, wo es nicht um Geld geht, sondern wo es um strukturelle (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Veränderungen geht, die Sie nicht angefaßt haben, DIE GRÜNEN - [CDU/ weil Sie Angst hatten, sich mit Interessenverbänden CSU]: Warum machen Sie das denn heute anlegen zu müssen. nicht?) (Beifall bei der SPD) Wir werden die bestehenden Ausbildungsverordnun- Ich kann nur sagen: Wer kein Rückgrat in der Poli- gen zügig modernisieren müssen. Wir werden vor al- tik hat, der sollte wirklich - um es einmal so auszu- len Dingen auch die Benachteiligtenprogramme, drücken - den Schwanz einziehen und durch die Tür weil diese wirklich eine deutliche staatliche Förde- hinausgehen. rung und Unterstützung brauchen, bedarfs- und ziel- gerecht weiterentwickeln; denn das ist Aufgabe der (Heiterkeit - Dr. Peter Struck [SPD]: Das Bundesregierung - momentan also Ihre Aufgabe - in paßt nicht ganz, Frau Kollegin!) Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern. - Es trifft aber die Sache. Zu mir paßt es nicht, das stimmt. Da ich ja Rückgrat habe, brauche ich den (Hans Michelbach [CDU/CSU]: In Bayern Schwanz auch nicht einzuziehen. ist das aber anders!) (Dr. Gerhard F riedrich [CDU/CSU]: Das war nicht so schlimm!) - Sie müssen gelegentlich bitte auch etwas lesen. Manchmal denke ich, Weiterbildung für den Deut- Wir werden dafür Sorge tragen, daß alle Jugend- schen Bundestag wäre auch nicht schlecht, vor allem, lichen einen Ausbildungsplatz erhalten. Wir werden nachdem ich heute einige Redebeiträge gehört habe vor allen Dingen die wichtige Aufgabe angehen, und feststelle, daß einige in diesem Haus noch nicht endlich in diesem Land für eine vernünftige Weiter- einmal lesen können, da sie uns vorwerfen, daß nach bildung zu sorgen. Auch das ist überfällig; auch unserem Konzept der Umlagefinanzierung zum Bei- diese Aufgabe haben Sie nicht angepackt, weil sie spiel der Bäckermeister eine Umlage zahlen müßte, nicht einfach zu regeln ist. Sich hinzustellen und zu wenn er keinen Lehrling findet, obwohl er einen sagen: „Wir leben in einer Wissensgesellschaft", Lehrlingsplatz angeboten hat. Jeder könnte nachle- aber gleichzeitig die Weiterbildung völlig zu ignorie- sen, daß das, was Sie sagen, falsch ist und daß wir ren ist nichts anderes als dumm. Deshalb ist es über- bei dieser Person keine Umlage erheben könnten. fällig, daß wir die Weiterbildung deutlich stärken. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 22997

Edelgard Bulmahn Wir werden das BAföG reformieren und ein Verbot sie Priorität hat. Noch einmal zur Erinnerung: In die- von Studiengebühren verankern, weil wir nicht wol- ser Legislaturpe riode haben wir das Kindergeld für len, daß der Zugang zu den Hochschulen vom Geld- alle Kinder deutlich erhöht, auf je 220 DM für das er- beutel der Eltern abhängig ist. ste und zweite Kind, auf 300 DM für das dritte und auf 350 DM für das vierte und für weitere Kinder. Das (Beifall bei der SPD) heißt, allein die Mittel für Kindergeld und Kinderfrei- Wir werden für eine verbesserte Abstimmung von betrag sind in dieser Legislaturpe riode um 35 Prozent Wissenschafts- und Wi rtschaftspolitik und für eine auf jetzt 50 Milliarden DM im Jahr angestiegen. bessere Vernetzung von Forschung und Wirtschaft sorgen. Wir werden die Grundlagenforschung mit (Dr. Peter Struck [SPD]: Und wer hat das anwendungsbezogener Forschung und mit Produkt- gemacht?) entwicklung vernetzen und Inter- und Transdiszipli- Weil Sie diesen Punkt wieder ansprechen, möchte narität zu leitenden Förderprinzipien machen. ich zur Klarstellung feststellen: Weder ich noch an- Wir werden zukunftsträchtige Technologiefelder dere Vertreter der Koalition haben gegen die Kinder- mit Querschnittscharakter wie die Materialfor- gelderhöhung von 20 DM gestimmt. schung, die Informations- und Kommunikationstech- (Dr. Peter Struck [SPD]: Wir haben sie nologien, die Energieforschung, die Biotechnologie durchgesetzt!) und die Umwelttechnologien gezielt fördern. Wir werden das Leitziel der dauerhaft sozial- und Tatsache ist, daß wir dafür votiert haben, diese Lei- umweltverträglichen Entwicklung zum integralen stung ein Jahr später in Kraft treten zu lassen. Auch Bestandteil der Forschungsförderungsprogramme aus heutiger Sicht wäre es sehr wohl zu rechtfertigen machen. gewesen, nach einer Steigerung des Kindergeldes von weitaus mehr als 7 Milliarden DM im Jahr 1996 Wir werden ferner die Innovationsfähigkeit der die nächste Steigerung erst 1998 in Kraft treten zu kleinen und mittleren Betriebe gezielt stärken, die lassen. Ich halte dieses Vorgehen in Anbetracht der Sie sträflich vernachlässigen. In diesem Punkt nützt Tatsache, daß wir finanzielle Spielräume sorgsam Ihnen keine Schönfärberei. ausloten müssen, für gerechtfertigt und richtig. Des- (Beifall bei der SPD) halb bitte ich Sie, hier keine Mythen zu verbreiten. Meine Damen und Herren, ich bin mir sicher: Mit (Beifall bei der CDU/CSU) einer neuen Schwerpunktsetzung auf Bildung, Wis- Gerade der Zehnte Kinder- und Jugendbericht, senschaft, Forschung und Innovation, mit innovati- der ja von so vielen zitiert wird, die ihn nicht gelesen vem Wissen, mit umweltverträglichen Technologien haben, und der auch wesentlich mehr enthält als das, und mit einem aufgeschlossenen gesellschaftlichen was zur Zeit in der Öffentlichkeit diskutiert wird, Klima können wir unsere Zukunft erfolgreich gestal- weist zu Recht auf besondere Schwierigkeiten und ten. Benachteiligungen von Familien hin, die wir ernst Ich wünsche Ihnen, meine Damen und Herren von nehmen müssen. Deshalb sage ich immer wieder, der Koalition, daß Sie nach dem 27. September Zeit daß wir mit unseren Hilfen ganz konkret bei den Pro- für einen innovativen Prozeß finden, nämlich zu einer blemen ansetzen müssen. Da mit steigender Kinder- dringend erforderlichen inhaltlichen und personellen zahl das Pro-Kopf-Einkommen einer Familie sinkt, Erneuerung in Ihren Reihen. bekennen wir uns zum Zählkindergeld. Deshalb wer- den wir auch in Zukunft bei Kindergeldverbesserun- Vielen Dank. gen nicht nur das erste und das zweite Kind berück- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- sichtigen, sondern eben auch das dritte und weitere ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Kinder. Weil auch Alleinerziehende besonders häufig in ei- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das ner materiell schwierigen Situation sind, haben wir Wort der Bundesministerin für Familie, Senioren, doch die Leistungen im Unterhaltsvorschußgesetz Frauen und Jugend, Claudia Nolte. 1993 verdoppelt, sowohl was die Bezugsdauer als auch was die Altersgrenze anbelangt. Wir haben Claudia Nolte, Bundesministerin für Fami lie, Se- 1992 die Mehrbedarfszuschläge für Alleinerziehende nioren, Frauen und Jugend: Herr Präsident! Meine erhöht. Mein Ziel ist es, daß wir in der nächsten Le- sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen gislaturperiode Unterhaltsvorschußverbesserungen und Kollegen! Ich bin froh, daß wir im Rahmen dieser erreichen können. Allerdings brauche ich dazu die Debatte auch die Möglichkeit haben, über die unter- Länder, die bislang nicht bereit waren, dies mitzutra- schiedlichen familien- und kinderpolitischen Kon- gen. zepte von Regierung und Opposition zu diskutieren. Wir werden auch in der nächsten Legislaturpe riode Erlauben Sie mir deshalb, daß ich auf die vorherge- finanzielle Spielräume konsequent für Verbesserun- hende Runde zurückkomme. gen der Familienförderung nutzen, um damit die be- Es stimmt: Die Haushaltsspielräume sind eng. währten familienpolitischen Instrumente weiterzu- Nicht alles, was sich eine Familienministerin entwickeln. Was wir aber nicht machen werden, sind wünscht, ist sofort umsetzbar. Aber die Bundesregie- ungedeckte Versprechen. Die SPD und die Grünen rung hat deutlich gemacht, daß Familienpolitik für versprechen Kindergelderhöhungen von knapp 6 bis 22998 Deutscher Bundestag - 13. Wahlpe riode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Claudia Nolte über 15 Milliarden DM, die sie natürlich konsequen- Soweit . Auch wenn ich ihn ansonsten terweise über Steuererhöhungen finanzieren wollen. scharf kritisiere, zum Beispiel dafür, daß er in Rhein- land-Pfalz das von der CDU eingeführte Landeser- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Wie denn sonst?) ziehungsgeld ersatzlos gestrichen hat - da sind wie- der Anspruch und Wirklichkeit der Genossen bei der Dabei dokumentieren sie in aller Deutlichkeit ihre SPD -, muß ich in diesem Fall sagen: Wo er recht hat, familienpolitische Phantasielosigkeit: keine Verbes- hat er recht. serung beim Kindergeld für das dritte und jedes wei- tere Kind, keine Verbesserung beim Unterhaltsvor- Ich warne deshalb noch einmal ausdrücklich davor, schuß im Wahlprogramm vorgesehen, keine Verbes- den Anstieg der Zahl der Sozialhilfebezieher als Ar- serung beim Erziehungsgeld, obwohl sie hier ständig mutsanstieg zu definieren. Es ist hier zu Recht darauf tönen, daß etwas gemacht werden müßte. Was sie hingewiesen worden, was das bedeuten würde, näm- versprechen, stellen sie unter Finanzierungsvorbe- lich daß wir dank der Leistungsverbesserungen die halte. Familien brauchen keine unse riösen Verspre- Armut vergrößert hätten. Das kann sinnfälligerweise chungen, sondern gezielte Hilfen. nicht richtig sein. (Beifall bei der CDU/CSU) Es lenkt auch von der Notwendigkeit ab, den Blick darauf zu richten, wo Hilfe wirklich nötig ist, wenn Dort , wo das eigene Einkommen nicht ausreicht wir uns an Definitionen halten, die wirklich unsinnig und dies auch nicht allein durch die Familienförde- sind, zum Beispiel, daß derjenige arm ist, der über rung ausgeglichen werden kann, greift die Sozial- weniger als 50 Prozent des Durchschnittsverdienstes hilfe. Hier möchte ich mit meinem Kollegen Seehofer verfügt. Was bedeutet denn diese Definition? Wenn sagen: Sozialhilfe verhindert Armut. Sie schafft sie sich das Einkommen eines jeden einzelnen verdop- nicht. Deshalb hören Sie bitte genau zu: pelt, haben wir nicht weniger Arme. Wenn sich das Einkommen aller Deutschen halbiert, haben wir da- Armut ist ein relativer Begriff. Nach Berechnung durch nicht mehr Arme. von Wirtschaftsstatistikern übertrifft der Lebens- standard eines deutschen Sozialhilfebeziehers- So wie der Tiefgang eines Schiffes in einer den jedes zweiten Europäers. Auch sind die ver- Schleuse vom Wasserstand der Schleusenkammer fügbaren Haushaltseinkommen von Sozialhilfe- unabhängig ist, bleibt nach obiger Definition auch beziehern in den letzten Jahren stärker gestiegen die Armutsquote bei noch so hohen Einkommen im- als die des Durchschnitts aller Haushalte. Das Ni- mer gleich. Nur das war es, liebe Frau Grießhaber, veau der Mindestsicherung hat sich demnach was ich darstellen wollte. Deshalb würde ich Sie bit- nicht verschlechtert. Natürlich muß ein Sozialhil- ten, mich in Zukunft richtig zu zitieren. feempfänger mit jedem Pfennig rechnen. Doch Es war Herr Geißler, der heute morgen im Aus- menschenunwürdige Armut gibt es bei uns schuß darauf verwiesen hat, daß so eine unsinnige glücklicherweise nicht mehr. Definition eben dazu führen könnte, daß in einem (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Wovon reden Sie Land wie Nordkorea plötzlich weniger Arme als in eigentlich? - Dr. Barbara Höll [PDS]: Eben Deutschland vorhanden sind, obwohl die Menschen weil es relativ ist!) in Nordkorea hungern. Die Relativität dieses Begrif- fes zeigt, daß es eben nicht sinnvoll ist, eine solche Ich stimme diesen Aussagen Ihres Genossen Ger- Definition anzuwenden. ster, des rheinland-pfälzischen Sozialministers, aus- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - drücklich zu. Das hat er erst ziemlich zu Anfang die- Zuruf von der SPD: Und welche Konse ses Jahres in einem sehr ausführlichen Beitrag des quenzen ziehen Sie daraus?) „Focus" ausgebreitet, übrigens unter der netten Überschrift „Märchen aus dem grünen Schlaraffen- Diese Definition gibt Einkommensrelationen wie- land". Ich bin erstaunt, wie liebevoll Sie schon heute der. Es ist ja durchaus wichtig, diese zu betrachten mit Ihren Wunschpartnern umgehen. Aber das zeigt und das ernst zu nehmen. Aber dieser Beg riff taugt nur den Stil, den wir in Ländern mit rotgrüner Koali- eben nicht für eine Armutsdefinition, also für eine Er- tion beobachten können. fassung von Armut. Deshalb darf ich mit den Worten Gersters fortfah- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Was heißt das ren: nun eigentlich? Gibt es nun Armut oder nicht?) Widersprechen möchte ich auch der These, daß Das muß man auch sagen dürfen, wenn sie von einer die Zahl der Sozialhilfeempfänger ständig und Expertenkommission vorgelegt wird, die man selbst stark ansteigt. Der Anteil der Haushalte, die So- berufen hat und die ansonsten - wofür ich ihr auch zialhilfe beziehen, hat sich zwar auf rund 13 % er- gedankt habe - gute Arbeit geleistet hat. höht. Rechnet man jedoch die Ausländer aus die- sen Haushalten heraus, so sinkt der Anteil deut- Deshalb werbe ich dafür, sich nicht in unhaltbare scher Sozialhilfeempfänger auf rund 10 %. Daß Armutsdefinitionen zu verstricken, sondern die In- die im europäischen Vergleich großzügige Auf- strumente einer gezielten Familienförderpolitik zu nahme von Bürgerkriegsflüchtlingen ein Beleg stärken. Das haben wir getan. Das hat die Bundesre- für dramatisch zunehmende Armut in Deutsch- gierung unter Helmut Kohl seit 1982 getan. Frau land ist, kann wohl nicht ernsthaft behauptet wer- Bergmann hat es selber angesprochen - ich nenne den. die Zahlen noch einmal, damit sie sich auch festset- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 22999

Claudia Nolte zen - : Die familienpolitischen Leistungen wurden in Wer jedoch sieht, was Sie do rt machen, wo Sie bereits diesem Zeitraum, seit 1982, von rund 27 Milliarden Verantwortung tragen, der erkennt, wohin der Hase DM auf rund 77 Milliarden DM erhöht. Nun kann ich läuft. Da wird zum einen inzwischen die These ver- verstehen, liebe Frau Bergmann, daß man Sie nach treten, Familie sei schon überall dort, wo man ge- der Diskussion im Ausschuß heute morgen noch ei- meinsam aus einem Kühlschrank ißt. Zum anderen lends gebrieft hat und man hier noch einmal alle Ar- werden von Rotgrün in Nordrhein-Westfalen die Mit- gumente angeführt hat, die man schon für heute mor- tel für Kinderbetreuungseinrichtungen gekürzt und gen zusammengesucht hat. die Elternbeiträge erhöht. Mütter und Väter, die sich bemühen, Familie und Beruf zu vereinbaren, haben Nach der Debatte heute morgen muß ich zwar an- deshalb vollkommen zu Recht heute in Düsseldorf nehmen, daß Wiederholungen nichts nützen, weil Ar- gegen eine solche Politik demonst riert. Ich verstehe gumente anscheinend nicht auf offene Ohren treffen. deshalb überhaupt nicht Ihre Betroffenheitserklärun- Aber für diejenigen, die interessie rt sind, sage ich es gen hier. Wenn Sie die Situation von Frauen auf dem noch einmal: Hinter diesen Steigerungen steht nicht Arbeitsmarkt beklagen, wenn Sie sagen, es müsse nur die deutsche Einheit, obwohl ich es schon eine um eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf großartige Leistung finde, daß sich die Lebensbedin- gehen, warum handeln Sie denn do rt, wo Sie Verant- gungen dank der deutschen Einheit für 16 Millionen wortung tragen, nicht entsprechend, verdammt noch Menschen - darunter sind eben auch Familien und mal? gerade Kinder - entschieden verbessert haben. Auch das wird - das ist doch vollkommen in Ordnung - mit (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) diesen Leistungen ausgedrückt. Demgegenüber erhöhen SPD und Grüne in Schles- (Beifall bei der CDU/CSU) wig-Holstein die Mittel für gleichgeschlechtliche Le- bensgemeinschaften um 25 Prozent und schaffen im Aber diese Zahlen spiegeln auch ganz reelle neue gleichen Atemzug das Familienministerium ab. Leistungen wider: Es war die Union, die das Erzie- Meine Damen und Herren von der SPD, Ihre A rt und hungsgeld eingeführt hat. Es war die Union, die eine Weise, Familienpolitik zu gestalten, müssen gerade Anerkennung von Erziehungszeiten in der Rente ein- diejenigen, die Verantwortung für Kinder tragen, als geführt hat. Bedrohung empfinden. (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: So ist (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: So ist es!) es!) Wir haben den Familienleistungsausgleich refor- Viel reden, schlecht handeln - so könnte man die miert. Wir haben das Baukindergeld erhöht, Regierungspolitik der SPD in den Ländern umschrei- ben. Wer noch ein Beispiel braucht: In Niedersachsen (Iris Gleicke [SPD]: Wir waren das, Frau wurde die Förderung familienbezogener Maßnah- Ministerin!) men allein im laufenden Haushaltsjahr um 37,5 Pro- zent gekürzt. Es reicht eben nicht aus, wenn nur im um nur einige Punkte reeller Leistungsverbesserun- Bund Familienpolitik betrieben wird. Gerade weil gen zu nennen. Familienpolitik Querschnittsaufgabe ist, weil sie alle (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Bereiche betrifft, muß sie in Kommunen und Ländern Birgit Homburger [F.D.P.]) ebenso verantwortungsvoll wahrgenommen werden. Alle tragen Verantwortung für eine kinderfreundli- Auch in Anbetracht des großen Nachholbedarfs, che Gesellschaft. Deshalb appelliere ich an Sie, daß den es 1982 nach 13 Jahren sozialdemokratischer Re- jeder dort, wo er Verantwortung trägt, Politik im gierungsverantwortung auch im familienpolitischen Blick auf die Interessen von Familien und Kindern Bereich gab, gestaltet. (Zuruf von der SPD: Was wissen Sie davon?) Daß die Länder einen erheblichen Anteil an der Gestaltung der Lebenssituation für die Familien, für kann sich unsere Bilanz sehen lassen. Die Familien Arbeitnehmer, für Jugendliche haben, zeigt zur Ge- können sich darauf verlassen, daß wir auf diesem nüge der Vergleich der Länder, der heute oft genug Weg weitermachen. angeführt worden ist. Ich kann es nur wiederholen: (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Nee, bestimmt Bei derselben Bundesregierung liegt der Anteil der nicht! - Weiterer Zuruf von. der SPD: Das Sozialhilfeempfänger in Bayern bei 2,1 Prozent, in wäre ja schrecklich!) Niedersachsen bei 4,3 Prozent. Bei derselben Bun- desregierung liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei un- Meine Damen und Herren, häufig wird die SPD - ter 25jährigen in Bayern bei 6 Prozent, in Nieder- nicht nur von uns - kritisiert, sie sage nicht, was sie sachsen bei 13,9 Prozent. - Das ist die Leistungsbi- wirklich wolle, sie führe einen Wahlkampf der Belie- lanz Ihres Kanzlerkandidaten. Ich kann ja verstehen, bigkeit, man vermisse eine inhaltliche Ausrichtung. daß die SPD in Niedersachsen ihn gerne loswerden will. Ich finde aber, das rechtfertigt noch lange nicht, (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Sie müssen lesen!) ihm Verantwortung in Bonn zu übertragen. Die Kritik stimmt. Sie ist berechtigt. (Beifall bei der CDU/CSU) (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das trifft uns Sie wissen es selbst: Wer sich auf Ihren Kandidaten aber hart!) und seine Politik verläßt, der ist verlassen. 23000 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Claudia Nolte Für junge Menschen ist entscheidend, daß sie Per- Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): spektiven haben. Aus guten Gründen erhöhen wir Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Mi- die Mittel für den Bundesjugendplan 1999 um 4 Mil- nisterin Nolte, in der Diskussion um den Zehnten Ju- lionen DM; wir wissen nämlich, wie wichtig aktive gendbericht geht es nicht darum, Ihnen allein die Jugend- und Verbandsarbeit ist. Das sind inzwischen Schuld für den Befund zu geben, die Schuld dafür, knapp 30 Prozent mehr als 1990 - natürlich auch we- daß die Situation von Kindern in Deutschland so gen der Wiedervereinigung, aber eben auch wegen schlecht ist, wie es dieser Jugendbericht darstellt, realer Zuwächse. Da stimmt es mich schon traurig, sondern darum, daß wir von der Opposition befürch- daß die rotgrüne Landesregierung in Nordrhein- ten, daß diese Bundesregierung mit dem Zehnten Ju- Westfalen den Landesjugendplan für 1999 ein weite- gendbericht genauso umgeht, wie sie mit dem Neun- res Mal kürzt. Seit 1990 hat man so dem Landesju- ten Jugendbericht umgegangen ist: alle Verantwor- gendplan in Nordrhein-Westfalen 20 Prozent der Mit- tung von sich weisen, sagen, man sei nicht zuständig, tel genommen. Sie müssen sich nur anhören, was der die Probleme zum Teil leugnen, zum Teil schönreden, Landesjugendring in Nordrhein-Westfalen zu dieser zum Teil relativieren und dann mit offenem Mund politischen Leistung sagt. dastehen, wenn die damals beschriebenen Probleme - ich nenne nur als Beispiele die Perspektivlosigkeit Ich habe auch keinerlei Verständnis dafür, daß - von Jugendlichen in den neuen Ländern, die Ausbil- wiederum in Niedersachsen - die Mittel für den Kin- dungsplatzprobleme, den Rechtsradikalismus und derschutzbund spürbar gekürzt wurden. So schlimm die fehlenden Angebote in den neuen Ländern - uns darf es doch um keinen Haushalt bestellt sein, weder als Politikerinnen und Politikern ein oder zwei Jahre, im Bund noch in den Ländern, daß man do rt spart, nachdem ein solcher Bericht vorgelegt worden ist, wo es um den Schutz von Kindern und Jugendlichen um so härter auf die Füße fallen. Die Art und Weise, geht. wie Sie mit dem Problem umgehen, dieses Leugnen und Schönreden, und die Tatsache, daß Sie sich nicht Ich versichere Ihnen, daß wir unsere Arbeit zur Be- an die Spitze derer stellen, die handeln und etwas kämpfung von Kindesmißbrauch, Kinderpornogra- verändern wollen, ärgert mich. phie und Kindersextourismus konsequent fortsetzen und in diesem Zusammenhang auch darauf drängen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN werden, die internationale Strafverfolgung zu ver- und bei der SPD) bessern. Sie wissen, Deutschland hat im internatio- nalen Vergleich eine führende Rolle bei der Umset- Sie wissen so gut wie ich, daß für Kinder und Ju- zung des Aktionsplans von eingenom- gendliche mehr getan werden müßte. Sie wissen so men. Wir werden auch weiterhin das Bestmögliche gut wie ich, daß in diesem Jugendbericht auf ein sehr tun, um Kinder und Jugendliche zu schützen und je- ernsthaftes Problem hingewiesen wird, das Konser- des Verbrechen an ihnen umfassend zu verfolgen vative, die die Familienideologie zum Teil überhöht und zu bestrafen. hatten, eigentlich ins Herz treffen müßte, nämlich daß das Leben mit Kindern für viele Menschen in Ich danke in diesem Zusammenhang allen Nicht- diesem Land zu einem Armutsrisiko geworden ist Regierungsorganisationen, die in Deutschland in die- oder zu einem Armutsrisiko werden kann. Ich kann sem Bereich für den Schutz der Kinder aktiv sind, für beim besten Willen die Diskussion nicht weiterhin die gute Zusammenarbeit. Gemeinsam schaffen wir dulden und für okay finden, die Sie da letzten Endes ein umfassendes Netz an Beratungs- und Hilfsange- führen, die lautet: boten, sowohl für die betroffenen Kinder als auch für (Beifall bei der SPD) Eltern und Pädagogen. Um hier entsprechend Unter- stützung leisten zu können, habe ich die Mittel im Bezug von Sozialhilfe bedeutet im Grunde keine Ar- Kinder- und Jugendplan meines Hauses verdoppelt. mut, und um Gottes willen, wenn wir jetzt von Armut sprechen, dann diskriminieren wir diese Familien Es gibt viele Punkte, in denen man das, was Sie sa- auch noch, und wenn es ein Problem gibt, dann sind gen und machen, wenn Sie denn einmal konkret es die Städte und Gemeinden, und dann sind es vor werden, kritisieren kann. Aber daß man Sie in die- allen Dingen böse rote oder rotgrüne Landesregie- sem Punkt kritisieren muß, finde ich schon sehr trau- rungen, die schuld sind. rig. Ihr Problem ist, daß Sie nicht nur nicht sagen, was Sie machen wollen, sondern daß Sie, wenn Sie (Claudia Nolte [CDU/CSU]: Leider ist es etwas machen, es auch noch falsch machen. so!) Wir in der Bundesregierung haben dagegen als Diese Schwarzweißmalerei geht mir gehörig auf die Koalition von CDU/CSU und F.D.P. gezeigt, daß wir Nerven. Das will ich Ihnen sagen. die Herausforderungen, vor denen wir auch in die- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sem Politikbereich stehen, gut bewältigen können. und bei der SPD) Wir werden dies auch in Zukunft tun.

Herzlichen Dank. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Singhammer?

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe dem Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Abgeordneten Matthias Berninger das Wort. Selbstverständlich gestatte ich sie. Deutscher Bundestag - 13. Wahlpe riode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 23001

Johannes Singhammer (CDU/CSU): Herr Kollege Anke Fuchs (Köln) (SPD): Herr Kollege, sind Sie Berninger, weil Sie jetzt wieder auf das Thema „Ar- bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß von den Sozial- mut bei Kindern" eingegangen sind: Sind Sie bereit hilfeempfängern die größte Gruppe Kinder unter sie- zuzubilligen, daß die Zahl, die im Kinder- und Ju- ben Jahren sind, und sind Sie mit mir weiterhin der gendbericht enthalten ist, von 1 Million Menschen Meinung, daß Kinder von Ausländern, die hierher unter 18 Jahren, die im Jahre 1996 laufende Hilfe kommen, nicht durch Sozialhilfe finanziert werden zum Lebensunterhalt erhalten, auch 245 000 Kinder sollten, sondern dies eine Bundesaufgabe ist und ei- oder Jugendliche ohne deutschen Paß beinhaltet, gentlich die Bundesregierung für diese Kinder auf- kommen müßte? (Zuruf von der SPD: Peinlich!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) und daß weitere 189 000 ausländische Personen unter 18 Jahren Regelleistungen nach dem Asylbewerber- leistungsgesetz erhalten? Sind Sie mit mir auch der Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Meinung, daß dies nicht für eine massenhafte Ver- Im Prinzip ist es völlig richtig, daß sich in diesen Zah- elendung spricht, sondern vielmehr Zeichen einer len eine Verlagerung der Lasten, die eigentlich der außerordentlichen Hilfsbereitschaft ist? Bund übernehmen müßte, auf die Kommunen wider- spiegelt. Sie haben angesprochen, daß es eine große (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Zahl von Kindern gibt, die heute von der Sozialhilfe Zuruf von der SPD: O Gott! Schämen Sie leben müssen. Dafür war die Sozialhilfe ursprünglich sich eigentlich überhaupt nicht?) nicht konzipiert. Sie war ursprünglich für etwas an- deres konzipiert. Der Zehnte Kinder- und Jugendbe- Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): richt enthält eigentlich noch eine weitere Botschaft, „Diese Bundesregierung verhält sich" - damit über die bei den heutigen gegenseitigen Schuldzu- komme ich zu der Antwort auf Ihre Frage - „gegen- weisungen so gut wie überhaupt nicht geredet wor- über der Generation von Migranten, die hier in den ist: Wir brauchen in der Sozialhilfe eine Struktur- Deutschland geboren worden ist und bisher keinen - reform. Wir brauchen eine Hilfe für Menschen in die- deutschen Paß erhalten hat und keine Rechte hat, au- sen Lebenslagen, die ihren Lebenslagen auch ent- ßerordentlich hilfsbereit" . Mir geht das langsam auf spricht. die Nerven. (Birgit Homburger [F.D.P.]: Ein Bürgergeld (Beifall bei der SPD) halt!) Die CSU weigert sich, das Staatsangehörigkeitsrecht Diese Strukturreform, eine grundsätzliche Änderung zu reformieren. Herr Seehofer redet davon, daß Ein- der Sozialhilfe, wird eine der Hauptaufgaben einer wanderung eine Ursache dafür ist, daß so viele junge rotgrünen Regierung sein, natürlich neben einer Er- Menschen von Sozialhilfe leben müssen. Gleichzeitig höhung des Kindergeldes und einer Verbesserung weigern Sie sich, Einwanderung anzuerkennen, und der Ausstattung von Familien. führen einen spiegelfechterischen Kampf, der mit der Realität nichts zu tun hat. Das geht mir gehörig auf Frau Nolte, in diesem Punkt bin ich ehrgeiziger als den Senkel, denn das ist nicht die Art und Weise, wie Sie. Ich bin ehrgeiziger, weil man, wenn man Finanz- man mit Problemen in diesem Land umgeht. Ihre politik ernst nimmt, Herrn Waigel mehr die Stirn zei- Hilfsbereitschaft gegenüber diesen jungen Migran- gen muß, als Sie das tun. Dann muß man mehr tun, ten würde ich nur als eine sehr begrenzte Hilfsbereit- als Sie tun, dann muß man sagen: Die nächste Bun- schaft ansehen. Ich wünsche mir unter anderem des- desregierung muß die Ausstattung von Familien ver- bessern, unabhängig davon, wer ihr vorsteht. Sie hin- halb eine rotgrüne Regierung, um dieser Generation gegen versuchen immer nur larmoyant von Rahmen- zu sagen: Wir sind nicht nur bereit, euch Almosen zu bedingungen zu reden. geben, wir sind nicht nur bereit, euch in irgendeiner Form zu unterstützen und ein Leben am Rand des (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Existenzminimums zu ermöglichen, sondern wir wol- und bei der SPD) len, daß ihr in die Mitte unserer Gesellschaft kommt. Das ist unser politisches Ziel. Zuallererst gehört Diese Verbesserung der Situation von Familien ist dazu: Wer hier geboren wird, bekommt die deutsche aus meiner Sicht einer der wichtigsten Punkte über- Staatsangehörigkeit. Wenn Sie dem zustimmen, sind haupt. Interessanterweise wird heute die sozialpoliti- wir an diesem Punkt einen ganzen Schritt weiter. sche Debatte, weil Bundesbildungsminister Rüttgers rechtzeitig, bevor die Agenturen dichtmachen, seine (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Rede halten wollte, mit einer Bildungsdebatte ver- und bei der SPD) mengt. Es hängt auch zusammen. Es gibt einen Satz, den auch der Bildungsminister häufig gebraucht, Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege, nämlich daß sich die neue soziale Frage entlang der gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Abge- Bildung entscheiden wird. Dieses Zitat halte ich für ordneten Fuchs? absolut zutreffend. Zugleich wird daraus deutlich, wie schlecht die Bilanz dieser Bundesregierung ist. Wenn es nämlich stimmt, daß junge Leute in Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Deutschland immer stärker auf staatliche Hilfe ange- Aber selbstverständlich. wiesen sind und immer häufiger in Armut aufwach- sen, wenn richtig ist, daß sich die soziale Spaltung, Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Bitte schön. vor der ja immer gewarnt wird, in der jungen Gene- 23002 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Matthias Berninger ration schon voll gezeigt hat, dann besteht eine der man hat bei all diesen Schilderungen vom bösen Nie- Hauptaufgaben der Politik da rin, sich darum zu küm- dersachsen, dem Reich des Bösen, vom guten Bayern mern, dieser Generation ein Recht auf Bildung zu er- und vom guten Baden-Württemberg vergessen, daß möglichen. es noch ein Bundesland, nämlich Hessen, gibt, das am allermeisten in den Bund-Länder-Finanzaus- Dazu müssen aus meiner Sicht zwei wichtige gleich zahlt. Ich gehe nicht so weit zu sagen, daß dies Dinge passieren. Das eine - hier können wir wieder nur daran liege, daß Hessen eine rotgrüne Landesre- Schuldzuweisungen verteilen - ist eine Aufgabe der gierung hat. Aber offensichtlich schadet das dem Länder: Die Botschaft Nummer eins ist, sich in den Land Hessen überhaupt nicht. Es gibt auch mehr Schulen schwerpunktmäßig darum zu kümmern, daß Geld für Bildung als Bayern aus. die junge Generation eine Chance bekommt, daß Ar- mut und relativ niedriger Bildungsstand der Eltern Ich sage jetzt nicht, wir sind so toll, daß wir das al- sich nicht weitervererben. les alleine machen könnten. Eine solche Art und Weise zu diskutieren finde ich hohl. Es ist nichts an- Die Botschaft Nummer zwei ist das, was ich von deres als der Versuch, in diesem Haus eine Wahl- der nächsten Bundesregierung erwarte: eine BAföG- kampfdebatte auf niedrigstem Niveau zu führen. Das Reform, die ihren Namen verdient und das Recht auf mag Ihnen Freude bereiten. Es wird Ihnen aber an ei- Bildung wieder verwirklicht. Ich glaube, daß Rot und ner Stelle nichts nützen: Es wird Ihnen für die Politik, Grün auch da mutiger und weiter als Sie sind, Herr die Sie gemacht haben, keine Mehrheit wiederbe- Minister Rüttgers. Ich habe es zwar vier Jahre lang schaffen. Sie bekommen auch eine Abreibung für die erlebt, wie Sie in Ihrem Ministerium die Bedingun- Art und Weise, wie Sie heute mit der Haushaltsde- gen für BAföG verschlechtert haben, aber ich habe batte umgegangen sind. es nicht erlebt, daß Sie sich mutig an die Spitze ge- stellt und gesagt hätten, auch hier bräuchten wir eine Ich bedanke mich. Strukturreform, die den neuen Verhältnissen ange- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN messen sein muß. Diese Strukturreform wird nach und bei der SPD) der Bundestagswahl kommen - das ist meine feste Überzeugung -, und sie wird einen wichtigen Beitrag dazu leisten, daß Bildungschancen nicht davon ab- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Der Abgeord- hängen, wo man geboren wird, ob man Gewinner nete Rolf Kutzmutz möchte seine Rede zu Protokoll oder Verlierer der „Samenlotterie" ist. geben. *) Ich nehme an, daß darüber Einverständnis besteht. Meine Damen und Herren, dieser zentrale Punkt in der Bildungsreform, daß wir das Recht auf Bildung Dann gebe ich dem Abgeordneten Rolf Schwanitz verwirklichen, führt mich zu einem weiteren Punkt das Wort. der bildungspolitischen Debatte. Herr Minister Rütt- gers, der bei den Ländern in der Kreide steht, weil er Rolf Schwanitz (SPD): Herr Präsident! Meine Da- seinen Verpflichtungen im Hochschulbau nicht nach- men und Herren! Ich wollte eigentlich eine erste Be- kommt, der im Grunde eine ziemlich beschämende merkung zu Frau Nolte machen. Aber sie hat sofort Bilanz hat, weil er es nicht geschafft hat, das Regie- nach ihrer Rede den Saal verlassen. rungversprechen einzulösen, daß insgesamt mehr Geld für Bildung ausgegeben werde, dieser Bil- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege, dungsminister - er steht in den hinteren Reihen der sie ist anwesend. CDU/CSU-Fraktion; da wird er in Zukunft häufiger sitzen -, Rolf Schwanitz (SPD): Sie wird auf der Regierungs- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- bank vertreten; vielleicht ist sie auch anwesend. Ich SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) kann es nicht überblicken. Nolte war wohl der Name, der heute nach dem Namen Kohl am häufig- der letzten Endes eine Hauptverantwortung für die sten hier in diesem Raum gefallen ist. Das ist schon Finanzmisere hat, legt jetzt Programme auf, in denen eine besondere Form von Ignoranz. Das wollte ich er sagt, er wolle das nicht mit den Ländern in Koope- zum Anfang ganz deutlich gesagt haben. ration machen, sondern allein oder wolle mit ihnen in Konkurrenz treten. Damit verfolgt er eine Grundlinie, (Beifall bei der SPD - Dr. Wolfgang Weng die ich ablehne und die dazu führt, daß sich Bund und [Gerlingen] [F.D.P.]: Herr Lafontaine und Länder wechselseitig die Schuld für Versäumnisse ge- Frau Bergmann sind doch auch schon weg!) ben. Ich wünsche mir eine Bildungspolitik, in der Eine zweite Bemerkung wi ll ich mir auch nicht er- Bund und Länder wieder gemeinsam an Reformen ar- sparen: Die Rede von Frau Nolte war sehr lang, es beiten. Der Bund muß bereit sein, die Länder zu entla- wurden viele Worte, schnelle Sätze gesprochen. Nun sten und den Ländern helfen, statt großkotzig davon ist dieses Thema nicht mein ureigenes Sach- und zu reden, daß man ach so toll sei und ach so viel er- Hausthema. reicht habe, während allein die Länder schuld hätten. (Zuruf von der CDU/CSU: Das merkt man!) Mich haben heute den ganz Tag hier die berühm- ten Ländervergleiche, die uns sicherlich auch mor- - Gut, bitte, wenn Sie wollen, können Sie das gern gen wieder beschäftigen werden, tierisch genervt. kommentieren, ist in Ordnung. Interessanterweise sind geographische Kenntnisse im konservativen Lager nicht so weit verbreitet; denn *) Anlage 2 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 23003

Roll Schwanitz Man muß sich einmal die Kommentarlage verge- Sie sich kurz vor den Bundestagswahlen befinden, genwärtigen: 12 Prozent der Kinder und Jugendli- wenn jetzt sogar der Euro für Ihre Zwecke instru- chen in sozialer Bedrückung in den alten Bundeslän- mentalisiert werden muß. dern, 22 Prozent im Osten. Das waren ja die Botschaf- ten. Wer sich dann unmittelbar nach dieser Kommen- (Beifall bei der SPD) tierung hier hinstellt und herumfilibustert, ob es sich Aber bleiben wir einmal bei dem angesprochenen hier um arm oder um einkommensschwach oder ir- Spannungsbogen der Wahrhaftigkeit, denn ich finde, gend etwas anderes handelt, ist Schlichtweg unak- das ist wirklich eine interessante Geschichte. Ost- zeptabel, meine Damen und Herren. deutschland hat heute eine große Rolle gespielt. Be- kanntlich beschreiben Sie ja in Ihren Wahlkampfbro- (Beifall bei der SPD - Anke Fuchs [Köln] schüren, bei Ihren Auftritten und auch heute in ver- [SPD]: Frau Nolte ist wieder da!) schiedenen Reden erneut die blühenden Landschaf- ten. Wir in der Opposition haben uns - ich sage das - Wunderbar, ich bedanke mich. - Besonders übel offen - in den Jahren nach 1990 gar nicht mehr ge- nehme ich das jemandem, der aus dem Osten traut, dieses Wo rt zu verwenden, weil es nach 1990 kommt. Warum? Ganz klar: Wir haben bei diesem als Bild so diskreditiert war. Sie haben es jetzt wieder Prozeß des Aufwuchses auf 22 Prozent - Frau Bul- aus der Mottenkiste gezogen. Das ist in Ordnung. Sie mahn hat es völlig zu Recht erwähnt - eine massive tun das trotz aller Warnsignale, die Sie intern haben; Dunkelziffer, wie wir sie in den alten Bundesländern es ist ja nicht so, daß Sie nicht über die Informationen nicht kennen. Auf etwa zwei Anspruchsberechtigte, verfügten. Aber Sie blenden diese Warnsignale völlig die sich bei der Sozialhilfe nicht melden - aus Scham, aus und wischen sie einfach vom Tisch. aus Nichtwissen oder irgendwelchen sonstigen Gründen -, kommt eine Person, die dann in der Stati- (Vorsitz : Vizepräsident Hans-Ulrich Klose) stik erscheint. Und das alles ist in acht Jahren aufge- Die Akzeptanz der Marktwirtschaft und der De- wachsen. Die enormen mentalen Probleme, die mit mokratie - so sagen uns die Demoskopen in Ost- diesem Aufwuchs auf 22 Prozent zusammenhängen, deutschland - ist dramatisch zurückgegangen. Diese kommen ja noch hinzu. Information wird auch bei Ihnen intern diskutiert - Diskussionsrunde im Bundeswirtschaftsministerium; (Claudia Nolte [CDU/CSU]: Das ist alles ich weiß davon. Das wird aber völlig ausgeblendet. nicht wahr! Eine falsche Zahl! Nehmen Sie Mir ist auch klar, warum Sie das ausblenden. Sie das doch endlich zur Kenntnis!) blenden es aus, weil Sie die Ursachen für diese Be- findlichkeit, für dieses Votum und für diese erschrek- - Ja, ich habe das heute gelernt: Das ist alles falsch, kende Botschaft durch Ihre Politik selber gesetzt ha- wir sehen es falsch, es ist alles nicht so schlimm. ben. Meine Damen und Herren, eine Ministe rin, die sich mehr Sorgen um die Statistik macht als um die Kin- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) der und Jugendlichen, die ihr anvertraut sind, hat Sie haben beispielsweise Ursachen dadurch ge- ihre Funktion einfach verfehlt. setzt, daß die Ostdeutschen Politiker erlebt haben, die in den letzten Jahren serienweise Versprechun- (Beifall bei der SPD) gen gemacht haben, ohne daß eine dieser Verspre- chungen auch real eingehalten worden ist. Sie haben Eine zweite Bemerkung will ich zu Herrn Geißler Ursachen gesetzt, weil Sie die Tiefe des Umbruchs in machen. Ich beginne mit einem Kompliment. Das Ostdeutschland seit 1990 in den zurückliegenden muß in einer solchen Debatte auch einmal gestattet Jahren - ich sage: bis zum heutigen Zeitpunkt - in sein. Er ist nicht mehr da, aber ich sage es trotzdem. seiner ganzen Dramatik noch immer nicht richtig er- Es gibt Abgeordnete in diesem Hohen Haus, vor de- faßt, zumindest aber nicht richtig beschrieben haben. nen man unabhängig vom Parteibuch auf Grund ih- Das macht die Frustration aus und erklärt die Er- rer Biographie, auch der Debattenbeiträge, die man scheinung, von der ich vorhin gesprochen habe. erlebt hat, Respekt hat. Dazu gehört Herr Geißler. Ich sage das aus meiner Warte ausdrücklich. Dennoch (Beifall bei der SPD) gab es da heute einen Satz, bei dem es mir kalt den Man muß auch feststellen, daß Sie die Ursachen Rücken hinuntergelaufen ist. Diesen Satz will ich dadurch gesetzt haben, daß Sie die Vereinigungs- einmal aufgreifen. Herr Geißler hat sich in seiner politik kurzsichtig bet rieben haben und daß bei Rede ja sehr mit dem Thema „Angst schüren" in die- Ihnen Machtinteresse und Machtpolitik zugunsten ser Wahlkampfzeit und mit dem Thema „Wahrhaftig- der Union immer Vorrang vor dem Interesse hatten, keit" auseinandergesetzt. Das war der Bogen in sei- in Ostdeutschland klare Aussagen zu machen. Man ner Rede. Dann kam von ihm der Satz: Wenn wir die sieht das an vielen Stellen. Währung wechseln, sollten wir nicht auch noch die Regierung wechseln - und dies in Kombination mit Ich will das an einigen Beispielen noch einmal auf- dem Thema „Angst schüren". zeigen: Das erste Beispiel läßt sich mit dem Begriff - er hat auch heute schon eine Rolle gespielt; vielleicht Meine Damen und Herren, hieraus spricht nicht wird es das Unwort des Jahres 1998- „Wahlkampf- nur eine besondere Art von Chuzpe und Scheinhei- ABM" beschreiben. Ich möchte in diesem Zusam- ligkeit, sondern mir ist an diesem Satz noch einmal so menhang noch einmal daran erinnern, was tatsäch- richtig deutlich geworden, in welcher Bedrängung lich passiert ist. Schauen wir uns doch einmal an, 23004 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Rolf Schwanitz was die Bundesregierung gemacht hat: Sie hat 1997 dungen für das Jahr 1999 massiv ausgereizt. Das eine Diffamierungskampagne gegen eine aktive Ar- heißt, der Spielraum für Neubewilligungen im Wahl- beitsmarktpolitik in Ostdeutschland geführt. Sie hat folgejahr wird ganz gering sein, und die arbeits- das Arbeitsförderungsgesetz - wie die Koalition das marktpolitisch entlastende Wirkung im Jahr 1999 - immer nennt - reformiert und mit massiven Restrik- bei einer unverände rten Politik - wird unvergleich- tionen in das SGB III überführt. Sie hat die Menschen lich geringer sein, verglichen mit dem, was man im in die Arbeitslosigkeit geschickt. Ende 1997 waren Wahljahr erreicht hat. Das ist die Situation. Es gibt ungefähr 170000 Personen - wenn man die Vorruhe- bereits Prognosen bei den ostdeutschen Landesar- ständler einrechnet - weniger in arbeitsmarktpoliti- beitsämtern, die besagen, daß bei gleichem Haus- schen Maßnahmen. Dadurch, daß Sie 1997 kaum haltsansatz 1999 zwischen 90 000 und 100 000 Perso- Neubewilligungen zugelassen haben, haben Sie sich nen weniger mit Maßnahmen versorgt sein werden natürlich eine Bindungsfreiheit für das Wahljahr ge- als im Wahljahr. Das ist die Realität, das ist der zyni- schaffen. Das war Ihr erstes großes Thema. sche Umgang mit den Erwartungen der Menschen im Osten. Das zweite, was Sie gemacht haben: Sie haben An- fang dieses Jahres der Bundesanstalt für Arbeit einen (Beifall bei der SPD) Erlaß auf den Tisch gelegt. Mit diesem Erlaß sind auf dem Verwaltungswege - ohne daß das geltende Deswegen sagen wir: So kann das nicht gehen. Recht geändert worden ist - die Restriktionen - für Man darf die Menschen nicht alleine lassen. Wir wer- die Sie hier monatelang schwer gekämpft haben - in den diese arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen nach Sachen arbeitsplatzvernichtende beschäftigungspoli- dem 27. September als solide Maßnahmen fortfüh- tische Maßnahmen wieder rückgängig gemacht wor- ren. Wir werden daraus Jahresmaßnahmen machen. den. Die sogenannte Vergabe-ABM ist ausgehebelt Wir werden diesen politischen Sprengstoff entschär- worden. Alle Dämme wurden weggeräumt. Sie ha- fen. Denn Arbeitsmarktpolitik muß wegkommen von ben dadurch seit Jahresanfang mit einem unheim- einem Instrument der reinen machtpolitischen Gelü- ste. Sie muß sich wieder um die Arbeitslosigkeit lichen Einsatz, den wir selbst 1994 - als wir ähnliches- kennengelernt haben - nicht erlebt haben, rund kümmern. Darum wird es gehen. 200 000 Personen in Ostdeutschland wieder mit Maß- nahmen versorgt. Das ist die Situation. Ich kann nur (Beifall bei der SPD) sagen: Sie haben damit Hoffnungen geweckt, Hoff- nungen geschürt, von denen Sie genau wissen, daß - Herr Kollege sie bei Fortsetzung Ihrer Politik nach der Bundes- Vizepräsident Hans Ulrich Klose: Schwanitz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kol- tagswahl bitter enttäuschen werden. legen Dehnel? (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Rolf Schwanitz (SPD): Bitte. Warum? - Die Antwort ist ganz klar. Sie greifen vor allen Dingen in der jetzigen Zeit massiv auf Kurz- Wolfgang Dehnel (CDU/CSU): Herr Kollege zeitmaßnahmen zurück. Die Welle der Rückkehrer, Schwanitz, Sie haben gerade von zynischem Um- die in Drei-Monats-ABM beschäftigt sind, ist vorpro- gang mit den Erwartungen der Menschen gespro- grammiert. Nach der Bundestagswahl wird es anfan- chen. Sie haben im Vogtland, wo Sie sich als Wahl- gen. Wenn es keine Änderung der aktuellen Politik kreiskandidat bewerben, den Vorschlag gemacht, ei- gibt, wird es ein böses - übrigens auch politisch bö- nen Fonds zu gründen, um Arbeitsbeschaffungsmaß- ses - Erwachen geben; denn diese Menschen wer- nahmen zu finanzieren, und haben schon 1 000 DM den anders dastehen als früher, als sie sich noch in eingezahlt. Würden Sie dem Plenum und Ihrer Frak- der klassischen ABM mit einem Jahr Laufzeit bef an tion erklären, wie Sie mit den Menschen umgehen, den. Sie werden ohne Lohnersatzansprüche daste- wenn Sie solche Vorschläge machen? hen. Das ist die große Sauerei, meine Damen und Herren. Rolf Schwanitz (SPD): Das kann ich Ihnen ganz (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ klar sagen. Die Idee mit dem Fonds ist gemeinsam DIE GRÜNEN) mit den Gewerkschaften geboren worden und setzt genau an der Stelle an, wo Sie den Scherbenhaufen Die perfide Strategie in bezug auf die arbeits- hinterlassen haben. Sie haben nämlich 1997 die Ei- marktpolitischen Maßnahmen ist leider nicht zu än- genmittelbeteiligung der Beschäftigungsförderungs- dern. Es geht ja weiter. Jetzt gibt es eine neue Bot- gesellschaften massiv nach oben geschraubt, so daß schaft - ich dachte, daß Sie das in der heutigen De- sie die Maßnahmen nicht finanzieren konnten. Das batte deutlicher herausstellen -, die lautet: Nein, war ein Knebel. nein, keine Sorge. Im nächsten Jahr wird die Arbeits- marktpolitik im Osten weitergeführt werden. Ich (Beifall bei der SPD) kann Ihnen dazu nur sagen, daß das bei dem jetzigen Politikansatz ganz klar unwahrhaftig ist. Es zeichnet Deswegen habe ich gemeinsam mit den Gewerk- sich auch ganz klar ab, warum. Natürlich haben Sie schaften vorgeschlagen: Laßt uns, wenn die Bundes- durch diese Maßnahmen - wahlkampforientiert, wie regierung - wir kriegen erst 1998 eine andere - das Sie das in diesem Jahr gemacht haben - die Vorbin- so tut, versuchen, ob man mit regionalen Mitteln in Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 23005

Rolf Schwanitz diesem Engpaß Eigenmittelzuschüsse finanzieren heute schon einmal eine Rolle gespielt. Ich glaube, kann. Das ist die Grundüberlegung gewesen. Herr Waigel hat die Zahl eingeführt; 1,0 Millionen seien es. (Beifall bei der SPD - Wolf-Michael Caten husen [SPD]: Sehr vernünftig!) (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: 1,5 Millio Jetzt sage ich Ihnen natürlich auch: Das war eine nen!) Grundüberlegung aus dem Frühjahr dieses Jahres. - Ich kenne auch die Zahl 1,5 Millionen aus entspre- Ich will Ihnen gerne zugestehen, daß die besondere chenden Verlautbarungen. Er hat „ 1 Million" gesagt. Situation des Wahljahres - jetzt gibt es Eigenmittel- Ich will jetzt nicht darum streiten. zuschüsse, jetzt gibt es wundersame Dinge, von de- nen wir 1997 überhaupt nicht zu träumen wagten - (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Ich habe zu einer Änderung geführt hat. Die Gelder sind nach 1,5 Millionen gesagt!) wie vor in dem Fonds. Der Vorschlag liegt auf dem Tisch: Wir werden mit diesen Mitteln ein Projekt im - Herr Waigel sprach von 1 Million. Deswegen habe Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik initiieren, ich das korrigiert; ich wollte ihn nicht falsch zitieren. übrigens gekoppelt mit dem Thema „Arbeit statt So- Darum streite ich jetzt nicht. zialhilfe "; da gibt es vernünftige Ansätze in der Re- gion. Da gibt es keine Trickserei. Das Geld ist da und Es heißt, das sei jetzt der große Indikator für den wird verwendet. Übrigens bin ich da mit dem Land- Aufschwung. Vergessen worden ist bei dieser Zahl rat der CDU sehr einig, daß man es vernünftig einset- der offenen Stellen zu sagen, daß zu ihnen auch die zen kann. noch nicht besetzten ABM-Stellen gezählt werden. (Iris Gleicke [SPD]: Das kann doch nicht Vizepräsident Hans - Ulrich Klose: Herr Kollege wahr sein!) Schwanitz, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Dehnel? Vergessen wurde, daß auch die SAM - Strukturan- - passungsmaßnahmen - als offene Stellen mitgezählt werden, wenn sie noch unbesetzt sind. Vergessen Rolf Schwanitz (SPD): Bitte. wurde, daß die Hälfte dieser Stellen mit einer Befri- stung versehen worden ist. Vergessen wurde, daß Wolfgang Dehnel (CDU/CSU): Herr Kollege Verleihfirmen mitgezählt werden, die bei Arbeits- Schwanitz, Sie haben gerade zu diesen Maßnahmen ämtern Mehrfachnennungen haben. Vergessen wor- erklärt, es seien praktisch doch die falschen Mittel den ist, daß es CDU-Abgeordnete gibt, die herum- gewesen. Wie erklären Sie sich dann, daß der Land- fahren und sagen, vor dem 27. September möge man kreis Vogtland jetzt eine Spitzenposition einnimmt, doch bitte schön noch schnell befristet einstellen; daß er die Arbeitslosigkeit im größten Maße abge- denn die CDU müsse gerettet werden. Das ist eine baut hat, heute in den neuen Bundesländern an drit- neue Mogelpackung. Ich sage, nach der Bundestags- ter Stelle steht und damit eine hervorragende Posi- wahl muß es aufhören mit diesen statistischen Lüge- tion einnimmt? Weil wir diese Maßnahmen entspre- reien, meine Damen und Herren. chend dem Arbeitsförderungsgesetz eingeführt ha- ben! Würden Sie das bitte zur Kenntnis nehmen? Es (Beifall bei Abgeordneten der SPD) waren nicht Ihre Maßnahmen, die dort gegriffen ha- ben, sondern unsere Maßnahmen. Ich möchte gerne eine Bemerkung zu dem Thema machen, das heute morgen ganz am Anfang eine Rolle gespielt hat: die Diskussion über den finanziel- Rolf Schwanitz (SPD): Herr Dehnel, ich habe Ihnen len Rahmen des Aufbaus Ost bzw. über die finan- erläutert, wie das mit dem Vorschlag ist. zielle Situation der neuen Bundesländer. Zum Thema (Iris Gleicke [SPD]: Das versteht er nicht Länderfinanzausgleich ist, glaube ich, heute morgen mehr!) Umfangreiches gesagt worden. Das will ich nicht alles wiederholen. Es sei mir nur gestattet, aus- Daß im Vogtland die Arbeitslosigkeit ganz besonders drücklich zu sagen: Ich finde es zynisch und ver- gesunken ist, hängt damit zusammen, daß ganz be- logen, sich hier hinzustellen und zu sagen: Bitte sonders viele Wahlkampf-ABM im Vogtland initiiert schön, wir gehen zum Verfassungsgericht und kla- worden sind, und mit einem zweiten Effekt, der aus gen - in einer Situation, in der die ostdeutschen Län- den offiziellen Statistiken nicht abzulesen ist: Wir ha- der 86 Prozent des Länderfinanzausgleichs bekom- ben im Vogtland ungefähr 5000 Pendler. Das ist so- men -, und gleichzeitig zu erklären, das hat mit Ost- viel wie sonst in drei Arbeitsamtsbezirken in Sachsen deutschland nichts zu tun. Also, für so dumm kann zusammen. Das schönt natürlich die Statistik. Die ge- man die Ostdeutschen nicht verkaufen, meine Da- hen alle nach Franken, wo 40 000 Ostdeutsche Arbeit men und Herren; das wird nicht funktionieren. finden. Das ist eine besondere Situation meines Wahlkreises, die in der Nähe zum ehemaligen (Beifall bei der SPD) Grenzgebiet begründet ist. Ich möchte gerne noch einen weiteren Bereich an- Meine Damen und Herren, ich will noch auf eine sprechen, der mich mindestens genauso besorgt neue Mogelpackung im Zusammenhang mit dem macht: Das ist die Entwicklung, die sich mit neuen Thema Arbeitsmarktpolitik zu sprechen kommen. Es Schlagworten verbindet, mit Schlagworten wie Herrn ist die Mogelpackung „offene Stellen" . Auch das hat Waigels „Finanzkonzept 2010" oder auch dem 23006 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Rolf Schwanitz Schlagwort des Wettbewerbsföderalismus. Das hat können. Solche Strategien werden mit uns nicht lau- heute auch eine Rolle gespielt. fen, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Das ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Schlagwort Ihres Kanzlerkandidaten! - Wei Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Die Einnahmen tere Zurufe von der CDU/CSU) sind laufend gestiegen, plus 1 Prozent in diesem Jahr! Sie sind nicht informiert!) - Natürlich hat er das gestern aufgenommen, übri- Wir wollen keinen neuen Egoismus, auch nicht, gens in einer inhaltlich hervorragenden Art und wenn er sich hinter neuen, schönen Worten wie Wett- Weise. Das können Sie nachlesen. berwerbsföderalismus verbirgt. Für uns bleibt der Bundesstaat in erster Linie eine solidarische Gemein- Ich will dazu ein klares Wort von meiner Position schaft. Dafür treten wir ein, meine Damen und Her- aus sagen. Wenn Herr Waigel vorschlägt, daß das ren. Steuersystem neu zu ordnen sei, indem man die Ge- meinschaftssteuern quasi entflechtet, die indirekten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Steuern dem Bund zuweist und die Einkommen- und ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Körperschaftsteuern den Ländern gibt, mit der Mög- Zum Schluß möchte ich noch eine Bemerkung zur lichkeit, eigene Hebesätze festzulegen, dann halte gegenwärtigen Politik machen. Ich habe den Ein- ich das schlichtweg für einen abenteuerlichen Vor- druck, während die Union im Wahlkampf draußen schlag, meine Damen und Herren. Warum? Die Fol- schöne Reden hält, geht im Innenbereich das Verfol- gewirkungen sind ganz klar. Während der Bund die gen von knallharten Entscheidungen und knallharter gut sprudelnden Mehrwertsteuern bekommt, ver- Politik weiter. Ich will das Beispiel der BvS anspre- bleiben die stark konjunkturabhängigen Einkom- chen, der Treuhandnachfolgeorganisation. Seit län- men- und Körperschaftsteuern bei den Ländern. gerer Zeit ist erkennbar, daß es eine politische Strate- Während die reichen Länder die Steuersätze bei den gie bei der Union, bei der Bundesregierung gibt, daß Einkommen- und Körperschaftsteuern nach unten- die BvS so schnell wie möglich zu Grabe getragen setzen können und dadurch natürlich auch Standort- werden soll, obwohl der gesetzliche Auftrag der BvS vorteile, beispielsweise bei Betriebsansiedlungen, or- noch längst nicht erfüllt ist. So wird offensichtlich ganisieren können, bleiben die finanzschwachen noch vor der Bundestagswahl ein massiver Personal- Länder auf ihren Standortnachteilen sitzen. Während abbau bei der BvS organisiert, der ihre Funktionsfä- wir in Europa, auch hier im Bundestag, über Steuer- higkeit intensivst in Frage stellt. Die SPD sagt klar: harmonisierung sprechen und die Notwendigkeit se- Wir brauchen auch nach der Wahl die Begleitung der hen, Steueroasen im europäischen Bereich abzu- ostdeutschen Unternehmen, die privatisiert worden bauen, soll nun im Inland bis 2010 nach Waigels Vor- sind, durch die BvS. Wir brauchen die Kontrolle der schlag ein neuer Steuerwettlauf organisiert werden. Verträge, wir brauchen das Vertragsmanagement. Dies werden wir nicht mitmachen, meine Damen und Wir brauchen die Unterstützung und Hilfe für Herren. schlecht privatisierte, für in Not geratene Unterneh- men. Wir brauchen nicht zuletzt die Information der (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Matthias Länder durch die BvS. Das alles ist ohne die BvS Berninger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) nicht zu bewerkste lligen. Wenn die Informationen zutreffen, daß die BvS- Eine solche Finanzverfassung ist nach meiner Ein- Spitze jetzt auch dem Vorsitzenden des Hauptperso- schätzung in höchstem Maße unsolidarisch und ver- nalrates betriebsbedingt kündigen will, weil er eine logen. Während Sie - das haben Sie heute mehrfach kritische Position einnimmt - es gibt entsprechende getan - vom Saarland und von Bremen sprechen, Meldungen, die man nicht in den Wind schlagen meinen Sie in Wirklichkeit Brandenburg und Thürin- sollte -, dann wächst sich diese Strategie zu einem ar- gen, meine Damen und Herren. Dieses Konzept rich- beitsrechtlichen Skandal aus. tet sich unmittelbar gegen Ostdeutschland. (Beifall bei der SPD) (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Das ist Morgen ist Verwaltungsratssitzung bei der BvS. Ich eine glatte Lüge!) fordere Herrn Waigel auf, auch wenn er nicht mehr anwesend ist: Pfeifen Sie Herrn Himstedt, den Chef Dort brauchen wir die solidarische Unterstützung. der BvS, zurück, damit do rt nicht diese arbeitsrechtli- Deswegen sage ich: Mit diesen Mogelpackungen chen Skandale ablaufen! muß Schluß sein, meine Damen und Herren! (Beifall bei der SPD)

(Beifall bei der SPD) Meine Damen und Herren, in der „Süddeutschen Zeitung" war heute im Kommentar unter Hinweis auf Bundeskanzler Helmut Kohl folgender Satz zu le- Außerdem: Ich habe diese neoliberale Strategie in sen - ich zitiere - : den letzten Jahren mehrfach beobachten können. Da wird zuerst die Einnahmeseite zertrümmert, um an- Wenn die Leute die Politik als höchste Form der schließend, nachdem die Einnahmen weggebrochen Lüge ansehen, dann meinen sie in erster Linie sind, damit die Kürzung der Ausgaben begründen zu ihn. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 23007

Rolf Schwanitz Wahrheit, Klarheit und Glaubhaftigkeit müssen wie- der Wettbewerb zwischen den Ländern organisiert der Einzug in Regierungshandeln halten, damit die werden. Wir dürfen ihn nicht behindern, weil wir Demokratie im Osten, aber auch im Westen nicht sonst den Standort Deutschland insgesamt behin- weiter an Akzeptanz verliert. dern. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Daß Sie dazu nicht in der Lage, aber auch nicht wil- Das ist die erste Aussage. lens sind, habe ich in den letzten acht Jahren hier im Die zweite Aussage lautet: Die Länder, die beson- Deutschen Bundestag erlebt. Deswegen wird der ders erfolgreich sind, müssen die Chance haben, ein Wähler am 27. September eine klare Entscheidung wenig davon zu profitieren; das ist heute nicht mehr fällen und einer neuen Regierung einen Auftrag ge- ben. der Fall. Die neuen Bundesländer können und wer- den davon profitieren. Daher sind diese Aussagen Herzlichen Dank. nicht gegen die neuen Bundesländer gerichtet; das wissen Sie ganz genau. Vielmehr bieten sie die (Beifall bei der SPD) Chance, auch über die Jahrhundertwende hinweg die Förderung der neuen Bundesländer auf substan-

Vizepräsident Hans - Ulrich Klose: Das Wort hat die tielle Art und Weise durchzusetzen. Abgeordnete Dr. Angela Merkel. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Deshalb sage ich Ihnen: Die Frage des Wettbe- Dr. Angela Merkel (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich spreche hier jetzt als werbs zwischen den einzelnen Bundesländern ist für Abgeordnete, weil für uns alle in der Fraktion und in mich ein Kernstück des Föderalismus. Ich fände es der Bundesregierung der Aufbau Ost Priorität hat. schön, wenn wir den Menschen in den neuen Bun- desländern wenigstens die Grundgedanken des (Beifall bei der CDU/CSU) Grundgesetzes gemeinsam nennen könnten. Dann - würde es nämlich auch mit der Akzeptanz der sozia- Wir müssen nichts zur Chefsache erklären, hier spre- len Marktwirtschaft wieder besser. Wenn wir uns alle chen nicht nur Bundesminister, hier kann sich jeder darin überbieten, zu kritisieren - dazu leisten die So- Abgeordnete zu diesem Thema äußern. zialdemokraten leider einen wesentlichen Beitrag -, Herr Schwanitz, Ihr Beitrag war heute seitens der dann wird das Verständnis für die Grundordnung SPD der einzige aus der Sicht Ostdeutschlands, so- dieser Bundesrepublik Deutschland in den neuen weit ich das gesehen habe. Ich bin etwas enttäuscht, Ländern noch langsamer wachsen, als das bisher der weil ich gedacht habe, daß Sie sich mit den Fragen Fall ist. befassen, die Kurt Biedenkopf heute sehr intensiv an- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) gesprochen hat. Es ging um die Fragen, wie wir die strukturellen Probleme und die Probleme der Ar- Wir sollten uns also gemeinsam fragen, Herr beitslosigkeit in den neuen Bundesländern angemes- Schwanitz: Was ist gut für die neuen Bundesländer? sen lösen können. Da hat Ihr Kanzlerkandidat heute etwas ganz beson- ders Schönes gesagt. Er hat sich nämlich in der Welche Konzepte und welche Vorstellungen haben Chemnitzer „Freien Presse" zu der Frage geäußert, hier die Sozialdemokraten? Wenn ich als zentrale wie es denn nun mit den Bündnissen zwischen SPD Botschaft höre, daß Sie gegen den Wettbewerb zwi- und PDS stehe, und gesagt, er habe einmal eine an- schen den Ländern sind, der doch erreichen kann, dere Meinung gehabt, aber er habe zur Kenntnis daß Geld in die Kassen kommt, mit dem anschlie- nehmen müssen, daß man in Ostdeutschland „sehr ßend wieder der Ausgleich organisiert werden kann, selbstbewußt das tut, was für die Länder gut ist". dann bin ich schon einigermaßen enttäuscht. (Beifall bei der PDS) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Mit einem Wort: Herr Höppner tut das, was für die Lieber Herr Schwanitz, es ist doch nicht zu bestrei- Länder gut ist. ten, daß hohe finanzielle Aufwendungen und große Investitionen in den letzten acht Jahren möglich wa- Herr Schwanitz, einmal abgesehen davon, daß Sie ren. Ich hoffe, auch Sie bestreiten das nicht. Ich zur sächsischen Sozialdemokratie gehören, die zu nenne beispielhaft: 50 Milliarden DM für Telekom- der ganzen Frage offensichtlich eine etwas andere munikation, 37 Milliarden DM für Infrastruktur wirt- Meinung hat - ich weiß nicht, ob der stellvertretende schaftsnaher Art und 87 Milliarden DM für Verkehrs- Parteivorsitzende da ausschert -, sage ich Ihnen am infrastruktur. Dies alles war nur möglich, weil 1990 Beispiel von Mecklenburg-Vorpommern, was nach im Westen Deutschlands, nämlich in der Bundesre- Meinung der PDS gut für das Land ist. Die PDS sagt publik Deutschland, eine Regierung bereits acht in Gestalt ihrer Fraktionsvorsitzenden im mecklen- Jahre regiert hat, die finanziell die Kraft dazu hatte, burg-vorpommernschen Landtag, daß sie nach wie das wirtschaftliche Desaster in den neuen Bundes- vor der Meinung sei, daß die A 20, die Autobahn von ländern - zunächst ansatzweise - zu verbessern. Lübeck nach Stettin, Blödsinn ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der PDS) Das resultiert daraus, daß es Zahler gibt, die in den - Sehen Sie, Frau Höll klatscht auch gleich reflexar Bund-Länder-Finanzausgleich einzahlen. Dafür muß tig. Bei der PDS sind alle noch einer Meinung; das 23008 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Dr. Angela Merkel klappt immer. - Die PDS ist gegen den Transrapid ben, Ihnen Ihr erstrebtes Ziel vermasselt. Das ist der von Berlin nach . Punkt; deshalb wollen Sie das nicht wahrhaben. (Zuruf von der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) - Nein, so einfach ist das nicht. Auch Herr Ringstorff Herr Schwanitz, Sie wissen doch, daß wir in den ist inzwischen gegen den Transrapid, weil er sich an- neuen Bundesländern Probleme haben, ob das Zittau schickt, mit der PDS zu kooperieren, so daß Herr ist, ob das andere Regionen sind; ich könnte Ihnen Schröder, als er in zu Gast war und do rt eine die in Vorpommern aufzählen. Aber Sie wissen ganz Pressekonferenz gab, bei der er vom Transrapid im genau, daß es auch blühende Landschaften gibt. Emsland schwärmte, zu Herrn Ringstorff, der das Warum in aller Welt nehmen Sie den Ostdeutschen Wort ergreifen wollte, sagte: „Wenn ich mal hier bei jede Möglichkeit, auf das Erreichte stolz zu sein? euch bin, dann möchte ich alleine sprechen" und Warum erklären Sie unentwegt der ganzen Welt, daß ihm das Wort verbot. es mit dem Erreichten noch nicht soweit her sei? Also: Was ist gut für Mecklenburg-Vorpommern? (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Nach Herrn Schröders Ansicht wahrscheinlich doch Rolf Schwanitz [SPD]: Sie wissen es doch der Transrapid, nach der Ansicht von Herrn Rings- viel besser!) torff weniger der Transrapid. Ich kann nur sagen: Ich Jetzt sage ich es Ihnen mit einem Beispiel, das halte den Transrapid für eine wichtige Technologie in mich immer erschreckt. Wenn wir die Menschen in den neuen Bundesländern. Deutschland fragen „Hat sich seit 1990 die Umweltsi- (Beifall bei der CDU/CSU) tuation in den neuen Bundesländern verbessert? Ist sie heute gut oder besser oder relativ gut?", dann ha- Denn wir wissen doch, Herr Schwanitz, daß wir den ben 1998 17 Prozent der Westdeutschen gesagt, sie Wettbewerb nicht in den Bereichen gewinnen kön- habe sich verbessert, während wenigstens 53 Prozent nen, in denen es schon in den alten Bundesländern der Ostdeutschen dies zur Kenntnis genommen ha- strukturelle Schwierigkeiten gibt, sondern daß wir ben. Was heißt das? Nur 17 Prozent der Westdeut- versuchen müssen, in den neuen Bundesländern mu- schen haben mitbekommen, daß sich die Umweltsi- tig und offensiv neue Felder zu besetzen, mit denen tuation in den neuen Bundesländern dramatisch ver- wir dann übrigens auch beispielhaft für ganz bessert hat. Anders als Frau Fuchs es dargestellt hat, Deutschland sein können. hat sie sich verbessert. Das ist überhaupt keine Frage. Nun will ich gar nicht davon sprechen, daß die PDS natürlich gegen die NATO-Osterweiterung ist. Womit hängt das zusammen? Das hängt damit zu- Ich weiß wirklich nicht, ob das gut für Sachsen oder sammen, daß wir in der öffentlichen Darstellung den für Mecklenburg-Vorpommern ist, und für Branden- Ostdeutschen nicht den Erfolg für das gönnen, was burg ist es mit Sicherheit auch nicht gut. Die PDS wir inzwischen längst geschafft haben. Als ich Sie schickt sich an, Soldaten als Mörder zu beschimpfen eben wieder gehört habe, Herr Kollege Schwanitz, und die Bundeswehr abschaffen zu wollen. mußte ich feststellen, daß Sie dazu ganz wesentlich beitragen. (Dr. Barbara Höll [PDS]: Das stimmt über- haupt nicht!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) - Einzelne von Ihnen zumindest. Lassen Sie das weg und beschreiben Sie die Realität, so wie sie ist! Kurt Biedenkopf hat heute richtiger- (Dr. Barbara Höll [PDS]: Das propagieren weise gesagt: Fangen wir bei einer korrekten Be- Sie hier! Sie müssen bei der Wahrheit blei- schreibung der Wirklichkeit an und überlegen wir ben! - Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: uns dann, welche Maßnahmen wir treffen müssen. Denken Sie einmal an die Kommunalpoliti- ker!) Für mich ist klar - dafür haben alle Abgeordneten aus den neuen Bundesländern immer wieder ge- Immerhin ist die Bundeswehr der größte Arbeitgeber kämpft -, daß wir aus strukturellen Gründen noch in meinem Heimatland, in Mecklenburg-Vorpom- über lange Jahre hinweg den zweiten Arbeitsmarkt mern. Da muß man sich dreimal überlegen, mit wem brauchen werden. Aber Sie, Herr Schwanitz, haben man Bündnisse eingeht. Wenn sich Herr Holter als kein einziges Wort zur Reform des Arbeitsrechtsge- PDS-Landesvorsitzender dafür ausspricht, die Beam- setzes verloren, das wir im übrigen ohne Ihre Zustim- ten im öffentlichen Dienst sollten keinen Eid mehr mung verabschieden mußten, weil Sie nicht bereit auf das Grundgesetz ablegen, dann frage ich mich, waren, mit uns im Bundesrat darüber zu debattieren. was das soll und warum das gut ist für die neuen In diesem Gesetz haben wir viele Brücken gebaut, Bundesländer. um für die Menschen die Durchlässigkeit zwischen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) zweitem und erstem Arbeitsmarkt zu erreichen. Ich denke an die Lohnkosten- und Einarbeitungszu- Wenn Sie heute hier weiter nichts fordern als das, schüsse. Es ist vieles geschehen, was sehr viel sinn- was Frau Engelen-Kefer seit Jahr und Tag forde rt, voller ist als das, was vorher war. Sagen Sie doch nämlich daß der zweite Arbeitsmarkt eine bestimmte zum Beispiel, daß eine große Zahl der Mittel heute Rolle einnimmt, dann sieht man daran, daß Sie Angst gar nicht mehr in die klassische ABM fließt, sondern davor haben, daß die Tatsache, daß wir in den neuen daß inzwischen ganz andere Möglichkeiten vorhan- und alten Bundesländern einen Aufschwung erle- den sind, aus denen der bessere Teil der Arbeitslo- Deutscher Bundestag - 13. Wahlpe riode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 23009 Dr. Angela Merkel senstatistik resultiert. Darauf sind wir stolz, weil dies führen wir hier im Moment eher Wahlkampfausein- die einzig mögliche Brücke in den ersten Arbeits- andersetzungen. Es ist natürlich kein Geheimnis, daß markt ist. in Wahljahren die Erfolge der Bundesregierung im- mer groß sind, alles gut ist und alles glänzen muß. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall des Abg. Hans-Peter Repnik [CDU/ Ich wundere mich in den vielen Stunden dieser De- CSU]) batte, daß Sie von den Sozialdemokraten, die Sie uns so gern kritisieren, nicht deutlich machen können, - Ich verstehe das, Herr Repnik. Es ist logisch, daß was wir aus den neuen Bundesländern für den Fort- dann auch der Aufbau Ost glänzen muß. Wolfgang schritt in ganz Deutschland einbringen können. Schäuble sagt, das sei die größte Erfolgsgeschichte in Sprechen Sie doch einmal vom in Sachsen diesem Jahrhundert. Nun sind wir in diesem Jahr- nach zwölf Jahren Schulbesuch. Das ist doch eine hundert nicht gerade mit Erfolgen und mit ruhmrei- gute Sache; da sind wir Vorbild für alle bundesdeut- cher Geschichte verwöhnt worden. Ich wi ll diese Er- schen Länder. Sprechen Sie doch einmal davon, daß folge überhaupt nicht bestreiten; es gibt sie ja. man bei uns auch in der ersten Klasse schon Zensu- ren bekommen kann. Auch das finden wir toll. Spre- Bei der Lebensqualität und bei der Infrastruktur chen Sie doch davon, daß an der Technischen Uni- sind wir sehr gut vorangekommen, und zwar schnel- versität Dresden Zwischenprüfungen ganz normal ler als bei der Indust rie, dem Gewerbe, bei der Schaf- sind und die Studenten ihr Studium nach fünf oder fung von Arbeitsplätzen und beim Expo rt; das müs- sechs Jahren beenden. Das alles würde auch ganz sen wir sagen. Der Aufschwung ist da. Das will ich Deutschland guttun. überhaupt nicht bestreiten. Aber - das ist die tragi- sche Situation - der Osten kann nicht jeden gebrau- Ich möchte im Deutschen Bundestag auch deutlich chen. Das erfahren die Leute do rt. Im Grunde ge- machen, daß die Ostdeutschen nicht immer nur Emp- nommen bietet sich eine Perspektive, die nicht für je- fänger von Hilfe sind. Wir brauchen sie. Aber wir den Erfolgsmöglichkeiten bietet. Es ist ja nicht so, brauchen sie, weil wir allein auf die Beine kommen daß Ihnen jeder im Osten zujubelt und sagt, ich teile wollen. Wir haben inzwischen gelernt - was für die diese Ansicht, habe diese Aufbruchstimmung und gesamte Bundesrepublik Deutschland wichtig ist -, diese positive Perspektive. Meiner Meinung nach wichtige Dinge einzubringen, um den Standortwett- könnten wir schon viel weiter sein. bewerb gegen andere im fairen Vergleich zu gewin- nen. Wenn Sie schon für sich - zusammen mit einer Ich habe heute Professor Biedenkopf wirklich auf- Partei, die ohnehin nicht an die Macht kommt - in merksam zugehört. Er hat an vielen Stellen recht. Anspruch nehmen, die Ostdeutschen zu vertreten, Aber die Diskussion sollten wir dann wirklich ernst- dann wünschte ich mir ein bißchen, daß Sie hier die- haft und vom Ursprung her führen. Wieso haben wir sen Stolz, diese Freude und das, was wir können, ver- die Diskussion über die große Steuerreform - Sie, mitteln. Das ist meine Bitte an Sie. Herr Repnik, sind ja einer der Protagonisten - erst 1996/97 ernsthaft geführt, warum denn nicht schon Herzlichen Dank. 1990, als absehbar war, daß wir dieses verkorkste (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Steuersystem nicht auf den Osten übertragen kön- nen?

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der (Matthias Berninger [BÜNDNIS 90/DIE Kollege Werner Schulz, Bündnis 90/Die Grünen. GRÜNEN]: Sehr richtig!) Das war schon in der Inhalt unserer er- Werner Schulz (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sten Reden. Sie, Frau Merkel, haben das als Presse- NEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! sprecherin vielleicht mitverfolgt. Wir haben damals Frau Kollegin Merkel - Sie haben als Abgeordnete schon darüber geredet; da war schon klar, daß sich gesprochen -, mir ist bei Ihrer Rede spontan ein alter das Wirtschaftswunder der Bundesrepublik in den DDR-Witz eingefallen: Wenn eine Regierung dem 50er Jahren bei diesem Steuerrecht mit Sicherheit Ende entgegengeht, wenn sie sich noch einmal be- nicht ereignet hätte. Hätte es damals schon die jet- müht und auf dem Regierungsdampfer Volldampf zige Regelungsdichte gegeben, würden Sie heute gibt, dann gehen mindestens 60 Prozent zum Tuten noch darauf warten. Das war damals schon überfäl- und 40 Prozent zur Vernebelung drauf. Wenn Sie da- lig. von reden, daß in Mecklenburg-Vorpommern die Bundeswehr der größte Arbeitgeber ist, dann kann Oder lassen Sie uns ehrlich über den Länderfi- es mit dem wirtschaftlichen Aufbau in Ihrem Bundes- nanzausgleich reden: Wir hätten ihn schon 1990 ge- land wohl nicht allzuweit her sein. Das würde mich braucht. Warum sind wir denn ausgewichen und ha- eher sehr skeptisch stimmen. Es hätte uns auch frü- ben erst den Fonds Deutsche Einheit geschaffen? her nicht beglückt, wenn die NVA oder die Rote Ar- Alle alten Länder wären Geberländer geworden, mee dort der größte Arbeitgeber gewesen wäre. egal - darüber brauchen wir gar nicht reden -, ob sie CDU- oder SPD-regiert waren. Dem sind wir ausge- Wir haben heute lange genug über diesen Haus- wichen. Statt dessen haben wir die Einheit auf Pump halt diskutiert. Ich will diese Diskussion nicht strapa- finanziert und einen Fonds Deutsche Einheit einge- zieren. Der Bundesfinanzminister hat einen Wahl- richtet. Im Rahmen aufwendiger Solidarpaktver- kampfhaushalt eingebracht, an den keiner in diesem handlungen haben wir 1994 den Länderfinanzaus- Haus glaubt und der so ungewiß ist wie der Standort gleich - übrigens mit Billigung aller Länder - einge- des lang verschollenen Bernsteinzimmers. Jedenfalls richtet. Ich habe nichts gegen Wettbewerb zwischen 23010 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Werner Schulz (Berlin) den Ländern; der ist gesund und muß sein. Dabei ben und zu realisieren, daß der Umzug nach Berlin sollten wir uns vielleicht auch einmal überlegen, ob auch mit einem politischen Neuanfang verbunden wir im Rahmen der europäischen Einigung nicht ver- ist. Sonst bekommen die Kräfte Zulauf, die momen- gleichbare Regionen brauchen, die die gleiche Wi rt tan mit plumpen Parolen, mit sehr einfachen Faust- ll jetzt nicht über Län--schaftskraft usw. haben. Ich wi formeln hantieren und im Grunde genommen auf die dergebietsreformen reden, aber darüber hätte man Politikverdrossenheit aufbauen, die sich in 16 Jahren durchaus sinnvoll debattieren können. Warum haben Ara Kohl gesammelt hat, die sich als Reformstau in wir das nicht gleich gemacht? Wieso führen wir jetzt der Wirtschaft und überall in der Gesellschaft zeigt eine Verfassungsdiskussion über einen Gegenstand, und die sich in einer gewissen Weise auch auf den auf den man sich 1994 einvernehmlich im Rahmen Osten übertragen hat. des Solidarpaktes geeinigt hat? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 1990 haben wir auch gewußt, daß die sozialen Si- sowie bei Abgeordneten der SPD) cherungssysteme nicht tragfähig sein werden, wenn soundso viel Millionen Rentner und Arbeitslose im Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der Osten dazukommen. Damals wußten wir schon, daß Kollege Adolf Roth, CDU/CSU. die demographische Entwicklung einen Reformbe- darf der sozialen Sicherungssysteme mit sich bringt. Hier ist doch enorm viel verschleppt worden. Die Ge- Adolf Roth (Gießen) (CDU/CSU): Herr Präsident! staltungs- und Modernisierungschance ist überhaupt Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, nicht genutzt worden. nach einem langen, lebhaften Debattentag ist es nicht ganz unangebracht, in der Schlußphase dieser Ein weiteres Beispiel ist die Treuhand: Warum ha- Haushaltsdebatte wieder auf den Ausgangspunkt ben wir denn erst einmal eine ganze Volkswirtschaft zurückzukommen, nämlich auf die Vorlage des Bun- komplett abgeräumt und deindustrialisiert? Jetzt deshaushalts für das Jahr 1999, die heute von Finanz- werben wir händeringend um Neuansiedlungen. minister Theo Waigel mit einer eindrucksvollen Rede 1991 haben wir ein Gesetz zur Sanierung von be- eingebracht worden ist. stimmten Industriebereichen mit Hilfe von staatli- chen Anschubfinanzierungen und Subventionen ein- Wenn Haushalt in Zahlen gegossene Politik ist, gebracht. Das ist hier regelmäßig abgelehnt worden. dann ist es der Koalition am heutigen Tag gelungen, Es gibt nur ein einziges Beispiel in Ostdeutschland, diese Politik für Deutschland auch deutlich zu ma- wo das gelungen ist. Dort ist kein Stein auf dem an- chen. Ihnen ist es nicht gelungen, den Bundesfinanz- deren geblieben, man hat alles umgekrempelt. Man minister und die Bundesregierung so, wie Sie es sich hat Gebäude abgerissen, Flächen saniert, obwohl vorgenommen hatten, politisch ins Wanken zu brin- kein marktfähiges Produkt und keine Servicelinien gen. Sie haben keine vernünftige und glaubwürdige und dergleichen mehr da waren. politische Alternative anzubieten. Das ist die erste Bi- lanz dieser Haushaltsdebatte. (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Das klingt nach !) Der Bundesfinanzminister hat mit seiner Einbrin- gungsrede auch deutlich gemacht, daß er - er ist ja - Richtig. Das Unternehmen heißt Jenoptik AG. - der Finanzminister des deutschen Einigungsprozes- Den Mann, der das gemacht hat, hat sich Helmut ses - nicht nur vor die größten Herausforderungen Kohl jetzt als Berater geholt. Ich finde das ja gut, aber gestellt war, die je ein Bundesfinanzminister seit dem es ist - nomen est omen - etwas spät. Etwas spät zweiten Weltkrieg zu bewältigen hatte, sondern daß greift er auf Leute zurück, die im Grunde genommen er sie auch jeweils angepackt hat, daß er vor Schwie- eine völlig andere Politik verfolgt haben, als sie diese rigkeiten und Rückschlägen nicht zurückgeschreckt Bundesregierung für richtig hielt. ist und daß er mit seiner gestaltenden Politik die (Peter Dreßen [SPD]: Wer zu spät kommt, Dinge im Griff hat. Ich glaube, es ist die wichtigste den bestraft das Leben!) Garantie für die Menschen in Deutschland für die nächsten Jahre, daß sie wissen: Diese Bundesregie- - Das kann in dem Falle sein. Helmut Kohl greift rung ist mit ihrer Reformpolitik auf dem richtigen auch sehr spät auf die These von Heiner Geißler zu- Weg. Sie hat auch die richtige parlamentarische Un- rück und entsinnt sich, daß man eventuell noch einen terstützung dabei. Koalitionspartner mehr braucht als den, der da all- mählich abnippelt, daß man eine Perspektive (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) braucht. Es gibt auch späte Einsichten - das ist hoch- Meine Damen und Herren, die Rede des Finanzmi- interessant. nisters und dieses Zahlenwerk sind Ausdruck von Ich meine, wir haben in Ostdeutschland noch ein Leistung und Kompetenz, aber auch Ausdruck einer ganz anderes Problem, und das haben wir gemein- beharrlichen Konsequenz in einer auf Wachstum und sam: Es ist das Bewußtsein für diese Demokratie, das Stabilität ausgerichteten Finanz- und Haushaltspoli- nicht sonderlich ausgeprägt ist. Man hört und liest tik. Das beginnt schon damit, daß diese Debatte davon, daß nur 30 Prozent der Ostdeutschen über- heute stattfindet, daß der Bundeshaushalt vor der haupt noch an die Demokratie und daran glauben, Bundestagswahl eingebracht worden ist - vollständig daß sie in der Lage ist, etwas zu ändern. und bis ins letzte Detail durchbuchstabiert -, auch wenn der Wahltermin vor der Tür steht. Das haben Ich glaube, es kommt sehr darauf an, den politi- wir 1994 in gleicher Weise gehandhabt. Dies stärkt schen Wechsel, die politische Veränderung zu erle- uns nur in unserer Verpflichtung und in unserem Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 23011

Adolf Roth (Gießen) Auftrag, mit einer rechtzeitig vollständig vorgelegten den wirtschaftlichen Aufschwung. Vor allen Dingen Haushaltsvorlage den Menschen auch klar zu sagen, aber hat nicht nur der Arbeitsmarkt neue Schubkraft wo es nach der Wahl hingeht. bekommen, sondern auch das Netz der sozialen Si- cherung in Deutschland hat in diesen Jahren absolut Der Kanzlerkandidat der SPD regiert seit neun gehalten. Wo in der Welt war eine ähnlich erfolgrei- Jahren in Niedersachsen. Er hat es versäumt, in sei- che und positive Entwicklung nach dem Zusammen- nem Bundesland einen Haushaltsentwurf für 1999 bruch des Kommunismus zu beobachten? vorzulegen, weil er es scheut, die Finanzlage seines Bundeslandes aufzudecken. Was hat denn der ober- (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Nir ste Kassenstürzer in Deutschland zu verbergen, daß gendwo!) er seinen Bürgern in Niedersachsen die Offenlegung der Zahlen verweigert? Wenn ein Regierungschef, Das ist die Leistung von Theo Waigel und Helmut der neun Jahre Regierungsverantwortung als Mini- Kohl. sterpräsident in einem Bundesland getragen hat, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - über die nationale Kassenlage nicht informiert ist Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Halleluja!) und unentwegt nach einem Kassensturz und nach ei- ner Überprüfung des Bundeshaushalts ruft, dann ist Wir können deshalb mit dieser haushaltspoliti- das ein politisches Armutszeugnis. Das ist die erste schen Bilanz getrost in die Wahlentscheidung am haushaltspolitische Niederlage dieses Kandidaten. 27. September gehen. Wir haben nicht nur 600 Mil- liarden DM aus dem Bundeshaushalt in den Aufbau (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ostdeutschlands investiert, und wir werden nicht nur im nächsten Jahr 95 Milliarden DM zusätzlich inve- Er müßte ja nur den Bundeshaushaltsplan lesen. Die- stieren, sondern wir haben dies auch geschafft, ohne ser ist acht Jahre nach der Vollendung der deutschen daß ein Sozialabbau, wie es die Sozialdemokratie im- Einheit und ein Jahr vor dem Beginn der Europäi- mer wieder behauptet, in diesem Lande stattgefun- schen Währungsunion ein in sich schlüssiges und den hat. Diese Behauptung ist bösartig und demago- umfassendes Zahlenwerk. - gisch, denn im letzten Jahr hatten wir 1256 Milliar- Deutsche Währungsunion und Europäische Wäh- den DM im Sozialbudget. Das ist seit 1991 eine Stei- rungsunion sind zwei wichtige Stationen der Ent- gerung von immerhin 42 Prozent, obwohl die ge- wicklung in den letzten Jahren. Beide Ereignisse samtwirtschaftliche Leistungssteigerung in diesen sind mit den Namen Helmut Kohl und Theo Waigel Jahren nur 28 Prozent betragen hat. Auch das ist ein verbunden. Aber sie sind nicht mit den Namen Oskar Beweis dafür, daß wir die Menschen in dieser Lafontaine und Gerhard Schröder verbunden. Sie schwierigen Zeit der Umstellung und der eigenen waren gegen den Einigungsvertrag und haben im Anstrengungen nicht hängenließen. Frau Ministe rin Bundesrat gegen die Wirtschafts- und Währungs- Merkel hat den berechtigten Stolz der Menschen in union gestimmt. Sie haben den Aufbauprozeß mit Ostdeutschland eben sehr gut zum Ausdruck ge- Neinsagerei und mit Bremserei begleitet. Das ist die bracht. schlechteste Grundlage, um die Einigung in unserem In den zurückliegenden Jahren haben wir die Ar- Lande herbeizuführen. beitsmarktausgaben im Bundeshaushalt auf weit Ich muß einen Punkt mit aller Deutlichkeit anspre- über 40 Milliarden DM verfünffacht. Wir haben die chen: Wenn Oskar Lafontaine jetzt unmittelbar vor Rentenzuschüsse im Bundeshaushalt in sieben Jah- dieser Haushaltsdebatte ein sogenanntes Grundla- ren auf jetzt 110 Milliarden DM erhöht und damit genpapier des sozialdemokratischen Parteivorsitzen- mehr als verdoppelt. Wir haben damit auf die verän- den für eine wachstumsorientierte Finanzpolitik für derte demographische Struktur in unserer Bevölke- den Zeitraum 1998 bis 2000, auf dünnen sieben Sei- rung auf die höhere Lebenserwartung der Menschen ten zusammengefaßt, vorlegt, es aber darin nicht reagiert. Wir haben damit einen Beitrag zur lang- eine Erwähnung dessen und nicht eine Fußnote dar- fristigen Sicherung unseres Rentensystems geleistet. über gibt, daß die Vollendung der deutschen Einheit Die Menschen in Deutschland haben längst begrif- mit ihren Herausforderungen und Aufgaben in be- fen, daß wir uns anstrengen müssen und daß wir zug auf den Aufbau, die Investitionen und die großen Reformbereitschaft zeigen müssen, wenn wir das Er- Transferleistungen die deutsche Finanzpolitik in den reichte und das gemeinsam Aufgebaute auch in den letzten Jahren am allermeisten geprägt und heraus- nächsten Jahren verteidigen wollen. gefordert hat, dann ist dies ein Eingeständnis der Tat- Was wir mit den Reformschritten der letzten Jahre sache, daß man an dieser großen historischen Auf- ebenfalls erreicht haben, ist, daß wir die Leistungs- gabe keinen aktiven Anteil gehabt hat und daß man träger in unserem Land, also die arbeitenden Men- auch heute noch diesen Prozeß nur mit einer distan- schen, die Steuer- und Beitragszahler, um 100 Milliar- zierten und reservie rten Haltung begleitet. den DM entlastet haben. Wir haben sie entlastet, In diesem Jahrzehnt zwischen der deutschen und ohne daß dadurch die soziale Treffsicherheit für die der Europäischen Währungsunion hat die Finanzpo- wirklich Schutzbedürftigen in Deutschland verloren- litik ihre größte Herausforderung erfolgreich gemei- gegangen ist. Das ist die wesentliche Leistung in un- stert. Es ist der umfangreichste Umbau einer europäi- serer sozialpolitischen Bilanz. schen Volkswirtschaft geleistet worden. Wir haben (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) diesen Prozeß aber ohne ökonomische Verwerfungen meistern können. Das Geld ist stabil wie nie zuvor. Wenn jetzt die SPD Rücknahme der Reformen, ge- Wir haben die niedrigsten Zinsen, und wir haben setzliche Zwangsregelungen, mehr Dezentralisie- 23012 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Adolf Roth (Gießen) rung, mehr Staat, weniger Flexibilisierung propa- Sie haben im Rücktrittsjahr von Wi lly Brandt Ein- giert, wenn der Rückwärtsgang in der Entwicklung kommenssteigerungen von sensationellen 14 Prozent als Startprogramm verkauft wird, dann kann ich nur gehabt. sagen: Auf diese Art politischer Geschwindigkeitsbe- grenzung können die Menschen in Deutschland mit All dies war eine Politik, die angeblich für die gutem Recht verzichten. Menschen organisiert war und die Massenkaufkraft steigern sollte. In Wahrheit aber hat sie zu Inflation (Beifall bei der CDU/CSU) und Arbeitslosigkeit geführt. Ich glaube, daß die Politik der marktwirtschaftlichen Erneuerung, die Bei Ihrer Kritik an der Haushaltspolitik sind am Politik der Stabilität auch in der Zukunft für uns heutigen Tag auch immer wieder die Verschuldung Maßstab und Inhalt bleiben muß. und die hohe Zinslast angesprochen worden. Natür- lich ist es wahr, daß in den letzten Jahren der Auf- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) wand für diese großen Reformen und Veränderungs- prozesse gestiegen ist. Aber warum verschweigt die Herr Schröder hat unsere Politik der Reduzierung SPD bei ihrer anklagenden Kritik, daß zwei Drittel der Staatsquote disqualifiziert. Er hat gesagt, es sei des Zinsanstiegs in diesem Jahrzehnt unmittelbare nicht möglich, die Verschuldung, die Staatsquote, Folge der Übernahme kommunistischer Erblasten abzubauen und gleichzeitig 150 Milliarden DM nach dem Zusammenbruch der DDR gewesen sind? Transferleistungen nach Ostdeutschland zu finanzie- Zwei Drittel der Zinsanstiege haben darin ihre Ursa- ren. Das übersteige die Kräfte. Wer dies verkünde, che. irre sich. Meine Damen und Herren, wir haben bei- des geleistet. Wir haben die Staatsquote gesenkt und (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Hört! die Transferleistungen finanziert. Geirrt hat sich Herr Hört!) Schröder. Aber er hat sich nicht nur geirrt, sondern er vertritt gemeinsam mit Oskar Lafontaine eine Politik, Es ist nicht Theo Waigel, der diese Schulden gemacht die das gar nicht ändern soll, weil nämlich im End- hat, ergebnis diese Politik nicht zu einer wirklichen Re- duzierung der Staatsaktivitäten führen soll, sondern, (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Die PDS!) wie er in seinem Grundlagenpapier schwammig aus- sondern es ist die Bundesregierung, es ist der Bund, gedrückt hat, nur eine „tendenzielle Rückführung" der die Lasten des zusammengebrochenen Kommu- in den nächsten Jahren ermöglichen soll. nismus tragen und finanzieren muß. Das ist die große Wir bleiben bei unserem politischen Kurs. Wir wer- Leistung, die hinter allem steht. den nach der Bundestagswahl unsere Politik der Re- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) formen fortsetzen. Wir werden auch dafür sorgen, daß wir mit der Steuerreformpolitik die Weichen rich- Ihre Antwort darauf waren Gesetzgebungsblok- tig stellen, und zwar so, wie es die Reformkommis- kade und eine rücksichtslose Verhinderungspolitik. sion Soziale Marktwirtschaft der Bertelsmann-, der Das ist unsoziale Politik, weil sie sich gegen die Poli- Nixdorf- und der Ludwig-Erhard-Stiftung formuliert tik der wirtschaftlichen Dynamik und damit gegen hat, in der auch namhafte Sozialdemokraten wie neue Arbeitsplätze richtet. Herr Mosdorf, Hermann Rappe und auch der „partei- lose Sozialdemokrat" Jost Stollmann mitarbeiten. In (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Große diesen Empfehlungen heißt es: Sprüche!) Nur ein großer Schritt mit kräftiger Senkung der Herr Lafontaine hat auch heute wieder sein beson- Steuersätze schafft neue Wachstums- und Be- deres Programm zur Stärkung der Massenkaufkraft schäftigungsdynamik. Politische Widerstände und zur Stärkung der Binnennachfrage vorgestellt. gegen eine deutliche Senkung der Spitzensteuer- Diese Politik der Lohn- und Kosteninflation hat uns sätze für nichtgewerbliche Einkünfte beruhen schon in den 70er Jahren ins Abseits gebracht. Sie auf kurzsichtigem, nicht vertretbarem Sozialneid. haben aus den Fehlern der damaligen Zeit überhaupt nichts gelernt. Wir brauchen keine Lohn- und Ko- Wenn man sich dies, von namhaften Sozialdemo- steninflation. Wir brauchen keine laxe Geldpolitik. kraten unterstützt, vor Augen führt, dann frage ich Wir brauchen eine Politik stabiler Rahmenbedingun- die Sprecher der SPD: Wo sind die Konsequenzen gen, und wir brauchen eine Politik, in der die wirt aus dieser Politik in Ihrem Startprogramm für die -schaftliche Dynamik, die Angebotskräfte gestärkt nächsten Jahre? Ich sage: Wir werden die Politik der werden. Blockaden überwinden und damit der reaktionären Absicht der SPD, den Reformprozeß in Deutschland (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Eine wieder zurückzuführen, entgegentreten. dynamische Regierung!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Sie haben damals in elf Jahren die Staatsquote von 39 auf 51 Prozent erhöht. Sie haben damals den In diesem Sinne ist unser Wahlversprechen die Sta- Staatsapparat aufgebläht. Sie haben die Stellenzahl bilität. Wir wollen die Kreditaufnahme des Staates im öffentlichen Dienst explosionsartig erhöht. zurückführen. Wir wollen die Staatsquote weiter zu- rückführen. Wir glauben, daß unsere Politik in der (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: So viele Konsequenz auch für Deutschland in einigen Jahren Staatssekretäre hatten wir nie!) eine Politik des Haushaltsausgleichs ohne Neuver- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 23013

Adolf Roth (Gießen) schuldungen möglich machen wird. Das ist Inhalt versprechungen der SPD Haushaltsspielräume nicht des Konzepts „Finanzpolitik 2010" von Theo Waigel. vorhanden sind. Dieses Konzept trägt nicht nur zur Reform der Fi- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne nanzverfassung bei, sondern auch zu einer Ände- ten der CDU/CSU - Wolf-Michael Catenhu rung unserer politischen Entwicklung in Deutsch- sen [SPD]: Nur für Ihre!) land, hin zu einer Reduzierung der Staatsaufgaben auf ihren wirklichen Kernbereich, zur Verschlan- Im Lichte dieser Logik, Herr Kollege Catenhusen - kung, zur Modernisierung. Es leistet somit einen Bei- Sie waren ja lange forschungspolitischer Sprecher Ih- trag zum Fortschritt. rer Fraktion, können also vermutlich logisch denken -, sieht der sogenannte Finanzierungsvorbehalt, un- rtner unserer Bürger. Mit dieser Politik sind wir Pa ter den die SPD all ihre Programme gestellt hat, völlig Wir werben um das Vertrauen dieser Bürger bei der anders aus. Der Ruf nach einem Kassensturz soll bei Wahl am 27. September. Ich bin sicher, dieses Kon- den Bürgern den Eindruck erwecken, die Finanzsi- zept wird bei dieser für Deutschland wichtigen Rich- tuation sei nicht bekannt. Wie bei einem Spar- tungs- und Entscheidungswahl Erfolg haben. schwein, dessen Öffnung immer für Überraschungen Herzlichen Dank. gut ist, könnte eine neue Regierung plötzlich zusätz- liche Mittel entdecken und diese dann ausgeben. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Dies ist einfach nicht der Fall. Alle Fakten liegen auf dem Tisch, sie sind allgemein bekannt. Also sind die Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der SPD-Wahlversprechungen reine Luftbuchungen. Kollege Dr. Wolfgang Weng, F.D.P. (Beifall bei der F.D.P. Walter Hirche [F.D.P.]: Wie üblich!) Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) (F.D.P.): Herr Präsi- Meine Damen und Herren, wenn man sich zusätz- dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! lich in Erinnerung ruft, in welchem Umfang die SPD- Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! In einer Phase - Bundestagsfraktion bei vergangenen Etatberatungen wirtschaftlich günstiger Entwicklungen in Deutsch- Mehrausgaben gefordert hat, ohne für diese eine Fi- land, in einer Phase endlich wieder positiver Zahlen nanzierung durch Einsparungen sicherzustellen, er- vom Arbeitsmarkt legt die Bundesregierung uns ei- kennt man um so mehr, daß hier ein durchsichtiges nen Haushaltsentwurf vor, der den politischen Erfor- Wahlkampfspiel gespielt wird. Darauf werden die dernissen unseres Landes entspricht. Bürger in unserem Lande nicht hereinfallen. (Beifall bei der F.D.P. sowie des Abg. Für den Fall der Machtübernahme signalisiert die Dr. [CDU/CSU]) SPD, daß sie den Austausch von zirka 300 Spitzenbe- Ausdrücklich lobend erwähnen will ich: Der Bundes- amten für notwendig hält; ich glaube, der Kollege finanzminister hat diesen Entwurf mit den Fraktionen Wieczorek hat diese Zahl genannt. Hier wird eine der Koalition abgestimmt und damit seinen Respekt Parteibuchwirtschaft in nie dagewesenem Ausmaß vor dem Parlament dokumentiert. angekündigt. Ich finde das unerhört. Wir von der Ko- alition haben die Zahl der öffentlich Bediensteten in Konsequent bleibt die Koalition im Zeitplan - im langen Jahren Zug um Zug auf das im Haushalt fi- geordneten Verfahren seit jetzt 16 Jahren -, von der nanziell Tragbare reduziert, eine Politik, mit der wir Einbringung bis zur geplanten Beschlußfassung. Das fortfahren werden, eine Politik, die in unserem Lande zugrundeliegende Zahlenwerk zeigt Realitätssinn notwendig ist. und Solidität, auch im Wahljahr. Trotz der anstehen- den Bundestagswahl keine unerfüllbaren Wahlver- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne sprechungen zu machen belegt die Seriosität der Ko- ten der CDU/CSU) alition und unterscheidet sich einschneidend vom Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einige Verhalten der Opposition. wenige Schwerpunkte herausgreifen, die für die (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - F.D.P. besondere Bedeutung haben. Wir wollen und Walter Hirche [F.D.P.]: Genau auf den Punkt werden der Mittelstandsförderung auch im neuen gebracht!) Haushalt einen ganz besonderen Stellenwert einräu- men. Die vielfältige Palette von Fördermaßnahmen, Insbesondere die SPD muß sich entscheiden. In der die ein stabiles und ausgewogenes Verhältnis von vergangenen Ausgabe der „Bild am Sonntag" wurde großen, mittleren und kleinen Wirtschaftsunterneh- der SPD-Haushaltssprecher als fachlicher Berater des men im Land sichern, wird fortentwickelt. Damit ho- SPD-Kanzlerkandidaten vorgestellt. Dieser Kollege norieren wir ganz bewußt die Tatsache, daß der Mit- hat im „Spiegel" vom 6. Juli erklärt, im Falle einer so- telstand im Bereich der Ausbildung die allergrößte zialdemokratisch geführten Regierung solle der Leistung erbringt. Hierfür sind wir Freien Demokra- Haushalt unverändert erneut im Parlament einge- ten ausdrücklich dankbar. bracht werden. Erst dann sollten weitere Beratungen vorgenommen werden. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU) (Peter Dreßen [SPD]: Und Änderungen, Herr Kollege!) Ein weiteres wichtiges Ziel bleibt die Versöhnung von Wirtschaft und Umwelt. Deutschland ist hier Wenn diese Äußerung eine Logik hat, dann doch die: Vorreiter geworden und soll auch Vorreiter bleiben; Auch Herr Diller weiß, daß für die vielfältigen Wahl- denn der schonende Umgang mit der Umwelt bei 23014 Deutscher Bundestag - 13. Wahlpe riode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Adolf Roth (Gießen) dennoch kontinuierlicher Wirtschaftsentwicklung ist gehört weiterhin dazu. Ich sage heute in meiner letz- eine Daueraufgabe, der wir uns stellen. ten Bundestagsrede als Haushaltssprecher meiner Fraktion: Ich bin stolz darauf dazuzugehören. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- ten der CDU/CSU) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Die Privatisierung wird fortgesetzt. Ordnungspoli- Meine Damen und Herren, das Haushaltsrecht ist tisch richtig hat sie uns auch haushaltsmäßig gehol- das Königsrecht des Parlaments. Ein starkes Parla- fen. Daß die betroffenen Bet riebe einen enormen ment ist das Herzstück der Demokratie. Ich wünsche Schub erhalten haben, einen enormen Aufschwung unseren Bürgerinnen und Bürgern für die Zeit nach verzeichnen konnten, zeigen beispielhaft die Ent- der Bundestagswahl ein starkes Parlament mit star- wicklungen bei der Post, der Telekom und der Deut- ken Haushältern. Ich wünsche mit Blick auf einen schen Lufthansa. niedrigen Staatsanteil, auf mehr Investitionen, auf weniger Schulden bei starker liberaler Mitwirkung Einen zusätzlichen und besonders wichtigen zu- immer bessere Haushalte. kunftsweisenden Schwerpunkt setzt die F.D.P. im Be- Die F.D.P.-Fraktion in der 13. Wahlperiode hat den reich der Bildung, und zwar im gesamten Spektrum Rahmen des Regierungsentwurfs zum Haushalt 1999 Schule/Hochschule und bei der beruflichen Bildung. begrüßt und akzeptiert. Die F.D.P.-Fraktion in der 14. Wahlperiode wird, durch das Votum der Wähler (Beifall des Abg. Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]) gestärkt, den Etat umgehend beraten und mit libera- Die Investitionen in die Aus- und Fortbildung insbe- len Schwerpunkten verabschieden. sondere junger Menschen sind in einer Zeit, in der Vielen Dank. sich Technologie rasant fortentwickelt, von noch grö- ßerer Bedeutung als in früheren Zeiten. Deswegen (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) haben wir die deutliche Erhöhung des Haushalts für Bildung und Forschung ausdrücklich begrüßt. Auch und gerade in diesem Punkt zeigt die F.D.P., zeigt die Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Sehr geehrter Koalition ihre Zukunftsfähigkeit - Zukunft durch Lei- Herr Kollege Dr. Weng, das war - Sie haben es selbst stung. gesagt - Ihre letzte Rede im Deutschen Bundestag. Da ziemt sich zum Schluß ein gutes Wo rt . Meine Damen und Herren, es mag nur eine Klei- Aus Ihrem geschriebenen Lebenslauf im „Kürsch- nigkeit sein, aber erlauben Sie bitte den Hinweis: ner" habe ich entnommen, daß Sie jahre-, um nicht Auch bei der Integration junger Menschen aus ande- zu sagen: jahrzehntelang auf verschiedenen Ebenen ren Ländern müssen wir mehr tun. politisch mitgearbeitet haben, in der Kommune, im Landtag von Baden-Württemberg, in Ihrer Partei, der (Christa Lörcher [SPD]: Das ist keine Klei- F.D.P. Seit 1983 sind Sie, wie ich auch, Abgeordneter nigkeit!) des Deutschen Bundestages. Hier habe ich, hier ha- Ausbildung braucht Sprache. Der Sprachunterricht ben wir alle Sie als einen streitbaren, schlagfertigen muß verbessert werden. Kollegen kennengelernt, der nicht darum herumre- det, sondern klar sagt, was er für richtig und was er (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- für falsch hält. Das hat Ihnen nicht immer die allge- ten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/ meine Zustimmung eingebracht, aber sehr wohl den DIE GRÜNEN und der Abg. Christa Lörcher ungeteilten Respekt all derer, die wissen und wollen, [SPD]) daß Parlament geregelter Streit ist und sein muß. Das ist nach außen manchmal schwer zu vermitteln, weil Liebe Kolleginnen und Kollegen, alljährlich ist das das allgemeine Harmoniebedürfnis groß ist. Dennoch Haushaltsgesetz für den Deutschen Bundestag ein bleibt richtig, daß es bei Lösungen politischer Pro- besonderes Gesetz. Hier findet in vielen Bereichen bleme absolute Wahrheiten nicht gibt, sondern im- eine sehr direkte Mitwirkung des Parlaments an der mer nur mehr oder weniger plausible Positionen, Gestaltung der Politik statt. So sind auch die Abge- über die gestritten werden muß. ordneten des Haushaltsausschusses immer in einer Daran haben Sie sich als überzeugter Haushälter besonderen Verantwortung gegenüber dem gesam- mit Leidenschaft, manchmal mit Schärfe, bisweilen ten Bundestag wie auch der Öffentlichkeit. Es ist mit gutem Witz beteiligt. Eben dies zeichnet den gu- eine gute Erfahrung, daß do rt aus Sacharbeit ein be- ten Parlamentarier aus. Herr Kollege Dr. Weng, ich sonderer Korpsgeist entsteht. Dieser wird dadurch danke Ihnen im Namen des Präsidiums und des gan- verstärkt, daß wir häufig nein sagen müssen, wenn zen Hauses. wir unsere Aufgabe richtig erfüllen wollen, ein Al- leinstellungsmerkmal der Haushälter in der Politik. (Beifall im ganzen Hause) Nein sagen müssen wir häufig auch an Stellen, wo es uns schwerfällt. Auch diese Selbstüberwindung ver- Die Kolleginnen Anke Fuchs (Köln), SPD, und bindet. Dr. Barbara Höll, PDS, geben ihre Reden zu Proto- koll *). Ich gehe davon aus, daß das Haus damit ein- Wenn man einmal Haushälter ist, legt man dies verstanden ist. nicht mehr ab, auch wenn man irgendwann einmal nicht mehr Mitglied im Haushaltsausschuß ist. Man *) Anlage 2 Deutscher Bundestag - 13. Wahlpe riode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 23015

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußemp- Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Be- fehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen schlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu den gegen die Stimmen der PDS bei Stimmenthaltung Anträgen des Bundesministeriums der Finanzen zur von SPD und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Entlastung der Bundesregierung für die Haushalts- jahre 1995 und 1996 sowie zu den Bemerkungen des Bundesrechnungshofs 1997, Drucksache 13/10 904. Tagesordnungspunkt 2 c: Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Ge- genprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfeh- Beratung der Beschlußempfehlung und des lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen Berichts des Ausschusses für Bildung, Wissen- gegen die Stimmen der PDS bei Stimmenthaltung schaft, Forschung, Technologie und Technik- von SPD und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. folgenabschätzung (19. Ausschuß)

Interfraktionell wird Überweisung der Unterrich- - zu dem Entschließungsantrag der Fraktio- tung durch die Bundesregierung über die Lebenssi- nen der CDU/CSU und F.D.P. zu der Unter- tuation von Kindern und die Leistungen der Kinder- richtung durch die Bundesregierung hilfen in Deutschland auf Drucksache 13/11368 an den Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Ju- - zu dem Entschließungsantrag der Abgeord- gend vorgeschlagen. Der Entschließungsantrag der neten Edelgard Bulmahn, Tilo Braune, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/ Horst Kubatschka, weiterer Abgeordneter 11 398 soll ebenfalls an diesen Ausschuß überwiesen und der Fraktion der SPD zu der Unterrich- werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der tung durch die Bundesregierung Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Bundesbericht Forschung 1996 Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 2 a bis 2 m sowie die Zusatzpunkte 1 und 2 auf. Es handelt sich - Drucksachen 13/4554, 13/7128, 13/9744, um die Beschlußfassung zu Vorlagen, zu denen keine 13/9746, 13/11096 - Aussprache vorgesehen ist. Wir kommen zunächst zu Tagesordnungspunkt 2 a: Berichterstattung: Abgeordnete Erich Maaß (Wilhelmshaven) Beratung der Beschlußempfehlung und des Edelgard Bulmahn Berichts des Ausschusses für Arbeit und So- Dr. Manuel Kiper zialordnung (11. Ausschuß) zu der Unterrich- Dr. -Ing. Karl-Hans Laermann tung durch die Bundesregierung Wolfgang Bierstedt

Vorschlag für eine Verordnung (EG) des Ra- Wir stimmen zunächst über die Beschlußempfeh- tes zur Änderung der Verordnung (EWG) lung zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen Nr. 1408/71 zur Anwendung der Systeme der der CDU/CSU und F.D.P., Drucksache 13/11096, sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und de- Buchstabe a, ab. Der Ausschuß empfiehlt, den Ent- ren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft schließungsantrag auf Drucksache 13/9744 anzuneh- zu- und abwandern, auf Staatsangehörige men. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - von Drittländern Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschluß- - Drucksachen 13/9819 Nr. 2.29, 13/10 598 - empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfrak- tionen gegen die Stimmen des Hauses im übrigen Berichterstattung: angenommen. Abgeordneter Rudolf Meyer (Winsen) Wir kommen nun zur Beschlußempfehlung zu dem Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Entschließungsantrag der Fraktion der SPD, Druck- Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußemp- sache 13/11096, Buchstabe b. Der Ausschuß emp- fehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen fiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 13/ gegen die Stimmen der PDS bei Stimmenthaltung 9746 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluß- von SPD und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. empfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Tagesordnungspunkt 2 b: Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD Beratung und Beschlußempfehlung und des und PDS bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Berichts des Ausschusses für Arbeit und So- Grünen angenommen. zialordnung (11. Ausschuß) zu der Unterrich- tung durch die Bundesregierung Tagesordnungspunkt 2 d: Mitteilung der Kommission Beratung der Beschlußempfehlung und des Aktionsplan zur Förderung der Freizügigkeit Berichts des Ausschusses für Bildung, Wissen- der Arbeitnehmer schaft, Forschung, Technologie und Technik- - Drucksachen 13/9668 Nr. 2.44, 13/10 599 - folgenabschätzung (19. Ausschuß) Berichterstattung: - zu dem Antrag der Abgeordneten Günter Abgeordnete (Bremen) Rixe, Klaus Barthel, Heinz Schmitt (Berg), 23016 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Friedhelm Julius Beucher, weiterer Abgeordneter SPD und der Fraktion der SPD

Jugend braucht Zukunft - Ausbildungsof- Klimaschutz durch Minderung von Stand-by fensive jetzt verwirklichen Verlusten bei Elektrogeräten - zu der Unterrichtung durch die Bundesre- - Drucksachen 13/9254, 13/11121 - gierung Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Peter Paziorek Berufsbildungsbericht 1998 Dietmar Schütz (Oldenburg) - Drucksachen 13/10665, 13/10651, 13/11097 - Michaele Hustedt Birgit Homburger Berichterstattung: Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksa- Abgeordnete Dr. Ing. Rainer Jork che 13/9254 in der Ausschußfassung anzunehmen. Günter Rixe Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Ge- Antje Hermenau genprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfeh- Dr. lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen Maritta Böttcher und der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Auf Drucksache 13/11097, Buchstabe a, empfiehlt Grünen und PDS angenommen. der Ausschuß, den Antrag auf Drucksache 13/10665 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfeh- Tagesordnungspunkt 2 g: lung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Be- Beratung der Beschlußempfehlung und des schlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti- Berichts des Ausschusses für Verkehr (15. Aus- onsfraktionen gegen die Stimmen des Hauses im schuß) übrigen angenommen. - - zu dem Antrag der Abgeordneten Albe rt Auf Drucksache 13/11097, Buchstabe b, empfiehlt Schmidt (Hitzhofen), Gila Altmann (Aurich), der Ausschuß, den Bericht auf Drucksache 13/10651 Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für diese Be- der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltun- gen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig ange- Novellierung des Gesetzes zum Schutz ge- nommen. gen Fluglärm - zu dem Antrag der Abgeordneten Monika Tagesordnungspunkt 2 e: Ganseforth, Elke Ferner, Wolfgang Beh- rendt, weiterer Abgeordneter und der Frak- Beratung der Beschlußempfehlung und des tion der SPD Berichts des Ausschusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeordne- Verbesserung des Schutzes vor Fluglärm ten Heidemarie Wieczorek-Zeul, Gerd Andres, - Drucksachen 13/6346, 13/7498, 13/11140 - Hans-Werner Bertl und weiterer Abgeordneter der Fraktion der SPD Berichterstattung: Abgeordneter Horst F riedrich Sicherung der Arbeitsplätze bei der Hoechst Marion Roussel Deutschland GmbH Auf Drucksache 13/11140, Buchstabe a, empfiehlt der Ausschuß, den Antrag auf Drucksache 13/6346 - Drucksachen 13/10028, 13/11110 - abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfeh- lung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Be- Berichterstattung: schlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti- Abgeordnete Margareta Wolf (Frankfu rt) onsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/ Die Grünen und PDS bei Stimmenthaltung der SPD Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksa- angenommen. che 13/10028 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be- schlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltun- Auf Drucksache 13/11140, Buchstabe b, empfiehlt gen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Ausschuß, den Antrag auf Drucksache 13/7498 der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfeh- und PDS bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die lung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Be- Grünen angenommen. schlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti- onsfraktionen gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen. Tagesordnungspunkt 2 f: Der Ausschuß für Verkehr empfiehlt unter Beratung der Beschlußempfehlung und des Buchstabe c seiner Beschlußempfehlung auf Druck- Berichts des Ausschusses für Umwelt, Natur- sache 13/11140 die Annahme einer Entschließung. schutz und Reaktorsicherheit (16. Ausschuß) Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Ge- zu dem Antrag der Abgeordneten Dietmar genprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfeh- Schütz (Oldenburg), Marion Caspers-Merk, lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen Deutscher Bundestag - 13. Wahlpe riode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 23017

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose gegen die Stimmen des Hauses im übrigen ange- fehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen nommen. und der SPD-Fraktion gegen Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen. Tagesordnungspunkt 2 h: Tagesordnungspunkt 2 k: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr (15. Aus- Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- schuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Al- tionsausschusses (2. Ausschuß) bert Schmidt (Hitzhofen), Gila Altmann (Au- rich), Michaele Hustedt, weiterer Abgeordne- Sammelübersicht 375 zu Petitionen ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- - Drucksache 13/11193 (neu) - NEN Wer stimmt dafür? - Dagegen? - Enthaltungen? - Vorlage eines Gesetzes zum Schutz vor Ver- Die Sammelübersicht 375 ist mit den Stimmen der kehrslärm an Straßen und Schienen Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die - Drucksachen 13/6958, 13/8925 - Stimmen der PDS bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Berichterstattung: Abgeordneter Heinz-Günther Bargfrede Tagesordnungspunkt 21: Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksa- Beratung der Beschlußempfehlung des Petiti- che 13/6958 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be- onsausschusses (2. Ausschuß) schlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltun- gen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen Sammelübersicht 377 zu Petitionen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die (Gesetzliche Nichtigkeitserklärung aller NS- Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS ange- Unrechtsgesetze und -urteile) nommen. - Drucksache 13/11195 - Tagesordnungspunkt 2 i: Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über den wir zunächst Beratung der Beschlußempfehlung und des abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag Berichts des Ausschusses für Raumordnung, auf Drucksache 13/11388? - Die Gegenprobe! - Ent- Bauwesen und Städtebau (18. Ausschuß) zu haltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stim- dem Antrag der Abgeordneten Gabriele Iwer- men der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion sen, Achim Großmann, Peter Conradi, weiterer gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Abgeordneter und der Fraktion der SPD PDS abgelehnt. Vorlage eines Vierten Berichtes über Schä- Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Peti- den an Gebäuden tionsausschusses? - Wer stimmt dagegen? - Enthal- - Drucksachen 13/10449, 13/11145 - tungen? - Die Sammelübersicht 377 ist angenom- men; Mehrheitsverhältnisse wie vor. Berichterstattung: Abgeordnete Josef Holle rith Tagesordnungspunkt 2m: Gabriele Iwersen Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksa- tionsausschusses (2. Ausschuß) che 13/10449 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be- schlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Stimment- Sammelübersicht 381 zu Petitionen haltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den (Überführung der Ansprüche der Beschäftig- Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stim- ten der ehemaligen Deutschen Reichsbahn in men des Hauses im übrigen angenommen. die gesetzliche Rentenversicherung)

Tagesordnungspunkt 2j: - Drucksache 13/11330 - Beratung der Beschlußempfehlung und des Dazu liegt ein Änderungsantrag der Gruppe der Berichts des Ausschusses für Wi rtschaft PDS vor, über den wir zunächst abstimmen. Wer (9. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 13/ Bundesregierung 11386? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Än- derungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitions- Mitteilung der Kommission fraktionen und der SPD-Fraktion gegen die PDS bei Das öffentliche Auftragswesen in der Euro- Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen abge- päischen Union lehnt. - Drucksachen 13/10588 Nr. 2.21, 13/11160 - Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Peti- tionsausschusses? - Wer stimmt dagegen? - Enthal- Berichterstattung: tungen? - Sammelübersicht 381 ist mit den Stimmen Abgeordneter Rolf Hempelmann der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion ge- Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die gen die Stimmen von PDS und Bündnis 90/Die Grü- Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußemp- nen angenommen. 23018 Deutscher Bundestag - 13. Wahlpe riode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Zusatzpunkt 1: Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Ent- haltungen? - Der Antrag ist einstimmig angenom- Zweite und dritte Beratung des von der Bun- men. desregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Bundes Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tages- Immissionsschutzgesetzes ordnung um die Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu einer überplanmäßigen - Drucksache 13/11118 - Ausgabe bei der Bundesanstalt Technisches Hilfs- (Erste Beratung 244. Sitzung) werk für Hilfsmaßnahmen außerhalb des Bundesge- bietes, Drucksache 13/11389, zu erweitern. Über die Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- Vorlage soll jetzt gleich ohne Aussprache abgestimmt schusses für Umwelt, Naturschutz und Reak- werden. Sind Sie mit der Erweiterung der Tagesord- torsicherheit (16. Ausschuß) nung einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das - Drucksache 13/11381 - so beschlossen. Berichterstattung: Ich rufe auf: Abgeordnete Peter Schmitz (Baesweiler) Dr. Peter Paziorek Beratung der Beschlußempfehlung des Haus- Dr. Angelica Schwall-Düren haltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Unter- Dr. Jürgen Rochlitz richtung durch die Bundesregierung Birgit Homburger Haushalts- und Wirtschaftsführung 1998 Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 06 29 Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Hand- - Bundesanstalt Technisches Hilfswerk - Titel zeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der 532 03 Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den - Hilfsmaßnahmen außerhalb des Bundesge- Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Frak-- bietes - bis zur Höhe von 12 340 TDM tion gegen die Stimmen von PDS und Bündnis 90/ - Drucksachen 13/10929, 13/11122, lfd. Nr. 1.3, Die Grünen angenommen. 13/11389 - Dritte Beratung Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die die der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschus- dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe- ses auf Drucksache 13/11389 zustimmen möchten, ben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthal- Gesetzentwurf ist angenommen, Mehrheitsverhält- tungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stim- nisse wie vor. men der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen. Zusatzpunkt 2: Damit sind wir am Schluß unserer heutigen Tages- Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/ ordnung. CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- F.D.P. destages auf morgen, Donnerstag, den 3. September Bürgerkrieg und humanitäre Situation im 1998, 9.00 Uhr ein. Süd-Sudan Die Sitzung ist geschlossen. - Drucksache 13/11387 - (Schluß der Sitzung: 21.16 Uhr) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 23019*

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 Heribert Prantl schreibt in der „Süddeutschen Zeitung" vom 29./30. August 1998 zu Recht: Liste der entschuldigten Abgeordneten In letzter Not hat Kohl seinen alten Gegner Lothar Späth als Helfer engagiert. Er hätte das entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich vor vier Jahren machen müssen. Damals wäre die Zeit gewesen, eine spektakuläre neue Becker-Inglau, Ingrid SPD 2. 9. 98 Mannschaft zu präsentieren. Neuerdings stellt der Kanzler auch mißbilligend fest, daß die Wi rt Behrendt, Wolfgang SPD 2. 9. 98 * -schaft den Standort Deutschland schlechtredet. Blunck, Lilo SPD 2. 9. 98 * Das fällt ihm zu spät auf. Vor zwei Jahren hat Kohl sich das törichte Agitieren der Wirtschafts- Brunnhuber, Georg CDU/CSU 2. 9. 98 funktionäre zu eigen gemacht und das Bündnis Eßmann, Heinz Dieter CDU/CSU 2. 9. 98 für Arbeit platzen lassen - es war sein kapitalster Fehler. Auf diese Weise gerieten die Reformen Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 2. 9. 98 * seiner Amtszeit in die Konfrontation, standen die Gysi, Andrea PDS 2. 9. 98 Kirchen gegen die Sozialpolitik der Regierung auf - und damit gewannen die Gewerkschaften Irber, Brunhilde SPD 2. 9. 98 neue Legitimation. Die Regierung Kohl hat den Jung (Limburg), Michael CDU/CSU 2. 9. 98 Konsens geopfert, weil sie sich von der vulgär- liberalen Arroganz der Industrieführer vom Lattmann, Herbe rt CDU/CSU 2. 9. 98 Schlage Henkel & Co. anstecken ließ. So etwas Müller (Berlin), PDS 2. 9. 98 kann sich allenfalls eine Klientelpartei wie die Manfred Walter F.D.P. leisten, nicht aber eine Volkspartei. Die CDU ist durch die konfrontative Sozialpolitik Nelle, Engelbert CDU/CSU 2. 9. 98 geschwächt worden, und dann leidet sie und ihr Peters, Lisa F.D.P. 2. 9. 98 Wahlkampf. Die Partei ist also doppelt ge- Reichard (Dresden), CDU/CSU 2. 9. 98 schwächt: Durch nachwirkende Fehler und Christa durch die Unklarheiten an der Spitze. Rupprecht, Marlene SPD 2. 9. 98 Für den Stillstand ist an erster Stelle der Bundes- kanzler selbst verantwortlich. Er hat das von den Ge- Schaich-Walch, Gudrun SPD 2. 9. 98 werkschaften angebotene Bündnis für Arbeit ausge- Scheel, Christine BÜNDNIS 2. 9. 98 schlagen. Das hat viele Arbeitsplätze gekostet. Das 90/DIE war ein immenser Zeitverlust für die notwendige GRÜNEN Modernisierung unseres Landes. Der Kanzler hätte es besser wissen müssen. Denn sozialer Konsens und Schulte (Hameln), Brigitte SPD 2. 9. 98 gesellschaftlicher Zusammenhalt waren in der ge- Stiegler, Ludwig SPD 2. 9. 98 samten Geschichte der Bundesrepublik eine wich- tige Produktivkraft. Wöhrl, Dagmar CDU/CSU 2. 9. 98 Und wenn die Herren an der Spitze der Unterneh- * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Ver- mensverbände auch meinen, Wahlkampf für diese sammlung des Europarates Regierung machen zu müssen, so sage ich Ihnen: An ihrer eigenen Basis sieht es anders aus. Dort ist Dialogbereitschaft statt Drohgebärde. Darauf setzen wir, und spätestens nach der Bundestagswahl müs- Anlage 2 sen auch die Herren an der Spitze aus dem Abseits heraus. Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 1 Wir Sozialdemokraten werden ein Bündnis für (Haushaltsgesetz 1999) Arbeit verwirklichen. Wir vertrauen auf die Konsens- bereitschaft im eigenen Lande. Damit knüpfen wir aber auch an die Erfahrungen an, die europäische Anke Fuchs (Köln) (SPD): Wirtschaftspolitische Kompetenz ist gefragt, wenn es in diesem Land Nachbarstaaten - wie zum Beispiel die Niederlande wieder aufwärts gehen soll. Das wird niemand be- und Dänemark - gesammelt haben. streiten. Die Arbeitslosigkeit konnte in den Niederlanden Diese Erkenntnis ist aber gleichzeitig Aufforde- gesenkt werden, weil sich Politik, Arbeitgeber und rung zur Abwahl dieser Bundesregierung. Gewerkschaften an einen Tisch gesetzt und gemein- sam nach Lösungen gesucht haben. Wer wirtschaftspolitische Kompetenz auf der Re- gierungsbank will, muß dafür sorgen, daß Gerhard Dänemark ist auf dem Weg zur Vollbeschäftigung, Schröder Bundeskanzler wird. Nur so können wir weil neben mehr Flexibilität am Arbeitsmarkt der einen Aufbruch nach vorne schaffen. Staat aktiver mit Beschäftigungsmaßnahmen neue 23020* Deutscher Bundestag - 13. Wahlpe riode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Arbeitsplätze geschaffen hat. Das ist der richtige Deshalb brauchen wir eine Steuerreform, die Arbeit- Ansatz: Arbeitsplätze schaffen statt Arbeitslosigkeit nehmer und Familien entlastet und damit die Bin- finanzieren. nennachfrage stärkt. Außerdem brauchen wir eine Senkung der Unternehmenssteuern und eine Sen- Die Wachstumsschwäche in unserem Land und die kung der Lohnnebenkosten, um Investitionsanreize hohen Arbeitslosenzahlen sind auch Folge der ver- zu schaffen. fehlten Finanzpolitik. Es ist eine Binsenweisheit: Pro- zyklische Finanzpolitik in Abschwungphasen kann Wir machen aber keine haltlosen Versprechen. nicht auf Wachstumskurs führen. Das ist lange be- 30 Milliarden Mark Nettoentlastung sind nicht finan- kannt. Wer die Binnennachfrage abwürgt, kann noch zierbar. Das unterscheidet uns von dieser Bundesre- so viel Angebotspolitik betreiben: Ohne Absatzchan- gierung. Für uns steht nicht die Entlastung der Spit- cen bleiben Erweiterungsinvestitionen aus, ohne zenverdiener im Vordergrund. Denn wir wissen: Die Erweiterungsinvestitionen entstehen keine neuen Steuerlast ist in unserem Lande ungerecht verteilt. Arbeitsplätze. Die Belastung der Arbeitnehmer mit Steuern und Ab- Wir Sozialdemokraten setzen auf Verläßlichkeit gaben ist ständig gestiegen, die Steuererträge aus und Stetigkeit in der Finanzpolitik. Das ist im übri- Unternehmertätigkeit und Vermögen sind gesunken. gen eine der wichtigsten Voraussetzungen, damit In der Arbeitsmarktpolitik kommt es darauf an, Ar- Unternehmen und Investoren verläßliche Rahmenbe- beitsplätze zu schaffen statt Arbeitslosigkeit zu finan- dingungen vorfinden. Bei dieser Bundesregierung zieren. Vordringlich geht es darum, den Jugendli- konnte man sich nur darauf verlassen, daß das näch- chen wieder eine Perspektive zu geben. Wir werden ste Haushaltsloch größer wird als das vorherige. sofort nach der Bundestagswahl 100 000 neue Stellen Damit komme ich zu Ihnen, Herr Rexrodt. Sie für Jugendliche schaffen. Das geht, wie das Beispiel haben in den vergangenen Jahren im Blindflug den Dänemark zeigt. Schauen Sie sich die Entwicklung Kurs der angebotsorientierten Wi rtschaftspolitik ein- der Jugendarbeitslosigkeit do rt an. Sie ist drastisch geschlagen. Seit Ihrem Amtsantritt haben Sie den gesunken, und das ist nicht als Geschenk vom Him- automatischen Piloten angestellt und gehofft, daß er mel gefallen. Dort ist die Wirtschaftspolitik ihrer den Weg alleine finden wird. Aber das Steuerungs- Gestaltungsaufgabe nachgekommen, statt Parolen programm war falsch. Statt im Azorenhoch sind Sie von der angebotsorientierten Wi rtschaftspolitik zu im Islandtief gelandet. Jetzt wollen Sie uns weisma- dreschen. chen, wir hätten die warmen Gefilde einer Trend- Mittel- und langfristig brauchen wir Innovationen wende am Arbeitsmarkt erreicht, weil es in Island in Wirtschaft, Staat und Gesellschaft. Die Bundesre- auch schon mal kälter gewesen ist. Das ist die Lage. gierung hat die Modernisierung unseres Landes ver- Erst treibt die Bundesregierung die Arbeitslosig- schlafen. Sie haben die vergangenen Jahre doch nur keit mit Attentismus und falschen Strategien auf von Kostensenkung gesprochen. Aber unser Land ist 4,8 Millionen hoch. Dann redet sie bei mehr als mit Gütern und Dienstleistungen der Spitzentechno- 4 Millionen Arbeitslosen von einer Trendwende. Das logie stark geworden. Die SPD setzt deshalb auf die ist keine Trendwende, das ist der Offenbarungseid Zukunftstechnologien. der Bundesregierung in der Wirtschafts- und Arbeits- marktpolitik. Wir werden zum Beispiel mit einem Hunderttau- send-Dächer-Programm die Solartechnik zur Markt- Herr Rexrodt, jahrelang haben sie den Standort reife bringen. Das schafft neue Arbeitsplätze und Deutschland schlecht geredet und den Menschen die trägt zu einer umweltschonenden Energieversor- Globalisierung als Schreckgespenst an die Wand ge- gung bei. malt. Lohnzurückhaltung und Sozialabbau waren Ihr Credo. Sie haben die Arbeitnehmer zum Kosten- In diesem Zusammenhang steht auch unser Kon- faktor degradie rt . zept für eine ökologische Steuerreform. Wir wollen damit die Lohnnebenkosten senken, den umwelt- Damit muß endlich Schluß sein. Der Wirtschafts- schädlichen Energieverbrauch belasten und Anreize standort Deutschland ist nämlich gut, weil wir eine für technologische Innovationen zur Energieeinspa- gute Infrastruktur haben, weil wir qualifizierte Ar- rung setzen. Das ist moderne Wi rtschaftspolitik: beitnehmer haben und weil die Menschen leistungs- bereit sind und nach vorne schauen wollen. Die SPD Innovationsanreize schaffen, um in der Verkehrs- wird nach der Bundestagswahl die Bekämpfung technologie an der Spitze des Fortschritts zu stehen der Arbeitslosigkeit konsequent in den Vordergrund und die Wettbewerbsposition der deutschen Wi rt stellen. Für die Wirtschaftspolitik heißt das: Stärkung -schaft zu stärken. der Wachstumskräfte für eine dynamische wirt- schaftliche Entwicklung, die Arbeitsplätze schafft. Den Energieverbrauch senken, weil Wirtschafts- Dafür brauchen wir kurzfristig Maßnahmen für eine wachstum nicht gleichbedeutend sein muß mit schnellstmögliche Entlastung am Arbeitsmarkt. Dar- höherem Energieverbrauch. über hinaus müssen wir mittel- und langfristig mit Die Umwelt schonen, um die natürlichen Lebens- einem Strukturwandel durch Innovation Wirtschaft, grundlagen zu bewahren und keinen Raubbau an Staat und Gesellschaft modernisieren. der Zukunft zu betreiben. Dafür werden wir die Der Export boomt noch. Das zeigt: Die deutsche marktwirtschatlichen Anreize setzen. Wir werden Wirtschaft ist wettbewerbsfähig. Ursache der Wachs- schrittweise und berechenbar vorgehen, damit sich tumsschwäche ist die fehlende Binnennachfrage. Bürger und Unternehmen darauf einstellen können. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 23021*

Wirtschaftspolitik für mehr Arbeitsplätze hat als der Wirtschafts- und Finanzpolitik auf europäischer zentrale Aufgabe die Förderung des Mittelstandes. Ebene muß verbessert werden. Wir werden die Be- Kleine und mittlere Unternehmen schaffen Arbeits- kämpfung der Arbeitslosigkeit in den Mittelpunkt plätze, und sie tragen die Hauptlast der beruflichen der Europapolitik stellen. Bildung. Da reicht es nicht, nur von der Mittelstands- förderung zu reden. Die Bilanz der Bundesregierung Wer wie Herr Rexrodt einer nationalen Beschäfti- ist erschreckend: Die Zahl der Unternehmenskon- gungspolitik das Wo rt redet, hat die Zeichen der Zeit kurse steigt. 1997 hatten wir wieder einen neuen nicht erkannt. traurigen Pleitenrekord. Die Eigenkapitalausstattung der kleinen und mittleren Unternehmen sinkt bestän- dig. Der Anteil des Selbständigen ist im internationa- Rolf Kutzmutz (PDS): Wir haben vorhin einen len Vergleich zu gering. mehr oder weniger überzeugenden Wahlkampf auf- tritt vernommen. Aber, Herr Minister Rexrodt, liegt Die SPD wird die Mittelstandspolitik nach der Bun- es wirklich nur am mangelnden Verständnis vieler destagswahl in den Vordergrund stellen. Gerhard Menschen für ihre Politik oder sind es deren Ergeb- Schröder hat sein Mittelstandsprogramm vorgelegt. nisse, die nach einem Politikwechsel verlangen las- Es ist auf der Basis zahlreicher Diskussionen und sen? Ich erinnere Sie an das Sprichwort: Der Ruhm Foren erarbeitet worden, die wir in allen Teilen des vieler Propheten beruht auf dem schlechten Ge- Landes mit Handwerkern und Managern, mit Ver- dächtnis ihrer Zuhörer. bänden und Kammern, mit Wissenschaftlern und Unternehmensberatern geführt haben. Das gilt für den Bundeswirtschaftsminister und sei- nen Kabinettskollegen, deren Wachstumsprognosen Dabei hat sich gezeigt: Der Mittelstand fühlt sich - und damit deren Auswirkungen auf Arbeitsplätze, durch diese Bundesregierung nicht mehr vertreten. Steuern und Staatsausgaben - sich bekanntlich seit Unser Angebot zum Dialog ist auf breite Resonanz Jahr und Tag in ihrer Wahrscheinlichkeit mit denen gestoßen, und wir werden diesen Dialog mit dem der DDR-Plankommission messen können. Die tat- Mittelstand fortsetzen, um unsere Politik an den Be- sächlichen Ergebnisse der praktischen Politik beider dürfnissen der Praxis messen zu lassen. Gremien will ich gar nicht erst vergleichen.

Wir werden die Mittelstandsförderung bündeln Das gilt allerdings auch für die Sozialdemokraten. und damit eine Schneise in den Dschungel der un- Vor genau elf Monaten war ein von mir ansonsten übersichtlichen Vielzahl von Förderprogrammen sehr geschätzter Kollege von seiner Fraktionsspitze schlagen. verdonnert worden, hier einen grundlegenden wi rt risch zu de--schaftspolitischen Antrag der PDS rheto Wir werden für einen besseren Zugang des Mittel- montieren. So geißelte er unsere Zweifel an der allge- standes zu öffentlichen Aufträgen sorgen. meinen Euphorie über die Globalisierung und be- Wir werden die Außenwirtschaftspolitik stärker auf schwor für die SPD - unter dem Beifall der F.D.P. - den Mittelstand ausrichten. deren Willen zur Internationalisierung der Waren- und Kapitalströme, weil - ich zitiere aus dem Plenar- Die Förderung von Existenzgründungen steht da- protokoll - „wir der festen Überzeugung sind, daß bei ganz oben auf der Tagesordnung. Jede Existenz- die komparativen Kostenvorteile und die komparati- gründung schafft im Schnitt 2 bis 6 Arbeitsplätze. Für ven Vorteile unterschiedlicher Standorte genutzt und den Start in die Selbständigkeit fehlt es in der Regel umgesetzt werden müssen". Ob er diesen Schwur nicht an den Ideen, sondern am Startkapital. Dabei - zumindest auf die Kapitalströme bezogen - heute ist genügend Anlagekapital vorhanden. Wir Sozial- wiederholen würde, wage ich zu bezweifeln. Schließ- demokraten sagen deshalb: Besser in neue Ideen lich ist die momentane Entwicklung an den Börsen und Unternehmen investieren als in Beton und schon mehr als eine Korrektur; das ist in der Nähe Boden. Die steuerrechtlichen Rahmenbedingungen eines Crashs, meint zumindest der in diesen Dingen für die Bereitstellung von Wagniskapital müssen des- gewiß kompetente Chefvolkswirt der Deutschen halb verbessert werden. Bank, Norbe rt Walter. Dem vorhin zitierten verehrten Kollegen Hiksch gestehe ich in diesem Zusammen- Es ist höchste Zeit, sich der Gestaltungsaufgabe in hang ja gern zu, daß er in der erwähnten Debatte der Wirtschaftspolitik zu stellen. Die SPD-geführte sich für die Idee einer Tobin-Steuer stark machte, sie Bundesregierung wird dies nach der Bundestags- als fortschrittliche, also sozialdemokratische, Wirt- wahl tun. schaftspolitik bezeichnete. Nur scheint der SPD jener Fortschritt in den letzten elf Monaten abhanden ge- Politik im nationalen Rahmen reicht dafür nicht kommen zu sein. Das Projekt Tobin Tax findet sich aus. Heute werden etwa 70 Prozent aller wirtschafts- in keinem der zahlreichen sozialdemokratischen relevanten Vorschriften in Brüssel erlassen. Deshalb Programme seit letztem Oktober. Ja, selbst die SPD möchte ich noch mal bekräftigen, was Oskar Lafon- bügelte eine solche Initiative der PDS - die Bündnis- taine gesagt hat: Wir brauchen eine stärkere Koope- grünen zogen dann bekanntlich auch noch nach - ration auf internationaler Ebene. Diese Erkenntnis im Bundestag sogar noch ab. Wenn ein Kanzler setzt sich durch, viele reden davon, Regelwerke müß- Schröder aber mit den morschen Krücken eines ten her, neue Spielregeln, Kooperation. Das ist wich- Kanzlers Kohl auf das bebende weltwirtschaftliche tig für Europa und seine Chancen, einen Beitrag zu Parkett will, dann kann ich nur sagen: Hals- und fairem Welthandel zu leisten. Die Koordinierung Beinbruch! 23022* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

Wenn wir demokratische Sozialistinnen und Sozia- Das wäre vor allem ein weiteres echtes Zukunftsin- listen im Vorjahr wie auch heute wieder anmahnen, vestitionsprogramm, in Arbeitsplätze und Umwelt Regionalisierung des Wi rtschaftens in den Mittel- gleichermaßen. Darüber hinaus mit einer Effizienz punkt der Politik - von den Steuern bis zur Förder- von Steuergeldern, die - gemessen an Ostseewerften mittelvergabe - zu stellen, dann fühlen wir uns natür- Lenna oder Dow Chemical - geradezu traumhaft lich durch die Börsen bestätigt. Viel wichtiger ist günstig ist. aber, daß nur so dauerhafte neue Arbeitsplätze tat- sächlich entstehen, daß nur so die Binnennachfrage Schlagen Sie bei dieser Aufgabe also nicht nur als wichtigstes Lebenselexier jeder Volkswirtschaft Schaum - machen Sie Nägel mit Köpfen! Allerdings angekurbelt und daß nur so der mit Rücksicht auf die habe ich sowohl nach dem wohlfeilen Verlautba- künftigen Generationen überlebenswichtige ökologi- rungswahlkampf der letzten Wochen als auch nach sche Umbau endlich ernsthaft begonnen wird. dem heutigen Tag allerdings meine Zweifel. Es nützt weder das „Weiter so" der Koalition noch ein „Vieles wird neu - aber nichts wird anders" der SPD. Arbeit Mit Aufmerksamkeit habe ich registriert, daß die und soziale Gerechtigkeit sind ohne Umverteilung Sozialdemokraten für ihre Version des heute anbera- auch des Reichtums nicht zu machen. tenen Bundeshaushaltes ein 100 000-Sonnendächer- Programm versprechen. Ich erinnere mich noch allzu gut daran, daß in den vergangenen Haushaltsbera- Dr. Barbara Höll (PDS): Die heutige Debatte wird tungen solche Vorschläge, die Arbeit bringen und ihrem Anspruch gerecht: Wir diskutieren den letzten Umwelt schonen, keineswegs zum Repe rtoire sozial- Kohl/Waigel-Haushalt, sprich kw-Haushalt. Das be- demokratischer Wirtschaftspolitik, wohl aber dem deutet in der Kürzelsprache des Haushalts „kann der PDS gehörten. Im Gegenteil: Noch für den Haus- wegfallen" . halt 1998 vereinten Sie sich, liebe Kolleginnen und Die Debatte hat eindeutig belegt, daß die Vertreter Kollegen von der SPD, bei der von uns vorgeschlage- der CDU/CSU und F.D.P. nur verbal die Grundpro- nen drastischen Aufstockung der Fördermittel zur bleme der bundesdeutschen Gesellschaft zur Kennt- Nutzung erneuerbarer Energien trotz gesicherter Ge- nis nehmen. Sie habe heute nicht eine neue Idee zur genfinanzierung in ihrer Ablehnung zur übergroßen Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit, der Beseiti- Koalition mit CDU/CSU und F.D.P. Damit Sie nach gung der Lehrstellenmisere und der zunehmenden dem 27. September nicht an programmatischem sozialen Ungerechtigkeit vorgestellt. Ihre alten Kon- Gedächtnisschwund leiden, werden wir von der PDS zepte, an denen sie krampfhaft festhalten, können Ihnen dann aber gern auf die Sprünge helfen. Und Sie noch so schön-färberisch versuchen darzustellen, den Bündnisgrünen sicher auch - falls sie dann, es wird immer deutlicher, Ihre Politik bedient die anders als im Vorjahr, im Ausschuß mal da sein wirklich Vermögenden und spaltet die Gesellschaft sollten. immer stärker in oben und unten, in arm und reich. Da wir als demokratische Sozialistinnen und Sozialisten Diese Hilfestellung durch uns scheint mir auch bei in den letzten Jahren bereits vielfältige Vorschläge zu einem weiteren unverzichtbaren Projekt der beiden den angesprochenen Hauptproblemen in den Bun- selbsternannten Garanten für einen Wechsel von- destag eingebracht haben und diese auch über die nöten: dem Ausstieg aus der Atomenergie. Herr Konzepte von SPD und Bündnisgrünen hinausgehen, Schröder will zwar nur im Konsens, Herr Fischer und möchte ich mich jetzt auf unser Konzept zur Bekämp- die Seinen zwar erst mal nur über Länderhoheit beim fung der Massenarbeitslosigkeit konzentrieren. Atomgesetz - aber immerhin versprechen beide, da- mit zu starten. Wenn es ihnen ernst ist - und zumin- Die PDS forde rt zum einen die substantielle Ver- dest für die Bündnisgrünen dürfte es ja eine Exi- kürzung der Arbeitszeit. Heute und in Zukunft stenzfrage sein -, dann starten sie nicht nur, sondern wächst die Produktivität dank moderner Techno- landen sie gleich: beim sofortigen Ausstieg. Nimmt logien so schnell, daß immer weniger Menschen in man alle AKW vom Netz, so geht in Deutschland we- immer kürzerer Zeit immer mehr Produkte und be- gen der vorhandenen Überkapazitäten dennoch zahlte Dienstleistungen herstellen können. Diese keine Lampe aus. Andererseits müßte mittlerweile Entwicklung kann niemand aufhalten. Sie ist sogar jeder begriffen haben, daß beispielsweise Transrapid eine große Chance. Aber wir ziehen daraus die Fol- und Expo 2000 wirtschaftlich folgen-, aber finanziell gerung: Wenn dem so ist, dann sollen alle mehr Frei- bodenlose Prestigeprojekte sind. Statt solche weiter zeit haben - nicht die einen steigenden Leistungs- zu päppeln, nehmen Sie 7 bis 11 Milliarden Mark, druck, massenhaft Überstunden und die anderen und finden Sie damit die Stromgiganten ab! Mehr Arbeitslosigkeit oder unsichere und nicht sozialversi- können diese nach seriösen Untersuchungen, zum cherte stundenweise Jobs. Die moderne Entwicklung Beispiel des DIW, auch im schlimmsten Falle nicht als verlangt geradezu nach einer gerechteren Verteilung Entschädigung verlangen. der Arbeit. Das geht nur über Arbeitszeitverkürzung. Die PDS hält es zum anderen in absehbarer Zeit Mit diesen maximal 11 Milliarden Mark öffent- selbst bei Arbeitszeitverkürzung für unmöglich, daß licher Gelder würden schließlich zugleich rund die Privatwirtschaft und der öffentliche Dienst in der 100 Milliarden privaten Kapitals mobilisiert - zum Lage sind, fünf bis sieben Millionen Arbeitsplätze - so Abbau und konventionellen Ersatz für die dann viele fehlen in Deutschland - zusätzlich zu schaffen. 26 Atomruinen in Deutschland. So hätten nicht nur Daraus ziehen wir die Folgerung: Neben Privatwirt- die gigantischen, bisher steuerfreien Rückstellungen schaft und Staatsdienst wird in der Wirtschaft ein der Energiekonzerne endlich ihren Sinn gefunden. dritter Sektor gebraucht, nicht mit ABM, sondern mit Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998 23023* normalen Beschäftigungsverhältnissen. Das ist ein zu eigen gemacht hat. Wir vertreten konkrete Vor- Wirtschaftssektor, in dem nicht der Profit das eigent- schläge für die Überwindung von Ausbildungsplatz- liche Ziel ist - die Amerikaner nennen so etwas Non- mangel und Jugendarbeitslosigkeit, für das verfas- profit-sector -, sondern in dem viele der humanitä- sungsmäßige Recht auf berufliche Erstausbildung, ren, ökologischen, kulturellen, sozialen Aufgaben für die Modernisierung der Berufsausbildung, für bewältigt werden, die heute zum großen Teil unerle- gleiche Bildungschancen aller Kinder und Jugend- digt bleiben. Die Unternehmen dieses Sektors müß- lichen, egal welcher Herkunft, aus welchen sozialen ten 25 bis 30 Prozent Zuschuß zu dem erhalten, was Verhältnissen. sie selbst erwirtschaften. Aber damit wäre das Geld weit sinnvoller angelegt als gegenwärtig zur Finan- Wir wollen eine demokratisch reformierte Hoch- zierung von Arbeitslosigkeit, die jährlich 180 Milliar- schule ohne Studiengebühren und Zwangsexmatri- den DM verschlingt. kulationen. Wir fordern Räume und Freiräume für die Jugendlichen, zum Beispiel ganz konkret für jeweils Die PDS drängt zum dritten darauf, die sogenann- 1000 Jugendliche einen Jugendclub, den sie selbst ten Lohnnebenkosten durch eine Wertschöpfungs- gestalten können. Vor allem aber: Junge Menschen abgabe zu ersetzen. Gegenwärtig ist es so, daß die sollen selbst Politik machen, ihre Sichtweisen ein- Unternehmen die Lohnnebenkosten nach der Zahl bringen, ihre Interessen wahrnehmen. Deswegen der Beschäftigten und der Höhe der Bruttolöhne zu unterstützt die PDS Kinder- und Jugendparlamente zahlen haben. Je weniger Mitarbeiter und je gerin- mit realen Mitwirkungsrechten, Jugendinitiativen gere Bruttolöhne, desto weniger werden sie zur und alternative Jugendprojekte. Kasse gebeten. Anders gesagt: Entlassungen und Lohnminderungen werden belohnt. Die PDS ist die einzige Partei, die konsequent und umfassend ostdeutsche Interessen und ostdeutsches Wir wollen, daß die Unternehmen nach der Höhe Selbstbewußtsein vertritt. Wir jammern nicht, und des Betriebsergebnisses, des Gewinns und der We rt wir fordern nicht, daß Ostdeutschland noch mehr -schöpfung ihren Beitrag leisten sollen, unabhängig Geld bekommen müßte. Wir fordern, daß die Ost- von der Zahl der Beschäftigten und der Bruttolöhne. deutschen endlich mehr geben können: durch mehr Betriebe mit hoher Wertschöpfung und wenig Be- Arbeitsmöglichkeiten, dadurch, daß der große Wert schäftigten - Banken, Versicherungen, hochautoma- ihrer anderen Lebensläufe und anderen Erfahrungen tisierte Fabriken - müßten dann mehr zahlen als für die ganze Republik genutzt wird, durch Gleich- bisher, Klein- und Mittelbetriebe mit relativ geringer berechtigung und durch reale Mitwirkungsmöglich- Wertschöpfung und vielen Mitarbeitern dagegen we- keiten an der Gestaltung des Gemeinwesens. Wir niger. Das wäre gerechter als die bisherige Lösung wollen nicht, daß die neuen Bundesländer zur Peri- und würde vor allem die Schaffung von Arbeitsplät- pherie Deutschlands werden, zu einer A rt Süditalien, zen und nicht ihre Vernichtung belohnen. Beispiels- mit Massenarbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit für weise könnte der Kleinhändler an der Ecke leichter Frauen und junge Leute, vermindertem Eigentums- eine Verkäuferin einstellen, ohne befürchten zu müs- schutz, diskriminierenden Rentenregelungen und sen, daß ihn die Lohnnebenkosten überfordern. Einstellungsbarrieren. Wir wollen, daß der Osten endlich als Chance begriffen wird. Das sind nur drei wichtige Aspekte des PDS-Kon- zepts zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit. Dabei geht es uns nicht nur um die Region, son- Es geht dabei natürlich auch um die gerechte Ver- dern um dauerhaften Nutzen für das ganze Land. teilung der Arbeit zwischen Männern und Frauen, Denn wenn der Osten nicht auf eigene Füße kommt, um Ökologie, um die Wende zu einer nachhaltigen, wird der Westen schnell in Atemnot geraten. Es zeigt zukunftsfähigen Wi rtschaft, kurz: um das Anpacken sich doch immer deutlicher: Die Schwierigkeiten des der wichtigsten Probleme, die von der modernen Ent- Ostens sind nur die zugespitzten Probleme des We- wicklung der Produktivkräfte aufgeworfen werden. stens. Bisher war der Osten das Experimentierfeld für Sozialabbau, Einschränkung demokratischer Rechte, Die PDS steht für soziale Gerechtigkeit ohne Wenn Knebelung der kommunalen Selbstverwaltung. Wir und Aber. Wir wollen Armut bekämpfen, indem wir sagen: Wenn schon Experimentierfeld, warum dann Reichtum begrenzen, nicht Arme ausgrenzen. Dazu nicht für den Einstieg in eine neue, sozial gerechte bedarf es natürlich des politischen Willens zu einer und ökologisch verantwortliche Politik, ohne die es gerechten Umgestaltung des Steuer- und Abgaben- ohnehin für ganz Deutschland keine lebenswerte systems, unsere Vorschläge liegen auf dem Tisch. Perspektive gibt! Wir haben diesen Willen und sind deshalb auch nicht wie die anderen Parteien pessimistisch, die wegen Deshalb schlägt die PDS für die neuen Bundeslän- angeblicher Sachzwänge den gegenwärtigen Zu- der mit dem „Rostocker Manifest" ein Pilotprojekt stand für alternativlos halten. Ost „Gerechtigkeit und Entwicklung" vor. Es ist das einzige wirklich alternative, umfassende Programm, Wir sehen klare Alternativen. Das bet rifft nicht nur das von der Wirtschaft über die Eigentumsfragen bis die Überzeugung, daß Massenarbeitslosigkeit und zu modernen Demokratievorstellungen und zur Wis- soziale Unsicherheit überwunden, eine sozial-ökolo- senschaft und Kultur den gesamten gesellschafts- gische Wende zur Nachhaltigkeit eingeleitet werden politischen Bereich erfaßt, dem Nutzen der ganzen können. Das drückt sich auch direkt in den Forde- Republik dient und die Chance bietet, die neuen rungen für die Jugend aus, genauer gesagt, in den Bundesländer zu einer europäischen Zukunftsregion Forderungen der Jugend, die sich die PDS insgesamt zu entwickeln. 23024* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 246. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1998

All das hat nichts mit Ostalgie zu tun. Unser Ver- den Dreck zu treten. Wir bleiben bei einer differen- hältnis zur Vergangenheit, zur DDR ist klar: Wir wer- zierten Bewe rtung und werden uns weiter darum be- den nicht zulassen, daß die Leistungen der Men- mühen. schen in der DDR gering geschätzt, ihre Biographien Die demokratischen Sozialistinnen und Sozialisten verachtet werden. Wir werden aber auch jeder Ver- erwiesen sich als die konsequenteste Opposition der klärung der DDR entgegentreten; denn schließlich ist Regierung Kohl. Die konsequent kritische Haltung sie wegen ihrer großen Defizite an Demokratie und werden wir beibehalten. Egal, ob rotgrüne oder Emanzipation gescheitert, und niemand will dorthin große Koalition, kritischer Druck von links ist auch zurück. Die SED hat früher alles in der DDR hochge- im 14. Deutschen Bundestag bitter nötig. Wir werden jubelt. Die Bundesregierung versucht heute, a lles in uns dieser Aufgabe stellen.